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Full text of "Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik"

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JAHRBÜCHER 

FÜR  NHTIONFILÖKONOMIE 

UND  STATISTIK 

BEGRÜNDET  VON  FORTeESETZT  VON 

BRUNO  HILDEBRHND   JOHHNNES  CONRHD 

HERflUSeEGEBEN  VON 

Dr.  LUDWIG  ELSTER 

WIRKL.  GEH.  0BER-RE6IERUNGSRHT  IN  JENH 

IN  VERBINDUNG  MIT 

Dr.  ED0.  L0ENIN6      Dr.  H.  WHENTI0 


PROF.  IN  HHLLE  H.  S. 


PROF.  IN  HALLE  H.  S. 


109.  BHND 
III.  FOLGE  54.  BHND 

1917.  II. 


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VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER 

1917 


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Alle  Rechte  vorbeüalten 


Inhalt  des  54.  Bandes,  dritte  Folge.  (109.  Bd.) 


I.   Abhandlungen. 

Amonn,  Alfred,  Eugen  von  Philippovich  (f  4.  Juni  1917).     S.  158. 

Elsas,  Fritz,  Einige  Grundfragen  der  Ernährungswirtschaft  im  Kriege.     S.  423. 

Elster,  Karl,  Zur  Analyse  des  Geldproblems.     S.  257. 

EngliS,  Karl,  Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Gicnzerträge  in  der  Kon- 
sumwirtschaft.    S.  385. 

Pesl,  Chr.  D.,  Die  Erbpacht  (als  Ansiedlungsform  für  Krieger),     ö.  1. 

Waentig,  Heinrich,  Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  S.  129, 
513,  641. 

Würzburger,  Eugen,  Ausblick  auf  unsere  künftige  Bevölkerungsentwicklung.   8.  544. 

n.    Nation alökonomische  Gesetzgebung. 

Ergäuzende  Gesetze  zum  Deutschen  Kriegssteuergesetz  (1.  G.  zur  Ergänzung  des  Kriegs- 
steuergesetzes vom  17.  XII.  1916.  2.  G.  über  die  Erhebung  eines  Zuschlags  zur 
Kriogssteuer  vom  9.  IV.  1917.  3.  G.  über  Sicherung  der  Kriegssteuer  vom  9.  IV. 
1917).     S.  549. 

Das  Kohlensteuergesetz  vom  8.  April  1917.     S.  678. 

Müller,  Johannes,  Die  durch  den  Krieg  hervorgerufenen  Gesetze,  Verordnungen, 
Bekanntmachungen  usw.,  soweit  sie  im  Reichsgeselzblatt  veröffentlicht  worden  sind 
(6.  Fortsetzung).     S.  164,  304. 

III.    Miszellen. 

Breves,  Dora,  Frankreichs  Boden produktion  1911  — 1916.     S.  739. 

V.  Buday,    Desider,    Arbeitssystem   und  Gewinn  bei  den  industriellen   Betrieben   in 

den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.     S.  335. 
Eulenburg,   Franz,   Die   Entwicklung   der  Warenpreise   in    England    während   des 

Krieges.     S.  457. 
Feld,  Wilhelm,  Ein  neuer  Kurs  der  amerikanischen  Trusipolitik?    S.  213. 
Fuchs,     Carl    Johannes,     Die    Staatswissenschaftliche    Fakultät     der    Universität 

Tübingen  von  1817—1917.     S.  686. 
Gnauck-Kühne,  Elisabeth  (f),  Wohlfahrtspflege,  Caritas  und  soziale  Arbeit    S.  77. 
Guradze,    Haus,    Sterblichkeit  der  Säuglinge,   Kleinkinder  und  der  höheren   Alter 

in  Deutschland  von  1871—1910.     S.  220. 
— ,  —  Die  Brotpreise  in  Berlin    in   der   ersten   Hälfte   des   vierten   Kriegsjahres    1917. 

S.  730. 
Hennig,    R.,    Der   Neubau  des   Donau- Main- Kanals    und   seine  wirtschaftlichen   Aus- 
sichten.    S.  203. 
Herbst,    Die  reichsgcsetzlichcn  Maßnahmen    zur  Sicherung  der  deutschen  Volksernfih- 

rung  im  Kriege  (Fortsetzung).     HI.     S.  181.     IV.     S.  694. 
Hofmann,  Emil,  Die  Eierpreise  in  Mannheim.     S.  69. 
Jöhlinger,    Otto,    üebersicht    über    den   Weltgetreidemarkt    (vom    1.   Februar   bis 

1.  Juni  1917).     S.  31. 
— ,  —  üebersicht   über  den  Weltgetreidemarkt    (vom  1.  Juni  bis   1.  September   1917). 

S.  441. 
— ,  —  Weltkrieg  und  Weltversorgung.     S.  323. 
Meyer,    Edgar,    Die    Entwicklung   der  Vieh-   und   Fleischpreise   und   die    Regelung 

der  Fleischversorgung   in  Deutschland   während  der  ersten  beiden  Kriegsjahre  (unter 

besonderer  Berücksichtigung  der  Berliner  Verhältnisse).     S.  583. 


IV  Inhalt. 

Moob,  Ferdinand,  Dm  französische  Kolonialreich  und  der  Handel  Deuttfchland« 
und  Oesierreich-Ungams  mit  den  franzötiischen  Kolonien.     S.  553. 

Schnitze,  Ernst,  Die  Zinkindustrie  der  Vereinigten  Staaten  im  Kriege.     8.  50. 

— ,  —  Die  Einwanderung  in  die  Vereinigten  Staaten  unter  dem  Einfluß  des  Krieges. 
S.  732. 

Schwarz,  Sobald,  Volks mrtschaftliche  Probleme  der  Schulreform.    S.  338. 


IV.  Literatur. 

a)  Berichtie  und  Sammelreferat c. 

V.  Below,  G.,  Der  deutsche  Staat  des  Mittelalters.     (A..  Zycha.)     S.  93. 

Hoff  mann,  J.  F.,  Die  Getreidespeicher,  bautechnische  und  maschinentechnische  Ein- 
richtung, wie  Fördermaschinen,  Lüfter  und  Luftwerk,  Reinigungsmaschinen  usw.,  sowie 
Besprechung  der  Getreide-  und  AUestrockner.    (W.  Wygodzinski.)     S.  354. 

Die  Literatur  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge.     (Herbst.)     S.   481. 

b)  Bezensierte  Schriften. 

Bernstein,  Eduard,  Die  Internationale  der  Arbeiterklasse  und  der  europäische  Kri^. 
(Sonderabdruck  aus  dem  „Archiv  für  Sozialwissenschaft  u.  Sozialpolitik",  Bd.  40, 
Heft  2.)     (H.  Koppe.)     S.  622. 

Bernstein,  Die  militärische  Kriegsbesehädigtentürsorge  bei  den  Ersatztruppenteilen. 
(Herbst.)     S.  488. 

Biesalski,  Die  Kriegskrüppelfürsorge  (ein  Aufklärungswort  zum  Trost  und  zur  Mah- 
nung).    (Herbst.)     S.  488. 

Blind,  Grundzüge  der  ärztlichen  Kriegsbeschädigtenfürsorge.     (Herbat.)     S.  488. 

Brück,  W.  F.,  Denkschrift  über  die  Lage  der  österreichisch-ungarischen  Baumwoll- 
industrie. Herausgegeben  vom  Arbeitsausschuß  der  deutschen  BaumwoUspinner- 
verbändc.     (Friedrich  Hoff  mann.)     S.  612. 

— ,  —  Vorläufiger  Bericht  über  die  BaumwoUerzeuguug  und  -verbrauch  der  Türkei- 
Hrsg.  vom  Arbeitsausschuß  der  Deutsehen  Baum  wollspinnerverbände.  (Friedrich 
Hoff  mann.)     S.  749. 

Carthaus,  Vilma,  Zur  Geschichte  und  Theorie  der  Grundstückskrisen  in  deutschen 
Großstädten,  mit  besonderer  Berücksichtigung  von  Groß-Berlin.  (A.  Nußbaum.) 
S.  373. 

Deumer,  Kriegsinvaliden-Gesellschaften.     (Herbst.)     S.  487. 

Einkaufsvereinigungen  auf  dem  Lande.  Mit  Beiträgen  von  K.  Grabein,  E.  Feldmann, 
E.  Köhler,  K.  Gaebel.  (Schriften  des  Vereins  für  Sozialpolitik.  Untersuchungen  über 
Konsumvereine.  Herausgegeben  von  H.  Thiel  und  R.  Wilbrandt.  Bd.  151,  2.  Teil.) 
(Willy  Krebs.)     S.  756. 

Eisfeld,  Curt,  Das  niederländische  Bankwesen.  2  Bde.    (W.  H.  Edwards.)    S.  233. 

Endres,  Franz  Carl,  Die  Türkei.  Bilder  und  Skizzen  von  Land  und  Volk.  2.  un- 
veränderte Aufl.     (Friedrich  Hoffmann.)     S.  362. 

Fereuczi,  Emerich,  Die  erste  Arbeitslosenzählung  in  Budapest  und  in  24  Nadi- 
bargcmeinden  am  22.  März  1914.  Im  Auftrage  des  Magistrats  der  Haupt-  und 
Residenzstadt  Budapest  bearbeitet.     (H.  Koppe.)     S.  619. 

Flemming,  Wie  Kriegsbeschädigte  und  Unfallverletzte  auch  bei  Verstümmelung  ihr 
Los  verbessern  können.     (Herbst.)     S.  488. 

Flügge,  C,  Großstadtwohnungen  und  Kleinhaussiedlungen  in  ihrer  Einwirkung  auf 
die  Volksgesundheit.  Eine  kritische  Erörterung  für  Aerzte,  Verwaltungsbeamte  und 
Baumeister.     Mit  8  Abbildungen.     (W.  Hanauer.)     S.  240. 

Gü  rtler,  Alfred,  Unsere  Handelsbilanz  1909—1913  in  systematischer  Warengruppie- 
rung.    Berechnet  und  mit  einer  Einleitung  versehen.    (A.  Wirminghaus.)   S.  615. 

Herrmann,  Judith,  Die  deutsche  Frau  in  den  akademischen  Berufen.  (Kaete 
Winkelmann.)     S.  630. 

Jahrbuch  des  Zentral  Verbandes  deutscher  Konsumvereine.  14.  Jahrg.,  1916.  Hrsg.  von 
Heinrich  Kaufmann.     (Willy  Krebs.)     S.  119. 

Jahresbericht  des  Zentral  Verbandes  deutscher  Konsumvereine  für  1915.  Erstattet  za 
Händen  des  13.  ordentlicben  Genossenschaftstages  des  Zentralverbandes  deutscher 
Konsumvereine  am  19.  und  20.  Juni  in  Hannover  von  dem  geseh&ftsführenden  Vor- 


Inhalt.  V 

Stande  Heinrich  Kaufmann,  Dr.  August  Müller,  Hugo  Bästlein. 
(Willy  Krebs.)     S.  119. 

Karpinski,  Zygmunt,  Die  Wechselkurse  während  des  Weltkrieges  von  dessen  Be- 
ginn bis  Ende  1915.     (Otto  Heyn.)     S.  112. 

Köhler,  Die  staatliche  Kriegsinvalidenfürsorge.     (Herbst.)     S.  487. 

Kriegsbeschädigtenfürsorge.  Hrsg.  von  Kraus  in  Verbindung  mit  Kebentisch, 
Back,  Schlottcr.     (Aus:  Natur-     und  Geisteswelt.)     (Herbst.)     S.  487. 

Kriegsfürsorge,  Die,  in  Mannheim.  Darstellung  der  Tätigkeit  des  Kriegsunterstützungs- 
amtes und  der  Zentrale  für  Kriegsfürsorge  von  Kriegsbeginn  bis  zum  Juli  1916. 
In  deren  Auftrag  herausgegeben  und  bearbeitet  von  Prof.  Dr.  S.  P.  Altmann, 
Mannheim.     (Herbst.)     S.  634. 

Kriegstaschenbuch.  Ein  Handlexikon  über  den  Weltkrieg.  Hrsg.  von  Ulrich 
Steindorf  f.     (L.  E.).     S.  379. 

Krusch,  P.,  Die  Versorgung  Deutschlands  mit  metallischen  Rohstoffen  (Erzen  und 
Metallen).     (Richard  Passow.)     S.  107. 

— ,  —  Gerichts-  und  Verwaltungsgeologie.  Die  Bedeutung  der  Geologie  in  der  Recht- 
sprechung und  Verwaltung.  Für  Geologen,  Bergleute  und  Ingenieure,  Richter,  Rechts- 
anwälte und  Verwaltungsbeamte,  gerichtliche  und  Parteigutachter.  (Richard 
Passow.)     S.  107. 

Künssberg,  Die  Einarmfibel.     (Herbst.)     S.  488. 

Kurth,  Kriegsinvalidenfürsorge  und  Gewerkschaften.     (Herbst.)     S.  487. 

Landfrage  und  Kriegswitwe.  (Schriften  des  Arbeitsausschusses  der  Krieger witwen-  und 
-Waisenfürsorge,  hrsgg.  im  Auftrage  des  Hauptausschusses,  Heft  4.)  (E.  Kesten.) 
S.  375. 

Leipart,  Kriegsinvaliden  und  Gewerkschaften.     (Herbst.)     S.  487. 

Liefmann,  Robert,  Geld  und  Gold,  ökonomische  Theorie  des  Geldes.  (Karl 
Elster.)     S.  257. 

Liese,  Kriegsbeschädigtenfürsorge.     (Herbst.)     S.  487. 

Marcuse,  Paul,  Die  Bankreform  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.  (Finanz- 
wirtschaftliche Zeitfragen,  hrsg.  von  G.  v.  Schanz  und  J.  Wolf,  Heft  18.)  (Sven 
Heiander.)     S.  617. 

Müller-Erzbach,  Rudolf,  Das  Bergrecht  Preußens  und  des  weiteren  Deutschlands. 
Erste  Hälfte.     Mit  5  Textabbildungen.     (H.  Sehr  ad  er.)     S.  226. 

Nestriepke,  S.,  Werben  und  Werden  der  freien  Gewerkschaften.  Geschichte  und 
System  der  gewerkschaftliehen  Agitation.     (H.  Koppe.)     S.  113. 

Oberfohren,  Ernst,  Französische  Bestrebungen  zur  Verdrängung  des  deutschen 
Handels.  (Kriegswirtschaftliche  Untersuchungen  aus  dem  Institut  für  Seeverkehr  und 
Weltwirtschaft  an  der  Universität  Kiel,  hrsg.  von  Prof.  B.  Harms,  5.  Heft) 
(A.  Wirminghaus.)     S.  229. 

Pothmann,  Wilhelm,  Der  im  Ruhrbergbau  auf  den  Kopf  der  Belegschaft  entfallende 
Förderanteil  und  das  Problem  seiner  wirtschaftlichen  Steigerung.  (Beiträge  zur  Lehre 
von  den  industriellen  Handels-  und  Verkehrsunternehmungen,  hrsg.  von  R.  Passow, 
Heft  2.)     (Herbig.)     S.  365. 

Produktion,  Absatz,  Preisbildung  von  Molkereierzeugnissen.  Beiträge  von  Dr.  jur.  Eirik 
Jahn,  Molkereiinstruktor  Hübner,  Dr.  A.  Geiger  und  Dr.  phil.  Kurt  Teichert. 
(Schriften  des  Vereins  für  Sozialpolitik,  Bd.  140,  Abteilung  A,  Hl.  Teil.)  (Alois 
Dallmayr.)     S.  608. 

Ratschläge  für  die  Berufswahl  im  Rechts-,  Wirtschafts-  und  Verwaltungsleben.  Hrsg. 
von  der  Rechts-  und  Staatswissenschaftlichen  Fakultät  der  schles.  Friedrich- Wilh.- 
Universität.     (Johannes  Müller.)     S.  506. 

Scholl,  Praktische  Kriegsinvalidenfürsorge.     (Herbst.)     S.  487. 

V.  Schrötter,  Friedrich,  Frh.,  Geschichte  des  neueren  Münz- und  Geldwesens  im 
Kurfürstentum  Trier  1550—1794.     (Seh  wi  nko  wski.)     S.  754. 

V.  Schw^erin,  Claudius,  Frhr.,  Deutsehe  Rechtsgeschichte  (mit  Ausschluß  der  Ver- 
fassungsgeschichte). (Grundriß  der  Geschichtswissenschaft,  hrsg.  von  Aloys  Meister, 
Reihe  II,  Abteil.  5.)    2.  veränderte  Aufl.     (Hans  Seh  reuer.)     S.  224 

Silberschmidt,  W.,  Beteiligung  und  Teilhaberschaft.  Ein  Beitrag  zum  Rechte  der 
Gesellschaft.     (Max  Pappenheim.)     S.  631. 

Skalweit,  B.,  Die  englische  Landwirtschaft,  Entwicklung,  Betrieb,  Lage,  mit  Be- 
rücksichtigung der  volkswirtschaftlichen  Bedeutung.  (Berichte  über  Landwirtschaft, 
hrsg.   im  Reichsamt   des   Innern,    Heft   37.)     (F.  Beckmann.)     S.  494. 


VI  Inhalt. 

Stookcr,  Gustav«  Der  gewerbsmäßige  Güterhandel  in  «wei  typicchen  Amtobezirkei» 
Badens.  (Volkswirtschaftliche  Abhandlungen  der  badischen  Hochschulen,  Heft  36.) 
(W.  Wygodzinski.)     8.  611. 

V.  Tyszka,  Carl,  Der  Kouaument  in  der  Kriegswirtschaft.  (KriegswirtEchaftlich» 
Zeitfragen,  hrsg.  von  F.  Eulenburg,  Heft  5.)     (J  ohannes  M  üller.)     8.  105. 

Urbanek,  Oberschlesien  heute  und  morgen.  (Vereinsschriften  des  Vereins  für  Kom- 
munalwirtschaft und  Kommunalpolitik,  hrsg.  von  Fr.  Stein.)     (Syrup.)     S.  492. 

Vogel,  Rudolf,  Das  Abkommen  des  Verbandes  schweizerischer  Konsumvereine  mit 
der  Großmetzgerei  Bell-A.-G.  in  Basel.  Ein  Beitrag  zur  Genoesenschaftathcorie. 
(Willy  Krebs.)     S.  243. 

Vogel,  Emanuel  Hugo,  Die  Theorie  des  volkswirtschaftlichen  Entwicklung;  ]  ro- 
zesses  und  das  Krisenproblem,  Mit  besonderer  Berücksichtigung  der  englischen  Wirt- 
schaftsentwicklung bis  zum  Ausbruche  des  Weltkrieges  im  Jahr  1914.  (Robert 
Liefmann.)     S.  743. 

Wagner,  Martin,  Bauwirtschaft,  Realkredit  und  Mieten  in  und  nach  dem  Kriege. 
(Finanz-  und  Volkswirtschaftliche  Zeitfragen,  hrfg.  von  v.  Schanz  und  J.  Wolf, 
Heft  34.)     (Walter  Leiske.)     8.  760. 

Waldecker,  Ludwig,  Reichseinheit  und  Reichsfinanzen.  Nachdenkliche  Kapitel  für 
Juristen  und  Nichtjuristen  über  ein  Problem  deutscher  Vergangenheit,  Gegenwart 
und  Zukunft.     (Karl  Elster.)     S.  370. 

Welker,  Georg,  Die  Münchener  Erhebung  über  den  Leben^^mittelverbrauch  im^ 
Februar  1915.     Eine  statistische  Studie.     Mit  3  färb.  Tafeln.     (Eulen bürg.)    8.  248- 

Würtz,  Der  Wille  siegt.     (Herbst.)     S.  488. 

Zichy,  Geza,  Buch  des  Einarmigen.     (Herbst.)     S.  488. 

Zimmermann,  F.  W.  R.,  Die  Finanzwirfcchaft  des  Deutschen  Reichs  und  der 
deutschen  Bundesstaaten   zu  Kriegsausbruch  1914.     (Alexander  Elster.)     S.  231. 

Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des 
Auslandes.      S.  105.    224.    362.    492.    608.    739. 

Die  periodische  Presse  des  Auslandes,     s.  124.  252.  381.  507.  636.  762. 

Die  periodische  Presse  Deutschlands,      s.  125.  253.  381.   509.   637.    763. 

Volkswirtschaftliche  Chronik.   1917.      Mai :  S.  301.    Juni :  8.  373.    Juli :  S.  453. 

August:    S.    513.      September:    8.    581,. 
Oktober:  8.  669. 


Chr.  D.  Pesl,  Die  Erbpacht. 


I. 

Die  Erbpacht 

(als  Ansiedlungsform  für  Krieger). 

Von 

Dr.  jur.  et  Dr.  scient.  polit.  Chr.  D.  Pesl,  Rechtsanwalt  am  Ober- 
landesgericht München. 

Der  Weltkrieg  hat  uns  nur  zu  bald  gezeigt,  daß  wir  während 
des  Krieges  in  der  Versorgung  mit  Lebensmitteln  fast  ganz  auf  die 
Erzeugnisse  angewiesen  sind,  die  wir  selbst  im  Inlande  zu  ge- 
winnen imstande  sind.  Wenn  auch  die  alte  Streitfrage  „Schutzzoll 
oder  Freihandel"  keineswegs  gelöst  ist  und  auch  niemals  ausschließ- 
lich zugunsten  des  einen  oder  anderen  gelöst  werden  kann,  so  wissen 
wir  jedenfalls  jetzt  durch  die  tatsächlichen  Erfahrungen,  daß  wir 
wohl  nicht  in  der  Lage  gewesen  wären,  mit  den  Lebensmitteln 
durchzuhalten,  wenn  nicht  infolge  des  Schutzzolles,  besonders  auf 
Getreide  und  den  Produkten  daraus,  der  Anbau  ungeheurer  Boden- 
flächen mit  Getreide  sich  noch  gelohnt  hätte.  Aber  mit  Besorgnis 
sah  man  schon  seit  vielen  Jahren,  daß  immer  mehr  große  Flächen, 
die  an  sich  für  Getreidebau  geeignet  waren,  aufgeforstet  oder  auf 
andere  Weise  der  Landwirtschaft  entzogen  wurden.  Nicht  selten 
wurden  durch  Aufkauf  zahlreicher  Bauerngüter  einzelne  große  Güter 
gebildet,  nicht  immer  zu  dem  Zwecke,  diese  rationell  zu  bewirt- 
schaften, sondern  um  Jagdgebiete  zu  schaffen,  oder,  was  häufiger 
war,  um  durch  den  Besitz  solcher  ausgedehnter  Güter  zu  besonderem 
Ansehen  und  zu  bestimmten  Würden  und  Aemtern  zu  gelangen. 
Die  Fideikommißbildung  machte  in  den  letzten  Jahrzehnten  große 
Fortschritte,  und  es  ist  zu  erwarten,  daß  die  durch  Kriegslieferungen 
und  Kriegswucher  neu  entstandene  und  entstehende  Plutokratie  einen 
Teil  ihrer  Gewinne  in  Grund  und  Boden  anlegt;  Anzeichen  hierfür 
sind  schon  vorhanden.  Maßregeln  gegen  diese  Erscheinungen  hat 
bisher  nur  Oesterreich  ergriffen  ^).  Das  klassische  Beispiel,  wohin  die 
Landwirtschaft  gerät,  wenn  diese  nicht  durch  entsprechende  Zölle  ge- 
schützt wird  und  deshalb  keine  günstigen  Erträgnisse  mehr  abwirft, 
ist  England;  die  Bauernwirtschaften  sind  dort  fast  ganz  verschwunden 
und  überall   entstanden    große   Güter,   die  in    der   Hauptsache  dem 


1)  K.  k.  Verordnung  vom  9.  August  1915. 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64) 


2  Chr.  D.  Pesl, 

Jagdsport  dienen,  und  selbst  die  Viehzucht  ist  nicht  in  erster  Reihe 
darauf  gegründet,  die  Bevölkerung  mit  Fleisch,  Milch  und  sonstigen 
Erzeugnissen  der  Viehzucht  zu  versorgen,  sondern  auch  die  Vieh- 
zucht wird  mehr  als  Sport  betrieben,  um  besondere  Rassetiere  heran- 
zuzüchten.  England  konnte  sich  den  Luxus  leisten,  den  für  eine 
gesunde  Volkswirtschaft  sonst  unentbehrlichen  Stand  der  Landwirte 
verschwinden  zu  sehen,  solange  es  durch  seine  „meerbeherrschende" 
Flotte  alle  landwirtschaftlichen  Erzeugnisse  billiger  aus  den  Kolonien 
beziehen  konnte.  Doch  machten  sich  auch  in  England  seit  Jahren 
Stimmen  geltend,  die  die  Wiedereinführung  der  eigenen  Landwirt- 
schaft in  großem  Umfange  verlangten,  um  so  mehr,  je  mehr  die 
Möglichkeit  erwogen  wurde,  ob  nicht  England  durch  eine  Blockade 
in  einem  Kriegsfall  mit  der  Zufuhr  vom  Auslande  in  ernste  Schwierig- 
keiten gelangen  könnte.  Heute  wissen  wir,  daß  England  nur  mehr 
für  ein  paar  Monate  Lebensmittel  hatte,  als  unser  zweiter  ver- 
schärfter ünterseebootkampf  einsetzte,  und  wir  wissen,  daß  wir  Eng- 
land hätten  aushungern  und  zum  Waffenstrecken  zwingen  können, 
wenn  nicht  das  mit  England  verbrüderte  Amerika  uns  in  den  Arm 
gefallen  wäre.  Wir  in  Deutschland  müssen  auch  in  Zukunft  mehr 
als  in  Vergangenheit  soweit  als  möglich  von  der  fremden  Einfuhr 
an  Lebensmitteln  unabhängig  werden.  Selbst  ein  hoher  Schutzzoll 
auf  Getreide  belastet  den  Konsumenten  nur  wenig.  Mit  vollem 
Rechte  sagte  König  Ludwig  von  Bayern  im  Juni  1916  in  einer 
Rede:  „Eine  Lehre  hat  uns  dieser  große  und  schwere  Krieg  jeden- 
falls gebracht,  und  das  ist  die,  daß  wir  dafür  sorgen  müssen,  daß 
wir  in  Zukunft  ohne  Hilfe  von  auswärts  uns  in  Deutschland  allein 
ernähren  können.  Das  ist  nur  möglich,  wenn  die  Landwirtschaft 
gefördert  wird,  und  die  Landwirtschaft  kann  nur  dadurch  gefördert 
werden,  wenn  sie  auch  in  ruhigen  Zeiten  einen  Ertrag  bringt  und 
ihren  Mann  ernährt."  Mehr  als  3  Milliarden  M.  zahlten  wir  all- 
jährlich an  das  Ausland  für  Nahrungs-  und  Futtermittel  und  sahen 
die  einheimische  Landwirtschaft  zurückgehen  und  oft  in  eine 
schwierige  Lage  geraten.  Das  muß  in  Zukunft  anders  werden,  und 
tatsächlich  beginnt  man  mit  Maßnahmen,  die  Landwirtschaft  wieder 
zu  heben  und  die  Ansiedlungen  auf  dem  Lande  zu  fördern.  In 
erster  Linie  denkt  man  hierbei  an  die  Ansiedlung  von  Kriegern,  die 
aus  dem  Felde  heimkehren;  daneben  aber  gilt  es,  bereits  bestehende 
landwirtschaftliche  Betriebe  zu  festigen  und  auch  die  Ansiedlung 
von  Nichtkriegern  zu  begünstigen.  Ueber  5  Millionen  Deutscher 
wanderten  seit  1820  aus  Deutschland  aus  und  zwar  gerade  die  tüch- 
tigsten und  gesündesten,  die  in  der  Mehrzahl  dem  Deutschtum  für 
immer  verloren  gingen.  Es  gab  Professoren,  die  als  einfachstes 
Mittel  zur  Beseitigung  landwirtschaftlicher  Not  empfahlen,  man  solle 
diese  notleidende  Bevölkerung  auf  Schiffe  bringen  und  über  das 
Weltmeer  schaffen,  wo  sie  sich  eine  neue  Existenz  gründen  könnten. 
Dabei  hatten  und  haben  wir  ungeheure  Bodenflächen,  die  über- 
haupt nicht  oder  nicht  in  intensiver  Weise  bewirtschaftet  werden. 
Selbstverständlich  ist  eine  Urbarmachung  von  Oedländereien  und  die 


Die  Erbpacht.  3 

Ansiedlung  von  einer  großen  Anzahl  Personen  ohne  erhebliche 
Reichs-  oder  Staatsmittel  nicht  möglich.  Aber  diese  Aufwendungen 
rentieren  sich  sehr  bald,  wie  die  Erfahrungen  besonders  in  Preußen 
zeigen,  wo  Ansiedlungen  in  Form  der  Rentengüter  usw.  seit  Jahr- 
zehnten erfolgen.  Schließlich  ist  es  nicht  einmal  notwendig,  daß 
diese  sämtlichen  Summen  sich  finanziell  sehr  gut  rentieren,  der 
Hauptvorteil  für  den  Staat  liegt  in  der  Erhaltung  und  Schaffung 
eines  tüchtigen,  bodenständigen,  gesunden  und  vor  allem  kinderreichen 
Bauernstandes.  Die  bedeutendsten  Sozialpolitiker  fordern  weitgehende 
Ansiedlungen,  da  auch  in  Deutschland  die  Geburtenabnahme  all- 
mählich einen  beängstigenden  Grad  annahm.  Alle  Mittel,  die  diesen 
Rückgang  aufhalten  können,  sind  recht,  und  es  besteht  die  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  die  Ansiedlung  auf  dem  Lande  diese  Wirkung 
einigermaßen  haben  wird. 

In  erster  Reihe  gilt  es,  den  heimkehrenden  Kriegern,  die 
sich  auf  dem  Lande  eine  Heimstätte  schaffen  und  sich  der  Land- 
wirtschaft widmen  wollen,  die  Möglichkeit  hierzu  zu  gewähren.  Eine 
ziemlich  große  Anzahl  von  Vorschlägen,  in  welcher  Weise  solche 
Ansiedlungen  erfolgen  könnten,  sind  schon  gemacht  worden,  von 
denen  manche  brauchbar  erscheinen;  es  kann  nicht  überraschen,  daß 
bei  Erörterung  solcher  Fragen  und  bei  Vorschlägen  häufig  die  Be- 
geisterung die  Sachkenntnis  ersetzen  muß  und  deshalb  Vorschläge 
gemacht  werden,  die  nie  und  nimmer  zu  verwirklichende  Utopien 
sind,  so  z.  B.  wenn  gefordert  wird,  den  Ansiedlern  solle  der  nötige 
Grund  und  Boden  oder  die  ganze  Ansiedlungsstelle  ganz  oder 
größtenteils  auf  Staatskosten  geschenkt  werden ;  oder  wenn  verlangt 
wird,  man  solle  den  jetzigen  Grundeigentümern  ihren  Boden  zwangs- 
weise enteignen,  um  ihn  den  Ansiedlern  zur  Verfügung  stellen  zu 
können.  Solche  und  ähnliche  Vorschläge  gehen  zum  Teil  von  Per- 
sonengruppen aus,  die  die  gegenwärtige  Zeit  für  die  geeignetste 
halten,  um  ihre  Programme  zu  verwirklichen,  wie  der  Bund  der 
Bodenreformer,  der  unter  dem  Namen  „Hauptausschuß  für  Krieger- 
heimstätten" eine  Agitation  in  Hunderttausenden  von  Flugschriften 
entfaltete  und  diese  selbst  in  die  Schützengräben  schickte  und  da- 
durch Hoffnungen  erweckte,  die  unerfüllbar  sind.  So  lebhaft  wurde 
die  Agitation  betrieben,  daß  sogar  die  zuständigste  Stelle,  der 
preußische  Landwirtschaftsminister  Freiherr  von  Schorlemer,  öffent- 
lich diese  Agitation  aufs  schärfste  zurückweisen  mußte  mit  der  Er- 
klärung, die  Werbetätigkeit  der  Bodenreformer  beruhe  auf  unhalt- 
baren Grundlagen,  die  man  nicht  auf  die  Armee  übergreifen  lassen 
dürfe.  Inzwischen  haben  diese  Bodenreformer  ihre  Forderungen 
etwas  geändert  und  gemildert.  Man  darf  überzeugt  sein,  daß  auch 
die  übrigen,  die  nicht  dem  Bunde  der  Bodenreformer  angehören  und 
dessen  Agitation  verwerfen,  nicht  weniger  das  Beste  ihres  Vater- 
landes wollen  und  nicht  weniger  für  alles  das,  was  unsere  Soldaten 
im  Felde  geleistet  haben,  mit  aufrichtiger  Dankbarkeit  erfüllt  sind; 
wenn  sie  aber  dabei  auf  dem  Boden  der  Wirklichkeit  bleiben  und 
das   Mögliche  anstreben,   so   werden   sie  schließlich  mehr  erreichen, 


4  Chr.  D.  Pesl, 

als  jene,   die   zwar  Unzufriedenheit   säen,   aber  ihre   sozialistischen 
Pläne  damit  doch  nicht  durchsetzen  können. 

Es  sind  bereits  eine  Anzahl  von  Heimstätten-Gesetzent- 
würfen entstanden  und  in  den  Landtagskammern  besprochen  worden ; 
manche  sind  durchaus  brauchbar;  auch  von  privater  Seite  wurden 
Entwürfe  über  Ansiedlungen  ausgearbeitet,  die  gute  Grundlagen  ent- 
halten, so  z,  B.  ein  Pachtsitz-Gesetzentwurf  von  dem  bekannten 
Hygieniker  Geheimrat  Prof.  Dr.  Max  v.  Gruber;  diesen  Entwurf 
habe  ich  an  anderer  Stelle^)  einer  eingehenden  kritischen  Er- 
örterung unterzogen.  Auch  Prof.  Rauchberg-Prag  2)  hat  gute  theo- 
retische Ausführungen  über  Ansiedlungsfragen  in  einer  kleinen 
Schrift  gemacht;  den  Heimstätten-Gesetzentwurf  der  Bodenreformer 
hat  Prof.  Erman-Münster  ^)  in  einer  soeben  erschienenen  Broschüre 
erläutert.  Erschwert  werden  alle  Vorschläge  und-  Erörterungen  durch 
den  Umstand,  daß  wir  heute  noch  nicht  annähernd  wissen,  wie  viele 
Krieger  sich  ansiedeln  wollen.  Wenn  schon  von  zwei  Millionen  ge- 
sprochen wurde,  so  ist  das  reine  Phantasie;  an  eine  so  große  Zahl 
ist  gar  nicht  zu  denken;  wenn  es  ein-  oder  zweihunderttausend 
sind,  so  würde  dies  schon  alle  ernsten  Erwartungen  übertreffen. 
Die  Entscheidung  der  Frage  hängt  davon  ab,  wie  die  deutsche  Volks- 
wirtschaft nach  dem  Kriege  sich  entwickeln  wird.  Nach  dem  für 
uns  siegreichen  Kriege  und  ehrenvollen  Frieden,  der  uns  gute  Grenz- 
sicherungen und  Entschädigungen  bringen  muß,  werden  die  meisten 
der  heimkehrenden  Krieger  wieder  ihrer  früheren  Beschäftigung 
nachgehen;  die  es  infolge  Kränklichkeit  oder  Verwundungen  nicht 
können,  werden  andere  leichtere  Arbeit  in  den  Städten  suchen; 
die  vom  Lande  gekommenen  Krieger  werden  wieder  zur  Landwirt- 
schaft zurückkehren ;  viele  von  diesen,  die  sonst  in  die  Stadt  gingen, 
werden  Bauernhöfe  zu  übernehmen  haben,  weil  der  Vater,  der  Bruder 
im  Felde  fiel ;  andere  werden  durch  Heirat  Bauernhöfe,  deren  männ- 
liche Besitzer  gefallen  sind,  erhalten.  Freilich  manche  glauben, 
daß  die  Landflucht  nach  dem  Kriege  stark  zunehmen  werde, 
da  die  Industrie  und  der  Handel  viele  neue  Arbeitskräfte  nötig 
haben;  aber  wir  wissen  nicht,  inwieweit  es  alsobald  gelingt,  unsere 
alten  Märkte  wieder  zurückzugewinnen;  wenn  wir  auch  glauben, 
daß  die  Absatzverhältnisse  bald  wieder  gut  werden  und  wir  danach 
streben  müssen,  neue  Märkte  in  der  Welt  zu  erhalten,  so  dürfen 
wir  doch  nicht  übersehen,  daß  es  immerhin  geraume  Zeit  dauern 
wird,  bis  wir  wieder  genügend  Rohstoffe  im  Inlande  haben  werden, 
und  vor  allem  dürfen  wir  nicht  vergessen,  daß  wir  vor  dem  Kriege 
etwa  800000  Arbeitslose  hatten.  Die  Beweggründe,  die  bisher  die 
Landflucht  veranlaßten,  werden  wohl  auch  in  Zukunft  im  allge- 
meinen bestehen  bleiben,  wenn  auch  viele,  die  jetzt  draußen  im 
Felde  sind,  von  einem  eigenen  Heim,  von  eigenem  Grund  und  Boden 


1)  Ansiedlungsfragen,    in  Hirths  Annalen  des  Deutschen  Reiches,   1916,  S.  522  ff. 

2)  Rauchberg-Prag,  Kriegerheimstätten,  Wien  1916. 

3)  Erman,  Die  Grundzüge  zu  einem  Kriegerheimstättengesetz,  Berlin  1916. 


Die  Erbpacht.  5 

zum  Betrieb  von  Landwirtschaft  und  Gärtnerei  träumen.  Wenn 
also  auch  jetzt  noch  die  ganze  Ansiedlungsfrage  hinsichtlich  der 
Zahl  der  Ansiedler  und  der  Art  der  Ansiedlungen  unbestimmt  ist, 
so  dürfen  wir  doch  nicht  warten,  sondern  müssen  schon  jetzt  alles 
tun,  um  jedem,  der  sich  auf  dem  Lande  ansiedeln  will,  die  Möglich- 
keit hierzu  zu  gewähren. 

Die  wichtigste  Frage  hierbei  ist:  in  welcher  Weise  sollen  die 
Krieger  angesiedelt  werden  ?  Eine  einheitliche  Antwort  hierauf  gibt 
es  nicht.  Wer  ein  Gütchen  zu  freiem  Eigentum  erwerben  will,  dem 
soll  es  ebensowenig  verwehrt  sein,  wie  dem,  der  nicht  genügend 
Kapital  hat,  die  Möglichkeit  geboten  werden  muß,  wie  ein  Eigen- 
tümer eine  Ansiedlungsstelle  zu  bewirtschaften.  Den  Fall  des  Kaufes 
zu  freiem  Eigentum  können  wir  außer  Betracht  lassen;  ein  Mangel 
an  solchen  Gütern  wird  nicht  sein,  da  viele  Güter  ihre  männlichen 
Besitzer  verloren  haben  und  die  Erben  nicht  in  der  Lage  oder  ge- 
willt sind,  das  Gut  selbst  weiterzubewirtschaften.  Für  alle  anderen 
Ansiedlungen,  bei  welchen  die  Ansiedlung  nur  durch  Zutun  einer 
öffentlichen  Körperschaft,  etwa  des  Reiches,  der  Einzelstaaten  oder 
Gemeinden,  ermöglicht  wird,  müssen  die  Ansiedlungen  in  der  Weise 
erfolgen,  daß  sie  dauernd  ihren  Zweck  erfüllen.  Es  soll  also  vor 
allem  dafür  gesorgt  werden,  daß  die  Ansiedlungsstelle  in  ihrem  Be- 
stand unverändert  bleibt,  und  daß  nicht  der  Ansiedler  die  Stelle  bloß 
zu  dem  Zwecke  erwirbt,  um  sie  mit  Gewinn  weiterzuveräußern. 
Nun  verlangen  einige  Schriftsteller  allerdings  auch  den  Verkauf  einer 
Ansiedlung  zu  Eigentum,  aber  verbunden  mit  einem  Wiederkaufs- 
rechte, so  daß  also  die  Stellenausgeber  —  Reich,  Einzelstaaten  oder 
Gemeinden  —  jederzeit  das  Recht  haben,  die  Stelle  wieder  zurück- 
zukaufen, sobald  der  Ansiedler  sich  irgendeiner  Vertragsverletzung 
schuldig  macht.  Das  Recht  des  Wiederkaufes  kann  für  alle  beliebigen 
Vertragsverletzungen  vereinbart  werden,  so  z.  B.  für  nicht  recht- 
zeitige Zinszahlung,  für  nicht  ordnungsmäßige  Instandhaltung  der 
Gebäude,  für  nicht  zweckentsprechende  Bewirtschaftung  der  Grund- 
stücke, für  den  Fall  des  Verkaufes  usw.  usw.  In  der  Praxis  hat 
besonders  die  Stadt  Ulm  bei  den  von  ihr  an  Arbeiter,  Handwerker 
und  niedere  staatliche  und  gemeindliche  Beamte  verkauften  Häusern 
das  Wiederkaufsrecht  für  eine  sehr  große  Anzahl  von  Fällen  ver- 
einbart, so  daß  von  einem  Eigentum  im  wirtschaftlichen  Sinne  kaum 
mehr  die  Rede  sein  kann,  d.  h.  der  Käufer  eines  solchen  Hauses  ist 
nicht  sicher  davor,  daß  selbst  bei  geringfügigen  Vertragsverletzungen 
ihm  gegenüber  plötzlich  das  Wiederkaufsrecht  ausgeübt  wird.  Man 
kann  das  Wiederkaufsrecht  trotzdem  keineswegs  allgemein  verurteilen, 
sondern  es  kommt  ausschließlich  auf  die  Fälle  an,  in  welchen  ein 
solches  Recht  vorbehalten  wird.  Wenn  die  öffentlichen  Köiper- 
schaften  sich  zu  dem  Verkaufe  von  Grundstücken  entschließen  und 
der  Erwerber  das  Eigentum  erwirbt,  so  bleibt  den  Verkäufern  kein 
anderer  Weg,  als  sich  das  Recht  des  Wiederkaufes  auszubedingen 
für  den  Fall,  daß  der  Erwerber  Mißbrauch  mit  dem  Grundstücke 
treiben  oder  den  Zweck  vereiteln  will,  den  die  Verkäufer  erreichen 


ß  Chr.  D.  Pesl, 

wollten.  Ich  brauche  kaum  zu  bemerken,  daß  die  Vereinbarung  eines 
Wiederkaufsrechtes  nur  dann  gerechtfertigt  ist,  wenn  der  Verkäufer 
nicht  so  verkauft  hat  wie  ein  privater  Eigentümer,  sondern  zu 
günstigeren  Bedingungen.  Wenn  also  eine  Stadt  auf  eigene  Kosten 
Wohnhäuser  baut  und  diese  verkauft  und  sich  für  den  Kaufpreis 
einen  niedrigeren  Zins,  als  verkehrsüblich  ist,  zahlen  läßt,  oder  wenn 
dem  Käufer  eines  städtischen  Grundstückes  Baudarlehen  aus  städti- 
schen Kassen  zu  sehr  niedrigem  Zinsfuß  gewährt  wird,  oder  wenn 
das  Grundstück  bzw.  Haus  zu  den  Selbstkosten  oder  billiger,  oder 
überhaupt  unter  dem  Marktwerte  verkauft  wird,  dann  ist  es  durch- 
aus gerechtfertigt,  wenn  die  Stadt  sich  ein  Wiederkaufsrecht  vor- 
behält; denn  es  soll  nicht  etwa  der  Käufer  das  ihm  unter  dem  Markt- 
werte von  der  Stadt  verkaufte  Haus  teurer  verkaufen  können,  damit 
er  den  Gewinn  einsteckt,  auf  den  die  Stadt  aus  sozialen  Gründen 
ihm  gegenüber  verzichtet  hatte.  Diese  schlimme  Erfahrung  mußte 
Freiburg  i.  B.  machen,  als  es  Kleinhäuser  in  großer  Zahl  baute  und 
an  Arbeiter  sehr  billig  ohne  irgendeinen  Vorbehalt  verkaufte;  nach 
einigen  Jahren  hatten  die  Arbeiter  ihre  Häuser  mit  Gewinn  weiter- 
verkauft. —  Was  von  den  Häusern  gilt,  gilt  ebenso  von  landwirt- 
schaftlichen Gütern;  wenn  ein  Staat  oder  das  Reich  solche  schafft 
und  sie  an  Ansiedler  zu  günstigen  Bedingungen  gibt,  so  ist  es  durch- 
aus begründet,  wenn  jene  Körperschaften  sich  ein  Wiederkaufsrecht 
vorbehalten.  Das  tat  und  tut  deshalb  auch  Preußen  bei  den  von 
ihm  geschaffenen  Rentengütern.  §  3  des  Art.  29  preuß.  AG.  z.  BGB. 
sagt:  „das  Wiederkaufsrecht  beschränkt  sich  auf  die  Fälle,  daß  der 
Eigentümer  das  Rentengut  verkauft  oder  sich  durch  einen  sonstigen 
Vertrag  zur  Uebertragung  des  Eigentums  verpflichtet  oder  daß  das 
Rentengut  im  Wege  der  Zwangsversteigerung  veräußert  wird;  es 
kann  auch  für  die  Fälle  bestellt  werden,  daß  der  Eigentümer  stirbt 
oder  eine  im  Rentengutsvertrage  festgesetzte  Verpflichtung  nicht 
erfüllt."  Bisher  wurde  von  dem  Wiederkaufsrecht  bei  diesen  Gütern 
noch  wenig  Gebrauch  gemacht. 

Die  Rentengüter  haben  sich  im  allgemeinen  gut  bewährt. 
Unter  Rentengüter  versteht  man  Grundstücke,  die  zu  Eigentum  über- 
tragen werden  gegen  Uebernahme  einer  festen  Geldrente,  deren  Ab- 
lösbarkeit  von  der  Zustimmung  beider  Teile  abhängig  gemacht  wird. 
Regelmäßig  ist  es  verboten,  ein  Rentengut  zu  zerteilen,  denn  es  soll 
in  seinem  Bestände  erhalten  bleiben.  Die  Entstehung  der  Renten- 
güter erfolgt  meist  in  der  Weise,  daß  der  Staat  aus  seinen  eigenen 
Grundflächen  die  zu  einem  Rentengut  erforderlichen  Grundstücke 
abtrennt  und  die  notwendigen  Wohn-  und  Wirtschaftsgebäude  er- 
richtet, oder  daß  er  zum  gleichen  Zwecke  große  Güter  kauft  und 
diese  in  kleinere  aufteilt,  oder  daß  ein  privater  Eigentümer  eines 
kleinen  Bauerngutes  dieses  in  ein  Rentengut  umwandeln  läßt.  Diese 
Ansiedlungen  beruhen  auf  den  Gesetzen  vom  26.  April  1886,  27.  Juni 
1890  und  7.  Juli  1891.  lieber  Einzelheiten  verweise  ich  auf  die 
genannten  Ausführungen   in   den  Annalen   des  Deutschen  Reiches^). 

1)  Jahrg.  1916,  S.  522  ff.  u.  720  ff. 


Die  Erbpacht.  7 

Zu  bemerken  ist  noch,  daß  seit  1907  die  Mindestgröße  der  Renten- 
güter auf  12,50  ar  herabgesetzt  wurde,  um  die  Ansiedlung  von 
Arbeitern  zu' erleichtern;  gerade  bei  diesen  Rentengütern  finden  sich 
strenge  Verfügungsbeschränkungen,  damit  nicht  die  Eigenschaft  und 
der  Zweck  des  Rentengutes  als  ländliche  Arbeiterheimstätte  durch 
spekulative  Ausbeutung  beeinträchtigt  werden  kann. 

Die  Rentengutsgesetzgebung  hatte  ihren  unmittelbaren  Ursprung 
in  der  preußischen  Polenpolitik,  nämlich  die  „Stärkung  des  deutschen 
Elementes  in  den  Provinzen  Westpreußen  und  Posen";  der  weitere 
Zweck  war  die  Erhaltung  und  Schaffung  eines  seßhaften  Bauern- 
standes. Im  Laufe  der  Zeit  wurde  die  Rentengutsgesetzgebung  auch 
auf  andere  preußische  Provinzen  allgemein  ausgedehnt. 

Wenn  sich  auch  die  Rentengutsgesetzgebung  bewährt  hat,  so 
war  diese  doch  bloß  ein  Ersatz  einer  Rechtsform,  die  einst  von 
allergrößter  Bedeutung  war  und  die  beseitigt  wurde,  ohne  daß  eine 
innere  Notwendigkeit  hierzu  bestand,  nämlich  das  Rentengut  bildete 
den  Ersatz  des  Erbpachtgutes.  Der  Zweck  dieser  Abhandlung 
ist  der,  die  Vorteile  der  Erbpacht  darzulegen  und  dafür  einzutreten, 
die  Erbpacht  allgemein  in  unser  Rechts-  und  Wirtschaftsleben  wieder 
einzuführen. 

Die  Erbpacht  ist  die  dingliche  Benutzungsform  der  Grund- 
stücke, regelmäßig  einer  Einheit  von  Grundstücken,  z.  B.  eines 
Bauernhofes.  Im  ganzen  Mittelalter  spielte  die  langdauernde,  meist 
vererbliche  Benutzung  fremder  Grundstücke  die  größte  Rolle  und 
zwar  nicht  bloß  in  Deutschland,  sondern  fast  in  allen  europäischen 
Ländern,  in  denen  heute  noch  mehr  oder  weniger  große  Ueberreste 
von  dem  Rechte  vorhanden  sind.  Die  Erbpacht  war  nur  eine  der 
verschiedenen  Rechtsformen  der  Benutzung  fremder  Grundstücke, 
andere  waren  die  Erbzinsleihe,  das  Erbzinsrecht  oder  das  Bauernlehn 
usw.  Im  allgemeinen  waren  diese  Rechte  einander  ziemlich  ähnlich. 
Ein  wesentlicher  Unterschied  bestand  jedoch  zwischen  der  Erbpacht 
im  eigentlichen  Sinne  und  den  übrigen  Erbzinsrechten,  nämlich  in 
der  Höhe  der  Vergütung,  die  der  Berechtigte  dem  Eigentümer  zu 
zahlen  hatte.  Bei  den  Erbzinsgütern  war  die  Abgabe  regelmäßig 
sehr  gering  und  hatte  nur  den  Zweck,  kenntlich  zu  machen,  daß  die 
Grundstücke  einem  anderen  als  dem  tatsächlichen  Besitzer  gehörten ; 
der  Zins  war  also  meist  eine  bloße  Anerkennungsgebühr,  wie  wir 
solche  auch  heute  noch  zu  gleichen  Zwecken  haben,  z.  B.  bei  den 
in  Erbbaurecht  errichteten  öffentlichen  Gebäuden  auf  staatlichem 
oder  gemeindlichem  Boden.  Dieser  Erbzins  war  deshalb,  weil  er 
keine  Entschädigung  für  die  Benutzung  der  Grundstücke  war,  häufig 
auch  gleich  hoch  bei  allen  von  ein  und  demselben  Eigentümer  ver- 
liehenen Gütern  ohne  Rücksicht  auf  die  Größe  und  den  Ertrag  des 
einzelnen  Gutes.  Bei  der  Erbpacht  war  der  Zins  ein  wirklicher 
Pachtzins  entsprechend  dem  Werte  des  Ertrags  der  Güter,  so  wie 
bei  der  heutigen  Zeitpacht.  Ferner  war  der  Erbpächter  ein  freier 
Vertragsgegner,  selbst  wenn  er  sich  nicht  bloß  zur  Zahlung  von  Geld 
oder  Feldfrüchten,  sondern  auch  zu  Hand-  und  Spanndiensten  ver- 
pflichtete und  dadurch  in  eine  gewisse  Abhängigkeit  zu  dem  Grund- 


8  Chr.  D.  Pesl, 

herrn  geriet.  Bei  der  Erbzinsleihe  handelte  es  sich  von  vornherein 
nicht  um  gleichberechtigte,  freie  Vertragschließende,  sondern  der 
Grundherr  war  wirklich  der  Herr;  er  gab  einen  Hof  oder  einzelne 
Grundstücke  an  abhängige  Bauern  oder  auch  oft  sehr  große  Güter 
für  geleistete  wichtige  Dienste,  wie  bei  den  Lehen;  aber  auch  hier 
war  der  Lehensmann  persönlich  abhängig  vom  Herrn,  selbst  wenn 
er  bloß  Kriegsdienste,  Heeresfolge  usw.  leisten  mußte.  Auf  die 
Einzelheiten  der  Bodenleihen,  die  nach  Ursprung  und  Inhalt  sehr 
mannigfaltig  waren,  gehe  ich  hier  nicht  näher  ein,  sondern  bemerke 
nur,  daß  im  Laufe  der  Zeit  die  verschiedenen  Formen  sich  immer 
mehr  verwischten,  so  daß  es  heute  oft  schwer  oder  sogar  unmöglich 
ist,  zu  entscheiden,  ob  ein  Erbpacht-  oder  ein  Erbzinsrecht  bestand; 
um  so  schwerer  ist,  weil,  wie  bereits  hervorgehoben,  auch  bei  der 
Erbpacht  häufig  sich  gewisse  Abhängigkeitsverhältnisse  herausgebildet 
hatten.  Freilich  begann  man  besonders  im  Laufe  des  19.  Jahrhunderts 
allenthalben  die  Hörigkeits-  und  Untertänigkeitsverhältnisse  aufzu- 
heben. Die  auf  den  Gütern  lastenden  Reallasten,  Erbzinsen,  Erb- 
pachtzinsen usw.  wurden  für  ablösbar  erklärt  und  die  Höhe  der  Ab- 
lösungsbeträge gesetzlich  festgelegt.  Die  Erbpacht-  und  Erbzinsrechte 
wurden  für  aufgehoben  erklärt,  meist  ohne  jegliche  Entschädigung 
an  den  Grundherrn,  so  daß  die  Berechtigten  nunmehr  das  freie  Eigen- 
tum an  den  Gütern  erhielten.  So  bestimmte  §  2  Ziff.  2  und  §  6 
des  preußischen  Gesetzes,  betreffend  die  Ablösung  der  Reallasten  und 
die  Regulierung  der  gutsherrlichen  und  bäuerlichen  Verhältnisse,  vom 
2.  März  1850: 

„Ohne  Entschädigung  werden  folgende  Berechtigungen,   soweit 

sie  noch  bestehen,  hiermit  aufgehoben : das  Obereigentum  des 

Guts-   oder   Grundherrn  und  des   Erbzinsherrn;    desgleichen    das 
Eigentumsrecht  des  Erbverpächters ;  der  Erbzinsmann  und  der  Erb- 
pächter erlangen  mit  dem  Tage  der  Rechtskraft  des  gegenwärtigen 
Gesetzes  und  lediglich   auf  Grund  desselben  das  volle  Eigentum. 
Alle  beständigen  Abgaben  und   Leistungen,   welche  auf  eigen- 
tümlich oder  bisher  erbpachts-  oder  erbzinsweise  besessenen  Grund- 
stücken  oder   Gerechtigkeiten  haften  (Reallasten),   sind  nach  den 
Vorschriften  dieses  Gesetzes  ablösbar." 
Dagegen  hat  sich  in  Mecklenburg  und  Schleswig-Holstein  die  Erbpacht 
in  größerem  Umfange  erhalten,  ja  seit  1867  begann  man  in  Mecklenburg 
die  Neuregelung  des  Bauernstandes  im  Domanium   und   zwar  durch 
Verleihung  der  Bauernhöfe  zu  Erbpachtrecht  an  Stelle  der  bisherigen 
Erbpacht  und  Zeitpacht,  die  für  die  Bauern  rechtlich  wenig  vorteil- 
haft waren.    Die  Bauern   erhielten  nun   ein  frei  veräußerliches  und 
vererbliches,  dingliches  Nutzungsrecht,  das  ihnen  fast  ganz  die  Rechte 
eines    privatrechtlichen    Eigentümers    gewährt.      Im    Mecklenburg- 
Schweriner  Domanium,    wo    das  Erbpachtrecht    am    wenigsten  ein- 
geschränkt  ist,    sollen    die   Erbpachtstellen    regelmäßig  selbständige 
landwirtschaftliche   Betriebe   sein   und   bleiben   und   sie  können  nur 
einer  Person   zustehen,   außer  im  Falle   der  ungeteilten  Miterben- 
schaft.   Der  Erbpächter  kann  völlig  frei  seine  Grundstücke  bewirt- 


Die  Erbpacht.  9 

Schäften  und  nutzen,  nur  darf  er  die  Grundstücke  weder  aufteilen 
noch  mit  anderen  Grundstücken  rechtlich  oder  wirtschaftlich  ver- 
einigen, außerdem  muß  er  dafür  sorgen,  daß  immer  die  notwendigen 
Wohn-  und  Wirtschaftsgebäude  vorhanden  sind.  Vor  dem  Jahre 
1867  hatte  der  Erbpächter  einen  Kornzins  in  Geld  zu  bezahlen,  der 
nach  je  20  Jahren  nach  den  durchschnittlichen  Kornpreisen  neu  fest- 
gesetzt wurde.  Bei  der  Neuregelung  der  Vererbpachtung  wurde 
dieser  Zins  durch  ein  Kapital  ersetzt,  das  als  Hypothek  an  erster 
Stelle  auf  das  Gut  eingetragen  und  mit  4  v.  H.  verzinst  werden 
mußte.  Der  Erbpächter  kann  dieses  Kapital  nach  halbjähriger  Kün- 
digung zurückzahlen,  während  der  Gläubiger  —  das  Finanzmini- 
sterium, Abteilung  für  Domänen  und  Forsten  —  kein  Kündigungs- 
recht hat.  Alle  Steuern  und  sonstigen  Abgaben  hat  selbstverständlich 
ausschließlich  der  Erbpächter  zu  zahlen.  Der  Erbpächter  kann  das 
Gut  frei  veräußern  und  vererben,  jedoch  hat  das  Finanzministerium 
bei  einem  Verkaufe  das  Vorkaufsrecht  und  zwar  auch  zugunsten 
Dritter,  besonders  zugunsten  von  Gemeinden.  Das  „Obereigentum" 
zeigt  sich  auch  noch  dadurch,  daß  der  Erwerber  einer  Erbpachtstelle 
innerhalb  dreier  Monate  seit  dem  Erwerbe  und  jeder  Erbe  innerhalb 
dreier  Monate  nach  der  Erbschaftsteilung  um  Anerkennung  des  Erwerbes 
bei  dem  Großherzoglichen  Amte  nachsuchen  muß;  die  Anerkennung 
wird  dann  gegen  Zahlung  von  Abgaben  erteilt.  Die  Grundherrschaft 
hat  kein  Heimfallsrecht;  ebensowenig  kann  der  Erbpächter  wegen 
Mißwirtschaft  vertrieben  werden. 

Folgende  grundbriefliche  Beschränkungen  eines  Erbpachtgrund- 
stückes und  seines  Zubehörs  sind  nach  mecklenburgischem  Rechte 
als  zulässig  anerkannt  und  wirken  auch  für  und  gegen  jeden  Dritten, 
soweit  die  Erbpacht  im  Grundbuche  eingetragen  ist: 

1)  Die  Untersagung  oder  Beschränkung  der  Belastung  des  Erbpacht- 
rechtes mit  Grunddienstbarkeiten,  Reallasten  und  beschränkt 
persönlichen  Dienstbarkeiten; 

2)  die  Untersagung  der  Belastung  mit  Hypotheken,  Grundschulden 
oder  Rentenschulden   über  eine  bestimmte  Wertgrenze  hinaus; 

3)  die  Beschränkung  der  Veräußerung; 

4)  die  Untersagung  oder  Beschränkung  der  Teilung  der  Grundstücke 
oder  getrennte  Veräußerung  bisher  zusammen  bewirtschafteter 
Grundstücke; 

5)  die  Untersagung  oder  Beschränkung  der  Vereinigung  des  Grund- 
stückes mit  einem  anderen,  sowie  die  Zuschreibung  des  Grund- 
stückes zu  einem  anderen  oder  eines  anderen  Grundstückes  zu 
dem  ersteren; 

6)  die  Beschränkung  des  Erbpächters  in  Ansehung  tatsächlicher 
Verfügungen  über  das  Grundstück  oder  das  Zubehör,  sowie  seine 
Verpflichtung  zu  einem  bestimmten  Verhalten  hinsichtlich  der 
Bewirtschaftung. 

Die  Grundherrschaft  kann  diese  Untersagungen  und  Beschränkungen 
sich  vorbehalten,  sie  muß  es  aber  nicht;  auf  keinen  Fall  haben  diese 
irgendwie  ungünstig  gewirkt,  im  Gegenteil,   man  ist  allgemein  mit 


10  Chr.  D.  Pesl, 

diesen  Erbpachtgütern  zufrieden,  und  so  wurden  immer  mehr  solche 
Güter  geschaffen.  Außer  diesen  größeren  Erbpachtgütern  gibt  es 
noch  Büdnereien  und  Häuslereien,  die  ähnlich  vom  Gesetze  geregelt 
sind;  Besonderheiten  sind  nicht  zu  erwähnen. 

Während  die  Einführung  von  Rentengütern,  wie  wir  sie  für 
Preußen  kennen  gelernt  haben,  in  allen  deutschen  Staaten  erlaubt  ist, 
hat  die  Landesgesetzgebung  hinsichtlich  der  Erbpacht  nur  dort  freie 
Hand,  wo  bei  Einführung  des  Bürgerlichen  Gesetzbuches  Erbpacht- 
rechte noch  bestanden  haben.  Nun  ist  es  das  Ueberraschende,  daß 
das  Verbot  der  Erbpacht  keine  innere  Berechtigung  hat;  im  Gegen- 
teil, man  empfindet  es  immer  mehr  als  einen  großen  Mangel,  daß  es 
nach  dem  Bürgerlichen  Rechte  kein  dingliches,  veräußerliches  und 
vererbliches  Pachtrecht  mehr  gibt.  Um  so  überraschender  ist  diese 
Tatsache,  als  die  dingliche  Benutzung  eines  fremden  Grundstückes 
zur  Errichtung  von  Gebäuden,  nämlich  das  Erbbaurecht,  zu  neuem 
Leben  erweckt  wurde,  obwohl  gerade  dieses  Recht  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  fast  ganz  verschwunden  war,  und  der  Gesetzgeber  bei 
der  Schaffung  eines  neuen  Bürgerlichen  Gesetzbuches  nur  die  wenigen, 
noch  hier  und  da  vorhandenen  kümmerlichen  Ueberreste  der  Super- 
fizies  regeln  wollte.  Die  Motive^)  sagen  hinsichtlich  des  Erbbau- 
rechtes zunächst,  daß  der  mögliche  Inhalt  der  Dienstbarkeiten  dahin 
begrenzt  sei,  daß  die  eingeräumte  Benutzung  der  fremden  Sache  bei 
Grunddienstbarkeiten  für  die  Benutzung  des  herrschenden  Grund- 
stückes förderlich  sein  muß ;  bei  persönlichen  Dienstbarkeiten,  welche 
nicht  in  dieser  Weise  inhaltlich  bzw.  der  Dauer  nach  beschränkt  sind, 
würde  es  dazu  führen,  daß  vererbliche  und  veräußerliche  Benutzungs- 
rechte begründet  werden  könnten,  welche  das  Eigentum  der  belasteten 
Sache  auf  die  Dauer  in  weitem  Umfange  schwächen,  ja  erschöpfen, 
und  selbständige,  dem  Eigentum  an  Dauerhaftigkeit  gleichkommende 
Rechtsgüter  und  Verkehrsobjekte  sind.  Für  die  ausnahmsweise 
Zulassung  der  Schaffung  derartiger  dauernder  Gerechtigkeiten  müsse 
ein  spezieller,  in  dem  besonderen  Zwecke  einer  gewissen  Art  der 
Benutzung  liegender  Grund  vorhanden  sein ;  der  Entwurf  finde  einen 
solchen  Grund  in  dem  Zwecke  der  Benutzung  eines  Grundstückes, 
um  auf  demselben  ein  Bauwerk  zu  haben.  Der  Unternehmer  einer 
solchen  Anlage  müsse,  wenn  sein  Unternehmen  auf  einer  festen  wirt- 
schaftlichen Grundlage  ruhen  solle,  einer  langen,  nicht  durch  den 
Wegfall  seiner  Person  begrenzten  Dauer  seines  Rechtes  gewiß  sein; 
für  das  Vorhandensein  eines  Bedürfnisses,  die  Begründung  der  Super- 
fizies  zuzulassen,  spreche  der  Umstand,  daß  das  geltende  Recht  die 
Begründung  von  Rechten,  welche  dem  Zwecke  der  römischen  Super- 
fizies  dienen,  zuläßt,  und  nur  in  Ansehung  der  juristischen  Kon- 
struktion Abweichungen  stattfinden;  die  Abneigung  der  neueren 
Gesetzgebungen  gegen  dauernde  Belastung  der  Grundstücke  habe  auf 
die  Superfizies  sich  nicht  erstreckt;  wenigstens  sei  die  Superfizies 
von  den  die  Entlastung  des  Grund   und  Bodens   bezweckenden  Ge- 

1)  Bd.  III,  S.  466. 


Die  Erbpacht.  H 

setzen  nirgends  ausdrücklich  getroffen.  —  Das  letztere  ist  zweifellos 
richtig,  aber  die  Ursache  ist  nur  darin  zu  suchen,  daß  superfiziarische 
Rechte  bei  uns  in  Deutschland  nur  ganz  selten  noch  vorkamen;  sie 
beschränkten  sich  meist  nur,  wie  in  Sachsen,  auf  die  dingliche  Be- 
nutzung eines  Kellers  und  auf  einige  andere  kleine  Bauwerke;  es 
war  kein  Bedürfnis  vorhanden,  diese  Rechte  eigens  aufzuheben.  Und 
doch  hat  die  Superfizies  in  dem  Erbbaurecht  seit  der  Neuregelung 
im  Bürgerlichen  Gesetzbuche  eine  ziemlich  große  Verbreitung  ge- 
funden ;  viele  Tausende  von  Wohn-  und  anderen  Gebäuden  sind  be- 
reits in  Erbbaurecht  gebaut,  und  es  hat  sich  die  Notwendigkeit  ge- 
zeigt, die  wenigen  Bestimmungen  des  BGB.  über  Erbbaurecht  durch 
ein  besonderes  Reichserbbaugesetz  zu  ergänzen  oder  zu  ersetzen, 
dessen  Entwurf  bereits  fertiggestellt  ist.  Während  also  die  Super- 
fizies fast  ganz  verschwunden  war,  hatten  die  Erbpacht  und  ähn- 
liche dingliche  Nutzungsrechte  an  landwirtschaftlichem  Boden  im 
19.  Jahrhundert  noch  eine  sehr  große  Verbreitung.  So  notwendig 
und  wünschenswert  es  war,  alle  Hörigkeits-  und  Untertänigkeits- 
verhältnisse aufzuheben,  so  wenig  notwendig  und  wünschenswert 
war  es,  mit  diesen  Verhältnissen  die  dinglichen  Benutzungsrechte 
selbst  zu  beseitigen.  Man  machte  fast  überall  zu  gründliche  Arbeit. 
Als  man  in  Oesterreich  daran  ging,  ebenfalls  das  Erbbaurecht  ein- 
zuführen, was  dann  durch  das  Gesetz  vom  26.  April  1912  geschah, 
da  wäre  beinahe  das  Gesetz  gescheitert;  denn  Artikel  7  des  öster- 
reichischen Staatsgrundgesetzes  vom  21.  Dezember  1867  sagt:  „Der 
Untertänigkeits-  und  Hörigkeitsverband  ist  für  immer  aufgehoben. 
Jede  aus  dem  Titel  des  geteilten  Eigentums  auf  Liegenschaften 
haftende  Schuldigkeit  oder  Leistung  ist  ablösbar,  und  es  darf  in  Zu- 
kunft keine  Liegenschaft  mit  einer  derartigen  unablösbaren  Leistung 
belastet  werden."  Man  erblickte  in  Oesterreich  in  dem  Erbbaurechte 
einen  Fall  des  geteilten  Eigentums,  und  so  glaubte  man,  dieser  Art.  7 
stehe  der  Einführung  des  Erbbaurechtes  im  Wege;  da  man  aber  den 
praktischen  Wert  des  Erbbaurechtes  erkannte,  so  vermied  man  eine 
klare  Definition  des  Erbbaurechtes,  ja  vermied  sogar  den  Ausdruck 
„Erb"baurecht,  um  nicht  die  Wiederkehr  mittelalterlicher  Zustände 
aus  der  Teilung  des  Eigentums  hervorzurufen,  und  nannte  das  Recht 
einfach  „Baurecht".  —  Dem  Sozialpolitiker  und  Volkswirtschaftler 
sind  solche  Gedankengänge  befremdend;  mit  vollem  Rechte,  denn 
wenn  es  sich  zeigt,  daß  eine  Einrichtung  zum  Vorteil  der  Volks- 
wirtschaft ist,  so  sollte  man  nicht  durch  formelle  Erwägungen  ein 
Gesetz  nicht  zustande  kommen  lassen.  Gerade  weil  wir  in  anderen 
Zeiten  leben  und  unser  ganzes  Rechts-  und  Wirtschaftsleben  mehr 
als  je  auf  sozialen  Grundlagen  aufgebaut  ist,  müssen  alle  nicht  sach- 
lichen Bedenken  fallen.  Und  so  besteht  nicht  der  geringste  Zweifel, 
daß  die  Wiedereinführung  der  Erbpacht  nur  segensreich  wirken  würde; 
wie  sie  in  Mecklenburg  und  Schleswig-Holstein  günstig  wirkt,  so 
wird  sie  es  auch  in  den  anderen  deutschen  Staaten  tun,  besonders 
in  den  Staaten  mit  Großgrundbesitz,  in  den  Staaten,  wo  viele  große 
Domänen  vorhanden  sind.    Gerade  jetzt,  wo  es  gilt,   Krieger  anzu- 


12  Chr.  D.  Pesl, 

siedeln,  wird  keine  Ansiedlungsform  sich  für  alle  Teile  so  bewähren 
wie  die  langdauernde  Pacht,  die  ein  eigentumsähnliches  Recht  schafft. 

Im  Folgenden  sollen  die  Vorteile  der  Erbpacht  kurz  her- 
vorgehoben werden: 

Für  den  Grundeigentümer  besteht  der  Hauptvorteil  der  Erbpacht 
darin,  daß  er  dauernd  das  Eigentum  an  den  Grundstücken  behält. 
Das  ist  von  besonderer  Bedeutung  von  dem  Eigentum  der  öffent- 
lichen Körperschaften,  namentlich  des  Reiches,  der  Einzelstaaten  und 
Gemeinden.  Einzelne  Staaten  haben  sehr  große  Domänen  und  ebenso 
besitzen  viele  Gemeinden  ausgedehnte  Grundflächen.  Es  hat  sich 
gerade  in  neuerer  Zeit  immer  mehr  die  Anschauung  durchgesetzt, 
diese  großen  öffentlich-rechtlichen  Grundeigentümer  sollten  ihren 
Grund  und  Boden  nicht  nur  erhalten,  sondern  noch  möglichst  viel 
dazu  erwerben,  um  besser  als  in  der  Vergangenheit  zur  Lösung  sozialer 
Aufgaben  beitragen  zu  können.  Soweit  Boden  für  die  Bebauung  in 
Betracht  kommt,  also  innerhalb  eines  Gemeindebezirks  oder  in  der 
Nähe  davon,  ist  es  von  größter  Bedeutung,  wenn  die  Gemeinden 
selbst  viele  Grundstücke  besitzen,  einmal  um  den  eigenen  Bedarf  für 
Errichtung  von  Schulen,  Verwaltungsgebäuden  usw.  davon  decken 
zu  können,  ohne  auf  kostspielige  Käufe  angewiesen  zu  sein,  sodann 
um  gegebenenfalls  im  Interesse  von  Minderbemittelten  eine  gesunde 
Boden-  und  Wohnungspolitik  treiben  zu  können.  Wir  wissen  ja, 
daß  viele  Gemeinden  nur  zu  rasch  zum  Verkauf  ihres  Grundbesitzes 
bereit  waren  und  sich  oft  schon  nach  wenigen  Jahren  genötigt  sahen, 
denselben  Boden  wesentlich  teuerer  zurückzukaufen.  Viele  Gemeinden 
besitzen  kleinere  und  größere  Grundstücksflächen,  oft  ganze  Güter, 
in  solcher  Entfernung  von  der  Stadt,  daß  diese  für  die  Stadterweite- 
rung vielleicht  niemals,  wenigstens  nicht  in  absehbarer  Zeit  in  Be- 
tracht kommen  werden.  Die  Gemeinden  pflegen  solche  Grundstücks- 
flächen entweder  brach  liegen  zu  lassen,  oder  als  Weideland  zu 
verpachten,  seltener  verpachten  sie  den  Boden  zu  intensiverer  land- 
wirtschaftlicher oder  gärtnerischer  Benutzung;  geschlossene  Güter 
bewirtschaften  sie  nicht  selten  in  eigener  Verwaltung,  was  freilich 
regelmäßig  für  die  Gemeinde  sehr  unvorteilhaft  ist,  da  sich  bei  einer 
Bewirtschaftung  durch  städtische  Beamte  und  Angestellte  der  Betrieb 
sehr  teuer  stellt,  so  daß  von  einer  Rente  keine  Rede  sein  kann; 
häufig  müssen  die  Gemeinden  noch  jährlich  erhebliche  Beträge  darauf- 
zahlen. Hier  würde  eine  langjährige  Verpachtung  überaus  günstig 
wirken.  Wenn  der  Pächter  weiß,  daß  er  viele  Jahrzehnte  das  Gut 
wie  ein  Eigentümer  bewirtschaften  kann,  dann  wird  er  auch  die 
entsprechenden  Aufwendungen  auf  die  Grundstücke  machen  und 
gerne  bereit  sein,  einen  angemessenen  Pachtzins  zu  zahlen.  Die  Ge- 
meinden scheuen  lange  Verträge  wegen  der  Ungewißheit,  ob  sie  nicht 
doch  über  kurz  oder  lang  die  Grundstücke  für  bestimmte  Zwecke 
selbst  benötigen;  aber  wenn  solche  Fälle  im  Vertrag  berücksichtigt 
sind  und  dem  Pächter  entsprechende  Entschädigung  zugesichert  wird, 
so  würde   sich  jeder  Pächter  gerne  auf   die  Bedingungen  einlassen. 


Die  Erbpacht.  13 

Aber  nicht  bloß  für  diese  Grundeigentümer  des  öffentlichen 
Rechtes  kann  sich  die  Vererbpachtung  vorzüglich  erweisen,  sondern 
auch  für  sonstige  Großgrundeigentümer,  insbesondere  für  Fideikommiß- 
besitzer.  Solange  extensive  Wirtschaft  getrieben  wird,  ist  die  Ver- 
pachtung großer  Flächen  in  Zeitpacht  nicht  schwierig,  da  weder  die 
Ueberwachung  lästig,  noch  die  Gefahr,  den  Zins  nicht  zu  erhalten, 
groß  ist.  Wo  aber  der  Boden  intensiv  bewirtschaftet  wird,  ist  die 
langdauernde  Pacht  vortrefflich.  Ein  großer  Nachteil  pflegt  dadurch 
zu  entstehen,  daß  der  Eigentümer  häufig  eine  sehr  ausgedehnte  Fläche, 
eine  Domäne  oder  gar  mehrere  Einheiten  zusammen  an  einen  Pächter 
verpachtet  und  von  diesem  den  Pachtzins  erhält,  während  es  dem 
Pächter  überlassen  bleibt,  die  Flächen  in  kleinere  Wirtschaftseinheiten 
zu  teilen  und  diese  an  Unterpächter  weiterzugeben.  Bei  diesem 
System  hat  der  Hauptpächter  das  größte  Interesse,  möglichst  viel 
über  den  Pachtzins,  den  er  selbst  zahlen  muß,  herauszubringen,  so 
daß  die  Unterpächter  oft  in  einer  gedrückten  Lage  sich  befinden; 
solche  Systeme  waren  und  sind  heute  noch  besonders  in  Italien,  Ru- 
mänien und  Irland  vorhanden.  Die  Erbpacht  würde  eine  glückliche 
Lösung  sein,  denn  sie  ist  die  für  kleinere  und  mittlere  Landwirt- 
schaftsbetriebe geeignetste  Form  der  fremden  Bodennutzung.  Die 
Einziehung  des  Zinses  macht  wenig  Mühe  und  führt  wegen  der 
langen  Dauer  der  Verträge  zu  keiner  Bedrückung  der  Pächter.  Selbst- 
verständlich dürfen  Erbpachtgüter  niemals  Parzellenpachtung  werden, 
d.  h.  die  Güter  müssen  mindestens  so  groß  sein,  daß  das  Gut  einen 
selbständigen  landwirtschaftlichen  Betrieb  ermöglicht.  Die  Mindest- 
größe wird  je  nach  der  Gegend,  in  welcher  die  Güter  liegen,  sehr 
verschieden  sein;  sie  werden  im  Osten  Deutschlands  erheblich  größer 
sein  müssen  als  in  Westdeutschland  oder  in  einigen  süddeutschen 
Staaten,  doch  darf  die  Errichtung  von  kleinen  Gütern,  ähnlich  den 
preußischen  Arbeiterrentengütern,  nicht  ausgeschlossen  werden,  eben- 
sowenig die  Errichtung  von  Gärtnereistellen,  im  Gegenteil,  alle  diese 
sollen  möglichst  gefördert  werden. 

Es  ist  bekannt,  daß  viele  Großgüter  nicht  so  bewirtschaftet 
werden,  wie  es  sein  könnte;  je  größer  das  Gut,  desto  teuerer  wird 
die  Bewirtschaftung;  denn  der  Gutsherr  braucht  einen  oder  mehrere 
Direktoren  und  mehrere  Unterbeamte;  eine  Vererbpachtung  in 
kleineren  Gütern  führt  zur  intensiven  Bewirtschaftung;  häufig  fehlt 
dem  Grundeigentümer  das  Kapital,  um  die  im  Interesse  der  Bewirt- 
schaftung notwendigen  Meliorationen  vorzunehmen;  hat  er  das  Gut 
in  Zeitpacht  verpachtet,  so  pflegt  auch  der  Pächter  keine  großen 
Summen  und  Arbeiten  in  das  Gut  zu  stecken,  wenn  er  gewärtig  sein 
muß,  über  kurz  oder  lang  abziehen  zu  müssen,  ohne  einen  Ersatz  für 
die  aufgewendeten  Mühen  und  Gelder  zu  erhalten.  Selbst  wenn  lange 
Verträge  geschlossen  werden,  ist  der  Pächter  doch  nicht  sicher,  vor- 
zeitig gehen  zu  müssen.  Denn  ganz  abgesehen  davon,  daß  viele 
Verträge  die  Bestimmung  enthalten,  bei  einem  Verkaufe  des  Gutes 
könne  der  Pachtvertrag  aufgehoben  werden,  hat  im  Falle  der  Zwangs- 


14  Chr.  D.  Pesl, 

Versteigerung  des  Gutes,  oder  wenn  der  Grundeigentümer  in  Konkurs 
gerät,  der  Ersteher  das  Recht,  dem  Pächter  zu  kündigen.  Ferner 
kommt  in  Betracht,  daß  kein  Vertrag  auf  länger  als  dreißig  Jahre 
geschlossen  werden  kann;  selbst  wenn  ein  längerer  Vertrag  ge- 
schlossen wird,  so  hat  trotzdem  nach  Ablauf  von  30  Jahren  jeder 
Teil  das  Recht,  ihn  zu  kündigen,  was  für  den  Eigentümer  gerade  so 
unvorteilhaft  sein  kann  wie  für  den  Pächter.  Die  Erbpacht  dagegen 
kann  auf  viele  Jahrzehnte,  auf  100  und  mehr  Jahre  geschlossen 
werden,  und  wird  weder  durch  eine  Zwangsversteigerung  der  Grund- 
stücke berührt,  noch  dadurch,  daß  über  das  Vermögen  des  Eigen- 
tümers Konkurs  eröffnet  wird. 

Der  wichtigste  und  größte  Vorteil  der  Erbpacht  besteht  darin, 
daß  es  auch  den  minder  kapitalkräftigen  Personen  ermöglicht 
wird,  ein  landwirtschaftliches  Gut  zu  erwerben,  ohne  einen  Kaufpreis 
zahlen  zu  müssen.  Es  bedarf  keines  Beweises,  daß  es  leichter  ist, 
einen  jährlichen  Zins  zu  zahlen  als  das  entsprechende  Kapital.  Die 
Zinsen  kann  der  Pächter  leicht  aus  den  Erträgnissen  des  Gutes  be- 
streiten. Nun  könnte  man  einwenden,  daß  auch  der  Kapitalschwache 
ein  Gut  kaufen  könne,  da  regelmäßig  nur  eine  mehr  oder  weniger 
große  Anzahlung  zu  bewirken  ist,  während  der  Rest  des  Kaufpreises 
eine  Reihe  von  Jahren  als  Hypothek  auf  dem  Gute  liegen  bleibt; 
und  selbst  wenn  dann  der  Kaufpreis  endlich  bezahlt  werden  muß, 
so  pflege  der  Käufer  sich  von  einer  Kreditanstalt  ein  Darlehen  geben 
zu  lassen,  womit  er  den  Verkäufer  wegfertigt,  und  nun  das  Dar- 
lehen, das  hypothekarisch  gesichert  ist,  zu  verzinsen  und,  wenn  es 
es  eine  Tilgungshypothek  ist,  diese  auch  noch  zu  tilgen  hat.  Zu- 
nächst ist  es  fraglich,  ob  der  Erwerber  eine  Tilgungshypothek  erhält 
und  sie  überhaupt  will;  aber  selbst  wenn  dies  der  Fall  sein  sollte, 
so  erhält  er  ein  Darlehen  nicht  bis  zu  dem  Betrage,  um  den  ganzen 
Kaufpreis  damit  zahlen  zu  können,  sondern  nur  etwa  in  Höhe  von 
zwei  Dritteilen;  den  häufig  bedeutenden  Rest  muß  er  selbst  auf- 
bringen, und  gerade  daran  scheitern  die  meisten  Gutskäufe.  Wenn 
ein  Gut  z.  B.  60000  M.  kostet,  so  wird  es  dem  Käufer  wohl  mög- 
lich sein,  ein  Darlehen  von  etwa  40000  M.  zu  erhalten,  aber  die 
restlichen  20000  M.  muß  er  selbst  bezahlen;  gelingt  es  dem  Käufer, 
auch  noch  ein  weiteres  Darlehen  zu  erhalten,  so  muß  er  hierfür 
wesentlich  höhere  Zinsen  bezahlen,  ohne  daß  das  Darlehen  so  groß 
sein  wird,  daß  er  den  Rest  des  Kaufpreises  ganz  damit  begleichen 
könnte.  Bei  der  Erbpacht  hat  er  jährlich  nur  den  Zins  zu  bezahlen, 
ohne  von  einer  Zinsfußänderung  abhängig  zu  sein.  Gelingt  es  dem 
Käufer  eines  Gutes  nicht,  ein  Tilgungsdarlehen  zu  erhalten,  oder  will 
er  kein  solches,  dann  muß  er  mit  oft  stark  veränderten  Zinsen  rechnen. 
Die  Hypothekdarlehen  werden  regelmäßig  auf  zehn  Jahre  gewährt; 
nach  Ablauf  dieser  Fri^t  ist  das  Kapital  zur  Zahlung  fällig;  ent- 
weder gelingt  es  dem  Schuldner,  den  Zeitpunkt  der  Zurückzahlung 
auf  weitere  zehn  Jahre  zu  verlängern,  oder  er  muß  von  jemand 
anderen  sich  ein  neues  Darlehen  geben  lassen,  um  die  fällige  Hypothek 
zurückzuzahlen,  das  neue  Darlehen  wird  an  Stelle  der  weggefertigten 


Die  Erbpacht.  ][5 

im  Grundbuche  eingetragen ;  in  beiden  Fällen  hat  der  Schuldner  sehr 
hohe  Provisionen  zu  zahlen;  ferner  kann  inzwischen  der  Zinsfuß 
stark  gestiegen  sein;  dazu  kommen  noch  die  erheblichen  Kosten  der 
Verbriefung  und  der  Eintragung  in  das  Grundbuch.  Diese  Vorgänge 
wiederholen  sich  alle  zehn  Jahre.  Bei  der  Erbpacht  bleibt  der  Zins 
für  die  ganze  Dauer  der  Erbpacht  unverändert  und  kann  eine  sehr 
geringe  Leistung  darstellen,  wenn  die  Erträgnisse  nachhaltig  steigen, 
die  Produktionskosten  und  der  Geldwert  sinken ;  wird  aber  der  Erb- 
pachtzins in  etwa  zehn-  oder  zwanzigjährigen  Perioden  neu  fest- 
gesetzt (siehe  unten  S.  19),  dann  ist  die  Lage  des  Erbpächters,  selbst 
wenn  der  Erbpachtzins  erhöht  werden  sollte,  doch  immer  noch 
günstiger,  als  bei  der  Verschuldung  mit  Hypotheken;  sind  die  Er- 
trägnisse zurückgegangen,  dann  wird  der  Erbpachtzins  ermäßigt, 
während  die  Hypothekzinsen  bleiben,  ja  auch  steigen  können,  da 
das  Kreditwesen  sich  nach  dem  Geldmarkte  des  Landes  richtet  und 
nicht  nach  der  wirtschaftlichen  Lage  des  einzelnen  Kreditnehmers. 
Wir  haben  im  Laufe  des  letzten  Jahrhunderts  wiederholt  gesehen, 
daß  mit  dem  Steigen  der  Getreidepreise  der  Preis  landwirtschaft- 
licher Güter  sehr  stieg,  häufig  höher,  als  dem  Werte  entsprach;  der 
Käufer  rechnete  mit  einem  weiteren  Steigen  der  Getreidepreise;  aber 
plötzlich  hörte  das  Steigen  auf,  und  nicht  selten  sanken  sie  sehr  stark; 
die  Folge  war  Unrentabilität  der  zu  teuer  gekauften  Güter  und  als 
weitere  Folge  die  Zunahme  der  Zwangsversteigerungen.  Der  Erb- 
pächter wird  von  diesen  Veränderungen  nicht  berührt  oder  wenigstens 
nicht  zu  seinem  Nachteil. 

So  wichtig  der  Vorteil  ist,  daß  auch  der  Kapitalschwache  ein 
Gut  erwerben  kann,  so  ist  er  vielleicht  doch  nicht  der  allein  aus- 
schlaggebende. Die  Erbpacht  soll  ja  gerade  dort  Anwendung  finden, 
wo  Güter  überhaupt  nicht  käuflich  zu  haben  sind,  also  besonders 
auf  staatlichem  und  gemeindlichem  Boden;  Staat  und  Gemeinden 
sollen  ihren  Boden  nicht  verkaufen  außer  in  einzelnen  Ausnahme- 
fällen. Daß  hier  nur  die  Erbpacht  als  die  beste  Form  der  Bewirt- 
schaftung in  Betracht  kommt,  haben  wir  darzulegen  versucht;  nur 
die  Erbpacht  gewährt  auf  lange  Zeit,  auf  ein  Jahrhundert  oder  länger 
ein  eigentumähnliches  Recht.  Je  mehr  Vertragsfreiheit  gelassen  wird, 
desto  besser  wird  sich  die  Erbpacht  bewähren. 


Im  folgenden  gebe  ich  zunächst  den  Entwurf  eines  Reichserb- 
pachtgesetzes, und  im  Anschluß  daran  sollen  die  wichtigeren  Be- 
stimmungen kurz  erörtert  werden. 

Grundzüge  zu  einem   Entwurf  eines  Keichserbpachtgesetzes. 

Art.  1.  Grundstücke  können  in  der  "Weise  belastet  werden,  daß  demjenigen, 
zu  dessen  Gunsten  die  Belastung  erfolgt,  das  veräußerhche  und  vererbUche  Recht 
zusteht,  die  Grundstücke  in  Land-,  !rorst-  oder  Gärtnereiwirtschaft  zu  benutzen 
(Erbpachtrecht). 

Art.  2.  Das  Erbpachtrecht  kann  auf  nicht  weniger  als  30  Jahre  bestellt 
werden. 

Art.  3.  Die  zur  Bewirtschaftung  der  Grundstücke  vorhandenen  oder  erst 
in  Ausübung  des  Erbpachtrechtes  errichteten  Wohn-  und  Wirtschaftsgebäude  und 


16  Chr.  D.  Pesl, 

sonstige  Anlagen  gelten  als  unbewegliche  Sachen  und  bilden  Zubehör  des  Erb- 
pachtrechtes. Das  Eigentum  an  diesen  Bauwerken  und  Anlagen  steht  während 
der  Dauer  des  Erbpachtrechtes  dem  Erbi)ächter  zu. 

Art.  4.  Wird  die  Zahlung  eines  Erbpachtzinses  vereinbart,  so  muß  dessen 
Höhe  für  die  ganze  Dauer  der  Erbpachtzeit  im  voraus  festgesetzt  worden ;  diese 
Festsetzung  kann  Veränderungen,  auch  Erhöhungen  vorsehen. 

Art.  5.  Der  Erbpachtvertrag  bedarf  der  gerichtlichen  oder  notariellen  Be- 
urkundung und  muß  bestimmen: 

1)  Die  Lage  und  Größe  der  Grundstücke. 

2)  Die  Dauer  des  Erbpachtrechtes. 

3)  Die  Gegenleistung  des  Erbpächters;  insbesondere  wenn  ein  Erbpachtzins 
vereinbart  wird,  die  Höhe  desselben  und  die  Zahlungsbestimmungen. 

4)  Die  Verteilung  der  Pflichten  hinsichtlich  der  öffentlichen  Lasten  und  Ab- 
gaben, der  Instandsetzung  und  Versicherung  der  Gebäude,  der  Hagelver- 
sicherung, des  Wiederaufbaues  der  Gebäude  im  Falle  der  Zerstörung  durch 
Brand  oder  ein  sonstiges  Ereignis. 

Diese  Bestimmungen  müssen  in  das  Grundbuch  eingetragen  werden,  in  welchem 
für  das  Erbpachtrecht  stets  ein  besonderes  Grundbuchblatt  von  Amts  wegen  an- 
zulegen ist. 

Art.  6.  Der  Aufnahme  in  den  Erbpachtvertrag  und  der  Eintragung  in  das 
Grundbuch  bedürfen  Vereinbarungen: 

1)  Ueber  Beschränkungen  des  Erbpächters  in  der  Verwendung  der  Grund- 
stücke und  der  Gebäude  und  über  sonstige  Verpflichtungen,  welche  von  ihm 
oder  von  dem  Grundeigentümer  außer  den  in  Art.  5  Ziff.  3  und  4  genann- 
ten, zu  übernehmen  sind. 

2)  Ueber  die  Folgen,  welche  den  Erbpächter  treffen,  wenn  er  eine  seiner  Ver- 
pflichtungen (Art.  5  Ziff.  3  und  4 ;  Art.  6  Ziff.  1)  nicht  erfüllt,  insbesondere 
über  auflösende  Bedingungen. 

3)  Ueber  eine  Entschädigung  des  Erbpachtberechtigten  im  Falle  der  Beendi- 

fung  des  Erbpachtrechtes. 
Jeber  Vorkaufsrechte. 
Sonstige  Vereinbarungen  müssen  in  dem  Erbpachtvertrage  aufgenommen  und  in 
das  Grundbuch  eingetragen  werden,  wenn  sie  für  den  Rechtsnachfolger  wirksam 
werden  sollen. 

Art.  7.  Das  Erbpachtrecht  kann  nur  zur  ersten  Stelle  ausschließenden 
Ranges  eingetragen  werden.  Wenn  die  belasteten  Grundstücke  zugunsten  von 
öffentlichen  Lasten  oder  von  sonstigen  Ansprüchen,  welche  den  eingetragenen 
Rechten  im  Range  vorgehen  (ZVG.  §  10),  im  Zwangs wege  versteigert  werden, 
so  bleibt  das  Erbpachtrecht  ohne  Anrechnung  auf  das  Meistgebot  bestehen. 

Art.  8.  Der  Erbpachtzins  ist  eine  Reallast  im  Sinne  des  §  1105  BGB.  Der 
Vorbehalt  in  Art.  115  EG.  z.  BGB.  findet  auf  diese  Reallast  keine  Anwendung. 
Das  Gleiche  gilt  von  Reallasten,  die  auf  Grund  von  Art.  5  Ziff.  4  oder  von  Art.  6 
Ziff.  1  dieses  Gesetzes  eingetragen  werden. 

Art.  9.  Der  Erbpachtzins  bleibt  in  der  Zwangsversteigerung  auch  dann 
bestehen,  wenn  er  nicht  in  das  geringste  Gebot  aufgenommen  ist. 

Art.  10.  Wegen  Verzuges  in  der  Bezahlung  des  Erbpachtzinses  kann  das 
Erlöschen  des  Erbpachtrechtes  nur  für  den  Fall  vereinbart  werden,  daß  der  Zins 
für  mindestens  zwei  aufeinander  folgende  Jahre  rückständig  wird. 

Art.  11.  Erbpachtrechte  können  von  öffentlichen  Anstalten  und  von  Kredit- 
anstalten jeder  Art,  insbesondere  von  Hypothekenbanken  und  Versicherungsunter- 
nehmungen auch  dann  beliehen  werden,  wenn  Mündelsicherheit  erforderlich  ist, 
jedoch  nur 

a)  unter  der  Voraussetzung,  daß  der  Hypothek  (oder  Gnindschuld)  nichts 
als  der  Erbpachtzins  vorausgeht; 

b)  in  der  Form  einer  Tilgungshypothek,  deren  Tilgung  plangemäß  spätestens 
mit  dem  vierten  Fünftel  der  Erbpachtzeit  abläuft; 

c)  wenn  die  Beleihung  nicht  zwei  Drittel  des  nachhaltigen  Ertragswertes  der 
Grundstücke  übersteigt ; 

d)  im  Falle  des  Vorganges  von  Erbpachtzins  so,  daß  die  nach  dem  Beleihungs- 
werte  zulässige  Darlehenssumme  um  den  Kapitalswert  des  Erbpachtzinses 
gekürzt  wird. 


Die  Erbpacht.  17 

Art.  12.  Bei  Erlöschen  des  Erbpachtrechtes  fallen  die  Bauwerke  an  den 
Grundeigentümer.  Mangels  anderer  Vereinbarung  ist  dem  Erbpächter  eine  Ent- 
schädigung in  der  Höhe  von  zwei  Dritteilen  des  vorhandenen  Bauwertes  zu  leisten. 

Art.  13.  Wenn  dem  Erbpächter  bei  Beendigung  des  Erbpachtrechtes  nach 
Gesetz  oder  Vertrag  eine  Entschädigung  für  die  Bauwerke  gebührt,  erstrecken 
sich  die  Pfandrechte  und  andere  dingliche  E-echte  an  dem  Erbpachtrecht  auf  die 
Entschädigung. 

Art.  14.  Hat  der  Eigentümer  sich  die  Zustimmung  zur  Belastung  des  Erb- 
pachtrechtes vorbehalten,  so  gehen  mit  der  Beendigung  des  Hechtes  die  Belastungen 
auf  die  Grundstücke  über. 

Art.  15.  Die  Inhaber  von  Fideikommissen,  Stamm-  und  Lehengütern  können 
an  ihren  Grundstücken  ohne  Zustimmung  ihrer  Anwärter  Erbpachtrechte  be- 
gründen. 

Art.  16.  Die  zur  Bestellung  des  Erbpachtrechtes  nach  §  873  BGB.  erforder- 
liche Einigung  des  Eigentümers  und  des  Erwerbers  muß  bei  gleichzeitiger  An- 
wesenheit beider  Teile  vor  dem  Grundbuchamte  erklärt  werden. 

Art.  17.  Für  das  Erbpachtrecht  gelten  die  sich  auf  Grundstücke  beziehen- 
den Vorschriften.  Die  für  den  Erwerb  des  Eigentums  und  der  Ansprüche  aus 
dem  Eigentum  geltenden  Vorschriften  finden  auf  das  Erbpachtrecht  entsprechende 
Anwendung. 

Das  Erbpachtrecht  kann  nicht  durch  Verzicht  aufgehoben  werden. 


Der  Name  Erbpachtrecht  stammt  davon  her,  daß  das  Pacht- 
recht entweder  von  vorneherein  als  vererbliches  Recht  begründet, 
oder  im  Laufe  der  Zeit  von  selbst  vererblich  wurde.  Sehr  häufig 
pflegte  nämlich  im  deutschen  Mittelalter  die  Bodenleihe  auf  Lebens- 
zeit des  Berechtigten  zu  erfolgen;  aber  von  selbst  erschien  es  wün- 
schenswert, die  Leihe  über  den  Tod  des  Beliehenen  hinaus  zu  ge- 
stalten, und  so  bildete  sich  allmählich  die  vererbliche  Leihe;  schon 
bevor  die  Leihe  als  vererbliche  begründet  wurde,  wurde  regelmäßig 
vom  Grundherrn  beim  Tode  des  Beliehenen  das  heimgefallene  Grund- 
stück den  Kindern  des  Verstorbenen  verliehen.  In  späterer  Zeit 
finden  sich  nur  ganz  ausnahmsweise  noch  Leihen  auf  Zeit.  Die 
Folge  war,  daß  im  Laufe  der  Jahrhunderte  vergessen  wurde,  wofür 
das  Grundstück  mit  der  Verpflichtung  von  jährlichen  und  besonderen 
Abgaben  belastet  war;  die  Besitzer  wußten  gar  nicht  mehr,  daß  ihren 
Vorfahren,  vielleicht  vor  vielen  Jahrhunderten  schon,  der  Boden 
bloß  geliehen  war,  und  so  kam  es,  daß  schließlich  die  Abgaben- 
leistungen als  drückend  oder  vielmehr  als  lästig  empfunden  wurden 
und  die  neueren  Gesetzgebungen  die  Ablösbarkeit  der  Lasten  aus- 
sprachen, wodurch  die  Besitzer  freie  Eigentümer  wurden.  Was  von 
der  gewöhnlichen  Bodenleihe  hier  ausgeführt  wurde,  galt  von  jeder 
Art  von  Bodenleihe,  auch  von  der  Erbpacht.  Ein  volkswirtschaft- 
licher Schaden  entstand  durch  diese  Entwicklung  nicht;  im  Gegen- 
teil, würden  die  ursprünglichen  Eigentumsrechte  wiederhergestellt 
worden  sein,  dann  würde  es  in  vielen  Teilen  Deutschlands  nur  äußerst 
wenig  Grundeigentümer,  meist  Großgrundeigentümer,  gegeben  haben, 
und  der  kleinere  und  mittlere  selbständige  Bauernstand  würde  dort 
fehlen.  Mag  die  Tatsache,  daß  die  bisherigen  Besitzer  nun  Eigen- 
tümer wurden,  rechtlich  als  Konfiskation  erscheinen,  so  wurde  sie 
nirgends  als  solche  empfunden,  da  durch  die  ewige  Vererblichkeit 
der  ursprüngliche  Eigentümer  in  Wirklichkeit  kein  Eigentum  mehr, 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  2 


18  Chr.  D.  Pesl, 

sondern  nur  einen  jährlichen  Zinsanspruch  hatte;  damit  war  er  wohl 
zufrieden,  solange  Boden  in  Ueberfluß  vorhanden  war.  Wissen  wir 
doch,  daß  selbst  Staaten  in  neuerer  Zeit  jedem  ausgedehnte  Boden- 
flächen, insbesondere  Wälder  schenkten,  wenn  der  Beschenkte  sich 
nur  verpflichtete,  die  wenigen  Pfennige  Grundsteuer  zu  zahlen.  Die 
Staatsregierungen  waren  sogar  dankbar,  wenn  jemand  Grundstticke 
als  Geschenk  annahm;  so  wurden  z.  B.  in  Bayern  zu  Ende  des  18. 
und  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  große  Wald-  und  Grundbesitzungen 
im  Bayerischen  Walde  verschenkt.  In  anderen  europäischen  Ländern, 
wo  auch  die  Bodenleihe,  Erbpacht  usw.  bestanden,  war  die  Entwick- 
lung eine  ganz  andere;  hier  wurden  die  Grundstücke  entweder  auf 
Lebenszeit  des  Berechtigten  verliehen,  oder  aber  regelmäßig  auf 
99  Jahre,  wie  in  England.  In  Frankreich  war  ebenfalls  die  Ver- 
leihung auf  99  Jahre  beliebt,  daneben  noch  die  Verleihung  auf  „drei 
Generationen".  Nach  Ablauf  der  Zeit  erfolgte  allerdings  eine  Neu- 
verleihung, aber  durch  einen  neuen  Vertrag  zu  neuen  Bedingungen; 
hier  konnte  nicht  vergessen  werden,  daß  der  Boden  einen  anderen 
Eigentümer  hatte.  Der  Vater,  Sohn  und  Enkel  waren  sich  dessen 
dauernd  bewußt,  und  bei  der  Leihe  und  Pacht  auf  99  Jahre  wußte 
der  Berechtigte  von  Jahr  zu  Jahr  deutlicher,  daß  das  Ende  seines 
Rechtes  herannahe;  um  das  zu  vergessen,  sind  99  Jahre  zu  kurz. 
Heute  ist  es  wohl  vollkommen  ausgeschlossen,  daß  ein  privater  Grund- 
eigentümer seinen  Boden  in  ewig  vererblichem  Rechte  verpachten 
würde.  Nur  die  Aussicht,  daß  er  den  Boden  nach  einer  Reihe  von 
Jahrzehnten  wieder  zur  freien  Verfügung  zurückerhält,  kann  einen 
Großgrundeigentümer  auch  heute  bestimmen,  seine  Grundstücke  in 
Erbpacht  zu  geben;  will  man  eine  Höchstdauer  gesetzlich  festlegen, 
so  würde  sich  eine  solche  auf  100  Jahre  empfehlen. 

Dagegen  wäre   gegen   die   Festsetzung   einer   Mindestdauer 
nichts  einzuwenden;  diese  würde  am  besten  30  Jahre  betragen;  denn 
bis  zu  30  Jahren  reicht  die  gewöhnliche  Zeitpacht  aus;  wenn  diese 
auch  kein  dingliches  Recht  verleiht,   so   ist   eine  Pacht  auf  wenige 
Jahre  und  selbst  auf  2 — 3  Jahrzehnte  doch  zu  kurz,  um  den  Pächter 
zu  großen  Aufwendungen  auf  das  Pachtgut  zu  veranlassen.    Außerdem 
würde  es  unzweckmäßig  sein,   eine   solche  kurzdauernde  Pacht  als 
Erbpacht  in  das  Grundbuch  einzutragen,  die  Beleihungsfähigkeit  der 
Pacht  anzuerkennen  usw.  Ich  habe  deshalb  im  Entwürfe  die  Mindest- 
dauer der  Erbpacht  auf  30  Jahre  angesetzt,   da  ich   kein  Bedürfnis 
sehe,   eine   kürzere  Pacht   dinglich,  vererblich  und  veräußerlich  zu 
gestalten;  dagegen  ist  es  nicht  notwendig,  eine  Höchstdauer  gesetz- 
lich festzusetzen,   da  niemand  ein   ewiges  Erbpachtrecht  begründen 
wird,  und  selbst  wenn  er  es  täte,  so  würde  volkswirtschaftlich  kein 
Nachteil  darin   zu   erblicken   sein.    Auch  bei   dem  Erbbaurechte  ist 
bisher  noch  keines    über   100  Jahre   geschaffen  worden,   abgesehen 
von    öffentlichen    Gebäuden,    die    vielleicht   Jahrhunderte    bestehen 
werden;  bei  diesen  dauert  das  Erbbaurecht  häufig  so  lange,  als  die 
Gebäude  ihren  Zwecken  dienen.     Solche  Fälle  kommen  bei  der  Erb- 
pacht  wohl  nicht  vor.  —  (Art.  2.) 


Die  Erbpacht.  19' 

Schwieriger  ist  die  Beantwortung  der  Frage  nach  der  Bemessung 
des  Erbpachtzinses.  Es  gibt  zunächst  zwei  Möglichkeiten;  ent- 
weder man  setzt  den  Zins  nach  dem  Ertragswerte  des  Gutes  fest 
und  läßt  den  Zins  während  der  ganzen  Dauer  der  Erbpacht  unver- 
ändert, oder  man  setzt  ihn  nach  gewissen  Perioden  immer  von  neuem 
fest.  Der  Ertragswert  von  Grundstücken  kann  schon  im  Laufe  von 
wenigen  Jahrzehnten  sehr  stark  schwanken.  Selbstverständlich  kommt 
bei  der  ersten  Ansetzung  des  Zinses  nur  der  Ertrag  in  Betracht, 
den  das  Gut  tatsächlich  abwirft  oder  bei  ordnungsgemäßer  Bewirt- 
schaftung für  jeden  Pächter  abwerfen  würde.  Aber  selbst  eine 
solche  Festsetzung  könnte  zu  großen  Ungerechtigkeiten  führen;  denn 
wir  wissen,  daß  z.  B.  im  19.  Jahrhundert  die  Getreidepreise  durch 
die  große  Einfuhr  aus  Amerika,  Rußland  und  Rumänien  ungeheuer 
sanken,  so  daß  Tausende  von  landwirtschaftlichen  Betrieben  un- 
rentabel wurden;  die  Verschuldung  wurde  immer  größer,  und  es  be- 
stand die  Gefaly,  daß  der  ganze  Bauernstand  vernichtet  würde; 
durch  die  Schutzzölle  wurde  eine  teilweise  Abhilfe  geschaffen.  Wie 
sich  die  Getreidepreise  in  den  nächsten  Jahrzehnten  gestalten,  wissen 
wir  nicht,  wohl  aber  dürfen  wir  annehmen,  daß  auf  längere  Zeit 
die  Preise  hoch  sein  werden.  Wir  dürfen  jedoch  nicht  übersehen, 
daß  der  Erbpachtzins  nicht  übermäßig  hoch  sein  wird,  da  von  vorn- 
herein mit  Jahren  schlechteren  Ertrages  gerechnet  werden  muß; 
ferner  ist  zu  beachten,  daß  auch  dann  nur  die  wirklichen  Erträgnisse 
zugrunde  gelegt  werden  dürfen,  nicht  etwa  der  Marktwert  des  Gutes, 
der  viel  höher  sein  kann.  Es  werden  häufig  Güter  zu  höheren 
Preisen  gekauft,  als  dem  Ertrage  entspricht,  wenn  mit  dem  Kaufe 
besondere  Zwecke  verfolgt  werden.  Gerade  jetzt  während  des  Krieges 
sind  vielfach  große  Güter  sehr  im  Preise  gestiegen,  da,  wie  bereits 
erwähnt,  manche  der  plötzlich  durch  Kriegslieferungen  und  auch 
durch  Wucher  reich  Gewordene  einen  Teil  ihres  Vermögens  in 
Grundbesitz  anlegen  wollen,  selbst  wenn  die  Rente  geringer  ist; 
dafür  ist  diese  Kapitalsanlage  gesicherter  als  manche  andere.  Und 
endlich  ist  zu  berücksichtigen,  daß  es  in  der  modernen  Landwirt- 
schaft leichter  als  früher  möglich  ist,  zu  intensiverer  oder  zu  einer 
anderen  Bewirtschaftung  der  Grundstücke  überzugehen,  wenn  die 
bisherige  weniger  vorteilhaft  geworden  ist,  so  daß  die  Gefahr,  einen 
dauernd  unveränderlichen  Zins  drückend  zu  empfinden,  verhältnis- 
mäßig gering  ist.  Die  zukünftige  Zollpolitik  können  wir  hier  außer 
Betracht  lassen.  Es  besteht  schließlich  auch  die  Wahrscheinlichkeit, 
daß  der  Grundeigentümer  eine  Ermäßigung  des  Erbpachtzinses  ein- 
treten läßt,  wenn  allgemein  infolge  wirtschaftlicher  oder  politischer 
Maßnahmen  die  Grundrente  dauernd  sinkt;  denn  in  diesem  Falle 
würde  der  Eigentümer  auch  keinen  anderen  Pächter  finden,  der  einen 
höheren  Erbpachtzins  zahlte. 

Der  zweite  Weg  zur  Festsetzung  eines  angemessenen  Erbpacht- 
zinses ist  der,  daß  der  Zins  alle  10  oder  20  Jahre  auf  Grund  der 
durchschnittlichen  Erträge  oder  vielmehr  des  während  dieser  Periode 
geltenden   durchschnittlichen  Getreidepreises  vereinbart  wird.    Man 

2* 


20  Chr.  D.  Pesl, 

berechnet  zunächst  den  Reinertrag  der  Grundstücke,  den  sie  tat- 
sächlich abwerfen  oder  bei  ordnungsgemäßer  Bewirtschaftung  ab- 
werfen könnten,  setzt  dann  den  Zins  auf  Grund  dieses  Reinertrages 
fest  und  stellt  fest,  wieviel  Getreide  man  dafür  kaufen  kann.  Dieser 
Geldzins  bleibt  nun  eine  Anzahl  von  Jahren  unverändert.  Hat  sich 
bis  zur  Neuregelung  des  Zinses  der  Getreidepreis  geändert,  so  wird 
der  Geldzins  entsprechend  erhöht  oder  ermäßigt.  Dabei  ist  es  natür- 
lich nicht  notwendig,  daß  auf  den  Grundstücken  überhaupt  Getreide 
gebaut  wird.  Der  große  Vorteil  einer  solchen  Zinsregelung  ist  der, 
daß  der  Pächter  unabhängig  wird  von  den  Schwankungen  des  Geld- 
wertes, mögen  diese  Veränderungen  ihren  Grund  in  dem  Sinken  des 
Wertes  der  edlen  Metalle  oder  in  den  Aenderungen  im  Geldwesen 
haben.  Sicher  ist  eine  solche  Zinsbestimmung  die  gerechteste,  da 
sie  sich  der  jeweiligen  wirklichen  wirtschaftlichen  Lage  des  Landes 
anpaßt. 

Ganz  unzweckmäßig  ist  es  jedoch,  zu  vereinbaren,  daß  der  Zins 
automatisch  nach  einer  gewissen  Zahl  von  Jahren  steigt;  eine  solche 
Regelung  findet  sich  nicht  selten  bei  dem  Erbbaurecht;  so  ist  z.  B. 
in  den  Bedingungen  der  Stadt  Elberfeld  für  die  Begründung  eines 
Erbbaurechtes  auf  einem  städtischen  Bauplatze  bestimmt,  daß  der 
Berechtigte  während  der  ersten  10  Jahre  einen  Zins  von  3V2  v.  H.,  in 
den  zweiten  10  Jahren  einen  solchen  von  4  v.  H.,  in  den  nächsten 
10  Jahren  4V2  v.  H.  und  dann  dauernd  5  v.  H.  von  dem  bei  einem 
öffentlichen  Ausgebot  erzielten  Höchstgebote  zu  zahlen  hat.  Bei 
einem  landwirtschaftlichen  Gute  läßt  sich  nicht  voraussehen,  ob  die 
Erträgnisse  nach  Jahrzehnten  noch  den  gleichen  oder  einen  höheren 
Wert  haben  als  heute,  da  zu  viele  andere  Momente  mitwirken,  wie 
vor  allem  die  ausländische  Konkurrenz  und  die  Schutzzollpolitik. 

Noch  weniger  ist  es  zulässig,  daß  der  Zins  z.  B.  zunächst  auf 
10  Jahre  festgesetzt  und  die  Festsetzung  des  Zinses  für  die  nächsten 
Jahre  einer  freien  Vereinbarung  nach  Ablauf  der  ersten  10  Jahre 
vorbehalten  wird. 

Art.  4  des  Entwurfes  eines  Erbpachtgesetzes  bestimmt:  „Wird 
die  Zahlung  eines  Erbpachtzinses  vereinbart,  so  muß  dessen  Höhe  für 
die  ganze  Dauer  der  Erbpachtzeit  im  voraus  festgesetzt  werden; 
diese  Festsetzung  kann  Veränderungen,  auch  Erhöhungen  vorsehen." 
Damit  ist  gesagt,  die  Höhe  des  Zinses  kann  von  vornherein  in  einer 
bestimmten  Geldsumme  für  die  ganze  Dauer  des  Erbpachtrechtes 
festgesetzt  werden,  aber  ebenso  ist  es  gestattet,  die  Höhe  nach  dem 
jeweiligen  Getreidepreise  oder  nach  anderen  Merkmalen  festzusetzen, 
nur  muß  schon  bei  Begründung  der  Erbpacht  im  Vertrage  festgelegt 
werden,  wie  die  Zinszahlung  während  der  ganzen  Dauer  der  Erb- 
pacht erfolgen  wird,  damit  der  Erbpächter  vor  jeder  späteren  will- 
kürlichen, einseitigen  Zinserhöhung  gesichert  ist. 

Um  das  Erbpachtverhältnis  dauernd  zur  Kenntnis  zu  bringen, 
ist  es  notwendig,  daß  der  Zins  nicht  etwa  durch  eine  Kapitalzahlung 
abgelöst  werden  kann.  Am  besten  ist  es,  den  Erbpachtzins  als  eine 
Real  last  in   das   Grundbuch   einzutragen;    da   aber  nicht  in  allen 


Die  Erbpacht.  21 

deutschen  Staaten  Eeallasten  gesetzlich  zugelassen  sind  bzw.  da  die 
rechtlichen  Verhältnisse  der  Eeallasten  sehr  verschieden  sind,  so 
müssen  die  betreffenden  Gesetze  geändert  werden,  wie  das  auch  für 
den  Erbbauzins  als  Reallast  mit  Recht  allgemein  gefordert  wird. 
Es  muß  ausgesprochen  werden,  daß  der  Erbpachtzins  eine  Reallast 
im  Sinne  des  §  1105  BGB.  ist;  der  Vorbehalt  in  Art.  115  des  Ein- 
führungsgesetzes zum  BGB.  darf  auf  diese  Reallast  keine  Anwendung 
finden  (Art.  18).  Ebenso  muß  der  Erbpachtzins  in  der  Zwangsver- 
steigerung auch  dann  bestehen  bleiben,  wenn  er  nicht  in  das  ge- 
ringste Gebot  aufgenommen  ist  (Art.  9).  — 

Bei  der  gewöhnlichen  Zeitpacht  gehören  die  zur  Bewirtschaftung 
notwendigen  Wohn-  und  Wirtschaftsgebäude  dem  Grund- 
eigentümer und  bleiben  sein  Eigentum.  In  den  Pachtverträgen  wird 
immer  die  Bestimmung  aufgenommen,  daß  der  Pächter  verpflichtet 
sei,  die  sämtlichen  Gebäude  dauernd  in  gutem  Zustande  zu  erhalten ; 
nicht  selten  wird  auch  vereinbart,  daß  den  Pächter  die  gewöhnlichen 
Ausbesserungen  treffen,  die  großen  dagegen  den  Eigentümer.  Die 
Erfahrung  zeigt,  daß  der  Pächter  häufig  mit  der  Vornahme  der 
kleinen  Ausbesserungen  so  lange  wartet,  bis  sie  große  geworden  sind. 
Aber  selbst,  wo  genaue  Verträge  bis  in  das  einzelnste  die  gegen- 
seitigen Verpflichtungen  zu  den  Ausbesserungen  festlegen,  sind  die 
Interessen  des  Eigentümers  und  des  Pächters  so  verschieden,  daß 
spätestens  bei  Beendigung  der  Pacht  Streitigkeiten  und  Prozesse 
unvermeidlich  sind.  Selbst  wenn  der  Pächter  bei  länger  dauernden 
Verträgen  in  den  ersten  Jahren  die  Gebäude  in  gutem  Stand  erhält, 
später,  je  mehr  die  Pacht  dem  Ende  zugeht,  verschwindet  meist  die 
Sorgfalt,  da  der  Pächter  weder  kleine  noch  weniger  große  Summen 
in  die  Gebäude  hineinstecken  will;  denn  er  hat  keinen  Vorteil  mehr 
davon.  Die  Böden  beginnen  zu  faulen,  das  Dach  wird  schadhaft, 
die  Mauern  werden  feucht,  die  Türen  und  Fenster  bedürfen  eines 
neuen  Anstrichs  usw.  Diese  Schäden  sind  oft  derart,  daß  sie  auch 
bei  einer  Besichtigung  dem  Auge  leicht  entgehen  können,  solange 
in  den  Ställen  das  Vieh  steht  und  in  den  Speichern  und  Scheunen 
die  Erntefrüchte  lagern;  jedem,  der  mit  Pächtern  zu  tun  hat,  sind 
diese  Erscheinungen  nur  zu  gut  bekannt.  Bei  der  Erbpacht,  die 
vielleicht  80  oder  100  Jahre  dauert,  ist  es  ohne  weiteres  klar,  daß 
mit  Verträgen  wenig  geholfen  ist,  zumal  der  letzte  Pächter  von  dem 
ersten  in  der  Person  ganz  verschieden  ist,  da  das  Erbpachtrecht  nicht 
bloß  im  Laufe  der  Zeit,  sondern  auch  durch  Verkauf  öfter  den  Be- 
sitzer gewechselt  haben  kann.  Wer  will  nach  100  Jahren  feststellen, 
wie  die  Gebäude  bei  der  Begründung  der  Erbpacht  beschaffen  waren  ? 
Aus  diesen  Schwierigkeiten  gibt  es  bloß  einen  Ausweg :  die  Gebäude 
müssen  Eigentum  des  Erbpächters  sein  ohne  Rücksicht  darauf,  wer 
sie  gebaut  hat.  Waren  die  Gebäude  schon  bei  der  Begründung  der 
Erbpacht  auf  den  Grundstücken  vorhanden,  so  müssen  sie  in  das 
Eigentum  des  Erbpächters  übergehen  und  Zubehör  des  Erbpacht- 
rechtes bilden;  hat  sie  der  Erbpächter  in  Ausübung  seines  Rechtes 
gebaut,    dann   sind  sie  sowieso    sein  Eigentum,   da   das   Erbpacht- 


22  Chr.  D.  Pesl, 

recht  ein  dingliches  Recht  ist,  das  vom  Gesetze  wie  ein  Grundstück 
behandelt  wird  (Art.  3).  Wegen  der  vielen  juristischen  Fragen,  die 
mit  dieser  Regelung  verbunden  sind,  verweise  ich  auf  meine  Aus- 
führungen über  die  Gebäude  bei  dem  Erbbaurecht,  wo  die  gleichen 
Fragen  auftreten  (Annalen  des  Deutschen  Reiches,  Jahrg.  1915, 
Heft  4,  5,  S.  225  ff.). 

Für  die  Gebäude,  die  der  Erbpächter  als  Eigentum  erhält,  hat 
er  einen  Kaufpreis  zu  zahlen,  genau  so  wie  jemand,  der  ein  land- 
wirtschaftliches Gut  kauft;  regelmäßig  wird  er  eine  Anzahlung 
leisten  und  den  Rest  in  jährlichen  Raten,  soweit  es  ihm  nicht  gelingt 
oder  er  nicht  gewillt  ist,  von  einer  Hypothekenbank,  Versicherungs- 
a,nstalt,  Sparkasse  oder  einem  anderen  Kreditinstitut  sich  ein  Dar- 
lehen geben  zu  lassen,  um  mit  diesem  den  Verkäufer  zu  befriedigen. 
Bei  der  Erbpacht  hat  er  nur  den  Kaufpreis  für  die  Gebäude  zu 
zahlen,  aber  nichts  für  die  Grundstücke,  die  ja  dem  bisherigen  Eigen- 
tümer verbleiben.  Da  aber  wohl  in  den  meisten  Fällen  die  großen 
öffentlichen  Körperschaften  die  Eigentümer  sein  werden,  die  ihre 
Grundstücke  in  Erbpacht  geben,  so  dürfte  sich  die  Kauffrage  sehr 
leicht  lösen.  Der  Erbpächter  kauft  die  vorhandenen  Gebäude,  ver- 
zinst und  tilgt  den  Kaufpreis  allmählich;  je  nach  dem  Zinsfuß  und 
dem  Tilgungssatze  wird  der  ganze  Kaufpreis  in  50 — 70  Jahren  ge- 
tilgt sein ;  verstärkte  Tilgungen  müssen  natürlich  erlaubt  sein.  Baut 
der  Erbpächter  selbst  Gebäude,  so  läßt  er  sich  ein  Darlehen  geben, 
das  er  ebenfalls  verzinsen  und  tilgen  muß.  Auf  die  Kreditfrage 
kommen  wir  im  nächsten  Abschnitt  zurück.  Da  die  Gebäude  Eigen- 
tum des  Erbpächters  sind,  so  kann  er  damit  umgehen,  wie  er  mag; 
regelmäßig  wird  er  sie  im  eigenen  Interesse,  gerade  weil  sie  nun 
sein  Eigentum  sind,  dauernd  in  gutem  Zustand  erhalten.  Dieses 
Interesse  wird  aber  noch  wesentlich  dadurch  gesteigert,  daß  er  bei 
Beendigung  der  Erbpacht  eine  Entschädigung  für  die  Gebäude 
erhält,  die  mit  dem  Aufhören  der  Erbpacht  Eigentum  des  Grund- 
eigentümers werden.  Die  Entschädigung  bestimmt  sich  ausschließ- 
lich nach  dem  seinerzeitigen  Bauwert,  nicht  nach  dem  etwaigen 
Nutzungs-  oder  Ertragswert.  Hat  er  die  Gebäude  vernachlässigt, 
so  wird  er  eine  sehr  geringe  Entschädigung  erhalten ;  bilden  sie  über- 
haupt nur  mehr  Abbruchsmaterial,  so  ist  die  Entschädigung  gleich 
Null;  je  besser  er  sie  gehalten,  desto  größer  wird  die  Entschädigung 
sein.  Am  zweckmäßigsten  ist  es,  dem  Erbpächter  volle  Entschädi- 
gung, für  die  Gebäude  nach  dem  Bauwerte  zuzuerkennen;  nur  für 
den  Fall,  daß  im  Erbpachtvertrage  über  die  Entschädigung  nichts 
bestimmt  sein  sollte,  soll  dem  Erbpächter  kraft  Gesetzes  eine  Ent- 
schädigung von  mindestens  zwei  Dritteilen  des  Wertes  gewährt 
werden  müssen  (Art.  12). 

Der  Einwand,  der  Grundeigentümer  würde  zu  sehr  beschwert 
werden,  wenn  er  bei  Beendigung  der  Erbpacht  vielleicht  sehr  große 
Entschädigungsbeträge  für  die  in  sein  Eigentum  übergehenden  Gebäude 
zahlen  müßte,  läßt  sich  nicht  aufrechterhalten.  Die  Grundeigen- 
tümer werden  in  den  weitaus  meisten  Fällen  die  großen   öffentlich- 


Die  Erbpacht.  23 

rechtlichen  Körperschaften  sein,  die  wohl  immer  in  der  Lage  sein 
werden,  selbst  erhebliche  Ablösungssummen  zu  zahlen;  außerdem  ist 
zu  berücksichtigen,  daß  alljährlich  nur  eine  geringe  Anzahl  von  Erb- 
pachtrechten zum  Erlöschen  kommen  entsprechend  der  Zahl  der 
seinerzeitigen  Erbpachtbegründungen.  In  manchen,  vielleicht  den 
meisten  Fällen  wird  der  Erbpachtvertrag  zwischen  dem  Eigentümer 
und  dem  Berechtigten  erneuert;  in  anderen  wird  der  neue  Erbpächter 
die  Gebäude  kaufen;  in  allen  Fällen  aber  muß  der  neue  Erbpächter 
die  Gebäude  übernehmen  und  die  Kaufsumme  wie  der  frühere  Erb- 
pächter allmählich  tilgen;  manche  werden  einen  größeren  oder 
kleineren  Betrag  gleich  bar  bezahlen;  jedenfalls  erhält  der  Grund- 
eigentümer sofort  mit  der  Neuvererbpachtung  an  Stelle  der  dem  ab- 
ziehenden Erbpächter  gezahlten  Entschädigungssumme  die  Zinsen 
und  Tilgungsquoten  für  die  dem  neuen  Erbpächter  verkauften  Ge- 
bäude. Denkbar  wäre  auch,  daß  der  Grundeigentümer  einen  Teil 
der  vom  Erbpächter  erhaltenen  Zinsen  und  Tilgungsquoten  auf 
Zinseszinsen  anlegt,  um  mit  dem  Kapital  die  Gebäude  abzulösen. 
Die  beste  Lösung  ist  zweifellos,  den  Vertrag  mit  dem  letzten  Erb- 
pächter zu  erneuern;  es  dürfte  zweckmäßig  sein,  diesem  ein  Vor- 
recht, ähnlich  dem  Vorkaufsrecht,  einzuräumen;  dieses  Recht  kann 
durch  Vertrag  gesichert  werden,  nur  müßte  es,  um  dingliche  Wir- 
kung zu  erhalten,  im  Grundbuche  eingetragen  werden. 

Da  das  Erbpachtrecht  ein  dingliches,  veräußerliches  und  ver- 
erbliches Recht  ist,  auf  welches  die  sich  auf  Grundstücke  beziehen- 
den Vorschriften  entsprechende  Anwendung  finden  müssen,  so  kann 
es  auch  mit  Hypotheken,  Grundschulden,  Dienstbarkeiten,  Real- 
lasten usw.  belastet  werden  (Art.  1).  Soweit  als  Grundeigen- 
tümer das  Reich,  die  Einzelstaaten,  die  Gemeinden  und  andere  öffent- 
liche Körperschaften  in  Betracht  kommen,  wird  die  wichtigste  Be- 
leihung, nämlich  die  für  die  Errichtung  von  Gebäuden,  keine 
besonderen  Schwierigkeiten  machen;  denn  es  liegt  nahe,  daß  diese 
Eigentümer  in  vielen  Fällen  nur  dann  Erbpächter  finden,  wenn  sie 
dafür  Sorge  tragen,  daß  auch  der  nicht  besonders  kapitalstarke  Er- 
werber einer  Pachtstelle  das  nötige  Darlehen  aus  einer  öffentlichen 
Kasse  erhält,  oder  daß  das  Reich,  die  Staaten  oder  Gemeinden  die 
Bürgschaft  für  die  dem  Erbpächter  gewährten  Darlehen  übernehmen. 
Soweit  es  sich  um  Ansiedlung  von  Kriegern  handelt,  ist  es  wohl 
selbstverständlich,  daß  diesen  in  jeder  möglichen  Weise  Entgegen- 
kommen gezeigt  wird;  in  erster  Reihe  gilt  das  für  die  Krieger,  die 
durch  den  Kriegsdienst  körperliche  Schäden  erlitten  haben.  Soweit 
diese  eine  Invalidenrente  beziehen,  ist  ihnen  die  Möglichkeit  ge- 
boten auf  Grund  des  Kapitalsabfindungsgesetzes,  einen  Teil  der 
Rente  in  Kapital  ausgezahlt  zu  erhalten;  dieses  Kapital  werden  sie 
für  den  Erwerb  der  Stelle,  Errichtung  von  Gebäuden  usw.  verwenden, 
wenn  auch  hauptsächlich  nur  zur  Bezahlung  der  Anzahlung;  den 
Rest  werden  sie  zweckmäßiger  auf  Beschaffung  von  lebendem  und 
totem  Inventar  verwenden.  Bei  Ausgabe  von  Erbpachtstellen  an 
Nichtkrieger  wird  man  unterscheiden  müssen  zwischen   Minderbe- 


24  Chr.  D.  Pesl, 

mittelten  und  anderen ;  für  die  ersteren  muß  ebenfalls  die  Darlehens- 
beschaffung nach  Möglichkeit  erleichtert  werden,  da  es  im  eigenen 
Interesse  des  Reiches  bzw.  der  Staaten  ist,  die  Ansässigmachung 
eines  kräftigen  Bauernstandes  zu  fördern.  Die  Darlehen  müssen  an 
erster  Stelle  im  Grundbuche  eingetragen  werden;  nur  der  Erbpacht- 
zins kann  im  Rang  vorgehen.  In  Mecklenburg  wurde  vor  der  Neu- 
regelung der  Erbpacht  vielfach  geklagt,  daß  die  Erbpachtgrundstücke 
nur  schwer  einen  gesunden  Realkredit  finden,  weil  der  Besitzer 
immer  mehr  oder  weniger  von  der  Grundherrschaft  abhängig  ist; 
besonders  sah  man  die  Ursache  der  schwierigen  Beleihung  in  dem 
Erfordernis  der  grundherrlichen  Zustimmung  zu  Verpfändungen  und 
Veräußerungen  des  Erbpachtrechtes.  Zweifellos  sind  solche  Be- 
schränkungen ungünstig;  sie  sind  aber  auch  nur  dann  gerechtfertigt, 
wenn  dem  Erbpächter  weitgehende  Vergünstigungen  vom  Grund- 
eigentümer zugestanden  wurden,  so  daß  man  diesem  einen  dauernden 
Einfluß  auf  das  weitere  Schicksal  der  in  Erbpacht  hingegebenen 
Grundstücke  zuerkennen  muß.  Solche  Vergünstigungen  können  darin 
bestehen,  daß  der  Zins  bei  der  Erbpacht  niedriger  ist  als  bei  son- 
stigen Pachtungen,  oder  daß  der  Eigentümer  —  eine  öffentliche 
Körperschaft  —  erst  die  Grundstücke  erwirbt,  um  sie  zu  vererb- 
pachten.  In  solchen  Fällen  ist  es  nur  recht  und  billig,  daß  der 
Eigentümer  —  Reich,  Staat  oder  Gemeinde  —  dafür  sorgt,  daß  die 
Erbpachtgüter  nicht  überschuldet,  zerteilt,  an  ungeeignete  Personen 
oder  aus  Spekulation  verkauft  werden.  Ein  privater  Grundeigen- 
tümer hat  an  sich  regelmäßig  kein  Interesse  an  solchen  Beschrän- 
kungen, und  es  würde  auch  wohl  kein  Erbpächter  sich  finden,  der 
sich  solchen  unterwerfen  würde.  Wir  haben  also  zwei  verschiedene 
Erbpachtgüter;  die  einen  werden  von  öffentlichen  Körperschaften 
begründet,  um  bestimmte  soziale  Aufgaben  zu  lösen,  z.  B.  Ansied- 
lung  von  Kriegern ;  und  andere  Güter,  die  an  jedermann  von  privaten 
Grundeigentümern  und  auch  von  den  öffentlichen  Körperschaften  in 
Erbpacht  vergeben  werden  können,  bei  welchen  dem  Erbpächter 
keine  besonderen  Vergünstigungen  aus  sozialen  Beweggründen  ge- 
währt werden;  bei  diesen  müssen  selbstverständlich  alle  Beschrän- 
kungen über  die  Verpfändungen  und  Veräußerungen  wegfallen,  genau 
so  wie  diese  Unterscheidungen  sich  praktisch  bei  dem  Erbbaurecht 
finden.  Bei  den  freien  Erbpachtgütern,  wie  ich  diese  ohne  Be- 
schränkungen nennen  will,  wird  der  Beleihung  nichts  im  Wege 
stehen,  wenn  auf  dem  Erbpachtrechte  nichts  anderes  lastet  als  der 
Erbpachtzins.  Wie  das  Erbbaurecht  sogar  mündelsicher  belastet 
werden  kann,  so  muß  dies  auch  bei  dem  Erbpachtrechte  geschehen 
können,  wenn  nur  gewisse  Voraussetzungen  erfüllt  sind;  diese  sind 
in  dem  Entwurf  aufgezählt  (Art.  11).  Bei  den  nicht  freien  Erb- 
pachtgütern muß  der  Grundeigentümer  für  die  Gewährung  notwen- 
diger Darlehen  sorgen;  diese  Forderung  ist  um  so  gerechtfertigter, 
als  diese  Grundeigentümer  soziale  Aufgaben  mit  der  Vererbpachtung 
lösen  wollen,  und  wenn  sie  sich  solche  dauernde  Einflüsse  auf  das 
Erbpachtrecht  vorbehalten,   so   müssen   sie  auch  die  Darlehen  selbst 


Die  Erbpacht.  25 

beschaffen  oder  die  Beschaffung  durch  [Jebernahme  von  Bürgschaften 
ohne  weiteres  ermöglichen.  Hervorzuheben  ist  noch,  daß  der  Wert 
des  Erbpachtrechtes  wesentlich  erhöht  ist  durch  die  Gebäude,  die  nach 
unserem  Entwürfe  dem  Erbpächter  gehören;  der  Wert  hängt  davon 
ab,  wie  weit  der  Kaufpreis  für  die  Gebäude  bereits  beglichen  ist 
und  wie  die  Entschädigungsfrage  für  die  mit  der  Beendigung  der 
Erbpacht  in  das  Eigentum  des  Grundeigentümers  übergehenden  Ge- 
bäude geregelt  ist.  Wenn  dem  Erbpächter  eine  solche  Entschädigung 
nach  Gesetz  oder  Vertrag  zusteht,  so  müssen  sich  etwaige  noch  auf 
dem  Erbpachtrechte  ruhende  Pfandrechte  und  andere  dingliche  Rechte 
auf  diese  Entschädigung  erstrecken  (Art.  13). 

Was  von  der  Belastung  mit  Hypotheken  gesagt  ist,  gilt  auch 
von  der  Belastung  mit  Grund-  und  Rentenschulden,  lieber  die 
Belastung  mit  Dienstbarkeiten,  Reallasten  usw.  ist  nichts  zu  be- 
merken. 

Nicht  selten  wird  in  dem  Erbpachtvertrage  vereinbart  werden, 
daß  das  Erbpachtrecht  aufgehoben  werden  kann,  wenn  der  Erb- 
pächter gewissen  Verpflichtungen  nicht  oder  nicht  rechtzeitig  nach- 
kommt. Es  ist  zu  wünschen,  daß  solche  auflösende  Bedingungen 
nur  in  seltenen  Fällen  vereinbart  werden ;  denn  es  bedarf  kaum  eines 
Beweises,  daß  die  Gefahr  des  Erbpächters,  wegen  irgendeiner  Ver- 
tragsverletzung plötzlich  von  seinem  Pachtgute  vertrieben  zu  werden, 
wenig  empfehlend  für  ein  Pachtrecht  ist.  Aber  ganz  wird  man  von 
auflösenden  Bedingungen  nicht  absehen  können  bei  den  Erbpacht- 
gütern, mit  deren  Begründung  besondere  soziale  Zwecke  verfolgt 
werden  und  bei  welchen  deshalb  dem  Erbpächter  Vergünstigungen 
eingeräumt  wurden.  So  wird  man  eine  Aufhebung  des  Erbpacht- 
rechtes rechtfertigen  können  bei  grober  Mißwirtschaft,  bei  langem 
Rückstande  in  der  Zahlung  des  Erbpachtzinses  (Art.  10),  wenn  der 
Erbpächter  nicht  selbst  das  Erbpachtgut  bewohnt  und  bewirtschaftet, 
und  in  einigen  anderen  Fällen,  die  im  einzelnen  hier  nicht  aufge- 
führt werden  können.  Nur  für  einen  Fall  wird  man  die  Verein- 
barung der  Aufhebung  des  Erbpachtrechtes  nicht  entbehren  können, 
wenn  nämlich  rassehygienische  •und  bevölkerungspolitische  Zwecke 
mit  der  Ansiedlung  verfolgt  werden.  Es  kann  sein,  daß  Erbpacht- 
güter nur  an  Personen  verliehen  werden,  die  frei  von  bestimmten 
Krankheiten  und  Mängeln  sind  und  die  innerhalb  einer  bestimmten 
Anzahl  von  Jahren  eine  gewisse  Anzahl  von  gesunden  Kindern 
haben.  Auf  diesen  Bedingungen  für  die  Vergebung  von  Erbpacht- 
gütern beruht  der  Entwurf  eines  Pachtsitz-Gesetzentwurfes  von 
Geheimrat  Prof.  Max  von  Gruber  (vgl.  Annalen  des  Deutschen 
Reiches,  1916,  S.  536  ff.). 

Um  so  weniger  sind  auflösende  Bedingungen  notwendig,  als  in 
den  meisten  Fällen  von  Vertragszuwiderhandlungen  die  gewöhnlichen 
Mittel,  wie  Klage  und  Zwangsvollstreckung,  ausreichen  werden,  um 
den  Erbpächter  zur  Vertragserfüllung  zu  veranlassen;  bei  Zahlungs- 
rückständen würde  schlimmstenfalls  Zwangsversteigerung  des  Erb- 
pachtgutes   erfolgen   können.     Mit  der   Beendigung   des    Erbpacht- 


26  Chr.  D.  Pesl, 

rechtes  werden  sämtliche  Belastungen  von  selbst  erlöschen;  inwie- 
weit den  Gläubigern  persönliche  Ansprüche  gegen  die  Erbpächter 
dann  noch  zustehen,  können  wir  hier  außer  acht  lassen.  Soweit 
öffentliche  Körperschaften  Erbpachtgüter  vergeben  und  auflösende 
Bedingungen  vereinbaren  zur  Sicherung  der  Zwecke,  für  welche  sie 
Erbpachtgüter  schufen,  ist  es  notwendig,  daß  der  Grundeigentümer 
die  Belastungen,  insbesondere  die  Hypotheken,  die  auf  dem  Erb- 
pachtrechte  ruhen,  übernimmt,  sobald  diese  zu  Ende  gehen;  diese 
Belastungen  müssen  auf  die  Grundstücke  übergehen,  die  mit  dem 
Erbpachtrechte  belastet  waren.  Dieser  Uebergang  kann  um  so  weniger 
Bedenken  erregen,  als  bei  diesen  Erbpachtrechten  die  Belastung  nur 
mit  Zustimmung  des  Grundstückeigentümers  erfolgte.  —  Alle  diese 
Ausführungen  gelten  nicht  für  die  Erbpachtgüter,  die  ein  privater 
Grundeigentümer  geschaffen  hat;  denn  dieser  hat  kein  anderes  In- 
teresse, als  rechtzeitig  seinen  Erbpachtzins  zu  erhalten ;  und  für  den 
Fall,  daß  der  Zins  für  mindestens  zwei  aufeinander  folgende  Jahre 
rückständig  geworden  ist,  kann  man  dem  privaten  Grundeigentümer 
das  Recht  der  Aufhebung  des  Erbpachtrechtes  zugestehen;  aber 
durchaus  notwendig  ist  es  nicht,  da  die  gewöhnlichen  Mittel  unserer 
Zivilprozeßordnung  wohl  ausreichen,  den  säumigen  Schuldner  zur 
Erfüllung  seiner  Verpflichtung  zu  zwingen.  Ein  solches  Erbpacht- 
recht  mit  dieser  auflösenden  Bedingung  ist  nur  schwer  beleihungs- 
fähig,  da  der  Gläubiger  die  dingliche  Sicherheit  mit  dem  Erlöschen 
des  Erbpachtrechtes  verliert.  —  Einen  Ausweg  würde  bloß  die  Be- 
stimmung bieten,  daß  bei  jeder  vorzeitigen  Beendigung  des  Erb- 
pachtrechtes die  auf  diesem  lastenden  Hypotheken,  Grund-  und 
Rentenschulden  kraft  Gesetzes  auf  das  Grundstück  übergehen,  an 
welchem  das  Erbpachtrecht  bestand.  Gegen  eine  solche  Bestimmung 
wäre  nichts  einzuwenden. 

Notwendig  ist,  daß  das  Gesetz  ausdrücklich  den  Inhabern  von 
Fideikommissen,  Stamm-  und  Lehengütern  das  Recht  ge- 
währt, an  ihren  Grundstücken  Erbpachtrechte  ohne  Zustimmung 
ihrer  Anwärter  zu  begründen.  Nach  dem  früheren  gemeinen  Rechte, 
sowie  nach  landesrechtlichen  Gesetzen  sind  Erbpachtrechte  an  solchen 
Grundstücken  und  selbst  länger  dauernde  Zeitverpachtungen  verboten ; 
als  länger  dauernde  Verpachtungen  galten  solche  auf  zehn  Jahre;  auf 
Lebenszeit  des  Pächters  oder  Verpächters;  auf  neun  Jahre  mit  der 
Vereinbarung,  daß  nach  deren  Ablauf  der  Vertrag  weiterlaufen  solle 
auf  eine  Zeit,  die  über  insgesamt  zehn  Jahre  hinausgeht;  ferner  eine 
Pachtung  auf  unbestimmte,  in  das  Ermessen  des  Pächters  oder  Ver- 
pächters gestellte  Zeit  ^).  —  Das  preußische  Edikt  vom  9.  Oktober  1807 
bestimmte  in  §  5:  „Jeder  Grundeigentümer,  auch  der  Lehens-  und 
Fideikommißbe'sitzer,  ist  ohne  alle  Einschränkung,  jedoch  mit  Vor- 
wissen der  Landespolizeibehörde,  befugt,  nicht  bloß  einzelne  Bauern- 

1)  Vgl.  Knipschildt,  Tractatus  de  fideic.  famil.  nob.,  Ulm  1654,  cap.  11,  n.  136 
und  n.  138;  Molina,  De  Hispan.  primog.  orig.  ac  nat.  libri,  Col.  1588,  p.  144,  No.  29; 
Kreittmayr,  Anmerkung  über  den  Codex  Max.  Bav.  civ.,  3.  Teil,  München  1764,  cap.  10, 
§  23,   n.  2. 


Die  Erbpacht.  27 

höfe,  Krüge,  Mühlen  und  andere  Pertinenzien,  sondern  auch  das 
Vorwerksland,  ganz  oder  zum  Teil  und  in  beliebigen  Teilen  zu  ver- 
erbpachten,  ohne  daß  dem  Lehns-Obereigentümer,  dem  Fideikommiß- 
und  Lehensfolger  und  den  ingrossierten  Gläubigern  aus  irgendeinem 
Grunde  ein  Widerspruch  gestattet,  wenn  nur  das  Erbstands-  oder 
Einkaufsgeld  zur  Tilgung  des  zuerst  ingrossierten  Kapitals,  oder  bei 
Lehnen  und  Fideikommissen,  in  etwaiger  Ermangelung  ingrossierter 
Schulden,  zu  Lehn-  oder  Fideikommiß  verwendet  und  in  Rücksicht 
auf  die  nicht  abgelösten  Realrechte  der  Hypothekengläubiger,  von 
der  Landschaftlichen  Kreditdirektion  der  Provinz  oder  von  der 
Landespolizeibehörde  attestiert  wird,  daß  die  Vererbpachtung  ihnen 
unschädlich  sei."  Da  jedoch  später  der  Erbpachtzins  für  ablösbar 
erklärt  wurde  und  es  möglich  war,  daß  gegen  den  Willen  der  An- 
wärter ein  Grundfideikommiß  in  ein  Geldfideikommiß  verwandelt 
würde,  so  wurde  diese  Bestimmung  des  Ediktes  durch  die  Kabinets- 
order  vom  28.  Juli  1842  aufgehoben^). 

Das  bayerische  Edikt  über  Familienfideikommisse  (Beilage  VII 
der  Verfassungsurkunde  vom  26.  Mai  1818)  sagt  in  §  48:  „Der  Fidei- 
kommißbesitzer  kann  eigenmächtig  das  Fideikommiß  mit  einer  neuen 
bleibenden  Bürde  oder  Dienstbarkeit  nicht  belegen,  ebensowenig  die 
zum  Fideikommisse  gehörigen  Güter  durch  Tausch,  Verkauf,  Ver- 
gleich oder  auf  andere  Weise  veräußern.  Verpachtungen,  die  auf 
mehr  als  neun  Jahre  abgeschlossen  sind,  verbinden  den  Nachfolger 
nicht." 

So  zeigt  sich  die  Notwendigkeit  einer  entsprechenden  Gesetzes- 
bestimmung, wie  sie  in  dem  Entwürfe  in  Art.  13  enthalten  ist. 

In  formeller  Hinsicht  ist  noch  folgendes  zu  dem  Erbpachtrecht 
zu  bemerken.  Da  das  Erbpachtrecht  ein  grundstückähnliches  Recht 
ist,  so  finden  die  Vorschriften  über  die  Grundstücke  entsprechende 
Anwendung  auf  das  Erbpachtrecht.  Es  muß  im  Grundbuche  ein  be- 
sonderes Blatt  erhalten,  auf  welchem  alle  Belastungen  und  sonstigen 
dinglichen  Rechte  eingetragen  werden  (Art.  5,  Abs.  2,  und  Art.  6). 
Die  zur  Bestellung  des  Erbpachtrechtes  nach  §  873  BGB.  erforder- 
liche Einigung  des  Eigentümers  und  des  Erwerbers  muß  wie  bei  dem 
Kaufe  eines  Grundstücks  bei  gleichzeitiger  Anwesenheit  beider  Teile 
vor  dem  Grundbuchamte  bzw.  vor  dem  Notar  erklärt  werden  (Art.  15). 

Wir  gelangen  also  zu  dem  Ergebnisse,  daß  die  Neueinführung 
der  Erbpacht  wohl  imstande  sein  kann,  eine  praktische  Bedeutung 
in  unserem  Wirtschaftsleben  zu  gewinnen.  Es  wäre  jedoch  verfehlt, 
diese  Bedeutung  zu  überschätzen ;  aber  sicher  könnte  es  mit  anderen 
Ansiedlungsformen  in  regen  Wettbewerb  treten,  besonders  mit  den 
Rentengütern.  Es  ist  auch  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  daß  sich 
wiederholt  der  Mangel  eines  dinglichen  Pachtrechts  fühlbar  gemacht  hat 
und  ebensowenig  läßt  sich  leugnen,  daß  Ansiedlungen  auf  den  staat- 
lichen und  anderen  Domänen  schon  in  größerer  Anzahl  erfolgt  wären, 
wenn  der  Boden  nicht  hätte  verkauft  werden  müssen.     Nur  ungern 


1)  Lewis,  Das  Becht  der  Familienfideikommisse,  Berlin  1868,  S.  225. 


28  Chr.  D.  Pesl, 

schreiten  öffentliche  Körperschaften  zu  einem  Verkaufe  ihres  Grund 
und  Bodens,  und  wenn  auch  die  Verkäufe  unter  Vorbehalt  des  Rück- 
kaufs- oder  bloß  des  Vorkaufsrechts  geschehen,  so  sind  es  doch 
immerhin  Verkäufe,  also  Eigentumsübertragungen.  Das  Wiederkaufs- 
recht ist  eine  sehr  lästige  Belastung  und  macht  den  Wert  des 
Gutes  für  den  Erwerber  mehr  oder  weniger  illusorisch,  je  nachdem 
der  Käufer  damit  rechnen  muß,  daß  von  dem  Wiederkaufsrecht  Ge- 
brauch gemacht  wird.  Bei  dem  Erbpachtrechte  weiß  der  Erwerber 
von  vornherein,  daß  er  kein  Eigentum,  sondern  bloß  ein  dingliches 
Recht  an  dem  Boden  hat.  Ein  Verkauf  mit  Wiederkaufsrecht  ver- 
bunden, und  zwar  mit  einem  Wiederkaufsrecht  für  alle  Verkaufsfälle, 
ist  ein  Scheineigentum,  dessen  Nachteile  sich  erst  später  deutlicher 
geltend  machen,  sobald  das  Gut  wertvoll  geworden  ist;  denn  regel- 
mäßig ist  der  Verkäufer  berechtigt,  wenn  er  von  seinem  Wieder- 
kaufsrechte Gebrauch  macht,  das  Grundstück  zu  dem  Preise  zurück- 
zukaufen, zu  welchem  er  es  seinerzeit  verkauft  hat  (§  497  BGB.). 
Nicht  selten  ist  außer  dem  Wiederkaufsrechte  noch  ein  Vorkaufs- 
recht ausbedungen,  von  dem  der  Verkäufer  dann  Gebrauch  macht, 
wenn  der  Käufer  das  Grundstück  billiger  weiterverkauft,  als  es  ihn 
gekostet  hat  oder  als  er  bei  Ausübung  des  Wiederkaufsrechts  zahlen 
müßte.  Ist  aber  auch  bloß  das  Wiederkaufsrecht  vorbehalten,  so 
wird  der  Käufer  wenig  geneigt  sein,  Meliorationen  vorzunehmen, 
und  namentlich  wird  er  geringe  Aufwendungen  für  die  Gebäude 
machen,  geschweige  denn  Neu-  und  Umbauten  vornehmen  lassen, 
wenn  er  höchstens  den  Preis  für  das  Gut  erhält,  den  er  selbst  seiner- 
zeit bezahlt  hat.  Es  besteht  allerdings  die  Möglichkeit,  den  Wieder- 
kaufspreis  von  vornherein  so  festzusetzen,  daß  der  Wiederkäufer 
wenigstens  den  Schätzungswert  des  Gutes  zur  Zeit  der  Geltend- 
machung des  Wiederkaufsrechts  zahlen  muß;  aber  praktisch  geschieht 
das  höchst  selten.  Bei  der  Erbpacht  hat  der  Erbpächter  während 
deren  ganzen  Dauer  den  gesamten  Nutzen,  den  der  Grund  und  Boden 
abwirft;  jede  Verbesserung  kommt  ihm  zugute;  die  einzige  Gegen- 
leistung des  Erbpächters  bildet  die  Zahlung  des  Erbpachtzinses,  der 
niemals  ein  Mittel  sein  kann,  den  Erbpächter  von  der  Vornahme  von 
Verbesserungen  abzuhalten;  für  die  Gebäude  erhält  der  Erbpächter 
bei  Beendigung  Entschädigung,  und  zwar  nach  dem  Werte,  den  die 
Gebäude  zu  diesem  Zeitpunkte  haben;  je  besser  er  die  Gebäude  in- 
stand hält,  desto  höher  ist  die  Entschädigung;  hat  er  Neubauten  auf- 
geführt, so  erhält  er  für  diese  ebenso  die  Entschädigung  wie  für  die 
anderen  Gebäude,  die  er  bei  Begründung  der  Erbpacht  mitüber- 
nommen oder  aufgeführt  hat.  Die  Erbpacht  ist  besonders  für  die 
Ansiedler  geeignet,  die  nicht  sehr  kapitalkräftig  sind  oder  die  sich 
auf  nichtverkäuflichem  Boden  ansiedeln  wollen.  Wer  genügend 
Kapital  hat,  wird  wohl  auch  in  Zukunft  ein  Gut  zu  Eigentum  kaufen; 
aber  wir  wissen  auch,  daß  nicht  selten  unter  den  Pächtern  großer 
Güter  sehr  kapitalkräftige  Leute  sind.  Diese  wollen  lieber  ihr  Ka- 
pital zur  Beschaffung  von  großem  lebenden  und  toten  Inventar  ver- 
wenden, als  das  Geld   für  den  Kauf  des  Gutes   selbst  ausgeben;   es 


Die  Erbpacht.  29 

kommt  nicht  selten  vor,  daß  Leute,  die  ein  Gut  kaufen,  nicht  vor- 
wärtskommen, weil  ihnen  nach  dem  Kauf  des  Gutes  das  Geld  zum 
Kaufe  von  Pferden,  Kühen  usw.  fehlt.  Ein  tüchtiger  Pächterstand 
ist  durchaus  vorteilhaft  für  die  ganze  Volkswirtschaft;  außerdem  ist 
man  in  Deutschland  überhaupt  nicht  gegen  eine  Pachtung  von  vorn- 
herein abgeneigt  wie  in  anderen  Ländern,  wo  Pachtungen  selten  und 
unbeliebt  sind;  so  erklärte  im  ungarischen  Abgeordnetenhause  Graf 
Tisza  im  Juni  1916  über  die  Kolonisation  während  und  nach  dem 
Kriege,  man  müsse  sich  vor  jeder  Ueberstürzung  hüten;  in  dieser 
Beziehung  müsse  man,  wenn  man  etwas  Gutes  erreichen  wolle,  sehr 
spezifizieren;  es  gäbe  keine  größere  Gefahr  als  die  Durchführung 
einer  Lieblingsidee  nach  einer  Schablone;  man  dürfe  nicht  vergessen, 
was  in  der  Seele  des  ungarischen  Volkes  wurzele:  „Der  Ungar  will, 
wenn  er  einen  Besitz  kauft,  sein  freier  Herr  sein.  Beglücken  wir 
das  Volk  nicht  mit  Rentengütern  und  Pachtgütern,  die  eine  ewige 
Knechtschaft  bedeuten."  Man  wird  Graf  Tisza  ohne  weiteres  zu- 
stimmen müssen  für  alle  jene  Länder,  wo  noch  ungeheuere  Boden- 
flächen zur  Verfügung  stehen  oder  bei  verhältnismäßig  dünner  Be- 
völkerung leicht  in  kleinere  Besitzungen  aufgeteilt  werden  können, 
wie  es  in  Ungarn,  in  den  deutschen  Kolonien,  den  Vereinigten 
Staaten  von  Nordamerika,  in  Kanada  usw.  der  Fall  ist.  Wo  noch 
Boden  in  großer  Menge  vorhanden  ist,  da  wird  keine  Erbpacht,  kein 
Rentengut  noch  irgendeine  sonstige,  nicht  das  volle  freie  Eigentum 
gewährende  Rechtsform  für  Ansiedlungen  Erfolg  haben.  Deshalb 
ist  es  eine  verfehlte  Bodenpolitik  der  Bodenreformer,  wenn  diese 
immer  dafür  eintreten,  in  den  deutschen  Kolonien  sollte  niemand 
Grund  und  Boden,  am  wenigsten  aber  Großgrundbesitz,  zu  freiem 
Eigentum  erwerben  können  und  dürfen,  sondern  das  Reich  solle  den 
Boden  nur  zur  Nutzung  zur  Verfügung  stellen.  Die  Folge  war,  daß 
sich  die  deutschen  Auswanderer  scheuten,  in  die  deutschen  Kolonien 
zu  gehen,  wo  sie  nicht  sicher  waren,  ob  nicht  solche  sozialistische 
Pläne  einmal  verwirklicht  würden.  In  Deutschland  haben  wir  keinen 
unverteilten  Boden  mehr  und  selbst  die  staatlichen  Domänen  bilden 
nur  einen  geringen  Bruchteil  des  Gesamtbodens,  und  außerdem 
werden  auch  diese  Flächen  land-  oder  forstwirtschaftlich  rationell 
genützt.  Es  ist  zweckmäßiger,  wenn  Staaten  und  Gemeinden  ihren 
Boden  behalten  und  ihn  nur  zu  langjähriger  Nutzung  zur  Verfügung 
stellen.  Selbst  wenn  durch  Friedensschluß  ehemals  deutsche  Gebiete 
im  Osten  wieder  zu  Deutschland  kommen,  ist  die  Frage  wohl  zu  er- 
örtern, ob  diese  Grundstücke  statt  zu  freiem  Eigentum  nicht  besser 
in  Erbpacht  Ansiedlern  überlassen  werden  sollten;  gerade  in  diesen 
Gebieten  müßte  dafür  gesorgt  werden,  daß  der  Boden  nicht  bloß  zu 
Spekulationszwecken  erworben  würde. 

Milliarden  zahlten  wir  jährlich  an  das  Ausland  für  Getreide  und 
Futtermittel  und  brachten  gleichzeitig  die  eigene  Landwirtschaft  in 
eine  schwierige  Lage;  diese  Summen  könnten  wir  in  Zukunft  zum 
großen,  wenn  nicht  größten  Teile  ersparen,  wenn  wir  dafür  sorgen,  daß 
der  inländische  Boden  immer  besser  bewirtschaftet  wird.    Aber  nicht 


30  Chr.  D.  Pesl,  Die  Erbpacht. 

bloß  darum  handelt  es  sich,  sondern  wir  müssen  auch  danach  trachten, 
einen  möglichst  großen,  starken  Bauernstand  zu  schaffen,  und  das  ist 
nur  möglich,  wenn  der  Bildung  von  Großgütern,  namentlich  von 
Fideikommissen,  Einhalt  getan  wird.  Wie  ich  schon  eingangs  er- 
wähnte, ist  die  Gefahr  groß,  daß  die  durch  Kriegslieferungen  und 
Kriegswucher  plötzlich  reich  Gewordenen  durch  Kauf  großer  Güter 
eine  „gesellschaftlich  höhere"  Stufe  als  Besitzer  von  Rittergütern 
mit  tatsächlichen  oder  eingebildeten  Vorrechten  einnehmen  wollen. 
Es  ist  für  ganz  Deutschland  unendlich  besser  und  wichtiger,  einen 
möglichst  bodenständigen,  gesunden  und  namentlich  kinderreichen 
Bauernstand  zu  besitzen  als  eine  Anzahl  von  Emporkömmlingen 
(„Parvenüs")  als  Großgrundbesitzer,  die  den  Boden  nur  zur  Ausübung 
von  Jagd  und  anderem  „feudalen"  Sport  verwenden.  Deshalb  müssen 
wir  die  Ansiedelung  von  Leuten  auf  kleinen  und  mittleren  Bauern- 
gütern, auf  Gärtnereistellen,  auf  Stellen  zur  Zucht  von  Schweinen, 
Geflügel,  Bienen  usw.  nach  Möglichkeit  fördern.  Eines  aber  müßte 
noch  dazukommen:  mehr  Achtung  vor  dem  Bauernstand.  Es  ist 
leider  in  den  Großstädten,  auch  in  den  gebildeten  Kreisen,  beliebt 
geworden,  mit  einer  gewissen  Geringschätzung  auf  die  ländliche  Be- 
völkerung herabzusehen  und  sich  über  deren  alte  Sitten  und  Gewohn- 
heiten lustig  zu  machen.  Diese  Geringschätzung  hat  nicht  selten 
ihre  Ursache  in  der  völligen  Verständnislosigkeit  der  Städter  gegen- 
über der  Lebensweise  und  Arbeit  auf  dem  Lande.  Freilich  Reich- 
tümer kann  die  bäuerliche  Bevölkerung  im  allgemeinen  nicht  er- 
werben, da  sind  ihnen  Kaufleute,  besonders  die  aus  östlichen  Gegenden 
nach  Deutschland  eingewanderten,  bei  weitem  überlegen.  Wenn  der 
Landwirt  auch  nur  um  einen  Pfennig  den  Milchpreis  für  das  Liter 
erhöht,  so  erheben  gerade  die  den  größten  Protest,  die  durch  den 
Zwischenhandel  Hunderttausende  und  mehr  „verdienen",  wie  wir  es 
während  des  jetzigen  Krieges  häufig  genug  beobachten  konnten. 

Deutschland  ist  infolge  seiner  geographischen  Lage  auf  einen 
großen  Bauernstand  angewiesen;  schon  innerhalb  kurzer  Zeit  hätte 
Deutschland  die  Waffen  strecken  müssen,  wenn  nicht  die  deutsche 
Landwirtschaft  das  für  die  Ernährung  notwendige  Rückgrat  gebildet 
hätte;  aber  schon  vor  dem  Kriege  machte  sich  ein  Rückgang  in  der 
Landwirtschaft  im  Vergleich  zu  dem  Anwachsen  der  Gesamtbevöl- 
kerung bemerkbar.  Wir  müssen  nicht  bloß  die  vorhandene  Land- 
wirtschaft erhalten  und  pflegen,  sondern  sie  vergrößern  und  zu 
intensiverer  Leistung  bringen.  Dann  kann  Deutschland,  wenigstens 
hinsichtlich  seiner  Ernährung,  der  Zukunft  ziemlich  ruhig  entgegen- 
sehen. Die  Frage,  ob  durch  den  Friedensschluß  neue  große  Boden- 
flächen zum  Deutschen  Reiche  kommen,  habe  ich  außer  Betracht 
lassen  müssen. 


Miszellen.  31 


Miszellen. 


I. 
TTebersicht  über  den  Weltgetreidemarkt. 

Vom  1.  Februar  bis  1.  Juni  1917. 

Von  Otto  Jöhlinger,   Wilmersdorf. 

Der  Weltgetreidemarkt,  der  infolge  der  schlechten  Ernte  des  Jahres 
1916/17  ein  starkes  Mißverhältnis  zwischen  Verbrauch  und  Erzeugung 
aufweist,  hat  durch  die  am  1.  Februar  1917  erfolgte  Erklärung  des 
verschärften  Seekrieges  mit  einem  Schlage  ein  völlig  verändertea 
Aussehen  erhalten.  Die  Deckung  des  Bedarfes  der  europäischen  Einfuhr- 
länder, die  ohnehin  außerordentlich  erschwert  war,  wird  durch  die  Unter- 
brechung und  teilweise  Verhinderung  der  Schiffahrt  nunmehr  ernstlich 
gefährdet.  Das  Verkehrsproblem  gewinnt  jetzt  eine  Bedeutung  wie  nie 
zuvor,  und  für  die  auf  die  Einfuhr  angewiesenen  Länder,  wie  England 
und  Frankreich,  ist  es  jetzt  mindestens  ebenso  wichtig,  daß  das  Getreide 
befördert  werden  kann,  wie  daß  es  überhaupt  erzeugt  wird. 

Der  Getreidemarkt  der  Welt  zeigt  also  jetzt,  verglichen  mit  den 
Vormonaten,  ein  völlig  verändertes  Aussehen,  namentlich  da  sich  die 
Versenkungsziffern  ständig  erhöhen,  und  insbesondere  zahlreiche  Getreide- 
ladungen den  Torpedierungen  und  Minen  zum  Opfer  gefallen  sind.  Da 
nun  England  sowohl  als  Frankreich  in  großem  Umfange  von  der  Einfuhr 
von  Getreide  abhängen  und  jede  versenkte  Tonne  Getreide  die  ohnehin 
zur  Verfügung  stehende  Menge  weiter  verkürzt,  so  hätte  unter  normalen 
Umständen  die  Entwicklung  der  Verhältnisse  sowohl  auf  dem  Welt- 
Frachtenmarkt  als  auch  auf  dem  Welt  -  Getreidemarkt  eine  Steigerung 
der  Preise  von  Weizen,  Eoggen,  Hafer  und  dergleichen  in  England  und 
Frankreich  hervorrufen  müssen.  Das  war  aber  nur  vorübergehend  und 
an  wenigen  Stellen  der  Fall.  Eine  ernsthafte  Preissteigerung  wurde 
aber  verhindert  dadurch,  daß  nicht  nur  Frankreich,  sondern  auch  Eng- 
land Höchstpreise  für  Getreide  einführten. 

Wie  in  sehr  vielen  Fällen,  so  hat  auch  England  bei  der  Fest- 
setzung von  Höchstpreisen  für  Getreide  einfach  das  nachgeahmt,  was 
man  in  Deutschland  kurz  nach  Kriegsbeginn  vorgenommen  hat.  Denn 
Deutschland  war  das  erste  Land,  das  in  diesem  Weltkrieg  der  Preis- 
bewegung für  Getreide  gesetzliche  Schranken  auferlegte.  Aus  der  Er- 
fahrung hat  aber  Deutschland  gelernt,  und  es  hat  sich  gezeigt,  daß 
Höchstpreise  für  ein  Produkt,  dessen  Erzeugung  geringer  ist  als  der 
Bedarf,  ein  sehr  rohes  Mittel  sind,  daß  sie  einerseits  die  Produktion 
einschränken   und  anderseits  zu  Umgehungen  anreizen.     Ohne  schärfere 


32  Miszellen. 

Maßregeln,  wie  Beschlagnahme,  Enteignung,  Zentralisierung  und  der- 
gleichen, läßt  sich  nichts  erreichen,  und  hieraus  hat  Deutschland  schon 
am  26.  Januar  1915  die  Schlußfolgerung  gezogen,  indem  es  zur  Ver- 
staatlichung der  Getreideversorgung  überging. 

Aus  den  Maßregeln  Deutschlands  hat  aber  die  englische  Regierung 
nicht  die  notwendigen  Lehren  gezogen  resp.  ziehen  wollen.  Sie  hätte 
sich  sagen  müssen,  daß  man  lediglich  mit  Höchstpreisen  das  gewünschte 
Ziel  nicht  erreichen  kann,  daß  man  vielmehr  schärfer  zugreifen  muß. 
Dem  manchesterlichen  Sinn  der  jetzigen  Machthaber  in  England  wider- 
strebten aber  die  staatssozialistischen  Eingriffe  Deutschlands ;  sie  glaubten, 
sich  zunächst  mit  den  sogenannten  kleinen  Mitteln  begnügen  zu  können. 
Daß  dies  nicht  möglich  war,  war  für  jeden  nur  einigermaßen  mit  den 
Verhältnissen  Vertrauten  klar;  denn  es  ist  ein  Unterschied,  ob  ein  Land 
wie  Deutschland,  das  seinen  Bedarf  zu  mehr  als  ^^  aus  der  eigenen 
Erzeugung  deckt,  für  einheimische  Produkte  Höchstpreise  vorschreibt, 
oder  ob  England,  das  zu  Ys  ^^^  ^^^  Einfuhr  von  Weizen  angewiesen  ist 
und  dem  Auslande  die  Preise  bezahlen  muß,  die  verlangt  werden,  hierfür 
Maximalsätze  vorschreibt.  Deutschland  hätte  es  im  Notfalle  vielleicht 
erzwingen  können,  daß  das  einheimische  Getreide  nicht  höher  verkauft 
wurde,  als  zu  den  gesetzlichen  Höchstpreisen.  England  kann  aber  seine 
Getreidelieferanten  nicht  zwingen,  ihm  zu  den  von  ihm  bestimmten 
Sätzen  zu  verkaufen,  namentlich  dann  nicht,  wenn  diese  Sätze  erheblich 
unter  dem  Weltmarktpreis  stehen,  und  das  war  in  der  Tat  der  Fall. 
Die  englischen  Höchstpreise  für  Getreide  waren  nicht  nur  erheblich 
niedriger  als  die  Preise,  die  kurz  vorher  bezahlt  wurden,  sondern  sie 
blieben  auch  während  der  Steigerung  der  amerikanischen  Weizenpreise 
um  rund  Ys  hinter  dem  Weltmarktpreis  zurück. 

Während  der  Zeit,  in  der  die  Preise  in  Amerika  so  ungeheuer  ge- 
stiegen waren,  hätte  sich  unter  Berücksichtigung  der  Fracht  und  der 
Versicherungsgebühren  der  englische  Weizenpreis  auf  weit  über  600  M. 
stellen  müssen.  Der  englische  Höchstpreis  für  ausländisches  Getreide 
war  aber  nur  rund  400  M.  Wie  angesichts  dieses  gewaltigen  Preis- 
unterschiedes eine  Versorgung  Englands  mit  ausländischem  Getreide 
noch  möglich  war,  das  muß  später  festgestellt  werden.  Die  englische 
Regierung  hat  bis  jetzt  nichts  hierüber  bekanntgegeben;  aber  man  kann 
mit  Sicherheit  annehmen,  daß  der  Bezug  von  ausländischem  Getreide 
nach  England  nur  dadurch  ermöglicht  wurde,  daß  die  engliche  Regierung 
gewisse  Zuschüsse  zu  der  Einfuhr  von  Getreide  leistete,  sei  es  in  Form 
von  Frachtnachlässen  oder  sonstigen  Vergütungen.  Wenn  also  in  Eng- 
land ausländisches  Getreide  mit  400  M.  abgegeben  wurde,  so  war  das 
anscheinend  dadurch  ermöglicht  worden,  daß  die  Regierung  aus  der 
Staatskasse  hierzu  rund  200  M.  für  die  Tonne  beisteuerte.  Hierdurch 
würde  freilich,  selbst  wenn  man  annimmt,  daß  die  Einfuhr  von  Getreide 
seit  dem  1.  Februar  nach  England  abgenommen  hat,  eine  sehr  starke 
Belastung  der  englischen  Staatskasse  bewirkt  werden. 

Während  bisher  England  stets  alle  Einzelheiten  der  Versorgung, 
der  Zufuhren,  der  Vorräte  und  dergleichen  bekanntgab,  hat  die  britische 
Regierung  kurz  nach  Beginn  des  verschärften  U-Boot-Krieges  jede  zahlen- 


Miszellen.  33 

mäßige  Veröffentlichung  am  Getreidemarkt  unterdrückt.  Seit  jener  Zeit 
fehlen  nicht  nur  die  Einfuhrzahlen  für  Getreide,  die  selbst  in  der  amt- 
lichen britischen  Außenhandelsstatistik  nicht  veröffentlicht  werden;  es 
fehlen  auch  die  Angaben  über  die  Höhe  der  Vorräte  und  schließlich 
sogar  die  Ziffern  der  Verschiffungen  aus  den  überseeischen  Ländern. 
England  sucht,  um  jede  Beunruhigung  zu  verhindern,  sogar  die  Zahlen 
des  Exportes  von  Getreide  aus  Nordamerika,  Argentinien  und  anderen 
überseeischen  Ländern  zu  unterdrücken,  und  nur  auf  Umwegen  sind 
derartige  Ziffern  nach  hier  gelangt,  die  freilich  beweisen,  wie  recht 
England  mit  seiner  Maßregel  getan  hatte.  Denn  in  der  Tat  haben  die 
Verschiffungszahlen  von  üebersee  seit  Beginn  des  verschärften  U-Boot- 
Krieges  außerordentlich  stark  abgenonmien.  Schon  hieraus  kann  man 
auf  eine  sehr  starke  Abnahme  der  englischen  Versorgung  schließen. 
In  der  britischen  Außenhandelsstatistik,  die  sonst  meist  sehr  ausführlich 
gehalten  ist,  fehlen,  wie  schon  erwähnt,  die  zahlenmäßigen  Angaben 
über  die  Menge  der  Getreideeinfuhr  vollständig.  Man  beschränkt  sich 
lediglich  darauf,  die  Wertziffern  anzugeben,  wobei  aber  zu  berück- 
sichtigen ist,  daß  die  Preise  von  Getreide  jetzt  ganz  erheblich  höher 
stehen  als  im  Vorjahre,  so  daß  es  unmöglich  gemacht  wird,  ein  rich- 
tiges Bild  von  der  englischen  Versorgung  zu  gewinnen. 

Wieviel  England  seit  Beginn  des  verschärften  U-Boot-Krieges  an 
Getreide  eingeführt  hat,  ist  nicht  bekannt  geworden.  Es  läßt  sich  auch 
schätzungsweise  nur  schwer  ermitteln,  da  die  Verschiffungszahlen  wich- 
tiger Erzeugungsländer  fehlen.  In  der  Hauptsache  kommt  ja  freilich 
für  die  englische  Einfuhr  die  nordamerikanische  Union  als 
Lieferant  in  Betracht.  Diese  hat  nun  seit  dem  1.  Februar  dieses  Jahres 
ganz  erheblich  weniger  Getreide  verladen  als  im  Vorjahre,  und  so  ist 
denn  die  Annahme  berechtigt,  daß  die  britischen  Importe  in  der  Zeit 
vom  1.  Februar  bis  1.  Juni  wahrscheinlich  nur  halb  so  groß  gewesen 
sind  als  in  der  gleichen  Vorjahrszeit,  vielleicht  sogar  noch  kleiner.  Da 
nun  aus  der  alten  Ernte  nicht  mehr  viel  Getreide  übrig  gewesen  ist  und 
die  Vorräte  von  ausländischem  Getreide  in  den  Hafenplätzen,  Mühlen 
und  dergleichen  nur  gering  waren,  so  mehren  sich  die  Ernährungs- 
schwierigkeiten in  England  von  Woche  zu  Woche.  Es  ist  bemerkens- 
wert, wie  pessimistisch  führende  englische  Zeitungen  im  Mai  die 
Lage  beurteilt  haben,  wie  das  Wort  „Hungersnot"  regelmäßig  in  den 
Zeitungsberichten  wiederkehrt,  wie  immer  von  neuem  von  dem  „Rande 
des  Abgrundes"  gesprochen  wird,  an  den  England  durch  die  U-Boot- 
Gefahr  gebracht  worden  ist.  Nichts  hätte  näher  gelegen,  als  die 
Schwierigkeiten  durch  die  Einführung  des  Brotkartensystems  und  der 
sonstigen  deutschen  Maßregeln  zu  beschränken.  Aber  hiervon  wollte 
man  in  England  zunächst  nichts  wissen,  man  glaubte  es  mit  der 
freiwilligen  Rationierung  erreichen  zu  können,  wobei  die  Menge  Brot 
pro  Kopf  und  Woche  auf  1800  g  bemessen  wurde.  Aber  schon  kurze 
Zeit  danach  mußte  von  amtlicher  Seite  in  England  festgestellt  werden, 
daß  der  Verbrauch  an  Brotgetreide  um  50  Proz.  größer  war  als  die 
Vorräte  erlaubten,  und  trotzdem  die  britische  Regierung  sich  noch  so 
sehr    sträubt,    wird    sie  auf  die  Dauer   an  einschneidenden  Maßnahmen 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  3 


34  Miszellen. 

nicht  vorbeikommen,  wird  sie  einsehen  müssen,  daß  mit  freiwilliger 
Rationierung  nichts  zu  erreichen  ist. 

Angesichts  der  Abnahme  der  Zufuhren  und  der  hiermit  zusammen- 
hängenden drohenden  Gefahr  hat  der  englische  Ministerpräsident,  Lloyd 
George,  der  ja  in  der  Frage  der  Munitionserzeugung  sicherlich  eine 
recht  geschickte  Hand  gezeigt  hat,  ein  großes  Reformprogramm  ent- 
worfen, das  darauf  hinausläuft,  die  Selbstversorgung  Englands  zu  ver- 
bessern. Lloyd  George  will,  daß  England  so  viel  Weizen  wie  nur  mög- 
lich im  Lande  selbst  gewinnt,  um  sich  dadurch  von  der  Einfuhr  etwas 
mehr  zu  befreien. 

Gelegentlich  der  Verleihung  des  Ehrenbürgerrechtes  in  der  Londoner 
City  hielt  Lloyd  George  eine  Rede,  in  der  er  unter  anderem  erwähnte, 
daß  im  laufenden  Jahre  in  England  1  Mill.  Acres  neues  Land  zur 
Bestellung  gelangt  seien,  was  2  Mill.  t  weitere  Nahrungsmittel  bedeute. 
Um  sich  ein  Bild  davon  zu  machen,  was  die  Ziffer  von  1  Mill.  Acrea 
bedeutet,  seien  nachstehend  die  Anbaufächen  Englands  in  Weizen  in 
den  letzten  Jahren  gegenübergestellt: 

Weizenanbau  Weizenemte 

Acres  Quarters 

1916  2  053  000  7  569  000 

1915  2  335  000  9  266  000 

1914  I  905  000  7  815  000 

1913  I  810  000  7100000 

1912  1970000  7100000 

Im  Durchschnitt  der  letzten  10  Jahre  stellte  sich  in  England  die 
Weizenanbaufläche  auf  1 907  000  Acres  mit  einem  Ertrage  von  7  587  000 
Quarters.  Gegenüber  früheren  Zeiten  bedeutet  das  eine  gewaltige  Ab- 
nahme sowohl  des  Areals  als  auch  der  Ernte.  Denn  z.  B.  im  Jahre 
1868  wies  England  bei  einer  Anbaufläche  von  3  937  000  Acres  eine 
Weizenproduktion  von  17  Mill.  Quarters  auf.  Geht  man  davon  aus, 
es  seien  jetzt  wirklich  1  Mill.  Acres  neu  mit  Weizen  bestellt  —  was 
ja  praktisch  gar  nicht  möglich  ist  —  so  würde  England  dadurch  einen 
Mehrertrag  von  höchstens  3  763  000  Quarters  erzielen.  Aber  angesichts 
der  durch  den  Krieg  geschaffenen  schwierigen  Verhältnisse  ist  an  eine 
so  hohe  Produktionsziffer  überhaupt  nicht  zu  denken.  Nimmt  man  einen 
Ertrag  von,  hoch  gerechnet,  3  Mill.  Acres  an,  so  würde  sich  die  Weizen- 
ernte Englands  —  falls  die  1  Mill.  Acres  überhaupt  ganz  mit  Weizen 
bestellt  werden  —  auf  rund  10  Mill.  Quarters  stellen.  Was  das  heißt, 
geht  am  besten  daraus  hervor,  daß  im  Erntejahr  1915/16  nach  Eng- 
land aus  dem  Auslande  27  Mill.  Quarters  Weizen  und  in  1914/15 
26,3  Mill.  Quarters  eingeführt  worden  sind. 

Es  stellte  sich  nämlich  die  Weizenversorgung  in  England: 


Anbau 

Ernte 

Einfuhr 

in  Mill.  Acres 

in  Mill.  Quarters 

in  Mill.  Quarters 

1916 

2,060 

7,500 

27,000 

1915 

2,362 

9,200 

26,300 

1914 

1,940 

7,800 

28,800 

1913 

1,810 

7,100 

29,670 

1912 

1,970 

5,100 

29,670 

1911 

1,961 

8,000 

26,200 

Miszellen.  35 

In  der  Zeit  vom  1.  August  1916  bis  1.  Januar  1917  importierte  Eng- 
land an  Weizen  9,8  Mill.  Quarters.  Das  Defizit  in  der  Zeit  vom 
1.  Januar  bis  20.  Juli  1917  beträgt  alsdann  mindestens  noch  16 — 17  Mill. 
Quarters.  Rechnet  man  die  Mehrproduktion  von  3  Mill.  Quarters  ab, 
so  fehlen  immer  noch  13 — 14  Mill.  Quarters.  Wie  soll  angesichts  dieser 
Fehlmenge  ein  Mehranbau  von  1  Mill.  Acres  dem  Britenvolke  aus  der 
Verlegenheit  helfen? 

Zu  dem  Reformprogramm  des  Herrn  Lloyd  George  gehört  unter 
anderem  die  Garantie  von  Mindestpreisen  für  einheimisches 
Getreide.  Um  die  Landwirte  anzuspornen,  möglichst  viel  Getreide 
in  England  zu  erzeugen  und  namentlich  in  den  nächsten  Jahren  den 
Anbau  zu  vermehren,  hat  Lloyd  George  sogenannte  „Mindestpreise** 
garantiert.     Diese  Mindestpreise  betragen: 


!ür  das  Jahr  1917 

6o  sh  für  den  Quarter 

„     die  Jahre  1918/19 

55   »»     »»     "         " 

„      „        „       1920—1922 

45    »»     »»     "         »» 

Diese  Preise  sind  unter  allen  Umständen  festgelegt.  Selbst  wenn  die 
Notierungen  auf  dem  Weltmarkt  erheblich  sinken  sollten,  erhalten  die 
englischen  Farmer  von  der  englischen  Regierung  den  festgesetzten  Preis 
ausgezahlt.  Diese  „ Mindestpreise*'  sind  zwar  erheblich  niedriger  als 
die  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1917  bezahlten;  verglichen  mit 
den  normalen  Sätzen  früherer  Jahre  stellen  sie  sich  allerdings  sehr 
hoch.     Es  betrug  nämlich  der  Jahresdurchschnitt  für  den  Quarter: 


sh 

d 

sh 

d 

1916 

58 

3 

1911 

31 

9 

1915 

53 

1910 

31 

8 

1914 

35 

I 

1909 

36 

II 

1913 

31 

8 

1908 

32 

2 

1912 

34 

9 

1907 

30 

7 

Demnach  stehen  selbst  die  Preise  des  Jahres  1922  noch  um  rund 
50  Proz.  über  dem  Durchschnitt  der  bisherigen  Friedenssätze.  Herr 
Lloyd  George  erhofft  von  diesen  garantierten  Preisen  einen  starken 
Anreiz  für  die  heimische  Weizenerzeugung. 

Die  Preise,  die  in  England  jetzt  angelegt  werden,  sind  die  höchsten, 
die  seit  langer  Zeit  zur  Notiz  gelangten.  Der  Monatsdurchschnitt  der 
englischen  Getreidepreise  hat  sich  seit  Kriegsausbruch,  wie  folgt,  ent- 
wickelt : 


1914 

1915 

1916 

1917 

sh     d 

sh 

d 

sh 

d 

sh    d 

Januar 

_    _ 

49 

9 

56 

5 

75    10 

Februar 

—    — 

55 

0 

57 

8 

76     3 

März 

—    — 

54 

8 

57 

IG 

79     2 

AprU 

—    — 

55 

3 

54 

G 

83     IG 

Mai 

—    — 

60 

IG 

55 

2 

77    II 

Juni 

—    — 

57 

6 

49 

5 

Juli 

—    — 

52 

3 

48 

9 

—   — 

August 

36    10 

54 

2 

57 

2 

—   — 

September 

37      6 

43 

7 

59 

4 

—   — 

Oktober 

37      I 

46 

4 

60 

7 

—   — 

November 

40     4 

52 

II 

69 

5 

—   — 

Dezember 

42    II 

53 

7 

73 

5 

—   — 

8* 


36  Miszellen. 

Der  unterschied  gegenüber  früheren  Jahren  ist  danach  ganz  er- 
heblich. Er  würde  zweifellos  noch  viel  größer  sein,  wenn  nicht  die 
englische  Regierung  durch  Höchstpreise  der  Entwicklung  der  Verhält- 
nisse einen  künstlichen  Damm  entgegengesetzt  hätte. 

Schon  zu  Beginn  des  Jahres  hat  England  einige  der  deutschen 
Maßregeln  nachgeahmt,  so  insbesondere  die  Vorschrift  des  schärferen 
Ausmahlens  von  Weizen  in  Höhe  von  76  Proz.,  sowie  die  Bestimmung, 
daß  Mehl  aus  Weizen  gemischt  werden  muß  mit  Gerste,  Mais,  Hafer 
oder  Reis.  Man  glaubte  hierdurch  eine  große  Ersparnis  vorzunehmen. 
In  Wirklichkeit  handelt  es  sich,  wie  bei  derartigen  Streckungen  stets, 
nur  um  eine  Verschiebung,  d.  h.  das  Quantum,  das  bei  Weizen  ge- 
wonnen wird,  muß  an  Gerste,  Mais,  Reis  und  dergleichen  mehr  zur 
Einfuhr  gelangen. 

Der  englische  Höchstpreis  für  ausländisches  Getreide,  der  am 
30.  Januar  1917  festgesetzt  wurde,  betrug  für: 

Northern  Manitoba    Nr.  1    82  sh     Nr.  2    80  sh  6      Nr.  3     78  sh, 

Für  die  übrigen  Qualitäten  wurden  entsprechende  Abstufungen  vorge- 
nommen. Am  30.  März  1917  mußten  sämtliche  Preise  um  1  sh  erhöht 
werden.     Die  Grundlage  Northern  I  stellt  sich  auf  83  sh. 

Eine  sehr  zweischneidige  Maßnahme  ergriff  die  englische  Re- 
gierung 2  Monate  nach  Beginn  des  verschärften  Ü-Boot-Krieges,  indem 
sie  angesichts  der  Steigerung  der  Preise  am  Inlandsmarkt  Höchst- 
sätze für  englisches  Getreide  einführte.  Der  Preis  für  englisches 
Getreide  entwickelte  sich  nämlich,  wie  folgt: 

sh     d 


sh 

d 

25. 

November 

70 

8 

2. 

Dezember 

71 

3 

23. 

>» 

74 

8 

30. 

„ 

75 

IG 

10. 

Februar 

76 

— 

3.  März 

n 

4 

17.      „ 

78 

IG 

31.      .. 

81 

5 

14.  April 

85 

2 

Dabei  sei  bemerkt,  daß  es  sich  hierbei  um  den  Londoner  Durchschnitts- 
preis handelt,  an  den  englischen  Provinzmärkten  wurden  Sätze  bis  zu 
92  sh  angelegt.  Infolgedessen  entschloß  sich  der  englische  Nahrungs- 
mittelkontrolleur am  17.  April  Höchstpreise  für  inländisches  Getreide 
vorzuschreiben  und  zwar  für  Weizen  78  sh  für  den  Quarter,  für  Gerste 
65  sh,  für  Hafer  55  sh.  Sämtliche  Preise  standen  beträchtlich  unter 
den  Sätzen,  die  vorher  angelegt  wurden.  Wie  zu  erwarten  war,  hatte 
die  Festsetzung  der  Höchstpreise  zur  Folge,  daß  die  Ablieferungen  der 
englischen  Landwirte  kleiner  wurden  und  daß  es  vielfach  nur  unter 
Schwierigkeiten  gelang,  den  Bedarf  zu  decken. 

Gleichzeitig  mit  der  Festlegung  der  Höchstpreise  für  inländisches 
Getreide  wurden  die  englischen  Gerstenvorräte  beschlagnahmt. 

Die  Welternte  des  Jahres  1916  blieb  erheblich  hinter  dem  Vor- 
jahre zurück.  Nach  englischen  Schätzungen,  die  freilich  in  diesem  Jahr 
keinen  Anspruch  auf  Zuverlässigkeit  machen  können,  wurden  im  Jahre 
1916  geerntet: 


Miszellen.  37 

in  Millionen  Quarters 

1916  1915            1914  1913  1912  1911 

Weizen              441,56  551,59  460,16  500,02  484,55  444,56 

Gerste                162,82  171,90         165,23  193, 09  181, 09  170,26 

Mais                  395>69  484,32  446,78  415,92  509,68  403,50 

Hafer                429,08  503.ß7  453,78  504,41  510,41  416,46 

Roggen 195,80  206,17  194,19  223,52  229,45  192,06 

Zusammen    1624,95  1917,66  1720,14  1836,96  1915,18  1626,84 

Freilich  sind  aus  dem  Vorjahre  noch  reichliche  Bestände  übrigge- 
blieben, die  das  Defizit  zu  vermindern  imstande  wären.  Andererseits 
ist  zu  berücksichtigen,  daß  diesmal  in  der  Statistik  zahlreiche  Mengen 
enthalten  sind,  die  für  den  Verbrauch  auf  dem  Weltmarkt  überhaupt 
nicht  oder  nur  zum  Teil  in  Betracht  kommen.  In  erster  Eeihe  gilt 
das  von  russischen  Beständen,  die  ja  jetzt  während  des  Krieges 
nicht  ausgeführt  werden  können.  Ferner  von  den  Vorräten  in 
Australien,  wovon  infolge  des  Mangels  an  Schiffsraum  nur  ein  Teil 
für  die  Entente  verwandt  werden  kann.  Ein  anderer  Teil  bleibt  bis 
zum  nächsten  Jahre  übrig,  so  daß  also  diesmal  die  Statistik  einen  ganz 
anderen  Maßstab  verdient  als  bisher. 

Die  Teuerung  auf  dem  Weltgetreidemarkt  hängt  zu  einem  sehr  er- 
heblichen Teil  mit  den  hohen  Frachten  und  den  infolge  des  ver- 
stärkten Risikos  verteuerten  Versicherungsraten  zusammen.  Tat- 
sächlich haben  denn  auch  jetzt  a»if  dem  Weltmarkt  die  Frachtsätze  eine 
Höhe  erreicht,  wie  sie  seit  einem  halben  Jahrhundert  nicht  mehr  zu 
bemerken  gewesen  sind.  Im  Jahre  1916  stellte  sich  der  höchste  Satz 
für  Sendungen  von  Nordamerika  nach  England  auf  20  sh  gegen  2,7  sh 
in  1913,  von  San  Lorenzo  nach  England  auf  184  sh  gegen  18,6  sh  in 
Friedenszeiten.  Von  Indien  stellten  sich  die  Sätze  auf  150 — 280  sh 
gegenüber  18 — 25  sh  in  normalen  Zeiten.  Im  Jahre  1917  sind  die 
Preise  weiter  gestiegen.  Zwar  hat  die  englische  Regierung  dort,  wo 
sie  imstande  dazu  war,  Höchstpreise  fürFrachten  vorgeschrieben. 
Aber  wie  zu  erwarten  war,  hat  sie  damit  das  Gegenteil  von  dem  be- 
wirkt, was  sie  erreichen  wollte.  Das  Angebot  von  Frachtraum  wurde 
immer  kleiner,  und  infolgedessen  mußte  die  englische  Regierung  im 
ersten  Halbjahr  1917  die  amtlichen  Frachtsätze  zweimal  erhöhen. 
Aber  selbst  zu  diesen  erhöhten  Frachtraten  war  nicht  genügend  Schiffs- 
raum zu  haben.  Auch  heute  noch  spielt  das  Frachtenproblem  eine  aus- 
schlaggebende Rolle  auf  dem  Weltgetreidemarkt. 

Wie  gespannt  die  Verhältnisse  auf  dem  Weltmarkt  sind,  erhellt  am 
besten  die  Tatsache,  daß  zwischen  den  Vereinigten  Staaten  und 
Kanada  die  Zollmauer  für  Getreide  aufgehoben  worden  ist.  Es  handelt 
sich  hierbei  um  einen  alten  Plan,  der  schon  vor  einigen  Jahren  die 
Parlamente  der  beiden  Länder  beschäftigte.  Schon  seit  langem  er- 
streben gewisse  Kreise  in  Kanada  die  zollfreie  Ausfuhr  von  Weizen  nach 
den  Vereinigten  Staaten.  Angesichts  der  politischen  Bedenken,  die 
dieser  Beseitigung  entgegenstanden,  fiel  aber  damals  der  Plan  ins 
Wasser.  Jetzt  durch  den  Krieg  bewirkt  der  Mangel  an  Frachtraum, 
daß  viel  kanadisches  Getreide  über  die  Vereinigten  Staaten  zur  Ausfuhr 


38  Miszellen. 

gelangt.  Um  diese  zu  erleichtern,  hat  man  sich  mit  der  Abschaffung 
*  der  Zollgrenze  einverstanden  erklärt.  Es  handelt  sich  hierbei  um  ein 
Vorkommnis  von  außerordentlicher  Tragweite,  und  erst  im  Laufe  der 
Zeit  wird  man  ermessen  können,  welche  Folgen  sich  an  dieses  Zu- 
geständnis knüpfen. 

Eine  außerordentlich  interessante  Entwicklung  zeigte  die  Preis- 
gestaltung in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.  Schon 
in  den  ersten  beiden  Kriegsjahren  war  der  Preisstand  für  Weizen  an 
der  Börse  von  New  York  ungewöhnlichen  Schwankungen  unterworfen. 
Bald  stiegen  die  Preise  zu  ungeahnter  Höhe,  bald  waren  beträchtliche 
Rückschläge  zu  bemerken.  Im  Durchschnitt  der  letzten  Friedensjahre 
schwankte  in  Chicago  der  Preis  für  Weizen  zwischen  80  und  90  Cts. 
für  den  Bushel.  In  Kreisen  der  Farmer  war  ein  Preis  von  100  Cts. 
für  den  Bushel  als  das  Erstrebenswerte  bezeichnet  worden,  d.  h.  als 
der  Preis,  bei  dem  die  nordamerikanischen  Farmer  ein  gutes  Auskommen 
haben  würden.  Dieser  Satz  ist  aber  in  Friedenszeiten  nur  sehr  selten 
und  meist  nur  auf  kurze  Zeit  erreicht  worden.  Jetzt  während  des 
Krieges  haben  sich  die  Verhältnisse  so  gestaltet,  daß  nur  einmal, 
nämlich  im  Jahre  1915,  ganz  vorübergehend  der  Preis  unter  100  Cts. 
sank,  im  übrigen  aber  stets  höher  war.  Schon  kurz  nach  Kriegsaus- 
bruch schnellten  die  amerikanischen  Weizenpreise  auf  über  160  Cts. 
empor.  In  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1915  war  ein  Satz  von  an- 
nähernd 170  Cts.  erreicht.  Alsdann  trat  unter  dem  Einfluß  großer 
Ernten  ein  Rückschlag  auf  annähernd  95  Cts.  ein.  Ende  des  Jahres 
1915  war  aber  wieder  ein  Preis  von  95  Cts.  erreicht.  Der  hohe  Stand 
der  Preise  des  Jahres  1915  wurde  beträchtlich  überholt  durch  die  Ent- 
wicklung der  Preise  im  Jahre  1916.  Im  ersten  Viertel  wurde  ein  Kurs 
von  130  Cts.  überschritten.  Nach  vorübergehenden  Schwankungen  stellte 
sich  im  letzten  Viertel  der  Preis  auf  190  Cts.  Wiederum  trat  ein  neuer 
Rückschlag  ein;  aber  bis  zum  Beginn  des  deutschen  U-Boot-Krieges 
stieg  die  Notierung  wieder  auf  190  Cts.  Die  Ankündigung  der  deutschen 
Seekriegsfiihrung  stürzte  den  amerikanischen  Preis  auf  160  Cts.  Das 
war  aber  nur  vorübergehend;  denn  bald  bewirkte  die  stürmische  Nach- 
frage seitens  Englands  und  Frankreichs,  daß  die  Preise  immer  weiter 
stiegen.  Im  April  war  bereits  ein  Satz  von  über  240  Cts.  erreicht. 
Von  da  ab  beginnt  ein  nur  von  kurzen  Schwankungen  unterbrochenes 
weiteres  Emporschnellen.  Ende  April  beträgt  der  Preis  271  Cts.,  und 
am  11.  Mai  wird  mit  318  Cts.  der  höchste  amerikanische  Preis  — 
wenn  man  vom  Jahre  1898  absieht  —  seit  dem  Bürgerkriege  erreicht. 
Fragt  man  nach  den  Ursachen  dieser  sensationellen  Preisgestaltung 
mit  ihren  Hungersnotsätzen,  so  ergibt  sich,  daß  in  der  Hauptsache  die 
geringe  Versorgung  der  Union  maßgebend  war.  Die  letzte  amerikani- 
sche Weizenernte  war  zwar  an  sich  nicht  so  schlecht,  daß  sie  Hungers- 
notpreise gerechtfertigt  hätte ;  aber  die  Ansprüche  der  Ausfuhr  und  des 
heimischen  Bedarfes  waren  so  groß,  daß  eine  beängstigende  Abnahme 
der  Vorräte  eintrat.  Die  Vereinigten  Staaten  hatten  wesentlich  mehr 
zur  Ausfuhr  gebracht,  als  statistisch  zulässig  war. 


Miszellen.  39 

Die  Situation  spitzte  sich  nun  zu,  als  für  die  neue  Ernte  die  Aus- 
sichten immer  schlechter  wurden  und  namentlich  die  Winterschäden 
«inen  kaum  dagewesenen  Umfang  annahmen.  Fast  ein  Drittel  der  An- 
baufläche mußte  umgepflügt  werden,  die  infolge  des  scharfen  Winters 
vernichtet  war.  Das  war  in  der  Tat  ein  schwerer  Schlag  für  die 
amerikanische  Getreideerzeugung,  und  im  ersten  Saatenstandsbericht 
des  Jahres  1917  wurde  der  Durchschnittssaatenstand  des  Winter- 
weizens auf  nur  63,4  Proz.  gegenüber  78,3  Proz.  resp.  88,8  und  95,6  Proz. 
in  der  gleichen  Zeit  der  beiden  Vorjahre  beziffert.  Die  Anbaufläche 
hatte  eine  ganz  beträchtliche  Abnahme  erfahren  und  dabei  zugleich 
denn  auch  die  Schätzung  des  Ertrages.  Die  amerikanischen  Ernten 
stellten  sich  in  den  letzten  Jahren,  wie  folgt: 


Winterweizen 

Sommerweizen 

Zusammen 

1916 

482 

158 

640 

1915 

6S5 

356 

lOII 

1914 

684 

206 

890 

1913 

523 

239 

762 

Lange  Zeit  hat  die  amerikanische  Regierung  den  Preistreibereien 
an  der  Börse  ruhig  zugesehen.  Ja,  es  verlautete  sogar,  daß  sie  selbst 
als  Käufer  auf  dem  Terminmarkt  aufgetreten  sei,  um  sich  den  not- 
wendigen Getreidebedarf  für  die  Kriegführung  zu  sichern.  Gerade  das 
Erscheinen  der  Regierung  als  Käuferin  am  Getreidemarkt  gab  den 
Spekulanten  eine  gewisse  Garantie  dafür,  daß  keine  einschneidenden 
Maßnahmen  wie:  Verbot  des  Terminhandels  und  dergleichen  geplant 
würden.  Dabei  sei  bemerkt,  daß  den  englischen  Händlern  schon 
seit  dem  Jahre  1916  jede  Beteiligung  am  amerikanischen  Getreide- 
Termingeschäft  verboten  war,  und  daß  durch  den  britischen  Zensor 
die  Innehaltung  dieses  Verbots  streng  überwacht  wurde.  Den  Engländern 
war  es  also  nicht  möglich,  von  der  Preissteigerung  zu  profitieren. 
Anderenfalls  würden  wahrscheinlich  beträchtliche  Spekulationsgewinne 
aus  den  Vereinigten  Staaten  nach  England  gewandert  sein.  So  aber 
blieb  die  Haussespekulation  in  der  Hauptsache  auf  die  Amerikaner  be- 
schränkt, sowie  auf  die  wenigen  anderen  Interessenten  in  Frankreich, 
Italien,  Schweiz  und  dergleichen. 

Die  amerikanische  Regierung  hatte  ursprünglich  tatsächlich  die 
Absicht  gehabt,  nicht  einzuschreiten,  der  Spekulation  vielmehr  freien 
Lauf  zu  lassen.  Aber  die  Verhältnisse  waren  stärker  als  der  Wille  der 
Regierung.  Man  mußte  einschreiten,  wollte  man  die  Verhältnisse  sich 
nicht  gefährlich  zuspitzen  lassen,  und  in  der  Tat  bedeutet  ein  Weizen- 
preis von  318  Cts.  eine  Gefahr  für  die  Vereinigten  Staaten.  Infolge- 
dessen beschloß  die  Börsenleitung  in  den  Vereinigten  Staaten  am  11.  Mai, 
weitere  Notierungen  für  Mai-Lieferung  einzustellen  und  sich  nur  auf 
die  Juli- Lieferung  zu  beschränken.  Am  11.  Mai  wurde  Weizen  für 
Juli-Lieferung  mit  250  Cts.,  am  12.  Mai  mit  275  Cts.  bezahlt,  und  seit 
jener  Zeit  sehen  wir  unter  Schwankungen  ein  ständiges  Hinabgleiten, 
bis  am  29.  Mai  ein  Preis  von  203  Cts.  erreicht  ist.  Am  31.  Mai 
senkte    sich  der  Preis  auf  194  Cts.,   und  am   1.  Juni  betrug  er  wieder 


40 


Miszellen. 


198  Cts.  Man  kann  also  sagen,  daß  die  Aktion  der  amerikanischen 
Börsenleitung  insofern  von  Erfolg  begleitet  war,  als  vorübergehend  eine 
Senkung  des  Preises  eingetreten  ist.  Freilich  wurde  diese  zum  Teil 
noch  dadurch  gefördert,  daß  sich  die  Ernteaussichten  in  den  Ver- 
einigten Staaten  etwas  gebessert  hatten,  namentlich  schien  es,  als  ob 
für  das  Sommergetreide  eine  größere  Anbaufläche  in  Aussicht  stand, 
wodurch  die  Kalamitäten  in  der  Versorgung  der  Vereinigten  Staaten 
gemildert  werden  konnten. 

Seit  Beginn  des  Erntejahres  (1.  Juli)  hat  die  Nordamerikanische 
Union  bis  zum  1.  April  146  Mill.  Bushel  Weizen  und  Mehl  gegen  187 
resp.  270  Mill.  in  der  gleichen  Zeit  der  beiden  Vorjahre  zur  Ausfuhr 
gebracht.  Interessant  ist  nun,  wie  sich  in  den  einzelnen  Monaten  der 
Export  gestaltet: 


1916/17 

1915/16 

1914/15 

Bush. 

Bush. 

Bush. 

Juli 

10421  000 

II  648919 

30  173  618 

August 

15  215  000 

20  438  628 

27617655 

September 

17  984000 

26  300  789 

31435600 

Oktober 

15723000 

23673225 

25664458 

November 

18  915  000 

19  143  366 

25  896  525 

Dezember 

18  612  000 

20  250  073 

37  117  984 

Januar 

24  004  000 

20  742  000 

32  027  250 

Februar 

13  561  000 

20  992  000 

31428039 

März 

12  416000 

23  964  000 

28  184  560 

Total  9  Monate      146  851  000        187  112  705        269545689 

Aus  diesen  Ziffern  ersieht  man  deutlich  die  Wirkung  des  ver- 
schärften Seekrieges,  denn  seither  sind  die  Exportziffern  nur  noch  halb 
so  groß  wie  im  Januar  1917. 

Große  Hoffnungen  hatte  man  seit  Beginn  des  Erntejahres  auf  die 
südamerikanische  Republik  Argentinien  gesetzt.  Denn  Argentinien 
ist  ein  Land,  das  in  normalen  Zeiten  erhebliche  Mengen  von  Weizen 
zur  Ausfuhr  bringt  und  namentlich  zu  einer  Zeit  Weizen  dem  Welt- 
markt zuführt,  in  der  die  anderen  Produktionsländer  nichts  mehr  ab- 
zugeben haben.  Argentiniens  Ernte  findet  im  Dezember  statt.  Der 
Hauptverschiffungszeitpunkt  ist  Februar/März,  so  daß  die  Ware  in 
der  Hauptsache  April/Mai  in  Europa  eintrifft.  Die  Entwicklung  der 
Verhältnisse  hat  es  mit  sich  gebracht,  daß  die  Erntezahlen  und  damit 
auch  die  Ausfuhrziffern  des  Landes  immer  mehr  zurückgingen.  Im  Juli 
1916  glaubte  man  aus  Argentinien  einen  Ausfuhrüberschuß  von  11  Mill. 
Quarters  erwarten  zu  dürfen.  Ln  November  1916  wurde  die  Ziffer 
bereits  auf  9  Mill.  Quarters  reduziert,  und  im  Januar  1917  betrug  sie 
nur  noch  7  Mill.  Quarters.  Aber  auch  diese  Ziffer  erwies  sich  als 
viel  zu  hoch.  Argentiniens  Ernte  stellte  einen  völligen  Mißertrag  dar, 
so  daß  an  eine  Ausfuhr  kaum  gedacht  werden  konnte.  Im  Dezember 
1916  wurde  der  Ertrag  an  Weizen  auf  9,6  Mill.  Quarters  Weizen  be- 
ziffert gegen  21,5  Mill.  Quarters  im  Vorjahre.  Die  revidierte  Schätzung 
vom  März  wies  nur  eine  Zahl  von  8,7  Mill.  Quarters  auf.  In  Wirk- 
lichkeit   dürfte    der   Ertrag   noch    wesentlich  geringer  ausgefallen  sein; 


Miszellen.  41 

denn  Argentinien  mußte  sich  zu  einem  Verbot  der  Ausfuhr  von  Weizen 
entschließen,  mit  Ausnahme  eines  Quantums  von  ganzen  100  000  t, 
während  in  normalen  Zeiten  Argentinien  eine  Menge  von  5  Mill.  t  ex- 
portiert. Dabei  ist  interessant,  daß  England  infolge  seines  Mangels  an 
Weizen  von  Argentinien  ein  Quantum  von  200000  t  erwarb,  angeblich 
mit  der  Verpflichtung,  diese  Menge  an  Argentinien  noch  im  Laufe  des 
Jahres  zurückzuliefern.  Aber  nicht  nur  bei  Weizen,  sondern  auch  bei 
den  übrigen  Erzeugnissen  blieben  die  Erträge  ganz  erheblich  hinter  dem 
Vorjahre  zurück.  Die  Haferernte  wird  auf  3,3  Mill.  Quarters  gegen 
7,9  Mill.  Quarters  im  Vorjahre  geschätzt.  Ein  geradezu  trostloses  Bild 
zeigt  die  Ernte  in  argentinischem  Mais.  Eine  Schätzung,  die  im  An- 
fang März  veröffentlicht  wurde,  gibt  für  die  Maisernte  folgendes  Bild 
im  Vergleich  mit  den  Vorjahren: 

1917  1916  1915  1914 

6,8  i8,8  39,4  30,5     Mill.  Quarters 

An  eine  auch  nur  einigermaßen  nennenswerte  Ausfuhr  von  Mais  aus 
den  La  Plata-Staaten  ist  unter  diesen  Umständen  nicht  zu  denken. 

üeber  die  Getreideproduktion  in  Rußland  besteht  keine  völlige 
Klarheit.  Denn  schon  in  Friedenszeiten  war  die  Statistik  in  Rußland 
stets  mit  besonderer  Vorsicht  aufzunehmen.  Ganz  besonders  gilt  das 
aber  jetzt  während  des  Krieges,  wo  dieses  Land  tatsächlich  immer 
größere  Erntestatistiken  veröffentlicht,  um  im  Auslande  damit  günstigen 
Eindruck  zu  erwecken.  Die  Entwicklung  der  Verhältnisse  hat  aber  ge- 
zeigt, daß  während  des  Krieges  alle  Schätzungen  ganz  erheblich  über- 
trieben waren,  daß  in  Wirklichkeit  viel  weniger  geerntet  wurde,  als  auf 
dem  Papier  stand.  Die  Schwierigkeiten,  die  sich  hieraus  ergaben,  sind 
denn  auch  im  letzten  halben  Jahr  deutlich  in  die  Erscheinung  getreten; 
denn  die  russische  Revolution  hat  ja  ihren  Ursprung  zu  einem 
großen  Teil  in  den  Ernährungsschwierigkeiten  im  Innern  des  Landes. 
An  anderer  Stelle  wird  gezeigt  werden,  daß  der  Mangel  an  Lebens- 
mitteln nicht  lediglich  die  Folge  des  Verkehrsproblems  ist,  sondern  zu 
einem  großen  Teil  eine  Folge  der  ständig  zurückgehenden  Erträge  und 
des  infolge  des  Krieges  verringerten  Anbaues.  Diese  Verhältnisse  scheinen 
sich  nun  im  dritten  Kriegsjahre  besonders  zugespitzt  zu  haben. 

Infolge  der  Revolution  haben  viele  Bauern  keinen  Frühjahrsanbau 
vorgenommen,  so  daß  für  das  neue  Erntejahr  die  Getreideproduktion 
weiter  erheblich  zurückgehen  wird.  Rußland  ist,  was  seine  Ernährungs- 
verhältnisse anbelangt,  noch  nicht  am  Ende  seiner  Schwierigkeiten  an- 
gekommen. 

In  Rußland  hat  man  den  privaten  Getreidehandel  so  gut  wie  aus- 
geschaltet. Die  Beschaffung  des  Getreides  für  Heer  und  Zivilbevölkerung 
ist  besonderen  Stellen  übertragen,  die  entweder  zum  Höchstpreis  ein- 
kaufen oder  zu  einem  Satz,  der  15  Proz.  unter  dem  Höchstsatze  liegt, 
Getreide  requirieren.  Ebenso  wie  in  anderen  Ländern  hat  man  auch 
in  Rußland  Ausmahlungsvorschriften  beschlossen. 

Die  Provisorische  Regierung  hat  in  Rußland  eine  Reihe  von  Ver- 
ordnungen   zur    Regelung    der    Getreideversorgung    erlassen. 


42  Miszellen. 

Darunter  befindet  sich  eine  Bestimmung  betreffend  die  Uebergabe  des 
Getreides  an  den  Staat,  wonach  die  Abteilung  der  Kornspeicher  der 
Russischen  Staatsbank  und  die  Kornspeicher  der  Eisenbahn  in  ihren  Ge- 
treidegeschäften dem  russischen  Ackerbauministerium  unterstellt  werden. 
In  Durchführung  der  schon  früher  erlassenen  Vorschriften  über  das  Ge- 
treidemonopol hat  die  Provisorische  Regierung  eine  Reihe  von  Höchst- 
preisen festgesetzt,  die  je  nach  Qualität  und  Erzeugungsort  verschieden  sind. 

Der  Entwurf  des  Ackerbauministeriums  bezüglich  des  russischen 
Getreidemonopols  ist  in  der  „Nowoje  Wremja"  vom  21.  März/3.  April 
1917  abgedruckt  worden.     Es  heißt  da  unter  anderem : 

„Das  gesamte  Brotgetreide  und  Futterkorn  der  Ernte  1916/17  ge- 
langt vom  Tage  der  Berechnung  an  zur  Verfügung  des  Staates  und 
kann  nur  mit  Einwilligung  der  staatlichen  Verpflegungsorgane  veräußert 
werden.  Von  der  Enteignung  ist  die  Menge  Getreide  befreit,  die  für 
die  Aussaat,  für  die  Ernährung  des  Erzeugers,  seiner  Familie  und  der 
in  seiner  Wirtschaft  beschäftigten  Personen,  die  von  ihr  Brot  zur  Nahrung 
erhalten,  sowie  das  Getreide,  das  für  den  wirtschaftlichen  Bedarf  not- 
wendig ist. 

Jeder  Besitzer  von  Getreide,  einschließlich  des  Verbrauchers,  ist 
verpflichtet,  auf  die  erste  Aufforderung  des  örtlichen  Verpflegungsorgans 
anzugeben:  a)  die  Menge  und  den  Aufbewahrungsort  der  bei  ihm  vor- 
handenen Getreidevorräte,  b)  die  Zahl  der  Personen,  die  für  Rechnung 
seiner  Wirtschaft  zu  ernähren  sind,  und  c)  die  Menge  des  in  seiner 
Wirtschaft  vorhandenen  Viehs,  sowie  die  Zahl  der  Dessätinen  Land,  die 
zu  seiner  Wirtschaft  gehören.  Der  Zeitpunkt  für  die  Abgabe  solcher 
Erklärungen    wird    von    den  örtlichen  Verpflegungskomitees    festgesetzt. 

Das  gesamte  Getreide,  mit  Ausnahme  des  oben  benannten,  ist  an 
den  festgesetzten  Tagen  an  das  örtliche  Verpflegungsorgan  oder  dessen 
Bevollmächtigten  zu  den  festgesetzten  Preisen  abzugeben.  Im  Falle 
der  Verheimlichung  von  Getreidevorräten  werden  diese  zugunsten  des 
Staates  zum  halben  Preise  enteignet. 

Der  Preis  wird  festgesetzt  frei  Eisenbahnstation  bzw.  frei  Landungs- 
stelle und  wird  dem  Eigentümer  bei  der  Ablieferung  des  Getreides  an 
die  Station  oder  Landungsstelle   ausgezahlt. 

Der  Staat  ist  verpflichtet,  das  gesamte  der  Enteignung  unterliegende 
Getreide  zu  bezahlen.  Die  Bezahlung  wird  durch  eine  besondere  An- 
weisung geregelt. 

Bis  zur  Uebergabe  des  Getreides  ist  sein  Besitzer  verpflichtet,  es 
auf  eigene  Gefahr  aufzubewahren.  Ausnahmen  werden  von  den  örtlichen 
Verpflegungskomitees  zugelassen. 

Die  Verpfändung  des  Getreides  ist  verboten.  Personen  und  An- 
stalten, die  das  Getreide  in  Pfand  genommen  haben,  sowie  Personen 
und  Anstalten,  die  es  vor  der  Veröffentlichung  dieser  Verordnung  aufbe- 
wahren, wie  Banken,  Elevatoren,  Kornspeicher,  Handelsspeicher  u.  dgl.,  sind 
verpflichtet,  die  örtlichen  Verpflegungskomitees  davon  zu  benachrichtigen. 

Bei  Personen,  welche  die  freiwillige  Ablieferung  des  Getreides  ver- 
weigern, wird  eine  Beschlagnahme  nach  den  Bestimmungen  über  Be- 
schlagnahme vorgenommen." 


Miszellen.  43 

Ganz  eigenartig  liegen  die  Verhältnisse  in  Frankreich.  Dort 
hat  sich  der  Anbau  von  Jahr  zu  Jahr  erheblich  verringert,  was  zu 
einem  Teil  mit  dem  riesigen  Etappengebiet  zusammenhängt,  das  ja  für 
die  Produktion  Frankreichs  stets  eine  sehr  große  Rolle  gespielt  hat. 
Aber  auch  in  dem  übrigen  Frankreich  ist  die  Anbaufläche  kleiner  als 
in  den  ersten  Kriegsjahren.  Es  ist  das  darauf  zurückzuführen,  daß  es 
in  Frankreich  an  Arbeitskräften  und  Gespannmaterial,  sowie  an  Dünge- 
mitteln, fehlt.  Aus  demselben  Grunde  kann  auch  der  Boden  nicht  mehr 
so  sorgfältigt  behandelt  und  bearbeitet  werden  wie  in  normalen  Zeiten. 
So  kommt  es,  daß  nicht  nur  die  Anbaufläche  sich  ständig  verringert, 
sondern  auch  der  Ertrag  zurückgeht,  während  gleichzeitig  das  Einfuhr- 
bedürfnis ständig  eine  Erhöhung  erfährt.  Im  Jahre  1917  sind  mit 
Weizen  in  Frankreich  4,27  Mill.  ha  gegen  5,034  Mill.  ha  im  Vorjahre 
angebaut  worden.  Der  Anbau  von  Roggen  stellt  sich  auf  0,82  Mill.  ha 
gegen  0,92  Mill.  ha,  der  von  Hafer  auf  0,65  Mill.  ha  gegen  0,68  Mill. 
Hektar  im  Vorjahre. 

In  Friedenszeiten  führt  Frankreich  in  der  Regel  für  1 — 200  Mill. 
frcs.  Getreide  ein.  Im  Jahre  1916  stellte  sich  der  Import  an  Getreide 
auf  nahezu  1  Milliarde  frcs.  Für  das  laufende  Jahr  dürfte  angesichts 
der  geringen  Herbstaussaat  und  des  Schadens,  den  die  Winterkälte  an- 
gerichtet hat,  die  Einfuhr  sich  erheblich  erhöhen. 

Um  die  Schwierigkeiten  Frankreichs  etwas  zu  mildern,  ist  man 
dazu  übergegangen,  den  Landwirten  eine  Anbauprämie  von  30  frcs.  für 
die  Tonne  Weizen  zu  versprechen.  Diese  Anbauprämie  soll  später  noch 
erhöht  werden,  und  zwar  ist  dabei  ausdrücklich  betont  worden,  daß 
man  nicht  den  Anbau,  sondern  die  Erzeugung  prämiieren  wolle.  Die 
Prämie  wird  nur  bei  Ablieferung  der  mehr  erzeugten  Menge  gewährt. 
Zur  Begründung  der  Anbauprämie  führte  seinerzeit  das  „Journal  offi- 
€iel"  aus: 

„Im  Jahre    1915    betrug   die  Anbaufläche   rund    5  Mill.  Hektar, 
die  60  Mill.  Doppelzentner   erbrachten.      Bei   rationeller  Verwendung 
von  Düngemitteln  kann  der  Ertrag  um  3  Doppelzentner  auf  den  Hektar 
gesteigert  werden,    d.  h.  um  15  Mill.  Doppelzentner  für  das  gesamte 
Gebiet.      Der   normale    Bedarf   Frankreichs   beträgt   für   Ernährungs- 
zwecke 84  Mill.  Doppelzentner,  für  Saatkorn  10  Mill.  Doppelzentner. 
Bei  einer  Steigerung  der  Produktion  um  15  Mill.  Doppelzentner  werden 
600  Mill.  frcs.  in  Gold,  die  man  dem  Auslande  zahlen  muß,  gespart." 
Nach  diesen  Ausführungen  wurde  alsdann  berechnet,  daß  der  französische 
Staat  bei  einer  Ernte  von  75  Mill.  Doppelzentner  eine  Aufwendung  von 
225  Mill.  frcs.    infolge    der  Anbauprämie   zu   leisten   habe,    daß  diesem 
Betrag  aber  eine  Ersparnis  von  375  Mill.  frcs.  durch  Fortfall   der  An- 
käufe im  Auslande  gegenüberstehe. 

Aehnlich  wie  in  England  hat  man  auch  in  Frankreich  einschneidende 
Maßnahmen  ergriffen,  so  z.  B.  teilweise  Beschlagnahme  von  Getreide, 
Festsetzung  von  Höchstpreisen,  Vorschrift  der  Ausmahlung  bis  zu  85  Proz. 
u.  dgl.  Daneben  ist  ein  Einheitsbrot  vorgeschrieben,  das  einen  Zusatz 
von  15  Proz.  Roggen  oder  Mais  enthalten  muß. 


44  Miszellen. 

Der  Höchstpreis  wurde  am  7.  April  1917  aufgehoben,  und  es  wurde 
den  einzelnen  Präfekten  überlassen,  lokale  Höchstpreise  einzuführen. 
Im  Durchschnitt  stellt  sich  der  Weizenpreis  in  Frankreich  auf  400  free, 
pro  Tonne. 

Trotzdem  Frankreich  die  Preisbewegung  begrenzt  hat,  sind  die 
französischen  Sätze  die  höchsten  seit  70  Jahren.  Denn  nach  einer 
Mitteilung  des  „Journal  officiel"  vom  29.  April  stellte  sich  der  Preis 
in  Frankreich,  verglichen  mit  früheren  Jahren,   wie  folgt: 

Weizen     '  Hafer  Gerste  Mais         Eoggen    Buchweizen 


1840 

l8,40 

13,72 

12,71 

13,27 

14,79 

11,68 

1852 

23,28 

13,12 

13,19 

12,84 

15,36 

11,22 

1862 

30,60 

l6,71 

l6,18 

18,21 

l8,96 

14,69 

1882 

27,69 

18,35 

17,27 

18,02 

17,65 

15,87 

1890 

24,98 

19,21 

17,88 

17,82 

17,21 

16,01 

1900 

19.08 

17,66 

16,59 

15,45 

14,42 

17,34 

1905 

22,86 

18,8  2 

17,52 

l8,81 

l6,16 

17,37 

1910 

25,36 

19.20 

17,85 

20,40 

17,83 

19,31 

1911 

25,90 

20,5  6 

19,56 

28,78 

19,32 

20,79 

1912 

27,79 

21,28 

19,65 

24,01 

21,07 

22,44 

Febr.  1917 

33- 

28  —  29 

31  — 

45  — 

31,— 

40,50 

In  Deutschland  werden  während  des  Krieges  weder  amtliche 
Saatenstandsberichte  noch  Erntestatistiken  veröffentlicht.  Daher  hat 
man  kein  klares  Bild  darüber,  wie  sich  die  Situation  gestaltet.  In- 
folge einer  nicht  befriedigenden  Statistik  in  bezug  auf  die  Ablieferung 
von  Brotgetreide  sah  sich  nach  langen  Verhandlungen  die  Keichsregierung 
genötigt,  mit  Beginn  vom  16.  April  1917  ab,  eine  Kürzung  der  Brotrate  um 
25  Proz.  vorzunehmen.  Als  Ausgleich  wurde  eine  vermehrte  Fleisch- 
ration gewährt,  die  zu  ermäßigtem  Preise  an  die  Bevölkerung  abgegeben 
wurde.  Die  Ermäßigung  wurde  durch  Zuschüsse  der  Regierung  er- 
möglicht. Es  handelt  sich  hierbei  um  eine  vorübergehende  Einrichtung, 
und  man  hat  Grund  zu  der  Annahme,  daß  im  neuen  Erntejahre  die 
bisherige  Brotration  wieder  gewährt  werden  kann. 

üeber  die  Ernteaussichten  im  Deutschen  Reiche  läßt  sich  bis 
jetzt  nur  wenig  Gutes  berichten.  Vor  allem  kann  man  sagen,  daß  der 
Winter  den  Feldern  nicht  ungünstig  gewesen  ist.  Während  in  Amerika 
infolge  des  scharfen  Frostes  ein  sehr  erheblicher  Teil  der  Anbaufläche 
als  vernichtet  angesehen  werden  mußte,  dürfte  das  in  Deutschland  nicht 
der  Fall  gewesen  sein.  Die  Auswinterung  hat  sich  bei  uns,  soweit 
man  es  beurteilen  kann,  in  normalen  Grenzen  gehalten;  ernsthafte 
Schäden  sind  nicht  bekannt  geworden.  Dagegen  hört  man  vielfach,  daß 
der  Frost  für  die  Felder  nicht  unvorteilhaft  gewesen  ist;  denn  er  hat 
zunächst  das  Ungeziefer  im  Boden  vernichtet.  Einen  weiteren  Vorteil 
des  Frostes  konstatiert  der  bekannte  Zuckersachverständige  F.  0.  Licht 
in  Magdeburg,  in  der  Zerkleinerung,  Durchlüftung  und  damit  einer 
Steigerung  der  Ertragsfähigkeit  schwerer  Bodenarten.  Diese  Fest- 
stellung wird  von  landwirtschaftlicher  Seite  bestätigt,  und  es  wird  aus- 
drücklich darauf  hingewiesen,  daß  der  Boden  für  die  Frühjahrsaussaat 
gut  vorbereitet  gewesen  ist.  Die  Anbaufläche  dürfte  im  allgemeinen 
der  des  Vorjahres  entsprechen.  Bei  Zuckerrüben  hat  sich  der  dringend 
erwünschte  Mehranbau  nicht  durchführen  lassen. 


Miszellen.  45 

Eecht  interessant  ist  die  Tatsache,  daß  in  Deutschland  die  Getreide- 
preise am  niedrigsten  in  der  ganzen  Welt  sind.  Der  Deutsche  Land- 
wirtschaftsrat hat  nämlich  bei  Beginn  des  verschärften  U-Boot-Krieges 
einmal  gegenübergestellt,  wie  sich  die  Preise  in  den  einzelnen  Ländern 
stellen.     Dabei  ergab  sich  folgendes: 


New  York: 

Hardwinter  Nr.  2,  neuer 

M. 

296,65 

Northern  I  Duluth 

325,95 

Chicago : 

Lieferungsware  Mai 

270,80 

Juli 

227,60 

„              September 

210,40 

Buenos  Aires : 

255,*6 

London : 

Manitoba  Nr.  1 

398,20 

Englischer  Weizen 

339,65 

Paris: 

Ankaufspreis  für  ausländ.  Weizen  ca 

500  — 

Höchstpreis  für  inländ.  Weizen 

267,30 

M             y,         M        Roggen 

244  — 

Eom: 

Ankaufspreis  für  ausländ.  Weizen  ea 

500  — 

Höchstpreis  für  inländ.  Weizen 

291,60 

Bern  (Schweiz) 

:  Ankaufspreis  für  ausländ.  Weizen 

500,— 

Abgabepreis  im  Inlande 

405  — 

Wien: 

Höchstpreis  für  inländ.  Weizen 

315,^0 

Roggen 

290,50 

Budapest : 

Weizen 

315,40 

M              „         M        Roggen 

257,30 

Berlin : 

Weizen 

260,— 

M         M        Roggen 

220,— 

Aus  diesem  Ueberblick  geht  hervor,  daß  der  überseeische  Weizen  am 
teuersten  Frankreich,  Italien  und  der  Schweiz  zu  stehen  kommt,  mit 
ca.  600  Lire  oder  Franks,  das  sind  nach  dem  Friedenskurse  486  M. 
für  die  Tonne,  also  rund  500  M.  Der  niedrigste  Preis  für  inländischen 
Weizen  ist  in  Deutschland  mit  dem  gesetzlichen  Höchstpreis  von  260  M. 
gegenüber  267  M.  in  Frankreich,  292  M.  in  Italien,  290  M.  in  Oester- 
reich  und  315  M.  in  Ungarn.  In  der  Schweiz  zahlt  der  Staat  in  letzter 
Zeit  sogar  für  inländischen  Weizen  500  frcs.  oder  400  M.  für  die  Tonne, 
den  er  durch  Vermittlung  der  landwirtschaftlichen  Genossenschaften  an- 
zukaufen sucht.  Das  schweizerische  Oberkriegskommissariat  gibt  den 
ausländischen  Weizen  für  500  frcs.  für  den  inländischen  Konsum  ab 
und  zahlt  die  Differenz  von  80  —  100  frcs.  aus  der  Staatskasse.  Die 
italienische  Regierung  geht  noch  weiter  und  verkauft  den  ausländischen 
Weizen  für  den  Höchstpreis  des  Inlandsweizens  mit  292  M.,  zahlt  also 
gegen  200  M.  für  die  Tonne  aus  eigener  Tasche,  was  bei  einem  Be- 
darf von  2  Mill.  t  ausländischen  Weizens  400  Mill.  M.  betragen  würde. 
Deutschland  hat  auch  den  niedrigsten  Höchstpreis  für  Roggen  mit  220  M. 
für  die  Tonne  gegenüber  241  M.  in  Oesterreich,  244  M.  in  Frankreich 
und  257  M.  in  Ungarn. 

Zu  den  Ländern,  die  unter  den  Schwierigkeiten  auf  dem  Welt- 
markt besonders  zu  leiden  haben,  gehört  die  Schweiz.  Dieses  Land 
muß  in  großem  Umfange  ausländisches  Getreide  importieren  und  hier- 
für sehr  hohe  Weltmarktpreise  anlegen.  Die  Sätze,  die  der  Schweizer 
Bundesrat  bezahlt,  erreichen  oft  die  Höhe  von  600  frcs.  für  die  Tonne. 


46  Miszellen. 

Trotzdem  war  es  dem  Bundesrat  möglich,  teilweise  unter  dem  Ein- 
kaufspreis abzugeben,  so  daß  die  Bevölkerung  in  der  Schweiz  nicht  die 
vollen  Sätze  zu  zahlen  hatte,  die  im  Auslande  angelegt  wurden.  Die 
Einführung  einer  Brotkarte  hat  sich  aber  bisher  in  der  Schweiz  als 
nicht  erforderlich  erwiesen.  Im  Gegensatz  hierzu  hat  Holland  schon 
seit  längerer  Zeit  eine  Brotkarte  eingeführt,  wobei  das  Quantum  auf 
400  g  pro  Kopf  und  Tag  festgesetzt  worden  ist.  Da  aber  in  Holland 
die  Vorräte  immer  kleiner  werden,  hat  man  eine  starke  Herabsetzung 
der  Tagesration  erwogen. 

In  Italien  hat  man,  ebenso  wie  in  Frankreich,  mit  einem  be- 
trächtlichen Defizit  in  der  Versorgung  zu  rechnen.  Das  Land  ist  zu 
einem  großen  Teil  auf  die  Zufuhr  aus  Uebersee  angewiesen.  Ange- 
sichts der  Schwierigkeiten  des  Bezuges  hat  die  italienische  Regierung 
einschneidende  Maßregeln  getroffen.  Insbesondere  besitzt  sie  ein  Im- 
portmonopol. Für  den  inländischen  Absatz  bestehen  Höchstpreise, 
wobei  für  inländisches  Getreide  noch  eine  Anbauprämie  in  Betracht 
kommt. 

Eine  recht  lehrreiche  Darstellung  der  Lage  gibt  das  Internationale 
Landwirtschafts-Institut  in  Rom,  das  auch  während  des  Krieges  weiter- 
arbeitet, ohne  freilich  über  die  Statistik  der  Zentralmächte  zu  ver- 
fügen. Dieses  Institut  befaßte  sich  in  einem  Bericht  mit  der  Frage, 
ob  die  letzte  Welternte  zur  Deckung  des  Bedarfes  ausreicht.  Nach 
einigen  statistischen  Angaben,  über  deren  Wert  man  freilich  im  Zweifel 
sein  kann,  kommt  das  Institut  zu  folgendem  Ergebnis  bezüglich  des 
Weizens: 

„Es  wäre  unnütz,  sich  verhehlen  zu  wollen,  daß  die  Weizenernte 
von  1916  und  1916—17  gegenüber  der  Ernte  1915  und  1915-16,  frei 
herausgesagt,  schlecht  war.  Tatsächlich  weist  sie  dieser  gegenüber 
einen  Fehlbetrag  von  mehr  als  Y*  ^^^-  Gegen  die  fünfjährige  Durch- 
schnittsernte 1911  bis  1915  und  1911—12  bis  1915—16  ist  sie  gleich- 
falls schlecht;  denn  sie  bleibt  hinter  diesem  Durchschnitt  um  V4  zurück. 
Glücklicherweise  ist  von  der  letzten  Handelskampagne  ein  beträcht- 
licher üeberrest  vorhanden.  Wird  der  genügen,  um  den  Fehlbetrag 
auszufüllen?  Diese  Frage  könnte  bejaht  werden,  wenn  der  Handel 
Rumäniens  und  Rußlands  nicht  gehemmt  wäre.  Da  man  ja  aber 
von  der  Ergänzung  dieser  beiden  Länder  absieht,  wird  die  Lage  er- 
schwert, und  auf  die  eigenen  Hilfsmittel  angewiesen,  findet  sich  die 
nördliche  Erdhälfte  mit  37  Mill.  dz  im  Fehlbetrag,  zu  denen 
noch  die  26  Mill.  dz  hinzukommen,  die  gewöhnlich  hauptsächlich  aus 
den  tropischen  Ländern  ausgeführt  werden.  Um  diesen  Fehlbetrag 
von  63  Mill.  dz  der  nördlichen  Erdhälfte  auszufüllen,  finden  wir  nur 
50  Mill.  dz  in  der  südlichen  Erdhälfte." 

Nach  einer  Uebersicht  über  die  Ernten  in  Roggen,  Gerste, 
Hafer  und  Mais  wird  festgestellt,  daß  die  gesamte  Welternte  um 
Ye  hinter  dem  Durchschnitt  früherer  Jahre  zurückbleibt.  Alsdann 
heißt  es: 

„Die  Verbesserung,  die  die  verhältnismäßig  minder  schlechte 
Weizen-   und   Roggenernte   Rumäniens    und    Rußlands     bewirkt,    macht 


Miszellen.  47 

den  Fehlbetrag  der  Länder,  deren  Handel  frei  geblieben  ist,  noch 
ausgesprochener,  da  man  ja  von  der  Ernte  dieser  beiden  Länder 
absehen  muß.  Wenn  wir  also  die  Gesamtsumme  der  fünf  Getreidearten 
feststellen,  konstatieren  wir  einen  Fehlbetrag  von  36  Mill.  dz,  vermehrt 
um  den  durchschnittlichen  Einfuhrbedarf  der  tropischen  Länder.  Der 
Ernst  der  Lage  erscheint  noch  deutlicher,  wenn  man  sich 
erinnert,  daß  man  den  üeberrest  von  218  Mill.  dz  aller  Getreidearten, 
der  aus  der  vortrefflichen  Ernte  1915  gelassen  war,  verbraucht 
hat.  Es  ist  demnach  durchaus  nicht  staunenswert,  daß  die  Regierungen 
energische    Maßnahmen   zur    Verbrauchs  Verminderung   ergriffen   haben." 

In  Wirklichkeit  sind  die  Schwierigkeiten  der  Versorgung  der  Ein- 
fuhrländer wesentlich  größer,  als  sich  aus  den  nackten  Zahlen  ersehea 
läßt;  denn  zwischen  den  Vorräten  in  üebersee  und  dem  Bedarf  West- 
europas liegt,  wie  erwähnt,  das  Verkehrsproblem,  dessen  Lösung  die 
Voraussetzung  der  Versorgung  Europas  ist,  ein  Problem,  dessen  Be- 
wältigung durch  den  verschärften  Seekrieg  ständig  mehr  erschwert  wird. 

Interessant  ist  die  Organisation  der  Lebensmittelversorgung  in  der 
Türkei.  Auf  Grund  einer  Unterredung  mit  dem  Generaldirektor  des 
türkischen  Ernährungsamtes ,  Kaiserlich  deutschem  Konsul  Hugo 
Meyer,  habe  ich  in  der  Handelszeitung  des  „Berliner  Tageblatt",  Nr. 
216  vom  29.  April  1917  unter  anderem  folgende  Angaben  gemacht: 

„In  Friedenszeiten  bezieht  die  Türkei  regelmäßig  große  Mengen, 
von  Mehl  aus  dem  Auslande.  Die  Türkei  ist  zwar  ein  Agrarstaat,  der 
unter  Umständen  selbst  genügend  Getreide  hervorzubringen  imstande 
wäre,  infolge  der  Kapitulationen  war  aber  die  türkische  Regierung  nicht 
in  der  Lage,  ihrer  Mühlenindustrie  ausreichenden  Zollschutz  zu  ge- 
währen, der  im  Hinblick  auf  die  ungünstigeren  Produktionsbedingungen 
notwendig  gewesen  wäre.  Infolgedessen  ist  die  Mühlenindustrie  in  der 
Türkei  verkümmert,  die  Betriebe  standen  oft  ein  halbes  Jahr  lang  aus 
Mangel  an  Rohmaterialien  völlig  still.  Während  auf  der  einen  Seite 
Anatolien  und  Syrien  beträchtliche  Mengen  von  Getreide  ausführten, 
bezog  Konstantinopel  ständig  Mehl  aus  Triest,  Genua,  Marseille,  ja 
sogar  aus  Hamburg.  Unterstützt  wurden  die  Mehlexporte  nach  der 
Türkei  durch  die  billigen  Frachtsätze,  die  nach  Konstantinopel  bezahlt 
wurden;  denn  zahlreiche  Dampferlinien,  die  regelmäßig  im  Schwarzen. 
Meer  Getreide  einluden,  waren  froh,  auf  der  Hinreise  Fracht  zu  er- 
halten. So  kam  es,  daß  man  von  Hamburg  bis  Konstantinopel  oft  nur 
6  M.  Fracht  für  die  Tonne  Mehl  zu  zahlen  hattte.  Nur  so  ist  es  zu. 
erklären,  daß  der  russische  Weizen  aus  Odessa  an  Konstantinopel  vor- 
über gefahren  wurde  bis  nach  Hamburg  und  dann  auf  demselben  Wege 
als  Mehl  nach  Konstantinopel  zurückgelangte;  ein  in  der  Tat  unge- 
sundes Verhältnis.  Vor  dem  Kriege  war  aber  die  Türkei  an  der  Er- 
richtung einer  eigenen  Mühlenindustrie,  wie  schon  erwähnt,  durch  dia 
Kapitulationen  verhindert,  auch  fehlte  es  an  Transportwegen  im  Innern 
von  Kleinasien,  um  die  ganze  Produktion  nach  Abzug  des  heimischen 
Bedarfes  nach  Könstantinopel  oder  anderen  größeren  Plätzen  zu  bringen. 
Seit  Beginn  des  Weltkrieges  haben  sich  nun  die  Verhältnisse  in  der 
Türkei  zugespitzt.     Durch  den  Eintritt  in  den  Krieg  hörten  sowohl  die 


48  Miszellen. 

Zufuhren  aus  Odessa  als  auch  aus  dem  Mittelländischen  Meere  auf. 
Infolgedessen  war  die  Türkei  auf  das  angewiesen,  was  Rumänien  und 
Bulgarien,  sowie  die  Zentralmächte  zu  überlassen  imstande  waren.  Die 
Lage  wurde  aber  direkt  kritisch,  als  Rumänien  in  den  Krieg  eintrat, 
und  damit  eine  weitere  Bezugsquelle  zunächst  einmal  verstopft  war. 
In  diesem  Augenblicke  wurde  nach  dem  Muster  der  Reichsgetreidestelle 
das  „Kaiserlich  Osmanische  Ernähr ungsamt"  errichtet.  Am  Tage  der 
rumänischen  Kriegserklärung  traf  Konsul  Meyer,  nachdem  er  schon 
vorher  die  Grundlagen  für  die  Organisationen  geschaffen  hatte,  in  Kon- 
stantinopel ein,  wenige  Stunden  später  war  ein  Gesetz  veröffentlicht, 
das  alle  Getreidebestände  des  Osmanischen  Reiches  beschlagnahmte. 
Diese  für  orientalische  Verhältnisse  ungewöhnlich  rasche  Durchführung 
war  nur  möglich  gewesen  dank  dem  energischen  Eingreifen  Talaat 
Paschas,  des  jetzigen  Großwesirs.  Talaat  erkannte  mit  der  ihm 
eigenen  Klarheit  die  schwierige  Lage  und  die  Notwendigkeit  der 
schnellen  Abhilfe.  Infolgedessen  ließ  er  sich  —  auch  ein  Zeichen  der 
Zeit  —  telefonisch  die  Zustimmung  seiner  türkischen  Minister- 
kollegen zu  dem  Beschlagnahmegesetz  geben! 

Hiermit  war  erst  der  Grund  gelegt,  es  hieß  alsdann  langsam  weiter- 
bauen. Um  die  ungeheuren  Schwierigkeiten,  die  sich  der  Durchführung 
entgegenstellten,  auch  nur  einigermaßen  zu  ermessen,  muß  man  sich  dar- 
über im  klaren  sein,  wie  gewaltige  Strecken  Landes  in  Kleinasien  für 
die  Beschlagnahme  in  Betracht  kommen,  und  wie  zerstreut  die  Pro- 
duzenten wohnen.  Der  weitaus  größte  Teil  mußte  unter  Zuhilfenahme 
tierischer  Kraft  über  Berge  hinweg  durch  Täler  und  Schluchten  zur 
Anatolischen  Eisenbahn  und  anderen  Ablieferungsstationen  gebracht 
werden.  Wenn  man  bedenkt,  daß  auf  weite  Strecken  der  Transport 
nicht  etwa  mit  Wagen  oder  Karren,  sondern  nur  auf  dem  Rücken  von 
Eseln  bewirkt  werden  konnte,  so  kann  man  sich  ungefähr  ein  Bild  von 
den  im  Vergleich  mit  Deutschland  ganz  anders  gearteten  orientalischen 
Verhältnissen  machen.  Um  die  Ladung  eines  einzigen  15  Tonnen- Wagens 
Getreide  zu  transportieren,  waren  300  Esel  notwendig !  Durch  derartige 
Karawanen  verteuerte  sich  das  Getreide,  das  am  Produktionsorte  bereits 
einen  Höchstpreis  von  rund  400  M.  für  die  Tonne  erzielte,  ganz  er- 
heblich. In  Konstantinopel  mußte  für  den  beschlagnahmten  Weizen 
ein  Preis  von  600  M.  bezahlt  werden.  Das  ist  beinahe  so  viel,  wie 
gegenwärtig  auf  dem  Weltmarkt  der  Weizen  kostet.  Bezahlt  doch  die 
Schweiz  zurzeit  über  530  M.  für  die  Tonne  für  den  Ankauf  des  ameri- 
kanischen Weizens.  Verglichen  mit  dem  deutschen  Höchstpreis  von 
260  M.,  stellt  sich  allerdings  der  türkische  Preis  hoch. 

Trotzdem  ist  es  dem  türkischen  Ernährungsamt  gelungen,  die  Be- 
völkerung relativ  billig  zu  ernähren.  Nach  deutschem  Muster  hat  man 
in  Konstantinopel  und  anderen  türkischen  Großstädten  die  Brotkarte 
eingeführt.  Jeder  Einwohner  erhält  zu  Beginn  der  Woche  ein  Heftchen, 
das  ihn  zum  Ankauf  von  Brot  berechtigt,  das  aus  94  Proz.  Weizenmehl 
hergestellt  ist.  Der  Verkaufspreis  für  dieses  Brot  ist  40  Pfg.  für  das 
Kilo,  also  etwas  weniger,  als  zurzeit  Brot  in  Deutschland  kostet.  Er- 
möglicht wird  die  billige  Abgabe  des  aus  teuerem  Weizen  hergestellten 


Mis  Zellen.  ^9 

Brotes  dadurch,  daß  das  türkische  Ernährungsamt  täglich  20  t  Weizen 
vermählen  läßt,  aus  dem  ein  besonderes  „Weißbrot"  hergestellt  wird. 
Dieses  wird  zur  brotmarkenfreien  Abgabe  an  Hospitäler,  Hotels  u.  dgl. 
abgegeben,  und  zwar  zu  dem  achtfachen  Preise  des  gewöhnlichen 
Brotes.  Das  Kilogramm  kostet  also  3,20  M.  An  diesem  Brote  erzielt 
das  türkische  Ernährungsamt  einen  derartigen  üeberschuß,  daß  es  in 
den  Stand  gesetzt  wird,  das  andere  Brot  für  die  Bevölkerung  zum  mäßigen 
Preise  abzugeben. 

Dank  der  nach  deutschem  Muster  geschaffenen  Einrichtung,  die 
durch  Talaat  Pascha  ständig  wirksam  unterstützt  wurde,  ist  es  möglich 
gewesen,  auf  jede  Einfuhr  so  gut  wie  ganz  zu  verzichten  und  —  ein 
in  der,  türkischen  Geschichte  des  letzten  Jahrzehnts  wohl  kaum  dage- 
wesener Fall  —  die  Türken  aus  ihrer  eigenen  landwirtschaftlichen  Er- 
zeugung zu  ernähren.  Damit  ist  der  Beweis  erbracht,  daß  die  Türkei 
ebensowenig  auszuhungern  ist  wie  Deutschland  oder  Oesterreich-Üngarn. 

Die  Bezahlung  des  Getreides  erfolgt  derart,  daß  die  Dette  Pub- 
lique Ottomane  von  Deutschland  Schatzanweisungen  erhält,  und  gegen 
diese  Schatzanweisungen  Noten  ausgibt,  die  den  Besitzern  des  Getreides 
als  Zahlungsmittel  gegeben  werden." 

Für  das  neue  Erntejahr  sind  gewisse  Reformen  geplant.  Man  will 
namentlich  die  Steuereinnehmer  auf  dem  Lande  mit  der  Beschaffung 
des  erforderlichen  Getreides  betrauen,  wodurch  die  Organisation  eine 
Vereinfachung  und  zugleich  eine  Erleichterung  erfährt.  Alles  in  allem 
wird  man  aber  an  den  bisherigen  Grundsätzen  festhalten,  die  sich  durch- 
aus bewährt  haben,  und  die  den  Türken  einen  Einblick  in  Deutschlands 
Organisationstalent  mit  seinen  Erfolgen  gegeben  haben.  (gTcI) 


Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54). 


50  Miszellen. 


II. 

Die  Zinkindustrie  der  Vereinigten  Staaten  im  Kriege, 

Von  Dr.  Ernst  Schnitze. 

Der  Weltkrieg  hat  in  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  aller  weißen 
und  der  meisten  farbigen  Völker  mit  starker  Faust  eingegriffen.  Die 
Vereinigten  Staaten  wurden  davon  besonders  merkwürdig  berührt: 
während  des  ersten  Jahres,  zumal  während  der  ersten  Monate,  litten 
sie  nicht  unerheblich;  dann  kehrte  das  wirtschaftliche  Wohlbefinden 
wieder,  und  schnell  stieg  man  zu  Eekordziffern  empor,  weil  durch 
die  ungeheuren  Kriegslieferungen  der  Fabriken  des  Ostens  fabelhafte 
Gewinne  gemacht  wurden.  Allein  dieser  Aufschwung  kam  durchaus 
nicht  sämtlichen  Gebieten  des.  nordamerikanischen  Wirtschaftslebens 
zugute:  länger  als  ein  Jahi*  hindurch  beschränkte  er  sich  im  wesent- 
lichen auf  einzelne  Wirtschaftszweige. 

Unter  diesen  steht  vielleicht  an  erster  Stelle  der  Metall-Berg" 
bau.  In  der  Tat  haben  die  Vereinigten  Staaten  —  was  in  Europa 
unter  der  beständigen  Erregung  der  Kriegsnachrichten  nicht  genügend 
beachtet  wurde,  noch  niemals  in  ihrer  ganzen  Geschichte  einen 
derartigen  Preisaufstieg  der  Erträgnisse  ihres  Metall-Berg- 
baus erlebt  wie  jetzt.  Das  will  etwas  heißen:  denn  sowohl 
die  Entdeckung  des  Goldes  in  Kalifornien,  der  die  „Tage  von  1849" 
folgten,  wie  die  Entdeckung  des  Goldes  in  Alaska  und  andere,  kleinere 
Booms  stellen  an  sich  in  der  Wirtschaftsgeschichte  schon  außergewöhn- 
liche Erscheinungen  dar.  Gegenüber  dem  Rekord  des  Metall-Berg- 
baus 1915  und  1916  aber  schrumpften  diese  Erscheinungen  zu  wahr- 
haften  Zwerglein  zusammen. 

Der  neue  Boom  ist  jetzt  vorbei.  In  seinen  Wirkungen  jedoch 
ist  er  weithin  spürbar.  Vor  allem  wäre  ohne  ihn  nicht  möglich  ge- 
wesen, daß  die  Fabriken  von  Kiriegsgerät  aller  Art  in  der  Union  die 
gewaltigen  Mengen  Zink  und  Blei,  Kupfer,  Quecksilber  und  Wolframit 
erhielten,  die  sie  brauchten.  Die  amerikanischen  Bergwerke  wurden 
durch  die  fabelhaften  Preise,  die  sie  für  ihre  Ausbeute  erzielten,  zu  einer 
fieberhaften,    beispiellosen   Tätigkeit   angestachelt. 


Der  Aufschwung  begann  auf  dem  Zinkmarkt.  Unmittelbar  vor 
dem  Kriege  hatte  dieser  so  darniedergelegen,  wie  seit  der  letzten  großen 
Wirtschaftskrisis  nicht.  Im  Juli  1914  stellte  sich  der  Preis  für  die  Tonne 
unreinen  Zinks  (Spelter)  auf  4,75  Cents;  seit  1908  war  ein  so 
niedriger  Preis  nicht  verzeichnet;  die  Besitzer  der  amerikanischen  Zink- 
bergwerke hatten  schon  immer  nach  einem  Zollschutz  gerufen,  um  sie 
gegen  den  verderbenbringenden  ausländischen  Wettbewerb  zu  schützen, 
obwohl    die    Vereinigten    Staaten    unter    den    zinkerzeugenden    Ländern 


Miszellen.  51 

seit  mehreren  Jahren  an  der  Spitze  standen.  Selbst  1908  blieb  die 
Union  als  zinkerzeugendes  Land  mit  183  040  t  hinter  Deutschland,  das 
es  auf  213  460  t  brachte,  nur  wenig  zurück,  um  es  schon  im  nächsten 
Jahre   zu   überflügeln. 

Die  Zinkerzförderung  der  Welt  schätzte  man  1907  auf 
2  561000  t  im  Werte  von  176000000  M.  Davchi  entfiel  auf  Europa 
ungefähr  die  Hälfte,  und  davon  wiederum  die  Hälfte  (698  400  t)  auf 
das  Deutsche  Reich,  während  von  der  auf  die  übrigen  Weltteile  ent- 
fallenden zweiten  Gesamthälfte  wiederum  die  Hälfte  (819100  t)  auf 
die  Vereinigten  Staaten  zu  technen  war.  Von  der  deutschen  Zinkerz- 
förderimg kamen  beinahe  Vi  auf  Oberschlesien,  der  Eest  auf  Rheinland- 
Westfalen.  1905  war  das  letzte  Jahr,  da  Deutschland  (mit  einer  Zinkerz- 
förderung von  731  300  t)  an  erster  Stelle  unter  allen  Zinkerz  gewinnen- 
den Ländern  stand,  während  die  Vereinigten  Staaten  damals  erst 
721 800  t  /förderten  —  während  schon  im  nächsten  Jahre  Deutschland 
mit  704  600  t  der  nordamerikanischen  Union  (mit  821200  t)  unterlag. 

Die  Zinkerzgewinnung  betrag  in^): 
1907  1908  1909  1910  1911  1912 


Deutsches  Reich 

698  400 

706  400 

723  600 

718300 

700000 

643  600 

Oesterreich 

32000 

31300 

34000 

346CO 

32200 

34700 

Italien 

ibo  500 

152300 

130  900 

146  300 

139  700 

149800 

Spanien 

191  900 

156  200 

163  500 

156  100 

162  100 

— 

Frankreich 

44000 

52600 

96900 

50600 

43800 

— 

Belgien 

3500 

2  100 

I  200 

I  400 

800 

I  200 

Schweden 

50900 

40  100 

43800 

49500 

51  200 

50  100 

Norwegen 

400 

2400 

I  000 

2  200 

2  200 

— 

Großbritannien 

20400 

15500 

10  100 

II  500 

17900 

18000 

Griechenland 

30300 

52800 

71  800 

66  000 

37600 

— 

Vereinigte  Staaten  von 

Amerika 

819  100 

760  600 

932  600 

516  700 

607  200 

730  400 

Algier 

71  000 

94400 

81  900 

94400 

80400 

100  000 

Tunis 

22  800 

26  500 

24500 

32500 

27900 

— 

Unter  den  zinkerzgewinnenden  Ländern  befinden  sich  jedoch  viele, 
die  sich  mit  dem  Abbau  begnügen,  während  sie  die  Verhüttung 
zwecks  Darstellung  reinen  Zinks  anderen  Ländern  überlassen.  So  gilt 
dies  von  Algerien,  von  Tunis,  der  Türkei,  Griechenland,  Japan,  Mexiko 
und  Kanada.  Alle  diese  Ländeo-  und  einige  Teilgebiete  anderer  (bei- 
spielsweise Sardinien)  führen  Zinkerz  nur  aus.  Auch  Spanien,  das 
früher  wenigstens  eine  Zinkhütte  besaß,  hat  diese  eingehen  lassen  und 
sendet  alles  Zinkerz  ins  Ausland.  Aehnlich  lagen  die  Dinge  für 
Australien,  das  jährlich  nur  wenige  tausend  Tonnen  reinen  Zinks  ver- 
hüttete, während  es  etwa  500000  t  Zinkerz  von  großem  Metall- 
gehalt in  seinen  Broken  Hill-Gruben  gewann.  Aus  Oesterreich- Ungarn 
pflegten  etwa  Vs  der  Zinkerzgewinnung  ausgeführt,  das  letzte  Drittel 
in  eigenen  Hüttenbetrieben  geschmolzen  zu  werden.  Dagegen  verhüttete 
Rußland,  dessen  Zinkgewinnung  freilich  imerheblich  war,  die  ge- 
wonnenen Erze  zum  größten  Teile  selbst.  Schweden  imd  Norwegen 
verarbeiteten  einen  Teil  ihrer  Zinkerze  auf  elektrolytischem  Wege  unter 

1)  Statistisches  Jahrbuch  für  das  Deutsche  Reich,  Internationale  Uebersichten, 
63.  Jahrg.,  Berlin  (Puttkammer  &  Mühlbrecht)  1915,  S.  35. 

4* 


52 


Mis  Zellen. 


Benutzung  der  reichen  Wasserkräfte  ihres  Landes,  so  daß  sie  jährlich 
mehrere  tausend  Tonnen  Rohzink  gewannen;  jedoch  führten  auch  sie 
den  größten  Teil  der  gewonnenen  Erze  aus. 

Die  Lage  stellte  sich  mithin  so  dar,  daß  die  hauptsächlichsten 
Zinkverhüttungsländer  (Deutschland,  Belgien,  Holland,  Frank- 
reich und  England)  in  Europa  in  der  Lage  waren,  außer  den  im 
eigenen  Boden  abgebauten  Zinkerzen  auch  solche  zu  ver- 
hütten, die  ihnen  aus  dem  Aus  lande  zugeführt  wurden.  Wichtig 
war  dafür  die  Besitzfrage:  das  belgische  und  französische  Ausland- 
kapital kaufte  vielfach  spanische,  italienische,  algerische,  tunesische 
und  andere  Zinkerzgruben  an,  um  der  ungestörten  Erzzufuhr  sicher 
zu  sein.  Dagegen  hatten  die  Vereinigten  Staaten  dies  nicht  nötig,  da  sie 
über  genügende  eigene  Zinkerzlagerhütten  verfügen. 

Die  Hüttengewinnung  von  Rohzink  betrug  in  den  wich- 
tigsten Ländern,  die  hier  sogleich  nach  der  politischen  Zerklüftung 
des    Weltkrieges    getrennt   seien  ^): 

1909  1910  1911  1912  1913  1914  1915 


1911  1912  1913 

Metrische  Tonnen 


A.  Mittelmächte: 

Deutschland  220  lOO     227  700 

Oesterreich-Üngarn     12600       13300 


250  400 
16900 


271  100 
19600 


283  100 
21  700 


Zusammen  232  700 
B.  Zehnverband: 
Großbritannien           59  400 
Frankreich                   50  000 
Italien                              — 
Rußland                         7  900 
Australien                       — 

241 000 

63  100 
52600 

8600 
500 

267  300 

67000 
57  100 

9900 
I  700 

290  700 

57000 
64  300 

8800 
2  300 

304  800 

59100 
64  100 

7  600 
3700 

? 

75000 
55000 

4000 

So  000 
33000 

? 
4500 

Zusammen  117300 
C.  Neutrale  Länder: 
Belgien                       167  100 
Holland                        19  600 
Spanien                          6  100 
Norwegen                       — 

124  800 

1 72  600 

21000 

6500 

135  700 

195  100 

22  700 

7  100 

6  700 

132600 

200  200 

23900 

7900 

8  100 

135  500 

197700 

24300 

6900 

9300 

134  000 

15000 
3300 

in  500 

14000 

4600 

Zusammen  192  800 

D.  Vereinigte  Staaten: 

Vereinigte  Staaten   240  400 

210100 
250600 

231600 
267500 

240 100 
314500 

238  200 
320300 

18300 
335900 

18  600 
460000 

Gesamterzeugung  783  200    816500    902100    977  900    997  800  ?  ? 

Ln  Zinkverbrauch  standen  mithin  in  den  letzten  Jahren  zwar 
nicht  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung,  wohl  aber  in  absoluten  Ziffern 
die  Vereinigten  Staaten  an  der  Spitze,  auf  die  Deutschland  und  alsdann 
England  folgten.  Für  die  Steigej-ung  der  Ausfuhrmöglichkeit  aus  der 
Union  schien  es  günstig,  daß  die  Rohzink-Verbrauchsziffern  erst  in  den 
letzten  Jahren  so  hoch  gestiegen  wairen:  noch  1906  hatte  der  Ver- 
brauch  nuj   200000  t  betragen,    1900   sogar   erst    100000  t,  während 


1)  Die  Zahlen,  die  ich  dem  Wirtschaftlichen  Nachrichtendienst  (Juni  1916)  ent- 
nehme, stimmen  nicht  ganz  mit  denen  des  Statistischen  Jahrbuchs  für  das  Deutsche 
Reich,  Internationale  Uebersichten,  36.  Jahrg.,  Berlin  (Puttkammer  &  Mühlbrecht)  1915, 
überein,  doch  sind  die  Abweichungen  unerheblich. 


Mi  szellen. 


53 


er  nun,  unmittelbar  vor  dem  Kriege,  auf  313  000  t  jährlich 
stand.  Der  englische  Eohzinkverbrauch  war  erst  1899  von  den  Ver- 
einigten Staaten  überflügelt  worden  und  wuchs  dann  erheblich  langsamer. 
Hinter  dem  deutschen  Verbrauch  blieb  er,  wenn  sich  auch  der  Abstand 
etwas  verringerte,  um  jährlich  30000 — 40000  t  zurück. 

In  der  Zinkgewinnung  standen  mithin  die  Vereinigten  Staa- 
ten und  Deutschland  an  der  Spitze.  Sie  weehselten  wiederholt 
den  Platz,  so  daß  beispielsweise  Deutschland  1911  die  Spitze  bildete, 
die  Vereinigten  Staaten  1912.  Einen  beträchtlichen  Anteil  an  der 
Zinkgewinnung  der  Welt  haben  ferner  Belgien,  England,  Spanien, 
Italien  und  Algerien,  doch  stehen  sie  hinteo?  Deutschland  und  der  Nord- 
amerikanischen Union  zurück. 

Füi"  die  Zinkversorgung  der  Welt  spielten  die  Vereinigten 
Staaten  vor  dem  Kriege  trotzdem  noch  keine  entscheidende  Rolle: 
noch  im  Jahre  1913  lieferte  Europa  mit  674000  t  mehr  als  Vs  der 
Welterzeugung.  Für  den  Verbrauch  lagen  die  Dinge  so,  daß  sowohl 
die  Vereinigten  Staaten  nur  kleine  Teile  der  von  ihnen  erzeug?ten 
Mengen  ausführten,  Deutschland  schon  mehr,  während  Belgien  voa 
seiner  recht  bedeutenden  Erzeugung  und  Holland  von  seiner  allerdings 
sehr  viel  geringeren  Produktion  große  Mengen  an  die  europäischen 
Verbrauchstaaten   ausführten. 

Am  meisten  bedurften  der  Zinkeinfuhr  Großbritannien, 
Oesterreich-Ungarn  und  Italien.  Großbritannien  führte  1913  die  be- 
trächtliche Menge  von  147  000  t  ein,  verbrauchte  insgesamt  194000  t 
und  stand  damit  nur  um  37  000  t  hinter  dem  Verbrauch  des  Deutschen 
Reiches  zurück.  Die  Zahlen  lauten  für  die  beiden  Jahre  vor  dem  Kriege  i): 


Kohzink- 

1 

[Jeberschuß  der 

Erzeugung  über  den 

Erzeugung 

Verbrauch 

Verbrauch 

1912 

1913 

1912 

1913 

1912 

1913 

Deutschland 

271  064 

283113 

225800 

232000 

+ 

45264 

+ 

51  "3 

Hiervon  ßheinl.-Westfal. 

86619 

92852 

, 

. 

Schlesien 

169  088 

170  119 

. 

, 

, 

Belgien 

200  198 

197  703 

77200 

76400 

+ 

122998 

+ 

121  303 

Holland  (geschätzt) 

23932 

24323 

4000 

4000 

+ 

19932 

+ 

20323 

Großbritannien 

57231 

59146 

185  200 

194600 

127969 

135454 

Frankreich 

1  .      A 

f  82000 

81  000 

}- 

Spanien 

1  72161 

71023 

< 

\     4700 

5900 

14539 

— 

15877 

Oesterreich-Ungarn 
Italien 

1  19604 

21707 

j  46800 
(  10700 

40400 
10900 

I: 

37896 

— 

29593 

Rußland 

8763 

7610 

27900 

33300 

19537 
8  {28 

— 

25690 

Norwegen 

8128 

9287 

+ 

+ 

9287 

Uebrige  Länder   (geschätzt) 

— 

— 

19700 

20900 

— 

19700 

— 

20900 

Europa 

661  081 

673912 

684000 

699400 

— 

22919 

— 

25488 

Vereinigte      Staaten      von 

Amerika 

314512 

320  283 

312900 

313300 

+ 

1612 

+ 

6983 

Australien 

2  296 

3724 

+ 

2  296 

+ 

3724 

Erde 

977  889 

997919 

996900 

I  012  700 

— 

19011 

— 

14781 

1)  WeltwirtschafÜiches  Archiv,  Bd.  7,  Heft  2,  S.  323,  Tabelle  50,  Rohzink. 


54 


Miszellen. 


Länder 

Einfuhr 

Aosfahr 

Mehrausfuhr  ( — ) 
Mehreinfuhr  (-H) 

1912 

1913 

1912 

1913 

1912 

L  1913 

Deutschland 

Hiervon  Rheinl.-Weatfal. 
Schlesien 
Belgien 

HoUand  (geschätzt) 
Großbritannien^ 
Frankreich 
Spanien 

Oesterreich-Ungarn 
Italien 
Rußland 
Norwegen 
üebrige  Länder 

54838 

16600 

139500 
}  38  893 

}  49513 
19  100 

55964 

20300 

147  300 
35172 

44289 
25700 

100  234 

139600 
19900 
11514 
24277 

II  578 

105  107 

141  600 
20300 
11818 

19335 
14740 

—  45369 

—  123000 

—  19900 
-f  127986 

+    14  616 

+    37  935 

-f    19  100 

—  49143 

—  121  300 

—  20300 
+  135482 

+    15837 
+    29549 
+    25700 

Europa 

Vereinigte      Staaten      von 

Amerika 
Australien 

10  100 

5500 

II  700 

12  500 

—      1600 

-      7000 

England  befand  sich  mithin  bei  Ausbruch  des  Krieges  der 
Notwendigkeit  gegenüber,  für  Kriegsgerät  aller  Art  (nicht  nur  für 
Messinggegenstände)  Zinkerz  oder  Eohzink  in  bedeutendem 
Maße  vom  Auslande  einführen  zu  müssen.  Die  Gewinnung 
eigener  Erze  in  Großbritannien  war  im  Laufe  des  letzten  Jahrzehnts 
nicht  unerheblich  gefallen.  Fast  möchte  man  die  Geschichte  der 
englischen  Zinkgewinnung  vergleichen  mit  den  Umwälzungen 
in  der  Herstellung  von  Farbstoffen:  auf  beiden  Gebieten  ging  England 
voran,  um  nach  einiger  Zeit  die  Führung  an  Deutschland  abzutreten. 
Das  erste  reine  Zink  war  aus  China  und  aus  Indien  nach  Europa  ge- 
kommen; man  nannte  es  Spiauter  —  eine  Bezeichnung,  die  sich  in 
dem  englischen  Namen  für  Rohzink  (spalter)  bis  heute  erhalten  hat, 
während  man  mit  dem  Worte  ,,zinc"  in  England  das  Walzzink  benennt 
Mannigfache  Versuche  brachten  in  England  um  die  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts den  Erfolg,  daß  man  das  Zink  metallisch  darzustellen  lernte^ 
während  früher  in  Europa  zwar  (1550  durch  Agricola)  in  dem  Zinkstuhl 
der  Schmelzöfen  in  Goslar  ein  Metall  erkannt  worden  war,  das  Agricola 
Zink  oder  „Conterfey"  nannte,  ohne  daß  man  jedoch  wußte,  daß  es  im 
Galmei  enthalten  ist. 

Nachdem  in  England  die  metallische  Darstellung  des  Zinkes  ge- 
lungen war,  brachte  ein  Deutscher,  Johann  Ruberg,  das  Geheimnis  der 
Zinkdestillation  nach  dem  europäischen  Festlande.  1798  errichtete  er 
in  Wesollo  in  Oberschlesien  die  erste  deutsche  Zinkhütte.  Um  dieselbe 
Zeit  entstand  eine  andere  in  Döllach  in  Kärnten  durch  den  Bergrat 
Dillinger. 

1805  gelang  es  den  Engländern  Hobson  und  Sylvester,  die  Grund- 
lage des  Verfahrens  zu  entdecken,  durch  das  dem  Zink  die  nötige  Ge- 
schmeidigkeit verliehen  werden  kann,   während  man  bis  dahin  das  re- 


Miszellen.  55 

duzierte  Metall  weder  dehnen  noch  walzen  oder  hämmern,  ja  selbst  kaum 
biejgen  konnte.  Allein  die  neue  Erfindung  hatte  noch  nicht  sogleich 
die  Folgen,  die  sich  logisch  aus  ihr  ergaben.  Vielmehr  dauerte  es 
noch  eine  ganze  Zeit,  bis  man  das  Metall  auch  zu  anderen  Zwecken  als 
zur  Legierung  des  Kupfers  oder  (in  den  physikalischen  Laboratorien) 
zur  Erzeugung  galvanischer  Ströme  verwendete.  Erst  nach  Sammlung 
weiterer  Erfahrungen  wurden  gegen  Ende  der  40er  Jahre  die  Zwecke, 
zu  denen  man  Zink  benutzte,  mannigfaltigere.  Dann  wuchs  der  Ver- 
brauch schnell.     Er  betrug  in  England: 

1831         I  400  englische  Tonnen 
1851       18000        „  „ 

1871       17500 

Die   gesamte  europäische   Zinkerzeugung   wurde   geschätzt 

1860  auf     980000  MZ. 
1870    „     1352000      „ 
1880    „     2092000     „ 

Beinahe  die  Hälfte  der  gesamten  Zinkerzeugung  entfiel  schon 
damals  auf  Deutschland,  das  beispielsweise  1881  gegenüber  einer 
Zinkerzeinfuhr  von  191322  MZ.  eine  Zinkerzausfuhr  von  127984 
MZ.  verzeichnete,  während  es  gleichzeitig  an  Rohzink,  Bruchzink, 
gewalztem  Zink,  Zinkdraht  und  Zinkwaren  nur  45  645  MZ.  ein- 
führte,  dagegen   789  937   ausführte. 

In  der  englischen  Zinkhütten-Industrie  wurden  damals  bereite 
zum  großen  Teil  fremde  Erze  verhüttet.  So  führte  Großbritannien 
im  Jahre  1881  346000  MZ.  Zinkerze  ein,  deren  größter  Teil 
aus  Griechenland,  Italien  und  Algerien  stammte.  Die  englische  Zink- 
erzeugung belief  sich  1880  auf  220000  MZ.  Ein-  und  Aus^ 
fuhr  stellte  sich  in  England  1881  aufi): 

Einfahr 
Rohzink  468000  MZ. 

Zinkwaren       196  000      „ 

Ausfuhr 
Eohzink  89  580  MZ. 

Zinkwaren         40  820     „ 

Die  Gewinnung  eigener  Zinkerze  betrug  in  England  1902 
nur  noch  25000  t,  1912  war  sie  auf  18000  t  gefaUen.  Dagegen 
stellte  sich  Englands  Hüttengewinnung  von  Rohzink  in  letz- 
terem Jahre  auf  57000  t,  sein  Verbrauch  an  Rohzink  sogar  auf 
185  200  t.  Aus  heimischen  Erzen  wurde  also  nur  ein  sehr  kleiner 
Teil   des   Verbrauchs   gewonnen. 

Ungünstig  war  jedoch  vor  allem,  daß  sich  Englands  technische 
Rückständigkeit,  die  eich  auf  mancherlei  Gebieten  steirk  fühlbar 
macht,  nicht  zum  wenigsten  auf  dem  der  Zinkgewinnung  äußerte.  Es 
begnügte  sich  mit  einer  größeren  Anzahl  kleiner  Zinkhütten,  während 

1)  Dr.  Karl  v.  Scherzer,  Das  wirtschaftliche  Leben  der  Völker.  Leipzig,  Alphons 
Dürr,  1885.    S.  551  ff. 


56 


Miszellen. 


auf  dem  europäischen  Festland  allmählich  große  Hütten  entstanden 
waren  die  mit  technisch  wesentlich  vollkommeneren  Methoden  arbei- 
teten.   Die  größten  englischen   Zinkhütten  waren   1911 : 


Vivian  &  Sons 

English  Crown  Spelter  Co. 

Dillwyn  <fe  Co. 

Pascoe  Greenfild  and  Son 

John  Lysaght  Co. 


Gewinnung 
7750  t 
8295  » 
7785  » 
4825  „ 
3665  „ 


Beinahe     die    Hälfte     des     englischen     Rohzinks     wurde     jedoch     von 
ganz  kleinen  Betrieben  hergestellt. 

Dagegen    verhütteten    in    Deutschland    beispielsweise 


die  Hohenlohe-Werke  etwa 

die  Schlesischen  Zinkhütten 

Georg  von  Giesches  Erben 

die  Aktien  -  Gesellschaft  für  Bergbau ,  Blei-  und  Zink- 
fabrikation zu  Stollberg  und  in  Westfalen 

die  Rheinisch -Nassauische  Bergwerks-  und  Hütten-Aktien- 
Gesellschaft  zu  Stolberg  im  Rheinland 

die  Aktien-Gesellschaft  für  Zinkindustrie  vorm.  Wilhelm 
Grillo  in  ObeAausen 


35  000  t  eigene  Erze 
35  000  t       „ 
35  000  t      „ 

25  000  t 

12  000  t 


II  000  t 


Der   Verbrauch   von    Rohzink   stellte    sich   in    den    oben   ge- 
nannten Ländern  in  dem  gleichen  Jahre  auf  folgende   Ziffern: 


1909 

A.  Mittelmächte: 

Deutschland              188  100 
Oesterreich-Üngam    32  800 

1910 

184  500 
33800 

1911         1912          1913 

Metrische  Tonnen 

219300    225800      232000 
43  500      46  800        40  400 

1914 

? 
? 

1915 

? 
? 

Zusammen  220900 

B.  Zehnverband: 

Großbritannien         155  500 
Frankreich                  66  900 
Italien                            8  200 
Bußland                      18  400 

218  300 

177800 

56300 

8  100 

24900 

262  800 

175700 
82000 
10  100 
28  900 

272  600 

185  200 
82000 
10700 
27900 

272400 

194600 
81  000 
10900 
33300 

? 

185  100 

74100 

9300 

? 

153300 
65  100 
12800 

? 

Zusammen  249  000 

C.  Neutrale  Länder: 
Belgien                       64  600 
Niederlande,    ge- 
schätzt                     4  000 
Spanien                         4  500 
Uebrige   Länder, 

geschätzt                  9  000 

267 100 

76500 

4000 
4  200 

12400 

296  700 

73700 

4000 
4800 

17  800 

305  800 

77200 

4000 
4700 

19700 

309  800  268500^] 

76400         ? 

4000         ? 
5900         ? 

20  900        ? 

1  231 200 ») 

? 

? 
? 

? 

Zusammen     82 100 

D.  Vereinigte  Staaten: 
Vereinigte  Staaten  246900 

97100 
244500 

100300 
251600 

105  600 
312900 

107  200 
313300 

? 
273000 

341500 

Gesamtverbrauch  798900 

827  000 

911400 

996900  1002700 

? 

? 

1)  Ohne  Rußland. 


Miszellen.  57 

Großbritannien  verbrauchte  also  1913  135000  t  Eohzink  mehr 
als  es  selbst  erzeugte,  während  der  gesamte  für  die  Ausfuhr  zur  Ver- 
fügung stehende  Ueberschuß  der  Vereinigten  Staaten  und  Austra- 
liens  zusammen  weniger   als    15000   t  betrug. 

Diese  Tatsache  wurde  für  die  Gestaltung  der  Kriegsverhält- 
nisse entscheidend.  Wie  beim  Zucker,  den  Farbstoffen,  vielen  Arznei- 
mitteln und  Chemikalien  äußerte  sich  die  Abschneidung  der  Zink- 
ausfuhr aus  Deutschland  und  Belgien  in  einer  gewaltigen  Stei- 
gerung des  Preises  in  den  übrigen  Ländern,  um  nicht  den  im  Kriege 
kaum  anwendbaren  Ausdruck  „auf  dem  Weltmarkt"  zu  gebrauchen. 
England  benötigte  Zink  in  bedeutenden  Mengen  sowohl  zur  Her- 
stellung von  Munition  wie  auch  für  seine  südafrikanischen  Goldberg- 
werke, deren  Betrieb  technisch  zu  sehr  erheblichem  Teil  auf  <üe  Ver- 
wendung von  Zink  aufgebaut  ist. 

Andererseits  war  die  Lage  für  Deutschland  insofern  weniger 
günstig,  als  die  rohen  Friedenszdf  fern  zeigen,  als  die  Haupterzeugung 
von  Rohzink  im  Frieden  für  Europa  zwar  in  Oberschlesien,  West- 
falen und  Belgien  erfolgte,  in  den  beiden  letzteren  Gebieten  jedoch  in 
ziemlich  hohem  Maße  nicht  durch  Verhüttung  eigener,  sondern  haupt- 
sächlich aus  Australien  bezogener  Zinkerze. 

Für  England  entstand  die  Frage,  woher  es  die  etwa  70  Proz. 
seines  gewöhnlichen  Zinkverbrauches,  die  es  aus  dem  Ausland  be- 
zogen hatte,  nebst  der  durch  den  Krieg  mehr  verlangten  Menge  nehmen 
sollte.  Was  England  im  Frieden  aus  den  Niederlanden  bezogen  hatte, 
belief  sich  nur  auf  etwa  10000  t,  während  die  Einfuhr  aus  Frankreich 
etwa  6000  t  betrug.  Aus  den  Vereinigten  Staaten  bezog  es  im  Frieden 
nur  etwa  5—8000  t. 

Als  England  bei  Kriegsbeginn  gegen  die  deutsche  Einfuhr  den 
Schlagbaum  herabließ,  sperrte  es  uns  die  etwa  50000  t,  die  wir  ge- 
wöhnlich ins  Ausland  sandten,  während  es  sich  selbst  eines  bedeutenden 
Teiles  seiner  eigenen  Zinkeinfuhr  beraubte.  Sogleich  in  den  ersten  5 
Kriegsmonaten  erhielt  es  daher  statt  etwa  69000  t,  die  es  im  gleichen 
Zeiträume  des  Vorjahres  erhalten  hatte,  nur  etwa  49000  t: 


1913 

1914 

August 

13  138  t 

6174  t 

September 

14  904  t 

13  534  t 

Oktober 

18  160  t 

12428  t 

November 

12690  t 

6432  t 

Dezember 

10733  t 

10460  t 

Woher  stammte  die  Zinkeinfuhr  der  letzten  5  Monate  1914  nach 
Großbritannien  ?  Man  kann  annehmen,  daß  der  wirtschaftliche  Güter- 
austausch zwischen  Deutschland  imd  England  damals  noch  nicht  ganz 
durchschnitten  war,  da  über  neutrale  Länder  noch  dieses  und  jenes, 
befugt  oder  unbefugt,  unter  anderer  Flagge  hin  und  her  ging.  Allein 
viel  deutsches  Zink  wird   England  damals  nicht  mehr  erhalten  haben. 

Dagegen  stieg  sofort  die  Zinköinfuhr  aus  den  Vereinigten 
Staaten    gewaltig : 


58 


Miszellen. 

1913 

1914 

August 
September 
Oktober 
November 

1- 

3  449  t 
19045  t 
10259  t 
12747  t 

701  t  45  5CX)  t 

Dio  Wertziffern  der  Zinkausfuhr  der  Vereinigten  Staaten  in  allen 
Ländern  des  Auslandes  betrug: 

1913  ganzes  Jahr      i  060  000  $ 

1914  „    „        400000  „ 

1915  1.  Halbjahr  21200000  „ 

Aus  leicht  ersichtlichen  Gründen  (Verkehrsnähe,  technische  Leistungs- 
fähigkeit, scheinbare  Neutralität)  waren  es  die  Vereinigten  Staaten, 
auf  die  der  Blick  Englands  für  die  Versorgung  mit  Zink  in  erster 
Eeihe  fiel.  Auch  empfahlen  sie  sich  dadurch,  daß  sie  unter  den  Zink- 
gewinnungsländern der  Welt,  die  neutral  geblieben  waren  oder  auf 
der  Seite  Englands  kämpften,  die  hervorragendste  Stellung  einnahmen. 
In  den  Vereinigten  Staaten  betrugen  Erzeugung,  Einfuhr,  Ausfuhr  und 
Verbrauch   von    Rohzink : 

1909         1910         1911         1912         1913  1914  1915 
Metrische  Tonnen 

Gewinnung  von  Eohzink  240  4C0    250600    267500   314500    320300  335900  460000 

Einfuhr  von  Zink                 8  800        i  800          600      10 100       5  500  800  800 

Zusammen  249200    252400    268100    324600    325800  336700  460800 

Ausfuhr   von  Zink  und 

Zinkblechen  2300        7900      16500      11700      12500      63700    119  300 

Verbrauch  etwa  246900    244500    251600    312900    313300    273000    341500 

Nicht  berücksichtigt  sind  dabei  die  Erzeugung  von  Zink  aus 
Altmaterial,  Gekrätz  und  anderen  Abfällen,  sowie  die  Veränderungen 
der   Zinkvorräte   auf   den   Hütten. 

Die  letzteren  betrugen  in  den  Vereinigten  Staaten  am  Ende  der 
Jahre  ^)    rund 

1909  ■       1910        1911         1912         1913         1914         1915 

t  t  t  t  t  t  t 

10400       20900      7900        3900       36400      21300       13000 

Vergleicht  man  die  Ziffern  der  Zinkgewinnung  und  Zinkausfuhr 
der  Vereinigten  Staaten  im  Jahre  1914  mit  denen  der  letzten  Friedens- 
jahre, so  weisen  sie  zwar  eine  Steigerung  auf  ein  vielfaches  auf,  waren 
jedoch  nicht  so  unerheblich,  daß  England  eine  allzu  g^roße  Preis- 
steigerung hätte  befürchten  müssen. 

Allein  diese  Hoffnung  trog.  Sie  hätte  sich  nur  dann  bewahrheitet, 
wären  noch  andere  kräftige  Wettbewerber  vorhanden  gewesen.  Eben 
diese  aber  waren  durch  den  Krieg  ausgeschaltet.  Der  Zinkpreis 
hatte  in  den  Jahren  vor  dem  Kriege  durchschnittlich  ab  Sohiff  London 
betragen : 

1)  Nach  dem  „Engineering  and  Mining  Journal"  vom  1.  April  1916. 


Miszellen. 


59 


1906  1907  1908  1909  1910  1911 

££££££ 

27  i/5       23  16/9       20  3/6       22  3/0       23  0/0      25  3/2 

Ini  Durchschnitt  der  letzten  5  Jah^e  vor  dem  Kriege  hatte  die 
Tonne  Zink  in  London  etwa  23 V^  £  gekostet.  Bis  zum  Schluß  des 
Jahres  1914  ging  er  in  die  Höhe,  so  daß  eo*  Anfang  Januar  1915 
etwa  28V4  £  erreichte.  Das  war  ein  hoher  Preis,  der  jedoch  in  Zeiten 
der  Hochkonjunktur  schon  im  Frieden  dagewesen  war;  so  hatte  man 
im  Januar  1906  bereits  29 Vs  ^  bezahlt. 

Allein  auf  287*  £  blieb  der  Zinkpreis  nun  nicht  stehen.  Viehnehr 
nutzten  die  Vereinigten  Staaten  die  Monopolstellung,  die  ihnen 
durch  den  Krieg  für  die  Zinklieferung  nach  England  zuteil  wurde,  nach 
Kräften  aus.  Ungemein  erleichtert  wurde  ihnen  dies,  als  England  und 
Frankreich,  später  auch  andere  Genossen  der  Entente,  Munition  in 
Nordamerika  bestellten.  Je  mehr  man  sich  dort  auf  eigene  Munitions- 
herstellung einrichtete,  desto  schwieriger  wurde  nun  die  Versorgung 
der   Entente-Staaten  mit  Rohzink. 

So  kletterte  denn  der  Zinkpreis  in  London  in  beispielloser 
Art  in  wenigen  Monaten  folgendermaßen  in  die  Höhe: 

Ende  Januar        1915  287^  £ 

Anfang  Februar  1915  40 

März        1915  43 

„       Mai  1915  65 

Ende  Mai  1915  75 

Anfang  Juni         1915  97 

Vor  dem  Kriege  hatten  die  Preise  für  gewöhnliches  Zink 
in  London  betragen  (die  Tonne  von  1016  Kilogramm)  und  zwar  als 
Durchschnittspreise : 


1909 
1910 
1911 
1912 


£ 
22 
23 
25 
26 


sh   d 
3    — 


1913 

1914 

dagegen       1915 

durchschnittlich 


£  sh  d 

22  14  3 

22  8  5 

66  13  4V. 


Es  kam  den  Vereinigten  Staaten  für  die  Steigerung  des  Zink- 
preises nicht  wenig  zustatten,  daß  sie  selbst  nicht  imstande  waren, 
die  Vermehrung  ihrer  Zinkausfuhr  nach  Großbritannien,  die  die  ersten 
Kriegsmonate  gebracht  hatten,  aufrechtzuerhalten.  Vielmehr  sank  diese 
Ausfuhr-  im  März  1915  bedeutend  und  hob  sich  erst  im  Herbst  des- 
selben   Jahres    wieder : 


Brutto-Tonnen 

Brutto-Tonnen 

Juli  1914 

140 

März  1915 

7249 

August 

3079 

April 

7894 

September 

17005 

Mai 

6817 

Oktober 

9  160 

Juni 

8455 

November 

II  381 

Juli 

701b 

Dezember 

16354 

August 

6869 

Januar   1915 

13570 

September 

9076 

Februar 

13394 

Oktober 

"375 

Insgesamt 

für  die  ersten  15 

Kriegsmonate  *) 

148  694 

1)  „Economisf  vom  4.  März  1916.     Der  „Economist"  entnahm  diese  Tabelle  der 
Zeitschrift  „Iron  Age". 


50  Miszellen. 

Dies  geschah  trotz  der  Steigerung  der  Rohzinkgewinnung 
in  den  Vereinigten  Staaten,  die  in  folgenden  Ziffern  zum  Aus- 
druck kommt: 

1914  1915 

im   1.  Vierteljahr  8i  900  9»  500 

„     2.  „  84200  HO  300 

„     3.         „  84100  121  500 

„    4.         „ 35700 136700 

Zusammen    335  900  460  000 

Die  Zinknot  Englands  war  also  keineswegs  behoben.  Viel- 
mehr klagte  der  „Economist"  vom  4.  Mä.rz  1916:  „Die  Angelegenheit 
des  Zinks  ist  merkwürdig  und  wirft  kein  gutes  Licht  auf  die  wirtschaft- 
liche Klugheit  und  das  Denkvermögen  des  viel  gerühmten  Greneral- 
stabs  Lord  Haidane 's."  Zu  Beginn  des  Krieges  wurde  ein  Vorschlag, 
in  England  Zinkschmelzwerke  zu  errichten,  von  der  Regierung 
verworfen.  Man  blieb  also  auf  die  Einfuhr  angewiesen.  Die  hohen 
Zinkpreiso  schob  man  darauf,  daß  mehj*  Zinkerz  vorhanden  sei  als 
die  Möglichkeit,  es  zu  schmelzen,  so  daß  die  Schmelzer  selbst  ihre  Preise 
bestimmten  und  der  ganze  Gewinn  an  sie  fiele.  Australien  könne  weit 
mehr  Zinkerz  liefern,  doch  zahlten  die  amerikanischen  Schmelzwerke  — 
zum  Teil  infolge  der  hohen  Frachtsätze  —  so  unzulängliche  Preise  für 
australisches  Zinkerz,  daß  die  Bergwerke  dort  keinen  Gewinn  davon 
hätten,  daher  auch  nicht  in  vollem  Umfang  arbeiteten. 

England  hoffte,  die  günstige  Gelegenheit  benutzen  zu  können, 
um  Deutschland  aus  dem  australischen  ,, Zinkgeschäft"  hinaus- 
zuwerfen. Im  Frieden  hatte  man  in  Deutschland  und  Belgien  in 
großem  Maße  australische  (Broken  Hill)  Zinkerz  verhüttet.  Sogleich 
nach  Beginn  des  Krieges  hob  die  englisch-australische  Regierung  diesen 
Lieferungsvertrag  auf.  Auch  für  die  Zeit  nach  dem  Kriege  wünscht 
man  sie  durch  eines  der  Handelskriegsgesetze  für  nichtig  zu  erklären. 
Wie  England  sich  mit  der  moralischen  Seite  der  Sache  abfindet,  steht 
auf  besonderem  Blatte.  Hier  sei  nur  auf  die  fühlbaren  Schwierigkeiten 
hingewiesen,  die  sich  in  England  —  sehr  wider  Erwarten  —  bei  der 
Verhüttung  herausstellten.  Der  Fachmann  weiß,  daß  in  der  Zinkver- 
hüttung eine  peinlich  durchgebildete  Technik,  die  auf  langjähriger  Er- 
fahrung beruht,  vielleicht  noch  sorgfältiger  beobachtet  werden  muß, 
als  bei  der  Verhüttung  anderer  Metalle.  Da  man  dies  in  England  nicht 
genügend  in  Betracht  zog,  so  ergaben  sich  böse  Mißerfolge,  die  auch 
in  der  Zeit  nach  dem  Kriege  nicht  ausbleiben  werden  —  falls  man  ver- 
sucht, das  System   dann  noch  fortzusetzen. 

Pläne  hat  man  in  dieser  Beziehung  genug;  von  schneller  oder 
sachgemäßer  Ausführung  aber  ist  manchmal  wenig  zu  spüren.  Die 
jüngsten  Zinkschmelzwerke  in  England  hatte  man  8  Jahre 
vor  dem  Kriege  errichtet,  während  in  der  Zwischenzeit  in  Deutsch- 
land und  Belgien  6  neue  Zinkhütten  entstanden.  Die  arbeitsparenden 
Methoden  maschineller  Förderung,  die  von  der  deutschen  Zinkhütten- 
Industrie  verwendet  wurden,  hatte  man  in  England  noch  zu  Beginn  des 
Krieges  nicht  nachgeahmt.    Für  den  Mangel  an  Beweglichkeit  und  Or- 


Miszellen.  61 

ganisation  in  England  spricht  es  außerdem,  daß  während  des  ersten 
Kriegs  Jahres  die  Erzeugung  der  englischen  Zinkhütten  auf  die  Hälfte 
der  normalen  Produktion  vor  dem  Kriege  sank.  Für  den 
Hauptgrund  hielt  man  den  Mangel  an  Arbeitskräften  infolge  der  Re- 
krutierung. Indessen  hätte  das  Kriegsamt  oder  das  Ministerium  oder 
eine  andere  Regierungsstelle  wohl  dafür  sorgen  müssen,  daß  durch  Ver- 
besserungen der  Betriebstechnik  der  schon  bestehenden  Werke  oder 
durch  Anlage  neuer,  besser  ausgestatteter  Zinkhütten,  wenn  nicht  die 
ungeheuerlichen  Preise,  so  doch  der  Mangel  an  Zink  behoben  wurde. 
Man  braucht  das  Zink  vor  allem  für  die  Herstellung  von  Patronen- 
hülsen. 

Erst  Mitte  1915  wurden  in  England  bestimmte  Pläne  zur 
Lösung  der  Zinkfrage  bekannt,  die  sich  schon  Monate  vorher  zu  einem 
der  schwersten  Probleme  der  Munitionsfrage  ausgewachsen  hatte.  Man 
wollte,  nötigenfalls  unter  Hinzuziehung  belgischer  und  französischer 
Interessenten,  neue  Zinkhütten  in  England  errichten,  die  jährlich  im« 
Stande  sein  sollten,  100000  t  Zinkerz  zu  verhütten  und  daraus  40000  t 
Zink  und  eine  Anzahl  von  Nebenprodukten  zu  erzeugen.  Die  Kosten 
für  die  Anlage  der  Werke  wurden  auf  850000  £  veranschlagt,  die 
Zeit  für  ihre  Fertigstellung  auf  ein  Jahr.  Doch  hoffte  man,  die  ersten 
Zinklieferungen  bereits  9  Monate  nach  Beginn  des  Baues  zu  erzielen. 

Für  die  Zeit  nach  dem  Kriege  beruhten  die  Pläne  auf  der  An- 
nahme, daß  die  australischen  Zinkgruben  neue  Verträge  mit  den  eng^ 
lischen  Hütten  gern  abschließen,  und  daß  die  Länder  der  britischen 
Krone  sich  durch  einen  Ausfuhrzoll  auf  Rohzink  die  Vorherrschaft 
Deutschlands    auf    dem    Zinkmarkte    vom    Leibe    halten    möchten. 

Vor    dem    Kriege 

t 
betrug  die  Zinkgewinnung  der  "Welt  i  ooo  ooo 

In  den  Vereinigten  Staaten  geschmolzen  350000 

In  Deutschland  geschmolzen  (jetzt  für  England  abgeschnitten)         250  000 
In  Belgien  geschmolzen  (jetzt  für  England  abgeschnitten)  150000 

Nächst  Amerika  befanden  sich  also  vor  dem  Kriege  die  größten 
Schmelzwerke  in  Deutschland.  Jährlich  erzeugten  sie  etwa  250000  t, 
wovon  ein  großer  Teil  ausgeführt  ward;  hinzutraten  etwa  150000  t 
aus  Belgien.  Der  „Economißt"  sprach  den  Verdacht  aus:  die  deutschen 
Zink  werke  hätten  beträchtlich  mehr  erzeugt,  als  sie  an  die  Regierung 
und  an  Privatfirmen  verkaufen  konnten;  auch  behaupte  man,  daß 
die  Zinkvorräte  in  Deutschland  und  Belgien,  die  nach  dem  Kriege  auf 
den  Markt  geworfen  werden  würden,  auf  mehr  als  150000  t  gesfiegen 
seien.  Es  sähe  daher  so  aus,  als  wenn  das  Zink  nach  dem  Kriege  sehr 
billig   werden  müßte. 

Einstweilen  war  diese  Hoffnung  ein  schwacher  Trost.  Denn  auch 
zu  Beginn  des  Jahres  1916  stiegen  die  Preise  in  London  weiter. 
Sowohl  für  Zink  wie  für  Kupfer,  Blei  und  Eisen  erreichten  sie  einen 
überraschend  hohen   Stand  i): 


1)  „Economist"  vom  4.  März  1916. 


62 


Miszellen. 

Ende  Februar  1916 

Höchster  Preis 
seit  Ausbruch 
des  Krieges 

Höchster 
Preis 

1913 

Niedrigster 
Preis 

£     sh   d 

£    sh   d 

£    sh    d 

£    sh   d 

Kupfer 
Blei 
Zink 
Eisen 

lOI 

33  15  - 
95— iio£ 

84/.6 

io8 

35 

I20 

98/.O 

78 

22 

27 

70/.6 

62 

15 

20 

48/.6 

Im  einzelnen  stellen  sich  die  Schwankungen  der  amerika- 
nischen Zinkpreise  in  Liverpool  in  folgenden  Ziffern  dar,  die 
ich  als  kennzeichnend  herausgreife  ^) : 


1914 


£   sh  d 


8.  Oktober 

45 

3.  Juni 

"5 

22.         „ 

40 

10.      „ 

125      nominell 

17.  Dezember 

44 

17.      „ 

140      nominell 

24.      „ 

120 

1915 

8.  Juli 

100—130 

4.  Februar 

54 

5.  August 

85-115 

25.         „ 

63 

2.  September 

95 

22.  Aprü 

70 

7.  Oktober 

80—90 

29.     „ 

75  10  — 

4.  November 

90—100 

27.  Mai 

88 

9.  Dezember 

98 — 100 

Ungemein  lehrreich  sind  für  die  wilden  Schwankungen  am  Londoner 
Majkt  auch  die  trefflichen  Kurventabellen,  die  die  Deutsche  Bank, 
als    Manuskript   gedruckt,    herausgibt. 

Dabei  stellt  Zink  ein  sogenanntes  geringwertiges  Metall 
dar!  Einen  großen  Teil  seines  Verbrauchs  dankte  es  im  Frieden  gerade 
der  Tatsache,  daß  es  billiger  war  als  Kupfer  imd  Kupferlegierungen, 
obwohl  es  für  mancherlei  Zwecke  weniger  brauchbar  ist  als  dieses. 
Noch  niemals  war  es  im  Frieden  auch  nur  annähernd  dahin  gekommen, 
daß  der  Zinkpreis  dem  Kupferpreis  nahe  kam.  Jetzt  aber  stellten  sich 
beide  auf  die  gleiche  ungeheure  Höhe !  Zink  hatte  in  dem  ganzen 
letzten  Jalirzehnt  kaum  jemals  einen  Tonnenpreis  von  30  £  erreicht, 
Kupfer  war  wohl  niemals  billiger  als  zu  55  £  zu  haben  gewesen-. 
Häufig  war  dagegen  der  Fall  eingetreten,  daß  der  Zinkpreis  außer- 
ordentlich weit  herunter  ging,  wie  Anfang  der  90er  Jahre,  da  er  sich 
auf  14  £  stellte,  und  wieder  1908,  da  er  sich  auf  I8V2  ^  belief.  Kurz 
vor  dem  Kriege  wurde  es  mit  etwa  20  £  gehandelt.  Jetzt  erzielte 
es  den  5-fachen  Preis!  Trotz  allem  war  es  nicht  einmal  möghch, 
wirklich  bedeutende  Mengen  von  Zink  zu  erhalten.  Lauteten  doch 
die  Berichte  vom  Londoner  Magrkt  dahin,  daß  fast  immer  Nachfrage 
vorhanden    war,   selten   abex   Greschäfte   abgeschlossen   wurden. 

Auch  die  Kabelnachrichten  vom  New  Yorker  Markte  zeigten 
das  gleiche.  In  Friedenszeiten  hatte  dort  ein  P^eis  von  6  Cents  für  das 
Pfund  schon  als  gut  gegolten;  häufig  war  er  imter  diesen  Betrag  ge- 
sunken, zuweilen  (wie  im  Februar  1902)  auf  4  Cents.  Anfang  1915, 
als   man   in   Amerika  selbst   zur   Munitionsherstellung   übergingt 


1)  „The  Ironmongers",  Metal  Market  Year-Book  1916,  London  S.  78. 


Miszellen.  63 

und  die  Zinkknappheit  dadurch  verschärfte,  begann  die  Speku- 
lation daraus  Nutzen  zu  ziehen.  Der  Zinkpreis  ging  in  Sprüngen  um  1, 
um  2,  ja  um  3  Cents  gleichzeitig  herauf.  Noch  im  Januar  1915  betrug 
er  nicht  mehr  als  5  Cents  —  im  Juni  desselben  Jahres  war  er  auf 
22  Cents  gesprungen!  Anfang  Mai  hörten  die  Zinknotierungen  in  New 
York  vorübergehend  ganz  auf,  weil  der  gewünschte  Stoff  überhaupt 
nicht  mehi"  zu  haben  war.  Dann  kehrte  in  den  Kabelnachrichten  von 
der  Metallbörse  in  New  York  einmal  über  das  andere  das  Wort  „nomi- 
nell" wieder  —  das  sichere  Kennzeichen  dafür,  daß  irgend  welche  An- 
gebote nicht  mehr  gemacht  wurden. 

Es  spielte  sich  offenbar  hinter  den  Kulissen  ein  wilder 
Kampf  zwischen  den  amerikanischen  und  englischen  Ver- 
käufern ab.  Waiirscheinlich  läßt  sich  sogar  annehmen,  daß  die  Lonn 
doner  Notierungen  nicht  selten  hinter  den  wirklich  für  greifbare 
Waren  bewilligten  Preise  noch  zurückblieben. 

Die  größte  Zinkausfuhrmenge  hatten  die  Vereinigten 
Staaten  vor  dem  Klriege  in  dem  Finanzjahre  1911/12  mit  8687  t  ver* 
zeichnet.  2  Jahre  später  war  die  Zinkaus^uhr  auf  1783  t  gesunken. 
Dagegen  betrug  sie  in  den  12  Monaten  November  1914  bis  Oktober 
1915  nicht  weniger  als   119450  t! 

Auch  m,uß  angenommen  werden,  daß  eine  ungewöhnliche  Menge 
Zink  ab  Messing  ausgeführt  wurde.  Dessen  Ausfuhr  aus  der  Union 
betrug  vom  Januar  bis  Oktober  1915  24  635  t,  während  sie  sich  im 
selben  Zeitraum  des  Jahres  1913  auf  2413  und  während  der  gleichen 
Monate  des  Jahres  1914  auf  1731  t  gestellt  hatte.  Die  Ausfuhr  während 
der  ersten  10  Monate  1915  war  also  lOmal  größer  als  die  derselben 
Monate  1913  oder  des  ganzen  Finanzjahres  1914,  wo  sie  2440  t  be- 
tragen  hatte. 

Was  die  gewaltige  Nachfrage  nach  Zink  für  die  amerikani- 
schen Bergwerke  bedeutete^  läßt  sich  schwer  begreifen  —  selbst 
wenn  man  die  von  ihnen  eingeheimsten  ungeheuerlichen  Ertrags- 
ziffern hört.  Um  ein  Beispiel  zu  geben,  hatte  das  Butte  &  Superior 
Zinkbergwerk  vor  dem  Jahre  1914  niemals  Dividenden  auf  ihr  Grund- 
kapital von  2  700000  $  gezahlt  —  während  es  in  den  2  ersten  Bjriegs- 
jahren  mehr  als  40000000  $  an  ihie  Aktionäre  ausschüttete  I 

Dieser  goldene  Segen  stellte  sich  für  den  amerikanischen  Zink- 
bergbau erst  1915  ein,  zumal  seit  dem  Frühjahr.  Auch  der  Winter 
191 4/1 5  war  für  die  Aktien  von  Zinkbergwerken,  ebenso  wie  für 
die  von  Kupfer-,  Blei-  und  Silber- Werken  keineswegs  erfreulich. 
Es  erscheint  heute  beinaihe  wie  ein  Rätsel,  daß  sich  während  dieser 
ersten  KJriegsmonate  der  Bedarf  an  Kriegsmetall  auf  dem  Welt-, 
meirkte  in  den  für  die  Ententestaaten  offenen  Ländern  nicht  schärfer  be- 
merkbar machte.  Vielmehr  herrschton  im  allgemeinen  noch  die  Verhält- 
nisse der  letzten  Jahre  vor  dem  Kriege.  Im  Gebiete  der  Vereinigten 
Staaten  waren  1913  nur  8000  t  unreinen  Ziaks  (Spiauter)  aus  ein- 
heimischen Zinkerzen  mehr  gewonnen  worden  als  1912;  die  Gesamt- 
ziffer betrug  für  1913  337  252  t.    Gregen  Ende  des  Jahres  war  in  ein- 


64  Miszellen. 

zelneu  Gruben  der  Betrieb  wegen  ungenügender  Rentabilität  eingestellt 
worden. 

Zu  der  aus  einheimischen  Erzen  gewonnenen  Erzeugung  kamen 
weitere  9424  t  aus  eingeführtem  Erze  hinzu.  Der  Staat  Missouri 
stand  auch  in  diesem  Jahre  mit  129018  t  an  der  Spitze  der  Produktion. 
An  zweiter  Stelle  kam  Colorado  mit  58113,  danach  Montana  mit 
35  700  t. 

Die  Roherzeugung  in  Missouri  wird  auf  215  030  t  veranschlagt, 
die  nach  einem  für  den  Joplin-Bezirk  berechneten  Durchschnittspreiae  von 
45  $  für  die  Tonne  einen  Gesamtwert  von  etwas  mehr  als  9,5  Mill.  I 
darstellten.  Die  Zinkgewinnung  in  Missouri  ist  seit  1908  auf  mehr  als 
das  Doppelte  angewachsen.    Hauptgewinnungsbezirk  ist  Jasper. 

Einen  bedeutenden  Gewinn  ließ  sich  Missouri  dadurch  entgehen, 
daß  es  das  gewonnene  Rohzink  selbst  nur  zum  geringen  Teile  aus- 
schmolz. Nur  2  Zinkschmelzereien  waren  dort  vorhanden :  eine  in 
St.  Louis,  eine  andere  in  Nevada.  Schon  vor  dem  Kriege  wies  man 
darauf  hin,  daß  es  gerade  im  Staate  Missouri  durch  Ausnutzung  seiner 
Wasserkräfte  möglich  sein  müsse,  nicht  nur  das  gesamte  dort  ge- 
wonnene Zinkerz,  sondern  auch  das  der  benachbarten  Einzelstaaten 
auszuschmelzen  und  damit  1 — 2  Mill.  $  mehr  zu  verdienen.  Andere 
Grafschaften  dieses  für  den  Zinkbergbau  wichtigsten  Staates  der  Union, 
aus  denen  ebenfalls  Zink  gewonnen  wird,  sind:  Barton,  Newton^ 
Mc  Donald,  Barry,  Lawrence,  Greene,  Washington,  Jefferson.  St.  Fran- 
gois,  Madison.  14 — 16  weitere  Grafschaften  sind  von  geringerer  Be- 
deutung. 

Die  Zinkschmelzhütten  verteilten  sich  vor  dem  Kriege  in  der 
Union  hauptsächlich  auf  folgende  Staatengruppen: 

1911  1912 

Staaten  ^'  ^^^^  ^'  Hälfte  1.  Hälfte  2.  Hälfte 

Rohzinkerzeugung  in  Tons  zu  907  kg 

Illinois  41255  41875  44224  44065 

Kansas  5°  574  47^39  52485  4^376 

Oklahoma  19  997  26318  36010  41584 

Andere  28  370  30  298  33  777  38  109 

Summe     140  196  146330  166496  172  134 

Um  diese  Menge  Erzzink  zu  erzeugen,  vrurde  1912  a»n  Rohzink 
erschmolzen;  aus  inländischen  Erzen  3<23  961  t  (zu  907  kg),  aus  frem- 
den Erzen  14  669  t,  also  zusammen  338  630  t  i^  Werte  von  46731000$ 
gegenüber  286  526  t  i;m  Werte  von  32  663  964  $  im  Vorjahr,  wovon  aus 
inländischen  Erzen  271621  t,  aus  fremden  14  905  t  stammten. 

Eingeführt  wurden  1912  rund  70000  t  Erz  mit  31500  t  Zink- 
gehalt. Von  den  eingeführten  Erzen  stammten  92  Proz.  aus  Mexiko. 
Ins  Auslanl  gingen  1913  nur  19  953  t  inländischer  Zinkerze  im  Werte 
von   704  207   $. 

1914  blieben  die  Ziffern  ähnlich  für  die  Vorräte  bei  den  Schmelz- 
werken. Zu  Beginn  des  neuen  Rechnungsjahres  stellte  sich  Zinkerz  in 
der  Rege'  auf  etwa  9000  t,  bei  einer  Jahreserzeugung  von  mehr  als 
300  OOÖ  t.  Trat  also  scharfe  Nachfrage  ein,  so  mußten  die  Preise  in  die 
Höhe  schnellen  und  eine  Vermehruns:  des  Abbaus  anre^^n. 


Miszellen.  ß5 

Dies  geschah  nun  durch  den  Krieg.  Niemals  vorher  haben  die 
Zinkgebiete  der  Staaten  (Missouri,  Oklahoma,  New  Jersey  usw.) 
einen  solchen  Ansturm  und  ein  solches  Gedeihen  erlebt,  und  es  ist 
äußerst  unwahrscheinlich,  daß  ihnen  jemals  wieder  ein  ähnliches  zuteil 
werden  wird.  In  dem  führenden  Gebiet  —  der  Grafschaft  Joplin  in 
Missouri  —  wurden  zahlreiche  neue  Zinkbergwerke  eröffnet  und  alte, 
die  man  stillgelegt  hatte,  als  der  Zinkpreis  auf  5  Cents  das  Pfund  ge- 
sunken war,  wieder  in  Betrieb  gesetzt.  Den  übrigen  Zinkgebieten  ging 
es  ähinlich.  Abfälle  und  Nebenprodukte,  die  man  früher  achtlos  beiseite 
warf,  wurden  sorgfältig  durchgearbeitet,  um  möglichst  viel  Zink  heraus- 
zuziehen. 

So  sprang  *die  Zinkerzeugung  in  den  Vereinigten  Staaten  in  der 
zweiten  Hälfte  von  1915  und  der  ersten  von  1916  toll  in  die  Höhe. 
Das  schon  genannte  Butte  &  S u p e r i o r -Bergwerk  brachte  es  im 
ersten  Halbjahr  1916  auf  eine  Förderung  von  90  Mill.  Pfund,  die  ihm 
monatlich  einen  Gewinn  von  1  Mill.  $  einbrachte.  Eine  andere  Zink- 
firma, die  Interstate  Callahan -Gesellschaft  in  Idaho,  hatte  es  vor 
wenigen  Jahren  erlebt,  daß  ihre  Aktien  auf  50  Cents  heruntergingen, 
und  noch  in  den  Jahren  vor  dem  Kriege  schloß  sie  mit  einem  Fehl- 
betrag. 1915  aber  stiegen  ihre  Aktien  auf  27  $,  und  in  etwa  V*  Jahren 
zahlto  sie  4  Mill.  $  an  Dividenden  aus. 

Noch  ein  Beispiel:  die  New  Jersey  Zink  Company  warf  im 
Laufe  von  I1/2  Jahren  Dividenden  von  mehr  als  15  Mili.  $  aus.  AehnHch 
ging  es  der  Caledonia  Company. 

Kann,  das  in  Zukunft  so  bleiben?  Ganz  sicher  nicht.  Schon 
sind  die  Zinkpreise  wieder  erheblich  gefallen,  nach  dem  Friedensschlüsse 
werden  sie  noch  weiter  zurückgehen  müssen. 

Der   Zinkpreis  für   das   Pfund  betrug  in   Nordamerika  im 


Juli  1914 

4,75 

Cents 

Januar  1915 

5 

„ 

Juni  1915 

27 

»» 

Dezember  1915 

17 

>i 

September  1916 

9 

Dieser  Rückgang  dürfte  sich  fortsetzen,  so  daß  die  amerikanische  Zink- 
hütten-Industrie der  Zukunft  mit  lebhafter  Besorgnis  entgegensieht. 
Der  Grund  liegt  in  den  unvermeidlichen  Wirkungen,  die  der  britische 
Handelskrieg  gegen  Deutschland,  ist  er  wirklich  erfolgreich, 
auch  auf  den  amerikanischen  Wettbewerb  haben  muß.  Die 
englische  Regierung  hat  —  unter  Verletzung  eines  für  unantastbar  gel- 
tenden Grundsatzes  des  Völkerrechts  —  die  Verträge  der  australischen 
Zinkbergwerke  über  die  Lieferung  ihrer  Zink- Konzentrate  nach  Deutsch- 
land aufgehoben,  um  imstande  zu  sein,  im  britischen  Reiche  selbst 
Zinkschmelzhütten  aufzubauen.  Die  Verbündeten  sollen  daran  teilhaben. 
So  hofft  die  Entente  sich  von  dem  deutschen  Wettbewerb  unabhängig 
zu  machen.  Gleichzeitig  aber  wird  sie  —  falls  ihre  Pläne  tatsächlich 
von  Erfolg  gekrönt  sind,  was  immerhin  abzuwarten  bleibt  —  auch 
von  den  Vereinigten  Staaten  unabhängig.  Was  sollen  diese  dann  mit 
den  außerordentlichen  Erweiterungen  ihrer  Zinkhütten  beginnen  ?  Seit 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  5 


65  Miszellen. 

Ausbruch  des  Krieges  haben  sich  die  amerikanischen  Zink- 
echmelzhütten  beinahe  verdoppelt.  Nach  dem  Kriege  treten 
in  den  internationalen  Wettbewerb  die  deutschen  und  belgischen  Schmelz- 
werke von  neuem  ein.  Sicherlich  wird  also  der  Wettbewerb  auf  dem 
internationalen  Zinkmarkte  nach  Friedensschluß  noch  schärfer  sein  als 
vorher.  Die  amerikanische  Zinkindustrie  muß  sich  daher,  nachdem  sie 
in  kurzem  Zeitraum  fabelhafte  Gewinne  durchlebt  hat,  darauf  gefaßt 
machen^  mit  einem  so  namhaften  Rückgang  der  Zinkpreise  zu  rechnen^ 
daß  nur  diejenige  Firmen  hoffen  können,  die  dann  ausbrechende  Krisis 
zu  überstehen,  die  einen  Teil  ihrer  Kriegsgewinne  dazu  benutzt  haben ,^ 
bedeutende  Rückstellungen  zu  machen  oder  Betriebsverbesserungen 
durchzuführen,  die  öine  Verbilligung  des  Verfahrens  ermöglichen. 

Freilich  werden  die  amerikanischen  Zinkhütten  keinen  Mangel 
an  Erzen  leiden.  Wenn  ihre  Leistungsfähigkeit  sich  dem  ungeheuren 
Bedarf  zum  Trotz  auch  während  des  Jahres  1916  nicht  auf  kaum 
mehr  als  650000  t  gehoben  hat  (gegenüber  460000  t  Rohzink  191& 
und  335  900  t  1914),  so  war  dies  nur  darauf  zurückzuführen,  daü 
die  Hüttenanlagen  nicht  mehr  leisten  konnten.  Dagegen  erfuhr  die 
Aufbereitungstechnik  in  'Nordamerika  durch  das  sogenannte  Flo- 
tations-Verfahren eine  bedeutsame  Verbesserung,  so  daß  die  Erz- 
gewinnimg  der  Vereinigten  Staaten  dadurch  und  durch  die  Erschließung 
neuer   Lagerstätten  eine   außerordentliche   Vermehrung   erfuhr. 

In  wie  geringem  Maße  die  Vereinigten  Staaten  auf  die  Zu- 
fuhr ausländischer  Erze  angewiesen  sind,  ergeben  folgende 
Zahlen  1):    es   wurden   in    der   Union   verhüttet 


1913 

1914 
Metrische  Tonnen 

1915 

inländische  Erze 

8oi  8oo 

767  200 

I  012  800 

mexikanische  Erze 

i8  IOC 

14900 

44600 

kanadische  Erze 

5500 

9600 

12  700 

australische  Erze 

— 

62000 

sonstige  Erze 

— 

— 

8  400 

Immerhin  ist  'die  Steigerung  der  Zinkerzeugung  in  den  Vereinigten 
Staaten  sc  bedeutend,  daß  die  amerikanischen  Gruben  nicht  genug  Erz 
lieferten,  sondern  daß  die  Einfuhr  großer  Mengen  von  Zinkerz,  nament- 
lich  aud  Australien,   nötig   war. 

Nach  dem  ,,Economista  d'Italia."  betrug  die  Zinkgowinnung^ 
der   Vereinigten   Staaten: 


englische  Pfund 

im  Werte  von 

1913 

15565324 

955  667  $ 

1914 

129694022 

8540668  „ 

1915 

251  348910 

31556898  „ 

1916 

512  732  281 

59303928  „ 

In  Tonnen  stellte  sich  die  Zinkerzeugung  1916  auf  658000  t,  d.  h. 
gegenüber  dem  Vorjahre  170000  t  mehr.  Auf  die  einheimische  Er- 
zeugung entfielen  von  der  Ziffer  des  Jahres  1916  553000  t  im  Werte 
von  150  Mill.  $,  während  aus  eingeführtem  Erz  105000  t  im  Werte  von 

1)  „Engineering  and  Mining  Journal"  1.  April  1916. 


Miszellen.  67 

30  Mill  S  gewonnen  wurden;  zusammen  also  für  180  Mill.  $  — 
während  die  Zinkerzeugung  des  Jahres  1915  im  Gesamtbetrage  von 
489  519  t  nur  einen  Wert  von  121400000  $  ergeben  hatte.  Die  Wert- 
steigerung (50  Proz.)  fällt  auch  hier  in  die  Augen. 

Wie  das  „Wall  Street  Journal"  vom  22.  Februar  1917  angibt,  ist 
die  Zinkausfuhr  der  Vereinigten  Staaten  zwischen  1913  und  1916 
um  2600  Proz.  gestiegen.    Die  Ziffern  betragen: 

Zinkausfuhr  der  Vereinigten  Staaten: 


t 

Wert  in  $ 

1913 

6  949 

955  667 

1914 

57899 

8  540000 

1915 

112  209 

31  600000 

1916 

188  719 

59  400  000 

Für  die  zukünftige  Lage  des  deutschen  Zinkhütten- 
Gewerbes  werden  wir  ferner  zu  beachten  haben,  daß  England 
mit  seinen  Kolonien  sich  mit  aller  Gewalt  bestrebt,  Deutsch- 
land aus  seinem  früheren  Zinkgeschäft  auszuschalten. 

Deutschland  förderte  1913  aus  eigenem  Boden  679  600  t  Zinkerz, 
deren  Metallgehalt  auf  250  300  t  berechnet  wurde,  während  es  aus 
dem  Aufrlaiide  rund  313  300  t  einführte,  wovon  allein  165600  t  aus 
Australien  stammten.  Dieses  lieferte  also  mehr  als  die  Hälfte  der  von 
deutschen  Zinkhütten  verarbeiteten  ausländischen  Erze.  Dagegen  war 
die  Ausfuhr  deutscher  Zinkerze  unerheblich:  sie  betrug  1913  nur 
44700  t,  die  hauptsächlich  nach  Oesterreich  und  Belgien  gingen. 

England  ist  nun  bestrebt,  uns  die  australischen  Zinkerze 
ganz  abzuschneiden  und  gleichzeitig  eine  eigene  Zinkhütten-Industrie  im 
Rahmen  des  britischen  Reiches  zu  entwickeln.  Mitte  1916  traf  die 
englische  Regierung  Abmachungen  mit  der  australischen,  wonach  die 
erstere  in  einem  Zeitraum,  der  sich  10  Jahre  nach  dem  Friedensschluß 
erstrecken  soll,  jährlich  100000  t  Zinkerz  und  45000  t  fertiges  Zink 
von  Australien  abnehmen  wird.  Da  zur  Gewinnimg  der  letzteren 
112  500  t  Erz  erforderlich  sein  werden,  so  sind  insgesamt  jährlich 
212  500  t  australisches  Zinkerz  für  England  nötig.  Darüber  hinaus 
hat  Australien  jedoch  jährlich  etwa  400000  t  Erz  zur  Verfügung. 
Diese  hofft  man  in  Frankreich  und  Belgien  unterbringen  zu  können. 
Zur  Ausführung  der  nötigen  Arbeiten  gewährt  die  englische  Regierung 
der  australischen  einen  Vorschuß  von  500000  £.  Es  ist  zu  diesem 
Zwecke  eine  Gesellschaft  (in  Tasmanien)  mit  dem  Grundkapital  von 
1000000  £  gegründet  worden.  Bedauernd  meinte  die  „Times",  als 
sie  diese  Mitteilungen  brachte:  trotz  diesem  großzügigen  Plane  werde 
England  damit  noch  nicht  unabhängig  von  fremdem  Zinkbedarf,  so 
daß  die  Abmachungen  enttäuschten ;  immerhin  sei  es  nur  angenehm, 
daß  nunmehr  die  Deutschen  ihre  Herrschaft  über  den  australischen 
Zinkerzmarkt  verloren   hätten. 

Eine  Kabelmeldung  der  „Financial  News"  vom  11.  Januar  1917 
aus  Hobart  (Tasmanien)  besagte:  die  dort  errichteten  elektro- 
ly  tischen  Zinkschmelzwerke  hatten  den  Betrieb  nunmehr  begonnen; 
die  erste  Zinklieferang  soll  im  Juni  fertig  sein. 

5* 


68  Miszellen. 

Schon  1916  hatte  ein  Zinkschmelzwerk  in  Trail  (Britisch-Kolumbia) 
seinen  Betrieb  aufgenommen.  Vom  März  an,  da  es  eröffnet  wurde,  bis 
Ende  Dezember  erzeugte  es  6  Millionen  englißche  Pfund  Rohzink  im 
Werte  von  1  Mill.  $.  Canada  trat  damit  zum  ersten  Male  in  die  Reibe 
der  zinkverhüttenden  Länder  ein. 

Auf  alle  Fälle  wird  also  nach  dem  Kriege  ein  scharfer 
Wettbewerb  auf  dem  internationalen  Zinkmarkt,  sowohl  für 
Zinkerz  wie  für  verhüttetes  Zink,  einsetzen.  Nur  wird  davon  nicht 
allein  Deutschland,  sondern  auch  die  nordamerikanische  Union  betroffen. 
Die  Eigenversorgung  Deutschlands  mit  Rohzink  dürfte  auch  durch  den 
englisch-australischen  Wirtschaftskrieg  nicht  in  Frage  gestellt  werden, 
da  wir  glücklicherweise  unseren  gesamten  Zinkverbrauch  aus  inlän- 
dischen Erzen  decken  können.  (Q.c.) 


Miszellen. 


69 


III. 

Die  Eierpreise  in  Mannheim. 

Von  Amtsrat  Dr.  Emil  Hofmann, 
Vorstand  des  städtischen  Preisprüfungsamts  und  Dozent   an  der  Sozialen  Frauenschule, 

Mannheim. 

Zufolge  der  Getränk-  und  Viktualientaxe  für  den  Monat  Dezember 
1795  kosteten  damals  in  Mannheim  2  Eier  4  kr.,  d.  s.  12  Pfg.  Vom 
Januar  1796  ab  wurde  indessen  kein  Preis  mehr  festgesetzt.  Im  Juli 
1806  erhielt  man  für  4  kr.  4  Eier,  im  August  desgleichen,  im  Sep- 
tember für  8  kr.  7  Eier,  im  Oktober  für  4  kr.  3  Eier,  und  im  November 
für  8  kr.  5  Eier;  die  Umrechnung  ergibt  folgende  Eierpreise  für  je 
10  Stück:  im  Juli  und  im  August  1806  29  Pfg.,  im  September  33  Pfg., 
im  Oktober  39  Pfg.  und  im  November  46  Pfg. 

Vom  Dezember  1809  ab  bis  März  1836  sind  uns  nun  die  Eier- 
preise —  abgesehen  vom  Februar  1814  und  Januar  1828  —  Monat  für 
Monat  bekannt  (siehe  Tabelle  I). 


Tabe 

lle 

I.   P 

reis  füi 

10  Eier  1810  — 

1836. 

Jahres- 

Jahr 

Jan. 

Febr. 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

Aug. 

Sept. 

Okt. 

Nov. 

Dez. 

durch- 

schnitt 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

m= 

Pfg. 

Jt 

Pfg. 

Pfg. 

=a 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

1810 

58 

58 

29 

19 

26 

26 

29 

29 

33 

39 

46 

46 

37 

1811 

58 

39 

29 

26 

26 

29 

29 

29 

29 

39 

39 

46 

35 

1812 

58 

58 

29 

29 

29 

29 

39 

33 

39 

46 

46 

58 

41 

1813 

77 

46 

29 

29 

29 

29 

33 

33 

39 

46 

58 

77 

44 

1814 

77 

. 

29 

29 

29 

33 

33 

33 

39 

46 

58 

58 

42 

1815 

^l 

5^ 

29 

29 

29 

33 

33 

33 

33 

46 

46 

58 

40 

1816 

58 

58 

33 

33 

33 

29 

33 

39 

39 

46 

58 

58 

43 

1817 

58 

58 

39 

33 

39 

58 

58 

46 

46 

58 

58 

77 

52 

1818 

77 

58 

46 

29 

29 

33 

39 

39 

39 

58 

77 

77 

50 

1819 

77 

5? 

39 

39 

29 

33 

33 

33 

33 

39 

46 

58 

42 

1820 

58 

46 

29 

29 

29 

29 

26 

26 

33 

33 

39 

39 

35 

1821 

39 

39 

39 

39 

26 

26 

26 

26 

26 

26 

26 

46 

32 

1822 

46 

33 

23 

23 

21 

21 

23 

23 

23 

33 

33 

58 

30 

1823 

58 

58 

33 

33 

21 

23 

29 

29 

26 

26 

26 

39 

33 

1824 

^? 

26 

23 

23 

23 

23 

23 

23 

23 

23 

46 

46 

28 

1825 

46 

33 

23 

23 

19 

19 

19 

19 

21 

29 

39 

46 

28 

1826 

46 

33 

33 

19 

19 

19 

19 

23 

23 

29 

33 

33 

27 

1827 

33 

46 

26 

21 

16 

16 

19 

19 

19 

33 

46 

46 

28 

1828 

39 

26 

19 

21 

23 

23 

23 

26 

29 

39 

46 

29 

1829 

46 

46 

29 

21 

19 

21 

23 

23 

29 

33 

39 

58 

32 

1830 

77 

58 

26 

21 

21 

19 

23 

23 

33 

39 

39 

39 

35 

1831 

39 

39 

23 

23 

21 

23 

26 

29 

29 

29 

39 

46 

31 

1832 

58 

43 

29 

39 

26 

26 

33 

29 

39 

39 

46 

46 

38 

1833 

46 

36 

33 

29 

29 

26 

58 

26 

39 

39 

39 

46 

37 

1834 

39 

29 

26 

23 

23 

23 

26 

29 

34 

29 

48 

58 

32 

1835 

48 

43 

29 

26 

23 

25 

29 

29 

39 

39 

46 

58 

36 

1836 

46 

35 

29 

. 

70  Mifzellen. 

Und  zwar  erhielt  man  im  Dezember  1809  für  8  kr.  4  Eier,  d.  h. 
das  Ei  kostete  6  Pfg.,  und  für  10  Eier  mußten  58  Pfg.  bezahlt  werden. 
Im  Januar  und  Februar  1810  veränderte  sich  der  Preis  nicht.  Alsdann 
kam  ein  gewaltiger  Preissturz;  im  März  bekam  man  für  4  kr.  4  Eier; 
10  Eier  kosteten  also  nunmehr  29  Pfg.,  gegen  58  Pfg.  in  den  drei  vor- 
hergehenden Monaten.  Der  April  brachte  eine  abermalige  bedeutende 
Verbilligung ;  für  6  kr.  wurden  9  Eier  verabreicht,  so  daß  sich  der 
Preis  für  10  Eier  auf  nur  19  Pfg.  stellte.  In  den  folgenden  Monaten 
ging  die  Bewegung  wieder  aufwärts;  im  Mai  und  Juni  mußte  man  für 

9  Eier  je  8  kr.  anlegen;  im  Juli  und  August  erhielt  man  für  4  kr. 
4  Eier,  im  September  für  8  kr.  7  Eier,  im  Oktober  6,  im  November 
und  Dezember  nur  noch  5  Eier.  Der  Preis  für  10  Eier  betrug  hier- 
nach im  Mai  und  Juni  26  Pfg-,  im  Juli  und  August  29  Pfg.,  im  Sep- 
tember 33  Pfg.,  im  Oktober  39  Pfg.,  im  November  und  Dezember 
46  Pfg.  Im  Januar  1811  ging  es  abermals  aufwärts:  für  1  Ei 
mußten    2    kr.    bezahlt    werden,     und    damit     betrug     der    Preis    für 

10  Stück  58  Pfg.,  wie  im  Januar  1810.  Gegen  die  Mitte  des  Jahres 
wurden  die  Eier  wiederum  billiger,  und  gegen  das  Ende  zog  der  Preis 
wieder  an. 

Diese  Bewegung  wiederholte  sich  so  ziemlich  Jahr  für  Jahr.  Auf- 
fallende Abweichungen  von  dieser  B-egel  sind  für  die  Monate  Juni 
und  Juli  des  Teuerungsjahres  1817  und  für  den  Juli  1833  fest- 
zustellen. 

Am  billigsten  waren  die  Eier  im  Mai  und  Juni  1827 ;  damals  er- 
hielt man  für  8  kr.  14  Eier,  d.  h.  10  Eier  kosteten  nur  16  Pfg.  Das 
Preismaximum  betrug  77  Pfg.  für  10  Eier  und  zwar  wurde  dies  er- 
reicht: im  Januar  1813,  im  Dezember  1813,  im  Janur  1814,  im  De- 
zember 1817,  im  Januar,  November  und  Dezember  1818,  im  Januar 
1819  und  im  Januar  1830. 

Rechnet  man  für  die  einzelnen  Monate  der  25  Jahre  1811 — 1835 
die  Durchschnittspreise  aus,  so  erhält  man  folgende  Beihe: 

Jan.     Febr.     März     April     Mai     Juni    Juli    Aug.     Sept.     Okt.     Nov.     De«. 
54        45         30         26        25        27       30        29        32        37        44        53 

Am  billigsten  sind  also  die  Eier  jeweils  in  den  Monaten  April  und 
Mai,  am  teuersten  zur  Winterzeit,  im  Dezember  und  Januar. 

Für  die  40er  Jahre  sind  uns  keine  Preise  bekannt.  Was  das 
sechste  Jahrzehnt  anlangt,  so  wissen  wir  nur,  daß  Ende  des  Jahres 
1857  in  Mannheim  frische  Eier  das  Stück  zu  2  kr.  —  6  Pfg.  —  an- 
geboten worden  sind. 

Dagegen  gibt  uns  vom  Jahre  1866  ab  bis  zur  Gegenwart  eine 
fortlaufende  Statistik  Auskunft  über  die  Bewegung  der  Eierpreise.  Für 
die  Jahre  1866 — 1898  verdanken  wir  die  letzteren  den  für  das  Groß- 
herzoglich Badische  Statistische  Landesamt  in  Karlsruhe  angestellten 
Ermittelungen ;  zur  Verfügung  stehen  uns  indessen  nur  die  Jahresdurch- 
schnittspreise (siehe  Tabelle  II). 


Miszellcn. 


71 


Tabelle  IL     Preis  für  10  Eier  1866  —  1897. 


Jahr 

Pfennig 

Jahr 

Pfennig 

Jahr 

Pfennig 

Jahr 

Pfennig 

1866 

46 

1874 

60 

1882 

62 

1890 

70 

1867 

50 

1875 

60 

1883 

66 

1891 

63 

1868 

50 

1876 

65 

1884 

65 

1892 

76 

1869 

47 

1877 

62 

1885 

73 

1893 

67 

1870 

58 

1878 

60 

1886 

68 

1894 

64 

1871 

57 

1879 

60 

1887 

65 

1895 

63 

1872 

57 

1880 

62 

1888 

64 

1896 

60 

1873 

64 

1881 

61 

1889 

63 

1897 

60 

Im  Jahre  1898  hat  das  Statistische  Amt  der  Stadt  Mannheim  die 
Eier  in  seine  Preisstatistik  aufgenommen,  so  daß  wir  in  der  Lage  sind, 
von  da  an  wieder  Monat  für  Monat  die  Preisgestaltung  zu  verfolgen 
(siehe  Tabelle  III). 

Während  bis  zum  Jahre  1913  schlechtweg  der  Preis  für  10  Eier 
festgestellt  wurde,  ermittelte  man  vom  Januar  1914  an  einmal  den 
Preis  für  Trinkeier,  zum  andern  für  Kisten-,  bzw.  Sied-  oder  Koch- 
eier; den  Preis  für  die  letzteren  haben  wir  jeweils  in  Klammern  bei- 
gefügt. 

Für  den  Zeitraum  1866 — 1897  läßt  sich  nun  folgendes  sagen,  wo- 
bei wir  von  der  Betrachtung  der  Jahresdurchschnittspreise  zunächst 
(siehe  unten)  absehen  wollen. 

Nach  unseren  weiteren  Unterlagen  wurden  im  Februar  1868  in 
Mannheim  frische  Eier  das  Stück  zu  2  kr.  —  6  Pfg.  —  angeboten. 
Im  April  1869  konnte  man  7  gute  frische  Eier  um  8  kr.  —  23  Pfg.  — 
beziehen  und  100  Stück  um  1  fl.  48  kr.  —  3,08  M.  Mitte  Februar 
1874  kosteten  100  frische  große  Eier  4  fl.  6  kr.,  d.  h.  7,01  M. 

Mitte  November  1876  betrug  der  Preis  für  10  Stück  60  Pfg. 

Die  im  Jahre  1879  gegründete  Eierhandlung  Emanuel  Strauß  bot 
Ende  dieses  Jahres  Eier  zu  folgenden  Preisen  an: 

1.  Frische  gute  Siedeier. 

Deutsche   Eier  Italienische  Eier 

M.  M. 


100  Stück 
50   „ 
25   „ 

6,20                7,70 
3,10              3,90 

1,60                    2,00 

2.  Kalkeier. 

100  Stück 
50   „ 
25   „ 

5,40  M.  1 

2,7  0  „  >  f rei  ins  Haus  geliefert 

1,40  „  1 

Ende  April  1880  bot  diese  Eierhandlung  italienische  Ware  an,  und 
zwar  100  Stück  zu  5,60  M.,  50  Stück  zu  2,80  M.,  25  Stück  zu  1,40  M., 
frei  ins  Haus  geliefert. 


72  Miscellen. 

Mitte  Januar  1881  kosteten  bei  dieeem  Spezialgeschäft: 

Deutsche  Eier  Italienische  Eier 
M.  M. 

100  Stück  6,20  8,50 

50      „  3*10  4,t6 

25         „  1,60  2,15 

Im  Februar  wurde  der  Preis  für  italienische  Eier  auf  7,90  M.  für 
100  Stück  ermäßigt.     Die  weitere  Preisgestaltung  war  folgende : 

Deutsche   Eier  Italienische  Eier 

M.  M. 

5.  März  1881  5,40  7,00 

8.      „      1881  5,00  6,00 

15.      „      1881  4,80  5,80 

23.      „      1881  4,60  5,60 

23.  Oktober  1881  6,oo  8,20 

29.  Januar  1882  6,80  — 

5.  Februar  1882  6,20  — 

7.  November  1882  6,40  — 

Im  Oktober  1887  wurden  deutsche  Siedeier  zu  5,  6  und  7  Pfg. 
angeboten,  Kocheier  zu  6  Pfg.  und  italienische  Siedeier  zu  9  Pfg.  das 
Stück. 

Am  4.  März  1888  machte  die  Eierhandlung  Strauß  bekannt,  daß 
deutsche  und  italienische  Eier  wesentlich  billiger  geworden  seien;  in- 
folgedessen würden  die  ersteren  zu  5,  6,  6^/2  und  7  Pfg.  das  Stück 
verkauft  werden. 

Mitte  April  1888  war  der  Preis  für  100  deutsche  Eier  4,60  M.  und 
für  100  italienische  Eier  5,60  M. 

Anläßlich  eines  Wunsches  der  Marktkommission,  die  Wochenmarkt- 
ordnung dahin  abzuändern,  daß  nicht  nur  Kartoffeln  und  Bohnen,  sondern 
möglichst  alle  auf  den  Markt  gebrachten  Verbrauchsgegenstände  nach 
dem  Gewicht  verkauft  werden  sollten,  wurde  —  Ende  1888  und  An- 
fang 1889  —  die  Frage  behandelt,  ob  sich  auch  bezüglich  der  Eier 
eine  entsprechende  Vorschrift  empfehlen  würde.  Die  Marktkommission 
bejahte  diese  Frage.  Das  Großherzogliche  Bezirksamt  hatte  aber  Be- 
denken. Die  Anfrage  bei  anderen  Städten  ergab,  daß  in  Berlin,  München, 
Frankfurt,  Stuttgart  usw.  eine  derartige  Bestimmung  nicht  bestand. 

Dagegen  war  in  Osnabrück  der  Eierverkauf  nach  dem  Gewichte 
polizeilich  verordnet;  das  Pfund  Eier  kostete  damals  40  Pfg.  und  stieg 
im  Winter  bis  auf  60  Pfg.  Die  Ansichten  in  Mannheim  waren  sehr 
geteilt ;  der  Stadtrat  stimmte  dem  Antrag  der  Marktkommission  zu ;  das 
Großherzogliche  Bezirksamt  hielt  an  seinem  ablehnenden  Standpunkt  fest. 

Anfang  Juli  1890  kosteten  100  frische  und  gute  Eier  4,80  und 
5  M.  Ende  November  wurden  folgende  Preise  verlangt:  italienische 
Siedeier  das  Stück  8V2  und  9  Pfg.,  100  Stück  8,20  M.,  1000  Stück 
81  M. ;  bayerische  Eier  100  Stück  6,20  M. ;  ungarische  Eier  100  Stück 
6,10  M.,  1000  Stück  60  M.;  Kalkeier  100  Stück  5,60  M.,  1000  Stück 
55  M. 

Nach  diesen  Einzelaufzeichnungen  wollen  wir  nunmehr  Tabelle  III 
betrachten. 


Miszellen. 


73 


Tabelle  IIL     Preis  für  10  Eier  1898  —  1917. 


Jahres- 

Jahr 

Jan. 

Febr. 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

Aug. 

Sept. 

Okt. 

Nov. 

Dez. 

durch- 
schnitt 

P/g. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

Pfg. 

1898 

6o 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

1899 

6o 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

70 

61 

1900 

70 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

61 

1901 

6o 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

1902 

6o 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

60 

75 

61 

1903 

75 

75 

75 

75 

75 

75 

75 

75 

75 

75 

75 

75 

75 

1904 

75 

75 

75 

75 

75 

75 

75 

70 

70 

70 

70 

70 

73 

1905 

70 

75 

75 

80 

80 

80 

80 

80 

80 

80 

90 

100 

81 

1906 

100 

100 

ICX) 

80 

80 

80 

80 

80 

80 

90 

90 

90 

88 

1907 

90 

90 

80 

80 

80 

80 

80 

80 

80 

80 

80 

80 

82 

1908 

100 

80 

70 

70 

70 

70 

75 

70 

70 

75 

70 

80 

75 

1909 

75 

90 

80 

73 

73 

70 

70 

70 

71 

71 

75 

86 

75 

1910 

80 

85 

74 

70 

70 

70 

70 

70 

70 

70 

70 

88 

74 

1911 

80 

85 

78 

70 

70 

70 

70 

70 

70 

75 

80 

80 

75 

1912 

80 

90 

88 

70 

70 

69 

70 

70 

70 

75 

80 

83 

76 

1913 

80 

79 

73 

70 

70 

70 

70 

70 

71 

73 

70 

78 

73 

1914 

115 

118 

95 

88 

90 

90 

90 

120 

120 

135 

140 

140 

112 

(85) 

(90) 

(70) 

(67) 

(68) 

(68) 

(70) 

(88) 

(90) 

(98) 

(100) 

(118) 

(84) 

1915 

140 

140 

140 

130 

130 

150 

170 

170 

180 

190 

190 

280 

168 

(115) 

(100) 

(108) 

(HO) 

(115) 

(128) 

(135) 

(135) 

(152) 

(170) 

(180) 

(206) 

(138) 

1916 

230 

218 

203 

210 

215 

218 

213 

210 

210 

248 

260 

260 

225 

(180) 

(165) 

(165) 

(235) 

(220) 

(218) 

(225) 

(245) 

(275) 

(320) 

(320) 

(320) 

(240) 

1917 

260 
(320) 

260 
(320) 

260 

(320) 

. 

Hiernach  kosteten  im  Januar  des  Jahres  1898  in  Mannheim  10  Eier 
60  Pfg.  Eine  Aenderung,  und  zwar  eine  Erhöhung  um  10  Pfg.,  trat 
dann  erst  im  Dezember  1899  ein.  Im  Februar  1900  ging  der  Preis 
auf  seinen  alten  Stand  zurück.  Eine  abermalige  Heraufsetzung  —  dies- 
mal um  15  Pfg.  —  erfolgte  im  Dezember  1902.  Trotz  mehrerer  Schwan- 
kungen in  den  späteren  Monaten  und  Jahren  ist  die  Tendenz  des  Eier- 
preises weiterhin  eine  steigende. 

Während  der  Monate  Dezember  1905,  Januar,  Februar  und  März 
1906  kostete  das  Ei  durchschnittlich  10  Pfg.  Einen  Preis  von  über 
10  Pfg.  für  das  Stück  finden  wir  in  unserer  Tabelle  erstmals  im 
Januar  1914 ;  10  frische  Trinkeier  kosteten  zu  jener  Zeit  1,15  M. ;  für 
10  Kisteneier  betrug  der  Preis  85  Pfg. 

Der  Krieg  nun  brachte  eine  gewaltige  Verteuerung  der  Eier  mit 
sich.  Im  Juli  1914  kosteten  10  Trinkeier  90  Pfg.,  im  August  aber 
1,20  M. ;  die  Preissteigerung  beträgt  somit  SSVs  v.  H.  Im  Oktober 
erfolgte  eine  weitere  Erhöhung  um  15  Pfg.  und  im  November  eine 
abermalige  um  5  Pfg.  Immerhin  waren  damals  die  Eier  noch  ver- 
hältnismäj3ig  billig;  so  wurden  noch  Ende  Januar  1915  größte  Koch- 
eier zu  8  Pfg.,  größte  frische  italienische  Kocheier  zu  9  Pfg.  und  große 
frische  Siedeier  zu  11  Pfg.  das  Stück  in  Mannheim  angeboten.  Im 
Laufe  des  Jahres  1915  wurden  aber  die  Eier  um  100  Proz.  teurer;  im 
Dezember   mußten   die  Verbraucher  für  1  Trinkei  28  Pfg.,   für  1  Sied- 


74  Miszellen. 

oder  Kochei  20,6  Pfg.  bezahlen.  Im  November  verkaufte  die  bereits 
mehrmals  erwähnte  Eierhandlung  Strauß  frische  große  bulgarische 
Eier,  1  Stück  17  Pfg.,  100  Stück  17  M.,  1000  Stück  170  M.  Anfang 
Dezember  mußte  jedoch  dieses  Geschäft  „wegen  Warenmangels  bis  auf 
weiteres  geschlossen"  werden ;  die  erste  empfindliche  Eierknappheit  war 
eingetreten.  Um  dieser  einigermaßen  zu  steuern,  gab  das  städtische 
Lebensmittelamt  aus  seinen  Beständen  an  Kühlhauseiern  kurz  vor  den 
Weihnachtsfeiertagen  größere  Mengen  an  die  hiesigen  Eierhändler ;  diese 
waren  verpflichtet,  nicht  mehr  als  3  Stück  an  jeden  Käufer  und  zwar 
nur  an  Mannheimer  Verbraucher  abzugeben  und  den  Preis  von  20  Pfg. 
für  das  Stück  nicht  zu  überschreiten. 

Zur  Verhütung  und  Bekämpfung  von  Preistreibereien  hat  übrigens 
die  städtische  Preisprüfungsstelle  für  Marktwaren  bereits  in  den  letzten 
Monaten  des  Jahres  1915  Richtpreise  für  Eier  festgesetzt,  die  gegebenen- 
falls nur  mit  Genehmigung  des  städtischen  Preisprüfungsamts  über- 
schritten werden  durften. 

Das  Jahr  1916  brachte  gewaltige  Verschiebungen.  Nach  der  Ver- 
ordnung des  Stellvertreters  des  Reichskanzlers  vom  18.  April  mußten 
die  aus  dem  Ausland  eingeführten  Eier  an  die  Zentraleinkaufsgesell- 
schaft m.  b.  H.  in  Berlin  abgeliefert  werden.  Vom  18.  Mai  ab  konnten 
in  Mannheim  Eier  nur  noch  gegen  Marken  gekauft  werden;  übrigens 
war  Baden  der  erste  Staat,  der  die  Eierkarte  eingeführt  hat.  Zunächst 
sollten  in  der  Woche  3  Eier  auf  den  Kopf  verteilt  werden;  am  10.  Sep- 
tember wurde  bestimmt,  daß  auf  die  Eierkarte  in  der  Woche  nur  ein 
Ei  abgegeben  werden  darf.  Vom  1.  bis  21.  Oktober  durften  für  eine 
Person  höchstens  zwei  Eier  abgegeben  werden.  Am  21.  November  1916 
trat  die  Kundenliste  für  Eier  in  Mannheim  in  Kraft.  In  der  Zeit  vom 
18.  Mai  1916  bis  17.  März  1917  erhielt  in  Mannheim  jede  Person 
25  Eier,  d.  h.  während  dieser  10  Monate  kommen  durchschnittlich  auf 
den  Kopf  und  Monat  2,5  Eier. 

Was  nun  die  Eierpreise  im  Jahre  1916  anlangt,  so  gingen  die- 
selben in  den  ersten  Monaten  gegenüber  dem  letzten  Monat  des  vorher- 
gehenden Jahres  zurück.  Im  Januar  wurden  Tausende  von  bulgarischen 
Eiern  um  18  Pfg.  das  Stück   in   den  hiesigen  Eierhandlungen  verkauft. 

Ferner  gab  das  Lebensmittelamt  wiederum  Kühlhauseier  an  die 
Geschäfte,  die  von  den  Verbrauchern  höchstens  20  Pfg.  verlangen 
durften;  um  möglichst  zu  verhindern,  daß  die  Eier  zu  einem  höheren 
Preise  verkauft  wurden,  ließ  das  Lebensmittelamt  die  Eier  mit  einem 
Stempel  versehen ;  der  von  der  Preisprüfungsstelle  für  Marktwaren  fest- 
gelegte Richtpreis  betrug  nämlich  zu  jener  Zeit  20 — 24  Pfg. 

Die  niedersten  Preise  hat  der  März  aufzuweisen;  so  setzte  die 
Preisprüfungsstelle  am  6.  März  für  frisch  gelegte  Eier  einen  Richtpreis 
von  20  Pfg.  fest,  für  die  übrigen  Eier  einen  solchen  von  15 — 17  Pfg.; 
Ende  Dezember  1915  war  der  Richtpreis  für  Eier  25 — 26  Pfg. 

Die  Eierhandlung  Strauß  bot  Anfang  März  1916  „gute,  große,  zum 
Backen  und  Kochen  geeignete"  Kalkeier  zum  Preise  von  16  Pfg.  für 
1  Stück,  und  von  15,50  M.  für  100  Stück  an. 


Mis  Zellen.  75 

Am  23.  März  wurde  erstmals  für  holländische  Eier  ein  Richtpreis 
von  der  Preisprüfungsstelle  beschlossen,  und  zwar  22  Pfg.  für  das  Stück. 

Im  April  kosteten  in  Mannheim  holländische  Eier  bis  zu  24  Pfg., 
oldenburgische'  bis  zu  25,  Anfang  Mai  dänische  und  schwedische  eben- 
falls bis  zu  24  Pfg. 

Anfang  April  kamen  —  für  die  minderbemittelte  Bevölkerung  — 
in  den  städtischen  Läden  ungarische  Eier  zum  Preise  von  13  Pfg.  das 
Stück  zum  Verkauf;  an  jeden  Käufer  wurden  höchstens  3  Eier  ab- 
gegeben. 

Zu  gleicher  Zeit  bot  die  Eierhandlung  Strauß  nochmals  —  aber 
wohl  zum  letzten  Male  —  „jedes  Quantum"  große  Kalkeier  zu  16  Pfg., 
frische  Eier  zu  20  und  22  Pfg.,  Holländer  Eier  zu  23  Pfg.  und  extra- 
schwere Holländer  Trinkeier  zu  24  Pfg.  an. 

Im  Mai  1916  kam  ein  Erlaß  des  Großh.  Badischen  Ministeriums. 
Nach  diesem  durften  die  Kommunalverbände,  um  den  Eierpreis  auf  einer 
erträglichen  Höhe  zu  halten,  als  Erzeugerpreis  keinen  höheren  Preis  als 
18  Pfg.  festsetzen.  Dem  Aufkäufer  durfte  für  die  von  ihm  aufgekauften 
Eier  bei  der  Ablieferung  an  den  örtlichen  Sammelstellen  höchstens  ein 
um  1^/2  Pfg.  höherer  Preis  bewilligt  werden.  Der  Preis,  zu  welchem 
der  Inhaber  der  Sammelstelle  an  die  Bedarfsgemeinden  oder  Bedarfs- 
kommunalverbände die  Eier  abzugeben  hatte,  durfte  den  Erzeugerpreis 
höchstens  um  2  Pfg.  übersteigen.  Beim  Verkauf  an  den  Verbraucher 
war  zum  Verkaufspreis  der  Sammelstelle  des  Ueberschußverbandes 
höchstens  ein  Zuschlag  von  1  Pfg.  für  das  Ei  zu  gestatten,  gleich- 
gültig, ob  der  Vertrieb  in  eigener  Verkaufsstelle  der  Gemeinde  oder 
des  Kommunalverbandes  oder  durch  den  Kleinhandel  erfolgte.  Hier- 
nach ergab  sich  ein  höchster  Aufschlag  zwischen  Erzeuger-  und  Ver- 
braucherpreis für  das  Ei  von  3  Pfg.  oder  ein  Verbraucherhöchstpreis 
von  21  Pfg. 

Am  31.  Mai  setzte  die  Preisprüfungsstelle  für  ausländische  Eier 
einen  Richtpreis  von  22  Pfg.  fest;  erhöht  wurde  derselbe  am  27.  Juli 
auf  24  Pfg.,  am  24.  August  auf  26  Pfg.,  am  21.  September  auf  32  Pfg. 

Im  Juli  überwies  das  städtische  Lebensmittelamt  mehrere  tausend 
polnische  Eier  zum  Preise  von  35  Pfg.  das  Stück  an  hiesige  Kon- 
ditoreien, Wirtschaften  usw. 

Im  Oktober  wurde  der  Preis  für  inländische  Eier  um  5  Pfg.  herauf- 
gesetzt; der  Verbraucherpreis  stellte  sich  nunmehr  auf  26  Pfg.;  als 
Erzeugerpreis  wurden  bis  zu  22  Pfg.  zugelassen. 

Und  schließlich,  am  4.  Februar  1917,  setzte  das  Großh.  Badische 
Ministerium  des  Innern  für  Inlandseier  Höchstpreise  fest;  die  Bekannt- 
machung ist  heute  noch  in  Kraft. 

Hiernach  darf  im  Großherzogtum  Baden  der  Preis  für  ein  Hühnerei 
guter  Beschaffenheit  bei  Verkauf  durch  den  Geflügelhalter  (Erzeuger- 
preis) höchstens  22  Pfg.  betragen.  Dieser  Höchstpreis  gilt  sowohl  ab 
landwirtschaftlichem  Betrieb  wie  frei  Sammelstelle.  Beim  Weiterverkauf 
an  den  Verbraucher  (Verbraucherpreis)  darf  der  Preis  höchstens  26  Pfg. 
betragen;    tatsächlich   hat   sich    also    der  Preis  durch  die  Höchstpreis- 


76  Miszellen. 

festsetzung  nicht  geändert,  denn  seit  Oktober  1916  kostete  das  in- 
ländische Ei  in  Mannheim  26  Fig. 

Mit  der  gleichen  Bekanntmachung  wurden  auch  für  Enten-  und 
Gänseeier  Höchstpreise  bekannt  gegeben.  Beim  Verkauf  durch  den 
Geflügelhalter  beträgt  der  Preis  für  ein  Entenei  30  Pfennig  und  für  ein 
Gansei  50  Pfg.  Der  Preis  beim  Weiterverkauf  an  den  Verbraucher 
darf  den  Erzeugerpreis  um  höchstens  4  Pfg.  überschreiten;  der  Ver- 
braucherhöchstpreis beträgt  hiernach  für  ein  Entenei  34,  für  ein  Gansei 
54  Pfg. 

Damit  sind  wir  bei  der  Gegenwart  angelangt.  Betrachten  wir  nun 
noch  kurz  die  Jahresdurchschnittspreise  des  Zeitraums  1810—1916. 

Am  billigsten  waren  die  Eier  in  den  20er  Jahren  des  vergangenen 
Jahrhunderts.  Während  man  im  Jahre  1826  für  10  Eier  im  Durch- 
schnitt 26  Pfg.  bezahlen  mußte,  kosteten  im  Jahre  1916  solche  2,25  M. ; 
sonach  wurden  die  Eier  in  Mannheim  in  den  90  Jahren  1826 — 1916 
um  765  Proz.  teurer.  Vor  100  Jahren,  also  im  Jahre  1816,  stellte  sich 
der  Durchschnittspreis  auf  43  Pfg.;  die  Preissteigerung  beträgt  also 
für  den  Zeitraum  1816—1916  423  Proz.  Da  im  Juli  1914  10  Eier 
90  Pfennig,  im  März  1917  aber  2,60  M.  kosteten,  so  beträgt  bis  jetzt 
während  des  Krieges  die  Preisheraufsetzung  189  Proz. 

In  Wirklichkeit  ist  indessen  die  Verteuerung  der  Eier  noch  größer ; 
denn  vielfach  standen  in  den  letzten  Monaten  nur  ausländische  Eier 
zum  Preise  von  32  Pfg.  das  Stück  zur  Verfügung.  Berücksichtigt  man 
dies,  so  waren  im  März  1917  die  Eier  um  722  Proz.  teurer  als  vor 
100  Jahren;  seit  dem  letzten  Friedensmonat  ist  eine  Preissteigerung 
um  357  Proz.  eingetreten.  (G.  c.) 


Miszellen.  77 


IV. 

Wohlfahrtspflege,  Caritas  und  soziale  Arbeit. 

Zum    25-jährigeii  Jubiläum  der  Zentralstelle   für  Volks- 
wohlfahrt. 

Von  Elisabeth  Gnauck-Kühne  (f). 

Wenn  der  Krieg  eine  Lebenserschwerung  ist,  so  ist  er  auch  zu- 
gleich eine  Lebenserhöhung,  denn  er  spannt  alle  Kräfte  zur  Betätigung 
an.  Wir  erleben  eine  gesteigerte  Tätigkeit  auf  allen  Gebieten.  Die 
wirtschaftliche  Gütererzeugung  ruft  nach  Händen,  die  Munitionswerk- 
stätten und  chemischen  Fabriken  arbeiten  fieberhaft,  und  daneben  zeigt 
eine  stets  anschwellende  Literatur,  wie  Deutschland  durch  seine  Geistes- 
arbeiter denkt,  und  wie  es  in  unserem  Volke  dichtet.  Auch  auf  päda- 
gogischem Gebiete  herrscht  reges  Leben.  Der  Kampf  um  die  Schule 
ist  unter  der  Losung  Einheitsschule  erneut  ausgebrochen;  die  Frage 
des  weiblichen  Dienstjahrs  wird  lebhaft  erörtert.  Zu  den  bemerkens- 
wertesten Zeichen  der  Zeit  gehört  die  Gründung  sozialer  Frauenschulen 
in  rascher  Folge,  nachdem  eine  längere  Pause  seit  der  Eröffnung  der 
alten  sozialen  Frauenschulen  in  Berlin,  Hannover,  Heidelberg  und  der 
Frauenhochschule  in  Leipzig  eingetreten  war.  Während  des  Krieges 
eröffneten  Köln  (mit  zwei  Schulen)  und  Stettin  den  Reigen,  Frank- 
furt, Mannheim,  München,  Hamburg  folgten,  und  Berlin  eröffnete 
seine  vierte  soziale  Frauenschule.  Die  Stettiner  und  eine  der  köl- 
nischen Anstalten  sind  städtisch.  Die  erstere  hat  den  Namen  Frauen- 
dienstschule ,  die  kölnische  den  Namen  Wohlfahrtsschule  erhalten. 
Damit  sind  die  Vorstände  der  Schulen  in  feinem  Verständnis  für  die 
Zeitforderungen  der  Entwicklung  vorausgeeilt,  denn  die  allgemeine 
Frauendienstpflicht  wird  ernstlich  erwogen,  und  die  Wohlfahrtspflege 
gewinnt  zusehends  an  Bedeutung  und  allgemeiner  Würdigung.  Auch 
Charlottenburg  wird  eine  Wohlfahrtsschule  eröffnen.  Die  Stadt  Köln 
hat  außerdem  in  enger  Verbindung  mit  ihrer  Hochschule  für  kommunale 
und  soziale  Verwaltung  eine  Frauenhochschule  zur  Ausbildung  von 
Sozialbeamtinnen  für  leitende  Stellungen  geschaffen.  Noch  nie  ist  die 
Nachfrage  nach  sozial  geschulten  Arbeitskräften  so  groß  gewesen  wie 
jetzt.  Staat  und  Stadt  wetteifern  in  der  Einstellung  weiblicher  ge- 
schulter Kräfte  in  ihren  Anstalten  für  Wohlfahrtspflege  oder  Zentralen 
für  soziale  Fürsorge.  Die  Zahl  der  angestellten  Sozialbeamtinnen  ist 
so  gewachsen,  daß  sie  sich  bereits  in  Vereinen  zusammengeschlossen 
und  Stellenvermittlung  organisiert  haben.  Dabei  ist  die  Frage  aufge- 
worfen  worden,   ob   auch   unbesoldete   Sozialarbeiterinnen    dem  Verein 


78  Miizellen. 

angehören  können.  Die  Frage  wurde  verneint.  Mit  ihr  war  die  Er- 
örterung über  den  Charakter  der  unbesoldeten  ehrenamtlichen  Tätigkeit 
gegeben.  Die  ehrenamtliche  Tätigkeit  setzte  man  mit  Caritas  gleich, 
die  besoldete  mit  sozialer  Berufsarbeit  ^).  Mit  dieser  Erörterung  ist 
eine  Frage  neu  aufgerollt,  die  in  dem  letzten  Viertel  des  vorigen  Jahr- 
hunderts die  sozialen  Arbeiter  lebhaft  beschäftigte  und  auch  jetzt  wieder 
sozial  und  karitativ  arbeitende  Kreise  interessiert.  Damals  fragte  man 
kurz  und  klar:  Caritas  oder  soziale  Arbeit? 

Die  Zeitumstände,  aus  denen  das  Problem  herausgewachsen  war, 
waren  freilich  andere.  Das  Jahr  1848  hatte  ein  Aufblitzen  von  Be- 
strebungen gezeitigt,  die  dem  Wohl  des  arbeitenden  Volkes  galten, 
man  wollte  das  Volk  „organisieren".  Auch  in  der  Kirche  fand  das 
Bestreben  einen  Wiederhall.  Bischof  von  Ketteier  hielt  seine  sozialen 
Predigten,  und  Kolping  gründete  Gesellenvereine.  Selbst  die  Frauen- 
welt war  von  der  Bewegung  erfaßt;  eine  Luise  Otto -Peters,  die 
Gründerin  der  deutschen  Frauenbewegung,  konnte  dem  sächsischen 
Ministerium  zurufen:  „Vergeßt  der  Arbeiterinnen  nicht!"  Aber  das 
Interesse  an  Bestrebungen,  die  unmittelbar  dem  Volkswohl  galten, 
flaute  in  der  breiten  Oeffentlichkeit  bald  ab.  Das  Volk  beruhigte  sich, 
und  seine  Freunde  schwiegen  bis  zum  Auftreten  von  Schulze-Delitzsch, 
Lassalle  und  Marx.  Eine  längere  Friedenszeit  ließ  politische  Interessen 
nicht  in  den  Vordergrund  treten.  Der  Sauerteig,  der  durch  die  neue 
Auffassung  vom  Staate  in  die  menschliche  Gesellschaft  geworfen  war, 
mußte  sich  erst  allmählich  durchsetzen  und  feste  Formulierungen  heraus- 
bilden. So  führten  die  sozialen  und  politischen  Interessen  ein  krypto- 
games  Dasein,  sie  sanken  gleichsam  in  das  Unterbewußtsein  der  Nation ; 
das  geistige  Leben  wandte  sich  Bildungsfragen  zu.  Das  Ideal  der 
Humanität  wurde  auf  die  Fahne  geschrieben.  Als  den  Weg  zu  diesem 
Ziel  betrachtete  man  Erziehung  und  Unterricht.  Das  französische 
Schlagwort  von  der  Freiheit,  Gleichheit  und  Brüderlichkeit  wirkte  in 
anderer  Tönung  dabei  mit.  Die  Brüderlichkeit,  eine  Gesinnung,  sollte 
durch  Humanität  in  Tat  umgesetzt,  sollte  Verbrüderung  werden  und 
Gleichheit  aus  sich  heraus  bewirken.  Freiheit  verlangte  man  in  Kirche 
und  Leben  nach  englischem  Vorbild,  und  Einfluß  auch  besonders  im 
Wirtschaftsleben,  das  in  immer  steigendem  Maße  die  öffentliche  Auf- 
merksamkeit beschäftigte.  Der  volkswirtschaftliche  Kongreß  wurde  ein 
Brennpunkt  des  öffentlichen  Lebens  und  stellte  die  Bildungs-  und 
Humanitätsbestrebungen  in  Schatten.  Englische  Erfindungen  wurden 
in  Deutschland  angekauft,  vervollkommnet  und  mit  Eifer  angewandt. 
Industriezentren  bildeten  sich  im  Königreich  Sachsen,  in  Rheinland- 
Westfalen,  die  Kohlen-  und  Eisengewinnung  beschäftigten  das  Ruhr- 
und Saargebiet  und  Schlesien.  Fabriken  erstanden,  Maschinen  hielten 
ihren  Einzug.  Jedermann  konnte  ungehindert  produzieren;  die  Zunft- 
schranken wurden  durch  die  Gewerbefreiheit  niedergelegt.  Die  Frei- 
zügigkeit ließ  die  Städte  anschwellen.     So  wollte  es  die  manchesterliche 


1)   Vgl.  Alice  Salomon  in  Nr.  21  und  die  Antwort  von  E.  v.  Erdberg  in  Nr.  22 
der  „Concordia",  1916. 


Miszellen.  79 

Richtung  im  Wirtschaftsleben,  und  der  politische  Liberalismus  verhalf 
ihr  zur  Herrschaft.  Die  frei  gewordenen  Kräfte  regten  sich,  die  Frank- 
reich auferlegte  Kriegsentschädigung  gab  den  letzten  Anstoß,  und  ein 
beispielloser  Aufschwung  setzte  ein. 

Aber  bald  zeigten  sich  bedenkliche  Risse  in  dem  Fundament  des 
stolzen  Baues  unseres  Wirtschaftslebens.  Die  soziale  Frage  war  da. 
Sie  zeitigte  den  Ruf  nach  Sozialreform,  und  in  ihrem  Dienste  die  so- 
ziale Arbeit.  Diese  war  eine  neue  Erscheinung.  Bislang  war  auf 
dem  Gebiete  der  Nächstenhiife  die  Caritas,  die  dienende  Nächstenliebe, 
Alleinherrscherin  gewesen.  Die  soziale  Arbeit  trat  zu  ihr  in  bewußten 
Gegensatz. 

Die  Caritas,  die  irrationale,  aus  natürlichen  Trieben  allein  nicht 
zu  erklärende  Nächstenliebe,  konnte  auf  eine  ununterbrochene  gewaltige 
Ueberlieferung  zurücksehen,  die  so  alt  ist  wie  die  Religion. 

Auch  der  rein  natürliche  Mensch,  der  Mensch  als  animale,  kennt 
Gemütstriebe,  Gefühle,  wie  wir  sie  auch  bei  den  Tieren  beobachten, 
und  zwar  in  einem  Grade,  der  zur  Symbolisierung  der  aufopfernden 
Mutterliebe  in  der  Tiergestalt  des  Pelikan  führen  konnte.  Mit  Caritas 
können  wir  diese  Gefühle  des  Naturmenschen  aber  noch  nicht  bezeichnen, 
es  sind  Instinkte,  unbewußt  und  unfreiwillig  auf  den  Zweck  gerichtete 
Triebe.  Zur  Caritas  wurden  sie  erst  durch  die  Religion  erhoben. 
Unter  den  Trieben  des  natürlichen  Menschen  war  es  nicht  der  Ge- 
schlechts-, sondern  der  Mutterinstinkt,  das  weibliche  Prinzip,  das  der 
Einwirkung  der  Religion  den  Hebelpunkt  bot.  Der  Mutterinstinkt  ist 
soziologisch  das  Primäre,  der  Urquell  altruistischer  Gefühle  und  damit 
der  Caritas.  Der  Mann  will  Befriedigung,  die  Mutter  Hingebung. 
Der  Mann  will  das  Geschlecht,  das  Weib  aber  das  Kind.  Der  Mutter- 
instinkt ließ  das  Weib  Zuneigung  für  den  Säugling  empfinden,  der  sie 
behinderte,  belästigte.  Mit  Leichtigkeit  hätte  sie  sich  des  hilflosen 
Wesens  entledigen  können,  statt  dessen  nahm  sie  alle  Last  willig  und 
geduldig  auf  sich.  Zur  Mütterlichkeit,  zur  Gesinnung  wurde  dieser  Ur- 
trieb  der  Mutterschaft  freilich  erst  durch  die  Religion.  Gratia  supponat 
naturam.  Die  Religion  war  es,  die  die  Gemütstriebe  des  Menschen 
aber  nicht  nur  erklärte,  sondern  auch  dimensional  entwickelte.  Instinkt 
ist  immer  zeitlich  und  zwecklich  abgegrenzt,  Caritas  wächst  über  natür- 
liche Beziehungen  hinaus.  Die  Instinkte  teilt  die  menschliche  Natur 
mit  den  tierischen  Lebewesen  sowohl  an  Art  wie  an  Stärke;  ihre  Be- 
einflussung und  Entwicklung  durch  die  Religion  kennt  der  Mensch  allein. 
In  der  ersteren  Behauptung  eine  Entwürdigung  der  Menschennatur 
sehen  zu  wollen,  geht  nicht  an,  denn  wenn  die  Religion  nichts  Ver- 
klärungswürdiges vorgefunden  hätte,  wie  hätte  der  Mensch  religiös 
werden  können  ?  Im  Gegenteil,  diese  Ansicht  führt  den  Schnitt  zwischen 
der  Tier-  und  der  Menschenwelt.  Im  Menschen  fand  die  Religion  An- 
knüpfung an  Potenzen,  die  wir  als  Seele  bezeichnen,  und  die  dem  Tiere 
fehlen.  Diese  Potenzen  konnte  sie  zur  Entfaltung  bringen,  und  sie  tat 
es.  Sie  setzte  das  menschliche  Bewußtsein  zum  Uebernatür liehen  in 
Beziehung   und   gab  dem  Triebleben  Würde   und  erhöhten  Wert.     Die 


gO  Miszellen. 

Nächstenliebe  wurde  ein  Gebot  von  grundlegender  Bedeutung  und 
großer  Verheißung.  Auch  die  heidnische  Religion  und  das  Judentum 
entwickelten  ein  hohes  Maß  von  Verwandtenliebe.  Antigene  setzt  für 
die  Seelenruhe  des  gefallenen  Bruders  ihr  Leben  aufs  Spiel,  und  die 
Juden  haben  von  jeher  ein  vorbildliches  Familienleben  und  große  Wohl- 
tätigkeit gepflegt.  Aber  die  weiteste  Ausdehnung  und  größte  Vertiefung 
fand  die  Nächstenliebe  in  der  christlichen  Lehre,  die  insonderheit  die 
Liebe  zu  den  Bedrängten  empfahl,  ja  sogar  die  Feindesliebe  verlangt. 
Die  Kirche  lehrte,  daß  die  leiblichen  und  geistlichen  Werke  der  Barm- 
herzigkeit Charakteristika  der  Christen  seien,  und  daß  aller  religiöse 
Glaube  ohne  Taten  der  Nächstenliebe  wertlos  sei.  Liebeswärme  durch- 
drang das  religiöse  Leben  im  Mittelalter,  und  nicht  nur  in  engen,  aus- 
erwählten, sondern  in  weiten  Kreisen,  so  daß  viele  die  Wonne  des 
Wohltuns  empfanden  und  sich  daran  erquicken  konnten.  Der  Bettler 
war  der  Verursacher  dieser  inneren  Freude  und  deshalb  auch  nicht  die 
fragwürdige  Gestalt  von  heute,  der  der  Kampf  angesagt  worden  ist, 
und  deren  gänzliche  Beseitigung  unser  Stolz  sein  würde,  er  war  viel- 
mehr ein  ergänzender  Bestandteil  der  menschlichen  Gemeinschaft.  Al- 
mosengeber- und  -nehmer  befanden  sich  wohl  bei  dieser  Rollenverteilung: 
das  Almosengeben  war  eine  religiöse  Pflicht,  deren  Uebung  keine  Ueber- 
hebung  nahelegte;  das  Almosennehmen  war  erlaubt  und  mit  keiner 
Schande  verknüpft.  Die  Bettler,  Krüppel  und  Blinden  gehörten  zu  den 
Kirchtüren  und  Klosterhöfen  wie  der  Lindenbaum  zum  Dorfbrunnen. 
Für  alles  wußte  die  werktätige  Nächstenliebe  Rat,  so  daß  Karl  Bücher 
sagen  kann:  „Die  Anstalten,  welche  das  Mittelalter  geschaffen  hat, 
genügten  doch  Jahrhunderte  lang  dem  Bedürfnisse  der  Zeit,  von  der 
man  mit  Unrecht  mehr  verlangen  würde,  als  ihre  Mittel  erlaubten." 
Nun  wäre  es  freilich  unerklärlich,  wie  mittelalterliche  Caritas  eine 
solche  Glut  und  Fülle  aufweisen  könnte,  wenn  sie  ein  Pflichtgebot  und 
nichts  weiter  gewesen  wäre.  Pflicht  ist  ein  fester,  zuverlässiger,  aber 
karger  Boden,  auf  dem  sich  Häuser  bauen  lassen,  irrationale  Liebes- 
tätigkeit aber,  dem  ichbestimmten  Menschen  unfaßlich,  sicher  nicht  ge- 
deiht. Hier  ist  zu  bedenken,  wie  stark  die  Ueberlieferung  christlichen 
Gemeinschaftslebens  im  Mittelalter  noch  war.  Die  Kirche  hieß  die 
katholische,  das  heißt  allen  gemeinsame.  Die  zahlreichen  Gottesdienste, 
deren  Besuch  das  Kirchengebot  vorschrieb,  pflegten  das  Gemeindeleben ; 
Formen  des  Gemeinschaftslebens  wurden  gefunden,  die  in  glücklicher 
Weise  die  Schwierigkeiten  jedes  gemeinsamen  Lebens  überwanden  und 
bis  auf  die  Gegenwart  dauern.  Das  Bewußtsein  der  Zusammengehörig- 
keit wurde  beständig  wach  erhalten.  Es  lag  im  Geiste  der  Zeit,  im 
Bettler  den  armen  Bruder  zu  sehen,  dessen  Bedürfnislosigkeit,  weit 
entfernt,  ein  Stein  des  Anstoßes  zu  sein,  eher  als  Tugend  empfunden 
wurde.  Der  Arme  von  Assisi  verlangte  von  seinen  Jüngern  freige- 
wählte Armut,  möglichste  Bedürfnislosigkeit,  wie  er  denn  selbst  sich 
seines  irdischen  Besitzes  entäußert  hatte.  Von  unserem  Zeitideal  des 
Luxus  und  unserem  Arbeits-  und  Zahlenwahnsinn  war  jene  Stimmung 
allerdings  weit  entfernt,  aber  sie  hat  die  Not  ihrer  Tage,  wie  Bücher 
sagt,  wirksam  bekämpft. 


Miszellen.  gX 

Wenn  Bücher  damit  recht  hat  —  und  das  hat  er  —  so  liegt  die 
Ursache  freilich  nicht  allein  in  der  unleugbaren  Wärme  und  dem  Um- 
fang der  Caritas,  sondern  wesentlich  mit  in  den  Zeitumständen  und  der 
Beschaffenheit  der  menschlichen  Gruppierung.  Die  deutsche  Staats- 
gewalt im  Mittelalter  war  zwar  weit  entfernt  von  der  Machtzentra- 
lisation,  wie  wir  sie  kennen,  aber  die  städtischen  Gemeinden  bildeten 
starke  Selbstverwaltungskörper,  in  denen  die  einzelnen  Berufsstände 
straff  organisiert  waren.  Es  sei  nur  erinnert  an  die  Zünfte  der  Hand- 
werker, die  Gilden  der  Kaufleute.  Die  Stände  standen  fest,  und  das 
Arbeitsverhältnis  der  Abhängigen,  der  Gesellen  und  Lehrlinge,  der 
zünftigen  Arbeiterinnen  und  der  Mägde,  die  dem  Meister  oder  der 
Meisterin  beim  Zurichten  des  Flachses  und  der  Wolle  und  beim  Spinnen 
halfen,  war  gesetzlich  festgelegt.  Dazu  kam,  daß  die  Ansammlung  von 
Menschen  nicht  annähernd  so  groß  war  wie  heute.  Wenn  wir  eine 
Stadt  von  5000—20000  Einwohnern  statistisch  als  Kleinstadt  be- 
zeichnen, so  war  im  Mittelalter  eine  Stadt  mit  dieser  Bevölkerungs- 
zahl eine  Großstadt.  Deutschland  wird  von  Ballod  vor  dem  dreißig- 
jährigen Kriege  auf  20  Millionen  Einwohner,  nach  ihm  auf  8  bis 
9  Millionen  geschätzt. 

So  war  und  blieb  das  Elend  übersehbar.  Es  waren  nicht  im 
Arbeitsverhältnis  liegende  Schwierigkeiten  ganzer  Berufsstände,  die  es 
zvL  beheben  galt,  sondern  immer  Einzelschicksale,  Varianten  von  selbst- 
verschuldeter und  unverschuldeter  Not,  für  die  durch  Geldopfer  in  Form 
von  Stiftungen,  Almosen,  Unterstützungen,  sowie  durch  Seelsorge  ge- 
sorgt werden  konnte.  Selbst  für  das  Laster  hatte  man  jahrhunderte- 
lang duldsames  Verständnis,  bezeichnete  beispielsweise  die  „fahrenden 
Frauen"  eher  als  „irrende,  schwache,  wandelbare  wilde  Weiber"  denn 
als  lasterhafte  und  suchte  sie  durch  Aufnahme  in  besonders  für  sie 
errichtete  Reuerinnenklöster  auf  den  rechten  Weg  zurückzuführen. 
Nicht  als  ob  Berufskämpfe  ganz  unbekannt  oder  unmöglich  gewesen 
wären.  Wir  hören  von  den  Gesellenkämpfen,  aber  sie  blieben  auf  die 
Beteiligten  beschränkt  und  waren  an  Bedeutung  und  Tragweite  mit 
unseren  Klassenkämpfen  schon  deshalb  nicht  zu  vergleichen,  weil  sie 
sich  innerhalb  ein  und  derselben  Klasse  abspielten.  Die  Caritas  be- 
sonders war  auf  wirtschaftliche  oder  soziale  Kämpfe  nicht  eingestellt, 
sie  war  dem  Einzelschicksal  geweiht. 

Die  Caritas,  von  übernatürlichen  Quellen  gespeist,  überstand  auch 
den  sittlichen  Niedergang  im  15.  Jahrhundert  und  die  furchtbare  Zeit 
des  dreißigjährigen  Krieges.  Danach  aber  war  die  Entwicklung  in  der 
katholischen  und  evangelischen  Welt  verschieden.  In  der  katholischen 
Kirche  blieb  die  Caritas  in  Uebung.  Sie  erhielt  neue,  bis  in  die 
Gegenwart  fortwirkende  Impulse  namentlich  aus  Frankreich,  wo  Mitte 
des  vorigen  Jahrhunderts  die  rührigen  Vinzenzvereine  gegründet  wurden, 
deren  weibliche  Seitenstücke  die  Elisabethvereine  sind.  Ueber  die 
Caritas  ging  das  Zeitverständnis  der  französischen  Katholiken  freilich 
nicht  hinaus.  Selbst  wo  sie  später  dem  Gebot  der  Stunde  gehorchen 
und  sich  sozial  betätigen  wollten,  schufen  sie  beispielsweise  nicht 
Standesvereine  der  Arbeiter  und  Arbeiterinnen,  sondern  „Patronagen", 

Jahrb.  f.  Natioualök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  Q 


g2  Miszellen. 

d.  h.  Vereine,  in  denen  vornehme  Damen  die  erwerbstätigen  Mädchen 
„beschützten".  Im  Geburtsland  des  neuen  Staatsbegriffs  und  der  Neu- 
ordnung der  Gesellschaft  blieb  die  Caritas  auf  den  alten  Gleisen,  und 
soziale  Interessen  wurden  nur  schüchtern  von  Einzelnen  oder  kleinen 
Gruppen  vertreten.  In  Deutschland  dagegen  nahmen  die  Katholiken 
entschieden  zur  sozialen  Frage  Stellung  und  gingen  bahnbrechend  vor. 
Der  Verband  „Arbeiterwohl"  und  der  Volksverein  wurden  in  München- 
Gladbach  gegründet. 

In  der  Frühzeit  der   evangelischen  Kirche   kam   die  Caritas  nicht 
recht  zu  Wort.     Als  äußeren  Grund  für  den  Wegfall  der  reichen  Stif- 
tungen   und    Unterstützungen    und    des    armenpflegerischen   Gemeinde- 
dienstes  können    wir   die  Verwüstungen    anführen,    die    der    furchtbare 
Krieg   über   Deutschland   gebracht   hatte,   und  die  Uebernahme  pflege- 
rischer  Aufgaben    durch    die   Pfarrfrau.     Auf   den   Reichtum   Deutsch- 
lands im  15.  Jahrhundert,  der  Aeneas  Sylvius   sagen   läßt:    „Cuperent 
tam  egregie  Reges  Scotorum  quam  mediocres  Nurimbergae  cives  habitare", 
war  eine  Armut  gefolgt,  wie  sie  das  Reich   noch   nicht   gesehen  hatte. 
Auch  kostete  der  Kampf  der  evangelischen  Kirche   um   ihren   Bestand 
und   Ausbau   viel   Kraft.     An   inneren    Gründen   sprach    das  Bedürfnis 
mit,  sich  von  der  alten  Elirche  zu  unterscheiden  und  die  eigene  Lehre 
scharf  zu  formulieren.     So  verneinte  man  mit  Heftigkeit  den  Wert  der 
guten  Werke,  also  auch  der  Caritas,  um  ausschließlich  die  Rechtfertigung 
aus    dem    Glauben    zu    betonen.      Dadurch    wurde    die    Caritas    ihrer 
stärksten   Triebfeder,   der   religiösen   Inspiration,   beraubt.     Indem    die 
Reformation  den  Einzelnen  auf  sich   stellte,    die  Vermittlung   zwischen 
Gott  und  Menschenseele  ablehnte,  löste  sie  naturgemäß  das  engste  Band 
zwischen    dem  Geistlichen    und    seiner   Gemeinde,    wie    sie    durch   die 
mindere  Wertung  guter  Werke  das  Band   zwischen   den  verschiedenen 
Schichten  der  Gemeinde  lockerte.     Somit  wurde  an  Stelle  des  Gemein- 
schaftsgedankens  und   -empfindens,    das   bei   den  Pietisten  und  Herrn- 
hutern  pflegerische  Zuflucht  fand,  der  Individualismus  gesetzt,  der  sich 
sowohl  in  der  Ethik  als  im  Wirtschaftsleben  bald  fühlbar  machte.    Be- 
sonders das  letztere  entwickelte  sich  mehr  und  mehr  egozentrisch;  die 
letzten    innerlich-sittlichen    Hemmungen,    wie    einzelne    Kirchengeboie 
(z.  B.  das  Verbot  des  Zinsnehmens  bei  Konsumtivkredit,  die  Heiligung 
der   Sonn-   und    Festtage)   sie    darstellten,   waren   beseitigt,  das  christ- 
liche Gemeinschaftsbewußtsein  geschwunden,  der  Einzelne  auf  sich  ge- 
stellt, das  Wirtschaftsleben  auf  die  Automatik  von  Angebot  und  Nach- 
frage   angewiesen.     Die    evangelische   Kirche   sah   den   Geist,   den   sie 
gerufen,  zum  Herrn  werden,  aber  sie  nahm  mutig  den  Kampf  mit  ihm 
auf.     Im  19.  Jahrhundert   treffen   wir   deutsche    evangelische  Christen, 
die  die  Caritas  neu  erweckten.    Neben  ihnen  begann  die  Innere  Mission 
ihr    Werk.      Aber    auch    die    evangelische    Kirche    Deutschlands    be- 
schränkte sich  nicht  auf  die  Caritas,  die  alte  christliche  Liebestätigkeit 
gegenüber  dem  Einzelschicksal,  sondern  nahm  neue  Gedanken  auf,  um 
der   Not   der  Zeit   begegnen   zu  können.     Der  Kirchentag  zu  Halle  er- 
klärte die  evangelische  Kirche  „für  berechtigt  und  verpflichtet,   an  der 
Lösung  der  sozialen  Frage  mitzuarbeiten".    Geistliche  traten  mit  Staats- 


Miszellen.  ^ 

Wissenschaftlern  zum  evangelisch -sozialen  Kongreß  und  der  freien 
kirchlich-sozialen  Konferenz  zusammen.  Vor  diesen  Vereinigungen,  die 
von  geistlicher  Seite  ausgingen,  war  bereits  der  Verein  für  Sozialpolitik 
entstanden,  nach  ihnen  wurde  die  Gesellschaft  für  soziale  Reform  ge- 
gründet.    Die  soziale  Bahn  war  beschritten. 

Es  war  hohe  Zeit.  Die  Entwicklung  hatte  nicht  stillgestanden. 
Die  Periode  der  industriellen  Großunternehmungen  und  der  sozialdemo- 
kratischen Propaganda  war  angebrochen.  Das  Ideal  der  Humanität 
hatte  die  gehegten  Erwartungen  nicht  erfüllt.  Statt  der  erhofften  Ver- 
brüderung war  der  Klassenhaß  entbrannt  und  wurde  von  der  Sozial- 
demokratie geschickt  geschürt.  Statt  der  Gleichheit  standen  sich  Unter- 
nehmer und  Arbeiter  wie  feindliche  Welten  gegenüber,  und  die  ge- 
rühmte Freiheit,  Wohnort  und  Gewerbe  zu  wechseln  und  den  Arbeits- 
vertrag abzuschließen,  hatte  sich  für  die  schnell  anwachsende  und  in 
den  Städten  sich  zusammenballende  Industriearbeiterschaft  als  ein  Da- 
naergeschenk erwiesen.  Der  kapitalkräftige  Unternehmer  und  der  Mann, 
der  nichts  hatte  wie  seine  Arbeitshände,  waren  nicht  gleiche  Vertrags- 
komponenten. Die  Not  des  vierten  Standes  trat  grell  zutage.  Die 
Atomisierung  der  Gesellschaft  machte  sich  fühlbar,  und  die  Frage,  wie 
der  Auflösung  neue  Bindungen  entgegenzusetzen  wären,  der  Arbeiter- 
stand in  das  Staatsganze  wieder  einzugliedern  und  ein  neues  Arbeits- 
recht zu  schaffen  sei,  beschäftigte  hellsehende  Männer  in  allen  Kreisen 
vom  Thron  bis  in  die  Arbeiterschichten  hinein.  Die  Sozialreform  setzte 
ein  und  errang  aller  Verkennung  und  Anfeindung  zum  Trotz  die  Arbeiter- 
schutz- und  V  ersieh erungsgesetzgegung,  die  den  Umsturz  bekämpft, 
unsere  Arbeiterschaft  vor  Verkümmerung  bewahrt  und  ihr  wesentlich 
geholfen  hat,  das  zu  werden,  als  was  sie  sich  im  Kriege  gezeigt  hat. 
Soziale  Arbeit  wurde  die  Losung.  Die  Caritas  trat  in  den  Hinter- 
grund. Soziale  Arbeiter  und  Arbeiterinnen  wiesen  sie  bewußt  ab.  Und 
in  der  Tat,  hier  genügte  die  Caritas  nicht.  Die  Einzelhilfe  konnte 
noch  so  vielen  die  Hand  bieten,  die  ganze  Schicht,  den  ganzen  Berufs- 
stand der  Industriearbeiter  umspannte  sie  nicht,  und  hätte  sie  es  ge- 
konnt, so  wäre  der  Versuch  einer  Annäherung  erfolglos  gewesen ;  denn 
mit  Stiftungen,  Unterstützungen  und  Suppenküchen  war  dem  Arbeiter 
nicht  geholfen.  Er  hätte  die  dargebotene  Hand  überhaupt  nicht  er- 
griffen, sondern  zurückgewiesen;  denn  das  Standesbewußtsein  war  er- 
wacht. Er  wollte  keine  Wohltaten,  keine  Almosen,  sondern  sein  staats- 
bürgerliches Recht.  Die  Volksschule  hatte  ihn  acht  Jahre  lang  zum 
Denken  genötigt,  das  allgemeine  gleiche  Stimmrecht  mit  geheimer  Wahl 
hatte  ihn  politisch  geweckt,  nun  verlangte  er  nach  Rechtsschutz  in 
seinem  Arbeitsverhältnis  und  Bewegungsfreiheit  zur  Selbsthilfe.  Da 
konnte  nur  das  Gesetz  helfen.  Deshalb  trachtete  die  Sozialreform  nach 
einem  neuen  sozialen  Recht.  Das  lag  der  Caritas  fern,  die  nur  Liebe 
und  Aufopferung,  nicht  Kampf  ums  Recht  auf  ihre  Fahne  geschrieben 
hatte  und  sich  um  Gewerbeordnung  und  Koalitionsfreiheit  nicht  kümmerte. 
Freilich  war  auch  soziale  Arbeit  Nächstenhilfe  und  wollte  es  sein,  aber 
sie  verstand  die  Nächstenhilfe  anders.  Das  Streben  ging  dahin,  die 
Arbeiter   und  Arbeiterinnen  zur  Selbsthilfe  zu  ertüchtigen.    Hilf  ihnen, 

6* 


34  Hiszellen. 

sich  selbst  zu  helfen,  war  das  Stichwort.  Und  diese  Selbsthilfe  wollte 
und  sollte  die  Arbeiterschicht  durch  Organisation  erreichen.  Dazu 
brauchte  man  wieder  staatliche  Erlaubnis  und  landete  somit  wieder 
beim  Streben  nach  Gesetzesrecht.  Die  Organisierung  der  Arbeiter  und 
Arbeiterinnen  zu  ermöglichen  und  zu  unterstützen,  das  war  anfangs 
die  Hauptaufgabe  der  sozialen  Arbeit,  Rechtsschutz  ihr  Ziel. 

Die  ganze  Stimmung  in  den  sozialreformerischen  Kreisen  lag  der 
Caritas  nicht.  Die  charakteristische  Aeußerung  des  Arbeiters,  dem 
Suppenmarken  angeboten  wurden :  „Wir  wollen  eure  Suppen  nicht,  gebt 
uns  unser  Recht,  dann  werden  wir  Fleisch  essen",  war  der  guten  Frau 
mit  dem  Herzen  voll  Liebe  und  der  Tasche  voll  Suppenmarken  unbe- 
greiflich, denn  in  ihrem  Gemüt  war  noch  die  Vorstellung  verankert, 
daß  Hilfsbedürftigkeit  und  Suppenmarken  zusammengehören,  und  so 
empfand  sie  das  Standesbewußtsein  der  Arbeiterklassen  und  ihre  Ab- 
neigung gegen  Almosen  als  Anmaßung,  behandelte  sie  entsprechend  und 
wirkte  eher  aufreizend  als  versöhnend.  Nicht  als  ob  die  gesegnete 
karitative  Tätigkeit  stillgelegt  worden  wäre,  sie  stand  nach  wie  vor 
in  aufopfernder  Arbeit  im  Dienste  der  Notleidenden,  Kranken  und  Ent- 
gleisten und  betonte  ihre  Berechtigung  unter  Hinweis  auf  das  Wort 
Jesu:  „Arme  habt  ihr  allzeit  bei  euch",  nur  die  Zeitforderung  und 
Form  der  sozialen  Arbeit  wies  sie  ihrerseits  ab.  Der  soziale  Arbeiter 
seinerseits  betonte  der  Caritas  gegenüber,  daß  letztere  rein  symptomatisch 
verfahre  und  warte,  bis  das  Geschwür  zum  Ausbruch  komme,  während 
er  dem  ganzen  Körper  zur  Gesundung  verhelfen  und  verhüten  wolle, 
daß  Geschwüre  sich  bilden ;  verhüten  aber  sei  besser  als  heilen.  Femer 
nahm  die  soziale  Arbeit  für  sich  eine  größere  Tragweite  in  Anspruch, 
und  man  kann  nur  zustimmen,  wenn  ihre  Vertreter  ausführten,  daß 
durch  einen  einzigen  Gesetzesparagraphen,  der  die  Arbeitszeit  kürzt 
oder  eine  hygienische  Maßnahme  zur  Verhütung  von  Gesundheitsschädi- 
gungen in  den  Betrieben  erzwingt,  Millionen  gefördert  und  üebel  an 
der  Wurzel  gepackt  würden,  deren  Folgeerscheinungen  die  Caritas  zu 
bekämpfen  haben  würde.  Darauf  erwiderte  dann  die  Caritas,  daß  diese 
Folgeerscheinungen  sich  höchstens  vermindern,  aber  nie  ganz  vermeiden 
lassen  würden,  und  daß  sie  deshalb  unentbehrlich  sei. 

So  verteidigten  soziale  Arbeiter  und  Caritasjünger  ihr  Tun  und 
ihre  Grenzen.  Die  einen  schrieben  Rechtsschutz,  die  anderen  Liebes- 
dienst auf  ihre  Fahnen.  Sie  schienen  sich  zu  fliehen,  und  ihre  Tätig- 
keit glich  doch  Trieben  aus  derselben  Wurzel,  die  auseinander  wachsen, 
um  eine  um  so  vollere  gemeinsame  Krone  zu  bilden.  Sie  mußten  sich 
wiederfinden  und  fanden  sich,  und  die  Annäherung  ging,  wie  wir  sehen 
werden,  von  der  jüngeren  Schwester,  der  sozialen  Arbeit,  aus,  die  der 
Caritas,  der  Erstgeborenen,  den  Rang  streitig  gemacht  hatte. 

Die  soziale  Arbeit  hatte  Gesetzesschutz  angestrebt.  Das  alte  Recht 
war  teils  aufgehoben,  so  die  Zunftordnungen,  teils  genügte  es  nicht; 
denn  die  Arbeitsverhältnisse  in  der  Zeit  der  großen  Unternehmungen 
waren  neu,  neu  waren  auch  die  Lebensbedingungen  des  industriellen 
Arbeiters,  der  frei  war,  zu  arbeiten,  wo  er  wollte,  und  zu  verhungern, 
wo  er  wollte.     So  mußte  erst  ein    neues  Arbeitsrecht  gebildet  werden. 


Miszellen.  g5 

Diesem  neuen  Rechte  mußten,  wie  jedem  Gesetzesrecht,  Sitte  und 
Brauch  vorhergehen,  die  das  Gesetz,  in  Stein  gemeißelt,  dann 
schützen  oder  verdammen  und  unter  Strafe  stellen  konnte,  eine  An- 
schauung, die  implicite  schon  in  dem  Tacituslobe  Germaniens  liegt,  in 
dem  er  Sitte  und  Gesetz  einander  gegenüberstellt:  „plusque  ibi  boni 
mores  valent  quam  alibi  bonae  leges".  Später  hat  es  den  Germanen 
an  Gesetzen  nicht  gefehlt.  Zu  den  historischen  Verdiensten  der  sozialen 
Arbeit  gehört  es,  neuer  Sitte,  neuem  Brauch  den  Weg  geebnet  zu  haben 
trotz  scharfer  Anfeindung  und  Verkennung,  ja  Verfolgung  von  Seiten 
aller  derer,  die  die  Zeitideen  und  die  Aufwärtsbewegung  des  vierten 
Standes  verkannten  uud  mit  äußeren  Mitteln  wähnten  beseitigen  zu 
können,  sei  es  durch  Ausnahmegesetze,  die  doch  nur  ins  Feuer  schlugen 
und  Funken  umhersprühen  ließen,  sei  es  durch  die  Versicherung,  daß 
sie  als  ultima  ratio  vor  der  Kanone  nicht  zurückschrecken  würden. 
Ein  verkümmerter  Arbeiterstand  erschien  dieser  Richtung  weniger  be- 
denklich, als  ein  selbstbewußter,  leistungsfähiger  nach  der  alten  Meinung 
(mutatis  mutandis): 

Rustica  gens 
Optima  flens 
Pessima  ridens. 

Auch    dem    ältesten  Recht   war  Brauch   und  Sitte   vorangegangen. 

Die  Forschungen  über  die  Urgeschichte  der  Familie  haben  die  An- 
nahme bestätigt,  daß  die  Menschen  auch  in  vorhistorischer  Zeit  in 
großen  Gruppen  zusammenlebten,  eine  Annahme,  die  einleuchtet,  wenn 
man  die  Härte  des  Kampfes  ums  Dasein  in  Urzeiten  sich  vergegen- 
wärtigt. Es  ist  nun  aber  auch  kein  Naturvolk  gefunden  worden,  in 
dem  die  Gemeinschaft  nicht  feste,  bestimmte  Sitten  und  Gebräuche  ge- 
zeitigt hätte.  Das  Zusammenleben  vieler  ist  ohne  Normen,  die  die 
Willkür  eindämmen,  einfach  unmöglich.  Zank,  Streit,  Tätlichkeiten, 
Totschlag  würden  die  Gemeinschaft  aufgerieben  haben.  Der  Stärkere 
wird  zwar  in  den  Uranfängen  menschlichen  Zusammenlebens  imstande 
gewesen  sein,  seinen  Willen  durchzusetzen,  zu  herrschen,  aber  neben 
diesem  männlichen  Prinzip,  der  verkörperten  Kraft,  wird  das  weibliche, 
mütterliche  Prinzip,  die  verkörperte  Geduld,  zur  Geltung  gekommen 
sein,  denn  nur  durch  Rücksichtnahme  auf  das  Kind,  die  verkörperte 
Hilfsbedürftigkeit,  konnte  die  Menschengruppe  wachsen.  Auch  wenn 
wir  dies  Prinzip  nicht  überschätzen  -—  Kindesaussetzung  und  -Ver- 
treibung kennt  die  Sage  und  die  Geschichte  —  so  bleibt  es  doch  sozio- 
logisch interessant,  daß  Abraham,  dem  Vater,  nicht  der  Mutter,  die 
Opferung  Isaaks  auferlegt  wurde,  und  daß  bei  der  Aussetzung  des 
Moses  auf  das  Mitleid  der  ägyptischen  Königstochter  als  natürlicher 
Regung  spekuliert  wurde  und  zwar  mit  Erfolg.  Wir  lesen:  „Als  sie 
das  weinende  Kind  sah,  fühlte  sie  Mitleid."  Dieses  Mitleid  und  seine 
Betätigung  mußte  schon  eine  bekannte  Regung  und  Erscheinung  sein, 
wenn  die  Mutter  Mose  es  in  Rechnung  stellen  konnte.  Diese  Sitte, 
der  hilfsbedürftigen  Schwäche  zu  Hilfe  zu  kommen,  brauchte  nur  von 
der  Religion  verklärt  und  erweitert  zu  werden,  um  sich  zur  Caritas 
zu    erheben,    diese  Sitte    aber,    und    darauf    kommt   es   hier  an,  wurde 


36  Miszellen. 

auch  Vorläuferin  des  Rechts.  Das  fünfte  Gebot  im  Dekalog  erhob  die 
Einschränkung  des  Gebrauchs  der  stärkeren  Faust  zum  Gesetz  und  er- 
kannte dem  Schwachen  das  Recht  auf  sein  Leben  zu,  ein  Recht,  das 
in  langer  Entwicklung  in  unserem  Familienrecht  und  im  Strafrecht 
vervollkommnete  Fassung  gefunden  hat.  Caritas  und  Recht,  wie  das 
Beispiel  zeigt,  kommen  aus  derselben  (religiösen)  Wurzel.  Die  Caritas 
erwuchs  aus  der  religiösen  Einwirkung  auf  natürliche  Triebe ;  die  leben- 
erhaltenden, fördernden,  veredelnden  Brauchsnormen,  die  dadurch  ent- 
standen, fanden  im  Recht  ihren  festen  Boden,  das  Recht  wurde  der 
klare  Ausdruck  der  wohltätigen  Sitten  und  zugleich  ihr  Beschützer  und 
dadurch  selbst  zur  Caritas,  zur  Wohltat,  eine  Tatsache,  die  sich  in 
dem  überkommenen  Ausdruck  Rechtswohltat  widerspiegelt.  Das  natür- 
lich-animalische Triebleben  ist  Instinkt  und  steht  unter  dem  Zwang 
der  Triebe;  das  religiös  bestimmte  Gemütsleben  steht  unter  innerer 
seelischer  Nötigung;  das  Recht  ist  Wille.  Die  Caritas  bildet  die  Sitte 
heraus,  die  dem  Menschenleben  Würde  gibt  und  ihm  Wegweiser  zur 
Sittlichkeit  wird,  das  Recht  schützt  das  Errungene.  Auch  in  dieser 
Beleuchtung  tritt  die  enge  Verwandtschaft  von  Caritas  und  Recht, 
dem  Ziel  der  sozialen  Arbeit  und  damit  der  sozialen  Arbeit  selbst, 
hervor.  Was  die  sozialen  Arbeiter  und  Arbeiterinnen  antrieb,  das  war 
die  innere  karitative  Nötigung,  unter  deren  Druck  sie  ihrer  Ein- 
sicht folgten,  den  neuen  Geist  weckten  und  neuem  Brauch  den  Weg 
bahnten,  damit  das  neue,  das  soziale  Recht  entstehen  konnte. 

Wir  sahen,  beide,  Caritas  und  soziale  Arbeit,  gehören  dem  Ur- 
sprung nach  zusammen,  sie  dienen  aber  auch  demselben  Endzweck: 
dem  Wohl  der  menschlichen  Gesellschaft.  Es  wäre  nicht  zutreffend, 
einwenden  zu  wollen,  daß  die  sozialen  Arbeiter  nur  der  Aufwärts- 
bewegung der  unteren  Klassen  dienen  wollten,  also  das  Wohl  des 
Ganzen  nicht  im  Auge  gehabt  hätten.  Mit  einem  verkümmerten  oder 
unterdrückten  Arbeiterstande  wäre  unser  Reichsbau  ein  Koloß  auf 
tönernen  Füßen  geworden.  Der  ganze  Organismus  leidet,  wenn  ein 
Glied  erkrankt  ist.  Wer  einem  Gliede  zur  Gesundheit  verhilft,  dient 
dem  Ganzen,  gleichviel  ob  wir  durch  Schutzzoll  den  Agrariern  zu  Hilfe 
kommen,  oder  durch  Gewerbeförderung  und  Genossenschaftswesen  dem 
Mittelstand  oder  durch  Versicherung  und  Rechtsschutz  dem  industriellen 
Arbeiter  helfen.  Deshalb  hat  die  soziale  Arbeit  dem  Ganzen  gedient, 
und  diese  Anerkennung  ist  ihr  im  Kriege  endlich  geworden.  Anfangs 
hatten  Caritas  und  soziale  Arbeit  scharfe  Grenzregulierungen  vorge- 
nommen, aber  die  Frontlinien  bekamen  mit  der  Zeit  Einbuchtungen. 
Dabei  wurde  das  ursprüngliche  Ziel  an  keiner  Seite  aus  den  Augen 
verloren,  sondern  bis  auf  den  heutigen  Tag  festgehalten.  Die  Vereins- 
gesetzänderung, die  Reform  der  Alters-  und  Hinterbliebenenversiche- 
rung, der  Ausbau  des  Arbeitsnachweises,  Wohnungsreform  und  Bildung 
von  Heimarbeitsausschüssen  beschäftigen  die  sozialen  Arbeiter  unaus- 
gesetzt, ja  die  Entwicklung  ihrer  Arbeitsgebiete  ist  eine  so  reiche, 
daß  sie  das  Bedürfnis  nach  Unterscheidung  fühlen  und  bereits  von 
sozialaufklärender,    sozialhygienischer    und    sozialpädagogischer    Arbeit 


Miszellen.  g7 

sprechen.  Auch  die  Arbeiterschaft  als  Berufsstand  und  als  soziale 
Schicht  strebt  nach  Klarheit  der  Zielsetzung:  die  christlichen  Gewerk- 
schaften sind  mit  einem  Programm  an  die  Oeffentlichkeit  getreten. 
Auf  der  anderen  Seite  ist  die  Caritas  eifrig  am  Werke.  Auf  ihrem 
ursprünglichen  Gebiete  der  Kranken-  und  Verwundetenpflege  sammelt 
sie  Verdienste  um  Verdienste,  die  kein  Wort  genug  anerkennen  und 
preisen  kann.  Aber  bei  allem  Zielbewußtsein  erweitern  Caritas  und 
Sozialarbeit  ihre  Gebiete,  insonderheit  in  der  Gegenwart.  Die  Kranken- 
pflegerinnen bekümmern  sich  beispielsweise  um  Beschäftigung  und 
Unterhaltung  der  Verwundeten,  der  Vaterländische  Frauenverein  über- 
nimmt Beratungsstellen.  Die  Sozialarbeiter  dagegen  gehen  gemeinsam 
vor  mit  dem  bekannten  Verein  „für  Armenpflege  und  Wohltätigkeit", 
der  in  seinem  Namen  sich  zu  derjenigen  Uebung  bekennt,  die  die 
Sozialarbeiter  abwiesen,  und  sie  verbinden  sich  weiter  aufs  engste  mit 
dem  Haupt-  und  dem  Arbeitsausschuß  der  Kriegerwitwen-  und  Waisenfür- 
sorge, der  trotz  programmatisch-theoretischer  Trennung 
unvermeidlich  so  weit  in  die  Armenpflege  hinübergreift,  daß  der  Unter- 
schied bisweilen  nur  in  der  Buchung  unter  einer  anderen  Kopfleiste 
besteht.  Der  Berliner  Arbeitsausschuß  dieses  Verbandes  nimmt  die 
Geschäftsleitung  des  „Beichsverbandes  für  Kriegspatenschaften",  eine 
wesentlich  karitative  Gründung,  in  die  Hand.  Der  Armen-  und  Waisen- 
pfleger kommt  umgekehrt  von  seiner  Stellung  aus  zur  „sozialen 
Fürsorge",  eine  Bezeichnung,  die  vor  dreißig  Jahren  als  contradictio 
in  adjecto  empfunden  worden  wäre,  und  in  dieser  Fürsorge  benötigt 
er  wieder  der  karitativen  Hilfe  der  Pflegerin,  die  Nachfragen  anstellt 
und  mit  milder  Hand  und  verständnisvollem  Wort  tröstend,  beratend 
oder  mahnend  da  einsetzt,  wo  der  Gesetzesparagraph  totes  Papier  wird. 
Die  Grenzen  sind  fließende  geworden.  Leicht  ist  es,  die  Krankenpflege 
der  Caritas,  die  Vereinsgesetzänderung  der  Sozialarbeit  auf  das  Konto 
zu  setzen,  schwieriger  ist  es  schon,  die  Säuglingsfürsorge  in  Stadt  und 
Land,  die  Jugendpflege,  Jugendfürsorge,  Jugendgerichtshilfe  program- 
matisch aufzuteilen.  Und  wohin  gehören  die  Schulspeisungen,  die 
Kinderhorte,  die  Wärmestuben,  die  Beschäftigungsvereine?  Und  ist 
es  karitative  oder  soziale  Arbeit  oder  beides  in  fruchtbarer  Vereinigung, 
wenn  der  Vorsitzende  des  Caritasverbandes,  Sitz  Freiburg  i.  B.,  erwerbs- 
tätige Mädchen  im  Ausland  veranlaßte,  ihre  Ersparnisse  stets  um- 
gehend nach  Deutschland  zu  schicken,  und  ihnen  bei  Kriegsausbruch 
auf  diese  Weise  150000  M.  rettete?  Wir  sehen,  die  absolute  Eintei- 
lung: hie  Liebesdienst!  hie  Sozialarbeit!  läßt  sich  nur  —  wenn  das 
Bild  erlaubt  ist  —  für  die  Hauptforts  der  beiden  Arbeitsgebiete  fest- 
halten. Zwischen  ihnen  liegen  die  weiten  Flächen,  in  denen  der  Kampf 
gegen  chronische  Uebel  aus  moralischen  Fehlerquellen  und  gegen  die 
akuten  Schwierigkeiten  wirtschaftlich-sozialer  Art  gemeinsam  geführt 
wird,  und  das  heißt  so  viel  wie  mit  doppelter  Kraft  und  in  befruchten- 
der Wechselwirkung  geführt  wird.  Die  Sozialarbeiter  tragen  das 
soziale  Moment  in  alle  diese  Tätigkeiten  hinein,  trachten  aus  allen 
Kräften,   die  Empfangenden   zur  Selbsthilfe   zu  befähigen,  sie  tunlichst 


gg  Miszellen. 

in  der  Schicht,  der  sie  angehören,  zu  erhalten  und  sie  vor  Herabsinken 
zu  bewahren.  Aber  sie  haben  die  Caritas  schätzen  gelernt,  sie  erleben 
ihre  Unentbehrlichkeit. 

Als  im  vorigen  Jahrhundert  die  Schwierigkeiten  sich  türmten,  da 
mußten  die  Reformer  bei  Recht  und  Gesetz  Hilfe  suchen,  nun  haben 
wir  Rechtsschutz,  und  nun  sehen  wir,  daß  dem  unendlich  vielgestaltigen 
Leben  gegenüber  dem  Gesetzesparagraphen  in  seiner  steinernen  Festig- 
keit die  Anpassungsmöglichkeit  fehlt,  die  das  bunte  Leben  fordert. 
Vom  Recht  Elastizität  verlangen,  hieße  seine  Natur  verkennen.  Das 
Recht  ist  gefrorene  Caritas,  und  vom  Eiszapfen  verlangen  wir  nicht, 
daß  er  weich  sei.  Aber  weil  das  Recht  unbiegsam  ist  und  nicht  ge- 
bogen werden  soll,  deshalb  bedarf  es  der  Ergänzung,  und  deshalb  ruft 
die  soziale  Arbeit  der  Gegenwart  wieder  laut  nach  Caritas,  der  an- 
passungsfähigen, ergänzenden,  individualisierenden  Caritas.  Sie  ist 
Pfadfinderin  der  Menschheit  gewesen  und  wird  immer  die  Vorläuferin 
guter  Sitte  und  Wegweiser  zur  Sittlichkeit  sein  und  bleiben,  mit  anderen 
Worten,  Bahnbrecherin  eines  kulturellen  Fortschritts  von  innen  heraus, 
der  sich  nicht  auf  Kosten  der  unteren  Klassen  vollzieht,  sondern  auf 
ihre  Förderung  Bedacht  nimmt,  der  sozial  orientiert  ist.  Eines  aller- 
dings muß  die  Caritas  ernstlich  erwägen.  Will  die  karitative  Tätigkeit 
zur  sozialen  Berufsarbeit  im  Gleichgewicht  bleiben,  so  muß  sie  wie  diese 
theoretische  und  praktische  Ausbildung  fordern.  Der  wohlmeinende 
Dilettantismus  muß  abgetan  sein. 

Wenn  nun  Caritas  und  Sozialarbeit  aus  derselben  Wurzel  ent- 
springen und  nur  auseinandergewachsen  sind,  um  eine  vollere  gemein- 
same Krone  zu  bilden,  so  bleibt  noch  der  Hinweis  übrig,  daß  diese 
Krone  in  der  Wohlfahrtspflege  zu  erblicken  ist.  In  ihr  sind  Sozial- 
arbeit und  Caritas  eine  fruchtbare,  theoretische  und  praktische  Vereini- 
gung eingegangen.  Ohne  die  beiden  Faktoren,  auf  denen  sie  ruht,  in 
ihrer  Bedeutung  im  geringsten  zu  schmälern,  erscheint  sie  als  Einheit 
von  großer  Zukunftsaussicht,  denn  ohne  die  Disziplin  des  Rechtsmaß- 
stabes unterliegt  pflegerische  Tätigkeit  leicht  subjektiven  Schwankungen, 
und  ohne  Caritas  endigt  die  Handhabung  der  Gesetzesvorschriften  nur 
zu  leicht  in  bürokratischer  Mechanik.  Die  Wage,  mit  Caritas  und  Sozial- 
arbeit gefüllt,  schwankt  im  Laufe  der  Entwicklung  auf  und  nieder. 
Gegenwärtig  senkt  sich  die  Schale  der  Caritas  reich  beladen,  während 
jahrzehntelang  die  soziale  Arbeit  das  Schwergewicht  hatte.  Die  Wohl- 
fahrtspflege setzt  beide  Schalen  ins  Gleichgewicht. 


Wohlfahrtspflege  ist  dem  Ursprung  nach  karitativ:  sie  entspringt 
aus  der  Teilnahme  an  anderen,  aus  innerer  Nötigung,  sie  ist  Betätigung 
einsichtiger  Nächstenliebe,  sie  tut  nicht  das,  was  Gesetzesparagraphen 
erzwingen  können,  sondern  gerade  das,  was  der  Paragraph  nicht  vor- 
schreibt. In  diesem  Sinne  ist  sie  „freiwillige  Tätigkeit"  genannt 
worden  i). 


1)  Stammler  und  v.  Erdberg.     Vgl.  insbesondere  des  Letztgenannten  Schrift  „Die 
Wohlfahrtspflege.     Eine  sozialwissensehaftliche  Studie."     Jena  1903. 


Miszellen.  g9 

Diese  Bezeiclinung  steht  möglicherweise  in  ursächlicher,  jedenfalls 
in  wechselseitiger  Beziehung  zu  der  Verkehrsanschauung,  daß  nur  die 
„freiwillige"  Arbeit  Wohlfahrtspflege  sei,  die  pflichtmäßig  gebundene 
falle  nicht  unter  diesen  Begriff,  weil  ihr  das  Hauptmerkmal,  die  Frei- 
willigkeit, fehle.  Den  Ausdruck  der  pflichtmäßigen  Gebundenheit  er- 
blickt man  in  der  Besoldung,  die  die  Anstellung  und  damit  den  Be- 
rufsarbeiter charakterisiere.  Nach  dieser  Auffassung  ist  Besoldung  das 
Kriterium  der  Berufsarbeit,  Unentgeltlichkeit  gleich  Freiwilligkeit,  gleich 
Liebhaberarbeit.  Daraus  würde  sich  die  Folgerung  ergeben :  Wenn 
nur  freiwillige,  nicht  durch  Besoldung  vertraglich  gebundene  Tätigkeit 
Wohlfahrtspflege  ist,  so  kann  Wohlfahrtspflege  nicht  durch  Berufsarbeiter 
ausgeführt  werden.  Daraus  würde  sich  weiter  ergeben,  daß  der  zur 
Wohlfahrtspflege  Geneigte  nur  die  Wahl  hätte,  entweder  als  unbesoldeter 
Freiwilliger  ihr  zu  dienen  oder  als  besoldeter  Berufsarbeiter  auf  sie 
zu  verzichten. 

Nach  dieser  Auffassung  würde  der  eingangs  erwähnte  Beschluß 
der  Sozialbeamtinnen,  keine  unbesoldeten  Personen  als  Mitglieder  zuzu- 
lassen, ein  unlösbarer  Widerspruch  in  sich  sein,  denn  wenn  die  Vereins- 
mitglieder Sozialarbeiterinnen  sind,  also  der  Wohlfahrtspflege  dienen, 
dann  kann  die  Tätigkeit  nur  eine  freiwillige  sein,  das  heißt  ohne  Be- 
soldung und  Anstellung.  Sind  sie  aber  beamtet  und  besoldet,  so  ist 
die  Tätigkeit  keine  freiwillige  mehr  und  folglich  auch  —  nach  dieser 
Auffassung  —  keine  Sozialarbeit  mehr.  Ja,  es  kann  nach  dieser  De- 
finition von  Wohlfahrtspflege  als  freiwilliger  Tätigkeit  überhaupt  keine 
Sozial-Beamtinnen  geben,  so  wenig  wie  es  berittene  Fußsoldaten  gibt, 
denn  die  Beamtin  ist  vertraglich  gebunden,  und  der  Wohlfahrtspfleger 
(Sozialarbeiter)  soll  freiwillige  Tätigkeit  üben. 

Diese  Folgerungen  lassen  uns  die  in  Rede  stehende  Definition 
als  nicht  mehr  so  befriedigend  erscheinen ,  wie  sie  es  im  Augen- 
blick ihrer  Entstehung  zweifellos  war.  Damals  war  die  sozialreforme- 
rische  Forderung  des  Gesetzesschutzes  das  Gebot  der  Stunde.  Es  galt, 
der  Sozialreform  teils  bahnbrechende  Vorbilder  zu  schaffen,  teils  er- 
gänzend zur  Seite  zu  stehen.  Das  konnte  damals  nur  in  freiwilliger 
Tätigkeit  geschehen.  So  ergab  sich  der  Gegensatz  von  selbst.  Er  war 
der  springende  Punkt.  Aber  die  Verhältnisse  haben  sich  weiter  ent- 
wickelt. Die  Sozialreform  hat  viel  erreicht.  Die  Wohlfahrtspflege  steht 
auf  festen  Füßen.  Die  beiden  Elemente,  aus  denen  sie  sich  zusammen- 
setzt, Sozialarbeit  und  Caritas,  haben  sich  nach  Art  und  Umfang  ihrer 
Tätigkeit  besonders  in  den  Kriegsjahren  bedeutsam  erweitert  und  stellen 
hohe  Anforderungen  an  ihre  Vertreter.  Symptomatische  Beweise  dafür 
sind  die  Gründungen  sozialer  Bildungsanstalten  und  der  Zusammen- 
schluß der  Sozialbeamtinnen.  Während  die  wenig  zahlreichen  sozial 
inspirierten  Männer  und  Frauen  vor  dreißig  Jahren  zu  ihrer  Ausbildung 
keine  besonderen  Wege  hatten,  sondern  sich  auf  Bildungsgänge  ange- 
wiesen sahen,  die  für  andere  Zwecke  eingerichtet  worden  waren,  stehen 
ihnen  heute  zweckentsprechende  Veranstaltungen  zur  Verfügung.  Die 
Diener  der  Wohlfahrtspflege  sind  aus  zufälligen  Erscheinungen  mit  zu- 
fälliger Vorbildung  und  zufälligen  Verbindungen    zu  einer  Schicht   ge- 


90  Miszellen. 

lernter,  zielbewußter  Berufsarbeiter  aus  beiden  Geschlechtern  geworden, 
und  die  Wohlfahrtspflege  selbst  ist  ein  organisches  Gebilde  geworden, 
das  heißt,  ihre  Tätigkeiten  stehen  untereinander  in  engstem  lebendigem 
Zusammenhange.  Damit  ist  aber  eine  Einordnung  der  einzelnen  Ge- 
biete und  ihrer  Vertreter  gegeben,  die  nicht  die  Freiwilligkeit,  sondern 
den  geordneten  Zusammenhang  in  den  zielbewußten  Berufsarbeiten  als 
charakteristisches  Merkmal  hervortreten  läßt. 

Wir  überzeugen  uns  des  weiteren,  daß  das  Kriterium  der  Frei- 
willigkeit nicht  mehr  voll  befriedigt,  wenn  wir  es  am  konkreten  Falle 
betrachten. 

Der  Fabrikherr,  der  den  Forderungen  der  Gewerbeordnung  genügt, 
gehorcht  dem  Gesetz.  Was  er  zum  Arbeiter  wohl  darüber  hinaus  leistet, 
das  sind  freiwillige  Maßnahmen.  Damit  fällt  die  Mehrleistung 
unter  den  Begriff  der  Wohlfahrtspflege.  Ihr  Wesen  ist  Ergänzung  des 
Gesetzes  durch  freiwillige  Maßnahmen.  Wenn  nun  die  Maßnahmen 
freiwillige  sind,  so  ist  damit  aber  nicht  gesagt,  daß  auch  die  Tätigkeit 
der  Ausführenden  unter  diesen  Begriff  fällt.  Im  Gegenteil,  mit  dieser 
Annahme  verwickeln  wir  uns,  wie  wir  sahen,  in  Widersprüche.  Wenn 
Staat  oder  Stadt  eine  Fürsorgerin  anstellen,  so  ist  das  von  selten  der 
Behörde  eine  freiwillige  Maßnahme,  ebenso  wenn  ein  Gutsbesitzer  oder 
Fabrikherr  den  Kindern  seiner  Arbeiterschaft  eine  Bewahranstalt  ein- 
richtet; wenn  er  aber  eine  Kindergärtnerin  dafür  anstellt,  so  ist  deren 
Tätigkeit  keine  freiwillige,  sondern  eine,  zu  der  sie  sich  privatrechtlich 
verpflichtet  hat,  sogut  wie  die  staatlich  oder  städtisch  angestellte  Sozial- 
beamtin in  ein  öffentlich-rechtliches  Vertragsverhältnis  zu  ihrer  Behörde 
getreten  ist.  Beide  sind  besoldete  Berufsarbeiterinnen.  Beide  waren 
in  ihrem  Entschlüsse  frei,  ihre  Entschließung  war  eine  freiwillige, 
ihre  Tätigkeit  ist  es  aber  nicht  mehr.  Hört  diese  deshalb  auf,  Wohl- 
fahrtsarbeit zu  sein?  Man  wird  es  nicht  bedingungslos  verneinen, 
sondern  etwa  bemerken,  daß  der  Begriff  Wohlfahrtsarbeit  von  einem 
anderen  Kriterium  als  dem  der  Anstellung  und  Besoldung,  d.  h.  der 
rechtlichen  Verpflichtung,  abhängen  müsse.  Welches  ist  aber  dieses 
andere  Kriterium?  Wir  kommen  darauf,  wenn  wir  uns  vergegen- 
wärtigen, daß,  wie  in  jeder  Tätigkeit,  so  auch  in  der  Wohlfahrtsarbeit 
Berufsethik,  Technik  und  Einträglichkeit  zu  unterscheiden 
sind.  Die  Berufsethik  verlangt,  daß  die  mit  oder  ohne  Anstellung  und 
Besoldung  einmal  übernommene  Arbeit  für  die  vereinbarte  Zeitdauer 
gewissenhaft  ausgeführt  wird,  daß  die  Arbeit  dem  entgegengebrachten 
Vertrauen  entspricht.  Von  dieser  sittlichen  Vorschrift  ist  keine  Tätig- 
keit, auf  welchem  Gebiete  auch  immer  —  mithin  auch  keine  pflegerische  — 
ausgenommen,  folglich  auch  nicht  die  Wohlfahrtspflege.  Daß  die  Er- 
füllung der  moralischen  Verpflichtung  durch  ein  rechtliches  Vertrags- 
verhältnis unterstützt  wird,  leuchtet  ein,  ausschlaggebend  ist  es  nicht, 
denn  die  innere  Bindung  liegt  nicht  in  der  rechtlichen,  sondern  in  der 
sittlichen  Sphäre.  Ein  besoldeter  Berufsarbeiter  kann  mit  sittlichem 
Ernst  seinen  Dienst  an  der  Volkswohlfahrt  versehen,  und  ein  unbe- 
soldeter „Freiwilliger"  kann  ihn  schnöde  vernachlässigen  und  verlassen 
—  und  umgekehrt.     Wenn  das  Vertragsverhältnis  die  Wohlfahrtspflege 


Miszellen.  9J[ 

in  der  rechten  Gesinnung  gefährdete,  so  müßte  umgekehrt  die  Unge- 
bundenheit  sie  verbürgen.  Das  wird  niemand  behaupten  wollen.  Die 
„freiwillige"  Wohlfahrtsarbeit  steht  im  Gegenteil  nicht  in  besonders 
hohem  Ansehen,  die  besoldete  Berufsarbeit  wird  vorgezogen.  Man  hat 
sie  als  zuverlässiger  erkannt,  denn  nicht  die  Besoldung  macht  den 
Mietling,  sondern  das  innere  Verhältnis  zu  ihr.  Der  sittliche  Ernst, 
die  Stellung  zur  Berufsethik  entscheidet.  Sie  ist  das  gesuchte  Kriterium. 
Der  ethisch  gerichtete  Mensch  gibt  in  dem  Augenblicke  der  Berufs- 
übernahme seinen  freien  Willen  auf,  ordnet  ihn  seiner  Aufgabe  unter. 
In  diesem  Sinne  gibt  es  mit  oder  ohne  Kontrakt  genau  genommen  keine 
freiwillige  Berufsarbeit.  Man  könnte  vielleicht  von  freiwillig  über- 
nommener Tätigkeit  sprechen,  aber  auch  dieser  Ausdruck  wäre  schief, 
da  schließlich  jede  Tätigkeit  im  bürgerlichen  Leben  eine  freiwillig  über- 
nommene ist.  Sklaven  haben  wir  nicht  mehr,  und  für  die  Zeit  des 
Militärverhältnisses  scheidet  der  Mann  aus  dem  bürgerlichen  Leben  aus. 
Mißverständnisse  sind  sicherer  vermieden,  wenn  wir  die  Freiwilligkeit 
als  Kriterium  der  Wohlfahrtspflege  nur  in  den  Maßnahmen,  nicht 
in  der  ausführenden  Tätigkeit  suchen  wollten,  denn  eine  pflegerische 
Tätigkeit,  die  nicht  dem  Sittengesetz  unterstände,  gibt  es  nicht.  Die 
falsch  verstandene,  die  sittliche  Bindung  übersehende  „Freiwilligkeit" 
in  der  Wohlfahrtspflege  hat  der  unbesoldeten  Arbeit  den  Stich  ins  Un- 
zuverlässige gegeben,  der  ihr  Ansehen  stark  beeinträchtigt,  und  zwar 
bedauerlicherweise  nicht  ohne  Grund.  Dieser  Umstand  dürfte  den  Grund 
zu  dem  Beschlüsse  der  Sozialbeamtinnen  bilden,  unbesoldete  Personen 
nicht  zuzulassen.  Scheidet  der  Begriff  der  Freiwilligkeit  in  der  Er- 
örterung der  Tätigkeit,  die  wir  Wohlfahrtspflege  nennen,  aus,  tritt  der 
Hinweis  auf  die  ethische  Bindung  an  seinen  Platz,  so  werden  beide, 
die  besoldete  und  die  ehrenamtliche  Tätigkeit  gewinnen.  Für  die  letz- 
tere fiele  damit  auch  der  Anreiz  fort,  die  Freiwilligkeit  als  Berechtigung 
für  minderwertige  technische  Leistung  zu  gebrauchen,  die  Technik  des 
Berufs  würde  mehr  Beachtung  finden.  Und  dadurch  kämen  wir  zu 
einer  schärferen  Trennung  von  gelernter  und  ungelernter  Tätigkeit  in 
der  Wohlfahrtspflege,  einer  Trennung,  die  zur  erhöhten  Wertung  der 
Arbeitsleistung  führt.  Mit  der  zunehmenden  Erleichterung  der 
Vorbildung  und  der  wachsenden  Einsicht  in  die  Bedeutung  und  Trag- 
weite der  Wohlfahrtspflege  werden  wir  dann  mehr  und  mehr  die  un- 
gelernte Arbeit  ausscheiden  und  nur  noch  gelernte  Berufsarbeiter  kennen, 
gleichviel  ob  Vertragspflichtige  oder  ehrenamtliche. 

Wenn  das  karitative  Element  in  der  Wohlfahrtspflege  neben  ihrem 
Ursprünge  auch  darin  hervortritt,  daß  sie  in  der  Durchführung  frei- 
williger Maßnahmen  besteht,  so  unterscheidet  sie  sich  anderseits  von 
der  Caritas,  indem  sie  als  Norm  nicht  das  zufällige,  verschuldete  oder 
unverschuldete  Menschenschicksal  als  Arbeitsobjekt  ins  Auge  faßt, 
sondern  ihre  Aufmerksamkeit  auf  die  Not  und  Hilfsbedürftigkeit  ganzer 
Kategorieen  richtet,  die  ohne  Zutun  der  Betroffenen  durch  äußere  Um- 
stände herbeigeführt  worden  ist  (Kriegshinterbliebenenfürsorge!).  Indem 
sie  ratend,  warnend,  aufklärend  die  Hand  ausstreckt,  wirkt  sie  vor- 
beugend.    Dadurch  gewinnt  die  Wohlfahrtspflege  das  charakteristische 


92  Missellon. 

Merkmal  der  Sozialarbeit,  wie  sie  denn  auch  „soziale  Besserung" 
(Stammler)  sich  zum  Ziel  setzt,  das  heißt  mit  anderen  Worten,  sie  will 
sorgen,  daß  ganze  Klassen  der  menschlichen  Gesellschaft  wohlfahren. 
In  der  Wohlfahrtspflege  sind  Caritas  und  soziale  Arbeit  aber  auch  in 
dem  Sinne  eng  verwoben,  daß  die  Wohlfahrtspflege  guten  Sitten  und 
Brauchsnormen  den  Weg  gebahnt  hat  und  weiter  bahnt,  und  immer 
wieder  letzten  Endes  in  Rechtsnormen  ausmündet,  denn  Recht  ist,  wie 
wir  hörten,  ja  nur  in  Stein  gemeißelte  Sitte.  Die  Wohlfahrtspflege  in 
der  Fabrik  beispielsweise  mußte  erst  gute  Fabriksitten  herausgebildet 
haben,  ehe  die  Gewerbeordnung  ihre  Berücksichtigung  zur  Gesetzes- 
vorschrift erheben  konnte.  Gelingt  es,  den  Entwurf  zu  einem  Wohnungs- 
gesetze in  Preußen  durchzubringen,  so  hat  neben  der  Bodenreform  die 
Wohlfahrtspflege  bahnbrechend  mitgewirkt.  Kommen  wir  zu  einem 
großen,  umfassenden  Jugendgesetz,  so  ist  die  Wohlfahrtspflege  an  der 
Jugend  wegweisend  gewesen.  Aber  sobald  das  Gesetz  da  sein  wird, 
wird  die  Wohlfahrtspflege  erneut  in  den  Lücken  einsetzen,  die  zwischen 
den  Gesetzesparagraphen  liegen.  So  geht  ihr  Weg  zwischen  Caritas 
und  Rechtsschutz  hin  und  her.  Mit  nimmermüden  Händen  webt  sie 
das  Gewebe  Volkswohlfahrt  aus  Caritas  und  sozialer  Arbeit. 

Wir  können  sagen:  Wohlfahrtspflege  ist  besoldete  oder  ehrenamt- 
liche Berufsarbeit  zwecks  Durchführung  freiwilliger  Maßnahmen  zu  so- 
zialer Besserung,  oder:  Wohlfahrtspflege  ist  die  organische  Verbindung 
von  Caritas  und  sozialer  Arbeit. 


Literatur.  93 


Literatur. 


I. 
G.  V.  Below,  Der  deutsche  Staat  des  Mittelalters. 

l'.Ein  Grundriß  der  deutschen  Verfassungsgeschichte. 

I.  Band.     Die  allgemeinen  Fragen.     Leipzig  (Quelle  u.  Meyer)  1914. 
80.     XX  u.  387  SS. 

Besprochen  von  A.  Zycha-Prag. 

Um  ein  schätzenswertes  "Werk  ist  wenige  Monate  vor  Ausbruch 
des  Krieges  die  deutsche  Greschichtsschreibung  durch  v.  Belows  Buch 
über  den  Staat  reicher  geworden.  Weit  über  den  Kreis  der  nächst- 
berufenen Fachgenossen  hinaus  sichert  ihm  wissenschaftlichen  Wider- 
hall nicht  minder  die  Gewähr  seines  Urhebers  wie  der  Belang  seines 
Inhalts,  der  uns  heute  näher  geht  denn  je.  Gerne  unterzieht  sich  der 
Berichterstatter  der  erfreulichen  Aufgabe,  auch  den  Lesern  dieser  Zeit- 
schrift die  Bedeutung  des  Werkes  vor  Augen  zu  führen. 

Wie  der  Untertitel  verdeutlicht,  fällt  der  Gegenstand  in  den  Bereich 
der  Hauptfragen  der  deutschen  Verfassungsgeschichte,  deren  vornehmstes 
Problem  er  ausmacht.  Verfassungs-  und  Rechtshistoriker  sind  es  daher 
in  erster  Eeihe,  an  die  das  Buch  sich  wendet,  mit  denen  es  sich  aus- 
einandersetzt. Die  Fäden  weiter  bis  zu  den  vielumstrittenen  Theoremen 
und  Grundbegriffen  der  allgemeinen  Staatslehre  und  des  Staatsrechtes 
fortzuspinnen,  hat  der  Verfasser  als  Geschichtsschreiber  sich  nicht  weiter 
vorgesetzt,  als  die  behandelten  Fragen  notwendig  in  sie  ausmünden; 
Zweck  ist  ihm,  geschichtlichen  Betrachtungsstoff  unter  bestimmten  syste- 
matischen Gesichtspunkten  bereitzustellen.  Im  übrigen  sind  es  die  Nach- 
bargebiete der  Wirtschafts-  und  der  politischen  Geschichte,  denen  je 
nach  sachlichen  Zusammenhängen  Anteil  zugedacht  ist.  Der  Darstellung 
im  ganzen,  überall  durch  tiefdringende  Gedankenarbeit  ausgezeichnet, 
ist  ein  Zug  der  Liebe  zur  nationalen  Vergangenheit,  wohl  auch  ihrer 
Verklärung  eigen.  Ihre  Wertschätzung  auf  Grund  guter  geschichtlicher 
Lehre  auch  denen  zu  vermitteln,  die  die  Tagespolitik  rückschauend  auf 
eine  höhere  Warte  stellen  wollen,  hat  dem  Verf.  wohl  nicht  zuletzt  vor- 
geschwebt. 

V.  Below  stellt  seiner  Forschungsarbeit  ein  ganz  bestimmtes  Ziel. 
Er  will  „den  Nachweis  für  den  staatlichen  Charakter  der  deut- 
schen Verfassung  des  Mittelalters"  erbringen.  Wir  sollen  unser 
mittelalterliches,  vielgescholtenes  Gemeinwesen  als  Staat  und  nicht 
als  weniger  verstehen  lernen.  Darum  wird  seine  Eigenart  aufge- 
zeigt und  als  staatlich  gegen  jene  verteidigt,  die,  zu  sehr  durch  moderne 


94  Literatur 

Vorstellungen    bestimmt,    sein    Bild    gegensätzlich    verzeichnet,    ja    gar 
verzerrt  haben. 

Seitdem  noch  Kud.  So  hm,  gegenüber  Gierkeschen  Grund- 
anschauungen, den  Gredanken  der  Staatlichkeit  in  seiner  „Fränkischen 
Reichs-  und  Gerichtsverfassung"  (1871)  auf  das  entschiedenste  hervor- 
gekehrt hatte  (er  wollte  „von  dem  Gebiet  der  Gerichtsverfassung 
aus  den  altdeutschen  Staat  als  einen  wirklichen  Staat  erweisen"), 
ist  bei  den  Rechtshistorikern  das  Interesse  an  der  Problemstellung  wohl 
zurückgetreten.  Es  sind  Staatsrechtler,  Soziologen,  politische  Historiker, 
die  der  Frage  näher  blieben.  Eines  läßt  sich  nicht  leugnen,  dessen  wir 
uns  heute  besser  als  vojdem  bewußt  sind:  die  begrenzte  Möglichkeit  einer 
allseitigen  Verständigung  über  das  „staatliche "Gepräge  des  Mittelalters 
infolge  der  begriffstheoretischen  Schwierigkeiten.  Gleichwohl  braucht 
nur  auf  die  mannigfachen  Unklarheiten  hingewiesen  zu  werden,  die 
den  immer  wieder  unter  den  Schlagwojten  des  Patrimonialstaates 
und  Feudalstaates  vertretenen,  geradezu  die  Staatslosigkeit  ein- 
schließenden Vorstellungen  anhaften,  um  zumal  nach  den  zwischen- 
zeitigen Fortschritten  der  Einzelforschung  die  Nützlichkeit  einer  das 
Mittelalter  im  ganzen  umfassenden  Behandlung  des  Problems  zu  be- 
gründen. Dem  Einwand,  als  könnte  es  sich  um  einen  bloßen  Wort- 
streit handeln,  begegnet  der  Verfasser.  „Es  ist  die  Einschätzung  großer 
Stücke  mittelalterlicher  Kultur,  die  hier  zur  Diskussion  steht."  Darum 
meint  er  auch  von  einer  „Rechtfertigung"  unserer  Vergangenheit  sprechen 
zu  können,  an  der  wir  in  der  Tat,  von  welchem  Parteistandpunkt  aus 
immer,  als  an  der  richtigen  staatsrechtlichen  und  sohin  historisch- 
politischen  Einwertung  des  deutschen  MittelaJtei*s  ebenso  wie  an  der 
allgemein  kulturellen  das  größte  Interesse  haben.  Uebrigens,  nicht  nur 
%vie  wir  selbst  uns  die  Frage  zurechtlegen,  geht  uns  an,  auch  fremdes 
Urteil  muß  für  uns  von  Werte  sein,  auch  dafür  müssen  wir  vorarbeiten. 
Ich  halte  es  nicht  für  überflüssig,  darauf  hinzuweisen,  wie  die  magyari- 
schen Historiker  und  Rechtshistoriker,  freilich  mehr  noch  durch  außer- 
deutsche Literatur  beeinflußt,  sich  nicht  genug  tun  können,  ganz  im 
alten  Fahrwasser  segelnd,  gegen  den  privatrechtlich- feudalen  Gedanken 
des  Westens  und  vor  allem  des  deutschen  Westens  den  ,,öffentLichrecht- 
lichen  Geist"  des  ungarischen  (magyarischen)  Volkes  auszuspielen  und 
die  Verfassung  Ungarns  (des  noch  heute  „feudalsten"  Staatswesens 
im  westeuropäischen  Bereich  des  romanisch-germanischen  Völkertums!) 
als  durch  wahrhaft  staatliche  Einrichtungen  ausgezeichnet  und  darum 
der    nachbarlichen    gegenüber    wesensverschieden    hinzustellen. 

Zur  Lösung  der  gestellten  Aufgabe  bedient  sich  v.  B.  des  Mittels 
der  literarischen  Kritik.  Analytischer  Scharfblick,  verbunden  mit  um- 
fassendem geschichtlichen  Wissen  und  juristischem  Geist,  hat  ihn  seit 
jeher  darin  zum  Meister  gemacht.  So  führt  uns  denn  das  neue  Buch, 
immer  an  die  Tatsachengeschichte  sich  haltend,  die  historische  Doktrin 
mit  Absicht  beiseite  lassend,  unausgesetzt  über  Kampffelder  der  ge- 
schichtlichen Forschung.  Was  wir  vor  uns  haben,  ist  vor  allem  eine  kri- 
tische Literargeschichte,  gewidmet  dem  wichtigsten  staatsrechtlichen 
Problem  der  älteren  deutschen  Verfassung. 


Literatur.  95 

Bis  nun  liegt  nur  der  erste  Band  des  Werkes  vor,  der  die  „allge- 
meinen Fragen"  zur  Erörterung  stellt.  Für  den  zweiten  kündigt  der 
Verfasser  die  ,,Einzelausführuiig"  zu  dem,  was  hier  in  großen  Zügen> 
geboten  wird,  an.  Mit  ihm  dürfte  die  Darstellung  zu  den  geschlossenen 
Materien  übergehen,  während  der  1.  Band,  wie  die  folgende  Uebersicht 
ergibt,  keiner  durch  den  Stoff  gegebenen  juristisch-systematischen  Ord- 
nung folgt,  sondern  in  freier  Gliederung  sich  den  Einzelproblemen 
anschließt. 

Vorangestellt  ist  eine,  verhältnismäßig  ausführlich  gehaltene,  „Lite- 
raturgeschichte ides  Problems"  S.  1 — 111.  Die  folgende  Darstellung 
gliedert  der  Verfasser  in  ein  einleitendes  Kapitel  über  die  ,, Wirtschaft- 
lichen Voraussetzungen  der  deutschen  Verfassung  des  Mittelalters"  (112 
bis  128)  und  ein  in  6  Paragraphen  untergeteiltes  Hauptkapitel,  worin 
der  Eeihe  nach  vom  Eeichsgebiet  und  seinen  Teilen  (129 — 139),  vom 
Herrscher  ( — 159),  vom  König  und  der  Reichspersönlichkeit  ( — 190),. 
vom  Staatszweck  ( — 207),  dem  Untertanen  verband  und  der  Natur  der 
staatlichen  Herrschaft  ( — 231),  endlich,  und  zwar  am  ausführlichsten 
von  der  Durchbrechung  des  Untertanenverbandes,  dem  Wesen  und  der 
Entstehung  des  Feudalismus  ( — 369)  gehandelt  wird.  Eingeflochten 
sind  methodologische  und  universalgeschichtliche  Erörterungen,  von 
denen  jene  über  die  juristische  Betrachtung  verfassungsgeschichtlicher 
Verhältnisse  (S.  108  ff.),  über  den  Wert  der  vergleichenden  Methode 
(gegen  deren  Ueberschätzung,  S.  333  ff.),  auch  über  den  Einfluß  der 
wirtschaftlichen  Zustände  auf  die  Verfassungsentwicklung  (s.  u.)  hervor- 
gehoben seien.  Mahnungen  wie  die,  daß  ohne  juristische  Kenntnisse 
und  Schulung  auch  Wirtschaftsgeschichte  nicht  betrieben  werden  kann 
('S.  84),  verdienen  laut  verkündet  zu  werden. 


Mein  Bericht  wendet  sich  zunächst  den  in  der  Grundfrage  ge- 
wonnenen  Ergebnissen  zu. 

Was  für  den  Verfasser  den  Hauptangriffspunkt  bildet,  ist  die 
privatrechtliche  Auffassung  des  mittelalterlichen  Verfassungs- 
Systems.  Jener  Konstruktion  des  mittelalterlichen  Staates,  welche  die 
Beziehungen  zur  Allgemeinheit  auf  Beziehungen  von  Person  zu  Person 
herabmindert,  stellt  er  die  auf  die  „öffentlich rechtlichen"  Ele- 
mente des  mittelalterlichen  Gemeinwesens  gestützte  Konstruktion  ent- 
gegen und  zieht  daraus  die  Folgerung,  daß  dem  deutschen  ^Mittelalter 
ein  wahrer  Staat  unzweifelhaft  zuzusprechen  sei. 

Natürlich  sind  dem  Verfasser  die  Einwendungen  nicht  unbekannt, 
die  sich  gegen  alles  Argumentieren  mit  den  Worten  Staat  und  staat- 
lich richten.  Soweit  zwar  diese  Einwendungen  vom  Standpunkte  einer 
außer  juristischen  Betrachtungsweise  erhoben  werden,  können  sie  doch 
nichts  ausmachen  gegen  eine  spezifisch  juristische  Beurteilung  der  hier 
fraglichen  Erscheinungen  überhaupt.  Denn  Verfassungsgeschichte  ist 
ihrem  Wesen  nach  Rechtsgeschichte,  um  das  Vergehen  von  altem  und 
das  Werden  von  neuem  Recht  handelt  es  sich  (Gierke,  Zeitschr.  d.  Sav.- 
Stift.  f.  Rechtsgesoh.,  Bd.  28,  S.  612).  Aber  freilich  kann  auch  der  Jurist 


96  Literatur. 

und  gerade  dieser  nicht  übersehen,  daß  es  einen  kanonisierten  Begriff 
des  Staates  nicht  gibt,  weil  sich  gemeingültige  Wesensmerkmale  dafür 
nicht  aufstellen  lassen.  Den  aus  modernen  Verhältnissen  abgeleiteten 
Staatsbegriff  nicht  etwa  allein  gelten  zu  lassen  —  gerade  daraus,  daJJ 
als  Staat  geleugnet  wurde,  was  dem  neuen  Staats  begriff  in  Wahrheit 
oder  vermeintlich  widersprach,  ist  der  Streit  um  den  mittelalterlichen 
Staat  entbrannt  —  wird  man  einer  die  Fülle  der  Zeit  umspannenden 
Betrachtung  wohl  freistellen  müssen.  ,,Die  Staatslehre  muß  es  ver- 
meiden", sagt  R.  Schmidt,  „die  charakteristischen  Eigenschaften  eines 
Staates  in  ein  einziges  Merkmal  oder  in  einige  wenige  Merkmale  zu- 
zusammenzudrängen, die  dann  als  Maßstab  auf  die  historischen  Er- 
scheinungen übertragen  werden."  So  gelangt  man  dann  allerdings  zu 
einem  sehr  weiten  Staatsbegriff,  der  inhaltlich  wenig  aussagt.  Der 
Ton  wird  daher  auf  dem  Worte  Staat  nicht  ruhen  können.  Vielmehr 
sind  es  bestimmte  Elemente  in  der  Ordnung  des  öffentlichen  Lebens, 
auf  die  es  offenbar  ankommt,  deren  Fehlen  oder  umgekehrt  Vorhanden- 
sein man  behauptet  und  als  Beweis  für  die  NichtStaatlichkeit  oder 
PseudoStaatlichkeit  ins  Treffen  geführt  hat.  Der  ,, wahre"  oder  „wirk- 
liche" Staat,  der  sich  aus  einer  nach  dieser  Richtung  überzeugenden 
Gegen beweisführung  ergibt,  ist  zwar  kein  juristisch  greifbares  Gebilde. 
Wenn  wir  den  Ausdruck  gleichwohl  gelten  lassen,  so  deshalb,  weil  er 
immerhin  genügt,  uns  im  Verhältnis  zu  heute  auch  einen  Staat  oder 
mit  anderen  Worten  eine  Art  der  Staatlichkeit  anzuzeigen,  die  unserer, 
wennschon  geläuterten,  modernen  Auffassung  gegenüber  nicht  als  wesens- 
verschieden erscheint. 

Indem  nun  v.  B.  eben  jene  entscheidenden  Elemente  klarzulegen 
unternimmt,  glaubt  erdie  einen  als  öffentlichrechtliche  kennzeichnen 
zu  müssen,  um  der  privatrechtlichen  Auffassung  am  schärfsten  entgegen- 
zutreten. Der  Ausgang  von  dieser  Antithese  ist  aber  doch  nicht  ohne 
Bedenken  und  gerade  für  des  Veirf assers  Leitgedanken,  wie  ich  glaube, 
nicht  ohne  Gefahr.  Denn  öffentliches  Recht  und  Privatrecht  sind 
juristische  Grundbegriffe,  die  (so  schwierig  und  bestritten  auch  die 
Grenzziehung  sein  mag)  als  ausschließliche  Kategorien  das  gesamte 
objektive  Recht  umfassen.  Stellt  man,  vras  den  einzelnen  mit  dem 
Ganzen  durch  die  Rechtsordnung  staatlich  verbindet,  auf  „öffentlich- 
rechtliche"  Beziehungen  ab,  so  scheint  das  Dilemma  unvermeidlich,  ent- 
weder ein  öffentliches  Recht  zu  erweisen  und  damit  den  Staat  zu  retten, 
oder  an  dem  öffentKchen  Recht  zu  scheitern  und  damit  auch  den  Staat 
preiszugeben.  Daß  aber  das  mittelalterliche  Recht  in  ein  öffentliches 
und  privates  geteilt  werden  könnte,  werden  die  Rechtshistoriker  nicht 
wohl  zugeben.  Der  Verfasser  bemerkt  im  Zusammenhange  seiner  Aus- 
führungen über  den  Gebrauch  der  Begriffe  öffentlichrechtlich  und  privat- 
rechtlich ,(S.  107  ff.)  gewiß  zutreffend,  daß  es  sich  darum  handle, 
die  Verhältnisse  der  Vergangenheit,  um  sie  schärfer  beurteilen  zu  können, 
an  den  Begriffen,  die  das  Recht  der  Gegenwart  aufstellt,  zu  messen. 
Sowie  man  aber  diesen  Vergleichsmaßstab  zur  Anwendung  bringt,  stellt 
sich  immei"  wieder  die  bei-ühmte  Ungeschiedenheit  des  öffentlichen  und 
des  privaten  Rechts  heraus.     Es  gibt  wohl  Einrichtungen,  die  wir  auch 


Literatur.  97 

im  heutigen  Sinn  als  öffentlichrechtliche  bezeichnen  können,  wie  andere 
als  privatrechtlich,  es  gibt  aber  auch  solche,  die  jeder  Zuteilung  wider- 
streben, indem  sie  dem  Betrachter  ein  doppeltes  Gesicht  zeigen.  Gerade 
diese  aber  sind  es,  die  für  unsere  Frage  die  Hauptrolle  spielen.  Man 
nehme  als  besonders  einleuchtendes  Beispiel  das  der  Regalien,  die  einer- 
seits als  Regierungsrechte  des  jeweiligen  Herrschers,  andererseits  als 
nutzbare  Berechtigungen  gleich  anderen  subjektiven  Rechten  vermögens- 
rechtlichen Inhalts  aufgefaßt  wurden.  Wir  kennen  auch  im  heutigen 
Staatsrecht  noch  „Regalien",  sprechen  aber  lieber  von  „sogenannten" 
Regalien.  Darin  drückt  sich  ein  begrifflicher  Gegensatz  aus,  der  in- 
zwischen eingetretene  Wandel  zur  wahren  öffentlichrechtlichen  Hoheit. 
Die  Auffassung  von  einem  subjektiven  Vermögensrecht  des  Herrschers 
oder  des  Staates  (noch  das  Preuß.  Allg.  Landrecht  sprach  von  den 
niederen  Regalien  als  Nutzungsrechten  am  „gemeinen  Eigentum  des 
Staates",    II    14   §    21    ff.)   ist   uns   fremd  geworden. 

Um  die  Bahn  für  den  mittelalterlichen  Staat  freizumachen,  kehrt 
sich  V.  B.  gegen  eine  imgerechtfertigte  Einschränkung  des  Staatsbe- 
griffes. Tatsache  sei  es,  daß  unter  dem  Vorurteil  der  modernen  Vor- 
stellung die  Würdigung  der  alten  Verfassung  zu  kurz  komme.  Im 
Verlaufe  dieser  Ausführungen  (S.  164  ff.)  lehnt  er  das  Kriterium  der 
juristischen  Persönlichkeit  des  Staates,  deren  Theorie  auf  W.  E. 
Albrecht  zurückgeht,  damit  ab,  daß  diiese  Theorie  vom  genossen- 
schaftlichen Staate  abgenommen  sei,  wie  sich  denn  der  Verfasser  über- 
haupt gegen  die  genossenschaftliche  Staatstheorie  wendet.  Albrecht 
hat  in  seiner  bekannten  Kritik  des  Maurenbrecherschen  Staatsrechts 
(1837)  gegenüber  der  privatrechtlichen  Auffassung  die  Scheidung  zweier 
Sphären,  in  welchen  einerseits  das  Individuum,  andererseits  der  Staat 
Subjekt  sei,  vollzogen  und,  ohne  auf  das  Reichsstaatsrecht  einzugehen, 
bemerkt,  daß  diese  Scheidung  jedenfalls  auf  die  deutschen  Territorien 
der  älteren  Zeit  keine  Anwendung  gefunden  habe.  Für  ihn  war  die 
Rechtspersönlichkeit  von  Verbänden  herrschaftlicher  Struktur  unge- 
achtet der  Verbandseinheit  keine  Frage  und  die  alten  Hoheitsrechte  eben 
darum  privatrechtiich,  weil  sie  nur  in  der  Person  des  Herrschers  ihr 
Subjekt  zu  haben  schienen,  v.  Below  hätte  die  Möglichkeit  offen 
lassen  können  (s.  aber  S.  205),  auch  dem  älteren  Staate  Rechtspersön- 
lichkeit zu  geben  (und  darauf  seine  öffentlichen  Rechte  zu  stützen), 
nur  nicht  jene  der  genossenschaftlichen  Auffassung,  die  ja  übrigens 
mit  dem  fremden  Element  des  monarchischen  Herrenrechtes  auch  ihrer- 
seits bekanntlich  kämpft.  Eben  der  genossenschaftlichen  Auffassung 
wegen  geht  es  seiner  Meinung  nach  auch  nicht  an,  den  König;  als  Organ 
zu  bezeichnen.  Jedenfalls  liegen  für  die  Zwecke  eines  Vergleiches  der 
älteren  Verfassung  mit  ihrem  Dualismus  von  rex  und  regnum  und  der 
neuen  die  größten  Schwierigkeiten  in  der  mangelnden  juristischen  Be- 
stimmtheit des  Begriffes  der  juristischen  Person.  Nur  wenn  fest- 
stünde, wo  die  juristische  Person  beginnt  und  wo  sie  endet,  ließe  sich 
ein  tertium  comparationis  ableiten  oder  leugnen.  Unter  diesen  Umständen 
verselbständigt  sich  die  Bedeutung  der  Frage,  wie  weit  bereits  die 
alte  Vorstellung  bis  zur  Abstraktion  des  Staates  vorzudringen  vermocht» 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  7 


98  Literatur. 

(fl.  u.).  —  Erst  an  späterer  Stelle   (S.  302)  kommt  der  Verfasser  noch, 
auf  die  Souveränitätsfrage;  doch  wird  sie  nur  kurz  berührt. 

Im  Ergebnis  stimme  ich  mit  v.  B.  überein,  daß  man  vom  mittel- 
alterlichen Staate  mehr  preisgegeben  hat,  als  gerechtfertigt  werden  kann. 

Ala  den  Hauptvertreter  der  gegnerischen  Auffassung  bekämpft  der 
VerfaÄser  C.  L.  v.  Haller,  der  in  seiner  mehrbändigen  „Restauration 
der  Staatswissenschaften  oder  Theorie  des  natürlich-geselligen  Zustani* 
der  Chimäre  des  künstlich-bürgerlichen  entgegengesetzt"  (1816 — 1821) 
die  patrimoniale  Staatsidee  vertreten  hat.  Er  ist  der  Erfinder  des 
Wortes  Patrimonialstaat,  dessen  Charakteristikum  die  aus  dem 
Grundeigentum  hergeleitete  Eigentumsauffassimg  der  Herrscherrechte 
bildet.  Freilich,  wie  er,  der  Vertreter  des  „legitimistischen  Naturrechts", 
seinen  patrimonialen  Staat  vor  nun  eben  hundert  Jahren,  eifernd 
gegen  die  „auf  der  falschen  Idee  delegierter  Volksgewalt  beruhenden 
revolutionären  Prinzipien",  fast  wie  zur  Abschreckung  vor  seinem  poli- 
tischen Bekenntnis  in  die  rein  private  Interessensphäre  der  Herren  im 
Lande  hineingezeichnet  hat,  so  ist  die  Patrimonialtheorie  mehr  auf  ge- 
schichtlich interessierte  Außenseiter  von  Einfluß  gewesen  als  auf  die 
strenge  Forschung,  die  vielmehr  auf  Eichhorns  Schultern  steht.  Man 
kann,  wie  v.  B.  selbst  sagt,  nicht  im  Hinblick  auf  die  Aufnahme  von 
Hallers  Theorie  im  Ganzen,  vielmehr  nur  bestimmter  Hallerscher  Ge- 
danken davon  sprechen,  daß  die  Patrimonialtheorie  weiterlebte.  Zudem 
ist  ihre  Anwendbarkeit  auf  die  deutsche  Vorzeit  außer  Frage  getreten; 
den  Taciteischen  und  den  fränkischen  Staat  haben  schon  Roth  imd 
So  hm  gegen  (gemilderte)  patrimoniale  Konstruktionsversuche  sicher- 
gestellt. Nur  die  Folgezeit  kann  in  Betracht  kommen.  Für  diese  aber 
schränkt  v.  B.  wahre  (genauer  gesagt,  im  engeren  Sinn)  patrimoniale 
Verfassungsgedanken  auf  die  grundherrliche  Gerichtsbarkeit  und  Polizei- 
gewalt und  etwa  das  Eigenkirchenrecht  ein  (S.  311  ff.).  Vom  Territorial- 
staat wird  hier  nicht  gesprochen. 

Mehl'  als  der  Patrimonialstaat  bedarf  vom  Reichsstandpunkte  aus 
der  Feudalstaat  einer  Ueberprüfung  der  Meinungen  hinsichtlich 
seiner  staatlichen  Natur.  Verfasser  setzt  sich  mit  dem  Begriff  des  Feu- 
dalstaates aufs  eingehendste  im  letzten  Abschnitt  des  1.  Bandes  („Wesen 
und  Entstehung  des  Feudalismus")  auseinander  und  zergliedert  Eigen^ 
Schäften  und  Ursprung  bis  ins  einzelne.  Viel  gebraucht  und  viel  miß- 
braucht, hat  das  Wort  Feudalstaat  immerhin  einen  gewissen  allge- 
meinen Sinn  gewonnen;  man  könne  sagen,  „daß  über  das,  was  den 
Kern  der  Feudalverfassung  ausmacht,  weitgehende  Uebereinstimmung^ 
herrscht".  „In  erster  Linie  denkt  man  beim  Feudalismus  an  die  Durch- 
brechung des  Reichsuntertanenverbandes";  es  ist  der  „Unter^ 
tanenverlust,  der  dem  Reich  den  feudalistischen  Charakter  bringt". 
Zu  dem,  was  den  Kern  der  Feudalverfassung  ausmacht,  gesellt  sich  aber 
„noch  ein  reicher  Kranz  anderer  Erscheinungen  .  .  .  ihr  gemeinsames 
Wesen  liegt  in  dem  Uebergang  der  Hoheitsrechte  oder  öffent- 
lichen Rechte  an  andere  Hand  ...in  der  Möglichkeit  und  dem 
Umfang  der  Veräußerung  von  Hoheitsrechten."  Mit  Rücksicht  auf  die 
über   den    eigentlichen    Bereich   des    Lehen wesens   hinausgehenden    Er- 


Literatur.  99 

scheinungen  will  der  Verfasser  zwischen  Lehenstaat  und  Feudal- 
staat unterschieden  wissen  (S.  280  ff.)-  Als  die  klassische  Zeit  des 
Feudalstaates  bezeichnet  er  die  Zeit  vom  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
bis  zur  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts.  Als  Erscheinungen,  welche 
die  Ausbreitung  des  Feudalismus  charakterisieren,  nennt  er  die  rasch  zu- 
nehmende Verpfändung  des  Reichsgutes,  die  Ausbreitung  des  Einungs- 
wesens  (das  nach  anderer  Ansicht  gerade  umgekehrt  das  Feudalsystem 
zu  brechen  bestimmt  war),  die  wachsende  Macht  autonomer  Stadt^ 
gemeinden,  die  Bedeutung  örtlicher  Bündnisse,  das  Aufkommen  land- 
ständischer Verfassungen,  die  „ständische  Teilung  des  wirtschaftlichen 
Daseins".  „Neben  allem  behaupteten  sich  wichtige  lehenrechtliche  Ein- 
richtungen.   Aber  die  allgemein  feudalistischen  stehen  im  Vordergrund." 

Es  kommt  nun  darauf  an,  wie  weit  die  Eigenart  dieser  Verhältnisse 
die  staatliche  Ordnung  untergraben  oder  gar  aufgelöst  hat.  Den  Aus- 
gangspunkt bildet,  daß  mit  der  Zeit,  wie  der  Verfasser  es  ausdrückt, 
„die  Rechte  eines  konzentrierten  Staates  auf  andere  Instanzen  übergehen" 
(S.  280).  Die  deutsche  Verfassungsentwicklung  stellt  sich  als  ein  Zer- 
setzungsprozeß dar.  Nur  freilich  hat  diese  Zersetzung  eine  Kehrseite, 
sie  hat  zur  deutschen  Kleinstaaterei  hinübergeführt:  was  vom  Reichs- 
standpunkt aus  als  staatliche  Auflösung  erscheint,  ist  staatlicher 
Aufbau  vom  territorialen  Gesichtspunkt  aus.  Wie  die  beiden  Prozesse 
ineinander  gegriffen  haben,  ob  der  Staatsbegriff  seine  Kontinuität  be- 
wahrte oder  zwischen  der  alten  Staatlichkeit  des  Reiches  und  der  neuen 
der   Territorien  eine  staatslose  Leere  liegt,  das  ist  die  Frage. 

Sie  setzt  mit  der  Zeit  der  Hochgerichtsimmunitäten  und  des  völligen 
Durchgreifens  des  Lehenrechts  ein.  Gemeiniglich  wird  als  Folge 
der  sich  damit  ausbreitenden  Sonderverbände  vor  allem  die  Mediati- 
sierung  des  Hauptteiles  der  Staatsbürger  oder  mit  arideren  Worten  die 
Auflösung  des  allgemeinen  Untertanenverbandes  hingestellt. 
Demgegenüber  bildet  es  eine  Hauptthese  v.  Belows,  daß  der  Untertanen- 
verband, der  durchaus  nicht  auf  bloße  privatrechtliche  Beziehimgen  re- 
duziert werden  kann,  (S.  207  ff.),  nicht  aufgelöst,  sondern  nur  durch- 
brochen wurde.  Seine  Argumentation  geht  dahin  (S.  231 — 242), 
daß  Untertanen  vom  Reich  nur  an  solche  Instanzen  abgegeben  wurden, 
die  Hoheitsrechte  an  sich  brachten  (wonach  jene  also  nicht  zu  Privat- 
untertanen wurden),  daß  jeder  Deutsche  doch  immer  einem  Zwangs- 
verband angehörte  und  daß  auch  die  territoriale  Neuordnimg  der  Dinge 
den  Reichsuntertanen  verband  nicht  zu  Fall  zu  bringen  vermochte. 

Schwieriger  ist  dem  Verfasser  bei  jenen  Ausführungen  zu  folgen, 
welche  die  allgemeine  Ursache  des  durch  Immunität,  Lehenwesen  und 
Einung  herbeigeführten  ,, Untertanenverlustes",  den  Uebergang  von 
Hoheitsrechten  aus  der  Hand  des  Königs  in  fremde  Hände  zum 
Gegenstande  haben  (S.  244  ff.,  282  ff.).  Er  bekämpft  die  Vorstellung, 
daß  die  Uebertragung  auf  Kosten  des  Staatsbegriffes  ging,  mit  der 
Begründung,  daß  die  Veräußerung  allein  dem  Hoheitsrecht  noch  nicht 
seinen  staatlichen  Charakter  raubte,  daß  dieser  Charakter  vielmehr  an 
dem  veräußerten  Rechte  haften  blieb.  Die  öffentlichen  Gerichtsbezirke 
wechselten  zwar  ihren  Herrn,  behaupteten  aber  ihre  staatliche  Art,  sie 

7* 


100  Literatur. 

gelangten  an  „Persönlichkeiten  von  staatlicher  Qualität",  die  folgeweise 
eine  besondere  Stellung  erhielten,  geadelt  wurden  und  gehalten  waren> 
ihr  Amt  für  öffentliche  Zwecke  auszuüben.  Dasselbe  gilt  auch  von 
den  Regalien,  bei  welchen  trotz  ihrer  Behandlung  als  Privatrechte  doch  der 
öffentliche  Zweck  nie  ganz  vergessen  worden  sei  (S.  276).  Wenn  man 
von  der  Vermischung  von  öffentlichem  und  privatem  Recht  wie  ins- 
besondere Gierke  spreche,  so  reduziere  sich  dies  auf  nichts  anderes  als 
die  Veräußerung  der  Hoheitsrechte  (S.  288  ff.). 

Ueberdenkt  man  die  Folgewirkungen  der  fraglichen  Veräußerungen, 
60  sind  dreierlei  Beziehungen  zu  unterscheiden:  des  Königs  zu  den 
Fürsten,  der  Fürsten  zu  den  Untertanen,  der  Untertanen  zum  König. 
Daß  in  dem  eigenen  Recht  der  Fürsten  auf  Gericht  und  Regierung 
ein  patrimoniales  Moment  der  Verfassung  steckt  (wogegen  B.  S.  252), 
möchte  ich  nicht  leugen.  Ob  aber  hiendurch  die  Staatlichkeit  im  Wesen 
berührt  wird?  Zum  mindesten  im  Verhältnis  nach  unten  nicht  anders 
als  durch  das  eigene  Recht  des  Herrschers  in  der  alten  wie  in  der  modernen 
Monarchie  —  wennschon  man  von  einer  Verstärkung  der  patrimonialen 
Verfassungselemente  im  ganzen  sprechen  darf.  Im  Verhältnis  nach 
oben  aber  ist  offenbar  entscheidend,  ob  die  Veräußerung  der  Hoheits- 
rechto  vom  staatsrechtlichen  Standpunkt  aus  gleichbedeutend  war  mit 
einer  Entäußerung,  d.  h.  ob  es  richtig  ist,  daß  das  staatsrechtliche  Band 
zwischen  König  und  Fürsten  durch  ein  lehenrechtliches  ersetzt,  dem- 
gemäß d£us  Staatsrecht  durch  das  Lehenrecht  aufgezehrt  wurde.  Dem 
ist  aber  doch  keineswegs  so.  Man  kann  die  Beweise  dafür  bei  v.  Below 
finden  (z.  B.  S.  234,  247,  249),  sie  vielleicht  noch  verstärken.  Will  man 
für  diese  Zeit  das  Lehenrecht  die  „Form  für  das  Staatsrecht"  nennen 
(wie  letztlich  Wolzendorff,  Staatsrecht  und  Naturrecht  usw.,  1916, 
S.  41),  so  hat  es  doch  seinen  Inhalt  dem  Verhältnis  nicht  mehr  als 
zum  Teile  (dies  freilich  soll  nicht  verkannt  werden)  i)  aufgedrängt. 
Daß  die  neue  Reichsunmittelbarkeit  der  Landesherren  nicht  mehr 
dafselbe  war  wie  das  alte  Untertanenverhältnis  (Rosenthal,  Hist.  Z., 
Bd.  ill5,  S.  386),  trifft  wohl  zu,  widerstreitet  aber  nicht  der  Annahme,  daß 
die  obersten  Beziehungen  der  Reichsgewalt,  soweit  sie  lehenrechtliche 
waren  —  und  das  sind  sie  durchaus  nicht  überhaupt  gewesen  —  zugleich 
staatsrechtliche  blieben,  auch  fernerhin  unterworfen  einem  staatsrecht- 
lichen Entwicklungsprozeß.  Darum  konnte  ja  das  Lehensband  sogar 
zur  Verstärkung  des  staatlichen  Bandes  verwendet  werden  (s.  v.  Below 
S.  309).  Nur  wenn  die  beamteten  Vasallen  dem  König  die  Hoheitsrechte 
tatsächlich  abgewonnen  hätten,  hiätte  das  Reich  sein  staatliches  Wesen 
geändert.  Wir  wissen  aber,  daß  das  Reich  selbst  im  Verhältnis  des 
Königs    zu    den    Mittelbaren    eine    gewisse    Geo'ichts- 2),    Regalien-    und 


1)  Danach  möchte  ich  allerdings  nicht  behaupten,  daß  die  juristische  Natur  der 
Gerichtsgewalt  durch  die  lehenmäßige  Uebertragung  gar  keine  Beeinträchtigung  er- 
fahren habe,  wie  Fehr  am  unten  angeführten  Orte  S.  192  bemerkt.  Von  dem  ver- 
änderten Amtsverhältnis  läßt  sich  die  Amtsgewalt  nicht  trennen.  VgL  Albrechts 
erwähnte  Rezension  S.  1493. 

2)  Das  Argument  der  königlichen  Bannleihe  an  die  mittelbaren  Richter  wäre 
allerdings    nach    neuesten  Untersuchungen    wieder   fraglich;    vgl.    v.   Voltelini    und 


Literatur.  101 

Gesetzgebungsgewalt,  ja  zur  Zeit  des  gemeinen  Pfennigs  auch  eine 
Steuergewalt  zu  behaupten  vermochte,  somit  die  E-eichshoheitsrechte 
gewissermaßen  durch  die  Person  der  eigenberechtigten  Träger  ihres 
Titels  hindurchgingen.  Nicht  schon  die  fragliche  Veräußerung  als  solche, 
erst  weitere  Verzichte  des  Königtums  haben  aufgezehrt,  was  hier  von 
Reichsrechten  noch  vorhanden  war,  bis  schließlich  der  König  den 
Fürsten  allein,  nicht  mehr  aber  ihren  Untertanen  gegenüberstand,  zudem 
aber  auch  jenen  gegenüber  immer  mehr  auf  vertraglich  herkömmliche 
Rechte  eingeschränkt  wurde.  Die  Uebergangs Verhältnisse  dieser  letzt- 
mittelalterlichen Entwicklung  für  die  Reichsstaatlichkeit  auf  eine 
Formel  zu  bringen,  ist  ein  bisher  vergeblich  unternommener  Versuch. 
Verfasser  nimmt  S.  325  eine  besondere  Kategorie  des  Bundesstaates  an. 
Wie  stark  jedenfalls  der  Reichsstaatsgedanke  noch  im  13.  Jahrhundert 
im  persönlichen  Rechtsbewußtsein  verankert  war  und  wie  er  gegen  die 
Selbstherrlichkeit  der  Untergewalten  verteidigt  wurde,  beweist  uns  die 
Lehre  des  Sachsenspeigels,  der  kürzlich  eine  eingehende  Betrachtung  von 
Fehr  gewidmet  worden  ist  („Die  Staatsauf fassng  Eikes  von  Repgau", 
Z.  d.  Sav.-St.  f.  Rechtsgesch.,  Germ.  Abt.,  Bd.  37,  S.  131  ff.).  Die  Meinung, 
es  habe  schon  seit  der  karolingischen  Zeit  an  einer  Staatsidee  gefehlt, 
ist  augenscheinlich  unhaltbar. 

Im  Rahmen  der  einschlägigen  Erörterungen  bekämpft  der  Verfasser 
u.  a.  auch  die  Ansicht,  daß  die  Ursache  des  Verfalles  der  Reichsgewalt 
in  der  mangelnden  Scheidung  von  privatem  und  öffentlichem  Recht  zu 
suchen  sei,  und  will  vielmehr  umgekehrt  die  Schwäche  und  Not  des 
Reiches  als  Ursache  der  „Veräußerung  öffentlicher  Rechte,  d.  h.  der 
relativen  Ungeschiedenheit  des  privaten  und  öffentlichen  Rechts"  be- 
trachtet wissen  (S.  292).  Was  damit  aufgezeigt  bezw.  erklärt  wird,  sind 
die  materiellen  Ursachen  der  Rechtsbildung.  Immerhin  werden  wir  auch 
nach  einem  formalen  Prinzip  forschen  dürfen,  das  den  Entwicklungs- 
gang beherrscht  hat.  Ich  finde  es  meinerseits  weder  in  der  Ungeschieden- 
heit von  Privat-  und  öffentlichem  Recht  oder  der  Verschmelzung 
von  Herrschaft  und  Dinglichkeit  (Gierke),  noch  mit  (Jellinek)  in  dem 
Dualismus  von  Königsrecht  und  Volksrecht,  der  zur  Entwicklung  feu- 
daler Gewalten  keine  genetische  Beziehung  hat,  sondern  in  der  eigen- 
artigen  Verbindung   von   Herrenrecht   und   Vertragsreoht^). 


Heck  in  Bd.  36  und  37  der  Z.  d.  Sav.-Stiftung  f.  Rechtsgesch.  Heck  kommt  gleich- 
wohl darauf  hinaus,  es  sei  damit  „noch  kein  Anlaß  gegeben,  die  Feudalisierung  Deutsch- 
lands vorzudatieren"  (Bd.  37,  S.  290). 

1)  Nicht  die  Veräußerung  staatlicher  Hoheitsrechte  an  sich,  sondern  ihre  Ver- 
äußerung an  die  Beamten  des  Staates  hat  der  Verfassungsentwicklung  ihre  Richtung 
gegeben.  Staatsorgane  haben,  um  mit  Jellinek  zu  sprechen  (AUg.  Staatslehre,  3.  Aufl., 
S.  560),  Eigenpersönlichkeit  erlangt.  Zugrunde  liegt  eine  vertragliche  Selbstbindung  des 
Königs  im  Bereich  seiner  Befehlsgewalt,  wodurch  der  Staat  untergeordnete  Gewalten 
zur  Doppelstellung  von  nebengeordneten  emporhob,  die  nun  als  solche  ein  Recht  auf 
die  Regierung  in  Anspruch  nahmen.  In  dem  Gedanken  der  Vereinbarkeit  von 
Unterordnung  nach  Herrenrecht  und  Gleichordnung  nach  Vertragsrecht  finde 
ich  das  gesuchte  Prinzip.  Es  war  nicht  der  Verfassung  allein  eigentümlich,  vielmehr 
auch  der  Grundherrschaft  eigen,  die  wir  zwar  keineswegs  im  Sinne  patrimonialer  An- 
schauung   als   den   Keim    des    Staates  betrachten   wollen,   die   aber  Analogien   mit  dem 


102  Literatur. 

lu  Verbindung  mit  dem  Hauptthema  berührt  der  Verfasser  mehr- 
fach die  wirtschaftlichen  Zusammenhänge.  Er  handelt  hiervon 
(nebenher  sei  auch  auf  die  literaturgeschichtlichen  Bemerkungen  S.  75  ff. 
aufmerksam  gemacht)  im  besonderen  im  4.  Kapitel  (S.  112 — 128)  und 
nochmals  bei  Erörterung  der  Ursachen  des  Feudalismus  (S.  328 — 340). 
Gerichtet  sind  diese  Ausführungen  einerseits  gegen  bestimmte  wirt- 
schaftsgeschichtliche Anschauungen,  andererseits  gegen  eine  Ableitung 
der  Verfassungsentwicklung  aus  wirtschaftlichen  Zuständen  überhaupt. 
Er  leugnet  natürlich  nicht  etwa  eine  Wechselwirkung  zwischen  Wirt- 
schaft und  Recht;  allein  nirgends  sei  aus  der  Geschichte  zu  eirweisen, 
daß  eine  bestimmte  Gestaltung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  mit 
Notwendigkeit  eine  bestimmte  Verfassung  mit  sich  gebracht  hätte.  Im 
besonderen  wendet  er  sich  gegen  die  extreme  grundherrliche  Theorie, 
die  lediglich  Herren  und  Knechte  kennt  und  auf  der  Grundlage  einer 
rechtlich-wirtschaftlichen  Gebundenheit  der  Masse  das  Bild  der  Ver- 
fassung aufrichtet.  Droht  zwar  von  der  grundherrlichen  Theorie  der 
Urzeit  wenig  Gefahr,  so  genießt  sie  doch  weithin  Anerkennung  für 
die  fränkisch-deutsche  Folgezeit.  Die  Grundanschauung  v.  Belows, 
daß  die  geburtsständische  Freiheit  keineswegs  im  Meea:e  der  grund- 
herrlichen Unfreiheit  nahezu  verschwunden  sei  und  daß  wirtschaftliche 
Freiheit  in  viel  weiterem  Maße  bestanden  hat,  als  gemeiniglich  ange- 
nommen wird,  hat  ihre  Bekräftigung  durch  das  unmittelbar  vorher  er- 
schienenf;  Werk  „Die  Wirtschaftsentwicklung  de?  Karolingerzeit"  von 
Dopsch  erfaliren,  der  die  Züge  einer  grundherrlich  ungebundenen 
volkswirtschaftlichen  Arbeit  heirvorgekehrt  und  im  Gegensatz  zur  Auf- 
fassung von  der  geschlossenen  Hauswirtschaft  eine  gewisse  verkehrs- 
wirtschaftliche Beweglichkeit  schon  für  die  jüngere  fränkische  Zeit  dar- 
getan hat.  Man  kann,  wie  mir  scheint,  aus  v.  Belows  Bemerkungen 
trotz  seiner  entschiedenen  und  wiederholten  Ablehnung  des  Satzes  von 
den  Herren  und  Knechten  doch  keine Ueberschätzung  der  ziffernmäßigen 
Bedeutung  des  Freienstandes  entnehmen.    Mit  um  so  größerem  Rechte 


Staate  aufweist,  sowohl  hinsichtlich  des  herrschaftlichen  Ursprungs  wie  der  inneren  Ein- 
richtung. Im  grundherrlichen  Verbände  aber  machte  es  die  Eigenart  der  rechtlichen 
Struktur  des  Verhältnisses  aus,  daß  sich  mit  Befeblsgewalt,  ja  ursprünglicher  Herren- 
willkür über  die  Masse  der  Leute  einerseits  die  Selbstbindung  durch  vertragliche  Zu- 
sagen andererseits  verband.  Ein  dezentralisierendes  System  fand  da  wie  dort  seinen 
Ausdruck.  Daß  es  grundherrschaftliche  ßechtsanschauungen  sind,  die  sich  in  den  staat- 
lichen Bereich  fortgepflanzt  haben,  wird  man  nicht  wohl  bezweifeln,  waren  es  doch 
eben  Grundherren,  die  den  Staat  beherrschten.  Die  Beschränkung  des  privaten  Herrn 
ergab  sich,  wie  zum  Teile  wenigstens  die  „Unfreiheit"  des  mittelalterlichen  Staates,  von  der 
man  spricht,  aus  gleichgearteter  Bindung.  Das  Schwankende  des  ganzen  Verhältnisses 
aber,  in  dem  bald  Herr  und  Untertan,  bald  wieder  Vertragsgegner  einander  gegenüber- 
traten, war  die  Ursache,  warum  die  StaatsgCAvalt,  ohne  sieh  etwa  auf  der  Vertrags- 
grundlage überhaupt  aufzubauen,  einen  Kompromißcharakter  annahm  und  die  Verfassung 
ein  „loses  Gefüge"  erhielt.  —  Einen  Gegensatz  zum  Herrenrecht  bedeutet  das  Vertrags- 
recht nicht  etwa  alsPrivatrecht;  auch  im  Vertragsrecht  (wofür  sich  das  Lehenrecht 
in  brauchbarster  Gestalt  darbot)  schlummerte  ungeschieden  öffentliches  Recht.  Doch 
begann  allerdings  die  Scheidung  mit  der  Zurückdrängung  des  Vertragsrechts  in  den 
Territorien,  und  sie  vollendete  sich  mit  dem  neuerlichen  Siege  des  Herrenrechts  in  der 
Fürstensouveränität ;  Fürst  bzw.  Staat  gaben  seither  die  als  unveräußerlich  und  unteilbar 
betrachteten  Hoheitsrechte  nicht  mehr  aus  der  Hand. 


Literatur.  103 

jedenfalls  betont  er  abermals,  was  gerade  von  ihm  nachdrücklich  und 
folgerichtig  seit  langem  vertreten  worden  ist,  daß  Unfreiheit  der 
Oeburt  mit  wirtschaftlicher  Freiheit  durchaus  vereinbar  war. 
In  der  Tat  steckt  hierin  eine  Erkenntnis  von  größter  Tragweite.  Darauf 
hinzuweisen,  habe  ich  erst  vor  kurzem  Gelegenheit  genommen  i).  Vor 
allem  den  Kleinwirtschaften  der  Unfreien,  die  trotz  persönlicher  Ge- 
bundenheit und  sachlicher  Belastung  auf  Absatz  und  Lohn  arbeiteten, 
ist  die  Mobilisierung  der  agrarisch-hauswirtschaftlichen  Verhältnisse 
nach  der  Richtung  der  Verkehrswirtschaft  zu  verdanken.  Sie  sind  es, 
in  denen  wir  die  Hauptmasse  der  auf  Grund  der  Vertragsfreiheit 
tätigen  Handwerker  und  Lohnarbeiter  schon  in  der  Frühzeit  vor  uns 
haben.  Bereits  in  diesen  Zuständen  wurzelt  das  dea'  Stadt  eigentümliche 
System  der  Arbeits-  und  Verkehrsfreiheit. 

Wenn  eine  Aufstellung  des  Verfassers  vielleicht  einer  etwas  anderen 
Formulierung  bedürfte,  so  wäre  es  der  Satz,  „daß  wir  das  städtische 
Handwerk  nicht  als  Kind  der  Grundherrschaft  auffassen  dürfen".  Man 
könnte  diese  Worte  auf  die  bloße  Tatsache  der  Herkunft  deuten  und 
damit  in  Abrede  stellen,  was  für  mich  wenigstens  —  unbeschadet  der 
römischen  Zusammenhänge,  die  v.  Below  beispielsweisie  für  Köln 
betont  —  außer  Zweifel  steht,  daß  in  der  Tat  die  Masse  der  städtischen 
Gewerbsleute  aus  dem  Bereich  der  Grundherrschaft  stammte.  Richtig 
hingegen  erscheint  jener  Satz,  soweit  eo?  besagt,  daß  es  nicht  etwa  die 
Grundherrschaft  war,  die  ihre  Leute  sozusagen  in  der  ho f rechtlichen 
Verfassung  für  die  städtische  erzogen  hätte.  Die  Ueberschätzung  der 
organisatorischen  Bedeutung  der  Grundherrschaft  muß  auch  nach  dieser 
Seite  berichtigt  werden. 

Für  die  Frage  der  mittelalterlichen  Staatlichkeit  ergibt  sich  aber 
aus  dem  Ganzen,  daß  „die  freie  Bewegung  der  wirtschaftlichen  Ver- 
hältnisse'' trotz  des  grundherrschaftlichen  Zug*es  der  Volkswirtschaft 
eine  Sphäre  staatlicher  Einwiirkung  offenließ,  und  somit  zeigt  sich 
abermals,  daß  der  Staat  keineswegs  unter  der  Verstrickung  der  privaten 
Herrenverhältnisse   verschwand. 

Die  Ursachen  des  Feudalismus  untersuchend,  kommt  der  Verfasser 
auch  auf  die  Bedeutung  der  Herrscherpersönlichkeit  zu  spreche^) 
(S.  348  ff.)  und  damit  auf  die  berühmte  Frage  der  Kaiserpolitiik 
des  deutschen  Mittelalters.  Eingehend  nimmt  er  zu  dem  Ficker-Sybel- 
schen  Streite  Stellung,  selbständig  wird  neuerlich  das  Für  und 
AVider  abgewogen,  um  dem  Mittelalter  auch  in  dieser  Frage  gerecht 
zu  werden,  die  These  Sjbels  von  der  tadelswürdigen  italienischen 
Politik  zwar  im  Grunde  angenommen,  aber  doch  nur  mit  „starken  Ab- 
strichen'*. V.  Below  bekennt  sich  dabei  zu  einem  Dualismus  der  Be- 
trachtung in  dem  Sinne,  daß  dem  Staate  seine  Aufgabe  zwar  vor  allem 
im  nationalen  Zwecke  gestellt  ist,  daß  jedoch  auch  die  für  universale 
Aufgaben  geleistete  staatliche  Arbeit  der  Anerkennung  bedarf. 


1)  Ueber  den  Anteil  der  Unfreiheit  am  Aufbau  von  Wirtschaft  und  Beoht,  Prag 
(Calve)  1915. 


104  Literatur. 

lu  diese  Betrachtung  klingt  der  erste  Band  aus.  Wir  scheiden  von 
ihm  mit  dem  Dank  an  den  Verfasser  für  ein  reiches  Maß  von  Belehrung. 
Als  ein  lehrhaftes  Werk  wird  der  „Deutsche  Staat"  seine  Früchte  tragen. 
Eine  neue  Generation  von  Schülern  wird  mit  Vorliebe  gerade  aus  ihm, 
wie  ich  meine,  sich  über  jene  Grundfragen  der  deutschen  Verfassungs- 
geechichte  Rats  erholen,  die  hier  im  Gewände  der  sich  bekämpfenden 
Theorien ,  klar  und  scharf  —  nur  vereinzelt  vielleicht  mit  einer  Schärfe 
der  Kritik,  die  manche  abgemildert  wünschen  mögen  —  vorgetragen 
werden.  Den  Bechtshistorikern  wird  es  zur  realgeschichtlichen  Ueber- 
prüfung  ihres  Urteils  wertvolle  Dienste  leisten,  vor  allem  aber  wird  es 
auf  die  rechtsgeschichtliche  Auffassung  der  politisch  gerichteten  Ge- 
schichtsschreibung, mag  diese  im  übrigen  des  Verfassers  vorwiegend 
konservativen  Standpunkt  für  historische  Wertungen  teilen  oder  nicht, 
klärend  und  fördernd  Einfluß  nehmen. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     105 


TTebersicht  über  die  neuesten  Publikationen 
Deutschlands  und  des  Auslandes. 

1.  Oeschiclita  der  WiBsenschaffc.   Encyklop&disclieB.   Lehrbücher.   Spesielle 
theoretische  ITntersnchiuig'en. 

V.  Tyszka,  Carl,  Der  Konsument  in  der  Kriegswirtschaft. 
(Kriegswirtschaftliche  Zeitfragen,  hrsg.  von  F.  Eulenburg,  Heft  5.) 
Tübingen  (J.  C.  B.  Mohr)  1916.     80.     IV  u.  56  SS.     (Preis:  M.  1,50.) 

Verf.  unterwirft  die  Lage  des  Konsumenten  im  Kriege  einer  Unter- 
suchung von  dessen  Standpunkte  aus  und  kommt  auf  Grund  eingehenden 
Zahlenmaterials  zu  dem  Ergebnis,  daß  (S.  20)  „der  Konsument  und 
vornehmlich  der  mittellose  großstädtische,  schon  vor  dem  Kriege  das 
Aschenputtel  der  wirtschaftspolitischen  Gesetzgebung,  .  .  .  durch  die  im 
Krieg  geschaffene  Konjunktur  .  .  .  völlig  an  die  Wand  gedrückt  (wurde)." 
Verf.  gibt  wohl  zu,  daß  dies  Ergebnis  „einesteils"  auf  die  „ungeheure 
Schwierigkeit"  der  zu  lösenden  Aufgabe  zurückzuführen  sei,  ein  „nicht 
geringer  Teil"  der  Schuld  wird  aber  auch  „den  Widerständen  seitens 
der  Interessentenkreise"  beigemessen,  „die  offen  nnd  noch  viel  mehr  ver- 
steckt alle  zum  Schutze  des  Konsumenten  erlassenen  Maßnahmen  bitter 
bekämpften«  (S.  18). 

Den  Beweis  für  diese  letztere  Behauptung  bleibt  Verf.  schuldig. 
Er  führt  lediglich  für  die  Verschlechterung  der  Lage  des  Konsumenten 
während  des  Krieges  zahlenmäßige  Belege  an,  eine  auch  nur  einigermaßen 
tiefer  gehende  Untersuchung  darüber,  in  welchem  Umfange  die  einge- 
tretene Verteuerung  der  Lebenshaltung  etwa  auf  eine  Erhöhung  der 
Produktionskosten  und  andere  Ursachen  zurückzuführen  ist,  findet 
sich  in  dem  Hefte  nicht.  Und  doch  sind  der  verteuernden  Paktoren 
viele,  darunter  eine  ganze  Reihe ,  deren  Einfluß  sich  sogar  zahlen- 
mäßig wenigstens  annähernd  hätte  darstellen  lassen.  Neben  der  vom 
Verf.  nur  ganz  oberflächlich  erwähnten  Puttermittelteuerung  sei  nur 
an  die  Düngemittel-  und  Zugtierfrage  erinnert,  ferner  an  den  Arbeiter- 
mangel, der  bei  der  Einberufung  der  gesamten  kräftigeren  männ- 
lichen Bevölkerung  für  die  Zurückgebliebenen  eine  außerordentlich 
gesteigerte  Arbeitslast  zur  Folge  hat,  die  eine  entsprechend  höhere 
Entlohnung  beanspruchen  darf,  u.  a.  m.  Auch  darf  nicht  übersehen 
werden,  daß  zurzeit  in  unserer  Landwirtschaft  in  größtem  Umfange 
Raubbau  getrieben  wird,  und  daß  es  der  Investierung  großer  Kapitalien 
bedürfen  wird,  um  die  landwirtschaftlichen  Betriebe  wieder  auf  den 
Stand  zu  bringen,  den  sie  vor  dem  Kriege  gehabt  hatten. 

Entweder  mußte  Verf.  alle  diese  Fragen  eingehend  erörtern,  oder 
aber  er  mußte  sich,  wenn  er  lediglich  die  Lage  des  Konsumenten  ohne 
Beziehung  zur  Produktion  hatte  schildern  wollen,  den  scharfen  Angriff 
auf   die   Produzentenkreise   versagen.      So    gibt   die   Schrift   der   leider 


106    Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

immer  mehr  anwachsenden  Verbitterung  der  städtischen  Bevölkerung 
gegen  das  Land  nur  neue  Nahrung,  ohne  unsere  Erkenntnis  von  den 
Ursachen  der  Verhältnisse,  die  zu  dieser  —  berechtigten  oder  unbe- 
rechtigten —  Verbitterung  geführt  haben,  zu  fördern. 

Weimar.  Johannes  Müll  er- Halle. 

Harpf,  Adolf,  Die  Grundlehren  der  Kriegswirtschaft  und  der  Geburten ausfalL 
Leipzig,  Theodor  Gerstenberg,  vorm.  Richard  Sattlers  Verlag,  1917.  gr.  8.  X— 136  SS. 
M.  2,50. 

Käppeli  (Abt.-Chef),  Dr.  J.,  Die  Lebensmittelversorgung  der  Schweiz.  (Ein 
Vortrag,  geh.  am  7.  XII.  1916  im  „Bürgerhaus"  in  Bern.)  Bern,  Ferd.  Wyß,  1917. 
8.     32  SS.     M.  1.—. 

Lief  mann,  Prof.  Dr.  B.ob.,  Grundsätze  der  Volkswirtschaftslehre.  1.  Bd.  Grund- 
lagen der  Wirtschaft.  Stuttgart,  Deutsche  Verlags-Anstalt,  1917.  Lex.-8.  XXIV— 688  SS. 
M.    16.—. 

Reemtsen,  Carl  Heinr.,  Die  Organisation  der  Lebensmittelversorgung  im 
Kriege.  Ein  Gesamtbild  der  kriegswirtschaftlichen  Einrichtungen  und  der  Absatzregelung 
der  Hauptlebensmittel.  (Volkswirtschaftliche  Zeitfragen.  Vorträge  und  Abhandlungen, 
hrsg.  V.  d.  Volkswirtschaftl.  Gesellschaft  in  Berlin,  38.  Jahrg.,  Heft  6,  Nr.  298.)  Berlin, 
Leonhard  Simion  Nachf.,  1917.     gr.  8.     47  SS.     M.  1,20. 


Higgs,  Henry,  National  economy.  An  outline  of  public  administration.  London, 
Macmillan.     8.     3/.6. 

Peddie,  J.  Taylor,  First  principles  of  production  and  relation  of  science  to 
industry.     London,  Longmans.     Cr.  8.     231  pp.     3/. 6. 

Gobbi,  Ulisse,  Trattato  di  economia :  il  campo  dell' economia,  le  operazioni 
economiche  elementari,  la  ricchezza,  le  domande  e  l'offerta.  Puntata  I — IL  Milane, 
Societk  editrice  libraria,  1916.     8.     p.  1—256. 

Mondolfo,  prof .  Rodolfo,  Le  mat^rialisme  historique  d'aprfes  Frld^ric  Engels. 
Traduit  de  l'üniversit^  de  Bologne.  Traduit  de  l'italien  avec  l'autorisation  de  l'anteur, 
par  le  docteur  L.  Jank§levitch.  Paris,  M  Giard  et  E.  BriSre,  1917.  8.  VII— 427  pag. 
fr.  12. — .  (fitudes  economiques  et  sociales,  publikes  avec  le  concours  du  College  libre 
des  Sciences  m^dicales,  XIX.) 

Prato,  Giuseppe,  Nazionalismo  economico  e  rincaro  del  capitale.  Roma, 
Athenaeum  (Cittä  di  Castello,  soc.  Leonardo  da  Vinci,  1916.     8.     31  p. 

2.  Oeschiclite  und  Darstellung-  der  wirtschaffcliclxen  Kultur. 

Es  eher  (Herrenh.-Mitgl.),  Alfred,  Trieft  und  seine  Aufgaben  im  Rahmen  der 
österreichischen  Volkswirtschaft.     Wien,  Manz,  1917.     gr.  8.     VIII— 112  SS.     M.  1,30. 

Jecht,  Prof.  Dr.  Rieh.,  Die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  der  Stadt  Görlitz  im 
ersten  Drittel  des  19.  Jahrhunderts.  Im  Auftrage  des  Görlitzer  Magistrats  bearbeitet. 
Görlitz,  Verlagsanstalt  Görlitzer  Nachrichten  und  Anzeiger,  1916.  gr.  8.  IV— 119  SS. 
M.   1,25. 

Müller  (Arch.-Biblioth.),  Dr.  Gg.  Herrn.,  700  Jahre  Dresden,  1216—1916. 
Vortrag  im  Verein  für  die  Geschichte  Dresdens  am  15.  XL  1916.  Dresden,  Buch- 
druckerei der  Wilhelm  und  Bertha  v.  Baensch-Stiftung,  1917.  gr.  8.  47  SS.  mit  5  in 
den  Text  gedr.  Abbild.     M.  1,75. 

Schrepfer,  Rud.,  Weltgeschichte  von  1840—1916,  mit  besonderer  Berücksich- 
tigung der  Weltmachtsentwicklung  und  der  Weltmachtsgegensätze.  Nürnberg,  Carl 
Kochs  Verlagsbuchhandlung,  1917.     gr.  8.     VIII— 371  SS.     M.  7,50. 


Betham-Edwards,  M.,  Twentieth  Century  France.  Social.  Intellectual,  Ter- 
ritorial.    London,  Chapman  and  H.     8.     237  pp.     10/.6. 

Battisti,  Cesare,  II  Trentino :  cenni  geografici,  storici,  economici,  con  un' appen- 
dice  per  l'Alto  Adige.  Seconda  edizione,  accresciuta  d'una  biografia  dell'autore,  di 
Luigi  Filippo  De  Magigtris.  Novaro,  istituto  geografico  De  Agostini,  1917.  8. 
63  p.,  con  ritratto  e  diciannove  tavole.     1.  3. — . 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     107 


3.   Bevölkerungslelire  und  Bevölkerimg'spolitik.     ▲uswandenuig' 
und  Kolonisation. 

Bumm,  Ernst,  Ueber  das  deutsche  Bevölkerungsproblem.  Eede  zum  Antritt 
des  Rektorats  der  Kgl.  Friedrich- Wilhelms-Universität  in  Berlin,  gehalten  in  der  Aula 
am  15.  X.  1916.  Mit  Anmerkungen  u.  1  Tafel.  Berlin,  Aug.  Hirschwald,  1917.  gr.  8. 
48  SS.     M.  2.—. 

Meyer,  Prof.  Dr.  Hans,  Gegenwart  und  Zukunft  der  deutschen  Kolonien. 
(Meereskunde.  Sammlung  volkstümlicher  Vorträge  zum  Verständnis  der  nationalen  Be- 
deutung von  Meer  und  Seewesen,  Heft  119  u.  120,  10.  Jahrg.,  Heft  11  u.  12.)  Berlin, 
E.  S.  Mittler  &  Sohn,  1916.  8.  79  SS.  u.  III  SS.  mit  1  Abbüd.  u.  4  eingedr.  Kurven. 
Je  M.  0,60. 

Ostmann,  Ekkehard,  Schnelle  Besiedlung  unserer  neuen  Ostmarken.  Berliu, 
Deutsche  Landbuchhdlg.,  1916.     gr.  8.     III— 78  SS.     M.  1,60. 


Gillet,  M.  S.,  L'^glise  et  la  famille.  Population.  Depopulation.  Repopulation. 
Paris,  impr.  Desclee,  de  Brouwer  et  Cie.,  1917.     16.     VII— 359  pag.     fr.  4.—. 

Haus  er,  prof.  Henri,  La  guerre  europeenne  et  le  problfeme  colonial.  Paris, 
Marc  Imhaus  et  Ren6  Chapelot,  19l5.     8.     114  pag.     fr.  1. — . 

Harris,  John  H.,  Germany's  lost  colonial  Empire  and  the  essentials  of  re- 
construction.     London,  Simpkin.     Cr.  8.     94  pp.     1/. — . 

4.  Bergbau.    Land-  und  Forstwirtschaft.    Fischereiwesen. 

K  r  u  s  c  h ,  P.,  Die  Versorgung  Deutschlands  mit  metallischen  Roh- 
stoffen (Erzen  und  Metallen).  Mit  97  Abbildungen  im  Text.  Leipzig 
(Veit  &  Co.)  1913.     80.     XVI  u.  260  SS.     (Preis:  M.  14.) 

Derselbe,  Gerichts-  und  Verwaltungsgeologie.  Die  Bedeutung 
der  Geologie  in  der  Rechtsprechung  und  Verwaltung.  Für  Geologen, 
Bergleute  und  Ingenieure,  Richter,  Rechtsanwälte  und  Verwaltungs- 
beamte, gerichtliche  und  Parteigutachter.  Mit  157  Textabbildungen. 
Stuttgart  (Ferdinand  Enke)  1916.     S^.     XVII  u.  636  SS. 

Krusch  gehört  zu  denjenigen  Geologen,  deren  Arbeiten  auch  für 
den  Nationalökonomen  von  Interesse  sind.  Das  gilt  beispielsweise  von 
seinem  wertvollen  Werke  „Die  Untersuchung  und  Bewertung  von  Erz- 
lagerstätten" (2.  Aufl.,  Stuttgart  1911).  Die  vorliegende  Schrift  über 
„Die  Versorgung  Deutschlands  mit  metallischen  Rohstoffen",  die  mir 
erst  jetzt  zur  Besprechung  zuging,  hat  mit  jenem  früheren  Buche  vieles 
gemeinsam ;  sie  wendet  sich  aber  nicht  speziell  an  den  Geologen,  sondern 
(sie  ist  aus  Vorträgen  in  der  Berliner  Vereinigung  für  staatswissen- 
schaftliche Fortbildung  entstanden)  an  weitere  Kreise.  Nach  einigen 
allgemeinen  Ausführungen  über  die  Statistik,  den  Erz-  und  Metall - 
handel,  über  Grundbegriffe  der  Lagerstättenlehre  usw.  gibt  der  Verf. 
in  20  Kapiteln  einen  Ueberblick  über  die  einzelnen  Metalle  und  Erze, 
wobei  jedesmal  1)  die  Versorgung  Deutschlands  mit  dem  betreffenden 
Rohstoff  im  allgemeinen,  2)  die  deutschen,  3)  die  wichtigsten  ausländi- 
schen Lagerstätten,  und  4)  die  Marktverhältnisse  und  die  Weltpro- 
duktion, insbesondere  unter  reicher  Heranziehung  des  statistischen  Ma- 
terials,   behandelt   werden.      Unzureichend    sind    die   Literaturangaben. 

Die  Schrift  bietet  einen  guten  Ueberblick  über  die  Rohstoffver- 
sorgung Deutschlands  vor  dem  Kriege.  Es  wäre  sehr  erwünscht,  wenn 
wir  später  eine  ähnliche  Arbeit  über  die  Versorgung  Deutschlands 
während  des  Krieges  erhielten.     Dabei  müßten  dann  freilich  neben  den 


108    Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Erzen  und  Neumetallen  auch  die  Altmetalle,  die  Haldenrückstände  usw. 
eingehend  berücksichtigt  werden. 

Besonders  willkommen  geheißen  werden  muß  die  an  zweiter  Stelle  ge- 
nannte (ebenfalls  aus  Vorträgen  in  der  Vereinigung  für  staatswirtschaft- 
liche Fortbildung  hervorgegangene)  Schrift  von  Krusch,  die  sich,  wie  schon 
der  Titel  ergibt,  auch  an  ein  weiteres  Publikum  wendet.  Auf  Grund 
eines  außerordentlich  reichhaltigen  Tatsachenmaterials,  insbesondere  auch 
der  Gutachten  der  Geologischen  Landesanstalt  in  Berlin,  legt  der  Verf. 
darin  dar,  für  wie  zahlreiche  Gebiete  die  Geologie  von  Bedeutung  ist 
und  in  welcher  Weise  der  Geologe  als  Berater  und  Gutachter  wichtige 
Dienste  zu  leisten  vermag.  Eine  Uebersicht  über  den  reichen  Inhalt 
mag  das  des  näheren  illustrieren.  Die  beiden  ersten  Kapitel  handeln 
über  Erschütterungen,  Rutschungen  und  Senkungen  bei  ungünstigen 
natürlichen  Fundamenten,  infolge  der  Auflösung  von  Schichten  und  bei 
Schwimmsandbildungen,  über  Erdbeben,  Bergschläge,  Schlagwetter- 
explosionen, plötzliche  unterirdische  Gasausbrüche  und  Kohlenstaub- 
explosionen, sowie  die  dadurch  und  durch  ähnliche  Ereignisse  hervor- 
gerufenen Unglücksfälle.  In  weiteren  Kapiteln  werden  erörtert:  Fest- 
stellung der  Herkunft  von  Erzen  und  Gesteinen  und  der  häufig  vom 
Ursprungsort  hergeleiteten  Handelsmarken,  wirtschaftliche  Schädigungen 
der  Aktionäre  oder  Erz-  bzw.  Gesteinsabnehmer  durch  Verkennen  oder 
Verheimlichen  wichtiger  lagerstättenkundlicher  Faktoren,  Täuschungen 
bei  dem  Nachweis  nutzbarer  Mineralvorkommen,  fahrlässige  oder  un- 
verschuldete Fehlbohrungen  auf  nutzbare  Lagerstätten  und  Wasser, 
Auslegung  von  Privatbergbauregulativen,  Verträgen  zur  Ausbeutung 
nutzbarer  Mineralien,  Distriktsverleihungen  usw.,  Schäden  durch  Wasser- 
entziehung und  Seespiegelsenkung,  Immissionen.  Ueberall  sind  Bei- 
spiele aus  der  Praxis  angeführt,  die  in  besonderem  Maße  geeignet  sind, 
die  Wichtigkeit  der  behandelten  Probleme  und  die  dabei  in  Betracht 
kommenden  Gesichtspunkte  aufzuzeigen.  Nach  diesen  an  einzelne  Vor- 
kommnisse anknüpfenden  Ausführungen  werden  dann  noch  ausführliche 
geologische  Erläuterungen  zum  preußischen  Berggesetz,  Wassergesetz, 
Quellenschutzgesetz  und  Moorschutzgesetz  gegeben.  Besser  als  in  der 
erstgenannten  Schrift  steht  es  mit  den  Literaturnachweisen,  doch  hätte 
hierauf  an  manchen  Stellen,  gerade  unter  dem  Gesichtspunkt,  daß  das 
Buch  sich  hauptsächlich  an  Nicht  -  Geologen  wendet,  noch  etwas  mehr 
Sorgfalt  verwendet  werden  können.  Ebenso  hätten  manche  geologische 
und  bergmännische  Fachausdrücke  noch  mehr  erklärt  werden  sollen. 
Außerordentlich  reichhaltig  ist  das  Illustrationsmaterial. 

Nach  dem  Gesagten  ist  dieses  Buch  von  Krusch  eine  wert- 
volle Bereicherung  der  Literatur;  es  erschließt  vieles  sonst  nicht  zu- 
gängliches Material  und  wird  der  Praxis  gute  Dienste  leisten.  Nicht 
nur  Techniker,  Juristen  und  Verwaltungsbeamte,  sondern  auch  die 
]^ationalökonomen  werden  viel  Nutzen  daraus  zu  ziehen  vermögen. 

Kiel.  Richard  Passow. 

Andrä  (Ritterg.-Bes.,  Geh.Oekon.-R.),  G.,  Mittel  zur  Selbständigmachung  der 
deutschen  Landwirtschaft.  (Arbeiten  aus  dem  Gebiete  der  sächs.  Landwirtschaft.  Hrsgg. 
vom  Landeskulturrat  f.  d.  Kgr.  Sachsen.  Heft  3.)  Dresden -A.,  Landeskulturrat  f.  das 
Königr.  Sachsen,  1917.    gr.  8.     39  SS.     M.  1,50. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     1Q9 

Bergwerks-Inspektion,  Die,  in  Oesterreieh.  Berichte  der  k.  k.  Bergbehörden 
über  ihre  Tätigkeit  im  Jahre  1911  bei  Handhabung  der  Bergpolizei  und  Beaufsichtigung 
der  Bergarbeiterverhältnisse.  2.  Teil:  Bericht  der  Bergwerksinspektionsabteilung  im 
Ministerium  f.  öffentliche  Arbeiten.  Mitteilungen  des  ständigen  Bergbaukomitees  in  Prag, 
Wien  und  Krakau.  Veröffentlicht  vom  k.  u.  k.  Ministerium  für  öffentliche  Arbeiten. 
Jahrg.  20,  1911.    Wien,  Manz,  1916.    gr.  8.    IV— 333  SS.  m.  Abbild,  u.  20  Tab.    M.  5,20. 

Eichhorn,  K.,  Nationale  Selbstversorgung.  Landwirtschaftliche  Arbeitskräfte 
und  Kleinwirtschaft.     Hildesheim,  August  Lax,  1917.     gr.  8.     24  SS.     M.  0,70. 

Grundmann  (Landestierzuchtdir.,  Reg.-R.),  Dr.  E.,  Die  Ziegenzucht  im  König- 
reich Sachsen,  ihr  Stand  und  die  staatlichen  Maßnahmen  zu  ihrer  Förderung.  (Arbeiten 
aus  dem  Gebiete  der  sächs.  Landwirtschaft,  hrsg.  vom  Landeskulturrat  für  das  König- 
reich Sachsen,  Heft  2.)  Dresden -A.,  Landeskulturrat  für  das  Königr.  Sachsen,  1917. 
gr.  8.     VII— 152  SS.  m.  10  Bildern  (auf  5  Taf.).     M.  2,70. 

Heber,  Dr.  Arthur,  Die  Versorgung  der  Westmächte  mit  Brot-  und  Futter- 
getreide in  der  zweiten  Hälfte  des  Erntejahres  1916/17  (1.  IL  bis  31.  VII.  1917). 
Hamburg,  Verlagsbuchhdlg.  Brosehek  u.  Co.,  1917.  gr.  8.  8  SS.  M.  0,75.  (Ergänzter 
S.-A.  d.  kriegswirtschaftl.  Berichte  aus  dem  Seminar  f.  Nationalökonomie  und  Kolonial- 
politik, 1.  Folge,  2.  Teil,  Abschn.  2,  Anh.) 

Krankheiten  und  Beschädigungen  der  Kulturpflanzen  im  Jahre  1912. 
Zusammengestellt  in  der  kaiserl.  Biologischen  Anstalt  für  Land-  und  Forstwirtschaft. 
(Berichte  über  Landwirtschaft,  hrsgg.  im  Eeichsamt  des  Innern,  Heft  38.)  Berlin,  Paul 
Parey,  1916.     Lex.- 8.     VIII— 354  SS.     M.  3.—. 

Landfrauenarbeit,  Die,  im  Kriege.  22  Vorträge,  gehalten  auf  dem  mit  Unter- 
stützung des  Herrn  Landwirtschaftsministers,  Sr.  Exz.  Herrn  Dr.  Frhr.  v.  Schorlemer- 
Lieser  veranstalteten  3.  Kriegslehrgang  für  Frauen  und  Töchter  vom  Lande,  landwirt- 
schaftliche Haushaltungs-  und  Wanderlehrerinnen  in  der  Zeit  vom  8. — 12.  I.  1917  zu 
Berlin.  Hrsgg.  vom  geschäftsführenden  Ausschuß.  Berlin,  Deutsche  Landbuchhdlg.,  1917. 
gr.  8.     192  SS.     M.  2.—. 


Germany's  food:  Can  it  last?  Edited  by  Professor  Paul  Eltzbecher.  London, 
Hodder  and  Sons.     8.     256  pp.     2/. 

Nourse,  Edwin  G.,  Agricultural  economics.  London,  Camb.  Univ.  Press.  8. 
12/.-. 

Legge  (La)  sulla  pesca  e  il  regolamento  generale  suUa  pesca  fluviale  e  lacuale, 
con  note  illustrative  del  prof.  Feiice  Supino  (Societä  agraria  di  Lombardia).  Casale 
Monferrato,  tip.  G.  Lavagno,  1916.     16.     48  p. 

Morandi,  Emilio,  La  mano  d'opera  e  le  macchine  agrarie:  relazione. 
Appendice:  Studi  intorno  alla  motocoltura,  dell'ing.  Paolo  Ceresa-Costa.  (Fede- 
razione  italiana  dei  consorzi  agrari:  i  problemi  agrari  dopo  la  guerra,  XLVI  congresso 
della  societä  degli  agricoltori  italiani;  Koma;  3 — 6  marzo  1916.)  Piacenza,  tip.  V.  Porta, 
1916.     8.     73  p. 

5.   Gewerbe  und  Industrie. 

Kessler,  Otto,  Die  Textilindustrie  auf  dem  Balkan  unter  besonderer  Berück- 
sichtigung Bulgariens.  (Balkanbücherei:  Eine  Sammlung  wirtschaftlicher  und  kultur- 
politischer Abhandlungen  über  die  Balkanländer  und  Rumänien  unter  Mitarbeit  in-  und 
ausländischer  Fachgelehrter  und  Männer  der  praktischen  Volkswirtschaft,  hrsgg.  von 
Otto  Kessler,  Heft  1.)     Berlin-Friedenau,  Otto  Kessler,  1917.     8.     62  SS.     M.  1.—. 

Matschoß,  Prof.  Conrad,  Die  Bedeutung  der  Persönlichkeit  für  die  indu- 
strielle Entwicklung.  (Technische  Abende,  im  Zentralinstitut  für  Erziehung  und  Unter- 
richt, Heft  1.)     Berlin,  E.  S.  Mittler  &  Sohn,  1917.     8.     23  SS.     M.  0,50. 

Müller  (Sekr.),  Hermann,  Die  Organisationen  der  Lithographen,  Steindrucker 
und  verwandten  Berufe.  (1.  Bd.)  1.  Allgemeine  Gewerkschaftsgeschichte.  2.  Unsere 
Organisationen  und  Kämpfe  bis  zum  Jahre  1891.  Berlin,  Buchhdlg.  Vorwärts,  Paul 
Singer,  1917.     gr.  8.     XXXII— 674  SS.     M.  15.—. 

Muthesius  (Geh.  Reg.-R.),  Dr.  ing.  Herrn.,  Handarbeit  und  Massenerzeugnis. 
(Technische  Abende,  im  Zentralinstitut  für  Erziehung  und  Unterricht,  Heft  4.)  Berlin, 
E.  S.  Mittler  &  Sohn,  1917.     8.    30  SS.     M.  0,50. 

Ried  (Ing.),  Max,  Gegenwart  und  Zukunft  der  Elektrizitätswirtschaft  in  Deutsch- 
land und  Oesterreieh.     Wien,  Urban  u.  Schwarzenberg,  1917.     gr.  8.    80  SS.     M.  3. — . 


110    Veberaicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutechlanda  und  des  AuBlandea. 

Winnig,  August,  Der  englische  Wirtschaftskrieg  und  das  werktätige  Volk 
Deutschlands.  (Um  Deutschlands  Zukunft.  Hrsgg.  vom  Bund  deutscher  Gelehrter  und 
KünsÜer.  Heft  3.)     Berlin,  Reimar  Hobbing,  1917.     8.     40  SS.     M.  0,40. 

Wilberg,  Gustav,  Die  westfälische  Anker-  und  Kettenindustrie  und  ihre  Ent- 
wicklung. Zusammengestellt  und  bearbeitet  nach  Angaben  und  Unterlagen.  Bochum, 
Gustav  Wilberg,  1917.     8.     38  SS.    M.  1.—. 


Fyfe,  Thomas  Alexander,  Employers  and  workmen  under  the  munitions 
of   war  acts,  1915—1916.     2nd.  ed.     London,  Hodge  and  Co.     8.     269  pp.     10/.6. 

Stone,  Gilbert,  Women  war  workers.  With  a  foreword  by  Lady  Jellicoe. 
London,  Harrap.     8.     3/.6. 

Vesselitsky,  V.  de,  The  homeworker  and  the  outlook.  London,  G.  Bell. 
Cr.  8.     132  pp.     2/.—. 

Lanino,  Pietro,  La  nuova  Italia  industriale.  Vol.  IL  (Industrie  meccaniche 
ed  elettromeccaniche,  industrie  tessili,  pelli  e  pellami.)  Koma,  1'  Italiana  (tip.  de  l'Idea 
nazionale),  1916.     16.     251,  LXXXVIII  p.     1.  3,50. 

Mondini,  Salvatore,  Industria  enologica:  produzione,  commercio,  regime  do- 
ganale.     Roma,  tip.  Nazionale,  Bertero,  1916.     8.     287  p. 

Pazzini,  Pazzino,  L' allevamento  ovino  e  Pindustria  laniera  in  Italia  e  al- 
l'estero.     Verona,  tip.  G.  Francchini,  1916.     8.     33  p. 

Kortenhorst,  L.  G.,  Ondernemersvereenigingen  (karteis,  trusts,  Syndikaten, 
conventies).  Praeadvies  ter  inleiding  van  de  besprekingen  der  vergadering  van  de 
Algem.  R.  K.  werkgeversvereeniging,  op  1  Maart  1917  te  Utrecht.  Leiden,  Uitgevers- 
vennootschap  „Futura".     8.     128  blz.    fl.  0,90. 

6.  Handel  und  Verkelir. 

Barcza,  Imre  (Emerich),  Bibliographie  der  mitteleuropäischen  Zollunionsfrage. 
Mit  einem  Vorwort  von  Dr.  Alexdr.  Matlekovits.  (In  ungarischer  und  deutscher  Sprache.) 
Budapest,  Buchdruckerei   der  Pester  Lloyd- Gesellschaft,  1917.     gr.  8.    72  SS.     M.  3,50. 

Dörr  (Handels-  u.  Fortbildgssch.-Dir.),  Alexdr.,  Grundriß  der  Handelskunde 
(Handelsbetriebslehre).  Im  Anschluß  an  die  Pläne  des  Herrn  Ministers  für  Handel  und 
Gewerbe  für  die  preußischen  kaufmännischen  Fortbildungsschulen.  Nebst  Anhang:  Ab- 
riß der  Staats-  und  Bürgerkunde.  Mit  einer  Zonenkarte.  3.  verm.  u.  verb.  Aufl. 
(Sammlung  kaufmännischer  Unterrichtsbüeher,  begr.  von  weil.  Dir.  Dr.  Ludwig  Voigt, 
fortgesetzt  von  Handels-  und  Fortbildungsschuldirektor  Dörr.)  VII— 138  SS.  M.  1,60. 
—  und  (Handels-  u.  Fortbildungsschuldirektor)  Alfred  Schneider,  Handelskunde 
mit  Schriftverkehr.  Nebst  Abriß  der  Staats-  und  Bürgerkunde.  Unter  Zugrundelegung 
der  Pläne  des  Herrn  Ministers  für  Handel  und  Gewerbe  für  die  preußischen  kauf- 
männischen Fortbildungsschulen.  1.  Teil:  Unterstufe.  Mit  1  Zonenkarte.  IV — 71  SS. 
M.  1.—.     Leipzig,  B.  G.  Teubner,   1917.     8. 

Hartmann,  Dr.  Rieh.,  Das  Reichs-Elektrizitätsmonopol.  Ein  Beitrag  zur  Frage 
der  staatlichen  Elektrizitäts-Großwirtschaft.  Unter  Benutzung  amtlichen  Materials.  Berlin, 
Julius  Springer,  1917.     gr.  8.     IV— 113  SS.     M.  3,60. 

Jaeger,  Prof.  Dr.  Ernst,  Die  Geschäftsaufsicht  neuer  Ordnung.  Abgeschlossen 
am  1.  V.  1917.     Berlin,  W.  Moeser,  1917.     gr.  8.     147  SS.     M.  4,50. 

Junk,  Wilh.,  Die  Zukunft  des  deutschen  Buchhandels.  Berlin,  Verlag  der 
Deutschen  Buchhändlergilde,  1917.     8.     45  SS.     M.  1.—. 

Müller  (Ing.),  Karl  Herm.,  Die  wirtschaftliche  Bedeutung  der  Bagdadbahn. 
Land  und  Leute  der  asiatischen  Türkei.  Hamburg,  Boysen  u.  Maasch,  1917.  gr.  8. 
VIII— 128  SS.  mit  2  (1  färb.)  Karten.     M.  3,50. 

Reitzenbaum  (Patentanw.),  Selmar,  und  (Rechtsanw.)  Dr.  Alexdr.  Leander, 
Die  Warenzeichenrechte  der  Zentralmächte  Bulgarien,  Deutschland,  Oesterreich-Ungam, 
Türkei.  Hrsg.  vom  deutschen  Balkan- Verein  E.  V.  Berlin.  Berlin,  Haude  u.  Spener- 
sche  BuchhandL  Max  Paschke,  1917.     gr.  8.     VII— 216  SS.     M.  9.—. 

Schroedter,  C,  Die  Heimsuchungen  der  Handelsschiffahrt  durch  den  Krieg. 
(Meereskunde.  Sammlung  volkstümlicher  Vorträge  zum  Verständnis  der  nationalen 
Bedeutung  von  Meer  und  Seewesen,  114.  Heft,  10.  Jg.,  6.  Heft.)  Berlin,  E.  S.  Mittler 
u.  Sohn,  1916.     8.     40  SS.     M.  0,60. 

Stolzmann  (Sen.-Präs.).  Dr.  Rud.,  Konjunktur  und  Aufschwung  nach  dem 
Kriege.  Ein  wirtschaftstheoretischer  Beitrag.  Berlin,  Franz  Vahlen,  1917.  8.  40  SS. 
U.  1,50. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     W1 

Stubmann,  Dr.  P.,  Gegenwart  und  Zukunft  der  Seeschiffahrt.  (Meereskunde. 
Sammlung  volkstümlicher  Vorträge  zum  Verständnis  der  nationalen  Bedeutung  von 
Meer  und  Seewesen,  116.  Heft,  10.  Jg.,  8.  Heft.)  Berlin,  E.  S.  Mittler  u.  Sohn,  1916. 
S.  44  SS.     M.  0,60. 

Zollkompaß.  Red.  und  hrsg.  vom  k.  k.  Handelsministerium.  12.  Bd.,  S.Teil: 
Dänemark.     Der  Zolltarif.     Wien,  Manz,  1917.     Lex.-8.     V— 271  SS.     M.  7,20. 


Dougnac,  Jacques,  Le  nouveau  tarif  douanier  am^ricain.  3  octobre  1913. 
(Th^se.)    Paris,  A.  Pedone,  1916.     8.     212  pag.     (Üniversit6  de  Paris,  Facult§  de  droit.) 

Eff  ort,  (L')  ^conomique  de  la France  pendant  deux  ans  et  demi  de  guerre.  (Bureau 
d'ltudes  d'information  diplomatique.)     Paris,  Berger-Levrault.     8.     fr.  1,50. 

Farnet,  Gabriel,  Les  relations  douaniferes  entre  la  France  et  la  principaute 
de  Monaco.     Paris,  M.  Giard  et  E.  BriSre,  1917.     8.     VIII— 304  pag. 

Goudal  (sous-intendant),  ]l£tude  sur  la  Situation  economique.  Decembre  1916  — 
Janvier  1917.     Melun,  Impr.  administrative,  1917.     8.     172  pag. 

Table  au  g§n§ral  du  commerce  et  de  la  navigation.  Ann^e  1914.  Deuxiöme 
volume:  Navigation  (Navigation  internationale,  Cabotage  fran9ais  et  Effectif  de  la 
marine  marchande.)  Paris,  Imprimerie  nationale,  1915.  (15  mars  1917.)  4.  478  pag. 
(Direction  generale  des  douanes.) 

Peddie,  J.  Taylor,  On  the  relation  of  Imports  to  exports.  2nd  ed.,  enlarged. 
London,  Longmans.     Cr.  8.     172  pp.     3/.6. 

Carnelutti,  Francesco,  Studi  di  diritto  commerciale.  Roma,  Athenaeum 
(Cittk  di  CasteUo,  soc.  Leonardo  da  Vinci),  1917.     8.     381  p.     1.  8.—. 

Delfino,  Camillo,  La  marina  mercantile  italiana:  il  suo  passato  e  il  suo 
avvenire.     Campobasso,  casa  ed.  G.  Colitti  e  figlio,  1917.     8.     III — 147  p.     1.  3. — . 

Feo  (De),  Luciano,  La  lotta  economica  del  dopo  guerra.  Prefazione  di 
Giuseppe  Canepa.     Milano,  fratelli  Treves,  1917.     16.     XII— 109  p.     l.  1,50. 

Landra,  Angelo,  Corso  di  storia  del  commercio.  Parte  I  (Antichitk  e  medio 
evo).     Torino,  ditta  G.  B.  Paravia  e  C,  1916.     8.     VII,  149  p.  con  due  tavole.    1.  2,50. 

Movimento  della  navigazione  del  regno  d' Italia  nell'anno  1915.  Vol.  I: 
Tavole  analitiche  (Ministero  delle  finanze :  direzione  generale  delle  gabelle,  ufficio  trattati 
e  legislazione  doganale).  Koma,  tip.  Camera  dei  Deputati,  di  C.  Colombo,  1916.  4. 
VII— 524  p.    1.  4.—. 

Navarrini,  Umberto,  Trattato  teorico-pratico  di  diritto  commerciale.  VoL  III 
(Diritto  delle  obligazioni).  Torino,  fratelli  Bocca  (V.  Bona),  1917.  8.  XXIV— 669  p. 
1.  20.—. 

Problemi  (Alcuni)  economici,  per  una  piü  grande  Italia.  (Federazione  com- 
merciale e  industriale  italiana,  Milano:  convegno  nazionale  di  Boma,  26 — 27  novembre 
1916).     Milano,  tip.  A.  Cordani,  1916.     8.     81  p. 

7.  Finanzwesen. 

Baumgartner.  Dr.  Oscar,  Das  schweizerische  Finanzproblem.  Die  Zukunft 
unserer  Bahnen.     2  Aufsätze.     Bern,  Ferd.  Wyß,  1917.     8.     71  SS.     M.  1,60. 

Dschavid-Bei  (Fin.-M. ),  Türkische  Kriegsfinanz  Wirtschaft.  Budgetrede,  ge- 
halten in  der  türkischen  Kammer  am  3.  III.  1917.  Uebersetzt  von  Dr.  Carl  Anton 
Schaefer  (Der  deutsche  Krieg.  Politische  Flugschriften,  hrsg.  von  Ernst  Jäckh, 
Heft  94.)     Stuttgart,  Deutsche  Verlags-Anstalt,  1917.     gr.  8.     42  SS.     M.  0,50. 

K  a  ö  j  r  e  k  (Finanzkonzip.),  Franz,  Die  österreichische  Fleischverzehrungssteuer. 
Systematische  Abhandlungen  und  praktische  Bemerkungen  zum  Fleischsteuergesetze 
samt  Nachtrags  Vorschriften,  nebst  dem  Originalwortlaute  der  Administrativerlässe  und 
der  Judikatur  des  Verwaltungsgerichtshofes.  Prag,  Fr.  Rivnä6,  1917.  gr.  8.  XIV — 
317  SS.  mit  1  Tab.     M.  5,50. 

Norden  (Chefred.),  Artur,  und  (Verbandssynd.)  Dr.  Martin  Friedlaender, 
Das  Kriegssteuergesetz  (Kriegsgewinnsteuer).  Nebst  den  Ausführungsbestimmungen  und 
den  Gesetzen :  Zuschlag  zur  Kriegssteuer  und  Sicherung  für  die  kommende  Kriegssteuer 
vom  9.  IV.  1917.     2.  Aufl.     Berlin,  J.  Guttentag,  1917.     gr.  8.     282  SS.     M.  6.—. 

Ruziöka,  Dr.  Ernst,  Das  eherne  Rentengesetz.  Seine  Rückwirkung  auf  In- 
flation, Vermögensabgabe  und  den  finanziellen  Friedensschluß.  Wien,  Manz,  1917. 
gr.  8.     128  SS.     M.  3,30. 

Schelhorn  (Reg.-Assess.,  z.  Z.  Intend.-R.),  Dr.  Joh.  Rud.  v.,  Gesetz  über 
Kapitalabfindung  an  Stelle  von  Kriegsversorgung.    (Kapitalabfindungsgesetz  vom  3.  VII. 


112     Uebenicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

1916  mit  dem  Mannschaftsversorgungsgesetze,  dem  Militürhinterbliebenengesetze  sowie 
den  preußischen,  bayerischen  und  sächsischen  Ansiedlungs-  (und  Rentengut8-)Gesetzen 
erläutert.     Ansbach,  C.  Brügel  u.  Sohn,  1917.     8.     X— 273  88.     M.  5,50. 

Singer,  Dr.  Kurt,  Wirkungen  der  Nahrungsmittel-  und  Frachtraumnot  auf 
Zahlungsbilanz  und  Finanzwesen  der  Westmächte.  (Kriegswirtschaftliche  Berichte  aus 
dem  Seminar  für  Nationalökonomie  und  Kolonialpolitik,  Hamburg,  1.  Folge,  4.  Teil, 
1.  Abschnitt.)  Hamburg,  Verlagsbuchhdlg.  Broschek  u.  Co.,  1917.  gr.  8.  24  SS. 
M.  1,50.  

Brisset,  C.  E.,  L'impöt  sur  le  revenu  pour  1917/18.    Paris,  Garnier.    8.    fr.  1. — . 

Delahaye-Bougöre  fils,  C.  Poisson,  et  J.  Delahaye,  La  contribution  extra- 
ordinaire  sur  les  b§n§fice9  de  guerre.  Les  moyens  et  petits  industriels  et  commerjants. 
Paris,  G.  Roustan,  1917.     8.     112  pag.     fr.  2.—. 

Dodinot,  Dr.  Michel,  Le  contröle  des  finances  publiques  et  les  formes  comp- 
tables  dans  le  budget  de  la  guerre  (thfese).    Paris,  Rousseau  et  Cie.,  1916.    8.    180  pag. 

Favre,  J.  E.,  Ce  que  tout  le  monde  doit  savoir  des  nouvelles  lois  et  taxes 
financiöres.  Guide-manuel  pratique  et  raisonn^.  Impöt  sur  le  revenu.  Taxes  sur  les 
valeurs  mobiliöres.  Impöt  sur  les  b§n§fices  de  guerre.  Autres  impöts  et  surtaxes  nou- 
velles. Droits  et  courtages  des  Operations  de  bourse.  Le  chöque  barr§  et  ses  avantages. 
Titres  perdus,  vol§s  ou  d^truits.  La  liquidation  des  Operations  k  terme.  Les  assembl§es 
d'actionnaires  diff§r§es.  Quantit§  d'autres  renseignements  avec  textes  l^gislatifs,  com- 
mentaires  d§taill6s,  calculs  et  baremes.  Paris,  impr.  et  libr.  de  la  Biblioth&que  finan- 
cifere,  1917.     12.     XVIII— 184  pag.     fr.  1,50. 

Jay,  Paul,  Impöts  nouveaux.  Impöts  modifi^s  ou  supprim^s.  Paris,  impr.  Lev^, 
1917.     8.     200  pag.     fr.  4.—. 

Fieldhouse,  Arthur,  Income  tax  simplified.  3rd  ed.  London,  Simpkin.  18. 
77  pp.     1/.-. 

Noyes,  Alexander  Dana,  Financial  chapters  of  the  war.  London,  Macmillan. 
Cr.  8.     266  pp.     5/.—. 

Amoroso,  Luigi,  II  costo  della  guerra.  Roma,  Athenaeum  (Cittä  di  Castello, 
soc.  Leonardo  da  Vinci)  1916.     8.     24  p. 

Calamia,  Gaspare,  Le  finanze  locali  e  le  riforme  piü  urgenti.  Girgenti,  tip. 
Montes,  1916.     4.     160  p.     1.  5.—. 

Flora,  Federico,  Manuale  della  scienza  delle  finanze.  Quinta  edizione,  rive- 
duta  ed  ampliata.     Livorno,  R.  Giusti,  1917.     8.     XV,  869  p.     1.  8,50. 

Lami,  Ferdinando,  Per  l'av venire  delle  casse  di  risparmio.  Firenze,  tip. 
Ramella  e  C,  1916.     8.     19  p. 

Podda,  Enrico,  Le  imposte  dirette  in  Italia.  Con  appendice  sulle  imposte  stra- 
ordinarie  in  dipendenza  dello  stato  di  guerra.     Milano,  A.  Vallardi.     8.     75  c. 

Wet  van  den  19den  December  1914  tot  heffing  eener  inkomstenbelasting  met 
dartoe  betrekkelijke  bijlagen,  bewerkt  door  A.  J.  M.  Kuypers.  Supplement  II.  1.  Fe- 
bruari  1917.  (Bijgewerkte  verzameling  Van  Dillen  en  Middelkoop.)  Amsterdam, 
L.  J.  Veen.  gr.  8.  39  blz.  fl.  0,65.  —  Wet  (De)  op  de  oorlogswinstbelasting.  (Syste- 
matisch overzicht  der  wet  en  de  ontwerpen  tot  wijziging,  met  den  tekst  der  gewijzigde 
artikelen  en  registers,  door  M.  Oppenheimer.)  's  Gravenhage ,  Uitgave  Tijdschrift 
Nijverheid  en  overheid.     8.     fl.  1,25. 

8.  Geld-»  Bank-p  Kredit-  und  Versicherungswesexi. 

Karpinski,  Zygmunt,  Die  Wechselkurse  während  des  Welt- 
krieges von  dessen  Beginn  bis  Ende  1915.  Posen  (Gebr.  Winiewicz) 
1916.     80.     130  SS. 

Dem  Verf.  ist  der  Versuch,  die  Bewegung  der  wichtigsten  inter- 
nationalen Wechselkurse  während  der  ersten  lYg  Jahre  des  Weltkrieges 
darzustellen  und  zu  erklären,  soweit  das  noch  nicht  vollständige  Material 
dies  zuließ,  in  anerkennenswertem  Maße  gelungen.  Wenn  auch  nicht 
allen  Ansichten  zugestimmt  werden  kann,  so  finden  sich  doch  eine  ganze 
Reihe   von   beachtenswerten   Gesichtspunkten.     In   letzterer  Beziehung 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutachlands  und  des  Auslandes.     113 

ist  namentlich  die  starke  Betonung  des  Umstandes  hervorzuheben,  daß 
für  die  Gestaltung  des  Wechselkurses  nur  die  fälligen  Posten  der 
Zahlungsbilanz  in  Betracht  kommen,  was  von  vielen  übersehen  wird. 
Als  Grundlage  für  weitere  Studien  über  die  Wechselkursbewegungen 
während  des  Krieges  kann  die  Arbeit  sowohl  in  ihrem  darstellenden 
äIs  auch  in  ihrem  kritischen  Teile  durchaus  empfohlen  werden. 

Nürnberg.  Dr.  Otto  Heyn. 

Bachrach,  Otto,  Die  deutsche  Valuta  im  Kriege.  Berlin,  Leonhard  Simion 
Nachf.,  1917.     gr.  8.     56  SS.     M.  1,50. 

Fick,  Dr.  F.,  Versicherungsrechtliche  Abhandlungen.  1.  Bd.:  Die  bei  der  Aus- 
legung des  Versicherungsvertragsrechts  maßgebenden  Grundsätze,  insbesondere  nach 
schweizerischem  Recht.     Zürich,  Orell  Füßli,  1917.     gr.  8.     49  SS.     M.  2,40. 

Kahlo,  Ernst,  Vergleichende  Zusammenstellung  der  Versicherungsbedingungen 
und  Prämiensätze  (Einbd. :  Prämien)  der  im  Deutschen  Reiche  arbeitenden  Lebensver- 
sicherungsgesellschaften (VersicheruDg  und  ärztliche  Untersuchung)  1917.  16.  Jahrg. 
Berlin,  E.  S.  Mittler  u.  Sohn,  1917.     8.     V— 65  u.  60  SS.     M.  1,50. 

Salings  Börsen-Jahrbuch,  Kleines,  für  1917/18.  Ein  Handbuch  für  Kapitalisten 
und  Effektenbesitzer.  Bearbeitet  von  Dr.  G.  Tischert  und  John  Weber.  6.  Aufl.  Berlin, 
Verlag  f.  Börsen-Finanzliteratur,  1917.     kl.  8.     III,  XIX,  666  SS.     M.  7,20. 

Schmidt -Essen,  Dr.  Alfred,  Nationale  Währungspolitik.  Los  von  England! 
(Bibliothek  für  Volks-  und  Weltwirtschaft.  Hrsg.:  Prof.  Dr.  Franz  v.  Mammen. 
Heft  37.)  Dresden,  „Globus",  Wissenschaftl.  Verlagsanstalt,  1917.  gr.  8.  VIII— 63  SS. 
M.  1,80.  

Genet,  Gervais,  De  Pimportance  ^conomique,  de  l'organisation  et  du  fonctionne- 
ment  en  France  des  compagnies  anonymes  fran9aises  d'assurances  ä,  primes  fixes  contre 
l'incendie.  l&tude  §conomique,  historique  et  juridique.  Thfese  pour  le  doctorat  en  droit. 
Paris,  E.  de  Boccard,  1917.     8.     299  pag. 

Moreau.  L&on,  Le  bilan  des  societ^s  par  actions.  Le  compte  des  r§sultats. 
Interpretation  et  unification.  Thfese  pour  le  doctorat  en  droit.  Paris,  M.  Giard  et 
E.  Bri^re,  1916.     8.     246  pag. 

Kemmerer,  Edwin  Walter,  Modem  currency  reforms.  London,  Macmillan. 
€r.  8.     10/.6. 

Readings  in  money  and  banking.  Selected  and  adapted  by  Charles  Arthur 
Phillips.     London,  Macmillan.     8.     9./ — . 

Todd,  John  A.,  The  mechanism  of  exchange.  A  handbook  of  currency, 
banking,  and  trade  in  peace  and  in  war.     Oxford,  Univ.  Press.     8.     5/. — . 

Angel o  (D'),  Pasquale,  Trattato  di  tecnica  bancaria.  Seconda  edizione  intera- 
mente  riveduta  e  accresciuta.  Milano,  F.  Vallardi,  1917.  8.  XVI — 637  p.  con  sette 
prospetti.     1.  14. — . 

Assicurazione  (L')  obbligatoria  contro  gli  infortuni  sul  lavoro  agricolo 
(Ministero  per  l'industria,  il  commercio  e  il  lavoro:  direzione  generale  del  credito  e 
della  previdenza.)     Roma,  tip.  Nazionale,  Bertero,  1916.     8.     453,  15  p.    1.  4,50. 

9.  Sosiale  Fragre. 

Nestriepke,  S.,  Werben  und  Werden  der  freien  Gewerkschaften. 
Geschichte  und  System  der  gewerkschaftlichen  Agitation.  Ntirnberg 
(Fränkische  Verlagsanstalt).     1914.     80.     203  SS. 

Die  systematische  Werbearbeit  der  freien  Gewerkschaften  wird  in 
diesem  Buche  in  ihren  verschiedenen  Seiten  —  ihren  wirtschaftlichen 
und  sozialen  Voraussetzungen,  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung,  ihren 
mannigfaltigen  Betätigungsformen  und  Betätigungsgebieten,  ihren  Me- 
thoden und  ihren  Erfolgen  —  eingehend  und  in  anziehender  Schilde- 
rung vor  Augen  geführt.  Die  Darstellung  ist  eine  erzählende,  durch- 
aus undoktrinäre  und  auf  das  rein  Sachliche  gerichtete,  von  polemischen 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  8 


114     Uebenicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deut«chlands  und  des  Auslandes. 

Tendenzen  freie.  Anderseits  ist  ihr  Zweck,  außer  der  Verbreitung  ge- 
nauerer Kenntnis  von  der  Entwicklung  der  freigewerkschaftlichen  Be- 
wegung, durch  die  Hoffnung  ausgedrückt:  „daß  daraus  auch  für  den 
agitatorisch  Tätigen  manche  neue  Anregung  erwachse,  daß  die  für  die 
Förderung  der  Bewegung  wirkenden  Kräfte  durch  sie  beflügelt  werden, 
und  so  auch  der  Zukunft  ein  Dienst  geleistet  wird".  In  der  Art  der 
Behandlung  schließt  sich  der  (nach  den  letzten  Reichstags  wählen  von 
der  Demokratischen  Vereinigung  zur  Sozialdemokratie  übergetretene) 
Verf.  dem  Gewerkschaftshistoriker  Adolf  Braun  eng  an,  dessen  Einfluß 
auf  das  Zustandekommen  und  die  Durchführung  des  Werkes  er  dankbar 
gedenkt.  (Vgl.  namentlich  Ad.  Braun,  Die  Gewerkschaften,  ihre  Ent- 
wicklung und  Kämpfe,  1914,  von  mir  besprochen  im  49.  Bd.  III.  F. 
S.  409  f.  dieser  „Jahrbücher".) 

Vorausgeschickt  wird  ein  kurzer  Abriß  vom  Wesen  und  Wirken 
der  treibenden  Kräfte  für  die  Begründung  der  ersten  freien  Gewerk- 
schaften und  von  den  wirtschaftlichen  Voraussetzungen  für  deren  Aus- 
breitung. Ihre  Entstehung  aus  dem  Unterstützungswesen,  wobei  an 
die  alten,  zum  Teil  noch  als  Unterstützungsvereine  ein  bescheidenes 
Dasein  fristenden  Gesellenbrüderschaften  angeknüpft  werden  konnte^ 
ihre  allmähliche  Umbildung  zu  gewerkschaftlichen  Interessenverbänden 
von  wachsendem  Eigencharakter,  stark  gefördert  durch  die  an  Zahl 
und  Heftigkeit  zunehmenden  Zusammenstöße  zwischen  Arbeitern  und 
Unternehmern,  die  natürlichen  Folgeerscheinungen  der  wirtschaftlichen 
Entfaltung,  die  Zwiespältigkeit  der  Entwicklung  durch  den  politischen 
Antagonismus  ihrer  ersten  Begründer  —  Lassalleaner  und  Marxisten 
— ,  die  Mitwirkung  der  „Internationale"  und  die  konkurrierenden  Be- 
strebungen der  individualistisch-liberalen  Hirsch-Dunckerschen  Richtung,, 
anderseits  die  förderliche  Einwirkung  der  großbetrieblichen  Entwick- 
lung, der  Konzentration  der  Unternehmungen  und  des  Besitzes  sowie 
der  Wirtschaftskrisen  auf  die  Organisationstendenzen,  und  die  sonstigen, 
teils  fördernden,  teils  hemmenden  Faktoren  wirtschaftlicher  Natur 
werden  darin  veranschaulicht  und  gewertet.  Wie  die  so  entstandenen 
Gewerkschaften  nun  auf  die  Gewinnung  neuer  und  die  Festhaltung  der 
gewonnenen  Mitglieder  schon  durch  ihre  gesamte  funktionelle  Betäti- 
gung hinwirken,  so  daß  kein  Gebiet  der  letzteren  solcher  werbenden 
Kraft  entbehrt,  wird  weiterhin  gezeigt.  Außer  den  jeweils  erzielten 
Erfolgen  in  der  Verbesserung  der  Lohn-  und  sonstigen  Arbeitsbe- 
dingungen wirken  nach  gleicher  Richtung  die  Unterstützungen,  die 
Rechtsschutzgewährung,  die  gewerkschaftliche  Statistik,  die  Veranstal- 
tung von  Ausstellungen,  die  sozialpolitische  Agitation  und  die  Wahl- 
agitation für  die  Vertretungen  in  der  Sozialversicherung  und  bei  den 
Gewerbegerichten,  die  Erziehungs-  und  Büdungsbestrebungen  gegen- 
über den  eigenen  Mitgliedern,  der  Kampf  gegen  den  Alkohol  und  die 
Leistungen  einer  tüchtigen  Gewerkschaftsverwaltung. 

Von  besonderem  Interesse  ist  die  sich  hieran  anschließende  Er- 
örterung über  die  Bedeutung  der  politischen  Arbeiterbewegung  für 
den  Fortschritt  der  Gewerkschaftsbewegung.  Wenn  die  freien 
Gewerkschaften  formell  von  ihren  Mitgliedern  kein  Bekenntnis  zur  So- 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     1X5 

zialdemokratie  verlangen  und  bei  ihrem  berechtigten  Selbstbewußtsein 
auch  nicht  gerade  eine  Vorschule  für  diese  Partei  abgeben  wollen,  so 
wird  die  darin  äußerlich  zum  Ausdruck  gebrachte  politische  Neutralität 
so  gut  wie  aufgehoben  durch  den  vom  Verf.  sogleich  angeschlossenen 
Zusatz,  daß  sie  es  als  ihre  Pflicht  betrachten,  die  Mitglieder  zur  po- 
litischen Betätigung  zu  erziehen.  Denn  diese  Betätigung  kann  nach 
seiner  eigenen  Erklärung,  „auch  wenn  jede  eigentliche  Agitation  für 
die  Sozialdemokratie  fehlt",  bei  „denkenden  Arbeitern",  d.  h.  gewerk- 
schaftlich erzogenen,  nur  eine  solche  im  Dienste  der  sozialdemokrati- 
schen Partei  sein.  Wie  man  sieht,  ist  der  Begriff  der  Neutralität  schon 
vor  dem  Kriege  einer  sehr  verschiedenen  Auslegung  fähig  gewesen. 
Die  daran  angeschlossene  Skizze  der  Behandlung  dieses  Problems  inner- 
halb der  beiderseitigen  Presse  und  auf  den  Partei-  und  Gewerkschafts- 
kongressen bestätigt,  daß  Partei  und  Gewerkschaft  eins  sein  wollen  und 
sollen  in  ihren  letzten  Zielen  wie  in  ihren  Motiven  und  in  ihrer  Welt- 
anschauung, und  daß  sie  sich  als  gemeinsame  und  einheitliche  Aufgabe 
setzen,  den  Klassenkampf  auf  zwei  verschiedenen  Gebieten,  dem  politi- 
schen und  dem  wirtschaftlichen,  zu  propagieren  und  durch  die  näm- 
lichen, dabei  in  zwei  verschiedenen  Rollen  auftretenden  Kämpfer  und 
Führer  durchzukämpfen.     . 

Das  Agitationsproblem  selbst,  der  Kern  der  Darstellung,  wird  zu- 
nächst gleichfalls  von  der  entwicklungsgeschichtlichen  Seite  vorgeführt. 
Aus  rein  empirischen  Anfängen  erwächst  es  mit  der  Zeit  zur  klarbe- 
wußten Fragestellung  und  internen  wie  öffentlichen  Erörterung  der 
Methodik  und  Systematik  der  Werbearbeit,  um  den  Höhepunkt  seiner 
Behandlung  in  der  Abfassung  von  Handbüchern  für  die  Unterweisung 
in  der  Agitationskunst  zu  erreichen.  Auf  dieser  zeitgeschichtlichen 
Unterlage  gibt  der  Verf.  ein  interessantes  Bild  von  den  mannigfachen, 
in  der  gewerkschaftlichen  Praxis  zur  Anwendung  gelangten  und  ge- 
langenden Methoden  der  Gewinnung,  Erhaltung  und  Erziehung  von 
Mitgliedern.  Zahlreiche  Abbildungen  von  Werbeschreiben,  -aufrufen, 
-plakaten  und  anderem  Werbematerial  sowie  Wiedergabe  von  Zeitungs- 
titeln und  -ausschnitten  unterstützen  die  textliche  Darstellung  und 
weisen  auch  in  sich  selbst  einen  bemerkenswerten  Entwicklungsgang, 
zum  Teil  auch  in  künstlerischer  Hinsicht  auf. 

Im  Einzelnen  wird  zunächst  die  Organisation  der  Werbe- 
arbeit behandelt.  Ihre  Träger  sind  auf  den  untersten  Stufen  die  Mit- 
glieder selbst,  auf  der  obersten  die  als  Zentralinstanz  für  die  gesamte 
freie  Gewerkschaftsbewegung  geschaffene  Generalkommission.  Da- 
zwischen stehen  die  Vorstände  und  Leiter  der  örtlichen  Zahl-  und 
Verwaltungsstellen,  die  Ortskartell-Leitungen  und  die  Leitungen  der 
Industrieverbände  und  ihrer  Sektionen.  Diese  dezentralisierte  und  doch 
einheitliche  Organisation,  bei  der  den  einzelnen  Verbänden  volle  Selb- 
ständigkeit der  Propaganda  und  zugleich  deren  Hauptteil  belassen  ist, 
daneben  aber,  besonders  in  der  Form  von  „Agitationskommissionen", 
unterstützende  Instanzen  geschaffen  sind,  an  denen  sie  nicht  allein  be- 
teiligt sind,  hat  sich  vorzüglich  bewährt.  Die  Generalkommission  gibt 
die  allgemeinen  Anregungen  und  erstreckt  ihre  Werbetätigkeit  auf  den 

8* 


116     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  DeutschlancLs  und  des  Auslandes. 

aus  mancherlei  Gründen  schwerer  zu  bearbeitenden  Osten  des  Reiches. 
Sehr  beachtenswert  ist  dabei  die  Tatsache,  daß  infolge  der  der  gewerk- 
schaftlichen Agitation  dort  in  besonderem  Maße  in  den  Weg  gelegten 
Schwierigkeiten  die  für  die  freien  Gewerkschaften  gewonnenen  Arbeiter 
nicht  lange  mehr  im  Osten  zu  bleiben,  sondern  nach  Westen  abzuwan- 
dern pflegen,  um  außer  besserer  Arbeitsgelegenheit  dort  größere  Freiheit 
zu  finden.  Diese  Förderung  der  Entvölkerung  des  Ostens  durch  die 
gewerkschaftliche  Werbearbeit  fällt  um  so  schwerer  ins  Gewicht,  als 
diese  „die  besten,  die  geschulten  Kräfte"  sind.  Die  Ortskartelle  för- 
dern namentlich  durch  ihre  vielen  und  vielseitigen  Einrichtungen  und 
Vorkehrungen  dauernden  und  gelegentlichen  Charakters  (Arbeitersekre- 
tariate, Auskunft-  und  Rechtsschutzbüros,  Gewerkschaftshäuser,  Her- 
bergen, Bibliotheken,  Veranstaltungen  von  Masseneingaben  und  -demon- 
strationen  usw.)  die  Werbearbeit  außerordentlich.  Eine  besondere  Recht- 
fertigung läßt  der  Verf.  den  angestellten  Agitatoren  gegen  den  Vor- 
wurf, daß  sie  „von  den  Arbeitergroschen  leben",  zuteil  werden. 
Weiterhin  wird  die  Agitation  durch  Versammlungen  geschildert, 
wobei  die  eigentümliche  Wirkung  des  Sozialistengesetzes  bemerkens- 
wert ist,  das  durch  die  Lahmlegung  der  Versammlungstätigkeit  zur 
Einrichtung  von  Werkstättenversammlungen  nötigte,  die  mit  der  Zeit 
ein  viel  wirksameres  Agitationsmittel  wurden  und  auch  geblieben  sind, 
namentlich  weil  sie  es  ermöglichen,  die  Arbeiter  bei  ihren  allereigensten 
Interessen  zu  fassen.  Wie  die  Vorarbeit  für  die  Versammlungsagitation 
und  wie  besonders  die  Kleinarbeit  in  ihr  mit  Geschick  und  Routine 
betrieben  wird,  welche  Anforderungen  an  die  Persönlichkeit,  insbeson- 
dere an  die  Kräfte,  die  Ausdauer  und  an  die  spezifische  Veranlagung 
der  Agitatoren  für  ihren  schwierigen  Beruf  gestellt  werden,  wie  diese 
die  besondere  Kunst,  die  Arbeitermassen  psychologisch  richtig  zu  ver- 
stehen und  zu  behandeln,  erlernen  und  beherrschen  müssen,  diese  aus 
der  Fülle  der  gesammelten  Erfahrungen  geschöpften  Darlegungen  sind 
von  besonderem  Reiz.  Bei  der  Darstellung  der  schriftlichen  Agi- 
tation bieten  namentlich  die  auf  die  Gewerkschaftspresse  sich  er- 
streckenden Textproben  und  bildlichen  Veranschaulichungen  eine  gute 
Orientierung.  Als  wichtigste  Agitationsart  wird  jedoch  die  „von 
Mund  zu  Mund"  charakterisiert  und  in  ihrem  Wesen  und  Wirken 
enthüllt.  Die  persönliche  Aussprache  zwischen  Berufsgenossen  über- 
trifft an  Wirksamkeit  alle  anderen  Agitationsmittel.  Freilich  will  sie 
auch  mit  ganz  besonderem  Geschick,  wobei  wiederum  die  persönliche 
Veranlagung  die  Hauptrolle  spielt,  betrieben  sein,  um  dieses  Lob  voll 
zu  verdienen.  Es  wird  gezeigt,  wie  diese  Werbetätigkeit  am  erfolg- 
reichsten an  der  Arbeitsstätte  erfolgt,  ohne  daß  dies  jedoch  Agitation 
während  der  Arbeit  treiben  bedeuten  muß.  Die  Pausen  und  die 
Wege  von  und  zu  der  Arbeitsstelle  kommen  dafür  in  Betracht.  Takt 
und  Geschick  müssen  sich  dabei  in  glücklicher  Mischung  vereinen, 
Selbstbeherrschung  und  vorbildliches  Beispiel  spielen  im  Verein  damit 
eine  Hauptrolle.  In  fast  epischer  Form  wird  daran  anschließend  die 
Hausagitation  behandelt  —  die  mühevollste,  billigste  und  wirk- 
samste  Methode    —    die    womöglich   noch ,  höhere  Anforderungen   indi- 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     ]^;[7 

vidueller  Art  stellt,  und  scblieUlich  die  mit  dem  Wandern  selbst  zu- 
rückgegangene, einst  so  bedeutende  Wände ragitation. 

Ihre  größte  Aufmerksamkeit  und  Kräfteentfaltung  muß  die  Werbe- 
arbeit aber,  um  das  gewerkschaftliche  Ziel  der  Umfassung  möglichst 
der  gesamten  Berufsarbeiterschaft  zu  erreichen,  sowie  weil  sich  hier 
Schwierigkeiten  von  ganz  besonderen  Arten  häufen,  den  Frauen  und 
den  Jugendlichen  zuwenden.  Weil  sie  zumeist  lohndrückend  wirken 
und  zugleich  eine  Reservearmee  von  Streikbrechern  bilden,  müssen  sie 
in  die  Organisation  hineingebracht  werden,  wenn  sie  nicht  zu  einer 
großen,  doppelten  Gefahr  für  den  Hauptteil  der  Arbeiterschaft  werden 
sollen.  Daher  der  jetzt  allgemeine  Umschwung  der  Meinung  in  den 
Gewerkschaften,  die  zuerst  und  lange  Zeit  in  den  Frauen  nur  die 
Rivalen  sah.  Bei  den  Jugendlichen  kommt  dazu  noch  die  Gefahr  früh- 
zeitigen Einfangens  von  Seiten  konkurrierender  Verbände,  anderseits 
der  Vorteil,  daß  sie  für  die  Unterstützungskassen  regelmäßig  weniger 
kostspielig  sind.  Di6  besonderen  Schwierigkeiten  der  Gewinnung  beider 
Kategorien  werden  aufgezeigt  und  gewertet.  Je  größer  sie  sind,  um 
so  wertvoller  sind  die  Erfolge  auf  diesen  Gebieten,  die  ebenso  wie  die 
zu  ihrer  Erzielung  aufgewendeten,  den  besonderen  Verhältnissen  geschickt 
angepaßten  Mittel  und  Methoden  dargelegt  und  erörtert  werden.  Heute 
gibt  es  nur  noch  wenige  Organisationen  ohne  weibliche  Mitglieder,  und 
nur  solche,  in  deren  Berufen  Frauenarbeit  nicht  oder  nur  wenig  vor- 
kommt. Anderseits  sind  vielfach  weibliche  Gewerkschaftsbeamte  an- 
gestellt. Ein  Frauenkomitee  betreibt  seit  1904  als  Zentralstelle  die 
Agitation  unter  den  Arbeiterinnen,  ein  Arbeiterinnensekretariat  ist  ihm 
angegliedert,  Frauenagitationskommissionen  wirken  unter  ihnen.  Da- 
neben sind  u.  a.  wirkungsvoll :  niedrigere  Beitragsklassen  für  weibliche 
Mitglieder,  Wöchnerinnen-Unterstützung,  Frauenversammlungen,  Schu- 
lungsabende für  Frauen  und  eine  Zeitschrift  für  Proletarierinnen.  Noch 
reichhaltiger  und  differenzierter  sind  die  Werbemittel  und  -methoden 
für  die  Gewinnung  der  Jugend,  der  man  vor  allem  möglichst  viel  zu 
bieten  sucht,  was  ihren  Interessen  und  Neigungen  entgegenkommt. 
Die  dafür  getroffenen  Einrichtungen  und  Vorkehrungen,  wie  Jugend- 
abteilungen, besoldete  Jugendleiter,  Versammlungen,  Vorträge,  Ausflüge, 
Unterhaltungsabende  für  Jugendliche,  die  Zeitschrift  „Arbeiterjugend", 
besondere  Werbeflugblätter,  Jugendheime  und  -büchereien  und  vieles 
andere  bildet  die  Gesamtheit  dieser  nach  Ueberzeugung  des  Verf.  alier- 
einträglichsten  Kategorie  von  gewerkschaftlichen  Aufwendungen.  Das 
ist  durchaus  begreiflich,  da  ja  die  Zukunft  nach  einem  bekannten 
Spruche  dem  gehört,  der  die  Jugend  für  sich  hat.  Daher  ist  aber 
auch,  bei  dem  mehr  als  engen  Zusammenhang  zwischen  Sozialdemokratie 
und  freien  Gewerkschaften,  die  staatliche  Einmischung  in  den  Wett- 
bewerb um  die  Seele  der  Jugend  verständlich,  gegen  die  der  Verf. 
sich  mit  der  Prophezeiung  wendet,  daß  sie  den  entgegengesetzten  Er- 
folg haben  werde,  die  Jugend  den  freien  Gewerkschaften  in  die  Arme 
zu  treiben. 

Das  heikelste  Spezialproblem  des  Themas  bildet  der  Organi- 
sationszwang.   Der  Verf.  sucht  in  ruhiger,  aber  eindringlicher  Dar- 


118    üeberaicht  über  die  nenesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

legung  den  Vorwurf  des  Terrorismus  der  freien  Gewerkschaften  gegen 
Unorganisierte  zu  widerlegen.  Er  zitiert  Agitationsanweisungen,  die 
jeden  Zwang  gegen  Unorganisierte  mißbilligen  und  vor  ihm  warnen, 
und  weist  gegnerischerseits  berichtete  krasse  Fälle  von  Terrorismus  als 
tatsächlich  unbegründet  nach.  Sodann  schildert  er,  wie  der  Arbeiter 
durch  Anwendung  von  in  seinen  Kreisen  gebräuchlichen  Redensarten, 
<iie  nicht  buchstäblich  genommen  noch  gar  vom  Standpunkte  des  ge- 
bildeten Juristen  aus  gewertet  werden  dürften,  wohl  „eine  kräftige 
kameradschaftliche  Mahnung"  ausdrückt,  ohne  nach  Lage  des  Falles 
damit  ernstliche  Bedrohungen  oder  Ehrverletzungen  auszusprechen. 
Anderseits  macht  er  geltend,  daß  in  manchen  Fällen  und  Situationen 
es  „mindestens  zu  verstehen"  sei,  wenn  die  Arbeiter  sich  weigerten, 
mit  Außenseitern  zusammenzuarbeiten,  ja,  daß  eine  Aktion  gegen  solche 
und  die  Forderung,  sich  anzuschließen  oder  die  Ai-beitsstelle  zu  ver- 
lassen, von  ihrem  Stolz  und  ihrer  Selbstbehauptung  geradezu  verlangt 
werden  könne.  Dies  könne  nicht  unbillig  sein,  wenn  man  bedenke, 
daß  die  Außenseiter  alle  von  der  Organisation  erkämpften  Vorteile  mit- 
genössen, ohne  die  Opfer  und  Lasten  dafür  mittragen  zu  wollen. 
Außerdem  verweist  er  nachdrücklich  auf  den  viel  stärkeren  Organi- 
sationszwang auf  der  Gegenseite. 

Ein  kurzer  Ueberblick  über  Kosten  und  Erfolge,  Ausbau  und  Be- 
deutung der  Agitation  macht  den  Schluß.  Das  starke  V^achstum  der 
freien  Gewerkschaften  unter  dem  Sozialistengesetz  fällt  dabei  besonders 
ins  Auge.  Die  vom  Verf.  gewünschte  Vervollkommnung  der  gewerk- 
schaftlichen Agitation  scheint  ihm  nur  erreichbar  durch  beständige  sorg- 
fältige Berücksichtigung  der  ökonomischen  und  psychologischen  Vor- 
aussetzungen in  der  Arbeiterschaft,  durch  Anpassung  der  Methoden  an 
die  jeweils  gegebenen  Bedingungen,  kurz  durch  möglichste  Individuali- 
sierung der  Werbearbeit,  deren  Schwierigkeiten  in  dem  Maße  schwinden 
würden,  wie  die  Lebensbedingungen  breiter  Arbeiterschichten  sich  durch 
die  allgemeine  wirtschaftliche  Entwicklung  annähern.  Im  übrigen  müsse 
die  Agitation  immer  mehr  Sache  des  Einzelnen  und  seiner  dazu  nötigen 
geistigen  Ausrüstung  werden,  und  dürfe  bei  ihr  kein  kleinliches  Feilschen 
mit  Mitteln  und  Kräften  gelten.  Sie  mache  sich  stets  bezahlt,  wenn 
sie  gut  sei,  besonders  auch  dadurch,  daß  jede  Agitation  an  sich  einer 
Bewegung  Leben  und  Kraft  verleihe. 

Enthält  das  Buch  auch  keine  Geheimnisse  des  Gewerkschaftslebens, 
so  vermag  sein  reicher  Inhalt  doch  sehr  gut  das  Verständnis  für  das 
Werden  und  das  Wesen  der  freien  Gewerkschaften  zu  fördern.  Den 
Freunden  und  Anhängern  der  letzteren  gibt  es  manches  Neue  zum 
Lernen  und  Beherzigen,  den  Gegnern  vieles  zum  Nachdenken  und 
Verstehen. 

Marburg  a.  d.  Lahn.  H.  Koppe. 

Döring,  Luise,  Frauenbewegung  und  christliche  Liebestätigkeit.  Leipzig, 
Quelle  u.  Meyer,  1917.     8.     VII— 172  SS.     M.  3,60. 

Heinen,  Anton,  Jugendpflege  als  organisches  Glied  der  Volkspflege.  Eine 
Sammlung  von  Aufsätzen  zur  ethischen  Vertiefung  der  Jugendpflegearbeit.  München- 
Oladbach,  Volks  Vereins- Verlag,  1917.     gr.  8.     80  SS.     M.  1,20. 


üebersicht  über,  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     X19 

Höfle  (Verbandsdir.),  Dr.  Anton,  Die  Privatangestellten-  und  die  Kriegsbe- 
schädigten-Fürsorge. (Deutsche  Kriegsschriften,  Heft  23.)  Bonn,  A.  Marcus  u.  E.  Weber, 
1917.     gr.  8.     46  SS.     M.  1,20. 

Krebs  (Verbands-Sekr.),  Hans,  Katechismus  der  deutschen  Arbeiterbewegung 
Oesterreichs.  (Nach  der  Beschlagnahme,  2.  Aufl.)  Leipzig,  G.  Hedeler,  1917.  gr.  8. 
30  SS.    M.  1.—. 

Parvus,  Die  soziale  Bilanz  des  Krieges.  Berlin,  Verlag  für  Sozial  Wissenschaft, 
1917.     8.    30  SS.     M.  0,25. 

Verhandlungsbericht  über  die  Tagung  für  Kriegsbeschädigtenfürsorge  in 
Köln,  22. — 25.  VIII.  1916.  (Reichsausschuß  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge.  Sonder- 
«chriften,   Heft  1.)     Berlin,    Carl  Heymanns  Verlag,    1917.     Lex.-8.    204  SS.    M.  5,50. 

Vorwärts  in  der  Wohnungsfrage!  Wohnungsfrage  und  Krieg,  von  Prof.  Dr. 
C.  J.  Fuchs-Tübingen.  —  Wohnungsreform  durch  das  Reich,  von  Dr.  K.  v.  Mangoldt- 
Berlin.  Vorträge,  gehalten  auf  der  Gründungsversammlung  des  deutschen  Wohnungs- 
ausschusses in  Berlin  am  19.  XI.  1916.  Mit  einem  Anhang,  enthaltend  einen  Bericht 
über  die  Gründungsversammlung  und  3  Anlagen.  (Schriften  des  deutschen  Wohnungs- 
ausschusses,  Heft  1.)    Berlin,    Carl   Heymanns  Verlag,  1917.     gr.  8.    38.  SS.    M.  1. — . 


Hope  for  society  (The),  Essays  on  „Social  reconstruction  after  the  war",  by 
various    writers.     Edited    by    Miss    Lucy    Gardner.     London,   G.   Bell   and   Co.     Cr.  8. 

236  pp.     3/.—. 

10.  OenoBsensch.aftsweseii. 

Jahrbuch  des  Zentralverbandes  deutscher  Konsum- 
vereine. 14.  Jahrg.,  1916.  Hrsgg.  von  Heinrich  Kaufmann. 
Hamburg  (Druck  der  Verlagsgesellschaft  deutsch.  Konsumvereine  m.b.H.) 
1916.    I.  Bd.  XXVII  u.  925  SS.;  II.  Bd.  VII  u.  950  SS.    (Preis:  M.  12.) 

Jahresbericht  des  Zentralverbandes  deutscher  Kon- 
sumvereine für  1915.  Erstattet  zu  Händen  des  13.  ordentlichen 
Genossenschaftstages  des  Zentralverbandes  deutscher  Konsumvereine 
am  19.  und  20.  Juni  1916  in  Hannover  von  dem  geschäftsführenden 
Vorstande  Heinrich  Kaufmann,  Dr.  August  Müller,  Hugo 
Bästlein.  Hamburg  (Verlagsgesellschaft  deutscher  Konsumvereine 
m.  b.  H.)  1916.     gr.  S«     XIII  u.  774  SS.     (Preis:  M.  5.) 

Der  Jahresbericht  ist  vollständig  auch  im  Jahrbuch  wiedergegeben. 
Er  bringt  zunächst  eine  eingehende,  äußerst  instruktive  Darstellung 
über  die  Maßnahmen  zur  Sicherung  der  Volksernährung  im  Kriege  aus 
der  Feder  des  Vorstandsmitgliedes  des  Zentral  verbau  des  Dr.  August 
Müller,  der  in  den  Vorstand  des  Kriegsernährungsamtes  berufen 
wurde.  Von  demselben  Verfasser  stammt  der  zweite  Aufsatz  über 
die  wirtschaftlichen  Kämpfe  der  Genossenschaften,  welcher  in  großen 
Zügen  auf  Grund  eines  reichen  Tatsachenmaterials  den  Kampf  mit  der 
Teuerung,  der  Lebensmittelfälschung,  dem  Kriegswucher  schildert,  die 
Bedeutung  der  Konsumvereine  auf  diesen  Gebieten  für  die  große  Masse 
des  Volkes  hervorhebt  und  mit  Aussprüchen  aus  der  gesamten  Presse 
belegt.  Auch  zu  den  Forderungen  und  Maßnahmen  der  Kleinhändler 
und  Rabattsparvereine  nimmt  der  Aufsatz  Stellung.  Das  3.  Kapitel 
gibt  eine  Üebersicht  über  den  Stand  und  die  Entwicklung  der  großen 
deutschen  genossenschaftlichen  Zentralverbände  von  1900 — 1914. 

Die  folgenden  Kapitel  behandeln  die  deutsche  Konsumvereins- 
bewegung im  Jahre  1915,  insbesondere  den  Zentralverband  selbst,  seine 
Entwicklung  und  seinen  gegenwärtigen  Stand  unter  besonderer  Berück- 


120     öebenicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

sichtigung  der  Hauptgruppen:  KonsumgenosseDSchafteu,  Arbeits-  und 
sonstige  Genossenschaften,  Großeinkaufsgesellschaft  und  Verlagsgesell- 
schaft deutscher  Konsumvereine,  deren  Geschäftsberichte  ebenfalls  der 
Jahresbericht  enthält.  Ein  mächtiges  Tabellenwerk  ergänzt  den  Text. 
Zu  Ende  1915  bestanden  2400  Konsumvereine  gegen  2418  im 
Vorjahre.  Die  Verminderung  beruht  nicht  auf  einem  Rückgang  der 
Bewegung,  sondern  ist  eine  Folge  der  fortschreitenden  Konzentration 
und  der  Ausbildung  von  Bezirkskonsumvereinen.  Der  Gesamtmitglieder- 
bestand der  deutschen  Konsumvereine  wird  auf  2,6  Mill.  Ende  1915 
veranschlagt,  davon  1,85  Mill.  im  Zentralverband.  Der  Umsatz  betrug 
im  Jahre  1915  742,5  Mill.  M.,  davon  142,3  Mill.  M.  Eigenproduktion; 
der   Warenbestand    83,6    Mill.    M.,    die    zinsbar    angelegten   Kapitalien 

86.2  Mill.  M.,    der  Grundbesitz    139,2   Mill.  M.,    die  Geschäftsguthaben 

50.3  Mill.,   die  Reserven  38,5  Mill.  und  die  Spareinlagen   105  Mill.  M. 
Letztere  waren  im  Berichtsjahr  1915  besonders  stark  gestiegen. 

Der  1.  Band  des  Jahrbuchs  enthält  außerdem  noch  den  ausführ- 
lichen stenographischen  Verhandlungsbericht  vom  Genossenschaftstag  in 
Hannover.  Der  2.  Band  ist,  wie  auch  in  früheren  Jahrgängen,  den 
9  Revisionsverbänden  des  Zentralverbandes  gewidmet. 

Berlin-Steglitz.  Willy  Krebs. 

11.  Gesetzgebung',  Staats-  und  Verwalttingsreclit.    Staatsbürgerkunde. 

Bratter,  C.  A.,  Die  Staatenbildung  in  der  nordamerikanischen  Union.  (Schriften 
zur  Zeit  und  Geschichte,  4.  Bdchn.)  Berlin,  G.  Grotesche  Verlagsbuchhdlg.,  1917.  8. 
103  SS.  mit  eingedr.  Karte.     M.  1.—. 

Bülow,  Fürst  V.,  Weg  zur  politischen  Reife.  (Um  Deutschlands  Zukunft.  Hrsg. 
vom  Bund  deutscher  Gelehrten  und  Künstler.  Heft  2.)  Berlin,  Reimar  Hobbing,  1917. 
8.    48  SS.     M.  0,40. 

Belehrungen,  Staatsbürgerliche,  in  der  Kriegszeit.  Für  Fach-  und  Fort- 
bildungsschulen hrsg.  vom  Kgl.  preußischen  Landesgewerbeamt.  1.  Bd.  2.  Ausg.  Berlin, 
Carl  Heymanns  Verlag,  1916.    8.    VIII— 282  SS.     M.  3.—. 

Coermann  (Amtsger. -R.) ,  Wilh. ,  Die  deutschen  Nahrungsmittel-Gesetze,  zu- 
sammengestellt. Mit  Beigabe  einer  Uebersicht  über  die  einschlägige  Literatur  des  ge- 
samten Nahrungsmittelrechts.     Gießen,  Emil  Roth,  1917.    gr.  8.    III— 73  SS.    M.  2.—. 

Dietz  (Kriegsger.-R.),  Heinr. ,  Militärrechtspflege  im  Kriege.  Sammlung  von 
Gesetzen,  von  Verordnungen,  amtlichen  Erlassen,  Verfügungen,  Erläuterungen  aus 
1914—1917  und  völkerrechÜiche  Abkommen.  Rastatt,  K.  u.  H.  Greiser,  1917.  12,5  X 
16  cm.    255  SS.    M.  5,80. 

Feilsch  (Abteilungschef,  Wirkl.  Geh.  Adm.-R.),  Dr.,  Ein  deutsches  Jugendgesetz. 
Berlin,  Ernst  Siegfried  Mittler  u.  Sohn,  1917.    8.    VI— 72  SS.    M.  1.—. 

Fricke  (Amtsger.-R.),  J.,  Gesetz  über  den  vaterländischen  Hilfsdienst  vom 
5.  XII.  1916.    Stettin,  M.  Bauchwitz,  1917.    8.    44  SS.    M.  1.—. 

Güthe  (Geh.  Just.-R.,  vortr.  Rat),  Dr.  Georg,  und  (Kammergerichts-R.)  Dr. 
Franz  Schlegelberger,  Kriegsbuch.  Die  Kriegsgesetze  mit  der  amtlichen  Be- 
gründung und  der  gesamten  Rechtsprechung  und  Rechtslehre.  4.  Bd.  (Jahrbuch  des 
deutschen  Rechts.  Begründet  von  Dr.  Hugo  Neumann.  Hrsg.  von  Kammerger.-R.  Dr. 
Franz  Schlegelberger  und  Reg.-R.  Dr.  Thdr.  v.  Olshausen.  Sonderband.)  Berlin,  Franz 
Vahlen,  1917.    gr.  8.     LI— 933  SS.    M.  24.—. 

Hoff  mann  (Wirkl.  Geh.  Ober-Reg.-R.,  vortr.  Rat),  Dr.  F.,  Der  vaterländische 
Hilfsdienst.  Gesetz  vom  5.  XII.  1916,  nebst  den  Ausführungsbestimmungen,  erläutert.  2. 
und  3.  verm.  Aufl.  Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917.  kl.  8.  VII— 160  SS.  u. 
5  SS.     M.  2.—. 

Kinkel,  Walter,  Die  Idee  des  Staats  und  die  Idee  der  Menschheit.  (Ver- 
öffentlichiingen  des  Verbandes  für  internationale  Verständigung,  Heft  16.)  Stuttgart, 
W.  Kohlhammer,  1917.     8.    32  SS.     M.  0,75. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     \21 

Kresse,  Oskar,  Deutsche  Staatskunst  nach  dem  Weltkriege.  2:  Das  Wahl- 
recht der  Zukunft.     Berlin,  Wilh.  Eößler  u.  Co.,  1917.    8.    32  SS.     M.  0,50. 

Magnus  (Ger.- Assess.) ,  Dr.  Albert,  Reichs-  und  Staatsangehörigkeitsgesetz  vom 
22.  VII.  1913.  unter  Einarbeitung  der  Ausführungsbestimmungen  des  Bundesrats  und 
der  Bundesstaaten  Preußen,  Bayern,  Kgr.  Sachsen,  Württemberg,  Baden,  Hessen,  Elsaß- 
Lothringen,  Mecklenburg-Schwerin,  Hamburg  und  Bremen  sowie  unter  Berücksichtigung 
auch  der  übrigen  Bundesstaaten  erläutert.  Berlin,  Puttkammer  u.  Mühlbrecht,  1917. 
gr.  8.     411  SS.    M.  10.—. 

Möndel,  K.  J.,  Deutschland  auf  dem  Wege  zur  Demokratie?  (Deutsche  Zeit- 
fragen, hrsg.  von  der  Deutschen  Vereinigung,  6.  Heft.  1917.)  gr.  8.  VI — 144  SS. 
M.  2.—. 

Kabel  in  g  (Geh.  Reg.-E.),  Dr.  W.,  und  (Reg.-ß.)  A.  Müller,  Sozialversicherung 
und  vaterländischer  Hilfsdienst.  Verordnung  des  Bundesrats  über  Versicherung  der  im 
vaterländischen  Hilfsdienst  Beschäftigten  vom  24.  II.  1917.  Erläutert.  Berlin,  Carl 
Heymanns  Verlag,  1917.    gr.  8.    VIII— 159  SS.     M.  5.—. 

Schär  er,  Dr.  Max,  Die  Natur  des  Kartellvertrages  nach  schweizerischem  Recht. 
(Abhandlungen  zum  schweizerischen  Recht,  hrsg.  von  Prof.  Dr.  Max  Gmür,  Heft  75.) 
Bern,  Stämpfli  u.  Cie,  1917.  gr.  8.  X— 161  SS.  M.  4,50.  (Berner  jur.  Disser- 
tation.) 

Schiffer  (Oberverw.-Ger-R.,  M.  d.  R.,  Abg.),  Eugen,  und  (Geh.  Just.-R., 
Rechtsanw.,  M.  d.  R.)  Joh.  Junck,  Der  vaterländische  Hilfsdienst.  Erläuterungen 
und  Materialien  zum  Gesetze  über  den  vaterländischen  Hilfsdienst  vom  5.  XII.  1916. 
Auf  Veranlassung  des  Kriegsamts  hrsg.  Berlin,  Otto  Liebmann,  1917.  kl.  8.  VIII — 
206  SS.     M.  3.—. 

Schöpfer  (Mitgl.  des  Landesausschusses),  Dr.,  Der  staatliche  ünterhaltungbeitrag 
nach  dem  Gesetz  vom  26.  XII.  1912,  den  kaiserlichen  Verordnungen,  den  Ministerial Ver- 
ordnungen, den  Ministerialerlassen  und  der  Judikatur  des  k.  k.  Verwaltungsgeriehtshofs. 
Innsbruck,  Verlagsanstalt  Tyrolia,  1917.     8.     IV— 120  SS.     M.  1,50. 

Sontag  (Landger.-R.,  zurzeit  Kriegsger.-R.),  Dr.  Ernst,  Gesetz  betr.  die  Ver- 
haftung und  Aufenthaltsbeschränkung  auf  Grund  des  Kriegszustandes  und  des  Belage- 
rungszustandes vom  4.  XII.  1916  und  Gesetz  über  den  Kriegszustand  vom  4.  XII.  1916, 
sowie  Verordnung  zur  Ausführung  des  Gesetzes  über  den  Kriegszustand  vom  4.  XII. 
1916,  für  die  Praxis  erläutert  (Schutzhaftgesetz).  Berlin,  Franz  Vahlen,  1917.  kl.  8. 
111  SS.     M.  2,40. 

Starke  (Rechtsanw.),  Dr.  Arthur,  Lieferungsverträge  unter  Einwirkung  des 
Krieges  nach  deutschem  und  österreichischem  Rechte.  2.  völlig  geänd.  Aufl.  Berlin, 
Franz  Vahlen,  1917.     gr.  8.     108  SS.     M.  2,80. 

Wagner  (Justiz-R.),  Der  Friede  und  die  von  uns  besetzten  Länder.  Darstellung 
ihres  staatsrechlichen  Verhältnisses  zum  Deutschen  Reich.  Oldenburg  i.  Gr.,  Gerhard 
Stalling,  1917.     8.     16  SS.     M.  0,40. 

Wolzendorff,  Prof.  Kurt,  Vom  deutschen  Staat  und  seinem  Recht.  Streif- 
lichter zur  allgemeinen  Staatslehre.  Leipzig,  Veit  u.  Comp.,  1917.  gr.  8.  III — 114  SS. 
M.  4,20.  

Dampierre,  Jacques  Marquis  de,  German  imperialism  and  international 
law.  Based  upon  German  authorities  and  the  archives  of  the  French  govemment. 
London,  Constable     8.     285  pp.     10/.6. 

Hogan,  Albert,  E.,  The  government  of  the  United  Kingdom :  Its  colonies  and 
dependencies.  3rd  ed.,  revised  and  enlarged.  London,  üniversity  Tutorial  Press.  8. 
248  pp.     2/.6. 

Laski,  Harold  J.,  Studies  in  the  problem  of  sovereignty.  New  Haven,  Yale 
Univ.  Press.     8.     $  2,50. 

Woodburn,  J.  A.,  American  republic  [and  its  government.  London,  Put- 
nam.     12/.6. 

Berolzheimer,  Fritz,  Sistema  de  filosofia  del  diritto  e  delP economia :  filo- 
sofia  dello  Stato  e  principi  della  politica.  Traduzionp  italiana  autorizzata,  con  note  ed 
introduzione  del  prof.  Angelo  D'Eufemia.  Napoli,  F.  Sangiovanni  e  figlio,  1916. 
8.     378  p.     1.  12.—. 

Martino  (Di),  Domenico,  La  guerra  e  il  diritto  pubblico.  Napoli,  ditta 
F.  Casella  fu  G.,  di  G.  Casella,  1916.     8.     35  p.     1.  1.—. 


122     üebenicht  fiber  die  neaesten  Publikationen  Dentschlands  und  des  Auslandes. 

Trattato  (Primo)  completo  di  diritto  amministrativo  italiano,  a  cura  del  prof. 
V.  E.  Orlando.  Fase.  321—322  (principo  del  vol.  II,  parte  III).  Milano,  Societk 
editrice  libraria  (tip.  Indipendenza),  1916.     8.     p.  1 — 80.     1.  1.     11  fascicolo. 

Zanobini,  Guido,  La  pubblicazione  delle  leggi  nel  diritto  italiano.  Torino, 
Unione  tipografico-editrice,  1917.     8.     354  p.     1.  8.—. 

12.  Statistik. 

Deutsches  Beich. 

Heidemann,  Dr.  Hugo,  Bevölkerungszahl  und  berufliche  Gliederung  Münsters 
i.  Westf.  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts.  (Münstersche  Beiträge  zur  Geschichtsforschung. 
Hrsg.  von  Prof.  Dr.  Aloys  Meister.  N.  F.  37.,  der  ganzen  Beihe  49.  Heft.)  Münster 
(Westf.),  Univ.-Buchhdlg.  Franz  Coppenrath,  1917.     gr.  8.     M.  1,80. 

Mitteilungen,  Medizinal-statistische,  aus  dem  Kais.  Gesundheitsamte.  (Beihefte 
zu  den  Veröffentlichungen  des  Kais.  Gesundheitsamts.)  19.  Bd. :  Ergebnisse  der  Todes- 
ursachenstatistik im  Deutschen  Beiche  für  das  Jahr  1913,  Fortsetzung  von  Bd.  18, 
S.  1 — 148,  und  S.  1 — 490,  die  Ergebnisse  der  Todesursachenstatistik  für  das  Jahr  1912 
betreffend.  Berichterst. :  (Beg.-E.)  Dr.  E.  Eoesle.  Berlin,  Julius  Springer,  1917.  Lex.-S. 
XII,  157  u.  499  SS.     M.  26.—. 

Nachweisungen,  Statistische,  aus  dem  Gebiete  der  landwirtschaftlichen  Ver- 
waltung von  Preußen.  Bearbeitet  im  Kgl.  preußischen  Ministerium  für  Landwirtschaft, 
Domänen  und  Forsten.  Jahrg.  1915.  Berlin,  Paul  Parey,  1917.  Lex.-8.  VII— 239  S8. 
M.  3,60. 

Zahn  (Minist.-B.),  Dr.  Frdr.,  Stadt  und  Land,  Bayern  und  das  Reich  in  der 
Kriegsernährungswirtschaft.  München,  J.  Lindauersche  Ünjv.-Buchhdlg.  (Schöpping), 
1917.  31,5X23,5  cm.  12  SS.  u.  Nachtr.  1  Bl.  (S.-A.  a.  d.  Zeitschrift  d.  K.  bayer. 
Statist.  Landesamts,  Jg.  1917.) 

Oesterreich. 

Mitteilungen  des  statistischen  Landesamts  des  Königreichs  Böhmen.  Deutsehe 
Ausgabe:  Anbau-  und  Erntestatistik,  sowie  Statistik  der  wichtigsten  Zweige  der 
landwirtschaftlichen  Industrie  im  Königreich  Böhmen  für  die  Betriebsperiode  1913/14. 
Mit  einem  Anhang  über  die  Ergebnisse  der  Bienenzucht  im  Jahre  1914,  dann  über  die 
Bier-  und  Spiritusindustrie  im  Betriebsjahre  1912/13.  (23.  Bd.,  2.  Heft.)  IV—  48  SS. 
M.  1,20.  —  Statistik  einiger  Arten  von  Gemeindeuntemehmungen  im  Jahre  1910  und 
1911  im  Königreich  Böhmen.  (21.  Bd.,  2.  Heft.)  IV,  69  u.  87  SS.  M.  4.—.  — 
Wanderbewegung,  Die,  der  Bevölkerung  des  Königreichs  Böhmen,  dargestellt  auf 
Grund  der  bei  der  Volkszählung  vom  31.  XII.  1910  ermittelten  Gebürtigkeits-  und 
Aufenthaltsdaten  und  die  Saison auswanderung  aus  den  Gemeinden  Böhmens  nach  den 
Erhebungen  vom  Jahre  1913.  (24.  Bd.,  1.  Heft.)  IV,  132  u.  56  SS.  mit  4  färb.  Karten. 
M.  4.—.     Prag.  J.  G.  Calve,  1916.     Lex..8. 

Bumänien.  Landes-  und  wirtschaftsstatistische  sowie  topographische  üeber- 
sichten.  Bearbeitet  von  der  Direktion  des  k.  k.  österreichischen  Handelsmuseums. 
2.  durchgeseh.  u.  ergänzte  Aufl.  Wien,  L.  W.  Seidel  u.  Sohn,  1917.  Lex.-8.  VH— 
737  SS.     M.  12.—. 

Frankreich. 

Resultats  statistiques  du  recensement  gen§ral  de  la  population  effectn^  le  5  mars 
1911.  Tome  l^r.  Troisiöme  partie:  Population  active.  Paris,  Impr.  nationale  1916. 
4.,  183  pag.  (Ministöre  du  travail  et  de  la  pr§voyance  sociale.  Statistique  g§nferale  de 
la  France.) 

Statistique  des  pßches  maritimes.  Annge  1913.  Paris,  Impr.  nationale,  1917. 
8.  198  pag.  (Ministöre  des  travaux  publics,  des  transports  et  du  ravitaillement,  sous- 
secr^tariat  de  la  marine,  Services  des  p6ehes  maritimes,  office  des  pdches.) 

Italien. 

Gini,  Corrado,  SuU'aumento  di  mortalitk  determinato  dalla  guerra;  nota  di 
metodologia  statistica.     Scansano,  tip.  degli  Olmi,  di  C.  Tessitori,  1916.     8.     10  p. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     123 


Holland. 
Statistiekwet    1916,    en   wet   op   het  statistiekrecht  1916,   met  de  daartoe  be- 
trekkelijke    koninklijke    besluiten   en   ministerieele   resolutien,    bewerkt    door  J.  H.  F. 
Ciaessens.    (Bijgewerkte  verzameling  Van  Dillen  en  Middelkoop.)    Amsterdam,  L.  J.  Veen. 
gr.  8.     123  blz.     fl.  2,20. 

13.  VerscMedenes. 

Bernstein  (M.  d.  E.),  Eduard,  Die  Aufgaben  der  Juden  im  Weltkriege. 
Berlin,  Erich  Reiß,  1917.     8.     52  SS.     M.  1,50. 

Bis  sing,  Prof.  Dr.  Frdr.  Wilhelm  Frhr.  v.,  Westliche  Kriegsziele.  (Kriegs- 
und Friedensziele.  Deutsche  Flugschriften,  Heft  2.)  Weimar,  Alexander  Duncker, 
1917.     8.     22  SS.     M.  0,30. 

CarriSre,  Ludwig,  Die  Kriegsziele  der  kämpfenden  Völker,  zusammengestellt. 
Berlin,  Dietrich  Reimer  (Ernst  Vohsen),  1917.     gr.  8.  XI— 169  SS.     M.  2,80. 

Delbrück,  Clemens  v.,  Reden  1906—1916.  Berlin,  Reimar  Hobbing,  1917. 
8.     VIII— 447  SS.  mit  1  Bildnis.     M.  8.—. 

Hesse-Wartegg,  Ernst  v..  Die  Balkanstaaten  und  ihre  Völker.  Reisen,  Be- 
obachtungen und  Erlebnisse.  Regensburg,  Friedrich  Pustet,  1917.  gr.  8.  290  SS.  m. 
33  Abb.  (auf  Taf.)     M.  4,80. 

Hoetzsch,  Otto,  Der  Krieg  und  die  große  Politik.  1.  Bd.  Bis  zum  Anschluß 
Bulgariens  an  die  Zentralmächte.  Leipzig,  S.  Hirzel,  1917.  gr.  8.  VI,  36,  401  SS. 
M.  10.—. 

Hof  er,  Dr.  Cuno,  Die  Keime  des  großen  Krieges.  Zürich,  Schultheß  u.  Co., 
1917.     gr.  8.     IV— 274  SS.     M.  5.—. 

Jaff§,  Dr.  Alfred,  Kriegsziele.  Berlin,  Verlag  der  Europäischen  Staats-  und 
Wirtschafts-Zeitung,  1917.     8.     91  SS.     M.  1.—. 

Neumann,  Dr.  Josef,  Die  Freiheit  der  Meere.  Berlin,  Reichsverlag  Hermann 
Kalkoff,  1917.     gr.  8.     91  SS.  mit  1  Abb.  u.  3  eingedr.  Karten.     M.  1,80. 

Ostwald,  Dr.  Paul,  Englischer  und  deutscher  Imperialismus  ein  Gegensatz. 
(Volkswirtschaftliche  Zeitfragen.  Vorträge  und  Abhandlungen,  hrsg.  von  der  Volks- 
wirtschaftlichen Gesellschaft  in  Berlin,  38.  Jahrg.,  Heft  5,  Nr.  297.)  Berlin,  Leonhard 
Simion  Nf.,   1917.     gr.  8.     30  SS.     M.  1.—. 

Rizoff  (Gesandter),  D.,  Bulgarien  und  Rußland.  „Der  bulgarische  Verrat". 
Deutschland  und  die  Entente.  Die  russische  Revolution.  (Flugschriften  des  Berliner 
Tageblatt,  Heft  2.)     Berlin,  Kronen-Verlag,  1917.     8.     58  SS.     M.  1.—. 

Schäfer,  Dietr.,  Bismarck.  Ein  Bild  seines  Lebens  und  Wirkens.  Mit  Text- 
aeichnungen  von  Arthur  Kampf.  2  Bde.  Berlin,  Reimar  Hobbing,  1917.  Lex.-8. 
284  u.  244  SS.  mit  je  8  Bildnis-Taf.     M.  25.—. 

Schnitze- Hamburg,  Dr.  Ernst,  Irland.  Seine  politische  Knechtung  und  sein 
Streben  nach  Selbstregierung.  (Veröffentlichungen  des  AUgem.  Vereins  f.  deutsche 
Literatur,  39.  Abt.,  1.  Bd.)  Berlin-Wilmersdorf,  Hermann  Paetel,  1916.  8.  XII— 
406  SS.  mit  8  Taf.     M.  6.—. 

Stegemanns,  Herm.,  Geschichte  des  Krieges.  1.  Bd.  Stuttgart,  Deutsche  Ver- 
lags-Anstalt, 1917.     gr.  8.     XVI— 444  SS.  mit  5  färb.  Kriegskarten.     M.  11,50. 

Triepel  (Geh.  Justiz-R.),  Prof.  Dr.  Heinr.,  Die  Freiheit  der  Meere  und  der 
künftige  Friedensschluß.     Berlin,  Julius  Springer,  1917.     8.     41  SS.     M.  1,20. 

Zitelmann,  Ernst,  Das  Schicksal  Belgiens  beim  Friedenschluß.  3.  erw.  Aufl. 
München,  Duncker  u.  Humblot,  1917.     gr.  8.     94  SS.     M.  2.—. 


Morton  Fülle rton,  W.,  Les  grands  problfemes  de  la  politique  mondiale.  Pro- 
blfemes  of  power.  Traduit  de  l'anglais  par  B.  Mayra.  Nouvelle  Edition  revue  et  cor- 
rig§e.     Paris,  Marc  Imhaus  et  Ren§  Chapelot,  1916.     8.     XVI— 424  pag.     fr.  4.—. 

Ho  vre.  Fr.  De,  Ph.  D.,  German  and  English  education.  A  comparative  study. 
London,  Constable.     Cr.  8.     108  pp.     2/.6. 

Seymour,  Charles,  The  diplomatic  background  of  the  war,  1870—1914. 
London,  Oxford  Univ.  Press.     8.     8/.6. 

Wells,  H.  G.,  War  and  the  future  Italy,  France,  and  Britain  at  war.  London, 
Cassell.     8.     297  pp.     6/.—. 


I 


124  ^ic  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Die  periodische  Fresse  des  Auslandes. 

A.  Frankreich. 

Journal  de  la  Sociale  de  Statistique  de  Paris.  Ann^e  58,  Avril  1917,  No.  4: 
L'AUemagne  de  demain  (suite  et  fin),  par  M.  A.  Chervin.  —  Revenus  et  budgets  d'aprfes- 
guerre,  par  M.  ßen§  Pupin.  —  etc.  —  Mai  1917,  No.  5:  Revenus  priv§8  et  revenu  na- 
tional, par  Eugöne  d'Eichthal.  —  Donnfees  statistiques  italiennes,  par  Daniel  Bellet.  — 
fissai  d'fevaluation  de  la  richesse  de  l'Espagne,  par  Andr6  Barthe.  —  etc. 

Journal  des  ificononiistes.  76'  Ann§e,  Avril  1917:  L'industrie  britannique 
apr^s  la  guerre,  par  Sir  Hugh  Bell.  —  Les  projets  d'impöts  en  AUemagne,  par  Raffa- 
lovich.  —  Notre  marine  marchande.  Son  pass^,  son  avenir,  par  Henry  Lepeytre.  — 
Notes  feconomiques  italiennes,  par  L,  P.  —  etc. 

C.  Oesterreich-Ungarn. 
Handelsmuseum,  Das.  Hrsg.  von  der  Direktion  des  k.  k.  österreichischen 
Handelsmuseums.  Bd.  32,  1917,  Nr.  18:  Die  k.  k.  Exportakademie  in  ihrem  neuen 
Gebäude,  von  (Direktor,  k.  k.  Hofrat)  A.  Schmid.  —  Wirtschaftspolitische  Uebersicht 
(Ungarn,  Deutschland,  Serbien,  England,  Frankreich,  Italien,  Rußland).  —  Kriegs- 
maßnahmen und  Kriegswirkungen  (Oesterreich ,  Niederlande).  —  Ausdehnung  der 
Tätigkeit  deutscher  Banken  nach  Ostdeutschland.  —  etc.  —  Nr.  19  Die  Wirkungen 
des  Krieges  auf  den  türkischen  Markt,  von  Gustav  Herlt.  —  Wirtschaftspolitische  Ueber- 
sicht (Ungarn,  Deutschland,  Bulgarien,  Schweiz,  Polen,  Rußland,  England,  Frankreich, 
Italien.)  —  Kriegsmaßnahmen  und  Kriegswirkungen  (Oesterreich,  Deutschland,  Rumänien). 

—  Die  Wirtschaftslage  Hamburgs.  —  Lederindustrie  und  Lederhandel  im  Königreich 
Polen.  —  etc.  —  Nr.  20 :  Der  Außenhandel  Rußlands  im  Kriege.  —  Wirtschaftspolitische 
Uebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Rumänien,  Polen,  Rußland,  Türkei,  England,  Frank- 
reich, Italien,  Spanien,  Vereinigte  Staaten  von  Amerika).  —  Kriegsmaßnahmen  und 
Kriegswirkungen  (Oesterreich,  Deutschland).  —  Die  erste  niederländische  Jahresmesse 
in  Utrecht.  —  Australiens  Außenhandel  im  Jahre  1916.  —  Die  Oelsaatenindustrie  in 
Deutschland.  —  Die  Bergbauproduktion  der  Vereinigten  Staaten.  —  etc.  —  Nr.  21:  Der 
Außenhandel  Rußlands  im  Kriege  (Forts.).  —  Wirtschaftspolitische  Uebersicht  (Ungarn, 
Deutschland,  Schweiz,  Holland,  England,  Frankreich,  Italien,  Rußland,  Türkei).  — 
Kriegsmaßnahmen  und  Kriegswirkungen  (Oesterreich,  Deutschland).  —  Die  Frage  der 
Errichtung  eines  Reichshandelsamts  in  Deutschland.  —  etc.  —  No.  22 :  Der  Außen- 
handel Rußlands  im  Kriege  (Forts.).  —  Wirtschaftspolitische  Uebersicht  (Ungarn,  Deutsch- 
land, Schweiz,  Polen,  Rußland,  England,  Frankreich,  Italien).  —  Anbahnung  von  Ge- 
schäftsverbindungen mit  Rußland  nach  dem  Kriege.  —  etc. 

Rundschau,  Soziale.  Hrsg.  vom  k.  k.  Arbeitsstatistischen  Amt  im  Handels- 
ministerium. Jahrg.  18,  Jänner-Februar  1917,  Heft  1/2:  Sozialpolitische  Vorschriften 
(Gesetze,  Verordnungen,  Kundmachungen  und  Erlässe)  in  Oesterreich  1916.  —  Arbeiter- 
schutz in  industriellen  Betrieben  (Argentinien).  —  Schutz  des  Lebens  und  der  Sicher- 
heit der  Arbeiter  in  industriellen  Betrieben  (Niederlande).  —  Wöchnerinnenschutz  (Oester- 
reich). —  Neuorganisation   der  Fabrikinspektion   in    der   Schweiz    (Bundesratsbeschluß). 

—  Bestellung  von  Bergarbeiterkontrolleuren  (Niederlande).  —  Staatliche  und  gemeind- 
liche Unterstützung  von  Arbeitslosenkassen  (Niederlande).  —  Abänderung  der  Arbeiter- 
Krankenversicherung  in  Oesterreich  (Kaiserl.  Verordnungen).  —  Kranken-  und  Unfall- 
versicherung von  Angehörigen  feindlicher  Staaten  im  Deutschen  Reich  (Bundesrats- 
bekanntmachung). —  Stundung  privatrechtlicher  Geldforderungen  (Oesterreich).  —  Schutz 
der  Mieter  (Oesterreich).  —  Errichtung  einer  Wohnungskommission  (Dänemark).  —  Die 
Arbeitseinstellungen  und  Aussperrungen  in  Oesterreich  im  Jahre  1915.  —  Ergebnisse 
der  Arbeitsvermittlung  in  Oesterreich  im  November  und  Dezember  1916.  —  Die  Arbeits- 
losigkeit bei  den  Gewerkschaften  in  Oesterreich  im  September,  Oktober,  November  und 
Dezember  1916.  —  Wirtschaftsrechnungen  und  Lebensverhältnisse  von  Wiener  Arbeiter- 
familien in  den  Jahren  1912 — 1914.  —  Frauenarbeit  im  Deutschen  Reiche  während  des 
Krieges.  —  etc. 

Volkswirt,  Der  österreichische.  Jahrg.  9,  1917,  Nr.  32:  Die  sechste  öster- 
reichische Kriegsanleihe,  von  W.  F.  —  Die  Sozialdemokratie  und  der  Weltkrieg,  von 
Sigmund  Kaff.  —  etc.  —  Nr.  33 :  Staatssozialismus  oder  Staatskapitalismus,  von  W.  F. 

—  Zur  Theorie  der  Preistreiberei,  von  Dr.  Rudolf  Bienenfeld.  —  etc.  —   Nr.  34:    Die 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  J^25 

individualistische  Wirtschaftsordnung  und  der  Krieg,  von  Dr.  Otto  Conrad.  —  Die  Neu- 
ordnung der  allgemeinen  Erwerbssteuer  während  der  Kriegszeit.  Erwiderung.  Beplik 
von  Dr.  L.  M.  —  etc.  —  Nr.  35:  Oesterreichs  Geldbeschaffung  im  Krieg,  von  W.  F. 
—  Die  individualistische  Wirtschaftsordnung  und  der  Krieg  (Schluß),  von  Dr.  Otto 
Conrad.  —  etc. 

F.  Italien. 

Giornale  degli  Economisti  e  Rivista  di  Statistica.  Vol.  LIV,  Marzo  1917,  No.  3: 
La  diversa  pressione  tributaria  del  prestito  e  dell'  imposta,  di  Benvenuto  Griziotti.  — 
Libertä  di  commercio  interno  e  di  lavoro  negli  economisti  piemontesi  nel  secolo  XVIII, 
di  Eomolo  ßota.  —  etc. 

G.  Holland. 

Economist,  De,  opgericht  door  J.  L.  de  Bruyn  Kops.  Jaarg.  66,  Mei  1917, 
No.  5 :  De  „oude  gewoonten"  (met  betrekking  tot  de  vererving  van  huis  en  hof)  bij  onze 
Twentsche  boeren,  door  Dr.  Josephine  van  Androoy.  —  De  coUectieve  arbeidsovereen- 
komst  in  het  drukkersbedrijf,  door  D.  van  Blom.  —  Een  nieuw  werk  van  Oppenheimer, 
door  A.  Spanjer.  —  Economische  kroniek.  —  Handelskroniek :  La  Plata  markt;  Kussland ; 
De  scheepvaard  na  den  oorlog,  door  A.  Voogd.  —  etc. 

H.  Schweiz. 
Bibliothöque  Universelle  et  Revue  Suisse.    Tome  LXXXVI,  Mai  1917,  No.  257: 
Climat  et  civilisation,   par  Henry  de  Varigny.  —   La  preuve  d§cisive  de  la  pr§m§dita- 
tion  allemande,  par  X.  —  etc. 


Die  periodische  Fresse  Deutschlands. 

Annalen  für  soziale  Politik  und  Gesetzgebung.  Bd.  5,  1917,  Heft  3:  Die  Re- 
form des  preußischen  Wahlrechts,  von  (Geh.  Justizr.)  Prof.  Dr.  Gerhard  Anschütz.  — 
Plenges  Ideen  von  1914,  von  (Geh. -Rat)  Prof.  Dr.  Ernst  Troeltsch.  —  Die  Beschränkung 
der  Frauenarbeit.  Eine  internationale  Studie  über  den  Stand  des  Arbeiterschutzes  bei 
Beginn  des  Weltkrieges,  von  Prof.  Dr.  Walter  Schiff.  —  Das  Recht  auf  Arbeit  in  der 
heutigen  Gesetzgebung,  von  (Assess.)  Dr.  Hans  Maier.  —  etc. 

Archiv  für  Eisenbahnwesen.  Hrsgg.  im  Königl.  Preußischen  Ministerium  der 
öffentlichen  Arbeiten.  Jahrg.  1917,  Mai-Juni,  Heft  3:  1882—1911.  Dreißig  Jahre 
russischer  Eisenbahnpolitik,  von  (Geh.  Reg.-R.)  Dr.  Mertens.  —  Der  gesetzliche  Acht- 
stunden -  Arbeitstag  des  Zugpersonals  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  ein  lohn- 
technischer Begriff,  von  K.  Rohling.  —  Die  Betriebskosten  der  Eisenbahnen  und  ihre 
Bedeutung  für  die  Tarifbildung  (Forts.),  von  Dr.  Ahlberg  und  Dr.  Norrmann.  —  Zu- 
sammenlegung der  holländischen  Eisenbahnen  (Staatseisenbahn  -  Betriebsgesellschaft, 
Holländische  Eisenbahn  und  Niederländische  Zentralbahn),  von  Dr.  rer.  pol.  Overmann. 

—  Die  vereinigten  preußischen  und  hessischen  Staatseisenbahnen  im  Rechnungsjahr  1915. 

—  Die  königlich  sächsischen  Staatseisenbahnen    in  den  Jahren  1914  und  1915.  —   etc. 

Archiv  für  exakte  Wirtschaftsforschung  (Thünen-Archiv).  Bd.  8,  1917,  Heft  3: 
Werner  Siemens,  von  Prof.  Dr.  Richard  Ehrenberg.  —  Die  Verwendung  der  Ersparnisse 
in  bäuerlichen  Verhältnissen,  von  Prof.  Dr.  Ernst  Laur.  —  Kleinbesitzer  und  Einlieger 
des  Kreises  Grottkau  (Schlesien),  von  (Reg.-Assess.)  v.  Moßner.  —  Wirtschaftsorganisation 
und  Wirtschaftsberatung  in  der  Landwirtschaft,  von  (M.  d.  preuß.  Herrenh.)  Albrecht 
Graf  zu  Stolberg- Wernigerode.  —  Die  Bewegung  der  Bevölkerung  im  Deutschen  Reich, 
(1.  AUgem.  Teil),  von  R.  Manschke.  —  Zur  Bilanzpolitik  einer  verkehrspolitischen 
Finanzierungsgeseilsehaft,  von  Dr.  W.  H.  Edwards. 

Archiv  für  Rechts-  und  Wirtschaftsphilosophie.  Bd.  10,  April  1917,  Heft  3: 
Die  spanischen  Naturrechtslehrer  des  16.  und  17.  Jahrhunderts,  von  (Geh.  Justizrat) 
Prof.  Dr.  Josef  Kohler.  —  Die  Rechtselemente,  von  (Prof.  d.  R.)  Dr.  Fritz  Affolter.  — 
„Politik  als  Wissenschaft",  von  (Hochschulprof.)  Dr.  Fritz  Stier-Somlo.  —  Gedanken 
über  Gerechtigkeit.  Politische  Betrachtungen  eines  Juristen  (Schluß),  von  Prof.  Dr. 
J.  W.  Hedemann.  —  Das  Recht  der  Gastschafts  vertrage,  von  (Geh.  Justizrat)  Prof.  Dr. 
Max  Pappenheim.  —  etc. 

Archiv  für  Sozialwissenschaft  und  Sozialpolitik.  Bd.  43,  1917,  Heft  3:  Kriegs- 
kostendeckung und  Reichsfinanzreform,  von  Edgar  Jaff§.  —  Gedanken  über  die  Deckung 


\26  ^®  periodische  Presse  Deutschlands. 

und  Aufbringung  der  Kriegskosten,  von  Prof.  Dr.  Mombert.  —  Zur  Entwicklung  der 
Lebensmittelpreise  in  der  Kriegszeit,  von  Prof.  Karl  Pribram.  —  Städtische  Wohnungs- 
und Bodenfragen  im  Kriege,  von  (Landtagsabg.)  Dr.  Paul  Hirsch.  —  Die  Veränderung 
in  der  Lebenshaltung  städtischer  Familien  im  Kriege,  von  Dr.  Carl  v.  Tyszka.  —  Die 
Grenzen  der  Organisation.  —  Die  Arbeitsveruiittelung  nach  dem  Kriege,  von  (Vors.  der 
Generalkomm,  der  deutschen  Gewerkschaften)  C.  Legien.  —  Deutsch-österreich-ungarischer 
Wirtschaftsbund  (Schluß),  von  Dr.  Gustav  Stolper.  —  Die  Finanz-  und  Wirtschaftslage 
Frankreichs  im  Kriege,  von  Dr.  Eugen  Kaufmann.  —  Die  Finanzierung  des  Krieges  in 
England  während  der  letzten  zehn  Monate  (Schluß),  von  Dr.  L.  Glier.  —  Literatur  über 
Krieg  und  Volkswirtschaft,  II.     Besprochen  von  Prof.  Franz  Eulenburg.  —  etc. 

Archiv,  Weltwirtschaftliches.  Bd.  10,  Mai  1917,  Heft  1:  Die  Kriegswirtschafts- 
rechnung und  ihre  Grenzen,  von  Dr.  Otto  Neurath.  —  Uebersee  -  Hypothekenbanken, 
von  (Archivar)  Dr.  Fritz  Schulte.  —  Die  französischen  Eisenbahnen  während  des 
Krieges.  —  „Unser  Geldwesen  nach  dem  Kriege",  von  Dr.  Otto  Heyn.  —  etc. 

Außenhandel,  Deutscher.  Zeitschrift  des  Handelsvertragsvereins.  Jahrg.  17, 
1917,  Nr.  5:  Das  deutsche  Handelsabkommen  mit  der  Schweiz.  —  Englische  Muster- 
messe in  London  und  Glasgow.  —  Deutsche  Industrie  und  Handelsmöglichkeiten  mit 
und  in  Ungarn.  —  etc. 

Bank,  Die.  Mai  1917,  Heft  5:  Die  Besitzfestigung  im  städtischen  Grundstücks- 
wesen, von  Alfred  Lansburgh.  —  Der  freie  Makler  an  der  Berliner  Börse,  von  Ludwig 
Eschwege.  —  Die  Währungsfrage  in  Polen,  von  J.  Bree.  —  Doppelbesteuerung  und 
Konzentration.  —  Exporthandelsbanken  oder  nationale  Konzentration?  —  etc. 

Bank-Archiv.  Jahrg.  16,  1917,  Nr.  16:  Theorie  und  Praxis  in  der  Währungs- 
politik, von  (Dir.  der  Hypothekenbank  in  Hamburg)  Dr.  Friedrich  Bendixen.  —  Klein- 
geldmangel, Kriegsnotgeld  und  Rechtsordnung,  von  (Geh.  Ob.-Justizr.,  Vortr.  Rat)  Dr. 
Thiesing.  —  etc.  —  Nr.  17:  Die  Bedeutung  der  neuen  englischen  Kriegsanleihen,  von 
Prof.  Dr.  C.  Mollwo.  —  Zur  Frage  des  deutsch-Österreich-ungarischen  Wirtschafts- 
bündnisses, von  Dr.  Eduard  Rogh§.  —  Der  Zinsfuß  erststelliger  Hypotheken  vor  dem 
Kriege.  —   etc. 

Concordia.  Zeitschrift  der  Zentralstelle  für  Volkswohlfahrt.  Jahrg.  24,  1917, 
Nr.  10:  Kriegsbeschädigte  Offiziere  im  städtischen  Dienste,  von  (Stadtrat)  Rosenstock,  — 
Vorschläge   für  eine  Reform  des  Abzahlungswesens,    von   Ilse  Müller-Oestreich.    —    etc. 

—  Nr.  1 1 :  Soziale  Frauenschulen  und  andere  Ausbildungsmöglichkeiten  für  soziale 
Frauenberufe.  Zusammengestellt  von  L.  Godt.  —  Familien-  oder  Anstaltserziehung  für 
Kriegerwaisen?,  von  (Landesversicherungsrat)  Hansen.  —  etc. 

Export.  Jahrg.  39,  1917,  Nr.  22 — 25:  Die  Rede  des  Reichskanzlers  vom  15.  Mai 
1917,  von  R.  J.  —  Finnland  1917,  von  Dr.  Richard  Pohle.  —  Wichtige  wirtschaftliche 
Vorgänge  in  der  Schweiz.  —  Die  englischen  Drohungen  über  den  Krieg  hinaus  (IV), 
von  Dr.  R.  Jannasch.  —  Amerikanischer  Bericht.  —  Wirtschaftliches  über  Südamerika. 

—  etc. 

Jahrbücher,  Landwirtschaftliche.  Bd.  50,  1917,  Heft  5:  Die  Ermittelung  der 
in  den  Teerdämpfen  enthaltenen  pflanzenschädlichen  Bestandteile  und  die  Unterschei- 
dung ihrer  Wirkung  von  anderen  akuten  Rauchbeschädigungen  der  Pflanzen,  von 
R.  Ewert.  —  Die  Landwirtschaft  Bulgariens  in  Gegenwart  und  Zukunft,  von  Arthur 
Dix.  —  etc. 

Jahrbücher,  Preußische.  Bd.  168,  Juni  1917,  Heft  3:  Die  Neuorientierung, 
von  Hans  Delbrück.  —  Männer  und  Maßnahmen,  von  (Oberverwaltungsgerichtsrat)  Dr. 
Heinrich  Lindenau.  —  Föderalismus  und  Demokratie,  von  (Rechtsanw.)  Dr.  Ernst 
Wolff.  —  Die  auswärtige  Politik  Amerikas  im  Spiegel  ihrer  Geschichte  (Forts.),  von 
Dr.  Emil  Daniels.  —  Sibirisch-ostasiatische  Probleme  und  die  russische  Revolution,  von 
Dr.  Emil  Daniels.  —  Versöhnungsfriede.  Machtfriede.  Deutscher  Friede.  Unser  zu- 
künftiges Verhältnis  zu  Rußland  und  Polen,  von  Hans  Delbrück.  —  etc. 

Kultur,  Soziale.  Jahrg.  37,  Mai  1917,  Heft  5:  Kriegswucher  von  (Amts- 
gerichtsrat)  Riß.  —  Soziale  Verhältnisse  in  der  bulgarischen  Landwirtschaft  und  ihre 
Schäden,  von  Dr.  W.  K.  Weiß-Bartenstein.  —  Der  industrielle  Zusammenschluß,  von 
(Hofrat)  Prof.  Dr.  E.  Schwiedland.  —  Ist  nach  dem  Kriege  Wohnungsnot  zu  befürchten  ? 
von  Dr.  Hubert  Gürten.  —  Kriegsverordnungen  1915  und  1916,  von  (Landsgerichtarat) 
Mengelkoch.  —  etc.  — 

Monatshefte,  Sozialistische.  Jahrg.  23,  Bd.  48,  1917,  Heft  10:  Die  Darda- 
nellen, von  Hermanu  Kranold.  —  Türkische  Staatsverträge  und  indische  Baumwollzölle, 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  127 

von  Max  Schippel.  —  Der  sogenannte  Militarismus  und  die  Sozialdemokratie,  von 
Hugo  Poetzsch.  —  Die  internationale  Organisation  der  Genossenschaften,  von  August 
EUinger.  —  Tendenzen  der  Frauenarbeit,  von  Edmund  Fischer.  —  etc.  —  Heft  1 1 : 
Die  Aufgabe  des  Stockholmer  Kongresses,  von  Heinrich  Pens.  —  Deutsch-russische 
Wirtschaftsbeziehungen  in  Vergangenheit  und  Zukunft,  von  Max  Schippel.  —  Die 
Türkei,  Kußland  und  Europa,  von  Hermann  Kranold.  —  Arbeiterausschüsse,  von  Friedrich 
Kleeis.  —  etc. 

Oekonomist,  Der  Deutsche.  Jahrg.  35,  1917,  Nr.  1796:  Entente-Finanzen.  — 
etc.  —  Nr.  1797:  Englands  passive  Handelsbilanz;  Die  Kückwirkungen  der  amerika- 
nischen "Wareneinfuhr  nach  England  während  des  Krieges  auf  die  Vereinigten   Staaten. 

—  etc.  —  Nr.  1798:  —  Für  die  Wiederaufnahme  der  Tätigkeit   der  Zulassungsstellen. 

—  etc.  —  Nr.  1799 :  Englische  und  französische  Kriegsfinanzen.  —  etc. 

Plutus.  Jahrg.  14,  1917,  Heft  21/22:  Uebergangswirtschaft.  —  Dumping,  von 
Richard  Oehring.  —  Französische  Bankbilanzen,  von  Hermes.  —  etc.  —  Heft  23/24: 
Diplomaten.  —  Uebergangswirtschaft  (11),  von  G.  B.  —  Zivilprozeß  und  Krieg,  von 
(Generalsekr.)  Cahen.  —  etc. 

Praxis,  Soziale,  und  Archiv  für  Volks  Wohlfahrt.  Jahrg.  26,  1917,  Nr.  33:  Kriegs- 
hilfskasse und  Einigungsamt,  von  (Rechtsanw.)  Dr.  Steinitz.  —  Die  Entwicklung  der 
Genossenschaften  im  Kriege.  —  Wirtschaftliche  und  soziale  Kriegsziele  der  christlich- 
nationalen Arbeiterbewegung.  —  Zentralverband  für  soziale  Arbeit  in  Schweden.  — 
Ueber  Fabrikschulen,  von  Dr.  P.  Martell.  —  etc.  —  Nr.  34:  Die  Lohnfrage  im  vater- 
ländischen Hilfsdienst,  von  Hans  Friedrich.  —  Das  sozialpolitische  Ergebnis  des  letzten 
Abschnittes  des  Reichstags.  —  Der  Verband  der  deutschen  gemeinnützigen  Rechtsaus- 
kunftsstellen, von  (Rat)  Dr.  H.  Link.  —  etc.  —  Nr.  35 :  Die  Zukunft  der  internatio- 
nalen Sozialpolitik.  —  Generalgouverneur  v.  Bissings  soziale  Arbeit  in  Belgien,  von  Fr. 
Lembke.  —  Sozialpolitische  Kriegssteuer,  von  Bodo  Hoff.  —  Die  Regelung  des  gewerb- 
lichen Privatschulwesens  in  Preußen.  —  etc.  —  Nr.  36:  Paragraph  153  der  Reichsge- 
werbeordnung. —  Arbeiterfragen  in  der  Uebergangswirtschaft.  —  Die  Sozialpolitik  in 
Oesterreich.  —  Die  Lohnbewegung  in  der  deutschen  Textilindustrie.  —  Die  deutsche 
Sozialversicherung  im  Jahre  1916,  von  (Stadtrat)  H.  von  Frankenberg.  —  Die  Arbeiter- 
hochschule in  Gent,  von  Dr.  Paul  Hirschfeld.  —  etc. 

Recht  und  Wirtschaft.  Jahrg.  6,  Juni  1917,  Nr.  6:  Die  deutsch-türkischen 
Rechtsverträge,  von  Dr.  v.  Baligand.  —  Was  ist  unter  Gegenständen  des  täglichen  Be- 
darfs zu  verstehen?,  von  (Reichsgerichtsrat)  Dr.  Neukamp.  —  Währungspolitische 
Fragen,  von  Dr.  Franz  Rademaker.  —  Vorschläge  für  die  Vereinfachung  der  Verwal- 
tung, von  (Reg.-R.)  Dr.  Bartels.  —  Aushungerungskrieg,  Belagerung,  Blockade,  von  (Ober- 
landesgerichtsrat) Dr.  Nöldecke.  —  Kartelle  und  Kriegswucher,  von  (Rechtsanw.)  Dr. 
Bacherach.  —  Die  rechtliche  Natur  der  Kriegsbeschlagnahme,  von  (Oberreg.-R.)  Dr. 
Harimann.  —  etc. 

Rundschau,  Koloniale.  Zeitschrift  für  Weltwirtschaft  und  Kolonialpolitik. 
Jahrg.  1917,  März/April,  Heft  3/4:  Die  Pariser  Konferenz  und  der  Handel  nach  dem 
Kriege,  von  Prof.  Dr.  H.  Grossmann.  —  Die  deutschen  Schulen  in  der  Türkei  und  ihre 
Aufgaben  für  die  Zukunft,  von  W.  Roß.  —  Spezial-Kulturen  in  Syrien  und  Palästina 
(Schluß),  von  Davis  Trietsch.  —  etc. 

Verwaltung  und  Statistik  (Monatsschrift  für  deutsche  Beamte).  Jahrg.  6, 
1917,  Heft  6:  Die  Steuerkraft  der  Gemeinden  Groß-Berlins  und  ihre  Belastung  durch 
Gemeindesteuern  im  Rechnungsjahre  1911,  von  Prof.  Dr.  Oscar  Tetzlaff.  —  Erdölaus- 
beute der  Welt  (Schluß),  von  Dr.  Heinrich  Pudor.  —  etc. 

Weltwirtschaft.  Zeitschrift  für  Weltwirtschaft  und  Weltverkehr.  Jahrg.  7, 
Mai/Juni  1917,  Nr.  5/6  (Sondernummer:  Die  nordischen  Staaten):  Der  europäische 
Norden,  von  Dr.  Paul  Leutwein.  —  Schweden  und  das  baltische  Meer,  von  Wilhelm 
Janssen.  —  Dänemark  und  Island  in  der  Weltwirtschaft,  von  Christian  Andr§.  —  Nor- 
wegens wirtschaftliche  Lage,  von  Erich  Lilienthal.  —  Schwedens  Schiffahrt  bis  Anfang 
1917,  von  Dr.  N.  Hansen.  —  Die  skandinavische  Münzunion,  von  Dr.  Paul  Leutwein. 
—  Finnland.  —  Die  Murmanbahn  und  ihre  Bedeutung  in  künftigen  Friedenszeiten,  von 
Dr.  Richard  Hennig.  —  Die  ältesten  Verkehrsbeziehungen  zwischen  Skandinavien  und 
dem  Mittelmeergebiet  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Düna-Dnjepr- Weges,  von  Dr. 
Richard  Winter.  —  etc. 

Wirtschafts-Zeitung,  Deutsche.  Jahrg.  13,  1917,  Nr.  10:  Dollar  und  Yen  im 
Kampfe  um  China,  von  Dr.  Frhr.  v.  Mackay.  —  Die  wirtschaftlichen  Beziehungen  der 


128  ^i®  periodische  Presse  Deutschlands. 

Schweiz  zu  Deutschland  und  Frankreich.  —  Frankreichs  Außenhandel   im  Jahre  1916. 

—  Die  wirtschaftliche  Lage  Japans.  —  Deutsch-amerikanischer  Wirtschaftsverband: 
Vergangenheit  und  Zukunft  deutsch-amerikanischer  Wirtschaftsbeziehungen,  von.  A.  G. 
Goedel.  —  Die  Verschuldung  der  Welt.  —  etc.  —  Nr.  11:  Gegen  ein  Getreidemonopol, 
von  (Kommerzienrat)  Moritz  Bayerthal.  —  Die  Handelspolitik  nach  dem  Kriege,  von 
(Kommerzienrat)  Lustig.  —  üebergangs Wirtschaft.  —  Deutsch-türkische  Handelsbe- 
ziehungen. —  Mitteilungen  des  Deutsch- Amerikanischen  Wirtschaftsverbandes:  Die  Ein- 
wirkung des  Krieges  auf  die  Lebenshaltung  in  den  Vereinigten  Staaten.  —  Deutsche 
und  amerikanische  Spielwarenindustrie.  —  Die  amerikanische  Automobilexportindustrie 
1914—1916.  —  etc. 

Zeit,  Die  Neue.  Jahrg.  35,  1917,  Nr.  7:  Die  Befreiung  der  Nationen,  von  K. 
Kautsky.   —   Wir  und    X-Land    (Reinliche  Unterscheidung  II),    von    Ed.  Bernstein.  — 

—  etc.  —  Nr.  8 :  Die  Befreiung  der  Nationen  (Forts.),  von  K.  Kautsky.  —  Die  Ab- 
schaffung des  Dreiklassenwahlrechts,  von  Adolf  Braun.  —  etc.  —  Nr.  9 :  Die  Befreiung 
der  Nationen  (Forts.),  von  K.  Kautsky.  —  Zum  Aufstieg  der  Begabten,  von  Therese 
Schlesinger.  —  Das  Prämiensystem,  von  S.  Prüll.  —  etc.  —  Nr.  10:  Friedrich  Adler, 
von  K.  Kautsky.  —  Oesterreichs  Erneuerung,  von  O.  Jenssen.  —  Die  Befreiung  der 
Nationen  (Forts.),  von  K.  Kautsky.  —  Zur  Frage  der  Agrarreform  in  Rußland,  von 
Karl  Marchionini.  —  etc. 

Zeitschrift  des  Kgl.  Bayerischen  Statistischen  Landesamts.  Jahrg.  49,  1917, 
Nr.  1  und  2 :  Deutsche  Kriegssozialpolitik,  von  (Ministerialrat)  Dr.  Friedr.  Zahn.  — 
Die  Bayerische  Landesprüfungsstelle.  —  Anbau,  Ernte  und  Emteschäden  im  Jahre  1915. 

—  Die  endgültigen  Ergebnisse  der  Viehzählung  vom  1.  Dezember  1915.  —  Bewegung 
der  Bevölkerung  im  Jahre  1914.  —  Die  gewerbsmäßige  Stellenvermittlung  in  Bayern 
im  Jahre  1915.  —  Die  unter  Aufsicht  des  Kaiserl.  Auf  sich  tsamts  für  Privatversicherung 
stehenden  bayerischen  Sterbe-,  Kranken-  und  Pensionskassen  im  Jahre  1914.  —  Die 
üeberseeinteressen  Bayerns,  von  Dr.  Michael  Horlacher.  —  Bayerns  Warenverkehr  über 
die  Landesgrenzen  im  Jahre  1913,  von  Max  Giebeler.  —  Kriegsvolkszählung  1916.  — 
Die  Unterstützung  kinderreicher  Familien  in  Frankreich  nach  dem  Gesetz  vom  14.  Juli 
1913,  von  Dr.  Wolfgang  Ritscher.  —  Die  eingetragenen  Genossenschaften  in  Bayern  im 
Jahre  1914.  —  Kriegsstellen  und  Kriegsstellengesellschaften  für  Nahrungsmittel  Versorgung 
in  Bayern.  —  Die  Lebensmittelversorgung  im  In-  und  Auslande,  von  Dr.  Michael 
Horlacher.  —  etc. 

Zeitschrift  für  die  gesamte  Staatswissenschaft.  Jahrg.  72,  1916/17,  Heft  4: 
Englands  Kriegserklärung  und  der  Wirtschaftskrieg,  von  H.  F.  Crohn.  —  Aufklärung 
und  Polizeistaat.  Ein  Ausschnitt  aus  der  Entwicklungsgeschichte  der  Grundsätze  innerer 
Verwaltung  im  modernen  Staat,  von  Kurt  Wolzendorff.  —  Ohne  Steinkohle,  von 
Leopold  Katscher.  —  Die  Gewerkschaften  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  von 
H.  Fehlinger.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Sozialwissenschaft.  Jahrg.  8,  1917,  Heft  4  und  5:  Die  parla- 
mentarische Kabinettsregierung  (I),  von  W.  Hasbach.  —  Die  Mindestlohngesetzgebung 
für  Heimarbeiterinnen  in  Frankreich,  von  Dr.  jur.  et  scient.  pol.  Chr.  D.  Pesl.  — 
Kinderzahl  und  Kindersterblichkeit  (IL,  Schluß),  von  Fr.  Manschke.  —  Die  wirtschaft- 
liche Bedeutung  Antwerpens  (II.,  Schluß),  von  P.  Arndt.  —  Auslandshochschule,  Politik 
als  akademisches  Lehrfach  und  Nationalökonomie,  von  L.  Pohle.  —  Ein  Beitrag  zur  fran- 
zösischen Geistesgeschichte  der  letzten  V/^  Jahrhunderte,  von  Dr.  Ernst  Schnitze.  — 
Die  Preisbewegung  einiger  Welthandelswaren  in  den  Jahren  1914 — 1916,  von  Dr.  H. 
Lotz.  —  Ueber  Kriegsküchen,  von  Dr.  P.  Martell.  —  Ueber  die  sozialen  Verhältnisse 
in  Japan,  von  H.  Fehlinger.  —  Rumäniens  Viehhaltung.  —  etc. 

Zentralblatt,  Deutsches  Statistisches.  Organ  der  Deutschen  Statistischen  Ge- 
sellschaft und  des  Verbandes  Deutscher  Städte- Statistiker.  Jahrg.  9,  April-Mai  1917,  Nr.  4: 
Ausblicke  auf  eine  deutsche  Bildungsstatistik,  von  (Üniv.-Prof.)  Dr.  Ferdinand  Schmid. 

—  Die  Kartoffelerhebung  im  Deutschen  Reich  vom  1.  März  1917  (I.  Zur  Erhebungs- 
methode in  Bayern),  von  (wissenschaftl.  Hilfsarb.  beim  Statist.  Amt  in  Nürnberg)  Hans 
Friedrich.  —  Bemerkenswerte  Neuerungen  der  österreichischen  Berufszählung  1910,  von 
W.  Hecke.  —  etc. 


Frommannsche  Buchdruckerei  (Hermann  Pohle)  in  Jena. 


Heinrich  Waentig,  Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.        129 


IL 

Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirt- 
schaft. 

Von 
Heinrich.  Waentig,  d.  Z.  Brüssel. 

Der  15.  November  1831,  an  dem  die  Gründungsurkunde  des 
neuen  Königreiches  von  den  Vertretern  Belgiens  und  der  fünf  Signatar- 
mächte zu  London  feierlich  unterzeichnet  wurde,  ist  zugleich  der 
Geburtstag  einer  national-belgischen  Volkswirtschaft  geworden,  ob- 
schon  deren  Grenzen  endgültig  erst  im  belgisch-holländischen  Friedens- 
traktate vom  19.  April  1839  abgesteckt  wurden.  Zwar  hatten  die 
österreichischen  Niederlande  des  achtzehnten  Jahrhunderts,  die,  das 
Lütticher  Becken  ausgenommen,  den  größten  Teil  des  heutigen 
Belgiens  umfaßten,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  bereits  ein  abge- 
schlossenes Wirtschaftsgebiet  dargestellt  und,  soweit  das  die  dem 
Lande  von  außen  her  aufgezwungenen  Schranken  gestatten  wollten, 
eine  einheitliche  Gewerbepolitik  betrieben,  auch  sogar  gelegentliche 
Anwandlungen  handelspolitischer  Expansion  gezeigt.  Die  volle  Ein- 
heit aber  hatte  ihnen  gefehlt. 

Diese  wird  erst  seit  1795  langsam  erkämpft.  Dörfer,  Städte 
und  Provinzen  werden  von  Frankreich  politisch  zusammengeschweißt 
und  erwachsen  dabei  allmählich  auch  wirtschaftlich  zu  einem  größeren 
Ganzen  mit  eigenen  Bedürfnissen,  Wünschen  und  Strebungen,  deren 
zunächst  dunkles,  dann  immer  klareres  Bewußtsein  in  den  letzten 
Jahren  der  holländischen  Zeit  offensichtlich  erwacht.  Aeußerlich 
verselbständigt,  innerlich  verwandelt  und  neu  beseelt,  treten  1830  in 
Gestalt  der  Volkswirtschaft  des  Königreiches  Belgien  die  öster- 
reichischen Niederlande  wieder  auf  den  Plan  und  versuchen  eine 
belgisch-nationale  Volkswirtschaftspolitik  einzuleiten,  um  die  politische 
Selbständigkeit  des  neugegründeten  Staates  in  dem  sicheren  Boden 
seiner  wirtschaftlichen  Unabhängigkeit  zu  verankern.  Doch  es  zeigt 
sich  alsbald,  daß  man  vor  einer  fast  unlösbaren  Aufgabe  steht,  weil 
die  Vergangenheit  untilgbare  Spuren  in  ihrem  Wirtschaftskörper 
zurückgelassen  hat,  weil  Organe  entstanden  sind,  deren  Funktionen 
ganz  anders  gearteten  Existenzbedingungen  entsprechen. 

Dabei  haben  die  verschiedenen  Perioden,  die  Belgien  seit  dem 
Beginn  des  achtzehnten  Jahrhunderts  durchlaufen,  jede  in  ihrer  Art, 

Jahrb.  f.  Nationalok.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  9 


130  Heinrich  Waentig, 

auf  seine  Gestaltung  besonders  eingewirkt.  Nachdem  Spanien  das 
unglückliche  Land  an  den  Rand  des  Verderbens  geführt,  bringt 
Oesterreich  seine  Landwirtschaft  zu  neuer  Blüte.  Zugleich  aber  ent- 
steht auf  der  Grundlage  einer  eigentümlichen  Agrarverfassung  in 
den  flandrischen  Provinzen  ein  gewerblicher  Hausfleiß,  der,  mit 
wachsender  Bevölkerung,  als  Exportindustrie  entscheidende  Bedeutung 
gewinnt,  und  dessen  Zerfall  nach  langem  Gedeihen  Hunderttausende 
mit  unheilbarem  Siechtum  bedroht.  Seit  1795  dem  französischen 
Kaiserreiche  angegliedert,  durchlebt  Belgien  die  entscheidenden  Jahre 
technischer  Neubildung  unter  besonderen  Umständen.  Friedlich  allein 
inmitten  einer  Welt  in  Waffen,  vor  überlegenem  Wettbewerbe  ge- 
schützt, wird  es  für  einige  Zeit  die  Werkstatt  des  westeuropäischen 
Kontinentes.  Treibhausartig  wuchern  seine  Industrien  empor,  um 
von  1814  ab  in  dem  Bunde  mit  dem  holländischen  Handels-  und 
Kolonialstaate  neue  Märkte  zu  finden.  In  Berührung  mit  diesem 
beginnt  endlich  auch  sein  Handelsgeist  neu  zu  erwachen.  Mit  zauber- 
hafter Schnelligkeit  steigt  Antwerpen  empor  und  scheint  dazu  be- 
stimmt, alle  seine  Konkurrenten  in  Schatten  zu  stellen.  Glanzvolle 
Aussichten  eröffnen  sich,  um  plötzlich  in  nichts  zu  zerfließen. 

So  tritt  denn  die  belgische  Volkswirtschaft  gleichsam  erblich 
belastet  in  die  Erscheinung.  Ihr  unleugbarer  Wille  zu  sich  selbst 
bricht  sich  immer  wieder  an  der  unabweisbaren  Erkenntnis,  daß 
einige  ihrer  wichtigsten  Zweige  nicht  so  sehr  auf  die  Deckung  des 
nationalen  Bedarfes,  als  auf  fremde  Bedürfnisse  zugeschnitten  oder 
doch  sonstwie  auf  fremde  Hilfe  angewiesen  sind.  Alte  Erinnerungen 
tauchen  auf  und  beeinflussen  den  Politiker,  wobei,  je  nach  dem 
Wechsel  der  innen-  oder  außenpolitischen  Konstellation,  diese  oder 
jene  Möglichkeit  in  den  Vordergrund  tritt  und  das  staatliche  Handeln 
richtunggebend  bestimmt.  Nur  wer  diese  geschichtlich  bedingten 
wirtschaftlichen  Zusammenhänge  klaren  Auges  überblickt,  wird  über 
die  Politik  des  belgischen  Staates  ein  gerechtes  Urteil  fällen.  Sie 
in  großen  Zügen  zu  beleuchten,  ist  die  Aufgabe  der  folgenden  Ab- 
handlung. 

I.  Die  YorgescMchte. 

„La  Belgique  de  la  fin  du  18®  siecle",  hat  schon  Jan  Lewinski 
betont,  „n'etait  pas  encore  arrivee  au  Stade  d'une  economic  nationale 
developpee;  quoique  formant  sous  la  domination  des  Pays-Bas 
autrichiens  un  seul  territoire  politique,  eile  se  composait  de  differentes 
parties,  dont  chacune  avait  sa  vie  economique  propre"  ^).  Aber  selbst 
jene  politische  Einheit  war  fragwürdiger  Natur.  Die  Provinzen,  die 
das  burgundische  Haus  allmählich  unter  seinem  Szepter  vereinigt, 
bildeten  keinen  einheitlichen  Staatskörper.  Lose  zusammengefügt  in 
den  Generalstaaten,  die  ihr  Mandat  ausschließlich  von  den  Provinzial- 
ständen  empfingen,   führten  die  einzelnen  Provinzen   ein  rechtliches 


1)   Jan   St.   Lewinski,   L'6volution    industrielle    de   la  Belgique,    Bruxelles   1911, 
S.   21. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  X31 

Sonderdasein.  Und  wie  jede  Provinz,  so  hatte  auch  jede  Stadt,  ja 
oft  jedes  Dorf  seine  besonderen  politischen  Einrichtungen.  Das 
öffentliche  Leben  war  örtlich  gebunden,  die  öffentliche  Gewalt 
tausendfältig  zersplittert,  die  Rechtsprechung  widerspruchsvoll^). 
Eine  wirkliche  Zentralregierung  fehlte.  Diese  eigenartige  Verfassung 
war  es,  an  der  sich  alle  Einheitsbestrebungen  von  Philipp  IL  bis 
Josef  IL  gebrochen.  Sie  bestand  im  wesentlichen  unerschüttert  noch 
am  Ende  des  18.  Jahrhunderts.  Der  durch  einen  Statthalter  ver- 
tretene Kaiser  war  nicht  etwa  König  der  Niederlande,  sondern 
Herzog  von  Brabant,  Limburg  und  Luxemburg,  Markgraf  von  Ant- 
werpen, Graf  von  Flandern,  Hennegau  und  Namur,  Herr  in  Mecheln 
usw.  und  hatte,  genau  besehen,  in  seinem  „Reiche"  recht  wenig  zu 
sagen. 

Nicht  anders  stand  es  in  wirtschaftlicher  Hinsicht.  Erst  durch 
jahrzehntelange  Kriege  verwüstet,  die  seinen  Wohlstand  unter- 
gruben und  den  tatendurstigen  Teil  der  Bevölkerung  in  die  Fremde 
vertrieben,  dann  durch  diplomatische  Kniffe  eifersüchtiger  Neben- 
buhler erdrosselt,  die  den  Ueberlebenden  Licht  und  Luft  raubten, 
jede  wirtschaftliche  Wiedergeburt  im  Keime  erstickten,  war  das  einst 
so  blühende,  gewerbefleißige  und  unternehmungslustige  Land  der 
Verkümmerung  anheimgefallen.  Des  Seehandels  beraubt  und  ge- 
zwungen, holländische  und  englische  Schiffe  unter  gleichen  Be- 
dingungen wie  die  eigenen  zuzulassen,  erhielt  es  die  fremdländischen 
Erzeugnisse  durch  die  Vermittlung  seiner  Nachbarn,  ohne  daß  sich 
seine  Handelsflotte  an  den  Frachtgewinnen  hätte  beteiligen  können. 
Gleichzeitig  war  seine  Industrie  einem  von  seinen  Rivalen  festge- 
setzten Zolltarife  preisgegeben,  ohne  daß  es  in  der  Macht  seiner 
Regierung  gelegen  hätte,  diesem  „seltsamen  Mißbrauch  einer  ebenso 
heimtückischen  wie  unmenschlichen  Politik"  ein  Ende  zu  machen  2). 

1)  Das  hing  ebensosehr  mit  der  verwickelten,  vielfach  auf  ständischer  Grundlage 
ruhenden  Gerichtsorganisation  ohne  rechten  Instanzenzug,  wie  mit  dem  verwirrenden 
Nebeneinander  der  ßechtsquellen  zusammen.  Vgl.  dazu  M.  N.  Briavoinne,  De  Pindustrie 
en  Belgique,  causes  de  d§cadence  et  de  prosp§rit§,  Bruxelles  1839,  Tome  I, 
S.  91  ff.  „L'effrayante  diversitfe  de  lois  et  coutumes",  heißt  es  dort,  „ne  tendait  que 
trop  k  aggraver  le  mal  et  les  dangers.  Pour  les  villages,  villes,  bourgs,  composant 
aujourd'hui  les  deux  provinces  de  Flandre,  on  a  comptfe  jusqu'ä  trente-quatre  coutumes 
differentes." 

2)  Genaueres  darüber  bei  Natalis  Briavoinne,  Memoire  sur  l'Mat  de  la  population, 
des  fabriques,  des  manufactures  et  du  commerce  dans  les  provinces  des  Pays-Bas  depuis 
Albert  et  Isabelle  jusqu'ä  la  fin  du  sifecle  demier,  in  M^moires  couronn^s  par  l'Acad^mie 
Koyale  des  Sciences  et  des'  Belles-Lettres  de  Bruxelles,  Tome  XIV,  Premiere  partie, 
Bruxelles  1838,  besonders  S.  33  ff.  Grundlegend  war  der  Westfälische  Friede  (1648), 
dessen  Artikel  14  die  von  den  holländischen  Kommissaren  seit  1633  erhobene  Forderung 
der  Scheidesperre  legalisierte.  „L'Escaut",  heißt  es  dort,  „les  canaux  de  Saz-Zwin  et 
autres  bouches  de  mer  seront  tenues  clos  du  c6t§  des  fetats."  Nicht  minder  wichtig  war 
Artikel  15:  „Les  navires  et  les  denr§es  entrant  dans  les  havres  de  Flandre  et  ceux  qui 
en  sortent,  demeureront  charg^s  des  m^mes  impositions  qui  seront  lev^es  sur  les  denr§es 
allant  et  venant  au  long  de  l'Escaut  et  autres  canaux  mentionnfes  ä  l'article  prfecldent" ; 
denn  er  lieferte,  in  Verbindung  mit  den  Artikeln  8,  10  und  11,  16  und  17,  die  belgischen 
Lande  der  überlegenen  Konkurrenz  der  Holländer  aus.  Vorübergehende  Versuche,  diese 
Zwangsjacke  abzuschütteln,  mißlangen,  und  der  Barrierevertrag  von  1715  erneuerte  den 
früheren  Zustand.     „Pour  ce  qui  regarde  le  commerce",  heißt  es  in  seinem  Artikel  26, 

9* 


X32  Heinrich  Waentig, 

So  hatte  sich  denn  sein  Wirtschaftsleben  allmählich  zurtlck- 
gebildet  und  wie  vor  alters,  auf  ländlicher  Grundlage,  einen  rein 
lokalen  Charakter  angenommen.  Mit  dem  Versickern  des  allbe- 
lebenden Handelsstromes  war  auch  das  Verkehrsinteresse  geschwunden. 
Jede  Provinz,  jede  Stadt,  jedes  Dorf  bildete  eine  Wirtschaftseinheit, 
die  sich,  auf  alte  Vorrechte  gestützt,  eifersüchtig  gegen  alle  anderen, 
spießßürgerlich  gegen  das  große  Ganze  abzuschließen  suchte^). 
Mochte  Maria  Theresias  auf  die  Wiederbelebung  der  Gewerbe  ge- 
richtete Merkantilpolitik  von  einigem  Erfolge  gekrönt  sein,  an  den 
Grundfesten  der  bestehenden  Wirtschaftsordnung  hatte  sie,  konser- 
vativen Geistes,  nicht  zu  rütteln  gewagt.  Josefs  II.  von  doktrinärem 
Liberalismus  getragene  Reformversuche  aber  scheiterten,  überstürzt 
wie  sie  waren,  an  dem  passiven  Widerstände  der  örtlichen  Mächte. 

Trotzdem  ist  nach  den  Worten  des  Fürsten  von  Ligne  die 
zweite  Hälfte  der  österreichischen  Zeit  für  die  Niederlande  ein 
„goldenes  Zeitalter"  gewesen.  Waren  sie  in  ihrer  Entwicklung  durch 
einschneidende  Vertragsbestimmungen  gehemmt,  die  Handel  und 
Schiffahrt  lähmten,  Industrie  und  Gewerbe  darniederhielten,  Fesseln, 
die  sie  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  wohl  zu  lockern,  niemals 
völlig  abzustreifen  verstanden,  so  erreichte  die  Landwirtschaft 
gerade  damals  eine  nie  gekannte  Blüte,  welche  die  ungeteilte  Bewunde- 
rung aller  Nationen  erregte.  „Le  commerce  et  les  manufactures  sont 
tombes  dans  les  Pays-Bas  Autrichiens",  sagt  ein  englischer  Beobachter, 
„mais  Pagriculture  y  a  fait  des  progres.  Le  nombre  des  habitans  a 
diminue  dans  les  villes,  mais  il  a  augmente  dans  la  campagne  et  il 
surpasse  beaucoup  celui  qu'elle  contenoit  dans  les  anciens  tems. 
Meme  dans  Page  d'or  de  ces  Provinces,  sous  les  Ducs  de  Bour- 
gogne  et  les  premiers  princes  de  la  maison  d'Autriche,  leur  culture 
et  la  Population  de  la  campagne  etoient  bien  inferieures  ä  la  culture 
et  h  la  Population  d'aujourd  l'hui"  ^). 


„les  droits  continueront  ä  ^tre  leves  dans  les  Pays-Bas  k  l'lgard  de  la  Grande-Bretagne 
et  des  Provinces-Unies  sur  le  m^me  pied  qu'on  les  löve  ä  präsent  (d.  h.  nach  dem  un- 
günstigen Tarif  von  1680  nebst  Zusätzen),  sans  qu'il  puisse  y  ßtre  fait  aucun  change- 
ment,  jusqu'ä  ce  que  les  trois  puissances  en  conviennent,  autrement  que  par  un  traite 
de  commerce  ä  faire  le  plus  t6t  qu'il  se  pourra;  demeurant  au  reste  le  commerce  entre 
les  Pays-Bas  Autrichiens  et  les  Provinces-Ünies  sur  le  pied  du  traite  de  Münster".  Ein 
solcher  Vertrag  wurde  natürlich  nicht  abgeschlossen.  Anträge  in  dieser  Richtung  (1737) 
begegneten  tauben  Ohren.  Erst  nach  dem  Frieden  von  Aachen  (1748)  gelang  es  der 
österreichischen  Regierung,  das  Land  von  dem  Joche  zu  befreien.  Die  Scheidesperre 
jedoch  blieb  aufrecht  erhalten. 

1)  Ein  Beispiel  für  viele:  „On  demandait  pour  Bruges,  Ostende  et  Nieuport  de 
plus  forts  droits  sur  le  poisson.  De  la  part  de  Bruxelles  et  peut-^tre  de  Gand,  on 
s'opposait  k  ces  droits.  Puis  au  nom  de  Bruxelles  et  de  Gand  on  voulait  creuser  ou 
approfondir  des  canaux;  mais  on  s'y  opposait  de  la  part  de  Bruges  et  d'Ostende,  et 
l'on  tournait  constamment  dans  ce  cercle  vicieux.  Ces  faits  sont  caract§ristiques.  Ce 
d^faut  a  §t&  celui  de  toutes  les  ^poques  en  Belgique,  mais  il  semble  qu'au  milien  de 
la  d§tresse  universelle,  il  se  soit  aggrav§.  On  defendait  avec  plus  d'opiniätretß  ce  qui 
restait  de  l'ancienne  splendeur;  chacun  craignait  de  compromettre  sa  dernifere  ressource." 
Vgl.  hierzu  Briavoinne,  Memoire  sur  l'etat  de  la  population  etc.,  S.  72  f. 

2)  Shaw,  Essai  sur  les  Pays-Bas  Autrichiens,  traduit  de  l'anglois,  Londres  1788, 
S.  81  ff.     Aehnlich  äußert  sich  ein  Franzose:    „Je  ne  connois  pas  de  pays  oü  les  terres 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  133 

Und  dieses  Bild  strotzender  Fülle  und  lachenden  Wohlstandes 
tritt  dem  Reisenden  auf  dem  Lande  im  ganzen  Westen,  im  Hennegau 
wie  in  Brabant,  besonders  aber  in  Flandern  und  dort  wiederum  vor- 
nehmlich im  Waeslande,  zwischen  Gent  und  Antwerpen  entgegen,  wo 
auf  kargem  Boden  unter  dem  Schutze  der  Freiheit,  die  dem  Bauern 
den  vollen  Ertrag  seiner  Arbeit  sichert,  durch  Menschenhand  ein 
blühender  Garten  entstanden  ist.  Feldfrüchte  aller  Art  werden  dort 
in  kleinen  und  kleinsten  Betrieben  im  Wechsel  der  Jahreszeiten 
dem  Erdreiche  abgewonnen,  und  die  Durchschnittsernten  sind  groß 
genug,  um  trotz  dichtester  Bevölkerung  eine  erhebliche  Ausfuhr  zu 
gestatten. 

Unter  diesen  Erzeugnissen  steht  neben  dem  Getreide  der  Flachs 
an  erster  Stelle,  der  vieler  Orten  in  verschiedenen  Spielarten  gebaut,  in 
vollendeter  Güte  um  Dendermonde  und  im  Waeslande  geerntet  wird. 
Gleichzeitig  bildet  er  die  Grundlage  eines  weitverzweigten  Haus- 
fleißes, der  Leinenweberei  und  der  Spitzenklöppelei.  Ueber  1000 
Webstühle  werden  in  vielen  Dörfern  gezählt,  und  die  Weber  in 
Flandern  allein  1765  auf  etwa  200000  geschätzt.  In  den  Städten 
zu  Markte  gebracht,  gebleicht  und  hergerichtet,  wird  die  Lein- 
wand in  großen  Mengen  vorwiegend  nach  Spanien  und  seinen  Kolo- 
nien exportiert.  Gent,  wo  etwa  drei  Viertel  des  gesamten  Produktions- 
betrages umgesetzt  werden,  ist  das  Hauptzentrum  dieses  Ausfuhr- 
handels. Aber  auch  andere  Städte,  wie  Kortrijk  und  Brügge,  Audena- 
arde,  Alost  und  Lokeren,  haben  daran  teil.  Immer  größer  wird  die 
Zahl  der  Haushalte,  in  denen  das  Leinengewerbe  sich  einnistet.  In 
80  Jahren,  von  1720  ab  gerechnet,  soll  sich  seine  Bedeutung  allein 
in  Flandern  verdreifacht  haben.  Dagegen  scheint  die  Spitzenklöppelei 
infolge  der  Veränderung  in  der  Männerkleidung  schon  gegen  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  stark  zurückgegangen  zu  sein.  Vorwiegend  in 
Brüssel,  Mecheln  und  deren  Umgebung  zu  Hause,  wo  die  Zahl  der 
damit  beschäftigten  Frauen  und  Kinder  in  der  besten  Zeit  etwa 
100000  erreicht  haben  soll,  dehnt  sie  sich  im  Westen  bis  Mons,  im 


soient  mieux  cülliv§es  qua  dans  les  Pays-Bas  Autriehiens;  c'est  l'effet  naturel  que  pro- 
duit  toujonrs  l'fetat  hturcnx  du  cultivateur.  Le  cultivateur  des  Pays-Bas  Antrichiens 
ne  gimit  pas  comme  en  France,  sons  le  joug  de  l'aibitraire  de  l'impöt,  et  ccmme  en 
Angleterre,  sous  le  fardeau  de  l'impöt.  Tous  les  habitans  des  villes  des  Pays-Bas  vivent, 
si  ce  n'est  dans  l'opulence,  du  moins  dans  la  plus  grande  aisance ;  mais  cette  aisance  est 
encore  plus  grande  dans  les  campagnes  que  dans  les  Tilles;  et  dans  les  xilles  comme  dans  les 
campagnes,  tout  caractirise  le  bonheur  dont  jcuissent  Icurs  habitans.  Cela  n'est  pas  une 
exageration,  sur-tout  pour  les  campagnes  du  Brabant;  on  peut  hardimcnt  assurer  que 
le  peuple  qui  les  habite  est  un  peuple  htureux."  Vgl.  Le  voyageur  dans  les  Pays-Bas 
Autriehiens  ou  Lettres  sur  l'fetat  actuel  de  ccs  Payp,  Tome  I,  Amsterdam  1792,  S.  9  f. 
Den  gleichen  Eindruck  erhielt  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  ein  deutscher  Eeisender, 
der  das  Wesen  der  belgischen  „Industrie"  in  der  „Vorzüglichkeit  des  dasigen  Acker- 
baus" erblickt  und  seiner  Darstellung  ein  ganzes  Buch  widmet.  Besonders  bezeichnend 
ist  die  Schilderung  des  Waeslandes  mit  seinen  24  Kirchspielen,  das  keine  einzige  Stadt, 
dafür  aber  viele  Dörfer  enthält,  die  Städttn  gleichen  und  unter  denen  St.  Niklas  und 
Lokeren  die  wichtigsten  sind.  Vgl.  R.  J.  Schwerz,  Anleitung  zur  Kenntnis  der  belgi- 
schen Landwirtschaft,  3  Bde.,  Halle  1807—1811,  besonders  Bd.  1,  S.  13  ff. 


I 


J^34  -^ ®  inrich  Waentig, 

Osten  bis  Sint-Truyden  aus  und  liefert  damals  einen  nicht  uner- 
heblichen Bruchteil  der  gesamten  Ausfuhr  i). 

„Löwens  Gewerbe  sind  zerfallen  und  Antwerpens  Handel  ist 
verschwunden,  aber  die  Felder  Belgiens  geben  noch  immer  tausend- 
fältige Frucht",  so  glaubte  ein  Zeitgenosse  sein  Urteil  über  die  wirt- 
schaftliche Lage  der  österreichischen  Niederlande  zusammenfassen 
zu  können  ^).  Wie  einer  jener  Zwergbäume  ostasiatischer  Gartenkunst 
durch  äußeren  Eingriff  zu  künstlicher  Schwäche  und  Verkümmerung 
verurteilt,  führten  sie  ein  friedliches  Dasein,  fern  vom  Strome  der 
Welt  ohne  Glanz  und  Größe,  ganz  in  behaglicher  Stille  ohne  Kummer 
und  Not.  Immerhin  zeigte  sich,  daß  sich  ihr  Wirtschaftsleben  ruck- 
weise zu  heben  begann,  sobald  sie  aus  ihrer  Isolierung  herausgerissen 
wurden.  Das  geschah  erstmalig  bald  nach  ihrer  Loslösung  von 
Spanien  durch  die  Gründung  der  Ostender  Handelskompagnie,  deren 
Expansionsbestrebungen  jedoch  nach  kurzer  Blüte  auf  Hollands  und 
Englands  Betreiben  bereits  1732  wieder  unterbunden  wurden  ^). 

Noch  viel  tiefgreifender  war  die  wirtschaftliche  Rückwirkung 
der   weltpolitischen  Konstellation,  die   durch   den  Abfall   der  Nord- 


1)  „La  fabrique  de  lin  en  Flandre  est  la  plus  importante  de  la  Province",  sagt 
Shaw.  „Les  manufactures  de  lin  de  ce  pays,  sup§rieures  dans  tous  les  genres  ä  Celles 
des  autres  nations,  occupent  un  grand  nombre  de  mains.  Gand  et  Courtrai  sont  fa- 
meuses  pour  leurs  toiles.  Les  blanchisseries  de  Gand  qui  sont  dans  la  ville  le  long  des 
riviferes  et  des  canaux  qui  Parosent  et  la  coupent  en  une  infinite  d'iles,  m^ritent  et 
attirent  Pattention  des  voyageurs.  Le  Magistrat  veille  k  la  bont§  de  cette  fabrique  dont 
le  produit  passe  dans  les  pays  ^trangers,  et  fournit  un  article  essentiel  de  commerce. 
L'Espagne  qui  a  eu  si  long-tems  des  relations  avec  cette  partie  des  Pays-Bas,  a  tou- 
jours  besoin  de  Pindustrie  de  la  Flandre;  eile  en  tire  des  toiles  de  lin  pour  envoyer 
dans  ses  colonies  d*Am§rique.  Le  lin  fin  que  produisent  les  Pays-Bas,  fournit  le  fil 
d§licat  avec  lequel  on  travaille  ces  dentelles  si  connues  sous  le  nom  de  dentelles  de 
Malines  et  de  Bruxelles.  L'invention  de  cet  art  qui  donne  une  occupation  si  agr&able 
li  Pindustrie  des  femmes,  est  due  ä,  ce  pays:  on  a  imit§  ailleurs  les  ouvrages  de  ce 
genre,  mais  on  n'a  jamais  pu  les  §galer."  (Essai  sur  les  Pays-Bas  Autrichiens,  S.  58.) 
Ueber  die  Leinen-  und  Spitzenindustrie  während  der  österreichischen  Zeit  vgl.  auch 
Briavoinne,  Memoire  sur  Petat  de  la  population  usw.,  S.  132  ff.  und  139  f.  Nach 
Vanderstraeten  entfielen  während  der  besten  Zeit  der  österreichischen  Periode  allein  auf 
Leinengewerbe  etwa  fünf  Sechstel  der  gesamten  Manufakturenausfuhr,  die  im  jährlichen 
Durchschnitt  auf  180  Mill.  frcs.  bemessen  wird.  Vgl.  F.  Vanderstraeten,  De  P^tat  actuel 
du  royaume  des  Pays-Bas  et  des  moyens  de  Pamiliorer,  Tome  II,  Bruxelles  1820,  S.  7. 

2)  Ueber  die  Lage  der  Gewerbe  während  der  österreichischen  Zeit,  besonders  auch 
die  Ansätze  zu  großindustrieller  Entwicklung  vgl.  Armand  Julin,  Les  grandes  fabriques 
en  Belgique  vers  le  milieu  du  XVIII.  sifeole  (1764),  in  Memoires  couronnes  et  autres 
m^tnoires  publi§s  par  PAcademie  royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux  arts  de 
Belgique,  Tome  LXIII,  Bruxelles  1903/4.  Daselbst  S.  71  ff.  der  Versuch  einer  Statistik. 
Neben  der  Eisen-  und  Wollindustrie  spielt  schon  damals  die  keramische,  sowie  die  Glas-, 
Papier-  und  Lederindustrie  eine  gewisse  Rolle. 

3)  Ihre  Entstehung  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auf  zufällige  Umstände  zu- 
rückzuführen. Ein  Patent  vom  19.  Dezember  1722  gewährte  ihr  die  üblichen  Privi- 
legien. Anfang  1724  eröffnete  sie  einen  schwunghaften  Handel  mit  China  und  Ben- 
galen; auch  Afrika  sollte  später  in  den  Bereich  ihrer  Unternehmungen  einbezogen 
werden.  Die  günstige  Rückwirkung  auf  die  heimischen  Gewerbe  ließ  nicht  auf  sich 
warten.  Grund  genug,  daß  Holland  und  England,  gestützt  auf  Artikel  5  des  West- 
fälischen Friedens,  ihre  Unterdrückung  verlangten.  Sie  erreichten  bereits  1727  die 
grundsätzliche  Zustimmung  des  Wiener  Hofes,  die  dann  durch  den  österreichisch-hol- 
ländischen Vertrag  vom  20.  Februar  1732  besiegelt  wurde. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  135 

amerikanischen  Union  und  den  sich  daran  anschließenden  Seekrieg 
Englands  gegen  Frankreich,  Spanien  und  Holland  (1778—1783)  ge- 
schaffen wurde.  Der  alsbald  einsetzende  Kaperkrieg,  der  auch  die 
Kauffahrer  der  neutralen  Staaten  nicht  schonte,  veranlaßte  diese 
1780  zum  Abschluß  einer  Liga  bewaffneter  Neutralität  mit  der  Devise 
„Le  pavillon  neutre  couvre  meme  la  marchandise  ennemie",  die, 
England  ausgenommen,  von  allen  Kriegführenden  grundsätzlich  an- 
erkannt und  auch  tatsächlich  befolgt  wurde.  So  waren  denn  Schiffe 
unter  russischer,  preußischer,  schwedischer  und  österreichischer 
Flagge  einigermaßen  geschützt,  englische,  französische,  spanische 
und  holländische  aber  feindlichen  Angriffen  preisgegeben.  Für 
die  österreichischen  Niederlande  ergaben  sich  hieraus  ganz  besondere 
Chancen. 

Bisher  ein  verachtetes  und  gemißhandeltes  Aschenbrödel  unter 
den  Völkern,  wird  Belgien  mit  einem  Schlage  von  allen  am  Kriege 
irgendwie  Beteiligten  gleichmäßig  umworben.  Mitten  zwischen  die 
Kämpfenden  hineingestellt,  ist  es  für  kurze  Zeit  Freistatt  und 
Umschlagsplatz  für  ganz  Westeuropa.  Namentlich  Ostendes  Ueber- 
see-  und  Durchfuhrhandel  nimmt  einen  erstaunlichen  Aufschwung, 
der  1780  anhebt,  1781/82  seinen  Höhepunkt  erreicht,  in  seinen  Aus- 
läufern bis  1785  andauert,  1786  mit  einer  Krise  endet.  Sie  ist  um  so 
vernichtender,  je  weniger  sich  die  Geschäftswelt  eines  Rückschlages 
versehen  zu  müssen  glaubt,  und  je  weiter  diesmal  die  Kreise  sind, 
die  in  der  einen  oder  anderen  Form  daran  teilhaben.  Daß  jener 
Anstieg  jedoch  ein  künstlicher  und  nicht  so  sehr  heimischer  Kraft- 
entfaltung als  der  vorübergehenden  Ausschaltung  fremdländischen 
Wettbewerbes  zu  danken  ist,  wird  von  schärfer  Blickenden  schon 
vor  dem  Zusammenbruche  richtig  erkannt. 

In  einem  vom  17.  Februar  1783  datierten  „Memoire  sur  les  effets 
de  la  paix,  relativement  au  commerce  des  Etats  de  sa  Majeste  PEm- 
pereur,  et  sur  les  combinaisonß  auxquelles  cet  evenement  pourroit 
donner  lieu"  des  Finanzrates  Delplancq  wird  der  trügerische  Cha- 
rakter der  vermeintlichen  Handelsblüte  aufgedeckt,  zugleich  aber  be- 
gründet, warum  auf  absehbare  Zeit  für  die  Niederlande  ein  ent- 
scheidender Wandel  in  dieser  Hinsicht  nicht  zu  erwarten  ist.  „Les 
grands  obstacles  aux  succes  desires",  heißt  es  dort,  „me  paroissent 
consister  en  ce  que  la  consommation  de  ces  provinces-ci 
n'est  pas  assez  grande  pour  entretenir  un  commerce 
suivi  avec  toutes  lescontreesdel'Europe,  dontlespro- 
ductions  seroient  necessaires  pour  assortir  des  car- 
gaisons  complettes  dans  les  ports  de  Flandre;  et  que  ce 
pais-cin'a  pas  assez  d'objets  d'exportation  pour  donner 
un  chargement  aux  navires;  que  les  negocians  de  ce  pais  n'ont 
pas  assez  de  correspondences  dans  la  plupart  des  contrees  de  PEurope; 
que  Petat  de  notre  marine  marchande  ne  va  que  trop  vraisemblable- 
ment  retomber;  le  manque  de  navires  et  de  marins  nationnaux  nuira 
a  Pextention  des  liaisons  de  negoce,  tandis  que  reciproquement  le  d6- 
faut  d'un  commerce  assez   considerable  empechera  Paugmentation  de 


136  Heinrich  Waentig, 

notre  petite  marine"^).  Delplancq  hatte  damit  die  Grundfrage  der 
belgischen  Volkswirtschaft  angeschnitten.  Er  konnte  nicht  ahnen, 
daß  sie  10  Jahre  später  eine  ganz  neue  Lösung  erhalten  sollte. 

Die  durch  ein  Edikt  des  Konventes  vom  1.  Oktober  1795  ver- 
fügte, durch  den  Frieden  von  Campo-Formio  (17.  Oktober  1797)  be- 
stätigte Angliederung  Belgiens  an  Frankreich,  das  sich  unter  Napoleon 
vorübergehend  zu  einem  westeuropäischen  Staate  auswuchs,  war  für 
seine  spätere  Geschichte  von  entscheidender  Bedeutung.  Das  ist  auch 
von  belgischer  Seite  gebührend  anerkannt  worden.  „La  Belgique", 
betont  Baron  de  Gerlache,  als  Klerikaler  ein  unverdächtiger  Zeuge, 
„jadis  morcelee  en  provinces,  regle  par  une  foule  de  coutumes  et  de 
jurisdictions  differentes,  doit  ä  la  France  l'uniformite  de  ses  lois, 
de  son  administration,  de  ses  tribunaux,  et  cette  concentration  des 
pouvoirs  Sans  laquelle  il  n'y  a  ni  unite  ni  force  dans  le  gouvernement, 
ni  dans  la  nation ;  eile  lui  doit  le  reveil  des  arts  et  des  sciences,  du 
commerce  et  de  Pindustrie,  et  l'ouverture  de  ses  ports,  enchaines  de- 
puis  la  paix  de  Westphalie.  Si  le  joug  de  la  conquete  nous  a  paru 
quelquefois  rüde  et  nous  a  coüte  assez  eher,  ces  avantages  sont  ce- 
pendant  d'un  tel  prix  qu'il  est  impossible  de  n'en  pas  tenir  compte 
dans  une  histoire  impartiale"  ^).  Frankreich  gab  dem  kleinen  Nachbar- 
lande politisch  und  wirtschaftlich  die  innere  Einheit.  Indem  es  je- 
doch die  im  Entstehen  begriffene  belgische  Volkswirtschaft  in  diesem 
Anfangsstadium  einer  anderen  einfügte,  verhinderte  es  die  harmonische 
Ausbildung  ihrer  Funktionen,  beförderte  es  die  schon  durch  die  Natur 
begünstigte  einseitige  Entwicklung  bestimmter  Organe,  die  sich  so 
von  Anbeginn  als  solche  eines  übernationalen  Ganzen  fühlen  und  be- 
tätigen lernten. 

Am  20.  April  1792  hatte  Ludwig  XVI.  im  Auftrage  der  gesetz- 
gebenden Versammlung  Oesterreich  den  Krieg  erklärt.  Der  Sieg  bei 
Jemappes  (6.  November  1792)  öffnete  Frankreich  die  Tore  Belgiens. 
Am  25.  November  desselben  Jahres  verfügte  ein  feierliches  Dekret 
des  Generals  Labourdonnaye  im  Namen  der  „Menschenrechte"  die 
Wiederöffnung  der  Scheide,  deren  Sperre  mit  dem  Sinken  der  hollän- 
dischen Macht  schon  während  der  letzten  Jahrzehnte  gelegentlich 
durchbrochen  worden  war.  Eine  aus  sieben  Schiffen  bestehende  franzö- 
sische Kriegsflotte,  von  der  „Ariel"  geführt,  erschien  an  der  Mündung 
und  wurde  in  Antwerpen  begeistert  empfangen.  Dumouriez'  Nieder- 
lage bei  Neerwinden   (18.  März  1793)   stellte    diese   Errungenschaft 


1)  Vgl.  H.  van  Houtte,  Contribution  h  l'histoire  commerciale  des  Etats  de  l'Em- 
pereur  Josef  II  (1780—1790),  in  Vierteljahrsschrift  für  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte, 
Bd.  8,  1900,  S.  350  ff.,  bes.  356  ff.  Danach  war  wohl  ein  Teil  der  Handelsblüte  der 
Jahre  1780 — 1785  belgischen  Kaufleuten  zuzuschreiben,  die  der  hohe  Frachtpreis  während 
des  Seekrieges  veranlaßte,  Schiffe  auszurüsten;  der  größere  jedoch  Fremden,  die  sich 
vorübergehend  in  Ostende  niederließen  und  ihre  Namen  den  Untertanen  der  krieg- 
führenden Mächte  zur  Verfügung  stellten.  Am  Tage  des  Friedensschlusses  mußte  dieses 
künstliche  Gebäude  in  sich  zusammenstürzen,  wie  es  denn  tatsächlich  auch  geschah. 

2)  Baron  de  Gerlache,  Histoire  du  royaume  des  Pays-Bas  depuis  1814  jusqu'li 
1830,  Bruxelles  1874,  Tome  I,  S.  401. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  ;137 

wieder  in  Frage,  und  erst  die  Eroberung  Hollands  durch  Pichegru 
und  die  Gründung  der  Batavischen  Republik  sicherten  im  Artikel  18 
des  Haager  Vertrages  vom  17.  Mai  1795  die  Freiheit  der  Scheide. 
Am  18.  April  1796  fuhr  der  schwedische  Kauffahrer  „Toscana",  von 
drei  anderen  gefolgt,  ungehindert  stromaufwärts. 

Aber  das  Antwerpen  jener  Tage  war  nur  ein  dürftiges  Schatten- 
bild früherer  Größe.  Von  der  Außenwelt  abgeschlossen,  hatte  es 
sich  auf  sich  selbst  zurückgezogen,  um  in  gewerblicher  Arbeit  und 
lokalem  Zwischenhandel  einen  Ersatz  für  Besseres  zu  suchen.  So 
hatte  sich  allmählich  auch  wieder  ein  gewisser  Wohlstand  heraus- 
gebildet. Der  großzügige  Unternehmungsgeist  aber,  der  sich  in  Ost- 
ende geregt,  schien  hier  für  immer  erloschen.  „A  Anvers,  en  1792, 
le  port  n'avait  ni  une  marine  qui  lui  appartint,  ni  un  capitaine  en 
etat  de  conduire  un  bätiment  ä  la  mer",  erklärt  Briavoinne.  „Lors- 
que  la  France  en  prit  possession,  ä  la  fin  du  XVIII^  siecle,  port, 
bassins,  chantiers,  pilotes,  matelots,  tout  etait  ä  creer."  Mochte  sich 
nun  der  zum  Präfekten  des  Departement  des  Deux-Nethes  ernannte 
Marquis  d'Herbouville  auch  bemühen,  Antwerpen  aus  seiner  Lethargie 
zu  erwecken,  erst  Napoleon  führte  den  entscheidenden  Umschwung 
herbei. 

Am  18.  Juli  1803  hielt  der  Eroberer  seinen  Einzug.  Mit  ge- 
nialem Scharfblick  erfaßte  er  die  Lage.  „C'est  ä  Anvers,  que  doit 
etre  notre  grand  chantier.  C'est  lä  seulement  que  devient  possible 
en  peu  d'annees  la  restauration  de  la  marine  frangaise",  äußerte  er 
zu  Decres.  Unbekümmert  um  des  Ministers  finanzielle  Einwendungen 
faßte  er  seine  Beschlüsse.  Schlag  auf  Schlag  folgten  einander  die 
Dekrete,  die  Antwerpen  zum  Hauptkriegshafen  seines  Reiches  er- 
heben sollten.  Becken  und  Werften  entstanden  mit  unglaublicher 
Schnelligkeit.  Wirklich  sind  hier  bis  1813  etwa  30  Kriegsschiffe  vom 
Stapel  gelaufen.  Volle  14  Linienschiffe  und  3  Korvetten  lagen  noch 
auf  der  Helling,  als  das  Kaiserreich  zusammenbrach,  und  das  allein 
in  den  Werften  damals  vorhandene  Material  wurde  auf  300  Mill.  frcs. 
geschätzt. 

Auch  die  Antwerpener  Kaufleute,  erst  um  ihre  Handelsinteressen 
bangend,  stellten  später  ihre  Bedenken  gegen  die  Militarisierung 
Antwerpens  zurück  und  stifteten  dem  Kaiser  aus  Dankbarkeit  eine 
Fregatte.  Im  Grunde  aber  hatte  sie  ihr  Instinkt  doch  nicht  be- 
trogen. Zeigte  nämlich  der  Antwerpener  Schiffsverkehr  seit  Er- 
öffnung der  Scheide  einen  ständigen  Aufschwung,  um  1804  und 
1805  mit  2250,  bzw.  2424  eingelaufenen  Schiffen  seinen  vor- 
läufigen Höhepunkt  zu  erreichen,  so  sank  er  seitdem  unaufhaltsam, 
1809  auf  254  Schiffe  herab,  um  nur  vorübergehend  wieder,  1812  mit 
1446  Schiffen,  auf  achtunggebietende  Höhe  emporzuklimmen.  Aller- 
dings zeigte  Ostende  ganz  die  gleiche  Erscheinung.  Denn  die  von 
England  über  das  französische  Kaiserreich  verhängte  Blockade,  die 
von  Napoleon  aus  Berlin  am  21.  November  1806  mit  Erklärung  der 
Kontinentalsperre  beantwortet  wurde,  lähmte  Schiffahrt  und  Handel, 
und  die  auf  Grund  sogenannter  „Lizenzen"  von  einzelnen  Spekulanten 


138  Heinrich  Waentig, 

gemachten   Zufallsgewinne  konnten,   trotz   ihrer  Höhe,   den  soliden 
Kaufmann  ftlr  seine  Verluste  nicht  wohl  entschädigen^). 

Aber  dieselben  Umstände,  welche  den  Aufschwung  des  Handels 
verhinderten,  ließen  die  keimende  Großindustrie  um  so  üppiger 
emporschießen.  Hatten  sich  in  den  Niederlanden  schon  im  Verlaufe 
des  18.  Jahrhunderts  erste  Ansätze  zu  einer  Mechanisierung  des 
gewerblichen  Arbeitsprozesses  gezeigt'^),  Zünfte  und  Innungen  mit 
ihren  ausschließenden  Privilegien,  ihren  traditionellen  Arbeits- 
methoden, wollten  sie  nicht  zur  Entfaltung  kommen  lassen.  Maria 
Theresias  Versuche,  jene  Korporationen  zu  heben,  die  Josefs  IL,  sie 
einzuschränken,  hatten  wohl  ihr  Gefüge  zu  erschüttern,  nicht  ihren 
Einfluß  zu  beseitigen  vermocht.  Wie  mit  einem  eisernen  Besen 
fegte  jetzt  die  französische  Revolution  die  überlebten  Reste  einer 
auf  dem  Boden  mittelalterlicher  Stadtwirtschaft  erwachsenen  Orga- 
nisation hinweg  und  eröffnete  im  Rahmen  einer  nach  außen  hin 
schutzzöllnerisch  abgeschlossenen  Volkswirtschaft  in  deren  Innerem 
freie  Bahn  dem  Tüchtigen,  wobei  Directoire,  Consulat  und  Empire 
in  ihrer  durch  theoretische  Ueberzeugungen  geleiteten  Politik,  von 
immer  steigendem  Haß  gegen  England  beflügelt,  über  alle  schwäch- 
lichen Bedenken  hinweggetragen  wurden.  Alles  Erdenkliche  wurde 
versucht,  um  die  heimische  Industrie  auf  den  höchsten  Grad  ihrer 
Leistungsfähigkeit  emporzuheben,  und  vor  keinem  Mittel  zurück- 
geschreckt, mochten  seine  Nebenwirkungen  auch  noch  so  bedenklich 
erscheinen  ^). 


1)  üeber  die  Entwicklung  Antwerpens  in  der  französischen  Zeit  vgl.  besonders 
Edouard  Deiss,  Anvers  et  la  Belgique  maritime,  Paris  1899,  S.  17  ff.  Die  dort  auf  S.  25 
für  die  Jahre  1805,  1806  und  1807  wiedergegebene  Antwerpener  Einfuhrtabelle 
spiegelt  die  Einwirkung  der  Seesperre  ziemlich  deutlich  wieder.  Sie  ist,  streng  ge- 
nommen, jedoch  nicht  charakteristisch,  weil  der  entscheidende  Rückgang  des  Schiffe- 
verkehrs erst  nach  1807  einsetzte.  Hinsichtlich  der  im  Text  erwähnten  Lizenzen  be- 
merkt Briavoinne:  „Ainsi  fut  appel§  le  droit  que  le  gouvernement  imperial  donna  aux 
armateurs  d'aller  jusque  dans  les  ports  ennemis  s'appro visionner  de  certaines  mati^res 
premiöres  exotiques,  ä  charge  d'exporter  pour  une  somme  6gale  de  produits  nationaux. 
Ostende  prit  une  part  active  ä,  ce  commerce  d'exception;  et  les  armateurs  obtinrent  jus- 
qu'k  60,  80  Cent,  et  1  fr.  de  frßt  par  demi  kilog.  de  sucre,  de  caf6  ou  d'^piceries  qu'ils 
import^rent;  mais  ces  Operations  n'eurent  jamais  rien  de  normal.  Effectu§es  au  milieu 
de  chances,  de  variations  de  toute  espfece,  elles  tenaient  plutöt  ä  l'agiotage  qu'au  v§ri- 
table  commerce."     (De  l'industrie  en  Belgique,  Tome  I,  S.  136). 

2)  Einzelheiten  darüber  bei  M.  N.  Briavoinne,  Sur  les  inventions  et  perfectionne- 
ments  dans  Tindustrie,  depuis  la  fin  du  18*  sifecle  jusqu'ä  nos  jours,  in  den  M^moires 
couronn^s  par  l'Acad^mie  Royale  des  Sciences  et  Belles-Lettres  de  Bruxelles,  Tome  XIII, 
Bruxelles  1838,  S.  23  f.  und  an  vielen  anderen  Stellen.  Danach  reicht  die  Einführung 
der  Dampfmaschine  im  belgischen  Kohlenbergbau  (Pumpwerke)  bis  in  die  erste  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  zurück.  Als  Kraftmaschine  breitet  sie  sich  erst  seit  1803  weiter 
au3.  Anfänge  des  Eisenbahnwesens,  und  zwar  zuerst  in  der  Lütticher  Metallindustrie, 
lassen  sich  seit  1804  beobachten.  1798  erfolgt  die  Einführung  der  Spinnmaschine  für 
Baumwolle  durch  Li§vain  Bauwens,  für  Wolle  durch  William  Coequerill,  1806  für 
Flachs  durch  J.  B.  Kruck,  nachdem  schon  1804  der  mechanische  Webstuhl  in  der 
Baum  Wollweberei  Eingang  gefunden  hatte.  Seit  1808  wird  in  Lüttich  Stahl  fabriziert, 
seit  1809  die  Zinkgewinnung  aus  heimischen  Erzen  (Galmei)  in  Angriff  genommen. 

3)  Genaueres  über  diese  höchst  aktive  Politik  bei  Briavoinne,  De  l'industrie  en 
Belgique,  Tome  I,  S.  107  ff.     Sie   beschränkte  sich   keineswegs   auf  sollpolitische  MaB- 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  ][39 

Eine  Verordnung  der  französischen  Regierungskommissare  vom 
15.  Dezember  1795  übertrug  den  französischen  Generaltarif  vom 
15.  März  1791,  nebst  allen  seitdem  erlassenen  Ergänzungsbestim- 
mungen, auf  das  belgische  Nachbarland.  Er  gestattete  die  völlig 
freie  Einfuhr  von  Nahrungsmitteln  (Getreide  aller  Art  und  Vieh) 
und  industriellen  Rohstoffen  (Holz,  Roheisen  und  Kupfer,  Baum- 
wolle und  Wolle,  Flachs  und  Hanf,  Steine  und  Baumaterialien),  be- 
legte eine  Anzahl  begehrter  Halbfabrikate  mit  mäßigen  Einfuhr- 
zöllen, verbot  dagegen  die  Einfuhr  gewisser  Fabrikate,  besonders 
der  Textil-  und  Metallindustrie,  und  ließ  eine  Reihe  zollpflichtiger 
nur  gegen  den  Nachweis  zu,  daß  sie  Ländern  entstammten,  mit 
denen  Frankreich  nicht  im  Kriege  lag,  indem  das  Gesetz  für  eine 
lange  Liste  von  Artikeln  die  durch  keinerlei  Gegenbeweis  zu  ent- 
kräftende Rechtsvermutung  aufstellte,  daß  sie  englischen  Ursprungs 
und  deshalb  verfemt  seien.  Der  noch  während  der  ersten  Periode 
der  französischen  Herrschaft  blühende  Schmuggelhandel  wurde  mit 
Vernichtung  der  Ware,  die  Schmuggler  selbst  mit  Galeerenstrafen 
bedroht,  so  daß  er,  namentlich  auch  durch  die  gegen  den  Schiffs- 
verkehr mit  England  gerichteten  Maßnahmen,  während  des  Kaiser- 
reiches fast  gänzlich  ausgerottet  wurde  ^). 

Mochten  nun  die  im  Verlaufe  des  beiderseits  mit  wachsender 
Erbitterung  geführten  englisch-französischen  Zweikampfes  von  Na- 
poleon ergriffenen  Maßregeln  gelegentlich  die  Grenzen  der  öko- 
nomischen Zweckmäßigkeit  weit  überschreiten,  für  Belgien,  das  vom 
Kaiser  bei  feierlichen  Gelegenheiten,  so  bei  seinem  berühmten  Rund- 
gange durch  die  Genter  Fabriken,  seinen  Landsleuten  als  wirtschaft- 
liches Musterland  hingestellt  wurde,  waren  die  Zeiten  der  Kon- 
tinentalsperre eine  Periode  höchsten  industriellen  Aufschwunges. 
Das  beweisen  überzeugend  die  seit  1798  in  regelmäßigen  Abständen 
veranstalteten  Industrieausstellungen,  auf  denen  vor  allen  anderen 
belgische  Namen  glänzten. 

Dennoch  waren  die  dort  erzielten  Erfolge  nicht  allein  der  Tüch- 
tigkeit belgischer  Unternehmer  zuzuschreiben.  Während  Frankreich 
mit  aller  Welt,  die  Vereinigten  Staaten  und  Skandinavien  ausge- 
nommen, gleichzeitig  oder  abwechselnd  im  Felde  lag,  erfreuten  sich 
die  Niederlande  von  1795  bis  1813  eines  ununterbrochenen  Friedens. 
Während  England,  ihr  gefährlichster  Gegner,  aus  dem  wirtschaft- 
lichen Wettkampfe   so   gut  wie  ausgeschaltet  war,  bildeten  sie  das 


nahmen.  Auch  das  gewerbliche  Unterriohtswesen  wurde  gefördert,  und  mit  finanziellen 
Unterstützungen  und  allerhand  Auszeichnungen  für  verdiente  Erfinder  und  Industriellen 
nicht  gespart. 

1)  Eine  Zusammenstellung  der  hierfür  in  Betracht  kommenden  Gesetze  bei 
L.  Jottrand,  Des  rapports  politiques  et  commerciaux  de  la  Belgique  et  de  la  France, 
Bruxelles  1841,  S.  21  ff.  „Sont  rfeputfes  anglais",  heißt  es  im  Gesetz  vom  10.  brumaire 
des  Jahres  V,  „n'importe  d'oü  ila  viennent,  les  velours,  cotons,  draps  de  laine,  piqu§s, 
bazins,  nankins;  toute  espfece  de  bonneterie  en  coton,  laine  ou  soie;  toute  quincaillerie 
fine,  coutellerie,  tabletterie,  ouvrages  en  fer,  acier,  §tain,  cuivre,  airain,  fönte,  töle  et 
autres  m^taux;  cuirs,  voitures,  sellerie,  peaux  travaill§es,  verrerie,  Sucres  raffin^s  en 
pain  ou  en  poudre". 


2^40  Heinrich  Waentig, 

eigentliche  Industriezentrum  nicht  Frankreichs,  sondern  des  Belgien 
und  Holland,  Spanien  und  Italien,  sowie  den  größeren  Teil  Deutsch- 
lands mitumfassenden  französischen  Kaiserreiches,  dessen  weiter 
Markt  und  unermeßlicher  Kriegsbedarf  ihren  Produkten  schier  un- 
begrenzte Absatzmöglichkeiten  bot.  Niemals  sollen  in  Belgien  die 
Nahrungsmittel  billiger,  die  Rohstoffe  reichlicher,  die  Löhne  und  Ge- 
winne höher  gewesen  sein.  Kein  Wunder,  daß  seine  Industrie  auch 
später  sehnsüchtig  an  die  goldenen  Tage  der  französischen  Herr- 
schaft zurückdachte. 

Wenn  in  fieberhafter  Emsigkeit  Flandern  heimischen  Flachs, 
Verviers  deutsche  Wolle,  Gent  amerikanische  Baumwolle  verarbeitete, 
Tournai  seine  Teppiche  und  Porzellane,  Stavelot  und  Brügge  ihr 
Leder,  Namur  und  Gembloux  ihre  Kurzwaren  in  Massen  absetzten, 
so  begannen  jetzt,  durch  die  Heeresbedürfnisse  gefördert,  im  Henne- 
gau und  in  Lüttich  auch  Kohlenbergbau  und  Eisenindustrie  schnell 
emporzublühen.  Selbst  Antwerpen  wurde  von  dem  allgemeinen  Strome 
erfaßt.  Zuckerraffinerien  und  Seidenwarenfabriken  suchten  auch 
ihm  seinen  Anteil  zu  sichern.  Nur  Brüssel,  seines  Ranges  als  Ver- 
waltungszentrum entkleidet,  sank  von  seiner  Höhe  herab  und  mußte 
sich  mit  dem  kargen  Ruhme  begnügen,  die  Prunkkarosse  zu  Napoleons 
Krönung  zu  liefern. 

„L'industrie  comme  la  guerre  eut  ses  jours  d'ivresse",  so  schilderte 
Briavoinne  später  die  Glanzzeit  der  französischen  Herrschaft.  „Les 
richesses  promptement  acquises  servirent  de  contrepoids  aux  lauriers 
et  aux  grades  promptement  conquis.  Tout  le  monde  vecut  des 
lors  dans  un  etat  de  fievre  oü  les  fautes  et  les  revers  devinrent 
infaillibles."  Unausbleiblich  in  der  Tat!  Denn  wenn  der  Kaiser  zu- 
nächst Wirtschaftspolitik  um  ihrer  selbst  willen  getrieben  hatte,  so 
ward  sie  ihm  unter  dem  Drucke  der  Verhältnisse,  je  länger  je  mehr, 
zum  bloßen  Mittel  für  militärische  Zwecke.  Mochten  darunter  vor- 
nehmlich Handel  und  Landwirtschaft  i)  zu  leiden  haben,  so  bekam 
allmählich  auch  sein  Schoßkind,  die  Industrie,  die  Wirkung  des 
Systemwechsels  zu  spüren.  Ihre  Hochkonjunktur  begann  abzuflauen. 
Absatzstockungen  führten  zu  Arbeiterentlassungen,  besonders  in  der 
Genter  Textilindustrie.  Im  Herbste  1813  erreichte  diese  Krise  ihren 
Höhepunkt.    Sie  fand  zugleich  mit  der  politischen  ihre  Lösung. 

Napoleons  Sturz  und  die  Zertrümmerung  seines  Reiches  be- 
wirkten die  Befreiung  Belgiens  vom  französischen  Joche.  Sie  ward 
freudig  begrüßt  von  der  Masse  der  belgischen  Bevölkerung,  wie 
diese   früher  die  Angliederung  an   Frankreich   beklagt   hatte.    Der 


1)  Diese  letztere  wegen  des  während  der  ganzen  Zeit  der  französischen  Herrschaft 
bestehenden  Getreideausfuhrverbotes.  Die  trotz  des  stets  wachsenden  Heeresbedarfes  ver- 
bleibenden Ueberschüsse  führten  zur  Entstehung  eines  weitverzweigten  Schmuggel- 
handels, in  den,  wenigstens  während  der  Zeit  des  Directoire  und  Consulat,  allen  ange- 
drohten Strafen  zum  Trotz,  zahlreiche  Zollbeamten  verwickelt  waren.  Vgl.  dazu  L.  de 
Lanzac  de  Laborie,  La  domination  franjaise  en  Belgique,  directoire,  consulat,  empire, 
1795—1814,  deux  vols.,  Paris  1895,   Tome  I,  S.  183,  359,  361;   Tome  II,  S.  41,  43  ff. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  ]^41 

Plan  jedoch,  die  Niederlande  mit  den  angrenzenden  rheinischen  Ge- 
bieten unter  dem  Szepter  des  letzten  österreichischen  General- 
gouverneurs, Erzherzog  Karl,  zu  einem  selbständigen  Staate  zu  ver- 
einigen, dessen  Verwirklichung  zugleich  die  Begründung  einer 
nationalbelgischen  Volkswirtschaft  bedeutet  hätte,  wurde  bald  wieder 
aufgegeben.  Ohne  dabei  im  geringsten  um  seine  Meinung  befragt 
zu  werden,  sah  sich  das  Land  von  England  im  Pariser  Frieden 
vom  30.  Mai  1814  als  Entgelt  für  dessen  zurückbehaltenen  Kolonial- 
besitz an  Holland  verschachert,  Abmachungen,  die  durch  die  später 
den  Wiener  Kongreßakten  eingefügten  acht  Artikel  des  Londoner 
Geheimvertrages  vom  20.  Juni  bestätigt  wurden. 

Welche  politischen  Bedenken  nun  auch  von  Anbeginn  gegen 
diese  Transaktion  bestehen  mochten  ^),  die  in  dem  neuen  Königreiche 
der  Vereinigten  Niederlande  zugleich  ein  Bollwerk  gegen  französische 
Expansionsgelüste  zu  schaffen  suchte,  wirtschaftlich  sollten  die 
belgischen  Provinzen  dabei  auf  ihre  Kosten  kommen.  Denn  es  zeigte 
sich  bald,  daß  die  dem  Norden  als  bloßes  „accroissement  de  terri- 
toire"  zugesprochenen  südlichen  Gebiete  in  der  Volkswirtschaft  des 
Gesamtstaates  die  Führung  zu  übernehmen  bestimmt  waren.  Schien 
es  zunächst  auch,  als  wollte  Holland  unter  englischem  Schutze  die 
während  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  geübte  Politik  der  Ausbeutung 
in  veränderter  Form  wieder  aufnehmen,  die  Kraft  der  Tatsachen 
war  mächtig  genug,  um  der  Vernunft  im  Kampfe  gegen  das  Vor- 
urteil zum  Siege  zu  verhelfen.  Daß  es  so  schnell  gelang,  war  nicht 
zum  mindesten  das  persönliche  Verdienst  König  Wilhelms. 

Was  immer  man  gegen  gewisse  Charaktereigenschaften  dieses 
Fürsten  einwenden  mochte,  dem  am  1.  August  1814  zunächst 
die  Regentschaft,  dann  die  Krone  des  neuen  Königreiches  von 
den  Mächten  übertragen  wurde,  sein  überspanntes  Selbstgefühl, 
seine  schrankenlose  Herrschsucht,  seine  politische  Kurzsichtigkeit, 
Schwächen,  die  ihn,  den  früheren  Soldaten,  dazu  verleiteten,  inmitten 
eines  grunddemokratisch  gesinnten  Volkes  ein  persönliches  Regiment, 
einen  „napoleonischen  Staat  mit  konstitutioneller  Fassade"  aufzu- 
richten, und  ihn  schließlich  die  größere  Hälfte  seines  Reiches  kosteten ; 
das  gelegentlich  seines  Regierungsantrittes  feierlich  abgelegte  Ge- 
löbnis: „Ackerbau,  Handel  und  alle  Arten  von  Gewerbe  zu  fördern", 
hat  er  unverbrüchlich  gehalten.  Ja,  es  ist  kein  Zweifel,  daß  er  in 
seinem  ehrgeizigen  Bestreben,  die  Belgier  zu  einem  Händlervolke 
nach  holländischem  Muster  zu  erziehen,  eher  dazu  neigte,  die  Be- 
deutung der  wirtschaftlichen  Dinge  für  das  Volkswohl  zu  über- 
schätzen.  Wie  denn  ein  englischer  Parlamentarier  später  von  seiner 

1)  Politische,  nicht  wirtschaftliche  Gegensätze  waren  es  denn  auch,  die  schließlich 
1830  zum  Bruche  führten.  Vgl.  dazu:  Hans  Gehrig,  Ueber  Ursachen  der  belgischen 
Revolution  von  1830,  in  der  Monatsschrift  „Der  Beifried",  1.  Jahrg.,  S.  478  ff.  Eine 
zusammenfassende  Darstellung  der  Geschichte  des  Königreichs  der  Vereinigten  Nieder- 
lande gibt,  unter  Berücksichtigung  der  früheren  Literatur,  Frans  van  Kalken  in  seiner 
Histoire  du  royaume  des  Pays-Bas  et  de  la  r^volution  beige  de  1830,  Bruxelles  1910. 
Vgl.  auch  P.  J.  Block,  Geschiedenis  van  het  Nederlandsche  Volk,  VII.  Deel,  Leiden 
1907,  S.  287  ff.,  bes.  384  ff. 


142  Heinrich  Waentig, 

Regierung  sagen  konnte,  daß,  wenn  das  Glück  und  das  Wohlbefinden 
einer  Nation  allein  von  den  eifrigen  Bemühungen  des  Souveräns  um 
die  Handelsangelegenheiten  abhinge,  er  unbestreitbar  der  populärste 
Monarch  von  Europa,  Belgien  aber  ebenso  zufrieden  hätte  sein 
können,  wie  es  blühend  gewesen^). 

Doch  auch  dieses  Ziel  ward  nur  nach  schweren  Kämpfen  er- 
reicht. Die  Industriekrise,  die  in  den  letzten  Jahren  der  franzö- 
sischen Herrschaft  eingesetzt  hatte,  wurde  durch  die  mit  dem  Zer- 
fall des  Kaiserreiches  verbundene  Einengung  des  heimischen  Marktes, 
durch  die  Aufhebung  der  Kontinentalsperre  und  den  Erlaß  eines 
vom  Generalkommissar  der  verbündeten  Mächte  redigierten  durch- 
aus freihändlerischen  Zolltarifes  verlängert  und  noch  erheblich  ver- 
schärft. Unvermittelt  ward  die  belgische  Industrie  dem  überlegenen 
Wettbewerb  englischer  Masseneinfuhr  ausgeliefert,  dem  sie  nicht  im 
entferntesten  gewachsen  war.  Dazu  trat  in  den  Jahren  1816/17  eine 
regelrechte  Hungersnot.  In  Brüssel  wurden  die  Bäckerläden  ge- 
plündert, in  Gent  fremdländische  Waren  verbrannt,  wobei  die  Arbeiter 
sich  untereinander  verpflichteten,  nur  noch  heimische  Stoffe  zu  tragen. 
Schließlich  nahm  die  Krankheit  einen  schleichenden  Verlauf.  Sie  ergriff 
allmählich  die  gesamte  Volkswirtschaft  und  fand  erst  1822  ihr  Ende. 
Schon  1814  waren  Genter  Baumwollspinner  in  Scharen  nach  Frank- 
reich geflüchtet,  um  im  Gehege  der  Schutzzollschranken  Le  Havre, 
Tourcoing  und  Roubaix  zur  Blüte  zu  bringen;  bald  folgten  die 
Bleicher  Westflanderns  ihrem  Beispiele.  Selbst  Kohlenbergbau  und 
Eisenindustrie  stockten.  So  sah  sich  denn  der  König  vor  eine 
gigantische  Aufgabe  gestellt,  die  er  in  großem  Stile  zu  lösen  suchte. 

Waren  Belgien  und  Holland  nicht  wirtschaftlich  aufeinander 
angewiesen  wie  die  natürlichen  Hälften  eines  größeren  Ganzen,  so 
daß  es  nur  der  ordnenden  Hand  des  Staatsmannes  bedurfte,  um  sie 
harmonisch  aufeinander  abzustimmen  ?  Es  darf  dahingestellt  bleiben, 
inwieweit  Erwägungen  dieser  Art  die  Diplomaten  bewegten,  die  sie 
zu  einem  Einheitsstaate  zusammenfügten.  Den  davon  Betroffenen 
waren  sie  geläufig.  „En  effet,  qui  eüt  ete  le  politique  habile  qui 
aurait  pu  croire  ä  la  possibilite  de  trouver  deux  peuples,  dont  l'un 
serait  eminemment  commergant  et  navigateur  et  l'autre  eminemment 
agriculteur  et  manufacturier,  habitant  deux  pays  limitrophes,  de  fagon 
ä  pouvoir  les  reunir  sous  un  meme  sceptre,  et  ouvrir  par  suite  ä 
leur  Industrie  mutuelle  un  debouche  egalement  avantageux,  sans  nuire 
respectivement  ?  La  combinaison  que  la  politique  n'eüt  ose  concevoir, 
le  hazard  et  les  evenements,  amenes  par  la  guerre  de  la  revolution 
frangaise,  Pont  fait  pour  nous." 

Diese  Auffassung  Vanderstraetens,  der  den  König  beschwor,  was 
die  Natur  gewollt,  durch  die  Politik  zu  verwirklichen  2),  ist  später 

1)  Emerson  Teunent,  Notes  d'un  voyageur  anglais  sur  la  Belgiqoe,  tradait  de 
l'anglais  par  P.  M.  Justin,  2  vols.,  Bruxelles  1841,  Tome  I,  S.  192  f.  Vgl.  auch  Victor 
Fris,  De  regeering  van  Koning  Willem  I,  in  Vlaamsch  Belgie  sedert  1830,  Bd.  I, 
Gent  1905,  S.  85  ff.,  bes.  S.  91  ff. 

2)  Vgl.  F.  Vanderstraeten,  De  l'gtat  actuel  du  royaume  des  Pays-Bas  et  des  moyens 
de  Pam§liorer,  Bruxelles  1819  und  1820,  Tome  II,  S.  2  ff . 


Die  Grandfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  143 

auch  von  anderen  noch  häufig  vertreten  worden.  Obschon  sie  die 
psychologischen  Hemmungen  unterschätzte,  die  aus  der  geschicht- 
lichen Entwicklung  beider  Völker  erwuchsen  ^),  für  einen  nüchternen 
Rechner  vom  Schlage  Wilhelms  I.  schien  sie  überzeugende  Kraft  zu 
haben.  Dabei  leitete  ihn  in  erster  Linie  der  Gedanke,  den  in  Ver- 
fall geratenen  Handel,  Hollands  wichtigste  Machtquelle,  dadurch 
neu  zu  beleben,  daß  er  den  alten  Zwischenhandel  nach  englischem 
Vorbild  in  einen  auf  die  Erträge  des  nationalen  Gewerbefleißes  ge- 
stützten Aktivhandel  verwandelte.  So  mußte  sich  denn  sein  wirt- 
schaftliches Interesse  nach  den  südlichen  Provinzen  hinüberneigen, 
und  wie  sehr  er  sie  auch  politisch  zu  vergewaltigen  strebte,  ökono- 
misch hat  er  sie  offensichtlich  begünstigt. 

Der  Zolltarif  vom  30.  Oktober  1816  schuf  eine  neue  Lage'-^).  Kam 
er  dem  im  Süden  immer  stürmischer  geäußerten  Schutzverlangen  von 
Industrie  und  Landwirtschaft  in  weitem  Umfange  entgegen,  so  be- 
friedigte er  doch  keineswegs  alle  ihre  Wünsche,  während  der  frei- 
händlerisch gesinnte  Norden  sich  erst  recht  über  eine  bewußte  Ver- 
nachlässigung seiner  Bedürfnisse  beklagte.  Eine  am  23.  Januar  1820 
eingesetzte  Kommission  von  siebzehn  Mitgliedern  suchte  die  wider- 
streitenden Interessen  einigermaßen  auszugleichen.  Das  grundlegende 
Gesetz  vom  12.  Juli  1821  über  Zölle  und  Akzisen  und  das  daran 
angeschlossene  Zolltarifgesetz  vom  26.  August  1822  waren  das  Er- 
gebnis ihrer  Beratungen.  Mochten  auch  gelegentlich  der  darüber 
stattfindenden  parlamentarischen  Verhandlungen  die  Vertreter  des 
Südens  den  Norden  des  „Brudermordes"  bezichtigen,  im  wesentlichen 
gelang  es,  die  streitenden  Parteien  miteinander  auszusöhnen ;  um  so 
mehr,  als  ein  1823  von  französischer  Seite  unternommener  Vorstoß 
ohne  Beeinträchtigung  Hollands  mit  einer  Erhöhung  gewisser  Zoll- 
positionen (Textilien,  Chemikalien,  Glas,  Porzellan  und  Branntwein) 


1)  Nicht  etwa  nur  in  ihrer  kulturpolitischen  Entwicklung,  hinsichtlich  deren  sich 
die  trennenden  Momente  in  ihrer  vollen  Kraft  erst  am  Ende  der  holländischen  Zeit 
offenbarten,  sondern  namentlich  auch  in  ihrer  ökonomischen.  Wie  man  darüber  bel- 
gischerseits  dachte,  hat  kurz  nach  dem  Bruche  in  klassischer  Weise  Nothomb  formuliert. 
„II  eüt  §t6  contraire  aux  intfer^ts  de  la  r^publique  de  poss§der  Anvers",  bemerkt  er  im 
Hinblick  auf  die  durch  den  Westfälischen  Frieden  geschaffene  Lage.  „Elle  ne  demanda 
pas  cette  ville,  eile  en  exigea  la  ruine:  l'Escaut  fut  ferm§  et  le  commerce  des  Indes 
interdit  aux  Beiges.  Voilä.  donc  la  Hollande  parvenue  ä,  se  cr^er  une  existence  aux 
d§pens  des  provinces  beiges;  assise  sur  le  Rhin,  eile  met  une  main  sur  l'Escaut  et 
l'autre  sur  la  Meuse;  eile  s'^tend,  si  je  puis  m'exprimer  ainsi,  sur  une  partie  de  la 
Belgique  pour  la  tenir  immobile  sous  eile  et  la  paralysa  dans  toutes  ses  fonctions  vitales. 
La  Hollande  avait  conquis  une  partie  de  notre  sol  et  avait  grev6  le  reste  de  servitudes 
de  droit  public ;  la  Belgique  6tait  le  fonds  servant,  la  Hollande  le  fonds  dominant ;  il 
existait  une  esp&ce  de  f§odalit6  de  peuple  h,  peuple".  (Nothomb,  Essai  historique  et 
politique  sur  la  rfevolution  beige,  4.  6dit.,  Bruxelles  1876,  S.  62  ff.)  Daß  diese  Auf- 
fassung bei  vielen  Holländern  auch  während  der  Vereinigung  mit  Belgien  noch  lebendig 
war,  zeigte  sich  öfters.  Am  auffälligsten  in  dem  am  Widerstände  des  Königs  ge- 
scheiterten Versuche,  für  die  von  dem  Meere  nach  Antwerpen  hinauffahrenden  Schiffe 
einen  ScheldezoU  einzuführen ;  ferner  in  einem  unüberwindlichen  Widerstände  gegen  die 
Wiederaufnahme  der  Arbeiten  an  dem  von  Napoleon  geplanten  Rhein-Scheldekanal ;  end- 
lich in  häufiger  Umgehung  der  zugunsten  des  Südens  eingeführten  Schutzzollgesetz- 
gebung usw. 

2)  Genaueres  darüber  bei  Briavoinne,  De  l'industrie  en  Belgique,  Tome  I,  S.  145  ff.- 


244  Heinrich  Waentig, 

zugunsten  Belgiens  beantwortet  werden  konnte.  So  endete  man 
schließlich  mit  einem  gemäßigten  Schutzzollsystem,  das  der  altbe- 
rühmten Landwirtschaft  wie  der  aufstrebenden  Industrie  die  er- 
forderliche Unterstützung  gewährte,  ohne  doch  die  berechtigten 
Interessen  der  Händlerkreise  zu  gefährden. 

Vielleicht  wäre  dieser  Politik  kein  voller  Erfolg  beschieden  ge- 
wesen, wenn  die  getroffenen  Abwehrmaßregeln  nicht  rechtzeitig  durch 
positive  ergänzt  worden  wären.  Des  Königs  Bemühungen  um  die 
systematische  Hebung  der  vernachlässigten  Volksbildung,  die  sich 
gleichzeitig  über  alle  Stufen  und  Arten  des  Unterrichtes  erstreckten 
und  wirtschaftlich  in  der  Errichtung  eines  „Conservatoire  des  arts 
et  metiers"  in  Brüssel  ihre  Krönung  fanden;  die  Trockenlegung  von 
Mooren  und  die  Urbarmachung  von  Haiden  im  Kempenlande  und 
Luxemburg;  die  Bereitstellung  größerer  Geldmittel  aus  den  jährlichen 
Zolleinnahmen  bis  zur  Höhe  von  1,3  Mill.  fl.  zur  Subvention  nicht 
hinreichend  geschützter  Industrien;  die  pekuniäre  Beteiligung  der 
Regierung  an  allerlei  Unternehmungen,  von  denen  man  sich  besondere 
Fortschritte  auf  technischem  Gebiete  erwartete;  die  mit  finanzieller 
Beihilfe  des  Königs  am  28.  August  1822  erfolgte  Gründung  der 
„Societe  generale  pour  favoriser  Pindustrie  nationale"  mit  dem  Sitz 
in  Brüssel,  die,  ein  Bankunternehmen  großen  Stiles  mit  einem  Kapital 
von  50  Mill.  fl.  und  als  erstes  seiner  Art  in  Belgien  mit  dem  Noten- 
privileg ausgerüstet,  durch  Beleihung  von  Mobilien  und  Immobilien 
die  Entwicklung  des  Produktivkiedites  im  Lande  fördern  sollte^), 
verdienen  besonders  erwähnt  zu  werden. 

Wenn  sich  nun  auch  nicht  alle  Hoffnungen  erfüllten,  daß  man 
im  wesentlichen  doch  auf  dem  rechten  Wege  war,  bezeugten  die 
1820,  1825  und  1830  mit  immer  steigendem  Erfolge  in  Gent, 
Harlem  und  Brüssel  veranstalteten  Industrieausstellungen  2).  Gewiß 
waren  dort  auch  manche  der  nördlichen  Städte,  Leiden  und  Harlem, 
Utrecht  und  Deventer,  mit  gutem  Erfolg  vertreten ;  der  Schwerpunkt 
der  industriellen  Entwicklung  aber  lag  offenkundig  in  den  gewerb- 
lichen Zentren  des  Südens.  Gent  und  Lüttich,  Brüssel  und  Ant- 
werpen schlugen  alle  ihre  Konkurrenten.  Darüber  ließ  weder  die 
Zahl  der  ausgestellten  Objekte  noch  die  Verteilung  der  gewährten 
Auszeichnungen  den  geringsten  Zweifel. 

In  der  Zeit  der  französischen  Herrschaft  angebahnt,  setzt  sich 
die  Mechanisierung  des  gewerblichen  Arbeitsprozesses  jetzt  siegreich 
auf  immer  neuen  Gebieten   durch.     Dies   gilt   namentlich  von   der 


1)  Allerdings  gehört  die  Blüte  dieses  Unternehmens  einer  späteren  Periode  an. 
Es  wäre  wohl  schon  bei  seiner  Entstehung  gescheitert,  wenn  nicht  der  König  fast  das 
ganze  Risiko  auf  sich  genommen  hätte.  Nicht  nur  übertrug  er  ihm  Domanialbesitz  im 
Werte  von  20  Mill.  fl.,  sondern  er  sah  sich  auch  gezwungen,  von  den  zur  Ausgabe  ge- 
brachten 32  000  Aktien  zu  500  fl.  25  500  zu  übernehmen,  da  vom  Publikum  nur  6500 
gezeichnet  wurden.     Er  gewährte  ihm  außerdem  eine  persönliche  Zinsgarantie. 

2)  Genaueres  darüber  bei  A.  J.  L.  Baron  van  den  Bogaerde  de  Ter-Brugge.  Essai 
sur  l'importance  du  commerce,  de  la  navigation  et  de  Pindustrie  dans  les  provinces 
formant  le  royaume  des  Pwys-Bas,  depuis  les  temps  les  plus  reculfes  jusqu'en  1830, 
3  vols.,  La  Haye  et  Bruxelles  1845,  Tome  III,  S.  165  ff. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  145 

Ausbreitung  der  Dampfmaschine,  deren  1830  in  ganz  Belgien  schon 
428,  davon  in  der  Provinz  Lüttich  171,  in  der  Provinz  Hennegau 
118,  in  Verwendung  stehen.  Kohlenbergbau  und  Eisengewinnung, 
letztere  unter  Verwendung  des  Kokes,  nehmen  einen  sichtlichen 
Aufschwung.  Die  Talbecken  von  Maas  und  Sambre  beginnen  sich 
zu  beleben,  Charleroi  der  in  seinem  Boden  schlummernden  Kräfte  sich 
bewußt  zu  werden^).  Mittelpunkte  des  Gewerbefleißes  aber  bleiben 
auch  in  dieser  Periode  Gent  und  Lüttich,  wo  die  Textilindustrie 
eine  bis  dahin  unbekannte  Blüte  erreicht  und  ganz  neue  Gewerbe- 
zweige zur  Entfaltung  bringt. 

Hatten  schon  Lievain  Bauwens  und  William  Cocquerill  durch 
Verwendung  der  Spinnmaschine  und  des  mechanischen  Webstuhles 
bei  Verarbeitung  von  Baumwolle  und  Wolle,  später  auch  des  Flachses, 
den  Anlaß  zur  Entstehung  von  Konstruktionswerkstätten  bescheidenen 
Umfanges  gegeben,  so  entwickelten  sich  jetzt,  in  Anlehnung  an  die 
Textilindustrie  und  deren  stets  wachsenden  Bedarf  an  Arbeits-  und 
Kraftmaschinen,  größere  Maschinenfabriken.  So  gründete  in  Gent 
1821  Huytens-Kerremans,  in  Verbindung  mit  dem  Engländer  Bell, 
das  Etablissement  „Phoenix",  das  die  belgische  Baumwollindustrie, 
später  auch  die  der  östlichen  Länder,  mit  Maschinen  versorgte, 
während  sich  die  von  William  Cocquerills  Sohne  John  1819  in 
Seraing  bei  Lüttich  eingerichtete  Konstruktionswerkstätte  mit  Hilfe 
der  Regierung  seit  1825  sogar  zu  einem  kombinierten  Unternehmen 
ganz  modernen  Stiles  auswuchs,  das  Kohlengruben  und  Hochöfen, 
Eisengießereien  und  Maschinenfabriken  in  sich  vereinigte  und  dem 
Lande  seine  ersten  Dampfschiffe  lieferte. 

Man  begreift  es  also,  daß  Wilhelm  I.  schließlich  der  erklärte 
Liebling  der  belgischen  Industriellen  ward;  daß  er  im  Mai  1829, 
gelegentlich  seines  Besuches  in  Gent,  dem  „Manchester  der  Nieder- 
lande", von  der  Presse  als  „der  volkstümlichste  und  beste  der  Könige" 
gefeiert,  von  der  dortigen  industriellen  Gesellschaft  als  „Meister 
und  Schutzherr  der  Genter  Industrie"  durch  Ueberreichung  einer 
Denkmünze  ausgezeichnet  wurde;  daß  die  Städte  Gent  und  Lüttich 
sich  Ende  1830,  allen  politischen  Erwägungen  zum  Trotz,  in  ein- 
drucksvollen Denkschriften  an  den  „Congres  national"  wandten,  um 
sich  gegen  die  leichtsinnige  Lösung  eines  Bundes  zu  verwahren, 
der  sich  für  sie  so  segensreich  erwiesen  hatte  ^).  Wenn  damals  auch 
Antwerpen  nicht  zögerte,  sich  diesen  Protesten  anzuschließen,  so 
fehlte  es  ihm  nicht  an  guten  Gründen. 

Wie  gesagt,  war  des  Königs  Industriepolitik  nur  der  wichtigste 
Teil  eines  größeren  Programmes,  das  in  letzter  Linie  die  Wiederauf- 


1)  In  der  Provinz  Hennegau  ist  die  tägliche  Förderung  an  Kohle  von  23  491  Meter- 
zentnern im  Jahre  1820  auf  49  094  Meterzentner  im  Jahre  1828  gestiegen.  Forderte  die 
Gewinnung  von  1000  Meterzentnern  1820  die  24-stündige  Arbeit  von  92  Arbeitern  und 
19  Pferden,  so  sind  dazu  1828  nur  noch  40  Arbeiter  und  3  Pferde  erforderlich.  Ent- 
scheidend für  den  Fortschritt  ist  die  Verwendung  der  Dampfmaschine. 

2)  Wörtlich  abgedruckt  von  Baron  van  den  Bogaerde  de  Ter- Brügge,  a.  a.  O. 
S.  282  ff. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  M).  10 


]^46  Heinrich  Waentig, 

richtung  der  von  England  vernichteten  holländischen  Handels- 
herrschaft zum  Ziele  hatte.  Zahlreiche  Maßnahmen,  wie  der  plan- 
mäßige Ausbau  des  Netzes  der  Land-  und  Binnenwasserstraßen  (Gent- 
Terneuzen,  Pommeroeul-Antoing  usw.),  die  Beförderung  von  Schiffbau 
und  Fischerei  durch  Gewährung  von  Prämien,  die  Begründung  von 
Schiffahrtschulen  in  Antwerpen  und  Ostende,  die  unterschiedliche 
Behandlung  fremdländischer  Schiffe  durch  Erhebung  von  Zuschlags- 
zöllen und  erhöhten  Tonnengeldern,  ihre  Ausschließung  von  der 
niederländischen  Küstenschiffahrt  und  der  Benutzung  der  Binnenge- 
wässer, die  zollpolitische  Begünstigung  gewisser  Kolonialwaren 
(Kaffee,  Zucker,  Tabak)  gegenüber  anderen  mit  Verbrauchsabgaben 
belegten  usw.,  sie  alle  bezeugen,  wie  sehr  seine  Erreichung  dem 
fürstlichen  Staatsmanne  am  Herzen  lag.  Schon  am  15.  Juli  1818 
wurde  eine  Handels-  und  Schiffahrtsgesellschaft  konzessioniert  mit 
dem  Zwecke,  Schiffe  für  den  ^indischen  Handel  auszurüsten.  Doch 
wurde  sie  später  durch  die  am  29.  März  1824,  als  Seitenstück  zur 
Brüsseler  „Societe  generale",  mit  dem  Sitz  im  Haag  gegründete 
„Nederlandsche  Handelsmaatschappij"  völlig  in  Schatten  gestellt. 

Auch  diese  scheint  eine  ureigenste  Schöpfung  des  Königs  gewesen 
zu  sein,  der  sich  mit  4  Mill.  fl.  an  ihrem  Aktienkapital  (37  Mill.  fl.) 
beteiligte,  auch  die  persönliche  Garantie  für  dessen  4V2-proz.  Ver- 
zinsung übernahm.  Diesmal  aber  war  schon  die  bloße  Gründung 
ein  Erfolg.  Wurde  doch  die  vom  Publikum  geforderte  Summe  um 
das  Doppelte  überzeichnet.  Statutengemäß  war  der  neuen  Gesell- 
schaft die  Aufgabe  gestellt,  Handel,  Schiffahrt  und  Schiffbau,  mittel- 
bar aber  auch  Industrie,  Bergbau  und  Landwirtschaft  dadurch  zu 
fördern,  daß  sie  deren  Absatz  durch  Eröffnung  neuer  Märkte  er- 
weiterte und  sich  an  Unternehmungen  beteiligte,  die  geeignet 
schienen,  den  Verbrauch  ihrer  Erzeugnisse  zu  vermehren.  Im  be- 
sonderen sollte  sie  den  Verkehr  zwischen  dem  Mutterlande  und 
den  Kolonien  entwickeln,  in  dem  sie,  möglichst  unter  Ausschluß 
aller  fremdländischen  Produkte,  diejenigen  der  heimischen  Industrie 
nach  den  überseeischen  Besitzungen  ausführte  und  dafür  deren  Er- 
zeugnisse dem  nationalen  Konsum  zur  Verfügung  stellte.  Dazu 
sollte  sie  sich  nur  niederländischer  Fahrzeuge  mit  niederländischer 
Bemannung  bedienen  und  den  Bau  der  für  den  Fernverkehr  ge- 
eigneten Schiffe  dadurch  begünstigen,  daß  sie  sich  den  Reedern  gegen- 
über verpflichtete,  die  einmal  gecharterten  Fahrzeuge  zu  einem  ent- 
sprechenden Satze  für  mehrere  Reisen  zu  verwenden. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  die  „Nederlandsche  Handels- 
maatschappij" ihre  Aufgabe  glänzend  gelöst  hat,  wennschon  der  Auf- 
schwung des  Handels  mit  Java  im  vollen  Umfange  erst  um  1830 
einsetzte^).  Daß  jedoch  auch  diese  wesentlich  vom  holländischen 
Interesse   diktierte  Politik   schließlich   zu  Belgiens  Heile    ausschlug, 

1)  Er  trat  besonders  ein,  nachdem  es  gelungen  war,  in  Java  der  inneren  Un- 
ruhen Herr  zu  werden  und  in  den  dortigen  Pflanzungen  ein  besseres  Kultursystem  ein- 
zuführen, ein  besonderes  Verdienst  des  niederländischen  Generalgouvemeurs  van  den 
Bosch.     Vgl.  dazu  Baron  van  den  Bogaerde  de  Ter-Brugge,  a.  a.  O.  S.  70  ff. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft. 


147 


bezeugt  die  Handels-  und  Schiffahrtsstatistik  jener  Tage  ^).  Zugleich 
gestattet  sie  einen  Rückschluß  auf  den  inneren  Bau  der  nieder- 
ländischen Volkswirtschaft  und  auf  ihre  Stellung  im  Kreise  der 
übrigen,  wie  sie  sich  gegen  das  Ende  der  holländischen  Periode  als 
gemeinsames  Produkt  von  Natur  und  Menschenwerk  herausgebil- 
det hatte. 

Die  Bevölkerung  des  Königreiches  der  Vereinigten 

Niederlande  um  die  Mitte  der  zwanziger  Jahre 

des  19.  Jahrhunderts. 


Von  100  Ein- 

Steuerliche ^ 

Provinzen^), 
nach  der  Bevölke- 

Größe 
in  ha 

Bevölke- 

Bevölke- 
rung 

wohnern  leben 

Belastung 
pro  Kopf  der 

rungsdichte  geordnet 

rung 

pro  100  ha 

in 

auf  dem 

Bevölkerung 

Städten 

Lande 

in  Gulden 

Ostflandern 

298  370 

658  003 

211 

13,6 

86,4 

8,79 

Westflandern 

317422 

542  009 

171 

16,5 

83,5 

7,83 

Nord-Holland 

229  200 

380  725 

i66 

65,2 

34,8 

21,60 

Süd-Brabant 

307  733 

469  257 

156 

27,2 

72,8 

11,72 

Süd-Holland 

277  830 

413425 

149 

48,1 

51,9 

19,21 

Hennegau 

377  390 

515  180 

137 

11,1 

88,9 

8,47 

Antwerpen 

282  293 

325  147 

115 

33J 

66,3 

IO,89 

Lüttich 

282  593 

315000 

III 

20,5 

79,5 

8,58 

Utrecht 

127617 

III  240 

87 

43,0 

57,0 

15,33 

Seeland 

158036 

122  821 

78 

27,7 

72,3 

14,38 

Friesland 

260732 

189656 

73 

22,5 

77,5 

15,60 

Groningen 

205  059 

146  990 

72 

24,1 

75,9 

11,00 

Limbu  rg 

455316 

307  177 

67 

17,1 

82,9 

6,7  6 

Nord-Brabant 

484  896 

324071 

67 

10,5 

89,5 

7,28 

Namur 

345  610 

180711 

52 

11,9 

88,1 

8,06 

Geldern 

517098 

269  926 

52 

18,6 

81,4 

8,46 

Overijssel 

329961 

153458 

47 

20,5 

79,5 

8,13 

Luxemburg 

626343 

274812 

44 

3,6 

96,4 

4,69 

Drenthe 

223  852 

49715 

22 

13,7 

86,3 

6,96 

Niederlande 

6  107  351 

5  749  323 

94 

23,6 

76,4 

10,68 

Von  ungefähr  gleicher  Größe  (Belgien  3,1  Mill.  ha,  Holland 
2,8  Mill.  ha),  besonders  wenn  man  berücksichtigt,  daß  die  dem 
Süden  zugerechneten  Provinzen  Limburg  und  Luxemburg  nach  er- 
folgter Trennung  erheblich  beschnitten  wurden,  erweist  sich  Belgien 


1)  Nach  Tweede  Verzameling  van  Staten,  uitgegeven  door  de  Commissie  voor  de 
Statistiek,  's  Gravenhage,  1829 ;  Antoine  Warin,  Influenae  du  commerce  sur  la  prosp§rit6 
du  royaume  des  Pays-Bas,  Bruxelles  1827  ;  J.  A.  Drieling,  Bijdragen  tot  een  vergelijkend 
overzigt  van  Nederlands  zeevaart  en  handel,  's  Gravenhage  en  Amsterdam  1829;  Baron 
van   den  Bogaerde  de  Ter-Brugge,  Essai  sur  l'importance  du  commerce  etc.,   Tome  III» 

2)  Die  das  spätere  Königreich  Belgien  bildenden  Provinzen  sind  gesperrt  gedruckt« 
Zu  bemerken  ist,  daß  der  östliche  Teil  der  Provinz  Limburg  später  Holland  überwiesen, 
der  östliche  Teil  der  Provinz  Luxemburg  staatlich  verselbständigt  wurde. 

3)  Die  Ziffern  geben  den  Durchschnitt  der  Jahre  1823/24  und  1825.  Die  zu- 
grunde gelegten  Steuern  sind  Grundsteuer,  Personalsteuer,  Patentabgaben,  ßegister- 
steuem  einschließlich  der  Erbschaftssteuer  und  Akzisen.  Sie  erbrachten  mehr  als  ®/^j 
der  gesamten  öffentlichen  Einnahmen. 

10* 


J^^g  Heinrich  Waentig, 

als  die  bei  weitem  voiksreichere  Hälfte  (3,5  Mill.  gegenüber  2,2  Mili. 
Menschen).  Aber  diese  viel  dichtere  Bevölkerung  ist  im  Gegensatze 
zu  der  des  Nordens  weniger  in  den  Städten  zusammengedrängt,  als 
auf  dem  Lande  verstreut,  was  noch  viel  stärker  hervortreten  würde, 
wenn  nicht  auch  jener  einige  ausgesprochen  ländliche  Gebiete  um- 
schlösse. Ja,  gerade  die  dichtest  bevölkerten  Gebiete  der  südlichen 
Niederlande,  Ost-  und  Westflandern,  die  Sitze  des  alteingessenen 
Leinengewerbes  und  der  aufstrebenden  Baumwollindustrie,  mehr 
noch  der  Hennegau  und  selbst  Lüttich,  die  neu  entstandenen  in- 
dustriellen Entwicklungszentren,  sind  durchaus  ländlichen  Charakters 
(86,4  und  83,5  bzw.  88,9  und  79,5  Proz.  ländlicher  Bevölkerung). 
Nur  Antwerpen  und  Süd-Brabant  bleiben  unter  dem  Durchschnitt 
(66,3  und  72,8  Proz.  ländlicher  Bevölkerung).  Wogegen  die  dichtest 
bevölkerten  Provinzen  des  Nordens,  Nord-Holland,  Süd-Holland  und 
Utrecht,  auch  den  höchsten  Prozentsatz  städtischer  Bevölkerung  (65,2, 
48,1  und  43,0  Proz.)  aufweisen. 

Dafür  ist  Holland,  soweit  man  hierauf  aus  der  steuerlichen 
Leistungsfähigkeit  der  Bevölkerung  schließen  darf,  die  bei  weitem 
reichere  Hälfte  des  Königreiches.  Nord-Holland,  Süd-Holland  und 
Utrecht,  die  dichtest  bevölkerten  Provinzen  mehr  städtischen  Cha- 
rakters, denen  sich  östlich  und  westlich,  am  Meere  vorgelagert, 
Friesland  und  Seeland,  mehr  ländlicher  Natur,  anschließen,  über- 
ragen mit  21,60,  19,21,  15,33,  15,60  und  14,38  fl.  pro  Kopf  der 
Bevölkerung  den  Landesdurchschnitt  (10,68  fl.)  nicht  unerheblich. 
Unter  den  belgischen  Provinzen  gilt  dies  eben  noch  von  Süd-Brabant 
und  Antwerpen  (11,72  und  10,89  fl.).  Ostflandern,  auch  Lüttich  und 
Hennegau,  die  ausgesprochen  ländlichen  neueren  Industriegebiete, 
bleiben  darunter.  Ein  Beweis  dafür,  daß  der  wirtschaftliche  Schwer- 
punkt des  Landes  an  den  um  die  Mündungen  von  Rhein,  Maas  und 
Scheide  gruppierten  nördlichen  Bezirken  zu  suchen  ist,  der  erst 
jüngst  in  die  industrielle  Entwicklung  eingetretene  äußerste  Süden 
des  Königreiches  aber  als  Reichstumsquelle  noch  eine  vergleichs- 
weise unbedeutende  Rolle  spielt. 

Hierüber  läßt  auch  die  Gestaltung  des  Außenhandels  keinen 
Zweifel,  dessen  allgemeine  Tendenz  aus  der  nachstehenden  Tabelle 
zu  ersehen  ist. 

Niederländischer  Spezialhandel  in  Gulden,  ausschließ- 
lich der  Edelmetalle. 


Im  Jahre 

Einfuhr 

Ausfuhr 

1824 
1825 
1826 
1827 

129787950 
122675932 
145638352 

153638132 

84612025 

97  549  507 
92  669  720 

95  856  793 

Danach  wäre  der  niederländische  Spezialhandel,  Einfuhr  und 
Ausfuhr  zusammengenommen,  in  der  Zeit  von  1824  bis  1827  um  ein 
volles  Sechstel  gewachsen.    Er  zeigt  einen  durchschnittlichen  Ein- 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  149 

fuhrüberschuß  von  45263080  fl.,  dem  für  die  gleiche  Zeit  ein 
durchschnittlicher  Einfuhrüberschuß  an  Edelmetallen  in  Höhe  von 
119  771  fl.  gegenübersteht.  Ein  Vergleich  des  niederländischen  mit  dem 
gleichzeitigen  englischen  Spezialhandel  ergibt  das  Verhältnis  von 
21,05 :  100,  mit  dem  französischen  von  32,02 :  100.  Da  sich  nun 
gleichzeitig  die  Bevölkerung  der  Niederlande  zur  englischen  wie 
27,02 :  100,  zur  französischen  wie  18,07  :  100  verhielt,  so  bliebe  der 
niederländische  Handel  an  Intensität  hinter  dem  englischen  zwar 
etwas  zurück,  was  nach  Drielings  Ansicht  teilweise  auf  gewisse  Un- 
genauigkeiten  der  englischen  Statistik  zurückzuführen  ist,  überragte 
den  französischen  aber  um  ein  bedeutendes. 

Die  Handelsbilanz  ist  eine  passive.  Der  Einfuhrüberschuß  be- 
läuft sich  1827  auf  57,8  Mill.  fl.  oder  37,6  Proz.,  eine  ungeheure 
Summe.     Wie  er  entsteht,  ergibt  sich  aus  nachfolgender  Tabelle: 

Niederländischer  Spezialhandel  1827  in  Gulden. 

Einfuhr  Ausfuhr 

I.  Land\^irtschaf tliche  Erzeugnisse 


1)  Vieh  und  Viehzuchterzeugnisse 

2)  Molkereierzeugnisse 

3)  Getreide 

4)  Sämereien  und  Erdfrüchte 

5)  Holz  und  Baumfrüchte 

6)  Andere,  einschließlich  Hanf  und  Flachs 

7  591  486 
"7  477 
10479  298 
4701  850 
6  102  544 
7289471 

9031757 
14306156 

3079310 
2  808  189 

2  743  920 
12683823 

Summe 

3b  282  I2b 

44653  »55 

II.  Fischereierträge 

I  670  047 

I  427  547 

[II.  unbearbeitete  Metalle  und  Mineralien 

5515811 

5616575 

I V.  Gewerbliche  Erzeugnisse 

1)  Sogenannte  Manufakturen  (Textilerzeugnisse)  22  329  164  16  235  837 

2)  Andere  Industrieerzeugnisse  8911258  15934402 

Summe  31240422  32170239 

V.  Sogenannte   Kaufwaren   (insbesondere  Kolonialwaren)  78929726  11989277 

Gesamtsumme  153  638 132  95  856  7^ 

Edelmetalle  1455  5*5  418202 

Schon  ein  flüchtiger  Blick  auf  die  vorstehende  Tabelle  beweist, 
daß  der  passive  Charakter  der  niederländischen  Handelsbilanz  im 
wesentlichen  auf  eine  einzige  Warengruppe  zurückzuführen  ist, 
welche  die  volle  Hälfte  der  Einfuhr,  doch  nur  ein  Achtel  der  Aus- 
fuhr auf  sich  vereinigt,  die  sogenannten  „Kauf waren".  Es  handelt 
sich  dabei  vorwiegend  um  Kolonialprodukte,  unter  denen  Kaffee 
(23,8  Mill.  fl.)  und  Zucker  (16,6  Mill.  fl.),  daneben  Tabak,  Tee,  Indigo, 
Reis,  Kakao  und  Gewürze,  endlich  auch  Wein,  mit  Millionen- 
beträgen vertreten  sind.  Da  sie  jedoch  offenbar  zum  allergrößten 
Teile  den  niederländischen  Kolonien  entstammen  und  die  in  Waren- 
form bezahlten  Zinsen  der  in  Plantagen  und  im  überseeischen  Handel 
angelegten  Kapitalien  darstellen,  so  dürfen  daraus  ungünstige  Schlüsse 


150  Heinrich  Waentig, 

auf  die  allgemeine  Handelslage  nicht  gezogen  werden.  Wie  denn  auch 
die  Zahlungsbilanz  nicht  nur  im  Jahre  1827,  sondern  auch  im  Durch- 
schnitt der  Jahre  1824—1827,  eine  positive  gewesen  zu  sein  scheint 
(Edelmetallmehreinfuhr  von  1,0  bez.  0,1  Mill.  fl.). 

Diese  Warengruppe  abgerechnet,  ist  die  niederländische  Han- 
delsbilanz mit  9,2  Mill.  fl.  Ausfuhrüberschuß  eine  ausgesprochen 
aktive.  Sie  verdankt  dies  in  erster  Linie  wiederum  einem  einzigen 
Posten,  der  etwa  die  Hälfte  des  Restes  der  gesamten  Ein-  und 
Ausfuhr  (36,3  bzw.  44,7  Mill.  fl.)  in  sich  umfaßt,  den  landwirt- 
schaftlichen Erzeugnissen.  Bestimmend  sind  unter  ihnen  die  Molkerei- 
produkte, die  bei  verschwindender  Einfuhr  einen  sehr  erheblichen 
Ausfuhrüberschuß  (14,2  Mill.  fl.)  aufweisen,  während  die  sehr  be- 
deutende Mehrausfuhr  von  lebendem  Vieh  durch  eine  Mehreinfuhr 
von  Wolle  und  Häuten  für  industrielle  Zwecke  einigermaßen  aus- 
geglichen wird.  Der  beträchtliche  Getreideeinfuhrüberschuß  des 
Jahres  1827  ist  eine  durch  die  außergewöhnliche  Marktlage  bedingte 
vorübergehende  Erscheinung.  Er  betrug  im  Jahre  zuvor,  bei  etwas 
größerer  Ausfuhr  (4,8  Mill.  fl.),  nur  0,2  Mill.  fl.,  daher  man  sagen 
kann,  daß  in  normalen  Jahren  die  Niederlande  hinsichtlich' ihres  Ge- 
treidebedarfs vom  Auslande  unabhängig  sind.  Bemerkenswert  ist 
die  Mehreinfuhr  von  Sämereien  (Raps-  und  Leinsaat)  und  Erd- 
früchten, sowie  von  Holz  (Bauholz)  und  Baumfrüchten,  während  die 
bedeutende  Mehrausfuhr  der  sechsten  Untergruppe  in  erster  Linie 
auf  den  steigenden  Export  des  Flachses  (8,1  Mill.  fl.)  zurückzu- 
führen ist,  dem  nur  eine  verschwindende  Einfuhr,  jedoch  eine 
nicht  unerhebliche  Mehreinfuhr  von  Hanf  (1,2  Mill.  fl.)  gegenüber- 
steht. Beweis  genug,  daß  das  niederländische  Leinengewerbe  die 
heimischen  Rohstoffe  bei  weitem  nicht  völlig  zu  verarbeiten  ver- 
mag. 

Bei  den  Fischereierträgen  halten  sich  Ein-  und  Ausfuhr  etwa 
die  Wage.  Gleiches  gilt  von  der  Gruppe  der  unbearbeiteten  Metalle 
und  Mineralien.  Hervorzuheben  ist,  daß  die  Niederlande  ihren 
Kohlenbedarf  ganz  aus  eigenen  Mitteln  decken,  ja  sogar  einen 
erheblichen  Betrag  (3,8  Mill.  fl.)  ausführen  können.  Dagegen  haben 
Eisen  und  Stahl,  Kupfer  und  Blei  eine  Mehreinfuhr,  nur  das  Zink 
eine  Mehrausfuhr  aufzuweisen.  Es  handelt  sich  dabei  aber  um  ver- 
hältnismäßig geringe  Beträge. 

Höchst  bemerkenswert  ist  die  Bilanz  der  gewerblichen  Erzeug- 
nisse. Reicht  deren  Bewegung  zahlenmäßig  auch  nicht  an  die  der 
landwirtschaftlichen  heran,  so  spiegelt  sich  in  ihr  immerhin  die 
handelspolitische  Bedeutung  der  niederländischen  Industrie  über- 
zeugend wieder.  Auffallend  ist  der  Einfuhrüberschuß  in  Textilien. 
Er  ist  namentlich  in  einer  bedeutenden  Mehreinfuhr  von  Manufak- 
turen in  Wolle  und  Halbwolle  (7,3  Mill.  fl.)  sowie  Baumwolle 
(3,9  Mill.  fl.)  begründet,  hinter  der  die  Mehrausfuhr  von  Manufak- 
turen in  Flachs  und  Hanf  (3,8  Mill.  fl.),  sowie  von  Tuchen  und 
Kaschmir  (3,8  Mill.  fl.)  zurücksteht.    Dafür  zeigt  die  zweite  Unter- 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  ][51 

gruppe  der  Industrieerzeugnisse  eine  bedeutende  Mehrausfuhr,  groß 
genug,  um  die  Unterbilanz  der  Textilien  mehr  als  auszugleichen. 
Zuckerraffinerien,  Tabakfabriken,  Gerbereien,  Branntweinbrennereien, 
Oelpressen,  Papiermühlen,  chemische  Fabriken  und  die  verschiedenen 
Zweige  der  Kleineisen-Industrie  wirken  in  dieser  Richtung  zu- 
sammen. Ihre  Ausfuhr  ist  so  erheblich,  daß  sie  die  Mehreinfuhr 
anderer  Industrieerzeugnisse,  wie  Porzellan  und  Fayence,  Bücher 
und  Drucke,  Uhren  und  Instrumente,  Glas  und  Lederarbeiten,  Gold-, 
Silber-  und  Kupferwaren,  Kleider  und  Modeartikel,  wettmacht. 

Auch  der  Durchfuhrhandel  hat  sich  kräftig  entwickelt,  obwohl  es 
nicht  möglich  ist,  seinen  Gesamtbetrag  festzustellen,  da  die  Statistik 
die  einzelnen  Posten  teils  nach  dem  Geldwerte,  teils  nach  Maß-, 
Mengen-  und  Gewichtseinheiten  verzeichnet.  Abermals  stehen  die 
„Kauf waren",  und  zwar  Salpeter,  Pott-  und  Perlasche,  Rohbaumwolle 
und  Federn,  Kaffee  und  Zucker,  Wein  und  Olivenöl,  an  erster  Stelle. 
Unter  den  landwirtschaftlichen  Erzeugnissen  sind  Häute  und  unge- 
mahlene Lohe,  unter  den  unbearbeiteten  Metallen  und  Mineralien  un- 
gemahlener Tuffstein  und  Rohschwefel,  Kupfer  und  Zinn,  Schmiede- 
und  Stabeisen  hervorzuheben.  Von  den  Textilien  kommen  namentlich 
Baumwoll-  und  Leinengarne  in  Frage;  von  den  übrigen  Industrie- 
erzeugnissen allerhand  Metallwaren,  Zucker  und  Schwefel  in  raffi- 
niertem Zustande,  Modeartikel  und  ähnliches. 

Ueber  die  zwischen  den  Niederlanden  und  den  übrigen  Staaten 
im  einzelnen  damals  bestehenden  Handelsbeziehungen  gibt  die  Handels- 
statistik jener  Zeit  keine  Auskunft.  Gewisse  Andeutungen  hierüber 
liefert  die  Schiffahrtstatistik.  Sie  zeigt  zunächst,  wie  dies  aus  der 
nachstehenden  Tabelle  zu  ersehen  ist,  daß  der  internationale  Verkehr 
des  Königreiches  in  dem  ersten  Jahrzehnt  seines  Bestehens  eine 
sinkende  Tendenz  aufwies,  sich  jedoch  von  1824  ab  schnell  wieder 
zu  heben  begann.  Es  betrug  nämlich  die  Zahl  der  Schiffe,  die  in 
die  niederländische  Häfen 


1  Jahre 

einliefen 

ausliefen 

1818 

7739 

7886 

1819 

7032 

6469 

1820 

6830 

6459 

1821 

5636 

6287 

1822 

6169 

6027 

1823 

unbekannt 

unbekannt 

1824 

5566 

5716 

1825 

6143 

6015 

1826 

6467 

6484 

1827 

6741 

6793 

1828 

7484 

7599 

Ein  noch  genaueres  Bild  der  während  der  Periode  des  Wieder- 
aufstieges eingetretenen  Entwicklung  enthüllt  die  folgende  Uebersicht. 
Auch  in  ihr  kommt  der  passive  Charakter  der  niederländischen 
Handelsbilanz  zum  Ausdruck,  insofern  die  Zahl  und  mehr  noch 
der  Tonnengehalt  der    in   Ballast  ausgelaufenen   Schiffe   Zahl   und 


152 


Heinrich  Waentig, 


Tonnengehalt  der  in  Ballast  eingelaufenen  um  ein  Mehrfaches  über- 
trifft. 

Eingelaufen : 


Im 

Geladene 
Schiffe: 

Eigene : 

Fremde: 

Schiffe  in 
Ballast: 

Gesamtsumme: 

Jahre 

An- 
zahl 

t 

An- 
zahl 

t 

An- 
zahl 

t 

An- 
zahl 

t 

An- 
zahl 

t 

1824 
1825 
1826 
1827 
1828 

4661 
4763 
5449 
5813 
6453 

456  493 
454  874 
559  337 
634012 

723  439 

2262 

2397 
2657 
2648 
2840 

214588 
221  219 
251284 

255  142 
284061 

2399 
2366 
2792 
3165 
3613 

241  905 

233655 
308053 
378870 
439378 

905 
1380 
1018 

928 
103 1 

71244 

"5143 
78710 
62905 
68613 

5566 

6143 
6467 

6741 
7484 

527  737 
570017 
638  047 

696917 
792052 

Ausgelaufen 


Im 

Geladene 
Schiffe: 

Eigene : 

Fremde: 

Schiffe  in 
Ballast: 

Gesamtsumme: 

Jahre 

An- 
zahl 

t 

An- 
zahl 

t 

An- 
zahl 

t 

An- 
zahl 

t 

An- 
zahl 

t 

1824 
1825 
1826 
1827 
1828 

4551 
4428 

3997 
4444 
4628 

502  032 

489  475 
442  021 

459  589 
480  802 

2330 
2108 
1765 
1726 
1807 

255  522 
241  333 
193  414 
171  945 
186  104 

2221 
2320 
2232 
2718 
2821 

246510 
248  142 
248  607 
287  644 
294  698 

1165 
1617 
2487 
2349 
2971 

48061 

70  109 

197  960 

239  942 

315  108 

5716 
6045 
6484 
6793 
7599 

550093 
559  584 
639981 
699531 
795910 

Da  im  Durchschnitt  der  Jahre  1824 — 1827  Gesamtzahl  und 
-tonnengehalt  der  in  niederländischen  und  englischen  Häfen  ein-  und 
ausgelaufenen  Schiffe  sich  wie  25,1,  bzw.  19,1 :  100  verhielten,  so 
würde  der  englische  den  niederländischen  Schiffsverkehr  um  das 
Vier-  bzw.  Fünffache  übertreffen.  Eine  Ueberlegenheit,  die  auch  in  dem 
Anteil,  den  1827  eigene  und  fremde  Schiffe  nach  Zahl  und  Tonnen- 
gehalt am  Verkehre  hatten  (Niederlande  43,6:56,4  bzw.  42,7:57,3, 
England  67,6  :  32,4  bzw.  72,4  :  27,6),  und  in  dem  Durchschnittstonnen- 
gehalt der  verkehrenden  Schiffe  (Niederlande  102,06  t,  England 
128,06  t)  hervortritt.  Immerhin  scheinen  die  Niederlande  unter  den 
schiffahrttreibenden  Nationen  an  zweiter  Stelle  zu  stehen.  Zwar  ver- 
hält sich  Gesamtahl  und  -tonnengehalt  der  in  niederländischen  und 
französischen  Häfen  ein-  und  ausgelaufenen  Schiffe  im  Durchschnitt 
der  Jahre  1825/26  wie  78,6  bzw.  91,1:100,  doch  ist  in  Frankreich 
das  Verhältnis  der  eigenen  und  fremden  Schiffe  nach  Zahl  und 
Tonnengehalt  ungünstiger  als  in  den  Niederlanden  (37,09 :  62,01  bzw. 
35,0 :  65,0) ,  auch  der  Durchschnittstonnengehalt  der  verkehrenden 
Schiffe  erheblich  geringer  (83,07).  Endlich  ist  zu  bedenken,  daß 
die  niederländische  Schiffahrt  gerade  seit  1825  große  Fortschritte 
machte,  so  daß  sie  Ende  der  zwanziger  Jahre  auch  nach  Zahl  und 
Tonnengehalt  die  französische  übertroffen  haben  dürfte. 

Einen  gewissen  Einblick  in  die  Richtung  des  niederländischen 
Schiffsverkehrs  und  damit  zugleich  der  überseeischen  Handelsbe- 
ziehungen gewährt  die  nachfolgende  Tabelle: 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft. 


153 


In  niederländische  Häfen  1828   ein-  und  ausgelaufene 

Schiffe. 


Eingelaufen 

Ausgelaufen 

Von,  bzw.  nach: 

Beladen 

in  Ballast 

Beladen 

in  Ballast 

Schiffe 

t 

Schiffe 

t 

Schiffe 

t 

Schiffe 

t 

England 

1225 

119  252 

871 

61658 

2288 

205  467 

138 

18473 

Hannover,       Mecklenburg, 

Hamburg,  Bremen,  Lübeck 

1068 

54496 

85 

2753 

699 

36919 

512 

18  912 

Dänemark 

487 

25663 

143 

8046 

93 

6353 

Schweden  und  Norwegen 

984 

140 193 

6 

241 

477 

76737 

420 

58802 

Deutsche  Ostseehäfen  ohne 

Lübeck 

903 

91486 

— 

— 

166 

17531 

353 

48097 

Kußland 

697 

101631 

'  — 

— 

141 

20029 

92 

13907 

Frankreich 

419 

43828 

52 

2992 

252 

20761 

112 

14  226 

Spanien 

54 

5887 

2 

n 

51 

4501 

3 

854 

Portugal 

65 

6062 

9 

320 

68 

6  096 

32 

6437 

Mittelmeerhäfen 

67 

10095 

— 

22 

2605 

8 

I  503 

Ostindien,  Kap  und  China 

96 

35649 

— 

— 

74 

26620 

I 

389 

Niederländisch- Westindien 

n 

20256 

— 

— 

80 

20306 

2 

508 

Britisch- Westindien  (soweit 

früher  holländisch) 

14 

4063 

— 

— 

14 

4138 

— 

— 

Mittel-  und  Südamerika 

132 

25485 

— 

— 

59 

II  554 

7 

1699 

Vereinigte     Staaten     von 

Nordamerika 

162 

38933 

2 

139 

73 

16665 

20 

5  744 

Auffallend  ist  auch  hier  wiederum  die  Ueberzahl  der  in  Ballast 
ausgelaufenen  Schiffe,  auf  die  schon  früher  hingewiesen  wurde.  Sie 
würde  noch  größer  sein,  wenn  die  in  Ballast  „auf  Aventur",  d.  h. 
mit  unbestimmtem  Reiseziel,  ausgelaufenen,  deren  Zahl  1828  1145 
zu  111 308  t,  also  ein  reichliches  Drittel  der  Gesamtzahl,  ausmachte, 
in  diese  Tabelle  hätten  aufgenommen  werden  können.  Dadurch 
würde  auch  die  bei  einzelnen  Ländern  zu  beobachtende  Differenz 
zwischen  der  Gesamtzahl  der  ein-  und  der  ausgelaufenen  Schiffe  nahe- 
zu ausgeglichen  sein. 

Im  einzelnen  steht  für  den  niederländischen  Schiffsverkehr 
England  an  erster  Stelle.  Das  Uebergewicht  namentlich  der  beladen 
ausgelaufenen  Schiffe  deutet  auf  eine  günstige  Handelsbilanz  gegen- 
über diesem  Lande  hin.  Es  erklärt  sich  namentlich  aus  der  schon 
erwähnten  gewaltigen  Ausfuhr  von  Molkereiprodukten.  Ihm  zu- 
nächst folgen  die  skandinavischen  Länder,  dann  Hannover,  Mecklen- 
burg und  die  Hansestädte.  Bei  beiden  Gruppen  überragt  die  Zahl 
der  beladen  eingelaufenen  Schiffe  die  der  beladen  ausgelaufenen  um 
ein  Bedeutendes.  Die  Handelsbilanz  scheint  passiv  zu  sein;  jeden- 
falls beanspruchen  die  von  dort  eingeführten  Waren  einen  verhält- 
nismäßig größeren  Schiffsraum.  Dies  tritt  noch  stärker  im  Ver- 
kehr mit  den  deutschen  Ostseehäfen  und  Rußland  hervor,  wie  denn 
die  Ostsee  auch  das  Hauptgebiet  für  die  Fahrten  „auf  Aventur"  ist. 
Allerdings  ist  zu  bemerken,  daß  die  für  den  Ostseeverkehr  des 
Jahres  1828  ausgewiesene  Eingangsziffer  wegen  der  durch  die  augen- 
blickliche  Marktlage   bedingten   hohen  Getreideeinfuhr  die  normale 


154  Heinrich  Waentig, 

etwa  um  die  Hälfte  übersteigt.  Viel  geringer  ist  der  Seeverkehr 
mit  Frankreich;  wohl,  weil  sich  der  Güteraustausch  größeren  Teiles 
zu  Lande  vollzieht.  Erstaunlich  ist  der  Rückgang  der  spanischen 
Fahrt,  die  in  früheren  Zeiten  eine  so  große  Rolle  spielte.  In  Por- 
tugal und  den  Mittelmeerhäfen  bereitet  die  englische  Konkurrenz 
unüberwindliche  Hindernisse.  Um  so  günstiger  hat  sich  unter  dem 
Einfluß  der  „Nederlandschen  Handelsmaatschappij"  der  Verkehr  mit 
Ostindien  und  dem  fernen  Osten,  Westindien,  Mittel-  und  Süd- 
amerika gestaltet.  Er  ist  im  schnellen  Fortschreiten  begriffen. 
Eher  das  Gegenteil  gilt  von  den  Beziehungen  zu  den  Vereinigten 
Staaten  von  Nordamerika.  Der  Handel  mit  ihnen  zeigt  sinkende 
Tendenz  und  wird  überdies  fast  ausschließlich  von  fremdländischen 
Schiffen  besorgt. 

Begreiflich,  daß  Schiffbau  und  Reederei  in  den  Niederlanden 
dem  plötzlichen  Aufschwung  des  überseeischen  Handels  kaum  zu 
folgen  vermögen.  Immerhin  hat  sich  in  der  Zeit  vom  31.  Dezember 
1826  bis  zum  31.  Dezember  1829  die  Zahl  der  im  Dienst  befind- 
lichen Kauffahrer  von  1176  mit  74117  t  auf  1346  mit  89210  t 
erhöht.  Dabei  sind  1827  und  1828  im  ganzen  168  neue  Fahrzeuge 
mit  13957  t  allein  vom  heimischen  Schiffbau  dem  Handel  zur  Ver- 
fügung gestellt  worden. 

Als  Mittelpunkte  des  überseeischen  Verkehres  erscheinen  die 
Hafenstädte  Amsterdam  und  Rotterdam,  Antwerpen  und  Ostende. 
Noch  immer  hat,  wie  sich  aus  der  folgenden  Uebersicht  ergibt, 
Amsterdam  die  Führung: 

Im  Jahre  1829  ausgelaufene  Schiffe. 


Beladen 

In  Ballast 

Zahl 

t 

Zahl 

t 

Amsterdam 

I220 

143  365 

699 

80937 

Rotterdam 

io6o 

107  403 

225 

30470 

Antwerpen 

519 

70452 . 

354 

78837 

Ostende 

405 

35481 

59 

4407 

Doch  ist  sein  Stern  im  Sinken.  Neben  ihm,  es  mehr  und  mehr  ver- 
drängend, steigt  Rotterdam  empor;  und  hinter  diesem,  in  weiterem  Ab- 
stand, aber  mit  „verblüffender  Schnelligkeit",  Antwerpen  ^),  während 


1)  Der  Artikel  14  des  Pariser  Friedens  vom  30.  Mai  1814  erklärte  \Antwerpen 
zum  Handelshafen.  Alle  Befestigungen  wurden  geschleift,  was  irgendwie  militärischen 
Zwecken  dienen  mochte,  vernichtet,  Kriegsschiffe  und  Kriegsmaterial  unter  den  Ver- 
bündeten und  Frankreich  geteilt.  Das  Prinzip  der  Freiheit  der  Scheide  blieb  faktisch 
unangetastet,  wurde  aber  vorläufig  von  Holland  grundsätzlich  nicht  anerkannt.  Die 
Aufhebung  der  Kontinentalsperre  ließ  die  Zahl  der  in  Antwerpen  einlaufenden  Schiffe 
zunächst  mächtig  anschwellen.  Sie  soll  1815  etwa  3000,  1816  sogar  3694  betragen 
haben,  schrumpfte  dann  aber  auf  999  im  Jahre  1817,  1818  sogar  auf  585  zusammen. 
Erst  Mitte  der  zwanziger  Jahre  setzte  eine  neue  Aufwärtsbewegung  ein.  Die  Zahl  der 
in  Antwerpen  eingelaufenen  Schiffe  ward  1826—1829  auf  858,  761,  911  und  929  be- 
ziffert, abzüglich  der  von  Holland  durch  die  Binnengewässer  eintreffenden,  während  es 
zweifelhaft  ist,  ob  Gleiches  von  den  Ziffern  der  Jahre  1817  und  1818  gesagt  werden 
kann.  In  diese  Epoche  fällt  auch  der  Beginn  der  Dampfschiffahrt  auf  der  Scheide. 
Der  erste  regelmäßige  Dienst  wurde  zwischen  Antwerpen  und  Botterdam  eingerichtet. 


Die  Gruudfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft. 


155 


Ostende  sich  zu  einem  vorwiegend  dem  Nahverkehr  (England)  dienen- 
den Hafenplatz  entwickelt  hat. 

Dabei  hat  sich  zwischen  den  drei  großen  Welthäfen  auch  be- 
reits eine  Art  Arbeitsteilung  herausgebildet.  Während  die  Einfuhr 
von  Amsterdam  ihr  Gepräge  durch  Getreide,  Garne  und  Gewebe, 
Kupfer  und  Blei,  Teer  und  Tran,  Sämereien  und  Tee  empfängt, 
Rotterdam  sich  durch  Steinkohlen,  Eisen  und  Eisenwaren,  Zinn  und 
Messing,  Kreide  und  Keramik,  gedruckte  Baumwollstoffe,  Rosinen, 
Gewürze  und  Tabak  auszeichnet,  stehen  in  Antwerpen  Häute  und 
Baumwolle,  Pott-  und  Perlasche,  Seife  und  Rohsalz,  Färb-  und 
Süßholz,  Kaffee,  Kakao,  Zucker,  Reis  und  Pfeffer,  Wein  und 
Olivenöl  an  erster  Stelle.  Wie  sehr  es  der  Scheidestadt  gelungen 
ist,  in  kürzester  Frist  den  Umsatz  in  einigen  der  wichtigsten  Kolonial- 
waren an  sich  zu  reißen,  beleuchtet  die  nachstehende  Tabelle.  Tee 
und  Tabak  ausgenommen,  beherrscht  sie  den  Markt. 


W  a  r  e  n  e  i  n 

fuh 

r  in  Amsterdam,  R 
werpen  im  J  ahre 

otterdam 
L830. 

und  Ant- 

Kaffee 

Zucker 

1 
Tabak           Reis 

Baum- 
wolle 

Tee 

Pfeffer 

Ballen 

Faß 

Faß 

Kisten 

Pack 

Faß 

Faß 

Ballen 

Ballen 

Kisten 

Ballen 

Amsterdam 

Rotterdam 

Antwerpen 

137  905 

96543 

338374 

2224 

496 

1409 

23603 
4907 
I  961 

14  981 

4719 
28894 

26  113 

14567 
47080 

12  270 
"035 

2777 

7667 

7019 
23319 

13759 
8  500 

41  771 

12320 
10  051 
21950 

13  851 

5819 

842 

"55 
10 

8652 

Kein  Wunder,  daß,  trotz  der  Mangelhaftigkeit  der  zwischen 
Rhein  und  Scheide  bestehenden  Verbindungen,  viele  unter  den  führen- 
den Handelsfirmen  Amsterdams  und  Rotterdams,  der  eingetretenen 
Verschiebung  im  Geschäftsverkehre  folgend,  Filialen  in  Antwerpen 
errichten,  wenn  sie  es  nicht  gar  vorziehen,  den  Hauptsitz  ihres 
Unternehmens  dorthin  zu  verlegen. 

So  erscheint  denn  nach  15-jährigem  Bestehen  das  Königreich 
der  Vereinigten  Niederlande,  bei  all  seinen  politischen  Schwächen 
und  Widersprüchen,  wirtschaftlich  doch  als  ein  kraftvolles  und  aus- 
geglichenes Gebilde,  das,  nachdem  es  gewisse  innere  Spannungen 
überwunden,  sich  anschicken  darf,  selbst  dem  seegewaltigen  England 
die  Spitze  zu  bieten.  Mit  Nahrungsmitteln  und  industriellen  Roh- 
stoffen so  reichlich  versorgt,  daß  es  die  ihm  etwa  fehlenden  im  Aus- 
tausch dafür  erwerben  kann,  ohne  einen  irgendwie  erheblichen  Teil 
des  Ertrages  seiner  gewerblichen  Arbeit  darauf  verwenden  zu  müssen, 
erfreut  es  sich  einer  um  so  größeren  Unabhängigkeit,  als  auch  die 
Produkte  der  Tropen  ihm  größtenteils  ohne  fremde  Vermittlung  aus 
eigenen  Quellen  zufließen.  Als  Durchfuhrland  beherrscht  es  den  ge- 
samten Verkehr  mit  dem  Rheine. 

Und  innerhalb  dieser  in  sich  selbst  ruhenden  Volkswirtschaft 
scheint  mehr  und  mehr  Belgien  die  Führung  anheimzufallen.  Ist  es  dem 


156  Heinrich  Waentig, 

Nachbarlande  landwirtschaftlich  zum  mindesten  ebenbürtig,  gewerblich 
ganz  offenbar  überlegen,  so  neigt  auch  des  Handels  Schwergewicht 
sich  langsam  auf  seine  Seite.  Gilt  dies  schon  jetzt  von  gewissen 
Kolonialprodukten,  deren  Vertrieb  Jahrhunderte  lang  Hollands  Mono- 
pol gewesen,  so  eröffnet  ihm  sein  industrieller  Aufschwung  für  die 
Zukunft  unabsehbare  Möglichkeiten.  Mit  seinem  Hafen  Antwerpen 
erwacht  auch  Brüssel,  die  Hauptstadt,  zu  neuem  Glänze  als  Klein- 
Paris,  in  dessen  Mauern  das  steigende  Luxusbedürfnis  des  ganzen 
Landes  stets  bereite  Nahrung  findet. 

Es  entzieht  sich  unserer  Kenntnis,  welche  wohl  niemals  ausge- 
sprochenen Motive  letzten  Grundes  britische  Staatsmänner  bewegten, 
als  sie  bei  der  Liquidation  der  Napoleonischen  Konkursmasse  der 
zwischen  Holland  und  Belgien  zu  schließenden  Vernunftehe  ihren 
Segen  erteilten.  Sollte  sie  dabei  auch  der  geheime  Gedanke  geleitet 
haben,  das  seit  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  niedergehende  Holland 
dadurch  in  handelspolitischer  Ohnmacht  zu  erhalten,  daß  sie  es  mit 
dem  nicht  minder  geschwächten  Belgien  zu  einer  kontinentalen 
Mittelmacht  verquickten  und  so  von  weltpolitischen  Zielen  dauernd 
ablenkten,  so  hätte  sie  ihr  sonst  untrüglicher  Instinkt  für  kommende 
Dinge  diesmal  getäuscht.  Als  dann  die  belgische  Industrie,  durch 
holländische  Pflege  entwickelt,  der  handelspolitischen  Expansion  des 
von  ihr  geschaffenen  Reiches  eine  ungeahnte  Stoßkraft  zu  verleihen 
begann,  mußte  die  englische  Diplomatie  auf  seine  Zersetzung  hin- 
arbeiten. Auch  in  ihren  kühnsten  Träumen  aber  durfte  sie  nicht 
erwarten,  daß  —  Belgier,  von  Franzosen  geleitet,  selber  den  Ast  ab- 
sägen würden,  auf  dem  sie  saßen,  um  damit,  ohne  es  zu  ahnen,  Groß- 
Britanniens  ureigenste  Geschäfte  zu  verrichten. 

Dennoch  geschah  das  Unwahrscheinliche.  Und  daß  es  möglich 
wurde,  verdankten  die  Belgier  nicht  zum  mindesten  ihren  damaligen 
Mitbürgern.  „Nous  devons  beaucoup  ä  notre  reunion  ä  la  Hollande; 
pourquoi  ne  pas  en  convenir  ?"  hat  später  einer  ihrer  Historiker  er- 
klärt. „C'est-elle  qui  nous  a  rendu  Fadministration  de  nos  interets 
locaux;  c'est-elle  qui  nous  a  inities  au  mecanisme  de  la  vie  con- 
stitutionelle  qui  nous  etait  demeuree  ä  peu  pres  inconnue  sous  le 
regime  frangais.  Enfin,  c'est  pendant  nos  demeles  avec  la  Hollande 
que  nous  avons  commence  ä  nous  connaitre,  ä  nous  compter,  ä  nous 
associer  pour  nous  defendre;  ä  n'avoir  plus  qu'un  corps  et  une  äme, 
et  que  les  anciennes  divisions  qui  separaient  jadis  nos  provinces  en 
differentes  nations,  brabangonne,  flamande,  wallone,  ont  disparu  pour 
faire  place  ä  Punion  beige  de  1830"  ^). 

Erst  in  den  allerletzten  Jahren  der  holländischen  Zeit  war  dieses 
ausgesprochen  „belgische"  Einheitsbewußtsein  im  Gegensatze  zu 
Holland  entstanden.  Nachdem  sich  der  König  schon  längst  die 
Klerikalen  (Kirche  und  Schule!)  entfremdet,  hatte  er  es  schließlich 
in  unbegreiflicher  Torheit  auch  mit  den  Liberalen  (Verwaltung  und 


1)  Baron  de  Gerlache,  Histoire  du  royaume  des  Pays-Bas  depuis  1814  jusqu'ä  1830, 
Tome  I,  S.  402. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  ^57 

Presse!)  verdorben,  die  ihn  gestützt.  Gleichmäßig  verfolgt,  hatten 
sich  beide  wider  den  gemeinsamen  Gegner  verschworen,  waren  seit 
1828  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  eingegangen  und  hatten  auch  die 
politisch  noch  völlig  uninteressierten  breiten  Massen  auf  ihre  Seite 
zu  ziehen  verstanden.  Nur  die  Bourgeoisie  von  Antwerpen  und 
Gent,  St.  Nikolas  und  Dendermonde  blieb  auch  nach  dem  Ausbruch 
des  offenen  Konfliktes  „oranjistisch"  gesinnt. 

Da  jedoch  die  ganze  Bewegung  zunächst  eine  rein  reflektorische 
war,  nur  die  Befreiung  vom  holländischen  Joche,  nicht  die  Ver- 
selbständigung Belgiens  verfolgte,  würde  man  sich  bei  vernünftigem 
Entgegenkommen  später  wohl  mit  der  zuerst  von  De  Potter  ver- 
langten, dann  von  der  revolutionären  „Commission  consultative"  ein- 
hellig geforderten  Trennung  in  Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Finanz- 
gebarung unter  der  alten  Dynastie  begnügt  haben.  Der  für  beide 
Länder  so  wichtige  wirtschaftliche  Zusammenhang  wäre  dann  er- 
halten geblieben.  Solches  aber  konnte  nimmer  in  englischem  Interesse 
liegen. 

Darum  ist  es  ebenso  sehr  der  politischen  Kurzsichtigkeit  König 
Wilhelms  zuzuschreiben  wie  der  diplomatischen  Meisterschaft  eng- 
lischer Staatskunst,  die  französische  Habgier  weise  zu  nutzen  wußte, 
um  ihr  im  entscheidenden  Augenblicke  in  den  Arm  zu  fallen,  wenn 
die  Ereignisse  mit  elementarer  Wucht  über  jenes  nächste  Ziel  hinaus- 
rollten. Mit  Recht  erschien  ihr  nach  kurzem  Zögern  die  ökono- 
mische Expansion  des  von  den  Ostmächten  gestützten  Zwillingsstaates 
gefährlicher  als  die  politische  Ambition  des  isolierten  Frankreichs. 
Daß  es  ihr  schließlich,  ohne  doch  seine  Interessen  zu  schädigen, 
sogar  gelang,  dem  belgischen  Volke  aus  einem  ganzen  Bukett  von 
Königen,  das  vom  Herzog  von  Nemours  bis  zum  Papste  alle  nur 
erdenklichen  Schattierungen  enthielt,  den  englandfreundlichen  Herzog 
Leopold  von  Sachsen-Koburg  als  den  ihr  genehmsten  Kandidaten  in 
die  Hände  zu  spielen,  krönte  ihr  Werk.  Und  man  darf  sich  nicht 
wundern,  daß  der  neue  Staat,  nur  politisch  von  den  Belgiern  ge- 
wollt, wirtschaftlich  alle  Eigenschaften  zeigte,  wie  sie  sich  die  Briten 
nur  wünschen  konnten. 

(Der  Schluß  folgt  in  einem  der  nächsten  Hefte.) 


]^58  Alfred  Amonn 


IIL 

Eugen  von  Philippovich 

(t  4.  Juni  1917). 

Von 

Alfred  Amonn. 

Mit  Eugen  von  P h i  1  i p p o v i c h  ist  wieder  einer  der  wenigen 
deutschen  Nationalökonomen  von  Weltruf  ins  Grab  gesunken  — 
nachdem  ihm  einige  Jahre  früher  Eugen  von  Böhm-Bawerk 
vorangegangen  und  nun  rasch  Gustav  von  Schmoller  nachge- 
folgt ist.  Sie  drei  bildeten  in  der  Verschiedenheit  ihrer  Geistes- 
und Forschungsrichtungen  —  jeder  für  sich  auf  seinem  Gebiete  eine 
repräsentative  Persönlichkeit  und  ein  Sammelpunkt  —  eine  Trias, 
die  in  seltener  Weise  die  Vielseitigkeit  des  deutschen  nationalöko- 
nomischen Wissenschaftsbetriebes  veranschaulicht.  Sie  stellten  ins- 
besondere dem  Ausland  gegenüber  in  ihrer  Vereinigung  die  deutsche 
nationalökonomische  Wissenschaft  der  jüngsten  Vergangenheit  dar, 
und  jeder  von  ihnen  hinterläßt  der  Nachwelt  ein  Werk,  aus  dem  die 
Jüngeren  noch  lange  Anregung,  Belehrung  und  Fortbildung  schöpfen 
werden. 

Philippovich  war  kein  Begründer  einerneuen,  die  Aufmerk- 
samkeit der  ganzen  Welt  herausfordernden  Theorie  wie  Böhm- 
Bawerk,  noch  ein  Streiter  für  neue  wissenschaftliche  Ziele  oder 
ein  Verkünder  früher  unerhörter  wirtschafts-  (sozial-)politischer  Ideen 
wie  Seh  moller.  Seine  Stellung  war  eine,  von  den  lauten  Interessen 
des  Tages  aus  betrachtet  viel  bescheidenere,  weniger  auffallende,  in 
der  gesamten  Fachwelt  aber  nicht  minder  anerkannte,  unbestrittene 
und  feste.  Er  war  kein  Bahnbrecher  im  Sinne  des  Begründens  oder 
Verkündens  neuer  theoretischer  Gedanken  oder  praktisch-politischer 
Grundsätze,  sondern  ein  allseitig  Aufnehmender,  Zusammenfassender, 
Verarbeitender  und  Vereiniger.  Er  nahm  in  gleicher  Weise,  mit  der 
gleichen  Bereitwilligkeit  und  dem  gleichen  Interesse  in  sich  auf  die 
theoretischen  Grundlagen,  die  die  sogenannte  österreichische  Schule 
kurz  vor  seinem  Auftreten  geschaffen,  wie  die  Summe  von  geschicht- 
licher Erfahrung,  die  die  gleichzeitig  tätige  jüngere  historische  Schule 
ans  Licht  gefördert  und  gesammelt,  verband  beides  zu  einem  ein- 
heitlichen Gesamtbau,  erfüllte  diesen  mit  dem  Geiste  der  modernen 
sozialpolitischen  Strömung  und  schuf  so  etwas  relativ  Neues,  Eigen- 
artiges und  Bedeutsames,  das  ebensoviel  von  seinem  eigenen  subjek- 


Eugen  von  Philippovich.  159 

tiven  wie  von  dem  objektiven  Geist  der  zeitgenössischen  national- 
ökonomischen Wissenschaft  widerspiegelt. 

Dies  ist  sein  Haupt-  und  Lebenswerk,  der  „Grundriß  der 
politischen  Oekonomie"  (verlegt  bei  J.  C.  B.  Mohr,  Tübingen), 
der  in  zwei  Bänden  und  drei  Teilen  die  gesamten  Tatsachen  und 
Probleme  unseres  Wissensgebietes  in  anschaulichster  Weise  zur  Dar- 
stellung bringt  und  nach  allen  Seiten  hin  sorgfältig  durchdachte  und 
überlegte  Lösungen  für  alle  brennenden  Fragen  des  wirtschaftspoli- 
tischen Zeitinteresses  bietet.  Daß  diese  Lösungen  nicht  weltbe- 
wegender und  nicht  absoluter,  voraussetzungsloser  Natur  sind,  kann 
ihren  Wert  nicht  schmälern,  sondern  begründet  ihn  vom  wissen- 
schaftlichen Standpunkt  aus  erst.  Sie  sind  das  Ergebnis  reicher  Er- 
fahrung, historischen  Weitblickes  und  reiflichster  Ueberlegung. 

Die  Erfahrung  aber  lehrt,  daß  alles  Bestehende  in  der  ver- 
schiedensten Weise  bedingt  ist  und  die  Abänderung  einer  dieser  Be- 
dingungen je  nach  der  Gesamtheit  der  anderen  die  verschiedensten 
Wirkungen  haben  kann.  Die  Behinderung  des  Großbetriebs  und 
die  Begünstigung  des  Kleinbetriebs  z.  B.  hat  ganz  verschiedene  Folgen 
auf  dem  Gebiet  der  gewerblichen  und  auf  dem  der  landwirtschaft- 
lichen Produktion  und  ganz  verschiedene  Wirkungen  sogar  in  jedem 
einzelnen  Zweige  des  Gewerbes  und  der  Landwirtschaft.  Ein  und 
dieselbe  Maßregel  kann  dort  ertragsteigernd,  arbeitsparend,  einkommen- 
erhöhend, hier  produktionshindernd,  arbeitverschwendend,  proletari- 
sierend  wirken.  Nichts  gilt  in  gleicher  Weise  für  alle  Fälle  und 
ebenso  nichts  für  alle  Orte  und  alle  Zeiten. 

Die  Geschichte  wieder  zeigt,  daß  auch  die  wirtschaft- 
liche Entwicklung  wie  die  der  Natur  stetig  vor  sich  geht,  daß 
auch  hier  der  Leibnizsche  Satz  „Natura  non  facit  saltus"  gilt.  Da- 
her sind  umstürzende  Lehren  auch  allemal  unfruchtbare 
Lehren,  wenn  auch  die  Ansichten,  wofür  die  Gegenwart  reif  sei, 
mehr  oder  minder  weit  gehen  können.  Philippovich  war  eben- 
so abgeneigt  dem  laissez  faire,  laissez  aller  des  traditionellen,  heute 
wohl  endgültig  hinter  uns  liegenden  wirtschaftspolitischen  Liberalis- 
mus wie  dem  in  sich  selbst  widerspruchsvollen  revolutionären  Ge- 
haben des  Marxistischen  Sozialismus.  Beiden  im  Grunde  nur  nega- 
tiven Ideen  und  Kräften  gegenüber  vertrat  er  den  realpolitischen 
Gedanken  einer  umfassenden,  positiv  aufbauenden  und  umbauenden 
Sozialreform.  Stein  auf  Stein  soll  in  unserer  Wirtschaftsordnung 
allmählich  umgelegt  und  so  eine  neue,  bessere  an  ihre  Stelle  gesetzt 
werden.  Nicht  weit  ausholendes  Pläneschmieden  und  Projektemachen 
bringt  uns  vorwärts,  sondern  nur  unverweiltes  Handeln  und  Tätig- 
sein in  all  den  tausend  kleinen  Dingen,  die  zusammen  die  große 
soziale  Frage  ausmachen.  Unablässige,  unermüdliche  sozialpolitische 
Kleinarbeit  aller  im  öffentlichen  Leben  Tätigen  soll  allmählich  jenen 
Umbau  herbeiführen,  der  allen  Schichten  und  Klassen  der  Bevölkerung, 
insbesondere  auch  den  Arbeitern  ein  solches  Minimum  von  Lebens- 
genuß bietet,  das  sie  mit  der  bestehenden  Ordnung  versöhnt  und 
ihnen  eine  gewisse  Befriedigung  im  Dasein  gewährt. 


\QQ  Alfred  Amonn, 

Dieser  Anschauung  gemäß  hat  Philippovich  auch  eine  Un- 
menge von  praktischer  Arbeit  bei  Vorbereitung  wirtschaftspoli- 
tischer Gesetze,  Verordnungen  und  Verwaltungsmaßnahmen  und  in 
der  Beratung  der  hierfür  maßgebenden  Organe  geleistet,  die  neben 
seiner  Lehrtätigkeit  seine  geistige  und  physische  Kraft  in  einer  sie 
vielleicht  zu  schwer  belastenden  Weise  in  Anspruch  genommen  hat. 
Es  sei  nur  hingewiesen  auf  seine  intensive  Mitarbeit  bei  der  Vor- 
bereitung der  österreichischen  Sozialversicherung,  an  seine  verdienst- 
volle Tätigkeit  im  Arbeitsbeirat  und  Industrierat  des  k.  k.  Handels- 
ministeriumS;  an  seinen  Eifer  als  Präsident  der  österreichischen 
Arbeiterschutzgesellschaft.  Auch  an  den  entsprechenden  internatio- 
nalen Kongressen  und  Veranstaltungen  nahm  er  regen  und  hervor- 
ragenden Anteil  und  wurde  auf  ihnen  mit  Vorliebe  mit  dem  Prä- 
sidium oder  mit  einem  Referat  betraut. 

Er  gehörte  ferner  durch  lange  Jahre  hindurch  dem  Ausschuß 
des  Vereins  für  Sozialpolitik  an  und  wirkte  auch  an  dieser 
Stelle  in  vorbildlich  unermüdlicher  Weise  als  Vorbereiter  und  Or- 
ganisator wissenschaftlicher  Kollektivarbeiten,  bis  in  den  letzten 
Jahren  das  plötzliche  Nachlassen  seiner  Arbeitskraft  ihn  zwang,  sich 
von  allen  außerhalb  seiner  Lehrtätigkeit  liegenden  Bemühungen  zu- 
rückzuziehen und  auf  die  Ausübung  seines  Lehramtes  allein  zu  be- 
schränken. 

Diesem  war  schon  immer  trotz  der  Vielseitigkeit  seiner  Arbeit 
und  seines  Interesses  sein  Hauptaugenmerk  zugewendet,  und  nirgends 
kam  seine  Persönlichkeit  zu  prägnanterem  Ausdruck  als  in  seinen 
Universitätsvorlesungen.  Mit  Bewunderung  lauschte  Jahr  für  Jahr 
ein  großer  Kreis  von  Schülern  den  formvollendenten  Vorträgen,  in 
denen  er  in  überraschend  anschaulicher  Weise,  überall  ausgehend  von 
jedermann  geläufigen  Tatsachen,  scheinbaren  und  wirklichen  Unge- 
reimtheiten und  Widersprüchen  des  wirtschaftlichen  Alltags,  die 
wissenschaftlichen  Probleme  entwickelte,  die  sich  daran  knüpfen, 
und  schrittweise  ihre  Erklärung  vorbereitete  und  ihre  Lösung  gab. 
Und  nicht  selten  widerhallte  es  darin  in  einem  gedämpften  und  doch 
deutlich  vernehmbaren  Unterton  von  dem  allen  Lebensgenuß  vielfach 
überragenden  Leid  und  der  Sorge,  die  das  Wirtschaftsgetriebe  und 
die  Gesellschaftsordnung  Millionen  von  Mitmenschen  alltäglich  auf- 
iastet. 

Denn  Philippovich  war  kein  rein  beschauender  und  theore- 
tisierender  Gelehrter.  Ein  tiefes  Verständnis  für  die  praktischen 
Fragen  und  Aufgaben  des  Lebens,  ein  warmes  Mitgefühl  für  das 
Los  der  vom  Schicksal  Enterbten  und  Gezeichneten,  eine  selten  aus- 
geprägte soziale  Gesinnung  machte  ihn  in  seinem  Denken  und  Tun 
auch  zum  Politiker.  Doch  fand  er  hier  in  dem  vom  nationalen 
Hader  zerrissenen,  von  konfessionellen  und  kulturellen  Gegensätzen 
gespaltenen,  von  einer  rein  juristisch  geschulten,  interessierten  und 
orientierten  Bürokratenkaste  beherrschten  Oesterreich  kein  richtiges 
Feld  für  politische  Betätigung.  Seine  Berufung  ins  Herrenhaus  war 
mehr  eine  Anerkennung  und  Ehrung  als  die  Zuweisung  eines  poli- 


Eagen  von  Philippe vich.  \ßX 

tischen  Wirkungskreises.  Die  Verständnislosigkeit,  mit  der  seine 
Ideen  und  Vorschläge  dort  aufgenommen  wurden,  mußte  ihn  eher 
verbittern  und  abschrecken,  als  in  seinem  Eifer  fördern  und  anregen. 

Der  Grundzug  seines  Charakters  war  unbeirrbare  Rechtschaffen- 
heit und  Offenheit,  heißes  Bemühen  um  Sachlichkeit  und  Objektivi- 
tät des  Urteils  gerade  in  jenen  Angelegenheiten  und  Fragen,  in  denen 
die  Wärme  des  Gefühls  die  Stimme  des  Verstandes  oft  um  ihre 
Geltung  zu  bringen  droht,  tiefer  Ernst  in  allen  wissenschaftlichen 
und  praktischen  Dingen,  denen  sein  Interesse  zugewandt  war.  Wie 
als  Lehrer  die  seiner  Schüler,  so  erwarb  er  sich  auch  die  bedingungs- 
lose Achtung  aller,  die  es  mit  ihm  als  Menschen  zu  tun  hatten.  Er 
förderte  auch  eifrig  alle,  die  ihm  Objektivitität,  Ernst  und  sachliche 
Tüchtigkeit  zu  versprechen  schienen,  und  wies  alle,  die  er  im  Ver- 
dachte der  Oberflächlichkeit,  Vorschnelligkeit  und  bloßen  Gesinnungs- 
tüchtigkeit hatte,  unerbittlich  zurück. 

Philippovichs  äußeres  Lebensschicksal  war  wenig  bewegt. 
Er  habilitierte  sich  (1884)  in  Wien  und  wurde  ein  Jahr  später  als 
a.  0.  Professor  nach  Freiburg  i./Br.  berufen,  betätigte  sich  bereits 
zur  damaligen  Zeit  politisch  als  Abgeordneter  im  badischen  Landtage. 
Er  wurde  in  Freiburg  o.  Professor  (1888)  und  kam  wenige  Jahre 
später  (1893)  in  derselben  Eigenschaft  an  die  Universität  Wien  zu- 
rück. Hier  wirkte  er  bis  kurz  vor  seinem  allzu  frühen  Ende  mit 
ganz  geringen  Unterbrechungen,  die  einmal  durch  eine  Studienreise 
nach  Amerika  und  in  letzter  Zeit  durch  eine  schleichende  Krank- 
heit verursacht  wurden,  als  akademischer  Lehrer,  als  wissenschaft- 
licher Praktiker  und  als  Politiker.  Er  war  kurze  Zeit  Abgeordneter 
des  niederösterreichischen  Landtages  und  seit  1907  Mitglied  des 
österreichischen  Herrenhauses. 

Seine  literarische  Hinterlassenschaft  besteht  außer  in  dem  großen, 
bereits  in  II  Auflagen  verbreiteten  „Grundriß  der  poli- 
tischen Oekonomie",  in  einem  vor  kurzem  in  zweiter  Auflage 
erschienenen,  ins  Englische  übersetzten  Werk  über  „die  Bank  von 
England  im  Dienst  der  Finanz  Verwaltung  desStaates", 
in  kleineren  finanzwissenschaftlichen  Arbeiten  über  den  „Staats- 
haushalt" und  „die  direkten  Steuern  des  Großherzog- 
tums Baden",  einer  Studie  über  die  „Wiener  Wohnungsver- 
hältnis s  e",  einer  außerordentlich  anregenden  Schrift  über  die  „E  n  t - 
Wicklung  der  wirtschaftspolitischen  Ideen  im  19. 
Jahrhundert",  fernereiner  langen  Reihe  von  Referaten  und  Auf- 
sätzen über  Steuerwesen,  Bankpolitik,  Auswanderung,  Handwerker- 
frage, Hausindustrie,  Wohnungsfrage,  Bodenentschuldung  und  ver- 
schiedene andere  Gegenstände  der  Volkswirtschaftspolitik  und  der 
Finanzwissenschaft.  Seine  Hauptstärke  bestand  im  allseitigen  Durch- 
denken und  Durchleuchten  eines  konkreten  wirtschaftspolititschen 
Problems,  im  klaren  Erfassen  und  Hervorheben  des  Wesentlichen 
der  Zielsetzung  und  der  Mittelbestimmung,  in  der  entschiedenen 
Trennung  des  Durchführbaren  und  Erreichbaren  von  allem  bloß  ge- 
danklich Konstruierten  und  Utopischen. 

Jahrb.  f.  Nationalök,  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  1 1 


I 


\Q2  Alfred  Amonn, 

Daß  ein  Werk  wie  der  „Grundriß"  nicht  in  allen  seinen 
Teilen  und  Partien  gleichwertig  ist,  sondern  in  einzelnen  auch  er- 
hebliche Mängel  und  Schwächen  aufweist,  ist  —  bei  dem  fast  erdrücken- 
den Umfang  des  darin  behandelten  Stoffes  und  dem  heutigen  noch 
sehr  unvollkommenen  Stande  der  nationalökonomischen  Wissenschaft 
überhaupt  —  nicht  weiter  verwunderlich.  Er  ist  heute  jedenfalls  die 
einzige  einheitliche,  wissenschaftlich  streng  durchgearbeitete  syste- 
matische Gesamtdarstellung  aller  wichtigen  theoretischen  wie  poli- 
tischen Probleme  unserer  Wissenschaft.  Daß  er  auch  einem  weiten 
Bedürfnis  nach  einem  solchem  Werke  entgegenkommt,  zeigt  die 
außerordentliche  stets  steigende  Verbreitung,  die  er  seit  zwanzig  Jahren 
ununterbrochen  erfahren  hat.  Es  wird  schwer  sein,  dieses  Werk  im 
Geiste,  in  dem  es  gehalten  ist,  fortzuführen,  noch  schwerer,  es  einmal, 
wenn  die  Zeit  wieder  weiter  fortgeschritten  sein  wird,  durch  ein 
neues  gleichwertiges  zu  ersetzen. 

Unersetzlich  wird  heute  und  auf  lange  Zeit  hinaus  auch  seine 
Persönlichkeit  als  Lehrer,  wie  als  praktisch  interessierter  und  arbei- 
tender Gelehrter  sein.  Philippovich  war  nicht,  wie  Böhm- 
Bawerk  und  Seh  moller,  der  Führer  einer  eigenen  Richtung  und 
Schule  der  Wissenschaft.  Dazu  war  sein  Interesse  wie  seine  Arbeit 
zu  vielseitig  und  mannigfaltig.  Er  hatte  die  Gabe,  der  besonderen 
Individualität  und  Geistesrichtung  seiner  Schüler  in  weitem  Um- 
fange entgegenzukommen  und  wurde  so  hauptsächlich  ein  Anreger 
zu  Arbeiten  auf  den  verschiedensten  Gebieten  und  in  der  verschie^ 
densten  Richtung.  Nicht  bestimmte  Ansichten,  bestimmte  Problem- 
stellungen oder  eine  bestimmte  Arbeitsweise  oder  Methode  werden 
daher  in  ihnen  fortleben  —  und  sich,  wie  es  bei  allen  Richtungen 
und  Schulen  der  Fall  ist,  allmählich  überleben  — ,  sondern  der  Geist 
echter  und  ernster  Wissenschaftlichkeit,  strenger  Selbstzucht  und 
Selbstbeurteilung,  der  unerläßlich  ist  auf  jedem  Arbeitsgebiete,  in 
jeder  Frage  und  bei  jeder  wissenschaftlichen  Aufgabe,  wenn  die 
Forschung  nicht  heillos  verflachen  und  das  Feld  der  Erkenntnis  ver- 
öden und  zum  bloßen  Tummelplatz  unfruchtbarer  Spekulationen  oder 
zusammenhangloser  Tatsachenkärrnerei  werden  soll. 

Eben  dieses  „über  den  Schulen  Stehn"  und  diese  Vielseitigkeit 
seines  wissenschaftlichen  Interesses  und  seiner  theoretischen  wie 
praktischen  Betätigung  gab  Philippovich  die  eigen-  und  einzig- 
artige Stellung,  die  er  in  der  deutschen  Fachgelehrtenwelt  einnahm. 
Sein  erstes  Hervortreten  in  der  wissenschaftlichen  Oeffentlichkeit 
fiel  in  die  Zeit  des  Menger-Schmoller  Streites.  Seiner  ganzen  geistigen 
Veranlagung  ebenso  wie  seiner  wissenschaftlichen  Ausbildung  und 
akademischen  Laufbahn  nach  war  er  berufen,  in  diesem  Zwist  eine 
wertvolle,  ausgleichende  und  vermittelnde  Rolle  zu  spielen.  Dies 
tritt  schon  in  seiner  in  Freiburg  anläßlich  der  Uebernahme  des 
akademischen  Lehramtes  gehaltenen  Antrittsrede  „Ueber  Aufgabe  und 
Methode  der  politischen  Oekonomie"  deutlich  hervor.  Selbst  her- 
vorgegangen aus  der  österreichischen  Schule  gab  ihm  die  achtjährige 
Lehrtätigkeit  in   Freiburg  Gelegenheit,    die    damals  in  Deutschland 


Eugen  von  Philippovich.  IQS 

vorherrschende  historische  Richtung  näher  kennen  zu  lernen  und 
deren  Methode  und  Ergebnisse  in  sich  aufzunehmen.  Zugleich 
brachte  ihn  diese  Zeit  in  engste  persönliche  Verbindung  mit  den 
reichsdeutschen  Fachgelehrtenkreisen.  Es  muß  ihm  als  besonderes 
Verdienst  angerechnet  werden,  daß  er  auch  später  nach  seiner  Rück- 
kehr nach  Oesterreich  die  Beziehungen  zwischen  den  österreichischen 
und  reichsdeutschen  Nationalökonomen  fortdauernd  eifrig  pflegte  (ins- 
besondere als  tätiges  Mitglied  des  Vereins  für  Sozialpolitik)  und  sie 
immer  enger  zu  knüpfen  und  freundschaftlicher  und  fruchtbringender 
zu  gestalten  mit  Erfolg  bemüht  war.  Diesem  seinem  Bemühen  ist 
es  auch  hauptsächlich  zuzuschreiben,  wenn  die  durch  den  Menger- 
Schmoller  Streit  aufgerissene  Kluft  zwischen  den  reichsdeutschen 
und  österreichischen  Nationalökonomen  bald  wieder  überbrückt  wurde 
und  der  dadurch  entstandene  Gegensatz  seither  erheblich  an  Schärfe 
verloren  und  mehr  und  mehr  einer  sich  gegenseitig  unterstützenden 
und  ergänzenden  gemeinsamen  Arbeit  Platz  gemacht  hat. 


11* 


Xß^  NationalökoDomische  Gesetzgebung. 


Nationalökonomisclie  Gesetzgebung. 


Die  durch  den  Krieg  hervorgerufenen  Gesetze,  Ver- 
ordnungen, Bekanntmachungen  usw.,  soweit  sie  im 
Reichsgesetzblatt  veröffentlicht  worden  sind. 

(6.  Fortsetzung.) 

[Die  Monate  August  bis  November  1916  umfassend^).] 

Von  Dr.  Johannes  Müll  er- Halle,  Weimar. 

Vorbemerkung:  Die  gegen  die  vier  Vormonate  kaum  geringere 
Zahl  der  Verordnungen  hat  auch  diesmal  eine  sehr  knappe  Zusammen- 
fassung des  Inhalts  der  einzelnen  Verordnungen  nötig  gemacht.  Dies 
bezieht  sich  namentlich  auf  die  zahlreichen  kleinen  Abänderungsverord- 
nungen, die  sich  im  Laufe  der  Zeit  zur  Behebung  kleiner  Lücken  der 
großen  grundlegenden  Verordnungen  als  notwendig  erwiesen  haben. 
Wieder  kann  also  die  Uebersicht  nur  einen  Ueberblick  über  den  Stoff 
der  Gesetzgebung,  nicht  aber  eine  Wiedergabe  aller  Einzelheiten  bringen. 
Im  übrigen  sei  auch  an  dieser  Stelle  auf  das  eingangs  der  ersten  Ueber- 
sicht Gesagte  verwiesen. 

Die  sechs  bisher  veröffentlichten  Uebersichten  sind  erschienen  in 
Bd.  49,  S.  52—76  (von  Kriegsausbruch  bis  Ende  November  1914),  Bd. 
50,  S.  44—68  (Dezember  1914  bis  März  1915),  Bd.  50,  S.  313—335 
(April  bis  Juli  1915),  Bd.  51,  S.  349—375  (August  bis  November  1915), 
Bd.  52,  S.  215—238  (Dezember  1915  bis  März  1916),  Bd.  53,  S.  65—80 
und  183—211  (April  bis  Juli  1916). 


Bekanntmachung  über  die  Verpflichtung  der  Kommunal- 
verbände und  der  Kartoffelerzeuger  zur  Sicherstellung 
und  Abgabe  von  Kartoffeln.  Vom  2.  August  1916  (RGBl. 
S.  875  ff.).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  26.  Juni  1916  (E-Gßl. 
S.  590). 

Zur  Durchführung  der  Verordnung  vom  26.  Juni  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  197) 
werden  die  Landes-  bzw.  Provinzialkartoffelstellen  verpflichtet,  bestimmte  Mengen 
Kartoffeln  sicherzusteUen.  Diese  Kartoffelmengen  sind  für  den  Verbrauch  der 
Zuschußverbände  berechnet,  doch  können  die  Kommunalverbände  außerdem  auch 
den  eigenen  Bedarf  sicherstellen.  Die  Kartoffelerzeuger  dürfen  in  Höhe  der  bei 
hnen  sichergestellten  Mengen  über  ihre  Kartoffel  verrate  nicht  verfügen.  (Vgl. 
die  Bekanntmachung  vom  15.  April  1916,  Bd.  53,  S.  71,  und  die  daselbst  auf- 
geführten weiteren  Bekanntmachungen ,  ferner  die  Bekanntmachungen  vom 
14.  September  1916,  unten  S.  179,  23.  September  1916,  unten  Forts.,  14.  Oktober 
1916,  unten  Forts.,  24.  Oktober  1916,  unten  Forts.,  26.  Oktober  1916,  unten 
Forts.,  16.  November  1916,  unten  Forts.) 

1)  Die  zweite  Hälfte  dieser  uebersicht  wird  im  nächsten  Heft  erscheinen ;  auf  sie 
wird  im  Folgenden  mit  dem  Vermerk :  „unten  Forts."  verwiesen  werden. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  Xßb 

BekanntmachuDg    über    Gummisauger.      Vom    3.   August    1916 

(EGBl.    S.  879).      Auf   Grund   des   Ges.    vom   4.  August    1914   (RGBl. 

S.  327),  mit  AusführuEgsbestimmungen  vom  gleichen  Tage  (RGBl.  8. 880  f.). 

Eingeführte  Gummisauger  sind  an  die  „Handelsgesellschaft  Deutscher  Apo- 
theker" abzuliefern. 

Bekanntmachung  zum  Schutze  eiserner  Gedenkstücke  der 
Reichsbank.  Vom  3.  August  ]916  (RGBl.  S.  883  ff.).  Auf  Grund 
des  Ges.  vom  4.  Augnst  1914  (RGBl.  S.  327.) 

Eiserne  Gedenkstücke,  die  den  Einlieferern  von  Goldsachen  verliehen  werden, 
dürfen  nicht  vervielfältigt  oder  nachgebildet  werden;  sie  dürfen  auf  keine  Weise 
in  den  Verkehr  gebracht,  auch  nicht  über  sie  rechtsgeschäftlich  verfügt  werden. 

Bekanntmachung  über  die  Bestellung  eines  Reichskom- 
missars für  Uebergangswirtschaft.  Vom  3.  August  1916 
(RGBl.  S.  885  f.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl. 
S.  327). 

Zur  Erleichterung  des  Uebergangs  von  der  Kriegswirtschaft  in  die  Friedens- 
wirtschaft wird  ein  Reichskommissar  bestellt ;  seine  Sorge  wird  insbesondere  die 
Regelung  der  Einfuhr  der  Waren  und  ihre  Verteilung  nach  näherer  Anweisung 
des  Reichskanzlers  sein.  Er  sowohl  wie  sein  Beirat  werden  vom  Reichskanzler 
ernannt.    Der  Beirat  ist  über  grundsätzliche  Fragen  zu  hören. 

Bekanntmachung  über  Weintrester  und  Traubenkerne. 
Vom  3.  August  1916    (RGBl.   S.  887  ff.).     Auf   Grund    des    Ges.   vom 

4.  August  1914  (RGBl.  S.  327),  mit  Ausführungsbestimmungen  vom 
21.  September  1916  (RGBl.  S.  1073  ff.). 

Alle  (auch  eingeführten)  Weintrester  und  Traubenkerne  dürfen  nur  an  den 
Ejriegsausschuß  für  Ersatzfutter  oder  an  die  von  ihm  bezeichnete  Stelle  abge- 
setzt werden;  sie  müssen  dem  Kriegsausschuß  auf  Verlangen  überlassen  werden. 
Letzterer  hat  angemessene,  nach  oben  durch  bestimmte  Höchstpreise  begrenzte 
Uebernahmepreise  zu  zahlen.  Er  hat  dafür  zu  sorgen,  daß  die  Traubenkerne  auf 
Oel  verarbeitet  werden,  welches  dem  Kriegsausschul  für  pflanzliche  und  tierische 
Oele  und  Fette  zur  Verfügung  zu  stellen  ist.  Die  anfallenden  Futtermittel  gelten 
als  Kraftfuttermittel.  Die  gewerbsmäßige  Herstellung  von  Branntwein  aus  Wein- 
trestern  bedarf  der  Genehmigung  des  Kriegsausschusses  für  Ersatzfutter.  (Vgl. 
wegen  Futtermitteln  Bekanntmachung  vom  28.  Juni  1915,  Bd.  50,  S.  327,  die 
Zusammenstellung  in  Bd.  51,  S.  373  f.,  Bekanntmachung  vom  19.  Dezember  1916,. 
Bd.  52,  S.  218,  und  Bekanntmachung  vom  1.  Mai  1916,  Bd.  53,  S.  75,  sowie  die 
daselbst  aufgeführten  weiteren  Bekanntmachungen ;  ferner  Bekanntmachung  vom 

5.  August  1916,  unten  S.  166,  und  vor  allem  Bekanntmachung  vom  5.  Oktober 
1916,  unten  Forts.)  Vgl.  wegen  weiterer  Verordnungen  über  Fette  und  Oele  die 
Bekanntmachung  vom  13.  April  1916,  Bd.  53,  S.  69  f.,  und  die  daselbst  aufge- 
führten weiteren  Bekanntmachungen,  ferner  die  Bekanntmachung  vom  5.  August 
1916,  unten  S.  166,  5.  September  1916,  unten  S.  176,  drei  Bekanntmachungen  vom 
7.  September  1916,  unten  8.  1761,  14.  September  1916,  unten  S.  179,  zwei  Be- 
kanntmachungen vom  3.  Oktober  1916,  unten  Forts.,  die  Bekanntmachung  vom 
5.  Oktober  1916,  unten  Forts.,  7.  Oktober  1916,  unten  Forts.,  27.  Oktober  1916, 
unten  Forts.,  17.  November  1916,  unten  Forts. 

Verordnung  über  die  Vornahme  einer  allgemeinen  Be- 
standsaufnahme der  wichtigsten  Lebensmittel.  Vom 
3.  August  1916  (RGBl.  S.  891  ff.).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung 
vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Am  1.  September  1916  soll  eine  allgemeine  Bestandsaufnahme  stattfinden,  die 
sich  bei  den  Haushaltungen  mit  weniger  als  30  Angehörigen  auf  Fleischdauerwaren 
und  Eier,  bei  größeren  Haushaltungen,  Anstalten  u.  ä.  m.,   Kommunalverbänden 


156  Nationalökonomiitohe  Gesetzgebung. 

u.  ä.  m,  Gewerbe-  und  Handelsbetrieben  aller  Art  auf  alle  wichtigeren  Lebens- 
mittel und  Seife  erstrecken  soll.  Diese  sind  namentlich  aufgeführt,  doch  können 
die  Landeszentralbehörden  die  Erhebung  auch  auf  andere  Gegenstände  ausdehnen. 

Verordnung  über  die  Verarbeitung  von  Obst.  Vom  5.  August 
1916  (RGBl.  S.  911  ff.).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai 
1916  (RGBl.  S.  401). 

a)  Die  Reichsstelle  für  Gemüse  und  Obst  kann  Bestimmungen  über  die  ge- 
werbsmäßige Verarbeitung  von  Obst  zu  Obstkonserven,  Obstwein  und  Obstbrannt- 
wein erlassen. 

b)  Obstkonserven  und  Obstwein  dürfen  nur  mit  Genehmigung  besonderer 
Kjriegsgesellschaften  abgesetzt  werden. 

c)  Verträge  über  den  Erwerb  von  Aepfeln,  Pflaumen  und  Zwetschen  zur 
Herstellung  von  Obstkonserven  und  Verträge  über  den  Erwerb  von  Aepfeln  und 
Birnen  zur  Herstellung  von  Obstwein  bedürfen  der  Genehmigung  der  gleichen 
Gesellschaften.  Dies  gilt  auch  für  bereits  abgeschlossene  Verträge,  in  die  die 
Klriegsgesellschaft  eintreten  kann.  (Vgl.  wegen  Obst  insbesondere  Bekanntmachung 
vom  11.  November  1915,  Bd.  51,  8.  370,  6.  Januar  1916,  Bd.  52,  S.  221  f., 
24.  Februar  1916,  Bd.  52,  8.  230,  18.  Mai  1916,  Bd.  53,  8.  78,  15.  Juli  1916, 
Bd.  53,  8.  204,  29.  August  1916,  unten  8.  174,  13.  September  1916,  unten  8.  178.) 

Verordnung  über  die  Verarbeitung  von  Gemüse.  Vom 
5.  August  1916  (RGBl.  S.  914  ff.).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung 
vom  22.  Mai  J916  (RGBl.  S.  401). 

a)  Die  Reichsstelle  für  Gemüse  und  Obst  kann  Bestimmungen  über  die  ge- 
werbsmäßige Verarbeitung  von  Gemüse  zu  Gemüsekonserven,  Sauerkraut  und 
Dörrgemüse  erlassen. 

b)  Die  genannten  Gegenstände  dürfen  nur  mit  Genehmigung  bestimmter 
Kriegsgesellschaften  abgesetzt  werden. 

c)  Verträge  über  den  Erwerb  von  Weißkohl  zur  Herstellung  von  Sauerkraut, 
von  Weißkohl,  Rotkohl,  Wirsingkohl,  Mohrrüben  und  Karotten,  nach  Bekannt- 
machung vom  25.  August  1916  auch  von  Kohlrüben  und  Grünkohl,  zur  Her- 
stellung von  Dörrgemüse  bedürfen  der  Genehmigung  der  gleichen  Gesellschaften. 
Dies  gut  auch  für  bereits  abgeschlossene  Verträge,  in  die  die  KriegsgeseUschaft 
eintreten  kann.  (Vgl.  wegen  Gemüse  insbesondere  Bekanntmachung  vom  11.  No- 
vember 1915,  Bd.  51,  8.  370,  4.  Dezember  1915,  Bd.  52,  8.  216,  25.  Januar  1916, 
Bd.  52,  8.  225,  24.  Februar  1916,  Bd.  52,  8.  230,  8.  Aprü  1916,  Bd.  53,  8.  68, 
18.  Mai  1916,  Bd.  53,  8.  78,  15.  Juli  1916,  Bd.  53,  8.  204,  25.  August  1916  — 
vgl.  oben  — ,  13.  September  1916,  unten  8.  178,  21.  Oktober  1916,  unten  Forts.) 

Bekanntmachung  zur  Aenderung  der  Bekanntmach  ungüber 
die  Einfuhr  von  Käse  vom  11.  März  1916  (RGBl.  S.  15  9). 
Vom  5.  August  1916  (RGBl.  S.  917).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung 
vom  13.  Januar  1916  (RGBl.  S.  31). 

Die  genannte  Bekanntmachung  (vgl.  Bd.  52,  8.  233  f.)  erhält  eine  unwesent- 
liche Aenderung.  (Vgl.  wegen  Käse  insbesondere  Bekanntmachung  vom  13.  Januar 
1916,  Bd.  52,  8.  222,  11.  März  1916,  Bd.  52,  8.  2331,  25.  Aprü  1916,  Bd.  53, 
8.  74,  16.  Juli  1916,  Bd.  53,  8.  204,  16.  August  1916,  unten  8.  168,  20.  Oktober 
1916,  unten  Forts.) 

Bekanntmachung  der  Uebergangsvorschriften  zur  Ver- 
ordnung über  Speisefette  vom  20.  Juli  1916  (RGBL  S.  755). 
Vom  5.  August  1916  (RGBl.  S.  917  f.).  Auf  Grund  der  genannten 
Bekanntmachung  (vgl.  Bd.  53,  S.  205). 

Es  handelt  sich  um  unwesentliche  Uebergangsbestimmungen.  (Vgl.  im  übrigen 
Bekanntmachung  vom  3.  August  1916,  oben  8.  165.) 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  167 

Bekanntmachung  über  r r ü  h k ä u f  e  von  Tabak.  Vom  7.  August 
1916  (RGBl.  S.  919).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl. 
S.  327).  —  Aufgehoben  durch  Bekanntmachung  vom  10.  Ok- 
tober 1916,  vgl.  unten  Forts. 

Kaufverträge  über  Rohtabak  inländischer  Ernte  aus  dem  Erntejahr  1916  sind 
nichtig,  solche  nach  dem  10.  August  1916  sogar  strafbar.  (Vgl.  die  Bekannt- 
machung vom  19.  und  20.  April  1916,  Bd.  53,  S.  73,  Gesetz  vom  12.  Juni  1916, 
Bd.  53,  S.  189  f.,  die  drei  nächsten  Bekanntmachungen,  ferner  Bekanntmachung 
vom  18.  August  1916,  unten  S.  169,  und  vor  allem  Bekanntmachung  vom 
10.  Oktober  1916,  unten  Forts.) 

Bekanntmachung  über  Rohtabak.  Vom  7.  August  1916  (RGBl. 
S.  920).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 
—  Aufgehoben  durch  Bekanntmachung  vom  10.  Oktober 
1916,  vgl.  unten  Forts. 

Der  Abschluß  von  Kaufverträgen  über  Rohtabak,  sowie  die  Veräußerung 
und  der  Erwerb  von  Rohtabak  sind,  auch  soweit  es  sich  um  die  Erfüllung  bereits 

feschlossener  Verträge  handelt,  verboten.     (Vgl.  die  vorige  Bekanntmachung  und 
ie  daselbst  aufgeführten  weiteren,  insbesondere   die  folgende  Bekanntmachung.) 

Bekanntmachung  betr.  Ausnahmen  von  der  Bekannt- 
machung über  Rohtabak.  Vom  7.  August  1916  (RGBl.  S.  921). 
Auf  Grund  der  vorigen  Bekanntmachung.  —  Aufgehoben  durch 
Bekanntmachung    vom    10.    Oktober  1916,    vgl.    unten    Forts. 

Die  Rohtabakausfuhr-Prüfungsstelle  in  Bremen  kann  in  bestimmten  Fällen 
Ausnahmen  von  der  vorhergehenden  Bekanntmachung  zulassen. 

Bekanntmachung  wegen  Einfuhr  von  Tabak.  Vom  7.  August 
1916  (RGBl.  S.  921  f.).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  25.  Februar 
1916  (RGBl.  S.  111). 

Zur  Stärkung  unserer  Valuta  wird  die  Einfuhr  von  Tabak  und  Tabakerzeug- 
nissen, mit  Ausnahme  von  orientalischem  Tabak,  verboten.  (Vgl.  hierzu  die  Be- 
kanntmachung vom  18.  August  1916,  unten  8.  169,  ferner  vom  25.  Februar  1916, 
Bd.  52,  S.  230;  wegen  Tabak  im  übrigen  die  Bekanntmachung  vom  7.  August 
1916,  oben  S.  167.) 

Bekanntmachung  über  Aenderung  der  Preise  für  Kraft- 
futtermittel. Vom  5.  August  1916  (RGBl.  S.  923).  Auf  Grund 
verschiedener  Bekanntmachungen. 

Es  tritt  neben  einigen  weniger  wesentlichen  Aenderungen  eine  Erhöhung  des 
schon  durch  Bekanntmachung  vom  26.  März  1916  erstmalig  erhöhten  Höchst- 
preises für  Tierkörpermehl  ein.  (Vgl.  oben  Bekanntmachung  vom  3.  August  1916 
und  die  daselbst  aufgeführten  weiteren  Bekanntmachungen.) 

Bekanntmachung  zur  Durchführung  der  Verordnung  über 
Gerste.     Vom  5.  August  1916  (RGBl.    S.  924). 

Als  die  nach  der  Verordnung  vom  6.  Juli  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  200  f.)  „zu- 
ständige Stelle"  wird  die  Reichsfuttermittelstelle  (nach  Bekanntmachung  vom 
13.  September  1916  die  „Reichs- Gersten-Ges.  m.  b.  H.")  bestimmt. 

Bekanntmachung  über  die  Regelung  des  Verkehrs  mit 
Web-,  Wirk-  und  Strickwaren  für  die  bürgerliche  Be- 
völkerung. Vom  7.  August  1916  (RGBl.  S.  924).  Auf  Grund  der 
Bekanntmachung  vom  10.  Juni  1916  (RGBl.  S.  463),  —  Aufgehoben 
durch  Bekanntmachung  vom  31.  Oktober  1916  (vgl.  unten 
Forts.). 


\ßQ  NationalökoDomisehe  Gesetzgebung. 

Die  in  der  Bekanntmachung  vom  10.  Juni  1916  (vgl.  Bd.  53,  8.  188  f.)  ent- 
haltene Bestimmung,  daß  Woll-  und  Baumwollstoffe  bis  zu  Längen  von  2  Metern 
nicht  unter  die  Verkehrsregelung  fallen  sollen,  wird  gestrichen.  (Vgl.  die  weiteren 
Bekanntmachungen  vom  21.  August  1916,  unten  8.  169,  9.  8eptember  1916,  untea 
8.  177,  31.  Oktober  1916,  unten  Forts.) 

Bekanntmachung  tiber  den  Absatz  vonKarpfen  undSchleien. 
Vom  8.  August  1916  (RGBl.  S.  925  f.).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung 
vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Karpfen  und  Schleien  dürfen  mit  bestimmten  Ausnahmen  nur  noch  mit 
Genehmigung  der  „Kriegsgesellschaft  für  Teichfisch  Verwertung  m.  b.  H."  abgesetzt 
werdeu.  Auf  den  mit  Genehmigung  der  Kriegsgesellschaft  erfolgenden  Absatz 
finden  die  Höchstpreise  vom  1.  Mai  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  74  f.)  keine  Anwendung. 
(Vgl.  ferner  Bekanntmachung  vom  9.  September  1916,  unten  8.  177,  und  28.  No- 
vember 1916,  unten  Forts.) 

Verordnung  über  Eier.  Vom  12.  August  1916  (RGBl.  S.  927  ff.). 
Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

I.  Verteilungsstellen.  Für  jeden  Bundesstaat  oder  für  mehrere  Bundes- 
staaten gemeinsam  ist  eine  Landesverteilungsstelle  für  Eier  zu  errichten;  für  das 
Reichsgebiet  wird  eine  ßeichsverteilungsstelle  (nach  Bekanntmachung  vom  21.  No- 
vember 1916  mit  der  Bezeichnung  „Reichsverteilungsstelle  für  Nährmittel  und 
Eier",  da  ihr  auch  die  Verteilung  einer  Reihe  von  Nährmitteln  übertragen 
worden  ist)  errichtet  (geschehen  durch  Bekanntmachung  vom  25.  August  1916, 
v^l.  unten  S.  173).  Die  Landes  Verteilungsstellen,  die  Behörden  sind,  haben  für 
die  Verteilung  der  in  ihrem  Gebiete  erzeugten  oder  ihnen  überwiesenen  Eier  und 
die  Regelung  ihres  Verbrauchs  zu  sorgen ;  gegebenenfalls  sind  Ueberschüsse  nach 
den  Weisungen  der  Reichs  verteilungssteile  abzuliefern. 

U.  Verkehrs-  und  Verbrauchsregelung.  Eierhändler  u.  ä.  m.  be- 
dürfen zur  Ausübung  ihres  Gewerbes  der  Erlaubnis  der  zuständigen  Verteilungs- 
stellen; Aehnliches  gilt  für  Handel-  und  Gewerbetreibende,  die  für  Zwecke  ihres 
Handels-  oder  Gewerbebetriebs  Eier  haltbar  machen  oder  Eierkonserven  herstellen. 

—  Die  Kommunal  verbau  de  haben  den  Verkehr  mit  und  den  Verbrauch  von  Eiern 
in  ihrem  Bezirke  zu  regeln;  sie  können  insbesondere  Eierkarten  einführen;  Ge- 
meinden mit  mehr  als  10  000  Einwohnern  können  die  Uebertragung  der  Regelung 
verlangen.    Auf  Selbstversorger  findet  die  Verbrauchsregelung  keine  Anwendung. 

—  Post-  und  Eisenbahnsendungen  von  Eiern  sind  deutlich  Ss  Eiersendungen  zu 
kennzeichnen  und  sind  nur  zugelassenen  Händlern  oder  gegen  besondere  Be- 
scheinigung gestattet. 

lU.  Schlußbestimmungen.  Die  Landeszentralbehörden  erlassen  die  Aus- 
führungsbestimmungen ;  sie  können  weiterhin  Anordnungen  über  den  Eierverkauf 
durch  die  Geflügelhalter,  den  Aufkauf  und  die  gewerbsmäßige  Abgabe  von  Eiern 
treffen. 

Vgl.  wegen  Eiern  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916  (Bd.  53,  8.  72)  und 
die  daselbst  aufgeführten  Bekanntmachungen,  ferner  die  weiteren  Bekannt- 
machungen vom  18.  August  1916  (unten  S.  171),  31.  August  1916  (unten  S.  175) 
und  21.  August  1916  (unten  S.  169). 

Bekanntmachung  zur  Aenderung  der  Bekanntmachung 
über  die  Einfuhr  von  Käse  vom  11.  März  1916  in  der 
Fassung  der  Bekanntmachung  vom  5,  August  1916.  Vom 
16.  August  1916  (RGBl.  S.  934).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom 
13.  Januar  1916  (RGBl.  S.  31). 

Die  Landeszentralbehörden  können  einschränkende  Bestimmungen  für  den 
Grenzyerkehr  treffen.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  5.  August  1916,  Bd.  53,  8.  166, 
und  die  daselbst  aufgeführten  weiteren  Bekanntmachungen,  ferner  die  beiden  Be- 
kanntmachungen vom  21.  August,  unten  S.  169  und  S.  170,  und  vom  23.  August 
1916,  unten  S.  171.) 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  169' 

BekanntmachuDg  betr.  Aenderung  der  Bekaunt machung 
über  Fleischversorgung  vom  27.  März  1916  (RGBl.  S.  19  9) 
Vom  17.  August  1916  (EGBl.  S.  935).  Auf  Grund  des  Ges.  vom 
4.  August  1914  (EGBl.  S.  327). 

Neben  den  Kommunalverbänden  und  Landeszentralbehörden  (vgl.  Inhalts- 
angabe in  Bd.  52,  S.  237,  Abschnitt  II,  Absatz  3,  Satz  2)  kann  auch  der  Eeichs- 
kanzler  die  Verbrauchsregelun^  von  Fleisch  und  Fleischwaren  vornehmen,  ebenso 
von  Landeszentralbehörden  errichtete  LandesfleischsteUen.  (Vgl.  Bekanntmachung 
vom  27.  März  1916,  Bd.  52,  S.  237,  und  die  daselbst  aufgeiührten  weiteren  Be- 
kanntmachungen, ferner  die  Verordnung  vom  21.  August  1916,  unten  S.  170.) 

Bekanntmachung  wegen  Einfuhr  von  Tabaklauge.  Vom 
18.  August  1916  (RGBl.  S.  937).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung 
vom  25.  Februar  1916  (RGBl.  S.  111). 

Tabaklauge  unterliegt  nicht  dem  durch  Bekanntmachung  vom  7.  August  1916 
(vgl.  oben  8.  167)  festgesetzten  Einfuhrverbote. 

Bekanntmachung  über  die  Regelung  des  Verkehrs  mit 
Web-,  Wirk-  und  Strickwaren  für  die  bürgerliche  Be- 
völkerung. Vom  21.  August  1916  (RGBl.  S.  938).  Auf  Grund  der 
Bekanntmachung  vom  10.  Juni  1916  (RGBl.  S.  463).  —  Aufgehoben 
durch  Bekanntmachung  vom  31.  Oktober  1916  (vgl.  unten 
Forts.). 

Die  Reichsbekleidungsstelle  kann  auch  für  die  von  der  Verkehrsregelung 
im  allgemeinen  ausgeschlossenen  Gegenstände  (vgl.  Bekanntmachung  vom  10.  Juni 
1916  und  13.  Juli  1916,  Bd.  53,  S.  189,  7.  August  1916,  oben  S.  167  f.)  die  Ver- 
pflichtung zur  Aufstellung  von  Inventuren  aufstellen  und  Bestandserhebungen 
anordnen. 

Bekanntmachung  über  die  Aenderung  der  Ausführungs- 
bestimmungen  zur  Verordnung  des  Bundesrats  über  die 
Einfuhr  von  Eiern  vom  18.  April  1916.  Vom  21.  August  1916 
(RGBl.  S.  938).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916 
(RGBl.  S.  299). 

Die  Landeszentralbehörden  können  Beschränkungen  für  den  Grenzverkehr 
anordnen.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916,  Bd.  53,  S,  72,  und 
12.  August  1916,  oben  S.  168,  sowie  die  weiteren  dort  aufgeführten  Bekannt- 
machungen, ferner  Bekanntmachung  vom  16.  August  1916,  oben  S.  168.) 

Bekanntmachung  zur  Durchführung  der  Verordnung  übei 
Hafer.  Vom  19.  August  1916  (RGBl.  S.  939).  Auf  Grund  der  Be- 
kanntmachung vom  6.  Juli  1916  (RGBl.  S.  811). 

Es  darf  in  der  Zeit  vom  1.  September  bis  30.  November  1916  verfüttert  werden : 
an  jeden  Einhufer  4  Zentner  (nach  Bekanntmachung  vom  5.  September  1916: 
bis  31.  Dezember  57;j  Zentner),  an  jeden  Zuchtbullen  (unter  bestimmten  Voraus- 
setzungen) und  an  jeden  in  landwirtschaftlichen  Betrieben  tätigen  Arbeitsochsen 
2V4  Zentner  (nach  Bekanntmachung  vom  5.  September  1916:  bis  31.  Dezember 
3  Zentner).  (Vgl.  die  früheren  entsprechenden  Bekanntmachungen  vom  13.  Fe- 
bruar 1915,  Bd.  50,  S.  59,  9.  September  1915,  ßd.  51,  S.  354  f.  u.  355,  und  17.  Januar 
1916,  Bd.  52,  S.  223,  die  späteren  Bekanntmachungen  vom  5.  September  1916 
—  vorstehend  eingearbeitet  — ,  25.  August  1916,  unten  S.  173,  15.  September  1916, 
unten  Forts.,  25.  September  1916,  unten  Forts.;  wegen  Hafer  im  allgemeinen 
vgl.  Bekanntmachung  vom  6.  Juli  1916,  Bd.  53,  S.  201.) 


170  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Bekanntmachung  über  die  Aenderung  der  Ausführungs- 
bestimmungen zur  Verordnung  des  Bundesrats  über  die 
Einfuhr  von  Vieh  und  Fleisch,  sowie  Fleischwaren  vom 
22.  März  1916.  Vom  21.  August  1916  (RGBl.  S.  940).  Auf  Grund 
der  Bekanntmachung  vom  18.  März  1916  (RGBl.  S.  175). 

Die  Landeszentralbehörden  können  Beschränkungen  für  den  Grenzverkehr 
anordnen.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  22.  März  1916,  Bd.  52,  8.  235,  femer  vom 
16.  August  1916,  oben  8.  168.) 

Verordnung  über  die  Regelung  des  Fleischverbrauches. 
Vom  21.  August  1916  (RGBl.  S.  941  ff.).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Die  Verordnung  gilt  für  das  Muskelfleisch  von  Rindvieh,  8chafen,  8chweinen, 
Rot-,  Dam-,  Schwarz-  und  Rehwild,  sowie  für  Hühner,  ferner  für  Speck  und 
Rohfett,  Eingeweide  von  Rindvieh,  Schafen  und  Schweinen,  endlich  für  zu- 
bereitetes Fleisch  letzterer  drei  Arten  von  Vieh  und  zubereitetes  Wildbret,  Wurst, 
Fleischkonserven  und  sonstige  Dauerwaren  aller  Art.  Die  Landeszentralbehörden 
können  auch  den  Verbrauch  sonstiger  Fleischsorten  regeln,  ohne  daß  aber  da- 
durch die  festgesetzte  Höchstverbrauchsmenge  (vgl.  unten)   erhöht  werden  darf. 

Die  Verbrauchsregelung  selbst  erfolgt  durch  die  Kommunal  verbände'; 
jedoch  können  Gemeinden  mit  mehr  als  10  000  Einwohnern  die  Uebertragung  der 
Verbrauchsregelung  verlangen.  Die  Regelung  kann  jedoch  auch  von  den  Landes- 
zentralbehörden für  größere  Bezirke  in  die  Hand  genommen  werden.  Oberster  Gnmd- 
satz  der  Verbrauchsregelung  ist,  daß  Fleisch  und  Fleischwaren  nur  gegen  Fleisch- 
karten abgegeben  bzw.  bezogen  werden  dürfen.  Dies  gilt  insbesondere  auch  für 
Gasthäuser  usw. ;  nur  die  Selbstversorger  machen  für  ihren  Haushalt  und  ihre  Wirt- 
schaftsangehörigen eine  Ausnahme  (vgl.  nächsten  Absatz).  Die  Fleischkarte 
gilt  im  ganzen  Reich;  die  näheren  Bestimmungen  über  ihre  Ausgestaltung  sowie 
über  die  Höchstmengen  Fleisch,  die  auf  sie  abgegeben  werden  dürfen,  erläßt  das 
Kriegsernährungsamt  (vgl.  folgende  Bekanntmachung).  Steht  in  einem  Kom- 
munalverbande zu  wenig  Fleisch  zur  Verfügung,  als  daß  an  alle  Fleischkarten- 
inhaber die  Höchstmenge  verabfolgt  werden  kann,  so  ist  die  Geltung  der  einzelnen 
Fleischkartenabschnitte  entsprechend  herabzusetzen.  Kinder  bis  zu  6  Jahren  er- 
halten nur  halbe  Fleischmengen.  —  Die  Schlächtereien,  Gastwirtschaften  usw. 
müssen  in  geeigneter  Weise  überwacht  werden. 

Die  Verbrauchsregelung  erstreckt  sich  (mit  Ausnahme  der  Fleischkarte  selbst, 
vgl.  oben)  auch  auf  die  Selbstversorger;  als  Selbstversorger  gilt,  wer  durch 
Hausschlachtung  oder  Ausübung  der  Jagd  Fleisch  und  Fleischwaren  zum  Verbrauch 
im  eigenen  Haushalt  gewinnt.  Mehrere  Personen,  die  gemeinsam  Schweine  für  sich 
mästen,  werden  ebenfalls  als  Selbstversorger  angesehen;  das  gleiche  ist  der  Fall 
mit  Krankenhäusern  u.  ä.  m.,  die  Schweine  zur  Versorgung  der  von  ihnen  zu 
verköstigenden  Personen  mästen,  endlich  mit  gewerblichen  Betrieben,  die  Schweine 
ausschließlich  zur  Versorgung  ihrer  Angestellten  und  Arbeiter  mästen.  Haus- 
schlachtungen von  Schweinen  und  Rindvieh  (außer  Kälbern  bis  zu  6  Wochen)  be- 
dürfen der  Genehmigung;  diese  hat  zur  Voraussetzung,  daß  der  Selbstversorger 
das  betreffende  Tier  mindestens  6  Wochen  in  seiner  Wirtschaft  gehalten  hat; 
auch  dürfen  durch  Hausschlachtungen  keine  unverhältnismäßig  großen  Vorräte 
angehäuft  werden.  —  Die  Hausschlachtungen  von  Kälbern  bis  zu  6  Wochen,  von 
Schafen  und  Hühnern  sind  ebenso  wie  die  Verwendung  von  Wildbret  anzeige- 
pflichtig. Die  Verwendung  des  durch  Hausschlachtung  oder  durch  Ausübung 
der  Jagd  gewonnenen  Fleisches  erfolgt  unter  Zugrundelegung  der  Höchstyer- 
brauchsmenge ;  jedoch  wird  das  durch  Hausschlachtungen  gewonnene  Fleisch 
von  Rindvieh,  Schafen  und  Schweinen  nur  mit  ^ß,  das  Fleisch  des  ersten  inner- 
halb eines  Jahres  geschlachteten  Schweines  sogar  nur  mit  Vo  des  Schlachtgewichts 
angerechnet;  für  Wildbret  und  Hühner  gelten  die  allgemeinen  Bestimmungen 
vgl  folgende  Bekanntmachung). 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  171 

Für  Notschlachtungen  gelten  besondere  Bestimmungen.  Die  Aus- 
führungsbestimmungen  zur  gesamten  Verordnung  werden  von  den  Landeszentral- 
behörden erlassen, 

(Vgl.  die  frühere  Verordnung  vom  27.  März  1916,  Bd.  52,  S.  237,  die  dort 
aufgeführten  Verordnungen,  die  Bekanntmachung  vom  17.  August  1916,  oben 
S.  169,  sowie  vor  allem  die  folgende  Bekanntmachung.) 

Bekanntmachung  über  die  Ausgestaltung  der  Eleischkarte 
und  die  Festsetzung  der  Verbrauchsböchstmenge  an 
Fleisch  und  Fle  isch waren.  Vom  21.  August  1916  (RGBl. 
S.  945  ff.).     Auf  Grund  der  vorstehenden  Bekanntmachung. 

Jede  Fleischkarte  für  Erwachsene  (Vollkarte)  enthält  an  der  Stammkarte  für 
insgesamt  4  Wochen  40  Abschnitte,  also  je  10  für  eine  Woche,  Kinderkarten  die 
Hälfte;  jeder  Abschnitt  erhält  den  Aufdruck:  „7io  Anteil".  Die  Höchstverbrauchs- 
menge für  Kopf  und  Woche  wird  festgesetzt  auf  250  g  Fleisch  von  Kindvieh, 
Schafen  und  Schweinen  mit  Knochen,  oder  200  g  Fleisch  dieser  Tiere  ohne 
Knochen,  Schinken,  Dauerwurst,  Zunge,  Speck,  Kohfett  oder  500  g  Wildbret, 
Frischwurst,  Eingeweide,  Fleischkonserven  einschließlich  des  Dosengewichts.  Hüh- 
ner sind  mit  einem  Durchschnittsgewicht  von  400  g,  junge  Hähne  bis  zu  ^/^  Jahr 
mit  200  g  anzurechnen.     (Vgl.  die  vorige  Bekanntmachung.) 

Bekanntmachung  betr.  die  Verlängerung  der  Prioritäts- 
fristen in  Norwegen.    Vom  18.  August  1916  (RGBl.  S.  949). 

Die  in  der  Bekanntmachung  vom  7.  Mai  1915  (v^l.  Bd.  50,  S.  316)  genannten 
Prioritätsfristen  werden,  soweit  sie  nicht  am  29.  Juli  1914  abgelaufen  waren,  in 
Norwegen  für  Patente  bis  zum  31.  Dezember  1916  verlängert.  (Vgl.  Bekannt- 
inachung  vom  8.  April  1916,  Bd.  53,  S.  68,  und  die  daselbst  aufgeführten  weiteren 
Bekanntmachungen,  sowie  Bekanntmachung  vom  8.  September  1916,  unten  S.  177.) 

Bekanntmachung  über  die  Aenderung  der  Ausführungs- 
bestimmungen über  die  Einfuhr  von  Salzheringen  usw. 
vom  5.  April  1916.  Vom  23.  August  1916  (RGBl.  S.  949f.).  Auf 
Grund  verschiedener  Bekanntmachungen. 

Die  Landeszentralbehörden  können  Beschränkungen  für  den  Grenzverkehr 
mit  Salzheringen,  Salzfischen,  Klippfischen  und  Fischrogen  anordnen.  (Vgl.  Be- 
kanntmachungen vom  4.  und  5.  April  1916,  Bd.  53,  S.  65  f.  und  S.  66,  ferner  Be- 
kanntmachung vom  16  August  1916,  oben  S.  168,  und  die  dort  aufgeführten 
weiteren  Bekanntmachungen,  ferner  Bekanntmachung  vom  30.  September  1916, 
unten  Forts.,  20.  Oktober  1916,  unten  Forts.) 

Ausführungsbestimmungen  zur  Verordnung  des 
Bundesrats  über  die  Einfuhr  von  Futtermitteln,  Hilfs- 
stoffen und  Kunstdünger.  Vom  22.  August  1916  (RGBl.  S.  950). 
Auf  Grund    der  Bekanntmachung  vom  28.  Januar  1916   (RGBl.  S.  67). 

Es  handelt  sich  um  eine  unwesentliche  Aenderung  über  den  Zeitpunkt  des 
Eigentumsüberganges  eingeführter,  von  einer  Zentralstefle  übernommener  Waren. 
(Vgl.  Bekanntmachung  vom  28.  Januar  1916,  Bd.  52,  S.  226,  ferner  Bekannt- 
machung vom  18.  Juni  1916,  Bd.  53,  S.  191,  11.  September  1916,  unten  S.  178, 
1.  November  1916,  unten  Forts.,  10.  November  1916,  unten  Forts,  auch  vom 
5.  Oktober  1916,  unten  Forts.) 

Ausführungsbestimmungen  zur  Verordnung  des  Bun- 
desrats vom  18.  April  1916  über  die  Einfuhr  von  Eiern. 
Vom  18.  August  1916  (RGBl.  S.  951). 

Die  Verordnung  vom  18.  April  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  72)  findet  auch  auf 
die  Einfuhr  von  Eiern  aus  den  besetzten  Gebieten  Anwendung.  (Vgl.  wegen 
Eiern  Bekanntmachung  vom  12.  August  1916,  oben  S.  168.) 


272  NationalökonomLsche  Geitetzgebung. 

Bekanntmachung  über  Druckpapier.  Vom  22.  August  1916 
(RGBl.  S.  961  f.)  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916 
(RGBl.  S.  306). 

Im  September  1916  (nach  Bekanntmachung  vom  30.  September  1916  auch 
im  Oktober,  nach  Bekanntmachung  vom  31.  Oktober  1916  auch  im  November 
und  Dezember  1916)  darf  maschinen glattes,  holzhaltiges  Papier  zur  Hälfte  der 
Menge  bezogen  werden,  wie  sie  durch  Bekanntmachung  vom  20.  Juni  1916  (vgl. 
Bd.  53,  8.  72,  bei  der  Inhaltsangabe  der  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916) 
für  die  Zeit  vom  1.  Juli  bis  31.  August  1916  festgesetzt  worden  war.  Vgl.  wegen 
früherer  Bekanntmachungen  über  Druckpapier  die  Bekanntmachung  vom  18.  April 
1916  a.  a.  O.,  spätere  sind  erlassen  am  30.  September  1916  —  vorstehend  ein- 
gearbeitet — ,  5.  Oktober  1916,  unten  Forts.,  18.  Oktober  1916,  unten  Forts., 
31.  Oktober  1916  —  vorstehend  eingearbeitet.  —  Vgl.  auch  Bekanntmachung  vom 
30.  November  1916,  unten  Forts. 

Bekanntmachung  über  die  Anmeldung  von  Wertpapieren. 
Vom  23.  August  1916  (RGBl.  S.  952  f.).  Mit  Ausführungsbestimmungen 
vom  gleichen  Tage  (RGBl.  S.  953  ff.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4. 
August  1914  (RGBl.  8.  327). 

Anmeldepflichtig  sind: 

a)  alle  im  Auslande  befindlichen  Wertpapiere,  soweit  sie  im  Inlande  wohnenden 
oder  dauernd  sich  aufhaltenden  oder  ihren  Sitz  habenden  Personen  gehören; 

b)  ausländische  Wertpapiere,  soweit  sie  sich  im  Inlande  befinden. 

Die  ursprünglich  bis  zum  31.  Oktober  1916  angesetzte  Anmeldefrist  ist  durch 
Bekanntmachung  vom  28.  Oktober  1916  bis  zum  15.  November  verlängert  worden. 

Bekanntmachung  über  die  Regelung  der  Wildpreise.  Vom 
24.  August  1916  (RGBl.  S.  959  f.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August 
1914  (RGBl.  S.  327). 

Die  Bekanntmachung  tritt  an  die  Stelle  der  Bekanntmachung  vom  28.  Ok- 
tober 1915  (vgl.  Bd.  51,  S.  366],  hält  jedoch  die  wichtigsten  Bestimmungen  dieser 
Verordnung  aufrecht.  Die  Innaltsangabe  a.  a.  O.  hat  also  im  wesentlichen  auch 
für  die  vorliegende  Bekanntmachung  Geltung.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom 
17.  September  1916,  unten  Forts.) 

Bekanntmachung  betr.  die  TJeberwachung  und  zwangs- 
weise Verwaltung  ausländischer  Unternehmungen.  Vom 
24.  August  1916  (RGBl.  S.  961).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August 
1914  (RGBl.  S.  327). 

a)  Zwangsvollstreckungen,  Arreste,  einstweüige  Verfügungen  und  Konkurs- 
anträge gegen  überwachte  oder  zwangsweise  verwaltete  ausländische  Unter- 
nehmungen bedürfen  der  Genehmigung  der  Landeszentralbehörde. 

b)  Die  gemäß  den  Zahlungsverboten  gegen  feindliche  Staaten  (vgl.  Bekannt- 
machung vom  14.  Mai  1916,  Bd.  53,  S.  77  und  14.  Oktober  1915,  Bd.  51,  S.  363) 
ausgesprochene  Stundung  von  Forderungen  feindlicher  Staatsangehöriger  findet 
auf  die  unter  a)  genannten  Unternehmungen  keine  Anwendung. 

(Vgl.  Bekanntmachung  vom  14.  Mai  1916,  Bd.  53,  S.  77  und  28.  August 
1916,  unten  S.  173.) 

Bekanntmachung  über  die  äußere  Kennzeichnung  von 
Waren.  Vom  25.  August  1916  (RGBl.  S.  962).  Auf  Grund  der 
Bekanntmachung  vom  18.  Mai  1916  (RGBl.  S.  380). 

Die  Bekanntmachung  vom  18.  Mai  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  78)  findet  auch  auf 
Pudding-  und  Backpulver  Anwendung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  ]^73 

Bestimmungen  über  die  Errichtung,  die  Zusammensetzung 
und  das  Verfahren  der  Preisstelle  für  metallische  Pro- 
dukte in  Berlin.  Vom  26.  August  1916  (RGBl.  S.  963  ff.).  Auf 
Grund  der  Bekanntmachung  vom  31.  Juli  1916  (RGBl.  S.  868). 

Es  handelt  sich  um  formelle  Bestimmungen  betr.  die  Preisstelle,  die  über  Strei- 
tigkeiten aus  der  Bekanntmachung  vom  31.  Juli  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  210)  ent- 
scheiden soll. 

Bekanntmachung  über  den  Einkauf  von  Kohlrüben  und 
Grünkohl.  Vom  25.  August  1916  (RGBl.  S.  967).  Auf  Grund  der 
Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  402). 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  ist  in  die  Inhaltsangabe  der  Bekannt- 
machung vom  5.  August  1916  (vgl.  oben  S.  166)  eingearbeitet. 

Bekanntmachung  zur  Durchführung  der  Verordnung  über 
Hafer  aus  der  Ernte   1916.     Vom  25.  August  1916  (RGBl.  S.  968). 

Als  die  nach  der  Verordnung  vom  6.  Juli  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  201)  „zu- 
ständige Stelle"  wird  die  Reichsfuttermittelstelle  bestimmt. 

Bekanntmachung  betr.  Ergänzung  der  Ausführungsbe- 
stimmungen zurVerordnung  über  den  Verkehr  mit  Seife, 
Seifenpulver  und  anderen  fetthaltigen  Waschmitteln 
vom  21.  Juli  1916  (RGBl.  S.  7  66).  Vom  28.  August  1916  (RGBl. 
S.  970).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916  (RGBl. 
S.  307). 

Auch  Schiffskesselreiniger  sollen  bis  zu  zwei  Seifenzusatzkarten  erhalten 
können.     (Vgl.  Bekanntmachung  vom  21.  Juli  1916,  Bd.  53,  S.  206.) 

Bekanntmachung  über  die  Errichtung  einer  Reichsver- 
teilungsstelle für  Eier.  Vom  25.  August  1916  (RGBl.  S.  970). 
Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  402). 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  ist  in  die  Inhaltsangabe  der  Bekannt- 
machung vom  12.  August  1916  (vgl.  oben  S.  168)  eingearbeitet. 

Bekanntmachung  betr.  Zahlungsverbot  usw.  gegen  Ru- 
mänien. Vom  28.  August  1916  (RGBl.  S.  971  f.).  Auf  Grund  ver- 
schiedener Verordnungen. 

Die  Vorschriften  der  Bekanntmachung  vom  30.  September  1914  betr. 
Zahlungsverbot  gegen  England  (vgl.  Bd.  49,  S.  67)  und  der  Bekanntmachung 
vom  7.  Oktober  1915  betr.  Anmeldung  des  Vermögens  feindlicher  Staatsangehöriger 
(vgl.  Bd.  51,  S.  360)  finden  auf  Rumänien  Anwendung.  (Vgl.  Bekanntmachung 
vom  14.  Mai  1916  —  Bd.  53,  S.  77  —  und  24.  August  1916  —  vgl.  oben  S.  172, 
Inhaltsangabe,  Ziffer  b)  — ,  ferner  Bekanntmachung  vom  28.  September  1916, 
unten  Forts.) 

Bekanntmachung  betr.  Ausführungsbestimmungen  zu  den 
Bekanntmachungen  über  die  Höchstpreise  fürPetroleum 
und  die  Verteilung  der  Petroleumbestände  vom  8.  Juli 
1915  (RGBl.  S.  420),  vom  21.  Oktober  1915  (RGBl.  S.  683), 
vom  1.  Mai  1916  (RGBl.  S.  350)  und  vom  23.  Juli  1916 
(RGBl.  S.  77  9).  Vom  28.  August  1916  (RGBl.  S.  972).  Auf  Grund 
der  genannten  Bekanntmachungen.  —  Durch  Bekanntmachung 
vom  9.  September  1916,  vgl.  unten  S.  178,  wieder  außer 
Kraft  gesetzt. 


]^74  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Petroleum  darf  zu  Leuchtzwecken  bis  auf  weiteres  nicht  mehr  abgesetzt 
werden.  (Vgl  wegen  früherer  Maßnahmen  die  in  der  Ueberschrift  genannten 
Bekanntmachungen:  Bd.  50,  S.  329;  Bd.  51,  B.  364;  Bd.  53,  8.  75  und  S.  206  f.) 

Bekanntmachung   über  Höchstpreise  für  Zwetschen.     Vom 

29.  August  1916   (RGBl.  S.  973  f.).     Auf   Grund   der  Bekanntmachung 
vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Der  Höchstpreis  für  Hauszwetschen  (Bauernpflaumenj  wird  für  Verkäufe 
durch  den  Erzeuger  auf  10  M.  für  den  Zentner,  für  den  Kleinhandel  auf  25  Pf. 
für  das  Pfund  festgesetzt.  Die  zuständigen  Behörden  können  Hauszwetschen 
für  bestimmte  Personen  beschlagnahmen.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  5.  August 
1916,  oben  S.  166.) 

Verordnung  über  die  Nachprüfung  der  Erntevor- 
schätzungen im  Jahre  1916.  Vom  27.  August  1916  (RGBl. 
S.  975  ff.).     Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916  (RGBl. 

S.  401). 

In  der  Zeit  vom  20.  September  bis  5.  Oktober  hat  eine  Nachprüfung  der 

femäß  Verordnung  vom  21.  Juni  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  193)  vorgenommenen 
Irntevorschätzungen  stattzufinden,  jedoch  nur  für  Weizen  (auch  Spelz,  Einkorn 
usw.),  Roggen,  Gerste  und  Hafer.  Vgl.  auch  Verordnung  vom  31.  August  1916, 
unten  S.  175. 

Bekanntmachung  zur  Durchführung  der  Verordnung  über 
Hülsenfrüchte    vom    29.    Juni    1916    (RGBl.    S.    846).     Vom 

30.  August    1916    (RGBl.    S.    981  f.).     Auf   Grund   der   genannten   Be- 
kanntmachung. 

Die  Bewirtschaftung  der  Hülsenfrüchte  wird  in  Abänderung  der  Bekannt- 
machung vom  25.  Juli  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  208)  der  Reichs- Hülsenfruchtstelle 
G.  m.  b.  H.  (nach  Bekanntmachung  vom  25.  Juli  1916  war  die  Reichs  -  Hülsen- 
fruchtstelle eine  Abteilung  der  Zentral-Einkaufsgesellschaft)  übertragen.  Weiterhin 
werden  die  den  Besitzern  von  Hülsenfrüchten  zu  belassenden  Mengen  festgesetzt; 
ferner  werden  neben  den  in  der  Bekanntmachung  vom  29.  Juni  1916  —  vgl. 
Bd.  53,  S.  198  f.  —  veröffentlichten  Höchstpreisen  Preise  für  gute,  handelsübliche 
Durchschnitts  wäre  erlassen;  die  Bekanntmachung  enthält  endlich  noch  eine 
Reihe  weniger  wesentlicher  Bestimmungen. 

Bekanntmachung  betr.  Aenderung  des  §  25  des  Gesetzes 
über  die  Kriegsleistungen  vom  13.  Juni  187  3  (RGBl.  S.  129). 
Vom  30.  August  1916  (RGBl.  S.  983  f.).     Auf  Grund  des  Gesetzes  vom 

4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Es  handelt  sich  um  Bestimmungen  über  die  Ueberlassung  von  Pferden  an 
die  Militärbehörde.  (Vgl.  hierzu  die  folgende  Bekanntmachung ;  frühere  Bekannt- 
machungen betr.  Kriegsleistungen  sind  ergangen  am  24.  August  1914,   Bd.  49, 

5.  63  f.,  und  24.  Mai  1915,  Bd.  50,  S.  319.) 

Bekanntmachung  betr.  Festsetzung  des  Zuschlags  zu  den 
Friedenspreisen  der  zum  Kriegsdienst  ausgehobenen 
Pferde.  Vom  30.  August  1916  (RGBl.  S.  984).  Auf  Grund  der  vor- 
stehenden Bekanntmachung. 

Der  Zuschlag  wird  auf  50  v.  H.  festgesetzt.  (Vgl.  vorstehende  Bekannt- 
machung.) 

Bekanntmachung  über  die  Bestätigung  von  Schecks  durch 
die  Reichsbank.  Vom  31.  August  1916  (RGBl.  S.  985  f.).  Auf 
Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  |^75 

Versieht  die  Reichsbank  einen  auf  sie  gezogenen  Scheck  mit  einem  Be- 
stätigungsvermerke, so  wird  sie  hierdurch  dem  Inhaber  zur  Einlösung  verpflichtet  ,- 
sie  haftet  für  die  Einlösung  auch  dem  Aussteller  und  den  Indossanten;  sie  ist 
zur  Erteilung  des  Vermerkes  jedoch  nur  nach  vorheriger  Deckung  befugt. 

Bekanntmachung  betr.  Aenderung  der  Verordnungen  über 
die  Regelung  des  Absatzes  von  Erzeugnissen  der  Kar- 
toff eltrocknerei  und  der  Kartoffelstärkefabrikation. 
Vom    31.  August  1916    (RGBl.    S.  986  ff.).      Auf  Grund    des  Ges.  vom 

4.  Augnst  1914  (RGBl.  S.  327). 

Die  Bekanntmachung  ändert  die  früheren  Bekanntmachungen  (insbesondere 
Bekanntm.  vom  16.  September  1915,  Inhaltsangabe  Bd.  51,   S.  356,  und  Bd.  50, 

5.  62  f.)  in  zahlreichen,  jedoch  meist  nicht  wesentlichen  Punkten  ab.  (Vgl.  wegen 
früherer  Verordnungen  die  Bekanntmachung  vom  15.  April  1916  in  Bd.  53,  S.  71, 
Inhaltsangabe  Ziffer  b.)  Die  Bekanntmachung  vom  16.  September  1915  ist  in 
ihrer  Neufassung  am  2z.  September  1916  —  vgl.  unten  Forts.  —   veröffentlicht. 

Bekanntmachung  über  Ernteschätzungen.  Vom  31.  August 
1916  (RGBl.  S.  989  f.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914 
(RGBl.  S.  327). 

Die  nach  Bekanntmachung  vom  21.  Juni  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  193)  für  die 
Zeit  vom  1. — 25.  September  1916  angeordnete  Erntevorschätzung  für  Kartoffeln 
und  Rüben  wird  auf  die  Zeit  vom  20.  September  bis  5.  Oktober  1916  verschoben. 
Gleichzeitig  ist  eine  Ernteschätzung  für  Hülsenfrüchte  vorzunehmen.  (Vgl.  auch 
Bekanntmachung  vom  27.  August  1916,  oben  S.  174.) 

Verordnung  über  das  Inkrafttreten  der  Verordnung  über 
Eier.  Vom  31.  August  1916  (RGBl.  S.  991).  Auf  Grund  der  Be- 
kanntmachung vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Das  Inkrafttreten  einer  Reihe  von  Bestimmungen  wird  vom  1.  September 
auf  den  18.  September  1916  verschoben.  (Vgl.  Verordnung  vom  12.  August  1916, 
oben  S.  168.) 

Bekanntmachung  betr.  Ausnahme  von  dem  Verbote  von 
Mitteilungen  über  Preise  von  Wertpapieren  usw.  Vom 
29.  August  1916  (RGBl.  S.  993).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung 
vom  25.  Februar  1916  (RGBl.  S.  111). 

Mitteilungen  von  Personen  usw.,  die  gewerbsmäßig  Bankiergeschäfte  betreiben, 
an  ihre  Kunden  über  Verkaufspreise,  die  für  ausländische  Wertpapiere  auf  Grund 
ausländischer  Kursnotierungen  im  Inland  zu  erzielen  sind,  sind  zulässig.  (Vgl. 
Bekanntmachung  vom  22.  Januar  1916,  Bd.  52,  S.  225.) 

Bekanntmachung  über  dasAußerkrafttreten  derBekannt- 
machung  betr.  den  Handel  mit  Mehl,  vom  2  7.  Juli  1915 
(RGBl.  S.  47  7).  Vom  4.  September  1916  (RGBl.  S.  995).  Auf  Grund 
der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  402). 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  geht  aus  der  Ueberschrift  hervor.  (Vgl. 
Bd.  ,50,  S.  334;  vgl.  wegen  Mehl  im  übrigen  die  Bekanntmachung  vom  29.  Juni. 
1916    Bd.  53,  S.  198  f.) 

Bekanntmachung  betr.  den  Uebergang  der  Geschäfte  der 
Reichsprüfungsstelle  für  Lebensmittelpreise  auf  das 
Kriegsernährungsamt.  Vom  1.  September  1916  (RGBl.  S.  997). 
Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  Aug.  1914  (RGBl.  S.  327). 


176  Nationalökonomische  Gesetzgebttojii:. 

Die  Reichs-Preisprüfungsstelle  (vgl.  Bd.  51,  8.  358)  wird  aufgehoben.  Ihre 
Aufgaben  und  Befugnisse  gehen  auf  das  Kriegsernährungsamt  über.  (Vgl.  Be- 
kanntmachung vom  22.  Mai  1916,  Bd.  53,  S.  79.) 

Bekanntmachung  zur  Durchführung  der  Verordnung  über 
Hafer.     Vom  5.  September  1916  (RGBl.  S.  997  f.). 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  ist  in  die  Inhaltsangabe  der  Bekannt- 
machung vom  19.  August  1916  (vgl.  oben  S.  169)  eingearbeitet. 

Bekanntmachung  von  Uebergangsvorschriften  zur  Ver- 
ordnung über  Speisefette  vom  20.  Juli  1916  (RGBl.  S.  755). 
Vom  6.  September  1916  (RGBl.  S.  998).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  20.  Juli  1916  (RGBl.  S.  755). 

Es  wird  das  Verhältnis  von  Zentral  -  Einkaufsgesellschaft  bzw.  Landes- 
Verteilungsstelle,  für  die  die  Butter  früher  beschlagnahmt  war,  und  den  Kom- 
munalverbänden als  den  neuen  Berechtigten  für  die  Zeit  bis  zum  15.  Oktober  1916, 
durch  weitere  Bekanntmachung  vom  3.  Oktober  1916  für  die  Zeit  nach  dem 
15.  Oktober  1916,  geregelt.  (Vgl.  die  Verordnung  vom  20.  Juli  1916,  Bd.  53,  S.  205, 
sowie  wegen  Fetten  und  Oelen  die  Bekanntmachung  vom  13.  April  1916,  Bd.  53, 
S.  205,  sowie  die  daselbst  aufgeführten  weiteren  Bekanntmachungen,  ferner  die 
Bekanntmachung  vom  3.  August  1916,  oben  S.  165,  und  die  daselbst  aufgeführten 
weiteren  Bekanntmachungen.) 

Bekanntmachung  über  die  Einfuhr  von  Walnüssen  und 
Haselnüssen.  Vom  7.  September  1916  (RGBl.  S.  999f.).  Mit  Aus- 
führungsbestimmungen vom  gleichen  Tage  (RGBl.  S.  1000  f.).  Auf 
Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Eingeführte  Walnüsse  und  Haselnüsse  müssen  an  den  Kriegsausschuß  für 
pflanzliche  und  tierische  Oele  und  Fette  abgeliefert  werden,  der  einen  ange- 
messenen Uebernahmepreis  zu  zahlen  hat.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  3.  August 
1916,  oben  S.  165,  und  die  daselbst  angeführten  weiteren  Bekanntmachungen.) 

Bekanntmachung  über  den  Verkehr  mit  Harz.  Vom  7.  Sep- 
tember 1916  (RGBL  S.  1002  f.)  Mit  Ausführungsbestimmungen  vom 
gleichen  Tage  (RGBl.  S.  1003  ff.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August 
1914  (RGBl.  S.  327). 

a)  Rohharz  jeder  Art,  das  sich  zur  Herstellung  von  Kolophonium  eignet, 
sowie  Kolophonium  selbst  sind  dem  Kriegsausschuß  für  pflanzliche  und  tierische 
Fette  und  Oele  anzubieten  und  auf  Verlangen  abzuliefern. 

b)  Die  unter  a)  genannten  Gegenstände  sowie  Harz  jeder  Herkunft  und 
Harzprodukte,  die  aus  dem  Auslande  eingeführt  werden,  sind  an  den  Kriegs- 
ausschuß abzuliefern. 

c)  Der  Reichskanzler  kann  den  Verkehr  mit  Harz  und  Harzprodukten 
regeln;  er  hat  hier  unter  anderem  bestimmt,  daß  die  gewerbliche  Verarbeitung 
von  ßohharz  der  unter  a)  genannten  Art  nur  mit  Zustimmung  des  Kriegsaus- 
schusses erfolgen  darf.  Die  Bekanntmachung  vom  9.  März  1916  (Bd.  52,  S.  233) 
tritt  außer  Kraft. 

d)  Es  wird  für  den  10.  September  1916  eine  Anzeige  der  unter  a)  genannten 
Gegenstände  angeordnet. 

(Vgl.  Bekanntmachung  vom  3.  August  1916,  oben  S.  165,  und  die  daselbst  auf- 
geführten weiteren  Bekanntmachungen.) 

Bekanntmachung  zur  Ergänzung  der  Verordnung  über  die 
Einfuhr  von  pflanzlichen  und  tierischen  Oelen  und 
Fetten    sowie    Seifen    vom    4.    März    1916   (RGBl.   S.    148). 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  177 

Vom  7.  September    1916    (RGBl.  S.  1006).     Auf   Grund  des  Ges.  vom 
4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Als  tierische  Fette  im  Sinne  der  Bekanntmachung  vom  4.  März  1916  (vgl. 
ßd.  52,  S.  233)  soll  auch  Speck  von  Fischen  und  Seesäugetieren  gelten.  (Wegen 
weiterer  Bekanntmachungen  über  Fette  vgl.  die  Bekanntmachung  vom  3.  August 
1916,  oben  S.  165.) 

Bekanntmachung  betr.  die  Verlängerung  der  Prioritäts- 
fristen  in    Dänemark.     Vom   8.  September  1916  (RGBl.  S.  1007). 

Die  in  der  Bekanntmachung  vom  7.  Mai  1915  (vgl.  Bd.  50,  S.  316)  ge- 
nannten Prioritäts fristen  werden  in  Dänemark  weiter  bis  zum  1.  Januar  1917 
verlängert.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  8.  April  1916,  Bd.  53,  S.  68,  und  die 
daselbst  aufgeführten  Bekanntmachungen,  sowie  Bekanntmachung  vom  18.  August 
1916,  oben  S.  171.) 

Verordnung  über  die  Vorausverwendung  von  Malz  in  den 
Bierbrauereien.  Vom  8.  September  1916  (RGBl.  S.  1007f.).  Auf 
Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Im  September  1916  darf  ein  Drittel  der  für  das  IV.  Vierteljahr  zugeteilten 
Malzmenge  vorausverwendet  werden.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  4.  Mai  1916, 
Bd.  53,  S.  75  f.,  und  die  daselbst  aufgeführten  weiteren  Bekanntmachungen,  ins- 
besondere Bekanntmachung  vom  18.  Mai  1916,  Bd.  53,  S.  78.) 

Bekanntmachung  über  die  Preise  für  Teichfische.  Vom 
9.  September  1916  (RGBl.  S.  1008).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung 
vom  1.  Mai   1916  (RGBl.  S.  347). 

Es  handelt  sich  um  eine  weniger  wesentliche  Vorschrift.  (Vgl.  im  übrigen 
Bekanntmachung  vom  8.  August  1916,  oben  S.  168.) 

Bekanntmachung  über  die  Regelung  des  Verkehrs  mit 
Web-,  Wirk-  und  Strickwaren  für  die  bürgerliche  Be- 
völkerung. Vom  9.  September  1916  (RGBl.  S.  1009).  Auf  Grund 
der  Bekanntmachung  vom  10.  Juni  1916  (RGBl.  S.  463).  —  Auf- 
gehoben durch  Bekanntmachung  vom  31.  Oktober  1916, 
unten  Forts. 

Von  der  Regelung  nicht  betroffen  sollen  weiterhin  alle  Spielwaren  aus 
den  genannten  Waren  sein,  soweit  die  dazu  erforderlichen  StoÖe  bereits  am 
2.  September  1916  zugeschnitten  waren.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  10.  Juni 
1915,  Bd.  53,  S.  188,  weiterhin  Bekanntmachung  vom  7.  August  1916,  oben  8. 167  f., 
und  die  daselbst  aufgeführten  weiteren  Bekanntmachungen.) 

Bekanntmachung  über  Höchstpreise  für  Gerstengraupen 
(Rollgerste)  und  Gerstengrütze.  Vom  9.  September  1916 
(RGBl.  S.  1010  f.).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916 
(RGBl.  S.  401). 

Es  wird  ein  Erzeugerhöchstpreis  von  49,20  M.  für  100  kg,  ein  Eleinhandels- 
höchstpreis  von  30  Pf.  für  das  Pfund  festgesetzt. 

Bekanntmachung  betr.  Ausführungsbestimmungen  zu  den 
Bekanntmachungen  über  Höchstpreise  für  Petroleum 
und  die  Verteilung  der  Petroleumbestände  vom  8.  Juli 
1915  (RGBl.  S.  420),  vom  21.  Oktober  1915  (RGBl.  S.  683) 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  12 


178  Nationalökonomiache  Gesetzgebung. 

und  vom  1.  Mai  1916  (RGBl.  S.  350).     Vom   9.  September  1916 
(RGBl.  S.  1011).     Auf  Grund  der  genannten  Bekanntmachungen. 

Die  Bekanntmachung  vom  28.  August  1916  (vgl.  oben  8.  173  f )  wird  wieder 
aufgehoben. 

Bekanntmachung  über  Ausdehnung  der  Verordnung  betr. 
die  Einfuhr  von  Futtermitteln,  Hilfsstoffen  und  Kunst- 
dünger, vom  28.  Januar  1916  (RGBl.  S.  67),  und  der  dazu 
erlassenen  Ausführungsbestimmungen  vom  31.  Januar 
1916  (RGBl.  S.  71).  Vom  11.  September  1916  (RGBl.  S.  1013). 
Auf  Grund  der  genannten  Bekanntmachungen. 

Die  genannten  (vgl.  ßd.  52,  S,  226)  Bekanntmachungen  werden  auf  eine 
Reihe  von  Seetieren  (Garneelen  u.  a.)  ausgedehnt.  (Vgl.  auch  Bekanntmachung 
vom  24.  Mai  1916,  Bd.  53,  S.  80,  22.  August  1916,  oben  8.  171,  1.  November 
1916,  unten  Forts.,  10.  November  1916,  unten  Forts.) 

Bekanntmachung  über  die  Einfuhr  von  Gemüse  und  Obst. 
Vom  13.  September  1916  (RGBl.  S.  lOlöff.).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Die  Einfuhr  von  Gemüse  und  Obst  ist  gegenüber  der  Reichsstelle  für  Gemüse 
und  Obst  anzeigepflichtig.  Die  eingeführten  Mengen  dürfen  nur  durch  sie  oder 
mit  ihrer  Genehmigung  in  den  Verkehr  gebracht  werden ;  auf  ihr  Verlangen  muß 
das  eingeführte  Obst  oder  Gemüse  an  sie  verkauft  werden ;  in  letzterem  Falle  setzt 
sie  den  Uebernahmepreis  endgültig  fest.  (Vgl.  wegen  Gemüse  Bekanntmachung 
vom  5.  August  1916,  oben  S.  166,  wegen  Obst  Bekanntmachung  vom  5.  August 
1916,  oben  S.  166.)  In  Kraft  getreten  ist  die  Bekanntmachung  nach  Bekannt- 
machung vom  20.  September  1916  am  27.  September  1916. 

Bekanntmachung  betr.  Aenderung  der  Bekanntmachung 
über  die  Sicherstellung  von    Kriegsbedarf   vom    24.  Juni 

1915  (RGBl.  S.  357).     Vom  14.  September  1916   (RGBl.  S.  1019f.) 

Es  handelt  sich  um  Entschädigungsfragen  und  formelle  Vorschriften.  (Vgl. 
Bekanntmachung  vom  24.  Juni  1915,  Bd.  50,  S.  323,  9.  Oktober  1915,  Bd.  51, 
8.  361,  25.  November  1915,  ßd.  51,  8.  372,  endhch  die  folgende  Bekannt- 
machung. 

Bekanntmachung  betr.  Aenderung  der  Anordnung  für  das 
Verfahren  vor  dem  Reichsschiedsgerichte  für  Kriegs- 
bedarf vom  22.  Juli  1915  (RGBl.  S.  469).     Vom  14.  September 

1916  (RGBl.  S.  1021  f.). 

Die  Bekanntmachung  enthält  lediglich  formelles  Recht.  Vgl.  Bekanntmachung 
vom  22.  Juli  1915  (ßd.  50,  S.  334). 

Bekanntmachung  betr.  Aenderung  der  Verordnung  über 
Preisbeschränkungen  bei  Verkäufen  von  Web-,  Wirk- 
ijnd  Strickwaren  vom  30.  März  1916  (RGBl.  S.  214.)  Vom 
14.  September  1916  (RGBl.  S.  1022).  Auf  Grund  des  Ges.  vom 
4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Es  handelt  sich  um  eine  weniger  wesentliche  Vorschrift.  (Vgl.  Bekannt- 
machung vom  30.  März  1916,  ßd.  52,  8.  238.)  Hierzu  ist  eine  Ergänzungsver- 
ordnung, betr.  Ausführungs Vorschriften  vom  gleichen  Tage  (RGBl.  8.  1023),  er- 
gangen. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  17  9 

Bekanntmachung  über  d*)n  Verkehr  mit  Leim.  Vom  14.  Sep- 
tember 1916  (RGBl.  S.  1023  f.).  Mit  Ausführungsbestimmungen  vom 
gleichen  Tage  (RGBl.  S.  1024  f.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August 
1914  (RGBl.  S.  327). 

Durch  die  Hauptverordnung  wird  der  Reichskanzler  ermächtigt,  den  Ver- 
kehr mit  Leim  zu  regeln.  In  den  Ausführungsbestimmungen  hat  er  eine  laufende 
Anzeigepflicht  für  Hersteller  und  Besitzer  von  Leim  gegenüber  dem  Kriegsaus- 
schusse für  Ersatzfutter  festgesetzt.  (Vgl.  auch  Bekanntmachung  vom  24.  Februar 
1916,  Bd.  52,  S.  230.) 

Verordnung  über  Bucheckern.  Vom  14.  September  1916 
(RGBl.  S.  1027  ff.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl. 
S.  327). 

Gesammelte  Bucheckern  sind  mit  bestimmten  Ausnahmen  an  den  Kriegs- 
ausschuß für  pflanzliche  und  tierische  Oele  und  Fette  abzuliefern;  über  die  ge- 
sammelten Mengen  ist  ihm  am  1.  November  und  1.  Dezember  1916  Anzeige 
zu  erstatten ;  er  hat  sie  gegen  einen  angemessenen  Uebernahmepreis  abzunehmen 
und  weiterhin  für  die  Verarbeitung  der  übernommenen  Bucheckern  zu  sorgen 
und  das  gewonnene  Oel  nach  den  Weisungen  des  Reichskanzlers  abzugeben. 
Die  Verfütterung  von  Bucheckern  ist  verboten.  Es  können  auch  Personen,  die 
nicht  forstnutzungsberechtigt  sind,  von  der  zuständigen  Behörde  zur  Sammlung 
ermächtigt  werden.  Die  Bekanntmachung  vom  14.  Oktober  1915  (vgl.  Bd.  51, 
S.  362)  wird  aufgehoben.  (Vgl.  auch  Bekanntmachung  vom  3.  August  1916, 
oben  S.  166.) 

Verordnung  über  Buchweizen  und  Hirse.  Vom  14.  September 
1916  (RGBl.  S.  1031).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914 
(RGBl.  S.  327). 

Die  Verordnung  vom  29.  Juni  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  199)  erfährt  einige  Ab- 
änderungen, deren  wichtigste  die  ist,  daß  die  Herstellung  von  Nahrungsmitteln 
aus  Buchweizen  und  Hirse  nur  gegen  Mahlkarte  stattfinden  darf.  (Vgl.  Bekannt- 
machung vom  16.  September  1916,  unten  Forts.) 

Bekanntmachung  betr.  Saatkartoffeln.  Vom  14.  September 
1916  (RGBl.  S.  10311).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914 
(RGBl.  S.  327).  —  Aufgehoben  durch  Bekanntmachung  vom 
16.  November  1916,  vgl.  unten  Forts. 

Die  Ausfuhr  von  Saatkartoffeln  aus  einem  Kommunalverbande  bedarf  seiner 
Genehmigung.  Für  Saatkaitoffeln  gelten  bis  zum  15.  Mai  1917  die  Höchstpreise 
vom  13.  Juli  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  203)  nicht.  Vgl.  im  übrigen  wegen  Kartoffeln 
die  Bekanntmachung  vom  2.  August  1916  (oben  ö.  164). 

Verordnung  über  den  Verkehr  mit  Zucker  im  Betriebs- 
jahr 1916/17.  Vom  14.  September  1916  (RGBl.  S.  1032 ff.).  Mit 
Ausführungsverordnungen  vom  27.  September  1916  (RGBl.  S.  1085  ff.) 
und  vom  29.  September  1916  (betr.  Inkrafttreten  einiger  Vorschriften, 
RGBl.  S.  1093).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl. 
S.  327). 

I.  Reichszuckerstelle.  Die  Versorgung  der  Bevölkerung  mit  Zucker 
liegt  der  „Reichszuckerstelle**  ob.  Ihr  gehört  zur  Verteilung  des  Rohzuckers  eine 
besondere  Abteilung  als  „Verteilungsstefle  für  Rohzucker"  an. 

IL  Aufbringung  des  Zuckers.  Zuckerrüben  dürfen  nicht  verfüttert 
werden;  der  Reichskanzler  bestimmt,  ob  und  in  welchen  Mengen  Zuckerrüben  zu 

12* 


1^0  Natioaalökoaomiflohe  Qesetzgebang. 

andereo  Zwecken  als  zur  Verarbeitung  auf  Zucker  verwendet  werden  dürfen  (für 
die  Branntweinbereitung  vgl.  Bekanntmachung  vom  23.  März  1916  —  Bd.  52, 
8.  236;  doch  darf  die  Erlaubnis  zur  Verwendung  von  Zuckerrüben  zur  Brannt- 
weinherstellung  nur  im  Einvernehmen  mit  der  Reichszuckerstelle  erteilt  werden). 
Zuckerrüben  dürfen  nur  an  rüben  verarbeitende  Fabriken  abgesetzt  werden.  Der 
im  ßetriebsjahre  1916/17  hergestellte  Rohzucker  ist  an  die  Verbrauchszucker- 
fabriken nach  bestimmtem,  auf  Grund  der  Vorjahre  berechneten  Schlüssel  und 
in  bestimmten  Raten  zu  verteilen.  Es  werden  für  ihn  bestimmte  Preise  fest- 
gesetzt. Die  Verbrauchszuckerfabriken  sind  verpflichtet,  den  ihnen  zugewiesenen 
Rohzucker  abzunehmen,  zu  bezahlen  und  auf  Verbrauchszucker  zu  verarbeiten; 
die  Reichszuckerstelle  kann  nähere  Bestimmungen  über  die  Verarbeitung  treffen. 
Die  Höchstpreise  für  gemahlenen  Melis  sollen  beim  Verkaufe  durch  Verbrauchs- 
zuckerfabriken auf  der  Grundlage  von  26  M.  für  50  kg  ab  Magdeburg  fest- 
gesetzt werden.  Für  rein  landwirtschaftliche  Weißzuckerfabriken  und  andere 
Sondergruppen  von  Fabriken  werden  Sonderregelungen  getroffen.  Die  Hersteller 
von  Verbrauchszucker  dürfen  diesen  nur  gegen  Bezugsschein  oder  nach  Weisung 
der  Reichszuckerstelle  abgeben ;  sie  müssen  ihren  Zucker  an  die  angegebenen  Ab- 
nehmer abliefern.  Der  Reichskanzler  kann  Kleinhandelshöchstpreise  oder  Höchst- 
grenzen für  sie  festsetzen;  macht  er  von  dieser  Befugnis  keinen  Gebrauch,  so 
haben  die  Kommunal  verbände  Kleinhandelshöchstpreise  festzusetzen. 

III.  Verbrauch  von  Zucker.  Der  Reichskanzler  bestimmt  die  Grund- 
sätze für  die  Bemessung  des  Zucker  Verbrauchs  der  bürgerlichen  Bevölkerung ;  die 
Reichszuckerstelle  überweist  über  diese  Mengen  den  Kommunalverbänden  Bezugs- 
scheine. Die  Kommunalverbände  können  den  Zucker  selbst  beziehen  oder  die 
Bezugsscheine  an  den  Handel  weitergeben.  Sie  haben  den  Zuckerverbrauch  in 
ihrem  Bezirke  zu  regeln  und  können  insbesondere  Zuckerkarten  einführen;  die 
Regelung  kann  auch  von  ihnen  den  Gemeinden  übertragen  werden;  Gemeinden 
mit  mehr  als  10000  Einwohnern  können  die  üebertragung  verlangen.  Der  Bedarf 
der  Apotheken,  Gasthäuser,  Bäckereien  und  Konditoreien  u.  ä.  m.  wird  durch 
Sonderzuweisungen  gedeckt,  während  er  bisher  aus  dem  allgemeinen  Bedarfs- 
anteil gedeckt  werden  mußte;  für  den  Zuckerverbrauch  des  Süßigkeitsgewerbes, 
der  Schokoladenindustrie  u.  ä.  m.  werden  Sonderregelungen  getroffen ;  die  Ver- 
wendungsverbote, wie  sie  durch  die  bisherigen  Bekanntmachungen  (vgl.  Bekannt- 
machung vom  13.  Mai  1916,  Bd.  53,  S.  77,  24.  Juni  1916,  Bd.  53,  S.  195,  12.  JuU 
1916,  Bd.  53,  S.  204)  erlassen  worden  sind,  werden  im  wesentlichen  (nicht 
ganz  unverändert!)  übernommen  und  die  früheren  Bekanntmachungen  auf- 
gehoben. Zu  anderen  Zwecken  als  zur  Herstellung  von  Nahrungs-,  Genuß- 
und  Heilmitteln  darf  Zucker  nur  mit  Genehmigung  der  Reichszuckerstelle  ver- 
wendet werden. 

IV.  Einfuhr  und  Durchfuhr  von  Zucker.  Eingeführte  Zucker- 
rüben, ebenso  Rohzucker  und  Verbrauchszucker  müssen  an  die  Zentral-Einkaufs- 
gesellschaft  geliefert  werden,  und  dürfen  nur  durch  sie  oder  mit  ihrer  Ge- 
nehmigung in  den  Verkehr  gebracht  werden.  Es  muß  ein  angemessener  üeber- 
nahmepreis  gezahlt  werden.  Die  Durchfuhr  der  genannten  Gegenstände  ist 
verboten. 

V.  Schlußbestimmungen.  Die  Reichszuckerstelle  kann  bestimmte  Ge- 
bühren erheben,  unzuverlässige  Betriebe  können  geschlossen  werden  u.  ä.  m. 
Die  Bekanntmachungen  vom  8.  Februar  1915  (Bd.  50,  S.  57),  vom  27.  Mai  / 15.  Juli 
1915  (Bd.  50,  S.  319  331),  3.  Februar  1916   (Bd.  52,  S.  227)  werden  aufgehoben. 

(Vgl.  wegen  Zucker  Bekanntmachung  vom  10.  April  1916,  Bd.  53,  S.  68, 
und  die  daselbst  aufgeführten   Bekanntmachungen.)  (G.C.> 

(Fortsetzung  folgt.) 


Miszellen.  ^81 


Miszellen. 


V. 

Dielreichsgesetzlichen  Maßnahmen  zur  Sicherung 
der  deutschen  Volksernährung  im  Kriege. 

Von  Dr.  Herbst-Halle. 
(Forteetzung.) 

III. 

Kartoffeln. 

(Ende  Juli  1914  bis  Ende  Juli  1917.) 

Inhalt:  Die  einheitliche  Anwendung  der  kriegswirttcbaftlicheu  Grunds-ätzc  ist 
trotz  der  entgegenstehenden  natürlichen  und  technischen  Schwierigkeiten  auch  in  der 
Kartoffelversorgung  erforderlich.  —  Die  ersten  IMaßnabmen  sind  nur  Höchstpreisfest- 
setzungen. —  Die  Regelung  des  Verkehrs  mit  Kartoffeln  vcm  12.  April  1915.  —  Die 
Reichsstelle  für  Kartoffelver^orgung.  —  Nur  ausgleichende  Maßnahmen.  —  Zuschläge 
bei  den  Höchstpreisen  für  die  Erzeuger.  —  Die  neue  Veisorgungsregelung  vom  9.  Oktober 
1915.  —  Die  Reichskartoffelstelle.  —  Rieht-  bzw.  Grundpreise,  keine  Höchstpreise.  — 
Neue  Bestimmungen  über  die  Speisekartoffelversorgung  im  Fiübjahr  und  Sommer  1916  vom 
7.  Februar  1916.  —  Weitere  wichtige  Verkehrs-  und  Veibrauchsvorschriften.  —  Kartoffel- 
karten. —  Die  Regelung  der  Kartoffelversorgung  für  das  Erntejahr  1916.  —  Die  Verpflich- 
tung der  Kommunalverbände  und  Kartoffelerzeuger  zur  Sicht rstellung  und  Abgabe  von 
Kartoffeln  an  die  Vermittlungsstellen  nach  einem  bestimmten  Plan.  —  Festsetzung  der 
täglichen  Verbrauchsmenge.  —  Verfütterungsverbote.  —  Weitere  Neuregelung  der  Kar- 
toffelversorgung am  1.  Dezember  1916.  —  Herabsetzung  der  taglichen  Veil)rai)chf-menge. 
—  Die  Kartoffelversorgung  im  Wirtschaftsjahr  1917/18.  —  Die  Kartoffelhöchstpreise.  — 
Regelung  des  Verkehrs  mit  Erzeugnissen  der  Kartoffeltrockne) ei ,  Karloffelstäjkefabri- 
kation  und  der  Kartoffelbrennerei.  —  Ergänzende  Maßnahmen :  Erntevorverkaufsverbot, 
Verfütterungsverbot,  Saatkartoffeln.  —  Kartoffelvorratsaufnabmen,  Ernttflächeneihcbungen 
und  -Schätzungen.  —  Zahlenangaben  über  die  deutschen  Kartoffelernten.  —  Die  Vei Wen- 
dung von  Kartoffeln  und  Kartoffelerzeugnissen  bei  der  Brotbereitung.  —  Kritik  der 
reichsgesetzlichen  Kartoffelversorgung. 

Während  die  reichsgesetzlichen  Maßnahmen  zur  Sicherstellung  der 
Brotgetreide-  und  Mehlvorräte  im  Kriege  sich  im  allgemeinen  bewährt 
haben,  sind  hinsichtlich  der  Kartoflelversorgung  Bestimmungen 
erlassen  worden,  die  praktisch  wenig  wirkungsvoll  blieben  und  besonders 
anfangs  nach  jeder  Richtung  hin  versagten,  da  sie  in  keiner  Weise  den 
allgemeinen  und  speziellen  kriegswirtschaftlichen  Grundsätzen  entsprachen. 
Erst  die  im  Laufe  der  Zeit  gewonnenen  Erfahrungen  lösten  auch  auf 
diesem  Gebiete  Verbesserungen  aus,  so  daß  sich  die  Kartoffelversorgung 
für  das  Reich  im  dritten  Kriegsjahr  wenigstens  einigermaßen  leidlich  ge- 
staltet. Es  darf  natürlich  von  vornherein  nicht  verkannt  werden,  daß 
es  gerade   bei  der  Kartoffel   mit  am   schwierigsten   ist,    die   geeigneten 


Ig2  Missellen. 

Maßnahmen  zu  ihrer  Sicherstellung,  Aufbewahrung  und  Verteilung  zu 
finden  und  zu  treffen,  ungleich  schwieriger  und  umständlicher  als  beim 
Brotgetreide  und  Mehl.  Die  Kartoffel  ist  eines  der  am  schwierigsten 
zu  behandelnden  Nahrungsmittel.  Von  allen  Bodenerzeugnissen,  die  der 
menschlichen  Ernährung  dienen,  muß  die  Kartoffel  mit  der  größten 
Sorgfalt  behandelt  werden,  während  für  Brotgetreide  und  Mehl  wesentlich 
leichtere  und  einfachere  Vorkehrungen  genügen.  Und  das  gilt  auch  für 
die  kriegswirtschaftlichen  Maßnahmen  auf  diesen  beiden  Gebieten  der 
Nahrungsmittelvor-  und  -fürsorge.  Hier  wie  dort  gelten  die  einschlägigen 
Grundsätze  der  Kriegswirtschaft.  Handelt  es  sich  für  dieses  oder  für 
jenes  Nahrungsmittel  um  die  Frage  der  zweckmäßigen  gleichmäßigen 
Versorgung  der  Bevölkerung  und  um  eine  durchgreifende,  umfassende 
Verkehrs-  und  Verbrauchsregelung,  so  müssen  die  anerkannten,  nunmehr 
durch  die  Erfahrung  belegten  Forderungen  der  modernen  Lebensmittel- 
politik im  Kriege,  der  wie  dieser  in  seiner  wirtschaftlichen  Eigenart 
einzig  dasteht,  restlos  zur  Anwendung  kommen,  und  wie  bei  der  Brot- 
getreide- und  Mehlregelung  das  Ineinandergreifen  von  Beschlagnahme, 
Höchstpreisfestsetzung  und  Kontingentierung  die  sichere  Durchführung 
der  Versorgung  gewährleistet  hat  und  überhaupt  auch  auf  jedem  anderen 
Gebiete  von  Nahrungsmittelregelung  im  Kriege  die  gleichzeitige  Durch- 
führung dieser  wichtigsten  kriegswirtschaftlichen  Maßnahmen  zum  brauch- 
baren Ergebnis  führt  und  schon  verschiedentlich  geführt  hat,  so  gilt  das 
insbesondere  ebenfalls  gerade  für  die  Kartoffeln,  trotz  der  vielen  natür- 
lichen und  technischen  Schwierigkeiten,  die  hier  entgegenstehen.  Aber 
ganz  davon  abgesehen,  hängt  auch  die  Lösung  des  Problems  der  Kar- 
toffelversorgung von  der  richtigen  und  gleichzeitigen  Anwendung  der 
genannten  grundlegenden  Faktoren  ab.  Und  das  ist  bei  den  ersten 
reichsgesetzlichen  Maßnahmen  auf  diesem  Gebiete  nicht  erkannt  und 
bei  den  späteren  erst  nach  und  nach  durchgeführt  worden,  wie  wir  aus 
ihrer  zeitlichen  Darstellung  in  den  folgenden  Abschnitten  ersehen  werden. 
Im  ersten  Kriegshalbjahr  1914  ergingen  nur  Höchstpreis- 
bestimmungen, die  in  der  Bekanntmachung  über  die  Höchstpreise 
für  Speisekartoffeln  vom  23.  November  1914  (RGBl.  S.  483)  zum  Aus- 
druck kamen.  Der  staatliche  Eingriff  in  die  Kartoffelversorgung  be- 
gann also  nicht  mit  schärferen  Maßnahmen,  wie  gänzlicher  oder  teil- 
weiser Beschlagnahme  und  einschneidenden  Verkehrs-  und  Verbrauchs- 
beschränkungen  mit  gleichzeitiger  Preisfestsetzung,  wie  es  beim  Brot- 
getreide durchgeführt  worden  ist  und  was  den  Forderungen  der  modernen 
Kriegswirtschaft  in  der  Nahrungsmittelfürsorge  entspricht,  sondern  ver- 
suchte, die  Kartoffelfrage  vorläufig  auf  Grund  theoretischer  Erwägungen 
zu  regeln,  und  blieb  dabei  auch  noch  längere  Zeit,  als  schon  längst  die 
praktischen  und  bewährten  Erfahrungsgrundsätze  mit  dem  Brotgetreide, 
Mehl  und  Brot  vorlagen.  Erst  wesentlich  später,  im  April  1915  wurde, 
wie  wir  noch  sehen  werden,  die  Kartoffelversorgung  etwas  beser  ge- 
regelt, wenn  auch  die  eigentlichen  durchgreifenden  Maßnahmen  auf 
diesem  Gebiete  nach  noch  weiterem  Zeitablauf  erfolgten.  Zunächst  sind 
jedoch  die  Bestimmungen  der  genannten  Bekanntmachung  von  Interesse. 
Es  sind  4  lokale  Höchstpreisgruppen  mit  Unterscheidung  der  Kartoffeln 


Miszellen.  183 

nach  den  Sorten  Daher,  Imperator,  Magnum  honum,  Up  to  date  einer- 
seits und  allen  anderen  Sorten  andererseits  festgesetzt,  in  denen  sich 
die  Preise  für  die  Tonne  inländischer  Speisekartoffeln  beim  Verkaufe 
durch  den  Erzeuger  zwischen  50  und  61  M.  bewegen.  Die  Höchstpreise 
gelten  also  nur  für  die  Erzeuger,  nicht  für  den  Groß-  und  Kleinhandel. 
Die  vier  Preisgebiete  umfassen  die  Hauptanbaugegenden  in  Ost-,  Nord-, 
Mittel-  und  Süddeutschland.  Die  Höchstpreise  gelten  für  gute  gesunde 
Speisekartoffeln  von  3,4  cm  Mindestgröße  bei  sortenreiner  Lieferung, 
nicht  für  Saat-  oder  Salatkartoffeln.  Allein  aus  der  ganzen  Fassung 
dieser  Höchstpreisbestimmungen,  zu  denen  die  amtliche  Begründung  aus- 
führt, daß  die  an  sich  schwierige  Unterscheidung  der  Sorten  handels- 
üblich bekannt  und  genügend  gesichert,  die  Trennung  nach  den  4  Preis- 
gebieten durch  die  Produktions-  und  Verfrachtungskosten  bedingt  sein 
dürfte,  geht  die  Neigung  zur  ausgesprochenen  theoretischen  als  prak- 
tischen Behandlung  der  Kartoffelfrage  in  den  ersten  8  Kriegsmonaten 
hervor.  Weitere  Maßnahmen  ergingen  in  dieser  Zeit  zur  Sicherstellung 
des  neben  dem  Brote  wichtigsten  Nahrungsmittels  im  Kriege,  wie  dem 
gegenwärtigen,  der  Speisekartoffel,  nicht  —  abgesehen  von  einer  Herauf- 
setzung der  Höchstpreissätze  auf  85 — 96  M.  durch  die  Bekanntmachung 
vom  15.  Februar  1915  (RGBl.  S.  95),  welche  die  erste  Höchstpreis- 
verordnung für  die  Kartoffeln  außer  Kraft  setzte  (mit  einer  unwesent- 
lichen Aenderung  vom  31.  März  1915  —  RGBl.  S.  202);  sie  trat  am 
26.  August  1915  (RGBl.  S.  524)  außer  Wirksamkeit  —  und  die  ein- 
tretenden Verhältnisse  zeigten  deutlich,  wie  unpraktisch  sich  der  ein- 
seitige Erlaß  von  Höchstpreisen  für  die  Kartoffeln  ohne  weitere  kriegs- 
wirtschaftliche Grundmaßnahmen  gerade  in  dieser  Beziehung  erwiesen  hat. 
Dem  ungünstigen  Ergebnis  der  Kartoffelaufnahme  vom  15.  März 
1915,  das  allgemein  überraschte  und  beängstigte  —  man  nahm  viel- 
leicht auch  nicht  ganz  mit  Unrecht  an,  daß,  da  die  Verfütterungsver- 
bote  zur  Sicherstellung  der  Brotgetreidevorräte  nicht  auch  für  die  Speise- 
kartoffeln erlassen  waren,  die  schnelle  Abnahme  der  Kartoffelvorräte 
auf  übermäßige  Verwendung  zu  Futterzwecken  zurückzuführen  sei, 
was  andererseits  die  im  nächsten  Teil  zu  besprechende  verderbliche 
Massenabschlachtung  der  Schweine  zur  Folge  hatte  —  dürfte  der  Er- 
laß der  Bekanntmachung  über  die  Regelung  des  Verkehrs  mit  Kartoffeln 
vom  12.  April  1915  (RGBl.  S.  217)  zu  danken  sein,  durch  welche  die 
Kartoffelversorgung  wenigstens  etwas  mehr  Grundlage  erhielt  als  bisher, 
wenn  auch  ihre  Bestimmungen  noch  nicht  die  Erfüllung  der  kriegswirt- 
schaftlichen Hauptforderungen  für  die  Kartoffelversorgung  im  Kriege 
brachten.  Diese  Bekanntmachung  schuf  zunächst  die  Reichsstelle 
für  Kartoffelversorgung,  eine  Behörde,  die  dem  Reichskanzler 
unterstellt  ist.  Diese  Reichsstelle  hat  mit  Hilfe  der  Kommunalver- 
bände für  die  Verteilung  von  Kartoffelvorräten  zur  Ernährung  der  Be- 
völkerung im  Reichsgebiet  zu  sorgen  und  dabei  in  erster  Linie  den 
Bedarf  der  minderbemittelten  Bevölkerung  zu  berücksichtigen.  Zu  diesem 
Zweck  müssen  größere  Kartoffelmengen  rechtzeitig  aus  dem  Verkehr 
gezogen  und  festgelegt  werden.  Die  Reichsverteilungsstelle  bestimmt 
erforderlichenfalls  die  Kartoffelmengen,  die  aus  einem  Kommunalverband 


284  Miszellen. 

an  sie  oder  andere  Kommunalverbände,  in  denen  nicht  genügende 
Kartoffelmengen  vorhanden  sind,  abzugeben  sind.  Die  Kommunalver- 
bände haben  die  erforderlichen  Vorkehrungen  —  Sicherstellung,  Ver- 
teilung an  Kleinhändler  und  Verbraucher,  Ausfuhrverbote  und  andere  — 
selbst  zu  treffen,  was  bis  Mitte  Mai  1915  in  den  meisten  Städten  ge- 
schehen ist. 

So  versuchte  die  Reichsregierung  zu  dieser  Zeit  die  Kartoffelver- 
sorgung, die  Regelung  des  Verkehrs  mit  einem  besonders  im  jetzigen 
Kriege  für  die  Volksernährung,  namentlich  die  Massenvereorgung  der 
unteren  Schichten,  überaus  wichtigen  Nahrungsmittel  auf  dem  Wege 
des  Ausgleiches  durchzuführen  und  begnügte  sich  neben  den  Höchst- 
preisfestsetzungen nur  mit  einem  teilweisen  staatlichen  Eingriff  ohne 
Verbrauchsregelung  und  Verfügungsbeschränkung  und  ließ,  was  hierbei 
vielleicht  am  wenigsten  zweckmäßig  erscheinen  durfte,  den  freien  Handel 
daneben  bestehen,  was  sich  in  jeder  Beziehung  später  sehr  gerächt  hat, 
denn  einmal  konnte  der  freie  Handel  den  Bedarfsstellen  Kartoffeln  zu 
billigeren  Preisen  liefern  als  das  Reich,  weil  die  Reichsstelle,  welche 
die  Höchstpreise  überschreiten  durfte,  ein  üeberangebot  durch  zu  hohe 
Preise  am  Markte  veranlaßte,  und  weiter  verleidete  die  mangelnde  Ver- 
brauchsregelung die  Bevölkerung  geradezu  zur  Verschwendung  im  Ge- 
brauch von  Kartoffeln. 

Der  Bekanntmachung  über  die  Regelung  des  Verkehrs  mit  Kartoffeln 
vom  12.  April  1915  folgte  am  15.  April  1915  eine  Bekanntmachung 
über  Ausnahmen  von  den  Höchstpreisen  für  Speisekartoffeln  gemäß  den 
Bestimmungen  der  Bekanntmachungen  vom  15.  Februar  und  31.  März 
1915  (RGBl.  S.  226),  die  anordnet,  daß  beim  Verkauf  inländischer 
Speisekartoffeln  aus  der  Ernte  1914  durch  den  Produzenten  an  das 
Reich,  einen  Bundesstaat  oder  Elsaß-Lothringen,  insbesondere  an  die 
Heeresverwaltungen  oder  die  Marineverwaltung,  an  die  Reichsstelle  für 
Kartoffelversorgung  oder  an  einen  Kommunalverband  außer  dem  Höchst- 
preis eine  Gebühr  für  Aufbewahrung,  geeignete  Behandlung,  Ent- 
schädigung für  Schwund  und  Risiko  gezahlt  werden  darf,  die  bei  der 
Abnahme  der  Kartoffeln  beim  Produzenten  zwischen  20.  und  30.  April 
2  M.,  1.  bis  9.  Mai  3  M.,  10.  bis  19.  Mai  4  M.,  20.  bis  31.  Mai  5  M., 
1.  bis  9.  Juni  6  M.,  10.  bis  19.  Juni  7  M.,  nach  dem  19.  Juni  8  M. 
für  den  Doppelzentner  betragen  darf.  Außerdem  dürfen  die  genannten 
Käufer  eine  Kommissionsgebühr  bis  zur  Höhe  von  40  Pfg.  für  den 
Doppelzentner  für  alle  mit  der  Abwicklung  zusammenhängenden  Ge- 
schäfte einschließlich  der  Verladung  auf  der  nächsten  Bahnstation  ge- 
währen. 

Am  9.  Oktober  1915  wurden  weitere  grundlegende  Bestimmungen 
für  die  Kartoffelversorgung  erlassen  (Bekanntmachung  über  die  Kartoffel- 
versorgung vom  9.  Oktober  1915,  RGBl.  S.  647,  mit  einer  unwesent- 
lichen Abänderung  vom  27.  Januar  1916,  RGBl.  S.  66).  Es  wurde 
eine  Reichskartoffelstelle  nach  dem  Vorbild  der  Reichsgetreide- 
etelle  mit  einer  mit  behördlicher  Autorität  ausgestatteten  Verwaltungs- 
abteilung und  einer  kaufmännisch  geleiteten  Geschäftsabteilung  als  Ge- 
sellschaft  mit  beschränkter  Haftung   ins  Leben   gerufen.     Daneben    be- 


Miszellen.  185 

stand  zuächst  die  Reichsstelle  für  Kartoffelversorgung  anscheinend  weiter, 
denn  der  üebergang  ihrer  Aufgaben  und  Befugnisse  in  die  Reichskartoffel- 
stelle ist  erst  in  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916  angeordnet  worden 
(RGBl.  S.  407).  Die  Vorschriften  über  die  Beschaffung  der  Kartoffeln 
wurden  in  Anlehnung  an  die  Bekanntmachung  vom  12.  April  1915  er- 
weitert und  insbesondere  zum  Zwecke  der  Sicherstellung  der  zum  Ausgleich 
abzugebenden  Kartoffelmengen  alle  Erzeuger  mit  mehr  als  10  ha  = 
40  Morgen  Kartoffelanbaufläche  verpflichtet,  10  vom  Hundert  ihrer  ge- 
samten Kartoffelernte  bis  zum  29.  Februar  1916  zur  Verfügung  des 
Kommunalverbandes  zu  halten,  also  eine  beschränkte  Enteignung  von 
Kartoffelvorräten,  die  jedoch  fast  zu  einer  allgemeinen  wurde,  da  die 
Bekanntmachung  über  die  Abänderung  der  Bekanntmachung  über  die 
Kartoffelversorgung  vom  9.  Oktober  1915  vom  28.  Oktober  1915 
(RGBl.  S.  710)  die  10  ha  auf  1  ha  =  4  Morgen  herabsetzte.  Die 
Enteignungspreise  dürfen  die  in  dieser  Bekanntmachung  gleich  mitfest- 
gesetzten Grundpreise  nicht  überschreiten.  Diese  betragen  für  die  Tonne 
inländischer  Speisekartoffeln  aus  der  Ernte  1915  beim  Verkauf  durch 
den  Kartoffelerzeuger  in  den  vier  bekannten  Anbaugebieten  55,  57,  59 
und  61  M.  Hinsichtlich  der  Versorgung  der  Bevölkerung  mit  Kartoffeln 
werden  den  Kommunalverbänden,  wie  es  auch  schon  die  Bekannt- 
machung vom  12.  April  1915  vorsah,  die  notwendigen  Maßnahmen 
übertragen. 

In  der  neuen  Versorgungsregelung  für  die  Kartoffeln  für  das  Ernte- 
jahr 1915  wurde  also  von  einer  durchgreifenden  staatlichen  Organisation 
wiederum  Abstand  genommen,  keine  Verbrauchsbeschränkung  vorge- 
nommen und  dem  freien  Handel  das  Feld  abermals  zum  größten  Teile 
überlassen.  Die  Erfahrungen  im  Frühjahr  und  Sommer  1915  hatten 
also  nicht  dazu  geführt,  wesentliche,  grundlegende  Veränderungen  in 
der  Kartoffelversorgung  für  das  neue  Erntejahr  vorzunehmen.  Die  teil- 
weise Enteignung  der  Vorräte  der  Erzeuger  mit  mehr  als  10  ha,  später 
1  ha  Anbaufläche  mit  10  vom  Hundert  der  Kartoffelernte  erscheint  nur 
als  eine  Art  staatlicher  Hilfsstellung  für  den  Fall,  daß  der  freie  Handel 
versagen  sollte,  denn  aus  der,  wie  es  in  der  über  die  Kartoffelver- 
sorgung im  Kriege  vorliegenden  amtlichen  Bearbeitung  i)  heißt,  ver- 
strickten, d.  i.  die  dem  freien  Verfügungsrecht  des  Eigentümers  ent- 
zogene 10-proz.  Menge,  hatte  die  Reichskartoffelstelle  etwa  trotz  des 
freien  Handels  angemeldete  Fehlmengen  der  Kommunalverbände  frei- 
händig zu  beschaffen,  oder,  falls  dies  nicht  möglich  war,  im  Wege  der 
ümlegung  durch  Ausgabe  von  Bezugsscheinen,  wie  es  die  Bekannt- 
machung vom  9.  Oktober  bestimmte,  aufzubringen.  Die  Reichskartoffel- 
stelle sollte  erst  im  Notfall  eingreifen  und  war  auch  dann  noch  dadurch 
beschränkt,  daß  sie  ihrerseits  Abschlüsse  nur  vermitteln  durfte,  da  ihr 
jedes  Risikogeschäft  gesetzlich  untersagt  war,  und  das  außerdem  nur 
zu  den  außerordentlich  niedrigen  gesetzlichen  Richtpreisen  —  Höchst- 
preise   waren   ja   nicht   festgesetzt  —  von  55,    57,    59   und  61  M.   pro 


1)  Beiträge  zur  Kriegswirtschaft,  herausgegeben  von  der  volkswirtschaftlichen  Ab- 
teilung des  Kriegsernährungsamts,  Heft  2,  Die  Kartoffel  in  der  Kriegswirtschaft,  S.  35 


186  Miszelleo. 

Tonne  bzw.  2,75,  2,85,  2,95  und  3,05  pro  Zentner  in  den  vier  Preis- 
gebieten. Diese  viel  zu  niedrig  angesetzten  Preise  trugen  überdies  auch 
sehr  wesentlich  mit  dazu  bei,  die  Kartoffelversorgung  beträchtlich  in 
Frage  zu  stellen.  In  Anbetracht  des  herrschenden  Futtermangels,  ins- 
besondere an  Kraftfutter,  waren  die  Futtermittelpreise  ganz  erheblich 
gestiegen,  so  daß  die  Kartoffel  mit  ihrem  geringen  Richtpreise  von 
2,75  M.  für  den  Zentner  das  bei  weitem  billigste  Futtermittel  darstellte. 
Eine  Verfütterung  allergrößten  Stils  auf  dem  Lande  sowohl  wie  in  den 
Städten  mußte  den  Speisekartoffelmarkt  leeren.  Fehlende  Fütterungs- 
verbote, mangelnde  Verbrauchsregelung  und  andere  Fehler,  welche  die 
Versorgungsregelung  vom  9.  Oktober  1915  in  sich  trug,  wie  die  er- 
wähnte Bearbeitung  (a.  a.  0.  S.  36 — 38)  näher  ausführt,  gestalteten  die 
Kartoffelversorgung  so  schwierig,  daß  es  vielleicht  kaum  gelungen  wäre, 
sie  durch  den  Winter  durchzubringen,  wenn  man  sich  nicht  in  letzter 
Stunde  zur  Einführung  von  Schnelligkeitsprämien  verstanden  hätte, 
um  schnellste  Anlieferung  von  Kartoffeln  an  besonders  an  Kartoffel- 
mangel  leidende  Kommunalverbände  bewirken  zu  können,  worunter 
allerdings  wieder  das  System  der  Kartoffelhöchst-  bzw.  -richtpreise  litt. 
Da  sich  die  in  der  Bekanntmachung  vom  9.  Oktober  1915  ge- 
gegebenen Bestimmungen  zur  Kartoffelversorgung  wenig  bewährten  und 
die  in  diesem  Zusammenhange  angewendeten  Maßnahmen  nicht  aus- 
reichten, mußten  bald  neue  Verordnungen  erlassen  werden,  welche  die 
Bekanntmachung  über  die  Speisekartoffelversorgung  im  Frühjahr  und 
Sommer  1916  vom  7.  Februar  1916  (RGBl.  S.  86)  brachte.  Sie  setzte 
die  Abschnitte  über  die  Beschaffung  der  Kartoffeln  und  die  Ver- 
sorgung der  Bevölkerung  der  Bekanntmachung  vom  9.  Oktober  1915 
mit  dem  Beginne  des  15.  März  1916  außer  Kraft  und  bestinmite  zur 
Versorgungs-  und  Verbrauchsregelung  der  Kartoffeln  in  Verbindung  mit 
der  Bekanntmachung  über  die  Errichtung  von  Preisprüfungsstellen  und 
die  Versorgungsregelung  vom  25.  September  und  4.  November  1915 
besondere  Maßnahmen  für  die  Kommunalverbände  zur  Beschaffung  der 
für  die  Ernährung  der  Bevölkerung  mit  Speisekartoffeln  erforderlichen 
Mengen,  soweit  der  Bedarf  nicht  aus  den  in  ihren  Bezirken  verfügbaren 
Vorräten  gedeckt  werden  kann,  erließ  Vorschriften  über  die  Lieferung 
von  Kartoffeln  durch  die  Ueberschußverbände  an  die  Reichskartoffel- 
stelle oder  die  Bedarfs  verbände  und  übertrug  den  Landeszentralbehörden 
und  den  Kommunalverbänden  die  Regelung  der  Versorgung  für  ihre 
Bezirke;  woraufhin  allenthalben  die  Einführung  von  Kartoffelkarten 
zur  Rationierung  des  Kartoffelverbrauchs  ähnlich  wie  beim  Brot  und 
Mehl  erfolgte;  die  Kartoffelkarten  haben  nur  lokale  Geltung;  Landes- 
oder Reichskartoffelkarten  oder  Reichsreisekartoffelkarten  gibt  es 
nicht.  Nach  den  Uebergangsbestimmungen  mußten  die  Kommunal- 
verbände, soweit  es  zur  Versorgung  der  Bevölkerung  für  die  Zeit  bis 
zum  15.  März  1916  erforderlich  war,  die  Kartoffel  verrate,  die  sich  in 
ihrem  Bezirk  im  Gewahrsam  von  Händlern  befanden,  übernehmen  und 
in  laufende  Verträge,  die  von  diesen  über  Lieferung  von  Kartoffeln  ab- 
geschlossen und  vor  dem  15.  März  1916  zu  erfüllen  waren,  eintreten, 
außer  wenn  es  sich  um  Verträge  mit  den  Heeresverwaltungen  oder  der 


Miszellen.  187 

Marineverwaltung  handelte.  Eine  zweite,  ebenfalls  am  7.  Februar  1916 
(RGBl.  S.  85)  erlassene  Bekanntmachung  bestimmt,  daß  Kartoffeln,  die 
aus  dem  Auslande  eingeführt  werden,  an  die  Reiehskartoffelstelle  zu 
liefern  sind.  Und  am  26.  Februar  1916  werden  auf  Grund  des  §  4 
Abs.  2  der  Bekanntmachung  vom  7.  Februar  1916  die  Kartoffelerzeuger 
verpflichtet  (RGBl.  S.  123),  auf  Erfordern  alle  Vorräte  abzugeben,  die 
zur  Fortführung  ihrer  Wirtschaft  bis  zur  nächsten  Ernte  nicht  erforder- 
lich sind.  Im  Falle  der  Enteignung  werden  ihnen  bestimmte  Mengen 
für  die  Angehörigen  ihrer  Wirtschaft  und  zwar  pro  Kopf  und  Tag 
1^/2  Pfd.  sowie  das  unentbehrliche  Saatgut  belassen.  Diese  Abgabe- 
vorschriften wurden  in  der  Bekanntmachung  vom  31.  März  1916  (RGBl. 
S.  223)  wesentlich  verschärft  dergestalt,  daß  nunmehr  ohne  Rücksicht 
auf  den  Wirtschaftsbedarf  4  Doppelzentner  für  ein  Hektar  der  Kar- 
toffelanbaufläche des  Erntejahres  1915  von  einem  jeden  Kartoffelerzeuger 
auf  Erfordern  abzugeben  sind.  Davon  abgesehen  werden  ihnen  jedoch 
auch  weiterhin  belassen  die  für  ihre  Wirtschaftsangehörigen,  das  Vieh,  das 
Saatgut,  die  mit  Rücksicht  auf  den  Heeresbedarf  an  Spiritus  zur  Ab- 
brennung des  zugewiesenen  Durchschnittbrandes  erforderlichen  Kar- 
toffeln und  die  Kartoffelmengen  zur  Erzeugung  von  Kartoffeltrocknungs- 
erzeugnissen, soweit  diese  an  die  Trockenkartoffelverwertungsgesellschaft 
abzuliefern  sind.  Endlich  wurde  am  19.  Juni  1916  (RGBl.  S.  532) 
zu  dieser  Bekanntmachung  abändernd  die  Tageskopfmenge  der  den 
Erzeugern  für  ihre  Wirtschaftsangehörigen  freigegebenen  Kartoffeln  bis 
31.  Juli  1916  auf  1  Pfd.  herabgesetzt,  nur  für  Schwerarbeiter  verblieb 
es  beim  Satze  von  l^g  Pfd.- 

Für  das  neue  Erntejahr  1916  wurden  die  Bestimmungen  zur  Rege- 
lung der  Kartoffelversorgung  in  der  Bekanntmachung  vom  26.  Juni 
1916i(RGBl.  S.  590)  für  den  Zeitraum  vom  16.  August  1916  bis 
15.  August  1917  zusammengefaßt,  deren  Vorschriften  sich  im  großen 
und  ganzen  auf  die  schon  in  der  Bekanntmachung  vom  7.  Februar  1916 
ausgesprochenen  Grundsätze  stützen.  Den  Kommunalverbänden  bleibt 
die  Versorgungs-,  Lieferungs-  und  Abnahmeverpflichtung.  Wichtig 
gegenüber  den  frühereren  Versorgungsregelungen  ist,  daß  nunmehr  auch 
die  Heeres-  und  Marineverwaltungen,  die  Trockenkartoffelverwertungs- 
gesellschaft  nebst  den  ihr  angeschlossenen  Trocknereien  und  Stärke- 
fabriken und  die  Reichsbranntweinstelle  ihren  Bedarf  an  Kartoffeln  bei 
der  Reichskartoffelstelle  anzumelden  haben,  wodurch  diese  über  die  für 
Industrie-,  Trocknungs-  und  Brennereizwecke  erforderlichen  Kartoffel- 
mengen somit  auch  unterrichtet  wird,  um  auch  diese  Punkte  bei  den 
zu  treffenden  Maßnahmen  zu  berücksichtigen  und  in  den  Verteilungs- 
plan miteinstellen  zu  können.  Im  übrigen  sind  die  weiteren  Bestim- 
mungen den  früheren  entsprechend  angepaßt  worden.  Neu  ist  die  den 
Landeszentralbehörden  aufgelegte  Verpflichtung,  für  ihre  Bezirke  Ver- 
mittlungsstellen als  Landes-  bzw.  Provinzialkartoffelstellen  einzurichten, 
deren  Aufgabe  es  ist,  nach  den  Anweisungen  der  Reichskartoffelstelle 
die  Durchführung  der  den  üeberschußverbänden  aufgegebenen  Liefe- 
rungen zu  überwachen,  namentlich  auch  inbezug  auf  Anwendung  des 
gesetzlichen    Zwangsmittels,    der   Enteignung,    die    Bedarfsanmeldungen 


Igg  MiszellcD. 

nachzuprüfen  und  für  einen  sachgemäßen  Ausgleich  von  üeberschuß  und 
Fehlbetrag  innerhalb  ihres  Bezirks  zu  sorgen.  So  ist  die  neue  Kar- 
toffelversorgung neben  der  zentralen  Organisation  auf  eine  breite  De- 
zentralisation gestellt  worden  und  damit  ein  schwerer  Nachteil  des 
früheren  Systems  behoben  worden,  indem  die  Reichskartoffelstelle  mit 
den  Kommunalverbänden  nicht  mehr  direkt  zu  verkehren  braucht, 
sondern  sich  höchst  zweckmäßig  die  Landes-  bzw.  Provinzialkartoffel- 
stellen  zwischen  beide  einschieben.  Ein  möglichst  sorgsames  Einmieten 
oder  Einlagern  der  Kartoffelvorräte  wurde  den  Kommunalverbänden 
nach  näheren  Bestimmungen  der  Landeszentralbehörden  besonders  ans 
Herz  gelegt. 

Nach  §  5  dieser  Bekanntmachung  vom  26.  Juni  1916  kann  der 
Reichskanzler  Grundsätze  über  die  Verpflichtung  der  Kommunalver- 
bände und  der  Kartoffelerzeuger  zur  Sicherstellung  und  Abgabe  von 
Kartoffeln  aufstellen.  Demzufolge  gibt  die  Bekanntmachung  über  die 
Verpflichtung  der  Kommunalverbände  und  der  Kartoffelerzeuger  zur 
SicherstelluDg  und  Abgabe  von  Kartoffeln  vom  2.  August  1916  (RGBl. 
S.  875)  den  Verteilungsplan  für  die  Kartoffelmengen,  welche  die  Vermitt- 
lungsstellen in  den  Kommunalverbänden  ihres  Bezirks  zur  Deckung  des 
für  die  Ernährung  der  Bevölkerung  vom  16.  August  1916  bis  15.  August 
1917  erforderlichen  Bedarfs  an  Kartoffeln  in  den  Kommunalverbänden 
und  Bezirken,  die  diesen  Bedarf  nicht  aus  den  bei  ihnen  verfügbaren 
Vorräten  decken  könnnen,  sicherzustellen  haben.  Danach  entfällt  die 
größte  Menge  auf  die  Provinzialkartoffelstelle  Posen  mit  43  378  982  Ztr., 
die  zweitgrößte  auf  die  Provinzialkartoffelstelle  Potsdam  mit  37  959111 
Ztr.,  auf  die  thüringische  Landeskartoffelstelle  in  Weimar  kommen  nur 
3  550  726  Ztr.,  die  kleinsten  Anteile  haben  die  Bezirkskartoffelstelle  in 
Sigmaringen  mit  162  249  Ztr.  und  die  schaumburg-lippische  Vermitt- 
lungsstelle mit  nur  78  659  Ztr. 

Eine  weitere  Ausführung  zur  Bekanntmachung  vom  26.  Juni  1916 
bringt  auf  Grund  ihres  §  2  —  Versorgungsregelung  —  die  Bekannt- 
machung über  Kartoffeln  vom  14.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1165),  welche 
die  Verbrauchsmenge  pro  Kopf  und  Tag  für  die  Bevölkerung  durch- 
schnittlich auf  IY2  Pfund  Kartoffeln  festsetzt:  Der  Kartoffelerzeuger 
darf  auf  den  Tag  und  Kopf  bis  IV2  Pfund  Kartoffeln  seiner  Ernte  für 
sich  und  für  jeden  Angehörigen  seiner  Wirtschaft  verwenden,  während 
im  übrigen  der  Tageskopfsatz  auf  höchstens  1  Pfund  Kartoffeln  mit 
der  Maßgabe  festgesetzt  wird,  daß  der  Schwerarbeiter  eine  tägliche 
Zulage  bis  1  Pfund  Kartoffeln  erhält.  Weiter  bestimmte  die  Bekannt- 
machung vom  14.  Oktober  1916,  daß  Kartoffeln,  Kartoffelstärke,  Kar- 
toffelstärkemehl sowie  Erzeugnisse  der  Kartoffeltrocknerei  nicht  ver- 
füttert werden  dürfen,  doch  können  Kartoffeln,  die  als  Speise-  oder 
Fabrikkartoffeln  nicht  verwendbar  sind,  an  Schweine  und  an  Federvieh, 
und,  soweit  die  Verfütterung  an  Schweine  und  an  Federvieh  nicht  mög- 
lich ist,  auch  an  andere  Tiere  verfüttert  werden.  Auch  ist  verboten, 
Kartoffeln  einzusäuern  und  die  an  die  Trockenkartoffelverwertungsgesell- 
schaft  in  Berlin  abzuliefernden  Mengen  zu  vergällen  oder  mit  anderen 
Gegenständen  zu  vermengen  sowie  bis  auf  weiteres  ebenfalls  der  Hände 


Misz  eilen.  189 

und  Verkehr  mit  Saatkartoff  ein,  deren  Lief  er  ungs  vertrage,  soweit  die 
Lieferung  nicht  bis  zum  20.  Oktober  1916  erfolgt  ist,  als  aufgehoben 
gelten. 

Die  Bekanntmachung  über  Kartoffeln  vom  1.  Dezember  1916 
(RGBl.  S.  1314)  regelte  die  Versorgung  der  Bevölkerung  mit  Speise- 
kartoffeln in  der  Weise,  daß  der  Kartoffelerzeuger  bis  zum  31.  De- 
zember 1916  und  vom  1.  März  bis  zum  20.  Juli  1917  auf  den  Tag 
und  Kopf  bis  l^Jg  Pfund  Kartoffeln,  in  der  Zeit  vom  1.  Januar  bis 
28.  Februar  1917  bis  1  Pfund  Kartoffeln  seiner  Ernte  für  sich  und  für 
jeden  Angehörigen  seiner  Wirtschaft  verwenden  darf.  Im  übrigen  wird 
der  Tageskopfsatz  bis  zum  31.  Dezember  1916  auf  höchstens  1  Pfund 
Kartoffeln,  vom  1.  Januar  bis  zum  20.  Juli  1917  auf  höchstens  ^/^  Pfund 
Kartoffeln  mit  der  Maßgabe  festgesetzt,  daß  der  Schwerarbeiter  eine 
tägliche  Zulage  bis  1  Pfund,  vom  1.  Januar  1917  ab  eine  tägliche  Zu- 
lage bis  IVi  Pfund  Kartoffeln  erhält.  Zur  Deckung  des  für  die  Er- 
nährung der  Bevölkerung  bis  zum  20.  Juli  1917  erforderlichen  Bedarfs 
an  Kartoffeln  in  den  Kommunalverbänden  und  Bezirken,  die  diesen  Be- 
darf nicht  aus  den  bei  ihnen  verfügbaren  Vorräten  decken  können, 
haben  die  Vermittlungsstellen  die  ihnen  von  der  ßeichskartoffelstelle 
aufgegebenen  Mengen  in  den  Kommunalverbänden  ihres  Bezirkes  sicher- 
zustellen. Die  Vermittlungsstellen  haben  zur  Durchführung  der  Sicher- 
5tellung  die  ihnen  auferlegten  Mengen  auf  die  Kommunalverbände  ihres 
Bezirkes  nach  Anweisung  der  Reichskartoffelstelle  zu  verteilen.  Soweit 
auf  Grund  der  Sicherstellung  nach  der  Vorschrift  der  Bekanntmachung 
vom  2.  August  1916,  welche  übrigens  nebst  der  Bekanntmachung  vom 
14.  Oktober  1916  durch  die  Bekanntmachung  vom  1.  Dezember  1916 
außer  Kraft  gesetzt  wird,  auf  Anfordern  der  Reichskartoffelstelle  Kar- 
toffeln geliefert  sind,  werden  diese  nach  näherer  Anweisung  der  Reichs- 
kartoffelstelle auf  die  sicherzustellende  Menge  angerechnet.  Die  Kom- 
munalverbände haben  die  ihnen  zur  Sicherstellung  aufgegebenen 
Kartoffelmengen  auf  die  Gemeinde  bezirke  unterzuverteilen.  In  den 
•Gemeinden  erfolgt  die  ünterverteilung  auf  die  Kartoffelerzeuger  durch 
den  Gemeindevorstand.  Die  Kommunal  verbände  können  bei  den  Kar- 
toffelerzeugern auch  diejenigen  Mengen  sicherstellen,  die  zur  Deckung 
des  eigenen  Bedarfs  des  Kommunalverbandes  erforderlich  sind.  Soweit 
die  wichtigsten  für  die  Kartoffelversorgung  1916/17  maßgebenden  und 
grundlegenden  reichsgesetzlichen  Bestimmungen,  die  noch  eine  wichtige 
Abänderung  erfuhren  durch  die  Bekanntmachung  vom  7.  Februar  1917 
(RGBl.  S.  104),  welche  den  Grundsatz  aufstellte,  daß  der  Kartoffel- 
erzeuger bis  zum  20.  Juli  1917  auf  den  Tag  und  Kopf  nur  noch 
1  Pfund  Kartoffeln  seiner  Ernte  für  sich  und  für  jeden  Angehörigen 
seiner  Wirtschaft  verwenden  darf.  Im  übrigen  wird  der  Tageskopfsatz 
bis  zum  20.  Juli  1917  sogar  auf  höchstens  ^4  Pfund  Kartoffeln  fest- 
gesetzt, sowohl  für  die  Bevölkerung  im  allgemeinen,  wie  es  übrigens 
schon  bestand,  als  auch  für  die  Schwerarbeiter,  denen  nunmehr  eine 
tägliche  Zulage  von  auch  nur  ^/^  Pfund  gewährt  wurde.  Die  Vor- 
schriften über  den  Ersatz  eines  Teiles  der  Kartoffelmengen  durch  Kohl- 
rüben, worauf  wir  noch  zu  sprechen  kommen  werden,  bleiben  durch  die 


290  Minzellen. 

Bekanntmachung  vom  7.  Februar  1917  unberührt.  Im  übrigen  wieder- 
holt diese  Bekanntmachung  auch  noch  das  Verfütterungsverbot  für  Kar- 
toffeln mit  den  schon  bekannten  und  erwähnten  Ausnahmen.  Endlich 
werden  am  24.  März  1917  noch  weitere  Aenderungen  vorgenommen 
(RGBl.  S.  278):  Jeder  Kartoffelerzeuger  hat  auf  Erfordern  alle  Kar- 
toffeln abzugeben,  die  zur  Fortführung  seiner  Wirtschaft  nicht  erforderlich 
sind.  Zu  belassen  sind  ihm  1)  für  jeden  Angehörigen  seiner  Wirt- 
schaft, einschließlich  des  Gesindes  sowie  der  Naturalberechtigten,  ins- 
besondere Altenteiler  und  Arbeiter,  soweit  sie  kraft  ihrer  Berechtigung 
als  Lohn  Kartoffeln  zu  beanspruchen  haben,  für  die  Zeit  vom  1.  April 
1917  bis  zur  neuen  Ernte  90  Pfd.,  2)  zur  Aussaat  20  dz  für  das 
Hektar  der  im  Erntejahr  1916  mit  Kartoffeln  bestellten  Anbaufläche, 
wenn  sein  Bedarf  für  das  Erntejahr  1917  nicht  geringer  und  die  Ver- 
wendung zu  Saatzwecken  sichergestellt  ist.  Jeder  Kartoffelerzeuger, 
der  im  Erntejahr  1916  mehr  als  ^/^  Hektar  mit  Kartoffeln  bestellt  ge- 
habt hat,  hat  ohne  Rücksicht  auf  die  Mengen,  die  ihm  nach  der  vor- 
stehenden Vorschrift  zu  belassen  sein  würden,  4  dz  für  das  Hektar  seiner 
Anbaufläche  abzugeben.  Die  Reichskartoffelstelle  kann  Ausnahmen  zu- 
lassen. Das  Eigentum  an  Kartoffeln,  zu  deren  Abgabe  der  Erzeuger 
verpflichtet  ist,  kann  durch  Anordnung  der  unteren  Verwaltungsbehörde 
auf  den  Kommunalverband  oder  die  von  der  unteren  Verwaltungsbehörde 
bezeichnete  Person  übertragen  werden.  Die  Anordnung  kann  an  den 
einzelnen  Besitzer  oder  an  alle  Besitzer  des  Bezirks  oder  eines  Teiles 
des  Bezirks  gerichtet  werden.  Im  ersteren  Falle  geht  das  Eigentum 
über,  sobald  die  Anordnung  dem  Besitzer  zugeht,  im  letzteren  Falle  mit 
dem  Ablauf  des  Tages  nach  Ausgabe  des  amtlichen  Blattes,  in  dem  die 
Anordnung  bekanntgegeben  wird.  Die  untere  Verwaltungsbehörde  kann 
die  Kartoffelerzeuger  zur  Aussonderung  der  abzuliefernden  Mengen  auf- 
fordern und,  wenn  sie  dieser  Aufforderung  nicht  nachkommen,  die  Aus- 
sonderung auf  ihre  Kosten  vornehmen  lassen.  Für  die  enteigneten 
Vorräte  ist  ein  üebernahmepreis  zu  zahlen,  der  unter  Berücksichtigung 
des  Höchstpreises  sowie  der  Güte  und  Verwertbarkeit  der  Vorräte  fest- 
gesetzt wird.  Der  hiernach  festzusetzende  üebernahmepreis  ist  um 
30  M.  für  die  Tonne  zu  kürzen.  Der  Betrag,  um  den  der  üebernahme- 
preis gekürzt  wird,  fließt  dem  Kommunalverband  zu,  aus  dessen  Bezirk 
die  enteignete  Menge  in  Anspruch  genommen  wird.  Streitigkeiten 
hieraus  entscheidet  endgültig  die  höhere  Verwaltungsbehörde  des  Be- 
zirks, in  dem  sich  die  Kartoffeln  zur  Zeit  befinden.  Damit  ist 
der  Kreis  der  für  die  Kartolfelversorgung  des  laufenden  Jahres  bis  zur 
neuen  Ernte  von  der  Reichsregierung  erlassenen  Verkehrs-  und  Ver- 
brauchsvorschriften geschlossen. 

Die  Kartoffelversorgung  für  das  Erntejahr  1917  berücksichtigte 
in  weitem  umfange  die  Erfahrungen  der  beiden  Vorjahre  und  legte  ins- 
besondere Gewicht  auf  die  Verbrauchsregelung  und  die  Verteilung  neben 
der  Verfügungsbeschränkung,  welche  in  den  Verordnungen  des  Jahres 
1916  auf  neuer  Grundlage  aufgebaut  wurden.  Das  Nebeneinanderwirken 
des  freien  Handels  und  der  staatlichen  Zwangslieferung  hatte  bekannt- 
lich im  Vorjahre  zum  Versagen  der  Kartoffelversorgung  geführt.    Durch 


Miszellen.  191 

das  System  der  Zwangsumlage  und  der  Abnahmepflicht  wurde  dagegen 

1916  der  freie  Handel  ausgeschlossen,  wenn  das  auch  nach  außen  hin 
vielleicht  nicht  vollständig  in  die  Erscheinung  trat,  denn  die  Kommunal- 
verbände bedienten  sich  bei  der  Durchführung  ihrer  Lieferungsauflage, 
der  Abnahme  und  Abgabe  der  Kartoffeln  vielfach  der  Erfahrungen 
sachverständiger  Kartoffelhändler  im  Rahmen  der  Zwangslieferung  und 
-abnähme,  um  die  erforderlichen  Maßnahmen  desto  zweckmäßiger  und 
sicherer  durchzuführen. 

Für  das  neueWirtschaftsjahr  1917/18  gibt  die  Verordnung 
über  die  Kartoffelversorgung  im  Wirtschaftsjahr  1917/18  vom  28.  Juni 

1917  (RGBl.  S.  569)  die  Hauptgrundzüge.  Diese  Bundesrats  Verordnung 
ist  vorläufig  nur  der  Rahmen,  innerhalb  dessen  von  den  zuständigen 
Stellen  —  Kriegsernährungsamt,  Reichskartoffelstelle  und  Landeszentral- 
behörden —  noch  nähere  Ausführungsbestimmungen  getroffen  werden 
sollen.  Die  Regelung  der  Kartoffelversorgung  bezieht  sich  auf  die  Zeit 
vom  16.  August  1917  bis  15.  September  1918,  also  auf  eine  Zeit  von 
13  Monaten. 

Es  ist  auch  für  das  neue  Erntejahr  das  System  der  Zwangslieferung^ 
beibehalten  worden.  Bei  den  Beratungen  mit  den  Sachverständigen  aller 
Berufsgrupen  ist,  von  ganz  geringen  Ausnahmen  abgesehen,  durchweg 
erklärt  worden,  daß  man  an  diesem  System  sowohl  für  Früh-  wie  für 
Winterkartoffeln  festhalten  müsse,  da  der  freie  Handel  im  System  der 
Höchstpreise  unter  den  gegenwärtigen  Verhältnissen  für  eine  ausreichende 
Versorgung  aller  Schichten  der  Bevölkerung  keine  Gewähr  bieten  könne» 

In  der  Regelung  der  Kartoffelversorgung  sind  gegenüber  dem  Vor- 
jahre verschiedene  Verbesserungen  vorgenommen  worden.  Es  sind  ins- 
besondere verschärfte  Kontrollen  eingeführt,  die  auf  der  einen  Seite  die 
Versorgung  der  Verbraucher  wirksamer  als  bisher  sichern,  auf  der  an- 
deren aber  auch  die  üeberlastungen  der  Erzeuger  in  einzelnen  Be- 
zirken infolge  zu  hoher  Ertragsschätzung  vermeiden  sollen.  Die  Organi- 
sation ist  die  gleiche  wie  bei  der  vorjährigen  Versorgung.  Die 
Bewirtschaftung  der  Kartoffel  wird  unter  der  Aufsicht  des  Präsidenten 
des  Kriegsernährungsamtes  von  der  Reichskartoffelstelle  geleitet.  Bei 
ihr  haben  die  Heeresverwaltungen  und  die  Marineverwaltung  den  Bedarf 
zu  bestimmten  Zeitpunkten  anzumelden.  Sie  setzt  den  Bedarf  der 
Kommunalverbände,  der  Reichsbranntweinstelle  und  der  Trockenkartoffel- 
Verwertungsgesellschaft  fest.  Der  Reichskartoffelstelle  unterstellt  sind 
sogenannte,  von  den  einzelnen  Landeszentralbehörden  errichtete  Vermitt- 
lungsstellen (Landeskartoffelstellen ,  Provinzialkartoffelstellen).  Unter 
diesen  stehen  alsdann  die  Kommunalverbände,  das  sind  in  der  Regel 
die  Land-  und  Stadtkreise  mit  ihren  Gemeinden. 

Die  wichtigsten  Organe  bei  der  tatsächlichen  Ausführung  der  Kar- 
toffelversorgung sind  die  Kommunalverbände.  Sie  haben  Pflichten  nach 
einer  zweifachen  Richtung  hin  zu  erfüllen,  einmal  gegenüber  ihrer  ein- 
gesessenen versorgungsberechtigten  Bevölkerung  und  dann  —  wenn  sie 
Ueberschußgebiete  sind  und  als  solche  mehr  Kartoffeln  erzeugen,  als 
ihrer  eigenen  Bevölkerung  zustehen  —  auch  gegenüber  solchen  Ver- 
bänden, denen  als  Bedarfsbezirken  Kartoffeln  fehlen.     Gegenüber  ihreox 


192  Miscellen. 

eingesesseaen  Verbrauchern  sind  sie  verpflichtet,  die  zu  dereo  Ernährung 
erforderlichen  Mengen  an  Kartoffeln  zu  beschaffen,  soweit  der  Bedarf 
nicht  aus  den  im  eigenen  Bezirk  verfügbaren  Vorräten  gedeckt  werden 
kann,  und  die  Versorgung  der  Bevölkerung  zu  regeln.  Für  die  Be- 
schaffung der  Kartoffeln  wird  die  Beschäftigung  durchweg  sachver- 
ständiger, dem  Handel  angehörender  Personen  als  Kommissionäre  vor- 
geschrieben und  dabei  bestimmt  werden,  daß  solche  Kommissionäre  in 
jedem  Kreise  in  genügender  Zahl  eingestellt  werden  müssen.  Die  Kom- 
munalverbände haben  die  beschafften  Mengen,  soweit  sie  sie  nicht  als- 
bald an  die  Verbraucher  verteilen,  sorgfältig  einzumieten  oder  einzu- 
lagern. Beim  Einmieten  und  Einlagern  und  bei  den  sonst  zur  Erhaltung 
der  Kartoffeln  nötigen  Maßnahmen  sind  Sachverständige  zuzuziehen. 
Die  Kommunalverbände  können  zu  diesem  Zwecke  in  ihrem  Bezirke 
Plätze  für  das  Einmieten  und  Räume  für  das  Einlagern  gegen  eine  an- 
gemessene Entschädigung  in  Anspruch  nehmen.  Ist  ein  Kommunalver- 
band Ueberschußgebiet,  erzeugt  er  also  mehr,  als  er  für  seine  Bevölke- 
rung braucht,  so  ist  er  verpflichtet,  die  auf  ihn  entfallende  Menge  nach 
den  Weisungen  der  vorgesetzten  Stelle  an  einen  bestimmten  Bedarfs- 
verband abzuliefern.  Der  Kommunalverband  hat  die  festgesetzten 
Mengen  auf  die  Gemeinden  oder  unmittelbar  auf  die  landwirtschaft- 
lichen Betriebe  umzulegen.  Wie  bei  Getreide  und  Hülsenfrüchten  nach 
der  neuen  ßeichsgetreideordnung  vom  21.  Juni  1917,  so  ist  auch  hier  die 
Wirtschaftskarte  vorgesehen.  Zu  ihrer  Führung  ist  der  Kommunal- 
verband verpflichtet.  Er  kann  außerdem  von  jeder  Gemeinde  noch  be- 
sonders die  Führung  von  Wirtschaftskarten  für  den  Gemeindebezirk 
verlangen.  Da  in  die  Wirtschaftskarte  für  jeden  einzelnen  landwirt- 
schaftlichen Betrieb  die  geernteten  Mengen  und  die  einzelnen  Abliefe- 
rungen eingetragen  werden,  so  läßt  sich  daraus  jederzeit  der  noch  auf- 
zuweisende Sollbestand  ermitteln.  So  dient  die  Wirtschaftskarte  der 
Kontrolle  des  einzelnen  Betriebes.  Die  Gesamtheit  der  Wirtschafts- 
karten stellt  somit  eine  Bestandsbuchführung  aller  im  Reiche  vorhandenen 
Kartoffelvorräte  bei  den  Erzeugern  dar.  Sie  gewährt  einen  guten  üeber- 
blick  über  die  Vorräte  und  gibt  eine  Handhabe  dafür,  die  abzuliefernden 
Kartoffelmengen  auf  die  einzelnen  Gemeinden  und  die  einzelnen  Betriebe 
gerechter  und  gleichmäßiger  zu  verteilen,  als  das  bisher  möglich  war. 
Zweckmäßig  wird  es  sein,  wenn  —  was  nicht  vorgeschrieben  ist  —  sich 
auch  jeder  Landwirt  für  seinen  Betrieb  eine  Wirtschaftskarte  anlegt,  aus 
der  er  jederzeit  ersehen  kann,  wie  er  mit  seinen  Vorräten  steht.  Die  Haf- 
tung für  die  vollständige  und  rechtzeitige  Lieferung  trägt  stets  der 
Kommunalverband.  Kommt  er  seiner  Lieferungspflicht  nicht  rechtzeitig 
nach,  so  kann  die  Reichskartoffelstelle  die  Mengen,  die  innerhalb  seines 
Bezirks  verbraucht  werden  dürfen,  herabsetzen.  Auf  ihren  Antrag  kann 
auch  die  Reichsgetreidestelle  in  solchen  Fällen  die  Lieferung  von  Ge- 
treide und  Hülsenfrüchten  einschränken  oder  gar  einstellen.  Wenn 
einen  Kommunalverband  eine  solche  Verwaltungsstrafe  trifft,  so  wird  er 
gerechterweise  die  bei  ihm  vorgenommene  Kürzung  auf  solche  Gemeinden 
oder  unmittelbar  auf  solche  Betriebe  verteilen,  die  ihre  Lieferungspflicht 
«chuldhaft  nicht  erfüllt  haben. 


Miszellen.  193 

Gegenüber  der  Reichskartoffelstelle  bleibt  aber  immer  der  Kom- 
jnunalverband  für  die  Erfüllung  der  Lieferungspflicht  verantwortlich. 
Der  Kommunalverband  seinerseits  macht  die  Gemeinden  haftbar;  diese 
halten  sich  an  die  einzelnen  Betriebe.  Letzteren  gegenüber  haben  die 
Gemeinden  das  weitere  Recht,  innerhalb  ihrer  Verteilungsbefugnis  auch 
die  Lieferung  anderer  Bedarfsgegenstände  einzuschränken  oder  einzu- 
stellen. 

Die  den  Erzeugern  auferlegten  Pflichten  sind  folgende.  Sie  haben 
die  Kartoffeln  sachgemäß  zu  ernten  und  die  zu  ihrer  Erhaltung  und 
Pflege  erforderlichen  Handlungen  vorzunehmen.  Sie  dürfen  die  Kartoffeln 
in  Höhe  der  bei  ihnen  für  die  Allgemeinheit  sichergestellten  Mengen 
nicht  verbrauchen  oder  beiseite  schaffen.  Die  Verwaltungsbehörde  kann 
die  Erzeuger  zur  Aussonderung  der  zu  liefernden  Mengen  aus  den  übrigen 
Beständen  auffordern  und,  wenn  sie  dieser  Aufforderung  nicht  nach- 
kommen, die  Aussonderung  auf  deren  Kosten  vornehmen  lassen.  Inner- 
halb einer  von  der  Verwaltungsbehörde  zu  setzenden  Frist  sind  die 
Kartoffeln  abzuliefern.  Ist  die  Lieferung  innerhalb  dieser  Frist  nicht 
erfolgt,  so  ist  der  dem  Erzeuger  zu  zahlende  Uebernahmepreis  um  3  M. 
für  den  Zentner  zu  kürzen. 

Die  Kartoffeln  werden,  wo  sie  sich  auch  befinden,  einer  steten 
Beaufsichtigung  unterliegen.  Die  Beamten  der  Polizei  und  die  von  der 
Reichskartoffelstelle,  den  Vermittlungsstellen,  den  Kommunalverbänden 
oder  der  Polizeibehörde  beauftragten  Personen  sind  befugt,  in  Räume, 
in  denen  Kartoffeln  gelagert,  feilgehalten  oder  verarbeitet  werden,  so- 
wie in  Räume,  in  denen  Vieh  gehalten  oder  gefüttert  wird,  einzutreten 
und  in  diesen  Besichtigungen  vorzunehmen.  Die  Besitzer  der  Räume 
oder  die  von  ihnen  bestellten  Betriebsleiter  und  Aufsichtspersonen  haben 
alsdann  auf  Ersuchen  Auskunft  über  die  vorhandenen  Vorräte,  ihre  Her- 
kunft und  die  Art  ihrer  Verwendung  zu  erteilen. 

So  ist  durch  umfassende  Kontrollen,  und,  wenn  es  sein  muß,  auch 
durch  Strafen  die  vollständige  und  rechtzeitige  Kartoffellieferung  der 
üeberschußgebiete  an  die  Bedarfsverbände  sichergestellt  worden.  Das 
Gemeinsamkeitsgefühl,  das  gerade  auch  in  Landgemeinden  recht  stark 
ausgeprägt  ist,  wird  die  Anwendung  der  angedrohten  Zwangsmaßnahmen 
nur  in  vereinzelten  Fällen  notwendig  werden  lassen. 

Diese  neue  Regelung  der  Kartoffelversorgung  wird  durch  spätere 
Ausführungsbestimmungen  der  zuständigen  Stellen  erweitert  und  ergänzt 
werden.  Diese  können  erst  im  August  und  September  ergehen,  wenn 
die  Kartoffelanbauflächen  feststehen  und  die  Aussicht  für  die  kommende 
Herbstkartoffelernte  sich  einigermaßen  übersehen  läßt.  Aufrechterhalten 
bleibt  bis  auf  weiteres  die  jetzige  Bestimmung,  wonach  das  Verfüttern 
von  Kartoffeln  verboten  ist.  Inwieweit  dieses  strenge  Verfütterungs- 
verbot  im  kommenden  Herbst  etwas  gemildert  werden  kann,  und  wie 
die  einzelnen  Rationen  und  Lieferungsbedingungen  im  einzelnen  festzu- 
setzen sind,  läßt  sich  erst  entscheiden,  wenn  das  Ergebnis  der  Herbst- 
kartoffelernte vollständig  zu  übersehen  ist. 

Den  gleichen  geringen  Erfolg,  welchen  die  ganze  Kartoffelversor- 
gung  in   den  ersten    beiden  Kriegsjahren    an  sich   zeitigte,   hatte   auch 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  1 3 


194  Miszellen. 

die  Kartoff elhöchstpreispolitik,  die  sich,  abgesehen  von  den 
früheren  Höchstpreisbestimmungen,  auf  der  Bekanntmachung  über  die 
Kartoffelpreise  vom  28.  Oktober  1915  (RGBl.  S.  711)  aufbaut.  Danach 
ist  der  Reichskanzler  ermächtigt,  nach  Preisgebieten  getrennt,  für  Kar- 
toffeln Höchstpreise  festzusetzen,  die  beim  Verkauf  im  Großhandel 
durch  den  Kartoffelerzeuger  nicht  überschritten  werden  dürfen.  Ge- 
meinden mit  mehr  als  10000  Einwohnern  sind  verpflichtet,  andere 
Gemeinden  sowie  Kommunalverbände  sind  berechtigt  und  auf  An- 
ordnung der  Landeszentralbehörden  verpflichtet,  Höchstpreise  für  den 
Kleinhandel  mit  Kartoffeln  unter  Berücksichtigung  der  besonderen 
örtlichen  Verhältnisse  festzusetzen.  Auf  Grund  dieser  Vorschriften 
wurde  dann  sogleich  die  Bekanntmachung  über  die  Festsetzung 
der  Höchstpreise  für  Kartoffeln  und  die  Preisstellung  für  den  Weiter- 
verkauf vom  28.  Oktober  1915  (RGBl.  S.  709)  erlassen.  Die  Be- 
stimmungen des  §  10  der  Bekanntmachung  vom  9.  Oktober  1915  über  die 
Grundpreise  der  Kartoffeln  wurden  beibehalten,  und  die  früheren  Sätze 
55,  57,  59  und  61  M.  für  die  vier  Preisgebiete  galten  nunmehr  als 
gesetzliche  Höchstpreise  im  Großhandel,  während  für  den  Kleinhandels- 
höchstpreis bestimmt  wurde,  daß  er  den  Erzeugerhöchstpreis  desjenigen 
Preisgebiets,  in  welches  die  Kartoffeln  zum  Verbrauche  geschafft  werden, 
um  nicht  mehr  als  insgesamt  1,30  M.  für  50  kg  übersteigen  dürfe. 
Die  Bekanntmachung  über  die  Regelung  der  Kartoffelpreise  wurde  un- 
wesentlich abgeändert  am  11.  November  1915  (RGBl.  S.  760)  und  am 
29.  November  1915  (RGBl.  S.  787),  wodurch  insbesondere  die  Ein- 
schränkungen  der  gesetzlichen  Befugnisse  zum  Erlaß  von  Höchstpreisen 
gegenüber  den  Kartoffelerzeugern  betroffen  wurden.  In  diesem  Zu- 
sammenhange gewinnt  auch  die  Bekanntmachung  betreffend  Einwirkung 
von  Höchstpreisen  auf  laufende  Verträge  vom  11.  November  1915  (RGBl. 
S.  758)  Bedeutung  hinsichtlich  der  Kartoffelpreise  gemäß  der  Bekannt- 
machung vom  28.  Oktober  1915,  wonach  Verträge  über  Lieferung  von 
Kartoffeln,  die  zu  höheren  Preisen  als  den  gesetzlich  festgesetzten 
Höchstpreisen  abgeschlossen  sind,  mit  dem  Inkrafttreten  derselben  als 
zum  Höchstpreis  abgeschlossen  gelten,  soweit  die  Lieferung  zu  diesem 
Zeitpunkt  noch  nicht  erfolgt  ist.  Die  Höchstpreisbestimmungen  des 
28.  Oktober  1915  galten,  abgesehen  von  dem  abändernden  Zusatz  der 
Bekanntmachung  vom  27.  Januar  1916  (RGBl..  S.  66),  daß  die  Heeres- 
verwaltungen und  die  Marineverwaltung,  die  Reichskartoffelstelle  und 
die  von  dieser  ermächtigten  Stellen  und  Personen  an  die  Höchstpreise 
nicht  gebunden  sind,  bis  Mitte  März  1916.  Sie  wurden  mit  dem  Ab- 
lauf des  14.  März  1916  außer  Kraft  gesetzt  durch  die  neue  Bekannt- 
machung vom  2.  März  1916  (RGBl.  S.  140),  welche  entsprechende 
Kartoffelhöchstpreise  von  90,  92,  94  und  96  M.  festsetzte  und  daneben 
bestimmte,  daß  beginnend  mit  dem  15.  April  1916  die  Preise  sich  am 
15.  jedes  Monats,  letztmalig  am  15.  Juni,  um  5  M.  für  die  Tonne  er- 
höhen. Durch  diesen  automatischen  Zuschlag  stellten  sich  die  Preise 
am  15.  April  auf  95,  97,  99  und  101  M.,  am  15.  Mai  auf  100,  102, 
104  und  106  M.,  am  15.  Juni  auf  105,  107,  109  und  111  M.  für  die 
Tonne    im    Großhandel.     Bei    der   Festsetzung   der  Kleinhandelshöchst- 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  195 

preise  werden  die  Gemeinden  keiner  Beschränkung  unterworfen.  Es 
haben  daher  die  Kommunalverbände  vielfach,  ohne  Ansehung  des  sich 
aus  den  Festsetzungen  für  den  Großhandel  ergebenden  Zentnerpreises  des 
zweiten  Preisgebietes,  um  ein  Beispiel  zu  nennen,  gemäß  der  automatischen 
Steigerung  pro  Zentner  4,60,  4,85,  5,10  und  5,35  M.,  den  Pfundpreis  auf 
5 — 10  Pfg.  stellenweise  festgesetzt.  Hinsichtlich  der  Frühkartoffeln 
bestinomte  die  Bekanntmachung  vom  2.  März  1916,  daß  ihre  Höchst- 
preise nicht  für  Frühkartoffeln  aus  der  Ernte  1916  gelten.  Der  Preis 
für  den  Doppelzentner  inländischer  Frühkartoffeln  wird  besonders  be- 
stimmt dahingehend,  daß  er  beim  Verkauf  durch  den  Erzeuger  20  M. 
nicht  übersteigen  darf.  Als  Frühkartoffeln  gelten  Kartoffeln,  die  vor 
dem  15.  August  1916  geerntet  werden.  Die  Gemeinden  sind  zur  Fest- 
setzung von  Kleinhandelshöchstpreisen  für  Frühkartoffeln  berechtigt, 
aber  nicht  verpflichtet.  Auch  für  Kartoffeln,  die  laut  ortspolizeilicher 
Bescheinigung  in  Mistbeeten  oder  ähnlichen  Vorrichtungen  gezogen  sind 
und  vor  dem  15.  Juni  1916  geerntet  und  verkauft  werden,  gelten  die 
Höchstpreise  der  Bekanntmachung  vom  2.  März  1916  nicht  (RGBl. 
S.  322).  Mit  dem  Ablauf  des  31.  Juli  1916  traten  dann  die  Höchst- 
preise des  2.  März  außer  Kraft  durch  die  Bekanntmachung  vom  13.  Juli 
1916  (RGBl.  S.  696),  die  folgende  Höchstpreise  für  Kartoffeln  aus 
der  Ernte  1916  beim  Verkaufe  durch  den  Kartoffelerzeuger  für  die 
Tonne  festsetzte  (maßgebend  ist  der  zu  der  vereinbarten  Lieferungs- 
zeit geltende  Höchstpreis) : 


1.— 10.  August  1916 
11.— 20. 

i8o  M. 

i6o    „ 

21.— 31. 

I.-IO.  September  1916 
11.— 20. 

HO    „ 

I20     „ 
IOC     „ 

21.— 30. 
1.  Oktober  1916  bis  15. 

Februar 

1917 

90     „ 
80    „ 

16.  Februar  1917    „    15. 

August 

1917 

100     „ 

In  weit  schärferer  Weise,  als  es  bei  der  Getreidehöchstpreispolitik 
der  Fall  war,  hat  die  Kartoffelhöchstpreispolitik  eine  öffentliche  Kritik 
herausgefordert.  Tages-,  wissenschaftliche  und  Fachpresse  haben  dem 
Gegenstand  jedenfalls  große  Aufmerksamkeit  geschenkt.  Auch  in  den 
über  die  Ernährungsfrage  im  Kriege  erschienenen  Monographien  ist  das 
Problem  der  Kartoffelversorgung  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Kartoffelpreise  eingehend  behandelt  worden,  und  gerade  die  verschie- 
denen Höchstpreisfestsetzungen  sind  dabei  immer  vor  allem  ausführlich 
besprochen  und  fast  überall  einstimmig  getadelt  worden  i),  was  auch 
sogar  die  oben  erwähnte  amtliche  Bearbeitung  ausspricht  2). 

Neben  den  Verordnungen  zur  Regelung  der  Kartoffelversorgung  im 
engeren  Sinne  erging  noch  eine  Reihe  von  Bekanntmachungen,  welche 
verschiedene  Maßnahmen  anordneten,  um  die  Kartoffelvorräte  ihrem 
Hauptzweck,  der  menschlichen  Ernährung,  weiterhin  im  ausgedehntesten 


1)  Europäische  Staats-  und  Wirtschaftszeitung  (Verlag  Neue  Deutsche  Bücherei  in 
München)  vom  11.  März  1916,  S.  39. 

2)  Beiträge  zur  Kriegswirtschaft,  a.  a.  O.  S.  44. 

13* 


■[96  Miszellen. 

Maße  sicherzustellen.  Im  Jahre  1915  waren  solche  Maßnahmen  noch 
nicht  getroffen  worden ;  der  Aufbau  des  Systems  der  Kartoffelversorgung 
bei  der  längeren  Dauer  des  Krieges  bedingte  jedoch  auch  in  dieser  Be- 
ziehung weitergehende  Schritte  und  gebot  schärfere  Bestimmungen  nicht 
nur  zur  Sicherstellung  und  für  den  Verbrauch  der  Kartoffelvorräte, 
sondern  auch  vorsorgende  Maßnahmen  für  die  Kartoffel  ernte  und  die 
Verfütterung  von  Kartoffeln.  Das  Verbot  des  Vorverkaufs  der  Ernte 
des  Jahres  1916  wurde  in  der  Bekanntmachung  vom  21.  Juni  1916 
(RGBl.  S.  545)  ausgesprochen.  Die  Bekanntmachung  vom  15.  April  1916 
(RGBl.  S.  284)  regelt  das  Verfüttern  der  Kartoffeln,  wonach  Kartoffel- 
besitzer bis  zum  15.  Mai  1916  verfüttern  dürfen  an  Pferde  höchstens 
10  Pfund,  Zugkühe  5  Pfund,  Zugochsen  7  Pfund,  Schweine  2  Pfund 
täglich,  oder  statt  dessen  an  Erzeugnissen  der  Kartoffeltrocknerei  je 
ein  Viertel  davon,  wenn  diese  Tiere  schon  früher  mit  Kartoffeln  oder 
Erzeugnissen  der  Kartoffeltrocknerei  gefüttert  worden  sind.  Am  15.  Mai 
1916  (RGBl.  S.  377)  wurden  diese  Bestimmungen  dahin  abgeändert,  daß 
bis  zum  15.  August  1916  Kartoffelbesitzer  an  ihr  Vieh  insgesamt  nicht 
mehr  Kartoffeln  verfüttern  durften,  als  auf  ihren  Schweinebestand  bis 
zu  diesem  Tage  nach  dem  Satze  von  höchstens  2  Pfund  Kartoffeln  für 
den  Tag  und  das  Schwein  entfällt.  Und  am  8.  Juni  1916  (RGBl.  S.  446) 
wurden  weitere  einschränkende  Bestimmungen  dazu  erlassen  bzw.  folgende 
Abänderungen  verfügt:  Vom  10.  Juni  1916  ab  dürfen  Kartoffeln  nicht 
mehr  verfüttert  werden.  Der  Kommunalverband  regelt  die  Zulassung 
von  Ausnahmen,  die  aber  nur  bewilligt  werden  dürfen  für  Kartoffeln, 
welche  sich  nachweislich  zur  menschlichen  Ernährung  nicht  eignen. 
Viehbesitzer  dürfen  bis  15.  August  1916  an  ihr  Vieh  nur  noch  Erzeug- 
nisse der  Kartoffeltrocknerei  nach  bestimmten,  in  der  Bekanntmachung 
vorgeschriebenen  Sätzen  verfüttern.  Und  endlich  bestimmt  die  Bekannt- 
machung vom  23.  September  1916  (RGBl.  S.  1075):  Kartoffeln  und  Er- 
zeugnisse der  Kartoffeltrocknerei  dürfen  nur  an  Schweine  und  Federvieh 
verfüttert  werden.  Kartoffelerzeuger  dürfen  Kartoffeln,  die  als  Speise- 
kartoffeln oder  als  Fabrikkartoffeln  nicht  verwendbar  sind,  mit  Genehmi- 
gung ihres  Kommunalverbandes  auch  an  andere  Tiere  ihrer  Wirtschaft 
als  an  Schweine  und  Federvieh  verfüttern,  soweit  die  Verfütterung  an 
diese  nicht  möglich  ist.  Kartoffelstärke  und  Kartoffelstärkemehl  dürfen 
nicht  verfüttert  werden.  Nach  der  Kartoffelverordnung  für  1917/18 
kann  das  Verfüttern  von  Kartoffeln  und  Erzeugnissen  der  Kartoffel- 
trocknerei oder  -Stärkefabrikation  beschränkt  oder  verboten  werden 
(§  13  Abs.  1).  Die  Verfütterungsverbote  für  Kartoffeln  sind  somit  in 
Anlehnung  an  die  übrigen  zu  ihrer  Sicherstellung,  Verfngungs-  und  Ver- 
brauchsbeschränkung erlassenen  Bestimmungen  ebenfalls  immer  schärfer 
und  strenger  geworden. 

Die  Bestimmungen  über  Saatkartoffeln  enthält  die  Bekanntmachung 
vom  6.  Januar  1916  (RGBl.  S.  5)  mit  der  Vorschrift,  daß  die  Kartoffel- 
höchstpreise nicht  für  Saatkartoffeln  gelten,  und  Anordnungen  über  die 
Zulassung  zum  Handel  von  Saatkartoffeln  und  die  Buchführung  über 
solche  Geschäftsabschlüsse  die  Bekanntmachung  vom  14.  September  1916 
(RGBl.  S.  1031)   mit  der  entsprechenden  Höchstpreisvorschrift  und  der 


■^Misz  eilen.  ]^97 

AnordnuDg,  daß  die  Ausfuhr  von  Saatkartoffeln  aus  einem  Kommunal- 
verband in  einen  anderen  der  Genehmigung  des  Kommunalverbandes 
bedürfe  sowie  die  Bekanntmachung  vom  16.  November  1916  (RGBl. 
S.  1281)  gleichfalls  mit  den  entsprechenden  Anordnungen  und  der  neuen 
Vorschrift,  daß  Saatkartoffeln  aus  der  Ernte  1916  nur  durch  die  Ver- 
mittlung von  landwirtschaftlichen  Berufsvertretungen  abgesetzt  werden 
dürfen  und  auch  diese  den  Absatz  von  Saatkartoffeln  nach  außerhalb 
ihres  Bezirkes  wieder  nur  an  solche  vermitteln  dürfen.  Vom  26.  Mai 
1917  ab  durften  sie  den  Absatz  von  Saatkartoffeln  nach  außerhalb  ihres 
Bezirks  nicht  mehr  vermitteln  und  nach  dem  31.  Mai  1917  durften 
Saatkartoffeln  aus  dem  Bezirke  einer  dieser  Stellen  in  den  Bezirk  einer 
anderen  nicht  mehr  geliefert  werden  (Verordnung  über  Saatkartoffeln 
vom  24.  Mai  1917  —  RGBl.  S.  434). 

Die  wirtschaftliche  Kriegsnotgesetzgebung  erstreckt  sich  alles  in 
allem  aber  nicht  nur  auf  die  Maßnahmen  zur  Sicherung  der  Kartoffeln 
an  sich  in  ihrer  unmittelbaren  Verwendung  zur  menschlichen  Ernährung, 
sondern  hat  auch  zahlreiche  Anordnungen  für  den  Verkehr  mit  Er- 
zeugnissen der  Kartoffeltrocknerei  und  Kartoffelstärke- 
fabrikation sowie  die  Kartoffelbrennerei  getroffen,  um  von 
diesen  Erzeugnissen  geeignete  Stoffe  ebenfalls  der  menschlichen  Er- 
nährung zuzuführen  oder  der  Verfütterung  dienstbar  zu  machen.  So 
wurde  bereits  in  der  Bekanntmachung  vom  5.  November  1914  (RGBl. 
S.  471)  der  Absatz  von  Erzeugnissen  der  Kartoffeltrocknerei  unter  Zu- 
hilfenahme einer  zu  diesem  Zwecke  errichteten  Trockenverwertungsgesell- 
schaft  in  Berlin  geregelt,  am  11.  Dezember  1914  (RGBl.  S.  505)  kamen  die 
Höchstpreise  für  die  Kartoffelflocken,  -Schnitzel,  -stärke  und  das  -walz- 
mehl  beim  Verkaufe  durch  den  Trockner  sowie  für  alle  weiteren  Ver- 
käufe, und  am  22.  Dezember  1914  wurde  die  Verwendung  von  Kartoffel- 
mehl zur  Herstellung  von  Seife  verboten  (RGBl.  S.  547).  Die  Bekannt- 
machung über  die  Höchstpreise  für  Erzeugnisse  der  Kartoffeltrocknerei 
vom  11.  Dezember  1914  wurde  im  Laufe  des  Jahres  1915  mehrfach 
abgeändert,  so  am  11.  Januar  (RGBl.  S.  15),  25.  Februar  (RGBl.  S.  116), 

15.  April  (RGBL  S.  225),  16.  September  (RGBl.  S.  588);  die  Bekannt- 
machung vom  25.  Februar  brachte  eine  erhebliche  Heraufsetzung  der 
Preise,  nämlich  für  Kartoffelflocken  von  23,50  M.  auf  35, —  M.,  Kar- 
toffelschnitzel von  22,25  M.  auf  33,75  M.,  Kartoffelwalzmehl  von  27,50  M. 
auf  39, —  M.  und  für  Kartoffelstärke  und  Kartoffelstärkemehl  von 
29,80  M.  auf  48, —  M.  pro  dz;  entsprechende  Preiserhöhungen  ebenfalls 
für  alle  weiteren  Verkäufe  nach  dieser  Bekanntmachung,  die  eine  unwesent- 
liche   Abänderung    am    24.  Februar  1916    erhielt    (RGBl.  S.  118).     Am 

16.  September  1915  wurden  die  Preise  wieder  auf  28,90  M.  bzw.  27,65  M. 
bzw.  32,90  M.  bzw.  40, —  M.  erniedrigt.  Den  Absatz  von  Erzeugnissen 
der  Kartoffeltrocknerei  und  Kartoffelstärkefabrikation  regelt  bis  30.  Sep- 
tember 1915  die  Bekanntmachung  vom  25.  Februar  1915  (RGBl.  S.  118), 
bis  30.  September  1916  die  vom  16.  September  1915  (RGBl.  S.  585) 
mit  ergänzenden  Bestimmungen  zur  ersten.  Während  bisher  nur  Kar- 
toffelschnitzel und  -krümel,  Kartoffelflocken  und  Kartoffelwalzmehl  der 
Regelung  unterlagen,  dehnte  sie  die  Bekanntmachung  vom  1.  November 


X98  Miszellen. 

191Ö  (RGBl.  S.  722)  noch  aus  auf  Kartoffelflockengrieß,  Kartoffel- 
schnitzelmehl, -brot,  Kartoffelscheiben,  Kartoffelbrocken  und  Kartoffel- 
flockenkleie. Eine  unwesentliche  Abänderung  allgemeiner  Natur  erging 
am  25.  November  1915  (RGBl.  S.  778)  und  am  24.  Februar  1916  (RGBl. 
S.  119).  Die  Bekanntmachung  vom  17.  März  1916  (RGBl.  S.  173) 
dehnte  die  Vorschriften  auf  alle  Erzeugnisse  aus,  die  entstehen,  wenn 
frischen  Kartoffeln,  allein  oder  in  Mischungen  mit  anderen  Stoffen,  der 
größere  Teil  ihres  natürlichen  Wassergehalts  entzogen  wird.  Die  bis- 
herige Befreiung  der  Trockner  von  der  Lieferungspflicht  von  Erzeug- 
nissen und  Beständen,  die  für  den  eigenen  Wirtschaftsbetrieb  erforderlich 
sind,  wurde  am  15.  April  1916  (RGBl.  S.  286)  aufgehoben.  Kartoffeln, 
Erzeugnisse  der  Kartoffeltrocknerei,  Kartoffelstärke  oder  Kartoffelstärke- 
mehl durften  früher  zur  Herstellung  gewerblicher  Erzeugnisse  nach  §  11 
der  Bekanntmachung  vom  16.  September  1915  nur  mit  Einwilligung  der 
Trockenkartoffel- Verwertungsgesellschaft  verwendet  werden.  Diese  Ein- 
schränkung fiel  vpm  26.  Juni  1916  ab  weg  (RGBl.  S.  592).  Weitere  Ab- 
änderungen kamen  am  31.  August  1916  (RGBl.  S.  986) :  Die  Lieferungs- 
pflicht der  Trockner  blieb  fortan  auf  die  gesamten  Erzeugnisse  und 
Bestände  ausgedehnt,  der  am  26.  Juni  1916  weggefallene  §  11  wurde 
wieder  eingefügt.  Die  neue  Fassung  der  Verordnung  über  die  Regelung  des 
Absatzes  von  Erzeugnissen  der  Kartoffeltrocknerei  und  der  Kartoffel- 
stärkefabrikation vom  31.  August  1916  wurde  am  22.  September  1916 
bekannt  gemacht  (RGBl.  S.  1069).  Neue  Höchstpreise  setzte  die  Be- 
kanntmachung vom  29.  Februar  1916  (RGBl.  S.  135)  fest: 


Erzeugnisse 

Preisgebiet 

pro  dz                              I 

II 

III 

IV 

artoffelflocken                    36,80  M. 
schnitze!                  35,55    „ 
„       walzmehl,  einschl. 
Zuschlag  f.  d.  Sichtung    42,80    „ 
artoffelstärke  und  Kar- 

37,30  M. 
36,05    „ 

43,30    „ 

37,80  M. 
36,5i    „ 

43,80    ., 

38,30  M. 
37,05    „ 

44,30    „ 

toffelstärkemehl                49,30    „ 

49,80    „ 

50,30    „ 

50,80    „ 

Abänderungen  erfolgten  am  5.  November  1916  (RGBl.  S.  1261)  für 
die  Höchstpreise  des  Kartoffelwalzmehls,  die  erhöht  wurden  auf  49,30  M. 
bzw.  49,80  M.  bzw.  50,30  M.  bzw.  50,80  M.  üeber  die  Ablieferung 
von  Erzeugnissen  der  Kartoffeltrocknerei  an  die  Trockenkartoffelver- 
wertungsgesellschaft  handeln  §§  4  und  5  der  schon  in  anderem  Zu- 
sanmienhange  angeführten  Bekanntmachung  über  das  Verfüttern  von 
Kartoffeln  vom  15.  April  1916  (RGBl.  S.  284).  Endlich  ist  zu  er- 
wähnen, daß  auch  ein  Verbot  des  Vorverkaufs  von  Erzeugnissen  der 
Kartoffeltrocknerei  aus  der  inländischen  Ernte  1915  erlassen  worden 
ist  —  Bekanntmachung  vom  7.  Juli  1915,  RGBl.  S.  419  — ,  das  aber 
am  11.  Oktober  1915  —  RGBl.  S.  669  —  wieder  aufgehoben  worden  ist. 
Im  Jahre  1916  und  1917  ist  ein  solches  Verbot  nicht  erfolgt.  Hinsichtlich 
der  Verarbeitung  der  Kartoffeln  in  den  Brennereien  ist  unterm  17.  Juni 
1915  (RGBl.  S.  343)  bestimmt  worden,  daß  Brennereien  jeder  Art  bis 
einschließlich  15.  August  1915  Kartoffeln  verarbeiten  dürfen,  ohne  daß 
ihnen   hieraus   für   die   künftige    steuerliche  Behandlung  Nachteile   ent- 


Miszellen.  199 

stehen.  Die  Bekanntmachung  über  die  Lohnverarbeitung  von  Kartoffeln 
in  kleineren  Brennereien  vom  8.  Juli  1915  (RGBl.  S.  424)  befreite 
Brennereien,  denen  eine  Ermäßigung  der  Verbrauchsabgabe  oder  Betriebs- 
auflage zugestanden  war,  von  den  bestimmten  Nachzahlungen,  wenn  der 
über  die  erforderlichen  Erklärungen  hinaus  gewonnene  Branntwein  im 
Lohnbetriebe  für  die  Reichstelie  für  Kartoffelversorgung  aus  Kartoffeln 
hergestellt  worden  ist.  Die  Bekanntmachung  vom  16.  September  1915 
(RGBl.  S.  594)  gestattet  allen  Brennereien,  die  bisher  Getreide  ver- 
arbeitet haben,  im  Betriebsjahr  1915/16  Kartoffeln,  auch  wenn  sie  diese 
nicht  selbst  gewonnen  haben,  zur  Branntweinbereitung  zu  verwenden, 
ohne  daß  hieraus  ihre  Brennereiklasse  geändert  wird  oder  ihnen  für  die 
künftige  steuerliche  Beh&ndlung  ein  Nachteil  entsteht.  Weitere  Er- 
leichterungen brachte  dem  Brennereibetrieb  die  Bekanntmachung  vom 
31.  Mai  1916  (RGBl.  S.  435),  indem  bei  landwirtschaftlichen  Brennereien, 
die  Kartoffeln  oder  Mais  verarbeiten,  von  der  vorgesehenen  Erhöhung 
der  Betriebsauflage  abgesehen  wurde;  für  das  Betriebsjahr  1916/17  gilt 
entsprechend  die  Bekanntmachung  vom  2.  November  1916  (RGBl. 
S.  1245)  über  die  Regelung  der  Verbrauchsabgabenermäßigungen  und 
mit  Vorschriften  über  den  Durchschnittsbrand.  Den  Kreis  dieser  Ver- 
ordnungen schließt  die  wichtige  Bekanntmachung  vom  26.  Oktober  1916 
(RGBl.  S.  1198)  und  22.  März  1917  (RGBl.  S.  259),  welche  die  Ver- 
arbeitung von  Kartoffeln  auf  Branntwein  in  Kleinbrennereien  verbietet, 
üeber  die  zahlreichen  Kartoffelvorratsaufnahmen,  die 
seitens  der  Reichsregierung  angeordnet  worden  sind,  die  Erntevor- 
schätzungen und  die  Ernteflächenerhebungen,  welche  auch  die  Kartoffeln 
miterfaßten,  ist  schon  im  ersten  Teil  berichtet  worden  (vgl.  diese  „Jahr- 
bücher" 53.  Bd.  S.  90,  91).  Eine  neue  Kartoffelvorratszählung  ist  durch 
Bekanntmachung  vom  2.  Februar  1917  (RGBl.  S.  94)  für  den  1.  März 
1917  angeordnet  worden.  Nach  §  13  Abs.  2  der  Kartoffelverordnung 
für  das  Erntejahr  1917/18  kann  das  Kriegsernährungsamt  jederzeit  die 
Vornahme  von  Kartoffelerhebungen  bestimmen. 

In  diesem  Zusammenhange  sind  auch  einige  Zahlenangaben 
über  die  deutschen  Kartoffelernten  von  Interesse. 

Während  in  den  5  Jahren  von  1888  bis  1892  rund  28  Millionen  t 
(560  Mill.  Ztr.)  Kartoffeln  in  Deutschland  geerntet  wurden,  haben  uns 
die  Ernten  1912  und  1913  je  über  50  Mill.  t  (1000  Mill.  Ztr.)  Kar- 
toffeln gebracht;  eine  normale  Mittelernte  war  vor  dem  Kriege  40  bis 
421/2  Mill.  t  (800—850  Mill.  Ztr.).  Diese  Mengen  wurden  auf  der 
Fläche  von  3,3  Mill.  ha  erzielt,  während  1888  auch  schon  über  3  Mill.  ha 
für  den  Kartoffelbau  verwendet  wurden,  so  daß  der  Ertrag  des  Hektars 
von  185  Ztr.  auf  260—270  Ztr.  gestiegen  war,  die  Fläche  aber  nur 
von  11,7  auf  12,7  v.  H.  der  gesamten  Ackerfläche.  Bei  einer  Mittelernte 
standen  also  unter  Zugrundelegung  von  67  Millionen  Menschen  in  Deutsch- 
land auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  mehr  als  12,5  Ztr.  Kartoffeln  im 
Jahre  zur  Verfügung  für  Speisezwecke,  Viehernährung  und  gewerbliche 
Verwertung.  Dem  Ertrag  von  260 — 270  Ztr.  auf  das  Hektar  in  Deutsch- 
land standen  vor  dem  Kriege  gegenüber:  in  Italien  112  Ztr.,  in  Frank- 
reich 140  Ztr.,  in  Rußland  148  Ztr.,  in  Oesterreich  204  Ztr.;  nur  Eng- 


200  Miszellen. 

land  konnte  einen  gleichen  Ertrag  erreichen  wie  Deutschland,  hat  aber  eine 
80  geringe  Anbaufläche,  daß  es  nicht  annähernd  erzeugen  kann,  was  es 
zur  Ernährung  seiner  Bewohner  an  Kartoffeln  braucht,  und  sowohl  aus 
Deutschland  und  Holland,  wie  aus  Dänemark  und  Schweden  bedeutende 
Mengen  für  seinen  Bedarf  einführen  muß.  Wenn  man  in  Rechnung 
stellt,  daß  gute  Erntejahre  schon  Durchschnittserträge  von  300  und  sogar 
317  Ztr.  aufs  Hektar  ergeben  hatten,  und  daß  gute  Wirtschaften  in 
Deutschland  die  Erträge  auf  600  Ztr.  gesteigert  hatten,  so  ersieht  man, 
wie  weit  die  Möglichkeit  einer  Steigerung  der  gesamten  Kartoffelerträge 
noch  vor  uns  steht,  und  von  welcher  Bedeutung  der  Kartoffelbau  für 
die  Frage  ist,  ob  es  Deutschland  gelingen  kann,  die  Erzeugung  der 
Lebensmittel  mit  der  steigenden  Bevölkerungszahl  weiter  zu  steigern^ 
so  daß  wir  auch  in  künftigen  Kriegen  vor  allen  üeberraschungen  ge- 
schützt sein  werden. 

Was  die  bisherige  Verwendung  der  deutschen  Kartoffelernte  an- 
langt, so  war  der  Bruchteil  der  Kartoffelernte  gering,  der  vor  dem 
Kriege  für  die  menschliche  Ernährung  verwandt  wurde.  Bei  einer 
Durchschnittsernte  von  40— 42V2  Mill.  t  (800—900  Mill.  Ztr.)  wurde  die 
Hauptmenge,  300 — 400  Mill.  Ztr.,  als  Viehfutter  verwandt;  auf  die  mensch- 
liche Ernährung  kamen  285  Mill.  Ztr.;  für  Saatgut  waren  130  Mill.  Ztr. 
in  Rechnung  zu  setzen,  der  nächstkleinere  Posten,  80—90  Mill.  Ztr., 
ging  überhaupt  verloren,  da  die  Kartoffel  wegen  ihres  Wassergehaltes 
trotz  aller  Kenntnisse  über  Aufbewahrungs verfahren  sehr  empfindlich 
ist;  es  ist  überhaupt  schwer,  den  Verlust  innerhalb  der  Grenze  von 
10  V.  H.  zu  halten.  Für  die  Alkoholgewinnung  dienten  50  Mill.  Ztr., 
der  Stärkeerzeugung  wurden  32  Mill.  Ztr.  zugeführt;  der  Rest,  16  Mill. 
Ztr.,  wanderte  in  die  Trocknereien.  In  Friedenszeiten  betrug  also  der 
jährliche  Kartoffelverbrauch  etwas  über  4  Ztr.  auf  den  Kopf  der  Be- 
völkerung, ein  sehr  reichliches  Pfund  täglich,  während  das  Vieh,  nament- 
lich die  Schweine,  bedeutend  mehr  verbrauchte.  Bereits  vor  dem  Kriege 
hatte  man  die  Verluste  dadurch  herabzumindern  versucht,  daß  man 
Kartoffeln  trocknete  oder  zu  Flocken  oder  Mehl  verarbeitete.  Der 
Krieg  hat  diese  Bestrebungen  sehr  gefördert;  auf  Anraten  von  Land- 
wirten hat  die  Regierung  bei  Beginn  des  Krieges  tatkräftig  einge- 
griffen, und  dadurch  sind  in  wenigen  Monaten  aus  den  vorher  be- 
stehenden 500  Trockeneinrichtungen  weit  über  800  geworden,  die  weit 
mehr  Kartoffeln  hätten  verarbeiten  können,  als  man  ihnen  überhaupt 
zuweisen  konnte.  In  den  kommenden  Friedenszeiten  werden  diese  An- 
stalten eine  zweckmäßige,   ausgleichende  Wirkung  entfalten. 

Eine  große  Bedeutung  hat  die  Verwendung  von  Kartoffeln 
und  Kartoffelerzeugnissen  bei  der  Brotbereitung  erlangt, 
was  im  zweiten  Teil  dieser  Arbeit  ausführlich  dargelegt  worden  ist 
(vgl.  diese  „Jahrbücher«  53.  Bd.  S.  737  fg). 

Die  Kartoffelversorgung  basiert  im  Gegensatz  zur  Regelung  des 
Verkehrs  mit  Brotgetreide,  Mehl  und  Brot  auf  einer  Fülle  von  Maß- 
nahmen mit  einer  Folge  vieler,  dauernd  sich  abändernder,  aufhebender^ 
oft  sich  widersprechender  Verordnungen,  die  erst  im  dritten  Kriegsjahr 
eine    einheitliche    Gestalt   annahmen,    wodurch   die   ganze    Kartoffelver- 


Miszellen.  201 

sorgung  reichlich  spät  auf  die  längst  erwartete  und  allgemein  geforderte 
breite    und    feste    Grundlage    gestellt    wurde ,    uni    vor    allem    die   Wir- 
kungen einer  so  schlechten  Kartoffelernte    einigermaßen  ausgleichen  zu 
können,  wie  sie  Deutschland  seit  Jahrzehnten  nicht  gehabt  hat  und  die 
ausgerechnet  zu  einer   so  unpassenden  und  schweren  Zeit  kommen  mußte 
wie    der  gegenwärtigen.     Es    ist  bekannt,    daß  Deutschland    mit    seiner 
Kartoffelerzeugung  weitaus  an  der  Spitze  aller  Länder  steht.    Im  Durch- 
schnitt der  letzten  Jahrzehnte  wurden  45 — 50  Mill.  t  Kartoffeln  pro  Jahr 
geerntet,   1915    sogar    54  Mill.  t.     Unter    diesen    Umständen   hatte    das 
Kriegsernährungsamt  allein  schon  in  Anbetracht  der  großen  Schwierig" 
keiten    der    ganzen    Kartoffelversorgung     an    sich     und    überhaupt    ein 
weiteres    erschwertes  Arbeiten,    um    den  Verbrauch    der    Kartoffeln   für 
die  Bevölkerung   möglichst    zweckmäßig    und    durchgreifend    zu   regeln. 
Die    kriegswirtschaftlichen    Forderungen    gleichzeitiger    staatlicher    Be^ 
schlagnahme  ,   öffentlicher   Bewirtschaftung   und    einheitlicher  Preisfest- 
setzung  können    beim    Brotgetreide    eher    und   man   möchte    fast   sagen 
geradezu  selbstverständlich  zur  Anwendung  kommen,  als  bei  der  Kartoffel, 
die  eben  die  gleichmäßige  Behandlung   und  vor  allem  die  längere  Auf- 
bewahrung weit  weniger  verträgt  als  das  Brotgetreide.     Das  ist  neben 
der  schlechten  Ernte    des  Jahres  1916    die  zweite    große  Schwierigkeit 
für    die    einheitliche   Kartoffelversorgung    für    das  ganze   Reich.     Unter 
diesem  Gesichtswinkel   muß    die  Frage   immer   betrachtet   werden,   und 
dann  erklärt    sich  auch    die    im  zweiten    und  dritten  Kriegsjahr    wenig 
glückliche    und    erfolgreiche    Politik    in    der    Kartoffelversorgung,    wenn 
sie  auch  dadurch  nicht  gerade    im  vollen  Umfange  entschuldigt  werden 
kann,    denn   hinsichtlich    der  Kartoffelversorgung   hätte    im    ersten    und 
zweiten  Kriegsjahr    manches  zweifellos    besser   und   zweckmäßiger,    vor 
allem    einheitlicher,    fester    und   bestimmter    angeordnet    bzw.    geregelt 
werden   können.     Erst  das  Mißlingen   der   Kartoffelernte  1916   brachte 
die  weitestgehenden  Eingriffe  in  die  Landwirtschaft  und  ihre  Betriebe, 
die  Kartoffeln  verwenden,  und  machte  die  allgemeine  Herabsetzung  der 
Kopfquote  erforderlich.    Die  schärfsten  Maßnahmen  wurden  hinsichtlich 
der  Ablieferung  und  der  Verfütterung  der  Kartoffeln  angeordnet.    Keine 
zur   menschlichen   Ernährung   geeignete  Kartoffel    darf   mehr    verfüttert 
werden.    Die  Trocknung  der  Kartoffeln  ist  starken  Beschränkungen  unter- 
worfen worden,    die  KartotTelbrennerei  ist  auf  das  Mindestmaß  zurück- 
geführt.    Den  Brennereien    wird   nur    die  unbedingt   notwendige  Menge 
Kartoffeln  zur  Spiritusbereitung  für  Munitionszwecke  zugewiesen.    Kar- 
toffelschnaps darf  für    die  Bevölkerung  ebensowenig  hergestellt    werden 
wie    Kornschnaps.      So    ist    trotz    der    schlechten    Kartoffelernte    durch 
die    im   dritten    Kriegsjahre    getroffenen    energischen    reichsgesetzlichen 
Maßnahmen    zur    Sicherung    der    Kartoffelversorgung    auch    auf   diesem 
wichtigen  Teilgebiet  der  Kriegsvolksernährung,  (denn  die  Kartoffel  bietet 
besonders  im  gegenwärtigen  Kriege  neben  dem  Brot  das  Hauptnahrungs- 
mittel der  Masse  unserer  Bevölkerung,  wie  sie  ja  überhaupt  auch  schon 
früher  in  der  Ernährung  immer  schon  eine  große  Rolle  gespielt  hat),  das 
Durchhalten  bis  zur  neuen  Ernte  gewährleistet,   zumal  ein  im  Vorjahre 
nicht  benutztes  Aushilfsmittel  für  Kartoffeln  in  der  Kohlrübe  gefunden 


M  i  8  z  e  1 1  e  II. 

worden  ist,  deren  Ernte  besser  ist  als  die  der  Kartoffeln.  Daß  natür- 
lich die  mangelhafte  Kartoffelernte  wieder  große  Schwierigkeiten  auf 
anderen  Gebieten  der  Lebensmittelversorgung,  besonders  beim  Fleisch 
auslöst,  ist  erklärlich  und  sei  hier  nur  angedeutet,  da  an  anderer  Stelle 
darauf  zurückzukommen  sein  wird.  Jedenfalls  ist  aber  durch  die  letzten 
reichsgesetzlichen  Maßnahmen  zur  Kartoffelversorgung  hierfür  noch  er- 
reicht worden,  was  erreicht  werden  mußte  und  schon  früher  oft  in 
öffentlicher  Kritik  in  der  Tages-  und  landwirtschaftlichen  Fachpresse 
und  in  den  wissenschaftlichen  Zeitschriften  sowie  eigenen  Schriften  über 
die  Nahrungsmittelversorgung  bzw.  Kartoffelfrage  gefordert  worden  ist, 
wobei  man  vielfach  besonders  auf  die  zu  niedrige  und  zu  oft  wechselnde 
Preisfestsetzung  für  die  Kartoffeln  hingewiesen  hat.  Die  Hauptsache 
ist  und  bleibt  aber,  daß  es  gelingt,  mit  den  vorhandenen  Mengen  bis 
zur  neuen  Ernte,  die  hoffentlich  besser  ausfallen  wird,  auszukommen, 
wenn  auch  die  Kopfquote  erheblich  verringert  werden  muß.  Es  sind 
auch  schon  Maßnahmen  getroffen,  um  einen  zeitigen  und  umfangreichen  Ver- 
brauch von  Frühkartoffeln  zu  ermöglichen.  So  darf  alles  in  allem  nicht  daran 
gezweifelt  werden,  daß  auch  die  Kartoffel  Versorgung  im  vierten  Kriegs- 
jahre trotz  aller  großen  ihr  entgegenstehenden  Schwierigkeiten  dank  der 
umsichtigen  Kriegswirtschaft  des  Reiches  sich  noch  in  den  Rahmen 
der  ganzen  übrigen,  sonst  mit  bestem  Erfolge  durchgeführten  Lebens- 
mittelregelung eingliedern  und  den  Massen  der  Bevölkerung  ein  überaus 
wichtiges  Nahrungsmittel  in  möglichst  angemessener  Menge  zuführen 
wird.  (G  c.) 

(Fortsetzung  folgt.) 


Miszellen.  203 


VI. 

Der  Neubau  des  Donau-Main-Kanals  und  seine  wirt- 
schaftlichen Aussichten. 

Von  Dr.  R.  Hennig,  d.  Z.  Libau. 

Drei  Kanalpläne,  die  bis  heute  nicht  verwirklicht  worden  sind, 
heben  sich  zurzeit  ah  dringliche  Aufgaben  im  Ausbau  des  deutschen 
Wasserstraßennetzes  vor  allen  andren  ab,  da  der  Krieg  ihre  sehr  hohe 
wirtschaftliche  und  militärische  Bedeutung  in  denkbar  überzeugendster 
Weise  dargetan  hat:  das  Schlußstück  des  Mittellandkanals,  der  Donau- 
Oder- Kanal  und  der  Donau-Main- Kanal  in  Größenverhältnissen,  die  den 
heutigen  Anforderungen  zu  genügen  imstande  sind.  Alle  drei  Wasser- 
straßen sind,  jede  in  ihrer  Art,  während  des  Krieges  schmerzlich  genug 
entbehrt  worden:  die  Wasserstraße  zwischen  Hannover  und  Magde- 
burg (Mittellandkanal)  als  höchst  willkommene  Entlastung  der  über- 
bürdeten Eisenbahnen  in  den  Güterbeförderungen  zwischen  Ost  und  West 
und  die  beiden  Verbindungen  zwischen  der  Donau  imd  den  norddeutschen 
Strömen  als  Vermittler  der  Güterabfuhr  und  Munitionszufuhr  in  den 
Balkanländern  und  auf  dem  südöstlichen  Kriegsschauplatz.  Die  Er- 
kenntnis dessen,  was  sie  der  Kriegführung  hätten  sein  können  und  was 
sie  dem  mitteleuropäischen  Wirtschaftsbündnis  in  Zukunft  sein  werden, 
zumal  in  bezug  auf  Ausschaltung  jeder  Abhängigkeit  vom  Seeverkehr, 
diese  Erkenntnis  wird  nach  beendetem  Krieg  kräftig  genug  dazu  bei- 
tragen, jene  drei  wichtigsten  Wasserstraßenverbindungen  und  mit  ihnen 
wohl  noch  manche  andere  ins  Leben  zu  rufen. 

Die  zweifellos  besten  Aussichten  bestehen  zurzeit  für  die  Herstellung 
eines  neuen  Donau-Main-Kanals.  Die  großzügige  Erweiterung  des  alten 
Donau-Main- Kanals,  des  in  seinen  Größen  Verhältnissen  seit  Jahrzehnten 
völlig  veralteten  bayrischen  Ludwig- Kanals  zwischen  Kelheim  und  Bam- 
berg, ist  ja  eine  Aufgabe,  deren  Durchführung  in  Bayern  seit  länger 
als  einem  Viertel  Jahrhundert  mit  aller  Energie  angestrebt  wird,  wobei 
der  jetzige  König  Ludwig  III.  einer  der  erfolgreichsten  und  eifrigsten 
Rufer  im  Streit  war.  Die  Verhandlungen  im  bayrischen  Parlament 
am  16.  Februar  und  27.  März  d.  J.  haben  bewiesen,  daß  der  Kanal- 
gedanke jetzt  überall  im  Volke  festen  Fuß  srefaßt  hat,  denn  die  Aus- 
führung des  ehedem  so  hart  umkämpften  Planes  ist  im  Unterhaus 
einstimmig  und  im  Oberhaus  mit  allen  gegen  eine  Stimme  beschlossen 
worden. 

Damit  öffnet  sich  die  Aussicht  auf  die  zeitgemäße  Verwirklichung 
einer  Kanalidee,  die  wir  rundweg  als  die  älteste,  an  deutschen  Boden 


204  Miszellen. 

überhaupt  anknüpfende  bezeichnen  dürfen.  Wandelt  doch  damit  das 
heutige  Bayern  auf  Spuren,  die  schon  auf  Karl  den  Großen  zurück- 
gehen, und  es  ist  bemerkenswert  in  mehr  als  einer  Hinsicht,  daß  nicht 
nur  die  entscheidende  Anregung  zur  Schaffung  des  Kanals  heute  wie 
im  8.  Jahrhundert  das  militärische  Interesse  gab,  sondern  daß  überdies 
auch  der  Weg,  den  die  künftige  Main-Donau-Großschiffahrt  einschlagen 
wird,  aller  Voraussicht  nach  ziemlich  genau  denselben  Einschnitten  im 
Gelände  folgt,  die  Karls  des  Großen  Ingenieure  für  ihre  im  Jahre  792 
in  Angriff  genommene,  aber  nicht  vollendete  „fossa  Carolina"  ausgewählt 
haben.  Lange  betrachtete  man  die  Ueberlieferung  von  dem  Karolin- 
gischen Donau-Rhein-Kanal  als  eine  Volkssage,  aber  man  weiß  ietzt, 
daß  in  der  Nähe  eines  Dörfchens,  das  den  bezeichnenden  Namen  Graben 
führt,  bei  der  mittelfränkischen  Eisenbahnstation  Grönhart  (zwischen 
Treuchtlingen  und  Weißenburg)  alte  Ueberreste  des  Kanalbetts  und  auch 
noch  ein  größerer  Weiher  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten  geblieben 
sind.  Zudem  hat  man  erkannt,  daß  die  Haupt-Literaturquelle,  die  uns 
die  Kunde  von  dem  alten  Kanalbau  Kaiser  Karls  überliefert  hat  und 
deren  Zuverlässigkeit  man  zu  Unrecht  lange  bezweifelte,  die  „Annales 
Laurissenses",  eine  Art  von  amtlichem  Charakter  tragen  und  «üeselbe 
Zuverlässigkeit  besitzen,  wie  die  Chronik  des  Einhard,  des  berühmten 
Historiographen  der  Karolingischen  Zeit,  der  übrigens  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  auch  der  oberste  Bauleiter  bei  der  Schaffung  der  fossa 
Carolina  gewesen  ist.  Die  genannten  Annalen  berichten  vom 
Jahre   793 1): 

„Von  einigen,  die  sich  darüber  unterrichtet  zu  haben  behaupteten, 
wurde  er  (der  Kaiser)  zu  der  Ueberzeugung  gebracht,  daß  man  mit  Hilfe 
eines  zwischen  den  Flüssen  Rezat  (Eadantia)  und  Altmühl  (Alomona) 
anzulegenden  schiffbaren  Grabens  leicht  von  der  Donau  in  den  Rhein 
müsse  fahren  können,  da  der  eine  von  jenen  Flüssen  zur  Donau,  der 
andere  zum  Main  fließt.  Daher  brach  er  sogleich  mit  seinem  ganzen 
Gefolge  zu  deni  betreffenden  Orte  auf,  versammelte  eine  große  Menge 
von  Menschen  um  sich  und  verwandte  den  ganzen  Herbst  auf  die 
Arbeit.  Zwischen  den  genannten  Flüssen  wurde  ein  Graben  von  2000 
Schritt  Länge  und  300  Fuß  Breite  angelegt,  jedoch  vergeblich.  Denn 
infolge  unaufhörlicher  Regengüsse  und  der  durch  zu  viel  Feuchtigkeit 
naturgemäß  unvollkommenen  Beschaffenheit  des  sumpfigen  Erdreichs 
konnte  das  in  Angriff  genommene  Werk  nicht  vollendet  werden ;  was 
nämlich  bei  Tage  von  den  Arbeitern  geschaffen  worden  war,  stürzte 
des  Nachts  durch  Zusammensinken  des   Bodens  wieder  ein." 

Erst  in  den  letzten  Jahren  ist  durch  den  Münchener  Oberlehrer 
Dr.  Friedr.  Beck  der  sichere  und  endgültige  Beweis  erbracht  worden-), 
daß  jener  erste  Main-Donau-Kanalplan  und  früheste  deutsche  Kanalbau, 
den  man  vielfach  als  Legende  anzusprechen  geneigt  war,  tatsächlich 
der  Geschichte  angehören  und  im  Gelände  noch  heute  erkennbar  sind. 

1)  Pertz,  Monumenta  Germaniae,  SS.  I,  p.  179,  Hannover  1826. 

2)  Fr.  Beck,  Der  Karlsgraben,  Nürnberg  1911. 


Miszellen.  205 

Auch  der  Grund  zu  jenem  Unternehmen  Kaiser  Karls,  der  zunächst 
nicht  recht  einleuchtend  war,  da  wirtschaftliche  Notwendigkeiten  natur- 
gemäß im  8.  Jahrhundert  auf  deutschem  Boden  Wasserstraßen  nicht 
erforderlich  machten,  ist  durch  Beck  klargestellt  worden.  Der  Kanal 
sollte  einmal  den  persönlichen  Bedürfnissen  des  Kaisers  dienen,  der 
bei  seinen  sehr  ausgedehnten  Reisen  durch  das  ganze  Reich  (Karl 
der  Große  durchreiste  in  jedem  Jahr  seiner  45-jährigen  Regierung 
nach  Einhards  genauen  Angaben  durchschnittlich  nicht  weniger  als 
etwa  1760  km !)  oft  genug  zwischen  Rhein  und  Donau  hin  und  her 
fuhr  und  bei  seiner  Vorliebe  für  die  Fahrten  zu  Wasser  das  Fehlen 
eines  schiffbaren  TJebergangs  unliebsam  empfand,  dann  aber  sollte  er 
auch  den  geplanten  Feldzug  gegen  die  Avaren  (796)  und  die  hierfür 
nötigen    Heerestransporte   wirksam    vorbereiten   helfen. 

Wenn  es  kulturgeschichtlich  keinen  geringen  Reiz  hat,  festzustellen, 
daß  dieselben  Gesichtspunkte,  die  heute  dem  neuen  Donau-Main- Kanal 
zum  endgültigen  Siege  verhelfen  werden,  schon  vor  1125  Jahren 
wirksam  waren,  so  hatte  in  den  20er  und  30er  Jahren  des  vorigen 
Jahrhunderts,  im  Zeitalter  der  Kleinstaaterei  und  des  Partikularismus, 
in  dem  der  „Ludwigskanal"  zwischen  Main  und  Donau  ins  Leben 
gerufen  wurde,  das  militärische  Bedürfnis  keinerlei  Bedeutung  für  die 
Durchführung  des  Kanalgedankens.  Vielmehr  wurde  der  Gedanke,  der, 
wie  v.  Schanz  gezeigt  hat,  bereits  im  Jahre  1801  von  französischer 
Seite  ^)  empfohlen  worden,  ja  schon  im  Jahre  1656  wiederaufgelebt 
war^),  damals  weniger  aus  militärischen  Gründen  befürwortet,  die  zwar 
vielleicht  neben  anderen  den  in  Verkehrsfragen  so  ungemein  scharfsich- 
tigen Napoleon  I.  veranlaßten,  sich  mit  dem  Kanal  zu  beschäftigen  und 
sogar  sich  Pläne  dafür  ausarbeiten  zu  lassen  3),  sondern  er  wurde  fast 
ausschließlich  aus  wirtschaftlichen  Gesichtspunkten  heraus  erwogen  und 
gefördert*).  Ja,  diese  Gesichtspunkte  litten  sogar  an  einer  erheblichen 
Ueberspannung  und  ergaben  eine  völlig  schiefe  Auffassung  der  tat- 
sächlichen Verhältnisse.  Man  wurde  durch  den  Gedanken  der  geogra- 
phisch kürzesten  Wasserstraße  zwischen  der  Nordsee  und  dem  Schwarzen 
Meer  hypnotisiert  und  huldigte  dem  heute  naiv  scheinenden  Glauben, 
daß  der  Durchgangsverkehr  vom  Atlantischen  Ozean  zur  Levante,  ja, 
gar  nach  Indien  s)  sich  über  den  Donau-Main- Kanal  abspielen  und 
zu  einer  teilweisen  Verödung  der  Straße  von  Gibraltar  führen  werde. 
Selbst  ein  so  scharfblickender  Geist  wie  Goethe  war  von  diesem  Wahn 
befangen  und  verfiel  der  allgemeinen,  grenzenlosen  Ueberschätzung  des 


1)  Marquis  Dessoles  im  „Moniteur"   vom   30.  Januar    1801:    Note    du    g^n^ral 
D  .  .  .  aur  un  canal,  qui  joindrait  le  Rhin  au  Danube. 

2)  Georg  Schrott  er,  Ein   Donau-Main-Kanalprojekt   vom   Jahre    1656,   in  der 
Zeitsehr.  für  Handelswissenschaft,  August  1913,  Beilage,  S.  74. 

3)  Soden,  Der  Maximilianskanal,  über  die  Vereinigung  der  Donau  mit  dem  Main 
und  Rhein,  Nürnberg  1822. 

4)  Mich.  Georg  Regnet,  Einige  Fingerzeige  zur  Beförderung  des  großen  Pro- 
jektes, die  Donau  mit  dem  Rhein  zu  vereinigen,  Nürnberg  1801. 

5)  V.  Hallberg,  Ueber  den  Rhein-Donaukanal  und  den  alten  Handelsweg  nach 
Indien,  Augsburg  1831. 


206  Miszellen. 

Donau-Main-Kanals,  den  er  in  seinem  berühmten  Gespräch  mit  Ecker- 
mann vom  21.  Februar  1827  mit  dem  künftigen  Suez-  und  mittel- 
amerikanischen Kanal  auf  eine  Stufe  stellte  und  dessen  Verwirklichung 
ihm  so  bedeutsam  erschien,  daß  er  sich  wünschte,  noch  50  Jahre  länger 
zu  leben,  um  jene  drei  großen  Kanalpläne  noch  ausgeführt  zu  sehen. 
Der  Donau-Main-Kanal  war  unter  den  genannten  drei  Verkehrs- 
wegen der  erste,  dem  die  Ausführung  beschieden  war,  und  es  dauerte 
nicht  50  Jahre,  sondern  noch  nicht  IV2  Jahrzehnte  nach  Goethes  Tode, 
bis  der  Bau  vollendet  war.  Aber  die  Wsisserstraße,  die  nach  9- jähriger 
Bauzeit  im  Jahre  1845  dem  Betrieb  übergeben  wurde,  eben  deor 
bayrische  Ludwigskanal  zwischen  Bamberg,  Nürnberg  und  Kelheim, 
rechtfertigte  nicht  nur  die  auf  sie  gesetzten  hochfliegenden  Hoffnungen 
in  keiner  Weise,  sondern  war  von  vornherein  in  so  dürftigen  Dimen- 
sionen gehalten,  daß  sie  vom  ersten  Tage  ihres  Bestehens  an  veraltet 
war.  Parturiunt  montes,  nascetur  ridiculus  mus !  Bemerkenswerterweise  hat 
der  Erbauer  selbst  die  vorhandenen  Mängel  schon  frühzeitig  betont^)  — 
Selbst  aber  wenn  der  Kanal  in  denkbar  beträchtlichsten  Größen  Verhält- 
nissen angelegt  worden  wäre,  so  hätte  er  dennoch  niemals  den  über- 
spannten Anforderungen  und  Erwartungen  entsprechen  und  mit  der 
Straße  von  Gibraltar  in  Wettbewerb  treten  können.  Ein  einziger  Mann 
erkannte  dies  sogleich  und  sprach  es  aus,  lange  bevor  der  Bau  in  Angriff 
genommen  wurde,  der  größte  Volkswirt  seiner  Zeit,  Friedrich  List, 
aber  man  hörte  nicht  auf  die  Stimme  dieses  Propheten,  dessen  wunder- 
bar scharfe  Voraussicht  kommender  wirtschaftlicher  Notwendigkeiten 
wir  gerade  in  unserem  Zeitalter  von  Jahrzehnt  zu  Jahrzehnt  mehr  be- 
wundern lernen.  List  goß  nämlich  schon  1829  klares  Wasser  in  den 
Wein  der  Kanalbegeisterung,  als  er  äußerte  2) :  „Verbindung  der  Nordsee 
mit  dem  Schwarzen  Meer  klingt  groß,  aber  es  steckt  wenig  dahinter. 
Die  Nordsee  ist  mit  dem  Schwarzen  Meere  längst  durch  einen  natür- 
lichen Kanal  verbunden,  der  zwar  um  Europa  herumführt,  aber  Schiffe 
von  SOO  t  trägt".  Derselbe  „natürliche  Kanal",  die  Straße  von  Gibraltar 
trägt  in  unseren  Tagen  nicht  nur  Schiffe  von  300  t,  sondern  ebensogut 
Fahrzeuge  von  15  000  und  mehr  t,  ohne  daß  Erweiterungsbauten  und 
Mehrkosten  erforderlich  wären.  Der  Ludwigskanal  hingegen  hat  noch 
immer  die  mehr  als  bescheidenen  Abmessungen,  die  sein  geistiger  Vater, 
der  Oberbaurat  v.  Pechmann,  ihm  verliehen  hatte  und  die  man  schon  vor 
70  Jahren  als  unzureichend  empfand.  Das  Ergebnis,  das  man  mit  einem 
Kostenaufwand  von  fast  30  Mill.  M.  gewonnen  hatte,  war  ein  nur 
1,6  m  tiefer,  I71/2  m  breiter  Kanal  mit  11  m  Sohlenweite  und  nicht 
weniger  als  88  Schleusen.  Der  heutige  Chronist  des  Ludwigskanals, 
Georg  V  Schanz,  fällte  über  die  verfehlte  Anlage  das  strenge  Urteil'): 
,,Man  hatte  nicht  genügend  den  Pulsschlag  der  neuen  Zeit  gefühlt,  man 
hatte  die  Bedeutung  der  stürmisch  hereinbrechenden  neuen  Verkehrs- 
mittel verkannt.    Was  50  oder  100  Jahre  früher  reichen  Segen  gespendet 


1)  V.  Pechmann,  Der  Ludwigskanal,  kurze  Geschichte  seines  Baues  und  seiner 
noch  bestehenden  Mängel,  München  1854. 

2)  Nachtrag  zum  1.  Heft  der  Mitteilungen  aus  Nordamerika,  Hamburg  1829. 

3)  Q.  V.  Schanz,  Der  Donau-Mainkanal  und  seine  Schicksale,  Bamberg  1894. 


Mis  Zellen.  207 

und  Bayerns  wirtschaftliche  Entwicklung  sehr  beschleunigt  hätte,  das 
hatte  nur  einen  begrenzten  Wert  und  wurde  eine  recht  kostspielige 
Sache". 

Anfangs  wies  der  Kanal  zwar  einen  immerhin  stattlichen  Verkehr 
und  Reineinnahmen  bis  zu  96  205  Gulden  i)  im  Jahre  auf,  aber  schon 
seit  den  50er  Jahren  entzogen  die  neuentstehenden  Eisenbahnen  dem 
unscheinbaren  Kanal  mehr  und  mehr  die  Lebensmöglichkeit.  Wie 
sehr  nun  gar  der  Ludwigskanal  hinter  den  Ansprüchen  unserer  Zeit 
zurücksteht,  die  mindestens  das  400  t-Schiff,  neuerdings  in  steigendem 
Umfang  sogar  das  600  t-Schiff  als  Normaltyp  der  Schiffahrt  auf  Flüssen 
und  Kanälen  ersten  Ranges  betrachtet,  das  zeigt  der  Umstand,  daß  auf 
der  alten  Donau-Main-Wasserstraße  wegen  der  viel  zu  kleinen  Schleusen 
nur  Fahrzeuge  bis  zu  127  t  verkehren  können.  Der  Kanal,  von  dem 
einst  Deutschland  gehofft  hatte,  daß  er  den  Durchgangsverkehr  von 
der  Nordsee  zum  Orient  an  sich  ziehen  werde,  war  vor  10  Jahren  fast 
ausgestorben.  Im  Jahre  1910  betrug  der  gesamte  Güterumschlags- 
verkehr in  seinen  Häfen  nur  27  000  t.  Allerdings  ist  zu  bemerken,  daß 
während  des  Krieges  der  Verkehr  einen  kräftigen  Aufschwung  nahm, 
denn  in  einer  Zeit,  wo  der  Seeverkehr  für  die  Mittelmächte  untejv 
bimden  war  und  die  Eisenbahnen  als  völlig  überlastet  bettrachtet  werden 
mußten,  war  auch  die  dürftigste  Wasserstraße,  die  Norddeutschland 
mit  Oesterreich,  Ungarn  und  Bulgarien  verband;  als  willkommen  zu 
bezeichnen.  Dazu  kam,  daß  schon  in  den  letzten  Jahren  vor  dem  Kriege 
dem  Kanal  in  bescheidenem  Umfang  neues  Leben  dadurch  eingeflößt 
worden  war,  daß  eine  Nürnberger  Firma  auf  Veranlassung  der  Nürn- 
berger Handelskammeo"  flachgehende  Motorschiffe  auf  dem  Kanal  ver- 
kehren ließ.  Diese  Fahrzeuge  von  nur  l^/^  m  Tiefgang,  4^/2  m  Breite 
und  31/2  m  Länge,  die  eine  Ladefähigkeit  von  100  t  hatten  und  durch 
Rohölmotoren  von  40  PS  angetrieben  vnirden,  verschafften  dem  Lud- 
wigskanal seit  dem  Sommer  1911,  wo  sie  zum  erstenmal  in  Betrieb 
genommen  wurden,  eine  etwas  zunehmende  Bedeutung,  wie  die  nach- 
folgend« Tabelle  der  Leistungen  der  genannten  Motorschiffe  beweist: 
Jahr  Zahl  der  Motorschiffe  Geförderte  Gütermenge  (in  Tonnen) 

1911  1  3  274 

1912  3  10940 

1913  5  (und  2  Schleppkähne)  23399 

1914  5   "  2      „  31  129 

Immerhin  war  mit  so  bescheidenen  Mitteln  nur  eine  dürftige  Ent- 
lastung der  Eisenbahnen  möglich,  denn  um  nur  10000  t  Getreide  von 
den  Balkanländern  nach  Westdeutschland  zu  bringen,  wären  bereits 
rund  100  Fahrten  der  genannten  Schiffe  erforderlich  gewesen.  Unter 
den  obwaltenden  Umständen  aber  war  im  Kriege  auch  diese  geringe 
Hilfe  ini  Transportwesen  willkommen. 

Freilich  erkannte  man  nun  auch,  welche  schwere  Unterlassungs- 
sünde damit  begangen  worden  war,  daß  man  dem  Drängen  des 
baj'rischen  Kanalvereins  und  seiner  Wortführer,  unter  denen  neben 
dem  König  Ludwig  IIL  vor  allem  v.  Schanz,  S.  Günther,  ZoepfP), 

1)  Denkschrift  über  den  Ludwigs-Donau-Mainkanal,  Bamberg  1867. 

2)  Gottfr.  Zoepfl,  Bayerische  Schiffahrtsprojekte,  Nürnberg  1902. 


208  Miszellen. 

und  S  t  e  1 1  e  r  *)  zu  nennen  sind,  nicht  frülier  nachgegegeben  hatte. 
Welchen  unendlichen  wirtschaftlichen  Segen  hätte  im  Kriege  ein  Main- 
Donau-Großschiffahrtsweg  gestiftet,  wie  er  in  den  letzten  Jahren  des 
Friedens  in  verschiedenen  Entwürfen  ausgearbeitet  worden  war,  eine 
Wasserstraße,  die  mindestens  650  t-Schiffen  den  Uebergang  zwischen 
dem  Rhein  und  der  Donau  ermöglicht  hätte !  —  Freilich  war  es  nicht 
Bayerns  Schuld,  daß  das  deutsche  Volk  im  Kriege  diese  bedeutungs- 
volle Kanalverbindung  entbehren  mußte.  Bayern  war  machtlos,  so- 
lange nicht  die  an  die  Landesgrenzen  heranführenden  Wasserstraßen 
der  mittleren  Donau  und  des  unteren  Mainlaufs  für  große  Schiffe  fahr- 
bar gemacht  waren.  Hierzu  besteht  aber  erst  gegenwärtig  Aussicht. 
Die  auf  Grund  des  deutschen  Schiffahrtabgaben-Gesetzes  vom  24.  De- 
zember 1911  vorgenommene  Schiff barmachung  des  Mains  über  Frank- 
furt hinau3  bis  zur  bayrischen  Grenze  bei  Aschaffenburg,  deren  Fertig- 
stellung unter  Heranziehung  einer  bedeutenden  Zahl  von  Kriegsge- 
fangenen beschleunigt  worden  ist,  wird  erst  im  Sommer  oder  Herbst 
dieses  Jahres  vollendet  sein.  Andererseits  entsprach  bisher  auch  die 
Schiffbarkeit  der  Donau  wenig  idealen  Zuständen,  und  vor  dem  Zeit- 
punkt, da  die  Erneuerung  des  Donau-Main- Kanals  in  greifbare  Nähe 
rückte,  hatte  Bayern  keine  rechte  Veranlassung,  die  oberhalb  Regens- 
burgs  nur  für  kleinere  Fahrzeuge  benutzbare  Donau  auch  für  größere 
Schiffe  fahrbar  zu  machen.  Diese  Aufgabe  zusammen  mit  der  Regu- 
lierung des  bayrischen  Mainlaufs  müßte  zusammen  mit  der  Schaffung 
des  neuen  Ludwigkanals  in  Angriff  genommen  werden,  womit  aller- 
dings die  Größe  der  zu  bewältigenden  Aufgabe  erheblich  wächst. 
Das  Verhalten  der  bayrischen  Parlamente  zeigt  jedoch,  daß  man  fest 
entschlossen  ist,  die  Erreichung  des  Zieles  nunmehr  anzustreben.  An- 
gesichts des  sehr  großen  Interesses,  das  das  Reich  in  wirtschaftlicher 
und  militärischer  Hinsicht  an  der  Verwirklichung  der  Pläne  hat,  ist 
wohl  mit  Sicherheit  auf  eine  Geneigtheit  der  Reichsregierung  zu 
schließen,  dem  bayrischen  Bundesstaat  in  der  Frage  der  Kostendeckung 
hilfreich  die  Hand  zu  bieten. 

Die  Gesamtkosten,  die  für  die  erforderlichen  Fluß-  und  KanaL 
arbeiten  auf  bayrischem  Boden  aufzubringen  wären,  sind  im  Voran- 
schlag auf  650  Mill.  M.  berechnet  worden.  Da  aber  die  endgültige 
Ausführung  noch  nicht  feststeht,  kann  diese  Summe  nur  als  An- 
näherungswert angesehen  werden.  —  Die  Anpassung  der  bayrischen 
Donau  an  die  Zwecke  der  Großschiffahrt  auf  der  Strecke  von  der 
Reichsgrenze  bei  Passau  bis  zur  Mündung  des  Kanals  bei  Kelheim 
oder  Steppberg  wird  auf  150  Mill.  M.  veranschlagt.  Die  Hauptarbeit 
wird  dabei  die  Beseitigung  des  Haupthindernisses  für  die  Schiffahrt, 
des  Kachlet,  eines  Felsriegels  bei  Vilshofen,  machen.  Im  bayrischen 
Staatshaushalt  für  1916/17  sind  für  die  Regulierungsarbeiten  in  der 
Donau  485  000  M.  ausgeworfen  worden  2).  —  Ein  Großschiffahrtsweg 
auf  dem  bayrischen  Main  von  der  Grenze  bei  Achaffenburg  bis  nach 

1)  Gustav  Steller,  Der  wirtschafiliche  Wert  einer  bayerischen  Großschiffahrts- 
straßo,  Nürnberg  1908. 

2)  Josef  Bleyer,  Großschiffahrtsweg  Donau- Main-Rhein,  S.  19,  Regensburg  1916. 


Miszellen.  209 

Bamberg  dürfte  etwa  170  Mill.  M.  Kosten  verursachen.  Sehr  ver- 
lockend wäre  es,  wenn  die  bekannten,  großen  Mainschleifen  durch 
Kanäle  abgeschnitten  würden,  und  in  der  Tat  liegt  auch  ein  diesbe- 
zügliches Projekt  vor.  Ein  von  Gebhardt  ausgearbeiteter  Vorschlagt) 
will  von  Nürnberg  aus  einen  Kanal  nicht  nordwärts  nach  Bamberg, 
sondern  nordwestwärts  nach  Wertheim  am  Neckar  führen  und  damit 
eine  bedeutende  Abkürzung  der  Entfernungen  erzielen.  Andererseits 
wünscht  Gebhardt  den  Kanal  von  Nürnberg  aus  nicht  im  Zuge  des 
alten  nach  Kelheim  verlaufen,  sondern  ihn  den  Anschluß  an  die  Naab 
gewinnen  und  bei  Steppberg  münden  zu  lassen.  Dieser  Verlauf ,  der  bereits 
1828  von  Stolz  2)  empfohlen, war  [worauf  Zoepfl  schon  7  Jahre  vor  Geb- 
hardt die  Aufmerksamkeit  lenkte  ^)]  würde  den  Vorteil  einer  leichteren  Spei- 
sung des  Kanals  haben  und  überdies  das  Erzgebiet  der  Oberpfalz  und  den 
Bayrischen  Wald  erschließen,  überdies  auch  die  Möglichkeit  gewähren, 
dem  Kanal  südwärts  über  die  Donau  hinweg  eine  Verlängerung  zum 
Anschluß  der  Städte  München  und  Augsburg  zu  geben.  Dieser  letztere 
Teil  des  Gebhardtschen  Planes  hat  ganz  besonders  viel  Verlockendes 
an  sich  und  dürfte  noch  ernstester  Erwägung  wert  sein.  Dagegen 
hat  man  den  ersteren  Vorschlag  einer  Abkürzung  der  Mainschleifen  nach 
eingehender  Prüfung,  trotz  der  Befürwortung  durch  Gebhardt  und 
Faber*)  und  trotz  der  gebotenen,  beachtenswerten  Vorzüge,  in  der 
nunmehrigen  Regierungsvorlage  fallen  lassen,  weil  man  den  kürzeren 
Weg  nicht  erkaufen  wollte  mit  einer  Führung  des  Kanals  durch  ein 
industriell  ziemlich  totes  Gelände  und  zudem  mit  einer  Ausschaltung 
der  alten  Mainstädte  Würzburg,  Schweinfurt,  Kitzingen  und  Bamberg 
von  dem  neuen  Großschiffahrtsweg. 

Es  wird  daher  wohl  bei  einer  Mainkanalisierung  bis  nach  Bamberg 
hinauf  und  einem  von  dort  südwärts  nach  Nürnberg  parallel  zur  Eegnitz 
laufenden  Kanal  sein  Bewenden  haben.  Die  Frage,  ob  der  neue  Kanal 
von  Nürnberg  aus  dem  bisherigen  Ludwigskanal  in  der  Richtung  auf 
Kelheim  oder  dem  Gebhardtschen  Vorschlag  in  der  Richtung  auf  Stepp- 
berg und  München  folgen  wird,  ist  dagegen  bis  jetzt  noch  nicht  geklärt 
worden  Die  letztere  Führung  würde  um  so  mehr  Interesse  verdienen,  wenn 
auch  der  in  neuerer  Zeit  so  viel  erörterte,  übrigens  in  der  Grundidee 
schon  bis  aufs  Jahr  1807  und  1825  zurückgehende^)  Plan  eines 
Donau-Bodensee-Kanals  zur  Ausführung  gelangen  sollte.  Die  Entschei- 
dung dürfte  kaum  noch  lange  auf  sich  warten  lassen.  Die  Kosten 
der  Erneuerung  des  Main-Donau- Kanals  selbst  sind  auf  330  Mill.  M. 
veranschlagt   worden. 

Zi.  den  Kosten  der  Flußregulierungen  und  des  Kanalbaus,  die, 
wie    gesagt,  insgesatnt    650    Mill.    M.    beanspruchen    dürften,    sind   €ui 

1)  Th.  Gebhardt,  Ein  Alternativprojekt  einer  Main-Donauwasserstraße  mit  An- 
schluß der  Städte  München  und  Augsburg,  Berlin-Groß-Lichterfelde  1909. 

2)  Stolz,    Entwurf  eines  Systems  schiffbarer  Kanäle  in  Bayern,   München  1828. 

3)  G.  Zoepfl,  a.  a.  O.  S.  82/83. 

4)  Eduard  Faber,  Die  Großschiffahrtswege  in  Bayern  als  notwendige  Teile  des 
deutschen  Wasserstraßennetzes,  Nürnberg  1912.  ; 

5)  Graf  Portia,  Eine  Wasserstraße  von  München  nach  Tirol  und  dem  Bodensee  . ., 
München  1807. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  14 


210  Miszcllcn. 

lauft'üdeii  Ausgaben  noch  ungefähr  32  Mill.  M.  für  Verzinsung  und 
einschließlich  der  Amortisationsquote  über  34  Mill.  M.  zu  rechnen. 
Bei  einem  Verkehr  von  10  Mill.  t  im  Jahre  würde  die  Rentabilität 
der  Anlage  gesichert  sein.  Die  Hoffnung,  daß  der  Kanal,  der  neuerdings 
nur  rund  30  000  t  jährlichen  Verkehr  aufwies,  wenige  Jahre  nach  seiner 
Eröffnung  eine  so  bedeutende  Gütermenge  befördern  wird,  erscheint 
kühn,  aber  nicht  unbegründet.  Sollte  in  der  Tat  der  sehr  einleuchtende 
Gedanke  sich  durchsetzen,  den  Kanal  als  gemischt-wirtschaftliches  Unter- 
nehmen ins  Leben  zu  rufen  und  neben  dem  bayrischen  Staat  und  dem 
Deutschen  Reich  allerlei  Städte,  Korporationen  usw.  zur  finanziellen 
Beteiligung  heranzuziehen  und  somit  am  wirtschaftlichen  Gedeihen 
der  Wasserstraße  zu  interessieren,  so  erscheint  die  Erwartung  vollauf 
berechtigt,  daß  eine  neue  europäische  Verkehrsstraße  erster  Ordnung 
in  dem  Kanal  erstehen  wird.  Gründliche  wirtschaftliche  Erwägungen 
lassen  die  pekuniäre  Seite  des  Problems  in  durchaus  günstigem  Lichte 
erscheinen  ^). 

Man  darf  ohne  weiteres  vermuten,  daß  der  Donauverkehr,  dem 
ehedem  verhältnismäßig  nur  geringe  Bedeutung  zukam,  künftig  auch 
in  Friedenszeiten  erheblich  zunehmen  wird.  Die  bisher  beträchtliche 
Ueberlegenheit  des  Seeweges  über  die  Donauverbindung  zwischen  den 
Balkanländern  und  Deutschland  wird  in  Zukunft  stark  zusammen- 
schrumpfen. Einmal  werden  die  im  Kriege  so  ungeheuer  stark  in  die 
Höhe  getriebenen  Seefrachten  infolge  des  katastrophalen  Mangels  an 
Schiffsraum  noch  auf  lange  Zeit  um  ein  Mehrfaches  höher  als  vor 
dem  Kriege  sein,  so  daß  die  Vorgabe  der  viel  billigeren  Fracht  den 
Seeweg  kaum  noch  vor  dem  Binnenschiffahrtsweg  bevorzugt  scheinen  läßt. 
Dann  aber  ist  auch  etwa  in  den  letzten  6  Jahren  durch  systematische 
Verbesserung  der  Donau-Fahrstraße  in  Oesterreich  und  Ungarn  er- 
freulich viel  geschehen.  Zur  Zeit  niedrigen  Wasserstandes,  wie  er 
insbesondere  im  Jahre  1911  herrschte,  war  die  Donau  für  Schiffe 
von  mehi  als  1^/2  m  Tiefgang  nicht  fahrbar.  Heute  sind  die  Untiefen 
80  ausgiebig  beseitigt,  daß  bei  jedem  Wasserstand  Fahrzeuge  von  2  m 
Tiefgang  verkehren  können.  Mit  der  wachsenden  Größe  der  Schiffe 
erniedrigt  sich  aber  erfahrungsgemäß  der  Einheitspreis  der  Fracht. 
Dazu  kommt,  daß  heute,  wo  die  verbündeten  Zentralmächte  Herren 
des  gesamten  Donaulaufs  von  der  Quelle  bis  Braila  sind  und  wo  sie 
somit  ein  lebhaftes  Interesse  daran  haben,  den  eroberten  Strom  wirt- 
schaftlich nutzbar  zu  machen,  keine  Sorge  mehr,  wie  ehedem,  zu  be- 
stehen braucht,  daß  einer  reichlichen  Talfracht  eine  ungenügende  Berg- 
fracht gegenübersteht.  Eine  vollwertige  Donau  und  ein  nach  Nord- 
deutschland hinüberführendes,  großzügiges  Kanalnetz  hätte  z.  B.  die 
ebenso  wichtige  wie  technisch  schwierige  Getreideausfuhr  aus  Ru- 
mänien 2)  im  Jahre  1917  ganz  außerordentlich  erleichtert  und  ver- 
billigt.    Die   Nutzbarmachung   der   Donau   im   größtmöglichen   Umfang 


1)  P.  K.  Zahn,  Donau-Main-Rhein-Großschiffahrtsweg,  Nürnberg  1917. 

2)  Anton  Schwendemann,  Die  Lösung  des  Verkehrsproblems  der  rumä- 
nischen Getreideausfuhr  während  des  Krieges,  in  „Weltwirtschaft",  Juli/Augustheft 
1917,  S.  182. 


Miszellen.  211 

ißt  ja  natürlich  auch  unter  den  verschiedenen  Verhältnissen  während 
des  Krieges  nicht  aus  dem  Auge  verloren  worden.  Der  beste  Beweis 
hierfür  liegt  in  der  im  Sommer  1916  dem  Verkehr  übergebenen  Schlepp- 
bahn am  serbischen  Ufer  des  Eisernen  Tores  i),  die  der  Schiffahrt  sehr 
wesentliche  Zeitersparnisse  ermöglicht. 

Da£'  die  Donau  künftig  ungleich  besser  als  frühe«*  mit  dem 
Seeweg  wird  konkurrieren  können,  wodurch  auch  die  Aussichten  des  künf- 
tigen neuen  Donau-Main- Kanals  erheblich  günstiger  werden,  geht  unter 
Berücksichtigung  der  vorstehend  aufgezählten  Umstände  aus  einer  Be- 
rechnung V.  Kvassays^)  hervor.  Für  eine  Schiffsladung  von  650  t 
Kohlen,  die  auf  der  Donau  von  Eegensburg  nach  Galatz  zu  befördern 
war,  mußten  vor  dem  Kiriege  15,70  M.  je  Tonne  bezahlt  werden, 
für  eine  gleich  große  Getreideladung  auf  dem  umgekehrten  Wege  je 
27,80  M.  Demgegenüber  stellte  sich  die  Fracht  auf  dem  Seewege 
für  eine  von  Galatz  nach  Hamburg  zu  befördernde  Getreideladung  auf 
Bur  12  M  für  die  Tonne.  Noch  lehrreicher  ist  eine  Betrachtung  E,ose- 
meyers^)  über  die  Gestaltung  der  Frachten  zwischen  Köln  und 
Giurgiu-Eustschuk  unter  Zugrundelegung  der  Friedens-Frachtsätze  und 
unter  Voraussetzung  der  noch  fehlenden  verbesserten  Binnenwasserwege: 

stromab  stromauf 

Flußweg         Seeweg  Flußweg         Seeweg 

Dauer  in  Tagen             i6                   32  24                   33 

Fracht  je  Tonne           8  M.              14  M.  9,5  M.            14  M. 

Zu  ähnlichen  Ergebnissen  führt  eine  Betrachtung  von  Zoepfl*):  So 
lang^  die  Kanäle  zwischen  den  Donauländern  und  Norddeutschland 
nicht  vorhanden  sind,  bestehe  eine  natürliche  „Anziehungskraft"  den 
Seehäfen,  die  z.  B.  bewirke,  daß  die  Beförderung  eines  Doppelzentners 
Mehl  von  Budapest  nach  England  über  Fiume  sich  rund  30  Kreuzer 
teurer  als  über  das  Schwarze  Meer  stelle  oder  daß  in  Galatz  für  die 
Herbeischaffung  englischer  Kohle  im  Frieden  nur  8 — 9,  für  diejenige 
oberschlesischer  dagegen  2OV2  M.  Fracht  bezahlt  werden  mußte.  Der 
Bau  der  Kanäle  von  der  Donau  zum  Rhein,  zur  Elbe  und  Oder  aber 
würde  ,,die  so  notwendige  wirtschaftliche  Konzentration  Mitteleuropas 
verwirklichen",  ähnlich  wie  die  Fortführung  der  Oderkanalisierung  bis 
Kosel  daselbst  den  Umschlagsverkehr  auf  die  österreichischen  Bahnen 
im  Lauf  von  25  Jahren  von  10000  t  auf  31/2  Mill.  t  gesteigert  habe, 
also  um  das  350-fache ! 

Zurzeit  ist  der  Seeweg  wegen  der  Sperrung  der  Dardanellen  über- 
kaupt  nicht  benutzbar.  Da  aber  alle  Frachtsätze  heute  10-  bis  20mal  so 
hoch  wie  vor  dem  Kriege  sind,  würde  gegenwärtig  zweifellos  die  See- 
fracht mehrfach  so  hoch  wie  die  Flußfracht  sein,  obwohl  natürlich  auch 


1)  Emil   Taubes,   Die  Donau- Schleppbahn   am  Eisernen  Tor,   in   der   Balkan- 
Revue,  Juniheft  1916,  S.  167. 

2)  Eugen    v.    Kvassay,    Die   Schiffahrt    auf    der   ungarischen    Donau,    Stutt- 
gart 1916. 

3)  J.  Rosemeyer,  Seeschiffahrt  und  Donau-Rheinweg,  in:  Die  Donau,  1.  Jahrg., 
Heft  6,  Regensburg  1916. 

4)  G.  Zoepfl,    Mitteleuropa    als    Verkehrsproblem,    in    der  Wochenausgabe   des 
Berl.  Tageblattes  vom  7.  März  1916,  S.  12. 

14* 


212  MisBcllen. 

die  letztere  eine  beträchtliche  Steigerung  gegenüber  der  Zeit  vor  1914 
erfahren  hat.  War  docli  z.  B.  die  Getreide f rächt  von  den  kanadischen 
Osthäfen  nach  England,  die  vor  dein  Kriege  ungefähr  ebenso  hoch  wie 
die  Fracht  Galatz-Hamburg  war,  nämlich  12^/2  M.  für  die  Tonne,  gegen 
Mitte  April  1917  auf  rund  I66V2  M.  gestiegen,  die  Keisfracht  aus 
Birma  nach  England  entsprechend  von  rund  17  M.  auf  500  M.  im 
Juni  1917 !  Je  mehr  der  deutsche  Tauchbootkrieg  unter  dem 
Weltschiff  räum  aufräumt,  um  so  bestimmter  ist  zu  erwarten, 
daß  nach  dem  Kriege  ein  Rückgang  der  riesenhaft  gestiegenen 
See-Frachtsätzse  nur  sehr  langsam  erfolgen  wird.  Wie  sich  freilich 
die  Verhältnisse  auf  dem  Seefrachten-Markt  bis  zu  dem  Zeit- 
punkt gestalten  werden,  wo  günstigstenfalls  der  neue  Donau-Main- 
Kanal  fertiggestellt  sein  kann,  ist  unter  keinen  Umständen  vorauszu- 
sehen. Immerhin  wird  die  Wettbewerbsfähigkeit  des  Donau we^s  gegen- 
über früheren  Jahren  sicherlich  ganz  erheblich  gesteigert  sein,  und  die 
letzten  Vorbereitungen  zum  Bau  des  Kanals  können  daher  unter 
günstigsten  wirtschaftlichen  Zukunftsaussichten  in  Angriff  genonlmen 
werden.  Der  neue  Main-Donau-Kanal  wird  jedenfalls  eines  der  vor- 
nehmsten Mittel  sein,  um  die  verkehrspolitische  Forderung  zu  ver- 
wirklichen, die  Heiderich  in  seiner  schönen  Donau-Schrift^)  auf- 
gestellt hat  und  die  allgemeine  BilUgung  finden  muß: 

„Den  naturgegebenen  Verkehrsweg  Mitteleuropas  nach  dem  Süd- 
osten zui-  vollen  Leistungsfähigkeit  zu  bringen,  ist  ein  unerläßliches 
Gebot  unserer  nach  dem  Orient  hin  gerichteten  Wirtschafts-  und 
Kulturpolitik." 


1)  Franz  Heiderich,  Die  Donau  als  Verkehrsstraße,  Wien-Leipzig  1916. 

(gTc: 


Miszellen.  213 


Vll. 

Ein  neuer  Kurs  der  amerikanischen  Trustpolitik? 

Von  Dr.  Wilhelm  Feld,  z.  Z.  im  besetzten  Gebiet. 

Der  Beschluß  des  amerikanischen  Kongresses,  welcher  die  Federal 
Trade  Commission  einsetzte,  sah  als  eine  ihrer  Aufgaben  vor,  von 
Zeit  zu  Zeit  Untersuchungen  anzustellen  über  die  Handelsbedingungen 
in  und  mit  fremden  Ländern,  wo  Vereinigungen  und  Kartellierungen 
oder  andere  Veranstaltungen  bestehen,  die  den  auswärtigen  Handel  der 
Vereinigten  Staaten  beeinflussen.  Die  Kommission  wurde  gleichzeitig 
ermächtigt,  auf  Grund  ihrer  Studien  dem  Kongresse  bestimmte  Vor- 
schläge für  praktische  Maßnahmen  zu  unterbreiten  i).  Der  praktische 
Wert  solcher  Untersuchungen  ist  durch  den  Krieg  natürlich  stark  er- 
höht worden;  und  in  Erwägung  der  mit  dem  Frieden  zu  erwartenden 
großen  Umwälzungen  in  der  Gestaltung  des  Welthandels  sowie  des  dann 
einsetzenden  äußerst  erbitterten  Wirtschaftskampfes  der  Nationen  hat 
sich  die  Kommission  mit  besonderer  Dringlichkeit  daran  gemacht,  einen 
Ueberblick  zu  gewinnen  über  die  Hindernisse,  welche  bisher  der  amerika- 
nischen Produktion  auf  dem  Weltmarkt  sich  entgegenstellten,  um  dem 
Kongresse  gesetzgeberische  Maßnahmen  vorschlagen  zu  können,  die  es 
der  Union  ermöglichen  sollen,  ihre  bisherige  Weltmarktstellung  in  dem 
verstärkten  internationalen  Wettbewerb  nach  dem  Kriege  zum  mindesten 
aufrechtzuerhalten.  Die  Kommission  hat  ihre  Arbeiten  so  beschleunigt, 
daß  sie  bereits  Ende  Juni  1916  dem  Kongreß  einen  umfangreichen  und 
gründlichen  Bericht  vorlegen  konnte,  der  in  zwei  Bänden  von  zu- 
sammen fast  1000  Seiten  erschienen  ist  2). 

Die  Bedeutung  dieser  Veröffentlichung  ergibt  sich  schon  aus  der 
Art,  wie  die  Kommission  in  echt  amerikanischer  Großzügigkeit  das 
Material  beschaffte.  Einmal  wurde  die  internationale  Fachliteratur  in 
ausgiebigem  Maße  herangezogen  (darunter  einige  250  Zeitschriften,  die 
einschlägigen  wissenschaftlichen  Abhandlungen  und  die  Berichte  der 
verschiedensten  Behörden,  Interessenvertretungen,  Kartelle  usw.  der 
wichtigeren  Industrieländer  der  Welt).  Außerdem  wurden  aber  auch 
umfassende  eigene  Erhebungen  durchgeführt:  Man  wandte  sich  an  die 
Konsularvertretungen  der  Vereinigten  Staaten  in  den  verschiedenen 
Ländern,  veranstaltete  öffentliche  Einvernahmen  (public  hearings)  von 
Ausfuhrinteressenten    in    17    Städten    der    Union  während  des  Sommers 


1)  U    S.  Stats.,  Vol.  38,  Pt.  I,  eh.  311,  sec.  6  h. 

2)  Federal  Trade  Commission,  Report  on  Cooperation  in  american  ezport  trade. 
In  two  parts.  Part  I:  Summary  and  report;  Part  II:  Exhibits.  June  30,  1916. 
Washington  (Government  Printing  Office)  1916.     387  +  597  pp. 


214  Miszellen. 

1915;  man  versandte  Fragebogen  an  über  25  000  Personen  und  Firmen, 
von  denen  fast  20  000  wenigstens  eine  kürzere  Antwort  gaben,  während 
außerdem  10  000  ein  ausführliches  Formular  ausfüllten.  Und  schließ- 
lich wurden  zahlreiche  Unternehmungen  von  den  Berichterstattern  der 
Kommission  (field  agents)  im  In-  und  Ausland  persönlich  besucht  und 
um  Auskunft  gebeten.  Zuerst  waren  sogar  Studienreisen  in  die  wich- 
tigsten europäischen  Staaten  und  in  die  anderen  Erdteile  beabsichtigt  ge- 
wesen. Aber  die  ließen  sich  wegen  der  gestörten  allgemeinen  Lage 
nicht  durchführen,  außer  nach  Südamerika,  welchem  Gebiete  als  dem 
für  die  amerikanische  Ausfuhr  wichtigsten  man  überhaupt  ganz  be- 
sondere Aufmerksamkeit  gewidmet  hat. 

Die  Wiedergabe  des  umfangreichen  Materials  dieser  eigenen  Er- 
hebungen füllt  den  zweiten  Band  des  genannten  Report.  Seine  Ver- 
arbeitung ist  als  Bericht  der  Kommission  im  ersten  Band  enthalten. 
Die  Untersuchungen  haben  begreiflicherweise  nicht  die  gesamten  Be- 
dingungen des  Außenhandels  der  verschiedenen  Länder  miteinander 
vergleichen  können;  sie  lassen  die  allgemeinen  Unterschiede  in  den 
natürlichen  und  sozialen  Produktionsbedingungen  außer  Betracht  und 
beschränken  sich  in  der  Hauptsache  auf  die  unmittelbaren  behördlichen 
und  privaten  Maßnahmen  zur  Förderung  der  Ausfuhr.  Dabei  berück- 
sichtigen sie  neben  der  eigentlichen  export  Cooperation  auch  die 
Förderung,  welche  der  auswärtige  Handel  durch  günstige  Organisationen 
im  Verkehrswesen,  sowie  im  Bank-  und  Kreditgeschäft  erfährt.  Diese 
Fragen  werden,  teilweise  mit  sehr  ins  einzelne  gehender  Ausführlich- 
keit, je  für  die  verschiedenen  Länder  behandelt,  wobei  in  erster  Reihe 
Südamerika,  England  und  Deutschland  berücksichtigt  sind. 

Den  größten  Teil  nimmt  die  Darstellung  der  ausländischen  Kartelle 
ein,  und  zwar  für  die  folgenden  Industriegruppen:  Eisen  und  Stahl; 
Textil;  Elektrizität;  chemische  Industrie;  Kohle  und  einige  andere 
Rohstoffe.  Fünf  übersichtliche  Diagramme  veranschaulichen  die  weit- 
verzweigten Beziehungen  wichtiger  Finanzkonzerne,  nämlich  der: 

Deutschen  Bank, 

A.  E.  G., 

Metallgesellschaft  (Merton), 

Cambrian  Goal  Combine, 

Royal  Dutch-Shell  Petroleum  Combination. 
Die  Materialsammlung  des  zweiten  Bandes  wird  fast  zur  .Hälfte 
(250  SS.)  ausgefüllt  von  den  Konsularberichten.  Unter  ihnen  steht  an 
erster  Stelle  derjenige  des  Generalkonsuls  Julius  G.  Lay  in  Berlin 
(88  SS.).  Er  läßt  an  Ausführlichkeit  alle  anderen  weit  zurück.  Am 
nächsten  kommen  ihm  in  bezug  auf  den  Umfang  die  Berichte  über  Frank- 
reich, Kanada  und  China  (je  20 — 25  SS.).  —  Die  Verhandlungen  der 
Public  Hearings  sind  im  Auszug  wiedergegeben  (80  SS.).  —  Die  Er- 
gebnisse der  schriftlichen  Rundfragen  sind  auf  100  Seiten  verarbeitet 
und  bestehen  großenteils  aus  wörtlicher  Wiedergabe  der  eingelaufenen 
Antworten,  die  in  systematischer  Ordnung  übersichtlich  zusammen- 
gestellt sind.  —  60  Seiten  hat  man  dem  Abdruck  ausländischer  Kartell- 
verträge und  Konventionen  gewidmet,  die  sich  auf  Preis-  und  Ausfuhr- 


Miszellen.  215 

Vereinbarungen  beziehen.  —  Den  Schluß  bilden  ausführliche  Listen 
(80  SS.),  die  in  der  Hauptsache  Herr  William  J.  Clark  von  der  General 
Electric  Co.  zusammengestellt  hat,  einmal  über  die  Beziehungen  der 
großen  deutschen  Finanzinstitute  untereinander  (in  ihren  Aufsichtsräten, 
Direktorien  usw.)  und  sodann  über  Investitionen  englischen  Kapitals 
in  Auslandsunternehmungen. 

Eine  Besprechung  oder  Wertung  des  reichen  Tatsachenstoffes  ist 
hier  nicht  beabsichtigt.  Ich  möchte  lediglich  die  Leser  auf  den  Bericht 
aufmerksam  machen,  der  unter  den  jetzigen  Verhältnissen  wohl  nicht 
in  zahlreiche  deutsche  Hände  gelangen  wird.  Und  ich  beschränke  mich 
darauf,  die  wichtigsten  Ergebnisse  anzudeuten,  zu  denen  die  Kommission 
gelangte.  Sie  glaubt  festgestellt  zu  haben,  daß  in  den  meisten  fremden 
Staaten  Kartelle,  Konventionen  u.  dgl.  von  Fabrikanten  und  Händlern 
häufiger  sind  als  in  der  Union,  weil  hier  die  Regierung  im  Interesse 
des  verbrauchenden  Publikums  jene  combinations  verboten  hat,  die 
den  Handel  beschränken.  In  Deutschland  seien  Fabrikanten-  und  Händler- 
vereinigungen die  Regel;  nicht  ganz  so  häufig  seien  sie  in  England; 
in  Belgien  und  Oesterreich-Ungarn  sei  vor  dem  Kriege  ähnlich  wie  in 
Deutschland  fast  die  gesamte  Industrie  in  Syndikaten  usw.  organisiert 
gewesen.  In  geringerem  Grade  beständen  ähnliche  Verhältnisse  in 
Italien,  der  Schweiz,  Holland,  Schweden,  Rußland  und  Japan.  Uner- 
achtet  mancher  Unterschiede  der  Gesetzgebung  sei  in  all  diesen  Ländern 
die  Kartellierung  rechtlich  durchaus  unbeschränkt  oder  doch  erheblich 
weniger  gebunden  als  in  den  Vereinigten  Staaten.  Ja,  in  Deutschland, 
Italien,  Japan  und  einigen  anderen  Ländern  werden  jene  Zusammen- 
schlüsse noch  gefördert  von  der  Regierung,  welche  bisweilen  sogar 
deren  Mitglied  ist.  Demgegenüber  fällt  es  praktisch  kaum  ins  Gewicht, 
daß  die  englischen  Kolonien  eine  der  amerikanischen  ähnliche  Gesetz- 
gebung haben,  weil  sie  nicht  in  erheblichem  Maße  als  Konkurrenten 
der  Union  auftreten. 

Der  größte  Teil  des  amerikanischen  Ausfuhrhandels  vollzog  sich 
im  Verkehr  mit  Europa.  Und  hier  müssen  die  amerikanischen  Unter- 
nehmungen oft  einzeln  in  Wettbewerb  treten  gegen  die  geschlossenen 
Vereinigungen  fremder  Konkurrenten  und  sie  müssen  im  eigenen  Lande 
oft  einzeln  verkaufen  an  die  Kartelle  der  ausländischen  Einkäufer 
(speziell  Rohprodukte).  Die  gleichen  Nachteile  hat  Amerika  im  Wett- 
bewerbe mit  den  europäischen  Fabrikanten  auf  dem  Markte  dritter 
Länder,  z:  B.  wenn  die  Amerikaner  in  Südamerika  den  Deutschen  und 
Engländern  gegenüberstehen.  Auch  hier  muß  der  isolierte  amerikanische 
Exporteur  gegen  die  vereinigte  Macht  der  fremden  Fabrikanten  in  ver- 
schiedenen wichtigen  Handelszweigen  ankämpfen:  In  Europa  werden 
oft  besondere  Kartelle  und  Syndikate  eigens  für  das  Ausfuhrgeschäft 
gegründet.  Sie  vereinigen  eine  solche  Machtfülle,  daß  sie  getrost  lang- 
wierige und  kostspielige  Kampagnen  durchzuhalten  vermögen  zur  Er- 
oberung des  fremden  Marktes,  und  sie  können  den  Abnehmern  sehr 
günstige  Bedingungen  machen.  Ueberdies  haben  die  wichtigsten  euro- 
päischen Handolsvölker  einen  deutlichen  Vorsprung  vor  den  Vereinigten 
Staaten  in  ihrer  entwickelten  Schiffahrt,  ihren  besseren  Ueberseebanken 


215  Miscellen. 

und  Kreditorganisationen  und  in  ihren  größeren  Kapitalinvestitionen 
in  weniger  entwickelten  Einfuhrländern.  Und  vor  allem  ist  es  ihnen 
gelungen,  diese  verschiedenen  Institutionen  mit  ihren  industriellen 
Kartellierungen  in  höchst  wirkungsvolle  Zusammenarbeit  zu  bringen 
und  dadurch  den  Ausfuhrhandel  aufs  kräftigste  zu  fördern.  Demgegen- 
über ist  der  amerikanische  Exporteur  in  Abhängigkeit  von  fremden 
Schiffahrtsgesellschaften  und  fremden  Finanzinstituten. 

Nun  gibt  der  Kommissionsbericht  zwar  zu,  daß  längst  nicht  der 
ganze  amerikanische  Außenhandel  von  erheblichen  Absatzschwierigkeiten 
bedroht  ist.  Zwei  Drittel  der  normalen  Ausfuhr  besteht  in  Nahrungs- 
mitteln und  Rohstoffen  für  den  Industriebedarf,  die  stets  ihren  Absatz 
finden.  Und  auch  die  Erzeuger  von  Spezialitäten  der  gewerblichen 
Produktion  haben  nur  wenig  unter  ausländischer  Konkurrenz  zu  leiden. 
Sie  können  zudem  besser  jeder  für  sich  vereinzelt  sich  einen  Absatz- 
markt schaffen.  Ernsthafte  Schwierigkeiten  bestehen  fast  nur  für  die 
Stapelindustrien,  die  gegen  einen  alt  eingeführten  ausländischen  Wett- 
bewerb anzukämpfen  haben  und  in  diesem  Kampf  nur  durch  Beharr- 
lichkeit und  Aufwendung  großer  Mittel  Erfolge  erzielen  können.  Dies 
ist  aber  besonders  den  mittleren  und  kleineren  Unternehmungen  in  ihrer 
Vereinzelung  nicht  möglich.  Es  ist  doppelt  unmöglich,  weil  ihnen  die 
mächtigen  Organisationen  der  fremden  Länder  gegenüberstehen.  Deren 
Vorsprung  auszugleichen,  bleibe  nichts  anderes  übrig  als  mit  gleichen 
Waffen  zu  kämpfen  und  auch  in  der  Union  den  Außenhandel  durch  ge- 
meinsames Vorgehen  der  Exporteure  u.  ä.  zu  begünstigen. 

„It  is  among  American  manufacturers  of  staples,  therefore,  par- 
ticularly  the  smaller  concerns,  that  Cooperation  for  export  business  is 
especially  needed.  It  will  permit  them  to  create  organizations  which 
can  compete  on  more  nearly  equal  terms  with  the  organizations  of 
their  foreign  rivals.  They  can  afford,  then,  to  advertise,  to  study 
foreign  demands  and  customs,  to  make  demonstrations,  to  open  branches, 
warehouses,  and  stores  abroad,  to  collect  credit  information  and  to 
extend  credit,  to  employ  skilled  salesmen  familiär  with  foreign  markets, 
a,nd  to  maintain  a  direct  representation  of  their  own  which  will  be 
firmly  established  and  effective  in  the  markets  to  be  covered.  The  ex- 
pense  of  such  promotion  will  not  be  excessive  when  shared  by  a  number 
of  participants.  .  .  . 

In  domestic  business,  competition,  independence,  and  the  play  of 
individual  forces  is  the  settled  policy  of  this  country.  The  law  re- 
quires  that  this  shall  be  the  condition  of  business  here.  Abroad,  the 
legal  conditions  are  different.  In  many  countries  combination  is  per- 
mitted  and  in  some  is  even  encouraged.  What  is  equality  of  opportunity 
ioT  manufacturers  within  this  country,  therefore,  become  inequality  and 
disadvantage  for  them  when  they  undertake  to  export  to  other  countries"  i). 

In  Verfolg  dieses  Gedankenganges  gelangt  dann  die  Kommission 
zu  dem  konkreten  Vorschlag,  für  die  Zwecke  des  Exportgeschäftes  das 
Verbot   der  Verabredungen   und  Kartellierungen   aufzuheben:    „to  allow 

1)  Part  I,  S.  375. 


Misz  eilen.  217 

American  firms  to  cooperate  for  export  and  to  permit  the  use  of  certain 
methods  abroad  which  are  legal  in  foreign  countries  but  are  not  per- 
mitted  in  the  United  States". 

Der  Vorschlag  bedeutet  nun  aber  eine  einschneidende  Abänderung 
der  bisherigen  Antitrust-Gesetzgebung.  Und  er  muß  deshalb  mit  schärfstem 
Widerspruch  in  den  breiten  Massen  des  Volkes  rechnen.  Bekanntlich 
ist  in  den  Vereinigten  Staaten  der  Kampf  gegen  die  Trusts,  Kartelle  und 
Syndikate  sehr  volkstümlich  und  er  spielt  ja  auch  in  den  politischen 
Parteien  bei  den  Präsidentenwahlen  usw.  eine  wichtige  Rolle.  Von 
vielen  Seiten  wird  lebhaft  eine  schärfere  Anwendung  der  bestehenden 
Vorschpften  gegen  die  combinations  verlangt.  Und  auch  der  Ver- 
such, diesen  lediglich  für  den  Ausfuhrhandel  das  Leben  leichter  zu 
machen,  kann  kaum  auf  Popularität  rechnen,  weil  man  nicht  ohne  Grund 
entgegenhält,  daß  die  Ausfuhrkartelle  ihre  Machtstellung  nur  zu  bald 
ausnutzen  würden  sowohl  gegen  die  Verbraucher  auf  dem  heimischen 
Markte  wie  gegen  die  außerhalb  der  Konventionen  stehenden,  konkur- 
rierenden Landsleute  auf  den  fremden  Märkten.  Namentlich  würden 
sich  die  Folgen  des  berüchtigten  dumping  geltend  machen,  indem  die 
Kartelle  die  Inlandspreise  hinauftrieben,  um  im  Ausland  recht  billig 
verkaufen  zu  können. 

Der  Kommissionsbericht  kann  denn  auch  nicht  umhin,  sich  mit 
diesen  schwer  wiegenden  Einwänden  auseinanderzusetzen.  Aber  die  ober- 
flächliche Art,  wie  er  das  tut,  wirkt  auf  den  kritischen  Leser  nicht 
überzeugend :  „It  is  no  part  of  the  proposal  of  the  Commission  to  suffer 
export  combinations  to  be  used  as  a  blind  to  cover  attempts  to  restrain 
trade  at  home.  The  legislation  must  be  framed  so  that  any  such  at- 
tempt  shall  remain  subject  to  the  füll  rigors  of  the  antitrust  laws." 

Auch  die  Gefahr  des  dumping  ins  Ausland  zu  Schleuderpreisen 
auf  Kosten  hoher  Inlandpreise  erledigt  die  Kommission  mit  einem  Hin- 
weis auf  die  entgegenstehenden  gesetzlichen  Bestimmungen.  Die  Be- 
weisführung ist  so  bezeichnend,  daß  ich  sie  ausführlicher  wiedergebe: 
Deutschland  biete  wohl  das  hervorragendste  Beispiel  eines  Landes  jener 
Politik  der  Schleuderpreise.  Dort  sei  aber  auch  die  Kartellierung  auf 
dem  heimischen  Markte  frei  erlaubt,  und  dadurch  das  Hinauftreiben 
der  Inlandpreise  erleichtert,  welches  seinerseits  wieder  es  vor  allem 
jenen  Kartellen  ermögliche,  so  sehr  billig  ins  Ausland  zu  verkaufen. 
„The  fact  that  the  law  of  this  country  prohibits  such  combinations  in 
the  home  market  not  only  safeguards  against  artificially  maintained 
prices  at  home,  but  also  gives  substantial  economic  guaranties  that 
American  export  prices  will  not,  in  general,  be  lower  than  American 
domestic  prices.  Where  the  domestic  prices  are  kept  on  a  competitive 
basis  there  is  little  margin  left  to  enable  the  exporter  to  seil  goods 
abroad  at  lower  prices." 

Die  Kommission  vertröstet  also  einfach  darauf,  daß  die  Gesetze 
jene  unerwünschten  Wirkungen  verbieten,  und  fragt  nicht  weiter,  in- 
wieweit diese  Verbote  sich  auch  praktisch  durchsetzen  lassen.  Und 
dies  wäre  doch  gerade  bei  der  Antitrust-Gesetzgebung,  von  der  so  viele 
Vorschriften   nur   auf   dem  Papiere    stehen,    in   erster  Linie   zu  berück- 


218  Miszellen. 

sichtigen  gewesen.  —  Dabei  muß  der  Bericht  selbst  zugeben:  „one  of 
the  most  common  Statements  made  about  export  trade  —  that  of  other 
countries  as  well  as  that  of  the  United  States  —  is  to  the  effect  that 
large  producers  or  combinations  of  producers  frequently  seil  cheaper  to 
foreign  than  to  their  home  customers.  In  any  consideration  of  tariff 
Problems,  this  is  an  important  matter"  (S.  377). 

Und  wie  groß  die  praktische  Bedeutung  dieser  Exportpolitik  schon 
bisher  gerade  in  den  Vereinigten  Staaten  ist,  zeigen  die  seit  einer  Reihe 
von  Jahren  eingeführten  „Dumping-Klauseln"  der  britischen  Kolonien  i), 
die  ausdrücklich  gegen  die  Schleuderpreise  amerikanischer  Trusts 
erlassen  worden  sind. 

In  diesem  Zusammenhange  möchte  ich  eine  Zwischenfrage  auf- 
werfen: Falls  es  in  der  Tat  gelingen  sollte,  das  dumping  wirksam  zu 
bekämpfen,  wäre  damit  nicht  ein  sehr  wichtiges  Mittel  zur  Förderung 
der  amerikanischen  Konkurrenzfähigkeit  auf  dem  Weltmarkte  unter- 
bunden? Beruht  doch  der  Erfolg  der  europäischen  Ausfuhvereinigungen 
zu  großem  Teile  auf  eben  diesem  dumping,  d.  h.  auf  dem  Umstände, 
daß  die  Kartelle  durch  die  künstliche  Preissteigerung  auf  ihren  Inlands- 
märkten einen  Gewinnüberschuß  erzielen,  der  es  ihnen  ermöglicht,  Aus- 
fuhrprämien zu  gewähren,  bzw.  unmittelbar  ins  Ausland  erheblich  billiger 
als  daheim  zu  verkaufen.  — 

Daß  die  Kommission  mit  der  skizzierten  Begründung  ihres  Vor- 
schlags keine  ernstlichen  Erfolge  erzielen  werde,  mag  sie  selbst  gefühlt 
haben.  Sie  versuchte  deshalb,  dem  Vorschlage  durch  eine  vorsichtige 
Formulierung  eine  scheinbar  harmlose  Wendung  zu  geben.  Sie  tat  so, 
als  ob  im  Grunde  die  cooperative  export  Organization  schon 
nach  dem  bisherigen  Wortlaute  der  Antitrust-Gesetze  nicht  eigentlich 
verboten  sei:  Es  beständen  lediglich  Zweifel  an  der  Gesetzlichkeit 
solcher  Zusammenschlüsse.  Und  diese  Unsicherheit  der  Rechtslage 
habe  bisher  die  Bildung  von  export  combinations  hintangehalten. 
Die  Geschäftsleute  wollten  ihre  Gelder  nicht  in  solchen  zweifelhaften 
Unternehmungen  gefährden.  Die  Kommission  glaubt  aber  nicht,  daß 
der  Kongreß  durch  die  Antitrust-Gesetzgebung  beabsichtigte,  die  Ameri- 
kaner zu  verhindern,  sich  für  den  Ausfuhrhandel  zusammenzuschließen 
zu  dem  Zwecke,  in  wirksamer  Weise  mit  den  Exporteuren  fremder 
Länder  zu  konkurrieren,  soweit  solche  Verabredungen  nicht  den  Handel 
innerhalb  der  Vereinigten  Staaten  beschränken  und  sich  nicht  gegen 
amerikanische  Mitbewerber  richten,  die  außer  jenen  Verabredungen 
stehen. 

„The  Commission,  therefore,  respectfully  recommenda 
that  Congress  enact  declaratory  and  permissive  legis- 
lation  to  remove  the  present  doubt  as  to  the  law  and  to 
establish  clearly  the  legality  of  such  Cooperation." 

Diese  scheinheilige  Aufmachung  läuft  also  darauf  hinaus,  den  Vor- 
schlag als  eine  recht  harmlose  authentische  Gesetzes interpretation 
erscheinen   zu   lassen.     In  Wirklichkeit   bedeutet  er  aber  eine   tief  ein- 


1)  Vgl.  hierüber  meinen  an  anderer  Stelle  erscheinenden  ausführlicheren  Aufsatz. 


Miszellen.  219 

schneidende  Gesetzes änderung,  deren  unbeabsichtigte  (oder  gar  be- 
absichtigte ?)  Nebenwirkungen  sich  zunächst  noch  gar  nicht  übersehen 
lassen  und  möglicherweise  zu  einer  grundsätzlichen  Umkehr  der  bis- 
herigen Trustbekämpfung  führen  mögen.  —  Man  mag  einwenden,  daß 
bisher  schon  die  Richter  oft  machtlos  waren  gegenüber  den  tatsäch- 
lichen Verhältnissen.  Dies  trifft  gewiß  für  die  Riesentrusts  zu,  die  sich 
so  einzurichten  wissen,  daß  sie  rechtlich  nicht  mehr  als  verbotener 
Trust  erscheinen  und  durch  irgendein  Hintertürchen  auch  der  schärfsten 
Gesetzesauslegung  entwischen  würden,  bei  der  üblichen  laxeren  richter- 
lichen Praxis  aber  erst  recht  unbehelligt  gedeihen.  Anders  liegt  es 
aber  bei  den  loseren  Kartellierungen,  Konventionen  und  Vereinbarungen 
zwischen  den  weniger  mächtigen  Industriellen  und  Händlern.  Diese 
sind  in  ihrer  Bewegungsfreiheit,  ja  in  ihrer  Existenzmöglichkeit  sehr 
gehemmt.  Daß  ihnen  gegenüber  die  Antitrust-Gesetze  von  erheblicher  Be- 
deutung sind,  zeigt  ja  schon  die  Tatsache  der  hier  besprochenen  Kom- 
missionsvorschläge, die  doch  nicht  gemacht  worden  wären,  wenn  nicht 
wichtige  materielle  Interessen  dahinter  steckten. 

Will  man  übrigens  zu  einer  rechten  Beurteilung  dieser  Bestrebungen 
gelangen,  so  hat  man  zu  beachten,  daß  sie  der  grundsätzlich  strengen 
Freihandelspolitik  der  demokratischen  Partei  entspringen,  und  zur  Förde- 
rung der  amerikanischen  Ausfuhrindustrien  dienen  sollen  als  Ersatz  der 
schutzzöllnerischen  Forderungen  der  Republikaner,  denen  die  jetzt  am 
Ruder  befindlichen  Demokraten  natürlich  aus  Grundsatz  nicht  nach- 
geben dürfen.  Uebrigens  ist  es  wohl  nicht  ohne  Bedeutung,  daß  die 
Agitation  zugunsten  der  Export  combinations  gerade  kurz  vor  der 
Präsidentenwahl  die  Oeffentlichkeit  ziemlich  beschäftigte.  Die  Federal 
Trade  Commission  wurde  seinerzeit  von  der  demokratischen  Mehrheit 
lies  Parlaments  ins  Leben  gerufen.  Und  die  im  Vorstehenden  ge- 
schilderte Aenderung  der  Trustpolitik  hat  von  Anfang  an  in  der  Ab- 
sicht der  leitenden  Staatsmänner  gelegen.  Auch  der  Präsident  Wilson 
hat  sich  verschiedentlich  dafür  eingesetzt. 

Ungefähr  gleichzeitig  mit  dem  Erscheinen  des  hier  besprochenen 
Berichtes  wurden  dessen  Vorschläge  über  die  Zulassung  der  Ausfuhr- 
kartelle als  Gesetzentwurf  im  Parlament  eingebracht.  Die  „Webb-Bill" 
gelangte  im  Repräsentantenhause  schon  im  September  1916  mit  ent- 
scheidender Mehrheit  zur  Annahme.  Im  Senat  dagegen  traf  sie  auf 
Schwierigkeiten;  es  gelang  einer  Opposition,  zum  mindesten  die  Ent- 
scheidung zu  verzögern.  Ob  diese  inzwischen  erfolgte,  habe  ich  bei 
der  neuerdings  so  empfindlichen  Unterbrechung  der  überseeischen  Ver- 
bindungen nicht  erfahren  können. 


220  Miszellen. 


VIII. 

Sterblichkeit  der  Säuglinge,   Kleinkinder  und   der 
höheren  Alter  in  Deutschland  von  1871—1910. 

Von  Dr.  Hans  Guradze,  Berlin. 

In  meiner  im  Frühjahr  1916  erschienenen  Broschüre  „Statistik  des 
Kleinkinderalters"  (Stuttgart,  Enke)  habe  ich  natürlich  auch  die  Frage 
berührt,  ob  die  besonders  seit  1900  zweifellos  stattgehabte  Abnahme 
der  Säuglingssterblichkeit  auch  eine  solche  —  eventuell  dem  Grade  nach 
gleiche  —  der  Kleinkinder  und  der  höheren  Alter  im  Gefolge  hatte 
und  hat. 

Zu  dieser  Frage  liegen  für  das  Deutsche  Reich  in  dem  von 
Johannes  Rahts  mustergültig  bearbeiteten  Band  240  der  Statistik  des 
Deutschen  Reiches,  betitelt  „Die  Volkszählung  im  Deutchen  Reiche  am 
1,  Dezember  1910",  bedeutsame  Ziffern  vor. 

Die  folgende  Tabelle  ist  ein  Auszug  aus  den  deutschen  Sterbe- 
tafeln der  4  Jahrzehnte  1871—1880,  1881—1890,  1891—1900,  1901  bis 
1910,  jeweils  nach  dem  Geschlecht  getrennt.  Sie  gibt  für  die  einzeln 
aufgeführten  Jahresalter  0,  1,  2,  3,  4,  5,  6,  7,  8,  9,  10,  15,  20,  25, 
30,  35,  40,  45,  50,  55,  60,  65,  70,  75,  80,  85,  90  die  jeweilige  Lebens- 
erwartung  an,  d.  h.  die  Anzahl  der  Jahre,  die  der  im  betreffenden 
Alter  Stehende  voraussichtlich  noch  zu  durchleben  hat,  so  daß  diese 
berechnete  Lebenserwartung  -\-  dem  Alter  die  mittlere  Lebensdauer 
anzeigt. 

Es  würde  zu  weit  führen,  hier  eine  genaue  Erklärung  des  Be- 
griffes „mittlere  Lebensdauer"  zu  geben,  ich  begnüge  mich  daher,  auf 
jden  ausgezeichneten  Abschnitt  „Lebensdauer"  von  v.  Bortkiewicz  im 
„Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften"  (3.  Aufl.,  Bd.  VI,  Jena 
[Gustav  Fischer]  1910,  S.  422  ff.)  hinzuweisen. 

Diese  Zahlen  sind  äußerst  lehrreich.  Die  Zunahme  der  Lebens- 
erwartung in  den  40  Jahren  von  1871 — 1910  fällt  in  dauernder  Ab- 
nahme bei  den  Männlichen  von  9,24  Jahren  der  die  Geburt  üeberlebenden 


Miszellen. 


221 


Deutsches    Beich.     Lebenserwartung.     (Lebenserwartung 
-j-  Alter  =  mittlere  Lebensdauer.) 

(Statistik  des  Deutschen  Reiches,  Bd.  240,  S.  107*.) 


Alter 

Männliches  Geschlecht 

Weibliches  Geschlecht 

in 
Jahren 

1871  bis 

1881  bis 

1891  bis 

1901  bis 

1871  bis 

1881  bis 

1891  bis 

1901  bis 

1880 

1890 

1900 

1910 

1880 

1890 

1900 

1910 

0 

35,58 

37,17 

40,56 

44,82 

38,45 

40,25 

43,97 

48,33 

1 

46,52 

47,92 

51,85 

55,12 

48,06 

49,67 

53,78 

57»20 

2 

48,72 

50,15 

53,67 

56,39 

50,30 

51,91 

55,59 

58,47 

3 

49,38 

50,79 

53,89 

56,24 

50,98 

52,58 

55,81 

58,33 

4 

49,5  3 

50,93 

53,70 

55,77 

51,14 

52,73 

55,62 

57,87 

5 

49,89 

50,76 

53,27 

55,15 

51,01 

52,58 

55,22 

57,27 

6 

49,03 

50,37 

52,70 

54,44 

50,67 

52,22 

54,66 

56,57 

7 

48,54 

49,85 

52,03 

53,67 

50,18 

51,72 

54,01 

55,82 

8 

47,93 

49,22 

51,28 

52,86 

49,5  9 

51,12 

53,29 

55,08 

« 

47,25 

48,52 

50,49 

52,02 

48,91 

50,44 

52,52 

54,20 

10 

46,51 

47,75 

49,66 

51,16 

48,18 

49,69 

51,71 

53,3« 

15 

42,38 

43,54 

45,31 

46,71 

44,15 

45,63 

47,47 

49,00 

20 

38,45 

39,52 

41,23 

42,56 

40,19 

41,62 

43,37 

44,84 

25 

34,96 

35,83 

37,88 

38,59 

36,53 

37,81 

39,43 

40,84 

30 

31,41 

32,11 

33,46 

34,5  5 

33,07 

34,21 

35,62 

36,94 

35 

27,88 

28,49 

29,59 

30,53 

29,68 

30,69 

31,87 

33,04 

40 

24,16 

25.03 

25,89 

26,64 

26,32 

27,16 

28,14 

29,16 

45 

21,16 

21,67 

22,37 

22,94 

22,84 

23,57 

24,37 

25,2i 

50 

17,98 

l8,41 

19,00 

19,43 

19,29 

19,89 

20, 5  8 

21,85 

55 

14,96 

15,32 

15,81 

l6,16 

15,88 

l6,38 

l6,96 

17,64 

60 

12,11 

12,43 

12,82 

13,14 

12,71 

13,14 

13,60 

I4,1T 

65 

9,55 

9,82 

10,12 

10,40 

9,96 

IO,29 

IO,62 

11,0» 

70 

7,34 

7,51 

7,78 

7,99 

7,60 

7,84 

8,10 

8,4i 

75 

5,51 

5.60 

5,80 

5,97 

5,66 

5,87 

6,07 

6,30 

80 

4,10 

4.11 

4,23 

4.38 

4,22 

4,37 

4,48 

4,6» 

85 

3,06 

2,99 

3,05 

3,18 

3,14 

3,26 

3.32 

3,4« 

90 

2,34 

2,20 

2,23 

2,35 

2,37 

2,49 

2,52 

2,5» 

Vergleicht  man  das  letzte  betrachtete  Jahrzehnt:  1901—1910  mit 
dem  ersten:  1871 — 1880,  so  erhält  man  folgende  Uebersicht  der  Zu- 
nahme der  Lebenserwartung  für  die  einzelnen  Altersjahre : 


Alter 

in 
Jahren 

Zunahme  der  Lebens- 

Alter 

in 

Zunahme  der  Lebens- 

erwartung von  1871/80 

erwartung  von  1871/80 

bis  1901/10  in  Jahren 

Jahren 

bis  1901/10  in  Jahren 

m. 

w. 

m. 

W. 

0 

9,24 

9,88 

30 

3,14 

3,8T 

1 

8,60 

9,14 

35 

2,65 

3,36 

2 

7,67 

8,17 

40 

2,48 

2,84 

3 

6,86 

7,35 

45 

1,78 

2,41 

4 

6,24 

6,7  3 

50 

1,45 

2,0« 

5 

5,76 

6,26 

55 

1,20 

1,76 

6 

5,41 

5,90 

60 

1,03 

1,46 

7 

5,13 

5,64 

65 

0,85 

1,1» 

8 

4.93 

5,44 

70 

0,66 

0,8S 

9 

4,77 

5,29 

75 

0,4  6 

0,64 

10 

4,65 

5,17 

80 

0,«8 

0,4J 

15 

4,33 

4,85 

85 

0,1a 

0,2» 

20 

4,11 

4,65 

90 

0,01 

0,2« 

25 

3,63 

4.31 

222  Miszellen. 

biß  auf   0,01  Jahre  der  üeberneunzigjährigen,    bei   den  Weiblichen  ent- 
sprechend von  9,88  Jahren  auf  0,22  Jahre,    üeber  5  Jahre  beträgt  sie 
bis  zum  7.  Altersjahre  der  Männlichen,  also  etwas  über  die  Grenze  des 
Kleinkindalters,  hingegen  bis  zum  10.  der  Weiblichen.     Wir  haben  alsa 
allen    Grund,    schon    im   Interesse    der   Wehrkraft,    vor    allem    für    die 
männlichen  Säuglinge    und  Kleinkinder  zu  sorgen.     Deren  Sterblichkeit 
ist,    wie   auch  bereits  die  erste  Aufstellung  zeigt,    stets  größer   als  die 
der  weiblichen,  denn  größere  Sterblichkeit  und  kleinere  Lebenserwartung 
kommen   auf    das    gleiche    heraus.     Die    am  Schlüsse    der    eiogangs  er- 
wähnten Broschüre  ausgesprochene  Behauptung,  der  Rückgang  der  Sterb- 
lichkeit der  Kleinkinder  (Alter  1 — 6  Jahre)  darf  uns  nicht  zu  der  An- 
nahme verleiten,  daß  für  diese  Altersklasse  die  Fürsorge  genügend  aus- 
gebaut  ist,   bestätigt    sich   mithin.     Die  Schäden  des  Kleinkinderalters, 
wie  ebenfalls   a.  a.  0.    hervorgehoben  wurde,   führen  im  Gegensatz  zur 
Säuglingszeit   nicht   immer   unmittelbar   zum  Tode,    sondern  schwächen 
oder   greifen    den  Organismus    in  einer  Weise  an,    die  oft  das  Ableben 
erst    später   zur  Folge  hat,    auch  nach  Erreichung  des  Erwachsenseins. 
Diese   geringe  Abnahme   der  Sterblichkeit   der  Erwachsenen   ist  natür- 
lich wirtschaftlich    ein    womöglich  größerer  Nachteil,    als   die  immerhin 
noch  große  Säuglingssterblichkeit.     Fast  möchte  man  versucht  sein,  zu 
wünschen,  es  wäre  lieber  umgekehrt :  geringere  Abnahme  der  Sterblichkeit 
der    Säuglinge,    Kleinkinder    und    einiger    weiterer   Alter   bis    zum  Er- 
wachsensein,   dafür   aber    stärkere  Abnahme    der  Sterblichkeit    der   Er- 
wachsenen.    Aber    so    kraß    darf   man  eben  nicht  schließen.     Immerhin 
muß  die  Fürsorge  für  die  Erwachsenen,  namentlich  während  des  Krieges 
und  nach  ihm,  weiter  ausgedehnt  und  ausgebaut  werden,  was  am  besten 
wohl  durch  zweckmäßige  Ausgestaltung  der  verschiedenen  Versicherungs- 
zweige (Familienversicherung)  geschieht.    Die  bisher  aufgeführten  Ziffern 
bilden  so  gewissermaßen  eine  Erweiterung  zu  den  von  mir  a.  a.  0.  ge- 
machten Ausführungen:   die  Säuglings-  und  Kleinkindersterblichkeit  ist 
bedeutend   stärker   gesunken,   als   die  Sterblichkeit   der   höheren   Alter. 
Betrachtet  man  nicht,  wie  wir  es  bisher  getan  haben,  die  Zunahme 
der  Lebenserwartung   für  die  ganzen  40  Jahre,    sondern  von  Jahrzehnt 
zu  Jahrzehnt,    so    erhält    man   nachstehende  Uebersicht.     Sie   führt  uns 
zu   dem  bedeutsamen   Ergebnis,    daß    zwar    bei   den   Säuglingen   (erste 
Zeile)  das  Maximum  der  Zunahme  in  die  letzte  Jahrzehntenperiode  von 
1891/1900—1901/10    fällt,    hingegen    dies    bei   allen   folgenden    Alters- 
stufen bei  den  Männern  bis  zum  65.,  bei  den  Frauen  aber  nur  bis  zum 
35.   Jahre   von    der   vorangehenden   Periode    1881/90-1891/1900    gilt. 
In  den  höheren  Altern  werden  die  Ziffern  oft  zu  klein  und  daher  von- 
einander zu  wenig  verschieden,  um  schlußzulassend  zu  sein.    Wir  müssen 
also   gerade   jetzt    doppelt   und    dreifach   dafür   sorgen,    daß   auch  nach 
dem  Säuglingsalter    die  Sterblichkeit   namentlich   der  Männer  mehr  ab- 
nimmt,   als    in    der   Periode    1891/1900  bis  1901/1910.     Sonst   könnten 
die    großen    Errungenschaften    der    vorangehenden    Zeit    leicht    wieder 
gänzlich    verloren    gehen;    etwas    sind    sie    es    bei   den   Männern   leider 
schon,  wie  dargetan  wurde. 


Mi 


11( 


szeiien 


22a 


Alter 
in 

Männliches  Geschlecht 

Weibliches  Geschlecht 

Zunahme  der  Lebenserwartung  in  Jahren  von 

Jahren 

1871/80  bis 

1881/90  bis 

1891/1900  bis 

1871/80  bis 

1881/90  bis 

1891/1900  bi» 

1881/90 

1891/1900 

1901/10 

1881/90 

1891/1900 

1901/10 

0 

1,59 

3,39 

4,26 

1,80 

3,72 

4,36 

1 

I,4Ö 

3,93 

327 

1,61 

4,11 

3,42 

2 

1,43 

3,52 

2,72 

1,61 

3,68 

2,88 

3 

1,41 

3,10 

2,35 

1,60 

3,23 

2,52 

4 

1,40 

2,77 

2,07 

1,5  9 

2,89 

2,25 

5 

1,37 

2,51 

1,88 

1,57 

2,64 

2,05 

6 

1,34 

2,33 

1,74 

1,55 

2,44 

1,91 

7 

1,31 

2,18 

1,64 

1,54 

2,2  9 

1,81 

8 

1,29 

2,06 

1,58 

1,53 

2,17 

1,74 

9 

1,27 

1,97 

1,53 

1,53 

2,08 

1,68 

10 

1,24 

1,91 

1,50 

1,51 

2,02 

1,64 

15 

1,16 

1,77 

1,40 

1,48 

1,84 

1,53 

20 

1,07 

1,71 

1,33 

1,43 

1,75 

I,4V 

25 

0,87 

1,55 

J,21 

1,28 

1,62 

1,41 

30 

0,70 

1,35 

1,09 

1,14 

1,41 

1,3* 

35 

0,6 1 

1,10 

0,94 

1,01 

1,18 

1,17 

40 

0,87 

0,86 

0,T5 

0,8  4 

0,98 

1,0» 

45 

0,51 

0,7© 

0,57 

0,73 

0,80 

0,88 

50 

0,43 

0,59 

0,43 

0,60 

0,6  9 

0,77 

55 

0,36 

0,49 

0,35 

0,50 

0,58 

0,68 

60 

0,32 

0,39 

0,82 

0,4  8 

0,4  ö 

0,57 

65 

0,27 

0,30 

0,2  8 

0,33 

0,33 

0,47 

70 

0,17 

0,25 

0,23 

0,24 

0,26 

0,3S 

75 

0,09 

0,20 

0,17 

0,21 

0,20 

0,23 

80 

0,01 

0,12 

0,15 

0,15 

0,11 

0,17 

85 

—  0,07 

o,oe 

0,13 

0,12 

0,06 

0,08 

90 

—  0,14 

0,03 

0,12 

0,12 

0,03 

0,üZ 

224     Uebeniicht  über  die  neuesten  Publikationen  Dentschlands  und  de«  Aualande«. 


TTebersicht  über  die  neuesten  Publikationen 
Deutschlands  und  des  Auslandes. 

1.  OeBohichte  der  Wissensohaft.    Encyklop&disches.    Lelirbftclier.    Spesielle 
theoretisolie  Untersuchuiig-en. 

Abderhalden,  Prof.  Dr.  Emil,  Die  Grundlagen  unserer  Emährnng  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  der  Jetztzeit.  Berlin,  Julius  Springer,  1917.  8.  VII— 144  S8. 
mit  2  Textfig.     M.  2,80. 

Conrad,  Prof.  Dr.  J.,  Leitfaden  zum  Studium  der  Nationalökonomie.  7,  erg. 
Aufl.,  bearb.  v.  Prof.  Dr.  A.  Hesse.  Jena,  Gustav  Fischer,  1917.  Lex.-8.  VII— 114  SS. 
M.  2,80. 

Damaschke,  Adolf,  Friedrich  List,  ein  Prophet  und  Märtyrer  deutscher  Welt- 
wirtschaft.    Jena,  Gustav  Fischer,  1917.     gr.  8.     46  SS.     M.  0,60. 

Lederer,  Dr.  Emil,  Die  volkswirtschaftlichen  Seminare  an  den  Hochschulen 
Deutschlands  und  Oesterreich  -  Ungarns.  Berichte  über  ihre  Tätigkeit,  gesammelt. 
I.  Sommer-Semester  1916.     Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr,  1917.    gr.  8.    IV— 91  SS.    M.  3.—. 

Neurath,  Otto,  Die  Wirtschaftsordnung  der  Zukunft  und  die  Wirtschafts- 
wissenschaften.    Berlin,  Verlag  f.  Fachliteratur,  1917.     gr.  8.     34  SS.     M.  1,50. 

Skalweit,  Prof.  Dr.  August,  u.  (Stadtr.)  Dr.  Hans  Krüger,  Die  Nahrungs- 
mittelwirtschaft großer  Städte  im  Kriege.  (Beiträge  z.  Kriegswirtschaft.  Hrsg.  v.  d. 
volkswirtschaftl.  Abt.  d.  Kriegsernähruugsamts.  Heft  7/8.)  Berlin,  Eeimar  Hobbing,  1917. 
8.     75  SS.     Je  M.  0,60. 

Wolf  (Geh.R.),  Prof.  Dr.  Julius,  Nahrungsspielraum  und  Menschenzahl.  Ein 
Blick   in  die  Zukunft.     Stuttgart,    Ferdinand  Enke,    1917.     Lex.-8.     37  SS.      M.  1,40. 

2.  Oesckichte  und  Darstellung  der  wirtscliaftliclxen  Kultur. 

Frhr.  v.  Schwerin,  Claudius,  Deutsche  Rechtsgeschichte  (mit 
Ausschluß  der  Verfassungsgeschichte).  (Grundriß  der  Geschichtswissen- 
schaft, hrsg.  von  Aloys  Meister,  Reihe  II,  Abteil.  5.)  2.  veränderte  Aufl. 
Leipzig,  Berlin  (B.  G.  Teubner)  1915.  [Abgeschlossen  1914.  Erschienen 
1917.]     80.     VI  u.  199  SS.     (Preis:  M.  3,20.) 

Infolge  einer  besonderen  Systematik  des  Gesamtplans  des  „Grund- 
risses" bietet  diese  ,, Deutsche  Rechtsgeschichte"  bloß  die  Geschichte 
der  Rechtsquellen,  des  Privatrechts,  des  Straf-  und  Prozeßrechts.  Die 
Verfassungsgeschichte  ist  als  besondere,  nichtjuristische,  „historische" 
Disziplin  von  vornherein  ausgeschieden.  Schon  durch  diese  Einteilung 
ist  die  Einheit  des  historischen  Flusses  der  Rechtsgeschichte,  insbe- 
sondere einer  Deutschen  Rechtsgeschichte  zerrissen.  Mehr  als  bei  den 
Römern  fließen  bei  uns  Privatrecht  und  öffentliches  Recht  zu  einem 
einheitlichen  Rechtsbegriff  ineinander.  Das  Grundeigentum  zweigt  sich 
vor  unseren  Augen  erst  aus  dem   öffentlichen  Rechte    ab,    ohne  jemals 

—  abgesehen  vielleicht  von  Aspirationen  der  Nachrezeption  in  unserer 
Manchesterperiode  —  den  organischen  Zusammenhang  mit  dem  öffent- 
lichen Recht  zu  verlieren.  Die  Grundherrschaft  ist  eine  Einheit  von 
privatrechtlichen  und  öffentlich-rechtlichen  Befugnissen.  Die  Staats- 
gewalt ist  mit  patriarchalem  Geist  erfüllt;  sie  ist  grundsätzlich  Munt. 
Das  Lehen  ist  öffentlich-    und    privatrechtlich  zugleich.      Im  Strafrecht 

—  auch   abgesehen    vom  Privatstrafrecht   im   engsten  Sinn    —    ist   die 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     225 

Pehde  private  Angelegenheit  der  Sippe.  Der  Prozeß  ist  zum  guten 
Teil  auf  dem  privatrechtlichen  Element  der  Verträge  aufgebaut. 

Für  die  Interessenten  der  „Jahrbücher"  kommt  von  dem  Gebotenen 
wohl  hauptsächlich  das  Privatrecht  in  Betracht.  Die  Zerreißung  der 
Gesamtmaterie  der  Deutschen  Rechtsgeschichte  hat  v.  Schwerin  wohl 
dazu  geführt,  das  Deutsche  Privatrecht,  das  mit  dem  öffentlichen  Recht 
so  sehr  verwachsen  ist,  nicht  in  seinem  einheitlichen  Verlauf  zu  schildern, 
sondern  nach  dem  üblichen  System  der  deutschen  Dogmatik  unter  die 
begrifflichen  Rubriken  zu  verteilen:  Rechtsinhaber  und  Rechtsgegen- 
stand, Entstehung,  Arten  und  Durchsetzung  der  Privatrechtsverhältnisse, 
Sachenrecht,  Obligationenrecht,  Familienrecht,  Erbrecht,  —  denen  dann 
(wohl  nicht  einwandfrei)  das  Zeichen-  und  Urheberrecht  koordiniert  wird. 
Das  ist  eigentlich  keine  Rechtsgeschichte,  sondern  etwa  das,  was  wir 
unter  dem  dogmatischen  Begriff  des  „Deutschen  Privatrechts"  verstehen. 
Diese  Einteilung,  so  sehr  sie  vom  historischen  Standpunkt  manches 
gegen  sich  haben  mag,  ermöglicht  allerdings,  die  einzelnen  Rechts- 
institute schematisch  in  ihrem  ganzen  Verlauf  zu  überblicken.  Sie  er- 
leichtert also  ein  schnelleres  Nachschlagen,  freilich  auf  Kosten  eines 
organischen  Eindringens. 

Der  Schwerpunkt  der  Darstellung  ruht  auf  der  fränkischen  Zeit 
und  dem  Mittelalter  (im  Sinne  der  Rechtshistoriker).  Doch  leitet  der 
Verf.,  soweit  tunlich,  den  Blick  durch  die  Rezeptionszeit  bis  in  die 
Gegenwart,  unter  Verweisungen  auf  die  deutschen  Schwesterrechte. 
Das  Recht  der  vorfränkischen  Zeit  bietet  den  Ausgangspunkt.  Mit 
Recht  betont  v.  Schwerin  hier  noch  besonders  scharf  den  Standpunkt, 
daß  die  Ergründung  des  altgermanischen  Rechts  durchaus  nicht  als 
„Sport"  anzusehen  sei.  Wer  wirklich  rechtsgeschichtlich,  und  nicht 
bloß  historisch-antiquarisch  gearbeitet  hat,  wer  ein  juristisches  Problem 
sachlich  zu  ergründen  gerungen  hat,  weiß,  wie  alle  unsere  Fragen,  wenn 
man  sie  wirklich  in  der  Tiefe  fassen,  und  nicht  bloß  für  eine  bestimmte 
Periode  beschreiben  will,  immer  wieder  die  Forschung  auf  das  Recht 
der  Urzeit  zurückweisen.  Für  den  Altertumsforscher  mag  es  ja  Ge- 
schmackssache sein,  ob  ihn  die  eine  oder  die  andere  Periode  mehr  an- 
zieht. Aber  für  den  Juristen,  der  dem  juristischen  Problem  nachgeht, 
ist  diese  Keimforschung  unerläßliche  Grundlage  für  eine  wirklich  or- 
ganische Erkenntnis  des  historisch  lebendigen  Rechts.  Sonst  wird  die 
Rechtsgeschichte  zum  platten  Positivismus  herabgewürdigt.  So  hat  sich 
ja  auch  die  moderne  Naturforschung  eingestellt. 

Wer  sich  über  die  wirklichen  Lebensverhältnisse  informieren  will, 
der  weiß  heute,  daß  er  nicht  zu  dem  „Naturrecht"  oder  zu  den  „reinen 
Formen  des  römischen  Rechts"  greifen  dürfe.  Von  dem  trostlosen 
römischen  Familienrecht  ganz  zu  schweigen  —  wer  kann  sich  unsere 
Güterwirtschaft,  Volkswirtschaft  ohne  unser  deutsches  Grundstücks- 
und Fahrnisrecht,  und  auch  nicht  zuletzt  ohne  unser  deutsches  Schuld- 
recht vorstellen  ?  Man  frage  sich  nur  einmal,  ob  es  möglich  wäre,  die 
schwindelnde  Ausdehnung  und  dabei  die  Sicherheit  unserer  Kredit- 
wirtschaft mit  den  Kategorien  des  römischen  Rechts  aufzubauen!  Und 
immer  mehr  regen  sich  die  Probleme  des  Erbrechts.  Die  wollen  wir 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  15 


226     Ueberaicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutechlands  und  des  Auslandes. 

doch  wahrhaftig  lieber  empirisch,  auf  Grundlage  unserer  eigenen  Wirk- 
lichkeit und  nach  unserem  deutschen  Rechtsempfinden  lösen,  und  nicht 
„gekettet  an  das  alte  Buch"!  In  der  energischen,  knappen  Zusammen- 
fassung V.  Schwerins  findet  auch  der  Volkswirt  einen  trefflichen  Aus- 
gangspunkt. Durch  reichliche,  und  zwar  —  was  ich  bei  einem  Grundriß 
als  besonders  wertvoll  hervorheben  möchte  —  durch  die  ganze  Dar- 
stellung hindurch  fortlaufende  Literaturnachweise  wird  es  auch  dem 
von  anderswoher  Kommenden  leicht,  rasch  den  Stand  der  Frage  zu 
überblicken  und  die  ihn  interessierenden  Punkte  weiter  zu  verfolgen. 
Auf  Einzelheiten  ist  hier  nicht  einzugehen.  Daß  die  Arbeit  solid  ist^ 
braucht  bei  v.  Schwerin  nicht  erst  gesagt  zu  werden. 

Bonn  a.  Rh.  HansSch reuer. 

Antonoff,  Prof.  V.,  Bulgarien  vom  Beginn  seines  staatlichen  Bestehens  bis  auf 
unsere  Tage  (679 — 1917).  Eine  knappe  Darstellung  der  geschichtlichen  Entwicklung 
des  bulgarischen  Volkes  und  dessen  politischer  Bedeutung.  Berlin,  Georg  Stilke,  1917. 
32  X  25  cm.  75  SS.  mit  39  (7  färb.)  Abbild.  (Taf.)  u.  4  (färb.)  histor.  Karten  (u.  1  färb. 
Taf.).     M.  6.—. 

Below,  Georg  v..  Mittelalterliche  Stadtwirtschaft  und  gegenwärtige  Kri^s- 
wirtschaft.  (Kriegswirtschaftliche  Zeitfragen,  in  Verbindung  mit  Proff.  Drs.  Ferd.  Schmid 
u.  Wilh.  Stieda  hrsg.  v.  Prof.  Dr.  Franz  Eulenburg,  Heft  10.)  Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr, 
1917.     gr.  8.     III— 53  SS.     M.  1,50. 

Dub,  Dr.  Moritz,  Oesterreich- Ungarns  Volkswirtschaft  im  Weltkriege.  (Finanz- 
und  volkswirtschaftliche  Zeitfragen.  Hrsg.  von  Reichsr.  Prof.  Dr.  Georg  v.  Schanz  u. 
Geh.  Reg.-R.  Prof.  Dr.  Julius  Wolf.  Heft  36.)  Stuttgart,  Ferdinand  Enke,  1917.  Lex.-8. 
80  SS.     M.  3.—. 

Wasilewski,  Leon,  Die  Ostprovinzen  des  alten  Polenreichs  (Lithauen  und 
Weißruthenien  —  Die  Landschaft  Chelm  —  Ost-Galizien  —  Die  ükraina.)  Wien, 
Gerold  &  Co.,  1917.     8.     364  SS.  mit  3  färb.  Karten  u.  1  DeckbL     M.  13.—. 

3.   Bevölkemng'slelire  und  BevölkerungTspolitik.     ▲uswanderung'  p^. 
und  Kolonisation. 

Hitze  (M.  d.  R.),  Prof.  D.  Dr.  Franz,  Geburtenrückgang  und  Sozialreform. 
(Ehe  und  Volksvermehrung,  No.  3.)  München  -  Gladbach,  Volksvereins  -  Verlag,  1917. 
gr.  8.     VII— 244  SS.     M.  4,50. 

Hupfeld  (Dir.),  Fr.,  Das  deutsche  Kolonialreich  der  Zukunft.  (Meereskunde. 
Sammlung  volkstümlicher  Vorträge  zum  Verständnis  der  nationalen  Bedeutung  von 
Meer  und  Seewesen,  hrsg.  vom  Institut  für  Meereskunde  an  der  Universität  Berlin, 
Heft  122,  Jahrg.  11,  Heft  2.)  Berlin,  E.  S.  Mittler  &  Sohn,  1917.  8.  35  SS.  mit  eingedr. 
Kurven.     M.  0,60. 

Kirstein  (Priv. -Doz.),  Dr.  Fr.,  Der  Geburtenrückgang,  die  Zukunftsfrage 
Deutschlands.  Marburg,  N.  G.  Elwertsche  Verlagsbuchhandlung,  1917.  8.  30  SS.  m. 
2  Taf.     M.  0,50. 

Schönebaum,  Dr.  Herb.,  Die  Besiedlung  des  Altenburger  Ostkreises.  (Bei- 
träge zur  Kultur  und  Universalgeschichte,  begr.  von  Karl  Lamprecht,  fortges.  von  Walter 
Goetz,  Heft  39,  N.  F.  Heft  4.)  Leipzig,  R.  Voigtländers  Verlag,  1917.  gr.  8.  XIH— 
108  SS.  m.  2  Taf.  u.  1  Karte.     M.  4,80. 

4.  Berg-bau.    Land-  und  Forstwirtschaft.    Fischereiwesen. 

Müller-Erzbach,  Rudolf,  Das  Bergrecht  Preußens  und  dea 
weiteren  Deutschlands.  Erste  Hälfte.  Mit  5  TextabbilduDgen.  Stutt- 
gart (F.  Enke)  1916.     8».     VIII  u.  302  SS.     (Preis:  M.  10,—.) 

In  dem  vorliegenden  Werk  bietet  der  Verf.  den  ersten  Teil  einer 
planmäßigen  Bearbeitung  des  preußisch-deutschen  Bergrechts,  enthaltend : 
A.   Die    Geschichte   des   deutschen   Bergbaus;    B.  Die  Geschichte   der 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutscklands  und  des  Auslandes.     227 

Haupteinriclitungen  des  Bergrechts  und  seiner  Quellen ;  C.  Das  geltende 
Eecht.  Von  dem  Abschnitt  C  enthält  das  Buch  folgende  Unterteile: 
I.  Das  Bergwerkseigentum,  II.  Das  Bergwerkseigentum  und  das  Ge- 
winnungsrecht an  den  dem  Staate  vorbehaltenen  Mineralien,  III.  Das 
Bergnachbarrecht,  IV.  Der  Bergbautreibende  als  Unternehmer.  Die 
noch  folgenden  Kapitel:  das  Verhältnis  des  Bergbaus  zum  Grund- 
eigentum, das  Bergpolizeirecht,  das  Knappschaftswesen,  bleiben  der 
zweiten  Hälfte  des  Werkes  vorbehalten. 

Die  Bedeutung  des  Buches  liegt  weniger  in  seinen  rechtstheo- 
retischen Erörterungen  als  in  der  Darstellung  der  Geschichte  des  Berg- 
baus und  der  bergrechtlichen  Einrichtungen,  sowie  in  der  Behandlung 
der  Zusammenhänge  des  Bergrechts  mit  dem  allgemeinen  Wirtschafts- 
leben. Beides  ist  dem  Verf.  gleich  gut  gelungen.  Schon  das  ein- 
leitende Kapitel  „Zur  Einführung",  das  in  kurzen  knappen  Sätzen 
das  Wesen  des  Bergbaus  und  seine  kulturelle  Bedeutung  schildert, 
kann  man  geradezu  als  klassisch  bezeichnen.  Die  dann  auf  S.  5 — 37 
folgende  Geschichte  des  deutschen  Bergbaus,  die  man  in  anderen  berg- 
rechtlichen Lehrbüchern  in  der  Regel  vermißt,  bietet  die  Grundlage 
für  den  Abschnitt  B,  Die  Geschichte  der  Haupteinrichtungen  des  Berg- 
rechts und  seiner  Quellen.  Hier  hat  der  Verf.  unter  sorgfältiger  Be- 
nutzung des  reichlich  vorhandenen  Materials  und  der  schon  existierenden 
Einzeldarstellungen  eine  deutsche  Bergrechtsgeschichte  geschrieben,  wie 
sie  bisher  nicht  vorhanden  war.  Im  letzten  Kapitel  dieses  Abschnittes 
ist  die  Entwicklung  des  Bergrechts  in  den  deutschen  Schutzgebieten 
und  damit  die  Anpassung  deutscher  Bergrechtsgrundsätze  an  über- 
seeische Verhältnisse  geschildert. 

Auch  in  dem  Abschnitt  C,  Das  geltende  Recht,  greift  der  Verf. 
immer  wieder  auf  die  geschichtliche  Entwicklung  der  einzelnen  Ein- 
richtungen zurück  und  macht  die  Darstellung  dadurch  verständlicher 
namentlich  für  solche,  die  sich  zum  erstenmal  mit  dem  Bergrecht 
beschäftigen  und  sich  von  manchen  Einrichtungen  fremdartig  ange- 
mutet fühlen.  In  dieser  Hinsicht  sei  namentlich  auf  die  Kapitel  über 
Mutung  und  Feldesstreckung,  über  Erbstollen  und  Hilfsbau,  über  die 
Gewerkschaft  und  ihre  Geschichte  verwiesen. 

Etwas  ausführlicher  hätte  wohl  das  letzte  Kapitel  des  Buches 
„Ueber  Kartelle  und  Syndikate"  mit  Rücksicht  auf  die  große  Bedeutung 
dieser  Verbände  ausfallen  können. 

Nicht  ganz  zutreffend  ist  auf  S.  141  und  142  das  Verhältnis 
zwischen  Staatsbergbau  und  Privatbergbau  geschildert.  Der  preußische 
Staatsbergbau  hat  sich  im  Konkurrenzkampf  mit  dem  Privatbergbau 
auch  auf  dem  Gebiet  der  kaufmännischen  Einrichtungen  modernisiert. 
Und  im  Staatsbergbau  können  sich,  ebenso  wie  im  Privatbergbau,  die 
Leiter  der  Unternehmungen  für  ihre  Ideen  einsetzen  und  ihre  Per- 
sönlichkeit und  ihre  Kräfte  entwickeln.  Andererseits  kann  eine  so 
große  Staatsverwaltung,  wie  die  preußische,  Betriebsleiter,  die  in  ge- 
schäftlichen Dingen  keine  glückliche  Hand  haben,  von  solchen  Posten 
entfernen  und  anderweitig  beschäftigen.  Sie  ist  nicht  an  sie  als  Be- 
triebsleiter gebunden. 

16* 


228     üeberatoht  fiber  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes, 

Im  übrigen  soll  man  aber  der  kaufmännischen  Gescbäftsgewandt- 
keit  keine  übertriebene  Bedeutung  beimessen  und  die  „bewährte 
Tradition,  in  deren  Geleise  der  beamtete  Direktor  sich  leicht  zurück- 
gedrängt sieht",  nicht  gar  zu  sehr  herabsetzen.  Der  Bergbautreibende 
muß  nicht  „vor  allem  Geschäftsmann  sein",  wie  der  Verf.  behauptet, 
sondern  er  muß  „auch"  Geschäftsmann  sein.  Und  die  Tradition  spielt 
gerade  im  Bergbau  eine  ganz  hervorragende  Rolle,  was  ja  auch  der 
Verf.  selbst  dadurch  anerkennt,  daß  er  sich  der  Geschichte  des  Berg- 
baus und  der  bergrechtlichen  Einrichtungen  mit  ganz  besonderer  Liebe 
und  feinem  Verständnis  gewidmet  hat.  Wenn  die  Rentabilität  der 
fiskalischen  Bergwerksunternehmungen  hier  und  da  zu  wünschen  übrig 
läßt,  so  hat  man  die  Ursache  hiervon  wohl  in  der  Hauptsache  in  an- 
deren Umständen  zu  suchen.  Uebrigens  ist  es  nicht  unmöglich,  daß 
die  Erwerbung  sämtlicher  Aktien  der  Bergwerksgesellschaft  Hibemia 
durch  den  preußischen  Staat  die  Frage  einer  Aenderung  der  fiskalischen 
Bergwerksverwaltungen  ins  Rollen  bringt.  *" 

Halle  a.  S.  H.  Seh  r  ad  er,  Bergrat. 

Bekanntmachungen  über  den  Ernteverkehr  nebst  den  anderweitigen  Ge- 
setzen und  Verordnungen  wirtschaftlicher  Natur  aus  den  Jahren  1915 — 17.  13.  Nach- 
trag (u.  Gratisbeigabe):  Vom  13.  III.  1917  bis  30.  IV.  1917.  (Gratisbeigabe:  Ver- 
zeichnis der  ergänzten,  geänderten  und  aufgehobenen  Bekanntmachungen  usw.  Vom 
28.  VI.  1915  bis  13.  III.  1917.  48  SS.)  Berlin,  Klemens  Beuschel,  1917.  gr.  8. 
VII- 183  SS.     M.  3,30. 

Eberts  (Geh.  Reg.-R.,  Fischereivereins- Vors.),  Zusammenstellung  der  im  Reg.-Bez. 
Cassel  geltenden,  die  Fischerei  betreffenden  gesetzlichen  Bestimmungen.  Kassel,  Friedr. 
Scheel,  1917.     kl.  8.     III— 147  SS.     M.  1,50. 

Ehrenberg,  Prof.  Dr.  Paul,  Ratschläge  zum  Durchhalten  für  unseren  Zucker- 
rübenbau.    Berlin,  Paul  Parey,  1917.     8.     63  SS.     M.  2.—. 

Großmann,  Prof.  Dr.  H.,  (Reichskommiss.,  Rittmstr.)  Bueb  u.  (Reg.-Assess.) 
W.  V.  Flügge,  Düngemittel  im  Kriege.  (Beiträge  zur  Kriegswirtschaft,  hrsg.  von  der 
volkswirtsch.  Abt.  des  Kriegsernährungsamts,  Heft  15.)  Berlin,  Reimar  Hobbing,  1917. 
8.     52  SS.     M.  0,60. 

Herwegen,  Dr.  ing.  L.,  Die  zweckmäßigste  Streckung  von  Tagebaufeldem  «ur 
Erzielung  höchster  Wirtschaftlichkeit  und  einfacher  Betriebs  Verhältnisse.  Halle  a.  8., 
Wilhelm  Knapp,  1916.    Lex.-8.    111—48  SS.  mit  64  in  den  Text  gedr.  Abbild.    M.  4,50. 

Kronacher  (Tierzucht- Inst.-Dir.),  Prof.  C,  Der  Wiederaufbau  der  deutschen 
Pferdezucht  nach  dem  Kriege.     Berlin,  Paul  Parey,  1917.     gr.  8.     99  SS.     M.  2,50. 

Hunzinger  (derzeit  Oekon.-Dir.,  Wirtschaftsr.),  Dr.  Adolf,  Organisation  im 
landwirtschaftliehen  Großbetriebe.  Betriebstechnische  Erlebnisse,  Gedanken  und  Unter- 
suchungen. Jena,  Gustav  Fischer,  1917.  gr.  8.  V— 194  SS.  mit  2  Einlage-Tab.  M.  6.—. 
(S.-A,  a.  d.  Archiv  f.  exakte  Wirtschaftsforschung,   Bd.  8.) 

Schulenburg,  Roh.  v.  der,  Vollblut  und  Rennsport.  Die  Grundlagen  unserer 
Landespferdezucht.  Eine  gemeinverständliche  Abhandlung.  Köln,  Alfred  Bourseaux, 
1917.     8.     32  SS.     M.  1.—. 

S emmier  (Geh.  Reg.-R.),  Prof.  Dr.  F.  W.,  Die  deutsche  Landwirtschaft  während 
des  Krieges  und  ihre  Zukunft.  Arbeitsziele  nach  Friedensschluß.  Breslau,  Preuß  & 
Jünger,   1917.     gr.  8.     178  SS.     M.  3.—. 

Warmbold,  Dr.  Herm.,  Futtergetreide  im  Kriege.  (Beiträge  zur  Kriegswirt- 
schaft, hrsg.  von  der  volkswirtschaftlichen  Abteilung  des  Kriegsemährungsamts,  Heft  4.) 
Berlin,  Reimar  Hobbing,    1917.     8.     44  S.     M.  0,60. 

Wygodzinski,  Prof.  Dr.  Willy,  Produktionszwang  und  Produktionsförderung 
in  der  Landwirtschaft.  (Beiträge  zur  Kriegswirtschaft,  hrsg.  von  der  Volkswirtschaft!. 
Abteilung  des  Kriegsernährungsamts,  Heft  5.)  Berlin,  Reimar  Hobbing,  1917.  8. 
42  SS.     M.  0,60. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     229 

Zuntz  (Geh.  Keg.-E.),  Prof.  Dr.  N.,  Gesichtspunkte  zur  Anpassung  des  Land- 
wirts an  die  Kriegslage.  Vortrag,  gehalten  am  23.  II.  1917  im  Lehrgang  für  praktische 
Landwirte  und  Verwaltungsbeamte  an  der  Kgl.  Landwirtschaftlichen  Hochschule  zu  Berlin. 
Berlin,  Paul  Parey,  1917.     8.     27  SS.     M.  0,80. 


C16anthe,  Position  critique  de  notre  production.  Solution  efficace.  La  force 
par  les  revients.     Paris,  Chaix,  1917.     4.     54  pag.  et  graphiques. 

5.   Gewerbe  und  Industrie. 

Friedländer  (Doz.),  Prof.  Dr.  P.,  Fortschritte  der  Teerfarbenfabrikation  und 
verwandter  Industriezweige.  An  der  Hand  der  systematisch  geordneten  und  mit  kri- 
tischen Bemerkungen  versehenen  deutschen  ßeichspatente  dargestellt.  12.  Teil,  1914 — 1916. 
Berlin,  Julius  Springer,  1917.     Lex.-8.     VIII— 986  SS.     M.  72.—. 

Hünlich,  Eich.,  Die  Textilindustrie  und  der  Krieg.  Berlin,  Paul  Adler,  1917. 
8.     23  SS.     M.  1,20. 

Oberhummer,  Ernst,  Die  Baumwollindustrie  Oesterreich  -  Ungarns.  (Wirt- 
schaftsgeographische Karten  und  Abhandlungen  zur  Wirtsfhaftskunde  von  Oesterreich- 
Ungarn.  Hrsg.  mit  Subvention  des  k.  k.  Handelsministeriums  von  Prof.  Dr.  Franz 
Heiderich.  Heft  14.)  Wien,  Ed.  Hölzeis  Verlag,  1917.  Lex.-8.  62  SS.  mit  1  färb. 
Karte.     M.  6.—. 

Sachs,  Prof.  Dr.  Arthur,  Die  Grundlagen  der  schlesischen  Montanindustrie. 
Kattowitz,  Gebrüder  Böhm,  1917.  gr.  8.  20  SS.  mit  4  Textfig.  u.  1  (färb.)  geolog. 
Karte.     M.  2.—. 

Spies,  Georg,  Die  rumänische  Petroleum-Industrie  und  ihre  Bedeutung  in  der 
Weltwirtschaft.  Zwei  Vorträge,  gehalten  in  Bukarest  am  9.  a.  13.  III.  1917.  (Bukarester 
Vorträge,  Heft  1.)     Bukarest,  König  Carol-Verlag,  1917.     8.     64  SS.     M.  0,80. 

Wallichs,  Prof.  A.,  Die  Psychologie  des  Arbeiters  in  seiner  Stellung  im  indu- 
striellen Arbeitsprozeß.  (Technische  Abende  im  Zentralinstitut  für  Erziehung  und  Unter- 
richt, Heft  3.)     Berlin,  E.  S.  Mittler  &  Sohn,  1917.     8.     31  SS.     M.  0,50. 

Wilbrand's,  Dr.  F.,  Lehre  von  den  landwirtschaftlichen  Gewerben.  7.  Aufl., 
hrsg.  V.  (Landwirtschaftssch.  -  Prof.)  Dr.  H.  Siats.  Hildesheim,  August  Lax,  1917.  8. 
VII— 79  SS.  mit  32  in  den  Text  gedr.  Abbild.     M.  2.—. 

Zoelly,  Dr.  Charles,  Die  rechtliche  Behandlung  der  Kartelle  in  der  Schweiz. 
(Zürcher  Beiträge  zur  Rechtswissenschaft,  hrsg.  v.  Proff.  Aug.  Egger,  Ernst  Hafter, 
Max  Huber  u.  Hans  Eeichel,  No.  64.)  Aarau,  H.  E.  Sauerländer  &  Co.,  1917.  gr.  8. 
V— 209  SS.     M.  3.—. 


Eothschild,  H.  de,  et  Prof.  Porcher,  L'industrie  des  lais  concentr§s  et  la 
fraude.     Paris,  Doin.     8.     fr.  1,50. 

Atkinson,  Henry,  A  rational  wages  system.  Some  notes  on  the  method  of 
paying  the  worker  a  reward  for  efficiency  in  addition  to  wages.    London,  Bell.    8.    1/. — . 

Cherington,  Paul  Terry,  The  wool  industry.    Chicago,  Shaw  Co.    8.    $  2,50. 

6.  Handel  und  Verkehr. 

Oberfohren,  Ernst,  Französische  Bestrebungen  zur  "Verdrängung 
des  deutschen  Handels.  (Kriegswirtschaftliche  Untersuchungen  aus  dem 
Institut  für  Seeverkehr  und  Weltwirtschaft  an  der  Universität  Kiel, 
herausgeg.  von  Prof.  B.  Harms,  5.  Heft.)  Jena  (Gustav  Eischer)  1916. 
80.     IV  u.  60  SS.     (Preis:  M.  1,60.) 

Deutschland  hat  dahin  gestrebt,  die  ganze  Welt  wirtschaftlich  zu 
unterjochen,  und  wollte  mit  dem  von  ihm  vom  Zaune  gebrochenen  Krieg 
seine  Gegner  auch  militärisch  niederzwingen.  Deshalb  muß  nach  dem 
zweifellos  sicheren  Sieg  der  Entente  Deutschland  wirtschaftlich  so  ge- 
schwächt werden,  daß  seine  stete  Bedrohung  der  friedlichen  Kultur  für 
immer  ein  Ende  hat.  Dies  bei  unseren  Feinden  immer  wiederkehrende 
Leitmotiv   ist    auch    die    Ursache    der   französischen   Bestrebungen    zur 


230     ücbersloht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Verdrängung  des  deutschen  Handels,  über  die  uns  der  Verf.  obiger 
Schrift  in  klarer  und  übersichtlicher  Weise  unterrichtet,  soweit  sie 
während  des  ersten  Kriegsjahres  bereits  in  mannigfachen  Verbands- 
grttndungen  und  Organisationen,  praktischen  Maßnahmen  und  Vorschlägen 
zutage  getreten  sind.  Da  sich  die  Anzeige  der  Schrift  leider  stark 
verzögert  hat,  so  sei  gleich  hier  eingeschaltet,  daß  das  Material  in  dem 
vom  Kieler  Institut  herausgegebenen  „Kriegswirtschaftlichen  Nach- 
richten" inzwischen  fortlaufend  ergänzt  worden  ist.  Jene  Bestrebungen 
richten  sich  teils  auf  den  französischen  Inlandsmarkt  und  zeigen  hier 
auch  dem  Deutschen  selbst  in  überraschender  Weise,  wie  sehr  es  der 
„teutonischen  Invasion"  gelungen  ist,  sich  den  französischen  Markt  zu 
erobern.  Zum  anderen  Teile  richten  sich  die  Bestrebungen  auf  die 
Verdrängung  des  deutschen  Handels  auf  dem  Weltmarkte.  Da  wird 
dann  den  französischen  Industriellen  und  Kaufleuten  vor  allem  die 
Nachahmung  der  so  verpönten  deutschen  Geschäftsmethoden  empfohlen : 
die  wirksame  Bearbeitung  der  ausländischen  Kundschaft  durch  Hand- 
lungsreisende, bessere  Berücksichtigung  des  fremden  Geschmacks,  billigere 
Preise,  Gewährung  langfristiger  Kredite,  Organisation  des  Exports  mit 
Hilfe  der  Banken,  Musterausstellungen  usw.  An  Maßnahmen  auf  all- 
gemein wirtschaftlichem  Gebiete  werden  in  Betracht  gezogen:  die  Ent- 
wicklung der  Handelsschiffahrt,  der  Ausbau  der  französischen  Häfen, 
eine  Aenderung  der  Handelspolitik  im  Sinne  der  Ausschaltung  Deutsch- 
lands und  seiner  Verbündeten  vom  Genüsse  der  Meistbegünstigung  und 
dergleichen.  Der  Verf.  zeigt,  welche  Erfolge  man  sich  von  diesen  Be- 
strebungen gegenüber  den  französischen  Kolonien,  den  mit  Frankreich 
verbündeten  sowie  den  neutralen  Ländern  verspricht,  immer  unter 
Hinweis  auf  die  bisherigen  deutschen  Erfolge,  die,  wie  man  hofft,  von 
den  Franzosen  bei  der  angeblich  zweifellosen  Ueberlegenheit  ihrer  In- 
dustrie mehr  oder  weniger  leicht  ausgeschaltet  werden  können,  wenn 
nur  der  ernstliche  Wille  vorhanden,  und  das  Ausland  erst  von  den 
zahlreichen  unlauteren  Mitteln  der  Deutschen  überzeugt  worden  ist. 

Die  vom  Verf.  am  Ende  seiner  im  November  1915  abgeschlossenen 
Untersuchung  erwähnte  Idee  einer  „entente  economique"  unserer  Feinde 
auch  nach  dem  Kriege  hat  bekanntlich  inzwischen  in  den  Beschlüssen 
der  Pariser  Wirtschaftskonferenz  vom  14. — 16.  Juni  1916  ihre  Ver- 
wirklichung gefunden.  Die  zur  dauernden  Bekämpfung  des  Außen- 
handels Deutschlands  und  seiner  Verbündeten  dort  beschlossenen  Maß- 
nahmen und  Richtlinien  verdienen  zweifellos  ernsthafte  Beachtung,  ohne 
daß  wir  Ursache  hätten,  uns  vor  ihnen  zu  fürchten.  Abgesehen  von 
den  in  unserer  eigenen  Volkswirtschaft  ruhenden  Machtmitteln,  haben 
sie  den  militärischen  Sieg  unserer  Feinde  zur  Voraussetzung.  Wie 
wir  zuversichtlich  hoffen,  daß  diese  Erwartung  zunichte  wird,  so  ist 
vielleicht  auch  die  weitere  Hoffnung  noch  nicht  ganz  aufzugeben, 
daß  der  heute  noch  wirksame  sinnlose  Gedanke  der  wirtschaftlichen 
und  militärischen  Eroberungssucht  Deutschlands  über  kurz  oder  lang 
einer  verständigeren  Einsicht  weichen  wird.  Indessen  wird  deutscher- 
seits auf  jeden  Fall  mit  gewaltigen  Anstrengungen  unserer  Gegner  zur 
Verdrängung    des    deutschen   Handels    zu    rechnen    sein.     Alle   Einzel- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     231 

beraühungen  nach  dieser  Richtung  verdienen  volle  Beachtung  nicht  nur 
seitens  unserer  wirtschaftlichen  Kreise  selbst,  sondern  auch  seitens 
unserer  Reichsregierung,  die  sich  nach  dem  Kriege  in  ganz  anderem 
Maße  als  bisher  die  Unterstützung  der  deutschen  wirtschaftlichen  Aus- 
landsinteressen angelegen  sein  lassen  muß. 

Cöln.  A.  Wirminghaus. 

B  r  a  n  d  t  -  Düsseldorf ,  Dr.,  Wirtschaftsfragen  im  zweiten  Kriegsjahre.  Vortrag, 
gehalten  in  der  47.  Hauptversammlung  des  Vereins  deutscher  Eisengießereien  zu  Düssel- 
dorf am  5.  VIII.  1916.     München,  ß.  Oldenbourg,  1917.     gr.  8.     72  SS.     M.  1,60. 

Dyes,  Dr.  Wilh.  A.,  Die  Kriegsfolgezeit  und  deren  wirtschaftliche  Organisation. 
(Dringliche  Wirtschaftsfragen,  Heft  7.)  Leipzig,  Veit  &  Comp.,  1917.  gr.  8.  80  SS. 
M.  1,50. 

Herkner,  Prof.  Dr.  H.,  Die  Zukunft  des  deutschen  Außenhandels.  (Meeres- 
kunde. Sammlung  volkstümlicher  Vorträge  zum  Verständnis  der  nationalen  Bedeutung 
von  Meer  und  Seewesen,  hrsg.  vom  Institut  für  Meereskunde  an  der  Universität  Berlin, 
Heft  123,  Jahrg.  11,  Heft  3.)    Berlin,  E.  S.  Mittler  &  Sohn,  1917.    8.    23  SS.     M.  0,60. 

Mannstaedt,  Prof.  Dr.  Heinrich,  Hochkonjunktur  und  Krieg.  Jena,  Gustav 
Fischer,   1917.     gr.  8.     46  SS.     M.  1.—. 

Schrameier  (Geh.  Adm.-R.),  Dr.,  Die  deutsch-chinesischen  Handelsbeziehungen. 
(Meereskunde.  Sammlung  volkstümlicher  Vorträge  zum  Verständnis  der  nationalen 
Bedeutung  von  Meer  und  Seewesen.  Hrsg.  vom  Institut  für  Meereskunde  an  der  Uni- 
versität Berlin.  Heft  124,  11.  Jahrg.  Heft  4.)  Berlin,  E.  S.  Mittler  u.  Sohn,  1917. 
8.    31  SS.  mit  Abb.     M.  0,60. 

Skalweit,  Prof.  Dr.  August,  Die  Viehhandelsverbände  in  der  deutschen 
Kriegswirtschaft.  (Beiträge  zur  Kriegswirtschaft.  Hrsg.  von  der  volkswirtschaftlichen 
Abteilung  des  Kriegsernährungsamts.  Heft  10.)  Berlin,  Reimar  Hobbing,  1917.  8. 
44  SS.     M.  0,60. 

h'  Wallroth,  Dr.  Erich,  Die  Grundlagen  des  Ostseehandels  und  seine  Zukunft. 
-(Meereskunde.  Sammlung  volkstümlicher  Vorträge  zum  Verständnis  der  nationalen  Be- 
deutung von  Meer  und  Seewesen.  Hrsg.  vom  Institut  für  Meereskunde  an  der  Uni- 
versität Berlin.  Heft  126,  11.  Jahrg.  Heft  6.)  Berlin,  E.  S.  Mittler  u.  Sohn,  1917.  8. 
39  SS.     M.  0,60. 

Wurst,  Oskar,  und  Herm.  Leiter,  Drs.,  Die  Handels-  und  Gewerbekammem 
Oesterreich-Ungarns  sowie  die  Institute  für  fachliche  Ausbildung.  (Wirtschaftsgeo- 
graphische Karten  und  Abhandlungen  zur  Wirtschaftskunde  von  Oesterreich-Ungam. 
Hrsg.  mit  Subvention  des  k.  k.  Handelsministeriums  von  Prof.  Dr.  Franz  Heiderich. 
1.  Heft.)     Wien,  Ed.  Hölzel,  1917.     Lex.-8.     34  SS.  mit  1  färb.  Karte.     M.  4.—. 


Norm  an d,  Gilles,  La  guerre,  le  commerce  fran9ais  et  les  consommateurs. 
Pr^face  de  Marc  Rfeville.     Paris,  Perrin.     8.     fr.  3,50. 

Rouquette,  Louis,  L'organisation  de  notre  marine  marchande  et  notre  ex- 
pansion  gconomique.  Paris,  Marc  Imhaus  et  Ren6  Ohapelot,  1917.  Petit  en-8.  170  pag. 
fr.  2,50. 

Hodges,  H.  B.,  Economic  conditions,  1815  and  1914.  London,  Allen  and  Unwin. 
8.     2/.6. 

7.  Finanswesen. 

Zimmermann,  F.  W.  R,  Die  Finanz  Wirtschaft  des  Deutschen 
Eeichs  und  der  deutschen  Bundesstaaten  zu  Kriegsausbruch  1914. 
Berlin  und  Leipzig  (G-.  J.  Göschensche  Verlagsbuchhandlung)  1916. 
80.     237  SS.     Preis:  7  M. 

F.  W.  R.  Zimmermann  hat  in  der  Finanzwissenschaft  einen  guten 
Namen.  Sein  neues  Buch  zeugt  wiederum  von  der  Sorgfalt  und  Zu- 
verlässigkeit, mit  der  er  an  wissenschaftliche  Arbeiten  herangeht,  und 
von  der  Umsicht,  mit  der  hier  alles  Wissenschaftliche  und  Tatsächliche 


232     üeberaicht  über  die  nenesten  Pnblikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

an  der  richtigen  Stelle  dargestellt  wird.  Wir  haben  hier  ein  Buch  vor 
uns,  das  in  übersichtlicher  Anordnung  (und  auch  geschickter  tjrpo-. 
graphischer  Aufmachuog)  einen  vollkommenen  Ueberblick  über  die 
Finanzwirtschaft  des  Deutschen  Reichs  und  der  einzelnen  Bundesstaaten 
gibt  und  insofern  in  der  Tat  einem  oft  empfundenen  Bedürfnis  ent- 
gegenkommt. Die  gegebenen  Ziffern  benihen  auf  amtlichen  Unter- 
lagen; daß  hierfür  der  Stand  der  Finanzwirtschaft  beim  Ausbruch  des 
großen  Krieges  gewählt  ist,  ist  für  die  Brauchbarkeit  des  Buches  jetzt 
und  auch  in  der  nächsten  Zukunft  ohne  Zweifel  wichtig.  Ganz  be- 
sonders interessant  sind  die  synoptischen  Zusammenstellungen  am 
Schlüsse  des  Buches ;  wir  haben  dort  die  Verhältnisse  der  Bundes- 
staaten übersichtlich  vor  Augen,  sowohl  für  den  Staatsbedarf  im  ganzen 
wie  für  die  einzelnen  Verwaltungszweige,  femer  auch  für  die  einzelnen 
Einnahmegattungen,  die  Steuerbelastung  und  die  Staatsschulden.  Ein 
gutgearbeitetes  kurzes  Sachregister  beschließt  das  mit  vielem  Fleiß  und 
großer  Sachkenntnis  geschriebene  Buch. 

Berlin-Friedenau.  Alexander  Elster. 

Bartsch  v.  Sigsfeld,  Dr.,  Die  Kosten  der  deutschen  Justiz  in  Zivil-  und 
Strafsachen,  ihre  Fehler  und  deren  Beseitigung.  (Finanz-  und  volkswirtschaftliche  Zeit- 
fragen. Hrsg.  von  Reichr.  Prof.  Dr.  Georg  v.  Schanz  und  Geh.  Reg.-R.  Prof.  Dr. 
Julius  Wolf.     Heft  35.)     Stuttgart,  Ferdinand  Enke,  1917.     Lex.-8.     53  SS.     M.  2.—. 

Engel  (Fin.-Min.  a.  D.,  Wirkl.  Geh.  R.),  Dr.  August  Frhr.  v.,  Betrachtungen 
über  den  staatsfinanziellen  Wiederaufbau  Oesterrelchs.  (Flugschriften  für  Oesterreich- 
üngams  Erwachen.  Hrsg.:  Robert  Strache.  Literar.  Leitung:  Ferd.  Grüner.  Heft  23 
und  24.)     Warnsdorf,  Ed.  Straches  Verlag,  1917.     gr.  8.     53  SS.     M.  0,80. 

Fechner,  Karl,  Die  Hinterbliebenen-  und  Kriegsbeschädigten-Fürsorge  in 
Kriegs-  und  Friedenszeiten,  sowie  das  Besoldungs-  und  Pensionswesen.  Bd.  10.  Berlin- 
Wilmersdorf,  Fechners  Gesetzgebungs-Bibliothek,  1917.     16.     IV— 156  SS.     M.  3,75. 

Fellner,  Frdr.  v.,  Das  Volkseinkommen  Oesterrelchs  und  Ungarns.  Wien, 
Manz,  1917.     Lex.-8.     145  SS.     M.  5,20. 

Fuistlng  (Wirkl.  Geh.  Oberreg.-R.,  Oberverwaltungsger.-Sen.-Präs.),  B.,  Die 
preußischen  direkten  Steuern.  1.  Bd.  Kommentar  zum  Einkommensteuergesetz.  Nach 
dem  Tode  des  Verf.  bearbeitet  von  (Wirkl.  Geh.  Oberreg.-R.,  Oberverwaltungsger.-Sen.-Präs.) 
Dr.  Strutz  8.  veränd.  u.  verm.  Aufl.  Erg.-Heft:  Gesetz  betr.  die  Ergänzung  des  Ein- 
kommensteuergesetzes vom  30.  XII.  1916  nebst  Ausführungsbestimmungen.  Berlin,  Carl 
Heymanns  Verlag,  1917.     gr.  8.     IV— 74  SS.     M.  2.—. 

Gauß  (Wirkl.  Geh.  R.),  F.  G.,  Die  Gebäudesteuer  in  Preußen  nach  dem  Gesetze 
vom  21.  V.  1861  und  den  später  ergangenen  abändernden  Gesetzen  nebst  Ausführungs- 
bestimmungen, mit  ausführlichem  Sachregister.  Unter  Benutzung  amtlicher  Quellen 
hrsg.  Neubearbeitet  von  (Geh.  Oberflnanz-R.,  vortr.  Rat)  A.  Maske.  4.  Aufl.  Berlin, 
R.  V.  Deckers  Verlag  (G.  Schenck),  1917.     gr.  8.     VII— 964  SS.     M.  38.—. 

Jaff6,  Prof.  Dr.  Edgar,  Kriegskostendeckung  und  Reichsfinanzreform.  Tübingen, 
J.  C.  B.  Mohr,  1917.  gr.  8.  32  SS.  M.  0,75.  (S.-A.  aus  dem  Archiv  für  Sozial- 
Wissenschaft  und  Sozialpolitik,  Bd.  43.) 

Koppe  (Rechtsanw.,  Synd.),  Dr.  Fritz,  und  Dr.  Paul  Varnhagen,  Gesetz 
betr.  die  Abänderung  des  Warenumsatzstempels  vom  30.  V.  1917.  Für  den  praktischen 
Gebrauch  erläutert.  Mit  ausführlichen  Anmerkungen,  unter  Berücksichtigung  des  Zu- 
sammenhangs mit  dem  Hauptgesetze,  und  Sachregister.  Berlin,  Industrieverlag  Spaeth 
und  Linde,  1917.     kl.  8.     38  SS.     M.  1.—. 

Mrozek  (Oberverwaltungsger.-R.),  Alfons,  Besitzsteuergesetz,  nebst  den  Aus- 
führungsbestimmungen des  Bundesrats  und  den  preußischen  Ausführungsvorschriften, 
Ausführlicher  Kommentar.  (Guttentagsche  Sammlung  deutscher  Reichsgesetze.  Teitaus- 
gabe  mit  Anmerkungen.  Nr.  126.)  Berlin,  J.  Guttentag,  1917.  kl.  8.  XVI — 410  SS. 
M.  6.—. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     233^ 

Nickerl  v.  ßagenfeld,  Emil,  Grundsteuerreform.  Kurze  gemeinverständ- 
liche Vorschläge  im  Geiste  der  neuen  Gesellschaftsauffassung.  Graz,  ülr.  Mosers  Buch- 
u.  Kunsthdlg.,  1917.     gr.  8.     36  SS.     M.  1.—. 

Stier-Somlo,  Prof.  Dr.  Fritz,  Gesetz  über  Sicherung  der  Kriegssteuer  vom 
9.  IV.  1917  und  Gesetz  über  die  Erhebung  eines  Zuschlags  zur  Kriegsteuer  vom  9.  IV. 
1917,  erläutert.  Gleichzeitig  3.  ergänzte  Aufl.  des  Gesetzes  über  vorbereitende  Maßnahmen 
zur  Besteuerung  der  Kriegsgewinne  vom  24.  XII.  1915,  nebst  den  Ausführungsbestim« 
mungen.     Berlin,  Franz  Vahlen,  1917.     kl.  8.     152  SS.     M.  2,80. 

Studier  (Sektionschef),  Rud.,  Das  Rechnungs-  und  Kassenwesen  der  schweize- 
rischen Postverwaltung.  Eine  Darstellung.  Zürich,  Orell  Füßli,  1917.  gr.  8.  V— 100  SS. 
M.  4.—. 

Tetzlaff,  Dr.  Oskar,  Die  Steuern  und  Schulden  der  Städte  und  großen  Land- 
gemeinden Preußens  im  Rechnungsjahre  1913  und  ihre  Zuschläge  zu  den  staatlich  ver- 
anlagten direkten  Steuern  im  Rechnungsjahre  1914.  Im  amtlichen  Auftrage  bearbeitet.. 
Berlin,  Verlag  des  Kgl.  Statistischen  Landesamts,  1916.  32  X '^3  cm.  180  SS.  M.  4.—. 
(S.-A.  aus  der  Zeitschrift  des  Kgl.  Preuß.  Statist.  Landesamis,  1916.) 


Dalloz,  Les  impöts  nouveaux.  Impöt  sur  le  revenu.  Contribution  sur  le» 
b^nfefices  de  guerre.  Taxes  nouvelles.  Textes  sans  commentaires.  Paris,  libr.  Dalloz^ 
1917.     16.     132  pag.     fr.  2,50. 

Lachapelle,  Georges,  Nos  finances  pendant  la  guerre.  La  gestion  de» 
finances  publiques.  Les  socifet^s  de  credit.  La  bourse  de  Paris.  La  banque  de  France^ 
Paris,  Armand  Colin,  1915.     16.     VI— 306  pag.     fr.  3,50. 

8.  Geld-,  Bank-,  Kredit-  und  Versicliernngswesen. 

Eisfeld,  Curt,  Das  niederländische  Bankwesen.  Haag  (M.  Nijhoff) 
1916.  80.  2  Bde.;  I.  Teil:  VIII  u.  303  SS.;  II.  Teil:  YII  u.  95  SS. 
(Preis:  fl.  6,50.) 

Ein  größeres  Werk  über  das  niederländische  Bankwesen  kann  aus 
wirtschaftshistorischen  und  wirtschaftspolitischen  Gründen  auf  ein  all- 
seitiges Interesse  rechnen.  Wenn  diese  beiden  Gesichtspunkte  möglichst 
vollständig  in  der  vorliegenden  Schrift  zur  Geltung  gekommen  wären^ 
würde  uns  eine  monumentale,  deskriptive,  archivalische  und  statistische 
Leistung  vorliegen.  Der  Verf.  hat  aber  bei  der  Anlage  seiner  Arbeit 
darauf  verzichtet,  umfassend  vorzugehen,  indem  er  sich  mit  der  Be- 
handlung der  privat-  und  volkswirtschaftlichen  Entwicklung  der  zahl- 
reichen holländischen  Banktypen  in  den  letzten  50  Jahren  begnügte. 
Aus  einer  möglichen  großzügigen  entwicklungsgeschichtlichen  Darstellung 
ist  durch  Selbstbeschränkung  —  denn  viele  Einzelbemerkungen  weisen 
auf  ausgedehnte  wirtschaftshistorische  Kenntnisse  des  Verf.  hin  —  eine 
außerordentlich  fleißige  und  gründliche,  aber  doch  ab  und  an  unbe- 
friedigende Darstellung  des  holländischen  Bankwesens  entstanden.  Das 
unbefriedigende  Gefühl,  das  jeden  einigermaßen  sachkundigen  Leser  nach 
der  Lektüre  der  Schrift  beschleichen  wird,  rührt  von  der  Einseitigkeit 
der  Darstellungsmethode  her,  von  der  Vernachlässigung  wirtschafts- 
historischer Gesichtspunkte  auf  einem  klassischen  Boden  der  wirtschafts- 
geschichtlichen Entwicklung,  wie  es  die  Niederlande  sind.  Holland^ 
holländisches  Wesen  und  holländische  Einrichtungen  sind  nur  aus  der 
holländischen  Staats-  und  Kulturgeschichte  zu  erklären.  Seine  Gegen- 
wart steht  in  einem  stärkeren  Maße,  als  dieselbe  irgendeines  anderen 
europäischen  Volkes,  im  verpflichtenden  Banne  seiner  großen  Ver- 


234     üeberaioht  über  die  neaesten  Publikationen  Deatschlands  und  des  Ansiandee 

gangenheit  ^).  Wie  sich  damals  im  17.  Jahrhundert  die  Stände  und  Be- 
rufe gegliedert  haben,  wie  sich  damals  das  Verhältnis  der  einzelnen 
Faktoren  in  der  Volkswirtschaft  herausgebildet  hat,  das  ist  dort  heute 
noch  von  ausschlaggebender  Bedeutung. 

Läßt  man  aber  die  obige  methodologische  Ausstellung  außer  Be- 
tracht, so  ist  der  Aufbau  und  die  glänzende  statistische  Darstellung 
(zusammengefaßt  in  Teil  II)  als  gut  gelungen  zu  bezeichnen.  Als  Aus- 
gangspunkt wählt  der  Verf.  einige,  leider  eben  viel  zu  kurz  ausgefallene 
Ausführungen  über  die  Entwicklung  des  holländischen  Bankwesens.  Im 
folgenden  ersten  Kapitel  behandelt  er  dann  dessen  rechtliche,  wirt- 
schaftliche und  politische  Grundlagen.  Seine  sorgfältige  und  klare,  aber 
doch  nicht  langwierige  Darstellung  der  rechtlichen  Bestimmungen  von 
wirtschaftlicher  Bedeutung  —  wie  das  Wechsel-  und  Aktiengesell- 
schaftsrecht —  sind  in  der  vorliegenden  Fassung  wertvolle  Beiträge 
zu  der  gegenwärtig  stark  in  Aufnahme  kommenden  E-echtsvergleichung. 
Die  wirtschaftlichen  Grundlagen  sind  im  wesentlichen  der  Bevölke- 
rungs-,  Betriebs-,  Handels-  und  Börsenstatistik  entnommen.  Die  Kritik 
des  Verf.  an  der  holländischen  Außenhandelsstatistik  erscheint  mir  teil- 
weise unberechtigt,  da  diese  Statistik  in  Holland  und  Deutschland  ganz 
andere  Aufgaben  zu  erfüllen  hat.  Holland,  als  typisches  Zwischen- 
handelsgebiet, ist  im  Interesse  der  Beobachtung  seines  National- 
einkommens auf  eine  Feststellung  möglichst  aller  durch  hol- 
ländische Hände  gehenden  Gütermengen  angewiesen.  Deutsch- 
land ist  infolge  seiner  Handelsvertrags-  und  Schutzzollpolitik  dagegen 
viel  mehr  an  Ursprung  und  Verwendung  der  Außenhandels- 
objekte interessiert.  In  der  Behandlung  der  politischen  Verhältnisse 
der  Gegenwart  und  der  derzeitigen  Parteigrundsätze  vermißt  man  einen 
umfassenden  historischen  Rückblick.  Derselbe  hätte  zum  Ausdruck 
gebracht,  daß  die  auf  religiösen  Grundsätzen  fußenden  „klerikalen" 
Parteien  keineswegs  mit  ähnlichen  politischen  Parteien,  etwa  in  Belgien 
oder  Oesterreich,  gleichgesetzt  werden  können.  Aus  der  doppelten 
Wurzel  des  niederländischen  Gemeinschaftslebens,  aus  der  übrigens  die 
beiden  großen  Kriegshandlungen  dieses  kleinen  Volkes  gegen  Spanien 
und  England  hervorgegangen  sind,  seinem  intensiven  kirchlichen  Leben 
und  seinen  expansiven  Handelsbestrebungen  mußte  sich  in  der  Politik 
ein  Dualismus  und  in  breiten  Volksschichten  bei  vielen  aktuellen  Fragen 
ein  Konflikt  der  ethischen  Pflichten  mit  den  Geboten  eines  amoralischen 
Utilitarismus  ergeben.  Es  muß  bestritten  werden,  daß  die  führenden 
Parteien  (Antirevolutionäre,  Liberale  Unie  und  Katholiken)  Opportu- 
nismus getrieben  haben,  vielmehr  ist  ihre  Stellungnahme  zu  bestimmten 
Fragen  unter  dem  Gesichtspunkte  dieser  Zweiheit  im  politischen  und 
wirtschaftlichen  Leben  eine  logische  Reaktion  gegen  gefährliche  Ueber- 
treibungen  der  jeweiligen  Gegenpartei.  So  lag  es  durchaus  in  der 
Entwicklungslinie  der  klerikalen  Partei  seit  Anfang  dieses  Jahrhunderts, 
energisch  für  die  sozialen  Versicherungen  einzutreten,  wo  die  liberalen 
Parteien  und  ihre  finanziellen  Hintermänner  (besonders  in  der  Rotter- 
damsche     Bankvereeniging)    an     eine    möglichst    umfassende    und    be- 


1)  Vgl.  Edwards,  Holland  und  Deutschland  in  den  Deutschen  Stimmen,  Nr.  5,  1917. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     235 

schleunigte  Industrialisierung  des  Landes  arbeiteten.  Sollte  eine  Ver- 
änderung der  Grundlagen  der  nationalen  Volkswirtschaft  vor  sich 
gehen,  dann  war  es  eine  selbstverständliche  Aufgabe  der  „christlichen" 
Parteien,  dem  neu  entstehenden  Arbeiterstande  ethisch  und  sozial  be- 
friedigende Lebensbedingungen  zu  sichern.  Dies  trifft  auch  cum  grano 
Balis  bezüglich  der  Stellungnahme  der  Parteien  zu  den  Bankgesetzen  zu. 
Das  zweite  Kapitel  ist  einer  Darstellung  der  Arbeitsteilung  im 
allgemeinen  Bankgewerbe  gewidmet.  Es  behandelt  die  Klassifikation 
der  Bankunternehmungen,  die  alle  Zweige  des  Bankgeschäftes  treiben 
dürfen,  und  gelangt  dabei  zur  Unterscheidung  von  Großbanken  und 
ihren  Gruppen,  unabhängigen  Mittel-  und  Kleinbanken  und  den  Bankiers. 
In  den  einzelnen  Abschnitten  werden  die  jeweils  wichtigsten  oder 
charakteristischsten  Unternehmungen  dieser  Kategorien  in  ihrer  Ent- 
wicklung, wenn  möglich  seit  ihrer  Gründung,  beschrieben.  Es  werden 
4  Großbanken  mit  zahlreichen  Filialen  oder  der  Firma  nach  selb- 
ständigen, aber  von  der  Hauptbank  abhängigen  Zweigbanken,  106 
Mittel-  und  Kleinbanken,  sowie  71  bedeutendere  Bankiers  auf- 
geführt. Zur  Kennzeichnung,  was  für  holländische  Verhältnisse  als 
Großbank  zu  gelten  hat,  seien  die  folgenden  summarischen  Angaben  für 
diese  Banken,  bezogen  auf  das  Geschäftsjahr  1911,  hier  angeführt 
(S.  270  der  Eisfeldschen  Schrift)  in  Millionen  Gulden  und  mit  gleichen 
Ziffern  des  Schweizer  Bankvereins  verglichen: 

Kapital  53»?;  Reserven  15,8;  Depositen  49,3 ;  Bilanzsumme  299,1 

Schweizer  Bankverein,  in  Mill. 

Gulden  umgerechnet,  3ö»0 ;         „  ii,7;         »         88,1;  „  257,8 

Bis  in  die  neueste  Zeit  hinein  konnte  jedenfalls  von  einem  mittel- 
europäischen Großbankbetrieb  also  nicht  die  Rede  sein.  Erst  in  den 
letzten  Jahren  (1912 — 14)  und  vor  allen  Dingen  jetzt  während  des 
Krieges  breitet  sich  das  Geschäft  der  größeren  Aktienbanken  sehr  rasch 
aus.  Die  unabhängigen  Mittel-  und  Kleinbanken,  die  gleichfalls  als 
Aktien-  oder  Kommanditgesellschaften  gegründet  sind,  wiesen  Ende  1911 
ÄU8  in  Millionen  Gulden,  soweit  Angaben  zugänglich  waren : 

Kapital  (emittiert)  31,9;  Reserven  2,6;  Bilanzsumme  74,9. 
Ueber  die  Bankiers  sind  ähnliche  Angaben  nicht  zu  ermitteln. 

Wie  v.  Tienkoven^)  richtig  ausführt,  beherrschen  gemeinhin 
drei  Faktoren  in  der  folgenden  Reihenfolge  das  Bankwesen:  Industrie, 
Handel,  Börse.  So  ist  es  in  Deutschland  und  in  Frankreich.  In 
Holland  ist  die  Reihenfolge  aber  umgekehrt,  nämlich:  Börse,  Handel, 
Industrie. 

Das  Vorwiegen  der  aus  Effektenumsätzen  herrührenden  Bankge- 
schäfte ist  auf  die  Erfahrung  zurückzuführen,  daß  die  besitzenden  Klassen 
in  ihrem  persönlichem  Lebensaufwand  sehr  sparsam,  dagegen  in  der  An- 
lage ihres  Vermögens  und  vor  allem  des  ersparten  Einkom- 
menüberschusses stark  spekulativ  veranlagt  sind.  Diese  Züge  im 
holländischen  Wesen,    die   nur   historich   zu  erklären  sind*),    haben    in 


1)  Nederland  in  den  aanvang  der  XXe  Eeuw,  S.  832. 

2)  Es  sei  in  diesem  Zusammenhange  nur  an  die  Tulpen-,  Kaffee-  und  Zucker- 
spekulationen erinnert.  Neuerdings  spielen  Kautschuk-  und  Petroleumaktien  eine  ähn- 
liche Bolle. 


236     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  A.uslandes. 

mehrfacher  Hinsicht  auf  die  Gestaltung  des  Bankbetriebes  eingewirkt. 
Die  Sparsamkeit,  die  so  weit  geht,  daß  in  gut  bürgerlichen  Familien 
heute  noch  ein  vollständiger  Verbrauch  der  Einnahmen,  auch  wenn  sie 
nur  aus  festverzinslichen  Staatspapieren  stammen,  als  Verschwendung 
und  Leichtsinn  gebrandmarkt  wird,  läßt  den  kleinen  Mann  nach  einer 
ihm  lukrativ  und  sicher  erscheinenden  Anlage  seines  „sauer  ersparten" 
Geldes  suchen,  während  der  Kapitalist  nach  exotischen  oder  unsicheren, 
aber  hochverzinslichen  europäischen  und  amerikanischen  An- 
lagewerten verlangt.  So  wandern  die  eigentlichsten  Sparkassen-  und  Ge- 
nossenschaftskunden in  Holland  zum  Notar  und  Händler,  die  beide  im 
Umkreise  ihrer  Wirksamkeit  Darlehen  vermitteln,  während  der  Kauf- 
mann, größere  Landwirt,  Industrielle  und  Rentner  zwar  zur  Bank  geht, 
dort  aber  nicht  etwa  seine  augenblicklich  nicht  benötigten  Barmittel  in 
Depot  gibt  oder  als  Unterlage  seiner  bargeldlosen  Zahlungen  verwendet, 
sondern  damit  entweder  Effekten  kauft  oder  das  Geld  durch  seine 
Bank  an  der  Börse  als  Leihgeld  in  der  in  Holland  üblichen  Form  der 
Prolongation  begibt.  Das  holländische  Spar-  und  Spekulationsbedürfnis 
weist  die  Banken  also  geradezu  darauf  hin,  zur  Befriedigung  des  An- 
lagebedürfnisses und  zur  Erweiterung  der  spekulativen  Umsätze  mit 
fremden  Geldern  Effekten  zu  produzieren,  d.  h.  Emissionen  fremder 
Werte  zu  erleichtern  oder  zu  einheimischen  Emissionen  möglichst  leb- 
haft anzureizen.  Die  verhältnismäßig  depositenarmen  Großbanken  werden 
auf  diesem  Wege  immer  mehr  in  die  ßolle  von  Finanzierungsgesell- 
schaften gedrängt,  und  die  kleineren  Banken  und  Bankiers  sinken  immer 
mehr  zu  Kommissionären  oder  Vertriebsstellen  zweifelhafter  Effekten- 
gattungen herab,  wenn  sie  es  nicht  vorziehen  sollten,  in  erster  Linie 
durch  das  reine  Bankgeschäft  oder  durch  Uebernahme  von  Agenturen 
von  Versicherungsgesellschaften  und  Hypothekenbanken  eine  einwand- 
freiere Existenz  zu  fristen. 

In  den  nächsten  beiden  Kapiteln  werden  die  Spezialbanken,  die 
einen  beschränkten  oder  nur  ihnen  eigentümlichen  Geschäftskreis  haben, 
getrennt  nach  solchen,  die  entweder  prinzipiell  Betriebskredit  oder 
Anlagekredit  gewähren,  unterschieden.  Zu  der  ersten  Kategorie  rechnet 
der  Verf.  außer  der  Notenbank  —  die  weiter  unten  behandelt  werden 
wird  —  die  Kassiers,  Kreditvereine,  landwirtschaftliche  Darlehnskassen, 
Mittelstandsbanken,  Kolonialbanken  und  Auslandsbanken.  Zur  zweiten 
Kategorie  gehören  die  In-  und  Auslandshypothekenbanken,  Schiffs- 
hypothekenbanken, Kommunalkreditinstitute,  Vorschußbanken  und  Banken 
für  belastete  Werte.  Nach  dieser  summarischen  Uebersicht,  die  einige 
in  Deutschland  noch  nicht  vertretene  Typen  enthält,  ist  die  Arbeits- 
teilung im  holländischen  Bankwesen  nicht  nur,  wie  wir  oben  sahen, 
nach  der  Zahl  der  Betriebe,  sondern  auch  bezüglich  ihrer  qualifizierten 
Leistung  weit  fortgeschritten.  Auch  in  diesen  Abschnitten  bespricht 
der  Verf.  die  Mittel,  Geschäftszwecke  und  Ergebnisse  der  wichtigsten 
Unternehmungen  jeder  Gattung.  Die  spezifisch  niederländischen  Typen, 
die  Schiffshypothekenbanken  und  die  Banken  für  belastete  Werte,  die 
beide  in  Deutschland  umfangreiche  Betätigungsfelder  gefunden  haben, 
werden  eingehender  gewürdigt.     In  diesen  Kapiteln  kommen  zwei  sehr 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     237 

wichtige  Zweige  des  holländischen  Bankgeschäftes  —  vermutlich,  wie 
aus  einer  Andeutung  im  Vorwort  hervorgeht,  aus  Mangel  an  dem  Verf. 
zugänglichen  Vorarbeiten  — ,  die  Kassiers  und  die  Kolonialbanken,  nicht 
genug  nach  ihrem  heutigen  Gewichte  zur  Geltung.  Beide  Typen  sind 
in  die  Gegenwart  hineinragende  und  sich  mitErfog  behauptende 
Zeugen  der  wirtschaftlichen  und  kolonialpolitischen 
Vergangenheit  der  Niederlande. 

Die  Kassiers  waren  ursprünglich  berufsmäßige  Geldaufbewahrer, 
die  gegen  mäßige  Vergütung  für  ihre  Kunden  aus  deren  ständig  vor- 
rätig zu  haltenden  Guthaben  Zahlungen  zu  leisten  hatten.  Da  sich 
im  alten  Amsterdam  die  Mehrzahl  der  Zahlungen  durch  Kassiers  voll- 
zog, konnten  dieselben  lange  vor  der  Errichtung  des  Londoner  Clearing- 
house  ein  Abrechnungssystem  einführen.  Zu  ihnen  gehörte  auch  die 
berühmte  Amsterdamsche  Wisselbank,  die  infolge  unrechtmäßiger  Ge- 
schäfte seit  Ende  des  18.  Jahrhunderts  ihrem  Ende  entgegenging. 
Soweit  ist  die  Darstellung  des  Verf.  zutreffend  und  vollständig.  Wo  er 
-aber  (S.  153/154)  den  Uebergang  zur  Gegenwart  und  zu  den  zurzeit 
vorherrschenden  Instituten,  die  sich  Kassiers  nennen,  herzustellen  sucht, 
fehlt  ihm  einiges  historische  und  psychologische  Material. 

Infolge  der  in  Holland  seit  mehreren  Jahrhunderten  eingebürgerten 
Sitte,  daß  der  einfache  Bürger  und  Rentner  durch  eine  Mittelsperson 
(Privatbankier  qder  Effektenkommissionär)  für  seine  Rechnung  spe- 
kulieren läßt,  bzw.  vom  letzteren  dazu  angehalten  wird,  entstand  bei 
allen  den  Personen  die  aus  religiösen  Grundsätzen  Gegner  von  Wetten 
und  Spekulationen  waren,  eine  Abneigung,  die  laufenden  Geldgeschäfte 
(Zahlungen,  Wechselgeschäfte,  Wechselinkassi)  von  dem  damals  in  der 
Hauptsache  aus  Privatpersonen  bestehenden  Bankiersstande  verrichten 
zu  lassen.  In  diese  Lücke  ist  der  Kassiersstand  eingetreten.  Noch 
heute  sind  viele  Kunden  der  drei  großen  Kassiersunternehmungen 
solche  Industrielle  und  Gewerbetreibende,  die  ein  ausgeprägtes  Miß- 
trauen gegen  die,  wie  es  heißt:  „doch  immer  spekulierenden  Banken 
und  Bankiers"  hegen.  Das  heute  noch  in  weiten  Kreisen  bestehende 
Vertrauensverhältnis  zum  Kassier  kommt  vor  allem  in  dem  hohen  Be- 
trage der  allein  von  den  drei  großen  Aktienunternehmungen  empfangenen 
Depositen  zum  Ausdruck.  Gelang  es  doch  diesen  drei  Unternehmungen 
im  Jahre  1911  über  40  Mill.  fl.  Depositen  gegenüber  den  rund  50  Mill. 
der  4  Großbanken  heranzuziehen.  Besonders  deutlich  tritt  die  Ver- 
trauensstellung dieser  Unternehmungen  zutage,  wenn  man  berücksichtigt, 
daß  sich  bei  ihnen  das  Aktienkapital  zu  den  Depositen  wie  3 :  8,  da- 
gegen bei  den  Banken  wie  etwa  1  : 0,94  verhält.  Heutzutage  erledigen 
die  Amsterdamer  Kassiers  nicht  nur  den  gesamten  dortigen  Zahlungs- 
verkehr —  zu  etwa  2/3  in  Zahlungsanweisungen  auf  Kassiers  — 
sondern  sie  besorgen  für  die  Banken  und  Kommissionäre  die  aus  den 
Börsenumsätzen  hervorgehenden  Effektenlieferungen.  Für  zwei  von  den 
oben  erwähnten  drei  Aktiengesellschaften  ist  die  Umsatzsumme  fest- 
zustellen. Sie  stieg  von  1907  bis  1910  von  insgesamt  2158  auf  2928 
Mill.  fl.  In  derselben  Zeit  nahm  die  Umsatzsumme  der  rührigsten 
Großbank,  der  Rotterdamsche  Bank,  nur  von    746  auf  924  Mill.  fl.  zu. 


238     Uebersicht  fiber  die  neuesten  Pnblikationen  Deutschlands  nnd  des  Auslandes. 

Angesichts  dieser  Zahlen  ist  die  einleitende  Bemerkung  i)  des  Verf.: 
„Inwieweit  er  (der  Kassier)  heute  noch  eine  große  Rolle  spielt,  ist  eine 
andere  Frage"  nicht  recht  verständlich. 

Noch  befremdlicher  ist  die  Behandlung  einiger  Gesichtspunkte  im 
Abschnitt  Kolonialbanken.  Wenn  der  Verf.  mit  Recht  die  nieder- 
ländische Notenbank  eingehend  behandelte  und  angesichts  der  engen 
volkswirtschaftlichen  Wechselwirkung  von  Holland  und  Niederländisch- 
indien glaubte  auf  eine  Behandlung  der  drei  indischen  Banken  nicht 
verzichten  zn  dürfen,  so  wäre  eine  Einbeziehung  der  indischen  Noten- 
bank, und  zwar  als  solche,  dagegen  nicht  nur  bezüglich  ihrer  Amster- 
damer Geschäfte,  sehr  erwünscht  gewesen.  Der  Status  der  drei  großen 
.indischen  Banken,  der  sich  in  vieler  Hinsicht  von  dem  Status  der 
rein  niederländischen  Großbanken  unterscheidet,  ist  an  der  Hand  einer 
Darstellung  der  Bankpolitik  der  indischen  Notenbank  viel  leichter  zu 
verstehen.  Die  Javasche  Bank  hat  sich,  im  Gegensatz  zu  der  vielfach 
von  England  beeinflußten  Politik  der  Niederländischen  Bank,  von  der 
Politik  der  Reichsbank  maßgeblich  beeinflussen  lassen.  Es  wäre  von 
großem  Interesse  gewesen,  zu  erfahren,  in  welchem  Umfang  dieser  Ein- 
fluß auf  die  allgemeine  Anwendbarkeit  der  deutschen  Grundsätze  oder 
auf  ihre  geschickte  Modifikation  in  diesem  besonderen  Falle  zurück- 
zuführen ist.  Die  von  der  Javaschen  Bank  ausgehende  größere  Beweg- 
lichkeit im  niederländisch-indischen  Bankwesen  spiegelt  sich  in  einem 
Vergleich  der  wichtigsten  Angaben  von  drei  Kolonialgroßbanken  mit 
drei  Großbanken  2)  in  Niederland,  bezogen  auf  das  Jahr  1911,  wider.  Es 
betrugen  jeweils  in  Millionen  Gulden : 

Indien  Kapital       67,4  Depositen     61,9') 

Niederlande  „  39,7  „  43,9 

Wenn  man  berücksichtigt,  daß  die  drei  niederländisch-indischen  Groß- 
banken erhebliche  Geschäfte  in  Niederland  machen  und  von  dort  einen 
großen  Teil  ihrer  Depositen  heranziehen,  wird  ihre  Bedeutung  für  die 
gesamte  niederländische  Volkswirtschaft  —  die  ohne  Indien  nicht  lebens- 
fähig ist  —  klar  ersichtlich.  Auch  für  diesen  Abschnitt  der  Dar- 
stellung ist  der  Verzicht  auf  eine  wirtschaftshistorische  Behandlung 
lebhaft  zu  bedauern.  Wie  es  in  den  letzten  4  Jahrzehnten  einigen 
genialen  Bankleitern  (v.  d.  Berg,  Vissering  und  de  Marez  Oyens)  ge- 
lungen ist,  den  sich  völlig  anarchisch  betätigenden  niederländischen 
Unternehmungsgeist  nicht  zum  wenigsten  durch  die  Entwicklung  der 
indischen  Großbanken  vorwiegend  auf  Niederländisch-Indien  einzu- 
stellen, gehört  zu  den  reizvollsten  Abschnitten  der  modernen  Bank- 
geschichte. Er  lehrt,  wie  eine  geschickte  Anknüpfung  an  eine  große 
Vergangenheit  auch  in  einer  beschränkteren  Gegenwart  belebend  wirken 
kann. 

Im  Schlußabschnitt  behandelt  der  Verf.  noch  einmal  zusammen- 
fassend einige  Probleme  des  Bankwesens.  Das  Stocken  des  Pfandbrief- 
absatzes wird  mit  Recht  den  allgemeinen  Verhältnissen  auf  dem  euro- 
päischen Geldmarkte  zur  Last  gelegt,  während  die  Depositenarmut  dei^ 

1)  S.  150  der  Schrift. 

2)  Labouchere  Oyens  &  Co.  nnd  Incassobank  sind  ansgeschieden. 

3)  Niederland  und  Indien. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     239 

niederländisclien  Banken  auf  die  spezifisch  holländischen  Anlagesitten 
(Prolongationen  an  der  Börse  oder  Effektenankäufe)  zurückgeführt 
wird.  Auch  die  bis  jetzt  von  uns  noch  nicht  berührte  Notenbankfrage 
wird  in  dem  Sinne  beleuchtet,  daß  die  Niederländische  Bank  andauernd 
bis  zum  Kriege  wirtschaftlichen  Einfluß  einbüßte.  Die  Tatsache  ist  an 
sich  richtig.  Ein  Studium  der  Geschichte  der  Javaschen  Bank  hätte 
aber  eine  befriedigende  und  zwingende  Erklärung  nahegelegt.  Wie 
der  Verf.  ausführt,  rührte  die  Machtlosigkeit  der  Notenbank  im  wesent- 
lichen von  zwei  Faktoren  her,  nämlich  von  einem  im  Verhältnis  zur 
Metalldeckung  zu  schnell  gestiegenen  Notenumläufe  und  einem  zu 
kleinen  Wechselbestand.  Beide  Umstände  erschweren  es  der  Bank,  in 
einem  vom  volkswirtschaftlichen  Standpunkte  aus  erwünschten  Umfange 
die  Gestaltung  des  Geldmarktes  und  des  Börsenverkehrs  zu  beein- 
flussen. Der  erste  Faktor  wurde  vor  dem  Kriege  —  wie  zurzeit  in 
Deutschland  —  durch  Propagierung  des  Scheck-  und  Giroverkehrs  zu 
beseitigen  gesucht.  Diese  Versuche  waren  bei  der  konservativen  Ver- 
anlagung des  Niederländers  nicht  besonders  aussichtsreich.  Der  Welt- 
krieg mit  seinen  allseitigen  Valutaverschiebungen  hat  diese  Frage  aber 
endgültig  für  Holland  gelöst.  Es  ist  der  Notenbank  durch  eine  ge- 
schickte Devisenpolitik  gelungen,  einen  Goldbestand  während  der  Kriegs- 
jahre anzusammeln,  der  annähernd  den  ganzen  heute  in  Holland  wie 
in  allen  anderen  Ländern  über  den  normalen  Bedarf  hinaus  gesteigerten 
Notenumlauf  deckt.  Der  Anteil  des  Wechselportefeuilles  an  den  An- 
lagen des  werbenden  Kapitals  der  Bank  wird  stets  geringer  bleiben, 
als  bei  anderen  Notenbanken,  da  Holland  weniger  originale  Um- 
sätze in  Waren  tätigt,  als  die  meisten  anderen  Länder.  Hollands  Ge- 
schäfte hängen  auf  das  innigste  mit  der  Vermittlung  und  dem  Zwischen- 
handel zusammen,  so  daß  der  Zahlungsverkehr  mit  Holland  sich  viel- 
fach auf  die  Ueberweisung  der  von  holländischen  Händlern  verdienten 
Kommissionen  oder  der  von  niederländischen  Transportanstalten  bean- 
spruchten Frachten  beschränkt,  während  der  viel  beträchtlichere  Waren- 
wechsel zwischen  den  nichtholländischen  Parteien  den  Waren- 
umsatz ausgleicht.  Jetzt,  wo  im  Kriege  der  holländische  Kaufmann 
aus  politischen  Gründen  (Umgehung  des  Verbotes  des  Handels  mit  dem 
Feinde)  als  Eigenhändler  auftreten  mußte,  belebte  sich  der  holländische 
Wechselverkehr.  Niederländisch-Indien  mit  seinem  starken  origi- 
nalen Ein-  und  Ausfuhrbedürfnis  liefert  für  seine  Banken  dagegen 
ganz  andere  Zahlen.  So  betrug  im  Jahre  1913  der  Wechselbestand 
der  größten  indischen  Bank  schon  allein  etwa  die  Hälfte  des  durch- 
schnittlichen Wechselbestandes  der  Nederlandsche  Bank.  Ob  sich 
nach  dem  Kriege  wieder  der  „status  quo  ante"  eines  sehr  niedrigen 
Wechselbestandes  der  Notenbank  herausbilden  wird,  hängt  wohl  von  dem 
Schicksal  des  „Wirtschaftskrieges  nach  dem  Kriege"  ab.  Entsteht 
nach  dem  Friedensschluß  ein  derartiger  Zustand,  so  dürften  sich  manche 
notwendigen  Handelsbeziehungen  zwischen  derzeit  feindlichen  Ländern 
nur  durch  die  eigenhändlerische  Vermittlung  neutraler  Kaufleute 
wieder  anknüpfen  lassen. 

Diese   weltwirtschaftlichen    Gesichtspunkte    erfordern    daher    über 
Hollands    Grenzen   hinaus  Aufmerksamkeit   für    die  sich   in  Niederland 


240     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutachlands  und  des  Auslandes. 

gleichfalls  vollziehende  Bankenkonzentration  und  für  die  Richtung  der 
Entwicklung  der  Banken,  d.  h.  nach  deutschem  oder  englischem  Vorbilde. 
Die  Bankenkonzentration  vollzieht  sich  bisher  in  Holland  nur  im 
Kreise  derjenigen  Unternehmungen,  die  durch  ihre  geschäftliche  Orientie- 
rung (großes  Effektengeschäft,  ausgedehnte  Emissionstätigkeit,  viele 
industrielle  Beziehungen  durch  Aufsichtsratsstellen)  auf  eine  den 
deutschen  Großbanken  ähnliche  Entwicklung  angewiesen  sind.  Ihnen 
wird  von  Seiten  der  Privatbanken  und  Bankiers  der  Provinz  hart- 
näckiger Widerstand  entgegengesetzt.  Der  Kampf  hat  in  einem  für 
die  kleineren  Betriebe  recht  günstigen  Kompromiß  im  Konditionen- 
kartell seinen  nur  vorläufigen  Abschluß  gefunden.  Da  die  Konzen- 
tration der  Großbanken  vor  dem  Kriege  einige  Fortschritte  gemacht 
hatte,  neigt  der  Verf.  zur  Ansicht,  daß  sich  die  Entwicklung  im  hollän- 
dischen Bankwesen  in  der  Richtung  der  Nachbildung  deutscher  Ver- 
hältnisse vollziehen  wird.  So  wünschenswert  jede  solche  sachliche  Er- 
leichterung einer  wirtschaftlichen  Annäherung  der  beiden  stammver- 
wandten Nachbarländer  auch  wäre,  muß  gerade  auf  dem  Gebiete  des 
Bankwesens  vor  falschen  Zukunftshpffnungen  gewarnt  werden.  Es 
werden  gerade  die  Großbanken  durch  ihre  offensiven  Bestrebungen 
gegen  die  Bankiers  und  Kleinbanken  einen  noch  auszutragenden  Ent- 
scheidungskampf über  die  Gestaltung  des  holländischen  Bankwesens 
herbeiführen.  Dabei  werden  sich  voraussichtlich  die  drei  großen 
Kassiersaktiengesellschaften  —  die  heute  schon  dem  englischen  Bank- 
typus erheblich  nahekommen  —  als  Vertreter  und  Vorkämpfer  einer 
englischen  Entwicklung  zur  Geltung  bringen. 

Hoffentlich  tragen  diese  Zeilen  dazu  bei,  für  die  gediegene  Schrift 
und  ihren  bedeutungsvollen  Gegenstand  reges  Interesse  hervorzurufen. 
Insbesondere  wäre  es  zu  begrüßen,  wenn  die  notwendigen  Erweite- 
rungen, die  hier  angeregt  wurden,  in  einer  Neubearbeitung  oder  Neu- 
auflage berücksichtigt  werden  könnten. 

Göttingen.  W.  H.  Edwards. 

Autech  (Bankbeamter),  Hans,  Lehrbuch  zur  Selbstvorbereitung  für  die  Bank- 
prüfung.    Wien,  Moritz  Perles,  1916.     gr.  8.     243  SS.     M.  6.—. 

Schrötter,  Frdr.  Frhr.  v.,  Geschichte  des  neueren  Münz-  und  Geldwesens  im 
Kurfürstentum  Trier  1550—1794.  Mit  einer  Kartenskizze  des  Kurfürstentums  Trier. 
Berlin,  Paul  Parey,  1917.     gr.  8.     VIII— 244  SS.     M.  15.—. 

9.  Soziale  Frage. 

Flügge,  C,  Großstadtwohnungen  und  Kleinhaussiedlungen  in 
ihrer  Einwirkung  auf  die  Volksgesundheit.  Eine  kritische  Erörterung 
für  Aerzte,  Verwaltungsbeamte  und  Baumeister.  Mit  8  Abbildungen. 
Jena  (G.  Fischer)   1916.     80.     VI  u.   160  SS.     (Preis:  M.  4,—.) 

Flügge  hat  hier  eine  Fülle  von  Material  verarbeitet,  um  die  Frage 
nach  Bedeutung  der  Mietskasernen  auf  der  einen  Seite,  der  Kleinhaus- 
wohnungen auf  der  anderen  Seite  für  die  Gesundheit  zu  klären.  Mit 
kritischer  Schärfe  geht  er  den  zahlreichen  unbewiesenen  Behauptungen 
zu  Leibe,  die  gerade  bei  der  Behandlung  der  Wohnungsfrage  sich  ein- 
gebürgert haben.     Die  hygienische  Wirkung  der  Wohnweise  überhaupt 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Dentschlands  nnd  des  Auslandes.     241 

sucht  Flügge  zunächst  auf  statistischem  Wege  und  zwar  aus  dem  Ver- 
gleich der  Sterblichkeitsziffern  in  Stadt  und  Land  und  durch  lokal- 
statistische Untersuchungen  in  derselben  Stadt  zu  beweisen.  Wie  nicht 
anders  zu  erwarten,  lassen  sich  hier  deutliche  Wohnungseinflüsse  nicht 
erkennen,  da  ja  die  Wohnung  nur  einer  von  den  Faktoren  bildet,  die 
die  Sterblichkeitsziffer  bedingen,  und  isoliert  sich  die  Wirkung  der 
Wohnung  ja  nicht  darstellen  läßt.  Dagegen  weisen  Erhebungen  über 
Militärtauglichkeit  und  über  die  Schülerkonstitution  darauf  hin,  daß  auf 
dem  Lande  hygienisch  günstigere  Verhältnisse  vorliegen  als  in  der 
Stadt.  Soweit  hier  Wohnungseinflüsse  mitwirken,  scheint  nach  Flügge 
nicht  sowohl  der  Zustand  im  Innern  der  Einzelwohnung  und  die  Wohn- 
dichtigkeit, die  auch  auf  dem  Lande  oft  sehr  schlecht  sind,  als  viel- 
mehr die  Entbehrung  des  Aufenthaltes  im  Freien  durch  die 
Konglomeration  in  großen  Häuserkomplexen,  die  Besiedelungs- 
dichtigkeit,  in  Betracht  zu  kommen. 

Da  die  Statistik  hier  im  Stiche  läßt,  so  sucht  Flügge  nun  auf 
einem  anderen  aussichtsvolleren  Wege  die  Frage  zu  lösen,  wie  sich  die 
für  das  Einzelindividuum  als  wichtig  erkannten  Lebensbedingungen 
einerseits  im  großstädtischen  Mietshaus,  andererseits  in  Kleinhaus  bei 
weiträumiger  Bebauung  verhalten,  und  ob  sich  daraus  Folgerungen  für 
die  hygienische  üeberlegenheit  der  einen  oder  anderen  Bauweise  ziehen 
lassen.  Er  prüft  hier  die  hygienischen,  die  physiologischen  und  die 
pathologischen  Wirkungen  der  einzelnen  Wohnungsfaktoren;  es  ergibt 
sich  dabei,  daß  die  Luftbeschaffenheit  und  Lüftung  der  Wohnungen, 
die  Beleuchtung  und  die  Wohndichtigkeit  bei  einem  Vergleich  zwischen 
Miet-  und  Kleinhäusern  ganz  zurücktreten  hinter  dem  wichtigsten  unter- 
scheidenden Moment:  in  der  Stadt  dauernder  Aufenthalt  in 
engen  Räumen  und  fast  völlige  Entbehrung  des  Freien,  auf  dem 
Lande  täglich  längerer  Aufenthalt  und  Körperarbeit  in  bewegter  freier 
Luft.  Die  Besiedlungsdichte  und  das  Wohnen  in  den  hohen  Stock- 
werkshäusern, das  den  Großstädtern  reichlichen  Aufenthalt  im  Freien 
unmöglich  macht,  ist  daher  als  hauptsächlichste  Ursache  für  die  Ver- 
schlechterung ihrer  Konstitution  anzusehen  und  hauptsächlichste  Auf- 
gabe der  Wohnungsreform.  Sie  muß  Schutz  gegen  die  aus  der  Be- 
siedlungsdichte entstehenden  Gesundheitsschädigungen  gewähren.  Bei 
Stadterweiterungen  und  neuen  Siedlungen  müssen  daher  nach  Flügge 
Häuser  gefordert  werden,  die  nicht  mehr  als  2,  höchstens  ausnahms- 
weise 3  Wohngeschosse  haben.  Hohe  Häuser  finden  ihren  zweck- 
mäßigsten Platz  an  den  großen  Verkehrsstraßen,  die  wie  bisher  in  einer 
Breite  von  20 — 30  m  und  mehr  anzulegen  sind.  Zwischen  den  Ver- 
kehrsstraßen ist  dagegen  ein  System  von  Wohnstraßen  vorzusehen,  die 
nur  5 — 9  m  Breite  haben  und  an  denen  die  Häuser  höchstens  8 
oder  10  m  Höhe  haben.  Der  Gartenstadtidee  muß  vom  hygienischen 
Standpunkt  eine  gewisse  Üeberlegenheit  über  andere  Siedlungspläne 
zuerkannt  werden.  Ermöglicht  das  Kleinhaus  ein  leichtes  Heraus- 
gelangen der  Bewohner  aus  dem  Hause,  so  muß  des  weiteren  dafür  ge- 
sorgt werden,  daß  den  Bewohnern  in  der  Nähe  des  Hauses  Aufenthalt 
und  Gelegenheit  für  Körperbewegungen  im  Freien  gewährt  wird.  Dies 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  16 


242     Ueberaioht  über  die  nenesten  Publikationen  Deutochlands  und  des  Auslandes. 

kann  geschehen  mit  Hilfe  der  sogenannten  Grünflächen  oder  Frei- 
flächen, in  denen  Gelegenheit  zu  8pielen,  zur  Uebung  von  Sport  und 
Körperpflege  für  die  Jugendlichen  gegeben  sein  muß.  In  bebauten 
Wohnvierteln  Maßnahmen  zur  Gesundung  der  Wohnungsverhältnisse  zu 
treffen,  ist  naturgemäß  schwieriger.  Eine  gewisse  Selbstregulierung 
bildet  die  Citybildung,  außerdem  müßten  manche  Keller-  und  Hof- 
wohnungen beseitigt  werden,  ferner  einige  der  reichlich  vorhandenen 
Schmuckplätze  in  Erholungs-  oder  Spielplätze  umgewandelt  werden. 

Flügge  räumt  in  dieser  bemerkenswerten  Arbeit  mit  vielen  einge- 
wurzelten Vorurteilen  auf.  Es  ist  eine  im  besten  Sinne  sozial-hygienische 
Studie,  und  sie  zeigt,  daß  der  Vorwurf  unberechtigt  ist,  der  so  oft 
unseren  Fachygienikern  gemacht  wird,  daß  sie  zu  viel  Bakteriologen 
seien,  sich  aber  zu  wenig  um  das  praktische  soziale  Leben  kümmern. 
Allerdings  Mietskasernen  werden  sich  niemals  aus  den  Großstädten 
verdrängen  lassen;  daß  sie  aber  unter  besonderen  Kautelen  doch  ein 
gesundes  Wohnen  ermöglichen,  beweist  u.  a.  das  Beispiel  der  Stadt 
Frankfurt  a.  M. 

Frankfurt  a.  M.  W.  Hanauer. 

Bauer  (Arbeitsamts-Dir.),  Prof.  Dr.  Stephan,  Sozialpolitik  im  Kriege  und  nach 
Friedensschluß.  (Schweizerische  Vereinigung  zur  Förderung  des  internationalen  Arbeiter- 
schutzes, Heft  42.)  Zürich,  Buchhdlg.  des  Schweiz.  Grütlivereins,  1917.  gr.  8.  28  SS. 
M.  0,80. 

Behr-Pinnow  (Kabinetsr.  a.  D.),  Dr.  v.,  Planmäßige  Säuglingsfürsorge  und 
ihre  Durchführung.     2.  Aufl.     Potsdam,   Stiftungsverlag,    1917.     8.     24   SS.     M.   0,40. 

Damaschke,  Adolf,  Die  Bodenreform.  Grundsätzliches  und  Geschichtliches 
«ur  Erkenntnis  und  üeberwindung  der  sozialen  Not.  Jena,  Gustav  Fischer,  1917.  8. 
XVI- 500  SS.     M.  3,50. 

Kaufmann  (Reichs  versicherungsamts- Präs.),  Dr.  Paul,  "Was  dankt  das  kämpfende 
Deutschland  seiner  sozialen  Fürsorge?  Berlin,  Franz  Vahlen,  1917.  8.  24.  SS. 
M.  0,50. 

Kühn  (Pfr.),  Lic.  Dr.  Victor,  Die  Kirche  und  die  soziale  Frage  der  Zukunft. 
Leipzig,  Arwed  Strauch,  1917.     8.     36  SS.     M.  0,50. 

Schwerin -Obersteinbach,  Dr.  v.,  Heimstätten,  eine  Lösung  der  Arbeiterfürsorge 
auf  dem  Lande.     Berlin,  Deutsche  Warte,  1916.     kl.  8.     19  SS.     M.  0,50. 

Tugendreich,  Dr.  Gustav,  Der  Ausbau  der  Kleinkinderfürsorge.  —  Feld, 
Dr.  Wilh. ,  Statistische  Erhebungen  über  die  soziale  Lage  von  Kindern.  (Fortschritte 
des  Kinderschutzes  und  der  Jugendfürsorge.  Vierteljahrshefte  des  Archivs  deutscher 
Berufsvormünder,  hrsg.  von  Prof.  Dr.  J.  Klumker.  2.  Jahrg.  Heft  2.)  Berlin,  Julius 
Springer,  1917.    gr.  8.     31  SS.    M.  1.—. 

ümbreit,  Paul,  Die  deutschen  Gewerkschaften  im  Weltkriege.  (Sozial wissen- 
schaftliche Bibliothek,  1.  Bd.)  Berlin,  Verlag  für  Sozialwissenschaft,  1917.  8.  123  SS. 
M.  1,50. 

Weiskirchner  (Bürgermstr.),  Dr.  Rieh.,  Städtische  Wohnungspolitik.  (Flug- 
schriften für  Oesterreich-Üngams  Erwachen.  Hrsg.:  Rob.  Strache.  Literar.  Leitung: 
Ferd.  Grüner.  Heft  21  u.  22.)  Wamsdorf,  Ed.  Straches  Vertag,  1917  gr.  8.  44  SS. 
M.  0,80. 

Zwang  und  Freiheit  in  der  Jugendpflege.  Verhandlungen  der  9.  Konferenz 
der  Zentralstelle  für  Volkswohlfahrt  in  Berlin  am  16.  und  17.  XL  1916.  (Schriften 
der  Zentralstelle  für  Volkswohlfahrt.  13.  Heft  der  neuen  Folge  der  Schriften  der 
Zentralstelle  für  Arbeiter- Wohlfahrtseinrichtungen.)  Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag, 
1917.     gr.  8.     Vm— 185  SS.     M.  5.—. 


Williams,  W.S.,  The  Problem  ofthe  unemployed,    Boston,  Badger.    8.    $  1/.— . 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     243 


10.  OenossenscliaftBweseii. 

Vogel,  ßudolf,  Das  Abkommen  des  Verbandes  schweizerischer 
Konsumvereine  mit  der  Großmetzgerei  Bell-A.-G.  in  Basel.  Ein  Bei- 
trag zur  Genossenschaftstheorie.  Jena  (Gust.  Fischer)  1917.  8^.  IV  u. 
94  SS.     (Preis:   M.  2,80.) 

Kurz  vor  dem  Kriege,  im  Januar  1914,  war  der  Verband  schweize- 
rischer Konsumvereine  in  Basel  in  ein  enges  Verhältnis  mit  der  Groß- 
schlächterei und  Wurstfabrik  Bell-A.-G.  in  Basel  getreten,  derart,  daß 
er  sich  mit  einer  bedeutenden  Anzahl  Aktien  am  Aktienkapital  der 
Bell-A.-G.  beteiligte  und  zugunsten  der  letzteren  auf  die  Errichtung 
eigener  genossenschaftlicher  Anstalten  verzichtete,  während  die  Bell-A.-G. 
sich  verpflichtete,  eine  rationelle,  im  Interesse  der  Konsumenten  liegende 
Eleischversorgung  durchzuführen,  und  ferner  alle  Einrichtungen  des 
Verbandes,  die  den  Betrieb  der  Bell-A.-G.  zu  fördern  geeignet  sind, 
zu  benutzen.  Der  Verband  schweizerischer  Konsumvereine  ist  der  do- 
minierende Konsumgenossenschaftsverband  der  Schweiz;  er  übt  zugleich 
die  Tätigkeit  einer  Großeinkaufsgesellschaft  aus,  besitzt  verschiedene 
Eigenproduktionsbetriebe  (Kaffeerösterei,  Maismühle,  Kochfettsiederei, 
Schuhfabrik,  Druckerei,  Baubüro  u.  a.),  außerdem  hat  er  Zweckgenossen- 
schaften gegründet,  eine  Art  Zentralgenossenschaften  der  Konsumver- 
eine, woran  sich  auch  der  Verband  als  Mitglied  beteiligt  (Versiche- 
rungsanstalt, Mühlengenossenschaft  [mit  der  größten  Mühle  der  Schweiz], 
Milcheinkaufsgenossenschaft).  Gut  iVs  Million  Konsumenten,  etwa  ein 
Drittel  der  Schweizer  Gesamtbevölkerung,  stehen  hinter  dem  Verband. 
Der  Verband  vertritt  im  allgemeinen  denselben  Standpunkt  wie  der 
Zentralverband  deutscher  Konsumvereine  und  ist  demnach  eine  genossen- 
schaftliche, ausgesprochen  antikapitalistische  Unternehmung,  die  eine 
Neuordnung  unseres  Wirtschaftslebens  unter  Ausschaltung  des  Profits 
erstrebt.  Demgegenüber  stellte  die  Großmetzgerei  Bell-A.-G.  ein  rein 
kapitalistisches  Unternehmen  dar,  das  auf  Vermehrung  des  Gewinnes 
durch  Erlangung  einer  Monopolstellung  hinarbeitete.  Durch  den  Zu- 
sammenschluß mehrerer  kleiner  Fleischereien  entstanden,  um  der  Kon- 
kurrenz des  Allgemeinen  Konsumvereins  Basel  wirksamer  entgegen- 
zutreten, hatte  sie  allmählich  in  vielen  Teilen  der  Schweiz  durch  Aufkauf 
der  selbständigen  Metzgereien  einen  trustähnlichen  Charakter  angenommen 
mit  der  Tendenz,  ein  schweizerisches  Fleischmonopol  zu  erlangen. 

Der  Zusammenschluß  zwischen  diesen  beiden  ungleichartigen,  in 
ihren  Grundsätzen  völlig  entgegengesetzte  Richtungen  vertretenden 
Unternehmungen,  einer  konsumgenossenschaftlichen  Großeinkaufsgesell- 
schaft und  einer  trustähnlichen  hochkapitalistischen  Aktiengesellschaft, 
stellt  einen  völlig  neuen  Fall  ohne  jeden  Vorgang  in  der  Geschichte 
der  modernen  Konzentrationsbewegung  dar  und  hat  naturgemäß  lebhaftes 
Aufsehen  erregt.  Die  Kritik  des  Abkommens  in  der  Oeffentlichkeit 
war  außerordentlich  scharf;  man  warf  dem  Verband  eine  schwere  Ver- 
letzung des  genossenschaftlichen  Prinzips  vor,  der  Satz  von  der  Ueber- 
windung  des  Kapitalismus  durch  ein  profitloses  Genossenschaftssystem 
würde  von  ihm  nicht  mehr  ernst  genommen.     Bisher  habe  der  Verband 

16* 


244     Ueberaicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  and  des  Auslandee. 

schweizerischer  Konsumvereine  die  genossenschaftliche  Wirtschaftsform, 
stets  als  etwas  der  kapitalistischen  als  diametral  Entgegengesetztes  und 
als  die  höhere  Stufe  hingestellt,  welche  an  die  Stelle  der  auf  Profit 
und  Ausbeutung  der  Konsumenten  ausgehenden  Privatunternehmung 
treten  müsse.  Eine  gründliche  volkswirtschafts  -  theoretische  Unter- 
suchung, aber  auch  die  schärfste  Verurteilung  erfuhr  das  Abkommen 
durch  den  früheren  Sekretär  des  Verbandes,  Dr.  Hans  Müller,  zur- 
zeit Privatdozent  an  der  Universität  Zürich  i),  welcher  von  kapitalistischer 
Entartung  des  Verbandes  sprach.  Der  Verband,  der  den  Profithandel 
beseitigen  wolle,  sei  selbst  zum  Profitmacher  geworden,  denn  eine 
kapitalistisch  organisierte  Unternehmung  könne  ihrem  inneren  Wesen 
nach  gar  nichts  anderes  als  nach  Profit  streben.  Die  Methode  der 
Durchdringung  des  Großkapitalismus  mit  genossenschaftlichem  Kapital 
sei  und  bleibe  daher  ungenossenschaftlich.  Nur  die  Volkswirtschaft  in 
ihrer  Gesamtheit  ließe  sich  genossenschaftlich  durchdringen  und  zwar 
dadurch,  daß  an  Stelle  kapitalistischer  Unternehmungen  genossenschaft- 
liche Anstalten  träten.  Die  einzelne  kapitalistische  Unternehmung  an 
sich  sei  dagegen  nicht  reformfähig  im  Sinne  genossenschaftlicher  Grund- 
sätze. Denn  wer  sich  an  kapitalistischen  Erwerbsgesellschaften  be- 
teilige, müsse  auch  den  Profit  wollen,  könne  kapitalistische  Grundsätze 
nicht  ablehnen  oder  verwerfen.  „Wer  logisch  denken  kann,  muß  ohne 
weiteres  zugeben,  daß  eine  Interessengemeinschaft  eines  konsumgenossen- 
schaftlichen Verbandes  mit  einer  großkapitalistischen  Aktiengesellschaft 
eine  Absurdität  ist."  Müller  ging  sogar  so  weit,  der  Verbandsleitung 
die  bona  fides  abzusprechen.  Sie  bezwecke  nichts  anderes,  als  ein  echt 
kapitalistisches  Geschäft  zu  machen,  Geld  zu  verdienen.  „Die  stolze 
Zentralorganisation  der  schweizerischen  Konsumvereine  schnappt  lüstern 
nach  einigen  Brocken  Profit,  die  vom  Tische  eines  kapitalistischen 
Wurstmachers  für  sie  abfallen." 

Auch  Stimmen  der  Oeffentlichkeit,  die  für  das  Abkommen  eintraten, 
fanden  den  Schritt  dennoch  bedenklich.  In  der  reichsdeutschen  Konsum- 
genossenschaftspresse war  die  Ansicht  geteilt.  Der  Zentralverband 
(Hamburg)  konnte  sich  zu  einer  unbedingten  Befürwortung  nicht  ent- 
schließen, und  der  Reichsverband  (Cöln)  äußerte  sich  ganz  abfällig  über 
das  Vorgehen,  unter  welchem  die  Reinheit  des  Genossenschaftsgedankens 
in  jeder  Beziehung  leide. 

Der  Verband  schweizerischer  Konsumvereine  begründete  und  ver- 
teidigte in  seiner  Zeitschrift  sein  Vorgehen  damit,  daß  die  Frage  der 
Fleischversorgung  infolge  der  trustartigen  Entwicklung  der  Bell-A.-G. 
eine  brennende  geworden  sei,  und  daß  man  bei  der  Wahl  einer  rein 
genossenschaftlichen  und  einer  genossenschaftlich-kapitalistischen  Lösung 
der  Frage  zur  letzteren  als  der  zunächst  erreichbaren  geschritten  sei. 
Man  dürfe  eine  wichtige  volkswirtschaftliche  Aufgabe  nicht  ungelöst 
lassen,  weil  sie  im  Augenblick  zur  Lösung  auf  rein  genossenschaft- 
lichem Wege  noch  nicht  reif  sei.  Eine  Verletzung  genossenschaftlicher 
Grundsätze  liege  nicht  vor.  Der  Zweck  des  Abkommens  sei  ein  Durch- 
gangsstadium   zur    Erreichung    des    genossenschaftlichen    Ideals.      Der 


1)    Dr.   Hans  Müller,    Konsumgenossenschaftliche  Entgleisungen,   Zürich  1915. 


üebeieicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     245 

Verband  habe  sich  durch  weiteren  Aktienerwerb  bereits  die  Majorität 
gesichert  und  werde  allmählich  das  Unternehmen  ganz  in  seinen  Besitz 
bringen. 

Im  ersten  Teil  seiner  Schrift  versetzt  uns  Vogel  durch  eine  knappe, 
aber  sprechende  Auswahl  mitten  in  den  Prinzipienstreit,  um  dann  im 
zweiten  Teil  seinerseits  das  Abkommen  vom  Standpunkte  der  Genossen- 
schaftstheorie zu  untersuchen.  Er  definiert  die  Genossenschaft  als  eine 
auf  dem  Prinzip  der  Solidarität,  profitloser  "Wirtschaft  und  demokra- 
tischer Rechtsgleichheit  aufgebaute  Unternehmung  von  nicht  ge- 
schlossener Mitgliederzahl.  Er  betrachtet  den  Genossenschaftsgedanken 
als  ein  Mittelding  zwischen  Individualismus  und  Sozialismus  und  möchte 
dafür  den  Ausdruck  „Solidarismus"  oder  noch  besser  „Kooperatismus" 
anwenden,  jedenfalls  sei  es  bei  der  grundsätzlichen  Erhaltung  der 
Selbständigkeit  und  des  Privateigentums  der  Individuen  ganz  verkehrt, 
von  „Genossenschaftssozialismus"  zu  sprechen.  Er  wendet  sich  ferner 
gegen  die  besondere  Betonung  des  Personalcharakters  der  Genossen- 
schaft gegenüber  der  angeblich  unpersönlichen  der  kapitalistischen  Unter- 
nehmung. Stets  bestimme  die  Person,  der  Kapitalbesitzer,  den  Cha- 
rakter des  Kapitals,  und  danach  sei  Kapital  in  der  Hand  einer  Privat- 
person, einer  Genossenschaft  oder  des  sozialistischen  Zukunftsstaates 
dreierlei  Verschiedenes  und  zu  unterscheiden  zwischen  Privat-,  Solidar- 
und Sozialkapital.  Technisch  bleibt  freilich  das  Kapital  dasselbe,  daher 
auch  privatkapitalistische,  genossenschaftliche  und  sozialistische  ßiesen- 
unternehmungen  technisch  völlig  gleich  sind ;  allen  gemeinsam  sind  Kapi- 
tal, Ueberschüsse,  Ueberschußverteilung,  Eigenvermögen  usw.  Aber  diese 
technischen  Faktoren  erleiden  eine  Wesensänderung  durch  die  ethischen 
und  wirtschaftlichen  Prinzipien  der  Kapitalbesitzer,  je  nachdem  sich 
diese  zu  einem  profitkapitalistischen  oder  profitersparenden  Wirtschafts- 
system zusammengetan  haben.  Die  Beteiligung  einer  Genossenschaft 
mit  Kapital  an  einem  profitkapitalistischen  Unternehmen  ist  daher  mit 
der  Genossenschaftstheorie  der  profit  ersparen  den  Wirtschaftsordnung 
unvereinbar,  wenn  sie,  d.  h.  ihre  Genossen,  den  ihr  aus  dem  Unter- 
nehmen nach  Maßgabe  ihrer  Kapitalbeteiligung  zufließenden  Profit  (Di- 
vidende) nicht  aus  ihrer  Inanspruchnahme  des  Betriebes,  d.  h.  durch 
entsprechenden  Anteil  am  Umsatz  selbst  erzeugt,  also  eliminiert,  son- 
dern auf  Kosten  Dritter  Gewinne  macht.  Aber  selbst,  wo  letzteres 
der  Fall  ist,  ist  eine  Kapitalbeteiligung  an  einem  profitkapitalisti- 
schen Unternehmen  vom  Standpunkte  der  allgemeinen  Genossenschafts- 
theorie nicht  immer  als  unbedingt  ungenossenschaftlich  zu  verwerfen, 
wenn  nämlich  die  Verbindung  nur  eingegangen  wurde,  um  den  Geschäfts- 
betrieb kennen  zu  lernen  und  für  einen  eigenen  genossenschaftlichen 
Betrieb  Erfahrungen  zu  sammeln.  Der  Zweck  ist  dann  ja  die  Ver- 
wirklichung des  höchsten  genossenschaftlichen  Ideals,  der  Eigenbetrieb! 
Solange  indessen  dieses  Ideal  nicht  erreichbar  erscheint,  ist  größtmög- 
lichste Annäherung  durch  genossenschaftliche  Beeinflussung  profit- 
kapitalistischer Betriebe  zu  erstreben,  wie  die  Eliminierung  des  Profits, 
Beschränkung  der  Dividende,  und  vor  allem  die  Majorisieiung  der  Ge- 
sellschafterversammlung durch  stärkste  Kapitalbeteiligung.  Eine  solche 
Vergenossenschaftlichung   ist   um  so  stärker,  je   fester  die  Verbindung 


246     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  DeutschlandB  und  des  Aas%ndes. 

gestaltet  wird  und  je  mehr  sich  die  Glieder  beider  Richtungen  er- 
gänzen. Der  Verzicht  des  Verbandes  schweizerischer  Konsumvereine 
auf  einen  genossenschaftlichen  Eigenbetrieb  und  die  Verpflichtung  der 
Bell-A.-G.,  die  bestehenden  genossenschaftlichen  Einrichtungen  des  Ver- 
bandes schweizerischer  Konsumvereine  zu  benutzen,  ergänzen  daher  den 
Vertrag  als  etwas  vom  Standpunkt  der  Genossenschaftstheorie  Selbst- 
verständliches. Wohl  scheinen  diese  drei  Hauptbestimmungen  des  Ver- 
trages, jede  für  sich  genommen,  gegen  die  Genossenschaftstheorie  zu 
verstoßen,  sie  bieten  daher  auch  scheinbar  Angriffspunkte.  In  ihrem 
ursächlichen  Zusammenhang  gemeinsam  gewürdigt,  verletzen  sie  unter 
Beachtung  gewisser  Grundsätze  nicht  nur  nicht  den  Genossenschafts- 
gedanken, sondern  bedeuten  vielmehr  einen  neuen  gangbaren  Weg  zur 
Annäherung  an  das  genossenschaftliche  Ideal,  ja  sie  bilden,  da  letzteres 
unerreichbar  erscheint,  nach  Vogels  Ansicht  nicht  ein  Durchgangs-, 
sondern  sogar  ein  Dauerstadium. 

Diese  Gedankengänge  werden  von  Vogel  im  einzelnen  verfolgt 
und  ausführlich  erörtert,  womit  die  Schrift  einen  beachtenswerten  Bei- 
trag zur  Genossenschaftstheorie  bietet. 

Berlin-Steglitz.  Willy  Krebs. 

Zeiß,  Max,  Die  deutschen  Genossenschaften,  Gilden,  Brüderschaften,  Zünfte  und 
ähnliche  Verbände.  Von  ihren  Anfängen  bis  zur  neueren  Zeit.  Görlitz,  Max  Zeiß, 
1916.     8.     48  SS.     M.  1.—. 

11.  Qesetzgfebaug,  Staats-  und  Verwaltungsrecht.    Staatabflrgerkiuide. 

Anschütz  (Geh.  Justizr.),  Prof.  Dr.  Gerh. ,  Zukunftsprobleme  deutscher  Staats- 
kunst. Rede  am  22.  I.  1915.  (Deutsche  Reden  in  schwerer  Zeit.  Hrsg.  von  der 
Zentralstelle  für  Volks  wohl  fahrt  und  dem  Verein  für  volkstümliche  Kurse  von  Berliner 
Hochschullehrern,    Nr.  35.)     Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917.    8.    28  SS.    M.  0,50. 

—  Die  preußische  Wahlreform.    Berlin,  Julius  Springer,  1917.    8.   35  SS.   M.  1.—. 

Blume,  Wilh.  V.,  Ueber deutsehe  Selbstverwaltung.  (Rede  des  Rektors  der  Uni- 
versität Tübingen  am  Geburtstag  des  Königs  1917.)  Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr,  1917. 
Lex.-8.     29  SS.     M.  1.—. 

Calker,  Prof.  Dr.  Wilh.  van.  Das  Problem  der  Meeresfreiheit  und  die  deutsche 
Völkerrechtspolitik.  Vortrag,  gehalten  am  2.  HI.  1917.  Jena,  Gustav  Fischer,  1917. 
gr.  8.     VIII— 34  SS.     M.  1,20. 

Frisch,  Prof.  Dr.  Hans  v.,  Monroedoktrin  und  Weltpolitik  der  Vereinigten 
Staaten  von  Nordamerika.     Wien,  Alfred  Holder,  1917.     gr.  8.     47  SS.     M.  1,60. 

Gebser  (Konsist.-R.),  Dr.  F.,  Verwaltungsordaung  für  das  kirchliche  Vermögen 
in  den  östlichen  Provinzen  der  preußischen  Landeskirche.  Erläutert.  2.  Aufl.  (Carl 
Heymanns  Taschengesetzsammlung,  Nr.  61.)  Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917. 
kl.  8.     Vm— 463  SS.     M.  3.—. 

Heuß-Knapp,  Elly,  Bürgerkunde  und  Volkswirtschaftslehre  für  Frauen. 
Leipzig,  R.  Voigtländers  Verlag,  1917.     8.     IX— 205  SS.     M.  2.—. 

Kalk  off  (Gen.-Sekr.),  Herm.,  Nationalliberale  Parlamentarier  1867—1917  des 
Reichstages  und  der  Einzellandtage.  Beiträge  zur  Parteigeschichte,  hrsg.  aus  Anlaß  des 
50- jährigen  Bestehens  der  nationalliberalen  Partei  Deutschlands.  Berlin,  Schriften  ver- 
triebssteile der  nationaUiberalen  Partei,  1917.     8.     XI— 484  SS.     24  Bildtaf.     M.  5.—. 

Klarner  (Konkursverw.-Sachverständ.),  Arthur,  Die  Geschäftsaufsicht  und  der 
Zwangsvergleich  zur  Abwendung  des  Konkurses.  Nach  der  Verordnung  vom  14.  XII. 
1916,  betr.  „Bekanntmachung  über  die  Geschäftsaufsicht  zur  Abwendung  des  Konkurses". 
Leitfaden  zur  praktischen  Unterweisung  des  Schuldners,  des  Aufsichtsführenden  und 
des  Gläubigers.     Leipzig,  C.  Herm.  Serbe,  1917.     8.     184  SS.     M.  3.—. 

Kohl  er  (Geh.  Just.-R.),  Prof.  Dr.  Josef,  Internationales  Strafrecht.  Stuttgart, 
Ferdinand  Enke,  1917.     Lex.-8.     XII— 276  SS.     M.  13.—. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     247 

Krieck,  Ernst,  Die  deutsche  Staatsidee.  Ihre  Geburt  aus  den  Erziehungs- 
nnd  Entwicklungsgedanken.  (Politische  Bibliothek,  Bd.  17.)  Jena,  Eugen  Diederichs 
Verlag,  1917.     8.     224  SS.     M.  5.—. 

Lehmann  (Oberlandesger.-R.),  Dr.  Heinr. ,  Wucher  und  Wucherbekämpfung 
im  Krieg  und  Frieden.  Leipzig,  A.  Deichertsche  Verlagsbuchh.  Werner  Scholl,  1917. 
gr.  8.     68  SS.     M.  1.—. 

Metzger  (weiland  Priv.-Doz.),  Dr.  Wilh. ,  Gesellschaft,  Recht  und  Staat  in  der 
Ethik  des  deutschen  Idealismus.  Mit  einer  Einleitung:  Prolegomena  zu  einer  Theorie 
und  Geschichte  der  sozialen  Werte.  Aus  dem  Nachlaß  hrsg.  von  Prof.  Dr.  Ernst  Berg- 
mann.   Heidelberg,  Carl  Winters  Üniv.-Buchhdlg.,  1917.    gr.  8.    VIII— 345  SS.    M.  9.—. 

Mintz  (Patentanw.),  Maximilian,  Die  Kriegsgesetze  über  den  gewerblichen 
Rechtsschutz  im  In-  und  Auslande.  Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917.  gr.  8. 
VIII -331  SS.     M.  10.—. 

Recht,  Das,  der  Organisation  im  neuen  Deutschland.  Im  Auftrage  des  Vor- 
standes der  Gesellschaft  für  soziale  Reform  hrsg.  vom  Unterausschuß  für  Arbeitsrecht. 
II.  Das  Koalitionsrecht  und  die  strafrechtlichen  Neben-  und  Polizeigesetze.  V — 52  SS. 
M.  0,80.  —  III.  Das  Koalitionsrecht  und  das  Gesinde-  und  Landarbeiterrecht.  V — 
41  SS.  M.  0,60.  (Schriften  der  Gesellschaft  für  soziale  Reform.  Hrsg.  von  dem  Vor- 
stande.    Heft  57  u.  58,  Bd.  7,  Heft  2.  u.  3.)     Jena,  Gustav  Fischer,  1917.     8. 

Rechte  und  Pflichten  der  Stadtverordneten  in  den  einzelnen  Bundesstaaten. 
{Vereinsschriften  des  Vereins  für  Kommunalwirtschaft  und  Kommunalpolitik.  Hrsg.  von 
Gen.-Sekr.  Erwin  Stein.  Heft  9 — 11.)  Berlin-Friedenau,  Deutscher  Kommunal- Verlag, 
1917.     gr.  8.     293  SS.     M.  6,75. 

Reform,  Zur,  des  preußischen  Wahlrechts.  Reden,  auf  dem  Erörterungs- 
abend der  Freien  vaterländischen  Vereinigung  gehalten  von  (Oberverw.-Ger.-R.)  Dr.  Dam- 
me, (Landr.  a.  D.,  M.  d.  L.)  v.  Dewitz,  (Arbeitersekr.,  M.  d.  R.,  M.  d.  L.)  Giesberts, 
(Oberverw.-Ger.-Sen.-Präs.,  Wirkl.  Geh.  Oberreg.-R.)  Dr.  Genzmer,  (Oberverw-Ger.-R.) 
Hiersemenzel ,  Dr.  v.  Schwabach  u.  a.  Berlin,  Otto  Liebmann,  1917.  8.  55  SS. 
M.  0,40. 

Schiffer  (M.  d.  R.  Abg.,  Oberverw.-Ger.-R.),  Eugen,  Der  Verfassungsausschuß 
und  seine  Arbeit.  Berlin,  Schriftenvertriebsstelle  der  nationalliberalen  Partei  Deutsch- 
lands, 1917.     gr.  8.     15  SS.     M.  0,50. 

Seidel  (Nationair.,  Priv.-Doz.),  Rob. ,  Sozialdemokratie  und  staatsbürgerliche  Er- 
ziehung oder  Staatsbürger,  Weltbürger  und  Mensch.  Geschichtlich,  systematisch,  kritisch. 
Zürich,  Buchhdlg.  des  Schweiz.  Grütlivereins,  1917.     8.     XV— 175  SS.     M.  2,50. 

Strupp,  Dr.  Karl,  Die  Neutralisation  und  die  Neutralität  Belgiens.  Ein  ür- 
kundenbuch  mit  einer  historisch-völkerrechtlichen  Einleitung.  (Perthes*  Schriften  zum 
Weltkrieg,  Heft  13.)     Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  1917.    XIX— 188  SS.    M.  5.—. 

Treuge,  Margar. ,  Einführung  in  die  Bürgerkunde.  Ein  Leitfaden  für  Frauen- 
schulen.    3.  AufL     Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1917.     8.     VI— 144  SS.     M.  2,20. 

Triepel  (Geh.  Just.-R.),  Prof.  Dr.  Heinr.,  Die  Reichsaufsicht.  Untersuchungen 
zum  Staatsrecht  des  Deutschen  Reiches.  Berlin,  Julius  Springer,  1917.  gr.  8.  XX — 
734  SS.     M.  24.—. 

Wach,  D.  Dr.  Adolf ,  Staatsmoral  und  Politik.  Zwei  Reden.  Leipzig,  S.  Hirzel, 
1917.     8.     51  SS.     M.  1.—. 

Wertheimer  (Rechtsanw.,  Just.-R.),  Dr.  Ludwig,  Das  Vertrags- Kriegsrecht 
des  In-  und  Auslandes.     Stuttgart,  Ferdinand  Enke,  1917.     gr.  8.     76  SS.     M.  2,40. 

Zorn  (Geh.  Just.-R.,  Herrenh.-MitgU,  Prof.  Dr.  Philipp,  Die  staatsrechtliche 
Stellung  des  herzoglichen  Hauses  Croy.  Berlin,  J.  Guttentag,  1917.  gr.  8.  60  SS. 
M.  2.—. 

Zschaler,  Dr.  Erich,  Boykott,  Sperre,  Aussperrung,  Streik,  Ausstand,  Verruf,  im 
Lichte  des  geltenden  Rechts.     Borna,  Robert  Noske,  1917.     gr.  8.     X— 112  SS.    M.  2,25. 


Ffelix,  Dr.  Maurice,  Les  municipalit§s  pendant  la  guerre.  Paris,  Berger- 
Levrault,  1917,    8.    32  pag.    fr.  1,50.    (Extrait  de  la  „Revue  g6n§rale  d'administration".) 

Morgand,  L§on,  Laloi  municipale.  Commentaire  de  la  loi  de  5  Avril  1884 
sur  Porganisation  et  les  attributions  des  conseils  municipaux.  2  vols.  Paris,  Berger- 
Levrault.     8.     25  fr. 

Young,  Jeremiah  Simeon,  The  state  and  government.     Chicago,  Mc  Clury. 
8.     50  c. 


248     üeberaidit  über  die  neuesten  Pablikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

12.  Statistik. 
Deutsches  Beich. 

Welker,  Georg,  Die  Mtinchener  Erhebung  über  den  Lebens- 
mittelverbrauch  im  Februar  1915.  Eine  statistische  Studie.  Mit  S 
farbigen  Tafeln.  München,  Berlin  u.  Leipzig  (J.  Schweitzers  Verlag 
[Artur  Sellier])  1916.     gr.  S».     201  SS.     (Preis:  M.   14.) 

Die  Untersuchung  stützt  sich  auf  eine  im  Februar  1915  vorge- 
nommene besondere  Befragung  Münchener  Haushaltungen  nach  dem 
Lebensmittelverbrauch.  Es  sollten  unmittelbar  Resultate  für  die  Ver- 
teilung der  Lebensmittel  in  München  daraus  gewonnen  werden.  Man 
begnügte  sich  mit  der  Erfassung  von  12  Nahrungsmitteln,  deren 
wöchentlichen  Verbrauch  man  für  4  Wochen  erfragte.  Es  handelt  sich 
dabei  um  die  sogenannte  E-epräsentativmethode,  indem  man  nach  be- 
stimmten Gesichtspunkten  5000  Haushaltungen  erfaßte.  Ueber  ^^  der 
Zählkarten  gaben  brauchbare  Resultate.  Das  Material  kann  als  hin- 
reichend typisch  gelten,  wie  Stichproben  nach  der  Besetzung  der 
Haushaltungsklassen  ergeben,  bei  denen  eine  gute  Uebereinstimmung 
zwischen  dem  Durchschnitt  und  den  ausgewählten  Fällen  sich  heraus- 
stellte. Der  Verf.  bearbeitet  nun  das  Material  mit  aller  Akribie  und 
glaubt  es  auch  benutzen  zu  dürfen,  um  allgemeine  Schlußfolgerungen 
daraus  ziehen  und  wichtige  gesetzmäßige  Beziehungen  zwischen  Lebens- 
mitteln und  bestimmten  Faktoren  aufdecken  zu  können.  Nicht  weniger 
als  196  Tabellen  und  3  Kurventafeln  werden  mit  aller  Ausführlichkeit 
mitgeteilt.  Das  methodologisch  geschulte  und  gewissenhafte  Arbeiten 
des  Verfassers  ist  anzuerkennen.  Nicht  in  gleichem  Maße  wird  aber  das 
ganze  Unternehmen  selbst  nach  Umfang  und  Ausgestaltung  unsere 
Billigung  finden.  Im  Gegenteil  ist  es  zu  wünschen,  daß  ähnliche  Unter- 
suchungen künftig  in  weit  bescheidenerem  Maße  veröffentlicht  werden 
—  Tabellen,  in  denen  die  Leerstellen  und  die  Striche  überwiegen,  wie 
es  seitenweise  in  dieser  Schrift  vorkommt,  haben  gar  keinen  Wert.  Die 
Unmenge  der  mitgeteilten  Zahlen  hätte  sich  zweckmäßiger  kondensiert 
zusammenfassen  lassen.  Denn  das  Resultat  ist,  wie  es  nach  dem  be- 
scheidenen Material  zu  erwarten  war,  mehr  als  dürftig.  Es  soll  keinen 
Augenblick  verkannt  werden,  daß  die  Bearbeitung  besondere  Schwierig- 
keiten bereitete.  Schon  der  Versuch,  eine  innerlich  zweckmäßige 
Gruppierung  der  Berufe  vorzunehmen,  mußte  aufgegeben  werden:  die 
Fragen  waren  wirklich  so  äußerlich  gehalten,  daß  sich  damit  nicht  viel 
anfangen  ließ. 

Der  Verf.  untersucht  zunächst  den  Verbrauch  von  Lebensmitteln 
nach  dem  Beruf,  indem  er  das  Schema  der  deutschen  Berufs-  und 
Gewerbezählung  zugrunde  legt.  Das  ist  aber  für  eine  solche  Frage- 
stellung gänzlich  ungeeignet.  Unterschiede  des  Verbrauches  danach 
herauszuarbeiten,  ob  jemand  in  der  Glas-  oder  in  der  Holz-,  in  der 
Bekleidungsindustrie  oder  im  Baugewerbe  beschäftigt  ist,  scheint  mir 
ein  ganz  aussichtsloses  Beginnen,  solange  man  nicht  das  Geschlecht  des 
anwesenden  Haushaltungsvorstandes,  nicht  einmal  sein  Alter  und  sein 
Einkommen   kennt.      Dabei   kann    doch    einfach   nichts    herauskommen^ 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     249 

ebensowenig  wie  bei  anderen  Untersuchungen  der  Art.  Dazu  kommt, 
daß  die  einzelnen  Gewerbegruppen  ganz  verschieden  besetzt  sind,  sich 
nach  Alter,  Familienzusammensetzung  und  Einkommen  innerlich 
gänzlich  unterscheiden.  Den  Einfluß  des  Berufes  kann  man  nur  dann 
herausarbeiten,  wenn  die  übrigen  Momente  in  den  einzelnen  Gruppen 
annähernd  gleich  sind.  Das  ist  nun  hier  aber  nicht  der  Eall  und  damit 
ist  das  Vorgehen  auch  methodologisch  falsch.  Die  Zweckwidrigkeit  der 
ganzen  Einteilung  ersieht  man  z.  B.  daraus,  daß  C  XXII  (Verkehrs- 
gewerbe) im  Grunde  sich  deckt  mit  E2  (Beamte  verschiedener  Art). 
Denn  jene  umfaßt  das  ganze  Post-,  Telegraphen-  und  Eisenbahnpersonal, 
das  einen  Teil  der  Beamtenschaft  darstellt.  Mithin  sind  alle  Zusammen- 
fassungen von  Abteilung  C  direkt  irreführend,  da  sie  ganz  heterogene 
Elemente  enthalten.  Und  ähnlich  ist  es  mit  Abteilung  B,  die  als 
„Selbständige"  gleicherweise  Industrielle,  Handwerker  und  Heimarbeiter 
umfaßt. 

Unter  den  Haushaltungen  machen  die  Beamten  (C  XXII  und  E  2) 
fast  die  Hälfte  aller  untersuchten  Eamilien  aus,  was  dem  Münchener 
Durchschnitt  gewiß  nicht  entspricht.  Es  läßt  sich  a  priori  erwarten, 
daß  kein  irgendwie  erkennbarer  Zusammenhang  zwischen  dieser  Art 
der  Berufserfassung  und  dem  Lebensmittelverbrauch  besteht.  Vielmehr 
sind  die  Einkommens  Verhältnisse  von  ausschlaggebender  Bedeutung 
für  Quantum  und  Qualität  der  Lebenshaltung.  Da  jene  dem  Verf.  aber 
nicht  bekannt  waren,  so  mußte  eine  Untersuchung  nach  dein  Beruf  von 
vornherein  scheitern.  Einige  Ueberlegungen  hätten  von  selbst  dazu 
führen  müssen,  was  nun  als  Ergebnis  langwieriger  Untersuchungen  und 
vielseitiger  Tabellen  erscheint.  So  lautet  denn  das  Resultat  (S.  21),  daß 
„auch  nach  Ausscheidung  von  anderen  Haushaltungsmitgliedern  der 
Verbrauch  noch  keineswegs  durch  den  Beruf  gekennzeichnet  erscheint"! 
Die  Teilung  der  Tabellen  nach  den  Gewerbegruppen,  die  so  außer- 
ordentlich unnützen  Platz  in  Anspruch  nehmen,  halte  ich  darum  im 
Prinzip  für  verfehlt. 

Bedeutsamer  ist  die  Teilung  nach  der  Stellung  im  Beruf,  ob  Selb- 
ständiger, Angestellter  oder  Arbeiter,  weil  sich  mit  dieser  Stellung 
einmal  eine  bestimmte  Einkommenshöhe  verbindet,  andererseits  der 
Stellung  auch  ein  gewisser  sozialer  Anschauungskreis  entspricht. 
Ebenso  ist  der  Verbrauch  nach  der  Größe  der  Haushaltungen  wichtig 
und  kann  von  entscheidender  Bedeutung  werden.  Das  Ergebnis,  daß 
die  Kopfquote  des  Verbrauches  sinkt  mit  steigender  Kopfzahl  der  Fa- 
milie, war  freilich  längst  bekannt  (vgl.  meinen  Aufsatz:  „Der  Einfluß 
der  Lebensmittelpreise  auf  die  Haushaltungen"  in  Weyls  Handbuch  der 
Hygiene,  III).  Andererseits  ist  der  Satz,  daß  die  Kopfverbrauchsquote 
in  Haushaltungen  mit  Kindern  im  allgemeinen  kleiner  sei,  als  in  kinder- 
losen Haushaltungen,  in  dieser  Form  hoffentlich  niemals  ausgesprochen 
worden :  es  ist  also  auch  zwecklos,  ihn  zu  bekämpfen.  Denn  die  selbst- 
verständliche Voraussetzung,  um  den  Einfluß  der  Kinderzahl  zu  erfassen, 
ist  immer  das  gleiche  Einkommen.  Da  dieses  aber  dem  Verf. 
gänzlich  unbekannt  war,  so  ließ  sich  mit  Hilfe  des  Mtinchener  Materials 
jener  Satz  weder  beweisen  noch  widerlegen.     Ebensowenig  halte  ich  es 


250     l^eberaicht  über  die  neuesten  Pablikationen  Deutechlands  und  des  Aaslandes. 

für  angebracht,  auf  Grund  des  vorhandenen  Materials  den  Kalorienwert 
zu  berechnen.  Denn  dem  Verf.  war  für  die  Münchener  Lebensmittel 
im  Kriege  auch  ihr  Kalorien  wert  völlig  unbekannt.  Er  dürfte  sich 
gegenüber  dem  Friedensgehalt  wesentlich  verändert  haben.  Mit  dem 
Königschen  Schema  scheint  mir  darum  bei  diesem  Material  nichts  an- 
zufangen zu  sein.  Dagegen  hat  der  Verf.  die  viel  näher  liegende  Be- 
trachtung einer  Gegenüberstellung  von  animalischen  und  vegetabilischen 
Lebensmitteln  unterlassen,  sie  hätte  einige  Einblicke  gegenüber  dem 
Friedensverbrauch  gezeigt,  für  den  in  München  die  Conradschen  Unter- 
suchungen vorlagen. 

Aus  methodologischen  Gründen  bin  ich  etwas  ausführlicher  auf  die 
Arbeit  eingegangen.  Es  haben  sich  gegen  das  äußerst  mühsame  und  sehr 
exakte  Vorgehen  des  Verfassers  gerade  in  den  entscheidenden  Punkten 
die  allerschwersten  Bedenken  geltend  gemacht.  Ich  möchte  darum 
wünschen,  daß  man  künftig  nicht  mehr  mit  so  unzulänglichem  Material 
so  weit  ausschauende  Veröffentlichungen  unternimmt.  Mir  scheint  das 
Mannheimer  Vorgehen,  das  mit  kleinen  Mitteln  sich  bescheidet,  aber 
in  diesem  Umfange  sehr  beachtenswerte  Resultate  zeitigt,  weit  mehr 
vorzuziehen  zu  sein  als  das  Münchener,  das  die  Untersuchung  als  „bahn- 
brechend" kennzeichnet.  Das  ist  sie  in  keiner  Weise.  Das  schließt 
nicht  aus,  daß  sie  in  bescheidenem  Umfange  recht  lehrreich  ist. 
Man  erhält  manchen  Einblick  in  die  Ernährung  im  Kriege,  z.  B.  den 
Satz,  daß  die  niederen  sozialen  Gruppen  besser  lebten  als  die 
höheren  (soll  wohl  heißen,  als  die  mittleren?),  oder  über  den  Einfluß 
der  sozialen  Stellung  des  Haushaltungsvorstandes  und  manches  andere. 
Nur  eben  für  weitausblickende  Resultate  war  die  ganze  Veranlagung 
nach  dem  Material  nicht  geeignet. 

Aachen.  Eulenburg. 

Beiträge  zur  Statistik  des  Großherzogtums  Hessen.  Hrsg.  von  der  Großherzog- 
lich hessischen  Zentralstelle  für  die  Landesstatistik.  Schriftleitung :  (Reg.-R.)  L.  Knöppel : 
Mitteilungen  aus  der  Forst-  und  Kameralverwaltung  für  das  Wirtschaftsjahr  1914.  Be- 
arbeitet im  Großherzoglichen  Ministerium  der  Finanzen,  Abteilung  für  Forst-  und 
Kameralverwaltung  (Bd.  64,  Heft  5).  45  SS.  M.  1.—.  —  üebersicht  der  Geschäfte 
der  ordentlichen  und  freiwilligen  Gerichtsbarkeit  während  des  Geschäftsjahres  1915. 
(Bd.  64,  Heft  6)  41  SS.  M.— .  Darmstadt,  Buehh.  des  Großh.  Hessischen  Staatsver- 
lags, 1916. 

Beiträge  zur  Wohnungsfrage  während  des  Krieges.  I.  Bautätigkeit  und  Woh- 
nungsmarkt in  deutschen  Städten  im  Jahre  1916.  II.  Leerwohnungszählungen  während 
des  Krieges  in  größeren  Gebieten.  III.  Die  deutschen  Baugenossenschaften  1915. 
IV.  Die  Berufsgenossenschaften  und  der  Realkredit.  Bearbeitet  im  Kais,  statistischen 
Amte,  Abteilung  für  Arbeiterstatistik  (Reichs- Arbeitsblatt,  14.  Sonderheft).  Berlin,  Carl 
Heymanns  Verlag,  1917.     30,5X21,5  cm.     89  SS.     M.  1,80. 

Statistik  der  preußischen  Einkommensteuer- Veranlagung  für  das  Steuerjahr 
1916.  Im  Auftrage  des  Herrn  Finanzministers  bearbeitet  vom  Kgl.  preußischen  stati- 
stischen Landesamt  1916.  33X24  cm.  III,  XXXIII,  122  SS.  M.  5.—.  —  Statistik, 
Preußische.  (Amtliches  Quellenwerk.)  Hrsg.  in  zwanglosen  Heften  im  Kgl.  preußischen 
statistischen  Landesamt  in  Berlin.  Heft  248  u.  252.  —  Ergebnisse,  Die  endgültigen, 
der  Vieh-  und  Obstbaumzählung  vom  1.  XII.  1913  und  die  Viehzählungen  vom  1.  XH. 
1914  u.  1915  im  preußischen  Staate,  sowie  in  den  Fürstentümern  Waldeck  und  Pyrmont, 
(Heft  252.)  1916.  IV— 116  SS.  M.  3,20.  —  Statistik  der  Landwirtschaft  (Anbau, 
Saatenstand,  Ernte  und  Wasserschäden)  im  preußischen  Staate  für  das  Jahr  1914  nebst 


üebereicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     251 

den  Ergebnissen  in  den  Fürstentümern  Waldeck  und  Pyrmont.     (Heft  248.)  1917.     IV, 
LXI,  35  SS.     M.  2,80.     Berlin,  Verlag  des  Königl.  Statist.  Landesamts. 

Schweiz. 

Jahresübersicht,  Statistische,  über  die  Bevölkerungsbewegung  im  Kanton 
Basel-Stadt  1912.  N.  F.  2.  Jahrg.  43.  Bericht  über  die  Zivilstandsbewegung,  die  Todes- 
ursachen und  die  ansteckenden  Krankheiten  im  Kanton  Basel-Stadt.  1912.  Bearbeitet 
vom  statistischen  Amte  in  Verbindung  mit  dem  Gesundheitsamt.  Basel,  C.  F.  Lendorf f, 
1916.     Lex.-S.     VIII— 70  SS.  mit  1  eingedr.  Plan.     M.  3,50. 

Stastik,  Landwirtschaftliche,  des  Kantons  Bern  für  das  Jahr  1914  u.  1915. 
(Mitteilungen  des  kantonalen  [bernischen]  statistischen  Bureaus,  Jahrg.  1916,  2.  Lfg.) 
Bern,  A.  Francke,  vorm.  Schmid  u.  Francke,  1917.     gr.  8.     135  SS.     M.  1,50. 

Statistik,  Schweizerische.  205.  Lfg.:  Die  Bewegung  der  Bevölkerung  in  der 
Schweiz  im  Jahre  1915.  Hrsg.  vom  statistischen  Bureau  des  schweizerischen  Finanz- 
departements. Bern,  A.  Francke,  vorm.  Schmid  u.  Francke,  1917.  Lex.-8.  55  SS. 
M.  2.—. 

Statistique  de  la  Suisse.  Par  le  bureau  de  statistique  du  d§partement  suisse 
des  finances.  204*  livr. :  Resultats  statistiques  du  reeensement  f^dferal  de  la  population 
du  1.  XII.  1910.  2  vol.  B^partition  de  la  population  d'apr&s  le  sexe,  l'^tat  civil  et 
l'äge.  Confession  et  diff^rence  d'äge  des  6poux  vivant  ensemble.  Bern,  A.  Francke, 
vorm.  Schmid  u.  Francke,  1917.     Lex.-8.     71—462  SS.     M.  10.—. 

Frankreich. 

Chemins  de  fer  de  l'fitat.  Documents  statistiques  concernant  les  transports 
g^nferaux  et  les  recettes  du  trafic  pendant  l'exercice  1915.  Paris,  Imprimerie  nationale, 
1916.     In.4.     313  pag. 

Statistique  g§n§rale  de  la  France.  Reeensement  des  Industries  et  professions. 
Nomenclature  des  Industries  et  professions  31  mars  1917.  Paris,  Imprimerie  natio- 
nale, 1917.     4.     k  2  col.     64  pag. 

13.  VerschiedexieB. 

Bedeutung,  Die,  Polens  für  Rußland.  Wien,  Gerold  u.  Co.,  1917.  gr.  8. 
84  SS.     M.  3,50. 

Chamberlain,  Houston  Stewart,  Demokratie  und  Freiheit.  München, 
Hugo  Bruckmann,  1917.     8.     83  SS.     M.  1,50. 

Gaudig  (Dir.,  Oberschulr.),  Dr.  H.,  Die  Schule  im  Dienste  der  werdenden  Per- 
sönlichkeit. 2  Bde.  Leipzig,  Quelle  u.  Meyer,  1917.  8.  XII,  414  u.  III— 315  SS. 
M.  12.—. 

Gierke  (Geh.  Just.-R.),  Prof.  Dr.  Otto  v.,  Unsere  Friedensziele.  Berlin,  Julius 
Springer,  1917.     8.     79  SS.     M.  1,60. 

Grün,  Oskar,  Die  Grundlagen  der  deutschen  Volkskraft.  Bern,  Akadem. 
Buchhdl.  von  Max  Drechsel.  1917.     8.     92  SS.     M.  1,80. 

Hochstetter,  Franz,  Mehr  Land!  Berlin,  „Politik",  Verlagsanstalt  u.  Buch- 
druckerei, 1917.     gr.  8.     118  SS.     M.  2,50. 

Kerlen,  Kurt,  Flandern  und  Deutschland.  Die  Flamen  und  Wir.  Mit  einem 
Sprach-  Stammbaum  und  einer  Sprachenkarte.  Arnsberg,  J.  Stahl,  1917.  gr.  8.  91  SS. 
M.  1,50. 

Lea,  Homer,  Des  britischen  Reiches  Schicksalsstunde.  Mahn  wort  eines  Angel- 
sachsen. Aus  dem  Englischen  und  mit  einer  Einführung  von  Graf  E.  Reventlow. 
2.  Aufl.     Berlin,  E.  8.  Mittler  u.  Sohn,  1917.     8.     L— 281  SS.     M.  6.—. 

Lemme  (Geh.  Kirchenr.),  Prof.  D.Ludwig,  Der  geistige  Neubau  unseres  Volks- 
lebens nach  dem  Kriege.     Gütersloh,   C.  Bertelsmann,    1917.     gr.  8.     92  SS.     M.  2. — . 

Naumann,  Frdr. ,  Was  wird  aus  Polen?  Berlin,  Georg  Reimer,  1917.  gr.  8. 
V— 57  SS.     M.  1.—. 

Szterinyi  (Wirkl.  Geh.  Rat,  Staatssekr.  a.  D.,  M.  d.  R.),  Joseph,  Ungarn  und 
Deutschland.     Jena.  Gustav  Fischer,  1917.     Lex.-8.     VII— 170  SS.     M.  4.—. 


Blondel,  prof.  Georges,  La  guerre  europeenne  et  la  doctrine  pangermaniste. 
€•  Edition.     Paris,  Marc  Imhaus  et  Ren6  Chapelot.     Petit  in-8.    136  pag.    fr.  1. — . 


252  ^*®  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Cbapuisat,  £douard,  La  guerre  europfecnne  et  le  röle  de  la  Snisee.  Paris, 
Marc  Imhau«  et  Renfe  Chspelot.     Petit  in-8.     112  pag.     fr.  l.~. 

Lanessan,  J.  L.  de,  Les  empires  germaniques  et  la  politique  de  la  foice.  lotro- 
duction  &  la  guerre  de  1914.     Paris,    Ffelix  Alcan,    1915.     16.     X— 491  pag.     fr.  3,50. 

After-war  problems.  By  the  Earl  of  Cromer,  Vietount  Haldace,  Ihe  Bishop 
of  Exeter,  Prof.  Alfred  Marshall  and  others.  Ed.  by  William  Baibutt  Daweon.  London, 
Allen  and  Unwin.     8.     7/.6. 


Sie  periodische  Fresse  des  Auslandes. 

A.  Frankreich. 

Journal  de  la  SocifetI  de  Statistique  de  Paris.  48*  Annle,  Juin  1917,  No.  6t 
La  langue  celtique  dans  les  lies  Britanniques,  par  Paul  Meuriot.  —  Donn^es  statistique« 
d'ensemble  sur  les  chemins  de  fer  des  fitats-ünis,  par  Daniel  Bellet.  —  Chronique  de 
dimographie:  Les  aveugles  et  sourds-muets  en  France  en  1911;  Recensement  de  la  t&- 
publique  argentine  en  1914;  Mouvement  de  la  population  en  Angleterre  en  1916,  par 
Michel  Bubcr.  —  Chronique  des  questions  ouvriferes  et  des  assurances  sur  la  vie,  par 
Maurice  Bellom.  —  etc. 

Journal  des  ficonomistes.  76*  Ann§e,  Mai  1917:  La  formation  politique  des 
]fitats-Unis,  par  Yves  Guyot.  —  Les  finances  publiques  en  Grand-Bretagne,  par  W.  M.  J. 
"Williams.  —  Un  inventaire  des  ressources  des  colonies  britanniques,  par  Arthur  Baffa- 
lovich.  —  Les  nouvelles  lois  sur  le  credit  aux  petites  entreprises,  par  Maurice  De\ra- 
vrin.  —  La  Eeichsbank  en  1916,  par  A.  Eaffalovich.  —  Les  chemins  de  fer  fran^ais 
en  1916,  par  Georges  de  Nouvion.  —  etc. 

B.  England. 

Century,  The  Nineteenlh  and  after.  April  1917,  No.  482:  Food  and  labour: 
L  Food  prices  and  food  supply,  by  Dr.  Arthur  Shadwell.  IL  Suggestions  for  doubling 
the  home  production  of  food,  by  Lord  Blyth.  III.  How  to  find  two  millions  war  workers, 
by  J.  Ellis  Barker.  —  Morality  and  Germans  war  aims,  by  Charles  Waldstein.  —  Sea- 
power,  the  aimed  neutralities  and  President  Wil&on,  by  Francis  Piggott.  —  etc. 

Review,  The  Contemporary.  May  1917,  No.  617:  America  then  and  now:  re- 
collections  of  Lincoln,  by  Agnes  Macdonell,  —  The  report  of  the  agricultural  policy 
subcommiltee  of  the  reconstruction  committee,  by  F.  D.  Acland.  —  Ulster  Bome  Eule: 
a  proposal,  by  Alfred  Perceval  Graves.  —  Parliament  during  the  war,  by  Thomas  Lough.  — 
The  prospect  in  Poland  (I),  by  O.  de  L.  —  etc. 

Review,  The  National.    May  1917.    The  torpedo  a  dawn,  by  L.  Ccpe  Comfoid. 

—  What  the  farmers  say,  by  Miss  Frances  Pitt.  —  etc. 

C.  Oesterreich-Üngarn.' 
Bandeismuseum,    Das.     Brsg.  von   der  Direktion   des   k.   k.   österreichischen 
Bandeismuseums.    Bd.  32,  1917,  Nr.  23:  Der  Außenhandel  Rußlands  im  Kriege  (Schluß). 

—  Wirtschaftspolitische  Uebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Bulgarien,  Türkei,  Schweiz, 
Frankreich,  Italien,  Rußland).  —  Die  Steigerung  der  Seefrachten  im  Jahre  1916.  —  etc. 

—  No.  24:  Die  Aussichten  des  österreichischen  Bandeis  mit  der  Türkei  nach  Friedens- 
schluß, von  Gustav  Berit.  —  Wirtschaitspolitische  Uebersicht  (Ungam,  Deutschland, 
Polen,  Serbien,  England,  Frankreich,  Italien,  Rußland,  Türkei,  Vereinigte  Staaten  von 
Amerika).  —  Die  Butterausfuhr  Dänemarks.  —  etc.  —  No.  25:  Wirtschaftspolitische 
Uebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Rumänien,  Türkei,  Rußland,  Frankreich,  Italien).  — 
Das  Papiergeschäft  in  Deutschland.  —  Schweizerische  Maschinenindustrie.  —  Die  Ver- 
kehrskrise in  Rußland.  —  etc.  —  Nr.  26:  Wirtschaftspolitische  Uebersicht  (Ungarn, 
Deutschland,  Polen,  Rumänien,  Serbien,  Bulgarien,  Türkei,  Rußland,  England,  Frank- 
reich, Italien,  Vereinigte  Staaten  von  Amerika).  —  Die  Wirtschaftslage  in  Argentinien. 

—  Die  Lage  der  elektrotechnischen  Industrie  in  der  Schweiz.  —  Die  Baumwollernte  in 
Mittelasien.  —  Die  Ausgestaltung  der  Wasserstraßen  in  Deutschland.  —  etc. 

Rundschau,  Soziale.  Brsg.  vom  k.  k.  Arbeitsstatistischen  Amt  im  Bandeis- 
ministerium. Jahrg.  18,  März — Mai  1917:  Aufrechterhaltung  gewerblicher  Betriebe  im 
Interesse  des  Beeresbedarfs  in  Oesterreich.  —   Regelung  der  Lohn-  und  Arbeitsverhält- 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  25ä 

nisse  in  den  Betrieben  der  Kriegsindu3trie  (Oesterreich).  —  Beschränkung  der  Kinder- 
und  Jagendliclienarbeit  (Vereinigte  Staaten  von  Amerika).  —  Staatliche  Arbeitslosen- 
fürsorge  (Schweiz).  —  Arbeiter-  und  Angestelltenversicherung  der  im  vaterländischen 
Hilfsdienst  Beschäftigten  (Deutscdes  Reich).  —  Kommission  und  Generalkommissariat 
für  Kriegs-  und  üebergangswirtschaft  in  Oesterreich.  —  Bestellung  von  Ernäbrungs- 
inspektoren  (Oesterreich).  —  Versorgung  der  Bevölkerung  mit  Bedarfsgegenständen 
(Oesterreich).  —  Gewerkschaften  in  Dänemark  1913 — 1915.  —  Arbeitskonflikte  in  Däne- 
mark 1915.  —  Einigungswesen  in  Schweden  1912 — 1915.  —  Ergebnisse  der  Arbeits- 
vermittlung in  Oesterreicli  im  Jänner  und  Februar  1917.  —  Die  Arbeitslosigkeit  bei 
den  Gewerkschaften  im  November  und  Dezember  1916,  Jänner  und  Februar  1917.  — 
Arbeitslosigkeit  unter  den  orgaaisierten  Arbeitern  Dänemarks  1914—1916.  —  Die  Qe- 
werbeinspektion  in  Oesterreich  im  Jahre  1915.  —  Nahrungs-  und  Geauümittelverbrauch 
in  Wiener  Arbeiterfamilien.  —  Lebensbaltung  städtischer  Familien  während  des  Krieges 
im  Deutschen  Reiche.  —  Frauenarbeit  in  Eogland  während  des  Krieges.  —  Stand  der 
Invaliden-,  Kranken-,  Alters-  und  Hinterbliebenenversicherung  im  Deutschen  Reich  am 
31.  Dezember  1916.  —  etc. 

Volkswirt,  Der  österreichische.  Jahrg.  9,  1917,  Nr.  37:  Die  neue  Kohlen- 
steuer im  Deutschen  Reiche,  von  Dr.  Emanuel  Hugo  Vogel.  —  etc.  —  Nr.  38:  Die 
neae  Kohlensteuer  im  Deutsehen  Reiche  (Forts.),  von  Dr.  Emanuel  Hugo  Vogel.  —  Das 
Schlagwort  der  Getreidemehrproduktion,  von  Julius  Flamm.  —  etc.  —  Nr.  39:  Krieg 
und  Geldlehre.  III.  Das  Problem  des  Eodes,  von  Walther  Federn.  —  Die  neue  Kohlen- 
steuer im  Deutschen  Reiche  (Schluß),  von  Dr.  Emanuel  Hugo  Vogel.  —  etc. 

F.  Italien. 
Giornale  degli  Economisti  e  Rivista  di  Statistica.  Vol.  LIV,  Aprile  1917,  No.  4: 
II  mereato  monetario  e  la  guerra,  di  X.  —  SuU'evasione  neue  trasmissioni  gratuite 
mobiliari.  Nuove  rioerche  suUa  ripartizione  regionale  della  ricchezza  privata  italiana 
(continuazione),  di  Aldo  Contento.  —  etc.  —  Maggie  1917,  No.  5:  La  dlversa  pressione 
tributaria  del  prestito  e  dell'imposta  (continuazione),  di  Benvenuto  Griziotti.  —  Pro- 
duzione  e  consumo  durante  la  guerra  in  Sardegna,  di  Marcello  Vinelli.  —  etc.! 

[G.  Holland. 
Economist,  De,  opgericht  door  J.  L.  de  Bruyn  Kops.  Jaarg.  66,  Juni  1917, 
No.  6:  Voorziening  in  de  crisis — uitgaven  in  Nederland,  door  G.  M.  Boissevain.  —  De 
„oude  gewoonten"  (met  betrekking  tot  de  vererving  van  huis  en  hof)  bij  onze  Twentsche 
boeren  (IV),  door  Dr.  Josephine  van  Androoy.  —  De  kamers  van  koophandel  als  ad- 
viseerende  Colleges,  door  W.  Elink  Schuurmann.  —  Economische  kroniek.  —  etc. 

H.  Schweiz.'iJ 
Bibliothöque  Universelle  et  Revue  Suisse.   Tome  LXXXVI,  Juia  1917,  No.  258 : 
Europe  et  Europe  centrale,  par  L.  P.  Hobhouse.  —  Le  Slesvig  danois   de    1864—1916, 
par  Th.  C.  Buyse.  —  etc. 


Die  periodische  Fresse  Deutschlands. 

Archiv  für  Eisenbahnwesen.  Hrsg.  im  Königl.  Preußischen  Ministerium  der 
öffentlichen  Arbeiten.  Jahrg.  1917,  Juli- August,  Heft  4:  Die  internationalen  gewerk- 
schaftlichen Beziehungen  der  Eisenbahner,  von  K.  Rohling.  —  Die  Handelskammer  zu 
Hamburg.  —  Die  ünterelbische  Eisenbahn,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Eisenbahn- 
wesens, von  (Eisenbahn-Obersekr.)  O.  Schewe.  —  1882 — 1911.  Dreißig  Jahre  russischer 
Eisenbahnpolitik  (Forts.),  von  (Geh.  Reg.-R.)  Dr.  Mertens.  —  Erweiterung  und  Vervoll- 
ständigung des  preußischen  Staatseisenbahnnetzes  im  Jahre  1917.  —  Die  Eisenbahnen 
des  Deutschen  Reichs  1913—1915.  —  etc. 

Archiv  für  innere  Kolonisation.  Bd.  9,  Jahrg.  1916/17,  Mai,  Heft  8: 
Die  Enteignung  von  Grundstücken  zu  Siedlungszwecken,  von  (Geh.  Reg.-R.)  A.  Rasch. 
—  Die  Tätigkeit  der  Kgl.  Ansiedlungskommission  für  Westpreußen  und  Posen  im  Jahre 
1918.  —  Zur  Frage  der  Form  und  des  Trägers  der  Kleinsiedlung,    von   (Geh.  Reg.-R.) 


254  ^®  periodische  Presse  Deutschlands. 

Hartinius.  —  Kapitalabfindangsgesetz  und  Ansiedlung  (Ansführungsanweisungen  der 
Landeszentralbehörden  zum  Kapitalabfindungsgesetz).  —  Verwendung  von  Kammer-  und 
Klosterländereien  für  das  Kleinsiedlungswesen  im  Herzogtum  Braunschweig.  —  etc. 

Archiv,  Weltwirtschaftliches.  Bd.  10,  Juni  1917,  Heft  2:  Probleme  des  Geld- 
Wesens.  Eine  Erwiderung  auf  Liefmanns  Geld  und  Gold,  von  Dr.  Otto  Heyn.  —  Ruß- 
lands Drang  zu  den  Meeren.     Ein  historischer  Rückblick,    von   Prof.   Dr.  A.  Brückner. 

—  Die  Baumwollkrisis  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  1914/15,  von  Dr.  rer. 
publ.  O.  Wingen.  —  Rußlands  Kampfgesetze  gegen  den  Aktienbesitz  feindlicher  Aus- 
länder, von  A.  V.  Vogel.   —  etc. 

Außenhandel,  Deutscher.  Zeitschrift  des  Handelsvertragsvereins.  Jahrg.  17, 
Juni  1917,  Nr.  6:  Förderung  der  polnischen  Volkswirtschaft.  —  Schutz  des  Groß- 
grundbesitzes. —  Die  Verantwortlichkeit  der  Handelsangestellten  für  die  Zolldeklaration, 
von  (Zollverwalter)  G.  Gschwender.  —  etc. 

Bank,  Die.  Juni  1917,  Heft  6:  Die  Besitzbefestigung  im  städtischen  Grundstücks- 
wesen (Schluß),  von  Alfred  Lansburgh.  —  Kommunalsozialismus,  von  Dr.  Felix  Pinner. 

—  Das  Finanzwesen  und  die  Wirtschaftslage  Frankreichs  im  Weltkriege,  von  (Geh. 
Reg.-R.)  Dr.  Seidel.  —  Die  holländischen  Schiffshypothekenbanken.  —  Konkursstatistik. 

—  Steuerbelastung  einst  und  jetzt.  —  Bayern  und  der  Weltmarkt.  —  Krieg  und  Ge- 
meindesteuern. —  etc. 

Bank-Archiv.  Jahrg.  16,  1917,  Nr.  18:  Schiffspfandrecht  und  Schiffskredit, 
von  (Rechtsanw.)  Dr.  Goldschmidt.  —  Das  Geld  als  Wert-  und  Preismaß,  von  Dr.  Otto 
Heyn.  —  etc.  —  Nr.  19:  Zur  Frage  der  Wiedereröffnung  des  amtlichen  Börsenver- 
kehrs, von  Barthold  Arons.  —  Der  Verband  deutscher  öffentlich-rechtlicher  Kredit- 
anstalten, von  (Verbandsdirektor,  Oberfinanzrat)  Stein.  —  etc. 

Blätter  für  vergleichende  Rechtswissenschaft  und  Volkswirtschaftslehre.  Jahrg.  13, 
April-Juli  1917,  Nr.  1 — 4:  Das  kodifizierte  bulgarische  bürgerliche  Recht,  von  (Kgl. 
Bulgar.  Legationsrat  a.  D.)  Dr.  Milan  St.  Schischmanow.  —  Zur  Förderung  der  Aus- 
landsstudien in  Deutschland,  von  Heinich  Dove.  —  Staats-  und  Wirtschaftsleben  in 
Ungarn,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  herrschenden  Geistesströmungen.  Vortrag, 
gehalten  von  Dr.  Valerius  von  Smialowski  f  (fr.  Obergespan  und  Reichstagsabg.)  am 
8.  November  1916.  —  Die  wirtschaftliche  Bedeutung  der  Presse  des  In-  und  Auslandes. 
Vortrag  von  (Doz.  der  Handelshochschule  Berlin)  Dr.  Albert  Haas,  gehalten  am  4.  März 
1917.  —  Die  wirtschaftliche  Bedeutung  Irlands.  Vortrag  von  Dr.  Georges  Chatterton- 
Hill,  gehalten  am  31.  März  1917.  —  etc. 

Concordia.  Zeitschrift  der  Zentralstelle  für  Volkswohlfahrt.  Jahrg.  24,  1917, 
Nr.  12:  Neuere  Literatur  zum  Geburtenrückgang,  von  (Stabsarzt  a.  D.)  Dr.  M.  Christian. 

—  Die    Volks  Wohlfahrtspflege    der    deutschen    Invalidenversicherung   im    Jahre    1916. 

—  etc.  —  Nr.  13:  Die  Notlage  der  zweitstelligen  Hypotheken  und  die  Wege  zur  Ab- 
hilfe. —  Der  Kriegsbeschädigte  in  der  Landwirtschaft,  von  Dr.  Haeseler.  —  etc. 

Export.  Jahrg.  39,  1917,  Nr.  26— 29:  Wetterwende  in  Ostasien,  von  Dr.  Frhr. 
v.  Mackay.  —  Die  englischen  Drohungen  über  den  Krieg  hinaus  (Forts.),  von  Dr.  R. 
Jannasch.  —  Die  Ergänzung  der  verlorengehenden  Schiffstonnage.  —  Das  Ergebnis  der 
Leipziger  Frühjahrs-Mustermesse.  —  Der  Abbruch  der  deutsch-chinesischen  Beziehungen. 

—  etc. 

Jahrbücher,  Landwirtschaftliche.  Bd.  51,  1917,  Heft  1:  Die  Strafbarkeit  des 
Kontraktbruchs  landwirtschaftlicher  Arbeiter,  von  Dr.  jur.  et  rer.  pol.  Rudolf  Breit- 
haupt. —  58-jährige  Wirtschaftsergebnisse  eines  mecklenburgischen  Pachtgutes  und  die 
sich  aus  ihnen  ergebende  privat-  und  volkswirtschaftliche  Bedeutung  des  intensiven 
Landwirtschaftsbetriebes  in  Krieg  und  Frieden,  von  stud.  agr.  H.  Hoppenrath.  —  Land- 
wirtschaftliche  Friedens-   und   Kriegslöhne   in  der  Provinz  Posen,  von  Herbert  Dalsky. 

—  etc. 

Jahrbücher,  Preußische.  Bd.  169,  Juli  1917,  Heft  1:  Kali  und  die  wirt- 
schaftspolitisehen  Beziehungen  zwischen  Deutschland  und  den  Vereinigten  Staaten,  von 
(Bergassess.)  Dr.  F.  Friedensburg.  —  Die  auswärtige  Politik  Amerikas  im  Spiegel  ihrer 
Geschichte  (Schluß),  von  Dr.  Emil  Daniels.  —  Die  Frage  nach  dem  Kriegsziel,  von 
Emil  Zimmermann.  —  Die  Friedensaussichten  und  Rußland;  Der  Zwischenfall  Grimm- 
Hoffmann  ;  Japan ;  Innere  Politik,  von  Hans  Delbrück.  —  etc. 

Kartell -Rundschau.  Jahrg.  14,  1916,  Heft  10—12:  Die  Bedeutung  der  in- 
dustriellen Organisation  für  die  Entwicklung  des  amerikanischen  Ausfuhrhandels.  Streif- 
lichter aus  dem  „Report  on  Cooperation  in  American  export  trade"  vom  30.  Juni  1916, 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  255 

von  Dr.  S.  Tschierschky.  —  Geltendmachung  von  Kartellansprüchen  nach  Auflösung 
des  Kartells,  von  (Justizrat)  Dr.  Fuld.  —  etc. 

Kultur,  Soziale.  Jahrg.  37,  Juni  1917,  Heft  6:  Vom  Staaten-  zum  Völker- 
hündnis !  Gedanken  über  die  Pflege  der  deutsch-bulgarischen  Freundschaft,  von  Dr^ 
G.  Kunzer.  —  Stellung  und  Aufgaben  konfessioneller  Arbeitervereine  im  Eahmen  der 
christlich-nationalen  Arbeiterbewegung,  von  Dr.  Otto  Müller.  —  Züchtigungsrecht  und 
Züchtigungspflicht,  von  (Amtsrichter)  Dr.  Albert  Hellwig.  —  Krieg  und  Inflation,  von 
Dr.  A.  Schmidt.  —  etc. 

Monatshefte,  Sozialistische.  Jahrg.  23,  1917,  Heft  12:  Die  gewerkschaftliche 
Internationale  und  ihre  Zukunftsaufgabe,  von  Paul  Müller.  —  Wasserwirtschaft  und 
Verkehrsmittel  in  der  Türkei,  von  Hermann  Kranold.  —  Die  Frauenarbeit  und  die 
Arbeiterklasse,  von  Hugo  Poetzsch.  —  etc.  —  Heft  13 :  Englands  asiatische  Politik, 
von  Dr.  Ludwig  Quessel.  —  Russische  Revolutionsstatistik,  von  Leo  Rosenberg.  —  Die 
Juden  in  Polen  und  Palästina,  von  Hermann  Kranold.  —  Die  Stellung  der  Gewerk-^ 
Schäften  zur  Frauen  beruf  sarbeit,  von  Robert  Schmidt.  —  etc. 

Oekonomist,  Der  Deutsche.  Jahrg.  35,  1917,  Nr.  1800:  Rußlands  wirtschaft- 
liche Zukunft  und  Deutschland.  —  Die  Konzentration  im  Bankwesen.  —  etc.  — 
Nr.  1801:  Russische  Finanznöte.  —  Die  Darlehnskassen  des  Reiches  in  1916.  —  Da» 
Hypothekengeschäft  der  Versicherungsgesellschaften.  —  etc.  —  Nr.  1802 :  Valutaschwan- 
kungen —  Goldpolitik.  —  etc.  —  Nr.   1803:  Krieg  und  Finanzen.  —  etc. 

Plutus.  Jahrg.  14,  1917,  Heft  25/26:  Aufsichtsräte  —  Risikoprämien  und 
Wuchergewinn,  von  (Rektor  der  Handelshochschule  Berlin),    Prof.    Dr.  Friedrich  Schär. 

—  üebergangswirtschaft  (III),  von  G.  B.  —  etc.  —  Heft  27/28:  Schmoller.  —  üeber- 
gangswirtschaft  (IV),  von  G.  B.  —  etc. 

Praxis,  Soziale,  und  Archiv  für  Volkswohlfahrt.  Jahrg.  26,  1917,  Nr.  38:  Die 
Einkommensverschiebungen  im  und  durch  den  Krieg  (I),  von  Prof.  Dr.  P.  Mombert.  — 
Errichtung  eines  Fachministeriums  für  Volksgesundheit  und  soziale  Fürsorge  in  Oester- 
reich,  von  Prof.  Dr.  Leo  Wittmayer.  —  Der  deutsche  Arbeiter  und  die  Kolonien  — 
Arbeiterauschüsse  und  Hilfsdienstgesetz,  von  (Vors.  des  Verbandes  der  Deutschen  Ge- 
werkvereine) Gustav  Hartmann.  —  etc.  —  Nr.  39 :  Kleine  sozialpolitische  Anfragen,  von 
Prof.  Dr.  E.  Francke.  —  Die  Einkommensverschiebungen  im  und  durch  den  Krieg^ 
(II,  Schluß),  von  Prof.  Dr.  P.  Mombert.  —  Gustav  v.  Schmoller  f.  —  Der  14.  Ge- 
nossenschaftstag des  Zentralverbandes  Deutscher  Konsumvereine.  —  etc.  —  Nr.  40: 
Krankenheime,  von  (Arzt)  Dr.  Moltrecht.  —  Gewerkschaftliche  Kriegsgedanken.  —  Aus 
der  Praxis  des  Hilfsdienstgesetzes,  von  (Rechtsanw.)  Dr.  A.  Osterrieth.  —  etc.  —  Nr.  41 : 
Koalitionsrecht  und  Erpressungsparagraphen.  —  Die  Obst-  und  Gemüseversorgung  der 
Städte.  —  Massen  und  Führer  im  Deutschen  Metallarbeiter  verband.  —  Die  kriegsamt- 
liche Organisierung  des  Arbeitsnachweiswesens.  —  etc. 

Recht  und  Wirtschaft.  Jahrg.  6,  Juli  1917,  Nr.  7:  Büroverbesserung,  von 
(Bürgermstr.)  H.  Weißenbom.  —  Die  Volkswirtschaft  im  Hochschulunterricht,  von  Prof. 
Dr.  Wygodzinski.  —  Zur  Rechtfertigung  und  Ausbaumöglichkeit  der  Erbschaftssteuer, 
von  (Reg.-R.)  Ludwig  Bück.  —  Ein  deutsches  Getreidemonopol?,  von  (Synd.)  Dr.  Sieg- 
fried Lindemann.  —  Zur  Vereinfachung  und  Ersparung  richterlicher  Tätigkeit,  von 
(Landger.-R.)  E.  Dosenheimer.  —  Friedensgerichte  —  eine  Gefahr  für  die  Rechtspflege, 
von  (Justizrat)  Dr.  Köttgen.  —  etc. 

Rundschau,  Masius',  Blätter  für  Versicherungswissenschaft.  Jahrg.  29,  1917, 
Heft  5:  Bemerkungen  zum  Sachverständigen- Verfahren  in  der  Feuerversicherung  (II), 
von  V.  Haselberg.  —  Kriegsanleihe- Versicherung.  —  etc. 

Viertel  Jahrs  Schrift  für  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte.  Bd.  14,  1917^ 
Heft  2  u.  3:  Zur  neuesten  Literatur  über  die  Wirtschafts-  und  Rechtsgeschichte  der 
deutschen  Salinen  (Forts.),  von  Adolf  Zycha.  —  Die  Ministerialentheorie  der  Schöffen- 
baren (eine  kritische  Studie),  von  Ph.  Heck.  —  Geschichtsphilosophie,  von  Hermann 
Jordan.  —  Randglossen  zur  Geschichte   der  Handelsgesellschaften,    von  S.  van  Brackel. 

—  Basler  Handelsgesellschaften  im  15.  Jahrhundert  und  ihre  Formen,  von  (Oberlandes- 
gerichtsrat) Dr.  V.  Silberschmidt.  —  etc. 

Wirtschafts-Zeitung,  Deutsche.  Jahrg.  13,  1917,  Nr.  12:  üeber  das  Sparen 
nach  dem  Kriege,  von  P.  Mombert.  —  Krieg  und  Wirtschaft,  von  Dr.  Leo  Blum.  — 
Die  Finanzen  der  Kriegführenden.  —  Deutsch- Amerikanischer  Wirtschaftsverband:  Der 
Welthandel  im  Jahre  1916.  Eine  amerikanische  Betrachtung;  Außenhandel  der  Ver- 
einigten Staaten   in   den  Jahren    1914/16;   Die   Nahrungsmittelaussichten    für    die  Welt. 


256  Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

—  etc.  —  Nr.  13:  Ein  Deutsches  Kriegsmuseum  —  eine  Gemeinschaftsaufgabe  der 
nationalen  Erwerbsstände  von  (Syndikus)  Prof.  Dr.  Hermann  Lehmann.  —  Hypotheken- 
Terlän<erang  nach  dem  Kriege,  von  Dr.  rer.  pol.  Fritz  Terhalle.  —  Die  wirtschaftlichen 
Nachwirkungen  des  Kriege».  —  Mitteilungen  des  Deutsch -Amerikanischen  Wirtsehafts- 
verbandes:  Zur  Frage  der  Exportförderungsorganisationen;  Die  Seeversicherung  in  den 
Vereinigten  Staaten  1915.  —  etc. 

Zeit,  Die  Neue.  Jahrg.  35,  1917,  Nr.  11:  Die  Befreiung  der  Nationen  (Forts.), 
von  K.  Kautsky.  —  Schule  und  Leben,  von  Hugo  Jacobi.  —  Die  Frauenarbeit  in  der 
Metallindustrie  während  des  Krieges,  von  Luise  Zietz.  —  etc.  —  Nr.  12:  Der  Staat  und 
die  Staatsnotwendigkeiten  (Reinliche  Unterscheidung  III),  von  Ed.  Bernstein.  —  Die  Be- 
freiung der  Nationen  (Schluß),  von  K.  Kautsky.  —  Vom  Altersaufbau  der  Lohnarbeiter- 
Schaft,  von  Wilhelm  Diiwell.  —  Kriegsziele,  von  K.  K.  —  etc.  —  Nr.  13:  Oesterreich 
und  Serbien,  von  K.  Kautsky.  —  Masse  und  Idee,  von  Max  Adler.  —  etc.  —  Nr.  14 : 
Oesterreich  und  Serbien  (Forts.),  von  K.  Kautsky.  —  Gleiches  Recht  dem  unehelichen 
Kinde!,  von  Friedrich  Kleeis.  —  etc.  —  Nr.  15:  Die  inneren  Gegensätze  der  russischen 
Revolution,  von  A.  Stein.  —  Oesterreich  und  Serbien  (Forts.),  von  K.  Kautsky.  —  Ar- 
beiterferien, von  S.  Priill.  —  etc. 

Zeitschrift  des  K.  Bayerischen  Statistischen  Landesamts.  Jahrg.  49,  1917, 
Nr.  3:  Der  Stand  der  Kriegsernährung  in  Bayern.  Rede  des  K.  Bayer.  Staatsmin.  des 
Innern  Dr.  v.  Brettreich,  gehalten  in  einer  Versammlung  in  München  am  3.  Mai  1917. 

—  Maßnahmen  gegen  die  üeberteuerung  und  die  Bekämpfung  des  Kriegswuchers,  von 
<Reg.-Asse3S.)  Friedrich  Merz.  —  Preise   in  Bayern  vom  Oktober  1916   bis  April  1917. 

—  Stadt  und  Land,  Bayern  und  das  Reich  in  der  Kriegsemährungswirtschaft,  von 
(Ministerialrat)  Dr.  Friedrich  Zahn.  —  Die  Bayerische  Landesvermittlungsstelle  für  den 
Verkehr  mit  Brotgetreide  und  Mehl  im  zweiten  und  dritten  Kriegsjahr,  von  (Bezirks- 
amtsassess.)  Dr.  Joseph  Haselberger.  —  Lebensmittelteuerung  und  kriegswirtschaftliche 
Maßnahmen  im  neutralen  und  verbündeten  Ausland,  von  Dr.  Wolfgang  Ritscher.  — 
Statistik  der  bayerischen  Knappschaftsvereine  im  Jahre  1915,  bearbeitet  vom  Kgl.  Ober- 
bergamt München.  —  Zur  Lage  des  Arbeitsmarkts  in  Bayern  im  Jahre  1916,  von  Max 
Giebeler.  —  Der  Kaliverbrauch  in  Bayern  seit  1890.  —  Die  „Kriegsarbeitsstelle  Niebe- 
lungensäle"  in  München,  von  Anna  Wack.  —  Mehl-  und  Brotpreise  der  bayerischen  Kom- 
munal verbände  im  Erntejahr  1915/16,  von  (Bezirksamtsassess.)   Dr.  Haselberger.  —  etc. 

Zeitschrift  des  Kgl.  preußischen  statistischen  Landesamts.  Inhaltsverzeichnis 
für  die  1861 — 1912  erschienenen  52  Jahrgänge,  nach  Stichwörtern  des  Inhalts,  Ländern  und 
Verfassern  geordnet.  Hrsg.  vom  (Präs.  des  Kgl.  preuß.  statist.  Landesamts  i.  V.  Ober- 
reg.-R.)  Prof.  Dr.  F.  Kühnert. 

Zeitschrift  für  die  gesamte  Versicherungswissenschaft.  Bd.  17,  Juli  1917, 
Heft  4:  Soll  die  Sonderorganisation  der  Angestellten  Versicherung  beibehalten  werden?, 
von  (Geh.  Reg.-R.)  Dr.  jur.  Georg  Zacher.  —  „Teilnahme  an  Kriegsereignissen'*  in  der 
Lebensversicherung,  von  Dr.  jur.  K.  Kirchmann.  —  Die  Bemessung  der  Abfindungswerte 
in  der  Lebensversicherung.  Eine  kritische  Studie,  von  (Priv.-Doz.)  Dr.  phil.  Albrectit 
Patzig.  —  Schutzmaßnahmen  gegen  Feuers-  und  Explosionsgefahr  im  Kriege,  von  (Baurat) 
Wendt.  —  Die  Gefahrziffern  und  der  Gefahrtarif  in  der  deutschen  Reichsversicherungs- 
ordnung, von  (Hofrat)  W.  Küttner.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Kommunalwirtschaft  und  Kommunalpolitik.  Jahrg.  7,  1917, 
Nr.  11/12:  Aufgaben  der  Landkreise  und  Gemeinden  auf  dem  Gebiete  des  Siedlungs- 
wesens, von  (Landrat)  Laer.  —  Die  Kriegshinterbliebenen-Ansprüche  der  Kommunal- 
beamten in  Preußen,  von  (Oberlandesgerichtsr.)  A.  Freymuth.  —  Die  Gemeindeabteilung 
in  dir  Reichsdeutschen  Waffenbrüderlichen  Vereinigung,  ihre  Arbeit  und  ihre  Ziele,  von 
Dr.  Leiske.  —  etc. 

Zeutralblatt,  Deutsches  Statistisches.  Organ  der  Deutschen  Statistischen  Ge- 
sellschaft und  des  Verbandes  Deutscher  Städtestatistiker.  Jahrg.  9,  Juni  1917,  Nr.  5:  Die 
Zukunft  der  amtlichen  Statistik,  von  Prof.  Dr.  Karl  Pribram.  —  Die  Sprachenstatistik, 
von  Engen  Würzburger.  —  Zur  Nachprüfung  der  Getreide-,  Mehl-  und  Hülsenfrüchte- 
Erhebung  vom  15.  Februar  1917.  Wünsche  und  Vorschläge,  von  (wiasenschaftl.  HQfsarb. 
beim  Statist.  Amt  in  Nürnberg)  Hans  Friedrich.  —  etc. 


Frommannsche  Buohdruckerei  (Hermann  Pohle)  in  Jena. 


Karl  Elster,  Zur  Analyse  des  Geldproblems.  257 


IV. 

Zur  Analyse  des  (jeldproblems. 

Von 

Regierungsrat  Karl  Elster. 

Wenn  nicht  alle  Zeichen  trügen,  so  ist  für  die  theoretische  Na- 
tionalökonomie der  Tag  der  Götterdämmerung  angebrochen,  imd 
sind  es  die  Sturmglocken  des  Weltkrieges,  die  ihn  einläuten. 
Dogmen,  die  als  ewige  Wahrheiten  fest  geg;ründet  schienen,  ge- 
raten in  das  Schwanken  des  Zweifels.  In  seinen  Grundfesten  er- 
schüttert, wankt  der  ganze  Bau. 

Daß  die  Erfahrungen  des  Weltkrieges  in  mannigfachster  Hin- 
sicht die  praktische  Wirtschaftspolitik  beeinflussen  und 
nach  vielfach  neuen  Richtungen  hin  bestimmen  werden,  steht  wohl 
heute  schon  fest  und  kann  nicht  befremden.  Aber  schon  heute 
läßt  sich  auch  erkennen,  daß  darüber  hinaus  gewisse  Erscheinungen 
unserer  kriegswirtschaftlich  en  Verhältnisse  zwingenden  Anlaß  bieten, 
auch  so  manche  Lehre  der  theoretischen  Volkswirtschafts- 
wissenschaft nachzuprüfen  und  ihre  Vereinbarkeit  mit  den- 
jenigen Erscheinungen  zu  untersuchen,  denen  wir  als  Tatsachen 
gegenüberstehen.  Was  ist  Wahrheit?  Die  Frage  des  Pontius 
Pilatus  wird  heute  auch  gegenüber  solchen  Lehren  und  Begriffen 
gestellt,  die  man  bereits  der  Diskussion  entrückt  glaubte. 

Insonderheit  ist  es  die  Frage  nach  dem  Wesen  des  Geldes, 
die  seit  Beginn  des  Krieges  in  steigendem  Maße  zum  wissenschaft- 
lichen Meinungsstreit  geführt  hat.  Gewiß:  dieser  Meinungsstreit 
ist  älter  als  der  Weltkrieg  und  nicht  aus  ihm  entstanden.  Zweifellos 
aber  hat  der  Weltkrieg  ihn  neu  belebt  und  ihn  vertieft.  Und 
indem  er  ihn  vertiefte,  ließ  er  ihn  zugleich  auf  solche  Gebiete 
übergreifen,  die  er  in  seiner  früheren  Lokalisierung  noch  un- 
berührt gelassen  hatte.  Nicht  zuletzt  ihr  Zusammenhang  mit  der 
Geldlehre  ist  es,  der  die  Lehren  vom  Werte  und  vom  Preise,  der 
schließlich  den  letzten  Begriff:  Was  ist  Wirtschaft?  wieder  in 
Zweifel  gerückt  und  zum  Gegenstande  erneuter  Diskussionen  ge- 
macht hat^. 

Die  ungeheure  Bedeutung,  die  einer  Klärung  der  Frage  nach 
dem  Wesen  des  Geldes  zukommen  müßte,  kann  gar  nicht  über- 
schätzt werden.    Nicht  nur  die  Währungspolitik,    unsere   gesamte 

1)  So  insbesondere  neuerlich:  Robert  Liefmaun,  Geld  und  Gold,  ökonomische 
Theorie  des  Geldes.  Stuttgart  u.  Berlin  (Deutsche  Verlagsanstalt)  1916.  8".  241  SS. 
(Preis  M.  4.) 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  17 


258  KatI  Elster, 

Finanzpolitik,  und  über  ihren  Rahmen  hinaus  unsere  Wirtschafts- 
politik überhaupt,  müßte  durch  die  Lösung  dieser  Fra^e  eine  neue 
Unterlage  gewinnen;  eine  Unterlage  von  einer  Festigkeit,  die  es 
ihr  ermöglichen  müßte,  mit  einer  heute  unbekannten  Souveränität 
ein  Geschehen  zu  meistern,  dessen  Gesetze  sie  begreift. 

Welchen  Ausgang  der  siegreiche  Krieg  Deutschlands  und  seiner 
Verbündeten  gegen  die  Welt  im  einzelnen  nehmen  mag,  steht  dahin. 
Eines  aber  steht  fest:  er  wird  die  deutsche  Volkswirtschaft  vor 
Aufgaben  von  bisher  nicht  gekannter  und  ungeahnter  Größe  stellen. 
Und  diesen  Aufgaben  wird  die  deutsche  Volkswirtschaft  in  desto 
höherem  Maße  gewachsen  sein,  desto  vollkommener  sie  eben  die 
Gesetze  d-urchschaut,  nach  denen  das  wirtschaftliche  Geschehen 
seinen  ewigen  Gang  nimmt.  Sie  wird  diese  Gesetze  nicht  zu 
bestimmen,  nicht  zu  ändern  vermögen.  Doch  wird  sie  in  der 
Lage  sein,  sich  ihnen  anzupassen,  wie  ein  erfahrener  Schiffer,  dem 
das  Wetter  dient,  auch  wenn  er  es  nicht  zu  bestimmen  vermag. 
Jedes  wuchtige  Tun  verlangt  standfesten  Grund.  Aöc  \loi  iro5 
oxü),  xal  TY]v  Y'^v  XLVTJoü).  VolkswirtschaftUch  zutreffende  Erkennt- 
nis  ist  die  Voraussetzung   volkswirtschaftlich   wirksamer  Politik. 

Es  ist  im  verkennbar,  daß  die  volkswirtschaftliche  Bedeutung 
der  heute  im  Mittelpunkt  der  wissenschaftlichen  Erörterung  stehen- 
den Fragen  in  steigendem  Maße  auch  in  weitexen  Kreisen  be- 
griffen wird.  Und  so  ist  es  verständlich,  wenn  in  den  Meinungs- 
streit sich  mehr  und  mehr  auch  Stimmen  derer  mischen,  die  der 
zünftigen  Nationalökonomie  sonst  fernstanden.  Dies  ist  ein  erfreu- 
liches Zeichen.  Und  wenn  nicht  alle,  die  sich  berufen  fühlen,  Aus- 
erwählte sind,  denen  das  Glück  beschieden  ist,  das  Werk  zu  fördern, 
so  sollte  doch  der  Nationalökonom  vom  Fach  sich  bei  der  Zurück- 
weisung solcher  Versuche  tunlichst  einer  gewissen  Zurückhaltung 
befleißigen.  Nicht  in  xe,  aber  in  modo.  Auch  der  Irrtum  fördert, 
indem  er  zur  Widerlegung  Anlaß  gibt.  So  ist  es  gewiß  nur  be- 
dauerlich, wenn  Diehl  (Unser  Geldwesen  nach  dem  Kriege,  in 
diesen  „Jahrbüchern",  IIL  F.  'Bd.  52,  S.  741)  mit  überlegener 
Geste  die  seiner  metallistischen  Auffassung  zuwiderlaufenden  Publi- 
kationen mit  dem  Bemerken  beiseite  schiebt,  daß  sie  die  gründ- 
liche und  durchgearbeitete  Theorie  in  ihrer  Mehrzahl  vermissen 
ließen.  Mag  sein,  daß  dem  so  ist.  Doch  ist  wohl  kaum  je  bisher 
die  gründliche  und  durchgearb'eitete  Theorie  als  Muttqr  praktisch 
wertvoller  wirtschaftlicher  Maßnahmen  aufgetreten,  so  daß  sie  die 
Begründung  praktischer  Vorschläge  allein  sich  vorbehalten  dürfte. 
Es  liegt  allzuviel  Wahrheit  in  dem  Satze  Liefmanns  i):  „Wenn 
eine  praktische  Geldpolitik  getrieben  wurde,  ist  die  ökonomische 
Theorie  ihr  nachgehinkt,  und  hat  sie  nachträglich  zu  begründen 
rersucht." 

Es  kann  nicht  meine  Aufgabe  sein,  im  Rahmen  dieses  Auf- 
satzes   eine  Wirtschaftstheorie   aufzubauen,   die   von   einer   neuen 


1)  Geld  und  Gold,  S.  11. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  259 

Theorie  des  Geldes  gekrönt  würde.  Ich  meine,  dieser  Bau  ist  im 
Werke.  Als  völliger  Neubau  beginnt  auch  er  mit  dem  Abbruch 
des  alten  Gebäudes.  Hierbei  Kärrnerdienste  zu  tun  und  vielleicht 
einige  neue  Steine  herzuzutragen,  soll  mir  genügen.  Ob  es  gelungen 
ist,  muß  die  Zukunft  weisen. 


Die  vordem  unbeschränkte  Herrschaft  des  Metallismus  im 
Reiche  der  theoretischen  Nationalökonomie  war  schon  vor  dem 
Kriege  auf  das  schwerste  erschüttert.  Doch  hatte  sich  die  Gegner- 
schaft der  Nominalisten  im  wesentlichen  auf  das  akademische 
Schlachtfeld  beschränkt,  hatte  insbesondere  ihr  erfolgreichster 
Kämpe  stets  betont,  daß  er  in  seiner  Lehre  analysierende,  nicht  pro- 
grammatische Nationalökonomie  vertrete  i).  Die  praktische  Geld- 
politik, insbesondere  die  Goldwährung  wurde  nicht,  oder  doch  so 
gut  wie  gar  nicht,  bekämpft.  Als  unzutreffend  bestritten  wurde 
nur  die  Art  ihrer  theoretischen  Begründung. 

So  blieb  der  Metallismus  eine  Macht.  Und  wenn  die  Gold- 
w^ährungspolitik  der  am  Welthandel  führend  beteiligten  Staaten 
auch  wohl  nicht  auf  seinen  Lehren  beruhte,  sie  entsprach 
doch  —  von  gelegentlichen,  als  „Schönheitsfehler"  freundlich  gedul- 
deten Abweichungen  abgesehen  —  diesen  Lehren.  Und  die  doppelte 
Tatsache,  daß  die  praktischen  Ergebnisse  dieser  Politik  zu  ernst- 
haften Bedenken  keinen  Anlaß  boten,  insbesondere  auch  im  Lager 
der  Nominalisten  durchaus  anerkannt  wurden,  daß  andererseits  aber 
unter  der  Herrschaft  solcher  Geldverfassungen,  die  der  Metallist 
schon  aus  Gründen  der  Theorie  verwirft,  sich  wiederholt  höchst 
unerfreuliche,  selbst  katastrophale  Erscheinungen  gezeigt  hatten, 
stützte  in  der  Folge  auch  die  metallistische  Theorie.  An  ihren 
Früchten  sollt  Ihr  sie  erkennen. 

Seit  Ausbruch  des  Krieges  hat  nunmehr  der  Nominalismus 
den  Kampf  auch  auf  das  Gebiet  der  praktischen  Währungspolitik 
übertragen.  Heute  treiben  seine  Vertreter  wohl  ausnahmslos  pro- 
grammatische Nationalökonomie,  mögen  sie  nun  (so  insbesondere 
Heyn)  der  Beibehaltung  der  Goldkern  Währung  nach  Friedens- 
schluß das  Wort  reden,  mögen  sie  —  in  ihrer  Mehrzahl  —  dar- 
über hinaus  die  Lösung  der  Geldverfassung  von  ihrer  historischen 
metallischen  Basis  verlangen.  Stützen  sie  ihre  Forderungen  auf 
die  ErfaJirungen,  die  während  des  Krieges  nach  Suspension  der  bis- 
herigen Goldwährung  gemacht  wurden  und  noch  gemacht  werden, 
so  führen  doch  die  Metallisten  in  gleicher  Weise  die  Lehren  des 
Krieges  für  ihre  Auffassung  in  das  Feld,  indem  sie  gewisse  unbe- 
stritten bestehende  Mißstände  —  so  im  innerstaatlichen  Leben 
die  Teuerungserscheinungen,  im  zwischenstaatlichen  Verkehr  die 
Entwertung  der  Valuta  —  wenigstens  zum  Teil  auf  die  —  durch 
die  Verhältnisse  allerdings  erzwungene  —  Abkehr  von  bewährten 
währungspolitischen    Grundsätzen    zurückführen. 

1)  Vgl.  insbesondere  Knapp,  üeber  die  Theorien  des  Geldwesens,  in  Schmollers 
Jahrbuch,  33.  Jahrg.,  Heft  2,  S.  1  ff. 

17* 


260  Karl  Elster, 

Jetzt   rächt   sich   eine   Unterlassungssünde    der  Nominalisten. 
Sie    hatten    sich    im    wesentlichen    darauf   beschränkt,    die    realen 
Erscheinungen  des  Geldverkehrs  zu  beobachten  und  sie  auf  Grund 
dieser  Beobachtungen  deduktiv  zutreffend  zu  schildern.    Ihr  Werk 
war  ein  Torso  geblieben.    Alle  die  Tatsachen,  auf  die  sie  eindring- 
lich   und  häufig  mit  überlegener   Ironie  hinzuweisen   vermochten, 
mußten    die   Lehre    erschüttern,    daß    die   Funktionen    des   Geldes 
in  der  Volkswirtschaft  durch  seinen  metallischen  Gehalt  oder  doch 
durch  seine  organische  Verknüpfung  mit  Metallbeständen  bedingt 
seien.    Doch  unterblieb  zunächst  eine  ökonomische  Begründung  'der 
Vorgänge,   die  die  Metallisten   erklären   zu  können   glaubten,  auf 
anderem  Wege.    Dem  iNominalismus  war  es  noch  nicht  gelungen, 
der  staatlichen  Theorie  des  Geldes  eine  ökonomische  Theorie  von 
gleicher  Schärfe  und  Schlagkraft  an  die  Seite  zu  stellen.    Nicht 
zuletzt  die  Nominalisten  selbst  haben  diese  Schwäche  ihrer  Stellung 
zutreffend    erkannt,   wie    denn   einer    ihrer    am    weitesten   fortge- 
schrittenen Vertreter  dieses  unumwunden  zugestanden  hat^).   Die 
hier  noch  klaffende  Lücke  auszufüllen,    den  metallistischen  Wahn 
auch  theoretisch  durch  eine  ökonomische  Theorie  des  Geldes  zu  er- 
ledigen, hat  sich  neuerlich  Liefmann  in  seinem  bereits  erwähnten 
Werke:   Geld    und   Gold,    ökonomische   Theorie    des    Geldes,    zum 
Ziele  gesetzt.  Er  untersucht  ab  ovo  die  Grundlagen  des  Geldwesens 
und  zieht  aus  diesen  Untersuchungen  die  praktischen  Folgerungen 
in   einer    Kritik    unserer    Geldpolitik    seit   Ausbruch    des    Krieges 
und  in  einer  Programmatik  für  die  Friedenswirtschaft  der  Zukunft. 

Die  eminente  Bedeutung,  die  eine  ökonomische  Widerlegung 
des  Metallismus  haben  müßte,  bedarf  an  dieser  Stelle  nicht  einmal 
der  Andeutung.  Zwar  glaut)t  Liefmann  selbst  nicht,  daß  eine 
einzige  Schrift,  wie  die  seine,  ein  solches  durchschlagendes  Er- 
gebnis zu  haben  vermöchte.  Irrtümer  sind  zähe,  und  nur  lang- 
sam geht  die  Wahrheit  Uhren  Weg.  Aber  als  ein  Fortschritt  von 
heute  noch  nicht  übersehbarer  Tragweite  muß  schon  allein  der  Ver- 
such Liefmanns  anerkannt  werden.  Und  wenn  ich  nicht  glaube, 
daß  alle  seine  Theorien  die  Prüfung  bestehen  werden,  so  bin  ich 
um  so  fester  überzeugt,  daß  sein  Werk  vornehmlich  geeignet  ist, 
einen  neuen  Kristallisationspunkt  für  die  Erörterung  der  Geld- 
lehre abzugeben. 

Liefmann  erkennt  zutreffend,  daß  die  metallistische  Geldlehre 
ihre  Hauptstütze  darin  findet,  daß  ihre  Dogmen  mit  den  herrschen- 
den Lehren  vom  Werte  und  vom  Preise  zu  einem  in  sich  schlüssigen 
System  vereinigt  sind.  Auf  der  anderen  Seite  vermag  aber  auch  er 
sich  der  Erkenntnis  nicht  zu  verschließen,  daß  doch  eben  derMetaUis- 
mus  —  ungeachtet  der  heroischen  Anstrengungen  seiner  Vertreter, 
ihn  zu  retten  —  durch  die  Macht  der  Tatsachen  tagtäglich  wider- 
legt wird.  Und  so  ist  es  nur  konsequent  und  bedeutet  meines  Erachtens 

1)  Bendixen,  Geld  und  Kapital,  S.  14:  „Möge  sich  bald  ein  Theoretiker  finden, 
der  Knapps  Werk  durch  eine  systematische  »wirtschaftliche  Theorie  des  Geldes'  er- 
gänzt." 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  261 

eine  erlösende  Tat,  wenn  er  es  unternimmt,  die  aus  der  klassischen 
Nationalökonomie  übernommenen  grundlegenden  Begriffe  ent- 
schlossen unter  die  Lupe  des  Zweifels  zu  rücken.  Widerspricht  die 
metallistische  Lehre  der  täglichen  Erfahrung,  mißlingt  anderer- 
seits ihre  theoretische  Widerlegung,  sofern  diese  die  bisherigen 
Ausgangspunkte  der  Volkswirtschaftslehre  auch  als  ihre  eigenen 
beibehält,  so  ist  der  Rückschluß  nahezu  unabweislich,  daß  der 
Fehler,  der  heute  bei  der  Geldlehre  zutage  tritt,  nicht  ein 
Spezifikum  dieser  Geldlehre  ist,  sondern  daß  er  tiefer  liegt.  Und 
dies   ist  die  Auffassung  Liefmanns. 


Liefmann  erblickt  einen  Grundfehler  der  bisherigen  ökonomi- 
schen Theorien  darin,  daß  sie  den  Begriff  der  Wirtschaft  „ma- 
terialistisch" auffaßten.  Diesen  bisherigen,  von  ihm  bekämpften 
Theorien  stellt  er  seine  Wirtschaftsauffassung  als  die  „psychische 
Auffassung"  gegenüber.  Indem  er  behauptet,  daß  die  herrschende 
Theorie,  die  er  die  „technisch-materialistisch-quantitative"  tauft, 
das  Wirtschaften  mit  Produktion,  mit  „Sachgüterbeschaffung"  ver- 
wechsele, definiert  er  das  Wirtschaften,  als  etwas  „Psychisches",  als 
„eine  besondere  Art  von  Erwägungen",  nämlich  ein  Vergleichen  von 
Lust-  und  Unlustgefühlen.  Aber  „nicht  jedes  Vergleichen  von 
Lust-  utid  Unlustgefühlen"  soll  Wirtschaften  sein,  denn  ein  solches 
„komme  bei  allen  menschlichen  Handlungen  vor".  Von  „Wirt- 
schaften" sprächen  wir  nur,  wenn  „mehrere  erstrebte  Lustgefühle, 
Genüsse,  mit  den  zu  ihrer  Erlangung  aufzuwendenden  Unlustge- 
fühlen, Opfern  verglichen  werden  und  der  Mensch  vor  die  Frage 
gestellt  ist,  in  welchem  Umfange  und  bis  zu  welchem  Grade  er 
die  Aufwendung  von  Unlustgefühlen,  von  Opfern,  für  die  ver- 
schiedenen erstrebten  Lustgefühle  vornehmen  und  fortsetzen  will, 
um  ein  möglichst  großes  Maß,  ein  Maximum  von  Genuß  zu  er- 
reichen". „Die  aus  diesem  Bestreben  hervorgehenden  Erwägun- 
gen" (!),  „die  also  zweckmäßigstes  Disponieren  über  die  aufzuwen- 
denden Opfer  zur  Erlangung  eines  Maximums  von  Genuß  zum 
Inhalt  haben,  nennen  wir  Wirtschaften"  i). 

Vielleicht  Liefmann,  wir  nicht.  Wer  sich  stark  genug  fühlt, 
einer  ganzen  umfassenden  Wissenschaft  neue  Fundamente  zu  setzen, 
muß  damit  rechnen,  daß  seine  Worte  auf  die  Goldwage  gelegt 
werden.  Eine  falsche  Definition  an  der  Spitze  einer  neuen  Na- 
tionalökonomie ist  unerträglich,  selbst  wenn  —  was  vorerst  offen- 
bleiben mag  —  richtige  Empfindungen  durch  sie  hindurchklingen. 
Und  Liefmanns  Definition  ~  so  wie  er  sie  an  dieser  Stelle  gibt  — 
ist  schlechterdings  falsch. 

Indem  Liefmann  den  Inhalt  des  „Wirtschaftens"  in  der  Psyche 
sucht,  die  Wirtschaft  als  einen  Inbegriff  von  Erwägungen  definiert, 
vergißt  er  eben  doch  das  Wichtigste,  daß  diese  Erwägungen  zum 
äußeren  körperlichen  Ausdruck,  zur  Betätigung  gelangen  müssen,  daß 

1)  Geld  und  Gold,  S.  27. 


262  Karl  Elster, 

Wirtschaften  vor  allem  Handeln  ist.  Wer  erstrebte  Lustgefühle  mit 
Unlustgefühlen  vergleicht,  wirtschaftet  damit  noch  nicht,  ebenso- 
wenig wie  jemand  dadurch  schon  wirtschaftet,  daß  er  „vor  die 
Erage  gestellt  wird",  in  welchem  Umfange  er  zur  Erreichung  von 
Genüssen  Opfer  aufwenden  will.  Würde  die  menschliche  Wirt- 
schaft sich  auf  Liefmannsche  Vergleichserwägungen  beschränkt 
haben,  so  wäre  die  Menschheit,  die  dann  vor  allem  das  Unlust- 
gefühl  des  Hungers  kennen  gelernt  hätte,  heute  längst  ausge- 
storben, und  damit  allerdings  auch  die  Frage  nach  dem  Wesen 
des    Geldes   für    unseren    Planeten    gegenstandslos    geworden. 

Doch  selbst  wenn  man  unterstellen  wollte,  daß  der  vorstehend 
hervorgehobene  Mangel  der  Definition  nur  ein  lapsus  calami  sei, 
daß  Liefmann  den  psychischen  Vorgang  einer  Vergleichung  von 
Lust-  und  Unlustgefühlen  nicht  als  den  vollen  Inhalt  des  Wirt- 
schaftens,  sondern  nur  als  den  inneren  Vorgang  der  wirtschaftlichen 
Ueberlegung  angesehen  wissen  will,  deren  Ergänzung  durch  die 
dieser  Ueberlegung  entsprechende  äußerlich  wirkende  Handlung 
schließlich  selbstverständlich  sei,  so  wäre  meines  Dafürhaltens  doch 
auch  mit  dieser  Annahme  für  die  wissenschaftliche  Brauchbarkeit 
seiner  Definition  noch  nicht  eben  viel  gewonnen.  Liefmann  selbst  be- 
tont, daß  noch  nicht  Jedes  Vergleichen  von  Lust-  und  Unlustgefühlen 
Wirtschaft  sei,  ein  solches  vielmehr  bei  allen  menschlichen  Hand- 
lungen vorkomme  oder,  wie  ich  es  lieber  ausdrücken  möchte, 
die  Erwägung  ist,  auf  der  jede  mens*chliche  Handlung  beruht. 
Darum  gibt  er  in  der  zitierten  Definition  eine  vermeintliche  Ein- 
schränkung, die  aber  doch  meiner  Auffassung  nach  in  keiner 
Weise  hinreicht,  um  aus  dem  Kreise  dieser  allgemeinen  Vergleichs- 
erwägungen diejenigen  herauszusondern,  die  speziell  wirtschaftliche 
Erwägungen  (nach  meinen  Ausführungen  aber  auch  dann  noch 
nicht  Wirtschaften)  wären.  Trotz  aufrichtigen  Bemühens  will  es 
mir  nicht  gelingen,  irgendeine  menschliche  Tätigkeit  —  sei  es 
eine  einzelne  Handlung,  sei  es  eine  fortgesetzte  oder  gar  plan- 
mäßige Betätigung  —  ausfindig  zu  machen,  die  nicht  auf  die 
psychische  Voraussetzung  zurückzuführen  wäre,  daß  das  diese  Tä- 
tigkeit übende  Individuum  sich  von  ihr  Lusterfolge  verspräche, 
die  gegenüber  den  mit  dieser  Tätigkeit  etwa  verbundenen  Unlust- 
gefühlen überwögen.  Statt  vieler  Beispiele  ein  einziges:  Ich  be- 
kämpfe meine  Müdigkeit  und  stehe  nachts  um  i/gS  Uhr  auf, 
um  die  Schönheit  eines  Sonnenaufganges  andächtig  zu  genießen. 
Der  Seelenkampf,  den  ich  in  diesem  Falle  um  ^/gS  Uhr  in  meinem 
Bette  auskämpfe,  ist  er  Wirtschaft?  Nach  Liefmanns  Definition 
wohl  zweifellos,  denn  ich  vergleiche  mehrere  erstrebte  Lustgefühle, 
Genüsse,  —  das  Wohlbehagen  einer  völligen  Befriedigung  meines 
noch  nicht  gestillten  Ruhebedürfnisses  und  den  Genuß  der  Morgen- 
röte und  des  Schweigens  im  Walde  —  mit  den  zu  ihrer  Er- 
langung aufzuwendenden  Unlustgefühlen,  Opfern  —  dem  Opfer 
meiner  Nachtruhe  oder  dem  Verzicht  auf  einen  lang  ersehnten 
Naturgenuß  —  bin  also  vor  die  Frage  gestellt,  ob  ich  ein  Maximum 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  263 

von  Genuß  dadurch  erreiche,  daß  ich  auf  die  Erquickuag  des 
Schlafes  verzichte,  um  mich  an  dem  genußreichen  Spaziergange 
zu  erfreuen,  oder  ob  ich  auf  diesen  Genuß  verzichte,  um  wohl- 
tuender Ruhe  zu  pflegen.  Nein :  ich  vermag  mich  nicht  zu  der 
Annahme  durchzuringen,  daß  diese  Vorgänge  in  meinem  Innen- 
leben „Wirtschaften"  seien,  ebensowenig  wie  ich  zu  glauben  ver- 
mag, daß  das  äußere  Ergebnis  meiner  Vergleichserwägungen,  der 
Morgenspaziergang,    einen   wirtschaftlichen   Vorgang   bedeute. 

"Die  vorstehende  Kritik  des  „psychischen  Wirtschaftsbegriffes" 
hat  Liefmanns  Ausführungen  ausschließlich  in  derjenigen 
Fassung  zum  Gegenstande,  in  der  sie  in  „Geld  und 
Gold"  enthalten  sind.  Diese  Ausführungen  halte  ich  nach 
zwei  Richtungen  hin  für  verfehlt.  Indem  sie  das  Wirtschaften 
als  „etwas  Psychisches",  als  eine  „Art  von  Erwägungen"  definieren, 
zwingen  sie  zu  dem  Schlüsse,  daß  Wirtschaften  etwas  Physisches, 
einen  Inbegriff  von  Handlungen,  nicht  bedeute.  Darin  glaube  ich 
—  wie  ausgeführt  —  den  ersten  Fehler  erblicken  zu  sollen.  Und 
weiterhin  glaube  ich  durch  das  von  mir  gewählte  Beispiel  nach- 
gewiesen zu  haben,  daß  die  Liefmannschen  Vergleichserwägungen 
die  allgemeine  psychische  Voraussetzung  jeder  mensch- 
lichen Tätigkeit,  nicht  nur  die  besondere  psychische 
Voraussetzung  der  als  „Wirtschaft"  bezeichneten 
menschlichen  Tätigkeit  sind.  In  der  Verkennung  dieser  Tat- 
sache ist  meines  Dafürhaltens  der  zweite  Fehler  des  hier  erörterten 
Wirtschaftsbegriffes  enthalten. 

Halte  ich  hiernach  meine  Kritik  für  schlüssig  —  nämlich  in 
ihrer  Beschränkung  auf  die  allein  ihr  zugrunde  liegende  Darstellung 
Liefmanns  in  „Geld  und  Gold"  —  so  halte  ich  sie  für  berechtigt 
und  notwendig,  auch  wenn  sie  gegenüber  dem  Begriffe  der  „Wirt- 
schaft", wie  ihn  Liefmann  an  anderer  Stelle  —  so  vornehmlich  in 
seinen  „Grundsätzen  der  Volkswirtschaftslehre"  (deren  Erscheinen 
er  in  „Geld  und  Gold"  in  Aussicht  stellt,  und  deren  erster  Band 
inzwischen  —  1917  —  erschienen  ist)  —  entwickelt,  zweifellos 
anders  würde  ausfallen  müssen.  Aber:  so  gewiß  anerkannt  werden 
soll,  daß  Liefmann  im  Rahmen  des  hier  behandelten  Buches  nicht 
wohl  seinen  Wirtschaftsbegriff  erschöpfend  zu  behandeln  vermochte, 
so  gewiß  muß  doch  verlangt  werden,  daß  eine  aus  technischen 
Gründen  gekürzte  Darstellung  eine  richtige  Darstellung  bleibt.  Es 
würde  m.  D.  nicht  zulässig  sein,  eine  falsche  Darstellung  mit  der 
Begründung,  daß  sie  nur  kurz  hätte  ausfallen  dürfen,  gegenüber 
einer  Kritik,  die  ihr  allein  gegenüber  nicht  widerlegt  werden  könnte, 
aufrechtzuerhalten.  Immerhin  aber  möchte  ich  den  ausdrück- 
lichen Hinweis  darauf  nicht  unterlassen,  daß  in  Liefmanns  „Grund- 
sätzen der  Volkswirtschaftslehre"  umfangreiche  Ausführungen  ent- 
halten sindi),  die  sich  mit  denen  meiner  Kritik  inhaltlich  in 
weitem  Maße  durchaus   vereinigen  lassen,  wenn  ich  auch  meiner- 

1)  Ich  möchte  dieserhalb  auf  die  Ausführungen  S.  67  in  Verbindung  mit  S.  362 
und  diejenigen  auf  S.  288  ff.  besonders  hinweisen. 


264  ^*''^  Elster, 

seits  im  Rahmen  dieses  Aufsatzes  darauf  verzichten  muß,  sie  einer 
eingehenden  Erörterung  zu  unterziehen. 

Liefmann  rügt,  daß  die  bisherige  „technisch-materialistisch- 
quantitative"  Auffassung  der  Wirtschaft  das  Wirtschaften  mit 
Produktion  mit  „Sachgüterbeschaffung'*  verwechsele  i).  Ich  vermag 
nicht  zuzugeben,  daß  die  bisherige  Nationalökonomie  den  zwischen 
„Produktion  und  Wirtschaft"  bestehenden  Unterschied  als  solchen 
nicht  anerkannt  habe.  So  definiert  insbesondere  Philippovich 
(Grundriß  der  politischen  Oekonomie,  Bd.  1,  S.  134)-)  die 
Produktion  als  einen  zunächst  technischen  Vorgang,  der 
allerdings  regelmäßig  mit  einer  wirtschaftlichen  Erwägung 
verknüpft  sei.  „Jede  Produktion  erfordert  einen  Aufwand  von 
Sachgütern  oder  wenigstens  von  Arbeit,  Kosten,  die  nur  dann 
hingegeben  werden,  wenn  das  als  Ergebnis  zu  erwartende 
Produit  für  die  Wirtschaft  der  Menschen  höhere  Bedeutung  ge- 
winnt, als  den  geopferten  Sachgütern  und  dem  Unterlassen  der  Ar- 
beitsmühe zukam.  Der  Wert  des  Produktes  muß  größer  sein  als 
der  Wert  der  aufgewandten  Kosten.  Das  wirtschaftliche  Moment 
der  Produktion  liegt  dann  darin,  daß  die  Produktion  so  eingerichtet 
wird,  daß  dieser  Erfolg  erreicht  wird.  Während  demnach  technisch 
die  Produktion  dann  vollkommen  ist,  wenn  das  Produkt  seiner 
Beschaffenheit  und.  seinen  Eigenschaften  nach  dem  ins  Auge  ge- 
faßten Zwecke  entspricht,  ist  sie  es  wirtschaftlich  erst  dann, 
wenn  der  dem  Produkte  zugesprochene  Wert  höher  ist,  als  der 
Wert  der  Kosten." 

Wenn  diese  Sätze  Philippovichs,  der  hier  nur  als  Vertreter 
der  herrschenden  Auffassung  aufgeführt  sein  soll,  meines  Darfürhal- 
tens  ausreichen,  um  den  Vorwurf,  Wirtschaft  und  Produktion  würde 
miteinander  „verwechselt",  zu  widerlegen,  so  zeigen  sie  doch  an- 
dererseits den  Grundfehler  der  bisherigen  Betrachtungsweise,  den 
Liefmann  durchaus  zutreffend  empfindet,  wenn  er  ihn  meines 
Erachtens  auch  nicht  mit  hinreichender  Deutlichkeit  in  seinem 
Wesen  erkennt,  oder  doch  nicht  hinreichend  eindeutig  zum  Aus- 
druck bringt,  den  Grundfehler  nämlich,  daß  Elemente 
des  inneren  psychischen  Geschehens  in  das  ihnen  ab- 
solut wesensfremde  Reich  der  äußeren  körperlichen 
Vorgänge  übertragen  werden.  Psychische  Begriffe  (hier 
etwa  Mühe,  Wert)  werden  objektiviert  und  als  Eigenschaften  den 
Dingen  der  Außenwelt,  mit  denen  sie  gar  nichts  gemein  haben, 
oktroyiert.  Insofern  ist  die  bisherige  Wirtschaftsauffassung  in  der 
Tat  „materialistische"  Nationalökonomie,  als  sie  rein  psychische 
Fakta,  die  durch  äußere  Vorgänge  ausgelöst  werden  oder  ein 
äußeres  Handeln  bestimmen  mögen,  in  den  Objekten  der  Außen- 
welt gewissermaßen  vereigenschaftet  wähnt. 

Es  ist  gewiß  ein  prekäres  Unterfangen,  einen  Denker  von 
Liefmanns  starker  Originalität  darüber  aufklären  zu  wollen,  worin 

1)  Vgl.  Geld  und  Gold,  S.  29. 

2)  Zitiert  ist  nach  der  11.  Auflage;  (Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr,  1916). 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  265 

sich  seine  Betrachtungsweise  von  der  von  ihm  bekämpften  in 
Wahrheit  unterscheidet.  Und  dennoch  glaube  ich,  diesen  Versuch 
wagen  zu  sollen,  weil  ich  der  Ueb'erzeugung  bin,  da-ß  nur  eine  ent- 
schiedene Klarstellung  nach  dieser  Richtung  hin  die  genetische 
Erklärung  für  gewisse  Fehlschlüsse  Liefmanns  gibt,  wie  ich  sie 
hinsichtlich  der  von  ihm  hier  vertretenen  Definition  der  Wirtschaft 
glaube  nachgewiesen  zu  haben.  Liefmann  empfindet  das  Fehlerhafte 
jenes  Verfahrens,  das  die  ewige  Grenzscheide  zwischen  psychischem  und 
physischem  Sein  im  Denken  überschreitet,  und  damit  den  Urgrund 
zu  begrifflichen  Fehlbildungen  gegeben  hat,  deren  Inkongruenz  mit 
dem,  was  ist,  wir  heute  zu  erkennen  glauben.  Er  stellt  zutreffend 
fest,  daß  die  Objektivierung  psychischer  Vorgänge  es  ist,  die  uns 
daran  hindert,  manche  realen  Erscheinungen  der  Volkswirtschaft 
in  ihrem  wirklichen  Sein  und  Wesen  zu  begreifen.  Und  aus  der 
Erkenntnis  heraus,  daß  es  vergebliche  Liebesmühe  bleibt,  den  psychi- 
schen Emolumenten  des  wirtschaftlichen  Geschehens  auch  in  dessen 
äußeren  Ausdrucksformen  nachzuspüren,  kommt  er  zu  der  Auf- 
fassung, daß  Wirtschaften  überhaupt  ein  —  zu  Unrecht  im  äußeren 
Geschehen  gesuchter  —  fein  psychischer  Vorgang  sei,  und  versteigt 
sich  schließlich  zu  dem  Satze,  da£  Wirtschaften  überhaupt  „keine 
Beziehung  des  Menschen  zu  den  Gegenständen  der  äußeren  Natur" 
bedeute  1).  Dem  ist  nun  gewiß  nicht  so.  Alles  Wirtschaften  ist 
Handeln,  ist  Einwirken  auf  die  Umwelt,  auf  die  Gegenstände  der 
äußeren  Natur.  Bestimmt  aber  wird  nach  Art  und  Umfang  dieses 
äußere  Tun  durch  innere  Erwägungen.  Und  so  ist  es  nicht  ver- 
fehlt, den  Begriff  des  Wirtschaft^ens  selbst  aus  einem  —  wenn 
auch  psychisch  bestimmten  —  so  doch  äußeren  Vorgange  herzu- 
leiten, wohl  aber,  äußere  Ausdrücke  der  maßgebenden  psychischen 
Faktoren  in  den  Objekten  der  Wirtschaft  zu  suchen. 

Dies  mag  hier  genügen.  Die  weitere  Erörterung  wird  noch 
Anlaß  bieten,  auf  diese  Ausführungen  im  einzelnen  zurückzu- 
greifen. Nur  das  eine  sei  ausdrücklich  betont,  daß  nämlich  die 
Untersuchungen  Liefmanns  meines  Erachtens  kaum  hoch  genug 
bewertet  werden  können  als  der  —  durch  die  gegenwärtigen  Ver- 
hältnisse nahezu  zwingend  gebotene  —  Versuch  einer  Nachprüfung 
all  der  Begriffe,  mit  denen  die  Nationalökonomie  als  mit  gegebenen 
Größen  zu  rechnen  sich  gewöhnt  hatte,  die  aber  doch  einer  Ein- 
ordnung mancher  tatsächlichen  Erscheinungen  in  das  von  ihnen 
beherrschte  System  den  sprödesten  Widerstand  entgegensetzen. 

Im  Anschluß  an  Liefmann  und  bei  Berücksichtigung  aller 
vorstehend  geltend  gemachten  Einwendungen  glaube  ich  den  Begriff 
des  „Wirtschaf  tens*',  wie  folgt,  entwickeln  zu  dürfen:  Wirtschaften 
ist  Handeln,  und  zwar  unter  der  Gesamtheit  aller  menschlichen 
Handlungen  diejenige  Gruppe,  die  auf  die  Beschaffung  von  Mitteln 
zur  Bedürfnisbefriedigung  gerichtet  ist.  Veranlaßt  wird  dieses 
Handeln  durch  den  gleichen  psychischen  Motoren,  der  ausnahmslos 

1)  Grundsätze  der  Volkswirtschaftslehre,  Bd.  1,  S.  67  u.  644. 


266  Karl  Elster, 

jedes  menschliche  Handeln  bestimmt,  durch  das  Streben  nach  größt- 
möglicher Lust,  und  insofern  also  bestimmt  durch  Erwägungen, 
die  ein  Vergleichen  von  Lust-  und  Unlustgefühlen,  als  der  vorausge- 
setzten Folgen  der  Handlung,  zum  Inhalte  haben.  So  unterscheidet 
sich  das  „Wirtschaften"  vom  Begriff  der  menschlichen  Handlung 
schlechthin  nicht  durch  einen  spezifisch  wirtschaftlichen  Zweck 
(denn  jede  Handlung  bezweckt  Lustgefühle),  nicht  durch  spezifisch 
wirtschaftliche  Erwägungen  (denn  jede  Erwägung,  die  zur  Hand- 
lung führt,  ist  der  von  Liefmann  richtig  dargestellte  Vergleicli), 
überhaupt  durch  kein  psychisches  Moment.  Wohl  aber  unter- 
scheidet sich  die  wirtschaftliche  Handlung  von  jeder  anderen  durch 
ihren  Inhalt,  indem  sie  nämlich  die  (zum  Lustgefühl  führende) 
Befriedigungshandlung  nicht  selbst  unmittelbar  darstellt,  sondern 
mittelbar  vorbereitet,  indem  sie  nie  das  psychische  Endziel  umgreift, 
sondern  vor  dessen  Erreichung  (als  eigener  Begriff)  endet.  Alles 
menschliche  Handeln  ist  »entweder  Bedürfnisbefriedigung  oder  deren 
Vorbereitung,  und  der  Unterschied  der  als  „Wirtschaften"  bezeich- 
neten Handlungen  von  den  übrigen  liegt  nur  in  ihrer  Entfernung 
von  dem  endgültigen  Ziel.  Sobald  das  Mittel,  das  zur  Bedürfnisbe- 
friedigung dienen  soll,  der  freien  Verfügbarkeit  für  diesen  Zweck 
zugeführt  ist,  hört  es  auf,  Objekt  des  Wirtschaftens  zu  sein.  Hieraus 
ergibt  sich  die  Definition:  Wirtschaften  bedeutet:  Mittel 
zur  unmittelbaren  Bedarfsbefriedigung  beschaffen. 
In  diesen  Worten  ist  der  Inhalt  des  Begriffes  restlos  erschöpft. 
Halte  ich  hiernach  die  von  Liefmann  aufgestellte  Definition 
der  Wirtschaft  für  verfehlt,  so  glaube  ich  desungeachtet,  seinen 
Untersuchungen  über  die  psychischen  Vorgänge,  die  den  wirt- 
schaftlichen Willen  bestimmen,  einen  hohen  Wert  zusprechen  zu 
sollen.  Die  Erkenntnis,  da£  der  Kostenbegriff  ein  psychi- 
scher ist,  indem  .„Kosten"  nichts  anderes  sind  als  ün- 
lustgefühle,  denen  das  wirtschaftende  Individuum  sich  be- 
wußt aussetzt^),  um  stärker  begehrte  Lustgefühle  zu 
erzielen,  daß  es  demgemäß  für  sie  ebensowenig  wie 
für  die  Bedürfnisse  und  den  Nutzen  (den  Liefmann  als 
den  „erlangten  Genuß"  gegenüber  dem  Bedürfnis,  als  „dem  er- 
strebten Genuß",  definiert)  einen  Ausdruck,  das  heißt  einen 
objektiv  bestimmbaren  Ausdruck  geben  kann,  ist  meines  Dafür- 
haltens von  grundlegender  Bedeutung.  Und  demgemäß  dürfen  die 
Bedenken,  die  auch  hier  seinen  Definitionen  gegenüber  erhoben 
werden  müssen,  in  der  weiteren  Erörterung  unberücksichtigt  bleiben, 
weil  die  in  diesen  Definitionen  doch  wohl  enthaltenen  Fehler  die 
meines  Erachtens  entscheidende  Tatsache,  die  Subjektivität  der 
hier  erörterten  Begriffe,  in  keiner  Weise  verdunkeln.  Darum  sei 
nur  an  dieser  Stelle  bemerkt,  daß  ich  den  Satz  Liefmanns  ,jNutzen 
ist  ein  erlangter  Genuß"  für  eine  reine  Scheindefinition  halte,  der 
ich    mit    gleicher    Berechtigung    die    ebenso   wertlose   Feststellung 

1)  Lief  mann  sagt  (Geld  und  Gold,  S.  28):  „die  man  verwendet";  aber  Gefühle  ver- 
wendet man  nicht,  wie  ich  denn  überhaupt  eine  schärfere  sprachliche  Durcharbeitung 
seiner  psychologischen  Erörterungen  für  durchaus  erwünscht  halten  möchte. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  267 

„Genuß  ist  erlangter  Nutzen"  entgegenzusetzen  vermöchte.  Lust- 
und  Unlustgefühle  sind  dasjenige,  was  den  Inhalt  des  Ich,  des 
Individuums  ausmacht,  und  wie  sie  selbst  als  das  Ursprüngliche 
nicht  der  Definition,  sondern  höchstens  der  tautologischen  Um- 
schreibung fähig  sind,  so  gilt  das  Gleiche  vom  Genüsse  als  dem 
Lustgefühl,  dem  Bedürfnis,  als  der  Umschreibung  der  Tatsache, 
daJ3  die  Unlust  dem  Ich  wesenswidrig  ist,  vom  Nutzen  als  der 
jeweiligen  Behebung  eines  Bedürfnisses.  Uns  muß  die  Tatsache 
genügen,  daß  alle  diese  Begriffe  einen  rein  psychischen  Inhalt 
haben;  einer  weiteren  Definition  sind  sie  selbst  nicht  mehr 
ZiUgän  glich. 

Ausgehend  von  dem  subjektiv^en  Nutzen-  und  Kos,teiibegriff, 
findet  Liefmann  das  „eigentliche  wirtschaftliche  Grundproblem" 
in  der  Gegenüberstellung  der  Arbeitsmühe  als  Kosten  einerseits, 
des  erstrebten  Nutzens  andererseits.  Und  indem  er  darauf  hinweist, 
daß  dem  Gossenschen  Gesetze  entsprechend  die  Empfindung  des 
Nutzens  mit  wachsender  Befriedigung  des  Bedürfnisses  an  Stärke 
abnimmt,  daß  dagegen  bei  der  Arbeitsmühe  als  Kosten  jede  fol- 
gende Aufwendung  höher  geschätzt,  d.  h.  stärker  als  Unlust  emp- 
funden wird,  präzisiert  er  dieses  wirtschaftliche  Grundproblem,  wie 
folgt:  „Das  wirtschaftliche  Grundproblem  ist  also,  wie  auf  an. 
sich  unbegrenzte,  aber  an  Stärke  mit  wachsender  Befriedigung 
abnehmende  Bedürfnisse  Aufwendungen,  Kosten  verteilt  werden, 
deren  Umfang  nicht  von  vornherein  gegeben  ist,  sondern  die  mit 
wachsenden  Aufwendungen  stärker  als  Unlustgefühle  empfunden 
werden,  und  zwar  mit  dem  Ziel  einer  möglichst  großen  Bedarfsbe- 
friedigung. Dies  ist,  wie  nochmals  betont  sei,  auch  das  Problem, 
das  dem  ganzen  Tausch  verkehr  zugrunde  liegt"  i). 

Gilt  dies  für  diejenigen  Kosten,  die  m  Arbeitsmühe  bestehen, 
so  nicht  in  gleicher  Weise  für  die  Opfer  von  Sachgütern  bezw. 
Geld.  „Hier  wird  jede  Einheit  gleichgeschätzt,  und  zwar  nach 
dem  Nutzen,  den  man  opfert,  den  man  also  nicht  mehr  erzielt, 
und  das  ist  der,  den  man  sich  mit  einer  weiteren  verfügbaren  Ein- 
heit verschaffen  könnte"  i).  Und  hiernach  stellt  Liefmann  fest,  daß 
der  Mensch  dann  wirtschaftlich  handele  (!),  „wenn  er  seine 
Kosten  so  verteilt,  daß  der  Ueberschuß  von  Nutzen  über  die 
Kosten,  den  er  mit  der  letzte  auf  jede  Bedürfnisart  noch  zu  ver- 
wendenden Kosteneinheit  erzielt,  bei  allen  Bedürfnisarten  gleich 
groß  ist"i). 

Auf  diesem  Wege  gelangt  Lief  mann  zu  seinem  Begriff  des  „Er- 
trages", den  er  als  „Ueberschuß  von  Nutzen  über  die  Kosten", 
also  —  wie  diese  beiden  selbst  —  als  etwas  Psychisches  fest- 
gestellt wissen  will. 

Wie  ich  mich  außerstande  sehe,  Liefmanns  Definition  der 
Wirtschaft  als  zutreffend  anzuerkennen,  so  gewiß  ich  anerkennen 
möchte,    daß   er   die    psychischen    Handlungsemolumente,    die    das 


1)  Geld  und  Gold,  S.  29. 


268  Karl  Elster, 

Wirtschaften  bestimmen,  zutreffend  erklärt,  so  vermag  ich  mich 
mit  seinem  Ertragsbegriffe  ebensowenig  zu  befreunden.  Zu- 
nächst möchte  ich  bestreiten,  daß  es  einen  „Ueberschuß  von  Nutzen 
über  die  Kosten"  als  etwas  Selbständiges  neben  diesen  beiden 
überhaupt  gibt.  Gewiß:  das  Streben  auf  ein  Maximum  von  Genuß 
bestimmt  mein  Handeln  in  jedem  einzelnen  Akt.  Keine  Handlung 
werde  ich  vornehmen,  wenn  ich  mir  nicht  eine  Verschiebung  meines 
Zustandes  nach  der  Lustseite  hin  von  ihr  verspreche,  keine,  so- 
lange mir  eine  andere  eine  stärkere  Verschiebung  nach  dieser 
Richtung  hin  in  Aussicht  stellt.  Aber  „Ueberschuß"?  Dies  ist 
ein  Begriff  aus  der  Zahlenwe.lt.  Er  gehört  ausschließlich  in  das 
Reich  der  Arithmetik.  Liefmann  selbst  erkennt  ja  an,  daß  dieser 
Ueberschuß  zahlenmäßig  nicht  festzustellen  sei^).  Ein  Ueber- 
schuß aber,  der  sich  begrifflich  (nicht  tiur  technisch)  in 
Zahlen    nicht    ausdrücken    läßt,    ist   eine   contradictio    in    adjecto. 

Doch  dies  nur  nebenbei.  Gewiß  steht  fest,  daß  von  verschie- 
denen Zuständen  (die  etwa  als  Resiultanten  divergierender  Lust- 
und  Unlustgefühle  gedacht  werden  mögen,  beileibe  aber  keine  Re- 
sultanten sind)  jeweilig  einer  stärker  als  der  andere  als  Lust 
empfunden  wird.  Ist  nun  wirklich  ein  solcher  Zustand  vergleichs- 
weise höherer  Lust,  insoweit  er  die  Folge  der  auf  seine  Erzielung 
gerichteten  Handlungen  ist,  ein  „Ertrag"?  Es  heißt  doch  die 
Sprache  vergewaltigen,  will  man  dieses  im  Ernst  behaupten.  Wohl 
wäre  es  denkbar,  daß  die  Sprache  für  den  planmäßig  herbeige- 
führten gefühlsmäßigen  Unterschied  zwsichen  zwei  psychischen  Zu- 
ständen einen  Ausdruck  schafft.  In  unserer  Sprache  dürfte  es 
an  einem  solchen  Ausdruck  jedenfalls  fehlen^  und  ist  „Ertrag" 
ein  äußeres  Ergebnis,  kein  psychischer  Begriff.  Es  ist 
schlechterdings  nicht  angängig,  feststehenden  Begriffen  im  In- 
teresse eines  Systems  einen  beliebig  neuen  Inhalt  zu  geben  2).  So- 
lange Liefmann  mir  nicht  nachweist,  daß  meine  Annahme  falsch 
ist,  die  Menschen  lebten  von  dem,  was  wir  Ertrag  ihrer  Wirtschaft 
nennen,  oder  aber  er  beweist,  daß  psychische  Begriffe  Nährwert 
haben,  glaube  ich,  ihm  die  Gefolgschaft  versagen  zu  müssen. 

Hier  sehen  wir  die  logische  Konsequenz  einer  falschen  Voraus- 
setzung, nämlich  eben  des  psychischen  Wirtschaftsbegriffes.  Ertrag 
ist  ein  Ergebnis  des  Wirtschaftens.  Weil  dieses  selbst  etwas  Psychi- 
sches sein  soll,  muß  auch  der  Ertrag  —  jedem  Sprachgebrauche 
zum  Hohne  —  ein  psychisches  Etwas  sein.  Ich  sehe  im  Wirtschaften 
ein  äußeres  Geschehen,  brauche  daher  also  keine  Bedenken  zu 
hegen,  auch  seinem  Ergebnis,  dem  Ertrage,  objektivem  Dasein  zuzu- 
erkennen. Erträge  sind  Mittel  der  Bedarfsbefriedigung,  die  aus 
den  zu  ihrer  Beschaffung  vorgenommenen  Handlungen  resultieren. 
Jener  psychische  Tatbestand  aber,  den  Liefmann  —  zwiefach  ver- 
fehlt —  als  einen  „Ueberschuß"  und  als  „Ertrag"  bezeichnet,  ist 

1)  Geld  und  Gold,  S.  29. 

2)  Daß  diese  Ausführungen  zu  denen  über  die  „Substitution  des  Grundes"  (cf.  unten 
S.  288)  nur  scheinbar  im  Gegensatze  stehen,  dürfte  der  Begründung  nicht  bedürfen. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  269 

das  Ergebnis  der  Bedarf sbefriedigung.  Wirtschaft  —  Ertrag  — 
Befriedigungshandlung  —  Genuß   (Lust,  Nutzen). 

Und  doch  halte  ich  auch  hier  wieder  die  psychologischen 
Feststellungen  Liefmanns  insoweit  für  unbedingt  zutreffend,  als 
er  ausführt,  daß  das  wirtschaftende  Individuum  nach  dem  jeweilig 
größten  Nutzen  strebt,  der  seinerseits  das  Gesamtergebnis  der  nach 
den  entgegengesetzten  Richtungen  tendierenden  Lust-  und  Unlust- 
gefühle  ist,  daß  also  der  Entschluß  zu  jeder  wirtschaftlichen  Hand- 
lung nicht  nur  durch  die  Aussicht  auf  die  aus  ihr  zu  erwartendje 
Lustwirkung,  sondern  durch  diese  bei  gleichzeitiger  Berücksich- 
tigung der  etwa  mit  ihr  verbundenen  Unlustempfindungen  bestimmt 
wird.  Und  ich  halte  es  für  unwiderleglich,  daß  die  Gesamtheit  der 
Kostenaufwendungen  in  der  Weise  verteilt  wird,  daß  das  Ergebnis 
(das  heißt  aber  nicht  ihr  ,, Nutzenüberschuß"  oder  gar  ihr  „Ertrag", 
sondern  schlechthin  ihr  Nutzen  als  Gesamtwirkung),  das  mit  der 
letzten  für  jede  Bedürfnisart  aufgewendeten  Kosteneinheit  erzielt 
wird,  bei  diesen  allen  gleich  stark  als  Lust  empfunden  wird.  Den 
Lusteffekt,  der  durch  die  für  jede  Bedürfnisart  aufgewendete  letzte 
Kosteneinheit  noch  erzielt  wird,  nennt  Lief  mann  den  „Grenz- 
ertrag", das  Prinzip,  das  die  Kosten  Verteilung  auf  die  einzelnen 
Bedürfnisarten  regelt,  nennt  er  „das  Gesetz  des  Ausgleichs 
der  Grenzerträge". 

Dieses  Prinzip,  für  das  ich  im  folgenden  die  Bezeichnung 
„Gesetz  des  Ausgleichs  der  Grenzerträge"  beibehalte,  beherrscht 
als  Organisationsprinzip  den  gesamten  Tausch  verkehr,  „die  Volks- 
wirtschaft". Liefmann  führt  aus,  daß  mit  der  Entwicklung  des 
Tauschverkehrs  sich  die  wirtschaftliche  Tätigkeit  in  zwei  Teile 
spalte  —  die  letzten  Endes  dann  ein  Ganzes  bilden,  und  zwar 
zusammengefaßt  in  der  subjektiven  Einheit  des  wirtschaftenden 
Individuums  —  in  die  „Erwerbswirtschaften"  und  die  „Konsum- 
wirtschaften". Er  formuliert  diesen  Gegensatz  wörtlich,  wie  folgt: 
„Im  Tausch  verkehr  wird  jeder  tätig,  wendet  Kosten  auf  zunächst  für 
die  Befriedigung  des  Bedarfes  anderer  ....  wenn  er  erwartet,  daß 
auch  er  sich  im  Wege  des  Tausches  seine  Bedürfnisse  befriedigen 
kajin.  .  .  .  Dadurch  zerfällt  die  wirtschaftliche  Tätigkeit  in  .  . . 
Erwerbswirtschaft  und  Konsumwirtschaft.  Der  Wirtschafter  er- 
strebt zunächst  in  seiner  Erwerbstätigkeit  einen  möglichst  hohen 
Geldertrag  und  verwendet  ihn  dann  in  seiner  Konsumwirtschaft 
als  Kosten  nach  dem  Gesetze  des  Ausgleichs  der  Grenzerträge"  i). 
Und   weiter :     , Jn   der  Erwerbswirtschaft   sind   .  .  .    Nutzen   und 

Kosten Geldsummen ; Kosten  sind  Geldsummen  und  an 

Stelle  der  Bedarfsbefriedigung  tritt  als  Nutzen  ebenfalls  eine  Geld- 
summe. Als  Ziel  einer  solchen  Erwerbswirtschaft,  die  aber  nach 
unserer  psychischen  Auffassung  immer  nur  eine  Teilwirtschaft, 
ein  Teil  der  eigentlichen,  erst  in  der  Konsumwirtschaft  abschließen- 
den wirtschaftlichen  Erwägungen   ist,   erscheint  dann  nicht  mehr 

1)  Geld  und  Gold,  S.  30. 


270  Karl  Elster, 

Bedarfsbefriedigung,  Nutzenüberschuß,  Konsumertrag,  sondern  ein 
Geldreinertrag.  Man  darf  aber  nie  vergessen,  daß  dieser  in  der 
dahinter  stehenden  Konsumwirtschaft  dem  erstrebten  Nutzen 
psychisch  gegenübergestellt  wird'^i). 

Nachdem  ich  meine  Einwendungen  gegen  Liefmanns  Termino- 
logie bereits  eing\ehend  zur  Geltung  g-ebracht  habe,  bedarf  es 
in  diesem  Zusammenhange  nur  noch  einer  Bemerkung:  Liefmann 
führt  aus,  daß  derjenige,  der  „im  Tausch  verkehr  tätig  wird",  zu- 
nächst Kosten  für  die  Befriedigung  des  Bedarfes  anderer  aufwendet, 
und  daß  hierdurch  die  wirtschaftliche  Tätigkeit  in  zwei  Teile, 
die  „erwerbswirtschaftliche"  und  die  „konsumwirtschaftliche"  ge- 
spalten werde.  Ich  halte  dieses  für  uneing'eschränkt  richtig.  Zu 
dieser  Spaltung  führt  der  Tauschverkehr.  Wenn  Lief  mann  aber 
bereits  im  folgenden  Satze  das  Ziel  der  Erwerbswirtschaft  in 
einem  Geldertrage  erblicken  will,  so  zwingt  er  zu  der  Frage: 
Ist  denn  die  von  ihm  festgestellte  Spaltung  der  Wirtschaft  erst 
eine  Erscheinung  der  Geldwirtschaft?  Seine  weiteren  Aus- 
führungen legen  diese  Annahme  nahe,  und  doch  ist  sie  meines 
Erachtens  unvereinbar  mit  der  von  ihm  gegebenen  Unterscheidung 
der  Erwerbs-  und  Konsumwirtschaft,  für  die  es  eines  Geld  Ver- 
kehrs noch  nicht,  eines  Tauschverkehrs  aber  gewiß  bedarf. 
Hier  liegt  meinem  Epfinden  nach  eine  Unklarheit,  die  denn 
auch  nicht  ohne  nachteiligen  Einfluß  auf  seine  weiteren  Deduk- 
tionen zu  bleiben  vermag  2).  Der  nachstehenden  Darstellung  habe 
ich  geglaubt  als  Auffassung  Liefmanns  die  Feststellung  zugrunde 
legen  zu  sollen,  daJ3  die  trotz  ihrer  höheren  Einheit  im  wirt- 
schaftenden Subjekt  bestehende  Spaltung  der  Wirtschaft  in  Er- 
werbs- und  Konsumwirtschaft  entstanden  und  durchgebildet  sei 
mit  der  Entwicklung  des  Tauschverkehrs.  Da  Wirtschaften 
„Mittel  zur  Bedarfsbefriedigung  beschaffen"  heißt,  ist  vor  Durch- 
bildung des  Tauschverkehrs  naturgemäß  kein  wirtschaftlicher  Akt 
denkbar,  dessen  Ergebnis  —  als  ein  zum  Tausche  bestimmtes  Gut  — 
zu  einer  Bedarfsbefriedigung  nur  auf  dem  Wege  über  fremde  Wirt- 
schaftssphären führt. 

Der  Tauschverkehr  ist  es,  der  die  Spaltung  der  Wirtschaft  in 
die  beiden  Zweige  „Erwerbswirtschaft"  und  „Konsumwirtschaft"  be- 
wirkt. Und  wenn  in  der  noch  ungeteilten  Wirtschaft  (vor  der 
Entstehung  des  Tauschverkehrs)  jede  Kostenaufwendung  (um  bei 
Liefmanns  Terminologie  zu  bleiben)  dem  „Gesetze  des  Ausgleichs 
der  Grenzerträge"  folgt,  und  damit  ihre  jeweilige  Begrenzung 
gegeben  ist,  so  ergabt  sich  nunmehr  für  Liefmann  die  Frage,  wie 
und  wodurch  sich  nach  erfolgter  Trennung  von  „Konsum-  und  Er- 
werbswirtschaft" die  Kostenaufwendungen  bestimmen,  „da  sie  ja 
hier  nicht  mehr  für  die  eigene  Bedarfsbefriedigung  erfolgen  und 
daher  nicht  direkt  dem  erstrebten  Nutzen  gegenübergestellt  wer- 
den können"  3). 

1)  Geld  und  Gold,  S.  30,  31. 

2)  Vgl.  hierzu  weiter  unten  S.  277. 

3)  Geld  und  Gold,  S.  31. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  271 

Ich  hege  Zweifel,  ob  Liefmann  hier  das  Problem  in  seinem 
Kerne  erfaßt  hat.  Indem  die  Erwerbswirtschaft  hinter  dem  Kosten- 
gute bereits  das  Genußgut  erblickt,  ist  meines  Erachtens  an  sich 
die  Voraussetzung  für  den  Vergleich  von  Unlust  und  Lust  durchaus 
gegeben,  und  besteht  meines  Dafürhaltens  keinerlei  Anlaß,  in  der 
Frage,  bis  zu  welchem  Ende  Aufwendungen  für  Kostengüter  vor- 
genommen werden  mögen,  ein  besonderes  Problem  zu  suchen.  Diese 
Aufwendungen  werden  so  lange  vorgenommen,  als  sie  durch  den 
von  dem  erstrebten  Genußgute  erwarteten  Nutzen  nach  dem 
Grenzausgleichsgesetze  gerechtfertigt  werden.  Auch  die  Aufwen- 
dungen in  der  Erwerbswirtschaft  werden  dem  durch  sie  erstrebten 
Nutzen  „direkt  gegenübergestellt".  Dies  bleibt  Tatsache,  auch  wenn 
dieser  Nutzen  nicht  von  der  Verwendung  des  Gutes  zur  unmittel- 
baren Bedarfsbefriedigung  (nicht  von  seiner  Verwendung  als  Genuß- 
gut), sondern  von  seiner  Verwendung  zur  mittelbaren  Bedarfsbe- 
friedigung im  Wege  des  Tausches  (von  seiner  Verwendung  als 
Kostengut)  erwartet  wird. 

Nicht  die  Frage:  wodurch  bestimmen  sich  die  Kosten  im 
Tauschverkehr?  ist  (wie  Lief  mann  behauptet)  das  Grundproblem 
des  Preises,  sondern  eine  andere  Frage :  die  Frage  nämlich,  worauf 
es  zurückzuführen  ist,  daß  verschiedene  Güter,  die  sämtlich  Kosten 
(Unlustempfindungen)  verursacht  haben,  sämtlich  als  Mittel  der 
Bedarfsbefriedigung  Nutzen  (Lustgefühle)  bringen,  sich  erfahrungs- 
gemäß in  bestimmten  festen  Verhältnissen  austauschen, 
obwohl  weder  ihre  Kosten  (als  psychische  Zustände  verschiedener 
Subjekte),  noch  ihr  Nutzen  (der  gleichfalls  einen  rein  subjektiv- 
individualistischen Inhalt  hat)  kommensurabel  sind.  Ein  Gut  (G) 
ist  unter  Kosten  hergestellt  worden,  die  als  k  bezeichnet  werden 
mögen,  es  kann  in  gleicher  objektiver  Form  immer  wieder  herge- 
stellt werden  —  aber  imm^er  wieder  mit  nur  anderen  Kosten  (k  1, 
k  2  usw.  bis  k  x).  Dasselbe  Gut  G  schafft  als  Genußgut  einem 
Abnehmer  (Erwerber)  einen  Nutzen  (n),  wie  es  denn  ebensogut 
unter  anderen  Umständen  diesem  selben  oder  irgendeinem  anderen 
Erwerber  einen  Nutzen  n  1  (oder  n  2  usw.  bis  n  x)  zu  bereiten 
vermöchte.  Der  Veräußerer  dieses  Gutes  hat  für  seine  Hingabe 
ein  anderes  Gut  (für  ihn  ein  Genußgut)  G  2  erhalten.  Auch  dieses 
hat  seinem  Veräußerer  Kosten  verursacht,  die  mit  x  bezeichnet 
werden  mögen,  kann  beliebig  unter  Kosten  (x  1,  x  2  usw.  bis  x  x) 
reproduziert  werden,  hat  seinem  Erwerber  einen  Nutzen  v  bereitet» 
und  hätte  zweifellos  es  vermocht,  diesem  selben  oder  auch  einem 
anderen  Erwerber  auch  einen  Nutzen   v  1,  (v  2,  v  x)  zu  bereiten. 

Daß  dieser  Tauschakt  G  gegen  G  1  zustande  kommen  konnte, 
beweist  zweierlei,  nämlich: 

1)  daß  jeder  Erwerber  zur  Zeit  des  Tausches  sich  von  dem 
Gebrauch  des  erworbenen  Gutes  einen  stärkeren  Genuß  ver- 
sprach, als  von  dem  des  veräußerten,  und 

2)  daß  keiner  der  Tauschenden  sich  von  einer  anderen  tausch- 
weisen Verwendung  seines  Gutes  einen  noch  höheren  Lust- 


272  K*"^^  Elster, 

erfolg  versprach,  als  von  der  Verwendung  in  dem  tatsächlich 
erfolgten  Tausche. 
Dieser  Tauschakt  beweist  aber  nichts 

1)  bezüglich  des  Verhältnisses  der  auf  beide  Güter  verwendeten 
Kosten, 

2)  bezüglich  des  Verhältnisses  der  durch  ihren  Genuß  herbei- 
geführten (oder  von  ihrem  Genüsse  erwarteten)  Nutzeffekte. 

Auf  den  hinlänglich  widerlegten  Wahn,  daß  „Güter  von 
gleichem  Werte  sich  gegeneinander  eintauschen",  brauche  ich  nicht 
einzugehen.    Nur  folgendes  Ergebnis  sei  festgestellt: 

1)  Der  Vorgang  dieses  Tausches  erklärt  sich  ohne  die  Annahme 
irgendwelcher  Beziehungen  zwischen  k  und  x  über  die  er 
nichts  beweist. 

2)  Der  Vorgang  dieses  Tausches  ist  in  gleicher  Weise  unab- 
hängig von    irgendwelchen  Beziehungen  zwischen    n    und    v. 

3)  k  ist  so  wenig  durch  %,  n  so  weni^  durch  v  ausdrückbar 
(sei  es  als  ein  Vielfaches,  sei  es  als  ein  Teil,  sei  es  als  ein 
Mehr  (4-)  oder  ein  Weniger  ( — ),  wie  es  angängig  ist,  die 
Neuralgien,  an  denen  eine  Person  leidet,  zu  der  Gicht  oder 
den  Zahnschmerzen  einer  anderen  in  irgendeine  vergleichende 
Beziehung  zu  setzen. 

So  weit  die  Ergebnisse,  wenn  der  Tauschakt  G  und  G  1  in 
wirtschaftlicher  Isolierung  betrachtet  wird.  Fügt  man  ihn  ein 
in  den  Eahmen  des  umfassenderen  wirtschaftlichen  Vorganges,  von 
dem  er  ein  Teil  ist,  so  läßt  sich  noch  ein  weiteres  Ergebnis  ge- 
winnen : 

Daß  nämlich  weder  G  noch  G  1  von  ihren  Herstellern  zu 
Tauschzwecken  beschafft  worden  wären,  wenn  nicht  ihre  Kosten  — 
k  und  %  —  als  Unlustempfindungen  geringer  empfunden  wären, 
als  der  von  ihrer  Aufwendung  erwartete  Genuß  —  v  und  n  — 
stark  empfunden  wird.  Mit  anderen  Worten:  k  ist  kleiner  als  n, 
%  ist  kleiner  als  v,  wobei  ich  indessen  besonders  betonen  möchte, 
daß  der  Ausdruck  „kleiner*'  hier  nur  zur  Illustration  eines  Ver- 
hältnisses gebraucht  werden  soll,  das  exakt  auszudrücken  der 
Sprache  jedes  Mittel  fehlt.  Denn  „groß"  und  „klein"  sind  (trotz 
ihres  gelegentlichen  Gebrauches  in  übertragenem  Sinne)  Begriffe 
aus  der  Körperwelt,  und  daß  es  entsprechend  eindeutige  Ausdrücke 
für  dieVergleichung  von  Gefühlsstärken  nicht  gibt,  ist  nur  die  Folge 
der  Tatsache,  daß  Gefühle  exakter  Messung  und  damit  der  Ver- 
gleichung  unzugänglich  sind.  Es  ist  dies  die  gleiche  Tatsache, 
die  mich  zwingt,  den  Liefmannschen  „Ertrag"  als  „Ueberschuß" 
abzulehnen  und  der  Bezeichnung  „Ueberschuß"  in  diesen  Zu- 
sammenhängen höchstens  als  einer  Analogie  (hier  nicht  aus 
der  Körperwelt,  sondern  aus  der  Zahlenwelt)  Berechtigung 
zuzuerkennen.  Es  gibt  keinen  „Ueberschuß",  der  nicht  das 
Ergebnis  eines  Subtraktionsexempels  wäre.  Liefmanns  „Ertrag" 
als  Eealität  anerkennen,  hieße  die  Realität  der  Gleichungen  v  —  k 
=  e  (Ertrag)  und  n— x  =  s  (Ertrag)  anerkennen.  Diese  Gleichungen 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  273 

aufstellen    heißt    aber    meines    Dafürhaltens    ihre    Unmöglichkeit 
klarstellen. 

Diese  Untersuchungen  beweisen  meines  Erachtens  unwider- 
leglich : 

1)  daß  die  Begriffe  „Nutzen"  und  „Kosten"  zwar  voll  ausreichen, 
um  die  Tatsache,  daß  Tauschhandlungen  vorkommen,  zu  er- 
klären ; 

2)  daß  aber  diese  beiden  Begriffe  uns  nichts  darüber  zu  sagen 
vermögen,  warum  sich  regelmäßige  (feste)  Tauschverhältnisse 
zwischen  den  Gütern  entwickeln  konnten,  wie  dieses  doch 
tatsächlich  der  Fall  ist,  das  heißt  wie  Preise  entstehen. 
Wenn  Liefmann  dieses  Problem,  wie  folgt,  faßt:  „Wodurch 
bestimmen  sich  die  Kosten  im  Tauschverkehr?",  stellt  er  damit 
bereits  die  Frage  nach  der  Höhe  der  Preise,  obwohl 
die  Vorfrage,  worauf  die  Existenz  von  Preisen  als 
irgendwie  und  durch  irgend  etwas  gesetzmäßig  bestimmter 
Wirtschaftserscheinungen  beruht,  zunächst  der  Beantwor- 
tung harrt.  Die  Frage,  wie  sich  solche  regelmäßigen  Aus- 
tauschverhältnisse zwischen  den  Gütern  bilden  können,  worauf 
ihre  Existenz  zurückzuführen  ist,  da  „Nutzen"  und  „Kosten" 
allein  sie  nicht  erklären,  das  ist  die  Frage,  die  an  die  Spitze 
der  Preistheorie  zu  stellen  ist. 

Liefmann  behauptet,  daß  es  eine  „wirkliche  Preistheorie"  bis- 
her nicht  gegeben  habe.  Darin  stimme  ich  ihm  bei.  Er  glaubt 
aber  seinerseits  eine  solche  zu  geben.  Hierin  glaube  ich  ihm  wider- 
sprechen zu  müssen.  Auch  er  gibt  keine.  Doch  bevor  ich  mich 
mit  ihm  dieserhalb  auseinandersetze,  kann  ich  es  nicht  umgehen, 
seine  Preistheorie  in  der  Fassung,  wie  er  sie  in  „Geld  und  Gold"i) 
aufstellt,  hier  wörtlich  wiederzugeben.    Liefmann  sagt: 

„Dieses  Problem:  Wodurch  bestimmen  sich  die  Kosten  im 
Tauschverkehr?  ist  das  Problem  des  Preises,  das  Hauptproblem 
der  ganzen  ökonomischen  Theorie,  von  dem  die  bisherige  Wirt- 
schaftstheorie aber  gar  keine  Ahnung  hatte,  weil  sie  das  Angebot 
als  gegeben  annahm.  Daher  ist  nichts  so  berechtigt  wie  meine  Be- 
hauptung, daß  es  eine  wirkliche  Preistheorie  bisher  überhaupt 
noch  nicht  gegeben  habe.  Man  lese  nur,  was  bisher  über  das  Ver-' 
hältnis  von  Preis  und  Kosten  gelehrt  wurde.  Immer  wurde  be- 
hauptet, daß  der  Preis  durch  die  Kosten  bestimmt  werde,  auch  die 
sogenannte  subjektive  Wertlehre  ist  darüber  nicht  hinausgekommen. 
Aber  es  ist  gerade  das  Problem,  wie  und  in  welchem  Umfange 
Kosten  auf  die  Beschaffung  dieses  oder  jenes  Gutes  verwendet 
werden.  Diese  Kosten  nennt  man  im  Tauschverkehr  das  Angebot, 
und  das  Angebot,  also  das  Maß  der  Kostenaufwendung  zu  erklären,  ist 
die  erste  Aufgabe  der  Preistheorie.  Und  zwar  ist  es  zu  erklären  gegen- 
über Bedürfnissen,  hier  Nachfrage  genannt,  die  ebensowenig  wie  die 
Bedürfnisse   in   der   einzelnen   Konsumwirtschaft  als   festgegebene 

1)  S.  31  ff. 
Jahrb  f  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  18 


274  ^'^''^  Elster, 

Größen  anzusehen  sind,  sondern  die  an  sich  unendlich  sind,  aber 
mit  wachsender  Befriedigung  an  Stärke  abnehmen.  Dieses  Problem, 
wie  es  nicht  gegebenen,  unendlich  mannigfaltigen  Bedürfnissen 
gegenüber  im  Tauschverkehr  zu  Kostenaufwendungen,  zu  einem 
Angebot  kommt,  und  wie  sich  daraufhin  die  Preise  bilden, 
mußte  der  bisherigen  Wirtschaftstheorie  als  absolut  unlösbar  er- 
scheinen. Man  beachte  nur,  wie  die  vielgerühmte  sogenannte  Preis- 
theorie der  Oesterreicher  Angebot  und  Nachfrage  einfach  als  quan- 
titativ und  zahlenmäßig  gegebene  Größen  annimmt.  Unser 
Problem,  das  wirklich  dem  Tauschverkehr  zugrunde  liegt,  ist  nur 
lösbar  mit  dem  Ertragsgedanken,  den  freilich  noch  neuestens 
Theoretiker  für  ganz  überflüssig  erklärten.  In  Wirklichkeit  aber 
ist  er,  wie  auch  jede  Beobachtung  schon  zeigt,  die  Richtschnur  für 
alles  wirtschaftliche  Handeln.  Ein  gewisses  Minimum  von  Geld- 
ertrag nämlioh,  das  ich  tauschwirtschaftlichen  Grenzertrag  nenne, 
bestimmt  die  Kosten,  die  eine  Erwerbswirtschaft  auf  die  Dauer 
höchstens  noch  auf  das  Angebot  eines  Gutes  oder  einer  Leistung 
aufwenden  kann,  und  bestimmt  damit  den  Preis  dieses  Gutes.  Das 
gilt  für  alle  im  Tauschverkehr  angebotenen  Güter  und  Leistungen. 
So  lange  wenden  sich  also  Erwerbstätige  mit  ihrer  Arbeitskraft 
oder  ihrem  Kapital  einem  Erwerbszweige  zu,  als  sie  in  demselben 
noch  mindestens  den  tauschwirtschaftlichen  Grenzertrag  zu  er- 
zielen erwarten.  Durch  das  Ertragstreben  aller  Erwerbstätigen 
vollzieht  sich  also  auch  hier  ein  Ausgleich  der  Grenzerträge,  bezw. 
es  besteht  eine  Tendenz  zum  Ausgleich,  der  allerdings  zur  völligen 
Durchsetzung  im  heutigen  Wirtschaftsleben  gewisse  Hindernisse  im 
Wege  stehen.  Alle  Erwerbstätigen  mit  geringeren  Kosten  erzielen 
über  den  Grenzertrag  hinausgehende  Erträge.  Der  Grenzertrag 
wird  dann,  wie  alle  Erwerbserträge,  in  der  Konsumwirtschaft  Ein- 
kommen und  dort  als  Kosten  geschätzt,  muß  also  so  hoch  sein, 
um  angesichts  der  bisherigen  Preise  den  Beziehern  die  dem  Kultur- 
zustande entsprec]iende  Lebenshaltung  zu  ermöglichen.  Dadurch 
und  durch  die  Möglichkeit,  Kosten  entweder  auf  dieses  oder 
auf  jenes  anzubietende  Gut  zu  verwenden,  hängen  alle  Preise  zu- 
siammen.  Auch  das  war  der  bisherigen  Theorie,  die  den  Preis  eines 
Gutes  aus  dem  Angebot  von  und  der  Nachfrage  nach  diesem  Gut 
selbst  allein  erklären  wollte,  völlig  unbekannt  geblieben.  Nennt 
man  die  Anbieter,  die  gerade  no€h  jenes  Ertragsminimum,  den 
tauschwirtschaftlichen  Grenzertrag  erzielen,  die  Grenzanbieter,  ihre 
Kosten  für  jede  Güterart  die  Grenzkosten,  so  ist  jeder  Preis  zu- 
sammengesetzt aus  Grenzkosten  plus  tauschwirtschaftlichem  Grenz- 
ertrag, wobei  der  letztere  die  in  der  ganzen  Volkswirtschaft  ge- 
gebene Größe  ist,  die  überall  die  Kosten  ;bestimmt  und,  wie  gesagt 
selbst  eine  Komponente  aller  Preise  aller  Genußgüter  ist." 

So  weit  'Liefmann.  Ich  stimme  —  wie  erwähnt  —  in  der 
Auffassung  mit  ihm  überein,  daß  es  eine  „wirkliche  Preistheorie" 
noch  nicht  gebe.  An  der  Spitze  der  heutigen  Preistheorien  steht 
der  Satz:     „Der  Preis   ist  die  Menge   von   Gütern,   die   man  im 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  275 

Tauschverkehr  für  ein  Gut  erhält."  [Philippovich,  Grundriß  der 
politischen  Oekonomie,  Bd.  1,  S.  254 1).]  Und  ebenso  im  Hand- 
wörterbuch der  Staatswissenschaften 2)  (Artikel:  Preis):  „Die 
Menge  von  Gütern,  die  man  im  Tausche  für  ein  Gut  empfängt, 
nennt  man  dessen  Preis." 

Es  lohnt  sich,  diese  Definitiouien,  die  man  schon  mit  Kücksicht 
auf  die  Stellen,  wo  sie  Aufnahme  gefunden  haben,  als  klassisch  be- 
zeichnen dürfte,  eingehend  zu  untersuchen,  anstatt  —  sie  aus- 
wendig zu  lernen. 

Der  Preis  ist  „eine  Menge  von  Gütern",  die  man  für  „ein 
Gut"  erhält.    Ist  es  —  wie  diese  Definition  uns  glauben  machen 
könnte  —  ein  essentiale  des  Preises,  daß  er  eine  Mehrzahl   von 
Gütern  ausmachte,  denen  „das  Gut"  als  körperliche  Einheit  gegen- 
überstünde?    Wohl    kaum.     Drei    Beispiele    seien    gestattet:     A 
empfängt  für  einen  Zugochsen  eine  Kuh  oder  zwei  Ziegen.    Sind 
zwei  Ziegen  „ein  Preis",  nicht  aber  eine  Kuh?  Die  Frage  stellen 
heißt  sie  beantworten.   Die  Mehrzahl  ist  so  wenig  das  essentiale  des 
Preises,  wie  etwa  die  Einzahl  „ein  Gut"  in  der  Definition  einen 
Gegensatz  zu  einer  Mehrzahl  bedeuten  soll.    Ein  drittes  Beispiel 
wäre:  A  empfängt  für  zwei  Ziegen  einen  Zugochsen.    Hier  dürfte 
ich  folgerichtig  sagen:  Preis  ist  das  Gut,  das  man  im  Tausch  ver- 
kehr für  eine  Menge  von  Gütern  erhält.   Dies  feststellen,  heißt  nicht 
Worte  spalten.    Es  ist  unzulässig,  in  einer  Definition  verschiedene 
Ausdrucksmittel  zu  verwenden,  wenn  man  nicht  auch  etwas  Ver- 
schiedenes mit  ihnen  ausdrücken  will.    Und  warum  geschieht  es? 
Es  klingt  hart,  ist  nichtsdestoweniger  aber  zutreffend:    aus  einer 
ihrer  selbst  nicht  recht  bewußten  Verlegenheit  heraus.  Der  „Preis" 
ist  ja  nicht  schlechthin   „ein  Gut".    Unterschied  muJ3   sein,   und 
so  scheut  man  sich,  zweimal  „ein  Gut"  oder  zweimal  „eine  Menge 
von  Gütern"  oder  zweimal  alternativ  „ein  Gut  oder  eine  Menge  von 
Gütern"  einander  gegenüberzustellen.    Entschließt  man  sich  aber, 
dieses  zu  tun,  so  bleibt  (als  einfachste  der  drei  möglichen  Fassungen) 
der  Satz :   Preis  ist  das  Gut,  das  man  im  Tausch  verkehr  für  ein 
Gut  empfängt.    Sachlich  ist  noch  nichts  geändert,   aber  eine  ter- 
minologische Zweideutigkeit  ist  eskamotiert.    Jetzt  zeigt  sich  ohne 
weiteres,  worin  das  essentiale  des  Preises  als  eines  vom  allgemeinen 
Begriffe  „Gut"  geschiedenen  Sonderbegriffes  nach  dieser  Definition 
allein  bestehen  kann.   Darin  nämlich,  daß  er  empfangen  wird.  Alsp : 
Von    zwei    gegeneinander    ausgetauschten    Gütern    ist    dasjenige 
„Preis",    das    empfangen,    dasjenige    nicht,    das    hingegeben    wird. 
Mit  anderen  Worten :  der  Begriff  des  „Preises"  wäre  von  dem  des 
Gutes  schlechthin  (bzw.  von  dem  der  Ware?)  dadurch  geschieden, 
daß  ein  Gut  „Preis"  ist,  insoweit  dier  Wille  des  Tauschenden  auf 
seinen  Erwerb  gerichtet  ist,  nicht  aber  Sioweit  er  auf  seine  Hingabe 
geht?  Das  wäre  ja  an  sich  denkbar,  aber  so  ist  es  nun  einmal  nicht. 


1)  11.  Auflage. 

2)  3.  Auflage. 

18* 


276  ^^i*^  Elster, 

Diese  Definition  des  Preises,  die  den  Ausgangspunkt  der 
ganzen  Preislehre  bildet,  ist  ein  fundamentaler  Fehlgriff.  Dies 
lehrt  die  Sprache,  die  den  „Preis"  so  gut  entrichtet  und  gezahlt 
wie  empfangen  werden  läßt,  dies  lehrt  vor  allem  aber  der  Satz,  der 
bei  Philippovich  der  Definition  des  Preises  unmittelbar  folgt :  „Da, 
wo  ein  allgemeines  Tanschgut,  Geld,  gebraucht  wird,  wird  unter 
Preis  die  Menge  von  Geldeinheiten  verstanden,  die  im  Tauschver- 
kehr für  ein  Gut  gegeben  (!)  wird^i).  Für  den  Begriff  des  Preises 
ist  es  also  doch  gleichgültig,  ob  er  gezahlt  (gegeben)  oder 
empfangen  wird!  Wäre  es  ein  essen  tiale  des  Preises,  daß 
er  empfangen  wird,  so  wäre  es  unmöglich  den  Geldpreis,  der 
als  Unterbegriff  des  Preises  vor  allem  eben  doch  Preis  ist,  als  eine 
für  ein  Gut  gegebene  Geldmenge  zu  definieren.  Liegt  also  der 
Unterschied  des  „Preises*'  von  dem  Gut,  für  das  er  entrichtet  oder 
empfangen  wird,  auch  nicht  in  der  subjektiven  Betrachtungsweise, 
mit  der  die  tauschenden  Subjekte  speziell  dem  einen  der  getauschten 
Güter  gegenüberstehen,  begründet,  so  dürfte  die  hier  kritisierte 
Definition  auch  lauten :  Preis  ist  ein  Gut,  das  im  Tausch  verkehr 
gegen  ein  anderes  Gut  gegeben  oder  empfangen  wird.  Oder:  Preis 
ist  Gut,  und  Gut  ist  Preis.  Wie  singen  die  Hexen  im  Macbeth? 
„Fair  is  foul,  and  foul  is  fair.'' 

Die  Frage,  wie  diese  Definition  des  Preises  zu  entstehen  ver- 
mochte, ist  unschwer  zu  beantworten.  Zu  der  Zeit,  als  sie  entstand, 
gab  es  Preise,  und  zwar  Geldpreise,  da  es  eine  Geldwirtschaft  gab. 
Und  da  man  in  der  Geldwirtschaft  nur  eine  I^ortbildungsform  der 
ursprünglichen  Tauschwirtschaft  —  und  dies  mit  Recht  —  er- 
blickte, glaubte  man  den  „Preis"  als  einen  Begriff  der  Tauschwirt- 
schaft schlechthin  ansehen  zu  sollen,  dessen  spezielle  Erscheinungs- 
form in  der  Geldwirtschaft  der  Geldpreis  sei.  Und  hierin  liegt  der 
Irrtum  begründet.  Der  Preis  ist  erst  ein  Begriff  aus 
der  Geldwirtschaft,  besteht  erst,  weil  und  solange  diese  be- 
steht und  ist  aus  dem  primitiven  Vorgange  des  Warentausches  so 
wenig  zu  gewinnen,  wie  der  Begriff  des  Geldes  aus  ihm  sich  ge- 
winnen läßt.  Es  gibt  keinen  Begriff  des  Preises,  der  nicht  den 
des  Geldes  zur  notwendigen  Voraussetzung  hätte.  Preis  eines 
Gutes  (oder  einer  Leistung)  ist  die  in  Geld  gewährte 
(oder  empfangene)  Gegenleistung,  wobei  der  Begriff  des  Geldes 
nur  in  seiner  allgemeinsten  und  ursprünglichen  Bedeutung  (in  der 
des  allgemeinen  Tauschvermittlers)  zu  verstehen  ist.  Keine  Geld- 
wirtschaft —  kein  Geld  —  kein  Preis.  Der  Geldpreis  ist  nicht 
eine  spezielle  Form  des  Preises,  sondern  jeder  Preis  ist  begrifflich 
Geldpreis.  Und  wenn  in  der  Sprache  des  täglichen  Lebens  ge- 
legentlich auch  eine  Gegenleistung,  die  nicht  in  Geld  ausgedrüdct 
ist,  einmal  als  Preis  bezeichnet  wird,  so  ist  diese  Tatsache  kein 
Beweis  gegen  die  Richtigkeit  meiner  Feststellung,  da  die  Verwen- 
dung von  bestimmten  Ausdrücken  in  abgeleiteter  oder  übertragener 

1)  Grandriß  der  politischen  Oekonomie,  S.  254. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  277 

Bedeutung  sprachlich  durchaus  zulässig  und  alles  andere,  als  selten 
ist,  ohne  daß  es  deshalb  angängig  wäre,  den  Inhalt  eines  Begriffes 
aus  einer  derartigen  Verwendung  des  ihn  deckenden  Wortes  her- 
zuleiten. 

In  dieser  Auffassung  begegne  ich  mich  insofern  mit  Liefmann, 
als  auch  er  in  dem  allgemeinen  Gebrauch  eines  Tausch- 
mittels die  notwendige  Voraussetzung  für  die  Ent- 
stehung von  Preisen  erblickt i).  Ich  stelle  dies  um  so  lieber 
fest,  als  ich  im  übrigen  zwischen  seinen  und  meinen  Ausführungen 
einen  fundamentalen  Gegensatz  glaube  konstatieren  zu  müssen. 
Denn  die  Frage,  in  der  Liefmann  das  Problem  des  Preises  erblickt : 
Wodurch  bestimmen  sich  die  Kosten  im  Tauschve^rkehr?  ergibt  sich 
für  ihn  aus  der  Tatsache,  daß  die  im  Tauschverkehre  Tätigen 
ihre  Kosten  zunächst  für  die  Befriedigung  des  Bedarfes  anderer 
aufwenden,  sie  ihre  Kosten  also  —  wie  er  annimmt,  ich  es  be- 
streite —  nicht  direkt  dem  erstrebten  Nutzen  entgegenzustellen 
vermögen.  So  findet  er  das  Problem  in  einer  Tatsache,  die  dem 
Tauschverkehr  schlechthin,  nicht  nur  dem  Geldverkehr  eigentümlich 
wäre,  will  dieses  Problem  aber  lösen,  indem  er  seinem  Lösungsver- 
suche das  Bestehen  eines  Geldverkehrs  stillschweigend  als  Voraus- 
setzung zugrunde  legt.  Hier  rächt  sich  also  der  Mangel  an  Klar- 
heit bei  Formulierung  seines  Ausgangspunktes,  auf  den  ich  bereits 
(S.  270)  hingewiesen  habe,  die  Verwischung  der  Begriffe  Tauschwirt- 
schaft und  Geldwirtschaft,  die  doch  nicht  schlechthin  gleichbe- 
deutend sind.  Lief  mann  sagt:  der  Tauschverkehr  stellt  uns 
vor  ein  neues  Problem,  dieses  Problem  ist  das  des  Preises;  aber 
er  setzt  bei  seinem  Lösungsversuch  einen  Geldverkehr  voraus, 
von  dessen  Bestehen  sein  Problem  selbst  unabhängig  ist.  Dem-, 
gegenüber  vermag  ich  in  der  Frage,  wie  sich  im  Tauschverkehr  die 
Kosten  bestimmen,  noch  kein  besonderes  Problem  zu  entdecken  2). 
Für  mich  liegt  das  Problem  in  der  Frage,  wie  sich  regelmäßige, 
feste  Austauschverhältnisse  zwischen  den  Gütern  zu  entwickeln  ver- 
mögen, da  die  Begriffe  „Nutzen"  und  „Kosten"  dieser  Güter 
allein  sie  noch  nicht  erklären.  Ich  behaupte  aber  nicht,  daß 
dieses  Problem  ein  Problem  des  Tauschverkehrs  schlechthin  ist, 
werde  vielmehr  nachzuweisen  suchen,  daß  Preise  im  nationalöko- 
nomischen Sinne  erst  mit  dem  Geldverkehr  und  durch  ihn  sich 
entwickelt  haben.  Wenn  ich  daher  das  Preisproblem  mit  dem  Geld- 
problem verknüpfe  —  indem  ich  behaupte,  daß  es  erst  mit  dem 
Gelde  entstanden  und  darum  auch  nur  aus  dem  Gelde  zu  erklären 
ist  —  so  suche  ich  die  Lösung  des  Problems  auf  dem  gleichen 
Boden,  auf  dem  es  meiner  Auffassung  nach  auch  erwachsen  ist. 
Anders,  und  darum  meines  Erachtens  verfehlt,  Liefmann.  Er 
faßt  das  Problem  als  ein  durch  den  Tauschverkehr  schlechthin 


1)  Vgl.  Geld  und  Gold,  S.  92:   „Sobald  ein  Tauschmittel  so  allgemein  gebraucht 
wird,  daß  es  zu  Preisen  führt, " 

2)  Vgl.  oben  S.  270. 


278  Karl  EUter, 

gegebenes  und  sucht  die  Erklärung  in  Elementen  des  Geld  Ver- 
kehrs, die  dem  ursprünglichen  Tausch  verkehr  noch  fremd  sind. 
Liefmanns  Preistheorie  setzt  sich  aus  der  Frage:  „Wodurch 
bestimmen  sich  die  Kosten  im  Tausch  verkehr?"  und  jener  Antwort 
zusammen,  die  ich  mit  Rücksicht  auf  die  Bedeutung,  die  Lief  mann 
selbst  diesen  Ausführungen  beimißt,  wörtlich  i)  hier  wiedergegeben 
habe.  Mein  Bedenken,  daß  Fragestellung  und  Antwort  eine  Un- 
stimmigkeit enthalten,  indem  sie  von  verschiedenen  Voraussetzun- 
gen (Tauschverkehr  —  Geldverkehr)  ausgehen,  habe  ich  hervor- 
gehoben. Des  weiteren  bin  ich  der  Ansicht,  daß  die  Antwort,  auch 
losgelöst  von  der  Frage,  unschlüssig  ist.  Liefmann  trägt  als  „wirk- 
liche Preistheorie"  vor,  was  folgt: 

1)  Ein  gewisses  Minimum  von  Geldertrag  (der  „Grenzertrag") 
bestimmt  die  Kosten  eines  Gutes  und  damit  den  Preis.  Kurz 
gesagt:    der  Grenz  ertrag   bestimmt   den  Preis. 

2)  Der  Grenzertrag,  der  dann  wie  alle  Erwerbserträge  in 
der  Konsumwirtschaft  Einkommen  wird,  „muß  so  hoch  sein,  um-) 
angesichts  der  bisherigen  Preise  den  Beziehern  die  dem  Kulturzu- 
stande entsprechende  Lebenshaltung  zu  ermöglichen."  Ich  kann 
diesen  Satz  durchdenken,  wie  ich  will,  und  komme  immer  wieder 
zu  dem  Ergebnis :   Die  Preise  bestimmen  den  Grenzertrag. 

Der  Grenzertrag  bestimmt  die  Preise,  und  die  Preise  bestimmen 
den  Grenzertrag.  Oder:  die  Preise  sind  es,  die  die  Preise  be- 
stimmen. Das  ist  also  die  uns  bisher  versagt  gebliebene  „wirk- 
liche Preistheorie"?  Sie  will  mich  nicht  so  recht  befriedigen  und 
erinnert  lebhaft  an  die  bekannte  Feststellung  des  Onkel  Bräsig, 
daß  die  Armut  von  der  Powerteh  herkomme. 

Die  hier  zerlegten  Sätze  Liefmanns  sind  nun  gewiß  durchaus 
nicht  wertlos.  Ich  halte  sie  in  sich  für  richtig,  insow^eit  sie  'den 
Zusammenhang  aller  Preise  untereinander  und  ihren 
Zusammenhang  mit  den  Einkommen  ausdrücken.  Aber  sie 
setzen  den  Begriff  des  Preises,  den  eine  Preistheorie  zunächst 
zu  geben  hat,  als  gegeben  voraus  und  erklären  die  Entstehung 
von  Preisen  aus  anderen  Preisen.  Und  so  dünkt  mich  Liefmanns 
Ergebnis:  Jeder  Preis  ist  zusammengesetzt  aus  Grenzkosten  plus 
tauschwirtschaftlichem  Grenzertrag,  denn  doch  nicht  der  Gewinn  für 
die  Wissenschaft  zu  sein,  für  den  es  Liefmann  selbst  in  an  sich 
begreiflicher  Vaterfreude  auszugeben  geneigt  ist. 

Den  von  Liefmann  aufgestellten  Satz,  daß  der  Preis  gleich  den 
Grenzkosten  plus  dem  tauschwirtschaftlichen  Grenzertrage  sei, 
greift  Otto  Heyn  in  seinem  Aufsatze  „Probleme  des  Geldwesens"  3) 
an.  Er  will  wohl  zugeben,  daß  „im  großen  und  ganzen  der  tausch- 
wirtschaftliche Grenzertrag  maßgebend  sei  für  die  weiteste  Grenze 

1)  S.  273,  274. 

2)  Soll  heißen:  so  hoch  sein,  daß  er  .  .  .  ermöglichte.  Oder:  hoch  genug,  um 
zu  ermöglichen. 

3)  Weltwirtschaftliches  Archiv,  Bd.  10,  Heft  2,  S.  161  ff. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  279 

des  Angebots"!)  und  „daß  der  Preis  durch  die  Konkurrenz  vielfach 
tatsächlich  auf  ein  solches  Niveau  herabgedrückt  wird''^),  erklärt 
es  aber  für  unrichtig,  daß  „der  Preis  sich  immer  auf  dieses 
Niveau  stellt*' i).  Es  liegt  außerhalb  des  Rahmens  dieses  Auf- 
satzes, dieser  Streitfrage  des  näheren  nachzugehen,  und  so  möchte 
ich  mich  auf  die  Bemerkung  beschränken,  daß  meines  Dafürhaltens 
Heyn  den  Liefmannschen  Satz  in  etwas  mißverstanden  hat.  Ich 
glaube  nicht  annehmen  zu  sollen^  daß  Liefmann  mehr  sa^en  will, 
als  daß  die  Preise  die  Tendenz  haben,  sich  auf  dem  durch  Grenz- 
kosten und  Grenzertrag  gebildeten  Niveau  zu  halten.  Er  will 
wohl  kaum  bestreiten,  daß  Konstellationen  eintreten  können,  die 
bestimmte  Preise  über  dieses  Niveau  zeitweise  erheben.  Aber  auch 
Heyn  wird  nicht  bestreiten  wollen,  daß  derartige  Preissteigerungen 
in  d  er  Folge  wieder  auf  eine  Vermehrung  des  Angebotes,  und  damit 
auf  eine  Preissenkung  hinwirken  müssen.  Wenn  Heyn  aber  aus 
seiner  Kritik  die  Folgerung  zieht,  daß  es  „geraten  sei,  zu  der  älteren 
Lehre  von  Angebot  und  Nachfrage  zurückzukehren"  2)^  so  dürfte 
dieser  Vorschlag  zur  Güte  doch  wohl  bedenklich  stimmen.  Wie  ich 
die  Ausführungen  Liefmanns  glaube  verstehen  zu  dürfen,  will  er  die 
„Lehre  von  Angebot  und  Nachfrage"  nicht  sowohl  ersetzen, 
als  ergänzen  und  vertiefen,  indem  er  gegenüber  dem  Dogma: 
Angebot  und  Nachfrage  bestimmen  den  Preis ;  die  ergänzende  Frage 
aufwirft:  Welche  Umstände  bestimmen  denn  nun  Angebot  und 
Nachfrage,  die  die  bisherige  Theorie  als  gegebene  Größen  nahm? 
Und  selbst  wenn  er  diese  Frage  unzutreffend  beantwortet  hätte, 
was  —  wie  ich  glaube  —  durchaus  nicht  der  Fall  ist,  so  würde 
es  alsdann  nur  gelten,  die  richtige  Antwort  zu  geben,  anstatt 
—  wie  Heyn  dies  will  —  auf  die  Beantwortung  der  Frage  kurzer- 
hand zu   verzichten. 

Ich  habe  behauptet:  Nutzen  und  Kosten  als  psychische  Be- 
griffe erklären  den  Tausch,  geben  uns  aber  noch  nicht  den  Schlüssel 
für  die  Entstehung  von  Preisen.  Denn  die  Preise  bedeuten  eine  Pro- 
portion zwischen  den  Gütern  des  Tauschverkehrs.  Proportionen 
aber,  die  begrifflich  Zahlenausdrücke  sind,  können  nicht  bestimmt 
werden  durch  Faktoren,  die  des  zahlenmäßigen  Ausdrucks  unfähig, 
der  quantitativen  Erfassung  nicht  zugänglich  sind.  Ich  habe  ver- 
sucht, diese  Behauptung  durch  die  Analyse  eines  isolierten  Tausches 
zu  beweisen. 

Ich  habe  des  weiteren  behauptet,  daß  Preise  erst  in  und  mit 
einer  Geldwirtschaft  entstanden  seien,  vorausgesetzt,  daß  der  Be- 
griff „Geld"  ganz  allgemein  gefaßt  werde.  (In  und  mit  der 
Geldwurtschaf t,  nicht  aus  ihr  oder  durch  sie;  denn  ich 
halte  —  wie  sich  des  weiteren  ergeben  wird  —  diese  beiden  Er- 
scheinungen und  noch  eine  dritte  (das  Einkommen)  als  notwendig 
parallell  miteinander,  nicht  als  auseinander  entstanden.) 

1)  S.  166. 

2)  S.  167. 


280  K*'l  Elster, 

Einen  Beweis  für  diese  weitere  Behauptung  habe  ich  nicht  ange- 
treten, vielmehr  nur  den  vorbereitenden  Nachweis  unternommen,  daß 
angesichts  eines  isolierten  Tauschaktes  (ein  Zugochse  wird  gegen 
eine  Milchkuh  eingetauscht)  eine  Leistung  nicht  wohl  der  anderen 
als  „Preis"  begrifflich  gegenübergestellt  werden  könne,  daß  aber, 
wenn  dem  so  ist,  die  herrschende  Definition  des  Preises  verfehlt 
sei.  Ich  will  nunmehr  den  Versuch  machen,  den  Beweis,  den  ich 
bisher  noch  schuldig  geblieben  bin,  zu  führen.  Als  Ausgangspunkt 
meiner  Deduktion  nehme  ich  auch  dieses  Mal  die  herrschende  Lehre 
in  der  Fassung,  wie  ich  sie  bei  Philippovichi)  vorfinde.  Dort 
steht,  was  folgt: 

„Haben  wir  auf  Seite  der  Käufer 

die    Wertschätzungen         10  987654321 
auf  Seite   der  Verkäufer  123456789  10, 
so  werden  nur  die  ersten  5  Paare  zum  Tausch  kommen,  und  der 
Preis  wird  sich  höher  als  5,  aber  niedriger  als  6  stellen.** 

Das  Beispiel  ist  lehrreich:  Zunächst  bringt  es  den  Preis, 
der  eine  in  Zahlen  ausgedrückte  Größe  ist  (höher  als  5, 
niedriger  als  6)  in  unmittelbare  organische  Beziehung 
zu  „Wertschätzungen",  die  gleichfalls  in  Zahlen  aus- 
gedrückt werden.  Nun  will  ich  dem  nicht  widersprechen, 
daß  man  —  aber  immer  nur  für  ein  bestimmtes  Subjekt  —  eine 
Skala  der  Wertschätzungen  aufstellen  und  zur  Bezeichnung  ihrer 
Reihenfolge  Zahlen  nehmen  mag.  Dann  aber  darf  man  zweierlei 
nicht  außer  acht  lassen : 

Einmal,  daß  diese  Zahlen  nicht  mehr  bedeuten,  als  die  Dar- 
stellung einer  Reihenfolge  d.  h.  10  >  9,  9  >  8  usf.,  daß  aber 
jede  sonstwie  geartete  arithmetische  Operation,  zu  der  die  Zahl 
so  leicht  verführt,  widersinnig  ist.  (So  etwa  der  Schluß  2x5  =  10, 
2  +  6  =  8,  was  ja  gewiß  arithmetisch  richtig  ist,  aber  verfehlt  ist, 
sobald  —  wie  hier  —  die  Zahlen  nur  eine  ganz  beschränkte  Be- 
deutung haben  2). 

Und  zweitens,  daß  man  zwar  solche  Skalen  für  beliebig 
viele  Personen  aufstellen  kann,  daß  aber  alsdann  diese  Zahlen  Be- 
deutung nur  innerhalb  jeder  einzelnen  Reihe  haben,  wohingegen 
keinerlei  Beziehung  zwischen  den  Zahlen,  auch  den  gleichen  Zahlen 
(8  =  8,  5  =  5)  der  verschiedenen  Reihen  angenommen  werden  darf. 

Diese  zweite  Tatsache,  daß  5  in  der  ersten  Reihe  imd  5  in 
der  zweiten  Reihe  nicht  nur  nicht  gleich,  sondern  schlechthin  in- 
kommensurabel sind,  wird  in  dem  hier  erörterten  Beispiel  einfach 
ignoriert. 

Ich  halte  zunächst  an  der  Annahme  fest,  daß  diese  Zahlen 
wirklich  „Wertschätzungen"  ausdrücken.    Dann  also  stellt  sich  der 

1)  Grundriß  der  politischen  Oekonomie  (11.  Auflage),  Bd.  1,  S.  259. 

2)  Gefühlsstärken  durch  Zahlengrößen  versinnbildlichen,  ist  vernünftige  Analogie. 
Man  mag  schließlich  sagen :  Meine  Kopfschmerzen  heute  sind  halb  so  stark  wie  gestern, 
aber  Unfug  wäre  eine  arithmetische  Gleichung,  in  der  die  heutigen  Kopfschmerzen 
w&hrend  des  ganzen  Tages  den  gestrigen  während  des  halben  Tages  gleichgesetzt  würden. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  281 

Preis  zwischen  die  „Wertschätzung"  5  und  die  „Wertschätzung"  6, 
wobei  5  ein  Empfindungsausmaß  bei  A,  6  ein  solches  bei  B  vor- 
stellt. Mich  dünkt,  dieses  Ergebnis  ist  absurd  genug,  um  das 
Vorhandensein  eines  logischen  Fehlers  in  dem  erörterten  Beispiel 
zu  beweisen. 

Dieser  logische  Eehler  liegt  in  der  zahlenmäßigen  Gleichstellung 
einmal  der  Wertschätzungen  verschiedener  Subjekte,  vor  allem  aber 
der  „Wertschätzungen"  (als  psychischer  Zustände)  mit  dem  Preise 
(der  —  mag  er  sein  was  er  will  —  jedenfalls  kein  psychischer 
Zustand  ist).  Das  Beispiel  führt  nämlich  alsbald  zu  richtigen  Er- 
gebnissen, sobald  man  annimmt,  daß  die  Zahlenreihen  nicht  „Wert- 
schätzungen", also  psychische  Zustände  versinnbildlichen, 
sondern  zahlenmäßig  bestimmte  Güterquanten  ausdrücken, 
die  die  Nachfrager  für  den  Erwerb  des  Gutes  zu  geben  bereit  sind 
und  für  die  die  Anbieter  dieses  Gut  abgeben  wollen.  (Nur  neben- 
bei sei  bemerkt,  daß  Philippovich  hier  nicht  von  Nachfragern  und 
Anbietern  spricht,  sondern  Käufer  und  Verkäufer  einander  gegen- 
überstellt, d.  h.  Begriffe,  die  erst  mit  der  Geldwirtschaft  existent 
werden.  Ich  will  aus  dieser  Terminologie  keine  weiteren  Fol- 
gerungen ziehen,  doch  scheint  sie  mir  für  den  engen  Zusammen- 
hang des  Geld-  und  Preisbegriffes,  der  meiner  Auffeissung  nach  ein 
notwendiger,  weil  begrifflicher  ist,  recht  charakteristisch  zu  sein.) 
Setzt  man  die  Zahlen  10  bis  1  und  1  bis  10  als  Güter-  (Geld-) 
Quanten,  so  ist  das  Ergebnis  des  Beispieles  durchaus  schlüssig. 
Dann  bedeuten  die  Zahlen  nicht  nur  das  Darstellungsmittel  für 
differenzierte  Gefühlsstärken,  sondern  wirkliche  Zahlen;  dann  ist 
die  5  in  beiden  Reihen  das  gleiche;  ist  die  10  =  2x5  =  8  +  2.  Und 
dann  ist  ein  Preis,  der  zwischen  5  und  6  steht,  etwas  durchaus 
Reales,  ein  meßbares  Güterquantum. 

Man  sage  nicht,  daß  dieses,  und  nur  dieses,  in  dem  Beispiel 
gemeint  sein  könne,  und  daß  die  Folgerungen,  die  ich  aus  der 
ersten  (dem  Wortlaute  durchaus  genügenden)  Auslegung  gezogen 
habe,  Sophistik  oder  Scholastik  sei.  Diesem  Vorwurfe  würde  die 
Interpretation  begegnen,  die  Philippovich  selbst  dem  Ausdruck 
„Wertschätzung"  gibti):  „dieser  Ausdruck  2)  setzt  sich  aber  sowohl 
auf  Seiten  der  Käufer  wie  auf  Seiten  der  Verkäufer  aus  zwei  Kom- 
ponenten zusammen:  aus  der  Wertschätzung  der  Ware  und  aus 
der  Wertschätzung  des  Preisgutes,  des  Geldes."  Also:  ein  Geld- 
quantum  bedeutet  er  nicht. 

Aus  dieser  doppelten  Analyse  des  Beispieles  ergeben  sich  zwei 
Folgerungen,  deren  Bedeutung  ich  für  schwerwiegend  halte: 

1)  Wären  nämlich  die  Zahlen  wirklich  der  exakte  Ausdruck 
von  „Wertschätzungen"  in  gleicher  Weise,  wie  sie  ein  exakter  Aus- 
druck des  Preises  sind,  so  ergäbe  sich  der  Preis  unmittelbar  aus 
der  „Wertschätzung",  wäre  er  als  Proportion  psychischer  Zustände 

1)  a.  a.  O.  S.  260. 

2)  nämlich:  „Wertschätzung". 


282  Karl  Elster, 

erklärt.  Da  aber  diese  Zahlen  tatsächlich  nicht  „Wertschätzungen", 
sondern  Güterquanten  sind,  ist  der  organische  Zusammenhang,  an 
den  das  Beispiel  uns  glauben  machen  könnte,  unterbrochen. 

2)  Um  zum  Preisbegriff  zu  gelangen,  bedarf  man  des  Quan- 
tentausches,  das  heißt:  eine  gesetzmäßige  Preisbildung  setzt 
eine  Mehrheit  von  Tauschakten  (bzw.  Tauschangeboten)  voraus, 
bei  denen  auf  der  einen  Seite  Quanten  des  gleichen  Gutes  ange- 
boten, auf  der  anderen  Seite  verlangt  werden.  Nun  wird  man  zuzu- 
geben g  eneigt  sein,  daß  eine  Verkehrskonstellation,  bei  der  auf  der 
einen  Seite  immer  wieder  Quantitäten  des  gleichen  Gutes  verlangt 
werden,  das  Begehren  also  vor  allem  auf  möglichst  große  Quanten, 
gegenüber  denen  die  stofflichen  Eigenschaften  zurücktreten,  ge- 
richtet ist,  das  Charakteristikum  der  Geldwirtschaft  ist.  Denn  die 
Sonderstellung  des  als  Geld  fungierenden  Gutes  unter  den  Wirt- 
schaftsgütern liegt  ja  vornehmlich  darin  begründet,  daß  es  als 
Quantum,  und  nur  als  Quantum,  begehrt  wird,  daß  die  stoff- 
lichen Eigenschaften  (die  als  die  Voraussetzung  einer  Eig- 
nung zur  speziellen  Bedarfsbefriedigung  die  Nachfrage  nacli  den 
Waren  bestimmen)  beim  Gel  de  hinter  dem  Quantum  völlig  zurück- 
treten. Von  einer  Preisbildung  kann  erst  gesprochen  werden,  wenn 
den  individuellen  Waren  —  Ochse,  Kuh,  Ziege,  Beil  —  auf 
der  anderen  Seite  Quanten  desselben  Gutes  gegenüberstehen. 
Dann  aber  sind  wir  bereits  berechtigt,  dieses  Gut  als  „Geld" 
(im  ursprünglichen  Sinne)  anzusprechen. 

Dieses  Ergebnis  bietet  Veranlassung,  noch  einmal  auf  die  klassi- 
scjhe  Preisdefinition  zurückzukommen.  Diese  definiert  ja  den  Preis 
als  Quantum,  als  Gütermenge.  Daß  es  mit  dieser  Definition 
allein  nicht  getan  ist,  glaube  ich  nachgewiesen  zu  haben.  Und 
doch  beweist  sie  ein  (freilich  mehr  instinktiv)  richtiges  Gefühl 
für  den  Preisbegriff,  ein  richtiges  Gefühl  dafür,  daß  es  im  reinen 
Individualtausch  einen  Preis  nicht  gibt.  Denn  der  Preis  ist  ein 
Quantitätsbegriff,  nur  daß  nicht  jedes  Quantum  eines  beliebigen 
Gutes  „Preis"  ist,  sondern  nur  ein  Quantum  desjenigen  Gutes, 
das  vornehmlich  als  Quantum  begehrt  wird,  d.  h.  des  Geldes. 

Ich   fasse  meine  Ergebnisse,  wie  folgt,  zusammen: 

1)  Der  Preis  (im  konkreten  Sinne)  ist  die  in  Geld  ausge- 
drückte Gegenleistung  für  eine   (individuell  bestimmte)  Leistung. 

2)  Preise  (im  abstrakten  Sinne)  sind  die  in  Geld  ausgedrückten 
Austauschverhältnisse  der  Güter. 

3)  Preise  sind  hiernach  begrifflich  Quantitätsverhältnisse, 
Zahlenverhältnisse. 

4)  Nutzen  und  Kosten  sind  quantitativ,  zahlenmäßig  nicht 
auszudrücken ;  somit  kann  der  Preis  als  quantitativer,  zahlenmäßiger 
Begriff  we^der  ein  Ausdruck  des  Nutzens  noch  der  Kosten  sein. 

5)  Das  abstrakte  Preisproblem  begreift  die  Frage,  worauf  es 
zurückzuführen  ist,  daJ3  sich  die'  wirtschaftlichen  Güter  nach 
zahlenmäßigen  Verhältnissen  unter  den  Wirtschaftssubjekten  aus- 
tauschen,   obwohl   ihre    letzten    Beziehungen   zu   diesen   Subjekten 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  283 

(Nutzen  und  Kosten)  zahlenmäßig  nicht  ausgedrückt  zu  werden 
vermögen.  Mit  anderen  Worten:  die  abstrakte  Preistheorie  hätte 
die  Antinomie  aufzulösen,  die  darin  begründet  liegt,  daß  jede  ein- 
zelne wirtschaftliche  Handlung  durch  Nutzen  und  Kosten  bestimmt 
und  erklärt  wird,  daß  aber  —  obwohl  diese  beiden  Emolumente  des 
wirtschaftlichen  Geschehens  in  Zahlen  nicht  faJßbar  und  inkommen- 
surabel sind  —  dennoch  die  wirtschaftliche  Gemeinschaft  sich  zu 
zahlenmäßig  faßbaren  Beziehungen  zwischen  den  wirtschaftenden 
Subjekten  in  ihrem  Verhältnis  zu  den  Objekten  der  Wirtschaft  zu 
entwickeln  vermochte. 

6)  Für  die  konkrete  Preistheorie  ist  die  Tatsache,  daß  der 
Güteraustausch  überhaupt  in  zahlenmäßigen  Proportionen  vor  sich 
geht,  nicht  mehr  Problem,  sondern  die  gegebene  Voraussetzung. 
Nicht  wie  der  Preis  als  Zahlenbegriff  an  sich  entstanden  ist,  son- 
dern in  welcher  Höhe  sich  die  Preiszahlen  in  den  einzelnen  mög- 
lichen Fällen  stellen  werden,  ist  ihr  Problem.  Sie  sucht  die  Ge- 
setze, die  die  Höhe  dieser  Zahlen  maßgeblich  bestimmen. 

Ich  muß  den  Fortgang  meiner  eigenen  Betrachtungen  hier 
unterbrechen,  um  noch  einmal  auf  Liefmanns  „Preistheorie"  zurück- 
zukommen. Trotz  aller  Einwendungen  gegen  die  herrschende  Preis- 
theorie, die  ich  glaubte  zur  Geltung  bringen  zu  sollen,  gelange  doch 
auch  ich  zu  dem  Ergebnisse,  da3  die  „Preise"  (im  abstrakten 
Sinne)  die  (in  Geld  ausgedrückten)  Austauschverhältnisse 
zwischen  den  Gütern  sind.  Nach  Liefmanns  Preistheorie  ist 
dieses  Ergebnis  falsch,  ist  es  „ein  Irrtum,  der  von  den  MetaJlisten 
und  Nominalisten  in  gleicher  Weise  geteilt  wird"i),  ein  Irrtum, 
„auf  dem  die  ganze  heutige  Wirtschaftstheorie  beruht"  i).  „Wenn 
ein  Paar  Stiefel,  ein  Lehrbuch  der  Nationalökonomie  und  eine  Eeise 
nach  Berlin  je  20  "M.  kosten,  so  bedeutet  das  keinerlei  Austausch- 
verhältnisse zwischen  jenen  drei  „Gütern".  Unter  den  Tausenden, 
die  nach  Berlin  fahren  oder  sich  ein  Paar  Stiefel  kaufen,  und 
unter  den  Hunderten,  die  sich  das  Lehrbuch  der  Nationalökonomie 
kaufen,  ist  vielleicht  kein  einziger,  der  das  eine  gegen  das  andene 
geben  würde."  Aus  diesem  Satze,  dessen  Wahrheit  ich  nicht  be- 
streite, kann  meines  Dafürhaltens  nur  ges'chlossen  werden,  daß  der 
gleiche  Preis  dreier  Güter  nicht  der  objektive  Ausdruck  gleichen 
Nutzens,  daß  der  Preis  überhaupt  kein  Ausdruck  des  Nutzens 
ist.  Und  diese  Feststellung  mag  der  Vollständigkeit  halber  nochmals 
dahin  ergänzt  werden,  daß  auch  die  Kosten  den  Preis  nicht  er- 
klären. Die  Kosten  der  Herstellung  (usw.)  nicht,  wie  ich 
bereits  ausgeführt  habe;  ab'er  auch  die  Kosten  der  Beschaffung 
nicht,  denn  sie  sind  erst  die  Folge  der  Tatsache,  daß  der  Preis 
schon  da  ist.  Der  Preis  bestimmt  sie,  nicht  sie  bestimmen  den 
Preis.  Daß  drei  Güter  den  gleichen  Preis  haben,  bedeutet  aber, 
daß  ihre  Beschaffung  für  jedes  einzelne  Individuum  das 
gleiche  Kostenausmaß  involviert    (für  jedes    von    mehreren  aller- 

1)  Geld  und  Gold,  S.  100, 


2g4  Karl  Elster, 

(lings  ein  verschiedenes),  und  ferner,  daß  diese  Güter  aus  jedem 
Einkommen  mit  der  gleichen  Einkommensquote  beschafft  wertlen 
können.  Und  wenn  von  zwei  Gütern  das  eine  20  M.  kostet,  das 
andere  10  M.,  so  sagt  dieses  Verhältnis  zwar  nichts  mehr  über  das 
Kostenausmaß  aus,  wohl  aber  besagt  es,  daß  aus  jedem  Einkommen 
das  eine  Gut  zweimal  so  oft  beschafft  werden  kann,  als  das  andere. 
Und  diese  Tatsache,  daß  alle  Güter  zu  den  Einkommen  in  einem 
durch  die  Preise  bestimmten  Verhältnisse  stehen,  kann  meines  Da- 
fürhaltens —  ohne  daß  der  Sprache  oder  Logik  Gewalt  geschähe  — 
als  ein  „Verhältnis"  zwischen  diesen  Gütern  selbst  bezeichnet 
werden.  Und  da  dieses  „Verhältnis  zwischen  den  Gütern*'  nur 
im  Tauachverkehr  und  durch  ihn  existent  wird,  und  weiter  nur 
unter  der  Voraussetzung,  daß  dieser  Tauschverkehr  sich  bereits 
in  den  Formen  eines  Geldverkehrs  abspielt,  darum  nenne  ich  es 
das  „in  Geld  ausgedrückte  Austauschverhältnis  der  Güter",  und 
darum  halte  ich  diese  Bezeichnung  für  unanfechtbar. 

Ich  muß  zu  meinem  aufrichtigen  Bedauern  feststellen,  daß 
es  mir  trotz  angestrengten  Bemühens  überhaupt  nicht  gelingen  will, 
aus  den  Ausführungen  Liefmanns  über  die  „Austauschverhältnisse" 
zu  entnehmen,  was  er  nun  eigentlich  für  richtig  hält,  und  was 
für  falsch.  Auf  Seite  100  schreibt  er  wörtlich:  „Die  ganze  Vor- 
stellung, daß  das  Geld  ein  Austauschverhältnis  zwischen  den  Gütern 
ausdrücke,  ist  verkehrt,  ist  nur  eine  Folge  der  hergebrachten  Ver- 
wechslung von  Wirtschaft  und  Technik.  Das  Wesen  des  Geldes 
besteht  gerade  darin,  daß  es  als  allgemeines  Tauschmittel  zu  „Aus- 
tauschverhältnissen" zwischen  sich  und  den  Gütern  führt,  d.  h. 
zu  Preisen,  die  aber  kein  Austauschverhältnis  zwischen  den  Gütern 
selbst  sind,  usw."  Dieser  Satz  ist  eindeutig.  Er  kann  nur  dahin 
verstanden  werden,  daß  es  „Austauschverhältnisse"  zwischen  dem 
Gelde  und  den  Gütern  gebe,  und  daß  diese  Austauschverhältnisse 
eben  die  Preise  seien.  Oder  nicht?  Denn  zwei  Absätze  weiter 
verkündet  'Liefmann  mit  der  gleichen  Sicherheit:  „Auf  Grund 
unserer  ganzen  Wirtschaftstheorie  erkennen  wir,  daß  auch  die  Vor- 
stellung eines  Austauschverhältnisses  zwischen  dem  Geld  und  den 
Gütern  irrig  ist,  auf  dem  logischen  Irrtum  beruht,  von  dem  die 
ganze  bisherige  Wirtschaftswissenschaft  als  „Güterlehre"  erfüllt 
ist."  Wer  hat  nun  recht?  Liefmann  oder  Liefmann?  Und  wenn 
er  im  folgenden  Satze  behauptet :  „Es  gibt  in  der  Wirtschaftswissen- 
schaft überhaupt  keine  Beziehungen  zwischen  den  Dingen,  son- 
dern nur  Beziehungen  der  Dinge  zu  den  Menschen",  so  werde  ich 
mich  wohl  hüten,  diesen  Satz  zu  diskutieren,  da  ich  mich  noch  zu 
gut  erinnere,  bei  Liefmann  gelesen  zuhaben,  daß  „Wirtschaften  über- 
haupt keine  Beziehung  des  Menschen  zu  den  Gegenständen  der 
äußeren  Natur  bedeute"  i).  Wirtschaften  bedeutet  keine  Beziehung 
des  Menschen  zu  den  Dingen,  aber  in  der  Wirtschaftswissenschaft 
gibt  es  nur  Beziehungen  der  Dinge  zu  den  Menschen.    Mein  Scharf- 

1)  Vgl.  Anm.  1   zu  S.  265. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  285 

sinn  reicht  nicht  aus,  um  aus  diesen  Antinomien  die  wahre  Mei- 
nung Liefmanns  zu  ergründen,  und  darum  glaube  ich  diese  Er- 
örterungen abbrechen  zu  dürfen,  um  wieder  zu  meinen  eigenen 
Darstellungen   zurückzukehren. 

Das  abstrakte  Preisproblem  wird  deutlich,  wenn  man  die  ur- 
sprüngliche Wirtschaft  dem  modernen  Wirtschaftsverkehr  gegen- 
überstellt und  die  für  beide  charakteristischen  Unterschiede  her- 
vorhebt : 

Die  ursprüngliche  Wirtschaft  beginnt  und  vollendet  ihren  Lauf 
in  einer  abgeschlossenen  Wirtschaftssphäre.  Ein  Ineinandergreifen 
dieser  Wirtschaftssphären  findet  nicht  statt.  Die  Begriffe  „Er- 
werbswirtschaft" und  „Konsumwirtschaft''  sind  noch  gegönstands- 
los.    Alle  Wirtschaft  ist  Produktion. 

Der  Tausch  ist  die  Wurzel  der  modernen  Wirtschaft.  Er  ist 
der  erste  Wirtschaftsakt,  der  nicht  Produktion  ist,  der  nicht 
„schaffen"  bedeutet,  sondern  nur  „beschaffen".  Er  schlägt  die 
Brücke  zwischen  den  Wirtschaftssphären.  Und  indem  er  zur  wieder- 
kehrenden, zur  regelmäßigen  Erscheinung  wird,  führt  er  zu  einer 
Produktion  für  den  Tausch,  d.  h.  zu  wirtschaftlichen  Akten, 
die  nur  unter  der  Voraussetzung  von  Verkehrsbeziehungen  zwischen 
den  verschiedenen  Wirtschaftssphären  vorgenommen  werden,  zu 
erwerbswirtschaftlichen  Akten,  deren  Objekte  solche  der  Konsum- 
wirtschaft in  einer  fremden  Wirtschaftssphäre  werden. 

Die  moderne  Wirtschaft  beruht  auf  dem  beständigen  Inein- 
andergreifen aller  Wirtschaftssphären.  Die  Spaltung  der  Wirtschaft 
in  „Erwerbswirtschaft"  und  „Konsumwirtschaft"  ist  durchgeführt. 
Alle  Erwerbswirtschaft  hat  nur  ein  Ziel:  „Einkommen".  Alle 
Konsumwirtschaft,  deren  Ziel  die  individuellen  Bedarfsgüter  sind, 
nur  ein  Mittel:  „Einkommen".  Das  „Einkommen"  ist  es,  das 
innerhalb  der  einzelnen  Wirtschaftssphären  die  Ver- 
bindung zwischen  der  Erwerbs-  und  der  Konsumwirtschaft  bildet. 
Zwischen  den  verschiedenen  Wirtschaftssphären  sind 
es  die  „Preise",  die  die  Verbindung  herstellen.  Denn  die  Preise, 
die  aus  den  Einkommen  der  Konsumwirtschaften  gezahlt  werden, 
bilden  die  Einkommen  fremder  Erwerbswirtschaften.  Hieraus 
erhellt  zugleich  die  untrennbare  funktionelle  Be- 
ziehung zwischen  den  Einkommen  und  den  Preisen. 

In  der  ursprünglichen  Wirtschaft  ist  jede  Wirtschaftssphäre 
auf  sich  selbst  gestellt.  Eine  Verteilung  der  aus  verschiedenen 
Wirtschaftssphären  stammenden  Güter  auf  die  verschiedenen  Wirt- 
schaftssphären kommt  nicht  in  Frage.  Alles  Wirtschaften  ist 
Produktion.  Einkommen  und  Preise  sind  ungeborene  Begriffe. 
In  der  modernen  Wirtschaft  bedarf  der  Produktionsprozeß  der  Er- 
gänzung durch  den  Prozeß  der  Güterverteilung.  Diese  Verteilung, 
die  Wirtschaften  ist,  aber  nicht  Produzieren  ist,  zu  bewirken,  ist 
die  kombinierte  Funktion  der  Einkommen  und  der  Preise.  Sie  sind 
das  der  modernen  Wirtschaft  eigentümliche  Mittel,  die  ihr  im  Ver- 


296  ^*>^l  Elster, 

gleich  mit  der  ursprünglichen  Wirtschaft  eigentümliche  Aufgabe, 
die  Produktenverteilung,  durchzuführen.  Nun  ist  Verteilen  eine 
rein  arithmetische  Funktion.  Jede  Verteilung  erfolgt  zahlenmäßig 
und  nur  zahlenmäßig.  So  kann  der  kombinierte  Verteilungs- 
schlüssel, den  die  Einkommen  und  die  Preise  abgeben,  nur  ein  rein 
zahlenmäßiger  sein,  und  die  begriffliche  Wesenheit  der  Einkommen 
und  der  Preise  kann  nur  die  sein,  daß  sie  Verhältniszahlen  sind. 
Das  von  mir  auf  anderem  Wege  bereits  gewonnene  Ergebnis,  daß 
„Preise  begrifflich  Zahlenverhältnisse"  seien,  wird  durch  diese 
Ueberlegung  bestätigt,  die  gleichzeitig  also  zu  dem  Ergebnisse  führt, 
daß  auch  die  Einkommen  Zahlenverhältnisse  und  nur  Zahlenver- 
hältnisse sind. 

Das  Ziel  jedes  einzelnen  wirtschaftlichen  Aktes  ist  der  Nutzen. 
Er  und  sein  Widerspiel,  die  Kosten,  erklären  uns  den  ursprünglichen 
Wirtschaftsprozeß.  Innerhalb  der  modernen  Wirtschaft  wird  ein 
mächtiger  Komplex  wirtschaftlicher  Handlungen,  der  Verteilungs- 
prozeß, von  der  Zahl  beherrscht.  In  Zahlen  kann  weder  der  Nutzen 
noch  können  die  Kosten  zum  Ausdrucke  gelangen ;  denn  sie  sind 
nicht  meßbar  und  nicht  kommensurabel.  Wie  dieser  Vertei- 
lungsprozeß sich  einzuordnen  vermochte  in  das  von 
Nutzen  und  Kosten  bestimmte  Geschehen:  das  ist  das 
Problem  der  Wirtschaft.  Was  ich  als  das  abstrakte  Preis- 
problem bezeichnet  habe,  ist  nur  eine  Seite  dieses  Problems,  wie  das 
Problem  des  Einkommens  auch  nur  eine  seiner  Erscheinungs- 
formen ist. 

Eine  höhere  Einheit,  die  die  Begriffe  Nutzen  und  Kosten 
und  die  die  Zahlen  —  die  sämtlich  für  uns  letzte  und  endgültige 
Begriffe  sind  —  noch  wieder  zusammengreift,  ist  menschlichem  Er- 
messen nicht  mehr  faßbar.  So  steht  das  Problem  der  Wirtschaft 
jenseits  der  Grenzen,  die  menschlichem  Forschen  gesteckt  sind. 
Dieses  begreifen,  heißt  das  Problem  lösen,  wie  denn  auch  die 
mathematische  Wissenschaft  die  Aufgabe  als  gelöst  ansieht,  deren 
Unlösbarkeit  sie  bewiesen  hat. 

Uns  mag  die  Feststellung  genügen,  daß  Nutzen  und  Kosten 
als  wirtschaftliche  Grundbegriffe  die  Vorgänge  des  wirtschaft- 
lichen Verteilungsverkehrs,  den  die  Zahl  beherrscht,  nicht  erklären. 
Ich  glaube,  daß  schon  diese  Erkenntnis  ein  Fortschritt  ist,  der  uns 
dem  Ziele,  einem  Begreifen  des  Geldproblemes,  nähert.  Denn  sie 
zwingt  bei  Betrachtung  der  Erscheinungen  des  Geld  Verkehrs  zu 
deren  Loslösung  von  den  „psychischen' Wirtschaftsfaktoren''  und 
macht  den  Streit  um  den  „Wert"  des  Geldes,  der  den  Brennpunkt 
des  Streites  um  das  Geld  überhaupt  bildet,  gegenstandslos. 


Das  Ergebnis  meiner  Betrachtungen  fasse  ich  dahin  zusammen, 
daß  die  Preise  und  die  Einkommen  nichts  anderes  sind  als  die 
Verhältniszahlen,  nach  denen  der  Produktenverteilungsprozeß  in 
der  modernen  Volkswirtschaf t  vor  sich  geht.  Steht  nun  weiter  fest  — 
und  diese  Feststellung  dürfte  nicht  zu  bestreiten  sein  —  daß  die 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  287 

Einkommen   und  die  Preise    in   „Geld"    ausgedrückt  werden,    so 
halte  ich  den  Schluß  für  zwingend: 

Auch  das  Geld  kann  nur  ein  reiner  Zahlenbegriff  sein,  da 
Zahlenverhältnisse  (Einkommen  und  Preise)  eines  weiteren  Aus- 
druckes als  dessen  in  Zahlen  (eben  in  Geld)  nicht  mehr  fähig 
sind.  Danach  wäre  das  „Geld"  zu  bestimmen  als  die 
rechnerische  Einheit,  die  der  Produkten  Verteilung  in 
der  modernen  Wirtschaft  zugrunde  liegt,  als  der  Ge- 
neralnenner des  Produktenverteilungsverkehrs. 

Ich  habe  einleitend  bemerkt,  daß  ich  es  mir  nicht  zur  Aufgabe 
machen  kann,  eine  ökonomische  Theorie  des  Geldes  aufzustellen  und 
zu  begründen.  Diese  Betrachtungen  erheben  nicht  den  Anspruch 
darauf,  ein  geschlossenes  System  darzustellen.  Bausteine  sollen  sie 
sein,  und  wenn  sie  als  solche  der  Arbeit  anderer  dienen,  so  ist  das 
Ziel  erreicht,  das  ich  mir  glaubte  stecken  zu  dürfen. 

So  muß  ich  davon  absehen,  die  Folgerungen  aus  meiner  Auf- 
fassung vom  Wesen  des  Geldes  nach  allen  Richtungsmöglichkeiten 
hin  zu  ziehen.  Nur  andeutungsweise  möchte  ich  noch  bemerken, 
was   folgt: 

Wie  das  Geld  die  Ausdrucksform  der  Einkommen  und  der 
Preise  ist,  so  ist  es  auch  eine  Form,  die  Vermögen  auszudrücken. 
Und  so  könnte  ich  mir  vorstellen,  daß  die  Tatsache,  daß  die  Ver- 
mögen doch  keinen  Falles  bloß-e  Zahlenbegriffe  sind,  zu  dem  Ein- 
wände Veranlassung  geben  könnte,  daß  dann  ihr  Ausdruck,  das 
Geld,  ebenfalls  nicht  eine  bloße  Zahl  zu  sein  vermöchte.  Ich  möchte 
wenigstens  andeuten,  wie  dieser  Einwand  zu  widerlegen  ist:  Sach- 
liche Vermögensobjekte  lassen  sich  in  Geld  nur  auf  dem  Umwege 
über  ihre  präsumptiven  Preise  ausdrücken.  Somit  ist  ihr  Ausdruck 
in  Geld  ein  Preisausdruck.  Guthaben  aber  (und  entsprechend 
ihr  Widerspiel,  die  Verbindlichkeiten),  die  allerdings  unmittelbar  in 
Geld  ausgedrückt  werden,  sind  ihrerseits  selbst  nur  zahlenmäßige 
Erscheinungen  im  Produktenverteilungsprozeß.  Um  diesen  Satz  zu 
beweisen  und  gleichzeitig  die  Zusammenhänge  aufzudecken,  die 
zwischen  diesen  Erscheinungen  auf  der  einen  Seite,  den  Einkommen 
und  den  Preisen  auf  der  anderen  Seite  bestehen,  bedürfte  es  einer 
Analyse  des  Kredites,  die  außerhalb  des  Rahmens  dieses  Aufsatzes 
liegt.  Hier  mag  der  Hinweis  darauf  genügen,  daß  die  Wesensver- 
schiedenheit zwischen  dem  Sachvermögen  und  dem  Forderungsver- 
mögen wohl  nie  verkannt  ist,  daß  sie  —  um  nur  em  Beispiel  zu 
nennen  —  bei  jeder  Vermögensstatistik  berücksichtigt  wird,  und 
daß  sie  kurz  dahin  gefaßt  werden  darf,  daß  das  eine  (das  Sachver- 
mögen) aus  den  realen  Objekten  des  Güterverteilungs- 
prozesses besteht,  das  andere  (das  Forderungsvermögen)  ein 
funktioneller  Faktor  der  Güterverteilung  ist  —  nicht 
anderes  als  die  Einkommen  und  die  Preise,  mit  denen  es  in  seinen 
hier  nicht  erörterten  funktionellen  Beziehungen  letzten  Endes  inner- 
lich zusammenhängt. 

Und  noch  eine  letzte  Bemerkung  ist  in  diesem  Zusammenhange 
unerläßlich : 


2gg  Karl  Elster, 

Es  ist  schon  wiederholt  mit  Recht  bemerkt  worden  —  und  auch 
Liefmann  weist  darauf  hin  i)  —  daß  die  Vielheit  der  über  das  Wesen 
des  Geldes  vertretenen  Lehrmeinungen  nicht  zuletzt  darauf  zurück- 
zuführen ist,  daß  die  einander  widerstreitenden  Theoretiker  völlig 
voneinander  verschiedene  Forschungsobjekte  als  „Geld"  bezeichnet 
und  zum  Gegenstande  ihrer  Untersuchungen  gemacht  haben,  so 
daß  alsdann  die  Verschiedenheit  ihrer  Ergebnisse  und  Folgerungen 
sich  aus  der  Verschiedenheit  der  Voraussetzungen  ohne  weiteres 
und  mit  Notwendigkeit  ergibt.  Und  so  ist  es  gewiß,  daß  der  aus 
meinen  Untersuchungen  sich  ergebende  Geldbegriff  a  limine  und  mit 
durchaus  schlüssiger  Begründung  von  jedem  abgelehnt  werden  wird, 
der  unter  Hinweis  auf  den  Sprachgebrauch  die  Geldzeichen  — 
sei  es  sämtliche,  sei  es  nur  gewisse  (von  den  „Surrogaten*'  geschie- 
dene) Gruppen  unter  ihnen  —  mit  dem  Begriffe  „Geld"  selbst 
identifiziert.  Denn  Geldstücke  und  Geldscheine  sind  Begriffe  aus 
der  Körperwelt,  keinen  Falles  reine  Zahlenbegriffe,  nach  der  hier 
aufgestellten  Definition  also  kein  Geld.  Ich  scheue  mich  nicht, 
diese  Folgerung  ausdrücklich  zu  ziehen,  daß  die  Geldmünzen  aller 
Art,  die  Banknoten  und  die  Kassenscheine  kein  „Geld"  sind,  daß 
sie  nur  „Geldzeichen"  sind. 

In  seinem  Buche  „Von  kommenden  Dingen"  weist  Walter 
Rathenau  auf  eine  Erscheinung  hin,  die  er  die  „Substitution  des 
Grundes"  nennt.  Sie  besteht  darin,  daß  Einrichtungen  häufig  im 
Namen  und  den  Attributen  gleich  bleiben,  trotzdem  ihr  Inhalt  im 
Laufe  der  Entwicklung  ein  völlig  anderer  geworden  ist.  Dies 
„rührt  daher,  daß  die  Zahl  der  Einrichtungsformen  begrenzt  ist, 
daß  die  Trägheit  und  Oekonomik  des  Geistes  sich  gern  vorhandener 
Formeln  bedient,  und  daß  die  Stetigkeit  des  zeitlichen  Fortschreitens 
den  Augenblick  schwer  erkennen  läßt,  in  welchem  die  Wahl  eines 
neuen  Begriffs  und  Namens,  das  Abstreifen  abgestorbener  Organis- 
men und  das  Einsetzen  neuer  Betrachtungsweisen  am  Platze 
wäre"  2). 

Der  Güterverkehr  hat  sich  seit  seinem  Bestehen  als  des  Mittels 
seiner  technischen  Durchführung  körperlicher  Gegenstände  bedient; 
ursprünglich  bestimmter  für  seine  Zwecke  stofflich  besonders  ge- 
eigneter Waren,  späterhin  der  besonders  für  diesen  Zweck  ge- 
schaffenen Gebilde,  der  Münzen  und  Scheine.  Die  Sprache  nennt 
sie  Geld.  (Muschelgeld,  Viehgeld,  Münzgeld,  Papiergeld  usf.) 
Während  aber  in  früheren  Wirtschaftsepochen  diese  technischen 
Mittel  des  Güterverteilungsverkehres  einen  jeden  Verkehrsakt  aus- 
nahmslos vermittelten,  ist  die  Entwicklung  —  teils  automatisch,  teils 
bewußt  bestimmt  durch  Maßnahmeoi  staatlicher  G^ldpolitik  — 
in  der  Richtung  auf  ihre  fortschreitende  Verdrängung  weiter  ge- 
gangen. Nur  ein  immer  geringer  werdender  Bruchteil  der  Umsätze 
im  Güterverteilungsverkehr  geht   heute  noch  unter  Zuhilfenahme 

1)  Geld  und  Gold,  S.  93. 

2)  a.  a.  O.  S,  73. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  289 

körperlichen  Geldes  vor  sich.  Seine  völlige  Ausschaltung  —  ob  sie 
jemals  eintreten  wird,  kann  völlig  offen  bleiben  —  ist  nur  eine 
Frage  der  Verkehrstechnik.  Jedenfalls  aber  erkennen  wir  auch 
diejenigen  Umsätze,  die  ohne  Inanspruchnahme  von  Geldzeichen 
vor  sich  gehen,  als  solche  des  Geldverkehrs  an,  und  auch  solche 
Leistungen,  die  nicht  durch  Uebergabe  von  Geldstücken  getätigt, 
die  nur  im  Wege  der  Verrechnung  bewirkt  werden,  nennen  wir 
Geldleistungen. 

Beim  Gelde  ist  die  „Substitution  des  Grundes*'  am  Werke  ge- 
wesen. Die  bei  der  Erörterung  des  Geldproblems  vorherrschende 
geschichtliche  Betrachtungsweise^  der  dieses  Phänomen  nur  zu 
leicht  entgeht,  hat  sie  übersehen.  Liefmann  hat  sie  in  voller  Schärfe 
erkannt.    Ich  zitiere  ihn  wörtlich i): 

„Dieses  Rechnungsmittel  2),  in  welchem  also  die  Konsumwirt- 
schaften ihre  Kosten  und  die  Erwerbswirtschaften  Nutzen  und 
Kosten  veranschlagen,  in  welchem  beim  Tauschverkehr  die  Preise 
ausgedrückt  werden,  in  denen  die  Einkommen  stecken,  die  dann 
wieder  Grundlage  für  den  Konsum  werden:  dieses  ßechnungs- 
mittel  ist  also  etwas  ganz  anderes,  als  das  Geld  im  eigentlichen 
Sinne.  Und  doch  benutzt  der  Sprachgebrauch  dieses  Wort  schon 
unendlich  oft  in  diesem  übertragenen  Sinne,  in  dem  an  die  staat- 
lichen Zahlungsmittel  nicht  im  geringsten  gedacht  wird.  Wegen 
dieser  Vieldeutigkeit  des  Begriffes  Geld  ist  auch  die  Geldtheorie 
von  der  metallistischen  Auffassung  noch  nicht  losgekommen.  Hätte 
man  für  die  abstrakte  Eechnungseinheit  im  Tauschverkehr,  wie 
sie  z.  B.  bei  allen  Bankgeschäften  zugrunde  liegt,  wo  das  bare 
Geld  eine  verschwindende  Rolle  spielt,  ein  besonderes  Wort,  so 
hätte  man  wohl  schon  längst  das  Wesen  des  Geldes  richtiger  er- 
kannt und  wahrscheinlich  auch  die  meisten  Irrtümer  der  ökonomi- 
schen Theorie,  die  ja  fast  alle  mit  dem  Gelde  zusammenhängen, 
vermieden."  Und  weiter:  „Wollte  man  für  die  Tatsache,  daß 
eine  abstrakte  Rechnungseinheit  heute  alle  Umsätze  vermittelt  und 
in  der  Einzelwirtschaft  als  Kosten  bewertet  wird,  einen  besonderen 
Ausdruck,  so  könnte  man  diese  Rechnungseinheit  vielleicht  als 
„Nenner"  in  übertragener  Bedeutung  bezeichnen." 

Nun  ist  es  gewiß  das  freie  Recht  eines  jeden,  der  sich  berufen 
fühlt,  das  körperliche  Geld  ausschließlich  zum  Objekt  seiner  For- 
schung zu  wählen,  seine  Funktionen  zu  analysieren,  und  aus  dieser 
Analyse  seine  Folgerungen  zu  ziehen.  Nur  muß  man  verlangen, 
daß  ein  solches  Tun  sich  der  Grenzen  seines  Bereiches  bewußt 
bleibt,  daß  eine  solche  Theorie  des  Geldes  anerkennt,  daß  ihr  For- 
schungsobjekt, das  sie  Geld  nennen  mag,  in  unserem  Wirtschafts- 
leben aus  der  Rolle  verdrängt  ist,  die  ihm  in  abgelebten  Zeiten  zu- 
kam. Mag  sie  Geschichte  treiben,  sie  soll  die  Hände  lassen  von 
der  Politik.    Es  ist  ein  Uebergriff,  wenn  sie  es  unternimmt,  ihre 


1)  Geld  und  Gold,  S.  93. 

2)  nämlich:  das  Geld. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  19 


290  Karl  Elster, 

Forschungsergebnisse  in  eine  währungspoiitische  Programmatik  um- 
zumünzen. Es  ist  verdienstlich  und  steht  dem  Historiker  wohl  an, 
den  politischen  Belangen  der  Mark  Brandenburg  unter  Otto  dem 
Faulen  nachzuspüren  und  die  Möglichkeiten,  die  sich  ihrer  Durch« 
Setzung  bieten  mochten,  zu  prüfen  und  zu  erörtern.  Wir  werden 
es  aber  wohl  ablehnen  müssen,  die  Richtlinien  unserer  heutigen 
Politik  nach  diesen  Ergebnissen  zu  orientieren. 

Liefmann  —  so  habe  ich  bereits  bemerkt  —  hat  in  der  Ent- 
wicklung des  Geldwesens  die  Erscheinung  klar  erkannt,  dieRathenau 
die  „Substitution  des  Grundes"  nennt.  Doch  hat  er  mit  Recht 
darauf  verzichtet,  das  Geld,  wie  er  es  erkannt  hat;  hinter  dem 
Worte  „Nenner"  zu  verstecken  und  seinem  Buche  etwa  den  Titel 
„Geld  und  Nenner"  als  Rätselwort  mit  auf  den  Weg  zu  geben. 
Und  so  glaube  auch  ich  für  den  Begriff,  der  sich  aus  meinen 
Untersuchungen  ergibt,  den  Namen  „Geld"  in  Anspruch  nehmien, 
nicht  minder  aber,  aus  diesem  Geldbegriffe,  der  nicht  in  die  Leichen- 
kammer der  gestorbenen  historischen  Begriffe  gehört,  sondern  lebt 
und  wirkt,  praktische  Folgerungen  ziehen  zu  dürfen. 

Das  Geld  ist  Zahl.  Solange  es  seine  Funktionen  nur  in  körper- 
licher Einkleidung  zu  versehen  vermochte,  konn^iß  es  angängig  sein, 
seine  Körperlichkeit  —  mochte  sie  noch  so  sehr  ein  bloßes  acciden- 
tale  sein  —  als  seine  allgemeine  (nicht  gelegentliche)  Eigenschaft 
in  die  Begriffsbestimmung  aufzunehmen.  Wer  dieses  heute  tut, 
verkennt  sein  Wesen,  oder  wird  den  Funktionen  nicht  gerecht, 
die  es  in  unserem  Wirtschaftsleben  erfüllt. 


Meine  Betrachtungen  haben  mich  zu  Liefmann  zurückgeführt. 
Liefmann  ist  zu  seinem  Geldbegriffe  gelangt,  indem  er  seinen  Aus- 
gang von  der  Tauschwirtschaft  genommen  hat.  Doch  hat  er  seine 
Untersuchungen  nicht  auf  deren  Erscheinungen  beschränkt.  In- 
dem er  es  als  die  Aufgabe  der  ökonomischen  Theorie  erkennt,  die 
„tauschwirtschaftlichen  Erscheinungen  auf  die  Bedarfsempfindungen 
aer  Einzelwirtschaften  zurückzuführen"^),  und  auch  beim  Gelde 
nicht  nur  die  „soziale"  Tauschvermittlungsfunktion,  sondern  „seine 
Funktion  innerhalb  der  Einzelwirtschafteai  festzustellen,  es  sozu- 
sagen auch  individualistisch  zu  definieren"  i),  geht  er  dieser  „inner- 
wirtschaftlichen Funktion"!)  des  Geldes  in  den  Konsumwirtschaften 
und  in  den  Erwerbswirtschaften  nach,  und  sein  Geldbegriff  —  wie 
er  sich  in  den  von  mir  zitierten  2)  Worten  Liefmanns  darstellt  — 
ist  das  Ergebnis  dieser  Untersuchungen. 

Ich  habe  den  Geldbegriff  aus  den  Einkommen  und  den  Preisen 
gewonnen  und  das  Geld  als  die  zahlenmäßige  Einheit  bestimmt, 
auf  die  diese  beiden  Zahlenbegriffe  als  auf  ihren  Generalnenner 
zurückzuführen  sind.  Insofern  sind  meine  Untersuchungen  bisher 
auf    die    soziale  Vermittlungsfunktion    des   Geldes   beschränkt   ge- 

1)  Geld  nnd  Gold,  S.  69. 

2)  Vgl.  oben  S.  289. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  291 

blieben,  und  bedürfen  sie  der  Ergänzung  auf  dem  von  Liefmann 
bezeichneten  Wege.  Erst  wenn  diese  Ergänzung,  die  den  Gegen- 
stand der  nachfolgenden  Ausführungen  bilden  soll,  vorgenommen 
ist,  sind  die  Voraussetzungen  gegeben,  die  einen  Vergleich  meiner 
Ergebnisse  mit  den  von  Liefmann  gewonnenen  möglich  machen. 

Ich  habe  bereits  bemerkt,  daß  eine  jede  wirtschaftliche  Hand- 
lung von  dem  wirtschaftenden  Subjekte  nur  unter  der  Voraussetzung 
vorgenommen  wird,  daß  sie  eine  Verschiebung  seines  derzeitigen 
Zustandes  nach  der  Lustseite  hin  erwarten  läßt,  und  weiter,  daß 
von  mehreren  aus  diesem  Gesichtspunkte  heraus  möglichen  Hand- 
lungen immer  die^jenige  vorgenommen  werden  wird,  die  dieses  er- 
strebte Ziel  in  stärkstem  Maße  in  Aussicht  stellt.  Hierbei  bleibt  zu 
berücksichtigen,  daß  derartige  wirtschaftliche  Akte  regelmäßig 
einen  Nutzen  nur  unter  Aufwendung  von  Kosten  ermöglichen, 
so  daß  nicht  nur  die  Aussicht  auf  diesen  Nutzen,  sondern  diese 
Aussicht  bei  Berücksichtigung  der  Kosten  die  einzelne  Handlung 
bestimmt.  Das  wirtschaftende  Subjekt  stellt  den  erwarteten  Nutzen 
den  mit  seiner  Erzielung  verknüpften  Kosten  vergleichend  gegen- 
über xind  nimmt  dann  diejenige  Handlung  vor,  die  in  ihrem  aus 
Lust  und  Unlust  resultierenden  Ergebnis  die  stärkste  Verschiebung 
des  Gesamtzustandes  nach  der  Lustseite  hin  bedeutet.  (Liefmann 
spricht  in  diesem  Sinne  von  dem  „Ertrage"  der  wirtschaftlichen 
Handlung,  ein  Ausdruck  der  durch  seine  Kürze  und  Anschaulich- 
keit besticht,  den  ich  aber  mit  Kücksicht  auf  seine  Inkongruenz 
mit  dem  Sprachgebrauch,  vor  allem  aber  deswegen  v-ermeiden 
möchte,  weil  er  die  Subtraktion  der  Kosten  vom  Nutzen  —  also 
etwas  Unmögliches  —  zur  begrifflichen  Voraussetzung  hätte».)  Diese 
Vorbemerkung  muß  ich  dem  nun  folgenden  Versuche,  eine  Analyse 
der  Konsumwirtschaft  vorzunehmen,  vorausschicken: 

Ziel  der  Konsumwirtschaft  ist  di-e  Beschaffung  der  der 
unmittelbaren  Bedarfsbefriedigung  dienenden  Güter.  Das  Mittel 
ihrer  Beschaffung  ist  das  Einkommen.  Der  Inhalt  der  konsumwirt- 
schaftlichen Tätigkeit  besteht  in  der  Verteilung  d,es  verfügbaren 
Einkommens  auf  die  wirtschaftlichen  Güter  als  Mittel  der  Bedarfs- 
befriedigung nach  dem  von  Lief  mann  als  „Gesetz  des  Ausgleiches 
der  G;renzerträge*'  richtig  erkannte»,  weniger  glücklich  benannten 
Prinzip,  und  demzufolge  in  der  Hingabe  von  Einkommensteilen 
als  Preisen  der  begehrten  Güter. 

Ich  spreche  von  der  „Hingabe"  von  Einkommensteüen,  möchte 
indessen  den  Hinweis  darauf  nicht  unterlassen,  daß  diese  Hingabe 
nicht  eine  körperliche  Uebergabe  ausdrücken  soll.  Denn  das  Ein- 
kommen als  Zahlenbegriff  ist,  eben  dieses  Begriffes  wegen,  der 
körperlichen  Hingabe  nicht  iähig  (eine  Tatsache,  die  natürlich  die 
Hingabe  von  Geldzeichen  nicht  ausschließt).  Hingabe  bedeutet 
hier  so  viel  wie  den  Verzicht  auf  seine  sonstige  Nutzung.  Die 
Kosten  (als  Unlustgefühl)  eines  jedeoi  konsumwirtschaftlichen  Aktes 
ergeben  sich  hiernach  aus  dem  (diesen  wirtschaftlichen  Akt  allein 
ermöglichenden)  Verzicht  auf  eineo  anderen   und  damit  auf  den 

19* 


292  Karl  Elster, 

Lusterfolg  dieses  anderen,  (wie  denn  die  Kosten  in  der  Konsum- 
wirtschaft ihrem  Wesen  nach  nichts  anderes  sind,  als  Verzicht  auf 
nicht  erreichbaren  Nutzen).  In  diesem  Sintte  glaube  ich  den 
Satz  Liefmanns  verstehen  zu  dürfen :  „Das  Geld  wird  in  der  Kon- 
sumwirtschaft .  . .  geschätzt  nach  dem  mit  einer  weiteren  Einheit 
zu  erzielejiden  Nutzen" i).  Und  in  diösem  Sinne  ist  seiner  Fest- 
stellung zuzustimmen,  daß  „das  Geld  nach  der  Größe  dee  Ein- 
kommens geschätzt"  1)  werde,  eine  Tatsache,  die  bereits  vor  ihm 
Otto  von  Zwiedineck  in  seinem  Aufsatze  „Die  Einkommensge- 
staltung als  Geldwertbestimmungsgrund"  2),  der  m.  D.  zu  dem 
Besten  gehört,  das  über  das  Geldproblem  geschrieben  wurde,  des 
näheren   erörtert  hat. 

So  einleuchtend  diese  Beziehung  des  Einkommens  zu  den 
Kosten  der  Konsumwirtschaft  ist,  indem  —  bei  sonst  gleichen  Ver- 
hältnissen —  mit  steigendem  Einkommen  die  Kosten  geringer 
werden,  so  daß  eine  Konsumwirtschaft  ohne  Kosten  jeden- 
falls theoretisch  durchaus  denkbar  ist,  so  bedarf  die  bisher  ge- 
troffene Feststellung  doch  der  Ergänzung.  Und  diese  Ergänzung 
wäre  dahin  zu  treffen,  daß  diese  Einkommen  —  wie  sie  ihre  „so- 
ziale" Funktion  nur  in  Verbindung  mit  den  Preisen  auszuüben  ver- 
mögen —  ihre  innerwirtschaftliche  Bedeutung  für  die  Kostenge- 
staltung in  der  Konsumwirtschaft  auch  nur  im  Zusammenwirken 
mit  den  Preisen  gewinnen.  Die  nachfolgende  Ueberlegung  wird 
diese  Behauptung  bestätigten:  Ein  wirtschaftendes  Subjekt  ver- 
schafft sich  für  einen  bestimmten  Geldbetrag,  10  Mark,  ein  Genuß- 
gut. Seine  Kosten  ergeben  sich  als  die  Unlustempfindung,  die 
aus  dem  Verzicht  auf  ein  anderes  Genußgut  resultiert,  das  es  sich 
mit  einem  weiteren  Geldbetrage  von  gleicher  Höhe,  den  sein  Ein- 
kommen aber  nicht  mehr  umgreift,  verschaffen  könnte  und  würde. 
Ist  es  hiernach  gewiß  zutreffend,  daß  die  Kosten  eines  konsum- 
wirtschaftlichen Aktes  desto  geringer  sind,  je  hölier  das  Einkommen 
sich  stellt,  so  ist  der  weitere  Rückschluß  ebenso  unabweislioh, 
daß  diese  Kosten,  wie  durch  die  Höhe  des  Einkommens,  so  durch 
die  des  durchschnittlichen  Preisniveaus  bestimmt  werden.  Je  höher 
dieses  Preisniveau  sich  stellt,  desto  schneller  ist  das  Einkommen 
durch  die  gezahlten  Preise  erschöpft,  so  daß  also  em  hohes  Preis- 
niveau —  in  der  gleichen  Weise,  wie  ein  niedriges  Einkommen 
—  die  Kosten  der  Konsumwirtschaft  erhöht.  Ein  Beispiel  sei  hier 
gestattet:  Ein  wirtschaftendes  Individuum  A  hat  ein  Einkommen 
von  6000  M.  Es  verbraucht  für  seine  „Exist'enzbedürfnisse" 
3000  M.,  für  seine  „Anstandsbedürfnisse"  2000  M.  und  gibt  den 
Rest  von  1000  M.  für  „Luxusbedürfnisse"  aus.  Dasselbe  Indi- 
viduum wirtschaftet  unter  anderen  Verhältnissen  —  es  haben  sich 
alle  Preise  genau  verdoppelt  —  mit  12000  M.  Einkommen.  Es 
bedarf  keines  weiteren  Wortes  der  Ausführung,  daß  es  mit  gleichem 


1)  Geld  und  Gold,  S.  72. 

2)  Schmollers  Jahrbuch,  33.  Jahrgang,  S.  131  ff. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  293 

„Nutzen"  und  gleichen  „Kosten"  wirtschaften  wird,  trotzdem  &ein 
Einkommen   und  alle  Preise  sich  verdoppelt  haben. 

Diese  Tatsache,  die  selbstverständlich  ist,  beweist :  Einkommen 
und  Preise,  die  immer  nur  in  kombinierter  Funktion  in  unserem 
Wirtschaftsleben  sich  auswirken,  sind  reine  Verhältniszahlen, 
nach  denen  sich  die  Beteiligung  der  wirtschaftenden  Individuen  an 
den  Marktprodukten  regelt.  Alle  Verhältniszahlen  sind  ihrem 
Wesen  nach  Brüche,  haben  ihren  Zähler  und  ihren  Nenner.  Als 
gemeinsamer  Nenner  steht  die  Geldeinheit  unter  den  Preiszahlen 
und  den  Einkommenszalilen.  Das  wirtschaftende  Individuum  wirt- 
schaftet in  der  Weise,  daß  es  seine  Bedürfnisse  nach  dem  von  mir 
sattsam  klargestellten  Prinzip  so  lange  befriedigt,  bis  seine  Be- 
teiligungsmöglichkeit erlischt.  Es  rechnet  auf  der  Grundlage  der 
Nutzen-  und  Kostenvergleichung  (die  der  Untergrund  jeder  Hand- 
lung ist),  indem  es  die  in  seinem  Einkommen  enthaltenen  Betei- 
ligungsziffern auf  die  in  den  Preisen  enthaltenen  Verhältniszahlen 
mit  Hilfe  ihres  gemeinsamen  Generalnenners,  der  Geldeinheit  (des 
Geldes)  verteilt.  Je  höher  dieses  Einkommen  in  seinem  Verhältnis 
zum  Preisniveau  ist,  desto  geringer  sind  die  Kosten  der  Konsum- 
wirtschaft. Und  diese  Tatsache  erklärt  es,  daß  die  Zahlung  des 
gleichen  Preises  aus  einem  relativ  hohen  Einkommen  in  gerin- 
gerem Maße  Kosten  bedeutet,  als  we'nn  sie  aus  einem  niedrigeren 
Einkommen  bewirkt  wird;  was  dann  in  der  Terminologie  der 
herrschenden  Theorie  so  ausgedrückt  werden  mag,  daß  „der  Geld- 
wert" bei  steigendem  Einkommen  sinkt. 

Zwiedinecks  bereits  erwähnter  Aufsatz  umgreift  allerdings 
noch  ein  weiteres,  von  dem  hier  erörterten  völlig  verschiedenes 
Problem,  nämlich  den  Einfluß  der  Einkommensgestaltung 
auf  die  Gestaltung  der  Preise.  Hier  ist  indessen  nicht  der 
Zusammenhang  für  eine  Untersuchung  dieser  Beziehungen  ge- 
geben, und  so  mag  die  Bemerkung  genügen,  daß  das  jeweilige 
Preisniveau  vornehmlich  durch  die  jeweilige  Gestaltung  der  Ein- 
kommen bedingt  ist. 

Was  bedeutet  nun  nach  allem  Gesagten  die  „innerwirtschaftliche 
Funktion"  des  Geldes  in  der  Konsumwirtschaft?  Nichts  anderes, 
als  was  eine  Zahl  eben  nur  bedeuten  kann:  das  G^ld  ist  auch 
hier  eine  Rechnungsgröße.  Es  ist  —  wie  Liefmann  treffend  aus- 
führt —  kein  Ausdruck  des  Nutzens  i),  und  kein  Ausdruck  der 
Kosten 2).  Es  ist  aber  recht  eigentlich  auch  kein  Kostengut^), 
indem  die  Möglichkeit,  von  einer  Anzahl  Gütern  eines  zu  be- 
schaffen, nicht  wohl  selbst  ein  Gut  ist.  Doch  kann  die  Vertiefung 
dieser  Frage  um  so  eher  unterbleiben,  als  die  wirtschaftliche  Be- 
deutung eines  in  Geld  ausgedrückten  Einkommensteiles  in  der  Tat 
nach  dem  gleichen  Gesetze  geschätzt  wird,  nach  dem  sich  die 
Schätzung  der  Kostengüter  bestimmt.    Das  wirtschaftende  Subjekt 

1)  Geld  und  Gold,  S.  76. 

2)  Ebenda  S.  72. 

3)  Ebenda  S.  71. 


294  Karl  EUter, 

verteilt  ein  (gegebenes)  Einkommen  auf  (erfahrungsgemäß  bekannte) 
Preise  mit  Hilfe  ihres  gemeinschaftlichen  Generalnenners  Geld, 
und  zwar  in  der  Art,  von  der  es  den  größten  (aus  den  erworbenen 
Genußgütern  resultierenden)  Nutzen  und  entsprechend  die  ge- 
ringsten Kosten  (als  Verzicht  auf  nicht  mehr  erreichbare  Genüsse) 
erwartet.  So  ist  das  Geld  auch  hier  abstrakte  Rechnungseinheit, 
und  nur  eine  solche,  und  diese  Stellung  des  Geldes  in  der  Konsum- 
wirtschaft gibt  keinen  Anlaß,  die  bereits  gewonnene  Definition 
des  Geldes  nach  irgendeiner  Richtung  hin  —  insbesondere  nicht 
durch  Aufnahme  einer  (nicht  existenten)  B^eziehung  zwischen  ihm 
und  dem  Nutzen-  und  Kostenmoment  in  der  Konsumwirtschaft  — 
zu  ergänzen. 

So  bleibt  noch  die  Aufgabe,  die  „innerwirtschaftliche  Funktion" 
des  Geldes  in  der  Erwerbswirtschaft  zu  bestimmen:  Ziel  der 
Erwerbswirtschaft  ist  Einkommen,  (das  dann  in  der  hinter 
einer  jeden  Erwerbswirtschaft  stehenden  Konsumwirtschaft  seine 
Verwendung  als  Mittel  zur  Beschaffung  der  Genußgüter  findet). 
Das  Mittel  der  Erwerbswirtschaft  ist  entweder  Arbeitsmühe  oder 
Geldsummen  oder  beide  mit-  und  nebeneinander.  Diese  drei  Fälle 
sind  z;u  analysieren : 

Der  erste  Fall  ist  der,  daß  das  Einkommen  ausschließlich  aus 
der  auf  seine  Erziel ung  gerichteten  Arbeitsmühe  resultiert.  Inner 
halb  dieser  umfassenden  Gruppe  bilden  alle  diejenigen  Wirtschaften 
eine  Untergruppe,  deren  Trägern  ein  bestimmter,  festumrissener 
Wirkungskreis  obliegt,  für  dessen  Wahrnehmung  sie  ein  festes 
»Einkommen  beziehen.  Es  ist  die  Gruppe  der  Fe&tbesoldeten.  Hier 
kann  von  einer  erwerbswirtschaftlichen  Tätigkeit  nur  mit  einer  ge- 
wissen Einschränkung  gesprochen  werden  i),  indem  das  Ausmaß  der 
persönlichen  Arbeit  auf  die  Höhe  des  (unabänderlichen)  Einkom- 
mens ohne  Einfluß  bleibt,  die  Kosten  dieser  Wirtschaft  (als  die  Ar- 
beitsmühe desjenigen  Pensums,  dessen  dauernde  Nichtleistung  den 
Verlust  der  Stelle  nach  sich  ziehen  würde)  feststehen  und  damit 
der  arbiträren  Festsetzung  durch  das  wirtschaftende  Subjekt  ent- 
zogen sind,  wie  auf  der  anderen  Seite  der  zu  erzielende  Nutzen 
eine  feste  Größe  bildet.  Die  einzige  wirtschaftliche  Ueberlegung, 
die  hier  der  Berufstästigkeit  zugrunde  liegt,  ist  die,  ob  der  Nutzen 
(Einkommen)  bei  Berücksichtigung  der  Kosten  (Arbeitsmühe)  einen 
günstigeren  Status  nach  der  Lustseite  hin  bedeutet,  als  der  Status 
nach  Fortfall  beider  ausmachen  würde ;  wobei  denn  der  hier  vorge- 
nommenen Nutzen-  und  Kostenvergleichung  die  Arbeitsmühe  einer- 
seits, der  Nutzen  der  aus  dem  festen  Einkommen  erfahrungs- 
mäßig zu  beschaffenden  Genußgüter  andererseits  zugrunde  liegt. 
So  spielt  auch  hier  das  Geld  in  d"em  psychischen  Vorgange  der 
Nutzen-  und  Kostenvergleichung  selbst  keinerlei  Rolle.  Es  ist 
wiederum    nur    Rechnungseinheit,    indem    die    Unterlagen    dieses 

1)  Nämlich  nur  unter  Hinblick  auf  die  gesamte  einheitliche  Berufstätigkeit,  nicht 
die  einzelne  Berufshandlung. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems,  295 

psychischen  Vergleichprozesses  durch  eine  rein  rechnerische  Mani- 
pulation (die  Verteilung  des  Einkommens  auf  die  Preist)  gewonnen 
werden. 

In  der  zweiten  Untergruppe  dieser  Erwerbs  wir  tschaften,  in 
denen  also  eine  Erhöhung  der  Kosten  (Steigerung  der  Arbeits- 
leistung) zur  Erhöhung  des  Einkommens  führt,  ist  der  innere 
Vorgang  insofern  ein  komplizierterer,  als  an  Stelle  der  Alter- 
native: bestimmte  Kosten  und  bestimmter  Nutzen,  oder  aber: 
keine  Kosten,  kein  Nutzen,  eine  unbegrenzte  Zahl  von  Even- 
tualitäten entsprechend  den  vielfachen  Möglichkeiten  des  Kosten- 
ausmaßes steht.  Aber  wenn  auch  demzufolge  der  psychische  Nutzen- 
und  Kostenvergleich  anstatt  zweier  Möglichkeiten  eine  unbegrenzte 
Zahl  von  Möglichkeiten  zu  umfassen  hat,  und  dementsprechend 
die  Beschaffung  der  Vergleichs  unterlagen  eine  unbegrenzte  Anzahl 
rechnerischer  Vorarbeiten  bedingt:  daß  der  Geldbegriff  in  diesen 
Wirtschaften  keine  andere  Bolle  spielt,  als  in  den  bereits  erörterten 
Fällen,  bedarf  der  Ausführung  nicht. 

Der  zweite  Hauptfall  innerhalb  der  Erwerbswirtschaften  ist 
der,  daß  das  Einkommen  nicht  aus  der  Arbeitsmühe,  sondern  aus 
dem  Gelde  selbst  —  aus  seiner  „Anlage"  gewonnen  wird.  Im 
B ahmen  dieser  Betrachtung  ist  die  Frage^,  worauf  letzten  Ende« 
der  Kapitalzins  beruhen  mag,  von  keiner  Bedeutung.  Die  Tat- 
sache, daß  er  besteht,  ist  hier  zugrunde  zu  legen,  und  nur  die 
inneren  Vorgänge  sind  zu  ermitteln,^  die  die  Anlage  des  Kapitals 
bestimmen.  Ich  nehme  ein  Beispiel:  A  hat  ein  Kapital  von 
100000  M.,  das  er  in  vier  verschiedenen  Anlagen  unterbringen 
kann,  deren  erste  5000  M.,  zweite  4000  M.,  dritte  3000  M., 
vierte  2000  M.  jäJirliches  Einkommen  gewährFeistet.  Er  wählt  die 
erste  Anlagemöglichkeit.  In  Fällen  dieser  Art  spricht  Liefmann 
von  einer  „quantitativen  Nutzen-  und  Kostenvergleichung  in  Geld- 
summen" i)  und  erblickt  die  Funktion  des  Geldes  in  dieser  Art 
von  Erwerbswirtschaften  darin,  daß  es  „Nutzen-  und  Kostensubsti- 
tut"2)  sei.  Ich  halte  dieses  Ergebnis,  wenn  nicht  für  falsch,  so 
doch  für  durchaus  irreführend.  In  dem  von  mir  als  Beispiel  gOr 
setzten  Falle  findet  eine  Nutzen-  und  Kosten vergleichung  nicht  mehr 
statt,  weil  es  keines  Vergleiches  mehr  bedarf,  wenn  sein  Ergebnis 
feststeht.  Man  mißt  und  wägt  keinen  Gegenstand,  dessen  Größe 
und  Gewicht  man  kennt.  Hier  ersetzt  die  Erfahrung  die  Notwen- 
digkeit der  Prüfung.  Daß  ein  höheres  Einkommen  bei  sonst 
gleichen  Verhältnissen  ein  Mehr  von  Nutzen  gegenüber  einem 
geringeren  Einkommen  bedeutet,  das  weiß  der  Wirtschafter;  hierzu 
bedarf  er  keiner  Feststellung. 

Doch  kommt  im  wirtschaftlichen  Leben  der  hier  gesetzte  Fall 
regelmäßig  nicht  vor.  Denn  die  Begel  bleibt,  daß  den  verschie- 
denen Einkommen  verschiedene'  Kosten  gegenüberstehen.    In  dem 

1)  Geld  und  Gold,  S.  81. 

2)  Ebenda  S,  82. 


296  J^*''^  Elster, 

von  mir  gewählten  Beispiele,  in  dem  ich  das  Einkommen  als  „ge- 
währleistet" bezeichnet  habe,  sind  die  Kosten  gleich.  Sie  bestehen 
in  dem  Verzicht  auf  die  sofortige  Verwendung  des  „Geldes"  zur  Be- 
schaffung von  Genußgütern.  Regelmäßig  ab^r  bestehen  die  Kosten 
einer  Geldanlage  nicht  nur  in  diesem  Verzicht,  sondern  in  ihm  und 
der  in  verschieden  hohem  Maße  bestehenden  Möglichkeit  eines 
Kapitalverlustes,  so  daß  dem  zu  erwartenden  Nutzen  Kosten  in 
verschiedener  Höhe  gegenüberstehen.  Das  Ergebnis  dieses  Ver- 
gleiches, bei  dem  Nutzen  der  erfahrungsgemäß  feststehende  Be- 
friedig ungsgräd  aus  dem  Einkommen,  Kosten  die  derzeitige  Ein- 
schränkungsnotwendigkeit in  Verbindung  mit  dem  Risiko  eines 
dauernden  Vermögensverlustes  bedeutet,  bestimmt  die  Selektion  der 
Anlage.  Dieser  Vergleich  aber  ist  alles  andere  eher,  als  nur  eine 
„quantitative  Nutzen-  und  Kostenvergleichung  in  Geldsummen". 
Indessen,  worauf  allein  es  hier  ankommt:  auch  hier  spielt  das 
Geld  seine  Rolle  nur  bei  Errechnung  der  Vergleichsunter  lagen,  nicht 
mehr  in  dem  Nutzen-  und  Kostenvergleichsprozesse.  Denn  a.uch 
hier  ist  der  Geldhegriff  aus  der  Psyche  ausgeschaltet,  bevor  die 
Nutzen-  und  Kostenvergleichung  ihren  Anfang  nimmt. 

Nach  allem  kann  die  Erörterung  des  dritten  Falles,  daß  nämlich 
das  Einkommen  aus  Arbeitsmühe  verbunden  mit  Geldaufwendungen 
entspringt,  auf  den  Hinweis  beschränkt  bleiben,  daß  auch  hier  die 
Stellung  des  Geldes  in  den  wirtschaftlichen  Erwägungen  die  gleiche 
ist,  nämlich  daß  sie  ausgespielt  ist,  ehe  daß  der  Vergleich  des 
Nutzens  und  der  Kosten  vor  sich  geht. 

Ich  fasse  hiernach  mein  Ergebnis  dahin  zusammen,  daß  auch 
in  der  Erwerbswirtschaft  das  Geld  nur  als  rechnerische  Größe 
fungiert,  und  daß  es  insonderheit  mit  dem  Nutzen  und  den  Kosten 
nichts  zu  tun  hat,  indem  diese  erst  dann  zu  psychischen  Faktoreoi 
werden,  wenn  unter  jenes  Rechenexempel,  mittels  dessen  die  in  dem 
Einkommen  enthaltenen  Geldbeträge  auf  die  Preise  verteilt  werden, 
der  Schlußstrich  gezogen  ist. 

Ich  glaube  darauf  verzichten  zu  dürfen,  die  Abweichungen 
meiner  Ergebnisse  von  jenen,  zu  denen  Liefmann  gelangt,  zu  unter- 
streichen; denn  sie  sind  meines  Erachtens  geringfügig  im  Ver- 
gleiche zu  dem,  was  diese  Ergebnisse  eint.  Als  das  Wesentliche 
in  Liefmanns  Geldbegriffe  will  mir  die  Auffassung  erscheinen, 
daß  das  Geld  „Rechnungsmittel"  i),  daß  es  also  Zahl  ist,  daß  es 
als  Erscheinung  des  modernen  Wirtschaftslebens  etwas  Abstraktes 
ist,  daß  es  „sachlich  nicht  definiert  werden  kann"  2).  (Wobei 
ich  die  Bedeutung  dieses  Satzes  dahin  fasse,  daß  es  nicht  ein  sach- 
licher, stofflicher  Gegenstand  ist.)  Und  wenn  ich  den  Satz  Lief- 
manns, daß  in  diesem  Rechnungsmittel  „die  Konsumwirtschaften 
ihre  Kosten  und  die  Erwerbswirtschaften  Nutzen  und  Kosten 
veranschlagen"!),  lieber  missen  möchte,  weil  er  mir  schief  oder 
doch  in  bedenklicher  Weise  irreführend  erscheinen.'  will,  so  sind 
doch  meine  Bedenken  in  dieser  Hinsicht  mehr  gegen  die  Formu- 

1)  Geld  und  Gold,  S.  92. 

2)  Ebenda  S.  94. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  297 

lierung  des  Ergebnisses  gerichtet,  als  gegen  das  Ergebnis  selbst, 
da  ja  Lief  mann  wenigstens  ausdrücklich  betont,  daß  das  Geld  jeden- 
falls ein  Ausdruck  dieser  psychischen  Begriffe  nicht  sein  kann 
und  nicht  ist. 

Ich  habe  bereits  einmal  darauf  hinweisen  müssen  i),  daß  Lief- 
manns DarsteUungsweise  an  Mängeln  in  der  Terminologie  krankt, 
die  vielleicht  den  wissenschaftlichen  Wert  seiner  Ausführungen 
nicht  unmittelbar  beeinträchtigen,  ,die  aber  zweifellos  das  Verständ- 
nis außerordentlich  erschweren  müssen,  indem  sie  zu  scheinbaren 
Widersprüchen  führen,  die  erst  der  Auflösung  durch  den  Leser 
bedürfen.  Es  ist  besonders  auch  wieder  sein  fünftes  Kapitel 
„Das  Wesen  des  Geldes",  das  in  dieser  Hinsicht  zu  berechtigten 
Beanstandungen  Anlaß  bietet.  Ich  würde  lieber  darauf  verzichten, 
auf  diese  Unebenheiten  des  näheren  einzugehen,  kann  es  aber  leider 
nicht  unterlassen,  da  in  diesem  Kapitel  eine  Reihe  von  Sätzen  und 
Wendungen  enthalten  ist,  die  man  meiner  Peststellung,  daß  Lief- 
mann unter  „Geld"  die  abstrakte  Rechnungseinheit  verstünde,  ent- 
gegenzuhalten vermöchte.  So  sagt  Liefmann  auf  Seite  85:  „Ist 
es  denn  wirklich  das  Geld,  das  in  dieser  Weise  Kosteneinheit  der 
Konsumwirtschaft  ist?  Es  sind  doch  ganz  offenbar  die  nur  in  Geld 
ausgedrückten  Einkommen.  Sind  aber  —  so  muß  man  weiter 
fragen  —  die  Einkommen  heute  wirklich  Geld?  Ist  nicht  ein 
großer  Teil,  ja  vielleicht  der  größte  Teil  aller  Einkommen  nur  „in 
Geld"  verrechnet,  erscheint  nur  als  Guthaben  bei  den  Banken,  nie- 
mals aber  oder  doch  nur  zu  einem  Teile  wirklich  in  der  Geldform? 
Und  wenn  das  richtig  ist,  wie  kommt  man  denn  dazu,  den  staat- 
lichen Zahlungsmitteln  eine  so  ungeheure  Bedeutung  zuzuschreiben, 
zu  behaupten,  daß  die  Kaufkraft  des  Geldes  einerseits  durch  das 
Gold  (Metallismus),  andrerseits  durch  den  Staat  (Chartalismus) 
bestimmt  werde,  während  in  Wahrheit  der  größte  Teil  der  Ein- 
kommen niemals  die  Form  staatlicher  Zahlungsmittel  annimmt,  son- 
dern eine  rein  rechnungsmäßige  Größe  ist?"  Dieser  Satz  ist  nur 
verständlich,  wenn  „Geld"  in  dem  Sinne  von  „Geldzeichen"  (wie 
ich  sage,  von  Zahlungsmittel,  wie  Liefmann  meines  Erachtens  nicht 
recht  korrekt  sich  ausdrückt)  zu  verstehen  ist.  Dasselbe  gilt  von 
den  folgenden  Sätzen,  die  sich  auf  Seite  86  finden:  „Es  ist  also 
gar  nicht  wahr,  daß  die  Einkammen  Geldsummen  sind.  Ein  großer 
Teil  der  Einkommen  ist  niemals  Geld  gewesen.  Es  sind  nur  Rech- 
nungssummen in  der  Geldeinheit,  Verfügungsmöglichkeit  über  For- 
derungen, die  auf  die  auch  dem  Gelde  zugrunde  liegende  Rech- 
nungseinheit lauten."  Auch  hier  steht  der  Terminus  „Geld"  im 
Sinne  des  körperlichen  Geldes.  Und  auf  Seite  87  ist  sogar  expres- 
sis  verbis  gesagt:  „Die  Wirtschafter  rechnen  nicht  in  Geld,  son- 
dern sie  rechnen  mit  ihrem  Einkommen,  das  in  einer  nicht  in  Geld 
bestehenden  abstrakten  Rechnungseinheit  ausgedrückt  ist."  Also: 
die  Rechnungseinheit  ist  nicht  Geld.  Auf  derselben  Seite  aber  stellt 
dann  Liefmann  den  Gegensatz  zwischen  seiner  Gr^ldtheorie  und  den 

1)  Anm.  1  zu  S.  266. 


298  ^'^^^  Elster, 

bisherigen  dahin  fest,  daß  bisher  noch  kein  Schriftsteller  unter  dem 
Gelde  „etwas  anderes  als  die  realen  Zahlungsmittel  verstanden" 
habe,  was  er,  Liefmann,  also  tut  und  als  sein  „ausschließliches  gei- 
stiges Eigentum"  in  Anspruch  nimmt.  Er  schreibt  dann  auf 
Seite  89,  daß  man  in  den  weitaus  meisten  Fällen,  in  denen  man  von 
Geld  spricht,  nicht  im  geringsten  an  die  realen  Zahlungsmittel 
dächte,  bemerkt  im  weiteren  Verlaufe  der  Darstellung,  daß  „Geld 
in  unserem  Sinne"  die  „abstrakte  Rechnungseinheit"  sei  (Seite  90), 
dalß  sich  allmählich  die  allgemeine  Benutzung  der  abstrakten  Rech- 
nungseinheit als  Geld  entwickelt"  habe  (ebenda),  arbeitet  dann 
(wenige  Zeilen  weiter)  wieder  mit  den  Begriffen  „Rechnungseinheit" 
und  „Geldeinheit",  die  er  als  gleichbedeutend  gebraucht,  und  stellt 
die  letztere  dem  Gelde  als  etwas,  was  „eine  sehr  viel  größere  Rolle 
spiele",  also  doch  als  etwas  anderes  gegenüber.  Und  nachdem  er  in 
den  (von  mir  bereits  zitierten)  Ausführungen  zutreffend  festge- 
stellt hat,  daß  der  Sprachgebrauch  das  Wort  „Geld"  in  doppeltem 
Sinne  gebraucht,  krönt  er  den  Wirrwarr  mit  den  Sätzen :  „Doch  da 
wir  den  Sprachgebrauch  nicht  ändern  können,  müssen  wir  eben  d-en 
Tatbestand  klar  im  Auge  behalten,  daß  er  mit  Geld  zwar  sehr  ver- 
schiedene Dinge  bezeichnet,  von  denen  die  abstrakte  Rechnungsein- 
heit die  ungleich  wichtigere,  aber  eben  wegen  ihrer  Abstraktheit 
noch  gar  nicht  genügend  beachtet  ist.  Diese  „abstrakte"  Auffassung 
des  Geldes  ist  .ein  Ergebnis  unserer  ganzen  psychischen  Wirtschafts- 
theorie, die  auch  auf  das  Geld  anzuwenden  ist  und  gerade  auch  in 
diesem  Punkte  der  hergebrachten  quantitativ-materialistischen  Wirt- 
schaf tsaüffassung  vollkommen  entgegengesetzt  ist.  Welche  Schlüsse 
daraus  für  die  Spezialfragen  der  Geldlehre  zu  ziehen  sind,  das  soll 
in  den  folgenden  Kapiteln,  wenn  auch  nicht  erschöpfend,  erörtert 
werden.  In  diesem  Kapitel  bringen  wir  noch  einige  allgemeine 
Eragen  zur  Sprache,  zunächst  die  nach  dem  Begriff  und  der  De- 
finition des  Geldes."  (Seite  94).  Hier  also  ist  das  Geld  die  abstrakte 
Rechnungseinheit,  wie  denn  auch  auf  Seite  95  der  „ökonomische 
Begriff  Geld"  als  „allgemeine  Rechnungseinheit"  präzisiert  und 
gegenüber  den  von  Helfferich  und  Moll  aufgestellten  Definitionen 
hervorgehoben  wird,  daß  in  dem  Sinne,  der  „das  eigentliche  Wesen 
der  Erscheinung  berührt",  Geld  keine  Objekte  sind. 

Ich  glaubte  —  wie  gesagt  —  diese  Kritik  nicht  unterdrücken 
zu  dürfen.  Ihr  Zweck  ist  nur  der,  festzustellen,  daß  Lief- 
manns Geld  doch  etwas  Abstraktes  ist,  auch  wenn  aus  seinen 
eigenen  Worten  sich  scheinbar  genug  Beweise  für  das  Gegenteil 
führen  lassen.  Ist  dieser  Zweck  erreicht,  so  bin  ich  befriedigt,  und 
verzichte  gerne  auf  Vorschläge  dafür,  wie  sich  die  meines  Erachtens 
wissenschaftlich  so  wertvollen  Ausführungen  Liefmanns  in  einer 
eindeiutigen  und  korrekten  Terminologie  hätten  bringen  lassen  i). 

1)  Meine  Auffassung,  daß  Liefmanns  Terminologie  seinen  Ergebnissen  im  Liclite 
steht,  glaube  ich  auch  durch  die  bereits  an  anderer  Stelle  (vgl  oben  S.  278)  erwähnte 
Kritik  Heyns  bestätigt  zu  finden.  Ich  kann  hier  der  Frage  nicht  näher  treten,  möchte 
aber  doch  der  Annahme  Ausdruck  geben,  daß  die  Kritik,  die  Heyn  dem  Liefmannschen 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  299 

Nach  dieser  unerläßlichen  Abschweifung  greife  ich  auf  das 
Ergebnis  zurück,  zu  dem  Liefma,nn  gelangt,  und  zu  dem  mich  meine 
eigenen  Betra,chtungen  —  trotz  zahlreicher  Abweichungen  von  den 
Liefmannschen  Voraussetzungen  und  auf  einem  vielfach  anderen 
Wege  —  geführt  haben,  zu  dem  Ergebnis  nämlich,  daß  das  Geld  ab- 
strakte Rechnungseinheit  ist,  daß  es  —  wie  ich  es  am  ehesten 
glaube  eindeutig  ausdrücken  zu  sollen  —  der  Generalnenner  in 
dem  Produktenverteilungsproz esse  des  modernen  Wirt- 
schaftslebens ist. 

Biesen  Produktenverteilungsprozeß  beherrscht  die  Zahl.  Die 
Gesamtheit  aller  Produkte  wird  nach  einem  zahlenmäßigen  System., 
dessen  Schlüssel  die  Einkommen  und  die  Preise  in  ihrer  kombi- 
nierten Funktion  ausmachen,  unter  die  wirtschaftenden  Subjekte 
verteilt. 

Wie  ein  solches  System  zur  Entstehung  zu  gelangen  vermochte, 
wie  es  möglich  war,  daß  ein  rein  zahlenmäßig  sich  abspielender 
Verteilungsprozeß  sich  einzuordnen  vermochte  in  das  von  Nutzen 
und  Kosten  diktierte  Geschehen,  stehe  dahin.  Dies  ist  das  Problem 
der  Wirtschaft.  Und  das  Problem  der  Wirtschaft  gehört  zu  jenen 
Fragen,  denen  gegenüber  sich  der  forschende  Geist  mit  der  nega- 
tiven Erkenntnis  begnügen  muß,  daß  sie  jenseits  der  Grenzsteine 
wohnen,  die  der  positiven  Erkenntnis  gesteckt  sind.  Wir  müssen 
uns  auf  die  Feststellung  beschränken,  daß  dieser  Verteilungsprozeß 
tatsächlich  vor  sich  geht. 

Aus  dieser  Erkenntnis  vom  Wesen  des  Geldes  als  einer  ab- 
strakten Zahl  ergibt  sich  der  Standpunkt,  den  wir  dem  Phänomen 
des  körperlichen  Geldes,  den  Geldzeichen  gegenüber  einzunehmen 
haben,  mit  logischer  Gewißheit.  Diese  Geldzeichen  sind  und  können 
nur  sein :  ein  rein  technisches  Hilfsmittel,  dessen  der  Geld  verkehr 
sich  zu  seiner  Durchführung  bedient,  ein  rein  technisches  Hilfs- 
mittel, das  theoretisch  —  unbeschadet  des  Fortganges  dieses 
Geldverkehrs  —  durchaus  entbehrt  werden  könnte,  das  prak- 
tisch in  wachsendem  Maße  durch  andere  technische  Hilfsmittel 
verdrängt  wird.  Da  ihre  Funktion  (im  Gegensatze  zu  der  ma- 
teriellen der  Einkommen,  der  Preise,  des  abstrakten  Geldes)  eine 
rein  technisch-formale  ist,  bedürfen  die  Geldzeichen  zur  Ausübung 
dieser  Funktion  keiner  weiteren  Qualitäten,  als  der  einen  und  ein- 
zigen, daß  sie  die  Geldeinheiten  (die  sie  darstellen,  die  sie  aber 
nicht  sind)  eindeutig  bezeichnen.  Ob  sie  zweckmäßig  aus  Metall 
hergestellt  werden,  ob  aus  Papier,  oder  aus  welchem  Stoff  e  es  immer 
sei,  ist  einzig  und  allein  eine  Frage  der  Technik.  Die  materielle 
Funktion  des  Geldes  wird  von  den  stofflichen  Eigenschaften  der 


Satze,  daß  nicht  das  Geld,  sondern  die  Einkommen  die  Güter  kaufen,  zuteil  werden  läßt, 
anders  hätte  ausfallen  müssen,  wenn  Liefmann  eindeutig  diesen  Satz  dahin  präzisiert 
hätte,  daß  nicht  der  Besitz  von  Geldzeichen  es  ist,  sondern  die  in  abstrakten  Rech- 
nungseinheiten ausgedrückte  Kaufkraft  (die  sich  vornehmlich,  wenn  auch  nicht  allein, 
aus  den  Einkommen  ergibt),  die  die  Nachfrage  gegenüber  dem  in  Preisen  ausgedrückten 
Angebote  stellt. 


300  Karl  Elster, 

Geldzeichen  nicht  berührt,  wie  denn  die  Resultate  einer  Rechen- 
aufgabe nicht  davon  abhängen,  ob  sie  mit  Hilfe  metallener  oder  höl- 
zerner, roter  oder  weißer  Kugeln  auf  der  Rechenmaschine, 
gelöst  wird. 

Damit  ist  die  Stellung  zum  Metallismus  gegeben.  Wer  im 
Gelde  die  abstrakte  Rechnungseinheit  erkannt  hat,  wird  die  For- 
derung „stofflich  vollwertigen  Geldes''  nicht  weiter  diskutieren. 
Vom  „Gelde"  „Stoffwert"  verlangen,  heißt  von  den  Zahlen  die  stoff- 
lichen Eigenschaften  der  Dinge  fordern,  die  mit  Hilfe  dieser  Zahlen 
verteilt  werden  sollen.  Das  Postulat  des  „Substanzwertes",  über 
das  die  Welt  der  Tatsachen  längst  zur  Tagesordnung  übergegangen 
ist,  wird  durch  die  Erkenntnis  der  abstrakten  Natur  des  Gelder 
auch  theoretisch  überwunden. 

Damit  ergibt  sich  aber  auch  die  ablehnende  Stellung  gegen- 
über jenem  Nominalismus,  wie  ihn  vor  allem  Heyn  vertritt,  wenn 
er  einen  „Wert  des  Geldes"  aus  einem  „Werte"  der  Geldzeichen 
konstruiert,  den  er  aus  Nutzen  und  Seltenheit  (Kostspieligkeit;  her- 
zuleiten sich  bemüht  1).  Seine  Lehre,  die  im  Lager  des  Metallismus 
immerhin  ein  gewisses  Wohlwollen  genießt  2)  (denn  sie  ist  Geist  von 
seinem  Geiste),  ist  genau  so,  wie  der  Metallismus  es  ist,  mit  der  Er- 
kenntnis der  abstraüten  Natur  des  Geldes  nicht  zu  vereinen. 

Damit  verliert  der  Streit  um  den  „Wert  des  Geldes"  Sinn  und 
Zweck.  Denn  die  individuelle  Schätzung  der  Geldeinheit,  die  aus 
der  Subjektivität  der  einzelnen  Wirtschafter  entspringt  und  die 
vornehmlich  durch  die  Höhe  der  Einkommen  und  das  allgemeine 
Preisniveau  bestimmt  wird,  hat  mit  dem  umstrittenen  „Geldwerte" 
nichts  gemein.  Es  gibt  keinen  „Wert  des  Geldes",  denn  Zahlen 
haben  keinen  Wert,^  und  es  ist  endlich  an  der  Zeit,  diesen  Begriff, 
der  genug  der  Irrtümer  und  Fehlschlüsse  veranlaßt  hat,  endgültig 
zu  begraben. 

Damit  erledigt  sich  die  Streitfrage  um  das  „Vertrauen",  das 
das  „Geld"  genießen  muß.  Trotz  Heyn  hat  Liefmann  recht: 
Das  „Geld"  bedarf  eines  besonderen  Vertrauens  nicht.  „Geld 
nehmen"  —  wenn  der  Begriff  „Geld"  richtig  erfaßt  ist  —  be- 
deutet nichts  weiter  als  „teilnehmen  am  Geldverkehr",  d.  i.  am 
modernen  Wirtschaftsverkehr.  Diese  Teilnahme  ist  aber  nicht  ein 
Akt  des  Vertrauens,  sie  ist  eine  Selbstverständlichkeit,  mag  immer- 
hin die  Möglichkeit  bestehen,  daß  irgendein  sonderbarer  Schwär- 
mer sich  'mit  den  lieben  Seinen  zu  einer  geschlossenen  Hauswirt- 
schaft zurückfindet  und  nur  gelegentlich  ein  Ziegenlamm  gegen  ein 
Quantum  Pfeifentabak  tauscht.  Gewiß:  „Geldzeichen  nehmen" 
kann  Sache  des  Vertrauens  sein,  insonderheit  wenn  deren  mehrere 
Arten  die  Möglichkeit  der  Wahl  belassen.  Dann  aber  richten  sich 
Vertrauen  oder  Mißtrauen  nicht  gegen  das  Geld,  sondern  gegen  das 

1)  Vgl.  unter  anderem  Otto  Heyn,  Zur  Verteidigung  der  Chartaltheorie  des  Geldes, 
diese  „Jahrbücher",  III.  F.  Bd.  51,  S.  776  ff. 

2)  Vgl.  Karl  Diehl,  Unser  Geldwesen  nach  dem  Kriege  diese  „Jahrbücher",  III.  F. 
Bd.  52,  S.  721  ff. 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  301 

Zeichen,  indem  das  Verhältnis  des  Geldzeichens  zu  der  Gleldeinheit, 
auf  die  es  laatet,  in  Zweifel  gerückt  und  etwa  besorgt  wird,  daß 
das  verdächtige  Geldzeichen  überhaupt  kein  solches  sei,  oder  doch 
es  nicht  bleiben  werde.  Die  Notwendigkeit  eines  /solchen  Vertrauens 
wird  niemand  bestreiten.  Das  Postulat  einer  Nennwertbeständig- 
keit der  Geldzeichen  gehört  aber  ebensowenig  in  die  Geldtheorie, 
wie  etwa  die  Forderung  einer  Unterdrückung  der  Falschmünzerei. 
Und  wird  etwa  das  Mißtrauen,  das  einem  Geldzeichen  als  solchem 
entgegengebracht  wird,  zurückgestellt  mit  Kücksicht  auf  seine  stoff- 
lichen Qualitäten,  dann  —  findet  kein  Akt  des  Geldverkehres  statt, 
sondern  ein  Warenaustausch,  den  die  Geldtheorie  ablehnen  muß 
zu  erörtern. 

Aus  der  Erkenntnis  der  abstrakten  Natur  des  Geldes  ergibt 
sich  schließlich  die  Stellung  zu  Knapp.  Ihm  danken  wir  es  vor- 
nehmlich, daß  er  die  Inkongruenz  zwischen  metallistischem  Denken 
und  wirklichem  Sein  in  sieghafter  Weise  nachgewiesen  und  damit 
den  Anstoß  gegeben  hat,  an  das  Geldproblem  unter  völlig  neuen 
Voraussetzungen  heranzutreten.  Daß  darüber  hinaus  die  staatliche 
Theorie  des  Geldes  das  ökonomische  Geldproblem  nicht  -zu  lösen  ver- 
mochte, sei  ihren  Kritikern  zugestanden.  Es  ist  nun  einmal  das 
Schicksal  aller  Theorien,  daß  sie  die  Lösung  der  Probleme  nicht  zu 
bringen  pflegen,  mit  denen  sie  sich  nicht  befassen. 

Knapp  hat  den  Nachweis  geführt,  daß  das  heutige  Geld  seine 
Funktionen  nicht  mehr  vermöge  seiner  stofflichen  Quali- 
täten versieht.  Ich  finde  durch  meine  Betrachtungen  diese  Er- 
kenntnis bestätigt  und  dahin  ergänzt,  daß  das  Geld  diese  Funk- 
tionen vermöge  seines  Wesens  als  Rechnungseinheit,  als  Zahl, 
wahrnimmt. 

In  seiner  Auseinandersetzung  mit  Knapp  sagt  Liefmann,  daß 
der  ,, abstrakten  Rechnungseinheit"  Geld  gegenüber  das  gerade 
Gegenteil  der  Knappschen  Auffassung  richtig  i)  sei.  „Daß  aus  dem 
Gelde  eine  solche  abstrakte  Rechnungseinheit  wird,  das  kann  nicht 
vom  Staate  geschaffen  werden.  Sie  ist  kein  „Geschöpf  der  Rechts- 
ordnung" .  . ."!).  Ich  glaube  nicht,  daß  Lief  mann  mit  dieser  Kritik 
Knapp  irgendwie  gerecht  wird.  Das  „Geld",  das  nach  Knapps 
Ausspruch  ein  „Geschöpf  der  Rechtsordnung"  ist,  ist  überhaupt 
keine  abstrakte  Rechnungseinheit,  sondern  ist  das  „chartale  Zah- 
lungsmittel", das  erst  zur  Entstehung  gelangen  kann,  „wenn  der 
Begriff  einer  Werteinheit  (Mark,  Frank,  Rubel,  Pfund  Sterling) 
sich  bereits  gebildet  hat"  2).  Im  Rahmen  des  Knappschen  Systems 
ist  die  Werteinheit"  derjenige  Begriff,  der  dem  Begriffe  des 
Geldes  in  Liefmanns  System  und  meinem  Geldbegriffe  entspricht. 
Daß  diese„Werteinheit"  aber  ein  Geschöpf  der  Rechtsordnung 
sei,  behauptet  Knapp  nicht.  Im  Gegenteil:  er  betont,  daß  das  Vor- 
handensein dieses  Begriffes  die  notwendige  Voraussetzung  dafür  ist, 

1)  Geld  und  Gold,  S.  96. 

2)  Knapp  im  Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften  (3.  Aufl.),  Art. :  Geldtheorie, 
staatliche  (IV.  Bd.,  S.  610). 


302  *^*'^  Elster, 

(laß  der  Staat  bezw.  die  Rechtsordnung  „chartale  Zahlungsmittel" 
(die  allein  Knapp  „Geld"  nennt)  überhaupt  schaffen  kann.  Der 
Satz:  „Das  Geld  ist  ein  Geschöpf  der  Rechtsordnung"  ist  —  in 
diesem  Sinne  begriffen  —  durchaus  richtig.  Denn  die  „chartaien 
2^hluiigsmitter*  (die  ich  als  „Geldzeichen"  benannt  und  dem 
„Gelde"  als  einen  besonderen  Begriff  gegenübergestellt  habe, 
während  Knapp  sie  als  „Geld"  bezeichnet  und  der  „Werteinheit" 
gegenüberstellt)  sind  tatsächlich  ein  GetSchöpf  der  Rechtsordnung. 
Denn  diese  —  und  nur  diese  —  ist  es,  die  das  Verhältnis  des 
chartaien  Zahlungsmittels  (des  Geldz-eichens)  zur  „Werteinheit" 
(zur  abstrakten  Rechnungseinheit,  dem  Gelde)  nicht  deklaratorisch, 
sondern  konstitutiv  bestimmt,  während  die  von  Knapp  bekämpfte 
metallistische  Doktrin  dier  Werteinheit  aus  dem  Geldstoffe  glaubte 
herleiten  zu  sollen. 

Die  Theorien,  die  im  Gelde  eine  abstrakte  Rechnungseinheit 
erkennen,  stehen  somit  meines  Dafürhaltens  in  keinem  Gegensatze 
zur  staatlichen  Theorie.  Aber  sie  ergänzen  sie,  indem  sie  als  ihr 
Forschungsobjekt  eben  jenen  Begriff  behandeln,  den  Knapp  seinen 
Erörterungen  als  gegeben  zugrunde  legt,  den  Begriff  der  historisch 
entstandenen  „Werteinheit",  den  Begriff  der  „abstrakten  Rech- 
nungseinheit", des  Geldes  im  Sinne  der  modernen  Wirtschafts- 
ordnung. 

Ich  bin  am  Ende  meiner  Betrachtungen.  Insbesondere  ist  es 
nicht  meine  Absicht,  programmatische  Folgerungen  aus  meinen  Er- 
gebnissen zu  ziehen.  Hierfür  reicht  der  theoretische  Unterbau,  den 
diese  Arbeit  gibt,  noch  nicht  aus.  Für  eine  Folgerung  mag  er  ge- 
nügen, für  diejenige  nämlich,  daß  wir  für  den  innerwirtschaft- 
lichen Geldverkehr  einer  Goldwährung  überhaupt 
nicht,  für  den  zwischenstaatlichen  Wirtschaftsver- 
kehr einer  Goldwährung  mit  Goldumlauf  nicht  bedür- 
fen, und  daß  daher  den  Opfern,  die  die  Wiedereinfüh- 
rung und  Beibehaltung  der  deutschen  Währung,  wie 
sie  bis  zum  Ausbruche  des  Krieges  bestand,  erfordern 
müßte,  keinerlei  Gewinn  gegenüberstehen  würde.  Ob 
es  darüber  hinaus  angängig  sein  könnte,  die  deutsche  Währung,  und 
weiterhin  die  staatlichen  Währungen  allgemein,  von  der  Beziehung 
zum  Golde  überhaupt  zu  lösen,  stehe  dahin.  Es  ist  dies  eine  Frage, 
für  deren  Beantwortung  es  noch  einer  weiteren  theoretischen  Unter- 
suchung bedürfte.  Denn  im  zwischenstaatlichen  Wirtschaftsver- 
kehr versieht  das  Gold  eine  Funktion,  die  innerhalb  der  einzelnen 
Volkswirtschaft  überhaupt  nicht  in  Frage  kommt.  Es  setzt  die  ver- 
schiedenen Währungen  in  eine  feste  gegenseitige  Beziehung.  Daß 
es  dieses  zu  tun  vermag,  ist  nun  gewiß  nicht  die  Folge  irgendeiner 
besonderen  stofflichen  Eigenschaft  des  Goldes.  Es  ist  lediglich  die 
Wirkung  der  währungsgesetzlichen  Bestimmungen,  durch  die  ein 
Doppeltes  erreicht  wird:  einmal,  daß  "der  Goldpreis  in  allen  Gold- 
währungsländern ein  für  allemal  feststeht  (nicht  weil  Gold  ein 
„wertbeständiges"  Gut  ist,  sondern  weil  der  Preis  künstlich  stabi- 


Zur  Analyse  des  Geldproblems.  303 

lisiert  ist),  und  zweitens,  daß  in  allen   Goldwährungsländern  die 
]SI  achfrage  nach  Gold  unbeschränkt  ist^). 

Nun  ist  meines  Dafürhaltens  zweierlei  gewiß:  einmal,  daß  ein 
zwischenstaatlicher  Wirtschaftsverkehr  möglich  ist,  auch  ohne  daß 
die  Währungen  der  miteinander  verkehrenden  Länder  in  einer  der- 
artig festen  Beziehung  zueinander  stehen,  und  zweitens,  daß  eine 
solche  Beziehung  —  sollte  sie  zweckmäßig  sein  —  auch  auf  an- 
derem Wege  als  durch  die  Goldwährung  sich  schaffen  ließe.  Aber: 
der  Unterschied  bleibt:  In  der  geschlossenen  Volkswirtschaft  übt 
heute  das  „vollwertige"  Geld,  das  Gold,  eine  besondere  Funktion 
überhaupt  nicht  aus,  im  zwischenstaatlichen  Verkehr  aber  ist  ihm 
eine  solche  zu  eigen.  Diese  Funktion  des  Goldes  ist  keine 
Geldfunktion,  sondern  eine  völlig  wesensandere.  Und 
wenn  es  daher  durchaus  gerechtfertigt  ist,  von  ihr  zu  abstrahieren, 
sofern  es  nur  gilt  das  Wesen  des  Geldes  zu  bestimmen,  so 
ist  doch  ihre  Berücksichtigung  geboten  bei  der  Entschließung  über 
währungspolitische  Maßnahmen,  deren  Zweck  über  den  einer  Rege- 
lung des  innerstaatlichen  Geldverkehrs  in  mehrfacher  Richtung  hin- 
ausgeht. Die  Währungspolitik  ist  nicht  nur  Geldpolitik.  Als 
Goldpolitik  greift  sie  in  die  allgemeine  Handelspolitik  hinüber, 
und  muß  sie  die  Richtlinien  für  ihre  Betätigung  noch  auf  anderem 
Boden  suchen,  als  auf  demjenigen,  der  für  „die  Theorie  des  Geldes" 
das  Forschungsgebiet  abgibt. 

1)  Denn  die  skandinavischen  Reiche  und  Argentinien  haben  während  der  Geltung- 
dauer der  von  ihnen  erlassenen  gegen  eine  übermäßige  Goldeinfuhr  gerichteten  Bestim- 
mungen   aufgehört,   Goldwährungsländer  in   dem   Sinne,    wie  sie   es   bis   dahin   waren, 


304  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

IL 

Die  durch  den  Krieg  hervorgerufenen  Gesetze,  Ver- 
ordnungen, Bekanntmachungen  usw.,  soweit  sie  im 
Beichsgesetzblatt  veröffentlicht  worden  sind. 

(6.  Fortsetzung.) 
(Die  Monate  August  bis  November  1916  umfassend.) 

Von  Dr.  Johannes  Müll  er- Halle,  Weimar. 
(Foi-tsetzung  und  Schluß.) 

Bekanntmachung  zur  Durchführung  der  Verordnung  über 
Gerste  vom  6.  Juli  1916  (RGBl.  S.  800).  Vom  13.  September 
1916  (RGBl.  S.  1043). 

Als  für  die  Durchführung  der  Verordnung  vom  6.  Juli  1916  (vgl.  Bd.  53, 
S.  200  f.)  zuständige  Stelle  wird  die  „Reichs-GerstenffeseUschaft"  m.  b.  h!  (vgl.  .Be- 
kanntmachung vom  5.  August  1916,  oben  S.  167)  bestimmt. 

Bekanntmachung  über  weitere  Regelung  des  Branntwein- 
verkehrs. Vom  14.  September  1916  (RGBl.  S.  1043).  Auf  Grund 
des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Die  Verordnung  vom  16.  Dezember  1915  (vgl.  Bd.  52,  S.  218)  mit  der  durch 
Bekanntmachung  vom  15.  April  1916  getroffenen  Aenderung  gut  auch  für  das 
ßetriebsjahr  1916/17  (vgl.  Bekanntmachung  vom  15.  April  1916,  Bd.  53,  S.  70). 
Weitere  Bekanntmachungen  sind  erlassen  am  12.  Oktober  1916  (vgl.  unten  S.  312), 
23.  Oktober  1916  (unten  S.  314),  24.  Oktober  1916  (unten  8.  315),  26.  Oktober  1916 
(unten  S.  315),  2.  November  1916  (unten  S.  318). 

Bekanntmachung  über  die  Verfütterungvon  Hafer  an  Zug- 
kühe und  Ziegenböcke.  Vom  15.  September  1916  (RGBl.  S.  1045 f.). 
Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  6.  Juli  1916  (RGBl.  S.  811). 

An  jede  Zugkuh  (insgesamt  an  höchstens  2  in  jedem  landwirtschaftUchen 
Betrieb)  darf  in  der  Zeit  bis  zum  30.  November  1916,  an  jeden  zur  Zucht  ver- 
wandten Ziegenbock  darf  in  der  Zeit  bis  31.  Dezember  1916  je  1  Zentner  Hafer, 
aber  nur  aus  eigenen  Vorräten,  verfüttert  werden.  (Vgl.  Bekimntmachung  vom 
19.  August  1916,  oben  S.  169,  und  25.  September  1916,  unten  S.  306.) 

Bekanntmachung  über  die  Festsetzung  der  Preise  für 
Wild.  Vom  17.  September  1916  (RGBl.  S.  1046  ff.).  Auf  Grund  der 
Bekanntmachung  vom  24.  August  1916  (RGBl.  S.  959). 

Es  werden  Großhandelspreise  sowie  Höchstgrenzen  für  die  Kleinhandels- 
höchstpreise festgesetzt.  (Vgl.  die  frühere  Bekanntmachung  vom  30.  Dezember 
1915,  Bd.  52,  S.  220,  und  Bekanntm.  vom  24.  August  1916,  oben  S,  172.) 

Verordnung  betr.  Abänderung  der  Verordnung  über 
Höchstpreise  für  Hafer  vom  24,  Juli  1916  (RGBl.  S.  826). 


Kationalökonomische  Gesetzgebung.  305 

Vom  18.  September  1916    (RGBl.  S.  1048).     Auf  Orund  der  Bekannt- 
machung vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Für  bis  zum  30.  September  1916  gelieferten  inländischen  Hafer  beträgt  der 
Höchstpreis  300  M.  für  die  Tonne,  später  280  M.  (vgl.  Bekanntmachung  vom 
24.  Juli  1916,  Bd.  53,  S.  208);  für  Heereslieferungen  gilt  der  Preis  von  300  M. 
unter  gewissen  Umständen  gemäß  Bekanntmachung  vom  26.  Oktober  1916  auch 
noch  länger. 

Verordnung  betr.  Abänderung  der  Verordnung  über 
Höchstpreise  für  Gerste  vom  24.  Juli  1916  (RGBl.  S.  824). 
Vom  18.  September  1916  (RGBl.  S.  1049).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Für  bis  zum  31.  August  1916  gelieferte  inländische  Gerste  beträgt  der 
Höchstpreis  300  M.  für  die  Tonne,  später  280  M.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom 
24.  Juli  1916,  Bd.  53,  S.  207.) 

Bekanntmachung  zur  Durchführung  der  Verordnung  über 
Buchweizen  und  Hirse  vom  29.  Juni  1916  (RGBl.  S.  625). 
Vom  16.  September  1916  (RGBl.  S.  1049  ff.).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machungen vom  29.  Juni  und  14.  September  1916  (RGBl.  S.  625  u.  1031). 

Die  Bewirtschaftung  von  Buchweizen  und  Hirse  wird  der  Reichs  -  Hülsen- 
fruchtstelle G.  m.  b.  H.  (vgl.  Bekanntmachung  vom  25.  Juli  1916,  Bd.  53,  8.  208) 
übertragen;  ferner  werden  für  die  Bewertung  des  Buchweizens  innerhalb  der 
Höchstpreisgrenzen  Richtlinien,  weiterhin  Uebernahmepreise  für  Buchweizen- 
erzeugnisse festgesetzt.  Der  Ankauf  von  Buchweizen  soll  durch  Bezugsscheine 
geregelt  werden  u.  a.  m.  (Vgl.  Bekanntmachungen  vom  29.  Juni  1916,  Bd.  53, 
S.  199,  25.  Juli  1916,  Bd.  53,  S.  208,  14.  September  1916,  oben  S.  179.) 

Bekanntmachung  betr.  das  Verfahren  zur  Feststellung 
von  Kriegsschäden  im  Reichsgebiete.  Vom  19.  September 
1916  (RGBl.  S.  1053  ff.). 

Es  handelt  sich  um  formelle  Ausführungsvorschriften  zum  Gesetz  vom  3.  Juli 
1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  201  f). 

Bekanntmachung  über  den  Fang  von  Krammetsvögeln. 
Vom  21.  September  1916  (RGBl.  S.  1068).  Auf  Grund  des  Ges.  vom 
4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Der  Fang  von  Krammetsvögeln  kann  unter  bestimmten  Bedingungen  ge- 
stattet werden. 

Bekanntmachung  der  neuen  Fassung  der  Verordnung 
über  die  Regelung  des  Absatzes  von  Erzeugnissen  der 
Kartoffeltrocknerei  und  der  Kartoffelstärkefabrikation. 
Vom  22.  September  1916  (RGBl.  S.  1069  ff.). 

Die  Bekanntmachung  vom  16.  September  1915  (vgl.  Bd.  51,  S.  356)  wird  in 
der  sich  aus  den  Abänderungen  vom  25.  November  1915  (vgl.  Bd.  51,  S.  372), 
24.  Februar  1916  (vgl.  Bd.  52,  S.  230),  und  31.  August  1916  (vgl.  oben  S.  175) 
ergebenden  Neufassung  veröffentHcht.  (Vgl.  auch  Bekanntmachung  vom  2.  August 
1916,  oben  S.  164.) 

Bekanntmachung  über  das  Inkrafttreten  der  Bekannt- 
machung über  die  Einfuhr  von  Gemüse  und  Obst  vom 
13.  September  1916.     Vom  20.  September  1916   (RGBl.  S.  1072). 

Die  genannte  Bekanntmachung  (vgl.  oben  S.  178)  tritt  am  27.  September  1916 
in  Kraft. 

Jahrb.  f.  NationalSk.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  20 


306  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Bekanntmachung  über  die  Verfütterung  von  Kartoffeln. 
Vom  23.  September  1916  (RGBl.  S.  1075  f.).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  26.  Juni  1916  (RGBl.  S.  590). 

Kartoffeln  und  Erzeugnisse  der  Kartoffeltrocknerei  dürfen  im  allgemeinen 
nur  an  Schweine  und  Federvieh  verfüttert  werden;  Kartoffelstärke  und  Kartx)ffel- 
Btärkemehl  dürfen  überhaupt  nicht  verfüttert  werden.  (Vgl.  wegen  früherer  Ver- 
fütterungs verböte  Bekanntmachung  vom  15.  April  1916,  Bd.  53,  S.  71;  wegen 
Kartoffeln  die  gleiche  Bekanntmachung  und  Bekanntmachung  vom  2.  August, 
oben  S.  164,  wegen  Erzeugnissen  der  Kartoffeltrocknerei  Bekanntmachung  vom 
22.  September  1916,  oben  S.  305  und  29.  Februar  1916,  Bd.  52,  8.  231.) 

Bekanntmachung  über  die  Gewährung  einer  außerordent- 
lichen Haferzulage  während  der  Herbstfeldbestellung. 
Vom  26.  September  1916  (RGBl.  S.  1076).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  6.  Juli   1916  (RGBl.  S.  811). 

An  Stelle  bisher  verfütterter  Kartoffeln  kann  eine  Haferzulage  gewährt 
werden.  Die  Zulage  beträgt  für  schwere  Arbeitspferde  3  Pfund  täglich  (insgesamt 
IV,  Ztr.),  für  Arbeitsochsen  17,  Pfund  (\  Ztr.),  für  Zugkühe  (höchstens  2  in 
jedem  Betrieb)  V/^  Pfund  {^/^  Ztr.).  —  Vgl.  Bekanntmachung  vom  19.  August  1916^ 
oben  S.  169,  und  15.  September  1916,  oben  S.  304. 

Bekanntmachung  über  Preisbeschränkungen  bei  Ver- 
käufen von  Schuhwaren.  Vom  28.  September  1916  (RGBl. 
S.  1077  ff.)  Mit  Ausführungsbestimmungen  vom  gleichen  Tage  (RGBl. 
S.  lOSOff.).    Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Schuhwaren  dürfen  zu  keinem  höheren  Preise  verkauft  werden,  als  dem,  der  sich 
aus  den  Gesamtgestehungskosten  zuzüglich  eines  angemessenen  Gewinnes  ergibt. 
(Vgl.  die  entsprechende  Bekanntmachung  für  die  Web-  usw.  Waren  vom  30.  März 
1916,  Bd.  52,  S.  238.)  Schuhwaren  dürfen  vom  Großhändler  nur  an  IQeinhändler, 
von  letzteren  nur  an  Verbraucher  abgesetzt  werden.  Auf  den  Schuhwaren  oder 
einem  Begleitschein  müssen  Name  des  Herstellers,  Klein  Verkaufspreis  u.  ä.  m.  an- 
gebracht sein.  Der  Käufer  von  Schuhwaren  kann,  faUs  er  den  Preis  für  zu  hoch 
hält,  ein  Schiedsgericht  anrufen,  über  das  eingehende  Ausführungsbestimmungen 
(RGBl.  S.  1080  ff.)  erlassen  sind.  Auch  wird  eine  Gutachterkommission  vom 
Reichskanzler  ernannt,  die  allgemeine  Richtsätze  für  die  Bestimmung  der  Ver- 
kaufspreise festzusetzen  hat.  Endlich  werden  Veranstaltungen,  die  eine  besondere 
Beschleunigung  des  Verkaufs  von  Schuhwaren  bezwecken  (vgl.  wegen  der  gleichen 
Bestimmung  für  die  Web-  usw.  Waren  die  Bekanntmacnung  vom  25.  Februar 
1916,  Bd.  52  S.,  231),  verboten.  (Vgl.  wegen  Schuhwaren  die  früheren  Bekannt- 
machungen vom  14.  Juni  1916,  Bd.  53,  S.  191,  21./22.  Juni  1916,  Bd.  53,  S.  192 
und  19.  Oktober  1916,  unten  S.  313.) 

Bekanntmachung  zur  Ergänzung  der  Bekanntmachung 
über  die  Bereitung  von  Backware.  Vom  28.  September  1916 
(RGBl.  S.  1084).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl. 
8.  327). 

Es  handelt  sich  um  weniger  wesentliche  Vorschriften  (vgl.  Bekanntmachung 
vom  26.  Mai  1916,  Bd.  53,  S.  80). 

Bekanntmachung  über  Druckpapier.  Vom  30.  September  1916 
(RGBl.  S.  1097).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916 
(RGBl.  S.  306). 

Der  Inhalt  ist  bereits  in  die  Inhaltsangabe  der  Bekanntmachung  vom 
22.  August  1916  (vgl.  oben  S.  172)  eingearbeitet. 

Bekanntmachung  über  Versicherungspflicht  von  Ange- 
stellten für  Beschäftigungen  während  des  Krieges.     Vom. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  307 

30.    September    1916    (RGBl.   S.  10971).     Auf    Grund    des    Ges.    vom 

4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Personen,  die  vor  dem  Kriege  keine  versicherungspflichtige  Tätigkeit  aus- 
geübt haben  und  dies  voraussichtlich  auch  nach  dem  Kriege  nicht  wieder  tun 
werden,  sind  hinsichtlich  einer  nur  für  Kriegsdauer  angenommenen  an  sich  ver- 
sicherungspflichtigen Beschäftigung  nicht  versicherungspflichtig  im  Sinne  der  An- 
gestelltenversicherung, falls  sie  nicht  binnen  einer  bestimmten  Frist  ihren  ent- 
fegenstehenden  Willen  erklären.  Sind  jedoch  Beiträge  entrichtet  worden,  so  dürfen 
ie  Leistungen  der  Angestelltenversicherung  keinesfalls  verweigert  werden.  Die 
Verordnung  hat  einen  Vorläufer  in  der  Bekanntmachung  vom  4.  Mai  1916  [RGBl. 

5.  364*)].    Vgl.   wegen  sonstiger  Bekanntmachungen    betr.    die   Angestelltenver- 
eicherung  die  Bekanntmachung  vom  11.  Mai  1916  (Bd.  53,  S.  77). 

If Bekanntmachung  betr.  zwangsweise  Verwaltung  rumä- 
nischer Unternehmungen.  Vom  28.  September  1916  (RGBl. 
S.  1099).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  26.  November  1914 
(RGBl.  S.  487). 

Die  Bekanntmachung  vom  26.  November  1914  (vgl.  Bd.  49,  S.  75  f.)  in  der 
Fassung  der  Bekanntmachung  vom  10.  Februar  1916  (vgl.  Bd.  52,  S.  228)  findet 
auf  Rumänien  Anwendung.  (Vgl.  Bd.  52,  S.  228  und  Bekanntmachung  vom 
14.  Mai  1916,  Bd.  53,  S.  77;  ebenso  Bekanntmachung  vom  28.  August  1916, 
oben  S.  173.)     1^^; 

^ Bekanntmachung  über  die  Bewirtschaftung  von  Milch  und 
den  Verkehr  mit  Milch.  Vom  3.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  llOOff.). 
Auf  Grund  der  Verordnung  vom  20.  Juli  1916  (RGBl.  S.  755). 

Die  Bewirtschaftung  von  Milch  wird  der  Reichsfettstelle  und  den  Landes- 
fettsteilen übertragen.  Die  Kommunal  verbände  haben  unverzüglich  die  Einrich- 
tungen zu  einer  geregelten  Verteilung  der  in  ihrem  Bezirk  gewonnenen  und  in 
ihn  eingeführten  Milch  zu  treffen.  Die  Regelung  kann  den  Gemeinden  übertragen 
werden,  Gemeinden  mit  über  10000  Einwohnern  können  die  Uebertragung  verlangen. 
Es  haben  nach  Maßgabe  der  Vorräte  einen  Anspruch  auf  Milch  die  Vollmilch- 
versorgungsberechtigten,  das  sind  Kinder  bis  zu  6  Jahren,  Kranke,  stillende 
Frauen  und  Schwangere  in  den  drei  letzten  Monaten  vor  der  Entbindung.  Die 
Reichsstelle  für  Speisefette  trifft  nähere  Bestimmungen  über  die  zu  gewämrenden 
Mengen.  Nächst  den  Versorgungsberechtigten  haben  Blinder  im  7.— 14.  Lebens- 
jahre ein  Vorrecht  auf  Milchzuweisung  (Vollmilchvorzugsberechtigte). 
Die  Verteilung  der  verfügbaren  Milch  an  die  genannten  Bevölkerungsgruppen  ist 
Aufgabe  der  Kommunal  verbände.  Die  Müchmengen,  die  nach  den  Sätzen  der 
Reichsstelle  für  die  Versorgung  der  VoUmilchversorgungsberechtigten  nötig  sind, 
bleiben  anrechnungsfrei,  alle  darüber  hinaus  dem  Kommunalverbande  zur  Ver- 
fügung stehende  Milch  wird  ihm  auf  sein  Speisefettkontingent  angerechnet,  und 
zwar  jeder  Liter  mit  28  g  Fett.    Den  Selbstversorgern  ist  ihr  Bedarf  zu  belassen. 

Zur  Sicherung  der  Milchversorgung  können  die  zuständigen  Stellen  die  Liefe- 
rung von  Milch  an  bestimmte  Stellen  anordnen.  Gemeinden  mit  mehr  als  10  000 
Einwohnern  sind  verpflichtet,  kleinere  Gemeinden  und  Kommunalverbände  be- 
rechtigt. Klein handelshöchstpreise  für  Voll-  und  Magermilch  festzusetzen. 

Die  bisherigen  Verwendungsverbote  für  Milch  und  Sahne  (vgl.  Bekannt- 
machung vom  2.  September  1915,  Bd.  51,  S.  354,  und  16./29.  Dezember  1915, 
Bd.  52,  S.  217)  weraen  in  die  vorliegende  Bekanntmachung  hinübergenommen 
und  noch  wesentlich  verschärft.  Die  genannten  Bekanntmachungen  ebenso  wie 
die  vom  4.  und  11.  November  1915  (vgl.  Bd.  51,  S.  367  und  370)  werden  auf- 
gehoben. 

Bekanntmachung  zur  Ergänzung  der  Bekanntmachung 
von    TJebergangsvorschrif  ten    vom     5.    September     1916 


1)  In  der  Uebersicht  nicht  aufgeführt,  weil  nicht  Kriegsverordnung. 

20-'J 


308  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

(RGBl.  S.  998)  zur  Verordnung  über  Speisefette  vom 
20.  Juli  1916  (RGBl.  S.  755).  Vom  S.Oktober  1916  (RGBl. 
S.   1107).     Auf  Grund  der  genannten  Bekanntmachung. 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  ist  in  die  Inhaltsangabe  der  Bekannt- 
machung vom  5.  September  1916  (vgl.  oben  ö.  176)  eingearbeitet. 

Verordnung  über  Futtermittel.  Vom  5.  Oktober  1916  (RGBl. 
S.  1108  ff.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 
Die  Vorschriften  der  Verordnung  gelten  für  alle  Futtermittel  tierischen  oder 
pflanzlichen  Ursprungs,  soweit  nicht  der  Verkehr  mit  ihnen  anderweitig  geregelt 
ist  (z.  B.  für  Hafer,  Gerste,  zuckerhaltige  Futtermittel  u.  a.  m.,  vgl.  letzten  Ab- 
satz der  Uebersicht).  Da  gleichzeitig  die  Bekanntmachung  vom  28.  Juni  1916 
betr.  KJraftfuttermittel  nebst  ihren  gesamten  Nachtragsbekanntmachungen  außer 
Kraft  gesetzt  wird,  gut  sie  vor  allem  für  die  bisher  als  Kraftfuttermittel  bezeich- 
neten Futtermittel.  Ausgeschlossen  sind  von  der  Geltung  der  Verordnung  weiterhin 
ausdrücklich:  Grünfutter,  Futterrüben,  Pferdemöhren,  Heu,  Häcksel,  Stroh);  ein- 
geschlossen sind  Hilfsstoffe,  wie  Torfstreu  u.  ä.  m.  und  Mischfuttermittel,  in 
denen  ein  dieser  Verordnung  unterliegendes  Futtermittel  enthalten  ist. 

Oberster  Grundsatz  ist,  daß  Futtermittel  nur  durch  die  Bezugs  Vereinigung 
der  deutschen  Landwirte  abgesetzt  werden  dürfen.  Bestimmte  Ausnahmen  sind 
vorgesehen.  Besitzer  von  Futtermitteln  haben  ihre  Vorräte  zu  Beginn  jedes  Viertel- 
jahres der  Bezugsvereinigung  anzuzeigen  und  sie  ihr  auf  Verlangen  käuflich  zu 
überlassen.  Letztere  muß  umgekehrt  angebotene  Mengen  übernehmen,  widrigen- 
falls sie  frei  werden.  Die  Bezugsvereinigung  hat  einen  angemessenen,  durch  die 
geltenden  Höchstpreisbestimmungen  (vgl.  oben  S.  167)  nach  oben  begrenzten  Ueber- 
nahmepreis  zu  zahlen.  Sie  hat  die  übernommenen  Futtermittel  an  die  Landes- 
futtermittelstellen, die  Kommunalverbände  oder  besondere  vom  Reichskanzler  be- 
stimmte Stellen  abzuliefern ;  der  Reichskanzler  kann  bestimmen,  inwieweit  die  Futter- 
mittel zur  menschlichen  Ernährung  zu  verwenden  sind.  Die  genannten  Verteilungs- 
stellen haben  für  den  Weiterverkauf  Preise  und  sonstige  Bedingungen  festzulegen. 

Die  Bekanntmachungen  über  den  Verkehr  mit  Kraftfuttermitteln  (vgl.  die 
Zusammenstellungen  in  Bd.  51,  S.  373,  Bd.  52,  S.  218,  Bd.  53,  S.  75  und  Bd.  53, 
S.  75)  treten  im  wesentlichen  außer  Kraft. 

Futtermittel,  für  die  die  vorstehende  Bekanntmachung  ausdrücklich  gilt, 
sind  unter  anderem  in  folgenden  Bekanntmachungen  aufgeführt: 

28.  Juni  1915  (RGBl.  S.  399 ff.):  Mais,  Ackerbohnen,  Lupinen,  Wicken, 
Kleie  mit  Ausnahme  von  Roggen-  und  Weizenkleie,  Abfälle  der  Stärke- 
fabrikation, Oelkuchen,  Oelmehle,  tierische  Produkte  und  Abfälle  u.  a.  m., 

19.  August  1915  (RGBl.  S.  503) :  Kartoffelpülpe,  nasse  Bier-  und  Getreide- 
treber, 

13.  September  1915  (RGBl.  S.  584) :  durch  Aufschließung  von  Stroh  oder 
Holz  gewonnene  Futtermittel, 

8.  November  1915  (RGBl.  S.  747):  Eicheln  und  Roßkastanien, 

19.  Dezember  1915  (RGBl.  S.  831) :  für  menschliche  Ernährung  ungeeignete 
Hülsenfrüchte,  Buchweizenabfälle  u.  a.  m., 

24.  März  1916  (RGBl.  S.  193):  Kakaoschalen,  nasse  Hefe  u.  a.  m. 

Wichtige,  nicht  unter  vorstehende  Verordnung  fallende  Futtermittel  sind 
unter  anderem: 

Gerste,  Bekanntmachung  vom  6.  Juli  1916,  Bd.  53,  S.  200 f,  mit  Nachtrags- 
bekanntmachungen vom  5.  August  und  13.  September  1916,  oben  S.  167. 

Grünfutter. 

Häcksel,  Bekanntmachung  vom  8.  November  1915,  Bd.  51,  S.  369. 

Hafer,  Bekanntmachung  vom  6.  Juli  1916,  Bd.  53,  S.  201,  mit  mehreren 
Nachtragsbekanntmachungen  vom  19.  August,  oben  S.  169,  vor  allem 
vom  25.  August  1916,  oben  S.  173. 

Kartoffeln,  Bekanntmachung  vom  23.  September  1916,  oben  S.  306. 

Kleie  (inländische  Weizen-  und  Roggenkleie),  Bekanntmachung  vom  28.  Juni 
1915  betr.  Verkehr  mit  Brotgetreide  und  Mehl,  Bd.  50,  S.  323  f. 

Zuckerhaltige  Futtermittel,  vgl.  folgende  Bekanntmachung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  309 

Verordnung  über  zuckerhaltige  Futtermittel.  Vom  5.  Ok- 
tober 1916  (RGBl.  8.  1114  ff.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August 
1914  (RGBl.  S.  327). 

Die  der  Verordnung  unterliegenden  Futtermittel  werden  ausdrücklich  aufge- 
führt. Sie  dürfen  mit  bestimmten  Ausnahmen  (vor  allem  Zulassung  der  Rück- 
lieferung von  bestimmten  Mengen  Schnitzeln  durch  die  Zuckerfabriken  an  die 
rübenliefernden  Landwirte)  nur  durch  die  Bezugsvereinigung  der  deutschen  Land- 
wirte abgesetzt  werden,  Besitzer  von  zuckerhaltigen  Futtermitteln  haben  ihre 
Vorräte  zu  Beginn  jedes  Vierteljahres  der  Bezugsvereinigung  anzuzeigen ;  Zucker- 
fabriken haben  zu  den  gleichen  Zeitpunkten  anzuzeigen,  welche  Mengen  Melasse 
und  Schnitzel  sie  voraussichtlich  im  laufenden  Vierteljahr  herstellen  werden.  Die 
Vorräte  müssen  der  Bezugsvereinigung  auf  Verlangen  käuflich  überlassen  werden ; 
Zuckerfabriken  haben  ihre  Schnitzel  auf  Verlangen  zu  trocknen.  Umgekehrt  muß 
die  Bezugsvereinigung  angebotene  Vorräte  übernehmen,  widrigenfalls  sie  frei 
werden.  Sie  hat  einen  angemessenen,  durch  Höchstpreise  (vgl.  die  folgende  Be- 
kanntmachung) nach  oben  begrenzten  üebernahmepreis  zu  zahlen  und  hat  die 
übernommenen  Futtermittel  an  die  Landesfuttermittelstellen,  die  Kommunal  ver- 
bände oder  besondere,  vom  Reichskanzler  bestimmte  Stellen  abzuliefern.  Diese 
Verteilungsstellen  haben  für  den  Weiterverkauf  Preise  und  sonstige  Bedingungen 
festzulegen.  Melasse  darf  mit  bestimmten  Ausnahmen  nur  mit  Zustimmung  der 
Bezugsvereinigung  verarbeitet  werden. 

(Vgl.  die  folgende  und  die  vorhergehende  Bekanntmachung;  wegen  früherer 
Verordnungen  die  Bekanntmachungen  vom  25.  September  1915,  Bd.  51,  S.  358  f.) 

BekanntmachuDg  über  diePreise  für  zuckerhaltige  Futter- 
mittel. Vom  5.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1120  f.).  Auf  Grund  der 
vorstehenden  Bekanntmachung. 

Es  werden  Höchstpreise  festgesetzt,  über  die  die  Bezugsvereinigung  der 
deutschen  Landwirte  bei  der  Bezahlung  der  übernommenen  Vorräte  nicht  hinaus- 
gehen darf  (vgl.  vorige  Bekanntmachung.) 

Bekanntmachung  über  den  Verkehr  mit  Cumaronharz. 
Vom  5.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1123  ff.).  Mit  Ausführuugsbestim- 
mungen  vom  gleichen  Tage  (RGBl.  S.  1125  ff.).  Auf  Grund  des  Ges. 
vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Erzeugtes  Cumaronharz  darf  nur  durch  den  Kriegsausschuß  für  pflanzliche 
und  tierische  Oele  und  Fette  abgesetzt  werden  und  muß  auf  Verlangen  an  ihn 
abgeliefert  werden.    Der  Kriegsausschuß  hat  angemessene,  durch  Höchstpreise  be- 

grenzte  Uebernahmepreise  zu  zahlen.    Nötigenfalls  kann  eine  Beschränkung  der 
rzeugung  von  Cumaronharz  vorgenommen  werden.   (Vgl.  wegen  Fetten  und  Oden 
Bekanntmachung  vom  3.  August  1916,  oben  S.  165.) 

Bekanntmachung  zur  Ergänzung  der  Bekanntmachung 
über  den  Verkehr  mit  Knochen,  Rinderfüßen  und  Horn- 
schläuchen  vom  13.  April  1916  (RGBl.  S.  2  7  6).  Vom  5.  Oktober 
1916  (RGBl.  S.  1128  f.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914 
(RGBl.  S.  327)  sowie 

Bekanntmachung  zur  Ergänzung  der  Bekanntmachung 
über  Ausdehnung  der  Vorschri  f  ten  der  Verordnung  über 
den  Verkehr  mit  Knochen,  Rinderfüßen  und  Horn- 
schläuchen  vom  2  5.  Mai  1916  (RGBl.  S.  409).  Vom  5.  Ok- 
tober 1916  (RGBl.  S.  1129  f.).  Auf  Grund  der  vorstehenden  Bekannt- 
machung. 

Durch  die  beiden  Bekanntmachungen  werden  die  Oele  und  Fette  betr.  Be- 
stimmungen der  Bekanntmachung  vom  13.  April  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  69  f.)  aus- 
gedehnt  auf    Oel-  und  Fettsäuren,  Klärschlammfette,  alle  in  Abdeckereien  und 


310  Nationalökonomisobe  Gesetzgebung. 

im  Extraktionsverfahren  gewonnenen  Oele,   endlich  Tran-  und  Wollfett.    (Vgl. 
Bekanntmachung  vom  3.  August  1916,  oben  8.  165.) 

Bekanntmachung  über  den  Verkehr  mit  fettlosen  Wasch- 
und  Reinigungsmitteln.  Vom  5.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1130). 
Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327).  Mit  Aus- 
ftihrungsbestimmungen  vom  gleichen  Tage  (RGBl.  S.   1131  f.) 

Fettlose  Wasch-  und  Reinigungsmittel,  für  die  übrigens  auch  die  Bezeich- 
nung Seife  (allein  oder  in  einer  Wortverbindung)  nicht  verwendet  werden  darf, 
dürfen  nur  in  bestimmten  Stückformen  oder  Packungen  in  den  Verkehr  ge- 
bracht werden;  das  Stück  oder  die  Packung  muß  Name  des  Herstellers,  Klem- 
verkaufspreis  und  die  Bezeichnung  „Tonwaschmittel"  oder  „Tonpul ver"  tragen; 
es  werden  bestimmte  Höchstpreise  festgesetzt. 

Bekanntmachung  über  die  Geltendmachung  von  Ansprüchen 
von  Personen,  die  im  Ausland  ihren  V^ohnsitz  haben. 
Vom   5.    Oktober   1916   (RGBl.    S.  1132).     Auf   Grund   des    Ges.   vom 

4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Die  oben  genannten  Personen  (vgl.  jedoch  Bekanntmachung  vom  20.  Aprü 
1915,  Bd.  50,  S.  314,  und  vom  25.  Juni  1915,  Bd.  50,  S.  323)  können  vermögens- 
rechtliche Ansprüche  bis  zum  31.  Januar  1917  nicht  geltend  machen;  bei  bereits 
rechtshängigen  Ansprüchen  ruht  das  Verfahren  bis  zum  gleichen  Zeitpunkt  (vgl. 
wegen  früherer  Bekanntmachungen  die  Bekanntmachung  vom  13.  April  1916, 
Bd.  53,  S.  69). 

Bekanntmachung  betr.  die  Fristen  des  Wechsel-  und 
Scheckrechts  für  Elsaß-Lothringen.  Vom  5.  Oktober  1916 
(RGBl.  S.  1133).     Auf  Grund   des  Ges.   vom   4.   August    1914   (RGBl. 

5.  327). 

Die  Fristen  des  Wechsel-  und  Scheckrechts  werden  für  Elsaß-Lothringen 
bis  zum  31.  Januar  1917  verlängert.  (Vgl.  wegen  der  bisherigen  Bekanntmachungen 
die  Bekanntmachung  vom  13.  April  1916,  Bd.  53,  S.  69.) 

Bekanntmachung  über  die  Einfuhr  von  Fischen  und  von 
Zubereitungen  von  Fischen.  Vom  30.  September  1916  (RGBl. 
S.  1135).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  17.  Januar/4.  April  1916 
(RGBl.  S.  45/234). 

Alle  Fische  (außer  frischen  Fischen,  vgl.  wegen  dieser  Bekanntmachung 
vom  13.  November  1916,  unten  S.  319)  und  Fischzubereitungen  sind  bei  der  Ein- 
fuhr an  die  Zentral-Einkaufs-Gesellschaft  zu  liefern.  (Die  Verordnungen  vom 
5.  Aprü  1916  —  vgl.  Bd.  53,  S.  66  —  18.  Juni  1916  —  Bd.  53,  S.  191  —  und 
23.  August  1916  —  vgl.  oben  S.  171  —  finden  entsprechende  Anwendung.) 

Bekanntmachung  über  Druckpapier.  Vom  5.  Oktober  1916 
(RGBl.  S.  1136).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916 
(RGBl.  S.  306). 

Es  handelt  sich  um  eine  weniger  wichtige  Vorschrift  betr.  Freiexemplare. 
(Vgl.  wegen  Druckpapier  die  Bekanntmachung  vom  22.  August  1916,  oben  S.  172, 
und  18.  Aprü  1916,  Bd.  53,  S.  72.) 

Verordnung  über  die  Malz-  und  Gerstenkontingente  der 
Bierbrauereien  sowie  den  Malzhandel.  Vom  7.  Oktober  1916 
(RGBl.  S.  1137  ff.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl. 
S.  327). 

Li  Aufhebung  der  Bekanntmachung  vom  31.  Januar  1916  (vgl.  Bd.  52,  8.226  f.) 
wird  bestimmt,  daß  Bierbrauereien  vom  1.  Oktober  1916  ab  in  jedem  Viertel- 
jahre nur  noch  48  v.  H.  der  Malzmenge  zur  Herstellung  von   Bier  verwenden 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  311 

dürfen,  die  sie  in  dem  entsprechenden  Kalendervierteljahre  der  Jahre  1912  und 
1913  verwendet  haben;  jedoch  wird  eine  mindestens  zulässige  Verbrauchsmenge 
ebenso  wie  ein  höherer  Prozentsatz  für  kleinere  Brauereien  festgesetzt.  Das  so 
zulässige  Malzkontingent  wird  von  der  zuständigen  Steuerbehörde  festge- 
setzt, üebertragungen  von  Ersparnissen  eines  Vierteljahres  auf  die  folgenden 
Vierteljahre  sowie  Üebertragungen  von  Malzkontingenten  von  ein^r  Brauerei  auf 
eine  andere,  letztere  unter  bestimmten  Bedingungen,  sind  zulässig,  ßierlieferungs- 
bzw.  Bierbezugsverträge  werden  zeitlichen  Beschränkungen  unterworfen. 

Betriebe  mit  Malz-  oder  Gerstenkontingent  dürfen  Malz  oder  Gerste  nur 
veräußern,  wenn  sie  gleichzeitig  den  entsprechenden  Teil  ihres  Kontingents  über- 
tragen. Die  Mälzereien  haben  das  gesamte  aus  der  Gerste  hergestellte  Malz  an 
den  Betrieb  abzuliefern,   aus  dessen  Kontingent  die  verarbeitete  Gerste  herrührt, 

Die  Bekanntmachungen  vom  15.  Februar  1915  (vgl.  Bd.  50,  S.  60),  31.  Januar 
1916  (Bd.  52,  S.  226  f.),  16.  März  1916  (Bd.  52,  S.  234  f.)  und  4.  Mai  1916  (Bd.  53, 
8.  75  r.)  werden  aufgehoben.  —  Vgl.  wegen  Malz  im  übrigen  Bekanntmachung 
vom  4.  Mai  1916  (Bd.  53,  8.  75  f.). 

Bekanntmachung  über  Lieferung  von  Heu  für  das  Heer. 
Vom  7.  Oktober    1916  (RGBl.    S.   1141  ff.)     Auf  Grund   des  Ges.    vom 

4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Bis  zum  31.  Juli  1917  müssen  insgesamt  1  Mill.  Tonnen  Heu  für  das  Heer 
abgeliefert  sein;  die  Unterverteüung  auf  die  Bundesstaaten  ist  Sache  des  Reichs- 
kanzlers. Für  den  Ankauf  des  Heus  durch  die  Lieferungsverbände  (vgl.  §  17  des 
Ges.  vom  13.  Juni  1873)  oder  Gemeinden  werden  Höchstpreise  festgesetzt.  (Vgl. 
die  früheren  Bekanntmachungen  vom  28.  Januar  1916  —  Bd.  52,  S.  231  —  und 
11.  Mai  1916  —Bd.  53,  S.  76.) 

Verordnung  über  Höchstpreise  für  Aepfel.  Vom  7.  Oktober 
1916  (RGBl.  S.  1143  f.).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai 
1916  (RGBl.  S.  401). 

Es  werden  Erzeugerhöchstpreise  von  7,50  M.  für  den  Zentner  geschüttelte 
und  Falläpfel,  und  12  M.  für  'gepflückte  Aepfel  festgesetzt.  Die  Kleinhandels- 
höchstpreise sind  je  5  M.  höher.  Die  Höchstpreise  gelten  nicht  für  Tafeläpfel. 
Es  kann  zwangsweise  Uebertragung  des  Eigentums  an  Aepfeln  durch  die  zu- 
ständigen Behörden  stattfinden.  (Vgl.  wegen  Obst  Bekanntmachung  vom  5.  August 
1916,  oben  8.  166.) 

Bekanntmachung  betr.  Erleichterungen  auf  dem  Gebiete 
des  Patent-  und  Warenzeichenrechts  in  ausländischen 
Staaten.     Vom  5.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1144). 

Die  Bekanntmachung  führt  neben  den  in  früheren  Bekanntmachungen  (vgl. 
Bd.  50,  8.  317,  und  Bd.  51  8.  359)  aufgeführten  Staaten  noch  einen  weiteren,  <fie 
Niederlande,  an,  in  dem  den  Deutschen  die  in  der  Bekanntmachung  vom  10.  Sep- 
tember 1914  (vgl.  Bd.  49,  8.  65  —  vgl.  auch  Bekanntmachung  vom  31.  März 
1915,  Bd.  50,  S.  68  und  13.  April  1916,  Bd.  53,  8.  70)  erwähnten  Erleichterungen 
gewährt  werden,  auf  dessen  Angehörige  diese  Erleichterungen  also  auch  von 
deutscher  Seite  Platz  greifen. 

Bekanntmachung  über  Rohtabak.    Vom  10.  Oktober  1916  (RGBl. 

5.  ]  145  ff.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 
—  Mit  Ausführungsbestimmungen  vom  gleichen  Tage  (RGBl.  S.  1149  ff.), 
vom  27.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1200ff.)  und  21.  November  1916 
(RGBl.  S.  1288). 

Vorhandene  Vorräte  an  Rohtabak  werden  für  die  „Deutsche  Tabakhandels- 
gesellschaft von  1916  m.  b.  H.",  die  aus  einer  Inlands-  und  einer  AuslandsabteUung 
besteht,  beschlagnahmt;  ebenso  ist  später  geernteter  inländischer  Tabak  mit  der 
Trennung  vom  Boden,  ausländische  Tabakrippen  usw.,  die  bei  der  Bearbeitung  an- 
fallen, nut  der  Abtrennung  für  die  Gesellschaft  beschlagnahmt;  bestimmte  Aus- 


312  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

nahmen  sind  voreesehen.  Der  beschlagnahmte  Tabak  ist  der  Gesellschaft  auf 
Verlangen  käuflich  zu  überlassen.  Angemessene,  durch  Richtpreise  näher  um- 
grenzte Uebernahmepreise  müssen  gezahlt  werden.  Die  Gesellschaft  überwacht 
die  Weiterverarbeitung  und  den  Weiterverkauf  des  Rohtabaks,  wobei  insbesondere 
zahlreiche  Preisvorschriften  erlassen  werden,  und  ferner  der  Ankauf  von  Roh- 
tabak der  Ernte  1916  zur  Vergärung  und  der  Handel  mit  gegorenem  Tabak 
eingehend  geregelt  werden.  Der  Bedarf  der  Verarbeiter  und  Klein  Verkäufer  wird 
auf  Grund  der  Geschäftsergebnisse  des  ersten  Halbjahres  1916  bemessen.  Die 
Bekanntmachung  gilt  nicht  für  orientalische  Tabake.  (Vgl.  die  folgende  Bekannt- 
machung, sowie  Bekanntmachung  vom  7.  August  1916  oben  S.  167.) 

Bekanntmachung  betr.  das  Außerkrafttreten  von  Verord- 
nungen und  Bekanntmachungen.  Voni  10.  Oktober  1916 
(RGBl.  S.  1152). 

Die  Bekanntmachungen  vom  7.  August  1916  über  Tabak  (vgl.  oben  S.  167) 
sowie  zwei  weitere  nur  im  Reich sanzeiger  veröffentlichte  Bekanntmachungen 
treten  außer  Kraft. 

Bekanntmachung  betr.  Aenderung  der  Postordnung  vom 
20.  März  1900.     Vom  9.  Oktober  1916  (RGBl.  S.   1153  f.). 

Die  Bekanntmachung  enthält  die  mit  Rücksicht  auf  die  Bekanntmachung 
vom  5.  Oktober  1916  (vgl.  oben  S.  310.)  nötige  Aenderung  der  postalischen  Vor- 
schriften. 

Bekanntmachung  über  die  Abänderung  der  Preise  für 
Knochenmehl.  Vom  12.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1155f.).  Auf 
Grund  der  Bekanntmachung  vom  11.  Januar  1916  (RGBl.  S.  13). 

Die  durch  Bekanntmachung  vom  11.  Januar  1916  (vgl.  Bd.  52,  S.  222)  für 
Knochenmehl  festgesetzten  Höchstpreise  werden  abgeändert.  Vgl.  auch  Bekannt- 
machung vom  24.  Oktober  1916,  unten  S.  315. 

Bekanntmachung  über  die  äußere  Kennzeichnung  von 
Waren.  Vom  11.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1156  f.).  Auf  Grund  der 
Bekanntmachung  vom  18.  Mai  1916  (RGBl.  S.  380). 

Die  in  der  Bekanntmachung  vom  18.  Mai  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  78)  vor- 
gesehenen Anordnungen  betr.  äußere  Kennzeichnung  werden  auch  für  Soda, 
Seife  und  sonstige  Waschmittel  in  Packungen  erlassen. 

Bekanntmachung  über  Erleichterungen  im  Brennerei- 
betrieb und  Branntwein  verkehr  und  Regelung  der  Be- 
triebsauflagevergütungen für  das  Betriebs  jähr  1916/17. 
Vom  12.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1159  ff.).     Auf  Grund  des  Ges.  vom 

4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Es  werden  für  die  Brennereien,  insbesondere  landwirtschaftliche,  eine  Reihe 
Erleichterungen  vorgesehen,  deren  Aufführung  im  einzelnen  hier  zu  weit  führen 
würde ;  auch  werden  die  Betriebsauflagevergütungen  neu  festgesetzt  (vgl.  hierüber 
Bekanntmachung  vom  7.  Oktober  1915,  Bd.  51,  S.  360  f.,  im  übrigen  Bekannt- 
machung vom  14.  September  1916,  oben  S.  304). 

Bekanntmachung  betr.  Zollerleichterungen  für  V^aren  aus 
den  besetzten  feindlichen  Gebieten.  Vom  12.  Oktober  1916 
(RGBl.   S.    1162).     Auf  Grund   des   Ges.   vom   4.  August  1914  (RGBl. 

5.  327). 

Es  handelt  sich  im  wesentlichen  um  Obst,  Nüsse,  verschiedene  zubereitete 
Gemüse  und  andere  Nahrungsmittel,  endlich  Soda,  die  bis  auf  weiteres  zollfrei 
bleiben  sollen.  (Vgl.  wegen  der  friiheren  Bekanntmachungen  die  Bekanntmachung 
vom  6.  Januax  1916,  Bd.  52,  S.  221.) 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  313 

Bekanntmachung  über  die  Durchfuhr  von  kondensierter 
Milch  und  von  Milchpulver.  Vom  13.  Oktober  1916  (RGBl. 
S.  1163).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916  (RGBl. 
S.  302). 

Die  Durchfuhr  der  genannten  Gegenstände  mit  Ausnahme  derjenigen 
schweizer  Herkunft  wird  verboten.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  18.  Aprü  1916, 
Bd.  53,  S.  72.) 

Bekanntmachung  über  Kartoffeln.  Vom  14.  Oktober  1916 
(RGBl.  S.  1165  f.).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai 
1916  (RGBl.  S.  401). 

In  Ergänzung  der  Verordnung  vom  26.  Juni  1916  (vgl.  Bd.  53,  S.  197)  wird 
der  Tagesverbrauch  festgesetzt  auf  höchstens  IV2  Pfund  für  Kartoffelerzeuger  und 
höchstens  1  Pfund  für  die  übrige  Bevölkerung;  Schwerarbeiter  sollen  bis  zu 
2  Pfund  erhalten.  Kartoffelstärke,  Kartoffelstärkemehl  und  Erzeugnisse  der  Kar- 
toffeltrocknerei  dürfen  nicht  verfüttert  werden,  frische  Kartoffeln  nur,  soweit  sie 
nicht  als  Speise-  oder  Fabrikkartoffeln  Verwendung  finden  können,  jedoch  im 
allgemeinen  nur  an  Schweine  und  Federvieh.  Der  Handel  mit  Saatkartoffeln 
wird  bis  auf  weiteres  verboten.    (Vgl.  wegen  Kartoffeln  die  Bekanntmachung  vom 

15.  Aprü  1916,  Bd.  53,  S.  71,  und  2.  August  1916,  oben  S.  164.) 

Gesetz  über  die  Verlängerung  der  Legislaturperiode 
des  Reichstags.     Vom  16.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1169). 

Die  Legislaturperiode  wird  um  1  Jahr  verlängert.  (Vgl.  auch  folgende  Be- 
kanntmachung). 

Gesetz    betr.    den    Landtag    für    Elsaß-Lothringen.      Vom 

16.  Oktober  1916  (RGBl.  S.   1170). 

Die  Mitgliedschaft  der  Mitglieder  der  ersten  Kammer  sowie  die  Wahlperiode 
der  zweiten  Kammer  des  Landtags  werden  um  ein  Jahr  verlängert. 

Bekanntmachung  betr.  die  Reichsstelle  für  Druckpapier. 
Vom  18.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  11711).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  18.  April  1916  (RGBl.  S.  306). 

Für  maschinenglattes,  holzhaltiges,  für  Tageszeitungen  bestimmtes  Druck- 
papier sollen  die  von  der  Reichsstelle  für  Druckpapier  festgesetzten  Preise  maß- 
gebend sein.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  22.  August  1916,  oben  S.  72,  und 
18.  Aprü  1916,  Bd.  53,  S.  72.) 

Bekanntmachung  betr.  Aenderung  der  Verordnung  über 
untaugliches  Schuhwerk  vom  2  1.  Juni  1916  (RGBl. 
S.  541).  Vom  19.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1172).  Auf  Grund  des 
Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Es  handelt  sich  um  eine  Aenderung  der  Uebergangsvorschriften  der  ge- 
nannten Bekanntmachung  (vgl.  Bd.  53,  S.  192,  Bekanntmachung  vom  28.  Sep- 
tember 1916,  oben  S.  306,  und  nächste  Bekanntmachung). 

Bekanntmachung  betr.  Ausführungsbestimmungen  zu  der 
Verordnung  über  untaugliches  Schuhwerk  vom  21.  Juni 
1916  (RGBl.  S.  541).     Vom  19.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1173). 

Es  handelt  sich  um  kleine  Aenderungen  der  Ausführungsbestimmungen  zur 
genannten  Bekanntmachung,     (vgl.  vorige  Bekanntmachung). 

Bekanntmachung  über  Festsetzung  von  Grundpreisen  für 
verdorbene  Speisefette  und  die  Preisstellung  für  den 
Weiterverkauf  im  Großhandel.     Vom  20.  Oktober  1916  (RGBl. 


314  Nationalökonomisohe  Gesetzgebung. 

S.  1174).    Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  20.  Juli  1916  (RGBl. 
S.  755). 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  geht  aus  der  Ueberschrift  hervor.  (Vgl. 
Bekanntmachung  vom  3.  August  1916  und  ;die  daselbst  aufgeführten  weiteren 
Bekanntmachungen  —  oben  8.  165  — ). 

Verordnung  betr.  Abänderung  der  Verordnung  über  Käse 
vom  13.  Januar  1916  (RGBl.  S.  31).  Vom  20.  Oktober  1916 
{RGBl.  S.  1175  ff.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl. 
S.  327.) 

Die  durch  Bekanntmachung  vom  13.  Januar  1916  festgesetzten  Höchstpreise 
werden  etwas  erhöht,  auch  erfährt  die  Verordnung  einige  sonstige  kleinere  Ab- 
änderungen. (Vgl.  Bekanntmachungen  vom  13.  Januar  1916,  Bd.  52,  8.  222, 
25.  April  1916,  Bd.  53,  8.  74,  11.  Mai  1916,  Bd.  53,  8.  76  f,  und  folgende  Be- 
kanntmachung.) 

Bekanntmachung  der  neuen  Fassung  der  Verordnung  über 
Käse.  Vom  20.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1179  ff.).  Auf  Grnnd  der 
vorstehenden  Bekanntmachung. 

Die  Bekanntmachung  vom  13.  Januar  1916  (vgl.  Bd.  52,  8.  222)  wird  wegen 
der  zahlreichen,  inzwischen  ergangenen  Abänderungen  (vgl.  Bekanntmachung 
vom  18.  März  1916,  Bd.  52,  8.  235,  11.  Mai  1916,  Bd.  53,  8.  76  f.,  und  vorstehende 
Bekanntmachung)  in  ihrer  neuen  Fassung  veröffentlicht  '(Vgl.  Bekanntmachung 
vom  5.  August  1916,  oben  8.  166.) 

Bekanntmachung  über  die  Durchfuhr  von  Fischen  und  von 
Zubereitungen  von  Fischen.  Vom  20.  Oktober  1916  (RGBl. 
S    1185).     Auf  Grund  verschiedener  Bekanntmachungen. 

Die  Durchfuhr  der  genannten  Gregenstände  wird  verboten.  (Vgl.  Bekannt- 
machung vom  23.  August  1916,  oben  8.  171.) 

Verordnung  über  den  Absatz  von  Weißkohl.  Vom  21.  Ok- 
tober 1916  (RGBl.  S.  11871).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom 
22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Die  Reichsstelle  für  Gemüse  und  Obst  kann  für  bestimmte,  örtlich  abge- 
grenzte Gebiete  bestimmen,  daß  Weißkohl  nur  mit  ihrer  Genehmigung  abgesetzt 
werden  darf.  Bestimmte  Ausnahmen  werden  zugelassen.  Macht  die  KeicJ^stelle 
von  ihrer  Befugnis  Gebrauch,  so  haben  die  Besitzer  von  Weißkohl  diesen  der 
Reichsstelle  auf  Verlangen  gegen  einen  angemessenen  üebernahmepreis  käuflich 
zu  überlassen.  (Vgl.  wegen  Gemüse  im  übrigen  die  Bekanntmachung  vom 
5.  August  1916,  oben  8   166.) 

Bekanntmachung  über  die  Anmeldung  der  Bestände  von 
Kornbranntwein.  Vom  23.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1189  f.).  Auf 
Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  geht  aus  der  Ueberschrift  hervor.  —  Vgl. 
in  übrigen  Bekanntmachung  vom  14.  8eptember  1916,  oben  8.  304. 

Bekanntmachung  betr.  Auf  heb  ung  des  §  1  derVerordnung 
über  die  Höchstpreise  für  Wolle  und  Wollwaren  vom 
22.  Dezember  1914  (RGBl.  S.  545).  Vom  23.  Oktober  1916 
(RGBl.  S.   1190).     Auf  Grund  der  genannten  Bekanntmachung. 

Die  Höchstpreise  für  Rohwolle  werden  aufgehoben;  die  Höchstpreise  für 
gewaschene  WoUe  und  die  sonstigen  durch  die  Bekanntmachung  vom  22.  Dezember 
1914  (vgl.  Bd.  50,  8.  50)  festgesetzten  Höchstpreise  behalten  weiter  ihre  Geltung. 

Bekanntmachung  über  die  Regelung  des  Betriebs  in  Kar- 
toffeln   verarbeitenden    Brennereien    im    Betriebs jähre 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  315 

1916/17.     Vom   24.    Oktober    1916   (RGBl.    S.  1191  f.).     Auf  Grund 
der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Die  Besitzer  von  Kartoffeln  verarbeitenden  Brennereien  sind  zu  Erstattung 
einer  Reihe  von  Anzeigen  über  Umfang  und  sonstige  Verhältnisse  ihrer  Brennereien 
verpflichtet;  wer  die  Anzeige  nicht  rechtzeitig  erstattet  oder  seinen  Betrieb  nicht 
spätestens  am  15.  November  1916  eröffnet,  darf  im  Betriebsjahr  1916/17  Kartoffeln 
nicht  auf  Branntwein  verarbeiten  (vgl.  die  weitere  Bekanntmachung  vom  26.  Ok- 
tober 1916,  unten  S.  315,  im  übrigen  wegen  Kartoffeln  Bekanntmachung  vom 
2.  August  1916,  oben  S.  164,  wegen  Brennereien  die  Bekanntmachung  vom 
14.  September  1916,  oben  S.  304). 

Bekanntmachung  über  Mischungen  von  Knochenmehl  und 
Kali.  Vom  24.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1192).  Auf  Grund  der  Be- 
kanntmachung vom  11.  Januar  1916  (RGBl.  S.   13). 

Es  handelt  sich  um  eine  weniger  wesentliche  Vorschrift.  (Vgl.  Bekannt- 
machung vom  11.  Januar  1916,  Bd.  52,  S.  222,  11.  Mai  1916,  Bd  53,  S.  76, 
und  12.  Oktober  1916,  oben  S.  312.) 

Bekanntmachung  betr.  die  Ergänzung  der  Eisenbahn-Bau- 
und  Betriebsordnung  vom  4.  November  1904.  Vom  23.  Ok- 
tober 1916  (RGBl.  S.  1193). 

Das  Reichseisenbahnamt  kann  auch  für  das  ganze  Gebiet  einer  Eisenbahn- 
verwaltung Ausnahmen  von  den  Vorschriften  der  Eisenbahnbau-  und  -betriebs- 
ordnung  gestatten,  die  bisher  nur  für  einzelne  Bahnstrecken,  Züge  u.  s.  w.  zu- 
lässig waren. 

Bekanntmachung  über  Aenderung  der  Bekanntmachung 
über  die  Einfuhr  von  Kaffee  aus  dem  Ausland  vom 
6.  April  1916  (RGBl.  S.  2  45).  Vom  26.  Oktober  1916  (RGBl. 
S.  11931),  und 

Bekanntmachung  über  die  Aenderung  der  Bekanntmachung 
über  die  Einfuhr  von  Tee  aus  dem  Ausland  vom  6.  April 
1916  (RGBl.  S.  250).  Vom  26.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1194).— 
Beide  Bekanntmachungen  auf  Grund  der  Bekanntmachungen  vom 
11.  November  1915/4.  April  1916  (RGBl.  S.  750/233). 

Es  handelt  sich  um  eine  Vorschrift  betr.  den  Zeitpunkt  des  Eigentumsüber- 
ganges  von  eingeführten,  vom  Kriegsausschuß  übernommenen  Waren.  (Vgl.  Bd.  53, 
S.  67.) 

Bekanntmachung  über  den  Verkehr  mit  Schwefel.  Vom 
27.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1195).  Mit  Ausführungsbestimmungen 
vom    gleichen   Tage    (RGBl.    S.    1196  f.).      Auf   Grund  j-des    Ges.    vom 

4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Hersteller  von  Schwefel  haben  den  hergestellten  Schwefel  an  die  Kjiegs- 
chemikahen- Aktiengesellschaft  gegen  angemessene,  nach  oben  durch  Höchstpreisbe- 
stimmungen begrenzte  Uebernahmepreise  abzuliefern.  (Vgl.  auch  die  Bekannt- 
machung vom  13.  November  1915,  Bd.  51,   S.  371  und  28.  Oktober  1916,  unten 

5.  317.) 

Bekanntmachung  über  Verarbeitung  von  Kartoffeln  auf 
Branntwein  in  Kleinbrennereien.  Vom  26.  Oktober  1916 
(RGBl.  S.  1198).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl. 
S.  327). 

Die  Verarbeitung  von  Kartoffeln  auf  Branntwein  in  Kleinbrennereien  wird 
bis  auf  weiteres  verboten.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  24.  Oktober  1916,  oben 
S.  315,  im  übrigen  wegen  Kartoffeln  Bekanntmachung  vom  2.  August  1916,  oben 
S.  164,  wegen  Branntwein  Bek.  vom  14.  September  1916.  oben  S.  304.) 


316  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Verordnung  über  die  Verjährungsfristen.  Vom  26.  Oktober 
1916  (ßGBl.  S.  1198).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914 
(RGBl.  S.  327). 

Die  in  den  §§  196,  197  BGB.  bezeichneten  Ansprüche,  das  sind  vor 
allem  die  Ansprüche  des  täglichen  Lebens  (vgl.  Bekanntmachung  vom  22.  Dezember 

1914  _  Bd.  50,  8.  50  —  und  4.  November  1915  —  Bd.  51,  8.  368)  sowie  eine 
Eeihe  von  seerechtlichen  Ansprüchen   (vgl.  Bekanntmachung  vom   9.  Dezember 

1915  —  Bd.  52,  8.  216),  deren  Verjährung  bereits  durch  die  genannten  Bekannt- 
machungen gehemmt  war,  sollen  nicht  vor  dem  8chlu8se  des  jSires  1917  verjähren. 

Bekanntmachung  betr.  Abänderung  der  Verordnung  über 
Höchstpreise  für  Hafer  vom  24.  Juli  1916  (RGBl.  S.826). 
Vom  26.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1199).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  ist  in  die  Inhaltsangabe  der  Bekannt- 
machung vom  18.  September  1916  (vgl.  oben  8.  304  f.)  eingearbeitet. 

Verordnung  über  Höchstpreise  für  Rüben.  Vom  26.  Ok- 
tober 1916  (RGBl.  S.  12041).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom 
22.  Mai  1916  (RGBl.  S.   401). 

Für  die  verschiedenen  Arten  von  Rüben  einschl.  Kohlrüben  und  Möhren 
werden  Erzeugerhöchstpreise  festgesetzt;  die  Landeszentralbehörden  können  für 
Karotten  jedoch  höhere  Höchstpreise  festsetzen.  Allgemein  können  sie  oder  die 
von  ihnen  beauftragten  Behörden  höhere  Höchstpreise  für  Verkäufe  unmittelbar 
vom  Erzeuger  an  den  Verbraucher  festsetzen  ;  sie  setzen  endlich  die  Großhandels- 
und Kleinhandelshöchstpreise  fest.  Die  vom  Reichskanzler  bestimmten  Stellen  sind 
an  keine  der  Höchstpreisfestsetzungen  gebunden.  Die  Kommunalverbände  können 
Ausfuhrverbote  oder  -beschränkungen  erlassen. 

Bekanntmachung  zur  Aenderung  der  Ausführungsbe- 
stimmungen  zur  Verordnung  des  Bundesrats  vom  4.  März 

1916  über  die  Einfuhr  von  pflanzlichen  und  tierischen 
Oelen  und  Eetten  sowie  Seifen  vom  8.  März  1916  (RGBl. 
S.  151).  Vom  27.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1207).  Auf  Grund  der 
genannten  Verordnung,  und 

Bekanntmachung  zur  Aenderung  der  Ausführungsbe- 
stimmungen über  die  Einfuhr  von  Margarine  aus  dem 
Ausland  vom  12.  Januar  1916  (RGBl.  S.  26).  Vom  27.  Ok- 
tober 1916  (RGBl.  S.  1208).  Auf  Grund  der  genannten  Bekannt- 
machung. 

Es  handelt  sich  um  Vorschriften  betr.  den  Zeitpunkt  des  Eigentumsüber- 

fanges  von  eingeführten,  vom  Kriegsausschuß  übernommenen  Waren.     (Vgl.  ße- 
anntmachung  vom  4.  März  1916,  Bd.  52,  8. 233.  und  12.  Januar  1916,  Bd.  52,  8.  222. 
im  übrigen  wegen  Fetten  Bekanntmachung  vom  3.  August  1916,  oben  8. 165.) 

Bekanntmachung  betr.  die  Anmeldung  von  Wertpapieren. 
Vom  28.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1209).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  23.  August  1916  (RGBl.  S.  952). 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  ist  in  die  Inhaltsangabe  der  Bekannt- 
machung vom  23.  August  1916  (vgl.  oben  8.  172)  eingearbeitet. 

Bekanntmachung  betr.  Höchstpreise  für  Schwefelsäure 
und  Oleum.  Vom  28.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1210ff.).  Auf  Grund 
der  Bekanntmachung  vom  13.  November  1916  (RGBl.  S.  761). 


Nationalökonomische  Gesetzgebung,  317 

Der  Inhalt  der  BekanntmachuDg  geht  aus  der  üeberschrift  hervor.  Die 
frühere  Bekanntmachung  vom  8.  April  1916  (vgl.  ßd.  53,  S.  68)  wird  aufge- 
hoben. —  Vgl.  auch  Bekanntmachung  vom  13.  November  1915,  Bd.  52,  S.  371 
und  vom  27.  Oktober  1916,  oben  S.  315. 

Bekanntmachung  über  Bezugsscheine  —  Bekanntmachung 
über  die  Regelung  des  Verkehrs  mit  Web-,  Wirk-  und 
Strickwaren  für  die  bürgerliche  Bevölkerung  vom 
10.  Juni  1916  (RGBl.  S.  463).  Vom  31.  Oktober  1916  (RGBl. 
S.  1218  ff.).     Auf  Grund  der  genannten  Bekanntmachung. 

Die  Bekanntmachung  betr.  die  von  der  Verkehrsregelung  ausgenommenen 
Gegenstände  vom  10.  Juni  1916  (Bd.  53,  S.  189)  nebst  ihren  Zusatzbekannt- 
machungen vom  13.  Juli  1916  (vgl.  daselbst),  7.  August  1916,  21.  August  1916 
und  9.  September  1916  (vgl.  oben  S.  167  f.,  169  und  177)  werden  aufgehoben.  Die 
Freiliste  erhält  eine  grundsätzliche  Umgestaltung,  indem  Stoffe,  Wäsche  und 
Garderoben  über  gewissen  Preislagen  auch  bezugsscheinpflichtig  werden.  Die 
sonstigen,  in  der  Freiliste  vom  10.  Juni  sowie  den  Nachträgen  (vgl  oben)  aufge- 
führten Gegenstände  verbleiben  im  wesentlichen  in  der  Freiliste,  jedoch  werden 
zahlreiche  kleine  verschärfende  Abänderungen  vorgenommen. 

Neben  der  als  „Verzeichnis  A"  bezeichneten  Freiliste  wird  noch  ein  „Ver- 
zeichnis B"  aufgestellt,  das  Oberkleidungsstücke  enthält,  für  die  Bezugsscheine  ohne 
Prüfung  der  Notwendigkeit  der  Anschaffung  erteilt  werden  können,  wenn  der 
Antragsteller  nachweist,  daß  er  bestimmten  Annahmestellen  ein  entsprechendes 
gleichartiges,  von  ihm  getragenes,  noch  gebrauchsfähiges  Oberkleidungsstück  über- 
lassen hat.  Die  Liste  enthält  nur  Oberkleidungsstücke  über  bestimmten,  aber  gegen 
die  Freiliste  vom  10.  Juni  wesentlich  erhöhten  Preislagen.  Bei  teureren  Stoffen 
und  Wäschestücken  ist  also  endgültig  von  jeder  Vorzugsstellung  abgesehen  worden. 

Für  Schneider,  Schneiderinnen  und  Wandergewerbetreibende  werden  Sonder- 
bestimmungen erlassen. 

Bekanntmachung  über  Druckpapier.  Vom  31.  Oktober  1916 
(RGBl.  S.  1225).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916 
(RGBL  S.  306). 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  ist  in  die  Inhaltsangabe  der  Bekannt- 
machung vom  22.  August  1916  (vgl.  oben  S.  172)  eingearbeitet. 

Bekanntmachung  über  Ausdehnung  der  Verordnung,  betr. 
die  Einfuhr  von  Futtermitteln,  Hilfsstoffen  und  Kunst- 
dünger, vom  28.  Januar  1916  (RGBl.  S.  67)  und  der  dazu 
erlassenen  Ausführungsbestimmungen  vom  31.  Januar 
1916  (RGBl.  S.  71).  Vom  1.  November  1916  (RGBl.  S.  1227). 
Auf  Grund  der  genannten  Bekanntmachung. 

Die  Bestimmungen  der  genannten  Bekanntmachung  werden  auf  Schilf, 
Schilfmehl  und  Schilfhäcksel  ausgedehnt.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  22.  August 
1916,  oben  S.  171,  und  die  daselbst  aufgeführten  weiteren  Bekanntmachungen, 
insbesondere  Bekanntmachung  vom  11.  September,  oben  S.  178,  und  10.  November 
1916,  unten  S.  320.) 

Gesetz  betr.  die  Feststellung  eines  zweiten  Nachtrags 
zum  Reichshaushaltsetat  für  das  Rechnungsjahr  1916. 
Vom  30.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  1229  f.). 

Es  werden  zu  den  bisher  bewilligten  52  Milliarden  M.  (je  5  am  4.  August 
und  3.  Dezember  1914,  je  10  am  22.  März,  31.  August  und  24.  Dezember  1915, 
und  12  am  9.  Juni  1916)   weitere  12  Milliarden  M.   an  Kriegskrediten   bewilligt. 

Bekanntmachung  über  die  Vornahme  einer  Volkszählung 
am  1.  Dezember  1916.  Vom  2.  November  1916  (RGBl.  S.  1233ff.). 
Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 


313  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Für  die  am  1.  Dezember  1915  ausgefallene  soll  am  1.  Dezember  1916  eine 
Volkszählung  vorgenommen  werden. 

Bekanntmachung  über  einen  Höchstpreis  für  Weizengrieß. 
Vom  2.  November  1916  (RGBl.  S.  1241).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Es  wird  ein  Kleinhandelshöchstpreis  von  56  Pfg.  für  das  Kilogramm  fest- 
gesetzt. 

Verordnung  über  Höchstpreise  für  Hafernährmittel. 
Vom  2.  November  1916  (RGBl.  S.  1242  f.).  Auf  Grund  der  Bekannt- 
machung vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Es  werden  Hersteller-  und  Kleinhandelshöchstpreise  für  Haferflocken,  -grütze 
und  -mehl  (44  Pfg.  für  das  Pfund  lose  Ware,  für  Paketware  etwas  mehr)  festgesetzt. 

Bekanntmachung  über  die  Ueberwachung  des  Verkehrs 
mit  Seemuscheln.  Vom  2.  November  1916  (RGBl.  S.  1243  f.).  Auf 
Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Es  wird  eine  Ueberwachungsstelle  für  Seemuscheln  errichtet,  der  die  ueber- 
wachung des  Fanges  und  des  Handels  mit  Seemuscheln  sowie  der  Herstellung 
von  Seemuschelkonserven  obliegt.  Insbesondere  bedarf  ihrer  Erlaubnis,  wer  See- 
muscheln im  Großhandel  von  Fischern  kauft  und  wer  Seemuschelkonserven  her- 
stellt. Die  Ueberwachungsstelle  kann  für  die  genannten  Waren  Preise  festsetzen 
und  kann  auch  den  Fang  und  den  Verkauf  von  Seemuscheln  sowie  die  Her- 
stellung von  Seemuschelkonserven  regeln,  beschränken  oder  untersagen  u.  a.  m.  Die 
Strafbestimmungen  sind  durch  Bekanntmachung  vom  26.  November  1916  geändert. 

Bekanntmachung  über  die  Regelung  der  Verbrauchsab- 
gabenermäßigungen und  weitere  Erleichterungen  im 
Brennereibetrieb  im  Betriebs  jähr  1916/17.  Vom  2.  No- 
vember 1916  (RGBl.  S.  1245  f.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August 
1914  (RGBl.  S.  327). 

Es  werden  Bestimmungen  betr.  Verbrauchsabgabenermäßigungen ,  Ueber- 
tragung  des  Durchschnittsbrandes  erlassen,  endlich  Erleichterungen  für  Brennereien 
vorgesehen,  die  bisher  Kornbranntwein  herstellten  und  zur  Verarbeitung  anderer 
Stoffe  übergehen.  (Vgl  wegen  weiterer  Bekanntmachungen  auf  diesem  Gebiete  die 
Bekanntmachung  vom  14.  September  1916,  oben  S.  304.) 

Bekanntmachung  betr.  Krankenversicherung  von  Aus- 
ländern während  des  Krieges.  Vom  2.  November  1916  (RGBL 
S.  1247).     Auf  Grund  des  Ges.   vom   4.  August  1914   (RGBl.  S.  327). 

Feindliche  Staatsangehörige,  die  durch  Anordnung  deutscher  Behörden  in 
ihrer  persönlichen  Freiheit  beschränkt,  und  deshalb  als  unfreie  Personen  nicht 
kranken  versicherungspflichtig  oder  -versicherungsberechtigt  sind,  werden  den  Vor- 
schriften der  Reichsversicherungsordnung  über  die  Krankenversicherung  unterstellt. 
(Vgl.  wegen  Kjankenversicherung  Bekanntmachung  vom  23.  April  1915,  Bd.  50, 
S.  315  f.,   14.  Juni  1916,  Bd.  53,  S.  190,  und  16.  November  1916,  unten  S.  320.) 

Bekanntmachung  über  die  Vornahme  einer  Viehzählung 
am  1.  Dezember  1916.  Vom  4.  November  1916  (RGBl.  S.  1249  ff.). 
Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Die  sogenannte  kleine  Viehzählung  soll  sich  auf  Pferde,  Rindvieh,  Schafe, 
Schweine,  Ziegen  und  Federvieh  erstrecken.  (Vgl.  wegen  früherer  Viehzählungen 
die  Bekanntmachung  vÖRn  15.  November  1915,  Bd.  51,  S.  371,  und  23.  März  1916, 
Bd.  52,  S.  236.) 

Verordnung  über  Höchstpreise  für  Zwiebeln.  Vom  4.  No- 
vember 1916  (RGBl.  S.  1257  ff.).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom 
22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  319 

Es  werden  für  Zwiebeln  Erzeuger-  und  Kleinhandelshöchstpreise  festgesetzt, 
die  von  Monat  zu  Monat  entsprechend  dem  wachsenden  Schwund  usw.  ansteigen. 
Das  Eigentum  an  Zwiebeln  kann  durch  die  zuständigen  Behörden  auf  andere 
Personen  übertragen  werden.  (Vgl.  die  früheren  Bekanntmachungen  vom  4.  De- 
zember 1915,  Bd.  52,  S.  215  f.,  und  25.  Januar  1916,  Bd.  52,  S.  225,  sowie  vom 
8.  April  1916,  Bd.  53,  S.  68.) 

Bekanntmachang  über  anderweiteFestsetzung  derHöchst- 
preise  für  Erzeugnisse  der  Kar tof f eltrocknerei  und  der 
Kartoffelstärkefabrikation.  Vom  5.  November  1916  (RGBL 
S.  1261  f.).  Auf  Grund  der  Verordnung  vom  16.  September  1915/24.  Fe- 
bruar 1916  (RGBl.  S.  588/118). 

Die  durch  Bekanntmachung  vom  29.  Februar  1916  —  vgl.  Bd.  52,  S.  231  — 
für  Kartoffelwalzmehl  festgesetzten  Höchstpreise  erfahren  eine  Erhöhung. 

Bekanntmachung  über  die  Einfuhr  von  frischen  Fischen. 
Vom  13.  November  1916  (RGBl.  S.  1265  ff.). 

Die  Einfuhr  von  frischen  Fischen  muß  der  Zentral-Einkaufsgesellschaft  an- 
gezeigt werden;  die  eingeführten  Fische  dürfen  nur  durch  sie  oder  mit  ihrer  Ge- 
nehmigung in  den  Verkehr  gebracht  werden;  auf  Verlangen  sind  die  Fische  an 
die  Zentral-Einkaufsgesellschaft  gegen  einen  von  dieser  festgesetzten  Uebernahme- 
preis  abzuliefern.  Die  Durchfulu:  frischer  Fische  wird  verboten.  (Vgl.  wegen  der 
Einfuhr  von  Fischen  Bekanntmachung  vom  5.  April  1916,  Bd.  53,  S.  66,  und  30.  Sep- 
tember 1916  oben  S.  310,  ferner  Bekanntmachung  vom  28.  November  1916,  unten 
S.  322.) 

Gesetz  über  die  Festsetzung  von  Kursen  der  zum 
Börsenhandel  zugelassenen  Wertpapiere.  Vom  9.  November 
1916  (RGBl.  S.   1269). 

Der  Bundesrat  kann  für  die  Veranlagung  der  Besitzsteuer  (Gesetz  vom 
3.  Juli  1913)  und  der  Kriegssteuer  (Gesetz  vom  21.  Juni  1916,  Bd.  53,  8.  193  ff.) 
die  Kurse  der  zum  Börsenhandel  zugelassenen  Wertpapiere  auf  den  31.  Dezember 
1916  festsetzen.  Der  Reichskanzler  ist  ermächtigt,  die  Kurse  vorläufig  festzusetzen. 
Etwa  hiervon  abweichende  endgültige  Festsetzungen  müssen  bis  spätestens  15.  Ja- 
nuar 1917  bekannt  gemacht  werden. 

Bekanntmachung  über  Kunsthonig.  Vom  14.  November  1916 
(RGBl.  S.  1271  ff.)  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  191& 
(RGBl.  S.  401). 

Kunsthonig  darf  nur  in  fester  Form  hergestellt  und  in  den  Verkehr  ge- 
bracht werden;  es  werden  Hersteller-,  Großhandels-  und  Elleinhandelshöchst- 
preise  festgesetzt.  Das  Eigentum  an  Kunsthonig  kann  durch  Anordnung  der 
zuständigen  Behörde  auf  andere  Personen  übertragen  werden.  Eingeführter  Kunst- 
honig (ebenso  wie  andere  zuckerhaltige  Brotaufstrichmittel)  muß  an  die  Zentral- 
Einkaufsgesellschaft  geliefert  werden;  seine  Durchfuhr  ist  verboten.  (Vgl.  Be- 
kanntmachung vom  11.  November  1915,  Bd.  51,  S.  370.) 

Bekanntmachung  über  Befreiungen  vom  Warenumsatz- 
stempel. Vom  14.  November  1916  (RGBl.  S.  1274).  Auf  Grund 
des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327.) 

Der  Warenumsatzstempel  (vgl.  Gesetz  vom  26.  Juni  1916  —  Bd.  53, 
S.  199)  wird  mit  bestimmten  Ausnahmen  nicht  erhoben  bei  Warenlieferungen  von 
Bundesstaaten,  Gemeinden  usw.,  die  während  der  Dauer  der  Kriegswirtschaft  zur 
Versorgung  der  Bevölkerung  mit  Lebensmitteln  bewirkt  werden;  die  gleiche  Be- 
freiung kann  unter  bestimmten  Voraussetzungen  Lebensmittelversorgungsgesell- 
schaften fBezirkszentralen)  gewährt  werden.  —  Bei  Bezahlung  von  Goldsachen 
und  Kostoarkeiten  durch  die  zur  Verstärkung  des  Goldschatzes  der  Reichs- 
bank eingerichteten  Goldankaufsstellen  wird  keine  Abgabe  erhoben. 


320  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Bekanntmachung  über  Ausdehnung  der  Verordnung  betr. 
die  Einfuhr  von  Futtermitteln,  Hilfsstoffen  und  Kunst- 
dünger vom  2  8.  Januar  1916  (RGBl.  S.  6  7)  und  der  dazu 
erlassenen  Ausführungsbestimmungen  vom  31.  Januar 
1916  (RGBl.  S.  71).  Vom  10.  November  1916  (RGBl.  S.  1276). 
Auf  Grund  der  genannten  Bekanntmachung. 

Die  genannte  Bekanntmachung  wird  auf  Obsttrester  ausgedehnt.  (Vgl. 
wegen  weiterer  ähnlicher  Bekanntmachungen  die  Bekanntmachung  vom  22.  August 
1916,  oben  S.  171.) 

Verordnung  über  den  Handel  mit  Sämereien.  Vom  15.  No- 
vember 1916  (RGBl.  S.  12771).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom 
22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Der  Handel  mit  Klee-,  Gras-,  Futterrüben-  und  Futterkräutersamen  ist  nur 
gegen  besondere  Erlaubnis  gestattet. 

Bekanntmachung  über  Erhaltung  von  Anwartschaften  aus 
der  Krankenversicherung.  Vom  16.  November  1916  (RGBl. 
S.  1279).     Auf  Grund    des    Ges.  vom    4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Es  handelt  sich  um  Ausführungsvorschriften  minder  wesentlicher  Natur,  die 
die  Erhaltung  von  Anwartschaften  erleichtern  sollen.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom 
2.  November  1916,  oben  S.  318.) 

Verordnung  über  Saatkartoffeln.  Vom  16.  November  1916 
(RGBl.  S.  1281  f.).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl. 
S.  327). 

Saatkartoffeln  dürfen  nur  durch  die  Vermittlung  bestimmter  Stellen  (insbe- 
sondere Landwirtschaftskammern)  abgesetzt  werden;  dies  gilt  nicht  für  den  Ab- 
satz von  Landwirt  zu  Landwirt  innerhalb  desselben  Kommunal  Verbandes;  die 
Ausfuhr  aus  einem  Kommunal  verband  ist  an  dessen  Genehmigung  geknüpft. 
Die  Höchstpreise  vom  13.  Juli  1916  —  vgl.  Bd.  53,  S.  203  —  haben  bis  zum 
15.  Mai  1917  für  Saatkartoffeln  keine  Giftigkeit.  Die  Bekanntmachung  vom 
14.  September  1916  —  vgl.  oben  S.  179  —  wird  aufgehoben. 

Bekanntmachung  zur  Ergänzung  der  Bekanntmachung 
über  Ausdehnung  der  Vorschriften  der  Ver  ord  nüng  über 
den  Verkehr  mit  Knochen,  Rinderfüßen  und  Horn- 
schläuchen  vom  25.  Mai/5.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  409/ 
112  9).  Vom  17.  November  1916  (RGBl.  S.  1283).  Auf  Grund  der 
Bekanntmachung   vom  13.  April/5.  Oktober   1916  (RGBl.  S.  276/1129). 

Es  wird  ein  Höchstpreis  für  Abdeckereifett  festgesetzt.  (Vgl.  wegen  Fetten 
Bekanntmachung  vom  3.  August  1916,  oben  S.  165.) 

Bekanntmachung  zur  Aenderung  der  Bekanntmachung 
über  die  Einfuhr  von  Kakao  vom  3.  März  1916  (RGBl. 
S.  145).  Vom  20.  November  1916  (RGBl.  S.  1285).  Auf  Grund  der 
Bekanntmachung  vom  11.  November  1915  (RGBl.  S.  750). 

Es  handelt  sich  um  eine  unwesentliche  Aenderung  über  den  Zeitpunkt  des 
Eigentumsüberganges  eingeführter,  von  der  Kriegskakaogesellschaft  übernommener 
Waren.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  3.  März  1916,  Bd.  52,  S.  232,  und  29.  Mai 
1916,  Bd.  53,  S.  184.) 

Bekanntmachung  über  die  Reichsverteilungsstelle  für 
Eier.  Vom  21.  November  1916  (RGBl.  S.  1286).  Auf  Grund  der 
Bekanntmachung  vom  25.  August  1916  (RGBl.  S.  970). 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  321 

Der  Inhalt  der  Bekanntmachung  ist  in  die  Inhaltsangabe  der  Bekannt- 
machung vom  12.  August  1916  (vgl.  oben  S.  168)  eingearbeitet. 

Bekanntmachung  betr.  den  Betrieb  der  Anlagen  der  Groß- 
eisenindustrie.    Vom  23.  November  1916  fRGBl.  S.  1287). 

Die  Bekanntmachung  schiebt  das  Inkrafttreten  der  Vorschriften  einer  Be- 
kanntmachung vom  4.  Mai  1914  (RGBl.  S.  118)  betr.  Arbeitszeiten  und  Ruhe- 
pausen der  Arbeiter  in  Anlagen  der  Großeisenindustrie  vom  1.  Dezember  1916 
(vgl.  hierzu  Bekanntmachung  vom  21.  Oktober  1914,  Bd.  49,  S.  69,  und  29.  Ok- 
tober 1915,  Bd.  51,  S.  367)  auf  den  1.  Dezember  1917  hinaus. 

Bekanntmachung  zur  Aenderung  der  Verordnung  über 
den  Verkehr  mit  Stroh  und  Häcksel  vom  8.  November 
1915  (RGBl.  S.  743).  Vom  23.  November  1916  (RGBl.  S.  1288f.). 
Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Die  Bekanntmachung  vom  8.  November  1915  —  vgl.  Bd.  51,  S.  369  —  wird 
auf  das  Stroh  von  Lupinen,  ferner  Zucker-  und  Runkelrübensamenstroh  ausge- 
dehnt. Die  durch  diese  Bekanntmachung  festgesetzten  Höchstpreise  erfaliren  eme 
Abänderung  und  Ergänzung,  (Vgl.  ferner  Bekanntmachungen  vom  12.  Februar 
1916,  Bd.  52,  S.  228  f.,  28.  Aprü  1916,  Bd.  53,  S.  74,  11.  Mai  1916,  Bd.  53, 
S.  76,  17.  Juni  1916,  Bd.  53,  S.  191.) 

Bekanntmachung  betr.  wirtschaftliche  Vergeltungsmaß- 
regeln gegen  Italien.  Vom  24.  November  1916  (RGBl.  S.  1289f.). 
Auf  Grund  verschiedener  Bekanntmachungen. 

Die  Bekanntmachung  betr.  Zahlungsverbot  gegen  England  vom  30.  Sep- 
ember  1914  —  vgl.  Bd.  49,  S.  67  — ,  die  Bekanntmachung  vom  7.  Oktober  1915 
betr.  Anmeldung  des  im  Inland  befindlichen  Vermögens  von  Angehörigen  feind- 
licher Staaten  —  vgl.  Bd.  51,  S.  360  —  und  die  Bekanntmachung  betr.  zwangs- 
weise Verwaltung  französischer  Unternehmungen  vom  26.  November  1914/10.  Fe- 
bruar 1916  —  vgl.  Bd.  49,  S.  75  f.,  und  Bd.  52,  S.  228  —  finden  mit  gewissen 
Einschränkungen  auf  Italien  Anwendung.  (Vgl.  aber  auch  Bekanntmachung  vom 
24.  August  1916,  oben  S.  172.) 

Bekanntmachung  über  die  Verwendung  von  Chlorzinn  zur 
Beschwerung  von  Seidenwaren.  Vom  23.  November  1916 
(RGBl.  S.  1291  f.).  —  Mit  Ausführungsbestimmungen  vom  gleichen  Tage 
(RGBl.  S.  12921).  Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl. 
&  327). 

Die  Verwendung  von  Chlorzinn  zur  Beschwerung  von  Seidenwaren  wird 
Beschränkungen  bezüglich  des  Gewichts  des  zur  Verwendung  gelangenden  Zinns 
unterworfen.    Die  Einfuhr  höher  beschwerter  Seiden  waren  wird  verboten. 

Bekanntmachung  über  Zement.  Vom  24.  November  1916  (RGBl. 
S.  1294).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  29.  Juni  1916  (RGBl. 
S.  633). 

Lieferungsverträge  über  Zement,  durch  welche  eine  Lieferungspflicht  über 
den  30.  Juni  1917  hinaus  beOTÜndet  wird,  dürfen  vor  dem  1.  Juni  1917  nicht 
abgeschlossen  werden.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  29.  Juni  1916,  Bd.  53,  S.  199, 
Ziffer  a  der  Inhaltsangabe!) 

Bekanntmachung  betr.  die  Prägung  von  Einpfennigstücken 
aus  Aluminium.  Vom  23.  November  1916  (RGBl.  S.  1301).  Auf 
Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Der  Reichskanzler  darf  außerhalb  der  im  Münzgesetz  für  die  Prägung  von 
Kupfermünzen  festgesetzten  Grenze  Einpfennigstücke  aus  Aluminium  im  Betrage 
bis  zu  2  Millionen  M.  ausprägen  lassen.  (Vgl.  Bekanntmachung  vom  22.  De- 
zember 1915,  Bd.  52,  S.  220,  und  11.  Mai  1916,  Bd.  53,  S.  77  f.) 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat,  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  21 


322  NfttionalökonomiBche  Gesetzgebung. 

Bekanntmachung  zur  Aenderung  des  §  7  der  Bekannt- 
machung über  die  Ueberwachung  des  Verkehrs  mit  See- 
muscheln  vom  2.  November  1916.  Vom  26.  November  1916 
(RGBl.  S.  1302).  Auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916 
(RGBl.  S.  401). 

Die  Strafbestimmungen  der  genannten  Bekanntmachung  (vgl.  oben  8.  318) 
werden  geändert. 

Bekanntmachung  über  die  Beaufsichtigung  der  Fischver- 
s orgung.  Vom  28.  November  1916  (RGBl.  S.  1303 f.).  Auf  Grund 
der  Bekanntmachung  vom  22.  Mai  1916  (RGBl.  S.  401). 

Der  Reichskanzler  ernennt  einen  Reichskommissar  für  Fischversorgung,  der 
Bestimmungen  über  die  Preise  und  den  Absatz  von  Fischen  und  Fiscnzuoerei- 
tungen  erlassen  kann.  Unter  anderem  ist  er  befugt,  Fischer,  Händler  und  Her- 
stelkr  von  Fischzubereitungen  zwangsweise  zu  Verbänden  zu  vereinigen.  Als 
Fische  im  Sinne  der  Verordnung  gelten  auch  Krebse,  Hummern,  Krabben  und 
Austern.  (Vgl.  Bekanntmachungen  vom  5.  April  1916,  Bd.  53,  S.  66, 13.  November 
1916,  oben  S.  319,  8.  August  1916,  oben  S.  168.) 

Bekanntmachung  über  Beschaffung  von  Papierholz  für 
Zeitungsdruckpapier.  Vom  30.  November  1916  (RGBl.  S.  1305ff.). 
Auf  Grund  des  Ges.  vom  4.  August  1914  (RGBl.  S.  327). 

Zur  Durchführung  der  Beschaffung  von  Papierholz  für  Zeitimgsdruckpapier 
wird  eine  Reichsstelle  für  Papierholz  G.  m.  b.  H.  begründet.  Sie  erhält  einen 
Aufsichtsrat,  der  aus  behördlichen  Vertretern  und  Vertretern  der  Fachkreise  zu- 
sammengesetzt ist.  Die  nötigen  Mengen  Holz  für  den  Bedarf  bis  zum  31.  Ok- 
tober 1917  müssen  alsbald  gesichert  werden,  und  zwar  werden  sie  vom  Reichs- 
kanzler auf  die  einzelnen  Bundesstaaten  umgelegt.  Jedoch  können  die  Bundes- 
staaten statt  der  Holzlieferung  eine  entsprechende  Zahlung  an  die  Reichsstelle 
leisten.  Das  Reich  leistet  die  entsprechende  Zahlung  für  eine  Holzmenge  in 
Höhe  der  Hälfte  der  insgesamt  sicherzustellenden  Menge.  Die  Reichsstelle 
hat  das  angebotene  Holz  abzunehmen  und  angemessene  üebernahmepreise  zu 
zahlen.  Die  Besitzer  von  Zellstoffabriken  usw.  haben  der  Reichsstelle  bestimmte 
Anzeigen  zu  erstatten.  Die  Reichstelle  kann  anordnen,  daß  ohne  ihre  Greneh- 
migung  Besitzer  von  Zellstoffabriken  usw.  an  ihren  angezeigten  Beständen  keine 
Veränderung  vornehmen  dürfen ;  die  Fabriken  usw.  haben  das  ihr  von  der  Reichs- 
stelle zugewiesene  Papierholz  abzunehmen,  zu  bezahlen,  zu  verarbeiten  und  die 
hergestellten  Erzeugnisse  an  die  ihnen  angegebenen  Stellen  abzuliefern.  Der 
Reichskanzler  kann  Preise  für  Zellstoff,  Holzschliff  imd  Zeitungsdruckpapier  fest- 
setzen. (Vgl.  Bekanntmachung  vom  18.  April  1916,  vgl.  Bd.  53,  S.  72,  und 
22.  August  1916,  oben  S.  172.) 

Bekanntmachung  über  phosphorhaltige  Mineralien  und 
Gesteine.  Vom  30.  November  1916  (RGBl.  S.  1321  f.).  Auf  Grund 
des  Ges.  vom  4.  August  1916  (RGBl.  S.  327). 

Einer  vom  Reichskanzler  bezeichneten  Stelle  obliegt  die  Förderung  der  Ver- 
sorgung des  deutschen  Wirtschaftslebens  mit  Phosphor;  sie  ist  zu  diesem  Zwecke 
befugt,  auf  fremden  Grundstücken  phosphorhaltige  Mineralien  und  Gesteine  auf- 
zusuchen und  zu  gewinnen,  sowie  die  zur  Aufbereitung  erforderlichen  Anlagen 
zu  errichten  und  zu  betreiben ;  ferner  kann  sie  die  Ueberlassung  bestehender  An- 
lagen zur  Aufsuchung  usw.  der  genannten  Gegenstände  zum  Betrieb  auf  eigene 
Rechnung  verlangen.    Den  Interessenten  wird  eine  Entschädigung  gewährt. 

Der  Reichskanzler  kann  ferner  den  Verkehr  mit  Phosphor  und  mit  phos- 
phorhaltigen  Rohstoffen  und  Erzeugnissen  regeln.  (Vgl.  wegen  Höchstpreisen  für 
phosphorhaltige  Düngemittel  die  Bekanntmachung  vom  11.  Januar  1916,  Bd.  52, 
S.  222,  5.  Juni  1916,  Bd.  53,  S.  185,  und  4.  Juli  1916,  Bd.  53,  S.  200.) 


Miszellen.  323 


Miszellen. 


IX. 

Weltkrieg  und  Weltversorgung. 

Von  Otto  Jöhlinger. 

Kurze  Zeit  nach  Ausbruch  des  jetzigen  gewaltigen  Ringens  hat  ein 
verdienter  österreichischer  General  die  neue  Form  des  Kampfes  dahin 
charakterisiert,  daß  er  einen  modernen  Krieg  als  ein  technisches 
Problem  bezeichnete.  Diese  Kennzeichnung  ist  durchaus  zutreffend, 
soweit  die  militärisch-strategische  Seite  in  Betracht  kommt.  Deutsch- 
land würde  ohne  die  gewaltige  technische  üeberlegenheit  in  dem  jetzigen 
Bingen  gegen  eine  Welt  von  Feinden,  trotz  aller  Tapferkeit  der  Soldaten, 
trotz  der  methodischen  Schulung  unseres  Offizierkorps  und  trotz  unserer 
glänzenden  Strategen  nicht  die  gewaltigen  Erfolge  erzielt  haben,  die  wir 
aufzuweisen  haben,  wenn  nicht  zugleich  die  deutsche  Technik  einen 
Sieg  über  die  Feinde  errungen  hätte.  Von  den  Geschützen  der  Firma 
Friedrich  Krupp  bis  zu  den  feinen  Präzisionsmaschinen  der  U-Boote,  von 
den  lenkbaren  Luftschiffen  bis  zu  den  Errungenschaften  der  chemisch- 
technischen Industrie  zeigt  sich  eine  üeberlegenheit  gegenüber  den 
feindlichen  Leistungen,  die  in  ganz  beträchtlichem  Umfang  uns  den 
Sieg  ermöglicht  hat.  Neben  die  Erfolge  unserer  ruhmreichen  Strategen 
treten  die  glänzenden  Leistungen  unserer  Industriellen,  unserer  Erfinder, 
Ingenieure  und  Chemiker. 

Aber  die  Definition,  daß  der  Krieg  ein  technisches  Problem  ist, 
erschöpft  nicht  alle  die  Aufgaben,  die  jetzt  im  Kriege  zu  erfüllen  sind ; 
denn  man  darf  nicht  vergessen,  daß  wir  ja  nicht  nur  einen  militärisch- 
politischen Krieg  gegen  unsere  Gegner  zu  führen  haben,  sondern  daß 
neben  diesem  noch  eine  für  uns  neue  Form  der  Kriegsführung,  der 
Wirtschafts  kämpf,  einherläuft.  Früher  wurden  die  Schlachten  nur 
auf  den  Feldern,  in  den  Festungen  und  zur  See  ausgefochten.  Heute 
ist  jeder  Gewerbezweig,  jede  Werkstatt,  ja  sogar  der  Acker  der  krieg- 
führenden Länder  in  den  Kampf  mithineingezogen.  Hat  man  doch 
kürzlich  mit  Becht  gesagt,  daß  jetzt  sogar  die  Küche  einen  Teil  des 
Schützengrabens  bildet.  Die  Bedeutung  dieses  Wirtschaftskampfes  darf 
man  nicht  unterschätzen ;  ihn  siegreich  zu  beenden,  ist  genau  so  wichtig, 
wie  der  Sieg  im  militärischen  Kampfe.  Was  würde  es  uns  nützen, 
wenn  wir  militärisch  Sieger  bleiben,  wirtschaftlich  aber  so  geschwächt 
werden,  daß  wir  zum  Frieden  gezwungen  sind?  Daher  heißt  es  für 
uns,  unsere  Waffen  im  Wirtschaftskampfe  genau  so  scharf  zu  halten, 
wie   unsere   militärischen   Abwehrmittel.      Freilich   kann   es   sich  nach 

21* 


324  Miszellen. 

der  ganzen  Lage  der  Verhältnisse  für  Deutschland  in  dem  jetzigen  Wirt- 
schaftskriege nicht  um  eine  Offensive,  sondern  um  eine  Verteidigung 
handeln,  d.  h.  die  Kampfmittel  unserer  Gegner  durch  unsere  Leistungs- 
fähigkeit, erhöhte  Arbeitskraft  und  durch  industrielle  Tätigkeit  soweit 
wie  möglich  auszugleichen.  Auch  hier  kommt  die  deutsche  Erfindung, 
die  deutsche  chemisch-technische  Industrie  in  weitem  Umfange  dem 
deutschen  Bedürfnis  entgegen.  Es  braucht  ja  nur  an  die  Herstellung 
des  künstlichen  Salpeters,  die  Verwendung  der  Nebenprodukte  bei  der 
Gasherstellung,  Manganersatz  u.  dgl.  erinnert  zu  werden.  Auch  hier 
kann  man  ohne  Ueberhebung  von  einer  Ueberlegenheit  der  deutschen 
Industrie  gegenüber  der  in  feindlichen  Ländern  sprechen. 

Im  Gegensatz  zu  dem  militärischen  Krieg  stellt  aber  der  Wirt- 
schaftskrieg kein  technisches  Problem  im  reinen  Sinne  des  Wortes  dar. 
Denn  hier  handelt  es  sich  nicht  allein  darum,  welche  Nation  über  die 
besseren  technischen  Methoden  verfügt.  Hier  kommen  vielmehr  zwei 
Gesichtspunkte  in  Betracht,  die  als  technisch  nicht  anzusehen  sind. 
Die  Erfahrungen  des  letzten  Jahres  haben  uns  nämlich  gelehrt,  daß 
der  Wirtschaftskampf  zwei  Probleme  gezeitigt  hat,  die  auf  die  ganze 
Kriegsführung  von  außerordentlich  einschneidender  Bedeutung  sein  können. 
Es  sind  das:  das  Verkehrsproblem  und  das  Arbeiterproblem. 

Das  Verkehrs-Problem  hat  im  jetzigen  Kriege  und  zwar  je 
länger  der  Krieg  dauert,  eine  Bedeutung  erlangt,  wie  nie  zuvor.  Ja 
man  kann  sogar  sagen,  daß  die  Möglichkeit  der  Beförderung  der  Güter 
heute  in  bezug  auf  Wichtigkeit  der  Erzeugung  gleichkommt.  Was 
nützt  es,  wenn  Australien  heute  einen  Ernte-Ueberschuß  von  20  Mill. 
Quarters  hat,  während  in  England  ein  Mangel  an  Getreide  entsteht? 
In  Friedenszeiten  hätte  hier  der  Verkehr  ausgleichend  gewirkt,  indem 
er  die  Ware  von  dem  Orte  der  Erzeugung  zum  Orte  des  Verbrauchs 
überführte.  Heute  ist  das  anders.  Das  Verkehrsproblem  tritt  als  ein 
Faktor  auf,  der  in  dem  Güterumlauf  einschneidende  Veränderungen 
hervorruft.  Heute  kann  ein  Verbrauchsland  nicht  ohne  weiteres  sich 
die  Güter  heranholen,  selbst  wenn  sie  auf  dem  Weltmarkt  im  Ueber- 
fluß  vorhanden  sind.  Es  muß  sich  vielmehr  danach  richten,  ob  die 
Verkehrsmittel  ihm  die  Heranschaffung  der  Güter,  die  notwendig  zur 
Durchhaltung  sind,  gestatten.  Erwägungen  dieser  Art  gelten  sowohl 
für  den  Inlands  verkehr,  als  auch  für  den  Welt  verkehr.  Sie  er- 
strecken sich  nicht  nur  auf  die  großen  überseeischen  Dampfer,  die  von 
Indien,  Australien  und  Argentinien  nach  England  fahren,  sondern  auch 
auf  den  Eisenbahnverkehr  und  sogar  auf  die  Beförderungsmöglichkeit 
innerhalb  einer  einzigen  Stadt.  Nichts  charakterisiert  in  dieser  Hin- 
sicht die  durch  den  Krieg  völlig  veränderten  Verhältnisse  so  anschau- 
lich, wie  ein  Vorkommnis,  das  sich  kürzlich  in  Berlin  ereignete.  Eine 
große  Berliner  Fabrik  besitzt  in  einem  anderen  Stadtteil  Berlins  ein 
Kohlenlager.  Infolge  des  Mangels  an  Gespannen  und  Fuhrwerken  sind 
die  Kosten  für  die  Beförderung  der  Kohlen  innerhalb  Berlins  so  sehr 
gestiegen,  daß  es  für  die  betreffende  Fabrik  billiger  ist,  sich  Kohlen 
per  Bahn  von  Oberschlesien  kommen  zu  lassen,  als  sie  vom  Berliner 
Lager   nach   der  Fabrik  in  Berlin  zu  befördern.     Aehnliche  Transport- 


Miszellen.  325 

verschiebuDgen  dürften  durch    den  Krieg    in  erheblichem  Umfang   auch 
an  anderen  Stellen  zu  bemerken  sein. 

Betrachtet  man  zunächst  einmal  den  Inlandsverkehr  und  hier- 
bei an  erster  Stelle  den  Eisenbahnversand,  so  ergibt  sich,  daß  hier 
durch  den  Krieg  ganz  gewaltige  Veränderungen  hervorgerufen  worden 
sind.  Die  Eisenbahnen  sind  heute  nicht  mehr  imstande,  alle  Güter- 
angebote in  der  Weise  zu  befördern,  wie  in  Friedenszeiten,  ja  es  mußte 
zeitweise  direkt  eine  Sperre  der  Annahme  von  Gütern  verhängt  werden, 
um  zunächst  einmal  die  übernommenen  Transporte  ausführen  zu  können. 
Verhältnismäßig  am  günstigsten  stellt  sich  hierbei  die  Lage  der  Mittel- 
mächte, trotzdem  auch  bei  uns  der  Eisenbahnpark  sehr  großen  Ver- 
ringerungen ausgesetzt  ist.  Günstig  für  uns  ist  die  zentrale  Lage,  die 
es  uns  ermöglicht,  den  ganzen  Eisenbahnverkehr  Deutschlands  und 
Oesterreich-Üngarns  zusammenzufassen,  die  Güterwagen  nach  Bedarf 
so  zu  verteilen,  wie  es  erforderlich  ist,  wenngleich  die  Vereinheitlichung 
der  Leitung  noch  nicht  so  weit  gediehen  ist,  wie  es  im  Interesse  der 
Verhältnisse  angebracht  erscheint.  Wenn  man  sich  aber  vergegenwärtigt, 
was  die  deutsche  Eisenbahnverwaltung  während  des  Krieges  zu  be- 
wältigen hat,  dann  muß  man  sagen,  daß  sie  trotz  aller  Schwierigkeiten, 
trotz  aller  Hemmnisse  und  Verkehrseinschränkungen  das  Problem  recht 
gut  gelöst  hat.  Um  die  Leistungen  unserer  Eisenbahn  zu  erfassen,  muß 
man  sich  vor  Augen  halten,  daß  jetzt  ein  Raumgebiet  befahren  wird, 
welches  das  deutsche  Mutterland  um  eine  Fläche  vergrößert,  die  an 
Umfang  Groß- Britannien  und  Irland  übertrifft.  Denn  unser  Eisenbahn- 
verkehr beschränkt  sich  nicht  wie  in  Friedenszeiten  allein  auf  das 
Reichsgebiet,  er  umfaßt  ja  noch  die  riesigen  Etappen  von  Belgien, 
Nordfrankreich,  Kurland,  Polen,  Serbien,  Montenegro  und  Rumänien. 
Infolge  dieser  Ausdehnung  und  im  Zusammenhang  mit  dem  Bahnver- 
kehr nach  Bulgarien  und  der  Türkei  sind  die  während  des  Krieges  ge- 
leisteten Tonnen-Kilometer  —  trotzdem  der  Binnenhandel  vielfach  nicht 
so  groß  ist  wie  ehedem  —  ganz  wesentlich  höher  als  sonst.  Was 
jetzt  an  Stückgutverkehr  und  Wagenladungen  gegenüber  normalen 
Zeiten  fehlt,  wird  mehr  als  reichlich  ausgeglichen  durch  die  weiten 
Transporte  von  Militär,  sowie  militärischen  Gütern,  die  auf  größeren 
Strecken  fahren  als  in  Friedenszeiten  die  Güter  des  Handels.  Man 
vergegenwärtige  sich  nur  einmal,  welche  Wege  die  Produktionsstoffe 
von  Munition  zu  durchlaufen  haben.  Die  Kohle  kommt  aus  dem  rhei- 
nisch-westfälischen Revier,  das  Eisenerz  aus  dem  Siegerland,  es  wird 
verhüttet  im  Kohlenrevier.  Alsdann  müssen  die  Sendungen  von  Kohle 
und  Eisen  nach  Berlin  gelangen. .  Dort  werden  sie  zu  Granaten  ver- 
arbeitet; sie  kommen  alsdann  zur  Füllanstalt,  um  schließlich  nach  Ga- 
lizien  oder  Kurland  versandt  zu  werden.  Bis  eine  Granate  abgefeuert 
ist,  sind  viele  Tonnen-Kilometer  Wegstrecke  für  Rohstoffe  und  Halb- 
fabrikate zurückgelegt,  wobei  zu  berücksichtigen  ist,  daß  heute  an 
einem  Tage  oft  mehr  Granaten  abgeschossen  werden  als  während  des 
ganzen  Krieges  1870/71.  Zeichnet  man  sich  einmal  die  Wege,  die  die 
Rohstoffe  und  das  Halbfabrikat  von  Munition  und  sonstigen  Kriegs- 
material   in   Deutschland    zu    durchlaufen    haben,    dann   findet   man    ein 


326  Ml8«ellen. 

buntes  Gewirr  von  Linien,  die  die  Landkarte  mit  einem  engmaschigen 
Netz  bedecken.  Gerade  aus  diesem  Grunde  gewinnt  die  Zusammenlegung 
der  Industrien,  die  jetzt  in  einigen  Gewerbezweigen  i  Leder,  Textil  etc.) 
vorgenommen  wird,  immer  größere  Bedeutung,  da  sie  den  Eisenbahn- 
verkehr durch  Konzentration  der  Erzeugung  entlastet. 

Ein  weiteres  Moment,  das  das  Verkehrsproblem  von  Grund  aus 
umgestaltet,  ist  der  fehlende  Seeverkehr.  In  Friedenszeiten  kamen 
auf  dem  Seewege  regelmäßig  große  Mengen  unserer  Einfuhr  an.  Ja 
in  den  weitaus  meisten  Erzeugnissen  überwog  die  Ankunft  der  Güter 
zur  See  den  Import  zu  Lande.  Das  gleiche  gilt  auch  vom  Export.  Im 
Gesamtaußenhandel  Deutschlands  übersteigt  der  Seeverkehr  sehr  stark 
den  Landverkehr.  Kaum  ist  in  Friedenszeiten  aus  Rumänien  Korn  per 
Bahn  bezogen  worden.  Der  Import  von  rumänischem  Getreide  vollzog 
sich  derart,  daß  die  Ware  in  Rumänien  ins  Schiff  verladen,  durch  die 
Dardanellen  oder  das  Mittelländische  Meer  über  Gibraltar  nach  einem 
deutschen  oder  holländischen  Seehafen  versandt  wurde.  Trotz  dieses 
großen  Umweges  um  Südeuropa  herum  stellte  sich  der  Bezug  immer 
noch  erheblich  billiger,  als  der  Versand  per  Bahn.  Der  jetzige  Krieg 
hat  nun  den  Seeverkehr  in  der  Nordsee  so  gut  wie  lahmgelegt,  und  in- 
folgedessen müssen  alle  Güter,  die  sonst  per  Schiff  nach  Deutsch- 
land gelangten,  bei  der  Einfuhr  nach  Deutschland  per  Bahn  verladen 
werden.  Dadurch  werden  gewaltige  Anforderungen  an  unseren  Wagen- 
park gestellt.  Aber  nicht  nur  das.  Zahllose  Güter,  die  früher  aus 
dem  Auslande  per  Schiff  in  das  Herz  Deutschlands  gelangten,  müssen 
jetzt  durch  eigene  Erzeugung  ersetzt  und  mit  der  Bahn  herangeholt 
werden.  Ein  Beispiel  hierfür  ist  die  englische  Kohle.  In 
Friedenszeiten  wurden  große  Mengen  englicher  Kohle  auf  dem  Schiffs 
wege  nach  Hamburg  und  von  da  nach  Berlin  versandt.  Jetzt  muß 
die  Berliner  Industrie  aus  Westfalen  und  Oberschlesien  Kohlen  be- 
ziehen, wodurch  die  Kohlenversendungen  der  Bahn  gegen  früher  einen 
ganz  erheblich  größeren  Umfang  angenommen  haben.  Aehnlich  ist  es 
mit  Getreide.  Der  Westen  Deutschlands  bezog  sein  Getreide  auf  dem 
Seewege  über  Holland  und  Belgien  aus  dem  Auslande.  Heute  muß 
Westdeutschland  seinen  Roggen  und  Weizen  per  Bahn  von  Ostpreußen 
nach  Düsseldorf  beziehen,  wodurch  neue  Eisenbahntransporte  notwendig 
werden.  Hierbei  rächt  sich  freilich,  daß  man  seinerzeit  das  deutsche 
Kanalsystem  nicht  ausgebaut  hat,  da  hierdurch,  wie  ja  auch  der 
Eisenbahnminister  Breitenbach  kürzlich  im  Landtage  zugab,  die  Eisen- 
bahn eine  sehr  erhebliche  Entlastung  erfahren  hätte.  Kurz  und  gut, 
die  Verhältnisse  sind  für  Deutschland  von  Grund  auf  verändert,  was 
man  unbedingt  berücksichtigen  muß,  wenn  man  ein  Urteil  über  unsere 
Verkehrspolitik  und  deren  Ergebnisse  fällen  will. 

Prüft  man  alle  die  erwähnten  Verhältnisse,  dann  wird  man  zugeben, 
daß  angesichts  der  außerordentlichen  Inanspruchnahme  unseres  Eisen- 
bahnparks das  Verkehrsproblem  bei  uns  zufriedenstellend  gelöst  ist. 
Das  schließt  nicht  aus,  daß,  je  länger  der  Krieg  dauert,  die  Schwierig- 
keiten auf  diesem  Gebiet  auch  für  uns  immer  größer  werden  müssen 
und  daß,    wie  ja  die  Kohlenversorgung   im  letzten  Winter  gezeigt   hat, 


Miszellen.  327 

es  für  uns  von  steigender  Bedeutung  ist,  die  Wünsche  der  Verbraucher 
nach  Bewältigung  des  Verkehrs  in  den  wichtigsten  Gütern  zu  befriedigen. 
Je  länger  der  Krieg  dauert,  um  so  mehr  nützen  sich  unsere  Betriebs- 
materialien, unsere  Maschinen  und  Lokomotiven  ab,  und  um  so  schwerer 
ist  es,  für  Ersatz  zu  sorgen  oder  notwendige  Reparaturen  vorzunehmen. 
Wir  sind  vielmehr  darauf  angewiesen,  das  Vorhandene  so  weit  wie 
möglich  auszunützen,  und  daß  diese  Ausnützung  auf  Kosten  des  Mate- 
rials erfolgt,  bedarf  keiner  Erwähnung.  Für  die  kommende  Kriegszeit 
muß  man  daher  das  Verkehrsproblem  mit  in  den  Vordergrund  unserer 
Kriegswirtschaftspolitik  stellen,  und  ebenso  wie  man  den  Luxusbedarf 
von  dem  notwendigen  Bedarf  während  des  Krieges  unterschieden  hat, 
muß  man  bei  Versendungen  zwischen  Luxusversand  und  not- 
wendigem Versand  unterscheiden.  Es  wird  vielleicht  erforderlich 
sein,  gewisse  Güter  zu  klassifizieren,  wie  z.  B.  Getreide,  Mehl,  Kohlen 
und  Kriegsmaterial  in  die  erste  Klasse,  andere  Güter,  die  leichter 
entbehrlich  sind,  in  die  zweite  Klasse,  wieder  andere,  wie  Wein,  in 
eine  untere  Klasse  zu  setzen  und  nach  dieser  Art  der  Einteilung 
die  Beförderung  der  Güter  zu  bewirken.  Es  genügt  für  uns  nicht,  daß 
wir  produzieren.  Wir  müssen  auch  in  den  Stand  gesetzt  werden,  unsere 
Produkte  so  zu  verteilen  und  vor  allem  zu  befördern,  daß  nirgends  ein 
Mangel  entsteht,  und  das  wird  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  für  die 
kommenden  Monate  sein. 

Macht  nun,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Lösung  des  Verkehrsproblems 
schon  bei  uns  trotz  unserer  zentralen  Lage  und  der  straffen  Organisation 
große  Schwierigkeiten,  so  sind  die  Hemmnisse  bei  unseren  Gegnern 
ganz  wesentlich  größer;  denn  unsere  Gegner  können  nicht,  so  wie  die 
Zentralmächte,  ihren  Wagenpark  vereinigen  und  einen  eventuellen  Mangel 
auf  der  einen  Seite  durch  üeberfluß  auf  der  anderen  Seite  ausgleichen. 
Wenn  in  Ostengland  Wagen  übrig  sind,  so  wird  dadurch  die  Kalami- 
tät in  Südrußland  nicht  im  mindesten  verbessert,  und  ein  Waggonmangel 
in  Frankreich  kann  durch  englische  Waggons  ebensowenig  ausge- 
glichen werden.  Besonders  stark  treten  nun  die  Schwierigkeiten  des 
Verkehrsproblems  in  Frankreich  und  Rußland  in  Erscheinung. 
Die  französische  Kohlenkrise  ist  zu  einem  ganz  erheblichen  Teil  nicht 
nur  die  Folge  des  Mangels  an  Kohlen,  sondern  die  Folge  des  Waggon- 
mangels. Dadurch,  daß  Frankreich  nicht  über  genügend  Waggons  ver- 
fügt (ein  nicht  kleiner  Prozentsatz  ist  seinerzeit  den  deutschen  Truppen 
in  die  Hände  gefallen),  ist  es  nicht  in  der  Lage,  die  Güter  aus  den 
Hafenplätzen  nach  dem  Innern  abzutransportieren.  Daher  entstehen 
die  großen  Güterstauungen  in  Marseille  und  anderen  Häfen,  die  übrigens 
auch  in  Liverpool,  Manchester  und  Hüll  eingetreten  sind. 

Daß  die  russische  Hungersnot  zu  einem  großen  Teil  eine  Folge 
der  Transportkrise  ist,  bedarf  keiner  besonderen  Erwähnung.  Denn  in 
keinem  europäischen  Lande  ist  der  Wagenpark,  umgerechnet  auf  die 
Größe  des  Landes,  so  klein,  ist  das  Eisenbahnnetz  so  wenig  dicht  wie 
in  Rußland.  Zwar  scheinen  die  Beurteiler  der  russischen  Verhältnisse, 
die  behaupten,  daß  Rußland  schon  seit  Jahren  ganz  erheblich  weniger 
Getreide  erzeugt,   als  man  gemeinhin  angenommen  hat,   recht  zu  haben. 


328  MiBzellen. 

Denn  die  großen  Getreideexporte  Rußlande  in  Friedenszeiten  waren  nur 
dadurch  möglich,  daß  man  dem  Bauer  im  Innern  Rußlands  das  Getreide 
fortgenommen  hat  und  ihn  hungern  ließ,  um  so  nach  außen  hin  mit 
einer  schönen  Handelsbilanz  prunken  zu  können.  Die  „Konkurrenz  des 
Hungers"  trat  hier  besonders  in  Erscheinung.  Im  Innern  Rußlands 
wurde  gehungert,  um  durch  eine  Ausfuhr  von  Brot  die  Zinsen  der  ge- 
waltigen Schuldenlast  zu  zahlen.  Nichtsdestoweniger  ist  die  Getreide- 
erzeugung Rußlands  immer  noch  so  groß,  daß  eine  Hungersnot  unter 
normalen  Verhältnissen  in  dem  Maße  nicht  hätte  eintreten  können.  Der 
Krieg,  der  ja  nicht  nur  der  „Vater  aller  Dinge",  sondern  auch  der 
Prüfstein  der  Wirtschaftsverhältnisse  ist,  hat  nun  gezeigt,  daß  das 
russische  Eisenbahnsystem  den  Verhältnissen  absolut  nicht  gewachsen 
ist.  Ganz  abgesehen  davon,  daß  es  unmöglich  ist,  Getreide  von  Odessa 
nach  Petersburg  mit  der  Bahn  zu  versenden,  ist  der  Schienenstrang  so 
überlastet,  daß  die  notwendigen  Nahrungsmittelversendungen  selbst  auf 
kurzen  Strecken  nicht  vorgenommen  werden  konnten.  Nur  so  erklärt 
es  sich,  daß  nach  russischen  Pressemeldungen  die  Russen  Güterzüge  in 
die  Luft  gesprengt  haben,  um  die  Geleise  frei  zu  bekommen,  daß  in 
Sibirien  Getreide  verfaulte,  während  in  Petersburg  und  Moskau  Hunger- 
unruhen entstanden.  Mögen  auch  die  Getreidemengen,  die  in  Rußland 
zur  Verfügung  stehen,  nicht  so  groß  sein,  wie  man  gemeinhin  ange- 
nommen hat,  sie  würden  bei  planmäßiger  Organisation  und  bei  günstig 
gestalteten  Verkehrsverhältnissen  genügt  haben,  um  ein  Land  wie  das 
Russische  Reich  vor  Hungersnot  zu  bewahren.  Da  das  aber  nicht 
möglich  war,  so  hat  hier  das  Verkehrsproblem  mit  den  Grund  zu  den 
jetzigen  katastrophalen  Umwälzungen  gelegt. 

Wie  schon  erwähnt,  beschränkt  sich  aber  das  Verkehrsproblem 
nicht  nur  auf  den  Landverkehr.  Das  gleiche,  was  für  den  Binnen- 
verkehr gesagt  wurde,  gilt  auch  für  den  Seetransport.  Ja  man 
kann  sogar  sagen,  daß  die  Verhältnisse,  die  in  der  Seeschiffahrt  jetzt 
herrschen,  von  ausschlaggebender  Bedeutung  für  den  Krieg  sein  können, 
namentlich  dann,  wenn  es  unserem  Hauptgegner  England  nicht  gelingt, 
das  Problem  der  Transportierung  der  Güter  von  den  Erzeugungsstätten 
nach  dem  Inselreiche  zu  lösen.  Infolge  des  Fehlens  der  deutschen  und 
österreichischen  Flotte  ist  die  Welthandelsflotte  ganz  erheblich  reduziert 
worden.  Dieser  Bestand  wird  noch  verringert  durch  sehr  umfangreiche 
Versenkungen  von  Handelsdampfern,  die  ihrem  Tonnengehalt  nach  bereits 
jetzt  die  Größe  der  deutschen  Flotte  in  Friedenszeiten  übertreffen.  Hinzu 
kommt,  daß  England  eine  sehr  große  Zahl  von  Schiffen  (zeitweise  bis 
über  40  Proz.)  in  den  Dienst  der  Admiralität  gestellt  hat  und  dadurch  der 
Beförderung  von  Lebensmitteln  entzog.  Die  großen  überseeischen  Ex- 
peditionen, wie  z.  B.  die  Dardanellen-Expedition,  Saloniki,  Arabien,  das 
Vorgehen  in  Kleinasien,  die  Sicherung  des  Suez-Kanals  stellten  gewaltige 
Anforderungen  an  den  britischen  Schiffspark.  So  kommt  es,  daß  heute 
die  Raummenge,  die  England  für  seinen  Bezug  aus  Uebersee  zur  Ver- 
fügung steht,  nur  einen  Bruchteil  dessen  beträgt,  was  in  Friedenszeiten 
das  Weltmeer  befährt.  Rein  äußerlich  kommt  das  zum  Ausdruck  in 
dem  gewaltigen  Anschwellen  der  Frachtsätze.     Kostet  doch  gegenwärtig 


I 


Miszellen.  329. 

eine  Sendung  Weizen  von  Argentinien  nach  Europa  rund  150  M.  Fracht 
für  die  Tonne,  während  in  Friedenszeiten  der  Satz  10 — 12  M.  war,  ja 
der  Frachtsatz  für  Mais  ist  heute  sogar  höher  als  der  Preis  für  Mais 
überhaupt.  Infolge  dieser  Verschiebungen  spielt  jetzt  die  Seefracht- 
rate eine  ganz  andere  Rolle.  Sonst  machte  die  Fracht  in  der  Regel 
I-IY2  Proz.  des  Preises  aus,  augenblicklich  beträgt  sie  30  Proz.,  oft 
sogar  50  Proz.,  bei  Mais  sogar  über  100  Proz.  des  Preises.  Die  Fracht 
ist  ein  Kalkulationsfaktor  geworden,  wie  man  ihn  früher  nicht  ge- 
kannt hat. 

Aber  wie  im  Kriege  das  Preisproblem  hinter  das  Vorratsproblem 
zurücktritt,  so  tritt  der  Frachtsatz  in  bezug  auf  Wichtigkeit  zurück 
hinter  die  Tonnage.  Es  kommt  für  England  weniger  darauf  an,  ob  die 
Weizenfracht  100  M.,  150  M.  oder  200  M.  beträgt,  viel  wichtiger  ist 
für  Großbritannien,  ob  es  überhaupt  gelingt,  Weizen  oder  Mais  heran- 
zuschaffen. Gerade  in  diesem  Punkte  tritt  das  Verkehrsproblem  in 
ein  kritisches  Stadium,  und  die  Weiterführung  des  Krieges  kann 
für  England  dadurch  unmöglich  gemacht  werden,  daß  die  Lösung  des 
Frachtenproblems  scheitert.  Gelingt  es  England  nicht,  so  viel  Schiffe 
frei  zu  bekommen,  um  nur  den  notwendigsten  Bedarf  zu  decken,  dann 
ist  es  außerstande,  den  Krieg  fortzusetzen.  Dabei  gestalten  sich  für 
England  die  Verhältnisse  besonders  schwierig,  weil  in  den  Bezugsländern 
Englands  eine  einschneidende  Verschiebung  eingetreten  ist.  Rußland 
kommt  als  Lieferant  nicht  in  Betracht.  Nordamerika  kann  nicht  ge- 
nügend liefern,  Argentinien  hat  ein  Ausfuhrverbot  erlassen.  Es  ver- 
bleiben für  die  Versorgung  in  der  Hauptsache  Australien  und  Indien. 
Beide  Produktionsgebiete  sind  aber  von  Großbritannien  so  weit  entfernt, 
daß  sie  mit  ihrer  vollen  Erzeugung  für  die  Versorgung  Großbritanniens 
gar  nicht  in  Anrechnung  gebracht  werden  können.  Um  Weizen  von 
Australien  nach  England  zu  befördern,  sind  6mal  so  viel  Dampfer  not- 
wendig, wie  für  das  gleiche  Quantum  von  Nordamerika  nach  England. 
England  wäre  also  auch  ohne  äußere  Beeinträchtigung  nicht  in  der  Lage 
gewesen,  das  Verkehrsproblem  zu  lösen.  Auf  diese  komplizierten  Ver- 
hältnisse wirkt  nun  der  U-Boot-Krieg  ein,  und  man  muß  sagen,  daß, 
rein  wirtschaftlich  betrachtet,  die  Verhältnisse  noch  nie  so  günstig  ge- 
wesen sind  wie  diesmal.  England  befindet  sich  in  einer  außergewöhn- 
lichen Zwangslage,  und  der  Mangel  an  Schiffsraum  bewirkt,  daß  heute 
jede  versenkte  Registertonne  mindestens  die  vierfache  Wirkung  ausübt 
wie  in  Friedenszeiten.  Gelingt  es,  woran  wir  nicht  zweifeln,  die  Er- 
folge des  U-Boot-Krieges  auf  der  bisherigen  Höhe  zu  halten,  dann  wird 
England  in  solche  Schwierigkeiten  gebracht,  wie  sie  noch  nie  zu  be- 
obachten waren.  Gerade  hier  sehen  wir,  welche  Rolle  das  Transport- 
problem spielt.  Auf  der  einen  Seite  finden  wir  in  Australien  und 
Indien  große  Vorräte,  auf  der  anderen  Seite  ein  Mutterland,  das  unter 
starkem  Mangel  zu  leiden  hat,  weil  es  nicht  in  der  Lage  ist,  das  Ver- 
kehrsproblem in  genügender  Weise  zu  bewältigen. 

Sieht  man  nun  aus  Vorstehendem,  von  wie  gewaltiger  Wirkung 
das  Verkehrswesen  im  Kriege  ist,  so  kann  das  gleiche  auch  von  dem 
zweiten  Faktor  gesagt  werden,   und  das    ist    das  Arbeiterproblem. 


330  Miszellen. 

Früher  hieß  es,  daß  ein  Krieg  nicht  sehr  lange  dauern  könne,  weil  da- 
durch eine  Arbeitslosigkeit  entstände  und  diese  die  Massen  zu  einer 
gewaltsanaen  Herbeiführung  des  Friedens  zwingen  würde.  Wie  ganz 
anders  ist  es  gekommen!  An  keiner  Stelle  der  Welt  ist  Arbeitslosig- 
keit, überall  ertönt  der  Ruf  nach  Arbeitskräften.  In  Deutschland  hat 
man  das  Zivildienst-Gesetz  eingeführt,  das  jede  Hand,  die  zu  arbeiten 
imstande  ist,  zur  Arbeit  heranziehen  kann.  England  besitzt  schon  längst 
ein  Zwangsgesetz  für  Arbeiter;  in  Frankreich  wird  man  bald  ähnliche 
Verordnungen  erlassen  müssen.  Die  Ursache  dieser  völligen  Verände- 
rung liegt  klar  zutage.  Sie  ist  zunächst  darauf  zurückzuführen,  daß  der 
jetzige  Weltkrieg  Heere  gezeitigt  hat,  die  so  groß  sind,  wie  vielleicht  die- 
jenigen in  allen  Kriegen,  die  die  Weltgeschichte  kennt,  zusammen.  Vor 
einiger  Zeit  hat  eine  englische  Zeitschrift  die  gesamte,  unter  den  Waffen 
stehende  Mannschaft  der  kriegführenden  Staaten  auf  50  Mill.  Menschen 
geschätzt.  Vielleicht  ist  sogar  auch  diese  Ziffer  noch  zu  niedrig  ge- 
griffen. Zieht  man  50  Millionen  Menschen  aus  ihren  Werkstätten,  Fa- 
briken, Schreibstuben  heraus,  dann  entsteht  eine  Lücke,  für  die  eine 
„Reservearmee"  nicht  vorhanden  ist.  Denn  von  diesen  50  Millionen 
Menschen  übt  der  weitaus  größte  Teil  —  abgesehen  von  Schülern,  Stu- 
denten und  dergleichen  —  eine  produktive  Tätigkeit  aus.  Ersatzkräfte 
sind  kaum  vorhanden;  denn  wenn  auch  durch  den  Krieg  gewisse  In- 
dustrien zum  Stillliegen  gekommen  sind,  so  ist  deren  Zahl  doch  er- 
heblich geringer  als  die  Zahl  der  Industrien,  an  die  der  Krieg  erhöhte 
Anforderungen  stellt.  Darüber  hinaus  hat  die  „Mobilisierung  der  Dreh- 
bank" so  zahllose  Arbeitshände  an  sich  gerissen,  daß  von  einer  Arbeits- 
losigkeit keine  Rede  mehr  sein  kann.  Aber  nicht  nur  die  Zahl  der 
Arbeitskräfte,  die  hinter  der  Front  tätig  sind  —  man  denke  nur 
an  die  Heranziehung  der  Frauen  —  sondern  auch  die  Arbeitsinten- 
sität aller  Arbeiter,  einschließlich  der  geistigen,  ist  heute  ein  Viel- 
faches von  dem,  was  im  Frieden  geleistet  wird.  So  sehen  wir,  daß  der 
Arbeitsprozeß  von  Grund  auf  eine  Veränderung  erfahren  hat.  Derartige 
Umwälzungen  können  nun  niemals  ohne  Rückwirkung  auf  andere  Teile 
sein,  und  so  sehen  wir  denn  als  leidenden  Teil  dieser  hochgespannten 
Tätigkeit  allenthalben  die  Landwirtschaft.  Die  wenigen  freien 
Kräfte,  die  zum  Ersatz  vorhanden  waren,  strömen  der  Munitionsindustrie 
und  den  großstädtischen  Betrieben,  Straßenbahn,  Eisenbahn,  Post  und 
dergleichen  zu.  Die  Landwirtschaft  hat  demgegenüber  einen  verhältnis- 
mäßig geringen  Zustrom  erfahren,  und  das  gilt  nicht  nur  für  Deutsch- 
land, sondern  für  die  ganze  Weltwirtschaft.  Die  Frauen  und  erwachsenen 
Familienmitglieder  der  Landwirte  waren  auch  in  Friedenszeiten  schon 
in  der  Landwirtschaft  tätig.  Hier  kommt  also  rein  zahlenmäßig  eine 
erhebliche  Steigerung  der  verfügbaren  Kräfte  kaum  zum  Ausdruck.  Ge- 
stiegen sind  hier  nur  die  Arbeitsleistungen  des  Einzelnen.  Infolgedessen 
gewinnt  das  Arbeiterproblem  in  der  Landwirtschaft  eine  Bedeutung, 
welche  die  in  Friedenszeiten  ganz  erheblich  übersteigt.  Auch  schon 
im  Frieden  hat  sich  der  Leutemangel  in  der  Landwirtschaft  infolge  der 
Abwanderung  nach  den  Großstädten  stets  unangenehm  bemerkbar  ge- 
macht.    Jetzt    im  Kriege    ist  das    aber    in  sehr  gesteigertem  Maße  der 


Miszellen.  331 

Fall.  Zwar  stellen  sich  hier  die  Verhältnisse  bei  den  Zentral- 
mächten günstiger  als  bei  unseren  Gegnern,  weil  wir  eine  hochent- 
wickelte Landwirtschaft  haben,  die  zu  einem  erheblichen  Teil  schon  in 
Friedenszeiten  sich  die  Fortschritte  der  Technik  zu  eigen  gemacht 
hat  (Dampfpflug,  Motorpflug,  Dreschmaschine  u.  dgl.)  Hinzu  kommt, 
daß  uns  1^  Millionen  Kriegsgefangene  zur  Verfügung  stehen,  die  in 
nicht  geringem  Maße  in  der  Landwirtschaft  Verwendung  finden. 
Freilich  leistet  in  der  Regel  ein  Kriegsgefangener  nicht  das  gleiche 
Arbeitsquantum,  wie  der  deutsche  Arbeiter,  vielfach  sogar  nur  ein 
Drittel.  Immerhin  bedeutet  die  Heranziehung  der  Kriegsgefangenen 
eine  Entlastung.  Aber  dem  steht  gegenüber,  daß  die  Landwirtschaft 
nicht  nur  unter  dem  Mangel  an  menschlichen  Arbeitskräften  leidet, 
sondern  auch  unter  dem  Mangel  an  Hilfsmaterialien.  Es  fehlen  ihr  die 
Gespanne,  die  Pferde  und  andere  Zugtiere.  Es  fehlen  ferner  Fuhrwerke 
und  sonstige  Hilfsmittel,  und  das  muß  sich  jetzt  bei  den  veränderten 
Verhältnissen  besonders  bemerkbar  machen. 

Wieviel  empfindlicher  trifft  aber  das  Arbeiterproblem  unsere  Gegner! 
England  hat  schon  seit  Jahrzehnten  die  Landwirtschaft  gegenüber  der 
Industrie  systematisch  vernachlässigt,  und  das  Verlorene  läßt  sich  eben- 
sowenig im  Handumdrehen  wieder  einholen,  wie  man  Armeen  aus  der 
Erde  stampfen  kann.  Wenn  man  auch  in  England  jetzt  zu  allen  mög- 
lichen Hilfsmitteln  seine  Zuflucht  nimmt  (Feldbestellung  bei  Nacht  mit 
Acetylenbeleuchtung,  Aufhebung  der  Feiertage  für  die  Landwirtschaft), 
so  wird  es  doch  nicht  möglich  sein,  die  landwirtschaftliche  Erzeugung 
auch  nur  annähernd  auf  eine  solche  Höhe  zu  bringen,  wie  sie  vor  50 
Jahren  gewesen  ist.  Die  Anbaufläche  Englands  ist  heute  ganz  erheblich 
kleiner,  als  sie  zur  Zeit  der  Blüte  der  englischen  Landwirtschaft  war, 
die  Ernten  ganz  wesentlich  kleiner. 

In  gleicher  Weise  wie  in  England  macht  sich  das  Problem  der 
Arbeiterbeschaffung  in  Frankreich  bemerkbar.  Das  ist  ja  auch  nicht 
weiter  verwunderlich,  wenn  man  bedenkt,  daß  in  keinem  kriegführenden 
Staat  der  Prozentsatz  der  ausgehobenen  Mannschaften  so  groß  ist  wie 
gerade  dort.  Gewiß  ist  die  französische  Armee  absolut  kleiner  als 
die  deutsche;  aber  die  französische  Bevölkerung  ist  schon  im  Frieden 
um  ca.  30  Millionen  weniger  als  die  unserige.  Hinzu  kommt,  daß 
Frankreich  deshalb  erhöhte  Anstrengungen  machen  muß,  weil  die  frucht- 
barsten Gebiete  des  Landes  von  den  Deutschen  besetzt  sind,  wodurch 
die  Erzeugung  in  Frankreich  ohnehin  stark  zurückgeht.  Alle  Hilfs- 
mittel, wie  Anbauprämien  und  dergleichen,  haben  es  nicht  vermocht,  in 
den  nicht  besetzten  Gebieten  Frankreichs  die  Erzeugung  auf  der  alten 
Höhe  zu  halten.  Die  Produktion  geht  mit  jedem  Kriegsjahr  weiter 
zurück,  so  daß  auch  hier  im  Laufe  der  Zeit  eine  Katastrophe  unaus- 
bleiblich ist. 

Wie  in  Rußland  die  Verhältnisse  liegen,  ist  bekannt.  Trotzdem 
Rußland  über  erheblich  mehr  Menschen  verfügt  als  die  Zentralmächte 
zusammen,  macht  sich  hier  die  Mobilisierung  der  russischen  Armee  viel 
fühlbarer,  als  bei  uns.  Denn  in  einem  rein  agrarischen  Lande,  wie  es 
Rußland   darstellt,    kann   unmöglich   die  Mobilisierung  von   ca.  8  Proz. 


332  Miszellen. 

der  Bevölkerung  ohne  schwere  Erschütterungen  der  Volkswirtschaft 
vor  sich  gehen.  Das  ist  um  so  weniger  möglich,  weil  angesichts 
des  Mangels  an  Maschinen  die  Arbeitskräfte  des  einzelnen  Mannes 
eine  ganz  andere  Rolle  spielen  als  bei  uns.  In  Rußland  sind  die 
Fortschritte  der  Landwirtschaftstechnik,  die  in  Deutschland  schon 
seit  Jahren  vertraut  sind,  völlig  unbekannt.  Hier  kennt  man  nicht  den 
Motorpflug,  die  Dampfmaschine  und  dergleichen.  Deshalb  fehlen  in 
Rußland  viel  mehr  Produktionsfaktoren  als  bei  uns.  Hinzu  kommt  ein 
Moment,  das  lediglich  eine  Folge  des  russischen  Wirtschaftsdilettan- 
tismus ist,  der  in  diesem  Kriege  besonders  kraß  in  die  Erscheinung 
tritt:  Geleitet  von  einem  blinden  Haß  gegen  alles,  was  deutsch  heißt 
oder  deutscher  Abstammung  ist,  hat  Rußland  während  des  Krieges  in 
immer  weiterem  Umfange  Deutsche  von  ihrem  Besitze  vertrieben.  Es 
hat  deutsche  Aktionäre  enteignet,  deutsche  Unternehmungen  aufgelöst. 
Es  hat  ferner  auch  die  zahlreichen  deutschen  Kolonisten,  die  seit  Jahr- 
hunderten im  Innern  und  im  Süden  Rußlands  ansässig  waren,  von  den 
Ländereien  verjagt  und  ihren  Besitz  sequestriert.  Nun  waren  gerade 
die  deutschen  Kolonisten  nicht  nur  die  arbeitsamsten,  sondern  auch  die 
erfolgreichsten  Landwirte  in  Rußland.  Man  schlachtete  also 
die  Henne,  die  die  goldenen  Eier  legte.  Die  Folgen  blieben  denn 
auch  nicht  aus.  Kaum  waren  die  Deutschen  von  ihrem  Besitze  ver- 
trieben, da  zeigte  es  sich,  daß  in  vielen  Gouvernements  die  Anbaufläche 
um  50  Proz.  hinter  der  normalen  Ziffer  zurückblieb.  Man  hatte  keine 
Ersatzkräfte  für  die  vertriebenen  Deutschen,  denn  die  im  Lande  zurück- 
gebliebene russische  Bevölkerung  war  nicht  imstande,  das  Land  zu  be- 
stellen, das  ehedem  den  Deutschen  gehört  hatte.  Infolgedessen  rief 
man  nach  kurzer  Zeit  einen  großen  Teil  der  vertriebenen  Kolonisten 
zurück  und  verpachtete  ihnen  den  früheren  Besitz  zur  Bestellung  weiter. 
Aber  der  Fehler  war  einmal  gemacht,  die  Anbaufläche  blieb  weit  hinter 
den  früheren  Jahren  zurück. 

Schon  in  Friedenszeiten  verdient  die  russische  Erntestatistik  das 
größte  Mißtrauen.  Es  hat  sich  gezeigt,  daß  alle  Angaben,  sowohl  über 
Anbau,  wie  auch  über  Erträge,  völlig  falsch  waren.  Das  ist  ja,  wenn 
man  die  Grundlage  der  russischen  Statistik  kennt,  kein  Wunder.  Jetzt 
während  des  Krieges  zeigt  es  sich  nun,  daß  die  ohnehin  unzuverlässigen 
Produktionsziffern  eine  ständig  sinkende  Tendenz  zeigen,  daß  die  Er- 
träge viel  stärker  gefallen  sind,  als  die  Anbaufläche  abgenommen  hat. 
Auch  das  muß  sich  mit  jedem  weiteren  Kriegswinter  vergrößern.  Denn 
Rußland  ist  nicht  imstande,  während  seine  Millionenheere  an  der  Grenze 
stehen,  das  Arbeiterproblem  zu  lösen. 

Nun  würden  in  der  Tatsache,  daß  bei  den  kriegführenden  Ländern 
in  Europa  die  Anbaufläche  und  damit  die  Erträge  ständig  zurückgehen, 
an  sich  die  kritischen  Verhältnisse  des  Weltgetreidemarktes  noch  nicht 
eine  genügende  Begründung  finden.  Denn  die  gesamten  kriegführenden 
Länder  produzieren  einschließlich  Rußlands  nur  einen  Teil  der  gesamten 
Welternte.  Alle  anderen  Länder  zusammen  bringen  viel  mehr  Getreide 
hervor.  Denn  die  Weltgetreideernte  in  Weizen  schwankt  im  Durch- 
schnitt   zwischen    460    und    450    Mill.    Quarters,    wovon    ganz    Europa 


Miszellen.  333 

250 — 280  Mill.  Quarters  erzeugt.  Unter  normalen  Verhältnissen  würde 
also  die  nicht-europäische  Welt  in  der  Lage  sein,  das  Defizit  in  der 
Getreideversorgung  der  Alliierten  auszugleichen,  namentlich  da  ja  die 
Zentralmächte  mit  ihren  Ansprüchen  ausgeschaltet  sind.  Die  Entwick- 
lung der  Verhältnisse  hat  es  aber  mit  sich  gebracht,  daß  der  Welt- 
krieg sich  in  den  entlegensten  Gegenden  empfindlich  fühlbar  macht. 
Denn  der  jetzige  Krieg  ist  ja  kein  gewöhnlicher  Landkrieg,  wie  es 
beispielsweise  der  deutsch-französische  Krieg  oder  der  Krimkrieg  ge- 
wesen ist,  sondern  er  ist  ein  Kampf,  in  den  wirtschaftlich  die  fernsten 
Gebiete  der  Welt  hereingezogen  werden.  Selbst  Länder,  die  weder 
direkt  noch  indirekt  mit  dem  Kriege  im  Zusammenhang  stehen,  werden 
durch  ihn  erheblich  getroffen. 

Besonders  betroffen  wird  nun  von  diesen  Verhältnissen  Amerika, 
und  zwar  gilt  das  sowohl  für  Kanada  und  die  Vereinigten  Staaten,  als 
auch  für  Argentinien.  Diese  Gebiete  bringen  in  Friedenszeiten  sehr 
erhebliche  Weizenmengen  hervor.  Fast  ein  Drittel  der  Welterzeugung 
entfällt  auf  diese  Produktionsgebiete.  Während  des  Krieges  ist  nun 
die  Erzeugung  in  diesen  Ländern  sehr  gesunken,  und  das  ist  nicht  etwa 
nur  die  Folge  einer  ungünstigen  Witterung,  die  während  des  Krieges 
allenthalben  zu  beobachten  war,  sondern  es  ist  in  erster  Reihe  dem 
Arbeiterproblem  zuzuschreiben. 

Zunächst  machen  sich  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika 
dieselben  Erscheinungen  bemerkbar  wie  in  Deutschland,  d.  h.  die 
Abwanderung  von  der  Landwirtschaft  zur  „Drehbank".  Die  ßiesen- 
gewinne,  welche  die  amerikanische  Munitionsindustrie  bisher  erzielte, 
setzte  sie  in  den  Stand,  anormale  Löhne  zu  zahlen  und  damit  er- 
höhte Mengen  von  Arbeitskräften  aus  der  Landwirtschaft  herauszu- 
ziehen. Das  muß  sich  um  so  mehr  fühlbar  machen,  als  gleichzeitig 
die  fremden  Arbeiter  ausgeblieben  sind.  Denn  in  der  Landwirtschaft 
der  überseeischen  Neuländer,  vor  allem  in  Nord-  und  Südamerika,  spielt 
die  internationale  Sachsengängerei  eine  sehr  gewaltige  Rolle 
als  Produktionsfaktor.  In  Friedenszeiten  wandern  regelmäßig  zahllose 
Arbeiter  nach  Amerika  aus,  um  dort  Feldarbeiten,  Aussaat  und  Ernte 
vorzunehmen.  Während  dieser  Zeit  erzielen  sie  so  hohe  Löhne  (in 
Friedenszeiten  oft  600  M.  pro  Monat),  daß  sie  davon  nicht  nur  die 
Ueberfahrt  und  den  Lebensunterhalt  bestreiten  können,  sondern  auch 
ihre  Familien  ernähren.  Für  diese  internationale  Sachsengängerei  sind 
namentlich  die  italienischen  und  osteuropäischen  Arbeiter  von  erheb- 
licher Bedeutung.  Infolge  des  Krieges  sind  aber  die  Auswanderer- 
ziffern, namentlich  aus  Italien,  stark  gefallen,  und  damit  fehlt  es 
Amerika  an  dem  notwendigen  Arbeitermaterial  zur  Bestellung  der  Felder. 
Die  Folge  davon  ist,  daß  in  Amerika  die  Anbaufläche  zurückgegangen 
ist,  daß  die  Felder  nicht  mit  der  Sorgfalt  bestellt  werden  können,  wie 
es  notwendig  ist,  und  daß  dadurch  die  Erträge  andauernd  sinken.  Das 
tritt  ganz  deutlich  in  Argentinien  in  die  Erscheinung.  Dort  ist  die 
Anbaufläche  von  Mais  im  Jahre  1916  von  4,2  Mill.  ha  auf  4  Mill.  ha 
und  im  Jahre  1917  auf  3,6  Mill.  ha  gefallen,  wovon  nur  1,9  Mill.  ha 
abgeerntet    werden    konnten.     Aehnlich  gestaltet   sich   die  Anbaufläche 


1334  Mis  Zellen. 

von  Weizen.  Auch  hier  ist  eine  so  starke  Abnahme  eingetreten,  daß 
der  Ernteertrag  auf  2,1  Mill.  t  gesunken  ist  gegen  4,7  Mill.  t  in 
1914/15.  Das  hat  bewirkt,  daß  Argentinien,  auf  dessen  Ausfuhr  die 
Alliierten  eine  so  große  Hoffnung  gesetzt  hatten,  sogar  ein  Aus- 
fuhrverbot für  Weizen  erlassen  mußte,  so  daß  es  für  das  laufende 
Jahr  aus  der  Reihe  der  getreideliefernden  Länder  ausscheidet. 

Nach  den  Feststellungen  des  Internationalen  Landwirtschafts-Insti- 
tutes in  Rom  erntete  die  südliche  Halbkugel  der  Welt  im  laufenden 
Jahre  insgesamt  nur  61  Mill.  dz  Weizen  gegen  97  Mill.  dz  im  Vor- 
jahre! Auch  hier  muß  von  Jahr  zu  Jahr  eine  Verschlechterung  ein- 
treten, da  der  Mangel  an  Arbeitskräften  immer  fühlbarer  wird.  Hinzu 
kommt,  daß  der  Mangel  an  Düngemitteln,  wobei  das  Kali,  für  das 
Deutschland  ein  Monopol  besitzt,  eine  Rolle  spielt,  ebenfalls  ungünstig 
auf  die  Produktion  einwirkt.  Denn  Kali  ist  für  viele  landwirtschaft- 
liche Erzeugnisse,  namentlich  für  Baumwolle,  ein  sehr  wichtiges  Dünge- 
mittel, dessen  Fehlen  auf  die  Produktion  von  großem  Einfluß  ist.  In 
Friedenszeiten  bezogen  die  Vereinigten  Staaten  beträchtliche  Mengen 
von  deutschem  Kali.  Jetzt,  während  des  Krieges  kann  von  einer 
nennenswerten  Kaliausfuhr  keine  Rede  mehr  sein.  Die  Vereinigten 
Staaten  importierten  nämlich  in  den  letzten  Jahren  an  reinem  Kali : 

1911  2518587  da 

1912  2330866  „ 

1913  2482948  „ 

1914  2623728  „ 

1915  53  740  „ 

Im  Jahre  1916  dürfte  so  gut  wie  nichts  nach  den  Vereinigten  Staaten 
gegangen  sein.  Das  Fehlen  des  deutschen  Kalis  im  Verein  mit  dem 
Mangel  an  Arbeitskräften  bewirkt,  daß  mit  jedem  weiteren  Kriegsjahr 
die  Ernteerträge  ständig  sinken  müssen.  Gerade  jetzt,  wo  es  an 
Arbeitskräften  mangelt,  ist  aber  eine  besonders  gute  Düngung  der  Felder 
unbedingt  erforderlich.  Da  das  indes  nicht  möglich  ist,  hat  der  Mangel 
an  Arbeitskräften  viel  empfindlichere  Folgen  als  in  Friedenzeiten.  Die 
Felder  können  nicht  mit  der  Sorgfalt  bearbeitet  werden  wie  sonst,  und 
so  gewinnt  denn  das  Arbeitsproblem  jetzt  im  Kriege  eine  außerordent- 
liche Bedeutung.  Die  hierdurch  hervorgerufene  ständige  Verringerung 
der  Erzeugung  erleichtert  uns  unseren  Kampf  gegen  unsere  Gegner 
ganz  erheblich,  sie  verschärft  die  Wirkungen  unseres  Ü-Boot-Krieges 
in  ungeahnter  Weise. 

So  sehen  wir,  daß  das  Verkehrsproblem  und  das  Arbeiterproblem 
ausschlaggebende  Faktoren  geworden  sind,  daß  sie  beide  über  unsere 
Gegner  das  heraufbeschwören,  was  diese  uns  zugedacht  hatten:  die 
Erzwingung  des  Friedens  durch  Hunger.  (G  C-) 


Miszellen.  335 


X. 

Arbeitssystem  und  Gewinn  bei  den  industriellen  Be- 
trieben in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika. 

Von  Prof.  Desider  v.  Buday. 

Die  Entwicklung"  der  industriellen  Unternehmungen  wäo-e  der 
handgreiflichste  Beweis  für  das  Platzgreifen  des  Großgewerbes  gegen- 
über dem  Kleingewerbe  und  somit  natürlicherweise  zugleich  ein  Be- 
weis der  Konzentration  der  groi3en  industriellen  Unternehmungen,  die 
zur  Kollektivierung-  führen  dürfte.  Jedoch  finden  wir  auch  in  der  Litera- 
tur weder  eine  zusammenfassende  Statistik,  noch  das  Bestreben,  die 
statistischen  Angaben  zielbewußt  und  einheitlich  zu  ordnen. 

Nur  für  Deutschland  ist  es  mir  gelungen,  die  früheren  Angaben 
mit  den  neuesten  zu  ergänzen.  Dort  haben  im  Jahre  1882  im  Klein- 
betrieb (1 — 5  Arbeiter)  4,3  Millionen  Arbeiter  gearbeitet.  Diese  An- 
zahl hat  sich  im  Jahre  1907  nur  auf  5,3  MilKonen  erhoben. 

Im  Mittelbetrieb  (10 — 50  Arbeiter)  hat  sich  die  Anzahl  der  Arbeiter 
während  dieser  Zeit  von  1,3  Millionen  zu  3,6  Millionen  emporgeschwun- 
gen, im  Großbetrieb  hingegen,  wo  mehr  als  50  Arbeiter  beschäftigt 
werden,  ist  der  Arbeiterbestand  von  1,6  Millionen  auf  5,4  Millionen 
gestiegen. 

Somit  beschäftigte  der  Kleinbetrieb  im  Jahre  1882  mehr  als  die 
Hälfte  der  Industriearbeiter  und  im  Jahre  1907  nur  ein  Drittel  der- 
selben. Der  Arbeiterbestand  des  Großbetriebs  ist  von  einem  Fünftel 
des  gesamten  Arbeiterbestandes  auf  ein  Drittel  desselben  gestiegen. 

In  Frankreich  wird  ungefähr  die  Hälfte  der  Arbeiterschaft  im 
Großbetrieb  beschäftigt. 

Dels  lehrreichste  Vergleichsmaterial  habe  ich  im  Statistischen  Jahr- 
buch der  Vereinigten  Staaten  vorgefunden.  Daselbst  sind  die  Anzahl  der 
Industrieanlagen,  der  gezahlte  Arbeitslohn,  das  benutzte  Rohmaterial 
und  der  Wert  der  Erzeugnisse  von  ältester  Zeit  her  nach  Jahrzehnten 
nachgewiesen. 

Diese  Statistik,  im  großen  umgearbeitet,  gewährt  uns  einen  ge- 
nauen Einblick  in  die  riesenhafte  industrielle  Entwicklung,  welche 
die  Vereinigten  Staaten  aufweisen. 

Die  Anzahl  der  Industrieanlagen  i^  Jahre  1850  belief  sich 
auf   123000.     Diese   Zahl   verdoppelte   sich   bis   zum   Jahre   1870  und 


336  Miscellen. 

stieg  aufs  Dreifache  bis  1890.  In  den  neunziger  Jahren  tritt  der  wirt- 
schaftliche Aufschwung  Europas  ein;  die  Anzahl  der  Industrieanlagen 
in  Amerika  nimmt  stark  ab.  Später  nimmt  das  Gewerbe  wieder  einen 
Aufschwung,  aber  infolge  der  Konzentration  der  Industrieanlagen  imd 
des  Platzgreifens  der  Großindustrie  erreicht  es  den  Bestand  von  1890 
nicht. 

Demgegenüber  beträgt  die  Anzahl  der  beschäftigten  Ar- 
beiter im  Jahre  1850  kaum  eine  Million,  nach  20  Jahren  2  Millionen, 
nach  weiteren  20  Jahren  4,2  Millionen.  In  dem  letzten  Jahrzehnte 
des  verflossenen  Jahrhunderts,  obgleich  dieses  Jahrzehnt  für  Europa 
günstig  gewesen,  steigt  die  Anzahl  der  beschäftigten  Arbeiter  nur  bis 
4,7  Millionen. 

Infolge  der  im  Beginn  des  neuen  Jahrhunderts  eingetretenen  un- 
günstigeren europäischen  Wirtschaft  erhob  sich  die  Arbeiterzahl  in 
den  Vereinigten  Staaten  im  Jahre  1910  bereits  auf  6,6  Millionen. 

Der  Wert  der  Erzeugnisse  betrug  nach  den  übersichtlichen 
Angaben  in  den  Vereinigten  Staaten  im  Jahre  1850  eine  Milliarde  Dollar, 
im  Jahre  1890  9,3  Milliarden  im  Jahre  1900  11,4  Milliarden,  im  Jahre 
1910  20,7  Milliarden. 

Die  Erzeugungskosten  und  der  Wert  des  Rohmaterials  verhielten 
sich  zum  erzeugten  Wert  fast  immer  beinahe  so,  daß  die  ersteren 
50 — 60  Proz.  des  letzteren  betrugen.  Ueberdies  beliefen  sich  die  Arbeite- 
löhne im  Jahre  1850  auf  0,2  Milliarden  Dollar,  dann  erhoben  sie  sich 
stufenweise  bis  auf  3,4  Milliarden  Dollar. 

Der  Reingewinn  der  Produktion  bezifferte  sich  nach  Rechnungen, 
die  leicht  angestellt  werden  können,  auf  25  Proz.  im  Jahre  1850,  nach 
20  Jahren  auf  40  Proz.,  dann  schwankt  derselbe  von  1890  bis  heute 
zwischen   30 — 33   Proz. 

Der  Brutto  wert,  den  ein  Arbeiter  jährlich  erzeugt,  steigt  von  1000 
Dollar  stufenmäßig  auf  3000  Dollar  während  der  letzten  60  Jahre. 
Der  durchschnittliche  Jahres  verdienst  eines  Arbeiters  hingegen  erhob 
sich  von   250  nur  auf  500  Dollar. 

Bei  einem  ständigen  Reinnutzen  von  30 — 33  Proz.  verdoppelte 
sich  also  der  Lohn  der  Arbeiter,  die  einen  dreifachen  Wert  erzeugen. 
Daß  der  Reingewinn  dessenungeachtet  nicht  größer  ist,  findet  seine 
Erklärung  in  der  enormen  Preiserhöhung  des  Materials.  Daß  er  trotz- 
dem nicht  geringer  ist,  läßt  sich  durch  den  gesteigerten  Wert  der  Erzeug- 
nisse und  die  besseren  Arbeitsmethoden  erklären. 

Das  Arbeitssystem  hält  somit  die  Umsetzung  der  Erzeugungskosten 
und  die  Verdoppelung  des  Arbeitslohnes  aus.  Der  Arbeiter  hingegen 
genießt  keiner  solchen  Lohnerhöhung,  die  er  auf  Grund  seiner  Mehr- 
produktion, die  eine  dreifache  ist,  beanspruchen  dürfte.  Dieser  Unter- 
schied wird  vom  teuerer  gewordenen  Rohmaterial  aufgezehrt,  weil  sioh 
die  Industrieleiter  mit  einem  geringeren  Nutzen  als  vorher  nicht  be- 
gnügen woUen. 

Es  nimmt  also  nicht  der  Erzeugungsgewinn  zu,  sondern  es  halten 
bloß   die   Maschinen   und  das   bessere   Arbeitsverfahren   den   Industrie* 


Miszellen.  337 

kapitalismus,  der  nebst  dem  teueren  Rohmaterial  doppelte  Löhne  zahlt, 
im  Gleichgewicht. 

Dieses  Arbeitseystem  wird  noch  manche  Lohnerhöhungen  ertragen, 
ohne  den  Erzeugungsgewinn  zu  beeinträchtigen.  Der  Arbeiter  aber  wird 
noch  einen  kleineren  Quotienten  des  Produktionswertes  genießen  trotz 
aller  Lohnerhöhung.  Das  Maschinensystem  bringt  demnach  dem  Ar- 
beiter in  bezug  auf  den  Produktionswert  gar  keinen  Nutzen.  Auch  dem 
Kapitalisten  gewährt  es  keinen  Nutzen,  es  genügt  bloß,  seinen  Gewinns- 
anteil aufrechtzuerhalten. 

Leider  gibt  es  keine  andere  systematische  Zusammenstellung,  wie 
diejenige  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.  Darum  mußte  ich 
mich  darauf  beschränken,  die  Folgerungen  aus  dieser  Statistik  zu  ziehen. 


Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd  54).  22 


338  MiBzellen. 


XL 

Volkswirtschaftliche  Probleme  der  Schulreform. 

Von  Dr.  Sebald  Schwarz,  Direktor  der  Oberrealachule  zum  Dom  in  Lübeck. 

Als  Schulreform  bezeichnen  wir  die  Entwicklung  unseres  Schul- 
wesens (und  insonderheit  unseres  höheren),  wie  sie  sich  durch  staatliche 
Maßnahmen,  in  Absätzen  von  10  bis  20  Jahren,  auszudrücken  pflegt. 
Diese  Maßnahmen  gehen  vor  allem  in  zwei  Richtungen :  die  Bestim- 
mungen über  den  Unterricht,  insonderheit  den  Anteil  der  verschiedenen 
Lehrfächer  an  ihm  und  ihre  Methoden,  verändern  sich,  und  die  Organi- 
sation des  ganzen  Schulwesens  wird  allmählich  umgestaltet. 

Die  Erörterung  der  Probleme,  die  sich  in  dieser  Entwicklung  er- 
geben, liegt  fast  ganz  in  den  Händen  der  Schulmänner;  daher  versteht 
es  sich,  daß  sie  durchweg  von  pädagogischen  Gesichtspunkten  aus  er- 
folgt. Die  Schule  hat  aber,  durch  das,  was  sie  kostet,  und  durch  das, 
was  sie  leistet,  auch  eine  große  Bedeutung  für  die  Wirtschaft  unseres 
Volkes;  ist  sie  doch  heutzutage  fast  durchweg  eine  öffentliche  Ein- 
richtung, und  ist  doch  ihre  Arbeit  eine  wesentliche  Grundlage  des 
Wohlstandes  für  den  Einzelnen  wie  für  das  Ganze.  Es  ist  also  wohl 
berechtigt,  die  Probleme  der  Schulreform  auch  von  volkswirtschaftlichen 
Gesichtspunkten  zu  untersuchen. 

Dabei  kommen  auch  die  Fragen  des  Unterrichts  im  engeren 
Sinne  in  Betracht.  Es  ist  eine  wirtschaftliche  Frage,  ob  wir  auf  unseren 
Schulen  Französisch  und  Englisch  treiben,  ob  wir  —  was  ja  neuerlich 
verlangt  wird  — ,  auch  für  Russisch,  Spanisch,  Italienisch,  ja  Türkisch 
Gelegenheit  schaffen;  es  ist  auch  ein  Unterschied  dabei,  ob  wir  nur  ein 
paar  notdürftige  Grundkenntnisse  geben,  wie  sie  der  Unterricht  im  Fran- 
zösischen im  alten  Gymnasium  bietet,  oder  ob  wir  in  unseren  Schülern 
eine  breite  Grundlage  in  den  neuen  Sprachen  legen ;  gerade  für  die  wirt- 
schaftliche Ausnutzung  unseres  Sprachunterrichts  ist  es  ferner  von  Be- 
deutung, daß  die  Zahl  derer,  die  diese  lebenden  Sprachen  ernsthaft  ge- 
lernt haben,  groß  ist ;  denn  dann  entsteht  erst  ein  gewisser  Drang  dahin, 
diese  Kenntnisse  nun  auch  als  Ingenieur,  Kaufmann,  Unternehmer  im 
Ausland  zu  verwenden;  viel  von  der  weltwirtschaftlichen  Ausdehnung 
des  deutschen  Volkes  beruht  darauf,  daß  die  Kräfte  für  die  Arbeit  im 
Ausland  einmal  da  sind  und  sich  nun  ein  Feld  für  ihre  Auswirkung 
suchen.  Aehnlich  steht  es  mit  der  Physik,  der  Chemie:  wenn  viel 
Interesse  dafür  schon  in  der  Schulzeit  geweckt  wird,  so  ist  damit  eine 
Richtung  für  die  Lebensarbeit  gegeben.  Unmittelbaren  wirtschaftlichen 
Nutzen  ergeben  auch  das  Rechnen,  die  Mathematik,  die  heute  so  er- 
freulich aufblühende  Handfertigkeit;  nicht  viel  anders  ist  es,  wenn  wir 


Miszellen.  339 

in  einem  guten  Unterricht  in  der  Erdkunde  dafür  sorgen,  daß  alle  unsere 
zukünftigen  Führer  des  Volkes  die  Grundlagen  dafür  mitbringen,  ihre 
Zeit,  die  Zeit  des  Weltverkehrs  und  der  Weltwirtschaft,  zu  verstehn. 

Aber  auch  weniger  unmittelbar  wirkende  Entscheidungen  über  den 
Inhalt  des  Schulunterrichts  haben  ihre  volkswirtschaftliche  Bedeutung. 
Wenn  es  wirklich  wahr  ist,  daß  nichts  eine  so  vortreffliche  Schule  des 
Denkens  bietet,  nichts  die  Fähigkeit  zu  wissenschaftlicher,  ja  zu  jeder 
Arbeit  so  gut  entwickelt,  wie  die  ausgiebige  Beschäftigung  mit  den 
alten  Sprachen,  so  ist  die  Erhaltung  unseres  Gymnasiums  nicht  nur  für 
die  deutsche  Kultur,  sondern  auch  für  eine  gesunde  Volkswirtschaft 
notwendig;  und  wer,  mit  mir,  diese  Wahrheit  bezweifelt,  wird  die  andere 
um  so  schärfer  betonen:  es  kommt  nicht  so  sehr  darauf  an,  was  wir 
lernen,  sondern  wie  wir  es  lernen:  darauf,  daß  der  Unterricht,  was  auch 
sein  Gegenstand  sei,  im  Schüler  lebendige  Kräfte  entwickele,  Lust  und 
Fähigkeit  zur  Arbeit.  Jedenfalls  kann  man  in  diesem  Sinne  jeder,  auch 
der  weltfernsten  und  idealsten  Arbeit  der  Schule,  ihr  volkswirtschaft- 
liches Gesicht  abgewinnen. 

Aber  diese  Probleme  des  Unterrichts  sind  mannigfach  und  ver- 
schlungen; es  würde  zu  weit  führen,  sich  hier  in  sie  zu  vertiefen;  es 
sei  genug,  darauf  hinzuweisen,  daß  sie  auch  eine  wirtschaftliche  Seite 
haben.  Mehr  unmittelbar  hierher  gehören  dagegen  die  Fragen  der 
Organisation  des  Schulwesens. 

Bei  ihrer  Erörterung  können  wir  das  wirtschaftliche  Interesse  des 
Einzelnen  von  dem  der  Gesamtheit,  des  Staates  oder  der  Gemeinde  etwa, 
trennen;  oder  die  Frage  stellen:  was  kostet  diese  oder  jene  Einrichtung, 
was  bringt  sie  ein?  Auszugehen  ist  von  der  grundlegenden  Tatsache, 
daß  der  Staat  ein  Unterrichtsmonopol  hat;  nur  wenige  Privatschulen, 
Pressen,  Internate,  Landerziehungsheime  und  andere  verwandte  Schul- 
einrichtungen für  Schüler,  die  aus  diesem  oder  jenem  Grunde  die  ge- 
wöhnliche Schullaufbahn  nicht  machen  können,  bestehn  als  Ausnahmen 
neben  der  öffentlichen  Schule ;  weder  im  Interesse  des  Erwerbs,  noch  in 
dem  mehr  idealer  Mächte,  wie  der  Kirchen,  der  Parteien,  der  Stände 
oder  pädagogischer  Ideen,  kann  sich  ein  Privatunterricht  von  irgend- 
welcher Bedeutung  halten.  Errungen  hat  der  Staat  diese  Monopol- 
stellung dadurch,  daß  er  seine  Arbeit  zum  halben  Kostenpreis  abgibt; 
dadurch  entzieht  er  der  Privatschule  einerseits  fast  alle  brauchbaren 
Lehrer,  andererseits  alle  Schüler,  die  nicht  aus  besonderen  Gründen  die 
hohen  Kosten  dafür  zahlen  können  oder  müssen.  Dabei  haben  die  Ge- 
meinden dem  Staat  im  engeren  Sinne  zwei  Aufgaben  abgenommen: 
einmal  die  allgemeine  Volksschule,  ferner  seit  etwa  50  Jahren,  wenigstens 
in  Norddeutschland,  fast  die  ganze  Weiterentwicklung  des  höheren  Schul- 
wesens; so  kommt  es,  daß  die  Realgymnasien  zum  großen  Teil,  die 
Oberrealschulen  und  Realschulen  fast  ganz,  und  ebenso  die  höheren 
Mädchenschulen  von  den  Städten  unterhalten  werden.  Auf  beiden  Ge- 
bieten greift  der  Staat  aber  wieder  mit  Beihilfen  ein,  wo  die  Gemeinde 
nicht  leistungsfähig  ist. 

Aus  dieser  Zusammenfassung  des  Unterrichtswesens  in  der  Hand 
von  Staat   und  Gemeinde   ergibt   sich   dann   von    selbst   der  Charakter, 

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340  Miszellen. 

den  seine  Organisation  trägt :  die  Einheitlichkeit.  Sie  wird  schon 
gefordert  und  gefördert  durch  die  Entwicklung,  die  im  19.  Jahrhundert 
der  Verkehr  erfahren  hat;  in  der  Zeit  der  Eisenbahnen,  des  Hin-  und 
Herwanderns  der  Menschen  wie  der  Gedanken  kann  auch  die  Schul- 
politik nur  „in  Ländern  denken".  Ist  der  Betrieb  aber  nun  in  einer 
Hand,  so  wird  sie  erst  recht  immer  suchen,  in  möglichst  wenig  Formen, 
in  gleichartigen  Schulen  ihre  Verpflichtungen  zu  erfüllen:  nicht  zum 
wenigsten  auch,  weil  dies  wirtschaftlich  das  Günstigste  ist. 

Im  Gegensatz  zu  dieser  Tendenz  der  Schulverwaltung  nach  Ein- 
heitlichkeit stehn  nun  die  Forderungen  der  Schulmänner;  sie  streben 
nach  Mannigfaltigkeit. 

Es  wäre  einseitig,  zu  sagen,  daß  Mannigfaltigkeit  das  eigentliche 
Ziel  aller  Kultur  sei;  auch  die  seelische  Entwicklung  des  Volkes,  der 
Menschheit  geht  abwechselnd  den  Weg  der  Ausbreitung  und  der  Zu- 
sammenfassung; aber  zurzeit  wird  gerade  wegen  jener  ausgleichenden 
Neigung,  die  das  Jahrhundert  des  Verkehrs  beherrscht,  die  Erziehung 
mit  Becht  alles  das  betonen,  was  die  Geister  und  die  Seelen  der 
Menschen  voneinander  unterscheidet. 

Solcher  Unterscheidungen  treten  in  den  Problemen  des  Schulwesens 
heute  drei  hervor:  die  der  Geschlechter,  die  der  Anlagen  und  die  des 
Stoffes,  in  dem  wir  unterrichten,  durch  den  wir  erziehen. 

Im  Vordergrund  der  Erörterung  steht  das  Problem  des  Stoffes. 
Er  verändert  sich  in  allen  Zeiten  allmählich;  das  19.  Jahrhundert 
brachte  einen  Wechsel,  der  stark  in  die  Organisation  unseres  ganzen 
Schulwesens  eingriff.  Die  Kenntnis  des  Lateinischen  nämlich,  die  bis 
dahin  eine  notwendige  Vorbedingung  aller  höheren  Bildung  war,  verlor 
diesen  Wert;  dafür  wurden  naturwissenschaftliche  Kenntnisse  als  allge- 
mein notwendig  erkannt.  Nun  ließ  zwar  eine  natürliche  Reaktion  uns 
bald  der  alten  Kräfte  wieder  bewußt  werden,  ließ  uns  sehn  wie  tief  unsere 
Gegenwart  in  der  Welt  der  Römer  und  Griechen  gegründet  ist,  und  ver- 
suchte als  Neuhumanismus  das  Gymnasium  mit  neuem  Leben  zu  erfüllen, 
sein  ungemindertes  Daseinsrecht  zu  erweisen;  aber  doch  konnte  die  alte 
Gelehrtenschule  ihre  Stellung  als  einzige  Stätte  höherer  Bildung  nicht 
erhalten.  Während  sie  selbst  durch  das  Eindringen  der  neuen  Bildungs- 
stoffe innerlich  zersetzt  wurde,  entstanden  neben  ihr  erst  das  Real- 
gymnasium mit  wenig  Latein,  dann  die  lateinlose  Oberrealschule;  ge- 
blieben ist  nur  allen  dreien,  daß  die  Kenntnis  fremder  Sprachen  tat- 
sächlich noch  das  unterscheidende  Merkmal  aller  höheren  Schulbildung 
ist.  Im  Rahmen  unseres  Berechtigungswesens  führte  das  zu  einem 
Kampf  der  drei  Schularten,  der  im  Jahre  1900  dahin  entschieden  wurde, 
daß  sie  alle  als  gleichwertig  anerkannt  werden. 

Dieser  großgedachte  Schulfriede  ergab  schultechnische  Schwierig- 
keiten ;  zwar  nicht,  wenn  die  Schüler  ins  praktische  Leben  übertreten,  aber 
auf  den  Universitäten,  wo  es  für  die  Professoren  allerdings  lästig  ist,  daß 
sie  nicht  mehr  mit  einer  Vorbildung  rechnen  können.  Viel  einschneiden- 
der sind  die  volkswirtschaftlichen  Bedenken,  die  er  hervorruft.  Das  ge- 
ringste von  ihnen  ist,  daß  gelegentlich  zwei  mäßig  gefüllte,  höhere  Schulen 
nebeneinander  stehn,  etwa  ein  staatliches  Gymnasium  und  eine  städtische 


Miszellen.  341 

Realanetalt;  die  Fälle  sind  selten,  und  wenn  die  Kosten  gar  zu  hoch 
werden,  läßt  man  wohl  die  eine  Anstalt  eingehen.  Bedenklich  dagegen 
ist,  daß  der  ganze  Gedanke,  drei  Arten  von  höheren  Schulen  sich  neben- 
einander entfalten  zu  lassen,  nur  in  größeren  Städten  ausführbar  ist; 
die  Kleinstadt  muß  sich  für  eine  entscheiden,  die  Mittelstadt  vielleicht 
für  zwei.  Das  bedeutet  aber  für  einen  sehr  großen  Teil  der  höheren 
Schüler  in  Deutschland,  daß  sie  keine  Wahl  haben ;  besonders  schwierig 
wird  die  Lage  für  die  Eltern,  und  deren  Zahl  ist  nicht  gering,  die  mit 
Versetzungen  nach  anderen  Orten  rechnen  müssen,  und  dabei  von  einem 
System  ins  andere  geraten  können ;  viele  Jungen  werden  in  ihrem  Fort- 
kommen, die  Eltern,  durch  die  Kosten  für  Privatstunden  oder  längeren 
Schulbesuch,  in  ihrem  Auskommen  geschädigt.  Der  pädagogischen 
Forderung  nach  Mannigfaltigkeit  stellt  sich  also  die 
volkswirtschaftliche  nach  Einheit  entgegen.  Tatsächlich 
erreichte  dieser  Schulfriede  die  Erhaltung  des  Gymnasiums,  das  sonst 
wohl  verloren  gewesen  wäre,  und  zwar  gerade  in  vielen  älteren  Klein- 
städten, in  denen  es  einmal  vorhanden  war;  indem  es  aber  —  auch 
nach  den  Aufstellungen  seiner  Freunde  —  nur  für  die  bestimmt  ist,  die 
es  zu  Ende  gehn  und  studieren  wollen,  dagegen  weniger  geeignet  für 
den  höheren  Gewerbe-  und  Handelsstand,  tritt  ein  weiterer  volkswirt- 
schaftlicher Schaden  dadurch  ein,  daß  in  zahlreichen  Städten  diese 
wichtigen  und  breit  entwickelten  Berufsstände  nicht  die  richtige  Vor- 
bildung finden.  Bei  Neugründungen  dagegen  überwogen  die  Real- 
anstalten; auch  die  Mittelform  des  Realgymnasiums,  die  von  vielen 
Schulmännern  als  charakterlose  Kompromißschule  verworfen  wurde,  blieb 
aus  praktischen  Gründen  stark  verbreitet. 

Eine  zweite  Ursache,  welche  die  Schulmänner  nach  Mannigfaltigkeit 
der  Schulen  streben  läßt,  sind  die  Unterschiede  in  Anlage  und 
Absicht  der  einzelnen  Schüler. 

Die  Schulmänner  selbst  empfinden  wohl  am  stärksten  den  Abstand 
im  Grad  der  Begabung ;  jeder  will  seine  Schüler  möglichst  weit  fördern 
und  möchte  daher  die  Schwerfälligen,  die  Unbegabten  fernhalten ;  sie 
wünschen  also  besondere  Schulen  für  diese.  Ferner  hat  die  große 
Mehrzahl  der  Eltern  weder  die  Absicht  noch  die  Mittel,  ihre  Kinder 
bis  zur  Reifeprüfung,  d.  h.  bis  zum  20.  Jahr  auf  der  Schule  zu  erhalten ; 
sie  sollen  eine  weitergehende  Schulbildung  als  auf  der  Volksschule  ge- 
winnen, aber  mit  15,  16  Jahren  ins  Leben  treten;  das  Schulziel,  das 
sich  für  diese  Gruppe  herausgebildet  hat,  ist  die  Berechtigung  zum 
einjährig-freiwilligen  Dienst,  mit  all  den  weiteren  Ansprüchen  beim 
Eintritt  in  amtliche  Laufbahnen  und  Vorteilen  beim  Ergreifen  bürgerlicher 
Berufe,  die  damit  verbunden  sind.  Ein  Teil  dieser  Schüler  pflegt  mit 
jenen  vorhin  genannten  Unbegabten  identisch  zu  sein;  freilich  lange 
nicht  alle,  wie  man  es  nach  manchen  Aeußerungen  ungeduldiger  Lehrer 
glauben  sollte;  jedenfalls  machen  sie  es  erwünscht,  daß  im  Laufe  der 
Schule  ein  gewisser  Abschnitt  vorliege,  der  ihnen  eine  Art  von  Ab- 
schluß ihres  Schulunterrichts  gibt.  Besonders  lästig  erscheinen  sie  auf 
dem  Gymnasium,  wo  wirklich  die  Früchte  der  Ausbildung  in  den  alten 
Sprachen  erst  in  den  letzten  Jahren  gewonnen  werden.    Wieder  wünscht 


342  Miszellen. 

der  Schulmann  besondere  Schulen  für  die,  welche  nicht  bis  zur  Reife- 
prüfung gehen  wollen;  zur  weiteren  Begründung  dieser  Forderung  be- 
ruft er  sich  auch  auf  die  Schüler,  die  auf  allen  möglichen  Stufen,  von 
Sexta  bis  Unterprima,  aus  wirtschaftlichen  Gründen  oder  aus  Mangel 
an  Fleiß  oder  Begabung,  abfallen,  eine  Begründung,  die  wohl  mehr  aus 
dem  Gefühl  als  aus  einer  klaren  Einsicht  in  das  Wesen  einer  Schul- 
laufbahn stammt. 

Aber  nicht  nur  dem  Grade  nach  sind  die  Begabungen  der  Schüler 
und  die  Lebensstellung,  der  sie  zustreben,  verschieden,  sondern  auch 
nach  ihrer  Art.  Der  grübelnde  Forscher,  der  vielgewandte  Kaufmann, 
der  tatkräftige  Offizier,  der  geschickte  Ingenieur,  der  kluge  und  da- 
bei willensstarke  Lehrer,  der  fromme  Geistliche  und  der  strenge  Richter, 
der  Arzt,  der  Rechtsanwalt,  der  Verwaltungsbeamte  ....  bedürfen  sie 
nicht  alle  einer  verschiedenen  Ausbildung?  Müssen  nicht  wenigstens  ge- 
lehrte und  praktische  Berufe  schon  früh  darin  geschieden  werden?  Und 
können  Jungen  mit  künstlerischen  Anlagen  denselben  Weg  gehen,  wie 
die  mit  der  Gabe  leichter  Abstraktion  ?  Phantasten  und  Grübler,  solche, 
die  handelnd  aus  sich  herausgehn,  und  solche,  die  sinnend  die  Welt  in 
sich  wollen  lebendig  werden  lassen? 

Wenigstens  in  gewisse  Gruppen  will  der  Schulmann  sie  trennen ;  die 
Entwicklung  des  Realgymnasiums,  dann  der  Realschule  und  Oberreal- 
schule, neuerlich  der  Mittelschule  zwischen  der  höheren  Schule  und  der 
Volksschule,  sollten  nicht  nur  den  Bedürfnissen  einer  neuen  Zeit,  sondern 
auch  denen  der  oben  geschilderten  Verschiedenheiten  dienen. 

Ganz  steckengeblieben  sind  bei  diesen  Bestrebungen  die  Versuche, 
für  gewisse  Berufe  eine  eigene  Vorbildung  zu  schaffen,  wie  die  älteren 
Gewerbeschulen,  die  Landwirtschaftsschulen  und  die  Handelsrealschulen ; 
aber  auch  bei  den  allgemeinen  Schulen,  die  größeren  Gruppen  von  Be- 
rufen dienen  sollen,  ist  die  Absicht  nicht  erreicht,  weil  jede  neue  Schul- 
art, im  Glauben  an  ihren  Wert  und  unter  dem  Druck  der  ausgeführten 
wirtschaftlichen  Notwendigkeiten,  nach  Gleichberechtigung  und  deshalb 
nach  Gleichartigkeit  mit  der  alten  strebte.  Das  lateinische  Realgymna- 
sium wurde  zuerst  dem  Gymnasium  gleichgestellt;  die  Realschule,  die 
die  „Schnuraspiranten"  aufnehmen  sollte,  erhielt  ihren  Oberbau  und 
entwickelte  sich  zur  Parallelanstalt;  die  Mittelschule,  die  den  weiteren 
Unterschied  aufweist,  daß  ihre  Lehrer  nicht  auf  der  Universität  vor- 
gebildet sind,  sondern  Volksschullehrer  mit  einer  gewissen  Fortbildung, 
wollen  denselben  Weg  gehen  und  sich  an  die  Stelle  der  Realschule  setzen. 
Auch  in  der  Frage  nach  Art  und  Ziel  der  Schüler  sind  die  volkswirt- 
schaftlichen Interressen  stärker  gewesen  als  die  pädagogischen.  Einer- 
seits kann  man  eben  nicht  von  vornherein  sagen,  welche  Schulart  für 
das  Kind  geeignet  ist  und  wie  weit  es  darin  wird  kommen  können; 
die  Eltern  verlangen  also  mit  Recht  eine  möglichst  späte  Entscheidung 
über  diese  Fragen.  Andererseits  ist  auch  hier  die  Organisation,  wie 
die  Schulmänner  sie  forderten,  nur  in  großen  Städten  möglich ;  in  den 
kleinen  muß  man  vielen  Bedürfnissen  mit  einer  Schule  genügen. 

Diese  Bedürfnisse  der  kleinen  Städte  haben  aber  eine 
volkswirtschaftliche  Bedeutung,    die  viel  tiefer  geht,    als  die  Frage  der 


Miszellen.  343 

Mark  und  Pfennige,  die  eine  Schule  kostet.  Eine  der  dringendsten  Not- 
wendigkeiten für  unser  Volksleben  ist  die  Gesundheit  des  platten  Landes. 
Dazu  gehört  aber,  daß  in  den  Mittelpunkten  der  ländlichen  Bezirke, 
den  kleinen  Städten,  das  Leben  lebenswert  bleibt;  daß  nicht  nur  die 
Umgegend  möglichst  viel  Bedürfnisse  dort  befriedigen  kann,  sondern 
daß  auch  tüchtige  Beamte  und  Geschäftsleute  in  ihnen  leben  mögen. 
Ein  wesentliches  Mittel  dafür  sind  aber  Schuleinrichtungen,  die  ihren 
Kindern  erlauben,  möglichst  lange  im  Hause  zu  bleiben,  auch  wenn  sie 
im  Leben  weiterkommen  wollen.  Es  sind  wertvolle  Kräfte,  die  dem 
Vaterland  gewonnen  werden  und  erhalten  bleiben,  wenn  wir  in  möglichst 
viel  kleinen  Städten  höhere  Schulen  haben,  und  wenn  sie  möglichst 
vielen  Zwecken  dienen  können. 

Von  demselben  Gesichtspunkt  ist  endlich  das  dritte  Problem  in 
der  Organisation  unseres  höheren  Schulwesens  zu  betrachten,  die  Unter- 
scheidung der  Geschlechter. 

Auch  hier  sprechen  pädagogische  Gründe  für  Trennung.  Mädchen 
und  Jungen  entwickeln  sich  nicht  im  gleichen  Zeitmaß;  die  Art  ihrer 
Anlagen  ist  verschieden,  und  ebenso  das  Leben,  auf  das  sie  sich  vor- 
bereiten; selbst  heute  noch,  wo  die  Frau  in  vielen  Berufen  neben  den 
Mann  tritt.  Aber  das  Interesse  der  kleinen  Stadt  und  mit  ihr  des 
platten  Landes  fordert  gebieterisch,  daß  sie  wenigstens  dort  zusammen 
unterrichtet  werden  können;  es  gibt  genug  Städte,  die  wohl  eine  ge- 
meinsame höhere  Schule  für  beide  Geschlechter  unterhalten  können, 
aber  keine  Realschule  etwa  neben  einer  höheren  Töchterschule. 

Wie  kann  nun  die  pädagogische  Forderung  der 
Mannigfaltigkeit  mit  der  volkswirtschaftlichen  der 
Einheitlichkeit  versöhnt  werden?     Berechtigt  sind  beide. 

Ein  verfrühter  Versuch,  eine  einzige  Form  der  höheren  Schule 
von  Sexta  bis  Oberprima  zu  schaffen,  die  Hornemannsche  Einheits- 
schule, ist  nicht  über  die  Entwicklungsstufe  der  Broschüren  und  eines 
Vereins  zu  seiner  Förderung  hinausgelangt.  Viel  erfolgreicher  war  der 
Gedanke  Ostendorfs,  einen  gemeinsamen  Unterbau  von  Sexta  bis  Quarta 
zu  schaffen,  die  Reformschule,  in  der  Französisch  die  erste  Fremd- 
sprache ist,  Latein  auf  der  Gymnasial-  und  Realgymnasialseite  in  Unter- 
tertia einsetzt;  vor  allem  zunächst  in  Westdeutschland  ist  dieser  volks- 
wirtschaftlich sehr  gesunde  Plan  verwirklicht  worden,  während  sich 
der  Osten  lange  und,  ebenso  wie  die  Hauptstadt,  zum  Teil  bis  heute 
zurückhaltender  gezeigt  haben.  Von  den  Sextanern  Preußens  besucht 
zurzeit  die  größere  Hälfte  Schulen  des  Reformsystems,  zu  dem  alle 
Realschulen  und  Oberrealschulen  gehören.  Die  Neugründungen,  wenigstens 
in  kleinen  Städten,  sind  fast  alle  auf  Französisch  aufgebaut;  in  Süd- 
deutschland   gewinnt  diese  Einrichtung  etwas  langsamer  Boden. 

Der  Gedanke,  Knaben  und  Mädchen  gemeinsam  zu  unterrichten, 
ist  in  Baden,  Hessen,  Württemberg,  Oldenburg  und  einigen  weiteren 
Kleinstaaten  in  starkem  Maße  verwirklicht;  andere  wieder,  die  ihrer 
Struktur  nach  ganz"  besonders  darauf  angewiesen  wären,  wie  z.  B. 
Mecklenburg  mit  seinen  vielen  kleinen  Landstädten,  verhalten  sich  so- 
wohl gegen  die  Reformschule  wie  gegen  die  gemeinsame  höhere  Schule 


344  Miszellen. 

für  beide  Geschlechter  ablehnend  ;  in  Preußen  hat  man  seltsamerweise 
für  die  Mittelschule  den  gemeinsamen  Unterricht  dort,  wo  nur  eine 
Schule  möglich  ist,  zugelassen,  während  er  in  den  höheren  Schulen 
nicht  erlaubt  ist ;  genauer :  während  höhere  Knabenschulen  keine  Mädchen 
aufnehmen  dürfen,  sind  Knaben  in  den  unteren  Klassen  der  höheren 
Mädchenschulen  zugelassen. 

Von  geringer  Bedeutung  geblieben  ist  ein  anderer  Weg,  die  Gymnasien 
kleiner  Städte  verschiedenen  Begabungen  und  Lebenszielen  dienstbar  zu 
machen:  der  Ersatzunterricht,  der  auf  der  Grundlage  des  Lateinischen 
in  Untertertia,  also  auf  der  Mittelstufe,  einsetzt,  indem  für  einige  Schüler 
statt  des  Griechischen  Englisch  eingeführt  und  die  Mathematik  verstärkt 
wird ;  im  übrigen  haben  beide  Abteilungen  gemeinsamen  Unterricht.  Diese 
Einrichtung  will  vor  allem  dem  Gymnasium  die  breite  Basis  der  kleinen 
Landstädte  erhalten,  die  durch  das  Reformsystem  und  die  Anerkennung 
der  Realanstalten  bedroht  wird.  Die  entsprechende  Einrichtung  des 
lateinischen  Ersatzunterrichts  an  Realschulen  kommt  nur  vereinzelt  vor. 

Setzen  die  bisher  geschilderten  Versuche,  die  volkswirtschaftlich 
notwendige  Einheitlichkeit  mit  der  pädagogisch  erwünschten  Mannich- 
faltigkeit  zu  versöhnen,  auf  der  Unter-  und  Mittelstufe  ein,  so  sind  auf 
der  Oberstufe  Versuche  in  diesem  Sinne  nur  ganz  vereinzelt  gemacht. 
In  Baden,  Hessen,  Württemberg,  Oldenburg  geht  die  Möglichkeit,  beide 
Geschlechter  zusammen  zu  unterrichten,  bis  in  die  Oberklassen;  in 
Lübeck  und  Bremen  tritt  sie,  weil  die  Stadt  groß  genug  ist,  sie  unten 
zu  trennen,  erst  von  Untersekunda  ab  ein.  In  Preußen  hat  man  stellenweise, 
in  Sachsen  in  größerem  Maßstab  in  den  drei  Oberklassen  eine  Gabelung 
vorgenommen,  nach  der  die  Schüler  die  Wahl  haben,  in  einigen  Fächern 
etwas  mehr,  in  anderen  etwas  weniger  Stunden  zu  haben.  In  dasselbe 
Gebiet  fallen  die  Studientage,  an  denen  auf  einigen  Schulen,  wie  Pforta, 
dem  Goethegymnasium  in  Frankfurt  a.  M.,  die  Primaner  sich  mit  selbst- 
gewählten Arbeiten  beschäftigen  dürfen;  es  sind  aber  mehr  pädago- 
gische Interessen,  wie  die  Ueberleitung  zur  freien  Arbeit  auf  der  Uni- 
versität, die  hierdurch  gefördert  werden  sollen,  als  daß  die  Einrichtung 
den  wirtschaftlichen  Bedürfnissen  des  einzelnen  oder  der  Gesamtheit 
dienen  will.  Vor  allem  von  dem  Gesichtspunkt  aus,  daß  die  Kleinstadt 
und  mit  ihr  das  platte  Land  als  bedeutsames  Glied  des  Volkskörpers 
gepflegt  werden  muß,  ist  es  aber  wichtig,  daß  die  Möglichkeit,  auch 
bis  in  die  oberen  Klassen  hinein  die  Kinder  zu  Hause  zu  behalten, 
recht  verbreitet  ist;  damit  wird  der  Ausbau  der  höheren  Schulen 
gerade  an  diesen  Orten  erwünscht,  und  der  Weg  dazu  ist  eben,  daß  man 
sie  dort  möglichst  vielen  Zwecken  dienstbar  macht;  in  ihnen  sollte 
man  vereinigen,  in  den  großen  Städten  kann  und  soll 
man  trennen.  In  dieser  Richtung  wirkt  auch  eine  Einrichtung,  wie 
sie  meines  Wissens  nur  in  Hessen  und  Lübeck  besteht:  hier  sind  die 
Lehrerseminare  so  eingerichtet,  daß  die  Abiturienten  der  höheren  Schulen 
in  ihre  erste  Klasse  aufgenommen  werden  und  nach  einem  Jahr  die 
Lehrerprüfung  bestehen  können. 

Ein  hier  noch  nicht  erörtertes  Problem  der  Schulreform  ist  das, 
welches    als  Aufstieg   der  Begabten  unter  dem  Kampfruf:    Freie  Bahn 


Miszellen.  345 

dem  Tüchtigen!  zurzeit  wohl  den  breitesten  Raum  in  der  Presse  und 
in  der  pädagogischen  Literatur  einnimmt.  Wiederum  geht  die  Richtung 
auf  Vereinheitlichung;  in  einer  „Einheitsschule"  sollen  alle  Kinder, 
ohne  Unterschied  des  Standes  oder  des  Ortes  mindestens  drei,  möglichst 
fünf,  sechs,  ja  acht  Jahre  den  gleichen  Unterricht  haben  oder  wenigstens 
bei  allmählicher  Trennung  nach  ihrer  Begabung  dieselbe  Schule  be- 
suchen; die  höhere  Schule  soll  nicht,  wie  heute,  vom  vierten  Schuljahr 
ab  neben  der  Volksschule  stehen,  sondern  sich  auf  ihr  aufbauen. 

Die  radikale  Durchführung  dieses  Gedankens  würde  sehr  tief  in 
unser  ganzes  Schulwesen  und  zwar  nicht  nur  in  seine  Organisation, 
sondern  in  den  Inhalt  des  Unterrichtes  eingreifen,  viel  tiefer  als  die 
bisher  hier  behandelten  Maßnahmen;  an  seine  Prüfung  wird  man  daher 
nur  mit  viel  Nüchternheit  und  Besonnenheit  herangehen  dürfen. 

Die  volkswirtschaftliche  Bedeutung  der  Einheitsschule  wird  heute 
sicherlich  überschätzt;  allgemeine  politische  Richtungen  wie  die  be- 
sonderen Belange  des  Volksschullehrerstandes  haben  zurzeit  dieses  ein- 
zelne Problem  der  Schulreform  mehr  in  den  Vordergrund  geschoben,  als 
ihm  an  sich  zukommt.  Gewiß  fordert  eine  gesunde  Volkswirtschaft, 
daß  immer  neue  Kräfte  des  Volkslebens  für  die  leitenden  Stellen  frei- 
gemacht und  —  was  ebenso  wichtig  ist  —  die  ungeeigneten  davon 
ferngehalten  werden ;  gewiß  kann  auch  die  Einrichtung  des  Schulwesens 
dazu  helfen;  es  ist  aber  sehr  fraglich,  ob  sie  in  unserer  jetzigen  Form 
so  sehr  den  Aufstieg  hemmt,  ob  die  Einheitsschule  ihn  so  sehr  fördern 
würde,  wie  eine  rührige  Agitation  es  darstellt.  Die  Hindernisse 
liegen  viel  mehr  auf  einem  anderen  Gebiet :  unsere  sozialen  Zustände  ver- 
langen von  dem,  der  in  die  führenden  Kreise  des  Volkes  gelangen  will, 
große  Aufwendungen  weit  über  die  eigentliche  Schulzeit  hinaus,  und 
ferner  das,  was  der  Volksmund  als  Kinderstube  bezeichnet;  daran  wird 
auch  die  einheitlich  aufgebaute  unentgeltliche  Schule  bis  zur  Uni- 
versität hinauf  nicht  viel  ändern.  Auf  der  anderen  Seite  legt  diese  Ein- 
heitsschule, in  der  der  Lehrer  immer  wieder  durch  Versetzung  und  Ab- 
weisung bestimmt,  wer  aufsteigen  darf,  eine  so  ungeheure  Macht  in 
das  Urteil  eines  Mannes  und  die  Anschauungen  eines  Standes,  daß 
mindestens  ebenso  viel  Begabte  im  Aufstieg  gehemmt  würden,  weil  sie 
nicht  in  das  Schema  der  Schule  hineinpassen,  wie  jetzt  nicht  entdeckt 
oder  nicht  entwickelt  werden;  einzelne  Maßregeln,  nach  den  besonderen 
Möglichkeiten  des  Ortes  und  der  einzelnen  Berufe,  um  die  es  sich  handelt, 
verschieden,  werden  mehr  erreichen  und  weniger  zerstören.  Als  eine 
solche  Maßregel  wird  jetzt  in  Berlin  ein  Begabtengymnasium  und  eine 
gleiche  Oberrealschule  eingerichtet,  in  die  auserlesene  Schüler  aus  der 
Volksschule  aufgenommen  werden.  Besser  wäre  es  doch  wohl,  die  jungen 
Leute  nach  einem  üeberleitungskursus  von  einem  Jahr  auf  verschiedene 
höhere  Schulen  zu  verteilen.  Die  Stellung  als  offizell  Begabter  ist  nicht 
ohne  Gefahr,  und  die  gesellschaftliche  wie  wissenschaftliche  Bildung 
wird  in  der  Umgebung  einer  gewöhnlichen  höheren  Schule  besser 
wachsen.  In  den  kleinen  Städten  ist  überhaupt  kein  anderer  Weg 
möglich,  wenn  man  nicht  Internate  für  Begabte  gründen  will.  Jeden- 
falls   ist    auch   vom    Standpunkt    der  Volkswirtschaft    aus    der  Aufstieg 


346  Miszellen. 

der  Begabten  ein  Problem,  mit  dem  die  kommende  Schulreform  sich 
beschäftigen  muß. 

Diese  Schulreform  ist  auf  dem  Wege ;  mag  sie  nun  wieder  von 
Preußen  aus  auf  ganz  Deutschland  wirken  oder  von  vornherein  als 
Reichsschulreform  versucht  werden.  Bei  den  bisherigen  Schulreformen 
sind  die  wirtschaftlichen  Momente  zwar  im  Unterbewußtsein  von  Einfluß 
gewesen,  aber  sie  werden  verständiger  zur  Geltung  kommen,  wenn 
sie  ebenso  bewußt  ausgesprochen  und  vertreten  werden,  wie  die  päd- 
agogischen; die  Mannigfaltigkeit  des  Unterrichts  verlangt  eine  freie 
und  elastische  Form,  die  sie  auf  den  verschiedensten  Böden  gedeihen 
läßt.  Neben  den  verschiedenen  Schulen,  die  in  großen  Städten  bestehn 
bleiben  und  sich  weiterentwickeln  können,  müssen  Gebilde  geschaffen 
werden,  die  möglichst  vielen  Bedürfnissen  innerhalb  einer  Schule 
gerecht  werden;  und  überall  muß  die  Möglichkeit  des  Einpassens  ge- 
währleistet sein,  wie  sie  die  wirtschaftlichen  Lebensbedingungen  unserer 
verkehrslustigen  Zeit  fordern. 

Den  Weg  hierzu  weisen  wird  die  Erkenntnis,  daß  all  die  „histo- 
risch gewordenen  Schularten"  ein  Gemeinsames  haben,  einen  Kern,  der 
überall  vorhanden  sein  muß.  Es  ist  das  eine  gewisse  Ausbildung  in 
der  Muttersprache,  der  Geschichte  und  der  Erdkunde,  der  Religions- 
lehre, den  mathematischen  und  den  Naturwissenschaften,  dem  Zeichnen; 
anderes,  diese  oder  jene  fremde  Sprache,  weitergehende  Beschäftigung 
mit  den  Kernfächern  ist  nicht  für  alle  Schüler  gleich  erwünscht  und 
ist  dementsprechend  im  Unterricht  anzugliedern ;  auch  Bedürfnisse,  die 
nur  an  einzelnen  Orten  bestehen,  oder  Dinge,  die  hier  oder  dort  ein 
einzelner  Lehrer  vielleicht  besonders  bieten  kann,  gehören  dahin.  Die 
Einheitlichkeit  der  Schulen  braucht  also  nur  in  einem  Teil  der  Stunden- 
zahl vorhanden  zu  sein;  die  Anforderungen,  wie  sie  sich  in  Prüfungs- 
ordnungen und  Berechtigungen  aussprechen,  sind  zunächst  auf  diesen 
Kern  zu  beschränken;  weiterhin  mögen  sie  noch  allgemeine  Bestim- 
mungen enthalten:  soundso  viel  Stunden  auf  diesem  oder  jenem  Gebiet. 
Ein  Teil  der  Unterrichtszeit  wäre  ganz  frei  von  allen  Vorschriften  dieser 
Art  zu  lassen. 

In  diesem  Rahmen  könnte  sich,  z.  B.  in  einer  größeren  Stadt,  die 
vielerlei  Schularten  vertragen  kann,  sehr  wohl  ein  Gymnasium  strengster 
Observanz  erhalten  oder  wieder  entwickeln,  indem  es  alles,  was  an 
freier  Zeit  da  ist,  den  alten  Sprachen  zuwendete;  ebenso  eine  Ober- 
realschule, in  der  die  fremden  Sprachen  noch  mehr  als  heute  hinter 
den  „Realien"  zurückbleiben.  In  ihm  könnten  andererseits  sich  in 
kleinen  Städten  Schulen  ausbauen,  die  im  Sinne  der  vorhin  entwickelten 
wirtschaftlichen  Notwendigkeiten  die  Mannigfaltigkeit  innerhalb  der 
Schule  böten.  Auch  in  der  Darbietung  des  Stoffes  wäre  dann  eine 
freiere  Gestaltung,  als  wir  sie  heute  haben,  denkbar;  zum  durch- 
gehenden Unterricht  könnten  Kurse,  Vortrags-  und  Uebungsreihen  treten. 
Ebenso  ließe  es  sich  in  solchen  Formen  einrichten,  daß  innerhalb  der- 
selben Schule  der  eine  mehr,  der  andere  weniger  lernte,  je  nach  seinem 
Können;  man  könnte  ferner  in  gewissen  Fächern  die  Schüler  ver^ 
schieden  schnell,  je  nach  ihren  Leistungen,  aufsteigen    lassen.     Endlich 


Mis  Zellen. 


347 


wäre  bei  solchen  Einrichtungen  auch  für  den  Aufstieg  der  Begabten 
ein  Weg  zu  finden,  der  mehr  leistete,  als  das  abstrakte  Schema  der 
Einheitsschule.  Manches  lernen  ließe  sich  auf  diesem  Gebiet  wohl  von 
dem  System,  wie  es  sich  im  Schulwesen  von  USAmerika  auf  dem 
Boden  des  englischen  Prüfungswesens  entwickelt  hat,  ohne  daß  wir 
die  deutsche  Gründlichkeit  aufzugeben  brauchten.  Ansätze  dazu  in 
Deutschland  sind  der  oben  genannte  Ersatzunterricht  in  Englisch  und 
Mathematik  in  einigen  preußischen  Gymnasien  oder  der  entsprechende 
im  Latein  an  wenigen  Realschulen,  ferner  die  Handelsrealschulklassen, 
die  in  Bayern  bei  jeder  Oberrealschule  vorhanden  sein  sollen;  auch 
die  preußische  Mittelschule,  die  in  ihren  Leistungen  zwischen  Volks- 
schule und  höherer  Schule  stehen  soll,  im  Alter  ihrer  Schüler  parallel 
zu  beiden,  hat  die  zweite  Fremdsprache,  meist  Englisch,  nur  für  einen 
Teil  ihrer  Schüler. 

Und  so  würde  eine  freiere  Organisation,  als  sie  die  „drei  historisch 
gewordenen  gleichberechtigten  Arten  höherer  Schulen"  bieten,  nicht 
nur  den  volkswirtschaftlichen  Forderungen  von  einer  Schulreform  ent- 
gegenkommen; sie  würde  es  schließlich  auch  dem  Schulmanne  leichter 
machen,  seine  pädagogischen  Ideale  zu  verwirklichen. 


Zur  Begründung  des  soeben  Ausgeführten  mögen  noch  einige  stati- 
stische Angaben  dienen. 

Für  die  statistische  Erfassung  der  jetzigen  Organisation  des  höheren 
Unterrichts  geht  man  am  einfachsten  von  Preußen  aus:  hier  ist  das 
Material  am  sichersten  zugänglich  und  liegen  von  einer  einzigen  Regie- 
rung kontrollierte  Zustände  vor.  Aus  Kuntzes  Kalender  lassen  sich 
hier  für  Mai  1916  folgende  Listen  aufstellen,  wobei  Anstalten  in 
der  Entwicklung  oder  Umbildung  in  ihrem  zukünftigen  Zustand  ge- 
rechnet sind. 


I.    Städte  mit  mehr  als  zwei  Schulen. 

3      4      5       6      7       8       IG       13       17 
17      8       5       3      3       I         3         I         I 

Orte  mit  zwei  Schulen. 


Zahl  der  Schulen 
Zahl  der  Städte 

IL 


42 
I 


G 

+ 
RG 

G  + 
ORS 

RG 

+ 
ORS 

G 

+ 
RS 

RG 

+ 
RS 

ORS 
+ 
PG 

G  + 
RG  + 
ORS 

RG-f 

ORS  + 

PG 

G-f  RG 
-l-RS 

G  + 
Ers.+ 
ORS 

G-I-Ers. 
+  RS 

Ostpreußen 

Westpreußen 

Brandenburg 

Pommern 

Posen 

Schlesien 

Sachsen 

Schleswig-Holstein 

Hannover 

Westfalen 

Hessen-Nassau 

Rheinland 

I 

2 

I 

2 
2 

6 
4 

I 
2 
2 

I 
I 

2 

I 

2 

I 
2 

I 

I 

I 

I 

I 

I 

I 

I 

I 
2 

1 
4 

I 

I 

— 

Zusammen :    56 

4 

21 

4 

6 

I 

I 

6 

I 

9 

2 

I 

348 


Miszellen. 
III.    Orte  mit  einer  Schule. 






G 

G  + 
0R8 

RG    G 

RG 

G  + 
RPG 

PG 

RPG 

G 

PG   RG  ;  1: 

G 

RG 

ORS 

PG 

RPG 

RS 

+ 

+  :  + 

+ 

+ 

+ 

mit 

mit :  mit 

ni 

RG 

ORSi  RS 

RS 

RS 

RS 

Erg. 

Ers. 

Ers. 

En. 

i 

Ostpreußen 

3 

I 





3 

3 

I 





4 









2 





I 

Westpreußen 

I 

— 

I 

3 

2 

I 

— 

— 

— 

I 

— 

— 

— 

b 

3 

— 

— 

— 

Brandenburg 

8 

9 

I 

— 

8 

3 

I 

— 

I 

2 

9 

— 

I 

3 

4 

— 

— 

— 

I 

Pommern 

7 

— 

— 

3 

4 

I 

I 

— 

2 

I 

— 

— 

— 

4 

— 

— 

— 

— 

Posen 

8 

— 

— 

I 

I 

4 

— 

— 

— 

3 

— 

— 

— 

— 

3 

— 

— 

— 

— 

Schlesien 

13 

7 

I 

I 

2 

I 

— 

— 

— 

I 

— 

— 

— 

— 

6 

I 

— 

— 

— 

Sachsen 

II 

4 

2 

— 

I 

2 

— 

— 

I 

I 

I 

— 

— 

— 

2 

— 

— 

— 

I 

Schleswig-Holstein 

I 

3 

— 

— 

5 

I 

I 

— 

I 

5 

— 

— 

— 

4 

— 

— 

— 

— 

Hannover 

3 

6 

I 

— 

2 

2 

3 

I 

— 

3 

— 

— 

— 

8 

— 

— 

— 

I 

Westfalen 

9 

6 

I 

2 

4 

3 

2 

I 

— 

— 

9 

— 

— 

10 

— 

I 

I 

— 

Hessen -Nassau 

4 

— 

2 

— 

I 

I 

— 

— 

— 

2 

2 

2 

— 

I 

2 

I 

— 

— 

I 

Rheinland 

18 

16 

2 

I 

4 

9 

I 

I 

I 

2 

8 

3 

— 

2 

8  ;   6 

— 

— 

— 

Zusammen     394 

88 

51 

T3 

6 

32 

39 

" 

5 

3 

18 

39 

5 

T 

6 

59 

" 

I 

I 

5 

G  =  Gymnasium,  RG  =  Realgymnasium,  ORS  =  Oberrealschule,  PG  =  Pro- 
gymnasium ,  RPG  =  Realprogymnasium ,  RS  =  Realschule ,  Ers.  =  Ersatzunterricht 
von  Untertertia  bis  Untersekunda. 

Für  unsere  Betrachtung  zerlegten  sich  die  preußischen  Städte  mit 
höheren  Schulen  in  drei  Gruppen: 

1)  43  Orte  mit  mehr  als  zwei  Schulen  =  257  Schulen  =  34  Proz. 

2)  56  Orte  mit  zwei  Schulen  =  112  Schulen  =  15  Proz. 

3)  394  Orte  mit  einer  Schule  =  394  Schulen  =  51  Proz. 

Es  sind  hierbei  die  politischen  Gemeinden  zugrunde  gelegt,  d.  h. 
viele  Vororte  der  größeren  Städte  erscheinen  in  Gruppe  2  und  3;  die 
Entfernungen  berechtigen  dazu,  und  was  an  Unrichtigkeit  dabei  ent- 
steht, wird  dadurch  ausgeglichen,  daß  in  großen  Städten  selbst  die 
Wege  so  weit  sind,  daß  die  4  Berliner  Oberrealschulen  nur  für  einen 
Teil  der  Einwohner  wirklich  bequem  liegen.  Abgesehen  ist  auch  von 
der  Schülerzahl;  es  kommt  ebensosehr  darauf  an,  zwischen  wieviel 
Orten  die  Schüler  ohne  Schaden  wechseln  können,  als  wie  viele  Schüler 
das  betrifft,  und  Fragen,  wie  z.  B.  nach  der  Zahl  der  Schüler,  die  Vor- 
teil vom  Reformsystem  haben,  lassen  sich  nur  durch  eine  sehr  ein- 
gehende Durcharbeitung  der  Jahresberichte  gewinnen.  Es  genüge  da- 
her zu  dieser  Frage  die  Bemerkung,  daß  wir  uns  die  Schulen  in  den 
größeren  und  mittleren  Städten  als  meist  stark  besucht  vorstellen  müssen, 
daß  dagegen  wirklich  kleine  Schulen  von  100—150  Schülern  am  ehesten 
in  den  394  kleinen  Schulstädten  vorkommen.  Von  geringem  Wert  wäre 
endlich  eine  Anordnung  nach  der  Einwohnerzahl  der  Städte ;  der  Besuch 
der  Schulen  hängt  dazu  viel  zu  sehr  von  der  Zusammensetzung  der 
Bevölkerung  und  der  Art  der  Umgebung  ab ;  so  schwankt  die  Verhältnis- 
zahl der  Schüler,  die  eine  höhere  Schule  besuchen,  von  3,64  Proz.  aller 
Schüler  im  Fabrikvorort  Lichtenberg  bis  36,46  Proz.  in  der  Rentnerstadt 
Potsdam.  Unter  dem  Druck  des  Berechtigungswesens  ist  die  Zahl  der 
Orte  mit  höheren  Schulen  in  Preußen  mit  zusammen  493  nicht  gering; 
immerhin  würden  sie  sich  um  eine  nicht  unbedeutende  Zahl  erhöhen 
lassen,  wenn  der  gemeinsame  Unterricht  der  Geschlechter  gestattet  würde. 


Mi sz  eilen.  349 

Zurzeit  wird  diese  Lücke  ausgefüllt  teils  durch  Mittelschulen,  die  seit 
dem  neuen  Mittelschullehrplan  von  1910  in  steigendem  Maße  gegründet 
werden,  teils  durch  sogenannte  höhere  Knabenschulen  oder  Rektorat- 
schulen, die  gewöhnlich  bis  zur  Untertertia  oder  Obertertia  führen  und 
die  neuerdings  der  Aufsicht  einer  benachbarten  höheren  Schule  unter- 
stellt sind;  die  ersteren  gehören  mit  französischem  Anfangsunterricht 
fast  immer,  die  zweiten  jetzt  wohl  meist  dem  Reformsystem  an;  ihre 
Lehrer  sind  teils  Volksschullehrer,  die  sich  weiter  fortgebildet  haben,  teils 
akademisch  gebildete  Lehrer,  die  aus  ihrer  regelmäßigen  Laufbahn  her- 
ausgeraten sind,  oder  Kandidaten,  die  dort  ein  vorläufiges  Unterkommen 
gefunden  haben.  Art  und  Wert  dieser  Schulen  sind  sehr  verschieden ; 
einige  sind  nur  gehobene  Klassen  an  einer  Volksschule,  andere  sind 
zu  großen  Anstalten  mit  6  bis  9  Klassen  in  zwei-  und  dreifachem  Zuge 
entwickelt.  Sie  nehmen  vielfach  Knaben  und  Mädchen  auf.  Die  Mittel- 
schulen sind  an  sich  gedacht  als  eine  Anstalt  zwischen  Volksschule  und 
höherer  Schule,  mehr  der  Vorbereitung  auf  praktische  Berufe  und  mittlere 
Laufbahnen  dienend;  sie  treten,  in  kleinen  Orten  vor  allem,  aber  auch 
als  Ersatz  der  höheren  Schule  ein,  wobei  sie  gewöhnlich  etwas  langsamer 
fortschreiten  und  ihre  Schüler  erst  ein  Jahr  später  für  die  entsprechende 
Klasse  der  höheren  Schule  reif  machen.  Die  Zahl  der  Städtchen  mit 
einem  Unterricht  über  die  Volksschule  hinaus  wird  durch  sie  in  Preußen 
um  246  vermehrt,  gegen  394  Orte  mit  einer  höheren  Schule ;  sie  sind  also 
ein  wesentlicher  Faktor  für  die  hier  behandelten  Verhältnisse.  Der  Zahl 
nach  am  stärksten  entwickelt  sind  sie  in  Westfalen  mit  79  gegen  49 
Orte  mit  nur  einer,  am  schwächsten  im  Rheinland  mit  27  gegen  81  Orte 
mit  nur  einer  höheren  Schule.  Wie  weit  sie  wirklich  ein  ausreichender 
Ersatz  für  die  höheren  Schulen  sind,  hängt  sehr  von  ihrer  Leitung  ab  und 
ihren  Lehrern.  Da  diese  Schulen  —  ebenso  wie  die  185  Knabenmittel- 
schulen in  Städten,  die  höhere  Schulen  haben  —  nicht  dem  Provinzial- 
schulkollegium  unterstehn  (neuerdings  sind  Mittelschulen  vereinzelt  dem 
Provinzialschulkollegium  zugewiesen  worden),  sondern  wie  die  Volks- 
schulen der  Regierung,  so  ist  die  ganze  Einrichtung  nicht  einheitlich  mit 
der  der  höheren  Schulen  durchgeführt;  man  könnte  sogar  oft  von  einer 
gewissen  Konkurrenz  sprechen.  Für  noch  kleinere  Bezirke  kommt  dazu 
dann  die  Vorbereitung  durch  Hauslehrer  und  Dorfgeistliche,  die  meist 
bis  zur  Beendigung  der  Unterstufe,  also  bis  Quarta,  reicht;  diese  trägt 
in  stärkerem  Maße  gymnasialen  Charakter. 

Von  den  Orten  mit  eigentlichen  höheren  Schulen  bieten  die  42  Städte 
mit  mehr  als  zwei  Schulen  ihren  Kindern,  insoweit  sie  nicht  durch  Um- 
zug in  andere  Verhältnisse  kommen,  fast  durchweg  alle  drei  Möglich- 
keiten, die  zurzeit  bestehen;  es  fehlen  nur  in  5  von  ihnen  die  Ober- 
klassen der  lateinlosen  Realschule,  in  einer  die  Form  des  Realgym- 
nasiums. 

Oberklassen  wenigstens  einer  Art  haben  die  56  Städte  mit  zwei 
Schulen  alle ;  von  den  394  mit  nur  einer  Schule  finden  wir  sie  in  293 ; 
etwa  25  Proz.  führen  also  nur  bis  zur  Einjährigenberechtigung. 

Was  die  Schularten  angeht,  so  findet  sich  nur  eine  Möglichkeit 
einer  Vollanstalt  in  9  Städten  mit  zwei  Schulen,  und  zwar  7  G.,  1  RG., 


250  MiBzellen. 

1  OBS.,  sowie  in  274  Städten  mit  einer  Schule,  und  zwar:  170  G., 
91  RG.,  13  ORS. 

Zwei  Möglichkeiten  bieten  41  Städte  mit  zwei  Schulen,  und  zwar 
36  G.,  18  RG.,  27  ORS.,  sowie  19  Städte  mit  nur  einer  Schule,  näm- 
lich 16  G.,  14  RG.,  8  ORS. 

Alle  drei  Möglichkeiten  bieten  von  den  Städten  mit  einer  Schule 
keine,    von    denen   mit   zwei  Schulen  6. 

Der  Typus  des  Gymnasiums  überwiegt  also  stark,  vor  allem  in 
den  kleinen  Städten. 

Eine  viel  größere  Zahl  von  Schülern  und  eine  wirtschaftlich  weniger 
leistungsfähige  Schicht  von  Eltern  ist  daran  interessiert,  daß  sie  in 
ihrem  Wohnort  wenigstens  bis  zur  Untersekunda,  zum  Einjährigenrecht, 
die  Möglichkeit  der  Ausbildung  und  des  glatten  Fortkommens  bei  einem 
Umzug  findet ;  ihre  Interessen  gehen  teils  dahin,  daß  nur  irgendwie  die 
Möglichkeit  höheren  Unterrichts  da  ist,  teils  aber  auch  insbesondere 
dahin,  daß  der  Ort  eine  Realschulbildung  bietet,  die  mit  der  Unter- 
sekunda abgeschlossen  ist. 

Die  ausgebildeteste  Form  dafür  ist,  daß  neben  der  Vollanstalt  eine 
zweite,  eigene  Anstalt  steht;  meist  neben  dem  Gymnasium  oder  Real- 
gymnasium eine  lateinlose  Realschule;  diese  findet  sich  in  29  von  den 
56  Städten  mit  zwei  Schulen,  in  49  von  den  293  mit  nur  einer  Vollanstalt. 
Billiger  durchzuführen  ist  der  S.  344  geschilderte  Ersatzunterricht,  der 
nach  dem  Durchlaufen  der  Quarta  in  Parallelkursen  mit  Englisch  und 
Mathematik  eine  zweite  Mittelstufe  auf  lateinischer  Grundlage,  also  eine 
Art  Realprogymnasium,  schafft;  wir  finden  ihn  in  nur  3  von  den  56 
Städten  mit  zwei  Schulen,  in  72  von  den  394  mit  nur  einer  Schule. 
Natürlicher  wäre  der  Weg,  der  auf  der  breiteren  Grundlage  der  Real- 
schule eine  gymnasiale  Abteilung  abzweigt  für  die  wenigen,  die  später 
ein  Gymnasium  besuchen  wollen;  es  sind  aber  nur  5  Fälle,  die  ihn 
zeigen. 

Diese  5  Fälle  gehören  eigentlich  schon  zu  dem  Reformschulsystem, 
das  bis  Quarta  alle  Schüler  mit  Französisch  vereinigt,  sie  dann  in  eine 
Realschulabteilung  mit  Englisch  und  mehr  Mathematik  und  eine  Realgym- 
nasialabteilung mit  Latein  von  Untertertia,  Englisch  von  Untersekunda 
ab,  oder  dafür  eine  Gymnasialabteilung  mit  Griechisch  von  Untersekunda 
an  trennt;  der  Unterschied  ist,  daß  die  eigentliche  Reformschule  nicht 
nur  Ersatzunterricht  in  einzelnen  Fächern,  sondern  parallel  laufende 
ganze  Klassen  hat.  Wenn  sie  wirklich  allgemein  durchgeführt  wäre, 
würde  sie  die  Eltern  wenigstens  bis  zum  12.  Lebensjahre  ihrer  Söhne 
der  Frage  entheben,  welcher  Weg  für  sie  der  geeignetste  ist  oder  welche 
Schulart  sie  bei  einer  Versetzung  vorfinden  mögen ;  wie  die  Dinge  jetzt 
liegen,  zeigt  die  folgende  Uebersicht: 

^  Nur  Nur  lateinische      Beide  Möglich- 

^"®  Reformsystem  Grundlage  keiten 

I.  mit  mehr  als  2  Schulen  —  —  43 

II.  mit  2  Schulen  5  4  47 

III.  mit  1  Schule  144 225 24 

Zusammen     149  229  114 


Miszellen.  351 

Bedenkt  man,  daß  es  auch  in  den  Städten,  die  beide  Möglichkeiten 
bieten,  vom  Zufall  abhängt,  in  welches  System  der  Schüler  gerät,  so 
ergibt  sich,  wie  unbefriedigend  dieser  Zustand  ist;  nur  in  23  Proz.  der 
Städte  kann  der  Vater  wählen;  in  30  Proz.  muß  er  sich  für  das  Reform- 
system, in  47  Proz.  für  den  lateinischen  Unterbau  entscheiden. 

Wünschenswert  ist  das  Reformsystem  vor  allem  für  die  kleinen 
Städte,  wo  die  Eltern  nur  mit  einer  Schule  rechnen  können;  am  ver- 
breitetsten  ist  es  aber  gerade  in  den  größeren;  es  erscheint  dort  bei 
53  Proz.  aller  Schulen,  während  nur  41  Proz.  lateinischen  Unterbau 
haben,  6  Proz.  an  einer  Anstalt  Unterklassen  beider  Art  vereinigen;  in 
den  kleinen  Städten  bestehen  dagegen  nur  37  Proz.  Reformschulen, 
57  Proz.  mit  lateinischem  Unterbau,    6  Proz.  mit  beiden  Möglichkeiten. 

Eine  Besonderheit,  der  Versuch,  Reformschulen  auf  der  Grundlage 
des  Englischen  zu  errichten,  ist  bei  zwei  Anstalten  stecken  geblieben; 
ebenso  hat  sich  von  den  zwei  Arten,  in  denen  man  zunächst  die  Reihen- 
folge der  fremden  Sprachen  in  den  Reformanstalten  versucht  hat,  die 
ältere,  das  Altonaer  System,  gegen  das  jüngere  Frankfurter  System 
nicht  halten  können. 

Die  Ungleichheit  zwischen  den  Orten  verschiedener  Größe  zeigt 
sich  auch,  wenn  man  die  Schulen  in  solche  gymnasialen,  realgymnasialen 
und  realen  Charakters  trennt,  und  bei  kombinierten  Anstalten  jeden  Teil 
für  sich  zählt ;  die  Schulen  mit  Ersatzunterricht  auf  lateinischer  Grund- 
lage sind  dabei  als  Realprogymnasien  erfaßt  worden.  Die  Gymnasien 
sind  in  allen  drei  Größenklassen  mit  37 — 38  Proz.  gleichmäßig  ver- 
treten ;  die  realgymnasialen  überwiegen  in  der  Gruppe  der  kleinsten  mit 
42  Proz.,  lateinlose  sind  dort  in  22  Proz. ;  in  den  Städten  mit  2  Schulen 
sind  dagegen  41  Proz.  realen  Charakters,  in  den  großen  38  Proz.  Das 
Realgymnasium  ist  als  Mittelform  trotz  aller  pädagogischen  Bedenken 
besonders  beliebt,  wo  nur  eine  Schule  besteht. 

Sehr  ungleich  ist  auch  die  Entwicklung,  die  die  Organisation  der 
höheren  Schule  in  den  einzelnen  Landesteilen  genommen  hat.  So  haben, 
um  die  Extreme  zu  nennen,  in  Schlesien  72  Proz.,  in  Schleswig-Holstein 
24  Proz.  den  lateinischen  Unterbau.  In  Posen  tragen  von  den  Anstalten 
in  Städten  mit  nur  einer  Schule  55  Proz.,  in  Sachsen  53  Proz.  gymna- 
sialen Charakter,  in  Schleswig-Holstein  nur  21  Proz.;  die  realgymna- 
sialen Schulen  sind  in  derselben  Gruppe  von  Orten  in  Brandenburg  mit 
55  Proz.,  Westpreußen  mit  50  Proz.,  Westfalen  mit  48  Proz.  am  stärksten 
vertreten,  am  schwächsten  mit  19  Proz.  in  Posen;  die  meisten  latein- 
losen Schulen  hat  Schleswig-Holstein  mit  49  Proz.,  die  wenigsten  Schle- 
sien mit  8  Proz.,  Westpreußen  mit  9  Proz. 

Die  Ursache  der  Unterschiede  zwischen  den  Provinzen  liegt  keines- 
wegs nur  in  ihren  wirtschaftlichen  Verhältnissen;  so  weit  stehen  in 
dieser  Hinsicht  z.  B.  Schleswig-Holstein  und  Schlesien  nicht  voneinander 
ab.  Oefter  sehlagen  sich  wohl  die  Ansichten  der  Provinzialschulräte 
in  den  Schulformen  nieder,  die  in  ihrem  Bereich  durch  Gründung  oder 
Umwandlung  entstehen;  darauf  ist  es  wohl  zurückzuführen,  wenn  z.  B. 
die  Angliederung  von  Ersatzunterricht  in  Westpreußen  in  9  von  21 
Städten,  in  dem  verwandten  Ostpreußen  nur  in  3  von  18  vorkommt,  in 


352  M  i  8  z  e  1 1  e  n. 

Brandenburg  nur  in  5  von  51,  in  Westfalen  wieder  in  12  von  46.  In 
Berlin  selbst  gehören  —  wenn  man  die  15  Realschulen  abzieht,  die  mit 
dem  Anfang  der  fremden  Sprachen  in  Quarta  ein  eigenes  System  bilden  — 
dem  Reformunterricht  nur  5  Schulen  an,  23  haben  lateinischen  Unterbau; 
dagegen  sind  von  den  Schulen  in  seinen  Vororten  37  auf  dem  Reform- 
system aufgebaut,  23  auf  lateinischer  Grundlage,  3  geben  beide  Möglich- 
keiten. Bei  dem  Hin  und  Her  zwischen  der  Stadt  und  den  Vororten 
ein  unerfreulicher  Zustand!  Auch  die  Verteilung  der  Konfessionen  ist 
nicht  ohne  Bedeutung;  in  vorwiegend  katholischen  Gebieten  scheint  eine 
Vorliebe  für  das  Gymnasium  unverkennbar;  so  in  Westfalen,  Rheinland, 
Schlesien.  Endlich  sind  die  älteren  Schulen  unter  dem  Zwang  der  Ge- 
wohnheit viel  häufiger  gymnasialen  Charakters  oder  haben  wenigstens 
lateinischen  Unterbau,  sind  die  Neugründungen  viel  öfter  dem  Reform- 
system angehörig. 

So  kreuzen  sich  in  der  Form  der  Organisation  die  verschiedensten 
Interessen  und  einmal  bestehende  Zustände;  vom  volkswirtschaftlichen 
Standpunkte  am  erwünschtesten  wäre  ein  Ausgleich  im  Sinne  des  Refom- 
systems  auf  der  unteren  Stufe,  eine  Differenzierung,  sei  es  durch  parallele 
Schulen  oder  durch  Ersatzunterricht,  nach  oben  hin. 

Die  Verhältnisse  außerhalb  Preußens  sollen  hier  nur  aus- 
zugsweise umrissen  werden.  Die  kleinen  norddeutschen  Staaten  —  abge- 
sehen von  den  3  Hansestädten  —  stehen  in  der  Reformschulfrage  ähnlich 
wie  Preußen ;  sie  haben  46  Proz.  Reformschulen,  44  Proz.  auf  lateinischer 
Grundlage,  in  10  Proz.  ihrer  Schulen  beide  Möglichkeiten  nebeneinander. 
Auffällig  ist,  daß  Mecklenburg,  das  man  wohl  als  das  Land  der  kleinen 
Landstädte  bezeichnen  darf,  so  wenig  von  dieser  Bewegung  ergriffen  ist; 
hier  gehören  64  Proz.  dem  lateinischen  Unterbau  an,  27  Proz.  sind 
Reformanstalten,  und  zwar  fast  durchweg  Realschulen.  Im  Gegensatz 
dazu  stehen  die  3  Hansestädte  mit  77  Proz.  Schülern  des  Reformsystems, 

20  Proz.  auf  lateinischer  Grundlage,  3  Proz.  für  beide  Wege  an  einer 
Schule.  Wieder  fehlt  der  Reformunterbau  gerade  da,  wo  er  am  nötigsten 
wäre,  in  den  kleinen  Städten.  Vor  allem  ist  Hamburg  bemerkenswert,  das 
die  Oberrealschule  so  stark  entwickelt  hat,  wie  es  nirgends  sonst  der 
Fall  ist;  Berlin  hat  4  Oberrealschulen  gegen  23  Gymnasien  und  Real- 
gymnasien, Hamburg  5  Oberrealschulen  und  nur  5  Lateinschulen;  die 
Gymnasien  sind  in  den  Hansestädten  nur  18  Proz.  aller  Anstalten.  Das 
Königreich  Sachsen  weicht  nicht  erheblich  von  Preußen  ab;  es  hat 
weniger  Realgymnasien,  mehr  Realschulen,  und  findet  einen  Ausgleich 
gern  durch  Ersatzunterricht.  In  Süddeutschland  sind  Hessen  und  Baden 
dem  Reformsystem  sehr  geneigt,  mit  60  und  67  Proz.  seiner  Schulen; 
das  beruht  darauf,  daß  sie  die  lateinlose  Schule  (bis  zur  Oberprima 
hinauf)  stark  bevorzugen,  von  denen  sie  62  Proz.  und  65  Proz.  haben 
gegen  29  Proz.  in  Preußen;  realgymnasiale  Schulen  haben  sie  mit  7  und 

21  Proz.  besonders  wenig,  gegen  34  Proz.  in  Preußen. 

Bayern  hat  den  Gedanken  der  Reformschule  als  des  gemeinsamen 
Unterbaues  für  alle  Arten  von  höheren  Schulen  bisher  überhaupt  abge- 
lehnt; die  42  Proz.  Schulen  dieser  Art  sind  bis  auf  eine  alles  Real- 
schulen und  Oberrealschulen :  der  lateinische  Unterbau  ist  mit  56  Proz. 


Miszelleu.  353 

stark  entwickelt,  und  es  führt  schon  von  Sexta  ab  keine  Brücke  von 
einer  Schulart  zur  anderen.  Dieselbe  scharfe  Trennung  ist  auch  in  der 
Auswahl  unter  den  drei  vorhandenen  Schularten  gewählt.  Die  Mittel- 
form des  Realgymnasiums  kommt  mit  2  Proz.  der  Anstalten  kaum  vor, 
das  Gymnasium  ist  mit  56  Proz.  aller  Schulen  stärker  als  in  irgend- 
einer preußischen  Provinz  entwickelt.  Die  pädagogische  Anschauung, 
daß  der  Schüler  entweder  den  einen  oder  den  anderen  Weg  zu  gehen 
habe,  von  Anfang  an  und  mit  einer  gewissen  Einseitigkeit,  die  sich 
auch  in  der  Ausgestaltung  der  Lehrpläne  zeigt,  hat  alle  wirtschaftlichen 
Erwägungen  zurückgedrängt;  auch  der  Ersatzunterricht  ist  selten,  da- 
gegen findet  man  verhältnismäßig  oft,  auch  in  kleineren  Orten,  eine 
Realschule  neben  dem  Gymnasium.  Der  Ursachen  werden  verschiedene 
sein ;  in  dem  stark  katholischen  Lande  mag  die  Vorliebe,  die  die  Kirche 
für  das  Gymnasium  zeigt,  eine  Rolle  spielen;  es  kommt  hinzu,  daß  die 
Städte,  im  Gegensatz  zu  Preußen,  nur  in  verschwindendem  Maße  Träger 
des  höheren  Schulwesens  sind,  daß  also  der  einheitliche  Wille  der  Re- 
gierung ohne  störende  Einflüsse  vorwaltet;  Bayern  zeigt  auch  sonst  seit 
den  Tagen  des  Rheinbundes  eine  stärkere  Bürokratie  als  vielleicht  irgend 
ein  Bundesstaat.  In  Elsaß-Lothringen  ist  die  Organisation  des  höheren 
Schulwesens  ähnliche  Wege  gegangen  wie  in  Bayern.  In  Württemberg 
dagegen  nimmt  das  Reformsystem  seit  einiger  Zeit  stark  zu;  nur 
34  Proz.  aller  Schulen  bieten  nur  lateinischen  unterbau,  die  Gymnasien 
sind  nur  25  Proz.  aller  Schulen,  die  Realgymnasien  sind  mit  30  Proz. 
nicht  schlecht  entwickelt.  Ganz  besonders  hat  Württemberg  dann  für 
die  kleinen  Städte  gesorgt  durch  seine  Lateinschulen  und  Realschulen 
ohne  Oberklassen,  die  meist  nur  eine  oder  2,  manchmal  auch  3,  4,  5 
Klassen  haben,  von  10 — 100  Schülern  besucht  werden,  meist  nur  von 
1 — 2  Lehrern  unterrichtet  werden.  Das  kleine  Land  besitzt  solcher 
Schulen  99,  von  denen  33  Proz.  Lateinschulen,  57  Proz.  Realschulen, 
10  Proz.  gemischt  sind.  Diese  Schulen  sind  wohl  den  Rektorschulen  in 
Preußen  zu  vergleichen,  sind  aber  viel  stärker  verbreitet ;  diese  99  Orte 
stehen  gegenüber  28  Städtchen  mit  einer  höheren  Schule,  während  dies 
Verhältnis  in  Preußen  246 :  394  ist,  selbst  in  Westfalen  nur  79  :  49.  In 
der  Verwaltung  und  ganzen  Anlage  erscheinen  sie  aber  mehr  als  Anfangs- 
klassen einer  höheren  Schule,  während  die  preußischen  Mittelschulen 
gleichzeitig  zwischen  höherer  Schule  und  Volksschule  stehen  und  sich 
zu  einem  Unter-  und  Mittelbau  der  höheren  Schule  aus  dem  Ressort 
der  Volksschule  heraus  zu  entwickeln  streben.  Eine  gute  Uebersicht 
gibt  eine  soeben  von  der  Kgl.  Ministerialabteilung  für  Unterricht 
herausgegebene  Karte  der  höheren  Schulen  Württembergs. 


Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  23 


354  Literatur. 


Literatur. 


IL 

Hoffmann,  J.  F.,  Die  Getreidespeicher, 

bautechnisclie  und   maschinenteclinisclie  Einrichtung,  wie  Förder- 
maschinen, Lüfter  und  Luftwerk,  Beinigungsmaschinen  usw.,  sowie 
iBesprechung  der  Getreide-  und  Allestrockner. 

Berlin  (Paul  Parey)  1916.     XVIII  u.  829  SS.     Mit  732  Textabbildungen. 

(Preis  48  M.) 

Besprochen  von  W.  Wygodzinski  (Bonn). 

Die  Frage  der  Getreidelagerung  war  schon  vor  dem  Kriege  von 
wachsender  Bedeutung.  Es  handelte  sich  dabei  einmal  darum,  eine 
technisch  und  ökonomisch  einwandfreie  Form  der  Lagerung  zu  finden, 
die  eine  sichere  und  zugleich  billige  Aufbewahrung  dieses  wichtigen 
Massengutes  gestattete;  das  wurde  in  dem  gleichen  Maße  dringender, 
als  der  Getreidehandel  immer  riesigere  Mengen  an  sich  zog  und  auf- 
stapelte, ehe  sie  den  Mühlen  zur  Verarbeitung  gegeben  wurden.  Des- 
gleichen müssen  auch  die  Mühlen  und  die  Brauereien  für  sachgemäße 
Aufbewahrung  ihrer  Rohstoffe  besorgt  sein.  Die  Getreidespeicher  wurden 
aber  auch  Gegenstand  lebhaftesten  volkswirtschaftlichen  Interesses.  Der 
amerikanische  G^treidehandel  stützte  sich  auf  sie;  in  Deutschland 
und  später  auch  in  den  Vereinigten  Staaten  versuchten  umgekehrt  die 
Produzenten,  mit  ihrer  Hilfe  den  Handel  „auszuschalten"  (vgl.  hierzu 
meinen  Artikel  „Kornspeicher"  im  Handwörterbuch  der  Staats  Wissen- 
schaften 3.  Aufl.  VI.  Bd.  S.  175  fg.).  Nunmehr  tritt  noch  etwas  Drittes 
hinzu,  nämlich  die  durch  den  Kjrieg  entstandene  Notwendigkeit  einer 
Vorratspolitik  zur  Sicherung  gegen  künftige  Versuche  von  Aushunge- 
rungspolitik. Damit  ist  die  Frage  der  Getreidespeicher  zugleich  zu  einer 
nationalpolitischen  ersten  Ranges  geworden.  So  kommt  jetzt  ein  Werk 
besonders  willkommen,  das,  auf  langjähriger  Beschäftigung  mit  dem 
Gegenstand  beruhend,  ihn  nach  der  technischen  Seite  hin  in  größter 
Ausführlichkeit  musterhaft  darstellt.  Es  ist  dies  die  obengenannte  Arbeit 
von   Dr.   J.    F.   Hoffmann. 

Der  Verfasser  beginnt  seine  Betrachtungen  mit  einer  Geschichte 
der  Getreideaufspeicherung.  Diese,  nicht  auf  den  Quellen,  son- 
dern auf  abgeleiteter  Literatur  beruhend,  verzichtet  auf  die  systema- 
tische Durchfühungr  der  Entwicklung,  gibt  vielmehr  Typen  aus  ver- 
schiedenen  Ländern   und   Zeiten,  mit  gelegentlichen   kritischen   Bemer- 


Literatur.  355 

kungen  vom  Standpunkte  der  modernen  Technik  aus.  Ee  sind  dabei 
zwei  ^oße  Gruppen  zu  scheiden,  nämlich  die  unterirdische  imd  die  ober- 
irdische Getreideaufbewahrung;  bei  ersterer  wieder  kommen  Erdgruben 
vor  (Silos),  wie  sie  das  Altertum,  aber  auch  die  neuere  Zeit  kannte. 
So  wissen  wir  von  Erdsilos,  welche  die  Mansfelder  Bergbaugewerk- 
schaft im  Jahre  1849  anlegte  1).  Es  handelt  sich  dabei  einmal  um 
die  Aufbewahrung-  während  des  Ernte  Jahres,  weiter  aber  um  Auf- 
speicherung für  Notjahre ;  eine  Zusammenfassung  der  Typen  nach  dieser 
Richtung  wäre  für  Laien  lehrreich  gewesen.  Endlich  gibt  Hoffmann 
in  diesem  Abschnitt  eine  kurze  Skizze  der  Entwicklung  der  Vorläufer 
der  neueren  Speichersysteme.  Wir  sehen  dabei  insbesondere,  daß  der 
Streit,  ob  der  Haltbarkeit  des  Getreides  besser  durch  völligen  Luftab- 
schluß oder  durch  ständige  Durchlüftung  gedient  sei,  zum  mindesten 
schon  anderthalb  Jahrhunderte  alt  ist.  Bereits  1768  konstruierte  der 
Festungsbaumeister  Dinglinger  für  Hamburg  einen  Kornspeicher,  der, 
dem  dortigen  feuchten  Klima  Rechnung  tragend,  eine  ständige  Durch- 
lüftung mit  einfachsten  Mitteln  gestattete  und,  wie  es  scheint,  gute  Er- 
folge aufwies.  Andere  Systeme  folgten,  auch  solche  für  Schutt-  und 
Silotrichteranwendung.  Negativ  ist  ihnen  allen  das  Fehlen  umfang- 
reicherer mechanischer  Einrichtungen  zur  Bewegung  des  Getreides  ge- 
meinsam, die  das  charakteristische  Kennzeichen  der  modernen  Getreide- 
speicher sind. 

Nach  dieser  historischen  Skizze  behandelt  Hoffmann  die  gegen- 
wärtigen Speichersysteme  und  Bauten.  Einige  Bemerkungen 
über  die  ästhetische  Wirkung  der  Speicherbauten  werden  vorausge- 
schickt, wobei  insbesondere  mit  Recht  auf  die  ausdrucksvolle  Linien- 
führung moderner  Silospeicher  hingewiesen  wird.  Die  eigentlichen  Bau- 
künstler, die  sich  anderer  Nutzbauten  bereits  mit  großem  Erfolg  ange- 
nommen haben,  wie  z.  B.  Peter  Behrens,  scheinen  diese  dankbare  Auf- 
gabe noch  nicht  entdeckt  zu  haben.  Entscheidend  für  die  Wahl  der 
LagerungS'  und  Förderformen  muß  natürlich  Zweckmäßigkeit  und 
Wirtschaftlichkeit  der  Anlage  sein.  Die  technische  Entwicklung  war 
in  den  letzten  Jahren  eine  sehr  starke,  doch  scheint  sie  sich  dem-  Be-' 
harrungszustand  zu  nähern. 

Die  einfachste,  mit  dem  geringsten  Kostenaufwand  herzustellende 
Speicherform  ist  der  Bodenspeicher,  in  dem  das  Getreide  in  einem  oder 
auch  mehreren  Stockwerken  auf  der  Bodenfläche  lagert.  Das  so  lagernde 
Gretreide  erfordert  aber  außerordentlich  viel  Handarbeit,  deren  Verringe- 
rung zuerst  in  Nordamerika  wegen  der  Knappheit  der  Arbeitskräfte 
sich  notwendig  machte.  Die  Lösung  fand  sich  im  Silo,  dem  Schacht,, 
in  Verbindung  mit  Becher-  und  Schöpfwerken.  Eine  UebergangsforiÄ 
bilden  die  besonders  für  landwirtschaftliche  Lagerhäuser  vielfach  ver- 
wendeten Trichterböden,  bei  welchen  mehrere  kleinere  Siloschächte  über- 
einander stehen,  so  daß  auch  hier  die  Handarbeit  bei  der  Beförderung» 
und  Umarbeitung  des  Getreides  im  wesentlichen  fortfällt.    Als  üeber- 


1)  Diese  Anlage   ist  Hoffmann    entgangen.     Vgl.    Schadeberg,   Die  Silos,   2.  Aus- 
gabe, Halle  1854. 

23* 


356  Literatur. 

gangsform  kann  man  auch  die  Rieselspeicher  betrachten,  bei  denen  man 
das  Getreide  mit  Hilfe  von  Schiebern  von  einem  Boden  auf  den  nächsten 
herabiieseln  läßt  und  damit  entlüftet.  Endlich  hat  die  Technik  die 
alten  Bodenspeicher  wieder  zu  Ehren  gebracht,  indem  sie  die  Förderung 
des  Geti-eides  durch  neue  mechanische  Vorrichtungen  ermöglichte.  Die 
eine  ist  das  Luftwerk,  d.  h.  die  Förderung  des  Getreides  durch  Saug- 
oder Druckluft.  Die  zweite  Methode  dient  dem  Umstechen  des  lagern- 
den Getreides  durch  fahrbare  Wender,  die  ähnlich  wie  auf  den  Brauerei- 
darren das  Getreide  fassen  und  rückwärts  in  die  Luft  werfen.  Neben 
den  älteren  Formen  der  Boden-  und  Silolagerung  kommt  nunmehr  auch 
noch  die  Kastenlagerung  in  Betracht,  bei  der  die  Lagerböden  durch 
feste  oder  bewegliche  Wände  in  Abteilungen  getrennt  werden,  in  welchen 
kleinere  Getreideposten  gesondert  aufbewahrt  werden  können.  Die  Kasten- 
lagerung ist  jetzt  dadurch  konkurrenzfähig  geworden,  daß  das  Luft- 
werk die  sonst  viel  Arbeit  kostende  Entleerung  leicht  macht.  Diese 
Lagerformen  lassen  sich  mannigfach  kombinieren.  Die  Wahl  des  Lager- 
systems im  einzelnen  hängt  von  den  verschiedensten  Bedingungen  ab. 
Die  Anlagekosten  sind  bei  den  Bodenspeichern  am  niedrigsten;  dann 
folgen  der  Reihe  nach  Silospeicher,  Kastenspeicher,  Trichterspeioher  und 
als  letzte  Rieselspeioher.  Die  Ausnutzungsmöglichkeit  ist  beim  Boden- 
speicher am  geringsten  (ein  Drittel  oder  gar  ein  Viertel  des  Raumin- 
halts), beim  Silospeicher  am  größten  (fast  vollständig),  so  daß  bei 
teueren  Grundpreisen,  wie  in  Großstädten,  die  Silos  am  zweckmäßigsten 
scheinen.  Die  klimatischen  Bedingungen  sind  jedoch  in  Deutschland  einer 
hohen  Aufspeicherung  nicht  günstig ;  die  Erhaltung  der  Keimfähigkeit,  die 
Vermeidung  von  Schimmelbildung  und  Selbsterwärmung  wird  bei  sonst 
gleichen  Umständen  vielmehr  am  leichtesten  bei  flacher  Bodenjagerung 
erreicht.  Bezüglich  der  Wahl  der  Fördermittel  handelt  es  sich  vor 
allem  um  den  Kampf  zwischen  Bändern  und  Becherwerken  auf  der 
einen,  Luftwerk  auf  der  anderen  Seite.  Die  Vorzüge  des  Luftwerks 
liegen  auf  der  Seite  einer  außerordentlichen  Arbeitsersparung,  seiner 
großen  Anpassungsfähigkeit  an  alle  räumlichen  Bedingungen  und  der 
gleichzeitigen  Reinigung  und  Entstaubimg  des  Materials.  Nachteile 
sind  die  Kosten,  die  allerdings  durch  die  Technik  ständig  herunterge- 
drückt werden,  und  die  bisher  jedoch  nicht  einwandfrei  naehge- 
wiesene  Abnutzung  des  Getreides  während  des  Passierens,  die  der  Keim- 
fähigkeit schaden  soll.  Hoffmann  glaubt,  daß  man  letztere  Gefahr 
durch  eine  Verringerung  der  Luftgeschwindigkeit  verhindern  könne. 
Selbstverständlich  kommt  es  auch  darauf  an,  welchem  Zwecke  der 
Speicher  dienen  soll.  Die  Handelsspeicher  liegen  meist  an  Wasser- 
läufen. Da  hier  der  Boden  in  der  Regel  feucht  ist,  muß  bei  der  An- 
lage und  insbesondere  bei  der  Fundierung  darauf  Rücksicht  genommen 
werden,  daß  bei  Silospeichern  der  G^treidedruck  ganz  außerordentlich 
groß,  schon  bei  25  m  Höhe  der  Silos  400  Zentner  pro  1  qm  ist. 
Gefährliche  Schiefstellungen  und  Zusammenstürze,  von  denen  das  Buch 
anschauliche  Bilder  gibt,  waren  schon  mehrfach  die  Folge  einer  nicht 
genügenden  Berücksichtigung  dieser  Tatsache.  Ho  ff  mann  gibt  nun- 
mehr ausführliche,  durch  zahlreiche  Abbildungen  und  schematische  Dsu:- 


Literatur.  357 

Stellungen  unterstützte  Schilderungen  der  verschiedenen  Speicherformen, 
die  überwiegend  technisch  orientiert  sind.  Der  gewöhnliche  Boden- 
speicher, der  sich  namentlich  auf  dem  Lande  findet,  ist  oft  von  ein- 
fachster Bauart,  wegen  seiner  schlechten  Ausnutzbarkeit  und  des 
Mangels  an  Luft  und  Licht  nicht  selten  recht  imökonomisch.  Ein  mo- 
derner Bodenspeicher  ist  beispielsweise  der  Teltowkanalspeicher  am 
Tempelhofei  Hafen  in  Groß-Berlin,  der  21000  qm  Bodenfläche  ent- 
hält; die  Beförderung  des  Getreides  wie  auch  das  Umstechen  und 
Wiegen  geschieht  natürlich  maschinell,  mittels  Becherwerken  und  Bän- 
dern. Die  Rieselspeicher  sind  zuerst  durch  den  Mühlenbesitzer 
Friedrich  Schutt  in  Berlin  konstruiert  worden,  der  das  kostspielige  und 
dabei  unwirksame  Umstechen  des  Getreides  von  Hand  durch  eine 
zweckmäßigere  und  billigere  Einrichtung  ersetzen  wollte.  Das  Rieseln, 
das  der  Durchlüftung  des  Getreides  dient,  ist  außerordentlich  arbeit- 
sparend. Nach  H.  kann,  wenn  in  einem  nach  dem  Rieselsystem  ge- 
bauten Proviantamtspeicher  jeweilig  der  zweite  Boden  belegt  ist,  eine 
Getreidemenge  von  1000  t  in  15  Minuten  gründlich  gelüftet  werden, 
während  ein  Arbeiter  vielleicht  21/2  t  in  der  Stunde  schafft.  Die 
Kastenspeicher  haben  hauptsächlich  Bedeutung  für  kaufmännische 
Betriebe,  in  denen  sich  das  Bedürfnis  geltend  macht,  eine  große  Anzahl 
einzelner  Getreideposten  gesondert  aufzubewahren.  Gewöhnlich  werden 
sie  so  eingerichtet,  daß  sie  durch  Herausnahme  der  Zwischenwände  in 
Bodenspeicher  umgewandelt  werden  können.  Um  den  Hauptfehler  der 
Kästen,  nämlich  den  Handarbeitsaufwand  zur  Beseitigung  der  seitlich 
liegenden  Getreidereste,  auszuschalten,  bildet  man  den  Boden  in  Trichter- 
form aus.  So  entstehen  die  Trichter  kästen,  die  sich  von  den  eigent- 
lichen Siloschächten  dadurch  unterscheiden,  daß  mehrere  übereinander 
liegen  und  durch  ein  Fallrohrsystem  miteinander  verbunden  sind.  Je 
kleiner  die  Behälter,  um  so  größer  sind  die  Anlagekosten. 

Da«  bei  weitem  größte  Interesse  widmet  Hoffmann  den  Silo- 
speichern. Er  schickt  einige  Bemerkungen  über  den  Geschäftsbetrieb 
und  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des  nordamerikanischen  Silospeicher- 
wesens voraus,  die  nichts  Neues  enthalten.  Hervorgehoben  sei  nur  die 
Mitteilung,  daß  zurzeit  die  größte  Anlage  für  Getreidespeicherung  auf 
der  Erde  von  der  Grand  Trunk  Elevator  Co.  in  Fort  William,  Ontario, 
Canada,  gebaut  wird;  nach  vollständigem  Ausbau  wird  rund  1  Million  t 
Getreide  darin  gelagert  werden  können.  Um  so  mehr  interessieren  die 
technischen  Mitteilungen.  Die  Silolagerung  ist  unzweifelhaft  die  Ideal- 
form der  Lagerung;  wenn  sie  trotzdem  in  Deutschland  noch  keine  unbe- 
dingte Anerkennung  gefunden  hat,  so  liegt  dies  an  den  bösen  Erfahrungen, 
die  man  vielfach  mit  dem  Getreide  während  der  Lagerzeit  gemacht  hat. 
Das  Muffigwerden,  die  Selbsterwärmung  und  Verschimmelung  des  Ma- 
terials waren  von  jeher  die  schlimmen  Begleiterscheinungen  bei  der 
Silolagerung.  Diese  Mißstände  wurden  durch  das  Eisensilo  noch  ver- 
stärkt, welches  den  Stoffwechselprodukten  des  feuchten  Getreides  jeden 
Ausweg  versperrte  und  zuweilen  sogar  ein  völliges  Zusammenwachsen 
und  Verfilzen  des  Getreides  verursachte.  In  Nordamerika  bildete  zunächst 
Holz  das  Baumaterial.    Es  wurde  in  verschwenderischer  Weise  verwendet. 


358  Literatur. 

indem  man  die  Sohachtwände  durch  Uebereinanderlegen  von  Brettern 
herstellte,  die  in  ausgiebigster  Weise  miteinander  vernagelt  wurden.  Dies 
System  der  Lattenna^lung  besaß  den  Vorzug  einer  ungewöhnlichen 
Widerstandsfähigkeit  gegen  das  Durchbrechen  von  Getreide.  Als  aber 
die  Waldverwüstung  eine  immer  größer  werdende  Holzarmut  verur- 
sachte, waren  die  amerikanischen  Ingenieure  zur  Umschau  nach  anderem 
Material  gezwungen.  Zunächst  verwendete  man  das  aus  Deutschland 
eingeführte  Rundeisensilo,  das  jedoch  die  Schimmelung,  Keimung  und 
während  der  kalten  Winter-  und  Frühjahrsmonate  sogar  das  Gefrieren 
des  Getreides  begünstigte.  Die  Ursache  lag,  wie  erwähnt,  in  der  Undurch- 
lässigkeit  des  Eisens  für  Stoff  Wechselprodukte,  und  so  begann  man,  wäh- 
rend Europa  resigniert  auf  den  Silobau  verzichtete,  in  Amerika  wiederum 
neues  Material  zu  suchen.  Versuche,  gemauerte  Siloschächte  mit  besonders 
geformten  Hohlsteinen  einzuführen,  hatten  keinen  umfassenden  Erfolg. 
Dagegen  wendete  man  sich  um  die  Jahrhundertwende  dem  Eisenbeton- 
bau zu  und  erreichte  damit,  nach  Ueberwindung  der  Kinderkrankheiten» 
das  gewünschte  Ziel.  Auch  in  Deutschland  hat  man  jetzt  die  Abneigung 
gegen  die  Silolagerung  überwunden  und  wendet  das  Eisenbetonsilo  an. 
Bei  der  Konstruktion  der  Silozellen  ist  die  Festigkeit  auf  der  einen 
Seite,  der  möglichst  geringe  Kostenaufwand  auf  der  anderen  Seite  maß- 
gebend. Man  hat  Untersuchungen  über  den  seitlichen  Getreidedruck, 
über  das  Einlaufen  des  Getreides  in  den  Siloschacht  (infolge  der  Kiesel- 
säure, die  sich  in  der  Schale  des  Korns  anhäuft,  wirkt  die  Oberfläche 
wie  eine  Feile  und  frißt  eventuell  jede  Wand,  ob  Holz,  Eisen  odejr 
Stein,  in  kurzer  Zeit  an)  und  über  den  Bodendruck  des  Getreides  ange- 
stellt, wobei  auch  die  Elastizität  des  Korns  eine  Rolle  spielt.  Diesen 
allgemeinen  Ausführungen  folgt  nun  eine  wiederum  mit  zahlreichen 
Abbildungen  versehene  Einzeldarstellung  der  verschiedenen  Silospeicher- 
typen, die  ein  äußerst  eindrucksvolles  Bild  von  der  technischen  Ausge- 
staltung dieses  wichti,gsten  Hilfsmittels  des  modernen  Getreidehandels 
geben. 

Der  zweite  Hauptteil  des  Werkes  ist  dem  Maschinenapparat 
der  Speicher  gewidmet.  Mit  der  Entwicklung  des  Lagerwesens  steht 
die  Entwicklung  der  Fördermittel  im  engsten  Zusammenhange.  Das 
wichtigste:  Fördermittel  für  Getreide  war  bisher  und  wird  es  vielleicht 
auch  bleiben  das  Becherwerk  oder  der  Elevator,  nach  dem  nicht' 
selten  die  Getreidespeicher  selbst  benannt  werden.  Sie  sind  so  konstruiert, 
daß  über  2  in  angemessener  Entfernung  voneinander  befindlichen 
Scheiben  ein  endloser  Baumwoll-  oder  Ledergurt  läuft,  an  dem  die 
mehrere  Liter  fassenden  Eisen-  oder  Stahlbecher  befestigt  sind,  deren 
Breite  etwas  geringer  als  die  der  Gurte  ist.  An  Stelle  der  Gurte  werden 
auch  Ketten  verwendet.  Zur  Vermeidung  der  Staubbelästigung  sind  die 
beiden  Becherstränge  in  Holz-  oder  Eisenröhren  eingeschlossen.  Be- 
sonders wichtig  sind  die  Spannvorrichtungen  der  Bechergurte,  die  den 
ungestörten  Betrieb  garantieren.  Die  Leistungen  der  Becherwerke  sind 
sehr  beträchtlich;  eine  von  H.  angeführte  Tabelle  verzeichnet  je  nach 
der  Größe  solche  von  8  bis  80  Tonnenstunden.  Besondere  Schwierig- 
keiten  bieten   die    Schiffsbecherwerke   wesren    des    wechselnden   Wasser- 


Literatur.  359 

Standes,  so  werden  die  Schwankungen  des  Wasserstandes  des  Rheins 
bei  Düsseldorf  auf  8  m  angegeben.  Zur  Uebemahme  des  Getreides  aus 
Schiffen  in  Leichter  oder  nach  wechselnden  üferstellen  hat  man  schwim- 
mende Becherwerke  gebaut,  wobei  der  Antrieb  gewöhnlich  durch  einen 
Oelmotor  im  Schwimmkörper  erfolgt.  Zum  weiteren  Transport  dient 
das  Förderband,  das  übrigens  jetzt  auch  für  die  Förderung  von  Kohlen, 
Erzen  und  allen  anderen  möglichen  Stoffen  verwendet  wird.  Es  sind 
breite  Bänder  ohne  Ende,  über  Rollen  laufend,  die  das  aufgeschüttete 
Gut  mit  sich  führen  und  es  mit  Hilfe  eines  Abwurfwagens  oder  Ab- 
streichbrettes  an  einer  bestimmten  Stelle  abwerfen  können.  Die  Band- 
geschwindigkeit beträgt  für  Getreide  gewöhnlich  2 — 3  m  in  der  Sekunde : 
die  Leistung  beträgt  für  eine  durchschnittliche  Gurtbreite  von  500  mm 
rund  45  Tonnenstunden.  Gut  bewährt  haben  sich  auch  die  zuerst  von 
Eugen  Kreiß  in  Hamburg  konstruierten  Förderrinnen,  bei  denen  das 
Getreide  durch  schräges  Aufwärtsstoßen  der  Trogunterlagen  vorwärts 
bewegt  wird;  dagegen  wird  den  früher  vi,el  benutzten  Förder- 
schnecken nunmehr  leichte  Verstopfung,  hoher  Kraftverbrauch  und 
geringer  mechanischer  Wirkungsgrad  zugeschrieben.  Für  Sackgetreide 
sind  Speicherwinden  noch  vielfach  im  Gebrauch,  wobei  jetzt  regel- 
mäßig der  elektrische  dem  hydraulichen  Antrieb  vorgezogen  wird.  Für 
die  Aufladung  von  losem  Gretreide  aus  Schiffen  haben  sich  mehr  und 
mehr  Selbstgreifer  (in  Verbindung  mit  Drehkranen)  eingeführt,  die 
um  1/3  billiger  arbeiten  als  ein  Becherwerk,  zugleich  auch  weit  bequemer 
zu  bedienen  sind.  Die  ortsfesten  Fördervorrichtungen  sind  natürlich  auf 
einen  bestimmten  Wirkungsbereich  beschränkt.  Da  in  der  Praxis  häufig 
das  Bedürfnis  auftritt,  an  wechselnden  Stellen  des  Speichers  oder  am 
Kai  Getreide  lose  oder  in  Säcken  za  fördern,  ist  die  Beschaffung  be- 
weglicher Fördervorrichtungen  erforderlich;  diese  haben  aller- 
dings den  Nachteil,  für  ihre  Bewegungsbahn  viel  Raum  zu  beanspruchen. 
Fahrbare  Becherwerke  finden  besonders  in  Nordamerika  auf  dem  Felde 
Verwendung,  wo  sie  das  ausgedroschene  Getreide  sofort  auf  das  Fuhr^ 
werk  oder  in  die  Eisenbahnwagen  befördern;  als  Antrieb  wird  Göpel- 
werk oder  Lokomobile  benutzt.  Auch  in  Deutschland  sind  solche  An- 
lagen schon  ausgeführt  worden.  Große  Bedeutung  gewinnen  die  fahr- 
baren Sackstapelmaschinen,  da  sie  die  schwerste  Arbeit,  das  Hochheben 
von  Säcken,  übernehmen.  Die  weitere  Arbeit  des  Einspeicherns  von 
losem  Getreide  wird  mit  Hilfe  von  Fallvorrichtungen  vorgenommen. 
Das  Getreide  kommt  zunächst  in  einen  Schüttrumpf,  der  es  von  allzu  groben 
Verunreinigungen  befreit,  und  dann  in  die  automatische  Wage.  Durch 
Becherwerke  in  die  Höhe  gehoben,  muß  es  nun  bei  Silospeichern  auf 
die  einzelnen  Zellen  verteilt  werden.  Bei  langen  Speichern  werden  hierzu 
Bänder,  bei  kürzeren  Verteilungssysteme  angewendet,  wobei  sehr  in- 
geniöse Vorrichtungen  (wie  der  von  Luther  konstruierte  Pendelrohrver- 
teiler)  benutzt  werden.  Einfacher  sind  die  festen  Fallrohre,  die  ihrer- 
seits wiedei  mit  Verteilern  verbunden  sein  können.  Um  bei  Bodenlagerung 
das  Getreide  gleichmäßig  über  den  Boden  zu  verteilen,  werden  Streu- 
kegel angewendet.  Endlich  dient  den  Zwecken  der  Beförderung  losen 
Getreides   noch    die    Winderzeugung,   die   gleichzeitig   oder   haupt- 


360  Literatur. 

sächlich  zur  Entlüftung  und  Säuberung  des  Getreides  verwendet  wird. 
Der  erste,  der  solche  Anlagen  ausführte,  war  der  Ingenieur  Fred.  E. 
Dnckam,  Betriebsleiter  der  Millwall  Docks  in  London;  doch  hat  auch 
G.  Luther  den  Gedanken  zeitig  ausgesprochen.  Der  Kraftverbrauch  ist 
allerdings  weit  höher  als  beim  Becherwerk,  hat  aber  gegenüber  den 
sonstigen  Vorzügen  keine  überragende  Bedeutung.  Beim  Saugluft- 
werk wird  ein  mit  einer  arbeitenden  Luftpumpe  in  Verbindung  stehen- 
des Eohrstück  in  das  Getreide  hineingedrückt,  dieses  wird  dann  in  das 
Rohr  hineingerissen  und  darin  weiter  befördert.  Durch  das  Leitungsrohr 
gelangt  das  Getreide,  mit  der  Luft  vermischt,  in  den  Speicher  und  in 
den  gewöhnlich  dicht  unter  dem  Dache  eingebauten  Abnehmer.  Dieser 
besteht  aus  einem  trichterförmigen  Behälter,  in  dem  sich  die  Geschwin- 
digkeit der  Luft  erheblich  vermindert,  so  daß  das  Getreide  nach  dem 
Verlassen  des  Rohres  herabsinkt.  Es  wird  dann  unter  Absaugen  der 
Luft  durch  eine  Schleuse  nach  unten  ausgeschüttet.  Druckluftwerke 
werden  nur  für  kleinere  Anlagen,  etwa  bis  zu  5  Tonnenstunden  Förder- 
leistung, verwendet.  Auch  schwimmende  Luftwerke  sind  gebaut  worden ; 
die  ersten  schwimmenden  pneumatischen  Getreideheber  wurden  Ende 
des  19.  Jahrhunderts  an  den  Norddeutschen  Lloyd  und  die  Hamburg- 
Amerika-Linie  geliefert.  Die  Heber  vermögen  in  der  Stunde  200 — 250 1 
Getreide  auszuladen.  So  kann  z.  B.  ein  Dampfer  mit  8000  t  G^treide- 
ladung,  an  dem  4  Heber  arbeiten,  einschließlich  aller  Verzögerungen 
in  10  Stunden  entleert  und  gewogen  werden,  eine  ganz  enorme  Arbeit- 
ersparnis. Der  Getreideheber  eignet  sich  vermöge  seiner  geschmeidigen 
Konstruktion  auch  ganz  besonders  zur  Entladung  von  Schiffen  mit  ver- 
schiedenen Getreideposten;  Dampfer  mit  Ladungen  aus  dem  Schwarzen 
Meer  haben  nicht  selten  40 — 50  Teilladungen. 

Das  Getreide  wird  im  Speicher  nicht  nur  bewegt,  sondern  auch 
gereinigt,  getrennt  und  eventuell  geschrotet.  Auch  dafür  ist 
eine  umfangreiche  Apparatur  vorhanden.  Eine  Trennung  nach  der  Größe 
wird  durch  Siebvorrichtungen  bewirkt,  nach  dem  spezifischen  Gewicht 
(Getreide  und  Spreu,  Stroh,  leere  Aehren  usw.)  durch  Windfege,  nach 
dem  Verhalten  gegen  Magnetismus  (Eisenteilchen)  durch  Magneten  usw. 
Die  Aufgabe,  dasGetreide  zu  säubern,  beispielsweise  die  Verunreinigungen 
in  der  Furche  oder  die  Keime  des  gedarrten  Malzes  zu  entfernen,  haben 
die  Putzmaschinen,  das  sind  hauptsächlich  Entgranner,  Schläger-  und 
Bürstmaschinen.  Aehnlichen  Zwecken  dient  die  Waschmaschine,  die 
zugleich  auch  die  letzte  Entfernung  von  Fremdkörpern  vornimmt. 
Steine  von  der  Größe  und  Form  des  Getreidekorns  werden  mit  Sicher- 
heit nur  durch  den  Waschprozeß  entfernt.  Entstäuber,  die  den  Staub 
als  gefährlichen  Feind  des  Speicher-  und  Müllereibetriebes  entfernen, 
und  Sackausklopfer  machen  den  Schluß.  Wäge-  und  Feuer- 
schutzvorrichtungen vervollständigen  die  Maschinerie  des  Speichers. 

Die  Tatsache,  daß  feuchtes  Getreide  eher  Schädigungen  im  Speicher 
ausgesetzt  ist  als  trockenes,  sowie  die  neue  Forderung  einer  ausgedehnten 
Vorratswirtschaft  machen  die  Frage  der  Getreidetrocknung,  deren 
der  letzte  Teil  des  Buches  gewidmet  ist,  besonders  wichtig.  Das  Getreide- 
korn besitzt  eine  schwer  durchlässige  Schale,  die  Wasser  nur  langsam 


Literatur.  361 

durchpassieren  läßt.  Setzt  man  nun  frisches  Getreide,  das  sich  in  gela- 
tineartiger Beschaffenheit  befindet,  hohen  Temperaturen  aus,  dann  bildet 
sich  im  Inneren  des  Korns  ein  hoher  Dampfdruck,  welcher  im  Verein 
mit  den  stets  vorhandenen  Säuren  oder  sauren  Salzen  die  Eiweißbe- 
standteile, d.  h.  die  für  die  Back-  und  Keimfähigkeit  wichtigen  Stoffe 
aufschließt,  wodurch  ihre  kostbaren  Eigenschaften  leiden  oder  auch 
ganz  verloren  gehen.  Auch  schädigende  Zerreißungen  im  Zellgewebe 
sind  wahrscheinlich,  wenn  der  Austritt  des  Walsers  durch  hohe  Tem- 
peraturen erzwungen  wird.  Demgemäß  darf  die  Temperatur  bei  der 
Trocknung  nur  allmählich  e:esteigert  werden,  was  denn  auch  zur  Folge 
hat,  daß  die  Trocknung  langsam  vor  sich  gehen  muß.  Hoffmann  er- 
klärt auf  Grund  seiner  Beobachtungen,  daß  beim  Backgetreide  eine 
Wasserentziehung  von  5  Proz.  mindestens  eine  Stunde,  bei  Braugerste 
mit  ihrer  wenig  durchlässigen  Schale  wenigstens  zwei  Stunden  benötige. 
Daraus  zieht  er  die  wirtschaftlich  äußerst  wichtige  Folgerung,  daß  es 
nicht  möglich  ist,  kleine  Trockner  für  große  Leistungen  zu  bauen.  Die 
einzelnen  Trocknungssysteme  werden  nunmehr  einer  sehr  eingehenden 
Besprechung  unterzogen,  wobei  die  Trocknung  mit  heißer  Luft  zwar 
für  die  teuerste,  aber  auch  beste  Form  erklärt  wird.  Gerade  auf  dem 
Gebiete  des  Trocknungswesens,  das  —  wenigstens  in  Deutschland  — 
noch  jung  ist,  sind  zahlreiche  technische  Fragen  erst  zu  klären. 

Das  Buch  Hoffmanns  ist  das  eines  Spezialisten,  ganz  überwiegend 
technisch  orientiert.  Landwirte,  Baumeister,  Maschinenkonstrukteure, 
Kaufleute,  Brauereien  werden  am  meisten  daraus  lernen.  Aber  auch  der 
Nationalökonom  wird  sich  in  die  spröde  Materie  vertiefen  müssen. 
Wenn  nach  der  Meinung  Hoffmanns  der  Getreideschwund  in  Deutsch- 
land alljährlich  10 — 20  Millionen  Doppelzentner  Trockensubstanz  be- 
trägt, die  sich  durch  die  Einrichtung  der  Speicher  größtenteils  erhalten 
ließen,  so  ist  dies  für  die  kommenden  Zeiten  der  Materialsparsamkeit 
ein  Wink,  der  nicht  unbeachtet  bleiben  darf. 


362     Uebenicht  über  die  neuesten  Pablikationen  DeatschUnda  und  des  Auslandes. 


ITebersicht  ftber  die  neuesten  Publikationen 
Deutschlands  und  des  Auslandes. 

1.  Oeiohiohte  d«r  Wisienschaft.    Encyklopädisches.    Lehrbücher.    Spesielle 
theoretieohe  Untersuchung'eii. 

Herkner,  Prof.  Dr.  Heinr.,  Die  Reform  der  Staats  wissenschaftlichen  Studien, 
mit  besonderer  Rücksichtnahme  auf  die  Kriegserfahrungen.  Vortrag,  gehalten  in  der 
Gehe-Stiftung  zu  Dresden  am  31.  III.  1917.  (Vorträge  der  Gehe-Stiftung,  Bd.  8,  Heft  6.) 
Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1917.     gr.  8.     27  SS.     M.  0,80. 

Untersuchungen  über  Preisbildung.  Abt.  C:  Kosten  der  Lebenshaltung. 
Hrsg.  von  Franz  Eulenburg.  1.  Teil.  Untersuchungen  über  die  Lebenskosten  in  der 
Sl^hweiz.  Mit  Beiträgen  von  E.  Ackermann,  P.  Groß,  W.  Kaufmann,  Jacob  Lorenz  u. 
A.  Menze.  Im  Auftrage  des  Vereins  für  Sozialpolitik  hrsg.  von  Prof.  Stephan  Bauer. 
(Schriften  des  Vereins  für  Sozialpolitik,  Bd.  146,  I.  Teil.)  München,  Duncker  &  Hum- 
blot,  1917.     8.     XXIII— 303  SS.  mit  Fig.     M.  8.—. 


Bellet,  Daniel,  L'alimentation  de  la  France  et  les  ressources  coloniales  ou 
^trangferes.     Paris,  F^lix  Alcan,  1917.     16.     259  pag.     fr.  3,50. 

Pi e  rs  on  ,  N.  G.,  Trait§  d'^conomie  politique.  2  vols.  Paris,  M.  Giard  et  E.  BriÖre. 
8.     fr.  25.—. 

Gibbs,  Winifred  Stuart,  The  minimum  cost  of  living.  A  study  of  families 
of  limited  income  in  New  York  City.     New  York,  Macmillan.     8.     $  1.—. 

Graziani,  Augusto,  Istituzioni  di  economia  politica.  Terza  edizione,  intera- 
mente  riveduta  ed  accresciuta.  Torino,  Fratelli  Bocca  (Recanati,  R.  Simboli),  1917.  8. 
X,  959  p.     1.  25.—. 

Pareto,  Vilfredo,  I  sistemi  socialisti.  Vol.  I.  Milano,  Istituto  editoriale 
italiano,  1917.     32.     262  p. 

Polak,  Siegfried,  Een  kennismaking  met  de  leer  der  economische  vrijheid, 
het  socialisme  en  het  staatssocialisme.    Groningen,  P.  Noordhoff.    gr.  8.     101  blz.     fl.  0,75. 

2.  Geschichte  und  Darstellung-  der  wirtschaftlichen  Kultur. 

Endres,  Franz  Carl,  Die  Türkei.  Bilder  und  Skizzen  von 
Land  und  Volk.  2.  unveränderte  Aufl.  München  (C.  H.  Becksche 
Verlagsbuchhandlung,  Oskar  Beck)  1916.  S^.  X  u.  301  SS.  (Preis: 
M.  5.—.) 

Das  Buch  soll  nach  der  Angabe  des  Verfassers  dazu  beitragen, 
die  Kenntnis  über  die  Türkei  so  zu  erweitern  und  zu  vertiefen,  daß  sie 
zu  einer  Erkenntnis  des  türkischen  Orients  führe;  nur  durch  nüchtern 
das  Für  und  Wider  abwägende  Betrachtung  könne  man  zu  solcher  Er- 
kenntnis gelangen.  Wie  weit  der  Verf.  dieser  selbstgestellten  Aufgabe 
im  allgemeinen  gerecht  wird,  soll  nicht  untersucht  werden.  Hier  kommt 
lediglich  das  IV.  Buch  in  Betracht,  das  unter  dem  Gesamttitel  „Volks- 
wirtschaftliches" nach  einer  allgemeinen  Vorbesprechung  über  Be- 
völkerungsdichte Landwirtschaft,  türkische  Finanzfragen,  Handel  und 
Zölle,  Industrie  abhandelt.  Die  Reihenfolge  der  genannten  Kapitel 
mutet  etwas  sonderlich  an;  aber  die  Arbeit  will  kein  wissenschaftliches 
Buch  sein,  sondern  nur  „Bilder  und  Skizzen  von  Land  und  Volk"  geben. 
Wenn  das  nicht  vergessen  wird,  wird  man  auch  die  Auswahl  der  für 
die  volkswirtschaftliche  Darlegung  benutzten  Literatur,  soweit  man  sie 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     368 

zu  erkennen  vermag,  nicht  allzusehr  kritisieren  dürfen,  um  so  weniger, 
als  der  Verf.  bei  der  Bereisung  weiter  Gebiete  des  Landes  durch  eigene 
Anschauung  sich  über  die  aus  den  benutzten  Quellen  geschöpften  An- 
sichten selbständig  unterrichten  konnte.  Diese  Selbständigkeit  des 
Urteils,  das  unter  Berücksichtigung  der  historischen  Bedingtheit  aller 
wirtschaftlichen  Verhältnisse  kühl  abwägt,  zeichnet  das  Buch  unter  den 
vielen  literarischen  Erzeugnissen  über  den  Orient  aus;  die  Lebendig- 
keit und  Frische  der  Darstellung,  die  vielleicht  gelegentlich  etwas 
zu  stark  die  Person  des  Verfs.  und  seinen  individuellen  Geschmack  in 
den  Vordergrund  rückt,  erhöht  die  Lesbarkeit. 

Der  Versuch,  durch  eine  Reihe  von  Skizzen,  die  nur  etwas  mehr 
als  50  Seiten  umfassen,  einen  Einblick  in  die  türkische  Volkswirt- 
schaft geben  zu  wollen,  ist  allein  deshalb  durchführbar,  weil  die 
Türkei  als  Wirtschaftsgebilde  im  Innern  noch  verhältnismäßig  unkom- 
pliziert ist  und  sich  in  ihren  Beziehungen  zum  Ausland  vor  dem  Kriege 
über  die  Stufe  eines  noch  unentwickelten  Rohstofflieferungsgebietes 
nicht  weit  erhob.  Erheblich  schwieriger  ist  die  Aufgabe,  die  Türkei 
als  staatliches,  insbesondere  staatlich-finanzielles  Gebilde  zu  erfassen; 
denn  sowohl  sind  die  Verhältnisse  im  Innern  weniger  einfach  als  auch 
die  Beziehungen  zum  Ausland  seit  der  tief  eingreifenden  Finanzkontrolle 
fremder  Mächte  äußerst  kompliziert.  In  den  Hauptlinien  kann  der 
Versuch  des  Verf.,  die  Probleme  skizzenhaft  zu  umreißen,  als  wohlge- 
lungen bezeichnet  werden.  lieber  alle  wesentlichen  Fragen  wird  der 
Leser  unterrichtet.  Er  erfährt  ihre  Entstehung  und  ihre  Bedeutung 
für  das  Ganze,  und  er  hört  etwas  von  den  Mitteln  zu  ihrer  Lösung. 
Daß  sich  dabei  hier  und  da  Widerspruch  erheben  wird,  kann  bei  der 
Unerforschtheit  vieler  Dinge  nicht  wundernehmen.  So  wird  sicherlich 
zugegeben  werden  müssen,  daß  zahlreiche  Mineralien  sich  im  Boden 
der  Türkei  vorfinden  (S.  257);  wie  weit  sie  jedoch  in  abbauwürdigen 
Mengen  und  vor  allem  in  solchen  Mengen,  daß  sie  bei  der  Rohstoff- 
belieferung  der  Welt  eine  nennenswerte  Bedeutung  erlangen,  vorhanden 
sind,  ist  bei  dem  Mangel  jeglicher  systematischen  geologischen  Aufnahme 
noch  ungewiß.  Ferner  läßt  sich  wohl  nicht  so  einfach,  wie  der  Verf.  es 
mit  Trietsch  (S.  247)  tut,  behaupten,  daß  „schon  die  Türkei  einschließlich 
Aegyptens  das  deutsche  und  österreichische  Wirtschaftswesen  fast  bis 
zur  Geschlossenheit  zu  ergänzen"  in  der  Lage  sei.  Die  Tabellen,  die 
(S.  249)  über  den  deutsch-türkischen  Warenverkehr  angeführt  werden, 
geben  in  ihrer  Absolutheit  kein  Maß  für  den  Umfang  dieses  Umsatzes, 
sondern  lassen  erst  durch  den  Vergleich  mit  dem  Gesamtgüterbedarf 
Deutschlands  und  Oesterreichs  eine  richtige  Beurteilung  zu.  Weiter 
vermittelt  die  von  Kaerger  aus  dem  Jahre  1892  stammende  Angabe 
über  die  Ertragfähigkeit  des  Bodens  (S.  222)  kein  zutreffendes  Bild, 
da  sie  anscheinend  nur  vorwiegend  gut  angebauten  Boden  berücksichtigt. 
Wenigstens  gibt  im  Durchschnitt  keines  einzigen  Landesteiles  die  amt- 
liche Agrarstatistik  von  1329  (1913/4),  die  wohl  kaum  eine  Unterschätzung 
vorgenommen  hat,  weder  für  Weizen  noch  für  Gerste  ein  derartig  hohes 
Verhältnis  zwischen  Aussaat  und  Ernte  an.  Dasselbe  gilt  in  bezug 
auf  den  Mais  (S.  224).     Es  soll  nicht  bestritten  werden,    daß  Kaerger 


364    Uebereicht  über  die  neaesten  Pablikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

und  andere  Autoren  auf  einzelnen  Gütern  bei  dem  Vorhandensein  der 
denkbar  günstigsten  Wachstumsverhältnisse  die  angeführten  Resultate 
feststellen  konnten.  Indessen  sind  für  die  Einschätzung  der  landwirt- 
schaftlichen Leistungsfähigkeit  eines  ganzen  großen  Landes  solche  Fest- 
stellungen nicht  nur  wertlos,  sondern  gefährlich. 

Jene  von  dem  Verf.  gemachten,  aber  bei  dem  ihm  zur  Verfügung 
stehenden  Material  kaum  zu  vermeidenden  Fehler  tragen  unbeabsichtigt 
zu  einer  starken  Ueberschätzung  der  in  nächster  Zeit  möglichen  Wirt- 
schaftsbeziehungen zwischen  Mitteleuropa  und  der  Türkei  bei.  Wenn 
dann  die  kalten  Tatsachen  den  überspannten  Erwartungen  nicht  ent- 
sprechen, kann  zum  Schaden  aller  leicht  eine  Enttäuschung  Platz  greifen. 
Das  zu  verhindern,  muß  indessen  die  Aufgabe  aller  an  einer  engeren 
Wirtschaftsbeziehung  zwischen  den  Mittelmächten  und  der  Türkei 
Arbeitenden  sein. 

Arnautköj  bei  Konstantinopel.  Friedrich  Hoffmann. 

(g:c:) 

Bornhak  (Geh.  Ju8t.-ß.),  Prof.  Dr.  Conrad,  Belgiens  Vergangenheit  und  Zu- 
kunft.    Berlin,  Verlag  des  „Grenzboten",  1917.     gr.  8.     39  SS.     M.  1,25. 

Brentano,  Lujo,  Die  byzantinische  Volkswirtschaft.  Ein  Kapitel  aus  Vor- 
lesungen über  Wirtschaftsgeschichte.  München,  Duncker  &  Humblot,  1917.  gr.  8.  50  SS. 
M.  1,20.     (S.-Abdr.  aus  Schmollers  Jahrbuch,  41.  Jahrg.) 

Friedensburg,  Walter,  Geschichte  der  Universität  Wittenberg.  Halle  a.  S., 
Max  Niemeyer,  1917.     gr.  8.     XI— 645  SS.  mit  3  Taf.     M.  30.—. 

Hasenclever,  Adolf,  Geschichte  Aegyptens  im  19.  Jahrhundert.  1798 — 1914. 
Halle  a.  S.,  iMax  Niemeyer,  1917.     gr.  8.     XV— 497  SS.  mit  1  Karte.     M.  15.—. 

Luck,  Walter,  Die  Priegnitz,  ihre  Besitzverhältnisse  vom  12. — 15.  Jahrhundert. 
(Veröffentlichungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg.)  München, 
Duncker  &  Humblot,  1917.     gr.  8.     XIX— 280  SS.     M.  9.—. 

Mosl6  (Kons.),  A.,  Japan  und  seine  Stellung  in  der  Weltpolitik.  (Meereskunde. 
Sammlung  volkstümlicher  Vorträge  zum  Verständnis  der  nationalen  Bedeutung  von 
Meer  und  Seewesen.  Hrsg.  vom  Institut  für  Meereskunde  an  der  Universität  Berlin, 
Heft  129,  Jahrg.  11,  Heft  9.)  Berlin,  E.  S.  Mittler  &  Sohn,  1917.  8.  40  SS.  mit 
5  Abbild.     M.  0,60. 

Pantenius,  Th.  H.,  Geschichte  Bußlands  von  der  Entstehung  des  rassischen 
Reiches  bis  zur  Zeit  vor  dem  Weltkriege.  2.  verm.  Aufl.  Leipzig,  ß.  Voigtländers 
Verlag,  1917.     gr.  8.     XV— 421  SS.  mit  1  Karte.     M.  7,50. 

Simson,  Dr.  Paul,  Geschichte  der  Stadt  Danzig.  In  4  Bdn.  6.  Lief.  Bd.  II,  2. 
Danzig,  A.  W.  Kasemann,  1917.     Lex.-8.     S.  193—384.     M.  4.—. 


Elliot,  L.  E.,  Brazil  to  day  and  to  morrow.    New  York,  Macmillan.    8.     $  2,25. 

Taft,  W.  Howard,  and  Viscount  James  Bryce,  Washington,  the  nation's 
capital.     Washington,  D.  C,  Nat.  Geogr.  Soc.     8.     $  1,50. 

Barbagallo,  Corrado,  II  materialismo  storico.  MUano,  Federazione  italiana 
delle  biblioteche  popolari.     Varese,  tip.  coop.  Varesina,  1917.     16.     129  p. 

Mehring,  Franz,  Storia  della  democrazia  sociale  tedesca.  Prefazione  di  Gus- 
tave Sacerdote.  Milano,  libr.  ed.  Avanti,  1917.  8.  2  voll.  XVII,  592;  605  p. 
1.  15,--. 

3.    BcTÖlkenmgglehra  und  Bevölkertingspolitik.    Auiwanderaag 
und  Kolonisatioii. 

Siemens,  Herrn.  Werner,  Die  biologischen  Grundlagen  der  BAssenhygiene 
und  die  Bevölkerungspolitik.  Für  Gebildete  aller  Berufe.  München,  J.  F.  Lehmanna 
Verlag,  1917.     8.     80  SS.  und  8  Abbild.     M.  1,80. 

Weyhmann  (wiss.  Hilfsarb.),  Horst,  Unsere  Südsee.  Ein  unentbehrlicher  Be- 
standteil der  deutschen  Volkswirtschaft.     Mit  einem  Geleitwort  von  (Museumsdir.)  Prof. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     365 

Dr.  G.  Thileniua.     Berlin,   Dietrich  Reimer  (Ernst  Vohsen),    1917.     gr.  8.     66  SS.  mit 
20  Abbild,  auf  16  Taf.     M.  0,75. 


Nicola,  Giovanni  Battista,  L' emigrazione  degli  analfabeti  e  ranimaameri- 
cana.     Roma,  tip.  Unione  ed.,  1917.     8.     14  p. 

LoPresti,  Domenico,  Codice  della  emigrazione.  Roma,  Tip.  Cartiere  cen- 
trali.     8.     1.  7.—. 

4.  Berg'bau.    Land-  und  Forstwirtschaft.     Fischereiwesen. 

Pothmann,  Wilhelm,  Der  im  Rubrbergbau  auf  den  Kopf  der 
Belegschaft  entfallende  Förderanteil  und  das  Problem  seiner  wirtschaft- 
lichen Steigerung.  (Beiträge  zur  Lehre  von  den  industriellen,  Handels- 
und Verkehrsunternehmungen,  hrsgg.  von  R.  Passow,  Heft  2.)  Jena 
(Gust.  Fischer)  1916.     S«.     74  SS.     (Preis:  M.  2.) 

Nach  einigen  begrifflichen  und  methodischen  Erörterungen  vergleicht 
Pothmann  die  Förderanteile  von  1888 — 1911  in  Dortmund,  Oberschlesien 
und  Saarbrücken,  findet  aber  wegen  der  mannigfachen  formellen  und 
sachlichen  Verschiedenheiten  der  Statistiken  nur  einen  Faktor  sicher 
erkennbar,  nämlich  den  überwältigenden  Einfluß  großer  Flözmächtig- 
keiten. Auch  bei  Beschränkung  auf  einen  zeitlichen  Vergleich  des 
Förderanteils  im  Kuhrrevier  kann  Pothmann  die  fallende  Tendenz  des 
Förderanteils  nicht  zahlenmäßig  erklären;  er  muß  sich  mit  einer  Auf- 
zählung der  steigernd  und  senkend  wirkenden  Gründe  begnügen. 

Eine  Gruppierung  der  Ziffern  nach  Bergrevieren  ergibt  zwar 
einen  gewissen  Zusammenhang  zwischen  der  Förderanteilshöhe  und  dem 
geologischen  Aufbau  der  einzelnen  Reviere  (Verhältnis  der  Gebirgs- 
mächtigkeit  zu  abbauwürdiger  Kohle,  Verteilung  der  Kohle  über  den 
Horizont,  Mächtigkeit  der  Flöze,  Tektonik),  aber  es  wirken  doch  andere 
Gründe  (Umfang  der  Nebenbetriebe,  Größe  der  Betriebe,  Intensität  der 
Entwickelung)  so  stark  verwischend  ein,  daß  P.  folgert:  Die  Revier- 
einheit isoliert  die  Bestimmungsgründe   noch  in  unzijreichender  Weise. 

Sein  Urteil  über  die  geologischen  Einflüsse  auf  den  Förder- 
anteil zusammenfassend,  erkennt  P.  eine  ungünstige  Tendenz  für  die 
zukünftige  Entwicklung  des  Ruhrbergbaus:  Zunehmendes  Deckgebirge, 
infolgedessen  mehr  Ausrichtung,  erhöhte  Schlagwetter-  und  Kohlenstaub- 
gefahr, Zunahme  der  Temperatur  und  der  Druckerscheinungen,  dadurch 
Anwachsen  der  Zahl  der  für  die  Sicherheit  tätigen  Arbeiter  und  Ver- 
schärfung der  Bekämpfungsmaßnahmen.  Diese  den  Förderanteil  senkenden 
Wirkungen  können  durch  den  sich  immer  mehr  verlangsamenden  Prozeß 
des  Ersatzes  menschlicher  Arbeit  durch  die  Maschine  nicht  wettgemacht 
werden. 

Da  der  Vergleich  der  Bergrevierzahlen  kein  genügend  scharfes 
Bild  ergeben  hatte,  wählt  Pothmann  als  besser  isolierende  Einheiten 
die  Betriebe.  Er  gruppiert  sie  nach  zwei  für  die  Höhe  des  Förder- 
anteils wesentlichen  Gesichtspunkten:  Betriebsgröße  (Höhe  der  Jahres- 
förderung) und  geologischen  Verhältnissen  (a.  Mager-,  b.  Fett-,  c.  Gas- 
und  Gasflammenkohlenbetriebe).  Der  Einfluß  der  Zugehörigkeit  zu 
diesen  3  geologischen  Gruppen  liegt  nicht  nur  in  dem  verschiedenen 
Kohlenreichtum  und  gewinnungstechnischen  Verhalten,  sondern  auch  in 


366     Uebenicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutechlands  und  dee  Auülandes. 

der  Art  der  diesen  Gruppen  eigenen  Nebenbetriebe:  Die  Fettkohlen- 
betriebe haben  Kokerei  und  Nebenproduktengewinnung,  die  Magerkohlen- 
betriebe brikettieren,  die  jüngeren  Horizonte  haben  keine  Veredelungs- 
betriebe größeren  Umfangs.  Nach  Ausscheidung  der  Abnormitäten 
kommt  Pothmann  zu  folgendem  Ergebnis:  „Die  Betriebsgröße  besitzt 
für  den  Förderanteil  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  steigernde  Wirkung. 
Die  Grenze  scheint  bei  Magerkohlenbetrieben  bei  etwa  Yg  Mill.  t,  bei 
Fettkohlenbetrieben  bei  etwa  1  Mill.  t  und  bei  Gasflamm  -  Gaskohlen- 
betrieben etwa  100000  t  tiefer  zu  liegen."  Auf  Grund  dieser  Fest- 
stellung lehnt  Pothmann  die  von  Uhde  angenommene  Beziehung 
zwischen  Förderanteil  und  Organisationsform  (Aktiengesellschaft 
oder  Gewerkschaft)  ab.  Der  Einfluß  der  Organisationsform  sei  nur 
scheinbar ;  tatsächlich  handelt  es  sich  um  eine  Abhängigkeit  des  Förder- 
anteils von  dem  geologischen  Horizont  und  der  ihm  eigenen  Betriebs- 
größe, die  nur  deshalb  als  eine  Abhängigkeit  von  der  Organisationsform 
erscheine,  weil  die  Aktiengesellschaft  in  den  oben  erwähnten  Klassen 
a.  und  c.  eine  außerordentlich  überwiegende  Stellung  einnehme. 

Wenn  Pothmann  bei  der  Ansicht  Uhdes  eine  verständliche  Er- 
klärung aus  der  Eigenart  der  Organisationsform  heraus  vermißt,  so  mag 
darauf  hingewiesen  werden,  daß  auch  die  Pothmannsche  Ansicht  an 
Ueberzeugungskraft  gewonnen  hätte,  wenn  die  inneren  Gründe  der 
nachgewiesenen  Abhängigkeit  eingehender  erörtert  worden  wären. 

Den  Einfluß  der  Absatzmöglichkeit  auf  den  Förderanteil 
untersucht  Pothmann  an  Hand  der  Feierschichten-  und  Wagenmangel- 
statistik. Sein  Versuch,  bezüglich  der  Feierschichten  einen  Unterschied 
zwischen  reinen  und  Hüttenzechen  zu  finden,  bleibt  ergebnislos.  Auch 
hinsichtlich  des  Wagenmangels  verzichtet  er  auf  eine  Zerlegung  der 
Gesamtziffer  und  erwähnt  nur,  daß  die  am  Rande  des  Reviers  gelegenen 
Zechen  und  die  durch  Privatanschluß  mit  ihrer  Hütte  verbundenen 
Zechen  sich  günstiger  stehen. 

An  letzter  Stelle  erörtert  Pothmann  den  Einfluß  des  Arbeiters 
selbst  auf  den  Förderanteil.  Trotz  eingehender  Würdigung  der  viel- 
fachen hier  —  steigernd  und  senkend  —  mitwirkenden  Faktoren  kann 
P.  die  Abhängigkeit  nicht  „exakt",  nicht  zahlenmäßig  nachweisen.  Er 
erhofft  jedoch  ein  solches  Ergebnis  wenigstens  in  einem  Punkte  von  einer 
von  ihm  in  Aussicht  genommenen  Gruppierung  der  Betriebe  nach  dem 
Prozentsatz  zugezogener  bergfremder  Arbeiter. 

Außer  dieser  erst  in  Aussicht  gestellten  zahlenmäßigen  Feststellung 
hat  Pothmann,  wie  er  selbst  betont,  nur  den  geologischen  Horizont 
und  die  Betriebsgröße  als  Faktoren  für  die  Höhe  des  Förderanteils 
„exakt"  festgestellt.  Ein  weiteres  Eindringen  in  den  Förderanteil  auf 
exaktem  Wege  scheint  ihm  kaum  durchführbar.  Er  stellt  deshalb  ohne 
zahlenmäßige  Bewertung  nebeneinander  als  steigernde  Faktoren:  Ver- 
besserung der  geologischen  Verhältnisse,  der  maschinellen  Hilfsmittel, 
der  Abbauniethoden  und  Vergrößerung  der  Betriebe;  als  senkende 
Faktoren :  den  geringer  werdenden  Anteil  der  eigentlichen  Gewinnungs- 
arbeiter an  der  Gesamtbelegschaft,  eine  Minderung  der  Absatzmöglich- 
keit und  ein  aus  verschiedenen  Gründen  sich  ergebendes  Sinken  des 
vom  Arbeiter  hergegebenen  Leistungsaufwandes. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     3^7 

Der  zweite  Teil  der  Aufgabe,  die  Pothmann  sich  gestellt  hatte, 
war  das  Suchen  nach  Mitteln,  durch  die  der  Förderanteil  so  ge- 
steigert werden  kann,  daß  dadurch  die  vorauszusehende  Steigerung 
der  Unkosten  auf  den  Kopf  wettgemacht  wird.  Die  auf  geologischer 
Grundlage  beruhenden  Bestimmungsgründe  des  Förderanteils  (Abbau- 
methoden und  Mittel  der  Gefahrenbekämpfung)  bieten  wenig  Aussicht 
auf  eine  Steigerung  des  Förderanteils.  Eine  gewisse  Steigerungsmög- 
lichkeit liegt  bei  manchen  Zechen  noch  in  der  Entwicklung  zu  einer 
günstigeren  Betriebsgröße.  Auf  maschinellem  Gebiet  sieht  P. 
die  Möglichkeit  zu  einer  wenn  auch  nicht  großen  Steigerung  des  Förder- 
anteils bei  der  Schrämmaschine,  bei  der  mechanischen  Abbauförderung 
und  bei  der  Schachtförderung,  wenn  es  gelingt,  diese  zum  Prinzip  des 
kontinuierlichen  Betriebes  heraufzuentwickeln. 

Zur  Bekämpfung  des  Wagenmangels  sind  nur  die  vielfach  ge- 
äußerten Wünsche  der  Industrie  zu  wiederholen. 

Die  Möglichkeit,  den  Förderanteil  durch  einen  größeren  Leistungs- 
aufwand des  Arbeiters  zu  erhöhen,  bespricht  Pothmann  an  Hand 
der  von  Taylor  aufgestellten  Grundsätze:  Das  Prinzip  der  Arbeiter- 
auslese ist  angesichts  des  Arbeitermangels  undurchführbar.  Die  weit- 
gehende Arbeitsteilung  wird  hinsichtlichtlich  der  Arbeiter  wegen  der 
Natur  der  bergmännischen  Arbeit  ebenfalls  für  undurchführbar  gehalten, 
dagegen  verspricht  sich  P.  von  einer  Aufteilung  der  Obliegenheiten 
des  Keviersteigers  nach  Fachgesichtspunkten  eine  Verbesserung  des 
Aufsichtsdienstes  und  besonders  auch  eine  zuverlässigere  Regelung  der 
Gedingefrage  und  ein  besseres  Einlernen  der  von  anderen  Zechen 
kommenden  Leute.  Der  von  Taylor  angestrebte  objektive  Einblick  in 
den  Arbeitsprozeß  erscheint  Pothmann  im  Bergbau  nicht  möglich,  das 
Taylorsystem  im  wesentlichen  für  Bergbauverhältnisse  nicht  anwendbar. 
Aufsicht  und  Lohnpolitik  müssen  wie  bisher  die  Mittel  sein,  um  den 
Leistungsaufwand  der  Arbeiter  zu  heben. 

Das  Schluß ergebnis  ist :  „Insgesamt  müssen  die  Aussichten  für  eine 
Steigerung  des  Förderanteils   als  recht  bescheiden  bezeichnet  werden." 

Die  positiven  Feststellungen  der  Pothmannschen  Abhandlung  geben 
im  allgemeinen  zu  Einwendungen  keinen  Anlaß.  Dagegen  erscheinen 
zwei  negative  Feststellungen  Pothmanns  zu  pessimistisch.  Wenn  (S.  51) 
eine  „exakte"  Feststellung  der  Bestimmungsgründe  des  Förderanteils 
mit  Ausnahme  der  Betriebsgröße,  der  geologischen  Verhältnisse  und 
des  Zuzugs  bergfremder  Arbeiter  für  kaum  durchführbar  erklärt  wird, 
und  wenn  (S.  71  und  72)  die  Gewinnung  eines  objektiven  Einblicks  in 
den  bergmännischen  Arbeitsprozeß  auf  Taylorschem  Wege  für  unmöglich 
gehalten  wird,  so  erscheint  dieser  Verzicht  verfrüht.  P.  ging  vom 
Bergbaubezirk  zum  Bergrevier  und  schließlich  zum  Betrieb  über,  und 
erst  seine  kleinste  Untersuchungseinheit,  der  Betrieb,  ergab  brauchbare 
„exakte"  Ergebnisse.  Es  liegt  nahe,  daß  eine  weitere  Verkleinerung 
der  Untersuchungseinheit  auch  weitere  exakte  Ergebnisse  zeitigt.  Die 
Betriebsstatistik  der  einzelnen  Bergwerke  gibt  die  Möglichkeit,  die 
Steigerabteilungen,  die  Flöze,  ja  sogar  die  einzelnen  Betriebspunkte 
als  Vergleichseinheit  zu  wählen.  Die  praktische  Verwendung  der  Be- 
triebsstatistik besteht  ja  vielfach   in  einem  solchen  Vergleichen  in  der 


368     Ueberaicht  über  die  neaeeten  Pablikationen  Deutschlands  und  des  AusUndes. 

Absicht,  den  Förderanteil,  wo  or  nicht  hoch  genug  erscheint,  zu  steigern. 
In  den  Betriebsstatistiken  ist  also  ein  reiches  Zahlenmaterial  für  ex- 
akte Forschung  enthalten;  und  dieses  Material  auszudehnen,  zu  ver- 
tiefen und  zu  verfeinern,  dazu  gibt  gerade  Taylor  mancherlei  Anregung, 
wenn  auch  sein  System  als  Ganzes  auf  den  Bergbau  nicht  übertragen 
werden  kann.  Es  ist  zu  hoffen,  daß  in  weiteren  Abhandlungen  über 
diese  Frage  auch  die  der  Oeffentlichkeit  im  allgemeinen  nicht  zugäng- 
lichen Betriebsstatistiken  herangezogen  werden.  Sie  können  nicht  ent- 
behrt werden,  wenn  man  auf  dem  Wege  weiterkommen  will,  auf  dem 
die  vorsichtigen  und  sachlichen  Ausführungen  von  Pothmann  einen  er- 
freulichen Fortschritt  bedeuten. 

d.  Zt.  Berlin.  Her  big. 

Di  ekel  (Ger.-R.  a.  D.),  Prof.  Dr.  Karl,  Deutsches  und  preußisches  Forstzivil- 
recht, mit  Berücksichtigung  der  übrigen  deutschen  Landesrechte  und  einiger  öffentlich- 
rechtlicher Fragen,  wie  Waffehgebrauchsrecht,  Forst-  und  Jagdschutz,  Stempelsteuer. 
2.  völlig  umgearb.  u.  verm.  Aufl.  Berlin,  Franz  Vahlen,  1917.  gr.8.  XXVIII— 1173  SS. 
mit  1  Bildnis.     M.  28.—, 

Guttenberg  (Hofr.),  Prof.  Dr.  Adolf  Ritter  v.,  Grundriß  der  Forst verwaltungs- 
lehre.     Wien,  Franz  Deuticke,  1917.     gr.  8.     VIII— 165  SS.     M.  5.— 

Jüptner  v,  Jonstorff  (Hofr.),  Prof.  Hans  Frhr.  v.,  Das  Eisenhüttenwesen. 
Eine  Uebersicht  seiner  Entwicklung  sowie  seiner  kulturellen  und  wirtschaftlichen  Be- 
deutung. 2.  Aufl.,  verm.  durch  das  Kapitel:  Der  Weltkrieg  und  das  Eisenhüttenwesen. 
Leipzig,  Akademische  Verlagsgesellschaft,  1917.  gr.  8.  XII— 246  SS.  mit  127  Abbild. 
M.  7,50. 

Mosdorfer  (Ing.),  B.,  Bauernstand  und  Staat.  Eeformvorschläge  zur  wirtschaft- 
lichen Hebung  des  Bauernstandes.  2.  ergänzte  Aufl.  Mit  einem  Geleitwort  von  Peter 
Rosegger.  Graz,  Leuschner  &  Lubenskys  Universitätsbuchhdlg.,  1917.  gr.  8.  80  SS. 
M.  2,50. 

Offermann  (Dir.),  Dr.  Heinrich,  Das  nord westdeutsche  Erdölvorkommen. 
Chemisch  —  physikalisch  —  geologisch.  Braunschweig,  Fried r.  Vieweg  &  Sohn,  1917. 
gr.  8.     IV— 58  SS.     M.  4.—. 

Pols,  (Ob. -Ing.)  Ant.,  Das  Erdgas,  seine  Erschließung  und  wirtschaftliche  Be- 
deutung. Unter  besonderer  Berücksichtigung  des  ungarischen  Erdgas -Vorkommens. 
Berlin,  Verlag  für  Fachliteratur,  1917.  Lex.-8.  III— 92  SS.  mit  Abbild,  und  1  eingedr. 
Karte.     M.  5.—. 

Schindler  (Hofr.),  Prof.  F.,  Der  Wirtschaftsdünger  und  seine  Behandlung  im 
Hinblick  auf  die  Forderungen  der  Zeit.  (Mitteilungen  der  deutschen  Landwirtschafts- 
gesellschaft für  Oesterreich,  Veröffentlichung  Nr.  5.)  Wien,  Wilhelm  Frick,  1917.  gr.8. 
19  SS.     M.  2.—. 

Treptow  (Geh.  Bergr.),  Prof.  Emil,  Grundzüge  der  Bergbaukunde,  einschließlich 
Aufbereitung  und  Brikettieren.  5.  verm.  u.  vollst,  umgearb.  Aufl.  1.  Bd.  Bergbau- 
kunde. Wien,  Waldheim -Eberle  A.-G.,  1917.  Lex.-8.  X— 579  SS.  mit  846  in  den 
Text  gedr.  Abbild.     M.  12.—. 

Wirz,  Dr.  J.,  Die  Getreideproduktion  und  Brotversorgung  der  Schweiz.  2.  erw. 
Aufl.     Zürich,  Orell  Füßli,  1917.     gr.  8.     163  SS.  mit  43  S.  Abbild.     M.  6.—. 


Magnani,  Luigi,  I  problemi  agrari  della  nuova  Italia.  Bologna,  Stabilimenti 
poligrafici  riuniti,  1917.     16.     47  p. 

Rivista  del  servizio  minerario  nel  1915  (Ministero  d'agricoltura :  ispettorato 
delle  miniere).     Roma,  tip.  Nazionale,  Bertero,  1917.     8.    16,  CLXXXI,  216  p.    1.  4.—. 

Reigersberg  Versluys,  J.  C.  van.  De  Nederlandsch-Indische  mijnbouw- 
politiek  en  de  vooruitzichten  der  benzine  -  markt,  's  Gravenhage,  Mart.  Nijhoff.  8. 
43  en  4  blz.     fl.  0,50. 

5.   G-ewerbe  und  Industrie. 

Gaebel,  Dr.  Käthe,  und  (Mag.-R.)  v.  Schulz,  Die  Heimarbeit  im  Kriege. 
Hrsg.  von  der  Gesellschaft  für  soziade  Reform,   dem  Verbände  deutscher  Gewerbe-   und 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.    369 

Kaufmannsgerichte  und  dem  Zentralverein  für  das  "Wohl  der  arbeitenden  Klassen. 
Berlin,  Franz  Vahlen,  1917.     gr.  8.     III— 210  SS.     M.  3,60. 

Lutter  (Geh.  ßeg.-R.),  R.,  Kriegsvorschriften  auf  dem  Gebiete  des  gewerblichen 
Beehtsschutzes.  Zusammengestellt  und  mit  Erläuterungen  verfaßt.  Berlin,  J.  Guttentag, 
1917.     8.     S.  3—64.     M.  2.—. 

Osel  (Wirkl.  Rat,  M.  d.  L.),  Heinr.,  Zur  Entwicklung  von  Bayerns  Industrie 
und  Handel.     Diessen,  Jos.  C.  Huber,  1917.     gr.  8.     95  SS.     M.  1,60. 

Ritter,  Dr.  Erich,  Die  öffentliche  Elektrizitätsversorgung  in  Deutschland. 
Berlin,  Haude  u.  Spenersche  Buchhdlg.,  Max  Paschke,  1917.  gr.  8.  VIII— 158  SS. 
M.  6.—. 

Weyls  Handbuch  der  Hygiene.  (In  8  Bdn.)  Hrsg.  von  (Geh.  Med.-R.)  Prof. 
Dr.  A.  Gärtner.  2.  Aufl.  (Bearb.  von  Kreisarzt  Dr.  Louis  Ascher  .  .  .)  Lief.  24,  Bd.  VII: 
Gewerbehj-^giene.  Bearb.  von  Agn.  Bluhm  .  .  .  Allgemeiner  Teil,  Abt.  4:  Allgemeine 
Unfallverhütung  in  gewerblichen  Betrieben,  von  (Sen.-Präs.,  G«h.  Reg.-R.)  Prof.  Dr.  ing. 
Konrad  Hartmann.  Leipzig,  Johann  Ambrosius  Barth,  1917.  Lex.-8.  III  u.  S.  425 — 675 
mit  439  Abbild,  im  Text.     M.  10,25. 


Arnou,  Gh.,  Les  Industries  de  la  conservation  des  fruits.  La  Pomme.  Oon- 
sid^ration  et  6tude  de  ce  fruit.  Vannes,  impr.  Lafolye  fr&res.  Grand  in -8.  76  pag. 
avec  fig. 

Fleury,  R.  de,  La  production  industrielle  intensive.    Paris,  Dunod.    8.    fr.  3. — . 

Matignon,  Jacques,  L'influence  de  la  protection  legale  des  inventeurs  sur  le 
d^veloppement  de  Pindustrie.  Th&se  pour  le  doctorat  en  droit.  Paris,  Rousseau  et  Cie. 
8.     185  pag. 

„C 1  a  r  i  t  y."  Our  future.  Some  urgent  economic,  social,  and  industrial  problems.  To 
which  is  appended  a  special  section  on  the  wooUen  industry.  London,  Murby  &  Co. 
8.     221  pp.     7/.—. 

Fleming,  A.  P.  M.,  Industrial  ressarch  in  the  United  States  of  America.  (Science 
and  industry  series  No.  1.)     London,  Stationery  Office.     Cr.  8.     68  pp.     1/. — . 

Lauck,  W.Jett,  and  Edg.  Sydenstricker,  Conditions  of  labor  in  American 
Industries.  A  summarization  of  the  results  of  recent  investigations.  New  York,  Funk 
and  Wagnalls.     8.     $  1,75. 

Claudi,  Claudio,  L'industria  in  Italia  dopo  la  guerra:  conferenza.  Forll, 
soc.  tip.  Commerciale,  1917.     16.     21  p. 

Lanino,  Pietro,  Conferenza  sul  tema,  Le  nostre  Industrie  nazionali  prima  della 
guerra,  durante  la  guerra,  dopo  la  guerra,  tenuta  il  10  novembre  1916.  Bologna,  coop. 
tip.  Mareggiani,  1917.     8.     34  p. 

—  La  nuova  Italia  industriale.  Vol.  III.  1.  3,50.  —  Vol.  IV  (allegati  al  vol.  III, 
indici  generali).     Roma,  soc.  ed.  Italiana,  1917.     16.     CXXX  p.    1.  2,50. 

Nobili  Massuero,  Ferdinando,  L'industria  italiana  dell' armamento  navale 
in  economia  di  guerra.  Roma,  Athenaeum  (Cittä  di  Castello,  soc.  Leonardo  da  Vinci), 
1917.     8.     28  p. 

6.  Handel  nnd  Verkehr. 

Enzyklopädie  des  Eisenbahnwesens.  Hrsg.  von  (Sektionschef  a.  D.)  Dr.  Frhr. 
V.  Roll.  In  Verbindung  mit  zahlreichen  Eisenbahnfachmännern.  Redaktionsausschuß: 
(Hofr.)  Blaschek.  An  den  Redaktionsarbeiten  beteiligt:  (Ob.-Ing.)  Obermayer,  (Staats- 
bahnrat) PoUak,  (Bahnkommiss.)  Dr.  Grünthal.  2.  vollst,  umgearb.  Aufl.  71. — 75.  Lfg. 
(8.  Bd.,  S.  1—240).  Mit  zahlr.  Textabb.  und  Taf.  Wien,  Urban  u.  Schwarzenberg, 
1917.     Lex.-8.     Je  M.  1,60. 

Heinrich  Ferdinand,  Erzherzog,  Die  Wasserstraße  Mitteleuropas.  2.  AufL 
Wien,  Franz  Deuticke,  1917.     gr.  8.     23  SS.  mit  1  färb.  Karte.     M.  1,60. 

Findeisens  Leitfaden  der  Handelswissenschaft.  Im  Sinne  einer  Handelsbetriebs- 
lehre bearbeitet  von  (Handelshochschul-Prof.)  Dr.  H.  Großmann.  15.  Aufl.,  2.  Aufl. 
der  Neubearbeitung.  (Gehlens  handelswissenschaftliohe  Lehrbücher.)  Leipzig,  Dr.  Max 
Gehlen,  1917.     8.     153  SS.  mit  Abb. 

Fischl  (Gen.-Sekr.),    Dr.    Frdr.,   Fragen   der   Uebergangswirtschaft.     Zwei  Vor- 
träge, gehalten  im  Prager  Handelsgremium   am   29.  V.  und    am  5.  VI.  1917.     Leipzig, 
Schulwissenschaftl.  Verlag  A.  Haase,  1917.     gr.  8.     37  SS.     M.  1,70. 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  24 


370     Uebenicht  fiber  die  neuesten  Publikationen  Deutachlandfl  und  des  Auslandes. 

Freundlich,  Emmy,  Unser  täglich  Brot.  Eine  Einführung  in  die  Fragen  der 
Zoll-  und  Handelspolitik.     Wien,  Hugo  Heller  u.  Co.,  1917.     gr.  8.     59  SS.     M.  1,50. 

Hennig,  Dr.  Rieh.,  Grundzüge  einer  militärischen  Verkehrspolitik  unter  Be- 
rücksichtigung der  Erfahrungen  des  Weltkrieges.  (Verkehrswissenschaftliche  Abhand- 
lungen. Auf  Veranlassung  des  Kaiserl.  Automobilklubs  hrsg.  von  Geh.  Reg.-R.  Prof. 
Dr.  Gottfr.  Zoepfl,  Staatsanw.  Dr.  Carl  Falck  und  Hauptm.  Dr.  Walter  Kes.  Heft  3.) 
Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,   1917.     gr.  8.     VII— 100  SS.     M.  3.—. 

Hufnagl  (Zentralgüterdir.),  Leop.,  Handbuch  der  kaufmännischen  Holzver- 
wertung und  des  Holzhandels.  Für  Waldbesitzer,  Forstwirte,  Holzindustrielle  und  Holz- 
händler. 4.  umgearb.  und  vermehrte  Aufl.  Berlin,  Paul  Parey,  1917.  gr.  8.  VIII — 
412  SS.  mit  28  Textabb.     M.  15.—. 

Schulze,  Frdr. ,  Die  ersten  deutschen  Eisenbahnen  Nümberg-Fürth  und  Leipzig- 
Dresden.  2.  verm.  Aufl.  (Voigtländers  Quellenbücher,  Bd.  1.).  Leipzig,  E.  Voigtländers 
Verlag,  1917.     kl.  8.     68  SS.  mit  19  Abb.     M.  0,80. 

Seligmann,  Otto,  Die  künftigen  Handelsbeziehungen  zwischen  Bußland  und 
Skandinavien.  (Unter  Benutzung  skandinavischer  Quellen.)  (Hamburgische  Forschungen. 
Wirtschaftliche  und  politische  Studien  aus  hanseatischem  Interessengebiet,  hrsg.  von 
Dir.  Prof.  Dr.  Karl  Rathgen  und  Geh.  Reg.-R.  Gen.-Sekr.  Dr.  Franz  Stuhlmann.  Heft  2.) 
Braunschweig,  Georg  Westermann,  1917.     gr.  8.     36  SS.     M.  1. — . 

Staatseisenbahnen,  Die  Großherzoglich  oldenburgischen.  Ein  Rückblick  auf 
die  ersten  50  Jahre  ihres  Bestehens,  1867 — 1917.  Oldenburg  i.  Gr.,  Gerh.  Stalling, 
1917.     gr.  8.     195  SS.  mit  Abb.     M.  5.—. 

Adam,  Henri  Georges,  La  propri§t§  commerciale.  Sa  defense.  Th^e  pour 
le  doctorat  ^conomique.     Montpellier,  Firmin  et  Montane,  1914.     8.     191  pag. 

Boret,  Victor,  La  bataille  Sconomique  de  demain.     Paris,  Payot.    8.    fr.  1. — . 

Hungerford,  E.,  The  railroad  problem.     Chicago,  Mc  Clure,     8.     $  1,50. 

Lucas,  Sir  Charles  P.,  The  beginnings  of  English  overseas  enterprise.  A  pre- 
lude  to  the  Empire.     Oxford,  Clarendon  Press.     8.     6/.6. 

Scott,  W.  R.,  Economic  problems  of  peace  after  war.  Cambridge,  Univ.  Press. 
8.     4/.6. 

Marini,  Ciro,  II  commercio  delle  pelli  e  1' industria  dal  cuoio  durante  la  guerra. 
(Camera  di  commercio  e  industria  di  Genova.)  Genova,  soc.  tip.  Ligure,  E.  Oliveri  e  C, 
1917.     4.     55  p. 

Prato,  Giuseppe,  II  programma  economico-politico  della  Mitteleuropa,  negli 
scrittori  italiani  prima  del  1848.     Torino,  fratelli  Bocca  (V.  Bona),  1917.     8.     32  p. 

Sacerdote,  Cesare,  La  guerra  e  la  crisi  del  carbone  in  Italia;  tesi  di  laurea 
(r.  Istituto  superiore  di  studi  commerciali  di  Torino.)  Torino,  fratelli  Bocca  (Recanati, 
R.  Simboli),  1917.     8.     122  p.    1.  3.—. 

Scolari,  Luca,  La  riforma  della  tarifa  e  dei  trattati  di  commercio.  (Camera 
di  commercio  e  industria  di  Verona.)     Verona,  tip.  G.  Franchini,  1916.     8.     13  p. 

Valenti,  Ghino,  L'  agricoltura  e  la  politica  commerciale  dell' Italia :  intro- 
duzione  generale  alle  monografie  agrarie.  (Comitato  nazionale  per  le  tariffe  doganale 
e  per  i  trattati  di  commercio:  ufficio  tecnico  per  1' agricoltura  e  le  Industrie  agrarie.) 
Roma,  tip.  Nazionale,  Bertero,  1917.     8.     168  p. 

7.  Finanswesen. 

Waldecker,  Ludwig,  Eeichseinheit  und  Reichsfinanzen.  Nach- 
denkliche Kapitel  für  Juristen  und  Nichtjuristen  über  ein  Problem 
deutscher  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft.  Tübingen  (J.  C.  B. 
Mohr)  1916.     8^     IV  u.  205  SS.     (Preis:  B  M.). 

Waldecker  will  sein  Buch  nicht  als  politische  Schrift  angesehen 
wissen.  Er  will  die  Fragen,  die  er  erörtert,  nicht  als  Politiker  be- 
handeln, der  er  nicht  sei,  sondern  nur  als  Deutscher  und  als  Vertreter 
der  Wissenschaft,  für  den  es  kein  anderes  Gesetz  gebe,  als  das  zu 
sagen,  was  er  für  richtig  erkannt  habe.  Ob  der  Politiker  einem 
anderen  als  diesem  —  recht   einseitig   für   den  Vertreter   der  Wissen- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     371 

Schaft  vindizierten  —  wohl  selbstverständlichen  Gesetze  zu  folgen  hat, 
mag  billig  bezweifelt  werden.  Ebenso  aber  glaube  ich  bezweifeln  zu 
dürfen,  daß  es  Waldecker  wirklich  gelungen  ist,  ein  unpolitisches  Buch 
zu  schreiben.  Das  Buch  ist  politisch,  sogar  in  gewissem  Umfange 
polemisch.  Die  Vorbemerkung,  die  der  Verf.  seiner  Schrift  voraus- 
schickt, zwingt  zu  dieser  Feststellung,  die  allerdings  einen  Vorwurf 
nicht  bedeuten  kann.  Denn  es  dürfte  kaum  möglich  sein,  die  Fragen, 
die  Waldeckers  Buch  zum  Gegenstand  hat,  unpolitisch  zu  behandeln. 
Was  zweckmäßig  zu  geschehen  hat,  um  einen  bestehenden  Finanz- 
bedarf  zu  decken,  ist  nun  einmal  nichts  anderes  als  eine  Frage  der 
Finanzpolitik. 

Bei  Waldecker  stellt  sich  die  Geschichte  des  Reiches  als  eine 
Geschichte  der  Reichsfinanzen  dar.  Die  Entwicklung  des  Reichsge- 
dankens, die  in  den  Tagen  der  Mobilmachung  so  herzerhebend  in  die 
Erscheinung  trat,  findet  im  Lichte  seiner  Betrachtungsweise  nicht 
einen  Ausdruck,  sondern  schlechterdings  ihren  Inhalt  in  der 
Geschichte  der  Reichsfinanzen.  Und  so  bedeuten  ihm  denn  die  Ten- 
denzen, die  in  den  Reichsfinanzgesetzen  ihren  Niederschlag  gefunden 
haben,  die  Vorläufer  dessen,  was  er  die  „Idee  von  1914"  nennt. 

Wenn  andere  den  „unitarischen"  Gedanken  in  der  Reichsverfassung 
etwa  im  Ausbau  der  Wehrmacht  zu  Lande  und  zur  See,  im  Ueber- 
gange  zur  Kolonial-  und  Weltpolitik,  in  der  Begründung  und  Durch- 
führung unserer  Sozialpolitik  sich  verwirklichen  sehen,  so  findet  Wal- 
decker ihn  in  der  Frankensteinschen  Klausel,  nicht  minder  aber  auch 
in  ihrem  späteren  Abbau.  Seiner  Auffassung  nach  sind  die  Schulden 
des  Reiches  das  feste  Band,  das  vornehmlich  die  Gliedstaaten  in  der 
höheren  Einheit  des  Reiches  zusammenhält.  Und  so  dürften  seine  Be- 
trachtungen zur  Reichsfinanzgeschichte  —  eine  eigentliche  Reichsfinanz- 
geschichte will  Waldecker  nicht  geben,  und  gibt  er  nicht  —  so  lesens- 
wert sie  zweifellos  sind,  den  „nachdenklichen"  Leser  vielfach  recht 
fremdartig  berühren.  Man  denkt  unwillkürlich  an  Mephistos  Wort  von 
dem,  der,  befangen  in  der  Spekulation,  die  Augen  vor  der  Wirklichkeit 
verschließt. 

Die  Frage,  wie  es  gelingen  könnte,  den  Finanzbedarf  des  Reiches 
nach  Friedensschluß  zu  decken,  erörtert  Waldecker  im  dritten  Ab- 
schnitte seines  Buches.  Hier  führt  ihn  die  Ueberzeugung,  daß  die 
Rücksicht  auf  die  finanzielle  Selbständigkeit  der  Gliedstaaten  die  In- 
anspruchnahme der  direkten  Steuern  durch  das  Reich  ebensogut  wie 
die  Ueberspannung  der  Matrikularbeiträge  verbietet,  zu  dem  Vorschlage 
einer  umfassenden  Monopolwirtschaft,  in  die  er  den  Tabak,  Gas  und 
Elektrizität,  Petroleum,  Kali,  Zement,  Stein-  und  Braunkohlen,  Getreide, 
Butter,  Fleisch,  Bier,  Post  und  Telegraphie,  Stickstoff,  Zündhölzer 
u.  a.  m.  einbeziehen  will.  Der  aus  diesen  Monopolen  herauszuwirt- 
schaftende Mehrertrag  wird  auf  mindestens  2050  Mill.,  bei  einer  noch 
angängigen  Erhöhung  der  Spannung  auf  einen  noch  wesentlich  höheren 
Betrag  errechnet.  Immerhin  bleibt  auch  das  auf  diesem  Wege  äußersten 
Falles  zu  erzielende  Aufkommen  hinter  dem  Mehrbedarf,  den  Waldecker 
(jedenfalls   zu   gering)  mit  4  Milliarden  jährlich    annimmt,   um  600  bis 

24* 


372     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

1000  Mill.  zurück.  Waldecker  sucht  daher,  da  eine  „Verstärkung  der 
Einnahmeseite  unseres  Budgets"  nicht  zum  Ziele  führt,  die  Lösung  des 
Problems  auf  der  Ausgabeseite,  und  zwar  in  einer  „Herabsetzung  der 
persönlichen  Staats-  und  Verbandsausgaben".  Zu  diesem  Endziel  will  er 
in  weitem  Umfange  die  Beruf sbeamten  —  die  „Staatsrentner"  —  durch 
Staatsdienstpflichtige  ersetzt  wissen,  die  nach  Maßgabe  ihrer  Kenntnisse 
und  Fähigkeiten  zu  verwenden  wären.  Es  wäre  dieses  eine  Entwick- 
lung, die  nach  Waldecker  im  Sinne  der  Fortbildung  unseres  in  der 
Daseinsform  des  „Anstaltstaates"  stecken  gebliebenen  Staatswesens  zu 
der  höheren  Stufe  des  „Genossenschaftsstaates"  läge,  die  nichts  anderes 
bedeute,  als  was  vor  100  Jahren  von  Stein,  Hardenberg,  Scharnhorst 
und  Boyen  erstrebt  worden  sei,  und  was  als  Ziel  der  kommenden 
„Neuorientierung"  der  Bewegung  im  August  1914  vorgeschwebt   habe. 

Es  ist  nicht  möglich,  im  Rahmen  dieser  Besprechung  auf  Wal- 
deckers  Vorschläge  des  näheren  kritisch  einzugehen.  Nur  darauf  sei 
kurz  hingewiesen,  daß  Waldecker  als  „Gegengewicht  gegen  die  in  der 
größeren  speziellen  Sachkunde  und  Routine  liegende  sachliche  Ueber- 
legenheit  des  Berufsbeamten  dem  Dienstpflichtigen  den  der  Verant- 
wortlichkeit der  von  ihm  verwalteten  Stelle  entsprechenden  Rang,  Titel 
und  Stellung  eingeräumt"  wissen  will,  „womit  die  in  dem  gegen- 
wärtigen System  bedingte  persönliche  Ueberlegenheit  des  Berufsbeamten 
mit  ihren  unerfreulichen  Folgeerscheinungen  ausgemerzt  würde".  Also: 
Rang  und  Titel  an  Stelle  der  fehlenden  Sachkunde.  Einen  Kommentar 
glaube  ich  mir  sparen  zu  d^rfen. 

Halte  ich  so  das  Ergebnis  der  Waldeckerschen  Untersuchungen 
im  wesentlichen  für  negativ,  so  legt  es  um  so  mehr  die  Erwägung 
nahe,  ob  der  Kampf  um  eine  wirklich  ausreichende  Kriegsentschädigung 
heute  überhaupt  noch  etwas  anderes  bedeutet,  als  schlechthin  der 
Kampf  um  Deutschlands  wirtschaftliche  und  finanzielle  Daseinsmög- 
lichkeit. 

Waldecker  hat  den  Juristen  und  Nichtjuristen,  die  seine  nach- 
denklichen Kapitel  lesen  sollen,  ihre  Aufgabe  nicht  eben  leicht  ge- 
macht. Die  Schwierigkeiten,  die  das  Buch  dem  Leser  entgegenstellt, 
liegen  allerdings  nicht  sowohl  in  seinem  Inhalt  begründet  als  in  der 
Form.  Die  Umständlichkeiten  des  Satzbaues,  die  selbst  das  gelegent- 
liche Vorkominen  grammatischer  Fehler  begreiflich  erscheinen  lassen, 
die  Bevorzugung  gerade  solcher  Fremdwörter,  die  ihrem  begrifflichen 
Lihalte  nach  alles  eher  als  eindeutig  sind  —  hingewiesen  sei  nur  auf 
den  „materialistisch-mechanistischen,  kapitalistisch-militärischen  Aufbau 
der  Staatsorganisation"  —  erschweren  das  Verständnis.  Und  wenn 
nicht  selten  die  stark  abstrakte  Darstellung  unvermittelt  in  Triviali- 
täten verfällt,  so  können  solche  Stilwidrigkeiten  nur  eine  verstimmende 
Wirkung  zurücklassen. 

Liegnitz.  Karl  Elster. 

Ditz  (Steuersupernumerar),  und  (Akt.)  P.  Mommertz,  Die  Staats-  und  Ge- 
meinde-Besteuerung der  Offiziere  und  Militärbeamten  unter  besonderer  Berücksichti- 
gung der  Gemeindesteuerpflicht  auf  Grund   des  Aufenthalts  und  des  Gesetzes  betr.   Er- 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     373 

gänzung  des  Einkommensteuergesetzes  vom  30.  XII.  1916,  nebst  Steuertarif.  Köln, 
J.  G.  Schmitzsche  Buch-  und  Kunsthandlg.,  1917.     8.     24  SS.     M.  0,60. 

Föhrenbach,  Dr.  Otto,  Die  deutschen  Reichsfinanzen  vor,  während  und  nach 
dem  Weltkriege.     Freiburg  i.  B.,  J.  Bielefelds  Verlag,  1917.     8.     46  SS.     M.  0,50. 

Kohlensteuerges  etz  vom  8.  IV.  1917  nebst  Ausführungsbestimmungen.  Hrsg. 
im  Reichsschatzamt.     Berlin,    Carl  Heymanns  Verlag,    1917.     gr.  8.     94   SS.     M.  1,35. 

Lotz,  Prof.  Dr.  "Walt her,  Finanzwissenschaft.  5.  Lfg.  (Schluß).  Tübingen, 
J.  C.  ß.  Mohr,  1917.     Lex.-8.     XVI  und  S.  641—839.     M.  6.—. 

Maschek  (Minist.-Sekr.),  Dr.  Josef,  Die  Gebühren  und  Abgaben  (Steuern)  im 
Eisenbahnverkehr  (Gebühren  von  Personenfahrkarten,  von  Anweisungen  (Legitimationen) 
zu  freien  und  ermäßigten  Fahrten,  von  Frachturkunden;  Frachtsteuer;  Fahrkarten- 
steuer, Gepäcksteuer  und  Kriegszuschlag).  Zusammenstellung  der  in  Oesterreich  gelten- 
den gesetzlichen  und  Durchführungsbestimmungen  nebst  Begründung.  Mit  einem  An- 
hang, enthaltend  das  ungarische  und  das  deutsche  Gesetz  über  Eisenbahnverkehrsabgaben. 
(Handausgabe  der  österreichischen  Gesetze  und  Verordnungen,  Heft  45.)  Wien,  k.  k. 
Hof-  u.  Staatsdruckerei,  1917.     kl.  8.     VIII— 158  SS.     M.  5.—. 

Schreiber,  Heinrich,  und  Emil  v.  Hof mannsthal,  Drs.,  Das  Aktien- 
nominale. Eine  aktien-  und  steuerrechtliche  Studie.  Wien,  Manz,  1917.  8.  VI — 26  SS. 
M.  1.—.  

Husson,  L§on,  Les  Services  industriels  de  l'fitat  et  leurs  mithodes  financi^res. 
Th^e  pour  le  doctorat  en  droit.     Paris,  M.  Giard  et  E.  Brifere,  1916.     8.    153  pag. 

L^autey,  L.  A.,  et  A.  Leseurre,  La  taxation  des  blnefices  de  guerre  et 
l'unification  des  bilans.  Comment  payer  ä,  l'f)tat  sa  part  dans  les  b§nefices  de  guerre? 
Vannes,  impr.  Lafolye  fröres.  8.  210  pag.  (Biblioth^ue  des  sciences  comptables  et 
economiques.) 

Willoughby,  W.  Franklin,  and  others,  The  System  of  financial  adminis- 
tration  of  Great  Britain.  A  report.  Introduced  by  A.  Laurence  Lowell.  New  York, 
Appleton.     8.     $  2,75. 

Caramazza,  Filippo,  Tassa  di  famiglia  e  riforma  tributaria.  Brescia, 
A.  Delai.    8.    1.  5.—. 

Imposta  sui  sopra-profitti  di  guerra:  commento  al  testo  unico  19  novembre  1916, 
ed  al  d.  m.  15  gennaio  1916,  con  note  ai  provvedimenti  suUa  distribuzione  dei  divi- 
dendi  e  suUa  industria  marittima  in  rapporto  all' imposta,  [a  cura  di]  Antonio  Lia. 
Seconda  edizione  rifalta.  Napoli,  casa  ed.  E.  Pietroccola  succ.  P.  A.  Molina,  1917.  16. 
271  p.     1.  3.—. 

Magni,  Ettore,  Finanza  e  vittoria:  cronache  economiche  e  finanziarie  degli 
stati  belligerenti  e  neutrali;  Introduzione  positiva  ad  uno  studio  teoretico.  Roma,  tip. 
coop.  Sociale,  1917.    8.    XII,  705  p.     1.  10.—. 

Relazione  dell' amministrazione  delle  ferrovie  esercitate  dallo  Stato  per  l'anno 
finanziario  1915 — 1916.  (Ferrovie  dello  Stato:  direzione  generale.)  Roma,  tip.  Na- 
zionale,  Bertero,  1917.     4.    XI,  361  p.  con  undici  tavole. 

8.  Geld-,  Bank-,  Kredit-  und  VersioherimgsweBeii. 

Carthaus,  Vilma,  Zur  Geschichte  und  Theorie  der  Grund- 
stückskrisen in  deutschen  Großstädten,  mit  besonderer  Berücksichtigung 
von  Groß-Berlin.  Jena  (Gustav  Fischer)  1917.  S».  VI  u.  237  SS. 
(Preis:  M.  6,—.) 

Die  vorliegende  Schrift  ist  eine  recht  tüchtige  Doktorarbeit.  Die 
akademische  Herkunft  und  Absicht  drückt  sich  in  dem  umständlichen 
Titel  und  einer  Eeihe  theoretisierender  Abschweifungen  und  Zugaben 
aus,  im  Kern  aber  wird  lediglich  eine  Geschichte  des  Groß-Berliner 
Liegenschafts-  (Grundstücks-,  Hypotheken-  und  Bau-)Marktes  für  die 
Jahre  1902 — 1914  geboten;  die  vorangehenden  Jahre  von  der  Gründer- 
zeit an  werden  mehr  nach  Art  einer  Einleitung  kurz  skizziert.  Inner- 
halb des  Abschnittes  von  1902 — 1914  unterscheidet  die  Verf.  die  Jahre 


374     Uebersioht  fiber  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

der    Hochkonjunktur    1902 — 1906,    die    der    schwankenden  Konjunktur 

1907 1910  und  die  der  Krisen  und  Depressionen  1911  bis  zum  Kriege. 

Die  letzten  Jahre  werden  am  eingehendsten  behandelt.  Die  Verf.  hat  ein 
umfangreiches  verstreutes  Material  mit  großem  Fleiß  und  Geschick  ver- 
arbeitet; man  wird  bei  den  künftigen  Erörterungen  über  die  Krisis  des 
Groß-Berliner  Grundstücksmarktes  auf  die  Untersuchungen  der  Verf. 
vielfach  zurückgreifen  müssen.  Hervorzuheben  sind  ihre  Ausführungen 
über  den  Einfluß,  den  in  den  ersten  Jahren  dieses  Jahrhunderts  die 
Konkurrenz  der  Beleihungsinstitute  auf  die  Entwicklung  der  Ver- 
schuldungsverhältnisse ausgeübt  hat  (S,  31  ff.).  Die  Verknüpfung  des 
Terraingewerbes  mit  den  Großbanken  wird  in  interessanter  Weise  klar- 
gestellt (S.  55),  vor  allem  aber  werden  naturgemäß  die  Praktiken  der 
Terraingesellschaften  an  charakteristischen  Beispielen  gezeigt.  Der  aus 
einem  einzigen  ungeheuren  Irrtum,  nämlich  der  Annahme  eines  un- 
begrenzten Steigens  der  Bodenwerte,  erwachsene  Kunstbau  des  Groß- 
Berliner  Bodengewerbes  wird  —  diese  Ueberzeugung  drängt  sich  beim 
Lesen  der  Schrift  wieder  recht  deutlich  auf  —  in  der  Wirtschafts- 
geschichte allezeit  als  abschreckendes  Beispiel  genannt  werden. 
Nachdem  die  Verf.  anhangsweise  noch  einen  kurzen  Ueberblick  über 
die  Entwicklung  des  Münchner  und  Dresdner  Grundstücksmarktes  ge- 
geben hat,  sucht  sie  im  zweiten  Teil  der  Schrift  die  Ursachen  der 
Krisis  und  ihre  einzelnen  Schwankungen  aufzuklären  und  zu  den  vor- 
geschlagenen Abhilf smaßn ahmen  kritisch  Stellung  zu  nehmen.  Dieser 
Teil,  der  auch  äußerlich  nur  etwa  den  vierten  Teil  der  Schrift  aus- 
macht, steht  in  seinem  Werte  hinter  dem  ersten  weit  zurück.  Die 
Verf.  erweist  sich  als  getreue  Schülerin  Eberstadts ,  dessen  vielfach 
und  nicht  ohne  Grund  angegriffene  Auffassungen  vorbehaltslos  wieder- 
gegeben werden.  Diesem  Teil  der  Schrift  fehlt  daher  das  selbständige 
wissenschaftliche  Interesse.  Auch  die  Literaturbenutzung  ist  unvoll- 
ständig, was  um  so  mehr  zu  bedauern  ist,  als  der  Verf.  offenbar  die 
eigene  praktische  Erfahrung  fehlt.  Nur  so  ist  es  zu  erklären,  daß  ihr 
eine  der  wichtigsten  Ursachen  der  Hypothekennot,  nämlich  die  Ver- 
gewaltigung der  nachstelligen  Hypotheken  gläubiger  durch  die  vor- 
gehenden Hypothekare  im  Falle  der  Zwangsversteigerung,  völlig  ent- 
gangen ist.  (Die  Bemerkungen  der  Verf.  auf  S.  197  treffen  die  Sache 
nicht.)  Was  die  allgemeineren  Gründe  der  Krisis  anlangt,  so  schätzt 
auch  die  Verf.  nach  meinem  Dafürhalten  den  Einfluß  der  politischen 
Ereignisse  auf  den  Grundstücksmarkt  bei  weitem  nicht  hoch  genug  ein. 
Die  langfristigen  Unternehmungen  dieses  Gebietes  mußten  durch  die 
wachsende  politische  Unsicherheit  am  meisten  getroffen  werden,  und 
durch  die  Kursbewegungen  der  Hypothekenpfandbriefe  übertrugen  sich 
die  Schwankungen  der  politischen  Lage  mit  großer  Schnelligkeit  auf 
das  Grundstücksgeschäft.  Es  ist  geradezu  auffällig,  wie  parallel  die 
Kurven  der  äußeren  Politik  und  des  Groß-Berliner  Grundstücksmarktes 
verlaufen.  Wenn  dies  für  andere  Städte,  wie  z.  B.  München  und 
Dresden,  nicht  in  gleicher  Weise  gilt,  so  erklärt  sich  dies  leicht  aus 
dem  viel  innigeren  Zusammenhang,  in  dem  die  Entwicklung  Groß- 
Berlins    mit    den    politischen    Schicksalen   des  Deutschen  Reichs    steht. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.    375 

Kückt  man   aber   diesen  Gesichtspunkt   in   den  Vordergrund,    so   wird 
sich  auch  die  gesamte  Beurteilung  der  Krisis  verschieben. 

Berlin.  A.  Nußbaum. 

Assekuranz-Compaß.  Internationales  Jahrbuch  für  Versicherungswesen, 
1893  gegründet  und  hrsg.  von  (Bankkontroll.)  Gustav  J.  Wischnitowsky.  25.  Jahrg., 
1917.  2  Bde.  Berlin,  Puttkammer  u.  Mühlbrecht,  1917.  8.  XII,  734  und  XIII, 
568  SS.     M.  22.—. 

Becker,  P.,  Ein  Staats-Kredit-Monopol.  Magdeburg,  Peter  Becker,  1917.  8. 
30  SS.    M.  0,60. 

Knapowski,  Dr.  Roch.,  Die  Disproportionalität  der  objektiven  Kapitalrertei- 
lung  in  ihrer  Anwendung  auf  die  englischen  Wirtschaftskonjunkturen.  Posen,  Gebr. 
Winiewicz,  1917.     gr.  8.    VII,  144  SS.  mit  3  Tab.    M.  5.—. 

Man  es,  Prof.  Dr.  Alfred,  Kriegs-  und  Friedensrüstung  der  deutschen  Ver- 
sicherung. (Bibliothek  für  Volks-  und  Weltwirtschaft.  Hrsg.:  Prof.  Dr.  Franz 
V.  Mammen.  Heft  41.)  Dresden,  „Globus"  Wissenschaftl.  Verlagsanstalt,  1917.  gr.  8. 
VIII— 74  SS.     M.  1,80. 

Salings  Böraen- Papiere.  2.  (finanzieller)  Teil.  Salings  Börsen -Jahrbuch  für 
1917/18.  Ein  Handbuch  für  Bankiers  und  Kapitalisten.  Bearbeitet  von  Ernst  Heine- 
mann, Dr.  Georg  Tischert,  John  Weber.  41.  Aufl.  Berlin,  Verlag  für  Börsen-  und 
Finanzliteratur,  1917.     8.     LXXIV— 2328  SS.     M.  27.—. 

Schmidt,  Prof.  Dr.  F.,  Der  bargeldlose  Zahlungsverkehr  in  Deutschland  und 
seine  Förderung.     Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1917.     gr.  8.     VIII— 186  SS.     M.  6.—. 


Tripier,  Roger,  fitude  sur  l'assurance  contre  le  vol.  Thfese  pour  le  doctorat 
(sciences  juridiques).  Paris,  libr.  de  la  Soci6t§  du  „Recueil  Sirey",  1916.  8.  VH — 
288  pag. 

Wilmer,  Albert,  Un  cartel  commercial.  L'assurance  incendie.  Thöse  pour 
le  doctorat  en  droit.     Dijon,  impr.  bourguignonne  J.  Bernigaud.     8.    247  pag. 

Gamba,  Mario,  Studi  sul  credito  fondiario  (L'ordinamento  del  credito  fon- 
diario  fuori  d'  Italia ;  Vicende  e  risultati  del  credito  fondiario  in  Italia) :  note  ed  appunti. 
Cittä  di  Castello,  tip.  Unione  arti  grafiche,  1916.     8.     26  p. 

Vissering,  G.,  Het  vraagstuk  van  de  geldruimte  in  Nederland  en  de  goud- 
politiek  van  de  Nederlandsche  bank.  Met  bijlage:  Nederlandsch  Oost-Indie  en  de 
gold-exchange-standaard.  (Instituut  voor  economische  geschriften,  No.  1.)  Rotterdam, 
Nijgh  en  van  Ditmar's  Uitgeversmaatschappij.     gr.  8.     75  blz.     fl.  1,50. 

9.  SoEiale  Fragte. 

Landfrage  und  Kriegswitwe.  (Schriften  des  Arbeitsaus- 
schusses der  Kriegerwitwen-  und  -Waisenfürsorge,  hrsgg.  im  Auftrage 
des  Hauptausschusses,  Heft  4.)  Berlin  (Carl  Heymann)  1917.  8».  VIII 
u.  87  SS.     (Preis:  M.  1,20.) 

„Landfrage  und  Kriegswitwe"  ist  das  vierte  Heft  der  Schriften 
des  Arbeitsausschusses  der  Kriegerwitwen-  und  -Waisenfürsorge  be- 
titelt. Es  enthält  eine  Anzahl  kurzer,  beachtenswerter  Aufsätze,  die  sich 
alle  mit  der  Möglichkeit  der  Verpflanzung  von  Kriegerhinterliliebenen 
aufs  Land  und  der  Verhinderung  einer  Abwanderung  der  bisher  auf 
dem  Lande  Ansässigen  befassen. 

Durchgängig  scheinen  die  Wohnungsverhältnisse  für  das  vor- 
liegende Problem  die  Hauptschwierigkeit  zu  bieten.  Die  zu  Witwen 
gewordenen  Ehefrauen  von  ländlichen  Arbeitern,  Instleuten  u.  dgl. 
werden  nach  Kriegsende  ihre  bisherige  Wohnung  räumen  müssen,  um 
männlichen  Arbeitskräften  mit  deren  Familien  Platz  zu  machen.  Miet- 
wohnungen sind  fast  nirgends  vorhanden,  so  ist  schon  allein  hierdurch 
ein  Grund  zur  Abwanderung   nach  einem    größeren  Ort  gegeben,    wozu 


376     üeberaicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutachlanda  und  dea  Auslandes. 

noch  die  den  Frauen  meist  recht  groß  erscheinende  Bargeldrente  einen 
Anreiz  bietet,    die  ihnen  ein  städtisches  Leben  zu  ermöglichen  scheint. 

Ebenso  finden  sich  keine  Wohnungen,  um  einer  Kriegerswitwe  die 
Rückkehr  aufs  Land,  woher  sie  etwa  stammt,  zu  ermöglichen.  Hier 
muß  von  Seiten  der  Behörden,  der  Vereine  und  der  Gutsherrschaften 
für  Abhilfe  gesorgt  werden. 

Wie  von  allen  Mitarbeitern  der  kleinen  Schrift,  besonders  von  Pro- 
fessor Sohnrey,  Friedrich  Lembke,  Freiin  Julie  v.  Dalwigk  und  anderen 
immer  wieder  betont  wird,  darf  unbedingt  nicht  wahllos  jeder  Städterin 
zugeredet  werden,  aufs  Land  zu  ziehen;  vielmehr  sollen  in  der  Regel 
nur  solche  Frauen  dem  Lande  wieder  zugeführt  werden,  die  von  dort 
stammen,  bei  ihrer  Neuansiedlung  Anschluß  durch  Verwandte  finden 
und  ihre  in  der  Jugend  gewonnenen  Kenntnisse  in  Gartenbau,  Klein- 
viehzucht usw.  nicht  vergessen  und  sich  ihre  Liebe  zur  Natur  bewahrt 
haben,  kurz,  die  besonders  zur  Ansiedlung  geeignet  erscheinen;  und 
zwar  soll  dabei,  wie  Gertrud  Dyhrenfurth  des  näheren  ausführt,  ganz 
individuell  verfahren  werden.  Den  Neuangesiedelten  soll  nach  ihr,  wie 
auch  den  verwitweten  Kleinbäuerinnen  ein  besonderer  Pfleger  mit  Rat 
und  Tat  zur  Seite  stehen.  Geeignete  Pfleger  zu  bestellen,  wird  eine 
Hauptaufgabe  der  Kriegerhinterbliebenenfürsorge  sein. 

Interessant  sind  auch  die  Ausführungen  von  Dr.  Käthe  Gaebel, 
welche  die  Frage  beleuchtet,  wie  weit  es  den  Kriegerwitwen  möglich 
sein  wird,  sich  durch  Heimarbeit  einen  Nebenverdienst  zu  verschaffen, 
wie  auch  die  Berichte  über  die  Beobachtungen,  welche  in  verschiedenen 
Gegenden  über  den  Aufenhaltswechsel  der  Kriegshinterbliebenen  ge- 
macht sind.  Die  Angaben  der  Wohnungsinspektorin  für  die  Landge- 
meinden des  Kreises  Worms,  Dr.  Marie  Kröhne,  über  die  dortige 
Kriegshinterbliebenenfürsorge  möchten  wir  auch  besonders  hervorheben. 

Die  Schrift  beschäftigt  sich  ferner  mit  der  Möglichkeit  einer  festen 
Ansiedlnng  durch  die  Kapitalabfindung  und  gibt  im  Anhang  das  Ka- 
pitalabfindungsgesetz vom  3.  Juli  1916,  die  vom  Arbeitsausschuß  ver- 
sandten Rundschreiben  mit  Fragebogen  und  Richtlinien,  usw.  Sie  gibt, 
trotz  ihrer  Knappheit,  eine  Fülle  von  Anregungen  und  Aufklärungen 
und  verdient  deshalb  allgemeinste  Beachtung. 

Nürnberg.  E.  Kesten. 

Arbeitsnachweise,  Die  öffentlichen,  in  Deutschland  und  der  deutsche  Arbeits- 
markt unter  besonderer  Berücksichtigung  des  ersten  Kriegsjahres.  Jahresbericht  des 
Verbandes  deutscher  Arbeitsnachweise  1912/13 — 1914/15.  Anhang;  Bibliographie  der 
Arbeitsvermittlung.  (Schriften  des  Verbandes  deutscher  Arbeitsnachweise,  Nr.  13.) 
Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917.     gr.  8.     X— 267  SS.     M.  8.—. 

Blaum  (Dir.)  Dr.,  Die  Uebergangsfürsorge  vom  Krieg  zum  Frieden.  Vorschläge. 
(Schriften  des  Deutschen  Vereins  für  Armenpflege  und  Wohltätigkeit,  Heft  106.)  München, 
Duncker  u.  Humblot,  1917.     gr.  8.     VII— 52  SS.     M.  1,60. 

Friedeberg  (Amtsger.-R.),  Dr.  E.,  und  S.  Wronsky,  Handbuch  der  Kriegs- 
fürsorge  im  Deutschen  Beich.  Hrsg.  von  der  Zentrale  für  private  Fürsorge  in  Berlin. 
Die  wichtigsten  Bestimmungen  und  Einrichtungen  auf  dem  Gebiete  der  Kriegsfürsorge, 
nebst  einem  Anhang:  Die  Kriegsfürsorge  in  Groß- Berlin.  Berlin,  Franz  Vahlen,  1917. 
gr.  8.     VIII— 310  SS.     M.  3,60. 

Fuchs,  Carl  Job.,  Die  Wohnungsfrage  vor  und  nach  dem  Kriege.  Aufsätze 
und  Vorträge  zur  Wohnungsfrage.  Neue  Folge.  München,  Duncker  u.  Humblot,  1917. 
gr.  8.     VII— 235  SS.     M.  4.—. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     377 

Kriegsfürsorge  und  Kriegswirtschaft.'  Arbeiten  der  ersten  Kriegs- 
Volksakademie  des  rhein-mainischen  Verbandes  für  Volksbildung,  Diez  a.  d.  Lahn,  im 
Oktober  1916.  Frankfurt  a.  M.,  Englert  &  Schlosser,  1917.  Lex.-8.  VIII— 424  SS. 
M.  5.—. 

Laer,  (Landr.)  v.,  Neu  -  Deutschland.  1.  Teil.  Weltkrieg  und  Sozialpolitik. 
Berlin,  Deutsche  Landbuchhdlg.,  1917.     gr.  8.     72  SS.     M.  1.—. 

Podmaniczky,  Dr.  Baron  T.  v.,  Aktuelles  zur  Alkoholfrage.  Nach  einem  am 
11.  XII.  1916  gehaltenen  Vortrag.  Budapest,  Ferdinand  Pfeifer,  1917.  kl.  8.  20  SS. 
M.  1,50. 

Probleme  der  Kriegshinterbliebenenfürsorge.  (Schriften  des  Arbeitsausschusses 
der  Kriegerwitwen-  und  -Waisenfürsorge,  hrsg.  im  Auftrage  des  Hauptausschusses ,  in 
Verbindung  mit  der  Nationalstiftung  für  die  Hinterbliebenen  der  im  Kriege  Gefallenen, 
Heft  6.)     Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917.     gr.  8.     VIII— 119  SS.     M.  1,30. 

Wehe,  K.,  Die  staatliche  Arbeiterfürsorge  bei  uns  und  bei  unseren  Feinden. 
Ein  Wort  zum   Nachdenken.     Stuttgart,   Carl  Grüninger,    1917.     8.     52  SS.     M.  0,75. 

Wisgrill  (Oberleutn.),  Dr.  Frdr.,  Sozialreform.  Wien,  L.  W.  Seidel  &  Sohn, 
1917.     gr.  8.     48  SS.  mit  1  Tab.     M.  0,80. 


Jacquelin,  prof.  Ren§,  Le  droit  social  et  la  r§paration  des  dommages  en  r§- 
gions  envahies.  Apparition  et  port^e  du  droit  social.  Nature  et  contenu  du  droit  social. 
Moyen  et  resultat  du  droit  social.  Motif  justicatif  du  droit  social.  Les  int^r^ts  finan- 
ciers  de  l'fitat  et  les  int^rets  des  sinistres  en  face  du  droit  social.  Conclusion.  Paris, 
libr.  de  la  Soci§t§  du  „Recueil  Sirey",  1917.     6.     155  pag.     fr.  3.—. 

Manier,  Raymond,  Les  assurances  sociales  en  Angleterre  et  leur  application. 
The  national  Health  insurance  acts  1911 — 1913.  Thfese  pour  le  doctorat  en  droit.  Paris, 
Marchai  et  Godde,  1914.     8.     195  pag. 

Quirinus,  Andr§-Ignace,  L'avenir  social.  Bruxelles,  „Veritas",  1916. 
17  X  13-     64  pag.     fr.  0,95. 

Bosanquet,  Bernard,  Social  and  international  ideals.  London,  Macmillan. 
8.     6/.—. 

Brend,  William  A.,  Health  and  the  state.  London,  Constable.  Royal  8. 
365  pp.     10/.6. 

10.  Oenossenschaftswesen. 

Meyer  (Ger.-Assess.,  Verbandssekr.),  Dr.  E.  H.,  Genossenschaften  und  Kriegs- 
statistik. Statistische  Erhebungen  bei  den  Genossenschaften  des  allgemeinen  Verbandes 
der  auf  Selbsthilfe  beruhenden  deutschen  Erwerbs-  und  Wirtschaftsgenossenschaften  e.  V. 
(Genossenschaftliche  Zeit-  und  Streitfragen.  Begr.  von  Ludwig  Parisius  und  Dr.  Hans 
Crüger,  fortgef.  von  Dr.  Hans  Crüger,  Heft  15.)  Berlin.  J.  Guttentag,  1917.  gr.  8. 
100  SS.  mit  graph.  Darstellungen.     M.  4. — . 

Abisso,  Angelo,  I  consorzi  amministrativi  per  opere  pubbliche.  Torino,  Unione 
tip.  ed  Torinese.     4.     1.  10. — . 

11.  Oetetig'ebuiig',  Staats-  nnd  Verwaltnngtrecht.    StaatsbtLrgerkunde. 

Grüner  (Wirkl.  Geh.-Rat,  Präs.  a.  D.),  Dr.  Ernst,  Die  Neugestaltung  des 
preußischen  Wahlrechts.     Berlin,  Franz  Vahlen,  1917.     gr.  8.     84  SS.     M.  2,40. 

Handbuch  des  öffentlichen  Rechts  der  Gegenwart  in  Monographien.  Unter 
Mitwirkung  von  vielen  Gelehrten  des  In-  und  Auslandes  begr.  von  weil.  Prof.  (M.  d.  R.) 
Dr.  Heinr.  v.  Marquardsen  und  weil.  Prof.  Dr.  Max  v.  Seydel,  hrsg.  von  weil.  Prof.  Dr. 
Georg  Jellinek  und  Prof.  Dr.  Rob.  Piloty.  Einleitungsbd.  IX.  Abt.  5.  Lief.  (Schluß). 
Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr,  1917.     Lex.-8.     XVI  u.  S.  641—839.     M.  6.—. 

Hatschek,  Prof.  Dr.  Julius,  Die  Staatsauffassung  der  Engländer.  Vortrag, 
gehalten  in  der  Gehe-Stiftung  zu  Dresden  am  15.  I.  1917.  (Vorträge  der  Gehe-Stiftung 
zu  Dresden,  Bd.  8,  Heft  5.)     Leipzig,   B.  G.  Teubner,  1917.     gr.  8.     29  SS.     M.  0,80. 

Kohlenberger  (Schriftl.),  Julius,  Der  Konkursabwendungsvergleich.  Ein 
Vorschlag  zu  einer  deutschen  Vergleichsordnung  auf  Grund  der  Rechtsentwieklung  in 
Deutschland  und  in  außerdeutschen  Staaten,  unter  besonderer  Berücksichtigung  der 
österreichischen  Ausgleichsordnung  vom  10.  XII.  1914  und  der  Bekanntmachung  des 
Bundesrats  vom  14.  XII.  1916.  München,  J.  Schweitzer  Sortiment  (Artur  Sellier),  1917. 
8.    174  SS.     M.  5.—.     (Erlanger  juristische  Dissertation  von  1917.) 


378     Uebenicht  über  die  neuesten  Pablikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Jacobi,  Prof.  Dr.  Erwin,  Der  Rechtsbestand  der  deutschen  Bundesstaaten. 
Leipzig,  Felix  Meiner,  1917.     gr.  8.     III— 112  SS.     M.  5.—. 

Kresse,  Oskar,  Deutsche  Staatskunst  nach  dem  Weltkriege.  2.  Daa  Wahlrecht 
der  Zukunft.  2.  unveränd.  Abdr.  Berlin,  Wilhelm  Eossler  &  Co.,  1917.  8.  32  88. 
M.   0,50. 

Kriegsgesetze  und  Verordnungen  zur  Reichsversicherungsordnung  vom 
19.  VII.  1911.  Sammlung  von  Reichsgesetzen  und  Bekanntmachungen,  betr.  die  durch 
den  Krieg  bedingten  Aenderungen  und  Ergänzungen  der  Reichsversicherungsordnung 
vom  4.  VIII.  1914  bis  2.  VI.  1917  einschl.  Mit  Sachreg.  Berlin,  Carl  Heymanns 
Verlag,  1917.     8.     IV— 62  SS.     M.  1.—.  ^ 

Lorenz,  Dr.  Ludwig,  Die  Staatsformen  der  Großmächte  und  der  Weltkrieg. 
Leipzig,  Theodor  Weicher,  1917.     8.     IV— 64  SS.     M.  1,20. 

Marschall  (Oberamtsricht.),  Ignaz,  und  (Rechtsrat)  Rieh.  Ehrhardt,  Das 
bayerische  Fürsorge- Erziehungsgesetz  in  der  Fassung  der  Bekanntmachung  vom  21.  VIII. 
1915.  Handausgabe  mit  Berücksichtigung  der  Rechtsprechung.  München,  Katholischer 
Caritas- Verband,  1917.     kl.  8.     XVI— 122  SS.     M.  1,80. 

Reform,  Die,  des  deutschen  Beamtentums.  Hrsg.  von  Dr.  Adolf  GrabowskL 
(Das  neue  Deutschland,  1.  Erg.-Heft.)  Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  1917.  Lex.-8. 
VII— 127  SS.     M.  3.—. 

Somlo,  Prof.  Felix,  Juristische  Grundlehre.  Leipzig,  Felix  Meiner,  1917. 
gr.  8.     IX— 556  SS.     M.  24.—. 

Stier-Somlo,  Prof.  Dr.  Fritz,  Die  Freiheit  der  Meere  und  das  Völkerrecht. 
Leipzig,  Veit  &  Comp.,  1917.     gr.  8.     V— 170  SS.     M.  3,50. 

Stölzle  (Rechtsanw.) ,  Dr.  Hans,  Der  deutsche  Rechtsfriede?  Ein  Beitrag 
zur  Frage  des  Güteverfahrens.  München,  J.  Schweitzers  Verlag  (Arthur  Sellier),  1917. 
gr.  8.     64  SS.     M.  2.—. 

Volkmann,  Ludwig,  Das  Generalgouvernement  Belgien.  Zwei  Jahre  deutscher 
Arbeit.  Auf  Grund  amtlicher  Quellen  zusammengestellt.  Leipzig,  E.  A.  Seemann,  1917. 
gr.  8.     118  SS.  mit  100  Abbild.     M.  3.—. 

Zweigert  (Landricht.),  Erich,  Die  Bundesrats  Verordnung  über  die  Geschäfts- 
aufsicht zur  Abwendung  des  Konkurses  vom  14.  XII.  1916.  Berlin,  Franz  Vahlen,  1917. 
kl.  8.     194  SS.     M.  3.—. 


Belevsky,  A.,  et  B.  Voronoff,  Les  organisations  publiques  russes  et  leur  röle 
pendant  la  guerre.     Paris,  Hachette.     8.     fr.  3,50. 

Boissean  de  Mellanville,  Paul,  La  centralisation  de  l'etat  civil.  These 
pour  le  doctorat  en  droit.     Troyes,  impr.  Gustave  Fremont,  1915.     8.     115  pag. 

Guy,  Marc,  La  d§centralisation  administrative.  Hier  —  aujourd'hui  —  demain. 
Th^e  pour  le  doctorat  (sciences  politiques  et  §conomiques).  Paris,  Driay-Cahen,  1916. 
8.     162  pag. 

Massen,  Henri,  La  llgislation  de  guerre.    Paris,  Van  Oest  et  Cie.    8.    fr.  3,50. 

Singer  (avocat),  Gas  ton,  La  d^centralisation  administrative  dans  les  communes 
sous  les  assemblfees  Constituante  et  legislative.  Thöse  pour  le  doctorat  en  droit  (sciences 
politiques  et  §conomiques).     Lille,  M.  Robbe  et  O.  Marquart.     8.     211  pag. 

Nicotra,  Giovanni,  II  fenomeno  della  guerra  e  le  leggi  economiche.  Campo- 
bassa,  Colitti  e  figlio.     8.     1.  1. — . 

Bruyne,  J.  A.  de,  en  N.  Japikse,  Staatkundige  geschied enis  van  Nederland 
in  onzen  tijd.  Leiden,  A.  W.  Sijthoff's  Uitgeversmaatschappij.  Deel  IV,  1872—1883, 
door  J.  A.  de  Bruyne.     Roy.-8.     8  en  514  blz.  met  1  tab.     fl.  3.—. 

12.  Statistik. 

Deutsches  Reich. 

Nesemann  (Reg.-  u.  Med.-R.  a.  D.,  Geh.  Med.-R.),  Dr.,  Die  Infektionskrankheiten 
in  Berlin  während  der  Jahre  1904—1913.  Statistik,  Epidemiologie  und  Bekämpfung. 
(Veröffentlichungen  aus  dem  Gebiete  der  Medizinalverwaltung.  Im  Auftrage  Sr.  Exz. 
des  Herrn  Ministers  des  Innern  hrsg.  von  der  Medizinalabteilung  des  Ministeriums. 
Schriftleiter:  Wirkl.  Geh.  Obermed.-Rat  Prof.  Dr.  Dietrich.  Bd.  7,  Heft  1.)  Berlin, 
Veriagsbuchhdlg.  von  Richard  Schoetz,  1917.     gr.  8.     126  SS.  mit  8  Taf.     M.  5.—. 


Uebcrsicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.    379 

Statistik  des  Deutschen  Reichs.  Bearb.  im  Kaiserl.  Statistischen  Amte,  1917, 
Bd.  262:  Streiks  und  Aussperrungen  im  Jahre  1916.  Berlin,  Puttkammer  &  Mühl- 
brecht, 1917.     XXV— 25  SS.     M.  1.—.) 

Oeste  rreich. 
Spezi alortsrepertorium  der  österreichischen  Länder.     Bearb.  auf  Grund  der 
Volkszählung  vom  31.  XII.  1910.     Hrsg.  von  der  k.  k.  statistischen  Zentralkommission. 
4:    Steiermark.     Wien,   k.  k.   Hof-  u.    Staatsdruckerei,    1917.      Lex.-8.     XII— 239    SS. 
M.  15.—. 

Frankreich. 

Evaluation  de  la  production,  d'apr&s  les  renseignements  foumis  par  les  chambres 
de  commerce  (1910)  et  les  statistiques  administratives  (1912).  Premi&re  partie :  Resultats 
par  dfepartement.     Paris,   Imprimerie  nationale,  1917.     4.     II — 745  pag. 

Statistique  agricole  annuelle  1915.  Paris,  Berger-Levrault,  1917.  8.  417  pag. 
fr.  2,50.  (Ministöre  de  l'agriculture.  Directiou  de  l'agriculture.  Office  de  renseigne- 
ments agrieoles.) 

Statistique  des  naufrages  et  autres  accidents  de  mer  pour  l'ann^e  1910. 
Paris,  Chapelot  et  Cie,  1917.  (18  avril  1917.)  8.  132  pag.  (Minist&re  de  la  marine. 
Etablissement  des  invalides  de  la  marine.) 

Schweiz. 
Statistik,  Schweizerische  —  Statistique  de  la  Suisse.  Hrsg.  vom  statistischen 
Bureau  des  schweizerischen  Finanzdepartements.  206.  Lfg.:  Jahrbuch,  Statistisches. 
Hrsg.  vom  statistischen  Bureau  des  schweizerischen  Finanzdepartements.  —  Annuaire 
statistique  de  la  Suisse.  Publik  par  le  bureau  de  statistique  du  departement  suisse  des 
finances.  25.  Jahrg.,  1916.  Bern,  A.  Francke,  vorm.  Schmid  &  Francke,  1917.  Lex.-8. 
288  SS.     M.  4.—. 

Italien. 
Annuario  statistico  1916  delle  societä  cooperative  esistenti  in  Italia,  escluse  quelle 
che  hanno  per  scopo  principale  l'esercizio  del  credito    (Lega  nazionale  delle  cooperative 
italiane).    Como,  tip.  coop.  Comense,  A.  Bari,  1917.    8.     XXIII,  1439,  32  p.     1.  11.—. 

Holland 

Maandsstatistiek  van  de  in-  en  uitvoer  en  van  het  entrepotverkeer  der  meest 
belangrijke  handelsartikelen.  üitgeg.  door  het  Central  bureau  voor  de  statistiek,  1917. 
Afl.  Jan.-Maart.  's  Gravenhage,  Boekhandel  vrhn.  Gebr.  Belinfante.  roy.  8.  Per  jrg. 
(12  nrs.)  fl.  7,20 ;  afz.  nrs.  ä  fl.  0,60. 

Schröder,  J.  C,  Aard  en  methode  der  statistiek.  Amsterdam,  Scheltema  en 
Hoekema's  boekhandel,  K.  Groesbeek  en  Paul  Nijhoff.     gr.  8.     67  blz.     fl.  1,25. 

13.  Verschiedenes. 

Kriegstaschenbuch.  Ein  Handlexikon  über  den  Weltkrieg. 
Hrsg.  von  Ulrich  Steindorf  f.  Mit  5  Karten.  Leipzig  u.  Berlin 
(B.  G.  Teubner)  1916.     8».     VI  u.  346  SS.     (Preis:  geb.  M.  3,50.) 

Durch  die  Herausgabe  dieses  „Kriegstaschenbuches"  in  alphabeti- 
scher Anordnung  hat  sich  die  Teubnersche  Verlagsbuchhandlung  in 
hohem  Maße  verdient  gemacht.  Das  Bedürfnis  nach  einem  rasche, 
kurze  und  zuverlässige  Auskunft  bietenden  Nachschlagewerk  über  alle 
Kriegsereignisse  und  Kriegsmaßnahmen  wird,  wie  das  Vorwort  mit 
Recht  hervorhebt,  um  so  dringender  empfunden,  je  länger  der  Krieg 
dauert,  und  je  mehr  er  nahezu  alle  Gebiete  des  Lebens  in  seinen  Be- 
reich zieht.  So  beschränkt  sich  denn  auch  das  Taschenbuch  keineswegs 
auf  die  Vorgänge  auf  den  verschiedenen  Kriegsschauplätzen,  auf  die 
eigentlichen  Kriegshandlungen,    sondern  berücksichtigt  gleichfalls,    was 


380     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutechlands  und  des  Auslandes. 

hier  besonders  interessiert,  die  politischen  und  wirtschaftlichen  Ge- 
schehnisse und  Maßnahmen,  letztere  mit  all  ihren  Begleiterscheinungen 
auf  dem  Gebiete  des  Handels,  der  VolksemähruDg,  der  Kriegsmaterial- 
beschaffung, der  Rohstoffversorgung  der  Industrie  etc.  etc.  Soweit  ich 
insbesondere  die  zahlreichen  wirtschaftlichen  Beiträge  nachprüfen  konnte, 
habe  ich  sie  durchweg  als  gut  orientierend  und  als  durchaus  zuverlässig 
befunden.  Mit  Rücksicht  auf  die  Fülle  des  verarbeiteten  Materials  wird 
man  dem  Herausgeber  und  seinen  Mitarbeitern  für  die  große  Mühe  und 
Sorgfalt  bei  der  Herstellung  des  Werkes  nur  aufrichtig  dankbar  sein 
können. 

Ein  Uebelstand  ist  allerdings  mit  dem  Taschenbuch  schon  heute 
verbunden,  daß  nämlich  seine  Angaben  bei  den  gewaltigen  Verände- 
rungen, die  der  Krieg  tagtäglich  im  Gefolge  hat,  bereits  vielfach  ver- 
altet sind,  und  daß  man  verschiedentlich  vergeblich  nach  Aufschluß 
sucht.  Daran  aber  sind  weder  der  Herausgeber  noch  der  Verleger 
schuld.  Das  „Kriegstaschenbuch"  ist  Anfang  Juni  1916  abgeschlossen, 
und  ein  Erweiterungsband  ist  für  die  Zeit  nach  Beendigung  des  Krieges 
in  Aussicht  genommen.  Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  wenn  dieser  Er- 
weiterungsband, oder  noch  besser :  eine  völlig  neue,  bis  auf  die  jüngste 
Zeit  ergänzte  Ausgabe  des  ganzen  Werkes  sobald  wie  möglich  er- 
scheinen könnte.  L.  E. 

Brandenburg,  Prof.  Erich,  50  Jahre  nationalliberale  Partei,  1867—1917. 
Berlin,  Schriftenvertriebsstelle  der  Nationalliberalen  Partei  Deutschlands,  1917.  gr.  8. 
32  SS.     M.  0,75. 

Brie,  Prof.  Dr.  Frdr.,  Britischer  Imperialismus.  (Meereskunde.  Sammlung  volks- 
tümlicher Vorträge  zum  Verständnis  der  nationalen  Bedeutung  von  Meer-  und  Seewesen. 
Hrsg.  vom  Institut  für  Meereskunde  an  der  Universität  Berlin.  Heft  127,  11.  Jahrg., 
Heft  7.)     Berlin,  E.  S.  Mittler  u.  Sohn.,  1917.     8.     36  SS.     M.  0,60. 

Chatterton-Hill,  Dr.  Georges,  Moloch  England!!  Was  Deutschland  im 
Falle  eines  englischen  Sieges  zu  erwarten  hätte.  Irlands  Schicksal  als  Warnung  für 
Deutschland.     Dresden,  „Das  größere  Deutschland",  1917.     8.     56  SS.     M.  1.—. 

Helfferich,  Dr.  Karl,  Reden  und  Aufsätze  aus  dem  Kriege.  Berlin,  Georg 
Stilke,  1917.    gr.  8.     344  SS.  mit  1  Bildnis.     M.  5.—. 

Kriegs-  und  Friedensprobleme,  Oesterreichische.     Besprochen    von   (Hof r.) 

A.  Frankfurter,  (Reg.-R.)  W.  Hecke,  (Geh.  R.)  V.  Mataja,  (Hofr.)  A.  v.  Schromm,  Dr. 
R.  Ziegler.  Wien,  Volkswirtschaftl.  Verlag  Alexander  Dom,  1917.  8.  IV— 147  SS. 
M.  1,50. 

Man  es,  Prof.  Dr.  Alfred,  Englands  Seeherrschaft  im  Wanken.  Ein  Vortrag 
nach  tausend  Tagen  Weltkrieg.  (Deutsehe  Kriegsschriften,  Heft  24.)  Bonn,  A.  Marcus 
u.  E.  Weber,  1917.     gr.  8.     77  SS.     M.  2.—. 

Michaelis,  Dr.  Paul,  Kurland  und  Litauen  in  deutscher  Hand.  Berlin- 
Steglitz,  Fritz  Würtz,  1917.  8.  198  SS.  mit  8  färb.  Vollbildern  und  24  BUdseiten. 
M.  4.—. 

Michel  (Rittmstr.  a.  D.),  Oskar,  Handbuch  deutscher  Zeitungen  1917.  Bearbeitet 
im  Kriegspresseamt.  Berlin,  Otto  Eisner  VerlagsgeselLschaft,  1917.  gr.  8.  LXIV — 
440  SS.  mit  1  Kartenskizze.     M.  7.—. 

Oberhummer,   Eugen,    Die    Türken    und    das    osmanische    Reich.     Leipzig, 

B.  G.  Teubner,  1917.     gr.  8.    IV— 115  SS.     M.  3.— . 

Posse,  Ernst,  Ueber  Wesen  und  Aufgabe  der  Presse.  Ein  Beitrag  zur  Reform 
der  Presse  und  des  Preßgesetzes.    Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr,  1917.    8.    56  SS.    M.  1.—. 

Rohrbach,  Dr.  Paul,  und  Axel  Schmidt,  Die  russische  Revolution.  (Die 
russische  Gefahr.  Beiträge  und  Urkunden  zur  Zeitgeschichte.  Hrsg.  von  Dr.  Paul 
Rohrbach.    Heft  7.)     Stuttgart,  J.  Engelhorns  Nachf.,    1917.     gr.  8.     96  SS.     M.  1,50. 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes  und  Deutschlands.  3^]^ 

Steinmann  -  Bucher,    Arnold,     Englands    Niedergang.      Berlin,     Leonhard 
Simion  Nachf.,  1917.     gr.  8.     V— 270  SS.    M.  5.—. 


Viallate,    prof.   Achille,    Les   fitats-ünis   d'Am§rique    et  le   conflit  europ^en. 
Paris,  F§lix  Alcan,  1917.     X— 243  pag. 


Die  periodische  Fresse  des  Auslandes. 

A.  Frankreich. 
Journal  des  j&conomistes.  76'  Annfee,  Juin  1917:  Le  regime  des  fabrications 
de  guerre,  par  Yves  Guyot.  —  üne  Evaluation  allemande  de  la  richesse  publique  de 
l'Allemagne,  par  P.  Ronce.  —  ün  inventaire  des  ressources  des  colonies  britanniques 
(deuxifeme  article),  par  A.  ßaifalovich.  —  Mouvement  scientifique  et  industriel,  par 
Daniel  Bellet.  —  La  majoration  des  tarifs  de  chemins  de  fer,  par  Yves  Guyot.  — 

B.  England. 
Century,   The  Nineteenth  and  after.     June  1917,  No.  484:  Italia,   Austria  and 
Europe,  by  Enrico  Corradini.  —  Monarchy  and  „democracy",  by  Walter  Sichel.  —  War 
finance;  the  fifth  war  budget,  by  J.  A.  R.  Marriott.  —  etc. 

C.  Oesterreich-Üngarn, 
Volkswirt,  Der  österreichische.  Jahrg.  9,  1917,  Nr.  41:  Der  Weg  zum  neuen 
Oesterreich,  von  Dr.  J.  St.  —  Voraussetzungen  der  Preisbestimmung  landwirtschaft- 
licher Produkte,  von  Dr.  Rudolf  Bienenfeld.  —  etc.  —  Nr.  42:  Oesterreich-Üngarns 
Zahlungsbilanz  vor  dem  Kriege,  von  W.  F.  —  Der  gerechte  Preis,  von  Dr.  Victor 
Heller.  —  etc.  —  Nr.  43 :  Oesterreich-Üngarns  Zahlungsbilanz  vor  dem  Kriege  (Forts.), 
von  W.  F.  —  Die  Sozialversicherung,  von  Prof.  Dr.  A.  Tauber.  —  etc. 

G.  Holland. 
Economist,  De,  opgericht  door  J.  L.  de  Bruyn  Kops.  Jaarg.  66,  Juli  1917, 
Nr.  7 :  üitvoerrechten  voor  Indie  ?  door  D.  van  Blom.  —  De  officieele  loonstatistiek  en 
hare  uitkomsten,  door  E.  W.  van  Dam  van  Isselt.  —  Eenige  beschouwingen  naar  aan- 
leiding  van  Minister  Treub's  monopolie-plannen,  door  A.  W.  Wichers.  —  Economische 
kroniek.  —  etc. 

H.  Schweiz. 
Bibliothöque   Universelle  et  Revue   Suisse.     Tome  LXXXVII,   Juillet  1917, 
No.  259:    La  libertfe  des  mers,   par  J.  Holland  Rose.   —  Les  felfements  primordiaux  de 
l'industrie.      Charbon    et    fer,    par   M.    Aubert.   —   Le   Slesvig   danois  de    1864 — 1916 
(seconde  partie),  par  Th.  C.  Buyse.  —  etc. 


Die  periodische  Fresse  Deutschlands. 

Annalen  des  Deutschen  Reichs.  Jahrg.  50,  1917,  Nr.  1 — 4:  Kriegsrecht  und 
Gewerberecht.  Eine  Studie,  von  (Staatsminister  a.  D.)  Dr.  v.  Landmann.  —  Inanspruch- 
nahme von  Kriegsbedarf  im  feindlichen  Ausland.  Ein  Rechtsgutachten  von  (Univ.-Prof.) 
Dr.  Karl  Neumeyer.  —  Währung,  Zins  und  Lohn,  von  Dr.  Th.  Christen.  —  Neue 
Richtlinien  der  deutschen  Außenhandelspolitik,  von  Arthur  Dix.  —  Die  Berechtigung 
des  Staatssozialismus  in  der  Lebensmittelversorgung  während  und  nach  der  Kriegszeit,  von 
Kuno  Waltemath.  —  Das  Gesetz  über  den  vaterländischen  Hilfsdienst,  von  (Magistrats- 
rat) Dr.  Adolf  Konrad.  —  Des  Rechtes  Fürsorge  für  den  Krieger,  von  (Geh.  Reg.-R.) 
Johannes.  —  Militärische  Versorgung  der  Hinterbliebenen  von  gefallenen  Beamten,  von 
(Ministerialrat)  Dr.  M.  Reindl.  —  Die  Versicherung  ausländischer  Arbeiter  während  des 


3g2  ^®  periodiiiche  Presse  Deutschlands. 

Krieges,  von  (Reg.-Assess.)  Dr.  v.  Schelhom.  —  Volkswirtschaftliche  FriedensnistuDg, 
von  Dr.  Heinz  Potthoff.  —  Der  Papierverbrauch  der  deutschen  Tagespresse,  von  Dr.  rer. 
publ.  Hermann  F.  Geiler.  —  Die  Kursschwankungen  der  italienischen  Rente.  Beitrag 
zur  Finanz-  und  Wirtschaftsgeschichte  Italiens  1861 — 1913,  von  Karl  Seiffert,  —  Zur 
Bevölkerungsfrage,  von  R.  Mansch  ke.  —  Neuregelung  der  Finanz  Verhältnisse  in  den 
Niederlanden,  von  (Oberreg.- R.)  Wiesinger.  —  etc. 

Archiv,  Allgemeines  Statistisches.  Bd.  10,  1916/17,  Heft  1/2:  Statbtik  und 
Soziologie,  von  Prof.  Dr.  Ferdinand  Schmid.  —  Deutsche  Kriegs-Sozialpolitik,  von 
(Ministerialrat)  Prof.  Dr.  Friedr.  Zahn.  —  Statistik  und  Meteorologie.  Eine  methodo- 
logische Betrachtung,  von  Dr.  Richard  Lenz.  —  Ueber  das  Wesen,  die  Aufgaben  und 
die  Ziele  der  mathematischen  Statistik,  von  Dr.  Friedrich  Böhm.  —  Alkoholstatistik 
und  Alkoholkriminalität,  mit  besonderer  Berücksichtigung  Bayerns.  Georg  v.  Mayr  zum 
goldenen  Doktorjubiläum  in  Verehrung  gewidmet  von  Dr.  Mich.  Hoolacher.  —  Die  Be- 
völkerungsentwicklung der  Stadt  Berlin,  von  Dr.  P.  Martell.  —  Ueber  die  Weiter- 
bildung der  Gemeindestatistik,  von  (Stadtrat)  Prof.  Dr.  Heinrich  Bleicher.  —  Das  Ver- 
fahren in  der  letzten  Schätzung  des  Bodenwertes  in  Frankreich,  von  Hans  L.  Rudioff.  — 
Eine  Schätzung  des  bulgarischen  Volksvermögens,  von  Arthur  Dix.  —  Hauptergebnisse 
der  Industriezählung  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  von  1914,  von  Dr.  Wolf- 
gang Ritscher.  —  Die  deutschen  Kirchenbücher  und  ihre  Verwertung  für  die  Geschichte 
der  Staats  Wissenschaften,  von  Dr.  Georg  Sigwart.  —  Schweden,  von  Dr.  Fritz  Burg- 
dörfer. —  Die  Bewegung  der  Bevölkerung  in  den  süd-  und  osteuropäischen  Staaten, 
von  R.  Manschke.  —  etc. 

Archiv  für  Wirtschaftsforschung  im  Oriente.  Jahrg.  2,  1917,  Heft  1:  Zur  Frage 
der  Neubesiedelung  syrischer  Ruinenstätten,  von  Prof.  Littmann.  —  Wirtschaftliches 
aus  dem  westlichen  Kleinasien,  von  Prof.  Philippson.  —  Die  türkische  Währungspolitik, 
von  Dr.  Schaefer.  —  Industrie  und  Handwerk  in  Konstantinopel,  von  Honig.  —  Zur 
nordsyrischen  Seidenindustrie,   von  Dr.  Schulman.  —  etc. 

Archiv,  Weltwirtschaftliches.  Bd.  10,  Juli  1917,  Heft  3:  Zur  Entwickelungs- 
geschichte  der  außerpolitischen  Beziehungen  zwischen  England  und  den  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika,  von  Prof.  Dr.  J.  Hashagen.  —  Die  BaumwoUkrisis  in  den  Ver- 
einigten Staaten  von  Amerika  1914/15  (Schluß),  von  Dr.  rer.  publ.  O.  Wingen,  —  Die 
Industrialisierung  Niederländisch-Indiens  nach  japanischem  Vorbild,  von  (Ing.)  Dr.  rer. 
publ.  Ernst  Arthur  Heber.  —  Der  Auslandsdeutsehe  und  der  Krieg,  von  (Geh.  Reg.-R.) 
Neuberg.  —  Die  Donaustraße,  von  Prof.  Dr.  Oscar  Kende.  —  etc. 

Außenhandel,  Deutscher.  Zeitschrift  des  Handelsvertragsvereins.  Jahrg.  17, 
1917,  Nr.  7:  Die  neutürkischen  Wirtschaftsgesetze,  von  G.  Grschwender.  —  Der  Abbau 
des  rumänischen  Moratoriums,  von  Dr.  N.  Hansen.  —  Uebergangswirtschaft  und 
Handelsverträge.  —  Die  Gefahren  eines  Wirtschaftskrieges  für  Belgien.  —  etc. 

Bank,  Die.  Juli  1917,  Heft  7:  Das  gute  und  das  schlechte  Geld,  von  Alfred 
Lansburgh.  —  Börsenzulassung  im  Kriege,  von  Ludwig  Eschwege.  —  Das  Finanzwesen 
und  die  Wirtschaftslage  Frankreichs  im  Weltkriege  (Schluß),  von  (Geh.Reg.-R.)  Dr.  Seidel. 
—  Die  Komödie  der  Exportbanken.  —  Wechselkurs-Regulierung  und  Spekulation.  — 
Aktienausfuhr.  —  etc. 

Bank-Archiv.  Jahrg.  16,  1917,  Nr.  20:  Die  Entwicklung  der  deutschen  Be- 
steuerung als  Richtlinie  für  die  demnächstige  Erweiterung  derselben,  von  (Kammerpräs.) 
Dr.  F.  W.  R.  Zimmermann.  —  Die  satzungsmäßige  Befugnis  des  Aufsichtsrats  zur  Fest- 
setzung von  Abschreibungen  und  Rücklagen,  von  Prof.  Dr.  Flechtheim.  —  Provinz- 
abrechnungsstellen im  Scheckverkehr,  von  Prof.  Dr.  Schmidt.  —  etc.  —  Nr.  21:  Die 
Entwicklung  der  deutschen  Besteuerung  als  Richtlinie  für  die  demnächstige  Erweiterung 
derselben  (II),  von  (Kammerpräs.)  Dr.  F.  W.  R.  Zimmermann.  —  Provinzabrechnungs- 
stellen im  Scheckverkehr,  von  Dr.  jur.  et  phil.  Hans  Lessing.  —  etc. 

Blätter,  Kommunalpolitische.  Jahrg.  8,  1917,  Nr.  7  (Schulfragen):  Zur  Frage 
des  organischen  Ausbaues  der  Volksschule  und  des  Aufstiegs  der  begabten  Volksschüler, 
von  (Stadtverordn.)  Dr.  Ernst  Esch.  —  Wie  unsere  Volksschule  auf  der  bisherigen 
Grundlage  verbessert  und  vervollkommnet  werden  kann,  von  (Geh.  Just.-R.,  M.  d.  R.  u.  A.) 
Wilh.  Marx.  —  Praktische  Arbeit  für  die  Schulreform  (zum  Programm  des  Sozialen 
Schulausschusses),  von  (Lehrer)  Otto  Kley.  —  etc. 

Concordia.  Zeitschrift  der  Zentralstelle  für  Volkswohlfahrt.  Jahrg.  24,  1917, 
Nr.  14:  Erhebung  über  den  Kleinwohnungsmarkt  während  des  Krieges  und  nach 
Friedensschluß  und  die  Vorbereitungen  zur  Vermeidung  einer  Klein  Wohnungsnot  seitens 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  383 

der  Baugenossenschaften.  Bearbeitet  von  Dr.  G.  Albrecht.  —  Die  Besteuerung  des 
Nahverkehrs  und  das  großstädtische  Siedlungswesen.  —  etc.  —  Nr.  15:  Die  militärische 
Versorgung  der  Kriegsteilnehmer  und  ihrer  Hinterbliebenen.  —  Erhebung  über  den 
Kleinwohnungsmarkt  während  des  Krieges  und  nach  Friedensschluß  und  die  Vorberei- 
tungen zur  Vermeidung  einer  Kleinwohnungsnot  seitens  der  Baugenossenschaften  (Forts.), 
von  Dr.  G.  Albrecht.  —  etc. 

Export.  Jahrg.  39, 1917,  Nr.  30 — 33:  Verständigungsfrieden,  Parlamentarisierung, 
von  Dr.  R.  Jannasch.  —  Gustav  v.  Schmoller  f,  von  Georg  Stamper.  —  Die  englischen 
Drohungen  über  den  Krieg  hinaus  (Forts.),  von  Dr.  R.  Jannasch.  —  Ernteaussichten  für 
1917.  —  Dollar  und  Weltpolitik,  von  Dr.  Frhr.  v.  Mackay.  —  Los  von  der  industriellen 
Abhängigkeit  (Vorschläge  von  einem  Amerikaner  für  Amerikaner).  —  etc. 

Jahrbücher,  Preußische.  Bd.  169,  August  1917,  Heft  2:  Oeffentliche  Meinung 
und  auswärtige  Politik,  von  Hermann  Witte.  —  Der  österreichisch-ungarische  Ausgleich 
von  1867  (I),  von  Dr.  Heinrich  Friedjung.  —  Die  Neuorientierung  nach  außen,  von 
Emil  Zimmermann.  —  Die  Revolutionierung  Englands  durch  Lloyd  George,  von  Dr. 
Emil  Daniels.  —  Der  Kanzlerwechsel;  Die  Friedensresolution;  Lloyd  Georges  Antwort; 
von  Hans  Delbrück.  —  etc. 

Monatshefte,  Sozialistische.  Jahrg.  23,  Bd.  48,  1917,  Heft  14:  Demokratisches 
Wahlrecht,  aber  was  weiter?,  von  Heinrich  Pens.  —  Das  parlamentarische  Regierungs- 
system für  Deutschland,  von  Dr.  Ludwig  Quessel.  —  Meistbegünstigungsfragen,  von 
Max  Schippel.  —  Die  Emanzipation  der  Juden  in  Rußland,  von  Leo  Rosenberg.  — 
Die  Frauenarbeit  im  Baugewerbe,  von  August  Winnig  —  etc.  —  Heft  15:  Die  aus- 
wärtige Politik  und  der  deutsche  Parlamentarismus,  von  Dr.  Ludwig  Quessel.  —  Zu 
Bethmann-HoUwegs  Rücktritt,  von  Heinrich  Pens.  —  Internationale  Arbeiterfragen  und 
Handelspolitik,  von  Max  Schippel.  —  Mehr  Schutz  der  Arbeiterin !,  von  Friedrich  Kleeis. 

—  etc. 

Oekonomist,  Der  deutsche.  Jahrg.  35,  1917,  Nr.  1804:  Die  europäischen 
Notenbanken  1914 — 1916.  —  Uebersee  -  Hypothekenbanken.  —  Staatliche  Kreditanstalt 
des  Herzogtums  Oldenburg.  —  etc.  —  Nr.  1805:  Der  Wiederaufbau  der  deutschen 
Handelsflotte.  —  etc.  —  Nr.  1806 :  Das  russische  Finanzelend.  —  Höchstbetragshypotheken. 

—  etc.  —  Nr.  1807 :  Drei  Jahre  deutsche  und  englische  Kriegsfinanzen.  —  etc.  — 
Nr.  1808 :  Zur  Finanz-  und  Wirtschaftslage  unserer  Gegner  beim  Beginn  des  4.  Kriegs- 
jahres. —  etc. 

Plutus.  Jahrg.  14,  1917,  Heft  29/30:  Uebergangswirtschaft  (V),  von  G.  B.  — 
Das  Nationalitätenprinzip,  von  Myson.  —  etc.  —  Heft  31/32 :  Wiederinkraftsetzung  von 
Versicherungen  der  Kriegsteilnehmer,  von  Prof.  Dr.  Brück.  —  Italiens  Kriegsleiden  (I). 

—  Uebergangswirtschaft  (VI),  von  G.  B.  —  etc. 

Praxis,  Soziale,  und  Archiv  für  Volks  Wohlfahrt.  Jahrg.  26,  1917,  Nr.  42 :  Freie 
Bahn  für  die  soziale  Reform !,  von  Prof.  Dr.  E.  Francke.  —  Die  Heimarbeit  im  Kriege. 

—  Die  Regelung  der  Kohlenfrage.  —  Die  Schaffung  von  Wohlfahrtsämtern.  —  etc.  — 
Nr.  43:  Ein  Arbeitstarifgesetz,  von  (Rechtsanw.)  Dr.  Hugo  Heinemann.  —  Die  Ent- 
wicklung der  öffentlichen  Speisung  in  Deutschland  während  des  Krieges.  —  Bergarbeiter- 
streiks in  Oberschlesien  und  ihre  Beilegung.  —  Wohnungsfrage  und  Bevölkerungspolitik. 

—  etc..  —  Nr.  44:  Gustav  Schmoller  und  die  Sozialreform,  von  Prof.  Dr.  E.  Francke. 

—  In  das  vierte  Kriegsjahr.  —  Schutz  der  Frauenarbeit  in  der  Kriegsindustrie  —  Eine 
Lohnbewegung  im  Holzgewerbe.  —  Das  ünterstützungswesen  der  Arbeiterverbände  in 
der  Kriegszeit,  von  (Arbeitersekretär)  Fr.  Kleeis.  —  etc.  —  Nr.  45 :  Die  Dienstverhinde- 
rung durch  Krankheit  und  Unglücksfälle  nach  österreichischem  und  deutschem  Recht. 
Ein  Beitrag  zur  sozialrechtlichen  Annäherung  Deutschlands  und  Oesterreichs,  von  (Ob.- 
Landesger.-R.)  Dr.  Siegmund  Grünberg.  —  Kredithilfe  der  Gewerbetreibenden  und  Kauf- 
leute  nach  dem  Kriege  in  Ungarn,  von  Eugen  Lendvai.  —  Der  Wechsel  in  den  Reichs- 
ämtern und  preußischen  Ministerien.  —  Zur  Neugestaltung  des  kaufmännischen  Lehr- 
lingswesens, von  (Synd.)  Dr.  Mohr.  —  etc. 

Rundschau,  Koloniale.  Zeitschrift  für  Weltwirtschaft  und  Kolonialpolitik.  Jahrg. 
1917,  Mai/Juni,  Heft  5/6:  Die  frühere  und  zukünftige  Stellung  Rußlands  in  der  Welt- 
wirtschaft, von  Dr.  Ludwig  Quessel.  —  Zum  Auswanderungsproblem  der  Deutschrussen, 
von  Dr.  Eugen  Meiler.  —  Das  türkische  Reich,  von  H.  Fehlinger.  —  etc. 

Schmollers  Jahrbuch  für  Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Volkswirtschaft  im 
Deutschen  Reich.  Jahrg.  41,  1917,  Heft  2:  Die  heutige  deutsche  Judenfrage,  von 
Gustav  Schmoller.  —  Die  byzantinische  Volkswirtschaft.     Ein  Kapitel  aus  Vorlesungen 


334  ^'^^  periodische  Presse  Deutschlands. 

über  Wirtschaftsgeschichte,  von  Lujo  Brentano.  —  Die  Goldpolitik  der  Bank  von 
Schweden  während  des  Krieges,  von  Albert  Hahn.  —  Der  Hausbesitz,  von  Hans  Crüger. 

—  Der  Nährwert  des  deutschen  Volkskonsums,  von  R.  E.  May.  —  Die  Regelung 
des  Bedarfs  an  Lebensmitteln  im  Kriege,  von  Wilhelm  Tils.  —  Neue  Wege  der  Be- 
völkerungapolitik  (I),  von  R.  Oldenberg.  —  Die  deutsche  Landarbeiterfrage  vor  und  nach 
dem  Kriege  (II),  von  Eberhard  Rieger.  —  Zur  Wahlreform  in  Preußen,  von  Ernst  Holtz. 

—  Eheliche  Fruchtbarkeit  und  Beruf.  Eine  Ergänzung,  von  Wilhelm  Feld.  —  Frank- 
reichs Wirtschaft  im  März  1917.  Ein  Augenblicksbild,  von  Kurt  Grober.  —  Neuere 
Urteile  über  die  Staatliche  Theorie  des  Geldes,  von  Alfred  Schmidt.  —  Gemeindebetriebe. 
Bücher ,  Meinungen ,  Entwicklungen ,  von  Otto  Most.  —  Der  englische  Staat  und  der 
deutsche  Staat,  von  Gustav  Schmoller.  —  etc. 

Verwaltung  und  Statistik  (Monatsschrift  für  deutsche  Beamte).  Jahrg.  7,  1917, 
Heft  7 :  Die  Bevölkerung  mit  höherem  Einkommen  in  Preußen.  —  Die  leerstehenden 
Wohnungen  in  Breslau  am  1.  Dezember  1916.  Mitteilung  des  Statistischen  Amts  der 
Stadt  Breslau.  —  etc. 

Wirtschafts-Zeitung,  Deutsche.  Jahrg.  13,  1917,  Nr.  14:  Valutapolitik  im 
Kriege,  von  H.  O.  Schultz.  —  Die  Bedeutung  der  Juden  für  die  deutsch -türkische 
Wirtschaftspolitik,  von  (Kgl.  Seminarlehrer)  Heuer.  —  Wie  werden  die  Kriegsausgaben 
gedeckt?  —  Dezimalwährung  in  England  nach  dem  Kriege?  —  Das  Reichsgericht  über 
den  Kettenhandel.  —  etc.  —  Deutsch -Amerikanischer  Wirtschaftsverband :  Außenhandel 
der  Vereinigten  Staaten  1914 — 1916;  Mexiko  als  Rohstofflieferant.  —  Nr.  15/16:  Die 
Abbürdung  der  Kriegskosten  durch  das  Reich,  von  Dr.  Werner  Schmidt.  —  Krieg  und 
Wirtschaft,  von  Dr.  Leo  Blum.  —  etc.  —  Mitteilungen  des  Deutsch- Amerikanischen  Wirt- 
schaftsverbandes:  Aufhebung  deutscher  Versicherungstätigkeit  in  Nordamerika.  Die 
deutsche  Schiffahrt  nach  dem  Kriege.  —  etc. 

Zeit,  Die  Neue.  Jahrg.  35,  1917,  Bd.  2,  Nr.  16:  Ein  Gedenktag  des  wissen- 
schaftlichen Sozialismus,  von  O.  Jenssen.  —  Oesterreich  und  Serbien  (Forts.),  von 
K.  Kautsky.  —  Die  inneren  Gegensätze  der  russischen  Revolution  (Schluß),  von  A.  Stein. 

—  Gustav  Schmoller,  von  Adolf  Braun.  —  etc.  —  No.  17 :  Allerhand  Imperative,  von 
August  Erdmann.  —  Oesterreich  und  Serbien  (Schluß),  von  K.  Kautsky.  —  Kriegs- 
kosten und  Staatsmonopole,  von  Franz  Gottlieb.  —  Die  Entwicklung  der  Mittel  des 
Güterverkehrs  in  Deutschland  und  der  Außenhandel.  —  Nr.  18:  Die  Welt  nach  dem 
großen  Tag,  von  Ed.  Bernstein.  —  Staatssozialismus  oder  Staatskapitalismus?,  von  Otto 
Jenssen.  —  Allerhand  Imperative  (Schluß),  von  August  Erdmann.  —  etc.  —  Nr.  19: 
Belgien,  von  K.  Kautsky.  —  Staatssozialismus  oder  Staatskapitalismus?  (Schluß),  von 
Otto  Jenssen.  —  Der  Gesetzentwurf  über  die  Herstellung  der  deutschen  Handelsflotte, 
von  Joseph  Herzfeld.  —  Die  Ursachen  des  Geburtenrückgangs  vor  dem  Kriege,  von 
August  Freudenthal.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Kommunalwirtschaft  und  Kommunalpolitik.  Jahrg.  7,  1917, 
Nr.  13/14:  Die  Neuregelung  der  Elektrizitätsversorgung  der  Provinz  Brandenburg,  von 
(Reg.-Assess.)  Dr.  Cl.  Heiß.  —  Der  Einfluß  des  Krieges  auf  die  Finanzverhältnisse  der 
Landkreise  des  Regierungsbezirks  Arnsberg,  von  (Reg.-Rat)  Dr.  Bergenthal.  —  Stadt- 
verordnetenwahlen, von  (Bürgermeister  a.  D.)  Quehl.  —  Die  Gemeindefinanzen  nach 
dem  Krieg.     Eine  Entgegnung,  von  Fritz  Johannes  Vogt.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Sozialwissenschaft.  Jahrg.  8,  1917,  Heft  6  u.  7:  Die  Gliederung 
der  deutschen  Gewerbegeschichte  nach  sozialen  Gesichtspunkten  (Ij,  von  Prof.  Dr.  Carl 
Koehne.  —  Die  parlamentarische  Kabinettsregierung  (II),  von  W.  Hasbach.  —  Die  Ent- 
wicklung der  englischen  Schiffsgrößen,  von  Dr.  Ernst  Schnitze.  —  Bevölkerung  und 
Volkswirtschaft  Rußlands,  von  H.  Fehlinger.  —  Die  Zinsengutschriften  bei  den  Spar- 
kassen, von  (Landesbankrat  a.  D.)  H.  Reuseh.  —  Kriegspatenschaft  und  Kriegspaten- 
versicherung, von  Dr.  P.  Martell.  —  Teuerung  in  den  Vereinigten  Staaten,  von  Dr. 
Ernst  Schnitze.  —  Die  Betriebsergebnisse  der  Eisenbahnen  in  den  Vereinigten  Staaten 
für  das  Fiskaljahr  1916,  von  Dr.  Ernst  Sehultze.  —  etc. 


Frommannsche  Buchdruckerei  (Hermann  Pohle)  in  Jena. 


KarlEngliS,  Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  etc.     385 


V. 

Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches 
der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft. 

Von 
Prof.  Dr.  Karl  Englis,  Brunn. 

I.   Einleitung» 

Im  folgenden  soll  die  Kritik  eines  Abschnittes  der  bekannten 
Lief  mannschen  Lehre,  und  zwar  des  wichtigsten  Abschnittes  der- 
selben, der  Grenzertragslehre  in  der  Konsum  Wirtschaft, 
unternommen  werden.  Das  Wirtschaften  innerhalb  der  Konsum- 
wirtschaft bildet  den  Ausgangspunkt  und  die  Grundlage  für  Lief- 
manns ganze  Theorie,  nach  welcher  das  regelnde  Prinzip  der 
Konsumwirtschaft  auch  den  ganzen  Tauschverkehr  beherrscht. 
Die  diesbezügliche  Lehre  von  Liefmann  läßt  sich  kurz  zusammen- 
fassen, wie  folgt:  Vom  Wirtschaften  „sprechen  wir....,  wenn 
mehrere  erstrebte  Lustgefühle,  Genüsse,  mit  den  zu  ihrer  Er- 
langung aufzuwendenden  Unlustgefühlen,  Opfern  verglichen  werden, 
und  der  Mensch  vor  die  Frage  gestellt  ist,  in  welchem  Um- 
fange und  bis  zu  welchem  Grade  er  die  Aufwendung  von  Unlustge- 
fühlen, von  Opfern  für  die  verschiedenen  erstrebten  Lustgefühle 
oder  Genüsse  vornehmen  und  fortsetzen  will,  um  ein  möglichst 
großes  Maß,  ein  Maximum  von  Genuß  zu  erreichen".  „Die  aus  diesem 
Bestreben  hervorgehenden  Erwägungen  ....  nennen  wir  Wirt- 
schaften" ^).  „Diese  durch  die  Befriedigung  der  Bedarfsempfindungen 
bewirkten  Lustgfühle  sind  Nutzen."  „Für  die  Empfindung  der  Lust- 
gefühle, des  Nutzens,  gilt  nun,  daß  sie  mit  wachsender  Befriedigung  des 
Bedürfnisses  an  Stärke  abnimmt"  (das  sogenannte  zweite  Gossensche 
Gesetz)  '-*).  Die  Unlustgefühle,  Opfer,  welche  bei  den  wirtschaftlichen 
Erwägungen   dem   Nutzen   gegenübergestellt   werden,   sind   Kosten. 


1)  Das  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträg;e  in  diesen  „Jahrbüchern", 
III.  Folge  Bd.  53,  S.  3.  In  diesem  Aufsatz  ist  die  ganze  Lehre  Liefmanns  ge- 
drängt in  ihrer  neuesten  Form  dargestellt.  Wir  werden  daher  im  folgenden  unserer 
Kritik  hauptsächlich  diese  Abhandlung  Liefmanns  zugrunde  legen.  Seine  „Grund- 
sätze der  Volkswirtschaftslehre"  waren  zur  Zeit  der  Abfassung  dieser  Abhandlung  noch, 
nicht  erschienen. 

2)  A.  a.  O.  S.  4. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  25 


386  ^»'1  EngliS, 

Kosten  sind:  Arbeitsmühe  und  Opfer  an  Sachgütern,  wozu  auch  die 
Aufwendung  einer  Geldmenge  gerechnet  werden  kann  ^).  Bei  der 
Arbeitsmühe  wird  jede  folgende  Aufwendung,  z.  B.  jede  folgende 
Arbeitsstunde,  höher  geschätzt,  stärker  als  Unlustgefühl  empfunden. 
Bei  dem  Opfer  an  Sachgütern  oder  einer  Geldmenge,  wo  man  von 
einem  Vorrat  ausgeht,  wird  jede  Einheit  gleichgeschätzt  und  zwar 
nach  dem  Nutzen,  den  man  opfert,  und  das  ist  der,  den  man  sich 
mit  einer  weiteren  verfügbaren  Einheit  verschaffen  könnte.  Den 
Ueberschuß  von  Nutzen  über  die  Kosten  nennen  wir  Ertragt).  „Der 
Wirtschafter  strebt  nicht  absolut  nach  größtem  Nutzen,  sondern 
nach  größtem  Nutzen,  verglichen  mit  den  Kosten,  und  diese  sind  in 
dem  primären  Falle  der  Arbeitsmühe  nicht  von  vornherein  gegeben, 
sondern  nehmen  mit  wachsenden  Aufwendungen  an  Stärke  zu. 
Gleichzeitig  nehmen  die  erzielten  Nutzen  an  Stärke  ab,  und  der 
Wirtschafter  muß  also,  wenn  seine  Aufwendung  von  Kosten  be- 
schränkt ist,  jede  Kosteneinheit  so  aufwenden,  daß  er  mit  ihr  ein 
Maximum  von  noch  erreichbarem  Nutzen  erzielt.  Die  Gesamtheit 
der  Kostenaufwendungen  aber  muß  er  so  verteilen,  daß  der  Nutz- 
überschuß oder  Ertrag,  den  er  mit  der  letzten,  auf  jede  Bedürfnisart 
aufzuwendenden  Kosteneinheit  erzielt,  bei  allen  gleich  groß  ist. 
Diesen  mit  der  letzten  Kosteneinheit  bei  jeder  Bedürfnisart  zu  er- 
zielenden Ertrag  .  . .  nennen  wir  den  Grenzertrag  und  jenes  Prinzip 
der  zweckmäßigsten  Verteilung  der  Kosten  auf  die  verschiedenen 
Bedürfnisse  nennen  wir  das  Gesetz  des  Ausgleichs  der  Grenz- 
erträge" 3). 

Das  sind  die  wichtigsten  Thesen  der  Lief  mann  sehen  Lehre 
bezüglich  der  Konsumwirtschaft. 

II.  Die  Geldverwendung  in  der  Konsnmwirtscliaft. 

Zur  Begründung  und  Veranschaulichung  seines  Gesetzes  des 
Ausgleiches  der  Grenzerträge  bei  der  Geldverwendung  in  der  Kon- 
sumwirtschaft führt  Lief  mann  das  folgende  Beispiel  an*): 

Der  Konsument  hat  nur  dreierlei  Bedürfnisse  und  zwar  bedarf 
er  5  Stück  des  Gutes  A,  3  Stück  des  Gutes  B  und  5  Stück  des 
Gutes  C  zu  seiner  vollkommenen  Zufriedenheit.  Nach  dem  zweiten 
Gossenschen  Gesetz  verschafft  mir  jedes  folgende  Gut  derselben 
Gattung  fortschreitend  weniger  Nutzen,  weil  das  Leid  des  unbefrie- 
digten Bedürfnisses  des  ersten  Gutes  intensiver  ist,  als  wenn  das 
Bedürfnis  des  folgenden  Gutes  unbefriedigt  bliebe ;  es  ist  daher  auch 


1)  A.  a.  o.  s.  3. 

2)  A.  a.  O.  S.  4. 

3)  A  a.  O.  S.  5. 

4)  Das  a.  a.  O.  S.  25  angeführte  Beispiel  wird  hier  entsprechend  erläutert  wieder- 
gegeben, weil  dieses  Beispiel,  aus  dem  Kontext  herausgerissen,  nicht  genau  verstanden 
werden  könnte.  Ein  ganz  analoges  Beispiel  (mit  anderen  Zahlen)  hat  Liefmann 
auch  in  seinem  Artikel :  „Die  Entstehung  des  Preises  aus  subjektiven  Wertschätzungen" 
(Arch.  für  Sozialwissenschaft  und  Sozialpolitik,  Bd.  34,  1912,  S.  30)  angeführt,  das  auch 
zur  Erläuterung  herangezogen  werden  kann. 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Eonsnmwirtschaf t.  387 

das  beim  Empfang  des  ersten  Gutes  empfundene  Lustgefühl  höher 
als  beim  Empfang  des  zweiten.  Dieses  Leid,  bzw.  Lustgefühl  läßt 
sich  absolut  nicht  messen,  es  ist  auch  nicht  notwendig;  wir  brauchen 
nur  die  Lust-  und  Unlustgefühle  untereinander  zu  vergleichen,  was 
jeder  Wirtschafter  macht.  Nur  zu  diesem  Zwecke  wird  das  Lust- 
und  Unlustgefühl  ziffermäßig  veranschaulicht;  sage  ich  z.  B.,  daß 
der  Nutzen  des  ersten  Gutes  A  10  ist,  so  ist  damit  nur  so  viel 
gesagt,  daß  es  mir  ein  Lustgefühl  von  10  Intensitäten  (deren  jede 
absolut  unmeßbar  ist)  verursacht,  bzw.  daß  mir  durch  Nichtbefrie- 
digung  des  betreffenden  Bedürfnisses  ein  Unlustgefühl  von  10  In- 
tensitäten erwachsen  würde.  Sage  ich  nun,  daß  mir  das  erste  Gut  A 
einen  Nutzen  von  10,  das  erste  Gut  C  einen  Nutzen  von  5  gibt, 
so  weiß  ich  zwar  über  die  absolute  Höhe  des  Nutzens  in  beiden 
Fällen  nichts,  ich  weiß  aber,  daß  der  Nutzen  vom  ersten  A  doppelt 
so  hoch  ist  wie  jener  vom  ersten  C,  und  das  genügt. 

Danach  werden  wir  den  subjektiven  Nutzen  der  einzelnen  Güter 
mit  folgenden  Intensitäten  annehmen: 


Das  Gu 

t 

A 

B 

C 

1.  Stück 

lO 

8 

5 

2.      „ 

8 

4 

4 

3.      „ 

6 

2 

3 

4.      „ 

4 

O 

2 

5.      „ 

2 

— 

I 

6.      „ 

O 

— 

O 

Diese  Güter  sind  beliebig  auf  dem  Markte  zu  haben  und  zwar 
jedes  Gut  A  und  B  um  2  M.  pro  Stück,  das  Gut  C  um  1  M.  pro 
Stück.  Den  Nutzen  der  einzelnen  Güter  kann  ich  mir  durch  Hin- 
gabe von  Geld,  Markstücken  verschaffen,  was  ein  technischer  Vor- 
gang ist;  weil  mir  aber  die  Hingabe  jeder  Mark  auch  ein  Unlust- 
gefühl verursacht,  so  erkaufe  ich  mir  den  Nutzen  jedes  einzelnen 
Gutes  durch  ein  Unlustgefühl,  also  durch  Kosten.  Das  bei  der  Hin- 
gabe einer  Mark  empfundene  Unlustgefühl  setzen  wir  gleich  einer  Un- 
lustintensität; das  5.  Gut  C  erspart  mir  z.  B.  ein  Leid  von  einer 
Intensität  (bzw.  verursacht  mir  ein  so  intensives  Lustgefühl),  die 
Hingabe  einer  Mark  verursacht  mir  hingegen  ein  Leid  von  einer 
Intensität  ^). 

„Wenn  jetzt  der  Wirtschafter  z.  B.  16  Mark  zur  Verfügung  hat, 
so  braucht  er  nicht  mit  C  1  zu  beginnen,  das  ihm  im  Verhältnis 
zu  den  Kosten  den  größten  Nutzen,  also  den  größten  Ertrag  liefert, 
dann  zu  A  1,  dann  zu  C  2  überzugehen,  also  immer  zu  wechseln, 
sondern  er  sieht  alsbald,  daß  er  sich  von  A  4,  von  B  2  und  von  C 


1)  „Wir  setzen  also  eine  Mark  .  .  .  .  =  1,  d.  h.  wir  würden  sie  gerade  noch  zur 
Befriedigung  eines  Bedürfnisses  aufwenden,  das  in  der  Skala  unserer  Bedürfoisempfin- 
dungen  die  Stärke  1  aufweist."  (Die  Entstehung  des  Preises  etc.)  Ich  zitiere  diesen 
Passus  wörtlich,  weil  es  für  meine  weiteren  kritischen  Ausführungen  wichtig  ist,  daß 
die  Einheit  der  Intensität  des  Unlustgefühles  ebenso  groß  ist,  wie  die  Einheit  der  Inten- 
sitäten, in  welchen  der  Nutzen  ausgedrückt  wurde. 

26* 


388  ^^»^1  EnglU, 

auch  4  Stück,  oder  sagen  wir  Pfund  beschaffen  kann'*  ^).  Nach 
Lief  mann  muß  man  bei  allen  Kaufeventualitäten  zunächst  den 
Ertrag  berechnen.  Soweit  das  Geld  reicht,  werden  Käufe,  die  dea 
größten  Ertrag  aufweisen,  realisiert. 

Gegen  diese  Argumentation  habe  ich  mehrere  Einwände: 
a)  Zunächst  fehlt  Liefmann  darin,  daß  er  sowohl  die  Bedürf- 
nisse (nach  Art  und  Intensität),  Preise  der  entsprechenden  Güter, 
die  verfügbare  Geldmenge,  als  auch  die  Wertschätzung  einer 
Mark  willkürlich  setzen  zu  dürfen  glaubt.  Die  Wert- 
schätzung einer  Mark  im  Liefmannschen  Sinne  ^)  wird  durch  die  drei 
ersteren  vorausgesetzten  Momente  (Bedürfnisse,  Preise  und  Geld- 
menge) gerade  so  bestimmt,  wie  der  dritte  Winkel  im  Dreieck  durch 
die  zwei  anderen.  Lief  mann  sagt  doch  selbst^):  „Bei  dem  Opfer 
, . .  einer  Geldmenge  als  Kosten  geht  man  von  einem  vorhandenen 
Vorrat  aus.  Hier  wird  jede  Einheit  gleichgeschätzt,  und  zwar  nach 
dem  Nutzen,  den  man  opfert,  den  man  also  nicht  mehr  erzielt, 
und  das  ist  der,  den  man  sich  mit  einer  weiteren  verfügbaren  Ein- 
heit verschaffen  könnte."  Um  daher  die  Wertschätzung  einer  Geld- 
einheit zu  konstatieren,  muß  man  danach  zumindest  das  unge- 
deckte Bedürfnis  kennen.  Das  setzt  aber  voraus,  daß  man 
sowohl  die  gedeckten  Bedürfnisse,  die  Preise  der  entsprechenden 
Güter  und  den  Geldvorrat  kennt,  um  in  der  Reihe  der  nach  Größe 
des  Ertrages  zur  Deckung  gelangenden  Bedürfnisse  jenen  Punkt  zu 
konstatieren,  wo  der  Geldvorrat  erschöpft  ist,  und  welches  daher 
das  erste  ungedeckte  Bedürfnis  ist^).  Bei  gegebenen  Bedürfnissen 
(nach  Art  und  Intensität)  und  Preisen  kann  man  weiter  nur  ent- 
weder die  Wertschätzung  einer  Mark  oder  den  Geld- 
vorrat willkürlich  setzen,  nie  aber  beides  zugleich,  wie  es 
Lief  mann  tut,  der,  nachdem  die  Bedürfnisse,  Preise  und  eine  Wert- 
schätzung einer  Mark  als  gegeben  angenommen  wurden,  sagt:  „Wenn 
jetzt  der  Wirtschafter  z.  B.  16  Mark  zur  Verfügung  hat".  Kennt 
man  bei  gegebenen  Bedürfnissen  und  Preisen  die  Wertschätzung 
einer  Mark,  so  kann  auch  die  verfügbare  Geldmenge  bestimmt  werden, 
und  umgekehrt  —  bei  gegebenen  Bedürfnissen  und  Preisen,  aus  der 
Geldmenge  die  Wertschätzung  der  Geldeinheit.  In  dem  oben  an- 
geführten Beispiel  wählt  aber  zufällig  Liefmann  die  verfügbare  Geld- 
menge so  glücklich,  daß  sich  aus  dem  Fehler  nicht  unmittelbar 
falsche  Konsequenzen  ergeben.  Dagegen  war  er  nicht  so  glücklich 
an  einem  anderen  Orte,  wo  er  ganz  das  analoge  Beispiel  anführt^). 
Dort  werden  folgende  Bedürfnisse  nach  Art  und  Intensität  gesetzt: 


1)  A.  a.  o.  s.  26. 

2)  Also  die  Intensität  des  Unlustgefühles,  das  ich  bei  der  Hingabe  einer  Mark  im 
Kauffalle  empfinde. 

3)  A.  a.  O.  S.  4. 

4)  Ob   übrigens  diese  Wertsehätzung   richtig   formuliert  ist,   wird  noch  später  er- 
örtert werden. 

5)  Die  Entstehung  des  Preises  aus  subjektiven  Wertschätzungen.    Arch.  für  Sozial- 
wissenschaft und  Sozialpolitik,  1912,  S.  30. 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Eonsnmwirtschaft.  389 


A 

B 

C 

1.  Stück 

lO 

8 

5 

2.       „ 

9 

7 

4 

3.       „ 

7 

5 

2 

4. 

6 

3 

I 

5.       „ 

4 

I 

o 

6.       „ 

2 

o 

7.       „ 

I 

8.       „ 

o 

Ein  Stück  A  kostet  auf  dem  Markte  8,  ein  Stück  B  3,  ein 
Stück  C  1  M.  Die  Wertschätzung  einer  Mark  wird  auch  mit  einer 
Intensität  angenommen.  „Hat  jetzt  der  Wirtschafter  ...  12  Mark 
zur  Verfügung,  wie  wird  er  sie  verwenden?"  Lief  mann  kommt 
nach  seinem  Gesetze  zu  dem  Schluß,  daß  der  Wirtschafter  vom  Gut  A 
kein  Stück,  sondern  3  Stück  B  und  3  Stück  C  kaufen  wird.  Da 
wird  man  schon  auf  den  ersten  Blick  stutzig,  wieso  es  möglich  ist, 
daß  das  Wirtschaftssubjekt  bereit  ist,  für  das  erste  Gut  A  höchstens 
10  M.  zu  geben,  weil  es  ihm  einen  Genuß  verschafft,  welcher  das 
Opfer  von  nahezu  10  M.  aufwiege,  aber  —  trotzdem  das  Stück  A 
nur  8  M.  kostet,  dennoch  keines  kauft.  Entweder  ist  die  Wert- 
schätzung richtig,  und  dann  wird  er  notgedrungen  das  erste  Gut  A 
kaufen,  oder  er  wird  es  nicht  kaufen.  Dann  wurde  aber  die  Wert- 
schätzung einer  Mark  unrichtig  im  Hinblick  auf  den  Geldvorrat 
angenommen.  Man  kann  eben  —  bei  gegebenen  Bedürfnissen  und 
Preisen  —  beides:  Geldvorrat  und  Wertschätzung  der  Geldeinheit 
nicht  willkürlich  setzen.  Lief  mann  hat  daher  dieses  Beispiel  in 
seiner  neuen,  dieser  Kritik  zugrunde  gelegten  Arbeit  zwar  ziffer- 
mäßig geändert  und  dadurch  auch  den  eben  erwähnten  Widerspruch 
beseitigt,  aber  prinzipiell  nicht  gebessert,  denn  nach  wie  vor 
glaubt  er  —  bei  gegebenen  Bedürfnissen  und  Preisen  — 
sowohl  die  Geldmenge  als  auch  die  Wertschätzung  der 
Geldeinheit  frei  setzen  zu  dürfen. 

b)  Nun  trifft  dieses  Bedenken  vor  allem  die  Anschaulichkeit 
des  Beispieles,  weil  ich  Liefmann  einen  solchen  Fehler  nicht  zu- 
muten kann,  aber  Liefmann  ist  durch  die  von  ihm  gewählte  Verein- 
fachung auf  einen  anderen  Irrweg  geraten.  Man  kann  nämlich  den 
erwähnten  Fehler  nicht  einfach  dadurch  beseitigen,  daß  man  der 
freigesetzten  Wertschätzung  einer  Mark  den  richtigen  ihr  ent- 
sprechenden Geldvorrat  an  die  Seite  stellt.  Wir  verfolgen  doch 
den  Gedankengang  des  Wirtschaftssubjektes,  für  welches  sich  — 
bei  gegebenen  Bedürfnissen  und  Preisen  —  nicht  der  Geld- 
vorrat aus  der  Wertschätzung  einer  Mark  —  sondern 
aus  dem  Geldvorrat  eben  die  Wertschätzung  der 
Geldeinheit  ergibt.  Im  nachhinein  kann  man  zwar  aus  den 
Bedürfnissen,  Preisen  und  der  Wertschätzung  einer  Mark  auch 
den    Geldvorrat   theoretisch   konstatieren^),    aber   der   Wirtschafter 


1)  Dazu  wäre  es  notwendig,  alle  Käufe  zusammenzustellen,  bei  denen  die  sub- 
jektiven Nutzen  die  subjektiven  Kosten  überwiegen.  Der  für  alle  diese  Käufe  zu- 
sammen gezahlte  Preis  würde  die  verfügbare  Geldmenge  darstellen. 


390  K»'l  EngliS, 

kennt  nie  die  Wertschätzung  einer  Mark,  ohne  zuerst  den  Geld- 
vorrat zu  kennen.  Wollen  wir  daher  das  Vorgehen  des  Wirt- 
schafters verfolgen,  so  dürfen  wir  neben  Preisen  und  Be- 
dürfnissen nur  den  Geldvorrat  als  gegeben  voraus- 
setzen. Die  sich  daraus  ergebende  Wertschätzung  der  Geldeinheit 
muß  erst  gesucht  werden.  Um  sie  zu  konstatieren,  muß  man 
aber,  wie  schon  gezeigt  wurde,  die  Reihe  der  zur  Realisierung  ge- 
langenden Käufe  kennen,  denn  die  Wertschätzung  wird  —  selbst 
nach  Lief  mann  —  durch  das  erste  ungedeckte  Bedürfnis  bestimmt 
Liefmann  braucht  aber  doch  die  Intensität  dieser 
Wertschätzung  im  vorhinein,  um  den  subjektiven  Er- 
trag der  einzelnen  Käufe  und  dessen  Größe  zu  kon- 
struieren, denn  nach  der  Größe  des  subjektiven  Ertrages  der 
einzelnen  Käufe  wird  die  Reihe  der  zu  realisierenden  (durch  das 
verfügbare  Geld  gedeckten)  Käufe  bestimmt.  Darin  liegt  der  Wider- 
spruch. Liefmann  braucht  zur  Feststellung  der  reali- 
sierbaren Käufe  etwas,  was  erst  nach  dieser  Fest- 
stellung ermittelt  werden  kann.  Er  glaubt  wenigstens,  daß 
er  es  braucht;  er  braucht  es  indessen  gar  nicht.  Denn  würde  er  es 
tatsächlich  brauchen,  so  könnte  er  bei  unrichtiger  Annahme  der  Wert- 
schätzung einer  Mark  doch  nicht  die  realisierbaren  Käufe  richtig 
feststellen.  Nehmen  wir  z.  B.  sein  älteres  Beispiel  aus  dem  Jahre 
1912.  Die  Wertschätzung  einer  Mark  wird  hier  mit  einer  Intensität 
angenommen,  bei  einem  Geldvorrat  von  12  M.  und  den  dort  voraus- 
gesetzten Bedürfnissen  und  Preisen.  Lief  mann  erkennt  richtig, 
daß  das  Wirtschaftssubjekt  kein  Gut  A,  sondern  von  Gut  B  und  C 
je  3  Stück  kaufen  wird^).  Das  nächste  Gut,  welches  nach  Lief- 
mann  zum  Kauf  gelangen  würde,  wenn  der  Wirtschafter  mehr  Geld 
hätte,  wäre  das  erste  Stück  von  A,  welches  einen  Nutzen  von  10 
liefert,  aber  8  kostet.  Nach  diesem  Bedürfnis  muß  nach  L  i  e  f  m  a  n  n 
die  Wertschätzung  der  Geldeinheit  beurteilt  werden,  und  zwar  nach 
dem  auf  die  Geldeinheit  entfallenden  Nutzen.  Dieser  Nutzen  beträgt 
also  pro  Einheit  ^%  =  IV4.  Bei  gegebenen  Bedürfnissen,  Preisen 
und  Geldvorrat  ergibt  sich  hier  nach  Liefmann  selbst  die  Wert- 
schätzung einer  Mark  mit  IV4  Intensität.  Wie  konnte  er  sie  mit  1 
annehmen?  Hat  er  aber  die  Wertschätzung  einer  Mark  unrichtig 
angenommen,  wie  konnte  er  zu  einem  richtigen  Ergebnis  gelangen  ? 
Dafür  kann  nur  eine  Erläuterung  sein :  Bei  gegebenen  Bedürf- 
nissen, Preisen  und  Geldmenge  kann  man  die  zu  reali- 
sierenden Käufe  ohne  die  Kenntnis  der  Wertschätzung 
der  Geldeinheit  bestimmen.  Das  soll  nachgewiesen  werden. 
c)  Zunächst  muß  aber  noch  ein  anderer  Fehler  in  Lief  man  ns 
Gedankengang  hervorgehoben  werden,  und  zwar  die  inkonse- 
quente Anwendung  des  Ertragsbegriffes  und  seine 
Verwechslung  mit  anderen  Begriffen.  Liefmann  de- 
finiert   wiederholt    den     fundamentalen    Begriff    seiner    Lehre    als 


1)  Richtig  ist  es  aus  einem   anderen  Grande,   als  Liefmann   angibt  nnd  meint. 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  391 

Ueberschuß  von  Nutzen  über  die  Kosten.  Wohlverstanden: 
es  ist  der  subjektive  Ertrag,  gerade  so  wie  Nutzen  und  Kosten  hier 
subjektiv  (Lust-  und  Unlustgefühle)  gemeint  sind.  Dagegen  wäre 
von  seinem  subjektivistischen  Standpunkt  nichts  einzuwenden,  wenn 
nur  Lief  mann  diesen  Begriff  konsequent  gebrauchen  würde.  Aber 
das  tut  er  eben  in  den  angeführten  Beispielen  gar  nicht.  Ich  habe 
eben  (S.  387)  seine  folgenden  Worte  wörlich  wiedergegeben:  „Wenn 
jetzt  der  Wirtschafter  z.  B.  16  Mark  zur  Verfügung  hat,  so  braucht 
er  nicht  mit  C  1  zu  beginnen,  das  ihm  im  Verhältnis  zu  den 
Kosten  den  größten  Nutzen,  also  den  größten  Ertrag 
liefert."  Der  Ueberschuß  von  Nutzen  über  die  Kosten  und  der 
Nutzen  im  Verhältnis  zu  den  Kosten  ist  doch  nicht  dasselbe,  wie 
gleich  gezeigt  werden  soll.  A.  a.  O.  S.  21  sagt  Lief  mann:  „Er 
wird  also  zuerst  sich  C  1  beschaffen,  das  ihm  einen  Nutzen  von 
Stärke  5  bringt,  ihm  aber  nur  Kosten  von  Höhe  1  verursacht.  Sein 
Ertrag  ist  also  5  pro  Einheit."  Oder  auf  Seite  22:  „. . .  das  Ver- 
hältnis von  Nutzen  und  Kosten  ist  daher  bei  A  1  wie  10:3,  der 
Ertrag  also,  der  Ueberschuß  von  Nutzen  über  die  Kosten  =  37^  pro 
Kosteneinheit"  u.  s.  f.  Man  würde  doch  annehmen,  daß  —  wenn  die 
Kosten  3  und  der  Nutzen  10  ist  —  der  Ueberschuß  von  Nutzen 
über  die  Kosten  7  und  pro  Einheit  der  Kosten  Vs  =  2V3  beträgt 
Hier  sind  augenscheinlich  zwei  verschiedene  Begriffe  vermengt  und 
zwar  der  Ertrag  und  der  relative  Nutzen.  Man  muß  unter- 
scheiden: den  absoluten  Nutzen,  die  absoluten  Kosten  und 
den  absoluten  Ertrag  (z.  B.  Nutzen  10,  Kosten  3,  Ertrag  7)  und 
den  relativen,  das  ist  den  auf  eine  bestimmte  Einheit  bezogenen 
Nutzen  bzw.  Ertrag,  und  die  relativen  Kosten.  Fragt  man 
z.  B.  nach  dem  auf  eine  Kosteneinheit  entfallenden  Nutzen,  so  er- 
hält man  den  relativen  Nutzen  (^Vs)?  fragt  man  nach  dem  auf  eine 
Kosteneinheit  entfallenden  Ertrag,  so  erhält  man  den  relativen  Er- 
trag (Vs)-  Um  den  relativen  Nutzen  oder  Ertrag  zu  erhalten,  brauche 
ich  nicht  immer  den  absoluten  Nutzen  oder  Ertrag  (Lustgefühl)  auf 
gleichartige  Kosteneinheit  (die  des  geopferten  Unlustgefühles) 
zu  beziehen.  Besteht  z.  B.  das  Opfer  in  Arbeitsmühe,  so  sind  die 
subjektiven  Kosten  der  Arbeitsmühe  in  jeder  folgenden  Stunde  höher. 
Sagen  wir  z.  B.  in  der  ersten  Arbeitsstunde  gleich  1,  in  der  zweiten 
gleich  2,  in  der  dritten  gleich  3  Intensitäten  u.  s.  f.  Habe  ich  mir 
in  zwei  Arbeitsstunden  einen  Nutzen  von  10  verschafft,  so  kann  ich 
diesen  Nutzen  entweder  mit  der  gleichartigen  Kosteneinheit 
oder  mit  derArbeitsstunde  in  Beziehung  setzen.  Diesen  Nutzen 
von  10  habe  ich  durch  zwei  Arbeitsstunden,  aber  mit  subjektiven 
Kosten  von :  3  erhalten.  Der  relative  Nutzen  beträgt  daher  ^%  =  5 
pro  Stunde  und  ^%  =  3V3  pro  Kosteneinheit.  Dasselbe  gilt  vom 
Ertrag  und  bei  Geldkosten.  Kaufe  ich  ein  Gut  mit  Nutzen  von  10 
um  2  M.,  so  habe  ich  subjektiv  —  wenn  ich  die  Hingabe  einer 
Mark  als  ein  Unlustgefühl  von  2  Intensitäten  empfinde  —  4  geopfert. 
Der  absolute  subjektive  Ertrag  ist  daher  10-4  =  6.  Den  Ertrag 
kann  ich  entweder  zur  Zahl  der  gezahlten  Geldeinheiten  (2)  oder  zu 


392  Ka'l  Engliß, 

jener  der  subjektiven  Kosteneinheiten  in  Beziehung  setzen;  danach 
beträgt  im  gegebenen  Falle  der  relative  Ertrag  pro  Preiseinheit  %  =  3 
und  pro  Kosteneinheit  %  =  IVg.  Es  muß  daher  stets  sowohl  beim 
relativen  Nutzen  wie  beim  relativen  Ertrag  auch  die  Einheit 
der  Relativität  angegeben  werden.  Wir  werden  sehen,  daß 
Liefmann  gerade  auch  in  der  Einheit  der  Relativität 
fehlt,  vorderhand  springt  uns  aber  in  die  Augen,  daß  das  Verhältnis 
von  Nutzen  zu  den  Kosten,  bzw.  der  Nutzen  im  Verhältnis  zu  den 
Kosten  etwas  vom  Ertrag,  als  dem  Ueberschuß  vom  Nutzen  über 
die  Kosten  Wesensverschiedenes  ist.  Tatsächlich  fragt  hier  also 
Liefmann  —  nämlich  bei  der  Feststellung  der  zur  Realisierung 
gelangenden  Käufe  —  nicht  nach  dem  Ertrag,  sondern  nach  dem 
relativen  Nutzen.  Man  glaube  nicht  etwa,  daß  Lief  mann 
den  Ertrag  als  Ueberschuß  von  Nutzen  über  die  Kosten  nur  ganz 
allgemein  andeutete  und  unter  Ertrag  tatsächlich  das  Verhältnis  des 
Nutzens  zu  den  Kosten  verstehe.  Denn  man  beachte  z.  B.  folgende 
Worte:  „Geschieht  das,  so  muß,  theoretisch  scharf  formuliert,  der 
Grenzertrag  bei  allen  Bedürfnissen  gleich,  also  überall  fast  =  0 
sein.  Ganz  =  0  wird  er  auch  dann  nicht  sein,  sonst 
würde  ja  jeder  Antrieb,  die  letzte  Arbeitsmühe  auf 
sich  zu  nehmen,  fehlen"^).  Das  ist  auch  ganz  richtig,  daß  der 
Mensch  gar  keinen  Antrieb  zum  Opfer  hat,  wenn  der  Ertrag  =  0 
ist.  Was  muß  aber  gleich  0  sein  ?  Das  Verhältnis  von  Nutzen  und 
Kosten  etwa?  Ist  ein  Nutzen  z.  B.  3  und  die  Kosten  auch  3,  so 
hat  der  Mensch  gar  keinen  Antrieb,  den  Wirtschaftsakt  vorzunehmen, 
obwohl  das  Verhältnis  von  Nutzen  zu  den  Kosten  %  =  1  ist. 
Gleich  0  ist  hier  der  wahre  Ertrag,  der  Ueberschuß  von  Nutzen  über 
die  Kosten.  Hier  versteht  daher  Liefmann  unter  Ertrag 
etwas  ganz  anderes,  als  bei  der  Feststellung  der  zu 
realisierenden  Käufe.  Lief  mann  verwechselt  daher  zwei  ver- 
schiedene Begriffe,  und  zwar  den  Ertrag  und  den  relativen  Nutzen  *). 
Von  Wichtigkeit  ist  aber,  daß  Lief  mann  hier,  wo  er  bei  gegebenen 
Bedürfnissen,  Preisen  und  Geldvorrat  die  Geldverwendung  auf  die 
verschiedenen  Bedürfnisse  untersucht,  die  Reihe  der  zu  realisierenden 
Käufe  gar  nicht  nach  dem  Ertrage,  sondern  nach  dem 
relativen  Nutzen  bildet.  Da  er  nun  auf  dieser  Grundlage  zu 
einem  richtigen  Ergebnis  kommt,  so  muß  es  eben  ohne  den  Ertrags- 
begriff möglich  sein.  Damit  ist  schon  teilweise  erklärt,  daß  man 
zur  Bestimmung  der  erwähnten  Geldaufwendung  die  Wertschätzung 
der  Geldeinheit  nicht  zu  kennen  braucht. 

d)  Welcher  Art  relativer  Nutzen  ist  es  nun,  welchen  L  i  e  f  m  a  n  n 
seiner  Kauf  reihe   zugrunde  legt?    Er  meint,  es   ist  der  auf  eine 

1)  A.  a.  o.  S.  29. 

2)  Beziehungsweise  hat  für  zwei  verschiedene  Begriffe  die  nämliche  Bezeichnung^ 
was  in  der  Folge  irreführend  sein  maß.  Kann  man  den  auf  eine  technische  Ein- 
heit (Geldeinheit,  Arbeitsstunde)  bezogenen  relativen  Nutzen  auch  Ertrag  nennen  ?  Eben 
dieser  Nutzen  aber  ist  —  wie  gezeigt  werden  soll  —  in  der  Konsumwirtschaft  ent- 
scheidend. 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsumwirtschaft.  393 

Kosteneinheit  im  subjektiven  Sinne  bezogene  Nutzen 
(Nutzen  im  Verhältnis  zu  den  subjektiven  Kosten).  In  dem  neueren 
Beispiel  scheint  es  tatsächlich  so  zu  sein,  aber  nur  deshalb,  weil 
Lief  mann  das  Opfer  einer  Mark  gleich  einer  Intensität  gesetzt 
und  den  Geldvorrat  zufällig  so  gewählt  hat,  daß  hier  tatsächlich  die 
Wertschätzung  eine  Mark  gleich  1  ist,  wie  der  folgenden  Berechnung 
entnommen  werden  kann: 


KauffaU 

Absoluter 

Kosten 

Kelativer 

Nach  dem 

jeweiligen  Kauf 

Nutzen 

Nutzen 

verbleibt 

vom  Geldvorrat 

AI 

lO 

2 

5 

14 

C  1 

5 

I 

5 

13 

A2 

8 

2 

4 

II 

B  1 

8 

2 

4 

9 

C2 

4 

I 

4 

8 

A3 

6 

2 

3 

6 

C3 

3 

I 

3 

5 

A4 

4 

2 

2 

3 

B2 

4 

2 

2 

I 

C4 

2 

I 

2 

0 

BS 

2 

2 

I 

A5 

2 

2 

I 

C5 

I 

I 

I 

Die  unter  „Kosten"  angeführten  Zahlen  bedeuten  gleichzeitig 
den  Preis  in  Geldeinheiten  und  die  subjektiven  Kosten  in  Unlust- 
gefühlseinheiten, weil  dies  angenommen  wurde.  Die  Reihe  der  Käufe 
ist  nach  dem  relativen  Nutzen  pro  Kosteneinheit  (aber  gleichzeitig 
pro  Preiseinheit)  gebildet.  Die  Wertschätzung  der  Geldeinheit  ist 
nach  Lief  mann  jenem  Nutzen  gleich,  den  man  opfert,  und  das  ist 
der,  „den  man  sich  mit  einer  weiteren  verfügbaren  Einheit  ver- 
schaffen könnte"^).  Im  gegebenen  Falle  könnte  man  sich  für  eine 
weiter  verfügbare  Geldeinheit  tatsächlich  nur  den  relativen  Nutzen 
von  1  verschaffen.  Was  wäre  aber,  wenn  Liefmann,  nachdem  er 
die  Bedürfnisse,  Preise  und  die  Wertschätzung  einer  Mark  ange- 
nommen hatte,  z.  B.  dem  Wirtschafter  nur  10  M.  zur  Verfügung 
gegeben  hätte  ?  Sein  Gedankengang  wäre  ganz  der  nämliche  geblieben, 
nur  daß  er  nach  Kauf  von  A  3  hätte  sagen  müssen ,  daß  das  Geld 
für  weitere  Käufe  erschöpft  ist.  Da  wäre  aber  der  mit  einer  weiter 
verfügbaren  Geldeinheit  zu  beschaffende  Nutzen,  also  die  Wert- 
schätzung einer  Mark  gleich  3,  denn  für  die  11.  Mark  könnte  das  Gut 
C  3  gekauft  werden,  das  1  Mark  kostet  und  einen  Nutzen  von 
3  abgibt.  In  diesem  Falle  wäre  also  die  Annahme,  daß  die  Wert- 
schätzung einer  Mark  gleich  1  ist,  ganz  unrichtig,  weil  sie  tatsäch- 
lich dreimal  so  hoch  ist,  und  dennoch  hätte  sich  der  ganze  Gedanken- 
gang und  die  Reihe  der  zum  Kauf  gelangenden  Güter  nicht  geändert. 
Wie  ist  das  möglich?  Das  ist  deshalb  möglich,  weil  die  Relativität 
des  Nutzens  tatsächlich  nicht  auf  die  Kosteneinheit,  die 
doch  Liefmann  im  vorhinein  gar  nicht  kennen  kann,  sondern 
auf   die   Preiseinheit   bezogen    wurde.    Da  nun   Liefmann 


1)  A.  a.  O.  S.  4. 


394  Karl  EngliS, 

das  subjektive  Opfer  einer  Mark  gleich  einer  Intensität  gesetzt  hat, 
repräsentiert  der  Preis  ebensoviel  Geldeinheiten  wie  die  subjektiven 
Kosten  Gefühlsintensitäten,  so  daß  es  in  diesem  Falle  ziffermäßig 
auf  eins  herauskommt,  ob  man  den  Nutzen  auf  Preiseinheiten  oder 
auf  Kosteneinheiten  im  subjektiven  Sinne  bezieht.  Daher  sein  Irr- 
tum, daß  er  den  relativen  Nutzen  zu  den  subjektiven  Kosten  in  Be- 
ziehung setzt.  In  der  Tat  beurteilt  er  den  relativen  Nutzen 
nicht  nach  Kosten-,  sondern  nach  Preiseinheiten,  weil 
er,  wie  gesagt,  die  subjektiven  Kosten  einer  Mark  im  vorhinein 
gar  nicht  kennt,  bzw.  in  dem  alten  Beispiel  vom  Jahre  1912 
unrichtig  annimmt.  Der  auf  unrichtige  Kosteneinheiten  berechnete 
relative  Nutzen  könnte  doch  zu  keiner  richtigen  Kaufreihe  führen, 
während  doch  die  Lief  mann  sehe  Kauf  reihe  richtig  ist. 

Zu  demselben  Ergebnis  gelangt  man  aber  auf  Grund  einer  sehr 
einfachen  Erwägung.  Der  Wirtschafter,  der  seine  Bedürfnisse  und 
die  Marktpreise  kennt,  wird  mit  seinem  Geldvorrat  den  größtmög- 
lichen Nutzen  vom  Markte  davonzutragen  bestrebt  sein.  Das  erzielt 
er  dann,  wenn  er  für  jede  Geldeinheit  den  größten  subjektiven 
Nutzen  kauft.  Er  muß  sich  daher  für  alle  in  Betracht  kommenden 
Käufe  den  für  jede  einzelne  Geldeinheit  erzielbaren  subjektiven 
Nutzen  vergegenwärtigen.  Er  muß  also  für  jeden  Kauf  den  auf 
eine  Geldeinheit  entfallenden  subjektiven  Nutzen,  also  den 
relativen  auf  die  Preiseinheit  entfallenden  Nutzen 
kennen.  So  entsteht  ihm  für  die  möglichen  Käufe  der  gebrauch- 
ten Güter  eine  Reihe,  in  welcher  jeder  folgende  Kauf  im  Verhältnis 
zum  Preis  einen  kleineren  relativen  Nutzen  aufweist  als  der  voran- 
gehende. Davon  wird  der  Wirtschafter  die  relativ  nützlichsten  Käufe 
realisieren,  soweit  das  Geld  reicht  ^).  (Vergleiche  hierzu  die  Ueber- 
sicht  auf  S.  393,   wo  nun  unter  Kosten  der  Preis  zu  verstehen  ist.) 

Damit  ist  voll  nachgewiesen,  daß  Lief  mann  zur  Feststellung 
der  Geldverwendung  in  der  Konsum  Wirtschaft  die  subjektive 
Wertschätzung  der  Geldeinheit  gar  nicht  zu  kennen 
brauchte;  kann  und  muß  man  aber  die  Geldverwendung  in  der 
Konsumwirtschaft  ohne  die  Wertschätzung  der  Geldeinheit  erklären, 
so  kann  man  dies  auch  ohne  den  Ertragsbegriff,  denn 
ohne  die  Kenntnis  der  subjektiven  Kosten  läßt  sich  auch  der  sub- 
jektive Ertrag  nicht  ermitteln. 

e)  Die  Wertschätzung  der  Geldeinheit,  die  doch  für 
Lief  mann  zur  Beurteilung  der  subjektiven  Kosten  beim  Kauf  eine 
eminente  Rolle  spielen  sollte,   bleibt  in  seiner  Lehre  auffallend  ver- 

1)  Ein  ganz  analoger  Fall  wäre  da,  wenn  der  Wirtschafter  berechtigt  wäre,  vom 
Markte  Güter  beliebiger  Auswahl,  aber  beschränkt  auf  ein  bestimmtes  Gesamtgewicht, 
davonzutragen,  beziehungsweise,  wenn  er  statt  Geld  Anweisungen  auf  Gewichtsein- 
heiten der  Güter  zur  Verfügung  hätte.  Er  würde  bestrebt  sein,  das  verfügbare  Gewicht 
für  sich  am  besten  auszunützen,  also  im  minimalen  Gewicht  den  größten  Nutzen 
für  sich  auszuwählen.  Seine  Gewichtsanweisungen  würde  er  daher  so  ausnützen,  daß 
ihm  jede  Gewichtseinheit  den  größten  Nutzen  einbringe.  Der  relative  Nutzen  würde 
hier  auf  die  Gewichtseinheit  bezogen  werden.  Analog  verfährt  man  z.  B.  beim  Reise- 
gepäck mit  Baumeinheiten  u.  a.  m. 


Das  Lief  mannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  395 

nachlässigt.  Lief  mann  sagt  zwar  einmal,  wie  schon  zitiert  wurde, 
daß  die  Geldeinheit  nach  dem  Nutzen  geschätzt  wird,  den  man 
sich  mit  einer  weiteren  verfügbaren  Einheit  verschaffen  könnte. 
Aber  dieser  Satz  wird  weiter  gar  nicht  begründet  und  bei  der  Er- 
klärung der  Geldaufwendung  überhaupt  nicht  verwendet.  Hier  setzt, 
wie  gesagt,  Lief  mann  diese  Wertschätzung  als  gegeben  voraus. 
Dieser  Wertschätzung  der  Geldeinheit  soll  daher  hier  ein  wenig  Auf- 
merksamkeit gewidmet  werden. 

Die  Geldschätzung  der  Geldeinheit  bei  Lief  mann  ist  etwas 
vom  subjektiven  Werte  der  österreichischen  Schule  Verschiedenes 
und  doch  mit  demselben  sehr  Verwandtes.  Lief  mann  braucht  die 
Wertschätzung  der  Geldeinheit,  um  die  subjektiven  Kosten  beim 
Kauf  und  damit  auch  den  subjektiven  Ertrag  zu  ermitteln,  indem 
er  diese  subjektiven  Kosten  dem  durch  das  gekaufte  Gut  bewirkten 
subjektiven  Nutzen  gegenüberstellt.  In  der  subjektiven  Wertlehre 
findet  Liefmann  keine  Befriedigung.  Nach  dieser  Lehre  ist  der 
Wert  „die  Bedeutung,  welche  ein  Gut  oder  ein  Gutkomplex  für  die 
Wirtschaftszwecke  eines  Subjektes  besitzt"  ^).  „Die  Größe  des  Wertes 
eines  Gutes  bemißt  sich  nach  der  Wichtigkeit  desjenigen  konkreten 
Bedürfnisses  oder  Teilbedürfnisses,  welches  unter  den  durch  den 
verfügbaren  Gesamtvorrat  an  Gütern  solcher  Art  bedeckten  Bedürf- 
nissen das  mindest  wichtige  ist."  „Der  Wert  eines  Gutes  bestimmt 
sich  nach  der  Größe  seines  Grenznutzens"  ^).  Der  Wert  eines  Gutes 
wird  ausnahmsweise  durch  das  Arbeitsleid  bestimmt,  wenn  durch 
dasselbe  ein  Ersatzgut  beschaffen  werden  kann  und  das  Arbeitsleid 
geringer  ist  als  der  Grenznutzen  ^).  Beim  Tausch  müssen  „die  emp- 
fangenen Güter  einen  größeren  subjektiven  Wert  besitzen  als  die 
hingegebenen".  „Ein  Tausch  ist  ökonomisch  möglich  nur  zwischen 
Personen,  die  Ware  und  Preis  abweichend,  ja  entgegengesetzt 
schätzen"  4). 

Diese  Lehre  lehnt  Lief  mann  ab.  Ihr  Grundfehler  sei,  daß  sie 
vom  Bewußtsein  der  Abhängigkeit  von  einem  Gute  infolge  beschränk- 
ter Verfügbarkeit  ausgehe,  anstatt  den  absoluten  Nutzen  zu  betrachten. 
Nach  dieser  Lehre  wird  jede  Teilquantität  aus  dem  Vorrat  nach  der 
letzten  Teilquantität  gewertet.  Ich  kann  aber  sagen:  Wenn  ich 
mehrere  Aepfel  habe,  so  schätze  ich  den  ersten,  den.  ich  verzehre, 
am  höchsten,  den  zweiten  schon  geringer  etc.  Aber  auch :  Von  einer 
gegebenen  Menge  Aepfel  schätze  ich  den  ersten,  den  ich  esse,  am 
geringsten,  weil  andere  zur  Verfügung  sind,  und  wenn  unbeschränkt 
viele,  gar  nicht.  Aber  dies  ist  dann  keine  Nutzen-,  sondern  eine 
Kostenschätzung.  Für  die  Kostengüter  gilt  in  der  Tat  der  Satz, 
daß  der  Wert  der  einzelnen  Teilquantitäten  sich  nach  der  letzten 
Teilquantität  richtet.    In   der   Tat  kann  man   alle  Güter,   auch  die 


1)  Böhm-Bawerk,  Positive  Theorie  des  Kapitales,  Innsbruck  1912,  3.  Aufl.,  2.  Halbbd., 
S.  223. 

2)  Böhm-Bawerk,  a.  a.  O.  S.  246,  247. 

3)  Böhm-Bawerk,  a.  a.  O.  S.  301. 

4)  Böhm-Bawerk,  a.  a.  O.  S.  358. 


396  Karl  EngliS, 

Genußgüter  als  Kostengüter  auffassen.  Aber  man  muß  in  der  öko- 
nomischen Theorie  zunächst  von  den  Bedarfsempfindungen,  von  den 
Genüssen  ausgehen.  Der  Wertbegriff  ist  eine  willkürliche  künst- 
liche Konstruktion,  „.  .  .  unsere  Theorie  braucht  den  Wertbegriff  in 
irgendeiner  Form,  der  bei  den  bisherigen  Lehren,  insbesondere  auch 
der  österreichischen,  den  Grundbegriff  bildet,  überhaupt  nicht,  sie 
erklärt  alle  tauschwirtschaftlichen  Erscheinungen  und  daher  auch  die 
Preisbildung  nur  mit  den  beiden  Fundamentalbegriffen  Nutzen  und 
Kosten,  bzw.  ihrer  Differenz  dem  Ertrag"  i). 

Lief  mann  hat  richtig  erkannt,  daß  durch  die  österreichische 
Wertlehre  der  Tausch  nicht  zu  erklären  ist,  aber  seine  Begründung 
reicht  nicht  zu.    Dies  werden  wir  nachweisen  2). 

Gemeinsam  ist  der  Lief  mann  sehen  Theorie  und  der  öster- 
reichischen Wertlehre  der  subjektivistischeAusgangspunkt. 
Die  äußeren  Erscheinungen  werden  in  das  subjektive  Bewußtsein 
der  Wirtschaftenden  projiziert  und  die  ihnen  folgenden  angenehmen 
und  unangenehmen  Empfindungen  verfolgt  und  gemessen.  Bei  der 
Liefmannschen  Theorie  ist  es  ganz  offenkundig.  Aber  auch  bei  der 
österreichischen  Wertlehre  ist  es  der  Fall.  Denn  ihre  Begriffe: 
Wohlfahrt  des  Individuums,  Wichtigkeit  der  Bedürfnisse,  Grenz- 
nutzen, Arbeitsleid  etc.  entspringen  derselben  psychologischen  Grund- 
lage wie  Liefmanns  Nutzen,  Kosten  und  Ertrag.  Um  sich  den 
subjektiven  Wert  zu  vergegenwärtigen  muß  man  sich  stets  den  Weg- 
fall des  Gutes  vorstellen,  damit  das  minimale  Leid  konstatiert  werden 
könne,  das  ich  dadurch  erleiden  muß ;  es  ist  entweder  das  Leid  eines 
unbefriedigten  Bedürfnisses  (Grenznutzen)  oder  das  Arbeitsleid  für  das 
Ersatzgut.  Der  subjektive  Wert  des  Gutes  ist  dieses  ersparte  Leid  ^). 
Das  Postulat  der  subjektiven  Wohlfahrt,  also  das. Streben  nach  Ver- 
minderung der  Unlustgefühle,  bezw.  nach  Vermehrung  der  Lustgefühle 
bildet  für  beide  Lehren  den  Ausgangspunkt.  Dieses  subjektive  Wohl- 
fahrtsempfinden wird  durch  äußere  Erscheinungen  tangiert,  günstig 


1)  Die  Entstehung  des  Preises  etc.  a.  a.  O.  S.  11,  21,  22  u.  passim;  das  Gesetz 
des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  a.  a.  O.  S.  2  usf. 

2)  Das  Wertkapitel  ist  in  der  nationalökonomischen  Theorie  noch  lange  nicht  ab- 
geschlossen. Die  diesbezüglichen  Meinungsverschiedenheiten  —  wie  überhaupt  in  der 
Wirtschaftswissenschaft  —  kommen  davon ,  daß  es  an  einer  nationalökonomischen  Er- 
kenntnislehre mangelt.  Es  fehlt  die  Antwort  auf  die  Frage :  wie  muß  ich  Erscheinungen, 
Objekte  und  Veränderungen  betrachten,  um  sie  als  wirtschaftlich  zu  sehen  ?  Diese  Frage 
geht  jener  nach  dem  Objekte  der  Wirtschaftswissenschaft  voraus,  weil  alles,  was  ich 
durch  eine  bestimmte  Anschauungsart  sehen  kann,  Objekt  der  Wissenschaft  ist.  Dieses 
Problem  habe  ich  zum  Gegenstand  einer  Studie  gemacht:  Nästin  närodohospoddfskfe 
noetiky"  (Abriß  einer  nationalökonomischen  Erkenntnislehre)  im  „Sbornik  vßd  prävnich 
a  stätnich"  1917.  Dadurch  werden  viele  wirtschaftswissenschaftlichen  Begriffe  und  somit 
auch  der  Wertbegriff  eine  neue  Beleuchtung  finden.  Ich  kann  mich  aber  in  diesem 
Aufsatz  auf  diese  prinzipiellen  Fragen  nicht  einlassen ,  möchte  aber  betonen ,  daß  mir 
gerade  das  Studium  der  wirtschaftswissenschaftlichen  Noetik  Anhaltspunkte  zu  der  vor- 
liegenden Kritik  geboten  hat. 

3)  So  definiert  den  subjektiven  Wert  als  erspartes  Leid  Dr.  Lövenstein:  Kritika 
hlediska  Böhm-Bawerkova  v  subjektivnim  hodnoceni  (Kritik  der  Stellung  des  Arbeits- 
leides in  der  subjektiven  Wertlehre  Böhm-Bawerks)  im  „Sbornik  v^d  prävnich  a  stätnich", 
Prag  1916. 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsumwirtschaft.  397 

oder  ungünstig,  mehr  oder  weniger.  Den  Grad  dieser  Ein- 
wirkung zu  konstatieren,  das  ist  Aufgabe  der  sub- 
jektiven Wertung.  Das  ist  die  gemeinsame  Wurzel  der  Lief- 
mann sehen  und  der  österreichischen  Lehre. 

Nun  hat  man  aber  bisher  übersehen,  daß  man  nicht  nur  Ob- 
jekte (Güter),  sondern  auch  Geschehnisse  (Veränderungen,  Hand- 
lungen) wertet,  ja  daß  diese  letztere  Wertung  die  primäre 
ist.  Bei  jeder  vorzunehmenden  Handlung  vergegenwärtigt  man 
sich,  ob,  in  welcher  Richtung  und  in  welchem  Grade  dieselbe  auf 
unser  Wohlfahrtsgefühl  einwirken  wird.  Aber  nicht  nur  bei  vor- 
zunehmenden Handlungen,  sondern  auch  bei  allen  anderen  Gescheh- 
nissen (Veränderungen)  wird  der  Mensch  deren  günstiger  und  un- 
günstiger Einwirkung  auf  seine  subjektive  Wohlfahrt  gewahr.  Danach 
unterscheidet  er  nützliche,  gewollte  Veränderungen  (Geschehnisse) 
mit  günstiger  Einwirkung  auf  seine  Wohlfahrt,  und  schädliche,  nicht 
gewollte  Veränderungen  mit  solcher  ungünstiger  Einwirkung.  In  der 
Regel  wirkt  ein  und  dasselbe  Ereignis  in  einer  Hinsicht  positiv,  in 
anderer  Hinsicht  negativ  auf  die  subjektive  Wohlfahrt,  ist  gleich- 
zeitig schädlich  und  nützlich.  Der  Nutzen  wie  der  Schaden  wird 
vom  Subjekt  nach  Richtung  und  Grad  erkannt,  also  gewertet  und 
gegenseitig  abgewogen.  Die  Resultante  entscheidet  darüber,  ob  das 
Ereignis  gewollt  oder  nicht  gewollt  wird.  Und  diese  Wertung 
der  Veränderungen  (Ereignisse,  Handlungen)  hat  Lief  mann 
unbewußt  im  Auge,  wenn  er  vom  Nutzen,  Kosten  und  Ertrag  spricht. 

Die  Wertung  der  Objekte  ist  sekundär.  Auch  hier  wird 
die  Einwirkung  des  Objektes  (Gutes)  auf  die  subjektive  Wohlfahrt 
nach  Richtung  und  Grad  erkannt.  Aber  die  Objekte  können 
auf  unsere  Wohlfahrt  nur  derart  einwirken,  daß  sie  in 
irgendeinem  kausalen  Prozeß  (Veränderung,  Geschehnis, 
Handlung),  der  seines  überwiegenden  subjektiven  Nutzens  halber  ge- 
wollt wird,  mitwirken.  Den  diesem  Prozeß  entspringen- 
den Nutzen  projizieren  wir  dann  gedanklich  in  das 
Objekt  und  rechnen  ihm  Nützlichkeit,  unter  Umstän- 
den Schädlichkeit  zu.  Diese  subjektive  Nützlichkeit  der  Ob- 
jekte nach  ihrem  Grad  festzustellen  sucht  die  subjektive  Wertlehre 
der  Oesterreicher.  Dies  trachtet  diese  Lehre  aber  nur  für  einen 
besonderen  Fall  zu  konstatieren,  nämlich  für  Güter,  die  ich 
habe.  Da  man  sich  jedoch  des  Wertes  eines  Objektes  nur  bei  Ver- 
änderungen bewußt  werden  kann,  so  muß  ich  mir  bei  Gütern,  die 
ich  habe,  stets  deren  Wegfall  hinzudenken.  Tatsächlich  werte  ich 
dann  eine  Veränderung,  den  Verlust  des  Objektes  und  das  aus  dem- 
selben entspringende  Leid  und  definiere  dann  den  subjektiven  Wert 
des  Objektes  allgemein  als  Leid,  wie  Lövenstein,  also  negativ, 
oder  ich  denke  mir  noch  wieder  das  Objekt  hinzu  und  werte  den 
Gewinn  des  verlorenen  Gutes,  werte  den  subjektiven  Nutzen  dieser 
Veränderung  und  somit  auch  das  Objekt  positiv.  Die  öster- 
reichische Schule  hat  ihr  Problem  für  diesen  speziellen 
Fall  der  Veränderung,  nämlich  den  des  Verlustes  rieh- 


398  KarlEnglii, 

tig  gelöst  bis  auf  das,  daß  bei  der  Wertung  einer  Geldeinheit 
aus  dem  Vorrat  das  mindestwichtige  Bedürfnis  nicht  nach  der  ab- 
soluten Wichtigkeit  (Intensität  des  unbefriedigten  Bedürfnisses), 
sondern  nach  dem  relativen  Nutzen  im  obigen  Sinne  beurteilt  werden 
muß.  Denn  es  handelt  sich  um  das  mindestwichtige  gedeckte  Be- 
dürfnis. Die  Deckung  der  Bedürfnisse  durch  das  Geld  erfolgt  aber, 
wie  gezeigt  wurde,  nach  dem  relativen  Nutzen.  Bei  anderen  Gütern 
ist  es  einerlei,  ob  ich  die  Wichtigkeit  des  Bedürfnisses  nach  dem 
relativen  Nutzen  der  Deckung  (hier  des  Verbrauches)  oder  nach  der 
absoluten  Intensität  des  unbefriedigten  Bedürfnisses  beurteile,  wie 
wohl  ohne  weitere  Erklärung  einleuchtet.  Es  bleibt  ein  Verdienst 
Liefmanns,  daß  er  —  soviel  ich  übersehe  —  als  erster  darauf 
hingewiesen  hat,  daß  man  in  diesem  Falle  die  Wichtigkeitsreihe 
nicht  nach  der  absoluten  Intensität  des  Bedürfnisses  beurteilen  kann. 
Aber  die  österreichische  Wertlehre  irrt,  wenn  sie 
glaubt,  durch  den  für  einen  besonderen  Veränderungs- 
fall, nämlich  für  den  Verlustfall  richtig  konstatierten 
Wert,  alle  wirtschaftlichen  Veränderungen,  nament- 
lich auch  den  Tausch  erklären  zu  können.  Das  hat  Lief- 
mann ganz  richtig  gesehen  und  hervorgehoben,  wenn  auch  nicht 
begründet.  Böhm-Bawerk  meint,  wie  gesagt,  daß  beim  Tausch  die 
empfangenen  Güter  einen  größeren  subjektiven  Wert  haben  müssen 
als  die  hingegebenen.  Die  Differenz  zwischen  dem  subjektiven  Wert 
des  empfangenen  und  des  hingegebenen  Gutes  wäre  daher  das  Motiv 
des  Tausches.  Was  ist  der  subjektive  Wert  des  empfangenen  Gutes  ? 
Dazu  muß  ich  mir  zunächst  vorstellen,  daß  ich  das  Gut  habe  und 
nachträglich  verliere;  ich  werte  daher  das  Gut  in  einem  anderen 
Zustande,  als  es  sich  tatsächlich  befindet.  Dann  ist  der 
subjektive  Wert  gegeben  durch  das  minimale  ersparte  Leid;  das  ist 
entweder  das  Leid  des  entsprechenden  Bedürfnisses,  dem  das  Gut 
dient,  oder  das  Leid  jenes  minderwichtigen  Bedürfnisses,  dessen 
Deckung  (Gut)  ich  für  das  Ersatzgut  opfere,  oder  endlich  das 
Arbeitsleid  des  Ersatzgutes,  wenn  es  das  minimale  ist.  In  beiden 
letzteren  Fällen  ist  der  subjektive  Wert  geringer  als  das 
Leid  des  unbefriedigten  Bedürfnisses,  dem  das  empfangene 
Gut  dienen  soll.  Kaufe  ich  nicht,  so  erleide  ich  aber  das  ganze 
Unlustgefühl  dieses  Bedürfnisses,  also  mehr,  als  wenn 
ich  das  besessene  Gut  verliere.  Die  eine  Komponente  des 
Tauschmotivs  kann  daher,  braucht  aber  mit  dem  subjektiven  Wert 
nicht  identisch  zu  sein.  Aber  auch  die  andere  Komponente  deckt 
sich  nicht  mit  dem  subjektiven  Wert,  und  zwar  eben  bei  dem  wich- 
tigsten Fall,  dem  Geldkauf,  wie  wir  gleich  nachweisen  wollen. 
Lief  mann  selbst  gerät  in  einen  Widerspruch,  wenn  er  an  einer 
Stelle  behauptet,  daß  für  die  Kostengüter  die  Wertformel  nach  dem 
Grenznutzen  gilt  ^),  und  andernorts  sagt,  daß  beim  Opfer  einer  Geld- 
menge  sich   die  Wertschätzung  der  Geldeinheit  nach  dem  für  eine 

1)  Die  Entstehung  der  Preise  usw.,  a.  a.  O.  S.  22. 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  399 

weitere  verfügbare  Geldeinheit  zu  verschaffenden  Nutzen  richtet  i)I 
Nach  dieser  letzteren  Behauptung  richtet  sich  die  Wertschätzung 
der  Geldeinheit  nach  dem  ersten  ungedeckten,  nach  der 
Grenznutzenlehre  dagegen  nach  dem  letzten  gedeckten  Be- 
dürfnis.   Der  richtige  Gedankengang  ist  der  folgende: 

Der  Tausch  und  Kauf  ist  eine  vom  Wirtschaftssubjekt  gewollte 
(sc.  äußere)  Veränderung.  Der  Handelnde  bringt  sich  vor  der  Hand- 
lung zum  Bewußtsein,  welchen  Einfluß  diese  Veränderung  auf  sein 
Wohlfahrtsempfinden  ausüben  wird,  also  welche  innere  Veränderung 
jener  äußeren  (Lief mann  würde  sagen:  technischen)  folgen  wird. 
Ist  diese  innere  Veränderung  eine  überwiegend  günstige,  so  wird 
auch  die  äußere  Veränderung  gewollt  und  unternommen.  Diese  innere 
Gefühlsverschiebung  erkennt  das  Wirtschaftssubjekt  nur  dann,  wenn 
es  den  Gefühlszustand  vor  dem  Tausch  mit  dem  vorgestellten  Zu- 
stand nach  dem  Tausch  vergleicht.  Der  Zustand  nach  dem  Tausch 
muß  ihm  lieber  sein  als  jener  vor  demselben,  sonst  würde  er  nicht 
tauschen.  Da  die  Lustempfindungen  der  Bedarfsbefriedigung  nichts 
anderes  sind  als  die  Kehrseite  der  ünlustempfindungen  der  unbe- 
friedigten Bedürfnisse,  so  kann  man  jede  Bedarfsbefriedigung  als 
eine  Verminderung  der  Unlustgefühle  behandeln  2).  Die  durch  die 
äußere  Veränderung  bewirkte  innere  Verschiebung  der  Unlustgefühle 
erkenne  ich  daher,  wenn  ich  den  Zustand  meiner  Unlustge- 
fühle vor  und  nach  dem  Kauf  vergleiche.  Das  Weitere 
soll  zunächst  durch  Beispiel  veranschaulicht  werden. 

Das  Wirtschaftssubjekt  hat  5  Bedürfnisse  A  bis  E,  denen  ent- 
sprechende Güter  gegenüberstehen.  Die  absolute  Intensität  dieser 
Bedürfnisse  sei:  10,  8,  6,  5,  2.  Der  Preis  der  Güter  A,  B  und  C 
ist  je  3  und  jener  der  Güter  D  und  E  je  2  Geldeinheiten.  Zur  Be- 
friedigung aller  dieser  Bedürfnisse  würde  das  Wirtschaftssubjekt 
13  Geldeinheiten  brauchen,  es  hat  aber  nur  8.  Wie  wird  es  sein 
Geld  verwenden? 

Nach  dem  relativen  Nutzen  pro  Geldeinheit  — 

^    „,,  Absolute  T>    .    .    m^  Relativer         Nachdem  je- 

Eauffall        T  .      .^...     ,  Preis  in  Geld-       vr  »  weiligen  Kauf 

/T>  j~  ±  '  \      Intensität   des  .  ,    .,  Nutzen  pro  ti  •i.x 

(Bedürfnis)        Bedürfnisses  "°^"*«^  Geldeinheit        ^^^^  ^^^*  ^^ 

Geldvorrat 
A  lo  3  3V,  5 

B  8  3  2»/3  2 

D 5 2 2^ o 

C  6  3  2 

E  2  2  I 

Das  Subjekt  wird  die  Güter  A,  B  und  D  kaufen.  Welches  ist 
das  Motiv  des  Kaufes  des  Gutes  A  ?  Um  dies  festzustellen,  muß  ich 

1)  Das  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge,  a.  a.  O.  S.  4. 

2)  Ich  habe  ein  Bedürfnis,  z.  B.  des  Apfels ;  erhalte  ich  keinen,  so  bleibt  mir  das 
Unlustgefühl  dieses  Bedürfnisses.  Erhalte  ich  ihn,  so  verschwindet  dieses  Unlustgefühl. 
Dieser  Wandel  wird  als  ein  angenehmes  Gefühl  empfunden.  Das  Lustgefühl  aus  dem 
erhaltenen  Apfel  ist  dem  Unlustgefühl  des  unbefriedigten  Bedürfoisses  adäquat.  Die 
innere  Verschiebung  kann  ich  daher  entweder  positiv  mit  dem  Lustgefühl  oder  negativ 
mit  der  Verminderung  des  ünlustgefühles  messen. 


400  ^*'*^  EngliS, 

den  Wohlfahrtszustand  des  Subjektes  für  zwei  verschiedene  Fälle 
erwägen:  einmal  für  den  Fall,  daß  ich  das  Gut  A  nicht  kaufe,  und 
dann  für  den  Fall,  daß  ich  es  kaufe.  Kaufe  ich  das  A  nicht,  so 
bleibt  mir  das  Bedürfnis  A  mit  seiner  vollen  Intensität  10  unbe- 
friedigt; die  Bedürfnisse  B  und  D  sind  gedeckt  und  vermehren 
nicht  mein  Leid.  Für  die  3  Geldeinheiten,  für  die  ich  das  A  kaufen 
konnte,  kann  ich  jetzt  das  Gut  C  gewinnen  und  empfinde  daher 
nur  das  Bedürfnis  E  mit  2  Intensitäten  als  unbefriedigt.  Mein 
Wohlfahrtszustand  weist  daher  ein  Gesamtunlustgefühl  von  A  +  E, 
also  von  10  +  2  =  12  Intensitäten  auf.  Entschließe  ich  mich  zum 
Kauf  A,  so  fällt  dieses  Bedürfnis  weg;  die  Bedürfnisse  B  und  D 
sind  nach  wie  vor  gedeckt,  aber  für  die  Bedürfnisse  C  und  E  bleibt 
kein  Geld  mehr  übrig,  deren  Unlustintensität  ich  voll  zu  tragen 
habe.  Nach  dem  Kaufe  A  weist  mein  Wohlfahrtszustand  ein  Ge- 
samtunlustgefühl von  C  +  E,  also  von  6  +  2  =  8  Intensitäten  auf. 
Der  Wohlfahrtszustand  nach  dem  Kaufe  ist  um  4  Intensitäten  gün- 
stiger, bedeutet  daher  für  mich  eine  Verminderung  der  Unlust- 
gefühle,  ist  nützlich.  Der  Tausch  läßt  das  Bedürfnis  E  unverändert, 
bewirkt  nur  eine  Verschiebung  zwischen  A  und  C,  wie  sich  aus 
der  Differenz  der  Unlustempfindungen  ohne  und  nach  dem  Kauf  A 
ergibt : 

ohne  den  Kauf  A  A  +  E  oder  lo  +  2=12 

nach  dem  Kauf  A  C  +  E      „        6  +  2=8 

Differenz  A  —  C  oder  10  —  6  =    4 

A — C  ist  das  Motiv  des  Kaufes.  Was  ist  das  A?  Das  A 
ist  die  absolute  Intensität  des  Bedürfnisses  jenes 
Gutes,  das  ich  kaufen  will  und  dessen  Kaufmotiv  ich 
suche.  Was  ist  das  C?  Das  C  ist  die  absolute  Intensität 
jenes  relativ  nützlichsten  Gutes,  das  ich  bei  meinem 
Geldvorrat  nicht  mehr  kauf  e,  aber  kaufen  könnte  und  kaufen 
würde,  wenn  das  Bedürfnis  A  wegfiele,  oder  wenn  ich  um  so 
viel  Geld  mehr  hätte,  als  das  Gut  A  kostet.  Die  Inten- 
sität des  Bedürfnisses  A  und  der  subjektive  Wert  des  Gutes  A  ist 
nicht  identisch;  der  subjektive  Wert  kann  zwar  nicht  größer,  wohl 
aber  oft  kleiner  sein  und  zwar  immer  dann,  wenn  das  subjektive 
Opfer  für  das  Ersatzgut  kleiner  ist.  Das  erkennt  auch  Lief  mann 
ganz  richtig,  wenn  er  von  dem  Nutzen  beim  Tausche  spricht.  Denn 
sein  Nutzen  ist  im  gegebenen  Falle  nichts  anderes  als 
die  Negierung  des  Bedürfnisses  A.  Die  absolute  Intensität 
dieses  Nutzens  entspricht  der  absoluten  Intensität  des  korrekten 
Bedürfnisses.  Diese  nützliche  Veränderung  des  Tausches 
rechnet  nun  Liefmann  dem  gekauften  Gute  als  Nutzen 
zu.  Das  ist  die  eine  Komponente  des  Tauschmotives.  Aber  auch 
die  andere  Komponente  ist  nicht  durch  den  subjektiven  Wert  des 
gezahlten  Geldes  gegeben,  denn  der  subjektive  Wert  des  Geldes  ist 
doch  durch  dessen  Grenznutzen,  also  durch  das  noch  gedeckte 
Bedürfnis  bestimmt,  während  doch  eben  gezeigt  wurde,  daß  die 
andere  Komponente  des  Tauschmotives   durch   das  ungedeckte 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsumwirtschaf t.  401 

Bedürfnis  bestimmt  ist.  Auch  dieser  Unterschied  schien  Lief- 
mann  vorgeschwebt  zu  haben,  denn  er  definiert  die  Geldkosten- 
einheit mit  dem  Nutzen,  den  man  opfert,  den  man  also  nicht  mehr 
erzielt,  und  das  ist  der,  den  man  sich  mit  einer  weiteren 
verfügbaren  Einheit  verschaffen  könnte.  Er  hat  recht, 
wenn  er  die  ungünstige  innere  Verschiebung  infolge  des  Tausches 
nicht  in  dem  letzten  durch  das  Geld  gedeckten  Be- 
dürfnis (wie  die  österreichische  Schule),  sondern  in  dem  ersten 
ungedeckten  Bedürfnis  sucht.  Aber  seine  Formulierung  ist 
nicht  ganz  genau.  Sein  Fehler  soll  an  dem  folgenden,  dem  früheren 
analogen  Beispiel  veranschaulicht  werden. 

T»   ,~  ,  .          Absolute  Intensität  des        -r»    •     j            t»  i  i.«         xt  x 
Bedurnis       Bedürfnisses    (absoluter      ^'^'\^^        Relativer  Nutzen 
(^'^*)               Nutzen  des  Gutes)               ^'^^^^             P"^«  Preiseinheit 
A                             20                                5                         4 
B                               9                                3                         3 
__c 5 2 !!/?____ 

D  2  12 

E  7  4  1% 

F  3  2  1V2 

G  2  21 

Hat  der  Wirtschafter  10  M.,  so  kauft  er  die  Güter  A  bis  C. 
Welches  ist  das  Motiv  des  Kaufes  A?  Die  Differenz  zwischen  der 
Intensität  des  Bedürfnisses  A  und  der  Intensität  der  nicht  gedeckten 
für  den  Preis  des  Gutes  A  zu  beschaffenden  Bedürfnisse.  Also 
A  —  (D  +  E).  Kauft  der  Wirtschafter  kein  A,  so  kann  er  D  +  E 
kaufen.    Der  relative  Nutzen,   den   er  hierbei  erzielen   würde,  wäre 

2  -f-  7 
pro  Einheit  — ^ —  =  IVs?  während  der  Nutzen  „einer  weiteren  ver- 
fügbaren Einheit"  2  wäre.  Wäre  Lief  mann  s  Annahme  richtig,  so 
wäre  der  absolute  Ertrag  des  Kaufes  A  gegeben  durch  die  Formel: 
20 — 5  X  2  =  10,  während  doch  sein  subjektiver  Profit  darin  besteht, 
daß  er  um  den  Preis  des  Gutes  A  (5  Geldeinheiten)  nicht  D  -f-  E 
kauft  mit  9  Nutzeinheiten,  sondern  das  A  mit  20  Einheiten.  Der 
geopferte  Nutzen  macht  hier  nur  9,  der  absolute  Ertrag  im  Lief- 
mannschen  Sinne  daher  11,  nicht  10.  Beim  Nutzen  20  und  Preis  5 
kann  aber  der  Ertrag  11   nur  dann  betragen,  wenn  die  Geldeinheit 

mit  IV5  geschätzt  wird  (20  — 5- IVs-^  20  — ^=20-9  =  11).  Die 

Wertschätzung  der  Geldeinheit  richtet  sich  daher  nicht  nach  dem 
Nutzen,  den  man  sich  mit  einer  weiteren  verfügbaren  Einheit  ver- 
schaffen könnte,  sondern  nach  dem  relativen  Nutzen  einer 
weiter  verfügbaren  so  großen  Geldmenge,  wie  der 
Preis  des  gekauften  Gutes  ist^).  Weil  aber  mit  jeder  weiteren 
Geldmenge  abstufend  nur  ein  geringerer  Nutzen  zu  erzielen  ist,  so 


1)  Denn  ich  habe  in  dem  eben  angeführten  Beispiel  nicht  die  Möglichkeit,  anstatt 
des  Gutes  A  5mal  das  Gut  D  zu  kaufen,  sondern  ich  muß  die  Güter  D  und  E 
kaufen. 

Jahrb.  f  NationalSk.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  26 


402  Karl  Engliß, 

ergibt  sich  daraus  die  sehr  wichtige  Konsequenz,  daß  die  Wert- 
schätzung des  Geldes  als  Kosten  bei  allen  Käufen 
nicht  gleich  ist,  und  bei  Zahlung  größerer  Beträge  ge- 
ringer ist  als  bei  kleineren  Beträgen  (also  bei  Zahlung 
von  100  M.  z.  B.  nicht  hundertmal  höher  ist  als  bei  Zahlung  einer 
Mark),  während  Liefmann  annimmt,  daß  jede  Geldkosten- 
einheit gleich  geschätzt  wird.  Ich  sage  in  der  Regel,  weil 
es  dabei  auf  die  Abstufung  der  Intensität  und  der  Preise  der  nicht 
mehr  gedeckten  Bedürfnisse  ankommt.  Diese  Konsequenz  ist  aber 
nur  für  die  Lief  man  nsche  Ertragslehre  von  Bedeutung. 

Alle  obigen  Ausführungen  waren  erforderlich,  um  einerseits  den 
Irrtum  der  österreichischen  Wertlehre  aufzuzeigen, 
daß  der  subjektive  für  den  Fall  des  Verlustes  kon- 
struierte Wert  ein  zur  Erklärung  des  Kaufes  durch- 
aus ungeeignetes  Instrument  ist,  und  andererseits  um  die 
Liefmannsche  Lehre  in  das  richtige  Licht  zu  stellen. 
Aber  zu  denselben  Schlüssen  kann  man  auch  auf  einem  sehr  ein- 
fachen Wege  kommen. 

Bei  gegebenen  Bedürfnissen,  Preisen  und  Geldvorat,  verwende 
ich  das  Geld  nach  dem  relativen  Nutzen  der  Preiseinheit.  So  er- 
halte ich  eine  Reihe  von  Bedürfnissen,  die  angesichts  der  bestehenden 
Preise  einen  fortschreitend  kleineren  relativen  Nutzen  pro  Preisein- 
heit abgeben.  Davon  decke  ich  die  relativ  nützlichsten  Bedürfnisse, 
bzw.  Kauffälle,  soweit  der  Geldvorrat  reicht.  Bei  jedem  einzelnen 
dieser  Käufe  bringe  ich  mir  zum  Bewußtsein,  wenn  ich  den  Kauf- 
preis zahle,  was  ich  sonst  für  das  Geld  haben  könnte, 
wenn  ich  den  betreffenden  Kauf  nicht  eingehe.  Ich  könnte  dann 
die  relativ  wichtigsten,  aber  ungedeckten  Bedürfnisse 
decken,  die  zusammen  so  viel  Geld  erfordern,  als  der 
betreffende  Kaufpreis  ausmacht.  Ich  entscheide  mich  für 
jenen  Kauf,  der  mir  für  denselben  Preis  einen  größeren  (absoluten 
und,  da  der  Preis  gleich  ist,  auch  relativen)  Nutzen  abgibt.  Ich 
vergleiche  daher  den  Nutzen  des  in  Betracht  kommenden  Kaufes 
mit  den  Nutzen  jener  Käufe,  die  ich  eingehen  würde,  wenn  mein 
Geldvorrat  um  den  Preis  des  ersteren  Kaufes  größer  wäre.  Man 
kann  die  Sache  negativ  auffassen  und  sagen,  daß  das  Kauf  motiv 
durch  die  Intensität  des  Bedürfnisses  des  gekauften 
Gutes  und  die  Intensität  jener  Bedürfnisse  gegeben 
ist,  die  dann  befriedigt  werden  könnten,  wenn  sich 
der  Geldvorrat  um  den  Kaufpreis  vergrößerte. 

Anders  liegt  die  Sache  beim  Opfer  von  Sachgütern.  Die 
Reihe  der  Bedürfnisse,  denen  ein  Vorrat  an  Sachgütern  derselben 
Art  dienen  kann,  ist  durch  die  natürliche  Brauchbarkeit  dieser 
Güter  determiniert.  Können  diese  Güter  einer  größeren  Anzahl  von 
Bedürfnissen  dienen,  als  der  Vorrat  decken  kann,  so  findet  wieder 
die  relativ  nützlichste  Verwendung  statt.  Der  subjektive  Wert  ist 
hier  durch  jenes  Bedürfnis  bestimmt,  welches  den  geringsten  noch 
gedeckten  Nutzen  aufweist.    Es  ist  einerlei,   ob  das  Gut  verloren 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  403 

oder  im  Tausch  abgegeben  wird;  durch  den  Abgang  des  Gutes 
wird  immer  nur  die  durch  die  Beschaffenheit  der  be- 
treff enden  Sachgüter  bestimmte  Bedürfnisreihe  tan- 
giert, und  stets  geht  mir  derNutzen  der  hingegebenen 
oder  verlorenen  Güter  verloren.  Ein  Beispiel  zur  Illustrie- 
rung: Ich  habe  einen  Vorrat  des  Gutes  A  und  zwar  10  Guteinheiten. 
Dieses  Gut  könnte  verschiedenen  Bedürfnissen  nach  seiner  Beschaffen- 
heit dienen,  z.  B.  den  Bedürfnissen  AI,  A  2,  A  3  bis  A  7.  Diese 
Bedürfnisse  sind  verschieden  nach  ihrer  Gesamtintensität  sowie  auch 
danach,  wieviel  Gütermengen  sie  in  Anspruch  nehmen,  z.  B.: 

Absolute  Gesamtintensität  ^  .     ,       .  Relativer  Nutzen 

Bedürfnis  (absoluter  Nutzen  der  Be-  ^...      •  i    -x  der 

^  ü  •  j'         \  an  Gutereinheiten  ^...  , 

fnedigung)  Guterverwendung 

AI  10  2  5 

A  2  4  I  4 

A3  9  3  3 

A4 8 4 2 

Ä5  9  5  ^s 

A6  3  2  iV, 

A7  I  II 

Die  10  Gütermengen  des  Gutes  A  werden  also  den  Bedürfnissen 
A  1  bis  A  4  gewidmet. 

Außerdem  habe  ich  ein  offenes  Bedürfnis  B  mit  einer  absoluten 
Intensität  von  10.  Das  Gut  B  ist  im  Tausche  für  4  Gütereinheiten 
des  Gutes  A  erhältlich.  Ich  werde  den  Tausch  eingehen,  weil  ich 
mit  den  letzten  4  Stück  A,  die  dem  Bedürfnis  A  4  dienen,  bei  dieser 
Verwendung  nur  8  Nutzeneinheiten,  also  2  pro  Gütereinheit  erziele, 
während  ich  für  dieselben  4  Stück  A  im  Tauschwege  den  Nutzen  B 
von  10  Intensitäten  erhalten  kann,  also  ^''/^  =  2V2  pro  Gütereinheit. 
Was  ist  hier  das  Tauschmotiv?  B  —  A4I  A4  ist  aber  der  subjektive 
Wert  von  4  Stück  des  Gutes  A  (von  eventuellem  kleineren  Ar- 
beitsleid sehen  wir  ab). 

Die  Wertschätzung  des  Sachgutes  als  Kosten  war 
hier  durch  das  gedeckte,  beim  Geld  als  Kosten  durch  das 
ungedeckte  Bedürfnis  bestimmt.  Das  kommt  davon,  daß 
beim  Kauf  das  gekaufte  wie  das  ungekaufte  Gut  (bzw.  Bedürfnis) 
in  derselben  Reihe  der  relativen  Nützlichkeit  standen, 
so  daß  die  Hingabe  des  Geldes  beim  Kauf  nur  eine  Verschiebung 
in  derselben  Reihe  zur  Folge  hatte,  während  hier  eine  Ver- 
schiebung zwischen  zwei  verschiedenen  Reihen  A  und 
B  (man  könnte  auch  das  Bedürfnis  mehrerer  Güter  voraussetzen) 
platzgreift.  Gerade  wie  beim  Geld  könnte  man  auch  hier  nachweisen, 
daß  die  Wertschätzung  der  Gütereinheit  als  Kosten  wieder  nicht 
durch  die  nächstverfügbare  Gütereinheit,  bzw.  den  durch 
dieselbe  erhältlichen  Nutzen,  sondern  durch  den  relativen  Nutzen 
aller  im  Tausch  hingegebenen  Güter  gegeben  ist.  Daraus 
ergibt  sich  die  weitere  wichtige  Konsequenz,  daß  diese  Wert- 
schätzung mit  der  Menge  der  im  Tausch  hinzugebenden 

26* 


404  ^^1*^  Englifi, 

Gütereinheiten  steigt,  denn  sukzessiv  müssen  diese  Güter- 
einheiten relativ  nützlicheren  Verwendungsmöglichkeiten  entzogen 
werden.  Die  subjektive  Wertschätzung  des  Opfers  an  Sachgütern 
aus  dem  Vorrat  ist  daher  nicht  immer  gleich,  wie  Lief  mann  an- 
nimmt. 

f)  Die  Liefmannsche  Wertschätzung  der  Geld-  und  Sachgüter- 
kosteneinheit  erscheint  uns  in  dieser  Beleuchtung  als  eine  mindestens 
so  feine  Konstruktion,  wie  der  subjektive  Wert  der  österreichischen 
Wertlehre.v  Lief  mann  braucht  diese  Konstruktion,  um  die  Höhe 
des  subjektiven  Ertrages  beim  Tausch  und  Kauf  zu  ermitteln  und 
somit  zu  dem  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  bei  der  Geld- 
verwendung in  der  Konsumwirtschaft  zu  gelangen.  Nun  haben  wir 
gesehen,  daß  die  diesbezüglichen  Thesen  Liefmanns  in  mancher 
Hinsicht  einer  Korrektur  bedürfen.  So  haben  wir  nachgewiesen,  daß 
sich  die  Reihe  der  sukzessiv  vorzunehmenden  Käufe  nicht  nach 
dem  Ertrag,  sondern  nach  dem  relativen,  auf  die  Preis- 
einheit bezogenen  Nutzen  richtet,  genauer,  daß  das  Wirt- 
schaftssubjekt nicht  den  Ertrag,  sondern  lediglich  den  erwähnten 
relativen  Nutzen  bei  seiner  Geldverwendung  im  Auge  hat.  Es  kann 
aber  immerhin  möglich  sein,  daß  —  wenn  es  auch  vom  Wirtschafter 
nicht  respektiert  wird  —  sich  dennoch  im  nachhinein  theoretisch 
nachweisen  läßt,  daß  die  Reihe  des  Ertrages,  wenigstens  des  relativen 
Ertrages,  mit  jener  des  relativen  Nutzens  parallel  geht,  bzw.  sich  aus 
der  letzteren  ableiten  läßt.  Selbst  das  wäre  genügend  zur  Begründung 
des  Gesetzes  des  Grenzertragausgleiches.  Wir  müssen  daher  vor 
allem  untersuchen,  was  sich  aus  der  Reihe  des  relativen  Nutzens 
der  Kosteneinheit  für  den  relativen  Ertrag  ableiten  läßt.  Der  Er- 
trag ist  die  Differenz  zwischen  Nutzen  und  Kosten.  N(utzen)  — 
K(osten)  =  E(rtrag).  Wenn  Lief  mann  vom  Ertrag  bei  der  Geld- 
verwendung in  der  Konsumwirtschaft  spricht,  so  meint  er,  wie  ge- 
zeigt wurde,  den  relativen,  aber  nicht  auf  Preiseinheit,  sondern  den 
auf  Kosteneinheit   (subjektive   Kosten)   bezogenen   Nutzen.     Dieser 

N 
relative  Nutzen  ist  durch  die  Formel  ^  gegeben.    Der  relative  Er- 

N  — K 

trag  wäre  — ^^ — .  Da  hier  der  relative  Nutzen  aus  denselben  Kom- 
ponenten gebildet  ist,  wie  der  relative  Ertrag,  so  muß  die  Kauf- 
reihe des  absteigenden  relativen  Nutzens  der  Kosten- 
einheit mit  jener  des  relativen  Ertrages  zusammen- 
fallen. Der  relative  Nutzen  und  der  relative  Ertrag  ist  hier  aber 
stets  auf  die  subjektive  Kosteneinheit  bezogen.  Nun  haben  wir  aber 
wieder  nachgewiesen,  daß  die  Käufe  in  der  Konsumwirtschaft  zwar 
nach  dem  relativen  Nutzen,  aber  bezogen  nicht  auf  die  Einheit 
der  subjektiven  Kosten,  sondern  auf  die  Preiseinheit  (also 
technische   Geldeinheit  1),  erfolgen  0,  und  es  fragt  sich  nun,  ob  die 

1)  Daß  der  relative  Ertrag  auf  die  Preiseinheit  nicht  bezogen  werden  kann,  liegt 
auf  der  Hand.  Den  technlscheu  Preis  kann  man  dem  subjektiven  Nutzen  nicht  als 
Kosten  gegenüberstellen. 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  405 

nach  diesem  Prinzip  gebildete  Kaufreihe  mit  jener  zusammenfällt, 
die  nach  dem  relativen  Nutzen  (bzw.  Ertrag),  bezogen  auf  die  Kosten- 
einheit, gebildet  ist.  Wenn  die  Güter  und  Geldeinheiten 
als  Opfer  alle  gleich  geschätzt  würden,  so  wäre  es  der 

N 
Fall,  weil  zwar  eine   Reihe  nach   der  Formel  ^. — r-^  und   die  an- 

'  P(reis) 

N 
dere  nach    der  Formel  ^  gebildet  wäre,  aber  zwischen   dem  ziffer- 

mäßigen  Ausdruck  von  Preis  und  subjektiven  Kosten  eine  ständige 
Relation  bestünde.  Würde  man  z.  B.  die  Geldeinheit  mit  x  subjek- 
tiven   Intensitäten    schätzen,    so    könnte    die    zweite    Formel    auch 

N 

:pi-  lauten,  wobei  das  x  ein  unveränderlicher  Koeffizient  ist.  Der 
Px  ' 

relative  Nutzen  würde  dann  bezogen,  auf  die  Kosteneinheit,  xmal 
kleiner  oder  größer  erscheinen,  als  wenn  der  Nutzen  auf  die  Preis- 
einheit bezogen  wäre,  dies  ■  jedoch  bei  allen  Gliedern  der  Kauf- 
reihe, so  daß  die  Sukzession  der  Reihe  die  nämliche  bliebe,  ganz 
einerlei,  ob  der  relative  Nutzen  auf  die  Preiseinheit  oder  auf  die 
Kosteneinheit  bezogen  wird.  Dann  könnte  man  sagen,  daß  der  Wirt- 
schafter zwar  nach  dem  relativen  auf  die  Preiseinheit  bezogenen 
Nutzen  vorgehe,  daß  aber  sein  Vorgang  ein  Ergebnis  aufweist,  in 
welchem  mit  dem  relativen  auf  Preiseinheit  bezogenen  Nutzen 
der  auf  Kosteneinheit  bezogene  Nutzen  (und  Ertrag)  parallel  geht. 
Indes  haben  wir  aber  weiter  nachgewiesen,  daß  bei  gegebenem 
Vorrat  die  Wertschätzung  aller  beim  Kauf  und  Tausch 
geopferten  Geld-  und  Sachgütereinheiten  nicht  gleich 
ist,  sondern  daß  diese  Wer tschätzung  der  Einheit  mit 
der  Menge  der  auf  einmal  geopferten  Einheiten  beim 
Geld  (in  der  Regel)  sinkt  und  bei  Sachgütern  (in  der 
Regel)  steigt.  Dann  braucht  aber  die  Kaufreihe  nach  dem  rela- 
tiven auf  die  Preiseinheit  bezogenen  Nutzen  mit  jener  nach  dem 
relativen  auf  die  Kosteneinheit  bezogenen  Nutzen  nicht  zusammen- 
zufallen, wie  das  folgende  Beispiel  zeigt: 

Bedürfnis       Absolute  Intensität  des  Bedürfnisses      p  .  .        Relativer  Nutzen  pro 
(Gut)  (absoluter  Nutzen  des  Gutes)  *®^^         Einheit  des  Preises 

A  50  5  10 

B  180  20  9 

C  80  10  8 

E  6  10  0,6 

F  0,26  5  0,05 

Der  Wirtschafter,  der  35  Geldeinheiten  zur  Verfügung  hat,  wird 
die  Güter  A,  B,  C  kaufen.  Der  Nutzen  des  Gutes  A  ist  50,  die 
Kosten  sind  im  Sinne  Liefmanns  der  Nutzen,  der  geopfert  wird. 
Würde  der  Wirtschafter  A  nicht  kaufen,  so  könnte  er  D  kaufen 
und  damit  um  denselben  Preis  einen  Nutzen  von  5  erzielen,  für  eine 
Geldeinheit  daher  5:5  =  1.  Die  Wertschätzung  der  Geldeinheit 
beim  Kauf  ist  gleich  einer  Nutzenintensität.  Er  kauft  aber  beim 
Gut  A  50  Nutzenintensitäten  um  5  Kosteneinheiten,  daher  10  Nutzen- 


406  K»«*!  EngliR, 

Intensitäten  pro  Kosteneinheit  im  subjektiven  Sinne.  Kauft  er  B 
nicht,  so  kann  er  D,  E  und  F  kaufen,  und  erzielt  dabei  um  den- 
selben  Preis   (20)   einen   Nutzen   von   11,25,   daher  pro   Geldeinheit 

'         Kauft  er  das  Gut  B,  so  gewinnt  er  einen  Nutzen  von  180 


für  20  •    elf^    Kosten,  also  für  11,25  geopferte  Nutzenintensitäten,  daher 


20 

11^5 

20 

16  pro  Einheit  der  Kosten.  Analog  könnte  man  für  den  Kauf  C 
berechnen,  daß  hier  der  Nutzen  pro  Kosteneinheit  15  beträgt  ^).  Der 
relative  Nutzen  der  Käufe  A,  B,  C  zeigt  daher  eine  andere  Reihen- 
folge, wenn  er  pro  Preiseinheit,  als  wenn  er  pro  Kosteneinheit  be- 
rechnet wird,  nämlich: 

Relativer   Nutzen  Relativer  Ertrag  pro  Einheit 

pro  Preiseinheit     pro  Einheit  der  subjekt.  Kosten         der  subjektiven  Kosten 
A                  lo                                          10  9 

B  9  i6  15 

C  8  15  14 

Hier  geht  die  Reihe  des  relativen  Nutzens  der  Preiseinheit  und 
der  Kosteinheit  ganz  auffallend  auseinander.  Man  kann  also  nicht 
sagen,  daß  —  wenn  der  Wirtschafter  auch  wissentlich 
nur  nach  dem  relativen  Nutzen  der  Preiseinheit  vor- 
geht —  er  tatsächlich  dennoch,  wenn  auch  unwissentlich, 
den  relativen  Nutzen  und  infolgedessen  den  mit  dem- 
selben parallel  gehenden  relativen  Ertrag  derKosten- 
einheitverfolge.  Dann  sind  aber  alle  weiteren  Schlüsse, 
welche  aufderletzterenAnnahme  bauen,  nicht  haltbar, 
namentlich  auch  das  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenz- 
erträge. Ob  und  inwiefern  etwa  ein  analoges  Gesetz  über  den 
relativen  Nutzen  der  Preiseinheit  besteht,  bleibe  vorderhand  dahin- 
gestellt. Sieht  man  aber  auch  diesen  Ausführungen  genauer  zu,  so 
überzeugt  man  sich  bald  davon,  daß  auch  Lief  mann  eigentlich, 
wenn  auch  unbewußt,  nicht  einmal  mit  dem  relativen  Nutzen  der 
Kosteneinheit,  sondern  tatsächlich  mit  dem  relativen  Nutzen 
der  Preiseinheit  operiert.  Denn  was  ist  seine  Wertschätzung 
der  Geldeinheit  als  Kosten  ?  Das  ist  der  für  eine  weiter  verfügbare 
Geldeinheit  zu  erzielende  Nutzen  I 

Machen  wir  nun  eine  Ertragsrechnung :  Der  für  eine  weiter  ver- 
fügbare Geldeinheit  erhältliche  Nutzen  sei  Nn.  Es  handelt  sich  um 
den  Kauf  des  Gutes  A,  das  einen  Nutzen  Na  verspricht,  und  um 
P(reis)   auf  dem   Markte    zu  haben  ist.    Dann  ist  der  Ertrag  des 

rr  i!  A  ^  r  '  ^  T-  xT  T>  Nn  ,  Ea  Na  Nn 
Kaufes  A  nach  Lief  mann:    Ea  =  Na — P*^  oder-p-  =  -p f"- 

Aus  der  Lief  mannsc  hen  Ertragsformel  läßt  sich  daher 


1)   Aehnlich  könnte  man  auch  den  relativen  Ertrag  der  Kosteneinheit   berechnen, 

z.  B.   beim  Gut  A:    Nutzen  =  50;    Kosten  =  öX^  =  5;    Ertrag   50—5  =  45;    re- 

45 
lativer  Ertrag  der  Kosteneinheit:  —  =  9  etc. 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  407 

unmittelbar  der  relative  Ertrag  der  Preiseinheit  ab- 
leiten und  in  Größen  ausdrücken,  die  nichts  anderes 
sind  als  relativer  Nutzen  zweier  Käufe,  bezogen  auf 
die  Preiseinheit. 

Nun  fehlt  aber  Liefmann,  wie  oben  nachgewiesen  wurde, 
darin,  daß  er  die  Wertschätzung  nach  dem  relativen  Nutzen  einer 
weiter  verfügbaren  Geldeinheit  bemißt;  richtig  sollte  er  die  Wert- 
schätzung nach  dem  relativen  Nutzen  bestimmen,  der  für  den  weiter 
verfügbaren  Preis  des  Grutes  A,  also  für  P-Geldeinheiten  zu  haben 

wäre.    Dieser  Nutzen  sei :  Np.    Dann  zeigt  sich:  Ea  ==  Na p-^, 

oder  Ea  =  Na — Np.    Diese  Formel  bestätigt  die  obige  Behauptung 

über  das  Kaufmotiv.    Der  relative  Nutzen  der  Kosteneinheit  wäre: 

Na  Na 

oder ^^.  Der  relative  Ertrag  pro  Kosteneinheit  imLiefmann- 


p  Np  —  Np 

^'  p 

N^a— N^D         N"a 

sehen  Sinne  wäre:  ^^-^  =  ^^^ 1^).    Alle  diese  Formeln 

p  Np  Np  ^ 

^'  p 
lassen  sich,  wie  ersichtlich,  auf  zwei  Nutzgrößen 
zurückführen.  Die  Gesetze  der  Geldanwendung  in  der  Konsum- 
wirtschaft lassen  sich  also  ohne  den  Kostenertragsbegriff 
finden.  Der  Liefmannsche  Kosten-  und  Ertragsbegriff  erweist 
sich  dabei  als  eine  künstliche  Konstruktion  und  künst- 
liche Anwendung  des  relativen  Nutzens  der  Preis- 
einheit. 

Es  ist  übrigens  fraglich,  ob  man  bei  einem  Kauf  von  einem 
Ertrag  im  Lief  mann  sehen  Sinne  überhaupt  reden  sollte.  Habe 
ich  bei  gegebenen  Bedürfnissen  und  Preisen  einen  Geldvorrat,  so 
liegt  der  Fall  nicht  anders,  als  wenn  ich  die  Ermächtigung  hätte, 
vom  Markt  beliebige  Waren  davonzutragen,  deren  Gesamtpreis  nicht 
höher  ist  als  eine  bestimmte  Anzahl  von  Geldeinheiten.  Aus  den 
unerschöpflichen  Warenarten  werde  ich  wählen,  ohne  über- 
haupt etwas  hinzugeben.  Woher  die  Ermächtigung  ist,  kommt 
nicht  in  Betracht,  weil  wir  auch  beim  Geldvorrat  nicht  danach  ge- 
fragt haben.  Es  kann  auch  eine  schenkungsweise  Ermächtigung  sein. 
Sagt  mir  nun  jemand:  Ich  schenke  dir  von  zwei  konkreten  Sachen 
eine,  und  ich  wähle  eine,  kann  man  da  von  Kosten  und  Ertrag 
sprechen,  oder  gar  sagen,  daß  der  Nutzen  des  nicht  gewählten  Gutes 
Kosten,  und  jener  des  gewählten  Gutes  Nutzen,  deren  Differenz  dann 
den  Ertrag  darstellt  ?  Aber  bei  der  Geldanwendung  in  der  Konsum- 
wirtschaft liegt  der  Fall   ganz  gleich.    Darüber  jedoch  noch  später. 

g)  Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge 
bei  der  Geldverwendung  in  der  Konsumwirtschaft  hat  den  Zweck, 
die  Nachfrage  nach  Gütern  verschiedener  Gattung  zu 

1)  Hierzu  vergleiche  das  letzte  Beispiel  (S.  406),  wo  der  relative  Ertrag  der 
Kosteneinheit  stets  um  1   kleiner  erscheint   als   der  relative  Nutzen  der  Kosteneinheit. 


408  Ka^l  EngliS, 

erklären.  Der  Grenzertrag  ist  der  mit  der  letzten  auf  jede  Be- 
dürfnisart aufgewendeten  Kosteneinheit  erzielte  Nutzentiberschuß, 
also  Ertrag.  Dieser  Grenzertrag  gleicht  sich  bei  allen  Bedürfnis- 
arten aus. 

Nun  haben  wir  oben  nachgewiesen,  daß  die  Geldverwendung  in 
der  Konsum  Wirtschaft  nicht  nach  dem  Ertrag,  auch  nicht 
nach  dem  relativen  Nutzen  oder  Ertrag  der  Kosten- 
einheit, sondern  nach  dem  relativen  Nutzen  der  Preis- 
einheit erfolgt.  Die  in  diesem  Sinne  relativ  nützlichsten  Käufe 
werden  realisiert,  soweit  der  Geldvorrat  reicht.  Die  mit  einem 
weiteren  Geldvorrat  realisierbaren  Käufe  wären  schon  relativ  minder 
nützlich.  In  beiden  Teilen  dieser  Kaufreihe,  in  dem  durch  das  Geld 
gedeckten  wie  in  dem  nicht  mehr  gedeckten,  finden  wir  Bedürfnisse» 
die  ganz  befriedigt  werden  oder  ganz  unbefriedigt  bleiben,  sowie 
auch  dieselben  Bedürfnisarten,  die  teilweise  befriedigt  werden,  teil- 
weise ungedeckt  sind.  Wir  müssen  wohl  zwischen  Bedürfnissen 
unterscheiden,  die  durch  ein  einziges  Gut,  das  unteilbar  ist,  voll  be- 
friedigt werden,  und  solchen,  die  auch  eine  teilweise  und  sukzessive 
Befriedigung  gestatten.  Diese  letzteren  können,  je  nach  dem  relativen 
Nutzen  der  sukzessiv  gekauften  Gütereinheiten,  in  beiden  Teilen  der 
Kaufreihe  erscheinen ;  ihre  Befriedigung  wird  abgebrochen,  wenn  die 
weitere  Gütereinheit  einen  geringeren  relativen  Nutzen  aufweist,  als 
der  letzte  gedeckte  Kauf.  Der  relative  Nutzen  der  Preiseinheit  des 
letztgedeckten  Kaufes  bildet  eine  Grenze.  Kein  gedeckterKauf 
kann  einen  geringeren  relativen  Nutzen  als  diesen 
aufweisen,  kein  ungedecktes  Bedürfnis  kann  einen 
größeren  relativen  Nutzen  versprechen.  Sofern  die  Be- 
dürfnisse eine  sukzessive  Befriedigung  gestatten,  so  werden  alle  bis  zu 
dieser  Grenze  befriedigt,  und  die  relativen  Nutzen,  die  sie  über  diese 
Grenze  hinaus  versprechen,  können  zwar  verschieden,  aber  nicht 
größer  sein,  als  der  letztgedeckte  Nutzen  der  Preiseinheit.  Nennen 
wir  den  relativen,  beim  letztgedeckten  Kauf  erzielten  Nutzen  pro 
*  Geldeinheit,  den  relativen  Mindestnutzen  der  Preisein- 
heit ^),  so  können  wir  analog  wie  Liefmann  von  dem  Gesetz 
des  Ausgleiches  des  relativen  Mindestnutzens  der 
Preiseinheit  sprechen.  Diesen  relativen  Mindestnutzen  der  Preis- 
einheit hat  wahrhaft  der  Wirtschafter  im  Auge,  wenn  er  die  ver- 
schiedenen Käufe  vornimmt.  Bei  jedem  Kauf  vergegenwärtigt  er 
sich  nicht  etwa  die  ganze  Kaufreihe,  sondern  nur  das,  was  er  kauft, 
und  was  er  sonst  für  dasselbe  Geld  kaufen  könnte.  Dazu  muß  er 
aber  notwendig  die  durch  das  Geld  gedeckte  Reihe  der  relativen 
Nutzen  kennen;  er  braucht  sie  aber  nicht  bei  jedem  Kauf  zu  kon- 
struieren. Er  weiß  erfahrungsgemäß  bei  regelmäßigen  Einkünften, 
welche  wichtigsten  Bedürfnisse  er  durch  dieselben  zu  decken  hat,  so- 
mit auch  die  Grenze  der  Geldanwendung.  Wenn  man  aber  z.  B.  in 
ein   ganz  fremdes  Land   mit  unbekannten  Preisverhältnissen  käme, 


1)  Zum  Unterschied  von  dem  Grenznutzen  der  subjektiven  Wertlehre, 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  409 

SO  müßte  man  —  um  mit  einem  Geldvorrat  durch  eine  bestimmte 
Zeit  auszubauen  —  einen  Entwurf  der  Kaufreihe  nach  dem  relativen 
Nutzen  machen. 

Die  Erklärung  der  Geldverwendung  in  der  Konsumwirtschaft 
durch  den  relativen  Nutzen  der  Preiseinheit  ist,  abgesehen  von  ihrer 
Richtigkeit,  auch  viel  einfacher.  Die  künstliche  Konstruktion  des 
Ertrages  der  Kosteneinheit  ist  hingegen  entbehrlich  und  nicht  ein- 
wandfrei. 

h)  Zusammenfassend  kann  man  also  sagen: 

Lief  mann  sieht  richtig,  daß  der  subjektive  Wert  kein  ge- 
eignetes Instrument  ist,  die  Geldverwendung  in  der  Konsumwirt- 
schaft und  überhaupt  den  Kauf  zu  erklären.  Es  bleibt  ferner  sein 
Verdienst,  daß  er  nachgewiesen  hat,  daß  die  Bedürfnisse  nicht  nach 
ihrer  absoluten  Wichtigkeit  befriedigt  werden,  wodurch  auch  die 
subjektive  Wertlehre  eine  Korrektur  erfährt.  In  der  Erklärung  der 
Geldverwendung  in  der  Konsumwirtschaft  kommt  er  der  Wahrheit 
außerordentlich  nahe.  Er  wählt  zu  dieser  Erklärung  ein  gleich  künst- 
liches Instrument,  wie  es  der  subjektive  Wert  ist,  nämlich  den  re- 
lativen Ertrag  der  Kosteneinheit.  Dabei  verfällt  er  in  einen  me- 
thodischen Irrtum;  er  verwechselt  den  relativen  Nutzen  mit  dem 
Ertrag,  er  definiert  die  Wertschätzung  der  Geldeinheit  nicht  ganz 
richtig,  er  hält  sich  aber  in  seinen  Beispielen  nicht  einmal  an  diese 
Definition.  So  bestätigen  zwar  seine  Beispiele  die  von  ihm  aufge- 
stellten Lehrsätze,  die  sich  aber  nach  Aufdeckung  des  Irrtums  in  der 
Lief  mann  sehen  Form  nicht  halten  lassen.  Die  Geldverwendung 
in  der  Konsumwirtschaft  läßt  sich  richtig  und  viel  einfacher  durch 
den  relativen  Nutzen  der  Preiseinheit  erklären.  An  Stelle  des  Aus- 
gleiches der  Grenzerträge  tritt  das  Gesetz  des  Ausgleiches  der  re- 
lativen Mindestnutzen  der  Preiseinheit.  In  der  Tat  lassen  sich  auch 
die  komplizierten  Lief  mann  sehen  Formeln  aus  dem  relativen  Nutzen 
der  Preiseinheit  erklären.  Der  Kern  der  Lief  mann  sehen  Lehre 
bleibt  richtig  und  wahr,  ihre  Formulierung  und  methodische  Be- 
gründung ist  nicht  stichhaltig,  sie  muß  vereinfacht  und  verbessert 
werden. 

m.  Die  Yerwendung  der  Arlbeitsmühe  in  der  Konsumwirtsehaft. 

Lief  mann  veranschaulicht  und  begründet  seine  diesbezüg- 
lichen Lehrsätze  durch  das  folgende  Beispiel: 

„Für  die  3  Bedürfnisse  wollen  wir  also  pro  Einheit  folgende 
abnehmende  Nutzenskala  aufstellen: 


10  8  5 

844 
6  2  3 

4  I  2 

201 
o  o 


410  Karl  EngliS, 

„Diese  Bedarfsempfindungen  oder  Nutzenschätzungen  sollen  nun 
befriedigt  werden  können  in  der  Weise,  daß  A  und  B  je  zwei 
Arbeitsstunden  pro  Einheit  erfordert,  C  aber  eine  Arbeitsstunde. 
Wir  sagten  erfordert  und  nicht  kostet,  denn  zwei  Arbeitsstunden, 
bzw.  eine  Arbeitsstunde  sind  nicht  die  Kosten  im  wirtschaftlichen 
Sinne  .  .  .  ."  „  .  .  .  .  Für  die  wirtschaftliche  Aufgabe,  die  aber 
nicht  in  der  Herstellung  des  Gutes  besteht,  wie  die  bisherige 
Theorie  es  auffaßt,  sondern  in  der  Vergleichung  der  Erträge,  sind 
nicht  zwei  Arbeitsstunden  die  Kosten,  sondern  die  Schätzung  von 
zwei  Arbeitsstunden,  die  Bewertung  der  damit  verbundenen  Unlust- 
gefühle.  Diese  sind  aber  hinsichtlich  ihrer  Stärke  nicht  absolut  ge- 
geben, sondern  sind  schwankend  und  haben  nur  das  Charakteristische, 
daß  sie  mit  weiterer  Aufwendung  an  Stärke  zunehmen  .  .  ." 

„Um  diese  verschiedene  Schätzung  der  Kosteneinheit  hervortreten 
zu  lassen,  wollen  wir  annehmen,  daß  der  Wirtschafter  die  erste 
Stunde  Arbeit  am  niedrigsten,  nämlich  =  1  schätzt,  jede  folgende 
Arbeitsstunde  um  1  höher.  Es  sind  also  die  Kosten  der  ersten 
Arbeitsstunde  =  1,  die  Kosten  der  zwei  ersten  Arbeitsstunden  =  3 
(nämlich  1  +  2),  die  Kosten  von  drei  Arbeitsstunden  =  6  (nämlich 
1  +  2-1-3),  von  vier  Arbeitsstunden  =  10  usw.  .  .  ." 

„Wenn  wir  nun  die  Kosten,  also  wiederum  nicht  die  Arbeits- 
stunden, sondern  ihre  Schätzung,  den  Nutzenschätzungen  gegenüber- 
stellen, so  kommen  wir  zur  Frage:  Wie  wird  der  wirtschaftliche 
Mensch  handeln?  Er  wird,  wie  wir  wissen,  den  zu  erzielenden 
Nutzen  mit  in  den  Kauf  zu  nehmenden  Kosten  vergleichen  und 
seine  Tätigkeit  da  beginnen,  wo  das  Verhältnis  beider,  der  Ertrag, 
am  günstigsten  ist." 

„Er  wird  also  zuerst  sich  C  1  schaffen,  das  ihm  einen  Nutzen 
von  Stärke  5  bringt,  ihm  aber  nur  Kosten  von  Höhe  1  verursacht. 
Sein  Ertrag  ist  also  5  pro  Einheit  ....  Könnte  der  Wirtschafter 
nicht  geradeso  gut  oder  sogar  richtiger  A  1  herstellen,  das  er  doch 
doppelt  so  hoch  wie  C  1  schätzt  und  das  nur  zwei  Stunden  Arbeit 
erfordert  ?  Ja,  wenn  der  Wirtschafter  die  zweite  Stunde  Arbeit  nur 
geradeso  als  Unlustgefühl  bewertete  wie  die  erste,  hätte  er  zwischen 
A  1  und  C  1  die  Wahl.  Denn  A  1  schätzt  er  10,  es  kostete  ihm 
dann  2,  sein  Ertrag  wäre  also  auch  wiederum  5  pro  Kosteneinheit. 
Aber  er  empfindet  eben  die  zweite  Arbeitsstunde  schon  stärker  als 
Unlustgefühl  als  die  erste,  doppelt  so  stark,  nämlich  =  2,  die  beiden 
ersten  Arbeitsstunden  erzeugen  ihm  also  ein  Unlustgefühl  =  3,  und  das 
Verhältnis  von  Nutzen  und  Kosten  ist  daher  bei  A  1  wie  10 : 3,  der 
Ertrag  also,  der  Ueberschuß  von  Nutzen  über  die  Kosten  =  3V8  pro 
Kosteneinheit  ..." 

„Wenn  der  Wirtschafter  sich  also  zuerst  mit  Aufwand  einer 
Arbeitsstunde  und  den  Kosten  von  1  einen  Nutzen  von  5  verschafft 
hat,  während  er  bei  A  1  zwar  einen  Nutzen  von  10,  aber  mit  Kosten 
von  3  erzielt  hätte,  wie  setzt  er  nun  seine  Tätigkeit  fort?  Worauf 
verwendet  er  die  zweite  und  eventuell  die  dritte  Arbeitsstunde,  die 
er  jede  für  sich  =  2  bzw.  3,  zusammen  also  =  5  schätzt? 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  411 

Bei  C  2  beträgt  der  zu  erzielende  Nutzen  4,  die  Kosten  sind 
2,  der  Nutzen  beträgt  also  =  2  pro  Kosteneinheit. 

Bei  A  1  beträgt  der  zu  erzielende  Nutzen  10,  die  Kosten  5,  der 
Nutzen  ist  also  auch  =  2  pro  Kosteneinheit. 

Er  könnte  also  sowohl  C  2  als  A  1  mit  gleichem  Ertrage  an 
2.  Stelle  herstellen.  Vielleicht  würde  er  C  2  vorziehen,  das  ihm  ja 
schon  nach  einer  weiteren  Stunde  einen  Nutzen  gewährt,  während 
er  bei  A  1  ihn  erst  nach  zwei  Stunden  erhält.  Aber  er  wird  finden, 
daß,  wenn  er  sich  an  2.  Stelle  A  1  schafft,  er  in  der  vierten  Stunde 
überhaupt  kein  Gut  mehr  hat,  das  ihm  die  Kosten,  die  mit  der  vierten 
Arbeitsstunde  verbunden  sind,  deckt.  Stellt  er  sich  aber  in  der  zweiten 
Stunde  C  1  her,  so  kann  er  in  der  dritten  und  vierten  immer  noch  wirt- 
schaftlicherweise sich  A  1  beschaffen.  Der  Nutzen  von  A  1  ist 
nämlich  10,  die  Kosten  der  Herstellung  sind  in  der  dritten  und  vierten 
Arbeitsstunde  3  +  4—7,  der  Nutzen  pro  Kosteneinheit,  der  Ertrag, 
also  =  1%.  Damit  ist  aber  dann  die  wirtschaftliche  Tätigkeit  be- 
endet. Denn  jede  folgende  Arbeitsstunde  würde  dem  Wirtschafter 
bei  keinem  der  3  Güter  mehr  einen  die  Kosten  übersteigenden  Nutzen 
liefern.  ..."  ^). 

Daß  hier  Lief  mann  wieder  den  relativen  Nutzen  der 
Kosteneinheit  (im  subjektiven  Sinne)  mit  dem  Ertrag  ver- 
wechselt, braucht  wohl  nicht  mehr  auseinandergesetzt  zu  werden. 
Für  die  Verwendung  der  Arbeitsmühe  ist  hier  wieder  für  Liefmann 
nicht  der  Ertrag,  sondern  der  relative  Nutzen,  be- 
zogen auf  die  Einheit  der  subjektiven  Kosten,  maßgebend. 
Wenn  wir  uns  vorderhand  ganz  auf  den  Standpunkt  Liefmanns 
stellen,  daß  man  bei  jedem  Akt  das  günstigste  Verhältnis  von  Nutzen 
zu  den  Kosten  anstrebt,  so  gilt  dieser  Satz  offenbar  nicht  bloß 
für  die  einzelne  Arbeitsanwendung,  sondern  auch  für 
die  gesamte  Arbeitsanwendung;  das  Wirtschaftssubjekt  will 
auch  bei  seiner  ganzen  Arbeitsanwendung  das  möglichst  günstigste 
Verhältnis  vom  Gesamtnutzen  zu  den  Gesamtkosten  erreichen.  Das 
Ergebnis,  zu  welchem  Liefmann  gelangt,  entspricht 
aber  diesem  Postulate  nicht.  Liefmann  glaubt,  daß  das 
Wirtschaftssubjekt  dieses  günstigste  Verhältnis  des  Gesamtnutzens 
zu  den  Gesamtkosten  dann  erzielt,  wenn  es  seine  Arbeit  zur  Her- 
stellung der  Güter  Gl,  C  2  und  A  1  verwendet.  Ist  es  wahr? 
Wollen  wir  es  nachrechnen. 

Herstellung       Absoluter       Arbeits-       Subjektive    Absoluter  ,  °^  subiektiven 

des  Gutes  Nutzen  stunden  Kosten  Ertrag  ^^     ^  KoetMi 

C  1  5  erste  14  5 

C  2  4  zweite  22  2 

AI  10       dritte  u. vierte  7  3  i,28 


Zusammen  19  4  10  9  1,9 

Demgegenüber    wollen    wir   annehmen,    daß   das   Wirtschaftssubjekt 
kein  C  2,  sondern  nur  C  1  und  A  1  herstellt.    Dann  ergibt  sich : 


1)  Das  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge,  S.  20  ff. 


412  Ka'^  BngliS, 

,    .  r,  1  .  1   .         .1     1  .        Verhältnis  des  Nutzens 

Herstellung      Absoluter        Arbeits-        Subjektive    Absoluter        ^^  ^^^  subjektiven 
des  Gutes         Nutzen  stunden  Kosten  Ertrag  Kosten 

C  1  5  erste  i  4  5 

AI  10         zweite  u.  dritte  5  5  2 

Zusammen  15  3  69  2,5 

Der  absolute  Ertrag,  also  die  positive  Verschiebung  der  Lust- 
und  Unlustgefühle  ist  in  beiden  Fällen  gleich  groß  (9  Intensitäten). 
Aber  der  absolute  Ertrag  ist  nicht  entscheidend,  sondern  das  Ver- 
hältnis von  Nutzen  zu  den  Kosten  (mit  welchem  auch  das  Verhältnis 
des  Ertrages  zu  den  Kosten  parallel  geht).  Nun  zeigt  sich,  daß  bei 
der  ersten  Eventualität  ein  Nutzen  von  19  mit  Kosten  von  10  er- 
kauft wurde.  Das  Verhältnis  von  Nutzen  zu  den  Kosten  ist  da- 
her 19:10;  der  relative  Nutzen  der  Kosteneinheit  ist  also  1,9.  Bei 
der  zweiten  Eventualität  ist  der  absolute  Nutzen  nur  15,  aber  die 
Kosten  sind  verhältnismäßig  noch  geringer,  nämlich  6 ;  darum  ergibt 
sich  ein  Verhältnis  des  Nutzens  zu  den  Kosten :  15 : 6,  daher  ist  der 
relative  Nutzen  der  Kosteneinheit  2,5,  also  bedeutend  höher  als  im 
ersteren  Falle.  Es  kann  keine  Frage  sein,  daß  das  Wirt- 
schaftssubjekt nicht  den  Lief  mannsche  n,  sondern  den 
anderen  Weg  einschlagen  würde.  Denn  das  Schlußer- 
gebnis, der  wahre  Ertrag,  der  Ueberschuß  des  Nutzens 
über  die  Kosten,  die  positive  Verschiebung  der  Lust- 
und  Unlustgefühle  ist  in  beiden  Fällen  gleich  groß, 
nämlich  9.  Dieses  Ergebnis  wurde  aber  im  ersteren 
Falle  für  10,  im  zweiten  Falle  nur  für  6  Kostenein- 
heiten erreicht.  Der  Liefmannsche  Gedankengang  kann  also 
nicht  richtig  sein,  wo  ist  der  Fehler? 

Zunächst  möchte  ich  unter  Anlehnung  an  Liefmann  meine 
eigene  Erklärung  für  die  Verwendung  der  Arbeitsmühe  geben  und 
zwar  vor  allem,  um  den  Zusammenhang  mit  der  Geldverwendung 
aufrechtzuerhalten,  für  den  besonderen  Fall,  daß  der  Wirtschafter 
seine  Arbeitsmühe  nicht  zur  unmittelbaren  Güterherstellung,  sondern 
zum  Geldverdienst  verwendet.  Wie  der  Wirtschafter  sein  verdientes 
Geld  verwenden  wird,  haben  wir  oben  erkannt.  Mit  der  Zunahme 
des  Geldes  kann  ihm  jede  folgende  Mark  einen  relativ  geringeren 
Nutzen  abwerfen.  Die  Zunahme  des  Geldes  wird  proportioneil 
mit  seiner  technischen  Leistung  (nach  Zeit  oder  Güterquantität) 
erfolgen.  Die  fortgesetzte  Arbeit  verursacht  ihm  aber  ein  progressiv 
steigendes  Arbeitsleid  (subjektive  Kosten).  Solange  der  relative  Nutzen 
jeder  fortlaufend  verdienten  Mark  das  Arbeisleid  der  ihr  ent- 
sprechenden Arbeitsleistung  überwiegt,  wird  der  Wirtschafter  seine 
Arbeit  fortsetzen,  bis  sich  der  relative  Nutzen  der  letztverdienten 
Mark  und  das  Arbeitsleid  der  letzten  Arbeitsleistung,  die  dem  Ver- 
dienst der  letzten  Mark  entspricht,  begegnen,  bis  sich  also  die  Linie 
des  sinkenden  relativen  Nutzens  der  (technischen)  Geldeinheit  und 
die  Linie  des  steigenden  Leides  der  (technischen)  Arbeitseinheit 
schneiden.    Der  Wirtschafter  hat  z.  B.  folgende  Bedürfnisse: 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsumwirtschaft.  413 


A 

B 

C 

30 

52 

16 

25 

32 

12 

15 

28 

8 

6 

12 

2 

Das  Gut  A  kostet  auf  dem  Markt  3,  das  Gut  B  und  C  je  4  Mark. 
Der  Wirtschafter  hat  die  Möglichkeit,  für  jede  Arbeitsstunde  1 
M.  zu  verdienen.  Die  erste  Arbeitsstunde  verursacht  ihm  ein 
Leid  von  einer  Intensität,  die  einer  Nutzenintensität  entspricht,  die 
zweite  Arbeitsstunde  2,  die  dritte  3  Leidesintensitäten  und  so  fort. 
Wie  lange  wird  er  arbeiten? 

Die  fortlaufend  verdienten  Geldeinheiten   können  ihm  folgende 
relative  Nutzen,  nach  Größe  geordnet,  abgeben: 

Bl     AI     A2     B2     B3     A3     Gl     C2     B4     C3     A4     C4 

13      lo     SVg       8        7        5         4        3        3        2        2       V« 


Vergleicht  man  damit   die  technischen  und 

subjektiven  Kosten,   so 

ergibt  sich: 

Geld- 

Abao        Relativer       Geld-      Die  wie- 

,       '         Nutzen        kosten        vielte 

v„f!L      der  Geld-    (Arbeits-    Arbeits- 

JNuizen        einheit       stunden)     stunde 

Subjek-     Subjektive 

tive           Kosten 

ver- 
wendung 

Kosten    pro  Arbeits- 

absolut      stunde 

Bl 

52               13                 4             1.— 4. 

10                       2V, 

AI 

30               10                 3             5.-7. 

18                6 

A2 

25                 8V3             3            8.— 10. 

27                9 

Der  Wirtschafter  wird  7  M.  verdienen,  also  7  Stunden  arbeiten; 
für  weitere  Arbeitsstunden  ist  ihm  der  Nutzen,  den  ihm  das  Geld 
verspricht,  zu  gering,  um  ihm  das  schon  hohe  Arbeitsleid  aufzu- 
wiegen. 

Kann  es  anders  sein,  wenn  der  Wirtschafter  direkt  für  sich  pro- 
duziert? Es  ist  doch  einerlei,  ob  ich  2  Stunden  an  einem  Produkt 
arbeite,  das  2  Stunden  Arbeit  kostet,  oder  für  2  Stunden  Arbeit  so 
viel  Geld  verdiene,  daß  ich  mir  hierfür  das  Gut  kaufen  kann.  In 
der  Tat  geht  der  Wirtschafter,  der  für  sich  unmittelbar  die  Güter 
herstellt,  geradeso  vor,  wie  derjenige,  der  Geld  verdient.  Seine  wirt- 
schaftliche Erwägung  ist  die  folgende:  Ich  möchte  mit  den  geringsten 
subjektiven  Kosten  den  größten  subjektiven  Nutzen  erkaufen.  Jede 
Arbeitsstunde  kann  mir  nicht  den  gleichen  Nutzen  einbringen,  jede 
Arbeitsstunde  verursacht  mir  auch  nicht  die  gleichen  subjektiven 
Kosten.  Welchen  Gütern  ich  auch  meine  Arbeit  zuwende,  so  steht 
doch  fest,  daß  jede  folgende  Arbeitsstunde  mehr  Müheaufwendung, 
subjektive  Kosten,  bedeutet.  In  den  Arbeitsstunden,  die  ich  auf- 
wenden werde,  will  ich  den  größtmöglichsten  Nutzen  erzielen.  Das 
kann  ich  nur  so  bewirken,  daß  ich  mir  die  erforderlichen  Arbeits- 
effekte vergegenwärtige,  und  erwäge,  welchen  Nutzen  mir  jede  Ar- 
beitsstunde, verschiedenen  Zwecken  gewidmet,  abwirft.  Ich  werde 
eine  bestimmte  Stundenanzahl  arbeiten,  die  ich  im  vorhinein  nicht 
kenne,  aber  in  dieser  Anzahl  der  Arbeitsstunden  will  ich  den  größt- 
möglichsten Nutzen   anhäufen;   das  kann  ich  nur  so,  daß  ich  unter 


414  Karl  EngliS, 

der  verfügbaren  (vorderhand  noch  unbekannten)  Anzahl  der  Arbeits- 
stunden Zwecke  mit  dem  relativ  größten  Nutzen  pro  Arbeitsstunde 
subsumiere;  wie  groß  die  Anzahl  der  Arbeitsstunden  sein  wird, 
darüber  entscheidet  das  Arbeitsleid.  Denn  ich  werde  keine  Stunde 
arbeiten,  die  mir  nicht  einen  größeren  subjektiven  Nutzen  liefert, 
als  sie  mir  Arbeitsleid  verursacht.  Ich  werde  daher  die  relativ 
nützlichsten  Güter  (relativ  pro  Arbeitsstunde)  der 
Reihe  nach  herstellen  und  die  Arbeit  so  lange  fort- 
setzen, bis  der  relative  Nutzen  der  (technischen)  Ar- 
beitseinheit von  dem  Arbeitsleid,  also  den  subjektiven 
Kosten  der  (technischen)  Arbeitseinheit  aufgewogen 
wird. 

Um  nun  auf  das  Lief  mann  sehe  Beispiel  zurückzukommen: 
Aus  demselben  ergibt  sich  die  folgende  Reihe  des  relativen  Nutzens 
der  einzelnen  Güter,  bezogen  auf  die  technische  Arbeitseinheit. 

etc. 


Cl 

AI 

C2 

A2 

Bl 

Absoluter  Nutzen 

5 

lO 

4 

8 

8 

Arbeitsstunden 

I 

2 

I 

2 

2 

Relativer    Nutzen    pro 

Arbeitsstunde 

5 

5 

4 

4 

4 

Arbeitsleid 

I 

5 

4 

II 

15 

Arbeitsleid  pro  Stunde 

I 

2% 

4 

5V, 

7V, 

Bei  diesem  Gedankengang  kann  der  Wirtschafter  in  keinem 
Zweifel  sein,  ob  er  A 1  oder  C  2  herstellen  soll,  wie  er  es  nach 
Lief  mann  ist,  oder  gar  sich  zur  Herstellung  von  A  1,  01  und  0  2 
entschließen,  zu  welchem  unrichtigen  Ergebnis,  wie  nachgewiesen 
wurde.  Lief  mann  gelangt.  Unser  Gedankengang  führt  zu  dem  von 
Lief  mann  postulierten  Ergebnis,  nämlich  zu  dem  günstigsten 
Verhältnis  von  Nutzen  zu  den  Kosten,  ein  Beweis, 
daß  dieser  Gedankengang  richtig  ist.  Worin  fehlt  nun 
Liefmann?  Ist  etwa  nicht  sein  Lehrsatz  richtig,  daß  der  Wirt- 
schafter sowohl  bei  einzelner  als  auch  bei  seiner  gesamten  Arbeits- 
verwendung das  günstigste  Verhältnis  von  Nutzen  zu  den  subjektiven 
Kosten  sucht?  Im  Gegenteil I  Unser  Gedankengang  bestä- 
tigt das  Liefmannsche  Prinzip  der  Arbeitsanwendung 
voll.  Aber  zur  Feststellung  dieses  günstigsten  Ver- 
hältnisses bedarf  der  Wirtschafter  (wie  der  Theoretiker) 
die  technische  Arbeitseinheit,  auf  die  von  einer  Seite 
der  Nutzen  des  Arbeitsproduktes  und  von  anderer  Seite 
die  Kosten  des  Arbeitsleides  bezogen  werden.  Dieses 
unerläßliche  Hilfsglied  hat  Lief  mann  vernachlässigt.  Bei  der  An- 
wendung der  Arbeitsmühe  in  der  Konsumwirtschaft  behält  daher 
Lief  mann  mit  seinem  Ertragsgedanken  und  folglich  auch  mit 
seinem  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  voll  recht,  nur 
seine  methodische  Begründung  bedarf  einer  Korrektur. 

Aber  noch  in  einer  anderen  Beziehung  sind  die  diesbezüglichen 
Ausführungen    Liefmanns    von    Interesse   und    Wichtigkeit.    Ich 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  415 

brauche  3  Güter  A,  B  und  C,  deren  erstes  einen  Nutzen  von  10, 
das  zweite  einen  Nutzen  von  9  und  das  dritte  einen  Nutzen  von  TVg 
verspricht.  Alle  Güter  erfordern  je  2  Stunden  Arbeit.  Das  Arbeits- 
leid der  ersten  Arbeitsstunde  ist  gleich  1,  und  steigt  mit  jeder 
folgenden  Arbeitsstunde  um  eine  Intensität.  In  diesem  Falle  ist  es 
ganz  offenbar,  daß  ich  zuerst  das  Gut  A  und  dann  das  Gut  B  her- 
stellen werde,  die  zusammen  4  Stunden,  daher  Kosten  von  10  Inten- 
sitäten beanspruchen,  und  daß  ich  das  Gut  C  nicht  mehr  herstellen 
werde,  weil  die  5.  und  6.  Arbeitsstunde  subjektive  Kosten  von  11 
verursachen,  aber  einen  Nutzen  von  nur  7V2  einbringen  würden. 
Darum  handelt  es  sich  aber  nicht.  Was  sind  jedoch  die  sub- 
jektiven Kosten  des  Gutes  A?  Die  drei  Arbeitsintensitäten! 
Warum  aber  nicht  auch  der  geopferte  Nutzen  des  Gutes 
C,  der  für  die  2  Stunden  Arbeit  und  die  damit  verbundenen  sub- 
jektiven Kosten  erzielt  werden  konnte,  wenn  der  Wirtschafter  auf 
das  Gut  A  verzichtete,  und  der  daher  geradeso  geopfert  wurde,  wie 
bei  der  Geldverwendung  der  höchste  ungedeckte  Nutzen?  Derselbe 
logische  Grund,  der  den  „geopferten  Nutzen"  im  letzteren  Falle  als 
Kosten  erscheinen  ließ,  müßte  ihn  auch  im  ersteren  Falle  als  Kosten 
erscheinen  lassen.  Denn  man  stelle  sich  nur  vor,  daß  der  Wirt- 
schafter die  Güter  nicht  unmittelbar  herstellt,  sondern  kauft,  daß  er 
das  Geld  verdient  und  zwar  pro  Stunde  eine  Geldeinheit,  und  daß 
die  Güter  je  2  Geldeinheiten  kosten.  Der  Wirtschafter  wird  nur 
4  Stunden  arbeiten,  weil  ihm  der  weitere  Verdienst  keinen  das 
Arbeitsleid  überwiegenden  Nutzen  verspricht.  Die  ersten  2  Stunden 
hat  er  für  das  Gut  A  ^),  und  die  anderen  2  Stunden  für  das  Gut  B 
gearbeitet.  Was  sind  die  Kosten  des  Gutes  A?  Das  Leid  der 
3  Arbeitsstunden  (3  Intensitäten)  oder  der  geopferte  Nutzen  des 
Gutes  C  (7 V2  Intensitäten)?  Um  die  Frage  richtig  zu  beantworten, 
muß  man  die  gesamten  gekauften  Güter,  den  gesamten  Geldverdienst 
und  die  gesamte  Arbeitsleistung  ins  Auge  fassen.  Was  ist  hier 
Nutzen  und  was  Kosten?  Nutzen  sind  die  durch  die  Güter  be- 
wirkten Lustgefühle,  Kosten  ist  das  Arbeitsleid.  Das  Geld  ist  nur 
das  technische  Zwischenglied.  Wenn  auch  die  Hingabe  des  Geldes 
als  Kosten  aufgefaßt  würde,  so  würden  sich  die  Kosten  mehr  als  ver- 
doppeln'^). Außerdem  erscheint  als  Kosten  bei  allen  Käufen  fast 
immer  derselbe  ungedeckte  Höchstnutzen.  Daraus  ergibt  sich, 
daß  man  bei  der  reinen  Geldverwendung  (ohne  Rück- 
sichtnahme auf  das  Arbeitsleid)  überhaupt  von  keinen 
subjektiven  Kosten  und  daher  auch  von  keinem  sub- 
jektiven Ertrag  reden  kann.  Es  handelt  sich  nur  um  eine 
Auswahl  der  relativ  nützlichsten  Güter.  Es  ist  richtig, 
daß  das  Motiv  des  Kaufes  A  in  dem  auf  Seite  400  angeführten  Bei- 
spiel durch  die  Differenz  des  Nutzens  der  Güter  A  und  C  gegeben 

1)  Wäre  er  z.  B.  nach  2  Stunden  verhindert  worden,  weiter  zu  arbeiten,  so  hätte 
«r  für  die  verdienten  2  M.  das  Gut  A  gekauft. 

2)  Im  Hinblick  darauf,   daß  das  Arbeitsleid  der  Arbeitseinheit  höchstens  so  groß 
sein  kann,  wie  der  relative  Nutzen  des  der  Arbeitseinheit  entsprechenden  Lohnes. 


416  Karl  EngliS, 

ist,  aber  der  Nutzen  des  Gutes  C  repräsentiert  keine  Kosten.  Habe 
ich  das  verdiente  Geld  in  der  Tasche,  so  habe  ich  keine  subjektiven 
Kosten,  ob  ich  schon  das  Gut  A  oder  das  Gut  C  kaufe.  Wenn  ich 
also  frage:  Warum  kaufe  ich  das  Gut  A  und  nicht  C?,  so  lautet  die 
Antwort :  Weil  der  Nutzen  A  größer  ist,  (und  beide  kann  ich  nicht 
kaufen).    , 

Diese  Erwägung  erhärtet  aber  noch  unsere  frtlhere  Behauptung, 
daß  in  der  Konsumwirtschaft  das  Geld  nicht  nach  dem  Er- 
trage, und  auch  nicht  nach  dem  relativen  Nutzen  der 
Kosteneinheit,  sondern  nach  dem  relativen  Nutzen  der 
Preiseinheit  verwendet  wird,  und  daß  sich  hierbei  bei  ver- 
schiedenen Bedürfnissen  nicht  das  Gesetz  des  Ausgleiches 
der  Grenzerträge,  sondern  das  Geeetz  des  Ausgleiches 
der  relativen  Mindestnutzen  der  Preiseinheit  geltend 
macht.  Dagegen  behält  Lief  mann  bei  der  Verwendung  der 
Arbeitsmühe  recht,  nur  seine  methodische  Begründung  und  Termino- 
logie (relativer  Nutzen-Ertrag)  bedarf  einer  Ergänzung. 

IV.  Schlußbetrachtung. 

Wenn  ich  im  Vorangehenden  einen  Teil  der  Lief  mann  sehen 
Lehre  einer  so  ausführlichen  Kritik  unterzogen  habe,  so  liegt  darin 
gewiß  der  Ausdruck  meiner  hohen  Wertung  der  Lief  man  nschen 
Gedanken  und  der  Ergebnisse  seiner  ausgezeichneten  Beobachtung. 
Seine  Lehre  bedarf  aber  noch  einer  methodischen  Ausbauung,  sie 
verdient  sie  aber  auch.  Lief  mann  nimmt  überhaupt  in  der  wirt- 
schaftswissenschaftlichen Theorie  eine  eigene  Stellung  ein,  er  be- 
deutet eine  Richtung.  Diese  seine  Stellung  habe  ich  in  einer  all- 
gemeinen erkenntnistheoretischen  Studie  ^)  charakterisiert.  Seine 
Lehre  ist  rein  psychisch;  er  nennt  sie  auch  so.  Nach  Lief- 
mann  ist  die  wirtschaftliche  Tätigkeit  durch  wirtschaftliche 
Erwägungen  erschöpft;  die  Produktion  der  Güter  ist  nach  Lief- 
m  an  n  keine  wirtschaftliche  Tätigkeit,  sondern  Technik  ^).  Ich  stimme 
zwar  dieser  Ansicht  nicht  zu,  aber  wenn  ein  so  ausgezeichneter 
Beobachter  wie  Lief  mann  etwas  derartiges  behauptet,  so  muß  es 
gewiß  einen  Grund  haben. 

Der  Grund  liegt  darin,  daß  man  in  der  üblichen  Betrachtungs- 
weise, solange  man  sich  nämlich  die  Produktion  einfach  als  etwas 
Existentes,  Wirkliches  vorstellt,  nichts  anderes  sehen 
kann  als  einen  durch  Ursache  und  Wirkung  beherrschten 
Naturprozeß,  namentlich  nichts  spezifisch  Wirschaft- 
liches,  von  der  Naturerscheinung  Verschiedenes.  Das 
erkenntnistheoretische  Problem  ist  daher:  Wie  muß  ich  eine  em- 
pirische Erscheinung  betrachten,    wenn    mir    dieselbe    (Objekt,    Ge- 

1)  Nästin  noetiky  närodohospodäfskfe  (Abriß  der  volkswirtschaftlichen  Erkenntnis- 
lehre) im  „Sbornik  v^d  prävnich  a  stätuich"  (Zeitschrift  für  Rechts-  und  Staatawissen- 
schaften),  Prag  1917. 

2)  A.  a.  O.  S.  3  u.  passim. 


Das  Liefmanüsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  417 

schehnis)  als  wirtschaftlich  erscheinen  soll?  Die  Betrachtungsweise, 
in  welcher  ich  mir  die  Objekte  bloß  als  seiende,  existierende  vor- 
stelle, kann  es  nicht  sein,  denn  in  dieser  Betrachtungsweise  kann 
ich  zu  der  Erkenntnis  von  Gut  oder  Uebel,  nützlich  oder  schädlich, 
aber  auch  von  sittlich  und  unsittlich  etc.  nicht  gelangen.  Die  Denk- 
weise dieser  Art  von  Betrachtung  ist  die  folgende :  Im  Wege  meiner 
Sinne  bewirkt  in  mir  die  Außenwelt  Empfindungen.  Ich  frage:  Was 
wirkt  auf  mich  ein?  Die  gefundene  Ursache  sehe  ich  als  „wirkend" 
und  „wirklich"  an.  Frage  weiter:  Warum  wirkt,  oder,  was  gleich- 
bedeutend ist,  warum  ist  das,  was  wirkt  ?  Damit  suche  ich  die  zeit- 
lich vorangehende  causa  efficiens.  Nie  kann  ich  in  dieser  —  wie 
ersichtlich  naturwissenschaftlichen  Betrachtungsweise  —  zu  einem 
Zweck  gelangen  oder  etwas  gut  oder  übel  finden.  Ganz  anders  muß 
ich  die  Dinge  betrachten,  wenn  sie  mir  z.  B.  nützlich  oder  schädlich 
erscheinen  sollen.  Durch  keine  Sinneswahrnehmung  kann  es  erfolgen, 
durch  welche  ich  die  Gegenstände  nur  rot,  feucht,  schwarz,  hart  etc. 
finde.     (Diese  Eigenschaften  nenne  ich  die  inhärenten)^). 

Die  Vorstellung  der  Nützlichkeit  entsteht  nun  aber  derart,  daß 
ich  das  Objekt  zu  einem  bestimmten  Wollen  in  Be- 
ziehung setze.  Wäre  der  Mensch  jeden  Willens  (den  Erkenntnis- 
willen ausgenommen)  bar,  so  könnte  er  alle  inhärenten  Eigenschaften 
erkennen  und  alle  Naturwissenschaften  treiben,  aber  zu  den  Begriffen 
von  nützlich  und  schädlich  etc.  würde  er  nie  gelangen.  Um  zu  diesen 
letzteren  Qualitäten,  die  wir  zum  Unterschied  zu  den  inhärenten 
Eigenschaften  „Beziehungsqualitäten"  nennen  wollen,  zu  ge- 
langen, darf  man  sich  die  Dinge  nicht  etwa  nur  als  exi- 
stent, sondern  als  gewollt  oder  nicht  gewollt  vor- 
stellen. Dadurch  entsteht  aber  eine  von  der  naturwissenschaft- 
lichen wesensverschiedene  Betrachtungsweise,  die  mit  der  ersteren 
nicht  konfundiert  werden  darf.  Auch  in  dieser  Betrachtungsweise 
gibt  es  ein  Warum?  Hat  man  aber  früher  gefragt:  Warum  wirkt  (ist) 
das,  was  wirkt  (ist),  so  muß  man  hier  fragen:  Warum  wird  das 
gewollt,  was  gewollt  wird?  Darauf  lautet  die  Antwort:  Das 
A  wird  gewollt,  weil  ein  B  gewollt  wird  (das  naturursächlich  aus 
dem  A  hervorgeht).  Das  gewollte  B  (also  die  natürliche  Folge  in 
der  Vorstellungsweise  des  rein  existenten  A  und  B)  erweist  sich  so- 
dann als  Zweck  (causa  finalis),  das  gewollte  A  als  Mittel.  Jeden 
gewollten  Inhalt  wollen  wir  als  Postulat  bezeichnen.  Geradeso 
wie  der  Vorstellungsweise  des  Seienden  Ursache  und 
Wirkung,  so  ziemt  der  Vorstellungsweise  des  Ge- 
wollten Mittel  und  Zweck. 

Als  Mittel  oder  Zweck  erscheint  uns  ein  Objekt  nur,  wenn  wir 
es  als  g e w 0 1 1 1  anschauen.    DieFinalität  ist  also  nicht  ein- 


1)  Damit  soll  nicht  etwa  gesagt  sein,  daß  sie  dem  Gegenstand  innewohnen,  weil 
diese  Eigens<^haften  doch  dadurch  entstehen,  daß  der  Mensch  seine  Empfindungen  dem 
Gegenstand  als  vermeintlicher  Ursache  zurechnet.  Der  Mensch  sucht  aber  die  Eigen- 
schaften im  Objekt. 

Jahrb.  f.  Natioaalök,  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  27 


418  Kä'^  EngliS, 

fach  die  umgekehrte  Kausalität*).  Das,  was  ich  ändern 
muß,  wenn  ich  zwei  durch  natürliche  Kausalität  verbundene  Er- 
scheinungen als  Mittel  und  Zweck  sehen  will,  ist  die  Betrachtungs- 
weise; ich  darf  mir  die  Erscheinungen  nicht  als  existente, 
sondern  als  gewollte  vorstellen*-^).  Die  logische  Zusammengehörig- 
keit der  teleologischen  Kausalität  und  der  ihr  entsprechenden  Be- 
trachtungsweise ist  von  grundlegender  Wichtigkeit  und  neu^).  Setze 
ich  die  Warum-Fragestellung  in  der  Betrachtungsweise  des  Gewollten 
fort,  so  erhalte  ich  eine  Kette,  in  welcher  sich  das  Wollen  von  B  mit 
jenem  von  C  etc.  bis  N  erklärt.  Warum  wird  N  gewollt  ?  Ich  weiß 
es  nicht,  ich  will  es  einfach.  Warum  wird  aber  überhaupt  gewollt  ? 
In  diesem  Momente  frage  ich  nicht  mehr  nach  dem  In- 
halte des  Wollens,  sondern  nach  dem  Wollen  an  sich 
und  betrachte  das  Wollen  als  ein  wirkliches,  existen- 
tes Geschehnis  und  frage  nach  seiner  naturgesetzmä- 
ßigen Ursache.  Mit  dem  Wechsel  der  Betrachtungsweise  bin  ich 
in  die  Naturwissenschaft  übergesprungen. 

Ein  ähnlicher  Uebergang,  wie  von  der  Betrachtungsweise  des 
Seienden  zu  jener  des  Gewollten,  besteht  noch  weiter  zwischen  der 
letzteren  und  dem  Sollen.  Der  als  gesollt  gedachte  Inhalt 
ist  Gegenstand  der  normativen  Wissenschaften.  Die 
normative  Betrachtungsweise  wurde  von  Kelsen  unter  Anlehnung 
an  Simmel  grundlegend  ausgebaut^).  Jeder  als  gesollt  gedachte 
Inhalt  ist  eine  Norm.  Auch  an  die  Normen  knüpft  man  ein  Warum  an. 
Warum  soll  A  sein  ?  Weil  ein  B  sein  soll  etc.  bis  weil  ein  N  sein  soll. 
Das  aber,  was  die  Normen  bei  dieser  Fragestellung  verbindet,  ist 
weder  die  naturgesetzmäßige  Aufeinanderfolge  (causa  efficiens),  noch 
der  Wille  (causa  finalis),  sondern  lediglich  die  logische  Geltung 
(causa  cognoscendi,  Erkenntnisgrund).  Fragt  man  bei  der  obersten 
Norm  (N),  warum  soll  N  sein,  so  kann  ich  keinen  weiteren  als  ge- 


1)  Wie  allgemein  angenommen  wird.     So  z.  B.  Wundt,  Logik,  3.  Aufl.  I,  S.  361. 

2)  Ein  Beispiel  wird  es  veranschaulichen.  Wollen  wir  z.  B.  fragen,  warum  die 
Giraffe  einen  langen  Hals  hat.  Antwortet  man:  „Damit  sie  das  Laub  hoher  Bäume 
erreichen  könne",  so  fassen  wir  den  Hals  als  Mittel  und  das  Erreichen  als  Zweck  auf. 
Dies  setzt  aber  notgedrungen  voraus,  daß  der  lange  Hals  der  Giraffe  deshalb  gegeben, 
also  von  jemandem  (Gott,  Vorsehung)  gewollt  wurde,  weil  auch  gewollt  wurde,  daß  sie 
das  Laub  hoher  Bäume  erreiche.  Setzen  wir  das  nicht  voraus,  so  müssen  wir  uns  den 
langen  Hals  einfach  als  existent  vorstellen:  dann  aber  können  wir  nur  nach  der  natür- 
lichen Ursache,  die  die  Länge  des  Halses  bewirkt  hat,  fragen.  Das  tun  die  Natur- 
wissenschaften, die  die  Natur  ohne  Gott  zu  erklären  trachten. 

3)  Stammler  (Wirtschaft  und  Recht,  1906)  hat  wohl  empfunden,  daß  die  Finalität 
nicht  nur  eine  umgekehrte  Kausalität  ist,  es  ist  ihm  aber  entgangen,  daß  es  der  Wechel 
der  Betrachtungsweise  ist,  der  die  nämlichen  Erscheinungen  einmal  als  Ursache  und 
Wirkung  und  das  andere  Mal  als  Zweck  und  Mittel  erscheinen  läßt,  und  wodurch  diese 
zwei  Betrachtungsweisen  gekennzeichnet  sind.  Daß  sein  Gegensatz  von  „bewirkt"  und 
„zu  bewirkend"  den  Gegensatz  von  Finalität  und  Kausalität  nicht  determiniert,  hat 
Kelsen  gezeigt  (Hauptprobleme  der  Staatsrechtslehre,  Wien  1911,  S.  58  ff.).  Kelsen 
selbst  steht  auf  dem  Standpunkt  von  Wundt. 

4)  Als  Kelsens  Vorgänger  in  der  böhmischen  Literatur  ist  Franz  Weyr  zu  be- 
zeichnen. 


Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  in  der  Konsum  Wirtschaft.  419 

sollt  gedachten  Inhalt  angeben.  Es  soll  einfach  sein,  und  ich  weiß 
nicht  warum.  Warum  soll  aber  überhaupt  etwas  sein? 
Weil  es  von  jemandem  gewollt  wird.  In  dem  Momente 
aber  wird  derselbe  Inhalt,  der  früher  als  gesollt  vor- 
gestellt wurde  und  eine  Norm  war,  weiter  als  gewollt 
vorgestellt  und  zu  einem  Postulat.  Kelsen  selbst  stellt  der 
normativen  die  kausale,  bzw.  explikative  Betrachtungsweise  des 
Seienden  gegenüber,  während  doch  eben  nachgewiesen  wurde,  daß 
es  wesensverschieden  ist,  ob  ich  mir  die  Erscheinungen  als  bloß 
seiend  oder  als  gewollt  vorstelle.  Es  besteht  daher  nicht  ein  Dualis- 
mus der  Betrachtungsweisen  der  empirischen  Wissenschaften,  sondern 
ein  Trialismus  derselben. 

Jede  empirische  Wissenschaft  muß  sich  zunächst  vergegenwär- 
tigen, in  welcher  dieser  elementaren  Betrachtungsweisen  sie  ihre 
Erkenntnisse  gewinnen  kann.  So  auch  die  Wirtschaftswissenschaft, 
die  sich  bisher  die  Frage  nach  der  Betrachtungsweise  stets  ganz 
anders  formuliert  hat^),  muß  sich,  sind  die  obigen  Ausführungen 
richtig,  zunächst  zum  Bewußtsein  bringen,  ob  sie  die  Erscheinung 
bloß  als  existierend  oder  als  gewollt  oder  als  etwas,  was  sein  soll, 
betrachten  muß, um  sie  als  wirtschaftlich  zu  erkennen.  Denn  gleich- 
zeitig kann  eine  und  dieselbe  Wissenschaft  nicht  mit 
verschiedenen  Betrachtungsweisen  operieren.  Erblickt 
doch  auch  z.  B.  die  Rechtstheorie  ihren  Fortschritt  darin,  daß 
sie  sich  in  einer  ihr  entsprechenden  Betrachtungsweise  etabliert  und 
sich  von  fremdartigen,  wie  man  zu  sagen  pflegt:  soziologischen  Ele- 
menten, also  von  Erkenntnissen  läutert,  die  in  der  normativen  Be- 
trachtungsweise nicht  zu  gewinnen  sind  (Kelsen,  Weyr).  Desgleichen 
die  Naturwissenschaften,  welche  die  teleologische  Anschauung 
ablehnen.  Welche  Betrachtungsweise  ist  also  der  Wirt- 
schaftswissenschaft eigentümlich?  Augenscheinlich  nicht 
die  normative,  denn  die  Wirtschaftserscheinungen  sind  nicht  Pflicht- 
erscheinungen 2);  aber  auch  nicht  die  naturwissenschaftliche  Be- 
trachtungsweise, weil  sie  die  Objekte  weder  schädlich  noch  nütz- 
lich erscheinen  läßt.  Faßt  man  die  wirtschaftlichen  Hauptbegriffe 
ins  Auge,  so  erkennt  man  bald,  daß  dieselben  zur  Voraussetzung 
haben,  daß  man  sich  die  Erscheinungen  als  gewollt  vor- 
stellen muß.  Wie  gelangt  man  zum  Begriff  von  Nutzen  und 
Schaden?  Es  sind  doch  Veränderungen  mit  Plus-  und  Minus- 
richtung auf  einer  Linie.  Was  setzt  diese  Linie  und  den  Ausgangs- 
punkt für  die  Beurteilung  der  positiven  und  negativen  Richtung  der 


1)  So  hat  man  den  Subjektivismus,  Objektivismus,  den  historischen  Materialismus, 
die  soziale  Betrachtungsweise  als  die  allgemeinen  Betrachtungsweisen  der  Wirtschafts- 
wissenschaft bezeichnet. 

2)  Merkwürdigerweise  spricht  Sombart  von  der  Möglichkeit  einer  normativen 
Konstruktion  der  Wirtschaftstheorie  und,  was  noch  unerklärlicher  ist,  daß  nur  bei  dieser 
Konstruktion  iu  der  Wirtschafstheorie  für  den  Wertbrgriff  Baum  wäre  (Die  Elemente 
des  Wirtschaftslebens,  Arch.  f.  Sozial  Wissenschaft  u.  Sozialpolitik,  Bd.  37,  S.  3). 

27* 


420  Karl  EngliS, 

Veränderung?  Nichts  anderes  als  der  menchliche  Wille. 
Nutzen  und  Schaden  sind  gewollte,  bzw.  nicht  gewollte  Veränderungen. 
Warum  sind  sie  gewollt  oder  nicht  gewollt?  Weil  et- 
was anderes,  was  sich  als  naturgesetzmäßige  Folge 
dieser  Veränderungen  erweist,  gewollt  oder  nicht  ge- 
wollt wird.  Vom  Nutzen  und  Schaden  kann  man  nur 
vom  Standpunkt  eines  bestimmten  Zweckes  reden. 
Kosten  sind  ein  als  Mittel  gewollter  Schaden.  Was  sind  die 
Güter  anderes  als  in  bestimmter  Art  gewollte  Objekte? 
Daraus  schließen  wir,  daß  wir  zu  wirtschaftlichen  Erkenntnissen  nur 
dann  gelangen  können,  wenn  wir  uns  die  Erscheinungen  als 
gewollt  und  zwar  speziell  als  in  bestimmter  Art  ge- 
wollt vorstellen^)  2).  Werden  vielleicht  auch  heute  als  wirt- 
schaftswissenschaftliche solche  Erkenntnisse  tradiert,  die  dieser  Denk- 
form fremd  sind,  so  muß  von  ihnen  die  Wirtschaftstheorie  geläutert 
werden.  Nach  dieser  Auffassung  kann  dieser  Fortschritt  der  Wirt- 
schaftstheorie nur  darin  bestehen,  daß  sie  sich  dessen  bewußt  wird, 
was  sie  von  den  Naturwissenschaften  unterscheidet,  sie  muß  sich  ihre 
Erscheinungen  als  in  bestimmter  Art  gewollte  vorstellen  und  mit  der 
teleologischen  Kausalität  arbeiten.  Tatsächlich  polarisiert  sich  die  Wirt- 
schaftstheorie in  diesen  Richtungen ;  zunächst  zu  und  gegen  die  Natur- 
wissenschaften. Eine  naturwissenschaftliche  Wirtschaftstheorie  will 
z.  B.  Oppenheimer  begründen^).  Die  entgegengesetzte  Richtung 
verlegt  tatsächlich  ihren  Schwerpunkt  in  den  Willen  und  die  Fi- 
nalität.  Die  Finalität  wird  namentlich  von  Stammler,  Stolz- 
mann und  anderen  betont.  Die  bestimmte  Willensrichtung,  die  nach 
meiner  Auffassung  die  Betrachtungsweise  der  wirtschaftlichen  Er- 
scheinungen begründet,  macht  Lief  mann  in  der  Tat  zum  Ausgangs- 
punkt und  Grundlage  seiner  Wirtschaftstheorie.  Denn  die  Bedarfs- 
empfindungen  sind  nichts  anderes  als  Willensempfindungen. 
Bedürfen  heißt  etwas  als  Mittel  zum  Zweck  wollen.  Je 
nach  der  Beschaffenheit  dieses  Zweckes  richtet  sich  auch  das  Be- 
dürfnis. Der  Zweck  ist  stets  ein  Postulat.  Ein  Postulat  kann  ent- 
weder einen  Gefühlszustand  zum  Gegenstande  haben  (z.  B.Zu- 
friedenheit) und  ist  rein  subjektiv,  weil  objektiv  nicht  definier- 
bar. Alle  anderen  Postulate  sind  objektiv.  Danach  sind 
auch  die  Bedürfnisse  subjektiv  oder  objektiv.  Sage  ich 
dem  Kinde:  Du  brauchst  mehr  ein  Buch  als  ein  Spielzeug,  so  setze 

1)  Damit  ist  nicht  gesagt,  daß  die  nämlichen  Erscheinungen  nicht  auch  anders, 
z.  B.  naturwissenschaftlich  betrachtet  werden  können.  So  ist  z.  B.  der  historische 
Materialismus  eine  naturwissenschaftliche  Auffassung  der  Wirtschaftsphänomene.  Töricht 
wäre  es  aber,  die  in  einer  Betrachtungsweise  gewonnenen  Phänomene  mit  jener  der 
anderen  bekämpfen  zu  wollen. 

2)  Ich  will  daher  nicht  etwa  ein  neues  Objekt  der  Wirtschaftstheorie  konstruieren, 
kann  aber  Ammon  (Objekt  und  Grundbegriffe  der  Nationalök.)  nicht  beipflichten,  wenn 
er  eine  logische  Form  des  nationalökonomischen  Objektes  sucht,  das  alle  beutigen  als 
■wirtschaftswissenschaftlich  geltenden  Erkenntnisse  umfassen  würde. 

3)  Dennoch  definiert  er  die  Güter  als  Zwischenziele! 


Das  Lief  mannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Greozerträge  in  der  Konsumwirtschaft.  421 

ich  ein  objektives  Erziehungspostulat  voraus.  Ist  dieses  gewollt  als 
Zweck,  so  muß  z.  B.  als  Mittel  eher  ein  Buch  als  ein  Spielzeug  ge- 
wollt werden.  Ein  solches  Bedürfnis  ist  objektiv.  Subjektiv  be- 
dürf  en  heißt  etwas  als  Mittel  z.  B.  zur  eigenen  Zufriedenheit  wollen. 
Desgleichen  kann  man  von  subjektiven  und  objektiven  Nutzen,  Schaden 
und  Kosten  sprechen.  In  der  Subjektivität  und  Objekti- 
vität des  Postulates  ist  überhaupt  der  richtige  Gegen - 
satz  zwischen  Subjektivismus  und  Objektivismus  der 
Wirtschaftswissenschaft  begründet,  welcher  Gegensatz 
sich  auch  bei  der  der  Denkweise  des  Gewolltwerdens  entsprechenden 
Wertung  geltend  macht.  Halten  wir  nun  daran  fest,  daß  die 
Wirtschaftswissenschaft  ihre  Erscheinungen  als  gewollt  betrachtet, 
so  ist  damit  ihre  Betrachtungsweise  noch  nicht  determiniert,  denn 
„gewollt"  und  „wirtschaftlich"  ist  nicht  dasselbe.  Man  muß 
vielmehr  noch  jenes  spezielle  Merkmal  suchen,  welches, 
zum  allgemeinen  Wollen  hinzutretend,  die  speziell 
wirtschaftliche  Betrachtungsweise  begründet,  mit  an- 
deren Worten,  in  welcher  Art  gewollt  uns  die  Erschei- 
nungen sich  als  wirtschaftlich  darbieten,  oder,  was  gleich- 
bedeutend ist:  Welches  ist  das  oberste  wirtschaftliche 
Postulat,  von  welchem  aus  wirtschaftlicher  Schaden,  Nutzen,  Er- 
trag, wirtschaftliche  Kosten,  Güter  etc.  gesehen  werden  können  ?  Ist 
es  ein  objektives  oder  ein  subjektives  Postulat,  und  welches 
ist  sein  Inhalt?  Liefmanns  Theorie  ist  eine  subjektive, 
denn  jenes  bestimmte  Wollen,  das  ihm  die  Erscheinungen  wirtschaft- 
lich erscheinen  läßt,  faßt  er  rein  subjektiv  auf;  der  Inhalt  dieses 
WoUens  ist  ein  Gefühlszustand,  das  Maximum  der  Lust-  und  das 
Minimum  der  Unlustgefühle.  Diese  Formulierung  des  subjektiven 
wirtschaftlichen  Postulates  ist  zweifellos  richtig ^).  Als  subjektiv 
wirtschaftlich  erscheint  dann  alles,  was  vom  Stand- 
punkte dieses  Postulates  gewollt  wird:  also  Objekte 
(Güter)  und  Geschehnisse  (Veränderungen).  Somit  ist 
auch  die  Güterproduktion  wirtschaftliche  Erschei- 
nung, wenn  ich  sie  nämlich  nicht  bloß  als  etwas  Existentes,  als 
einen  Naturprozeß,  sondern  als  vom  Standpunkte  des  wirtschaftlichen 
Postulates  gewollt  vorstelle.  Lief  mann  empfand  nun  offenbar, 
daß  die  äußeren  Objekte  und  deren  Veränderungen,  an  und  für  sich 
und  bloß  als  existent  betrachtet,  nie  wirtschaftlich  erscheinen  können, 
desgleichen  nicht  nützlich  oder  schädlich,  sondern  daß  es  erst  ge- 
wisse psychische  ihnen  folgende  Veränderungen  sind,  die  sie  zu 
wirtschaftlichen,  nützlichen  und  schädlichen  machen,  und  verlegt 
daher  begreiflicherweise  seine  Aufmerksamkeit  auf 
diese  psychischen  Vorgänge.    Er  sieht  aber  in   diesen 


1)  Damit  ist  aber  noch  nicht  gesagt,  daß  es  kein  objektives  wirtschaftliches 
Postulat  gibt.  Auf  diese  Frage,  sowie  auf  die  noetische  Begründung  des  subjektiven 
wirtschaftlichen  Postulates  wollen  wir  aber  hier  nicht  weiter  eingehen,  weil  dies  mit 
der  Liefmannschen  Lehre  nicht  mehr  zusammenhängt. 


422     KarlEnglifi,  Das  Liefmannsche  Gesetz  des  Ausgleiches  der  Grenzerträge  etc. 

psychischen  Verschiebungen  nicht  eine  Betrachtungs- 
weise, ein  Betrachtungsglas  der  äußeren  Vorgänge,  sondern  das 
Wirtschaften  selbst.  Das  ist  vom  oberwähnten  Standpunkt 
aus  nicht  richtig.  Er  nennt  daher  treffend  seine  Theorie  eine  psy- 
chische, ich  glaube  aber,  daß  sie  zwar  zu  einer  rein  subjektiven, 
aber  nicht  psychischen  werden  muß.  Wenn  Lief  mann  schließ- 
lich seine  Theorie  auch  eine  realistische  nennt,  so  ist  eine  wahre 
Eigenkritik  darin  enthalten.  Beim  Studium  seiner  Arbeiten  hatte  ich 
stets  den  Eindruck,  daß  Lief  mann  die  Ergebnisse,  zu  welchen  er 
gelangt,  früher  intuitiv  erkannte  und  erst  nachher  für  dieselben  eine 
Begründung  suchte,  denn  anders  wäre  es  nicht  möglich  gewesen, 
daß  ein  irrtümlicher  Gedandengang  zu  einem  richtigen  Ergebnis 
führte,  was  sich  doch  auch  bei  der  vorangehenden  Teilkritik  wieder- 
holt gezeigt  hat. 


Fritz  Elsas,  Einige  Grundfragen  der  Ernährungs Wirtschaft  im  Kriege.      423 


VI. 

Einige  Grundfragen  der  Ernährungswirt- 
schaft  im  Kriege. 

Von 
Dr.  Fritz  Elsas,  Vorstand  des  städt.  Lebensmittelamts  Stuttgart. 

Die  letzten  zwei  Jahrzehnte  vor  Ausbruch  des  Krieges  hatten 
die  wirtschaftlichen  Beziehungen  zwischen  den  Wirtschaftskörpem 
der  ganzen  Welt  aufs  engste  ineinander  verknüpft.  Gerade  in  dieser 
innigen  Verbindung  schien  weiten  Kreisen  die  sicherste  Gewähr 
zur  Aufrechterhaltung  des  Friedens  zu  liegen. 

Eines  der  reizvollsten  wirtschaftlichen  Geheimnisse  verbirgt  sich 
von  jeher  hinter  der  Organisation  des  zwischenstaatlichen  Güter- 
austausches. Dem  Einzelnen  in  den  letzten  Zusammenhängen  unbe- 
kannt, wirken  alle  wirtschaftlichen  Kräfte  zusammen,  um  die  natür- 
lichen und  wirtschaftsgeographischen  Verhältnisse  bei  der  Deckung 
des  Bedarfes  auszugleichen  und  Angebot  und  Nachfrage  miteinander 
in  mehr  oder  weniger  restlose  Uebereinstimmung  zu  bringen.  Diesen 
Ausgleich  über  die  Schranken  des  Einzelstaates  hinaus  vorzunehmen 
und  durchzuführen,  war  in  der  Friedenswirtschaft  Aufgabe  des 
Handels  in  jeglicher  Form  und  seiner  Organe,  wie  ja  gerade  die 
Ausnützung  der  verschiedenen  Verwertungsmöglichkeiten  den  wesent- 
lichen Inhalt  jeglicher  Handelsbetätigung  bildet.  Kamen  auch  trotz 
der  Höhe  der  Entwicklung,  die  diese  Organisation  sich  im  Laufe 
der  Jahre  geschaffen  hatte,  Schwankungen  in  der  angebotenen  Menge 
und  im  Preis  vor,  bildeten  sich  auch  durch  Zusammentreffen  ungünstig 
wirkender  Umstände  Krankheitserscheinungen,  die  in  Wirtschafts- 
krisen ihren  Ausdruck  fanden,  so  war  doch,  was  für  den  Gang  und 
die  Entwicklung  der  gesamten  Volkswirtschaft  ausschlaggebend  blieb, 
im  großen  und  ganzen  ein  einwandfreies  Arbeiten  erreicht.  Hieraus 
erklärt  es  sich  auch,  daß  bis  zum  Krieg  die  Organisation  der 
Ernährung  des  Einzelhaushalts  oder  der  Gesamtheit  der  in 
einem  Staat  vereinigten  Einzelhaushalte  nur  da  zu  großen  gemein- 
samen Fragen  emporwuchs,  wo  die  Interessen  aller  oder  einer  Mehr- 
heit von  Volksgenossen  zusammenfielen.  Dies  war  im  Frieden  all- 
gemein lediglich  bei  den  heißumstrittenen  Fragen  des  landwirtschaft- 
lichen Zollschutzes  der  Fall,  wo  die  —  im  Krieg  besonders  stark 
ausgebildete  —  Scheidung  in  Verbraucher  und  Erzeuger  tiefe  Gegen- 


424  Fritz  Elsas, 

Sätze  hervorzurufen  pflegte.  Die  Versorgung  der  einzelnen  Haushaltung 
mit  den  zur  Deckung  ihres  Bedarfs  erforderlichen  Lebensmitteln  war 
jedoch  durchaus  nach  Ort,  Zeit,  Art,  Menge  und  Preis  der  benötigten 
Waren  Angelegenheit  der  einzelnen  Haushaltung,  abhängig  von  ihrer 
wirtschaftlichen  Leistungsfähigkeit  und  Geschicklichkeit.  Wesent- 
lich ist  hiernach  für  die  Friedenswirtschaft  die  Beschaffung 
und  Verteilungder  Waren  durch  den  Handel,  dessen  Tätig- 
keit keine  beengenden  Schranken  gezogen  sind,  die  freie  Ein- 
deckungsmöglichkeit  der  gesamten  Volkswirtschaft 
und  die  freie  Eindeckungsmöglichkeitjedes  einzelnen 
Glieds  nach  seinen  eigenen  privatwirtschaf tlichea 
Kräften. 

Die  Leistungsfähigkeit  der  deutschen  Landwirtschaft  hatte  zwar 
seit  1878,  dem  Jahre  des  Umschwungs  der  Bismarckschen  Wirtschafts- 
politik, einen  ganz  außerordentlichen  Aufschwung  genommen.  Aber 
selbst  die  intensivste  Bewirtschaftung  vermochte  den  durch  die  außer- 
ordentliche Bevölkerungszunahme  gewaltig  gestiegenen  Nahrungs- 
und Futtermittelbedarf  um  so  weniger  zu  befriedigen,  als  —  zu- 
sammenhängend mit  dem  Anwachsen  der  Bevölkerungsdichtigkeit 
und  der  Verfeinerung  der  Lebensführung  überhaupt  —  auch  das 
Nahrungsbedürfnis  der  Menschen  formell  starke  Wandlungen 
durchgemacht  hat.  Ein  sehr  erheblicher  Teil  des  Inlandsbedarfs 
konnte  daher  nicht  aus  eigener  Erzeugung  gedeckt  werden ;  trotz  der 
steigenden  Leistungsfähigkeit  der  Landwirtschaft  mußten  in  zuneh- 
mendem Maße  die  durch  den  Handel  aus  fremden  Ländern  be- 
schafften Warenmengen  den  Nahrungs-  nnd  Futlerbedarf 
Deutschlands  mitdecken. 

Als  sich  England  zur  Teilnahme  am  Krieg  der  europäischen 
Festlandsstaaten  entschloß,  war  es  von  der  ersten  Stunde  an  gewillt, 
neben  dem  Krieg  auf  den  Schlachtfeldern  mit  allen  Mitteln  den 
Wirtschaftskrieg  zu  führen.  Seine  Bemühungen  waren  im 
ersten  Kriegsjahr  darauf  abgestellt,  die  überseeische  Zufuhr 
abzuschneiden.  Auch  da  beschränkte  es  sich  zunächst  auf  die  für  die 
Lebenshaltung  Deutschlands  besonders  wichtigen  Waren:  Getreide, 
Fett  und  Futtermittel.  Erst  im  Herbst  des  Jahres  1915  leise  be- 
ginnend, arbeitete  Englands  Wirtschaftspolitik  seit  dem  Frühjahr 
1916  mit  der  ganzen  Planmäßigkeit,  die  dem  Engländer  eigentüm- 
lich ist,  daraufhin,  den  Markt  der  Neutralen  anAuslands- 
waren  und  einheimischen  Erzeugnissen  für  Deutsch- 
land abzusperren  und  die  verhältnismäßig  bescheidenen  Ein- 
fuhrmöglichkeiten aus  den  neutralen  Staaten  Europas  durch  politischen 
Druck  immer  mehr  zu  unterbinden.  Deutschlands  Verbündete :  Oester- 
reich-Ungarn,  Bulgarien  und  die  Türkei  waren  teilweise  überhaupt 
nicht  in  der  Lage,  irgendwelche  Lebens-  und  Futtermittelmengen 
an  Deutschland  abzugeben,  teilweise  waren  die  organisatorischen  und 
verkehrstechnischen  Voraussetzungen  nicht  derartig,  daß  irgendeine 
nennenswerte  Abgabe  herbeigeführt  werden  konnte.  Im  wesentlichen 
war  daher  Deutschland,  nachdem  die  aus  der  Weltwirtschaft  stammen- 


Einige  Grundfragen  der  Ernährungswirtschaft  im  Kriege.  425 

den,  zu  Beginn  des  Krieges  im  Inland  vorhandenen  Vorräte  aufge- 
braucht, Italien  und  Rumänien  in  die  Reihe  seiner  Feinde  überge- 
treten waren,  auf  seine  eigene  Inlandserzeugung  angewiesen.  Auf- 
gabe deutscher  Ernährungspolitik  wurde  es  daher, 
alle  die  Lücken,  die  durch  das  .ausbleibender  fremden 
Zufuhr  und  aus  dem  mit  längerer  Dauer  des  Krieges 
wegen  Mangels  an  Saatgut,  Düngemitteln,  Arbeitskräften,  Verkehrs- 
mitteln zu  erwartenden  Produktionsrückgang  entstehen 
mußten,  auszugleichen. 

Jede  organisatorische  Tätigkeit  ist  an  Schranken 
gebunden,  die  in  den  Verhältnissen  begründet  sind. 
Grundtatsachen  lassen  sich  nicht  aus  der  Welt  schaffen,  wenn  auch 
im  einzelnen  Fall  durch  ihr  Vorhandensein  Wünsche  und  Pläne 
schwer  beeinträchtigt  oder  unmöglich  gemacht  werden.  Solcherlei 
Grundtatsachen,  die  die  Organisation  der  Volksernährung 
entscheidend  beherrschen,  gibt  es  zwei: 

Im  landwirtschaftlichen  Betrieb,  dessen  Leistungs- 
fähigkeit an  sich  schon  durch  natürliche  Voraussetzungen  selbst 
unter  den  besten  Arbeitsverhältnissen  infolge  der  Beschaffenheit 
des  Bodens  und  der  Witterung  begrenzt  ist,  ist  jedes  Gut,  das 
erzeugt  wird,  gleichzeitig  Konsumgut  und  Produk- 
tionsmittel; jedes  landwirtschaftliche  Erzeugnis  ist  ein  Gut,  das 
für  den  Verbrauch  im  allgemeinen  zur  Deckung  des  Nahrungsbedarfs 
geeignet  ist  und  gleichzeitig  wiederum,  als  Produktionsmittel,  als 
Mittel  zur  Erzeugung  anderer  Erzeugnisse,  im  landwirtschaftlichen 
Betrieb  selbst  Verwendung  finden  kann.  Brotgetreide  ist  das  aller- 
wichtigste  Gut,  die  Grundlage  der  Ernährung  für  die  Bevölkerung, 
gleichzeitig  aber  ist  es  als  Futtermittel  oder  als  Saatgut  ein  außer- 
ordentlich wichtiges  Produktionsmittel  für  die  Landwirtschaft.  Selbst 
die  hochwertigsten  Erzeugnisse  der  Landwirtschaft,  die  zunächst 
nicht  mehr  für  den  eigentlichen  landwirtschaftlichen  Betrieb  ver- 
wendungsfähig erscheinen,  sind  nicht  ausschließlich  menschliches 
Verbrauchsgut.  So  spielt  Milch  nicht  nur  als  Nahrungsmittel  für 
den  Menschen,  insbesondere  für  die  Sicherung  der  Kinder-  und  Kranken- 
ernährung, sondern  gleichzeitig,  besonders  bei  dem  Mangel  an  Kraft- 
futtermitteln, bei  der  Schweine-  und  Jungviehaufzucht  eine  außer- 
ordentliche Rolle.  Am  stärksten  zeigt  sich  dieses  Doppelwesen  der 
landwirtschaftlichen  Erzeugnisse  bei  der  Viehhaltung:  sie  ist  Pro- 
duktionsmittel als  Spannkraft,  Düngerlieferant,  Milch-,  Butter-  und 
Käselieferant;  sie  ist  Verbrauchsgut  als  Schlachtvieh.  Zwischen 
Stand  der  Schweinehaltung  und  Ergebnis  der  Kartoffelernte  bestehen 
engste  Zusammenhänge.  So  ist  der  landwirtschaftliche  Be- 
trieb ein  Produktionsorganismus,  indem  letzten  Endes 
alle  Vorgänge  organisch  miteinander  verbunden  sind. 

Dieser  Zusammenhang  des  Erzeugungsvorganges  innerhalb  der 
Landwirtschaft  mit  der  Art  der  Verwertung  des  Erzeugnisses  im 
landwirtschaftlichen  Betrieb  selbst  ist  eine  entscheidende  Tat- 
sache,   mit  der  die  kriegswirtschaftliche  Organisation   unter  allen 


426  Fritz  Elsas, 

Umständen  rechnen  muß.  Alle  Wünsche  und  alle  Pläne,  mögen  sie 
im  einzelnen  noch  so  gut  und  noch  so  berechtigt  sein,  müssen  da- 
mit rechnen.  In  diesem  Zusammenhang  liegt  aber  auch  der  S  c  h  1  ü  s  s  ei 
für  alle  Fragen,  die  Klärung  und  Lösung  bei  der  Durchführung 
der  kriegswirtschaftlichen  Organisation  heischen;  hierin  allein  liegt 
der  Ausgangspunkt,  der  es  ermöglicht,  Entscheidungen  darüber 
zu  treffen,  was  dem  landwirtschaftlichen  Betrieb  für  die  Aufrecht- 
erhaltung seiner  Erzeugung  unbedingt  an  den  einzelnen  Erzeugnissen 
erforderlich  ist,  was  entbehrt  werden  kann,  welche  Preise 
für  die  Lief erungen,  die  dem  Markt  zugeführt  werden, 
zu  bezahlen  sind,  in  welchem  Verhältnis  die  Preise  der  einzelnen 
Erzeugnisse  untereinander  stehen  müssen,  um  die  Produktion  nach 
dieser  oder  jener  Seite  zu  fördern  oder  abzuschwächen.  Erst  für  die 
Preisfestsetzung  des  vierten  Kriegswirtschaftsjahres  1917/18  wurden 
diese  Zusammenhänge  des  landwirtschaftlichen  Betriebs  restlos  erkannt 
und  als  Ausgangspunkt  genommen.  Die  mangelnde  Einsicht  in  diese 
Zusammenhänge  ist  es  in  erster  Linie  gewesen,  die  zu  den  häufig 
schweren  und  verfehlten  Eingriffen  in  die  Landwirtschaft  und  zu 
unrichtigen  Verhältniszahlen  bei  der  Bewertung  landwirtschaftlicher 
Erzeugnisse  geführt  hat.  Nicht  selten  hat  es  sich  bitter  gerächt, 
daß  die  Erkenntnis  der  Produktionszusammenhänge  im  landwirtschaft- 
lichen Betrieb  unter  Alltagsforderungen  und  Alltagswün- 
schen verloren  ging  und  häufig  aus  der  Not  eines  Augenblicks 
geborene  Eingriffe  in  den  landwirtschaftlichen  Produktionsprozeß 
erforderlich  wurden,  die  zwar  der  augenblicklichen  Not  ein  Ende 
bereitet  haben,  aber  eine  Schädigung  des  Produktionsgangs  auf  kurze 
oder  längere  Zeit  zur  Folge  hatten.  Wenn  es  auch  möglich  ist, 
zwangsweise  Fabrikbetriebe  umzustellen,  ja  selbst  wenn  es  möglich 
ist,  technische  Schulungen  der  Menschen  in  verhältnismäßig  kurzer 
Zeit  von  Grund  aus  umzuwandeln,  so  bleibt  es  ein  Ding  der  Un- 
möglichkeit, den  landwirtschaftlichen  Betrieb  in  kurzer  Zeit  in 
einzelnen  Teilen  seiner  Produktionsverhältnisse  so  umzugestalten, 
daß  ein  vollständiger  Wandel  eintritt  und  Wege  geschaffen  werden, 
die  den  natürlichen  Voraussetzungen  widersprechen. 

Von  ebenso  großer  Bedeutung  wie  die  inneren  Zusammen- 
hänge des  landwirtschaftlichen  Betriebs  sind  wirtschaftsgeo- 
graphische Tatsachen.  Das  deutsche  Wirtschaftsgebiet  zerfällt 
in  große  Erzeugungs-  und  große  Bedarfsgebiete.  Weite 
Strecken  in  Ostpreußen,  Westpreußen,  Posen,  Pommern,  Mecklenburg, 
Oldenburg,  in  Süddeutschland  Bayern  und  Teile  Württembergs  sind 
rein  landwirtschaftliche  Erzeugungsgebiete.  Auf  der  anderen  Seite 
haben  das  Vorkommen  natürlicher  Bodenschätze  und  die  Entwick- 
lung besonderer  Teile  der  Industrie  Zusammenballungen  ge- 
waltiger Menschenmassen  geschaffen.  So  entstanden  reine 
Verbrauchsgebiete  wie  Groß-Berlin,  die  Industriereviere  in  West- 
falen, Eheinland,  der  Saar,  Oberschlesien  und  Sachsen.  Verhältnis- 
mäßig  klein  ist  der  Teil,   in   dem   landwirtschaftliche  Anbaugebiete 


Einige  Grundfragen  der  Ernährangswirtschaft  im  Kriege.  427 

durchsetzt  sind  von  industriellen  Verbrauchsgebieten,  wie  in  Mittel- 
deutschland, Württemberg  und  Baden. 

Auch  die  landwirtschaftlichen  Anbaugebiete  weisen 
alsErgebnis  jahrhundertlanger  Entwicklung  tiefgrei- 
fende Unterschiede  auf.  Im  Norden  und  Osten  überwiegt 
Großgrundbesitz,  in  Hannover  Großbauerntum,  in  Bayern  ein 
starkes  bodenständiges  Mittelbauerntum,  im  übrigen  Süddeutsch- 
land Kleinwirtschaft  bis  herunter  zur  Zwergwirtschaft.  Der  Größe 
des  Betriebs  entsprechend  ist  die  Form  der  Bewirtschaftung  des 
Bodens.  Wo  Großgrundbesitz,  ist  im  wesentlichen  extensiver  Ge- 
treidebau, wo  Klein-  und  Mittelbauerntum  ansässig,  findet  sich 
Viehwirtschaft  und  Verarbeitung  von  deren  Erzeugnissen  besonders 
stark  verbreitet.  Art  und  Größe  des  Betriebs  sind  daneben  auch 
bestimmend  für  die  soziologische  und  psychologische  Stellung 
der  landwirtschaftlichen  Bevölkerung:  im  Osten  und  Norden  ist 
der  in  den  Händen  verhältnismäßig  Weniger  befindliche  Groß-, 
grundbesitz  aufs  stärkste  auf  die  Zufuhr  landwirtschaftlicher 
Arbeitskräfte  angewiesen,  im  Süden  und  Südwesten  ist  der  Eigen- 
besitz des  Landwirts  im  weitesten  Umfang  verbunden  mit  Bewirt- 
schaftung des  gesamten  Betriebs  durch  Angehörige  des  eigenen  Haus- 
halts; im  Norden  und  Osten  ist  der  Großbetrieb  mit  allen  techni- 
schen Mitteln  der  Großwirtschaft  ausgestattet,  schon  im  Frieden 
auf  die  Marktbelieferung  eingestellt;  im  Süden  und  Südwesten  finden 
sich  einfachere  Betriebsformen,  aber  stärkerer  genossenschaftlicher 
Zusammenschluß,  um  den  Klein-  und  Mittelbetrieben  die  Vorteile 
der  gemeinsamen  Marktbelieferung  zu  verschaffen ;  beim  Großgrund- 
besitz liegen  für  den  Einzelnen  schwer  übersichtliche  Verhältnisse, 
vielfach  eine  Bürokratisierung  der  Wirtschaftsweise  und  der  Wirt- 
schaftsführung vor,  beim  Klein-  und  Mittelbauerntum  einfache  Ver- 
hältnisse, die  der  Nachbar  leicht  überschaut  und  kennt,  aber  auch 
stärkerer  Hang  zur  Beibehaltung  alter  Wirtschaftsweise. 

Diese  wirtschaftsgeographischen  Tatsachen  sind  für  die  Ver- 
sorgung der  Verbrauchsgebiete  von  außerordentlichem  Einfluß.  Da, 
wo  Verbrauchs-  und  Landwirtschaftsgebiete  wechselseitig  miteinander 
gemischt  sind,  wie  vielfach  im  Süden,  wo  dem  Landwirt  die  Einsicht 
möglich  ist  in  die  Anforderungen,  die  an  den  Industriearbeiter  ge- 
stellt werden,  und  der  Industriearbeiter  selbst  den  Zusammenhang 
mit  der  Landwirtschaft  nicht  verloren  hat,  werden  die  Ernährungs- 
verhältnisse sich  leichter  gestalten.  Anders  da,  wo  die  großen 
Menschenanhäufungen  sind,  wie  in  Berlin  und  in  den  großen  In- 
dustrierevieren. Die  Belieferung  aus  benachbarter  ländlicher  Um- 
gebung vermag  nur  einen  kleinen  Bruchteil  des  Bedarfs  zu  decken. 
Weiter  abgelegene  Erzeugungsgebiete  müssen  zur  Versorgung  heran- 
gezogen werden,  die  Lieferungsverbindungen  werden  unpersönlich, 
zum  rein  sachlichen  Geschäft. 

Innere  Gesetzmäßigkeit  des  landwirtschaftlichen 
Betriebs  und   wirtschaftsgeographische  Verhältnisse 


428  Fritz  Elsas, 

sind  die  Grenzpunkte,  innerhalb  deren  Organisation s^ 
möglichkei  ten  offenstanden.  Die  Frage,  die  von  dem  Augen- 
blick an  zu  lösen  war,  als  man  erkannte,  daß  ohne  Organisation  die 
Ernährung  der  Bevölkerung  nicht  sichergestellt  werden  konnte,  war: 
Auf  welche  Weise  kann  der  Fehlbetrag  zwischen  un- 
bedingt erforderlichem  Nahrungs-  und  Futtermittel- 
bedarf und  tatsächlich  zur  Verfügung  stehenden  Nah- 
rungs- und  Futtermittelmengen  gedeckt  werden? 

Am  Ende  des  dritten  Kriegsjahres  ist  es  leicht,  zu  dieser  Stellung 
des  Problems  zu  gelangen.  Aber  als  der  Krieg  ausbrach,  war  man 
in  weitesten  Kreisen  vollständig  erfüllt  von  weltwirtschaftlichen 
Vorstellungen,  und  niemand  vermochte  den  Gang  nie  erlebter  und 
ungeahnter  Dinge  auch  nur  einigermaßen  zu  übersehen.  So  waren 
die  ersten  wirtschaftlichen  Maßnahmen  bei  der  Ernährungspolitik 
durchaus  primitiver  Art.  Der  unerwartet  rasch  und  heftig  einsetzende 
Zwang,  den  von  Tag  zu  Tag  größer  werdenden  Bedarf  der  Millionen- 
heere, wie  sie  erstmals  eben  auch  durch  diesen  Krieg  geschaffen 
wurden,  zu  decken,  verschob  im  Jahre  1914  zunächst  die  Ernährungs- 
frage einseitig  auf  das  Gebiet  der  Preisfrage.  Die  Deckung  des  Bedarfs 
zu  jedem  Preis  war  vor  allen  Dingen  das  Losungswort,  das  von  dem 
neu  auftretenden  Großverbraucher,  wie  es  die  Heeresverwaltung  ist, 
ausging,  den  freien  Markt  und  dessen  Preisbildung  aufs  stärkste 
und  für  die  Dauer  der  gesamten  Kriegswirtschaft  entscheidend  be- 
einflußte. Dazu  kam,  daß  die  Versuche,  die  im  Jahre  1914  zur 
Lösung  des  Preisproblems  von  selten  der  Verwaltung  unternommen 
wurden,  vielfach  dilettantisch  und  ohne  Kenntnis  der  inneren  Zu- 
sammenhänge des  Wirtschaftslebens,  der  Handelstechnik  und  der 
engen  Verflechtung  aller  landwirtschaftlichen  Betriebsvorgänge  ge- 
macht wurden,  —  Fehler,  die  wesentlich  dazu  beigetragen  haben,  daß 
die  Ernährungspolitik  nachher  sich  auf  das  andere  Extrem  stürzte, 
und  die  Frage  der  Produktionssteigerung  ebenso  einseitig  wie  vor- 
her die  Preisfrage  in  den  Vordergrund  stellte.  Entscheidend  für  diese 
Schwankungen  in  der  Wirtschaftspolitik  war  vor  allem  auch  die  in 
weitesten  militärischen  Kreisen  herrschende  Ueberzeugung,  man  werde 
einen  verhältnismäßig  kurzen  Feldzug  zu  führen  haben;  mit  einem 
mehrjährigen  Krieg  wurde  nur  in  einem  kleinen  Kreise  gerechnet; 
sonst  wären  zweifellos  die  Wirtschaftsmaßnahmen  von  Anfang  an 
anders  eingeleitet  worden. 

So  bestand  im  Jahre  1914,  von  einzelnen  Höchstpreisen  für  be- 
stimmte landwirtschaftliche  Erzeugnisse  abgesehen,  die  Friedensor- 
ganisation bei  der  Lebensmittelversorgung  uneingeschränkt  fort.  Dem 
freien  Spiel  der  Kräfte  war  im  allgemeinen  die  Deckung  des  Bedarfs 
überlassen,  tiefeinschneidende  Eingriffe  kamen  nicht  vor,  bis  sich 
mit  dem  beginnenden  Herbst  des  Jahres  1914  in  wachsendem  Maße 
aus  allen  Kreisen,  namentlich  aber  aus  den  Kreisen  der  Verbraucher 
und  des  legitimen  Handels,  warnende  Stimmen  erhoben.  Am  lautesten 
tönten  die  Warnungen  hinsichtlich  der  mangelnden  Organisation  der 
Versorgung  mit  Brotgetreide  und  Mehl.    Hier  lagen  die  Verhältnisse 


Einige  Grundfragen  der  Ernährungswirtschaft  im  Kriege.  429 

am  klarsten  zutage,  danach  den  offenkundigen  Ausweisen  der  Handels- 
und Produktionsstatistik  ohne  erhebliche  Einschränkung  des  Ver- 
brauchs Deutschland  nimmermehr  seinen  Bedarf  selbst  decken  konnte. 
Ende  1914  und  im  Januar  1915  wurde  bei  der  Organi- 
sation der  Versorgung  mit  Brotgetreide  die  Grund- 
lage der  gesamten  deutschen  Kriegsernährungswirt- 
schaft geschaffen. 

Nachdem  dieser  erste  organisatorische  Versuch,  den  Verkehr 
mit  Brotgetreide  vom  Rohstoff  an  bis  zum  Verbraucher  behördlicher 
Regelung  zu  unterstellen,  glänzend  gelungen  war,  gingen  seit  Sommer 
1915  nacheinander  die  wichtigsten  Lebensmittel  in  die  öffentliche 
Bewirtschaftung  über.  Die  Zahl  der  Reichsstellen,  Landesstellen 
und  örtlicher  Verteilungsstellen,  die  mit  dem  Aufkauf,  der  Bearbeitung 
und  Verteilung  organisatorisch,  kaufmännisch  und  verwaltungstech- 
nisch beschäftigt  wurden,  wuchs  im  Laufe  des  Krieges  sehr  an.  Viel- 
leicht war  die  Gefahr  einmal  nahe,  daß  die  Organisation  den  Zweck, 
der  mit  ihr  erreicht  werden  sollte,  töte  und  lediglich  als  Selbstzweck 
erschien.  Schon  vor  dem  Krieg  war  in  Deutschland  die  Berufung 
auf  Organisation  und  Organisationsfähigkeit  zu  einer  nicht  unbe- 
deutenden Gefahr  geworden.  Organisation  und  Organisation  ist 
zweierlei,  und  wenn  man  immer  nur  organisiert,  besteht  die  Gefahr, 
daß  der  Gegenstand,  der  zu  organisieren  ist,  in  den  Hintergrund 
tritt  und  Organisation  zum  Selbstzweck  wird.  Es  darf  daher  zu 
keiner  Stunde  übersehen  werden,  daß  selbst  die  glänzendste  Leistung, 
die  die  deutsche  Organisationskunst  auf  dem  Gebiet  der  Volks- 
ernährung im  Krieg  vollbracht  hat,  Ende  1914  und  zu  Anfang  des 
Jahres  1915  in  wenigen  Wochen  das  größte  Getreidehandelsgeschäft 
der  Welt  aufzubauen  und  in  einem  Jahr  Getreide  für  mehrere  Milliarden 
Mark  vom  Landwirt  über  den  Müller  durch  Vermittlung  der  Kommunal- 
verbände an  den  Verbraucher  abzusetzen,  daß  diese  glänzendste 
Leistung  eine  technische  Leistung  war,  und  das  Ausschlag- 
gebende dahinter  die  Idee  blieb,  durch  die  Regelung  des  Ver- 
brauchs den  Fehlbetrag  an  Brotgetreide  in  Deutschland  zu 
decken. 

Nicht  immer  blieb  diese  Idee  bei  den  getroffenen  Maßnahmen 
leitend.  Ja,  es  hat  bis  in  das  Frühjahr  1916  gedauert,  bis  das  Reich 
zur  „Organisierung  der  Organisation"  kam,  und  der  Versuch  ge- 
macht wurde,  den  ungeheuer  schwerfällig  gewordenen  Aufbau  der 
kriegswirtschaftlichen  Ernährungseinrichtungen,  der  insbesondere  noch 
durch  den  außerordentlich  schwerfälligen  Apparat  der  bundesstaat- 
lichen Verwaltungsorganisation  überreich  belastet  wurde,  durch  Zu- 
sammenfassung der  Leitung  zu  krönen.  Erst  mit  der  Schaffung  des 
Kriegsernährungsamts  wurde  die  Staats-  und  verwaltungs- 
rechtliche Grundlage  gegeben,  von  der  aus  ein  einheitlicher 
Wirtschaftsplan  unter  einheitlicher  Leitung  ge- 
schaffen werden  konnte. 

Alle  Fragen  der  Kriegsernährung  hängen  letzten  Endes  zusammen 
mit  der  gesamten   militärischen  und  politischen  Lage.    Diese  sind 


430  Fritz  Elsas, 

es,  die  auch  sehr  häufig  es  notwendig  machten,  Pläne,  die  gehegt 
wurden,  unausgeführt  zu  lassen  und  Entscheidungen  zu  treffen,  die 
für  den  Außenstehenden  unerwartet  erscheinen  müssen.  Je  länger 
der  Krieg  dauerte,  desto  stärker  kamen  in  der  kriegswirtschaftlichen 
Organisation  diese  Zusammenhänge  zum  Durchbruch,  zuerst  und  am 
deutlichsten  vielleicht  in  der  Organisation  der  Wareneinfuhr 
aus  dem  Ausland. 

Als  im  Jahr  1914  feststand,  daß  der  Krieg  weitergehe,  führte 
die  Erwägung,  daß  dann  die  Lebensmittelversorgung  zu  erheblichen 
Schwierigkeiten  Anlaß  geben  könnte,  dazu,  daß  in  Fühlungnahme 
mit  dem  Reichsamt  des  Innern  und  führenden  Bundesstaaten  eine 
Organisation  geschaffen  wurde,  die  der  Förderung  der  Einfuhr  von 
Lebensmitteln  aus  dem  Ausland  zu  dienen  bestimmt  war.  Daneben 
blieb  zunächst  der  freie  Handel  in  vollem  Umfang  tätig,  so  daß  die 
neugegründete  „ Reichs-Einkauf sgesellschaft  m.  b.  H."  lange  Zeit  im 
Verborgenen  blühte.  Die  wirtschaftspolitischen  Maßnahmen  unserer 
Feinde,  insbesondere  Englands,  veränderten  weiterhin  die  Lage  auf 
dem  Auslandsmarkte  völlig.  Seit  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1915 
ist  der  Wareneinkauf  im  Ausland  nicht  mehr  eine  Sache  der  persön- 
lichen Geschicklichkeit  der  Leiter,  sondern  ausschließlich  das  Er- 
gebnis der  jeweiligen  diplomatischen  Kämpfe,  haupt- 
sächlich zwischen  den  Vertretern  Deutschlands  und  Englands,  um 
die  Wirtschaftsseele  der  betreffenden  Neutralen,  und  die  Auswirkung 
des  wirtschaftlichen  Druckes,  den  beide  Großmächte  auf  den  Neutralen 
auszuüben  vermögen.  Die  Gründe,  die  zur  Zentralisierung  von  Ein- 
kauf und  Einfuhr  der  wichtigsten  Massennahrungsmittel  führten, 
ergaben  sich  aus  den  Verhältnissen  der  gesamten  deutschen 
Kriegswirtschaft.  Die  zunehmende  Lebensmittelknappheit  in 
Deutschland  vergrößerte  die  Nachfrage  in  den  benachbarten  neutralen 
Staaten  unverhältnismäßig.  Die  zahlreichen,  von  behördlichen  Stellen, 
von  Gemeinden  und  Gemeindeverbänden,  vom  freien  Handel  und 
einzelnen  industriellen  Unternehmungen  aus  Deutschland  und  be- 
sonders auch  aus  Oesterreich-Ungarn  entsandten  Aufkäufer,  die  zum 
Teil  über  keinerlei  Sachkenntnis  verfügten,  überboten  sich  gegen- 
seitig in  der  sinnlosesten  Weise  und  beunruhigten  die  neutralen 
Märkte.  Die  Preise  fast  aller  für  die  Einfuhr  wichtigen  Nahrungs- 
mittel stiegen  infolgedessen  ins  Ungemessene.  Das  Ansehen  des 
Reichs  litt  durch  diesen  Zustand  außerordentlich.  Die  ungehemmten 
Preisanerbietungen  riefen  sowohl  bei  den  Gegnern  als  auch  im  neu- 
tralen Ausland  falsche  Vorstellungen  über  die  wirtschaftlichen  Ver- 
hältnisse und  die  Widerstandskraft  Deutschlands  hervor.  Schwere 
finanzielle  und  wirtschaftliche  Schäden  waren  die  Folge  sowohl  für 
Deutschland,  das  zugunsten  ausländischer  Spekulanten  unangemessen 
hohe  Preise  bezahlen  mußte,  als  auch  für  die  neutralen  Staaten,  denen 
die  Lebensmittel  für  den  Bedarf  der  einheimischen  Bevölkerung  so 
verteuert  wurden,  daß  die  Stimmung  der  breiten  Massen  vielfach 
aus  diesem  Grund  sich  gegen  Deutschland  wandte.  Die  Fortsetzung 
und  Verschärfung  dieser  Zustände  war  geeignet,  die  deutsche  Volks- 


Einige  Grundfragen  der  Em ährungs Wirtschaft  im  Kriege.  431 

Wirtschaft  in  die  schwersten  Gefahren  zu  führen.  Den  Wünschen 
und  Forderungen  der  neutralen  Regierungen  entsprechend,  die  sonst  in 
die  Zwangslage  versetzt  worden  wären,  ihren  heimischen  Markt  durch 
durchgreifende  Ausfuhrverbote  vor  der  Ausplünderung  zu  schützen, 
wurde  nach  und  nach  die  Zentralisierung  von  Einkauf  und  Einfuhr  der 
sämtlichen  wichtigen  Nahrungs-  und  Futtermittel  durchgeführt.  Da- 
durch wurde  gleichzeitig  erreicht,  daß  die  sämtlichen  eingeführten 
Waren  in  der  öffentlichen  Hand  vereinigt  wurden.  Die  Zufuhr 
konnte  entsprechend  den  Bedürfnissen  Deutschlands  und  Oesterreich- 
Ungarns  verteilt  werden;  es  wurde  ermöglicht,  den  auf  Deutschland 
entfallenden  Anteil  den  einzelnen  Bedarfsgemeinden  unter  Berück- 
sichtigung ihrer  Verhältnisse  in  zweckmäßiger  und  gerechter  Weise 
zuzuführen. 

Freilich  blieb  diese  Organisation  der  Einfuhr  im  Inland  und 
Ausland  nicht  ohne  schärfsten  Widerspruch.  Für  die  Be- 
urteilung der  Organisation,  die  als  notwendige  Folge  der  gesamten 
kriegswirtschaftlichen  Verhältnisse  im  In-  und  Ausland  entstehen 
mußte,  ist  der  Erfolg  entscheidend.  Zur  Beurteilung  ist  vor  allen 
Dingen  die  Feststellung  notwendig,  ob  von  derZentral-Ein- 
kauf sgesellschaf t  nach  der  Zentralisierung  der  Ein- 
fuhr mindestens  die  gleicheWarenmenge  nach  Deutsch- 
land eingeführt  wurde,  wie  vor  der  Zentralisierung 
durch  den  freien  Handel. 

Soweit  festgestellt  werden  kann,  war  es  dem  freien  Handel  ge- 
lungen, im  ersten  Kriegsjahr  die  Einfuhr  wichtiger  Lebensmittel 
gegenüber  der  Friedenseinfuhr  aus  den  betreffenden  Staatsgebieten 
erheblich  zu  steigern,  allerdings  unter  ganz  außerordentlichen  Preis- 
opfern, die  für  die  Preisentwicklung  der  Inlandserzeugnisse  von  — 
im  einzelnen  ist  das  schwer  nachzuweisen  —  vielfach  verhängnis- 
vollen Rückwirkungen  begleitet  waren.  Mitteilungen  aus  der  Presse 
und  im  Reichstag  lassen  erkennen,  daß  die  Zentral-Einkaufsgesell- 
schaft  die  Einfuhrmengen  des  freien  Handels  nicht  nur  erreicht, 
sondern  fast  durchweg  zunächst  zu  steigern  vermocht 
hat.  In  erster  Linie  widmete  auch  sie  ihre  Aufmerksamkeit  bei 
ihrer  Einkaufspolitik  der  restlosen  Erfassung  sämtlicher  für  die 
Deckung  des  inländischen  Bedarfs  in  Frage  kommenden  Mengen  auf 
dem  Auslandsmarkt.  Erst  in  zweiter  Linie  wurde  berücksichtigt, 
eine  angemessene  Senkung  der  Preise  oder  wenigstens  die  Verhinderung 
weiterer  Preissteigerungen  zu  erreichen.  Durch  die  Zentralisation 
der  Einfuhr,  die  durch  die  Zentralisation  der  Ausfuhrbewilligungen, 
Maßnahmen  der  Valutapolitik  u.  a.  unterstützt  wurde,  sind  der  deut- 
schen Volkswirtschaft  und  den  deutschen  Verbrauchern  Hunderte 
von  Millionen  erspart  worden.  Andererseits  hat  die  Zentralisation 
den  freien  Handel  vielfach  aufs  schärfste  geschädigt,  so 
daß  es  nicht  verwunderlich  ist,  daß  aus  den  Kreisen  des  ausgeschalte- 
ten Handels,  dem  die  Zusammenhänge  der  Kriegswirtschaftspolitik 
nicht  ohne  weiteres  verständlich  sind,  zahlreiche  Beschwerden  gegen 
diese  Politik  erhoben   werden,  und   immer  aufs  neue  der  Versuch 


432  Fritz  Elsas, 

gemacht  wird,  die  Zentralisierung  zu  durchbrechen.  Unterstützt  wird 
der  einheimische  Handel  in  diesen  Bestrebungen  durch  zahlreiche 
ausländische  Interessenten,  denen  durch  die  Zentralisierungs- 
politik die  leichten  Verdienstmöglichkeiten  der  ersten  Kriegszeit  be- 
schränkt wurden.  Die  vielfach  angeführte,  lediglich  einen  Geschäfts- 
trick darstellende  Behauptung  dieser  ausländischen  Händler,  die  das 
Interesse  daran  haben,  auch  in  Deutschland  die  Zentralisierung  mög- 
lichst in  Mißruf  zu  bringen  und  sie  zu  untergraben,  man  wolle  an 
die  Zentral-Einkaufsgesellschaft  nicht  liefern,  sondern  werde  im  Falle 
der  Ablehnung  eines  Angebots  die  Waren  an  das  feindliche  Ausland 
liefern,  darf  an  der  Richtigkeit  des  eingeschlagenen  Wegs  keinen 
Zweifel  aufkommen  lassen.  Entscheidend  zur  Beurteilung  ist,  daß 
der  Einkauf  im  Ausland  längst  nicht  mehr  eine  kauf- 
männische Angelegenheit  darstellt,  sondern  zum  diploma- 
tischen Vertrag  geworden  ist.  In  festen,  mit  juristischem 
Scharfsinn  ausgeklügelten  Verträgen  haben  sich  England  und  Deutsch- 
land bestimmte  Anteile  an  den  landwirtschaftlichen  Erzeugnissen 
und  den  Fischfängen  als  eine  Pflichtlieferung  oder  in  Form  eines 
Kauf  rechts  gesichert.  Der  Pflichtlieferung  an  England  steht  ein 
Ausfuhrrecht  nach  anderen  Ländern,  d.  h.  nach  Deutschland  und 
Oesterreich-Ungarn  gegenüber,  das  beispielsweise  bei  Fischen  für  den 
holländischen  Fang  auf  20  Proz.,  auf  nur  15  Proz.  in  Norwegen  fest- 
gesetzt ist.  Und  daß  die  Wirtschaftspolitik  zum  engsten  Bestand- 
teil der  gesamten  Kriegsmaßnahmen  geworden  ist,  geht  aus  der  an 
sich  wenig  beachteten,  aber  im  Grunde  genommen  äußerst  wichtigen 
und  bemerkenswerten  Tatsache  hervor,  daß  England  selbst  nach  der 
monatelangen  Durchführung  des  uneingeschränkten  Unterseeboots- 
kriegs nach  wie  vor  Käufer  seines  Pflichtanteils  ist,  auch  wenn  die 
Ware  gar  nicht  nach  England  gebracht  werden  kann,  und  sie  eher 
aus  Mangel  an  Verpackungsmaterial  und  Verkehrsmitteln  in  den 
neutralen  Staaten  zugrunde  -geht. 

Alle  Kriegsernährungsmaßnahmen  stehen  im  engsten  inneren 
Zusammenhang.  Die  Organisation  der  Einfuhr  in  Form  der  Zentrali- 
sierung wäre  nicht  möglich  gewesen,  wenn  sie  nicht  durch  den 
Ausbau  der  innerdeutschen  kriegswirtschaftlichen 
Maßnahmen  getragen  worden  wäre. 

In  dem  Augenblick,  in  dem  feststand,  daß  Deutschland  bei  der 
Versorgung  seiner  Bevölkerung  im  wesentlichen  auf  sich  selbst  an- 
gewiesen sei,  war  die  Grundlage  der  friedenswirtschaftlichen  Organi- 
sation hinfällig;  denn  nun  handelte  es  sich  nicht  mehr  um  Beschaffung 
von  Warenmengen  aus  unerschöpflich  fließenden  Quellen,  sondern 
um  Vorratswirtschaft  mit  beschränkt  zur  Verfügung 
stehenden  Hilfsmitteln.  Der  Handel  freilich  stand  dieser 
Umwälzung  lange  ohne  Verständnis  gegenüber.  Ihm  ist  tiefinnerst 
in  seinem  Wesen  eingeboren,  aus  einer  Verknappung  der  Warenvor- 
räte privatwirtschaftlichen  Vorteil  zu  ziehen  und  bei  sinkendem 
Angebot  und  steigender  Nachfrage  steigende  Preise  zu  erhalten. 
Mit  diesen  Grundsätzen  war  in   der  Kriegswirtschaft  nicht  weiter- 


Einige  Grandfragen  der  Ernährungswirtschaft  im  Kriege.  433 

zukommen,  denn  in  demselben  Augenblick,  als  die  Volkswirtschaft 
zur  Erhaltung  und  Erneuerung  ihrer  Kräfte  lediglich  auf  sich  selbst 
gestellt  wurde,  die  nationale  Selbstversorgung  einsetzte, 
wuchs  die  Deckung  des  Lebensbedarfs  der  einzelnen 
Haushaltung  heraus  aus  dem  ihr  im  Frieden  eigenen 
Bannkreis,  wurde  zu  einer  öffentlichen  Angelegenheit 
und  tratüber  indendurch  den  Krieg  gewaltig  gewach- 
senen Auf gabenkreis  des  Staates.  In  demselben  Augenblick, 
in  dem  der  Krieg  nicht  lediglich  auf  den  Schlachtfeldern  von  den 
kämpfenden  Heeren  ausgefochten  wurde,  sondern  Volk  gegen  Volk, 
Heimat  gegen  Heimat  und  Acker  gegen  Acker  zu  kämpfen  begannen,  in 
diesem  Augenblick  wuchs  dem  deutschen  Staat  eine  Aufgabe  zu,  wie  sie 
größer,  verantwortungsreicher  und  schwieriger  noch  nie  ein  Staats- 
wesen zu  lösen  gehabt  hat.  Es  konnte  nicht  Aufgabe  des  Staates 
sein,  dafür  zu  sorgen,  daß  nur  derjenige  Teil  seiner  Bevölkerung 
sich  den  zum  Lebensunterhalt  erforderlichen  Nahrungsbedarf  ver- 
schaffen konnte,  der  dank  seiner  Einkommensverhältnisse  hierzu  in 
der  Lage  war;  wollte  der  Staat  siegreich  durch  die  schweren  Kämpfe 
hindurchschreiten,  so  mußte  er  mit  der  ganzen  Wucht  seiner  Macht- 
fülle dafür  Sorge  tragen  und  sich  dafür  einsetzen,  daß  der  Gesamt- 
heit seiner  Volksgenossen  das  Mindestmaß  dessen, 
was  zur  Befriedigung  des  Lebensbedarfs  erforderlich 
ist,  zu  erschwinglichen  und  erträglichen  Preisen 
sichergestellt  wurde. 

Nicht  vom  Anfang  der  Kriegswirtschaft  an  stand  dieses  Ziel 
mit  der  klaren  Deutlichkeit  vor  Augen,  mit  der  es  sich  im  Laufe 
der  Monate  herausgearbeitet  hat.  Nicht  alle  Maßnahmen,  die  ge- 
troffen wurden,  trugen  diesem  Ziele  Rechnung.  Aber  von  Monat 
zu  Monat,  ja  von  Woche  zu  Woche  wurde  mit  allen  Mitteln  dar- 
auf hingearbeitet,  dieses  Ziel  zu  erreichen.  Die  Wege,  die  einge- 
schlagen wurden,  blieben  nicht  frei  von  Mißgriffen  und  Fehlern, 
aber  trotz  aller  Anfechtungen  und  Angriffe  und  Mängel,  die  im 
einzelnen  noch  bestehen,  erwies  sich  der  eingeschlagene  Weg 
als  der  allein  mögliche. 

Freilich  mußte,  und  auch  hierzu  bedurfte  es  monatelanger  Arbeit, 
die  gesamte  Wirtschaftsorganisation  umgestellt  werden. 
Da,  wo  die  Friedenswirtschaft  ausschließlich  unter  privatwirtschaft- 
lichen Gesichtspunkten  gearbeitet  hatte,  wo  Wareneindeckung  und 
Warenbelieferung  durch  Händler  und  Genossenschaften  unter  Aus- 
nützung der  Marktlage  erfolgt  war,  stehen  heute  als  ordnende  Ge- 
walt Gesetzesbestimmungen,  hinter  denen  als  Träger  des  Gedankens 
die  Notwendigkeit  steht,  Vorratswirtschaft  nach  allen  Seiten  zu 
treiben.  Man  hatte  zunächst  der  irrigen  Ansicht  —  insbesondere 
auch  in  Kreisen  der  Verbraucher  —  gehuldigt,  dies  Ziel  mehr  oder 
weniger  vollständig  durch  Festsetzung  von  Höchstpreisen  zu  er- 
reichen. Dabei  zäumte  man  leider  das  Pferd  am  Schwanz  auf  und 
erreichte  zwar  vielfach,  daß  örtliche  Höchstpreise,  die  auch  den 
weniger  bemittelten  Verbrauchern  die  Einkaufsmöglichheit  sicherten, 

Jahrb.  f  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  28 


434  Fritz  Elsas, 

geschaffen  wurden,  gleichzeitig  aber  die  Ware  vom  Markt  verschwand. 
Gerade  in  diesen  Monaten  fehlte  bei  den  maßgebenden  Stellen  die 
Kenntnis  der  Wirtschaftstechnik  und  die  Rücksichtnahme  auf 
die  Zusammenhänge  der  landwirtschaftlichen  Erzeugung.  Auf  gut 
Glück  wurden  diejenigen  Warengruppen  herausgegriffen,  die  gerade 
in  den  Tagesforderungen  am  lautesten  Gegenstand  der  öffentlichen 
Erörerung  waren,  und  erst  die  kriegswirtschaftliche  Erkenntnis  und 
Erfahrung,  die  der  alles  umwälzende  Krieg  selbst  schuf,  führte  zu 
planmäßigerem  Vorgehen. 

Das  Ergebnis  dieser  kriegswirtschaftlichen  Entwicklung  kann 
dahin  zusammengefaßt  werden,  daß  an  die  Stelle  des  freien  Marktes  und 
der  freien  Eindeckung  und  des  Absatzes  durch  Handel  und  dessen  Or- 
ganisationen die  öffentliche  Bewirtschaftung  und  die  Ver- 
teilung der  bewirtschafteten  Waren  in  gleicher  Weise  an 
die  Verbraucher  getreten  ist.  Der  freie  Markt  wurde  ersetzt 
durch  gemeinwirtschaftliche  Maßnahmen,  an  die  Stelle 
des  Kaufmanns  trat  der  Beamte,  Ernährungsfürsorge  wurde  einge- 
gliedert in  den  neu  geschaffenen  behördlichen  Organismus. 

Alle  Maßnahmen,  die  zur  Durchführung  dieses  Grundgedankens 
erforderlich  wurden,  zerfallen  in  rechtliche  und  verwaltungs- 
technische. Die  rechtlichen  Grundlagen,  meist  beruhend  auf  dem  be- 
rühmt gewordenen  §  3  des  Gesetzes  über  die  Ermächtigung  des  Bundes- 
rats zu  wirtschaftlichen  Maßnahmen  vom  4.  August  1914,  erfassen 
je  nach  dem  behandelten  Gegenstand  die  Einzelstadien  der  landwirt- 
schaftlichen Erzeugung.  Sie  dienen  der  Sicherstellung  der  Erzeugung, 
der  Beschaffung  des  Saatguts,  der  Düngemittel,  geben  den  Verwaltungs- 
behörden die  Möglichkeit,  brachliegende  Grundstücke  zwangsweise 
der  Bebauung  zuzuführen,  treffen  Verfügung  über  das  Ernteergebnis, 
sichern  die  Grundpreise,  die  der  landwirtschaftliche  Erzeuger  erhält, 
treffen  Bestimmung  über  Art  der  Ablieferung,  Bewirtschaftung,  Ver- 
wendung des  Erzeugnisses  als  Saatgut,  Futtermittel  oder  zu  Zwecken 
der  Weiterverarbeitung,  regeln  die  Belieferung  der  Fabriken,  der 
Mühlen  —  kurz  und  gut,  suchen  den  ständigen  Wechsel  der  Wirt- 
schaftsvorgänge, deren  Abbild  täglich  sich  ändernde  Gestaltungen 
aufweist,  möglichst  vollständig  zu  erfassen;  sie  sind  gesichert 
durch  Strafbestimmungen,  durch  Schaffung  weitestgehender  Be- 
schlagnahme- und  Enteignungsrechte  und  werden  ergänzt  durch 
unter  dem  angewachsenen  Einfluß  der  Verbraucher  geschaffene  Be- 
stimmungen, die  die  Ueberwachung  der  behördlich  vorgeschriebenen 
Preise  und  vielfach  auch  der  Beschaffenheit  der  Verteilungswaren 
bezwecken. 

Schuf  somit  die  Gesetzgebung  ein  —  wie  es  in  der  Natur  der 
Sache  liegt  —  mit  dem  Wechsel  der  gesetzgeberisch  erfaßten  Waren 
formell  in  Einzelheiten  verschiedenes  Werk,  so  wurden  dem  Behörden- 
apparat, der  mit  der  Durchführung  dieses  neuen  Kriegsernährungs- 
rechts beauftragt  wurde,  noch  wesentlich  schwierigere  Aufgaben  zu- 
gewiesen. Auch  hier  waren  tastende,  oft  erfolglose  Versuche  not- 
wendig.   Nicht  auf  den  ersten  Streich  gelangen  vielfach  Maßnahmen 


Einige  Grundfragen  der  Emährungswirtschaft  im  Kriege.  435 

der  Verwaltungsbehörden.  Die  Grundlage,  die  die  Verwaltungsbe- 
hörden zur  Durchführung  ihrer  Aufgaben  benötigten,  war  genaueste 
Kenntnis  der  in  jedem  einzelnen  Augenblick  verfügbaren  Mengen. 
Diese  Kenntnis  fehlte  vielfach.  Die  statistischen  Vorarbeiten, 
die  zur  Verfügung  standen,  waren  großenteils  veraltet;  die  Grund- 
lagen   der   preußischen    Landwirtschaftsstatistik    sind    beispielweise 

—  aus  Ersparnisgründen  —  seit  50  Jahren  nicht  erneuert  gewesen; 
die  zur  ordnungsgemäßen  Durchführung  statistischer  Erhebungen  er- 
forderlichen Beamten,  Einrichtungen,  Unterorgane  fehlten,  sie  mußten 
erst  und  nur  sehr  lückenhaft  ebenfalls  im  Krieg  neu  geschaffen 
werden.  Das  Beamtenpersonal,  das  überhaupt  zur  Verfügung  stand, 
war  wesentlich  geschwächt  durch  die  Abgabe  leistungsfähiger  Kräfte 
zum  Kriegsdienst.  Die  noch  verbleibenden  Beamten  waren  über- 
wiegend, der  Ausbildung  der  Juristen  und  Verwaltungs- 
beamten auf  der  Hochschule  entsprechend,  wirtschaftlich  ungenügend 
vorgebildet,  besondere  Kenntnisse  in  einzelnen  wirtschaftstechnischen 
Organisationsfragen  waren  nicht  vorhanden.  Die  Abneigung  gegen 
die  Zuziehung  von  Vertretern  des  Handels  als  sachverständige  Be- 
rater war  auf  Grund  vielfacher  Erfahrungen,  die  dabei  gemacht 
werden  mußten,  weit  verbreitet.    So  ist  es  erklärlich,  daß  erst  langsam 

—  und  für  die  betroffenen  Verbraucher-  und  Landwirtschaftskreise 
oft  viel  zu  langsam  --  Verwaltungsmaßnahmen  in  harten  Kämpfen 
geschaffen  wurden,  die  bei  ausreichender  kriegswirtschaftlicher  Vor- 
bereitung leichter,  und  ohne  besondere  Schwierigkeiten  und  Stockungen 
zu  verursachen,  hätten  durchgeführt  werden  können. 

Aber  trotzdem  ging  es.  Die  Hemmungen,  die  im  Wesen 
des  Behördenapparats  liegen  und  bei  der  Regelung  wirtschaftlicher 
Fragen,  die  ständig  im  Fluß  sind,  selbst  von  einer  leitenden  Zentral- 
stelle aus  kaum  übersehbar  sind,  wurden  überwunden.  Als  Ergebnis 
all  der  tausendfachen  Erörterungen  im  Parlament  und  Presse,  in 
Versammlungen  und  Eingaben,  in  Denkschriften  und  Vorschlägen 
steht  heute  am  Ende  des  dritten  Kriegswirtschaftsjahrs  die  deutsche 
Ernährungsorganisation  in  ihren  Grundzügen  fertig  da.  Nicht  ohne 
Fehler,  nicht  ohne  vielfach  der  Verbesserungen  und  des  Ausbaus 
bedürftig  zu  sein,  aber  doch  von  dem  Erfolg  begleitet,  daß 
es  bisher  gelang,  der  breiten  Masse  der  Bevölkerung 
mit  zwar  gestiegenen,  aber  durch  mannigfache  Maß- 
nahmen sozial- und  finanzpolitischer  Art  erleichterten 
Preisen  eine  zwar  in  den  großen  Verbrauchsgebieten 
knappe,  aber  immerhin  ausreichende  Ernährung  zu 
gewährleisten. 

An  der  Spitze  der  im  Krieg  geschaffenen  Einrichtungen  steht 
das  Kriegsernährungsamt.  Ihm  unterstellt  sind  die  wichtigsten 
Reichszentralbehörden,  denen  die  Festlegung  der  Grundzüge  für  das 
betreffende  Ernährungsgebiet  sowohl  hinsichtlich  der  Verwaltung 
als  auch  der  Geschäftsführung  übertragen  sind.  Die  Mehrzahl  der 
Reichsstellen  ist  geteilt  in  Verwaltungsabteilungen  und  in  Geschäfts- 
abteilungen, die  meistens  die  Form  der  Gesellschaft  mit  beschränkter 

28* 


436  Fritz  Elsas, 

Haftung  aufweisen,  und  in  denen  als  Leiter  vielfach  erfahrene 
Kaufleute  —  aus  dem  betreffenden  Warenzweig  entnommen  —  tätig 
sind.  Alle  grundlegenden  wirtschaftlichen  Maßnahmen  gehen  nun- 
mehr vom  Reich  aus,  und  lassen  vielfach  den  einzelnen  Bundesstaaten 
nur  knappe  Bewegungsfreiheit,  um  ihren  besonderen  Verhältnissen 
Rechnung  zu  tragen.  Die  zentrale  Bewirtschaftung,  lediglich  von 
der  Reichshauptstadt  aus  und  häufig  durch  deren  örtliche  Eindrücke 
beeinflußt,  gewährt  nicht  immer  die  Möglichkeit,  auf  wirtschafts- 
geographische Verhältnisse  und  die  betriebstechnischen  Formen,  wie 
sie  in  den  einzelnen  Bundesstaaten  vorliegen,  die  erforderliche  Rück- 
sicht zu  nehmen.  Als  wichtigstes  Bindeglied  zwischen  den  zen- 
tralen Spitzen  und  den  unteren  Verwaltungsbehörden  stehen  die  in 
den  einzelnen  Bundesstaaten  geschaffenen  Landeszentralbehör- 
den. In  deren  Zuständigkeit  fallen,  soweit  die  Reichsgesetzgebung 
freien  Spielraum  zuläßt,  die  Maßnahmen,  die  zur  Anpassung  an  die 
einzelstaatlichen  Verhältnisse  erforderlich  sind,  und  vor  allem  die 
Beaufsichtigung  der  unteren  Verwaltungsbehörden  und  die  Mit- 
wirkung bei  der  Erfassung  der  landwirtschaftlichen  Erzeugung.  Als 
letztes  und  der  öffentlichen  Kritik  am  meisten  ausgesetztes  Glied 
bilden  die  unteren  Verwaltungsbehörden,  Kommunalverbände, 
und,  soweit  sie  nicht  mit  diesen  zusammenfallen,  wie  in  den  Groß- 
städten, diesen  nachgeordnet,  die  Gemeinden  den  Abschluß. 

Auf  den  untersten  Schultern  ruht  die  stärkste  Be- 
lastung. Hier  treffen  die  von  den  Zentralbehörden  kommenden 
Fäden  der  kriegswirtschaftlichen  Maßnahmen  zusammen  in  der 
unmittelbaren  Berührung  mit  den  Erzeuger-  und  Ver- 
braucherkreisen. Infolgedessen  werden  gerade  die  untersten 
Stellen  der  eigentliche  Mittelpunkt  der  gesamten  Organisation  so- 
wohl bei  der  Erfassung  der  bewirtschafteten  Waren  als  auch  bei 
der  Verteilung.  Und  während  die  Reichs-  und  Landeszentralbehörden 
mit  den  von  ihnen  bewirtschafteten  Waren  überhaupt  nicht  in  Be- 
rührung kommen,  haben  die  unteren  Verwaltungsbehörden  sowohl 
bei  der  Erfassung  der  landwirtschaftlichen  Erzeugnisse  als  auch 
insbesondere  bei  der  Warenverteilung  damit  unmittelbare  Berührung. 
So  ist  es  gekommen,  daß  selbst  die  kleinsten  Gemeinden  zum  Kaufmann 
und  Lebensmittelhändler  wurden.  Je  größer  aber  die  zu  versorgende 
Bevölkerung  eines  Kommunalverbandes  ist,  desto  größer  ist  der 
Warenumsatz,  der  sich  in  den  Großstädten  auf  viele  Hunderte  von 
Millionen  beläuft,  zu  deren  Erledigung  ein  Heer  von  Angestellten 
neu  aufgestellt  werden  mußte. 

Sowohl  zur  Erfassung  der  landwirtschaftlichen  Erzeugnisse  als 
auch  zur  Beschaffung  und  zum  Vertrieb  der  Verteilungswaren  fehlte, 
von  geringen  Ausnahmen  abgesehen,  den  Gemeinden  und  Kommunal- 
verbänden vor   dem  Krieg  jegliche   Einrichtung^).     Die  Kriegsnot- 


1)  Vgl.    Elsas,    Die    Lebensmittelversorgung    einer   Großstadt   im   Kriege.      Stutt- 
gart 1917. 


Einige  Grundfragen  der  ErnährungSMrirtsehaft  im  Kriege.  437 

wendigkeit  versetzte  sie  in  den  Zwang,  sich  einem  Arbeitsgebiet  zu- 
zuwenden, dem  weitaus  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Gemeinden 
vorher  fremd  gegenübergestanden  hatte.  Bei  dem  Aufgabenkreis,  der 
hier  zu  lösen  war,  tauchten  ebenfalls  vollständig  neue  Fragen  auf: 
Art  der  Warenbeschaffung  durch  die  Gemeinden  und  Kommunal- 
verbände, wobei  sich  als  besonders  interessante  und  wichtige  Neu- 
schöpfung die  Form  der  Gesellschaft  mit  beschränkter 
Haftung  in  zahlreichen  gemeindlichen  und  provin- 
ziellen Lebensmittelversorgungsgesellschaften  durch- 
gesetzt hat^);  Organisation  der  Waren-Unterverteilung  hinsichtlich 
Zeit,  Ort,  Form  der  Warenabgabe,  Sicherung  der  gleichmäßigen  Be- 
zugsrechte aller  Versorgungsberechtigten,  Beteiligung  des  örtlichen 
Groß-  und  Kleinhandels  an  der  Waren-Unterverteilung,  gleichmäßige 
Versorgung  sämtlicher  Verkaufsstellen  zur  ordnungsgemäßen  Be- 
lieferung der  Käufer,  Aufhebung  der  Gewerbefreiheit  durch  Ein- 
führung des  Konzessionszwangs,  Beschränkung  der  Gewerbefreiheit 
durch  das  System  der  Kundenliste  oder  des  Bestellverfahrens,  Ueber- 
wachung  der  amtlich  vorgeschriebenen  Verkaufspreise,  Schutz  der 
Verbraucher  vor  Preisüberforderungen  und  Schutz  der  Gesamtheit 
vor  den  Gefahren  des  wilden  Handels,  Erfassung  der  landwirtschaft- 
lichen Erzeugung  teils  unter  Zuhilfenahme  preispolitischer  Maß- 
nahmen, teils  durch  Ablieferungszwang.  Und  während  den  Reichs- 
und Landeszentralbehörden,  denen  allein  infolge  der  statistischen 
Organisation  der  Ueberblick  über  die  Gesamtheit  der  zur  Verteilung 
zur  Verfügung  stehenden  Lebensmittel  zu  Gebote  steht,  die  großen 
grundlegenden  und  entscheidenden  Organisationsfragen  zur  Erledigung 
zustehen,  haben  die  unteren  Verwaltungsbehörden,  Gemeinden  und 
Kommunalverbände  die  unendlich  mannigfaltige  und  vielseitige  Klein- 
arbeit, von  deren  pflichtgetreuer  Erfüllung  der  Erfolg  der  zentral- 
instanzlichen  Anordnungen  abhängt,  durchzuführen.  So  ist  im  Laufe  der 
Kriegswirtschaft  das  System  der  Zentralbewirtschaftung  notwendiger- 
weise immer  mehr  ausgebaut  und  ergänzt  worden  durch  eine  De- 
zentralisierung bei  der  Durchführung.  Dabei  hat  sich 
gezeigt,  je  sorgfältiger  unter  Anpassung  an  die  je- 
weils örtlich  gegebenen  Verhältnisse  die  Dezentrali- 
sierung sowohl  bei  derErfassung  als  auch  bei  der  Ver- 
teilung vorgenommen  wird,  desto  größer  ist  der  Er- 
folg; denn  immer  wieder  trat  zutage,  daß  das  W  irtschaf  sieben 
sich  zwar  in  seinen  Grundzügen  in  klare  juristische 
Formeln  fassen  läßt,  bei  der  Anwendung  der  Grundzüge  und 
deren  Uebertragung  auf  die  tatsächlichen  Verhältnisse  der  Erfolg 
jedoch  ein  um  so  größerer  ist,  je  mehr  an  Hand  der  Grundzüge  dem 
freien  Ermessen  der  unteren  Verwaltungsbehörden 
noch   Kaum   zur  Betätigung  bleibt.    Je   beweglicher   und   an- 


1)  Vgl.  Elsas,  Gemeindliche  und  provinzielle  Lebensmittelyersorgungsgesellschaften. 
Tübingen  1917. 


438  Fritz  Elsas, 

passungsfähiger  die  Organisation  ist,  desto  geringer  sind 
die  Reibungsflächen,  die  sich  bei  bürokratischer  Organisation  des 
Wirtschaftsiebens  notwendigerweise  ergeben  müssen. 

Gerade  bei  diesen  letzten  Gedankengängen  pflegen  die  Gegner 
der  kriegswirtschaftlichen  Organisation  einzusetzen.  Es  ist  klar, 
daß,  wenn  eine  Organisation  in  die  Lebensgewohnheiten  jedes  Ein- 
zelnen so  tief  eingreift,  wie  es  die  Kriegsernährungsmaßnahmen  tun 
müssen,  um  ihren  Zweck  zu  erfüllen,  an  sich  jeder  Einzelne 
zum  Gegner  wird.  Die  Landwirte  beklagen  sich  darüber, 
daß  ihnen  die  Verfügungsfreiheit  über  ihre  Erzeugnisse  entzogen 
wird,  beklagen  sich  über  den  Ablieferungszwang  und  beklagen  sich, 
daß  die  Erzeugnisse  ihrer  Betriebe,  die  sie  nur  unter  Anwendung  der 
größten  Anstrengung,  unter  Hergabe  ihrer  äußersten  Kräfte  und 
letzter  Ausnützung  ihrer  gesamten  Betriebsmittel  herstellen  können, 
infolge  der  behördlichen  Preispolitik  keinen  Ausgleich  für  die  auf- 
gewendete Mühe  und  Arbeit  erhalten.  Nicht  minder  heftig  sind 
die  Klagen  der  Verbraucher.  Sie  sind  verschieden  je  nach  der 
sozialen  Lage,  den  Einkommensverhältnissen.  Die  Minderbe- 
mittelten, die  breite  Masse  der  Bevölkerung,  klagt  über  die 
Teuerung  und  über  die  einseitige  Preispolitik  der  Regierung  zu- 
gunsten der  Landwirtschaft.  Die  Kreise,  deren  Einkommen  schon 
vor  dem  Krieg  und  im  Krieg  größer  gewesen  sind,  klagen  darüber, 
daß  durch  die  öffentliche  Bewirtschaftung  und  die  gleichmäßige 
Verteilung  der  Waren  ihnen  die  Möglichkeit  genommen  sei,  auf 
rechtmäßige  Weise  sich  die  Warenmengen  zu  verschaffen,  die  sie 
sich  zu  verschaffen  in  der  Lage  wären.  Die  Preispolitik  der  Be- 
hörden habe  dazu  geführt,  daß  die  Ware  vom  Markt  verschwinde, 
während  dann,  wenn  höhere  Preise  bezahlt  würden,  ein  genügend 
großes  Angebot  mit  Sicherheit  vorhanden  sei.  Die  Händler  endlich 
führen  Klage  darüber,  daß  an  ihre  Stelle  und  ihre  Sachkenntnis  un- 
fähige Bürokratie  getreten  sei.  deren  Organisationsgeschick  es  ledig- 
lich erreicht  habe,  daß  die  Ware  vom  Markt  verschwinde  oder  in 
wesentlich  verschlechterter  Form  zu  erheblich  gestiegenen  Preisen 
zugeführt  werde. 

Allen  diesen  Klagen  gemeinsam  ist,  daß  sie  von  mehr  oder 
weniger  starkem  Mißtrauen  gegen  die  Behörden  und  die 
gesamte  kriegswirtschaftliche  Organisation  erfüllt  sind.  Der  Land- 
wirt ist  mißtrauisch,  weil  er  die  maßgebenden  Stellen  der  einseitigen 
Begünstigung  der  Verbraucher  beschuldigt ;  der  Verbraucher  ist  miß- 
trauisch, weil  er  der  Regierung  die  einseitige  Vertretung  agrarischer 
Interessen  mit  Recht  vorwerfen  zu  können  glaubt;  die  Händler  sind 
mißtrauisch,  weil  ihre  wirtschaftliche  Grundlage  vollständig  verändert 
wurde  und  sie  aus  freien,  selbständigen  Wirtschaftsindividuen  in 
mehr  oder  weniger  offener  Form  Kommissionäre  oder  Angestellte 
der  Behörden  wurden.  Aber  auch  untereinander  besteht  zwischen 
den  drei  großen  Wirtschaftsgruppen  tiefgehendes  Mißtrauen.  Der 
Landwirt   wirft  dem  Händler,  soweit   er  sich  noch  betätigen  kann, 


Einige  Grundfragen  der  Ernährungswirtsehaft  im  Kriege.  439 

vor,  sein  Dazwischentreten  verteure  unnötig  die  Waren;  derselbe 
Vorwurf  wird  dem  Händler  vom  Verbraucher  gemacht.  Am  tiefsten 
aber  ist  das  Mißtrauen  zwischen  Landwirt  und  Verbraucher  selbst 
geworden,  weil  der  Landwirt  glaubt,  jeder  städtische  Verbraucher  sei 
wohl  in  der  Lage,  die  von  ihm  als  notwendig  erachteten  Preise  an- 
zulegen, und  der  städtische  Verbraucher  mißgönne  ihm  lediglich  den 
ihm  gebührenden  gerechten  Anteil  an  der  Kriegskonjunktur.  Der 
städtische  Verbraucher  aber  übersieht  die  ungeheuren  Schwierigkeiten, 
unter  der  die  Landwirtschaft  zu  arbeiten  hat,  und  wenn  die  Waren- 
versorgung mit  landwirtschaftlichen  Erzeugnissen  zu  irgendeinem 
Zeitpunkt  in  Stockung  geriet,  witterte  er  stets  absichtliche  Zurück- 
haltung auf  Seiten  der  Landwirtschaft,  um  hierdurch  den  Markt  zu 
entblößen  und  höhere  Preise  zu  erzielen.  Zu  besonders  lebhaften 
Klagen  führt  bei  ihm  die  Tatsache,  daß  dem  Landwirt  größere  Lebens- 
mittelmengen zur  Verfügung  stehen,  als  ihm,  der  in  seiner  breiten 
Masse  lediglich  auf  die  gleichmäßig  rationierten  Waren  angewiesen  sei. 

Woher  kommt  das  außerordentliche  gegenseitigeMißtrauen 
und  die  dadurch  entstandene  Verstimmung  der  Bevölkerungskreise 
untereinander  und  das  Mißtrauen  gegen  die  behördliche  Kriegswirt- 
schaft? Dem  Einzelnen  fehlte  schon  im  Frieden  zu- 
meist die  Kenntnis  des  Zusammenhangs  aller  wirt- 
schaftlichen Vorgänge.  Er  hatte  aber  auch  aus  Gründen 
praktischer  Notwendigkeit  an  sich  kaum  Veranlassung,  sich  mit 
diesen  Zusammenhängen  zu  befassen ;  wenn  die  Versorgung  ordnungs- 
gemäß arbeitete,  war  er  zufrieden.  Der  Landwirt  wollte  selbstver- 
ständlich für  seine  Erzeugnisse  möglichst  gute  Preise,  die  Verbraucher 
arbeiteten  vor  allen  Dingen  durch  genossenschaftlichen  Zusammen- 
schluß darauf  hin,  die  Waren  möglichst  billig  zu  erhalten ;  den  Aus- 
gleich vermochte  im  großen  und  ganzen  der  Handel  mittels  des 
freien  Angebots  aus  dem  Weltmarkt  herbeizuführen.  Mit  dem  Weg- 
fall dieser  Ausgleichmöglichkeit  durch  die  Verhältnisse  des  Kriegs 
kam  ein  eisernes  Muß  zur  Herrschaft.  Jeder  mußte  sich 
Eingriffe  in  seine  persönliche  Freiheit  und  in  seine 
persönlichen  Lebensgewohnheiten  gefallen  lassen,  aber 
ieder  fühlt  sich  dadurch  in  heiligen  Menschenrechten 
getroffen  und  wandte  seinen  Unwillen  jeweils  dem  zu, 
dem  die  Schuld  nach  seiner  Kenntnis  der  Verhältnisse 
zukam.  Die  Unkenntnis  der  Zusammenhänge  und  der 
staatlichen  Notwendigkeit  der  getroffenen  Maß- 
nahmen ist  es  ausschließlich,  die  zu  dieser  gegen- 
seitigen Mißstimmung  geführt  hat.  Wer  in  der  Klein- 
arbeit des  Alltags  drin  steht,  weiß,  von  welcher  Opferbereit- 
schaft und  von  welchem  Verständnis  die  Bevölkerung  er- 
füllt ist,  sobald  ihr  die  Gründe  und  Notwendigkeit  der 
getroffenen  Maßnahmen  klargelegt  werden. 

Was  die  Bevölkerung  verlangt  und  mit  Recht  verlangen  kann, 
ist  offene  Wahrheit  und  keine  Schönfärberei.    Je  klarer  die  Verhält- 


440      Fritz  Elsas,  Einige  Grundfragen  de^  Emährungswirtschaft  im  Kriege. 

nisse  dargelegt  werden,  desto  leichter  und  desto  williger  findet  sich 
die  Bevölkerung  in  die  getroffenen  Maßnahmen.  Die  Sicherung  der 
Kriegsernährung  ist  ein  verwaltungstechnisches  Problem 
allerersten  Rangs,  sie  ist  aber  auch  gleichzeitig  eine  volks- 
psychologische Aufgabe,  wie  sie  in  dieser  Größe  noch  keinem 
Staat  gestellt  war.  Daß  nur  der  Staat  allein  sie  lösen  kann,  geht 
daraus  hervor,  daß  auch  in  den  feindlichen  und  neutralen  Ländern, 
wo  das  Verhältnis  zwischen  Individuum  und  Staat  anders  ist  als  in 
Deutschland,  nur  der  Staat  so  viel  Macht,  Kraft,  Leben  und  Gerech- 
tigkeit in  sich  trägt,  um  diejenigen  Maßnahmen  und  Vorkehrungen 
zu  treffen,  die  zur  Sicherung  und  Erhaltung  seiner  Bevölkerung  not- 
wendig sind. 

(Abgeschlossen  Juni  1917.)  (g.  c.) 


Miszellen.  ^  441 


Miszellen. 


XII. 

TTebersicht  über  den  Weltgetreidemaxkt. 

Vom  1.  Juni  bis  1.  September  1917. 
Von  Otto  Jöhlinger,  z.  Zt.  im  Heeresdienst. 

In  dem  vorigen  Bericht  über  den  Weltgetreidemarkt  (oben  S.  31  fg.) 
war  gesagt  worden,  daß  England  für  ausländisches  Getreide  Höchst- 
preise eingeführt  habe  und  daß  diese  Höchstpreise  weit  hinter  den 
Weltmarktsätzen  zurückbleiben.     Dabei  wurde  wörtlich  ausgeführt: 

„Wenn  also  in  England  ausländisches  Getreide  mit  400, —  M.  ab- 
gegeben wurde,  so  war  das  anscheinend  dadurch  möglich  geworden, 
daß  die  Regierung  aus  der  Staatskasse  rund  200, —  M.  pro  Tonne  bei- 
steuerte." 

Die  Richtigkeit  dieser  Vermutung  ist  in  der  Zwischenzeit  bestätigt 
worden.  Zum  erstenmal  seit  Beginn  des  verschärften  U- Bootkrieges 
ist  von  englischer  Seite  offen  zugegeben  worden ,  daß  die  Regierung 
einen  Teil  der  Kosten  der  Weizeneinfuhr  aus  eigener  Tasche  deckt. 
Am  26.  Juli  1917  fand  nämlich  im  englischen  Oberhause  eine  Debatte 
über  die  Lebensmittelversorgung  statt,  wobei  der  englische  Lebens- 
mittelkontrolleur, Lord  Rhondda,  nähere  Angaben  über  die  Getreide- 
versorgung machte.  Er  wies  zunächst  darauf  hin,  daß  eine  Verminde- 
rung der  hohen  Getreidepreise,  die  außerordentlich  drückend  auf  die 
unteren  Volksschichten  wirkten,  nicht  herbeigeführt  werden  könne ;  denn 
England  sei  für  seine  Versorgung  mit  Nahrungsmitteln  völlig  von  neu- 
tralen Ländern  abhängig.  Würde  man  niedrige  Höchstpreise  festsetzen, 
so  laufe  man  Gefahr,  die  Zufuhren  ganz  abzuschneiden.  Alsdann  gab 
er  ausdrücklich  zu,  daß  die  englische  Regierung,  indem  sie  den  einge- 
führten Weizen  billiger  verkaufe,  als  sie  ihn  auf  dem  Weltmarkt  kaufen 
muß,  erhebliche  finanzielle  Opfer  bringe,  wobei  er  wörtlich  sagte:  „Es 
handelt  sich  um  eine  Politik,  welche  nur  durch  die  Umstände,  in  denen 
wir  uns  befinden ,  gerechtfertigt  werden  kann  und  durch  die  Unmög- 
lichkeit, auf  anderem  Wege  den  Preis  des  Brotes,  des  hauptsächlichsten 
Nahrungsmittels  der  Armen,  zu  verringern.  Vier  Fünftel  unserer  Weizen- 
vorräte kommen  von  Uebersee,  und  ohne  diese  Versorgung  müßten  wir 
verhungern.  Wir  selbst  sind  nicht  in  der  Lage,  den  Preis,  welchen 
der  auswärtige  Produzent  verlangt,  zn  bestimmen."  Dieses  Eingeständ- 
nis ist  höchst  bemerkenswert.  Es  wird  das  zugegeben,  was  man 
bisher  nur  vermuten    konnte,    nämlich  daß    die  verhältnismäßig  billigen 


442  Mis  Zellen. 

Höchstpreise  England  außerordentlich  teuer  zu  stehen  kommen.  Je 
länger  der  Krieg  dauert,  und  je  mehr  die  Preise  auf  dem  Weltmarkt 
steigen,  um  so  mehr  muß  England  für  die  Weizenversorguug  aus  der 
Staatskasse  zuschießen.  Nur  so  kann  es  sich  den  Luxus  leisten,  Brot- 
preise aufzuweisen,  die  unter  der  Weltmarktparität  stehen. 

Auf  dem  Weltgetreidemarkt  ist  im  Laufe  des  Jahres  eine  erheb- 
liche Verteuerung  eingetreten.  Während  beispielsweise  Weizen  ftlr 
Septemberlieferung  in  Chicago  Anfang  Januar  nur  rund  139  Cts.  kostete, 
wurde  Mitte  August  ein  Preis  von  215  Cts.  bezahlt,  nachdem  bereits 
ein  höherer  Satz  inzwischen  vorübergehend  erreicht  worden  war.  Dieser 
Steigerung  haben  die  englischen  Preise  keine  Rechnung  getragen ;  denn 
seit  Februar  ist  keine  wesentliche  Preisveränderung  mehr  in  England 
vorgenommen  worden,  und  dies  trotzdem  sowohl  die  Versicherungs- 
gebühren als  auch  die  Frachten  auf  dem  Weltmarkt  bedeutend  teurer 
geworden  sind. 

Wenn  auch  äußerlich  die  Not  Englands  in  bezug  auf  Getreide  noch 
nicht  allzu  deutlich  in  Erscheinung  tritt,  so  läßt  sich  doch  schon  klar 
erkennen,  daß  der  Unterseebootkrieg  das  Land  in  erhebliche  Verlegen- 
heiten bringt.  Die  ständigen  Klagen  über  die  schlechte  Beschaffenheit 
des  englischen  Brotes  beweisen  deutlich,  wo  zunächst  die  Wirkung  zu 
verspüren  ist.  Da  es  an  Weizen  fehlt ,  hat  man  die  verschiedensten 
Arten  von  Ersatzmitteln  gesucht.  Man  mengt  Reis  und  andere  Frucht- 
arten unter  das  Brot,  was  zur  Folge  hat,  daß  sowohl  die  Haltbarkeit 
als  auch  die  Verdaulichkeit  des  Brotes  außerordentlich  leiden.  Sicher- 
lich hat  England  größere  Vorräte  von  Reis  im  Lande  gehabt,  die  nun- 
mehr aufgezehrt  werden.  Dadurch  ist  die  sonst  unvermeidlich  gewesene 
Weizenkrise  noch  etwas  hinausgeschoben  worden.  Es  handelt  sich  aber 
hierbei  nur  um  ein  Hilfsmittel  von  vorübergehender  Wirkung; 
denn  je  mehr  die  Versenkungen  von  Weizendampfern  zunehmen,  um 
so  mehr  müssen  die  Bezugsschwierigkeiten  sich  steigern.  Schon  jetzt 
erkennt  man  deutlich  die  Wirkung  des  zunehmenden  Frachtraummangels, 
da  eine  Reihe  von  Gütern,  die  zum  Leben  unbedingt  notwendig  sind, 
nicht  mehr  nach  England  eingeführt  werden  dürfen.  Bemerkenswert 
ist  in  dieser  Hinsicht ,  daß  sowohl  die  Einfuhr  von  Fleisch  als  auch 
von  Viehfuttermitteln  unterdrückt  worden  ist,  um  Schiffsraum  für  Brot- 
getreide zu  ersparen.  Bei  Bekanntgabe  dieser  Maßnahme  wurde  aus- 
drücklich darauf  hingewiesen,  daß  England  jetzt  zum  erstenmal  ge- 
zwungen sei ,  die  Armee  mit  einheimischem  Fleisch  zu  ernähren. 
Der  Ackerbauminister  Prothero  erklärte  dabei,  es  handle  sich  hierbei 
nicht  um  eine  freiwillige,  sondern  um  eine  erzwungene  Maßnahme.  Der 
bedeutende  Kriegsbedarf  und  die  deutschen  U-Boote  hätten  den  Eng- 
land zur  Verfügung  stehenden  Schiffsraum  so  verkleinert,  daß  nichts 
für  die  Einfuhr  von  Viehfutter  übrigbleibe.  Deshalb  müßten  die  eng- 
lischen Landwirte  das  Fleisch  für  die  Bevölkerung  beschaffen,  auch 
wenn  sie  hierbei  einen  pekuniären  Schaden  erlitten. 

Im  übrigen  hat  der  U-Bootkrieg  auch  eine  grundlegende  Aenderung 
der  Gesetzgebung  in  England  notwendig  gemacht,  vor  allem  durch  den 
Erlaß   des  Nahrungsmittelgesetzes,    das   im   August    die    Billigung   des 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  443 

Parlamentes  fand,  rreilich  waren  die  Ansichten  über  den  Wert  des 
Kornerzeugungsgesetzes  sehr  geteilt,  und  es  hat  nicht  an  ebenso 
scharfen  wie  berechtigten  Kritiken  des  Gesetzes  gefehlt.  Das  englische 
Kornerzeugungsgesetz  garantiert  den  Landwirten  bis  zum  Jahre  1922 
bestimmte  Mindestpreise  und  zwar  für  Weizen  nicht  unter  45  sh  und 
für  Hafer  nicht  unter  24  sh.  Dadurch  sollen  die  Landwirte  angeregt 
werden,  ihre  Anbaufläche  zu  steigern.  Es  soll  ihnen  das  Risiko  eines 
Preissturzes  abgenommen  werden.  Eine  solche  Garantie  bedeutet  in 
der  Tat  für  England  einen  außerordentlich  weitgehenden  Schritt  und 
zugleich  eine  Verpflichtung  für  die  Regierung,  die  von  nicht  absehbaren 
Polgen  begleitet  sein  kann.  Pallen  die  Weltmarktpreise  unter  die  fest- 
gesetzten Mindestpreise,  dann  erhalten  die  Landwirte  von  der  Regierung 
entsprechende  Vergütungen.  Nun  hat  man  in  England  vorgeschlagen, 
daß  man  die  Vergütung  nicht  für  die  ganze  Ernte  gewähren  solle, 
sondern  nur  für  die  Mehrerzeugung;  denn  es  kann  sein,  daß  mancher 
Landwirt  gar  nicht  mehr  Getreide  anbaut  als  in  den  letzten  Jahren  und 
daß  er  trotzdem  der  Garantiesumme  teilhaftig  wird.  Auf  die  Bedenk- 
lichkeit dieser  Maßregel  wies  die  Zeitschrift  „New  Statesman"  hin,  in- 
dem sie  wörtlich  schrieb : 

„Nun  gab  es  im  Vereinigten  Königreich  vor  dem  Kriege  etwa 
19  Millionen  acres  bestellbaren  Landes,  von  denen  fast  6  Millionen 
mit  Weizen  und  Hafer  bebaut  waren.  Die  Regierung  hofft,  daß  weitere 
3  Millionen  jetzt  umgepflügt  werden,  und  in  Anbetracht  des  Frucht- 
wechsels darf  man  annehmen,  daß  etwa  ein  Drittel  davon,  also  eine  Million 
acres  Weizen  und  Hafer  tragen  würde.  Erfüllt  sich  diese  Hoffnung, 
so  werden  aus  den  6  Millionen  acres  sieben.  Der  Gesetzentwurf  schlägt 
vor,  daß  um  der  einen  Million  mehr  willen  der  Steuerzahler  auch  den 
vorhandenen  sechs  die  Garantie  geben  soll." 

Die  Berechtigung  dieser  Beanstandungen  läßt  sich  nicht  bestreiten. 
Der  Landwirtschaftsminister  betonte  demgegenüber  aber,  daß  es  not- 
wendig sei,  bevor  man  die  Erzeugung  vermehre,  zunächst  einmal  sie 
aufrechtzuerhalten.  Das  sei  nicht  möglich,  wenn  man  den  Landwirten 
nicht  eine  bestimmte  Sicherheit  gewähre. 

Fallen  auf  dem  Weltmarkt  die  Preise  bis  zum  Jahre  1922,  so 
würde  in  der  Tat  die  Uebernahme  der  Garantie  für  die  englische  Staats- 
kasse eine  weitere  erhebliche  Belastung  bedeuten,  und  die  Schwierig- 
keiten der  Lage  kommen  deutlich  in  der  „Morningpost"  vom  25.  Juli 
zum  Ausdruck,  wo  es  heißt: 

„Während  Deutschland  durch  seine  Produktiouspolitik  in  der  Lage 
ist,  durchzuhalten,  muß  England  jetzt  den  Amerikanern  eingestehen, 
am  Ende  seiner  Hilfsquellen  angelangt  zu  sein,  und  sieht  sich  genötigt, 
diesem  hochschutzzöllnerischen  Lande  die  Uebernahme  der  Kriegs- 
finanzierung zu  überlassen.     Diese  Lage  ist  demütigend." 

Die  neue  Getreideernte  Englands  wird  einer  besonderen  Gesetz- 
gebung unterworfen ,  über  die  die  „Times"  vom  3.  August  folgende 
Mitteilungen  brachten  : 

„Die  Verordnung  hat  den  Zweck,  Spekulationsgeschäfte  in 
der   diesjährigen    Getreide-    und    Kartoffelernte    zu    verhindern,    da 


444  Miszellen. 

derartige  Geschäfte  störend  auf  die  Maßnahmen  zur  Preisüberwachung 
und  richtigen  Verteilung  der  Ernte  einwirken  könnten.  Der  alleinige 
Zweck  der  Kontrollmaßnahmen  ist,  die  richtige  Verteilung  der  Ernte 
an  Hand  der  gewöhnlichen  Handelskanäle  sicherzustellen,  und  gleich- 
zeitig dafür  zu  sorgen,  daß  jede  Spekulation  und  jeder  unnötige  Zwischen- 
handel unmöglich  gemacht  wird.  Das  Kontrollsystem  und  die  Preise 
wurden  bereits  von  den  Landwirtschaftsbehörden  Englands,  Schottlands 
und  Irlands  genehmigt. 

Geschäfte  in  Saatgetreide  sind  ohne  jede  BeschränkuDg  hinsicht- 
lich Menge  und  Preis  gestattet.  Man  beabsichtigt,  allen  Weizen,  Roggen 
und  Gerste  für  die  menschliche  Ernährung  und  die  Aussaat  zu  reservieren. 
Der  nicht  für  Mahlzwecke  benötigte  Hafer  steht  als  Viehfutter  zur  Ver- 
fügung. Für  Gerste,  Hafer,  Weizen  und  Roggen  werden  Höchstpreise 
festgesetzt,  die  nur  für  Getreide  von  guter  Beschaffenheit  gelten.  Der 
Höchstpreis  für  Weizen  und  Roggen  schwankt  zwischen  70  sh  für  den 
Quarter  bei  Beginn  der  Saison  und  74  sh  für  den  Quarter  nach  dem 
1.  Juni  nächsten  Jahres.  Der  Durchschnittspreis  beträgt  also  72  sh 
für  den  Quarter  von  480  englischen  Gewichtspfunden.  Dieser  Preis 
entspricht  75  sh  6  d  für  den  Quarter  von  504  Pfd.,  dem  anerkannten 
Handelsgewicht.  In  gleicher  Weise  wird  der  Preis  für  Hafer  mit  dem 
Vorrücken  der  Saison  von  41  sh  auf  45  sh  steigen.  Der  Durchschnitts- 
preis ist  also  43  sh  für  den  Quarter  von  312  Pfd.  und  entspricht  46  sh  8  d 
für  das  Handelsgewicht  eines  Quarters  von  336  englischen  Gewichts- 
pfunden. Die  Hafermüller  dürfen  über  den  Haferhöchstpreis  hinaus 
einen  Zuschlag  von  3  sh  für  den  Quarter  von  336  Pfd.  zahlen ,  was 
sie  in  den  Stand  setzt,  sich  die  besten  Sorten  zu  beschaffen.  Bei  Gerste 
beträgt  der  Höchstpreis  während  der  ganzen  Saison  56  sh  für  den 
Quarter  von  400  englischen  Gewichspfunden  und  entspricht  62  sh  9  d 
für  den  Quarter  von  448  Pfund ,  dem  Handelsgewicht.  Malzhändler 
und  andere  konzessionierte  Käufer  —  aber  nicht  Müller  —  dürfen  bis 
zu  68  sh  für  den  Quarter  von  448  Pfd.  für  die  Gerste,  zu  deren  An- 
kauf sie  Erlaubnis  haben  (falls  solche  vorhanden  ist),  zahlen. 

Um  den  Handel  in  Abfällen  ausgesiebter  W^are  und  Ausschußge- 
treide, die  sich  für  menschliche  Nahrung  nicht  eignen,  zu  höheren  Preisen 
als  dem  Höchstpreise  für  gesundes  Getreide  zu  verhindern  und  jede 
Versuchung  zu  beseitigen,  Getreide  schadhaft  werden  zu  lassen,  beträgt 
der  Höchstpreis,  zu  welchem  für  menschliche  Nahrung  ungeeigneter 
Weizen,  Roggen  und  Gerste  verkauft  werden  dürfen,  für  den  Quarter 
7  sh  weniger,  als  der  jeweils  gültige  Höchstpreis  für  gesundes  Getreide. 

Der  Preis,  zu  welchem  importiertes  Getreide  an  die  Müller 
verkauft  wird,  soll  von  Zeit  zu  Zeit  mit  den  gültigen  Höchstpreisen 
für  gesundes  einheimisches  Getreide  abgestimmt  werden.  Dadurch  wird 
dem  Landwirt  für  gesundes  und  gutes  Getreide  ein  bereitwilliger  Markt 
gesichert,  während  er  gleichzeitig  verhindert  wird,  Höchstpreise  für 
minderwertige  Beschaffenheit  zu  erzielen.  Die  Müller  sollen  nach 
Möglichkeit  ermuntert  werden,  Weizen,  Roggen  und  Gerste  direkt  von 
den  Landwirten  zu  beziehen,  aber  wo  zwecks  Sicherstellung  gerechter 
Verteilung  die  Dienste  eines  Kaufmannes  nötig  sind,  dürfen  die  Extra- 


liiszellen.  445 

kosten  keinesfalls  einen  Shilling  für  den  Quarter  übersteigen,  und  so- 
lange reichliche  Vorräte  vorhanden  sind,  rechtfet  Lord  Rhondda  damit, 
daß  der  Wettbewerb  diesen  Höchstsatz  auf  6  sh  für  den  Quarter  er- 
mäßigen wird. 

Käufer,  die  nicht  Müller  sind,  dürfen,  wenn  sie  durch  einen  als 
solchen  anerkannten  Vermittler  kaufen,  einen  Mehrpreis  von  nicht  über 
2  sh  für  den  Quarter  über  den  Erzeugerhöchstpreis  hinaus  zahlen.  Aber 
auch  in  diesem  Falle  wird  der  Wettbewerb  den  Höchstpreis  ermäßigen, 
solange  reichliche  Vorräte  vorhanden  sind.  Ein  derartiger 
Mehrpreis  ist  aber  nötig,  um  die  Zufuhr  von  Hafer  nach  Industrie- 
mittelpunkten  zu  sichern,  wo  im  gewöhnlichen  Geschäftsgang  der  Hafer 
sowohl  durch  die  Hände  eines  ländlichen  Kaufmannes  wie  eines  Groß- 
händlers gehen  würde.  Bei  Geschäften  von  nicht  über  15  Sack  wird 
eine  weitere  Preiserhöhung  gestattet,  und  bei  solchen  unter  einem  Sack 
gibt  es  keinerlei  Preisbeschränkung.  Es  ist  ungesetzlich,  Getreide 
anders  als  nach  Gewicht  zu  verkaufen,  auch  gelten  die  Preise  für 
Nettokassazahlung,  zahlbar  innerhalb  7  Tagen  nach  vollendeter  Ab- 
lieferung. Der  Erzeuger  hat  seine  eigenen  Säcke  zur  Verfügung  zu 
stellen  oder  für  die  Miete  der  Säcke  bis  zur  Ablieferung  des  Getreides 
aufzukommen.  Die  Ablieferung  geschieht  durch  den  Erzeuger,  ent- 
weder nach  der  nächsten  Bahnstation,  oder,  nach  seiner  Wahl,  nach 
dem  Grundstück  des  Käufers.  Alle  Frachten,  Transportkosten,  Träger- 
und Fuhrlöhne  vom  Ort  aus,  an  dem  die  Anlieferung  seitens  des  Er- 
zeugers stattfindet,  sind  vom  Käufer  zu  zahlen,  ebenso  die  Kosten  der 
Sackmiete  (falls  solche  zu  entrichten  ist)  von  der  Zeit  der  Ablieferung 
ab.  Der  Preis  der  Abfälle  in  den  Mühlen  ist  der  gleiche  wie  der 
Preis  von  Weizen." 

Sehr  eigenartig  gestaltet  sich  die  Preisentwicklung  am  amerika- 
nischen Getreidemarkt.  Seit  Mitte  Mai  hatte  die  amerikanische 
Regierung  eingegriffen  und  die  Notierungen  der  Preise  für  den  laufenden 
Monat  an  den  Produktenbörsen  verboten.  Der  letzte  Kurs  für  Weizen 
pro  Mailieferung  wurde  am  11.  Mai  mit  318  Cts.  für  den  Bsh.  notiert, 
während  zu  Beginn  des  Jahres  die  Preise  nur  auf  185  Cts.  standen. 
Die  letzte  Loco-Notiz  in  New  York  erfolgte  am  8.  Mai  mit  320  Cts. 
gegenüber  195.  Cts  zu  Beginn  des  Jahres.  Während  nun  die  Kurse 
für  Mai  nicht  mehr  notiert  werden  konnten,  sind  die  späteren  Termine, 
also  Juli  und  September,  mit  kurzen  Unterbrechungen  weiter  zur  An- 
schreibung  gelangt.  Zuerst  war  in  der  Tat  ein  Erfolg  der  amerikani- 
schen Regierung  festzustellen,  d.  h.  die  Preise  für  Juli-Lieferungen 
senkten  sich  ganz  erheblich ;  aber  kurz  darauf  war  wieder  ein  Ansteigen 
festzustellen.  Schon  am  4.  Juni  betrug  die  Notiz  für  Juli-Lieferung 
215  Cts.  Der  Preis  schnellte  bis  Ende  Juli  auf  260  Cts.  empor. 
September-Lieferung  erfuhr  zunächst  ebenfalls  eine  Abbröcklung.  Der 
Kurs  sank  bis  auf  195  Cts.  In  der  Folgezeit  schwankte  er  zwischen 
215  und  222  Cts.,  während  er  in  der  gleichen  Vorjahrszeit  nur  rund  143 
Cts.  betragen  hatte.  Ende  Juli  tauchte  dann  plötzlich  wieder  einmal  eine 
Loco-Notiz  auf,  die  zwischen  285  und  255  Cts.  schwankte.  Hier  war  also 
gegenüber  dem  Höchststande  eine  beträchtliche  Ermäßigung  eingetreten. 


446  Miszellen. 

Immerhin   stellte   sich  diese  Loco-Notiz   über    den  Preis  des  Vorjahres 
von  157  Cts. 

Der  Saatenstandsbericht  des  amerikanischen  Ackerbaubüros 
stellt  für  den  1.  August  d.  J.  eine  nicht  unbeträchtliche  Verschlechte- 
rung der  Begutachtungsziffer  von  Frühjahrsweizen  gegenüber  dem  Vor- 
monat fest.  Die  Taxe  lautet  jetzt  auf  68,7  Proz.,  während  im  Vormonat 
die  Ziffer  83,6  betrug.  Es  ist  also  ein  Rückgang  von  15,1  Proz.  ein- 
getreten. Verglichen  mit  dem  Vorjahre,  stellt  sich  allerdings  die  jetzige 
Begutachtungsziffer  noch  etwas  höher;  denn  in  der  gleichen  Vorjahrs- 
zeit war  der  Stand  63,4  Proz.  Am  1.  August  1915  lautete  dagegen 
die  Begutachtungsziffer  auf  93,4  Proz.  Im  Zusammenhang  mit  dieser 
Verschlechterung  steht  ein  Rückgang  der  Taxe  des  Erträgnisses.  Im 
vorigen  Monat  war  die  Schätzung  der  Frühjahrsweizenernte  276  Mill.  Bsh. 
sie  wird  nunmehr  auf  236  Mill.  Bsh.  reduziert.  Für  Winterweizen  ist 
jetzt  die  Angabe  des  Ertrages  etwas  höher  als  im  Vormonat,  nämlich 
417  Mill.  Bsh.  gegen  402  Mill.  Bsh.  im  Vormonat,  481  Mill.  im  Vor- 
jahr und  655  Mill.  in  1915.  Zählt  man  Sommerweizen  und  Winter- 
weizen zusammen,  so  ergibt  sich  eine  Weizenernte  von  653  Mill.  Bsh., 
d.  h.  die  gesamte  Ernte  Amerikas  ist  in  diesem  Jahr  kleiner  als  bei- 
spielsweise im  Jahre  1914  und  1915  Winterweizen  und  Sommerweizen 
zusammen  betrugen!  Die  amerikanische  Ernte  stellte  sich  nämlich  in 
den  letzten  Jahren  auf: 


Jahr 

Winterweizen 

Sommerweizen 

Zusammen 

1917 

417 

236 

653  Mill. 

Bsh. 

1916 

482 

158 

640      „ 

ji 

1915 

655 

356 

lOII 

1914 

685 

201 

886      „ 

^, 

1913 

523 

240 

763      » 

„ 

1912 

400 

330 

730      „ 

»» 

Daraus  ergibt  sich,  daß  die  diesjährige  Ernte  im  Vergleich  mit  dem 
Durchschnitt  früherer  Jahre  recht  klein  ausgefallen  ist.  Man  hat  be- 
rechnet, daß  in  der  Regel  der  heimische  Bedarf  in  den  Vereinigten 
Staaten  550  Mill.  Bsh.  beträgt.  Hierzu  kommt  noch  ein  Erfordernis 
für  Saat  in  Höhe  von  50  Mill.  Bsh.,  so  daß,  wenn  die  jetzige  Ernte 
richtig  geschätzt  ist,  statistisch  nur  eine  Menge  von  53  Mill.  Bsh.  für 
die  Ausfuhr  übrigbleiben  würde.  Hierzu  kommen  die  Vorräte  aus  der 
alten  Ernte,  die  aber  diesmal  nur  einen  Bruchteil  des  Vorjahres  aus- 
machen. Sowohl  bei  den  Farmern  als  auch  bei  den  Händlern  in 
Amerika  liegen  jetzt  wesentlich  kleinere  Mengen  an  Getreide,  als  in 
der  gleichen  Zeit  des  Vorjahres.  Betrugen  doch  nach  der  amtlichen 
Ermittlung  die  Hafervorräte  der  amerikanischen  Farmer  am  1.  August 
d.  J.  nur  47,7  gegen  113,3  Mill.  Bsh.  in  der   gleichen  Vorjahrszeit. 

Der  Stand  des  Maises,  auf  den  man  in  Amerika  in  diesem  Jahre 
so  große  Hoffnungen  gesetzt  hat,  hat  sich  im  Laufe  des  Juli  etwa» 
verschlechtert.  Die  Begutachtungsziffer  lautet  auf  78,8  gegen  81,1  Proz. 
im  Vormonat  resp.  75,3  Proz.  im  Vorjahre.  Trotz  dieser  Ermäßigung 
der  Begutachtungsziffer   ist    aber    die  Ertragsschätzung    diesmal   höher^ 


Miszellen. 


447 


eine  ErscheinuDg,  die  man  in  den  letzten  Jahren  in  Amerika  häufig 
beobachten  konnte,  für  die  indes  seitens  der  amerikanischen  Behörden 
eine  Erklärung  bis  jetzt  nicht  gegeben  wurde.  Die  Maisernte  wird 
nämlich  auf  3191  Mill.  Bsh.  geschätzt  gegen  3124  Mill.  Bsh.  im  Vor- 
monat und  2589  Mill.  Bsh.  im  Vorjahre. 

Da  das  Ernteergebnis  an  Weizen  diesmal  erheblich  hinter  den  ge- 
waltigen Ansprüchen  der  Entente  zurückbleibt,  hat  sich  die  amerikanische 
Regierung  zu  einem  Reformprogramm  großen  Stils  entschlossen. 
Hierüber  wird  aus  Washington  folgendes  gemeldet : 

Die  Regierung  gibt  den  sofort  in  Kraft  tretenden  Kriegsackerbau- 
wirtschaftsplan  bekannt.  Der  Plan  empfiehlt  eine  Vermehrung  der 
Anbaufläche ,  die  unter  den  günstigsten  Verhältnissen  genügt  zur  Er- 
zeugung von  1250  Mill.  Bsh.  Weizen  und  83  Mill.  Bsh.  Roggen.  Die 
Anbaufläche  für  Sommerweizen  kann  nicht  bestimmt  werden ,  soll 
aber  der  von  1917  entsprechen  und  unter  den  besten  Verhältnissen 
350  Mill.  Bsh.  ergeben.  Die  beträchtlich  vermehrte  Weizenerzeugung 
werde  unbedingt  notwendig  sein ,  um  einem  ernsten  Mangel  an  Brot- 
stoffen vorzubeugen,  falls  die  gegenwärtige  Getreideernte  durch  einen 
frühen  Frost  beschädigt  werden  sollte. 

Vergleicht  man  dieses  Reform programm  mit  dem  Projekt  des  Herrn 
Lloyd  George ,  so  muß  man  in  der  Tat  sagen ,  daß  es  sich  bei  dem 
amerikanischen  Plan  um  ein  gewaltiges  Unternehmen  handelt.  Lloyd 
George  ist  zufrieden,  wenn  im  Jahre  1918  die  gesamte  Anbaufläche 
Englands  —  also  Brotgetreide  und  Futtergetreide  zusammen  —  um 
3  Mill.  Acres  zunimmt.  Herr  Wilson  verlangt  eine  Vermehrung  von 
nicht  weniger  als  20  Mill.  Acres  nur  für  Winterweizen !  Eine  Anbau- 
fläche von  47,3  Mill.  Acres,  wie  sie  jetzt  geplant  ist,  hat  Amerika  noch 
nie  aufzuweisen  gehabt.  Es  betrug  nämlich  bisher  die  Anbaufläche 
für  Winterweizen : 


Jahr 

Aussaat 

Ausgewintert 

Abgeernt. 

Ernte  in 

Acker 

Proz. 

Acker 

Acker 

Bsh. 

1917 

40  090  GOO 

32,7 

12437000 

27  653  000 

366  000  000 

1916 

39  203  000 

11,4 

4  236  000 

34  829  000 

481  744000 

1915 

42012000 

2,7 

I  094  000 

40  453  000 

655  045000 

1914 

37  128000 

3,1 

I  119000 

36  008  000 

684  990  000 

1913 

32  387  000 

4,5 

I  449  000 

3 1  699  000 

523561  000 

1912 

32  215000 

20,1 

6  469  000 

26571  000 

399qi9  000 

1911 

32  648  000 

10,7 

3  118000 

29  162000 

430656000 

1910 

3!  656000 

13,7 

4  439  000 

27  329  000 

434142000 

1909 

29  301  000 

7,5 

2  163  000 

27  017  000 

417  781  000 

1908 

3 1  069  000 

4,« 

1  318000 

30  349  000 

437908000 

1907 

3 1  665  000 

11,2 

3  533  000 

28  132000 

409442  000 

1906 

31  341  000 

5,6 

I  718000 

29  600  000 

492  888  000 

1905 

31  155000 

4,6 

I  432  000 

29  864  000 

428  465  000 

1904 

32016000 

15,4 

4  932  000 

26  866  000 

332935000 

In  den  vorangegangenen  Jahren  war   die  Anbaufläche  stets  wesentlich 
kleiner.     In  Zukunft  soll  das  Areal   von  27  auf  47  Mill.  Acres  erhöht 


448 


Miszellen. 


werden,  und  hiervon  erwartet  Amerika  eine  Verdoppelung  des  Ertrages. 
Statt  der  diesmaligen  417  Mill.  Bsh.  sollen  880  Mill.  Bsb.  geerntet 
werden ;  bei  Sommerweizen  erwartet  man  statt  236  Mill.  Bsh.  350  Mill. 
Bsh.  Mit  einer  Gesamtmenge  von  nicht  weniger  als  1,2  Milliarden  Bsh. 
Weizen  hofft  man  allen  Schwierigkeiten,  die  sich  der  Versorgung  der 
Entente  entgegenstellen  können,  zu  begegnen.  Dem  Programm  soll  eine 
gewisse  Großzügigkeit  nicht  abgestritten  werden ;  ob  es  freilich  so  durch- 
geführt werden  kann ,  wie  es  beabsichtigt  ist ,  ist  eine  offene  Frage. 
In  England  haben  sich  in  diesem  Jahre  bei  der  geplanten  Vermehrung 
der  Anbaufläche  sehr  ernste  Hemmnisse  gezeigt.  Dort  ist  das  Acker- 
land trotz  aller  Anstrengungen  nur  ganz  unwesentlich,  nämlich  um 
300000  Acres  vermehrt  worden.  Die  Ursache  für  diese  geringe  Aus- 
dehnung lag  in  dem  Mangel  an  Arbeitern ,  Gespannen ,  Saatgut  usw. 
Man  kann  bestimmt  damit  rechnen,  daß  auch  Amerika  unter  ähnlichen 
Schwierigkeiten  zu  leiden  haben  wird.  Auch  dort  macht  sich  während 
des  Krieges  ein  starker  Arbeitermangel  bemerkbar.  Er  ist  zunächst 
darauf  zurückzuführen,  daß  die  landwirtschaftlichen  Arbeiter  Amerikas 
in  großem  Umfange  zur  Industrie  abgewandert  sind ,  wo  sie  höhere 
Löhne  erhalten  als  in  der  Landwirtschaft.  Hinzu  kommt,  daß  die 
Einwanderung,  die  in  Friedenszeiten  erheblich  zur  Bewältigung  der 
Landarbeiten  beitrug,  während  des  Krieges  auf  ungefähr  ein  Drittel 
gesunken  ist.  Gerade  hieraus  erklärt  sich  ja  auch,  daß  in  Amerika 
seit  dem  Jahre  1915  die  Anbaufläche  des  Winterweizens  so  stark  zu- 
rückgegangen ist.  Der  Ausfall  an  Erntearbeitern  macht  sich  sowohl 
quantitativ  als  auch  qualitativ  bemerkbar.  Die  Felder  können  ohne 
Schwierigkeiten  nicht  in  dem  früheren  Umfange  bestellt  werden,  und 
darüber  hinaus  kann  der  Boden  nicht  mit  der  Sorgfalt  bearbeitet  werden, 
wie  es  gerade  jetzt,  namentlich  bei  dem  Mangel  an  Dünger,  unbedingt 
notwendig  ist.  Es  ist  dies  eine  Erscheinung,  die  nicht  nur  in  Nord- 
amerika, sondern  auch  in  Südamerika  festzustellen  ist.  Nach  den  Er- 
fahrungen ,  die  man  während  des  Krieges  gemacht  hat ,  muß  ernstlich 
bezweifelt  werden,  ob  Amerika  imstande  ist,  eine  so  starke  Ausdehnung 
der  Anbaufläche  vorzunehmen,  wie  jetzt  geplant  ist. 

Der  Eintritt  Amerikas  in  den  Weltkrieg  ist  von  selten  der  Alliier- 
ten mit  sehr  großen  Hoffnungen  begrüßt  worden.  Ist  doch  Amerika 
dasjenige  Land,  das  imstande  ist,  den  Vierverband  nicht  nur  durch 
Geld,  sondern  auch  in  erheblichem  Umfang  durch  Lebensmittel  zu  unter- 
stützen. Freilich  hat  man  gerade  die  Hoffnungen  auf  die  Zuschüsse 
von  Lebensmitteln  anscheinend  etwas  zu  hoch  geschraubt.  Denn  in 
diesem  Jahre  werden  die  Vereinigten  Staaten  kaum  imstande  sein,  das 
Defizit  in  den  Ländern  des  Vierverbandes  wirklich  auszugleichen,  da 
sie  nicht  über  genügende  Getreidemengen  verfügen.  Im  übrigen  dürfte 
aber  auch  die  Hoffnung  auf  das  amerikanische  Getreide  tiügerisch 
werden;  denn  es  hat  sich  bisher  immer  noch  gezeigt,  daß,  wenn  ein 
Land  in  den  Krieg  eintritt,  seine  Getreideerzeugung  zurückgeht.  Das 
ist  eine  ganz  naturgemäße  Erscheinung,  weil  im  Augenblick  des  Ein- 
tritts in  den  Krieg  die  Arbeitskräfte  in  völlig  anderer  Weise  in  An- 
spruch genommen  werden,  als  in  einem  neutralen  Lande.    Das  hat  klar 


Miszellen.  449 

der  Sekretär  des  Ackerbaudepartements  der  Vereinigten  Staaten  in 
dem  amerikanischen  Finanzblatt  „Chronicle"  zum  Ausdruck  gebracht. 
Dieser  vertrat  die  Ansicht,  daß  die  ganze  Welt  am  Vorabend  einer 
wirtschaftlichen  Erschöpfung  steht,  und  die  Mittel  der  Vereinigten 
Staaten,  so  groß  sie  an  sich  auch  seien,  stellten  doch  nur  einen  Tropfen 
Wasser  dar.  Der  Welt  drohe  eine  Hungersnot,  da  seit  3  Jahren 
Millionen  Menschen  der  Produktion  entzogen  wären  und  gleichzeitig 
mehr  verbrauchten  als  sonst.     Alsdann  führt  er  wörtlich  aus: 

„Jetzt  wollen  die  Vereinigten  Staaten,  ein  bisher  neutrales  Land, 
Krieg  führen.  Um  ein  Heer  zu  schaffen,  müssen  sie  der  Produktion 
Millionen  von  Männern,  die  bei  der  Arbeit  fehlen  werden,  entziehen. 
Wenn  wir  eine  gute  Ernte  bekommen,  wird  es  an  Arbeitern  fehlen, 
um  sie  einzubringen,  denn  diese  Arbeiter  sind  dann  mit  anderen  Ar- 
beiten beschäftigt,  die  so  hohe  Löhne,  wie  sie  die  Landwirtschaft  nie- 
mals zahlen  kann,  ergeben.  Wir  wiederholen,  daß  die  Welt  von  wirt- 
schaftlicher Erschöpfung  und  Hungersnot  bedroht  ist.  Die  russische 
Revolution  ist  mehr  ein  Protest  gegen  die  Hungersnot  als  gegen  Zaris- 
mus und  Autokratie.  Angesichts  der  Gefahr  der  wirtschaftlichen  Er- 
schöpfung, die  der  ganzen  Welt  droht ,  ist  es  schwer  zu  glauben ,  daß 
der  Krieg  noch  lange  dauern  wird.  Deshalb  mag  der  Eintritt  der  Ver- 
einigten Staaten  in  den  Krieg,  indem  er  die  Bedingungen,  die  zur  wirt- 
schaftlichen Erschöpfung  führen ,  verstärkt ,  die  Abkürzung  der  Dauer 
des  Krieges  zur  Folge  haben!  Was  die  Frage  angeht,  ob  unsere  Teil- 
nahme am  Kriege  unseren  Freunden  zum  Vorteil  gereichen  oder  ob  sie, 
im  Gegenteil,  ihnen  den  Hals  zuschnüren  wird,  darauf  kann  nur  die 
Zukunft  antworten." 

In  der  Tat,  die  Bedenken  sind  durchaus  zutreffend ,  und  es  wäre 
verfehlt,  wenn  man  von  Amerika  allzuviel  Unterstützung  in  der  jetzigen 
Lebensmittelkrisis  erwarten  würde. 

Unter  den  landwirtschaftlichen  Erzeugnissen  der  Vereinigten  Staaten 
von  Amerika  steht,  was  den  Umfang  der  Produktion  anlangt,  der  Mais 
an  erster  Stelle.  Denn  an  Mais  erntet  Amerika  jährlich  mehr  als  an 
allen  anderen  Getreidearten  zusammen.  Während  beispielsweise  die 
Weizenernte  zwischen  700  und  800  Mill.  Bsh.  schwankt,  erzeugt  Amerika 
an  Mais  zwischen  2700 — 3000  Mill.  Bsh.  Die  amerikanische  Maisernte 
ist  so  groß ,  daß  sie  drei  Viertel  der  ganzen  Maiserzeugung  der  Welt 
ausmacht.  Alle  anderen  Länder  zusammen  bringen  nur  25  Proz.  her- 
vor Trotz  dieses  gewaltigen  Umfanges  ist  aber  die  Ausfuhr  von  Mais 
aus  Nordamerika  sowohl  absolut  als  auch  relativ  nur  klein ,  sie  bleibt 
beträchtlich  hinter  dem  Weizenexport  zurück,  obgleich  die  amerikanische 
Weizenernte  noch  nicht  ein  Drittel  der  Maisproduktion  des  Landes 
klarstellt.  Denn  von  der  Maisernte  werden  1  Proz.,  höchstens  2  Proz. 
ausgeführt,  während  der  ganze  Rest  im  Lande  selbst  verbraucht  wird. 
Die  Erklärung  für  diese  eigenartigen  Verhältnisse  ist  in  der  großen 
Rolle  zu  suchen,  die  der  Mais  in  der  amerikanischen  Viehzucht  spielt. 
Die  Viehhaltung  der  Union  ist  zum  weitaus  größten  Teil  auf  der  Ver- 
fütterung  mit  Mais  aufgebaut.    Es  gilt  dies  sowohl  für  die  Stallfütterung 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  29 


450  Miszellen. 

als  auch  für  die  Weide.  Man  hat  berechnet,  daß  beinahe  82  Proz.  der 
Erzeugung  von  Mais  in  der  Landwirtschaft  selbst  verwendet,  also  nicht 
an  die  Märkte  abgeliefert  werden.  Hiervon  entfallen  nur  0,8  Proz.  auf 
die  Aussaat,  während  für  die  Schweinemast  rund  26,8  Proz.,  für  die 
Pferdefütterung  27  Proz.  verbraucht  werden.  Das  Milchvieh  einschließ- 
lich der  Kälber  erhält  weitere  18  Proz.  Der  Rest  wird  zu  anderen 
Zwecken  in  der  Landwirtschaft  benutzt.  Nach  den  Städten  werden 
einschließlich  der  zu  Exportzwecken  verwendeten  Mengen  in  normalen 
Zeiten  nur  18  Proz.  der  Ernte  gebracht.  Davon  verbraucht  die  Müllerei 
(Maismehl,  Grieß  u.  dgl.)  9  Proz.,  die  Städteindustrie  1,5  Proz.  und  die 
übrigen  Gewerbezweige  (Destillation,  Spirituserzeugung  usw.)  1,3  Proz. 
In  den  Städten  selbst  werden  ungefähr  4,4  Proz.  verfüttert,  ausgeführt 
werden  durchschnittlich  1,7  Proz.  Man  sieht  aus  dieser  Zusammen- 
stellung, daß  selbst  bei  großen  Ernten  Amerika  als  Ausfuhrland  von 
Mais  nur  in  verhältnismäßig  geringem  Umfange  in  Betracht  kommt. 
Das  zu  wissen,  ist  diesmal  besonders  wichtig,  da  angeblich  im  laufen- 
den Jahre  die  nordamerikanische  Union  eine  besonders  große  Ernte  an 
Mais  haben  soll,  worauf  man  seitens  Englands  weitgehende  Hoffnungen 
setzt.  Gewiß  besteht  die  Möglichkeit,  daß  Nordamerika  jetzt  seine  Aus- 
fuhrquote an  Mais  etwas  erhöht.  Es  wäre  aber  verfehlt,  wollte  man 
annehmen,  daß  nunmehr  Amerika  durch  seine  Maislieferungen  den  be- 
stehenden Getreidemangel  auf  dem  Weltmarkt  erheblich  zu  mildern 
imstande  wäre.  Denn  einerseits  ist  im  Kriege  dfer  einheimische  Ver- 
brauch an  Mais  im  Zusammenhang  mit  dem  Aufschwung  der  amerika- 
nischen Fleisch-  und  Fettindustrie  weiter  gestiegen,  und  andererseits 
zwingt  die  kleine  Weizenernte  viele  Farmer,  noch  mehr  Mais  in  der 
eigenen  Wirtschaft  zu  verwenden  als  bisher. 

Regelmäßige  Frachtnotierungen  erfolgen  jetzt  nicht  mehr. 
England  bemüht  sich  vielmehr,  die  Angaben  über  die  Frachtsätze  auf 
dem  Weltmarkt  geheimzuhalten.  Nur  hin  und  wieder  sickert  einmal 
die  eine  oder  andere  Angabe  durch.  So  wurde  Ende  Juni  bekannt^ 
daß  beispielsweise  für  Verladungen  von  spanischen  Südfrüchten  nach 
England  19  sh  für  die  Kiste  verlangt  wurden,  während  beispielsweise 
im  November  1916  der  Frachtsatz  4V2  his  5  sh  war.  Aehnliche  Sätze 
sollen  für  Kartoffeln  und  Tomaten  bezahlt  worden  sein.  Eine  weitere 
Verteuerung  erfahren  die  Auslandsbezüge  dadurch,  daß  die  Hafenarbeiter 
erhebliche  Lohnsteigerungen  durchgesetzt  haben. 

Recht  trübe  sind  die  Aussichten  für  die  französische  Getreide- 
ernte. Der  „ifcconomiste  Fran^ais"  vom  19.  Mai  gibt  eine  Uebersicht 
über  die  französische  Ernte,  wobei  folgendes  ausgeführt  wird: 

„In  den  Jahren  1911  —  1915  hatte  Frankreich  eine  durchschnitt- 
liche Weizenproduktion  von  80,6  Mill.  dz,  während  der  Ueberschuß 
der  Einfuhr  über  die  ^usfuhr  durchschnittlich  15,6  Mill.  dz  betrug. 
Seit  1912  ist  die  französische  Weizenproduktion  dauernd  zurückge- 
gangen; sie  betrug  im  Jahre  1912  91  Mill.  dz,  1913  87  Mill.  dz,  1914 
77  Mill.  dz,  1915  60,6  Mill.  dz  und  1916  58,4  Mill.  dz.  Der  ein- 
heimische  Verbrauch    wurde   in   normalen   Zeiten    auf  86 — 87  Mill.   dz. 


Miszellen. 


451 


geschätzt;  da  für  die  Aussaat  durchschnittlich  9,3  Mill.  dz  erforderlich 
sind,  so  ergibt  sich  ein  jährlicher  Gesamtbedarf  von  etwa  96  Mill.  dz. 
Nach  der  Mitteilung  des  Abgeordneten  Maurice  Long  in  der  Kammer- 
sitzung vom  7.  III.  dieses  Jahres  wurden  vom  8.  I.  1916  bis  zum 
1.  III.  1917  22  Mill.  dz  Weizen  eingeführt.  Da  die  vorjährige  Ernte 
nur  58  Mill.  dz  betrug,  so  ergibt  sich  für  die  Zeit  vom  1.  III.  bis  zur 
diesjährigen  Ernte,  unter  der  Voraussetzung,  daß  das  erforderliche 
Saatgut  im  voraus  bereitgestellt  war,  ein  Fehlbetrag  von  16  Mill.  dz, 
der  durch  weitere  Einfuhr  und  Verbrauchsbeschränkungen  ausgeglichen 
werden  muß." 

Die  Hauptsorgen  Frankreichs  sind  auf  das  nächste  Jahr  gerichtet; 
denn  der  U-Boot-Krieg  macht  sich  auch  in  Frankreich  ganz  empfindlich 
fühlbar,  da  er  nicht  nur  die  Frachten  und  Versicherungsprämien  in  die 
Höhe  treibt,  sondern  auch  den  Bezug  noch  mehr  einschränkt,  als  es 
bisher  der  Fall  war.  Dabei  verringert  sich  der  Kreis  der  Lieferanten, 
die  für  Frankreich  in  Betracht  kommen,  immer  mehr,  namentlich  da 
auch  aus  seinen  nordafrikanischen  Kolonien  nur  geringe  Zuschüsse  zu 
erwarten  sind.  Die  einzige  Hoffnung,  die  man  hat,  sind  die  Ver- 
bündeten, also  vor  allem  die  englischen  Kolonien.  Inwieweit  von 
diesen  ein  Zuschuß  zu  erhalten  ist,  muß  die  Zukunft  lehren. 

Wie  sehr  die  Anbaufläche  in  Frankreich  in  diesem  Jahr  zurück- 
gegangen ist,  zeigt  eine  Statistik,  die  folgende  Vergleiche  anstellt: 


Weizen. 


Winter- 
weizen 

Frühjahrs- 
weizen 

Zusammen 

ha 

ha 

ha 

1917 
1916 
1915 
1914  , 
1913 

3819450 

5  042  870 
5509812 

6  246  540 
6332130 

388  080 
162  750 
213316 
246  790 
213830 

4  207  530 

5  205  620 
5723128 

6  493  330 
6  545  960 

Mengkorn 

Roggen 

ha 

ha 

1917     84485 
1916     loi  205 
1915     104084 
1914     118  950 
1913     125  640 

809  735 

925  600 

I  039810 

I  178610 

I  192  400 

Gerat 

e. 

Winter- 
gerste 

Frühjahrs- 
gerste 

Zusammen 

ha 

ha 

ha 

1917 
1916 
1915 
1914 
1913 

99875 
102  800 

149725 
139  510 
151  370 

496  830 

483  485 
521  692 
592  490 
604  210 

596  705 

586  285 

671  417 

732000 

755  580 

29* 

452  Mißzellen. 


hafer 

j:  ruujituiB- 

hafer 

Zusammen 

ha 

ha 

ha 

593  950 
694  730 

774  577 
838  340 
834  100 

2 OII  120 
2350030 

2  601  002 

3  141  080 
3  164400 

2  605  070 

3  044  760 
3  375  579 
3979420 
3  998  500 

Hafer 
Winter 


1917 
1916 
1915 
1914 
1913 

In  Frankreich  wurden  Mitte  Juli  Höchstpreise  für  Getreide 
eingeführt  und  dabei    u.  a.   folgende  Vorschriften  erlassen: 

Artikel  1.  Mit  Veröffentlichung  des  Dekrets  werden  mit  Geltung  bis  zum 
15.  VII.  1919  für  die  Ernten  der  Jahre  1917  und  1918  folgende  Höchstpreise  für 
den  Doppelzentner  Getreide  festgesetzt:  Weizen  50  frcs.,  Gerste,  Mais,  Roggen, 
Buchweizen,  Hafer  42  frcs.,  und  zwar  für  gute  Qualität  bei  Anlieferung  an  der 
Mühle,  am  Bahnhof  oder  im  Verschiffungshafen,  sofern  bei  der  Ernte  eine  Be- 
fltandsan  meidung  vorlag. 

Artikel  2.  Nichtangemeldete  Vorräte  werden  bei  gleicher  Qualität  mit  einem 
Abschlag  von  7  frcs.  vom  Höchstpreis  requiriert. 

Artikel  3.    Der  Höchstpreis  für  Kleie  wird  pro  100  kg  auf  30  frcs.  festgesetzt. 

Artikel  6.  Der  Mehlpreis  wird  in  den  Departements  einzeln  festgesetzt,  darf 
jedoch  nicht  denjenigen,  der  sich  bei  einer  Ausmahlung  von  85  v.  H.  ergäbe, 
übersteigen. 

Artikel  7.  Eine  Erhöhung  des  Brotpreises  um  5  cts.  pro  1  kg  ist  nach  Ein- 
führung des  neuen  Mehlpreises  zulässig. 

Artikel  8.  Wo  die  Festsetzung  des  Mehlpreises  eine  weitergehende  Er- 
höhung des  Brotpreises  erforderlich  macht,  wird  der  über  den  gesetzlichen  Mehr- 
preis hinausgehende  Betrag  den  Bäckern  durch  das  Verpflegungsministerium 
vergütet. 

Artikel  9.  Innerhalb  40  Tagen  nach  Abschluß  der  Ernte  hat  der  Erzeuger 
seinen  Ernteertrag  zu  melden. 

Artit:el  10.  Dies  geschieht  mit  Hilfe  eines  Erntebuches,  dessen  Führung 
obligatorisch  ist.    Für  Fehlschätzung  wird  bis  zu  20  v.  H   Nachsicht  geübt. 

Artikel  11.  Der  erzielte  Körnerertrag  ist  entsprechend  dem  fortschreitenden 
Drusch  einzutragen. 

Artikel  12.  Jede  unregelmäßige  Führung  des  Erntebuches  hat  die  Un- 
gültigkeitserklärung der  Anzeige  zur  Folge. 

Artikel  13.  Jeder  Verkaufsabschluß  ist  im  Erntebuch  zu  verzeichnen  und 
muß  die  Unterschrift  der  Annahmekommission  oder  des  Händlers  tragen. 

Große  Schwierigkeiten  hat  die  Versorgung  Italiens  mit  Brot- 
getreide gemacht.  Eine  Berechnung  des  „Giornale  d'Italia"  vom  31.  Mai 
stellt  einen  Nettoertrag  aller  landwirtschaftlichen  Erzeugnisse  von  75 
Mill.  dz  fest  (einschließlich  Bohnen,  Kartoffeln  und  Kastanien).  Dem 
steht  ein  Verbrauch  von  rund  90  Mill.  dz  gegenüber,  so  daß  ein  Defizit 
von  15  Mill.  dz  entsteht.  Durch  stärkere  Ausmahlung  hofft  man 
5  Mill.  dz  zu  gewinnen,  so  daß  das  Defizit  10  Mill.  dz  ergeben  würde. 
Dieses  aber  erhöht  sich  durch  den  Mehrverbrauch  des  Heeres.  Es 
bleibt  also  eine  beträchtliche  Fehlmenge,  selbst  wenn  man  berücksich- 
tigt, daß  ein  Teil  durch  andere  Lebensmittel  ausgeglichen  werden  kann. 
Aber  auch  die  großen  Südfruchternten  Italiens  werden  das  Land  nicht 
von  einer  Einfuhr  aus  dem  Auslande  befreien. 


Miszellen.  453 

Eine  interessante  Meldung  enthält  die  „Nowoje  Wremja"  vom 
S.Juli  dieses  Jahres :  Ende  1916  hatten  die  englische  und  französische 
Regierung  das  Recht  verlangt,  die  für  sie  notwendige  Menge  Weizen 
in  der  Schiffahrtsperiode  1917  aus  Rußland  auszuführen  gegen  die 
Verpflichtung,  die  regelmäßige  Beförderung  der  für  Rußland  bestimmten 
Einfuhrgüter  zu  gewährleisten.  Die  Verhandlungen  führten  im  Januar 
1917  zu  einem  Uebereinkommen,  das  in  seinen  Hauptpunkten  die 
Wünsche  Englands  und  Frankreichs  erfüllte.  Jetzt  haben  die  Ver- 
bündeten Rußlands,  nachdem  sie  von  den  Schwierigkeiten  der  russischen 
Getreideversorgung  erfahren  haben,  für  nötig  gefunden,  Rußland  von 
der  Verpflichtung  zur  Lieferung  der  vollen  Getreide- 
menge nach  England  und  Frankreich  zu  befreien,  haben  aber 
andererseits  ihre  Verpflichtung  zur  Versorgung  Rußlands  mit  Kriegs- 
material aufrechterhalten,  das  heißt,  sie  versprechen,  mit  der  Ver- 
sorgung Rußlands,  soweit  ihnen  das  möglich  ist,  im  Rahmen  der  früheren 
Verträge  fortzufahren,  und  sich  mit  der  Menge  Weizen  zu  begnügen, 
die  die  russische  Regierung  ihnen  freiwillig  zur  Verfügung  stellen  kann. 
Daraufhin  hat  das  russische  Auswärtige  Amt  den  Regierungen  Eng- 
lands und  Frankreichs  durch  deren  Botschaften  seinen  verbindlichsten 
Dank  für  diese  Aufmerksamkeit  der  Verbündeten  übermittelt,  die 
zweifellos  zur  Befestigung  des  bestehenden  Bündnisverhältnisses  bei- 
tragen werde. 

Unter  großen  Schwierigkeiten  hat  Holland  zu  leiden.  Dieses 
Land  ist  auf  die  Zufuhr  von  Uebersee,  namentlich  aus  Amerika,  an- 
wiesen. Nun  liegen  in  Nordamerika  zahlreiche  holländische  Dampfer, 
um  amerikanisches  Getreide  einzuladen,  müssen  aber  zunächst  ver- 
gebens warten.  Die  amerikanische  Regierung  weigert  sich  nämlich, 
die  Schiffe  mit  Weizen  herauszulassen,  da  angeblich  die  Ausfuhr  nach 
Holland  Deutschland  zugute  kommt.  Durch  die  amerikanische  Gesetz- 
gebung soll  nämlich  verhindert  werden,  daß  Länder,  die  an  Deutsch- 
land angrenzen,  aus  Amerika  Lebensmittel  beziehen,  und  aus  diesem 
Grunde  werden  den  holländischen  Weizenzügen  ernstliche  Schwierig- 
keiten in  den  Weg  gelegt.  Holland  hat  nur  bis  Ende  des  Jahres 
Getreide  vorrätig.  Gegenwärtig  schweben  Verhandlungen  mit  der 
amerikanischen  Regierung,  um  eine  Milderung  der  Bestimmungen  zu 
bewirken.  Wie  sehr  die  Verhältnisse  in  Holland  eine  Verteuerung 
hervorgerufen  haben,  ergibt  sich  daraus,  daß  Ende  Juli  Weizen  mit 
588  fl.  bezahlt  wurde,  während  der  Preis  in  der  gleichen  Vorjahrszeit 
nur  368  fl.  betrug.  Mais  kostet  400  fl.  gegen  265  fl.  pro  Last.  Wie 
stark  Holland  unter  den  Schwierigkeiten  auf  dem  Weltgetreidemarkt 
zu  leiden  hat,  ergibt  sich  aus  der  Einfuhrstatistik.  Seit  Beginn  des 
Jahres  wurden  an  Weizen  bis  Ende  Juli  281 458  t  eingeführt  gegen 
412150  t  in  der  gleichen  Vorjahrszeit.  Bei  Roggen  betrug  die  Zufuhr 
8465  t  (16  641),  bei  Mais  172  075  t  (285  490).  Außerdem  wurden  für 
Belgien  eingeführt :  Weizen  243  923  t  (444  611),  Mais  12  335  t   (46  697). 

Auch  Schweden  hat  unter  den  Verhältnissen  des  Weltmarktes 
sehr  zu  leiden,  und  infolgedessen  hat  sich  die  Regierung  zu  einer  ein- 


i 


454  Mi  stellen. 

gehenden  Regelung  des  Verbrauchs  an  Brotkorn  entschlossen.  Sämt- 
licher Weizen,  Roggen,  Gerste,  Hafer,  Mischkom,  Wicken,  Erbsen, 
Bohnen  und  Zuckerrüben  der  Ernte  1917  werden  beschlagnahmt;  aus- 
genommen hiervon  sind  in  Privathaushaltungen  3  kg  Erbsen  und  Bohnen 
für  jedes  Mitglied. 

Die  beschlagnahmte  Ernte  soll  spätestens  am  5.  Oktober  und  die 
älteren  Vorräte  am  5.  September  deklariert  werden.  Das  Getreide  soll 
vor  dem   1.  Februar  sorgfältig  gedroschen  und  gereinigt  werden. 

Die  Kommission  hat  das  Recht,  die  beschlagnahmten  Waren  auf- 
zukaufen, und  nur  sie  ist  berechtigt,  von  den  genannten  Getreidearten 
oder  Hülsenfrüchten  anders  als  gegen  Anforderungsschein,  Karten  oder 
Abschnitte  zu  verkaufen.  Das  gleiche  gilt  für  alle  daraus  hergestellten 
Erzeugnisse,  wie  Kleie,  Mehl,  Grütze,  Brot  usw.  Die  Vermahlung  oder 
die  Verarbeitung  zu  Grütze  von  Weizen,  Roggen  und  Gerste  darf  nur 
gegen  besondere,  von  der  Kommission  ausgestellte  Vermahlungskarten 
erfolgen. 

Das  Recht  zur  Selbstversorgung  ist  beibehalten  worden,  aber  nur 
für  Landwirte,  Die  Größe  der  Rationen  kann  mit  Rücksicht  darauf, 
daß  eine  zuverlässige  Berechnung  der  Ernte  noch  nicht  möglich  ist, 
nicht  festgesetzt  werden,  ebensowenig  wieviel  von  der  beschlag- 
nahmten Ernte  dem  Eigentümer  zur  Viehfütterung  überlassen  werden 
kann.  Um  in  der  laufenden  Fütterung  keine  Unterbrechung  ein- 
treten zu  lassen,  werden  die  alten  Vorräte  erst  am  1.  September  be- 
schlagnahmt. 

Der  Begründung  des  Landwirtschaftsministeriums  sind  nachstehende 
Angaben  entnommen:  Der  Staat  muß  nach  Abzug  des  erforderlichen 
Saatkorns  die  gesamte  Weizen-,  Roggen-  und  Gerstenernte  beschlag- 
nahmen. In  welchem  Umfange  Eingriffe  in  die  Hafer-  und  Mischkorn- 
ernte notwendig  sind,  läßt  sich  noch  nicht  beurteilen.  Es  ist  aber  zu 
hoffen,  daß  der  größte  Teil  dieser  Ernte,  die  leider  erheblich  unter 
Durchschnitt  bleiben  wird,  dem  Vieh  vorbehalten  werden  kann.  Jeden- 
falls sind  aber  die  Futtermittel  besonders  knapp.  Auch  bei  Verwen- 
dung aller  möglichen  Arten  von  Ersatzfutter  würde  es  unmöglich  sein, 
den  gegenwärtigen  Viehbestand  aufrechtzuerhalten. 

Die  Vorschriften  sollen  noch  durch  besondere  Maßnahmen  über 
den  Futtermittelhandel  ergänzt  werden.  Mit  Rücksicht  darauf,  daß  der 
Landwirtschaft  die  erforderlichen  Arbeitskräfte  möglichst  erhalten  werden 
müssen,  ist  den  Bauern  das  Recht  zuerkannt  worden,  den  in  ihren 
Diensten  stehenden  Arbeitern  bis  zu  300  kg  Hafer  oder  Mischkorn  als 
Naturalien  zuzuwenden. 

Aus  Argentinien  liegt  folgender  Bericht  des  „Buenos  Aires 
Herald"  vor:  Entsprechend  dem  großen  Verlust  bei  der  Weizenernte, 
der  nur  wenig  mehr  als  100000  t  für  Exportzwecke  freiläßt,  droht 
ein  ähnliches  Verhältnis  bei  der  Maisernte  einzutreten.  Die  Sach- 
verständigen des  Ackerbaudepartements  haben  ihrer  Auffassung  Aus- 
druck gegeben,    daß    infolge    der  Trockenheit   und    des  Auftretens   von 


Miszellen.  455 

Heuschrecken  der  Ernteertrag  sich  noch  weit  beträchtlicher  unter  einem 
normalen  halten  wird.  Nach  offizieller  Schätzung  sind  insgesamt 
3  629  570  ha  mit  Mais  bestellt  worden.  Von  dieser  Fläche  ist  der 
Ertrag  von  1 328 100  ha  vollständig  verloren.  Während  der  Ertrag 
der  Ernte  auf  den  Hektar  sich  unter  normalen  Verhältnissen  auf  1500 
bis  2000  kg  stellt,  haben  in  diesem  Jahre  nur  wenige  begünstigte 
Stellen  einen  solchen  Ertrag  aufzuweisen.  Nach  offiziellen  Schätzungen 
beziffert  sich  der  Ertrag  per  Hektar  in  Kilogramm  auf  600  für  Buenos 
Aires,  500  für  Santa  Fe,  500  für  Cordoba,  800  für  Entre  Rios  und 
1500  für  andere  Gegenden.  Wahrscheinlich  ist  mit  einem  Gesamt- 
ertrage von  1  523  000  t  zu  rechnen,  d.  h.  er  ist  geringer  als  irgend- 
ein Ernteergebnis  in  den  vorhergehenden  Jahren  mit  Ausnahme  von 
1910/11,  wo  703  000  t  geerntet  wurden.  Der  heimische  Verbrauch  von 
Mais  wird  auf  1  680  700  t  im  Durchschnitt  für  das  Jahr  gerechnet,  so 
daß  die  gegenwärtige  Ernte  auf  Grund  der  bisherigen  Schätzungen 
kaum  für  das  Land  ausreichen  wird.  Von  der  vorjährigen  Ernte  ist 
noch  ein  kleiner  Ueberschuß  vorhanden. 

Während  in  Europa,  namentlich  bei  den  Alliierten,  ein  starker 
Mangel  an  Getreide  herrscht,  weiß  Australien  nicht,  wo  es  seinen 
Ueberschuß  unterbringen  soll.  Dieses  Land  erstickt  förmlich  in  seiner 
großen  Erzeugung.  Wird  doch  gemeldet,  daß  in  Australien  derartig 
viel  Getreide  lagert,  daß  es  bereits  den  Ratten  und  Mäusen  zum  Opfer 
fällt.  Da  an  eine  Verschiffung  vorläufig  nicht  zu  denken  ist,  hat  man 
den  Plan  gefaßt,  zunächst  Lagerhäuser  zu  bauen,  um  das  Getreide  für 
spätere  Zeiten  aufzustapeln,  wobei  freilich  zu  beachten  ist,  daG  hier- 
durch ein  großer  Gewichtsverlust,  ganz  abgesehen  von  der  wahrschein- 
lichen Qualitätsverminderung,  zu  erwarten  ist.  Nach  englischen  An- 
gaben lagern  in  Australien  41/2  Mill.  t  Getreide  über  den  Bedarf,  die 
auf  Verschiffung  warten.  Diese  Menge  würde  ausreichen,  um  Englands 
Weizenbedarf  für  mindestens  6  Monate  zu  decken.  Da  man  aber  nicht 
imstande  ist,  direkte  Verladungen  nach  England  vorzunehmen,  so  plant 
man  jetzt,  Holzschiffe  zu  bauen  und  das  Getreide  in  diesen  Holzschiffen 
zunächst  nach  Südafrika  zu  verladen.  Dort  soll  eine  Umladung  nach 
England  erfolgen,  ein  Plan,  der  schon  wegen  der  ungeheueren  Kosten 
unausführbar  ist.  Darüber  hinaus  dürfte  auch  eine  Weiterverladun 
von  Südafrika  nach  England  deshalb  kaum  möglich  sein,  weil  Südsr 
afrika  selbst  unter  sehr  großen  Lebensmittelschwierigkeiten  zu  leiden- 
hat und  froh  sein  wird,  wenn  es  zur  Deckung  seines  eigenen  Bedarfs 
Getreide  aus  Australien  erhält.  An  ein  Weitersenden  nach  England 
wird  nach  Lage  der  Verhältnisse  kaum  zu  denken  sein.  Gerade  die 
Tatsache,  daß  England  mit  sehr  erheblichen  Lebensmittelschwierigkeiten 
zu  kämpfen  hat,  während  in  Australien  der  Ueberschuß  kaum  geborgen 
werden  kann,  zeigt  die  völlige  Desorganisation  des  Weltgetreidemarktes 
infolge  der  Frachtraumknappheit. 

Der  letzte  amtliche  Bericht  über  den  Ertrag  der  indischen 
Ernte  gibt  eine  Ziffer  von  47  Mill.  Quarters  an.  Im  Vergleich  mit 
den  Vorjahren  stellt  sich  diese  Ziffer,  wie  folgt: 


466 


Mi 

iBzellen. 

Ertrag  in  Mill.  Quarters 

Export 

1916/17 

• 

47,41 

? 

1916/16 

39,7  5 

3,42 

1914/15 

47.98 

2,91 

1913/14 

39,00 

3,21 

1912/13 

45,80 

5,59 

1911/12 

45,80 

7,59 

Der  diesmalige  Ertrag  stellt  sich  höher  als  der  Durchschnitt  der  letzten 
10  Jahre,  sofern  die  Ernteziffern  den  tatsächlichen  Verhältnissen  ent- 
sprechen sollten.  Infolgedessen  setzt  man  diesmal  große  Hoffnungen 
auf  die  indische  Ausfuhr,  die  im  Durchschnitt  der  letzten  Jahre 
4,55  Mill.  Quarters  betrug.  Ob  aber  die  Ausfuhr  tatsächlich  größer 
sein  wird  als  im  letzten  Jahrzehnt,  ist  mehr  als  zweifelhaft;  denn 
gerade  in  Indien  macht  sich  der  Schiffsraummangel  ganz  besonders 
bemerkbar.  Schon  im  letzten  Erntejahr  mußten  große  Mengen  indischen 
Weizens  zurückbleiben,  da  es  an  Frach träum  fehlte. 


Miszellen.  457 


XIII. 

Die    Entwicklung    der  Warenpreise    in    England 
während  des  Krieges. 

Von  Franz  Eulenburg. 
Mit  1  Kurve. 

Eine  Darstellung  der  Preise  im  Kriege  stößt  auf  eine  doppelte 
Schwierigkeit.  Einmal  ist  die  Internationalität  fortgefallen,  und  Welt- 
marktpreise existieren  nicht  mehr.  Vielmehr  steht  jedes  Land  unter 
besonderen  Bedingungen  und  besonderen  Verhältnissen,  die  einzeln 
verfolgt  werden  müssen.  Auch  hat  die  Stetigkeit  der  Preise,  die  sonst 
für  die  moderne  Entwicklung  charakteristisch  ist,  gänzlich  aufgehört. 
Einzelne  Momente  zum  Teil  unwirtschaftlicher  Art  gewinnen  überragende 
Bedeutung.  Sodann  sind  überhaupt  die  Preisnotierungen  im  Kriege  weit 
lückenhafter  geworden,  vor  allem  über  andere  Waren  als  Lebensmittel 
hält  es  schwer,  ein  Urteil  zu  gewinnen.  Man  wird  sich  mehr  noch  als 
sonst  mit  Teilbildern  begnügen  müssen.  Das  beste  Material  liegt 
immer  noch  für  England  vor.  Der  „Economist"  setzt  seine  seit  langem 
gegebene  monatliche  Berichterstattung  über  die  Preise  auch  in  dieser 
Zeit  fort.  Wir  beginnen  darum  unsere  Untersuchungen  mit  England 
und  erstrecken  sie  auf  die  Zeit  von  Kriegsbeginn  bis  Ende  1916  — 
also  auf  die  Zeit,  wo  der  verschärfte  U-Bootkrieg  noch  nicht  in  Er- 
scheinung treten  konnte.  Die  Fortsetzung  dieser  Untersuchung  wird 
für  das  nächste  Jahr  vorbehalten,  wenn  sich  die  Entwicklung  durch 
den  U-Bootkrieg  im  Zusammenhacg  übersehen   läßt. 

Im  „Economist"  finden  sich  monatlich  die  bekannten  Indexziffern, 
d.  i.  eine  Reihe  systematisch  zusammengefaßter  Uebersichten  aus 
einzelnen  Notierungen,  wenigstens  was  die  Eogrospreise  anbetrifft. 
Weniger  unterrichtet  sind  wir  über  den  Kleinhandel  und  die  Kosten 
der  Lebenshaltung.  In  der  Uebersicht  des  „Economist"  sind  nur 
wenige  Nahrungsmittel  des  Großhandels  erfaßt,  die  bei  weitem  kein 
zutreffendes  Bild  der  Preisgestaltung  im  Haushalte  gewähren,  so 
daß  wir  ergänzender  Mitteilungen  bedürfen.  Auch  dafür  sind  An- 
halte vorhanden.  Es  handelt  sich  bei  den  Indexziffern  des  „Econo- 
mist" um  44  Waren,  die  in  fünf  Gruppen  zusammengefaßt  werden: 
I.  Zerealien  und  Fleisch  (10).  II.  Andere  Nahrungsmittel  und  Kolonial- 
waren (6).  III.  Webstoffe  (10).  IV.  Bergbauprodukte  (8).  V.  Ver- 
schiedenes (10).  Ausgangspunkt  für  die  Berechnungen  des  „Economist" 
bilden  die  Durchschnittspreise  der  Jahre  1901/05.  Die  Methode  der 
Meßziffern  ist  lange  gehandhabt  worden.  Die  Einwendungen  liegen 
auf    der   Hand:    die    im  Verhältnis    zur  Fülle   des  Warenmarktes  sehr 


468 


M  i  s  z  e  1 1  e  n. 


geringe  Auswahl  der  Waren,  die  Beschränkung  auf  die  Engrospreise, 
das  Fehlen  eines  Gewichtes  für  die  einzelnen  Werte.  Trotz  dieser  an 
sich  wohl  berechtigten  Einwände  geben  uns  die  Ziffern  einen  Einblick 
in  die  Gesamttendenz  der  Preisbewegung  am  englischen  Markt,  der 
kaum  ersetzbar  ist.  Die  Tendenz  dieser  Bewegung  geht  aus  ihnen 
deutlich  genug  hervor.     Vgl.  Tabelle  1  und  die  Kurve. 


I.   Eng 

lische 

Meßzif  f  eri 

l. 

Datum 

Zerealien 

und 

Fleisch 

Kolonial- 
waren 

Spinn- 
stoffe 

Bergbau- 
produkte 

Ver- 
schiedenes 

Total 

Generid- 
index 

Durchschnitt  1901  —  1905 

500 

300 

500 

400 

500 

2200 

100 

I.  Quartal  1913 

594 

358 

641 

529 

595 

— 

123 

II.  Quartal 

580 

346 

624 

522 

598 

— 

121 

III.  Quartal 

583 

359 

871 

523 

578 

— 

123 

IV.  Quartal 

563 

355 

642 

491 

572 

— 

119 

Ende  Januar  1914 

562 

356 

626 

502 

572 



119 

„     April 

560 

346 

634 

482 

562 

— 

118 

„     Juni 

566 

345 

616 

472 

551 

2549 

116 

„     Juli 

579 

352 

616 

464 

553 

2565 

117 

„     August 

641 

369 

626 

474 

588 

2698 

123 

„     September 

646 

405 

612 

472 

645 

2780 

126 

„     Oktober 

656 

400 

560 

458 

657 

2732 

124 

„     November 

683 

408 

512 

473 

684 

2760 

126 

„     Dezember 

714 

414 

509 

476 

686 

2800 

127 

„     Januar  1915 

786 

413 

535 

521 

748 

3003 

137 

„     Februar 

845 

411 

552 

562 

761 

3131 

142 

„     März 

840 

427 

597 

644 

797 

3305 

150 

,,     April 

847 

440 

594 

630 

816 

3327 

151 

..     Mai 

893 

437 

583 

600 

814 

3327 

151 

„     Juni 

818 

428 

601 

624 

779 

3250 

148 

f,     Juli 

839 

441 

603 

625 

774 

3281 

149 

„     August 

841 

439 

628 

611 

77^ 

3296 

150 

„     September 

810 

471 

667 

620 

770 

3336 

152 

„     Oktober 

834 

444 

681 

632 

781 

3371 

153 

„     November 

872 

444 

691 

668 

826 

3500 

159 

„     Dezember 

897 

446 

731 

712 

849 

3634 

16S 

„     Januar  1916 

9^7 

465 

783 

762 

885 

3840 

175 

„     Februar 

983 

521 

806 

802 

898 

4008 

182 

„     März 

950 

503 

797 

851 

913 

4013 

182 

»     April 

971 

511 

795 

895 

1019 

4190 

191 

„     Mai 

1024 

529 

805 

942 

1019 

4319 

196 

„     Juni 

989 

520 

794 

895 

1015 

4213 

192 

„     Juli 

961 

525 

797 

881 

1040 

4204 

191 

„     August 

1000 

532 

882 

873 

1086 

4372 

199 

„     September 

1018 

536 

937 

859 

1073 

4423 

201 

„     Oktober 

1124 

543 

991 

851 

1087 

4596 

209 

„     November 

1178 

558 

109 1 

850 

1102 

4779 

217 

„     Dezember 

1294 

553 

1125 

824 

1112 

4908 

223 

„     Januar  1917 

1310 

560 

1137 

826 

1120 

4953 

226 

Miszellcn. 


459 


c 
1 

fJllliliidJlllll  iiii 

Juni 

Juli 

September 
Oktober- 
November. 
Oazembar. 

1500 

Enqlische  Messziffern. 

Kolonialwaren 

Spinnprodukte 

Bergbauprodukte 

Verschiedenes 

u*>n 

1400 

1350 

»300 

1250 

1 

' 

1200 

^ 

1150 

' 

M 

1100 

7 

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1050 

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1000 

1 

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750 

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650 

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600 

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350 

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Die  Steigerung  in  den  zweieinhalb  Jahren  bis  Dezember  1916  be- 
trug danach  2388  Punkte,  das  sind  93  Proz.  Allerdings  ist  diese  Zu- 
nahme keine  gleichmäßige.  Anfangs  ging  die  Steigerung  recht  langsam 
vor  sich,  in  dem  ersten  Halbjahr  nur  um  T^/g  Proz.  Seit  dem  Dezember 
1914  wurde  das  Tempo  ein  wesentlich  beschleunigteres,  so  daß  am  Ende 
des  ersten  Kriegsjahres  die  Erhöhung  des  Preisniveaus  30  Proz.  betrug. 
Seitdem  ist  aber  die  Steigerung  noch  eine  wesentlich  größere  ge- 
worden; sie  machte  Anfang  Dezember  bereits  90  Proz.  aus,  und  allem 
Anschein  nach  wird  diese  Erhöhung  durch  den  verschärften  Ü-Boot- 
krieg  progressiv  zunehmen. 

Dabei  wird  es  nötig  sein,  die  einzelnen  Gruppen  besonders  zu 
betrachten.     Denn    auch    hier    ist    die   Steigerung    keine   gleichmäßige. 


450  Miszellen. 

Wir  geben    dafür   die  folgende  Zusammenstellung.     Es  betrug  die  Zu- 
nahme : 

Juli  1914    Jan.  1915  Juli  1915  Jan.  1916  Juli  1916  Juli  1914 

bis                 bis  bis  bis  bis  bis 

Jan.  1915    Juli  1915  Jan.  1916  Juli  1916  Jan.  1917  Jan.  1917 
I.    Zerealien  uud 

Fleisch                       +  3^          +7  +   I3  +     »  +3^  »26 

IL   Kolonialwaren            +17          +7  +5  +^3  +7  59 

III.  Webstoffe                   —  15          +13  +30  +2  +43  »5 

IV.  Bergbauprodukte        +12          +20  +22  +16  —       7  78 
V.  Verschiedenes              +35          +3  +    H  +18  +8  103 

Gesamtheit       +17  +9  +   I7  +9  +   »8  97 

Das  gesamte  Preisniveau  hat  sich  also  ungefähr  verdoppelt.  Am 
wenigsten  sind  noch  die  Preise  für  Kolonialwaren  gestiegen,  zu  denen 
Tee,  Zucker,  Kaffee,  Butter  gehören;  ihre  Preissteigerung  beträgt  un- 
gefähr Ys-  Wesentlich  mehr  haben  schon  die  Bergbauprodukte  (Kohle, 
Kupfer,  Zinn,  Roheisen)  und  die  Spinnstoffe,  also  Baumwolle.  Jute,  Seide, 
Hanf,  Wolle,  angezogen,  nämlich  je  um  ungefähr  ^g.  Die  Preise  für 
verschiedene  Rohstoffe  der  Industrie,  denen  Leder,  Kautschuk,  Palmöl, 
Talg  zuzurechnen  sind,  haben  sich  mehr  als  verdoppelt.  Am  meisten  aber 
haben  sich  die  Nahrungsmittel,  Zerealien  und  Fleisch,  verteuert,  nämlich 
um  Y4  gegenüber  dem  Anfangspreise.  Ueber  das  verschiedene  Tempo  der 
Preissteigerungen  gibt  die  obige  kleine  Uebersicht  hinreichende  Aus- 
kunft. Danach  war  das  erste  und  dann  das  letzte  Halbjahr  die  Zeit 
der  größten  Teuerung.  Bei  den  Spinnstoffen  ging  der  Preis  im  ersten 
Halbjahr  sogar  zurück;  dasselbe  zeigt  sich  bei  den  Bergbauprodukten 
im  letzten  halben  Jahr.  Sonst  ist  aber  gerade  in  der  letzten  Zeit 
unserer  Berichterstattung  die  Steigerung  besonders  groß  gewesen,  ob- 
wohl der  verschärfte  U-Bootkrieg  noch  nicht  eingesetzt  hatte,  der  diese 
Tendenz  noch  wesentlich  verschärfte.  —  Wir  wenden  uns  nunmehr 
der  Behandlung  der  einzelnen  Gruppen  zu. 

I.  Nahrungsmittel. 

a)  Die  erste  Gruppe  ist  die  der  Lebensmittel.  Es  gehören 
nach  der  englischen  Statistik  dazu :  Weizen,  Weizenmehl,  Gerste,  Hafer, 
Kartoffeln,  Rindfleisch,  Hammelfleisch,  Reis.  Soweit  es  möglich  ist, 
wie  bei  Weizen  und  Fleisch,  handelt  es  sich  dabei  um  englische 
Waren,  während  für  die  Lebensmittelversorgung  der  Bevölkerung  selbst 
gerade  eingeführte  Waren  überwiegen  und  deren  Preise  von  den  ein- 
heimischen stark  abweichen.  Insofern  ist  die  Auswahl  der  Waren 
nicht  glücklich  und  in  manchen  Beziehungen  irreführend,  wenn  man 
nicht  Einzelheiten  betrachtet.  Das  Preisniveau  für  diese  10  Waren 
war  nach  zwei  Kriegsjahren  um  2/3  höher  als  zu  Beginn,  dann  aller- 
dings bis  Anfang  Januar  1917  schon  um  5/^.  Die  Hauptsteigerung 
fällt  also  an  den  Schluß  des  Vorjahres.  Es  wurde  Mai  1915  ein  erstes 
Maximum  erreicht,  um  hernach  wieder  herabzugehen.  Seit  dem  März 
des  neuen  Jahres  tritt  dann  eine  ganz  energische  Preissteigerung  ein, 
die  nach  einiger  Ermäßigung  einstweilen  im  November  ihre  absolute 
Höhe  erreichte.     Dabei    haben  wir  es  zum  Teil   nur  mit  Engrospreisen 


Miszellen.  461 

ZU  tun,  die  noch  keine  unmittelbaren  Rückschlüsse  auf  die  Lebens- 
haltung zulassen,  da  ja  zwischen  Groß-  und  Kleinhandelspreisen  sich 
noch  mehrere  Zwischenglieder  einschieben  und  eine  große  Menge  sehr 
wichtiger  Lebensmittel  fehlen. 

Am  wichtigsten  ist  offenbar  der  englische  Weizenpreis.  Die 
Berechnung  des  „Economist"  legt  immer  den  englischen  Weizen  zu- 
grunde; der  ist  jedoch  viel  weniger  charakteristisch  als  der  fremde, 
da  auch  bei  gutem  Ernteausfall  7*  ^©s  Bedarfes  vom  Auslande  ge- 
deckt werden  muß.  Wir  werden  uns  darum  für  die  nährere  Unter- 
suchung in  der  Hauptsache  an  den  ausländischen  halten.  Der  Preis 
für  amerikanischen  Weizen  (d.  i.  kanadischen  Manitoba)  bewegt  sich 
in  einer  ausgesprochenen  Kurve  auf  dem  Londoner  Markt.  Er 
steigt  von  1  £  16  sh  9  d,  d.  s.  etwa  169  M.  für  die  Tonne,  im 
Juli  1914  zunächst  sehr  stark  an,  um  im  Mai  1915  mit  3  £  13  sh 
(b=  333  M.  die  Tonne)  das  erste  Maximum  und  eine  V^erteuerung  um 
100  Proz.  zu  erfahren.  Dann  sinkt  er  bis  zum  Juli  wieder  auf  2  £ 
18  sh  herab,  um  bald  von  neuem  die  aufsteigende  Bewegung  durch- 
zumachen bis  zum  März  1916.  Neues  Herabsinken  bis  zum  Juli  und 
von  da  an  wiederum  Aufsteigen  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres,  das 
einstweilen  im  November  gipfelt.  Am  Ende  des  zweiten  Kriegsjahres 
ist  der  ausländische  Weizenpreis  um  47  Proz.  höher  als  zu  Anfang 
und  steht  auf  248  M.  die  Tonne,  also  etwas  unter  dem  Berliner  Preis 
mit  260  M.,  während  der  Roggen  bei  uns  nur  220  M.  beträgt.  Im 
Dezember  1916  notiert  der  Preis  für  die  Tonne  bereits  373  M.,  steht 
also  um  113  =  43  Proz.  über  den  deutschen  und  120  Proz.  über  den 
zu  Beginn  des  Krieges.  Das  bezieht  sich  auf  amerikanischen  Weizen. 
Der  englische  Weizen  hat  nicht  ganz  dieselbe  Verteuerung  er- 
fahren :  stand  er  von  vornherein  niedriger  (1  £  14  sh  3  d  im  Juli 
1914),  so  betrug  auch  sein  Maximum  nicht  ganz  so  viel  (nur  3  £ 
11  d  im  Juli  1915),  und  nach  zwei  Kriegsjahren  stellt  er  sich  auf 
2  £  6  sh  3  d,  also  um  Vs  höher  als  zu  Beginn  des  Krieges.  Bis 
Ende  des  Jahres  1916  war  er  freilich  ebenfalls  wieder  auf  3  £  11  sh 
5  d  gestiegen,  hatte  sich  also  auch  um  mehr  als  das  Doppelte  verteuert. 
Die  Spannung  zwischen  amerikanischem  und  englischem  Weizen  ist  von 
21/2  auf  7V2  sh  gestiegen.  Für  die  englische  Ernährung  spielt  aber  das 
amerikanische  Produkt  die  Hauptrolle,  weil  gerade  unter  dem  Kriege 
sich  die  Bezugsländer  geändert  haben.  Wir  werden  uns  also  vor- 
wiegend an  diese  zu  halten  haben.  Bei  der  Wichtigkeit  des  eng- 
lischen Weizenpreises  für  die  gesamten  Lebensverhältnisse  versuchen 
wir  auf  die  Ursachen  der  Steigerung  näher  einzugehen.  Zwei  Gruppen 
von  Momenten  können  in  Betracht  kommen:  Ernteausfall  und 
effektives  Angebot  auf  dereinen,  Verkehrsmomente  auf  der 
anderen  Seite. 

Wir  betrachten  zunächst  die  zweite  Reihe:  ist  der  englische  Wei- 
zenpreis entscheidend  von  den  Frachtverhältnissen  beeinflußt, 
wie  eine  auch  in  wissenschaftlichen  Kreisen  weitverbreitete  Meinung 
annimmt?  Dazu  gehörte:  Menge  des  vorhandenen  Schiffsraumes,  die 
Höhe    der    Versicherungsprämien    und  Frachtraten  sowie    der  Arbeiter- 


462 


Miszellen. 


löhne.  Die  Verknappung  des  Schiffsraumes  kam  vor  allem  schon 
durch  die  Verwendung  eines  großen  Teiles  der  englischen  Handels- 
marine zu  Kriegszwecken  zustande:  es  sind  etwa  ^j^  des  Schiffsraumes 
für  Truppen-,  Munitions-  und  Provianttransporte  der  englischen  Regie- 
rung gechartert  worden.  Allerdings  dürfen  wir  nicht  vergessen,  daß 
durch  die  Unterbindung  des  Weltverkehrs  und  eines  großen  Teils  des 
internationalen  Handels  umgekehrt  Schiffsraum  sowohl  von  den  englischen 
Reedereien  als  auch  den  Neutralen  frei  geworden  ist.  Es  sind  femer 
durch  die  Notwendigkeit  des  Lagerns  die  Speichermieten,  durch  die 
Einberufung  zum  Heere  die  Löhne  ganz  bedeutend  gestiegen.  Das  ver- 
teuert im  englischen  Hafen  abermals  den  Wert  der  Einfuhr.  Dazu 
kommt  nun  aber  der  Fortfall  der  ganzen  deutschen  Tonnage,  die  eine 
nicht  unerhebliche  Rolle  im  Weltverkehr  spielt;  endlich  natürlich  die 
Schiffsverluste  der  englischen  und  neutralen  Marine  durch  Minen, 
Torpedierungen  infolge  des  Unterseebootkringes.  Der  Umfang  dieser 
Verluste  wird  bis  Ende  1916  von  englischer  Seite  auf  2  Mill  t,  etwa 
Yg  des  ganzen  Schiffsraumes  angegeben,  wozu  freilich  auf  der  anderen 
Seite  der  neue  Schiffsbau  während  des  Krieges  selbst  hinzutritt.  Die 
Minderung  des  effektiven  Schiffsraumes  und  die  Verteuerung  der 
Frachtspesen  sind  also  bedeutend  genug.  Manche  Kreise  waren  infolge- 
dessen geneigt,  diesem  letzteren  Umstände  das  Hauptgewicht  für  die 
Steigerung  der  englischen  Weizenpreise  beizumessen,  auch  bevor  der 
U-Bootkrieg  eintrat. 

Die  Verknappung  an  Schiffsraum,  sei  es,  daß  sie  aus  anderweitiger 
Verwendung,  sei  es,  daß  sie  aus  den  Schiffsverlusten  herstammt,  muß 
sich  in  den  Schiffsraten  zeigen,  ebenso  wie  die  zunehmende  Gefahr 
von  Minen  und  Unterseeboten  in  der  Steigerung  der  Versicherungs- 
prämien zutage  tritt.  Hier  wird  nur  eine  parallele  Darlegung  der 
Weizenpreise  und  Frachtraten  Aufschluß  zu  geben  vermögen.  Wir 
geben  dafür  nach  der  Preisberichtsstelle  des  Deutschen  Landwirtschafts- 
rates die  folgende  Uebersicht  (1  Quarter  =  217  kg): 


Preise  für 

Getreidefracbt 

Anteil  der 

amerikanischen 

New  York- 

Differenz 

Fracht  am 

Weizen  pro  Tonne 

Liverpool 

Preis  in  Proz. 

Juli  1914 

170.8O 

7.86 

162,95 

4,6 

September 

202,60 

12,55 

190,05 

6.i 

November 

23800 

l8,80 

219  20 

7.« 

Januar  1915 

295.I8 

26,66 

268,5s 

9,0 

März 

306,30 

37.65 

268,66 

12,5 

Mai 

313*0 

37.65 

275.75 

12,0 

Juli 

267,28 

32  96 

23433 

I2,S 

September 

234*6 

43-90 

190,66 

18.T 

November 

26474 

62,76 

201,99 

23,7 

Januar  1916 

309.1a 

65,86 

24327 

21,5 

März 

300,4a 

72.15 

225.95 

24,8 

Mai 

300,40 

59.60 

24240 

19,8 

Juli 

26628 

46,60 

227,98 

H.4 

September 

381,70 

53,80 

328,40 

14,2 

November 

402,95 

43.90 

359.0s 

10,9 

Mis  Zellen.  453 

Die  Frachten  sind  allerdings  kolossal  gestiegen:  anfangs  um  das 
Doppelte,  dann  bald  um  das  Sechsfache,  ja  zeitweise  um  das  Zehn- 
fache; dabei  beschränken  wir  uns  auf  die  amerikanische  Trasse,  da  es 
sich  in  der  Hauptsache  um  amerikanischen  Weizen  handelt.  Betrug 
vor  dem  Kriege  der  Anteil  der  Fracht  am  Preise  5  Proz.,  so  stieg  er 
im  März  1916  auf  nicht  weniger  als  24;  im  allgemeinen  schwankte  er 
zwischen  10  und  20  Proz.  des  Getreidepreises.  Zweifellos  haben  also 
die  Frachtraten  miteingewirkt  auf  die  Höhe  der  Weizenpreise.  Aber 
die  Hauptsache  machten  sie  doch  unter  keinen  Umständen  aus.  Wir 
finden  auch  keineswegs  einen  Parallelismus  zwischen  den  beiden 
Preisen.  Bei  den  sehr  hohen  Frachtsätzen  im  November  1915  war 
der  Weizenpreis  in  London  durchaus  nicht  entsprechend  hoch.  Umge- 
kehrt hatte  auch  eine  Erniedrigung  der  Frachtsätze  im  März  und 
Mai  1915  keineswegs  schon  eine  Erniedrigung  der  Weizenpreise  zur 
Folge.  Seit  März  1916  waren  die  Frachten  wieder  in  Sinken,  der 
Weizenpreis  stieg!  Der  Zusammenhang  der  beiden  Reihen,  das  lehrt 
die  genauere  unbefangene  Betrachtung,  ist  nur  ein  sehr  loser.  Un- 
möglich hängt  in  erster  Linie  oder  auch  nur  hervorragend  der  Londoner 
Weizenpreis  vom  Frachtpreise  ab.  Aber  auch  die  anderen  Faktoren 
der  Handelsvermittlung :  Versicherungsprämien,  Trägerlöhne  in  den  eng- 
lischen Häfen,  Lagergelder  für  Speicher,  Speditionsgebühren,  vermögen 
noch  nicht  die  starken  Schwankungen  und  die  Steigerung  der  Weizen- 
preise zu  erklären.  Man  braucht  den  Eiüfluß  des  mangelnden  Schiffs- 
raumes vor  dem  Eintreten  des  U-Bootkrieges  durchaus  nicht  zu  leugnen 
und  kann  doch  zugeben,  daß  er  wenigstens  in  den  ersten  beiden  Kriegs- 
jahren den  Weizenpreis  nicht  entscheidend  beeinflußt  und  seine  Preis- 
steigerung nicht  herbeigeführt  hat. 

Vielmehr  spielen  die  anderen  Faktoren  die  Hauptrolle.  Das  sind 
die  Verhältnisse  des  effektiven  Angebotes  und  der  Welternte.  Zunächst 
betrug  die  Welternte  für  Weizen  in  Millionen  Quarter: 


1912 

1913 

1914 

1915 

1916 

Europa 

251,4 

281,9 

236,9 

262,1 

253,9 

Vereinigte  Staaten 

91,0 

95,4 

111,4 

126.0 

76,6 

übrige  Länder 

120,2 

127.3 

97,3 

159.6 

114,2 

Welternte 

462,6 

494,6 

445,6 

547,8 

496,6 

Man  sieht,  daß  das  erste  Kriegsjahr  1914  gegen  das  vorangehende 
Jahr  eine  Mindererzeugung  von  9  Proz.  aufweist.  Mithin  war  eine 
Steigerung  der  Weizenpreise  auch  ohne  den  Krieg  jedenfalls  für  dieses 
Jahr  zu  erwarten.  Nur  die  Vereinigten  Staaten  hatten  eine  große 
Ernte,  da  auch  Kanada,  Indien,  Argentinien  schlecht  abschnitten.  Die 
Union  konnte  bei  dem  verminderten  Angebot  mithin  den  Preis  ziemlich 
allein  bestimmen.  Und  sie  hat  es  getan,  da  Rußland  und  Rumänien 
ganz  ausfielen  und  die  argentinische  Ernte  erst  verspätet  hereinkam, 
mithin  für  den  Wettbewerb  ebenfalls  nicht  in  Betracht  kam.  Die  Be- 
wegung der  englischen  Preise  spiegelt  also  im  ersten  Kriegsjahr  deut- 
lich das  Ergebnis  der  Welternte  wieder.  Das  Jahr  1915  brachte 
nun  aber  in  Europa  eine  Steigerung  der  Erträge,  vor  allem  auch  in  Eng- 
land selbst.     Allerdings  konnte  die  russische  Ernte  wiederum  nicht  in 


4ß4  Miszellen. 

Betracht  kommen,  da  durch  die  Sperrung  der  Dardanellen  eine  Ausfuhr 
nicht  möglich  war.  Aber  auch  die  außereuropäischen  Länder  hatten  her- 
vorragend gute  Ergebnisse.  Vor  allem  Kanada  und  die  Union  hatten  zu- 
sammen 174  Mill.  Quarters  gegen  132  im  Jahre  zuvor.  Es  war  tatsächlich 
eine  Rekordernte  im  Weizen.  Die  Folge  war  seit  dem  Sommer  1916 
ein  Sinken  des  Weizenpreises,  seitdem  die  amerikanische  Ernte  herein- 
kommen konnte.  Auch  vermochte  die  Union  nicht  mehr  allein  den 
Preis  zu  diktieren,  sondern  mußte  auf  Australien  und  Kanada,  Indien 
und  Argentinien  Rücksicht  nehmen.  Dabei  erfolgte  die  Einfuhr  nach 
England  fast  zur  Hälfte  aus  den  Vereinigten  Staaten,  während  es  sonst 
nur  etwa  ^/g  war.  In  der  ersten  Hälfte  1916  kam  daher  die  neue 
Mehreinfuhr  zum  größten  Teil  aus  der  Union,  die  ihren  Betrag  fast 
verdoppelte,  sodann  aus  Kanada,  das  wieder  mit  einem  Drittel  be- 
teiligt war.  So  wird  erst  aus  der  Beachtung  des  Weltmarktes  ftlr 
Weizen  die  Kurve  der  englischen  Preise  verständlich.  Ebenso  aber 
auch,  daß  nun  neuerdings  die  Kurve  wieder  in  die  Höhe  gehen  mußte, 
nachdem  die  alten  Vorräte  sich  dem  Ende  näherten  und  die  neuen 
Ernteschätzungen  bekannt  wurden. 

Denn  das  neue  Erntejahr  1916  zeige  zwar  für  den  euro- 
päischen Kontinent  leidlich  befriedigende  Ergebnisse,  die  Ernte  ist  nur 
wenig  kleiner  als  im  Vorjahre,  aber  größer  als  1914.  Durch  die 
Sperrung  der  Dardanellen  kam  jedoch  der  Hauptlieferant  Rußland 
wiederum  nicht  in  Betracht.  Die  außereuropäischen  Länder  dagegen, 
vor  allem  die  Union  und  Kanada,  zeigten  erhebliche  Mindererträgnisse 
und  blieben  in  ihrer  Gesamtheit  gegen  das  Vorjahr  um  ein  volles 
Drittel  zurück,  erreichten  also  noch  nicht  einmal  das  schlechte  Ergeb- 
nis des  ersten  Kriegsjahres.  Allerdings  bestanden  nun  in  einigen  außer- 
europäischen Exportländern  ganz  erhebliche  Ueberschüsse  von  der  voran- 
gehenden Ernte.  Man  schätzte  sie  auf  35  Mill.  Quarter,  die  in  der 
Union,  Kanada,  Argentinien,  Australien  zur  Verfügung  standen.  Der 
vorjährige  Ausfuhrüberschuß  der  Weizenexportländer  wird  auf 
40  Mill.  Quarter  berechnet,  wobei  wir  Rußland  und  Rumänien  in  Abzug 
bringen.  Nun  werden  aber  die  Einfuhrbedürfnisse  der  europäischen 
und  außereuropäischen  Länder  außer  Deutschland  und  Oesterreich-Ungarn 
auf  67  Mill.  Quarter  geschätzt.  Eine  Versorgung  wäre  an  sich  wohl  mög- 
lich gewesen,  wenn  auch  der  Ueberschuß  nicht  groß  war.  Aber  es  ist 
gänzlich  ausgeschlossen,  daß  bei  dem  so  verringerten  Ernteergebnis  Farmer 
und  Landwirte  wirklich  die  ganzen  vorhandenen  Vorräte  zur  Ausfuhr 
freigaben.  Sie  mußten  vielmehr  zurückhalten,  um  das  eigene  Land  zu 
versorgen  und  gegen  eine  eventuelle  neue  Fehlernte  geschützt  zu  sein. 
Erfahrungsgemäß  wird  im  Jahre  der  Mißernte  der  vorangehende  Ueber- 
schuß niemals  ausgeführt.  So  mußte  also  die  Verproviantierung  Eng- 
lands auf  Schwierigkeiten  stoßen,  die  wiederum  ein  Folge  der  Welt- 
ernte waren.  Jedenfalls  ergab  sich  die  Notwendigkeit  des  Steigens  des 
Weizenpreises  in  London,  da  die  Dardanellen  nicht  geöffnet  wurden. 
Die  Verknappung  des  Schiffsraumes  und  die  Erhöhung  der  Frachtraten 
trugen  zu  der  Steigerung  zwar  bei,  machten  aber  keineswegs  die  Haupt- 
sache aus.  Vielmehr  sind  es  die  Schwankungen  des  effektiven  An- 
gebotes, die  wesentlich  den  Preis  bestimmen.     Gerade  weil  die  Ueber- 


Miszellen.  465 

Schüsse  des  Vorjahres  in  stärkerem  Maße  herangezogen  werden  mußten, 
erhielten  die  Exportländer  die  Möglichkeit,  die  Preise  in  die  Höhe  zu 
treiben,  zumal  der  Schiffsraum  sich  so  verknappt  hatte.  Zudem 
stammten  die  Zufuhren  aus  Kanada,  Argentinien,  Australien,  für  die 
also  der  Transport  ungünstig  liegt.  Dem  Ausfall  der  Welternte  ent- 
sprach im  ganzen  die  Einfuhr  nach  England.  In  der  ersten  Hälfte  des 
Jahres  1915  waren  7,5,  im  ganzen  Jahre  14,6  Proz.  weni  ger  Weizen 
eingeführt  als  im  Jahre  zuvor,  und  zwar  der  Menge  nach,  während 
der  Wert  trotzdem  natürlich  zugenommen  hat.  In  der  ersten  Hälfte 
1916  betrug  dagegen  die  Einfuhr  V3  mehr  als  im  ersten  Kriegsjahr 
und  übertraf  sogar  beträchtlich  die  normale  Einfuhrmenge.  Das  war 
die  Folge  der  überaus  reichen  Weizenernte  und  zum  Teil  wohl  auch 
der  Besorgnis,  unter  allen  Umständen  sich  eindecken  zu  müssen. 
Dagegen  hat  die  zweite  Hälfte  des  neuen  Jahres  sowie  die  erste 
von  1917  wieder  eine  Abnahme  der  Einfuhr  gezeitigt.  Denn  England 
befindet  sich  in  der  Notwendigkeit,  unter  allen  Umständen  etwa  3|^ 
seines  Bedarfes  einführen  zu  müssen ,  auch  wenn  die  eigene  Ernte 
gut  ist  1).  Um  die  Lebensmittelversorgung  sicherzustellen  und  die 
Weizenpreise  nicht  durch  Preistreibereien  weiter  steigen  zu  lassen,  hat 
dann  die  englische  Regierung  im  September  1915  den  ganzen  Getreide- 
handel selbst  in  die  Hand  genommen.  Es  handelt  sich  um  die  Beschaf- 
fung hinreichender  Vorräte  für  das  laufende  Jahr  bei  einem  Weizenpreis 
von  70  sh  für  den  Quarter,  das  sind  330  M.  die  Tonne,  also  70  mehr 
als  in  Berlin  2). 

b)  Betrachten  wir  die  Preisbewegung  für  die  übrigen  Nahrungs- 
mittel, so  geht  der  Mehlpreis  dem  Weizen  ziemlich  parallel.  Die 
Steigerung  in  den  zwei  Kriegsjahren  betrug  62  Proz.  und  erhöhte 
sich  bis  Ende  1916  auf  mehr  als  das  Doppelte,  bleibt  also  hinter  dem 
Weizen  etwas  zurück.  Es  hatte  im  Mai  1915  und  März — April  1916  ein 
Maximum  mit  einer  Zunahme  von  je  90  Proz.  erfahren.  Der  Weizenmehl- 
preis stand  im  London  am  20.  November  1915  auf  37,75  M.  für  den  Doppel- 
zentner, in  Berlin  auf  36,75.  Die  Steigerung  für  Haushaltmehl  betrug  nach 
dem  „Economist"  von  Januar  1914  bis  Mai  1916  schon  107  Proz. 


1)  Es  betrug  in  Millionen  Quarter  Weizen 

zur  Ver- 
fügung 

einheimische 
Ernte 

Einfuhr 

1913/14 

34.0 

7,1 

26,9 

1914/15 

33,8 

7,8 

26,0 

1915/16 

35,8 

9.2 

26,« 

2)  Von  der  Einfuhr  stammte  in 

Prozent 

1910/14 

1915 

1916 

Rußland 

11,6 

0,8 

— 

Vereinigte  I 

Staaten 

25,0 

49,4 

63,0 

Argentinien 

11,9 

11,9 

4,0 

Indien 

15,6 

13.6 

4,9 

Australien 

11,1 

0,8 

3,9 

Kanada 

21,8 

23,« 

24,1 

Dabei  betrug  die  Einfuhr  an  Weizen  und  Weizenmehl  umgerechnet  nach  Tonnen 
(nach    den  „Berichten    des  Deutschen    Landwirtschafirats")    1910/14:    60,5    Mill.,    1915: 
52,4,  1916:  57,9.     Diese  Ausfuhr  erklärt  hinreichend  den  englischen  Weizenpreis. 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  30 


466 


Miszellen. 


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Oktober 

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Gerste  ist  vor  allem  seit  dem  Herbst  1915  teurer  geworden,  wo 
sie  zum  ersten  Male  den  Preis  von  2  £  für  den  Quarter  überstieg; 
seitdem  hat  er  wieder  etwas  nachgelassen,  um  in  der  zweiten  Hälfte 
1916  von  neuem  beträchtlich  anzuziehen.  Die  Steigerung  des  Gersten- 
preises bis  zum  Dezember  1916  betrug  nicht  weniger  als  140  Proz.,  wo- 
gegen das  andere  Futtermittel,  Hafer,  im  Preise  nur  wenig  gestiegen  ist. 
Es  hängt  mit  dem  günstigen  Ernteausfall  gerade  in  diesen  Futtermitteln 
zusammen.  Hafer  und  Gerste  stammen  zu  60  bzw.  76  Proz.  aus  Eng- 
land selbst,  Weizen  nur  zu  26,  so  daß  bz.  der  Futtermittel  eine  ziem- 
liche Unabhängigkeit  vom  Ausland  besteht.  Dabei  laufen  Gerste  und 
Hafer  meist  in  entgegengesetzter  Richtung  wie  Weizen.  Eine  gute  Ernte 
in  jenen  Futtermitteln  pflegt  eine  schlechte  Getreideernte  im  Gefolge  zu 
laben,  und  umgekehrt.     So  trat  1915  wegen  des  von  uns  dargestellten 


Miszellen.  46lf 

guten  Ausfalls  der  Weizenernte  eine  wesentliche  Minderung  an  Futter- 
mitteln, vor  allem  an  Gerste  ein,  zumal  ja  Eußland  und  Rumänien  ganz  aus- 
fielen, Kanada  einen  Minderertrag  gab.  Indien,  das  dafür  in  die  Bresche 
sprang,  konnte  doch  keinen  vollen  Ersatz  für  den  Ausfall  Rußlands 
bieten.  So  war  das  Ergebnis  eine  Mindereinfuhr  von  Gerste  um  fast 
den  vierten  Teil.  Das  neue  Jahr  1916  brachte  dafür  aber  eine  starke 
Mehreinfuhr,  die  fast  eice  Verdoppelung  gegenüber  dem  Vorjahre  be- 
deutet. Vor  allem  die  Union,  aber  auch  Indien  und  Kanada  verstärkten 
wesentlich  den  Gerstenimport,  diktierten  dann  freilich  auch  den  Preis. 
Darum  konnte  trotz  der  wesentlich  gestiegenen  Erachtraten  der  Gersten- 
preis wiederum  sinken.  Auch  hier  war  also  in  beiden  Jahren  der 
Ernteausfall  von  entschiedener  Bedeutung. 

Ganz  kolossal  stellt  sich  die  Verteuerung  der  Kartoffeln  im 
Großhandel.  Schon  im  Januar  1916  waren  sie  auf  5  £  die  Tonne  ge- 
stiegen, statt  3  £  10  sh  zu  Beginn  des  Krieges.  Seit  dem  April  sind 
die  Preise  jedoch  geradezu  märchenhaft  in  die  Höhe  gegangen,  bis 
zum  Juli  1916  auf  nicht  weniger  als  12  £.  Dann  sanken  sie  etwas, 
stellten  sich  aber  mit  Ende  des  Jahres  auf  11  £.  Der  Großbezugspreis 
der  Kartoffel  hat  sich  in  England  während  des  Krieges  mithin  vervier- 
facht. England  ist  hierin  auf  Eigenerzeugung  angewiesen ;  daher 
ist  die  einheimische  Ernte  von  maßgebendem  Einfluß.  Aber  auch  der 
Preis  für  Reis,  dessen  Zufuhr  doch  wegen  der  fehlenden  Nachfrage 
Deutschlands  größer  sein  müßte,  ist  wesentlich  teurer  geworden;  in 
den  zwei  Kriegsjahren  um  nicht  weniger  als  128  Proz. ,  hat  sich 
also  mehr  als  verdoppelt.  Andererseits  war  Kaffee  im  Preise  sogar 
zurückgegangen,  nachdem  er  vorübergehend  im  Sommer  1915  teurer  ge- 
worden war.  Er  stellte  sich  auch  Ende  1916  nicht  wesentlich  höher  als 
zu  Kriegsbeginn.  Hier  hat  offenbar  die  fehlende  Nachfrage  Deutschlands 
und  Oesterreich-Ungarns  und  die  Notwendigkeit  der  brasilianischen 
Regierung,  den  Kaffee  abzusetzen,  preisdrückend  gewirkt.  Die  Kaffee- 
zufuhren sind  in  dem  letzten  Jahre  größer  als  jemals  zuvor.  Wichtiger 
als  Kaffee  ist  für  England  der  Tee.  Seine  Verteuerung  ist  erheblich. 
Eine  mittlere  Qualität  ist  von  6V8  das  Pfund  mit  einigen  Schwankungen 
auf  lO^I^  d  also  um  ^5  teurer  geworden.  Endlich  Zucker.  Durch 
den  Ausfall  der  deutschen  und  russischen  Zuckerzufuhr  mußte  England 
Rohrzucker  einführen,  und  die  englische  Regierung  hat  gerade  in  diesem 
Punkte  durch  Aufkaufen  von  Vorräten  sich  rechtzeitig  eingedeckt. 
Allerdings  ist  dadurch  der  Zuckerpreis  nun  sehr  gestiegen.  Rübenzucker 
kostete  im  Juli,  1914  9  sh  41/2  d  der  Zentner,  Rohrzucker,  der  als  Ersatz 
eintreten  mußte  dann  schon  nach  einem  Jahre  ]6sb,  und  ist  dann  im 
Dezember  1916  auf  mehr  als  das  Dreieinhalbfache  des  Anfangspreises 
gestiegen. 

Vegetabilische  Nahrungsmittel  und  Kolonialprodukte  verhalten  sich 
also  in  ihren  Steigerungen  nicht  gleich.  Kartoffeln  und  Zucker  sind 
am  teuersten  geworden,  dann  Reis  und  Gerste,  am  wenigsten  Kaffee 
und  Tee,  von  denen  ersterer  sogar  zeitweise  billiger  wurde.  Weizen, 
dessen  Erhöhung  für  englische  Verhältnisse  außerordentlich  ist,  steht 
mit  120  Proz.  etwa  in  der  Mitte. 

30* 


468 


Hiszellen. 


VoD  den  tierischen  Nahrungsmitteln  interessiert  zunächst  das 
englische  Fleisch.  Hier  sind  die  niederen  Qualitäten  des  Rindfleisches 
starken  Schwankungen  ausgesetzt.  Doch  bedeutet  das  Jahr  1916  hierin 
eine  wesentliche  Verteuerung,  die  wohl  auf  der  Verknappung  der  Futter- 
mittel, vor  allem  in  Australien,  sodann  aber  in  England  selbst  zurück- 
zuführen ist.  Anfangs  war  der  Rindfleischpreis  kaum  merklich  in  die 
Höhe  gegangen.  Das  hielt  sich  so  bis  etwa  April  1915,  dann  aber 
setzt  eine  sehr  starke  Aufwärtsbewegung  ein,  die  im  Juni  1916  ihren 
Höhepunkt  erreichte ;  von  da  an  ließ  er  wieder  etwas  nach.  Im  ganzen 
betrug  die  Steigerung  in  den  beiden  Kriegsjahren  über  die  Hälfte  des 
Anfangspreises,  der  der  besseren  Sorten  ist  fast  ebenso  hoch  gestiegen. 
Dagegen  hat  Hammel  fleisch  weit  weniger  im  Preise  angezogen.  Von 
6sh  8d  im  Juli  1914  mit  einem  nur  langsamen  Steigen  auf  9  sh  2  d 
nach  zwei  Jahren.  Das  ist  um  37  Proz ,  so  daß  nach  diesen  Angaben 
Hammel-  und  gutes  Rindfleisch  fast  gleich  hoch  standen.  So  ist  also 
der  Preis  für  tierische  Nahrungsmittel  in  England  weniger  gestiegen, 
als  der  für  vegetabilische,  wenigstens  soweit  das  englische  Fleisch 
selbst  in  Betracht  kommt  (s.  weiter  unten)  ^). 

c)  Um  ein  Bild  der  wirklichen  Preissteigerung  Englands  zu  ge- 
winnen, kommt  es  aber  weit  mehr  auf  die  Kleinhandelspreise 
des  täglichen  Konsums  an.  Es  sind  auch  in  England  wiederholt  Unter- 
suchungen über  die  Höhe  der  Preissteigerung  im  privaten  Haushalt 
und  über  deren  Ursachen  veranstaltet  worden.  Das  englische  Handels- 
amt hat  dafür  eigene  Berechnungen  aufgestellt,  die  wir  hier  wieder- 
geben. Es  betrug  demnach  die  Zunahme  der  Kleinhandelspreise  gegen 
den  Juli  1914  in  Prozent  (nach  der  Labour  Gazette): 

Bis  April  1915    Bis  Jan.  1916    Bis  Juni  1916    Bis  Jan.  1917 


Oefrorenes  Rindfleisch, 

Rippenstück 

30 

47 

81 

88 

„dünne  Stücke" 

45 

63 

100 

lOI 

Englisches  Hammelfleisch, 

Keule 

14 

28 

54 

54 

Oefrorenes  Hammelfleisch, 

Keule 

26 

63 

84 

122 

Schinken 

14 

31 

38 

56 

Mehl 

43 

49 

57 

88 

Brot 

35 

42 

51 

73 

Tee 

24 

48 

50 

51 

Zucker 

70 

7 

155 

170 

Margarine 

5 

32 

18 

25 

Käse 

23 

29 

53 

75 

Milch 

7 

32 

33 

57 

Frische  Butter 

14 

32 

71 

Eier 

34 

105 

27 

»75 

Kartoffeln 

4 

5 

58 

122 

Eische 

60 

97 

86 

131 

Durchschnitt 

31 

42 

61 

81 

1)  Es  betrug  die  gesamte  Einfuhr  an  Fleisch  waren  1915  noch  25,3  Mill.  cwt 
(=  50,8  kg),  1916  nur  23,3;  dem  Werte  nach  86,  2Mill.  £  biw.  93,4:  oder  Abnahme 
der  Einfuhrmenge  bei  steigendem  Werte.  —  Im  ganzen  wird  Fleisch  zu  90  Proz.  ein- 
geführt, in  London  freilich  das  Doppelte! 


Miszellen.  469 

Es  zeigt  sich  also,  daß  der  Durchschnitt  der  englischen  Kleinhandels- 
preise bis  zum  April  1915  um  ein  knappes  Drittel,  bis  zum  Juni  1916 
aber  um  mehr  als  60  Proz.,  bis  Ende  des  Jahres  auf  87  Proz.  gestiegen 
war.  Dabei  ist  anzunehmen,  daß  in  Wirklichkeit  die  Kleinhandelspreise 
noch  mehr  angezogen  haben.  Denn  wir  haben  weitere  Angaben  des 
englischen  Handelsministeriums ,  die  mit  diesen  Berechnungen  nicht 
übereinstimmen  und  wesentlich  höhere  Beträge  zeigen.  Es  ist  darum 
bedenklich,  die  englischen  Ermittlungen  etwa  mit  den  viel  genaueren 
preußisch- deutschen  auf  eine  Stufe  zu  stellen ,  da  erstere  zu  günstig 
abschneiden  würden.  Am  meisten  hat  Zucker  im  Preise  angezogen,  von 
dessen  normaler  Einfuhr  aus  Deutschland  und  Rußland  England  ganz 
abgeschnitten  und  dafür  auf  indisch-kubanische  Bohrzucker  angewiesen 
ist.  Der  ist  aber  an  sich  schon  teurer  und  sein  Preis  hat  wegen  der 
Frachtraten  noch  mehr  zugenommen. 

Beim  Fleisch  ist  vor  allem  charakteristisch,  daß  das  eingeführte 
billigere  Gefrierfleisch  wesentlich  mehr  gestiegen  ist  als  das  gute  eng- 
lische. Es  ist  zum  Teil  wohl  auf  die  verteuerten  Frachtkosten  zurück- 
zuführen, in  der  Hauptsache  aber  wohl  darauf,  daß  die  guten  eng- 
lischen Qualitäten  eine  geringere  Nachfrage  finden,  als  die  minder- 
wertigen eingeführten.  Das  zeigt  sich  auch  an  den  verschiedenen  Arten 
derselben  Fleischgattung :  allenthalben  sind  die  minderen  Sorten  (dünne 
Stücke  und  Brust)  mehr  im  Preise  gestiegen  als  die  besseren  Sorten 
(Rippenstück  und  Keule).  Wir  haben  dasselbe  auch  in  Deutschland 
bei  Fleisch  und  Fisch  gefunden.  Ich  berechne  eine  durchschnittliche 
Verteuerung  des  englischen  Fleisches  um  82  Proz.,  und  zwar 

Englisches  Kippenstück 

Dünne  Stücke 

Gekühltes  Rindfleisch,  Rippenstück 

„  „  dünne  Seiten 

Englisches  Hammelfleisch,  Keule 

„  „  Brust 

Gefrorenes  ,,  Keule 

„  „  Brust 

Zum  Teil  kommen  hier,  wie  im 
wurde,  die  starken  Anforderungen  ( 
durch  dessen  Nachfrage  werden  die  Preise  in  die  Höhe  getrieben.  In 
der  Hauptsache  ist  es  aber  wohl  die  Gestaltung  der  Einfuhr,  die  auch 
hier  die  Preise  bestimmt.  Denn  sie  hatte  wesentlich  nachgelassen. 
Januar  bis  Juni  1914  wird  an  Gefrierfleisch  eingeführt  für  8,2  Mill.  cwts., 
1915  aber  nur  für  6,5  und  1916  gar  nur  für  5,0  Mill.  Die  zweite 
Hälfte  des  Jahres  1916  hat  diese  Minderung  nicht  eingebracht.  Die 
Fleischeinfuhr  aus  Australien  litt  infolge  der  dortigen  Dürre,  die  aus 
Südamerika  unter  dem  verminderten  Schiffsraum.  Es  trat  also  eine 
Fleischknappheit  beim  Mehrbedarf  des  Heeres  ein,  die  die  Steigerung 
hinreichend  erklärt. 

Sehr  wesentlich  verteuert  haben  sich  auch  die  Fische,  um  130  Proz., 
was  bei  der  großen  Bedeutung  des  Fischgenusses  im  privaten  englischen 
Haushalt  sehr  stark  ins  Gewicht  fällt.     Die  Ursachen    liegen    hier  vor 


bis  Jan.   1916        bis  Dez.  1916 

35 

64 

45 

84 

47 

85 

43 

lOI 

28 

59 

41 

84 

42 

86 

63 

122 

englischen 

Unterhause    anerkannt 

les   Heeres 

sehr 

in  Betracht,  und 

470  Miszellen. 

allein  im  Rückgang  des  englischen  Fischfanges,  der  wegen  der  Minen 
und  Unterseebote  im  Kriegsgebiete  wesentlich  eingeschränkt  werden 
mußte.  Das  macht  sich  natürlich  sehr  bemerkbar  und  wirkt  dann 
offenbar  auf  die  Nachfrage  nach  anderen,  vor  allem  tierischen  Nahrungs- 
mitteln zurück. 

Von  den  sonstigen  tierischen  Nahrungsmitteln  sind  Butter  und  Käse 
um  etwa  74»  Margarine  nur  um  Y^  teurer  geworden,  Milch  um  etwas 
über  die  Hälfte,  Eier  dagegen  um  fast  das  Dreifache.  England  ist  in 
der  Butterversorgung  ganz  auf  das  Ausland  angewiesen,  die  teils  aus 
Dänemark,  Sibirien,  ja  auch  Australien  stammt.  Der  Preis  für  dänische 
Butter  ist  im  Großhandel  von  6  £  1  sh  auf  11  £  procwt.  (=  50,8  kg) 
gestiegen.  Das  Kilogramm  dänische  Butter  kostete  im  Dezember  also  im 
Großbezug  4,90  M.,  im  Kleinhandel  5,20  M.  Die  ungeheure  JSteigerung 
der  Eierpreise  erklärt  sich  aus  der  Verknappung  an  Futtermitteln. 
Die  Preise  für  Schinken  und  Magerspeck  bleiben  hinter  der  Steigerung 
für  Fleisch  wesentlich  zurück.  Mehl  und  Brot  sind  um  drei  Viertel 
teurer  geworden.  Der  englische  Brotpreis  ist  örtlich  nicht  gleich.  Zu 
Beginn  des  Krieges  kostete  das  englische  4-Pfundbrot  (18  g)  48  Pf., 
(5^4  d).  Nach  zwei  Kriegsjahren  war  es  in  London  auf  Sy^  d,  d.  s. 
81  Pf.  gestiegen,  wobei  sich  gleichzeitig  das  faktische  Gewicht  ver- 
mindert hat,  indem  man  nur  die  äußere  Nennung  beibehielt.  November 
1916  betrug  der  Preis  schon  88  Pf.  Das  bedeutet  also  eine  Verteue- 
rung um  83  Proz.  gegen  eine  solche  in  Deutschland  um  50  Proz.  Es 
ist  heute  das  deutsche  Mischbrot  billiger  als  das  englische  Weizen- 
brot. Kartoffeln  sind  allerdings  um  mehr  als  das  Doppelte  ge- 
stiegen, spielen  aber  im  englischen  Haushalte  eine  wesentlich  kleinere 
Rolle  als  in  Deutschland. 

Es  ist  nicht  möglich,  für  die  Zeit  des  Krieges  die  gewonnenen 
Indexziffern  einzusetzen,  um  die  Höhe  der  Belastung  des  englischen 
Haushaltes  kennen  zu  lernen.  Doch  entnehmen  wir  einer  Unter- 
suchung der  Woman  Operative  Guild  die  folgende  Uebersicht:  Eine 
Familie  mit  7  Kindern,  deren  Vater  im  Kriege  dient,  verausgabte: 


Vor  dem  Kriege 

im  Kriege 

Wochenlohn  36  sh 

Wochenlohn  41  sh 

7      Pfd. 

Fleisch 

4  sh     8      d 

3 

Pfd. 

Fleisch 

3  sh  —     d 

4 

Zucker 

I    „    —      „ 

2 

Zucker 

I    „    —     „ 

3V,    » 

Speck 

'    >t 

,, 

2 

Speck 

2    „      4     m 

3V,    „ 

Käse 

2    „     4 

M 

I 

Käse 

I    „      2     ., 

50 

Kartoffeln        i    „    loV, 

20 

Kartoffeln 

2         „             9           M 

37,    „ 

Mehl 

—    „     5 

, 

l'/4 

Mehl 

—    „      5     m 

56    „ 

Brot 

5    »     3 

, 

84 

Brot 

14        M        --          M 

12     Quart 

Milch 

3    »  — 

> 

7    Quart 

Milch 

2       M       V,         M 

127      Pfd. 

I  £  -    „  10V2  < 

1 

1127, 

Pfd. 

I  £  6   sh    8V,  d 

Die  Quantität  hat  sich  etwas,  die  Qualität  wesentlich  verschlechtert, 
die  Ausgaben  sind  trotzdem  um  ^s  gestiegen.  Von  Seiten  des 
nationalen  Arbeiterausschusses  werden  die  Kosten  für  den  Lebens- 
unterhalt einer  normalen  Arbeiterfamilie  geschätzt:  Juli  1914  auf 
25  sh,  1915  auf  33  sh  9  d,  1916  auf  41  sh  3  d,  also  eine  Steigerung 


Miszellen. 


471 


von  65  Proz.  und  ein  Sinken  der  Kaufkraft  des  Pfundes  auf  12  sh 
1  d.  Aber  es  wird  zugleich  auch  betont,  daß  die  Teuerung  die  ver- 
schiedenen Schichten  ganz  verschieden  trifft.  Bei  gleicher  Lebens- 
haltung ist  die  Preissteigerung  für  eine  Arbeiterfamilie  83  v.  H.,  für 
eine  solche  des  Mittelstandes  68  und  für  eine  wohlhabende  Familie 
nur  58.  Betrachten  wir  schließlich  die  übrigen  Ausgaben,  so  wird 
nach  englischen  Ermittlungen  in  Städten  über  50000  Einwohner  für 
die  einzelnen  Posten  folgende  Verteuerung  gegen  den  Juli  1914  in 
Prozent  angegeben: 

Nahrung     Kleidung     Heizung,  Licht     Verschiedenes     im  ganzen 


Juli  1915 

35 

25 

20 

10 

25 

September 

H 

30 

25 

10 

30 

Dezember 

46 

35 

30 

15 

35 

März  1916 

51 

50 

30 

15 

40 

Juli 

65 

57 
II. 

40 
Textilstoffe. 

32 

50 

Unter  den  Textilstoffen  werden  wir  Rohstoffe  und  Fabrikate 
unterscheiden  müssen.  Die  Preisbewegung  der  letzteren  braucht  nicht 
durchaus  mit  der  ersteren  parallel  zu  gehen,  da  hier  noch  andere  Fak- 
toren, vor  allem  die  Höhe  der  Arbeitslöhne  mitsprechen,  sodann  der 
Umfang  der  Produktion,  sowie  Absatz  bzw.  Ausfuhr  englischer  Er- 
zeugnisse. Zunächst  finden  wir  für  die  Gesamtheit  der  hier  vereinigten 
10  Waren  des  Großhandels  ein  allgemeines  Herabgehen  des  Preis- 
niveaus. Diese  Gruppe  besteht  nach  der  Aufstellung  des  „Economist" 
aus  Baumwolle  und  Baumwollgarn,  Wolle,  Seide,  Flachs,  Hanf,  Jute 
und  Wollstoffen.  Ihr  Preisniveau  sinkt  bis  zum  Dezember  um  etwa 
20  Proz.,  steigt  dann  wieder  an  und  erreicht  erst  etwa  nach  einem 
Jahre  die  Höhe  des  Ausgangspreises.  Seit  Dezember  1915  geht  es 
dann  aber  rapid  in  die  Höhe.  Jedoch  erst  im  dritten  Kriegsjahre, 
also  seit  August  1916,  beträgt  die  Steigerung  40  Proz.  und  bis  zum 
Schlüsse  des  Jahres  ist  die  Gesamtheit  der  Waren  um  mehr  als 
vier  Fünftel  teurer  geworden.  Wir  können  sagen,  daß  auf  dem  Gebiete 
der  Textilstoffe  erst  im  dritten  Jahre  der  Krieg  sich  im  Preise  bemerk- 
bar gemacht  hat.    Woran  liegt  das? 


Baum- 
wolle 

Jute 

Seide 

Hanf 

Kolonial- 
wolle 

sh 

d 

Pfd. 

,  sh 

sh 

d 

Pfd. 

sh 

sh      d 

Juli  1914 

53 

56 

15 

II 

4V, 

27 

IG 

2         V. 

Dezember 

48 

15 

IG 

4V/. 

25 

— 

I      iiV. 

März  1915 

95 

20 

— 

19 

V, 

26 

— 

I       IG 

Juli 

22 

21 

15 

9 

4V, 

41 

— 

2          IV* 

Dezember 

55 

26 

IG 

12 

9 

44 

— 

2       37. 

März  1916 

75 

34 

IG 

14 

3 

57 

— 

2         8 

Juli 

8 

3 

28 

IG 

15 

— 

53 

IG 

2       II V, 

Dezember 

10 

64 

42 

v, 

14 

6 

60 

— 

4      47, 

Wir  nehmen  zunächst  die  Baumwolle.     Es  war  von  vornherein 
zu  erwarten,    daß    ihr  Preis  auf   dem  Weltmarkt  sinken  würde.     Denn 


472  Hiflcellen. 

zwei  so  starke  Abnehmer,  wie  Deutschland  und  Oesterreich- Ungarn, 
die  zusammen  für  etwa  jährlich  800  Mill.  M.  Baumwolle  kauften,  fielen 
ganz  fort.  Die  englische  Produktion  selbst  aber  wurde  wegen  der 
verminderten  Ausfuhr  und  wegen  der  Einberufung  eines  Teiles  der 
Arbeiter  wesentlich  eingeschränkt.  Dazu  kam  im  ersten  Kriegsjahr 
eine  an  sich  reichliche  Ernte  in  den  Vereinigten  Staaten.  Die  Folge 
dieser  Umstände  war  auch  alsbald  ein  wesentliches  Herabgehen  des 
Baumwollpreises.  Er  sank  bis  zum  September  1914  um  nicht  weniger 
als  auf  Yg  des  Anfangspreises.  Und  auch  noch  während  des  ganzen 
Jahres  1915  hat  er  trotz  eines  allmählichen  Heraufgehens  den  alten 
Standpunkt  nicht  wieder  ganz  erreicht.  Es  ist  deutlich,  daß  die 
amerikanischen  Baumwollfarmer  stark  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden. 
Betrug  der  Ausfall  des  Exportes  nach  Deutschland  doch  allein  Ys  ^i^ 
liarde  M. ;  die  Ausfuhr  ging  im  ersten  Jahre  sofort  um  27  Proz. 
zurück  1).  Der  Baumwollpreis  stand  in  den  Vereinigten  Staaten  niemals 
so  niedrig  wie  damals:  Middling  American  fiel  in  London  und  Man- 
chester von  7,73  d  auf  4,48  herab.  Die  englische  Textilindustrie  und 
die  englischen  Verbraucher  haben  zunächst  Nutzen  davon  gehabt.  Im 
Dezember  1915  trat  eine  Aenderung  ein,  indem  zunächst  der  Anfangs- 
preis überholt  wurde.  Das  war  wohl  mit  eine  Folge  des  verminderten 
Frachtraumes  und  der  verteuerten  Frachtsätze,  die  diese  Steigerung 
hervorriefen. 

Aber  erst  im  September  1916  ist  dann  die  Verteuerung  wesent- 
lich höher  geworden  und  betrug  bis  Ende  des  Jahres  etwa  ein  Drittel 
des  Friedenspreises.  Der  Grund  ist  einmal  der  Ausfall  der  Baumwoll- 
ernte in  den  Vereinigten  Staaten,  die  teils  wegen  der  Witterungsverhält- 
nisse, teils  wegen  der  Verminderung  der  Anbaufläche,  teils  wegen  des 
Ausbleibens  der  italienischen  und  slavischen  Wanderarbeiter  einen  so 
erheblichen  Minderertrag  ergab.  Anfang  November  1916  notierte  infolge- 
dessen Middling  Uplands  den  Eekordpreis  von  19,15  cts.  —  es  ist  der 
höchste  Preis,  der  in  den  letzten  32  Jahren  in  der  Union  bemerkt 
wurde.  Außer  der  ungünstigen  Erntemenge  hat  aber  außerdem  der 
steigende  eigene  Baumwollbedarf  der  Vereinigten  Staaten  wesentlich  zu 
der  Verteuerung  mitbeigetragen.  Er  ist  durch  den  Krieg  erheblich  ge- 
stärkt worden  und  stieg  von  5,8  Mill.  Ballen  1913/14  auf  7,3  in  1915/16; 
die  Ausfuhr  von  Explosivstoffen  für  Kriegszwecke  mag  ein  übriges  getan 
haben.  Entsprechend  diesen  amerikanischen  Verhältnissen  betrug  die  Zu- 
fuhr nach  England  im  Jahre  1914  nur  18,6  centals  (=  100  Pfd.),  1915 
aber  26,5  um  dann  1916  bis  zum  September  wiederum  auf  15,2  centals 
(gegen  21,4  in  1915)  herabzugehen. 

Offenbar  ist  es  also  der  Ausfall  der  amerikanischen  Baumwollernte 
auf  der  einen,  die  Menge  der  Zufuhr  auf  der  anderen  Seite,  die  den 
Londoner  Baumwollpreis  bestimmten.  Die  starke  Zufuhr  und  das  starke 
Angebot  bei  verminderter  Nachfrage  im  ersten  Jahre  hatten  die  Er- 
niedrigung der  Preise,  das  verminderte  Angebot  und  die  erhöhten 
Frachtsätze  hatten  das  erneute  Steigen  zur  Folge. 

1)  Vgl.  Eulenburg,  in  Weltwirtschaftliches  Archiv,  VI.  Bd.  (1915),  S.  177. 


Miszellen.  473 

Nächst  der  Baumwolle  ist  die  Wolle  von  größter  Wichtigkeit. 
Auch  ihr  Preis  war  im  ersten  Jahre  zurückgegangen  und  erreichte  den 
alten  Stand  erst  im  Januar  1915,  wenigstens  soweit  Kapwolle  in 
Betracht  kommt.  Dann  aber  tritt  im  Laufe  des  Jahres  eine  Steigerung 
um  30  Proz.  ein;  sie  setzt  sich  im  nächsten  Jahre  fort  und  macht  im 
Oktober  bereits  das  Doppelte  des  Anfangspreises  aus.  Also  auch  hier 
eine  ähnliche  Bewegung  wie  bei  der  Baumwolle.  Die  Ursachen  sind 
ebenfalls  ähnliche:  im  Anfange  das  Nachlassen  der  Nachfrage  nach 
Wolle  auf  dem  englischen  Wollmarkte,  vor  allem  durch  den  Ausfall 
von  Deutschlands  und  Oesterreich-Ungarns  Nachfrage,  aber  auch  ge- 
ringerer Eigenbedarf  in  England  wegen  der  verminderten  Ausfuhr  und 
der  notwendigen  Einschränkung  der  eigenen  Produktion.  Trotzdem 
war  die  Zufuhr  von  Wolle  im  Jahre  1915  der  Menge  nach  größer  als 
im  Jahre  zuvor:  926,7  Mill.  Ibs.  gegen  712,6,  also  eine  Zunnahme  um 
fast  ein  Drittel.  Diese  Verhältnisse  erklären  die  Preissenkung  der 
Wolle  zur  Genüge.  Hierin  trat  nun  seit  1916  eine  wesentliche  Aen- 
derung  ein.  In  den  ersten  neun  Monaten,  wo  mir  die  Berichte  vorlagen, 
betrug  die  Einfuhr  nur  noch  527  Mill.  Pfd.  gegen  829  im  Jahre  zuvor, 
also  eine  Mindereinfuhr  um  mehr  als  ein  Drittel.  Und  zwar  sind  vor 
allem  Australien  und  Neuseeland  daran  beteiligt,  die  normalerweise 
die  Hauptmasse  stellen.  Die  Preissteigerung  ist  demnach  eine  sehr 
große:  bis  Ende  des  Jahres  um  120  Proz.  gegen  den  Kriegsbeginn. 
Es  ist  einmal  der  schlechte  Ausfall  der  Futtermittelernte  in  den  Kolonial- 
ländern, der  zu  einer  teilweisen  Vernichtung  des  Schafbestandes  führte, 
sodann  die  Verminderung  der  Arbeiterzahl,  und  endlich  die  so  wesent- 
lich erschwerten  Transportverhältnisse,  die  sich  darin  gleicherweise  be- 
merkbar machten,  das  Angebot  verminderten  und  den  Umschwung  in 
den  Preisen  herbeigeführt  haben.  Bei  gleicher  Nachfrage  wäre  wohl 
auch  ohne  den  Krieg  ein  Anziehen  der  Wollpreise  erfolgt,  zumal  ohne- 
dies sich  die  letzten  Jahre  durch  ein  Verknappen  der  Kolonialwolle 
bemerkbar  machten. 

Die  Preise  für  Rohseide  sind  1914/15  ebenfalls  heruntergegangen 
und  erst  seit  dem  Januar  1916  wiederum  gestiegen,  um  im  Oktober 
eine  Zunahme  um  fast  die  Hälfte  zu  erfahren.  Die  Verteurung  in  dem 
ganzen  Zeitraum  der  2Y2  Jahre  betrug  aber  nur  ein  Viertel.  Wiederum 
ist  die  Zufuhr  seit  den  letzten  Jahren,  nachdem  sie  1915  noch  größer 
als  vordem  gewesen  war,  vor  allem  aus  China  erheblich  zurückgegangen ; 
das  Angebot  gestaltete  sich  wesentlich  knapper,  zumal  auch  Frankreich 
weniger  ausführen  konnte.  Für  Hanf  tritt  die  Steigerung  schon  1915 
sehr  erheblich  ein  und  setzt  sich  dann  weiter  fort,  so  daß  sich  sein 
Preis  nach  2^/2  Kriegsjahren  auf  130  Proz.  höher  als  im  Anfang  stellt. 
Offenbar  ist  der  Bedarf  nach  Hanf  zu  militärischen  und  maritimen 
Zwecken  sehr  gestiegen,  und  obwohl  die  Einfuhr  teilweise  sogar  eine 
Zunahme  erfuhr,  nahm  der  Preis  steigende  Tendenz  an.  Hier  ging  ab- 
weichend von  Baumwolle  und  Wolle  die  Preissteigerung  also  offenbar 
von  der  Nachfrageseite  aus.  Die  Entwicklung  des  Jute  preises  weicht 
endlich  nicht  unerheblich  von  der  der  übrigen  Waren  ab.  Der  Preis 
macht  große  Schwankungen  durch,  steigt  zum  Teil  beträchtlich  über  den 


474  Misaellen. 

Anfangspreis,  sinkt  aber  auch  teilweise  darunter.  Ende  des  Jahres  ist 
Jute  nicht  unerheblich  billiger  als  zu  Beginn  des  Krieges.  Sie  ge- 
hört zu  den  Spinnstoffen,  die  im  ganzen  am  wenigsten  gestiegen  sind. 
Der  Grund  liegt  wohl  daran,  daß  die  Nachfrage  der  Zentralmächte 
ganz  ausfiel.  Der  Bedarf  nach  den  Produkten  ist  in  diesen  Ländern 
aber  an  sich  größer  als  in  England.  Die  Ausfuhr  von  Jute  und  Jute- 
waren nahm  darum  erheblich  ab,  da  England  hierin  wesentlich  für 
den  Export    arbeitet;    daraus    erklärt  sich  die  geringe  Preissteigerung. 

Von  den  Fertigprodukten  findet  sich  der  Preis  filr  Baumwollgarn 
und  der  von  Schirting  angegeben.  Das  Jahr  1915  zeigt  ein  erheb- 
liches Nachlassen  der  Ausfahr  englischer  Baumwollprodukte.  Dem 
Werte  nach  war  sie  um  16,7  Proz.  gefallen,  um  dann  1916  dem  Werte 
nach  wieder  zuzunehmen,  wenn  auch  die  Menge  abermals  einen  Rück- 
gang aufweist.  Entsprechend  der  Preisbewegung  des  Rohstoffes  ist 
der  Preis  für  Baumwollgarn  seit  Ausbruch  des  Krieges  von  10  d 
das  Pfund  bis  auf  6"^/^  gefallen;  er  hat  erst  im  Oktober  1915  wiederum 
die  alte  Höhe  erreicht,  um  dann  im  neuen  Jahre  entsprechend  der 
Aufwärtsbewegung  des  Rohstoffes  im  Oktober  bis  zu  14^4,  das  sind 
42  Proz.,  emporzusteigen.  Die  Fabrikate  sind  also  nicht  ganz  in  dem 
Maße  der  Rohprodukte  in  die  Höhe  gegangen,  sondern  dahinter  zurück- 
geblieben —  eine  Erscheinung,  die  uns  auch  sonst  noch  öfter  begegnen 
wird  und  mit  der  modernen  Fabrikationstechnik  zusammenhängt.  Anders 
ist  die  Preisgestaltung  der  Wollfabrikate.  Das  Pfund  kostete  bis 
zu  Beginn  des  Krieges  I4V2  d  und  hielt  sich  mit  nicht  sehr  großen 
Abweichungen  auf  dieser  Höhe.  Aber  seit  dem  Januar  1916  befindet 
sie  sich  in  dauernder  Aufwärtsbewegung  und  hat  im  Oktober  den  Wert 
von  22  d  erreicht,  also  eine  Zunahme  von  50  Proz.  Das  Fabrikat  ist 
wesentlich  hinter  der  Verteuerung  der  Rohstoffe  zurtickgeblieben.  Man 
darf  diese  Preisgestaltung  für  die  Textilfabrikate  wohl  auf  den  anfäng- 
lich starken  Rückgang  des  Exportes  zurückführen^).  Danach  zeigte 
1915  der  Menge  nach  eine  Abnahme  um  etwa  ein  Viertel,  im  Jahre 
1916,  wenigstens  in  den  ersten  neun  Monaten,  dagegen  eine  Zunahme  um 
mehr  als  ein  Drittel  gegenüber  dem  gleichen  Zeitraum  des  Vorjahres. 
Es  ist  wohl  besonders  die  Besetzung  der  Textilgebiete  Frankreichs,  die 
England  zugute  gekommen  ist,  dessen  Ausfuhr  quantitativ  stark  belebt 
hat  und  entsprechend  die  Preise  in  die  Höhe  trieb.  England  hat  also 
direkt  von  der  Besetzung  der  französischen  Gebiete  Vorteile  gehabt. 

Im  ganzen  bleiben  die  Preissteigerungen  der  Spinnstoffe  hinter 
dem  des  allgemeinen  Preisniveaus  zurück.  Im  ersten  halben  Jahr 
beobachten  wir  sogar  eine  Abnahme    und    erst    in    der  zweiten  Hälfte 

1915  eine  wesentliche  Preiszunahme,  die  auf  verschiedene  Ursachen 
zurückzuführen  ist  —  zumeist  in  dem  Ernteausfall  und  der  Zufuhrmenge, 
zum  Teil    aber  auch    in    der  Nachfrage   begründet   ist.     Bis  zum  Ende 

1916  betrug  die  Preissteigerung  etwa  fünf  Sechstel.  Die  englische  Textil- 
industrie hat  durch  den  Krieg  zweifellos  eine  wesentliche  Störung  er- 
fahren, der  jedenfalls   keine    entsprechende  Steigerung  der  Fabrikaten- 

1)  In  MiUionen  Ibs.  1914:  2G6,  1915:  202. 


Miszellftn.  475 

preise  bei  verminderter  Produktenmenge  gegenüberstand.  Allerdings 
ist  auch  hier  durch  die  Heereslieferungen  für  England  selbst  wie  auch 
für  die  Bundesgenossen,  besonders  Frankreich,  dessen  Textilgebiete  ja 
zumeist  in  deutschen  Händen  sich  befinden,  ein  teilweiser  Ersatz  ein- 
getreten. Dazu  kam,  daß  die  Zentralmächte  als  Lieferanten  von  Textil- 
produkten  für  die  nordischen  Staaten  wie  auf  dem  Balkan  ganz  aus- 
fielen, so  daß  England  auch  hier  den  Gewinn  einheimsen  und  manchen 
anderen  Ausfall  decken  konnte.  Diese  Aenderung  zeigt  sich  allerdings 
erst  seit  1916.  Betrachten  wir  die  Ausfuhrziffern  des  ersten  Jahres, 
so  betrugen  sie  dem  Werte  nach  in  Millionen  Pfund: 


Baumwolle 

103,2 

85,9 

Wolle 

31,5 

32,9 

Seide 

1,9 

I»7 

andere  Stoffe 

12,9 

11,7 

149,6       132,2 

also  eine  Minderausfuhr  um  llProz.  die  bei  der  Baumwolle  17  Proz.  aus- 
macht. Kein  Zweifel,  daß  bei  der  starken  Steigerung  der  Eohstoffpreise 
dieses  Ergebnis  für  die  englische  Industrie  im  ersten  Jahre  sehr  ungünstig 
zu  beurteilen  ist.  Es  konnte  darum  als  ein  Ergebnis  der  Untersuchung 
für  das  erste  Jahr  bemerkt  werden  i):  „Der  Vorteil,  den  England 
dank  seiner  Monopolstellung  als  Hauptverbraucher  textiler  Rohstoffe 
erfährt,  wird  durch  die  Verminderung  seiner  Ausfuhr  von  Garn  und 
Tüchern  mehr  als  aufgehoben.  Diese  Minderung  betrug  im  ersten 
Kriegsjahr  allein  32  Mill.  Pfd.  und  in  den  vier  Monaten  des  neuen 
Jahres  auch  bereits  23  Mill.  Pfd."  Hier  ist  nun  im  Jahre  1916  ein 
wesentlicher  Umschwung  eingetreten.  Die  Ausfuhr  zu  steigendem 
Preise,  vor  allem  für  Eechnuug  der  Verbündeten,  aber  auch  der  Neu- 
tralen und  der  Kolonien,  nahm  wiederum  sehr  erheblich  zu,  so  wohl  dem 
Gewichte  wie  dem  Werte  nach.  Allerdings  haben  nun  wohl  die  Frachten 
und  Versicherungskosten  einen  Teil  des  Mehrwertes  der  Ausfuhr 
wieder  verschlungen,  deren  genaue  Feststellung  einstweilen  noch  nicht 
möglich  ist. 

III.  Bergbauprodukte. 

Die  nächste  Gruppe  bilden  die  Bergbauprodukte,  zu  denen 
Steinkohle,  Eisen,  Stahl,  Kupfer,  Zinn,  Salpeter  gehören.  Sie  waren 
allenthalben  seit  1912  infolge  der  niedergehenden  Konjunktur  billiger 
geworden  und  standen  vor  Kriegsausbruch  niedriger  als  zuvor.  Die 
sinkende  Bewegung  setzt  sich  zunächst  auch  nach  Kriegsbeginn  weiter 
fort.  Die  Preise  gingen  im  ersten  halben  Jahre  erheblich  zurück, 
nahmen  dann  1915  aufsteigende  Tendenz  an.  Die  rapide  Steigerung 
trat  jedoch  erst  im  Dezember  ein;  das  Maximum  von  418  Punkten, 
d.  s.  102  Proz.,  ist  im  Mai  erreicht  worden.  Seitdem  ist  ein  kleines 
Nachlassen  eingetreten,  so  daß  im  Dezember  1916  das  Preisniveau  um 
90  Proz.  über  dem  Anfang  stand. 


1)  Eulenburg,  a.  a.  O.  S.  178. 


476 


MiBzellen. 

Kohle 

Kupfer 

Zinn 

Roheisen 

£      8h 

d 

£ 

sh      d 

£ 

8h 

d 

£ 

8h       d 

Juli   1914 

—    14 

6 

6i 

16      6 

145 



— 

2 

II     3 

Dezember 

—    13 

3 

55 

—     — 

146 

10 

— 

2 

II      6 

März  1915 

I       7 

6 

64 

15     - 

171 

5 

— 

3 

7      3 

Juli 

—    17 

3 

79 

2      6 

170 

^5 

— 

3 

7      0 

September 

—    17 

3 

67 

12      6 

154 

10 

— 

3 

5     3 

Dezember 

—    i8 

3 

78 

10    — 

168 

10 

— 

3 

12     3 

März  1916 

—    i8 

3 

108 

7     — 

186 

10 

— 

4 

2      6 

Juli 

—    i8 

3 

103 

10     — 

173 

0 

— 

4 

7      6 

Dezember 

—    19 

o 

138 

15 

175 

7 

6 

4 

7      6 

Unter  den  Rohstoffen  ist  es  vor  allem  einer,  der  im  Preise  sehr 
stark  angezogen  hat,  das  ist  Kupfer.  Zwar  bemerken  wir  auch  hier 
anfänglich  ein  Sinken,  hervorgerufen  offenbar  durch  den  völligen  Aus- 
fall der  Zentralmächte  als  Nachfragende.  Deutschlands  Bedarf  an  Kupfer 
ist  größer  als  der  von  Frankreich  und  England  zusammen  und  nimmt 
von  der  gesamten  Weltproduktion  etwa  den  vierten  Teil  auf.  Bei  den 
starken  Schwankungen  des  Kupferpreises  auch  in  Friedenszeiten  gewann 
die  Baissepartei  darum  einstweilen  sogleich  die  Oberhand  und  drückte 
den  Preis  von  neuem  herab.  Aber  bereits  bei  Beginn  des  zweiten 
Kriegsjahres  stand  er  höher  als  im  Anfang  und  hat  sich  dann  vor 
allem  seit  dem  Februar  1916  ganz  enorm  verteuert  so  daß  Ende  1916 
der  Preis  100  Proz.  höher  war  als  zu  Kriegsbeginn.  Natürlich  war 
die  Nachfrage  nach  Kupfer  zu  militärischen  Zwecken  selbst  kolossal 
gestiegen,  während  die  Einfuhr  im  ganzen  Jahr  1915  wesentlich  nach- 
ließ. So  konnte  eine  um  47  Proz.  verminderte  Einfuhr  dem  Werte 
nach  nur  um  3  Proz.  gegen  das  Vorjahr  zurückbleiben.  Hier  hat 
zweifellos  der  Unterseebootkrieg  und  die  Versenkung  dieser  so  höchst 
wichtigen  Bannware  stark  zur  Verminderung  mitgewirkt.  Dazu  kommt 
aber,  daß  die  Vereinigten  Staaten  in  der  Gewinnung  von  Kupfer  fast 
ein  Monopol  innehaben.  Andererseits  unterlag  der  Preis  für  englisches 
Zinn  starken  Schwankungen,  die  keine  deutliche  Tendenz  enthielten. 
Er  stieg  im  Grunde  erst  wieder  seit  Beginn  des  Jahres  1916  und  er- 
reichte im  April  mit  202  £  die  Tonne  ein  Maximum  von  42  Proz.,  um 
dann  zu  Ende  des  dritten  Kriegsjahres  um  25  Proz.  höher  zu  stehen 
als  im  Anfang.  England  bezieht  ja  das  Zinn  vor  allem  aus  der  eigenen 
Kolonie  Straits  Settlements,  einen  kleineren  Teil  im  eigenen  Lande. 
Hier  mögen  spekulative  Momente  stark  auf  die  Schwankungen  ein- 
gewirkt haben. 

Eigentümlich  ist  die  Bewegung  der  Kohlenpreise.  Da  England 
fremder  Kohlen  nicht  bedarf,  so  sind  es  die  inneren  Verhältnisse  und 
sodann  aber  die  Nachfrage  des  Auslandes,  die  den  Preis  bestimmen. 
Der  Preis  für  Yorkshire- Steinkohlen  hielt  sich  auffallend  konstant  und 
zeigt  nur  eine  sehr  langsame  Aufwärtsbewegung :  nach  zwei  Jahren  ist 
sie  nur  um  4  sh,  d.  s.  25  Proz.  die  Tonne,  teurer  geworden.  Wenn 
auch  wohl  die  Nachfrage  für  den  einheimischen  Industriebedarf  nach- 
gelassen hatte,  so  war  doch  der  Kriegsbedarf  jedenfalls  größer  ge- 
worden; andererseits  hatten  aber  auch  die  Gestehungskosten  durch 
Erhöhung  der  Löhne  wesentlich  zugenommen.     Sodann    ist    die  Beleg- 


Miszellen.  477 

Schaft  infolge  der  Einberufung  erheblich  kleiner  geworden.  Dadurch 
ist  denn  eine  teilweise  Kohlenknappheit  eingetreten,  so  daß  die  Preise 
wieder  anziehen  mußten.  Ende  1916  stellte  sich  die  Tonne  um  5  sh 
höher  als  zu  Beginn.  —  Ganz  anders  steht  es  nun  aber  mit  der 
Schiffskohle.  Hier  ist  die  Nachfrage  seitens  der  englischen  Marine 
selbst  kolossal  gestiegen,  ebenso  durch  den  Ausfall  der  deutschen 
Kohlenausfuhr  der  Bedarf  der  Neutralen  und  der  der  anderen  krieg- 
führenden Staaten  selbst.  Dazu  kommt  die  Unsicherheit  der  Schiffahrten 
und  die  massenhafte  Versenkung  von  Schiffsraum.  Kostete  die  Tonne 
New  Gastier  Schiffskohle  im  Jahre  1914  noch  14sh  6  d,  so  war  sie  im 
Jahre  darauf  nach  anfänglichem  Hinabgehen  bereits  auf  21  sh  6d  ge- 
stiegen. Am  Ende  des  zweiten  Kriegsjahres  betrug  der  Preis  55  sh, 
das  ist  eine  Steigerung  von  160  Proz.  Wenn  er  auch  seitdem  freilich 
wieder  nachgelassen  hat,  so  stand  er  doch  aber  im  Oktober  1916  immer 
noch  auf  44Vj  sh,  also  auf  mehr  als  das  Doppelte.  Es  spiegelt  sich  hier 
wohl  am  deutlichsten  die  Folge  des  Unterseebootkrieges  und  der 
kolossalen  Aufwendungen,  die  die  überseeischen  Schiffahrtsunter- 
nehmungen an  England  stellen.  Die  Kohlenförderung  ging  von  287 
Mill.  t  in  1913  auf  253  Mill.  t  in  1915  zurück;  die  Ausfuhr  von 
73  Mill.  auf  40.  Der  Ausfall  der  Kohlenarbeiter  durch  Einberufungen 
betrug  14  Proz.  Aus  diesen  Momenten  erklärt  sich  hinreichend  die 
Steigerung  der  Kohlenpreise  i). 

Dagegen  hat  nun  der  Preis  für  Roheisen  wie  für  Stahl  eine 
starke  Aufwärtsbewegung  durchgemacht.  Roheisen  ist  von  51  sh  3  d  die 
Tonne  nach  zweieinhalb  Kriegsjahren  auf  87  sh  6  d  und  Stahl  sogar  von  6  £ 
auf  1 1  £  5  in  demselben  Zeitraum  gestiegen,  ersteres  also  um  70  Proz., 
letzterer  gar  um  84.  Einmal  sind  die  Gestehungskosten  allenhalben 
teurer  geworden :  Rohmaterial,  Arbeitslöhne,  Betriebseinschränkung 
wirken  nach  der  gleichen  Seite.  Es  sind  die  Erze  schon  ab  Grube 
im  Preise  gestiegen,  Eisenerze  z.  B.  von  20  sh  6  d  bei  Beginn  auf  32  sh 
im  Oktober  1915.  Andererseits  ist  der  Bedarf  für  Kriegsgeräte  ein 
besonders  dringender  und  starker.  Vor  allem  aber  fehlt  ganz  die  Ein- 
fuhr deutschen  Roheisens,  auf  die  sonst  ein  beträchtlicher  Teil  der 
englischen  Stahlindustrie  angewiesen  ist.  Die  Bezüge  aus  den  Ver- 
einigten Staaten,  die  dafür  einen  teilweisen  Ersatz  boten,  stehen  selbst 
wesentlich  höher,  da  diese  eine  Monopolstellung  erhielten.  In  den  ersten 
neun  Monaten  1916  machte  die  Einfuhr  an  Eisen  und  Stahl  nur  etwa 
^/g  der  vorjährigen  Einfuhr  aus,  während  deren  Wert  sich  um  9  Proz. 
höher  stellte.  Die  Militär  Verwaltung  mußte  unter  allen  Umständen  die 
Kriegspreise  bezahlen. 

IT.   Yerschiedene  Rohstoffe. 

Endlich  bleibt  noch  eine  weitere  Reihe  von  industriellen  Roh- 
stoffen übrig,  zu  denen  vor  allem  Kautschuk,  Holz,  Petroleum,  Oel, 
Talg   und   Leder   gehören.     Das   Preisniveau    dieser  Waren   ist  relativ 


1)  Wirtschaftlicher  Nachrichtendienst,  Nr.  241,  vom  20.  November  1916. 


478  Miszellen. 

am  meisten  gestiegen  und  hat  sich  seit  Beginn  des  Krieges  durch- 
schnittlich verdoppelt.  Die  Steigerung  setzt  gleich  von  Anfang  an 
lebhaftest  ein  und  bleibt  ununterbrochen  wirksam.  Ein  Rückgang  ist 
in  der  ganzen  Zeit  nicht  zu  vermerken  gewesen. 


Kautschuk 

Palmöl 

Talg 

Leder 

Indigo 

8h 

d 

sh    d 

sh     d 

sh    d 

sh      d 

Juli  1914 

2 

IG 

32    — 

I 

IG       9 

2    2 

3      3 

Dezember 

2 

8V, 

34      5 

I 

IG       6 

2    3 

13      6 

März  1915 

2 

47* 

33    — 

I 

19  — 

2    6 

14     3 

Juli 

2 

6V, 

31    — 

I 

12       3 

2    7V. 

13      6 

Dezember 

3 

2^8 

40     - 

2 

8      6 

2   5 

14   — 

März  1916 

3 

47* 

47    — 

2 

7      6 

2   7 

14     9 

Juli 

2 

8 

40   — 

2 

6   — 

2   4V, 

14     9 

Dezember 

2 

I2V, 

2 

IG      6 

Betrachten  wir  wiederum  die  Einzelheiten,  so  hielt  sich  zunächst 
der  Kautschuk  anfangs  trotz  der  so  erheblich  gestiegenen  Nach- 
frage bis  Ende  1915  ungefähr  auf  der  gleichen  Höhe  von  2  sh  6  d 
das  Pfund.  Der  Grund  war  offenbar  das  völlige  Ausfallen  des  sonst 
sehr  bedeutenden  Bedarfs  der  Zentralmächte.  Deutschlands  Nach- 
frage nach  Kautschuk  ist  größer  als  die  von  Frankreich  und  England 
zusammen.  Dadurch  mußte  sich  der  Weltmarktpreis  zuerst  zugunsten 
Englands  entwickeln.  Die  Einfuhr  war  dabei  1915  größer  als  im 
Jahre  zuvor  und  auch  in  dem  folgenden  Jahre  vor  dem  U-Bootkrieg  nur 
wenig  geringer  als  vordem.  Es  ist  also  deutlich,  daß  in  diesem  für  die 
moderne  Kriegführung  so  wichtigen  Rohstoffe  England  tatsächlich  den 
Vorteil  der  Blockade  sich  zu  eigen  machen  konnte.  Im  neuen  Jahre 
ist  zwar  der  Preis  vorübergehend  beträchtlich  in  die  Höhe  gegangen, 
aber  im  ganzen  beträgt  doch  die  Steigerung  nur  etwa  12  Proz.  gegen 
den  Anfang.  Anders  verhält  sich  das  Leder,  dessen  Preis  ein  sehr 
gleichmäßiges  Anwachsen  zeigt  und  nur  wenig  Schwankungen  durch- 
gemacht hat.  Die  Verteuerung  nach  2  Kriegsjahren  beträgt  51  Proz. 
und  hängt  mit  der  stark  verminderten  Einfuhr  der  letzten  Monate 
zusammen.  Außerdem  fällt  die  starke  deutsche  Einfuhr  von  Leder- 
waren fort,  so  daß  England  auf  sich  selbst  angewiesen  ist. 

Weiter  interessiert  uns  noch  die  Preissteigerung  von  Talg  und 
Oel.  Ersterer  ist  ebenfalls  erst  in  letzter  Zeit,  seit  1915,  teurer  ge- 
worden, nachdem  er  sich  bis  dahin  auf  annähernd  gleicher  Höhe  ge- 
halten hatte.  Dann  aber  geht  die  Aufwärtsbewegung  rapid  vor  sich 
und  beträgt  bis  zum  September  1916  mehr  als  60  Proz.  Ein  Blick 
auf  die  Einfuhrziffern  erklärt  hinreichend  diese  Erscheinung.  Während 
1915  die  Einfuhr  aller  Arten  Talg,  vor  allem  aus  Australien  und  Neu- 
seeland sich  noch  ebenso  hoch  stellte  wie  im  Jahre  zuvor,  hat  sich 
in  den  neun  Monaten  des  neuen  Jahres  die  Zufuhr  um  die  Hälfte  ver- 
mindert. Es  erklärt  sich  also  aus  den  so  wesentlich  geänderten  An- 
gebotsverhältnissen, daß  auch  der  Preis  für  Talg  so  stark  anziehen 
mußte.  Dabei  ist  der  Bedarf  vor  allem  an  Schmiermitteln  für  Ge- 
schütze,  für   Schiffe   und   Automobile   enorm   gestiegen.     Es  kann  frei- 


Miszellen.  479 

lieh  zweifelhaft  sein,  worin  diese  Verminderung  dieses  Angebotes  selbst 
wiederum  begründet  ist.  Die  Verknappung  an  Schiffsraum  hat  jeden- 
falls erheblich  beigetragen.  Andererseits  aber  muß  wohl  das  Ergebnis 
der  Viehzucht  wegen  Futtermangels  und  aus  anderen  Gründen  (Leute- 
not) so  unbefriedigend  ausgefallen  sein,  daß  eine  so  überaus  große 
Verminderung  der  australischen  Einfuhr  im  Gegensatz  zur  neusee- 
ländischen daraus  erklärlich  wird.  Auch  der  Preis  für  Palmöl,  der 
sich  vordem  auf  etwa  gleicher  Höhe  hielt,  zeigt  erst  im  neuen  Jahre 
ein  sehr  starkes  Anziehen.  Er  stand  zeitweise  um  60  Proz.  höher, 
ist  seitdem  allerdings  wieder  zurückgegangen.  Da  die  Einfuhr  hier 
kein  wesentliches  Nachlassen  aufwies,  Kokosnußöl  zum  Teil  sogar  in 
weit  größeren  Mengen  nach  England  eingeführt  wurde,  so  muß  das 
Anziehen  wohl  in  der  Ausgestaltung  des  Bedarfes  liegen. 

Auch  das  kolossale  Steigen  der  Preise  für  Indigo  erklärt  sich 
daraus.  England  befindet  sich  ja  in  der  Notlage,  auf  Einfuhr  deutscher 
Fabrikate  angewiesen  zu  sein.  Da  diese  ganz  fortfiel,  mußte  der 
natürliche  Indigo  wiederum  einen  Ersatz  geben.  So  stieg  dessen  Preis 
von  3  sh  3  d  bei  Beginn  des  Krieges  zunächst  auf  das  Doppelte 
(August),  dann  auf  das  Vierfache,  Ende  des  Jahres  auf  14  sh  9  d, 
d.  i.  um  350  Proz.  höher  zu  stehen.  Hier  macht  sich  also  die  Ab- 
sehneidung  Deutschlands  einmal  in  umgekehrtem  Maße  geltend. 

Es  ist  leider  nicht  möglich,  für  alle  die  hier  angeführten  Waren 
Vergleiche  mit  den  deutschen  Preisen  vorzunehmen.  Denn  wir  er- 
halten vom  Auslande  weder  Oele  noch  Talg,  weder  Kautschuk  noch 
Baumwolle,  weder  Kupfer  noch  Wolle,  sondern  sind  in  der  Haupt- 
sache auf  alte  Vorräte  und  auf  die  beschlagnahmten  Bestände  in  den 
besetzten  Gebieten  angewiesen.  Die  Waren  werden  zur  Verfügung 
der  vielen  Rohstoff gesellschaften  gestellt  und  der  Preis  amtlich  notiert 
zu  Taxen,  die  einen  Vergleich  nicht  zulassen.  Es  fehlt  bei  uns  eben 
praktisch  die  Marktpreisbildung,  die  in  England  noch  besteht.  Dabei 
ist  es  charakteristisch,  daß  für  die  englischen  Bergbauprodukte  die 
bedeutsamste  Preissteigerung  auf  das  Jahr  1916,  für  die  verschiedenen 
Rohstoffe  aber  auf  das  Jahr  1915  entfällt.  Wir  haben  bei  den  ein- 
zelnen Waren  gesehen,  wie  sich  Angebot  und  Nachfrage  im  einzelnen 
gestalten.  Zusammenfassend  können  wir  etwa  sagen:  England  hatte 
anfangs  in  nicht  wenigen  Produkten  von  der  Abschneidung  der  Zen- 
tralmächte einen  Vorteil  durch  Niederhaltung  der  Warenpreise.  Das 
Angebot  kam  dem  Inselreich  vielfach  zugute.  Die  Preise  zogen  nur 
langsam  und  nicht  sehr  erheblich  an.  Bei  der  Mehrzahl  der  Waren 
aber  erlangten  nun  sehr  bald  durch  die  Unterbindung  des  Weltver- 
kehrs gewisse  Länder  eine  Monopolstellung  (vor  allem  die  Vereinigten 
Staaten  bezüglich  der  Nahrungsmittel),  die  sie  weidlich  ausgenutzt 
haben.  Dazu  kam  die  ungünstige  Gestaltung  mancher  Ernteverhältnisse, 
die  beim  Fortfall  des  freien  Verkehrs  zu  keinem  Ausgleich  führen 
konnten.  Des  ferneren  wirkte  die  Verteuerung  der  meisten  Ge- 
stehungskosten, vor  allem  der  Arbeitslöhne  in  England  selbst  wie  den 
Kolonien   infolge   Arbeitermangel   verteuernd   ein.     Weiter  haben  auch 


480  Miszellen. 

für  bestimmte  Waren,  wie  Fette  und  Oele,  Eisen  und  Stahl,  außer  dem 
verminderten  Angebot  auch  die  veränderten  und  erhöhten  Nachfragen 
preissteigernd  gewirkt.  Endlich  aber  hat  die  Verknappung  von  Schiffs- 
raum und  die  Frachtverteuerung  einen  Teil  des  Angebotes  durch 
Torpedierung  und  Minen  direkt  vernichtet  und  die  Möglichkeit  der 
Einfuhr  überhaupt  beeinträchtigt.  Das  Ergebnis  ist,  daß  England 
allenthalben  eine  enorme  Verteuerung  aller  Waren  zeigt  und  daß 
das  Preisniveau  nach  2^/^  Jahren  der  Kriegsführung  um  97  Proz. 
höher  steht  als  im  Anfang.  Bei  der  Konnexität  aller  Preise  be- 
deutet das,  daß  die  Kaufkraft  des  Geldes  in  England  um  so  viel  ge- 
sunken ist.  Auch  England  erlebt  durch  den  Krieg  eine  Preisrevolution 
stärkster  Art.  Das  neue  Jahr  1917  hat  dann  weiter  sehr  bedeutsame 
Folgen  für  England  gezeitigt,    die  später   zu  untersuchen  sein  werden. 

(öc:) 


Literatur.  431 


Literatur. 


III. 
Die  Literatur  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge. 

Von  Dr.  Herbst,  Halle. 

Es  ist  geradezu  erstaunlich,  bei  dem  Wesen  des  Deutschen  aber 
auch  verständlich  und  in  Anbetracht  unserer  fortgeschrittenen  und  aus- 
gesprochenen wissenschaftlichen  Entwicklung  eigentlich  erklärlich,  welche 
starke  Belebung  der  große  Krieg  um  die  nationale  und  wirtschaftliche 
Zukunft  Deutschlands  auf  die  Literatur  der  verschiedenen  Wissens- 
gebiete ausgeübt  hat.  Aber  auch  eine  Reihe  ganz  neuer  Literatur- 
zweige ist  geschaffen,  die  ihre  Entstehung  teils  mehr,  teils  weniger 
besonderen  praktischen  eigenartigen,  bisher  unbekannten  und  früher 
nie  geahnten  Kriegsmaßnahmen  verdanken.  Von  den  wichtigen  kriegs- 
wirtschaftlichen Betrachtungen,  die  in  der  deutschen  wissenschaft- 
lichen Nationalökonomie  bisher  recht  vernachlässigt  worden  sind,  hat 
sich  das  meiste  Interesse  wohl  der  Frage  der  Volksernährung, 
die  durch  den  verschärften  Wirtschaftskrieg  an  Bedeutung  immer  mehr 
gewonnen  hat,  und  der  Fürsorge  für  die  Kriegsbeschädigten 
mit  Rücksicht  auf  die  ungeheuren  volkswirtschaftlichen  Forderungen 
dieses  so  überaus  wichtigen  sozialen  und  wirtschaftlichen  Problems  zu- 
gewandt. Hier  wie  dort  wurden  die  vielseitigen,  praktischen  Maßnahmen, 
die  auf  diesen  beiden  Gebieten  einsetzten,  zweckmäßig  vorbereitet,  unter- 
stützt und  angeregt  sowie  nicht  unwesentlich  gefördert  durch  eine  ein- 
gehende wissenschaftliche,  literarische  Aussprache,  die  in 
jeder  erdenklichen  Form  geboten  wurde.  So  hat  sich  auch  eine  eigene 
Literatur  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  herausgebildet, 
die  über  den  doch  noch  verhältnismäßig  ganz  neuen  Gegenstand  eine 
vielseitige  Fülle  des  einschlägigen  Materials  enthält,  das  der  späteren 
wissenschaftlichen  Forschung  zweifellos  wertvolle  Dienste  leisten  wird. 
Ein  abschließendes  Urteil  kann  über  diesen  neuesten  Literaturzweig 
noch  nicht  gut  gebildet  werden,  da  sich  die  ganze  Frage  selbst  noch 
viel  zu  sehr  im  Entwicklungsstadium  befindet,  wenn  auch  die  Praxis 
der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  durch  die  Länge  ihrer  Betätigung,  die 
mit  der  Dauer  des  Krieges  nun  schon  über  drei  volle  Jahre  umfaßt, 
bereits  die  gehörigen  Erfahrungen  besitzt  und  recht  gute  Erfolge  ge- 
zeitigt hat.  So  viel  steht  aber  heute  schon  fest,  daß  das  bisher  auf 
diesem  Gebiete  praktisch  und  wissenschaftlich-literarisch  Geleistete  zum 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd  54).  31 


432  Literatur. 

weitaus  größten  Teile  recht  beachtenswert  ist.    Diese  Feststellung  allein 
genügt  jedoch  noch  nicht,  und  an  der  Hand  von  Uebereichten  und  Zu- 
sammenstellungen   kann    erst    die    materielle    Schlußfolgerung    gezogen 
werden.     Es  ist  daher  schon  an  sich  die  Notwendigkeit  gegeben,    auch 
im  Entwicklungsstadium  bestimmte  üebersichten  in  dieser  Beziehung  zu 
bieten,  von  dem  großen  aktuellen  Interesse  für  den  Gegenstand  noch  gar- 
nicht  zu  reden.    Da  das  große  Gebiet  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  aber 
zu  einem  endgültigen  Abschluß  noch  nicht  gelangt  ist  und  erklärlicher- 
weise auch  gar  nicht  gelangt  sein  kann,  sind  die  gebotenen  Üebersichten 
niemals  vollständig  und  können  in  der  Hauptsache  nur  informatorischen 
Zwecken    dienen    und    gewissermaßen    als  zeitliche  Materialsammlungen 
angesehen  werden,  die  so  gut  wie  möglich  erschöpfend  zu  sein  versuchen, 
andererseits  für  die  späteren  wissenschaftlichen  Forschurgen  aber  nicht 
ganz   unbrauchbar    sein    werden    und    trotz    der   im  Charakter  der  Zeit 
liegenden,  schnell  fortschreitenden  Entwicklung  der  Materie  selbst  einen 
gewissen    Gegenwartswert    besitzen.      Unter    diesem    Gesichtspunkt    ist 
auch  die  vorliegende  üebersicht  entstanden,  die  sich  mit  der  Literatur 
der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  beschäftigt  und  einen  Ueber- 
blick  der  bezeichneten  Art  mit  den  betonten  Einschränkungen  zu  bieten 
bestrebt  ist,  was  auch  für  die  bisherigen  gleichen,  aber  wenigen  Versuche 
gelten    dürfte,    von    denen    hervorgehoben  sind  Horion,    Literatur  zur 
Kriegsbeschädigtenfürsorge  im  Preußischen  Verwaltungsblatt  (36.  Jahrg., 
1915,  Nr.  48,  S.  779),    Heiß,  Die  Kriegsbeschädigtenfürsorge  (Soziale 
Praxis,    25.  Jahrg.,  1915/16,  Nr.  7),  Hirsch,  der  in   den  Annalen  für 
soziale  Politik  und  Gesetzgebung  (4.  Bd.,  5.-6.  Heft,  1916,  S.  673)  in 
einem  Aufsatz  über  die  kommunalpolitische    Kriegsliteratur 
auch    der  Literatur    der  Kriegsbeschädigtenfürsorge,    aber   nur   in  sehr 
beschränktem  Maße,    gedenkt.      Etwas    ausführlicher    haben    w  i  r    den 
Gegenstand    darzustellen    versucht,    einmal    in    der    Zeitschrift   für 
Sozialwissenschaft  (1915,  Nr.  7,  S.  482)  und  dann  in  der  Kriegs- 
beschädigtenfürsorge (1.  Jahrg.,  1916,  Nr.  4  und  Nr.  8,  S.  382  ff.). 
Gerade  in  letzterer  konnte  die  üebersicht  in  weiterer  Form  und  größerer 
Ausführlichkeit    gegeben    werden.      Dort    wurde    damit   gleichzeitig    ein 
weiterer  Zweck  erfüllt,  indem  der  erwähnte  Aufsatz  gewissermaßen  die 
Einleitung  bildete  zu  einer  Reihe  von  Besprechungen  über  wichtige  Neu- 
erscheinungen   auf   dem  Gebiete    der  Kriegsbeschädigtenfürsorge,    deren 
Literatur  vornehmlich  an  Monographien  sehr  reich  ist.    üeberhaupt  bringen 
verschiedene  wissenschaftliche  Zeitschriften  in  dankenswerter  Weise  fort- 
laufend auch  solche  Besprechungen,  was  sehr  nützlich  ist  und  die  Bedeu- 
tung dieses  neuesten  Literaturzweiges  zeigt.    In  diesen  „Jahrbüchern" 
ist  dieser  Entwicklung   entsprechend    ihrer  Wichtigkeit  ebenfalls  Rech- 
nung getragen  worden.     Eine  verdienstvolle  neuere  üebersicht  über  die 
Zeitschriften   der    Kriegsbeschädigtenfürsorge    bietet    Kunstmann    in 
den  „Deutschen  Blättern  für  Kriegsverletzte"  (Nr.  15  vom  16.  März  1917). 
Die  literarische  Betätigung  auf  dem  Gebiete  der  Kriegsbeschädigten- 
fürsorge   ist    in    verschiedener    Form     erfolgt.      Historisch   betrachtet, 
ist   die   Tagespresse    hierin    vorangegangen.     Fast   gleichzeitig   ent- 
standen die  Monographien,    die   jetzt,    wie  schon  erwähnt,   in   be- 


Literatur.  4g3 

trächtlicher  Zahl  vorliegen.  Dann  wandten  ihr  die  wissenschaft- 
liehen Zeitschriften  ihr  Interesse  zu.  Schließlich  zeitigte  die 
praktische  Entwicklung  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  kleinere  und 
größere  Sammel Schriften  sowie  amtliche  und  halbamtliche 
Drucksachen.  Endlich  entstand  auch  eine  eigene  Fachpresse 
der  Kriegsbeschädigtenfürsorge,  die  einmal  die  Blätter 
größerer  Fürsorgeorganisationen  (Hauptorganisationen)  und 
die  Lazarettzeitungen  und  dann  einige  gute,  zum  Teil  wissen- 
schaftlich gehaltene  besondere  Zeitschriften  der  Kriegsbeschä- 
digtenfürsorge umfaßt. 

Es  kann  hier  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  eine  Bibliographie  der 
Kriegsbeschädigtenfürsorge  zu  bieten.  Das  ist  letzten  Endes  zurzeit 
auch  noch  gar  nicht  möglich,  denn  die  Schwierigkeit  der  Material- 
sammlung sind  auf  einem  Gebiete,  das  sich  praktisch  noch  in  voller 
Entwicklung  befindet,  gar  nicht  abzusehen.  Auch  Demant  weist  in 
seiner  Zusammenstellung  der  Zeitschriften  für  Kriegsverletztenfürsorge 
im  Börsenblatt  für  den  Deutschen  Buchhandel  (1916,  Nr.  294) 
darauf  hin,  daß  die  Aufzählung  nicht  vollständig  sein  könne.  Begnrgen 
wir  uns  daher  neben  einer  allgemeinen  einführenden  üebersicht  mit  einer 
geeigneten  Auswahl  aus  der  Fülle  des  Materials,  dessen  kritische  Be- 
handlung hier  auch  nur  soweit  erfolgen  soll,  als  es  der  Zusammenhang 
und  der  Vergleich  der  Quellen  erfordert,  da  es  in  dieser  Beziehung 
ebenfalls  noch  nicht  leicht  ist,  zu  einem  festen  abschließenden  Urteil 
zu  gelangen. 

Auf  die  einzelnen  Hauptgruppen,  welche  die  Arbeiten  dieser  neueren 
Spezialliteratur  des  Krieges  umfassen,  besonders  einzugehen  ist  hier 
nicht  nötig.     Es  genügen  darüber  kurze  Hinweise. 

Ungeheuer  ist  die  Fülle  des  Materials,  und  meist  auch  eines  ganz 
brauchbaren,  das  die  Tagespresse  enthält.  Es  ist  wohl  nicht  zu 
viel  gesagt,  wenn  behauptet  wird,  daß  in  fast  jeder  Tageszeitung  hin 
und  wieder  Beiträge  zur  Kriegsbeschädigtenfrage  gebracht  werden ;  bis 
vor  etwa  einem  Jahre  auch  noch  öfter  als  gegenwärtig;  früher  Ausfüh- 
rungen mehr  allgemeiner  Natur,  jetzt  spezieller  uoter  besonderer  Berück- 
sichtigung maßgebender  Einzelfragen  wie  des  Berufswechsels ,  der 
Arbeitsvermittlung,  der  Berufsausbildung,  Berufsumschulung  und  der 
An  iedlung  u.  a.  Besonders  sind  es  hier  aber  die  großen  führenden 
Tageszeitungen ,  die  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  ihr  Interesse  zu- 
wandten;  dort  finden  sich  zahlreiche  gute  Aufsätze  darüber.  Zu  er- 
wähnen sind  vor  allem  der  Tag,  das  Berliner  Tageblatt,  die  Täg- 
liche Rundschau,  die  Frankfurter  Zeitung,  die  Kölnische 
Zeitung,  sowie  eine  Reihe  illustrierter  Wochenschriften,  wie  die 
Illustrierte  Zeitung,  die  Woche,  die  Gartenlaube,  das 
Daheim,  wo  den  Ausführungen  meist  eine  Reihe  interessanter  bild- 
licher Darstellungen  beigegeben  ist. 

Nicht  unerwähnt  bleiben  darf  hier  auch  die  Vereinspresse, 
die  ebenfalls  Fragen  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  in  zahlreichen 
größeren  und  kleineren  Aufsätzen  erörtert.  Es  braucht  nur  hingewiesen 
zu  werden  auf   den  Arbeitgeber,   die   Deutsche  Arbeitgebe r- 

31* 


484  Literatur. 

Zeitung,  das  Co  rrespondenzblatt  der  General- Commis- 
sion  der  Gewerkschaften  Deutschlands  und  das  Kom- 
munalblatt für  Ehrenbeamte. 

Die  Fachpresse  der  Kriegsbeschädigten fü reo rge  ver- 
fügt über  eine  Reihe  eigener  Zeitschriften,  die  seit  Mitte  1915  bzw. 
kurz  danach  erscheinen :  der  Arbeitsnachweis  für  Kriegs- 
invalide und  heimkehrende  Soldaten  (Verlag  Verwertungsge- 
sellschaft, Wesel  am  Rhein),  die  Fürsorge  für  Kriegsteilnehmer 
(Göttingen  -  Berlin) ,  Deutsche  Blätter  für  Kriegsverletzte 
(Verlag  Vogel  u.  Vogel  in  Leipzig)  mit  der  veränderten  Bezeichnung  Der 
Kriegsbeschädigte  seit  5.  Mai  1917  als  Organ  des  neuen  Ver- 
bandes wirtschaftlicher  Vereinigungen  Kriegsbeschä- 
digter für  das  Deutsche  Reich,  Monatsblätter  für  In- 
validen- und  Krüppelhilfe  zu  der  bekannten  Zeitschrift  für 
Krüppelfürsorge,  die  Kriegsbeschädigtenfürsorge,  Monats- 
zeitschrift für  die  Gesamtinteressen  der  Kriegsbeschädigten  (Berlin),  seit 
Juni  1916  das  amtliche  Organ  des  Reichsausschusses  der  Kriegsbe- 
schädigtenfürsorge, der  daneben  noch  Sonderschriften  heraus- 
gibt, Fürsorge  für  Kriegsbeschädigte  und  Kriegsteil- 
nehmer (Herausgeber:  Potthoff,  Düsseldorf,  und  Falkenberg,  Berlin, 
im  Verlag  Heß,  Stuttgart),  die  Kriegshilfe  (Verlagsanstalt  Vollmer 
in  Münster)  und  dann  die  Schrift  „Zur  Fürsorge  der  Kriegs- 
beschädigten", deren  Nummern  als  Kriegsnummern  der  Blätter  für 
technischen  Unterricht  an  Handelsschulen  in  Elberfeld  seit  Anfang  März 
1916  herausgegeben  werden,  Heimund  Scholle  (seit  Juli  1916).  Die 
Deutsche  Soldatenzeitung  ist  die  Vereinsschrift  der  Vater- 
landsspende zur  Gewährung  von  Erholungskursen  für 
deutsche  Kriegsbeschädigte  und  schließlich  ist  der  Arbeits- 
markt für  Krieger  (Verlag  Kriegsauskunftei,  Berlin)  zu  erwähnen. 
Während  Heim  und  Scholle  das  Zentralblatt  für  das  ganze  deutsche 
Siedlungswesen,  insbesondere  die  Ansetzung  der  Kriegsbeschädigten 
bildet,  gelten  die  Mitteilungen  der  schlesischen  Landge- 
sellschaft (Breslau)  und  Der  Osten  (Charlottenburg),  die  seit  August 
1916  erscheinen,  nur  für  die  schlesischen  und  östlichen  Siedlungs- 
angelegenheiten. 

Daneben  bestehen  noch  die  Lazarettzeitungen  mit  Stellen- 
anzeiger für  Kriegsbeschädigte  in  Lübeck,  Frankfurt  a.  M.,  Ham- 
burg, Bonn,  Aachen,  Altena  sowie  die  Deutsche  Lazarett- 
zeitung mit  lokalen  Beilagen  für  einige  west-  und  süddeutsche  Städte 
nebst  der  Hessischen,  Schleßwig-Holsteinschen,  Scnle- 
sischen  und  Westpreußischen  Lazarettzeitung  und  die 
Blätter  einiger  Hauptfürsorgeorganisationen:  Sachsen 
(Heimatdank),  Rheinprovinz  (Die  Kriegsbeschädigtenfür- 
sorge in  der  Rheinprovinz),  Provinz  Brandenburg  (Vom  Krieg 
zur  Friedensarbeit),  Provinz  Ostpreußen  (Zeitschrift  für  die 
Kriegsbeschädigtenfürsorge  i  n  Ostpreußen),  Provinz  Sach- 
sen (Amtliche  Mitteilungen  der  Kriegsbeschädigtenf ür- 
fiorge  für  die  Provinz  Sachsen,    deren  Inhalt  allerdings  für  den 


Literatur.  485 

Dienstgebrauch  bestimmt  ist) ,  Baden  und  Württemberg  (Badischep 
bzw.  Württembergischer  Stellenanzeiger  für  Kriegsbe- 
schädigte), Westfalen  (Kriegsbeschädigtenfürsorge  in  der 
Provinz  Westfalen),  Elsaß-Lothringen  (Na  ehr  ich  ten  der  Lan- 
desfürs orge  statt  e  für  Kriegsinvaliden  in  Elsaß-Loth- 
ringen), Pommern  (Mitteilungen  des  Ausschusses  für  die 
Kriegsbeschädigtenfürsorge  in  Pommern),  Posen  (desgl. 
in  der  Provinz  Posen),  Schlesien  (dosgl.)  und  Nachrichten  für 
die  Kriegsbeschädigten  und  ihre  Fürsorge,  welche  die 
Kriegsbeschädigtenfürsorgestelle  des  stellv.  Generalkommandos  21.  und 
16.  A.-K.  in  Saarbrücken  herausgibt.  Auch  der  Akademische  Hilfs- 
bund hat  seine  eigenen  Mitteilungen  und  der  Deutsche  Hilfs- 
bund für  kriegsverletzte  Offiziere  läßt  seit  Ende  Oktober  1915 
die  Wohlfahrtsrundschau  regelmäßig  als  Beilage  zu  den  Sonntags- 
nummern der  Täglichen  Rundschau  erscheinen,  die  seit  Anfang 
Juni  1916  durch  die  reichhaltigere  Wochenschrift  D e u t s c h e r  Hilfs- 
bund  ersetzt  wird. 

Von  den  amtlichen  Drucksachen  sind  besonders  die  für  die 
Bestrebungen  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  eintretenden  Erlasse  des 
Preußischen  Kriegsministeriums  und  der  anderen  Ministerien, 
auch  in  den  Einzelstaaten,  sowie  der  sonstigen  Zivil-  und  Militärbehörden 
von  Bedeutung.  Wertvolles  Material  enthalten  die  Leitsätze  der 
Landes-  und  Ortsausschüsse  sowie  alle  sonstigen  in  dieser  Bezie- 
hung in  Betracht  kommenden  Schriftstücke  amtlichen  oder  halbamtlichen 
Charakters,  deren  es  unzählige  gibt.  Endlich  muß  auf  die  „An- 
stellungs-Nachrichten" hingewiesen  werden,  die  vom  Preußischen 
Kriegsministerium  herausgegeben  werden  und  ab  Nr.  12  des  41.  Jahr- 
gangs (1915)  laufen,  sie  erscheinen  wöchentlich,  neuerdings  sogar  zwei- 
mal in  der  Woche,  und  eingehende  und  wichtige  „Mitteilungen  aus  der 
Berufsfürsorge  für  Kriegsbeschädigte"  enthalten,  in  denen  zahlreiche 
praktische  und  organisatorische  Fragen  von  fachmännischer  Seite  er- 
örtert werden,  und,  was  besonders  wertvoll  ist,  die  meisten  ministeriellen 
Erlasse  über  die  Kriegsbeschädigtenfürsorge  abgedruckt  sind.  Nach  der 
kriegsministeriellen  Verfügung  vom  1.  Mai  1915  sind  die  zur  Entlassung 
kommenden  Kriegsbeschädigten  auf  die  „Anstellungs-Nachrichten"  hin- 
zuweisen. Vom  1.  September  1916  ab  werden  die  amtlichen  Mitteilungen 
in  besonderen,  nach  Bedarf  erscheinenden  Heften  den  „Anstellungs- 
Nachrichten"  beigefügt,  von  denen  sie  neuerdings  getrennt  erscheinen, 
was  ganz  zweckmäßig  ist. 

Die  beiden  anderen  Hauptgruppen  können  an  dieser  Stelle  jedoch 
etwas  ausführlicher  behandelt  werden,  zumal  sie  besonders  diejenigen 
Arbeiten  enthalten,  die  in  erster  Linie  für  die  wissenschaftliche  Ver- 
wertung des  Materials  geeignet  sind.  Es  ist  jedenfalls  von  Interesse, 
in  diesem  Zusammenhange  auch  mit  darauf  hinzuweisen,  in  welcher 
Weise  auf  beiden  Gebieten  die  Entwicklung  vor  sich  gegangen  ist  und 
welche  Personenkreise  sich  in  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge 
wissenschaftlich-literarisch  besonders  betätigt  haben.  Zu  Beginn  des 
Krieges  waren    es  in  der  Hauptsache  die  Aerzte,    welche    sich,    was 


486 


Literata  r. 


erklärlich  ist,  mit  dem  Gegenstand  beschäftigten  und  ihn  eingehend  in 
der  Tagespresse  erörterten.  Dann  widmete  aber  auch  sofort  der 
Volkswirt  dieser  Frage  sein  allzu  berechtigtes  Interesse,  und 
nach  einiger  Zeit  schlössen  sich  die  Juristen  an,  um  die  Rechts- 
grundlagen der  staatlichen  Kriegsbeschädigtenfürsorge,  die  bekannt- 
lich im  Mannschaf ts-Versorgungsgesetz  vom  31.  Mai  1906  gegebem 
und  neuerdings  durch  den  Erlaß  des  Kapitalabfindungsgesetzes  vom 
3.  Juli  1916  weiter  ausgebaut  worden  sind,  zu  besprechen.  Die  fort- 
schreitende Entwicklung  löste  eine  besondere  technische  Kriegs- 
beschädigtenfürsorge aus,  auf  deren  Gebiet  die  Fachleute  das 
Wort  nahmen,  und  aus  den  Kreisen  der  Landwirtschaft  und  der  Be- 
wegung für  die  innere  Kolonisation  fand  sich  eine  ganze  Reihe  Be- 
arbeiter einer  weiteren  Spezialfrage  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge,  der 
Ansiedlung  der  Kriegsbeschädigten. 

Eine  neue  Gruppe  bilden  die  sogenannten  Aufklärungs- 
schriften, Ratgeber,  Wegweiser  oder  wie  sie  sonst  noch  be- 
zeichnet werden,  die  schon  in  großer  Zahl  vorliegen  und  sich  sozusagen 
wie  der  Sand  am  Meere  vermehren.  Sie  wollen  in  der  Hauptsache 
die  verwundeten  Kriegsteilnehmer  über  ihre  Versorgungsansprüche  auf- 
klären und  unterrichten.  Die  Lazarette  werden  von  ihnen  geradezu 
überschwemmt.  Die  Mehrzahl  davon  ist  ungeeignet  und  führt  die 
Kriegsbeschädigten  vielfach  auf  falsche  Wege.  Nur  solche  Schriften 
dieser  Art  sind  zu  empfehlen,  die  amtliche  oder  halbamtliche  Ausgaben 
der  Behörden  und  Fürsorgeorganisationen  sind. 

Die  Monographien  unternahmen  anfangs  den  Versuch,  das  ganze 
Gebiet  der  volkswirtschaftlichen  Kriegsbeschädigtenfürsorge  mit  mehr 
oder  weniger  Erfolg  zusammenfassend  zu  behandeln,  spezialisierten  sich 
im  Laufe  der  Zeit  aber  mehr  und  mehr,  um  schließlich  gegenwärtig 
die  Erörterung  wichtiger  Einzelfragen  vorzuziehen.  Das  gilt  auch  für 
die  Beiträge,  welche  Tagespresse  und  wissenschaftliche  Blätter  zur  Frage 
der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  geliefert  haben.  Hier  wie  in  den  Mono- 
graphien neigt  man  immer  mehr  dazu,  die  Aufmerksamkeit  weniger  auf 
erschöpfende  Darstellungen  des  Problems  im  ganzen  zu  lenken,  was 
schon  darum  erklärlich  ist,  da  die  Kriegsbeschädigtenfürsorge  sich  noch 
in  stetem  Flusse  einer  fortgesetzten  Entwicklung  befindet  und  ein  überaus 
reiches,  aber  auch  sehr  verstreutes  Material  besitzt.  Allein  diese  tech- 
nischen Schwierigkeiten  sind  dazu  angetan,  von  umfassenden  Bearbei- 
tungen des  ganzen  Stoffes  vorläufig  abzusehen.  Die  bisher  erschienenen 
Monographien  beschäftigen  sich  deshalb  in  der  Hauptsache  mit  einzelnen, 
besonders  wichtigen  Problemstellungen,  wie  der  Berufsberatung,  der 
Ausbildung  der  Kriegsbeschädigten  als  Berufsaus-  oder  Berufsumbildung, 
Arbeitsvermittlung,  Ansiedlung,  Krüppelhilfe,  worüber  besonders  in  letzter 
Zeit  zum  Teil  ganz  beachtenswerte  Schriften  mit  zahlreichen  instruktiven 
Abbildungen  erschienen  sind,  über  Lehrgänge  für  Berufsberater  und 
Berufsbildner  für  Kriegsbeschädigte,  die  Rentenfrage  u.  a.  m. 

Von  den  neueren  Einzelschriften  der  Kriegsbeschädigten- 
fürsorge, die  einen  Üeberblick  über  das  ganze  Gebiet  zu  geben  ver- 
suchen, ist  vielleicht  die  staatliche  Kriegsinvalidenfürsorge 


Literatur.  4g7 

von  Köhler  (Georg  Thieme,  Leipzig  1916)  am  ersten  zu  beachten, 
wenn  es  auch  nicht  gerade  ersichtlich  ist,  warum  sie  ausgerechnet  „die 
staatliche  Kriegsinvalidenfürsorge"  firmiert,  da  sie  sonst  in  dankens- 
werter Weise  alle  Gebiete  der  bürgerlichen  oder,  wie  man  sie  auch 
sonst  noch  nennt,  sozialen  bzw.  volkswirtschaftlichen  Kriegsbeschädigten- 
fürsorge gleich  ausführlich  behandelt,  was  bei  einer  so  neuen  Materie, 
wie  die  Kriegsbeschädigtenfürsorge  nun  einmal  noch  ist,  nicht  immer 
ganz  leicht  ist.  Darum  weist  die  Literatur  der  Kriegsbeschädigten- 
fürsorge auch  noch  nicht  sehr  viele  Arbeiten  auf,  die  Anspruch  auf  eine 
zusammenfassende  Darstellung  des  Stoffes  erheben  können.  Trotzdem 
versucht  man  aber  auch  in  Schriften  spezieller  Natur  über  ein  Teil- 
gebiet der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  dem  Hauptinhalt  einen  allgemeinen 
üeberblick  über  die  ganze  Kriegsbeschädigtenfürsorge  vorauszuschicken, 
was  freilich  in  den  meisten  Fällen  bisher  nicht  immer  recht  glückte, 
denn  bei  der  Schwierigkeit  zusammenfassender  Darstellungen  auf  dem 
sich  noch  im  Stadium  der  Entwicklung  befindenden  Gebiete  der  Kriegs- 
beschädigtenfürsorge fallen  diese  manchmal  nichts  weniger  als  lückenlos 
aus.  So  bietet  die  Praktische  Kriegsinvalidenfürsorge  von 
Scholl  (E.  Mühlthaler,  München  1916)  in  dieser  Beziehung  kaum  das 
Wesentliche,  verbreitet  sich  aber  desto  eingehender  über  bestimmte  lo- 
kale Kriegsbeschädigtenfürsorge  -  Einrichtungen  (München).  Auch  hier 
besagt  der  Titel  der  Schrift  etwas  anderes,  als  man  erwartet.  Das 
Gleiche  tritt  uns  noch  bei  der  Silber  st  ein  sehen  Sammelschrift  ent- 
gegen, was  auch  schon  an  anderer  Stelle  betont  worden  ist  (Preußisches 
Verwaltungsblatt,  37.  Jahrg.,  1916,  Nr.  22,  S.  349,  und  Zeitschrift  für 
Sozialwissenschaft,  7.  Jahrg.,  1916,   Nr.  4,  S.  279). 

In  diesem  Zusammenhange  ist  noch  hinzuweisen  auf  Leipart, 
„Kriegsinvaliden  und  Gewerkschaften"  (Verlag  der  General- 
kommission der  Gewerkschaften  Deutschlands,  Berlin  1915),  der  neben 
ausführlicher  Erörterung  aller  in  Betracht  kommenden  allgemeinen  Fragen 
wichtige  Ausführungen  über  Interessen,  Aufgaben  und  Mitarbeit  der 
Gewerkschaften  bei  der  neuen  deutschen  Kriegsbeschädigtenfürsorge 
bietet,  desgleichen  Kurth  in  seiner  Kriegsinvalidenfürsorge 
und  Gewerkschaften  als  Niederschrift  (Birk  &  Co.,  München  1916) 
eines  in  der  Versammlung  des  Gewerkschaftsvereins  München  am  4.  April 
1916  gehaltenen  Vortrags  und  Deumer,  „Kriegsinvaliden-Ge- 
sellschaften" (Duncker  &  Humblot,  München  1915),  der  die  wirt- 
schaftliche Versorgung  der  Kriegsinvaliden  auf  gewerblichem  und  in- 
dustriellem Gebiet  mit  Hilfe  besonderer  Organisationen,  der  Kriegs- 
invaliden -  Gesellschaften ,  durchzuführen  vorschlägt.  Endlich  ist  die 
Kriegsbeschädigtenfürsorge  von  Liese  (Schöningh,  Pader- 
born 1916)  zu  erwähnen,  die  einen  brauchbaren  üeberblick  über  das 
ganze  Gebiet  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  bietet,  was  wohl  auch  für 
die  neueste,  im  August  1917  in  der  bekannten  Sammlung  „Aus  Natur 
und  Geisteswelt"  erschienenen  Schrift  über  „Kriegsbeschädigtenfürsorge", 
herausgegeben  von  Kraus  in  Verbindung  mit  Rebentisch,  Back, 
Schlotter  gilt,  die  in  einem  einleitenden  Abschnitt  die  Organisation 
der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  im  Deutschen  Reiche  einschließlich  der 


^gg  Literatur. 

Rentenverhältnisso  behandelt  und  ausführliche  an  praktischen  Anregungen 
reiche  Darstellungen  der  Heilfürsorge  für  Kriegsbeschädigte ,  der  Be- 
rufungsberatung, Arbeits-  und  Erwerbsfürsorge,  der  Lazarettbeschäfti- 
gung, des  Unterrichts  und  der  Berufsschulung  der  Kriegsbeschädigten 
bietet.  Die  Grundzüge  der  ärztlichen  Kriegs  beschädigten- 
fürsorge  behandelt  Blind  (Konegen,  Leipzig  1916)  und  über  die 
militärische  Kriegsbeschädigtenfürsorge  bei  den  Ersatz- 
truppenteilen berichtet  Bernstein  (Vossische  Buchhandlung, 
Berlin  1917). 

Eine  besondere  Gruppe  der  Monographien  bilden  die  technischen 
Schriften,  die  mitunter  auch  als  Sammelschriften  ausgegeben  werden, 
wie  es  bei  dem  neueren  Werk  von  Kr  als.  Die  Verwendungsmöglich- 
keiten der  Kriegsbeschädigten  (Verlag  Krais,  Stuttgart  1916,  455  SS., 
350  Abbildungen),  der  Fall  ist,  zu  dem  die  Schrift  „Verwendungsmög- 
lichkeiten der  Kriegsbeschädigten  in  den  Industrien  des  Bezirks  der 
Handelskammer  für  die  Kreise  Lörrach  und  Waldshut  (Sitz  in  Schopfheim)", 
Verlag  der  Oberbad.  Verlags-  und  Handelsdruckerei  in  Lörrach,  wichtige 
lokale  Ergänzungen  bietet,  deren  entsprechende  Bearbeitung  für  andere 
große  Industriebezirke  sich  vielleicht  auch  empfehlen  dürfte.  In  diesen 
Schriften  werden  die  Ergebnisse  und  Erfolge  der  neuen  durch  den  großen 
Krieg  auch  so  sehr  belebten  Prothesentechnik  und  der  Herstellung  der 
künstlichen  Glieder  und  Gliederersatzstücke  unter  Beigabe  von  instruktiven 
Abbildungen,  was  sehr  wesentlich  ist,  gezeigt  und  dargestellt,  wie  Ver- 
stümmelte diese  anwenden,  als  ob  es  ihre  eigenen  gesundenGlieder  wären, 
oder  sich  sonst  mit  allerlei  Vorrichtungen  und  besonderen  Fertigkeiten  be- 
helfen,  worin  es  viele  mit  der  Zeit  ganz  erstaunlich  weit  gebracht  haben. 
Das  erfährt  man  einmal  durch  das  bekannte  Buch  des  Einarmigen 
von  Geza  Zichy  (Stuttgart  1915),  Die  Einarmfibel  von  Künßberg 
(Karlsruhe  1915),  Die  Kriegskrüppelfürsorge  (ein  Aufklärungs- 
wort zum  Trost  und  zur  Mahnung)  von  Biesalski  (Verlag  Voß,  Leip- 
zig 1915),  von  Würtz,  „Der  Wille  siegt"  (Eisner,  Berlin  1915), 
und  von  Flemming,  Wie  Kriegsbeschädigte  und  Unfall- 
verletzte auch  bei  Verstümmelung  ihr  Los  verbessern 
können. 

Von  den  Einzelschriften  über  Kriegsbeschädigtenfürsorge  gibt  es 
schon  so  viele,  daß  eine  Bibliographie  darüber  nicht  ohne  weiteres 
aufgestellt  werden  könnte,  denn  es  sind  auch  zahlreiche  kleinere  und 
kleinste  Einzelschriften  entstanden,  die  allgemein  gar  nicht  so  recht  be- 
kannt geworden  sein  dürften.  In  dieser  Hinsicht  liegt  einerseits  ein 
Nachteil  für  die  bibliographische  Erfassung,  andererseits  aber  ein  ge- 
wisser Vorteil  für  die  materielle  Kritik,  die  gerade  auf  dem  jüngsten 
wissenschaftlichen  Gebiet  einer  aus  der  Praxis  entstandenen  literarischen 
Betätigung  nicht  fehlen  darf,  denn  alle  diese  einzelnen  kleinen  Schriften, 
die  mit  Vorliebe  teils  die  Rentenfrage,  die  Berufsberatung,  die  Ansied- 
lung  der  Kriegsbeschädigten,  teils  sogar  auch  die  wichtigen  Organisa- 
tionsfragen behandeln,  sind  mitunter  recht  wertlos,  daß  es  sich  erübrigt, 
darauf  einzugehen  und  man  sich,  zumal  wenn  es  sich  nur  um  einen  in- 
formatorischen Ueberblick  handelt  wie  hier,  mit  der  Darstellung  einiger 
weniger  und  beachtenswerter  Schriften  begnügen  kann. 


Literatur.  489 

Die  wissenschaftlichen  Zeitschriften  erwerben  sich  ein 
großes  Verdienst,  wenn  sie  der  wissenschaftlich-literarischen  Behandlung 
der  Frage  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  möglichst  Raum  gewähren, 
und  erleichtern  dadurch  zweckmäßig  die  späteren  Forschungen  auf  diesem 
Gebiete.  Sie  eignen  sich  aber  am  besten  zur  guten  Materialsammlung, 
soweit  es  sich  um  das  wissenschaftliche  Moment  hierbei  handelt  und 
solange  die  eigenen  wissenschaftlichen  Zeitschriften  der  Kriegsbeschä- 
digtenfürsorge, von  denen  es,  streng  genommen,  gegenwärtig  nur  eine 
gibt,  dazu  schwerlich  ausreichen.  Es  haben  daher  auch  schon  einige 
bekannte  wissenschaftliche  Zeitschriften  der  Entwicklung  in  der  be- 
tonten Weise  Rechnung  getragen.  Und  zwar  ist  das  auf  verschiedene 
Art  geschehen,  nämlich  einmal  in  Form  fortlaufender  Berichterstattung 
und  dann  durch  Aufnahme  größerer  Abhandlungen  über  die  Kriegs- 
beschädigtenfürsorge sowie  schließlich  in  Bücherbesprechungen  oder  -an- 
zeigen der  neueren  Erscheinungen  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge. 

Zur  ersten  Gruppe  gehören  der  Arbeitsnachweis  in  Deutsch- 
land und  die  Soziale  Praxis,  beide  bringen  außerdem  bisweilen 
auch  längere  Abhandlungen.  In  welcher  ausführlichen  Weise  diese 
Blätter  fortlaufend  über  die  neuesten  Ergebnisse  der  praktischen  Kriegs- 
beschädigtenfürsorge-Arbeit, was  von  besonders  hohem  Werte  ist,  und 
alle  sonstigen  in  diesem  Zusammenhang  wichtigen  Fragen  berichten,  kann 
aus  einer  Zusammenstellung  ersehen  werden,  die  unsere  Zeitschriften- 
rundschau  in  der  Krieg sbeschädigtenfürsorge  (1.  Jahrg., 
Nr.  8,  S.  382  ff.)  bietet.  Beide  Zeitschriften  werden  jedenfalls  der 
späteren  wissenschaftlichen  Forschung  auf  diesem  Gebiete  als  brauch- 
bare Quellennachweise  gute  Dienste  leisten,  da  sie  das  Problem  nicht 
nur  von  einem  wissenschaftlichen,  sondern  auch  vom  praktischen  Stand- 
punkt aus  behandelt  haben,  wie  es  daneben  nur  noch  im  Reichs- 
arbeitsblatt der  Fall  ist,  das  bis  jetzt  folgende  Arbeiten  über 
Kriegsbeschädigtenfürsorge  gebracht  hat :  Die  Fürsorge  für  Kriegsbe- 
schädigte (13.  Jahrg.,  1915,  Nr.  4,  S.  320),  Zusammenstellungen  der  für 
die  soziale  Kriegsinvalidenfürsorge  geschaffenen  Einrichtungen  (13.  Jahrg., 
1915,  Nr.  10,  S.  842),  Die  Ansiedlung  der  Kriegsbeschädigten  (s.  Nr.  4 
der    Zeitschrift  „Die   Kriegsbeschädigtenfürsorge"    S.    151)    (13.  Jahrg., 

1915,  Nr.    11,    S.  924    [927]),    Kriegsbeschädigtenfürsorge    (14.    Jahrg., 

1916,  Nr.  1,  S.  60),  Kriegsbeschädigtenfürsorge,  II.  Die  soziale  Kriegs- 
beschädigtenfürsorge (14.  Jahrg.,  1916,  Nr.  3,  S.  231). 

Die  anderen  wissenschaftlichen  Zeitschriften,  die  hier  in  Frage 
kommen,  veröffentlichen  größere  selbständige  Arbeiten  über  Kriegsbe- 
schädigtenfürsorge, von  denen  beachtenswert  sind :  Die  Mitteilungen 
der  Zentralstelle  des  Deutschen  Städtetages  (Bd.  5,  Nr.  7/8, 
Mai/August  1915,  S.  188  ff.)  über  die  Städte  im  Dienste  der 
Kriegsbeschädigtenfürsorge.  Die  Annalen  für  soziale 
Politik  und  Gesetzgebung  (Bd.  4,  1915,  Heft  3/4,  S.  217  ff.), 
in  denen  Kraus  über  den  gegenwärtigen  Stand  und  die 
nächsten  Aufgaben  der  Kriegsinvalidenfürsorge  berichtet, 
wie  Heiß  in  dem  Aufsatz  Kriegsinvalidenfürsorge  im  Jahr- 
buchfür Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Volkswirtschaft, 
im    Deutschen    Reich,    herausgegeben   von   Schmoller,   40.  Jahrg., 


490  Literatur. 

1.  Heft,  S.  297.  Die  Zeitschrift  für  Sozia  Iwis  sens  chaft 
schenkt  der  Kriegsbeschädigtenfrage  ebenfalls  Beachtung  (1915,  Nr.  5, 
S.  401,  und  Nr.  7,  S.  482;  1916,  Nr.  11,  S.  744;  1917,  Nr.  2/3,  S.  163). 
Das  Archiv  für  innere  Kolonisation  behandelt  in  einem  Sonder- 
heft (Bd.  7,  Heft  8/9,  Mai/Juni  1915)  die  Ansiedlungsfrage,  was 
auch  in  den  späteren  Heften  der  Fall  ist,  so  z.  B.  11/12,  August/Sep- 
tember 1915,  Bd.  8,  Heft  1/2,  Oktober/November  1915,  Heft  5/6, 
Februar/März  1916,  Bd.  9,  Heft  5/6,  Februar/März  1917,  Heft  7,  April 
1917.  Die  Korrespondenz  für  Kriegs  w  ohlfahrtspf  lege,  die 
von  der  Zentralstelle  für  Volkswohlfahrl  in  Berlin  neben  der 
Concordia,  die  auch  viele  Beiträge  zur  Kriegsbeschädigtenfrage  bringt, 
herausgegeben  wird,  enthält  in  den  16  Nummern  des  1.  Jahrgangs  (1915) 
und  in  den  späteren  zahlreiche  wertvolle  Beiträge  zu  unserem  Thema, 
über  das  dort  außerdem  fortlaufend  im  Abschnitt  „Kriegs Wohlfahrts- 
pflege" berichtet  wird.  Auch  die  juristischen  Zeitschriften 
schenken  der  Frage  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  Beachtung,  so  Ge- 
setz und  Recht  in  Heft  12  des  16.  Jahrgangs  (S.  274),  in  Heft  4 
des  17.  Jahrgangs  (S.  73)  und  in  Heft  27  des  gleichen  Jahrgangs  (S.  625), 
die  Deutsche  Juristenzeitung  in  Heft  21/22  des  20.  Jahrgangs 
(S.  1091)  und  in  Heft  17/18  des  21.  Jahrgangs  (S.  893),  Das  Recht 
in  Nr.  13/14  des  19.  Jahrgangs  (S.  365),  die  Annalen  des  Deutschen 
Reichs  (1915,  Nr.  7,  S.  449),  Recht  und  Wirtschaft,  1915, 
Oktoberheft. 

In  diesen  „Jahrbüchern"  ist  die  Kriegsbeschädigtenfürsorge 
gleichfalls  wiederholt  behandelt.  So  zunächst  in  dem  Aufsatz  von 
Syrup,  Die  Fürsorge  für  kriegs verletzte  gewerbliche 
Arbeiter  im  50.  Bde.  der  HL  F.  S.  339  fg.  üeber  die  Mit- 
wirkung der  Träger  der  deutschen  Sozialversicherung 
bei  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  werden  in  dem  gleichen 
Bande  S.  521  beachtenswerte  Mitteilungen  gemacht.  Eine  zusammen- 
fassende, ausführliche  Darstellung  des  ganzen  Gebiets  der  praktischen 
Kriegsbeschädigtenfürsorge  in  wissenschaftlicher  Beleuchtung,  soweit 
das  in  dieser  und  jener  Beziehung  bei  der  fortschreitenden  Ent- 
wicklung der  Frage  überhaupt  möglich  ist,  versucht  unsere  Arbeit 
(ni.  F.  51.  Bd.  S.  104  ff.),  in  der  besonders  eingehend  die  Organi- 
sation der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  im  Deutschen 
Reiche  dargestellt  ist,  im  Gegensatz  zu  einigen  anderen  Abhand- 
lungen, die  nach  ihrem  Titel  wohl  darauf  schließen  lassen,  inhaltlich  sich 
jedoch  nur  kurz  damit  befassen,  so  Kraus  in  den  Annalen  für 
soziale  Politik  und  Gesetzgebung  (s.  oben),  üeber  die  be- 
ruflichen Aussichten  der  Kriegsbeschädigten  handelt  end- 
lich  Zehrfeld  im  53.  Bd.  der  III.  Folge  S.  223  fg. 

In  der  vorletzten  Augustwoche  1916  fand  in  Köln  eine  große 
Tagung  für  Kriegsbeschädigtenfürsorge  statt,  die  sich  zu 
einer  eindrucksvollen  Kundgebung  gestaltete.  Den  Verhandlungsbericht 
enthält  Heft  1  der  Sonderschriften  des  Reichsausschusses  der  Kriegs- 
beschädigtenfürsorge. Der  Veranstaltung  war  eine  besondere  Ausstellung 
für  Kriegsfürsorge  beigegeben,  auf  der  Werkstätten,  Anstalten  und  sonstige 


Literatur.  491 

Einrichtungen  gezeigt  wurden,  die  in  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge 
Vorbildliches  leisten.  Dabei  war  auch,  wie  schon  früher  bei  ähnlichen 
Gelegenheiten,  einmal  zu  der  Tagung  der  Deutschen  Vereinigung  für 
Krüppelfürsorge  in  Berlin  im  Februar  1916  und  auf  der  Sonderaus- 
stellung von  Ersatzgliedern  und  Arbeitshilfen  für  Kriegsbeschädigte  und 
Unfallverletzte  in  Charlottenburg  vom  Februar  bis  Mai  1916,  eine  be- 
sondere Abteilung  für  die  Literatur  der  Kriegsbeschädig- 
tenfürsorge eingerichtet,  die  eine  ungeheure  Fülle  der  einschlägigen 
Arbeiten  aufwies,  was  auch  bei  der  Heimatdank-Ausstellung 
für  Kriegsbeschädigtenfürsorge  vom  11.  August  bis  8.  Sep- 
tember 1917  in  Leipzig  der  Fall  war.  Das  alles  zeigt,  daß  auf 
diesem  Gebiete  jüngster,  durch  den  großen  Daseinskampf  des  deutschen 
Volkes  ausgelöster  sozialer  und  wirtschaftlicher  Hilfs-  und  Fürsorge- 
tätigkeit modernster  Art  in  kurzer  Zeit  ein  umfangreicher  literarischer 
Stoff  für  die  wissenschaftliche  Behandlung  des  Gegenstandes  bereitge- 
stellt ist,  so  daß  man  wohl  mit  Sicherheit  annehmen  darf,  daß  nach 
dem  Kriege  die  Frage  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  einen  wichtigen 
Teil  der  Lehre  der  zukünftigen  Kriegssozialpolitik,  einer  neuen  akademi- 
schen Disziplin  der  Kriegswirtschaftslehre,  bilden  wird,  deren  wichtige 
Grundlage  auf  der  schon  jetzt  gut  entwickelten  und  mit  der  fortschreiten- 
den Praxis  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  noch  sehr  entwicklungsfähigen 
Literatur  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  beruht. 


492     Uebenicht  über  die  nencsten  Publikationen  Deutschlands  und  de«  Auslandes. 


TTebersicht  ftber  die  neuesten  Publikationen 
Deutschlands  und  des  Auslandes. 

1.  OescMclite  der  WiBsenschaft.    Eucyklop&disches.    Lelirbücher.    Spexielle 
theoretische  Untersuchung'eu. 

Conrad,  Dr.  Otto,  Die  individualistische  Wirtschaftsordnung  und  der  Krieg. 
Berlin,  Verlag  f.  Fachliteratur,  1917.     8.     28  SS.     M.  1,50. 

Hüb  euer,  Dr.  Erh.,  Die  Wurzeln  unserer  Kraft.  (Volkswirtschaftliche  Zeit- 
fragen. Vorträge  und  Abhandlungen,  hrsg.  von  der  Volkswirtschaftlichen  Gesellschaft 
in  Berlin.  Nr.  299,  39.  Jg.,  1.  Heft.)  Berlin,  Leonhard  Simion  Nf.,  1917.  gr.  8. 
30  SS.     M.  1.—. 

Renner,  Karl,  Marxismus,  Krieg  und  Internationale.  Kritische  Studien  über 
offene  Probleme  des  wissenschaftlichen  und  des  praktischen  Sozialismus  in  und  nach 
dem  Weltkrieg.  (Internationale  Bibliothek,  Bd.  59.)  Stuttgart,  J.  H.  W.  Dietz  Nachf., 
1917.     8.     XII— 384  SS.     M.  4.—. 


Kleene,  G.  A.,  Profit  and  wages:  A  study  in  the  distribution  of  income.  Lon- 
don, Macmillan.     Cr.  8.     5/. — . 

Walling,  W.  English,  and  Harry  Wellington  Laidler,  State  socialism, 
pro  and  con.  Official  documents  and  other  authoritative  selections  —  showing  the  world- 
wide  replacement  of  private  by  governmental  industry  before  and  during  the  war, 
with  a  chapter  on  municipal  socialism  by  Evans  Clark.  New  York,  Holt.  8.  44  + 
649  pp.     $  2.—. 

Diepenhorst,  P.  A.,  Grondbeginselen  der  economic.  Utrecht,  G.  J.  A.  Ruys. 
8.     6  en  228  blz.     fl.  2,40. 

2.  Geschichte  und  Darstellung  der  wirtschaftlichen  Kultur. 

Urbanek,  Oberschlesien  heute  und  morgen.  (Vereinsschriften 
des  Vereins  für  Kommunalwirtschaft  und  Kommunalpolitik,  hrsg. 
von  Tr.  Stein.)  Berlin-Eriedenau  (Kommunal- Verlag)  1916.  8^.  55  SS. 
(Preis:  M.  1,50.) 

Unter  obigem  Titel  bespricht  Dr.  Urbanek,  Amts-  und  Gemeinde- 
vorsteher in  Beuthen-RoBberg,  wirtschaftliche,  kommunale  und  kulturelle 
Verhältnisse  Oberschlesiens. 

Im  ersten  Teil  „Die  gefesselte  Natur"  behandelt  der  Verf.  die 
Leistungen  der  oberschlesischen  Industrie  und  die  ihr  entgegenstehenden 
Hemmungen,  um  daran  einen  Ausblick  in  die  Zukunft  zu  knüpfen.  Auf 
einzelne  Unstimmigkeiten  in  diesen  Ausführungen  einzugehen,  dürfte 
sich  erübrigen,  doch  erscheint  die  Feststellung  geboten,  daß  die  Schwierig- 
keiten, die  sich  dem  industriellen  Aufschwung  Oberschlesiens  entgegen- 
stellen und  den  Industriellen  große  Sorgen  bereiten,  vom  Verf.  offen- 
bar unterschätzt  werden. 

Im  zweiten  Abschnitt  werden  die  Mängel  der  kommunalen  Orga- 
nisation Oberschlesiens,  insbesondere  „die  künstliche  Konservierung"  der 
Gutsbezirke  behandelt.  Die  vielen  mitgeteilten  Tatsachen  werden 
sicherlich  dem  Kommunalpolitiker  zu  denken  geben.  Die  Gesundung 
erblickt  Urbanek    in    einer   großzügigen   Eingemeindung.     „Die   Einge- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     493 

meindung  müßte  die  Gutsbezirke  aus  dem  industriellen  Oberschlesien 
samt  und  sonders  austilgen."  Der  Wert  der  Schrift  würde  gewonnen 
haben,  wenn  der  Verf.  die  der  geforderten  Eingemeindung  ent- 
gegenstehenden vielen  Schwierigkeiten  und  die  Mittel  und  Wege  ihrer 
Ueberwindung  etwas  näher  erörtert  hätte. 

Im  Schlußteil  „Die  ringende  Kultur"  fordert  der  Verf.  (neben 
schattigen  Wegen  für  Fußwanderer  abseits  der  Landstraßen  und  neben  der 
Pflege  der  schönen  Künste)  einen  weitsichtigen  Wirtschaftsplan  für 
die  Besiedelung  und  ackerbauliche  Nebenbeschäftigung  der  industriellen 
Bevölkerung.  Hier  wäre  eine  Würdigung  dessen  am  Platze  gewesen, 
was  die  oberschlesische  Industrie  im  Laufe  des  letzten  Jahrzehntes 
auf  diesem  Gebiete  bereits  Großes  geschaffen  hat.  Die  neuzeitige  Bau- 
weise des  Arbeitshauses  hat  in  Oberschlesien  verhältnismäßig  spät,  dann 
aber  mit  großer  Kraft  eingesetzt.  Viele  Kolonien  in  ländlicher  Bau- 
weise sind  Sehenswürdigkeiten  geworden.  Der  Sinn  für  Garten  und 
Ackerbau  ist  bei  dem  aus  bäuerlicher  Herkunft  stammenden  Oberschlesier 
nie  eingeschlafen  und  ist  von  der  Industrie  in  richtiger  Würdigung  ge- 
pflegt worden.  Von  25  Werken  wurden  beispielweise  4564  ha  Garten- 
und  Ackerland  an  etwa   100000  verheiratete  Arbeiter  abgegeben. 

Eine  vertiefte  Behandlung  des  Inhaltes  gegenüber  der  phantasie- 
reichen äußeren  Form  würde  den  Wert  der  Schrift  erhöht  haben. 

Stettin.  Dr.  Syrup. 

Doeberl,  M.,  Bayern  und  Deutsehland  im  19.  Jahrhundert.  Festrede,  gehalten 
in  der  öffentlichen  Sitzung  der  Akademie  der  Wissenschaften  zur  Feier  des  158.  Stiftungs- 
tages am  14.  IXE.  1917.  Nebst  einem  Anhang:  Ausgewählte  Aktenstücke  zur  Geschichte 
Bayerns  und  Deutschlands  im  19.  Jahrhundert.  München,  G.  Franzscher  Verlag,  Jos. 
Koth,   1917.     Lex.-8. 

Ischirkoff,  Prof.  Dr.  A.,  Bulgarien,  Land  und  Leute,  2.  Teil.  (Bevölkerung, 
Volkswirtschaft,  Siedlungsverhältnisse),  mit  24  Taf.  und  einer  (färb.)  Eisenbahnkarte. 
(Bulgarische  Bibliothek,  hrsg.  von  Prof.  Dr.  Gustav  Weigand.  Ehrenausschuß:  Proff. 
Drs.  Kassner- Berlin,  Üebersberger-Wien,  v.  Asböih- Budapest.  Red. -Ausschuß  in  Sofia: 
Prof.  Dr.  Ischirkoff,  Prof.  Molloff,  Minist.- Dir.  Herbst,  Andrej  Protitsch.  Nr.  2.) 
Leipzig,  Dr.  Iwan  Pariapanoff,   1917.     8.     VII— 128  SS.     M.   1,50. 

Schumacher  (Geh.  Reg.-R.),  Prof.  Dr.  Herrn.,  Belgiens  Stellung  in  der  Welt- 
wirtschaft. (Zwischen  Krieg  und  Frieden.  Eine  Sammlung  von  Schriften  über  die 
politi.«chen  und  wirtschaftlichen  Frngen,  die  im  künftigen  Frieden  zu  lösen  sind.  Red.: 
Dr.  Georg  Hirzel.     Nr.  41.)     Leipzig,  S.  Hirzel,  1917.     8.     58  SS.     M.  1,50. 

Steiner,  Wladimir,  Die  Volkswirtschaft  der  Königreiche  Kroatien  und  Sla- 
vonien  vom  Standpunkt  der  Landwirtschaft.  Agram,  Mirko  Breyer,  1917.  gr.  8. 
102  SS.     M.  3.—. 

Westrußland  in  seiner  Bedeutung  für  die  Entwicklung  Mitteleuropas.  Mit 
einer  Einleitung  von  Max  Sering.  Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1917.  gr.  8.  XXXII— 296  SS. 
M.  4,80. 

Zivi  er,  Dr.  E.,  Polen.  (Perthes'  kleine  Völker-  und  Länderkunde  zum  Gebrauch 
im  praktischen  Leben,  Bd.  4.)  Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  1917.  8.  XIII— 
302  SS.  mit  1  Karte.     M.  6.—. 


Bernard,  Fran9ois,  Le  Maroc  feconomique  et  agricole.  Montpellier,  Coulet 
et  fils.     8.     fr.  4.—. 

Ogg,  Frederic  Austin,  Economic  development  of  modern  Europe.  New  York, 
Macmillan.     8.     16  +  657  pp.     $  2,50. 

Reeves,  Francis,  ß.,  Russia  then  and  now,  1892 — 1917.  New  York,  Patnam. 
8.     $  1,50. 


494     rJebersioht  fiber  die  neuesten  Publikationen  Dentechlands  und  des  Auslandes. 

Soholefield,  Guy  Hardy,  New  Zealand  in  evolution,  industrial,  economic 
and  political ;  with  an  introduction  by  Pember  Reeves.  New  York,  Scribner.  8.  24  + 
363  pp.     I  1.75. 

Tryon,  Kolla  Milton,  Household  manufactures  in  the  United  States,  1640 — 
1860;  a  study  in  industrial  history.  Chicago,  Univ.  of  Chicago.  12.  12+413  pp, 
(207,  P-  bibl.).     I  2.—. 

Fraracci,  Pasquale,  II  Belgio  economico  di  ieri  e  di  domani,  e  i  suoi  rap- 
porti  con  1' Italia,  con  prefazione  di  Luigi  Luzzatti.  Campobasso,  casa  ed.  G.  Colitti 
e  figlio,  1917.     8.     XV,  170  p.     1.  3.—. 

Treub,  M.  W.  F.,  De  economi«che  toekomst  van  Nederland.  Haarlem,  H.  D. 
Tjeenk  Willink  en  Zoon.     gr.  8.     8  en  208  blz.     fl.  2,50. 

3.    Bevölkemngslehre  nnd  Bevölkerang'spolitik.     Answanderangr 
und  Kolonisation. 

Ligocki  (Ing.),  Julius,  Sechs  Millionen  verloren I  100  Jahre  deutscher  Aus- 
wanderung nach  Uebersee  1815 — 1914.  Mit  einer  farbigen  graphisch-statistischen  Tafel. 
Berlin,  Simon  Schroppsche  Land  karten  band  lg.,  1917.     gr.  8.     24  SS.     M.  1. — . 

St  ratz,  Prof.  Dr.  C.  H.,  Volkszunahme  und  Wehrmacht  im  Deutschen  Reich. 
Eine  naturwissenschaftliche  Betrachtung.  Stuttgart,  Ferdinand  Enke,  1917.  gr.  8. 
52  SS.  mit  7  Abbild.     M.  2.—. 


Couget  (avocat),  Bertrand,  Les  colonies  allemandes  avant  et  pendant  la guerre 
1914—1917.  Thöse  pour  le  doctorat  en  droit.  Toulouse,  V.  RiviÖre,  1917.  8.  174  pag. 
et  cartes. 

Root,  Elihu,  The  military  and  colonial  policy  of  the  United  States.  Collected 
and  edited  by  Robert  Bacon  and  James  Brown  Scott.  London,  Oxford  Univ.  Press. 
8.     8/.6. 

Borsi,  Umberto,  Studi  di  diritto  coloniale:  concetto  di  colonia,  classificazione 
delle  colonie.     Torino,  fratelli  Bocca,  1917.     8.     62  p. 

4.  Bergban.    Land-  und  Forstwirtschaft.     Fiscliereiwesen. 

Skalweit,  B.,  Die  englische  Landwirtschaft,  Entwicklung,  Be- 
trieb, Lage,  mit  Berücksichtigung  der  volkswirtschaftlichen  Bedeutung. 
Mit  3  Kartenbeilagen.  (Berichte  über  Landwirtschaft,  hrsg.  im  Reichs- 
amt des  Innern,  Heft  37.)  Berlin  (P.  Parey)  1915.  S^.  VII  u.  535  SS. 
(Preis:  4,80  M.) 

Aus  zwei  Gründen  erscheint  die  umfassende  Untersuchung  Skal- 
weits  über  die  englische  Landwirtschaft  sehr  willkommen.  Immer 
wieder  ist  bei  dem  Streit  über  die  deutsche  Wirtschaftspolitik,  um  die 
Stellung  der  deutschen  Landwirtschaft  im  System  des  Schutzzolles,  auf 
die  englische  Landwirtschaft  und  ihre  Verschiebungen  unter  dem  Frei- 
handelssystem  hingewiesen  worden.  Englands  Landwirtschaft  ist  immer 
wieder  als  Wegweiser  und  Schulbeispiel  für  die  Entwicklung  der 
agraren  Produktion  unter  Freihandel  oder  Zoll  aufgestellt  worden.  Da- 
bei gingen  nun  aber  die  Urteile  über  die  tatsächliche  Entwicklung 
jenseits  des  Kanals  weit  auseinander:  über  die  Weidewirtschaft,  den 
Weizenbau,  die  berühmten  Wildreservate,  endlich  über  die  Gesamtlage 
der  englischen  Landwirtschaft  von  heute.  Und  sie  mußten  auseinander- 
klaffen, weil  jeder  nur  einem  Teil  der  englischen  Bodenbetriebe,  einem 
Wirtschaftszweig  nachfojschte.  Skalweit  gibt  hier  eine  zusammen- 
fassende Darstellung,  die  alle  volkswirtschaftlichen  Organisationen  und 
zugleich  alle  privaten  Betriebseigentümlichkeiten  der  englischen  Land- 
wirtschaft klärt.  Er  gibt  das  Gesamtbild  der  agraren  Berufs- 
gruppe  möglichst   vollständig,    aber   ohne    nun   diese  oder  jene  Ver- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     495 

Schiebung  in  der  Organisation  unter  ein  politisches  Problem  zu  bringen. 
Die  politische  Problemstellung,  auch  soweit  sie  bereits  der  Geschichte 
angehört,  ist  mit  Absicht  gänzlich  unterdrückt.  Das  gibt  der  Unter- 
suchung den  Stempel  der  Sachlichkeit  und  ruhiger,  abwägender  Forschung. 
Ohne  eigene  Nutzanwendung  für  das,  was  noch  kommen  soll,  wird  sie 
doch  das  Material  für  manche  politische  Untersuchung  als  ergiebige 
Fundgrube  liefern  müssen. 

Der  zweite  Vorzug  des  Buches  liegt  in  der  Verbindung  der  land- 
wirtschaftlich-technischen mit  den  rein  volkswirtschaftlichen  Fragen. 
Im  ersten  Teil  werden  die  „Vorbedingungen  für  den  Betrieb  der  Land- 
wirtschaft" erörtert  —  so  nennt  der  Techniker,  dem  der  Betrieb  doch 
nun  einmal  das  Maß  der  Dinge  ist,  die  volkswirtschaftliche  Organi- 
sation der  agraren  Produktion:  die  Besitzverteilung  mit  den  Arbeiter- 
verhältnissen ,  der  Absatz  der  Erzeugnisse  und  die  Preisverhältnisse, 
das  Vereins-  und  ünterrichtswesen,  die  innere  Kolonisation.  Der  zweite 
Teil  über  „den  landwirtschaftlichen  Betrieb"  bringt  die  Erörterung  der 
technischen  Betriebsformen :  der  Betriebseinrichtungen,  des  Ackerbaues 
und  der  Viehzucht.  Vielleicht  ist  dieser  zweite  Teil  etwas  liebevoller 
behandelt  und  breiter  ausgefallen,  als  der  erste  volkswirtschaftliche 
Teil;  aber  die  Trennung  beider  Probleme,  der  technischen  und  der  volks- 
wirtschaftlichen Seite,  ist  so  durchgeführt,  wie  ich  sie  als  mustergültig 
für  einen  Nationalökonomen  hinstellen  möchte.  Und  beide  Stücke  sind 
gleich  gut  gelungen.  Die  meisten  Techniker,  die  sich  an  ähnliche 
volkswirtschaftliche  Probleme  heranwagen,  zählen  uns  eine  Fülle  kleinster, 
betriebsmäßiger  gesehener  Dinge  auf,  so  daß  das  volkswirtschaftliche 
Ergebnis  der  Untersuchung  hernach  als  ein  Trümmerhaufen  technischen 
Kleinkrames  daliegt.  Oder  die  Nationalökonomen  schütteln  die  Urteile 
über  agrare  Verschiebungen  und  agrare  Forderungen  nur  so  aus  dem 
Aermel,  ohne  die  Elemente  der  Technik  zu  kennen;  das  ist  noch  das 
Häufigere ;  und  was  dabei  herauskommt,  klingt  wie  die  Frage  der  Prin- 
zessin des  ancien  regime:  „wenn  das  Volk  kein  Brot  hat,  warum  ißt  es 
dann  keinen  Kuchen?"  —  Ueber  die  Ergebnisse  beider  Teile  äußert 
sich  Skalweit  dann  in  seinem  Schlußwort:  Lage  der  englischen  Land- 
wirtschaft. 

Seit  den  70er  Jahren  hat  sich  in  England  die  Betriebsweise  und 
die  Organisation  der  Produktion  umgestaltet;  und  zwar  sind  die  beiden 
Triebkräfte  für  die  Verschiebung  der  ausländische  Wettbewerb 
und  der  Mangel  an"  Arbeitern.  Die  Entwicklung  geht  vom  Acker- 
land zur  Weide,  zur  extensiven  Wirtschaft  auf  dem  noch  unter  dem 
Pflug  gehaltenen  Ackerland  und  zur  stärkeren  Betonung  der  Viehzucht. 
—  Die  englische  Statistik  teilt  die  Fläche  in  vier  Gruppen  ein:  Kultur- 
fläche, geringe  Weiden ,  Wald  und  unbenutzte  Fläche.  Diese  gesamte 
Kulturfläche,  einschließlich  der  besseren  Weiden,  betrug  in  den  7('er 
Jahren  19,0  Mill.  ha,  stieg  in  den  90er  Jahren  auf  19,5  Will,  ha  und 
sank  1912  wieder  auf  den  Stand  der  70er  Jahre;  ein  Teil  des  Kultur- 
landes mag  in  städtische  Bezirke  verwandelt  sein,  aber  der  größte  Teil 
ist  in  geringen  Weiden  „proletarisiert",  deren  Fläche  in  England  im 
engeren  Sinne  um  64000  ha  seit  1900  stieg.    Diese  „geringen  Weiden •* 


496     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutachlands  und  des  Auslandes. 

dagegen  haben  sich  in  England  und  Wales  verbreitert,  nämlich  von 
1140000  ha  1892  auf  1537000  ha  1912,  in  Schottland  verringert  von 
3  755  000  ha  auf  3  557  000  ha  im  gleichen  Zeitraum.  Beides  ist  ein 
wirtschaftlicher  Rückschritt;  in  England  verwandelt  sich  die  Kultur- 
fläche in  Weide,  in  Schottland  die  geringe  Weide,  die  bisher  der  Schaf- 
zucht gedient  hat,  in  Wildreservate,  die  der  landwirtschaftlichen  Be- 
nutzung vollständig  entzogen  werden.  Diesen  „Wildreservaten"  — 
einem  vielberüchtigten  Schlagwort  aus  der  Kammer  der  Zollenthusiasten 

—  geht  Skalweit  implicite  auch  nach ;  es  sind  das  meist  Gebiete  im 
hohen  Schottland,  die  ehemals,  noch  im  vorigen  Jahrhundert  von  Klein- 
pächtern bewohnt  wurden  und  teilweise  Kulturfläche  waren;  beim  Vor- 
rücken der  extensiven  Wirtschaft  wurden  sie  zu  Dauerhuden  für  die  ab- 
gehärteten Hochlandschaften;  das  Schaf  verdrängte  damals  den  Klein- 
pächter. Heute  wird  das  Schafland  zum  Wildreservat,  das  Schaf  weicht 
dem  Rothirsch  und  dem  Moorhuhn.  Meines  Erachtens  hängt  das  übrigens 
weniger  mit  der  Schafzucht,  sondern  mit  der  Entwicklung  der  Jagdpachten 
zusammen.  Jene  Schafhude  wird  nach  dem  Umfange  des  Auftriebes  be- 
zahlt, das  macht  25  Pf.  bis  1  M.  pro  Hektar  Hude.  Nun  aber  kosten 
mittlere  Rotwildreviere,  auch  ohne  Bestand  an  Moorhühnern,  bereits 
pro  Hektar  1 — 1,50  M.  Pacht,  dank  der  plutokratischen  Einkommens- 
bildungen  nicht  nur  in  englischen,  auch  in  deutschen  Industriegegenden. 

—  Innerhalb  der  Kulturfläche  ist  von  1871  bis  1910  das  Ackerland 
von  5,55  auf  4,28  Mill.  ha  heruntergegangen,  dagegen  das  Grasland 
von  4,14  auf  5,64  Mill.  ha  gestiegen;  während  früher  insgesamt  57  Proz. 
der  Fläche  Ackerland  und  43  Proz.  Grasland  waren,  liegt  heute  das 
Schwergewicht  auf  der  Weide :  57  Proz.  Wiesen  und  Weiden,  43  Proz. 
Ackerland.  Das  Tempo  der  Umwandlung  war  am  stärksten  von  der 
Mitte  der  70er  bis  zur  Mitte  der  90er  Jahre,  in  der  Zeit  des  Hoch- 
drucks des  internationalen  Getreides;  rund  800000  ha  wurden  in  diesen 
20  Jahren  in  Grasland  verwandelt;  und  zwar  nicht  in  einer  systema- 
tischen Weidewirtschaft,  sondern  man  überließ  die  Schläge  einer  natür- 
lichen Berasung.  Diese  Verschiebung  ist  seit  1900  langsamer  geworden, 
schluckt  aber  jährlich  noch  25  000  ha  Ackerland.  Verf.  weist  hübsch 
nach,  wie  nicht  allein  der  internationale  Preisfall  in  Korn  diese  Ver- 
wandlung besorgt,  sondern  ebenso  sehr  der  Mangel  an  Arbeits- 
kräften. Die  Landflucht  treibt  dort  die  Jugend  vom  Lande;  deshalb 
ist  das  Betriebssystem  auf  Ersparnis  an  menschlicher  Arbeit  einge- 
stellt. Das  Grasland  verlangt  wenig  Arbeit,  auf  dem  noch  übrigen 
Grasland  wird  extensiver  gewirtschaftet,  nur  die  sichersten  und  ertrag- 
reichsten Böden,  „die  der  Bearbeitung  keine  besonderen  Schwierig- 
keiten entgegensetzen",  bleiben  als  Acker  liegen.  Die  einzelnen  Halm- 
früchte wurden  von  dem  Rückgang  verschieden  erfaßt ;  es  betrug  die 
Anbaufläche  in   1000  ha: 


für    Weizen 

Gerste 

Hafei 

1871/05 
1901,05 
1906/10 

1493 
679 

717 

1053 
820 
760 

1714 
1702 
1677 

üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     497 

Der  Weizen  hat  unter  dem  Druck  Argentiniens  und  Nordamerikas  die 
Hälfte  der  Fläche  verloren;  die  Gerste  hat  sich  nur  um  28  Proz.  ver- 
ringert, dank  eines  fehlenden  Weltmarktes  für  Gerste  und  dank  ihrer 
Qualität  als  Braugerste.  Der  Hafer  hat  seine  Stellung  einigermaßen 
als  Pferdefutter  behauptet. 

Wie  bei  den  Halmfrüchten  der  internationale  Preisfall,  so  be- 
schneidet bei  den  Hackfrüchten  der  Arbeitermangel  die  Anbaufläche. 
Der  Arbeiter  ist  sehr  schwer  zur  üebernahme  von  Akkordarbeit  zu 
bewegen,  da  er  schon  im  Zeitlohn  sehr  gut  gestellt  ist  und  seinen 
deutschen  Kollegen  übertrifft;  der  Hackfruchtbau  liebt  jedoch  die 
Akkordarbeit.  Die  Anbaufläche  der  Hackfrüchte  sank  von  1871  bis  1910 
von  1855  000  ha  auf  1515  000  ha,  insbesondere  die  Kartoffel  von 
610000  ha  auf  471000  ha  und  die  Kohlrübe  von  1002  000  ha  auf 
749000  ha.  Dagegen  haben  die  Kleeschläge  an  Ausdehnung  gewonnen 
und  bleiben  auch  länger  liegen;  sie  erfordern  eben  keine  besondere 
Arbeit. 

Der  Viehbestand  zeigt  einen  leisen  Aufschwung,  der  jedoch  kaum 
jene  Extensivirung  des  Ackerbaus  kompensiert.  Es  wurden  in  1000  Stück 
gezählt : 

Pferde  Kinder  Schafe  Schweine 

1876—1880      1904  9864  31906  3506 

1896—1900      2051  II  179  31052  3874 

1906—1910      2095  II  718  30712  3742 

Der  Schweinebestand  ist  trotz  der  reichen  Weidewirtschaft  unverändert 
geblieben;  die  Schafe  haben  7  Proz.  der  Zahl  verloren;  die  Zunahme 
beim  Rindvieh  entfällt  auf  das  Milchvieh,  das  von  3  724000  Stück  1876 
auf  4  333  000  Stück  1910  stieg;  die  übrigen  Kategorien  haben  nur 
wenig  zugenommen.  So  ist  denn  die  Ergiebigkeit  der  englischen  Land- 
wirtschaft bedeutend  zurückgegangen.  Die  Ernährung  der  Menschen 
wird  immer  mehr  auf  die  überseeische  Einfuhr,  immer  weniger  auf  den 
heimischen  Boden  eingestellt.  An  Brotgetreide  deckt  die  Heimat  noch 
20  Proz.  des  Bedarfs;  an  Fleisch  lieferte  sie  in  den  60er  Jahren  noch 
90  Proz.,  heute  noch  50  Proz.  des  Bedarfs;  und  die  heimische  Ver- 
sorgung mit  Butter  ist  auf  30  Proz.,  mit  Käse  auf  18  Proz.,  mit  Eiern 
auf  33  Proz.  gesunken.  Middleton  berechnet  die  Ernährungskraft 
der  Bodeneinheit  von  1912  und  kommt  zu  ganz  ähnlichen  Ergebnissen: 
100  Acres  (40,5  ha)  Ackerland  bringen  in  Deutschland  pro  Jahr: 
33  Tonnen  Getreide,  55  Tonnen  Kartoffeln,  41/2  t  Fleisch,  28  t  Milch 
2^4  t  Zucker;  dagegen  in  England:  15  t  Getreide,  11  t  Kartoffeln, 
4  t  Fleisch,  1772*  Milch,  keinen  Zucker;  da  Deutschland  den  Anbau 
von  Kartoffeln  und  ähnlichen  Erzeugnissen  bevorzuge,  so  ernähre  die 
Fläche  von  40,5  ha  rund  30  —  35  Menschen  mehr  als  in  England. 
Skalweit  meint:  „Der  Uebergang  vom  Ackerbau  zur  Weidewirtschaft 
und  Viehzucht,  wie  er  sich  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  vergangenen 
Jahrhunderts  in  England  vollzogen  hat,  wäre  bei  den  klimatischen  Ver- 
hältnissen des  Landes  an  sich  nicht  ungünstig  zu  nennen ,  wenn  an 
Stelle  eines  arbeitsextensiven  Ackerbaues,  wie  er  in  den  60er  Jahren 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  32 


498     UeberBioht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutachlands  und  de«  Aualandea. 

geherrscht  hatte,  entsprechend  kapitalintensive  Viehzucht  getreten  wäre. 
Dies  ist  aber  nicht  der  Fall  gewesen.  Der  Viehstand  hat  sich  zwar 
vermehrt,  aber  nicht  so  stark,  wie  man  bei  der  Zunahme  der  Weide- 
flachen und  des  Futterbaues  hätte  erwarten  können." 

Der  landwirtschaftliche  Betrieb  ist  da,  wo  er  sich  hat  halten  können, 
spezialisiert  worden.  Er  ist  nicht  mehr  ein  organisches  Ganzes,  der, 
wie  in  Deutschland,  alle  Betriebszweige  gleichmäßig  pflegt;  sondern  er 
pflegt  einzelne  Produkte  und  läßt  die  Ergiebigkeit  anderer  Zweige  auf 
Kosten  dieses  Produktes  unter  ihre  natürliche  Leistungsfähigkeit  sinken. 
Der  Erfolg  der  englischen  Landwirtschaft  ist  nicht  die  Masse,  sondern 
die  Rasse  und  Qualität  des  Viehes.  Die  Züchtungskunst  steht  in  Eng- 
land am  höchsten ;  die  Heranziehung  leistungsfähiger  Rassen  steht  dort 
heute  noch  den  anderen  Ländern  Europas  voran ;  besonders  in  der  Früh- 
reife der  Masttiere  kann  der  kontinentale  Viehstapel,  abgesehen  vom 
niederländischen,  mit  dem  englischen  kaum  Schritt  halten.  Das  eng- 
lische Herdbuchwesen  hat  auch  bei  uns  bahnbrechend  gewirkt;  in  der 
Lieferung  erstklassiger  Zuchttiere  hat  England  auch  heute  noch  auf 
dem  Kontinent  das  Monopol  und  das  Vertrauen,  abgesehen  nur  von  der 
Zucht  schwerer  Pferde  und  einiger  Schweinerassen.  —  Ebenso  drängt 
der  Mangel  an  menschlicher  Arbeitskraft  zur  Betonung  der  Maschine; 
die  landwirtschaftliche  Maschine  ist  dort  stark  verbreitet  in  allen  Arten 
und  greift  auf  kleine  Betriebe  weit  hinunter.  Die  Not  ist  seit  den 
70er  Jahren  eine  gute  Lehrmeisterin  gewesen.  Der  Bindemäher  steht 
der  Seitenablage,  im  Gegensatz  zu  Deutschland,  voran,  und  Elevatoren, 
die  Getreide  und  Heu  in  Diemen  heben,  kennen  wir  noch  kaum.  Da- 
gegen reicht  der  englische  Verbrauch  an  Kunstdünger  mit  50  Pfd. 
pro  Hektar  und  Jahr  längst  nicht  an  den  deutschen  heran.  Hier  wirkt 
eben  der  Kornzoll,  der  den  Geldertrag  steigert  und  das  Gesetz  vom 
abnehmenden  Bodenertrag  hinausschiebt,  ganz  entscheidend  mit. 

Der  Arbeitermangel  ist  heute  wohl  die  größte  Schwierigkeit^ 
mit  der  der  Farmer  zu  kämpfen  hat;  nicht  allein  die  Großstädte, 
besonders  die  Kolonien  ziehen  einen  Teil  der  ländlichen  Arbeiter  an 
sich;  ihre  Zahl  ist  in  den  70er  Jahren  um  die  Hälfte  gesunken,  und 
die  Abwanderung  zehrt  heute  an  dem  Mindestbestand,  den  jeder  Be- 
trieb im  ordnungsmäßigen  Gange  erfordert.  Und  wenn  der  Farmer  den 
Betrieb  auch  immer  mehr  arbeitsextensiv  gestaltet  (Weideland,  Ver- 
zicht auf  Hackkultur,  Maschinen),  so  wandern  immer  noch  drei-  bis 
viermal  so  viel  Arbeiter  ab,  als  er  an  Arbeitskraft  durch  jene  Betriebs- 
neuerungen ersparen  kann.  In  Deutschland  entfallen  auf  100  ha  Kultur- 
fläche an  ständigen  Arbeitern  und  Familienangehörigen  20  Kräfte,  an 
bezahlten  Arbeitern  9,  in  England  nur  9,7,  bzw.  5,6  Kräfte.  Das  langt 
aber  nicht  mehr  für  die  notwendigste  Bewirtschaftung;  eine  durch- 
greifende Bearbeitung  des  Ackers  fällt  aus,  die  Hackarbeit  bleibt  be- 
schränkt, Unkrautvertilgung,  Dränage,  Kompostbereitung  hört  auf.  Dabei 
hat  sich  die  soziale  Stellung  des  Landarbeiters  in  England  viel- 
fach gehoben.  Die  Dienstdauer  ist  kürzer  als  in  Deutschland,  deshalb 
die  Arbeit  unregelmäßiger;  abgesehen  von  unverheiratetem  Gesinde, 
das   sich   jährlich   verpflichtet,    überwiegen    die    wochenweisen    Verab- 


üebersioht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     499 

reduDgen;  die  Mietmärkte,  „Hiring  Fairs",  haben  nur  noch  in  Schott- 
land sich  behaupten  können.  Die  Löhne  sind  durchweg,  auch  gemessen 
an  deutschen  Verhältnissen,  sehr  hoch,  namentlich  in  der  Nähe  der 
Industriebezirke.  Jahresverdienste  von  über  1000  M.  sind  an  der  Tages- 
ordnung. Allerdings  ist  der  Arbeiter  trotz  guten  Nominallohnes  bei 
regelmäßiger  Arbeit  in  der  Wohnung  und  in  den  Naturalbezügen 
sehr  herabgedrückt.  Er  ist  wie  der  Industriearbeiter  auf  Geldlohn 
gestellt;  obwohl  er  Landarbeiter  ist,  muß  er  Lebensmittel  kaufen,  und 
das  kompensiert  den  Gewinn  der  hohen  Nominallöhne.  Mit  dem  Sinken 
der  Preise  für  Lebensmittel  hat  sich  sein  Einkommen  erhöht;  alles  in 
allem  nähert  er  sich  im  Geldlohn  dem  Industriearbeiter,  ohne  aber  die 
Natural  Verpflegung  des  Landarbeiters  zu  beziehen.  Dazu  kommt  dann 
noch  eine  Abneigung  gegen  das  Landleben  bei  der  Jugend ;  es  erscheint 
„öde  und  einförmig,  schmutzig  und  anstrengend  und  gewährt  zu  wenig 
Ruhepausen".  Der  erwachsene  junge  Mann  sieht  auf  dem  Lande  keinen 
rechten  Aufstieg.  Der  Farmer  zahlt  nur  den  normalen  Lohn  für  Fleißige 
und  Faule,  in  der  Industrie  differenziert  sich  der  Lohn  nach  Leistung. 
Und  das  Ende  ist  eine  recht  bedenkliche  Landflucht;  nach  dem  Be- 
richt des  Handelsamtes  wanderten  1910  rund  24000  landwirtschaftlich 
Erwerbstätige  aus,  während  die  natürliche  Zunahme  der  landwirtschaft- 
lichen Bevölkerung  nur  auf  30000  geschätzt  wird. 

Weit  mehr  als  die  Arbeiter  ist  von  dem  Niedergang  der  agraren 
Produktivität  die  zw^eite  Berufsschicht,  der  pachtende  Farmer,  be- 
troffen worden.  Nach  Middleton  werden  in  Deutschland  93  Proz. ,  in 
England  nur  11  Proz.  des  Landes  vom  Eigentümer  bewirtschaftet; 
Skalweit  gibt  das  in  Deutschland  verpachtete  Land  auf  16  Proz.  an; 
mit  der  englischen  Zahl  deckt  er  sich.  Außer  den  Herrenhöfen  (Home 
Farm),  die  großen  Latifundienbesitzern  als  Lebensmittelquelle  für  den 
Haushalt  dienen,  finden  sich  Betriebe  mit  Eigenbewirtschaftung  nur 
ausnahmsweise  vor.  Dieses  Pachtsystem  hatte  seinen  Vorzug  in  der 
Zeit  der  Krisis  der  70er  Jahre;  damals  konnte  der  Farmer  einen  Teil 
des  Preissturzes  auf  den  Grundherrn  abwälzen ;  doch  ist  diese  Ab- 
wälzung nur  teilweise  gelungen ;  einen  großen  Anteil  mußte  der  Farmer 
selbst  übernehmen :  die  Pachtsätze  sind  nicht  mit  den  Kornpreisen 
parallel  gesunken.  Dazu  kommen  noch  die  steigenden  Löhne,  die  30  bis 
40  Proz.  der  gesamten  Ausgaben  ausmachen.  Um  seinen  Betrieb  zu 
bilanzieren,  spart  der  Farmer  heute  allgemein  an  den  übrigen  Betriebs- 
kosten ;  er  legt  keine  Meliorationen  an ,  spart  an  Düngung  und  allen 
anderen  Verbesserungen.  Das  Pachtsystem  kann  bei  großem  Lati- 
fundienbesitz seinen  Vorteil  haben,  wenn  ein  kapitalstarker  Pächter 
aufzieht  und  dem  Boden  mehr  Kapital  und  Arbeit  zuwendet  als  der 
mit  Hypotheken  belastete  Grundherr.  Diesen  Vorteil  hat  das  Pacht- 
system in  England  eingebüßt;  „wer  so  viel  Kapital  besitzt,  um  eine 
mittlere  Farm  pachten  zu  können,  legt  es  in  gewerblichen  Unternehmungen 
an,  wo  sich  das  Geld  schneller  verzinst".  Deshalb  sinkt  die  Zahl  der 
landwirtschaftlich  Erwerbstätigen  absolut  und  relativ.  Landwirtschaft- 
lich erwerbstätig  waren  von  allen  Männern  über  10  Jahren;  1881 
—  18,8  Proz.,  1891  —  16,2  Proz.,  1901  —  13,6  Proz.,  1911  —  10,7  Proz., 

32* 


500     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutechlands  und  des  A-oslandes. 

oder  absolut  gesehen,  hat  sich  die  Zahl  der  Männer  von  2  224000  1891 
auf  1842000  1911  gesenkt.  In  dem  Jahrzehnt  von  1871  bis  1881  haben 
die  selbständigen  Farmer  rund  10  Proz.  des  Bestandes  oder  23  OCX) 
Stellen  aufgegeben. 

Die  letzte  Gruppe  der  Leidtragenden  sind  die  Grundherren, 
auf  welche  die  Arbeiter  in  höheren  Löhnen,  die  Farmer  in  gesunkenen 
Pachtsätzen  die  Entwicklung  weiter  wälzen.  Von  1871  bis  1908  sind  die 
Pachten  in  England  gefallen,  und  zwar  während  der  Krisis  der  70er 
Jahre  um  rund  20 — 30  Proz.,  in  den  Krongrafschaften  mit  schwerem 
Boden  sogar  um  50  Proz.  Erst  seit  1908  tritt  eine  geringe  Erhöhung 
der  Pachten  ein.  Immerhin  haben  die  Grandherren  seit  1875  rund 
30  Proz.  der  Pachten  verloren.  Diese  Roheinnahme  wird  aber  bei  der 
Nettoberechnung  noch  um  25 — 50  Proz.  geschmälert;  denn  die  Steuern 
auf  den  Grundbesitz  (Erbschaftssteuer!)  sind  gestiegen;  gerade  der 
Latifundienbesitzer  wird  in  der  englischen  Steuer  stark  herangezogen. 
So  weicht  denn  die  frühere  Landaristokratie  immer  mehr  einer  neuen 
Geldaristokratie,  „welche  die  schönsten  Herrensitze  als  Landaufenthalt, 
aus  Sportrücksichten  und  der  gesellschaftlichen  Vorteile  wiegen  erwirbt". 
Viele  Grundbesitzer  haben  die  Güter  unter  dem  Druck  neuer  Gesetze 
verkauft;  meist  werden  sie  aus  gesellschaftlichen  Gründen,  weniger 
zum  rationellen  Betrieb  wieder  aufgekauft.  Nur  eine  Gruppe  kann  ihren 
Besitz  erhalten  und  verbessern:  wer  einen  hübschen  Fundus  an 
industriellen  oder  kolonialen  Aktien,  sowie  an  Bergwerks-  und  Eisen- 
bahnanteilen besitzt.  Dann  muß  er  seine  Dividenden  aber  in  den  Boden 
stecken.  —  Das  Resultat  ist  die  allgemeine  Flucht  vom  Lande,  es  flieht 
alles  vom  Schäfer  bis  zum  Landlord.  Nur  der  ganz  Reiche,  in  dünner, 
schmaler  Oberschicht,  und  eine  Masse  mäßig  begüterter  Farmer  bleibt 
zurück.  Die  Bewegung  der  inneren  Kolonisation  ist  noch  jung  und 
die  Regierung  noch  ungeschult  in  der  Handhabung.  Die  rigorosen  Ge- 
setze zur  Zerschlagung  des  Bodens  haben  auch  noch  keinen  Erfolg  ge- 
habt. Auch  das  Genossenschaftswesen  wird  gestützt.  Aber  alle  Ver- 
suche sind  noch  zaghaft;  es  würde  eine  schwere  Arbeit  sein,  wollte 
man  diesen  amputierten  Arm  der  englischen  Volkswirtschaft  wieder 
zum  Anheilen  bringen  wollen. 

In  dem  großen  Abschnitt  des  Buches  über  den  ,, landwirtschaft- 
lichen Betrieb"  fällt  das  Kapitel  über  die  Viehzucht  als  gut  gelungene 
Monographie  auf;  es  ist  beinahe  ein  Nachschlagewerk  der  en^^lischen 
Viehzucht  geworden,  dessen  Bedeutung  nicht  allein  in  der  Fülle  des 
beigetragenen  Materials,  sondern  in  einer  Feinheit  der  Beobachtung 
und  Sachkunde  liegt,  mit  der  Verf.  dem  inneren  Leben  im  englischen 
Betriebe  nachgeht. 

Cöln  a.  Rh.  F.  Beckmann. 

Bekanntmachungen  über  den  Ernteverkehr  nebst  den  anderweitigen  Gesetzen 
und  Verordnungen  wirtschaftlicher  Natur  aus  den  Jahren  1915/17.  14.  Nachtrag:  Vom 
1.  V.  1917  bis  30.  VI.  1917.  Berlin,  Klemens  Beuschel,  1917.     VII— 208  SS.    M.  3,60. 

Delius  (Geh.  Just.-R.,  Kammerger.-R.j,  Dr.  H.,  Die  Landesfischereiordnung  vom 
19.  III.  1917  und  die  Bezirksfischereiordnungen.  Erg.-Heft  zu  Delius,  Fischereigesete 
vom  11.  V.  1916.  (Carl  Heymanns  Taschengesetzsammlung,  Nr.  86,  Nachtrag.)  Berlin, 
€arl  Heymanns  Verlag,  1917.     kl.  8.     IV— 140  SS.     M.  2.—. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     501 

Mammen,  Prof.  Dr.  Franz  v.,  und  (Hofr.)  Riedel,  Die  Kriegsnutzung  des 
Waldes.  Eine  Anleitung  zur  Mobilmachung  des  deutschen  Waldes.  (Bibliothek  für 
Volks-  und  Weltwirtschaft.  Hrsg.:  Prof.  Dr.  Franz  v.  Mammen.  Heft  42.)  Dresden, 
„Globus",  Wisdenschaftl.  Verlagsanstalt,  1917.     8.     31  SS.     M.  1.—. 

Müller-Erzbach,  Prof.  Dr.  Rud.,  Das  Bergrecht  Preußens  und  des  weiteren 
Deutschlands.  2.  Hälfte.  Stuttgart,  Ferdinand  Enke,  1917.  Lex. -8.  XII  u.  S.  303—603 
M.    12.—. 

Müller  (Baur.),  Prof.  Frdr.,  Das  Wasserwesen  an  der  schleswig-holsteinischen 
Nordseeküste.  Im  Auftrage  des  Kgl.  preußischen  Ministeriums  der  öffentlichen  Arbeiten 
bearbeitet.  1.  Teil:  Die  Halligen.  2  Bde.  mit  199  Abb.  im  Text  und  23  (zum  Teil 
färb.)  Tafeln  in  besonderer  (Halbleinwand-) Mappe.  Berlin,  Dietrich  Reimer  (Ernst 
Vohsen),  1917.     Lex.-8.     XXV,  377  u.  XIX,  428  SS.     M.  66.—. 

Oppenheimer  (Rechtsanw.),  Dr.  Arthur,  Die  Reiehsgetreidegesetzgebung  für 
die  Ernte  1917.  Auf  Veranlassung  der  Reichsgetreidestelle  bearbeitet.  Berlin,  Franz 
Vahlen,  1917.     kl.  8.     194   SS.     M.  2.—. 

Skal  weit,  Prof.  Dr.  August,  und  Dr.  Walter  Kl  aas,  Das  Schwein  in  der 
Kriegsemährungswirtschaft.  (Beiträge  zur  Kriegswirtschaft.  Hrsg.  von  der  volkswirt- 
schaftlichen Abteilung  des  Kriegsernährungsamts.  Heft  20  u.  21.)  Berlin,  Reimar 
Hobbing,  1917.     8.     80  SS.     M.  1,20. 

Vieh  und  Fleisch  in  der  deutschen  Kriegswirtschaft.  Von  (Stadtr.)  Dr.  Hans 
Krüger,  (Oberamtstierarzt)  Dr.  Mayer,  (Tierzuchtinsp.)  Dr.  Niklas,  (Geh.  Reg.-R.)  Prof. 
Dr.  V.  Ostertag,  (Geh.  Reg.-R.)  v.  Schlichen  und  (Oberamtm.)  Scholl.  (Beiträge  zur 
Kriegswirtschaft.  Hrsg.  von  der  volkswirtschaftlichen  Abteilung  des  Kriegsemährungs- 
amts.     Heft  17—19.)     Berlin,  Reimar  Hobbing,  1917.     8.     133  SS.     M.  1,80. 

Ziese  (Just.-R.),  Dr.,  Das  preußische  Fischereigesetz  vom  11.  V.  1916  nebst  den 
dazu  erlassenen  Bestimmungen  der  Verwaltungsbehörden.  Textausgabe  mit  kurzen  An- 
merkungen und  Sachregister.  Schleswig,  Julius  Bergas  Verlag,  1917.  gr.  8.  VI — 
100  SS.     M.  1,50. 


Foster,  SirC.  deNeve,  The  Clements  of  mining  and  quarrying.  3rd  ed. 
London,  Griffin  and  Co.     8.     341  pp.     7/.6. 

Gehrs,  J.  H.,  Productive  agriculture.    New  York,  Macmillan.    12.   13 -f  436  pp. 

$   1.-. 

Hughes,  Herbert,  W.,  A  text  book  of  coal-mining,  for  the  use  of  coUiery 
managers  and  others.     6th  ed.     London,  Griffin  and  Co.     8.     578  pp.     24/. — . 

Jackson,  T.  C,  The  agricultural  holding  acts,  1908 — 1914.  With  introduction 
and  explanatory  notes  and  forms.  Also  the  board  of  agriculture  and  fisheries  rules  and 
forms  of  1909,  together  with  a  manual  of  tenant  right  valuation.  3rd  ed.,  revised  and 
enlarged.     London,  Sweet  and  Maxwell.     Cr.  8.     XVI — 356  pp.     6/.6. 

Johnson,  Joseph,  Food  production  in  France  in  time  of  war.  London, 
Maunsel  and  Co.     Cr.  8.     32  pp.     6/.—. 

Larson,  Carl  W.,  Milk  production,  cost  accounts,  principles,  methods.  London, 
Oxford  Univ.  Press.     8.     3/.6. 

Prothero,  Rowland  E.,  English  farming,  past  and  present.  2nd  ed.  London, 
Longmaus.     8.     519  pp.     7/.6. 

Radford,  George,  Agricultural  co-operation  and  Organisation.  2nd  ed.,  revised. 
London,  Hodder  and  Sons.     8.     154  pp.     3/.6. 

Savory,  A.  H.,  The  nakedness  of  the  land.  The  agricultural  problem  and  its 
Solution.     Oxford,  Blackwell.     8.     1/.6. 

Somerville,  W.,  British  forestry,  past  and  present.  London,  Oxford  Univ. 
Press.     Royal  8.     6  d. 

5.   Gewerbe  und  Industrie. 

Metallhüttenbetriebe.  Die  Vorgänge  und  Erzeugnisse  der  Metallhütten- 
betriebe vom  Standpunkt  der  neuesten  Forschungsergebnisse.  2.  Bd.:  Borchers  (Geh. 
Reg.-R.),  Prof.  Dr.  ing.:  Nickel.  Mit  98  Abbild,  im  Text  (u.  auf  Taf.).  Zugleich  2.  Aufl. 
von  „Elektrometallurgie  des  Nickels".  Halle,  Wilhelm  Knapp,  1917.  8.  VI— 209  SS. 
M.  15.—. 

Duplessix,  E.,  La  renaissance  industrielle  en  France  et  les  lois  sur  les  soci§t§s. 
Paris,  Rousseau.     8.     fr.  2,50. 


502     üebersicht  über  die  neuestea  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes 

George,  Fernand,  La  rönovation  de  l'industrie  chimique  franjaise.  Produits 
chimiqucs  et  pharmaceutiques.  Paris,  Albin-Michel.  Grandin-8.  499  pag.  avec  gra- 
phiques.     fr.  15. — . 

Grandmougin,  Eugöne,  L'essor  des  industries  chimiques  en  France.  Bes- 
sources  et  avenir  de  ces  industries.  Industries  chimiques  ^trangöres.  Paris,  Dunod  et 
Pinat.     8.     fr.  16.—. 

Crammond,  Edgar,  The  British  shipping  industry.  London,  Constable.  Cr.  8. 
67  pp.     1/.-. 

Glazebrook,  Sir  Richard,  T.,  Science  and  industry.  The  place  of  Cam- 
bridge in  any  scheme  for  their  combination.     Cambridge,  üniv.  Press.     8.     1/.6. 

Van  Kleeck,  Mary,  A  seasonal  industry;  a  study  of  the  millinery  trade  ia 
New  York.     New  York,  Russell  Sage  Foundation.     12.     10  -f  276  pp.     $  1,50. 

Stabilizing  industrial  employment.  Philadelphia,  The  Academy.  8.  71 -|- 
246  pp.     $  1.—. 

Weeks,  Lyman  Horace,  A  history  of  paper-manufacturing  in  the  United 
States,  1690—1916.  New  York,  Lockwood  Trade  Journal  Co.,  1916.  8.  15  +  352  pp. 
$  3.—. 

Women  war  workers.  Edited  by  Gilbert  Stone,  with  a  foreword  by  Lady  Jel- 
licoe.     London,  Harrap.     Cr.  8.     320  pp.     3/.6. 

Belluzzo,  Giuseppe,  Le  sf orzo  industriale  dell'  Italia  in  guerra.  Roma, 
soc.  ed.  ritaliana,  1917.     16.     15  p. 

Pothius,  L.  J.,  Arbeiders-weekloonen  in  een  aantal  bedrijven  en  vakken  te 
Amsterdam.  Amsterdam,  Boekhandel  en  uitgevers-maatschappij  „Ontwikkeling".  gr.  8. 
22  blz.     fl.  0,40. 

6.  Handel  und  Verkehr. 

Glatz,  Frdr.,  Die  Gefährdung  von  Oesterreichs  Brotstoffversorgung  durch  das 
geplante  Einfuhrscheinsystem.  Vortrag,  gehalten  in  der  Plenarversammlung  des  Zentral- 
verbandes österreichischer  Getreidehändler  am  16.  V.  1917.  Wien,  Wilhelm  Frick, 
1917.     gr.  8.     82  SS.     M.  3.—. 

Hirsch,  Prof.  Dr.  Julius,  und  (Staatsanw.)  Dr.  Carl  Falck,  Der  Ketten- 
handel als  Kriegserscheinung.  2.  erw.  Aufl.  (Beiträge  zur  Kriegswirtschaft,  hrsg. 
von  der  volkswirtschaftlichen  Abteilung  des  Kriegsernährungsamts,  Sonderheft.)  Berlin, 
Reimar  Hobbing,  1917.     8.     115  SS.    M.  1,20. 

Merk  (Priv.-Doz.),  Dr.  W.,  Zur  Bekämpfung  des  Lebensmittelschleichverkehre. 
Heidelberg,  Adolf  Emmerling  u.  Sohn  Nachf.,  1917.     8.     47  SS.     M.  1,20. 

Pertmann,  Dr.  J.,  Die  Zollunionsidee  und  ihre  Wandlungen  im  Rahmen  der 
wirtschaftspolitischen  Ideen  und  der  Wirtschaftspolitik  des  19.  Jahrhunderts  bis  zur 
Gegenwart.  (Probleme  der  Weltwirtschaft.  Schriften  des  Kgl.  Instituts  für  Seeverkehr 
und  Weltwirtschaft  an  der  Universität  Kiel,  Kaiser  Wilhelms-Stiftung,  hrsg.  von  Prof. 
Dr.  Bernhard  Harms,  No.  27.)  Jena,  Gustav  Fischer,  1917.  Lex.-8.  XVII— 132  SS. 
M.  5.—. 

Rosemeyer,  Josef,  Der  beste  Weg  zur  Sicherung  und  Ausdehnung  unseres 
Welthandels.  Berlin,  Haude  u.  Spenersche  Buchhdlg.  Max  Paschke,  1917.  gr  8. 
44  SS.     M.  2.—. 

Wirtschaftsbeziehungen,  Unsere,  zu  Oesterreich-Ungarn.  Bericht  der 
Handelskammer  Frankfurt  a.  Main  (abgeschlossen  im  Dezember  1916).  Frankfurt  a.  M., 
Karl  Scheller,  1917.     gr.  8.     79  SS.     M.  2,50. 

Witte k  (Wirkl.  Geh.  Rat.,  Minister  a.  D.,  Mitgl.  d.  Herrenh.  u.  Reichsrats), 
Dr.  Heinrich  Ritter  v.,  Die  mitteleuropäischen  Wirtschaftsfragen.  (Flugschriften  f ür 
Oesterreich- Ungarns  Erwachen.  Hrsg.:  Rob.  Strache;  literar.  Leitg. :  Ferd.  Grüner. 
Heft  26.)     Warnsdorf,  Ed.  Strache,  1917.     gr.  8.     32  SS.     M.  0,80. 


Lough,  W.  H.,  Business  finance;  a  practical  study  of  financial  management  ia 
private  business  concerns.     New  York,  Ronald  Press.     8.     14  -|-  631  pp.     $  3. — . 

Dounini,  Vincenzo,  Sguardo  alla  vita  economica  degli  stati  belligeranÜ  e 
1' Italia.     Firenze,  tip.  Nuovo  Giornale,  1917.     8.     27  p. 

Landry,  Adolphe,  La  politique  ^conomique  internationale  aprös  la  guerre. 
Bologna,  N.  Zanichelli  (Milano,  tip.  Rebeschini,  di  Turati  e  C),  1917.     8.     12  p. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.    503 

Movimento  commerciale  del  regno  d'Italia  nell' anno  1915.  Parte  I:  tavole 
riassuntive,  tavole  analitiche  (Ministero  delle  finanze:  direzione  generale  delle  gabelle, 
ufficio  trattati  e  legislazione  doganale).  Borna,  tip.  Nazionale,  Bertero,  1917.  4.  XV, 
546  p. 

Movimento  della  navigazione  del  regno  d'Italia  nell' anno  1915.  Vol.  2.  Roma, 
tip.  Camera  dei  Deputat!.     4.     1.  4. — . 

7.  Finanzwesen. 

Eheberg  (Geh.  Rat),  Prof.  Karl  Thdr.  v.,  Die  Kriegsfinanzen:  Kriegskosten, 
Kriegsschulden,  Kriegssteuern.  2.  Aufl.  Leipzig,  A.  Deichertsche  Verlagsbuchh.  Werner 
Scholl,  1917.     gr.  8.     VIII— 216  SS.     M.  5.—. 

Glaser  (Rechtsanw.),  Dr.  Fritz,  Das  Besitzsteuergesetz  vom  3.  VII.  1913  Inder 
Fassung  von  §  39  des  Kriegssteuergesetzes  vom  21.  VI.  1916  nebst  den  Ausführungs- 
bestimmungen des  Bundesrats  und  der  kgl.  sächs.  Vollziehungsvorschriften.  Erläutert. 
(Juristische  Handbibliothek.  Hrsg. :  Oberlandesger.-Sen.-Präs.  Geh.  Rat  Max  Hallbauer 
und  Minist.-Dir.  Geh.  Rat  Dr.  Walter  Scheicher.  Bd.  444.)  Leipzig,  Roßbergsche  Ver- 
lagsbuchhdlg.  Arthur  Roßberg,  1917.     kl.  8.     XI— 319  SS.     M.  7.—. 

Mollat  (Handelsk.-Synd.),  Georg,  Einführung  in  das  Kriegssteuergesetz  vom 
21.  VI.  1916.  Eine  gemeinverständliche  Darstellung  seiner  wichtigsten  Bestimmungen. 
(Veröffentlichung  der  Handelskammer  zu  Siegen.)  Siegen,  Koglersche  Buchhdlg. 
G.  Müller,  1917.     gr.  8.     IV— 42  SS.     M.  1.—. 

Raum  er  (Landr.  a.  D.),  Hans  v.,  und  (Reg.-R.)  Dr.  Ewald  Moll,  Reichs- 
Kohlensteuergesetz  vom  8.  IV.  1917  nebst  den  Ausführungsbestimmungen  des  Bundes- 
rats vom  12.  VII.  1917  und  der  hierzu  ergangenen  allgemeinen  Verfügung  des  preußischem 
Finanzministers  sowie  der  Verordnung  des  kgl.  sächs.  Finanzministeriums.  Erläutert. 
Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917.     8.     VIII— 188  SS.     M.  8.—. 

Röder,  Dr.,  Gesetz  über  die  Besteuerung  des  Personen-  und  Güterverkehrs  vom 
8.  IV.  1917  nebst  Ausführungsbestimmungen  des  Bundesrats  vom  5.  VII.  1917.  Nach 
amtlichen  Materialien  und  Erlassen  der  Ministerien  für  den  praktischen  Gebrauch  er- 
läutert und  mit  ausführlichem  Sachregister  versehen.  Berlin,  Industrieverlag  Spaeth  u. 
Linde,  1917.     kl.  8.     144  SS.     M.  3.—. 

Roschnik  (Fin.-R.),  Dr.  Rud.,  Die  Österreichischen  Stempel-  und  Gebührenvor- 
schriften. Im  Auftrage  des  k.  k.  Finanzministeriums  nach  dem  gegenwärtigen  Stande 
zusammengestellt.  Wien,  k.  k.  Hof-  u.  Staatsdruckerei,  1917.  gr.  8.  XXII— 1100  SS. 
M.  8.—. 

Zedermann  (Assess.),  Dr.  Felix,  und  (Assist.)  Dr.  Jos.  Morenhoven, 
Kohlensteuergesetz  vom  8.  IV.  1917  nebst  den  Ausführungsbestimmungen  des  Bundes- 
rats vom  12.  VII.  1917,  erläutert.  Mit  einem  Anhang,  enthaltend  die  während  des 
Krieges  erlassenen  Vorschriften  über  Kohle,  statistisches  Material  usw.  Berlin,  In- 
dustrieverlag Spaeth  u.  Linde,  1917.     kl.  8.     239  SS.     M.  4,50. 


Pons,  Justin,  Les  finances  fran9aises.  Aprös  la  guerre.  Paris,  Soci6t§  fran- 
9aise  d'impr.  et  de  libr.,  1916.     16.     31   pag. 

Engl  and 's  financial  supremacy.  A  translation.  From  the  „Frankfurter  Zeitung". 
London,  Macmillan.     Cr.  8,     106  pp.     3/.6. 

Pigou,  Arth.  Cecil,  The  economy  and  finance  of  the  war;  being  a  discussiom 
of  the  real  costs  of  the  war  and  the  way  in  which  they  sould  be  met.  New  York, 
Dutton.     12.     96  pp.     60  c. 

Griziotti,  Benvenuto,  La  diversa  pressione  tributaria  del  prestito  e  dell'im- 
posta.     Roma,  Athenaeum  (Cittä  di  Castello,  soc.  Leonardo  da  Vinci),  1917.     8.     57  p. 

8.  Geld-,  Bank-,  Kredit-  und  Versichernngswesen. 

Bauer  (KreiskassenkontroU.),  Frdr.,  Die  Postscheckordnung  für  das  Königreich 
Bayern  vom  7.  VI.  1914.  Mit  Ausführungsvorschriften  für  den  Postüberweisungs-  und 
Scheckverkehr  bei  den  Aemtern  und  Kassen  der  kgl.  bayerischen  Finanzverwaltung; 
bei  den  Stellen  und  Behörden  der  inneren  Verwaltung,  sowie  für  Kultus  und  Unterricht, 
ferner  bei  den  Gerichten  und  Strafanstalten.  (2.  Aufl.  v.  J.  Stelzer,  Der  Postüber- 
weisungs- und  Scheckverkehr.)  (Schweitzers  Handausgaben  mit  Erläuterungen.)  München, 
J.  Schweitzer  Verlag  (Arthur  Sellier),  1917.     8.     VIII— 115  SS.     M.  3,80. 


504     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Handbuch  der  deutschen  Gesellschaften  mit  beschränkter  Haftung.  Ein  Hand- 
und  Nachsch Ingebuch  für  Bankiers,  Industrielle,  Kapitalisten,  Behörden  und  Aus- 
kunfteien. Hrsg.  und  unter  Berücksichtigung  der  neuesten  Gründungen  bearbeitet  von 
(Archiv.)  C.  Greulich  und  F.  Voullifeme.  Jahrg.  1917.  (Einbd.:  1917—18.)  Berlin, 
Brandussche  Verlagsbuchhdlg.     gr.  8.     III,  980  u.  307  88.     M.  30.—. 

Lansburgh,  Alfred,  Zur  Systematik  der  Preisbildung  an  der  Effektenbörse. 
(Finanz-  und  volkswirtschaftliche  Zeitfragen.  Hrsg.  von  ßeichsr.  Prof.  Dr.  Georg 
T.  Schanz  und  Geh.  Eeg.-R.  Prof.  Dr.  Julius  Wolf.  Heft  38.)  Stuttgart,  Ferdinand 
Enke,  1917.     Lex.-8.     48  SS.     M.  1,80. 

Makai  (Dir.- Stellvertreter),  Dr.  Ernst,  Währungsstudien  mit  besonderer  Bück- 
sicht auf  Oesterreich-Ungarn.  (Finanz-  und  volkswirtschaftliche  Zeitfragen.  Hrsg.  von 
ßeichsr.  Prof.  Dr.  Georg  v.  Schanz  und  Geh.  Reg.-R.  Prof.  Dr.  Julius  Wolf.  Heft  37.) 
Stuttgart,  Ferdinand  Enke,  1917.     Lex.-8.     77  SS.  mit  3  Kurven.     M.  3.—. 

Somary,  Dr.  Felix,  Währungs-Probleme  Oesterreich-Ungams.  Vortrag,  ge- 
halten in  der  244.  Plenarversammlung  am  17.  IV.  1917.  Wien,  Carl  Fromme,  1917. 
8.     23  SS.     M.  0,85.     (S.-A.  a.  d.  Jahrbuch  Österreich.  Volkswirte,  1917.) 

Charpenay,  G.,  Du  röle  industriel  des  banques  en  France.  Avant  et  apr^  la 
gnerre.  Conference  faite  k  la  chambre  de  commerce  de  Grenoble,  le  31  janvier  1917. 
Grenoble,  AUier  frferes,  1917.     8. 

Anderson,  B.  Mc  Alcester,  The  value  of  money.  New  York,  Macmillan. 
12.     28  +  610  pp.     $  2,25. 

Gebhardt,  W.  T.,  Principles  of  Insurance.  Vol.  I.Life.  Vol.  2.  Fire.  London, 
Macmillan.     Cr.  8.     Fach  6/.6. 

Manning,  J.  Hilton,  A  Century  of  American  savings  banks.  2  vols.  New  York, 
Bück  and  Co.     8.     $  20.—. 

Morton,  Davis  Wa.,  Banking  and  bank  accounting;  an  advanced  set  on  the 
individual  business  practice  plan,     Chicago,  Lyons  and  Carnahan.    8.     112.  pp.    ^  2,40. 

Withers,  Hartley,  Stocks  and  shares.  New  ed.  London,  Smith,  Eider.  Cr.  8. 
382  pp.     3/.6. 

9.  Soziale  Frage. 

Bozi  (Eicht.),  Dr.  Alfred,  Soziale  ßechtseinrichtungen  in  Bielefeld.  (Schriften 
der  Deutschen  Gesellschaft  für  soziales  Recht.  In  Gemeinschaft  mit  Justizrat  Georg 
Bamberger  .  .  .  hrsg.  von  Handelshoehschul-Prof.,  Landesrat  a.  D.  Dr.  B.  Schmittmann. 
Heft  2.)     Stuttgart,  Ferdinand  Enke,  1917.     Lex.-8.     32  SS.     M.  1.—. 

Moszkowska,  Dr.  Natalie,  Arbeiterkassen  an  den  privaten  Berg-  und  Hütten- 
werken im  Königreich  Polen.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Wohlfahrtseinrichtungen 
der  Arbeitgeber.     Stuttgart,  J.  H.  W.  Dietz,  1917.     8.     212  SS.     M.  2,50. 


Cole,  G.  H.  D. ,  and  R.  Page  Arnot,  Trade  unionism  on  the  railways.  Ito 
history  and  problems.     London,  Fabian  Research  Department.     8.     2/.6. 

Webb,  Sidney,  The  restoration  of  trade  Union  conditions.  London,  Nisbet. 
Cr.  8.     109  pp.     1/.—. 

Woodbury,  Rob.  Morse,  Social  insurance;  an  economic  analysis.  New  York, 
Holt.     12.     171  pp.     $  1,25.     (Cornell  studies  in  history  and  economics.) 

10.  Oenossenscliaftswesen. 

Baur,  Dr.  Hans,  Der  Genossenschaftsanteil  bei  den  kapitalistisch  organisierten 
Erwerbs-  und  Wirtschaftsgenossensehaften  der  Schweiz,  mit  Berücksichtigung  der 
deutschen  gesetzlichen  Regelung.  (Abhandlungen  zum  schweizerischen  Recht,  hrsg.  von 
Prof.  Dr.  Max  Gmür,  Heft  79.)  Bern,  Stämpfli  u.  Cie.,  1917.  gr.  8.  IX— 113  SS. 
M.  4,50.    (Berner  juristische  Dissertation.) 

Meyenschein,  Adam,  Raiffeisen  und  das  deutsche  Dorf.  Gesammelte  Auf- 
sätze und  Vorträge.  Im  Auftrage  des  hessischen  Verbandes  ländlicher  Genossenschaften 
hrsg.  von  Jobs.  Fenner.  Berlin,  Deutsche  Landbuchhdlg.  G.  m.  b.  H.,  1917.  gr.  8. 
XIV— 286  SS.  mit  3  Abb.  u.  1  Bildnis.     M.  4.—. 

Wiechula  (Ing.),  A.,  Die  Kleinfarm  als  Wirtschafts-,  Erwerbs-  und  Krieger- 
heimstätte. Ratschläge  und  Beispiele  zur  Anlage  von  Kleinfarmen  und  genossenschaft- 
licher Einrichtung  der  Siedelungen,  mit  Abbildungen.  2.  Aufl.  Leipzig,  Otto  Giller, 
1917.     8.     XXIil— 119  SS.     M.  1,80. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     5Q5 

11.  Gesetzgebung*,  Staats-  nud  Verwaltungsrecht.    Staatsbürgerkunde. 

Bender,  Peter,  Das  Wahlrecht  des  Weltkrieges.  Ein  Vorschlag,  der  die  Per- 
sönlichkeit und  die  Frauenfrage  berücksichtigt  oder  auch  das  Wahlrecht  der  Familie 
Darmstadt,  Falken- Verlag,  1917.     gr.  8.     V— 44  SS.     M.  1,50. 

Cahn  (Rechtsanw.,  Just.-R.),  Dr.  Hugo,  Gesehäftsaufsicht  und  Zwangsvergleich 
Bekanntmachung  über  die  Geschäftsaufsicht  zur  Abwendung  des  Konkurses  vom  14.  XII 
1916.  Erläutert.  (Schweitzers  Handausgaben  mit  Erläuterungen.)  München,  J.  Schweitzer 
Verlag,  1917.     8.     XIX-357  SS.    M.  10.—. 

Fi  seh  b  ach  (Landricht.),  Dr.  O.  G,,  Das  Staatskirchenrecht  Elsaß-Lothringens 
1.  Bd.  I.  Teil:  Gemeinsamer  Teil  für  alle  Kulte.  II.  Teil:  Katholischer  Kultus 
Straßburg,  Karl  J.  Trübner,  1917.     8.     XII— 353  SS.     M.  8.—. 

Flötgen  (Fortbildungs-  u.  Gewerbesch.-Dir.),  Chr.,   Staatsbürgerkunde  in  Stich 
Worten,  unter  besonderer  Berücksichtigung   der   Ursachen  und  Wirkungen,    Erfolge  und 
Ziele  des  Weltkrieges.     Anhang:  Deutschland.     33  Taf.  Zahlen  und  Bilder  zu  Deutsch 
lands  Weltmachtstellung  im  Frieden  und  Krieg.     Langensalza,   Julius  Beltz,    1917.     8 
98  SS.     M.  1.—. 

Foerster,  Prof.  Dr.  Fr.  W.,  und  Alexander  v.  Gleichen- Russwurm, 
Das  Reichs-Jugendwehr-Gesetz,  unter  Mitarbeit  von  Dr.  L.  Nelson.  Leipzig,  Verlag 
Naturwissenschaften  G.  m.  b.  H.,  1917.     gr.  8.     87  SS.     M.  1,80. 

Freymuth  (Oberlandesger.-R.),  A,,  Die  G.  m.  b.  H.  in  der  Rechtsprechung  der 
deutschen  Gerichte  von  1911 — 1916.  Nach  den  amtlichen  Sammlungen  und  aus  Quellen 
bearbeitet.  Köln,  Centrale  für  Gesellschaften  m.  b.  H.  Dr.  O.  Schmidt,  1917.  gr.  8. 
XLVI— 503  SS.     M.  14.—. 

Handbuch  des  kommunalen  Verfassungs-  und  Verwaltungsrechts  in  Preußen. 
Unter  Mitwirkung  von  (Geh.  Reg.-R.)  Baath  .  .  .  hrsg.  und  mitbearbeitet  von  (Abt.-Dir.) 
Prof.  Dr.  Fritz  Stier-Somlo.  9.  Lfg.  Oldenburg  i.  Gr.,  Gerhard  Stalling  Verlag,  1917. 
Lex.-8.     1.  Bd.  S.  1—160.     M.  5.—. 

Herrmann  (Rechtsanw.),  Max,  Die  Ausführungsbestimmungen  zum  preußischen 
Wassergesetze  vom  7.  IV.  1913  (enthaltend  sämtliche  königl.  Verordnungen  und  Erlasse 
sowie  ministeriellen  Anweisungen,  Verfügungen  und  Erlasse).  Anhang  zu  Herrmann : 
Preußisches  Wassergesetz.     Breslau,  Wilh.  Gottl.  Korn,  1917.    gr.  8.    139  SS.    M.  3.—. 

Hippel  (Geh.  Just.-R),  Prof.  Dr.  R.  v.,  Ueber  Recht  und  Krieg.  Rektoratsrede, 
gehalten  am  20.  VI.  1917.  (Zwischen  Krieg  und  Frieden.  Eine  Sammlung  von 
Schriften  über  die  politischen  und  wirtschaftlichen  Fragen,  die  im  künftigen  Frieden  zu 
lösen  sind.   Red. :  Dr.  Georg  HirzeL    Nr.  40  )   Leipzig,  S.  Hirzel,  1917.    8.   32  SS.   M.  0,80. 

Höfer  (Rechtsanw.),  Wilh.,  Die  Bestimmungen  des  preußischen  Wassergesetzes 
vom  7.  IV.  1913  über  den  Gemeingebrauch  an  Wasserläufen.  Göttingen,  Vandenhoeck 
«.  Ruprecht,  1917.     8.     VIII— 84  SS.     M.  1,40. 

Huth,  Th. ,  Selbstreform  des  Reichstags.  Ein  Beitrag  zur  politischen  Neu- 
orientierung.    Leipzig,  Friedrich  Schneider,  1917.     8.     16  SS.     M.  0,50. 

Leonhard,  Rud. ,  Bemerkungen  zum  Reichsjugend wehrgesetz.  Charlottenburg, 
Heinz  Barger  Verlag,  1917.     8.     29  SS.     M.  1,50. 

Löhr  (z.  Z.  Festun gsgarn.- Pf r.) ,  D.  Dr.  Joseph,  Das  preußische  allgemeine 
Landrecht  und  die  katholischen  Kirchengesellschaften.  (Görres-Gesellschaft  zur  Pflege 
der  Wissenschaft  im  katholischen  Deutschland.  Veröffentlichungen  der  Sektion  für 
Rechts-  und  Sozialwissenschaft.  Im  Auftrage  des  Vorstandes  hrsg.  von  Proff.  Drs 
Konrad  Beyerle,  Emil  GöUer,  Godehard  Josef  Ebers.  Heft  31.)  Paderborn,  Ferdinand 
Schöningh,  1917.     gr.  8.     X— 152  SS.     M.  6.—. 

Nippold,  Otfried,  Die  Gestaltung  des  Völkerrechts  nach  dem  Weltkriege. 
Zürich,  Orell  Füßli,  1917.     gr.  8.     VI— 285  SS.     M.  10.—. 

Overbeck,  Prof.  Dr.  Alfred  Frhr.  v..  Die  Kapitulationen  des  osmanischen  Reiches. 
(Zeitschrift  für  Völkerrecht,  hrsg.  von  Proff.  Drs.  Josef  Kohler  und  Max  Fleischmann. 
Beigabe  zu  Bd.  10,  Heft  3.)     Breslau,  J.  ü.  Kerns  Verlag,  1917.     8.     34  SS.     M.  0,80. 

Schlieben  (Reichskons.  a.  D.),  Dr.  H.,  Die  deutsche  Diplomatie.  Wie  sie  ist, 
wie  sie  sein  sollte.     Zürich,  Orell  Füßli,  1917.     8.     44  SS.     M.  1.—. 

Schwab,  Dr.  Gustav,  Die  rechtliche  Stellung  der  israelitischen  Religionsgemein- 
schaft in  Württemberg.   Stuttgart,  W.  Kohlhammer,  1917.    gr.  8.   VII— 109  SS.  M.  3,50. 

Steinlein,  Dr.  Andreas,  Die  Form  der  Kriegserklärung.  Eine  völkerrecht- 
liche Untersuchung.  München,  J.  Schweitzers  Verlag  (Arthur  Sellier),  1917.  gr.  8. 
144  SS.     M.  3,60. 


506     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Zolger,  Dr.  Ivan  Ritter  v.,  Der  Hofstaat  des  Hauses  Oesterreich.  (Wiener 
staatswissenschaftliche  Studien,  hrsg.  von  Edm.  Bernatzik  und  Eugen  v.  Philippovich. 
Bd.  14.)    Wien,  Franz  Deuticke,  1917.     gr.  8.    XX— 422  SS.    M.  22.—. 

Brucy,  Jean,  Les  trait^s  et  la  r^glementation  du  droit  de  la  guerre.  Thfese 
pour  le  doctorat  en  droit.     Paris,  A.  Pedone,  1917.     8.     244  pag. 

Alexander,  Marg.  C,  The  development  of  the  power  of  the  State  executive; 
with  special  reference  to  the  State  of  New  York.  Northampton,  Mass.,  Smith.  ColL  f. 
148—233  pp.     (3  p.  bibl.)     50  c. 

Hinsdale,  Burke  Aaron,  The  American  government,  national  and  State. 
New  York,  American  Book  Co.     12.     8  +  493  pp.    (4  p.  bibl.)    $  1,25. 

Magruder,  Fk.  Abbott,  American  government;  with  a  consideration  of  the 
Problems  of  democracy.     Boston,  Allyn  and  Bacon.     12.     14  +  455  +  18  p.     $  1,25. 

May,  Sir  Thomas  E.,  A  treatise  on  the  law,  privileges,  proceedings,  and  usage 
of  Parliament.  12th  ed.  Edited  by  Lonsdale  Webster.  London,  Butterworth.  Royal  8. 
XLIII— 906  pp.  52/.6. 

Herniga,  A.,  De  crisis  van  het  volkenrecht.  Harlem,  H.  D.  Tjeenk  Willink  an 
Zoon.    gr.  8.     36  blz.    fl.  0,50. 

12.  Statistik. 

Deutsches  Reich. 

Mitteilungen,  Statistische,  über  das  höhere  Unterrichts wesen  im  Eönigreick 
Preußen.  (Zentralblatt  für  die  gesamte  Unterrichtsverwaltung  in  Preußen.  Hrsg.  in 
dem  Ministerium  der  geistlichen  und  Unterriehts-Angelegenheiten.  Heft  33,  1916.) 
Berlin,  J.  G.  Cotta,  1917.    gr.  8.    107  SS.    M.  2,80. 

Statistik  des  Deutschen  Reichs.  Hrsg.  vom  Kaiserl.  Statistischen  Amte.  Bd.  281. 
1.  Teil:  Verkehr  und  Wasserstände  der  deutschen  Binnenwasserstraßen  im  Jahre 
1914.      Bearb.   im   Kaiserl.    Statistischen    Amte.     Berlin,    Puttkammer  u.    Mühlbrecht, 

1916.  32X35,5  cm.     VIII— 286  SS.     M.  5.— .) 

Schweiz. 
Bericht  betreffend  die  Hauptergebnisse  der  vom  kantonalen  statistischen  Burea« 
im  Auftrage  der  Landwirtschaftsdirektion  vorgenommenen  Ermittlungen  über  die  Schlacht- 
vieh-   und    Fleischpreise   in    24    größeren   Ortschaften    und   Städten    der   Schweiz   und 
speziell  in   der  Stadt   Bern   pro    1916.     Bern,  A.   Francke,   vorm.    Schmid   u.  Francke, 

1917.  8.     20  SS.  mit  5  Tab.     M.  0,70. 

Frankreich. 

Statistiques  du  commerce  des  colonies  fran§aises  pour  l'ann^e  1914.  Publifee« 
sous  l'administration  de  M.  Gaston  Doumergue,  ministre  des  colonies.  Tome  1''.  Statisti- 
ques gen§rales.  Colonies  d'Afrique.  Melun,  impr.  administrative.  Paris,  bureau  de 
vente  des  publications  coloniales  officielles,  1916.  8.  1240  pag.  fr.  12, — .  (Office  colonial, 
ministfere  des  colonies.) 

Statist ique  p6nitentiaire  pour  l'ann^e  1914.  Expos§  ggneral  de  la  Situation, 
des  Services  et  des  divers  Etablissements,  prEsentE  k  M.  le  garde  des  sceaux,  ministre 
de  la  justice,  par  M.  C.  Just,  directeur  de  l'administration  p§nitentiaire.  Melun,  im- 
primerie  administrative,  1916.     8.     430  pag.     (Ministfere  de  la  justice.) 

Italien. 

Annuario  statistico  italiano.  Serie  II,  vol.  V,  anno  1915.  (Direzione  generale 
della  statistica  e  del  lavoro.)  Roma,  tip.  Nazionale,  Bertero,  1916.  8.  XU,  435  p. 
1.  4.—. 

13.  Verschiedenes. 

Ratschläge  für  die  Berufswahl  im  Rechts-,  Wirt- 
schafts- und  Verwaltungsleben.  Hrsg.  von  der  Rechts- 
und Staatswissenschaftlichen  Fakultät  der  schles.  Friedrich- Wilh.-Uni- 
versität.     Tübingen  (J.  C.  B.  Mohr)   1916.     S».  83  SS.     (Preis:  M.  1.) 

Das  Heftchen  gibt  in  gedrängter  Form  eine  größere  Anzahl  von 
Vorträgen  wieder,    die    auf   einem  Berufsberatungskursus  im  Juli  1916 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes.  5Q7 

gehalten  worden  sind.  Besondere  Berücksichtigung  haben  hierbei  kriegs- 
verletzte Offiziere  und  Akademiker  gefunden.  Die  in  dem  Heftchen 
niedergelegten  Ratschläge  können  durchweg  als  den  tatsächlichen  Ver- 
hältnissen entsprechend  angesehen  werden,  insbesondere  darin,  daß  sie 
vor  übertriebenen  Hoffnungen  warnen.  Die  Schrift  sei  daher  allen  Rat- 
suchenden empfohlen. 

Weimar.  Johannes  Müller-Halle. 

Below,  Prof.  Dr.  Georg  v.,  Krieg-  und  Friedensfragen.  (Bibliothek  für  Volks- 
und Weltwirtschaft.  Hrsg. :  Prof.  Dr.  Franz  v.  Mammen.  Heft  43.)  Dresden,  „Globus" 
Wissenschaftl.  Verlagsanstalt,  1917.     gr.  8.     VII— 132  SS.     M.  2,50. 

Book,  Fredrik,  Deutschland  und  Polen.  Berechtigte  üebersetzung  aus  dem 
Schwedischen  von  Frdr.  Stieve.  München,  Hugo  Bruckmann,  1917.  gr.  8.  132  SS. 
M.  2.—. 

Borstel,  Fr.  v.,  Die  deutsche  Auslandsschule  und  die  Vorbildung  ihrer  Lehrer. 
Eine  Zukunftsfrage  für  die  Stellung  des  Deutschtums  in  der  Welt.  Im  Auftrage  des 
üniversitätsausschusses  der  Gesellschaft  der  Freunde  des  vaterländischen  Schul-  und 
Erziehungs Wesens  in  Hamburg.     Hamburg,  C.  Boysen,  1917.     gr.  8.     53  SS.     M.  1,30. 

Emin  Efendi,  Dr.  M  ehe  med,  Nationalitätsprinzip  und  Bevölkerungsaustausch. 
Eine  Studie  für  den  Friedensschluß.  Dresden,  Richard  A.  Giesecke,  1917.  8.  56  SS. 
M.  0,80. 

H  an  seh,  Prof.  Dr.  Felix,  An  der  Schwelle  des  größeren  Reichs.  Deutsche 
Kriegsziele  in  politisch-geograpischer  Begründung,  den  Wollenden  unter  seinen  deutschen 
Mitbürgern  dargelegt.  München,  J.  Lehmanns  Verlag,  1917.  Lex. -8.  IX — 234  SS.  mit 
6  Karten  im  Text.     M.  5.—. 

Penck,  Prof.  Dr.  Albr.,  U.-S.-Amerika.  Gedanken  und  Erinnerungen  eines 
Austauschprofessors.     Stuttgart,  J.  Engelhorns  Nachf.,  1917.     kl.  8.     158  SS.     M.  1. — . 

Slavicus.  Oesterreich- Ungarn  und  die  südslavische  Frage.  Bern,  Ferd.  Wyss, 
1917.     8.     31  SS.     M.  0,75. 

Stutzer  (Geh.  Stud.-R.),  Emil,  Die  deutschen  Großstädte  einst  und  jetzt.  Mit 
6  Einzelschilderungen;  Berlin,  Hamburg,  München,  Köln,  Dresden,  Leipzig.  Braun- 
schweig, Georg  Westermann,  1917.  Lex.-8.  XV— 283  SS.  mit  42  Abb.  (auf  Taf.)  und 
1  Karte.    M.  7,50. 


Jabotinsky,  Vladimir,  Turkey  and  the  war.  London,  T.  F.  Unwin.  Cr.  8. 
264  pp.     6/.—. 

Hammer,  S.  C,  William  the  Second,  as  seen  in  contemporary  documents  and 
judged  on  evidence  of  bis  own  Speeches.     London,  Heinemann.     Cr.  8.     272  pp.    5/. — . 

Headlam,  J.  W.,  The  German  chancellor  and  the  outbreak  of  war.  London, 
T.  F.  Unwin.     8.     127  pp.     3/.6. 

Marcosson,  Isaac  F.,  The  war  after  the  war.  London,  J.  Lane.  Cr.  8. 
272  pp.     5/.—. 

Radziwill,  Princess  Catherine  (Catherine  Kolb-Dan vil),  Germanf 
under  three  emperors.     London,  Cassell.     8.     16/. — . 

Seldes,  Gilbert  Vivian,  The  United  States  and  the  war.  London,  Allen 
and  Unwin.     Cr.8.     148  pp.     2/.6. 


Die  periodische  Fresse  des  Auslandes. 

A.  Frankreich. 
Journal  de  la  Societ§  de  Statistique  de  Paris.  58*  Ann§e,  Juillet  1917,  No.  7: 
Travaux  statistiques  relatifs  au  service  des  retraites  des  agents  de  la  compagnie  des 
chemins  de  fer  de  l'Ouest,  par  L.  Courtray.  —  La  douane  et  la  guerre  (2*  communi- 
cation),  par  L.  J.  Magnan.  —  Quelques  pricisions  sur  le  calcul  des  revenus,  par  Ren^ 
Pupin.  —  Chemins  de  fer  chinois  d'aujourd'hui  et  de  demain,  par  Daniel  Bellet.  —  La 
composition  du  Landtag  prussien,  par  Paul  Meuriot.  —  etc. 


508  ^®  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Journal  des  Äconomistes.  76*  Annfee,  Juillet  1917:  Le  monopole  de  l'alcool, 
par  Yves  Guyot.  —  Les  finances  de  la  Grande-Bretagne  pendant  la  guerre,  par  W.  M.  J. 
Williams.  —  Discussion  sur  l'inflation,  par  A.  Raffalovieh.  —  Le  dfeveloppement  fecono- 
mique  et  la  richesse  de  la  Roumanie,  par  Daniel  Bellet.  —  Jurisprudence  financi^re  et 
oommerciale,  par  J.  Tchernoff.  —  etc. 

B.  England. 

Century,  The  Nineteenth,  and  after.  July  1917,  No.  485:  An  Irish  settlement? 
Is  it  wise  to  establish  Home  ßule  before  the  end  of  the  war?  by  Prof.  A.  V.  Dicey.  — 
Industrial  Organisation  and  Empire,  by  George  Markgill.  —  Sea-power  and  the  armed 
neutralities  (II),  by  Francis  Piggott.  —  The  health  of  the  nation  and  the  national  In- 
surance act,  by  William  A.  Brend.  —  etc. 

Review,  The  Contemporary.  July  1917,  No.  619:  The  reform  bill  and  the  new 
era,  by  Aneurn  Williams.  —  State  purchase  of  the  liqaor  trade,  I,  by  A.  Hamilton 
Baynes ;  II,  by  H.  G.  Chancellor.  —  „Empire  resources  development"  and  Britain's  war 
debt,  by  John  H.  Harris.  —  etc.  —  August  1917,  No.  620:  America  in  the  war,  by 
S.  K.  Ratcliffe.  —  England  and  Italy,  by  Mrs.  Humphy  Ward.  —  The  new  spirit  in 
Austria,  by  H.  N.  Brailsford.  —  etc. 

Review,  The  Fortnightly.  May  1917:  The  future  frontiers  of  Turkey,  by  Thomas 
H.  Holdich.  —  America  at  war,  by  James  Davenport  Whelpley.  —  Germania  contra 
mundum,  by  Fabricius.  —  War  budgets,  by  J.  E.  Allen.  —  Our  land  laws  after  the 
war,  by  W.  S.  Haldane.  —  The  Empire  and  its  resources,  by  J.  Saxon  Mills.  —  The 
Position  of  women :  I.  The  past,  the  present  and  the  future,  by  the  Countess  of  Warwick ; 
II.  Women  and  the  next  general  election,  by  Lady  Francis  Balfour.  —  etc.  —  June 
1917:  The  father  of  German  statecraft,  by  Politicus.  —  The  war  and  women's  suffrage, 
by  Mrs.  Bailey.  —  Agrarian  reform  in  Ireland,  by  John  McGrath.  —  etc.  —  July  1917: 
Russia  and  the  peaee  danger,  by  Dr.  E.  J.  Dillon.  —  The  question  of  Alsace-Lorraine, 
by  Ernest  Lavisse  and  Christian  Peister.  —  The  revival  of  the  Arab  nation,  by  Sidney 
Low.  —  etc. 

Review,  The  National.  June  1917:  On  leagues  to  enfarce  pcace,  by  Senator 
Cabot  Lodge.  —  Sidelights  on  the  Russian  revolution,  by  Lady  Sybil  Grey.  —  etc.  — 
July  1917:  South  America  and  the  war,  by  Lady  Grogan.  —  German  efforts  and  aims 
in  Spain,  by  H.  Hamilton  Fyfe.  —  The  American  indictment  of  Hohenzollemism  (Pre- 
sident Wilson's  declarations).  —  Women  and  the  overseas  Empire  after  the  war,  by 
Madeleine  Aiston.  —  etc. 

C.  Oesterreich-Üngarn. 
Handelsmuseum,  Das.  Hrsg.  von  der  Direktion  des  k.  k.  österreichischen 
Handelsmuseums.  Bd.  32,  1917,  Nr.  27:  Wirtschaftspolitische  Uebersicht  (Ungarn, 
Deutschland,  Bulgarien,  Türkei,  Holland,  England,  Frankreich,  Rußland).  —  Der  Roh- 
seidenhandel im  Jahre  1916.  —  Die  Lage  der  deutschen  Leinenindustrie.  —  Die  Genfer 
Uhren-  und  Bijouterieindustrie.  —  etc.  —  Nr.  28:  Wirtschaftspolitische  Uebersicht 
(Ungarn,  Deutschland,  Bulgarien,  Türkei,  Schweiz,  Rußland,  Frankreich,  Italien).  — 
Der  internationale  Metallmarkt  im  Jahre  1916.  —  Die  Lage  der  Schiffahrt  in  Däne- 
mark. —  etc.  —  Nr.  29 :  Wirtschaftspolitische  Uebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Serbien, 
Polen,  Türkei,  Schweiz,  England,  Frankreich,  Italien,  Rußland,  Vereinigte  Staaten  von 
Amerika).  —  Die  Handelslage  in  Japan.  —  etc.  —  Nr.  30 :  Wirtschaftspolitische  Ueber- 
sicht (Ungarn,  Deutschland,  Polen,  Bulgarien,  Schweiz,  England,  Frankreich,  Italien, 
Rußland).  —  Internationale  Zuckerproduktion.  —  Internationale  Wollproduktion.  — 
Die  holländische  Schiffahrt  im  Jahre  1916.  —  etc.  —  Nr.  31;  Wirtschaftspolitische 
Uebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Polen,  Bulgarien,  Schweiz,  England,  Frankreich,  Italien, 
Rußland).  —  Die  „British  Trade  Corporation".  —  Die  chemische  Industrie  in  Frank- 
reich. —  etc.  —  Nr.  32:  Wirtsehaftspolitische  Uebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Polen, 
Schweiz,  Holland,  England,  Frankreich,  Italien,  Rußland).  —  Schwedische  Eisenerz- 
förderung. —  etc.  —  Nr.  33:  Wirtschaftspolitische  Uebersicht  (Ungarn,  Deutschland, 
Serbien,  Rumänien,  Türkei,  Schweden,  England,  Frankreich,  Italien,  Rußland).  —  Die 
gewerbliche  Betriebszählung  in  Deutschland.  —  Die  schwedische  Holzmasse-  und  Papier- 
industrie. —  Japans  Baumwollindustrie.  —  etc.  —  Nr.  34 :  Exportorganisationsversuche 
während  des  Krieges,  von  Dr.  Alfred  Schwoner.  —  Wirtschaftspolitische  Uebersicht 
(Ungarn,  Deutschland,   Bulgarien,  Türkei,    Schweiz,   Frankreich,    Rußland).   —  etc.   — 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  509 

Nr.  35:  Exportorganisationsversuche  während  des  Krieges  (Forts.),  von  Dr.  Alfred 
Schwoner.  —  Wirtschaftspolitidche  Uebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Bulgarien,  Serbien, 
Schweiz,  Frankreich,  England,  Italien,  Rußland).  —  Der  Außenhandel  Schwedens  im 
Kriege.  —  Die  landwirtschaftliche  Maschineuindustrie  in  Rußland.  —  Russische  Zucker- 
industrie. —  etc. 

Volkswirt,  Der  österreichische.  Jahrg.  9,  1917,  Nr.  46:  Krieg  und  Geldlehre 
(V,  Quantitätstheorie),  von  Walther  Federn.  —  Die  direkte  Gesellschaf isbesteuerung  in 
Oesterreich  (Schluß),  von  A.  L.  —  etc.  —  Nr.  47 :  Die  Notwendigkeit  der  Reform  des 
österreichischen  Gewerberechtes  infolge  des  Krieges,  von  Dr.  Emil  Heller.  —  Die  Kriegs- 
ko^ten  und  die  Geldentwertung,  von  Dr.  Alfred  Schwoner.  —  etc.  —  Nr.  48:  Krieg 
und  Geldlehre  (VI.  Liefmanns  Preis-  und  Geldtheorie),  von  Walter  Federn.  —  Die  Not- 
wendigkeit der  Reform  des  österreichischen  Gewerberechts  infolge  des  Krieges  (Forts ), 
von  Dr.  Emil  Heller.  —  etc.  —  Nr.  49:  Die  Erneuerung  des  ßankprivilegiums,  von 
W.  F.  —  Die  Notwendigkeit  der  Reform  des  österreichischen  Gewerberechts  infolge  des 
Krieges  (Schluß),  von  Dr.  Emil  Heller.  —  etc. 

F.  Italien. 

Giornale  degli  Economisti  e  Rivista  di  Statistica.  Vol.  IV,  Giugno  1917,  No.  6: 
II  mercato  monetario  e  la  guerra  (Continuazione),  di  X.  —  La  colonia  Dalmata,  di 
M.  A.  Todorovic.  —  etc. 

G.  Holland. 

Gids,  De  socialistische  Maandschrift  der  Sociaaldemocratische  arbeiderspartij. 
Jaarg.  I,  Oktober  1916,  Nr.  10:  Vrouwenkiesrecht  (II),  door  W.  M  ausholt- And reae.  — 
Enkele  gegevens  omtrent  de  Duitsche  vakbeweging  in  oorloestijd,  door  S.  J.  Pothuis.  — 
De  invloed  van  den  oorlog  op  het  bedrijfsleven  in  Frankrijk,  door  S.  R.  de  Miranda.  — 
etc.  —  November,  Nr.  11:  Vrouwenkiesrecht  (Slot),  door  Mansholt-Andreae.  —  Ont- 
wikkeling  en  organisatie  der  jonge  arbeiders,  door  P.  Voogd.  —  etc.  —  December,  Nr.  12: 
Het  ontwerp  ziektewet  Treub,  door  L.  Heijermans.  —  Kunst  en  machine,  door  Albert 
Hahn.  —  Een  nieuw  panacee  tegen  de  werkloosheid,  door  Andr.  Sternhdm.  Jaarg.  II, 
Januari  1917,  Nr.  1:  De  maatschappijleer,  door  R.  Kuyper.  —  Coliectief  arbeidscontract 
en  verplicht  lidmaatschap,  door  S.  J.  Pothuis.  —  Het  koninkrijk  Polen,  door  J.  Wei- 
ders. —  etc.  —  Februari,  Nr.  2 :  De  werkloosheidsverzekering  op  nieuwe  banen,  door 
J.  van  den  Tempel.  —  De  levensmiddelenpohtiek  in  de  middeleeuwen,  door  Dr.  J.  G. 
van  Dillen.  —  De  wet  op  den  burgcrlijken  dienstplicht  in  den  Duitschen  rijksdag,  door 
F.  van  der  Goes.  —  etc. 


Die  periodische  Fresse  Deutschlands. 

Archiv  für  innere  Kolonisation.  Bd.  9,  Jahrg.  1916/17,  Juni,  Heft  9:  Weitere 
Maßnahmen  Sachsens  zur  Förderung  der  Kriegeransiedlung,  von  (Reg.- Baum.)  Dr.  Krusch- 
witz.  —  Siedlungsfrage  und  französischer  Grundbesitz  in  Elsaß- Lothringen.  —  Moor- 
kultivierung und  -besiedlung,  von  Prof.  Dr.  J.  Teichmüller.  —  lieber  Kriegeransiedlung 
vergangener  Zeiten.  —  «tc.  —  Juli- August,  Heft  10/11:  (Die  Siedlung  in  Ungarn.): 
Die  innere  Kolonisation  in  Ungarn,  von  Dr.  Jenö  v.  Czettler.  —  Glossen  zum  ungarischen 
Kolonisationsgesetzentwurf.  —  Siedlungsarbeit  in  Siebenbürgen,  von  M.  Krammel.  —  etc. 

Archiv  für  Rechts-  und  Wirtschaftsphilosophie.  Bd.  10,  Juli  1917,  Heft  4: 
Eigentum  und  Normgewalt,  von  (Geh.  Justizr.,  ord.  Prof.)  Dr.  Josef  Kohler.  —  Versuch 
einer  Rechtsenergetik  (I),  von  (Gerich taass.)  Erich  Warschauer.  —  Legalität  und  Moralität, 
von  (Landrichter)  Dr.  Ernst  Weigelin.  —  Deutscher  Rechtsfriede,  von  (Oberlandesger.- R.) 
Dr.  Silberschmidt.  —  Die  Vollstreckungsurkunde  als  Verkehrsmittel  (I),  von  (Geh. 
Justizr.,  ord.  Prof.)  Dr.  Josef  Kohler.  —  Die  Verbesserung  der  Rechtsstellung  der  Un- 
ehelichen im  österreichischen  novellierten  Bürgerlichen  Gesetzbuch  und  ihr  weiterer 
Ausbau,  von  (Oberlandesger.-R.)  Franz  Janisch.  —  etc. 

Archiv,  Weltwirtschaftliches.  Bd.  10,  1917,  Heft  4:  Zur  Ideengeschichte  des 
englischen  Imperialismus,  von  Prof.  Dr.  J.  Hashagen.  —  Die  Grundlajfen  der  land- 
wirtschaftlichen Produktion  in  Indien.  Aus  dem  Nachlaß  von  Dr.  Wilhelm  Gerekens, 
bearb.  von  Dr.  Johannes  Pfitzner.  —  Vom  Gefrierfleisch- Weltmarkt,  von  Prof.  Dr.  Alfred 
Manes.  —  Bulgariens  Staatsfinanzen,  von  Dr.  W.  K.  Weiß- Bartenstein.  —  etc. 


510  ^®  periodische  Presse  Deutschlands. 

Außenhandel,  Deutscher.  Zeitschrift  des  Handelsvertragsvereins.  Jahrg.  17, 
1917,  Nr.  8:  Deutsche  Schuldner  liquidierter  feindesländischer  Firmen.  —  Die  Teilung 
des  Reichsamts  des  Innern.  —  Zum  Zahlungsverkehr  mit  dem  Auslande.  —  etc. 

Bank,  Die.  August  1917,  Heft  8:  Das  gute  und  das  schlechte  Geld  (III),  von 
Alfred  Lansburgh.  —  Wohnungs-Höcihstpreise,  von  Ludwig  Eschwege.  —  Bankdepositen 
mnd  Kapitalrentensteuer,  von  G.  Hübner.  —  Die  Nutzbarmachung  der  ausländischen 
Wertpapiere.  —  Kreditgenossenschaft  und  Stadtbank.  —  Kleingeldnot.  —  Gegen  die 
Borgwirtschaft.  —  etc. 

Bank- Archiv.  Jahrg.  16,  1917,  Nr.  22:  Die  Nichtigkeit  der  gegen  Kriegs- 
verordnungen verstoßenden  ßechtsgeschäfte  und  der  gutgläubige  Dritte,  von  (Ober- 
landesger.-R.,  Priv.-Doz.)  Dr.  W.  Silberschmidt.  —  Die  Entwicklung  der  deutschen  Be- 
steuerung als  Richtlinie  für  die  demnächstige  Erweiterung  derselben  (III),  von  (Kammer- 
präs.) Dr.  F.  W.  R.  Zimmermann.  —  etc.  —  Nr.  23 :  Die  Nichtigkeit  der  gegen  Kriegs- 
verordnungen verstoßenden  Rechtsgeschäfte  und  der  gutgläubige  Dritte  (Schluß),  von 
(Oberlandesger.-R.)  Dr.  W.  Silberschmidt.  —  Das  Gesetz  über  die  Gewerkschaftafähigkeit 
von  Kalibergwerken  in  Hannover,  von  Dr.  Ernst  Fleck.  —  Die  Versteuerung  aus- 
ländischer Wertpapiere  nach  ihrer  Aushändigung  im  Inlande,  von  Max  Fürst.  —  Ge- 
bäudewertsteigerung durch  den  Krieg  und  Feuerversicherung.  —  etc. 

Concordia.  Zeitschrift  der  Zentralstelle  für  Volkswohlfahrt.  Jahrg.  24,  1917, 
Nr.  16 :  Dreißig  Jahre  sozialer  Fürsorge  im  Bergischen  Lande,  von  Dr.  H.  Albrecht.  — 
Der  Wohnungsmarkt  in  deutschen  Städten  vor  und  nach  dem  Kriege.  —  Des  deutschen 
Volkes  Wille  zum  Leben,  von  (Stabsarzt  a.  D.)  Dr.  Christian.  —  Sechs  Jahre  Wohl- 
tätigkeitszentrale der  Berliner  Kaufmannschaft,  von  Gertrud  Israel.  —  Zur  Frage  der 
Mietssteigerungen.  —  etc.  —  Nr.  17:  Erhebung  über  den  Kleinwohnungsmarkt  während 
des  Krieges  und  nach  Friedensschluß  und  die  Vorbereitungen  zur  Vermeidung  einer 
Klein  Wohnungsnot  seitens  der  Baugenossenschaften  (Forts.),  von  Dr.  G.  Albrecht.  —  etc. 

Export.  Jahrg.  19,  1917,  Nr.  34 — 37:  Die  englischen  Drohungen  über  den  Krieg 
hinaus  (Forts.),  von  Dr.  R.  Jannasch.  —  Die  Leipziger  Mustermesse.  —  Die  skandi- 
navische Handels  weit  und  Wirtschaftslage.  —  Neue  Inangriffnahme  der  Kohlenreichtümer 
Spitzbergens.  —  etc. 

Jahrbücher,  Landwirtschaftliche.  Bd.  51,  1917,  Heft  2:  üeber  die  Landwirt- 
schaft des  Kreises  Cleve,  von  Dr.  Hubert  Görtz.  —  Ueber  die  Entstehungsweise  salpeter- 
und  salpetrigsaurer  Salze  in  Moorböden  (Mitteilungen  aus  dem  bakteriologischen  Labo- 
ratorium der  Moor- Versuchsstation  in  Bremen),   von  Dr.  Th.  Arnd. 

Jahrbücher,  Preußische.  Bd.  169,  September  1917,  Heft  3:  Internationale  jüdi- 
sche Beziehungen  (I),  von  Dr.  jur.  Wolfgang  Heinze.  —  Der  Kampf  zwischen  Gymnasium 
und  Oberrealschule  im  Lichte  der  modernen  Kultur,  von  (Oberlehrer)  Dr.  P.  Wust.  — 
Der  österreichisch-ungarische  Ausgleich  von  1867  (Schluß),  von  Dr.  Heinrich  Friedjung. 
—  Kriegsliteratur,  von  Dr.  Emil  Daniels.  —  Die  englische  Wahl  reform,  von  Dr.  Emil 
Daniels.  —  Der  Ministerwechsel  in  Preußen  und  im  Reiche;  Kriegs-  und  Friedens- 
parteien in  der  Welt;  Reichskanzler  und  Reichstag;  Die  Papstnote,  von  Hans  Del- 
brück. —  etc. 

Kultur,  Soziale.  Jahrg.  57,  Juli  1917,  Heft  7:  Geburten problem  und  Sozial- 
reform, von  Dr.  Paul  Beusch.  —  Der  Krieg  als  Erzieher  zur  Wirtschaftlichkeit,  von 
(Ing.)  Schulz-Mehrin.  —  Dr.  Gustav  Ruhland,  ein  konservativer  Wirtschaftspolitiker  (I), 
von  (M.  d.  R.)  Dr.  Eugen  Jaeger.  —  Neue  Aufgaben  für  das  gewerbliche  ünterrichts- 
wesen,  von  Dr.  H.  Pudor.  —  Ueber  den  Stand  der  lideikommisse  in  Preußen,  von 
A.  R.  Erlbeck.  —  Die  neuen  nordischen  Gesetze  zum  Schutze  der  Unehelichen,  von 
Henriette  Herzfelder.  —  etc.  —  August  1917.  Heft  8:  Dringliche  haudwerk^politische 
Aufgaben  nach  dem  Kriege,  von  Dr.  Alfred  Schappacher.  —  Verhältnis  der  Angestellten- 
versicherung zur  Reichsversicherungsordnung,  von  (Gerichtsassess.)  Dr.  Marcour.  —  Das 
Geld  und  die  Geld  Wirtschaft,  von  (Hofrat)  Prof.  Dr.  Schwiedland.  —  Dr.  Gustav  Ruh- 
land, ein  konservativer  Wirtschaftspolitik  er  (II),  von  (M.  d.  R.)  Dr.  Eugen  Jaeger.  — 
Ein  deutsches  Jugendgesetz,  von  Albert  Hellwig.  —  Die  Zukunft  der  deutschen  chemi- 
schen Industrie,  von  Dr.  Hans  Rost.  —  Die  volkswirtschaftliche  Bedeutung  des  Papiers, 
von  A.  R.  Erlbeck.  —  Frauenüberschuß  und  Männersterblichkeit,  von  Dr.  Matthias 
Vaerting.  —  Zur  Bekämpfung  des  Geburtenrückgangs  in  Kriegs-  und  Friedenszeiten, 
von  (Staatsanw.)  A.  Zeiler.  —  etc. 

Monatshefte,  Sozialistische.  Jahrg.  23,  1917,  Heft  16:  Das  Grundgesetz  des 
wirtschaftlichen  Wiederaufbaues,   von   Dr.  August  Müller.   —   Sir  Harry  Johnston   and 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  bW 

die  deutsche  Kolonial-  und  Weltpolitik,  von  Max  Schippel.  —  Deutschland  und  die 
Fremd  Völker  Rußlands,  von  Hermann  Kranold.  —  Berufsarbeit  und  politisches  Interesse 
der  Frau,  von  Marie  Juchacz.  —  etc.  —  Heft  17:  Das  Selbstbestimmungsrecht  der 
Nationen,  von  Hermann  Kranold.  —  Lloyd  George,  Kerensky  und  der  Frieden,  von 
Dr.  Ludwig  Quessel.  —  Die  Kolonieen  in  der  Handelspolitik,  von  Max  SchippeL  — 
Sozialpolitischer  Neubau  und  Ausbau,  von  Rudolf  Wissell.  —  Emanzipation  und  Zu- 
kunft des  Ostjudentums,  von  Leo  Rosenberg.  —  etc.  —  Heft  18:  Die  nationale  Leistung 
des  Parlamentarismus,  von  Dr.  Ludwig  Quessel.  —  Deutsch-türkische  Wirtschafts- 
beziehungen, von  Hermann  Kranold.  —  Frauenerwerbsarbeit  und  Textilindustrie,  von 
Martha  Hoppe.  —  Der  Kampf  um  den  Arbeitsnachweis,  von  Hermann  Mattutat.  —  etc. 

Oekonomist,  Der  deutsche.  Jahrg.  35,  1917,  Nr.  1809:  Zur  Finanz-  und 
Wirtschaftslage  unserer  Gegner  beim  Beginn  des  4.  Kriegsjahres  (Schluß).  —  Bewegung 
der  Sicherungs-  und  reinen  Hypotheken  in  Preußen  in  den  Rechnungsjahren  1913  und 
1914.  —  etc.  —  Nr.  1810:  Die  deutschen  Banken  im  Jahre  1916  (I),  von  Dr.  jur. 
Willy  Baecker.  —  Die  Wiederaufnahme  der  Tätigkeit  der  Zulassungsstelle.  —  etc.  — 
Nr.  1811:  Valutasorgen  unserer  Gegner.  —  Die  deutschen  Banken  im  Jahre  1916  (II), 
von  Dr.  jur.  Willy  Baecker.  —  Der  Schutz  der  zweiten  Hypotheken.  —  etc.  — 
Nr.  1812:  Neue  Entente- Anleihen.  —  Die  deutschen  Banken  im  Jahre  1916  (III),  von 
Dr.  jur.  Willy  Baecker.  —  Kriegsanleihe- Versicherung.  —  Gebäudewersteigerung  durch 
den  Krieg  und  Feuerversicherung.  —  etc. 

Plutus.  Jahrg.  14,  1917,  Heft  33/34:  Wiederaufbau  der  Ausfuhr,  von  P.  R. 
Singer.  —  Uebergangswirtschaft  (VII),  von  G.  B.  —  Der  Abschluß  des  Credit  Lyonnais, 
von  Hermes.  —  Italiens  Kriegsleiden  (Schluß).  —  etc.  —  Heft  35/36 :  Kohle.  —  Ueber- 
gangswirtschaft (VIII),  von  G.  B.  —  etc.  —  Heft  37/38:  Friedenszwang.  —  Ueber- 
gangswirtschaft (IX),  von  G.  B.  —  etc. 

Praxis,  Soziale,  und  Archiv  für  Volkswohlfahrt.  Jahrg.  16,  1917,  Nr.  46:  Zur 
Frage  der  Vereinheitlichung  der  Angestellten  Versicherung  mit  der  Arbeiterversicherung, 
von  Else  Lüders.  —  Der  englische  Hilfsdienst,  von  Dr.  Käthe  Gaebel.  —  Politik  und 
Arbeitsrecht,  von  Dr.  Bodo  Hoff.  —  etc.  —  Nr.  47:  Das  sozialpolitische  Ergebnis  der 
Kriegstagung  des  österreichischen  Reichsrates,  von  (Sektionsrat)  Dr.  Max  Lederer.  —  Der 
englische  Hilfsdienst  (Schluß),  von  Dr.  Käthe  Gaebel.  —  Bevölkerungspolitik  und 
Sozial  reform.  —  Zur  Zuständigkeit  des  Schlichtungsausschusses  des  Hilfsdienstgesetzes, 
von  (Magistratsrat)  v.  Schulz.  —  etc.  —  Nr.  48:  Psychologische  Berufsberatung,  von 
Dr.  Otto  Lipman.  —  Das  französische  Hilfsdienstgesetz.  —  Der  Arbeitsausschuß  der 
Krieger  Witwen-  und  Waisenfürsorge.  -   Lohnstatistisches,  von  (Arbeitersekretär)  F.  Kleeis. 

—  etc.  —  Nr.  49 :  Arbeitsnachweise  und  Zentralauskunftsstellen,  von  (Leiter  der  Kauf- 
männischen Stellenvermittlung  des  Verbandes  Deutscher  Handlungsgehilfen)  Gustav 
Schneider.  —  Dat<  Ergebnis  der  Getreideernte  1917.  —  Arbeitsunterbrechungen  im  Bau- 
gewerbe, von  (stellv.  Vors.  des  Deutschen  Bauarbeiterverbandes)  August  Winnig.  — 
Die  christlichen  Gewerkschaften  1916.  —  Die  Bodenpolitik  einer  Festungsstadt  im  Kriege, 
von  (Stadtrat  und  Kämmerer)  Dr.  Evert.  —  etc.  —  Nr.  50:  Freier  Arbeitsvertrag  oder 
militärischer  Arbeitszwang?  —  Bildung  von  Industrie-Räten  in  England.  —  Kriegs- 
arbeit der  Frauen  in  Bayern.  —  Die  Streikhetze.   —  etc. 

Recht  und  Wirtschaft.  Jahrg.  6,  August/September  1917,  Nr.  8/9:  Das  bar- 
geldlose Ziihlen,    von  (Dir.  der  Hypothekenbank  in   Hamburg)   Dr.  Friedrich   Bendixen. 

—  Fach- Hochschul- Kurse,  von  (Justizr.)  Dr.  Ludwig  Wertheimer.  —  Das  Fiasko 
ies  Kriegswirtsehaf  isstraf  rechts,  von  (Rechtsanw.)  Dr.  Ludwig  Bendix.  —  I>digen- 
steuer?,  von  (Kammergerichtsrat)  Dr.  Gustav  Kaiser.  —  Ausgleichsverfahren  nach  dem 
Kriege.  Ein  Vorschlag  für  die  Uebergangswirtschaft,  von  (Rechtsanw.)  Dr.  Pardo.  — 
Die  Rechtsnot  des  Kaufmanns,  von  Dr.  Theodor  Trumpler.  —  Das  Völkerrecht  im  und 
nach  dem   Kriege,  von   (Geh.  Reg.-Rat)  J.  Neuberg.  —  etc. 

Verwaltung  und  Statistik  (Monatsschrift  für  deutsche  Beamte).  Jahrg.  7,  August 
1917,  Heft  8:  Die  Leistung  der  deutschen  Eisenbahnen  im  Krieg  und  im  Frieden.  — 
Die  Prodiiktionsfähigkeit  unserer  Landwirtschaft  al«  Folge  unserer  Schutzzollpolitik.  — 
Zur  Frage  der  durchgehenden  Arbeitszeit,  von  A.  Wenzler.  —  etc. 

V  i  ertetjahrshefte  zur  Statistik  des  Deutschen  Reichs.  Hrsg.  vom  Kaiserl. 
Statist.  Amte.  26.  Jahrg.  1917,  Heft  1  :  Anordnungen  für  die  Reichsstatistik  aus  dem 
Jahre  1916.  —  Zur  Statistik  der  Preise  [A.  Großhandelspreise  wichtiger  Waren  an 
deutschen  Plätzen.  —  Durchschnittspreise  für  die  Monate  des  Jahres  1916  und  für  die 
20  Jahre  1897—1916.  —  Verhältniszahlen  für  die  Jahre   1907—1916.   —   B.    Amtlich 


5X2  ^®  periodische  Presse  Dentschlands. 

(von  Reichs-,  Staats-  bzw.  Kommunalbehörden)  festgesetzte  Höchstpreise  für  wichtige 
Lebens-  und  Verpflegungsmittel  im  Deutschen  Reiche  im  Januar  1917.  —  C.  Preise  für 
Schlachtvieh :  1.  Richtpreise  im  Deutschen  Reich  nach  den  Angaben  der  Reichs- 
Fleischstelle  nach  dem  Stande  Ende  1916.  2.  Viehpreise  im  Auslande  nach  Monaten 
und  für  die  Jahre  1911  —  1916.  —  D.  Viehpreise  im  Auslande  im  vierten  Vierteljahre 
1912 — 1916.  Anhang:  a)  Großhandelspreise  wichtiger  Waren  in  London  für  die  ein- 
zelnen Monate  der  6  Jahre  1911—1916,    b)  Jahresdurchschnittspreise   für  1886—1916.] 

—  Streiks  und  Aussperrungen.  Vorläufige  Uebersieht.  4.  Vierteljahr  1916.  —  Wein- 
mosternte 1916.  —  Bestands-  und  Kapitaländerungen  der  deutschen  Aktiengesellschaften 
(einschließlich  der  Kommanditgesellschaften  auf  Aktien)  1916.  —  Bestands-  und  Kapital- 
änderungen der  deutschen  Gesellschaften  m.  b.  H.  1916.  —  Konkursstatistik  4.  Viertel- 
jahr 1916.  (Vorläufige  Mitteilung.)  —  Bodenseefischerei  im  Jahre  1916.  —  Zur 
deutschen  Justizstatistik  1915.  —  Ergänzungs-Heft  zu  1916,  II:  Die  Geschäfta- 
ergebnisse  der  deutschen  Aktiengesellschaften  im  Jahre  1914/15.  Bearbeitet  im  KaiserL 
Statist.  Amte.  —  etc. 

Wirtschafts-Zeitung,  Deutsche.  Jahrg.  13,  1917,  Nr.  17:  Rechtsnot,  von 
(Oberverw.-Gerichtsrat,  M.  d.  R.  u.  M.  d.  A.)  Schiffer.  —  Der  Zusammenhang  zwischen 
Valutarückgang  und  Teuerung,  von  (Rechtsanw.  u.  Doz.)  Dr.  jur.  et  phil.  Dalberg.  — 
Die  Konzentration  der  großen  Banken  in  Holland.  —  etc.  —  Deutsch-Amerikanischer 
Wirtschaftsverband;  Kriegswirtschaftliche  Maßnahmen  der  Vereinigten  Staaten;  Das 
deutsche  Zahlungsverbot  gegen  die  Vereinigten  Staaten;  Amerikanische  Finanz  Wirtschaft; 
Aenderungen  des  amerikanischen  Bankgesetzeä.  —  etc. 

Zeit,  Die  Neue.  Jahrg.  35,  1917,  Nr.  20:  Belgien,  von  K.  Kautsky.  —  Die 
kurländische  Frage,  von  Alexander  Lipschütz.  —  Ketzereien  zur  Frage  der  industriellen 
Nachtarbeit,  von  H.  Schneider.  —  Die  Entwicklung  der  Mittel  des  Güterverkehrs  in 
Deutschland  und  der  Außenhandel  (Schluß).  —  etc.  —  Nr.  21 :  Belgien  (Forts.),  von 
K.  Kautsky.  —  Politik  auf  den  Zufall,  von  Ed.  Bernstein.  —  Die  Preisrevolution 
während  des  Krieges  in  der  neutralen  Schweiz,  von  Adolf  Braun.  —  etc.  —  Nr.  22 : 
Stockholm,  von  K.  Kautsky.  —  Der  Krieg  in  biologischer  Betrachtung,  von  Dr.  S. 
Drucker.  —  Die  Demokratisierung  des  Gemeindewahlrechts,  von  Richard  Schiller.  — 
Krieg  und  Zwangserziehung,  von  Hugo  Schotte.  —  etc.  —  Nr.  23:  Belgien  (Forts.), 
von  K.  Kautsky.  —  Die  Ideen  von  1914,  von  Max  Adler.  —  Zu  den  Ketzereien  zur 
Frage  der  industriellen  Nachtarbeit,  von  Rud.  Wissel.  —  etc.  —  Nr.  24:  Belgien 
(Schluß),  von  K.  Kautsky.  —  Pausenlose  Arbeitszeit,  von  Adolf  Braun.  —  Entwick- 
lungstendenzen in  der  Jugendbewegung  der  Internationale,  von  Karl  Heinz.  —  etc. 

Zeitschrift  für  die  gesamte  Versicherungswissenschaft.  Bd.  17,  September  1917, 
Heft  5:  Die  private  Unfallversicherung  Kriegsbeschädigter,  von  Prof.  Dr.  med.  Hans 
Liniger.  —  Ueber  die  verschiedenen  Bedeutungen  des  Wortes  Gefahr  im  Versicherungs- 
recht, von  Prof.  Dr.  jur.  Wilhelm  Kisch.  —  Die  Krankenversicherung  erwerbstätiger 
Kinder,  namentlich  im  Kriege,  von  Dr.  phil.  Edith  Oske.  —  Die  Grundlagen  der 
"Witwenversicherung,  von  (Mathem.  u.  Revisor)  Rudolf  Schönwiese.  —  Gründe  und 
Gegengründe  einer  Sonderversicherung  der  Angestellten,  von  (Privatdoz.)  Dr.  jur.  Walter 
Kaskel.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Kommunalwirtschaft  und  KommuuHlpolitik.  Jahrg.  7,  1917, 
Nr.  15/16:  Die  Tätigkeit  mittlerer  und  kleinerer  Gemeinden  auf  dem  Gebiet  der  Lebens- 
mittelversorgung, von  (rechtsk.  Bürgermeister)  Dr.  Herm.  Stenger.  —  Die  besonderen 
Aufgaben  der  Stadtverordneten  in  der  städtischen  Finanzverwaltung,  von  (Stadtsekr.) 
Gerling.  —  Fleischversorgung  und  Kreisschlächterei,    von  (Bürgermstr.)  Dr.  Tremöhlen. 

—  etc. 

Zentralblatt,  Deutsches  Statistisches.  Organ  der  Deutschen  Statistischen  Ge- 
sellschaft und  des  Verban.les  Deutscher  Städtestati^tiker.  Jahrg.  9,  Juli/ August  1917, 
Nr.  6:  Die  dreifache  Funktion  der  Statistik,  von  (Kreisamtmann  a.  D.)  Dr.  Emil  Wolff. 

—  Der  statistische  Begriff  der  Wohn-  und  Siedlungsdichte,  von  Dr.  O.  Kürten.  —  Die 
amtliche  Statistik  an  der  schweizerischen  Landesausstellung  1914  in  Bern,  von  (Vor- 
steher des  kantonalen  Statist.  Bureaus)  Dr.  C.  Mühlemann.  —  Städtische  Sprachorgane. 
Zur  Ausgestaltung  der  statistischen  Monatsberichte,  von  Dr.  Wilhelm  Feld.  —  etc. 


Frommannsche  Buohdruckerei  (Hermann  Fohle)  in  Jena. 


Heinrich  Waentig,  Die  Grandfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.       513 


VII. 

Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirt- 
schaft'). 

Von 
Heinrich  Waentig,  d.  Z.  Brüssel. 

n.  Das  Problem. 

Wahrlich,  politische,  nicht  wirtschaftliche.  Gründe  sind  es  ge- 
wesen, die  den  Belgiern  auf  die  Dauer  das  Zusammenwohnen  mit 
den  Holländern  in  ihrem  geräumigen  und  wohl  ausgestatteten  Hause 
unmöglich  machten.  Ja,  es  bedeutete,  worüber  man  sich  im  Feuer 
des  Gefechtes  belgischerseits  kaum  völlig  klar  geworden,  der  poli- 
tische Bruch  mit  dem  Nachbar  eine  schwere  wirtschaftliche  Schädi- 
gung gerade  der  südlichen  Provinzen.  Das  um  so  mehr,  als  die 
Blüte,  deren  sich  die  Volkswirtschaft  des  Königreiches  der  Ver- 
einigten Niederlande  in  den  letzten  Jahren  vor  Ausbruch  der  Revolu- 
tion zu  erfreuen  gehabt,  zu  einem  Teile  auf  künstlichen  Ursachen 
beruhte.  Insofern  war  sie  das  Ergebnis  einer  klugen  Politik,  die 
sich  der  natürlichen  Entwicklungsbedingungen  für  die  Erreichung 
ihrer  besonderen  Zwecke,  namentlich  der  schon  im  Interesse  der  Ver- 
schmelzung mit  dem  holländischen  gebotenen  Emanzipation  des 
belgischen  Volkes  von  der  noch  ungebrochenen  Herrschaft  des  Adels 
und  der  Geistlichkeit,  geschickt  zu  bedienen  wußte  2). 


1)  S.  oben  S.  129  fg. 

2)  Ein  Streiflicht  auf  jene  von  König  Wilhelm  verfolgte  Politik  wirft  eine  Aeuße- 
rung  Charles  Durand's:  „Soumise  par  ses  traditions,  par  ses  usages,  et  par  l'fetat  peu 
avanc6  de  ses  lumi^res,  au  double  joug  des  nobles  et  des  prßtres,  la  Helgique  avait  con- 
serv6  dans  ses  mceurs  cette  ob§issance  passive  pour  le  clerg6  qui  avait  toujours  form§ 
ses  habitudes  morales,  et  ce  profond  respect  pour  les  gentilshommes  qui  ne  permettait 
pas  au  paysan  de  considerer  comme  son  6gal  devant  la  loi  le  noble  presque  toujours 
grand  propri^taire.  Assujetti  par  caractfere  au  seigneur  et  au  cur6  alors  m^me  que  les 
lois  et  la  civilisation  avaient  tout  fait  pour  Pen  d§tacher,  le  Beige  ne  pouvait  6tre 
soustrait  ä  cette  double  influenee  que  par  deux  moyens  destin^s  ä  le  mettre  au  niveau 
des  deux  elasses  qui  l'opprimaient.  Par  les  lumi^res  et  l'instruction,  on  pouvait  d§rober 
les  esprits  Si  la  servitude  clericale;  par  le  commerce  et  l'industrie  on  pou- 
vait Clever  les  fortunes  bourgeoises  au  m^me  rang  que  les  fortunes 
aristocratiques;  et  ces  encouragemens  §taient  les  seuls  dignes  d'un  Roi  qui  voulait 
se  mettre  en  harmonie  avec  les  progrfes  du  sifecle.  Ce  fut  donc  sur  Teducation  publique 
et  sur  Pindustrie  que  Guillaume  fonda  l'emancipation  materielle  et  morale  de  son 
peuple  qui  pourtant  ne  comprit  d'abord  ni  ses  vues,  ni  ses  bienfaits."  (Dix  jours  de 
campügne  ou  la  Hollande  en  1831,  Amsterdam  1832,  p.  87.)  Gegen  die  wirtschaftliche 
Hebung  der  Massen  hatten  die  in  ihrer  einseitigen  Vorherrschaft  bedrohten  Mächte  wohl 
nicht  allzuviel  einzuwend'^n ;  um  so  mehr  gegen  die  für  sie  viel  gefährlicheren  Reformen 
auf  dem  Gebiete  der  Volksbildung. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd  54).  33 


514  Heinrich  Waentig, 

An  industriellen  Arbeitskräften  war  in  dem  übervölkerten  Lande 
von  Anbeginn  kein  Mangel  gewesen.  Die  fortschreitende  Proletari- 
sierung  der  Landbevölkerung,  die,  im  Westen  schon  frühzeitig  be- 
gonnen, sich  mit  dem  allmählichen  Dahinschwinden  der  Almenden 
und  Waldbestände  nach  Osten  zu  fortpflanzte,  lieferte  sie  in  über- 
reichem Maße.  Um  so  geringer  war  die  Menge  der  in  Belgien  selbst 
für  die  geplante  Industrialisierung  verfügbaren  Kapitalien. 

Von  dem  sprichwörtlichen  Reichtum  der  alten  Gewerbe-  und 
Handelsstädte  des  ausgehenden  Mittelalters  war  unter  der  spanischen 
Herrschaft  so  gut  wie  nichts  mehr  übriggeblieben.  Was  sich  in 
der  österreichischen  Periode  etwa  neu  davon  angesammelt,  ging 
während  der  französischen  Revolution  wieder  verloren.  Eine  zur 
Erhebung  der  Belgien  damals  auferlegten  Kriegskontribution  von 
80  Mill.  frcs.  auf  Befehl  der  französischen  Republik  1794  veran- 
staltete Einkommensstatistik  lehrte  überzeugend,  daß  nicht  etwa  das 
Bürgertum,  sondern  überwiegend  Adel  und  Geistlichkeit  die  Träger 
des  wirtschaftlichen  Wohlstandes  waren  ^).  Und  wenn  die  kurze  ge- 
werbliche Blüte  der  Kaiserzeit  die  Vermögensbildung  in  bürgerlichen 
Kreisen  begünstigte,  die  darauf  folgende  Wirtschaftskrise  dürfte  den 
größeren  Teil  des  Erworbenen  wieder  hinweggerafft  haben. 

Jedenfalls  hat  bei  dem  Wiederaufbau  des  belgischen  Wirtschafts- 
lebens holländisches  Kapital  eine  entscheidende  Rolle  gespielt.  Schon 
der  früher  geschilderte  erstaunliche  Aufschwung  Antwerpens  wäre 
ohne  die  pekuniäre  Mitwirkung  holländischer  Kaufherren  und  Reeder 
in  so  kurzer  Zeit  völlig  unmöglich  gewesen.  In  welch  hohem  Grade 
sich  König  Wilhelm  persönlich  an  allerhand  neu  gegründeten  Unter- 
nehmungen (Societe  Generale,  Nederlandsche  Handelsmaatschappij, 
Cockerillwerke  in  Seraing)  mit  seinem  Vermögen  beteiligte,  wurde 
bereits  angedeutet.  Noch  wichtiger  aber  war  für  die  allgemeine  Ent- 
wicklung, daß  einem  Teile  der  aufstrebenden  Großindustrie  auch  aus 
Staatsmitteln  nach  und  nach  sehr  erhebliche  Summen  vorgestreckt 
wurden,  deren  mit  3  Proz.  zu  verzinsender  Gesamtbetrag  sich  1830 
auf  etwa  10460000  frcs.  belaufen  haben  soll  2). 


1)  Genaueres  darüber  bei  Jan  St.  Lewinski,  L'lvolution  industrielle  de  la  Belgique, 
Bruxelles  1911,  p.  105  ff.  Das  oben  Gesagte  galt  nicht  nur  für  Brüssel,  sondern  auch 
für  die  Handelsstädte  Antwerpen  und  Gent.  In  Brüssel  ergab  die  genannte  Erhebung  als 
Gesamteinkommen  von:  Geistlichkeit  960  000  fl.,  Adel  3  888  000  fl.,  Kaufleute  1  099000  fl. 
Die  sieben  größten  Abteien  und  Klöster,  der  Herzog  von  Arenherg,  der  Graf  von  M§rode 
und  der  Herzog  von  Beaufort  verfügten  zusammen  über  ein  Vermögen,  das  ebenso  groß 
war,  wie  das  aller  Kaufleute  der  Hauptstadt.  In  Gent  verteilte  sich  die  der  Stadt  auf- 
erlegte Kontribution  von  7  Mill.  frcs.  folgendermaßen:  Geistlichkeit  4410  000  frcs., 
Adel  2  360  000  frcs..  Kaufleute  230  000  frcs.;  in  Antwerpen:  Geistlichkeit  1311000  fl., 
Adel  1032  000  fl.,  Kaufkute  541000  fl.  Auch  die  reichsten  Bürger  Antwerpens  hatten 
nicht  mehr  als  höchstens  7  000  fl.  zu  erlegen,  einige  Adlige  bis  zu  30000  fl. 

2)  Vgl.  dazu  Charles  White,  Revolution  beige  de  1830,  traduit  de  l'anglais 
sous  les  yeux  de  l'auteur  par  Miss  Mary  Corr,  Bruxelles  1836,  Tome  I,  p.  126  ff. 
Das  vorgestreckte  Kapital  sollte  ratenweise  zwischen  1830  und  1850  zurückgezahlt 
werden.  Das  war  zur  Zeit  des  Ausbruches  der  Revolution  nur  mit  856  592  frcs.  ge- 
schehen. Von  der  den  Coekerill werken  vorgeschossenen  Summe  in  Höhe  von  2  523  000  frcs. 
vraren  bis  dahin  sogar  nur  12  500  frcs.  abgezahlt  worden. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  515 

Wenn  also  in  den  letzten  Jahren  der  holländischen  Zeit  fast  tag- 
täglich neue  Unternehmungen  gegründet,  neue  Fabrikgebäude  aufge- 
richtet wurden,  so  konnten  die  damit  verbundenen  Geschäftsopera- 
tionen doch  nur  zu  oft  ohne  staatliche  Hilfe  weder  begonnen  noch 
fortgesetzt  werden.  Und  zu  dieser  finanziellen  Abhängigkeit  eines 
Teiles  der  belgischen  Industriellen  gesellte  sich  für  einen  noch  viel 
größeren  eine  andere.  Ihre  durch  allerhand  Mittel  geförderte  Produk- 
tion stand  schon  längst  in  keinem  Verhältnis  mehr  zum  wirklichen 
Landesbedarf.  Weder  die  Kohlengruben  des  Hennegau  und  der  unteren 
Maas  oder  die  Eisenminen  und  Hüttenwerke  Luxemburgs,  die  Lüt- 
ticher  Waffenfabriken,  die  Messerschmieden  von  Namur  oder  die 
Papiermühlen  von  Huy,  noch  die  Tuche  von  Verviers  oder  die  Genter 
Baumwollstoffe,  die  Linnen  von  Courtrai,  die  Teppiche  von  Tournai 
oder  die  Brüsseler  Spitzen  fanden  ihren  vollen  Absatz  in  der  engeren 
Heimat.  Frankreich,  Holland  und  Deutschland,  die  Levante,  Amerika 
und  Indien  teilten  sich  in  den  Ueberfluß.  Ohne  die  Mithilfe  der 
„Handelsmaatschappij",  die  ihre  Waren  oft  mit  Verlust  übernahm 
und  deren  Ausfuhr  vermittelte,  hätten  viele  Unternehmer  ihren  Be- 
trieb einstellen  und  ein  Drittel  ihrer  Arbeiter  entlassen  müssen. 

Geradezu  wie  eine  Probe  auf  das  Exempel  mußte  die  Wirtschafts- 
krise erscheinen,  die  als  natürliche  Folge  der  revolutionären  Wirren 
Belgien  seit  1880  heimsuchte.  Daß  Brüssel,  der  politische  Mittel- 
punkt der  ganzen  Aufstandsbewegung,  der  Schauplatz  mehrtägiger, 
blutiger  Straßenkämpfe  und  immer  erneuter  innerer  Unruhen,  vor- 
wiegend davon  ergriffen  wurde,  ist  selbstverständlich.  Schon  in 
den  ersten  Tagen  stockte  dort  jede  Geschäftstätigkeit.  Das  Geld 
zirkulierte  nicht  mehr,  der  Kredit  setzte  aus.  Und  da  die 
Arbeit  ruhte,  den  ärmeren  Klassen  daher  ihr  Unterhalt  fehlte,  stieg 
das  Elend  mit  reißender  Schnelligkeit.  Zwar  erbot  sich  die  Regent- 
schaft, in  der  Umgebung  der  Stadt  Notstandsarbeiten  zu  veranstalten; 
aber  die  Handwerker,  an  eine  sitzende  Lebensweise  gewöhnt,  weigerten 
sich,  sie  zu  verrichten;  und  die  es  taten,  ergaben  sich  dem  Trünke. 
Später,  als  die  Entscheidung  sich  immer  länger  hinzog,  lebte  der 
Verkehr  allmählich  wieder  auf.  Aber  die  in  den  Läden  aufgestellten 
Waren  ermangelten  der  Leuchtkraft  und  Frische.  Man  kaufte  nur 
das  Notwendigste.  Zwangsanleihen  und  Kontributionen  lasteten  auf 
der  Einwohnerschaft,  deren  Leiden  durch  die  fortgesetzten  militäri- 
schen Einquartierungen  noch  erhöht  wurden  ^). 


1)  White,  a.  a.  O.  T.  1,  p.  379  f. ;  T.  2.  p.  297  ff.;  p.  301  ff.  Bezeichnend  ist 
folgende  Schilderung  dieses  Autenzeugen,  der  als  Sekretär  des  englischen  Bevollmächtigten 
Ponsonby  die  ganze  Revolution  in  Brüssel  miterlebte:  „Lcs  rues  §taient  tristes  et  dfeeries; 
les  promenades  publiques  et  les  lieux  ordinairement  fr^quentls  ^taient  abandounes  ou 
anira^s  par  quelques  groupes  de  politiques  gesticulaots.  Les  classes  les  plus  riches  sem- 
blaient  avoir  abaudonn§  la  ville,  pour  la  livrer  aux  pauvres  qui,  par  centaines,  sp^ciale- 
ment  les  femmes,  meitaient  les  passants  ä  coniribution.  Les  hötels  des  nobles  §taient 
ferm^s,  et  des  affiehes,  placfees  sur  chaque  porte,  annonfaient  qu'ils  6taient  vides  ou  k 
louer.  Les  fiacres  traversaient  5a  et  lä  les  rues,  mais  on  ne  voyait  plus  une  seule  voi- 
ture  de  maltre.  L'herbe  commenjait  ä  croitre  dans  les  places  publiques,  au  centre  des- 
quelles  on  voyait  des  axbres  de  la  libert§,  d'une  triste  v^gltation,  surmontls  de  chapeaux 

33* 


516  Heinrich  Waentig, 

Aber  auch  aus  den  wichtigsten  Provinzstädten  kamen  recht  be- 
unruhigende Nachrichten,  besonders  aus  Antwerpen.  Am  27.  Oktober 
von  den  Holländern  in  Brand  geschossen,  durchlebte  es  schwere  Tage. 
Mochte  die  von  König  Wilhelm  als  Kriegsmaßregel  verhängte  Scheide- 
sperre auch  bereits  im  Januar  des  folgenden  Jahres  wieder  aufge- 
hoben werden,  die  allgemeine  Unsicherheit  lähmte  jeden  Unternehmungs- 
geist. Die  früher  aus  Holland  zugewanderten  Reeder  und  Kaufleute 
verließen  das  ungastliche  Land,  ihre  Kapitalien  und  Schiffe  mit  sich 
von  dannen  nehmend.  Aber  auch  belgische  Firmen  scheinen  damals 
die  Flinte  ins  Korn  geworfen  und  sich  an  diesem  Auszuge  beteiligt  zu 
haben.  „Vor  1830",  erklärte  später  der  Experte  de  Cock  in  der 
Handels-  und  Gewerbeenquete  von  1840,  „konnte  die  belgische  Handels- 
flotte es  mit  der  Mehrzahl  derer  der  anderen  Länder  aufnehmen. 
Als  die  Trennung  von  Holland  uns  dann  der  Kolonien  beraubte, 
mußten  die  meisten  belgischen  Schiffe  mit  hohem  Tonnengehalt  aus- 
wandern. So  hat  unser  Haus  9  Schiffe  fortgesandt;  13  sind  ihm  ver- 
blieben. Alle  Reeder  haben  nur  Schiffe  in  diesem  Verhältnis  be- 
halten" 1). 


et  de  banniferes  en  lambeaux,  §l§vant  leur  t^te  flßtrie."  Brüssels  Lage  war  um  so 
schlimmer,  als  es  schon  damals  ein  ausgesprochenes  Luxuszentrum  war.  Wie  später  m 
Beginn  des  Weltkrieges,  machten  sich  auch  beim  Ausbruch  der  revolutionären  Wirren 
viele  der  reichen  Leute,  in  erster  Linie  der  Adel,  schleunigst  aus  dem  Staube,  zogen 
sich  auf  ihre  Schlösser  zurück  oder  flüchteten  ins  Ausland  und  überließen  die  ärmeren 
Mitbürger  ihrem  Schicksal.  Das  war  um  so  seltsamer,  als  der  belgische  Adel,  mit 
wenigen  Ausnahmen,  oranjistisch  gesinnt  war,  also  den  König  und  seine  Regierung 
hätten  verteidigen  müssen.  „L'aristocratie  beige",  berichtete  White,  „dont  la  portion  la 
plus  riebe,  ä  peu  d'exception  pr^s,  appartient  au  parti  orangiste,  fut  de  tout  temps 
remarquabie  par  ses  habitudes  d'^conomie,  par  son  amour  de  l'argent,  par  le  peu  de 
propension  qu'elle  a  pour  cette  hospitalit§  franche  et  g§n§reuse  qui  caract^rise  l'aristo- 
cratie de  Paris,  de  Londres  et  des  autres  capitales.  Plus  occup^s  d'augmenter  leur 
fortune,  que  de  contribuer  au  plaisir  de  leurs  egaux  ou  It  la  prosp§rit6  de  leurs  inf&- 
rieurs,  ils  montraient  une  Economic  presque  parcimonieuse  et  ce  n'fetait  que  rarement 
qu'on  voyait  r§gner  chez  eux  le  luxe  et  la  profusion  .  .  .  La  r^volution  fournit 
k  cette  classe  un  admirable  prfetexte  pour  se  livrer  k  ses  habitudes 
naturelles  d'§conomie;  en  cons^quence,  eile  produisit  le  double  r^sultat  d'aug- 
menter leur  fortune,  tout  en  ajoutant  k  la  misfere  et  au  m^contentement  des  classes  in- 
f§rieures  et  aux  embarras  des  autorit^s  loeales  par  la  diminution  des  demandes  de  travail 
et  du  produit  des  octrois  municipaux,  dont  une  partie  6tait  consacr§e  au  soulagement 
des  pauvres.  Pour  mieux  remplir  ses  vues,  la  plus  grande  partie  de 
l'aristocratie  se  transporta  dans  les  pays  §trangers,  ou  se  renferma 
dans  ses  chäteaux,  tan  dis  que  ceux  qui  ren  trai  ent  dans  la  capitale,  te- 
nant  leurs  portesferm6es,habitantuncoin  de  leurs  h6tels,renvoyaient 
leurs  §quipages  et  la  plus  grande  partie  de  leurs  domestiques,  et 
bornaient  leur  d^pense  au  strict  n^cessaire." 

1)  Situation  commerciale  et  industrielle  de  la  Belgique.  Enqußte  parlementaire 
Institute  en  1840,  Premiere  partie,  p.  426.  Von  anderer  Seite  wird  berichtet,  daß  1830 
etwa  30  bis  35  Fregatten  zu  500  bis  1200  t  Antwerpen  verlassen  und  nach  Holland 
übergesiedelt  seien.  Vgl.  Discussion  de  la  loi  des  droits  differentiels  du  21  juillet 
1844,  Bruxelles  1844,  p.  471.  Baron  van  den  Bogaerde  gibt  eine  Liste  der  während 
der  Revolution  von  Antwerpen  nach  den  Nordprovinzen  abgewanderten  Schiffe.  Danach 
wären  19  Reedereien  mit  50  Schiffen  zu  24  730  t,  angeblich  etwa  drei  Viertel  der  da- 
maligen belgischen  Handelsmarine,  daran  beteiligt  gewesen.  Die  in  Antwerpen  verbleiben- 
den Schiffe  waren  klein;  denn  sie  maßen  zusammen  nur  7112  t.  Vgl.  dazu  A.  J.  L 
Baron   van   den  Bogaerde   de  Ter-Brugge,    Essai   sur   l'importance  da  commerce,   de    1 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  5]^7 

Auch  in  Gent  und  Tournai,  Namur  und  Lüttich  stockten  Handel 
und  Wandel.  Bergwerke,  Hochöfen  und  Fabriken  feierten  oder 
schafften  nur  mit  halber  Kraft.  Cockerill  sah  sich  gezwungen, 
Hunderte  seiner  Arbeiter  zu  entlassen.  Und  soweit  die  Stellenlosen 
nicht  im  Heeresdienst  oder  in  der  Landwirtschaft  unterkamen,  fielen 
sie  samt  ihren  Familien  der  öffentlichen  Armenpflege  zur  Last. 
Ueberall  in  den  Städten  das  gleiche  trostlose  Bild.  Nur  auf  dem 
Lande  schien  man  nichts  von  den  wirtschaftlichen  Rückwirkungen 
der  Revolution  zu  verspüren.  Der  Wirbelsturm,  der  einen  Thron 
über  den  Haufen  geworfen,  der  Bürgerkrieg,  der  Gewerbe  und  Handel 
in  ihren  Grundfesten  erschüttert,  ließ  die  reichen  und  fruchtbaren 
Ebenen  Belgiens  mit  ihren  Saaten  und  Herden  unberührt.  Ja,  Bauern 
und  Grundbesitzer,  die  wohl  am  meisten  klagten,  gediehen  allein  in 
der  allgemeinen  Misere,  wenn  sie  nicht  gerade  ihre  früheren  Haupt- 
einkünfte aus  den  jetzt  eingestellten  Lieferungen  (Holz  und  Holz- 
kohle) an  die  Bergwerke  und  Eisenhütten  von  Namur,  Lüttich  und 
Luxemburg  bezogen  hatten.  „Tout  etait  calme,  riche  et,  en  apparence, 
prospere.    Un  air  d'abondance  et  de  bonheur  regnait  partout"  ^). 

„Will  man  nur  einen  Embryo  von  Staat  bestehen  lassen,  ohne 
Freiheit  der  Scheide,  ohne  Französisch-Flandern,  ohne  Luxemburg 
und  ohne  das  Land  um  Maestricht,  wie  in  aller  Welt  sollen  wir  leben 
können  ?"  schrieb  Charles  Rogier  im  Dezember  1830  an  seinen  Bruder 
Firmin.  Und  ähnliche  Bedenken  wurden  bei  den  Verhandlungen 
des  in  Brüssel  tagenden  Nationalkongresses  und  in  Denkschriften 
der  Kaufmannskreise  von  Lüttich  und  Gent  geäußert,  in  denen  man 
ziemlich  unverblümt  die  Erhaltung  des  Bundes  mit  Holland  forderte. 
Eröffnete  nun  der  Londoner  Präliminarvertrag  der  XVIII  Artikel 
(16.  Juni  1831)  Belgien  auch  keinerlei  Aussichten  auf  westliche  Ge- 
bietserweiterungen, so  schien  ihm  darin  doch  der  unverkürzte  Besitz 
von  ganz  Limburg  und  Luxemburg  einigermaßen  gesichert. 

Die  plötzliche  Wiedereröffnung  der  Feindseligkeiten  durch  Hol- 
land zerstörte  jedoch  diese  Hoffnung.  Nur  durch  englich-französische 
Hilfe  vor  einer  vernichtenden  Niederlage  bewahrt,  sah  man  sich  ge- 
nötigt, in  die  weit  ungünstigeren  Bedingungen  des  Friedensvertrages 


navigation  et  de  l'industrie  dans  les  provinces  formant  le  royaume  des  Pays-Bas, 
depnis  les  temps  les  plus  reciil§s  jusqu'ä  1830,  La  Haye  et  Bruxelles  1845,  Tome  III, 
p.  161  ff. 

1)  White  a.  a.  O.  Tome  II,  p.  292  f.,  301.  „La  vente  des  produits  de  ragricul- 
ture  se  faisait  mieux  que  les  ann§es  prfec§dentes.  En  consequence,  le  prix  de  grains, 
du  b^tail  et  des  fourrages,  ainsi  que  de  la  main  d'oeuTre,  augmenta  consid§rablement ; 
de  Sorte  que  le  producteur  s'en  richissait,  tandis  que  le  consomma- 
teur  seul  souffrait.  C'est  un  fait  notoire,  que  teile  6tait  ramfelioration  de  la  condi- 
tion  des  fermiers,  teile  fetait  la  quantitfe  des  demandes  et,  par  une  heureuse  coincidence, 
Celle  des  produits,  que  plusieurs  propri§taires  qui,  depuis  deux  ou  trois  ans,  n'avaient 
pas  touchS  le  montant  de  leurs  fermages,  re5urent  tout  d'un  coup  tout  Tarri^rfe  qui 
leur  ^tait  du;  en  sorte  qu'ä  mesure  que  le  commerce  et  la  fabrique  souffraient,  la 
Taleur  des  biens-fonds  augmentait ;  car  ceux  qui,  dans  d'autres  circonstances,  eussent 
plac^  leurs  capitaux  dans  des  sp^culations  commereiales,  les  employaient  de  prfef§rence 
ä  des  achats  de  terres."  Also  genau  dieselben  Zustände  wie  später  zur  Zeit  des  Welt- 
krieges. 


^Jg  Heinrich  Waentig, 

der  XXIV  Artikel  (14.  Oktober  1831)  zu  willigen.  Man  verlor  den 
östlichen  Teil  von  Limburg  und  Luxemburg,  übernahm  die  Hälfte 
der  gemeinsamen  öffentlichen  Schuld  und  erklärte  sich  grundsätzlich 
auch  mit  der  Erhebung  eines  Scheldezolles  durch  Holland  einver- 
standen, wofür  man  die  freie  Benutzung  der  Rhein  und  Scheide 
verknüpfenden  Binnengewässer  garantiert  erhielt.  Dagegen  war  von 
einer  Aufrechterhaltung  der  bisherigen  Handelsbeziehungen  zu  den 
holländischen  Kolonien,  auf  dem  gleichen  Fuße  wie  früher,  keine 
Rede  mehr. 

Sonderbarerweise  weigerte  sich  Holland,  diese  Vorschläge  anzu- 
nehmen. Mit  Waffengewalt  mußten  im  Dezember  1832  seine  Land- 
und  Seestreitkräfte  von  Frankreich  und  England  aus  Antwerpen 
hinausgeworfen  werden.  Hoffte  etwa  König  Wilhelm  seine  Gegner 
durch  wirtschaftliche  Isolierung  schließlich  doch  noch  mürbe  zu 
machen,  als  er  in  der  auf  der  Basis  des  Status  quo  abgeschlossenen 
und  durch  die  belgisch-holländische  Uebereinkunft  vom  18.  Novem- 
ber 1833  bekräftigten  Londoner  Konvention  vom  21.  Mai  1833  ver- 
sprach, sie  wenigstens  nicht  mehr  militärisch  anzugreifen,  ja,  ihnen 
sogar,  unter  gewissen  Kautelen,  die  Benutzung  der  Maas  auf  hollän- 
dischem Gebiete  zu  gestatten  ?  Jedenfalls  herrschte  seitdem  zwischen 
beiden  Ländern  ein  Waffenstillstand.  Erst  der  Londoner  Friedens- 
traktat vom  19.  April  1839,  ergänzt  durch  den  die  mancherlei  Einzel- 
heiten regelnden  belgisch-holländischen  Vertrag  vom  5.  November 
1842,  machte  ihm  ein  Ende^). 

In  Belgien,  wo  man  sich  bereits  in  die  neuen  Verhältnisse  ein- 
zuleben begonnen,  bedeutete  sein  Abschluß  eine  arge  Enttäuschung  2). 
Aber  was  half  es,  daß  man  sich  erregte,  daß  Gendebien  sein  be- 
rühmtes „Nein,  dreimalhundertachtzigtausend  Mal  nein!  Für  drei- 
malhundertachtzigtausend  Belgier,  die  Ihr  der  Furcht  opfert!"  in 
die  Debatte  schleuderte?  Mit  58  gegen  42  Stimmen  wurde  der 
schmerzliche  Verzicht  schließlich  von  der  Kammer  ausgesprochen. 
Fühlte  man  doch,  daß  man  zu  Ende  kommen  müsse. 


1)  Damals  saß  König  Wilhelm  I.  bereits  nicht  mehr  auf  dem  holländischen  Throne. 
Mehr  und  mehr  war  er  auch  in  seinem  Heimatlande  sehr  unpopulär  geworden,  hatte 
am  7.  Oktober  1840  der  Krone  entsagt,  eine  belgische  Katholikin,  die  Gräfin  d'Oultre- 
mont,  geheiratet  und  sich,  im  Besitz  eines  ungeheuren  Vermögens,  nach  Berlin  zurück- 
gezogen, wo  er  schon  am  12.  Dezember  1843  verstarb. 

2)  Schwere  Bedenken  gegen  die  Abtretung  des  östlichen  Teiles  der  Provinz  Lim- 
burg an  Holland  wurden  vereinzelt  auch  deutscherseits  erhoben.  So  beispielsweise  von 
dem  damals  an  der  Universität  Löwen  tätigen  Professors  B.  A.  Arendt  in  seinem  Buche 
„Die  Interessen  Deutschlands  an  der  belgischen  Frage"  (gleichzeitig  französisch  unter  dem 
Titel  „Des  interßts  de  FAllemagne  dans  la  question  beige  avec  des  documenta  sur  l'^tat 
et  l'importance  de  l'industrie  et  des  chemins  de  fer  en  Belgique"  erschienen),  Brüssel 
und  Leipzig  1839.  Der  Verfasser  betont  darin,  Deutschland  dürfe  in  seinem  eigensten 
Interesse  nicht  gestatten,  daß  die  Grenze  zwischen  beiden  Ländern  durch  Abtretung  des 
Limburger  Gebietes  an  Holland  auf  wenige  Kilometer  Länge  eingeengt  werde,  da  Bel- 
gien dadurch  gezwungen  werde,  sich  in  Frankreichs  Arme  zu  werfen.  Wenn  hier  der 
französische  Einfluß  maßgebend  sei,  obschon  ein  großer  Teil  der  Nation  die  Annäherung 
an  Deutschland  vorziehe,  so  liege  die  Schuld  an  diesem.  Denn  es  habe  alles  getan  und 
tue  es  noch,  um  sich  Belgien  zu  entfremden.     (A.  a.  O.  S.  43  ff.) 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  519 

Um  ein  wirtschaftlich  wichtiges  Gebiet  (Holz  und  Eisen),  eine 
blühende  Handelsstadt  (Maestri cht)  und  rund  336000  Einwohner 
ärmer  ^),  mit  einer  jährlichen  Rente  von  5  Mill.  fl.  holländischer  Wäh- 
rung beschwert,  zu  der  sich  noch  die  durch  Gesetz  vom  5.  Juni  1839 
freiwillig  übernommene  Verpflichtung  gesellte,  die  Holland  zuge- 
billigten Scheidezölle  zur  Entlastung  der  Schiffahrt  aus  staatlichen 
Mitteln  zu  erlegen,  ging  Belgien  aus  seinem  Ringen  um  politische 
Freiheit  hervor.  Doch  mit  jenem  unzerstörbaren  Selbstvertrauen, 
das  dieses  kleine  Volk  vor  allen  anderen  auszeichnet,  hatte  es  bereits 
den  Kampf  um  seine  wirtschaftliche  Existenz  aufgenommen. 

Diese  Periode  politischer  Festigung  und  ökonomischer  Selbstbe- 
sinnung, die  mit  der  Ablösung  der  Scheidezölle  und  Belgiens  Ueber- 
gang  zum  Freihandel  ihren  Abschluß  findet,  fällt  fast  genau  mit 
der  Regierungszeit  seines  ersten  Königs,  Leopold  I.  von  Sachsen- 
Coburg  (1831 — 1865),  zusammen.  Deutscher  Prinz  von  Geblüt,  doch 
russischer  Offizier  während  der  Freiheitskriege;  durch  seine  Heirat 
mit  der  früh  verstorbenen  Prinzessin  Charlotte  von  Wales  naturali- 
sierter Brite  und  gefühlsmäßig  englischem  Leben  zugeneigt,  durch 
seinen  längeren  Aufenthalt  in  Paris  und  später  als  Schwiegersohn 
Louis-Philippe's  auch  mit  französischem  Wesen  wohlvertraut;  gern 
gelitten  an  allen  Höfen  Europas  und  mit  manchem  ihrer  führenden 
Staatsmänner  eng  befreundet  ^),  war  er,  im  Gegensatz  zum  beschränkten 
Holländertum  seines  Vorgängers,  ein  europäisch  eingestellter  Geist 
der  seinem  Lande  gerade  dadurch  die  wichtigsten  Dienste  geleistet 
hat.  Wie  er  von  sich  sagen  konnte,  daß  er  „Europa  und  die  Masken, 
die  es  regieren",  besser  kenne  als  die  Minister  des  Königs  von 
Frankreich,  war  er  befähigt,  das  belgische  Staatsschiff  sicherer  als 
irgendein  anderer  durch  die  Klippen  zu  steuern,  die  es  während 
seiner  Regierung  mehr  als  einmal  ernstlich  bedrohten. 

Einfach  in  seinen  Bedürfnissen,  doch  vielseitig  in  seiner  Bildung, 
schnell  in  der  Auffassung,  doch  gründlich  im  Urteil,  Menschen- 
kenner, ohne  Menschen  Verächter  zu  sein,  ein  geschickter  Unter- 
händler und  auch  in  wirtschaftlichen  Dingen  wohlbeschlagen,  ohne 
krämerhaft  in  ihnen  aufzugehen,  hat  er  den  Beweis  erbracht,  daß 
auch  ein  streng  konstitutionell  regierender  Fürst  bestimmenden  Ein- 
fluß auf  die  Abwicklung  der  Staatsgeschäfte  gewinnen  kann.  Nach 
Tradition  und  Lebensführung  erhaben  über  die  triviale  Bürgerweis- 
heit seines  Schwiegervaters,  der,  auf  Guizot  gestützt,  Franzosen  des 
neunzehnten  Jahrhunderts  nach  der  Maxime  „Ils  ont  beau  faire,  ils 


1)  Die  Ziffer  läßt  sich  nicht  exakt  bestimmen,  doch  handelt  es  sich  etwa  um  Vis 
der  früheren  Bevölkerung.  Der  Flächenverlust  betrug  3268  qkm,  d.  i.  etwa  Vio  ^^ 
ursprünglichen  Gebietes. 

2)  Das  gilt  namentlich  von  Thiers,  dessen  Briefwechsel  mit  dem  Könige  kürzlich 
veröffentlicht  worden  ist.  Vgl.  Lettres  de  Leopold  I,  roi  des  Beiges,  ä  Adolphe  Thiers 
(1836 — 1864),  publikes  avec  un  avertissemeht  et  des  notes  par  M.  de  Lanzac  de  Laborie, 
in  der  Pariser  Halbmonatsschrift  „Le  Correspondant"  vom  10.  Dez.  1916,  S.  830  ff., 
vom  25.  Dez..  1916,  S.  1078  ff.  und  vom  10.  Jan.  1917,  S.  101  ff. 


520  Heinrich  Waentig, 

ne  m'empecheront  pas  de  mener  mon  fiacre"  regieren  zu  können 
glaubte  und  —  darüber  zugrunde  ging,  hatte  er  eine  hohe  Mei- 
nung von  seiner  Aufgabe,  an  der  ihn  nicht  zum  mindesten  ihre 
Schwierigkeit  gereizt  hatte,  und  war  ehrlich  bestrebt,  die  freiwillig 
übernommenen  Pflichten  gewissenhaft  zu  erfüllen,  ohne  sich  doch 
von  den  ihm  gewährten  Rechten  auch  nur  ein  Titelchen  rauben  zu 
lassen.  So  hat  er  denn  oft  das  Zünglein  an  der  Wage  gebildet  und 
namentlich  in  den  Fragen  der  Diplomatie  den  Ausschlag  gegeben  ^). 
Entscheidend  freilich  war  er  nicht;  am  wenigsten  bei  diesem 
Volke,  das  sich  soeben  erst  mit  schweren  Opfern  seine  politische 
Unabhängigkeit  errungen  hatte  und  auf  alle  Fälle  fest  enschlossen 
war,  sich  selbst  zu  regieren.  Daß  es  dieses  erst  lernen  mußte,  war 
seinen  wirtschaftlichen  Interessen  nicht  gerade  förderlich,  zumal  es, 
wenigstens  in  der  ersten  Zeit,  an  überragenden  Persönlichkeiten  mit 
eigenen  Ideen  fehlte.  Auch  die  Revolution  hat  solche  Männer  nicht 
zutage  gefördert.  Aus  Masseninstinkten  geboren,  denen  Einzelne 
Worte  verliehen,  wurde  ihr  Ziel  von  den  Massen  erkämpft  und 
mit  ihrem  Blute  erkauft.  Die  zum  geringeren  Teil  dem  katholischen 
Adel,  zum  größeren  dem  liberalen  Kleinbürgertum  entstammenden 
geistigen  Führer  der  Bewegung  haben  gerade  in  den  kritischen  Tagen 
vielfach  eine  wenig  rühmliche  Rolle  gespielt.  Mit  ihren  „größeren 
Zwecken"  sind  sie  dann  gewachsen,  und  es  ist  zu  verwundern,  wie 
verblüffend  schnell  dies  geschah,  wovon  Charles  Rogier  ein  typisches 
Beispiel  ist.  Doch  begegnet  man  auch  später  unter  den  Berufs- 
politikern keinem  wirtschaftlich  schöpferischen  Geiste^). 

1)  Nur  einmal,  im  Frühjahr  1857,  scheint  er  ernstlich  geschwankt  zu  haben,  ob 
es  ihm  nicht  gestattet  sei,  aus  seiner  konstitutionellen  Rolle  herauszutreten,  da  er  die 
von  ihm  beschworene  Verfassung  von  der  Gegenseite  verletzt  glaubte.  Damals  sollen 
im  Ministerrate  die  folgenden  Worte  gefallen  sein:  „C'est  la  mort  du  regime  parlemen- 
taire.  Vous  comprenez  cela,  Messieurs,  vous  comprenez  qu'aujourd'hui,  28  mai,  on  a 
cl6tur§  le  regime  parlementaire,  on  a  violfe  la  Constitution ;  oui,  on  a  viol§  la  Constitu- 
tion. J'ai  tenu  mon  serment  depuis  vingt-six  ans;  on  vient  de  m'en  d^gager.  Qu'on 
ne  l'oublie  pas . .  ."  Der  Konflikt  endete  schließlich  mit  einem  Kompromiß,  indem  die 
Regierung  den  der  Opposition  mißliebigen  Gesetzentwurf  freiwillig  zurückzog.  Genaueres 
darüber  bei  Theodore  Juste,  Leopold  I  et  Leopold  II,  rois  des  Beiges,  leur  vie  et  leur 
rfegne,  ßruxelles  1878,  p.  291  ff.  Vgl.  hierzu  auch  Guizot,  La  Belgique  et  le  roi  Leo- 
pold en  1857,  in  der  Revue  des  deux  Mondes,  27.  Annee,  2.  P§riode,  Tome  X, 
1857,  p.  481  ff.  lieber  den  König  im  allgemeinen  vgl.  Ch.  Faider,  Leopold  I  et  la 
royaut§  beige,  in-  Bulletins  de  l'Academie  royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux- 
art8  de  Belgique,  35.  Ann^e,  2.  S§rie,  Tome  XXI,  1866,  p.  457  ff.,  und  Ch.  Woestc,  Le 
roi  Leopold  I,  9a.  politique,  in  der  Revue  g&nirale,  5.  ann^e,  BruxeUes  1869,  p.  394  ff. 

2)  Amüsant  ist  eine  Schilderung,  die  der  englische  Parlamentarier  Emerson  Ten- 
ncnt  1840  von  einem  Besuche  bei  dem  damaligen  Minister  des  Innern,  Liedts,  entwirft. 
Er  findet  ihn  „dans  une  suite  d'appartements  trös  ^llgants  et  bien  sup^rieurs  ä  ccux 
qu'occupent  nos  ministres  dans  Downing-Street",  erhält  aber  weder  von  ihm,  noch  von 
Rogier  einen  günstigen  Eindruck.  Und  doch  hat  letzterer,  aus  kleinsten  Verhältni^en 
hervorgegangen,  sich  allmählich  zu  einem  durchaus  beachtenswerten  Staatsmann  ent- 
wickelt, der  in  der  Zeit  von  1832 — 1868  der  Reihe  nach  Minister  des  Innern,  der 
öffentlichen  Arbeiten,  des  öffentlichen  Unterrichts  und  der  schönen  Künste,  stellver- 
tretender Kriegsminister  und  Minister  der  auswärtigen  Angelegenheiten  gewesen  is»  und 
in  der  politischen  Geschichte  seines  Landes  einen  guten  Namen  hinterlassen  hat.  (Vgl. 
Emerson  Tennent,  Notes  d'un  voyageur  anglais  sur  la  Belgique,  traduit  de  l'anglais  par 
P.  M.  Justin,  BruxeUes  1841,  Tome  I,  p.  178  ff.)    Eine  wenig  schmeichelhafte  Schilde- 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  521 

Fehlte  es  so  in  den  ersten  Jahrzehnten  unstreitig  an  führenden 
Persönlichkeiten,  so  wäre  die  klare  Orientierung  der  politischen 
Parteien  um  so  wichtiger  gewesen.  Leider  waren  auch  sie  erst  in 
der  Bildung  begriffen.  Als  „de  Peau  benite  en  ebullition"  hatten  die 
Lästermäuler  der  Pariser  Salons  die  belgische  Revolution  verspottet. 
Ein  großer  Irrtum !  Denn  ohne  die  Mitwirkung  der  liberalen  Presse 
und  ihrer  Gönner,  der  Advokaten,  wäre  sie  wohl  nie  zustande  ge- 
kommen. Gerade  die  Einigkeit  beider  Richtungen  hatte  ihr  unwider- 
stehliche Stoßkraft  verliehen.  Wohlgemerkt,  Einigkeit  in  der  Ne- 
gation des  Bestehenden,  wennschon  ohne  rechte  Klarheit  über  das, 
was  man  beiderseits  an  dessen  Stelle  setzen  wollte  ^).  Erst  das  unaus- 
weichliche Ringen  mit  den  Fragen  des  praktischen  Lebens  führte 
hierin  allmählich  einen  Wandel  herbei. 

Die  ,,Union",  die  sich  im  gemeinsamen  Kampfe  gegen  Holland 
herausgebildet,  blieb  zunächst  noch  bestehen.  Neutrale  Beamten- 
ministerien, ohne  klaren  politischen  Charakter,  führten  die  Staats- 
geschäfte, die  ihren  wesentlichen  Inhalt  durch  die  alles  andere  be- 
herrschenden Fragen  der  Diplomatie  erhielten.  Die  Stellungnahme 
zu  ihnen  bedingte  dann  auch  die  Gruppenbildung  im  Kongreß  und 
später  in  den  Parlamenten.  Ob  man  die  zur  Festigung  des  neuen 
Staates  ergriffenen  Maßnahmen  der  Regierung  unterstützen  oder  be- 
kämpfen wollte,  war  das  Entscheidende  für  die  Spaltung  in  „Ge- 
mäßigte" und  „Radikale". 

Leidlich  lebensfähig,  solange  die  von  außen  drohende  Gefahr 
nicht  endgültig  beschworen  war,  begann  der  unnatürliche  Bund  seit 
1839  innerlich  zu  zerfallen.  Damit  gleichzeitig  verschwanden  all- 
mählich auch  die  oranjistischen  Gruppen,  die,  ohne  größeren  Einfluß 
auf  den  Gang  der  Ereignisse,  da  und  dort  im  Lande  ihr  Dasein  ge- 
fristet und  gelegentlich  wohl  auch  den  öffentlichen  Frieden  gestört 
hatten.  Erstmalig  im  Jahre  1833,  bei  der  Erörterung  des  staat- 
lichen Volksschulunterrichts  leise  angedeutet,  erfuhr  der  latente 
Gegensatz  zwischen  „Liberalen"  und  „Katholiken"  in  den  folgenden 

rang  von  den  führenden  Männern  der  Revolution  entwirft  Durand  in  seinem  oben  er- 
wähnten Buche  Dix  jours  de  campagne,  p.  46  ff.  Die  Darstellung  ist  tendenziös,  läßt 
aber  keinen  Zweifel  darüber,  daß  es  sich,  mit  wenigen  Ausnahmen,  um  ziemlich  un- 
bedeutende Menschen  handelt. 

1)  Das  galt  auch  in  politischer  Hinsicht,  namentlich  von  den  Liberalen,  während 
die  Wünsche  der  klerikalen  Elemente  naturgemäß  auf  die  Wiederherstellung  ilirer  durch 
hundertjährige  Tradition  gefestigten  Machtstellung  gerichtet  waren.  „£n  Belgique  comme 
en  France",  so  schildert  Wilmotte  den  politischen  Geisteszustand  der  30er  Jahre,  „il  y 
a  autant  de  lib§ralismes  que  d'hommes  sup^rieurs  ou,  du  moins,  pensant  par  eux-mSmes. 
II  y  a,  par  exemple,  ä,  Paris,  le  liberalisme  de  Benjamin  Constant,  qui  est  une  forme 
tr&s  relev§e  de  l'^goisme  social;  il  y  a  le  libferalisme  de  classe,  celui  de  M.  Guizot  et 
de  plusieurs  de  ses  amis,  pour  qui  la  bourgeoisie  devait  etre  tout  pour  tous,  sinon  tout 
pour  elle-meme;  il  y  a  encore  le  lib§ralisme  de  theorie  ä  la  ßoyer  Collard  et  le  lib§- 
ralisme  de  sentiment  h,  la  fagon  de  Lamartine.  £t  de  m^me,  en  Belgique,  Charles  Ro- 
gier,  Gendebien,  Devaux.  Lebeau,  Van  de  Weyer  Itaient  loin  de  s'accorder  sur  toutcs 
les  questions.  Et  voilä  pourquoi  ils  savaient  bien  ce  qu'ils  ne  voulaient 
pas,  mais  ils  gtaient  plus  embarrass§s  d'exprimer  et  de  r^aliser  ce 
qu'ils  voulaient."  (Vgl.  Maurice  Wilmotte,  La  Belgique  morale  et  politique 
(1830—1900),  Bruxelles  1902,  p.  34.) 


522  Heinrich  Waentig, 

Wahlkämpfen  eine  immer  schärfere  Ausprägung,  um,  mit  dem  Weg- 
fall des  äußeren  Druckes,  seit  1840  klar  hervorzutreten. 

Der  gutgemeinte  Versuch,  das  Land  von  da  ab  durch  Koalitions- 
ministerien regieren  zu  lassen,  die  sich  zu  etwa  gleichen  Teilen  aus 
hervorragenden  Vertretern  beider  Parteien  zusammensetzten,  erwies  sich 
nach  kurzer  Probe  völlig  undurchführbar.  Im  Parlamente  gezwungen, 
sich  im  wesentlichen  auf  eine  klerikale  Majorität  zu  stützen,  ander- 
seits in  der  Politik  ihrer  heterogenen  Zusammensetzung  Rechnung 
zu  tragen,  scheiterten  die  einander  schnell  ablösenden  Ministerien 
sämtlich  an  inneren  Konflikten  i).  Ein  Systemwechsel  schien  darum 
unvermeidlich.  Er  wurde  1846  durch  die  Berufung  des  rein  klerikalen 
Kabinetts  de  Theux  vollzogen.  Schon  aber  waren  seine  Tage  ge- 
zählt. Bis  in  die  Mitte  der  40er  Jahre  in  der  Minderheit,  gewannen 
die  Liberalen  dauernd  an  Boden.  Die  Wahlen  des  Jahres  1847 
endeten  mit  ihrem  Siege.  Mit  kurzen  Unterbrechungen  führten  sie 
während  der  nächsten  Jahrzehnte  die  Staatsgeschäfte.  Ein  Ministe- 
rium Rogier  eröffnete  den  Reigen. 

Verfassungspolitisch  von  entscheidender  Bedeutung,  hat  die  Ver- 
schärfung der  Parteigegensätze  wirtschaftspolitisch  nur  eine  unter- 
geordnete Rolle  gespielt.  Ganz  belanglos  freilich  war  sie  keineswegs. 
Nicht,  daß  die  miteinander  ringenden  Mächtegruppen  von  Anbeginn 
über  ein  klar  umrissenes  Wirtschaftsprogramm  verfügt  hätten;  die 
klerikale  Majorität  etwa  grundsätzlich  für  Schutzzölle,  die  Liberalen 
einseitig  für  den  Freihandel  eingetreten  wären.  Daß  man  sich  zu- 
nächst schutzzöUnerisch  orientieren  müsse,  ward  bei  der  allgemeinen 
Wirtschaftslage  von  keiner  Seite  bestritten;  wohl  aber  gingen  die 
Meinungen  über  das  Maß  des  zu  gewährenden  Schutzes  und  die 
dabei  anzuwendenden  Mittel  auseinander. 

Gleich  mißtrauisch  gegenüber  dem  „kalvinistischen"  Holland, 
dem  „jakobinischen"  Frankreich  und  dem  „protestantischen"  Preußen, 
waren  die  Klerikalen  bestrebt,  das  katholische  Land  auch  ökonomisch 
isoliert  zu  erhalten.  Daß  es  sich  selbst  genüge,  war  ihr  Ideal,  sollte 
es  dabei  auch  materiell  zu  leiden  haben.  Mit  geheimem  Unbehagen 
beobachteten  sie  daher  alle  Versuche,  die  Handelsbeziehungen  zwischen 
Belgien  und  den  angrenzenden  Gebieten  inniger  zu  gestalten.  Gerade 
in  dieser  Richtung  aber  bewegten   sich   die  Wünsche  der  Liberalen, 


1)  Eine  kurze  Darstellung  dieser  Verfassungskämpfe  gibt  fimile  Banning  in  seiner 
Abhandlung  „Histoire  parlementaire  depuis  1830"  (Patria  Belgica,  Encyclop§die  Natio- 
nale, herausgegeben  von  Eugene  van  Bemmel,  Bruxelles  1873,  Tome  II,  p.  473  ff.,  be- 
sonders p.  484  ff.).  Ein  besonders  krasser  Konfliktsfall  war  der  im  folgenden  mitge- 
teilte: „M.  Nothomb  fit  d'^loquents  appels  ä  la  concorde;  mais  Tanarchie  penfetrait 
dans  le  ministfere  lui-mßme.  Lorsque,  voulant  faire  droit  ä  un  grief  legitime  de  ses 
adversaires,  il  proposa  de  confier  au  gouvemement  la  nomination  des  membres  du  jury 
universitaire,  la  chambre  assista  ä,  un  etrange  spectacle:  M.  Deehamps  combattit, 
comme  d§put6,  et  fit  ^chouerune  mesure  importante  §manee  de  l'ini- 
tiative  du  ehef  du  cabinet;  puis  il  alla  reprendre  sa  place  au  banc 
minist^riel.  Cet  incident  annonjait  la  fin  du  syst&me;  la  dfeunion  qui  paralysait 
le  pouvoir,  se  produisait  d'ailleurs  quotidiennement  dans  le  parlement  sur  une  large 
Schelle"  (p.  488). 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  523 

mochten  sie  nun  im  industriellen  Interesse  die  zollpolitische  An- 
gliederung  an  Frankreich  fordern,  oder  im  kommerziellen  die  Be- 
günstigung des  deutschen  Durchfuhrhandels  befürworten.  Daß  sie 
dann  mit  dem  Siege  des  Freihandelsgedankens  seit  Mitte  der  40er 
Jahre  zu  dessen  Herolden  wurden,  lag  in  der  Natur  der  Dinge. 

Je  weniger  man  sich  nun  in  der  ersten  Zeit  bei  der  Festlegung 
von  Richtlinien  für  die  nationale  Wirtschaftspolitik  von  prinzipiellen 
Erwägungen  leiten  ließ,  um  so  größer  war  der  Einfluß  gewisser 
Stimmungsmomente.  Eine  Sonderstellung  unter  den  Nachbarn 
Belgiens  nahm  Frankreich  ein,  das,  ein  Meisterstreich  der  englischen 
Diplomatie,  seit  dem  9.  August  1832  durch  die  junge,  schöne  und 
liebenswürdige  Königin  Louise-Marie  von  Orleans  im  Lande  vertreten 
war  1).  Hatten  alte  Kulturbeziehungen  einen  günstigen  Boden  für  jeder- 
lei Annäherungsversuche  geschaffen,  so  wirkte  die  Erinnerung  an  die 
Zeit  der  napoleonischen  Herrschaft  in  der  gleichen  Richtung.  Naiv 
verwechselte  man  die  Chancen,  die  das  Kaiserreich  der  belgischen 
Industrie  geboten,  mit  den  Aussichten,  die  sich  ihr  im  Falle  einer 
wirtschaftlichen  Angliederung  an  das  Königreich  eröffnen  würden. 
Unvergessen  blieben  dem  französischen  Volke  ferner  die  Dienste, 
die  es  als  Lehrmeister  und  Schutzherr  der  belgischen  Freiheit  durch 
seine  Verbannten  und  Sendlinge  vor,  durch  seine  Generäle  und  Diplo- 
maten während,  durch  seine  Offiziere  und  Beamten  nach  der  Re- 
volution geleistet  hatte  ^).  Talleyrand's  zynische  Versuche,  das  Mündel- 
kind an  England  zu  verraten,  waren  wohl  nur  den  wenigsten  bekannt 
geworden.  Trotzdem  schienen  unter  den  belgischen  Frankophilen  die 
auf  eine  politische  Annexion  an  Frankreich  hinarbeitenden  Elemente 
vom  Schlage  Gendebien's  bei  weitem  in  der  Minderzahl,  während 
man  in  wirtschaftlicher  Hinsicht  aus  guten  Gründen  bis  an  die 
äußerste  Grenze  des  durch  die  politische  Selbsterhaltung  Gebotenen 
zu  gehen  bereit  war. 

Kühler  betrachtete  man  von  Anbeginn  den  östlichen  Nachbar, 
obschon  man  mit  dem  Rheine  und  den  süddeutschen  Städten  bis  in 
die  ferne  Vergangenheit  zurückreichende  Handelsbeziehungen  unter- 
halten hatte,   die  namentlich   in  der  holländischen  Zeit  wieder  auf- 


1)  Die  Heirat  war  ein  Werk  Lord  Palmerston's  und  wurde  von  ihm  bereits  im 
Januar  1831  mit  dem  belgischen  Bevollmächtigten  Van  de  Weyer  vertraulich  erörtert, 
als  es  sich  darum  handelte,  die  Kandidatur  des  Herzogs  von  Nemours  durch  die  des 
Prinzen  Leopold  von  Sachsen-Coburg  zu  ersetzen,  Louis- Philippe  zu  versöhnen  und  die 
frankophile  Partei  in  Belgien  zu  beschwichtigen.  Alle  diese  Zwecke  wurden  tatsächlich 
erreicht. 

2)  Allerdings  diente  gleichzeitig  gerade  das  Einströmen  zahlreicher  Franzosen 
nach  Belgien  zur  Ernüchterung,  da  sie  sich  in  den  ihnen  eingeräumten  einträglichen 
Stellen  der  Militär-  und  Zivilverwaltung  oder  der  Privatindustrie  oft  nicht  bewährten. 
Auch  verwandelte  das  dadurch  hervorgerufene  Gefühl  der  inneren  Abhängigkeit  von 
Frankreich  die  freundschaftlichen  Gefühle,  die  man  ihm  gegenüber  gehegt,  vielfach  in 
ihr  Gegenteil.  Damals  entstand  der  Ausdruck  „Fransquillon",  angewandt  auf  in  Belgien 
lebende  Franzosen,  die  sich  im  Privatleben  oder  im  öffentlichen  Dienst  auf  Kosten  des 
Landes  zu  bereichem  suchten.  Er  wurde  dann  später  auch  auf  franzosenfreundliche 
Belgier,  besonders  flämische  Abtrünnlinge,  ausgedehnt.  Vgl.  B.  A.  Arendt,  Belgische 
Zustände.  Mainz  1837,  S.  84  ff. 


524  Heinrich  Waentig, 

gelebt  waren.  In  der  Tat  hatte  Preußen  während  der  belgischen 
Revolution  im  Vereine  mit  Oesterreich  und  Rußland  eine  wenig 
glückliche  Rolle  gespielt,  Holland  im  Kampfe  gegen  den  Abtrtinn- 
ling  mit  Waffengewalt  unterstützen  wollen  und  sich,  als  diese  unter 
englisch-französischem  Schutze  unvermeidlich  geworden,  an  der  Be- 
gründung des  neuen  Königreiches  nur  widerwillig  beteiligt.  Auch 
Presse  und  Wissenschaft,  beide  mit  Blindheit  geschlagen,  wüteten 
gegen  den  belgischen  Umsturz  und  vertieften  den  Gegensatz  zu 
dem  jungen  Staate,  den  sie  als  wirtschaftlichen  Bundesgenossen 
gegen  das  anmaßliche  Holland  hätten  willkommen  heißen  sollen  ^). 
Der  am  1.  Januar  1834  ins  Leben  tretende  preußisch-deutsche  Zoll- 
verein schuf  eine  neue  Lage.  Blieben  ihm  auch  die  außer  der 
Rheinprovinz  Belgien  nächstgelegenen  deutschen  Gebiete,  Hannover 
und  Oldenburg,  und  die  für  den  Seeverkehr  wichtigen  Handelsstädte 
vorläufig  noch  fern,  so  bildeten  seine  18  Staaten  mit  23  Mill.  Ein- 
wohnern doch  ein  geschlossenes  Wirtschaftsgebiet,  groß  genug,  um 
als  Markt  dem  französischen  die  Wage  zu  halten.  Darüber  war 
man  sich  belgischerseits  im  klaren.  Deutsche  Schriftsteller,  die  seit 
Ende  der  dreißiger  Jahre  aus  eigener  Anschauung  über  die  inner- 
belgischen Zustände  berichteten,  namentlich  auch  auf  die  Bedeutung 
des    flämischen   Stammes    verwiesen,   wirkten   vermittelnd*^).    Nicht 


1)  Jedenfalls  war  die  preußische  Diplomatie  jener  Tage  schlecht  beraten.  Wie 
später  gelegentlich  die  deutsche  (Japan !),  ließ  sie  sich  in  der  belgischen  Frage  von 
persönlichen  Gefühlen  und  politischen  Velleitäten,  anstatt  von  einer  nüchternen  Erwägung 
der  Tatsachen  leiten  und  verstand  es  nicht,  sich  mit  guter  Manier  in  das  Unvermeid- 
liche zu  finden,  worin  ihr  die  englische  unendlich  überlegen  war.  Auch  diese  hatte 
zunächst  nur  eine  Verwaltungstrennung  gutgeheißen,  dann  aber  rasch  die  entscheidende 
Schwenkung  vollzogen  und  der  neuen  Lage  ihre  beste  Seite  abzugewinnen  gewußt. 
Tatsächlich  hätte  sich  Preußen  noch  viel  eher  darein  schicken  können,  da  die  etwaigen 
politischen  Nachteile  der  eingetretenen  Entwicklung  durch  die  damit  verbundenen  wirt- 
schaftlichen Vorteile  mehr  als  aufgewogen  wurden.  Wie  für  England,  bedeutete  auch 
für  Deutschland  die  Spaltung  eine  wirtschaftliche  Schwächung  beider  Hälften  und 
brachte  ihm  überdies  den  unschätzbaren  Gewinn,  Antwerpen  jetzt  gegen  Rotterdam  aus- 
spielen zu  können,  wie  sich  bald  zeigen  sollte.  Erbitternd  wirkte  in  Belgien  nament- 
lich Professor  F.  H.  Ungewitters  Geschichte  der  Niederlande  von  dem  Zeitpunkte  ihrer 
Entstehung  bis  auf  die  neueste  Zeit  und  ausführliche  Schilderung  der  belgischen  Revo- 
lution von  ihrem  Ausbruche  bis  zum  Ende  des  Jahres  1831,  2  Bände,  Leipzig  1832. 
„En  Allemagne",  bemerkt  Nothomb  in  der  Vorrede  der  zweiten  Auflage  seines 
grundlegenden  Buches  über  die  belgische  Revolution,  „des  hommes  graves  sont 
descendus  dans  l'arfene.  M.  le  professeur  Ungewitter  a  recueilli  en  deux  volumes  in 
octavo  tout  ce  que  la  presse  opposante  a  hasard6  depuis  1830  et  il  n'a  pas  craint 
d'attacher  son  nom  k  cette  informe  production."  Allerdings  fehlte  es  auch  nicht  an 
Versuchen,  der  belgischen  Revolution  sachlich  gerecht  zu  werden.  Erwähnt  sei  die 
Broschüre  „Noch  ein  Wort  über  die  holländisch-belgische  Frage"  (Hamburg  1832),  die 
von  Nothomb  dem  Freiherrn  Karl  August  v.  Wangenheim  zugeschrieben  und  als  die 
unbedingt  bemerkenswerteste  Schrift  bezeichnet  wird,  die  in  Deutschland  während  der 
Revolution  zugunsten  Belgiens  veröffentlicht  worden  sei.  (Vgl.  Nothomb,  Essai  histori- 
que  et  politique  sur  la  r^volution  beige,  4e  Edition,  Bruxelles  1876,  Tome  I,  p.  41 
u.  46.)     Sie  ist  in  der  Tat  vortrefflich. 

2)  Zu  erwähnen  sind  in  dieser  Hinsicht  namentlich  W.  A.  Arendt,  Belgische  Zu- 
stände, Mainz  1837;  Johann  Wilhelm  Löbell,  Reisebriefe  aus  Belgien  mit  einigen 
Studien  zur  Politik,  Geschichte  und  Kunst,  Berlin  1837;  W.  A.  Arendt,  Die  Interessen 
Deutschlands    an    der    belgischen    Frage,    Brüssel    und   Leipzig   1839.      Die    Disktusion 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  525 

Zügellosigkeit  und  Ränkesucht,  sondern  „das  seit  Jahrhunderten  in 
den  Belgiern  lebendige  Bedürfnis  nach  unabhängiger  Nationalität, 
nach  selbständigem  Bestehen"  bezeichneten  sie  übereinstimmend  als 
das  treibende  Motiv  der  belgischen  Revolution. 

Nicht  mit  leidenschaftlicher  Feindseligkeit,  wie  Holland,  wohl 
aber  mit  nüchterner  Skepsis  stand  man  wirtschaftlich,  schon  aus 
geschichtlichen  Gründen,  Großbritannien  gegenüber,  obwohl 
man  politisch  von  ihm  in  den  Sattel  gehoben  worden  war  und  in  dieser 
Hinsicht  auch  weiter  auf  seine  Unterstützung  glaubte  rechnen  zu 
können.  Aber  man  kannte  die  Danaer  und  fürchtete  sie,  auch  wenn 
sie  mit  vollen  Händen  kamen.  So  gab  man  sich  denn  von  Anfang 
an  keiner  Täuschung  darüber  hin,  daß  sich  das  englische  Kabinett 
bei  seiner  Stellungnahme  zur  belgischen  Revolution  wesentlich  auch 
von  wirtschaftlichen  Erwägungen  hatte  leiten  lassen  ^) ;  und  dieses 
Mißtrauen  verstärkte  sich,  je  tiefer  man  sich  in  die  Winkelzüge 
der  britischen  Handelspolitik  versenkte.  Daß  die  ökonomische  Ent- 
wicklung beider  Länder  als  Export-Industriestaaten  sich  in  der 
gleichen  Richtung  bewegen,  ihre  Handelsinteressen  also  vielfach 
miteinander  in  Konflikt  geraten  mußten ;  daß  England  als  überlegene 
Seemacht,  unter  rücksichtsloser  Aufrechterhaltung  seines  Schutzzoll- 
systemes, seine  schwächeren  Konkurrenten  durch  Schiffahrtsverträge 
auf  Gegenseitigkeit  zu  betören  suchte  und  unter  dem  äußeren  Scheine 


wurde  noch  lebhafter,  als  der  Abschluß  eines  belgisch-deutschen  Handels-  und  Scbiff- 
fahrtsvertrages  in  greifbare  Nähe  rückte.  Vgl.  dazu  Fr.  Heeren,  Zusammenstellung 
technisch-statistischer  Bemerkungen  über  die  Industrie  des  Königreiches  Belgien  und 
die  letztjährige  Gewerbeausstellung  in  Brüssel,  gesammelt  auf  einer  im  Auftrage  des 
königlich  hannoverschen  Ministeriums  des  Handels  und  der  Finanzen  im  Herbst  1841 
gemachten  Reise  in  Belgien,  Hannover  1842;  Gustav  Höfken,  Belgien  in  seinen  Ver- 
hältnissen zu  Frankreich  und  Deutschland  mit  Bezug  auf  die  Frage  der  Unterschei- 
dungszölle für  den  Zollverein,  Stuttgart  und  Tübingen  1845;  Ignaz  Kuranda,  Belgien 
seit  seiner  Revolution,  Leipzig  1846;  Gustav  Höfken,  Flämisch  Belgien,  Bremen  1847; 
Adolf  Helfferich,  Belgien  in  politischer,  kirchlicher,  pädagogischer  und  artistischer  Be- 
ziehung, Pforzheim  1848,  usw. 

1)  Das  wurde  mit  besonderer  Rücksichtslosigkeit  in  seiner  Streitschrift  von  Durand 
ausgesprochen.  „L'Angleterre",  bemerkt  er,  „dont  la  politique  a  toujours  6te  de  ne 
Jamals  s'associer  li  un  Systeme  g§n§ral,  mais  de  se  contenter  de  stipuler  ses  int§r6ts 
propres  tantöt  avec  une  puissance  qu'elle  combattait  la  veille,  tantöt  avec  une  autre 
qu'elle  doit  abandonner  le  lendemain,  l'Angleterre  exploita  ^  sa  manifere  les  troublcs 
des  Pays-Bas.  Jalouse  de  la  Belgique  qui  produisait  trop,  et  qui  commenyait  ä  prendre 
rang  parmi  les  premiöres  nations  manufacturi^res  du  monde,  la  Grande- Bretagne  r§solut 
de  terminer  cette  r^volution  k  son  avantage,  et  de  placer  son  lieutenant  en  Belgique 
pour  gouverner  ce  pays,  afin  de  le  d§tourner  ä  tout  prix  de  la  glorieuse  carriöre  dans 
laquelle  il  entrait  avec  tant  d'§clat."  (Dix  jours  de  campagne,  p.  70  i.)  Gegen  diese 
Unterstellung  sucht  White  (Revolution  beige  de  1830,  Tome  I,  p.  135  ff.)  seine  Regierung 
in  Schutz  zu  nehmen,  indem  er  betont,  ein  Land  von  der  wirtschaftlichen  Ueberlegen- 
heit  und  den  unerschöpflichen  Hilfsquellen  Großbritanniens  habe  das  Königreich  der 
Vereinigten  Niederlande  als  Konkurrenten  unter  keinen  Umständen  zu  fürchten  gehabt; 
doch  habe  das  englische  Kabinett  kriegerische  Verwicklungen  unbedingt  vermeiden 
wollen  und  seine  Politik  danach  eingerichtet.  Das  mag  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
zutreffen.  Doch  steht  außer  Zweifel,  daß  der  belgisch-holländische  Zwillingsstaat 
für  Großbritanniens  Kolonial-  und  Handelsinteressen  eine  ernste  Gefahr  hätte  werden 
können.  Vor  allem  hätte  sich  im  Falle  seiner  Erhaltung  wohl  Afrikas  Zukunft  ganz 
anders  gestaltet. 


526  Heinrich  Waentig, 

einer  Gleichgewichtspolitik  im  Grunde  doch  nur  einen  Handelskrieg 
betrieb,  wurde  von  maßgebender  Seite  offen  ausgesprochen.  „Pensez- 
vous,  Messieurs",  fragte  einer  der  Abgeordneten  am  13.  März  1834 
in  der  Debatte  über  das  Staatsbahngrundgesetz  ironisch,  „que 
l'Angleterre  ait  soutenu  notre  revolution  pour  d'au- 
tres  motifs,  que  pour  ses  propres  interets?  Ce  serait 
nourrir  une  etrange  deception.  L'independance,  la  li* 
berte  des  autres  peuples  ne  lui  valent  pas  une  obole 
quand  eile  n'espere  pas  en  profiter.  Quand  les  revolutions 
lui  presentent  un  cote  favorable  ä  ses  interets  materiels,  alors  eile 
fait  etalage  de  principe  de  liberte  et  d'independance  nationale.  Vous 
connaissez  les  faits  qui  se  sont  passes  sous  vos  yeux  depuis  quarante 
ans.  Interrogez  ses  dernieres  guerres  sur  le  continent,  les  revolu- 
tions des  colonies  de  PAmerique  meridionale,  de  la  Grece,  du  Portu- 
gal, d'Espagne,  de  Pologne  et  la  votre,  et  vous  serez  satures  de  con- 
viction"  ^). 

Das  waren  die  handelspolitischen  Faktoren,  mit  denen  man  zu 
rechnen  hatte.  Daß  es  von  vornherein  mit  Glück  geschehen  wäre, 
wird  keiner  behaupten  wollen.  „Un  depute  ne  peut  pas  voter 
par  pieces  detachees",  erklärte  in  der  Kammersitzung  vom  14.  Mai 
1839  der  Abgeordnete  de  Foere.  „II  doit  avoir  des  principes  qui 
reglent  sa  conduite  parlementaire.  Malheureusement  c'est 
par  parties  isolees  et  incoherentes  que  le  ministere  a 
jusqu'ä  present  procede.  Jamais  aucun  Systeme  com- 
mercial  n'a  ete  offertäla  discussion.  II  en  resulte  non 
seulement  des  anomalies  choquantes  dans  notre  politique  commerciale; 
mais  cet  etat  continuel  d'hesitation  et  d'absence  de  fixite  jette  l'in- 
dustrie,  le  commerce  et  la  navigation  du  pays  dans  la  plus  de- 
plorable  incertitude.  Ils  ignorent,  s'il  faut  avancer  ou  reculer"  ^). 
In  der  Tat,  ganz  von  verfassungspolitischen  Fragen  beherrscht,  ließ 
man  sich  wirtschaftlich  von  Fall  zu  Fall  durch  den  Wechsel  der 
Bedürfnisse  treiben,  ohne  grundsätzlich  dazu  Stellung  zu  nehmen. 
Die  Folge  hiervon  war  ein  planloses  Durcheinander  sich  kreuzender 
Maßnahmen,  deren  Prinzip  zu  entdecken,  niemand  imstande  ge- 
wesen wäre. 

Aus  der  Hinterlassenschaft  des  Königreichs  der  Vereinigten 
Niederlande  hatte  Belgien  ein  gemäßigtes  Schutzzollsystem  über- 
nommen^).    Unter  dem  Einfluß  der  Krise  begannen  Landwirtschaft 

1)  Moniteur  Beige  vom  13.  März  1834.  Vgl.  auch  Discussion  de  la  loi  des  droits 
diffirentiels  du  21  juillet  1844,  Premiere  partie,  p.  53,  109  ff. 

2)  Moniteur  Beige  vom   15.  Mai  1839. 

3)  Maßgebend  waren  noch  immer  die  früher  erwähnten  Gesetze  vom  12.  Juli  1821 
und  vom  26.  August  1822.  Artikel  2  des  erstgenannten  Gesetzes  verfügte:  „L'eleva- 
tion  du  droit  sera  fix6e  de  maniöre  que,  d'une  part,  eile  ne  puisse  avoir  des  cons§- 
quencea  fächeuses  pour  la  prosp§rit§  du  commerce  ou  präsenter  le  danger  de  devenir 
un  trop  grand  appät  ä  lafraude;  et  que,  de  l'autre  part,  eile  puisse  off rir  la  protection 
n^cessaire  ä  l'industrie  nationale  contre  la  concurrence  §trang6re.  Le  maximum  des 
droits  tant  sur  l*entr§e  que  sur  la  sortie  pourra  etre  port§  pour  des  objets  qui  se  ratta- 
ohent  d'une  mani^re    imm^diate   aux   produits  de   Tindustrie  indlg^ne  ä  6^/q   et  pour 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  527 

und  Gewerbe  um  die  Wette  dagegen  Sturm  zu  laufen.  Ein  Gesetz 
vom  16.  Dezember  1831,  das  zunächst  die  Metallindustrie  bedachte, 
erwies  sich  als  bloße  Abschlagszahlung.  Ackerbau  und  Textil- 
industrie verlangten  und  erhielten  ihr  Teil  durch  das  Gesetz  vom 
31.  Juli  1834,  das  den  Kornproduzenten  eine  gleitende  Zollskala 
nach  Maßgabe  der  wechselnden  Preisgestaltung,  dem  Leinengewerbe 
auf  das  Zehnfache  erhöhte  feste  Tarifsätze  gewährte. 

Während  man  so,  halb  ohne  es  zu  wollen,  mit  vollen  Segeln 
einem  autonomen  Hochschutzzollsystem  entgegensteuerte,  begann  man 
seit  1831,  wie  es  hieß  aus  „Dankbarkeit",  die  Einfuhr  französischer 
Kohlen  zu  erleichtern  und  die  seit  1823  geltenden  Kampfzölle  auf 
französische  Weine  und  Spirituosen,  Irden-  und  Glaswaren,  Woll- 
stoffe und  Modeartikel  wieder  abzubauen,  womit  man  1838  glück- 
lich zu  Ende  kam.  Das  bedeutete  eine  auffällige  Schwenkung  nach 
Westen,  die  durch  eine  wichtige  währungspolitische  Maßregel  noch 
unterstrichen  wurde.  Gewiß  war  das  Geldsystem,  wie  man  es  bei 
Begründung  des  neuen  Staates  vorgefunden  hatte,  auf  die  Dauer 
nicht  haltbar.  Zirkulierten  doch  im  Lande  frei  nebeneinander  außer 
den  holländischen  Münzen  auch  solche  der  österreichischen  Nieder- 
lande, Münzen  von  Lüttich  und  Luxemburg  und  französische  Gold- 
und  Silbermünzen.  Daß  man  sich  bei  der  Neuordnung  der  Dinge 
für  die  französische  Frankenwährung  entschied,  ja  durch  Gesetz  vom 
5.  Juni  1832  auch  den  französischen  Gold-  und  Silbermünzen  in  den 
staatlichen  Kassen  Zwangskurs  verlieh,  mochte  überwiegend  sach- 
liche Gründe  haben.  Immerhin  fehlte  diesem  entscheidenden  Schritte 
nicht  ein  gewisser  politischer  Beigeschmack. 

Wie  um  diese  Maßnahmen  dann  wieder  auszugleichen,  versuchte 
man  anderseits  den  deutschen  Durchfuhrhandel  zu  heben.  Hier  waren 
Antwerpener  Handels-  und  Schiffahrtskreise  die  treibenden  Kräfte, 
die  den  von  Holland  beherrschten  Rhein  mit  persönlicher  Unter- 
stützung des  Königs  durch  einen  „Rhein  von  Eisen"  zu  ersetzen 
trachteten.  Das  Staatsbahn grundgesetz  vom  1.  Mai  1834  näherte  sie 
der  Erfüllung  ihrer  Wünsche.  Ein  Eisenbahnsystem  mit  Mecheln 
als  Zentrum  und  Ausstrahlungen  in  der  Richtung  auf  Aachen,  Ant- 
werpen, Ostende  und  die  französische  Grenze  sollte  ganz  Belgien 
dem  Verkehr  erschließen,  das  Transitgesetz  vom  18.  Juni  1836  dessen 
Entfaltung  begünstigen.  Aeußerlich  betrachtet  eine  Neuerung  all- 
gemeiner Art,  war  das  Projekt,  darüber  ließ  seine  geschichtliche  Ent- 
wicklung keinen  Zweifel,  im  wesentlichen  doch  auf  Deutschland  zu- 


tous  autres  objets  k  3°|o,  sauf,  pour  les  uns  ou  les  antres,  les  exceptions  ä  l'^gard 
desquelles  une  prohibition  d'entr^e  ou  de  sortie,  ou  un  droit  plus  6lev&,  seraient  jug^s 
indispensables."  Diese  Maximalgrenze  war  jedoch  nicht  völlig  eingehalten  worden.  Für 
die  Einfuhr  hatte  man  im  allgemeinen  den  Industrieprodukten,  seltener  auch  den  Roh- 
stoffen, Wertzölle  von  10  bis  20  Proz.,  den  ersteren  in  Ausnahmefällen  bis  zu  40  Proz., 
zugebilligt  und  war  gegenüber  einzelnen  französischen  Waren  selbst  bis  zum  Einfuhr- 
verbot gegangen.  Dagegen  war  die  Ausfuhr  von  Rohstoffen  und  Industneprodukten  nur 
in  wenigen  Fällen  eingeschränkt  oder  gar  verboten  worden ;  im  allgemeinen  halte  man  sie 
nicht  behindert.  Genaueres  darüber  bei  Briavoinne,  De  Pindustrie  en  Belgique,  Tome  II, 
p.  21  ff. 


528  Heinrich  Waentig, 

geschnitten.  Handelte  es  sich  doch,  wie  einer  der  Abgeordneten  im 
Parlamente  offen  bekannte,  um  nichts  Geringeres  als  darum,  „Deutsch- 
land zwei  neue  Häfen,  zwei  belgischen  Häfen  Deutschland  zu  ver- 
leihen" 0. 

Kann  man  sich  angesichts  dieser  Zwiespältigkeit  noch  darüber 
wundern,  daß  die  belgische  Regierung,  industrielle  Interessen  im 
Westen,  kommerzielle  im  Osten  verfolgend,  seit  1833  mit  Frankreich 
und  Preußen  gleichzeitig  verhandelte,  ohne  sich,  wie  es  scheint, 
darüber  klar  zu  werden,  daß  bei  der  internationalen  wirtschafts- 
politischen Konstellation  die  hüben  und  drüben  gesteckten  Ziele  ein- 
ander ausschlössen;  daß  ein  zollpolitisch  an  Frankreich  angeschlos- 
senes Belgien  nicht  auf  die  Unterstützung  des  deutschen  Zollvereins, 
ein  dessen  Schiffahrts-  und  Handelsinteressen  dienendes  nicht  auf 
diejenige  Frankreichs  rechnen  konnte?  Auch  dem  Blindesten  mußte 
es  klar  werden,  daß  man  in  diesem  Stile  nicht  weiterwirtschaften 
konnte,  ohne  die  vitalen  Interessen  des  Landes  ernstlich  zu  gefährden. 

Schon  gelegentlich  der  Beratungen  über  das  Staatsbahn-Grund- 
gesetz vom  1.  Mai  1834  war  es  dieserhalb  in  der  Kammer  zu  erregten 
Auseinandersetzungen  gekommen.  „De  l'aveu  des  partisans  du  chemin 
de  fer",  hatte  einer  der  Abgeordneten  erklärt,  ,.il  a  particuliere- 
ment  pour  but  le  transit  des  marchandises  etrangeres ;  ce  serait  donc 
des  depenses  que  vous  feriez  pour  ouvrir  une  communication,  non 
pour  l'ecoulement  de  vos  propres  produits  agricoles  et  manufactures, 
mais,  en  grande  partie,  pour  faciliter  le  transit  des  produits  etran- 
gers.  II  m'est  prouve,  et  c'est  ma  conviction  intime,  que  les  depenses 
excederont  de  beaucoup  les  revenus,  sans  faire  entrer  en  ligne  de 
compte  une  grande  perturbation  que  vous  jetterez  dans  une  foule 
d'industries  et  d'existences,  et  sans  compter  encore  une  terrain  im- 
mense que  vous  enleverez  ä  Pagriculture,  et  par  consequent  ä  vos 
propres  produits;  et  pourquoi?  pour  faciliter  l'ecoulement  des  pro- 
duits  etrangers"  I    Aber   gerade  dieses   letztere    Moment   hatte   ein 

1)  So  der  Abgeordnete  Devaux  in  der  Debatte  über  das  Staatsbahngmndgeseti 
(Moniteur  Beige  vom  17.  März  1834).  Genaueres  über  die  geschichtliche  Entwick- 
lung des  interessanten  Projektes,  das  in  seiner  ersten  Gestalt  nur  den  Bau  einer  Bahn 
zwischen  Antwerpen,  Maas  und  Rhein  über  Maastricht  vorsah,  in  meinem  Aufsatx 
„Antwerpen -Köln",  in  der  Monatsschrift  „Der  Belfried",  1.  Jahrgang,  1916/17,  S.  366  £f. 
Dort  auch  zahlreiche  Literaturangaben.  Entscheidend  war  der  Wunsch,  unabhängig  vom 
Willen  Hollands,  eine  direkte  Verbindung  zwischen  Antwerpen  und  dem  Rheine  her- 
zustellen. „II  est  vrai",  heißt  es  zusammenfassend  in  einer  Denkschrift  der  Com- 
mission  sup§rieure  d'Industrie  et  de  Commerce  „Sur  l'utilit§  et  l'urgence  d'un  chemin 
de  fer  d'Anvers  ä  la  Prusse"  vom  Jahre  1833  mit  Bezug  auf  Belgien,  „que  le  droit 
de  navigation  de  la  Meuse  et  des  eaux  interm§diaires  de  l'Escaut  au  Rhin  est  stipulfe 
en  safaveur;  mais  eile  ne  peutgu^re  esp^rer  l'exercice  de  ce  droit,  sans 
entraves,  que  si  cette  navigation  nelui  est  pas  indispensable;  eile 
sera  d'ailleurs  grev^e  de  p6ages  considgrables.  La  Belgique  s'exposerait 
ä  s'effacer  du  rang  des  nations  commergantes ,  si  eile  n'employait  les  ressources  de 
l'art  pour  r§tablir  les  avantages  de  sa  position ;  il  lui  faut  une  voie  §conomi- 
que  et  Interieure  de  Communications  sur  l'Allemagne,  ind^pendante 
de  toute  volonte  ötrang&re.  La  route  en  fer  seule  peut  satisfaire  k  ce  besoin, 
puisqu'un  canal  dans  cette  direction  serait  impraticable,  en  §vitant  le  territoire  hollan- 
dais."     (Moniteur  Beige  vom  15.  März  1833.) 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  529 

anderer  Redner,  neben  der  Herabsetzung  der  Produktionskosten  bel- 
gischer Ausfuhrgüter,  als  die  unerläßliche  Vorbedingung  für  die  Er- 
weiterung ihres  Absatzes  bezeichnet.  „Le  seul  moyen  d'ecouler 
avantageusement  nos  propres  produits",  bemerkte  er  im  Anschluß 
an  eine  düstere  Schilderung  der  durch  den  Abfall  von  Holland  ent- 
standenen wirtschaftlichen  Schädigungen,  „est  celui  de  creer  dans 
nos  ports  des  entrepots  de  toutes  les  productions  de  la  terre,  d'attirer 
vers  la  Belgique  le  grand  commerce  d'echange  de  toutes  especes  de 
marchandises,  de  maniere  que  les  navires  qui  se  rendent 
dans  nos  ports,  puissent  etre  certains  de  vendre 
avantageusement  leurs  cargaisons,  et  de  rencontreren 
echange  un  chargement  complet,  compose  en  partie  de 
marchandises  etrangeres  et  en  partie  de  marchandises 
indigenes,  convenables  pour  le  pays  auquel  le  navire 
est  destine"^). 

Mit  erneuter  Wucht  platzten  die  Geister  1839  aufeinander. 
Ausgangspunkt  der  Erörterungen  waren  diesmal  Petitionen  der 
Handelskammern  Ostende  und  Antwerpen,  beide  gegen  den  Re- 
gierungsentwurf gerichtet,  doch  mit  verschiedenen  Zielen.  Dieser 
hatte  die  Uebernahme  der  an  Holland  abzuführenden  Scheldezölle 
auf  die  Staatskasse  in  Aussicht  genommen,  mit  alleiniger  Ausnahme 
der  von  holländischen  Schiffen  zu  entrichtenden  Beträge.  Während  nun 
Ostende  diese  Vergünstigung  auf  die  belgischen  Handelsschiffe  be- 
schränkt wissen  wollte,  verlangte  Antwerpen  ihre  Ausdehnung  gleich- 
mäßig auf  alle  Nationen.  Nur  durch  die  Bevorzugung  der  nationalen 
Marine  könne  Belgiens  wirtschaftliche  Unabhängigkeit  wirksam  ge^ 
sichert  werden;  damit  folge  man  zugleich  dem  Beispiel  anderer 
Handelsvölker,  betonte  die  eine.  Da  die  Gewährung  eines  solchen 
Monopoles  eine  Verteuerung  der  Frachten  für  die  belgische  Industrie 
bedeute,  ihr  also  den  Kampf  mit  dem  Auslande  erschwere,  sei  es  in 
Belgiens  besonderem  Falle  zu  verwerfen,  erwiderte  die  andere. 
„Prive  de  Pelement  indispensable  ä  son  existence,  l'exportation,  eile 
ne  pourrait  que  languir,  quelle  que  füt  d'ailleurs  la  protection  qu'on 
lui  accordät  pour  lui  imprimer  une  activite  factice"  ^). 

Beide  Parteien  fanden  im  Hause  Unterstützung.  Ihren  Höhe- 
punkt aber  erreichte  die  Debatte  in  der  großen  Rede  des  Abgeord- 
neten Dechamps.  Klarheit  sei  über  die  Grundprinzipien  der  belgi- 
schen Handelspolitik  zu  schaffen;  wählen  müsse  man  zwischen 
Freihandel  und  Differentialsystem.  Bei  der  Entscheidung  hierüber 
nun  sei  von  der  Tatsache  auszugehen,  daß  bisher  so  gut  wie  über- 
haupt kein  direkter  Handel  zwischen  Belgien  und  den  meisten  an- 
deren Ländern  bestehe;  vielmehr  vollziehe  sich  der  Verkehr  zwischen 
ihm  und  seinen  Lieferanten  und  Kunden  größtenteils  durch  die  Ver- 
mittlung anderer,  besonders  Englands,  das  als  Konkurrent  am  Vertriebe 
belgischer  Erzeugnisse  keinerlei  Interesse  habe.  Unter  diesem  Gesichts- 


1)  Moniteur  Beige  vom  13.  und  16.  März  1834. 

2)  Moniteur  Beige  vom  lO./U.  und  14.  Mai  l839. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  34 


590  Heinrich  Waentig, 

punkte  sei  denn  auch  die  Wiederanknüpfung  der  belgisch-holländi- 
schen Handelsbeziehungen  eher  als  eine  Gefahr  zu  betrachten,  da 
ihre  Erneuerung  für  den  Nachbar  die  Wiederherstellung  des  Systems 
von  1822,  ohne  seine  Nachteile,  bedeute.  „Pour  que  notre  commerce 
d'6changes  devienne  actif",  schloß  der  Redner  seine  Ausführungen, 
„il  faut  que  des  relations  directes  soient  etablies  avec 
les  pays  qui  consomment  nos  produits  sans  les  pro- 
duire  eux-memes,  et  qui  nous  fournissent  les  matiöres 
premieres  et  les  objets  de  consommation  que  nous  ne 
possedons  pas.  Mais  consentir  ä  acheter  en  Angleterre  les  pro- 
duits americains  dont  vous  avez  besoin,  n'est-ce  pas  evidemment 
consentir  a  ne  jamais  vendre  ä  PAmeriques  vos  propres  produits"^)? 
Dechamps'  Vorschlag,  die  staatliche  Rückerstattung  der  Scheide- 
zölle nur  belgischen  und  denjenigen  fremdländischen  Schiffen  zu 
gewähren,  die  direkt  aus  ihrer  Heimat  und  ohne  Fahrtunterbrechung 
(sans  rompre  Charge)  in  belgische  Häfen  einliefen,  wurde  abgelehnt. 
„En  1648,  la  fermeture  de  PEscaut  fut  un  cadeau  que  la  tyran- 
nie  fit  ä  laliberte;  craignons,  Messieurs,  qu'ä  cote  de  ce  sar- 
casme,  Phistoire  n'inscrive  dans  ses  annales,  qu'en  1830  la  quasi- 
fermeture  du  fleuve  fut  un  cadeau  que  l'ignorance  des 
Beiges  fit  ä  l'intelligence  des  Hollandais":  diese  be- 
rühmten Worte,  mit  denen  der  Abgeordnete  Liedts  die  bedingungs- 
lose Freiheit  der  Scheide  verteidigte'-^),  trugen  schließlich  den  Sieg 
davon.    Es  war  ein  Pyrrhussieg,  wie  sich  bald  zeigen  sollte. 

In  der  Tat  mußte  die  handelspolitische  Lage  Belgiens,  wie  sie 
sich  im  Jahre  1840,  nach  der  endgültigen  Abtrennung  der  verloren- 
gegangenen Gebietsteile,  dem  nüchternen  Beobachter  darstellte, 
schwere  Bedenken  erregen.  Mochten  die  von  einzelnen  Abgeordneten 
in  der  Kammer  gemachten  Mitteilungen  auch  auf  ihre  agitatorische 
Wirkung  zugeschnitten  sein,  daß  sie  im  wesentlichen  den  Tatsachen 
entsprachen,  darüber  ließ  die  amtliche  Handels-  und  Schiffahrts- 
statistik kaum  einen  Zweifel^). 


1)  Moniteur  Beige  vom  15.  Mai  1839.  „Le  coton,  le  stiere,  les  laines,  l'indigo 
que  nous  fourni-^sent  Londres  et  Liverpool",  führte  der  Redner  aus,  „n'amönent  que 
trös  peu  d'§ehanges  avec  ces  ports  anglais.  Vous  le  coneevez,  Messieurs,  la  Belgique 
6tant  en  concurrence  de  mömes  produits  avec  P Angleterre,  fabri- 
quant  l'ane  et  l'autre  ä  peu  pr^s  les  m^mes  choses,  11  sera  toujours 
trös  difficile  que  les  arrivages  du  sucre  et  du  coton  de  Liverpool 
nous  fournissent  le  moyen  et  l'occasion  d'op^rer  des  Behanges.  II 
est  tout  simple  que  ces  navires  qui  nous  am^nent  le  sucre  et  le  coton  ne  forment 
dans  nos  ports  aucune  cargaison  de  retour,  parce  que,  je  le  r^pöte,  la  Belgique  fetant 
en  concurrence  de  produits  similaires  avec  1* Angleterre,  eile  n'a  h.  lui  envoyer  que  des 
lins,  des  os,  et  des  6corces,  qui  constituent  notre  seul  commerce  d'§changes  avec  eile: 
Behanges  insignifiants,  dans  lesquels  n'entre  aucune  de  nos  principales  Industries." 

2)  Moniteur  Beige  vom  16.  Mai  1839. 

3)  Vgl.  Tableau  gfen^ral  du  commerce  de  la  Belgique  avec  les  pays  fetrangers 
pendant  l'annge  1840,  Bruxelles  1842.  Der  umfangreiche  Band  enthält  auch  ent- 
sprechende Angaben  über  die  vorhergehenden  5  Jahre.  Sein  Tabeüenmaterial  liegt  den 
kritisch  auswählenden  üebersichten  des  Textes  zugrunde. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft. 


531 


Wie  wenig  sich  gegen  Ende  der  30er  Jahre  das  belgische  Wirt- 
schaftsleben beruhigt  hatte,  bezeugen  die  Schwankungen  im  Außen- 
handel. 

Belgischer  Generalhandel  in  Millionen  Frank. 


1835 
Einfuhr:  172,7 
Ausfuhr:  138,0 
Durchfuhr:     22,7 


1836 

187,2 

144,8 

20,7 


1837 

200,4 

129,6 

25,7 


1838 

201,2 

156,9 

36,7 


1839 

179,3 

137,9 

37,2 


1840 

205,6 

139.6 

43,9 


Die  Lage  des  Jahres  1840  spiegelt  die  folgende  Tabelle  wider: 

Belgischer  Spezialhandel  im  Jahre  1840  nach 
Warengruppen^)  in  Frank. 


Einfuhr 

Ausfuhr 

absolut 

in  Proz. 

absolut 

in  Proz. 

Nahrungs-  und 
Genußmittel : 
überseeische 
einheimische 

Naturstoffe 

Abfälle 

Halbfabrikate 

Fabrikate 

63  439  872 
20  145  242 
48687  276 
3  405  780 
15536016 
54396676 

30,9 
9-8 

23,7 
1,7 

7,5 

26,4 

774862 
22218  183 
30058712 

701  352 

9675982 

76  199690 

0,6 

15,9 

21,6 

0,6 

6,8 

54.6 

Summe 
Edelmetalle 

205610862 
1254  219 

100,0 

139628  781 
239  165 

100,0 

Die  Handelsbilanz  ist  eine  passive,  sie  zeigt  ein  Defizit  von 
65,98  Mill.  frcs.  oder  32,1  Proz.  der  gesamten  Einfuhr.  Dieses  be- 
ruht in  erster  Linie  auf  einem  starken  Import  an  Kolonialwaren, 
von  denen  ein  kleiner  Bruchteil  in  der  Ausfuhr  wiedererscheint, 
tatsächlich  also  dem  Transit  zuzurechnen  wäre.  Jedoch  auch  bei  Aus- 
schaltung jenes  Postens  bliebe  eine  Differenz  bestehen,  da  die  Mehr- 
einfuhr an  Naturstoffen,  Abfällen  und  Halbfabrikaten  durch  die  Mehr- 
ausfuhr an  einheimischen  Nahrungs-  und  Genußmitteln,  sowie  Fabri- 
katen, welch  letztere  mehr  als  die  Hälfte  der  gesamten  Ausfuhr 
umfassen,  keineswegs  ausgeglichen  wird.  Man  versteht  also,  wie 
lästig  Belgien  die  seine  Grenzen  auf  allen  Seiten  umgebenden  Schutz- 
zollschranken empfinden  mußte,  zumal  es  schon  damals  in  erheblichem 
Grade  auf  die  Einfuhr  industrieller  Roh-  und  Hilfsstoffe  ange- 
wiesen war. 


1)  Die  Abgrenzung  der  Warengruppen  weicht  von  der  später  gebräuchlichen  ab. 
Die  französischen  Ausdrücke  lauten :  Denrees  ezotiques  et  indig^nes.  Es  handelt  «ich 
im  wesentlichen  um  Niihiungs-  und  Genußmittel,  tropische  und  subtropiMhe,  sowie 
solche  der  gemäßigten  Zone,  einschließlich  der  Getränke,  aber  auch  des  zu  Nahrungs- 
zwecken verwendbaren  Viehes  und  des  Viehfutters;  matiSres  naturelles:  Rohstoffe  vege- 
tabilischer, animalischer,  sowie  mineralischer  Natur,  jedoch  einschließlich  des  Zugviehes 
usw. ;  d^chets  de  fabrication,  de  combustion  et  de  Vegetation  im  Sinne  von  für  pro- 
duktive Zwecke  weiter  verwendbaren  Abfällen;  mati^res  apprSt^es:  Halbfabrikate;  ma- 
iiferes  fabriqufees:  Fabrikate. 

34* 


532 


Heinrich  Waentig, 


Unter  den  Einfuhrposten  sind  dem  Werte  nach  an  erster  Stelle 
zu  nennen:  Kaffee  (12,9  Proz.),  Rohzucker  (8,7  Proz.),  Baumwolle 
(7,5  Proz.),  Wolle  (5,7  Proz.),  Wollgewebe  (5,5  Proz.),  Getreide 
(5,3  Proz.),  Rohtabak  (3,6  Proz.),  Rohsalz  (3,2  Proz.),  Oelfrüchte 
(3,1  Proz.),  Seidengewebe  (3,1  Proz.),  Weine  (2,6  Proz.),  Baumwoll- 
gewebe (2,4  Proz.),  Bauholz  (1,6  Proz.),  Oelkuchen  (1,4  Proz.),  Reis 
(1,1  Proz.),  Oele  für  industrielle  Zwecke  (1,1  Proz.)  usw.;  unter  den 
Ausfuhrposten:  Leinwand  (18,2  Proz.),  raffinierter  Zucker  (11,2  Proz.), 
Tuche  (9,6  Proz.),  Steinkohle  (8,4  Proz.),  Flachs  (7,0  Proz.),  Baum- 
wollgewebe (5,3  Proz.),  Glaswaren  (3,2  Proz.),  Maschinen  (2,9  Proz.), 
Vieh  (2,4  Proz.),  Zink  (2,2  Proz.),  Pferde  (2,1  Proz.),  Nägel  (1,9  Proz.), 
Leinengarne  (1,6  Proz.),  Waffen  (1,5  Proz.),  Gußeisen  (1,1  Proz.), 
Spitzen  und  Tülle  (1,1  Proz.)  usw. 

Ueber  die  Handelsbeziehungen  Belgiens  zu  den  einzelnen  Län- 
dern unterrichtet  die  nachstehende  üebersicht,  wozu  einleitungsweise 
bemerkt  werden  mag,  daß,  mit  Ausnahme  der  durch  die  eingetretene 
Gebietserweiterung  bedingten  Veränderung  in  der  Stellung  Hollands 
als  Ausfuhrland,  die  verhältnismäßige  Bedeutung  der  darin  ge- 
nannten Länder  während  der  letzten  5  Jahre  keine  wesentliche  Ver- 
schiebung erfahren  hat.  Dies  gilt  namentlich  auch  von  England  und 
Frankreich,  den  wichtigsten  Ein-  und  Ausfuhrländern. 

Belgischer  Spezialhandel  im  Jahre  1840  nach  Ländern 
in  Millionen  Frank. 

Einfuhr 


Länder 

England  einschl.  von  Gibraltar,  Malta 

und  den  jonischen  Inseln 
Holland 
Frankreich 
Vereinigte  Staaten 
Preußen  (Zollverein) 
Kuba  und  Portorico 
Brasilien 
Kußland 
Haiti 

Schweden  und  Norwegen 
Hanse- Städte 
Spanien 
Italien 
Dänemark 
Portugal 
Rio  de  la  Plata 
Hannover  und  Oldenburg 
Oesterreich    einschl.     von    Lombardo- 

Venezien 
Java  und  Sumatra 
Mexiko 

Mecklenburg-  Schwerin 
Andere  Länder 


absolut 

43. 6  ö 
40,1 6 

39.89 
20,19 
19,12 
10,97 

7  79 
744 
4,90 
2,05 
1,56 
1,44 
1,21 
1,17 
1,16 
OJ7 
0,76 
0,50 


in  Proz. 

21,2 
19,5 
19,4 

9,8 

9,3 

5,1 

3,8 

3,6 

2,4 

1,0 

0,8 

0,7 

0,6 

0,6 

0,6 

0,4 

0,4 

0,5 


Ausfuhr 
absolut         in  Proc. 


11,8 

29,79 

54.86 

1,95 
17,90 
2,28 
1,04 
0,S2 
0,01 
0,79 
12,01 
0,07 
0,97 
0,22 
0,S7 
1,15 
0,70 
0,6  2 


7,» 
2I,t 

39,» 

1,4 
12,9 

0,8 
0,2 

o,% 

0,6 

8.« 

0,9 
O,« 
0,1 
0,0 
0,1 

o,i 

0,4 


0,48 

0,2 

0,72 

0.» 

0,06 

0,0 

1,76 

1,5 

0,02 

0,0 

0,1 6 

0,1 

0,S2 

0,2 

0,98 

1.5 

Summe        205,61 


100, 


Auffallend  ist  zunächst,  daß  der  einst  so 
verkehr  mit  Italien  und  der  Levante,   Spanien 


139,68         100,— 

wichtige  Handels- 
und  Portugal  und 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft. 


533 


erst  recht  mit  Oesterreich  jede  Bedeutung  verloren  hat.  Unter  den 
Einfuhrländern  steht  England  an  erster  Stelle  (21,2  Proz.),  dem 
Holland  (19,5  Proz,)  und  Frankreich  (19,4  Proz.)  in  kurzem  Ab- 
stände folgen.  Etwa  in  gleicher  Stärke  schließen  sich  die  Ver- 
einigten Staaten  (9,8  Proz.)  und  der  preußisch-deutsche  Zollverein 
(9,3  Proz.)  ihnen  an.  Nahezu  vier  Fünftel  der  gesamten  Einfuhr 
entfallen  auf  diese  Länder.  Von  den  übrigen  kommen  nur  noch  ge- 
wisse überseeische  Gebiete,  wie  Kuba  und  Portorico,  Brasilien  und 
Haiti,  endlich  noch  Rußland,  in  Betracht.  Unter  den  Ausfuhrländern 
führt  Frankreich  (39,3  Proz.) ;  in  weitem  Abstände  erst  folgt  Holland 
(21,3  Proz.) ;  fast  zwei  Drittel  des  gesamten  Exportes  sind  auf  sie 
vereinigt.  Wenn  Preußen  (12,9  Proz.)  und  die  Hansestädte  (8,6  Proz.) 
zusammen  an  Hollands  Bedeutung  heranreichen,  so  steht  dafür  Eng- 
land (7,9  Proz.)  weit  hinter  ihnen  allen  zurück. 

Kein  Zweifel,  daß  Belgiens  handelspolitische  Lage  wesentlich 
durch  seine  Beziehungen  zu  England,  Holland,  Frankreich 
und  Deutschland  bestimmt  wird.  Und  zwar  verteilen  sich  diese 
Länder  auf  zwei  verschiedene  Gruppen.  Der  einen,  von  England  und 
Holland  gebildeten,  gegenüber  hat  es  eine  passive  Handelsbilanz  (32,57 
bzw.  10,37  Mill.  frcs.  d.  i.  74,6  bzw.  25,8  Proz.  Einfuhrüberschuß); 
der  anderen,  von  Frankreich  und  Deutschland  (preußisch-deutscher 
Zollverein,  Hansestädte,  Hannover  und  Oldenburg,  Mecklenburg- 
Schwerin)  gebildeten,  gegenüber  eine  aktive  (14,97  bzw.  9,30  Mill. 
frcs.  d.  i.  27,5  bzw.  30,2  Proz.  Ausfuhrüberschuß)  aufzuweisen.  Und 
dieser  Gegensatz  vertieft  sich  noch,  wenn  man  ferner  den  inneren 
Aufbau  des  zwischen  Belgien  und  jedem  einzelnen  von  ihnen  be- 
wegten Warenstromes  ins  Auge  faßt. 

Belgischer  Spezi  alhandel   im  Jahre  1840  nach  Waren- 
gruppen in  Prozent. 


England 

Holland 

Frankreich 

Deutschland 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Nahrun  gs-  u. 

Genußmittel : 

überseeische 

31,2 

1,1 

35;8 

1,0 

18,0 

0,2 

2,9 

0,7 

einheimische 

o,5 

11,0 

30,0 

7,7 

5,4 

8.2 

15,8 

37,8 

Naturstoffe 

15,1 

68,3 

11,7 

8.0 

15.6 

35,0 

44,1 

2,5 

Abfälle 

1,0 

2,9 

2,6 

0,0 

0,7 

0,6 

I,* 

0,0 

Halbfabrikate 

7.5 

2,2 

8,1 

8,6 

3,7 

9,0 

6,1 

3,9 

Fabrikate 

44,7 

14,6 

11,7 

74,7 

56,7 

47,0 

29,7 

55,1 

Summe 

IOO,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

Mit  Waren  im  Betrage  von  43,65  Mill.  frcs.  stellt  England  über 
Vö  der  gesamten  belgischen  Einfuhr.  Daß  diese  sich  fast  zur  Hälfte 
aus  Fabrikaten  (Woll-  und  Baumwollstoffen,  Maschinen  usw.),  da- 
neben vorwiegend  aus  Kolonialwaren  (Rohzucker,  Kaffee,  Indigo, 
Reis,  Tabak)  zusammensetzt,  während  die  spärliche  Ausfuhr  von 
11,08  Mill.  frcs.  zu  54,5  Proz.   aus   Flachs,   ferner  aus   Gerberlohe, 


534  Heinrich  Waentig, 

Butter  usw.  besteht,  ist  bezeichnend.  Dagegen  empfängt  Belgien 
von  Holland  zu  zwei  Dritteln  Nahrungs-und  Genußmittel  (Kolonial- 
waren, Getreide,  Vieh),  um  dafür  zu  drei  Vierteln  Fabrikate  (Ge- 
webe aller  Art,  Eisen-  und  Glaswaren)  zu  liefern,  so  daß  sich,  Ton 
der  Tatsache  des  Einfuhrüberschusses  abgesehen,  die  vor  dem  Bruche 
bestehende  Art  der  volkswirtschaftlichen  Arbeitsteilung  in  der  Haupt- 
sache erhalten  haben  dürfte. 

Vollkommene  Aequivalenz  des  beiderseitigen  Austausches  seiner 
Art  nach  scheint  zwischen  Belgien  und  Frankreich  zu  bestehen, 
insofern  sie  sich  Nahrungsmittel  und  Rohstoffe  wie  Halbfabrikate  und 
Fabrikate  in  fast  genau  dem  gleichen  Verhältnis  überlassen,  wobei 
Belgien,  wenigstens  der  Statistik  nach,  noch  einen  erheblichen  Aus- 
fuhrüberschuß zu  buchen  hat^).  Doch  ist  die  französische  Einfuhr 
viel  mannigfaltiger  (Weine  und  Spirituosen,  Gewebe  aller  Art,  Mode- 
artikel, Kurzwaren)  geartet,  die  belgische  Ausfuhr  im  wesentlichen 
auf  einige  wenige  Artikel  (Leinwand  zu  34,6  Proz.,  Steinkohle. 
Flachs,  Vieh,  Zink)  konzentriert.  Im  Verkehr  mit  Deutsch- 
land überwiegen  in  der  Einfuhr  die  Rohstoffe  (Wolle  zu  35,6 
Proz.,  Oelfrüchte,  Bauholz),  in  der  Ausfuhr  die  Fabrikate  (Tuche  zu 
47,3  Proz.,  Leinwand,  Maschinen,  Waffen).  Beide  dürften  sich,  ohne 
den  Verkehr  mit  den  Hansestädten  (Einfuhr  1,56  Mill.  frcs.,  Aus- 
fuhr 12,01  Mill.  frcs.,  darunter  raffinierter  Zucker  zu  74,0  Proz.), 
etwa  die  Wage  halten. 

Eine  im  Vergleich  zu  späteren  Zeiten  ziemlich  geringfügige 
Rolle  spielt  1840,  allerdings  mit  steigender  Tendenz  (43,87  Mill.  frcs. 
im  Jahre  1840  gegenüber  22,67  Mill.  frcs.  im  Jahre  1835),  der 
Transithandel,  wobei  jedoch  zu  berücksichtigen  ist,  daß  nicht  uner- 
hebliche Beträge  des  Spezialhandels  (Kolonialwaren  und  Rohstoffe, 
wie  Wolle,  Baumwolle,  Bauholz),  streng  genommen,  auf  ihn  zu  ver- 
rechnen wären.  Sein  innerer  Aufbau  erhellt  aus  der  nachstehenden 
üebersicht : 

Belgischer  Transithandel  im  Jahre  1840 
nach  Warengruppen  in  Frank. 

Absolut  In  Proz. 
Nahrungs-  u.  Genußmittel : 

überseeische                       2421635  5,5 

einheimische                      3  484  718  7,9 

Naturstoffe                           27  231  445  62,1 

Abfälle                                       420746  1,0 

Halbfabrikate                        i  554 152  3,5 

Fabrikate         8756350 20,0 

43  869  046  100,0 

Es  handelt  sich  also  dabei  überwiegend,  nämlich  zu  zwei  Dritteln, 
um   Rohstoffe   (Wolle  24,2  Proz.,    Rohhäute   16,1  Proz.,    Oelfrüchte 

1)  Allerdings  wurde  von  sachverständiger  Seite  behauptet,  daß  dies  nur  scheinbar 
der  Fall  sei.  Ein  großer  Teil  der  belgischen  Ausfuhr  nach  Frankreich  sei  tatsächlich 
Durchfuhrgut.  Jene  bestehe  überwiegend  aus  Rohstoffen  und  Nahrungsmitteln.  Vgl. 
dazu  Varlet,  Des  rapports  commerciaux  entre  la  Belgique  et  la  France  (Eztrait  de  la 
Kevue  des  deux  Mondes,  Edition  beige,  März  1843),  p.  20  ff. 


Die  Grandfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  535 

11,0  Proz.  USW.),  demnächst  um  Fabrikate  (Baumwoll-,  WoU-  und 
Seidengewebe  5,7  Proz.,  Leinengarne  1,5  Proz.  usw.),  wogegen  die 
Kolonialwaren  mit  zusammen  5,5  Proz.  auffallend  zurücktreten, 
üeber  die  an  diesem  Durchfuhrhandel  vornehmlich  beteiligten  Länder 
unterrichtet  die  folgende  Tabelle: 

Belgischer  Transithandel  imJahrel840  nach  Ländern 
in  Millionen  Frank. 


Länder 

Von 
absolut 

in  Proz. 

Nach 
absolut 

in  ProK. 

England 

11,26 

25,6 

1,71 

3,9 

Holland 

8,98 

20,5 

7,68 

17,8 

Frankreich 

4,7  7 

IO,9 

23,75 

54,1 

Argentinien 

4,62 

io,s 

0,08 

o,i 

Deutschland 

4,48 

IO,l 

9,87 

21,1 

Rußland 

3,*6 

7,9 

0,12 

0,8 

Vereinigte  Staaten 

2,43 

5,6 

o,ii 

0,2 

Brasilien 

1,46 

^,s 

0,80 

0,7 

Andere  Länder 

2,56 

5,9 

1,05 

2,4 

Summe  43,87  100,0  43,87  100,0 

An  erster  Stelle  als  Einfuhrland  steht  wiederum  England  mit 
Vi  des  gesamten  Transits;  es  folgen  Holland  mit  Vs?  Frankreich  und 
Deutschland  mit  je  reichlich  Vio-  Von  den  überseeischen  Ländern 
hat  in  dieser  Hinsicht  nur  Argentinien  einige  Bedeutung.  Ueber 
die  Hälfte  der  gesamten  Durchfuhr  (54,1  Proz.)  ist  für  Frankreich 
bestimmt,  ein  reichliches  Fünftel  für  Deutschland,  etwas  weniger 
für  Holland.  Alle  anderen  Bestimmungsländer,  auch  England,  sind 
kaum  erwähnenswert. 

Wichtig  für  die  Technik  der  gesamten  Warenbewegung  ist  die 
Tatsache,  daß,  einschließlich  der  an  Freilager  abgegebenen  und  ihnen 
entnommenen  Beträge^),  1840  in  Millionen  Frank  die  folgenden 
Warenmengen  ein-  und  ausgeführt  wurden: 

Ueber  Land  sowie  auf  g                                Zusammen 
Kanälen  und  Flüssen 

absolut       in  Proz.  absolut       in  Proz.             absolut  in  Proz. 

Einfuhr                       99,88          40,5  146,58          59,5                  246,41  100 

Ausfuhr                    134,39          73,2  49,11          26,8                  183,50  100 

und  zwar: 

Eigenhandel               96,25          69,2  43,88          31,8                  139,68  ^00 

Durchfuhrhandel        38,14          86,9  5,78           13,1                    43,87  100 

Es  ergibt  sich  hieraus,  daß  die  gesamte  im  Außenhandel  be- 
wegte Warenmasse,  die  allerdings  nur  dem  Werte,  nicht  der  Menge 
nach,  bekannt  ist,  vornehmlich  (59,5  Proz.)  zur  See  eingeführt,  da- 
gegen überwiegend  (73,2  Proz.)  zu  Lande  ausgeführt  wurde.  Ab- 
solut war  dieses  Mißverhältnis  noch  viel  größer,  da  die  aus- 
geführte Warensumme  ganz  erheblich  hinter  der  eingeführten  zu- 
rückstand.     Gerade    in    der    Transitausfuhr    trat    jener    Gegensatz 


1)  Bestand  der  Freilager  am  1.  Januar  1840  19,01  Hill,  fros.,  am  31.  Dezember 
1840  15,93  MiU.  frcs. 


536 


Heinrich  Waentig, 


(86,9  bez.  13,1  Proz.)  besonders  zutage.    Sie  trug  also  unendlich  wenig 
dazu  bei,  die  Schiffahrt  mit  Rückfrachten  zu  versehen  ^). 

Auch  in  der  belgischen  Schiffsbewegung  kommt  die  ungeklärte 
Wirtschaftslage  zum  Ausdruck.  Es  betrugen  nämlich  die  in  belgische 
Häfen  ein-  und  ausgelaufenen  Schiffe: 


Im  Jahre 

Anzahl 

Tonnengehalt 

1835 

3689 

428  105 

1836 

3693 

467  741 

\ 

1837 

4019 

578214 

1838 

4521 

669  769 

1839 

3662 

471697 

1840 

3564 

473406 

Der  Stand  des  Jahres 

1840  ist 

aus   der  nachstehenden 

Tabelle 

zu  ersehen: 

Eingelaufen 

Ausgelaufen 

In            Anzahl 

Tonnen- 
gehalt 

Ladung 
in  Tonnen 

Anzahl 

Tonnen- 
gehalt          i 

Ladung 
n  Tonnen 

Antwerpen       1 158 

177  315 

171  507 

1153 

179485 

26  261 

Ostende              387 

41947 

36989 

366 

39414 

4  459 

Zelzaete             147 

15  312 

15227 

143 

14543 

3532 

Nieuport             105 

2695 

2478 

105 

2695 

537 

1797 


237  269  226  201 


767 


236 137 


34789 


Die  überragende  Stellung  Antwerpens  steht  außer  Frage.  Seine 
Schiffsbewegung  ist  größer  als  die  aller  anderen  Häfen  zusammen- 
genommen. Auch  hat  es  sich,  wie  die  folgenden  Ziffern  erweisen  -), 
von  den  Erschütterungen  der  Revolutionszeit  einigermaßen  erholt, 
ohne  freilich  seine  alte  Bedeutung  wieder  zu  erreichen. 

Wareneinfuhr  in  Antwerpen    in   den  Jahren   1829   bis 
1831  und  1839  bis  1841. 


Jahre 

Kaffee 

Zucker 

Tabak                Beis 

Baum- 
wolle 

Pott- 
asche 

Häute 

Faß 

Ballen 

Faß 

Kisten 

Pack 

Faß 

Ballen 

F.B 

BaUen 

Ballen 

Faß 

Stück 

1829 
1830 
1831 
1839 
1840 
1841 

5366 

1402 

201 

386  060 
355  189 
133  173 
239334 
266  136 
232  000 

3569 
i960 
1522 
1956 
1050 
570 

68014 
27370 
19563 
43964 
77385 
56350 

83367 
48605 
20682 
52839 
21  670 
45350 

1600 
2777 
3398 
4027 
8439 
9355 

1639 

2078 

249 

2012 

10062 

10034 

18799 

23287 

2546 

8820 

10330 

6  100 

98766 

41788 

7942 

61933 
27800 
31  100 

54005 

21347 

7492 

25  261 

52759 
41740 

15299 
8711 
7118 
16336 
12440 
II  645 

401882 

335  435 
220  100 

206743 
296  228 
711  806 

1)  Nach  einer  von  der  Handelskammer  Lüttich  angestellten  Berechnung  entHelen 
im  jährlichen  Durchschnitt  (1831 — 1840)  von  der  Gesamtleistung  der  Seeschiffahrt  in 
Belgien  (abzüglich  der  Ballastschiffe)  auf  die  belgische  Handelsmarine  22V«  Proz.,  das 
ist  23^/g  Proz.  des  Wertes  der  über  Land  und  auf  Kanälen  und  Flüssen  beförderten 
Waren.  Bei  Hinzuziehung  des  Transits  ergebe  sich  für  die  Periode  1835 — 1840,  daß 
durch  die  belgische  Handelsmarine  217«  Proz.,  durch  Binnenschiffahrt  und  Fuhrwerk 
78V4  Proz.  der  gesamten  im  Handel  bewegten  Gütermenge  transportiert  worden  seien. 
Vgl.  Situation  commerciale  et  industrielle  de  la  Belgique,  Enquete  parlementaire  in- 
8titut§e  en  1840,  Deuxiöme  partie,  p.  269. 

2)  Le  Moniteur  commercial,  Tome  VI,  1842,  p.  115. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft. 


537 


Jedenfalls  leidet  es  in  noch  höherem  Grade  als  die  kleineren 
Häfen,  Ostende  ausgenommen,  an  dem  allgemeinen  Uebel.  Während 
nämlich  die  eingelaufenen  Schiffe  ihren  Tonnengehalt  nahezu  völlig 
auszunutzen  vermögen,  ist  dies  für  die  auslaufenden  im  Landesdurch- 
schnitt, wie  auch  in  Antwerpen,  nur  für  etwa  ein  Siebentel,  in 
Ostende  sogar  nur  für  ein  Neuntel  des  verfügbaren  Schiffsraumes 
der  Fall.  Und  zwar  tritt  diese  Erscheinung,  wie  die  folgende  Ueber- 
sicht  beweist,  bei  den  fremdländischen  Schiffen  eher  noch  stärker 
als  bei  den  belgischen  hervor. 

Schiffsbewegung  der  belgischen  Häfen  im  Jahre  1840. 


Beladen  ' 

eingelaufen 

ausgelaufen 

belgische 

fremde 

Summe 

belgische 

fremde 

Summe 

Zahl 
Tonnengehalt 

447 
6i  041 

1329 
174404 

1776 
235  445 

320 
42804 

568 
56059 

888 
98863 

In  Ballast 

eingelaufen 

ausgelaufen 

belgische 

fremde 

Summe 

belgische 

fremde 

Summe 

Zahl 
Tonnengehalt 

5 
312 

16 
1512 

21 

1824 

"5 

20045 

764 
117229 

879 

137  274 

Diese  Beobachtung  findet  in  den  folgenden  Ziffern  ihre  Be- 
stätigung. Mit  24,6  Proz.  an  der  Zahl  der  ausgelaufenen  Schiffe, 
mit  26,6  Proz.  an  ihrem  Tonnengehalte  beteiligt,  vereinigen  die 
belgischen  nahezu  die  Hälfte  ihrer  gesamten  Ladung  auf  sich. 

Schiffsbewegung  der  belgischen  Häfen  im  Jahre  1840 
nach  Flaggen  in  Prozent. 


Eingelaufen 

Ausgelaufen 

Anzahl 

Tonnen- 

Ladung 

Anzahl 

Tonnen- 

Ladung 

gehalt 

in  Tonnen 

gehalt 

in  Tonnen 

Belgien 

25,1 

25,9 

24,8 

24,6 

26,« 

47.8 

England 

21,4 

14.6 

13,2 

22,2 

14,8 

18,2 

Hannover  u.  Oldenburg 

14,9 

7,9 

8,2 

14,6 

11,3 

Skandinavien 

9.3 

14,0 

14,6 

9.2 

13,8 

3.4 

Dänemark 

6,5 

3,7  . 

3,9 

6,5 

2,2 

Vereinigte  Staaten 

5,4 

13,8 

14.1 

5,6 

13,8 

3,6 

M  ecklenburg-Sch  werin 

5,1 

7,7 

8,1 

5,2 

1,0 

Frankreich 

3,3 

1,9 

2,0 

3,2 

3,8 

Preußen 

2,9 

4,9 

4,9 

2,7 

0,9 

Holland 

2,8 

1,8 

1,9 

2,8 

2,0 

Hansestädte 

1,3 

1,4 

1,4 

1,8 

2,2 

Andere  Länder 

2,0 

2,7 

2.9 

2,2 

3,6 

Summe 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

538 


Heinrich  Wacntig, 


Es  zeigt  sich  also  ferner,  daß  Belgiens  Handelsmarine  im  Jahre 
1840  ein  Viertel  des  gesamten  Verkehres  in  seinen  Häfen  bewältigte 
und  weder  an  Zahl  noch  an  Tonnengehalt  von  irgendeiner  anderen 
Flagge  übertroffen  wurde  ^).  Am  nächsten  stand  ihm  in  beiderlei 
Hinsicht  England,  demnächst  an  Zahl  Hannover  und  Oldenburg,  an 
Tonnengehalt  Skandinavien  und  die  amerikanische  Union.  Zu- 
sammengenommen aber  überragte  die  deutsche  Schiffahrt  an  Zahl 
(24,2  Proz.)  wie  an  Tonnengehalt  (21,9  Proz.)  alle  anderen  außer  der 
belgischen,  obwohl  die  knyphausenschen,  papenburgischen  und  rostocki- 
schen Schiffe,  die  einige  Jahre  zuvor  an  den  belgischen  Küsten  noch 
ihr  Wesen  getrieben  hatten,  mittlerweile  verschwunden  waren,  die 
hanseatischen  noch  kaum  in  Frage  kamen. 

Ueber  die  Bedeutung  dieses  Schiffsverkehrs  für  die  Pflege 
überseeischer  Handelsbeziehungen  unterrichtet  endlich  die  folgende 
Tabelle: 

Schiffsbewegung   der  belgischen  Häfen   im  Jahre  1840 
nach  Herkunft  und  Bestimmung  in  Prozent. 


Eingelaufen  von: 

Ausgelaufen  nach: 

Anzahl 

Tonnen- 

Ladung  in 

Anzahl 

Tonnen- 

Ladung  in 

Gehalt 

Tonnen 

Gehalt 

- 

Tonnen 

England 

33,8 

26,0 

23,5 

38,6 

29,2 

50.« 

Deutschland 

I5>7 

12,1 

12,4 

13,0 

10,0 

fO,6 

Skandinavien  und  Dä- 

nemark 

13,4 

10,8 

11,4 

7,0 

8,6 

3,6 

Kußland 

IO,4 

15=0 

15,7 

1,6 

0,2 

1,0 

Frankreich 

6,9 

4,8 

4,8 

3,9 

2,7 

5,9 

Vereinigte  Staaten 

5,2 

12,8 

13,4 

2,1 

6,8 

3,6 

Mittelamerika 

4,5 

7,7 

8,1 

2,2 

3,4 

5,4 

Südamerika 

3,0 

4,0 

4,4 

1,4 

2,3 

2,7 

Holland 

2,8 

1,8 

1,6 

1,0 

0,5 

0,6 

Spanien  und  Portugal 

2,1 

1,9 

1,9 

3,6 

6,0 

0,8 

Italien 

1,2 

1,4 

1,2 

0,3 

0,5 

0,9 

Afrika 

0,5 

0,5 

0,4 

0,2 

0,1 

0,4 

Levante 

0,3 

0,6 

0,6 

0,6 

1,0 

2.7 

Oesterreich  mit   Lom- 

bardo-Venezien 

0,2 

0,5 

0,6 

0,2 

0,2 

0,6 

Ostasien 

0,1 

0,1 

0,1 

0,3 

0,9 

Auf  Aventur 

— 

24.S 

28,2 

0,1 

Summe 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

Wie  zu  erwarten,  überragt  der  belgisch-englische  Verkehr  jeden 
anderen.    Der  nächststarke  deutsche,   auch   der   skandinavische  und 


1)  Die  wesentlich  der  Küstenschiffahrt  dienende  belgische  Handelsmarine  umfaßte 
am  31.  Dezember  1841  im  ganzen  171  Schiffe  mit  einem  Gesamttonnengehalt  von 
28  000  t,  so  daß  im  Durchschnitt  auf  ein  Schiff  168,9  t  entfielen.  Das  größte  Schiff 
dieser  Flotte,  der  der  belgischen  Regierung  gehörige  Dampfer  Britisch  Queen  mit  2255  t 
war  aus  technischen  Gründen  unverwendbar.  Die  gleichzeitige  holländische  Handels- 
flotte umfaßte  1135  Schiffe,  wovon  397  für  den  Femverkehr,  756  für  die  Küstenschiff- 
fahrt  bestimmt  waren.     Vgl.  Le  Moniteur  commercial,  Tome  VI,  1842,  p.  50  ff. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  539 

russische,  stehen  weit  hinter  ihm  zurück.  Die  Geringfügigkeit  des 
französischen  und  holländischen  dürfte  sich  großenteils  aus  der  Be- 
nutzung der  Binnenwasserstraßen  erklären.  Namentlich  aber  spiegelt 
sich  in  den  obigen  Ziffern  deutlich  der  allseits  beklagte  „indirekte" 
Charakter  der  von  Belgien  mit  den  überseeischen  Gebieten  unter- 
haltenen Austauschbeziehungen.  Während  nämlich  z.  B.  unter  den 
1840  eingelaufenen  Schiffen  nach  Zahl,  Tonnengehalt  und  Frachten- 
menge wenigstens  die  den  amerikanischen  Häfen  entstammenden 
einigermaßen  vertreten  sind  (12,7,  24,5,  25,9  Proz.),  schrumpft  dieser 
Verkehr  in  der  umgekehrten  Richtung  verhältnismäßig  auf  etwa 
die  Hälfte  (5,7,  15,5,  11,7  Proz.)  zusammen.  Tatsächlich  noch  viel 
mehr,  da  die  Gesamtladung  der  ausgelaufenen  Schiffe  absolut  weit 
hinter  derjenigen  der  eingelaufenen  zurückbleibt.  Nicht  weniger  als 
die  volle  Hälfte  der  gesamten  Rückfracht  geht  nach  England;  daß 
auch  die  deutsche  stärker  vertreten  ist,  liegt  an  den  Hansestädten, 
die  allein  16,3  Proz.  davon  absorbieren.  Nicht  minder  bezeichnend 
ist  endlich  der  Anteil  (24,3  bzw.  28,3  Proz.)  der  „auf  Aventur",  d.  h. 
ohne  bestimmtes  Reiseziel,  und  auch  fast  ohne  jede  Ladung  in  See 
gegangenen  Schiffe. 

Lückenhaft  und  verbesserungsbedürftig  wie  diese  Ziffern  sein 
mögen,  geben  sie  im  großen  und  ganzen  doch  ein  anschauliches  Bild 
von  dem  Wesen  belgischen  Wirtschaftslebens,  wie  es  sich  nach  zehn- 
jährigem Bestehen  des  neu  gegründeten  Staates  allmählich  heraus- 
gebildet hatte.  An  die  Stelle  der  in  sich  ausgeglichenen  und  kraft- 
vollen Volkswirtschaft  des  Königreiches  der  Vereinigten  Niederlande, 
die  auch  dem  stärksten  Gegner  im  internationalen  Wettkampfe  die 
Spitze  bieten  durfte,  war  ein  zwar  lebendiges,  aber  im  Grunde  doch 
schwächliches  und  in  mancherlei  Hinsicht  höchst  abhängiges  Gebilde 
getreten,  das  im  wesentlichen  auf  den  guten  Willen  seiner  Nach- 
barn angewiesen  war.  Aus  einem  ebenbürtigen  Verbündeten  des 
kapitalkräftigen  und  seegewaltigen  Hollands  war  Belgien  eine 
Art  Anhängsel  des  ihm  industriell  wie  kommerziell  gleich  über- 
legenen Englands  geworden,  dessen  politische  Gönnerschaft  in  öko- 
nomische Bevormundung,  wenn  nicht  gar  Ausbeutung,  auszuarten 
drohte. 

So  etwa  mußte  sich  dem  aufmerksamen  Leser  dieser  Handels- 
und Schiffahrtsstatistik  Belgiens  wirtschaftspolitische  Lage  darstellen. 
Daß  die  Zahl  der  Eingeweihten  sehr  groß  gewesen  wäre,  darf  man 
bezweifeln;  denn  das  vom  Ministerium  des  Innern  1842  herausge- 
gebene große  Tabellenwerk  ist  durch  die  amtliche  Stelle  weder  ana- 
lytisch, noch  kritisch  verarbeitet  worden.  Um  so  wirkungs- 
voller ward  die  praktische  Politik  von  privater  Seite  vorbereitet. 
Briavoinne's  im  Jahre  1839  veröffentlichtes  zweibändiges  Werk 
„De  l'industrie  en  Belgique,  causes  de  decadence  et  de  pro- 
sperite,  sa  Situation  actuelle",  das  auf  historisch-statistischer 
Grundlage  Ursprung,    Wesen    und   Aussichten    der   belgischen  In- 


540  Heinrich  Waeniig, 

dustrie  beleuchtete,  konnte  als  Wegweiser  bei  allen  weiteren  Studien 
dienen  ^). 

Drei  Ursachenkomplexe  bestimmen  danach  Belgiens  Wirtschafts- 
lage: seine  geschichtliche  Vergangenheit,  die  technische  Umwälzung 
der  letzten  fünfzig  Jahre,  die  durch  die  staatliche  Wirtschaftspolitik 
geschaffenen  Institutionen.  Diesen  letzteren  nun  ist  der  ganze  zweite 
Band  des  Werkes  gewidmet,  woraus  sich  schon  ergibt,  daß  der  Ver- 
fasser von  einer  bloßen  Negation  solcher  Einrichtungen,  von  deren 
Abbau  zur  Entfesselung  des  freien  Spieles  der  wirtschaftlichen 
Einzelkräfte  nach  dem  Rezepte  der  britischen  Schule,  nichts  wissen 
wollte.  Ueberhaupt  schicke  sich  nicht  eines  für  alle,  und  gleiches  nicht 
für  alle  Zeiten.  „Ceux  qui  voudraient  soumettre  en  ce  moment",  er- 
klärt er  kategorisch,  „toutes  les  nations  indistinctement  ä  un  regime 
uniforme,  soit  de  liberte,  soit  de  restriction,  auraient  contre  eux  Pex- 
perience  qui  nous  enseigne  ä  marcher  dans  cette  voie  avec  prudence, 
avec  reserve,  en  commengant  par  observer  les  besoins  varies  des  lieux 
et  des  temps". 

„Que  chaque  societe  politique,  petite  ou  grande,  soit  maitresse 
chez  eile  et  libre  d'adopter  le  Systeme  qui  lui  parait  le 
plus  conforme  aux  interets  et  aux  voeux  du  plus  grand 
nombre":  dies  das  Prinzip,  das  aller  Wirtschaftspolitik,  somit  auch 
der  belgischen,  zugrunde  zu  legen  sei.  Frei  allerdings  sei  Belgien 
jahrhundertelang  nicht  gewesen;  ja,  es  trage  noch  heute  an  den 
Lasten  seines  Mißgeschickes.  „La  Belgique  demembree,  amoindrie 
de  siecle  en  siecle,  de  guerre  en  guerre,  n'est  plus  aujourd'hui  qu'une 
puissance  de  troisieme  ordre,  tandis  que  PAngleterre,  sa  rivale,  marche 
au  Premier  rang.  Elle  est  donc  jusqu'ä  un  certain  point  dans  la 
dependance  de  voisins  qui  la  protegent;  eile  n'est  pas 
toujours  maitresse  de  diriger  sa  politique  commer- 
ciale,  comme  il  convient  ä  ses  interets."  Vielleicht  noch 
wichtiger  sei  ein  zweiter  Punkt :  „Une  autre  consequence  des  desastres, 


1)  Marie  Natalis  Briavoinne,  geboren  den  9.  September  1799  in  Paris,  gestorben 
den  12.  September  1869  in  Ixelles,  Franzose,  Advokat  in  Paris,  wanderte  wenige  Tage 
vor  Ausbruch  der  Revolution  in  Belgien  ein,  gründete  im  Oktober  1830  die  Zeitung 
„L'Emancipation",  später  „L'ficlair",  und  war  einer  der  ersten  von  denen,  die  sich  in 
Belgien  um  die  Verbreitung  wohlfeiler  Volkszeitungen,  wie  „L'^ficho  de  Bruxelles"  und 
„Le  Peuple"  bemühten.  Von  Beruf  Journalist,  hat  er  sich  als  Nationalökonom  nament- 
lich durch  Veröffentlichung  einer  am  8.  Mai  1837  von  der  Brüsseler  Acad^mie  des 
Sciences  et  Beiles  lettres  gekrönten  Preisschrift  „Sur  les  inventions  et  perfectionnements 
dans  Pindustrie  depuis  la  fin  du  XVIIP  siecle  jusqu'ä  nos  jours"  (Bruxelles  1838),  einer 
am  7.  Mai  1840  gekrönten  zweiten  Preissehrift  „Sur  l'fetat  de  la  population,  des  fabri- 
ques,  des  manufactures  et  du  commerce  dans  les  provinces  des  Pays-Bas  depuis  Albert 
et  Isabelle  jusqu'ä  la  fin  du  siecle  demier"  (Bruxelles  1838),  endlich  des  im  Text  er- 
wähnten grundlegenden  Werkes  über  die  belgische  Industrie  (Bruxelles  1839)  hervor- 
getan. Diesen  Leistungen  hatte  er  wohl  auch  seine  Ernennung  zum  Sekretär  der  am 
25.  Februar  1840  eingesetzten  Kommission  zur  Untersuchung  der  Lage  des  Leinen- 
gewerbes zu  verdanken.  Von  da  ab  hat  er  sich  nur  noch  journalistisch  betätigt.  Seine 
Bedeutung  als  Nationalökonom  soll  demnächst  in  einer  besonderen  Studie  von  mir 
gewürdigt  werden.  Er  ist  als  einer  der  Vorläufer  der  „historischen"  Schule  zu  be- 
trachten. Zu  den  Ausführungen  des  Textes  vgl.  De  l'industrie  en  Belgique,  Tome  II, 
p.  15  ff.,  537  ff. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  541 

que  deux  siecles  de  revers  ont  fait  peser  sur  ce  pays,  a  ete  de 
reduire  de  plus  en  plus  l'etendue  de  son  marche  Inte- 
rieur. Or,  c'est  celui  auquel  il  faut  attacher  le  plus 
de  prix.  L'industrie  beige  approvisionne  quatre  millions  ä  peine, 
et  pour  beaucoup  de  produits  eile  partage  cet  approvisionnement 
avec  ses  voisins,  sans  retrouver  ailleurs  une  egale  compensation. 
Aussi  Pimportance  de  ses  etablissements  se  trouve-t-elle  souvent 
limitee  par  celle  de  son  marche." 

Trotzdem  habe  sich  die  belgische  Industrie  erstaunlich  ent- 
wickelt. „Pour  tout  ce  qui  est  Industrie  manufacturiere,  la  Belgique 
dispute  le  terrain  pied  ä  pied  ä  ses  voisins;  mais  des  qu'ils'agit 
des  branches  de  travail  qui  concourent  au  commerce 
exterieur,  soninferioritecommence.  La  marine  marchande 
est  presque  nulle,  la  construction  de  ses  navires  est  dispendieuse;  eile 
n'a  qu'un  commerce  de  peche  insignifiant;  eile  ne  compose  qu'avec 
peine  des  equipages.  Si,  nonobstant  toutes  ces  entraves,  eile  parvient 
encore  ä  entretenir  des  relations  importantes  avec  ses  voisins,  c'est 
qu'elle  trafique  par  terre  plus  que  par  mer." 

Hierin  einen  Wandel  herbeizuführen,  sei  sicher  eine  der  wich- 
tigsten Aufgaben  der  nationalen  Wirtschaftspolilik.  Einig  über  die 
Ziele,  gingen  die  Ansichten  der  Beteiligten  über  die  anzuwendenden 
Mittel  diametral  auseinander.  In  der  Stellungnahme  Antwerpens 
auf  der  einen,  Ostendes  auf  der  anderen  Seite  trete  dies  augenfällig 
zutage.  Die  belgische  Regierung  nun  scheine  eine  mittlere  Linie 
einhalten  zu  wollen.  Sie  zeige  das  Bestreben,  den  Außenhandel  zu 
entwickeln,  zugleich  aber  ein  gemäßigtes  Schutzsystem  auszugestalten, 
das  sich  auf  Schiffahrt  und  Handel,  Gewerbe  und  Landwirtschaft 
gleichmäßig  erstrecken,  namentlich  aber  den  direkten  Verkehr  mit 
den  überseeischen  Ländern  begünstigen  müsse. 

Eben  deshalb  könne  es  aber  auch  nicht  in  Belgiens  Interesse 
liegen,  Handels-  und  Schiffahrtsverträge  auf  Gegenseitigkeit  mit 
allen  Staaten  ohne  Ausnahme  abzuschließen.  Nach  dem  Grade  ihrer 
Leistungsfähigkeit  sei  sorgfältig  zu  unterscheiden.  „Le  principe 
qui  veut  que  la  protection  envisagee  d'une  maniere  generale  est 
necessaire  pour  retablir  une  inegalite  momentanee  dans 
les  conditions  de  travail  entre  les  peuples",  sei  auch  auf 
diese  diplomatischen  Abmachungen  anzuwenden,  was  keineswegs  der 
erwiesenen  Tatsache  widerspreche,  „que  toute  legislation  de 
douane  constitue  un  etat  transitoire,  destine  ä  faire  dis- 
paraitre,  entre  les  nations  qui  produisent,  les  inegalites  momentanees 
de  travail,  ä  eloigner  Poppression,  le  monopole,  ä  faciliter  ä  un  mot 
le  perfectionnement  du  savoir  industriel"  ')• 

Briavoinne's  Ansichten,  aus  gründlichster  Kenntnis  der  belgischen 
Volkswirtschaft  entwickelt  und  unter  Heranziehung  eines  umfassen- 


1)  Dieser  Begriff  ist  grundlegend  für  Briavoinnes  Wirtschaftsthecrie.  Er  versteht 
darunter  „un  amour  du  travail  savamment  dirig6  vers  tout  ce  que  la  nature  ou  le 
hasard  vient  mettre  ä  la  port^e  des  hommes".    (De  l'industrie  en  Belgique,  Tome  II,  p.  5.) 


542  Heinrich  Waentig, 

den  Vergleichsmaterials  aus  dem  Wirtschaftsleben  anderer  Völker 
überzeugend  vorgetragen,  scheinen  einen  bestimmenden  Einfluß 
auf  Beamtenschaft^)  wie  Parlament  ausgeübt  zu  haben.  Jedenfalls 
verstärkten  sie  allenthalben  den  Wunsch,  aus  dem  mißlichen  Zu- 
stande unklaren  Schwankens  herauszukommen.  Ein  in  der  Kammer- 
sitzung vom  19.  Februar  1840  durch  den  Abgeordneten  de  Foere 
gestellter  Antrag  auf  Einsetzung  einer  parlamentarischen  Enquete- 
kommission zur  Klärung  der  Lage  wurde  nach  leidenschaftlicher 
Debatte  am  18.  Mai  desselben  Jahres  angenommen.  Sie  erhielt  den 
Auftrag,  den  gegenwärtigen  Stand  des  belgischen  Außenhandels  in 
seinen  Beziehungen  zu  Industrie  und  Landwirtschaft  zu  unter- 
suchen, festzustellen,  ob  die  geltende  Gesetzgebung  versage,  und  be- 
jahenden Falles  dem  Parlamente  die  Grundzüge  eines  Handels-  und 
Schiffahrtssystemes  vorzulegen,  das  im  Interesse  der  Nation  etwa 
einzuführen  wäre.  Sie  eröffnete  ihre  Tätigkeit  bereits  am  20.  Juni. 
Besondere  Erhebungen  des  Ministeriums  des  Innern  liefen  nebenher  ^). 

Die  leitenden  Gesichtspunkte  des  der  Kammer  am  22.  Dezember 
1841  erstatteten  Enqueteberichtes ^)  waren  die  folgenden:  Belgiens 
Außenhandel  in  seinen  Beziehungen  zur  heimischen  Industrie  leide 
an  einer  empfindlichen  Depression.  Dieses  vornehmlich  aus  zwei 
Gründen.  Einmal,  weil  die  europäischen  Staaten  sich  seiner  Ent- 
wicklung durch  ihr  Schutzsystem  widersetzten.  Da  in  dieser  Hin- 
sicht auf  absehbare  Zeit  kaum  eine  Aenderung  zu  erwarten  sei, 
könne  auch  der  Abschluß  von  Handels-  und  Schiffahrtsverträgen 
mit  ihnen  keinerlei  Besserung  bringen.  Vielmehr  müsse  Belgien 
ihrem  Beispiele  folgen.  Ein  Schiffahrtsvertrag  auf  Gegenseitigkeit, 
der  die  Schiffe  beider  Nationen  den  nationalen  assimiliere,  könne 
mit  den  Vereinigten  Staaten  abgeschlossen  werden;  jedoch  nur, 
soweit  es  sich  um  die  wechselseitige  Einfuhr  von  Erzeugnissen  der 
eigenen  Landwirtschaft  und  Industrie  der  Beteiligten  handele. 

Der  zweite  Grund  sei,  daß  es  Belgien  bisher  nicht  gelungen, 
regelmäßige  und  unmittelbare  Austauschbeziehunzen  zu  den  über- 
seeischen Ländern  herzustellen.  In  diesem  wichtigen  Punkte  treffe 
jedoch  es  selber  die  meiste  Schuld.  Naiverweise  habe  es  sich  dazu 
herbeigelassen,  die  überseeischen  Produkte,  deren  es  bedurfte,  statt 
an  ihren  Ursprungsorten,  in  den  europäischen  Umschlagshäfen  zu  er- 
werben, obwohl  es  dort  auf  den  Absatz  seiner  eigenen  Erzeugnisse  nicht 
habe  rechnen  können.    Nicht  genug  damit,  habe  es  fremden  Nationen 

1)  Bezeichnend  ist  in  dieser  Hinsicht  eine  anonyme  Broschüre,  betitelt  „Du  com- 
merce maritime  et  de  l'^tablissement  du  Systeme  des  droits  diff^rentiels  en  Belgique", 
Bruxelles  1842,  die  Louis-Charles-Fortun6  Varlet,  damals  Chef  de  la  division  du 
commerce  au  Ministöre  de  l'int^rieur,  zugeschrieben  wird 

2)  Vgl.  Situation  commerciale  et  industrielle  de  la  Belgique,  Enquete  parlemen- 
taire  institu^e  en  1840,  2  vols.  Discussion  de  la  loi  des  droits  diff^rentiels  du  21  juillet 
1844,  d'apr^  le  Moniteur  Beige,  Bruxelles  1844. 

3)  Discussion  de  la  loi  des  droits  diff^rentiels,  p.  41  ff.  Dieser  Bericht 
betraf  ausschließlich  die  Lage  von  Schiffahrt  und  Außenhandel.  Ein  zweiter  Enquöte- 
bericht  über  die  Lage  der  Industrie  wurde  der  Kammer  am  23.  Februar  1844  vorgelegt 
(a.  a.  O.  p.  277  ff.). 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  543 

gestattet,  jene  Produkte,  mit  verschwindenden  Ausnahmen  (Tee  und 
Zucker),  fast  unter  den  gleichen  Bedingungen  in  belgischen  Häfen 
einzuführen,  wie  der  heimische  Handel,  und  ihnen  damit  die  Mög- 
lichkeit geboten,  im  Austausch  für  die  Belgien  gelieferten  Waren 
ihre  eigenen  Erzeugnisse  in  überseeischen  Ländern  abzusetzen.  Beides 
mit  dem  verderblichen  Erfolge,  daß  die  steigende  Nachfrage  Belgiens 
nach  überseeischen  Gütern  in  erster  Linie  seinen  Konkurrenten  zu- 
gute kam,  der  belgische  Handel  immer  mehr  zu  einem  bloßen  Kom- 
missionshandel herabsank,  das  Absatzgebiet  belgischer  Industrie- 
produkte sich  auch  in  den  überseeischen  Ländern  immer  mehr 
einengte. 

Das  neue  Wirtschaftsprogramm  nun  müsse  vornehmlich  auf  die 
Förderung  des  belgischen  Industrieexportes  zugeschnitten  sein,  der 
am  meisten  durch  die  sichere  Aussicht  auf  gewinnreiche  Rück- 
frachten begünstigt  werde.  Dazu  sei  es  nötig,  direkte  Handelsbe- 
beziehungen mit  den  überseeischen  Produktionsgebieten,  den  beiden 
Indien,  Zentralasien  und  China,  Afrika  und  Südamerika,  anzu- 
knüpfen und  umgekehrt  die  Einfuhr  ihrer  Erzeugnisse  durch  die 
Vermittlung  der  europäischen  Umschlagshäfen  oder  der  fremdlän- 
dischen Schiffahrt  in  belgischen  Häfen  mit  Hilfe  eines  Systemes 
von  Unterscheidungszöllen  zu  verhindern  oder  doch  zu  erschweren. 
Dagegen  sei  das  Transitgut  von  jeder  differenziellen  Behandlung, 
welcher  Art  immer,  zu  befreien. 

Die  Enquetekommission  hatte  ihre  praktischen  Anregungen  in 
einem  Gesetzentwurf  niedergelegt,  die  Regierung  ihrerseits  einen 
zweiten  ausgearbeitet,  die  meistbeteiligte  Handelskammer  von  Ant- 
werpen einen  dritten  beigesteuert.  Sie  bildeten  die  Unterlagen  der 
parlamentarischen  Verhandlungen,  die  Ende  April  1844  zunächst  mit 
geheimen  Sitzungen  begannen,  Anfang  Mai  öffentlich  fortgesetzt 
wurden  und  sich  bis  Mitte  Juni  hinzogen.  Das  Gesetz  über  die 
Unterscheidungszölle  war  das  Ergebnis  der  langwierigen  Beratungen. 
Am  11.  Juni  mit  43  gegen  25  Stimmen  von  der  Kammer,  am  18.  Juli 
mit  28  gegen  5  Stimmen  vom  Senate  angenommen,  wurde  es  am 
21.  Juli  1844  vom  Könige  vollzogen.  Niemals  ist  eine  große  wirt- 
schaftspolitische Aktion  gründlicher  vorbereitet,  leidenschaftlicher 
diskutiert  worden,  niemals  eine  in  ihren  Ergebnissen  wirkungsloser 
verpufft. 

(Schluß  folgt.) 


544  Eugen  Wfirebnrger, 


VIII. 

Ausblick  auf  unsere  künftige  Bevölkerungs- 
entwicklung. 

Von 
Eugen  Würzburger. 

Der  Abschnitt  der  deutschen  Bevölkerungsgeschichte,  der  durck 
scharfen  Rückgang  der  Geburtenziffer  auf  der  einen,  der  Kinder- 
sterblichkeit auf  der  anderen  Seite  gekennzeichnet  wird,  liegt  hinter 
uns.  Im  letzten  Drittel  der  etwa  IV2  Jahrzehnte,  die  er  umfaßte, 
hat  die  erstgenannte  von  den  beiden  Erscheinungen,  der  Geburten- 
rückgang, steigendes  Aufsehen  erregt  und  bewirkt,  daß  die  Ge- 
burtenfrage heute  zu  denjenigen  gehört,  an  denen  keiner  vorüber- 
gehen zu  dürfen  glaubt,  der  in  Dingen  des  nationalen  Wohls  ur- 
teilen will. 

Ueber  diese  bevölkerungsstatistischen  Tatsachen  und  über  ihre 
zum  Teil  recht  fragwürdige  Behandlung  in  der  nicht  fachstatistischen 
Literatur  habe  ich  meine  Auffassung,  die  ich  hier  nicht  wiederholen 
möchte,  insbesondere  in  „Schmollers  Jahrbuch",  Oktober  1914,  in  der 
„Sozialen  Praxis"  vom  24.  Februar  1916  und  in  Besprechungen  be- 
völkerungsstatistischer Schriften  im  „Deutschen  Statistischen  Zentral- 
blatt" niedergelegt. 

Der  Krieg  hat  in  die  Bevölkerungsverhältnisse  tief  eingegriffen 
und  eine  neue  Periode  in  der  Geschichte  der  deutschen  Bevölke- 
rungsentwicklung eingeleitet.  Auch  darin  kommt  den  Bewegungen 
der  Geburtenziffer,  nicht  minder  als  denjenigen  der  Sterbefälle,  ent- 
scheidende Bedeutung  zu.  Aber  der  Geburten  aus  fall  während  des 
Krieges  hat  mit  dem  Geburtenrückgang  aus  der  Zeit  von  1900  bis 
1914  weder  ursächlich  noch  in  der  Form,  wie  er  sich  statistisch 
darstellt,  etwas  gemein.  Er  ist  eine  der  drei  Formen,  in  denen  der 
Krieg  auf  unsere  Bevölkerungszusammensetzung  bis  jetzt  erkennbar 
wirkt  oder  wirken  wird,  und  über  die  das  Folgende  einen  kurzen 
Ueberblick  zu  geben  versucht. 

Den  ersten  und  schmerzlichsten,  aber  nicht  größten  Bevölke- 
rungsverlust verursachen  die  unmittelbaren  Kriegstodesfälle  auf  dem 
Schlachtfeld  und  infolge  von  Wunden  und  Erkrankungen.  Die 
„SeLskabet  for  Social  Forsken  of  Krigens  Feiger'^  in  Kopenhagen 
schätzt  sie  in  ihrem  „Bulletin  Nr.  2"  für  das  Deutsche  Reich  auf 


Ausblick  auf  uusere  künftige  Bevölkerungsentwicklung.  545 

die  Zeit  bis  1.  Juli  1916  auf  Grund  der  Verlustlisten  und  gewisser 
Annahmen  auf  771  308.  Diese  Todesfälle  verteilen  sich  in  der  Haupt- 
sache auf  15  bis  20  der  erwerbs-  und  zeugungskräftigsten  Alters- 
klassen und  stören  das  Gleichgewicht  der  Geschlechter,  das  bis  da- 
hin innerhalb  dieser  Altersklassen  annähernd  bestanden  hatte.  Nach 
dem  Kriege  werden  aber  die  Lücken  in  diesen  Altersklassen  in  ab- 
sehbarer Zeit,  vorausgesetzt,  daß  der  Friede  inzwischen  nicht  aber- 
mals gestört  werde,  sofort  sich  in  dem  Maße  zu  schließen  anfangen, 
als  die  vom  Kriege  nicht  berührten  jungen  Altersklassen  nachrücken, 
so  daß  z.  B.  die  Klasse  der  18— 23-jährigen  jungen  Leute  nach  Ab- 
lauf von  5  Jahren,  die  der  23 — 28-jährigen  nach  10  Jahren,  die  der 
28— 33-jährigen  nach  15  Jahren  wieder  vollzählig  wie  vorher  sein 
wird.  Alsdann  wird  aber  diese  selbsttätige  Ergänzung  eine  Unter- 
brechung infolge  des  nachstehend  zu  nennenden  Umstandes  erfahren. 

Die  zweite  Art  des  Bevölkerungsverlustes  besteht  in  dem  Aus- 
fall an  Geburten,  den  die  Trennung  von  Ehepaaren  während  der 
Dauer  des  Krieges  verursacht.  Dieser  Verlust  wird  zweifellos  an 
zahlenmäßiger  Bedeutung  die  durch  Kriegssterbefälle  weit  über- 
ragen, wie  es  ja  auch  im  Kriege  von  1870/71  der  Fall  gewesen. 
Er  steht  im  unmittelbaren  Verhältnis  zur  Zahl  der  Verheirateten  unter 
den  mobilen  Truppen  und  mußte,  da  der  Anteil  der  Verheirateten 
an  der  Gesamtzahl  der  Truppen  infolge  der  im  allgemeinen  späteren 
Einberufung  der  älteren  Dienstpflichtigen  zum  Heere  im  Laufe  des 
Krieges  ständig,  und  zwar  bis  auf  etwa  Vs  oder  sogar  ^is,  gewachsen 
sein  dürfte,  notwendig  ebenfalls  andauernd  größer  werden.  Die 
Klagen  über  alle  möglichen  anderen  eingebildeten  Ursachen  der  an- 
dauernden Verminderung  der  Geburtenzahl  während  der  bisherigen 
Kriegsjahre  entbehren  der  sachlichen  Begründung.  In  Sachsen  z.  B. 
verhält  sich  die  Zahl  der  Geburten  in  dem  letzten  durch  den  Krieg  nicht 
beeinflußten  Vierteljahr  Januar-März  1915  zu  der  des  Vierteljahrs 
April-Juni  1917  wie  7  zu  3.  Die  Zahl  der  in  ihrem  Haushalt  an- 
wesenden Ehemänner  aus  den  hauptsächlich  für  die  Zeugung  in  Be- 
tracht kommenden  Altersklassen  hat  sich  aber  in  der  entsprechenden 
Zeit,  d.  h.  vom  Beginn  des  Krieges  bis  zum  Herbst  1916,  mindestens 
im  nämlichen,  wahrscheinlich  aber  in  erheblich  stärkerem  Maße  ver- 
mindert. 

Es  besteht  kein  Grund,  daran  zu  zweifeln,  daß  die  auf  solche 
Weise  gestörte  eheliche  Fruchtbarkeit  wieder  einsetzen  wird,  sobald 
die  Demobilisierung  die  Ehemänner  in  die  Heimat  zurückgeführt 
haben  wird.  Eine  gewisse  Minderung  infolge  von  im  Felde  erwor- 
benen Krankheiten  und  Verstümmelungen  wird  gewiß  nicht  aus- 
bleiben; doch  ist  wohl  ihre  Bedeutung  im  Verhältnis  zur  Gesamt- 
zahl der  wiederherzustellenden  ehelichen  Gemeinschaften  nicht  so 
hoch  zu  schätzen,  wie  es  ohne  positive  Unterlagen  vorauszusagen 
üblich  geworden  ist. 

Der  Geburtenausfall,  der  sich  auf  den  Zeitraum  von  Anfang 
Mai  1915  bis  ^4  Jahre  nach  der  Rückkehr  unserer  Feldgrauen  er- 
strecken  wird,  muß  sich  mit  Notwendigkeit  auf  die  ganze  Dauer 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  35 


546  Eugen  Würzburger, 

des  Lebens  der  dieser  Zeit  entstammenden  Generation  in  der  Be- 
völkerungszusammensetzung Deutschlands  fühlbar  machen.  Im  Jahre 
1871  haben  die  7  Kriegsmonate  einen  Geburtenausfali  von  über 
150  000  bewirkt,  der  gänzlich  in  die  Geburtsjahrklasse  1871  fiel 
und  bei  dieser  noch  in  der  Volkszählung  von  1910  dadurch  zum 
Ausdruck  kam,  daß  die  betreffende  Altersklasse  bei  beiden  Ge- 
schlechtern an  Zahl  gegenüber  der  folgenden  merklich  zurückblieb 
(siehe  die  graphische  Darstellung  in  Bd.  240  der  „Statistik  des 
Deutschen  Reiches"). 

Die  —  bis  jetzt  —  drei  vom  Weltkrieg  betroffenen  Geburts- 
jahrklassen werden  insgesamt  einen  mehr  als  15mal  stärkeren  Aus- 
fall zeigen  als  der  vom  Krieg  von  1870/71  hervorgerufene;  durch 
den  ganzen  Verlauf  des  Lebens  dieser  Jahresklassen,  also  durch  mehr 
als  ein  halbes  Jahrhundert  hindurch,  entsprechend  ihrem  jeweiligen 
Alter  fortschreitend,  wird  sich  überall  das  Fehlen  von  einem  Drittel 
oder  mehr  des  gewohnten  Nachwuchses  scharf  fühlbar  machen;  erst 
beim  Schulbesuch,  dann  beim  Eintritt  ins  erwerbstätige  Leben  und 
bei  den  Männern  in  den  Heeresdienst,  endlich  bei  den  den  Personen 
reiferen  Alters  vorbehaltenen  Beschäftigungen  und  Stellungen.  So 
wird  in  20 — 30  Jahren  unter  allerdings  nur  3  Jahrgängen  der  er- 
werbstätigen Klassen  eine  Lücke  ähnlich  der  jetzt  durch  die  Kriegs- 
opfer bewirkten  entstehen,  aber  dann  bei  beiden  Geschlechtern. 

Da  es  sich  dabei  um  Dinge  handelt,  die  sich  mit  annähernder 
Sicherheit  lange  vorausberechnen  lassen,  so  liegt  hier  einer  der 
Punkte  vor,  in  denen  eine  vorsorgende  Bevölkerungspolitik  von 
sicherer  Grundlage  aus  eingreifen  kann  und  muß.  Auch  sonstige 
Verwaltungsmaßregeln  können  dadurch  nahegelegt  werden;  man  denke 
beispielsweise  an  die  Möglichkeit  von  Ersparnissen  im  Schulwesen 
im  Hinblick  auf  die  zu  erwartenden  Jahre  mit  so  stark  geminderter 
Schülerzahl.  Es  wird  eine  der  nächsten  Aufgaben  der  amtlichen 
Statistik  nach  dem  Kriege  sein,  auf  Grund  der  Geburtenzahlen  der 
Kriegsjahre  die  nötigen  Unterlagen  zu  schaffen. 

In  dritter  Linie  steht  das  Ausbleiben  der  Nachkommenschaft, 
die  die  Opfer  des  Krieges  nach  demselben  noch  zu  erwarten  ge- 
habt hätten.  Hierbei  ist  einerseits  an  die  Kinder  bestehender  und 
durch  den  Kriegstod  des  Ehemanns  gelöster  Ehen  zu  denken,  anderer- 
seits an  diejenigen,  die  aus  den  zu  erwartenden  Ehen  der  gefallenen 
Ledigen  hervorgegangen  sein  würden. 

Während  die  beiden  erstgenannten  Verluste  die  einmalige 
Schwächung  bestimmter  Jahresklassen  bedeuten  und  sofort  zahlen- 
mäßig festgestellt  werden  können,  gehört  der  dritte  noch  ganz  der 
Zukunft  an;  er  ist  in  seiner  Größe  unbestimmbar  und  wird  eine 
Reihe  von  kommenden  Geburtsjahrgängen  treffen,  die  der  Dauer  der 
Zeugungsfähigkeit  der  Opfer  des  Krieges  gleichkommt,  also  20 
bis  35. 

Ob  sich  die  Hoffnung  erfüllen  wird,  daß,  ähnlich  wie  bald  nach 
den  Befreiungskriegen  und  dann  wieder  in  den  Jahren  1872  bis 
1876,  auch  nach  dem  Weltkrieg  einige  hunderttausend  Ehen  in  jüngeren 


Ausblick  auf  unsere  künftige  Bevölkerungsentwicklung.  547 

Jahren  eingegangen  werden,  als  es  dem  üblichen  Heiratsalter  ent- 
spricht? Denn  so  erklärt  sich  die  Geburtenhochflut  nach  den  ge- 
nannten früheren  Kriegen,  und  nicht,  wie  man  vielfach  zu  glauben 
scheint,  durch  einen  besonderen  Eifer  der  bereits  vorhandenen  Ehe- 
paare, dem  Vaterlande  seine  Verluste  an  Menschenleben  möglichst 
rasch  zu  ersetzen.  Bevölkerungsstatistisch  kann  eine  Wiederholung 
jener  Erscheinung  nicht  als  ausgeschlossen  bezeichnet  werden;  denn 
wie  damals  dürften  diejenigen  Altersklassen  des  männlichen  Ge- 
schlechts, die  zur  Kriegszeit  nahe  am,  aber  noch  nicht  im  militä- 
rischen Alter  standen,  schneller  als  sonst  in  eine  das  Heiraten  er- 
möglichende wirtschaftliche  Lage  kommen,  weil  der  Krieg  in  die 
ihnen  unmittelbar  vorausgehenden  Altersklassen  furchtbare  Lücken 
gerissen  hat.  Eheschließung  in  jüngeren  Jahren  bedeutet  aber  nicht 
nur  früheren  Eintritt,  sondern  nach  dem  Ergebnis  der  hierzu  (aller- 
dings hauptsächlich  aus  dem  Ausland)  vorliegenden  statistischen 
Untersuchungen  auch  eine  vermehrte  Zahl  der  aus  diesen  Ehen  zu 
erwartenden  Geburten.  So  würden  auf  die  besonders  geschwächten 
wieder  besonders  starke  Geburtsjahrgänge  folgen,  —  wenn  und  so- 
fern eben  das  so  zu  erhoffende  (aber  keineswegs  bestimmt  zu  er- 
wartende) Mehr  an  jungen  Ehen  und  demzufolge  an  Geburten  nicht 
durch  den  hier  als  dritte  Verlustquelle  bezeichneten  künftigen  Minder- 
ertrag an  Geburten  aus  den  zahlenmäßig  gering  gewordenen  älteren 
Ehen  aufgehoben  wird. 

Zur  Förderung  der  beschleunigten  Eheschließung  jüngerer  Män- 
ner und  zugleich  als  Abhilfe  gegen  die  drohende  Ehelosigkeit  der 
Mädchen,  die  nach  ihrem  Alter  für  Heiraten  mit  den  durch  den 
Krieg  geschwächten  Männer-Jahrgängen  in  Betracht  kämen,  hat  man 
von  ärztlicher  Seite  eine  Aenderung  der  Bestimmungen  des  Bürger- 
lichen Gesetzbuches  über  das  Heiratsalter,  als  welches  jetzt  für 
Männer  das  vollendete  20.,  für  Frauen  das  16.  Lebensjahr  gilt,  in 
der  Weise  empfohlen,  daß  das  Verhältnis  etwa  umgekehrt  wird. 
Eine  solche  Reform  wird  von  biologischen  Gesichtspunkten  als  emp- 
fehlenswert bezeichnet,  und  in  demographischer  Beziehung  dürfte 
von  ihr  mit  einiger  Sicherheit  eine  Vermehrung  der  Heiraten  zu  er- 
warten sein.  Die  wirtschaftliche  Seite  der  Frage  zu  erörtern,  scheint 
müßig  angesichts  der  völligen  Unmöglichkeit  eines  sicheren  Aus- 
blicks auf  die  Entwicklung  unserer  Volkswirtschaft  nach  dem  Kriege. 
So  muß  denn  der  Vorschlag  trotz  seiner  Eigenartigkeit  einer  ernsten 
Erwägung  wert  erachtet  werden. 

Das  sind  also  die  Wandlungen  unserer  Bevölkerungsverhältnisse, 
die  uns  der  Krieg  gebracht  hat  und  noch  bringen  wird;  fassen  wir 
sie  nochmals  kurz  zusammen: 

1)  Unmittelbare  Kriegsverluste,  die  fast  ausschließlich  das  männ- 
liche Geschlecht  und  ganz  hervorragend  die  zurzeit  im  kräftigsten 
Alter  stehenden  Jahresklasseu  treffen,  die  erst  mit  deren  Hinauf- 
rücken in  höhere  Altersklassen  durch  die  nachrückenden,  soweit  sie 
vor  dem  Krieg  geboren  sind,  ersetzt  werden. 

35* 


548  Eugen  Würzburger,  Ausblick  auf  unsere  künftige  Bevölkerungsentwicklung. 

2)  Der  Geburtenausfall  während  der  Kriegsjahre  durch  Einzie- 
hung Verheirateter  zum  Heeresdienst,  ein  Ausfall,  der  durch  die 
ganze  Lebenszeit  der  Geburtsjahrklasse  1915  usw.  hindurch  bei  beiden 
Geschlechtern  in  gleichem  Maße  fühlbar  bleiben  wird. 

3)  Der  Geburtenausfall  nach  dem  Kriege  durch  Nichtwieder- 
verheiratung  von  Witwen  der  im  Kriege  gefallenen  Ehemänner  und 
durch  Ledigbleiben  von  Mädchen,  deren  Heiratsmöglichkeit  durch 
die  Kriegstodesfälle  unverheirateter  junger  Männer  vermindert  wor- 
den ist. 

Unsere  Hoffnungen  auf  Heilung  der  Wunden,  die  der  Krieg 
unserer  Bevölkerung  schlägt,  gründen  sich  daher  einesteils  auf  das 
allmähliche  Einrücken  der  intakten  männlichen  Geburtsjahrklassen 
1901  bis  1914  in  die  Reihen  der  Erwerbstätigen,  anderenteils  auf 
künftige  vermehrte  Eheschließungen  jüngerer  Leute. 

Die  vor  dem  Kriege  als  normal  angesehene  Zusammensetzung 
der  Bevölkerung  nach  Alter  und  Geschlecht  aber  kann  erst  nach 
Jahrzehnten  wieder  erreicht  werden.  (g-  c.) 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  549 


Nationalökonomisclie  Gesetzgebung. 

111. 

Ergänzende  Gesetze  zum  Deutschen  Kriegssteuer- 
gesetz. 

(1.  Gesetz  zur  Ergänzung  des  Kriegssteuergesetzes  vom  17.  Dezember 
1916.  —  2.  Gesetz  über  die  Erhebung  eines  Zuschlags  zur  Kriegssteuer 
vom  9.  April  1917.  —  3.  Gesetz  über  Sicherung  der  Kriegssteuer  vom 

9.  April  1917.) 

Das  Kriegssteuergesetz  vom  21.  Juni  1916  ist  im  52.  Bande  der 
III.  Folge  S.  50  ff.  dieser  „Jahrbücher"  abgedruckt  und  damals  von 
G.  Strutz  kurz  gewürdigt  worden.  Inzwischen  hat  das  Gesetz  mehrere 
Zusätze  und  Ergänzungen  erfahren,  auf  die  der  Vollständigkeit  halber 
hinzuweisen  sein  dürfte. 

Zunächst  kommt  das  Gesetz  zur  Ergänzung  des  Kriegssteuer- 
gesetzes vom  17.  Dezember  1916  (cf.  unten  S.  551)  in  Betracht,  das 
auf  einer  Initiative  des  Reichstages  beruht  und  in  der  Fassung,  in  der 
es  vom  Abg.  Dr.  Zehnter  beantragt  worden  ist,  Annahme  gefunden 
hat.  Es  handelt  sich  lediglich  darum,  daß  bei  Feststellung  des  Ver- 
mögensstandes am  Ende  des  Veranlagungszeitraumes  noch  nicht  fällige 
Ansprüche  aus  während  des  Veranlagungszeitraumes  eingegangenen 
Lebens-,  Kapital-  und  E-entenversicherungen  mit  der  vollen  Summe  der 
eingezahlten  Prämien  oder  Kapitalbeiträge  anzusetzen  sind,  falls  die 
jährliche  Prämienzahlung  den  Betrag  von  1000  M.  oder  die  einmalige 
Kapitalzahlung  den  Betrag  von  3000  M.  übersteigt. 

An  zweiter  Stelle  ist  dann  vor  allem  das  Gesetz  über  die  Er- 
hebung eines  Zuschlags  zur  Kriegssteuer  vom  9.  April  1917  (cf.  unten 
S.  561)  zu  nennen.  Die  Erhebung  eines  Zuschlags  ist  durch  die  lange 
Dauer  des  Krieges  und  durch  die  immer  mehr  anwachsenden  Kriegs- 
lasten des  Reiches  erforderlich  geworden.  Die  Gesamtbelastung  der 
außerordentlichen  Kriegsabgabe  werde,  so  wird  in  der  Begründung  aus- 
geführt, durch  den  Zuschlag  zwar  verschärft,  sei  aber  volkswirtschaft- 
lich noch  erträglich.  Auch  sei  es  ein  Vorzug,  daß  die  Erhebung  des 
Zuschlags,  dessen  Festsetzung  in  der  Regel  gleichzeitig  mit  der  Ver- 
anlagung der  außerordentlichen  Kriegsabgabe  erfolgen  könne,  keine  be- 
sonderen Veranlagungs-  und  Erhebungsschwierigkeiten  verursache. 

Diese  Zuschlagserhebung  stellt  unter  allen  Umständen  einen  außer- 
gewöhnlichen Vorgang  dar.  Eine  Steuer,  die  eben  beschlossen  und 
durchgeführt  wird,  erfährt  in  ihrem  grundlegenden  Tarif,  ehe  sie  noch 
veranlagt  und  erhoben  ist,  eine  durchgreifende  Aenderung.  Die  Ver- 
schärfung des  Tarifs  geht  aus  den  nachfolgenden  Uebersichten  hervor: 


560 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


Die  Abgabe  nach  §  9  Nr.  1  des  Kriegssteuergesetzes 

beträgt: 


bei  einem 

ohne  Zuschlag 

einschließlich  des  Zuschlags 

Vennögens- 
sawacbse  von 

vom  Hundert 

vom  Hundert 

M. 

M. 

des  Zuwachses 

M. 

des  Zuwachses 

lOOOO 

500 

5,0 

600 

6,0 

15000 

I  000 

6,6 

I  200 

8,0 

20000 

I  500 

7,5 

I  800 

9,0 

25  000 

2  250 

9,0 

2700 

10,8 

30000 

3000 

10,0 

3600 

12,0 

35000 

4000 

11,4 

4800 

13,7 

40000 

5000 

12,5 

6000 

15,0 

45000 

6000 

13,3 

7  200 

i6,ü 

50000 

7000 

14,0 

8400 

16,8 

60GOO 

9500 

15,8 

II  400 

19.0 

70000 

12000 

17,1 

14400 

20,6 

80000 

14500 

18,1 

17400 

21,8 

90000 

17000 

18,8 

20400 

22,7 

100  000 

19500 

19,5 

23400 

23,4 

1 20  000 

25500 

21,2 

30600 

25,5 

140000 

31500 

22,5 

37800 

27,0 

160  000 

37500 

23,4 

45000 

28,1 

180000 

43500 

24,2 

52  200 

29,0 

200  000 

49500 

24,7 

59400 

29,7 

250  000 

67000 

26,8 

80400 

32,2 

300  000 

84500 

28,1 

loi  400 

33,8 

400  000 

119  500 

29,9 

143  400 

35,8 

500  000 

159500 

3M 

191  400 

38,5 

booooo 

199  500 

33,.^ 

239  400 

39,9 

700  000 

239  500 

34,2 

287  400 

41,1 

800  000 

284  500 

35,5 

341  400 

42,7 

900  000 

329500 

36,6 

395400 

43,9 

I  000  000 

374  500 

37,4 

449  400 

44,9 

I  500  000 

624500 

41,6 

749400 

49,9 

2  000  000 

874  500 

43,7 

I  049  400 

52,5 

3  000  000 

I  374  500 

45,8 

I  649  400 

55,0 

4  000  000 

1874500 

46,8 

2  249  400 

56,2 

5  000  000 

2  374  500 

47,5 

2  849  400 

57,0 

Die  Abgabe  nach  §  9  Nr.  2  des  Kriegssteuergesetzes 
beträgt  unter  Zugrundelegung  eines  Anfangs  Vermögens 
(Vermögensstandes  am  31.  Dezember  1913)  von   100000  M. 


bei  einem  Endvermögen 

ohne  Zuschlag 

einschließlich  des  Zuschlag 

(Vermögensstand  am 

31.  Dezember  1916)  von 

vom  Tausend  des 

vom  Tausend  de^ 

M. 

M. 

ganzen  Vermögens 

M. 

ganzen  Vermögens 

100  000 

100 

1 

120 

1,2 

99000 

90 

0,909 

108 

1,091 

98000 

80 

0,817 

96 

0,979 

97000 

70 

0,722 

84 

0,866 

96000 

60 

0,684 

72 

0,750 

95000 

50 

0,5  2  7 

60 

0,631 

94000 

40 

0,425 

48 

0,511 

93000 

30 

0,3  2  S 

36 

0,887 

92000 

20 

0,2 17 

24 

0,2  61 

91  000 

10 

0,109 

12 

0,182 

90000 

— 

— 

— 

— 

Nationalökonomische  Gesetzgebung.  551 

Auch  der  Verwendungszweck  ist  ein  anderer  geworden.  Während 
die  ursprüngliche  Kriegssteuer  zur  Abbürdung  der  Schuldenlast,  zur 
Tilgung  des  Kapitals  bestimmt  war,  soll  der  Zuschlag  der  Balanzierung 
des  laufenden  Etats  dienen. 

Auf  Grund  einer  Anregung  aus  der  Mitte  des  ßeichstages  ist  in 
Absatz  2  des  §  1  der  Gedanke  der  Berücksichtigung  des  Familien- 
standes —  zum  erstenmal  im  Reiche  —  in  das  Gesetz  aufgenommen. 
Daß  dieses  „Kinderprivileg"  von  nennenswerter  Bedeutung  sein  wird, 
darf  wohl  bezweifelt  werden. 

Es  wird  unverzüglich  notwendig  sein,  ein  neues  Kriegssteuergesetz 
zu  schaffen.  Die  ersten  erforderlichen  Maßnahmen  hierzu  werden  in 
dem  Sicherungsgesetz  vom  9.  April  1917    (cf.  unten  S.  552)   getroffen. 

1. 
Gesetz    zur   Ergänzung    des   Kriegssteuergesetzee.      Vom    17.    De- 
zember 1916.    (KGBl.  S.  1407.) 

Einziger  Paragraph.  Dem  §  6  des  Kriegssteuergesetzes  vom  21.  Juni  1916 
(RGBl.  S.  561)  werden  folgende  Absätze  2  und  3  beigefügt: 

Ferner  sind  noch  nicht  fällige  Ansprüche  aus  während  des  Veranlagungs- 
zeitraums  eingegangenen  Lebens-,  Kapital-  und  Rentenversicherungen  mit  der 
vollen  Summe  der  eingezahlten  Prämien  oder  Kapitalbeiträge  anzusetzen,  falls  die 
jährliche  Prämienzahlung  den  Betrag  von  eintausend  Mark  oder  die  einmalige 
Kapitalzahlung  den  Betrag  von  dreitausend  Mark  übersteigt. 

Der  vor  dem  31.  Dezember  1916  auf  die  Abgabe  vorausbezahlte  Betrag  (§  31) 
tritt  dem  auf  31.  Dezember  1916  festgestellten  Vermögen  hinzu. 

2. 

Gesetz    über    die    Erhebung    eines    Zuschlags    zur    Kriegssteuer. 

Vom  9.  April  1917.     (RGBl.  S.  349.) 

§  1.    Zu  der  auf  Grund  des  Kriegssteuergesetzes  vom   ^ — ^ r TqTß 

(RGBl.  S  561  und  1407)  geschuldeten  außerordentlichen  Kriegsabgabe  wird  zugunsten 
des  Reichs  ein  Zuschlag  in  Höhe  von  20  vom  Hundert  ihres  Betrags  erhoben. 

Sofern  das  Gesamtvermögen  des  Steuerpflichtigen  nach  dem  Stande  vom 
31.  Dezember  1916  einhunderttausend  Mark  nicht  übersteigt,  ermäßigt  sich  auf 
Antrag  des  Steuerpflichtigen  der  Zuschlag 

bei  Steuerpflichtigen  mit  mehr  als  2  Kindern  unter  18  Jahren  auf  15 

vom  Hundert, 
mit  mehr  als  3  Kindern  unter  18  Jahren  auf  10  vom  Hundert, 
mit  mehr  als  4  Kindern  unter  18  Jahren  auf  5  vom  Hundert 
und  wird  bei  Steuerpflichtigen  mit  mehr  als  5  Kindern  unter  18  Jahren  nicht  er- 
hoben.   Dem  Antrag  ist  nur  stattzugeben,  wenn  er  binnen  einem  Monat  nach 
Zustellung  des  Steuerbescheids   (§  2,   Satz  1)  oder  der  nachträglichen  Mitteilung 
(§  2,  Satz  2)  gestellt  wh-d. 

§  2.  Die  Festsetzung  des  Zuschlags  erfolgt  durch  den  Steuerbescheid  (§  29 
des  Kriegssteuergesetzes).  Ist  ein  Steuerbescheid  ohne  gleichzeitige  Festsetzung 
des  Zuschlags  erteUt  worden,  so  erfolgt  die  Festsetzung  des  Zuschlags  durch  eine 
nachträgliche  Mitteilung  des  Besitzsteueramts  an  den  Steuerpflichtigen, 

§  3.  Wird  die  Kriegsabgabe  im  Rechtsmittel-,  Berichtigungs-,  Neu-  oder 
Nachveranlagungsverfahren  anderweit  veranlagt,  oder  wird  die  Kriegsabgabe  aus 
Büligkeitsgründen  ermäßigt  oder  erlassen,  sq  ist  auch  der  Zuschlag  entsprechend 
anderweit  festzusetzen  oder  zu  erlassen. 

§  4.  Gegen  die  Festsetzung  des  Zuschlags  steht  dem  Steuerpflichtigen  nach 
näherer  Bestimmung  der  obersten  Landesfinanzbehörde  nur  die  Anrufung  der 
übergeordneten  Verwaltungsbehörden  offen. 

§  5.  Der  Zuschlag  wird  mit  der  Abgabe  zu  den  gleichen  Fristen  und  Teil- 
beträgen erhoben. 


552  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Die  Vorschriften  in  §  25,  §  31,  Abs.  3—5,  und  §  32  des  Kriegsst^iuergesetees^ 
gelten  auch  für  die  Entrichtung  des  Zuschlags. 

§  6.  Machen  steuerpflichtige  Einzelpersonen  oder  Gesellschaften  glaubhaft, 
daß  das  Jahr,  das  auf  den  vom  Kriegssteuergesetz  erfaßten  Zeitraum  folgt,  zu 
einer  Vermögensminderung  oder  einem  Mindergewinn  in  Höhe  von  mindestens 
einem  Fünftel  des  steuerpflichtigen  Vermögenszuwachses  oder  Mehrgewinns  ge- 
führt hat  oder  führen  wird,  so  ist  auf  ihren  Antrag  der  Zuschlag  bis  auf  weitere 
gesetzliche  Eegelung  ohne  Sicherheitsleistung  zu  stunden.  Die  bezahlte  Kriegs- 
abgabe  sowie  etwaige  im  neuen  Jahre  gemachte  Zuwendungen  zu  kirchlichen, 
mildtätigen  oder  gemeinnützigen  Zwecken  sind  hierbei  nicht  zu  berücksichtigen. 

Die  Vorschrift  im  Abs.  1  findet  keine  Anwendung,  wenn  der  Steuerpflichtige 
seinen  Wohnsitz  oder  Aufenthalt  ins  Ausland  verlegt  hat. 

§  7.  Als  Abgabe  im  Sinne  von  §§  10,  11,  §  28  Abs.  2,  §§  33,  34,  37  des 
Kriegssteuergesetzes  gilt  die  Abgabe  einschließlich  des  Zuschlags, 

Von  dem  Gesamtaufkommen  an  Kriegsabgabe  und  Zuschlag  gilt  ein  Sechstel 
als  Aufkommen  aus  dem  Zuschlag. 

§  8.  Die  Erhebung  eines  Zuschlags  zur  Kriegssteuer  sowie  die  Sonderbe- 
steuerung des  Vermögenszuwachses,  Mehreinkommens  und  Mehrgewinns  für  einen 
von  der  Kriegssteuer  erfaßten  Zeitraum  durch  die  Bundesstaaten  oder  Gemeinden 
(Gemeinde verbände)  ist  unzulässig. 

§  9.    Dieses  Gesetz  tritt  am  Tage  seiner  Verkündung  in  Kraft. 

3. 
Gesetz  über  Sicherung  der  Kriegssteuer.   Vom  9.  April  1917. 

(ßGBl.  S.  351.) 

§  1.  Die  nach  dem  Kriegssteuergesetze  vom  21.  Juni  1916  (KGBl.  S.  561) 
steuerpflichtigen  Einzelpersonen  haben  vor  einer  Verlegung  ihres  Wohnsitzes  oder 
Aufenthalts  in  das  Ausland  auf  Verlangen  der  Steuerbehörde  Sicherheit  für  eine 
künftige  Kriegssteuer  zu  leisten.  Die  oberste  Landesfinanzbehörde  oder  die  von 
ihr  bezeichnete  Behörde  bestimmt  den  Betrag  der  Sicherheit.  Dieser  Betrag  kann 
nach  den  für  die  Einziehung  öffentlicher  Abgaben  geltenden  Vorschriften  beige- 
trieben werden. 

Die  Vorschriften  in  Abs.  1  gelten  auch,  wenn  Tatsachen  vorliegen,  welche 
die  Annahme  rechtfertigen,  daß  ein  Steuerpflichtiger  auf  andere  Weise,  insbe- 
sondere durch  Verbringung  von  Vermögen  ins  Ausland,  die  Beitreibung  der 
künftigen  Kriegssteuer  gefährdet. 

Verweigert  ein  sich  im  Ausland  aufhaltender  Steuerpflichtiger  die  Sicherheits- 
leistung, so  kann  sein  im  Inland  befindliches  Vermögen  mit  Beschlag  belegt  werden. 

§  2.  Die  in  den  §§  13,  20,  23  des  Kriegssteuergesetzes  vom  21.  Juni  1916 
bezeichneten  Gesellschaften  und  juristischen  Personen  haben  in  eine  neu  zu  bil- 
dende Kriegssteuerrücklage  sechzig  vom  Hundert  des  in  dem  weiteren  Kriegsge- 
schäftsjahr erzielten  Mehrgewinns  einzustellen. 

Als  weiteres  Kriegsgeschäftsjahr  gilt  das  auf  die  Kriegsgeschäftsjahre  im 
Sinne  des  §  15  des  Kriegssteuergesetzes  folgende  Geschäftsjahr. 

Für  die  Berechnung  des  Mehrgewinns  finden  die  Vorschriften  im  §  14 
Abs.  1  und  2,  §§  16,  17,  18,  20,  23,  24  des  Kriegssteuergesetzes  Anwendung. 

Hat  der  Eeichskanzler  mit  Zustimmung  des  Bundesrats  gemäß  §  24  oder 
der  Bundesrat  gemäß  §  36  des  Kriegssteuergesetzes  Anordnungen  getroffen  oder 
eine  anderweite  Berechnung  des  Mehrgewinns  bewilligt,  so  gelten  die  Grundlagen 
dieser  Berechnung  auch  für  das  neue  Kriegsgeschäftsjahr. 

§  3.  Die  Befreiung  von  der  Verpflichtung  zur  Bildung  einer  Sonderrück- 
lage gemäß  §  7  des  Gesetzes  über  vorbereitende  Maßnahmen  zur  Besteuerung  der 
Kriegsgewinne  vom  24.  Dezember  1915  (RGBl.  S.  837)  erstreckt  sich  auch  auf 
das  neue  Kriegsgeschäftsjahr. 

§  4.  Die  Vorschriften  im  §  6  Abs.  2,  §  8  Abs.  1  bis  3  und  Abs.  5,  §  9  des 
Gesetzes  über  vorbereitende  Maßnahmen  zur  Besteuerung  der  Kriegsgewinne  vom 
24.  Dezember  1915  gelten  entsprechend  auch  für  die  neue  Kriegssteuerrücklage. 

J>  5.    Der  Bundesrat  ist  ermächtigt,  Ausführungsbestimmungen  zu  erlassen  und 
erhandlungen  mit  Geldstrafe  bis  zu  eintausendfünfhundert  Mark  zu  bedrohen. 
§  6.    Dieses  Gesetz  tritt  am  Tage  seiner  Verkündung  in  Kraft. 


Miszellen. 


555 


Miszellen. 


XIV. 


Das    französische  Kolonialreicli    und    der  Handel 
Deutschlands  und  Oesterreich-TTngarns  mit  den  fran- 
zösischen Kolonien. 


Von  Ferdinand  Moos. 


Das   französische  Kolonialreich   umschließt    die  folgenden  Gebiete 

Quadratmeilen 


Asien : 
Indien 

Indo-China: 

Annam 

Kambodscha 

Oochinchina 

Tonking 

Laos 

Kwang-Chow-Wan 


Zeit  der    Erwerbung 

durch  Frankreich 

Jahre : 

1683—1750 


1883 
1863 
1862 
1883 
1893 
1898 


200 


boooo 
65000 
22000 
46  000 
100  000 

325 


Volkszahl 
273000 

6000000 
I  500000 
3  000000 
6  000  000 
600000 
189000 


Gesamtfläche  in 

Asien : 

293  525 

17562000 

In  Afrika  un 

d  im  Ii 

idischen  Ozean : 

Algier 

1830—1847 

185000 

5231850 

Sahara 

1872—1890 

760000 

nicht  angegeben 

Tunis 

1881 

51  000 

2  000000 

In  West-Afri 

ika: 

Senegal 

1626 

74000 

I  800000 

Obersenegal  und 

Niger 

1880 

I  580000 

4000000 

Guinea 

1848 

107000 

2  500000 

Elfenbeinküste 

1842 

129000 

2  000  000 

Dahomey 

1863—1894 

40000 

I  000000 

Aequatorial- 

Afrika 

(Kongo): 

Gabun 

1839        1 

376000 

Mittel- Kongo 

1882 

700  000 

259000 

Ubangi-Tschad 

1885—1899 

3015000 

Madagaskar 

1885—1896 

j      j 

Nossi-be- Island 

1840 

228  000 

2664000 

Sainte  Marie 

1750         J 

Komoren 

1843—1886 

760 

82000 

Somali-Küste 

1862—1884 

12000 

50000 

ߧunion 

1643 

965 

173  315 

St.  Paul       1 
Amsterdam  j 

1892 

•n 

unbewohnt 

Kerguelen 

1893 

1400  j 

Gesamtfläche : 


3  «69  147 


25  151  165 


554                                                            Miszellen. 

Zeit    der    Erwerbung 
durch  Frankreich 
In  Amerika:                            Jahre: 

Quadratmeilen 

VolkBzahl 

Guiana                                             1626 
Guadeloupe                                       1634 
Martinique                                        1635 
St.  Pierre  und  Miquelon               1635 

51000 

619 

380 

93 

30000 

182  112 

182  024 

6500 

Gesamtfläche : 

52092 

400636 

Ozeanien: 

Neu-Kaledonien                         1854—1887 
Ozeanien                                     1841—1881 

7500 
I  641 

72000 
34300 

Gesamtfläche : 

9  141 

106300 

Gesamtfläche   des   französischen 

Kolonialreiches : 

4  223  905 
Quadratmeilen 

42947  lOI 
Volkszahl 

Die  französischen  Kolonien  haben  im  Laufe  der  Jahre  verschiedene 
Regierungsmaximen  über  sich  ergehen  lassen.  Bis  ins  neunzehnte  Jahr- 
hundert wechselte  der  Grundsatz,  der  sich  durch  die  Worte  „absolute 
Herrschaft  Frankreichs"  ausdrücken  läßt,  mit  jenem  der  „Anpassung". 
Letzteres  Prinzip  hat  die  lebhafteste  Anfechtung  erfahren,  weil  es  außer 
in  Kanada  und  Lousiana  nur  wenige  Weiße  gab.  Es  wurde  der  Grund- 
satz stärkster  Zentralisation  durchgeführt.  Man  erblickte  die  Bedeutung 
der  Kolonien  in  ihrem  Handelswert.  Unter  der  dritten  Republik  er- 
setzte man  das  Prinzip  der  „Anpassung"  durch  jenes  der  „Anfügung" 
(association).  Dem  System  der  Selbstverwaltung  steht  Frankreich  ab- 
lehnend gegenüber,  obgleich  in  der  Praxis  Konzessionen  gemacht  wurden. 
Einige  Kolonien  wählen  Vertreter  in  die  französische  Kammer  in  Paris. 
In  Algier  gelten  theoretisch  alle  französischen  Gesetze.  In  allen  Ko- 
lonien haben  Europäer  dieselben  Rechte  wie  in  Frankreich.  Tunis  hat 
seine  eigenen  Gesetze  und  bewahrt  seine  Nationalität.  Algier  schickt 
3  Senatoren  und  3  Deputierte  nach  Paris,  Martinique,  Guadeloupe, 
Reunion  je  einen  Senator  und  2  Deputierte,  Französisch-Indien 
einen  Senator  und  einen  Deputierten,  Guiana,  Senegal,  Cochinchina 
je  einen  Deputierten.  Alle  Bewohner  der  Kolonien,  auch  Neger,  sind 
französische  Bürger.  Dasselbe  gilt  von  Französisch-Indien.  Im  Senegal- 
gebiet sind  alle  Bewohner  Wähler.  In  Cochinchina  und  Guiana  sind 
die  Eingeborenen  nicht  französische  Bürger.  Die  Bewohner  von  Tahiti 
sind  französische  Bürger,  wählen  aber  nicht  nach  Paris. 

Das  Gesetz  vom  20.  März  1890  stellt  alle  Kolonien,  ausgenommen 
Algier  und  Tunis,  unter  das  Kolonialministerium.  Für  Madagaskar 
trifft  das  Gesetz  vom  11.  Dezember  1895  dieselbe  Verfügung.  Die 
Kolonialarmee  untersteht  seit  1900   dem  Kriegsministerium. 

Der  Kolonialminister  hat  zur  Seite,  gemäß  dem  Dekret  vom  Jahr 
1883,  den  Kolonialrat.  Dazu  gehören  die  Senatoren  und  Deputierten 
der  Kolonien  und  die  Delegaten,  die  in  anderen  Kolonien  gewählt  sind. 

Das  Kolonialministerium  setzt  die  Einfuhrzölle  fest  für  alle  Kolonien, 
die  nicht  dem  französischen  Zolltarif  unterstehen;  dieser  Tarif  gilt  je- 
doch für  alle  Kolonien,  ausgenommen  West-Afrika  und  Kongo. 


Miszellen.  555 

Das  Budget  der  Kolonien  wird  durch  den  Generalrat  einer  jeden 
Kolonie  aufgestellt.  Kolonien,  welche  keinen  Generalrat  haben,  er- 
halten ihr  Budget  vom  Kolonialminister  bestätigt.  Jede  Kolonie  und 
jedes  Protektorat,  auch  Algier,  haben  eigenes  Budget,  selbstverständlich 
auch  Tunis. 

Das  Gesetz  vom  Jahr  1900  überträgt  alle  lokalen  Ausgaben  den 
Kolonien.  —  Die  Militärausgaben  werden  von  Frankreich 
getragen,  dessen  Regierung  auch  Zuschüsse  an  die  Kolonien  ge- 
währt. 

In  allen  Kolonien  ist  die  Rechtsprechung  von  der  Exekutive  ge- 
trennt.    Die  Kolonien  unterscheiden  sich  im  folgenden  Sinn : 

1)  Kolonien  mit  weitgehender  Selbstregierung; 

2)  Kolonien  mit  autokratischer  Regierung. 

Zu  den  letzteren  zählen  die  Protektorate  und  einige  Kolonien,  wo 
die  einheimische  Regierung  unter  französischer  Aufsicht  steht. 

In  die  erste  Klasse  gehören :  Reunion,  Eranzösisch-Indien,  Senegal, 
Oochinchina,  Neu-Kaledonien. 

An  der  Spitze  steht  ein  Gouverneur  mit  einem  Generalsekretär. 
Demselben  zur  Seite  steht  ein  geheimer  Rat,  dessen  Mitglieder  zum 
Teil  vom  Gouverneur  ernannt  sind ;  ferner  ein  Generalrat,  welcher  das 
Budget  und  die  lokalen  Angelegenheiten  behandelt.  Die  Mitglieder 
des  Generalrats  werden  von  allen  Bürgern  der  Kolonien  und  solchen 
Ansässigen,  welche  Freiheit  (franchise)  besitzen,  gewählt.  —  In  Oochin- 
china ist  der  Generalrat  durch   einen  anders  organisierten  Rat  ersetzt. 

In  der  zweiten  Klasse  der  Kolonien  ist  der  Gouverneur  nur  dem 
Kolonialminister  in  Paris  verantwortlich;  ihm  zur  Seite  steht  ein  Rat, 
der  aus  zum  Teil  nichtoffiziellen  Mitgliedern  zusammengesetzt  ist. 

Indo-China,  West- Afrika,  Kongo,  Madagaskar  stehen  unter  General- 
gouverneuren, welchen  ein  Dekret  des  Präsidenten  der  Republik  be- 
deutende Vollmacht  erteilt  hat.  —  In  West-Afrika  stehen  unter  dem 
General gouverneur  stellvertretende  Gouverneure.  Das  Budget  wird, 
vom  Gouverneur,  unter  Beistand  des  Rates,  aufgestellt. 

In  Indo-China  hat  der  Generalgouverneur  unter  sich  den  stellver- 
tretenden Gouverneur,  sowie  die  Residenten  bei  den  Königen  von 
Kambodscha,  Annam,  Tonking. 

Für  ganz  Indo-China  besteht  ein  Rat,  in  welchem  europäische 
Kaufleute  und  die  Eingeborenen  vertreten  sind.  In  Cochinchina  gibt 
es  einen  geheimen  Rat,  und  in  den  Protektoraten  besteht  ein  Rat  von 
anderer  Organisation.  —  Alle  Generalgouverneure  haben  zur  Seite 
einen  Finanzkontrolleur,  der,  gemäß  dem  Dekret  vom  März  1907,  mit 
der  Regierung  in  Paris  direkt  korrespondiert. 

Die  Ausgaben  Frankreichs  für  die  Kolonien  sind  beständig 
gewachsen.     Sie  betrugen: 

1885  45   MiU.  frcs. 

1905  IOC      „        „ 

Drei  Vierteile  von  diesen  Ausgaben  sind  Militär- 
ausgaben.   Dazu  kommen  Subventionen  für  Eisenbahnen,  Wegebauten, 


556  Miszellen. 

Strafanstalten  usw.  Die  Sträflingsarbeit  in  Guiana  und  Neu-Kaledonien 
liefert  den  Ertrag  an  den  französischen  Staat. 

Die  Ausgaben  Frankreichs  für  Algier  werden  nicht  offiziell  be- 
richtet; sie  wurden  1905  auf  45 — 50  Mill.  frcs.  geschätzt. 

In  Tunis  zahlt  Frankreich  nur  die  Militärausgaben.  Sonst  hat 
Tunis  ein  selbständiges  Budget,  ebenso  wie  Algier. 

Von  1884—1904  wurden  450—500  Mill.  frcs.  Kolonialanleihen 
von  der  französischen  Regierung  autorisiert;  ausgenommen  Algier  und 
Tunis. 

Das  französische  Kapital  in  den  Kolonien  und  in  Algier  und  Tunis 
wurde  im  Jahre  1905  auf  550 — 600  Mill.  frcs.  geschätzt. 

In  Tunis  wurde  im  Jahr  1884  die  Verwaltung  durch  den  franzö- 
sischen Regenten  neu  organisiert,  nachdem  im  Jahre  zuvor  England 
das  französische  Protektorat  anerkannt  und  seine  Konsularjurisdiktion 
aufgegeben  hatte.  Im  folgenden  Jahr,  1885,  verzichtete  England  auch 
auf  seine  diplomatische  Vertretung  beim  Bey  von  Tunis.  Italien  er- 
kannte das  französische  Protekorat  1896  an. 

Die  Verhältnisse  in  Marokko  werden  hier  als  bekannt  vorausge- 
setzt. Ihre  Erörterung  würde  einen  Raum  beanspruchen,  der  über  den 
Rahmen  dieses  Aufsatzes  hinausgeht. 

Der  Handel  Deutschlands  und  Oesterreich  -  Ungarns  mit  den  fran- 
zösischen Kolonien  betrug: 

Einfuhr  in  die  Kolonien: 
1907  12  625000  frcs. 

1913  22  144000     „ 

Ausfuhr  aus  den  Kolonien  nach  Deutschland  und  Oesterreich-Ungam : 
1907  17  450298  frcs. 

1912  48374000     „ 

Als  „Kolonien"  bezeichnet  man  in  Frankreich  nicht  auch  Marokko^ 
Algier  und  Tunis.  Marokko  und  Tunis  unterstehen  dem  Auswärtigen 
Amt,  und  Algier  hat  seine  besondere  Verwaltung.  Daher  sind  in  den 
obigen  Zahlen  die  Ein-  und  Ausfuhren  nach  Marokko,  Tunis  und  Algier 
nicht  eingerechnet. 

In  Marokko  betrug  der  Handel  der  beiden  Mächte: 

Einfuhr  dorthin: 


1907 

13000000  frcs. 

in  Tunis: 

1912 

31000000     „ 

in  Algier: 

1904 
1913 

1904 
1913 

4045  716  frcs. 
14997900    „ 

13  183  000  frcs. 
31000000     „ 

Diese  Entwicklung  ist  wesentlich  begünstigt  worden  durch  die 
deutsche  Schiffahrt,  das  Bedürfnis  der  deutschen  Industrie  an  Roh- 
material  und   zum  Teil   durch    die  Zollgesetzgebung   in    den  Kolonien. 

Die  deutschen  Kolonien  liefern  nur  einen  kleinen  Teil  der  Erforder- 
nisse an  Rohmaterial  usw.  des  Reiches,  und  unter  der  Ausfuhr  Deutsch- 


Mi  s  Zellen.  557 

lands,  rund  22  Milliarden,  treten  die  deutschen  Kolonien  als  Käufer 
mit  kaum  mehr  als  115  Millionen  auf. 

Auf  der  Berliner  Konferenz,  die  am  15.  November  1884  begann, 
gelangte  man  zu  dem  Vertrag  vom  26.  Februar  1885,  durch  welchen 
allen  Mächten  Handelsfreiheit  in  den  Kolonien  zugestanden  wurde. 
Die  Abmachungen  bezogen  sich  insbesondere  auf  das  Kongobecken. 
Eine  andere  Berliner  Konferenz  führte  am  2.  Juli  1890  zu  dem  Ab- 
kommen, wonach  Frankreich  und  Belgien  berechtigt  wurden,  im  Kongo- 
becken Zölle  bis  zu  10  Proz.  ad  valorem  zu  erheben.  In  den  Ver- 
handlungen auf  der  Berliner  Konferenz  hatte  Fürst  Bismarck  die  Ansicht 
vertreten,  daß  die  deutsche  Kolonisation  vorwiegend  kommerziellen 
Charakter  tragen  solle  ^). 

Im  Verlauf  der  Entwicklung  verstärkte  Frankreich  seine  Unter- 
nehmungen in  Marokko,  und  die  folgenden  Ereignisse  führten  zu  der 
internationalen  Konferenz  in  Algesiras,  wo  am  7.  April  1906  unter  den 
Mächten  ein  Vertrag  abgeschlossen  wurde.  Nachdem  sich  in  Casablanca 
Zwischenfälle  zugetragen  hatten,  kamen  Frankreich  und  Deutschland 
am  9.  Februar  1909  zu  einem  Abkommen.  Deutschland  erklärte  darin, 
in  Marokko  nur  wirtschaftliche  Interessen  zu  verfolgen  und  die  be- 
sonderen Interessen  Frankreichs  anzuerkennen.  Frankreich  verpflichtete 
sich,  Deutschland  und  die  anderen  Nationen  wirtschaftlich  auf  dem  Fuß 
der  Gleichberechtigung  zu  behandeln  und  die  Interessen  des  deutschen 
Handels  und  der  deutschen  Industrie  nicht  zu  behindern.  Es  wurde 
weiterhin  vereinbart,  daß  die  deutsche  und  die  französische  Regierung 
bestrebt  sein  würden,  ihre  Staatsangehörigen,  soweit  als  tunlich,  in  ge- 
meinsam betriebenen  Unternehmungen  zu  vereinigen. 

In  der  folgenden  Zeit  entstanden  in  Marokko  Wirren,  da  sich  ein 
Teil  der  führenden  Persönlichkeiten  Marokkos  und  die  Stämme  dem 
europäischen  Eindringen  widersetzten.  Am  21.  Mai  1911  zogen  die 
Franzosen  in  Fez  ein.  Da  Grund  vorlag  zu  der  Annahme,  daß  die 
Franzosen  ihre  Schutzherrschaft  über  Marokko  errichteten,  machte  dieser 
Vorgang  Eindruck.  Im  Hafen  von  Agadir  erschien  das  deutsche  Ka- 
nonenboot „Panther". 

Die  diplomatischen  Erörterungen  führten  am  4.  November  1911  zu 
einer  Konvention  zwischen  Deutschland  und  Frankreich,  welche  die 
französische  Kammer  am  13.  Februar  1912  guthieß.  Deutschland  er- 
kannte das  französische  Protektorat  in  Marokko  an,  und  Frankreich 
trat  einen  Teil  seiner  Besitzungen  am  Kongo  an  Deutschland  ab. 

Der  französisch  -  englische  Vertrag  vom  Jahre  1904  hat  die  wirt- 
schaftliche Gleichberechtigung  der  Mächte  für  eine  Dauer  von  30  Jahren 
festgelegt. 

Im  Akt  von  Algesiras  und  in  dem  deutsch-französischen  Abkommen 
wurde  diese  Gleichberechtigung  aufs  neue  ausgesprochen. 

Die  Entwicklung  des  Handels  führte  zu  dem  wirtschaftlichen  Ueber- 
gewicht  Deutschlands  in  Marokko  sowohl  gegenüber  Frankreich  als 
England.     Der   französische  Handel   mit  Marokko   betrug  1912    in  den 

1)  „L'expansion  coloniale  au  Congo  fran9ais",  par  F.  Rouget,  Paris  1912. 


558 


Miszellen. 


Hafen  65  500000  frcs.  und,  unter  Hinzurechnung  des  Landhandels  Ma- 
rokkos mit  Algier,  100  Mill.  frcs.  —  Die  Ausfuhren  aus  den  Häfen 
Marokkos  nach  Deutschland  waren  1912  bedeutender  als  die  Aus- 
fuhren Marokkos  nach  Frankreich  und  nach  England.  Namentlich  in 
den  südlichen  Häfen  blühte  der  deutsche  Handel. 

Vor  1914  betrug  der  Gesamthandel  1455  000  000  frcs.,  wovon 
685  549  596  frcs.  auf  die  Einfuhr  der  Kolonien  entfallen,  ausgenommen 
Algier,  Tunis  und  Marokko. 

Frankreichs  Anteil  an  den  Einfuhren  seiner  Kolonien  betrug  rund 
271  Mill.  frcs.,  während  24  818  000  frcs.  auf  Deutschland  und  Oester- 
reich-Ungarn  entfielen  ^). 

Der  Anteil  Deutschlands  und  Oesterreichs  betrug: 


Einfuhr  in  die  Kolonien 

Jahre  Deutschland 

frcs. 

1907  12  169000 

1908  12  5 18  000 

1909  12  597  000 

1910  14849000 

1911  18757000 

1912  13  973  000 


(Algier,  Tunis, 

Oesterreich- 

Ungam 

frcs. 

106000 

185  000 

490  GOO 

I  174000 

1  726000 

2  09 1  000 


Marokko  nicht 

Deutsche 

Kolonien 

frcs. 

350000 

229  000 

5 1 6  000 

351  000 

2  622  000 

8  754  000 


berücksichtigt) : 
Zusammen 

frcs. 

12  625  000 
12932000 

13  603  000 
16374000 
23  105  000 
24818  000 


Im  Jahre  vor  dem  Ausbruch  des  Krieges  stiegen  die  Einfuhren 
aus  Deutschland  auf  22  144  000  frcs.  Die  folgende  Tabelle  gibt  den 
Anteil  der  einzelnen  Kolonien  an : 


1913. 

Kolonien 

Deutschland 

Oesterreich- 
Ungarn 

Deutsche 
Kolonien 

Zusammen 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

West-Afrika 

8  538  000 

166000 

I  368  000 

10072  000 

Aequatorial- Afrika 

I  837  000 

— 

I  624  000 

3  46 1  000 

Madagaskar 

1  067  000 

19  600 

138  000 

1  224000 

Somali-Küste 

I  002  000 

I  981  000 

— 

2  983  000 

Indien 

46000 

— 

— 

46000 

Indochina 

3  836  000 

175000 

— 

4011  000 

Guyana 

8000 

4000 

— 

12000 

Neu-Kaledonien 

104  000 

— 

— 

104000 

Australien 

231  000 

— 

— 

231  000 

Zusammen 

16669000 

2  345  000 

3  130000 

22  144000 

Die  vorstehenden  Zahlen  bekunden  eine  Abnahme  von  2  674  000  frcs. 
gegenüber  dem  Jahre  1912,  welches  mit  24  818  000  frcs.  auftrat*).  — 
Diese  Abnahme  bezieht  sich  jedoch  nur  auf  West-Afiika.  Sie  hatte 
ihre  Ursachen  in  einer  Abnahme  der  Kaufkraft  der  einheimischen  Be- 
völkerung in  Guinea,  au  der  Elfenbeinküste  und  in  den  Landschaften 
des  oberen  Senegal  und  Niger  infolge  der  Kautschukkrisis  und  in  der 
Trockenheit  in  Dahomey,  welche  die  Ernte  von  Palmkernen  beein- 
trächtigt hatte. 


1)  M.  Dumoulin  im  „Bulletin  de  FOffice  colonial' 

2)  Bulletin  de  l'Office  colonial. 


September-Oktober  1914. 


Miszellen.  559 

In  den  anderen  Kolonien  war  die  Einfuhr  aus  Deutschland 
in  starker  Zunahme,  wie  die  folgende  Tabelle  zeigt: 

1912  1913  Zunahme  Abnahme 

frcs.  frca.  fres.  frcs. 

West- Afrika                   i6  150000  10072000  —  6078000 

Aequatorial- Afrika          3  711 000  3461000  —  250000 

Madagaskar                          294000  i  224000  239  000  — 

Somali-Küste                   2431000  2983000  552000  — 

Indien                                       4  000  46  000  42  000  — 

Guyana                                    9000  12000  3000  — 

Ozeanien                               182  000  231  000  49000  — 

Neu-Kaledonien                   83000  104000  21000  — 

Indochina                         i  307  000  3  01 1  000  2  704  000  — 

Zusammen  3  6bo  000  6  334  000 

Abnahme  2  674  000 

In  Algier,  Tunis  und  Marokko  hat  die  Einfuhr  aus  Deutschland 
und  Oesterreich- Ungarn  beständig  und  bedeutend  zugenommen.  Im 
Jahre  1904  betrug  der  Anteil  dieser  beiden  Länder  an  der  Einfuhr 
11  093  902  frcs.;  im  Jahre  1913  betrug  derselbe  51  246  728  frcs.;  inner- 
halb  10  Jahren  eine  Zunahme  von  40  Mill.  frcs. 

Aus  Algier  liegen  die  folgenden  Mitteilungen  vor: 

Im  Jahre  1913  betrug  im  Spezialhandel  die  Einfuhr  667  305  000  frcs. 
aus  Frankreich                                               550  359  000     „ 
aus  dem  Ausland  und  den  französischen 

Kolonien  116  946  000     „ 

aus  Deutschland  7470000     „ 

aus  Oesterreich- Ungarn  5  052  000     „ 

Es  wird  darauf  hingewiesen,  daß  sich  unter  der  Einfuhr  aus 
Frankreich  viele  Transitgüter  befinden,  die  zum  Teil  aus  Deutschland 
kommen. 

Im  Jahre  1912  fand  eine  Enquete  statt,  geleitet  von  M.  Sayous. 
Dieser  gab  den  Wert  dieser  Transitgüter,  die  durch  Fiankreich  nach 
Algier  kamen,  abgesehen  von  Petroleum  und  anderen  Oelen,  auf  10  bis 
15  Mill  frcs.  an;  2  — 3Proz.  der  Einfuhr  aus  Frankreich.  Unter  diesen 
Gütern  kommen  als  aus  dem  Ausland  stammend  in  Betracht:  Ackerbau- 
maschinen, Maschinengeräte,  Nähmaschinen  aus  Deutschland;  Gewebe, 
Kleider,  Stickerei,  Wäsche  aus  Deutschland ;  Glaswaren,  Fayences  und 
Porzellan  aus  Deutschland  und  Oesterreich ;  Schmucksachen  aus  Deutsch- 
land usw. 

Die  Einfuhr  Algiers  aus  Deutschland  in  den  Jahren  1902 — 1913 
wird,  wie  folgt  berichtet: 

1902  I  415  000  frcs.  1908  2308000  frcs. 

1903  1402000  „  1909  2252000 

1904  1566000  „  1910  4401000 

1905  1930000  „  1911  4880000 

1906  2215000  „  1912  5897000 

1907  2452000  „  1913  7470000 

Diese  Einfuhr  erreichte  im  Jahre  1913  ihren  Höhepunkt.  Die 
wichtigsten  Artikel  waren: 


560 


Miszellen. 

Kohle 

I  74'ooo 

frcs. 

Chemische  Produkte 

I  062000 

Maschinen 

908000 

Kautschuk-  und  Guttapercha-Fabrikate 

606000 

Kartoffeln,  getrocknete  Gemüse  usw. 

416000 

Metallfabrikate 

398000 

Jabak  in  Blättern  und  fabriziert 

380000 

Töpferei,  Glas  und  Kristall 

364000 

Unter  den  minder  wichtigen  Artikeln,  die  aus  Deutschland  ein- 
geführt wurden,  erschienen: 

Papier  usw.  178000  frcs. 

Düngemittel  140000     „ 

Schmuckimitationen  124000     „ 

Eiechöle,  Game,  Fleischwaren,  Häute,  Baumwollgewebe  usw. 

Die  Kohlen-  usw.  Einfuhr  aus  Deutschland  nach  Algier  betrug 
1913  64009  t  und  stellt  12,2  Proz.  der  Einfuhr  an  Brennmaterial  dar. 
Frankreich  schickte  nur  6823  t. 

An  Chemikalien  schickte  Deutschland  1913  44  830  Quintaux. 

Frankreich  schickte  an  Chemikalien  in  demselben  Jahr  108761 
Quintaux. 

An  der  Einfuhr  von  Maschinen  usw.  ist  Deutschland  mit  7261 
Quintaux  beteiligt,  darunter  Maschinen  für  Mühlen  usw.;  Frankreich 
schickte  105045  Quintaux. 

Kautschuk-  und  Guttaperchaapparate  351  Quintaux  aus  Deutsch- 
land; aus  Frankreich  3534.  —  Metallfabrikate  aus  Deutschland  2828; 
aus  Frankreich  169  249  Quintaux.  —  Töpferei,  Glas,  Kristall  aus 
Deutschland  1373;  aus  Frankreich  17  646  Quintaux.  —  Papier  usw. 
aus  Deutschland  508;  aus  Frankreich  8673  Quintaux.  —  Düngemittel 
aus  Deutschland  13  979;  aus  Frankreich  15  685  Quintaux.  —  Schmuck- 
imitationen aus  Deutschland  7;  aus  Frankreich  52  Quintaux.  —  Oele 
aus  Deutschland  34;  aus  Frankreich  199  Quintaux. 

Die  Einfuhr  Algiers  aus  Oesterreich  hat  ebenfalls  bedeutend 
zugenommen.     Dieselbe  betrug: 


1902 

2076000  frcs.                   1908 

2  548  000  frcs. 

1903 

2661000    „                      1909 

1737000    „ 

1904 

2760000     „                      1910 

2  805  000     „ 

1905 

2391000     „                     1911 

3563000     „ 

1906 

2681000     „                      1912 

4019000     „ 

1907 

2  597  000     „                      1913 

5052000     „ 

Jtellt 

80  Proz.   und    Tabak   in  Blättern  6  Proz.  dieser  Ein 

Holz 
fuhr  dar. 

Die  Einfuhr  von  Holz  aus  Oesterreich  zeigt  folgende  Entwicklung : 

1911  2  640000  frcs. 

1912  3039000  „ 

1913  4047000  „ 

Im   Jahre    1913    erreichte   die  Holzeinfuhr  Algiers   den  Wert  von 
18056  000  frcs. 

Tunis   hat    aus    Deutschland   und  Oesterreich-Üngarn  eingeführt: 
aus  Deutschland     1904       i  278  800  frcs.  1913        3  209  146  frcs. 

„    Oesterreich       1904       i  358  446     „  1913        2  542  906     „ 


Mi 

szellen. 

5( 

Einfuhren  aus: 

Jahre        Deutschland 

Oesterreich-Üngam 

Zusammen 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

1904 

I  278  800 

I  358  446 

2  637  246 

1905 

I  591  296 

I  688  437 

3279733 

1906 

I  ^3  477 

1255024 

2  898  501 

1907 

2  053  784 

I  599  402 

3653186 

1908 

3503871 

1672  153 

5236024 

1909 

3  415  173 

I  222  123 

4637296 

1910 

2  260  959 

1419690 

3  680  664 

19L1 

2891  503 

I  583  2n 

4474714 

1912 

3  405  853 

2154838 

5560691 

1913 

3  209  146 

2  542  996 

5  752  142 

Die  wichtigsten 

dieser  Einfuhren  waren: 

aus  Deutschland 

aus  Oesterreich-Üngam 

frcs. 

frcs. 

Chemische  Produkte 

168  069 

12545 

Töpferei,  Glas,  Kristall 

169  279 

70075 

Gewebe 

195  3'9 

54847 

Wäsche,  Kleider  und  Konfektion 

9  180 

16  150 

Papier  usw. 

155  184 

13407 

Echte  und  falsche  Schmucksachen          201  486 

96336 

Uhren 

42460 

Mas^chinen  und  Geräte 

807  010 

16852 

Metallfabrikate 

586  234 

17496 

Möbel  und  Fabrikate  aus  Holz 

27732 

99496 

Musikinstrumente 

28046 

Fahrräder 

32589 

— 

Bürstenwaren  usw 

200792 

10  719 

Nahrungsmittel 

25450 

137024 

Zeichenutensilien 

274  269 

40495 

Die  Zunahme  der  Einfuhren  aus  Deutschland  und  Oesterreich- 
Ungarn  ist  zum  Teil  die  Folge  der  wirtschaftlichen  Erschließung  von 
Tunis:  Straßenbau,  Hafenanlagen,  Bergbau,  elektrische  Industrieanlagen, 
Anwendung  europäischer  Maschinen  in  der  Landwirtschaft  und  die 
Ausdehnung  der  europäischen   Kolonisation. 

Die  Einfuhr  aus  Deutschland  von  Maschinen  und  Geräten  ist  in 
den  obigen  10  Jahren  von  72  939  auf  807000  frcs.  gestiegen;  Metall- 
fabrikate von   193  951  auf  560  670  frcs. 

Die  Zunahme  ist  erfolgt,  trotzdem  der  Zolltarif  in  Tunis  der  nicht 
aus  Frankreich  kommenden  Einfuhr  ungünstig  ist.  Die  französischen 
Maschinen  und  Geräte  sind  zollfrei.  Die  Einfuhr  dieser  Aitikel  aus 
anderen  Ländern  ist  dem  französischen  Minimaltarif  unterworfen. 

Diese  Nachteile  haben  die  deutschen  Kaufleute  ausgeglichen  durch 
zweckentsprechende  Organisation.  Die  Verpackung  ist  stets  gut.  Der 
Kredit  läuft  6,  9  und  selbst  12  Monate,  und  in  manchen  Fällen  wird 
für  Bruch  garantiert.  Die  Preislisten  sind  in  Franken  ausgestellt,  und 
oft  erfolgt  ein  Diskont  von  45 — 80  Proz.  gegenüber  den  Katalogpreisen. 
In  manchen  Fällen  wird  die  Ware  dem  Besteller  zollfrei  geliefert. 
Die  gewöhnlichen  Zahlungsbedingungen  sind  30 — 60  Tage  oder  5  Proz, 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  36 


562  Miszellen. 

Diskont  oder  bei  längerer  Frist  gegen  Tratte  nach  Lieferung  der  Ware. 
Prolongationen  sind  nicht  selten. 

Marokko  berichtet  eine  bedeutende  Zunahme  der  Einfuhr  aus 
Deutschland  und  Oesterreich-Ungarn. 

1904  1913 

Die  Gesamteinfuhr  Marokkos  betrug  54  000  000  frcs.  23 1  249  665  frcs. 

Davon  entfielen  auf: 

Deutsehland                                               2839000     „  18  216  656     „ 

oder  5,20  Proz.  oder  7,89  Proz. 

Oesterreich-Ungarn                                  i  394  566  frcs.  5  643  102  frcs. 

oder  2,56  Proz. 

Frankreich                                                20  549  592  frcs.  129  294  552     „ 

oder  37,70  Proz. 

Die  folgende  Aufstellung  gibt  das  Nähere  der  Einfuhr  Marokkos  an  : 

Jahre  aus  Deutschland         aus  Oesterreich          Zusammen 

frcs.  frcs.  frcs. 

1904  2  839  090  I  394  566  4  233  656 

1905  2817845  475^27  3293472 

1906  2613  123  484804  3097927 

1907  1927250  351092  2278342 

1908  2833976  998473  3832449 

1909  5096841  2  226  191  7323032 

1910  7144653  1706149  8850802 

1911  7860940  3  115  126  10476066 

1912  13209496  3  957  754  17  167  250 

1913  18  249  656  5  643  102  23  892  798 

Die  französischen  Statistiker  behaupten,  daß  die  obigen  Zahlen 
nicht  den  ganzen  Anteil  Deutschlands  darstellen,  da  deutsche  Waren 
im  Transithandel  nach  Marokko  gelangen. 

Die  wichtigsten  Einfuhren  aus  Deutschland  nach  Marokko  sind  : 


1913 

frcs. 

frcs. 

Zucker 

1904 

151  937 

5351639 

Bier 

1907 

39756 

464  407 

Alkohol 

1912 

105  384 

454602 

Eisen  und  Stahl 

1907 

145677 

292472 

Chemikalien 

1907 

17386 

97589 

Farben 

1907 

14283 

142337 

Seife 

1908 

11475 

59065 

Porzellan  und  Fayences 

1907 

35  799 

150836 

Glas  und  Kristall 

1907 

102  715 

487  480 

"Wollene  Gewebe  usw. 

1907 

255553 

2293287 

Uhren 

1909 

12955 

130346 

Maschinen  und  Geräte 

1908 

53  120 

536650 

Eisen-  und  Stahlfabrikate  1907 

130  609 

I  151  365 

Verschiedenes 

1908 

19554 

155200 

Die  starke  Zunahme  der  Einfuhr  von  Eisen  und  Stahl  entfallt  auf 
die  rege  Bautätigkeit  in  Casablanca  und  Rabat.  —  Für  Uhren,  Wecker, 
Spieluhren  usw.  scheint  Deutschland  das  Monopol  erlangt  zu  haben, 
ebenso  für  Hämmer,  Feilen  und  ähnliche  Gerätschaften,  auch  für  Spiel- 
sachen;  auch  Tee,  Kaffee,  Pfeffer  kommen  vielfach  über  Deutschland.  Die 
deutsche   Einfuhr  von  Tee   nach  Marokko   hat  bedeutend  zugenommen: 


dargestellt : 


Mi 

iszellen. 

1907 

134067  fres. 

1912 

1404212     „ 

nfuhren  Marokkos  au£ 

!  Oesterreich-Ungarn 

werden 

1913 

fres. 

fres. 

Alkohol 

1910 

21505 

74192 

Kerzen 

1908 

348 

49846 

Porzellan 

1907 

2944 

40482 

Glas  und  Kristall 

1908 

20228 

99027 

Wollgewebe 

1907 

49272 

742  588 

Uhren 

1909 

I  782 

33050 

Eisen-  und  Stahlfabrikate 

1907 

3083 

i7i5<>o 

563 


Die  Einfuhren  der  unter  dem  Kolonialministerium 
stellenden  Kolonien  (also  ausschließlich  von  Algier,  Tunis  und  Ma- 
rokko) aus  Deutschland  und  Oesterreich-Ungarn  zeigen  beständige  Zu- 
nahme, namentlich  in  Dahomey  und  Gabun. 

Die  Einfuhren  der  Kolonien  in  West- Afrika  aus  Deutsch- 
land bestanden  namentlich  in: 

Geweben,  Alkohol,  Zucker,  Kurzwaren,  Fabrikate  aus  Eisen  oder 
Stahl,  Seifen  und  Parfümerien,  Glaswaren. 

Diese  Einfuhr  aus  Deutschland  nahm  beständig  zu : 


1907 

1912 

Wert 

Wert 

fres. 

fres. 

Gewebe 

I  601  000 

4  638  000 

Glas 

352000 

389  oco 

Metallarbeiten 

957000 

I  228  000 

Nahrungsmittel  ans 

Mehl 

73000 

2  084  000 

Chemikalien 

86000 

197000 

Zucker 

412000 

981  000 

Die  Gesamteinfuhr  in  Dahomey  betrug  41  760  000  fres.,  davon  ent- 
fallen 19  500  000  fres.  auf  Deutschlanb,   also  46  Proz. 

In  Guinea  haben  die  Einfuhren  aus  Frankreich  sich  um  ein 
Drittel  vermehrt.  Die  Einfuhren  aus  Deutschland  haben  sich  verdoppelt^). 

In  Senegal  und  in  Hoch-Senegal-Niger  waren  die  Ein- 
fuhren aus  Deutschland  niemals  bedeutend.     Sie  betrugen: 

1912  2  598  809  fres. 

1913  I  997  891  „ 

Das  ist  nur  ein  bescheidener  Teil  der  Gesamteinfuhr  von: 

1912  67  859  907  fres. 

1913  88  070  795  „ 

Viele  der  aus  Deutschland  eingeführten  Güter  sind  Transitgüter, 
wie  z.  B.  sterilisierte  Milch,  die  aus  der  Schweiz  und  aus  Skandinavien 
kommt;  der  Wert  dieser  Einfuhr  betrug  1913:  98  791  fres.  Die  Holz- 
streichhölzer kommen  zum  größten  Teil  aus  Schweden  und  Norwegen, 
1913:  64  792  fres.     Ferner  kommen  hier  in  Betracht: 


1)  Bulletin  de  TOffice  colonial,  September-Oktober  1914. 

36* 


564  Miscellen. 

Petroleum  1913  12425  frcs. 

Tabak  in  Blättern  1913  64792     „ 

Die  tatsächlich  aus  Deutschland  stammenden  Artikel  im  Senegal- 
gebiet wurden  im  Jahre  1913  mit  1  450  000  frcs.  bewertet.  Darunter 
befinden  sich: 

Getränke  aller  Art  für  457  662    frc». 

Gewebe  für  522  39J      „ 

Metallfabrikate  für  154446      „ 

Glas  und  Kristall  für  69451      „ 

Gewebe  aus  gefärbtem  Baumwollgarn        167  418      „ 
Andere  gedruckte  Gewebe  49  327      „ 

Billige  Tuehwaren  86  747      „ 

Decken  aus  Baumwolle  und  ähnliche 

Artikel  rund  72  000      „ 

Unter  den  Artikeln  aus  Metall  aus  Deutschland  befinden  sich  Haus- 
haltungsgeräte, Farben,  Wichse  usw.,  wovon  1913  für  rund  43  000  frcs. 
nach  dem  Senegal  gelangten;  Emailleartikel  27  610;  Nähmaschinen 
23  300;  Messerwaren  15  996  frcs.  usw.  Glaswaren  1913:  57  899  frcs. 
Diese  Artikel  kamen  zum  größten  Teil  auf  den  Dampfern  der  Woer- 
mann-Linie  an. 

Die  aus  Oesterreich-Ungarn  an  den  Senegal  gelangten  Güter 
betrugen  1913  nur  60  000  frcs.  Wert,  meistens  Glasartikel,  Kopfbe- 
deckungen, falsche  Edelsteine.  Der  deutsche  Verkehr  nach  dem  Hoch- 
Senegal  ist  von  derselben  Art. 

Die  Einfuhr  in  Guinea  betrug  1912:  19  413  212  fres.,  davon 
aus  Deutschland  1232  931     „ 

,;    Flankreich  7  753  424     » 

Die  folgende  Aufstellung  i)  gibt  Auskunft  über  die  Art  der  Ein- 
fuhren : 


19 

112 

1913 

aus  Frankreich 

aus 

Deutschland      aus 

Frankreich 

aus  Deutschland 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

Glaswaren 

37201 

92885 

32370 

114  502 

Gewebe 

21  103 

54087 

17  039 

99960 

Streichhölzer 

6400 

16709 

27  590 

Eiseines  Gerät 

31892 

19687 

18983 

32973 

Die   Einfuhr 

an    der 

Elfenbeinküst 

e   zeigte 

im 

Jahre    1913 

eine  Abnahme^): 

aus  Frankreich  um  9  Proz. 
„     England         „     2       „ 

dagegen  zeigte  die  Einfuhr  aus  Deutschland  eine  Zunahme  von  6  Proz. 
Bei  den  Einfuhren  aus  Deutschland  kommen  namentlich  in  Be- 
tracht: Mehl,  Industriehölzer,  Brennmaterial  und  Steine,  Metalle,  Glas, 
Kristall  und  Gewebe.  In  diesen  Artikeln  hat  die  Einfuhr  aus  Deutsch- 
land in   10  Jahren  um  80  Proz.  zugenommen  2). 

Auch  aus  Oesterreich-Ungarn  ist  die  Einfuhr  gestiegen: 

1904  1913 

Glas  7611  frcs.  158  620  frcs. 

Arbeiten  aus  Kupfer      1070     „  15  261     „ 

1)  Bulletin  de  l'OffIce  colonial,  Oktober  1914. 

2)  Rapport  der  Regierung  der  Kolonie  an  den  Senator  Harry  Berenger,  Präsident 
der  „Commission  consultative  colonial".  1914. 


Misz  eilen. 


565 


Der  deutsche  Verkehr  mit  Dahomey  zeigt  eioe  bedeutende  Zunahme. 
Zum  Teil  hängt  dies  zusammen  mit  der  Bedeutung  Hamburgs  als  Haupt- 
markt für  Palmkerne,  das  wichtigste  Produkt  der  Kolonie. 

Die  Einfuhren  an  der  Elfenbeinküste: 


1904 

1911 

Gesamteinfuhr     aus  Deutschland 

Gesamteinfuhr     auf 

5  Deutschland 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

TierischeProdukte 

und  Abfälle 

441  270 

15967 

595  786 

54  375 

Mehl 

82q  119 

II  562 

I  430  563 

281  748 

Kolonialwaren 

422  222 

5741 

743  735 

40060 

Holz 

329686 

88  245 

227  638 

182  295 

Getränke 

2  101  432 

399919 

1  739971 

273  768 

Min  er.  Brennstoff, 

Marmorsteine 

376  780 

27515 

806  002 

52936 

Metalle 

337  258 

55551 

835  999 

24545 

Verschiedene 

Kompositionen 

328  369 

65658 

807  131 

156970 

Glas,  Kristall 

234354 

30058 

279  497 

124458 

Gewebe 

2  766  180 

206  HO 

6844041 

749  733 

Metallarbeiten 

4476268 

246  549 

3  286  793 

944  264 

Holzarbeiten 

427  695 

81707 

410576 

155  088 

Verschiedene  Fa- 

brikate 

456  606 

58  920 

755  906 

127  891 

Gesamteinfuhr 

einschl.  der  oben 

nicht  genannten 

Artikel 

15583382 

I  610  152 

20  566  940               ; 

J  232  980 

Anteil  der  \!;^;;,^^f^      46  Proz. 
Einfuhr  aus  i  England           38       „ 

35  Proz." 
43      ,, 

^'"'"'"^^  ^"' )  Deutschland    10      „ 

16     „ 

1912 

1913 

Gesamteinfuhr     aus 

}  Deutschland 

Gesamteinfuhr     aus 

1  Deutschland 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

TierischeProdukte 

und  Abfälle 

528  089 

69966 

600263 

88683 

Mehl 

1454057 

287  490 

I  801  629 

444845 

Kolonialwaren 

638670 

57601 

724  704 

38373 

Holz 

193  395 

57879 

195  180 

125592 

Getränke 

1554388 

276012 

I  528  012 

248  132 

Miner.  Brennstoff, 

Marmorsteine 

599  357 

62349 

740357 

106  117 

Metalle 

427  485 

21  580 

850  003 

352  528 

Verschiedene 

Kompositionen 

704013 

118  432 

638  074 

114  356 

Glas,  Kristall 

186  802 

64666 

200410 

68766 

Gewebe 

5  293  202 

576795 

4  839  488 

465  147 

Metallarbeiten 

2546513 

408  534 

2  344  008 

506  825 

Holzarbeiten 

571982 

90631 

473  687 

132339 

Verschiedene  Fa- 

brikate 

941  891 

125485 

I  297  336 

116  677 

einschl.  der  oben 

nicht  genannten 

Artikel                 i 

7534048 

2  332  764 

18154499            : 

5  923  430 

Anteil  der  l?;;;«j;^X^     37  Proz. 

Einfuhr  aus  f  ^"8^°^     ^    t^      " 
j  Deutschland    13      „ 

37  Proz 
36      „ 
16      „ 

556  Miszellen. 

Die  Einfuhren  aus  Deutschland  sind  durch  die  Einrichtungen  der 
Schiffahrt  wesentlich  begünstigt  worden.  Zwischen  Porto-Novo  und 
den  Hochseeschiffen,  welche  auf  hohem  Meer  vor  Lagos  aus-  und  ein- 
laden, verkehrt  eine  Flottille  kleiner  Schiffe  von  200 — 300  t.  Die  Vor- 
teile, welche  diese  Einrichtung  bot,  gaben  dem  dortigen  Verkehr  den 
Vorzug  vor  dem  der  Werft  von  Cotonou  und  setzten  den  Haupthafen, 
sowie  die  französische  Schiffahrt  in  Nachteil.  Unter  den  deutschem 
Waren  sind  Parfümerien  zu  nennen,  Zucker,  Limonade,  Streichhölzer 
und  Holz  aus  Schweden,  Tabak  und  Mehl  aus  Amerika,  Jutesäcke  auB 
dem  Orient.  Der  deutsche  Handel  legt  große  Sorgfalt  auf  die  Ver- 
packung i).  Die  Einfuhren  betrugen  1913  zusammen  15  152404  frcs., 
davon  kamen 

aus  Frankreich  3  448  652  frcs. 

„     Deutschland  2316475     „ 

Die  wichtigsten  Einfuhren  aus  Deutschland  nach  D a h o m e j 
in  den  Jahren  1912  und  1913: 


1912 

1913 

frcs. 

frcs. 

Tierische  Abfälle 

25786 

32719 

Mehl 

124  730 

54428 

Kolonialwaren 

245  354 

321969 

Holz 

32272 

43422 

Getränke 

835  507 

546  963 

Metalle 

47204 

43048 

Chemikalien 

70360 

41  546 

Farben 

20087 

37277 

Verschiedene  Kompositionen 

105  128 

96547 

Glas  und  Kristall 

70937 

74192 

Garn 

80  191 

67742 

Gewebe 

383  220 

374  198 

Metallarbeiten 

233713 

170673 

Waffen  und  Munition 

17  142 

22308 

Arbeiten  aus  Holz 

144033 

77A77 

Arbeiten  aus  verschiedenem  Material 

199  951 

183  858 

Ueber  Aequatorial-Af 

rika  liegt  folgender 

Bericht 

vor: 

Die   Einfuhren    aus    Deutschland,   Belgien   und 

Holland 

betrugen 

1913  rund  4  Mill.  frcs. 

Einfuhren  nach  Aequatorial-Afrika  1913 

aus 

aus 

aus 

Zusammeu 

Deutschland        Belgien 

Holland 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

Fleischkonserven,  Fett,  Milch,  Butter 

77000 

105000 

40000 

222000 

Fisch  konserven 

64000 

39000 

2  500 

105500 

Mehl 

65  000 

57000 

4500 

126500 

Kolonialwaren 

50000 

70000 

31000 

151000 

Getränke 

160000 

75000 

28000 

263000 

Metallarbeiten  und  Metalle 

342  000 

285000 

59000 

686000 

Gewebe 

500000 

I  450  000 

72000 

2022000 

Parfümerien  und  Seife 

55000 

34000 

8000 

97000 

Die  Gesamteinfuhr  Aequa 

ttorial- 

Afrikas  betrug  rund  21  Mill. 

frcs.,  davon  kommen  für  1400000  frcs. 

aus  Deutschland. 

1)  Bulletin  de  l'Office  colonial,  September  1914. 


Miszellen.  557 

Die  Einfuhren  in  Indochina  kommen  zum  größten  Teil  aus 
Frankreich.  Die  Einfuhr  aus  Deutschland  stützt  sich  auf  den 
Transitverkehr  in  Singapore  und  Hongkong. 

Die  wichtigsten  Einfuhrartikel  aus  Deutschland  nach  Indochina^): 


1907 

1912 

frcs. 

frcs. 

Tierische  Produkte  und  Abfälle 

6000 

10  000 

Mehl 

18000 

95000 

Getränke 

90000 

42000 

Chemikalien 

27000 

22000 

Farben 

96000 

27000 

Glas  und  Kristall 

6000 

22  000 

Gewebe 

188000 

167000 

Papier 

66000 

84000 

Spielzeug 

— 

1 10  000 

Aus  Hongkong  kamen  1912  für  676000  frcs.  Chemikalien.  Zu  der  obigen 
Einfuhr  von  Farben  gehören  noch  für  195000  gefärbte  Artikel  und  für 
283000  frcs.  Farbstoffe  aus  Hongkong,  die  jedoch  von  Hamburg 
kommen.  —  Zu  der  obigen  Einfuhr  von  Spielzeug  sind  noch  für 
164  000  frcs.  aus  Hongkong  zu  rechnen,  da  diese  Waren  aus  Deutsch- 
land stammen. 

Die  Niederlagen  in  den  Freihäfen  von  Hongkong  und  in  Singapore 
begünstigen  die  Einfuhr  von  Artikeln  asiatischen  Aussehens,  die  in 
Deutschland  und  England  hergestellt  sind. 

Die  Einfuhr  aus  Deutschland  ist  5mal  größer  als  die  aus  China. 
Nach  der  chinesischen  Seehafenstatistik  überwiegt  der  deutsche  Handel 
erheblich  den  französischen.  Die  Zahl  der  Handelshäuser  beider 
Nationalitäten  in  China  betrug  nach  obiger  Statistik  2) 

im  Jahre   1911         112  französische  Finnen         258  deutsche  Firmen 
„        „       1912         107  „  „  276 

Nach  einem  amtlichen  Bericht  aus  Siam  bestehen  dort  ähnliche 
Yerhältnisse.  50  Proz.  der  Schiffe  im  Hafen  von  Bangkok  führen  die 
deutsche  Flagge.  Die  Mehrzahl  gehört  dem  Norddeutschen  Lloyd, 
welcher  mit  Erfolg  mit  der  japanischen  Linie  Nippon  Yushen  Kaisha 
und  einer  chinesisch-siamesischen  Linie  konkurriert.  —  Die  französische 
Flagge  ist  nur  durch  den  kleinen  Flußdampfer  „Donnai"  von  400  t  und 
ein  kleines  Küstenschiff  vertreten. 

Im  Jahre  1911/12  betrug  die  Einfuhr  nach  Siam: 

aus  Deutschland  4  782  000  Ticaux 

„    Frankreich  i  714000       „ 

(Der  Wert  des  Tical  ist  auf  1,90  frc.  festgesetzt.) 

Die  wichtigsten  Einfuhrartikel  aus  Deutschland  sind:  Kurzwaren, 
Kleider,  bearbeitetes  Kupfer,  Papier,  Wolle,  Lampen,  Glas  und  Kristall, 
Hanffabrikate.  —  Die  Einfuhr  des  letzten  Artikels  aus  Deutschland 
ist  von  8000  Ticaux  im  Jahre  1910  auf  55  000  Ticaux  in  1911/12 
gestiegen  s). 


1)  Bulletin  de  l'Office  colonial,  September  1914. 

2)  Statistik  der  chinesischen  Verwaltung  der  Zölle. 

3)  Bulletin  de  l'Office  colonial,  September  1914. 


558  Miszellen. 

Mehr  und  mehr  bemächtigt  sich  die  deutsche  Schiffahrt  des  HaudelB 
zwischen  Hongkong  und  den  Häfen  Indochinas.  Der  Handel  in 
Ann  am  ist  fast  ganz  in  deutschen  Händen  i). 

In  den  Kolonien  des  Pazifischen  Ozeans  bestehen  die 
französischen  Kolonien  aus  dem  Archipel  (Ozeanien),  Neu-Kaledonien 
und,  mit  beschränkter  Souveränität,  den  Neuen  Hebriden.  Für  den 
deutschen  Handel  ist  der  Archipel  am  wichtigsten. 

Die  Einfuhr  aus  Deutschland  nach  Tahiti  ist  trotz  der  Zoll-  und 
Transportschwierigkeiten  beständig  gestiegen;  sie  betrug  1913:  2,55  Proz. 
der  Einfuhren.     Die  wichtigsten  Einfuhren  aus  Deutschland  sind: 


1913 

1913 

frcs. 

frc». 

Zigarren  und  Zigaretten 

6573 

Industriemaschinen 

81339 

Leinöl 

7704 

Fahrräder 

2893 

Bier 

6446 

Akkordions  und  Harmonikas 

6979 

Farben 

32008 

Im  Jahre  1913  hat  die  französische   „Phosphat- Gesellschaft  Ozeaniens*' 
einen  großen  Teil  ihrer  Maschinen  in  Deutschland  gekauft. 

Die  Bergbauindustrie  in  Neu-Kaledonien  hat  im  Jahre  1913 
für  104000  frcs.  Betriebsmaterial  in  Deutschland  angekauft. 

In  Amerika  besitzt  Frankreich  die  Reste  seines  ehemaligen  mäch- 
tigen Kolonialreiches:  die  Antillen:  Martinique,  Guadeloupe,  Guiana, 
ferner  Saint- Pierre  und  Miquelon.  Die  Einfuhr  aus  Deutschland  ist, 
nach  einem  Bericht  der  französischen  Handelskammer  in  Fort-de-France, 
bedeutend  2)  j  namentlich  für  Kristallwaren  und  Porzellan.  Vieles 
davon  kommt  über  Paris:  Maschinen  und  Geräte  zur  Faßfabrikation, 
Kautschukpräparate  für  Apotheken,  Lederwaren,  Eiskübel,  Bänder, 
Wurstkonserven  (aus  Frankfurt  a.  M.). 

Streichhölzer  aus  Oesterreich  stellen  sich  um  5 — 6  frcs.  per  Kiste 
billiger  als  andere. 

Seit  dem  Krieg  mangelt  es  in  den  Kolonien  an  deutschen  Ein- 
fuhren aus  Staßfurt. 

Einfuhren : 


aus  dem  Ausland 

aus  Frankreich 

Zusammen 

1910 

kg 
780  607 

kg 
10070 

kg 
790677 

1911 
1912 
1913 

404333 

I  209  963 

906  356 

I  000 

405  333 

I  209  963 

906  356 

Es  ist  wahrscheinlich,  daß  viele  der  über  Frankreich  eingeführten 
Artikel  aus  Deutschland  stammen.  Die  Kali  einfuhr  (sulf ate  de  potasse) 
wird,  wie  folgt,  berichtet: 

Total 

1  290  607 

942  333 

I  448  963 

I  188356 

1)  Berieht  des  Zolldirektors  vom  Jahre  1912. 

2)  Revue  des  Colonies  et  des  Questions  coloniales,  1914,  4.  Heft. 


Jahre 

in  reinem  Zustand 

Gemischt 

1910 

kg 
780  607 

kg 
510000 

1911 
1912 
1913 

405  333 

1209963 

906  356 

537000 
239000 
282000 

Misz  eilen.  569 

Die  Industrie  in  den  Kolonien  kann  diese  Artikel  nicht  entbehren. 
Die  deutschen  Einfuhren  nach  Guiana  sind  nicht  bedeutend.  Sie 
kommen  gewöhnlich  nicht  durch  deutsche  Häuser,  sondern  durch  deren 
Kommissionäre  in  Frankreich,  welche  Filialen  in  Guiana  haben.  Die 
in  Betracht  kommenden  Artikel  sind  namentlich:  Schuhwaren,  Glas, 
verziertes  Porzellan,  Akkordeons,  Holzmöbel,  Papier,  Filzwaren,  Gewebe, 
Hutwaren,  Hausgeräte. 

Die  Bevölkerung  auf  den  Inseln  Saint-Pierre  und  Miquelon 
besteht  zum  großen  Teil  aus  Fischern.  Im  Jahre  1913  hat  Deutsch- 
land dort  für  1455  frcs.  eingeführt:  Zigarren,  getrocknetes  Gemüse, 
Nahrungsmittel,  Hausgeräte,  Töpfereien  usw. 

Madagaskar  bildet  den  Stützpunkt  für  den  Handel  der  Somali- 
Küste  und  Abessinien.  Der  deutsche  Handel  hat  sich  dort  be- 
ständig entwickelt: 

Einfuhren  aus  Deutschland  Gesamteinfuhr 

1910  536383  frcs.  33436922  frcs. 

1911  731737     „  44763892     „ 

1912  847326     „  150034848     „ 

1913  I  666  884     „  46  747  456     „ 


1912 

1913 

frcs. 

frcs. 

Tierische  Produkte  und  Abfälle 

12596 

10  137 

Fischereiprodukte 

I  014 

1237 

Mehl 

3213 

996 

Kolonialwaren 

17  170 

53005 

Oel  usw. 

3  577 

5053 

Holz 

29908 

5894 

Verschiedene  Abfälle 

2987 

3495 

Getränke 

76  263 

70788 

Mineralische  Brennstoffe 

16  215 

II  291 

Metalle 

75531 

162  509 

Chemikalien 

II  136 

8457 

Farben 

5896 

8335 

Verschiedene  Kompositionen 

5269 

35498 

Töpfereien 

45360 

36815 

Glas  und  KristaU 

7460 

II  054 

Garn 

4169 

8  886 

Gewebe 

33645 

35681 

Papier  usw. 

27681 

27083 

Felle 

3895 

3546 

Metallarbeiten 

371554 

411  149 

Möbel 

21088 

35  775 

Holzarbeiten 

3127 

5828 

Musikinstrumente 

13  651 

51937 

Verschiedene  Fabrikate 

52272 

59814 

Zusammen 

847  326 

I  066  884 

Nach  einem  Bericht  des  Gouverneurs  der  Insel  Madagaskar  i),  Ge- 
neral Garbit,  werden  die  deutschen  Waren  zum  Teil  wegen  ihres  billigen 
Preises  von  den  Einheimischen  bevorzugt. 


1)  Berieht  der  Union  coloniale  an  die  Commission  consultatlve,  veröffentlicht  1914 
Ton  A.  Challamel. 


570 


Miszellen. 


Auf  R6union  sind  die  Einfuhren  aus  Deutschland  in  der  Zu- 
nahme begriffen,  namentlich  für  Akkordeons,  Harmonikas  und  Näh- 
maschinen. 

Einfuhr  der  wichtigsten  deutschen  Artikel  an  der  Somali-Küste: 


Bier 
Alkohol 
Stangeneisen 
Eisenblech 

Parfümerien ,   nicht  aus  Al- 
kohol 
Glasperlen  und  anderes  Glas 
Trinkgefäße  aus  Glas 
Baumwollgewebe 
Gebleichte  Gewebe 
Baumwolldecken 
Nähmaschinen 
Eiserne  Geräte 
Stahlgeräte 

Gewöhnliche  Messerwaren 
Schlosserwaren 
Eiserne  Haushaltgeräte 
Kriegswaffen 
Blanke  Waffen 
Kriegspatronen 
Streichhölzer  aus  Holz 


1911 
Menge        Wert 
frcs. 
13857 

2695 
8371 

17685 

12525 

6500 

78400 

850 

30  200 

21875 
21  900 
II  485 
24340 
8025 
26  198 

loi  450 
6  600 

loi  964 
10  280 


kg 
19794 

16  669 
28  808 

7  957 
12385 
12769 
30722 

HO 

19893 
7246 

28574 
6698 
6248 
8075 

57637 
4030 
1030 

40946 
5  140 


1912 
Menge        Wert 


kg 
14245 
19337 
30882 

6  113 

4  357 

9150 

13874 

740 

14605 

27  107 

7558 
36075 

4855 
12596 
29471 

3  347 

3682 

30800 

97698 


frca. 
9970 
29005 
9263 
2445 

12469 
II  290 

10365 
2  600 
49950 
46305 
13670 

23949 

19  167 
13506 
24485 
83675 
13295 
'j']  000 

35030 


1913 
Menge        Wert 


kg 
23320 
17709 
37320 
30095 

2532 

4505 

5596 

23278 

270 

21561 

10  891 

69046 

7894 

5512 

10  921 

26913 

5830 

1953 

87938 

34960 


frcs. 
16326 
26563 

"  195 
12038 

7860 
3830 

4  757 
67300 
700 
42  205 
29  800 
41525 
II  365 
26489 

13955 

27  692 

145  750 
"575 

219845 
43700 


An  der  Somali-Küste  ist  die  Einfuhr  aus  Deutschland  in  der  Zu- 
nahme begriffen. 

Die  Einfuhren  aus  Oesterreich-Ungarn  an  der  Somali-Küste  sind 
von  600000  frcs.  im  Jahre  1910  auf  mehr  als  14000000  frcs.  im 
Jahre  1913  gestiegen. 

Im  Hinblick  auf  die  Zukunft  (die  Möglichkeiten  nach  dem  Kriege) 
tritt  heute  in  Prankreich  die  Ansicht  auf,  daß  Mittel  gefunden  werden 
sollen,  um  das  Ausland,  worunter  in  erster  Reihe  Deutsch- 
land gemeint  ist,  zu  verhindern,  die  Rohmaterialien  für 
seine  Industrie  aus  den  französischen  Kolonien  zu  holen. 
Um  ein  Beispiel  anzuführen,  so  spricht  der  frühere  Generalgouverneur 
Merlin  in  dieser  Verbindung  von  dem  Holz  in  den  Wäldern  von 
Aequatorial- Afrika.  Nach  ihm  beträgt  die  Einfuhr  von  Holz  nach 
Deutschland  aus  Aequatorial  -  Afrika  134000  t  unter  einer  Gesamt- 
ausfuhr von  150000  t.  Der  Gesamtwert  dieser  Holzausfuhr  be- 
trage 8  319  000  frcs.,  wovon  6  365  000  frcs.  auf  Deutschland  entfallen. 
Der  Unterschied  zwischen  dem  Gewicht  und  dem  Wert  erkläre  sich 
durch  den  relativ  niedrigen  Preis  des  Okoume  im  Vergleich  zu  dem 
Preise  von  Ebenholz  und  Akajou.  Auch  das  nach  Holland  gehende 
Okoume  im  Wert  von  rund  4  Mill.  frcs.  sei  größtenteils  für  Deutsch- 
land bestimmt.  Unter  der  oben  erwähnten  Holzausfuhr  nach  Deutsch- 
land befanden  sich  90000  t  Okoume.  —  Merlin  empfiehlt,  daß  die 
französische  Tabakregie  dieses  Holz  zur  Herstellung  von  Zigarrenkiste» 


Miszellen.  571 

verwende.  In  Deutschland  diene  es  demselben  Zweck  sowie  der  Fa- 
brikation von  Möbeln.  —  Frankreichs  Bedarf  an  Okoume  betrug  1913 
15  000  t.  Auch  England  beziehe  viel  von  diesem  Holz,  namentlich  aus 
Gabun.  —  In  dem  erwähnten  Bericht  wird  empfohlen,  die  schon  heute 
wichtigen  Märkte  für  die  genannten  Holzarten  in  Havre  und  Bordeaux 
auszudehnen. 

Von  der  HäuteausfuhrAequatorial-Afrikas,  welche  1913 
1000  t  (rohe  Ochsenhäute)  betrug,  hat  Guinea  400  t  nach  Hamburg 
geschickt.  Die  Ausfuhr  von  Madagaskar  betrug  1913:  8  032  698  kg 
zum  Werte  von  14  819  862  frcs.  Davon  gingen  nach  Deutschland 
2244000  kg  im   Werte  von  3  925  000  frcs. 

Aus  Marokko  hat  General  Lyautey  berichtet:  Seitdem  wir  im 
Jahre  1907  die  Chaouia  besetzten,  haben  die  Ausfuhren  nach  Deutsch- 
land Jahr  für  Jahr  zugenommen.  1912  nach  einer  Reihe  guter  Ernten 
sind  dieselben  auf  17  500  000  frcs.  aus  den  Häfen  des  Protektorats  ge- 
stiegen. Viele  der  nach  Hamburg  ausgeführten  Artikel  (Häute,  Mandeln 
usw.)  sind  zur  Wiederausfuhr  nach  Italien,  der  Schweiz,  Rußland  usw. 
bestimmt. 

Die  Ausfuhr  der  vom  Ministerium  der  Kolonien  abhängigen 
französischen  Kolonien  betrug  1913:  765  140000  frcs.,  wovon  48  374  000 
frcs.  auf  Deutschland  und  Oesterreich-Ungarn  entfielen.  Näheres  findet 
sich  in  der  folgenden  Aufstellung: 

1907  1 913 


Deutsche 
Kolonien 

Deutschland 

Deutsche 
Kolonien 

Deutschland 

Ocsterreich 
Ungarn 

aus                     frcs. 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

Senegal                  — 

2  039  670 

■  — 

7  155  000 

— 

Guinea                   — 

3  019  625 

— 

3  718000 

— 

Elfenbein-Küste    — 

332  632 

— 

2  871  000 

— 

Dahomey            n  573 

I  667  160 

148000 

10  155000 

— 

^^^""             1    641b 
Kongo             /       ^ 

1976  158    1 

34000 
34000 

3  628  000 
232  000 

— 

Madagaskar           — 

4  973  599 

— 

10  064  000 

96000 

Somali- Küste         — 

— 

— 

5254000 

138000 

Indochina               — 

2  985  302 

— 

4415000 

— 

Ozeanien                — 

82563 

— 

58000 

— 

Neu-Kaledonien    — 

280000 

— 

374  coo 

— 

Zusammen    17  989 

i7  35<>309 
50298 

216000 

47924000 

234000 

174 

48374000 

Die  Ausfuhren  aus  ; 

Pran  zösisch-Nor daf rika :  Algier 

•,   Tunis 

Marokko,  betrugen  nach: 

1907 

191S 

\ 

Deutschland 

1      Oesterreich- 
Ungarn 

Deutsch.«...      Oes^^^ch- 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

Algier             1 1  458  000 

3773000 

13 

666  000         1 

J  791  000 

Tunis                 2  423  691 

610  564 

7  207  098         : 

i  038  660 

Marokko           5  208  783 

5782 

8 

673415 

60  128 

572  Missellen. 

Die  Regierung  von  Algier  (Office  de  PAlgörie)  hat  im  Jahre  1914 
einen  Bericht  über  den  Handel  Deutschlands  und  Oesterreich- Ungarns 
in  Algier  veröffentlicht. 

Danach  hat  die  Ausfuhr  Deutschlands  aus  Algier,  die 
im  Jahre  1902  3  774  000  frcs.  und  1903  4  460  000  frcs.  betrug,  seit 
1904  schnellen  Aufschwung  genommen  und  sich  bis  zum  Jahr  1912 
verdoppelt. 

1904  6378000  frcs.        1909   8505000  frc«. 

1905  8216000  „         1910   10593000  „ 

1906  9593000  „         1911   10070000  „ 

1907  II 458000  „         1912   12778000  „ 

1908  8  286  000  „ 

Im  Jahre  1913  betrug  die  Ausfuhr  Algiers  nach  Deutsch- 
land 13  666  000  frcs.     Die  wichtigsten  Artikel  sind: 

Phosphat  3  240  000  frcs. 

Zinkerz  2412000  „ 

Häute,  roh  2  296  090  „ 

Fasern  i  740  000  „ 


Kork,  roh  i  246  000 

Eisenerz  i  126000 


Dazu  kommen: 


Gel  und  Essenzen     238  080     „ 
Wein  und  Liköre      165000     „ 

Tafelobst,  WoU abfalle,  bearbeiteter  Kork,  Medizinalartikel,  Tabak  in 
Blättern  und  bearbeitet,  Kupfererz,  Gedärme,  trocken  und  gesalzen, 
Kleie,  Alfa  usw.  Zu  erwähnen  ist,  daß  Deutschland,  ausgenommen  im 
Jahre  1913,  wo  die  Ernte  in  Algier  schlecht  war,  Gerste  bezieht:  1912 
86  192  Quintaux  im  Wert  von  1  917  000  frcs. 

Die  Ausfuhren  Algiers  nach  Oesterreich- Ungarn  betrugen : 

1902  I  867  000  frcs.  1908  4  339  000  frcs. 

1903  I  831  000  „  1909  3691000  „ 

1904  2  479  000  „  1910  3  705  000  „ 

1905  3  303  000  „  1911  3  947  000  „ 

1906  4017000  „  1912  5299000  ,, 

1907  3  771 000  „  1913  5  791 000  „ 

Im  Jahre  1913  befanden  sich  unter  diesen  Ausfuhrartikeln:  Tafelfrüchte 
1536  000  frcs.,  darunter  230  485  frcs.  Feigen  und  6532  frcs.  Datteln. 
Andere  Artikel  sind: 


Fasern                     1 

[  272000 

frcs. 

Eisenerz 

882  Ol  0 

» 

Kork,  roh 

646000 

}i 

Getrocknete  Feigen 

zur  Destillation 

413000 

)) 

Phosphate 

336  000 

}i 

Kork,  bearbeitet 

276000 

jj 

Häute,  roh 

103000 

;> 

Wolle,  Medizinalpflanzen,  Gerste  usw.  gelangen  ebenfalls  nach 
Oesterreich-Ungam. 

Die  Ausfuhr  von  Tunis  nach  Deutschland  und  Oester- 
reich-Ungarn  hat  sich  von  1904  bis  1913  bedeutend  entwickelt,  wie 
die  folgende  Aufstellung  zeigt: 


M 

iszellen. 

Deutschland 

Oesterreich-Üngarn 

Zusammen 

frcs. 

frcs. 

frcs. 

1904 

I  028  901 

379  569 

I  407  470 

1905 

I  483  628 

428607 

I  912  235 

1906 

I  638  665 

183  725 

I  822  390 

1907 

2423691 

610564 

3034255 

1908 

2  363  849 

506  601 

2870450 

1909 

2  626  684 

I  185  230 

3811914 

1910 

2628  163 

799  268 

3427431 

1911 

3232589 

I  058  960 

4391549 

1912 

4  860  637 

I  642  658 

5  503  295 

1913 

7  207  098 

2  038  660 

9  245  758 

573 


Der  französische  General-Resident  in  Tunis,  M.  Alapetite,  hat  einen 
«ingehenden  Bericht  erstattet,  welcher  viel  Beachtung  bei  den  franzö- 
sischen Handelskammern  gefunden  hat.  Als  Hauptausfuhrartikel  führt 
der  Bericht  an: 

1904  1913  1911 

frcs.  frcs.  frcs. 

Blei-Erze  38  400  654  075  (2  806  838) 

Zink-Erz  —  494  700 

Häute,  roh,  hielten  sich  in  dieser  Periode  auf  rund  300000  frcs. 
Schwämme  —  104  500 

Kork,  roh:  190924  frcs.  im  Jahre  1910  522999 

Dieselben  Artikel  gehen  nach  Oesterreich- Ungarn. 
Die  Ausfuhr  von  Alfa  nach  Deutschland  ist  unbedeutend;    sie  be- 
trug 1910  nur  9344  frcs. 

Das  deutsche  Kapital  tritt  in  Tunis  vielfach  in  der  Form 
von  Beteiligungen  oder  Kommanditen  auf.  Die  deutschen  Versicherungs- 
gesellschaften sind  zahlreich;  in  der  Stadt  Tunis  gibt  es  ihrer  zehn. 
Der  Bericht  empfiehlt,  daß  Frankreich  seine  Einfuhr  von  Kork  aus 
Tunis  (durchschnittliche  Gesamtausfuhr  50000  Quintaux)  fördere,  in- 
dem es  diesen  Artikel  zollfrei  hereinlasse.  Die  Erze  (durchschnittliche 
Ausfuhr  jährlich: 

Eisenerz  367  000  t 

Bleierz  42  000  t 

Zinkerz  34000  t) 

sollten  in  Tunis  bearbeitet  werden ;  heute  gibt  es  dort  nur  eine  einzige 
Schmelzerei,  an  welcher  deutsches  Kapital  hervorragend  beteiligt  ist. 
Die  Phosphatindustrie  sollte  entwickelt  werden.  Heute  gibt  es  nur 
eine  Fabrik.  Alfa  (durchschnittliche  Ausfuhr  jährlich  48000  t)  sollte 
in  Tunis  in  Papiermasse  verarbeitet  werden.  Auch  die  Hotelindustrie 
und  die  Reiseagenturen  erforderten  Aufmerksamkeit. 

Die  Ausfuhr  von  Marokko  nach  Deutschland  betrug: 

1902  I  099  899  frcs. 

1913  9567963      ., 

Die  französischen  Berichte  nennen  als  Ursache  der  schnellen  Ent- 
wicklung: Die  Frachten  nach  Hamburg  sind  niedriger  als  nach  Mar- 
seille und  die  deutschen  Freihäfen ;  weiterhin  die  enge  Verbindung  der 
deutschen  Handelshäuser  mit  den  einheimischen  Geschäftsleuten. 

Die  wichtigsten  Artikel,  die  zur  Ausfuhr  nach  Deutschland 
gelangen,  sind: 


574  Ifiszellen. 

1907  1913            Gesamtausfuhr  1913 

kg  kg  kg 

Wachs                                   449562  502685  656742 

Wolle                                  902  459  99  298  935  226 

Häute,  roh                                —  7  157  4148208 

Mehlsorten                             238  013  58925  534  575 

Olivenöl                                      —  19»  125  585850 

Früchte  und  Samen          i  225315                3  226710  8  194  132 

Arznei- Artikel                       306489  334  439  i  120245 

Die  Ausfuhr  Marokkos  nach  Prankreich  betrug  in  Pro- 
zenten der  Gesamtausfuhr: 

1902  17,28  Proz. 

1906  4500      „ 

bis  1912  30—40     „ 

1913  49,17       „ 

Die  Ausfuhr  nach  Deutschland  in  Prozenten  der  Gesamt- 
ausfuhr : 

1904  10, 6  7  Proz. 

1912  22,08   „ 

1913  i8,63   „ 

Die  Schwankungen  in  dieser  Zeit  waren  mitunter  bedeutend.  1906 
war  der  deutsche  Anteil  auf  13,88  gefallen,  um  1907  auf  24,2  Proz. 
zu  steigen. 

Ein  Bericht  des  französischen  Ministeriums  für  die  Kolonien  aus 
dem  Jahre  1915  gibt  die  Ausfuhren  der  von  diesem  Ministerium  ab- 
hängigen Kolonien  (ausschließlich  von  Algier,  Tunis,  Marokko)  in 
der  Hauptsache,  wie  folgt,  an: 

Rohe  Ochsenhäute,  Perlmutter,  Wachs,  Elefantenzähne.  Arachides, 
Kautschuk,  Vanille,  Reis,  Kopra,  Raphia,  Gerbstoff,  Kaffee.  Graphit^ 
Zink-Erz,  Nickel-Erz,  Palmkerne,  Mais,  Baumwolle,  Kap-Bohnen. 

Der  Bericht  betont,  daß  außerdem  noch  viele  andere  Artikel,  die 
im  Transit  andere  Bestimmungen  haben,  nach  Deutschland  gehen. 

Die  Ausfuhr  von  rohen  Ochsenhäuten  nach  Deutschland: 
1907  1913 


aus: 

kg 

frcs. 

kg 

frcs. 

Guinea 

151  000 

243  000 

395  000 

692  000 

Idadagaskar 

I  265  000 

I  701  000 

2  244  000 

3  925  000 

Indochina 

5  000 

4000 

70000 

175000 

Somali- Küste 

— 

— 

I  996  000 

2  994  000 

Ausfuhr  von 

Perlmu 

tter  nach  Deutschland: 

1907 

1913 

aus: 

kg 

frcs. 

kg 

frcs. 

Ozeanien 

14000 

23000 

3000 

6000 

Indochina 

— 

— 

156000 

31  000 

Ausfuhr  von 

Elefant 

enzähnen 

nach  Deutschland : 

1907 

1913 

aus: 

kg 

frcs. 

kg 

frcs. 

Senegal 

149 

2  200 

— 

Guinea 

146 

I  460 

1869 

29900 

Kongo 

61 

I  100 

4283 

99  (.00 

Dahomey 

5 

75 

16 

256 

Gabun 

158 

3700 

Miszellen.  575 

Ausfuhr  von  Wachs  nach  Deutschland: 

1907  1913 


ans: 

kg 

frcs. 

kg 

frcs. 

Madagaskar 

180000 

453  000 

288000 

846000 

Tndochina 

— 

— 

3000 

10  000 

Guinea 

2  600 

6000 

18000 

14000 

Somali-Küste 

— 

— 

318000 

910000 

Ä.ußfuhr   von 

G 

uano 

nach  Deutschland: 

1913 

aus : 

kg 

frcs. 

Madagaskar 

12422000 

I 

248  000 

Madagaskar    führte   im    Jahre  1913    260000  kg  Guano  im  Werte 
von  39  000  frcs.  nach  Frankreich  aus. 

Ausfuhr  von  Kautschuk  nach  Deutschland: 

1907  1913 

aus :                         kg  frcs. 

Elfenbeinküste          29  000  133  000 

Guinea                     229  000  2  058  000 

MUtle^rer  Kongo}       ^  000  15000 

Madagaskar  291  000  i  545  000 

Senegal  151  000  853000 

Ausfuhr  von   Arachides  nach  Deutschland: 

1907 
aus :  kg  frcs. 

Senegal  4  000  000  800  000 

Ausfuhr  von  Vanille  nach  Deutschland: 

1907 

aus:  kg  frcs. 

Madagaskar  1577  28000 

Ozeanien  i  9^9  9600 

Auf  Madagaskar  dehnen  sich  die  Vanillepflanzungen  von  Jahr 
au  Jahr  aus. 

Ausfuhr  von  B>afia  aus  Madagaskar: 

1907  1913 

nach:                     kg  frcs.  kg  frcs. 

Deutschland         1240000  554000  1824000  1044000 

Oesterreich                 —  —  156000  94000 

Die  Ausfuhr  von  Rafia  nach  Deutschland  ist  von  554  000  frcs. 
im  Jahre  1907  auf  1257000  frcs.  im  Jahre  1912  und  1044000  frcs. 
im  Jahre  1913  gestiegen. 

Ausfuhr  von  Gerbstoffen  nach  Deutschland : 

1907  1913 

ans:  kg  frcs.  kg  frcs. 

Madagaskar  7698000  552000  20681955  1367000 

Diese  Ausfuhr  ist  neu  und  hat  erst  1906  begonnen.  Deutschland 
nimmt  den  ersten  Platz  dabei  ein.  Frankreich  hat  im  Jahre  1913 
für  95  000  frcs.  eingeführt. 


kg 

frcs. 

49000 

195000 

222  000 

I  482  000 

10  000 

65000 

18000 

135000 

127  000 

585  000 

20000 
and: 

1913 

109  000 

kg 

frcs. 

640  000 

1913 

6380000 

kg 

frcs. 

6418 

252  000 

1554 

32000 

576  Missellen. 

Ausfuhr  von  Palmkernen  nach  Deutschland: 

1907  1913 

aus:  kg  frcs.  kg  frcs. 

Senegal  i  43©  725  332  391  1 635  000  654  000 

Elfenbeinküste  965000  162000  5069000  1830000 

Dahomey  5173000  i  311 000  24022000  9196000 

Guinea  3385000  677000  4313000  1464000 

Gabun  16  000  4  000  93  000  30  000 

In  der  Zukunft  werden  diese  Ausfuhren  noch  erheblich  zunehmen. 
Ausfuhr  von  Palmöl  nach  Deutschland: 


1907 

1913 

aus :                      kg                        frcs. 
Dahomey               276  OOO                123  ooo 
Elfenbeinküste        19000                    7000 

kg 
265  000 
185  000 

frcs. 
130000 
93000 

Ausfuhr  von  Mais  nach  Deutschland: 

1907 
aus :                       kg                         frcs. 
Dahomey            4416000                220000 

1913 
kg 
8500000 

frcs. 
680000 

Nach  Frankreich  wurde  zum  erstenmal  im  Jahre  1907  Mais,  ge- 
schickt und  zwar  für  Rechnung  der  französischen  Gesellschaft  „Char- 
geurs r^unis*'. 

Ausfuhr  von  Baumwolle  nach  Deutschland: 


1907 

1913 

aus: 

kg 

frcs. 

kg 

frcs. 

Dahomey 
Ozeanien 

3800 
21  800 

7  800 
24000 

83000 
12  000 

104000 
19000 

Die  Ausfuhr  nach  Deutschland  soll  bedeutender  sein,  als  diese 
Zahlen  anzeigen ;  viel  soll  über  die  Landesgrenze  unter  anderem  nach 
Togo  gelangen. 

Ausfuhr  von  Kap-Bohnen  nach  Deutschland: 

1907  1913 

aus:  kg  frcs.  kg  Ircs. 

Madagaskar  —  —  159  000  65  000 

Ausfuhr  von  Graphit  nach  Deutschland: 

1907  1913 

aus:  kg  frcs.  kg  frcs. 

Madagaskar  —  —  300  000  132  000 

Ausfuhr  von  Zinkerz- Calamine  nach  Deutschland: 

1907  1913 

aus:  kg  frcs.  kg  frcs. 

Indochina  —  —  930000  121 000 

Im  Jahre  1913  wurden  aus  Indochina  12  500000  kg  Zinkerz  im 
Werte  von  1 634000  frcs.  nach  Belgien  geschickt.  Der  französische 
Bericht   deutet   an,    daß    ein  Teil    davon  für  Deutschland  bestimmt  sei. 


Miszellen.  577 

Ausfuhr  von  Nickelerz  nach  Deutschland: 

1907  1913 

aus:  kg  frcs.  kg  frcs. 

Neii-Kaledonien   8017000  280000  12566000  374000 

Ueber  den  Handel  mit  Nutzholz  hat  sich  die  französische  Kom- 
mission für  die  Handelsflotte  einen  Bericht  von  M.  Gratien  Candace 
erstatten  lassen,  worin  dargelegt  wird ;  Der  Handel  mit  Holz  in  Fran- 
zösisch-Aequatorial-Afrika  entwickelt  sich  schnell.  Die  Ausfuhr  aus 
Gabun  betrug 

1898  500000  frcs. 

1913  8319239     „ 

Gewicht  150688  t.  Die  Bedeutung  des  Artikels  läßt  sich  daran  er- 
messen, daß  die  Gesamtausfuhr  betrug 

1912  28935  218  frcs. 

1913  36  487  988  „ 

Weitaus  das  meiste  davon  geht  nach  Deutschland,  dessen  Anteil,  wie 
folgt,  dargestellt  wird:  1913  67167  t,  im  Wert  von  3520175  frcs. 
oder  45  Proz.  der  Gesamtausfuhr. 

Im  Jahre  1913  erreichte  die  Gesamtausfuhr  150688  t,  im  Wert 
von  8319  239  frcs.,  und  verteilte  sich  auf  die  folgenden  Länder: 

t  Wert  frcs. 

Deutschland  67167  3  S 20 175 

England  29517  2020180 

Frankreich  22018  i  512049 

Holland  26877  l  242031 

Vereinigte  Staaten  3  359  16  800 

Spanien  1 648  8  000 

In  Frankreich  wurden  schon  einige  Jahre  vor  dem  Krieg  An- 
strengungen gemacht,  um  den  Anteil  des  französischen  Handels  mit 
den  Kolonien  zu  steigern.  Am  29.  September  1914  wurde  zu  diesem 
Zweck  die  „Commission  consultative  coloniale"  errichtet.  An  den  Be- 
ratungen dieser  Versammlung  nahmen  teil  die  Präsidenten  der  Handels- 
kammern in  Paris,  Bordeaux,  Marseille,  Nantes,  Lyon,  Dünkirchen, 
Havre.  In  derselben  Richtung  arbeiteten  das  „Office  national  du  com- 
merce exterieur",  „Office  colonial*',  „Office  de  l'Algerie",  ,, Office  de  la 
Tunisie"  und  ,, Office  du  Maroc". 

Das  ,, Office  coloniaP'  wurde  im  Mai  1887  errichtet  als  Nachrichten- 
stelle, angeschlossen  an  die  permanente  Ausstellung  der  Kolonien,  die 
seit  dem  Jahr  1855  besteht.  Das  Dekret  vom  14.  März  1899  dehnte 
die  Aufgabe  des  „Office  colonial"  aus.  Seit  1904  veröffentlicht  das- 
selbe ein  „Bulletin"  und  unterhält  ein  Handelsmuseum.  Als  Vorbild 
der  Organisation  hat  das  Imperial-Institut  in  London  gedient. 

Das  „Office  de  l'Algörie"  ist  1902  geschaffen  worden  mit  dem 
Programm:  Kolonisation,  Auslandhandel,  Ausstellung.  Es  veröffentlicht 
regelmäßig  ein  „Bulletin*'  und  eine  Preisliste  der  in  Paris,  Lyon,  Mar- 
seille, London  und  Hamburg  gehandelten  Waren,  die  Ein-  und  Ausfuhr- 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  37 


578  Mifzellen. 

Statistik,  die  Verkehrsstatistik  der  Häfen  von  Algier,  Oran,  Mosta- 
ganem,  Bougie,  Philippeville  und  Bone. 

Das  „Office  de  la  Tunisie"  wurde  1905  errichtet  als  eine  Ab- 
teilung der  Regentschaft.  Dasselbe  veröffentlicht  alle  zur  Förderung 
des  Handels  notwendigen  Mitteilungen  und  unterhält  eine  Ausstellung 
von  Mustern;  das  „Bulletin"  erscheint  regelmäßig. 

„Office  du  Maroc".  Dasselbe  wurde  1914  errichtet.  Es  unterhält 
ein  Handelsmuseum,  sammelt  alle  Nachrichten  und  erteilt  alle  dem 
Handel  nützlichen  Mitteilungen,  veranstaltet  gelegentlich  Ausstellungen 
(in  Lyon  und  Casablanca). 

Eifrige  Tätigkeit  zur  Förderung  des  Handels  mit  den  Kolonien 
entwickeln  die  neu  errichteten,  aus  privater  Initiative  (mit  Unterstützung 
der  Handelskammern,  der  Gemeinderäte)  hervorgegangenen  Kolonial- 
Institute,  errichtet  seit  1900  in  Marseille,  Bordeaux  und  Nancy.  Als 
Vorbilder  dienen  das  Kolonial-Institut  in  London  und  das  Belgische 
Kolonial-Institut,  das  von  König  Leopold  von  Belgien  in  den  Gärten 
von  Tervueren  errichtete  Kolonial- Museum,  das  Kolonial-Museum  in 
Haarlem,  das  Kolonial-Institut  in  Amsterdam,  die  Institute  in  Hamburg 
und  Berlin. 

Das  Institut  in  Marseille  wurde  von  dem  kürzlich  verstorbenen 
Dr.  Ed.  Heckel  geleitet,  der  auch  einen  Kolonialgarten  anlegte.  Es  ist 
hervorgegangen  aus  dem  Kolonial-Museum.  Die  Verwaltung  besteht 
aus  27  Mitgliedern.  Die  Lehrtätigkeit  an  dem  Institut  erstreckt  sich 
auf  alle  Fächer  des  Handels,  der  Industrie  und  des  Bankwesens.  Die 
von  Zeit  zu  Zeit  stattfindenden  Ausstellungen  von  Kolonialartikeln 
haben  immer  großes  Interesse  gefunden.  Es  erscheint  eine  Monats- 
schrift: „L'Expansion  coloniale".  Dem  Handel  werden  alle  wünschens- 
werten Nachrichten  zuteil. 

Das  Kolonial-Institut  in  Bordeaux  besteht  seit  1901  und  wird  von 
dem  Prof.  ßeille  geleitet.  Das  Institut  arbeitet  in  derselben  Art  wie 
jenes  in  Marseille. 

Die  Angelegenheiten  der  Schiffslinien  und  Schiffsfrachten 
werden  in  den  französischen  Kolonialkreisen  eifrig  erörtert.  Die  maß- 
gebenden Gesichtspunkte  finden  sich  in  einem  Bericht,  welchen  M.  F. 
du  Vivier  de  Street  an  die  ,,Commission  consultative  coloniale''  er- 
stattet hat.  Darin  wird  auf  die  Vorteile,  welche  Deutschland  und 
England  auf  diesem  Gebiet  besitzen,  hingewiesen. 

Ein  Bericht  des  Unterstaatssekretärs  für  die  Handelsflotte,  M.  Nail, 
erwähnt  den  bei  Kriegsbeginn  sich  entwickelnden  Zustand: 
Beim  Ausbruch  des  Krieges  war  die  Verbindung  zwischen  Frankreich 
und  den  Kolonien  lahmgelegt.  Nachdem  jedoch  der  Staat  das  Kriegs- 
risiko übernommen,  Kohlen  und  Schiffsausrüstung  zur  Verfügung  ge- 
stellt hatte,  wurde  der  regelmäßige  Dienst  nach  und  nach  wieder  auf- 
genommen. Die  Schiffahrt  zwischen  Frankreich,  Algier,  Tunis,  Tripoli- 
tanien  und  Marokko  wurde  anfänglich  ganz  von  der  Truppenbeförde- 
rung nach  Frankreich  in  Anspruch  genommen.  Im  September  1914 
wurde  der  Verkehr  mit  Algier  durch  eine  Linie  über  Bougie  verbessert. 


Miszellen.  579 

Im  Mai  1915  wurden  besondere  Fahrten  für  die  Beförderung  von  Ge- 
müsen nach  Marseille  eingerichtet.  Die  Ueberlastung  des  Hafens  von 
Ronen  und  der  Umstand,  daß  ein  großer  Teil  der  Schiffe  der  Linien: 
Societö  navale  de  l'Ouest,  der  Affreteurs  reunis,  Delmas  freres  usw. 
requiriert  wurden,  erwies  sich  als  hinderlich.  Erst  langsam  besserten 
sich  die  Zustände.  Der  Verkehr  mit  Marokko  wird  hauptsächlich 
unterhalten  von  Marseille  durch  die  Compagnie  Paquet  und  von  Nantes 
und  Bordeaux  durch  die  Compagnie  Generale  transatlantique. 

Nach  West-  und  Aequatorial-Aafrika  fahren  die  Linien  der  Eeeder 
von  Bordeaux,  der  Compagnie  Fraissinet,  Compagnie  Cyprien  Fahre, 
Compagnie  Chargeurs  Eeunis.  Die  Chargeurs  Reunis  hatten  vor  dem 
Krieg  18  Dampfer  und  12  Lastdampfer.  Heute  fährt  nur  1  Dampfer 
alle  2  Monate  und  1  Lastschiff  einmal  in  2  Monaten.  Die  Fahrten 
sollen  jedoch  verdoppelt  werden.  —  Der  Hafen  von  Dakar  wird,  wenn 
auch  weniger  regelmäßig  als  vor  dem  Krieg,  auf  den  Fahrten  von 
Frankreich  nach  Südamerika  angelaufen.  Die  wichtigsten  Gesell- 
schaften sind:  Soci^tö  generale  des  Transports  maritimes  k  vapeur, 
Compagnie  des  Chargeurs  reunis  und  Compagnie  de  Navigation  sud- 
atlantique. 

Madagaskar,  La  Reunion,  Comoren,  Djibouti:  Die  Compagnie  des 
Messageries  maritimes  fährt  alle  14  Tage  von  Marseille.  Um  die  Aus- 
fuhr von  Madagaskar  zu  erleichtern,  sind  einige  Dampfer  durch  große 
Lastschiffe  ersetzt  worden.  —  Ein  Teil  der  Schiffe  der  Compagnie 
Havraise  und  Peninsulaire  ist  requiriert  worden.  —  Nach  Djibouti 
fahren  die  Dampfer,  die  von  Indochina  und  Madagaskar  kommen. 
Djibouti  beklagt  sich,  daß  diese  Dampfer  überlastet  sind.  Es  soUen 
in  Djibouti  bedeutende  Waren  angesammelt  sein. 

Indochina :  Der  Dienst  wird  versehen  von  der  Compagnie  des  Mes- 
sageries maritimes.  Außerdem  fährt  die  Compagnie  des  Chargeurs 
reunis  jeden  Monat  einmal  nach  Cochinchina  und  Tonkin.  Von  un- 
vermeidlichen Störungen  abgesehen,  fahren  die  Messageries  maritimes 
regelmäßig  nach  Saigon.  Die  französische  Regierung  hält  streng  darauf, 
daß  die  Fahrten  innegehalten  werden.  Nach  Indien  fahren  die  Schiffe 
zwischen  Colombo  und  Kalkutta. 

Neu-Kaledonien,  Neue  Hebriden,  Tahiti:  Die  Fahrten,  welche  die 
Messageries  maritimes  ehemals  alle  28  Tage  nach  Australien  und  Neu- 
Kaledonien  machten,  sind  wegen  mangelnder  Rentabilität  eingestellt.  Es 
besteht  jedoch  der  Dienst  von  Sydney  nach  Numea  und  den  Neuen 
Hebriden.  Im  Februar  und  Mai  1915  ging  je  ein  Frachtdampfer  nach 
Australien  und  Neu-Kaledonien.  —  Mit  Tahiti  besteht  ein  unregel- 
mäßiger Dampferdienst  seitens  der  Compagnie  navale  de  l'Oc^anie,  die 
auch  nach  Neu-Kaledonien  fährt.  Englische  Schiffe  von  Colombo  und 
Singapore  sind  autorisiert,  den  Verkehr  mit  Neu-Kaledonien  und  den 
Hebriden  zu  versehen. 

Antillen  und  Französisch-Guiana :  Der  Dienst  von  und  nach  Frank- 
reich wird  versehen  durch  die  Compagnie  Generale  transatlantique  von 
Saint-Nazaire  nach  Colon,  von  Bordeaux  nach  Colon,  von  Fort-de-France 

37* 


580 


Miseellen. 


nach  Cayenne.  Dieselbe  Gesellschaft  unterhält  zahlreiche  Frachtfahrten 
zur  BeförderuDg  von  Zucker,  Rum,  Kaffee  und  Kakao. 

Vor  dem  Krieg  wurde  der  Dienst  nach  den  Antillen  durch  die 
österreichische  Gesellschaft  „Austro-Americana"  ver- 
sehen. Seit  Dezember  1914  ist  die  französische  Society  generale  des 
Transports  maritimes  k  vapeur  an  ihre  Stelle  getreten. 

Die  Schiffahrt  unter  deutscher  und  österreichisch- 
ungarischer  Flagge    nach   und   von    den   französischen   Kolonien 


1907—1912. 

1907 

1912 

Zahl  der  Schiffe 

t 

Zahl  der  Schiffe 

t 

Senegal 

185 

176000 

223 

410000 

Guinea 

210 

397000 

203 

473000 

Elfenbeinküste 

395 

545000 

207 

491000 

Dahomey 

323 

380000 

465 

671000 

Gabun 

79 

149000 

158 

402000 

Somaliküste 

26 

48000 

86 

242  000 

Madagasl£:ar 

217 

158000 

624 

472000 

R§union 

2 

2  000 

— 

— 

Indien 

2 

6000 

16 

47000 

Indocbina 

535 

682  000 

521 

637000 

Martinique 

60 

105  000 

25 

55000 

Guadeloupe 

76 

136000 

25 

58000 

Zusammen      2110 

2  784000 

2553 

3958000 

1907 

1912 

SnV„-«o /deutsche 

1978 

2435 

(j  '■■■■*• 

(österreichische 

132 

I 

18 

2II0 


2553 


Schiffahrt   zwischen  Frankreich,    dem  Ausland,    den 
Kolonien  und  den  Fischerei-Plätzen  (Segelschiffe  und  Dampfer). 


Ankunft 

in  Ladung 

t 

7431069 

23273431 

Schiffe 

in  Ballast 

t 

150305 
448002 

zusammen 

t 

7581374 
23721  433 

unter  franz.  Flagge 
unter  ausländ.  Flagge 

Gesamt-Tonnenzahl 

30  704  500 

598  307 
Abfahrt 

31302807 

in  Ladung 
t 

6827145 
16463234 

Schiffe 

in  Ballast 

t 

936374 

7  24^215 

zusammen 

t 

7  763  119 

23  70 .  449 

unter  franz.  Flagge 
unter  ausländ.  Flagge 

Gesamt-Tonnenzahl 

23290379 

8  182589 

31472968 

Das  französische  Parlament  berät  über  verschiedene  Maßnahmen 
zur  Förderung  der  Handelsflotte.  Das  Gesetz  soll  spätestens  12  Mo- 
nate nach  dem  künftigen  Friedensschluß  erlassen  werden.  100  Mill.  frcs. 
sollen   für  Subsi dien   in  verschiedenen  Formen    angewiesen  werden. 


Miszellen.  581 

Die  französische  Zollgesetzgebung  in  den  Kolonien  steht  zur 
Erörterung.  Dieselbe  hat  in  dem  langen  Zeitraum  von  1760 — 1860 
von  einem  Pol  zum  anderen  geschwankt.  Näheres  darüber  findet  sich 
in  dem  „Traite  de  Legislation  coloniale*'  von  Paul  Dislere. 

Das  Gesetz  vom  11.  Januar  1892  ist  grundlegend  für  den  heutigen 
Zustand.  Es  ist  in  der  Hauptsache  nach  den  Vorschlägen  von  Jules 
Terry  erlassen. 

Die  Kolonien  sind  in  zwei  Gruppen  eingeteilt :  den  für  Frankreich 
geltenden  Zolltarifen  sind  unterworfen:  Guadeloupe,  Martinique,  Guiana, 
Reunion,  Indochina  (Cochinchina,  Cambodge,  Annam,  Tonkin),  Gabun, 
Neu-Kaledonien,  Comoren,  Madagaskar  (Gesetz  vom  16.  April  1897). 

Der  Minimal-  und  der  Generaltarif  werden  angewandt  je  nach 
dem  Vertrag  mit  dem  betreffenden  Ausland.  Für  Nahrungsmittel  usw. 
sind  Ausnahmen  zugelassen. 

Für  die  Ausfuhren  nach  Frankreich  bestehen  besondere  Vorteile 
für  einige  Artikel,  namentlich  für  Zucker,  Melassen,  Kolonialwaren. 
Andere  Produkte  werden  zollfrei  in  Depot  zugelassen. 

Die  zweite  Gruppe  besteht  aus  den  verschiedenen  Kolonien  in 
Afrika  und  ist  besonderen  Tarifen  unterworfen.  Die  Ausfuhren  nach 
Frankreich  unterstehen  dem  Minimaltarif,  ausgenommen  die  zollfreien 
oder  begünstigten  Artikel,  wie  bei  der  ersten  Gruppe. 

Der  Verkehr  zwischen  den  Kolonien  ist  keinem  Zoll  unterworfen 
(Gesetz  vom  11.  Januar  1892),  ausgenommen  die  Produkte  aus  Fran- 
zösisch-lndien  und  die  in  Depot  zollfrei  zugelassenen  Garne  und  Gewebe 
(Gesetz  vom  19.  April  1904,  Dekret  vom  17.  Februar  1906).  Für  die 
Neuen  Hebriden  und  einige  anderen  Kolonien  bestehen  besondere  Vor- 
schriften. 

Die  Wirkung  der  neuen  Zollgesetzgebung  in  den  Kolonien  wurde 
von  dem  Berichterstatter  der  Zollkommission  im  Senat,  M.  Jean  Morel, 
als  günstig  bezeichnet;  von  1895 — 1910  ist  der  Generalhandel  der 
Kolonien,  Eingang  und  Ausgang,  von  475  auf  1224  Mill.  frcs.  ge- 
stiegen. Die  Ausfuhren  Frankreichs  sind  von  345  Millionen  im  Jahre 
1896  auf  798  Millionen  im  Jahre  1911  gestiegen.  Die  Handelskammer 
in  Nancy  bemerkt  in  einem  Bericht:  Von  1907  bis  1911  ist  die 
durchschnittliche  Ausfuhr  der  Kolonien  nach  Frankreich  auf  jährlich 
333  914000  frcs.  gestiegen.  Die  Ausfuhr  Frankreichs  nach  den  Ko- 
lonien hat  sich  auf  210275  000  frcs.  gehoben. 

Der  Berichterstatter  der  Kommission,  M.  Carriöre,  spricht  sich  für 
die  Aufrechterhaltung  des  Gesetzes  vom  11.  Januar  1892  aus.  Er  fügt 
hinzu ,  daß  der  Artikel  9  der  englisch-französischen  Kon- 
vention vom  14.  Juni  1898  die  Aktion  der  französischen  Re- 
gierung im  Nigerbecken  behindere. 

Das  Gesetz  vom  5.  August  1913  hat  einige  Aenderungen  eingeführt. 
Dieselben  sind  jedoch  nicht  von  großer  Bedeutung. 

Algier  gehört  unter  zollpolitischem  Gesichtspunkt  zu  Frankreich, 
gemäß  dem  Gesetz  vom  17.  Juli  1867.  Einige  Produkte  werden  in 
Frankreich  zollfrei  zum  Transit  zugelassen;  darauf  bezieht  sich  zum 
Teil  das  Finanzgesetz  vom   10.  April  1910. 


5g2  Miszellen. 

In  Tunis  wird  die  Zollgesetzgebung  durch  drei  Dekrete  vom 
2.  Mai  1898  geregelt.  Im  Prinzip  besteht  ein  Zoll  ad  valorem  von 
8  Proz.,  aber  viele  französische  Produkte  sind  zollfrei.  Die  Erzeugnisse 
von  Tunis  genießen  bei  der  Einfuhr  in  Frankreich  gewisse  Vorteile, 
gemäß  dem  Gesetz  vom  19.  Juli  1890.  Produkte  der  französischen 
Kolonien  werden  wie  Auslandsprodukte  behandelt. 

In  Marokko  gelten  für  die  Zollgesetzgebung  die  Abmachungen 
der  Konferenz  von  Madrid  von  1880,  der  Konferenz  von  Algesiras,  und 
bis  zum  Kriege  galt  die  deutsch- französische  Konvention  vom  4.  No- 
vember 1911.  Die  Zölle  betrugen  5 — 10  Proz.;  frei  in  Depot  gingen 
Phosphate  und  Dungmittel.  Für  die  Ausfuhr  bestanden  Gewichtszölle, 
ausgenommen  Butter,  Holzkohle,  gewisse  Nahrungsmittel,  amerikanische 
Holzfabrikate,  welche  10  Proz.  ad  valorem,  Bananen,  Getränke,  Töpfe- 
reien, welche  5  Proz.  zahlten.  Der  Verkehr  an  der  algerischen  Grenze 
wird  durch  besondere  Verfügungen  geregelt. 


Miszellen.  5g3 


XV. 

Die  Entwicklung  der  Vieh-  und  Pleischpreise  und 
die  Kegelung  der  Fleischversorgung  in  Deutschland 
während  der  ersten  beiden  Kriegsjahre  (unter  be- 
sonderer Berücksichtigung  der  Berliner  Verhältnisse). 

Von  Dr.  Edgar  Meyer,  volkswirtschaftlicher  Dezernent   am  Magistrat  Berlin. _, 

Infolge  einer  glänzenden  Ernte  für  Getreide  und  Futtermittel  war 
im  Jahre  1914  kurz  vor  Kriegsausbruch  der  Viehbestand  in  Deutschland 
außerordentlich  günstig.  Die  Schweinezählung  vom  1.  Juli  1914  ergab 
einen  Bestand  von  25,3  Mill.  Stück,  zeitigte  mithin  ein  gegenüber  dem 
Vorjahr  um  3,5  Mill.  Stück  höheres  Ergebnis, 

Dem  hohen  Bestand  entsprachen  —  nach  dem  Gesetz  von  Angebot 
und  Nachfrage  —  die  Viehpreise.  So  betrug  z.  B.  der  Preis  für  voll- 
fleischige Schweine  im  Lebendgewicht  von  100  bis  120  kg  in  den 
deuschen  Städten  im  Juli  1914  etwa  20 — 30  Proz.  und  noch  weniger 
als  im  gleichen  Monat  des  Jahres  1913.  Um  nur  einige  Städte  nam- 
haft zu  machen: 

Durchschnittliche  Schweinepreise 
für  100  kg  in  Mark 


a 

)  Schlachtgewicht 

b)  Lebendgewicht 

Berlin 

1913 

149,7 

Berlin      119,8 

,, 

1914 

I08,9 

87,2 

Köln 

1913 

155,1 

Köln         122,7 

„ 

1914 

io8,9 

85,9 

Münchei 

3    1913 

146,6 

Danzig      113,2 

>> 

1914 

117,4 

83,3 

Nicht  minder  günstig  war  die  Lage  auf  dem  sonstigen  Viehmarkt.  Seit 
Anfang  des  Jahres  1914  belief  sich  der  ßinderauftrieb  auf  dem  Berliner 
Viehmarkt  an  den  Sonnabend-Markttagen  auf  meist  über  4000  Stück. 
Der  Preis  der  Ochsen  c  betrug  im  Januar  durchschnittlich  47,90  M.  für 
50  kg  und  war  bis  zum  Juni  des  Jahres  sogar  bis  auf  etwa  44,88  M. 
heruntergesunken.  Im  Augenblick  des  Kriegsbeginns  waren  also  Auf- 
trieb und  Preise  durchaus  zufriedenstellend.  Kurz  nach  Kriegsausbruch 
verbesserte  sich  die  Lage  noch  und  zwar  durch  Verstärkung  des  An- 
gebots. Infolge  von  Notverkäufen  der  Züchter  nahmen  nämlich  die 
Abschlachtungen  nach  Ausbruch  des  Krieges  erheblich  zu;  vor  allem 
konnte  man  diese  Beobachtung  auf  dem  Schweinemarkt  machen. 

Die  Zunahme  der  Abschlachtungen  hätte  einen  noch  weiteren  Preis- 
rückgang herbeigeführt,    wenn  sich  nicht  zu  gleicher  Zeit  noch  stärker 


5^4  Miszellen. 

ale  das  Angebot  die  Nachfrage  nach  Fleisch,  in  erster  Linie  nach 
Schweinefleisch,  zur  Herstellung  von  Dauerwaren  und  Konserven  für 
Heereszwecke  gesteigert  hätte.  Diese  zweite  Componente  des  Preises 
gab  den  Ausschlag.  Die  unmittelbare  Folge  war  eine  langsame  Preis- 
erhöhung für  Vieh  und  Fleisch.  Einen  bedeutenden  Nachdruck  auf 
diese  Bewegung  übte  die  Bundesratsverordnung  vom  11.  September  1914 
aus,  wodurch  den  Landeszentralbehörden  die  Ermächtigung  zur  Ein- 
führung von  Beschränkungen  der  Schweineschlachtungen  für  3  Monate 
gegeben  wurde.  Von  der  Ermächtigung  machten  die  Bayrische,  Badische 
und  Württembergische  bald  Gebrauch. 

Innerhalb  dieses  Zeitraums  war  auch  das  Schlachten  von  Kälbern 
unter  50  kg  Lebendgewicht  und  von  Kühen  bis  zu  7  Jahren  verboten. 
Nach  Ablauf  der  3  Monate  trat  an  die  Stelle  des  Verbots  die  Ermächti- 
gung an  die  Zentralbehörden  zu  seiner  Wiedereinführung. 

So  wurde  auch  der  andere  Hebel  der  beiden  Arme,  Angebot  und 
Nachfrage,  in  Bewegung  gesetzt  und  half,  die  Preisanschwellung  zu  be- 
schleunigen. Das  Angebot  an  Vieh  nahm  infolge  der  Einschränkung 
der  Schlachtungen  immer  mehr  ab.  Der  preußische  Landwirtschafts- 
minister mußte  in  der  Budgetkommission  am  9.  Juni  zugeben,  daß  die 
Steigerung  der  Viehpreise  im  Jahre  1914  nicht  zum  geringsten  auf  das 
häufig  kritisierte  Schlachtverbot  vom  17.  September  1915  (Bayern) 
zurückzuführen  sei^). 

Die  Nachfrage  wurde  bald  erheblich  durch  die  ungeheuren  Be- 
stellungen der  Heeresverwaltung  gesteigert.  Der  Bedarf  an  Fleischkon- 
serven für  die  Verpflegung  des  Heeres  entzog  dem  Fleischmarkt  ge- 
waltige Mengen.  Die  unmittelbare  Folge  mußte  ein  vermindertes  An- 
gebot an  Fleisch  bei  gesteigerter  Nachfrage  und  somit  eine  erhebliche 
Preissteigerung  sein. 

Mit  der  Verarbeitung  von  frischem  Fleisch  zu  Dauerware  in  einem 
bisher  nie  dagewesenen  Umfang  war  ein  für  die  Vieh-  und  Fleischpreise 
auch  späterhin  äußerst  wichtiger  Faktor  entstanden.  Vielleicht  machte 
sich  seine  Wirkung  auf  die  Preisbildung  um  so  mehr  geltend,  weil  er 
80  plötzlich  in  die  Erscheinung  trat.  Die  bestehenden  Fleischkonserven- 
fabriken waren  bald  voll  beschäftigt;  neue  schössen  wie  Pilze  aus  der 
Erde  hervor.  Die  Aufträge  der  Heeresverwaltung  schienen  fast  jedem 
die  Aussicht  auf  Absatz  zu  eröffnen. 

Wenn  wir  die  wirtschaftliche  Bedeutung  dieses  Faktors  in  aller  Kürze 
beleuchten  wollen,  so  muß  zunächst  zugegeben  werden,  daß  die  Kon- 
servierung von  Fleisch  vom  Standpunkt  vorsorglicher  Wirtschaftspolitik 
unbedingt  erforderlich  ist.  Die  Heeresverwaltung  mußte  sich  für  mehrere 
Monate  bis  zum  Frühjahr  1915,  bis  zum  Weidegang  des  Viehs,  ihren 
Fleischbedarf  sichern.  Die  rechtzeitige  Versorgung  des  Heeres  in  diesem 
Augenblick  war  unbedingt  geboten. 

Auf  der  einen  Seite  ist  also  die  Verarbeitung  von  Fleisch  zu  Dauer- 
ware   ein  Gebot  der  Notwendigkeit,   um  für   die  Zeit  einer  Viehknapp- 


1)  Bericht  der  Budgetkommission  Drucksache,  Nr.  759  a  des  Hauses  der  Abgeord- 
neten, 22.  Legislaturperiode,  II.  Session  1914/1915  S.  94. 


Miszellen.  585 

heit  eine  Reserve  zu  haben.  Auf  der  anderen  Seite  stehen  jedoch  eine 
Reihe  Nachteile,  namentlich  wenn  der  Zeitpunkt  und  umfang  der  Kon- 
servierung „unzweckmäßig"  sind.  Vor  allem  hatte  sie  auch  eine  all- 
gemeine Preiserhöhung  des  Fleisches  zur  Folge.  Jede  Verarbeitung  von 
Fleischmassen  zu  Dauerwaren  stellt  überhaupt  eine  durch  hohe  Löhne, 
Verpackung,  Zusatzmaterial  und  Lagerung  stark  verteuerte  Gebrauchsform 
des  Fleisches  dar.  Hinzukommt,  daß  die  Konservierung  im  Jahre  1914 
häufig  überhastig  vorgenommen  wurde.  Die  Folge  war  eine  schnelle  Ver- 
derblichkeit der  Ware  und  somit  ein  Verlust  an  Nährwerten.  Sodann  aber 
entstand  mit  den  neuen  Fleischkonservenfabriken  ein  Stand  von  speku- 
lativen Händlern,  welcher  sich  zwischen  Fabrikanten  und  Verbraucher 
in  mehrfacher  Gruppierung  einschaltete  und  eine  weitere  Verteuerung 
hervorrief.  Jedenfalls  müssen  diese  Nachteile  beachtet  werden,  wenn 
man  ein  richtiges  Bild  von  der  volkswirtschaftlichen  Bedeutung  der 
Herstellung  der  Fleischkonserven  in  so  umfangreichem  Maße  haben  will. 

Die  übermäßige  Herstellung  der  Fleischkonserven  im  Jahre  1914 
mit  unreellem  Material  (Konserven  aus  Grütze,  aus  vielem  Wasser  mit 
geringem  Fleischzusatz)  hatte  eine  geradezu  als  ungesund  zu  bezeichnende 
Preisbildung  zur  Folge.  üebermäßige  Mengen  an  frischem  Fleisch 
wurden  plötzlich  dem  Markte  entzogen.  Seine  volle  Wirkung  zeigte 
dieser  Faktor  erst  später;  jedoch  machte  er  sich  schon  jetzt  bemerkbar, 
indem  er  zweifelsohne  bereits  im  Spätherbst  1914  eine  stark  preis- 
erhöhende Tendenz  für  Fleisch  wachrief. 

Wenn  wir  nach  dieser  allgemeinen  Betrachtung  unser  Thema  wieder 
aufnehmen,  so  beobachten  wir  zunächst  sogar  eine  Begünstigung  der 
Herstellung  von  Fleischkonserven  seitens  der  Regierung.  — 

Im  Herbst  1914  machte  sich  der  für  die  gesamte  spätere  Preis- 
bildung des  Viehs  ausschlaggebende  Faktor  bereits  stark  geltend,  die 
wachsende  Knappheit  bzw.  Teuerung  der  Futtermittel. 

Bekanntlich  ist  Deutschland,  von  Hafer  abgesehen,  auf  die  Einfuhr 
sämtlicher  Futtermittel  aus  dem  Ausland  angewiesen,  um  ein  Bild  von 
der  Passivität  dieses  Postens  in  der  Handelsbilanz  zu  geben,  seien  die 
Mehreinfuhrziffern  der  6  wichtigsten  Arten  Futtermittel  im  Durchschnitt 
der  Jahre  1912/13  angeführt: 


Gerste 

2,94 

Hill,  t 

385 

MiU. 

M. 

Mais 

1,03 

i>      >> 

123 

j> 

«> 

Kleie 

1,51 

»      » 

158 

n 

,, 

Oelkuchen 

0,53 

)f      )f 

82 

JJ 

t) 

Oelfrüchte 

1,43 

95 

)i 

» 

Treber,  KeisabfäUe, 

Malz- 

— 

keime,  Sciilempe 

0,43 
7,87 

MiU.  t 

48 

,, 

>> 

891 

Mül. 

M. 

Mithin  führen  wir  fast  den  3.  Teil  der  erforderlichen  Futtermittel  aus 
dem  Ausland  ein.  Bezüglich  des  Hafers  muß  bemerkt  werden,  daß  zwar 
die  Ernte  des  ersten  Kriegsjahres  als  befriedigend  zu  bezeichnen  war, 
auf  der  anderen  Seite  aber  sich,  verglichen  mit  den  Friedensjahren,  ein 
erheblicher  Mehrbedarf  geltend  machte.  So  nur  ist  es  zu  erklären,  daß 
selbst   der   Vorrat   an   Hafer,    dessen  Ernte   im  Jahre   1914   wesentlich 


5g()  Miszellen. 

größer  war  als  in  den  Jahren  1910  und  1911,  infolge  der  starken  Be- 
teiligung der  Rinder  und  Schweine  an  dem  Haferverbrauch  bis  zum  An- 
fang Dezember  1914  auf  die  Hälfte  zusammengeschmolzen  war.  Diese 
Feststellung  wurde  durch  die  Bestandsaufnahme  vom  1.  Dezember  1914  ge- 
macht. Die  Heeresverwaltung  verlangte  die  Sicherstellung  von  1^2  Mill.  t 
Hafer  zur  Deckung  ihres  Bedarfs  bis  zur  nächsten  Ernte. 

Das  Ergebnis  der  Getreidebestandsaufnahme  vom  1.  Dezember  1914 
war  ein  unerwartet  ungünstiges.  Die  Gesamt  -  Brotgetreideernte  war 
offenbar  überschätzt  worden.  Auf  der  anderen  Seite  war  der  Verbrauch 
für  die  Viehfütterung  ein  gewaltiger  gewesen.  Der  größte  Teil  der 
fehlenden  vorhergenannten  Futtermittel  hatte  zwecks  Aufrechterhaltung 
des  Viehbestandes  durch  Brotgetreide  ersetzt  werden  müssen.  Am 
1.  Februar  1915  waren  infolgedessen  nur  noch  4V2  Mill.  t  Brotgetreide 
vorhanden.  Dringende  Abhilfe  war  geboten,  um  die  Versorgung  der 
Bevölkerung  bis  zur  neuen  Ernte  sicherzustellen.  Zur  Erreichung  dieses 
Zieles  waren  zwei  Maßnahmen  erforderlich: 

1)  Die  Einschränkung  des  menschlichen  Verbrauchs  an  Brotgetreide ; 

2)  Die  Einschränkung  bzw.  das  Verbot  der  Verfütterung  von  Brot- 
getreide. 

Zur  Einschränkung  des  Verbrauchs  an  Brotgetreide  für  die  mensch- 
liche Ernährung  wurde  eine  Rationierung  in  Form  der  Einführung  der 
Brotkarte  vorgenommen. 

Um  Brotgetreide  nicht  verfüttern  zu  müssen,  wurden  massenhafte 
Schlachtungen  vorgenommen.  Wir  befinden  uns  in  der  ersten  Periode 
der  Massenschlachtungen  des  Jahres  1915,  hervorgerufen  durch 
das  ungünstige  Ergebnis  der  Getreidebestandsaufnahme  vom  1.  De- 
zember 1914.  An  diesem  Tage  hatte  auch  eine  Viehbestandsaufnahme 
stattgefunden.  Der  Schweinebestand  belief  sich  auf  25,33  Millionen 
Stück.  Der  erste  Schritt  der  Regierung  zur  Verringerung  des  Vieh- 
bestandes geschah  durch  die  Bundesratsverordnungen  vom  25.  Januar 
und  25.  Februar  1915,  die  Verordnungen  über  den  zwangsweisen  An- 
kauf von  Schweinen  und  ihre  Verarbeitung  zu  Dauerwaren  für  Ge- 
meinden über  5000  Einwohner  i).  Die  Massenschlachtungen  waren  eine 
zweischneidige  Maßnahme :  Sie  steuerten  zwar  der  Gefahr  der  Erhaltung 
des  Viehs.  Dies  geschah  jedoch  auf  Kosten  der  menschlichen  Ernährung. 
Außerdem  konnten  die  Massenschlachtungen  die  Viehpreise  steigern  und 
den  Nachwuchs  gefährden.  Diese  gefahrvollen  Folgeerscheinungen  sind 
tatsächlich  beide  eingetreten.  Offenbar  machten  sich  manche  Züchter 
die  Notlage  zunutze.  So  kam  es,  daß  die  Viehpreise  ungesund  empor- 
schnellten. 

Im  Februar  1915  betrugen  die  Schweinepreise  bereits  fast  das 
Doppelte  der  Preise  vom  Juli  1914. 


1)  Die  BRV.  vom  25.  Februar  1915  ist  eine  Ergänzung  zu  der  BRV.  vom 
25.  Januar  1915;  in  ihr  wurden  die  Marktpreise  für  die  einzelnen  preußischen  Pro- 
vinzen festgelegt,  welche  bei  der  „üebernahme"  der  Schweine  durch  die  Gemeinde  be- 
rücksichtigt werden  sollten. 


Miszellen. 

Preise  für  100 

kg 

in  M. 

Schlachtgewicht 

Lebendgewicht 

Juli  1914 

Febr.  1915 

Juli  1914 

Febr.  1915 

Berlin 

108,9 

206,1 

87.2 

164,8 

Breslau 

"3,6 

203,4 

88,9 

159,3 

Köln 

108,9 

201,1 

85.9 

160,9 

Frankfurt 

115.6 

200,1 

93,9 

160,0 

Kiel 

104,3 

202,4 

82,8 

164,0 

587 


Der  Stellvertreter  des  Reichskanzlers  kennzeichnete  die  Lage  wie 
folgt:  „Die  Preise  hielten  sich  dauernd  auf  einer  Höhe,  die  auch  bei 
wohlwollendster  Berücksichtigung  der  schwierigen  Lage  der  Landwirt- 
schaft sowie  der  Preissteigerung  und  Knappheit  der  Futtermittel  die 
Gestehungskosten  erheblich  überschritten"  i). 

Diese  überaus  gefährliche  Steigerung  veranlaßte  die  Reichsregierung 
zum  Eingreifen.  Es  gab  zwei  Wege:  Entweder  ein  direktes  Eingreifen 
der  Regierung  durch  Festsetzung  von  Höchstpreisen  oder  ein  Hinwirken 
auf  ein  Eingreifen  der  unteren  Verwaltungsorgane  in  erhöhtem  Maße. 
Von  dem  Betreten  des  ersteren  Weges  nahm  die  Regierung  vorläufig 
noch  Abstand.  Sie  wandte  sich  an  die  Kommunen:  Sie  gestaltete 
lediglich  die  Enteignung  von  Schweinen  zugunsten  der  Gemeinden  und 
der  Zentral-Einkaufsgesellschaft  wirksamer  durch  Festlegung  von  Ueber- 
nahmepreisen.  Diese  „Richtpreise",  wie  sie  der  Bundesrat  selbst  be- 
zeichnete, sollten  den  größeren  Landwirten  und  Bauern  einen  durchaus 
angemessenen  Gewinn  gewährleisten,  immerhin  aber  den  finanziellen 
Schwierigkeiten  der  Gemeinden  Rechnung  tragen  und  einer  übermäßigen 
Verteuerung  der  Fleischnahrung  für  die  Bevölkerung  vorbeugen.  Die 
preußischen  Ausführungsbestimmungen  zu  dieser  Verordnung  schwächten 
jedoch  ihre  Wirkung  fast  ganz  ab,  indem  den  Schweinehaltern  weite 
Zugeständnisse  bezüglich  der  Enteignung  gemacht  wurden.  Die  Ent- 
eignungsanträge konnten  in  sehr  zahlreichen,  genau  festgelegten  Fällen 
abgelehnt  werden.  Die  Maßnahme  der  Regierung  war  daher  nicht 
von  dem  gewünschten  Erfolg  begleitet. 

Auch  die  zweite  nachteilige  Folge  der  Verordnung  vom  25.  Januar 
trat  ein:  Der  Nachwuchs  wurde  gefährdet.  —  Mit  dem  Monat  April  1915 
setzte  eine  zweite  Periode  von  Massenschlachtungen  ein.  Ver- 
anlassung war  das  ungünstige  Ergebnis  der  Kartoffelbestandsaufnahme 
vom  15.  März  1915.  Die  „Professorenschlachtungen"  sind  in  späterer 
Zeit  Gegenstand  eines  umfangreichen  wissenschaftlichen  Streites  ge- 
worden. Vergegenwärtigen  wir  uns  die  Sachlage :  Die  Bestandsaufnahme 
ergab  10,5  Mill.  t  Kartoffeln.  Der  monatliche  Verbrauch  der  Bevölke- 
rung mag  mit  1  Mill.  t  in  Ansatz  gebracht  werden.  Für  die  Aussaat 
mögen  7  Mill.  t  erforderlich  gewesen  sein.  Demnach  hätte  die  für  den 
Verbrauch  verfügbare  Kartoffelmenge,  vom  15.  März  gerechnet,  nur  noch 
für  3^2  Monate,  d.  h.  bis  Ende  Juni  reichen  können.  Wären  die  Zahlen 
richtig  gewesen,  so  hätten  wir  also  am  1.  Juli  1915  keine  Kartoffeln 
mehr  gehabt. 


1)  Vgl.   Denkschrift  über   wirtschaftliche   Maßnahmen,    II.    Nachtrag,    Reichstags- 
drucksache, Nr.  44,  S.  58. 


588  Miszellen. 

Die  Zahlen  veranlaßten  sofort  energische  Maßnahmen  zur  Streckung 
der  Kartoffel  Vorräte:  1)  Die  Einschränkung  der  Aussaat;  2)  die  Ein- 
schränkung der  Verfütterung.  Waren  diese  äußerst  eingreifenden  Maß- 
nahmen in  dem  vorgenommenen  Umfange  nötig ?  Mußte  doch  da- 
mit gerechnet  werden,  daß  die  Massenabschlachtungon  als  unmittelbare 
Folge  eine  große  Fleischknappheit,  namentlich  für  den  Winter,  hervor- 
riefen !  Theoretisch  war  die  Berechnung  einwandsfrei  aufgebaut  -  aber 
sie  beruhte  auf  einer  falschen  Grundlage.  Denn  die  auf  Grund  der  Be- 
rechnungen getroffenen  Maßnahmen,  die  Einschränkung  in  der  Aussaat 
und  die  Einschränkung  der  Verfütterung  an  das  Vieh,  hätten  es  nie  er- 
möglicht, daß  am  15.  Mai  1915  nach  erfolgter  Aussaat  noch  S'/g  Mill.  t 
Kartoffeln  vorrätig  gewesen  wären.  Selbst  wenn  man  mutmaßt,  daß  bei 
der  Aussaat  1  Mill.  t  und  durch  Einschränkung  der  Verfütterung  eine 
weitere  Million  t,  also  insgesamt  2  Mill.  t,  gespart  worden  sind,  so 
könnten  diese  Umstände  den  am  15.  Mai  ermittelten  Bestand  von 
372  Mill.  t  nicht  erklären.  Die  Aufnahme  vom  März  des  Jahres  muß 
ein  weitaus  zu  niedriges  Ergebnis  gehabt  haben.  Welche  Fehler,  vom 
statistischen  Standpunkt  betrachtet,  bei  der  Aufnahme  gemacht  worden 
sind,  hat  Professor  Silbergleit  in  seiner  Broschüre  „Die  Aus- 
hungerungsgefahr" 1)  dargelegt.  Offenbar  sind  die  Angaben  über  den 
Inhalt  der  Mieten  unrichtig  gewesen ;  sie  müssen  hinter  der  Wirklichkeit 
erheblich  zurückgeblieben  sein.  Die  Beantwortung  der  Frage,  ob  die 
Angaben  über  den  Inhalt  der  Mieten  beabsichtigt  oder  unbeabsichtigt 
unzutreffend  gewesen  sind  oder  auf  eine  Verabsäumung  der  Bestands- 
anzeige zurückzuführen  sind,  ist  für  diese  Untersuchung  unwesentlich. 
Sollte  der  Bauer  nicht  wissen,  wieviel  Kartoffeln  er  in  seinen  Mieten 
eingelagert  hat!  Mag  auch  die  Rechtfertigung  des  Bauern,  die  Halt- 
barkeit der  Kartoffeln  in  den  Mieten  sei  eine  ungewöhnlich  günstige 
gewesen,  zutreffen,  ein  so  ungeheuerlicher  Mehrbestand  ist  auf  diese 
Weise  nicht  zu  erklären.  Schwerwiegender  scheinen  die  anderen  oben 
erwähnten  Faktoren  mitgewirkt  zu  haben. 

Die  wirtschaftspolitische  Folge  des  falschen  Ergebnisses  waren 
weitere  Massen  Schlachtungen  2).  Die  Viehzwischenzählung  vom 
15.  März  hatte  einen  Bestand  von  17,86  Mill.  Schweinen  ergeben,  wovon 
12,36  Mill.  unter  V2  Jahr,  3,92  Mill.  im  Alter  von  V2— 1  Jahr,  1,58  Mill. 
über  1  Jahr  alt  waren.  Die  Abnahme  seit  dem  1.  Dezember  1914  be- 
trug demnach  nicht  weniger  als  7,47  Mill.  Stück.  Vom  15.  März  bis 
15.  April  1915  wurden  weitere  l^/s  Mill.  Stück  geschlachtet,  so  daß 
sich  der  Bestand  am  15.  April  auf  I6V2  Mill.  Stück  belief.  Die  Gefahr 
der  Verfütterung  der  zur  menschlichen  Ernährung  geeigneten  Kartoffeln 
wurde  als  erheblich  herabgemindert  angesehen,  so  daß  der  Zweck  der 
Bundesratsverordnungen  vom  25.  Januar  und  25.  Februar  ds.  Js.  erfüllt 
zu  sein  schien.  Hinzu  kam,  daß  dem  verhältnismäßig  geringen  Bestand 
an  vollgemästeten  schlachtreifen  Schweinen  eine  Menge  Dauerwaren  in 


1)  Silbergleit,  Die  Aushungerungsgefahr?     Sammlung  „Deutsche  Kraft",  hrsg. 
von  Leo  Colze,  Heft  4,  Berlin-Leipzig- Wien,  Arthur  Collignon,   1915. 

2)  3.  Periode  der  Massenscblaehtungen. 


Miszellen.  589 

den  Privathaushalten  und  bei  der  Zentral-Einkaufsgesellschaft  gegen- 
überstanden; außerdem  waren  die  Aussichten  auf  eine  bessere  Fütterungs- 
möglichkeit gegeben.  Infolge  der  Oeffnung  der  Mieten  mußten  bei  dem 
Fortschritt  der  Jahreszeit  mehr  Abfallkartoffeln  zur  Verfütterung  ver- 
fügbar sein;  die  geringere  Ausmahlung  des  Getreides  gestattete  die 
Verwendung  größerer  Mengen  an  Kleie  zur  Mästung.  Außerdem  war 
zu  erwarten,  daß  infolge  des  Weideganges  des  Rindviehs  größere  Mengen 
von  Magermilch,  Buttermilch  usw.  den  Schweinen  gegeben  werden 
konnten.  Infolgedessen  schienen  die  Massenschlachtungen  den  ge- 
wünschten Erfolg  gehabt  zu  haben.  Die  Bundesratsverordnungen  vom 
25.  Januar  und  25.  Februar  konnten  am  6.  Mai  1915  aufgehoben 
werden.  Die  Regierung  glaubte,  daß  hierdurch  auch  der  inzwischen 
unhaltbar  gewordenen  Preissteigerung  Einhalt  geboten  werden  würde. 
Die  Fleischpreise  hatten  im  April  „eine  für  weite  Kreise  der  städtischen 
Bevölkerung  immer  unerschwinglichere  Höhe  erreicht".  Die  erwartete 
Folge  trat  jedoch  nicht  ein.  Im  Gegenteil:  Die  Besitzer  von  Schweinen 
waren  nach  der  Aufhebung  der  beiden  Verordnungen  in  der  Preis- 
stellung gar  nicht  mehr  beschränkt  und  verkauften  das  Vieh  häufig 
zu  Preisen,  welche  sie  selbst  für  angemessen  erachteten. 

Die  gleiche  Wirkung  auf  die  Preise  mußte  der  Umstand  haben, 
daß  die  Futtermittel  reichlicher  zur  Verfügung  standen,  da  jetzt  der 
Anreiz  des  Verkaufs  nicht  vollaus  gemästeter  Schweine  schwand.  Im 
Monat  Mai  waren  daher  infolge  des  erheblich  verringerten  Angebots 
Preissteigerungen  um  40 — 60  M.  für  den  Doppelzentner  Schlachtgewicht 
zu  beobachten.  Die  Mehrzahl  der  Viehmärkte  notierte  doppelt  so  hohe 
Preise  als  zu  Beginn  des  Jahres.  Wiederum  wurde  die  Regierung  vor 
die  Frage  der  Festsetzung  von  Höchstpreisen  gestellt.  Sie  hielt  jedoch 
den  Augenblick  hierfür  abermals  noch  nicht  für  gekommen.  „Höchst- 
preisen für  Schlachtvieh  stand  das  Bedenken  gegenüber,  daß  sie  bei 
der  Knappheit  und  den  gestiegenen  Preisen  vieler  Futtermittel  zu  einer 
Einschränkung  der  notwendigen  weiteren  Vermehrung  der  Viehbestände 
hätten  Anlaß  geben  und  so  im  weiteren  Verlauf  eine  für  die  Ernährung 
des  Heeres  und  der  Zivilbevölkerung  gleich  bedenkliche  Fettknappheit 
hätten  verursachen  können"  i).  Bei  der  Ablehnung  der  Festsetzung  von 
Viehhöchstpreisen  seitens  der  Regierung  erübrigte  sich  die  Beratung 
über  Fleischhöchstpreise  eigentlich  von  selbst.  „Bevor  der  Ent- 
schluß zu  so  einschneidenden  Maßnahmen  gefaßt  werden  konnte, 
empfahl  es  sich  daher,  abzuwarten,  ob  nicht  die  infolge  reichlicherer 
Aufzucht  zu  erwartende  stärkere  Beschickung  der  Märkte  im  Herbst 
und  im  Winter  von  selbst  ein  Nachlassen  der  hohen  Preise  be- 
wirken würde"  ^). 

Die  Reichsregierung  entschloß  sich,  zunächst  die  weitere  Ent- 
wicklung abzuwarten.  Die  steigende  Knappheit  auf  dem  Markte 
sollte   dadurch   behoben   werden,   daß    die    Gemeinden   ihre   Vorräte  an 


1)  Denkschrift   über   wirtschaftliche  Maßnahmen,    V.  Nachtrag,    Reichstagsdruck- 
sache, S.  50. 

2)  wie  1). 


590  Miszellcn. 

Dauerwaren  und  Gefrierfleisch  zum  Verkauf  brachten.  'Den  Dauer» 
waren  wurde  besondere  Aufmerksamkeit  zugewendet.  Da  die  Regierung 
eine  Beschränkung  der  Wurstherstellung  infolge  der  geringeren  Zufuhj^ 
von  Därmen  befürchtete,  erleichterte  sie  die  Vorschriften  zum  Schlacht- 
vieh- und  Fleischbeschaugesetz  über  die  Behandlung  der  Därme  bei 
der  Feststellung  der  Tuberkulose ;  ferner  gab  sie  unter  bestimmten  Be- 
dingungen Schlund,  Magen  und  Darm  zur  Verarbeitung  frei. 

Diese  Maßnahmen  verdienen  um  so  mehr  angeführt  zu  werden,  als 
etwa  Y2  Jahr  später  gerade  gegenteilige  —  zur  Einschränkung  der 
Wurstherstellung  —  notwendig  werden  sollten. 

Was  war  die  Folge  dieser  Abwartungspolitik?  Die  Preise  schnellten 
willkürlich  empor.  Anfang  Januar  notierten  Schweine  c  am  Berliner 
Viehmarkt  65  M.  für  den  Zentner  Lebendgewicht,  Anfang  März  84  M., 
Anfang  Mai  112  M.,  Anfang  Juni  129  M.,  Anfang  September  146  M. 
und  Ende  Oktober  sogar  150  M.  Die  entsprechenden  Kleinhandels- 
preise für  Fleisch  betrugen  103  M.,  116  M.,  158  M.,  197  M.  und 
198  M. 

Die  Teuerung  war  bisher  nur  für  Schweinefleisch  eingetreten.  Die 
Rindfleischpreise  waren,  wie  aus  der  beifolgenden  Tabelle  1  ersichtlich 
ist,  nur  ganz  unerheblich  gestiegen.  Die  Preissteigerung  fürSchweine- 
fleisch  im  Kleinhandel  hatte  vom  September  1914  bis  September  1915 
gegen  100  Proz.  betragen.  Auffällig  war,  daß  der  Viehpreis  und  der  Groß- 
handelspreis beim  Schwein  stärker  gestiegen  waren  als  der  Kleinhandels- 
preis. Der  Preis  der  Schweine  c  war  vom  Juli  1914  bis  September 
1915  um  234,8  Proz.,  der  Großhandelspreis  in  der  gleichen  Zeit  um 
215,7  Proz.,  der  Kleinhandelspreis  jedoch  nur  um  97,0  Proz.  ge- 
stiegen. Die  Spannung  zwischen  Großhandels-  und  Kleinhandelspreis 
hatte  demnach  erheblich  abgenommen,  während  sie  zwischen  Viehpreis 
und  Großhandelspreis  eine  Steigerung  aufzuweisen  hatte. 

Die  Ursache  für  diese  Erscheinung  dürfte  in  der  Organisation  des 
Fleischhandels  zu  suchen  sein.  Der  Ladenschlächter  hatte  unter  der 
Konkurrenz  offenbar  mehr  zu  leiden  als  der  Zwischenhändler  (Groß- 
schlächter, Kommissionär,  Viehgroßhändler).  Der  Großhändler  konnte 
auf  die  Preisbildung  durch  Verabredung  mit  anderen  Großhändlern 
weit  bestimmender  einwirken  als  der  Ladenschlächter.  Eine  alte  Er- 
fahrung lehrt,  daß  steigende  Preise  zur  Vergrößerung  des  Gewinnes 
reizen,  zumal  der  Zwischenhändler  prozentuale  Zuschläge  zu  erheben 
pflegt. 

Ist  diese  Steigerung  der  Schweinepreise  gerechtfertigt?  Die  Ant- 
wort muß  nach  der  theoretischen  Nationalökonomie  unbedingt  eine  ver- 
neinende sein.  „Der  Preis  ist  in  dem  System  der  freien  Konkurrenz- 
wirtschaft ein  Produkt  von  Angebot  und  Nachfrage",  so  lautet  das  alte 
nationalökonomische  Gesetz.  Untersuchen  wir  jedoch  in  unserem  speziellen 
Falle  die  beiden  Seilen  dss  Verhältnisses,  auf  der  einen  Seite  das  An- 
gebot an  Schweinen,  auf  der  anderen  den  Preis,  so  müssen  wir  eine 
auch  unter  Berücksichtigung  des  Gossenschen  Gesetzes  der  alten  Theorie 
widerstreitende  Beobachtung   machen.     Wir   haben    die    Auftriebszahlen 


Tabelle  1.     Durchschnittspreise  für  Vieh  und  Fleisch     591 

in   der    Zeit    vom    Juli    1914    bis   September    1916, 

zusammengestellt    nach   den    Berichten   der    städtischen    Vieh-    und 

Schlachthofsdirektion  zu  Berlin  ^). 

Preise   für   50  kg    in    Mark. 


Durchschnitts- 

C3   <» 

2'E 

Durchschnitts- 

2 'S 

Durchschnitts- 

ii 

Durchschnitts- 

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15 

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17 

1914 

ili 

43,61 

54,50 

100 

45,60 

44,2  5 

69,54 

lOI 

3146 

55,34 

93,38 

102 

8,67 

42.35 

82,37 

102 

19,68 

agust 

48,33 

61,79 

104 

42,21 

47,60 

74-70 

106 

3',30 

47,17 

95,44 

.09 

13,66 

42,30 

85,06 

III 

25  94 

ptember 

48,45 

61,27 

99 

37,73 

46,70 

72,23 

104 

31.77 

4422 

85.58 

100 

14,42 

40,90 

84,52 

105 

20,4  8 

j  tober 

55,17 

70,33 

94 

23,67 

44,30 

7335 

103 

29,65 

53,62 

82,69 

99 

16,31 

40,83 

78,00 

99 

21,00 

jvember 

56,19 

71,13 

93 

22,87 

45,00 

76,34 

103 

26,66 

55,25 

91,38 

99 

7,62 

43,67 

75,08 

98 

22,92 

jzember 

58,82 

75,14 

94 

18,86 

48,83 

82,06 

104 

21,94 

58,19 

98,04 

100 

1,96 

46,63 

76,36 

99 

22,64 

1915 

nuar 

67,39 

83,90 

104 

20,10 

50,00 

79,56 

105 

2544 

59.84 

102,86 

100 

—2,86 

49.30 

87.66 

105 

17,34 

bruar 

82,38 

95.11 

III 

15  89 

49,19 

77,50 

106 

28.50 

54,32 

91  05 

lOI 

9,95 

50,17 

86,25 

106 

19.7« 

ärz 

86,39 

102,04 

117 

14,96 

5'. 38 

79,60 

105 

25,40 

62,28 

96,24 

103 

6,76 

5280 

91,60 

109 

17,40 

jril 

99,01 

IIO,38 

131 

20, 6  2 

55,63 

8l,42 

112 

30,58 

67,44 

109,13 

108 

—  1,13 

52,38 

96.71 

118 

21,39 

ai 

117,25 

130  26 

167 

36,74 

59,50 

87,83 

126 

38,17 

84,06 

12646 

128 

1,54 

60,00 

108,27 

133 

24,7s 

ni 

124,11 

150,24 

192 

4I,76|  64,63 

96,73 

134 

37,27 

81.00 

130,18 

•38 

7,82 

59,13 

II902 

144 

24.98 

li 

122  22 

'45  80 

183 

37,20 

64,70 

100,33 

139 

38,67 

68,17 

115,83 

138 

22,17 

61, 60 

122  83 

145 

22,17 

igust 

•35,63 

I60,b6 

189 

28,34 

64,00 

102,02 

139 

36.98 

7488 

I2b,66 

144 

17,34 

63  88 

126,00 

148 

22,00 

ptember 

146,00 

172  08 

197 

24,92 

61, 63 

102,95 

142 

39,05 

91,60 

142,23 

151 

8,77 

63  75 

128,00 

154 

26,00 

stober 

146,62 

174,46 

•95 

20,54 

63,00 

104,27 

146 

41,73 

93,78 

152,98 

150 

-2,98 

58,70 

126,96 

152 

25,04 

jvember 

'13,13 

142,92 

160 

17,08 

68,13 

108, 06 

147 

48,94 

90,07 

142  50 

151 

8,50 

64,50 

12858 

152 

23,4« 

Bzember 

109,38 

126,96 

140 

»3,04 

76,60 

122,41 

160 

37,59 

102,32 

158,75 

164 

5,26 

67,80 

135,19 

164 

28,81 

1916 

nuar 

110,00 

125,50 

140 

14  50 

78,63 

141. 80 

182 

40,20 

114,88 

182,20 

194 

11,80 

83,00 

169,20 

193 

23,8# 

äbruar 

110,00 

125,60 

144 

l8,50 

98,13 

166,40 

198131,60 

126,44 

198,90 

199 

0,10 

90,60 

181, 60 

210 

28,4» 

ärz 

180 

. 

. 

212,04 

252 

39,96 

. 

227,41 

223 

-4.41 

. 

221,86 

256 

34.1» 

pril 

2CO 

. 

. 

282 

159,19 

. 

309 

126,67 

309 

. 

ai 

') 

200 

. 

262 

. 

262 

, 

. 

. 

276 

. 

mi 

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200 

. 

262 

, 

. 

226 

. 

. 

, 

273 

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200 

* 

298 

. 

. 

240 

. 

. 

. 

275 

- 

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200 

• 

3<o 

. 

. 

240 

. 

. 

267 

. 

ptember 

200 

. 

293 

. 

. 

236 

. 

. 

272 

• 

1)  Die  Ziffern  sind  in  den  monatlichen  Preiszusammenstellungen  des  Statistischen 
Amtes  der  Stadt  Berlin  veröffentlicht.  Der  Direktor  des  Amtes,  Prof.  Dr.  Silbergleit, 
hat  das  Material  in  liebenswürdigster  Weise  dem  "Verfasser  zur  Verfügung  gestellt. 

2)  Die  Viehpreise  und  Großhandelspreise  sind  für  50  kg  in  Mark,  die  Klein- 
handelspreij<e  für  ^/j  kg  in  Pfennigen  angegeben. 

3)  Nach  der  Festsetzung  der  jeweiligen  S  tallhöchstpreise  sind  die  Viehpreise  nicht 
eingesetzt,  da  die  vorher  verzeichneten  Preise  M  a  r  k  t höchstpreise  sind  und  sich  sonst 
ein  schief«8  Bild  ergäbe. 

4)  Die  höchste  Notiz  für 
Schweinefleisch  im    Großhandel    war: 


Rindfleisch 


Kalbfleisch 


Hammelfleisch 


Kleinhandel 
Großhandel 
Kleinhandel 
Großhandel 
Kleinhandel 
Großhandel 
Kleinhandel 


9.  Oktobe 

r  1915 

177,50  M.  pro  50  kg 

16.        „ 

1915 

198,—    ..      M     50    „ 

11.  April 

1916 

250,—    „      „     50    .. 

8.      „ 

1916 

320,—    „      „     50    „ 

11.      „ 

1916 

260, —    „      „     50    „ 

30.      „ 

1916 

450,—    ..      ..     50    „ 

11.      „ 

1916 

240, —    „      „     50    „ 

26.      „ 

1916 

400, —    „      „     50    „ 

592  Misz  eilen. 

für  Schweine  dem  Preis  gegenüberzustellen.  Um  nur  einige  Beispiele 
herauszugreifen : 

I.    Am  1.  Aug.  1914  betrag  der  Auftrieb  16233  Stück 

„      1.    „      1914  „         „    Preis  47,—  M.  für  50  kg  Lebendgewicht 

„    31.  Juli  1915  „         „    Auftrieb  6251  Stück 

„    31.     „      1915  „         „    Preis  127,50  M.  für  50  kg  Lebendgewicht 

d.  h.  während  das  Angebot  um  etwa  61  Proz.  zurückgegangen  war,  war 
der  Preis  um  171  Proz.  gestiegen. 

II.    Am  24.  Okt.  1914  betrug  der  Auftrieb  14  456  Stück 

„     24.  „  1914       „         „    Preis  55, —  M.  für  50  kg  Lebendgewicht 

„     23.  „  1915        „         „    Auftrieb  10775  Stück 

„     23,  „  1915       „         „    Preis  141, —  M.  für  50  kg  Lebendgewicht 

d.  h.  bei  einem  Rückgang  des  Auftriebs  um  25  Proz.  ist  eine  Preis- 
steigerung von  annähernd  156  Proz.  festzustellen ').  Das  theoretische 
Verhältnis  beider  Seiten  ist  durchbrochen.  Cum  grano  salis  wird  man 
sagen  dürfen:  Die  Preise  waren  in  geometrischer  Reihe  gestiegen, 
während  die  Auftriebszahlen  in  arithmetischer  Reihe  abgenommen  hatten. 
Es  mag  hierbei  ausdrücklich  betont  werden,  daß  wir  uns  in  einem  Zu- 
stand der  freien  d.  h.  durch  kein  Gesetz  eingeschränkten  Preisbildung 
befinden.  Die  vorher  genannten  Beispiele  besagen  nichts  anderes,  als 
daß  die  Preise  ungerechtfertigterweise  gestiegen  sind,  daß  ein 
starker  Konjunkturgewinn  seitens  der  Züchter  gemacht  worden  ist. 

Absolut  genommen,  waren  die  Auftriebszahlen  bis  Anfang  Herbst 
1915  nicht  unbefriedigend. 

Mit  dem  Ausgang  des  Monats  Oktober  1915  schließt  die  erste 
Periode  der  Preisentwicklung,  die  Periode  des  freien  Spiels  von  Angebot 
und  Nachfrage.  Die  Preise  hatten  eine  Höhe  erreicht,  welche  einem 
großen  Teil  der  Bevölkerung  den  Genuß  von  frischem  Schweinefleisch 
unmöglich  machte.  Die  Preise  mußten  abgebaut  werden.  Dies  sollte 
durch  die  Bundesratsverordnung  vom  4.  November  1915  bewirkt  werden. 

Während  bei  Getreide  und  Kartoffeln  die  Höchstpreise  ab  Ver- 
ladestation des  Verkäufers  festgesetzt  waren,  wurden  sie  bei 
Schweinen  für  die  Viehmärkte  von  37  Großstädten  festgelegt. 
In  den  Höchstpreisen  waren  also  die  Transportkosten  ab  Verladestation 
bis  zum  Viehmarkt,  die  Kosten  für  Versicherung  und  -der  Händlergewinn 
enthalten.  Außerdem  war  der  Gewichtsverlust  während  des  Transportes 
eingerechnet. 

Die  Preisfestsetzung  erfolgte  für  den  Verkauf  am  nächst- 
gelegenen Viehmarkt,  abgestuft  nach  Gewichtsklassen 
und  differenziert  nach  den  örtlichen  Verhältnissen  2),  Die 
Staffelung  der  Preise  und  die  Progression  bei  steigendem  Lebendgewicht 
sollten  einen  Anreiz  zur  Aufzucht  von  fetten  Schweinen  ausüben.  Be- 
merkenswert ist  jedoch  die  Tatsache,  daß  die  Staffelung  bei  weitem  höher 
war  als  jemals  in  Friedenszeiten.    Während  z.  B.  im  Oktober  1915  Schweine 


1)  Vgl.  Tab.  2. 

2)  In  der  Verordnung  vom   4.  November  1915    waren   5  Gewichtsklassen    unter- 
schieden. 


Tab.  2.    Auftriebszahlen  und  Preise  für  Schweine  und 
Kinder  in  den  Jahren  1914—1916 
(nach  den  Berichten  der  Vieh-  und  Schlachthofsdirektion  zu  Berlin).     593 


8chweine          | 

Rinder 

Auftrieb    | 

Preise     | 

Auftrieb    \ 

Preise 

Datum  des 

1914  1915 

1916 

hl 

1914 

1915 

1916 

1914 

1915 

1916 

1914 

1915 

1916 

Markttages 

H' 

II. 

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1^. 

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7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

8.*)  3.  Jan. 

7062 

13356 

59.- 

67,50 

HO,— 

2616 

4'03 

50,— 

53»— 

81,— 

M.»)14.  „ 

.5748 

19859 

5341 

53,BO 

64.- 

110,— 

455 

2107 

3119 

S.  17.  „ 

13213 

17058 

4304 

51- 

65,- 

HO,— 

4753 

5173 

7099 

48^- 

48.50 

80 

) 

M.  28.  „ 

1058s 

22637 

5112 

49.60 

71,— 

HO,— 

405 

1040 

2706 

S.  31.  „ 

10185 

20283  3780] 

52,50 

72,— 

IIO,- 

4'59 

2922 

6427 

45.50 

49  — 

78 

,60 

M.  11.  Febr. 

18778 

20782 

3985 

49>50 

83,- 

iio,- 

400 

819 

3533 

S.   14.  „ 

13664 

15382 

3537 

48- 

82,- 

HO,— 

4016 

3121 

6745 

46,- 

49.— 

89 

;60 

M.  25.  „ 

17773 

16424 

1096 

48,- 

85.- 

-') 

160 

513 

2345 

S.  28.  „ 

12539 

14949 

1484 

48,50 

86,— 

4376 

3475 

5527 

45,60 

49— 

III 

,60 

M.  11.  März 

15109 

21691 

1139 

48,50 

84.- 

231 

810 

2322 

S.   14.  „ 

13836 

16233 

1484 

47.50 

83,- 

3948 

4368 

4511 

47,— 

50,— 

') 

M.  25.  „ 

16088 

20783 

2584 

47,- 

89,- 

211 

1192 

407 

S.  28.  „ 

i35b8 

22540 

2832 

45.- 

89.- 

3638 

4470 

1387 

45,- 

53.60 

M.   8.  April 

21478 

'3169 

3087 

47,50 

93- 

250 

485 

160 

• 

8.   11.  „ 

7926 

16774 

60 1 

4650 

97,- 

2449 

3550 

744 

46,50 

56,60 

M.  22.  „ 

19379 

18969 

339 

43- 

104,50 

148 

1295 

308 

. 

. 

8.  25.  „ 

13248  17216 

42,- 

104,50 

4397 

4897 

44,50 

55.60 

M.   6.  Mai 

17954  13036 

43.50 

113.50 

241 

562 

^ 

8.   9.  „ 

10973  13085 

46,- 

116,50 

2679 

3349 

43,*- 

57.— 

M.  20.  „ 

17741  11702 

43- 

119,- 

306 

1132 

8.   23.  „ 

12842  5028 

44,50 

132,50 

4206 

2987 

44,— 

61,50 

M.   3.  Juni 

14529  7893 

45,50 

127,50 

50c 

699 

• 

. 

8.   6.  „ 

13881  7467 

44,- 

129,- 

4148 

3659 

47,60 

65- 

M.  17.  „ 

14577  5451 

42,50 

129,— 

372 

1011 

. 

8.  20.  „ 

12492  5260 

44,- 

119,- 

3539 

4588 

44,— 

64,60 

M.   1.  Juli 

18649  8880 

41,50 

120,— 

9C 

lOlI 

. 

8.   4.  „ 

10864I  6435 

42,- 

119,— 

2832 

4106 

44,— 

64.- 

M.  15.  „ 

^78751  8331 

42,- 

124,- 

457 

1423 

8.  18.  „ 

10732I  5648 

43  — 

126,50 

3304 

4283 

43.- 

66,- 

M.  29.  „ 

15986,  6592 

45,50 

127,50 

364 

1259 

8.   1.  Aug. 

16233  6251 

47,- 

127  50 

3161 

4473 

47,— 

62,60 

M.  12.  „ 

8706  8101 

55,- 

131,- 

854 

^II77 

. 

8.   15.  „ 

9426  7864 

5150 

140,— 

•45' 

4956 

54,50 

63,60 

M.  26.  „ 

10494  8234 

51.6O 

141,50 

912 

1054 

8.  29.  „ 

20159  6813 

43  — 

150,- 

2246 

)4i64 

46,50 

64,"- 

M.   9.  8ept. 

25826  8020 

43,- 

146,- 

248c 

)  1409 

8.  12.  „ 

10569^  7701 

43,— 

146,- 

3641 

6536 

45,— 

62,- 

M.  23.  „ 

16542  7889 

51.- 

150,— 

836 

>  1802 

8.  26.  „ 

15674'  6651 

51,60 

147  50 

259« 

6579 

43,60 

59.60 

M.   7.  Okt. 

18387'  9476 

55.- 

147,60 

i9f.3 

1914 

8.  10.  „ 

15 158  8708 

57,50 

150,— 

4557 

6864 

43.60 

62,- 

M.  21.  „ 

18974  11559 

55- 

141,— 

173' 

2420 

. 

8.  24.  „ 

14456  10775 

55,- 

141,- 

389t 

'8153 

43,- 

64,- 

M.   4.  Nov. 

20361  11615 

56,- 

144.— 

180C 

)  2236 

S.   7.  „ 

18381  11483 

55.- 

110, — 

5455 

8629 

45,- 

65,50 

DL«)  17.  „ 

20570^  3854 

59,- 

105- 

3901 

1696 

8.   21.  „ 

24862,  4523 

54.60 

IIO,— 

5334 

^81.4 

45.'- 

70,50 

M.   2.  Dez. 

'6819  7531 

58,50 

105- 

2444 

^3^57 

. 

8.   5.  „ 

16422  5393 

57,50 

I  lO, — 

427( 

)8io5 

48,- 

72,60 

M.  16.  „ 

21666  6826 

59  — 

105,- 

206^ 

^3'67 

. 

8.  19.  „ 

23699  6821 

60  50 

IIO,— 

515/ 

'8425 

49.60 

77  — 

M.  30.  „ 

18925 

6435 

62.- 

110,- 

209c 

)!8655 

1)  S  =Sonnabend.  2)  M.  =  Mittwoch  3)  Di.  =  Dienstag.  4)  Vorspalte  =  Spalte  1.  6)  Vom 
29  Februar  1916  —  3  Tage  des  Datums  der  Vorspalte.  6)  üurcih  BRV  vom  14.  Februar  1816 
wurden  Höchstpreise  ab  Stall  festgesetzt.  7)  Durch  Bek.  vom  8.  bzw.  11  März  1916  setzte 
der  Brandenburg-Berliner  Viehhandelsverband  Höchstpreise  für  Riader  ab  StaU  fest. 


Jahrb.  f.  Nationalök.  u,  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54j. 


38 


gg^  Mifl  Zellen. 

im  Lebendgewicht  von  200 — 240  Pfd.  mit  147, —  M.  für  den  Zentner  und 
Schweine  im  Lebendgewicht  von  160 — 200  Pfd.  mit  138, —  M.  für  den 
Zentner  notiert  waren  und  die  Spannung  demnach  9, —  M.  betrug,  belief 
sie  sich  nach  der  Verordnung  vom  4.  November  auf  10, —  M.  ^).  Die 
Preise  der  Verordnung  bedeuten  demnach  eine  Verschiebung  gegenüber 
der  früheren  Preisbildung,  namentlich  infolge  der  außergewöhnlich 
hohen  Spannung  zwischen  den  einzelnen  Gewichtsklassen.  Für  den 
Berliner  Viehmarkt  wurde  das  Schwein  im  Gewicht  von  80 — 100  kg 
mit  100, —  M.  für  50  kg  Lebendgewicht  festgesetzt.  Die  Grundpreise 
an  den  Viehmärkten  der  Versorgungsgebiete  für  Berlin  waren  natur- 
gemäß niedriger.  Es  mußte  eine  Spannung  zur  Bestreitung  der  Trans- 
portkosten und  des  Gewichtsverlustes  während  des  Transportes  bleiben. 
Als  Hauptversorgungsgebiete  für  Berlin  kommen  namentlich  die  östlichen 
Provinzen  Ostpreußen  und  Westpreußen  sowie  Posen  in  Betracht.  Für 
sie  war  der  Grundpreis  mit  90, —  M.  festgesetzt.  Die  oberschlesischen 
Städte  werden  aus  der  Provinz  versorgt;  infolgedessen  war  der  Preis 
in  Gleiwitz  ebenso  hoch  festgelegt  wie  in  Berlin.  Schleswig-Holstein 
liefert  Vieh  nach  dem  westlichen  Deutschland.  Daher  entsprach  einem 
Höchstpreis  von  95, —  M.  in  Kiel  ein  Höchstpreis  von  102 — 105  M. 
im  Rheinland.  Die  Preisfestsetzungen  bedeuteten  einen  plötzlichen 
überaus  großen  Preisabschlag.  Am  3.  November  1915  waren  Schweine 
in  Berlin  noch  mit  144, —  M.  notiert.  Nach  der  Bundesratsverordnung 
vom  4.  November  betrug  der  Höchstpreis  110, —  M.  Der  Preisabschlag 
von  rund  23  Proz.  war  zu  groß,  um  eine  günstige  Wirkung  auf  die 
Versorgung  der  Bevölkerung  mit  Schweinefleisch  auszuüben.  Es  trat 
im  Gegenteil  eine  äußerst  nachteilige  Folge  ein:  der  Auftrieb  an 
Schweinen  stockte  fast  an  sämtlichen  Viehmärkten  Deutschlands.  Während 
z.  B.  nach  dem  amtlichen  Marktbericht  der  Auftrieb  in  Berlin  am 
3.  November  noch  11615  Schweine  betrug,  waren  am  10.  November 
nur  8174  und  am  13.  November  sogar  nur  2528  Stück  notiert.  Die 
Preise    waren   reguliert,    aber   es   fehlte   die   Ware. 

Man  darf  einem  Satz  der  Interessenten  die  Berechtigung  nicht  ab- 
sprechen: Niedrige  Preise  —  sie  zu  schaffen,  war  ja  der  Zweck  der 
Bundesratsverordnung  vom  4.  November  1915  —  bringen  der  Bevölke- 
rung nur  Vorteile,  wenn  der  Gewerbetreibende  zu  diesen  Preisen  die 
Versorgung  durchführen  kann,  d.  h.  wenn  sie  hoch  genug  sind,  um  ihm 
neben  der  Erstattung  der  Erwerbskosten  und  Spesen  einen  handelsüb- 
lichen Nutzen  zu  lassen.  Auf  den  konkreten  Fall  übertragen:  Der 
Zweck  der  Höchstpreisverordnung  vom  4.  November  war  nur  dann  er- 
reicht, wenn  der  Händler  zu  den  festgesetzten  Preisen  Schweine  nach 
den  Verbrauchszentren  brachte  und  sie  dort  verkaufte.  Dies  wurde 
jedoch  durch  die  Verordnung  nicht  erreicht.  Die  Zufuhr  beispielsweise 
nach  dem  Berliner  Markt  war,  wie  die  angeführten  Auftriebszahlen 
zeigen,  seit  dem  Inkrafttreten  der  Verordnung  vollkommen  unzureichend ; 
an  anderen  Verbrauchszentren  bot  sich  das  gleiche  Bild. 

1)  Der  Höchstpreis  für  Schweine  im  Lebendgewicht  von  160 — 200  Pfd.  betrug 
100,—  M.,  der  für  Schweine  im  Lebendgewicht  von  200—240  Pfd.  110,—  M.  für  50  kg 
Lebendgewicht. 


Miszellen.  595 

In  der  Verordnung  waren  lediglich  die  Marktpreise  geregelt.  Die 
Folge  war  ein  Kampf  zwischen  Züchter  und  Händler  um  den  Preis: 
der  Züchter  forderte  vielfach  den  Höchstpreis  ab  Stall;  teilweise  gingen 
die  PreisforderuDgen  sogar  über  die  Höchstpreise  hinaus. 

Der  Viehhändler  und  Großschlächter  waren  in  ihren  Forderungen 
an  keine  gesetzliche  Preisschranke  gebun^len.  Da  der  Höchstpreis  ledig- 
lich für  lebende  Schweine  Geltung  hatte,  bot  sich  in  dem  Verkauf  ge- 
schlachteter Schweine  eine  günstige  Gelegenheit  zur  Umgehung  des 
Höchstpreises.  Ein  weiteres  öfters  angewendetes  Mittel  hierfür  bestand 
in  der  Verwiegung  eines  Tieres  einer  höheren  Gewichtsklasse  mit  solchen 
einer  geringeren  Gewichtsklasse  zur  Erzielung  eines  höheren  Durch- 
schnittsgewichtes. In  solchen  Fällen  wurde  nämlich  für  sämtliche  ge- 
wogene Tiere  der  Preis  für  das  auf  diese  Weise  erhöhte  Gewicht  be- 
rechnet. 

An  den  „Umgehungen"  des  Gesetzes  beteiligte  sich  in  vielen  Fällen 
auch  der  Kleinhändler.  Durch  die  Verordnung  war  der  Kleinhandels- 
höchstpreis  für  frisches  (rohes)  Schweinefleisch  in  Berlin  mit  1,40  M. 
für  Y2  ^S  ^^^  ^^^  Preis  für  frisches  (rohes)  Schweinefett  mit  1,80  M. 
für  i/g  kg  nach  oben  begrenzt.  Nach  Inkrafttreten  der  Verordnung  war 
jedoch  in  Berlin  frisches  Schweinefleisch  kaum  erhältlich.  Das  wenige 
nach  Berlin  kommende  Schweinefleisch  wurde  größtenteils  zu  Dauerware 
und  Wurst  verarbeitet  und  hierfür  Preise  gefordert,  welche  mit  den  ge- 
setzlichen Viehpreisen  in  keinen  Einklang  gebracht  werden   konnten. 

Diesem  Mißstand  wurde  durch  die  Ausführungsbestimmungen  ^)  zu 
der  Verordnung  abgeholfen.  Durch  sie  wurde  bestimmt,  daß  die  Ge- 
meinden Höchstpreise  für  Dauerwaren  festsetzten.  Gesetzlich  vorläufig 
nicht  geregelt  blieben  die  Wurstpreise.  Infolgedessen  bemühte  sich  der 
Ladenschlächter,  möglichst  viel  Schweinefleisch  zu  Wurst  zu  verarbeiten. 
Der  Ladenschlächter  bewilligte  dem  Großschlächter  den  geforderten 
Preis,  auch  wenn  er  unverhältnismäßig  hoch  war,  um  Ware  überhaupt 
zu  erhalten.  Bei  der  Knappheit  an  Ware  mußte  er  so  handeln,  um 
seine  Existenz  zu  sichern.  Der  Existenzkampf  zwang  die  Ladenschlächter, 
sich  in  ihren  Preisangeboten  gegenseitig  zu  überbieten.  Der  Konkurrenz- 
kampf führte  also  zu  einer  Preiserhöhung. 

Erst  nach  einigen  Wochen  schritten  einzelne  Gemeinden  zur  Fest- 
setzung von  Wursthöchstpreisen  2).  Von  einer  einheitlichen  Festsetzung 
von  Wursthöchstpreisen  für  das  ganze  Reich  glaubte  die  Regierung  bei 
der  Verschiedenheit  des  Geschmackes  und  des  Verbrauches  in  den  ein- 
zelnen Provinzen  Abstand  nehmen  zu  müssen. 


1)  Die  preußische  Ausführungsanweisting   datiert  vom  11.  November  1915. 

2)  Von  der  Höchstpreisfestsetzung  für  Wurst  wurden  in  Berlin  Delikateßwürste 
ausgenommen.  Diese  Maßregel  wurde  vor  allem  getroffen,  um  die  Zufuhr  der  von  einer 
weiten  Schicht  der  Bevölkerung  verlangten  feineren  Wurstsorten  nicht  zu  unterbinden. 
Jedoch  war  mit  dieser  Maßnuhme  gleit  hzeitig  eine  nachteilige  Folge  verknüpft:  die 
einfacheren  Wurstsorlen  waren  kaum  noch  erbaltlich;  es  gab  meist  nur  noch  „Delikateß- 
wurst".  Trotz  dieser  nachteiligen  Folge  verdient  unseres  Erachtens  die  Ausnahme- 
bestimmung begrüßt  zu  werden,  da  durch  sie  wenigstens  überhaupt  Ware  dem  Markte 
erhalten  blieb. 

38* 


596  Mis  Zellen. 

Der  erste  Eingriff  des  Gesetzgebers  in  das  freie  Spiel  von  Ange- 
bot und  Nachfrage  durch  die  Festsetzung  der  Höchstpreise  in  der  Ver- 
ordnung vom  4.  November  1915  hatte  seinen  Zweck  nicht  erreicht.  Die 
Verbrauchszentren  waren  seit  Inkrafttreten  der  Verordnung  fast  ganz 
von  Ware  entblößt.  Wir  haben  hier  einen  schlagenden  Beweis  für  die 
Richtigkeit  der  Forderung  verschiedener  Wirtschaftspolitiker,  mit  der 
Höchstpreisfestsetzung  müsse  die  Beschlagnahme  Hand  in  Hand  gehen ; 
die  Höchstpreisfestsetzung  allein  sei  nie  wirksam.  Der  Staatssekretär 
Dr.  Delbrück  gab  in  seiner  Programmrede  im  Reichstage  selbst  zu: 
„Die  Entwicklung  hat  bewiesen,  daß  Höchstpreise  niemals  ein  hin- 
reichendes Mittel  sind,  um  die  Bevölkerung  nicht  nur  preiswert,  sondern 
auch  ausreichend  zu  ernähren.  Strikt  durchgeführte  Höchstpreise  regu- 
lieren höchstens  die  Preise,  nicht  aber  den  Markt,  den  sie  dagegen 
öfter  deroutieren." 

Noch  waren  Rinder,  Schafe  und  Hammel  in  genügender  Zahl  am 
Markte;  aber  das  Durchschnittsschlachtgewicht  war  ein  außerordentlich 
niedriges.  Der  Mangel  an  Futtermitteln  machte  sich  immer  mehr  geltend. 
Fettes  Vieh  kam  nicht  zur  Schlachtung.  Eine  wesentliche  Erleichterung 
bot  die  Oeffnung  des  Donauweges  für  den  Bezug  von  Futtermitteln  aus 
den  Balkanländern. 

Eine  Besserung  in  der  Versorgung  der  Großstädte  mit  Schweine- 
fleisch trat  auch  durch  die  Befreiung  der  ausländischen  Schweine  von 
der  Höchstpreisfestsetzung  (durch  die  Bundesratsverordnung  vom  29.  No- 
vember 1915)  ein.  Auch  diese  Maßnahme  vermochte  jedoch  nicht,  den 
Verbrauchszentren  genügend  Schweinefleisch  zuzuführen. 

Die  Regierung  betrat  nunmehr  einen  zweifelsohne  weitaus  ge- 
eigneteren Weg  für  die  Fleischversorgung,  als  es  die  Festsetzung  von 
Höchstpreisen  gewesen  war.  Sie  hatte  die  gewaltige  Aufgabe  zu  lösen, 
die  Preise  abzubauen,  ohne  gleichzeitig  einen  Rückgang  im  Auftrieb 
hervorzurufen.  Der  neueingeschlagene  Weg  bedeutete  allerdings  eine 
erhebliche  Belastung  des  Staatssäckels.  Er  bestand  in  der  üebernahme 
des  „Produktionsmittels"  auf  den  Staat.  Der  Staat  stellte  nämlich  den 
Viehzüchtern  Futtermittel  zur  Verfügung  gegen  üebernahme  der  Ver- 
pflichtung, nach  Ablauf  der  normalen  Mästungsperiode  von  etwa  3 
Monaten  Fettschweine  im  Lebendgewicht  von  2  Ztr.  abzuliefern.  Und 
zwar  sollte  die  Lieferung  in  erster  Linie  an  bestimmte  Kommunal- 
verbände mit  überwiegender  Industriebevölkerung  erfolgen.  In  Preußen 
sollten  500000  Schweine  mit  rumänischen  und  bulgarischen  Futtermitteln, 
welche  der  Staat  unter  dem  Selbstkostenpreis  abgeben  sollte,  gemästet 
und  in  den  Monaten  Februar  bis  Mai  1916  abgeliefert  werden.  Dies 
System  bedeutete  eine  wesentliche  Vervollkommung  der  Höchstpreise; 
es  hatte  einen  stark  sozialistischen  Einschlag.  Seine  Wirkung  konnte 
sich  frühstens  im  April  1916  zeigen.  Wie  an  dieser  Stelle  bereits  vorweg 
bemerkt  werden  darf,  erwiesen  sich  die  Mästungsverträge  im  weiteren 
Verlaufe  des  Krieges  als  eine  zweckmäßige  Maßnahme,  wenn  auch  zunächst, 
selbst  im  Frühjahr  1916  noch,  die  erhoffte  Wirkung  in  keiner  Weise 
eintrat.  Der  Abschluß  derartiger  Mästungsverträge  bedeutet  die  Konzen- 
tration größerer  Mengen  an  Vieh  in  einer  Hand  zur  Verfügung  von  Behörden. 


Miszellen.  597 

Die  MästuDgsverträge  schalten  den  Zwischenhandel  aus.  Der  Bauer  liefert 
unter  Zuhilfenahme  seiner  Viehverwertungsgenossenschaft  direkt  an 
den  Ladenschlächter. 

Zunächst  trat  in  den  Versorgungsverhältnissen  des  mittleren  Deutsch- 
lands mit  Fleisch  eine  Besserung  nicht  ein,  im  Gegenteil:  die  Zufuhr 
an  Schweinen  und  Rindern  ging  weiter  zurück.  Die  Rinderpreise  stiegen 
weiter. 

Der  Durchschnittspreis  der  Ochsen  c,  welcher  sich  im  März  d.  J. 
noch  um  50  M.  herum  bewegt  hatte  und  im  Oktober  bereits  auf  63  M. 
für  50  kg  lebend  gestiegen  war,  betrug  Ende  Dezember  1915  schon 
80  M.  Unbedingt  mußte  dieser  Preistreiberei  Einhalt  geboten  werden. 
Von  der  Festsetzung  von  Rinderhöchstpreisen  nahm  die  Regierung  noch 
Abstand.  Sie  sah  als  Hauptursache  der  Preistreiberei  die  Machen- 
schaften eines  illegitimen  Zwischenhandels  an.  Sie  nahm  also  einen 
Grundgedanken  wieder  auf,  welcher  bei  den  Mästungsverträgen  wesent- 
lich mitgespielt  hatte;  sie  wollte  den  illegitimen  Zwischenhandel  aus- 
schalten. Im  Januur  1916  tauchte  der  Gedanke  einer  Syndizierung  des 
gesamten  Viehandeis  auf  und  wurde  erstmalig  im  preußischen  Abge- 
ordetenhause  eingehend  beraten.  Es  wurde  erwogen,  die  Händler  in 
provinzialen  Verbänden  zusammenzuschließen,  um  so  die  nichtgewerb- 
lichen Aufkäufer  vom  Viehhandel  fernzuhalten.  Tatsächlich  hatte  der 
illegitime  Zwischenhandel  mitunter  zu  der  Eigentümlichkeit  geführt,  daß 
Vieh  aus  den  viehreichen  Gegenden  ausgeführt  und  anderes  dorthin  ge- 
bracht wurde.  In  die  neu  zu  gründenden  Viehhandelsverbände  sollten  auch 
Konsumentenvertreter  gewählt  werden.  Jeder  Landwirt  sollte  ver- 
pflichtet sein,  sich  bei  jedem  Verkauf  von  Schlachtvieh  und  bei  jedem 
Viehverkauf  an  Händler  die  Ausweiskarte  zu  einem  Viehhandelsverband 
zeigen  zu  lassen.  Der  Gedanke  der  Viehhandelsverbände  wurde  zunächst 
in  den  süddeutschen  Staaten  in  die  Tat  umgesetzt. 

Mit  dieser  Maßnahme  war  ein  dritter  Versuch  gemacht  worden, 
die  Preistreibereien  zu  unterbinden.  Vom  wirtschaftlichen  Gesichtspunkt 
aus  betrachtet,  liegt  die  Hauptbedeutung  dieser  Maßnahme  in  dem  Ein- 
griff der  Regierung  in  die  Organisation  des  Viehhandels. 

Zunächst  brachte  jedoch  auch  diese  Maßnahme  nicht  die  erhoffte 
Besserung.  Die  Festsetzung  von  Viehmarkthöchstpreisen  für  Schweine 
hatte,  wie  ausgeführt,  ebenfalls  ihren  Zweck  nicht  erreicht.  Die  wenigen 
nach  Berlin  kommenden  Schweine  wurden  zu  Wurst  verarbeitet,  da  der 
Fleischer  hierdurch  trotz  der  Festsetzung  von  Wursthöchstpreisen  einen 
weitaus  höheren  Gewinn  erzielte  als  beim  Verkauf  von  frischem  Fleisch. 
Es  fehlten  bisher  jegliche  Bestimmungen,  um  diesem  Mißstand,  der  nichts 
anderes  als  eine  Umgehung  der  Fleischhöchstpreise  darstellt,  zu  steuern. 
Abhilfe  sollte  die  Verordnung  vom  31.  Januar  1916  bringen,  wodurch 
die  Verarbeitung  von  höchstens  einem  Drittel  des  Schweines  zu  Wurst 
gestattet  wurde  i).  Bei  der  Schwierigkeit  der  Nachprüfung  war  jedoch 
die  Umgehung  dieses  Gesetzes  in  vielen  Fällen  nicht  zu  verhindern. 

1)  Nach  §  7  der  Verordnung  waren  die  Gemeinden  verpflichtet  zu  bestimmen, 
wieviel  mindestens  vom  Schlachtgewicht  des  Schweines  oder  welche  Teile  bei  gewerb- 
lichen Schlachtungen  frisch  verkauft  werden  mußten.   Demzufolge  bestimmte  der  Berliner 


Mittwoch 
2.  Febr.  16 

Rinder 
Kälber 
Schafe 
Schweine 

2341 
1484 

1530 
3782 

Mittwoch 

Sonnabend 

9.  Febr.  16 

12.  Febr.  16 

3533 

6745 

2184 

1180 

885 

8186 

3985 

3537 

5gg  Miszellen. 

Eine  Besserung  der  Versorgung  der  Bevölkerung  mit  frischem 
Schweinefleisch  wurde  durch  die  Verordnung  nicht  erreicht.  Die  Auf- 
triebszahlen am  Berliner  Viehmarkt  blieben,  wie  die  Tabelle  zeigt,  äußerst 
niedrig.     Sie  beliefen  sich  auf: 

Sonnabend 
5.  Febr.  16 

5849 
864 

9255 
4134 

Die  Interessenten  führten  die  niedrigen  Auftriebszahlen  auf  die  über- 
mäßig hohen  Forderungen  der  Viehzüchter  zurück.  Sie  verlangten  als 
alleiniges  Heilmittel  die  Festsetzung  von  Viehhöchstpreisen  ab  Stall. 
Diesem  Wunsche  trug  die  Regierung  in  der  Verordnung  vom  14.  Februar 
1916  Rechnung.  Die  wesentlichsten  Neuerungen  gegenüber  der  Ver- 
ordnung vom  4.  November  1914  waren:  die  Festsetzung  von 
Erzeugerhöchstpreisen  abStall,  die  Festlegung  eines 
Höchstverdienstsatzes  für  den  Großhandel  und  die  Ver- 
pflichtung der  Gemeinden  zur  Festsetzung  von  Sorten- 
höchstpreisen im  Kleinhandel.  In  der  Novemberver- 
ordnung des  Vorjahres  war  der  Kleinhandelspreis  für  sämtliche  Sorten 
Schweinefleisch  einheitlich  nach  oben  begrenzt.  Die  Verordnung 
vom  14.  Februar  1916  bedeutete  eine  allgemeine  Heraufsetzung  der 
Preise.  Wurden  doch  die  Stallhöchstpreise  etwa  in  derselben  Höhe 
festgesetzt  wie  die  Höchstpreise  für  den  Viehmarkt  in  der  Verordnung 
vom  4.  November  1915 !  Infolgedessen  erhöhten  sich  die  letzteren  Preise 
in  der  Verordnung  vom  14.  Februar  durch  die  Transportkosten,  den 
Gewichtsverlust  und  den  Händlergewinn.  In  der  Verordnung  wurden 
9  Gewichtsklassen  und  außerdem  3  Stufen  bei  den  Sauen  unterschieden. 
—  Beide  Höchstpreisverordnungen  verzeichnen  eine  Staffelung  und  Pro- 
gression bei  höherem  Lebendgewicht  in  einer  Höhe,  wie  sie  in  der 
Wertbemessung  des  freien  Handels  früher  nie  stattgefunden  hat.  Grund 
der  Staffelung  war  das  Bestreben  der  Regierung,  den  Züchtern  einen 
Anreiz  zur  Mästung  zu  geben.  Wie  groß  der  Unterschied  in  der  Staffelung 
war,  geht  aus  einem  Vergleich  der  Preise  für  die  Monate  Oktober  1915, 
November  1915  und  Februar  1916  hervor.     Es  betrug  der  Preis  für 

fjf       ,  Schweine  im  Lebendgewicht  von 

im  Monat  200—240  Pfd.                         160—200  Pfd. 

Okt.  1915  147  M.  für  50  kg                 138  M.  für  50  kg 

Nov.  1915  HO    „     „     50    „                  ICD    „     „     50   „ 

Febr.  1916  132    „     „     50     „                  11 1    „      „     50    „ 

Demnach  betrug  die  Spannung  zwischen  beiden  Klassen  im  Februar 
1916  über  das  Doppelte  der  Spannung  im  Oktober  des  Vorjahres. 

Trotz  der  Erhöhung  der  Schweinepreise  um  etwa  10  Proz.  trat 
keine  Besserung  in  den  Auftriebszahlen  ein.    Im  Gegenteil,  diese  gingen 

Magistrat  durch  Bekanntmachung  vom  2.  Februar  1916,  daß  nur  die  Backen,  der  halbe 
Bauch,  ein  Schinken,  der  Kopf  und  */,  des  Bückenfettes  «u  Wurst  oder  Dauerware  ver- 
arbeitet werden  durften. 


Miszellen.  599 

weiter  zurück.  Während  in  der  ersten  Hälfte  des  Februar  1916  der 
Auftrieb  auf  dem  Berliner  Viehmarkt  sich  etwa  auf  3600  Stück  Schweine 
an  einem  Markttag  belief,  sank  die  Zahl  am  19.  Februar  auf  645  Stück 
herab  und  hielt  sich  in  der  ersten  Hälfte  März  weiter  unter  1800. 
Der  Wunsch  der  Händler  war  erfüllt,  ohne  daß  hierdurch  die  Ver- 
sorgungs-  und  Preisverhältnisse  günstiger  geworden  waren.  Die  „Deutsche 
Tageszeitung"  schilderte  die  Lage,  wie  folgt:  „Das  hauptsächlich  für 
die  Ernährung  in  Betracht  kommende  Vieh,  das  Schwein,  fehlte  fast  ganz. 
Die  Fleischbegierde  der  Bevölkerung  stürzte  sich  auf  das  Rind,  sein 
Preis  schnellte  in  die  Höhe,  und  das  Rückgrat  der  deutschen  Bauern- 
wirtschaft kommt  in  Gefahr.  In  dem  Wahne,  die  Kartoffeln  vor  den 
Sqhweinen  retten  zu  müssen,  hat  man  diese  preisgegeben,  die  Folge 
ist,  daß  wir  jetzt  die  Rinder  vor  den  Menschen  retten  müssen." 

Vergegenwärtigen  wir  uns  die  Auftriebszahlen!  Der  Auftrieb  an 
Rindern,  welcher  sich  im  Monat  Dezember  1915  auf  durchschnittlich 
6000  Stück  an  einem  Markttage  belaufen  hatte,  war  in  dem  Monat 
Januar  1916  auf  die  Hälfte  zurückgegangen.  Im  Monat  Februar  wurden 
die  Verhältnisse  noch  schlechter.  Am  2.  Februar  sind  auf  dem  Berliner 
Viehmarkt  2341  Stück,  am  5.  Februar  5849  Stück,  am  16.  Februar 
aber  nur  noch  2057  Stück  und  am  19.  Februar  3179  Stück  Rinder 
notiert. 

Nicht  viel  günstiger  war  die  Lage  auf  dem  Schafmarkt.  Während 
im  August  1915  in  der  Woche  noch  11000—13  000  Stück  auf  den 
Berliner  Markt  kamen,  belief  sich  der  Auftrieb  in  den  Monaten  No- 
vember, Dezember  und  Januar  1916  durchschnittlich  nur  noch  auf 
8500-9000  Stück. 

Der  Markt  für  Kälber  wies  eine  geringere  Abnahme  auf.  Es  wurden 
notiert  am: 


4.  August  1915 

2564  Kälber 

1.  September 

2206        „ 

6.  Oktober 

2072 

6.  November 

2061 

1.  Dezember 

2065 

5.  Januar  1916 

1802 

Die  Abnahme  des  Auftriebs  war  von  einer  erheblichen  Steigerung  der 
Preise  begleitet,  wie  sie  aus  der  Tabelle  1  ersichtlich  ist.  Der  Preis 
der  Ochsen  c,  welcher  sich  in  den  Sommermonaten  des  Jahres  1915 
noch  auf  etwa  64  M.  belaufen  hatte,  war  im  Dezember  1915  bereite 
auf  76  M.,  dementsprechend  der  Großhandelspreis  von  100  auf  123  M. 
und  der  Kleinhandelspreis  von  139  auf  160  M.  für  50  kg  gestiegen. 
Für  Kälber,  welche  im  Juli  1915  mit  68  M.  gehandelt  worden  waren, 
wurden  im  Dezember  1915  bereits  102  M.  für  den  Zentner  bezahlt. 
Die  entsprechenden  Zahlen  für  die  Schafpreise  waren  62  und  68  M. 
Bei  der  Preisentwicklung  ist  wieder  das  Mißverhältnis  zwischen  Auf- 
triebszahlen und  Preisen  zu  beobachten:  Während  der  Rinderauftrieb 
am  6.  November  1915  bei  einem  Preise  von  65,50  M.  für  den  Zentner 
(bei  Ochsen  c)  8629  Stück  betrug,  belief  er  sich  am  5.  Februar  1916  bei 
«inem  Preise  von  89  M.  auf  5849  Stück,  und  am  12.  Februar  bei  einem 


ßQQ  MiBzellen. 

Preise  von  89,50  M.  auf  6745  Stück,  d.  h.  obwohl  der  Auftrieb  am 
12.  Februar  größer  war  als  am  5.  Februar  1916,  war  der  Preis  der 
gleiche  geblieben. 

Eine  Erscheinung  fällt  bei  der  Verfolgung  der  Preisbildung  für 
Fleisch  auf,  die  interlokale  Verschiedenheit  der  Fleischhandelspreise. 
In  der  nachstehenden  Tabelle  sind  die  Großhandelspreise  für  Ochsen- 
fleisch, Kuhfleisch,  Kalbfleisch,  Hammelfleisch  und  Schweinefleisch 
IL  Qualität  in  der  ersten  Hälfte  des  Monats  November  1915  bis  Ja- 
nuar 1916  nach  der  „Statistischen  Korrespondenz"  vergleichsweise  für 
4  Großstädte  zusammengestellt: 

Tabelle  3.     Preise  für  50  kg  in  Mark: 

Ochsen-    t^  ,  «  .    ,      n  ^  J      Hammel-    Schweine- 
fleisch    Kuhfleisch     fleuch        ^^^,^^^        ^^.^^^ 

Königsberg. 

November  1915  97  95  —  iio  138V2 

Dezember       „  m^/a        '04  ^37^1 2  —  '^3 

Januar  1916  1221/2        118V2        '47^/2  —  'S^ 


Durchschnitt 

IIO 

106 

Danzig. 

142V2 

— 

127V2 

November  1915 
Dezember      „ 
Januar  1916 

89 
90 

IOC 

89V. 
94 
105 

105 

117V2 
131 

111V2 
117V2 
125 

— 

Durchschnitt 

93 

96 
Stettin. 

118 

118 

"~~ 

November  1915 
Dezember      „ 
Januar  1916 

IOC 

98V2 
102V2 
117V2 

122V, 
130 

156V2 

122V2 
124 

137V2 

149 

109? 

109? 

Durchschnitt 

106 
Berlin. 

136 

128 

122 

November  1915 
Dezember      „ 
Januar  1916 

108 

I22V2 

142 

90 

97V2 
124 

H2V2 

159 

182 

1.29 

135 
169 

HZ 
127 

125V2 

Durchschnitt  124  104  161  144  132 

Die  Fleischpreise  in  Bayern  und  in  den  nordöstlichen  Provinzen 
sind  nach  der  Tabelle  erheblich  niedriger  als  die  Preise  in  Berlin  zur 
gleichen  Zeit.  Die  Ursache  dürfte  in  lokalen  Eigentümlichkeiten  des 
Handels  hier  und  dort  zu  suchen  sein.  Im  Osten  geht  der  Laden- 
schlächter über  Land,  kauft  das  Vieh  von  der  Weide  fort,  läßt  es  zu 
sich  treiben  und  schlachtet  es.  In  Berlin  ist  der  Weg  ein  weit  um- 
ständlicherer: Der  Viehhändler  kauft  das  Vieh  von  dem  Landwirt  in 
den  viehreichen  Gegenden  (Schleswig-Holstein,  Ostelbien),  bringt  es  nach 
Berlin  und  übergibt  es  dem  Viehkommissionär  auf  dem  Viehhof  zum 
Verkauf.  Der  Viehkommissionär  verkauft  es  an  den  Großschlächter 
und  dieser  erst  an  den  Ladenschlächter.  Auf  diesem  langen  Wege  wird 
das  Vieh  naturgemäß  durch  den  Zwischenverdienst  der  Händler,  die 
Versandkosten,  die  Ein-  und  Ausladekosten,  die  Futterkosten,  Markt- 
gebühren   und    die    Provision    der    Kommissionäre    erheblich    verteuert. 


Miszellen.  601 

Zunächst  durch  diese  Kosten  erklären  sich  die  teuren  Fleischpreise  in 
Berlin.  Hinzu  kommt  noch  der  Qualitätsunterschied.  Es  ist  allgemein 
üblich,  daß  das  geringere  Vieh  tunlichst  in  seiner  Heimat  verwertet 
wird,  weil  es  die  durch  den  Transport  entstehenden  Unkosten  nicht  zu 
decken  vermag  und  oft  auch  bei  der  Versendung  leiden  würde.  Aus 
diesem  Grunde  ist  z.  B.  das  Kuhfleisch,  wie  aus  der  Tabelle  3  hervor- 
geht, in  Berlin  nicht  teurer  als  in  Königsberg  und  Stettin;  in  Berlin 
werden  nämlich  verhältnismäßig  mehr  Ochsen  geschlachtet  als  in  den 
beiden  vorher  genannten  Städten.  Auf  100  Gesamtschlachtungen  von 
Rindvieh  fielen  z.  B.  im  Jahre  1910  nach  dem  „Statistischen  Jahrbuch 
deutscher  Städte",  20.  Jahrg.,  in  Königsberg  9,8,  Danzig  16,4,  Stettin  3,3, 
Berlin  49,4  Ochsen,  dagegen  in  Königsberg  37,0,  Danzig  47,4,  Stettin 
34,3  und  Berlin  9,4  Kühe. 

Die  Preise  für  Schweine  waren  durch  die  Bundesratsverordnungen 
vom  4.  November  1915  und  14.  Februar  1916  geregelt.  Die  Viehmärkte 
im  mittleren  Deutschland  waren  von  Schweinen  fast  ganz  entblößt.  „Die 
Fleischbegierde  der  Bevölkerung  stürzte  sich",  wie  die  „Deutsche  Tages- 
zeitung" mit  Recht  schrieb,  „auf  das  Rind."  Es  begann  eine  neue  Preis- 
treiberei. Wie  gewaltig  die  Preissteigerung  für  Rindfleisch  in  dem  letzten 
halben  Jahr  gewesen  war,  besagen  folgende  Zahlen:  der  Preis  für 
Rinderkeule  betrug  im 

September  1915  i,42  M.  für  V2  kg 

Oktober  i,46  „  „   V» 

November  1,4  7  „  ,,    Vj 

Dezember  i,60  „  „    ^2 

Januar  1916  i,82  „  „    V2 

Februar  1,9  8  „  „    V? 

Die  Festsetzung  von  Rinderhöchstpreisen  blieb  das  einzige  Mittel,  um 
der  Preistreiberei  Einhalt  zu  tun.  Die  neugegründeten  Viehhandelsver- 
bände mußten  es  als  ihre  erste  große  Aufgabe  ansehen,  die  Rinder- 
preise zu  regeln.  Durch  die  Bekanntmachung  vom  8.  März  bzw.  11.  März 
1916  setzte  der  Brandenburg-Berliner  Viehhandelsverband  für  die  Pro- 
vinz Brandenburg  und  die  Stadt  Berlin  Höchstpreise  für  Rinder  in  einer 
Spannung  von  60  J^is  100  M.  für  den  Zentner  Lebendgewicht,  abge- 
stuft nach  9  Gewichtsklassen,  fest.  Gleichzeitig  wurde  bestimmt,  daß 
bei  dem  Weiterverkauf  von  Rindvieh  außer  den  Frachtauslagen  für 
Handlungsunkosten  und  dem  Händlergewinn  3—7  Proz.  i)  je  nach 
der  Lage  des  Verkaufsplatzes  auf  den  Höchstpreis  aufgeschlagen  werden 
dürften.  Auch  hierbei  zeigte  sich  die  Wirkungslosigkeit  von  Höchst- 
preisen ohne  gleichzeitige  Beschlagnahme.  Der  Rinderauftrieb,  welcher 
sich  am  11.  März  noch  auf  4511  Tiere  belaufen  hatte,  sank  am  22.  März 
auf  407  Stück,  am  29.  März  auf  288  Stück  und  hielt  sich  im  April 
meist  weiter  unter  1000  Stück.  Entblößung  des  Marktes  von  Ware  war 
hier  die  unmittelbare  Folge  der  Höchstpreisfestsetzung  wie  nach  dem 
Inkrafttreten  der  Höchstpreise  für  Schweine.  Nicht  nur  die  Verbrauchs- 
aentren   befanden   sich   in   einer   immer    schwierigeren    Lage    bezüglich 


1)  In  der  Bekanntmachung  vom  11.  März  1916. 


()Q2  Missellen. 

der  FleischversorguDg ;  auch  auf  dem  Lande  wurden  die  Verhältnisse 
infolge  des  großen  Mangels  an  Kraftfuttermitteln  immer  schwieriger.  Die 
Viehbestände  lichteten  sich.  Die  Sicherstellung  des  Bedarfs  an  Fleisch 
für  Heer  und  Marine  sowie  für  die  Zivilbevölkerung  machte  schleunige 
und  durchgreifende  Maßnahmen  zur  Notwendigkeit.  „Erforderlich  war 
eine  grundsätzliche  Regelung  der  Fleischversorgung  für  das  ganze  Reichs- 
gebiet." Auf  der  einen  Seite  mußte  eine  übermäßige  Abschlachtung 
verhindert  werden,  auf  der  anderen  mußte  die  erforderliche  Viehmenge 
auf  die  Bedarfsgebiete  verteilt  werden.  Man  sah  ein,  daß  die  bisherige 
Versorgung  unter  dem  Mangel  einer  Zentralisation  litt.  Die  einzelnen 
Teile  des  Reiches  trieben  ihre  gesonderte  Politik.  Die  zunehmende 
Knappheit  führte  vielfach  zu  Absperrungen.  So  kam  es,  daß  in  den 
süddeutschen  Staaten  Fleisch  noch  reichlich  vorhanden  war,  zu  einer 
Zeit,  in  der  in  den  norddeutschen  Verbrauchszentren  vielfach  bereits 
Mangel  herrschte.  Die  Regierung  hoffte,  die  Ungleichmäßigkeit  in  der 
Versorgung  durch  Schaffung  einer  Zentralinstanz  für  die  Verteilung  be- 
heben zu  können.  Eine  solche  Zentralinstanz  wurde  in  der  Reichs- 
fleischstelle  auf  Grund  der  Bundesratsverordnung  über  Fleisch  Ver- 
sorgung vom  27.  März  1916  geschaffen.  Als  Hauptaufgabe  war  ihr 
gestellt:  „die  Fleischversorgung,  insbesondere  die  Aufbringung  von  Vieh 
und  Fleisch  im  Reichsgebiet  und  deren  Verteilung  zu  regeln."  Nach 
§  3  lag  ihr  ferner  „die  Verteilung  des  aus  dem  Ausland  eingeführten 
Schlachtviehs  und  Fleisches  einschließlich  der  Fleischwaren  ob".  Erste 
Aufgabe  der  Reichsfleischstelle  war  die  Viehaufbringung.  Sie  sollte  den 
Gesamtbedarf  der  mobilen  und  immobilen  Truppen  sowie  der  gesamten 
Zivilbevölkerung  ins  Verhältnis  zu  den  gesamten  Viehbeständen  des 
Reiches  setzen  und  die  Viehbestände  der  einzelnen  Bundesstaaten  nach 
den  sich  ergebenden  Verhältnissätzen  zu  den  Lieferungen  heranziehen. 
Zu  diesem  Zwecke  wurde  eine  Viehzwischenzählung  für  den  15.  April 
angeordnet.  „Es  zeigte  sich,  daß,  wenn  man  die  durchschnittlichen 
Gesamtschlachtungen  normaler  Jahre  nicht  überschreiten  wollte,  für  die 
Zivilbevölkerung  nicht  mehr  als  die  Hälfte  dieses  Durchschnittes  zu- 
gelassen werden  konnte."  Für  die  erste  Periode  (1.  April  bis  30.  Juni 
1916)  wurde  für  die  Zivilbevölkerung  die  Hälfte  der  durchschnittlichen 
beschaupflichtigen  Schlachtungen  des  zweiten  Vierteljahres  der  Jahre 
1911  bis  1915  zugelassen.  Diese  Zahlen  wurden  auf  die  einzelnen  Bundes- 
staaten anteilmäßig  verteilt.  Mit  dem  Verteilungsplan  war  die  erste 
Aufgabe  in  glücklicher  Weise  gelöst.  Damit  die  einzelnen  Gemeinden 
jedoch  mit  dem  zugewiesenen  Fleisch  auskommen  konnten,  mußte  der 
Verteilungsplan  durch  eine  Verbrauchsregelung  ergänzt  werden.  Die 
Verordnung  vom  27.  März  sah  davon  ab,  eine  einheitliche  Ver- 
brauchsregelung von  Fleisch  und  Fleischwaren  für  das  Reichsge- 
biet durchzuführen.  Die  „Norddeutsche  Allgemeine  Zeitung"  schrieb 
hierüber:  „Die  Verhältnisse  liegen  nicht  überall  gleich,  und  die  tech- 
nischen Probleme  der  Beschaffung  und  Verteilung  sind  erheblich  ver- 
wickelter als  etwa  bei  Mehl  und  Brot.  Die  Fleischkarte  hat  notwendig 
einen  ganz  anderen  Charakter  als  die  Brotkarte,  einmal  schon,  weil 
die  Erzeugungs-    und    Angebotsmengen   auf    längere   Zeit   hinaus    nicht 


Miszellen.  603 

mit  völliger  Sicherheit  zu  übersehen  sind  —  die  Fleischkarten  sind 
Sperr-,  nicht  Anspruchskarten  —  außerdem  aber,  weil  Fleisch  und 
Fleischprodukte  in  den  verschiedensten  (und  zugleich  verschiedenartigsten) 
Sorten,  Arten  und  Bereitung  abgegeben  werden,  so  daß  das  einfache 
ßationierungsschema  —  und  einfach  muß  es  ja  sein  —  Ungleichmäßig- 
keiten  mit  sich  bringt."  In  §  10  der  Verordnung  vom  27.  März  wurden 
die  Gemeinden  verpflichtet,  eine  Verbrauchregelung  für  Fleisch  und 
Fleischwaren  in  ihren  Bezirken  vorzunehmen.  Dieser  Verpflichtung 
sind  die  Gemeinden  in  den  einzelnen  Teilen  des  Reiches  in  sehr  ver- 
schiedenem Umfange  nachgekommen.  Das  bayrische  Ministerium  des 
Innern  regelte  die  Versorgung  schon  im  April  1916  durch  Schaffung 
einer  bayrischen  Fleischversorgungsstelle.  Diese  setzte  mit  Genehmigung 
des  Ministers  des  Innern  nach  Maßgabe  des  zur  Verfügung  stehenden 
Schlachtviehs  fest,  welche  Höchstmenge  innerhalb  8  Wochen  geschlachtet 
werden  durfte.  Die  Kommunalverbände  hatten  Fleischkarten  auszu- 
geben. Von  der  Festsetzung  der  Fleischration  für  einen  längeren  Zeit- 
raum nahm  man  wegen  der  Schwankung  in  den  Viehbeständen  Abstand. 
Seit  dem  17.  April  gab  es  in  Bayern  und  Sachsen  eine  Fleisch- 
karte. Württemberg  schloß  sich  bald  an.  In  Sachsen  wurden  Sperr- 
marken zur  Verhütung  eines  übermäßigen  Verbrauchs  mit  600  g  für 
die  Woche,  in  Württemberg  solche  mit  3520  g  für  den  Monat  aus- 
gegeben. Für  die  Provinz  Brandenburg  und  die  Stadt  Berlin  bewirkte 
der  Brandenburg-Berliner  Viehhandelsverband  die  Anlieferung  des  be- 
nötigten Viehes.  Das  Schlachtvieh  wurde  dem  Verein  der  Viehkom- 
missionäre am  Berliner  Viehhof  zugeteilt.  Dieser  hatte  das  Vieh  zu 
festgesetzten  Preisen  an  die  Großschlächter  nach  Maßgabe  ihrer  früheren 
Schlachtungen  anteilmäßig  abzugeben.  Die  Großschlächter  waren  ihrer- 
seits an  Großhandelspreise  gebunden.  Die  Abgabe  an  den  Laden- 
schlächter erfolgte  gegen  einen  Bezugsschein.  Um  den  Bedarf  des 
einzelnen  Ladenschlächters  festzustellen,  wurde  eine  Voranmeldung  in 
Form  der  Abgabe  des  Brotkartenmittelstücks  für  die  Woche  vom  10.  bis 
16.  April  an  die  Ladenschlächter  seitens  der  Kunden  eingeführt.  Zur 
vollkommenen  Durchführung  der  Versorgungsregelung  war  zunächst  noch 
die  Festsetzung  von  Höchstpreisen  für  Kälber  und  Hammel  nötig.  In 
einer  Sitzung  der  preußischen  Viehhandelsverbände  vom  7.  April  wurden 
folgende  üebernahmepreise  festgesetzt: 

Für  Kälber  unter          40     kg  70  M.  für  den  Zentner  Lebendgewicht 

40/75    "  100    „  „      „          „                   „ 

über            75      „  120    „  „      „          „                   „ 

„    Mastkälber  bis       15,6    „  140    „  „      „          „                   „ 

Als  Provision  und   Handlungsunkosten    durften    10   Proz.    zugeschlagen 
werden. 

Für  Lämmer  120  M.  für  den  Zentner  Lebendgewicht 

„     Hammel  über   einem  Jahr       100    ,,      „      „  „  „ 

„     Schafe  und  Böcke  85    „      „      „  ,.  „ 

Für    Provision    wurde    ein    Höchstpreiszuschlag    von    7    Proz.    auf   den 
Stallhöchstpreis  zugelassen. 


gQ4  M  i  8  z  e  1 1  e  n. 

Die  Groß-  und  Kleinhandelspreise  für  Rindfleisch  wurden  in  Berlin 
durch  Verordnung  vom  14.  April  geregelt.  Ihnen  folgte  die  Regelung 
der  Preise  für  Kalb-  und  Hammelfleisch  durch  die  Verordnung  vom 
6.  Mai  d.  J.  Mit  der  Höchstpreisfestsetzung  für  Kälber  und  Hammel 
waren  sämtliche  Viehpreise  geregelt.  Die  Viehhandels  verbände  be- 
gannen die  Lösung  der  ihnen  gestellten  Aufgaben  unter  äußerst 
schwierigen  Verhältnissen.  Die  Viehbestände  waren  stark  zusammen- 
geschmolzen. Ein  Runderlaß  der  Minister  für  Landwirtschaft,  Handel 
und  Gewerbe  und  des  Innern  vom  Ende  April  des  Jahres  besagte 
folgendes:  „In  wenigen  Monaten  werden  sicherlich  wieder  ausreichende 
Bestände  schlachtreifen  Tieres  verfügbar  sein.  Für  die  nächsten  Monate 
aber,  bis  etwa  1.  Juli,  muß  aus  naheliegenden  Ursachen  die  Beschaffung 
des  erforderlichen  Schlachtviehes  an  vielen  Stellen  auf  Schwierigkeiten 
stoßen.  Infolge  des  großen  Futtermittelmangels  sind  die  Bestände  an 
schlachtreifen  Schweinen  zurzeit  außerordentlich  gering,  dagegen  die 
Aussicht  auf  die  Erzeugung  zahlreicher  Ferkel  dank  den  getroffenen 
Maßnahmen  für  die  nächsten  Monate  sehr  günstig.  Aus  dem  gleichen 
Grunde  haben  die  Landwirte  von  ihren  Rindviehbeständeu,  was  zur 
Schlachtung  geeignet  war,  größtenteils  in  den  letzten  Monaten  bereits 
abgestoßen." 

Auch  die  sogenannten  „Hausschlachtungen"  (Schlachtungen  für  den 
eigenen  Wirtschaftsbedarf  des  Viehhalters)  wurden  in  den  Rahmen  der 
Versorgungsregelung  einbezogen.  Nach  §  6  Ziffer  2  der  Verordnung 
vom  27.  März  waren  sie  nur  dann  gestattet,  wenn  der  Besitzer  das 
Tier  in  seiner  Wirtschaft  mindestens  6  Wochen  gehalten  hat.  Am 
10.  April  1916  erging  ein  einstweiliges  Verbot  der  Hausschlachtungen 
von  Rindern,  Schweinen,  Kälber  und  Schafen.  Jedoch  wurde  das  Verbot 
bald  aufgehoben.  — 

Das  Ergebnis  der  Viehzählung  vom  15.  April  1916  war  ein  gün- 
stiges.    Gegenüber  den  Zahlen  vom  1.  Dezember  des  Vorjahres  war 

für  Schafe  ein  Zugang  von  23,8  Proz. 

für  Kälber  unter  3  Jahren  ein  Zugang  von  72,2      ,, 

ZU  verzeichnen.  Die  Zahl  der  Rinder  in  Preußen  hatte  allerdings  um 
1  Proz.  abgenommen.  Betont  werden  muß,  daß  sich  das  Bild  etwas 
nach  der  nachteiligen  Seite  hin  verschiebt,  wenn  man  die  Gewichte  der 
Tiere  mitberücksichtigt:  nur  ein  ganz  geringer  Teil  konnte  als  schlacht- 
reif bezeichnet  werden. 

Auch  der  Schweinemarkt  wies  einen  Rückgang  auf.  Die  Abnahme 
der  Schweinebestände  konnte  nach  den  „Professorenschlachtungen"  des 
Frühjahres  1915  gar  nicht  wundernehmen.  Hinzu  kam  die  große  Futter- 
mittelknappheit. 

Infolgedessen  war  die  Fleischversorgung  der  Verbrauchszentren 
trotz  der  absoluten  Zunahme  des  Viehbestandes  gegenüber  den  Ziffern 
vom  1.  Dezember  1915  eine  unzureichende.  Die  Lieferungen  der  Vieh- 
handelsverbände entsprachen  in  keiner  Weise  den  vertraglichen  Ab- 
machungen. In  den  Verhandlungen  mit  der  Reichsfleischstelle  war,  um 
nur  ein  Beispiel  herauszugreifen,  der  Bedarf  für  Groß-Berlin  mit  2125 
Rindern,  2185  Kälbern,  14160  Schweinen  und  4500  Schafen  angesetzt. 


Miszellen.  605 

Hingegen  betrug  der  Auftrieb  am  8.  April  1916  am  Berliner  Vieh- 
markte nur  744  Rinder,  1539  Kälber,  3284  Schafe  und  601  Schweine. 
In  der  Osterwoche  lieferten  die  Viehhandelsverbände  nach  Groß-Berlin 
nur  den  20.  Teil  der  vertraglich  abgeschlossenen  Menge.  Der  Dezernent 
des  Berliner  Magistrates  teilte  am  11.  Mai  in  der  Stadtverordneten- 
sitzung mit,  daß  ein  Viehhandelsverband  statt  16  000  nur  96  Schweine 
geliefert  habe.  Er  sah  die  Ursache  in  der  mangelhaften  Organisation 
der  Verbände.  Im  Monat  Mai  stellte  sich  heraus,  daß  die  Lieferungen 
weitaus  zu  hoch  angesetzt  waren.  Die  Nachrichtenstelle  der  Land- 
wirtschaftskammer für  die  Provinz  Brandenburg  wies  darauf  hin, 
daß  die  Erfüllung  der  Verträge  der  Viehhandelsverbände  dazu  führen 
würde,  daß  jüngere  magere  Tiere  und  gute  Milchkühe  abgeschlachtet 
würden. 

Am  schwierigsten  war  zweifelsohne  die  Lage  des  Schweinemarktes. 
In  Friedenszeiten  ist  in  Deutschland  mehr  als  die  Hälfte  des  Fleisch- 
bedarfes durch  Schweinefleisch  gedeckt  worden.  Wenn  nach  der  Zäh- 
lung vom  15.  April  1916  die  Schweine  in  den  Altersklassen  von  1/2  ^^^ 
1  Jahr  und  über  1  Jahr  sehr  zurückgegangen  waren,  so  war  damit 
die  Unmöglichkeit  einer  nur  annähernd  ausreichenden  Versorgung  der 
Bevölkerung  mit  Schweinefleisch  in  Zahlen  ausgedrückt.  Eine  Ein- 
schränkung des  Fleischverbrauchs  war  zunächst  wenigstens  bis  zur 
Schlachtreife  des  Viehes  notwendig. 

Die  Versorgung  wurde  durch  eine  weitere  Maßnahme  vieler  Pro- 
vinzen äußerst  erschwert,  durch  das  Viehausfuhrverbot.  Die  Ab- 
sperrungspolitik zahlreicher  Landstriche  mußte  unbedingt  beseitigt  werden. 
Nur  durch  sie  waren  die  großen  Ungleichheiten  in  den  Fleischraten 
der  einzelnen  Provinzen,  Kreise  und  Gemeinden  zu  Beginn  der  Ratio- 
nierung zu  erklären.  Nur  infolge  der  Absperrungspolitik  war  es  mög- 
lich, daß  in  Bayern  800  g  Fleisch  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  ent- 
fielen, zu  einer  Zeit,  in  welcher  in  Sachsen  nur  300  g,  in  Anhalt-Dessau 
375  g  und  in  Erfurt  250  g  auf  den  Kopf  kamen. 

In  die  Preisgestaltung  griff  die  Regierung  im  Laufe  der  nächsten 
Monate  noch  verschiedentlich  ein.  Die  Rindvieh-  und  Kälberpreise 
wurden  von  den  preußischen  Viehhandelsverbänden  bald  erhöht.  Doch 
müssen  diese  Aenderungen  bei  einer  Untersuchung  der  Grundzüge  der 
Entwicklung  der  Vieh-  und  Fleischpreise  und  der  Fleischversorgung 
während  des  Krieges  als  belanglos  bezeichnet  werden.  Mit  der  Fest- 
setzung der  Höchstpreise  für  die  einzelnen  Viehgattungen  hatte  die 
Preisfrage  eine  Lösung  gefunden.  Hingegen  waren  das  Vertei- 
lungs-  und  Verbrauchsproblem  noch  nicht  gelöst. 

Noch  im  Juni  1916  entfielen  in  Baden  und  Württemberg  je  700  g, 
im  Elsaß  500  g  und  in  Essen  400  g  Fleisch  in  der  Woche  auf  den 
Kopf  der  Bevölkerung.  Verschiedenheit  herrschte  auch  in  der  Behand- 
lung der  Bezugsberechtigten.  Teilweise  wurde  ein  Unterschied  zwischen 
Erwachsenen  und  Kindern  gemacht.  Die  Regelung  war  auch  ver- 
schieden nach  der  Art  des  Fleisches  (Fleisch  mit  Knochen,  Fleisch 
ohne  Knochen).  Bald  lautete  die  Fleischkarte  auf  die  Familie,  bald 
auf   die   einzelne    Person.     Einheimische  waren   vielfach  anders  gestellt 


Q05  Miszellen. 

als  Auswärtige.  Kurz  zusammeogefaßt :  das  Bild  war  ein  buntscheckiges. 
Hinzu  kam,  daß  eine  große  Anzahl  von  Plätzen  überhaupt  noch  keine 
Fleischkarte  eingeführt  hatte.  In  Preußen  wurde  durch  den  Erlaß  des 
Ministers  des  Innern  vom  Juni  1916  ihre  Einführung  für  sämtliche 
Gemeinden  über  25  000  Einwohner  angeordnet.  Die  Zwangseinführung 
bezog  sich  jedoch  nur  auf  Fleisch;  Wild  und  Geflügel  waren  in  die 
Kartenregelung  nicht  einbezogen.  Dadurch,  daß  die  süddeutschen 
Staaten  sich  dem  preußischen  Vorgehen  allgemein  anschlössen,  war 
diese  Maßregel  von  großer  Tragweite,  wenn  sie  sich  auch  nicht  auf 
kleinere  Gemeinden  erstreckte. 

Eine  gleichmäßige  Verteilung  war  jedoch  nur  durch  Einführung  einer 
Reichsfleischkarte  möglich.  Die  Eeichsfleischkarte  wurde  durch 
die  Bundesratsverordnung  vom  2.  Oktober  1916  ins  Leben  gerufen.  Als 
wesentliche  Neuerungen  gegenüber  den  in  den  einzelnen  Provinzen  und 
Gemeinden  bereits  bestehenden  Fleischkarten  sind  bei  der  Beichsfleisch- 
karte  folgende  anzuführen: 

1)  Hühner,  Wildpret  von  Rot-,  Dam-,  Schwarz-  und  Rehwild  traten 
für  die  Anrechnung  hinzu. 

2)  Bei  Entnahme  von  Frisch wurst,  Eingeweiden,  Fleischkonserven 
und  Wildpret  entfällt  die  doppelte  Menge  auf  die  Fleischmarke. 
Hühner  werden  mit  einem  Durchschnittsgewicht  von  400  g,  junge 
Hähne  bis  zu  1/2  J^^^  ^^^  einem  Durchschnittsgewicht  von  200  g 
angerechnet. 

3)  An  Stelle  von  25  g  Fleisch  mit  eingewachsenen  Knochen  können 
20  g  Fleisch  ohne  Knochen  entnommen  werden. 

4)  Die  auf  die  Woche  und  den  Kopf  entfallende  Menge  Fleisch  mit 
Knochen  wird  zunächst  mit  250  g  festgesetzt. 

5)  Die  Selbstversorger  werden  in  die  Regelung  miteinbezogen. 

Die  Regelung  der  Selbstversorger  war  besonders  schwierig.  Auf 
der  einen  Seite  sollte  das  Prinzip  der  gleichmäßigen,  gerechten  Ver- 
teilung durchgeführt  werden,  auf  der  anderen  mußte  die  Aufzucht  und 
Mästung  gewährleistet  werden.  Bei  einer  völligen  Gleichstellung  der 
Selbstversorger  mit  der  übrigen  Bevölkerung  war  ein  Rückgang  der 
Aufzucht  zu  befürchten;  denn  die  Berechtigung  eines  Entgeltes  für  die 
Arbeit  und  das  Risiko  der  Viehzüchter  dürfte  außer  Frage  stehen. 
Der  kleine  Züchter  muß  bei  der  Zucht  die  Sicherheit  haben,  daß  ihm 
wenigstens  ein  Teil  des  geschlachteten  Tieres  verbleibt.  In  glücklicher 
Weise  sind  beide  Gesichtspunkte  durch  den  §  10  der  Verordnung  be- 
rücksichtigt worden.  In  ihm  wird  bestimmt,  daß  Selbstversorgern  das 
Schlachtgewicht  nur  zu  einem  Teil,  und  zwar  bei  dem  ersten  Schwein, 
welches  eine  Familie  schlachtet,  nur  zur  Hälfte,  bei  den  weiteren  zu 
3/5  angerechnet  wird. 

Die  Besserstellung  der  Selbstversorger  suchten  sich  bald  Nicht- 
berechtigte zunutze  zu  machen.  Sie  gaben  Schweine  zur  Mästung  fort 
(Pensionsschweine!)  und  gaben  sich  selbst  als  „Selbstversorger"  aus. 
Diesem  Mißstand  schob  das  Kriegsernährungsamt  jedoch  bald  einen 
Riegel  vor.  Es  führte  aus,  daß  der  Begriff  der  „Selbstversorgung" 
eine    persönliche    Betätigung    des    Eigentümers    voraussetzt;     eine 


Mi  sz eilen.  Q(yj 

finanzielle  Betätigung  genüge  nicht.  Wer  die  Vorzugsstellung  des 
§  10  einnehmen  wollte,  mußte  nach  den  Ausführungen  des  Kriegs- 
ernährungsamtes das  Schwein  in  unmittelbarem  Gewahrsam  haben. 
„Jedoch  ist  nicht  nur  der  Inhaber  eines  landwirtschaftlichen  Betriebes 
als  Selbstversorger  anzusehen;  sondern  der  Haushalt,  welcher  die 
eigene  Haltung  und  Mästung  gestattet,  hat  Mitanteil  an  der  Bevor- 
zung  der  Selbstversorgung."  Wenn  also  mehrere  Personen  gemein- 
sam für  den  eigenen  Verbrauch  Schweine  an  einem  Ort  mästen,  so 
können  sie  als  Selbstversorger  angesehen  werden.  Durch  Verordnung 
vom  21.  August  1916  ist  dies  ausdrücklich  bestimmt  worden. 

Mit  der  Einführung  der  Reichsfleischkarte  war  jenes  lang  erstrebte 
Ziel  der  gleichmäßigen  und  gerechten  Verteilung  und  Ver- 
brauchsregelung für  Fleisch  im  Reichsgebiet  endlich  er- 
reicht worden.  Der  Ausgleich  der  viehreichen  und  vieharmen  Gegenden 
erfolgte  in  der  Wirklichkeit.  Der  Preis regelung  war  die  Verteilungs- 
und  Verbrauchsregelung  gefolgt.  Das  große  Organisations- 
werk, an  dem  nicht  weniger  als  l^/^  Jahre  gearbeitet  worden  war,  war 
vollendet.  Die  Idee  der  wirtschaftlichen  Einheitlichkeit  auf  dem  Gebiete 
der  Fleischversorgung,  die  mancher  noch  vor  wenigen  Monaten  für  un- 
erreichbar gehalten  hatte,  war  verwirklicht  worden. 

Die  Preisregelung  und  Rationierung  des  Fleisches  schloß  sich  so  als 
ein  neues  Glied  einer  längeren  Kette  typisch  kriegswirtschaftlicher 
Maßnahmen  an,  der  staatssozialistischen. 

Das  System  der  individuellen  Freiheit  hat  unter  dem  Drucke  des 
Wirtschaftskampfes  dem  Staatssozialismus  das  Feld  im  Kriege  immer 
mehr  geräumt.  Die  freie  Bestimmung  des  Selbstinteresses  wird  ein- 
geschränkt durch  ein  System  planmäßiger  Regelung  von  Produktion 
und  Konsumtion  seitens  des  Staates.  (G~c:) 


608     üeberstoht  über  die  neuesten  Pablikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 


TTebersicht  über  die  neuesten  Publikationen 
Deutschlands  und  des  Auslandes. 

1.  Oasokichte  der  Wissenschaft.   Encyklopädisches.    LekrbfLolxer.    SpesieU« 
theoretische  Uutersachang'en. 

Produktion,  Absatz,  Preisbildung  von  Molkereier- 
zeugnissen. Beiträge  von  Dr.  jur.  Eirik  Jahn,  Molkereiinstruktor 
Hübner,  Dr.  A.  Geiger  und  Dr.  phil.  Kurt  Teichert.  (Schriften  des 
Vereins  für  Sozialpolitik,  Bd.  140,  Abteilung  A,  III.  Teil.)  München 
u.  Leipzig  (Duncker  u.  Humblot)  1915.     8«.     423  SS.     (Preis:  M.  10,50.) 

Mit  diesem  dritten  Teil  ist  der  140.  Band  der  Schriften  des  Ver- 
eins für  Sozialpolitik  vollständig  geworden.  Er  behandelt  die  milch- 
wirtschaftlichen Erzeugnisse  und  gehört  zu  den  „Untersuchungen  über 
Preisbildung",  Abteilung  A :  Preisbildung  bei  agrarischen  Erzeugnissen. 
Sein  erster  Abschnitt  enthält:  „Die  Versorgung  Berlins  mit  Butter 
unter  besonderer  Berücksichtigung  der  Preisverhältnisse"  von  Dr.  jur. 
Eirik  Jahn.  Der  zweite  Abschnitt  führt  uns  nach  Westpreußen,  dessen 
„Milch Versorgung  und  Molkereiindustrie"  von  Molkereiinstruktor  Hübner 
dargestellt  wird.  Die  dritte  Arbeit  behandelt  „Das  Molkerei-  und 
Käsereiwesen  im  bayerischen  AUgäu"  von  Dr.  A.  Geiger,  die  vierte 
„Das  Käsereigewerbe  in  Württemberg"  von  Dr.  Teichert. 

Die  erstgenannte  Arbeit,  die  von  Jahn,  gibt  ein  in  den  Grund- 
zügen ziemlich  klares  Bild  der  Butterversorgung  Berlins,  wie  sie  vor 
ungefähr  7  oder  8  Jahren  gewesen  ist.  Es  ist  lebhaft  zu  bedauern, 
daß  auf  die  neuere  Entwicklung  während  der  letzten  Jahre  gar  keine 
Bücksicht  genommen  worden  ist;  denn  die  Verhältnisse  sind  bereits 
vor  dem  Kriege  andere  geworden,  als  wie  sie  etwa  im  Jahre  1910  ge- 
wesen sind ;  durch  den  Krieg  selbst  ist,  wie  überall,  so  auch  hier,  eine 
weitere  Umänderung  eingetreten.  Daher  ist  die  Arbeit  Jahns  heute 
fast  nur  mehr  von  historischem  Interesse. 

Die  zweite  Arbeit,  vom  Leiter  der  Lehr-  und  Versuchsanstalt  für 
Molkerei wesen  in  Praust,  gibt  einen  kurzen  Abriß  der  westpreußi- 
schen Molkereiverhältnisse,  der  kaum  die  Grundzüge  mit  genügender 
Deutlichkeit  erkennen  läßt.  Einen  sehr  großen  Raum  nehmen  darin 
Abdrücke  von  Satzungen,  polizeilichen  Bestimmungen  usw.  ein.  Die 
Preisbildung  selbst  wird  ganz  kurz  auf  einigen  Seiten  erledigt. 

Ausführlicher  wird  in  der  dritten  Arbeit  von  Dr.  A.  Geiger,  dem 
Vorstand  der  milchwirtschaftlichen  Untersuchungsanstalt  in  Memmingen, 
das  Molkerei-  und  Käsereiwesen  im  ba3^erischen  Allgäu  geschildert. 
Sie  enthält  eine  Menge  interessanter  Einzelheiten,  welche  hier  an- 
einandergereiht sind.  Aber  im  großen  und  ganzen  ist  es  doch  nur  eine, 
wenn  auch  sehr  hübsche,  aber  schließlich  lediglich  den  Fachmann  näher 
interessierende  Beschreibung. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     gQQ 

Das  gleiche  gilt  von  der  vierten  Arbeit  von  Dr.  Kurt  Teichert, 
Direktor  der  württembergischen  Käserei- Versuchs-  und  Lehranstalt  zu 
Wangen,  „Das  Käsereigewerbe  in  Württemberg".  Die  beiden  Arbeiten 
sind  nach  dem  gleichen  Schema  gearbeitet,  beide  geben  lediglich 
eine  beschreibende  Darstellung.  Aber  auch  diese  würde  von  all- 
gemeinem Interesse  sein,  wenn  sie  dem  neueren  Stand  der  Dinge 
etwas  mehr  gerecht  würde.  So  gehen  z.  B.  die  statistischen  Angaben 
fast  ausnahmslos  nur  bis  zum  Jahre  1911  oder  1912.  Auf  die  ganze 
weitere  Entwicklung  sowie  auf  die  bedeutsame  Einwirkung,  welche  der 
Ausbruch  des  Krieges  mit  sich  brachte,  wird  fast  gar  nicht  eingegangen. 
Und  doch  wäre  zweifellos  die  Entwicklung  der  Verhältnisse  in  den 
letzten  Jahren  und  insbesondere  die  Entwicklung  seit  Kriegs  beginn 
von  allergrößtem  Interesse.  Gerade  diese  Zeit  hätte  ausführlich  be- 
handelt werden  müssen. 

Ebenso  bedauerlich  ist,  daß  der  Hauptzweck  der  vier  Arbeiten,  näm- 
lich Untersuchungen  über  Preisbildung  zu  geben,  fast  vollständig  außer 
acht  gelassen  wird.  Es  werden  zwar  eine  Menge  Zeitungsnotizen  über  die 
Preisnotierungen  wiedergegeben,  Aeußerungen  von  Handelskammern  usw. 
aus  deren  Berichten  abgedruckt.  Aber  damit  wird  die  ganze  Frage  der 
Preisbildung  als  erledigt  betrachtet !  Von  volkswirtschaftlichen  Gesichts- 
punkten oder  von  einem  Versuch,  dieser  komplizierten  Frage  wenigstens 
etwas  näher  zu  kommen,  ist  gar  nicht  die  Rede.  Es  ist  dies  sicher  nicht 
so  sehr  Schuld  der  Verfasser,  denen  als  Chemikern,  Molkereiinstruktoren 
oder  Juristen  die  volkswirtschaftlichen  Gesichtspunkte  überhaupt  fern 
gelegen  haben;  aber  es  sollten  dann  diese  Arbeiten  bezeichnet  werden 
als  das,  was  sie  sind,  nämlich  als  Einzelschilderungen  von  Gewerbe- 
zweigen und  nicht  als  Untersuchungen  über  die  Preisbildung.  Dieser 
grundsätzliche  Fehler  fast  aller  Arbeiten  des  140.  Bandes  ist  wohl 
darauf  zurückzuführen,  daß  vielfach  die  Meinung  herrscht,  zur  Beur- 
teilung volkswirtschaftlicher  Fragen  genüge  jenes  Maß  praktischer  Er- 
fahrung, über  welches  schließlich  jeder  mehr  oder  weniger  verfügt,  und 
man  brauche  außerdem  höchstens  noch  ein  paar  statistische  Zahlen,  um 
„wissenschaftliche  Volkswirtschaftslehre"  zu  betreiben.  Nur  aus  einer 
solchen  Auffassung  heraus  läßt  es  sich  überhaupt  erklären,  daß  Chemiker, 
Juristen  usw.  über  die  schwierige  Frage  der  Preisbildung  schreiben. 
Was  würden  die  Chemiker  und  Juristen  sagen,  wenn  man  ohne  gründ- 
liche Kenntnis  über  die  schwierigsten  Fragen  ihres  Faches  schreibt? 
Sie  würden  eine  solche  Arbeit  einstimmig  ablehnen,  eine  Sammlung  von 
Fachschriften  würde  sie  nicht  aufnehmen.  In  der  Volkswirtschafts- 
lehre aber  glaubt  man,  daß  Fachkenntnisse  nicht  notwendig  sind,  um 
in  einer  angesehenen  Sammlung  fleißige  und  gutgemeinte,  aber  eben 
doch  unzulängliche,  schriftstellerische  Versuche  zu  veröffentlichen. 
Der  Verein  für  Sozialpolitik  leistet  unserer  Wissenschaft  keine  guten 
Dienste,  wenn  er  auf  Grund  seines  Ansehens  solche  Arbeiten  durch 
Aufnahme  in  seine  Sammlung  als  wissenschaftliche  „Untersuchungen 
zur  Preisbildung"  kennzeichnet. 

Regensburg.  Alois  Dallmayr. 

Jahrb.  f.  NationalÖk.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  39 


610     Ueberaicht  über  die  neuesten  Publikationen  Dentschlands  tind  des  Auslandes. 

Cluss  (Hofr.),  Prof.  Dr.  Adolf,  Das  Bier  und  unsere  Volksemährung  im  Welt- 
krieg.    Wien,  Wilh.  Braumüller,  1916.     8.     23  SS.     M.  0,75. 

Haoks  (Stadt8ch.-R.),  Dr.  Jakob,  Die  Grundbegriffe  der  Volkuwirtschaftalehre. 
Breslau,  Priebatschs  Buehhdlg.,  1917.     8.     IV— 116  SS.     M.  1,40. 

May,  R.  E.,  Die  deutsche  Volksernährung,  gemessen  am  tatsächlichen  Konsum 
großer  Konsumentenkreise.  München,  Duncker  u.  Humblot,  1917.  gr.  8.  IV — 199  SS. 
M,  5. — .  (S.-A.  aus  Schmollers  Jahrb.  für  Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Volkswirt- 
schaft, Jahrg.  41.) 

Stadthagen  (Geh.  Reg.-R.),  Dr.  Hans,  u.  (Priv.-Doz.)  Dr.  Götz  Briefs, 
Die  Preisprüfungsstellen.  (Beiträge  zur  Kriegswirtschaft.  Hrsg.  v.  d.  Volkswirtschaft!. 
Abt.  des  Kriegsernährungsamts.  Heft  22/23.)  Berlin,  Reimar  Hobbing,  1917.  8.  94  SS. 
M.  1,20. 


Leonetti,  Francesco,  Approvvigionamenti  e  consumi.  Roma,  Tip.  della  Ca- 
mera dei  Deputati.     8.     1.  6.     (Manuali  pratici  legislativi,  No.  13.) 

2.  Oeschichte  und  Darstellung  der  wirtschaftlichen  Kultur. 

Dierauer,  Jobs.,  Geschichte  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft.  Bd.  5. 
Bis  1848.  (Allgemeine  Staatengeschichte.  Hrsg.  von  Herm.  Oncken.  I.  Abt.:  Ge- 
schichte der  europäischen  Staaten,  hrsg.  von  A.  H.  L.  Heeren,  F.  A.  ükert,  W.  v.  Giese- 
brecht,  K.  Lampiecht,  Herm.  Oncken.  26.  Werk,  5.  Bd.  [Lfg.  105].)  Gotha,  Friedrich 
Andreas  Perthes,  1917.     8.     XXXVI— 807  SS.     M.  26.—. 

Gaigalat  (Abg.),  Dr.  W.,  Litauen,  das  besetzte  Gebiet,  sein  Volk  und  dessen 
geistige  Strömungen.     Memel,  Sandora-Buchhdlg.,  1917.     8.     179  SS.     M.  3.—. 

Kaindl,  Prof.  Dr.  Raim.  Frdr.,  Polen.  Mit  einem  geschichtlichen  üeberblick 
über  die  polnisch  •  ruthenische  Frage.  2.  verb.  Aufl.  (Aus  Natur  und  Geisteswelt. 
Sammlung  wissenschaftlich  -  gemeinverständlicher  Darstellungen,  547.  Bdchn.)  Leipzig, 
B.  G.  Teubner,  1917.     kl.  8.     VI— 112  SS.  mit  6  Karten  im  Text.     M.  1,20. 

Onciul,  A.  v.,  Wirtschaftspoli  lisch  es  Handbuch  von  Rumänien.  Gotha,  Friedrich 
Andreas  Perthes,  1917.     8.     VIII -133  SS.  m.  2  Tab.     M.  4.—. 

Öiäic,  Ferd.  v.,  Geschichte  der  Kroaten.  1.  Teil  (bis  1102).  Agram,  L.  Hart- 
manns Buehhdlg.  (St.  Kugli),    1917.     gr.  8.     XIV— 407  SS.  mit  3  Karten.     M.  15.—. 


Kirkland,  John,  Three  centuries  of  prices  of  wheat,  flour,  and  bread.  War 
prices  and  their  causes.     London,  John  Kirkland.     4.     3/. — . 

Smart,  William,  Economic  annals  of  the  nineteenth  Century,  1821 — 1830. 
London,  Macmillan.     8.     606  pp.     21/. — . 

3.    Bevölkerung-slehre  und  Be Völker ungfspolitik.     Auswanderung^ 
und  Kolonisation. 

Brüning,  Prof.  Dr.  H.,  (Geh.  Hofr.)  Prof.  Dr.  R.  Ehrenberg,  (Oberkirchenr.) 
DDr.  Heinr.  Behm,  Geburtenrückgang  und  Volkskraft.  3  öffentliche  Vorträge,  geh. 
in  der  Aula  des  Realgymnasiums  zu  Rostock.  Leipzig,  Johann  Ambrosius  Barth,  1917. 
gr.  8.     57  SS.     M.  1,20. 

Friedrich,  Prof.  Dr.  Fritz,  Der  einzige  Weg.  Betrachtungen  über  die  wirt- 
schaftliehen Ursachen  und  die  Beseitigung  der  Ehescheu  und  des  Geburtenrückganges 
in  Deutschland.  (Bibliothek  für  Volks-  und  Weltwirtschaft.  Hrsg.:  Piof.  Dr.  Franz 
V.  Mammen,  Heft  44.)  Dresden,  „Globus",  wissenschaftl.  Verlagsanstalt,  1917.  gr.  8. 
46  SS.     M.  1,50. 

Heerfuith,  Dr.  Kurt,  Fürst  Bismarck  und  die  Kolonialpolitik.  Berlin,  Wilh. 
Borngräber,  1917.     gr.  8.     XII— 439  SS.     M.  8.—. 

Hoffmann,  Dr.  Karl,  Das  Ende  des  kolonial  politischen  Zeitalters.  Grundzüge 
eines  wirtschaftsorganischen  Genossenschafts- Imperialismus.  2.  Aufl.  (Bibliothek  des 
west-östlichen  Kulturbundes,  2.  Buch.)  Leipzig,  Fr.  Wilh.  Grunow,  1917.  8.  149  SS. 
M.  3.—. 

Kaindl,  Prof.  Dr.  Raim.  Frdr.,  Die  Ansiedlung  der  Deutschen  in  den  Kar- 
pathenläiidern.  (Oesterreiehs  Ruhmeshalle.  Ein  patriotisches  Jugend-  und  Volk>bildungs- 
werk,  hrsg.  von  Anton  Herget.  Des  Gesamtwerkes  4.  Reihe:  Aus  Oesterreiehs  Ver- 
gangenheit. Quellenbücher  zur  österreichischen  Geschichte,  hrsg.  von  Prof.  Dr.  Karl 
Schneider,  Nr.  4.)  Leipzig,  Schul wissenschafd.  Verlag  A.  Haase,  1917.  kl.  8.  115  SS. 
M.  1.20. 


Uebersicht  über  die  nenesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     Q\l^ 

Lönne,  Dr.  Frdr.,  Deutschlands  Volks  Vermehrung  und  Bevölkerungspolitik  vom 
nationalökonomisch- medizinischen  Standpunkt.  Wiesbaden,  J.  F.  Bergmann,  1917^ 
Lex.-8.     V— 67  SS.     M.  2,80. 

Calvert,  Albert  F.,  German  East  Africa.     London,  Laurie.     8.     6/. — . 

4t.  Bergbaa.    Land-  und  Forstwirtschaft.     Fischereiwesen. 

Stocker,  Gustav,  Der  gewerbsmäßige  Güterhandel  in  zwei 
typischen  Amtsbezirken  Badens.  (Volkswirtschaftliche  Abhandlungen 
der  badischen  Hochschulen,  Heft  36.)  Karlsruhe  i.  B.  (G.  Braunsche 
Hofbuchdruckerei  und  Verlag)  1917.  S«.  IV  u.  121  SS.     (Preis:  M.  3.) 

Im  Großherzogtum  Baden  ist  im  Jahre  1895  eine  Verordnung  er- 
lassen worden,  welche  die  gewerbsmäßigen  Güterhändler  und  -vermittler 
unter  bezirksamtliche  Kontrolle  stellt.  Diese  Verordnung  hatte  nicht 
den  gewünschten  Erfolg;  ein  von  der  Regierung  1902  vorgelegter  Ge- 
setzentwurf gegen  den  Güterhandel  wurde  aber  von  der  2.  Kammer 
abgelehnt,  weil  das  vorhandene  Material  nicht  genüge,  um  ein  klares^ 
Urteil  zu  gewinnen.  Die  Regierung  forderte  daraufhin  regelmäßige  Be- 
richte der  Bezirksämter  ein,  die  ergaben,  daß  der  Güterhandel  haupt- 
sächlich im  Südosten  und  im  Nordosten  verbreitet  sei.  Stocker  unter- 
sucht nunmehr  zwei  Amtsbezirke,  Pfullendoif  und  Ueberlingen,  aus  dem 
ersteren  Gebiet.  Die  sorgfältige  und  auch  in  Einzelheiten  lehrreiche 
Monographie  ergibt,  daß  in  den  zehn  Jahren  von  1903  bis  1913  im 
Beziik  PfuJlendorf  nicht  weniger  als  13,3,  im  Bezirk  Ueberlingen. 
12,1  Proz.  der  überhaupt  landwirtschaftlich  genutzten  Fläche  durch  die 
Bände  der  Güterhändler  gegangen  sind,  deren  Bruttogewinn  22,3  und 
22,9  Proz.  des  Ankaufspreises  betrug.  Dieser  Handel  beschränkt  sich 
nicht,  der  üblichen  Annahme  gemäß,  auf  den  Ankauf  und  die  Zerkleine- 
rung größerer  bäuerlicher  Betriebe,  sondern  er  ist  geradezu  zu  einem 
Schacher  in  jeder  Betriebsgröße  und  ebenso  auch  mit  einzelnen  Par- 
zellen geworden.  Als  Hauptursachen  des  Besitzwechsels  bezeichnet 
Stocker  die  Verschuldung  und  den  Mangel  eines  zur  Gutsübernahme 
geeigneten  Familienmitgliedes.  Den  Kampf  gegen  die  Güterschlächterei 
will  er  einmal  auf  dem  Wege  des  Vorkaufsrechtes  öffentlich-rechtlicher 
oder  gemeinnütziger  Körperschaften  und  durch  entsprechenden  Ausbau 
der  Kreditorganisation  führen;    auch  empfiehlt    er   das  ßücktrittsrecht. 

Bonn  a.  Rh.  W.  Wygodzinski. 

Grund  mann  (Landestierzucht-Dir.,  Reg.-R),  Dr.,  Die  Bedeutung  und  Hebung 
der  Ziegenzucht.  Vortrag,  geh.  in  der  Oekonomischen  Gesellschaft  im  Kgr.  Sachsen  zu 
Dresden  am  16.  III.  1917.  (Schriften  der  Oekonomischen  Gesell^chaft  im  Kgr.  Sachsen.) 
Leipzig,  Reichenbachsche  Verlagsbuchhdlg.,  1917      8.     3ü  SS.     M.  1.—. 

Künkele  (Forstmstr),  Aufgaben  der  deutschen  Forstwirtschaft  nach  dem  Kriege. 
Straßburg,  Heinrichsche  Buchhdig.,   191 7.     8.     31   SS.     M.  0,7.^. 

Martiuy,  Prof.  Dr.  B.,  Die  Motorpflüge  als  Betriebsmittel  neuzeitlicher  Land- 
wirtschaft. Vom  landwirtschaftlichen  und  technischen  Siamlpunkt  behandelt.  Unter 
Mitwirkung  von  (Dipl.-Ing)  Erwin  Anders  ...  2.  Teil  (Schluß):  A.  Spezielle  technische 
und  landwirtschaftliche  Fragen  des  ÄJotorpflugwesens.  B.  Das  Motorpflugwesen  im  Aus- 
lande. Berlin,  M.  Krayn,  1917.  Lex.-8.  VII- 314  SS.  mit  116  Abbild,  und  3  Taf. 
(11  SS.  Tab.)     M.   18.—. 

Maurizio,  Prof.  Dr.  A.,  Die  Nahrungsmittel  aus  Getreide.  Ihre  botanischen, 
chemischen  und  physikalisihen  Eigenschaften,  hygienisches  Verhalten,  Prüfen  und  Be- 
urteilen.    Handbuch    für   Studierende,    Landwirte   und    den   gesamten    Getreidenahrung 

3y* 


612     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

erzeugenden  Qewerbestand.  Bd.  1 :  Mahlgut  und  Mahlerzeugnisse,  Gehalt  und  Auf- 
bewahren. Die  Teiggärung.  Das  Backen  und  die  Eigensciiaften  des  Brotes.  Berlin, 
Paul  Parey,  1917.     gr.  8.     XII— 464  SS.  m.  180  Textabb.  und  2  Taf.     M.  24.—. 

Müller-Lenhartz  (Hofr.),  Dr.,  Die  Erzeugung  von  pflanzlichen  Nährstoffen 
im  Deutschen  Reiche  im  Verhältnis  zum  Nährstoffbedarfe  der  Bevölkerung  und  de« 
landwirtschaftlichen  Nutzviehes.  Leipzig.  Reichenbachsche  Verlagsbuchhandlung,  Hans 
Wehner,    1917.     8.     32  SS.     M.  1,20. 

Neger,  Prof.  Dr.,  Inwieweit  vermag  der  deutsche  Wald  dazu  beizutragen,  die 
Volksernährung  zu  sichern.  Vortrag,  geh.  in  der  Oekonomischen  Gesellschaft  im  Kgr. 
Sachsen  zu  Dresden  am  2.  II.  1917.  (Schriften  der  Oekonomis<hen  Gesellschaft  im  Kgr. 
Sachsen.)  Leipzig,  Reichenbachsche  Verlagsbuch hdlg.,  Hans  Wehner,  1917.  8.  27  SS. 
M.  0,80. 

Pudor,  Dr.  Heinr.,  Die  Landwirtschaft  und  der  geschlossene  Volks wirtschafts- 
staat.  Vortrag,  geh.  in  der  Oekonomischen  Gesellschaft  im  Kgr.  Sachsen  zu  Dresden  am 
29.  XII.  1916.  (Schriften  der  Oekonomischen  Gesellschaft  im  Kgr.  Sachsen.)  Leipzig, 
Reichenbachsche  Verlagsbuchhdlg.,   Hans  Wehner,  1917.     8.     25  SS.     M.  0,80. 

Roth,  Prof.  Dr.  Walther,  Bodenschätze  als  biologische  und  politische  Faktoren. 
Berlin,  Julius  Springer,  1917.     8.     39  SS.     M.  1.—. 

Schlipfs  populäres  Handbuch  der  Landwirtschaft.  Gekrönte  Preissehrift.  19.  neu- 
bearb.  Aufl.  Mit  668  in  den  Text  gedr.  Abbildungen  und  18  Tafeln  in  Farbendruck. 
Berlin,  Paul  Parey,  1917.    8.     VIII— 607  SS.     M.  9.—. 

Wygodzinski,  Prof.  Dr.,  Die  Landarbeiterfrage  in  Deutschland.  Tübingen, 
J.  C.  B.  Mohr,  1917.     gr.  8.     IV— 85  SS.     M.  2,40. 


Delvaux,  Louis,  Abrege  de  la  thöorie  agricole.  Manage,  Charles  Allard,  1916. 
15,5X11»5.     48  pag.     fr.  0,40. 

Horwood,  r.  Baring,  The  gold  deposits  of  the  rand.  London,  Griffin  &  Co. 
8.     436  pp.     15/.—. 

Russell,  Edward  J.,  Soil  conditions  and  plant  growth.  3rd  ed.  London, 
Longmans.     Royal-8.     243  pp.     6/.6. 

S torer,  F.  H.,  Agriculture  in  some  of  its  relations  to  ohemistry.  In  3  vols. 
7th  ed.,  revised  (not  sold  separately).     London,  Sampson  Low.     8.     30/. — . 

Tomkinson,  Charles  W.,  State  help  for  agriculture.  London,  T.  W.  Unwin. 
Cr.  8.     189  pp.     3/.6. 

Vogt,  Paul  Leroy,  Introduction  to  rural  sociology.  New  York,  Appleton.  8. 
I  2,50. 

Giampietro,  Pasquale,  Codice  minerario  italiano.  Raccolta  completa  di  tutte 
le  fonti  del  diritto  minerario  italiano  dal  1878  ad  oggi.  Con  un'appendice  di  altre 
leggi  e  regolamenti  per  1'  industria  mineraria  ed  un'  ampia  introduzione  critica.  Roma, 
Athenaeum.     8.     1.  6. — . 

5.  Gewerbe  nnd  Industrie. 

Brück,  W.  F. ,  Denkschrift  über  die  Lage  der  österreichisch- 
ungarischen  Baumwollindustrie.  Herausgegeben  vom  Arbeitsausschuß 
der  deutschen  Baumwollspinnerverbände.     Augsburg  1916.     194  SS. 

Die  vorliegende  Arbeit  zeugt  von  den  ausgebreiteten  Kenntnissen 
des  Verfassers  auf  dem  Gebiet  der  pflanzlichen  Faserstoffe  :  mit  allen  Vor- 
gängen der  Rohstoffgewinnung  und  Rohstoffversorgung,  der  Fabrikat- 
gewinnung,  des  gesamten  Produktionsprozesses,  der  allgemeinen  und 
speziellen  wirtschaftlichen  Verhältnisse  dieser  Zweige  der  Textilindustrie 
ist  er  wohl  vertraut.  Die  eingehende  Beschäftigung  mit  dem  Werde- 
gang der  Faserstoffe,  die  in  zahlreichen  Schriften,  wie  seinen  Arbeiten 
über  den  Faserbau  in  Holländisch-Indien,  über  die  Sisalkultur  in 
Deutsch-Ostafrika,  über  den  Hanfbau  in  Deutschland,  ihren  Niederschlag 
gefunden  hat,    macht   den  Verf.    zu  einem    der  kenntnisreichsten  Beur- 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     613 

teiler  der  Textilindustrie.  So  bietet  die  Denkschrift  über  die  Lage  der 
österreichisch-ungarischen  Baum  Wollindustrie  vielfache  und  nützliche 
Ai;regungen.  Sie  ist  knapp  und  sachlich  geschrieben;  alle  Momente 
von  Bedeutung  sind  beachtet  worden,  und  ein  ausgedehntes  Zahlen- 
material, das  zum  Teil  aus  unveröffentlichten  Quellen  stammt,  unterstützt 
die  Argumentation.  Die  Einzelheiten  der  Darstellung,  die  Güte  des 
Materials  nachzuprüfen,  bin  ich  natürlich  nicht  in  der  Lage.  Ich  habe 
zu  der  Denkschrift  gegriffen,  da  mich  das  ganze  Problem  „Mitteleuropa" 
in  allen  seinen  Ausstrahlungen  wegen  meiner  jetzigen  Stellung  be- 
sonders stark  interessiert,  und  ich  muß  gestehen,  daß  ich  sehr  viel  aus 
der  Denkschrift  gelernt  habe,  nicht  nur  in  bezug  auf  die  Baumwoll- 
industrie, sondern  inhaltlich  und  methodisch  weit  darüber  hinaus. 

Wie  das  Vorwort  (S.  5)  sagt,  ist  die  Denkschrift  im  Auftrage  des 
Arbeitsausschusses  der  deutschen  Baumwollspinnerverbände  verfaßt 
worden,  und  der  äußere  Zweck  sei  dieser,  „für  die  bevorstehende  Ver- 
ständigung der  deutschen  mit  der  österreichisch-ungarischen  Schwester- 
industrie für  Handelsvertrags-  und  Zollverhandlungen  als  Material  zu 
dienen".  Seine  methodische  Aufgabe  kennzeichnet  der  Verf.  an  anderer 
Stelle  (S.  166)  genauer  dahin,  daß  er  nur  das  „Material  für  die  Ver- 
ständigung einer  einzelnen  Industrie  zusammenzutragen  und  kritisch  zu 
beleuchten"  habe.  Von  diesem  Material  heißt  es  dann  (S.  5),  daß  „es 
zu  einem  großen  Teil,  und  gerade  in  sehr  wichtigen  Punkten,  durchaus 
unkontrollierbar"  sei.  „Im  Schöße  der  Industrie  selbst  geboren,  trage 
es  einer  gewissen  Eigenschaft  gerade  des  österreichischen  Baumwoll- 
iiidustrielJen  Rechnung :  er  lasse  sich  nicht  gern  in  seine  Karten  hinein- 
sehen, und  was  er  über  seine  Industrie  von  sich  gebe,  sei  tendenziös 
auf  die  Wirkung  des  Beschauers  gemünzt."  Trotz  derartigen  Schwierig- 
keiten in  der  Materialbeschaffung  erhält  man  dennoch  ein  sehr  gutes 
und  anschauliches  Bild  von  der  Lage,  Entwicklung  und  Bedeutung  der 
österreichisch-ungarischen  Baumwollindustrie. 

Die  Denkschrift  gibt  in  ihrem  ersten  Teil  einen  Bericht  über  den 
Umfang,  die  geographische  Lagerung  der  Industrie  und  ihre  spezifischen 
Erzeugnisse.  Aus  Vergleichen  mit  den  Baumwollindustrien  der  haupt- 
sächlichen europäischen  Länder  wird  ihre  relative  Wichtigkeit  für 
den  Weltmarkt  abgeleitet.  Die  Baumwollzufuhr,  die  Spinnerei  sowie 
die  Weberei,  die  Veredelungsindustrie  werden  dabei  behandelt.  Der 
zweite  Teil  gewährt  eine  aus  der  Fachliteratur  geschöpfte  Üebersicht 
über  die  geschichtliche  Entwicklung  der  Baumwollindustrie  von  ihrer 
Gründungszeit  an,  wobei  insbesondere  die  Beziehungen  zwischen  Handel 
und  Produktion  und  ihre  Wirkungen  auf  die  industrielle  Gestaltung 
berücksichtigt  werden.  Der  dritte  Teil  untersucht  die  Produktions- 
verhältnisse der  Industrie.  Alle  Posten,  wie  der  Rohbaumwollbezug, 
die  Frachtkosten,  die  Kräftegewinnung,  die  Lohnkosten,  die  Arbeiter- 
verhältnisse, die  Anlagekosten,  die  Steuerverhältnisse,  die  sozialen  Lasten, 
werden  hier  analysiert  und  in  die  Rechnung  eingestellt.  In  dem  vierten 
Abschnitt,  der  zugleich  die  neueste  Entwicklungsgeschichte  enthält, 
wird  der  eingehende  Vergleich  mit  der  deutschen  Industrie  durchgeführt. 
Der    Verf.    kommt    zu    dem  Resultat    (S.    99/100),    daß    die    Dinge   un- 


614*   üebenicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  A-uslandes. 

günstiger  für  die  österreichische  Industrie  liegen  wegen  der  geringen 
Absatzmöglichkeit  für  eine  wenig  kaufkräftige  Bevölkerung,  wegen 
der  Rückständigkeit  der  Verkehrsentwicklung,  der  höheren  Anlage- 
kosten, des  Fehlens  eines  kapitalkräftigen  Engroszwischenhandels  und 
wegen  der  eigenartigen  Besteuerungsverhältnisse,  daß  sie  dagegen  gün- 
stiger liegen  wegen  der  Arbeiterverhältnisse.  Mit  dieser  Darlegung 
verbindet  sich  eine  Betrachtung  über  die  organisatorischen  Unterschiede 
der  österreichischen  und  deutschen  Industrie  und  eine  eingehende 
Würdigung  der  österreichischen  organisatorischen  Maßnahmen.  Die 
Tatsachenreihe,  welche  schließlich  zu  dem  bedeutungsvollen  Kontin- 
gentierungsübereinkommen österreichisch-ungarischer  ßaumwollspinner 
führte,  wird  an  dieser  Stelle  mitgeteilt.  Das  genannte  Ueberein kommen, 
das  aus  der  Not  der  Ueberproduktion  entstand,  sah  die  Errichtung 
einer  Exportvermittlungsstelle  vor,  um  den  großen  Ausfuhrüber^jchuß 
unterzubringen.  Damit  gelangt  der  Verf.  im  fünften  Abschnitt  zu  einer 
Besprechung  der  Ausfuhrverhältnisse,  insbesondere  nach  dem  Balkan. 
Aber  in  dem  letzten  Jahre  1913  vor  dem  Kriege  war  nicht  so  sehr 
der  Balkan,  sondern  Deutschland  der  Markt,  welcher  mit  den  öster- 
reichischen Garnen  überschwemmt  wurde.  Und  so  meint  der  Verf. 
(S.  186),  daß,  „wenn  nicht  Maßnahmen  einsetzen,  die  in  weitestgehender 
Weise  organisatorisch  die  Geschicke  beider  Industrien  regeln,  in  Deutsch- 
land jederzeit  wieder  Befürchtungen  vor  der  österreichischen  Konkur- 
renz ihre  Berechtigung  finden  können".  Deshalb  glaubt  er  auch  nicht, 
wie  er  in  dem  Schlußabschnitt  über  die  Ausblicke  für  die  Zukunft  der 
österreichischen  und  der  deutschen  Baumwollindustrie  und  die  Frage 
der  Verständigung  dartut,  daß  bei  einer  wirtschaftlichen  Annäherung 
der  Hauptwert  auf  die  Regelung  der  Zollverhältnisse  gelegt  werden 
müsse  (S.  167).  Vor  dieser  Arbeit  müsse  unbedingt  eine  Regelung 
der  sachlichen  Verhältnisse  in  den  beiden  Industrien  vorgenommen 
werden.  Das  geschehe  dadurch,  daß  beide  Industrien  „durch  neuartige 
großzügige  Organisationsänderungen  auf  ganz  andere  Grundlagen  ge- 
stellt werden"  (S.  167).  Für  die  österreichische  Baumwollindustrie 
werde  diese  neue  Organisationsform  geschaffen  in  der  autonomen  Organi- 
sation, welche  unmittelbar  der  staatlichen  Wirtschaftspolitik  dienstbar 
zu  machen  versucht  werde  (S.  191).  Für  die  deutsche  Baumwoll- 
industrie sieht  der  Verf.  die  neue  Organisationsform  aus  der  Gründung 
des  Kriegsausschusses  dieser  Industrie  hervorgehen  (S.  168  ff.),  an  der 
er  tätigen  Anteil  genommen  hat.  Damit  sei  die  Möglichkeit  gewährt, 
von  Organisation  zu  Organisation  alle  sachlichen  Probleme  zu  regeln, 
die  nach  dem  Kriege  zahlreich  sich  erheben  werden  und  unter  denen 
der  engere  Zusammenschluß  der  beiden  Industrien  die  hervorragendste 
Stellung  einnehme. 

Der  gewissenhafte  Rezensent  muß  vermerken,  daß  die  Form  der 
Denkschrift  hier  und  da  sich  etwas  sehr  bemerkbar  macht.  Die  Dar- 
stellung und  Ausdrucksweise  ist  nicht  immer  nach  allen  Richtungen  so 
durchgefeilt,  wie  es  von  einem  unmittelbar  für  die  Oeffentlichkeit  be- 
stimmten Werk  verlangt  werden  müßte.  Vielleicht  hat  die  sicherlich 
gebotene  Eile  der  Fertigstellung  störend  gewirkt.     So  ist  es  wohl  auch 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     5 15 

'erklärlich,  daß  einige  Tabellen  (z.  B.  S.  155/6,  S.  178)  aus  Mangel  an 
den  nötigen  Angaben  nicht  ohne  weiteres  verständlich  sind. 

Arnautköj.  Friedrich  Hoffmann. 

Ballewski,  Albert,  Der  Fabrikbetrieb.  Praktische  Anleitungen  zur  Anlage 
und  Verwaltung  von  Maschinenfabriken  und  ähnlichen  Betrieben,  sowie  zur  Kalkulation 
und  Lohnrechnung.  3.  verm.  u,  verb.  Aufl.,  bearb.  v.  (berat.  Ing.)  Carl  M.  Lewin. 
TJnveränd.  Neudruck.    Berlin,  Julius  Springer,  1917.    8.    VII— 286  SS.  m.  Abb.    M.  7,60. 

Blau  (Oberlehr.,  Konserv.),  Josef,  Böhmerwälder  Hausindustrie  und  Volks- 
kunst. 1.  Teil.  Wald-  und  Holzarbeit.  (Beiträge  zur  deutsch -böhmischen  Volkskunde. 
Im  Auftrage  der  Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst  und  Literatur 
in  Böhmen  geleitet  von  Prof.  Dr.  Adolf  Hauffen.  Bd.  14,  I.Hälfte.)  Prag,  J.  G. 
Calve,  k.  u.  k.  Hof-  u.  Universitätsbuchhändler  Robert  Lerche,  1917.  8.  XIV— 422  SS. 
m.  149  Lichtbildern  u.  Zeichnungen.     M.  6. — . 

Kertesz,  A.,  Die  Textilindustrie  sämtlicher  Staaten.  Entwicklung,  Erzeugung, 
Absatzverhältnisse.  Nach  den  statistischen  Unterlagen  der  einzelnen  Staaten  für  die 
BaumwoU-,  Woll-,  Seiden-,  Leinen-,  Jute-  und  Konfektions-Industrie,  als  2.  Auflage  der 
„Textilindustrie  Deutschlands  im  Welthandel".  Braunschweig,  Friedr.  Vieweg  &  Sohn, 
1917.     Lex.-8.     XXVI— 741  SS.     M.  34.—. 

Thierbaeh  (berat.  Ing.),  Dr.  Bruno,  Fernkraftpläne,  Nahkraftwerke  und 
Einzelkraftstätten,  ihr  Geltungsbereich  und  ihre  gegenseitigen  Grenzlinien,  nebst  einem 
Anhang,  enthaltend  den  Abdruck  beachtenswerter  Aeußerungen  zu  dem  Thema:  Elek- 
trische Großwirtschaft  unter  staatlicher  Mitwirkung.  Berlin,  Julius  Springer,  1917.  gr.  8. 
VII— 72  SS.     M.  2,40. 

Wilberg,  Gustav,  Die  deutschen  Bandeisen-Kaltwalzwerke  und  ihre  Bedeutung 
im  Weltkriege.     Bochum,  Gustav  Wilberg  Buchdr.,  1917.     8.     56  SS.     M.  2.—. 


Enquete  sur  la  production  franyaise  et  la  concurrence  §trang&re.  Rapporteurs 
g§n§raux:  Industrie  et  commerce:  Prof.  Henri  Hauser;  Agriculture:  Henri  Hitier. 
Tome  3.  Industries  chimiques.  Industries  diverses.  Paris,  Imprimerie  de  la  Bourse  de 
commerce,  1917.  4.  464  pag.  (Association  nationale  d'expansion  economique,  Industrie, 
<;!ommerce,  Agriculture.) 

Godeaux,  Auguste,  L'ordre  et  la  m^thode  dans  l'iudustrie  et  le  travail 
Morlanwelz,  Albin  Biche,  1916.     24,5X16.     3  ff. +  191  pag.     fr.  3.—. 

Loisel  et  Klotz,  Les  ouvriers  et  ouvriöres  des  usines  de  guerre  en  Angleterre. 
Avec  l'autorisation  de  M.  le  ministre  de  Parmement  et  des  fabrications  de  guerre.  Paris, 
ChaiX;  1917.     8.     11—116  pag. 

Reconstruction,  Industrial.  A  Symposium  of  the  Situation  after  the  war,  and 
how  to  meet  it.     Ed.  by  Huntley  Carter.     London,  Unwin.     8.     6/. — . 

Thomson,  W.  Rowan,  The  premium  bonus  System.  A  scheme  for  stimulating 
and  increasing  the  productive  capacity  of  industrial  resources.  Glasgow,  Mo  Corquo- 
dale.     8.     5/.—. 

Toogood,  George  E.,  The  principles  of  industrial  ad ministration.  Introduction 
by  W.  L.  Hichens.     London,  A.  Brown  and  Sons.     Cr.  8.     56  pp.     1/. — . 

6.  Handel  und  Verkehr. 

Gürtler,  Alfred,  Unsere  Handelsbilanz  1909 — 1913  in  syste- 
matischer Warengruppierung.  Berechnet  und  mit  einer  Einleitung  ver- 
sehen. Graz  und  Leipzig  (Leuschner  und  Lubenskys  Universitätsbuch- 
handlung) 1916.     80.     102  SS. 

Wie  die  mit  dem  Kriege  zusammenhängenden  wirtschaftlichen  Er- 
eignisse und  Probleme  die  Ergebnisse  der  Statistik  dem  Interesse 
weiterer  Kreise  näher  gebracht  haben,  so  mehren  sich  in  neuerer  Zeit 
diejenigen  Veröffentlichungen,  welche  die  Einführung  in  das  Verständ- 
nis der  statistischen  Zahlenreihen  bezwecken.  Hierher  gehört  auch  die 
obige,    den  Ergebnissen  der   österreichisch-ungarischen  Handelsstatistik 


616     Ueberaicht  fiber  die  nenesten  Publikationen  Deutschlands  nnd  des  Auslandes. 

gewidmete  Schrift.  Nachdem  der  Verf.  Begriff  und  Bedeutung 
der  Weltwirtschaft  und  Volkswirtschaft,  des  Außenhandels  und  der 
Handelsbilanz  auf  Grund  der  wichtigeren  Literatur  auseinandergesetzt 
hat,  bringt  er  in  umfangreichen  Tabellen  eine  Wertberechnung  des 
Ein-  bzw.  Ausfuhrüberschusses  im  Spezialhandel  der  fünf  letzten  Friedens- 
jahre für  die  einzelnen  Warenarten  in  systematischer  Anordnung.  Ein 
ausführliches  Sachregister  erleichtert  die  Benutzung.  Man  kann  dem 
Verf.  zugeben,  daß  es  ihm  auf  diesem  Wege  gelungen  ist,  den  „Mangel 
und  üeberfluß"  der  heimischen  Volkswirtschaft  an  den  einzelnen  Pro- 
dukten schematisch  zu  kennzeichnen.  Indessen  muß  doch  gesagt  werden, 
daß  die  Vorführung  bloß  der  Differenz  zwischen  Ein-  und  Ausfuhr  ohne 
Kenntnis  von  deren  eigener  Größe  kein  richtiges  Bild  von  den  tat- 
sächlichen Verhältnissen  geben  kann,  ganz  abgesehen  von  der  Produk- 
tionsstatistik, die  wegen  ihrer  mangelhaften  Ausbildung  nur  für  einzelne 
Warengattungen  hätte  herangezogen  werden  können.  Da  überdies  auf 
jede  Verarbeitung  der  Zahlen  ausdrücklich  verzichtet  wird,  und  die 
umständliche  theoretische  Einleitung  doch  nur  in  sehr  losem  Zusammen- 
hange mit  dem  Zahlenmaterial  steht,  so  dürfte  der  Wunsch  des  Verf., 
mit  seiner  Schrift  der  Popularisierung  der  amtlichen  Handelsstatistik 
zu  dienen,  schwerlich  in  Erfüllung  gehen.  Unseres  Erachtens  hätte 
da  doch  pädagogischer  vorgegangen  werden   müssen. 

Köln.  A.  Wirminghaus. 

Benndorf,  Dr.  Erich,  Weltwirtschaftliche  Beziehungen  der  sächsischen  In- 
dustrie. (Probleme  der  Weltwirtschaft.  Schriften  des  Kgl.  Instituts  für  Seeverkehr  und 
Weltwirtschaft  an  der  Universität  Kiel,  Kaiser  Wilhelm-Stiftung.  Hrsg.  von  Prof.  Dr.  Beruh. 
Harms.     Nr.  28.)     Jena,  Gustav  Fischer,  1917.     Lex.-S.     XXVII— 385  SS.     M.  18.—. 

Bericht,  Stenographischer,  über  die  Verhandlungen  des  ungarisch-deutschen 
Wirtschaftsverbandes,  des  deutsch-österreichisch-ungarischen  Wirtschaftsverbandes  und 
des  österreichisch-deutschen  Wirtschaftsverbandes  am  23.  u.  24.  VI.  1917  in  Budapest, 
betr.  das  gemeinsame  Vorgehen  in  Fragen  der  Uebergangswirtschaft.  Hrsg.  durch  den 
deutsch-österreichisch-ungarischen  Wirtschaftsverband,  Berlin.  Budapest,  Grills  k.  u.  k. 
Hofbuchhdlg,  1917.     Lex.-8.     124  SS.     M.  6.—. 

Curth  (wiss.  Hilfsarb.),  Dr.  Herrn.,  Der  Nahrungsmittel-  und  Rohstoffbedarf  Eng- 
lands. Bericht  der  Dominions  Royal  Commission.  Dem  Parlament  vorgelegt  im  Novem- 
ber 1915.  Erschienen  London  1915.  Bearbeitet  und  ergänzt.  (Kriegswirtschaftliche 
Untersuchungen  aus  dem  Institut  für  Seeverkehr  und  Weltwirtschaft  an  der  Universität 
Kiel,  hrsg.  von  Prof.  Dr.  Beruh.  Harms.  Heft  14.)  Jena,  Gustav  Fischer,  1917.  gr.  8. 
VIII— 142  SS.     M.  3.—. 

Gründung,  Die,  des  österreichischen  Arbeitsausschusses  für  die  Herstellung  eines 
Großschiffahrtsweges  Elbe-Oder-Donau.  Mit  einem  Anhang.  (Veröffentlichungen  des 
österreichischen  Arbeitsausschusses  für  die  Herstellung  eines  Großschiffahrtsweges  Elbe- 
Oder-Donau,  Heft  1.)     Wien,  Manz,  1917.     gr.  8.     45  SS.     M.  0,80. 

Isermeyer,  Dr.  K.,  Wiederaufbau  der  deutschen  Handelsschiffahrt.  (Meeres- 
kunde. Sammlung  volkstümlicher  Vorträge  zur  nationalen  Bedeutung  von  Meer  und 
Seewesen.  Hrsg.  vom  Institut  für  Meereskunde  an  der  Universität  Berlin.  131.  Heft, 
11.  Jahrg.,  11.  Heft.)     Berlin,  E.  S.  Mittler  u.  Sohn,  1917.     8.     40  SS.     M.  0,60. 

Piskaöek  (Gen.-Maj.  d.  R.),  Ottokar,  Die  Donau  als  Rückgrat  eines  mittel- 
europäischen Wasserstraßennetzes.  Wien,  Waldheim-Eberle,  1917.  gr.  8.  87  SS.  mit 
Karten  u.  Plänen.     M.  5. — . 

Scherer  (Schulr.),  H.  Das  mitteleuropäische  Wirtschaftsgebiet  und  seine  Bezie- 
hungen zur  Weltwirtschaft.  (Die  Lehrerfortbildung.  Beihefte,  Nr.  9.)  Leipzig,  Schul- 
wissenschaftlicher  Verlag  A.  Haase,  1917.     gr.  8.     75  SS.     M.  1,70. 

Schneller  Edler  v.  Mohrthal  (Hof r.),  Otto,  Der  Anteil  der  österreichischen 
Schiffahrtskanäle    am   mitteleuropäischen  Wasserstraßennetz.     Vortrag,   gehalten  bei  der 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     (j;|^7 

Donau-Oder-Elbe-Kanal-Tagung  in  Breslau  am  22.  III.  1917.  Mit  3  (1  färb.)  Planbei- 
lagen.  (Veröffenilicbnngen  des  österreichischen  Arbeitsausschusses  für  die  Herstellung 
eines  Großschiffahrtsweges  Elbe-Oder-Donau,  Heft  2.)  Wien,  Manz,  1917.  gr.  8.  29  SS. 
mit  4  Fig.     M.  1,70. 

Schmidt,  Dr.  Alfred,  Uebergangswirtschaft.  Die  Brücke  vom  Krieg  zum 
Frieden.     München-Gladbach,  Volksvereins-Verlag,  1917.     8.     88  SS.     M.  1,90. 

Wirtschaftsbündnis,  Das  mitteleuropäische,  und  der  internationale  Handels- 
verkehr. Hrsg.  vom  Mitteleuropäischen  Wirtschaftsverein  in  Oesterreich.  Wien,  Buch- 
druckerei u.  Verlagfcbuchhdlg.  Carl  Fromme,  1917.     Lex.-8.     IV— 60  SS.     M.  1,70. 


Malnoury,  Louis,  Trait6  de  science  commerciale  et  de  comptabilit^  commer- 
ciale.     Besanyon,  impr.  L.  Humbert,  1917.     8.     146  pag.     fr.  7. — . 

Benn,  Ernest  J.  P.,  The  trade  of  to-morrow.     London,  Jarrolds.     8.     2/.6. 

Gide,  C,  Commercial  policy  after  the  war.  Translated  by  Ethel  H.  Ashworth. 
Witb  a  preface  by  the  Rt.  Hon.  J.  M.  Robertson.    London,  Cobden  Club.    8.    26  pp.    3  d. 

Pulsford,  Edward,  Commerce  and  the  Empire :  1914  and  after.  London,  King: 
8.     7/.6. 

Ranking,  D.  F.  de  l'Hosle,  E.  E.  Spicer  and  E.  C.  Peyler,  Mercantile  law. 
2nd  ed.     London,  Foulks,  Lynch  and  Co.     8.     XLVII— 427  pp.     10/.6. 

Oboussier,  Max,  De  haven  van  Antwerpen  en  de  Economische  Conferentie  van 
Parijs.     Antwerpen,  „Flandria",  1917.     25,5X16,5.     111  blz.     fr.  3.—. 

7.  Finanzwesen. 

Föhrenbach,  Dr.  Otto,  Die  deutschen  Reichsfinanzen  vor,  während  und  nach 
dem  Weltkrieg.     Freiburg  i.  B.,  J.  Bielefelds  Verlag,  1917.     8.     39  SS.     M.  0,60. 

Goldscheid,  Rud. ,  Staat ssozialii^mus  oder  Staatskapitalismus.  Ein  finanz- 
huziologischer  Beitrag  zur  Lösung  des  Staatsschulden- Problems.  2.  u.  verb.  Aufl.  Wien, 
Anzengruber- Verlag  Brüder  Suschitzky,   1917.     Lex.-8.     XVIII— 186  SS.     M.  4.~. 

Kuszynski  (Dir.),  Dr.  R.,  Unsere  Finanzen  nach  dem  Kriege.  Berlin,  Julius 
Springer,  1917.     8.     III— 31  SS.     M.  1,40. 

Mrozek  (Oberverw.-Ger.-Rat),  Handkommentar  zum  Gesetze  betr.  die  Ergänzung 
des  Einkommensteuergesetzes  vom  30.  XII.  1916.  Köln,  Centrale  für  Gesellschaften 
mit  beschr.  Haftung  Dr.  Otto  Schmidt,  1917.     8.     56  SS.     M.  1,50. 

Roh  de  (Beigeordn.),  H.,  und  (Obersekr.)  W.  Beuek,  Die  Gemeindeabgaben  in 
Preußen.  1.  Bd.,  1.  Teil,  Allgemeine  Bestimmungen,  und  2.  Teil,  Gemeinde  Einkom- 
mensteuer, nebst  Anhang,  enthaltend  den  Text  der  in  Frage  kommenden  Gesetze  und 
Sachregister.     Berlin,  Industrieverlag  Spaeth  u.  Linde,  1917.     8.     236  SS.     M.  6.—. 

Schumacher  (Geh.  Rcg.-R.),  Prof.  Dr.  Herm.,  Deutschlands  und  Englands 
finanzielle  Kraft.  (Schützengraben-Bücher  für  das  deutsche  Volk ,  Nr.  55.)  Berlin, 
Karl  Siegismund,  1917.     16.     48  SS.     M.  0,20. 


Duclos,  Maurice,  L'impot  et  la  richesse.  Paris,  impr.  Grolleau,  1917.  8. 
32  pag.,  graphique  et  tableau. 

Finances  (Les)  au  service  du  pays.  Etudes  sur  les  questions  et  problfemes  finan- 
ciers  actuels,  par  MM.  Emmanuel  Vidal,  Georges  de  Nouvion,  Raphael  Georges  L§vy, 
Yves  Guyot,  Julien  Hayem,  Albert  Raimon,  Ren§  Pupin,  publikes  dans  la  „Revue  inter- 
nationale du  commerce,  de  l'industrie  et  de  la  banque",  sous  la  direction  de  Julien 
Hayem.  Paris,  en  vente  ä  la  librairie  de  la  SocifetI  du  „Recueil  Sirey".  1917.  8.  497  pag. 
fr.  7,50. 

8.  Qeld-,  Bank-,  Kredit-  nnd  VersioliernngsweBen. 

Marcuse,  Paul,  Die  Bankreform  in  den  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika.  (Finanzwirtschaftliche  Zeitfragen,  hrsg.  von  G.  v.  Schanz 
und  J.  Wolf,  Heft  18).  Stuttgart  (F.  Enke)  1915  8«.  73  SS.  (Preis  M.  2,80) 

Die  amerikanische  Bankreform  ist  dank  verschiedener  Darstellungen 
nicht  mehr  unbekannt,  aber  wir  verfoJgen  ja  jetzt  mit  einem  ganz  be- 
sonderen Interesse  die  wirtschaftlichen  Machtquellen  Amerikas,  und 
Marcuse,  der  schon  früher  verschiedentlich  amerikanische  Bankverhält- 


ßl3     üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  DeutscblandB  and  des  Auslandes. 

nisse  behandelt   hat,    war  sicher  berufen,    dieses   wichtige  Problem  zu- 
sammenfassend zu   behandeln. 

Die  Broschüre  enthält  darum  recht  viel  schon  bekanntes  Material, 
das  aber  hier  sachgemäß  und,  soweit  ich  feststellen  konnte,  in  durch- 
weg zuverlässiger  Weise  behandelt  wird.  Dazu  hat  der  Verf.  ver- 
schiedene neue  Gesichtspunkte  gebracht,  besonders  für  die  Charakteri- 
sierung der  Eigenart  des  amerikanischen  Geldmarktes.  Durch  die 
frühere  Konzentrierung  aller  flüssigen  Kapitalien  in  New  York,  wo  sie 
zur  Börse  geleitet  wurden,  wurde  das  flache  Land  von  Kapitalien  ent- 
blößt, die  Reserven  in  Wall  Street  festgelegt.  Das  will  die  neue  Ge- 
setzgebung verhindern  durch  das  Aufteilen  des  Landes  in  verschiedene 
Distrikte  mit  je  einer  Reservebank,  die  die  Kapitalien  dieses  Dis- 
triktes festhalten  kann.  Der  Verf.  ist  von  der  Berechtigung  dieser 
Reform  nicht  ganz  überzeugt  (S.  54):  „Nicht  das  Zusammenströmen 
war  gefährlich,  sondern  das  Fehlen  einer  Rediskontstelle."  Der  Verf. 
ist  der  Meinung,  daß  gerade  die  große  Ungleichmäßigkeit  des  amerika- 
nichen  Wirtschaftslebens  einer  Zentralnotenbauk  die  Geschäftsführung 
erleichtert  hätte,  dadurch  daß  die  Kreditansprüche  zu  verschiedener 
Zeit  aufgetreten  wären.  —  Ich  habe  in  meinem  Buch  über  Zentral- 
notenbanken (Jena  1916)  eine  andere  Auffassung  vertreten  und  bin  durch 
M.  nicht  überzeugt  worden :  Die  einheitliche  nationale  Zusammenfassung 
des  Kreditwesens,  die  die  Zentralisation  im  Notenbankwesen  darstellt, 
erfordert  neben  solchen  sich  ergänzenden  Ungleichheiten  doch  auch  eine 
diese  umfassende  nationale  Einheitlichkeit  als  wirtschaftliche  Basis  für 
die  Wirksamkeit  einer  Zentralnotenbank.  Ob  damit  die  Quasizentrali- 
sierung, die  man  in  den  Vereinigten  Staaten  gewonnen  hat,  in  diesem 
Falle  das  Richtige  war,  muß  ich,  ehe  weitere  Erfahrungen  vorliegen, 
dahingestellt  sein  lassen. 

Aber  diese  verschiedene  Auffassung  beeinträchtigt  in  keiner  Weise 
das  Urteil  über  M.s  Broschüre :  er  hat  uns  von  diesem  wichtigen  Problem 
eine  nützliche  und  sachgemäße  Darstellung  gegeben,  die  durchaus  lesens- 
wert ist. 

Was  die  Arbeit  dagegen  mit  „Finanzwirtschaft"  zu  tun  haben  soll 
ist  sehr  unklar,  wie  überhaupt  bei  manchen  Schriften  in  dieser  Sammlung 
von  ,, Finanzwirtschaftlichen  Zeitfragen."  Bankprobleme  zu  den  Finanz- 
fragen zu  rechnen,  ist  ein  Sprachgebrauch,  der  wenigstens  bisher  nicht 
gerade  als  Zeichen  von  Sachverständnis  gegolten  hat.  Aber  dafür  wird 
wohl  jedenfalls  der  Verf.  am  wenigsten  verantwortlich  zu  machen  sein, 
seine  Broschüre  ist  lesenswert,  trotzdem  man  nicht  weiß,  was  sie  in 
dieser  Sammlung  zu  tun  hat. 

Gothenburg.  Sven  Heiander. 

Buchwald,  Bruno,  Die  Technik  des  Bankbetriebes.  Ein  Hand-  und  Lehrbuch 
des  praktischen  Bank-  und  Börsenwesens.  7.  verm.  u.  verb.  Aufl.  6.  unveränderter 
Neudruck.     Berlin,  Julius  Springer,  1917.     8.     XI— 463  SS.     M.  7.—. 

Fürstenberg,  Carl,  Zur  Feststellung  des  wirtschaftlichen  Vorteils  in  der 
Feuer- Versicherung.  (Abhandlungen  aus  dem  Gebiet  der  Feuerversicherungswissenschaft. 
Hrsg. :  Dr.  Wilh.  Schaefer.  Bd.  30.)  Hannover,  Rechts-,  Staats-  und  sozial wissenschaftl. 
Verlag,  1917.     8.     32  SS.     M.  2,40. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     ßXQ 

Iränyi,  Bernh. ,  Die  deutschen  Lebens-  und  Unfall- Versich erungs- Gesellschaften. 
Uebersichtliche  Darstellung  der  Geschäftsergebnisse  in  den  Jahren  1912 — 1916.  26.  Jahrg. 
•Wien,  J.  Eisenstein  u.  Co.,  1917.     23X11  cm.     M.  1,75. 

Jacobi,  Prof.  Dr.  Ernst,  Die  Wertpapiere  im  bürgerlichen  Recht.  2.  gänzl. 
umgearb.  Aufl.  Leipzig,  O.  R.  Reisland,  1917.  gr.  8.  V— 452  SS.  M.  13.—  (S.-A. 
a.  d.  W. :  Handbuch  des  gesamten  Handelsrechts  von  V.  Ehrenberg,  4.  Bd.) 

Klinkmüller  (Ger.-Assess.),  Arthur,  Die  Barkaution  nach  geltendem  Recht. 
Berlin,  R.  Trenkel,  1917.     8.     54  SS.     M.  1,50. 

Notzke  (Biblioth.),  Job.,  Deutschlands  Finanz-  und  Handelsgesetze  im  Kriege. 
Gesetze,  Verordnungen,  Bekanntmachungen  aus  dem  Bank-,  Börsen-,  Devisenverkehr, 
Währungs-,  Finanz-  und  Steuerweseu,  Handels-,  Wechsel-  und  Scheckreeht  in  Deutsch- 
land während  des  Krieges.  Zum  Handgebrauch  für  Praxis  und  Wissenschaft  hrsg.  und 
mit  Anmerkungen  versehen.  Berlin,  Carl  Flemming  Verlag,  1917.  8.  XXIV — 359  SS. 
M.  6.-. 

Oesterwitz,  Herrn.,  Die  Lebensversicherung  als  Grundlage  für  die  Wieder- 
erstarkung  der  Einzel-,  Familien-  und  Staatswirtschaft.  Eine  volkswirtschaftliche  Studie. 
Berlin-Lankwitz,  Wallmanns  Verlag  u.  Buchdruckerei,  1917.     gr.  8.     43  SS.     M.  0,50. 

Versicherungsunternehmungen,  Die  privaten,  in  den  im  Reichsrate  ver- 
tretenen Königreichen  und  Ländern  im  Jahre  1913.  Amtliche  Publikation  des  k.  k. 
Ministeriums  des  Innern  in  Gemäßheit  des  §  42  der  Verordnung  der  Ministerien  des 
Innern,  der  Justiz,  des  Handels  und  der  Finanzen  vom  5.  III.  1896.  Wien,  k.  k.  Hof- 
und  Staatsdruckerei,  1917.     Lex.-8.     121  SS.     M.  4.—. 

Büffet,  Jean,  Du  r§gionalisme  au  nationalisme  financier.  La  Lorraine  6cono- 
mique.  Une  politique  bancaire.  Du  röle  des  banques  dans  l'oeuvre  economique  de 
l'aprfes-guerre.  Le  credit  industriel  ä  long  terme  et  le  cr§dit  commercial  ä  l'exportation. 
De  l'action  de  la  Lorraine  sur  les  m^thodes  economiques  de  demain.  Pages  ^conomi- 
ques  de  guerre.     Paris,  Berger-Levrault,  1917.     16.     X— 255  pag.     fr.  3,50. 

Felix,  Dr.  Maurice,  Situation  des  assurfes  mobilis^s  au  regard  de  la  loi  des 
retraites  ouvriSres  et  paysannes.  Paris,  Berger-Levrault,  1917.  8.  VII — 83  pag. 
fr.  5.—. 

Hayem,  Julien,  La  banque  de  France  de  1897  ä  1916.  Paris,  en  vente  ä 
la  librairie  de  la  Sociale  du  „Recueil  Sirey",  1917.     8.     52  pag.     fr.  2. — . 

Roux,  F.  T.,  Au  bord  du  foss§.  fitude  sur  la  Situation  financifere  de  la  Com- 
pagnie  d'assurances  g^n^rales  sur  la  vie.  Rennes,  impr.  L.  Edoneur.  8.  27  pag. 
fr.  2.—. 

Withers,   Hartley,   Our  money  and    the  State.     London,   Murray.     8.     3/. — . 

9.  Soziale  Frag-e. 

Ferenczi,  Emerich,  Die  erste  Arbeitslosenzählung  in  Budapest 
und  in  24  Nachbargemeinden  am  22.  März  1914.  Im  Auftrage  des 
Magistrats  der  Haupt-  und  Residenzstadt  Budapest  bearbeitet.  Jena 
(G.  Fischer)  1915.     gr.  80.    158  SS. 

Für  die  Lösung  des  Problems  der  Arbeitslosigkeit  gibt  es  keine 
wichtigere  Vorarbeit  als  die  Schaffung  zuverlässiger  realer  Unterlagen. 
Dahin  gehört  vor  allem  die  exakte  Erfassung  dieses  schweren  sozialen 
Uebels  nach  seinem  Umfang,  seinem  Charakter,  nach  den  überaus 
mannigfachen  Arten  und  Formen  seines  Vorkommens  als  soziale  Massen - 
erscheinung  und  womöglich  auch  nach  seiner  Verursachung.  Trotzdem 
ist  die  Statistik  der  Arbeitslosigkeit  noch  wenig  entwickelt  und  daher 
jeder  ernste  und  gründliche  Versuch  sowohl  ihres  methodischen  Ausbaues 
als  ihrer  praktischen  Anwendung  auf  bestimmten  Gebieten  als  erfreulich 
zu  werten.  Die  große  wirtschaftliche  Notlage,  die  in  Ungarn  mehrere 
Jahre  vor  dem  Ausbruch  des  Weltkrieges  bestand  und  eine  Folge  der 
politischen  Verwicklungen  und  Spannungen  war,  welche  erst  der  Aus- 
bruch des  Krieges  zur  Lösung  brachte,  rief  dort  und  namentlich  in  und 


620     üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

um  Budapest  eine  ungewöhnlich  starke  und  andauernde  Arbeitslosig- 
keit hervor,  die  zur  praktischen  Beschäftigung  mit  dem  Problem  ihrer 
wirksamen,  organischen  Bekämpfung  nötigte.  Im  Einvernehmen  mit 
der  Regierung  veranstaltete  daher  die  Hauptstadt  Budapest  eine  am 
Sonntag  den  22.  März  1914  durchgeführte  Arbeislosenzählung,  die  sich 
auf  die  Stadt  selbst  und  24  Nachbargemeinden,  die  deren  Arbeitsmarkt 
ständig  belasten,  erstreckte.  Voraufgegangen  waren  (1913)  zwei  haupt- 
städtische Unterstützungsaktionen,  die  durch  Ausfüllung  von  Fragebogen 
seitens  Arbeitsloser  wertvolle  Daten  geliefert  hatten.  Sonst  waren  nur 
bei  früheren  Volkszählungen  Nebenfragen  in  bezug  auf  Arbeitslosigkeit 
gestellt  worden. 

Die  Art  der  Erhebung  und  ihrer  Vorbereitungen,  die  Methode  der 
Verarbeitung  und  die  Ergebnisse  dieser  vom  hauptstädtischen  statisti- 
schen Büro  unter  Zuziehung  der  Arbeiter-  und  Fachvereine  vorge- 
nommenen Zählung  werden  nun  hier  veranschaulicht  und  die  sich  dar- 
aus für  die  materielle  wie  für  die  formale  Seite  des  Problems  ergebenden 
Folgerungen  summarisch  gezogen.  Dem  beschreibenden  Texte  sind  70 
statistische  Tabellen  und  mehrere  Drucksachenmuster  beigegeben.  Die 
Darstellung  gibt  in  ihrer  Gesamtheit  ein  sehr  klares,  übersichtliches 
Bild  vom  Bestand  und  der  Zusammensetzung  der  erfaßten  Masse  zur 
Zeit  der  Aufnahme  und  von  ihren  für  die  angestrebte  Lösung  der  ge- 
stellten Aufgabe  wichtigen  Eigenschaften  und  Verhältnissen.  Die  Plan- 
entwerfung,  die  Durchführung  und  die  Bearbeitung  der  Ergebnisse  lagen 
einem  provisorischen  Zählungsbüro  unter  der  Leitung  des  Verf.  ob. 
Als  ausführende  Zähler  und  Obmänner  dienten  in  erster  Linie  Gewerk- 
schaftsangehörige, sonst  Freiwillige  aus  Angestellten-  und  Beamtenkreisen. 
Erforderlich  waren  bei  einer  in  Betracht  kommenden  Gesamtbevölkerung 
von  (aml.  Januar  1911) rund  1,2  Millionen,  wovon  880377  hauptstädtische, 
7000  Zähler.  Auf  jeden  Zähler  entfielen  30  Wohnungen,  auf  je  20 
Zählbezirke  ein  Obmann.  Die  Zählung  erfolgte  von  Wohnung  zu 
Wohnung  und  mittels  Ausfüllung  von  Zählblättern  durch  die  Zähler 
selbst.  Mit  der  Leitung  der  Zählung  w^ar  eine  Fachkommission  be- 
traut, in  der  die  Ministerien  des  Inneren  und  des  Handels  vertreten 
waren. 

Von  besonderem  Interesse  sind  natürlich  die  Methoden  und  die 
Ergebnisse  der  Zählung.  Die  erstere  zeichnet  sich  namentlich  durch 
eine  sehr  umsichtige  und  sorgfältige  Organisation  der  Vorbereitung 
aus,  auf  deren  Grundlage  die  Zählung  selbst  verhältnismäßig  recht  gut 
und  glatt  vonstatten  ging.  Die  Prüfung  des  erhobenen  Materials  ge- 
schah mittels  einer  die  denkbar  größte  Sicherheit  für  Ausmerzung 
aller  Doppelzählungen  und  Unrichtigkeiten  und  für  Vervollständigung 
der  Lücken  bietenden  Systematik.  Von  den  Ergebnissen  sei  hier  nur 
so  viel  angeführt,  daß  bei  30144  eingegangenen  Zählblättern  28922 
Arbeitslose  (22 186  für  Budapest,  6736  für  die  Nachbarorte)  sich  er- 
gaben. In  den  Tabellen  sind  davon  berücksichtigt  27188  Arbeitslose, 
und  zwar  23862  Männer  und  3326  Frauen.  Auf  die  Einwohnerschaft 
sind  das  in  Budapest  2,3  v.  H.  (bei  Umrechnung  des  Bevölkerungs- 
standes   auf   denjenigen    am  1.  Januar    1914,    der   930666    betrug,    2,2 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     621 

V.  H.),  und  zwar  4,2  (3,9)  v.  H.  der  männlichen  und  0,6  (0.5)  v.  H.  der 
weiblichen  Bevölkerung.  Diese  Ziffer  ist  ganz  ungewöhnlich  hoch, 
zumal  sie  sich  auf  den  ersten  Frühlingstag  bezieht.  Die  drei  deutschen 
Großstädte,  die  eine  ähnliche  Zählung,  aber  in  verschiedenen  letzten 
Wintern  vornahmen,  hatten  dagegen:  Cöln  0,3,  Nürnberg  0,16,  Mün- 
chen 1,1  V.  H.  Auf  100  eigentliche  gewerbliche  Hilfsarbeiter  entfielen 
in  Budapest  9,4  (10,7  Männer  und  4,4  Frauen),  in  den  Nachbargemeinden 
10,0  Arbeitslose.  Rechnet  man,  da  ja  die  Gesamtbevölkerungszahl 
Familienerhalter  und  erhaltene  Angehörige  einschließt,  dementsprechend 
auch  den  Arbeitslosen  die  von  ihnen  zu  unterhaltenden  Personen  zu, 
so  ist  die  Verhältniszahl  der  von  der  Arbeislosigkeit  betroffenen  Be- 
völkerung zu  der  Gesamtbevölkerung  vom  1.  Januar  1914  4,5  8  v.  H. 

Von  den  gezählten  Arbeitslosen  gehörten  83,4  v.  H.  der  Industrie, 
8,3  dem  Handel,  6  anderen  Berufen  an.  Da  vor  dem  Zählungstage 
3  Wochen  lang  bestes  Frühjahrswetter  herrschte,  war  die  festgestellte 
Arbeitslosigkeit  keinesfalls  eine  winterliche  Saisonarbeit,  vielmehr  die 
reinste  Folge  der  schon  lange  andauernden  Wirtschaftskrise.  Fünf 
Wochen  früher  würde  die  Zählung  ein  noch  viel  schlimmeres  Ergebnis 
erbracht  haben.  Ueberdies  ist  offenbar  nicht  die  Gesamtzahl  aller 
Arbeitslosen  von  der  Zählung  erfaßt  worden.  Für  die  Handels-  und 
Büroangestellten,  die  Heimarbeiter  und  namentlich  für  die  erwerbs- 
tätigen Frauen  erscheint  sie  von  vornherein  zu  niedrig.  Ueberhaupt 
nicht  einbezogen  wurden  die  Kurzarbeiter.  Von  den  Arbeitslosen  waren 
50,9  V.  H.  ledig,  40  v.  H.  verheiratet,  in  gemeinsamem  Haushalt  lebten 
3,5,  verwitwet  waren  3,4,  geschieden  1  v.  H.  Es  hatten  also  auch 
sehr  viele  verheiratete  Arbeiter  aus  der  Arbeit  entlassen  werden  müssen. 
Zu  unterhaltende  Angehörige  kamen  auf  100  Arbeitslose:  in  Budapest 
391,  in  den  Nachbarorten  337.  Mit  diesen  Angehörigen  betrug  die 
Arbeitslosenzahl  60076.  Fast  ^/^  der  Arbeitslosen  waren  gelernte  Arbeits- 
kräfte. Die  Ursachen  der  Arbeitslosigkeit  lassen  sich  schon  deshalb 
nicht  sicher  erkennen,  weil  nur  von  Arbeitnehmerseite  Auskunft  vor- 
liegt. Die  Arbeitgeber  kündigten  in  78,5  v.  H.  der  Fälle,  und  zwar 
wegen  Arbeitsmangels  in  73,3  v.  H.  derselben,  die  Arbeitnehmer  in  9,1 
V.  H.  Krankheit  oder  Unfall  bildeten  in  6,  Streik  in  0,4,  Aussperrung  in 
1  V.  H.  der  Fälle  die  Ursache.  Sehr  beträchtlich  war  die  Dauer 
der  Arbeitslosigkeit.  Fast  ^/g  der  Gezählten  waren  seit  mehr  als  Yg 
Jahr  erwerbslos,  rund  10  v.  H.  seit  mehr  als  1  Jahr,  davon  0,6  v.  H. 
seit  mehr  als  3  Jahren.  Der  Zeitverlust  betrug  für  alle  Gezählten 
4364584  Tage.  Welche  Massen  von  Arbeitswerten  der  Volkswirtschaft 
durch  die  Arbeitslosigkeit  verloren  gehen,  läßt  diese  Zahl  ahnen.  Der 
Lohnverlust  betrug  im  Rahmen  der  Zählung  15404  641  K.,  im  vollen 
Umfang  schätzungsweise  20  Mill.  K.  Dagegen  gingen  durch  Streiks 
selbst  in  dem  großen  Streikjahr  1910  nur  201348  Arbeitstage  und 
909  376  K.  Arbeitsverdienst  verloren. 

Besonders  wichtig  erscheinen  die  zahlenmäßig  belegten  Feststel- 
lungen, daß  ein  Arbeitsloser  um  so  langer  stellungslos  bleibt, 
je  älter  er  ist,  und  daß  er,  wenn  er  Familie  hat,  schwerer 
Arbeit    findet    als    ein    alleinstehender.     Die   Arbeitslosen    erhielten 


622     Ueberaicht  über  die  neuesten  Publikationen  Dentechlanda  und  des  Auslandes. 

sich  durch  Ersparnisse  (15,7  v.  H.),  Darlehen  (19,5  v.  H.),  durch  beides 
(1  V.  H.),  durch  ihre  Eltern  (19,9  v.  H.),  durch  Erwerb  der  Ehefrau 
(7,2  V.  H.),  durch  Unterstützung  seitens  ihrer  Kinder,  Angehöriger'^ 
Freunde  (10,7  v.  H.),  durch  Verpfändung  oder  Verkauf  ihrer  Habe 
(8,2  V.  H.),  durch  Krankenunterstützung  (2,7  v.  H.),  durch  Almosen 
(1,3  V.  H.),  aber  nur  wenige  {6ß  v.  H.)  durch  vorübergehende  Beschäfti- 
gung. Der  Gesamterwerb  durch  Aushilfsarbeit  betrug 
638 448  K.  Die  öffentliche  Fürsorge  für  Arbeitslose  bewegt  sich 
in  Ungarn  noch  in  den  Grenzen  der  Wohltätigkeit.  Die  einzige  wirk- 
same Hilfe  erhielten  diejenigen,  die  sich  rechtzeitig  bei  Gewerkschaften 
versichert  hatten.  Das  waren  freilich  nur  3098,  darunter  170  Frauen. 
Dauer  und  Höhe  dieser  Unterstützung  waren  zum  Teil  beträchtlich. 
Aber  ein  großer  Teil  der  Gewerkschaften  konnte  bisher  noch  keine 
Arbeitslosenunterstützung  einführen  und  von  den  arbeitslosen  Mitgliedern 
der  anderen  hatten  manche  noch  keinen  Anspruch  oder  keinen  An- 
spruch mehr  auf  Unterstützung.  Aus  dem  kommunalen  Arbeitslosen- 
fonds von  266  000  K.  erhielten  3276  Arbeitslose  Unterstützung  auf 
2 — 3  Wochen.  Armenunterstützung  empfingen  1689.  Mit  Recht  betont 
der  Verf.,  daß  laufende  Barunterstützung  bei  solchen  Massen  und  einer 
so  langwierigen  und  unabsehbaren  Arbeitslosigkeit  nicht  zweckgemäß 
wirken  kann  und  keinesfalls  zum  System  werden  darf,  daß  vielmehr  nur 
große  öffentliche  Arbeiten  Hilfe  bringen  können.  Die  Zählung  ergab, 
daß  für  eine  solche  namentlich  das  Baugewerbe  und  die  Eisen-,  Metall- 
und  Maschinenindustrie  in  Betracht   kamen. 

Das  Gesamtergebnis  der  Zählung  hat  alle  Befürchtungen  noch  stark 
übertroffen.  Sie  hat  auch  die  Ausbaubedürftigkeit  des  Arbeitsnach- 
weises erwiesen.  Für  eine  systematische  Arbeitslosenpolitik,  deren 
Erweiterung  zu  einer  die  selbständig  Erwerbstätigen  einbeziehenden 
Erwerbslosigkeitspolitik  der  Verf.  fordert,  war  sie  nach  seiner  Ueber- 
zeugung  geradezu  grundlegend.  Sie  bedeutet  einen  Ring  in  der  Kette 
der  Kampfmittel  gegen  die  Arbeitslosigkeit,  hat  aber  auch  Anhalts- 
punkte für  die  Weiterbildung  wichtiger  anderer  Zweige  der  Sozial- 
politik —  Gewerkschaftsfrage,  Wohnungsfrage,  Volksbildung  —  ergeben. 
Die  näher  dargelegten  Prinzipien  der  angewendeten  Zählungsmethode 
haben  sich  gut  bewährt.  Sonach  ist  gleich  stark  zu  hoffen  und  zu 
wünschen,  daß  diese  Zählung  sich  als  ein  wirksames  Mittel  der  Förde- 
rung auf  der  Bahn  der  Bekämpfung  des  furchstbarsten  aller  sozialen 
Massenübel  erweisen  möge. 

Marburg  a.  d.  Lahn.  H.  Koppe. 

Bernstein,  Eduard,  Die  Internationale  der  Arbeiterklasse  und 
der  europäische  Krieg.  (Sonde^abdruck  aus  dem  „Archiv  !\ii'  Sozial- 
wissenschaft u.  Sozialpolitik",  Bd.  40,  Heft  2.)  Tübingen  (J.  C.  ß.  Mohr) 
1915.     80.     56  SS. 

Der  Ausbruch  und  Verlauf  des  Weltkrieges  hat  dem  Sozialismus 
eine  tief  an  seine  Wurzeln  greifende  schmerzliche  Enttäuschung  ge- 
bracht. Seine  grundlegende  Erkenntnis,  daß  ein  Riß  die  ganze  Kultur- 
welt durchklafft,    der  in  allen  Ländern   die  Gesellschaft  in  zwei  feind- 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     523 

liehe,  im  Rahmen  der  bestehenden  Wirtschaftsordnung  unversöhnbare 
Teile  zerreißt:  ausbeutende  Unternehmerklassen  und  ausgebeutete  Ar- 
beitermassen, und  daß  dieser  Klassenkampf  es  ist,  der  das  Geschick 
der  Völker  und  ihre  Entwicklung  bestimmt,  ist  jäh  durchkreuzt  worden 
durch  die  in  dieser  großen  Weltkriegkatastrophe  mit  blutiger  Schrift 
offenbarte  Wahrheit,  daß  der  große,  das  Völkerleben  zerreißende  Riß 
ganz  andere  Natur  und  Richtung  hat.  Nicht  das  Klassenkampf-,  son- 
dern das  Nationalitätsprinzip  bestimmt  ihn,  und  hinter  diesem  Nationali- 
tätenweltkampfe  tritt  der  große  soziale  Konflikt  weit  zurück.  Die 
feindlichen  Reihen  im  sozialen  Klassenkampfe  lösten  sich  sofort  mit 
Kriegsausbruch  auf  und  verschmolzen  sich  miteinander.  Die  erbitterten 
Gegner  von  gestern  stehen  heute  brüderlich  treu  vereint  in  gemein- 
samer Kampffront.  Im  Kern  der  großen  Heeresmassen  beider  Welt- 
verbände bekämpfen  Millionen  von  Arbeitern  einander  auf  Tod  und  Leben, 
jeder  für  sein  Vaterland  die  Waffe  führend,  keiner  danach  fragend,  ob 
der  Feind  ihm  gegenüber  im  Frieden  Arbeitskamerad  oder  sozialer 
Widersacher  ist. 

Mit  der  Wucht  eines  schweren  Schlages  hat  diese  plötzliche  Er- 
kenntnis die  Sozialisten  aller  Länder  getroffen.  Die  Stellungnahme  aller 
sozialistischen  Parteien  in  den  kriegführenden  Ländern  hat  dann  im 
Verlaufe  des  Krieges  diese  neue  Wahrheit  noch  ganz  erheblich  bitterer 
gemacht.  Jede  dieser  Parteien  erwartete  von  denen  der  Gegenseite, 
daß  sie  ihr  Vaterland  in  der  Stunde  der  Gefahr  in  Stich  lassen  und 
zugunsten  des  gemeinsamen  sozialistischen  Ideals  eines  durch  Verträge 
„verbürgten"  Weltfriedens  verraten  würden.  Keine  hat  dies  getan, 
wenn  man  absieht  von  kleinen  Minderheiten,  die  während  der  weiteren 
Dauer  des  Krieges,  entsprechend  dem  geringen  Maße  ihrer  Verantwort- 
lichkeit, es  über  sich  gewannen,  die  zur  Verteidigung  ihrer  Heimat  not- 
wendigen Kriegführungsmittel  dem  eigenen  Volke  zu  verweigern  und 
dieses  damit,  soviel  an  ihnen  lag,  der  Ueberwältigung  durch  den  Feind 
und  allen  daraus  fließenden  Folgen  preiszugeben.  Die  Hoffnung,  auf 
die  sie  diese  Verweigerung  nach  außen  hin  gründeten,  daß  diese  Ab- 
lehnungspraxis ansteckend  auf  die  Genossen  in  den  Parlamenten  der 
anderen  kriegführenden  Länder  wirken  werde,  hat  sich  so  wenig  er- 
füllt wie  die  sonstigen  Erwartungen,  die  sie  an  die  Bewährung  des 
internationalen  Charakters  der  sozialistischen  Ueberzeugungen  und 
Prinzipien  geknüpft  haben. 

Es  ist  begreiflich,  daß  im  Sozialismus,  sobald  die  Verhältnisse  leid- 
lich zu  übersehen  waren,  das  Streben  rege  wurde,  sich  darüber  klar 
zu  werden,  wie  es  kommen  konnte,  daß  jene  große  Enttäuschung  ein- 
trat. Vor  allem  mußte  —  da  sowohl  die  politischen  Vertretungen  des 
Sozialismus  aller  Länder  wie  die  gewerkschaftlichen  ihre  feste  inter- 
nationale Organisation  haben,  der  in  er&ter  Linie  es  zukommt,  auf  die 
internationalen  Verhältnisse  im  Sinne  der  sozialistischen  Weltfriedens- 
idee einzuwirken  —  die  Frage  aufgeworfen  werden,  ob  die  „Inter- 
nationale" der  Arbeiterklasse  versagt  habe  und  warum,  und  welche 
Folgerungen  sich  aus  diesem  Zusammenbruch  für  die  Zukunft  des 
Sozialismus  und  für  dessen  Vertretungen  und  Parteien  in  den  einzelnen 


624     üebenicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Ländern  ergeben  würden.  Im  Rahmen  dieses  Fragenkreises  bewegt 
sich  das  Schriftchen  Bernsteins.  Er  untersucht  darin  zunächst,  warum 
die  nach  den  sozialistischen  Prinzipien  und  Beschlüssen  bei  Ausbruch 
des  Krieges  zu  dessen  Verhinderung  sicher  zu  erwartenden  Massen- 
streiks unterblieben  sind.  Sodann  schildert  und  kritisiert  er  das  Ver- 
halten der  politischen  Landesabteilungen  der  Internationale  im  Kriege 
und  die  Rückwirkungen  des  Krieges  auf  deren  gegenseitige  Bezie- 
hungen. Maßgebender  Gesichtspunkt  ist  ihm  dabei  die  Gewinnung  der 
Erkenntnis,  in  welchem  besonderen  Lichte  sich  den  Sozialisten  der  be- 
teiligten Länder  der  Krieg  und  seine  Verursachung  von  ihrem  durch 
die  Verhältnisse  ihres  Landes  gegebenen  Standpunkte  aus  darstellen 
mußten.  Von  dieser  Einsicht  als  Unterlage  aus  sucht  er  dann  die  Ver- 
schiedenheit der  Urteile  und  aus  dieser  wiederum  die  Verschiedenheit 
im  Verhalten  der  sozialistischen  Parteien  und  Führer  der  Hauptländer 
zu  erklären. 

Die  Idee  der  Bekämpfung  der  Kriege  durch  den  Massenstreik 
sieht  B.  nach  den  Erfahrungen  vom  August  1914  als  unrealisierbar  an, 
so  daß  sie  aus  den  Diskussionsprogrammen  künftiger  Arbeiterkongresse 
verschwinden  müsse.  Ein  praktischer  Versuch  damit  ist  nirgends  ge- 
macht worden,  obwohl  das  internationale  sozialistische  Büro  in  Brüssel 
am  29.  Juli  1914  und  eine  am  selben  Tage  dort  veranstaltete  Volks- 
versammlung mit  stürmischer  Begeisterung  beschlossen  hatten,  daß  die 
Arbeiter  aller  Länder  mit  allen  Mitteln  den  Kriegsausbruch  verhindern 
müßten.  Es  habe  sich  gezeigt,  daß  heutzutage  bei  Ausbruch  eines 
Krieges  überall  schon  Verhältnisse  eingetreten  sind,  welche  die  öko- 
nomischen, insbesondere  die  psychologischen  Vorbedingungen  dafür  in 
Wegfall  gebracht  haben.  Die  große  Mehrheit  der  deutschen  Sozial- 
demokratie habe  die  Wirksamkeit  des  Mittels  auch  stets  bezweifelt. 

Die  Durchführung  der  auf  die  Verhütung  des  Ausbruchs  von  Kriegen 
bezüglichen  älteren  Kongreßbeschlüsse  der  Internationale  (von  1900  und 
1907)  sei  jenem  Büro,  dessen  geschäftsführenden  Ausschuß  die  ihm  an- 
gehörigen  Vertreter  der  belgischen  Arbeiterpartei  bildeten,  durch  den 
sich  für  diese  aus  der  besonderen  Lage  ihres  Landes  ergebenden  Ge- 
wissenskonflikt unmöglich  geworden.  Noch  viel  schlimmer  sei  die  tat- 
sächliche Unmöglichkeit  der  gegenseitigen  Verständigung  der  soziali- 
stischen Parteien  der  beteiligten  Länder  gewesen.  Die  Kriegskata- 
strophe habe  diese  Parteien  vor  schwere  seelische  Probleme  gestellt, 
vor  allem  in  ihnen  den  Gewissenskonflikt  der  Wahl  zwischen  der  Vater- 
landsverteidigung und  der  Festhaltung  der  Gemeinschaft  mit  den  Ge- 
nossen der  feindlichen  Länder  erzeugt.  Es  wird  nun  ausgeführt,  wie 
die  sozialistischen  Parteien  der  am  Krieg  beteiligten  Lander  sich  in 
dessen  Vorstadium  —  dem  russisch-österreichisch-serbischen  Konflikt 
—  verhalten  haben,  nämlich  zunächst  einmütig  im  Sinne  entschieden- 
ster Stellungnahme  gegen  einen  Krieg,  bis  die  drohende  Einmischung 
des  den  Sozialisten  in  den  Tod  verhaßten  zarischen  Rußland  die  ganze 
Situation,  vor  allem  für  die  deutsche  Sozialdemokratie,  stark  verschob. 
Die  Schwierigkeiten  der  Lage  für  die  letztere  werden  geschildert,  die 
für  ihre  Bewilligung  der  Kriegskredite   und  ebenso  für  die  sich  zuerst 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     625 

noch  der  Abstimmung  enthaltende  Minderheit  maßgebenden  Gesichts- 
punkte erläutert.  In  Frankreich  bewilligten  die  sozialistischen  Abge- 
ordneten einmütig  die  Kriegskredite,  und  zwei  ihrer  Führer,  der  Marxist 
Ouesde  und  der  Gemäßigte  Öembat,  traten  sogar  in  das  neugebildete 
Ministerium  der  nationalen  Verteidigung  ein  (damit  die  Leitung  des 
Krieges  und  die  Verantwortung  für  ihn  mitübernehmend).  Dies  ge- 
schah, trotzdem  Jaures  vorher  alle  Kräfte  für  die  Bewahrung  des 
Friedens  eingesetzt  und  mit  Bezug  auf  den  russisch  französischen  Bünd- 
nisvertrag erklärt  hatte:  „Wir  kennen  nur  einen  Vertrag,  den  Vertrag, 
der  uns  an  das  Menschengeschlecht  bindet."  Freilich  hält  B.  es  für 
fraglich,  wie  Jaures  sich  gestellt  haben  würde,  wenn  er  noch  erlebt 
hätte,  daß  zwar  Kußland  den  (angeblichen)  Vermittlungsvorschlag  Eng- 
lands annahm,  Oesterreich  ihn  aber  ablehnte.  Ganz  gleich  war  die 
Stellungnahme  der  Sozialisten  in  Belgien,  wo  der  Sozialistenführer 
Vandervelde  in  das  Ministerium  eintrat.  In  England  protestierten  die 
sozialistischen  und  die  übrigen  Arbeitervertreter  zwar  nachdrücklichst 
gegen  den  Krieg  und  die  Regierungspolitik,  stellten  sich  aber  nach 
Kriegsausbruch,  wie  das  ganze  Volk,  geschlossen  auf  die  Seite  der 
Kriegspolitik,  namentlich  durch  ihre  Agitation  für  den  Eintritt  in  die 
Armee  (seither  auch  noch  durch  den  Eintritt  hervorragender  Arbeiter- 
führer in  das  Ministerium  und  die  Entfaltung  eines  ganz  besonderen 
Kriegsfanatismus  bei  allen  sich  bietenden  Gelegenheiten).  In  Serbien 
lehnten  die  beiden  sozialistischen  Abgeordneten  die  Adresse  ab,  die  der 
Regierung  die  rückhaltlose  Unterstützung  des  Parlaments  zusagte.  In 
Rußland  verließen  die  sozialistischen  Dumamitglieder  nach  Verlesung 
einer  Protesterklärung  gegen  den  Krieg  den  Sitzungssaal.  B.  erklärt 
dieses  auffällige  unterschiedliche  Verhalten  der  sozialistischen  Volks- 
vertreter in  West-  und  Osteuropa  mit  dem  Unterschied  der  Größe  und 
des  Einflusses  der  sozialistischen  Parteien  hier  und  dort.  Das  Gewicht 
der  Verant  wor  tung  drücke  auf  die  größeren  Parteien.  Sie  könnten 
ihre  Stimmenabgabe  nicht  so  frei  zum  Zweck  der  Demonstration  (!) 
bestimmen  lassen.  Dies  sei  die  Kehrseite  des  parlamentarischen  Macht- 
zuwachses.  In  dieser  Begründung  liegt  das  Anerkenntnis,  daß  die  für 
die  Kriegskredite  stimmenden  sozialistischen  Abgeordneten  dies  taten 
und  tun,  weil  sie  sich  der  Stimme  ihres  Gewissens,  der  Verantwortlichkeit 
gegenüber  ihrem  Vaterlande  und  ihren  Volksgenossen,  die  sie  als  dessen 
Vertreter  tragen,  nicht  verschließen  wollen  und  können.  Aus  der  Feder 
eines  Sozialisten,  der  seither  selbst  gegen  die  Kriegskredite  gestimmt 
hat,  verdient  es  besondere  Beachtung. 

In  den  neutralen  Ländern  war  die  Stellungnahme  der  sozialistischen 
Parteien  eine  „korrekt  neutrale",  d.  h.  im  Sinne  der  Erhaltung  der 
Neutralität  und  damit  des  Friedens  für  ihr  Land.  Aber  die  Sympathien 
der  Arbeiterdemokratie  sind  dort  fast  durchgängig  auf  Seiten  unserer 
Gegner.  Ja,  selbst  in  Rußland  haben  revolutionäre  Sozialisten  und  so- 
gar der  bekannte  Anarchist  Peter  Krapotkin  sich  offen  für  den  Krieg 
und  für  die  Unterstützung  der  Zarenregierung  gegen  den  deutschen 
„Militarismus"  ausgesprochen.  Die  Giünde  für  diesen  Widerspruch 
führt  B.  zurück  auf  die  Beurteilung  des  Verhaltens  der  Mächte  während 
Jahrb  f  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  40 


626     Uebersicht  über  die  neaesten  Publikationen  DeutschlandB  und  des  Auslandes. 

der  dem  Kriege  voraufgegangenen  Verhandlungen.  Schon  jene  Kon- 
ferenz der  Brüsseler  Internationale  hatte  einmütig  die  (angebliche) 
hartnäckige  Ablehnung  aller  Vermittlungsvorschläge  durch  OcKterreich 
scharf  verurteilt  und  Deutschland  für  diese  Haltung  seines  Verbündeten 
verantwortlich  gemacht.  Der  Ausbruch  des  Krieges  konnte  diese  Auf- 
fassung nur  verschärfen.  Dazu  kam  dann,  daß  Deutschland  „die  Kata- 
strophe dadurch  unabwendbar  gemacht  hatte,  daß  es  in  ersichtlicher 
Hast  Rußland  und  Frankreich  den  Krieg  erklärte".  Sein  Einmarsch 
in  Belgien  machte  in  den  Augen  der  sozialistischen  Parteien  das  Maß 
voll.  Es  liege  in  der  Natur  der  Arbeiterdemokratie,  sich  der  Sache 
der  Schwachen  gegen  die  Stärkeren  anzunehmen,  sofern  nicht  das  Un- 
recht greifbar  auf  der  Seite  der  ersteren  liege.  Daher  hätten  auch 
Deutschlands  Rechtfertigungsversuche  keinen  Eindruck  machen  können. 
Deutschlands  tiefere  Beweggründe  für  den  Krieg  gegen  Rußland  würden 
von  der  Internationale  begriffen  und  gewürdigt  worden  sein,  wenn 
Deutschland  sie  durch  Innehaltung  der  Defensive  gegen  Westen  und 
stärkste  Offensive  gegen  Rußland  unter  Proklamierung  der  Befreiung 
der  von  diesem  unterdrückten  Völker  zum  Ausdruck  gebracht  hätte. 
Solche  Stellungnahme  würde  Deutschland  dank  den  geschichtlichen 
Neigungen  der  Arbeiterdemokratie  deren  volle  Sympathie  eingetraüen 
haben.  Bei  dem  unbestrittenen  (?)  Priedenswunsch  der  großen  Volks- 
mehrheit in  Frankreich  sei  es  „mehr  wie  fraglich",  ob  dann  Frankreich 
seine  volle  Angriffskraft  gegen  uns  hätte  anwenden  können.  Und  in 
England  würde  ein  Massenaustritt  aus  der  liberalen  Partei  das  Mini- 
sterium Asquith-Grey  zu  Fall  gebracht  haben.  Wenn  militärisch-strate- 
gische und  andere  Erwägungen  die  deutsche  Kriegsführung  zu  anderem 
Handeln  veranlaßt  hätten,  so  sei  sie  sich  sicherlich  nicht  im  unklaren 
gewesen,  daß  schon  dies  den  Verzicht  auf  die  Sympathie  der  Demo- 
kratien Europas  bedeutete.  Ebenso  entspreche  es  der  Psyche  der 
Arbeiterdemokratie,  daß  die  von  Deutschland  für  die  Niederzwingung 
Belgiens  angeführten  Gründe  bei  ihr  nicht  durchschlagen  konnten. 
Ja,  selbst  sehr  vorurteilsfreien  Sozialisten  und  Demokraten  gelte  das 
zaristische  Rußland  für  einen  weit  weniger  gefährlichen  Feind  der  Ruhe 
und  friedlichen  Entwicklung  Europas  als  Deutschland,  das  wegen  seiner 
Angriffslust  und  seines  „Militarismus"  in  erster  Linie  zu  bekämpfen 
sei.  Diese  Anschauung  beherrsche  unausgesprochen  die  sozialistische 
und  demokratische  Presse  der  neutralen  Länder,  während  Sozialisten 
der  uns  feindlichen  Länder  ihr  wiederholt  bestimmten  Ausdruck  ge- 
geben hätten. 

Zur  Kritik  dieser  Darstellung  wie  auch  des  Standpunkts  des  Ver- 
fassers ließe  sich  viel  sagen.  Es  muß  aber  hier  genügen,  auszusprechen, 
daß  es  zwar  sehr  gnädig  von  den  fremden  Arbeiterdemokratien  ist, 
Deutschland  ihre  Sympathie  unter  der  Bedingung,  daß  es  seine  Politik 
und  seine  Kriegführung  vollständig  auf  ihre  Vorstellungswelt  und  ihr 
Gemütsempfinden  einstellt,  zuwenden  zu  wollen,  daß  aber  das  deutsche 
Volk  es  vorzieht,  seine  Kriegführung  nach  den  auf  die  Wahrung  seiner 
Sicherheit  und  Unabhängigkeit  gerichteten  Gesichtspunkten  seiner  ober- 
sten Heeres-  und  Flottenleitung  gestalten  zu  lassen  statt  nach  solchen, 
die  darauf  gerichtet  sind,  uns  das  Wohlwollen  der  ausländischen  Sozia- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     627 

listen,  aber  zugleich  den  Einbrucli  des  Feindes  über  unsere  West-  und 
Ostgrenzen  und  die  Vernichtung  unserer  Weltgeltung  und  aller  in  langer 
Eriedensarbeit  errungenen  Früchte  unserer  nationalen  Einigung  zuzu- 
ziehen. Wie  verschieden  man  auch  bei  uns  über  die  „Kriegsziele" 
denkt,  das  Ziel,  die  Sympathie  der  Auslandsozialisten  gegen  Preisgabe 
unseres  nationalen  Selbstbestimmungsrechtes  zu  gewinnen,  gehört  nicht 
darunter.  Die  Gruppe  der  Kriegskreditverweigerer  mag  darüber  frei- 
lich anders  denken. 

Trotz  der  Verwirrungen,  die  der  Krieg  in  den  gegenseitigen  Be- 
ziehungen der  zur  Internationale  verbundenen  Sozialisten  angerichtet 
hat,  rechnet  B.  doch  auf  den  guten  Willen  zu  deren  Wiederherstellung 
und  dessen  Betätigung  nach  dem  Kriege.  Die  dafür  schon  aufgewen- 
deten Bemühungen,  die  er  aufführt,  bestärken  ihn  in  seiner  „Zuversicht 
in  die  unverwüstliche  Lebens-,  Schaffens-  und  Willenskraft  dieser 
wahren  Hüterin  des  Menschheitsgedankens".  Sie  begeistert  ihn  zu 
dem  Ausspruch :  „Die  sozialistische  Welt  hat  mit  der  Schöpfung  dieses 
Büros  den  Mächtigen  der  Erde  gezeigt,  was  sie  hätten  schaffen  sollen." 
Mit  ungleich  größerem  Rechte  könnte  man  sagen,  daß  dieses  Büro  ge- 
zeigt hat,  was  es  nicht  zu  leisten  vermochte,  aber  leisten  zu  können 
sich  geiühmt  hatte,  nämlich  den  Völkerkrieg  zu  verhindern. 

Marburg  a.  d.  Lahn.  H.  Koppe. 

Kraus  (Försorgeamtsleit.),  Dr.  S.,  Kriegsbeschädigtenfüraorge.  In  Verbindung 
mit  (Dir.,  Oberstabsarzt,  Chefarzt,  Med.-R.)  Dr.  Rebentiseh,  (Gew.-Schuldir.)  H.  Back, 
(Arbeitsamts- Vorst.)  Dr.  Schlotter  hrsg.  (Aus  Natur  und  Geisteswelt.  Sammlung  wissen- 
schaftlicher gemeinverständlicher  Darstellungen,  523.  Bdchn.)  Leipzig,  B.  G.  Teubner, 
1917.     kl.  8.     IV— 116  SS.  mit  2  Abb.  Taf.  im  Text.     M.   1,20. 

Rothmeier,  Karl,  u.  Karl  Heinrich,  Die  Kinderzulagen  und  Witwenrenten- 
Versicherung  für  Staatsbeamte.  Ein  sozial-  und  bevölkerungspolitisches  Projekt  des 
bayerischen  Staates.  Regensburg,  Verlagsanst.  vorm.  G.  J.  Manz,  1917.  8.  79  SS. 
M.  1,50. 

Ruck  (Leutn.  d.  R.),  Prof.  Dr.  Erwin,  Die  bürgerliche  Kriegsbeschädigtenfür- 
sorge. Mit  Vorschlägen  zur  Gesetzesreform.  Basel,  Ernst  Finckh,  1917.  8.  48  SS. 
M.  1.—. 


Deschamps,  Paul,  La  formation  sociale  du  Prussien  moderne.  Paris,  Armand 
Colin,  1916.     16.     372  pag.     fr.  4.—. 

Higgs,  Richard,  The  failure  of  labour  movement.  Dover,  Printipg  and  Pub. 
Co.     Cr.  8.     91  pp.     1/.—. 

10.  Genossenschaftswesen. 

Hausbesitzergenossenschaften,  insbesondere  ihre  Bedeutung  für  den  nach- 
btelligen  Realkredit.  Berichte  und  Erörterungen  auf  dem  12.  ordentlichen  Veibands- 
tage  des  deutschen  Verbandes  für  Hausbet^itzergenossenschaften  am  25.  III.  1917  zu 
Berlin.  (Schriften  des  Zentralverbandes  der  Haus-  und  Grundbesitzer- Vereine  Deutsch- 
lands, H(  It  5.)  Spandau,  Zenlralverband  für  Haus-  und  Grundbesitzer-Vereine  Deutsch- 
lands, 1917.     8.     69  SS.     M.  1,20. 

Hausbesitzer-Genossenschaftstag,  Erster  deutscher,  am  22.  X.  1916  in 
Berlin.  (Schriften  des  Zentralverbandes  der  Haus-  und  Grundbesitzer- Vereine  Deutsch- 
lands, Heft  1.)  Spandau,  Zentral  verband  der  Haus-  und  Grundbesitzer- Vereine  Deutsch- 
lands,  1917.     8.     112  SS.     M.  1,50. 

Jahrbuch  des  Reichsverbands  der  deutschen  landwirtschaftlichen  Genossen- 
schaften für  1916.  Berlin,  Reichsverband  der  deutschen  landwirtschaftlichen  Genossen- 
schaften, 1917.     30,5X24  cm.     605  SS.     M.  7.—. 

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628     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  de«  Auslandes. 


11.  Oesetssrebung-,  Staats-  und  Verwaltungsrecht.    Staatabürgerkiind». 

Besig  (KoDsi»t.-R.),  Die  Rechtsstellung  des  Jesuitenordens  in  den  deutsches 
Bundesstaaten  nach  Aufhebung  des  Jesuitengesetzes.  Berlin,  Verlag  des  Evangelischen 
Bundes,  1917.     8.     28  SS.     M.  0,50. 

Curtius,  Frdr.,  Der  Charakter  des  deutschen  Staatswesens.  (Fehler  und 
Forderungen.  Schriftenfolge  zur  Neugestaltung  deutscher  Politik,  Heft  1.)  Mönchen, 
Georg  Müller,  1917.     8.     125  SS.     M.  2.—. 

Durchführung,  Die,  des  Oemeindcgedankens  in  großstädtischen  Gemeinden. 
Bedenken  und  Entgegnungen  von  Jobs.  Eger,  Otto  Großmann,  Wald.  Macholz,  Oito 
Dibelius  und  Martin  Schiau.  Hrsg.  von  Prof.  D.  A.  Stock.  (Hefte  des  deutschen 
evangelischen  Gemeindetages,  Nr.  7.)  Leipzig,  J.  C.  Hinrichssche  Buchhdlg.,  1917. 
gr.  8.     24  SS.     M.  0,60. 

Eder,  Franz,  Der  Mensch  und  der  Staat.  Leipzig,  Theodor  Weicher,  1917. 
gr.  8.     116  SS.     M.  2,50. 

Gemeinderecht,  Berliner.  Hrsg.  vom  Magistrat.  2.  ergänzte  Aufl.  5.  Bd.: 
Kanalisation,  Herrschaft  Lanke,  Wasserwerke,  Zentrale  Buch.  Berlin,  Julius  Springer, 
1917.     8.     VIII— 433  SS.  mit  17  zum  Teil  färb.  Plänen.     M.  8.—. 

H'erre,  Prof.  Dr.  Paul,  Welche  Rechte  hat  das  Volk  in  den  Demokratien 
England,  Frankreich  und  Amerika?    Leipzig,  Otto  Spamer,  1916.     8.    16  SS.    M.  0,40. 

Jahrbuch  des  deutschen  Rechts.  Begründet  von  Dr.  Hugo  Neumann.  Hrsg. 
von  (Kammerger.-R.)  Dr.  Franz  Schlegelberger  und  (Reg.-R.)  Dr.  Thdr.  v.  Olshausen. 
15.  Jahrg.  Bericht  über  das  Jahr  1916.  Berlin,  Franz  Vahlen,  1917.  gr.  8.  XII— 
1161  SS.     M.  37.—. 

Kaufmann,  Prof.  Dr.  Erich,  Bismareks  Erbe  in  der  Reichsverfassung.  Berlin, 
Julius  Springer,  1917.     8.     VIII— 106  SS.     M.  2,80. 

Kraehling  (Rfdr.),  Dr.  Julian,  Die  preßrechtliche  Berichtigungspflicht.  Ge- 
krönte Preisschrift.  (Strafrechtliche  Abhandlungen,  begr.  von  Prof.  Dr.  Hans  Bennecke, 
unter  Mitwirkung  von  Prof.  Dr.  Allfeld,  hrsg.  von  Geh.  Hofr.  Prof.  Dr.  v.  Lilienthal, 
Heft  194.)     Breslau,    Schlettersche    Buchhdlg.,  1917.     gr.  8.     XIV— 171  SS.     M.  4,20. 

Kriegs-Gesetze,  -Verordnungen  und  -Bekanntmachungen,  Sämt- 
liche. Eingeleitet  durch  einen  Auszug  aus  der  Denkschrift  des  Reichskanzlers  über 
wirtschaftliche  Maßnahmen  aus  Anlaß  des  Krieges  1914/17  und  Anhang:  Preußische 
Ausführungsbestimmungen.  Mit  Inhaltsverzeichnis,  ausführlichem  Sachregister  und  Ge- 
setzesverzeichnis nach  der  Zeitfolge,  hrsg.  von  der  Redaktion  des  Deutschen  Reichs- 
gesetzbuehes  für  Industrie,  Handel  und  Gewerbe.  4.  Bd.  Abgeschlossen  am  1.  IV.  1917. 
Mit  Abänderungen  bis  Ende  Mai  1917.  Berlin,  VerLig  Deutsches  Reichsgesetzbuch  für 
Industrie,  Handel  und  Gewerbe  (Otto  Drewitz),  1917.   gr.  8.    XLIII— 1339  SS.    M.  18.—. 

Kriegsnotgesetze,  Das  erste  Jahr.  Sammlung  der  vom  31.  VII.  1914  bis 
31.  VII.  1915  ergangenen  und  noch  gültigen  wichtigeren  Gesetze,  Verordnungen  und 
Erlasse  für  das  Reich  und  Preußen.  2.  Ausg.,  berichtigt  nach  dem  Stande  vom  1.  IV. 
1917.  Bearbeitet  von  Dr.  Otto  Waldschütz.  Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917. 
kL  8.     XXVIII— 467  SS.     M.  5.—. 

Lehmann  (Oberlandesger.-R.) ,  Prof.  Dr.  Heinr. ,  Wucher  und  Wucherbe- 
kämpfung im  Krieg  und  Frieden.  Leipzig,  A.  Deichertsche  Verlagsbuchhdlg.,  Werner 
Scholl.  1917.     gr.  8.     68  SS.     M.  1.—. 

Leser,  Dr.  Albert,  Vermittlung  und  Intervention  als  völkerrechtliches  Mittel 
zur  Vermeidung  eines  Krieges.  Eine  völkerrechtliche  Studie.  Gotha,  Friedrich  Andreas 
Perthes,  1917.     8.     102  u.  2  SS.  mit  1  Tab.     M.  3.—. 

Liszt  (M.  d.  R),  Prof.  Dr.  Franz  v..  Vom  Staatenverband  zur  Völkergemein- 
schaft. (Umschlag:  Vom  Völkerbund  zur  Staatengemeinschaft.)  Ein  Beitrag  zur  Neu- 
orientierung der  Staatenpolitik  und  des  Völkerrechts.  (Fehler  und  Forderungen. 
Schrifteufolge  zur  Neugestaltung  deutscher  Politik,  Heft  2.)  München,  Georg  Müller, 
1917.     8.     79  SS.     M.  2.—. 

Loebell,  Dr.  Wilh.,  Krieg  und  Staatsverwaltung.  Wien,  Manz,  1917.  gr.  8. 
VI— 51  SS.     M.  2,40. 

Nelson,  Leonard,  Die  Rechtswissenschaft  ohne  Recht.  Kritische  Betrach- 
tungen über  die  Grundlagen  des  Staats-  und  Völkerrechts,  insbesondere  über  die  Lehre 
von  der  Souveränität.     Leipzig    Veit  u.  Comp.,   1917.     gr.  8.     VII— 253  SS.     M.   7,50. 

Red s lob,  Prof.  Dr  Rob. ,  Das  Problem  des  Völkerrechts.  Eine  Studie  über 
den  Fortschritt  der  Nationen  zu  einem  universellen  Staatensystem,  das  die  Geltung  des 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     ß29 

Völkerrechts  verbürgt.  Entworfen  unter  Verwertung  der  theoretischen  und  diploma- 
tischen Versuche,  die  seit  dem  römischen  Weltreich  des  Mittelalters  und  bis  zu  den 
Haager  Konferenzen  unternommen  sind,  und  vornehmlich  gegründet  auf  die  Entwick- 
lungsgeschichte der  Schweizer  Eidgenossenschaft.  Leipzig,  Veit  u.  Comp.,  1917.  gr.  8. 
VI— 392  SS.     M.  12.—. 

Reichs-Gesetzbuch,  Deutsches,  für  Industrie,  Handel  und  Gewerbe,  ein- 
schließlich Handwerk  und  Landwirtschaft.  Vollständige  Sammlung  aller  einschlägigen 
Reichsgesetze,  Verordnungen,  Ausführungsbestimmungen  etc.  mit  Erläuterungen,  For- 
mularbuch und  Sachregister.  Bearbeitet  und  hrsg.  von  der  Redaktion  des  Reichs- 
Gesetzbuchs  für  Industrie,  Handel  und  Gewerbe:  (Rechtsanw.)  Lipke,  (Landger.-Sekr.) 
C.  Petermann  unter  Mitarbeit  von  (Amtsrichter  a.  D.)  Klentzau,  (Geh.  Justizr.)  Grüne- 
wald, (Ob.-Zollinsp.)  Schumpelick  u.  a.  Mit  einem  einleitenden  Wort  von  Prof.  Dr. 
Conrad  Bornhak.  2  Bde.  47.  Aufl.  In  3  Teilen  und  1  Sachregister- Bd.  XXXI, 
IV,  2673,  XX,  960  und  Formulare  110,  62,  278  und  Register  400  SS.  M.  35.—. 
—  Dasselbe,  4.  Nachtrag:  Krieg  1914/17.  XLIII— 1339  SS.  M.  16.—.  Berlin, 
Verlag  Deutsches  Reichs-Gesetzbuch  für  Industrie,  Handel  und  Gewerbe  (Otto  Drewitz)». 
1917.    gr.  8. 

Schneider,  Max,  Leitfaden  über  die  Anwendung  der  Verhältniswahl  zum 
Reichstage  und  zum  preußischen  Landtage.  Augsburg,  Kranzfeldersche  Buchhdlg.,  1917. 
8.     24  SS.     M.  1.—. 

Verwaltungsvorschriften  und  Gesetze  für  preußische  Gemeinde-,  Polizei- 
»nd  Kreisbehörden.  Sammlung  von  Gesetzen  und  zentralbehördlichen  Erlassen  zur 
Ausführung  und  Erläuterung  der  Staats-  und  Reichsgesetze.  Begründet  von  W.  Moraun. 
Nach  dem  Stande  des  gegenwärtigen  Rechts  bearbeitet  und  hrsg.  von  (Geh.  Reg.-R.) 
Kurt  V.  Rohrscheidt  u.  a.  Jahrg.  1917,  1.  Teil.  Berlin,  Klemens  Reuschel,  1917.  gr.  8. 
992  SS.     M.  17.—. 

Warneyer  (Ob.-Landesger.-R.),  Dr.  Otto,  Die  Kriegsgesetze  prozeßrechtlichen 
Inhalts.  Im  Anschluß  an  Friedrich  Steins  Kommentar  zur  Zivilprozeßordnung  erläutert. 
Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr,  1917.     Lex.-8.     XXIII~314  SS.     M.  9.—. 

Zalman  (Hof-  u.  Ger.-Adv. ,  Ger.- Dolmetscher) ,  Dr.  Moritz,  Rumänisches 
Recht.  Zusammenfassende  Darstellung  der  wichtigsten,  insbesondere  der  von  dem  öster- 
reichischen und  deutschen  Rechte  abweichenden  Normen  der  rumänischen  Gesetze,  unter 
Berücksichtigung  der  rumänischen  Kriegsgesetzgebung  und  der  Verordnungen  der  mili- 
tärischen Verwaltung  im  besetzten  Teil  Rumäniens.  1.  Bd.  Wien,  Karl  Harbauer, 
1917.     kl.  8.     94  SS.     M.  3.—. 

Zorn  (Herrenh.-Mitgl.,  Kronsynd.),  Prof.  Philipp,  Die  internationale  Schieds- 
gerichtsbarkeit.    Hannover,  Helwigsche  Verlagsbuchhdlg.,    1917.     8.     42  SS.     M.  1. — . 


Morgan d,  Llon,  La  loi  municipale.  Commentaire  de  la  loi  du  5  avril  1884 
sur  l'organisation  et  les  attributions  des  conseils  municipaux.  Tome  l",  Organisation; 
Tome  2,  Attributions.  9^  Edition,  augmentee  et  mise  au  courant  de  la  legislation  et  de 
la  jurisprudence  jusqu'au  12  juillet  1914,  complfet^e  par  un  appendice  comprenant  les 
actes  et  d^cisions  intervenus  ou  publi^s  depuis  le  14  juillet  1914  jusqu'au  1"  novembre 

1916.  Paris,  Berger-Levrault  1917.  Deux  volumes  in-8.  Tome  1",  XVI— 383  pag.; 
Tome  2,  XIV — 845  pag.     Les  deux  vol.  frcs.  25. — . 

Hodge,  Harold,  In  the  wake  of  the  war.  Parliament  or  Imperial  government? 
London,  J.  Laue.     Cr.  8.     234  pp.     5/.—. 

MacNeill,  J.  G.  Swift,  Parliament  and  foreign  poliey.  London,  Council  for 
study  of  Internat,  relations.     8.     6  d. 

12.  Statistik. 
Deutsches  Reich. 

Mayer,  Dr.  Michael,  Bayerns  Bevölkerung  in  konfessioneller  Schichtung  und 
Entwicklung  seit   den  letzten    100   Jahren    1811/12-  1910.     München,    J.    Schweitzer, 

1917.  gr.  8.     VIII— 84  SS.  mit  4  Kartogrammen  und  Tabellenwerk.     M.  2,10. 
Nach  Weisungen,    Statistische,   betreffend   die  in    den   Jahren    1914  und  1915 

«nter  Mitwirkung  der  Staatsbaubeamten  vollendeten  Hochbauten.  Bearbeitet  im  Auf- 
trage des  Herrn  Ministers  der  öffentlichen  Arbeiten.  24.  Abteilung.  Berlin,  Wilhelm 
Ernst  u.  Sohn,  1917.  35,5X26,5  cm.  23  SS.  mit  Fig.  M.  3.—.  (S.-A.  aus  der  Zeit- 
sthrift  für  Bauwesen,   1917.) 


630    üeberaicht  aber  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 


Frankreich. 

Benseignements  statistiques  relatifs  aux  contribntions  directes  et  aux  taxes 
assimilfees.  Ann6e  1917.  Vingt-septiöme  ann§e.  Paris,  Impr.  nationale,  1917.  8. 
226  pag. 

Statistiques  de  la  navigation  dans  les  colonies  fran^aises  pendant  l'ann^e  1914. 
Publikes  sous  l'administration  de  M.  Gaston  Doumergue,  ministre  des  colonies.  (Melnn, 
Impr.  administrative.)  Paris,  bureau  de  vente  des  „Publications  coloniales  officielles*', 
1916.     8.     783  pag.     fr.  6. — .     (Office  colonial.     Ministfere  des  colonies.) 

Statistique  du  Service  de  la  protection  des  enfants  du  premier  äge.  (Enfants 
admis  pendant  l'annee  1913,  prot^gls  de  1913  ä  1915.)  (Exfecution  de  l'article  4  de 
la  loi  du  23  d^eembre  1874.)  Melun,  Impr.  administrative,  1917.  4.  52  pag. 
(Minist^re  de  l'int^rieur.  Direction  de  Passistance  et  de  l'hygifene  publiques.  Bureau 
^es  Services  de  l'enfance.) 

13.  Verscliiedenes. 

Herrmann,  Judith,  Die  deutsche  Frau  in  den  akademischen 
Berufen.  Leipzig-Berlin  (B.  Gr.  Teubner)  1915.  8».  77  SS.  (Preis: 
M.  1,50.) 

Zweck  der  Schrift  ist  es,  ein  Bild  der  Entwicklung  der  aka- 
demischen Berufsbildung  der  Frauen  zu  geben  und  die  Frage  zu  be- 
antworten, ob  die  wirtschaftlichen  und  sozialen  Erfolge  der  Frauen 
auf  diesem  Gebiete  die  Einwürfe  und  Bedenken,  die  gegen  das  Frauen- 
studium erhoben  worden  sind,  zu  Eecht  bestehen  oder  widerlegt  werden 
konnten. 

Verfasserin  sucht  einleitend  die  ideale,  wirtschaftliche  und  sozial- 
kulturelle Berechtigung  der  Forderung,  akademische  Berufe  den  Frauen 
zu  eröffnen,  darzustellen  und  zeigt  die  Entwicklung  dieser  Bestiebungen 
in  den  anderen  Kulturstaaten,  von  denen  in  der  Schweiz  und  in 
Schweden  das  planmäßige  Vordringen  der  Frauen  in  die  akademischen 
Bel-ufe  am  frühsten,  zugleich  aber  auch  am  erfolgreichsten  einsetzte. 

Der  erste  Teil  bringt  den  historischen  Entwicklungsgang  der  Kämpfe 
der  deutschen  Frauen  um  die  Zulassung  zu  den  akademischen  Berufen ; 
es  wurde  ihnen  wahrlich  nicht  leicht  gemacht.  Wohl  konnten  an 
einzelnen  Universitäten  auf  Grund  besonderer  Genehmigung  der  aka- 
demischen Behörden  und  der  einzelnen  Universitätslehrer  Frauen 
Hörerinnen  werden,  ohne  immatrikuliert  zu  sein,  ein  Zustand,  der  in- 
folge einer  zufälligen  Gewährung  zu  keiner  dauernden  Einrichtung 
werden  konnte.  Die  Bildung  von  Gymnasialkursen  für  Frauen  in  den 
achtziger  Jahren  ist  das  erste  zielbewußte  Vorgehen  auf  diesem  Ge- 
biet der  Frauenbildung,  bot  dies  doch  die  Möglichkeit,  bei  einer  Forde- 
rung um  Zulassung  rite  vorgebildete  Frauen  aufzuweisen.  Und  nun 
erkämpfen  sich  die  Frauen,  die  teils  in  dem  Verein  Frauenbildungs- 
reform,  später  dann  im  Allgemeinen  deutschen  Frauenverein  zusammen- 
geschlossen waren.  Schritt  für  Schritt,  unendlich  langsam,  oft  zurück- 
gewiesen und  bekämpft,  die  Berechtigung  ihrer  Eingaben  zunächst  bei 
den  behördlichen  Stellen  und  bei  der  Volksvertretung.  Aber  erst  1900 
ist  der  erste  große  Erfolg  zu  verzeichnen,  der  die  volle  Immatrikulation 
in  Baden  brachte,  der  Bayern  und  Württemberg  1903  und  1904, 
Sachsen  1906,  Preußen  erst  1908  folgte. 

Damit  erreichten  die  Frauen  die  Immatrikulation  auf  allen  deut- 
schen Universitäten ;  Hindernisse  liegen  noch  vor  bei  der  Zulassung  zu 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     ß31 

Staatsprüfungen,  die  zum  größten  Teil  für  alle  Fakultäten  außer  der 
juristischen  beseitigt  sind.  Im  Hinblick  auf  das,  was  in  verhältnis- 
mäßig kurzer  Zeit  erreicht  wurde,  kann  man  wohl  hoffen,  daß  auch 
allmählich  diese  Hemmnisse  beseitigt  werden,  vor  allem  aber  auch  die 
Weigerung  der  Zulassung  der  Habilitation.  Hier  gilt  es  aber  erst, 
daß  die  Frauen  wirklich  Bedeutendes  leisten,  eine  Voraussetzung,  die 
die  Frauen  selbst  in  ihrem  eigensten  Interesse  nur  wünschen. 

Im  zweiten  Hauptteil  geht  die  Verfasserin  eingehend  auf  eine 
statistische  Darstellung  des  Anwachsens  des  Frauenstudiums  auf  den 
einzelnen  Universitäten  ein ,  zeigt  den  Anteil  in  den  einzelnen  Di- 
sziplinen und  schließlich  die  Verteilung  auf  die  einzelnen  akademischen 
Berufe  nach  beendetem  Studium. 

Den  Haupteinwurf,  daß  die  Männer  von  selten  der  Frauen  eine  er- 
hebliche Beeinträchtigung  und  starke  Konkurrenz  zu  befürchten  hätten, 
widerlegt  Verfasserin  zahlenmäßig  und  gibt  der  Hoffnung  Ausdruck, 
daß  wahre  Frauen  und  wahre  Männer  einmal  aus  dem  Stadium  des 
Konkurrenzkampfes  zu  einem  Zustand  der  Harmonie  kommen  möchten, 
in  dem  jeder  seinem  Wesen  nach  in  die  Kulturarbeit  eingeordnet  sein 
möchte. 

Das  Buch  ist  anziehend  geschrieben  und  wird  infolge  seiner  knappen 
historischen  Darstellung,  besonders  im  ersten  Hauptteil,  für  weite  Kreise 
lesenswert  sein. 

Der  zweite  Teil  konnte  infolge  der  kurzen  Beobachtungszeit  und 
der  noch  immerhin  verhältnismäßig  kleinen  Zahlen  noch  kein  absolut  ein- 
wandfreies Material  bringen,  sondern  mehr  die  Entwicklungsmöglich- 
keiten der  Berufe,  die  Aussichten  auf  eine  Lebensstellung  für  die  aka- 
demisch vorgebildete  Frau  darstellen.  Die  gewaltige  Inanspruchnahme 
der  Frauen  auf  allen  Gebieten  des  wirtschaftlichen  Lebens  während 
des  Krieges  wird  sich  zweifellos  bei  einer  späteren  Zusammenstellung 
der  Berufe  der  akademisch  gebildeten  Frau  in  einer  zahlenmäßigen 
Steigerung  des  Anteils  der  Frauen  sowohl  als  auch  in  einer  Ausdeh- 
nung der  Berufe,  besonders  der  der  Nationalökonomin  und  Juristin,  be- 
merkbar machen. 

Breslau.  Dr.  Kaete  Winkelmann. 

Silberschmidt,  W.,  Beteiligung  und  Teilhaberschaft.  Ein  Bei- 
trag zum  Rechte  der  Gesellschaft.  Halle  a.  d.  S.  (Buchhandlung  des 
Waisenhauses)  1915.     S«.     VII  u.  184  SS.     (Preis:  M.  4,60.) 

Unter  den  zahlreichen  Forschern,  die  in  neuerer  Zeit  ihre  Tätigkeit 
der  Geschichte  der  Handelsgesellschaften  gewidmet  haben,  nimmt 
Silberschmidt  eine  hervorragende  Stelle  ein.  Seitdem  er  vor  mehr 
als  30  Jahren  in  seiner  Erstlingsschrift  der  Frühgeschichte  der  Kom- 
menda  nachgegangen  ist,  hat  er  die  wichtigen,  an  sie  anknüpfenden 
Fragen  nicht  wieder  aus  dem  Auge  gelassen  und  in  einer  ganzen  Reihe 
von  Untersuchungen  wertvolle  Beiträge  zu  ihrer  Lösung  beigesteuert. 
Nun  will  seine  Schrift  über  „Beteiligung  und  Teilhaberschaft"  die  Ant- 
wort auf  eine  Frage  suchen,  die  dem  Historiker  wie  dem  Dogmatiker 
des  Rechts  immer  wieder  entgegentritt,  die  Frage  der  Grenzziehung 
zwischen  Gesellschaft  und  (bloßem)  Schuldverhältnis,  wie  es  namentlich. 


632     öebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  DeutttchUnds  und  des  Auslandes. 

aber  nicht  ausschließlich,  durch  Arbeitsverträge  mit  Gewinnbeteiligung 
begründet  wird.  Der  Verf.  hat  sich  davon  tiberzeugt,  daß  eine  end- 
gültige Antwort  auf  diese  Frage  nur  erfolgen  können  wird,  wenn  neben 
die  geschichtliche  Betrachtung  die  begriffliche  Untersuchung  tritt  (S.  14). 
Er  will  durch  die  Verbindung  beider  „zum  Verständnis  gelangen,  wa& 
Beteiligung  und  Teilhaberschaft  im  Gesellschaftsrecht  bedeuten,  und 
wie  sie  sich  unterscheiden"  (S.  2).  Seinen  Ausgang  nimmt  er  von  der 
Geschichte  der  Handelsgesellschaften,  da  sich  das  Gesellschaftswesen 
im  Handel,  wenn  nicht  zuerst,  so  doch  jedenfalls  am  reichsten,  auf- 
fallendsten und  klarsten  entwickelt  hat.  So  beschäftigt  sich  denn  der 
erste  Teil  der  Schrift  (S.  3 — 95)  mit  „Beteiligung  und  Teilhaberschaft 
in  der  Geschichte".  Der  zweite  Teil  (S.  96  —  142)  bringt  die  „Entwick- 
lung der  Begriffe  der  Beteiligung  und  der  Teilhaberschaft",  der  letzte 
(S.  143 — 178)  die  „Darstellung  des  Rechts  der  Beteiligung  und  der 
Teilhaberschaft".     . 

Diese  Gliederung  des  Stoffes  ist  nicht  ganz  bedenkenfrei.  Der 
Verf.  spricht  sich,  wie  schon  früher,  wiederholt  (S.  7,  24)  gegen  die 
Heranziehung  neuzeitlicher  Begriffe  zur  Erklärung  mittelalterlicher  Vor- 
gänge aus.  Er  hätte  dabei  meines  Erachtens  zwei  Aufgaben  der  wissen- 
schaftlichen Forschung  unterscheiden  müssen.  Ein  anderes  ist  es,  den 
Anschauungen  einer  vergangenen  Zeit  über  ihr  Recht  nachzugehen,  ein 
anderes  wiederum,  dieses  Recht  selbst  zu  ermitteln.  Wenn  bei  der 
Verfolgung  des  ersteren  Zieles  modernen  Vorstellungen  nicht  Raum 
gegeben  werden  darf,  so  wird  das  andere  Ziel  ohne  Heranziehung 
moderner  Begriffe  schwerlich  erreicht  werden  können.  Schon  mit  den 
ersten  Fragen,  die  wir  an  die  älteste  Vergangenheit  über  ihr  Recht 
stellen,  wie  etwa  nach  dem  Bestehen  einer  der  Sitte,  der  Religion  usw. 
gegenüber  selbständigen  Rechtsordnung,  nach  dem  Verhältnis  von  öffent- 
lichem und  Privatrecht,  nach  der  Anerkennung  von  Sondereigentum 
und  Erbrecht  usw.,  legen  wir  den  Maßstab  moderner  Begriffe  an  völlig 
von  den  unsrigen  verschiedene  Verhältnisse  an.  Auf  andere  Weise 
werden  wir  sie  auch  da  nicht  unserem  Verständnis  näher  bringen  können^ 
wo  wir  etwa  die  Unzulänglichkeit  des  verwendeten  Maßstabes  festzu- 
stellen haben.  Daß  wir  uns  hüten  müssen,  in  die  Vergangenheit  hineinzu- 
legen, was  sich  nicht  aus  den  Zeugnissen  von  ihr  ergibt,  bedarf  keiner 
Hervorhebung.  Grundsätzlich  aber  müssen  wir  uns  auf  den  vom  Verf. 
abgelehnten,  von  Schmidt-Rimpler  (Geschichte  des  Kommissions- 
geschäfts in  Deutschland,  I,  S.  5,  11  ff.)  im  Hinblick  auf  die  vorliegende 
Frage  vertretenen  Standpunkt  stellen.  Die  Verschiedenheit  der  Meinungen 
ist  übrigens  in  Wahrheit  nicht  so  groß,  wie  es  zunächst  scheint.  Wie 
wir  sahen,  verwendet  der  Verf.  schon  in  der  Ueberschrift  zum  ersten 
Teile  die  Begriffe  „Beteiligung"  und  „Teilhaberschaft".  Er  tritt  mithin 
an  die  geschichtliche  Untersuchung  von  vornherein  mit  einer  Unter- 
scheidung heran,  die  zwar  erst  im  zweiten  Teile  näher  bestimmt,  aber 
schon  im  ersten  verwertet  wird  (vgl.  z.  B.  S.  17  f.  die  Ausführungen 
über  die  Gesellschaften  der  römischen  Steuerpächter). 

In  diesem  ersten  Teile  seiner  Schrift  gibt  der  Verf.  eine  sehr  will- 
kommene   Uebersicht    über    den    Gang    und    den    Stand   der   Forschung 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     533 

auf  dem  viel  betretenen  Gebiete.  Er  benutzt  die  Gelegenheit,  um  eigene, 
frühere  Aufstellungen  des  weiteren  zu  stützen  und  sich  mit  inzwischen 
hervorgetretenen  Gegnern  auseinanderzusetzen.  Im  Mittelpunkte  seiner 
Darstellung  steht  die  Ableitung  der  Kommanditgesellschaft  und  der 
stillen  Gesellschaft  aus  der  Kommenda  (S.  14 — 70).  In  den  beiden 
Arten  der  letzteren,  der  commenda  und  der  societas,  hat  der  Verf.  von 
jeher  die  Wurzeln  jener  beiden  Gesellschaftsformen  auch  des  geltenden 
Hechts  erblickt.  In  wirksamer  Aneinanderreihung  führt  er  nunmehr 
dem  Leser  die  Zeugnisse  der  verschiedenen  Quellenkreise  vor,  für 
welche  seither  die  beiden  Kommendaarten  nachgewiesen  worden  sind. 
Die  Vorgeschichte  der  Aktiengesellschaft  und  des  Sendevegeschäfts 
werden  dabei  mit  Rücksicht  auf  neuerdings  aufgetauchte  Fragen  einer 
anregenden  Betrachtung  unterzogen.  Ob  die  Kommenda  ihre  weite 
Verbreitung  der  übereinstimmenden  Entwicklung  in  verschiedenen  Ge- 
bieten oder  der  Uebertragung  von  dem  einen  auf  das  andere  verdankt, 
wird  sich  mit  Sicherheit  nicht  leicht  ausmachen  lassen.  Der  Verf.,  der 
an  der  Verwendung  der  Kommenda  zunächst  im  Seeverkehr  festhält, 
spricht  sich  (S.  69  f.)  gegen  die  Ansicht  aus,  daß  die  Kommenda  zu  den 
bei  allen  Völkern  wiederkehrenden,  ohne  fremde  Beeinflussung  ent- 
standenen Einrichtungen  gehöre.  Diese  Ansicht  ist  namentlich  von 
Hehme  wiederholt  (zuletzt  in  Ehrenbergs  Handbuch  des  ges. 
Handelsrechts,  I,  S.  102)  vertreten  worden.  Vermutlich  wird  die  Wahr- 
heit auch  hier  in  der  Mitte  liegen,  und  die  Kommenda  teils  durch 
Uebertragung,  teils  durch  selbständige  Entwicklung  an  verschiedenen 
Orten  zu  ihrer  Verbreitung  gelangt  sein. 

Schon  in  der  Einleitung  (S.  2)  hat  der  Verf.  bemerkt,  daß  es  sich 
bei  Beteiligung  und  Teilhaberschaft  um  verschiedene  Eormen  handle, 
in  denen  der  einzelne  mit  anderen  wirtschaftlich  zu  einer  Unterneh- 
mung und  rechtlich  zu  einer  Vereinigung  zusammentrete.  Dem  zweiten 
Teile  seiner  Schrift  stellt  der  Verf.  (S.  95,  vgl.  S.  2)  die  Aufgabe,  zu 
untersuchen,  wie  sich  die  bis  dahin  geschilderte,  geschichtliche  Ent- 
wicklung zu  den  Begriffen  der  Gesellschaft  und  der  Beteiligung  ver- 
halte. In  dem  dritten  Teile  „soll  kurz  das  geltende  Hecht  der  ver- 
schiedenen Hauptstaaten  in  gegenseitiger  Vergleichung  daraufhin  ge- 
prüft werden".  Der  Verf.  versteht  unter  der  Teilhaberschaft  die 
ßechtsgemeinschaft  an  einer  Unternehmung  als  Ganzem,  unter  der 
Beteiligung  die  Rechtsgemeinschaft  nur  an  den  Erträgnissen  der  Unter- 
nehmung (S.  140  und  sonst).  Die  Teilhaberschaft  erscheint  in  der 
Rechtsform  der  Gesellschaft,  wenn  das  Unternehmen  nach  außen  als 
ein  solches  der  Gesamtheit  auftritt;  es  kann  aber  das  Unternehmen 
auch  von  einem  der  Mehreren  in  der  Weise  geführt  werden,  daß  ihm 
die  anderen  unter  gewissen  Bedingungen  Dienste  und  Kapital  zur  Ver- 
fügung stellen  (S.  110;  an  anderer  Stelle  [S.  118  f.]  behandelt  aber  der 
Verf.  auch  diesen  zweiten  Fall  als  einen  solchen  der  Gesellschaft,  dem 
er  den  ersten  als  den  der  gewöhnlichen  Gesellschaft  gegenüberstellt).  Die 
Beteiligung  dagegen  als  Rechtsgemeinschaft  nur  am  Ertrage  des  Unter- 
nehmens bildet  die  Vergütung  für  eine  einseitige  Leistung  des  be- 
treffenden Vertragsteils  und  kann  vermöge  ihrer  allgemeinen  Bedeutung 


634     Ucbenicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutsehlands  und  des  Auslandes. 

zu  ganz  verschiedenartigen  Verträgen  hinzutreten  (S.  143).  Für  die 
Art,  wie  der  Verf.  seine  Unterscheidung  auf  die  einzelnen  in  Frage 
kommenden  Betriebsformen  der  Vergangenheit  und  der  Gegenwart  an- 
wendet, muß  an  dieser  Stelle  auf  seine  Schrift  selbst  verwiesen  werden. 
Hervorgehoben  sei  nur,  daß  er  (S.  131  ff.)  in  der  eigentlichen  Kom- 
menda  eine  partiarische  Beteiligung  erblickt,  in  der  societas  maris  oder 
terrae,  je  nachdem  es  bei  ihr  zur  Bildung  eines  besonderen  Gesell- 
schaftsvermögens kommt  oder  nicht,  eine  Teilhaberschaft  oder  eine  bloße 
Beteiligung.  Hier,  wie  nahezu  ausnahmslos  auch  sonst,  ist  der  Verf. 
in  der  Lage,  auf  Grund  erneuter  Nachprüfung  und  geschichtlich-kon- 
struktiver Fortführung  früherer  Untersuchungen  an  deren  Ergebnissen 
festzuhalten.  Nach  dem  Vorwort  der  Schrift  erhalten  durch  sie  seine 
auf  Geschichte  und  Recht  der  Gesellschaft  bezüglichen  Arbeiten  einen 
vorläufigen  Abschluß.  Der  Leser  wird  wünschen,  den  Nachdruck  auf 
das  „vorläufigen"  legen  zu  dürfen. 

Kiel.  Max  Pappenheim. 

Die  Kriegsfürsorge  in  Mannheim.  Darstellung  der 
Tätigkeit  des  Kriegsunterstützungsamtes  und  der  Zen- 
trale für  Kriegsfürsorge  von  Kriegsbeginn  bis  zum  Juli 
1916.  In  deren  Auftrag  herausgegeben  und  bearbeitet  von  Prof.  Dr. 
S.  P.  Altmann,  Mannheim.  Mannheim-Berlin-Leipzig  (J.  Bensheimer) 
1916.     80.     XIII  u.  324  SS. 

Die  Länge  des  Krieges  hat  zu  umfassenden  ausgedehnten  Fürsorge- 
maßnahmen auf  allen  wirtschaftlichen  und  sozialen  Gebieten  geführt, 
die  besonders  in  den  Industrie-  und  Handelszentren  Bedeutung  er- 
langten, wo  große  Massen  der  arbeitenden  Bevölkerung  sitzen.  Den 
Stadtverwaltungen  erwuchsen  in  dieser  Beziehung  zahlreiche  neue 
schwere  Aufgaben,  die  schnell  organisiert  werden  mußten  und  meist 
nur  mit  Hilfe  weiter  Kreise  bewältigt  werden  konnten.  Es  darf  fest- 
gestellt werden,  daß  sich  überall  Mitarbeiter  und  Helfer  zur  Unter- 
stützung der  Behörden  in  ihrer  wichtigen  kriegsfürsorglichen  Arbeit 
fanden,  über  deren  Ergebnisse  in  einem  oder  zwei  oder  nun  gar  drei 
schweren  Kriegsjahren  von  verschiedenen  größeren  Städten  interessante 
Berichte,  wie  der  vorliegende  sehr  umfangreiche,  die  Verhältnisse  in 
Mannheim  behandelnde,  herausgegeben  worden  sind. 

Die  Schrift  trägt  die  Bezeichnung  „Kriegsfürsorge"  im  begi-enzten 
Sinne.  Sie  geht  nicht  auf  das  Wirken  des  Roten  Kreuzes,  der  Kriegs- 
beschädigtenfürsorge, der  Arbeitslosenunterstützung,  der  städtischen  Er- 
nährungspolitik ein,  sondern  bietet  in  der  Hauptsache  eine  ausführliche 
Darstellung  der  Fürsorge  für  die  durch  den  Krieg  in  Not  geratenen 
Familien,  die  in  Mannheim  von  einem  Kriegsunterstützungsamt  als  dem 
Organ  der  gesetzlichen  Kriegsfürsorge  auf  der  Grundlage  des  geltenden 
Reichsrechts  und  der  neueren  Verordnungen  des  Bundesrats  mit  er- 
gänzenden landesrechtlichen  Bestimmungen  nebst  städtischen  Vor- 
schriften einerseits  und  der  freiwilligen  Fürsorge  anderseits,  die  bald 
nach  Kriegsbeginn  ihren  Sammelpunkt  in  der  Zentrale  für  Kriegsfür- 
sorge fand,    ausgeübt  wird.     Sie  erstreckt  sich   auf  die  reichsrechtliche 


I 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     ß35 

Kriegerfamilienunterstützung,  deren  Grundsätze  bekannt  sind,  und  die 
Maßnahmen  der  Zentrale  in  bezug  auf  Naturalien  abgäbe,  Wohnungs-, 
Kranken-,  Säuglings-  und  Wöchnerinnenfürsorge,  Arbeitsbeschaffung 
sowie  besondere  Hilfseinrichtungen,  wie  die  Kinderfürsorge,  Fürsorge 
für  arbeitslose  Mädchen,  Berufsberatung  und  Kriegswitwenberatung, 
Fürsorge  für  Versicherte  der  Landesversicherungsanstalt  Baden,  Er- 
richtung eines  Mieteinigungsamtes  und  Gründung  einer  Beratungsstelle 
für  Kleinhandel  und  Gewerbe. 

Die  zahlenmäßigen  Ergebnisse  dieser  vielfachen  Fürsorgemaßnahmen 
werden  in  einer  Reihe  von  Tabellen,  aber  nicht  „statistischen  Tabellen", 
übersichtlich  geboten.  Namenlisten  der  Mitarbeiter,  ein  brauchbares 
Sachregister  und  Abbildungen  der  in  Betracht  kommenden  Wirkungs- 
stätten einzelner  Arbeitsvorgänge  darin  vervollständigen  zweckmäßig 
das  Ganze,  das  in  anschaulicher  Weise  zeigt,  wie  umfassend  in  deutschen 
Großstädten  die  Kriegsfürsorge  in  diesem  gewaltigen  Völkerringen  ein- 
gerichtet ist  und  wie  segensreich  sie  in  schwerer  Zeit  volkswirtschaft- 
lich und  sozial  wirkt. 

Halle.  Herbst. 

Brückner,  Silvester,  Der  Kulturkampf  um  die  Einheit  der  Völker.  Gesetz- 
mäßig dargestellt  und  geschichtlich  beleuchtet.  Röntgental  bei  Berlin,  Verlag  Silvana, 
1917.     kl.  8.    III— 144  SS.     M.  2.—. 

Bumm,  Ernst,  üeber  das  Frauenstudium.  Rede  zur  Gedächtnisfeier  des  Stifters 
der  Berliner  Universität  König  Friedrich  Wilhelms  III.  in  der  Aula  am  3.  VIII.  1917. 
Berlin,  August  Hirschwald,  1917.     gr.  8.     24  SS.     M.  0,80. 

Dirr  (M.  d.  L.),  Dr.  P.,  Belgien  als  französische  Ostmark.  Zur  Vorgeschichte 
des  Krieges.     Berlin,  Max  Kirstein,  1917.     gr.  8.     XXIII— 479  SS.     M.  6.—. 

Erzberger  (M.  d.  R.),  M.,  Der  Verständigungsfriede.  Rede,  gehalten  auf  einer 
Versammlung  der  württembergischen  Zentrumspartei  im  Saalbau  zu  Ulm  am  26.  IX. 
1917.  (Politische  Zeitfragen  in  Württemberg.  Zwanglos  erscheinende  Hefte,  Nr.  25.) 
Stuttgart,  Deutsches  Volksblatt,  1917.     8.     38  SS.     M.  0,50. 

Fischer,  Franz  X.,  Deutschlands  kulturelle  Sendung.  Ein  Wort  über  unsere 
Zukunft.     Mergentheim,  Verlagsbuchhdlg.  Karl  Ohlinger,    1917.     8.     46  SS.     M.  0,60. 

Freiheit,  Die  deutsche.  Fünf  Vorträge  von  (Wirkl.  Geb.  R.)  Prof.  D.  Dr. 
Adolf  V.  Harnack,  Frdr.  Meinecke,  Max  Sering,  Ernst  Troeltsch,  Otto  Hintze.  Gotha, 
Friedrich  Andreas  Perthes,  1917.     8.     III— 169  SS.     M.  1.60. 

Freytag-Loringhoven  (Gen.-Leutn.),  Frhr.  v.,  Dr.,  Folgerungen  aus  dem 
Weltkriege.     2.  Aufl.     Berlin,  E.  S.  Mittler  u.  Sohn,  1917.     8.    V— 106  SS.    M.  2,50. 

Frobenius  (Kap.-Leutn.),  Walther,  Das  Ende  der  englischen  Gewaltherrschaft. 
Die  Freiheit  der  Meere  Deutschlands  vornehmstes  Kriegsziel.  Berlin,  Karl  Curtius,  1917. 
gr.  8.     47  SS.     M.  1.—. 

Hoensbroech,  Paul  Graf  v.,  „Belgien".  Leipzig,  Theodor  Weicher,  1917. 
gr.  8.     20  SS.     M.  0,50. 

Kerschensteiner,  Georg,  Begriff  der  Arbeitsschule.  3.  verb.  u.  wesentl. 
verm.  Aufl.     Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1917.     8.     IX— 198  SS.  mit  5  Taf.     M.  2,80. 

Kjell^n,  Prof.  Dr.  Rud.,  Studien  zur  Weltkrise.  Autor.  Uebers.  v.  Dr.  Frdr. 
Stieve.     München,  Hugo  Bruckmann,  1917.     8.     VIII— 230  SS.     M.  3,60. 

Knorr,  Dr.  Wilh.,  Die  Donau  und  die  Meeren  gen  frage.  Ein  völkerrechtsgeschicht- 
licher Rückblick  und  ein  rechtspolitischer  Ausblick.  (Deutsche  Orient-Bücherei.  Hrsg. 
Prof.  Dr.  Ernst  Jäckh.  No.  24.)  Weimar,  Gustav  Kiepenheuer,  1917.  8.  5,  191  SS. 
mit  1  färb.  Karte.     M.  3,50. 

Koch,  Martin,  Europa  vor  der  Verarmung.  Beiträge  zur  Oekonomie  des  Welt- 
krieges.    Leipzig,  Richard  Kühn,  1917.     8.     30  SS.     M.'0,80. 

Ringo,  Josef,  Die  Judenfrage  in  ihrem  geschichtlichen  Zusammenhang  und 
Vorschläge  zu  ihrer  Lösung.     Zürich,    Speidel  u.  Wurzel,    1917.     8.     38  SS.     M.  0,75. 


536  ^^  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Siemens  (Geh.  Reg.-R.),  Dr.  W.  v.,  Die  Freiheit  der  Meere.  Berlin,  E.  S.  Mittler 
u.  Sohn,  1917.     8.     55  88.     M.  1,25. 

Zusammenbruch,  Der,  Rußlands  und  seine  Ursachen.  Die  falsche  Rechnung 
Englands.     Von  ....     Leipzig,  Ernst'sche  Verlagtbucbhdlg.,  1917.    8.    80  SS.    M.  1.— 

Marcossou,  IsaacF.,  The  re-birth  of  Russia.  London,  J.  Lane.  Cr.  8.  196  pp. 
3/.6. 


Die  periodisclie  Fresse  des  Auslandes. 

A.  Frankreich. 

Journal  de  la  Soci§t§  de  Statistique  de  Paris.  58*  Ann§e,  Aoüt-septembre  1917, 
No.  8/9 :  Les  ressources  et  les  besoins  dans  le  mpnde,  par  Yves  Guyot.  —  Chronique 
de  d^mographie,  par  Michel  Huber.  —  Statistiques  financiöres  de  l'industrie  allemande 
pendant  la  guerre,  par  Daniel  Bellet.  —  Emprunts  et  d^penses  de  gaerre  de  l'Autriche- 
Hongrie,  par  Daniel  Bellet.  —  etc. 

Journal  des  ficonomistes.  76*  Ann^e,  Aoüt  1917:  Hypoth&ses  du  lendemain  de 
la  guerre,  par  Yves  Guyot.  —  La  houille  blanche  pendant  la  guerre  et  son  avenir  ea 
France,  par  Auguste  Pawlowski.  —  Dommages  de  guerre,  droit  social  et  propri§t^  in- 
dividuelle, par  Daniel  Bellet.  —  L'impot  c§dulaire  sur  les  revenus,  par  fitienne  Falek. 

—  Les  comptes  des  chemins  de  fer  de  l'fitat  pour  1915,  par  Georges  de  Nouvion.  — 
Un  coup  d'ceil  sur  le  commerce  ext^rieur  de  l'Espagne,  par  Pierre  de  M§riel.  —  Eco- 
nomic Problems  of  peace  after  war,  par  Arthur  Raffalovich.  —  etc. 

B.  England. 

Review,  The  Contemporary.  September  1917,  No.  621:  The  three  European 
Settlements,  by  John  Macdonell.  —  The  future  of  the  German  colonies :  I.  The  case  for 
retention,  by  H.  H.  Jobnston.  IL  The  case  for  conditional  return,  by  William  Harbutt 
Danson.  —  Spain  in  the  world's  debate,  by  A.  F.  Bell.  —  India  after  the  war,  by  J. 
Ramsay  Macdonald.  —  The  Ruthenian  question  in  Russia,  by  Semen  Rapoport. 

Review,  The  Fortnighily.  August  1917:  The  new  Constitution al  resolution,  by 
J.  B.  Firth.  —  Egypt  in  wartime,  by  Sir  Malcolm  Mc  Ilwraith.  —  The  Bäghdad 
railway  in  the  war,   by  H.  Charles  Woods.  —  Austria's  hour  of  destiny,   by  Politicus. 

—  etc. 

C.  Oesterreich-Üngarn. 

Handelsmuseum,  Das.  Hrsg.  von  der  Direktion  des  k.  k.  österreichischen 
Handelsmuseums.  Bd.  32,  1917,  No.  37  :  Wirtschaftspolitische  Uebersicht  (Ungarn,  Deutsch- 
land, Polen,  Rumänien,  Schweiz,  Holland,  England,  Frankreich,  Italien,  Rußland).  — 
Der  internationale  Kautschukmarkt.  —  Russischer  Außenhandel.  —  etc.  No.  38 :  Wirt- 
schaftspolitische Uebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Türkei,  Schweiz,  Holland,  Schweden, 
England,  Frankreich,  Rußland).  —  Die  holländische  Konfektionsindustrie.  —  Die  Woll- 
industrie in  Italien.  —  etc.  No.  39 :  Wirtschaftspolitische  Uebersicht  (Ungarn,  Deutsch- 
land, Polen,  Bulgarien,  Schweiz,  Holland,  England,  Frankreich,  Rußland).  —  Der  ameri- 
kanische Außenhandel.  —  Holländische  Schiffahrtsfragen.  —  etc. 

Rundschau,  Soziale.  Hrsg.  vom  k.  k.  arbeitsstatistischen  Amt  im  Handels- 
ministerium. Jahrg.  18,  Juni — August  1917,  Heft  6 — 8:  Schutz  der  industriellen  Arbeiter 
und  Angestellten  gegen  die  Folgen  des  Krieges  (Bulgarien,  Gesetz).  —  Arbeitslöhne  und 
Arbeitszeiten  in  der  Kaliindustrie  (Deutsches  Reich,  Gesetz).  —  Siebenuhrladenschluß 
im  Handelsgewerbe  (Ungarn).  —  Neuregelung  des  Vereinsrechts  (Oesterreich,  Regierungs- 
vorlage). —  Gemeindliche  Arbeitsvermittlung  (Ungarn,  Ministerialverordnung).  —  Die 
staatliche  Arbeitslosenversicherung  in  England.  —  Unfallversicherung  der  Arbeiter  ia 
Oesterreich.  —  Unfallversicherung  der  Bergarbeiter  in  Oesterreich  (Gesetzentwürfe).  — 
Zwangsweise  Krankenversicherung  (Zürich,  Gesetz).  —  Schiedsgericht  bei  der  Unfallver- 
sicherung (Zürich,  Gesetz).  —  Ermächtigung  der  Regierung  zu  wirtschaftlichen  Maß- 
nahmen in  Oesterreich  (Gesetz).  —  Errichtung  von  lokalen  Preisprüfungsstellen  in  der 
Zentral- Preisprüf ungskommis^ion  (Oesterreich).  —  Errichtung  von  Organisationen  der 
Kaufmannschaft  für  die  Kriegs-  und  Uebergangs Wirtschaft  (Oesterreich,  Ministerialver- 
ordnung). —  Schutz  der  Mieter  (Oesterreich,  Ministerialverordnungen).  —  Jugendfürsorge 


Die  periodische  Presse  Deutsehlands.  ß37 

in  Oesterreieh.  —  Maßnahmen  gegen  Verwahriosung  Jugendlicher  (Böhmen,  Verord- 
nung).  —  Ergebnisse   der  Arbeitsvermittlung   in  Oesterreieh  im  März  und  April  1917. 

—  Die  Arbeitslosigkeit  bei  den  Gewerkschaften  in  Oesterreieh  im  Jahre  1916.  —  Die 
Arbeitslosigkeit  bei  den  Gewerkschaften  in  Oesterreieh  im  Januar,  Februar  März  und 
April  1917.  —  Staatliche  Arbeitslosenversicherung  in  England  1912 — 1916.  —  Lebens- 
haltung städtischer  Familien  während  des  Krieges  im  Deutschen  Reiche.  —  etc. 

Volks^wirt,  Der  österreichische.  Jahrg.  9,  1917,  No.  50:  Krieg  und  Geldlehre 
(VII.  Konsum-  und  Erwerbswirtschaft  und  Preisbildung),  von  Walther  Federn.  —  Die 
Karl  off  elf  rage,  von  Dr.  G.  St.  —  etc.  No.  51:  Polen,  von  Dr.  G.  St.  —  Die  Politik 
der  britischen  Arbeiter,  von  Sigmund  Kaff.  —  etc.  No.  52 :  Die  Programmrede  Seidlers, 
von  Dr.  G.  St,  —  Das  österreichische  Budget,  von  W.  F.  —  etc.  Jahrg.  10,  1917, 
No.  1 :  Krieg  und  Geldlehre  (VIII.  Abreehnungsmethoden  und  Papiergeld),  von  Walter 
Federn.  —  Die  Grundlage  für  die  Veranlagung  der  allgemeinen  Erwerbssteuer,  von 
Dr.  Franz  Schwarz.  —  etc. 

F.  Italien. 

Giornale  degli  Economisti  e  Rivista  di  Statistica.  Vol.  LV,  Luglio  1917,  No.  1  : 
Movimenti  di  lunga  durata  dello  sconto  e  dei  prezzi,  di  C.  Bresciani-Turroni.  —  Le 
ourve  di  indifferenza  nella  teoria  dei  fenomeni  collettivi  di  due  argomenti,  di  Luigi 
Amoroso.  —  etc. 

G.  Holland. 

Economist,  De,  opgericht  door  J.  L.  de  Bruyn  Kops.  Jaarg.  66,  Augustus-Sep- 
tember  1917,  No.  8/9:  De  staathuishoudkunde  in  verband  met  den  wereldoorlog.  Toe- 
spraak,  gehouden  door  Prof.  d'Äulnis  de  Bourouill  in  het  Groot- Auditorium  der  Rijks- 
Universiieit  te  Utrecht,  op  7.  Juni  1917.  —  Japan  voorbeeld  voor  Nederlandsch-Indie? 
door  H.  S.  M.  van  Wickevoort  Crommelin.  —  Handelskrouiek :  De  strijd  om  Rusland, 
door  A,  Voogd.  —  etc. 

Gids,  De  Socialistische.  Maandschrift  der  sociaaldemocratische  arbeiderspartij. 
Jaarg.  II,  Maart  1917,  No.  3:  Het  woningvraagstuk  voor  zestig  jaar,  door  Mr.  H.  J. 
Niboer.  —  Tien  jaren  vakvereenigingsstrijd,  door  R.  Stenhuis.  —  De  politieke  beteekenis 
der  dienstplichtdebatten  in  Duitschland,  door  F.  van  der  Goes.  —  etc.  April  1917, 
No.  4:  De  sociaale  beteekenis  van  massale  voedselbereiding  en  hare  toepassing  ter  be- 
sparing  en  rationeele  verdeeling  der  beschikbare  levensmiddelen,  door  L.  R.  de  Miranda. 

—  etc.  Mei  1917,  No.  5:  De  socialistische  arbeiderstaal,  door  E.  Boekman.  —  Grond- 
gedachten  der  huidige  maatschappijleer,  door  R.  Kuyper.  —  etc.  Juni  1917,  No.  6: 
Over  imperialisme,  door  G.  Vermeer.  —  De  arbeidskontrakten  in  Duitschland  in  1914, 
door  G.  F.  Lindeijer.  —  etc.  Juli/Augustus  1917,  No.  7/8:  Over  imperialisme  (slot), 
door  G.  Vermeer.  —  De  oorlog  en  de  schuld vraag,  door  Mr.  W.  A.  Bonger.  —  etc. 
September  1917,  No.  9:  De  waardeering  van  het  parlement  door  J.  H.  Schaper.  — 
De  internationale  vakbeweging,  door  J.  Oudegeest.  —  De  oorlog  en  de  schuldvraag  (II), 
door  Mr.  W.  A.  Bonger.  —  etc. 

H.  Schweiz. 
Bibliothöque  Universelle  et  Revue  Suisse.    Tome  LX XX VII,  Septembre  1917, 
No.  261 :    Le   role   de  l'Australie   dans    la   guerre  actuclle    (seconde  partie),    par  Henry 
Tardent.  —  Les   61§ments   primordiaux    de  l'industrie  Charbon  et  fer  (troisi^me  et  der- 
niöre  partie),  par  M.  Aubert.  —  Le  rögne  de  Nicolas  II,  par  F.  Deriaz.  —  etc. 


Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

Archiv  für  Eisenbahnwesen.  Hrsg.  im  Kgl.  Preußischen  Min''sterium  der  öffent- 
lichen Arbeiten.  Jahrg.  1917,  September  bis  Dezember,  Heft  5/6:  Der  Austausch  der 
Güterwagen  im  Bereiche  des  Vereins  deutscher  Eisenbahn  Verwaltungen,  von  (Geh.  Reg.-R.) 
Marx.  —  Die  internationalen  gewerkschaftlichen  Beziehungen  der  Eisenbahner  (Schluß 
statt  Forts.),  von  K.  Rohling.  —  1882—1911.  Dreißig  Jahre  russischer  Eisenbahn- 
politik (Forts,),  von  (Geh.  Reg.-R.)  Dr.  Mertens.  —  Die  Kriegsschäden  der  Eisenbahnen 
nach  österreichischem  Recht.  —  Die  Ostpreußische  Süübahn.  Ein  Beitrag  zur  Privat- 
bahngeschichte, von  Dr.  Overmann.  —   Die  Betriebszusammenlegung  der  holländischen 


Q38  ^^^  periodische  Presse  Deutschlands. 

Eisenbahnen.  —  Die  Eisenbahnen  der  Schweiz  im  Jahre  1915.  —  Die  Großherzoglich 
Oldenburgischen  Staatseisenbahnen.  Ein  Rückblick  auf  die  ersten  50  Jahre  ihres  Be- 
stehens 1867—1917.  — 

Archiv  für  Sozial  Wissenschaft  und  Sozialpolitik.  13.  Erg.-Heft:  Konfessionelle 
Militärstatistik,  von  R.  E.  May.  —  etc. 

Außenhandel,  Deutscher.  Zeitschrift  des  Handelsvertragsvereins.  Jahrg.  17, 
1917,  Nr.  9:  Das  Interesse  von  Handel  und  Industrie  an  der  internationalen  Verständi- 
gung, von  (M.  d.  R.)  Georg  Gothein.  —  Ein  Jahr  Wirtschaftskrieg,  von  E.  Trott.  —  etc. 

Bank,  Die.  September  1917,  Heft  9:  Das  gute  und  das  schlechte  Geld  (VI  u. 
VII),  von  Alfred  Lansburgh.  —  Kriegsgewinnsorgen,  von  Ludwig  Eschwege.  -  Pro- 
bleme der  Uebergangswirtschaft.  I.  Der  Abbau  der  Löhne,  von  Julian  Borchardt. 
II.  Der  Staat  und  der  Arbeitsmarkt  nach  dem  Kriege,  von  W.  Eggenschwyier.  —  Zur 
Kapitalserhöhung  der  Dresdner  Bank.  —  Sparkassen  und  Kreditgenossenschaften.  — 
Krieg  und  Wohnungsmarkt.  —  etc. 

Bank-Archiv.  Jahrg.  16,  1917,  Nr.  24:  Zur  siebenten  Kriegsanleihe,  von 
(Geh.  Justiz- R.)  Prof.  Dr.  Riesser.  —  Der  Krieg  und  die  Wiener  Börse,  von  (Dir.  des 
k.  k.  priv.  Wiener  Bank«Vereins)  Alfred  Heinsheimer.  -  etc.  —  Jahrg.  17,  1917, 
Nr.  1 :  Glossen  zur  siebenten  Kriegsanleihe,  von  Arthur  v.  Gwinner.  —  Unsere  Wäh- 
rung nach  dem  Krieg,  von  Dr.  Richard  Hauser.  —  Zur  Frage  der  Haftung  der  Banken 
für  Kreditauskünfte  über  ihre  Kunden,  von  (Rechtsanw.)  Dr.  Walther  Nord.  —  etc. 

Blätter,  Kommunal  politische.  Jahrg.  8,  1917,  Nr.  8/9  (OrganisationsHeft) : 
Aufruf  zur  Giündung  einer  kommunalpolitischea  Vereinigung  nebst  Satzungsentwurf.  — 
Zur  Ausgestaltung  der  Organisation  unserer  Stadtverordneten  und  G  meindevertreter, 
von  (Ehrenvors.  der  Stadtverordnetenvereinigung  der  Rhein.  Zentrumspartei,  Geh.  Justizr., 
M.  d.  R.  u.  A.)  Carl  Trimborn.  —  Der  Organisationsgedanke  in  den  Selbstverwaltungs- 
körpern. Nebst  Entwurf  einer  Satzung  für  Zentrumsfrakiionen  in  Gemeinderäten  usw., 
von  Herrn.  Schüling.  —  Zur  Frage  einer  Aenderung  des  preußischen  Gemeindewahl- 
rechts. —  etc. 

Concordia.  Zeitschrift  der  Zentralstelle  für  Volkswohlfahrt.  Jahrg.  24,  1917, 
Nr.  18:  Erhebung  über  don  Kleinwohnungsmarkt  währeijd  des  Krieges  und  nach 
Friedensschluß  und  die  Vorbereitungen  zur  Vermeidung  einer  Kleinwohnungsnot  seitens 
der  Baugenossenschaften  (Schluß),  von  Dr.  G.  Albrecht.  —  etc.  —  Nr.  19:  Gründungs- 
pläne und  Akten  der  Wohlfahrtspflege,  von  Dr.  Hertha  Siemering.  —  Grundlagen, 
Ziele  und  Durchführung  der  unter  der  Bezeichnung  „Kriegswohlfahrtspflege"  von  den 
Staatsbehörden  den  Gemeinden  übertragenen  Aufgaben,  von  (Magistratsrat)  Liebrecht.  — 
Deutscher  Armenpflegetag.  —  etc. 

Export.  Jahrg.  39,  1917,  Nr.  38— 41:  Englands  Weltherrschaft  und  ihre  Krisis, 
von  Dr.  Frhr.  v.  Mackay.  —  Die  englischen  Drohungen  über  den  Krieg  hinaus  (Forts.), 
von  Dr.  R.  Jannasch.  —  Die  Wirtschaftspolitik  der  skandinavischen  Länder.  —  Zur 
Lage  in  Marokko.  —  etc. 

Finanz- Archiv.  Zeitschrift  für  das  gesamte  Finanzwesen.  Jahrg.  34,  1917, 
Bd.  2 :  Reichs-  und  Landesfinanzen  in  Oesterreich.  Eine  Untersuchung  betr.  die  finanz- 
rechtlichen Beziehungen  des  Staates  zu  den  Ländern  unter  besonderer  Berücksichtigung 
Böhmens,  von  Dr.  Rudolf  Schranil.  —  Die  ansteigende  Linie  des  Beamtengehalts,  von 
A.  Zeiler.  —  Zur  Beleuchtung  der  Zusammenhänge  zwischen  steuerfrei«m  Existenz- 
miniraum, Kinderprivileg,  Junggesellensteuer  und  Haushaltungsbesteuerung  und  Mög- 
lichkeiten eines  Ausbaues  der  Gesetzgebung,  von  (Reg.-R.)  Ludwig  Bück.  —  Die 
deutschen  Reiehssteuergosetze  von  1917,  vom  (Kaiserl.  Präs.  a.  D.)  Dr.  R.  van  der 
Borght.  —  Deutsches  Reichsgesetz  über  die  Besteuerung  des  Personen-  und  Güterver- 
kehrs vom  8.  April  1917.  —  Deutsches  Reichskohlensteuergesetz  vom  8.  Apiil  I9l7.  — 
Das  Einkommensteuergesetz  der  Vereinigten  Staaten  vom  8.  September  1916,  von 
(Rechtsanw.)  Dr.  Paul  Marcuse.  —  Anhaltisches  Gesetz  betreffend  die  Abänderung  des 
Berggesetzes  vom  9.  April   1917.  —  etc. 

Jahrbücher,  Preußische.  Bd.  170,  Oktober  1917,  Heft  1:  Beamtentum  und 
Kaufmannschaft,  von  (Synd.)  Prof.  Dr.  A.  Wirminghaus.  —  Internationale  jüdische  Be- 
ziehungen (Schluß),  von  Dr.  jur,  Wolfgang  Heinze.  —  Strafrecht  und  Jugenderziehung, 
von  (Amtsrichter»  Dr.  Albert  Hellwig  —  Englische  Ernüchterung,  von  Emil  Daniels. 
—  Wider  den  Kleinglauben.  Deutsche  Vaterlandspartei.  Die  Beantwortung  der  Papst- 
note und  die  weiteren  politischen  Kundgebungen,  von  Hans  Delbrück.  —  etc. 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  639 

Kultur,  Soziale.  Jahrg.  37,  Oktober  1917,  Heft  10.  Karl  Wasserab:  Zur 
Systematik  und  Lehrmethode  der  Staats-  und  Gesellschaftswissenschaften,  von  (Red.) 
Reinbold  Heinen.  —  Die  Unbekanntschaft  mit  den  Grundsätzen  des  englii^chen  Wahl- 
rechts, von  Adolf  Mayer.  —  Die  Familienbücherei  als  ein  Mittel  der  Familienpflege 
(Das  Ergebnis  einer  Umfrage),  von  (Sem.-Lehrer)  Joseph  Antz.  —  Ueber  Arbeitsord- 
nungen, von  Dr.  P.  Martell.  —  Die  Maschinenindustrie  als  Vermittler  zwischen  West 
und  Ost,  von  Robert  Albert.  —  Koloniale  Friedensziele  und  deutsches  Wirtschaftsleben, 
von  A.  R.  Erlbeck.  —  Kommunale  Kriegsfürsorge,  von  Dr.  Franz  Schmidt.  —  Die 
Deckung  des  Rohstoffbedarfs  nach  dem  Kries:e,  von  Eugen  Löwinger.  —  etc. 

Monatshefte,  Sozialistische.  Jahrg.  23,  Bd.  49,  1917,  Heft  19:  Eigenheiten 
der  kolonialen  Wirtschaftsweise  und  Politik,  von  Max  Schippel.  —  Das  werdende  Ruß- 
land, von  Dr.  Ludwig  Quessel.  —  Die  Verkürzung  der  Arbeitszeit,  von  Sebastian  Prüll. 

—  etc.  —  Heft  20/21:  Die  nächste  Aufgabe  der  Partei,  von  Dr.  Hugo  Lindemann.  — 
Die  Wirtschaftspolitik  beim  Kriegsausgang,  von  Max  Schippel.  —  Der  Reichstag  und 
die  östlichen  Fragen,  von  Max  Cohen.  —  Rußlands  agrarsozialistische  Mission,  von 
Dr.  Ludwig  Quessel.  —  Produktionspolitik,  von  Hermann  Kranold.  —  Wirtschaftsimpe- 
rium und  Seegeltung,  von  Paul  Müller.  —  Die  deutsche  Sozialdemokratie  und  der 
Parlamentarismus,  von  Hugo  Poetzsch.  —  Die  Beamten  und  die  Politik,  von  Heinrich 
Pens.  —  Frauenarbeit  im  Bergbau,  von  Theodor  Wagner.  —  etc. 

Oekonomist,  Der  deutsche.  Jahrg.  35,  1917,  Nr.  1813:  Die  siebente  Kriegs- 
anleihe.   —    Die    deutschen    Banken    im  Jahre  1916  (IV),    von  Dr.  jur.   Willy  Baecker. 

—  Bautätigkeit  und  Wohnungsmarkt  in  deutschen  Städten  im  Jahre  1916.  —  etc.  — 
Nr.  1814:  Die  Handelsbeziehungen  Rußlands  und  Skandinaviens  nach  dem  Kriege 
(Forts.)  —  Die  deutschen  Banken  im  Jahre  1916  (V),  von  Dr.  jur.  Willy  Baecker.  — 
Die  deutsche  Hagelversicherung  im  Jahre  1917.  —  Nr.  1815:  Die  Handelsbeziehungen 
Rußlands  und  Skandinaviens  nach  dem  Kriege  (Schluß).  —  Die  deutschen  Banken  im 
Jahre  1916  (VI),  von  Dr.  jur.  Willy  Baecker.  —  Die  deutschen  Sparkassen  und  die 
siebente  Kriegsanleihe.  —  etc.  —  Nr.  1816:  Frankreichs  mißliche  Finanzlage.  —  Die 
deutschen  Banken  im  Jahre  1916  (VII),  von  Dr.  jur.  Willy  Baecker.  —  etc.  —  Nr.  1817: 
Der  beginnende  Abbau  der  Kriegsbörse.  —  Die  Kursregulierung  der  Kriegsanleihen  nach 
dem  Kriege.  —  Die  deutschen  Banken  im  Jahre  1916  (VIII),  von  Dr.  jur.  Willy 
Baecker.  —  etc. 

Plutus.  Jahrg.  14,  1917,  Heft  39/40:  Kriegsanleihe.  —  Der  Aufsichtsrat,  von 
Walter  Rathenau.  —  Uebergangswirtschaft  (X),  von  G.  B.  —  etc.  —  Heft  41/42:  Lex 
Helfferich.  —  Kerenski,    von    Myson.  —  Uebergangswirtschaft  (XI),    von  G.  B.  —  etc. 

Praxis,  Soziale,  und  Archiv  für  Volkswohlfahrt.  Jahrg.  26,  1917,  Nr.  51 :  Reichs- 
wirtschaftsamt —  Reichsarbeitsamt,  von  Prof.  Dr.  E.  Francke.  —  Uebermäßiger  Gewinn, 
von  (Amtsrat)  Dr.  Emil  Hofmann.  —  Zur  Regelung  der  Arbeitszeit  der  Arbeiterinnen 
und  jugendlichen  Arbeiter.  —  Wohnungsfrage  und  Uebergangswirtschaft.  —  etc.  — 
Nr.  52:  Für  die  Jugendlichen!,  von  (Stadtarzt)  Dr.  Dienemann. —  Kriegsanleihe,  Spar- 
kassen, Arbeiterschaft.  —  Sonderschriften  des  Reichsausschusses  der  Kriegsbeschädigten- 
fürsorge. —  Die  Löhne  der  Arbeiterschaft  während  des  Krieges.  —  Die  Unrast  in  der 
englischen  Arbeiterschaft.  —  Ministerien  für  Volkswohlfahrt  in  Oesterreich,  von  (Univ.- 
Prof.)  Dr.  Leo  Wittmayer.  —  etc.  —  Jahrg.  27,  1917,  Nr.  1:  Der  preußische  Gesetz- 
entwurf von  1866  über  das  freie  Koalitionsrecht  der  Gewerbe-  und  Landarbeiter.  Eine 
zeitgemäße  Erinnerung.  —  Das  Sihicksal  des  Volkes  ist  dein  eigenes,  von  (Leiter  der 
sozialpolitischen  Abteilung  der  Generalkommission  der  Gewerkschaften  Deutschlands) 
Robert  Schmidt.  —  Die  Organisation  des  Reichswirtschaftsamts.  —  Privatangestellte 
und  Hilfsdienstgesetz,  von  Dr.  A.  Höfle.  —  Die  freien  Gewerkschaften  und  djis  Koaii- 
tionsrecht.  —  Krankenkassentagungen.  —  Die  35.  Generalversammlung  des  Deutschen 
Vereins  für  Armenpflege  und  Wohltätigkeit.  —  etc.  —  Nr.  2:  Arbeitskammern,  von 
Dr.  L.  Heyde.  —  ReichswirtschafUsamt  —  Reichsarbeitsamt.  —  Das  Hilfsdienstgesetz 
und  die  Arbeiter.  —  Die  Entwicklung  der  Bergarbeiterlöhne  in  Preußen.  —  Der  inter- 
nationale Gewerkschaftskongreß  in  Bern.  —  Vorbereitung  einer  staatlichen  Arbeitslosen- 
versicherung in  den   Niederlanden.  —  etc. 

Recht  und  Wirtschaft.  Jahrg.  6,  Oktober  1917,  Nr.  10:  Technische  oder  uni- 
versale Verwaltungsreform?,  von  (Oberverwaltungsgerichtsrat)  Dr.  Lotz.  —  Kriegsgewinn 
für  die  Allgemeinheit,  von  Dr.  Heinz  Potthoff.  —  Währungspolitische  Fragen.  Eine 
Erwiderung,  von  Dr.  Otto  Heyn.  —  Das  Eigentumsrecht  an  den  in  deutschen  Hoheits- 
gewässern gesunkenen  Schiffen  und  Ladungen,  von  (Rechtsanw.)  Mielziner.  —  etc. 


040  ^®  periodische  Presse  Deutschlands. 

Eundschau,  Masius',  Blätter  für  VersicherungswiasenHchaft.  Jahrg.  29,  1917, 
Heft  8:  Die  private  deutsche  Lebensversicherung  im  Jahre  1916.  —  etc. 

Verwaltung  und  Statistik  (Monatsschrift  für  deutsche  Beamte).  Jahrg.  7,  Sep- 
tember 1917,  Hefe  9:  Lebenskostensteigerung  und  Beamtenbesoldung,  von  Dr.  Josef 
Ehrler.  —  Beitrag  der  Städte  zur  Lebensmittelerzeugung,  —  Die  englische  Landwirt- 
schaft einst  und  jetzt.  —  etc. 

Viertetjahrshefte  zur  Statistik  des  Deutschen  Reiches.  Hrsg.  vom  Kaiserl. 
Statist.  Amte.  Jahrg.  25,  1916,  Heft  4:  Die  Forsten  und  Holzungen  im  Deutschen 
Reiche  (1913).  —  Hopfenernte  1916.  —  Produktion  der  bergbaulichen  Betriebe  im 
Jahre  1914.  —  Streiks  und  Aussperrungen.    Vorläufige  Uebersicht.    3.  Vierteljahr  1916. 

—  Die  Finanzen  des  Reichs  und  der  deutschen  Bundesstaaten  (1912  und  1914).  — 
Konkursstatistik  für  das  3.  Vierteljahr  1916.  (Vorläufige  Mitteilungen.)  —  Bestands- 
und Kapitaländerungen  der  deutschen  Aktiengesellschaften,  im  3.  Vierteljahr  1916.  — 
Bestands-  und  Kapitaländerungen  der  deutschen  Gesellschaften  mit  beschränkter  Haftung, 
im  3.  Vierteljahr  1916.  —  Tabakanbau  1916.  Vorläufige  Nachweise.  —  Zur  Statistik 
der  Preise:  1.  Amtlich  (von  Reichs-,  Staats-  bzw.  Kommunalbehörden)  festgesetzte  Höchst- 
preise für  wichtige  Lebens-  und  Verpflegungsmittel  im  Deutschen  Reiche  im  Oktober 
1916.  2.  Rindvieh-  und  Schweinepreise  in  5  deutschen  Städten  Januar  bis  September 
1909—1916.  3.  Viehpreise  im  Ausland  im  3.  Vierteljahr  1912—1916.  4.  Preise  von 
Roggenbrot,  Roggenmehl  und  Roggen  in  Berlin  für  die  einzeluen  Monate  der  10  Jahre 
1906  — 1915.  5.  Börsenpreise  von  deutschem  Roheisen,  Blei,  Kupfer  und  Zink  an 
deutschen  Plätzen  für  die  einzelnen  Monate  der  5  Jahre  1911  — 1915.  6.  Großhandela- 
preise von  Getreide  an  österreichischen  Plätzen :  a)  Preise  für  die  einzelnen  Monate  der 

4  Jahre  1912 — 1915;  b)  Jahresdurchschnitte  für  1894 — 1915.  7.  Börsenpreise  wichtiger 
Waren    in    Paris   und    Amsterdam :    a)  Preise    in    Paris    für   die   einzelnen    Monate   der 

5  Jahre  1911  — 1915;  b)  Preise  in  Amsterdam  für  die  einzelnen  Monate  der  5  Jahre 
1911 — 1915;  c)  Preise  in  Paris  für  1891 — 1915  im  Jahresdurchschnitte;  d)  Preise  in 
Amsterdam  für  1891 — 1915  im  Jahresdurchschnitte.  — 

Weltwirtschaft.  Zeitschrift  für  Weltwirtachaft  und  Weltverkehr.  Jahrg.  7, 
September  1917,  Nr.  9 :  Das  Eiserne  Tor  der  Donau,  von  (Geh.  Hofr.)  Prof.  Dr.  Sieg- 
mund Günther.  —  Kriegs-  und  Friedenswirtschaft,  von  Dr.  A.  Wirth.  —  Seefrachten 
und  Reedereiwesen  in  und  nach  dem  Kriege,  von  Ernst  Fitger.  —  Der  Automobilver- 
kehr in  den  Vereinigten  Staaten  1916,  von  Dr.  Hamburger.  —  etc. 

Wirtschafts-Zeitung,  Deutsche.  Jahrg.  13,  1917,  Nr.  18:  Der  Treuhänder 
für  das  feindliche  Vermögen,  von  (Oberkonsistorialrat)  Dr.  jur.  Nieders.  —  Krieg  und 
Wirtschaft,  von  Dr.  Leo  Blum.  —  Ein  wirtschaftlicher  Boykott  der  Mittelmächte  nach 
dem  Kriege  unmöglich.  —  Einsohränkung   der   Borgwirtschaft   auch  nach  dem  Kriege! 

—  etc.  —  Deutsch- Amerikanischer  Wirtsehafts verband:  Die  Kontrolle  und  üeberwachung 
der  Deutschen  in  New  York.  —  Aus  dem  Wirtschaftsleben  der  Vereinigten  Staaten.  — 
Amerikanische  Expansionsbestrehungen.  —  Deutsche  Patente  in  den  Vereinigten  St>iaten. 

—  etc.  —  Nr.  19:  Deutsche  VVährungsprobleme  nach  dem  Kriege,  von  Prof.  Dr.  Robert 
Lief  mann.  —  Verzinsliche  Darlehnskassenscheine,  von  F.  K.  —  Eine  neutrale  Ueber- 
sicht über  die  Wechselkurse.  —  Spaniens  wirtschaftliche  Lage  am  Schlüsse  des  dritten 
Kriegsjahrcs.  —  Wollerzeugung  und   Wollhandel  während  des  Krieges.  —  etc. 

Zeit,  Die  Neue.  Jahrg.  35,  Bd.  2,  Nr.  25:  Das  Elsaß  in  der  Geschichte,  von 
K.  Kautsky.  —  Die  Ideen  von  1914  (Schluß),  von  Max  Adler.  —  Zu  den  Ketzereien 
in  der  Frage  der  industriellen  Nachtarbeit,  von  Luise  Zietz.  —  Verschwendung  und 
Wirtschaftlichkeit  in  der  Bevölkerungspolitik,  von  August  Freudenthal.  —  etc.  — 
Jahrg.  36,  Bd.  1,  1917,  Nr.  1 :  Neuer  Jahrgang  —  neuer  Lebensabschnitt.  —  Zum 
Würzburger  Parteitag,  von  Heinrich  Schulz.  —  Stockholm,  von  Hermann  Müller.  — 
Oekonomie  und  Taktik,  von  August  Winnig.  —  etc.  —  Nr.  2:  Revolutionschaos,  von 
Heinrich  Cunow.  —  Strömungen  im  Zentrum,  von  J.  Meerfeld.  —  Marx  und  die  Ge- 
werkschaften, von  H.  Müller.  —  Ein  Beitrag  zur  Entwicklung  und  Organisation  der 
Frauenarbeit  in  Deutschland,  von  Artur  Höpfner.  —  etc. 


Frommannsche  Buohdruckerei  (Hermann  Pohle)  in  Jena. 


Heinrich  Waentig,  Die  Grandfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.        64]^ 


IX. 

Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirt- 
schaft'). 

Von 

Heinrich  Waentig,  d.  Z.  Brüssel. 

III.  Die  Lösung. 

Ansätze  zu  einer  differenziellen  Behandlung  von  Belgiens  Schiff- 
fahrt und  Handel  hatte  es  schon  vor  dem  Jahre  1844  gegeben.  So 
waren  fremdländische  Schiffe  höheren  Tonnengeldern  unterworfen 
gewesen.  Umgekehrt  hatten  sich  die  Ladungen  einheimischer  zoll- 
politischer Vergünstigungen  zu  erfreuen  gehabt.  Ferner  hatte  man 
für  einzelne  Waren,  wie  Zucker  und  Tee,  Seidenstoffe,  Melasse  und 
Bauholz,  die  direkte  Zufuhr  aus  den  überseeischen  Produktionsge- 
bieten durch  erhebliche  Mehrbelastung  der  auf  dem  Umwege  über 
die  europäischen  Umschlagshäfen  zu  Lande  oder  auf  Kanälen  und 
Flüssen  importierten  Mengen  zu  fördern  gesucht,  auch  den  Erträgen 
der  nationalen  Fischerei  auf  ähnliche  Weise  eine  Vorzugsstellung 
einzuräumen  gewußt  '^).  In  ihrer  Mehrzahl  waren  diese  Bestimmungen 
jedoch  als  Ausnahmen  gedacht  und  auch  als  solche  empfunden  worden. 

Durch  das  neue  Gesetz  nun  wurde  der  ihnen  zugrunde  liegende 
Gedanke  zum  Prinzip  erhoben,  konsequent  durchgeführt  und  systema- 
tisch ausgestaltet.  Diesen  Versuch,  wie  er  in  den  12  Artikeln  des  Ge- 
setzes über  die  Differenzialzölle  vom  21.  Juli  1844  und  den  10  Kapiteln 
der  dazu  erlassenen  königlichen  Ausführungsverordnung  gleichen 
Datums  niedergelegt  ist,  hier  in  allen  seinen  Verästelungen  genauer 
zu  verfolgen,  würde  nicht  lohnen.  Wichtiger  ist  die  Feststellung, 
daß  diese  Maßnahmen  vorwiegend  defensiven  Charakters  durch  eine 
Reihe  anderer  positiv  gerichteter  ergänzt  wurden.  Wie  jene,  ver- 
folgten auch  sie  den  ausgesprochenen  Zweck,  Belgien  wirtschaftlich 
auf  sich  selbst  zu  stellen,  es  von  der  vermittelnden  Tätigkeit  seiner 
europäischen  Nachbarn  zu  befreien,  direkte  Beziehungen  zwischen 
ihm  und  seinen  überseeischen  Kunden  und  Lieferanten  herzustellen, 
ja  dem  Lande  womöglich  einen  Ersatz  für  den  verlorengegangenen 
holländischen  Kolonialbesitz  zu  verschaffen. 


1)  S.  oben  S.  129  fg.  u.  S.  513  fg. 

2)  Genaueres  darüber  bei  Briavoinne,  De  l'industrie  en  Belgiqne,  Tome  II,  p.  44  ff. 
#ahrb.  f.  Nationaldk.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  41 


Q42  Heinrich  Waentig, 

Schon  in  den  dreißiger  Jahren  hatte  eine  Reihe  unternehmender 
Kaufleute  von  Brügge  und  Antwerpen  Handelsexpeditionen  aus- 
gerüstet, die,  von  staatlichen  Kommissaren  begleitet,  die  wirtschaft- 
lichen Zustände  überseeischer  Absatzgebiete  erforschen  und  persön- 
liche Gescliäftsbeziehungen  mit  ihren  Bewohnern  anknüpfen  sollten. 
Algier,  Tunis  und  Aegypten,  Brasilien  und  Hinterindien,  Chile,  Boli- 
via  und  Peru  wurden  nacheinander  besucht.  Eine  um  1840  zu  dem 
gleichen  Zwecke  geplante  Expedition  nach  China  unterblieb  noch 
im  letzten  Augenblicke  nur  mit  Rücksicht  auf  die  durch  den  englisch- 
chinesischen Krieg  geschaffene  Unsicherheit.  Dafür  verfaßte  der 
damalige  belgische  Konsul  in  Singapore,  Auguste  Moxhet,  einen  aus- 
führlichen Bericht  über  seine  auf  einer  Studienreise  nach  China 
gesammelten  Eindrücke  und  widmete  diese  Denkschrift  über  den 
chinesischen  Handel  den  Reedern,  Kaufleuten  und  Industriellen 
seines  Vaterlandes  '). 

Gleichzeitig  damit  war  man  bestrebt,  die  technischen  Mittel 
für  eine  überseeische  Handelsexpansion  bereitzustellen,  da  die  da- 
malige belgische  Kauffahrteiflotte  den  Ansprüchen  des  Fernverkehrs 
nur  zum  geringsten  Teile  zu  genügen  vermochte.  Schon  während 
der  holländischen  Zeit  waren  staatliche  Schiffbauprämien  ge- 
währt worden.  Das  Königreich  Belgien  übernahm  diese  Einrichtung. 
Ein  mehrfach  erneuertes  Gesetz  vom  7.  Januar  1837,  das  erst  am 
1.  Januar  1852  endgiltig  erlosch,  verhieß  für  alle  von  Belgiern  auf 
belgischen  Werften  gebauten  Segelschiffe  in  einem  Ausmaße  von  100 
bis  500  t  Prämien  in  Höhe  von  24  frcs.  pro  Tonne,  die  sich  im 
Falle  der  Verwendung  von  Metallen  für  Verkleidung  und  Verzapfung 
auf  30  frcs.  erhöhten.  Für  Dampfer  waren  die  entsprechenden 
Sätze  auf  32  bzw.  40  frcs.  bemessen,  und  zwar  ohne  Rücksicht  auf 
ihren  Raumgehalt.  Unter  Zugrundelegung  des  gebräuchlichsten  Satzes 
von  30  frcs.  pro  Tonne,  belief  sich  diese  Subvention  annähernd  auf 
7V9  bis  87«  Proz.  der  Baukosten  und  belastete  den  Staatssäckel  jähr- 
lich mit  rund  20  000  frcs.=^). 

Die  praktischen  Erfolge  der  durch  dieses  Gesetz  getroffenen 
Maßnahmen  scheinen  von  Anbeginn  recht  gering  gewesen  zu 
sein.  Im  ganzen  sind  seit  seinem  Inkrafttreten  bis  zum  20.  August 
1844  in  Belgien  nur  47  Schiffe,   darunter  zwei  Dampfer,  mit  einer 


1)  Vgl.  Le  Moniteur  Coraraercial,  Tome  IX,  1843,  p.  5  ff. 

2)  Vgl.  Discus>ion  de  la  loi  des  droits  dif  ^rentiela  du  21  juillet  1844,  Brnxelle» 
1844,  p.  C  f.,  und  Expns§  de  la  Situation  du  royaume  (Periode  d§eennale  de  1851  k 
iSöO),  public  par  le  Ministre  de  l'Interieur,  Tome  IIl,  B.uxelles  1865,  p.  304d«. 
Die  von  der  Rt-ja^ierung  an  ßeoder,  die  si<h  der  ilochseefischeivi  widmeten,  alljährlick 
in  einem  Gesamtbetrage  von  40  000  f»cs.  verteilten  Prämien  >olllen  mittelbar  wohl  eben- 
falls den  Schiffbau  befördein.  Gleiches  gilt  von  Artikel  8  des  Ge^etzl•s  über  die  Dif- 
ierenzialzölle  vom  21.  Juli  1844,  der  für  eine  18-monatige  Frist,  vom  Tage  seiner 
VeröffentUcliung  ab  gerechnet,  die  Assimilierung  fremdländischer  Schiffe  gegen  eine 
Gebühr  von  30  frcs.  pro  Tonne  vorsieht.  Dann  heißt  es  weiter:  „Le  gouvernement 
«st  autorise  ä  accorder  la  remise  du  droit,  ä  la  condition  que,  pour  chaque  navirc  na- 
tionaIi-6,  il  sera  construit  en  Belgique,  dans  un  d61ai  k  fixer,  un  navire  d'ane  capaeitft 
au  moina  §gale". 


Die  Grnndfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft   -  ß4^ 

öesamttonnage  von  10677  t,  also  einem  Durchschnittstonnengehalt 
von  227,2  t,  gebaut  worden.  Da  dieser  Zuwachs  jedoch  nicht  einmal 
genügte,  den  unterdessen  eingetretenen  Abgang  zu  ersetzen,  der 
von  1837  bis  1843  einschließlich  50  Schiffe  betrug,  während  in 
der  gleichen  Zeit,  mit  Genuß  der  Bauprämien,  nur  45  Schiffe  fertig- 
gestellt wurden,  so  begreift  man  nicht,  warum  das  Gesetz  nicht 
schon  viel  früher  fallen  gelassen  wurde. 

Schiffe  allein,  freilich,  genügten  noch  nicht.  Sollten  sich  die 
direkten  Verkehrsbeziehungen  zwischen  Belgien  und  den  übersee- 
ischen Gebieten  zu  dauernden  und  regelmäßigen  gestalten,  so  galt 
es,  die  ungeregelte  Fahrt  durch  die  Linienschiffahrt  zu  ersetzen. 
Hierbei  übernahm  die  Regierung  selber  die  Führung,  indem  sie  sich 
nebenher  von  dem  Wunsche  leiten  ließ,  wie  in  der  Eisenbahnfrage, 
auch  bei  der  Entwicklung  der  Dampfschiffahrt  auf  dem  euro- 
päischen Kontinente  bahnbrechend  zu  wirken ').  Daß  sie  bei  ihrem 
in  den  Jahren  1842/1843  unternommenen  Versuche,  mit  staatlichen 
Mitteln  einen  regelmäßigen  Dampf  schiff  verkehr  zwischen  Antwerpen 
und  New  York  zu  organisieren,  größtenteils  durch  eigene  Schuld 
ein  schweres  Fiasko  erlitt,  neben  empfindlichen  finanziellen  Ver- 
lusten noch  den  berechtigten  Spott  der  ganzen  Welt  über  sich  er- 
gehen lassen  mußte,  konnte  das  Vertrauen  der  Handelswelt  auf  ihre 
Weisheit  in  Sachen   der  Schiffahrtstechnik   nicht  gerade  erhöhen-). 

Trotzdem  ließ  man  sich  durch  diesen  ersten  Mißerfolg  nicht 
ins  Bockshorn  jagen ;  nur  änderte  man  das  System.    An  die  Stelle  der 

1)  Ueber  private  Proiekte  in  dieser  Richtung  vgl.  P.-H.  Pauw,  Les  chemins  de 
ler  et  la  navigation  ä  vsipeur  en  rapport  avec  les  relations  cxt^iieures,  les  inl^iSts  com- 
merciaiix  et  iudustricls  de  la  Bulgique,  Bruxelles  1838,  besonders  p.  14ff. ,  und 
G.-A.  Thompson,  L'uvenir  du  cheiiiin  de  fer  et  de  la  navigation  par  les  bäieaux  h 
vapeur  de  la  Belgique,   Hruges  1840. 

2)  Eine  humoristist  hc  8ehildcrung  des  ganzen  Falles  gibt  Ignaz  Enranda  in  seinem 
Bnche  Belgien  seit  seiner  Revolution,  Leipzig  1864,  S.  226  ff. ;  eine  sachliche,  an- 
flohcineiid  aus  offiziellen  Quellen  schöpfende  Auguste  Parent  in  seiner  Schrift  Du  com- 
merce de  Belgique  ä  jiropos  de  I'uffranchissement  de  l'h^caut,  ßruxelles  1863,  p.  187  ff. 
Im  w««cntlichen  stimmen  beide  Dan»tellungen  miteinander  überein.  Offenbar  hiitte  man 
sich,  von  Großmannssucht  gcpl;»gt,  beim  Ankauf  der  beiden  iür  den  neuen  Dienst  be- 
stimmten, von  der  General  Steem  Navigation  Company  gebauten  Dampfer  „President" 
und  „British  Queen",  deren  erster  bei  der  Probefahrt  unterging,  deren  zweiter 
wegen  übermäßigen  Kohlen  Verbrauches  und  versehie<ienilicher  Konstrulctionsfehler  nach 
ku'zer  Frist  als  unbiHU«hbar  aufgelegt  werden  mußte,  von  den  Briten  gehörig  über» 
Ohr  hauen  lassen.  Geradezu  un^jlaublich  aber  klingt  die  wohlverbürgte  Niiehricht^ 
daß  die  für  die  Heimreise  benötigten  Kohlen,  die  man  in  New  Yoik  zu  30  frcs.  die 
Tonne  hätte  haben  können,  dem  Dampfer  nus  der  Heimat  nuf  Segelschiffen  nach  Amerika 
zugeführt  wurden,  so  daß  sie  alles  in  allem  auf  über  60  frcs.  die  Tonne  zu  stehen 
kamen.  Kein  Wunder,  daß  man  nach  zweimaliger  Ueberfahrt  bei  einem  Defizit  von 
150  000  frcs.  landete.  „Nun  liegt  sie  müßig  im  Hafen",  schließt  Kuranda  seinen  Be- 
richt über  die  „British  Queen",  „an  ihrer  Seite,  rüstig  wie  ein  Wind^piil  neben  einer 
I^ärin,  pehen  wir  ein  klcints,  sehlnnkes  Dampfbdot,  auf  welchem  die  englische  Flagge 
wie  ein  höhnisches  Ausrufungszeichen  weht.  Dieses  leichte  Bof)t  hat  die  Steem  Naviga- 
tion Company  nicht  verkauft.  Denn  mit  diesem  und  noch  drei  anderen  seines  Gleichen 
besorgt  sie  die  einträgliehe  Ueberfahrt  nach  London,  sowohl  für  Heisende  als  auch  für 
Briefpost.  Man  hat  in  Belgien  den  Transport  nach  Amerika  an  sich  reißen  wollen 
nnd  ist  doch  nicht  einmal  so  weit  gekommen,  um  den  Transport  naeh  dem  12  bis 
14  Stunden  entlernten  London  für  die  Mailpost  an  sich  bringen  zu  können." 

41* 


()44  Heinrich  Waentig, 

staatlichen  Regie  trat  die  subventionierte  Privatunternelimung. 
Scheiterten  nun  auch  die  während  der  nächsten  zehn  Jahre  von 
auswärtigen  Kapitalisten  unternommenen  Versuche,  den  alten  Plan 
in  neuer  Form  zu  verwirklichen,  schon  an  der  Höhe  der  von  ihnen 
gestellten  Ansprüche,  so  gelang  es  dafür  1853,  zu  dem  gleichen  Zwecke 
eine  belgische  Dampfschiffahrtsgesellschaft  mit  einem  Aktienkapital 
von  5  Mill.  frcs.  auf  die  Beine  zu  bringen,  die  es,  gegen  eine  staat- 
liche Zinsgarantie  von  4  Proz.  des  tatsächlich  eingezaülten  Kapitals 
und  eine  Subvention  von  1200  frcs.  für  jede  Reise,  übernahm,  mit 
5  Schiffen  einen  regelmäßigen  Verkehr  (mindestens  12  Reisen  während 
des  ersten,  je  24  in  den  folgenden  Jahren)  zwischen  Antwerpen  und 
New  York  einzurichten. 

Leider  stieß  die  Durchführung  dieses  Unternehmens  von  Anbe- 
ginn auf  allerhand  finanzielle  und  technische  Schwierigkeiten,  die 
selbst  in  der  Folge  nicht  überwunden  werden  konnten.  Auch  die 
Lauheit  der  Antwerpener  Kaufmannschaft  scheint  an  seinem  Miß- 
lingen nicht  unbeteiligt  gewesen  zu  sein.  Jedenfalls  mußte  die  Ge 
Seilschaft  schon  1858  ihren  Dienst  wieder  einstellen,  um  im  Jahre 
darauf  zu  liquidieren.  Und  von  dem  gleichen  Schicksale  wurde  um 
dieselbe  Zeit  eine  1855  mit  einem  Kapitale  von  3,5  Mill.  frcs.  zum 
Betriebe  der  Linie  Antwerpen-Rio  de  Janeiro  gegründete  Dampf- 
schiffahrtsgesellschaft ereilt,  ohne  überhaupt  wirklich  in  Tätigkeit 
getreten  zu  sein.  Damit  schien,  auf  diesem  Gebiete  wenigstens,  die 
nationale  Initiative  vorläufig  erschöpft.  Denn  die  1859  für  den 
Dampfschiff  verkehr  nach  der  Levante  (Konstantinopel  und  Aegypten) 
ins  Leben  gerufene  „belgische"  Aktiengesellschaft,  die  der  Staat 
mit  einer  Subvention  von  330  000  frcs.  zu  unterstützen  versprach, 
sollte  mit  holländischem  Kapital  und  holländischen  Schiffen  arbeiten, 
nachdem  ein  ähnliches  Antwerpener  Projekt  des  Jahres  1855  in  den 
ersten  Vorbereitungen  stecken  geblieben  war. 

Glücklicher  war  der  Staat  als  Organisator  der  nationalen  Segel- 
schiffahrt mit  Hilfe  eines  behördlich  geordneten  Submissions  wesens ; 
wohl,  weil  man  dabei  an  alte  Ueberlieferungen  anknüpfen  konnte. 
Finanziell  beteiligte  er  sich  an  der  Kostendeckung  durch  die  Ge- 
währung einer,  je  nach  der  Länge  der  Reise  und  dem  Tonnengehalt 
der  von  Fall  zu  Fall  in  Dienst  gestellten  Schiffe,  abgestuften  Sub- 
vention, wofür  er  sich  einen  entscheidenden  Einfluß  auf  die  Be- 
messung der  Frachtraten  und  gewisse  andere  Vergünstigungen  aus- 
bedang. Nur  für  die  Ostasienfahrt  wurde  bis  lö4y  den  beteiligten 
Reedern,  anstatt  der  pekuniären  Unterstützung,  eine  für  die  Zeit 
der  Reise  aus  öffentlichen  Mitteln  besoldete,  ernährte  und  gekleidete 
volle  Bemannung  aus  den  Beständen  der  Kriegsmarine  zur  Ver- 
fügung gestellt^). 


1)  Vj»!.  hierzu  und  zu  dem  folgenden  Discussion  de  la  loi  des  droits  diff^rentiels, 
p.  LXXXIff.;  Expose  de  la  Situation  du  royaume  (1851—1860),  Tome  111,  p.  304ddf.; 
endlich  Le  Mouiteur  Commercial,  Tome  V,  1841,  p.  235  ff.,  Tome  VI,  1842,  p.  173  ff., 
Tome  VII,  1843,  p.  28  ff.,  Tome  IX,  1844,  p.  16  ff.,  Tome  XV,  1845,  p.  43  ff..  Tome  XIX, 
1846,  p.   53  ff.  usf.     um    einen   ungefähren  Begriff  von  der  Größe   der  gewährten  Sab- 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Yolkäwirtechaft.  ß45 

Eine  am  12.  Februar  1841  von  der  Regierung  begründete  Linie 
Antwerpen-Rio  de  Janeiro-Valparaiso  eröffnete  den  Reigen.  Dieser 
Dienst,  der  sich  anscheinend  bewährte,  wurde  im  folgenden  Jahre  auf- 
rechterhalten und  1843  durch  die  Linien  Antwerpen-Singapore,  Ant- 
werpen-New  York  und  Antwerpen-Vera  Cruz  ergänzt.  Seitdem  ver- 
ging dann  fast  kein  Jahr,  in  dem  nicht  zu  den  bereits  bestehenden 
neue  Linien  hinzufügt,  oder  die  alten  ausgebaut  worden  wären,  bis 
schließlich  der  ganze  Erdball  mit  einem  Netze  staatlich  subventio- 
nierter Linienschiffahrt  überzogen  war^).  Die  mittlerweile  in  den 
Frachtraten  eingetretene  Veränderung  machte  im  Laufe  der  Jahre 
auch  gewisse  Reformen  im  staatlichen  Subventionssystem  notwendig. 
Einzelne  Linien,  zuerst  die  Linie  Antwerpen-Rio  de  Janeiro,  dann 
die  Linie  Antwerpen-New  York,  traten  in  den  freien  Verkehr  zurück. 
Im  Jahre  1856  waren  die  staatlich  subventionierten  Linien  auf  die 
Antwerpen  mit  Singapore  und  Batavia,  Kalkutta  und  Bombay,  Sid- 
ney  und  Port  Philipp  und  mit  der  Insel  Mauritius  verbindenden  zu- 
sammengeschmolzen, bis  schließlich  gegen  Ende  der  fünfziger  Jahre 
auch  sie  als  solche  aufgegeben  wurden. 

Aber  die  Wünsche  nationalistischer  Wirtschaftspolitiker  ver- 
stiegen sich  noch  weit  höher.  Daß,  wie  gelegentlich  hervorgehoben 
wurde,  die  Handelsbeziehungen  zwischen  dem  holländischen  Mutter- 
lande und  seinen  Kolonien,  insonderheit  Java,  erst  nach  dem  Bruche 
ihren  entscheidenden  Aufschwung  genommen  hatten,  Belgien  jeden- 
falls dabei  zu  kurz  gekommen  schien  2),  war  für  die  jenes  Marktes 
Beraubten  nur  ein  schwacher  Trost.  Hier  einen  Ersatz  zu  schaffen 
und  zugleich  den  immer  bedrohlicheren  Bevölkerungsüberschuß 
auswärts  abzuleiten,  schien  des  Schweißes   auch  der  Edelsten  Wert. 


Tention  za  geben,  sei  erwähnt,  daß  sie  z.  ß.  Mitte  der  vierziger  Jahre  für  die  Linie 
Antwerpen-New  York  10  fres.  pro  Tonne  bis  zum  Höchstbetrag  des  250- fachen,  für  die 
Linie  Antwerpen- Konstantinopel  15  fros.  pro  Tonne  bis  zum  Böohstbetrage  des  150- 
fachcn,  für  die  Linie  Antwerpen- Vera  Cruz  30  fres.  pro  Tonne  bis  zum  Höohsibetrage 
des  175-fachen,  für  die  Linie  Antwerpen-Valparaiso  60  fres.  pro  Tonne  bis  zum  Höchst- 
betrage des  175-fachen  für  jede  Ausreite  betrug.  Eine  für  die  staatlich  subventionierten 
Linien  aufgestellte  Segelliste  des  Jahres  1844  zeigt  für  die  Fahrt  nach  Bahia  2,  Kon- 
stantinopel 6,  New  York  8,  Singapore  3,  Valparaiso  2,  Vera  Cruz  4  Ausreisen.  Die 
sch&n  damals  ohne  staatliche  Subvention  von  der  „Soci&t6  maritime  beige"  bediente 
Linie  Antwerpen-Rio  de  Janeiro  hatte  für  das  gleiche  Jahr  deren  6  aufzuweisen. 

1)  Erwähnt  seien  außer  den  im  Text  bereits  genannten  namentlich  die  subven- 
tionierten Linien  Antwerpen-Konstantinopel  und  Antwerpen-Bahia  (1844),  Antwerpen- 
Santo-Thomas  de  Guatemala  (1847).  AntwerpenGalatz  (1848),  Anlwerpen-Sidney  (1851), 
Antwerpen-La  Guyara  de  Venezuela  (1853),  Antwerpen-Istapa  und  Antwerpen-Kalkutta 
(1854). 

2)  Das  wurde  mit  besonderer  Energie  gelegentlich  der  Vorbesprechung  über  die 
Handels-  und  Gewerbeenquete  von  1840  von  dem  damaligen  Minister  des  Innern  be- 
tont. „8avez-vous  ce  que  valait  h  la  Belgique  la  fam«  use  colonie  de  Java",  rief  er  aus, 
„savez-vous  k  quel  chiffre  se  montaient  nos  exportations  pour  cette  ile?  II  n'a  Jamals 
6t§  que  de  einq  millinns  et  dcmie  duns  Tann^e  la  plus  pros-pire  du  royaume  des  Pays- 
Bas;  et  maintenant  que  nous  sommes  s§par§s  de  la  Hollande,  nous  voyons  qu'cn  une 
seule  annle,  en  1838,  notre  commerce  maritime  s'est  accrü  de  neuf  millions  sur  l'annee 
pr§(ldente,  äquivalent  ä  une  fois  et  demie  nos  exportations  pour  Java  pendant  la  plus 
grande  prosp§iit§  de  nos  relations  avec  cette  colonie".  Vgl.  Situation  commerciale  et 
industrielle  de  la  Belgique,  premifere  Partie,  p.  35. 


(^46  Heinrich  Wsentig, 

wobei  des  öftereu  die  nicht  ganz  uneigennützige  Erwartung  mit- 
sprechen mochte,  unter  der  Hand  erworbene  überseeische  Landkon- 
zessionen derart  am  ergiebigsten  verwerten  zu  können.  Bezeichnend 
war  es  immerhin,  daß  gerade  der  belgische  Adel  solchen  Kolon ial- 
projekten  sein  Interesse  zuwandte. 

[Jm  1839  einsetzend,  erreicht  diese  koloniale  Expansionsbewegung 
mit  der  Verschärfung  der  flandrischen  Leinenkrise  um  die  Mitte  der 
vierziger  Jähre  ihren  Höhepunkt,  um  von  da  ab  langsam  wieder  ab- 
zuflauen. Phantastische  Pläne  aller  Art,  teils  von  privater  Seite, 
teils  von  belgischen  Auslandskonsuln,  teils  von  der  heimischen 
Regierung  ausgehend,  durchschwirren  die  Luft,  und  eine  Zeitlang 
scheint  es  fast  als  sollte  die  ganze  Welt  mit  belgischen  Siedelungen 
der  verschiedensten  Art  bedacht  werden.  Einige  Male  kommt  es  zu 
Präliminarverhandlungen  mit  auswärtigen  Regierungen,  seltener  zu 
wirklichen  Anläufen.  In  einem  Falle,  beim  Erwerb  eines  kleinen 
Gebietes  der  zentralafrikanischen  Westküste  an  der  Mündung  des 
Rio  Nufiez,  tritt  der  belgische  Staat  selber  als  Kolonisator  auf. 
Doch  ist  von  allen  diesen  Projekten  im  Grunde  nur  ein  einziges  in 
größerem  Stile  zur  praktischen  Durchführung  gelangt^). 

Philanthropische,  religiöse  und  ökonomische  Motive  haben,  wie 
es  scheint,  zusammengewirkt,  um  eine  Anzahl  belgischer  Notabiii- 
täten  „entre  les  plus  eminents  par  le  rang  et  la  fortune"  zu  be- 
stimmen, sich  1841,  unter  offizieller  Billigung  von  Staat  und  Kirche, 
zur  „Compagnie  beige  de  colonisation"  zusammenzuschließen,  mit  dem 
Zwecke,  belgischem  Bevölkerungsüberschuß  ein  neues  Arbeitsfeld, 
belgischem  Produktenüberschuß  ein  neues  Absatzgebiet  zu  erschließen. 
Sie  erwarb  von  einer  englischen  Gesellschaft  um  den  Preis  von 
840  000  frcs.  und  gegen  Lieferung  von  2000  Gewehren  und  18  Ge- 
schützen an  die  dortige  Regierung  auf  „ewige  Zeit"  das  Privat- 
eigentum am  Hafen  und  Bezirk  (404  656  ha)  von  Santo-Thomas  de 
Guatemala,  das  sie  alsbald  mit  belgischen  Kolonisten  zu  besiedeln 
begann.  Aber  schon  wenige  Jahre  später  war  ein  großer  Teil  dieser 
Auswanderer  elendlich  zugrunde  gegangen,  und  das  ganze  Unter- 
nehmen in  vollster  Auflösung  begriffen,  so  daß  die  belgische  Regie- 
rung sich  1847  genötigt  sah,  um  größeres  Unheil  zu  verhüten,  den 
Ueberlebenden  die  Rückkehr  in  die  Heimat  zu  ermöglichen,  während 


1)  Ueber  die  belgischen  Kolonisationsbestrebungen  jener  Zeit  im  allgemeinen  nnd 
ihre  Beziehungen  zur  Auswranderungsfrage  im  besonderen  vgl.  Jules  Duval,  Histoire  de 
l'gmigration  europeenne,  asiatique  et  africaine  au  XIX  siöcle,  ses  causes,  ses  caraci^ree, 
ses  effets,  Paris  1862,  p.  115  ff.  Em.  Verstraete,  Histoire  des  travaax  et  projeta  de 
colonisation  des  Beiges,  in  dem  Bulletin  de  la  Soci6t§  beige  de  göographie,  4.  Ann§e  1880, 
p.  637  ff.,  5.  Ann&e  1881,  p.  5  ff.,  120  ff.  lieber  Santo-Thomas  de  Guatemala  im  be- 
sonderen vgl.  auch  G.T.  Pousain,  Li  Belgique  et  les  Beiges  depuis  1830,  Paris  1835,  p,  373  ff. , 
Em.  Verstraete,  Moyens  de  d§velopper  les  relations  commerciales  de  la  Belgique,  Bruzelle» 
1875,  p.  55  ff.  Einen  umfassenden  Berieht  über  die  wirtschaftliche  Lage  der  Kolonie 
nach  mehrjährigem  Bwttehen,  offenbar  nach  amilichen  Quellen,  enthält  Le  Monitear 
Commercial,  Tome  XXIV,  1847,  p.  5  ff.  Ein  ähnliches  Projekt,  das  auf  die  Besiedelang 
der  brasilianischen  Provinz  Santa-Katharina  abzielte,  endete  in  gleicher  Weise. 


Die  Grandfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  ^7 

die  Kolonialgesellschaft  selbst,  unfähig,  die  von  ihr  eingegangenen 
Verbindlichkeiten  zu  erfüllen,  sich  auflöste. 

Noch  1845  hatte  G.  T.  Poussin  der  jungen  Kolonie  eine  günstige 
Prognose  stellen  zu  können  geglaubt.  „Le  commerce  de  la  ßelgique", 
bemerkt  er  abschließend,  „est  appel6  ä  retirer  de  tres  grands  b6n6- 
fices  de  cette  colonisation  par  les  Privileges  et  les  droits  accord^s  ä 
la  compagnie;  et,  sous  ce  point  de  vue,  nous  sommes  port^s  ä  consi- 
d^rer  la  colonisation  de  Santo-Thomas  comme  une  oeuvre  vraiment 
nationale,  qui  devra  prouver  un  jour  la  profondeur  et  la  sagesse  des 
pr6visions  commerciales  de  ses  fondateurs."  Tatsächlich  ist  gerade 
das  Gegenteil  davon  eingetreten.  Und  mag  auch  die  Art  seiner 
Durchführung,  die  aller  Erfahrung  Hohn  sprechende  Verquickung 
eines  tropischen  Siedelungsunternehmens  mit  einem  sozialistischen 
Experimente,  den  schließlichen  Zusammenbruch  nicht  wenig  be- 
schleunigt haben,  im  Grunde  war  das  ganze  Projekt  schon  in  seiner 
Anlage  verfehlt^). 

Was  aber  von  diesem  einen  Teile,  das  galt,  genau  besehen,  von 
dem  ganzen  Systeme  nationalistischer  Wirtschaftspolitik.  Aus  so- 
gleich näher  zu  erörternden  Gründen  ist  es  unmöglich,  ihre  wirk- 
lichen Ergebnisse  einwandfrei  festzustellen.  Deshalb  erübrigt  es  sich, 
dieser  an  sich  interessanten  Frage  hier  genauer  nachzugehen.  Sicher 
ist,  daß  ihre  Resultate  in  keinem  Verhältnis  zu  dem  Grade  der  auf 
ihre  Durchführung  verwendeten  Energie  gestanden  und  daß  sie  die 
wirtschaftliche  Gesamtlage  Belgiens  nicht  wesentlich  verändert  haben. 
Wenn  irgendwo,  so  hätten  ihre  Rückwirkungen  in  der  Entwick- 
lung der  nationalen  Handelsflotte  und  in  der  Gestaltung  des  Schiffs- 
verkehrs der  belgischen  Häfen  zutage  treten  müssen.  Wie  es  damit 
stand,  beleuchten  die  folgenden  Ziffern  2). 


1)  Verstraete  macht  fnr  die  Ergebnislosiekeit  der  Expedition  nach  der  Mündung 
de»  Rio  Nufiez,  wie  für  das  Scheitern  des  im  Text  geschilderten  Unternehmens,  die  bel- 
gische Regierung  verantwortlich,  fügt  aber  sehr  richtig  hinzu,  „qu'il  y  a  tout  lieu  de 
croire  anssi  qu'il  se  füt  fait  des  ennemis  irr^conciliables,  de  l'Angleterre  dans  le  premier 
eas,  des  Pays-Bas,  sinon  de  l'Angleterre,  dans  le  second".  (Bulletins  de  la  8oci^t6 
beige  de  g§ogrnphie,  quntri^me  ann^e  1880,  p.  679.)  In  der  Tat  sah  sie  sich,  außer 
durch  finanzielle,  besonders  auch  durch  diplomatische  Schwierigkeiten  in  ihren  kolonialen 
ExpanBionsbeüircbungrn  gelähmt.  Die  Bilanz  derselben  bis  zu  Ende  der  vierziger  Jahre 
wird  iu  einer  interessanten,  Varlet  zuzuschreibenden  Denkschrift  „De  la  colonisation" 
vom  29.  Januar  1848  gezogen,  die,  soweit  ich  habe  feststellen  können,  nicht  im  Druck 
erschienen,  als  Manuskript  jedm'h  in  der  Bibliothek  des  belgischen  Ministeriums  der 
auswärtigen  Angelegenheiten  aufbewahrt  wiid.  Der  Autor  verhält  sich  darin  im  all- 
gemtinen  äußerst  skeptisch,  empfiehlt  unter  den  für  einen  Erwerb  eventuell  in  Frage 
kommenden  Inseln  auch  die  ln^'el  —  Helgoland,  im  übrigen  die  Anlegung  einer  oder 
mehrerer  militärischer  Niederlassungen  an  der  afrikanischen  Westküste  zum  Schutze  des 
belgischen  Handels.  Als  Anhang  enthält  die  Denkschrift  eine  ausführliche  Urbcrsicht 
sämtlicher  seit  lu30  bei  der  belgischen  Regierung  aufgetauchten  Kolonialprojckte,  die 
sich,  wie  schon  im  Text  angedeutet  wurde,  über  alle  Breiten  und  Weltteile  erstreckten. 

2)  Expos6  de  la  Situation  du  royaume  (1851  — 1860^  Tome  III,  p.  304 gg  f.  Das 
Urmaterial  ist  dem  Lloyd  anversois  und  dem  Antwerpener  Pr^curseur  entnommen.  Die 
mitgeteilten  Ziffern  sind  nach  der  Angabe  des  Bearbeiters  nicht  als  exakte  zu  betrachten, 
entsprechen  aber  im  wesentlichen  den  Tatsachen. 


6^48 


Heinrich  Waentig, 


Stand  der  belgischen  Handelsmarine  am  31.  Dezember 
der  Jahre  1837,  1843,  1851,  1855,  1858,  1861. 


Jahre 

ÄDZflhl: 

Tonneneehnlt: 

Segler 

Dampfer 

im  ganzen 

Segler 

Dampfer 

im  ganzen 

1837 

151 

4 

155 

21  620 

M77 

23097 

1843 

»34 

8 

142 

21  971 

5034 

27005 

1851 

157 

6 

163 

34816 

1377 

36193 

1855 

150 

8 

158 

37  957 

5392 

43  349 

1858 

13Ö 

6 

142 

38831 

33>7 

42148 

1861 

103 

8 

III 

27252 

4484 

31736 

Danach  ist  von  1837  bis  1851,  das  ist  während  der  Geltungsdauer 
des  Gesetzes  über  die  Schiffbauprämien,  ein  geringfügiges  Anwachsen 
der  Schiffszahl,  ein  stärkeres  ihres  Tonnengehaltes,  zu  konstatieren. 
Die  Höchstzahl  der  Schiffe  wird  1851,  das  Höchstmaß  ihres  Tonnen- 
gehaltes 1855  erreicht.  Von  da  ab  setzt  ein  Niedergang  ein,  ein 
Symptom  dafür,  daß  der  durch  die  staatliche  Politik  der  privaten 
Initiative  gegebene  Anstoß  nicht  von  Dauer  gewesen  ist. 

Dabei  ist,  wie  die  folgende  Uebersicht  zeigt*),  der  Schiffs- 
verkehr in  den  belgischen  Häfen  bedeutend  gewachsen.  Es  betrug 
nämlich  im  Durchschnitt  der  Periode  1851—1860  gegenüber  der 
Periode  1841 — 1850  die  Zunahme  der 

nach 

i  Zahl  63  Proz. 
einlaufenden  Schiffe  <j  Tonnengehalt    50      „ 

l  Ladung  49      „ 

{Zahl  61  Proz. 

Tonnengehalt  50      „ 
Ladung             119      „ 

Doch  ist  an  diesem  Aufschwung  die  belgische  Flagge  in  sinkendem 
Grade  beteiligt.  Belief  sich  doch  ihr  Anteil  an  der  gesamten  Schiffs- 
bewegung  im  Durchschnitt  der  Perioden 


für 


nach  1841—50 

[Zahl  auf  19  Proz. 

einlaufende  Schiffe  <  Tonnengehalt     ,,21      „ 
l  Ladung  „21      „ 

{Zahl  auf  19  Proz. 

Tonnengehalt     „21      „ 
Ladung  „    30      „ 

Auch  hat  sich  das  Maß  der  Ausnutzung  des  verfügbaren  Schiffs- 
raumes während  der  zweiten  Periode  für  die  belgischen  Schiffe  eher 
ungünstiger  gestaltet  als  für  die  fremdländischen.  Denn  es  betrug 
das  Verhältnis  der  tatsächlichen  Ladung  zur  verfügbaren  Tonnage 
im  Durchschnitt  der  Perioden 


1851—60 

16  Proz. 

17  ., 
15      » 
12  Proz. 
17      „ 
19      .. 


1)  Exposfe  de  la  Situation  du  royaume  (1851—1860),  Tome  III,  p.  304»  ff.  Die 
Ziffern  der  2.  und  4.  Tabelle  entsprechen  zum  Teil  nicht  den  in  der  zitierten  Quelle  an- 
gegebenen. Letztere  mußten  wegen  offenkundiger  Eechenfehlcr  ergänzt  und  korrigiert 
werden.     Sie  bedeuten,  wie  übrigens  auch  alle  anderen,  nur  Annäherungswerte. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Yolkswirtechaft.  64& 

für 


1841-50 

1851—60 

87  Proz. 

80  Proz. 

87      „ 

87      „ 

43  Proz. 

52  Proz. 

28      „ 

45      „ 

auslaufende  ^  ^e^ß'sche  Schiffe 
auslaufende  ^  ^^^^^^  g^^^.  ^^^ 

Endlich  ist,  durchaus  entgegen  den  angestrebten  Zielen,  der 
rerhältnismäßige  Anteil  der  belgischen  Flagge  am  Schiffsverkehr  mit 
den  außereuropäischen  Ländern  eher  noch  stärker  gesunken  als  der  aa 
der  europäischen  Fahrt.  Es  betrug  nämlich  der  Anteil  belgischer 
Schiffe  im  Durchschnitt  der  Perioden 

Auf  der  Fahrt  von 

und  nach:  nach         1841—50  1851—60 

(Zahl  20  Proz.  17  Proz. 

europäischen  Häfen  <  Tonnengehalt  23      „  17     „ 

[Ladung  23      „  22     „ 

{Zahl  29  Pro/.  23  Proz. 

Tonnengehalt  25      „  18     „ 

Ladung  25      „  18     „ 

Kein  Wunder,  daß  sich  die  Broschürenliteratur  der  ausgehende» 
fünfziger  Jahre  ^)  über  den  Rückschritt  der  belgischen  Handels- 
schiffahrt und  den  Niedergang  Antwerpens  beklagt;  daß  eine,  wohl 
von  hoher  Stelle  inspirierte,  Brialmont  zugeschriebene  Broschüre  des 
Jahres  1860  unter  dem  Titel  Complement  de  Poeuvre  de  1830,  als 
wäre  bisher  in  dieser  Richtung  nicht  das  Geringste  geschehen,  die 
Begründung  belgischer  Handelsniederlassungen  in  transatlantischen 
Gebieten,  besonders  in  China,  fordert;  daß  Ernest  van  Bruyssel  einige 
Jahre  später  in  seinem  Buche  L'industrie  et  le  commerce  en  Bel- 
gique  auf  Grund  eines  umfassenden  Beweismaterials  den  Nachweis 
zu  führen  sucht,  daß  Belgien  noch  immer  direkter  Beziehungen  zu 
seinen  überseeischen  Kunden  und  Lieferanten  ermangele  2).  „Notre 
pays  n'a  presque  point  de  relations  directes  avec  les  marches  colo- 
niaux",  so  schließt  er  seine  Betrachtungen,  „et  ne  les  exploite  que 
par  des  intermediaires.  En  1860,  le  port  d'Anvers  regut  2568  na- 
vires  d^une  capacite  de  546  444  tonneaux ;  en  1865,  il  en  regut  2166, 

1)  Coonaans  et  H.  F.  Matthyssens,  Etüde  sur  les  questions  d'int§r^t  mat^riel  ä  l'ordr« 
du  jour,  Bruxelles  1848,  besonders  p.  67  ff.;  Petition  adressfee  ä  Sa  Majestfe  le  roi  de» 
Beiges  par  la  commission  de  la  5.  öection  et  des  faubourgs  d'Anvers,  suivie  d'une  notice 
historiqiie  sur  le  commerce  de  ce  port  depuis  le  16.  siöcle  jusqu'ä  nos  jours,  Anven 
1854;  Extrait  d'un  rapport  adressfe  au  gouvernement  le  29  ocioi)re  1857  par  M.  Mox- 
het,  consul  g6n6ral,  charg§  d'une  exploration  dans  les  ports  beiges,  n^erlandais,  alle- 
mands  et  frarjais,  im  Boniteur  beige  vom  26.  November  1858,  p.  4e76f.;  Dgcadence 
du  port  d'Anvers,  mesures  r§clam§es  dans  les  rapports  g§n^ranx  et  dans  la  corre- 
spondence  de  la  Chambre  de  Commerce  d'Anvers  1858,  besonders  p.  35  ff. ;  J.  G,, 
Lettres  sur  la  dfecadence  du  port  d'Anvers,  Anvers  1859;  (Brialmont),  Compllment  de 
l'oßuvre  de  1830,  etablissements  ä  cr6er  dans  les  pays  transatlantiques,  avenir  du  oom- 
meree  et  de  l'industrie  beige,  Bruxelles  1860. 

2)  Ernest  van  Bruyssel,  L'industrie  et  le  commerce   en  Belgique,   lenr  6tat  actuei 
et  leur   avenir,    Bruxelles    1868,   p.    158  ff.,    177  ff.,    191  ff.     Hier    zahlreiche  aus   dem 
belgischen   Konsnlatsberichten  geschöpfte   Beispiele   für   das  Fortbestehen    des  „indirek 
ten"  Handels.     Englische  und  französische,  holländische  und  deutsche  Häfen  teilen  sieb. 
jetzt  in  diese  Vermittlertätigkeit. 


^0  Heinrich  Waentig, 

«'est-ä-dire  402  de  moins,  bien  que  d'un  tonnage  un  peu  plus  eleve, 
Est-ce-lä  un  progrös,  aprfes  cinq  ans  de  travaux  et  d'efforts?" 

Gleichwohl  wäre  es  verfehlt,  aus  dem  Gesagten  grundsätzliche 
Schlüsse  auf  den  praktischen  Wert  der  geschilderten  Wirtschafts- 
politik ziehen  zu  wollen.  Dies  schon  deshalb,  weil  sie  von  An- 
beginn nicht  konsequent  durchgeführt  wurde.  In  dieser  Hinsicht 
war  die  auf  Grund  des  Artikels  6  des  Gesetzes  vom  21.  Juli  1844 
Aber  die  Differenzialzölle  erlassene  königliche  Verordnung  gleichen 
Datums,  welche  die  Schiffe  der  Vereinigten  Staaten  und  ihre  Ladungen 
im  direkten  Verkehre  den  belgischen  „assimilierte"  *),  von  symbolischer 
Bedeutung,  zumal  ihre  Begründung  mit  dem  Hinweis  auf  die 
Terhältnismäßige  Geringfügigkeit  der  belgischen  Ausfuhr  nach  den 
Vereinigten  Staaten,  gegenüber  der  amerikanischen  nach  Belgien,  und 
auf  das  Zurücktreten  der  belgischen  Flagge  im  wechselseitigen  Schiffs- 
verkehre wohl  eher  zu  entgegengesetzten  Maßnahmen  hätte  anregen 
müssen. 

Handelte  es  sich  nun  in  diesem  Falle  immerhin  um  ein  über- 
seeisches Gebiet,  das  in  dem  damaligen  Stadium  seiner  wirtschaft- 
lichen Entwicklung  für  Belgien  fast  ausschließlich  als  Ursprungsland 
von  Nahrungs-  und  Genußmitteln  sowie  industriellen  Rohstoffen  in 
Betracht  kam,  so  galt  gleiches  gewiß  nicht  von  dem  holländischen 
Nachbar.  Dem  politischen  Friedensschlüsse  von  1839  war  durch 
ien  Haager  Vertrag  vom  5.  November  1842  und  den  ihm  ange- 
schlossenen Handels-  und  Schiffahrtsvertrag  vom  selben  Tage  ein 
wirtschaftliches  Einvernehmen  gefolgt,  das  in  Artikel  41  ff.  des 
ersteren  den  belgischen  Schiffahrts-  und  Handelsverkehr  auf  dem 
Rheine  regelte,  im  letzteren  die  Gleichstellung  belgischer  und  hollän- 
discher Schiffe  und  ihrer  Ladungen  bei  der  Benutzung  der  belgisch- 
holländischen Binnengewässer  im  direkten  Verkehr  verfügte'-^).  Da 
nun  überdies  Artikel  3,  Nr.  3  des  Gesetzes  vom  21.  Juli  1844  über 
die  Differenzialzölle  besondere  Vergünstigungen  für  die  Einfuhr  von 
7  Millionen  kg  holländischen  Kaffees  und  180000  kg  überseeischen 

1)  Der  im  Text  zitierte  Artikel  6  des  Gesetzes  vom  21.  Juli  1844  über  die 
Differenzialzölle  lautete:  „Les  produits  de  l'Asie,  de  l'Afrique  et  de  PAmgriquc  arrivant 
<älirectement  en  Belgique  sous  pavillon  du  pays  dont  ils  sont  originaires  et  d'oü  ils  sont 
import^ä,  pourrontStreadmis  surle  meme  piedque  sous  pavillon  beige, 
lorrsque  celui-ei  ne  sera  pas  soumis  dans  ce  pays  ä  d'autres  ni  ä  de  plus  forts  droits 
^e  le  pavillon  national.  Le  Gouvernement  est  autoris§  k  prendre,  par  arr6tfe  royal, 
lea  mesures  n§eessaires  ä  cet  effet." 

2)  Der  entscheidende  Passus  des  belgisch-holländischen  Handels-  und  Schiffahrt»- 
rertrages  vom  5.  November  1842  lautete:  „Les  navires  et  leurs  cargaisons  venant  di- 
reetement  par  les  riviöres  et  canaux,  soit  de  la  Belgique  dans  les  Pays- Bas,  sous  pavillon 
beige,  soit  des  Pays- Bas  en  Belgique,  sous  pavillon  n§erlandais,  juiront  r^iproquement 
iant  ^  l'entr^e  qu'ä  la  soriie  ou  k  leur  passage,  sans  pr&judice  des  stipulations  de  l'ar- 
4i«le  41  du  trait§  sign§  ce  jour  ä  la  Haye,  de  toutes  les  exemptions  ou  autres  faveurs 
«n  mati^re  de  droits  ou  chargcs  quclconques  de  douane,  de  patente  ou  de  navigation, 
«mi  sont  ou  seront  accord§es  aux  navires  nationaux  et  ä,  leurs  cargaisons.  de  teile  sorte  que, 
^ans  aucun  cas  et  sous  aucun  pr§texte,  les  dits  navires  et  leurs  car- 
gai><ons  ne  pourront,  de  part  et  d'autre,  6tre  imposfes  ä  des  droits  ou 
pftages  autres  ou  plus  61ev§s,  que  les  navires  nationaux  et  leurs 
«"•rgaisons." 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  Q51 

Tabaks  auf  dem  Umwege  über  Holland  gewährte,  so  war  auch  der 
Fortdauer  des  grundsätzlich  verpönten  indirekten  Handels  gerade 
ao  einem  der  gefährlichsten  Punkte  Tür  und  Tor  geöffnet. 

Mochte  nun  auch  die  zwischen  beiden  Ländern  noch  lange  fort- 
dauernde politische  Spannung  den  durch  ihre  wohlverstandenen 
Interessen  nahe  gelegten  wirtschaftlichen  Zusammenschluß  vorläufig 
verhindern  0,  das  auf  geschichtlicher  Ueberlieferung  beruhende  und  in 
weiten  Kreisen  der  belgischen  Bevölkerung  lebendige  Gefühl  der 
Anlehnungsbedürftigkeit  mußte  dadurch  eher  noch  verstärkt  werden. 
Daß  es  sich,  im  Widerspruch  mit  der  herrschenden  Theorie  und  der 
ihren  Spuren  folgenden  nationalistischen  Wirtschaftspolitik  der 
führenden  Staatsmänner,  unaufhaltsam  durchzusetzen  wußte,  ja,  nach 
kurzem  Kampfe  das  mühselig  geschaffene  Isolierungssystem  an  allen 
Ecken  und  Enden  durchbrach,  war  bezeichnend  für  die  unwider- 
stehliche Kraft  der  ihm  zugrunde  liegenden  realen  Bedürfnisse. 

„Ce  fut  de  la  Belgique",  hat  später  Guizot  in  seinen  Memoiren 
kategorisch  erklärt  2),  „que  nous  vint  la  proposition  formelle  de 
Punion  douaniere  qui,  depuis  1831,  etait,  entre  les  deux  pays,  un 
sajet  de  publications,  de  conversations  et  de  discussions  continuelles. 
En  1840,  sous  le  ministere  de  M.  Thiers,  la  question  avait  ete  pos6e 
et  une  negociation  entamee.  Elle  fut  reprise  en  juillet  1841;  quatre 
Conferences  eurent  lieu  ä  Paris,  dans  le  mois  de  septembre,  entre 
quelques-uns  des  ministres  et  plusieurs  commissaires  des  deux  fitats. 
Je  les  presidai.  De  part  et  d'autre,  les  dispositions  etaient  circon- 
spectes:  nous  ne  voulions  pas  faire  payer  trop  eher,  k 
notre  industrie  et  ä  nos  finances,  l'avantage  politi- 
que  que  devait  nous  valoir  l'union  douaniere,  et  les 
Beiges  voulaient  payer  au  moindre  prix  politique  pos- 
sible  Pavantage  industriel  qu'ils  recherchaient.  lls 
proposerent  cependant  Pabolition  de  toute  ligne  de 
douane    entre    les    deux    pays    et    l'etablissement    d*un 


1)  Erst  ein  Vierteljahrhnndert  später  durfte  Fr^re-Orban  mit  einiger  Aassicht 
aaf  Erfolg  die  Möglichkeit  eines  Zoll*  und  Wirtschaftsbündnisses  zwischen  Belgien  und 
Holland  erwägen.  Wie  1869,  wurde  darüber  1878  und  1883,  endlich  wieder  1005, 
verhandelt,  ohne  daß  man  dabei  zum  Ziele  gekommen  wäre.  Vgl.  dazu  Paul  Hymana, 
Krire-Orban,  Braxellcs,  Tome  II,  p.  338  ff. ;  zusammenfassend  Hans  Gehrig,  Pläne 
eines  belgii^ch-holländischen  Zollvereins,  in  der  Zeitschrift  Der  Beifried,  1.  Jahrgang 
1917,  8.  519  ff.  Eine  zu  dem  gleichen  Zwecke  1906  begründete  „Commission  hollando- 
belge*"  trat  in  diesem  Jahre,  dann  wiederum  1909  und  1910  zusammen.  Die  für  das 
Jahr  1912  nach  dem  Haag  einberufene  vierte  Sitzung  kam  nicht  zustande.  Dafür  ent- 
wickelte im  Jahre  1913  der  Holländer  H.  J.  Kiewitt  de  Jonge  das  Projekt,  die  sechn 
Kleinstaaten  des  nordwestlichen  Europas,  Holland,  Belgien,  Dänemark,  Norwegen, 
Bchwcden  und  die  Schweiz,  wirtschaftlich  zusammenzuschließen.  Auch  erfolgte  die  Grün- 
dung einer  besonderen  Zeitschrift  mit  dem  Titel  „Les  six  £tats,  Revue  pour  les  §tatB 
»eeondaires  du  Nordouest  de  l'Europe".  Praktische  Ergebnisse  wurden  jedoch  damit 
nicht  erzielt. 

2)  Fran^ois  Guizot,  M§moires  pour  servir  ä  l'histoire  de  mon  temps,  Tome  VI, 
Pari»   1864,  p.  276  ff. 


552  Heinrich  Waentig, 

tarif  unique  et  identique  sur  leurs  aotres  fronti^res, 
C'6tait  l'union  douaniöre  vraie  et  compUte". 

Guizot's  Darstellung  ^) ,  die  materiell  richtige  Tatsachen  zu 
einem  in  seinem  Kerne  doch  durchaus  irreführenden  Gesamtbilde  des 
Vorgefallenen  verwebt,  macht  seinem  diplomatischen  Geschick,  alle 
Ehre.  Mußte  ihm  doch  zu  einer  Zeit,  da  das  zweite  Kaiserreich 
sich  mit  allen  Mitteln  auf  die  Wiedereroberung  Belgiens  rüstete, 
nicht  wenig  daran  liegen,  die  immer  gleichen  geheimen  Ziele  der 
französischen  Politik  zu  verschleiern  und  vor  aller  Welt  Belgien  als 
den  seine  Einverleibung  betreibenden  Faktor  hinzustellen,  wie  er 
denn  auch  die  französischen  Botschafter  1842  in  diesem  Sinne  in- 
struiert hatte.  Tatsächlich  haben  sich  die  in  Frage  kommenden 
Ereignisse  ganz  anders  abgespielt. 

„Sauf  quelques  esprits  genereux,  qui  comprennent  Phonneur 
national,  toute  la  jeunesse  est  frangaise",  hatte  noch  im  Januar  1831 
von  Lüttich  aus  Hennequin  an  Rogier  geschrieben.  Gewiß,  die 
jugendlichen  Führer  der  belgischen  Revolution  aus  bürgerlichen 
Kreisen  liebten  Frankreich.  Sie  liebten  es  mit  blinder  Leidenschaft, 
vor  allen  aus  politischen  Gründen.  Wie  hätten  sie  auch  von  ihrem 
Standpunkte  aus  anders  empfinden  sollen?  Lieber,  als  unter  dem 
holländischen  Joche  zu  verbleiben,  wollten  sie  sich  der  westlichen 
Schutzherrin  der  „Freiheit"  in  die  Arme  werfen.  Selbst  Rogier,  als 
Sohn  eines  belgischen  Vaters  und  eine  französischen  Mutter  auf 
französischem  Boden  geboren,  später  einer  der  stärksten  Stützen  des 
neuen  Regimes,  mag  früher  mit  jenem  Gedanken  gespielt  haben. 
Aber  das  änderte  sich  rasch  mit  der  Begründung  der  eigenen  Dynastie. 
Nationalistische  Gefühle  gewannen  die  Oberhand.  Auch  die  mächtige 
Kirche  hätte  sich  einer  politischen  Einverleibung  mit  aller  Macht 
widersetzt.  So  blieben  schließlich  als  treibende  Kräfte  für  eine 
belgisch-französische  Annäherung  vorwiegend  ökonomische  Motive, 
und  es  handelte  sich  nur  darum,  ob  es  möglich  sein  würde,  diese  wirt- 
schaftlichen Wünsche  unter  voller  Wahrung  der  politischen  Neutrali- 
tät Frankreich  gegenüber  durchzusetzen. 

Maßgebend  für  die  Verhandlungen,  die  1833  von  belgischer 
Seite  in  Paris   eingeleitet   wurden,   waren   die   Interessen   des   fian- 


1)  Guizot's  Darstellung  widerspricht  der  von  dem  Abgeordneten  Lebean,  früherem 
Ifinister  der  auswärtigen  Angelegenheiten,  in  der  Eammersitzung  vom  2.  Juli  1846 
(Annales  parlementaires  de  Belgique,  1845/46,  p.  1844  ff.)  gegebenen,  sowie  den  in  der 
Geheimsitzung  vom  30.  Juni  1846  von  dem  damaligen  Minister  der  auswärtigen  An- 
gelegenheiten A.  Dechamps  der  Kammer  gemachten  Mitteilungen,  deren  Baupiinhalt 
er  später,  unter  dem  Titel  üne  page  d'his-toire,  N&gociation  commerciale  avec  la  France, 
Union  douani^re  (Revue  g^n§rale,  5®  ann^e  1869,  p.  540  ff.),  veröffentlicht  bat.  Zu- 
sammenfassende Schilderungen  der  durch  eine  Reihe  von  Jahren  hingesponnenen  diplo- 
matii'chen  Verhandlungen  g<ben  Theodore  Juste  in  seinem  Buche  L'Union  douani&re 
franco-belge,  Le  comte  de  Muelenaere,  ministre  d'fitat,  d'aprös  des  documenta  inMits 
1794—1862,  Bruxelles  1869,  p.  61  ff.;  Sylvain  van  de  Wcyer,  Histoiie  des  relatione 
ext&ricures,  in  Patria  Belgica.  Biuxelles  1873,  2.  Partie,  p.  340  ff.;  Ch.  Pety  de  Thot§e 
in  seinem  Sysl&me  commercial  de  la  Belgique  et  des  princij>aux  fetats  de  l'Furope  et 
de  l'Am§rique,  Biu^cellrs  1875,  Tome  I,  p.  171  ff.,  und  neuerdings  Paul  BymuM  in 
seiner  Biographie  Fröre- Orban*s,  Tome  II,  S.  318  ff. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  553 

drischen  Leinengewerbes.  Zwar  hatten  weder  das  Aufkommen  der 
Baumwollindustrie,  noch  der  Verlust  des  spanischen  Marktes  oder 
der  Zollkrieg  mit  Frankreich  (1825),  noch  die  durch  eine  Mißernte 
verschärfte  Wirtschaftskrise  der  Revolutionszeit  seinen  weiteren 
Aufstieg  zu  hemmen  vermocht.  In  vierzig  Jahren,  von  1800  ab  ge- 
rechnet, soll  sein  Produktionsertrag  um  weitere  140  Proz.  gestiegen 
sein.  Seit  1838  aber  zeigten  sich  unverkennbare  Merkmale  des  Verfalles. 
Das  Schwinden  der  belgischen  Leinwandausfuhr  (1838:  4871,6  t,  1843: 
2768,3  t,  1848:  1441,1  t)  redete  eine  deutliche  Sprache.  Und  noch 
früher  trat  die  allgemeine  Entwicklungstendenz  in  dem  Sinken  des 
belgischen  Leinengarn-  und  Leinwandexportes  nach  Frankreich  (1830: 
833,9  t  bzw.  3424,5  t;  1838:  409,2  t  bzw.  3379,4  t)  und  dem  gleich- 
zeitigen Emporschnellen  des  englischen  (lö30:  3,3  t  bzw.  27,5  t; 
1838:  5804,0  t  bzw.  1398,9  t)  zutage.  Kein  Wunder,  daß  Belgiens 
Anteil  am  gesamten  französischen  Leinwandimport  in  der  Zeit  von 
1830     1838  von  93  auf  65  Proz.  herabsank  ')• 

Wie  die  von  der  Regierung  im  Laufe  des  Jahres  1840  veran- 
staltete Leinenenquete  und  auf  Grund  eines  noch  weit  umfassen- 
deren Materiales  später  Ducpetiaux  nachgewiesen,  wirkten  sehr  ver- 
schiedene Ursachen  zusammen,  um  die  blühenden  flandrischen  Pro- 
vinzen in  einen  Herd  des  Elends  zu  verwandeln,  das  sich  infolge 
der  Kartoffelkrankheit  und  einer  schweren  Mißernte  um  die  Mitte 
der  vierziger  Jahre  zur  Hungersnot  steigerte  und  das  Land  mit  Ent- 
völkerung, das  Volk  mit  Entartung  bedrohte'-^).  Im  letzten  Grunde 
handelte  es  sich  dabei  um  eine  Entwicklungskrankheit.  Denn  auch 
in  Belgien  waren  die  Tage  gezählt,  wo  das  Spinnrad  mit  der  Spinn- 
maschine, der  Handwebstuhl  mit  dem  mechanischen  konkurrieren 
konnte.  Daß  man  das  Uebel,  anstatt  es  sogleich  an  der  Wurzel  zu 
fassen,  zunächst  mit  handelspolitischen  Palliativmitteln  kurieren  zu 
können  glaubte,  war  bezeichnend  für  die  nationalökonomische  Ein- 
sicht der  damaligen  belgischen  Staatslenker. 

Die  Grenze  der  Konzessionen,  bis  zu  der  man  eventuell  zu 
gehen  bereit  war,  ist  in  allen  Stadien  der  gepflogenen  Verhandlungen 


1)  Vgl.  Minist^re  de  rint§rieur,  Enqn^te  sur  l'indastrie  liniere,  Rapport  de  la 
oommission,  Explorations  ä  T^tranger,  Bruxulles,  Octobre  1841,  p.  423,  461,  und  £d. 
Duop^tiaux,  M^moires  sur  le  ptiup^risme  dans  les  Flandres,    Bruxelles  1850,  p.  71,  73. 

2)  Ein  erschütterndes  Bild  der  Lage  entwirft  auf  Grund  des  nur  allzu  reichen 
Materials  Lewinski  in  seinem  Buche  L'ev^olution  industrielle  de  la  Belgique.  „Les 
Flandres  ne  connurent  pas  de  jours  plus  tristes  que  ceux-lä" ,  heißt  es  dort.  „La 
Belgique  independante  ne  vit  jamais  diminuer  autant  sa  population.  Pour  comble  de 
malheurs,  la  r§colte  manqua  dans  ce  pays  si  appauvri.  La  population  des  campagnes, 
r^uite  ^  la  mendicit§,  dut,  parait-il,  se  nourrir  d'herbes  et  de  charognes,  que  l'on  se 
di^putait  avec  l'acharnement  de  la  faim;  les  cultivateurs  devaient  monter  la  ganle,  le 
fusit.  S^  l'epaule,  devant  leurs  recolt^s  encore  vertes;  des  bandes  d' >iffam6s,  au  teint 
livide,  aux  cheveux  hferiss&s,  aus  haillons  d§chir§s  et  sordides,  assifegeaint  les  portes 
des  Tilles  qui  se  fermaient  iaipitoyablement  devant  elles.  La  moiti§  de  la  population 
des  campagaes  devait  Stre  secourue  par  l'autre  moiti6  et  celle-ci  n'avait  que  le  strict 
n§cessaire.  Les  fermes  §taient  assaillies  de  mendiants.  Les  iodigents,  en  miijorit6  dans 
bien  des  r^gions,  di^putaient  la  norriture  au  b^tail  et  allaient  jusqu'ä  d§terrer  les 
plantes  de  pommes  de  terre  pour  les  manger."     (A.  a.  O.  S.  95  f.) 


^54  Heinrich  Waentig, 

die  gleiche  gewesen.  Wenn  man  schon  ein  System  Belgien  begün- 
stigender Unterscheidungszölle  allem  anderen  vorgezogen  haben 
würde,  so  hätte  man  doch  auch  der  Zollunion  prinzipiell  zugestimmt 
Zu  groß  war  die  Notlage  des  Leinengewerbes,  zu  weit  verbreitet 
unter  den  Hilfsbedürftigen  der  fanatische  Glaube  an  die  Kraft  des 
Allheilmittels^).  Innerpolitische  Gründe  kamen  hinzu,  um  die  jeden- 
falls in  ihren  klerikalen  Elementen  einer  wirtschaftlichen  Annähe- 
rung an  Frankreich  instinktiv  widerstrebende  Regierung  gefügig  zu 
machen.  War  es  doch  ein  offenes  Geheimnis,  daß  die  oranjistisch 
gesinnten  Gruppen  im  Lande  für  den  Fall  des  Scheiterns  des  Zoll- 
vereinsprojektes bereits  den  Wiederanschluß  an  Holland  betrieben*). 

1)  Nach  Faucher  ergab  eine  in  Belgien  über  den  Zollverein  mit  Frankreich  wtr- 
anstaltete  Umfrage  das  folgende  Resultat:  „Bruzclles  est  la  seule  ville  qui  n'en  parle 
pas,  et  Anvers  la  seule  ville  qui  pröteste.  Les  habitani8  de  Gand ,  de  Brugea^ 
d'Ostende,  de  Couitrai,  de  Saint  Nicolas,  d'Ypns,  de  Louvain,  de  Tournai,  de  Moos, 
de  Nanmr,  de  Vervicrs«,  la  r§clanient  h.  grand»  eris.  Si  Lifege  et  Charleroi  h&sitcnt  ei 
regjirdont  vers  l'Alltmagno,  c'cht  uniquement,  comme  l'a  dit  un  njaitre  de  forges, 
Hontiieur  Dupont,  parcc  qu'en  demandant  la  supples^ion  des  douancs  entre  la  Belgique 
et  la  France,  ils  cioiiaient  ^mettre  un  vceu  Mfenle;  parce  qu'il  kur  parait  iin|>oti>ible 
d'obtenir  de  la  France  une  pareille  concession."  (L'union  du  midi,  Paris  lb42,  p.  XXXV.) 
Nach  Pety  de  Thoz&e  hat  sich  die  belgische  Presse  fast  einhellig  gegen  den  Zollverein  aus- 
ge^prochen  (a.  a.  O.,  Tome  I,  p.  172).  In  der  belgischen  Bro>chürcnliteratur  der  Zeit  sind 
die  Zollverein^freunde  nur  durch  Charles  Dubois,  Essai  sur  l'union  douani&re  de  la  Frauoe 
et  de  Ja  Bclgique,  Lifege  1843,  vertreten.  Sehr  energisch  wendet  hich  dagegen  J.  Joitrand 
in  seiner  Scliiift  Des  rsipports  politiques  et  conimer.  iaux  de  la  Belgique  et  de  la  Fritnce, 
Bruxelles  1841.  Er  begründet  seine  Stellungnahme  wirtschaftsgeschichtlich  und  Ter 
weist  auf  den  Trugschluß,  der  darin  liege,  daß  man  von  dem  W'irlschafisbündnia  mit 
dem  Frankreich  Louis- Philippe's  die  gleichen  Vorteile  wie  von  dem  mit  dem  Frankreiob 
Napoleon's  erwarte.  Allerdings  beklagte  man  sich  im  belgischen  Parlamente  s|>ftier 
fibcr  die  große  Zahl  der  den  wirtschaftlichen  Anschluß  an  Frankreich  verlangenden 
Petitionen.  „E^t-ce  encore  une  ncutralite  iiid§pendante",  bemeikt  der  Abueoidnete 
David  1846  in  der  Debatte  über  den  belgisch-französischen  Handelsvertrag  von  1845, 
„que  Celle  que  vous  donne  la  triste  Situation  actuelle?  Votre  bureau  est  charg6  de 
p§titions  qui  demandent  la  r§union  douani&ie  avec  la  France.  Ces  p^titions  ariiTcnt 
par  pelleiees  et  vous  n'y  voyez  pas  des  syniptomes  qui  affligent  et  qui  allarment;  von» 
n'apperccvez  pas  ce  grand  avcilisscment  qui  vous  dii  que  la  d^af}»ction,  la  faibleve, 
Ic  manque  de  protection  diviseront,  jetttront  le  pays,  par  Sympathie  et  par  int&i£t, 
d'une  part  dans  les  bras  de  la  Hollan<le,  de  l'autre  dans  eeux  de  la  France  ou  mtoie 
du  Zollverein"?    (Annales  parlamcntaires  de  Bilgiquc,   1845/46,  p.   1812.) 

2)  Bezeichnend  ist  die  folgende  briefliche  Aeuüeiung  König  Leopolds  L  gegenüber 
Louis- Philippe:  „Dans  ce  j)ays-ci,  les  hommes  un  peu  importants  de  tous  le« 
partis  ont  It6  oppos§s  ^  une  association  commerciale  avec  la  France. 
C'est  avec  une  grande  r^pui;nance  qu'on  s'est  finalement  d§cidl  ä  la  vouloir,  v«  le« 
souffrances  auxquelles  IMndustrie  beige  devait  dtre  exposfee  par 
l'esp^ce  de  blocns  qui  pfese  sur  nous  maintenant.  Ayant,  dans  leur  idfee, 
fait  un  grand  sacrifice,  piesque  aussi  grand  que  l'abandon  de  leur  existince  politique, 
ils  croyaient  qu'une  pioposiiion  d'association  avec  la  France  i.e  ponvait  pas  Äire  re- 
ponssfee  par  eile.  Vous  pouvez  donc  facilemcnt  vous  faire  une  idfee  des  embarras  politique« 
qui  i§sulteraient  d'un  non-surefes  du  traitfe.  Letravail  de  nosennemis  int§ 
rieurs  est  aussi  dans  ce  sens:  demander  l'association  avec  la  France, 
et,8i  eile  repousse  la  Belgique,  se  baser  sur  la  position  impossible  do 
pays  pour  ehanger  son  gouvern  erneut  et  se  rfeunir  2l  la  Hol  lande." 
(Guizot  a.  a.  O.  p.  277  f.)  Auf  die  Gefahren  der  oranjist  srhen  Umtriebe  verweist 
auch  Jottiand  a.  a.  O.  p.  14  ff.  Nach  seiner  Darstellung  ziikullcrte  in  Biüssel  damals 
ben'its  die  Liste  dos  „Gouvernement  transitoire'',  das  den  Wiederanschluß  an  Holland 
vollziehen  sollte. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  656 

Unbestritten  ist,  daß  im  September  1841  auch  von  den  belgischen 
Unterhändlern  präzisierte  Vorschläge  über  den  Abschluß  eines  bel- 
gisch-französischen Zollvereins  in  Paris  vorgelegt  wurden;  ernstge- 
meinte, wie  Guizot  es  darstellt,  als  taktisches  Manöver,  wie  später 
belgischerseits  behauptet  wurde  ')•  Aeußere  wie  innere  Gründe  sprechen 
für  die  Richtigkeit  der  letzteren  Auffassung.  Sicher  wurde  jeg- 
liche Art  der  wirtschaftlichen  Angliederung,  die  einen  Verlust 
der  politischen  Selbständigkeit  des  Landes  und  damit  einen  Bruch 
seiner  Neutralität  eingeschlossen  hätte,  von  Volk  und  Regierung 
gleichmäßig  abgelehnt.  „L'equilibre  de  PEurope  exige",  heißt  es  in 
einer  programmatischen  Erklärung  des  belgischen  Parlamentes  vom 
Jahre  1841,  „que  jamais  la  Belgique  ne  soit  reunie  ä  la  P>ance.  La 
Belgique,  loin  derechercher  la  reunion  politique  avec 
la  France,  la  repousse.  Elle  ne  lui  envie  pas  ses  lois.  Elle  peut 
vivre  heureuse  sous  Pombre  protectrice  de  ses  propres  institutions"  *).. 
Das  war  auch  König  Leopolds  persönliche  Meinung,  obwohl  er  sich 
in  einem  seiner  Briefe  an  Thiers  als  „un  des  plus  fideles  amis  de 
la  France,  peut-etre,  pour  etre  vrai,  le  seul  que  vous  ayez",  bezeichnen 
konnte. 

Charakteristisch  ist  ein  dem  Minister  in  des  Königs  Hand  als 
„Note  confidentielle"  übersandter,  vom  21.  Mai  1840  datierter  Ver- 
tragsentwurf. „Le  traite  devra  avoir  un  caractere  essentiellement 
commercial",  heißt  es  in  den  einleitenden  Worten.  „Pour  cette  raison 
il  serait  impossible  de  placer  des  douaniers  fran^ais  sur  les  fron- 
tiferes  du  nord  et  de  Pest  de  la  Belgique"  =^).  Dementsprechend  lauteten 
auch  die  dem  belgischen  Gesandten  in  Paris,  Grafen  Lehon,  am 
5.  November  1840  erteilten  Weisungen:  „11  est  indispensable  de 
donner  au  traite  un  caractere  commercial  et  d'en  eloigner  toute 
clause  qui  serait  d'une  nature  administrative."     Und  noch  viel  enger 


1)  „Monsieur  le  comte  de  Meulenaere,  ministre  d'§tat  et  membre  du  conseil",  be- 
merkt Dccharops,  „prit  donc  &ur  lui  de  s'§cnrter  de  nos  instruciions.  Dxns  la  s6:inoe 
de  la  commission  du  7  septcmbre,  il  proposa  de  discuter  le  plan  d'union  doiiani&re, 
afin  de  eonnulire  si  les  conditions  de  ce  pinn  Itaicnt  computibles  avec  l'ind^pondance  et 
la  neutrnlit^  de  la  Belgique.  Kou»  prcnions  l'iniiiutive  apparen  te  de  cctie  pro)Mi8ition, 
mais  en  i§alit§  nous  ne  la  faisions  (las  en  vue  de  »on  »cceptaiion,  mxis,  du  contraire„ 
en  vue  du  rcfus  du  gouvernement  franjals,  qui  nous  6tait  oonnu  d'avance.  C 6ta.it 
une  tactique  den§goeiation,  pourconstaier  l'inteution  de  la  France." 
(Bcvue  ggiigrale,  5«  ann^e  18S9,  p.  558. 

2)  In  dem  Rapport  pr^scnife  ä  l'appui  du  projet  de  la  Commission  d'enqndte  dan» 
la  86ance  de  22  d§ci>nibre  1841.  (Di^<cu^äion  de  la  loi  des  droits  diff^renticln,  p.  51  ff.) 
Der  Gedanke  eines  französisch-beJgiscben  Zollvereins  wird  durin  jedoch  nicht  giund- 
^ätzlich  verworfen. 

3)  In  Le  Corre?pondent  vom  15.  Dezember  1916,  p.  1079  f.  Inwieweit  des  König» 
Angebot  ehrlich  gemeint  gewesen,  muß  dahingestellt  bleiben.  Mettcmi«h  soll  sich 
später  dahin  geäußert  haben,  Leopold  I.  habe  den  fraiizösi>eh-belgi8«hcn  Zollverein  nie 
emstlieh  giwollt,  sondern  ihm  nur  seheinbiir  ßeifnll  gespendet,  „pour  plaire  au  roi  son 
beau-pör<',  k  la  nation  franjüise,  au  pMiti  fran^ais  en  Belgique  et  au  sentimcnt  nntionil 
qui  eherehe  un  d^bouchfe  pour  l'exe^deiit  des  produits  beiges.  Je  suis  fort  teni§  de 
eroire",  fügt  Guizot  hinzu.  ,  que  M.  de  Menernich  avaist  ruison  et  que  le  roi  Leopold 
n*a  jamais  sSiieusement  poursuivi  le  projet  d'union  douani^re,  ni  compi6  sur  son  succös." 
(Mfemoires,  Tome  VI,  p.  294  f.). 


^56  Heinrich  Waentig, 

werden  deren  Grenzen  in  der  Depesche  vom  27.  Januar  1841  ge- 
zogen: „11  est  devenu  impossible,  dans  la  position  actuelle  de  la  grande 
politique  de  PEurope,  de  faire  autre  chose  avec  la  France  qu'un  trait6 
differentiel.  11  faut  une  ligne  de  douanes  entre  les  deux 
pays;  il  faut  au  reste  de  PEurope  une  preuve  palpable 
^u'il  n'y  a  pas  d'incorporation"  i).  Gerade  das  Gegenteil 
war  das  Ziel  der  französischen  Wünsche. 

.  Dennoch  war  man  auch  in  Frankreich  zunächst  von  rein  wirt- 
schaftlichen Erwägungen  ausgegangen.  Hier  hatte  die  Begründung 
des  preußisch-deutschen  Zollvereins  leicht  begreifliche  Bedenken  er- 
weckt, die  sich  in  mancherlei  Kombinationen  Luft  machten.  Als 
„Union  du  Midi"  sollten  unter  französischer  Führung  eine  Reihe 
westeuropäischer  Staaten  gegen  den  unwillkommenen  Neuling  mobil 
gemacht  werden.  In  seinen  Einzelheiten  zuerst  im  Märzheft  der 
Revue  des  deux  mondes  des  Jahres  1837  von  Leon  Faucher  ent- 
wickelt, hat  dieser  Plan  in  mehrfach  veränderter  Form  eine  Zeitlang 
die  öffentliche  Meinung  bewegt  und  ist  auch  späterhin  gelegentlich 
wieder  aufgetaucht,  ohne  dadurch  seiner  Verwirklichung  näher  zu 
kommen-^).  Nur  das  Projekt  der  Begründung  eines  französisch-bel- 
gischen Zollbundes  ist  in  ein  akutes  Stadium  getreten. 

Worauf  es  heute  ankomme,  heißt  es  am  Schlüsse  jenes  program- 
matischen Artikels,  das  sei,  mit  der  Durchführung  jenes  großzügigen 
Gedankens  einen  ersten  Anfang  zu  machen.  Belgien  sei  geneigt,  sein 
handelspolitisches  Schicksal  mit  demjenigen  Frankreichs  zu  vereinen. 


1)  So  Dechamps  in  der  Revue  g§n§rale,  öme  ann§e  1869,  p.  555. 

2)  Llon  Faucher,  L.üaion  du  Midi.  Association  commerciale  de  la  France,  aveo 
ia  Belgique,  l'Espagne  et  la  Suisse,  in  der  Revue  des  deux  mondes,  4.  serie,  Tome  IX,  1837, 
p.  515  ff.,  und  De  Punion  commerciale  entre  la  France  et  la  Belgique,  ebenda  Tome  XXXIX, 
1842,  p.  462  ff.  und  649  ff.  Beide  unter  dem  Titel  L'union  du  midi.  Association  de  douanes 
entre  ia  France,  la  Belgique,  la  Suisse  et  l'Espagne,  auch  im  Buciihandel  erschienen 
(Paris  1842).  Ein  ähnliches  Projekt  wurde  einige  Jahre  später  in  einer  Broschüre  über 
den  deutschen  Zollverein  vertreten,  nur  daß  der  künftige  westeuropäische  Zollbund  sich 
hier  aus  den  Ländern  Frankreich,  Belgien,  Schweiz  und  Savoyen  zusammensetzen  sollte. 
Vgl.  darüber  P.-A.  de  la  Nourais  et  E.  Bferes,  L' association  des  douanes  allemandes, 
son  passg,  son  avenir,  Paris  1841,  p.  158  ff.  Viel  weiter  geht  H.  Richelot  in  seiner 
y,Denkschrift  über  die  Interessen  und  Verhältnisse  Frankreichs  in  Beziehung  auf  den 
deutschen  Zollverein''  (Bulletins  de  la  Soci6ig  industrielle  de  Mulhouse,  No.  84  und  85. 
Deutsch  im  Zollvereinsblatt,  2.  Jahrgang  1844,  S.  633  ff.  usf.).  Sie  fordert  eines 
Zusammenschluß  der  mitteleuropäischen  Länder  unter  Preußens,  der  westeuropäischen 
unter  Frankreichs  Führung,  um  eine  spätere  Verschmelzung  beider  Zollbünde  gegen  die 
drei  Weltreiche  der  Zukunft,  Großbritannien,  die  Vereinigten  Staaten  und  Ruüland, 
vorzubereiten.  Und  zwar  sollte  sich  der  westeuropäische  Zollverein  aus  Frankreich, 
Belgien,  Holland,  Schweiz,  Savoyen,  Spanien  und  Portugal  zusammensetzen.  Eine 
„Association  douani&re  de  l'Europe  centrale",  die,  außer  Frankreich,  Belgien,  Holland, 
Dänemark,  Deutschland,  Oesterreich  und  «iie  Schweiz  zu  umfassen  hätte,  wurde  von  G.  de 
Molinari  im  Journal  des  Debats  vom  24.  Januar  1879  verfochten,  auf  dem  Brüsseler 
Internationalen  Kongreß  für  Handel  und  Industrie  des  Jahres  1880  eingehend  diskutiert, 
aber  von  der  Mehrzahl  der  Redner  abgelehnt.  Vgl.  dazu  Chambre  de  commerce  de 
Verviers,  Projet  d'union  douaniöre  de  M.  G.  de  Molinari,  Verviers  1879,  und  Union 
Byndicale  de  Bruxelles,  Congrös  international  du  commerce  et  de  l'industrie  du  6  a« 
18  septembre  1880,  Bruxelles  1880/1881,  PremiÖre  partie,  p.  14  f.,  Deuxi^me  pariie, 
p,  38  ff. 


Die  Qrandfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  657 

Mit  ihm  solle  man  zunächst  verhandeln.  Indem  man  dann  die  gesamte 
Schutzzollmauer  erniedrige,  werde  man  den  ersten  Schritt  zum  Bünd- 
nis mit  Spanien  und  der  Schweiz  machen,  sich  den  Nachbarvölkern 
annähern  und  auch  England  für  die  neue  Idee  gewinnen.  „Le  reste 
sera  une  af faire  de  temps  et  de  pers6verance;  et  le  jour  viendra 
certainement  d'une  association  complete,  oü  la  France  et  la  Belgique 
fourniront  les  capitaux,  la  France,  la  Belgique  et  la  Suisse  le 
travail  et  l'Espagne  le  champ  d'exploitation." 

Möglicherweise  wäre,  was  Belgien  betrifft,  schließlich  doch  noch 
alles  nach  Wunsch  gegangen,  hätte  sich  gegen  den  Gedanken  eines 
französisch-belgischen  Zollvereins  nicht  in  Frankreich  selbst  heftiger 
Widerspruch  erhoben.  Namentlich  die  Vertreter  des  an  Belgien  an- 
grenzenden nordfranzösischen  Industrierevieres  wollten  von  seiner 
Verwirklichung  nichts  wissen  ^),  so  daß  sich  die  Regierung  gezwungen 
sah,  an  die  nationalen  Leidenschaften  zu  appellieren,  um  ihren  Wider- 
stand zu  brechen.  Politische  Gewinne  sollten  in  den  Augen  der 
Interessenten  die  etwa  zu  erwartenden  ökonomischen  Verluste  kom- 
pensieren, die  wirtschaftliche  Angliederung  nur  die  endgültige  Ein- 
verleibung vorbereiten.  Zunächst  vorsichtig  verhüllt,  wurden  diese 
Ziele  bald  mit  zynischer  Offenheit  vorgetragen. 

„Dans  une  union  douaniere",  so  führten  nach  offizieller  Dar- 
stellung die  französischen  Minister  im  Verlaufe  der  entscheidenden 
Besprechungen  des  Jahres  1841  aus,  „tous  les  avantages  mat^riels 
sont  pour  la  Belgique;  tous  les  sacrifices  sont  du  c6t6  de  la  France.   Ces 

1)  Für  den  Zollvereinsgedanken  waren  in  Frankreich  namentlich  die  Handels- 
kammern Bordeaux,  Lyon,  Marseille,  Nimes,  Montpellier,  Bayonne,  Multiouse,  Saint« 
^ticnne,  Arras,  sowie  die  Kaufleute  und  larhistriellen  von  Reims  eingetreten,  vor- 
wiegend also  Städte  des  Sädens  und  des  Westens,  die  weitab  vom  Schusse  lagen,  während 
die  Hafenstädte  Le  Hävre  und  Dünkirchen,  die  Vertreter  von  Kohlenbergbau  und  Eisen- 
indu^ttrie,  namentlich  aber  die  der  Textilindustrie  Nordfrankreichs,  sich  dagegen  erklärten. 
Agitationszentrum  war  die  Handelskammer  Bordeaux  mit  ihrem  sohrififührenden  Sekre- 
tär Ch.  AI.  Campan.  Vgl.  Rapport  du  4  novcmbre  1841  ä  Monsieur  le  ministre  du 
commerce  de  Prance  sur  le  traite  avec  la  Belgique,  Bordeaux  1841 ;  De  Punion  doua- 
nifere  entre  la  France  et  la  Belgique,  Bordeaux  et  Paris  1843;  De  l'union  douaniere 
avco  la  Belgique  et  du  renouvellement  de  la  Convention  du  16  juillet  1842,  Bordeaux 
1845.  Dagegen  wandte  sich  unter  Mimerei  das  Comit§  central  pour  la  defense  du  tra- 
vail national.  Vgl.  Rfeponse  ä  la  chambre  du  commerce  de  Bordeaux  1844.  Für  den 
Zollverein  auch  (Houry?)  £tudes  sur  les  relations  commerciales  entre  la  France  et  la 
Belgique,  Paris  1844;  namentlich  aber  L.  Wolowski  in  dem  damals  neugegründeten 
Journal  des  ^conomistes.  Vgl.  dort  seine  Artikel  Negociations  commerciales  avec  la 
Belgique,  a.  a.  O.  Tome  I,  p.  173  ff.,  p.  403  ff. ;  De  l'union  douaniöre  entre  la  France 
et  la  Belgique,  a.  a.  O.  Tome  Ilf,  p.  361  ff.,  und  Le  travail  national,  a.  a.  O.  Tome  VI, 
p.  377  ff.  „Loin  de  se  faire  concurrence  pour  Lurs  produits  les  plus  importants",  be- 
merkt Wolowski  in  der  letztgenannten  Schrift,  „la  France  et  la  Belgique  se  compl^tent 
en  quelque  sorte  par  la  nature  des  productions  de  leur  sol  et  de  Icur  Industrie;  les 
fabriques  similaires  se  subdivisent  elles-mömes  en  des  catfegories  distinctes  qui  permet- 
tent  un  rapprochement  avantageux"  (p.  387).  Das  war  aber  keineswegs  die  Meinung 
der  Nächstbeteilis?ten,  und  ist,  wie  kürzlich  wi< der  von  fn  nzösischer  S»ite  nachgewiesen 
wurde,  heute  noch  viel  weniger  der  Fall.  Vgl.  dazu  Ph.  Robert,  Le  commerce  franco-belge 
et  sa  signification  sociale,  Paris  1905.  Gegenüber  den  gewissermaßen  „komplementären" 
französisch-englischen  Produktionsverhältnissen  seien  die  französisch-belgischen  geradezu 
als  „antugonistische"  zu  bezeichnen,  bemerkt  der  Autor. 

Jahrb.  t.  NaUonalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  64).  42 


ß5g  Heinrich  Waentig, 

sacrifices  sont  grands,  immenses;  Punion  douauiere  n'offre  ä 
la  France  qu'une  seule  co  mpensation,  c'est  l'accroisse- 
ment  de  son  influenae  politique.  Pour  que  la  France  sacri- 
fie  son  industrie  ä  Pindustrie  d'un  peuple  voisin,  l'accroissement 
politique  ne  saurait  etre  myst^rieux,  volle,  enigmatique;  cet  accroisse- 
ment  d'influence  doit  devenir  palpable,  Evident  et  ^clatant  pour 
tout  le  monde:  il  doit  f rapper  tous  les  regards.  La  France  ne  peut 
pas  d'ailleurs  confier  ä  une  autre  nation  les  interets  de  son  tresor 
et  le  soin  de  veiller  au  sort  de  ses  Industries;  ce  serait  une  abdica- 
tion  de  sa  souverainete.  Des  lors,  l'union  douaniere  n'est  possible 
qu'autant  qu'au  gouvernement  frangais  appartienne  le  pouvoir  executif 
tout  entier  en  matiere  de  douanes.  Le  pouvoir  executif,  c^est  le  droit 
de  prescrire,  de  Commander,  de  defendre,  le  droit  de  nommer,  de 
revoquer  etc.  A  toutes  autres  conditions,  Punion  douaniere  est  im- 
praticable,   impossible"  ^). 

Wie  England  60  Jahre  später  die  „Kongogreuel",  so  glaubte 
Frankreich  damals  die  „Leinenkrise"  benutzen  zu  können,  um  politisch 
für  sich  Kapital  daraus  zu  schlagen.  Hätte  ihm  doch  die  vor  den 
Augen  ganz  Europas  vollgezogene  Angliederung  des  Nachbarlandes 
zugleich  die  erwünschte  Gelegenheit  geboten,  die  1840  durch  Eng- 
land in  den  Orienthändeln  erlittene  Schlappe  wieder  auszugleichen. 
Aber  wie  die  Ministerien  Mole  und  Duchatel  1836  und  Soult  1839, 
so  scheiterten  in  den  vierziger  Jahren  auch  Thiers  und  Guizot  an 
derselben  Klippe.  Ihre,  trotz  wechselnder  Nuancierung,  immer 
gleichen  „Bedingungen"  waren  für  das  neutrale  Belgien,  das  jetzt 
ausschließlich  wirtschaftliche  Zwecke  verfolgte,  unannehmbar  %    Es 


1)  Dechamps,  in  der  Bevae  g^aSrale,  5iue  ann6e  1869,  p.  558 f.;  Jaste  a.  a.~0. 
p.  80  f. 

2)  üebrigens  waren  unterdessen  auch  die  Signatarmächte,  besonders  England,  auf  die 
französische  lutrige  aufmerksam  geworden  und  protestierten  in  Paris  ge>jen  die  ßi'giünduDg 
einer  französisch-belgischen  Zollunion,  da  sie  Belgiens  Neutralität  in  Frage  stelle.  Guizot 
selbst  war  and -rer  Ansiebt.  „Les  traites  qui  ont  constitue  la  Bel«ique",  schreibt  er  am 
30.  November  1842  an  den  französischen  Ueschäftsträger  in  Berlin,  Grafen  Broson,  „ont 
stipule  qu'elle  formerait  uu  fitat  indgpcndant  et  neutre.  Cetie  independanco,  cette  neuira- 
lit6  seraient-elles,  corame  on  le  pr§iend,  d§tiuites  ou  entam^es  par  le  simple  fait  d'une 
Union  douaniöre  avec  la  France?  Oui,  si  les  clauses  de  cette  union  portal- 
ent  attcinte  ä  la  souverainete  politique  du  roi  des  Beltres,  »*il  ne 
conservait  pas  dans  ses  ;ßtats  le  plein  exercice  des  droits  essentiels 
ä  cette  souverainet§.  Non,  si  la  souverainetfe  politique  beige  demeu- 
rait  entiöre  et  si  le  gouvernement  beige  avait  toujours  la  facultfe  de 
rompre  l'union  dans  un  dfelai  d6termin6,  dfes  qu'il  la  trouverait  con - 
traire  k  son  ind  ^pendance.  Bizarre  indipendance  que  ccHe  qu'on  ferait  &  la 
Belgique  en  lui  interdisant  absolument,  et  comme  condiiion  de  son  existence,  le  droit 
de  contracter  les  relations,  de  prendre  les  mcsures  que  lui  conseiileraimt  ses  int^i^ts, 
qui  seraient  peut-ötr«',  pour  son  existence  m^rae,  une  nfecessii^!  L*ind&|ipndance  n'est 
pas  un  mot;  eile  doit  6t- e  un  fait.  Un  fetat  n'est  pas  independant  parce  qu'on  l'a 
^crit  dans  un  traiti,  niais  Ji  condition  qu'il  pourra  r^ellemont  asrir  selon  son  ini§i6t,  son 
besoin,  sa  volonte.  En  supposant  la  souverainete  politique  beige  pleine- 
ment  respectfee,  l'union  douaniöre  ne  serait,  entre  la  France  et  la 
Beltfique,  qu '  une  f  or  ra  e  particu  1  i  ^r  e  de  traitfe  decommerce;  forme  qai 
entraiuerait  saus  doute  dans  l'ad  mi  nistrat  ion  int^rieure  des  dcux 
£tats   certains  changements   librement  consentis  de    part   et  d'autre. 


Die  Qnindfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  ß59 

bestanden  hier  unüberbrückbare  Gegensätze,  die  sich  um  so  mehr 
vertieften,  je  länger  man  verhandelte.  Kein  Wunder,  daß  das 
Endergebnis,  an  den  beiderseitigen  Hoffnungen  gemessen,  ein  so 
mageres  war. 

Hatte  Belgien  1836,  gegen  gewisse  Konzessionen,  die  Herabsetzung 
der  französischen  Zölle  auf  Leinengarne  und  -Gewebe  erlangt,  so 
belegte  Frankreich,  angeblich,  um  sich  der  übermächtigen  englischen 
Konkurrenz  zu  erwehren,  jedenfalls  völlig  unbekümmert  um  das 
Schicksal  des  belgischen  Leinengewerbes,  durch  königliche  Verordnung 
vom  26.  Juni  1842  den  Import  gerade  dieser  Waren  mit  Einfuhr- 
verboten gleichkommenden  Hochschutzzöllen.  Die  „Convention  li- 
niere" vom  16.  Juli  1842  brachte  dann  den  Zollvereinsfreunden  in 
beiden  Ländern  eine  Abschlagszahlung.  Gegen  Vergünstigungen  bei 
der  Einfuhr  französischer  Weine  und  Seidenstoffe  tauschte  Belgien 
seine  Befreiung  von  der  soeben  erfolgten  Zollerhöhung  ein,  mußte 
sich  jedoch  überdies  verpflichten,  die  in  Frankreich  für  Garne  und  Ge- 
webe in  Flachs  und  Hanf  geltenden  Zollsätze  anderen  Ländern  gegen- 
über auch  bei  sich  selber  einzuführen,  so  daß  damit  indirekt  eine, 
wenn  auch  noch  so  beschränkte,  Zollunion  zwischen  beiden  her- 
gestellt war. 

Als  „un  commencement  d'union  avec  la  Belgique"  feierte  die 
Revue  des  deux  mondes  die  Leinenkonvention.  „Sans  doute,  il  sera 
dur  pour  Pancicnne  coalition  de  voir  une  oeuvre  si  savamment  61a- 
boree  s'ecrouler  devant  un  traite  de  commerce,  et  les  batteries  braquees 
contre  nous  faire  volte-face  k  la  voix  d'un  simple  douanier",  spottete 
sie ').  Noch  ungünstiger  gestaltete  sich  Belgiens  Lage  durch  den 
französisch-belgischen  Handelsvertrag  vom  13.  Dezember  1845.  Die 
nicht  einmal  vollgültige  Erhaltung  seiner  Sonderstellung  gegenüber 
den  französischen  Leinenzöllen  mußte  es  jetzt  durch  die  Preisgabe  der 
Interessen  seiner  aufstrebenden  Wollindustrie  erkaufen.  Man  ver- 
steht es,  daß  die  französische  Regierung  mit  ihrem  Werke  zufrieden 
war,  wie  sie  dies  auch  öffentlich  im  Parlamente  erklärte. 

Die  Zollvereinspläne  freilich  hatte  sie  vorläufig  ad  acta  legen 
müssen.  Aber  auch  darüber  wußte  man  sich  zu  trösten.  „J'eus  peu 
de  regret  de  ce  resultat",  bemerkt  Guizot  in  seinen  Memoiren.  „Nous 
aurions  trouve  dans  ce  fait  une  satisfaction  vaniteuse  plutot,  qu'un 
solide  accroissement  de  force  et  de  puissance.  Quoiqu'en  disent  les 
Partisans  de  la  mesure,  la  Belgique  ne  se  serait  point  completement 
assimilee  et  fondue  avec  la  France;  l'esprit  d'independance  et  de 
nationalite,  qui  y  avait  prevalu  en  1830,  s'y  serait  maintenu  et  aurait 
jet6,  dans  les  rapports  des  deux  fitats,  des  incertitudes,  des  difficultes 


mais  qui,  loin   de  porter   atteinte  ä  l'ind^pendance  de  l'un   des  denx, 
ne  seruit  de  sa  part  qu'un  acte   e"   une  preuve    d'independance."     Noten 
gleic-hon  Inhaltes  wurden  iin  die  diplomatifrlion  Verlretor  Frankreichs  in  L<»ndon,  Wien, 
Petei-sburg,  Brüssel  und   Haag  gerichtet  (Gui/ot  a.  a.  O.  p.  285  f.,  290  und  293). 
1)  Kevue  des  deux  moudes,  4.  S^rie,  Tome  XXXI,  1842,  p.  663. 

42* 


^gO  Heinrich  Waentig, 

et  des  perturbatioas  contiauelles" ').     Wahrscheinlich  hatte  er  recht 
damit 

In  Belj^iea  aber  war  inan  aufs  iiöchste  erbittert.  Hier  erregte 
der  Abschluß  des  Vertrages  vom  13.  Dezember  1845,  den  ein  Ab- 
geordneter als  „un  acte  de  soumission,  j'allais  dire  de  vasselage, 
envers  ia  France"  bezeichnete,  allerseits  einen  wahren  Sturm  der 
Entrüstung,  und  es  fehlte  nicht  viel,  so  hätte  man  ihm  im  letzten 
Augenblicke  noch  seine  Zustimmung  verweigert-*).  Dabei  wurde  auch 
das  Problem  eines  belgisch -französischen  Zollbundes  in  seiner 
ganzen  Breite  wieder  aufgerollt,  obwohl  es  praktisch  nicht  mehr  zur 
Diskussion  gestanden.  Und  seine  Erörterung  hat  damals  nicht  wenig 
dazu  beigetragen,  Frankreich  die  belgischen  Sympathien  zu  entfremden. 
Denn  jetzt  endlich  erkannte  man,  daß  man  betrogen  war^),  und  daß 
Belgien  für  die  Politiker  an  der  Seine,  trotz  ihrer  überschwänglichen 
Liebesbeteuerungen,  eine  bloße  Figur  auf  dem  politischen  Schach- 
brette darstellte,  nicht  wertvoller  wie  jede  andere.  „Oh,  France, 
grande  et  admirable  voisine",  rief  der  Abgeordnete  David  ironisch 
aus,  „nous  ne  pouvons  faire  un  pas  dans  la  question  qui  nous  occupe, 
Sans  y  trouver  le  cachet  de  la  bienveillance,  de  cette  predilection 
que  tu  nous  fais  payer  si  eher,  que  tu  nous  fais  payer  deux  fois, 
tandis  que  tu  ne  penses  pas  möme  ä  reclamer  pour  les  memes  choses 
aupres  d'aucun  autre  EtatI"  In  der  Tat  hätte  es  mit  Belgien  übel 
gestanden,  wenn  es  mittlerweile  nicht  bessere  Freunde  gefunden 
hätte. 

Freunde,  sagte  ich;  und  doch  trifft  dieses  Wort  nicht  ganz  das 
Richtige.  Denn  der  belgisch-deutsche  Handels-  und  Schiffahrtsver- 
trag vom  1.  September  1844,  der  in  der  Wirtschaftsgeschichte 
Belgiens  Epoche  gemacht  hat,  entbehrte  jeder  gefühlsmäßigen  Grund- 
lage. Man  müßtä  eine  solche  denn  in  der  gemeinsamen  Mißstim- 
mung über  Hollands  selbstsüchtige  Rheinschiffahrtspolitik  erblicken 
wollen.  Im  übrigen  war  er  das  Ergebnis  fortschreitender  Einsicht 
in  das  Bestehen  einer  ökonomischen  Interessengemeinschaft,  zu  deren 
grundsätzlicher  Anerkennung  man  sich  beiderseits,  fast  mit  innerem 
Widerstreben,  erst  nach  schweren  handelspolitischen  Kämpfen  durch- 


1)  Guizot,  Memoires,  Tome  V[,  p.  295.  Leider  hat  sich  die  franröaische  Be- 
Sfierung  später  keineswegs  von  dieser  Eiasicht  leiten  lassen.  Während  des  zweiten 
Kiiiserreiches  hat  sie  die  alten  Pläne  wieder  anfsjenooitnen,  die,  wie  früher,  nur  der 
Verwirkliohung  politischer  Ziele  dienen  sollten.  Sie  verstand  es  sogar,  in  geschickter 
Weise  Belgier  für  ihre  Zvrecke  zu  gewinnen.  Vgl.  dazu  fimile  Balisaux,  Question  d'union 
douaniöre,  Bruxelles  1869;  Petau  de  Miulette,  La  B  ilgique  industrielle,  observfee  par  un 
Ingenieur  franjiis,  im  Januar-  un  l  Märzheft  des  Jahrgangs  1835  der  Revue  g&nferale; 
endlich  Paul  Hymans,   Fröre-Orban,  Tome  U,  p.  320  ff. 

2)  Vgl.  A^naales  parlementaires  de  Belgique,  1845/46,  p.  1805  ff.,  1811  ff.,  1820  ff., 
1844  ff.,  1849  ff. 

3)  Eine  lehrreiche  Br;trachtung  über  die  Folgen  des  belgisch-französischen  Handels- 
vertrages vom  13.  Dezember  1845  für  beide  Lanier  enthält  eine  anonyme  Broschüre 
mit  dem  Titel  ConsidSrations  sur  le  commerce  exfcericur  de  la  Belgique  et  notamment 
aar  les  rapports  oommerciaux  de  ce  pays  avec  la  France,  Bruxelles,  Novembre  1853, 
p.  11  ff. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  gߣ 

geiiiDgen  hat.  Aber  gerade  weil  dieser  DtichterDe  EuDd  dem  Be- 
reiche wechselnder  SÜBniiiUDgeD  entiückt  schier,  war  er  von  danein- 
dem  Werte. 

Schon  in  der  Kamnierdebatte  über  das  Staatsbahngrundgesetz 
vom  1.  Mai  1^34  war  es,  im  Anschluß  an  die  immer  erneuten 
Klagen  über  holländische  Handelsintrigen,  zu  grundsätzlichen  Er- 
örterungen über  Belgiens  Wirtschaltsveihältnis  zu  Deutschland  ge- 
kommen 1).  „En  se  rattachant  ä  l'Allemagne",  hatte  kein  Geringerer 
als  j^othcmb  programmiatisch  erklärt,  „la  Belgique  agira  k  la  fois 
dans  Pinteiet  de  son  commerce  et  dans  celui  de  sa  nationalit^;  eile 
resoudra  une  question  d'avenir  politique  et  commercial."  Daß  die 
neue  Bahn,  „ce  trait-d'union  magique  qui  Joint  PEscaut  au  Ehin", 
ihre  volle  Wiikung  eist  nach  Abschluß  eines  die  Entwicklung 
der  wechselseitigen  Veikehrsbeziehungen  begünstigenden  Handels- 
vertrages ausüben  werde,  wurde  bereits  damals  betont.  Deutschland, 
schon  während  der  holländischen  Zeit  ,.la  source-mere  de  la  pro- 
sperite  mercantile  du  pays*',  heute  Holland  gegenüber  in  der  gleichen 
mißlichen  Lage  wie  das  belgische  Nachbarland,  werde  sich  solchem 
Verlangen  gewiß  nicht  widersetzen  ^). 

Eher  noch  stärker  wurde  die  Bedeutung  der  deutsch-belgischen 
Wirtschaftsbeziehungen,  insonderheit  des  Durchfuhihandels,  gelegent- 
lich der  parlamentarischen  Beiatungen  über  das  Transitgesetz  vom 
18.  Juni  1836  unterstrichen ;  „cette  brauche  importante  du  com- 
merce, qui  en  1829  et  1880  etait,  par  nos  relations  avec  PAllemage, 
le  principal  pivot  de  la  prosperite  materielle  de  nos  ports  com- 
mer^ants**,  wie  der  Abgeordnete  Desmaisieres  als  Berichterstatter  der 
„Section  centrale"  in  der  Sitzung  vom  19.  April  lbS6  erklärte.  Die 
gleiche  Auffassung  wuide  von  Begier  vertreten,  während  Devaux  in 
einer  großen  Bede,  an  Belgiens  glänzende  Vergangenheit  anknüpfend, 
den  Zukunftswert  der  voihandenen  Entwicklungstendenzen  zu  be- 
leuchten suchte.  War  Belgiens  Veikehrslage  derjenigen  Englands 
ähnlich,  warum  sollte  es  nicht  zu  gleicher  Handelsblüte  emporsteigen? 


1)  Vgl.  dir  AeußfruBgcn  der  AbgrordncUn  Porny,  de  Fcerc,  Sirif*:,  I.fgrclie, 
Devaux,  Lardinois,  Coghen  (Wonitcur  Bdge  vom  12.,  13,  15.,  16.,  17.,  21.  nnd 
24.  März  1634). 

2)  „Lonque  le  trmps  sera  venu  d'cnlanaer  des  n^gcoiations  avec  la  PmFFC  on  avec 
la  conffdfialicn  crnnmcKiaJe  four  convinir  d'nn  iarif  de  dovanrs  et  de  Iraneit",  be- 
mcikte  d«r  Algeoidncle  Laidmois,  „fcjcz  poiMmdfs,  qu'cn  ne  vons  dicteia  pop  les  con- 
ditions  et  que  le  pouvcin<nient  piushion  est  ticp  hage  cl  conjoit  Ircp  bi<n  ses  inili^th  pour 
avoir  des  pi^ltnlicns  qiii  seiaitnt  nnihiblis  Ji  notrc  ccn  mnce.  It'aillcurs  sa  politi- 
que comm  erciale  est  large  et  liberale.  Elle  tend  ^  nnir  les  penplcs 
parles  int^ißts  mal^riels,  qni  ort  «njonrd'hniplusde  forceque  celle 
des  baion  nettes."  Wdch  gjcfrn  Weit  die  belgiKlie  Eogiemng  der  Euhnvcibin- 
durg  zwiKhen  AiiUxeipm  und  dem  Ülieine  beil«g1o,  ^'clii  andi  aus  der  TaUnihe  heivor, 
daß  tie  huh  mii  Zvsiin  mvrg  d<+  Pailinintis  duich  Vritirg  \<m  18.  Okiober  1839 
der  „"ßbeinifrcbiB  Eihriiljilingif-ellKhalt"  g«g<iiiiber  veipllirluele,  drn  srblennigrn  An^ban 
der  doutKhen  Anscblvß^trrcke  dnidi  Ucbnniilme  von  4000  Aktien  zu  je  150  Talern 
zii  bcföidcjn.  liebt r  die  Yorj-äiige  tinf  dintubcr  Seite  vgl.  Kail  Kuffijninnn,  Die  Eiit- 
ptelinrg  der  Eheinihcheu  EifcenbabDgesollMhaft  1830—1844.  Fpsm/Euhr  1910,  betonder.« 
8.  40  ff.,  200 ff. 


Heinrich  Waentig, 

Alle  natürlichen  Vorbedingungen  hierzu  seien  gegeben;  man  müßte 
sie  nur  frei  walten  lassen  ^). 

Im  Grunde  aber  waren  es  doch  nur  vereinzelte  Stimmen,  die 
sich  in  diesem  Sinne  äußerten.  Regierung  wie  Volk  hatten  damals 
andere  Sorgen  und  Hoffnungen.  Das  bewiesen  schlagend  die  seit 
1834  zwischen  Belgien  und  Preußen,  als  der  Vormacht  des  deutschen 
Zollvereins,  geführten  Verhandlungen,  die  sich  unter  fortgesetzt 
wechselnden  Konstellationen  zehn  lange  Jahre  ergebnislos  hin- 
schleppten und  erst  nach  einem  regelrechten  Zollkriege  zum  Ziele 
führten.  Sie  zeigten,  zum  mindesten  auf  belgischer  Seite,  vorerst 
alles  andere  als  den  energischen  Willen,  möglichst  bald  zu  einer  den 
beiderseitigen  Interessen  gleichmäßig  Rechnung  tragenden  Verstän- 
digung zu  kommen  2). 

Ausgangspunkt  des  Meinungsstreites  war  die  von  der  belgischen 
Regierung  erhobene  Forderung,  es  möchten,  gleich  den  holländischen, 
auch  die  in  preußischen  Häfen  verkehrenden  belgischen  Schiffe  von 
der  Erhebung  der  sogenannten  „außerordentlichen  Flaggengebühr" 
befreit  werden.  Preußischerseits  glaubte  man,  dieses  Ansinnen 
zurückweisen  zu  müssen,  solange  die  preußischen  Schiffe  in  belgi- 
schen Häfen,  wie  umgekehrt,  den  einheimischen  zwar  hinsichtlich 
der  eigentlichen  Schiffahrtsgebühren,  nicht  aber  der  diesen  gewährten 
Zollnachlässe  gleichgestellt  wären.  Man  erklärte  sich  jedoch  am 
22.  Februar  1837  zum  Abschluß  eines  Uebereinkommens  bereit,  „gemäß 
welchem  die  Schiffe  des  einen  der  beiden  Länder  den  einheimischen 
in  den  Häfen  des  anderen  gänzlich  gleichgestellt  werden  sollten, 
sowohl  in  Beziehung  auf  die  Schiffahrtsgebühren  als  auch  auf  die 
Warenzölle,  sowie  nicht  minder  hinsichtlich  des  die  Küstenschiffahrt 
betreffenden". 

Wie  die  Schiffahrtsstatistik  erweist,  handelte  es  sich  dabei  auf 
belgischer  Seite  wohl  wesentlich  nur  um  eine  Frage  des  nationalen 
Prestiges.     War  die  Zahl  der  den  belgisch-preußischen  Verkehr  ver- 


1)  Moniteur  Beige  vom  11.  nnd  30.  Mai  1836.  „Connaissez-vous  un  fevfenement 
plus  grand  pour  le  commerce  et  l'industrie  beiges",  erklärte  Devaux,  „que  de  parvenir 
i  ^tablir  en  Belgique  ua  grand  march§  commercial,  une  de  ces  foires  immenses,  perp6- 
tuelles,  oü  toutes  les  nations  viennent  acheter  et  vendre,  oü  tous  les  besoins  viendront 
se  satisfaire;  un  de  ces  grands  foyers  d'affaires,  quelque  chose  enfin,  qui  ressemble  anx 
march§d  des  grands  ports  anglais?  Par  Ik,  au  lieu  d'aller  p§niblement  ä  la 
d^couverte  de  d^bouch^s  lointains,  nous  les  forcerions  en  quelque 
Sorte  ä  venir  Ji  nous;  nous  les  placerions  aux  portes  m6mes  de  nos 
Industries.  Qu'avons-nous  ä  faire  pour  arriver  Ik  ä  l'aide  du  temps  et  de  progrös 
successifs,  ou  tout  au  moins  pour  avancer  vers  ce  but?  En  v§rii6,  nous  avons  peu  ä 
ajouter  k  ce  que  la  nature  a  fait  pour  nous,  et  aux  I16ments  que  nous  avons  soua  la 
main.  Avec  toutes  les  conditions  que  vous  poss^dez  d§jk,  rendez  les  achats  et  les 
ventes  faciles,  et  ne  vous  inqui^tez  plus  des  arri vages  ou  des  exportations;  la  progression 
suivra  son  cours  sans  que  vous  vous  en  m^liez  autrement." 

2)  Vgl.  dazu  die  Denkschrift  der  preußischen  Regierung  vom  18.  Juli  1844  über 
die  Handelsverhältnisse  in  Belgien,  abgedruckt  im  ZoUvereinsblatt,  2.  Jahrgang,  1844, 
8.  746  ff.,  763  ff.  Eine  Darstellung  des  belgisch-preußischen  Konfliktes  gibt  Gustav 
Hoefken  in  seinem  Buche  Belgien  in  seinen  Verhältnissen  zu  Frankreich  und  Deutsch- 
land mit  Bezug  auf  die  Frage  der  Unterscheidungszölle  für  den  Zollverein,  Stuttgart 
und  Tübingen  1845,  S.  79  ff. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  6ß3 

mittelnden  belgischen  Schiffe  doch  viel  zu  klein,  als  daß  ihre  Be- 
freiung von  der  „außerordentlichen  Flaggengebühr"  irgendwie  hätte 
ins  Gewicht  fallen  können  ')•  Wenn  sich  die  preußische  Re- 
gierung gleichwohl  weigerte,  den  belgischen  Wünschen  ohne  weiteres 
zu  entsprechen,  so  ließ  sie  sich  dabei  wahrscheinlich  von  der  Er- 
wartung leiten,  durch  Ausdehnung  der  den  einheimischen  Schiffen 
in  belgischen  Häfen  eingeräumten  Zollvergünstigungen  auf  die 
preußischen  deren  an  sich  schon  begründete  Ueberlegenheit  dort 
noch  weiter  befestigt  zu  sehen. 

Preußische  Schiffe  in  belgischen  Häfen 


Eingelaufen 

Ausgelaufen 

Zahl 

Tonnengehalt 

Zahl 

Tonncngehalt 

1835 

53 

8744 

46 

7  553 

1836 

48 

9342 

65 

10776 

1837 

73 

13  '59 

76 

14082 

1838 

81 

17504 

81 

16782 

1839 

71 

15983 

72 

16  188 

1840 

52 

II  631 

47 

10438 

Summe     388  79  3^3  3^7  75^19 

Daß  ihr  an  der  Pflege  freundnachbarlicher  Beziehungen  zwischen 
den  beiden  Ländern,  mindestens  in  wirtschaftlicher  Hinsicht, 
schon  damals  gelegen  war,  bezeugte  ihr  grundsätzliches  Entgegen- 
kommen. Und  da  die  belgische  Regierung  sich  in  einer  Note  vom 
24.  Mai  1837  mit  jenem  Vorschlage  einverstanden  erklärte,  so  hätte 
man  eine  baldige  Schlichtung  der  etwa  noch  bestehenden  Meinungs- 
verschiedenheiten durch  einen  Schiffahrtsvertrag,  nach  Art  des  am 
3.  Juni  lb37  zwischen  Preußen  und  Holland  abgeschlossenen,  er- 
warten dürfen.  Statt  dessen  versuchte  Belgien  jetzt,  die  ganze  An- 
gelegenheit auf  die  lange  Bank  zu  schieben  und  sie,  wie  ein  im 
August  1839  von  dem  belgischen  Geschäftsträger  in  Berlin  vor- 
gelegter Entwurf  zu  einem  Handels-  und  Schiffahrtsvertrage  bewies, 
auf  das  zollpolitische  Gebiet  hinüberzuspielen.  Das  geschah  in  der 
kritischen  Periode  der  wirtschaftlichen  Neuorientierung,  wo  man  in 
Brüssel  um  jeden  Preis  Zeit  zu  gewinnen  suchte,  um  erst  einmal 
mit  sich  selber  ins  Reine  zu  kommen. 

Wenn  Belgien  nun  in  einer  Note  vom  24.  Mai  1842  neben  der 
Abschaffung  der  deutschen  Ausfuhrzölle  auf  Rohwolle  und  der 
Herabsetzung  der  Einfuhrzölle  auf  belgisches  Leinengarn  im  Inter- 
esse seiner  Textilindustrie,  mit  besonderem  Nachdruck  die  Er- 
mäßigung der  deutschen  Eisenzölle  forderte,  so  hatte  dieses  tiefere 
Gründe.  Mochte  der  Abbau  der  über  den  ganzen  Süden  des  Landes 
verstreuten  Eisenerzlager  sich  noch  immer  in  primitiven  Formen  be- 
wegen, die  Technik  der  Eisenverhüttung  hatte  um  so  raschere  Fort- 

1)  Nach  dem  Tableau  gin&ral  du  commerce  de  la  BelgJque  von  1840  waren  von 
1835  his  1840  einfchließlieh  im  ganzen  nur  21  belgische  Schiffe  mit  insgesamt  2176  t 
aus  Preußen  in  belgische  Häfen  eingelaufen,  von  dort  nach  Preußen  ausgelaufen  sogar 
nur  8  Schiffe  mit  insgesamt  836  t.  Aehnliches  galt  für  den  Schiffsverkehr  zwischen 
Belgien  und  den  übrigen  deutschen  sowie  den  skandinavischen  Häfen.  Die  im  Text 
genannten  Ziffei-n  sind  der  gleichen  Quelle  entnommen. 


5t)4  Heinrich  Waentig, 

schritte  gemacht.  Form  und  Ausmaß  der  Hochöfen  hatte  sich  ver- 
ändert, der  Kok  unaufhaltsam  die  Holzkohle  verdrängt.  Das  Jahr 
1836,  für  diese  Periode  eine  Zeit  der  Hochkonjunktur,  zeigt  89  Hoch- 
öfen (darunter  23  mit  Kok  beschickte)  in  voller  Tätigkeit;  1839  ist 
ihre  Zahl  auf  117  (darunter  45  mit  Kok  beschickte)  gestiegen,  von 
denen  jedoch  nur  69  (darunter  17  mit  Kok  beschickte)  wirklich 
arbeiteten.  Blitzschnell  war  eine  schwere  Krise  über  die  belgische 
Eisenindustrie  hereingebrochen,  die  1839  ihren  Höhepunkt  erreichte, 
sich  jedoch  bis  in  die  Mitte  der  vierziger  Jahre  fortpflanzte'). 

Maßlose  Ueberproduktion,  von  einem  ruckartigen  Emporschnellen 
der  Eisenpreise  begleitet,  dem  ebenso  rasch  das  Einströmen  aus- 
ländischer Eisenmassen  folgte  (10  000  t  im  Jahre  1837,  5000  t  im 
Jahre  1838  gegenüber  1500  bis  1800  t  im  Durchschnitt  der  Vor- 
jahre), hatte  den  Markt  geworfen,  die  Industrie  in  ihren  Grund- 
festen erschüttert  und  drohte,  alle  ihre  früheren  Errungenschaften 
in  Frage  zu  stellen.  Ein  Preissturz  von  23 — 30  Proz.  zwang  ein 
reichliches  Drittel  der  beteiligten  Unternehmungen,  ihren  Betrieb  ein- 
zustellen, so  daß  der  Produktionsertrag  im  Jahre  1«39  auf  etwa  die 
Hälfte  des  1836  beobachteten  zusammenschrumpfte.  Sehnsüchtigen 
Auges  blickte  man  jetzt  nach  Deutschland  hinüber,  wo,  wie  man 
wußte,  die  heimische  Industrie  noch  längst  nicht  imstande  war,  den 
tatsächlichen  Eisenbedarf  zu  decken,  man  also  Belgien  auf  Englands 
Kosten  Vergünstigungen  gewähren  konnte,  ohne  dadurch  die  natio- 
nalen Interessen  zu  schädigen.  War  unter  solchen  Umständen  die 
belgische  Regierung  grundsätzlich  entschlossen,  in  der  Schiffahrts- 
frage nachzugeben,  so  wollte  sie  doch  anderseits  dafür  möglichst  weit- 
gehende Vergünstigungen  von  deutscher  Seite  eintauschen. 

Auf  die  einzelnen  Phasen  dieses  Wechselspieles  hier  genauer 
einzugehen ,  das  den  geschichtlichen  Forscher  heute  wie  eine 
Komödie  der  Irrungen  anmutet,  würde  zu  weit  führen.  Verwirrend 
wirkte  besonders  auch  das  Nebenherlaufen  der  belgischerseits  im  ge- 
heimen mit  Frankreich  gepflogenen  Verhandlungen,  die  das  Kampffeld 
mehrfach  verschoben.  Hierüber  ist  es  dann  auch  zum  offenen  Bruche 
gekommen.  Nicht,  daß  Preußen  im  Gegenzuge  versucht  hätte,  Belgien 
zum  unfreiwilligen  Eintritt  in  den  Zollverein  zu  pressen,  oder  es 
gar  durch   wirtschaftliche   Mittel   seiner  politischen  Selbständigkeit 


1)  Vgl.  Briavoiuue,  De  riuüuütrie  eu  Belgique,  Tome  II,  p.  283  ff.,  besondeis 
}».  289  ff.;  Xavier  Heuschling  et  Ph.  Vandermaclen,  Essai  sur  la  Statistique  gdi^rale 
de  la  Belgiqiie,  composfe  sur  des  documents  publics  et  particuliers,  deuxiime  Mition, 
Bruxelles  1841,  p.  100  ff.  Hier  auf  p.  334  ff.  eine  an  den  Minister  des  Innern  ge- 
richtete Denkschrift  der  Handelskammer  Lüttich  vom  30.  August  1839,  in  der  nach 
einer  umfassenden  Schilderung  der  Ursachen  der  Eiseukrise  und  ihrer  Rückwirkung  auf 
die  wirtschaftliche  Lage  des  Lütticher  Industriebezirijes  schl«nkweg  der  zollpolitische 
Anschluß  an  Holland,  oder  noch  besser  an  den  deutschen  Zollverein,  gefordert  wird,  da 
man  von  England  und  Frankreich  doch  nichts  mehr  zu  erhoffen  habe.  „II  y  a  donc 
hÄte  pour  la  Belgique",  heißt  es  dort,  „de  n§gocier  son  accession  aux  6rats  de  l'union 
allemundc,  sinon  eile  court  risque  d'arriver  trop  tard;  plus  l'association  acquerra  de 
consistance  et  de  d^veloppement,  plus  eile  se  montrera  rev^he  H  agrandir  le  cercle  de 
ses  agr^ations  douaniferes." 


Die  Gnmdfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  Q^ 

ZU  berauben.  Aber  man  verwahrte  sich  dagegen,  daß,  unter  dei» 
Deckmantel  einer  wirtschaftlichen  Annäherung,  der  politischen  Expan- 
sion Frankreichs  auf  belgischem  Boden  Vorschub  geleistet  würde.  So 
setzte  man  denn  schließlich,  als  alle  anderen  Mittel  versagten,  auf 
den  groben  Klotz  einen  groben  Keil  und  brachte  den  wankelmütigCD 
Nachbar  dadurch  überraschend  schnell  zur  Anerkenntnis  seiner  wahren 
Interessen  ^). 

Der  zwischen  Belgien  und  dem  deutschen  Zollverein,  vom  1.  Ja- 
nuar 1845  ab  gerechnet,  zunächst  auf  die  Dauer  von  6  Jahren  ab- 
geschlossene Handels-  und  Schiffahrtsvertrag  vom  1.  September  1844 
begründet,  wie  dies  in  seinem  Artikel  16  programmatisch  ausgeführt 
wird,  volle  und  unbeschränkte  Handelsfreiheit  zwischen  den  Unter- 
tanen der  beiden  vertragschließenden  Parteien*-^).  In  jeglicher  Be- 
ziehung sollen  hinsichtlich  der  Führung  ihrer  Geschäfte  auch  die- 
jenigen, die  sich  vorübergehend  oder  dauernd  in  der  Fremde  nieder- 
lassen würden,  den  einheimischen  Staatsbürgern  gleichgestellt  werden 
Der  Vertrag  zerfällt  weiter  in  einen  verkehrspolitischen  und  einen 
handelspolitischen  Teil. 

Der  erste,  umfassendere  (Artikel  1  ff.)  verfügt  grundsätzlich  die 
völlige  Gleichstellung  beider  Handelsflotten  im  wechselseitigen  Schiffs - 


1)  Der  entscheidende  Konflikt  knüpfte  sieh  an  die  „Convention  linifere"  von  J842. 
Ueber  ihre  Tragweite  war  man  sich  anch  in  Deutsehland  durchaus  im  klaren.  „Dniclr 
die  Leinenkonvention  mit  Frankreich",  heißt  es  in  einer  „Ein  handolFpolitisehe» 
Testament"  betitelten,  im  Dezember  1845  in  nur  12  Exemplaren  als  Manuskript  ver 
öffentliehten  Broschüre  des  damaligen  preußiK-hen  Gesandten  in  Belgien,  Freiherrn 
Alexander  Heinrich  von  Arnim,  ,,war  das  neutrale  und  unabhängige  Belgien  genMigt^ 
die  PmhibitivEÖlie  Frankreichs  anzunehmen  und  sie  gegen  seine  anderen  Nachbarn  in 
Anwendung  zu  bringen.  Wenn  dieses  "Verfahren  gelegentlich  auf  einen  anderen  Artikel 
angewendet  worden  wäre  und  so  fort  auf  einen  dritten,  vierten  und  lünften  Artikel,  60 
hätte  sich  aus  dieser  Mosaik  von  kleinen  Konventionen  nach  und  nach  und  unver 
merkt,  aber  unfehlbar,  das  leibhaftige  Bild  einer  französisch-belgischen  Zollvereinigung 
zu^^ammengesetzt"  (a.  a.  O.  S.  16).  Dem  wollte  man  unter  allen  rmständrn  vorbeugen 
Und  als  Belgien  sich  überdies  weigerte,  die  Frankreich  in  demselbrn  Vertrage  iür 
Weine  und  Seidenstoffe  gewährten  Zollerleichterungen  über  den  31.  März  1844  hinan» 
auch  dem  deutschen  Zollverein  einzuräumen,  beantwortete  man  diesen  feindseligen  Akt 
durch  königliche  Verordnung  vom  21.  Juni  1844  mit  energischen  Bepressalien  auf 
belgisches  Ejsen.  Eine  gute  und  knappe  Darstellung  des  Streitfalles  unter  der  üeber- 
Schrift  Belgien  und  der  Zollverein  im  Zollvereinsblatt,  2.  Jahrgang  1844,  S.  €85  ff, 
709  ff.,  725  ff. 

2)  Der  wichtige  Artikel  16  heißt  im  Wortlaut:  „II  y  aura  pleine  et  enti^re  libert^ 
de  commerce  entre  les  sujets  des  deux  hautes  parties  contractantes,  en  cc  sens  que  ]ea 
mßmes  facilit^,  s6cunt^  et  protection  dont  jouisscnt  les  nationaux,  sont  garanties  de» 
deux  parts.  En  cons&quence,  les  sujets  rej-pcctifs  ne  payeront  point,  Jl  raison  de  Icur 
commerce  ou  de  leur  Industrie,  dans  les  ports,  villes  ou  lieux  quelconqucs  des  deui: 
hautes  parties  conti actantcs,  soit  qu'ils  s'y  fetablissent,  soii  qu'ils  y  resident 
temporairement,  des  droits,  taxes  ou  impöts  autres  ou  plus&lev^ii 
que  ceux  qui  se  percevront  sur  les  nationaux  et  les  Privileges,  im- 
munit^s  et  autres  faveurs  dont  jouiront,  en  matifere  de  commerce  ow 
d*in  dustrie,  les  sujets  de  l'une  des  deux  hautes  parties  contractantes, 
seront  communs  h  ceux  de  l'autre.  La  patente  dont  sont  possiblcs,  dans  lea 
l&tats  des  deux  hautes  paities  contractantes,  les  voyageuis  de  conimerce,  scr»  rfedui^* 
de  part  et  d'atitre,  ^  un  taux  unifoime  Ä  fixer  d'un  commun  accord." 


^6  Heinrich  Waentig. 

verkehre,  hinsichtlich  der  Schiffskörper  sowohl  wie  ihrer  Ladungen*). 
Nur  die  der  heimischen  Schiffahrt  zugunsten  der  nationalen  Fischerei 

1)  Da  die  den  Schiffsverkehr  zwischen  beiden  Wirtschaftsgebieten  regelnden 
Yertrag>bet(tiinmuDgeD  auch  heute  noch  von  Interesse  sein  könnten,  gebe  ich  die  wicb- 
tigbten  Artikel  im  Urtext  wieder: 

Art.  1.  Les  navires  apparteuant  ä  la  Belgique  qui  entreront  sar  lest  on  chargis, 
dans  les  ports  de  la  Prusse  ou  dans  l'un  des  ports  des  autres  £tat8  du  Zollverein,  oa 
qui  en  sortiront,  et,  röciproquement,  les  navires  appHrtenant  li  la  Prusse  ou  ^  l'un  des 
autres  fitats  du  Zollvenin,  qui  entreront,  sur  lost  ou  charjsfes,  dans  les  ports  de  la  Bel- 
gique, ou  qui  en  sortiront,  quelque  soit  le  Heu  de  leur  d§part  ou  de  leur  dci^tination, 
ne  scront  pas  assujettis  ä  des  droits  de  tonnage,  de  pavillon,  de  port, 
de  balisage,  de  pilotage,  d'ancrage,  de  remorque,  de  fanal,  d'^cluse, 
de  canaux,  de  quarantaine,  de  sauvetage,  de  Courtage,  d'entrepdt  on 
li  d'autres  droits  ou  eharg^s  de  quelque  nature  ou  d6nomination  que 
ee  soit,  pergus  au  nom  et  au  profit  du  gouvernement,  de  fonction- 
naires  publics,  de  communcs  ou  d'^tablissemen ts  quelconques,  qne 
ceux  qui  sont  actuellement  ou  pourront  par  la  suite  6tre  impos^s  aax 
bAtiments  nationaux,  k  l'entr§e  et  pendant  leur  s6jour  dans  ces  ports 
ouJi  leur  sortie. 

Art.  2.  En  tout  ce  qui  concerne  le  placement  des  navires,  leur  charge- 
ment  et  d§chargement  dans  les  ports,  rades,  havres  et  bassins,  et  gk- 
nferalement  pour  toutes  les  formalit^s  et  dispositions  quelconques 
auxquelles  peuvent  6tre  soumis  les  navires  de  commerce,  leur  equi- 
page  et  leur  chargement,  il  est  ^sfalement  convenu  qu'il  ne  sera  accord§  aux 
nationaux  aucun  privil^ge  ou  faveur  qui  ne  le  soit  6galement  k  ceux  de 
l'autre  partie,  la  volonte  des  deux  hauies  parties  contractantes  €tant  que,  sous  ce 
rapport  aussi,  leurs  bätiments  soient  trail^s  sur  le  pied  d'une  parfaite  6galit6. 

Art.  4.  Tous  les  produits  et  autres  objets  de  commerce  dont  Pimportation  ou 
Pexportation  pourra  6galement  avoir  lieu  dans  les  fitats  des  bautes  parties  contractantes 
par  navires  nationaux,  pourront  §galement  y  ^tre  Importes  ou  en  6tre  ex- 
portls  par  navires  appartenant  ä  l'autre  partie  contractante.  Les 
marchandises  import&es  dans  les  ports  de  la  Belgique  et  du  Zollverein  par  des  navires 
appartenant  h,  l'une  ou  k  l'autre  partie  pourront  y  6tre  destin^es  k  la  consommation, 
au  transit  ou  k  la  r&exportation,  ou  enfin,  6tre  mi&es  en  entrepöt,  au  gr6  du  proprife- 
taire  ou  de  ses  ayants  cause,  le  tout  aux  mdmes  conditions  et  saus  ^tre  as- 
sujetties  ä,  des  droits  de  magasinage,  de  surveillance  ou  ffutres  de 
cette  nature  plus  forts  que  ceux  auxquels  seront  soumises  les  mar- 
chandises apport§es  par  navires  nationaux. 

Art.  5.  Les  marchandises  de  toute  espöce,  saus  distinction  d'origine,  Importe 
directement  des  ports  de  Belgique  dans  ceux  du  Zollverein  par  navires  beiges,  ainsi 
que  Celles  qui  seront  import^es  directement  des  ports  du  Zollverein  dans  ceux  de  Bel- 
gique par  navires  appartenant  h.  Pun  des  £tats  du  Zollverein,  ne  payeront,  dans 
les  ports  respectifs,  d'autres  ni  de  plus  forts  droits  d'entrfee  ou  de 
sortie  et  ne  seront  assujetties  k  d'autres  formalit§s  que  si  l'impor- 
tation  avait  lieu  par  bätiments  nationaux.  II  en  sera  de  mdme  pour  le« 
marchandises  de  toute  espöce  exportees  des  ports  du  Zollverein  par  navires  beiges,  ainsi 
que  pour  Celles  qui  seront  exportles  des  ports  de  la  Belgique  par  navirts  du  Zoll- 
verein, pour  quelque  destination  que  ce  soit. 

Art.  7.  (Absatz  I.)  Les  primes,  restitutions  de  droits,  ou  autres 
avantages  decegenre  qui  sont  ou  qui  pourraient  ßtre  accordls  dans  les  Etats  de 
Pune  des  deux  hautes  parties  contractantes  aux  navires  nationaux  ou  ä  leurs  cargaisons, 
»eront  &galemcnt  accordSs,  soit  aux  navires  de  l'autre  partie,  soit  aux 
marchandises  import6es  directement  de  l'un  pays  dans  l'autre  par 
navires  de  l'une  ou  de  l'autre  partie  ou  export§es  pour  quelque  destination 
que  ce  soit. 

Art.  10.  Les  navires  de  Pune  des  deux  hautes  parties  contractantes,  entrant  en 
rel&che  forc6e  dans  Pun  des  ports  de  Pautre,  n'y  payeront,  soit  pour  le  navire, 
oit  pour  son  chargement,   que  les  droits  auxquels  les  nationaux  sont   assu- 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft  ß57 

ttüd  des  Salzhandels  gewährte  Vorzugsstellung  (Art.  7,  Abs.  2)  und 
die  für  die  indirekte  Wareneinfuhr  geltende  differentielle  Be- 
handlung (Art.  5,  Abs.  2)  bleiben  aufrechterhalten.  Kommen  diese 
Bestimmungen  in  erster  Linie  dem  Zollverein  zugute,  so  haben  beide 
Teile  an  allen  den  Transitverkehr  regelnden  (Art.  17  und  18)  das 
gleiche  Interesse.  Durch  vertragsmäßige  Festlegung  von  Höchst- 
sätzen für  die  Durchfuhrzölle,  namentlich  im  Zollvereinsgebiete,  so- 
wie der  in  Belgien  für  den  Eisenbahnverkehr  bereits  bestehenden 
Zollfreiheit,  suchen  sie  diesen  möglichst  zu  heben  *). 

Gewisse  Kompensationen  für  die  der  deutschen  Schiffahrt  ein- 
geräumten Vorrechte  erhält  Belgien  im  handelspolitischen  Teile 
des  Vertrages  zugebilligt.  Diese  liegen  vornehmlich  in  der  Er- 
mäßigung der  deutschen  Einfuhrzölle  auf  belgisches  Eisen,  der 
deutschen  Ausfuhrzölle  auf  deutsche  Wolle.  Die  dem  Zollverein 
für  deutsche  Weine,  Seidenstoffe,  Nürnberger  und  Modewaren  ge- 
währten Zollnachlässe,  die  Bindung  der  belgischen  Zölle  auf  deutsche 
Werkzeuge  und  Instrumente  in  Stahl  und  Eisen,  sowie  auf  bestimmte 
Mengen  westfälischer  und  braunschweiger  Garne,  stellen  hier  die 
belgische  Gegenleistung  dar.  Beide  Parteien  verpflichteten  sich 
überdies,  die  Abwicklung  des  Grenzverkehrs  auf  jede  Weise  zu  er- 
leichtern, das  Schmuggelwesen  in  beiden  Richtungen  energisch  zu 
unterdrücken. 

Nach  alledem  war  der  belgisch-deutsche  Handels-  und  Schiffahrts- 
vertrag vom  1.  September  1844  ein  rein  wirtschaftliches  Abkommen. 
Gewiß  war  Belgien  dadurch  Deutschlands  „kommerzielles  Vorland** 
geworden,  aber  ohne  darum  im  mindesten  seine  politische  Unab- 
hängigkeit zu  verlieren,  seine  garantierte  Neutralität  zu  verletzen. 
Vielmehr  waren   diese  im  Vertrage  so   sorgfältig  gewahrt,  daß   er 


jettis  dans  le  m6me  cas,  poürvn  que  la  n^cessit^  de  la  reläche  soit  I§galement 
constat^e,  que  ces  navires  ne  fassent  aucun  o]  §ration  de  commerce  et  qu'ils  ne  s-§jour- 
nent  pas  dans  le  port  plus  longtemps  qne  ne  l'exige  le  motif  qui  a  n^cossitfe  la  reläche. 

Art.  12.  Les  stipulations  qui  pr^cfedent  (art.  1",  2",  4%  5%  7*)  s'appliquent 
"k  la  navigation  tant  maritime  que  fluviale,  de  mani^re  que,  nomm§ment 
par  rapport  aux  droits  de  douane,  aux  droits  de  navigation,  pesant  soit 
sur  les  navires  soit  snr  les  chargements,  aux  droits  de  patente  ainsi 
q\i*ik  tous  autres  droits  ou  charges  de  quelque  nature  ou  dgnomination 
que  ce  soit,  les  navires  appartenant  k  l'autre  partie  contractante  ne  pourront  6tre 
impos^s  de  droits  autres  ou  plus  §lev6s  que  cenx  dont  sont  frapp^s  les  na- 
vires nationaux. 

Art.  14.  Si  une  des  hautes  parties  contractantes  accorde  par  la  suite  k  une 
aatre  !ßtat  quelque  faveur  particuli^re  en  fait  de  navigation,  cette  faveur  de- 
viendra  commune  li  l'autre  partie  qui  en  jouira  gratuitement  si  la 
concession  est  gratuite,  ou  en  acoordant  la  m6me  compensation  si  Ift 
eonoession  est  conditionnelle. 

1)  Die  wichtigsten  Sätze  des  Artikels  18  lauten:  „La  libert§  du  transit  par 
la  Belgique  est  maintenue  avec  l'af  f  ranchissemen  t  de  tout  droit  pour  le 
transit  par  le  chemin  de  fer  beige,  tant  pour  les  marchandi^es  vcnant  des  J^tats 
du  Zollverein,  que  pour  les  marohnndises  j  allant,  aux  termes  des  disposition« 
actnellement  en  vigueur.  L'exemption  de  droit  dont  jouiüsent,  en  Belgique,  les 
draps,  les  Casimirs  et  leurs  similaires  transitant  par  le  chemin  de  fer,  est  §tendue  an 
tranaii  de  ces  articles  par  toute  autre  voie." 


(^68  Heinrich  Waentig, 

auch  Dicht  eine  BestimmuBg  enthielt,  die  nicht  bereits  für  Frank- 
reich gegolten  hätte,  oder  von  diesem  unter  gleichen  Eedirgiingen 
eu  beanspruchen  und  von  Belgien  zu  gewähren  gewesen  wäre. 
Dennoch,  oder  vieleicht  gerade  deshalb,  hatte  er  zugleich  eine  eminent 
politische  Bedeutung.  Was  er  in  den  Augen  der  Zeitgenossen  be- 
deutete, erhellt  wohl  am  deutlichsten  aus  den  von  französischer 
Seite  dazu  gemachten  Glossen. 

Die  Natur  habe  Belgien  die  Gabe  der  wirtschaftlichen  Unab- 
hängigkeit versagt,  erklärte  Major  Poussin.  Damit  sei  sein  Schicksal 
ftir  alle  Zeiten  untrennbar  an  das  seiner  Nachbarn  gebunden.  Kach 
seiner  Loslösung  von  Holland  habe  es  unschlüssig  zwischen  Frank- 
reich und  Deutschland  hin  und  her  geschwankt.  Jetzt,  nachdem  die 
jüngst  vollendete  Eisenbahn  Antwerpen  und  Ostende  mit  dem  Eheine 
verbunden,  sei  der  Würfel  gefallen:  „La  Belgique  est  desoimais  ac- 
quise  ä  Punion  allemande,  et  les  ports  beiges  peuvent  des  aujourd'hui 
etre  consideres  comme  assimiles  en  tout  et  pour  tout  aux 
ports  du  Zollverein.  Des  ä  present,  par  consequent,  la  neii- 
tralite  de  la  nationalite  beige  si  cherement  concedee  par  les  puis- 
sances  signataires  du  celebre  traite  du  15  novembre  est  une  lettre 
morte;  eile  ne  peut  plus  exister,  car  la  solidarit^  des 
interets  commerciaux  donne  le  droit  incontestable 
aux  £tats  du  Zollverein  de  veiller  sur  leurs  pro- 
prietes  dans  les  ports  beiges"  i). 

Fast  als  eine  Art  politischen  Verrates  wurde  Belgiens  Handlungs- 
w^eise  von  einem  Teile  der  französischen  Tagespresse  und  selbst  von 
so  ernst  zu  nehmenden  Organen  wie  die  „Bevue  des  deux  mondes** 
hingestellt.  Noch  im  Septemberheft  des  Jahres  1^41  hatte  sie  tiber 
den  Bruch  zwischen  Belgien  und  dem  Zollvereine  gejubelt  und  den 
leitenden  Staatsmännern  allerhand  gute  Lehren  erteilt*).  Einen 
Monat  später  schon  folgte  der  Katzenjamimer.  „Par  cette  Convention**, 
klagte  man  jetzt,  „Anvers  devient  le  port  de  l'Alkmagne  et  PEs- 
caut  un  fleuve  prussien.  Desoimais  la  Belgique  ne  pent  plus  traiter 
Sans  Paveu  de  la  Prusse  avec  les  colonies  ou  avec  les  etats  plac^s 
au  delä  de  POcean.  Dne  solidarite  de  plus  en  plus  etroite 
tend   ainsi  h  s'etablir   entre  la  Belgique   et   la  Prusse: 

1)  Pousdn,  La  Belgique  et  les  Beiges  depuis  1830,  p.  65.  Vgl.  auch  p,  96  ff. 
und. 368  ff. 

2)  EcTüe  des  deux  mordes,  Ann^e  1844,  Septeipbre,  p.  836 ff.  Politique  coirinei- 
cisle.  La  Fmnce  et  la  Piusse  vis-ä-Tis  de  la  Belgique.  Wan  tirpfi.lil,  auf  dm  frau- 
EÖsif eil- belgische n  ZollTeiein  voiläufip  zu  TeryiiliUu,  eiet  r((lit  ivi  jede  miliiiiiM'he 
Eioberurg.  „Les  pi^lcxtes  ne  »ous  iraBqueiaitnt  pas  pour  nous  suloriser  h  prrndre 
posKSPion  de  la  Belgique",  heißt  es  dauu  weiter,  „^ous  aurions  bieuiöt  le  territoire, 
les  villes,  les  rithcfsc^,  mais  uous  n'aurioDS  point  le  peujJe,  et,  qu'on  le  cache 
bieu,  il  se  rangerait  contrc  uous  au  premier  revers.  Kous  n'aTODS  plus 
qu'uue  eorqu^le  po^Hble  du  <6l^  du  noid;  il  uous  faut  eüuqufrir  l'affection 
de  eettc  }> etile  nationalite  jalouse,  quinousvoittoujourspr^takla 
dtvorer,  et  nous  n'y  priviend)cns  qu'tn  l'attiqurnt  par  ses  in1fl^t^,  qu'cn  y  n  ^lant  les 
nfitres,  de  teile  forte,  qu'un  yvr  nous-  nc  puiesicns  ]  rs  jlus  rcus  J^i■^er  de  kb  indfe- 
pendanee,  qu'elle  ne  pouira  se  paffer  de  notre  bon  vculoir."  Dtfl  alb  nnifse  Frarkicich 
ÄUeh  sofort  der  belgifeehen  P^isenindustrie  entseheidtnde  Konzessionen  maeber. 


Die  Graadfrage  der^belgischea  Volkswirtaohaft.  5Q9 

la  Belgique  n'est  plusqu'un  satellite  eatraiae  boagre, 
mal  gr6,  si  nous  n'y  prenoas  garde,  dans  l'orbite  du 
Zollvereia."  Uad  das  göaaerliafte  Wohlwollen,  mit  dem  man 
das  kleine  Nachbarland  noch  wenige  Wochen  zuvor  behandelt  hatte, 
schlug  plötzlich  in  freche  Drohung  um  ^). 

In  Belgien  ließ  man  sich  durch  solche  Ausbrüche  ohnmächtigen 
Zornes  nicht  aus  der  Fassung  bringen,  noch  weniger  einschüchtern. 
Ja,  sie  erzielten  eher  das  Gegenteil  des  damit  Beabsichtigten.  Dienten 
sie  doch  nicht  wenig  dazu,  im  Parlamente  die  frankophile  Opposition 
zu  entwaffnen,  die  sich  bemühte,  den  Vertragsabschluß  als  einen 
feindseligen  Akt  gegen  das  befreundete  Frankreich,  als  einen 
bedenklichen  Angriff  auf  die  politische  Integrität  des  Königreiches 
hinzustellen. 

Schon  der  Bericht  der  „Section  centrale"  hatte  sich  wider  diese 
Auffassung  gewandt.  Wirtschaftlich  sei  der  Vertrag  ein  Kompromiß, 
das  den  Verkehrsinterressen  des  Zollvereins,  den  industriellen  Bel- 
giens, Rechnung  trage.  Könne  man  nun  immerhin  über  das  Bestehen 
eines  vollendeten  Gleichgewichtes  zwischen  den  gebrachten  Opfern 
und  den  dafür  eingetauschten  Gewinnen  im  Zweifel  sein;  möchten 
in  dieser  Hinsicht  viele  Voraussagen  sich  als  trügerisch,  viele  Be- 
rechnungen als  irrig,  viele  Hoffnungen  als  eitel,  viele  Befürchtungen 
als   verfrüht  erweisen;   über  die  politische  Tragweite  des  Vertrages 


1)  Rerae  des  deux  mondes,  Aaa§e  1844,  Octobre,  p.  190  ff.  Chroaique.  „L'hosti- 
lite,  cu  effet",  heißt  es  dort,  „n'est  pas  dans  les  clauses,  eile  est  dans  le 
fait  möme  de  la  Convention.  Par  cela  seal  qae  la  Prasse  entre  en  partage  avec 
noas  en  Belgique,  le  traitg  du  premier  septembre  frappe  notre  commerce  et  lui  nuit. 
Au  point  de  vue  politique,  la  quedtion  est  bien  plus  grave.  ün  ministre  beige,  qul 
eroit  6tendre  son  influence  en  multipliant  ses  relations,  peut  bien  imaginer  que  la  Bel- 
gique est  destiaee  ä  former  des  alliancei  plus  ou  moins  Scroites  avec  tous  les  6tats  voi- 
sins;  mais  la  Situation  de  ce  pays,  froidement  examinee,  ne  comporte  pas  de  telles  iltu* 
äions.  La  Belgique  ne  saurait  6tre  l'alliee  que  d'un  seul  etat;  eile  est 
po  litiquement  neutre  pourtous  les  autres.  II  faut,  de  tonte  n§cessit§, 
qu'elle  ohoisisse  entre  l'alliance  de  la  France  et  celle  de  la  Prusse; 
et  si  eile  adopte  l'alliance  prussienne,  c'est  volontai  remen  t  ou 
inyolontairement  pour  nous  tourner  le  dos."  Noch  viel  unverschämter  wurde 
der  Ton,  als  der  Abschluß  des  französiscli-belgischen  Handelsvertrages  vom  13.  Dezember 
1845  den  Beweis  erbrachte,  daß  man  sich  in  Bels^ien  durch  keinerlei  Drohungen  ein- 
schüchtern ließ.  Vgl.  Gustave  d'Alaux,  La  Belgique  en  1846,  AaaSe  1846.  Tome  XVI, 
p.  877  ff.  Der  Artikel  gibt  eine  gute  Analyse  der  belgischen  Parteipolitik  jener  Zeit 
und  ihrer  Beziehun.?ea  zu  dm  h  lalilspilitischeu  Pr)ble!neii.  .,Lv  Convention  du 
13  dftcembre",  erklärt  der  Verfasser,  ,  qui  ne  cr6e  au  commerce  franQiis  au.?un  int6r6t 
majeur  en  Biilgique,  n'est  pas  un  contre-poids  süffisant  h.  deux  trait6s  qui  rivent  ä  la 
Belgique  l'avenir  maritime  du  Zollverein  et  des  P.iys-Bw."  Höhnisch  verspottet  er  jene, 
„niaise  patrioterie",  die  unter  den  abgebrauchten  Sclila^worten  „N'eutralität  *  und  „Na- 
tion dität"  nur  die  elende  B'urcht  vor  einem  europäischen  Kriegs  an  Frankreichs  Seite 
verberge.  „Admettons  pjur  l'avenir  le  cas  plus  qu'improbable  d'un  nouveau  duel  entre 
la  France  et  l'Gdrape:  emprisonnee  qu'elle  serait  dms  l'etaudequatre 
arm6es,  la  Belgique  aurait-elle  la  pretention  de  rester  neutre?  Ou 
bien  voulrait-on  nous  fair«}  entendre  que,  dans  l'altern  itive  d'un  choix,  eile  p;isserait 
du  odtö  de  la  Prusse,  dti  l'Eur.ipe;  c'est-ä-dire  du  cöte  «le  i'Ansjleterre,  qui  tuerail  en 
six  mois  son  inlustrie;  du  cöoe  de  la  Prasse,  qui  röve  le  Bis-Esciut  pour  limite 
naturelle;  du  cdte  de  la  HjUaud},  qui  attcnd  des  restitutions?  Bn  verite,  ce  n'etait 
pas  alors  la  peine  ^  nous  de  prendre  la  citadelle  d'Anvers." 


570  Heinrich  Waentig, 

vom  1.  September  werde  in  Belgien  selbst,  wie  außerhalb  seioer 
Grenzen,  nur  eine  Stimme  sein:  „Ce  trait^  est,  de  la  part  de  ces 
populations  allemandes  avec  lesquelles  nous  avons  une  si  longue  com- 
munaut6  de  Souvenirs  historiques,  un  premier  et  solennel  acte  de  feie 
dans  l'avenir  de  la  nation  beige;  ce  traite  est  la  consecration 
officielle  de  la  neutralite  de  la  Belgique"'). 

In  den  sich  daran  anschließenden  Kammerdebatten  trat  diese 
üeberzeugung  dann  noch  viel  stärker  zutage.  Als  „un  acte  poli- 
tique  de  la  plus  haute  importance"  wurde  der  Vertrag  von  einem 
der  Abgeordneten  bezeichnet,  „le  seul  acte  de  v^ritable  independance 
que  la  Belgique  ait  reussi  ä  poser,  parce  qu'il  detruit  une 
espece  de suzerainete  qu'une  puissance  voisine  parais- 
sait  exercer  sur  nous".  Den  Höhepunkt  der  Verhandlungen 
aber  bildete  die  temperamentvolle  Rede  des  Abgeordneten  Dedecker, 
die  den  Vertrag  vom  1.  September  als  die  Krönung  des  Gebäudes 
feierte,  zu  dem  durch  das  Staatseisenbahngesetz  des  Jahres  1834 
der  Grundstein  gelegt  worden  sei'-^). 

Man  habe  behauptet,  daß  dieser  Vertrag  die  belgische  Eisen- 
bahn in  eine  „preußische",  den  Hafen  von  Antwerpen  in  einen 
„preußischen"  verwandle.  Nun  gut;  gerade  das  habe  man  seiner  Zeit 
gewollt  1  „Quand  nous  avons  espere  pour  la  ville  d'Anvers  de  grandes 
destinees,  que  nous  avons  voulu  faire  de  cette  place  un  centre  im- 
portant  d'affaires,  un  grand  marche,  qui  püt  rivaliser  aVec  celui  du 
Hävre,  de  Hambourg  et  de  Rotterdam,  nous  avons  voulu  quMl 
devint  prussien,  c'est-ä-dire,  que  le  transit  de  PAlle- 
magne  luidonnät  du  developpemen  t  et  de  Pimportancel 
Nous  avonsvoulu  quenotrecheminde  ferdevint  prus- 
sien en  ce  sens,  que  nous  considerions  sa  prosperite 
comme  attachee  au  transit  de  PAllemagne."  So  sei  denn 
dieser  neue  Vertrag  auf  das  engste  mit  dem  belgischen  Eisenbahn- 
systeme verwachsen.  Schon  vor  10  Jahren  habe  man  die  Regierung 
deutsch-freundlicher  Tendenzen  beschuldigt.  Jetzt  wiederhole  sich 
das;  ohne  jeden  Grund.  Denn  man  übersehe  dabei,  daß  die  dem  öst- 
lichen Nachbar  gemachten  Konzessionen  künftig  goldene  Früchte 
tragen  müßten.  Einmal  auf  Antwerpen  eingestellt,  werde  die  deutsche 
Durchfuhr  die  altgewohnte  Bahn  nicht  so  leicht  wieder  verlassen 
können.  Dann  werde  für  Belgien  der  Augenblick  gekommen  sein, 
um  vom  Zollverein  weit  größere  Zugeständnisse  zu  erlangen,  als  er 
sie  jetzt  gewährt  habe.  Möglich,  daß  der  Abschluß  des  belgisch- 
deutschen Handels-  und  Schiffahrtsvertrages  in  Deutschland  mit  Be- 
geisterung begrüßt  worden  sei.  „Mais  quant  ä  moi",  schloß  er  seine 
Rede,  „cet  enthousiasme  meplait;  il  me  console,  il  me  rassure,  parce 
qu'il  vient  de  la  part  de  populations  reflechies,  serieuses,  de  la  part 
de  populations  qui  ont  appris  ä  nous  connaitre  et  qui  sauront  nous 
apprecier,  de  la  part  de  populations  qui   nous   traiteront, 

1)  Annales  parlementaircs  de  Belgique,  Srssion  1844/1845,  p.  294  ff.  und  300. 

2)  Annules  parlementaires,  a.  a.  O.  S.  355  ff.    und  421  ff. 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  571 

non  comme  une  province,  non  comme  un  peuple  vassal, 
mais  comme  une  nation  digne  de  son  independance  efc 
r^solue  ä  la  conserverl" 

Mit  erdrückender  Majorität  (76  gegen  7  in  der  Kammer,  31 
gegen  1  im  Senate)  wurde  der  Vertrag  schließlich  vom  belgischen 
Parlamente  sanktioniert.  Die  gehobene  Stimmung  aber,  unter  deren 
Einfluß  sich  seine  Verhandlungen  vollzogen  hatten,  wurde  nicht 
wenig  durch  die  Eindrücke  bestimmt,  welche  die  Belgier  gelegent- 
lich der  feierlichen  Eröffnung  der  Rhein-Scheldebahn  im  Oktober 
1843  als  Gastgeber  und  Gäste,  zunächst  in  Antwerpen,  dann  in 
Köln,  von  ihren  deutschen  Nachbarn  empfangen  hatten.  Schon  auf 
dem  großen  Festmahl  im  Saale  der  Kölner  Kasinogesellschaft 
hatte  der  Bürgermeister  von  Antwerpen,  Legrelle,  in  seinem  Trink- 
spruch auf  die  Schwesterstadt  begeisterte  Worte  gefunden.  „11  y  a 
trois  jours",  hatte  er  gesagt,  „vous  avez  bien  voulu  vous  rendre  ä 
Dotre  invitation  sur  les  ports  de  l'Escaut;  aujourd'hui  que  vous 
nous  ouvrez  les  bras,  nous  nous  y  jetons  ä  notre  tour,  avec  empres- 
sement,  avec  enthousiasme!"  Sie  wurden  jedoch  vielleicht  noch 
übertroffen  durch  die  Rede,  mit  der  am  Ende  der  Festlichkeiten  Ro- 
gier,  als  Sprecher  seiner  Landsleute,  ihren  Gefühlen  Ausdruck  ver- 
lieh, indem  er  zugleich  die  Völker  verknüpfende  Kraft  des  Dampfes 
verherrlichte.  „Honneur  ä  la  societe  qui,  une  des  premieres,  en  a 
compris  la  puissance  et  a  sillonne  le  Rhin  de  ses  rapides  bateauxl 
Les  chemins  de  fer  ont  continue  Poeuvre,  et  desormais,  de  nombreu- 
ses  et  puissantes  cites  vont  etre  reunies  dans  une  communaute  de 
sentiments  et  interets.  Bäle,  Strasbourg,  Mannheim,  Mayence,  Cob- 
lence,  Cologne,  Aix-la-Chapelle,  Liege,  Bruxelles,  Anvers,  Lille  se 
donnent  la  main.  Au  toast  que  votre  liberale  hospitalite  nous  a 
fourni  l'occasion  de  porter,  je  n'ajouterai  qu'un  voeu:  A  la  pro- 
pagation  de  la  vapeuri  ä  Punion  des  gouvernementsl  ä  la  fraternit^ 
des  peuples  I"  ^) 

Den  Teilnehmern  an  dem  zur  Feier  der  Eröffnung  der  Bahn 
am  12.  Oktober  1843  von  der  Stadt  Antwerpen  veranstalteten  Fest- 
bankett war  eine  Denkmünze  überreicht  worden,  deren  Avers  das 
Bild  König  Leopold's  zeigte,  während  die  Rückseite  mit  der  Um- 
schrift  „La  guerre   les  a  divisees,  la  paix  les  reunira"  symbolisch« 

1)  Kumpmann,  a.  a.  O.  S.  412  ff.  Drei  Jahre  später,  Mitte  Juni  1846,  wurde  als 
Gegenstück,  zunächst  in  Lille,  dann  in  B  üs>el,  die  Eröffnung  der  Bahnstrecke  Biüspel- 
Lille- Paris  und  in  Verbindung  damit  die  Verbiüderung  des  belgischen  und  französischen 
Volkes  g«  feiert.  Wenigstens  war  das  die  Ahsictit  auf  seilen  Frankreichs,  d.  s  auUer 
seinen  Technikern  und  Politikern,  B«  Igicn  umwerben«!,  auch  seine  Künstle»,  Philosophen 
un«i  Schrifistjller  dorthin  entsandt  hatte.  „A  la  Belijique!  ä  s<s  institutions!  ä  l'union 
des  d«  ux  peuples!'  ließ  Dupin  als  Vertreter  des  französis«  hen  Parlamentes  seinen  Trink- 
spruch au>klingen.  ,,A  l'union  et  ä  la  parfnite  ent<'nte  de  toutes  les  nationsl"  ant- 
wortete im  Namen  des  belgischen  Staates  bezeichnenderweise  de  Th<ux.  Das  Fest 
endete  mit  einem  Miüklang  infolge  einer  Rede  Rogiers,  unter  deren  Flindnick  eine  ganze 
Reihe  hoher  belgischer  und  französischer  Beamten  den  Bankeitsaal  verließen.  Das 
politi^che  Ziel  der  Veranstaltung  wurde  also  schwerlich  erreicht.  U' her  die  Festlich- 
keiten und  über  den  es  beendenden  interessanten  ZwischenftUl  vgl.  Journal  de  Bruxelles 
vom  17.,  18.  und  19.  Juni  1846. 


^72  Heinrich  Waenkig, 

ti'igureu  von  Kheia  und  Scheide,  die  Frauengestalten  Belgiens  und 
Preußens,  denen  der  Friede  die  Hände  reicht,  und  im  Hintergrunde 
den  Kölner  Dom  und  das  Antwerpener  Rathaus  darstellte.  Das, 
namentlich  in  Antwerpener  Kaufmannskreisen,  lebendige  Verlangen 
nach  enger  Verbrüderung  mit  den  Rheinlanden,  das  durch  den  Ab- 
43chluß  des  deutsch-belgischen  Handels-  und  Schiffahrtsvertrages  neue 
Mahrung  erhielt  und  im  September  1844  mit  der  Gründung  einer 
^Sociöte  commerciale  de  chemin  de  fer  belge-rhenan"  zur  Erleichte- 
rung des  rheinisch-belgischen  Eisenbahnverkehres  auch  äußerlich  in 
die  Erscheinung  trat,  war  jedoch  keineswegs  nach  aller  Leute  Ge- 
schmack. Nicht  etwa  nur  in  Frankreich  und  Holland,  gerade  auch 
m  Altpreußen  nahmen  viele  an  diesen  Bestrebungen  Anstoß  •). 

Selbst  diejenigen  aber,  die,  wie  Hoefken,  der  Meinung  waren, 
Deutschland  „sei  berufen,  alle  mitteleuropäischen  Staaten  in  einen 
Eandelsbund  zu  vereinen,  der  Uebermacht  des  Inselreiches  die  ge- 
fährlichste Spitze  abzubrechen,  die  starren,  für  sich  abgeschlossenen, 
Handelssysteme  Europas  wieder  in  Fluß  zu  bringen  und  miteinander 
zu  versöhnen  und  die  Handelsfreiheit  der  Völker  gegen  jede  Ueber- 
^ewalt  zu  retten",  Männer,  die  eben  darum  auch  das  belgische  Pro- 
blem von  einer  höheren  Warte  betrachteten,  wollten  von  einer  poli- 
tischen Angliederung  nichts  wissen,  es  sei  denn  in  einer  fernen 
Zukunft  und  auf  dem  Wege  der  natürlichen  Entwicklung  =*). 

Am  konsequentesten  durchdacht  hat  für  die  damalige  Zeit  auf 
deutscher  Seite  das  Problem  dieser  wirtschaftlichen  Angliederung 
Belgiens   an  Deutschland  Freiherr  von  Arnim,   der  sich  bitter  über 


1)  Bezeiehaend  für  die  politische  Gesamtlage  war  es,  daß  England  in  dieser  ersten 
Periode  der  Entwicklung  des  neuen  belgischen  Staatswesens  der  wirtschaftlichen  An- 
lehnung Belgiens  an  Deutschland  sympathisch  gegenüberstand  Allerdings  nur  deshalb, 
weil  es  davon  eine  Entfremdung  Belgiens  Frankreich  gegenüber  erwartete.  , .Quelle 
que  puisse  6tre  l'opinion  des  chambres  beiges  sur  cette  question",  bemerkt  Charles 
White,  „les  hommes  d'etat  de  PAngleterre  et  de  l'Allemagne  admettront  certainement 
que,  comme  la  position  particuli^re  de  la  Belgique  tend  ä  la  soa- 
mettre  ä  l'action  constante  des  influences  ^trangöres,  il  est  d'une 
saine  politique  de  la  soustraire,  autant  que  possible,  ä  celle  de  la 
France.  Cela  ne  peut  s'obtenir  que  par  des  concessions  liberales  et  piur  des  traitis 
d*amiti6  et  de  protection.  II  est  Evident  que  plus  les  Beiges  ont  de  motifs 
d'61oignement  pour  l'Allemagne,  plus  ils  tendent  ä  se  rapprooher  d« 
la  France;  tandis  que,  s' ils  §tai  ent  soutenus ,  encouragös,  enrichis 
et  sourtout  si  leurs  int^rdts  materiels  s '  amelioraient  par  leurs 
rapports  avec  l'Allemagne,  on  ne  peut  douter  que,  dans  un  oas 
d'urgence,  on  ne  la  trouvät  prete  h  s'appuyer  sur  le  Nord,  autant 
qu'elle  l'est  maintenant  ä  s'appuyer  sur  le  Sud.  Car  les  sympathies  des 
nations,  comme  Celles  des  individus,  sont  subordonnees  Sl  leur  int§rßt  et  i.  leur  conser- 
yation."     (Vgl.  Charles  White,   Revolution   Beige  de  1830,  Tome  III,  p.  297.) 

2)  Gustav  Hoefken,  Belgien  in  seinen  Verhältnissen  zu  Frankreich  und  Deutsch- 
land mit  Bezug  auf  die  Frage  der  Unterscheidungszölle  für  den  Zollverein,  S.  76  ff. 
„Eines  ist  gewiß",  so  schließt  er  seine  Betrachtungen,  „dauernde  Wiedervereinigung 
Belgiens  mit  Deutschland  kann  nur  auf  freiem  Wege,  mit  der  Notwendigkeit  innerer 
Entwicklung,  g.jschehen.  Und  ist  auch  anders  nicht  zu  wünschen.  Belgien  muß  seine 
Lebensverhältnisse  aus  dem  Kern  seiner  Eigenheit  wieder  herausgestalten  und  sich  dann 
In  seiaem  neu  geborenen  nationalen  Bewußtsein  auch  wieder  des  gleichen  Ursprunges 
leiner  Wurzeln  und  Bildung  mit  der  allgemein  deutschen  erinnern."    (A.  a.  O.  S.  432.) 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  ß73 

die  Gleichgültigkeit  seiner  Landsleute  gegenüber  der  belgischen  Frage 
beklagt.  Er  empfiehlt  entweder  den  Abschluß  einer  Konvention, 
die  Belgien  auf  die  Dauer  des  Vertrages  vom  1.  September  eine 
differenzielle  Begünstigung  bei  allen  etwaigen  Tariferhöhungen  des 
Zollvereins  auf  solche  Artikel  verbürge,  bei  denen  die  belgische 
Industrie  interessiert  sei;  denn  erst  dadurch  werde  ihm  die  volle 
Reziprozität  gewährleistet.  Oder,  noch  besser,  die  Begründung  eines 
„Unterscheidungszollvereins"  zwischen  beiden  Ländern.  Die  besondere 
Aufgabe  des  deutschen  Zollvereins  sei  es  dann,  mit  Rücksicht  auf 
Belgien  und  sein  Unterscheidungszollgesetz  und  unter  Benutzung 
des  durch  den  Vertrag  vom  1.  September  geschaffenen  Annäherungs- 
verhältnisses, bei  allen  künftigen  Verträgen  mit  überseeischen  Staaten 
Differentialzölle  in  Anwendung  zu  bringen  und  so  diesen  gegenüber 
den  Zollverein  und  Belgien  möglichst  als  eine  wirtschaftliche  Ein- 
heit darzustellen  ^). 

Ebensowenig  wie  das  Projekt  eines  belgisch-französischen  ist 
damals  das  eines  belgisch-deutschen  Zollvereins,  in  welcher  Form 
immer,  zur  Ausführung  gelangt.  Begegnete  das  eine  in  Frankreich 
ökonomischen,  so  das  andere  in  Preußen  politischen  Widerständen, 
während  die  belgische  Regierung  aus  nationalen,  die  übrigen  Mächte 
aus  militärischen  Gründen  wohl  von  keinem  ernstlich  etwas  wissen 
wollten.  Auch  die  Rhein-Scheldebahn  hielt  zunächst  nicht  ganz, 
was  man  sich  von  ihr  versprochen.  Nach  Zeitberichten  haben  1835 
die  holländischen  Häfen  nach  dem  Rheine  78161  t,  Antwerpen  nur 
1243  t  Waren  verfrachtet,  der  Rhein  damals  über  Holland  80  800  t, 
über  Antwerpen  sogar  nur  650  t  ausgeführt.  Dabei  ist  es  im  wesent- 
lichen auch  später  noch  lange  Zeit  geblieben.  Hatte  den  Erbauern 
der  Bahn  der  Gedanke  vorgeschwebt,  Hollands  Zwingherrschaft  über 
den  Rhein  zu  brechen,  so  ist  nach  ihrer  Vollendung  der  gesamte 
Zwischenhandel  doch  keineswegs  sofort  von  Rotterdam  abgesprungen, 
um  „auf  dem  Rhein  von  Eisen"  nach  Antwerpen  hinüberzugleiten. 
Vielmehr  bedurfte  es  noch  jahrelanger  Bemühungen,  bis  die  neue 
Linie  für  den  rheinischen  Güterverkehr  ein  ebenbürtiger  Neben- 
buhler wurde.  Der  entscheidende  Wandel  in  dieser  Hinsicht  voll- 
zog sich  jedenfalls  in  einer  viel  späteren  Zeit. 

Es  ist  nicht  ohne  weiteres  abzusehen,  wie  unter  sonst  gleich- 
bleibenden Bedingungen  der  Kampf  zwischen  der  aus  nationalistischen 
Instinkten  geborenen  und  eben  darum  auf  die  Begründung  eines 
„nationalen  Systemes"  der  belgischen  Volkswirtschaft  abzielenden 
einen  und  jener  von  dem  lebendigen  Bewußtsein  ihrer  Ergänzungs- 
bedürftigkeit beherrschten,  deshalb  auch  ihre  Anlehnung  an  eines 
der  benachbarten  Wirtschaftgebiete  betreibenden  anderen  Strömung 

1)  V.  Arnim,  Ein  handelspolitisches  Testament,  S.  31  ff.  Die  kleine  Schrift 
macht  dem  preußischen  Diplomaten,  der  sich  um  das  Zustandekommen  des  deutsch- 
belgischen Handels-  und  Schiff  ah  rts  Vertrages  vom  1.  September  1844  große  Verdienste 
erworben  hatte,  alle  Ehre.  Denn  sie  zeigt  ein  in  diesen  Kreisen  ungewöhnliches  Maß 
ökonomischer  Bildung.  An  der  Verwirklichung  seiner  Pläne  hat  er  nicht  mehr  arbeiten 
können;  er  wurde  1846  nach  Paris  versetzt. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  n.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd  54).  43 


574  Heinrich  Waentig, 

im  belgischen  Volke  schließlich  geendet  haben  würde.  Tatsächlich 
ist  er  damals  nicht  völlig  zum  Austrag  gekommen,  weil  die  ihm 
letzten  Endes  zugrunde  liegende  wirtschaftspolitische  Konstellation 
um  die  Mitte  der  40er  Jahre  eine  entscheidende  Aenderung  erfuhr. 

Der  Sieg  des  Freihandelsgedankens  zunächst  in  England,  dann 
in  ganz  Westeuropa,  und  die  damit  verbundene  Auflösung  des  durch 
den  Ausbau  der  britischen  Navigationsakte  bestimmten  internatio- 
nalen Wirtschaftssystemes  schufen  eine  neue  Lage.  Auch  Belgien 
folgte  dem  allgemeinen  Zuge.  Im  Vertrage  vom  10.  November  1845 
übertrug  es  die  dem  deutschen  Zollverein  hinsichtlich  der  Schiffahrt 
gewährten  Sondervergünstigungen  auf  die  Vereinigten  Staaten,  im 
Vertrage  vom  29.  Juli  1846  auf  Holland,  ja,  erweiterte  sie  sogar, 
zollpolitische  Vorteile  dafür  eintauschend.  Weitere  Verträge,  wie 
die  1851  mit  England  und  Holland,  1852  mit  dem  deutschen  Zoll- 
verein abgeschlossenen,  bewegten  sich  erst  recht  in  freiheitlicher 
Richtung,  so  daß  schließlich  die  letzten  Reste  des  Differential- 
systemes  durch  das  Gesetz  vom  19.  Juni  1856  zu  Grabe  getragen 
werden  konnten. 

War  unter  dem  Einflüsse  der  Leinenkrise  an  den  belgischen 
Agrarzöllen  schon  in  den  40er  Jahren  gerüttelt  worden,  so  nahm 
seit  Mitte  der  50er  die  an  dem  ganzen  Schutzzollsysteme  geübte 
Kritik  immer  schärfere  Formen  an.  Bahnbrechend  wai*  der  am 
1.  Mai  1861  nach  dem  Muster  des  englisch-französischen  abge- 
schlossene belgisch-französische  Freihandelsvertrag,  dessen  Grund- 
gedanken in  rascher  Folge  durch  eine  Reihe  von  Einzelverträgen 
auf  Großbritannien,  die  Schweiz,  den  deutschen  Zollverein,  Italien, 
die  Niederlande  usw.  ausgedehnt  wurden.  In  dem  freihändlerischen 
Zolltarif gesetz  vom  14.  August  1865  wurden  dann  die  in  diesen 
Verträgen  enthaltenen  Einzelbestimmungen  organisch  zusammenge- 
faßt, nachdem,  ein  Werk  Lambermonts,  der  Haager  Vertrag  vom 
12.  Mai  1863  unter  internationaler  Beteiligung  die  bis  dahin  von 
Belgien  an  Holland  entrichteten  ScheldezöUe  abgelöst  und  damit  die 
letzte  Fessel  des  Schiffsverkehrs  in  belgischen  Gewässern  zerrissen  hatte. 
Eine  neue  Aera   belgischer  Wirtschaftsgeschichte  war  angebrochen. 

„Les  chemins  de  fer,  les  progres  du  gouvernement  representatif. 
la  discussion  qui  en  est  Päme,  la  publicite,  voilä,  Messieurs,  ce  qui 
nous  conduira  tot  ou  tard  ä  une  union  commerciale  avec  la  France, 
non,  je  le  repete,  en  retrogradant  jusqu'ä  son  tarif,  qui  est  de  toutes 
les  institutions  de  la  France  celle  qui  ne  soit  pas  ä  la  hauteur  de  sa 
brillante  civilisation,  mais,  en  elevant  les  deux  pays  jusqu'ä 
la  liberte  commerciale."  Mit  diesen  Worten  hatte  Lebeau  bei 
den  Debatten  über  den  belgisch-französischen  Handelsvertrag  von  1845 
die  zukünftige  Handelspolitik  Belgiens  umrissen  und  auch  ihre  vor- 
aussichtliche Rückwirkung  auf  seine  innerpolitischen  Verhältnisse 
gestreift.  „Les  questions  d'interets  materiels  nous  divisent  tantot 
en  Wallons  et  en  Flamands,  tantot  en  Liegeois  et  en  Anversois;  la 
liberte  commerciale  ferait  de  toutes  les  provinces  une  Belgique,   de 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  675 

tous  les  agriculters,  negociants  et  industriels  des  Beiges I  L'union 
beige,  l'unite  beige,  n'a  qu'ä  gagner  ä  l'etablissement, 
graduel,  prudent,  de  la  doctrine,  de  la  belle  et  grande 
doctrine  qui  vient  de  triompher  en  Angleterre.  Notre 
devoir  est,  d'y  tendre  sans  cesse  et  d'y  marcher  toujours"  ^).  Hatte 
ihn  nun  bei  diesen  Ausführungen  dunkler  Instinkt  oder  klare  Re- 
flexion geleitet,  jedenfalls  hatte  er  den  Nagel  auf  den  Kopf  getroffen. 

„Seit  der  Vereinigung  aller  belgischen  und  batavischen  Provinzen 
unter  der  burgundischen  Herrschaft",  sagt  Friedrich  List  in  einer 
seiner  geschichtlichen  Betrachtungen,  „war  diesen  Ländern  auch  die 
große  Wohltat  der  Nationaleinheit  zu  Teil  geworden.  Unter  Karl  V. 
bildeten  die  Vereinigten  Niederlande  einen  Komplex  von  Macht  und 
Kräften,  der  ihrem  Beherrscher  mehr  als  alle  Goldgruben  der  Erde 
und  alle  Gunst  und  Bullen  der  Päpste  die  Herrschaft  der  "Welt  zu 
Land  und  See  sichern  mußte,  wofern  er  nur  die  Natur  dieser  Kräfte 
kannte  und  sie  zu  behandeln  und  zu  benutzen  verstand.  Als  Regent 
der  Vereinigten  Niederlande,  als  Deutscher  Kaiser  und  als  Haupt 
der  Reformation  besaß  Karl  alle  materiellen  und  geistigen  Mittel, 
das  mächtigste  Industrie-  und  Handelsreich,  die  größte  See-  und 
Landmacht  zu  gründen,  die  je  bestanden  hat  —  eine  Seemacht,  die 
von  Dünkirchen  bis  Riga  alle  Segel  unter  einer  Flagge  vereinigt 
haben  würde  I" 

Tatsächlich  ist  es  anders  gekommen.  Und  das  Königreich  der 
Vereinigten  Niederlande,  das  sich  1814  auf  den  Trümmern  des 
Napoleonischen  Kaiserreiches  erhob,  war  gewiß  nur  ein  schwächliches 
Abbild  des  mächtigen  Staates,  der  vor  Jahrhunderten  hätte  entstehen 
können.  Dennoch  war  es,  wie  man  gesehen,  bei  all  seinen  inner- 
politischen Mängeln,  wirtschaftlich  ein  kraftvolles  und  wohl  aus- 
geglichenes Ganzes,  das,  auf  seinen  überseeischen  Kolonialbesitz  ge- 
stützt, mit  den  Rheinlanden  und  mit  Norddeutschland  kommerziell 
ver,bunden,  den  Wirtschaftssystemen  der  Westmächte  die  Spitze 
bieten  konnte.  Was  davon  nach  seiner  Zersetzung  in  Gestalt  des 
Königreiches  Belgien  übrigblieb,  ist  ausführlich  geschildert  worden. 
Geradezu  verhängnisvoll  aber  war  es,  daß  dieses,  seiner  ganzen  wirt- 
schaftlichen Natur  nach,  abhängige  Land  mit  der  Gabe  der  politischen 
Neutralität  beschenkt  wurde,  deren  ökonomische  Tragweite  völlig 
übersehen  worden  ist  2). 

1)  Annales  parlementaires  de  Belgique  1845/46,  p.  1848  f. 

2)  Welche  sonderbaren  Erwägungen  die  Mitbegründer  des  belgischen  Staates  be- 
stimmten, geht  aus  einer  charakteristischen  Aeußerung  Metternichs  hervor:  „Si  nous 
vous  avions  mieux  connus  en  1831",  erklärte  er  in  den  Sturmtagen  von  1848/49  auf  der 
Flucht  in  Brüssel  gegenüber  einem  früheren  Diplomaten,  „nous  vous  aurions  fait  une 
bien  meilleure  part;  mais  nous  vous  regardions  comme  des  gens  ingouvernables.  La 
maniöre  dont  la  Belgique  se  conduit,  avec  une  Constitution  aussi  mal  r^dig^e  et  pres- 
que  inex§cutable,  une  Constitution  qui  serait  la  plus  mauvaise  de  l'Europe,  si  celle  de 
NorvSge  n'existait  pas,  prouve  combien  les  Beiges  sont  faciles  k  gouverner."  Und 
diese  Aeußerung  fiel,  als  das  politische  System,  dessen  Bestand  Metternich  in  seiner 
Politik  zum  Nachteil  Belgiens  zu  schützen  suchte,  soeben  in  Deutschland  und  Oester- 
reich  schmählich  zusammenbrach,  während  das  allerseits  beargwöhnte  belgische  Staats- 
wesen völlig  unsrschüttert  blieb. 

43* 


576  Heinrich  Waentig, 

Ein  Land  mit  international  garantierter  Neutralität,  wie  Belgien 
es  ward,  hat  wirtschaftspolitisch  im  Grunde  nur  eine  Alternative: 
das  System  des  geschlossenen  Handelsstaates  oder  das  des  unbe- 
schränkten Freihandels.  Es  muß  entweder  seine  Grenzen  hermetisch 
verschließen  und  versuchen,  sich  schlecht  und  recht  selbst  zu  ge- 
nügen, oder  es  muß  sie  ohne  Unterschied  öffnen  und  allen  Mit- 
werbern auf  seinem  Markte  die  gleichen  Chancen  gewähren.  Bei 
jeder  anderen  Entschließung  läuft  es  Gefahr,  mit  oder  ohne  seinen 
Willen,  zu  wirtschaftlichen  Machtverschiebungen  beizutragen,  die 
politische  Händel,  wenn  nicht  gar  kriegerische  Verwicklungen  nach 
sich  ziehen  müssen,  und  eben  dadurch  mit  seiner  Neutralität  in 
Konflikt  zu  geraten. 

Von  Schutzzollschranken  umgeben,  hat  Belgien  nach  gewissen- 
hafter Prüfung  seiner  ökonomischen  Existenzbedingungen  zunächst  das 
erstere  versucht.  Nur  zu  bald  aber  hat  es  erkennen  müssen,  daß  der 
Kontrast  zwischen  der  geschichtlich  bedingten  Produktivität  einzelner 
seiner  Industrien  und  der  Aufnahmefähigkeit  seines  inneren  Marktes, 
zwischen  dem  gewaltigen  Nahrungsmittel-  und  Rohstoffbedarf  seiner 
dichten  Bevölkerung  und  der  natürlichen  Beschränktheit  seiner  hei- 
mischen Hilfsquellen  ihm  die  Lösung  der  selbst  gestellten  Aufgabe 
unmöglich  machte.  Scheiterten  nun  damals  auch  jene  ersten  täppischen 
Versuche,  die  materielle  Basis  seiner  nationalen  Wirtschaftsführung 
durch  überseeische  Expansion  zu  verbreitern,  so  daß  ihm  unliebsame 
Zusammenstöße  mit  anderen  Mächten  aus  diesem  Grunde  wenigstens 
erspart  blieben,  so  hätte  die  wirtschaftlich  durch  die  Leinenkrise 
bedingte  handelspolitische  Annäherung  an  Frankreich  es  schon  damals 
beinahe  in  einen  europäischen  Krieg  verstrickt. 

Aus  diesem  Dilemma  wurde  Belgien  durch  die  Begründung  des 
internationalen  Freihandelssystemes  erlöst.  Wie  von  einem  Alb- 
drucke befreit,  vermochte  es  aufzuatmen,  um  unbeengt  von  politischen 
Erwägungen  seinen  wirtschaftlichen  Interessen  nachzugehen.  Und 
es  ist  bezeichnend,  daß  in  den  nächsten  zwanzig  Jahren  der  belgische 
Staat  als  solcher  bewußtermaßen  weder  eine  Politik  der  über- 
seeischen Expansion  noch  der  wirtschaftlichen  Angliederung  an  eines 
der  europäischen  Nachbarländer  betrieben  hat,  die  ihn  etwa  mit  seinen 
Neutralitätspflichten  hätte  in  Widerspruch  bringen  können,  obwohl 
es  auch  damals  nicht  an  einzelnen  Männern  fehlte,  die  ihm  solche 
Weisheit  predigten. 

Das  änderte  sich  um  die  Wende  der  achtziger  Jahre.  Durch 
die  Wiederaufrichtung  hochgetürmter  Schutzzollschranken  an  seinen 
Grenzen  sieht  Belgien  sich  neuerdings  vor  die  alte  Frage  gestellt, 
nur  daß  sich  mittlerweile  die  inneren  Widersprüche  seines  wirt- 
schaftlichen Daseins  noch  schärfer  zugespitzt  haben.  Es  beantwortet 
sie  jetzt  durch  ein  Kompromiß.  Zwar  verzichtet  es  auf  die  Durch- 
führung einer  systematischen  Hochschutzzollpolitik  nach  dem  Beispiel 
seiner  kontinentalen  Nachbarn.  Um  so  energischer  aber  betreibt  es 
die  überseeische  Expansion,  die  auf  die  Dauer  die  wirtschaftlichen 
Grundlagen   seiner  politischen  Neutralität  untergraben   mußte.     Ein 


Die  Grundfrage  der  belgischen  Volkswirtschaft.  ß^»^ 

zunächst  als  unabhängiger  Staat  gegründetes  afrikanisches  Kolonial- 
reich geht  schließlich  von  Englands  Gnaden  in  seine  Hände  über. 
Französischen  Kapitalüberfluß  weise  benutzend,  überspinnt  es  den 
von  britischer  Seemacht  beherrschten  Erdball  mit  einem  Netze  groß- 
angelegter Unternehmungen,  um  sich  auf  diesem  Wege  Zufuhr  und 
Absatz  zu  sichern.  Was  bedeutete  die  an  sich  gewiß  nicht  gleich- 
gültige Unterstützung,  die  es  Verkehrs-  und  industriepolitisch  durch 
Deutschland  fand,  wo  jeder  offene  Konflikt  mit  den  Westmächten 
das  künstliche  Gebäude  seiner  Volkswirtschaft  mit  Vernichtung  be- 
drohte? Wie  hätte  es  sich  nicht  auch  politisch  nach  ihnen  orien- 
tieren sollen  ? 

So  reichen  denn  die  wirtschaftlichen  Wurzeln  des  belgischen 
„Neutralitätsbruches"  vor  dem  Kriege,  soweit  man  von  einem  solchen 
reden  will,  in  eine  ferne  Vergangenheit  zurück,  und  Belgiens  Schuld 
ist,  von  den  Machenschaften  einiger  ehrgeizigen  Streber  abgesehen, 
eine  wahrhaft  „tragische"  zu  nennen.  Denn  sie  ist  letzten  Endes  in 
Verhältnissen  begründet,  die  von  längst  entschwundenen  Genera- 
tionen, noch  dazu  teilweise  von  Fremden  über  die  Köpfe  der  Ein- 
heimischen hinweg,  geschaffen  wurden,  in  zwingenden  Ursachen,  die 
mächtiger  sind  als  jedes  persönliche  Wollen.  Solche  Erkenntnis 
scheint  mir  das  wichtigste  praktische  Ergebnis  meiner  geschicht- 
lichen Untersuchung;  denn  sie  ist  zugleich  die  Vorbedingung  für 
jede  fruchtbare  Neuregelung  der  belgischen  Frage. 


^76  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

IV. 

Das  Eohlensteuergesetz  vom  8.  April  1917. 

Das  unten  S.  680  ff.  abgedruckte  Kohlensteuergesetz  ist  eine  Folge 
der  gewaltigen  Lasten,  die  der  Krieg  dem  deutschen  Volke  auferlegt 
hat.  Zu  der  „Kriegssteuer"  im  engeren  Sinne  (vgl.  diese  „Jahrbücher", 
m.  F.  Bd.  52  S.  50  ff.  und  oben  S.  549  ff.)  ist  die  Kohlensteuer,  eine 
Verbrauchsabgabe  auf  Kohle  hinzugetreten,  die  auch  als  Kriegssteuer 
gedacht  und  deshalb  nur  für  einen  begrenzten  Zeitraum  —  bis  31.  Juli 
1920  —  in  Aussicht  genommen  ist.  Die  Reichsleitung  hat  die  steuer- 
liche Erfassung  der  Kohle,  dieses  wichtigsten  Produktionsmittels  so  lange 
zurückgestellt,  als  die  Finanzlage  dies  irgend  gestattete.  Nunmehr  hat 
der  Bedarf  zur  Erschließung  auch  dieser  Steuerquelle  gezwungen. 

Nach  der  dem  Gesetzentwurf  beigegebenen  Begründung  umfaßt  der 
deutsche  Steinkohlenbergbau  350,  der  Braunkohlenbergbau  465  Be- 
triebe. Die  Zahl  der  Betriebsinhaber  ist  auf  etwa  500,  der  derzeitige 
Wert  der  deutschen  Kohlenförderung  auf  2200  bis  2500  Mill.  M.  zu 
schätzen.  Die  Kohlensteuer  bietet  demnach  die  Möglichkeit,  dem  Reiche 
den  erforderlichen  Betrag  von  etwa  500  Mill.  M.  aus  einer  einzigen 
einfach  zu  veranlagenden  und  bei  nur  etwa  500  Pflichtigen  zu  erheben- 
den Steuer  zuzuführen.  Diesem  Vorteil  ist  während  der  Kriegszeit  ein 
erhebliches  Gewicht  beizumessen,  nicht  nur  mit  Rücksicht  auf  die  Lei- 
stungsfähigkeit der  Reichs-  und  Staatsbehörden,  sondern  auch  mit 
Rücksicht  auf  die  Bevölkerung.  Denn  die  Arbeitskräfte  aller  Berufs- 
stände sind  bereits  so  angespannt,  daß  auch  die  Steuerpolitik  dieser 
Tatsache  Rechnung  tragen  muß. 

Die  deutsche  Kohlengewinnung  und  ihr  geschätzter  Wert  betrugen : 

1913 
Steinkohle  190  109  440  t  2  135  978  000  M. 

Braunkohle  87233084  t  191920000    „ 

1914 
Steinkohle  161  535  000  t  i  776  885  000  M. 

Braunkohle  83  947  000  t  193  078  200    „ 

1915 
Steinkohle  146  712  000  t  1  797  222  000  M. 

Braunkohle  88370000  t  220925000    „ 

Der  durch  die  Verarbeitung  von  Braunkohle  zu  Preßkohlen  erzielte 
Mehrwert  betrug: 

1913  etwa  51  153000  M. 

1914  „  50000000  ,, 

1915  „  58000000  „ 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  ß79 

Die  am  1.  August  1917  in  Kraft  getretene  und,  wie  schon  er- 
wähnt, vorerst  auf  die  Zeit  bis  31.  Juli  1920  terminierte  Kohlensteuer 
ist  nach  dem  Wert  bemessen  und  weist  eine  gewisse  äußere  Aehnlich- 
keit  mit  den  Grundsätzen  der  alten  preußischen  Bergwerksabgabe  auf, 
mit  der  sie  im  übrigen  nichts  gemein  hat.  Der  erforderliche  Ertrag 
von  annähernd  500  Mill.  M.  wird  bei  Bemessung  des  Steuersatzes  auf 
20  V.  H.  des  Wertes  (§  6)  nur  knapp  erreicht,  selbst  wenn  man  für 
das  Jahr  1917  und  die  folgenden  Jahre  mit  einer  gesteigerten  Förde- 
rung und  höheren  Preisen  rechnet. 

Die  Steuer  erfaßt  die  Kohle  in  demjenigen  Zustande,  in  dem  sie 
als  Verbrauchsgut  auf  den  Markt  kommt.  Die  Steuerpflicht  für  die  in- 
ländische Kohle  tritt  ein,  sobald  die  Kohle  geliefert,  sonst  abgegeben 
oder  der  Verwendung  im  eigenen  Betriebe  oder  dem  eigenen  Verbrauche 
zugeführt  wird  (§  4). 

Als  Wert  gilt  der  Verkaufspreis  ab  Grube  oder  Verarbeitungsstelle. 
Erfolgt  die  Lieferung  unmittelbar  oder  mittelbar  an  einen  Wiederver- 
käufer, an  dessen  Verkaufserlös  der  Steuerpflichtige  beteiligt  ist,  so 
kann  die  Steuerbehörde  den  der  Versteuerung  zugrunde  zu  legenden  Ver- 
kaufspreis unter  Berücksichtigung  des  bei  dem  Wiederverkauf  erzielten 
Zwischengewinns  anderweit  festsetzen  (§  8). 

Die  Bestimmung,  daß  die  Steuer  bei  inländischer  Kohle  von  einem 
Verkaufspreis  ab  Grube  berechnet  wird,  ist  wirtschaftlich  von  erheb- 
licher Bedeutung  und  bei  Berechnung  der  Belastung  im  Kleinverbrauch 
zu  berücksichtigen,  weil  die  vom  Kleinverbraucher  zu  zahlenden  Detail- 
preise von  den  Fracht-  und  Abrollungszuschlägen  wesentlich  beeinflußt 
werden.  In  der  Begründung  zu  dem  Gesetzentwurf  sind  hierfür  als 
Beispiel  die  Berliner  Kleinhandelspreise  für  Anfang  Februar  1917  an- 
geführt: der  Verband  der  Berliner  Kohlen-Großhändler  setzte  als  Richt- 
preis für  Ilse-Briketts  frei  Haus  18  M.  je  1000  Stück  fest,  während 
sich  der  Preis  ab  Werk  für  den  20  000  bis  22  000  Stück  enthaltenden 
Waggon  auf  155  M.  stellte.  Der  der  Besteuerung  zugrunde  zu  legende 
Wert  betrug  demnach  nur  40—43  v.  H.  des  Kleinhandelspreises;  die 
Belastung  der  Kohle  durch  eine  20  v.  H.  betragende  Steuer  würde  sich 
im  vorliegenden  Falle  für  den  Kleinhandelspreis  auf  etwa  8  v.  H.  ab- 
schwächen. 

Für  die  Uebergangszeit  sind  besondere  Ueberwälzungsbestimmungen 
vorgesehen,  die  den  bei  der  Einführung  neuer  Verbrauchsabgaben  üblichen 
Rechtsregeln  entsprechen. 

Was  die  Verhältnisse  zum  Auslande  betrifft,  so  kommen  in  Be- 
tracht die  Einfuhr  von  Kohle  aus  dem  Ausland  und  Ausfuhr  nach  dem 
Ausland. 

Die  ausländische  Kohle  wird  beim  Eintritt  in  den  Verkehr  des  In- 
landes, d.  h.  bei  der  Grenzüberschreitung  steuerpflichtig  (§  4).  Zur 
Entrichtung  der  Steuer  ist  der  Empfänger  verpflichtet  (§  3).  In  diesem 
Falle  beschränkt  sich  aber  der  Wert  nicht  auf  den  Verkaufspreis  ab 
Grube,  sondern  auf  den  vom  Empfänger  bezahlten  Erwerbspreis  und 
die  bis  zum  Grenzeingang  entstandenen  Kosten  für  Fracht,  Versiche- 
rung usw. 


QßQ  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Die  zum  Export  nach  dem  Auslande  bestimmte  Kohle  unterliegt 
genau  den  gleichen  Vorschriften,  die  für  den  Verbrauch  im  Inlande 
gelten.  Hier  erscheint  die  Steuer  als  Produktionsabgabe,  die  vom  Aus- 
lande getragen  wird. 

Die  zur  unmittelbaren  Durchfuhr  bestimmte  Kohle  unterliegt  der 
Abgabe  nicht. 

Für  die  volkswirtschaftliche  Beurteilung  dieser  neuen  Steuer  ist 
von  besonderem  Belang,  in  welchem  Umfange  die  verschiedenen  Ver- 
braucher von  ihr  betroffen  werden.  Nach  der  Begründung  zum  Ge- 
setzentwurf und  nach  dem  Bericht  des  Ausschusses  für  den  Beichshaus- 
halt  ist  der  Privatbedarf  (Hausbrandkohle)  verhältnismäßig  gering,  be- 
trägt nur  10  Proz. ;  die  Hauptverbraucher  sind  das  Reich  selbst  und 
die  einzelnen  Bundesstaaten,  die  Eisenbahnen  besitzen.  Der  größte 
Konsument  ist  zurzeit  das  Beich,  weil  fast  alle  Betriebe  und  gerade 
diejenigen,  die  am  meisten  Kohle  verbrauchen,  gegenwärtig  ausschließ- 
lich für  das  Reich  arbeiten,  direkt  oder  indirekt,  durch  Herstellung  von 
Halbfabrikaten  für  die  Heereslieferungen  oder  durch  Heereslieferungen 
selbst.  Und  dies  ist  natürlich  finanzpolitisch  wieder  von  Bedeutung. 
Während  der  Kriegszeit  tragen  Reich  und  Einzelstaaten  den  weitaus 
größten  Teil  der  Steuer.  Auch  in  Zukunft  wird  dies  in  erheblichem 
Maße  der  Fall  sein.  Aber  mit  dem  Wiedererstarken  der  freien  Volks- 
wirtschaft, je  mehr  wir  in  die  Friedensverhältnisse  wieder  hineinkommen, 
wird  die  Steuerlast  allmählich  auf  die  private  Volkswirtschaft  über- 
gleiten. Für  die  üebergangszeit,  so  hob  der  Staatssekretär  des  Reichs- 
schatzamtes in  der  Kommission  hervor,  sei  die  Steuer  unter  allen  Um- 
ständen noch  nötig.  Nachher,  wenn  der  Zeitpunkt,  zu  dem  das  Gesetz 
ablaufen  solle,  herankomme,  müsse  die  Angelegenheit  von  Grund  aus 
neu  geprüft  werden  und  zwar  nach  Lage  der  dann  vorhandenen  Welt- 
wirtschaft und  unserer  eigenen  Wirtschaft. 

Kohleusteuergesetz. 

Vom  8.  Aprü  1917  (RGBl.  S.  340). 
I.  Abschnitt. 
Allgemeine  Vorschriften. 
§  1.    Die  inländische  sowie  die  aus  dem  Ausland  eingeführte  Kohle  unter- 
liegt einer  in  die  Reichskasse  fließenden  Abgabe  (Kohlensteuer). 

§  2.  Im  Sinne  dieses  Gesetzes  gelten  als  Kohle  alle  Arten  nicht  aufberei- 
teter oder  aufbereiteter  Stein-  und  Braunkohle,  bei  Braunkohle  auch  die  aus 
ihr  hergestellten  Preßkohlen,  bei  der  Einfuhr  aus  dem  Ausland  außerdem  Koks 
sowie  die  aus  Steinkohle  hergestellten  Preßkohlen. 

§  3.    Zur  Entrichtung  der  Steuer  ist  verpflichtet,  wer  von  ihm  im  Inland 

fewonnene  Kohle  oder  aus  von  ihm  gewonnener  Braunkohle  hergestellte  Preß- 
ohlen  auf  Grund  eines  Kaufvertrags  liefert  oder  sie  sonst  abgibt  oder  sie  der 
Verwendung  im  eigenen  Betrieb  oder  dem  eigenen  Verbrauche  zuführt. 

Zur  Entrichtung  der  Steuer  ist  ferner  verpflichtet,  wer  von  einem  anderen 
im  Inland  gewonnene  Steinkohle  aufbereitet  oder  wer  von  einem  anderen  im 
Inland  gewonnene  Braunkohle  zu  Preßkohlen  verarbeitet  und  dann  auf  Grund 
eines  Kaufvertrags  liefert  oder  sie  sonst  abgibt  oder  sie  der  Verwendung  im  eigenen 
Betrieb  oder  dem  eigenen  Verbrauche  zuführt.     Er  erhält  bei  der  Versteuerung 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  681 

der  bei  ihm  steuerpflichtig  gewordenen  Kohle  die  Steuer  vergütet,  welche  für  die 
zur  Aufbereitung  oder  Verarbeitung  bezogene  Kohle  entrichtet  worden  ist. 

Zur  Entrichtung  der  Steuer  für  aus  dem  Ausland  eingeführte  Kohle  ist 
der  Empfänger  verpflichtet. 

§  4.  Die  Steuerpflicht  für  die  inländische  Kohle  tritt  ein,  sobald  die 
Kohle  geliefert,  sonst  abgegeben  oder  der  Verwendung  im  eigenen  Betrieb  oder 
dem  eigenen  Verbrauche  zugeführt  wird;  die  Steuer  wird  fällig  am  letzten  des 
folgenden  Monats.  Der  Bundesrat  kann  bestimmen,  daß  bei  zur  Verkokung 
gebrachten  Steinkohlen  die  steuerpflichtige  Menge  allgemein  oder  in  besonderen 
Fällen  nach  dem  normalen  Ausbringen  an  Koks  ermittelt  wird  und  die  Ver- 
steuerung erst  erfolgt,  wenn  der  Koks  auf  Grund  eines  Kaufvertrags  geliefert 
oder  sonst  abgegeben  oder  der  Verwendung  im  eigenen  Betrieb  oder  dem  eigenen 
Verbrauche  zugeführt  wird. 

Die  Steuerpflicht  für  aus  dem  Ausland  eingeführte  Kohle  tritt  ein  mit 
der  Grenzüberschreitung.  Die  Steuer  wird  fällig,  sobald  die  Sendung  zum 
freien  Verkehr  abgefertigt  worden  ist.  Die  steuerpflichtige  Kohle  haftet  ohne 
Rücksicht  auf  die  Rechte  eines  Dritten  für  die  darauf  ruhende  Steuer  und 
kann,  solange  deren  Entrichtung  nicht  erfolgt  ist,  von  der  Steuerbehörde  zurück- 
behalten oder  init  Beschlag  belegt  werden. 

Im  Falle  der  Hinterziehung  gilt  die  Steuer  als  in  dem  Augenblicke  fällig 
geworden,  in  dem  die  Kohle  zur  Versteuerung  hätte  angemeldet  werden  müssen. 

§  5.  Der  Versteuerung  unterliegen  nicht  die  zur  Aufrechterhaltung  des 
Betriebs  des  Bergwerkes  sowie  der  Aufbereitungsanlagen  erforderlichen  Kohlen, 
ferner  diejenigen  Mengen  an  Braunkohle,  welche  als  Betriebsmittel  zur  Her- 
stellung der  Preßkohlen  benötigt  werden. 

Der  Versteuerung  unterliegen  ferner  iiicht  die  auf  Grund  des  Arbeitsver- 
hältnisses oder  Herkommens  den  Angestellten  und  der  Belegschaft  der  Berg- 
werke sowie  deren  Berginvaliden  und  Bergmannswitwen  für  deren  eigenen  Bedarf 
aus  der  eigenen  Förderung  gewährten  Hausbrandkohlen. 

Der  Bundesrat  ist  ermächtigt,  Bestimmungen  zu  treffen,  inwieweit  Kohle 
steuerfrei  zu  belassen  ist,  die  zum  Betriebe  von  Schiffen  oder  Eisenbahnzügen 
dient,  die  den  Verkehr  mit  dem  Ausland  vermitteln.  Das  gleiche  gilt  für 
Kohle,  welche  zu  Oelen,  Fetten,  Wachs  und  ähnlichen  Erzeugnissen  verar- 
beitet wird. 

§  6.  Die  Steuer  beträgt  zwanzig  vom  Hundert  des  Wertes  der  gelieferten 
oder  sonst  abgegebenen  oder  der  Verwendung  im  eigenen  Betrieb  oder  dem 
eigenen  Verbrauche  zugeführten  oder  der  eingeführten  Kohle. 

Sofern  Gemeinden  oder  Gemeindeverbände  nach  vom  Bundesrat  aufzu- 
stellenden Grundsätzen  Einrichtungen  treffen,  die  den  Inhabern  von  Klein- 
wohnungen den  Bezug  von  Hausbrandkohlen  verbilligen,  so  werden  die  für  diesen 
Zweck  bezogenen  Kohlen  von  der  Steuer  zur  Hälfte  befreit. 

§  7.  Die  steuerpflichtig  gewordene  Kohle  ist  nach  Menge  und  Wert  nach 
näherer  Bestimmung  des  Bundesrats  der  Steuerbehörde  schriftlich  anzumelden. 

§  8.  Als  Wert  der  auf  Grund  eines  Kaufvertrags  gelieferten  Kohle  gilt 
der  Verkaufspreis,  ab  Grube  (§  3  Abs.  1)  oder  Verarbeitungsstelle  (§  3  Abs.  2) 
gerechnet.  Nachvergütungen  oder  neben  dem  Verkaufspreis  gewährte  Vorteile 
gelten  als  Teil  des  Verkaufspreises.  Ist  der  Verkaufspreis  einschließlich  Steuer 
berechnet,  so  wird  der  Versteuerung  der  Verkaufspreis  abzüglich  der  Steuer 
zugrunde  gelegt. 

Erfolgt  die  Lieferung  unmittelbar  oder  mittelbar  an  einen  Wiederverkäufer, 
an  dessen  verkaufseriös  der  Steuerpflichtige  beteiligt  ist,  so  kann  die  Steuer- 
behörde den  der  Versteuerung  zugrunde  zu  legenden  Verkaufspreis  unter  Berück- 
sichtigung des  bei  dem  Wiederverkauf  erzielten  Zwischengewinns  gemäß  §  10 
anderweit  festsetzen. 

Der  Wert  der  in  anderer  Weise  als  durch  Verkauf  abgegebenen  sowie  der 
der  Verwendung  im  eigenen  Betrieb  oder  dem  eigenen  Verbrauche  zugeführten 
Kohle  bestimmt  sich  nach  dem  für  Kohle  gleicher  Art  ab  Grube  oder  ab  Ver- 
arbeitungsstelle geltenden  Verkaufspreis. 

§  9.  Als  Wert  der  aus  dem  Ausland  eingeführten  Kohle  gilt  der  Erwerbs- 
preis zuzüglich  der  bis?  zum  Orte  der  Grenzeingangsstelle  entstandenen  Kosten. 


^2  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Der  Bundesrat  ist  ermäohtigt,  für  die  Zuschläge  feste  Sätze  für  je  eine 
Tonne  Kohlen  zu  bestimmen  oder  der  Besteuerung  lediglich  den  Erwerbspreis 
zugrunde  zu   legen. 

Der  Bundesrat  wird  ermächtigt,  bezüglich  der  Einfuhr  von  Kohle  aus 
Staaten,  welche  selber  eine  Steuer  auf  Kohle  erheben,  Vereinbarungen  zu  treffen, 
dureh  welche  eine  Doppelbesteuerung  der  Kohle  vermieden  wird. 

§  10.  Steht  der  angegebene  Verkaufspreis  im  Mißverhältnis  zu  den  sonst 
ab  Grube  oder  ab  Verarbeitungsstelle  abgeschlossenen  Preisen  für  entaprechende 
Mengen  von  Kohle  gleicher  Art  oder  trägt  die  Steuerbehörde  Bedenken,  den 
nach  §  8  Abs.  3  odej-  §  9  angemeldeten  Wert  als  richtig  anzunehmen,  so  kann 
die  Steuerbehörde  die  Anmeldung  beanstanden. 

Führen  die  Verhandlungen  mit  dem  Steuerpflichtigen  nicht  zu  einer  Eini- 
gung, so  ist  die  Steuerbehörde  berechtigt,  der  Versteuerung  den  Marktpreis  zu- 
grunde zu  legen  oder  in  Ermangelung  eines  solchen  den  Wert  schätzen  zu  lassen 
und  danach  die  Steuer  festzusetzen. 

§  11.  Wird  der  Wert  der  Kohle  von  der  Steuerbehörde  abweichend  von 
der  Anmeldung  des  Steuerpflichtigen  festgesetzt,  so  ist  dem  Steuerpflichtigen 
über  die  Festsetzung  ein  Bescheid  zu  erteilen. 

Gregen  den  Bescheid  ist  die  Beschwerde  im  Verwaltungswege  zulässig. 
Die  Beschwerde  hat  keine  aufschiebende  Wirkung. 

§  12.  Ansprüche  auf  Zahlung  oder  Erstattung  der  Steuer  verjähren  in 
einem  Jahre  vom  Tage  des  Eintritts  der  Fälligkeit  oder  der  Entrichtung  ab. 
Der  Anspruch  auf  Nachzahlung  eines  hinterzogenen  Steuerbetrags  verjährt  in 
drei  Jahren. 

Die  Verjährung  wird  durch,  jede  von  der  zuständigen  Behörde  gegen  den 
Zahlungspflichtigen  zur  Geltendmachung  des  Anspruchs  gerichtete  Handlung 
unterbrochen. 

n.  Abschnitt. 
Steueraufsicht. 

§  13.  Wer  im  Inlande  Kohle  gewinnen,  aufbereiten  oder  Braunkohle  zu 
Preßkohlen  verarbeiten  will,  hat  dies  vor  der  Eröffnung  des  Betriebs  der  Steuer- 
behörde nach  deren  näherer  Bestimmung  anzumelden.  Ebenso  sind  alle  Aen- 
derungeu  im  Besitz  oder  im  Betrieb  anzumelden,  die  auf  die  Festsetzung  oder 
die  Entrichtung  der  Steuer  Einfluß  haben. 

§  14.  Ein  Betriebsinhaber,  der  den  Betrieb  nicht  selbst  leitet,  hat  der 
Steuerbehörde  diejenige  Person  zu  bezeichnen,  die  als  Betriebsleiter  in  seinem 
Namen  handelt. 

Die  im  folgenden  für  den  Betriebsinhaber  gegebenen  Vorschriften  gelten, 
mit  Ausnahme  derjenigen  über  die  Kostenpflioht  im  §  17  Satz  2,  auch  für  den 
Betriebsleiter. 

§  15.  Die  nach  §  3  Abs.  1  und  2  steuerpflichtigen  Betriebe  unterliegen 
der  Steueraufsicht.  Die  Beamten  der  Steuerverwaltung  sind  befugt,  die  An- 
lagen, solange  darin  gearbeitet  wird,  zu  jeder  Zeit,  andernfalls  während  der 
Tagesstunden  zu  besuchen.  Die  Befugnis  erstreckt  sich  nur  auf  die  über  Tage 
liegenden  Teile  der  Anlagen,  einschließlich  der  Geschäftsräume  und  Verladungs- 
anlagen.   Die  Zeitbeschränkung  fällt  weg,  wenn  Gefahr   im  Verzuge  ist. 

§  16.  Der  Betriebsinhaber  hat  den  Steuerbeamten  jede  für  die  Steuer- 
aufsicht erforderliche   Auskunft  über  den  Betrieb  und  den  Absatz  zu  erteilen. 

§  17.  Ist  der  Betriebsinhaber  wegen  Steuerhinterziehung  bestraft  worden, 
so  kann  der  Betrieb  besonderen  Aufsichtsmaßnahmen  unterworfen  werden.  Die 
Kosten  fallen  dem  Betriebsinhaber  zur  Last.  Die  Einziehung  der  Kosten  erfolgt 
nach  den  Vorschriften  über  das  Verfahren  für  die  Beitreibung  der  Zölle  und 
mit  deren  Vorzugsrechten. 

§  18.  Der  Betriebsinhaber  ist  verpflichtet,  nach  Bestimmung  der  Steuer- 
behörde über  die  gewonnenen,  bezogenen  und  verarbeiteten  sowie  über  die  auf 
Grund^  von  Kaufverträgen  gelieferten  oder  sonst  abgegebenen  oder  der  Verwen- 
dung im  eigenen  Betrieb  oder  dem  eigenen  Verbrauche  zugeführten  Mengen 
Kohle  fortlaufende  Anschreibungen  nach  Sorten  und  Wert  zu  führen. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  683 

Den  Oberbeamten  der  Steuerverwaltung  sind  die  auf  die  Gewinnung,  den 
Bezug»  die  Verarbeitung  und  den  Absatz  der  Kohle  bezüglichen  Geschäftsbücher 
und  Cfeschäftspapiere  auf  Erfordern  zur  Einsicht  vorzulegen. 

§  19.  Für  Anlagen,  die  von  einem  Bundesstaate  betrieben  werden,  kann 
der  Bundesrat  in  Ansehung  der  Steueraufsicht  Abweichungen  zulassen. 

§  20.  Aus  dem  Ausland  darf  Kohle  nur  auf  einer  Zollstraße  und  während 
der  Zollstunden  eingeführt  werden. 

III.   Abschnitt. 
Straf  Vorschriften. 
§  21.    Wer  es  unternimmt,  dem  Reiche  die  in  diesem  Gesetze  vorgesehene 
Steuer  vorzuenthalten,  tnacht  sich  der  Hinterziehung  schuldig. 

§  22.  Der  Tatbestand  des  §  ^1  wird  insbesondere  dann  als  vorliegend  ange- 
nommen, 

1.  wenn  mit  der  Gewinnung,  Aufbereitung  oder  Verarbeitung  von  Kohle  be- 
gonnen wird,  bevor  die  Anmeldung  des  Betriebs  (§  13)  in  der  vorge- 
schriebenen Weise  erfolgt  ist; 

2.  wenn  die  im  §  7  vorgeschriebene  Anmeldung  nicht  oder  nicht  richtig 
abgegeben  wird; 

3.  wenn  die  im  §  18  vorgeschriebenen  Anschreibungen  nicht  oder  nicht 
richtig  geführt  Werden; 

4.  wenn  Kohle  aus  dem  Ausland  nicht  auf  einer  Zollstraße  oder  nicht 
während  der  Zollstunden  eingeführt  wird. 

Der  Hinterziehung  wird  es  gleichgeachtet,  wenn  jemand  Kohle,  von  der 
er  weiß  öder  den  Umständen  nach  annehmen  muß,  daß  hinsichtlich  ihrer  eine 
Hinterziehung  der  Steuer  stattgefunden  hat,  erwirbt  und  den  Erwerb  nicht 
sofort  der  Steuerbehörde  anmeldet. 

Wird  festgestellt,  daß  eine  Vorenthaltung  der  Steuer  nicht  stattgefundai 
hat  oder  nicht  beabsichtigt  worden  ist,  so  tritt  nur  eine  Ordnungsstrafe  nach 
§  25  ein. 

§  23.  Wer  eine  Hinterziehung  begeht,  wird  mit  einer  Geldstrafe  in  Höhe 
des  vierfachen  Betrages  der  Steuer,  mindestens  aber  in  Höhe  von  eintausend 
Mark  für  jeden  einzelnen  Fall  bestraft.  Außerdem  ist  die  Steuer  von  dem 
Steuerpflichtigen  nachzuzahlen. 

Kann  der  Betrag  der  Steuer  nicht  festgestellt  werden,  so  tritt  eine  Greld- 
strafe  bis  zu  einhunderttausend  Mark  ein. 

§  24.  Im  Falle  der  Wiederholung  der  Hinterziehung  nach  vorausge- 
gangener Bestrafung  werden  die  im  §  23  vorgesehenen  Strafen  verdoppelt. 

Jeder  fernere  Rückfall  wird  mit  Gefängnis  bis  zu  zwei  Jahren  und  zugleich 
mit  Geldstrafe  nicht  unter  dem  Vierfachen  der  im  §  23  vorgesehenen  Strafen 
bestraft:  doch  kann  nach  richterlichem  Ermessen  mit  Berücksichtigung  aller 
Umstände  und  der  vorangegangenen  Fälle  an  Stelle  der  Gefängnisstrafe  auf 
Haft  oder  auf  Geldstrafe  nimt  unter  dem  Vierfachen  der  im  §  23  vorgesehenen 
Strafen  erkannt  werden. 

Die  Rückfallstrafe  tritt  ein,  auch  wenn  die  frühere  Strafe  nur  teilweise 
verbüßt  oder  ganz  oder  teilweise  erlassen  worden  ist;  sie  bleibt  ausgeschlossen, 
wenn  seit  der  Verbüßung  oder  dem  Erlasse  der  früheren  Strafe  bis  zur  Be- 
gehung der  neuen  Straftat  drei  Jahre  verflossen  sind. 

§  25.  Zuwiderhandlungen  gegen  die  Vorschriften  dieses  Gesetzes  und 
die  dazu  erlassenen  und  öffentlich  oder  den  Beteiligten  besonders  bekannt  ge- 
machten Verwaltungsbestimmungen  werden,  sofern  sie  nicht  nach  den  §§  23 
und  24  mit  einer  besonderen  Strafe  bedroht  sind,  mit  einer  Ordnungsstrafe  von 
einer  Mark  bis  zu  dreihundert  Mark  bestraft.  > 

§  26.  Der  Inhaber  des  unter  Steueraufsicht  stehenden  Betriebs  (§  15) 
und  ^  der  Empfänger  haften  für  die  von  ihren  Verwaltern,  Geschäftsführern, 
Gehilfen  und  sonstigen  in  ihrem  Dienste  oder  Lohne  stehenden  Personen  sowie 
von  ihren  Familien-  oder  Haushaltungsmitgliedern  verwirkten  Geldstrafen  und 
Kosten  des  Strafverfahrens  im  Falle  des  Unvermögens  der  eigentlich  Schul- 
digen, wenn  nachgewiesen  wird. 


gg4  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

1.  daß  die   Zuwiderhandlung  mit  ihrem  Wissen  verübt  ist,  oder 

2.  daß  sie  bei  Auswahl  und  Anstellung  der  Verwalter,  Geschäftsführer,  Ge- 
hilfen und  sonstigen  in  ihrem  Dienste  oder  Lohne  stehenden  Personen 
oder  bei  Beaufsichtigung  dieser  sowie  der  bezeichneten  Hausgenossen  nicht 
mit  der  Sorgfalt  eines  ordentlichen  Geschäftsmanns  vorgegangen  sind. 
Läßt  sich  die  Geldstrafe   von  dem  Schuldigen   nicht  beitreiben,  so  kann 

die  Steuerbehörde  davon  absehen,  den  für  die  Greldstrafe  Haftenden  in  Ansprach 
zu  nehmen  und  die  an  Stelle  der  Geldstrafe  tretende  Freiheitsstrafe  an  dem 
Schuldigen  vollstrecken  lassen. 

§  27.  Bei  Umwandlung  der  nicht  beizutreibenden  Geldstrafen  in  Freiheits-i 
strafen  darf  die  Freiheitsstrafe  bei  einer  Hinterziehung  im  ersten  Falle  sechs 
Monate,  im  ersten  Rückfall  ein  Jahr  und  im  ferneren  Kückfall  zwei  Jahre,  bei 
einer  Ordnungswidrigkeit  drei  Monate  nicht  übersteigen.  Im  Falle  des  §  23 
Abs.  2  bleibt  bei  der  Umwandlung  ein  Fünftel  der  Geldstrafe  außer  Betracht. 

§  28.  Die  Steuerbehörde  kann  die  Beobachtung  der  auf  Grund  dieses 
Gresetzes  getroffenen  Anordnungen  durch  Androhung  und  Einziehung  von 
Geldstraieu  bis  zu  fünfhundert  Mark  im  einzelnen  Falle  erzwingen.  Die  Vor- 
schrift   des    §    17    letzter    Satz    findet    entsprechende    Anwendung. 

§  29.  Die  Strafverfolgung  von  Hinterziehungen  verjährt  in  drei  Jahren, 
von  Ordnungswidrigkeiten  in  einem  Jahre.  i 

§  30.  In  Ansehung  des  Verwaltungsstrafverfahrens,  der  Strafmilderung 
und  des  Erlasses  der  Strafe  im  Gnadenwege  sowie  in  Ansehung  der  Strafvoll- 
streckung kommen  die  Vorschriften  zur  Anwendung,  nach  denen  sich  das 
Verfahren  wegen  Zuwiderhandlung  gegen  die  Zollgesetze  bestimmt. 

Die  Geldstrafen  fallen  dem  Staate  zu,  von  dessen  Behörden  die  Straf- 
entscheidung erlassen  ist.  Im  Falle  des  §  23  Abs.  2  ist  von  dem  Betrage 
der  Geldstrafe  der  fünfte  Teil  an  Stelle  des  nicht  festgestellten  Steuerbetraga 
an  die  Reichskasse  abzuführen. 

§  31.  Ein  im  Strafverfahren  eingegangener  Geldbetrag  ist  im  Verhältnis 
zur  Reichskassc  zunächst  auf  die  Steuer  zu  verrechnen. 

IV.   Abschnitt. 
Sonstige    Vorschriften. 

§  32.  Der  Bundesrat  erläßt  besondere  Bestimmungen  für  die  außerhalb 
der  Zollgrenze  liegenden  Teile  des  Reichsgebiets,  soweit  dort  die  Vorschriften 
dieses  Gesetzes  nicht  anwendbar  sind;  auch  kann  er  auf  Antrag  der  Landes- 
regierung an  Stelle  der  in  diesem  Gesetze  vorgesehenen  Steuer  die  Zahlung 
einer  Abfindung  an  die  Reichskasse  zulassen. 

§  33.  Kohle,  die  aus  den  dem  Zollgebiet  angeschlossenen  Staaten  und 
Grebietsteilen  eingeht,  ist  spätestens  beim  Eintritt  in  das  Inland  zu  versteuern. 

§  34.  Der  Reichskanzler  kann  unter  Zustimmung  des  Bundesrats  v^egen 
Herbeiführung  einer  den  Vorschriften  dieses  Gesetzes  entsprechenden  Besteuerung 
in  den  den»  Zollgebiet  angeschlossenen  Staaten  und  Gebietsteilen,  wegen  Ueber- 
weisung  der  Steuer  für  die  im  gegenseitigen  Verkehr  übergehenden  steuer- 
pflichtigen Brennstoffe  oder  wegen  Begründung  einer  Steuergemeinschaft  iLit 
den  fremden  Regierungen  Vereinbarungen  treffen. 

§  35.  Die  Erhebung  und  Verwaltung  der  Kohlensteuer  erfolgt  durch 
die  Landesbehörden.  Die  erwachsenden  Kosten  werden  den  Bundesstaaten  nach 
den  vom  Bundesrate  zu  erlassenden  Bestimmungen  vergütet. 

Die  Reichsbevollmächtigten  für  Zölle  und  Steuern  und  die  ihnen  unter- 
stellten Aufsichtsbeamten  haben  in  bezug  auf  die  Ausführung  des  Gesetzes 
dieselben  Rechte  und  Pflichten  wie  bezüglich  der  Erhebung  und  Verwaltung 
der  Zölle. 

In  denjenigen  Staaten,  in  denen  die  bezeichneten  Geschäfte  anderen  Be- 
hörden als  den  Zollbehörden  übertragen  sind,  werden  Umfang  und  Art  der 
Tätigkeit  der  Reichsaufsichtsbeamten  vom  Reichskanzler  im  Einvernehmen  mii 
der  beteiligten  Landesregierung  geregelt. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  ßg5 

V.  Abschnitt. 
Uebergangs-  und  Schlußvorschriften. 

§  36.  Von  den  bestehenden  steuerpflichtigen  Betrieben  sind  die  nach 
diesem  Gesetz  erforderlichen  Anmeldungen  zur  Venneidung  der  im  §  25  an- 
gedrohten Ordnungsstrafen  zu  einem  vom  Bundesrate  zu  bestimmenden  Zeit- 
punkt zu  erstatten. 

§  37.  Soweit  beim  Inkrafttreten  dieses  Gesetzes  Verträge  über  Lieferung 
von  Kohle  oder  aus  Kohle  hergestellten  festen  Brennstoffen  bestehen,  ist  der 
Lieferer  berechtigt,  dem  Abnehmer  die  auf  die  zu  liefernde  Menge  entfallende 
Kohlensteuer  in  Rechnung  zu  stellen. 

Soweit  beim  Inkrafttreten  dieses  Gesetzes  Verträge  über  Ausbeutung  von 
Feldern  oder  Feldesteilen  durch  Dritte  bestehen,  bei  denen  die  als  Entgelt  zu. 
zahlende  Abgabe  auf  die  Tonne  Förderung  sich  ganz  oder  zum  Teil  nach  der 
Höhe  der  jeweiligen  Verkaufs-  oder  Verrechnungspreise  bestimmt,  scheidet  für 
die  Berechnung  der  Höhe  der  Tonnenabgabe  derjenige  Teil  der  jeweiligen  Ver- 
kaufs- oder  Verrechnungspreise  aus,  der  durch  die  Kohlensteuer  bedingt  ist. 

Soweit  beim  Inkrafttreten  dieses  Gesetzes  Verträge  über  Lieferung  von 
elektrischer  Arbeit,  Gas,  Wasser,  Heizung  oder  Dampfkraft  oder  Preisverein- 
barungen über  derartige  Leistungen  bestehen,  ist  der  Lieferer  berechtigt,  einen 
Zuschlag  zum  Preise  zu  verlangen,  welcher  der  ihm  durch  die  Kohlensteuer 
verursachten  Erhöhung  der  Herstellungs-,  Betriebs-  oder  Bezugskosten  ent- 
spricht. Das  gleiche  gilt  bezüglich  der  Verträge  über  Personen-  und  Güter- 
beförderung im  See-  und  Binnenschiffahrtsverkehre.  Der  Bundesrat  ist  er- 
mächtigt, die  Entscheidung  entstehender  Streitigkeiten  Schiedsgerichten  zuzu- 
weisen. 

§  38.  Das  Gesetz  tritt  mit  Wirkung  vom  1.  Ausrust  1917  in  Kraft  und 
hat  Gültigkeit  bis  31.  Juli  1920. 


aQa  Ifiszellen. 


Miszellen. 

xvi. 

Die  Staatswissenschaftliche  Fakultät  der  Universität 
Tübingen  von  1817-1917. 

Von  Carl  Johannes  Fuchs. 

Die  Staatswissenschaftliche  Fakultät  der  üüiversität  TübiDgen, 
welche  am  17.  Oktober  ihr  hundertjähriges  Bestehen  gefeiert  hat,  hat 
eine  interessante  und  ruhmreiche  Geschichte.  Steht  doch  an  ihrer  "Wiege 
kein  Geringerer  als  Friedrich  List,  der  im  Jahre  1817  im  Auftrag  des 
Ministers  v.  Wangenheim  ein  Gutachten  über  die  Errichtung  einer 
„Staatswirtschaftlichen  Fakultät"  in  Tübingen  verfaßt  hat.  Es  beginnt 
mit  den  Worten: 

„Dem  18.  Jahrhundert  war  es  vorbehalten,  die  große  Lehre  zu 
ahnen,  durch  welche  das  höchste  menschliche  Institut,  der  Staat,  aiif 
wissenschaftliche  Grundsätze  gestellt  wird  —  nämlich  die  Staatswissen- 
schaft. Unserer  großen  Zeit  aber  hat  die  Vorsehung  die  Aufgabe  ge- 
stellt, nicht  nur  diese  Wissenschaft  auszubilden,  sondern  auch  ihre 
heilsamen  Grundsätze  ins  wirkliche  Leben  einzuführen." 

Wem  von  diesen  beiden  Männern  dabei  die  Priorität  des  Gedankens 
zukommt,  ist  schwer  zu  entscheiden,  aber  auch  unwesentlich.  Nach 
Jolly  1)  hat  Wangenheim  schon  im  Jahre  1811,  als  er  Kurator  der  Uni- 
versität geworden  war,  mit  dem  Nationalökonomen  Fulda,  dem  Inhaber 
der  ersten  im  Jahre  1796  in  der  Philosophischen  Fakultät  geschaffenen 
Professur  für  Kameral-,  Polizei-  und  Finanzwissenschaft,  aber  auch  mit 
List,  der  damals  Beamter  in  Tübingen  war,  und  dem  dort  studierenden 
nachmaligen  Minister  Schlayer  den  Gedanken  der  Errichtung  einer  be- 
sonderen Fakultät  für  die  künftigen  Verwaltungsbeamten  erörtert. 
Andererseits  hatte  List  ihn  bereits  vorher  in  der  Publizistik  vertreten 
und  hat  später  ausdrücklich  die  Gründung  der  Fakultät  als  sein  Werk 
in  Anspruch  genommen  2j.  Jedenfalls  ist  die  neue  Schöpfung  ein  Herzens- 
kind von  List  gewesen,  denn  sie  sollte  ja  gerade  den  Uebelständen  des 
verrufenen  „Schreiberwesens",  d.  h.  der  schlechten  rein  praktischen 
und  routinemäßigen  Vorbildung  der  Verwaltungs-  und  Finanzbeamten 
im  alten  Württemberg  abhelfen,  die  er  aus  seiner  eigenen  Tätigkeit 
in  diesem  Beruf  kannte  und  in  diesen  Jahren  seit  1816  besonders  in 
der  von  ihm  begründeten  politischen  Zeitschrift,  dem  „Württembergischen 
Archiv",  bekämpfte.  Hier  finden  wir  zuerst  die  Forderung  ausgesprochen : 
„Die  Staatspraxis  muß  in  ihrem  ganzen  Umfange  auf  der  Universität 
gelesen  werden." 


1)  Zur  Geschichte  der  Staatswissenschaftlichen  Fakultät  der  Universität  Tübingen, 
hrsg.  von  Rost,     Tübingen  1909. 

2)  Vgl.  Goeser,  Der  junge  Friedrich  List,  1914,  S.  41  u. 


Mis Zellen.  537  ' 

Die  neue  Fakultät  ist  also  von  Anfang  an  ganz  vorwiegend  für 
praktische  Zwecke,  für  die  Ausbildung  der  Staatsbeamten,  ge- 
schaffen worden,  und  zwar  durch  das  Kgl.  Reskript  vom  17.  Oktober,  auf 
Grund  dessen  der  Minister  am  26.  dem  akademischen  Senat  mitteilte,  daß 
für  die  im  Staatsdienste  außer  der  Rechtswissenschaft  noch  erforderlichen 
Kenntnisse  ein  eigener  Zweig  des  öffentlichen  Unterrichts  ange- 
ordnet und  daher  eine  besondere  Pakultät  unter  dem  Namen  einer 
Staatswirtschaftlichen  Fakultät  errichtet  werden  solle.  Die 
Lehrfächer,  über  welche  die  Mitglieder  dieser  Fakultät  Vorlesung  zu 
halten  haben,  sollten  sein:  „1)  Theorie  der  Staatswirtschaf t^), 
namentlich  Staatspolizei,  Nationalökonomie  und  Finanzkunde ;  2)  Staats- 
verwaltungspraxis, namentlich  Regiminal-,  Polizei-,  Kameral-  und 
Finanzpraxis  für  alle  Stufen  der  öffentlichen  Verwaltung;  3)  Land- 
wirtschaft; 4)  Forstwirtschaft;  5)  Technologie,  Handels- 
und Bergbaukunde;  6)  Bürgerliche  Baukunst."  Von  dem 
Lehrer  der  Staatsverwaltungspraxis  heißt  es  in  dem  Erlaß  spe- 
ziell, er  werde  „über  die  bestehenden  Formen  aller  Staatsämter  Vor- 
lesungen zu  halten  haben,  zugleich  aber  auch  auf  Verbesserung  der- 
selben hinarbeiten  und  ein  System  des  Formenwesens,  wie  es  aus  der 
Natur  und  dem  Zwecke  der  Geschäfte  abzuleiten  ist,  entwickeln  müssen". 
Ueber  das  Verhältnis  der  neuen  Fakultät  zur  juristischen  heißt  es: 
„Außer  den  zum  Umfang  der  Staatswirtschaft  eigentlich  gehörigen 
Hilfswissenschaften  wird  es  nötig  sein,  daß  derjenige  Staatswirt  schafts- 
beflissene, der  sich  nicht  etwa  bloß  einem  einzelnen  Zweige  derselben 
ausschließlich  widmet,  aus  dem  Gebiet  der  allgemeinen  Staats-  und  der 
Rechtswissenschaft  Vorlesungen  höre  über  Enzyklopädie  der  Staats- 
gelehrtheit, Staatsrecht,  Philosophie  des  positiven  Rechts,  Württember- 
gisches Privatrecht  (mit  besonderer  Rücksicht  auf  Kameralisten,  und 
soweit  es  ohne  Kenntnis  des  römischen  Rechts  verständlich  ist)  und 
Kameralrecht,  und  daß  der  Studierende  der  Rechtswissenschaft  aus  den 
staatswirtschaftlichen  Fächern  die  Vorlesungen  über  Enzyklopädie  der 
Staatswirtschaft   und  Staatsverwaltungspraxis  besuche. 

Zu  Professoren  der  neuen  Fakultät  wurden  gleichzeitig  ernannt: 
der  genannte  Professor  in  der  Philosophischen  Fakultät  Fulda  für 
Theorie  der  Staatswirtschaft  und  einstweilen  auch  für  Technologie,  der 
damalige  Rechnungsrat  Friedrich  List  in  Stuttgart  für  Staatsverwal- 
tungspraxis und  der  Freiherr  Förstner  von  Dambenoy  für  Land- 
wirtschaft. 1818  kamen  dazu  noch  der  „später  zu  großem  Ansehen  ge- 
langte" Professor  Hundeshagen  für  Forstwirtschaft  und  für  Tech- 
nologie der  „damals  bekannteste  Vertreter  dieses  Faches",  Professor 
P  o  p  p  e  2). 

Die  neue  Fakultät  ist  der  Universität  also,  ohne  daß  diese  sie  ge- 
wünscht hatte,  aufoktroyiert  worden,  und  der  Senat  hat  sogar  versucht, 
gegen  ihre  Einrichtung  zu  protestieren,  indem  er  die  Anstellung  eines 
Lehrers  für  Staatsverwaltungspraxis  als  bedenklich  bezeichnete,  da  „der 


1)  Nicht  „Staatswissenscbaft",  wie  es  bei  Jolly  S.  3  heißt ! 

2)  Jolly,  a.  a.  O.  S.  5. 


ggg  Miszellen. 

praktische  Unterricht  die  Studierenden  von  der  zunächst  zu  erlernenden 
Theorie  abziehen  werde".  Er  verlangte  daher  nur  ein  „Kollegium" 
statt  einer  Fakultät,  welches  von  dem  bisherigen  einzigen  Vertreter 
der  nationalökonomiöchen  Fächer  Fulda  geleitet  und  im  Senat  vertreten 
werden  sollte.  Die  neue  Fakultät  war  auch  so  zaghaft,  die  ihr  gleich 
nach  der  Gründung  vom  Ministerium  angebotene  Befugnis  zur  Doktor- 
promotion mit  dem  Hinweis  darauf,  daß  nirgends  in  Deutschland  Dok- 
toren der  Staatswirtschaft  kreiert  würden,  der  Regierung  nur  anheim- 
zustellen, welche  sie  ihr  daher  zunächst  nicht  verlieh.  Insbesondere 
aber  waren  die  zünftigen  Gelehrten,  Fulda  an  der  Spitze,  List, 
den  sie  als  Eindringling  in  ihren  Kreis  empfanden  und  nicht  für  voll 
nahmen,  abhold  und  wußten  ihn  schon  nach  zwei  Jahren  wegen  seiner 
wirtschaftspolitischen  Betätigung  in  dem  „ausländischen",  für  die  Zoll- 
einigung Deutschlands  wirkenden  „Verein  deutscher  Kaufleute  und  Fa- 
brikanten zum  Zweck  der  Förderung  des  Handels"  zur  Aufgabe  seiner 
Professur  zu  zwingen  ^). 

Unser  besonderes  Interesse  erweckt  der  Lehrplan,  welchen 
Fulda  1818  für  die  neue  Fakultät  ausarbeitete,  und  welchen  sie  zu- 
nächst in  ihren  Vorlesungen  befolgte.  In  dem  Entwurf  Fuldas  heißt 
es  2) : 

„Es  umfaßt  die  Staatswirtschaft  in  ihrer  weiteren  Bedeutung,  in 
welcher  die  Fakultät  ihrem  Namen  nach  sie  aufzunehmen  hat: 

„I.  Insofern  sie  sich  über  alles  dasjenige  erstreckt,  was  der  Begriff 
des  Wirtschaftlichen  überhaupt  in  sich  schließt,  folgende  Zweige: 

1)  Privatökonomie,  als  alles  dasjenige,  was  den  Erwerb  —  die 
Gewerbe    unmittelbar    nach    ihren    inneren    Erfordernissen    anbetrifft; 

2)  Nationalökonomie,  als  die  wissenschaftliche  Erörterung  der 
Erwerbsverhältnisse     in     gesellschaftlichen     Verbindungen     überhaupt: 

3)  Staatsökonomie,  als  die  unmittelbaren  Einwirkungen  der 
Staatsregierungen  auf  den  Privaterwerb  (Gewerbspflege,  Gewerbspolizei), 
wie  ihre  eigene  Wirtschaft  —  das  öffentliche  Auskommen  etc.  (Finanz- 
wissenschaft). Es  sind  hiernach  die  Hauptvorlesungen ,  welche  die 
Fakultät  in  dieser  Hinsicht  anzubieten  hat: 

A)  1.  Enzyklopädie      der      Kameralwissenschaften     oder 

staatswirtschaftlichen  Wissenschaften ; 

B)  Die  unmittelbaren  Vor-   und   Hilfskenntnisse,    die    für  den 

Staatswirt  ausschließend  vorzutragen  sind,  als 

2.  ökonomische  Botanik, 

3.  ökonomische  Zoologie, 

4.  agronomische  Chemie  (Agronomie  und  Agrikultur-Chemie), 

5.  technische  Chemie, 

6.  angewandte  württembergische  Statistik  (nämlich  Kenntnis  des 
Vaterlandes  in  naturhistorischer,  ökonomischer,  technischer  und 
kommerzieller  Hinsicht) ; 


1)  üeber  Lists  Lehrtätigkeit  vgl.  Goeser,  a.  a.  O.  S.  13. 

2)  Universität  Tübingen.     Akten   betreffend  Errichtung   der   staatswirtschaftlichen 
Fakultät  etc.  1817—1827. 


Miszellen.  689 

C)  Privatökonomie.     Dahin   gehören: 

7.  Landwirtschaft  (theoretische  und  praktische), 
Forstwirtschaft,  gespalten  in  folgende  Vorlesungen 

8.  Enzyklopädie  der  Forstwissenschaft  für  Staatswirte  und 

9.  theoretische  und  praktische  Forstwissenschaft  für  Forstmänner; 
Bergbau,  gespalten  in 

10.  mineralogischer  und 

11.  technischer  Teil; 
Technologie,  gespalten  in 

12.  allgemeine  Technologie, 

13.  spezielle  Technologie, 

14.  Maschinenlehre  etc., 

15.  Baukünste  (Straßen-,  Wasser-,  bürgerliche  Baukunst); 

16.  Handels  Wissenschaft; 
D)17.   Nationalökonomie; 

E)   Staatsökonomie.     Dahin  gehören  : 

18.  Staatsforstwirtschaftslehre, 

19.  Grewerbspolizei  (insbesondere  Rural-Polizei), 

20.  allgemeine  Theorie  der  Finanzwissenschaft, 

21.  Steuer  Wissenschaft  insbesondere, 

22.  Staatsverwaltungspraxis  (Regiminal-,  Polizei-,  Finanzpraxis  und 
Korporationslehre  etc.), 

23.  Rechnungswesen. 

„11.  Insofern  sie  sich  auch  über  alles  dasjenige  erstreckt,  was  sich 
unmittelbar  und  so  enge  an  das  Wirtschaftliche  anschließt,  daß  es  von 
und  in  der  Fakultät  selbst  bearbeitet  werden  sollte,  als 

A)  24.  allgemeine     Polizeiwissenschaft     (alle     Anordnungen, 

welche  auf  die  öffentliche  Ordnung,  Bequemlichkeit,    Sicherheit 
etc.  im  Gemeinwesen  abzielen); 

B)  25.  Kameralrechte  (als  das  Positive  in  obigen  Erwerbsverhält- 

nissen —  Landwirtschaftsrecht,  Handwerksrechte,  Handels- 
recht etc.)." 
Das  waren  also  25  verschiedene  Vorlesungen,  aus  denen  nun  die 
„eigentlichen  Staatswirte"  (künftige  Regiminal-,  Polizei-  und  Finanz- 
beamte)  und  diejenigen,  die  ausschließlich  Forstwirtschaft,  Landwirt- 
schaft, Technologie  oder  Bergbaukunde  studierten,  je  eine  bestimmte 
Auswahl  hören  sollten,  und  zwar  die  erstgenannten  mit  den  Vor- 
lesungen aus  anderen  Fakultäten  (geschichtlichen,  mathematischen  und 
allgemein  naturwissenschaftlichen)  im  ganzen  24  in  3  Jahren,  so  daß 
auf  ein  Semester  etwa  4  entfielen. 

Bei  der  Einrichtung  der  Fakultät  war  es  auch  die  Meinung  der 
Regierung  gewesen,  daß  die  Studierenden  der  Staatswirtschaft  aus  den 
in  dem  Gründungserlaß  bezeichneten  juristischen  Fächern  von 
deren  Vertretern  beim  Verlassen  der  Fakultät  geprüft  werden,  und 
andererseits  an  der  juristischen  Fakultätsprüfung  staatswirtschaftliche 
Professoren  beteiligt  werden  sollten.  Da  dies  aber  nicht  vorgeschrieben 
wurde,  wurde  ihm  von  beiden  Fakultäten  keine  Folge  gegeben. 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  5i).  44 


^gQ  Miszellen. 

An  die  Stelle  von  List  trat  1819  wieder  ein  Beamter,  der  Finanz- 
assessor K  r  e  h  1.  Als  dieser  aber  1824  gestorben  war,  wurde  der  echt 
Listsche  Gedanke,  die  Staatsverwaltungspraxis  an  der  Uni- 
versität zu  lehren,  der  nach  Wangenheims  Rücktritt  auch  der  Regierung 
nicht  mehr  paßte ,  preisgegeben ,  und  ein  Theoretiker  als  Nach- 
folger gesucht.  Mit  der  Ernennung  des  außerordentlichen  Professors 
in  der  Juristischen  Fakultät  Robert  Mohl  im  Jahre  1828  beginnt 
eine  erste  Glanzzeit  der  Fakultät.  Er  las  außer  nationalökonomischen 
und  statistischen  Vorlesungen  auch  über  Geschichte,  deutsches 
und  württembergisches  Staatsrecht,  Staats-  und  Privat- 
kameralrecht  und  württembergischeVerwaltungsgesetze. 
Mit  ihm  beginnt  also  die  Vertretung  des  öffentlichen  Rechts  in 
der  Fakultät  selbst.  Hauptsächlich  durch  ihn  erfolgte  dann  auch  im 
Jahre  1844  die  Begründung  der  „Zeitschrift  für  die  gesamte 
Staatswissenschaft*',  welche  bis  1875  von  den  jeweiligen  Mit- 
gliedern der  Fakultät  herausgegeben  worden  ist  und  in  dieser  Zeit  die 
meisten  monographischen  Arbeiten  derselben  gebracht  hat.  Mohl  hat 
auch  die  Verleihung  des  Rechts  zur  Doktorpromotion  1830  veranlaßt, 
und  1837  neue  Prüfungsordnungen  für  die  Beamten  der  Departements 
des  Innern  und  der  Finanzen  herbeigeführt.  Sie  schrieben  den  „Re- 
giminalisten"  und  den  „Kameralisten"  die  Ablegung  theoretischer  Prü- 
fungen vor,  die  von  den  Professoren  der  Staatswirtschaftlichen  und  zwei 
oder  drei  Professoren  der  Juristischen  Fakultät  unter  Mitwirkung  von 
Regierungskommissaren  abgehalten  wurden,  so  daß  sie  nunmehr,  ohne  daß 
dies  direkt  verlangt  war,  tatsächlich  an  der  Universität  studieren 
mußten.  Dadurch  und  durch  das  Erfordernis  der  Ablegung  der  Reife- 
prüfung mindestens  3  Jahre  vor  der  neuen  Prüfung  war  den  bloß  auf 
Kanzleien  geschulten  Praktikern  der  Weg  zur  Hauptprüfung  verlegt*). 

Ein  veränderter  Standpunkt  der  Regierung  unter  dem  Minister 
Schlayer,  welcher  einen  neuen  Studienplan  für  die  Regiminalisten 
aufstellte  und  darin  als  wichtigstes  Fach  auch  für  diese  die  Jurisprudenz, 
insbesondere  das  römische  Recht,  bezeichnete  und  die  wirtschaftlichen 
Fächer  zu  Nebenfächern  machte,  schädigte  die  Fakultät  eine  Zeitlang 
schwer  und  veranlaßte  den  Rücktritt  von  Mohl.  An  seine  Stelle  wurde, 
da  das  Ministerium  der  Meinung  war,  daß  das  Staatsrecht  in  der 
Juristischen  Fakultät  genügend  vertreten  sei,  1849  der  Nationalökonom 
Helferich  in  Freiburg  i.  B.  mit  einem  Lehrauftrag  für  Polizei- 
wissenschaft und  Politik  und  für  Enzyklopädie  der  Staatswissenschaften 
berufen,  der  aber  auch  Nationalökonomie  las,  so  daß  diese  nunmehr 
doppelt  vertreten  war,  da  1837  Schüz  die  Professur  von  Fulda  er- 
halten hatte.  Daneben  hatte  Fallati  eine  Professur  für  politische 
Geschichte  und  Statistik,  und  Hoffmann  für  Finanzrecht.  Helferichs 
Nachfolger  wurde  1860  der  damalige  Mitarbeiter  des  „Schwäbischen 
Merkur",  A.  Schäffle;  Fallatis  Nachfolger  1857  Max  Dunker, 
1859  R.  Pauli,  der  aber  1861  als  Historiker  in  die  Philosophische 
Fakultät    übertrat.       Nunmehr   wurde   auf   Vertretung    der    Geschichte 


1)  Jolly,  a.  a.  O.  S.  15. 


Miszellen.  g9]^ 

in  der  Staats  wissenschaftlichen  Fakultät  verzichtet,  die  Statistik  Hof  f- 
mann  zugewiesen,  und  für  das  verwaiste  Völkerrecht  und  das  seit 
M  o  h  1 8  Abgang  nur  noch  in  der  Juristischen  Fakultät  gelehrte  Staats- 
recht V.  Frikker  ernannt.  Die  Statistik  ging  dann  1867  in  Form 
eines  Lehrauftrags  von  Hoffmann  auf  G.  Rümelin  über;  die  Land- 
und  Forstwirtschaft  wurden  seit  Gründung  der  Akademie  Hohenheim 
(1820)  nur  noch  vereinigt  durch  eine  Professur  vertreten.  Die  techno- 
logische Professur  ging,  als  der  Nachfolger  von  Poppe,  Volz,  1855 
starb,  ein;  die  Vorlesungen  wurden  als  Nebenamt  dem  Ordinarius 
der  Physik  Reusch  überwiesen,  der  von  1856 — 1871  abwechselnd 
Maschinenlehre  und  Technologie  je  fünfstündig  las;  ebenso  dann  von 
1873 — 1888  Hüttendirektor  a.  D.  Dorn  und  nachher  vierstündig 
Dr.  Schumann.  Das  Baufach  endlich  war  nur  noch  durch  einen 
Lehrauftrag  eines  in  Tübingen  angestellten  Bauinspektors  vertreten. 
So  sehen  wir  schon  in  dieser  Zeit  die  privatwirtschaftlichen 
Disziplinen  allmählich  einschrumpfen. 

Eine  bedeutende  Wandlung  und  einen  neuen  Aufschwung  erfuhr 
die  Fakultät  dann  in  den  siebziger  Jahren,  als  auf  die  meisten  er- 
ledigten Lehrstühle  eine  Reihe  von  Nichtwürttembergern  berufen 
wurden :  Gustav  Schönberg  für  Nationalökonomie  und  Friedrich 
Julias  Neumann  für  Finanzwissenschaft  und  Nationalökonomie, 
Ludwig  Jolly  für  Verwaltungsrecht,  Polizeiwissenschaft  und  Politik^ 
und  F.  V.  M  a  r  t  i  t  z  für  Staatsrecht,  Völkerrecht  und  Enzyklopädie  der 
Staatswissenschaften.  Seitdem  „trat  die  Pflege  des  einheimischen  Rechts 
und  der  Tübinger  Eigentümlichkeiten  zurück,  und  es  erhielten  dafür 
das  deutsche  Recht  und  die  an  den  übrigen  deutschen  Universitäten 
herrschenden  Auffassungen  stärkere  Geltung"  i),  und  nachdem  in  den 
achtziger  Jahren  besonders  der  seminaristische  Unterricht  auf- 
genommen worden  war,  trat  neben  die  Vorbildung  der  württembergischen 
Beamten  hier  wie  an  anderen  deutschen  Universitäten  die  Ausbil- 
dung spezieller  Nationalökonomen,  die  ihre  Studien  mit 
dem  Doktorexamen  abschließen,  als  zweite  Aufgabe  der  Fakultät, 
welche  heute  der  anderen  durchaus  ebenbürtig  zur  Seite  steht. 

Diese  nichtwürttembergischen  Gelehrten  waren  dann  auch,  im 
Gegensatz  zu  ihren  Vorgängern,  leichter  bereit,  einer  vom  Ministerium 
des  Innern  1884  betriebenen  Reform  des  Studienganges  der  Regimi- 
nalisten  zuzustimmen,  wodurch  dieser  dem  der  Juristen  fast  gleichartig 
gestaltet  wurde,  indem  dieselben  Anforderungen  in  der  Rechtswissen- 
schaft an  sie  gestellt  wurden,  nur  mit  Erleichterungen  im  Zivil-  und 
Strafprozeßrecht,  während  das  Examen  im  Staatsrecht  intensiver  als  bei 
den  Juristen  gestaltet  wurde,  und  im  Gegensatz  zu  diesen  von  ihnen 
auch  Verwaltungslehre,  Verwaltungsrecht  und  Nationalökonomie,  aber 
nicht  mehr  auch  Landwirtschaft,  Forstwirtschaft  und  Technologie  als 
Prüfungsfächer  verlangt  wurden.  Dagegen  blieb  für  die  Kamera- 
listen,  die  Beamten  in  der  Abteilung  der  Finanzen,  die  Prüfungsordnung 
von  1837  noch  bis  1903  unverändert  bestehen.     In  diesem  Jahre  wurde 


1)  Jolly  a.  a.  O.  S.  25. 

44* 


ßg2  Miszellen. 

die  Prüfungsordnung  für  die  bisherigen  Juristen,  Regirainalisten  und 
Kameralisten  vollständig  einheitlich  gestaltet,  indem  von  den  Juristen, 
die  es  seitdem  allein  nur  noch  gibt,  allgemein  ein  gewisses  Mindest- 
maß öffentlichrechtlicher  und  nationalökonomischer  Kenntnisse  —  aber 
nicht  privatwirtschaftlich-technischer  —  verlangt  wird.  Seitdem  wirkt 
die  Fakultät  rait  ihren  beiden  Vertretern  des  öffentlichen  Rechts,  das 
heute  in  der  Juristischen  Fakultät  gar  nicht  mehr  vertreten  ist,  und 
ihren  beiden  Nationalökonomen  an  der  für  alle  Beamten  gemeinsamen 
ersten  Staatsprüfung  mit.  Diese  Reform  hat  zweifellos  zu  einer  besseren 
volkswirtschaftlichen  Ausbildung  der  Juristen  im  engeren  Sinne,  aber 
zu  einer  schlechteren  der  Verwaltungs-  und  Finanzbeamten 
geführt,  und  namentlich  das  Verschwinden  der  Anforderungen  auf 
privatwirtschaftlich-technischem  Gebiet  ist  mindestens  bei 
den  letzteren  sehr  zu  bedauern.  Es  traten  durch  diese  Entwicklung  zu- 
gleich naturgemäß  die  privatökonomischen  Fächer  in  der  Fakultät  über- 
haupt in  einer  dem  Interesse  der  speziellen  Studierenden  der  Natio- 
nalökonomie sehr  nachteiligen  Weise  zurück  und  verschwanden  schließ- 
lich ganz:  die  Professur  für  Landwirtschaft  wurde  bei  der  Aenderung 
der  Prüfungsordnung  aufgehoben,  spezielle  technologische  Vorlesungen 
für  die  Studierenden  der  Fakultät  wurden  seit  1889  nicht  mehr  ge- 
lesen; auch  der  Vertreter  der  Baukunde  hatte  schon  1884  auf  seinen 
Lehrauftrag  verzichtet. 

Dagegen  erfuhr  die  Fakultät  im  Jahre  1881  eine  Bereicherung 
durch  die  Verlegung  der  mit  der  Landwirtschaftlichen  Akademie  in 
Hohenheim  verbundenen  Abteilung  für  Forstwissenschaft  nach 
Tübingen,  und  bei  dieser  Gelegenheit  wurde  dem  veränderten  Charakter 
der  Fakultät  auf  ihr  Ansuchen  durch  Aenderung  des  Namens  in 
„Staatswissenschaftliche  Fakultät"  Rechnung  getragen.  So 
umfaßt  die  Fakultät  heute  zwei  Ordinarien  für  Forstwissenschaft,  zwei 
für  Staats-  und  Verwaltungsrecht,  zwei  für  Nationalökonomie  und 
Finanz  Wissenschaft  und  ein  Extraordinariat  für  Nationalökonomie,  Finanz- 
wissenschaft und  Statistik. 

Es  ist  dies  eine  Organisation  des  nationalökonomischen 
Unterrichts,  welche  gerade  in  der  einzigartigen,  nirgends  sonst  in 
Deutschland  zu  findenden  engen  Verbindung  mit  den  Fächern  des 
öffentlichen  Rechts  in  einer  eigenen  Fakultät  unseres  Erachtens  die 
weitaus  beste  ist  und  ebenso  den  Vorzug  verdient  vor  der  bis  vor 
kurzem  in  Preußen  allgemeinen  isolierten  Stellung  der  Nationalökonomie 
in  der  Philosophischen  Fakultät,  wie  vor  der  neuerdings  hier  nach 
Straßburger  und  Freiburger  Muster  eingeführten  Verschmelzung  mit 
der  Juristischen  Fakultät  zu  einer  „Rechts-  und  Staatswissen- 
schaftlichen". Denn  letztere  dient  zwar  dem  Interesse  der  juristi- 
schen Studierenden  an  einer  für  sie  geeigneten  Gestaltung  des  volks- 
wirtschaftlichen Unterrichts,  aber  diese  kann  bei  dem  in  Tübingen  seit 
Jahren  üblichen,  durch  die  Zugehörigkeit  von  zwei  Juristen  erleichterten 
Zusammenwirken  der  beiden  Fakultäten  bei  gemeinsamer  Aufstellung 
des  Vorlesungsverzeichnisses    ebensogut   erreicht   werden,    während  die 


Misz  eilen. 

zweite  Aufgabe  der  intensiveren  Ausbildung  der  reinen  Nationalöko- 
nomen von  einer  selbständigen  Fakultät  zweifellos  besser  geleistet 
werden  kann. 

Allerdings  ist  dazu  —  insbesondere  gegenüber  der  neuesten  Ent- 
wicklung der  kommunalen  und  Handelshochschulen  —  wieder  ein  Zurück- 
greifen auf  die  ehemalige  intensive  Pflege  der  privatwirtschaft- 
lichen Zweige  wünschenswert  und  notwendig.  Es  sollte  also  jeden- 
falls Landwirtschaftslehre  wieder  in  den  Kreis  der  in  der 
Fakultät  vertretenen  Fächer  aufgenommen  werden  —  sei  es  durch  eine 
eigene  Professur,  sei  es  durch  Mitwirken  der  Hohenheimer  Dozenten  — , 
ebenso  Technologie  und  Handelslehre,  und  die  von  der  Fakultät 
schon  beschlossene  Gründung  eines  Kommunalpolitischen  Se- 
minars, sowie  weiter  die  eines  Genossenschaftsseminars,  zu 
welchem  vor  dem  Krieg  durch  Zulassung  eines  Privatdozenten  für  Ge- 
nossenschaftswesen der  Anfang  gemacht  worden  war,  dann  (im  Anschluß 
an  das  Missionsärztliche  Institut)  eines  Instituts  für  Wirtschaftskunde 
des  Auslandes  und  vielleicht  auch  noch  eines  Kolonialwissen- 
schaflichen  Seminars  in  Verbindung  mit  den  Vertretern  der 
Geographie  in  der  Philosophischen  Fakultät  sollten  mit  möglichster 
Beschleunigung  in  die  Wege  geleitet  werden,  um  den  großen  Anforde- 
rungen zu  genügen,  welche  gerade  nach  diesem  Wirtschaftskrieg  an 
die  wirtschaftliche  Ausbildung  der  Staats-  und  Gemeinde-,  aber  auch 
der  sonstigen  Korporations-  und  Privatbeamten,  in  Landwirtschaft,  Ge- 
werbe und  Handel  gestellt  werden  müssen.  Wird  dieser  Weg  energisch 
verfolgt,  so  wird  die  Staatswissenschaftliche  Fakultät  der  Tübinger 
Hochschule  in  ihrem  neuen  Jahrhundert  ihren  alten  Ruf  bewähren  und 
einen  neuen  Aufschwung  nehmen. 


694  Missellen. 


XVII. 

Die  reichsgesetzlichen  Maßnahmen  zur  Sicherung 
der  deutschen  Volksemährung  im  Kriege. 

Von  Dr.  He  rbst- Halle. 
[Fortsetzung*).] 

IV. 

Vieh,  Fleisch,  und  Fette. 

(Ende  Juli  1914  bis  Ende  November  1917.) 

Inhalt:  Die  besonderen  Schwierigkeiten  der  Fleisch  Versorgung  im  Vergleich  bu 
anderen  Lebensmitteln,  wie  insbesondere  Brotgetreide,  Mehl.  Brot  und  Kartoffeln.  — 
Die  ersten  Maßnahmen  auf  diesem  Gebiete  zu  Anfang  des  Krieges:  Einfubrerleichte- 
rungen,  -verböte  und  -beschränkungen,  Schlachtverbote.  —  Neue  Bestimmungen  für  1915: 
Die  Bekanntmachung  über  die  Sicherstellung  von  Fleisch  Vorräten  vom  25.  Januar 
1915.  —  Die  ersten  Preisfestsetzungen  für  Schweine  am  25.  Februar  1915.  —  Beide 
Bekanntmachungen  werden  durch  die  Vorschriften  vom  24.  Juni  1915  über  den  Ver- 
kauf von  Fleisch-  und  Fettwaren  durch  die  Gemeinden  ersetzt.  —  Zusehends  schärfere 
Maßnahmen  im  zweiten  Halbjahr  1915 :  Schlachtverbote,  neue  Höchstpreise  für  Schlacht- 
schweine  und  Schweinefleisch,  Bestimmungen  über  die  Einschränkung  des  Fleisch-  und 
Fettverbrauchs  (28.  Oktober  1915).  —  Ausdehnung  der  Versorgungsregelung  auf  das 
Rindvieh.  —  Die  Gründung  der  Viehhandelsverbände.  —  Einheitliche  Regelung  der 
Fleischversorgung  1916:  Errichtung  der  Reichsfleischstelle,  Regelung  der  Hausschiach- 
tungeu,  Vereinfachung  der  Beköstigung,  Kontingentierung  des  Fleischverbrauchs  (Ein- 
führung der  Reichsfleischkarte).  —  Ergänzende  Bestimmungen  über  die  Einfuhr  von 
Vieh  und  Fleischwaren,  die  Schlachtung  der  Milchkühe,  gesundheitsschädliche  und 
täuschende  Zusätze  zu  Fleisch,  neue  Höchstpreise  für  Schlachtsthweine  und  Schweine- 
fleisch, die  Herstellung  und  den  Verkehr  mit  Fleischkonserven  und  Fleischextrakt.  — 
Neue  und  erweiterte  Maßnahmen  in  1917:  Aufbewahrung  von  Knochen,  Labmägen  von 
Kälbern,  neue  Höchstpreise  für  Schlachtschweine  sowie  Schlachtvieh-  und  Fleischpreise 
für  Schweine  und  Rinder.  —  Die  Zusatzfleisehkarten.  —  Neue  Bestimmungen  über  die 
Regelung  des  Fleischverbrauchs  inbesondere  der  Hausschlachtungen  nach  der  Verord- 
nung vom  2.  Mai  und  2.  Oktober  1917,  zusammengefaßt  in  der  neuen  Verordnung  über 
■die  Regelung  des  Fleischverbrauchs  und  den  Handel  mit  Schweinen.  —  Ferkelabschlach- 
tungen.  —  Verbot  des  Halsschnitts.  —  Viehzählungen  und  Bestandsaufnahmen  von 
Fleisch  und  Fleischwaren.  —  Futterbestimmungen.  —  Futterfrage,  Viehstand,  Fett- 
und  Fleischversorgung.  —  Die  Fettversorgung:  Einfuhr-  und  Zollerleichterungen,  Unter- 
suchungsgebühr —  schärfere  Bestimmungen  in  1915  —  noch  strengere  Vorschriften 
in  1916:  Die  Bekanntmachungen  vom  8  Juni  und  20.  Juli  —  Speisefettkarten  — 
fetthaltige  Zubereitungen  —  die  Reichsstelle  für  Speisefette,  welcher  auch  die  Milch- 
versorguug  übertragen  wird  —  Milchkarten  (Bekanntmachung  vom  3.  Oktober  1916 
und  3.  November  1917)  ergänzende  Vorschriften:  Butterpreise  —  Verkehr  mit  Marga- 
rine —  Schmalz  —  andere  Fette  zur  menschlichen  Ernährung  —  ausgleichende  Be- 
stimmungen über  die  Ausnutzung  und  Verwertung  von  Fleisch-,  Fett-  und  Knochen- 
abfällen und  -resten.  —  Durch  die  zu  Beginn  des  dritten  Kriegsjahres  erfolgende  ein- 
heitliche Durchführung  der  Fleischversorgung  ist  das  kriegswirtschaftliche  System  zur 
Sicherung  der  deutschen  Volksernährung  im  Kriege  für  die  drei  Hauptnahrungsmittel 
Brot,  Kartoffeln  und  Fleisch  erfolgreich  geschlossen. 

Die    Regelung    der    Fleischversorgung    des    deutschen    Volkes    im 
Kriege  hat  eine  ähnliche  Entwicklung  durchgemacht  wie  die  Kartoffel- 

1)  Vgl.  III.  F.  53.  Bd.  S.  81  fg.  u.  S.  736  fg.,  sowie  oben  S.  181  fg. 


Miszellen.  695 

Versorgung  und  steht  wie  diese  im  gleichen  Gegensatz  zur  Regelung 
des  Verkehrs  mit  Brotgetreide  einmal  in  Anbetracht  der  natürlichen 
und  technischen  Schwierigkeiten  auf  diesem  für  die  Volksernährung 
ebenfalls  so  unendlich  wichtigen  Gebiete  und  dann  in  Ansehung  der 
erst  im  Laufe  der  Zeit  sich  nach  und  nach  immer  einheitlicher  und 
durchgreifender  gestaltenden  Maßnahmen,  welche  die  Reichsregierung 
für  die  Fleischversorgung  traf.  Das  Brotgetreide  nimmt  in  der  Kriegs- 
wirtschaft eine  ganz  andere  Stelle  ein  als  die  Kartoffel  und  das  Fleisch, 
aber  wie  die  Brotfrage  in  die  Kartoffelfrage  hineinspielt,  so  bestehen 
auch  zwischen  der  Kartoffelfrage  und  der  Fleischfrage  Beziehungen, 
und  ungenügende  Erzeugung  sowie  Vorratsmangel,  ob  sie  nun  bei  einem 
allein  oder  gleichzeitig  auftreten,  können  die  Versorgung  in  jedem  Falle 
schwer  gefährden.  Fehlen  die  Kartoffeln,  so  müssen  Brot  und  Fleisch 
stärker  herangezogen  werden,  während  sie  andererseits  wieder  das 
Streckungsmittel  bei  der  Brotbereitung  bilden,  wenn  infolge  einer 
schlechten  Brotgetreideernte  die  Mehlmengen  knapp  sind;  ist  nicht  ge- 
nügend Vieh  und  Fleisch  vorhanden,  muß  einigermaßen  Ersatz  durch 
Brot  und  Kartoffeln  geschaffen  werden;  ganz  bedenklich  wäre  es  aber, 
wenn  sowohl  Brot  als  auch  Kartoffeln  und  Fleisch  fehlten  und  das 
eine  für  das  andere  zum  Ausgleich  nicht  verwendet  werden  könnte.  So 
bestehen  hinsichtlich  der  Erzeugung  und  Vorratsbeschaffung  wichtige 
feste  Zusammenhänge  zwischen  diesen  drei  Hauptnahrungsmitteln,  die 
bei  ihrer  Versorgungsregelung  einzeln  und  zusammen  eine  bedeutende 
Rolle  spielen  und  zu  denen  noch  die  verschiedenen  besonderen 
Schwierigkeiten  der  Vorrats  Verteilung  kommen,  wie  die  späteren  Aus- 
führungen darlegen  werden.  Nur  das  Brotgetreide  kann  in  den  Rahmen 
der  für  die  Ernährungswirtschaft  im  Kriege  unter  den  besonderen 
gegenwärtigen  Umständen  erforderlichen  Maßnahmen  eher  hineingepaßt 
werden  als  Kartoffeln  und  Fleisch,  denn  die  gleichzeitige  Beschlag- 
nahme, Kontingentierung  und  Höchstpreisfestsetzung  eignet  sich  nach 
den  bisherigen  Erfahrungen  gänzlich  nur  für  das  Brotgetreide,  teilweise 
für  Kartoffeln,  in  gewissem  Umfange  vielleicht  auch  für  das  Fleisch. 
Und  damit  entstehen  die  großen  Schwierigkeiten  für  das  Versorgungs- 
problem im  einzelnen  und  im  ganzen.  Schon  die  Aufbewahrungsmög- 
lichkeiten sind  für  das  Brotgetreide  weit  günstiger  als  für  die  Kar- 
toffeln, während  bei  der  Fleischversorgung  die  Hauptsache  schließlich  in 
der  umständlicheren  Viehhaltung  mit  besonderer  Anpassung  an  die  Futter- 
mittelvorräte liegt,  dagegen  bei  Brot  und  Kartoffeln  wieder  die  Frage 
der  Verfütterung  von  Bedeutung  ist;  diese  natürlichen  Gründe  erklären 
am  ersten  die  aus  technischen  Erwägungen  getroffenen  verschiedenen 
Maßnahmen  ohne  die  in  allen  Fällen  gleichzeitig  durchgeführte  Be- 
schlagnahme, Kontingentierung  und  Höchstpreisfestsetzung.  Gemeinsam 
sind  also  dem  Brotgetreide,  den  Kartoffeln  und  dem  Fleisch  die  Schwierig- 
keiten, welche  durch  ungenügende  Erzeugung  und  Vorratsmangel  auf 
dem  einen  oder  anderen  Gebiete  hinsichtlich  des  erforderlichen  Aus- 
gleiches dieser  drei  Hauptnahrungsmittel  entstehen  können,  verschieden 
ist  dagegen  hier  die  Anwendung  des  kriegswirtschaftlichen  Systems  der 
modernen  deutschen  Kriegsernährungs Wirtschaft  in  der  besonderen  Lage 


696  MiszelUn. 

des  gegenwärtigen  Krieges,  einmal  beim  Brotgetreide  in  vollem  Umfange 
worüber  Teil  II  in  diesen  „Jahrbüchern"  (III.  F.  53.  Bd.  S.  736  fg.) 
handelt,  nur  zum  Teil  für  die  Kartoffeln,  oben  S.  181  fg.  dargestellt, 
und  endlich  in  ganz  anderer  Form  zur  Regelung  der  Fleischversorgung. 
Die  ersten  Maßnahmen  anfangs  des  Krieges  zur  Sicherung  der 
Fleischversorgung  waren  mittelbarer  Natur  und  betrafen  vorübergehende 
Einfuhrerleichterungen  für  Fleisch  in  den  Bekanntmachungen  vom 
4.  August  1914,  wonach  der  Bundesrat  ermächtigt  wird,  neben  anderen 
Nahrungsmitteln  Vieh,  Fleisch  und  Zubereitungen  von  Fleisch  sowie 
Fette  zum  Genüsse  zollfrei  zu  lassen  und  gesetzliche  Verbote  und  Be- 
schränkungen ihrer  Einfuhr  während  des  Krieges  ganz  oder  teilweise 
außer  Kraft  zu  setzen  (RGBl.  S.  339,  353).  Diese  Bestimmungen 
wurden  erweitert  durch  Abänderungen  von  Einfuhrverboten  und  Ein- 
fuhrbeschränkungen gemäß  den  Vorschriften  des  Gesetzes,  betreffend  die 
Schlachtvieh-  und  Fleischbeschau  vom  3.  Juni  1900  (RGBl.  S.  547). 
Danach  hat  sich  die  Untersuchung  des  in  das  Zollinland  eingehenden 
Fleisches  in  luftdicht  verschlossenen  Büchsen  und  ähnlichen  Gefäßen, 
von  Würsten  und  sonstigen  Gemengen  aus  zerkleinertem  Fleische  auf 
die  Feststellung  einer  äußeren  guten  Beschaffenheit  zu  beschränken. 
Die  Untersuchung  ist  bei  der  Einfuhr  vorzunehmen.  Der  Zuführung  zu 
den  Untersuchungsstellen  bedarf  es  nicht.  Weiter  bedarf  es  nicht  der 
Miteinfuhr  der  Organe,  soweit  sie  durch  Gesetz  oder  Beschluß  des 
Bundesrats  angeordnet  ist,  und  des  natürlichen  Zusammenhangs  dieser 
Organe  mit  dem  Tierkörper;  ferner  kann  der  Tierkörper  bei  Rindern, 
ausschließlich  der  Kälber,  auch  in  Viertel  zerlegt  sein.  Im  tibrigen  hat 
die  Untersuchung  des  frischen  Fleisches  bei  der  Einfuhr  nach  den  all- 
gemein gültigen  Grundsätzen  der  wissenschaftlichen  Fleischbeschau  zu 
erfolgen  (RGBl.  S.  351).  Ergänzend  traten  dazu  am  21.  Januar  1915 
die  beiden  Bekanntmachungen  über  vorübergehende  Erleichterungen  der 
Einfuhr  frischen  Fettes  und  Festsetzung  einer  Untersuchungsgebühr,  sowie 
Erleichterungen  bei  der  Untersuchung  von  Schlachtvieh  (RGBl.  S.  33  und 
34).  Am  11.  September  1914  kam  die  Bekanntmachung,  betreffend  Verbot 
des  vorzeitigen  Schlachtens  von  Vieh  (RGBl.  S.  405),  deren  wichtigsten 
Bestimmungen  sind :  Schlachtungen  von  Kälbern,  die  weniger  als  75  kg 
Lebendgewicht  tragen,  und  von  weiblichen,  noch  nicht  7  Jahre  alten  Rindern 
(Färsen,  Stärken,  Kalbinnen  u.  dgl.  und  Kühen)  sind  für  die  Dauer  von 
drei  Monaten  seit  dem  Inkrafttreten  der  Verordnung  —  Mitte  September 
1914  —  verboten.  Ausgenommen  von  dem  Verbot  ist  Weidemastvieh 
aus  Gebieten,  die  von  den  für  diese  zuständigen  Landeszentralbehörden 
bestimmt  sind.  Ausnahmen  von  dem  Verbote  können  in  Einzelfällen 
bei  Vorliegen  eines  dringenden  wirtschaftlichen  Bedürfnisses  von  den 
durch  die  Landeszentralbehörden  bestimmten  Behörden  zugelassen  werden. 
Das  Verbot  findet  keine  Anwendung  auf  Schlachtungen,  die  erfolgen, 
da  zu  befürchten  ist,  daß  das  Tier  an  einer  Erkrankung  verenden 
werde,  oder  weil  es  infolge  eines  Unglückfalls  sofort  getötet  werden 
muß.  Solche  Schlachtungen  sind  jedoch  der  zuständigen  Behörde 
spätestens  innerhalb  dreier  Tage  nach  der  Schlachtung  anzuzeigen. 
Weitergehende  landesreehtliche  Vorschriften  werden  hierdurch  nicht  be- 
rührt ;  die  Landeszentralbehörden  können  besondere  Ausführungsbestim- 


Miszellen.  697 

mungen  erlassen;  sie  werden  ermächtigt,  auch  für  die  Schlachtung  von 
Schweinen  Beschränkungen  anzuordnen.  Das  Verbot  erstreckt  sich  nicht 
auf  das  aus  dem  Ausland  eingeführte  Schlachtvieh.  Endlich  folgte  am 
19.  Dezember  1914  noch  die  Bekanntmachung,  betreffend  das  Schlachten 
von  Schweinen  und  Kälbern  (RGBl.  S.  536),  welche  die  Landeszentralbe- 
hörden ermächtigte,  für  das  Schlachten  von  Schweinen  und  Kälbern 
Beschränkungen  anzuordnen,  außer  wenn  es  sich  um  aus  dem  Auslande 
eingeführtes  Schlachtvieh  handelt.  Durch  diese  Bekanntmachung  wurde 
gleichzeitig  die  obenerwähnte  Bekanntmachung,  betreffend  Verbot  des 
vorzeitigen  Schlachtens  von  Vieh,  aufgehoben,  was  jedoch  nicht  auch  für 
die  von  den  Landeszentralbehörden  auf  Grund  der  Bekanntmachung,  be- 
treffend Verbot  des  vorzeitigen  Schlachtens  von  Vieh,  angeordneten  Be- 
schränkungen für  das  Schlachten  von  Schweinen  galt,  die  in  Kraft 
blieben,  sofern  die  Landeszentralbehörden  nichts  anderes  bestimmten. 

Die  im  Jahre  1915  zur  Fleischversorgung  erlassenen  Verordnungen 
gehen  weiter,  verfolgen  jedoch  eine  falsche  Richtung  und  erreichten 
gerade  das  Gegenteil  von  dem,  was  durch  sie  erstrebt  wurde.  Die  Be- 
kanntmachung über  die  Sicherstellung  von  Fleischvorräten  vom  25.  Ja- 
nuar 1915  (RGBl.  S.  45),  welcher  die  Bekanntmachung  über  das 
Füttern  der  Tiere  auf  Schlachtviehmärkten  und  Schlachtviehhöfen  vom 
21.  Januar  1915  (RGBl.  S.  30)  vorausging,  nach  der  Rinder,  mit  Aus- 
nahme von  Kälbern,  und  Schafe  auf  Schlachtviehmärkten,  Schlachtvieh- 
höfen und  Schlachthöfen  nur  mit  Rauhfutter  gefüttert  und  Schweine, 
die  auf  Schlachtviehmärkten  und  zum  Marktverkauf  auf  Schlachtvieh- 
höfen oder  Schlachthöfen  eingestellt  sind,  während  des  Zeitraums  von 
12  Uhr  mittags  des  dem  Markttag  vorhergehenden  Tages  bis  zum 
Marktschluß  nicht  gefüttert  werden  dürfen,  verpflichtete  die  Städte  und 
Landgemeinden  mit  mehr  als  5000  Einwohnern,  zur  Versorgung  der 
Bevölkerung  mit  Fleisch  einen  Vorrat  an  Dauerwaren  zu  beschaffen  und 
deren  Aufbewahrung  sicherzustellen.  Diese  Anordnung  erwies  sich  als 
verfehlt,  wie  die  Erfahrung  lehrte.  In  der  Annahme  wohl,  die  Kartoffel- 
vorräte zu  strecken,  wurde  durch  die  erwähnte  Bekanntmachung  eine 
Massenabschlachtung  der  Schweine  herbeigeführt,  was  sich  in  der  Folge- 
zeit bitter  gerächt  hat  und  nur  durch  neue  schärfere  Bestimmungen 
auf  dem  Gebiete  der  Fleischversorgung  und  in  teilweisem  Zusammen- 
hange mit  dem  Verkehr  mit  Kartoffeln  einigermaßen  ausgeglichen  werden 
konnte.  Es  bildete  sich  bald  das  bekannte  Schlagwort  vom  „Kartoffel- 
hunger der  Schweine"  heraus,  das  verschieden  gedeutet  und  überall 
eifrig  kommentiert  wurde  i).     Einstimmig  ist  das  Urteil  aber  zweifellos 

1)  Beitrilge  zur  Kriegswirtschaft,  herausgegeben  von  der  volkswirtschaft- 
lichen Abteilung  des  Kriegsernährungsamts,  Heft  2:  Die  Kartoffel  in  der  Kriegs- 
wirtschaft, S.  32.  —  Europäische  Staats-  und  Wirtschaftszeitung  vom 
11.  März  1916,  S.  39.  —  Das  Deutsche  Statistische  Zentralblatt  (Januar- 
Februar  1917,  S.  42)  erbringt  in  einem  Auf^atz  über  die  Professorenschlachtimgen,  da 
der  Anstoß  zum  Erlaß  der  Bekanntmachung  vom  25.  Januar  1915  angeblich  von  aka- 
demischer Seite  ausgegangen  sein  soll,  den  zahlenmäßigen  Nachweis,  daß  im  ersten 
Vierteljahr  1915  nur  rund  900  000  beschaupflichtige  Schweineschlachtungen  mehr  als  im 
ersten  Vierteljahr  1914  gemeldet  worden  sind  und  auch  echon  im  letzten  Vierteljahr  1914 
die  Zahl  der  beschaupflichfigen  Schweineschlaohtiirccn  die  dfs  enttprechendcn  Zeitraumi 
im  Vorjahre  um  600  000  überstiegen  hat.  —  Als  diese  Zeilen  sich  im  Druck  befanden, 


Miazellen. 

darüber,  daß  eine  solche  Maßnahme  besser  unterblieben  wAre.  £me 
planmäßige  Herabminderung  des  Schweinebestandes,  denn  eine  solche 
war  an  sich  unbestritten  erforderlich,  wäre  zweckmäßiger  gewesen  als 
die  durch  die  Bekanntmachung  vom  21.  Januar  1915  veranlaßte  schnelle 
Abschlachtung  mehrerer  Millionen  Schweine,  von  denen  sich  viele  noch 
in  unreifem  Zustande  befanden.  Diesen  „Schweinemord"  oder,  wie  es 
auch  geheißen  hat,  die  Bartholomäusnacht  der  Schweine  führt  man 
vielfach  auf  Anregungen  aus  wissenschaftlichen  Kreisen  zurück  und 
macht  dafür  in  der  Hauptsache  die  Ausführungen  der  sonst  im  großen 
und  ganzen  vorzuglichen  Schrift  ,)Die  deutsche  Volksernährung  und  der 
englische  Aushungerungsplan",  die  als  eine  der  ersten  zur  Ernährungs- 
frage kurz  nach  Ausbruch  des  Krieges  von  Eltzbacher  in  Verbindung 
mit  Aereboe,  Ballod,  Beyschlag,  Caspari,  Kuczynski,  Oppenheimer, 
Rubner,  Warmbold,  Zuntz  u.  a.  herausgegeben  worden  ist,  verantwortlich 
(Braunschweig,  Fr.  Vieweg  &  Sohn,  1914).  Es  wird  darin  eine  Ver- 
ringerung des  Schweinebestandes  um  35  Proz.  vorgeschlagen  (S.  123), 
dem  man  dann  planlos  und  ohne  weiteres  gefolgt  ist.  Wissenschaft 
und  Praxis  haben  in  diesem  Punkte  unserer  Ernährungsfrage  im  Kriege 
beiderseits  versagt.  Wenn  man  rechtzeitig  unter  Anpassung  an  die 
tatsächlich  noch  vorhandenen  Futtermengen  an  die  Herabminderung  des 
Schweinebestandes  gegangen  wäre,  blieben  die  späteren  Enttäuschungen 
in  der  Fleischversorgung  erspart  i).  Jedenfalls  ist  bei  dem  staatlichen 
Eingriff,  welcher  der  Befürchtung,  daß  die  menschlichen  Nahrungsmittel, 
insbesondere  die  Kartoffeln,  von  dem  Vieh  verbraucht  würden,  entsprang, 
über  den  Umfang  der  erforderlichen  Schlachtungen  erheblich  hinaus- 
gegangen worden,  wenn  auch  dieser  heute  immer  noch  nicht  ganz  genau 
zahlenmäßig  feststeht,  denn  die  in  dieser  Beziehung  einer  zahlenmäßigen 
Erfassung  entgegenstehenden  Schwierigkeiten  sind  zu  groß  und  zu  viel- 
seitig 2).  Wäre  aber  der  im  April  1915  vorübergehend  erzielte  Tiefstand 
unserer  Schweinezahl  5 — 6  Monate  früher  erreicht  und  dann  dauernd 
beibehalten  worden,  so  wäre  dies  von  größtem  Segen  für  die  Ernährung 
nicht  nur  der  Bevölkerung,  sondern  auch  des  unentbehrlichen  Vieh- 
standes gewesen  3).  Dagegen  konnte  der  Bestand  an  Schweinen  im  Laufe 
des  Sommers  1915,  wo  in  größerer  Menge  Grünfutter  und  Vorräte  aus 
der  alten  Kartoffelernte  zur  Verfügung  standen,  wieder  vermehrt  werden, 
wie  es  in  der  vom  Ministerium  des  Innern  herausgegebenen  Schrift 
„Ernährung  und  Teuerung",  Ausgabe  der  „Ernährung  im  Kriege"  für 
Frühjahr  1916,  S.  33  heißt,  was  aber  besser  unterblieben  wäre  —  vgl. 

kam  Heft  20/21  der  Beiträge  zur  Kriegswirtschaft  heraus,  welches  das 
Schwein  in  der  Kriegsern  ährungs  Wirtschaft  behandelt  nnd  näher  auf  die 
Zwangsabschlachtungen  des  Frühjahres  1915  eingeht  (S.  34),  diese  Maßnahme  ausführ- 
lich begründet  und  rechtfertigt. 

1)  Vgl.  hierzu  Hoff,  über  Volksemährung  und  Fettversorgung  in  Nr.  185  und 
186  des  „Tag"  vom  9.  und  10.  August  1916;  desgl.  Hoesch  in  Nr.  171  und  173 
des  „Tag";  derselbe  auch  über  die  wirtschaftlichen  Fragen  der  Zeit  (Berlin,  Hob- 
bing,  1916). 

2)  Schumacher,  Deutsche  Volksernährung  und  Volksemährungspolitik  im  Kriege 
(Berlin,  C.  Heymann,  1915),   S.  83. 

3)  Kuczynski-Zuntz,  Unsere  bisherige  und  unsere  künftige  Ernährung  im 
Kriege  (Braunschweig,  Vieweg  &  Sohn,  1915),  S.  3  ff.,  insbesondere  S.  9. 


M  iszelleu. 


699 


die  gegebenen  Hinweise  auf  die  Literatur  — ,  denn  die  engen  Beziehungen 
zwischen  Fieischversorgung,  Futterfrage  und  Kartoffelregelung  äußerten 
sich  bei  der  längeren  Dauer  des  Krieges  in  immer  schärferen  Wirkungen. 
Die  Bekanntmachung  vom  25.  Januar  1915  erhielt  eine  Ergänzung 
am  25.  Februar  1915  durch  Preisbestimmungen  i),  die  auf  diesem  Ge- 
biete bisher  noch  nicht  bestanden  (RGBl.  S.  109):  Für  Schweine  über 
100  kg  Lebendgewicht  gilt  als  Marktpreis  die  amtliche  Preisfeststellung 
des  Schlachtviehmarkts,  der  von  der  Landeszentralbehörde  für  den  Ab- 
nahmeort als  maßgebend  bestimmt  wird,  nach  dem  Durchschnitt  der 
beiden  letzten  Hauptmarkttage  vor  dem  Eigentumsübergange.  Für 
Schweine  unter  100  kg  Lebendgewicht  sind  nach  8  Gewichtsklassen 
besondere  Preise  für  vier  große  Preisgebiete,  ähnlich  wie  bei  den  Kar- 
toffelhöchstpreisen, festgesetzt,  und  zwar: 


im  1. 

2. 

3. 

4.  Preisgebiet 

in  der  1.  Gewichtsklasse,  60—65  kg  Lebendgewicht,  49 

50 

51 

52  M. 

,.       M       2. 

65—70    „               „                50 

51 

52 

53    » 

..     „     3. 

70—75    „ 

51 

52 

53 

54   » 

„     „     4. 

75—80    „ 

53 

54 

55 

56    .. 

„       M       5. 

80—85    „ 

55 

56 

57 

58    . 

„     »     6. 

85—90    „ 

57 

58 

59 

60    „ 

..     „     7. 

90—95    „ 

60 

61 

62 

63    .. 

»     „     8. 

95—100  „ 

63 

64 

65 

66    „ 

Am  8.  Mai  1915  wurden  beide  Bekanntmachungen  außer  Kraft 
gesetzt  (RGBl.  S.  271),  da  man  erkannt  hatte,  daß  insbesondere  die 
Bekanntmachung  vom  25.  Januar  1915  sich  praktisch  nicht  bewährt 
hatte,  und  erließ,  gewissermaßen  als  Ergänzung  bzw.  Nachtrag  zur  Be- 
kanntmachung vom  8.  Mai  1915,  welche  die  Außerkraftsetzung  der 
verfehlten  Maßnahme  aussprach,  am  24.  Juni  1915  die  Bekanntmachung 
über  den  Verkauf  von  Fleisch-  und  Fettwaren  durch  die  Gemeinden, 
damit  diese,  die  Fleisch-  oder  Fettwaren  zum  Zwecke  der  Versorgung 
der  Bevölkerung  —  auf  Grund  der  Bekanntmachung  vom  25.  Januar 
1915  —  erworben  haben,  den  Weiterverkauf  oder  die  Abgabe  der  von 
ihnen  nach  dem  24.  Juni  1915  in  den  Verkehr  gebrachten  Fleisch-  oder 
Fettwaren  verbieten  oder  beschränken  oder,  soweit  sie  den  Weiterverkauf 

1)  Diese  Preise  sind  lediglich  Uebemahmepr^ise,  die  den  Berliner  Preisen  an  den 
beiden  letzten  Hauptmarkttagen  im  Januar  1915  entsprachen.  Sie  sollten  als  Richt- 
preise wirken,  die  in  ihrer  Höhe  den  Schweinehaltern  einen  durchaus  angemessenen 
Gewinn  gewährleisten,  immerhin  aber  den  finanziellen  Schwierigkeiten  der  Gemeinden 
Rechnung  tragen  und  einer  übermäßigen  Verteuerung  der  Fleischnahrung  für  die  Be- 
völkerung vorbeugen,  denn  die  Fleischpreise  hielten  sich  dauernd  auf  einer  Höhe,  die 
auch  bei  wohlwollendster  Berücksichtigung  der  schwierigen  Lage  der  Landwirtschaft 
fiowie  der  Preissteigerung  und  Knappheit  der  Futtermittel  die  Gestehungskosten  erheblich 
überschritten,  wie  es  in  der  Denkschrift  über  wirtschaftliche  Maßnahmen 
ans  Anlaß  des  Krieges,  zweiter  Nachtrag  vom  8.  März  1915  (Reichstags  -  Druck- 
sache Nr.  44)  S.  58  heißt,  lieber  die  Steigerung  der  Viehpreise  im  ersten  Kriegs- 
halbjabr  und  Anfang  1915  sowie  die  Viehpreispolitik  der  Regierung  vgl.  Kuczynski- 
Zuntz,  Unsere  bisherige  und  unsere  zukünftige  Ernährung  im  Kriege,  a.  a.  O.  S.  11  ff., 
und  die  Europäische  Staats-  und  Wirtschaftszeitung,  Nr.  1  vom  11.  Märt 
1916,  S.  40  sowie  Silber  gleit,  Die  Aushungerungsgefahr?  Deutsche  Kraft,  Heft  4, 
Verlag  CoUignon,  Berlin-Leipzig- Wien,  S.  27.  Auch  die  späteren  Höchstpreise,  auf  dl« 
wir  noch  zu  sprechen  kommen,  erregten  den  Widerspruch  weiter  Kreise,  die  daraus 
unerwünschte  Folgen  für  die  Erzeugung  und  den  Absatz  befürchteten. 


fjQQ  Miszellen. 

gestatten,  die  Preise  festsetzen  können  (EGBl.  S.  352).  Die  Gemeinden 
haben  von  dieser  Ermächtigung  auch  vielfach  Gebrauch  gemacht  und 
somit  die  Absicht  der  ßeichsregierung,  die  verfehlten  Maßnahmen  des 
25.  Januar  1915  einigermaßen  wieder  auszugleichen,  möglichst  praktisch 
verwertet,  um  die  durch  die  Massenabschlachtung  der  Schweine  ent- 
standenen städtischen  Fleischgeschäfte  zum  Abschluß  zu  bringen. 

Im  zweiten  Halbjahr  1915  werden  die  Maßnahmen  der  ßeichs- 
regierung auf  dem  Gebiete  der  Fleischversorgung  zusehends  schärfer. 
Die  unerwartete  Länge  des  Krieges  gebot,  nunmehr  auch  hierin  energischer 
vorzugehen.  Ein  weiteres  Schlachtverbot  wurde  in  der  Bekanntmachung 
vom  26.  August  1915  für  trächtige  Kühe  und  Sauen  erlassen  (RGBl. 
S.  515).  Neue  Höchstpreise  für  Schlachtschweine  und  Schweinefleich 
wurden  durch  die  Bekanntmachung  zur  Regelung  der  Preise  für  Schlacht- 
schweine und  Schweinefleisch  vom  4.  November  1915  (RGBl.  S.  725) 
für  37  Hauptorte  und  3  Gewichtsklassen,  also  abweichend  von  den 
früheren  Bestimmungen,  festgesetzt.  Beim  Verkaufe  von  Schweinen  zur 
Schlachtung  darf  der  Preis  für  50  kg  Lebendgewicht  nicht  übersteigen 
für  Schweine  im  Lebendgewicht 


über    80  bis  100  kg 

90 

95 

100 

102 

105 

107 

108 

iioM. 

\      in  den  37 

„       60    „      80    „ 

75 

80 

85 

87 

90 

92 

93 

95   » 

1    Hauptorten, 

unter  60  kg 

60 

65 

70 

72 

75 

77 

78 

80   „ 

►  welche  die  Be- 

für Sauen  ohne  Gewichts- 

kanntmachang 

klasseneinteilung 

85 

90 

95 

97 

IOC 

102 

103 

105   „ 

angibt. 

Die  Preise  der  ersten  Gewichstklasse  erhöhen  sich  bei  Schweinen  im 
Lebendgewicht  von  über  100  bis  120  kg  um  10  v.  H.,  von  über  120  kg 
um  20  V.  H.  In  Gemeinden,  die  öffentliche  Schlachthäuser  besitzen  und 
nicht  im  Verzeichnis  der  Hauptorte  in  der  Bekanntmachung  aufgeführt 
sind,  darf  der  Preis  für  Schweine  beim  Verkaufe  zur  Schlachtung  den 
Höchstpeis  des  nächstgelegenen  im  Verzeichnis  genannten  Ortes  nicht 
übersteigen.  Bei  Abgabe  an  den  Verbraucher  darf  der  Preis  für  frisches 
(rohes)  Schweinefleisch  140  v.  H.,  für  frisches  (rohes)  Fett  180  v.  H. 
des  in  der  nächsten  Schlachthausgemeinde  für  das  Lebendgewicht  der 
Schweine  im  Gewichte  von  80  bis  100  kg  geltenden  Höchstpreises  nicht 
übersteigen.  Die  Bekanntmachung  erhielt  einen  Zusatz  am  29.  November 
1915  (RGBl.  S.  788)  dahin  lautend,  daß  diese  Vorschriften  keine  An- 
wendung finden  sollen  auf  aus  dem  Ausland  eingeführte  Schweine  und 
auf  frisches  (rohes)  Schweinefleisch  und  frisches  (rohes)  Fett,  das  aus 
dem  Auslande  eingeführt  wird.  Von  nicht  zu  unterschätzender  Be- 
deutung für  die  Fleischversorgung  im  Winter  1915/16  waren  endlich 
die  Bestimmungen  der  Bekanntmachung  zur  Einschränkung  des  Fleisch- 
und  Fettverbrauchs  vom  28.  Oktober  1915  (RGBl.  S.  714),  auf  die 
bereits  im  I.  Teil  kurz,  ohne  auf  ihren  Inhalt  einzugehen,  hingewiesen 
worden  ist  (III.  F.  53.  Bd.  S.  87  unten  und  S.  88  oben  in  diesen 
„Jahrbüchern") : 

Dienstags  und  Freitags  dürfen  Fleisch,  Fleischwaren  und  Speisen, 
die  ganz  oder  teilweise  aus  Fleisch  bestehen,  nicht  gewerbsmäßig  an 
Verbraucher  verabfolgt  werden.  Dies  gilt  nicht  für  die  Lieferung  un- 
mittelbar an  die  Heeresverwaltungen  und  an  die  Militärverwaltung.  In 
Gastwirtschaften,  Schank-  und  Speisewirtschaften  sowie  in  Vereins-  und 


Mis  Zellen.  701 

Erfrischungsräumen  dürfen  Montags  und  Donnerstags  Fleisch,  Wild, 
Geflügel,  Fisch  und  sonstige  Speisen,  die  mit  Fett  oder  Speck  gebraten, 
gebacken  oder  geschmort  sind,  sowie  zerlassenes  Fett  und  Sonnabends 
Schweinefleisch  nicht  verabfolgt  werden.  Gestattet  bleibt  die  Verab- 
folgung des  nach  den  vorangegangenen  Verordnungen  verbotenen  Fleisches 
als  Aufschnitt  auf  Brot.  Als  Fleisch  im  Sinne  dieser  Verordnung  gilt 
Rind-,  Kalb-,  Schaf-,  Schweinefleisch  sowie  Fleisch  von  Geflügel  und 
Wild  aller  Art.  Als  Fleischwaren  gelten  Fleischkonserven,  Würste  aller 
Art  und  Speck.  Als  Fett  gilt  Butter  und  Butterschmalz,  Oel,  Kunst- 
speisefette aller  Art,  Rinder-,  Schaf-  und  Schweinefett. 

Die  Beamten  der  Polizei  und  die  von  der  Polizei  beauftragten  Sach- 
verständigen sind  befugt,  in  die  Geschäftsräume  der  dieser  Verordnung 
unterliegenden  Personen,  insbesondere  in  die  Räume,  in  denen  Fleisch, 
Fleischwaren  und  Fett  gelagert,  zubereitet,  feilgehalten  oder  verabfolgt 
werden,  jederzeit  einzutreten,  daselbst  Besichtigungen  vorzunehmen,  Ge- 
schäftsaufzeichnungen einzusehen,  auch  nach  ihrer  Auswahl  Proben  zum 
Zwecke  der  Untersuchung  gegen  Empfangsbestätigung  zu  entnehmen. 
Die  Unternehmer  sowie  die  von  ihnen  bestellten  Betriebsleiter  und  Auf- 
sichtspersonen sind  verpflichtet,  den  Beamten  der  Polizei  und  den  Sach- 
verständigen Auskunft  über  das  Verfahren  bei  Herstellung  ihrer  Er- 
zeugnisse, über  die  zur  Verarbeitung  gelangenden  Stoffe  und  deren  Her- 
kunft sowie  über  Art  und  Umfang  des  Absatzes  zu  erteilen.  Die 
Sachverständigen  sind,  vorbehaltlich  der  dienstlichen  Berichterstattung 
und  der  Anzeige  von  Gesetzwidrigkeiten,  verpflichtet,  über  die  Ein- 
richtungen und  Geschäftsverhältnisse,  welche  durch  die  Aufsicht  zu  ihrer 
Kenntnis  kommen,  Verschwiegenheit  zu  beobachten  und  sich  der  Mit- 
teilung und  Verwertung  der  Geschäfts-  und  Betriebsgeheimnisse  zu  ent- 
halten. Sie  sind  hierauf  zu  vereidigen.  Die  Unternehmer  haben  einen 
Abdruck  dieser  Verordnung  in  ihren  Verkaufs-  und  Betriebsräumen  aus- 
zuhängen. Die  Nichtbeachtung  dieser  Bestimmungen  zieht  erhebliche 
Strafen  nach  sich,  wie  die  Bekanntmachung  näher  ausführt. 

Die  bisherigen  Maßnahmen  trafen  in  der  Hauptsache  Vorsorge  für 
die  Schweinehaltung  und  bestimmten  die  Schweinepreise.  Den  Rindern 
gegenüber  hatte  man  sich  dagegen  zu  nichts  dergleichen  entschließen 
können,  denn  außer  lokalen  Preisunterschieden  widerstrebten  hier  mehr 
die  großen  Verschiedenheiten  in  der  Qualität  einer  einheitlichen  Ver- 
sorgungs-  bzw.  Fürsorge-  und  Preisregelung.  Inzwischen  hatten  sich 
aber  auch  auf  dem  Rindermarkte  Zustände  herausgebildet^),  die  ein 
staatliches  Eingreifen  für  dringend  erforderlich  erscheinen  ließen.  Da 
nun  aber  allgemeine  Höchstpreise  für  Rindvieh  einstimmig  nicht  für 
durchführbar  angesehen  wurden  2),  gelangte  die  Syndizierung  des  Vieh- 
handels durch  Zusammenfassung  territorialer,  unter  Staatsaufsicht  stehen- 
der Zwangssyndikate  zur  regelnden  und  kontrollierenden  Tätigkeit  der 
gesamten  Verhältnisse,  also  auch  der  Preise,  auf  dem  Rindermarkte  zur 
Durchführung  und  es  entstanden  im  Februar  1916  die  Vi.ehhandels- 


1)  Europäische  Staats-  und  Wirtschaftszeitung,  a.  a.  O. 

2)  Sitzungsbericht  der  Sitzung  der  preußischen  Landmrtschaftskammer  am  7.  Janaar 
1916. 


7Q2  M  i  B  z  e  1 1  e|n. 

verbände.  In  jeder  preußischen  Provinz  besteht  gewöhnlich  mit  dem 
Sitze  in  der  Provinzialhauptstadt  ein  Viehhandelsverband,  nur  Hessen- 
Nassau  erhielt  aus  örtlichen  Gründen  zwei,  in  Kassel  und  in  Frank- 
furt a.  M.  Die  preußischen  Viehhandelsverbände  wurden  alsbald  nach 
ihrer  Gründung  in  einem  Zentralviehhandelsverband  in  Berlin  zusammen- 
geschlossen, dem  auch  nichtpreußische  Viehhandelsverbände  beitreten 
können,  wovon  Sachsen,  Oldenburg  und  Anhalt  Gebrauch  gemacht  haben. 
In  den  anderen  Bundesstaaten  sind  ähnliche  Einrichtungen  geschaffen 
worden,  die  meist  gleichzeitig  oder  etwas  später  entstanden  sind;  nur 
Württemberg  hat  den  Viehhandel  früher  geregelt  als  Preußen  und  be- 
sitzt schon  seit  Ende  1915  eine  eigene  Württembergische  Fleischver- 
sorgungsstelle, aus  der  sich  dann  die  weitere,  den  gesamten  Verkehr 
mit  Vieh  und  Fleisch  umfassende  Organisation  entwickelt  hat  ^).  Einige 
kleinere  Bundesstaaten  haben  sich  den  benachbarten  größeren  Verbänden 
angeschlossen,  wie  Braunschweig,  Lübeck  und  Bremen.  HohenzoUern 
ist  mit  Württemberg  verbunden.  Die  thüringischen  Staaten  bilden  einen 
Viehhandelsverband  mit  dem  Sitz  in  Weimar.  Im  ganzen  bestehen 
24  Viehhandelsverbände,  deren  Stellung  und  Bedeutung  in  der  deutschen 
Kriegswirtschaft  2)  von  großer  Wichtigkeit  geworden  ist,  zumal  als  die 
Weiterbildung  der  Organisation  der  deutschen  Kriegsfleischversorgung 
durch  die  Schaffung  einer  Reichsfleischstelle,  als  deren  Vorläufer  wir  die 
Viehhandelsverbände  betrachten  können,  den  erforderlichen  Abschluß  er- 
langt hat. 

Gegen  Ende  des  zweiten  und  im  Anfang  des  dritten  Kriegsjahres 
erfolgte  endlich  die  einheitliche  durchgreifende  Regelung  der  deutschen 
Kriegsfleischversorgung,  indem  zunächst  eine  Reichsstelle  für  die  Ver- 
sorgung mit  Vieh  und  Fleisch  (Reichsfleischstelle)  zur  Sicherung 
des  Fleischbedarfs  des  Heeres  und  der  Marine  sowie  der  Zivilbevölkerung 
gemäß  der  Bekanntmachung  über  Fleischversorgung  vom  27.  März  1916 
(RGBl.  S.  199)  gebildet  wurde.  Diese  neue  Reichsstelle  hat  die  Auf- 
gabe, die  Fleisch  Versorgung ,  insbesondere  die  Aufbringung  von  Vieh 
und  Fleisch  im  Reichsgebiet  und  deren  Verteilung,  zu  regeln;  ihr  liegt 
ferner  die  Verteilung  des  aus  dem  Auslande  eingeführten  Schlachtviehs 
und  Fleisches  einschließlich  der  Fleischwaren  ob.  Die  weiteren  Be- 
stimmungen der  Bekanntmachung  beziehen  sich  auf  die  Regelung  der 
Fleischversorgung  im  allgemeinen: 

Schlachtungen  von  Vieh,  die  nicht  ausschließlich  für  den  eigenen 
Wirtschaftsbedarf  des  Viehhalters  bestimmt  sind,  sind  nur  in  dem  von 
der  Reichsfleischstelle  festgesetzten  Umfang  gestattet.  Die  Landes- 
zentralbehörden oder  die  von  ihnen  bestimmten  Behörden  haben  An- 
ordnungen zu  treffen,  um  Schlachtungen  über  die  zugelassene  flöchst- 
zahl  hinaus  zu  verhindern.  Sie  können  bestimmen,  daß  aus  unerlaubten 
Schlachtungen  gewonnenes  Fleisch  der  Gemeinde,  dem  Kommunalverband 
oder   einer    anderen    von   ihnen   bestimmten    Stelle    ohne  Zahlung   einer 

1)  Jungel,  Die  Regelung  der  Fleischversorgung  in  Württemberg,  Stuttgart  1916. 

2)  Beiträge  zur  Kriegswirtschaft,  herausgegeben  von  der  volkswirtschaft- 
lichen Abteilung  des  Kriegsernährungsamts,  Heft  10:  Die  Viehhandelsverbinde 
in  der  deutschen  Kriegswirtschaft,  Berlin  1917. 


Miszellen.  703 

Entschädigung  für  verfallen  erklärt  werden  kann.  Sie  regeln  die  ünter- 
verteilung  der  zugelassenen  Schlachtungen  auf  Kommunalverbände  und 
Gemeinden.  Schlachtungen  ausschließlich  für  den  eigenen  Wirtschafts- 
bedarf des  Viehhalters  (Hausschlachtungen)  sind  nur  dann  gestattet, 
wenn  der  Besitzer  das  Tier  in  seiner  Wirtschaft  mindestens  6  Wochen 
gehalten  hat.  Die  Landeszentralbehörden  oder  die  von  ihnen  bestimmten 
Behörden  sind  befugt,  weitergehende  Einschränkungen  für  solche  Schlach- 
tungen zu  bestimmen. 

Notschlachtungen  fallen  nicht  unter  die  Beschränkungen  der  voran- 
gegangenen Vorschriften.  Hausschlachtungen  und  Notschlachtungen  sind 
den  von  den  Landeszentralbehörden  bestimmten  Stellen  anzuzeigen  und 
auf  die  für  den  Kommunalverband  oder  die  Gemeinde  zugelassene 
Höchstzahl  von  Schlachtungen  nach  Grundsätzen,  die  von  der  Reichs- 
fleischstelle aufgestellt  werden,  anzurechnen.  Der  Verkehr  mit  Fleisch 
und  Fleischwaren  aus  einem  Kommunalverband  in  einen  anderen  ist 
von  den  Landeszentralbehörden  zu  regeln.  Soweit  es  sich  um  Kom- 
munalverbände verschiedener  Bundesstaaten  einschließlich  Elsaß-Loth- 
ringens handelt,  hat  die  Beichsfleischstelle  die  Grundsätze  für  die 
Regelung  aufzustellen.  Für  die  rechtzeitige  und  vollständige  Beschaffung 
des  zur  Deckung  des  Bedarfs  des  Heeres,  der  Marine  und  der  Zivil- 
bevölkerung aufzubringenden  Schlachtviehs  haben  die  Landeszentral- 
behörden Sorge  zu  tragen.  Die  Landeszentralbehörden  regeln  den  Ver- 
kehr mit  Schlachtvieh.  Sie  können  bestimmen,  daß  der  Ankauf  von 
Schlachtvieh  ausschließlich  durch  die  von  ihnen  bezeichneten  Stellen 
oder  durch  die  von  diesen  beauftragten  oder  zugelassenen  Personen 
stattfindet,  sowie  daß  der  Verkauf  von  Schlachtvieh  nur  an  die  be- 
zeichneten Stellen  oder  an  die  von  diesen  beauftragten  oder  zugelassenen 
Personen  erfolgen  darf.  Soweit  die  von  den  Landeszentralbehörden  be- 
zeichneten Stellen  oder  die  von  diesen  beauftragten  und  zugelassenen 
Personen  den  erforderlichen  Bedarf  an  Schlachtvieh  nicht  freihändig 
erwerben  können,  sind  die  fehlenden  Mengen  nach  näherer  Anweisung 
der  Landeszentralbehörden  von  den  Kommunalverbänden  und  Gemeinden 
innerhalb  ihrer  Bezirke  aufzubringen  unter  entsprechender  Anwendung 
der  Bestimmungen  im  §  2  des  Gesetzes,  betreffend  Höchstpreise,  vom 
4.  August  bzw.  17.  Dezember  1914  (RGBl.  S.  516)  und  mit  folgenden 
Maßgaben:  1)  Den  Unternehmern  landwirtschaftlicher  Betriebe  sind  die 
Tiere  zu  belassen,  die  sie  zur  Fortführung  ihres  Wirtschaftsbetriebs 
bedürfen.  In  Zuchtviehherden  dürfen  nur  die  zur  Mast  aufgestellten 
Tiere  enteignet  werden.  2)  Bei  der  Festsetzung  des  Uebernahmepreises 
sind,  soweit  ein  Höchstpreis  nicht  besteht,  die  von  der  Reichsfleisch- 
stelle aufgestellten  Preisvorschriften  zu  berücksichtigen.  Die  Gemeinden 
sind  verpflichtet,  eine  Verbrauchsregelung  von  Fleisch  und  Fleischwaren 
in  ihren  Bezirken  vorzunehmen.  Sie  können  bestimmen,  daß  Fleisch 
aus  Notschlachtungen  an  die  von  ihnen  bestimmten  Stellen  gegen  eine 
von  der  höheren  Verwaltungsbehörde  endgültig  festzusetzende  Entschä- 
digung abzuliefern  ist.  Sie  haben  den  von  den  Landeszentralbehörden 
nach  den  vorangegangenen  Verordnungen  mit  der  Beschaffung  des 
Schlachtviehs   bezeichneten   Stellen   auf   deren  Verlangen   eine  Stelle  zu 


'JQ4k  M  i  8  z  e  1  le  n. 

benennen,  die  das  gelieferte  Schlachtvieh  zu  übernehmen  hat.  Sie  be- 
dürfen zu  der  vorstehend  vorgeschriebenen  Regelung  der  Zustimmung 
der  Landeszentralbehörde  oder  der  von  ihr  bestimmten  Behörde.  Die 
Landeszentralbehörden  können  anordnen,  daß  die  Regelung  anstatt  durch 
die  Gemeinden  durch  deren  Vorstand  getroffen  wird.  An  Stelle  der 
Gemeinden  sind  die  Kommunalverbände  befugt  und  auf  Anordnung  der 
Landeszentralbehörde  verpflichtet,  die  Regelung  vorzunehmen. 

Die  Landeszentralbehörden  oder  die  von  ihnen  bestimmten  Stellen 
können  die  Regelung  selbst  treffen  oder  Anordnungen  darüber  erlassen. 
Einen  erweiterten  Zusatz  hierzu  enthält  die  Bekanntmachung,  betreffend 
Aenderung  der  Bekanntmachung  über  Fleischversorgung  vom  17.  August 
1916  (RGBl.  S.  935):  Der  Reichskanzler,  die  Landesbehörden  oder  die 
von  ihnen  bestimmten  Stellen  können  die  Regelung  selbst  treffen  oder 
Anordnungen  darüber  erlassen.  Die  Landeszentralbehörden  können 
Landesfleischstellen  errichten,  denen  die  Regelung  in  ihren  Be- 
zirken ganz  oder  teilweise  übertragen  wird;  solche  bestehen  gegen- 
wärtig in  Preußen  (Landesfleischamt,  11  Provinzial-  und  3  Bezirksfleisch- 
stellen), Bayern,  Sachsen,  Württemberg  und  HohenzoUern,  Baden,  Hessen, 
Mecklenburg-Schwerin,  Mecklenburg-Strelitz,  Oldenburg,  Braunschweig, 
Anhalt,  Waldeck  und  Pyrmont,  Schaumburg-Lippe,  Lippe-Detmold,  Ham- 
burg, Bremen,  Lübeck,  Elsaß-Lothringen  und  das  Thüringische  Landes- 
fleischamt in  Weimar  für  die  9  thüringischen  Staaten.  Vorhandene 
Landesfleischstellen  bleiben  bis  zur  anderweiten  Regelung  durch  die 
Landeszentralbehörde  bestehen.  Soweit  hiernach  die  Regelung  für  einen 
größeren  Bezirk  erfolgt,  ruhen  die  Befugnisse  der  zu  diesem  Bezirk 
gehörenden  Behörden.  Die  Befugnisse  der  Gemeinden,  Kommunalver- 
bände, der  Landeszentralbehörden  sowie  der  von  ihnen  bestimmten 
Stellen  regeln  sich  nach  der  Verordnung  über  die  Errichtung  von  Preis- 
prüfungsstellen und  die  Versorgungsregelung  vom  25.  September  bzw. 
4.  November  1915  (RGBl.  S.  607,  728). 

Die  Frage  der  Hausschlachtungen  hat  viel  Staub  aufgewirbelt  und 
ist  in  der  Tages-  und  Fachpresse  eifrig  besprochen  worden.  So  viel 
steht  fest,  daß  das  Halten  von  Tieren,  besonders  in  den  städtischen 
Haushaltungen,  nicht  übertrieben  werden  darf,  da  sich  dadurch  leicht 
Mißstände  in  der  Verwendung  der  Futtermittel  herausbilden  können 
und  Neigung  zur  Gefahr  besteht,  daß  auch  menschliche  Nahrungsmittel 
oder  mit  Rücksicht  auf  den  Kriegszustand  verbotene  Futtermittel,  wie 
Kartoffeln,  Kartoffelerzeugnisse,  Brot,  Fleischabfälle,  als  Viehfutter  ver- 
wendet werden.  Hierzu  äußert  sich  treffend  „Die  Kriegsernährungs- 
wirtschaft 1917",  herausgegeben  vom  Kriegsernährungsamt  i),  8.  53:  Wer 
das  nötige  zur  Verfütterung  freigegebene  Futter  besitzt  oder  sich  be- 
schaffen kann,  soll  so  viel  Schlachttiere  aufziehen  wie  möglich.  Vor 
allem  sollen  alle  Abfälle  dabei  sorgsam  ausgenutzt  werden.  Es  wird 
daher  von  den  Behörden  durchaus  gern  gesehen,  wenn  mehrere  Familien 
sich  zusammentun,  ein  Schwein  in  gemeinsamem  Stalle   halten  und  mit 

1)  Vgl.  in  diesem  Zusammenhange  S.  58—60  von  Heft  17—19  der  Beiträge 
«ur  Kriegswirtschaft  über  Vieh  und  Fleisch  in  der  d  eutschen  Kriegs- 
wirtschaft. 


Miszellen.  ^§ 

eigenen  Hausabfällen  durch  Familienmitglieder  futtern.  Solche  Familien 
genif^ßen  die  Vorteile  der  Sulbstvorsorger.  Ganz  audors  liegt  die  Sache 
allerdings  bei  einem  Mißbrauche  solcher  gemeinsamen  Viehhaltung,  als 
welcher  das  Pensionsschwein  eine  gewisse  Berühmtheit  erlangt  hat. 
Kluge  Leute  siüd  nämlich  auf  den  Gedanken  gekommen,  ein  Schwein 
«u  kaufen,  das  sie  lebendig  womöglich  niemals  zu  Gesicht  bekamen. 
Sie  beabsichtigten,  es  durch  den  Laudwirt  aufziehen  zu  lassen,  dem  sie 
die  Mühe  uad  die  Futtermittel  bezahlten,  um  es  daun  als  „Selbstver- 
«orger"  für  sich  schlachten  lassen  zu  können.  Würde  dies  weiter  um 
ßich  gegriffen  haben,  so  hätten  sich  wohlhabende  Kreise  eine  große 
Zahl  von  Schweinen  angeeignet,  und  die  große  Masse  der  minderbe- 
mittelten Verbraucher  würde  unversorgt  geblieben  sein,  ja  der  Heeres- 
bedarf konnte  womöglich  gefährdet  werden.  Eine  solche  Art  der 
Selbstversorgung,  bei  der  keinerlei  gemeinsame  persönliche  Tätigkeit 
geleistet  wird,  widerspricht  dem  Sinne  der  Kriegszeit  und  ist  Vorboten. 
Wichtig  ist  ferner  die  Bokatmtraachung  zur  Vereinfachung  der  Be- 
köstigung vom  31,  Mai  1916  (RGBl.  S.  433),  durch  die  eine  starke 
Beschränkung  der  Mahlzeilen  in  den  Gastwirtschaften  angeordnet  wurde. 
Der  Inhalt  dieser  Vorschriften  ist  im  I.  Teile  bereits  mitgeteilt  worden 
(vgl.  diese  „Jahrbücher",  IIL  F.  53.  Bd.  S.  88).  Und  endlich  kam  die 
Kontingentierufig  des  Fleischverbrauchs  durch  Einführung  der  Reichs- 
fi eise h karte  gemäß  der  Verordnung  über  die  Regelung  dos  Fleisch- 
verbrauchs vom  21.  August  1916  (RGBl.  S.  941),  die  bestimmt,  daß 
Fleisch  und  Fleischwaren,  deren  Begriffe  durch  die  Vorschriften  der 
Verordnung  besonders  festgelegt  sind,  entgeltlich  oder  unentgeltlich  an 
Verbraucher  nur  gegen  Fleischkarte  abgegeben  und  von  Verbrauchern 
nur  gegen  Fleischkarte  bezogen  werden  dürfen,  was  auch  für  Gast-, 
Schank-  und  Speisewirtschaften  und  sonstige  Anstalten  gilt. 

Die  Fleischkarte  gilt  im  ganzen  Reiche.  Sie  besteht  aus  einer 
Stammkarte  und  mehreren  Abschnitten  (Fleischmarken).  Die  Abschnitte 
sind  gültig  nur  im  Zusammenhange  mit  der  Stammkarte.  Der  Bezugs- 
berechtigte oder  der  Haushaltungsvorstand  hat  auf  der  Stammkarte 
«einen  Namen  einzutragen.  Die  Uebertragung  der  Stammkarte  wie  der 
Abschnitte  auf  andere  Personen  ist  verboten,  soweit  es  sich  nicht  um 
solche  Personen  handelt,  die  demselben  Haushalt  angehören  oder  in 
ihm  dauernd  oder  vorübergehend  verpflegt  werden.  Das  Kriegsernäh- 
rungsamt erläßt  nähere  Bestimmungen  über  die  Ausgestaltung  der 
Fleischkarte,  was  geschehen  ist  in  der  Bekanntmachung  über  die  Aus- 
gestaltung der  Fleischkarte  und  die  Festsetzung  der  Verbrauchshöchst- 
menge an  Fleisch  und  Fleischwaren  vom  21.  August  1916  (RGBl. 
8.  945),  die  eine  Stammvollkarte  mit  dem  Aufdruck  Reichsfleischkarte 
und  40  umgebenden  Abschnitten  zu  je  ^\q  Anteil  neben  der  Kiiider- 
karte  einführte.  Das  Kriegsernährungsarat  setzt  fest,  welche  Höchst- 
menge an  Fleisch  und  Fleischwaren  auf  die  Fleischkarte  bezogen  werden 
darf  und  mit  welchem  Gewichte  die  einzelnen  Arten  von  Fleisch  und 
Fleischwaren  auf  die  Hochstmongo  anzurechnen  sind.  Hierbei  ist  auf 
eine  entsprechende  geringere  Bewertung  des  Wildes,  der  Hühner  und 
der  Eingeweide  Bedacht  zu  nehmen.  Dazu  die  Bestimmungen  der  er- 
Jahrb.  f  Nationalök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dmte  Folge  Bd.  64).  45 


«^Qß  Hiszellen. 

wähnten  Bekanntmachung:  Die  Höchstmenge  an  Fleisch  und  Fleisch- 
waren,  die  wöcheutlich  auf  die  Fioischkarte  entnommen  werden  darf, 
wird  bis  auf  weiteres  auf  250  g  Schlachtviohfleisch  mit  eingewachsenen 
Knochen  festgesetzt.  An  Stelle  von  je  25  g  Schlachtviehfleisch  mit 
eingewachsenen  Knochen  können  entnommen  werden  20  g  Schlachtvieh- 
fleisch  ohne  Knochen,  Schinken,  Dauerwurst,  Zunge,  Speck,  Rohfeti 
oder  50  g  Wildbret,  Frischwurst,  Eingeweide,  Fleischkonserven  ein- 
schließlich des  Dosengewichts.  Hühner  (Hähne  und  Hennen)  sind  mit 
einem  Durchschnittsgewichte  von  400  g,  junge  Hähne  bis  zu  ^2  Jahr 
mit  einem  Durchschnittsgewichte  von  200  g  auf  die  Fleischkarte  ein- 
zurechnen. 

Wenn  im  Bezirk  eines  Kommunalverbandes  die  Nachfrage  aus  den 
verfügbaren  Fleischbeständen  voraussichtlich  nicht  gedeckt  werden  kann, 
hat   der  Kommunalverband   die   jeweilig   festgesetzte  Höchstmenge  ent- 
sprechend herabzusetzen  oder  durch  andere  Maßnahmen  für  eine  gleich- 
mäßige   Beschränkung   im    Bezüge    von  Fleisch   und  Fleischwaren    oder 
einzelner  Arten  davon  zu  sorgen.     Jede  Person  erhält  für  je  4  Wochen 
eine  Fioischkarte.    Kinder  erhalten  bis  zum  Beginne  des  Kalenderjahrs, 
in  dem  sie  das  6.  Lebensjahr  vollenden,  nur  die  Hälfte  der  festgesetzten 
Wochenmenge.     Auf    Antrag    des    Bezugsberechtigten    kann    der    Kom- 
munalverband an  Stelle  der  Fleischkarte  Bezugsscheine  auf  andere  ihm 
lur  Verfügung  stehende  Lebensmittel  ausgeben.    Die  Kommunalverbände 
haben   die  Zuteilung    von  Fleisch  und  Fleischwaaren  an  Schlächtereien 
(Fleischereien,  Metzgereien),  Gastwirtschaften  und  sonstige  Betriebe,  in 
denen    Fleisch    und    Fleischwaren    gewerbsmäßig    an    Verbraucher    ab- 
gegeben   werden,    zu  regeln.     Sie  haben  durch  Einführung  von  Bezuga- 
scheiuen   oder   auf   andere  Weise   für   eine    ausreichende  üeberwachung 
dieser  Betriebe  zu  sorgen.     Die  Verbrauchsregelung  erstreckt  sich  auch 
auf    die    Selbstversorger.     Als    Selbstversorger    gilt,    wer   durch    Haus- 
schlachtung  oder   durch  Ausübung   der  Jagd  Fleisch  und  Fleischwaren 
zum  Verbrauch   im   eigenen  Haushalt  gewinnt.     Mehrere  Personen,    die 
für  den  eigenen  Verbrauch   gemeinsam  Schweine  mästen,    werden  eben- 
falls   als  Selbstversorger   angesehen.     Als  Selbstversor<i:er   können    vom 
Kommunalverbande   ferner   anerkannt   werden  Krankenhäuser   und  ähn- 
liche   Anstalten,    die    Schweine    ausschließlich   zur  Versorgung   der   von 
ihnen    zu    verköstigenden    Personen,    sowie    gewerbliche    Betriebe,    die 
Schweine  ausschließlich  zur  Versorgung  ihrer  Angestellten  und  Arbeiter 
mästen.     Selbstversorcrer    bedürfen  zur  Hausschlachtunor  von  Schweinen 
und    von  Rindvieh,   mit  Ausnahme    von  Kälbern  bis   zu  6  Wochen,  der 
Genehmigung    des    Kommunalverbandes.      Die    Genehmigung    hat    zur 
Voraussetzung,    daß    der  Selbstversorger   das  Tier   in   seiner  Wirtschaft 
mindestens    6    Wochen    gehalten    hat.     Die    Genehmigung   ist   nicht   zu 
erteilen,  wenn  durch  die  Hausschlachtung  der  Fleischvorrat  des  Selbst- 
versorgers   die    ihm    zustehende  Fh^ischmenge    so   erheblich  übersteigen 
würde,  daß  ein  Verderben  der  Vorräte  zu  befürchten  ist.     Hausschlaeh- 
tungen  von  Kälbern  bis  zu  6  Wochen,    von  Schafen  und  Hühnern    sind 
dem  Kommunalverband  anzuzeigen.     Die  Landeszentralbehörden  können 
Jiuch   diese   Hausschlachtungen   von  der  Genehmigung   des   Kommunal- 


Miszellen.  707 

Terbandes  abhängig  machen.  Die  Verwendung  von  Wildbret  im  eigenen 
Hauähalt  sowie  die  Abgabe  an  andere  sind  dem  Kommunal  verband  an- 
£uzeigen.  Die  Selbstversorger  können  das  aus  Hausschlachtungen  oder 
durch  Ausübung  der  Jagd  gewonnene  Fleisch  in  der  unter  Zugrundelegung 
der  vorangegangenen  Verordnung  festgesetzten  Höchstmenge  zum  Ver- 
brauch im  eigenen  Haushalt  verwenden.  Zum  Haushalt  gehören  auch 
die  Wirtschaftsangehörigen  einschließlich  des  Gesindes,  sowie  ferner 
Naturalberechtigte,  insbesondere  Altenteiler  und  Arbeiter,  soweit  sie 
kraft  ihrer  Berechtigung  oder  als  Lohn  Fleisch  zu  beanspruchen  haben. 
Erfolgt  die  Verwendung  dos  Fleisches  gemäß  der  vorangegangenen  Vor- 
«chrii'ten  innerhalb  des  Zeitraums,  für  den  der  Selbstversorger  bereits 
Fleischkarten  erhalten  hat,  so  hat  er  eine  entsprechende  Anzahl  Fleisch- 
karten nach  näherer  Regelung  des  Kommunalverbandes  diesem  zurück- 
zugeben. Erstreckt  sich  die  Verwendung  über  diesen  Zeitraum  hinaus, 
80  hat  der  Selbstversorger  außerdem  bei  Ausgabe  neuer  Fleischkarten 
anzugeben,  innerhalb  welcher  Zeit  er  die  Fleischvorräte  verwenden  will. 
Für  diese  Zeit  erhält  er  nur  so  viele  Fleischkarten,  als  ihm  nach  Ab- 
ÄUg  der  Vorräte  noch  zustehen.  Hierbei  werden  das  Schlachtviehlleisch 
mit  drei  Fünfteilen  des  Schlachtgewichts  ^),  Wildbret  und  Hühner  weniger, 
entsprechend  der  geringeren  Bewertung  des  Wildes  und  der  Hühner  für 
die  Fleischkarte,  angerechnet.  Selbstversorgern,  die  ihren  Bedarf  an 
Schweinefleisch  durch  Hausschlachtung  decken,  wird  bei  dem  ersten 
Schweine,  das  sie  innerhalb  eines  jeden  Jahres,  gerechnet  vom  Inkraft- 
treten dieser  Verordnung  ab,  schlachten,  das  Schlachtgewicht  nur  zur 
Hilfte  angerechnet.  Das  Schlachtgewicht  ist  amtlich  festzustellen. 
Fleisch,  das  aus  Notschlachtungen  anfällt,  unterliegt  nicht  der  Ver- 
brauchsregelung, wenn  es  bei  der  Fleischbeschau  für  minderwertig  oder 
nur  bedingt  tauglich  erklärt  wird.  Fleisch,  das  ohne  Beschränkung 
für  den  menschlichen  Genuß  tauglich  befunden  wird,  unterliegt  der 
Verbrauchsregelung;  dem  Selbstversorger  ist  es  anzurechnen.  Die 
Landeszentralbehörden  oder  die  von  ihnen  bestimmten  Behörden  können 
anordnen,  daß  Fleisch  und  Fleischvvaren,  mit  Ausnahme  von  Wild  und 
Hühnern,  aus  einem  Kommunalverband  oder  größeren  Bezirke  nur  mit 
behördlicher  Genehmigung  ausgeführt  werden  dürfen.  Die  Landes- 
»entralbehörden  oder  die  von  ihnen  bestimmten  Behörden  erlassen  die 
£ur  Ausführung  dieser  Verordnung  erforderlichen  Bestimmungen.  Sie 
bestimmen,  welcher  Verband  als  Kommunalverband  gilt. 

Ueber  die  Anrechnung  der  Floischkarte  auf  die  Hausschlachtungen 
äußern  sich  einige  Stimmen  im  „Tag"  ''^),  die  einmal  nachzuweisen  ver- 
suchen, daß  es  nicht  zweckmäßig  ist,  daß  die  Hausschlachtungen  den 
Selbstversorgern  nur  zur  Hälfte  bzw.  drei  Fünfteln  angerechnet  werden, 
sondern  voll  ang^erechnet  werden  müßten,  der  Mäster  eines  Schweines 
also  gar  keine  Bevorzugung  vor  den  anderen  Verbrauchern  haben  dürfte, 
das  andere  Mal  meinen,    die  Fleischverordnung   vom   21.   August  1916 


1)  Die  Verrechnung  der  Selbstversorger- Verbrauchamenge  erfolgt  nach  der  Formel 
Vs  X  =  250,  wobei  X  das  auf  die  Karte  entfallende  Schlachtgewicht  darstellt  (S.  64 
Heft  17  — 19  der  Beiträge  zur  Kriegswirtschaft). 

2)  Nr.  211  Yom  8.  Scpiember  191(3;  Nr.  222  vom  21.  September  1916. 

45* 


708  Hiscellen. 

gehe  eher  zu  weit,  als  daß  sie  nicht  weit  genug  gehe.  Donn  es  stehl 
zu  befürchten,  daß  dadurch,  daß  die  Solbstveröorgcr  sich  nicht  nach 
ihrem  Ermessen  mit  Fleisch  versorgen  dürfen,  sondern  daß  ihnen  das 
halbe  Schwein  auf  ihre  Fleischkarte  angerechnet  wird,  es  dahin  kommt, 
daß  unsere  Schweinehaltungen  abnehmen  werden,  daß  daher  die  Ver- 
sorgung unserer  Bevölkerung  mit  Fleisch  und  Fett  immer  mehr  in 
Frage  gestellt  wird  und  sich  immer  mehr  vermindert,  und  zwar  ver- 
mindert durch  diese  doch  wohl  zu  weit  gehenden  Maßnahmen.  Dabei 
ist  aber  nicht  berücksichtigt,  daß  die  Schweinehaltungen,  welche  die 
Grundlage  unserer  Fleisch-  und  Fettversorgung  bilden,  nicht  im  gleichen 
Maße  behandelt  werden  dürfen,  wie  die,  welche  dad  Schwein  nur  zum  eige- 
nen Gebrauch  halten.  Für  diese  gehen  die  einschränkenden  Mußnahmen 
sicher  nicht  zu  weit,  wie  oben  in  Verbindung  mit  der  Aeußerung  des 
Kriegsernährungsamts  zum  Ausdruck  gebracht  worden  ist.  Diese  Selbst- 
versorger müssen  eher  noch  etwas  strenger  behandelt  werden.  Hin- 
sichtlich der  landwirtschaftlichen  Selbstversorger  mit  Vieh  in  großem 
umfange  zum  Weitervertrieb  erscheint  die  dargelegte  Anregung  dagegen 
beachtenswert. 

Am  29.  November  1917  ist  noch  die  Verordnung  über  die  Aus- 
gestaltung der  Fleischkarte  (RGBl.  S.  1086)  erlassen  worden,  welche  ein 
wesentlich  kleineres  Format  als  das  bisherige  für  die  Reichsfleischkarte 
infolge  des  Papiermangels  anordnet,  sonst  aber  die  Vorschriften  vom 
21.  August  1916  unberührt  läßt. 

Zu  diesen  grundlegenden  Bestimmungen  treten  noch  mehrere  Vor- 
schriften über  die  Einfuhr  von  Fleisch  und  einige  andere  allgemeiner 
Natur.  Die  Bekanntmachung  über  die  Einfuhr  von  Vieh  und  Fleisch 
sowie  Fleischwaren  vom  18.  März  1916  (RGBl.  S.  175)  mit  den  Aus- 
führungsbestimmungen dazu  vom  22.  März  1916  (RGBl.  S.  179),  die 
am  18.  Juni  1916  (RGBl.  S.  530)  und  am  21.  August  1916  (RGBl. 
8.  940)  unwesentliche  Abänderungen  erfuhren,  ordnet  an,  daß  Rindvieh, 
Schafe  und  Schweine,  ferner  frisches  und  zubereitetes  Fleisch  von 
diesen  Tieren  sowie  Fleisch  waren  aller  Art,  insbesondere  auch  Speck, 
die  aus  dem  Auslande  eingeführt  weiden,  nur  durch  die  Zentralein- 
kaufsgesellschaft m.  b.  H.  in  Berlin  oder  mit  ihrer  Genehmigung  in 
den  Verkehr  gebracht  werden  dürfen,  und  setzt  die  weiteren  Vorschriften 
hierfür,  insbesondere  hinsichtlich  der  Preise,  fest.  Nur  geringfügige 
Mengen  zum  Reiseverbrauch  oder  eingeführte  Mengen  von  höchstens 
2  kg  im  Grenzverkehr  sind  diesen  Vorschriften  nicht  unterworfen.  Da- 
mit ist  gegen  das  Vorjahr  auch  wieder  eine  Verschärfung  der  Be- 
stimmungen eingetreten,  denn  1915  hatten  wir  eine  solche  Bekannt- 
machung noch  nicht.  Für  die  Zeutraleinkaufsgesellschaft  wurden  nur 
Auslands-Getreide,  -Hülsenfrüchte,  -Mehl  und  -Futtermittel  beschlag- 
nahmt gemäß  Bekanntmachung  vom  11.  September  1915  (RGBl.  S.  569), 
worauf  schon  im  II.  Teil  in  diesen  „Jahrbüchern"  (III.  F.  53.  Bd.  S.  746) 
hingewiesen  ist.  Eine  andere  Bekanntmachung  vom  8.  Juni  1916  (RGBl. 
S.  447)  ordnet  an,  daß  bei  Aufbringung  des  Fleisclibedarfs  nach  der 
Verordnung  vom  27.  März  1916  (RGBl.  S.  199)  Kühe,  die  vorzugsweise 
zur  Milcherzeugung  geeignet  sind,  nicht  zur  Schlachtung  kommen  dürfen. 


Hiszellen.  709 

Auf  diese  Verordnung  über  vorläufige  Maßnahmen  auf  dem  Gebiete  der 
Fettveisorgung  wird  noch  eingegangen  werden.  üeber  gesundheita- 
Bchadliche  und  täuschende  Zusätze  zu  Fleisch  und  dessen  Zubereitungen 
handelt  die  Bekanntmachung  vom  14.  Dezember  1916  (RGBl.  S.  1359) 
als  kurze  Ergänzung  zu  den  Bekanntmachungen  vom  18.  Februar  1902 
(BGBl.  S.  48)  und  vom  4.  Juli  1908  (RGBl.  S.  470)  auf  Grund  des  §  21 
des  Schlachtvieh-  und  Fleischbeschaugesetzes  vom  3.  Juni  1900  (RGBl. 
S.  547).  Die  §§  172,  173  der  Ausführungsvorschriften  des  Bundes- 
rats zum  Viehseuchengesetze  vom  7.  Dezember  1911  (RGBl,  von  1912, 
S.  3)  werden  auf  die  Dauer  des  gegenwärtigen  Krieges  für  ansteckungs- 
verdächtige Tiere,  die  mittels  Militärtransports  unmittelbar  in  ein  mili- 
tärisches Depot  oder  zur  Truppe  überführt  werden  sollen,  unter  nach- 
stehenden Bedingungen  außer  Kraft  gesetzt:  1)  Die  Tiere  sind  von 
Viehbeständen,  die  nicht  zur  Verpflegung  des  Heeres  und  der  Marine 
bestimmt  sind,  abgesondert  zu  halten  und  nach  Möglichkeit  alsbald  ab- 
zuschlachten; 2)  eine  längere  Aufstauung  der  Tiere  ist  nur  zulässig  bei 
dauernder  tierärztlicher  Beaufsichtigung  und  an  Orten,  an  denen  eine 
Berührung  des  Viehes  mit  Viehbeständen,  die  nicht  zur  Verpflegurg  des 
Heeres  und  der  Marine  bestimmt  sind,  ausgeschlossen  ist.  (Bekannt- 
machung, betreffend  vorübergehende  Abänderung  der  Ausführungsvor- 
schriften des  Bundesrats  zum  Viehseuchengesetze,  vom  4.  Februar  1915 
—  RGBl.  S.  62.)  Auf  diese  Anordnung  ist  in  diesem  Zusammen- 
hange zur  Vollständigkeit  hinzuweisen,  was  auch  für  die  Bekanntmachung 
über  die  Verwertung  von  Ticikörpern  und  Schlachtabfällen  vom  29.  Juni 
1916  (RGBl.  S.  631)  gilt,  die  bestimmt:  Die  in  größeren  Abdeckereien 
anfallenden  Tierkörpcr  und  Tierkörperteile  und  die  in  größeren  Schlachi- 
betrieben  an'allenden,  zum  menschliehen  Genüsse  nicht  verwendbaren 
Schlachtab  alle  und  als  genußuntauglich  bezeichneten  Tierkörper  und 
Tierkörperteile  sind  auf  Futtermittel  und  Fette  zu  verarbeiten.  Die  zu 
verarbeitenden  Stoffe  dürfen  aus  den  voibezeichneten  Betrieben  nur  zum 
Zwecke  der  Verarbeitung  entfernt  werden.  Die  Verarbeitung  liegt  den 
Besitzern  der  Betriebe  oder  deren  Beauftragten  ob.  Als  größere  Schlacht- 
häuser und  Schlachtbetriebe  im  Sinne  dieser  Verordnung  gelten  solche 
Betriebe,  die  im  Jahre  1915  mehr  als  2400  Stück  Großvieh  geschlachtet 
haben;  als  giößere  Abdeckereien  solche,  deren  Anfall  im  Jahre  1915 
mehr  als  150  Stück  Großvieh  betragen  hat.  Einem  Stück  Großvieh 
stehen  8  Stück  Kleinvieh  (Fohlen,  Kälber,  Schweine,  Schafe,  Ziegen) 
gleich. 

Die  durch  die  Bekanntmachungen  vom  4.  und  29.  November  1915 
(BGBl.  S.  725  u.  788)  festgesetzten  Höchstpreise  für  Schweine,  die  oben 
bereits  mitgeteilt  sind  (S.  700),  behielten  bis  Anfang  1916  Geltung. 
Die  Bekanntmachung  zur  Regelung  der  Preise  für  Schlachtschweine  und 
für  Schweinefleisch  vom  14.  Februar  1916  (RGBl.  S.  99)  unterscheidet 
nunmehr  9  Preisgebiete,  für  welche  die  Höclistpreise  nach  5  Gewichts- 
stufen für  Schweine  und  nach  3  Gewichtsstufen  für  fette  (früher  zur 
Zucht  benutzte)  Sauen  und  Eber  festgesetzt  sind.  Sie  bewegen  sich 
zwischen  den  Sätzen  von  63  (von  60  hg  und  darunter),  68  (60 — 70  kg) 
73  (70-80  kg),  83  (80—90  kg),  93  (90—100  kg)  und  entsprechend  80 


•j-jl^O  MiBzellen. 

85,  90,  100,  110  M.  für  50  kg  Lebendgewicht  beim  Verkaufe  von  Schlacht- 
schweinen  —  der  Verkauf  von  Schiachtechweinen  darf  nur  nach  I  ebend- 
gewicht  erfolgen  —  sowie  78  (von  120  kg  und  darunter),  98  (120—150  kg), 
103  (über  150  kg)  und  entsprechend  95,  115,  120  M.  in  gleicher  Weise 
für  Sauen  und  Eber.  Die  Preise  für  den  Verkauf  durch  den  Viehhalter 
auf  dem  Markte  sowie  für  den  Handel  werden  durch  die  Landeszentral- 
behörden oder  die  von  ihnen  bestimmten  Stellen  geregelt.  Weiter  ist 
angeordnet,  daß  die  Gemeinden  Höchstpreise  bei  der  Abgabe  an  den 
Verbraucher  für  die  einzelnen  Sorten  (Stücke)  des  frischen  (rohen) 
Schweinefleisches,  für  zubereitetes,  insbesondere  gepökeltes  oder  ge- 
räuchertes Schweinefleisch,  für  frisches  (rohes)  und  für  ausgelassenes 
Schweinefett,  für  gesalzenen  und  geräucherten  Speck  sowie  für  Wurst- 
waren festsetzen  und  bestimmen,  wieviel  mindestens  vom  Schlacht- 
gewichte des  Schweines  oder  welche  Teile  bei  gewerblichen  Schlachtungea 
frisch  verkauft  werden  müssen.  An  Stelle  der  Gemeinden  sind  die  Kom- 
munalverbände befugt  und  auf  Anordnung  der  Landeszentralbehörden 
verpflichtet,  diese  Festsetzungen  und  Bestimmungen  zu  treffen.  Schließ- 
lich kann  die  Abgabe  von  Fleisch  aus  Hausschlachtungen  an  Dritte 
gegen  Entgelt  beschränkt  oder  verboten  werden,  was  auch  für  die  ge- 
werblichen Schlachtungen  von  Schweinen  außerhalb  der  öffentlichen 
Schlachthäuser  gilt.  Ausgenommen  von  diesen  Vorschriften  sind 
Schweine  oder  Schweinefleischwaren,  die  aus  dem  Ausland  eingeführt 
worden  sind. 

Die  Herstellung  der  Fleischkonserven  wurde  auch  1916  weiter 
beschränkt  durch  die  Bekanntmachung  über  die  Beschränkung  der  Her- 
stellung von  Fleischkonserven  und  Wurstwaren  vom  31.  Januar  1916 
(RGBl.  S.  75),  die  einmal  die  gewerbsmäßige  Herstellung  von  Kon- 
serven aus  Fleisch  —  als  solches  gilt  im  Sinne  der  Verordnung  Rind-, 
Kalb-,  Schaf-,  Schweinefleisch,  sowie  Fleisch  von  Geflügel  und  Wild 
aller  Art,  Wurstwaren  und  Speck  —  oder  unter  Zusatz  von  Fleisch, 
die  durch  Erhitzung  haltbar  gemacht  sind,  verbietet  und  dann  anordnet, 
daß  zur  gewerbsmäßigen  Herstellung  von  Wurstwaren  nicht  mehr  als 
ein  Drittel  des  Gewichts  ausgeschlachteter  Rinder,  Schweine  und  Schafe 
verarbeitet  werden  darf.  Für  gewerbliche  Betriebe,  die  fabrikmäßig 
Wurstwaren  herstellen,  wird  bestimmt,  daß  monatlich  nicht  mehr  als 
ein  Drittel  derjenigen  Fleischmenge  zu  Wurstwaren  verarbeitet  wird, 
die  sie  im  Monatsdurchschnitte  der  Zeit  vom  1.  Oktober  bis  31.  De- 
zember 1915  verarbeitet  haben.  Für  Fleischkonserven  gelten  auch  die 
Vorschriften  der  bereits  in  anderem  Zusammenhange  erwähnten  Bekannt- 
machung über  Fleischversorgung  vom  27.  März  1916  (RGBl.  S.  199). 
Endlich  ist  ausgesprochen  worden,  daß  die  Bestimmungen  der  Verord- 
nung über  die  äußere  Kennzeichnung  von  Waren  vom  18  Mai  1916 
(RGBl.  S.  380)  auch  Anwendung  finden  auf  Fleischkonserven  neben 
einer  ganzen  Reihe  anderer  Nahrungsmittel  —  Bekanntmachung  über 
die  äußere  Kennzeichnung  von  Waren  vom  26.  Mai  1916  (RGBl.  S.  422) 
mit  einer  kurzen  Abänderung  vom  11.  Juni  1916  (RGBl.  S.  505).  Die 
durch    Bekanntmachung   vom    22.  Mai    1916    (RGBl.  S.  397)   über    den 


Missellen.  711 

Verkehr  mit  Fleisch  waren  angeordnete  Bestandsaufnahme  von  Fleisch- 
waren am  25.  Mai  1916  erfaßt  neben  den  Räucherwaren  von  Fleisch, 
Dauerwürsten  aller  Art  und  geräuchertem  Speck  auch  Fleischkonserven, 
deren  Vorräte  bis  5.  Juni  1916  dem  Kommunalverbande  des  Lagerorts, 
und,  soweit  es  sich  um  Mengen  über  2000  kg  handelt,  der  Reichs- 
fleischstelle anzumelden  waren. 

Infolge  des  Mangels  an  Fleischextrakt  herrschen  schon  seit 
l&ngerer  Zeit  im  Verkehr  mit  Fleischextrakt  und  insbesondere  im  Ver- 
kehr mit  fleischextrakthaltigen  Zubereitungen  große  Mißstände.  Soweit 
es  sich  um  verfälschten  und  nachgemachten  Fleischextrakt  handelt, 
bieten  §§  10  und  11  des  Nahrungsmitteigesetzes  vom  14.  Mai  1879  und  die 
Bekanntmachung  vom  21.  Mai/11.  Juni  1916  ausreichende  Unterlagen 
zur  Bekämpfung  dieser  Mißstände.  Anders  hingegen  verhält  es  sich 
mit  den  sogenannten  Bouillonwürfeln  und  deren  Ersatzmitteln,  weil  bis- 
her Bestimmungen  über  die  Beschaffenheit  derartiger  Erzeugnisse  nicht 
erlassen  sind  und  das  Nahrungsmittelgesetz  und  die  beiden  angeführten 
Bekanntmachungen  nach  dieser  Richtung  in  der  Regel  versagen.  In- 
folge des  Mangels  an  Fleischextrakt  hat  sich  zudem  der  Begriff  der 
Normal  wäre  während  des  Krieges  immer  mehr  verschoben,  was  zu 
Täuschungen  der  Bevölkerung  mit  unreellen  Ersatzmitteln  führt.  Hinzu 
kommt,  daß  seit  mehreren  Monaten  der  inländische  Markt  mit  dänischen 
Fleischbrüh-  und  Fleischbrühersatzwürfeln  überschwemmt  wird  und  es 
sich  hierbei  zum  größten  Teil  um  nachgemachte,  grob  verfälschte  oder 
jedenfalls  so  minderwertige  Erzeugnisse  handelt,  daß  sie  —  vom  Preise 
ganz  abgesehen  —  überhaupt  keine  Daseinsberechtigung  haben. 

Auf  Grund  dieser  Erwägung  ist  auf  Anregung  des  preußischen 
Ministers  des  Innern  und  im  Einvernehmen  mit  dem  Kaiserlichen  Ge- 
sundheitsamt vom  Bundesrate  die  Verordnung  über  Fleischbrühwürfel 
und  deren  Ersatzmittel  vom  25.  Oktober  1917  (RGBl.  S.  969)  erlassen 
worden,  die  die  Mindestanforderungen  an  Fleischbrühwürfel  u.  dgl.  fest- 
setzt, wobei  sie  die  sogenannten  Nürnberger  Beschlüsse  des  Bundes 
deutscher  Nahrungsmittelfabrikanten  und  -händler  vom  29.  Mai  1916 
zur  Grundlage  nimmt.  Die  Mindestanforderungen  sind  den  Kriegs- 
verhältnissen angepaßt.  Für  die  Praxis  haben  sie  besondere  Bedeutung, 
weil  auf  dieser  Grundlage  der  Begriff  des  noch  zulässigen  Ersatzes  ge- 
nau festgestellt  worden  ist.  Diese  Vorschriften  ermöglichen  dem  red- 
lichen Handel  die  bisherige  Erzeugung,  während  sie  die  Verbraucher 
vor  minderwertigen  und  meist  zu  übermäßigen  Preisen  vertriebenen 
Herstellungen  schützen. 

Die  Bestimmungen  des  Jahres  1917  erstrecken  sich  in  zeitlicher 
Reihenfolge  zunächst  auf  die  Vornahme  von  Viehzählungen,  worauf  wir 
noch  zu  sprechen  kommen,  dann  auf  den  Verkehr  mit  Knochen,  Knochen- 
erzeugnissen usw.  vom  15.  Februar  1917  (RGBl.  S.  137)  mit  Aus- 
führungsbestimmungen vom  16  Februar  1917  (RGBl.  S.  140)  an  Stelle  der 
früheren  „Knochen"verordnungen  aus  1916  (13.  April,  25.  Mai,  5.  Oktober 
a.  17.  November,  RGBl.  S.  276,  409,  1128,  1129  und  1283)  -  (Knochen 
dürfen   nicht   verbrannt,    vergraben   oder   auf   andere  Weise    vernichtet, 


712  Miszellen. 

noch  zu  Dünge-  oder  Futterzwecken  verwendet  werden;  sie  sind  vielr 
mehr  getrennt  von  anderen  Abfällen  aufzubewahren.  Die  Verfütterung 
an  Hunde  und  an  Geflügel  in  der  eigenen  Wirtschaft  bleibt  gcstattel. 
Soweit  die  Knochen  der  Verarbeitung  nicht  schon  auf  andere  Weise, 
'  insbesondere  durch  Abgabe  an  Händler  oder  Sanomler,  zugeführt  werden, 
sind  sie  an  die  von  der  zuständigen  Behörde  bezeichneten  Stellen  so 
den  von  ihr  festgesetzten  Bedingungen  abzuliefern.  Für  Knochen,  die 
in  Haushaltungen  abfallen,  gelten  vorstehende  Bestimmungen  nur,  wenn 
die  zuständigen  Behörden  es  anordnen.  Die  Anordnung  hat  zu  erfolgen, 
wenn  eine  regelmäßige  Abholung  der  Abfälle  stattfindet.  Verdorbene 
Fleischwaren  soll  der  Kriegsausschuß  für  pflanzliche  und  tierische  Oele 
und  Fette  erhalten.  Knochen  im  Sinne  dieser  Verordnung  sind  tierische 
Knochen  jeder  Art,  Hornschläuche  (Hornzapfen)  sowie  die  Füße  voä 
Rindern  und  Pferden,  wozu  unterm  3.  Mai  1917  (RGBl.  S.  395)  er- 
gänzend bestimmt  wurde:  Gastwirtschaften,  Speiseaustalten,  Schlacht- 
höfe, Darmschloimereien,  Metzgereien,  Wurstfabriken,  Konservenfabriken, 
Krankenhäuser,  Lazarette  und  ähnliche  Betriebe,  bei  denen  eine  größere 
Fettausbeute  aus  Abwässern  zu  erwarten  steht,  sind  verpflichtet,  auf 
Anordnung  der  zuständigen  Behörde  zur  Rückgewinnung  der  in  den 
Abwässern  enthaltenen  Fette  entweder  Fettabscheider  auf  ihre  Kosten 
aufzustellen  oder  deren  Aufstellung  durch  die  von  der  Behörde  beauf- 
tragten Stellen  unter  den  von  der  Behörde  näher  festgestellten  Be- 
dingungen zu  gestatten.  Diese  Bestimmungen  finden  auf  Anstalten  und 
Betriebe  der  Heeresverwaltungen  keine  Anwendung)  —  und  auf  Lab- 
mägen von  Kälbern  (Bekanntmachung  vom  1.  März  1917,  RGBl.  S.  195), 
die  vom  4.  März  1917  ab  nur  mit  Erlaubnis  des  Kriegsausschusses  für 
pflanzliche  und  tierische  Oele  und  Fette  abgesetzt  werden  durften. 
Am  19.  März  1917  kamen  neue  Höchstpreise  für  Schlachtsch weine,  ge- 
mäß der  Verordnung  über  die  Preise  der  landwirtschaftlichen  Erzeug- 
nisse aus  der  Ernte  1917,  und  für  Schlachtvieh  vom  19.  März  1917 
(RGBl.  S.  243) :  Beim  Verkaufe  von  Schlachtschweinen  durch  den  Vieh- 
halter beträgt  der  Preis  für  50  kg  Lebendgewicht  vom  1.  Mai  1917  ab 
bis  auf  weiteres  bei  Schweinen  im  Lebendgewichte  von: 

bis  zu  CO  kg  53—  6i  M. 

u».cr  f)0  bis  70  kg  57—65  „ 

übir  70  bis  85  kg  67—75  » 

über  85—300  kg  72-80  „ 

Der  Präsident  des  Kriegsernährungsamts  bestimmt,  welcher  Preis  inner- 
halb dieser  Grenzen  in  den  verschiedenen  Teilen  des  Reiches  als  Höchst- 
preis zu  gelten  hat.  Er  setzt  die  Höchstpreise  für  Schweine  von  über 
100  kg  Lebendgewicht  und  für  fette  (früher  zur  Zucht  benutzte)  Sauen 
und  Eber  fest.  Die  Landeszentralbehörden  oder  die  von  ihnen  be- 
stimmten Stellen  können  mit  Zustimmung  des  Präsidenten  des  Kriegs- 
ernährungsamts Abweichungen  von  den  Preisen  für  ihren  Bezirk  oder 
Teile  ihres  Bezirkes  vorschreiben.  Maßgebend  ist  der  Höchstpreis  dea 
Bezirkes,  in  dem  sich  die  Ware  zur  Zeit  des  Vertragsabschlusses  befindet. 
Beim  Verkaufe  von  Schlachtrindern  durch  den  Viehhalter  darf  der  Preie 
für  50  kg  Lebendgewicht  vom  1.  Juli  1917  ab   nicht  übersteigen    bei ; 


Missellen.  71B 

1.  gfring  grnähiion  Bindern  einKhlicßlich  FrcPFern  (Klflpge  C)  55  M. 

2.  au^J.'^mä^1^i^n  oder  vollllciMliijün  Ochhon  und  Kühen  über 
7  Jstliic,  Bullen  über  5  Jtihrc  un»l  «ngeflcisthttn  Othhcn,  Küiien, 
Bullen  um!  Fäisrn  j'  dtn  Allers  (Klatbe  B)  im  Lebendgewichte  von 

bis  zu  5,5  Zentner  6o  „ 

über  5,5  bis  7  Zentner  68  „ 

„     7  bis  8,5  Zoniuer  72  „ 

„     8,5  bis  10  Zentner  76  „ 

„     10  bis  11,5  Zuniner  80  „ 

„     11,5  Zcntuer  85  „ 

3.  aufgrniäbteicn   oder   Tollfleifchigm  Ochsen    und  Ki'ihen    bis  zu 

7  Jtihren,  Bullen  bis  zu  5  Jubien  und  Päiscn  (Kla^ite  A)  90    „ 

Der  Präsident  des  KriegernähruDgsamts  erläßt  die  näheren  Bestinanaungen 
fiber  die  Preise;  er  bestimnat,  weiche  Nebenleistungen  in  den  Preisen 
einbegriffen  sind  und  welche  Vergütungen  für  Nebenleistungen  im  Höchst- 
falle gewährt  werden  dürfen  und  kann  Ausnahmen  zulassen.  Er  kann 
die  Preise,  soweit  dies  zur  Sicherung  rechtzeitiger  Ablieferung  erforderlich 
erscheint,  für  best  mmte  Zeiten  erhöhen  oder  herabsetzen,  und  kann 
besondere  Bestimmungen  über  die  Preise  für  den  Verkauf  zu  Saatzwecken 
oder  gegen  Bezugscheine  treffen.  Weitere  Ausführungen  dazu  enthält 
eine  Verordnung  über  die  Schlachtvieh-  und  Fleischpreise  bei  Schweinen 
und  Rindern  vom  5.  April  1917  (RGBl.  S.  319)  mit  gemeinsamen  Vor- 
schriften für  die  Vieh-  und  Fleischpreise  und  der  Preistabelle  für  9  Preis- 
gebiete einmal  mit  Preisen  bis  zum  30.  April  1917  für  Schweine  bis 
100  kg  einschließlich  und  dann  vom  1.  Mai  1917  ab  für  Schweine 
bis  zu  70,  70—85  und  über  85  kg  in  Höhe  von  93  bis  110,  bzw. 
57  bis  65  bzw.  67  bis  75  bzw.  72  bis  80  M.  für  Schlachtschweine. 
Diese  Verordnung  erhält  einen  unwesentlichen  Zusatz  in  der  Verordnung 
vom  18.  Mai  1917  (RGBl.  S.  632),  die  gleichzeitig  bestimmt,  daß  bei 
der  Abgabe  von  Fleisch  und  Fleischwaren  ausländischer  Herkunft  an 
die  Verbjaucher  die  für  inländisches  Fleisch  und  inländische  Fleisch- 
warcn  gleicher  Art  geltenden  Höchstpreise  nicht  überschritten  werden 
dürfen,  und  einen  weiteren,  nach  dem  bis  zum  30.  November  1917,  ein- 
echließlich  beim  Verkaufe  von  Schlachtschweinen  durch  den  Viehhalter 
der  Preis  für  50  kg  Lebendgewicht  die  aus  Spalte  2  unter  c  der 
Preistabelle  ersichtlichen  Preise  nicht  übersteigen  darf,  ohne  Rücksicht 
auf  das  Lebendgewicht  der  Tiere  (Bekanntmachung  vom  15.  September 
1917,  RGBl.  S.  837).  Diese  Höchstpreise  sind  weiter  bis  zum  15.  Januar 
1918  zugelassen.  Daneben  dürfen  bis  z  m  gleichen  Zeilpunkt  für  jedes 
£um  Vejkauf  gelangende  Schwein  das  mehr  als  15  und  nicht  mehr  als 
75  kg  Lebendgewicht  hat,  folgende  Beträge  (Stückzuschläge)  zuge- 
schlagen werden,  wenn  das  Lebendgewicht  des  Schweines  beträgt  mehr 
als  15  bis  einschließlich  30  kg  18  M.,  desgl.  30—45  kg  14  M.,  desgl. 
45-60  kg  10  M.,  desgl.  60—75  kg  6  M.  (Bekanntmachung  vom 
23.  November  1917  —  RGBl.  S.  1079.) 

Als  im  Apiil  1917  die  Brotration  gekürzt  werden  mußte  —  vgl. 
Teil  II,  III.  F.  53.  Bd.  S.  741  —  wurde  der  Bevölkerung  zum  Ausgleich 
eine  größere  Fleischmenge  bewilligt.  Die  Bekanntmachung  über  Zu- 
aatzfleischkarten  vom  15.  April  1917  (RGBl.  S.  .355)  führt  darüber 
folgendes  aus : 


rjl^^  Miszellen. 

Vom  16.  April  1917  an  bis  auf  weiteres  sind  neben  der  Reich»- 
fleischkarte  von  den  Kommunalverbänden  Zusatzfleisehkarten  auszugeben; 
die  Zusatzkarten  gelten  nur  in  dem  Bezirke  des  ausgebenden  Kommunal- 
verbandes. Die  Höchstmenge  an  Fleisch  und  Fleischwaren,  die  wöchent- 
lich auf  die  Zusatzfleischkarte  entnommen  werden  darf,  wird  auf  250  g 
Schlachtviehfleisch  mit  eingewachsenen  Knochen  festgesetzt.  Die  Vor^ 
Schriften  im  §  2  Abs.  2,  3  der  Bekanntmachung  über  die  Ausgestaltung 
der  Fleisckkarte  und  die  Festsetzung  der  Verbrauchshöchstmengo  an 
Fleisch  und  Fieischwaren  vom  21.  August  1916  (RGBl.  S.  945)  finden 
auch  auf  die  Zusatzfieischkarte  Anwendung.  Die  Kommunalverbfinde 
können  die  Geltung  der  Zusatzkarte  auf  bestimmte  Fleischerten  oder 
Fleischsorten  sowie  auf  de  Verwendung  zum  Ankauf  in  den  Fleischcrei- 
geschäften  oder  in  bestimmten  Fleischereigeschäften  beschränken.  Selbst- 
versorger erhalten  eine  Zusatzfieischkarte  nur,  soweit  sie  ihren  Fleisch- 
verbrauch nur  teilweise  durch  Selbstversorgung  decken  und  im  übrigen 
Fleischkarten  beziehen.  Durch  die  Zuteilung  von  Zusatzfleisehkarten 
an  Selbstversorger  darf  die  Gesamtverbrauchsmenge  von  500  g  für  dea 
Kopf  und  die  Woche,  für  Kinder  die  Hälfte  dieser  Wochenmenge,  nicht 
überschritten  werden. 

Diese  Fleischzulagen  konnten  zu  wesentlich  verbilligten  Preisen  ab- 
gegeben werden,  da  Reich  und  Staat  den  Kommunen  einen  erheblichen 
Zuschuß  zu  diesem  Zwecke  gewährten,  der  zusammen  70  Pf.  wöchentl  ch 
auf  den  Kopf  der  fleischversorgungsberechtigten  Bevölkerung  —  Kinder 
unter  6  Jahren  die  Hälfte  —  betrug.  So  war  es  möglich,  das  halbe 
Pfund  Fleischzulage  im  allgemeinen  schlechtweg  um  70  Pf.  billiger  als 
zum  üblichen  Preise  abzugeben.  Einzelne  Städte  haben  außerdem  weitere 
Ermäßigungen  aus  eigenen  Mitteln  gewährt.  Danach  stellten  sich  die 
Zusatzfleischpreise  das  Pfund  in  Pfennigen  bei  Rindfleisch  auf  70  bis  100, 
Schweinefleisch  40  bis  60,  Kalbfleisch  30,  Hammelfleisch  70;  Blut-  und 
Leberwurst  50  und  60,  Knack-  und  Zung^^nwurst  120,  Schlackwurst  160; 
stellenweise  gingen  die  Preise  bei  Rindfleisch  auf  50,  Schweinefleisch 
20,  Kalbfleisch  10,  Hammelfleisch  50  herunter.  Die  Verbilligung  war 
somit  ganz  wesentlich,  wenn  man  bedenkt,  daß  der  Höchstpreis  für 
Rindfleisch  das  Pfund  sich  zwischen  2,20  M.  und  2,50  M.,  Schweine- 
fleisch 1,90  M.  und  2,10  M.  bewegt  und  für  Kalbfleisch  1,80  M., 
Hammelfleisch  2,20  M.,  Blut-  und  Leberwurst  2,10  bzw.  2,20  M., 
Knack-  und  Zungenwurst  2,70  M.  und  Schlackwurst  3,10  M.  beträgt. 
Zur  Regelung  der  Abgabe  der  Fleischzulagen  an  die  Verbraucher  wurden 
besondere  kommunale  Fleischkarten  als  sogenannte  Fleischzusatzkarten 
neben  der  Reichsfleischkarte  ausgegeben,  um  den  Bezugsberechtigten 
nach  bestimmter  von  den  Gemeinden  getroffener  Auswahl  unter 
Zugrundelegung  ihrer  Einkommenshöhe  und  Familiengröße  Ausweise 
zum  Empfang  der  verbilligten  Fleischzulagen  zu  geben,  die  in  der 
Hauptsache  für  die  ärmere  Bevölkerung  und  den  Mittelstand  bestimmt 
waren. 

Der  Wegfall  der  Zusatzfleisehkarten  wurde  am  22.  Juli  1917  (RGBl. 
S.  641)  angeordnet:  Spätestens  mit  Ende  der  17.  Woche  der  Fleisch- 
verbilligung   dürfen    neben    der    Reichsfleischkarte    Zusatzfleisehkarten 


Miszellen.  7j[5 

nicht  mehr  ausgegeben  werden.  Also  volle  17  Wochen,  über  4  Monate, 
hat  die  Abgabe  des  verbilligten  Fleischzusatzes  gedauert.  Es  ist  nur 
dem  ausgezeichneten  Zustande  unserer  Viehwirtschaft  zu  danken,  daß 
sie  zu  einer  Zeit,  als  die  Getreidevorräte  sich  ihrem  Ende  zuneigten 
«nd  auch  die  Kartoffeln,  da  sie  in  den  Mieten  durch  den  ungewöhnlich 
laugen  und  scharfen  Frost  in  diesem  Jahre  sehr  gelitten  hatten,  nicht 
in  vollem  Umfange  herangezogen  werden  konnten,  in  der  Lage  war, 
auf  das  Fleisch  zum  Ausgleich  zurückzugreifen.  Da  inzwischen  aber 
die  neue  Ernte  ihre  Erzeugnisse  bereitgestellt  hat,  tritt  das  Brot  wieder 
an  seine  alte  Stelle  als  Hauptnahrungsmittel  und  die  Bationen  für  Mehl 
und  Fleisch  sind  wieder  auf  die  Höhe  der  vor  dem  17.  April  geltenden 
Sätze  gebracht  worden,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  von  Mitte 
August  bis  auf  weiteres  vorläufig  220  g  Mehl  pro  Kopf  und  Tag 
festgesetzt  sind,  also  die  ursprüngliche  Bation.  Wenn  dann  nach 
diesem  Zeitpunkt  das  Ergebnis  der  Brotgetreide-  und  Kartoffelernte 
feststeht,  wird  es  sich  entscheiden,  ob  wir  diesen  Satz  beibehalten  oder 
vielleicht  sogar  erhöhen  können,  da  auch  noch  hinsichtlich  der  rumä- 
nischen Getreidezufuhren  recht  gute  Hoffnungen  berechtigt  sind.  So 
konnte  der  Fleischzusatz  ohne  weiteres  herabgesetzt  werden,  zumal  die 
Viehbestände  geschont  werden  müssen,  insbesondere  auf  das  Jungvieh 
viel  Pflege  verwendet  werden  muß,  um  eine  neue  sichere  Fleischreserve 
für  spätere  Zeiten,  wenn  die  beiden  anderen  Hauptnahrungsmittel 
wieder  einmal  knapp  werden  sollten,  zu  schaffen. 

Neue  Bestimmungen  über  die  Begelung  des  Fleischverbrauchs,  ins- 
besondere der  Hausschlachtungen  setzte  in  Abänderung  der  Ver- 
ordnung über  die  Begelung  des  Fleischverbrauchs  vom  21.  August  1916 
(BGBl.  S.  941)  die  Verordnung  vom  2.  Mai  1917  (BGBl.  S.  387)  fest: 

1)  Die  Verbrauchsregelung  erstreckt  sich  auch  auf  den  Selbstver- 
sorger. Als  Selbstversorger  gilt,  wer  durch  Hausschlachtung  oder  durch 
Ausübung  der  Jagd  Fleisch  und  Fleischwaren  zum  Verbrauch  im  eigenen 
Haushalt  gewinnt. 

2)  Mehrere  Personen,  die  für  den  eigenen  Verbrauch  gemeinsam 
Schweine  mästen,  werden  ebenfalls  als  Selbstversorger  angesehen.  Als 
Selbstversorger  können  vom  Kommunalverbande  ferner  anerkannt  werden 
Krankenhäuser  und  ähnliche  Anstalten  für  die  Versorgung  der  von  ihnen 
zu  verköstigenden  Personen  sowie  gewerbliche  Botriebe  für  die  Ver- 
sorgung ihrer  Angestellten  und  Arbeiter;  für  die  Selbstversorgunp:  durch 
Schlachtung  von  Bindvieh  mit  Ausnahue  von  Kälbern  bis  zu  6  Wochen 
ist  die  Anerkennung  von  der  Genehmigung  der  Landeszentralbehörde 
oder  der  von  dieser  bestimmten  Stelle  abhängig. 

3)  Der  Erwerb  von  Schweinen  mit  einem  Lebendgewichte  von  mehr 
als  60  kg  zum  Zwecke  der  Selbstversorgung  ist  verboten, 

4)  Selbstversorger  bedürfen  zur  Hausschlachtung  von  Schweinen 
und  von  Bindvieh,  mit  Ausnahme  von  Kälbern  bis  zu  6  Wochen, 
der  Genehmigung  des  Kommunalverbandes.  Die  Genehmigung  hat  zur 
Voraussetzung,  daß  der  Selbstversorger  das  Tier  in  seiner  Wirtschaft 
mindestens  6  Wochen,  und  wenn  die  Schlachtung  nach  dem  30.  Sep- 
tember 1917    erfolgt,   mindestens  3  Monate  gehalten  hat.     Die  Landes- 


716 


MiKzellen. 


xentralbeh Orden  haben  Vorkehrung  zu  treffen,  daß,  wenn  infolge  der 
Hausschlaihtung  der  FJeischvoriat  des  Selbstversorgers  die  iJim  eu- 
stehendo  Fleischmenge  übersteigen  würde  oder  ein  Verderben  der  Vorrät« 
au  befürchten  ist,  die  Genehmigung  versagt  wird  oder  die  überschüssigen 
Mengen  an  besonderen  Stellen  gegen  Entgelt  abgeliefert  werden. 

5)  Hausschlachtungen  von  Kälbern  bis  zu  6  Wochen,  von  Schafen 
und  Hühnern  sind  dem  Kommunalverbande  anzuzeigen.  Die  Landes- 
zentralbehörden können  auch  diese  Hausschlachtungen  von  der  Ge- 
nehmigung des  Kommunalverbandes  abhängig  machen. 

6)  Die  Verwendung  von  Wildbret  im  eigenen  Haushalt  sowie  die 
Abgabe  an  andere  sind  dem  Kommunalverband  anzuzeigen. 

7)  Die  Kommunalverbände  haben  die  Hausschlachtungen  zu  über- 
wachen. Sie  haben  Ueberwachungspersonen  zu  bestellen,  die  insbe- 
sondere das  Schlachtgewicht  genau  zu  ermitteln  und  darüber  eine  amt- 
liche Bescheinigung  auszustellen  haben.  Die  Landeszentrilbehördcn 
erlassen  die  näheren  Bestimmungen;  sie  haben  festzusetzen,  welche  Teile 
der  Tiere  beim  Ausschlachten  vor  der  Ermittlung  des  Schlachtgewicht« 
zu  trennen  sind,  und  über  die  Art  der  Gewichtsermittlung  Grunds&tse 
aufzustellen. 

8)  Den  Selbstversorgern  ist  das  aus  der  Hausschlachtung  oder 
durch  Ausübung  der  Jagd  gewonnene  Fleisch  nach  Maßgabe  der  Vor- 
schriften zum  Verbrauch  im  eigenen  Haushalt  zu  belassen.  Hierbei 
gelten  als  zum  Haushalt  gehörig  auch  die  Wirtschaftsangehörigen  ein- 
schließlich des  Gesindes  sowie  ferner  Naturalberechtigte,  insbesondere 
Altenteiler  und  Arbeiter,  soweit  sie  kraft  ihrer  Berechtigung  oder  aJi 
Lohn  Fleisch  zu  beanspruchen  haben. 

9)  Der  Selbstversorger  hat  anzugeben,  innerhalb  welcher  Zeit  er 
die  Fleischvorräte  verwenden  will.  Für  diese  Zeit  erhält  er  für  eicli 
und  die  von  ihm  verköstigten  Personen  nur  so  viele  Fleischkarten,  all 
ihm  nach  Abzug  der  Vorräte  noch  zustehen. 

10)  Wildbret  und  Hühner  werden  mit  der  vom  Kriegsernährung»- 
amte  für  die  Reichsfleischkarte  festgesetzten  Höchstmenge  angerechnet. 
Bei  der  Anrechnung  von  Schlachtviehfleisch  ist  eine  Wochenmenge  zu- 
grunde zu  legen,  die  um  zwei  Drittel  höher  ist,  als  die  festgesetzte, 
beim  ersten  Schwein,  das  innerhalb  des  vom  1.  Oktober  ab  laufenden 
Jahres  geschlachtet  wird,  ist  die  festgesetzte  Wochenmenge  zu  ver- 
doppeln. 

11)  Fleisch  zur  Selbstversorgung  darf  aus  Hausschlachtungen,  die 
zwischen  dem  1.  September  und  31.  Dezember  erfolgen,  höchstens  für 
die  Dauer  eines  Jahres,  aus  Hausschlachtungen  in  der  übrigen  Zeit 
höchstens  für  die  Zeit  bis  zum  Schlüsse  des  Kalenderjahres  belassen 
werden. 

12)  Fleisch  und  Fleischwaren,  die  aus  der  Hausschlachtung  ge- 
wonnen und  dem  Selbstversorger  zur  Selbstversorgung  überlassen  sind, 
dürfen  gegen  Entgelt  nur  an  den  Kommunalverband  oder  mit  dessen 
Genehmigung  abgegeben  werden. 

13)  Die  Landcslehöiden  können  weitergehende  Einschrfinkungea 
anordnen.    Selbstverständlich  ist  wohl  übrigens,  daß  der  Selbstversorger 


Miszellen.  717 

die  sogenannte  kommanale  Fleischzusatzkarte  grundsätzlich  nicht  zu  be- 
anspruchen hat,  da  er  schon  über  erhöhte  Rationen   verf.  gt. 

Diese  neuen  Vorschriften  sollen  die  Hausschlachtungen  möglichst 
einschränken  und  dem  Uufug,  der  auf  diesem  Gebiete  des  Selbstver- 
«orgerwesens  sich  bisher  ausgebreitet  hat,  energisch  steuern,  insbe- 
sondere der  privaten  Mästung  mit  verbotenem  Futter,  wie  es  die  Selbst- 
Torsorjjer  in  unverantwortlicher  Weise  schon  lanore  treiben,  entorejjen- 
treten,  denn  Getreide  und  Kartoffeln  sollen  im  neuen  Erntejahr  der 
Allgemeinheit  mehr  als  früher  und  ungekürzt  zugute  kommen  und  nicht 
mehr  in  so  ausgedehntem  Maße  wie  bisher  vielfach  zur  Fütterung  der 
Haushai tungssch  weine  dienen  •). 

Abändürungen  und  Zusätze  zur  Verordnung  vom  2.  Mai  1917  ent- 
hält die  Verordnung  vom  2.  Oktober  1917  (RGBl.  S.  881): 

1)  Die  Veräußerung  von  Seh  weinen  mit  einem  Lebendgewichte  von 
mehr  als  25  kg  darf,  auch  wenn  es  sich  nicht  um  Schlachtschweine 
handelt  (§  6  der  Verordnung  über  die  Schlachtvieh-  und  Fleischpreise  für 
Schweine  und  Rinder  vom  5.  April  1917,  RGBl.  S.  319),  nur  an  die 
staatlich  bestimmten  Viehabnahmestollen  oder  deren  Beauftrajjte  erfolgen. 
Der  Erwerb  dieser  Schweine  durch  andere  Stellen  oder  Personen  ist 
nur  mit  Genehraifjuno:  der  Landeszentralbehörden  oder  der  von  diesen 
bestimmten  Stellen  zulässig. 

2)  Der  Selbstversorger  hat  von  dem  durch  die  Hausschlachtung 
von  Schweinen  gewonnenen  Fleische  an  den  Kommunalverband  gegen 
Zahlung  einer  angemessenen  Vergütung  Speck  oder  Fett  in  folgenden 
Mengen  abzugeben:  wenn  das  Schlachtgewicht  des  Schweines  beträgt: 
mehr  als  60—70  kg  einschließlich:  1  kg,  mehr  als  70 — 80  kg  ein- 
schließlich: 2  kg,  mehr  als  80  kg  für  weitere  angefangene  je  10  kg: 
weitere  je  0,5  kg.  Ist  das  Schwein  früher  zur  Zucht  benutzt  worden, 
so  sind  3  v.  H.  des  Schlachtgewichts  in  Speck  oder  Fett  abzuliefern. 
Die  Landeszentralbehörden  erlassen  die  zur  Durchführung  der  Abgabe- 
pflicht erforderlichen  Bestimmungen;  sie  können  die  Abgabepflicht  er- 
höhen und  bestimmen,  daß  von  Schweinen,  deren  Ertrag  an  Liesen- 
(VVamm9n-)Fett  weniger  als  1^/,  kg  betragt,  kein  Speck  oder  Fett  ab- 
gegeben zu  werden  braucht.  Sie  können  anordnen,  daß  an  Stelle  des 
Speckos  oder  Fettes  andere  Teile  dos  gewonnenen  Fleisches  abzugebeo 
sind,  und  Vorschriften  über  die  Haltbarmachung  der  abzugebenden 
Mengen  erlassen.  Die  Verpflichtung  zur  Abgibe  von  Speck  oder  Fett 
entfällt  bei  Hausschlachtungen  von  Schweinen  in  gewerblichen  Be- 
trieben, Krankenhäusern  und  ähnlichen  Anstalten,  die  vom  Kommunal- 
verband als  Selbstversorger  anerkannt  worden  sind,  und  durch  Selbst- 
versorger, denen  nach  den  geltenden  Vorschriften  bei  besonders  an- 
strengender körperlicher  Arbüit  im  Verwaltungswege  Fottzulagon  ge- 
währt worden  können  oder  zu  deren  Haushalt  solche  Personen  gehören. 

3)  Der  Selbstversorger  hat  anzugeben,  innerhalb  welcher  Zeit  er 
die  Fleischvorräte    verwenden   will.     Für   diese    Zeit  erhält  er  für  sich 


1)  Vgl.  in   diesem  Zusammenhange   S.  53—60   Heft    1719  der   Beiträge  «ur 
Kriegswirtschaft. 


fjll<ß  Miszellen. 

und  die  von  ihm  verköstigten  Personen  nur  so  viele  Fleischkarten,  al« 
ihm  nach  Abzug  der  Vorräte  noch  zustehen.  Wildbret  und  Huhner 
werden  mit  der  für  die  Reichsfleischkarte  festgesetzten  Höchstmonge 
angerechnet.  Bei  der  Anrechnung  von  Schlachtviehfleisch,  außer  von 
Fleisch  von  Kälbern  bis  zu  drei  Wochen  und  von  Schweinen,  ist  eine 
Wochonraonge  zugrunde  zu  legen,  die  um  2/3  höher  ist  als  die  festge- 
setzte Höchstmenge.  Bei  der  Anrechnung  von  Schlachtviehfleisch  voa 
Kälbern  bis  zu  drei  Wochen  und  von  Schweinen  sind  folgende  Wochen- 
meiigen  für  die  Personen  zugrunde  zu  legen:  bei  Kälbern  bis  zu  drei 
Wochen:  500  g,  bei  Schweinen  mit  einem  Schlachtgewichte  von  mehr 
als  60  kg  500  g,  von  mehr  als  50  kg  bis  60  kg  600  g,  von  50  kg 
und  weniger  700  g.  Die  abzuliefernden  Fleischmengen  sind  nicht  auf 
die  Fleischkarten  anzurechnen  und  kommen  für  die  Berechnung  des 
Schlachtgewichts  zum  Zwecke  der  Fleischkartenanrechnung  nicht  in  An- 
satz. Die  Sätze  f  ir  die  Anrechnung  von  Schlachtviehfleisch  können 
vorübergehend  erhöht  werden.  Fleisch  zur  Selbstversorgung  darf  aus 
Hausschlachtungen,  die  zwischen  dem  1.  September  und  31.  Dezember 
erfolgen,  höchstens  für  die  Dauer  eines  Jahres,  aus  Hausschlachtungen 
in  der  übrigen  Zeit  höchstens  für  die  Zeit  bis  zum  Schlüsse  des 
Kalenderjahrs  belassen  werden. 

Der  Wortlaut  der  Verordnung  über  die  Regelung  des  Fleischver- 
brauchs vom  21.  August  1916  (RGBl.  S.  941),  wie  er  sich  aus  den 
Aenderungen  durch  die  Verordnungen  vom  2.  Mai  und  2.  Oktober  1917 
ergibt,  ist  unter  der  Ueberschrift  Verordnung  über  die  Regelung 
des  Fleischverbrauchs  und  den  Handel  mit  Schweinen 
im  RGBl.  1917,  S.  949  ff.  unterm  19.  Oktober  1917  bekanntgegeben 
worden. 

Es  ist  volkswirtschaftlich  notwendig,  daß  die  Schweinebestände 
den  vorhandenen  Futtermitteln  angepaßt  werden  müssen.  Da  Gerste 
zur  Schweinemast  nach  dem  schlechten  Ausfall  der  Gerstenernte  nicht 
verwendet  werden  darf  —  Verordnung  vom  10.  September  1917  über 
die  Verfütterung  von  Hafer  und  Gerste  (RGBl.  S.  825)  —  können  ent- 
sprechend schwere  Schweine  nicht  erzielt  werden  und  dürfen  nicht 
übermäßig  viele  Schweine  gehalten  werden.  Dies  verbietet  aber  nicht 
die  Erhaltung  der  Zuchttiere  und  das  Füttern  leichterer  Schweine  mit 
Abfällen  und  sonstigen  Futtermitteln  zulässiger  Art.  Das  Kriegsernähr 
rungsamt  hat  deshalb  nicht  ein  Zwangsgebot  zur  Massenschlachtung 
erlassen,  sondern  die  gesamten  Vorschriften  über  Schweinehaltung  jenen 
Verhältnissen  angepaßt.  Hiernach  erhalten  nur  Zuchttiere  Körnerfutter, 
ihre  weitere  Benutzung  zur  Zucht  wird  lohnend  erhalten  durch  starken 
Ferkelabsatz,  indem  Ferkel,  für  welche  übrigens  keine  Reichs- 
höchstpreise, sondern  nur  Höchstpreise  nach  dem  Lebendgewicht  von  den 
einzelnen  Landesfleischstellen  festgesetzt  sind,  kartenfrei  oder  unter  ge- 
ringer Anrechnung  auf  die  Karte  verbraucht  werden  dürfen.  Hiermit 
wird  zugleich  zu  starker  Aufzucht  vorgebeugt.  Ferner  werden  die 
Schweine  zur  Deckung  des  Bedarfs  von  Heer  und  Marine  ohne  Mindest- 
gewichtsmengen abgenommen  und  nach  dem  einheitlichen  Höchstpreia 
der  erwähnten  Verordnung  vom  15.  September  1917    bezahlt,   wenn  slfi 


Miszellen.  7X9 

bis  30.  November  1917  abgeliefert  worden  (S.  713).  Sogenannte  Mast- 
yerträge  werden  nicht  abgeschlossen,  da  hierfür  kein  Hartfutter  vor- 
handen ist.  Für  die  Selbstversorgung  werden  die  leichteren  Schweine 
mit  höheren  Verbrauchssätzen  angerechnet  werden,  wie  dies  die  Ver- 
ordnung vom  2.  Oktober  1917  regelt,  damit  die  Schlachtung  bei  ge- 
ringem Gewicht  trotz  des  hohen  Knochengehalts  und  Wassergehalts  des 
Schlachtgewichts  lohnt.  Zur  besseren  Fettversorgung  der  Städte  ist 
dabei  eine  mäßige  Speckabgabe  aus  der  Hausschlachtung  bei  Tieren 
von  120  Pfd.  Schlachtgewicht  aufwärts  vorgeschrieben,  die  dem  jetzt 
verringerten  Fettgehalte  Rechnung  trägt.  Heimlicher  Schlachtung  und 
wildem  Handel  beugt  die  Verordnung  dadurch  vor,  daß  auch  Läufer- 
«chweine  zu  Zucht-  und  Nutzzwecken  nur  durch  die  Viehhandelsver- 
bände gehandelt  werden  dürfen.  Diese  Maßnahmen  vereinen  die  be- 
rechtigten Interessen  der  Landwirte  und  Selbstversorger  mit  denen  der 
NichtSelbstversorger  an  der  Fettversorgung  und  an  der  Schonung  der 
Körner-  und  Kartoffelernte  vor  unberechtigtem  Verfüttern;  sie  tragen 
dem  Ausfall  der  Sommergetreideernte  Rechnung,  ohne  zu  einem  schema- 
tischen Schweinemord  zu  werden.  Sie  er  alten  ferner  den  Zucht- 
ichweinebestand,  um  mit  der  Schweineaufzucht  sofort  wieder  beginnen 
SU  können,  sobald  wieder  Schweinefutter  zur  Verfügung  steht. 

Weiterhin  hat  das  Kriegsernährungsamt  die  Landeszentralbehörden 
ersucht,  die  schleunigste  Abnahme  der  nicht  zur  Hausschlachtung  und 
lur  Fortführung  der  Zucht  nachweislich  benötigten  Schweine  zu  be- 
wirken, indem  Abnahmekommissionen  überall  die  vorhandenen  Tiere 
feststellen  und  abnehmen  oder  enteignen,  damit  die  nach  Aufhören  des 
Weideganges  und  der  Grünfütterung  im  Verhältnis  immer  noch  zu  hohen 
Bestände  den  vorhandenen  zulässigen  Futtermitteln  angepaßt  und  be- 
schlagnahmte Erzeugnisse  wie  Brotgetreide  und  Kartoffeln,  zur  Sicher- 
•tellung  der  Ernährung  des  Menschen  vor  verbotener  Verfütterung 
geschützt  werden.  Diese  nach  dem  Stande  der  verfügbaren  Vorräte 
dringend  gebotene  Maßnahme  greift  insofern  ins  Wirtschaftsleben 
tief  ein,  als  die  Abnahme  in  der  Hauptsache  vor  Erzielung  der  erst 
gewinnbringenden  Schlachtreife  der  Tiere  erfolgt.  Sie  erfordert  des- 
halb auch  Ausnahmen  hinsichtlich  der  Preisberechnung,  um  ohne  un- 
billige Benachteiligung  des  Tierhalters  durchführbar  zu  sein.  Daher 
sind  unterm  23.  November  1917  die  auf  S.  713  mitgeteilten  Aus- 
nahmebestimmungen für  die  Schweinepreise  erlassen  worden,  nach  denen 
eine  Reihe  von  Zuschlägen  zugelassen  sind.  Nur  für  Schweine,  die 
schwerer  als  75  kg  Lebendgewicht  sind,  dürfen  solche  Zuschläge  nicht 
gezahlt  werden,  weil  für  diese  bereits  der  Einheitspreis  eine  genügende 
Entschädigung  bietet.  Es  muß  erwartet  werden,  daß  nunmehr  die 
Herausnahme  aller  nicht  für  die  Hausschlachtung  und  die  Erhaltung 
der  Zucht  bestimmten  Schweine  in  der  bezeichneten  Frist  ohne  wirt- 
schaftliche Härten,  nötigenfalls  aber  zwangsweise  erfolgt.  Die  karten- 
freie Abgabe  der  Spanferkel  bis  zu  30  Pfd.  Lebendgewicht  kann  von 
den  Zentralbehörden  aus  denselben  Gründen,  die  für  die  Ausnahmo- 
preise maßgebend  sind,  ebenfalls  nur  bis  längstens  zum  15.  Januar 
1918,   fortgesetzt   werden.     Die   für   zum   Schlachten  bestimmte  Ferkel 


720  Miscellen. 

von  den  Violihandelsvorbänden  festgesetzten  Höchstpreise,  die  jetzt  bis 
zu  1,60  M.  für  ein  Pfund  betragen,  sollen  am  15.  Januar  1918  auf 
höchstens   1,10  M.  ermäüigt  worden. 

Endlich  ist  noch  die  Bekanntmachung  vom  2.  Juni  1917  (RGBL 
8.  471)  über  das  Schlachten  von  Tieren  zu  nennen,  nach  welcher  beim 
Schlachten  von  Rindern  einschließlich  der  Kälber,  von  Schafen  und 
Ziegen  der  Halsschnitt  (Schächtschaitt)  nur  beim  rituellen  Schächten 
durch  den  hierzu  bestellten  Schächter  angewandt  werden  darf.  Im 
übrigen  ist  der  Halsschuitt  verboten. 

Auf  die  Viehzählungen  größeren  und  kleineren  ümfanges,  die 
teils  als  planmäßige  Viehbestandsaufnahmen,  teils  als  sogenannte  Vieh- 
zwischenzählungen stattfanden,  ist  schon  im  I.  Teil,  111.  F.  53.  Bd.  S.  91, 
hingewiesen  worden.  Auch  der  Vornahme  der  kleinen  vierteljährlichen 
Viehzählungen,  die  gemäß  Bekanntmachung  vom  30.  Januar  1917 
(RGBl.  S.  81)  ab  1.  März  1917  zu  erfolgen  haben,  ist  dort  bereits  Er- 
wähnung getan.  Diese  kleinen  Vierteljahrsviehaufnahmen,  die  sich  bisher 
nur  auf  Pferde,  Rindvieh,  Schafe  und  Schweine  erstreckten,  sind  durch 
die  Bekanntmachung  vom  9.  August  1917  (RGBl.  S.  701)  auf  Ziegen 
und  Federvieh  —  Gänse,  Enten  und  Hühner  —  erweitert  worden.  Die  dritte 
dieser  Veranstaltungen  am  1.  September  1917  erfolgte  also  erstmalig  in 
der  erweiterten  Form  wie  die  vierte  am  1.  Dezember  1917.  Neben  den 
Viehzählungen  sind  auch  Bestandsaufnahmen  von  Fleisch  und 
Fleisch  waren  vom  Reich  und  hier  und  da  in  den  größeren  Städten, 
teilweise  sogar  in  Verbindung  mit  Verbrauchserhebungen,  veranstaltet 
worden.  Von  den  ersten  kommen  zwei  in  Betracht:  Die  allgemeine 
Bestandsaufnahme  der  wichtigsten  Lebensmittel  am  1.  Septembei  1916 
(vgl.  Teil  I,  53.  Bd.  S.  91)  erfaßte  bei  den  Haushaltungen  von  unter 
30  Personen  auch  Fleischdauerwaren  sowie  reine  und  gemischte  Fleisch- 
konserven, jedoch  nicht  nach  Arten  getrennt,  und  bei  den  Haushaltungen 
von  über  30  Personen,  Anstalten,  Körperschaften  und  Betrieben  Schinken, 
Speck,  Würste,  dann  sonstige  Fleischdauerwaren,  reine  und  gemischte 
Fleischkonserven,  aber  ohne  Trennung  nach  Arten,  sowie  Speiseöle, 
Butter,  Schmalz  und  sonstige  Speisefette,  üeber  die  Vorratsaufnahme 
von  Fleisch  und  Fleischwaren  am  25.  Mai  1916  ist  schon  berichtet 
worden  (S.  711). 

Mit  einem  kurzen  Wort  ist  noch  die  Bedeutung  der  Futterfrage 
für  die  Vieh-  und  Fleischversorgung  zu  streifen,  die  auf  diesem  Gebiete 
zu  einer  Reihe  von  Fütterungsverboten,  insbesondere  hinsichtlich  der 
Kartoffeln  für  die  Schweine,  geführt  hat.  Die  hierfür  in  Betracht 
kommenden  Bekanntmachungen  sind  bereits  in  Teil  III,  oben  S.  188  er- 
wähnt. Außerdem  ist  in  diesem  Zusammenhange  noch  die  Bekanntmachung 
über  Streu-,  Heide-  und  Weidonutzuiig  auf  nicht  landwirtschaftlich  ge- 
nutzten Grundstücken  vom  .13.  April  1916  (RGBl.  S.  275)  zu  nennen, 
die  bestimmt,  daß  die  Besitzer  von  Forstnn  und  anderen  nicht  land- 
wirtschaftlich genutzten  Grundstücken  auf  Anordnung  der  höheren  Ver- 
waltungsbehörde verpflichtet  sind,  den  von  dieser  benannten  Personen, 
Gemeinden  oder  Kommunalverbänden  zu  gestatten,  daß  sie  aus  den 
Grundstücken  Streumaterial  jeder  Art  sowie  Heideaufwuchs   zu  Futter- 


I 


Miszellen.  721 

zwecken  oder  sonstige  Futtermittel  gewinnen,  sowie  auf  den  Grund- 
stücken Schweine  und  Rindvieh  weiden  lassen  und  die  zu  diesem  Zwecke 
erforderlichen  Hürden  und  ünterkunftsräume  anlegen.  Auch  die  Kraft- 
futtermittelfrage hat  die  Beachtung  des  Gesetzgebers  gefunden,  der  be- 
sondere Bestimmungen  über  die  Einfuhr  von  Fleischkuchen,  Fleisch- 
futtermehl, Fleischdüngemehl,  Fleischknochenmehl  während  des  Krieges 
sowie  über  Höchstpreise  für  deutsches  Fleischfuttermehl  und  den  Ver- 
kehr damit  im  Kriege  erlassen  hat  —  vgl.  die  Bekanntmachung  vom 
28.  und  31.  Januar,  16.  und  26.  März  1916  (RGBl.  S.  67,  71,  168 
und  197),  wodurch  die  Verordnungen  über  den  Verkehr  mit  Kraftfutter- 
mitteln aus  dem  Jahre  1915  (28.  Juni,  5.  und  19.  August  1915  —  RGBl. 
S.  399,  489  und  504)  etwas  abgeändert  wurden.  Die  Futterfrage  spielt 
eben,  wie  wir  schon  eingangs  hervorgehoben  haben,  ganz  entscheidend 
in  das  Problem  der  Fleischversorgung  Deutschlands  im  Kriege  unter  den 
besonderen  Umständen  des  gegenwärtigen  Krieges  hinein.  Fast  die  ganze 
Einfuhr  von  Kraftfuttermitteln,  die  vor  dem  Kriege  etwa  3  Mill.  t  im 
Jahre  betrug,  fällt  jetzt  weg.  Die  Kartoffeln  können  zur  Viehfütterung 
nicht  mehr  in  dem  Umfange  herangezogen  werden  wie  früher.  Die 
Grünfutterernte,  mag  sie  noch  so  vorzüglich  sein,  wie  es  1917  der  Fall 
gewesen  ist,  genügt  nicht,  um  diese  Ausfälle  qualitativ  und  quantitativ 
zu  decken.  So  mußte  die  Schweinemästung  zurückgehen  und  der  Rind- 
viehbestand erheblich  herabgemindert  werden.  Daraus  folgte  die  be- 
kannte Fleisch-  und  Fettknappheit,  die  ihrerseits  noch  gesteigert  wurde 
durch  die  fast  gänzliche  Unterbindung  der  Schmalzeinfuhr  und  anderer 
tierischer  Oele  und  Fette,  so  daß  alles  in  allem  neben  dem  Mangel  an 
Fleisch  mit  der  Länge  des  Krieges  eine  große  Fettnot,  insbesondere 
Mangel  an  Butter,  Schmalz,  Fett,  Talg,  Speck  und  Milch  eintrat,  die 
nur  durch  besondere  umfassende  Verkehrs-  und  Versorgungsmaßnahmen 
einigermaßen  ausgeglichen  werden  konnte. 

In  engem  Zusammenhange  mit  den  Maßnahmen  zur  Sicherung  der 
Fleischversorgung  im  Kriege  stehen  die  einschränkenden  und  vorsorgenden 
Bestimmungen  über  den  Verkehr  mit  Fett,  für  welches  auch  gleich  zu 
Anfang  des  Krieges  Einfuhrerleichterungen  geschaffen  wurden,  was  schon 
oben  S.  696  erwähnt  ist.  Auch  Anfang  1915  begnügte  man  sich  noch 
mit  solchen  Bestimmungen:  Bekanntmachung,  betreffend  vorübergehende 
Einfuhrerleichterungen  für  frisches  Fett,  ausgenommen  Speck,  und  Fest- 
setzung einer  Untersuchungsgebühr  nach  den  Grundsätzen  der  wissen- 
schaftlichen Fleischbeschau  vom  21.  Januar  1915  (RGBl.  S.  33).  Tier- 
fett,  anderweit  nicht  genannt,  roh,  geschmolzen  oder  gepreßt,  befand 
sich  auch  unter  den  in  der  Bekanntmachung  über  vorübergehende  Zoll- 
erleichterungen vom  8.  März  1915  (RGBl.  S.  135)  aufgeführten  zollfreien 
Waren. 

Auch  auf  dem  Gebiete  der  Fettversorgung  ergehen  immer  schärfere 
Bestimmungen.  Die  Bekanntmachung  über  den  Verkauf  von  Fleisch- 
und  Fettwaren  durch  die  Gemeinden  vom  24.  Juni  1915  ist  oben  er- 
wähnt (S.  699).  Am  9.  Oktober  1915  wurde  die  Verwendung  tierischer 
(und  pflanzlicher  Oele  und)  Fette  zu  Schmierzwecken,  Brennzwecken, 
sowie    zum    Einfetten    oder   sonstigen   Behandeln   von   Metallen,    Werk- 

Jahrb.  f.  Nationaiök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  4,Q 


722  Misz  eilen. 

zeugen,  Maschinenteilen  und  Metallgegenständen  unvermischt  verboten 
(RGBl.  S.  646).  Dann  kamen  die  wichtigen  Bestimmungen  über  die 
Einschränkung  des  Fleisch-  und  Fettverbrauchs  vom  28.  Oktober  1915, 
die  auch  schon  erwähnt  sind  (S.  700/701).  Wichtig  ist  femer  das  Her- 
stellungsverbot von  Süßigkeiten  und  Schokolade  unter  Verwendung  von 
Milch,  Sahne  und  Fett,  das  die  Bekanntmachung  vom  16.  Dezember 
1915  (RGBl.  S.  821)  ausspricht.  Auch  die  Bereitung  von  Kuchen, 
Torten  und  Cremen  unter  Verwendung  von  Fett  wurde  stark  beschränkt 
sowie  das  Sieden  von  Backwaren  in  Fett  verboten,  worauf  schon  im 
IL  Teile  hingewiesen  worden  ist  (III.  F.  53.  Bd.  S.  747).  Hierfür  gilt  die 
Bekanntmachung  über  die  Bereitung  von  Kuchen  vom  16.  Dezember  1915 
(RGBl.  S.  828).  Endlich  ist  in  diesem  Zusammenhange  neben  den  dazu 
gehörigen  Vorschriften  über  die  Uebernahme,  üeberlassung  und  den 
Absatz  noch  die  Meldepflicht  der  Eigentümer  von  Fetten  zu  erwähnen, 
die  außer  den  pflanzlichen  und  tierischen  Oelen  in  der  Hauptsache 
Talg  und  Tran  trifft  (Bekanntmachung  vom  8.  November  1915,  RGBl. 
S.  735). 

1916  wurden  weitere  schärfere  Vorschriften  über  die  Verwendung 
von  Fett  erlassen.  Das  Fetten  der  Brotlaibe  verbot  die  Bekanntmachung 
vom  1.  Mai  1916  (RGBl.  S.  348)  als  Zusatz  zu  §  11  der  Bekanntmachung 
über  die  Bereitung  von  Backwaren  vom  31.  März  1915,  in  der  neuen 
Fassung  vom  26.  Mai  1916  (RGBl.  S.  412)  —  siehe  Teil  II,  III.  F.  53.  Bd. 
S.  747.  Da  aber  auch  auf  diesem  Gebiete  der  Nahrungsmittelfürsorge 
eine  einheitlichere  Regelung  sich  allmählich  als  notwendig  herausstellte, 
wurde  am  8.  Juni  1916  die  Bekanntmachung  über  vorläufige  Maßnahmen 
auf  dem  Gebiete  der  Fettversorgung  (RGBl.  S.  447)  erlassen,  deren 
wichtigsten  Bestimmungen  hier  nur  kurz  angeführt  zu  werden  brauchen, 
da  die  Bekanntmachung  schon  am  12.  August  1916  durch  die  Bekannt- 
machung über  Speisefette  vom  20.  Juli  1916  (RGBl.  S.  755),  welche 
die  Fettversorgung  nunmehr  endgültig  einheitlich  regelte,  nebst  den 
früheren  Vorschriften  über  den  Verkehr  mit  Butter  vom  8.  Dezember 
1915  (RGBl.  S.  807)  außer  Kraft  gesetzt  wurde  —  vgl.  §  39  Abs.  1 
dieser  Bekanntmachung  auf  S.  762  RGBl,  und  die  Uebergangsvor- 
schriften  vom  5.  August,  5.  September,  3.  Oktober  1916  (RGBl.  S.  917, 
998,  1107).  Zunächst  also  kurz  die  Hauptbestimmungen  der  ersten  Be- 
kanntmachung: 

1)  Bei  Aufbringung  des  Fleischbedarfs  nach  der  Verordnung  vom 
27.  März  1915  (RGBl.  S.  199)  ist  Vorsorge  zu  treffen,  daß  Kühe, 
die  vorzugsweise  zur  Milcherzeugung  geeignet  sind,  nicht  zur  Schlachtung 
kommen. 

2)  Besitzer  von  Milchkühen,  die  im  Mai  1916  Milch  an  eine  Mol- 
kerei geliefert  haben,  sind,  auch  soweit  eine  vertragliche  Verpflichtung 
zur  Weiterlieferung  nicht  besteht,  verpflichtet,  die  Milch  auch  künftig 
an  die  bisherigen  Abnehmer  zu  liefern.  Sie  haben  monatlich  min- 
destens so  viel  Milch  zu  liefern,  als  dem  Verhältnis  der  im  Mai 
gelieferten  Milch  zu  der  gesamten  von  ihnen  im  Mai  erzeugten  Milch 
entspricht.  Die  bisherigen  Abnehmer  haben  die  hiernach  zu  liefernde 
Milch  abzunehmen. 


Miszellen.  723 

3)  Die  höhere  Verwaltungsbehörde  kann  zur  Abwendung  von  Not- 
ständen Besitzer  von  Kühen  ihres  Bezirkes,  die  bisher  ihre  Milch  nicht 
an  Molkereien  geliefert  haben,  zur  Lieferung  der  Milch  an  eine  Molkerei 
anhalten.  Die  Aufforderung  ist  nicht  auf  solche  Milch  zu  richten, 
deren  der  Besitzer  zum  Verbrauch  im  eigenen  Betriebe  bedarf. 

4)  Die  Verpflichtung  der  Molkereien  zur  üeberlassung  von  Butter 
(§  1  der  Verordnung  über  den  Verkehr  mit  Butter  vom  8.  Dezember 
1915,  RGBl.  S.  807)  wird  dahin  erweitert,  daß  bis  zu  50  vom  Hundert 
der  im  Vormonate  hergestellten  Buttermenge  zu  überlassen  sind.  So- 
weit bei  Inkrafttreten  dieser  Verordnung  das  Verlangen  auf  üeberlassung 
der  im  Monat  Juni  zu  liefernden  Mengen  bereits  gestellt  ist,  kann  es 
bis  zum  15.  Juni  1915  bis  auf  50  vom  Hundert  der  Maierzeugung  er- 
höht werden.  Vom  Juni  1916  ab  wird  die  Lieferungspflicht  er- 
streckt auf  die  Molkereien,  bei  denen  im  Jahre  1914  50  000  bis 
500  000  Liter  Milch  oder  eine  entsprechende  Menge  Rahm  einge- 
liefert worden  sind.  Sie  haben  die  im  §  2  der  Verordnung  vom 
8.  Dezember  1915  vorgeschriebene  Anzeige  zum  erstenmal  am  1.  Juli 
1916  zu  erstatten.  Die  unteren  Verwaltungsbehörden  haben  der  Zentral- 
Einkaufsgesellschaft  m.  b.  H.  in  Berlin  (Abteilung  Inlandsbutter)  bis 
zum  20.  Juni  1916  die  Molkereien  ihres  Bezirkes  mitzuteilen,  die  nach 
der  Vorschrift  in  Satz  1  dieses  Absatzes   überlassungspflichtig   werden. 

5)  Die  Gemeinden  über  5000  Einwohner  haben,  soweit  dies  noch 
nicht  geschehen  ist,  bis  zum  1.  Juli  1916  den  Verkehr  mit  Speisefetten 
in  ihrem  Bezirk  und  den  Verbrauch  zu  regeln.  Sie  haben  zu  diesem 
Zwecke  insbesondere  anzuordnen,  daß  alle  in  dem  Bezirk  eingehenden 
Buttermengen  der  Gemeindebehörde  unverzüglich  anzuzeigen  sind. 
Speisefettkarten  auszugeben,  was  daraufhin  auch  allenthalben  erfolgt 
ist,  die  Abgabe  von  Speisefetten  im  einzelnen  zu  regeln,  erforderlichen- 
falls die  Verbraucher  bestimmten  Abgabestellen  zuzuweisen  und  deren 
Eintragung  in  Kundenlisten  vorzuschreiben.  Das  Kriegsernährungsamt 
oder  die  von  diesem  bezeichnete  Stelle  kann  Grundsätze  über  den  Ver- 
kehr mit  Speisefetten  und  den  Verbrauch  aufstellen.  Als  Speisefett  im 
Sinne  dieser  Vorschrift  gelten  Butter,  Butterschmalz,  Margarine,  Speise- 
fette, Schweineschmalz  und  Speiseöle.  Im  übrigen  bleiben  die  Vor- 
schriften im  §  8  der  Verordnung  über  den  Verkehr  mit  Butter  vom 
8.  Dezember  1915  (RGBl.  S.  807)  unberührt. 

6)  Die  Gemeinden  über  5000  Einwohner  können  anordnen,  daß  die 
Vollmilch,  die  in  ihren  Bezirk  gelangt,  entrahmt  und  verbuttert  wird. 
Die  Anordnung  darf  nicht  erstreckt  werden  auf  die  Vollmilch,  die  zur 
Ernährung  von  stillenden  Frauen,  Kindern,  Säuglingen  und  Kranken 
erforderlich  ist. 

Im  Anschluß  daran  wurde  am  26.  Juni  1916  (RGBl.  S.  589)  eine 
Bekanntmachung  über  fetthaltige  Zubereitungen  erlassen,  die 
bestimmte:  Fetthaltige  Zubereitungen,  welche  Butter  oder  Schweine- 
schmalz zu  ersetzen  bestimmt  sind,  ausgenommen  Margarine  und  Kunst- 
speisefett, dürfen  gewerbsmäßig  nicht  hergestellt,  feilgehalten,  verkauft 
oder   sonst   in   den  Verkehr   gebracht   werden.     Dies   gilt   insbesondere 

46* 


724  Miszellen. 

für  Erzeugnisse,  die  außer  Butter,  Margarine  oder  einem  Speisefett  oder 
Speiseöl  auch  Milch  (irgendeiner  Arti,  Wasser,  Quark,  Stärke,  Mehl, 
mehlartige  Stoffe,  Kartoffel  oder  Gelatine  enthalten.  Margarine,  die 
in  100  Öe wichtsteilen  weniger  als  76  Gewichtsteile  Fett  oder  mehr  als 
20  Gewichtsteile  Wasser  enthält,  darf  gewerbsmäßig  nicht  feilgehalten 
oder  verkauft  werden. 

Zur  Sicherung  des  Bedarfs  an  Speisefetten  ist  eine  Beichsstelle 
für  Speisefette  gemäß  Bekanntmachung  vom  20.  Juli  1916  gebildet 
worden.  Als  Speisefette  im  Sinne  dieser  Verordnung  gelten  Butter, 
Butterschmalz,  Margarine,  Kunstspeisefett,  Schweineschmalz,  Speisetalg 
und  Speiseöle.  Die  Keichsfettstelle,  die,  wie  die  anderen  Reichsstellen, 
gleichfalls  eine  Verwaltungs-  und  eine  Geschäftsabteilung  besitzt,  hat 
mit  Hilfe  der  Verteilungsstellen  und  der  Kommunalverbände  die  Auf- 
bringung, Verteilung  und  den  Verbrauch  der  Speise lette  zu  regeln.  Für 
jeden  Bundesstaat  oder  für  mehrere  Bundesstaaten  gemeinsam  ist  eine 
Landesverteilungsstelle  eingerichtet.  Daneben  bestehen  auch  Bezirks- 
verteilungsstellen. Die  in  den  Molkereien  hergestellten  Speisefette  sind 
mit  der  Erzeugung  für  den  Kommunalverband,  in  dem  die  Molkerei 
liegt,  beschlagnahmt.  Als  Molkerei  im  Sinne  dieser  Vorschrift  gilt 
jeder  Betrieb,  in  dem  täglich  mehr  als  50  1  Milch  im  Durchschnitt  ver- 
arbeitet werden.  Trotz  der  Beschlagnahme  dürfen  die  Unternehmer 
von  Molkereien  an  ihre  Milchlief erer  Butter  liefern  und  auch,  sofern 
die  Molkerei  ein  landwirtschaftlicher  Nebenbetrieb  ist,  Butter  in  der 
eigenen  Wirtschaft  verbrauchen.  Kühe,  die  vorzugsweise  zur  Milch- 
erzeugung geeignet  sind,  dürfen  nicht  zur  Schlachtung  kommen.  Be- 
sitzer von  Milchkühen,  die  im  Mai  1916  an  eine  Molkerei  geliefert 
haben,  werden  auch  ferner  zur  Ablieferung  verpflichtet.  Die  Molkereien 
haben  die  Milch  und  Sahne  sorgfältig  zu  verarbeiten  und  die  Milch, 
die  Sahne  und  die  daraus  hergestellten  Erzeugnisse  pfleglich  zu  be- 
handeln und  nach  den  ihnen  gegebenen  Weisungen  abzuliefern.  Die 
Kommunalverbände  haben  den  Verkehr  und  den  Verbrauch  von  Speise- 
fetten in  ihrem  Bezirke  nach  den  von  der  Reichsstelle  aufgestellten 
Grundsätzen  zu  regeln.  Sie  können  den  Gemeinden  die  Regelung  für 
den  Bezirk  der  Gemeinde  übertragen.  Gemeinden,  die  mehr  als  10000 
Einwohner  haben,  können  die  Uebertragung  verlangen.  Die  Landes- 
verteilungsstellen haben  laufend  den  nach  dem  Verteilungsplane  auf 
ihren  Bezirk  entfallenden  Ueberschuß  an  Speisefett  nach  den  Weisungen 
der  Reichsstelle  abzuliefern.  Dei  Reichskanzler  ist  ermächtigt,  Grund- 
preise für  Speisefette  festzusetzen.  Der  Grundpreis  ist  der  Preis,  den 
der  Hersteller  beim  Verkauf  im  Großhandel  frei  Berlin  einschließlich 
Verpackung  fordern  kann.  Zur  Berücksichtigung  der  besonderen  Markt- 
verhältnisse in  den  verschiedenen  Wirtschaftsgebieten  können  die  Landes- 
zentralbehörden mit  Zustimmung  des  Reichskanzlers  für  ihren  Be- 
zirk Abweichungen  von  den  Grundpreisen  anordnen.  Die  Kommunal- 
verbände sind  verpflichtet,  Höchstpreise  für  den  Kleinhandel  mit 
Speisefetten  unter  Berücksichtigung  der  besonderen  örtlichen  Verhält- 
nisse festzusetzen.  Die  durch  diese  Bekanntmachung  einem  Schieds- 
gericht   übertragenen  Entscheidungen  erfolgen  durch  das  Reichsschieds- 


Miszellen.  725 

gericht  für  Kriegswirtschaft  (Bekanntmachung  vom  9.  Juni  1917  — 
RGBl.  S.  484). 

Später  wird  der  Reichsstelle  für  Speisefette  und  den  ihr  angeglieder- 
ten Vermittlungsstellen  auch  die  gesamte  Bewirtschaftung  der  Milch 
—  Kuhmilch  und  -sahne  in  unbearbeitetem  und  bearbeitetem  Zustand 
(Vollmilch,  Magermilch,  Buttermilch,  Sahne,  Dauermilch  und  Dauersahne 
jeder  Art,  Joghurt,  Kefyr  und  ähnliche  Erzeugnisse)  —  übertragen 
(Bekanntmachung  über  die  Bewirschaftung  und  den  Verkehr  mit  Milch 
vom  3.  Oktober  1916  —  RGBl.  S.  1100).  Danach  werden  als  Vollmilch- 
versorguDgsberechtigte  bestimmt  1)  Kinder  unter  6  Jahren,  2)  stillende 
Frauen,  3)  schwangere  Frauen  in  den  letzten  drei  Monaten  vor  der 
Entbindung,  4)  Kranke,  als  Vollmilchvorzugsberechtigte  Kinder  vom  7.  bis 

14.  Jahre,  denen  Vollmilch,  insoweit  sie  vorhanden  ist,  nur  gegen  Milch - 
karten  abgegeben  werden  darf,  was  auch  bezüglich  der  Abgabe  von 
Magermilch  an  die  Verbraucher  gilt.  Die  übrigen  Bestimmungen  dieser 
Bekanntmachung  regeln  die  Festsetzung  von  Höchstpreisen  für  VoU- 
und  Magermilch,  die  32  bzw.  26  Pf.  das  Liter  betragen,  die  Verab- 
folgung von  Sahne  in  Gast-,  Schankwirtschaften  oder  Konditoreien,  die 
Verwendung  von  Milch  bei  der  Brotbereitung  und  Herstellung  von 
Schokolade  oder  Süßigkeiten  sowie  zu  technischen  oder  Futterzwecken, 
was  ganz  verboten  wurde,  und  setzen  damit  die  Verordnungen  über 
Beschränkung  der  Milchverwendung  vom  2.  September  1915  (RGBl.  S.  545), 
über  Regelung  der  Milchpreise  und  des  Milchverbrauchs  vom  4.  November 
1915  (RGBl.  S.  723),    über   den  Maßstab   für    den  Milch  verbrauch  vom 

15.  November  1915  (RGBl.  S.  757)  und  über  die  Verwendung  von  Milch 
zur   Herstellung   von    Süßigkeiten    und   Schokolade    vom    29.    Dezember 

1915  (RGBl.  S.  849)  außer  Kraft.  Die  Lieferung  von  aus  dem  Aus- 
lande eingeführter  kondensierter  Milch  und  desgleichen  Milchpulver 
an  die  Zentral-Einkaufsgesellschaft  in  Berlin  ordnet  die  Bekanntmachung 
vom  18.  April  1916  an  (RGBl.  S.  302  und  303  mit  Ausführungsbestim- 
mungen). Am  3.  November  1917  ist  eine  neue  Verordnung  über  die 
Bewirtschaftung  von  Milch  und  den  Verkehr  mit  Milch  (RGBl.  S.  1005) 
erlassen    worden,    durch    welche    die    Bekanntmachung   vom    3.  Oktober 

1916  außer  Kraft  tritt.  Diese  enthielt  nur  zwei  Abschnitte  über  die 
Bestimmungen  über  die  Bewirtschaftung  von  Milch  und  den  Verkehr 
mit  Frischmilch,  zu  denen  durch  die  neue  Verordnung  noch  Preis- 
vorschriften, Bestimmungen  über  die  staatliche  Verkehrs-  und  Preis- 
regelung, Verbotsvorschriften  und  weitere  allgemeine  Anordnungen  in 
Anlehnung  an  die  Bestimmungen  vom  3.  Oktober  1916  treten,  so  daß 
in  der  neuen  Verordnung  die  reichsgesetzliche  Regelung  der  Milch- 
versorgung in  6  Hauptabschnitten,  wozu  noch  die  Straf-  und  Ueber- 
gangsvorschriften  kommen,  einheitlich  und  übersichtlich  ausgesprochen  ist. 
Die  ungünstige  Entwicklung,  welche  die  Milch-  und  Fettversorgung  der 
Bevölkerung  seit  dem  Erlaß  der  Verordnung  vom  3.  Oktober  1916  ge- 
nommen hat,  machte  eben  neue  Bestimmungen  zur  besseren  Erfassung 
und  zweckmäßigeren  Verteilung  der  Milch  notwendig,  die  ihren  Aus- 
druck in  der  Verordnung  vom  3.  November  1917  nunmehr  gefunden 
haben  dürften. 


^2^  Miszellen. 

Der  Vollständigkeit  wegen  ist  noch  auf  einige  Bestimmungen  über 
Butter,  Margarine,  Schmalz  und  andere  Fette  zur  menschlichen  Er- 
nährung hinzuweisen. 

Der  Preis  für  Butter  wird  bis  auf  weiteres  auf  Grund  der  §§  1 
und  4  der  Verordnung  des  Bundesrats  über  die  Regelung  der  Butterpreise 
vom  22.  Oktober  1915  (RGBl.  S.  689)  für  Handelsware  I  auf  höchstens 
240  M.,  für  Handelsware  II  auf  höchstens  230  M.,  für  Handelsware  III 
auf  höchstens  215  M.  und  für  abfallende  Ware  auf  höchstens  180  M. 
für  50  kg  festgesetzt.  Der  Zuschlag  für  den  Weiterverkauf  darf  höchstens 
betragen  beim  Verkauf  im  Großhandel  4  M.,  im  Kleinhandel  UM.  für 
je  50  kg;  mit  dem  Zusatz:  Liefert  der  Großhändler  dem  Kleinhändler 
die  Butter  in  kleinen  Packungen,  in  denen  sie  unmittelbar  an  den  Ver- 
braucher abgegeben  werden  kann  (insbesondere  in  Halbpfund-Paketen), 
so  darf  der  Zuschlag  für  den  Großhandel  um  3  M.  erhöht  werden;  um 
den  gleichen  Betrag  vermindert  sich  der  zulässige  Zuschlag  für  den 
Kleinhandel  (Bekanntmachungen  vom  24.  Oktober  1915  —  RGBl. 
S.  705  —  und  vom  29.  Oktober  1915  —  RGBl.  S.  719).  Im  Klein- 
handel kostet  somit  V2  ^S  Butter  2,55  M.  Dazu  kommt  noch  die 
Bekanntmachung  über  den  Ausgleich  der  Preise  für  inländische  und 
ausländische  Butter  vom  13.  Dezember  1915  —  RGBl.  S.  816  — ,  die 
auf  Grund  des  §  4  der  Verordnung  des  Bundesrats  über  die  Regelung 
der  Butterpreise  vom  22.  Oktober  1915  (RGBl.  S.  689)  folgendes  be- 
stimmt: 1)  Gemeinden,  die  in  erheblichem  Umfang  auf  Versorgung  mit 
ausländischer  Butter  angewiesen  sind,  dürfen  mit  Zustimmung  der  Landes- 
zentralbehörden oder  der  von  ihnen  bestimmten  Behörden  zur  Herbei- 
führung einheitlicher  Verkaufspreise  für  inländische  und  ausländische 
Butter  anordnen,  daß  zu  den  in  der  Bekanntmachung  über  die  Fest- 
setzung der  Grundpreise  für  Butter  und  die  Preisstellung  für  den  Weiter- 
verkauf vom  24.  Oktober  1915  (RGBl.  S.  705)  unter  II  für  inländische 
Butter  festgesetzten  Zuschlägen  ein  weiterer  Zuschlag  tritt,  insoweit 
als  dies  zur  entsprechenden  Minderung  des  Verkaufspreises  für  aus- 
ländische Butter  erforderlich  ist.  Die  näheren  Bestimmungen,  insbesondere 
über  die  Voraussetzungen,  unter  denen  eine  Anordnung  nach  Satz  1  er- 
gehen darf,  erlassen  die  Landeszentralbehörden.  2)  Die  Befugnis,  die 
den  Gemeinden  übertragen  ist,  steht  auch  Kommunal  verbänden  sowie 
Vereinigungen  von  Kommunalverbänden,  Gemeinden  und  Gutsbezirken 
zu.  Die  Landeszentralbehörden  können  die  zulässige  Anordnung  für 
ihren  Bezirk  oder  Teile  ihres  Bezirkes  selbst  treffen;  soweit  sie  dies 
tun,  ruht  die  Befugnis  der  zu  dem  Bezirke  gehörenden  Gemeinden  und 
Kommunalverbände.  Die  Landeszentralbehörden  können  ferner  anordnen, 
daß  die  den  Gemeinden  und  den  Kommunalverbänden  sowie  Vereini- 
gungen von  Kommunalverbänden,  Gemeinden  und  Gutsbezirken  über- 
tragene Befugnis  anstatt  durch  die  Gemeinden  und  Kommunalverbände 
durch  deren  Vorstand  wahrgenommen  wird.  Für  verdorbene  Butter  ist 
der  Grundpreis  auf  30  M.  unter  dem  Grundpreis  für  abfallende  Ware 
für  50  kg,  für  Margarine  desgleichen  auf  120  M.  und  für  sonstige  ver- 
dorbene Speisefette  einschließlich  Speiseknochenfett  auf  175  M.  festgesetzt 


Miszellen.  727 

worden.  Beim  Weiterverkauf  im  Großhandel  dürfen  diesen  Preisen  nicht 
mehr  als  insgesamt  4  M.  für  je  50  kg  zugeschlagen  werden  (Bekannt- 
machung vom  20.  Oktober  1916  —  RGBl.  S.  1174).  Am  25.  August  1917 
(RGBl.  S.  731)  wurden  neue  Butter(Grund)preise  (für  Berlin)  festgesetzt: 
für  Handelsware  I  240  M.,  II  220  M.,  abfallende  Ware  180  M.  Die 
Zuschläge  für  den  Weiterverkauf  dürfen  höchstens  betragen  für  den 
Kommunalverband  oder  die  Gemeinde,  an  welche  die  Lieferung  erfolgt, 
12  M,  im  Großhandel  5  M.,  im  Kleinhandel  13  M.  Das  V2  kg  stellt 
sich  danach  auf  2,65  M.     Abweichungen  sind  zulässig  (§  3). 

Die  Bekantmachung  über  den  Verkehr  mit  Margarine  vom  9.  Sep- 
tember 1915  (RGBl.  S.  555)  erläßt  Vorschriften  über  die  Fabrikmarken  für 
ausländische  Margarine  im  Anschluß  an  das  Gesetz,  betreffend  den  Ver- 
kehr mit  Butter,  Käse,  Schmalz  und  deren  Ersatzmitteln,  vom  15.  Juni 
1897  (RGBl.  S.  475).  Auf  Grund  dieses  Gesetzes,  von  dem  während 
des  Krieges  Ausnahmen  zugelassen  werden  können  (Bekanntmachung 
vom  16.  Juli  1916,  RGBl.  S.  751),  ist  weiter  bestimmt  worden,  daß 
bis  auf  weiteres  Kartoffelstärkemehl  statt  Sesamöl  als  Erkennungsmittel 
für  Margarine    verwendet    werden   kann    (Bekanntmachung   vom  1.  Juli 

1915  —  RGBl.  S.  413).  Die  oben  erwähnte  Bekanntmachung  vom 
8.  November  1915  wurde  später  auf  Margarine  ausgedehnt,  über  deren 
Einfuhr  aus  dem  Auslande  in  Verbindung  damit  noch  besondere  Aus- 
führungsbestimmungen erlassen  wurden,  dergestalt,  daß  solche  Margarine 
während  des  Krieges  nur  durch  die  Zentral-Einkaufsgesellschaft  in  Berlin 
in  den  Verkehr  gebracht  werden  darf  (Bekanntmachung  vom  12.  Januar 

1916  —  RGBl.  S.  25  u.  26),  mit  einer  unwesentlichen  Abänderung  vom 
27.  Oktober  1916  —  RGBl.  S.  1208;  dagegen  ist  aus  dem  Auslande 
eingeführte  Margarine  von  der  Lieferung  an  den  Kriegsausschuß  für 
pflanzliche  und  tierische  Oele  und  Fette  ausgenommen,  gemäß  Bekannt- 
machung vom  4.  März  1916  (RGBl.  S.  148)  mit  den  Ausführungsbe- 
stimmungen dazu  vom  8.  März  1916  (RGBl.  S.  151).  Die  Verwendung 
von  Margarine  zu  technischen  Zwecken  wurde  am  6.  Januar  und  21.  Juli 
1916  verboten  —  Bekanntmachung  über  das  Verbot  der  Verwendung 
von  pflanzlichen  und  tierischen  Fetten  zu  technischen  Zwecken  —  RGBl. 
S.  3  und  765. 

Wie  Margarine  so  ist  auch  aus  dem  Auslande  eingeführtes  Schmalz 
von  der  Lieferung  an  den  Kriegsausschuß  für  pflanzliche  und  tierische 
Oele  und  Fette  ausgenommen  (Bekanntmachung  vom  4.  und  8.  März  1916, 
RGBl.  S.  148  und  151),  desgleichen  von  der  Beschlagnahme  der  Ablieferung 
(Bekanntmachung  vom  20.  Juli  1916  —  RGBl.  S.  755),  aber  ebenfalls 
wie  Margarine  an  die  Zentral-Einkaufsgesellschaft  in  Berlin  zu  verkaufen 
und  zu  liefern  (Bekanntmachung  vom  4.  März  und  27.  Juni  1916  — 
RGBl.  S.  149  und  612). 

Schließlich  ist  noch  auf  die  Bekanntmachung  über  Rohfette  vom 
16.  März  1916  (RGBl.  S.  165)  hinzuweisen,  die  Bestimmungen  über  das 
Schmelzen  für  Rohfett  von  Rindvieh  und  Schafen  während  des  Krieges 
erläßt,  sowie  auf  die  Bekanntmachung  über  die  Verwertung  von  Tier- 
körpern  und  Schlachtabfällen   vom    29.  Juni  1916    (RGBl.    S.  631)   mit 


728  Miszellcn. 

einer  kleinen  Abänderung  vom  17.  August  1917  (RGBl.  S.  715)  und 
die  Bekanntmachung  über  die  Aufstellung  von  Fettabscheidern  während 
des  Krieges  vom  3.  Mai  1917  (RGBl.  S.  395),  die  wie  die  früher  er- 
wähnten hierfür  besonders  in  Betracht  kommenden  Verordnungen  die 
Ausnützung  aller  Abfälle,  die  Knochenverwertung,  die  Verarbeitung  von 
Speiseresten  zu  Milchkraftfutter,  die  Ablieferung  der  bei  Schlachtungen 
von  Schweinen  anfallenden  frischen  Knochen  und  alle  sonstigen  nur  mög- 
lichen Ausnützungen  und  Verwertungen  zum  Ausgleich  der  Fleisch-  und 
Fettnot  erstrebten. 

Nach  vielen  Versuchen  ist  es  es  endlich  gelungen,  die  Fleischver- 
ßorgung  Deutschlands  einheitlich  zu  regeln,  was  anfangs  fast  für  un- 
möglich gehalten  wurde,  da  auf  diesem  Gebiete  Schwierigkeiten  zu  über- 
winden waren,  die  nicht  einmal  die  Kaitoffelversorgung,  noch  viel  weniger 
die  Brotgetreide-,  Mehl-  und  Brotregelung  aufwies.  Es  galt  hierbei  in 
der  Hauptsache,  den  Viehbestand,  in  Anpassung  an  die  Futtermittel- 
vorräte, namentlich  den  Nutz-  und  Zuchtviehbestand  zu  erhalten  und 
eine  gerechte  gleichmäßige  Fleischverteilung  herbeizuführen.  Das  ist 
in  vollem  Umfange  durch  die  Reichsfleischkarte  erreicht,  die  250  g, 
wie  wir  näher  ausgeführt  haben,  pro  Kopf  und  Woche  gewährt,  eine 
Menge,  die  für  den  menschlichen  Bedarf  im  allgemeinen  als  ausreichend 
bezeichnet  werden  kann  —  für  Schwer-  und  Schwerstarbeiter  werden 
besondere  Zulagen  gewährt,  die  bis  zu  100  g  pro  Kopf  und  Woche 
betragen  — ,  zumal  das  Zusatzfleisch  im  Sommer  1917  nicht  außer  acht 
gelassen  werden  darf,  und  in  Ansehung  der  wieder  auf  220  g  erhöhten 
Brotmenge  pro  Kopf  und  Tag;  außerdem  sind  bis  zu  80  g  Speisefette 
pro  Kopf  und  Woche  daneben  zugebilligt  worden.  So  viel,  wie  wir  früher 
Fleisch  gegessen  haben,  ist  das  nun  freilich  nicht,  wenn  man  annimmt, 
daß  im  Frieden  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  ein  jährlicher  Fleisch- 
verbrauch von  über  50  kg  =  1  Ztr.  =  100  Pfd.  kam,  während  wir 
jetzt  nur  250  g.52  =  13000  g  =  13  kg  =  knapp  V4  Ztr.  =  25  Pfd. 
zu  essen  bekommen,  was  aber  in  Anbetracht  der  Verhältnisse  immer 
noch  gerade  genug  ist  für  die  menschliche  Ernährung,  soweit  das  Fleisch 
in  Betracht  kommt,  denn  es  stehen  uns  noch  andere  Nahrungsmittel 
in  ausreichender  Menge  zum  Ausgleich  zur  Verfügung,  insbesondere  Brot, 
die  sichere  Grundlage  unserer  Kriegsnahrung  neben  den  Kartoffeln, 
deren  Aussichten  für  1917/18  nicht  schlecht  sind.  Dabei  ist  vor  allem  zu 
bedenken,  daß  der  frühere  Fleischverbrauch  stark  übertrieben  war,  denn 
eine  solche  Menge  ist  zur  ausreichenden  menschlichen  Ernährung  nicht 
erforderlich.  Und  noch  weit  in  den  Krieg  hinein  brauchten  wir  uns 
keine  Beschränkung  im  Fleischgenusse  aufzuerlegen.  Erst  der  Anfang 
des  dritten  Kriegsjahres  brachte  die  Kontingentierung  des  Fleichver- 
brauchs,  die  immer  noch  angemessene  Rationen  zur  Verfügung  stellt. 
Auch  die  dafür  festgesetzten  Preise,  deren  Höhe  oben  S.  714  mitgeteilt 
worden  ist,  sind  durch  die  allgemeine  Regelung  der  Fleischversorgung 
so  bemessen  worden,  daß  sie  von  allen  Verbrauchern  ohne  Schwierig- 
keiten getragen  werden  können.  Es  ist  somit  nicht  zuviel  gesagt,  wenn 
wir  feststellen,  daß   es  mit  der  langen  Dauer  des  Krieges  nunmehr  ge- 


Miszellen.  729 

luDgen  ist,  auch  die  FleischversorguDg  Deutschlands  einheitlich  zu  ge- 
stalten und  ihre  Durchführung  in  vollem  Umfange  zu  sichern,  wie  es 
zuerst  mit  dem  Brotgetreide  und  dann  mit  den  Kartoffeln  der  Fall  ge- 
wesen ist,  80  daß  nunmehr  unsere  drei  Hauptnahrungsmittel  Brot,  Kar- 
toffeln und  Fleisch  in  das  System  der  modernen  Kriegsernährungs- 
wirtschaft, die  in  der  öffentlichen  Bewirtschaftung  ihren  zeitgemäßen 
Audruck  findet,  mit  Erfolg  einbezogen  worden  sind,  so  daß  die  Lebens- 
mittelversorgung am  Ende  des  dritten  und  zu  Beginn  des  vierten  Kriegs- 
jahres zu  einem  trefflichen  geschlossenen  Werke  geworden  ist,  das  aus 
harter  Not  heraus  auf  den  Erfahrungen  schwerer  Kriegsjahre  errichtet 
werden  mußte  und  uns  die  sichere  Gewähr  bietet,  wie  die  oben  mehrfach 
erwähnte  „Kriegsernährungs Wirtschaft  1917"  am  Schlüsse  ausführt,  den 
Aushungerungskrieg  siegreich  zu  bestehen  und  so  den  Erfolg  der  mili- 
tärischen Waffen  zu  verbürgen. 


730 


MisKellen. 


XVllI. 

Die  Srotpreise  in  Berlin  in  der  ersten  Hälfte 
des  vierten  Kriegsjahres  1917. 

Von  Dr.  Hans  Guradze,  Berlin. 

In  Bd.  53,  S.  748  f.  dieser  „Jahrbücher"  habe  ich  die  Brotpreise 
in  Berlin  im  dritten  Kriegsjahre  1916  besprochen.  Im  folgenden  sollen 
sie  für  die  erste  Hälfte  des  vierten  Kriegsjahres  1917  gegeben  werden. 
Sie  stellten  sich  nach  Verwiegungen  des  Statistischen  Amtes  der  Stadt 
Berlin  für  1  kg  in  Pfennigen  folgendermaßen: 


Monat, 

1917 

1916 

Halbjahr 

Roggenbrot 

Weizenbrot 

Roggenbrot 

Weizenbrot 

Januar 

33,81 

76,07 

40,54 

62,43 

Februar 

3^18 

68,15 

41,02 

62,97 

März 

42,72 

46,45 

41,62 

62,46 

April 

42,59 

46,72 

41,51 

63,50 

Mai 

39,36 

43,2* 

41,60 

63,9s 

Juni 

39,66 

43,79 

41,37 

63,51 

1.  Halbjahr 

39,05 

54,07 

41,28 

63,16 

Es  bedarf  eigentlich  nicht  mehr  der  besonderen  Hervorhebung,  daß 
es  sich  seit  Mai  1915  um  Höchstpreise  handelt  (vgl.  auch  meine  Aus- 
führungen in  Bd.  52,  S.  342).  Für  Mehl  und  Getreide  liegen  keine 
weiteren  Notierungen  vor,  als  die  bereits  früher  angeführten,  nämlich 
vom  Januar  1915  (Mehl)  und  vom  November  1914  (Getreide).  Auch 
hier  gelten  die  Höchstpreise.  Wie  im  Jahre  1916,  so  wird  auch  1917 
die  bis  März  dauernde  Preissteigerung  des  Roggenbrotes  im  April  unter- 
brochen, nur  daß  im  Berichtsjahre  der  Rückgang  auch  im  Mai  anhält; 
im  Juni  ergibt  sich  dann  eine  kleine  Steigerung.  Nicht  ganz  so  verhält 
es  sich  mit  dem  Weizenbrot.  Hier  sinkt  1917,  wie  1916,  der  Preis  bis 
März,  steigt  etwas  im  April,  fällt  —  im  Gegensatz  zu  1916  —  im  Mai, 
um  dann  wieder  im  Juni  etwas  anzuziehen.  Der  Weizenbrotpreis  steht 
im  Juni  1917  bedeutend  unter  dem  Januarpreis,  während  der  Roggen- 
brotpreis gestiegen  ist.  Beide  Sorten  haben  im  ganzen  Halbjahres- 
durchschnitt 1917  gegen  1916  Preisabnahmen  zu  verzeichnen,  besonders 
das  Weizenbrot.  Für  die  einzelnen  Monate  ergeben  sich  nachstehende 
prozentualen  Unterschiede  der  Preise  von  1917  gegenüber  1916: 


M 

iszellen. 

781 

bei 

Januar 

Februar 

März 

April 

Mai 

Juni 

Roggenbrot 
Weiaenbrot 

—  i6,«o 

+    21,85 

—   11,80 
+      8,23 

+      2,66 
—   25,68 

+      2,60 
—   26,43 

-  5,88 

—  32,36 

—  4,18 

—  31.05 

Man  bemerkt  also  bedeutende  Spannungsunterschiede  zwischen 
beiden  Brotarten.  Betrachtet  man  das  ganze  erste  Halbjahr  1917 
(diesmal  also  einschließlich  Februar),  so  beläuft  sich  gegenüber  dem 
entsprechenden  Zeitraum  von  1916  (einschließlich  Februar)  die  Abnahme 
beim  Roggenbrot  auf  5,40  Proz.,  die  beim  Weizenbrot  sogar  auf  14,39 
Proz.  Das  Gewicht  des  Fünfzigpfennigbrotes  (Roggenbrot)  stellte  sich 
im  Halbjahr  Januar  bis  Juni  1917  auf  1,28  kg,  in  demselben  des  Vor- 
jahres auf  1,21  kg  (beide  Male  einschließlich  Februar).  Das  diesjährige 
Gewicht  übertrifft  also  etwas  das  vorjährige,  was,  immer  abgesehen  von 
der  Beschaffenheit  des  Brotes,  entschieden  günstig  ist. 


732  lliszellen. 

XIX. 

Die  Einwanderung  in  die  Vereinigten  Staaten  unter 
dem  Einfluß  des  Krieges. 

Von  Dr.  Ernst  Schnitze. 

Beispiellos  in  der  Geschichte  Nordamerikas  siod  die  "WirkuDgen, 
die  der  Krieg  auf  die  Einwanderung  dorthin  hatte.  Seit  dem  Jahr 
1821,  mit  welchem  die  Statistik  der  Union  über  die  Einwanderung 
begann,  sind  bis  zum  Jahre  1910  allein  aus  Europa  26  30OC0O  Menschen 
dorthin  eingewandert.  Im  20.  Jahrhundert  stieg  die  Jahreseinwande- 
rungsziffer so  außerordentlich,  daß  sie  durchschnittlich  rund  900000 
Köpfe  betrug.  Seit  1850  bereits  war  die  Zahl  der  in  jedem  Jahrzehnt 
in  die  Union  zuströmenden  Einwanderer  auf  mehr  als  2  Millionen  ge- 
stiegen, in  den  letzten  3  Jahrzehnten  vor  dem  Kriege  betrug  sie: 

1881—1890  5296613 

1891—1900  3844420 

1901—1910  8795386 

Der  Krieg  hat  diesen  Zustrom  plötzlich  beinahe  ganz  verstopft. 
1915  betrug  die  Zuwanderung  nur  noch  243370  Köpfe,  der  eine  Rück- 
Wanderung  von  271 138  Menschen  gegenüberstand,  so  daß  sich  ein 
Abwanderungsverlust  von  beinahe  30000  Köpfen  ergab.  1916 
betrug  die  Ziffer  der  Einwanderer  176  611,  die  der  Rückwanderer 
169  578,  so  daß  ein  ganz  kleiner  Gewinn  vorhanden  war.  Im  Fiskal- 
jahr 1917  (Juli  1916  bis  Juni  1917)  scheint  er  etwas  größer  werden 
zu  sollen.  Jedenfalls  sind  aber  die  Zahlen  unerheblich,  die  Einwande- 
rungskurve ist  seit  1915  scharf  gebrochen. 

Nach  Kalenderjahren  betrug  die  Einwanderung  (nach  Brad- 
street's) : 

1905  1064778       1911      782545 

1906  I  158  140       1912     1026360 

1907  I  321  170       1913    1387  318 

1908  410289       1914      688495 

1909  957105       1915      285678 

1910  1 071  885       1916      355587 

Mithin  war  die  Einwanderungsziffer  sowohl  1915  wie  1916  be- 
deutend niedriger  als  in  dem  Jahre  der  schweren  Wirtschaftskrise  1908, 
obwohl  damals  die  schärfste  Arbeitslosigkeit  herrschte,  während  jetzt 
außerordentlicher  Bedarf  an  Arbeitskräften  vorhanden  ist 
und  die  Löhne  so  hoch  gestiegen  sind  wie  nie  zuvor.  Bekanntlich 
überstieg  die  Ausfuhr  der  Union  die  Einfuhr  in  den  beiden  ersten 
Kriegsjahren  zusammen  um  nicht  weniger  als  7  Milliarden  M.  Nach 
anfänglichem  Sträuben  erklärten  sich  die  Arbeitgeber  daher  zu  betracht- 
lichen Lohnerhöhungen  bereit.  Sie  waren  dazu  einfach  gezwungen 
durch  den  bedrohliche  Formen  annehmcEden  Arbeitermangel.  Als 
Beispiel  sei  erwähnt,  was  die   „Evening  Post"  (New  York)    bereits  am 


Miszelleu. 


733 


28.  Mai  1915  schreibt:  eine  Maschinenwerkzeugfabrik  habe,  obwohl 
sie  zur  Besetzung  von  4  Aufseherstellen  an  60  in  ihren  Listen  vor- 
gemerkte Personen  schrieb,  nicht  einen  einzigen  Bewerber  finden 
können. 

Vor  allem  ist  Mangel  an  gelernten  Arbeitern  ein- 
getreten. Man  hatte  versucht,  ihm  dadurch  abzuhelfen,  um  auch  un- 
gelernte Arbeiter  beschäftigen  zu  können,  daß  man  die  Arbeitsteilung 
noch  weiter  trieb.  Indessen  waren  die  Ergebnisse  in  der  Regel  sehr 
wenig  befriedigend,  so  daß  ein  „beunruhigendes"  Maß  von  Aufsicht 
nötig  war.  Bald  jedoch  mangelten  Arbeitskräfte  auch  für  unge- 
lernte Arbeiten.  Blieben  doch,  da  alle  Großmächte  Europas  in 
den  Krieg  verwickelt  waren,  die  Hunderttausende  williger  Arbeits- 
kräfte aus,  die  sonst  von  Italien,  dem  Balkan  und  Rußland  nach  Nord- 
amerika wanderten. 

Gerade  die  europäische  Einwanderung  ging  außerordent- 
lich stark  zurück:  sie  betrug  im  Kalenderjahr  1915  nur  den  4.  Teil 
derer  des  Vorjahres,  und  die  Küokwanderung  war  so  groß,  daß  sie  die 
Zuwanderung  überstieg.  Die  Zahlen  für  Ein-  und  Abwanderung  über 
den  New  Yorker  Hafen  lauten  für  die  europäischen  Länder: 


Zuwanderung 

Abwanderung 

Nationalität 

1914 
Anzahl 

1915 
Anzahl 

1914 
Anzahl 

1915 
Anzahl 

Oesterreich 

43632 

2372 

25494 

172 

Ungarn 

63716 

1270 

27398 

486 

Belgien 

3738 

I  610 

834 

47 

Bulgarien,  Serbien  und  Montenegro 

5415 

1057 

2  142 

1173 

Dänemark 

4  474 

2878 

491 

431 

Frankreich  (mit  Corsica) 

5951 

4208 

5786 

2327 

Deutsches  Reich 

16774 

2401 

3425 

494 

Griechenland 

32091 

16048 

II  324 

6804 

Italien  (mit  Sizilien  und  Sardinien) 

120  913 

28  130 

90197 

85925 

Niederlande 

4871 

2855 

791 

404 

Norwegen 

7560 

5503 

1697 

1229 

Portugal  (mit  Cap  Verde  und  den 

Azoren) 

I  270 

1358 

918 

470 

Rumänien 

1990 

104 

334 

92 

Rußland  und  Finnland 

74983 

3660 

35142 

8063 

Spanien     (mit     den     Kanarischen 

Inseln  und  den  Balearen) 

3088 

2494 

1682 

2490 

Schweden 

7857 

5217 

1473 

1004 

Schweiz 

2792 

1038 

455 

220 

Europäische  Türkei 

2054 

359 

1199 

41 

Großbritannien: 

England 

20067 

13  517 

5672 

6692 

Irland 

13849 

II  515 

2480 

1419 

Schottland 

5  266 

2512 

I  652 

1491 

Wales 

I  144 

535 

155 

146 

Andere  europäische  Länder 

I  132 

994 

25 

84 

Ganz  Europa 

444657 

111635 

220  766 

121  704I) 

1)  58.  Annual  Report  of  the  Coporation  of  the  Chamber  of  Commerce  of  the 
State  of  New  York  for  the  year  1915/16,  New  York  1916,  second  Part.,  c.  232 
und  233. 


734  Ifiszellen. 

Zusammen  mit  der  Ein-  und  Abwanderung  der  übrigen  Weltteile, 
die  im  Verhältnis  zu  der  europäischen  unerheblich  ist,  ergeben  sich 
für  die  Einwanderung  und  Eückwanderung  über  den  New  Yorker  Hafen 
für  die  Kalenderjahre: 

1914  1915 

Zuwanderung  467  926  127  195 

Abwanderung  226402  126  100 

Ueberschuß  der  Zuwanderung  über 

die  Rückwanderung  -f*  241  534  -f-  1 095 

Auf  die  Einwanderung  aus  Europa  und  die  Rückwanderung 
dorthin  entfallen  von  diesen  Ziffern  folgende  Menschenmengen: 

1914  1915 

Zuwanderung                 444657  111635 

Abwanderung                 220766  121  704 

Endergebnis               +223891  — IG  069 

In  den  ersten  21  Monaten  des  Krieges  wanderten  in  die 
Vereinigten  Staaten  nur  503  364  Menschen  ein,  während  die  Vergleichs- 
zahl für  die  21  Monate  vor  dem  Kriege  2102  360  betragen  hatte.  Die 
Vereinigten  Staaten,  die  an  starke  Einwanderung  gewöhnt  sind,  weil  sie 
sie  für  die  Ausdehnung  ihrer  wirtschaftlichen  Unternehmungen  dringend 
nötig  haben,  wurden  daher  von  einem  Arbeitermangel  bedroht, 
der  um  so  schärfer  in  die  Erscheinung  treten  mußte,  als  die  riesigen 
Ziffern  des  Ausfuhrhandels  ebenso  wie  die  gewaltigen  Beträge  noch 
unerledigter  Aufträge  jede  Arbeitskraft  unentbehrlich  machten. 

Merkwürdigerweise  erkannte  man  jedoch  in  Nordamerika  diesen 
Zusammenhang  lange  Zeit  hindurch  nicht  oder  war  sich  nicht  darüber 
klar,  daß  man  danach  seine  Stellung  zu  der  Einwanderungsfrage  be- 
stimmen mußte.  Vielmehr  wurde  im  Dezember  1916  vom  Kongreß 
ein  die  Einwanderung  hemmendes  Gesetz  angenommen,  das  die 
Unterschrift  des  Präsidenten  Wilson  erhielt,  während  sein  Vorgänger 
Taft  ähnliche  Gesetze  stets  mit  seinem  Veto  belegt  hatte. 

Die  Hauptbestimmungen  sind  folgende:  Für  Einwanderer,  die 
nicht  Schutz  vor  religiösen  Verfolgungen  ihres  letzten  Wohnlandes 
suchen  —  diese  Bestimmung  zum  Schutz  der  russischen  und  rumänischen 
Juden  wurde  durch  die  Aufhebung  der  russischen  Juden gesetze  zum  Teil 
hinfällig  —  müssen  vor  den  Einwanderungsinspektoren  eine  Leseprüfung 
in  irgendeiner  Sprache  oder  Mundart,  die  der  Einwanderer  zu  wählen  hat, 
ablegen.  Die  ausgesprochene  Absicht  ist,  einen  großen  Teil  der  balkansla- 
vischen,  italienischen  und  russischen  Einwanderer  auszuschalten.  Man 
glaubt,  daß  die  Einwanderung  gegenüber  den  letzten  Friedensjahren  infolge- 
dessen um  100  000  Köpfe  jährlich  geringer  sein  werde.  Voraussichtlich  wird 
die  Zahl  der  Ausgeschlossenen  oder  vielmehr  schon  aus  Furcht,  ausge- 
schlossen zu  werden,  Fernbleibenden  viel  größer  sein ;  und  zwar  werden 
gerade  solche  Menschen  zum  großen  Teil  fernbleiben,  die  für  Landwirt- 
schaft oder  Eisenbahnstreckenbau,  Bergwerke  und  Hochöfen,  endlich 
für  persönliche  Dienstleistungen  in  Betracht  zu  kommen  pflegten.  Viele 
dieser  Berufe  werden  schlecht  entlohnt  und  daher  von  den  eingeborenen 
Amerikanern  verschmäht.  —  Ferner  erhöht  das  neue  Einwandemngsge- 


MiBiellen.  735 

setz  die  Kopfsteuer,  die  jeder  Einwanderer  zu  zahlen  hat,  von  4  auf 
8  $;  das  Einwanderungsschiff  ist  dafür  haftbar.  Ausgeschlossen  von 
der  Einwanderung  sind  Geistesgestörte,  Personen,  die  an  besonderen 
Gebrechen  leiden,  Arbeiter,  die  durch  Vertrag  verpflichtet  sind,  Kinder 
unter  16  Jahren  ohne  Begleitung  ihrer  Eltern  und  —  Personen,  die 
sich  des  gewaltsamen  Umsturzes  einer  Regierung  schuldig  gemacht 
haben!  Dem  Wortlaut  dieses  Gesetzes  nach,  das  selbstverständlich 
sobald  es  den  amerikanischen  Behörden  paßt,  nicht  zur  Anwendung 
gelangen  wird,  dürfte  weder  Kerenski  noch  General  Kornilow  in  die 
Vereinigten  Staaten  zugelassen  werden. 

Am  1.  Mai  1917  trat  dieses  verschärfte  Einwanderungsgesetz 
in  Kraft.  Nun  freilich  wurden  Stimmen  laut,  die  darauf  hinwiesen, 
daß  es  auf  die  gegenwärtige  Wirtschaftslage  passe  wie  die  Faust  aufs 
Auge.  So  schrieb  die  „National  City  Bank"  in  New  York,  die  die 
Förderung  des  Auslandhandels  zu  ihrer  besonderen  Aufgabe  gemacht 
hat,  in  ihrem  Rundschreiben  vom  17.  März  1917: 

^Unser  Kapitalbestand  wächst  schnell,  er  kann  aber  ohne  zuneh- 
mende Arbeitskräfte  nicht  verwendet  werden,  und  wenn  wir  diese  hier 
nicht  erhalten  können,  wird  das  Kapital  dorthin  gehen,  wo  Arbeits- 
kräfte vorhanden  sind.  Das  bedeutet,  daß  wir  durch  unsere  eigene 
Gesetzgebung  denjenigen  Machtfaktoren  Vorschub  leisten,  die  nach  Be- 
endigung des  Krieges  die  Goldausfuhr  von  hier  fördern,  und  daß  wir 
durch  den  Ausschluß  der  Arbeitskräfte  und  durch  die  Kapitalausfuhr 
den  europäischen  Industrien  helfen,  mit  unseren  eige- 
nen in  Wettbewerb  zu  treten." 

Von  allen  Seiten  suchen  die  Vereinigten  Staaten  letzthin  Ein- 
wanderer heranzuziehen,  soweit  dies  auf  Grund  der  bestehenden  Ge- 
setze möglich  ist;  die  Ankömmlinge  dürfen  also  —  von  den  geschilderten 
und  anderen  Bestimmungen  abgesehen  —  nicht  mit  einem  festen  Ver- 
trage in  der  Tasche  einwandern. 

Es  gab  eigentlich  nur  eine  Quelle,  aus  der  man  Menschen  be- 
ziehen konnte,  die  diesen  Vorschriften  genügte :  man  mußte  die  nach 
Kanada  ausgewanderten  Nordamerikaner  wieder  ins  eigene  Land  zu- 
rückrufen. Freilich  schädigte  man  dadurch  wiederum  den  Handel  mit 
dem  nördlichen  Nachbarn,  dessen  Kaufkraft  dadurch  sinken  mußte. 
Dennoch  blieb  die  Zuwanderung  aus  Kanada  gering  —  ja  in  umge- 
kehrter Richtung  vollzieht  sich  eine  Bewegung,  die  den  Vereinigten 
Staaten  nun  noch  weitere  Arbeitskräfte  entzieht:  seit  dem  1.  April 
1913  sind  bis  zum  31.  März  1917  nicht  weniger  als  57  000  Kanadier 
aus  der  Union  in  ihre  H  eimat  zurückgewandert  und  zwar  i) : 


1913/14 

17638 

1914/15 

18011 

1915/16 

II  084 

1916/17 

10246 

Die  Kanadier,    die   länger  als  ein  Menschenalter  zu  den  billigsten 
Arbeitskräften    in    den  Vereinigten    Staaten    gehörten,    ziehen   nun,    da 


1)  „Financial  Time«"  vom  21.  Juni  1917. 


736  Miszellen. 

ihnen  die  Heimat  infolge  der  Kriegsverhältnisse  ebenfalls  günstige 
Lohnbedingungen  bietet,  vor,  dort  zu  arbeiten.  So  ist  denn  auch  die 
Einwanderung  aus  Kanada,  die  früher  recht  bedeutend  war, 
so  gesunken,  daß  sie  in  den  letzten  Anschreibungen  der  Union  über- 
haupt nicht  mehr  aufgeführt  wird!  — 

Der  Arbeitermangel  in  den  Vereinigten  Sftaten  hat  sich  so  emp- 
findlich gestaltet,  daß  nun  drei  merkwürdige  Erscheinungen  zu 
beobachten  sind:  Negerbinnen Wanderungen,  die  lebhafte  Beunruhigungen 
erzeugen ;  eine  Wiederbelebung  der  Einwanderung  trotz  Schiffsraum- 
mangel und  Weltkrieg ;  und  endlich  —  das  Allerunwahrscheinlichste  — 
der  dringend  geäußerte  Wunsch,  chinesische  uud  japanische  Arbeiter 
einzuführen ! 

Negerwanderungen  von  Süden  nach  Norden  hat  es  in  Nord- 
amerika schon  zweimal  gegeben.  Das  erste  Mal  geschah  dies  während 
der  letzten  Jahre  des  Bestehens  der  Sklaverei,  da  sich  in  den  Schwarzen 
der  Wunsch  regte,  sich  aus  ihrem  unwürdigen  Zustande  zu  befreien; 
die  Kühneren  unter  ihnen  flohen  daher  über  die  Grenzlinie  der  süd- 
lichen (Sklaven-)  zu  den  nördlichen  (Freiboden-)Staaten,  wo  sie  in  der 
Regel  freiwillige  Helfer  fanden,  um  heimlich,  meistens  des  Nachts, 
weiterbefördert  und  auf  dieser  „unterirdischen  Eisenbahn"  über  die 
kanadische  Grenze  geschafft  zu  werden,  wo  sie  endlich  in  Sicherheit 
waren.  Als  dann  durch  den  Bürgerkrieg  die  Befreiung  der  Sklaven 
erfolgt  war,  versuchten  manche  Neger  ihr  Glück  im  Norden.  Theore- 
tisch herrschte  ja  fortan  Freizügigkeit.  Indessen  ergab  sich  bald,  daß 
die  Schwarzen,  weil  ihnen  infolge  der  schulfeindlichen  Gesetze  des 
Südens  unmöglich  zu  sein  pflegte,  auch  nur  die  einfachste  Bildung  zu 
erringen,  es  in  den  meisten  Berufsarten  des  Nordens  nicht  mit  den 
Weißen  aufnehmen  konnten.  Jede  Binnenwanderung  hörte  daher  bald 
auf;  großen  Umfang  nahm  sie  niemals  an.  Jedenfalls  wünschte  man 
einen  solchen  Zustrom  schwarzer  Arbeitskräfte  im  Norden  auch  keines- 
wegs. Die  Arbeiterkreise  wollten  nicht  unterboten  werden,  und  die 
Weißen  mochten  im  allgemeinen  keine  Negerstadtteile  in  ihren  Städten 
aufkommen  sehen.  Wo  die  Schwarzen  in  größerer  Zahl  auftraten,  da 
kam  es  zuweilen  auch  im  Norden  zu  bösen  Auftritten.  Im  Jahre  1863, 
mitten  im  Bürgerkrieg,  brach  in  der  Stadt  New  York  ein  Pöbelauf- 
ruhr los,  der  sich  zu  einem  Teile  gegen  die  damals  verkündete  Wehr- 
pflicht, zum  anderen  gegen  die  Neger  richtete,  die  man  als  die  Ursache 
des  Krieges  betrachtete.  Tagelang  wütete  der  Aufruhr,  in  dem  zahl- 
loses Eigentum  zerstört  und  viele  Menschen  ermordet  wurden.  Weit 
über  100  Neger,  die  sich  nichts  hatten  zuschulden  kommen  lassen, 
mußten  ihre  Hautfarbe  mit  dem  Leben  büßen,  viele  von  ihnen  unter 
den  Qualen,  an  deren  Ausübung  der  weiße  Pöbel  in  Nordamerika  bei 
Lynchmorden  seine  Freude  hat. 

Zu  ähnlichen  Auftritten  ist  es  jetzt  gekommen,  zumal  in  St.  Louis. 
Dem  Weißen  ist  der  Strom  von  Negern,  der  sich  aus  dem  Süden  in 
den  Norden  ergießt,  weil  es  dort  an  Arbeitskräften  mangelt,  verhaßt. 
Er  glaubt  sich  berechtigt,  jede  Gewalttat  gegen  die  Schwarzen  anzu- 
wenden, auch  wenn  sie  völlig  unschuldig  sind.    Daß  solche  Greueltaten 


Miszellen. 


737 


Andererseits   die  Negerwauderungen  nicht  zum  Stehen  bringen,   bedarf 
kaum  der  Erwähnung. 

Die  zweite  Folge  der  gegenwärtigen  Zwangslage  ist  ein  leises 
Anschwellen  der  Einwanderung.  Freilich  sind  die  Ziffern  nicht 
eben  bedeutend  gestiegen.  Gleichzeitig  aber  ist  die  Rückwanderung 
gesunken,  so  daß  der  Wanderungsgewinn  letzthin  um  mehr  als  50  Proz. 
größer  war  als  im  Vorjahre.  Die  letzten  mir  bekannten  Ziffern  sind 
die  für  die  10  Monate  August  1916  bis  Mai  1917  verglichen  mit  denen 
des  Vorjahres.  An  der  Einwanderung  in  die  Vereinigten  Staaten  waren 
beteiligt  ^) : 


August  1915 

August  1916 

bis  Mai  1916 

bis  Mai  1917 

Afrikanische  Neger 

3  933 

7028 

Armenier 

858 

I  193 

Böhmen  und  Mähren 

596 

314 

Bulgaren,  Serben  und  Montenegriner 

2841 

1088 

Chinesen 

2068 

1703 

Kroaten  und  Slowenen 

758 

302 

Cubiiner 

2944 

3  190 

Dal m alier,  Bosnier  und  Herzego winer 

HO 

92 

Holländer  und  Flamen 

5828 

5047 

Ostindier 

73 

68 

Engländer 

33152 

31025 

Finnen 

5190 

5569 

Franzosen 

17625 

23822 

Deutsche 

10714 

9486 

Griechen 

23001 

23668 

Hebräer 

13816 

16590 

Iren 

18513 

17059 

Norditaliener 

4481 

3  733 

Südilaliener 

2853s 

34600 

Japaner 

7  737 

8029 

Koreaner 

153 

195 

Litauer 

560 

465 

Magyaren 

938 

431 

Mexikaner 

16  128 

16352 

Inselbewohner  des  Stillen  Meeres 

5 

8 

Polen 

4042 

3070 

Portugiesen 

II  493 

9844 

Rumänen 

879 

502 

Russen 

4  539 

3  574 

Ruthenen 

1277 

I  209 

Skandinavier 

17  361 

18052 

Schotten 

12  227 

12952 

Slovaken 

562 

244 

Spanier 

7905 

14003 

Spanisch- Amerikaner 

I  614 

2333 

Syrier 

621 

965 

Türken 

178 

451 

Walliser 

911 

764 

Westindier  (ausgenommen  Cubaner) 

791 

1223 

Verschiedene 

3105 

2065 

Zusammen 

268  062 

284  ^08 

Abwanderung  aus  den  Vereinigten  Staaten 

123404 

58815 

Tatsächlicher  Gewinn                                          ~ 

144  658 

225  493 

1)  Die  amerikanische  Statistik  nennt  die  „Rassen",  nicht  die  Auswanderungsländer. 
Jahrb.  f.  Nationaiök.  u.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  54).  47 


738 


MiBsellen. 


Sogar  die  Abneigung  gegen  die  chinesische  and  japanischt 
Einwanderung  beginnt  unter  dem  Druck  der  WirtschaftBlage  e« 
weichen!  Machte  doch  am  20.  April  1917  der  Ausschuß  des  „New 
York  Board  of  Trade  and  Transportation"  den  Inhalt  eines  Gesetz- 
entwurfes bekannt,  durch  den  der  Kongreß  den  Pjäsidenten  ermächtigen 
soll,  für  die  Dauer  des  Krieges  alle  Beschränkungen  der 
Einwanderung  aufzuheben.  Die  ausgesprochene  Absicht  ist, 
für  die  Bedürfnisse  der  amerikanischen  Landwirtschaft  chinesische  und 
japanische  Arbeiter  heranzuziehen.  In  den  Arbeiterkreisen  der  Union 
hat  diese  Absicht  allerdings  große  Aufregung  verursacht  und  heftigen 
Einspruch  zur  Folge  gehabt.  8o  beschloß  die  „Central  Federated  Union* 
gemeinschaftlich  mit  der  „American  Federation  of  Labour"  gegen  diesen 
Gesetzentwurf  zu  kämpfen.  Immerhin  ist  der  Vorgang,  der  bis  vor 
kurzem  zu  den  unmöglichen  Dingen  gehört  haben  würde,  lehrreich. 

Auch  sonst  entstehen  abenteuerliche  Pläne,  um  dem  Menschen- 
mangel in  der  Union  abzuhelfen.  Beispielsweise  hat  der  amerikanische 
Straßenbau- Verband  bei  der  Unionsregierung  angeregt:  sie  möge  deut- 
sche Kriegsgefangene  aus  England  und  Frankreich  nach 
den  Vereinigten  Staaten  überführen,  um  dort  bei  Wegebauten 
verwendet  zu  werden.  Die  „New  York  Times",  die  dies  unter  dem 
27.  Mai  1917  berichtet,  meint,  die  Annahme  des  Planes  liege  nahe 
„Schon  vor  100  Jahren  haben  Kriegsgefangene  deutscher  Abkunft  in 
den  Vereinigten  Staaten  ähnliche  Arbeiten  ausgeführt,  nach  deren  Elr- 
ledigung  sie  sich  in  Amerika  niedergelassen  haben  und  wertvolle  Bürger 
der  Vereinigten  Staaten  geworden  sind.  Bei  dem  in  den  Vereinigten 
Staaten  gegenwärtig  herrschenden  Arbeitermangel  könnten  die  in  Eng- 
land und  Frankreich  nicht  gebrauchten  deutschen  Kriegsgefangenen  in 
Amerika  sehr  gut  verwendet  werden.  Natürlich  müsse  die  Behandlung 
eine  derartige  sein,  daß  sich  die  Gefangenen  auch  dazu  entschließen 
würden,  nach  Schluß  des  Krieges  in  den  Vereinigten  Staaten  zu  ver- 
bleiben und  dort  das  Bürgerrecht  zu  erwerben.  Auf  diese  Weise  könne 
den  Deutschen  auch  die  Auffassung  des  Präsidenten  Wilson  recht  deut- 
lich vor  Augen  geführt  werden,  wonach  der  Krieg  der  Vereinigten 
Staaten  nicht  gegen  das  deutsche  Volk,  sondern  ausschließlich  gegen 
die  deutsche  Regierung  geführt  wird." 

Jedenfalls  ist  die  nordamerikanische  Einwandernngsfrage  in  einen 
kritischen  Zeitraum  eingetreten.  Wie  sie  sich  nach  dem  Kriege 
gestaltet,  hängt  nicht  zum  mindesten  von  dem  Weitblick  und  der  Tat- 
kraft ab,  mit  denen  man  in  den  europäischen  Ländern  eine  wieder- 
aufbauende Wirtschaftspolitik  treiben  wird.  (Q  C) 


Miasellen.  739 


XX. 

Prankreichs  Bodenproduktion  1911—1916. 

Von  Dora  Breves  (Hanooyer). 
Mit  3  Kurven  im  Text. 

Vor  kurzem!)  ging  eine  Nachricht  durch  die  deutsche  Presse,  der 
infolge  der  französische  Ernährungsminister  im  Parlament  die  Herab- 
«etzung  der  Brotration  auf  150 — 200  g  pro  Kopf  und  Tag  in  Aussicht 
stellte.  Wenn  auch  solchen  Nachrichten,  die  uns  schon  öfter  aus  Fiank- 
reich  und  England  berichtet  worden  sind,  aber  vielfach  in  amtlichen 
Maßnahmen  keine  tatsächliche  Bestätigung  gefunden  haben,  wenig 
Vertrauen  entgegenzubringen  ist,  so  fällt  doch  unzweifelhaft  die  Tat- 
sache daran  auf,  daß  in  diesem  Falle  eine  schwerwiegende  Notlage 
überhaupt  erst  solche  Vorstellungen  ermöglicht  haben  muß.  Frankreich 
—  im  Gegensatz  zu  Deutschland  —  konnte  schon  unter  den  normalen 
Verbrauchsbedingungen  des  Friedens  den  allergrößten  Teil,  bei  guten 
Ernten  sogar  die  Gesamtheit  des  eigenen  Bedarfes  an  Agrarprodukten 
ans  eigenen  Erzeugnissen  decken. 

Wenn  sich  daher  Frankreich  heute  in  einer  Brotfruchtkrisis  be- 
findet, so  müssen  zwei  Umstände  dabei  mitwirken:  Erschwerung 
derEinfuhr  aus  Uebersee  und  das  Versagen  der  eigenen 
Produktion.  Der  erste  Faktor  wird  einmal  durch  die  Versenkung 
feindlicher  und  neutraler  Schiffe  und  dann  ferner  durch  die  schlechte 
amerikanische  Ernte  bestimmt.  Für  die  Bedeutung  des  zweiten  Faktors 
sollen  die  nachstehenden  Angaben  —  aus  dem  Bulletin  de  la  Statistique 
generale  de  la  France  et  du  Service  d'Observation  des  Prix  (Janvier 
1917)*)  zusammengestellt  und  verarbeitet  —  ein  Beleg  sein.  In  dieser 
französischen  Veröffentlichung  liegen  die  endgültigen  Flächen-  und 
Ertragsziffem  für  die  wichtigsten  landwirtschaftlichen  Produkte  in  den 
Jahren  1911 — 1915  und  die  provisorischen  Ziffern  für  das  Jahr  1916  vor. 

Es  betrugen  für  Weizen  die  bestellte  Fläche  in  Hektar  und  der 
Ertrag  in  1000  Zentner  und  in  Zentner  pro  Hektar: 

Weizen  1911          1912  1913          1914  1915  1916 

bestellte  Fläche  in  1000  ha  6433  6572  6542         6060  5489  5205 

Ertrag  in  1000  Ztr.  87727  90992  96919  76936  60630  58411 

Urtrag  des  Hektar  in  Zentner  12,1           13,9  14,8           12,7  11,0  11,0 

Da  bekanntlich  ein  gewisses  Ersatzverhältnis  der  wichtigsten  land- 
wirtschaftlichen Erzeugnisse  in  ihrer  Bedeutung  für  die  gesamte  mensch- 


1)  Mitte  Oktober  1917. 

2)  Abgedrucktim  »»Weltwirtschaftliehen  Arohiv",  Bd.  11,  1917,  Heft  2,  8.  191  ff. 

47* 


740 


liisiellen. 


liebe  ErnahrnDg  besteht,  sollen  hier  nocb  dieselben  Ziffern  für  Roggen, 
Hafer  (Hafermehl  und  Haferpräparate!)  und  Speisekartoffeln  angeführt 
werden : 


Roggen 

1911 

1912 

1913 

1914 

1915 

1916 

bestellte  Flache  in  1000  ha 

Ertrag  in  1000  Ztr. 

Ertrag  in  Zentner  pro  Hektar 

I  174 

II  875 
10,1 

I  202 

12382 

io,s 

1176 

12715 
10,8 

1058 

11147 
10,6 

8420 
9,0 

921 

9166 

9.» 

Hafer 

bestellte  Fläche  in  1000  ha 

Ertrag  in  1000  Ztr. 

Ertrag  in  Zentner  pro  Hektar 

3991 

50694 

12,7 

3982 

51542 

12,9 

3  979 
51826 

13,0 

3591 

46  206 

12,9 

3263 

34626 

10,6 

41  280 
i3i» 

Speisekartoffeln 

bestellte  Fläche  in  1000  ha 

Ertrag  in  1000  Ztr. 

Ertrag  in  Zentner  pro  Hektar 

1559 
127  747 
82,2 

1563 
150252 

96,1 

1548 
135  860 
87,7 

1  488 
119  927 
80,6 

1345 

93991 

69,9 

1304 
91  311 

69.t 

Bei  Betrachtung  der  absoluten  Zahlen  —  jeweils  der  beiden  ersten 
Reihen  —  ist  zu  beachten,  daß  die  Rückgänge  außer  durch  andere 
Ursachen  auch  weseotlich  durch  unsere  Besetzung  der  für  die  land- 
wirtschaftliche Erzeugung  Frankreichs  sehr  bedeutsamen  nördlichen 
und  nordöstlichen  Departements  bedingt  sind.  Dieser  störende  Faktor 
scheidet  aber  bei  der  "Vergleichung  der  relativen  Werte  des  Hektar- 
ertrages und  bei  den  Veränderungen  von  1914  auf  1915  und  1916  au8. 

Um  alle  obigen  Zahlen  anschaulich  darzustellen  und  in  ihrer  rela- 
tiven und  gegenseitigen  Bedeutung  richtig  würdigen  zu  können,  sollen 
sie  in  den  nachstehenden  Kurvenbildern  dargestellt  werden.  Um  die 
weit  auseinanderfallenden  Zahlenwerte  im  Rahmen  eines  kleineren 
Koordinatensystems  verarbeiten  zu  können,  ist  jeweils  der  Wert  von 
1911  als  Einheit  gesetzt  worden.  Es  bedeuten  in  den  Figuren  1 — 3 
die  römischen  Zahlen  1  =  Weizen,  II  =  Eoggen,  111  =  Hafer  und  IV 
=  Speisekartoffeln. 


1.10 


0.70 


0.60 


1911 


1912 


1913 


1914 


1916 


Fig.  1.     Wandlung  der   Größe   der   mit  Weizen,   Roggen,   Hafer  und   Speisekartoffe!». 
bestellten    französischen   Ackerfläche    1911—1916.     Kurve   1  = ,    11= / 


Misxellen. 


741 


1.20f 


0.601 


1911 


1912 


1913 


1914 


1915 


1916 


7!g.  2.     Wandlung  des   absoluten   Ertrages  der  französischen   Ackerfläche  an  Weizen, 

Boggen,   Hafer   und   Speisekartoffeln   1911—1916.    Kurve  I  = ,11= , 

111  = ,  IV  = . 


1911 


1912 


1913 


1914  1915  1916 

Fig.  3.     Wandlung  des   Hektarertrages   der   mit  Weizen,   Boggen,   Hafer   und   Speise- 

kartoffeln  bestellten  französischen  BodenfJäche  1911—1916.  Kurve  1= ,  11  = , 

III  = ,  IV  = . 


Aus  diesen  Darstellungen  können  wir  im  allgemeinen  —  abgesehen 
also  von  Einzelzügen,  wie  die  auf  Englands  Verlangen  im  Jahre  1916 
mit  Hochdruck  aufgenommene  Haferproduktion  —  folgendes  entuehmen: 

I.  Die  bestellte  Bodenfläche  ging  infolge  unserer  Besetzung  wich- 
tiger landwirtschaftlicher  Bezirke  und  infolge  eines  (auch  in  den  Kammer- 


742  Missellen. 

debatten  wiederholt  erwähnten)  Mangels  an  Arbeitskräften    um  15  bis 
20  Proz.  zurück. 

II.  Der  absolute  Bodenertrag  ging  bei  Weizen  und  Kartoffeln  um 
etwa  30  Proz.,  und  bei  Hafer  und  Roggen  um  etwa  20 — 23  Pro«, 
zurück. 

III.  Die  durchschnittliche  Ertragfähigkeit  des  mit  den  obenerwähnten 
Produkten  bestellten  Bodens,  der  in  den  Jahren  1915  und  1916  in 
französischem  Besitz  verblieben  war,  war  außerdem  um  16  Proz.  geringer 
als  der  Durchschnitt  der  Ertragfähigkeit  des  ganzen  so  bestellten  franzö- 
sischen Bodens  in  den  Jahren  1911  — 1913. 

Die  sich  ergänzenden  Angaben  zu  II  und  III  lassen  es  ohne  weiteres 
verständlich  erscheinen,  warum  Frankreich  am  Ende  dieses  Jahres,  das 
keine  Besserung,  sondern  durch  mäßige  Ernteverhältnisse  in  Frankreich 
und  in  Uebersee  nur  eine  Verschlimmerung  der  ohnedies  schon  nach- 
weisbaren Schwierigkeiten  gebracht  hat,  zur  scharfen  Rationierung  wird 
schreiten  müssen.  Vielleicht  hat  man  am  Ende  noch  mehr  von  Frank- 
reichs als  von  Englands  Nahrungsmittelschwierigkeiten  für  einen  bal- 
digen Friedensschluß  zu  erwarten.  Die  englische  Zähigkeit  leistet  vor- 
aussichtlich mehr  im  beherrschten  Ertragen  physischer  Entbehrungen 
als  das  romanische  Temperament. 


Uebcraicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     743 


XTebersicht  über  die  neuesten  Publikationen 
Deutschlands  und  des  Auslandes. 

jL  Oesoliiclita  der  Wissenschaft.   Encyklopädisches.    Lehrbücher.    SpeiieUe 
theoretische  Untersnchang-en. 

Vogel,  Emanuel  Hugo,  Die  Theorie  des  volkswirtschaftlichen 
Entwicklungsprozesses  und  das  Krisenproblem.  Mit  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  englischen  Wirtschaftsentwicklung  bis  zum  Ausbruche 
des  Weltkrieges  im  Jahr  1914.  Mit  4  Tabellen  und  2  Kurventafeln. 
Wien  und  Leipzig  (Alfred  Holder)  1917.  S».  X  u.  400  SS.  (Preis: 
M.  10). 

„Die  vorliegende  Arbeit  ist  vom  Krisenphänomen  als  ihrem  ur- 
sprünglichen und  speziellen  Untersuchungsobjekte  ausgegangen  und  in 
weiterer  Verfolgung  dieser  Aufgabe  dazu  gelangt,  das  Entwicklungs- 
problem als  die  allgemeine  Grundfrage  des  Lebensprozesses  jeder  Volks- 
wirtschaft in  den  Mittelpunkt  ihrer  Untersuchung  zu  stellen",  sagt  der 
Verf.  im  Vorwort.  Da  „das  Krisenproblem  nur  eine  Teilerscheinung 
im  Komplex  des  volkswirtschaftlichen  Geschehens  ist,  sollte  der  Ver- 
snob gemacht  werden,  die  gesamten  unter  dem  Einfluß  der  Entwicklung 
sich  vollziehenden  Bewegungserscheinungen  des  Wirtschaftsprozesses  .  . 
KO  durchforschen"  usw.  „Ich  habe  in  dieser  Arbeit  vor  allem  das  eine 
theoretische  und  allgemein  wissenschaftliche  Ziel  verfolgt,  die  meines 
Erachtens  in  der  neueren  nationalökonomischen  Literatur  als  Grund- 
frage (?)  jeder  wirtschaftstheoretischen  Betrachtung  viel  zu  wenig  be- 
achtete und  als  selbständiges  Problem  nur  ganz  ungenügend  bearbeitete 
Entwicklungserscheinung  einmal  selbst  in  den  Mittelpunkt  der 
Untersuchung  zu  stellen." 

Nach  diesem  Plan  wäre  es  logisch  gewesen,  den  Begriff  der  Ent- 
wicklung im  Wirtschaftsleben  und  das  Problem  als  solches  an  den 
Anfang  zu  stellen.  Die  diesbezüglichen  Erörterungen  finden  sich  aber 
erst  S.  310  ff.  Voraus  geht  ihnen  der  L  Teil  mit  den  Abschnitten : 
die  Krisenerscheinung,  ihre  Ursachen  und  Kategorien;  die  Krisen- 
erscheinungen und  der  Verlauf  der  Volkswirtschaft  in  England;  das 
Problem  des  Gleichgewichts  und  seine  Störungen  in  der  theoretischen 
Nationalökonomie;  Statik  und  Dynamik  als  Grundtatsachen  der  Volks- 
wirtschaft. Ferner  aber  ein  großes  Kapitel:  „Die  dem  Entwicklungs- 
begriff zugrunde  liegenden  elementaren  Tatsachen". 

Der  Verf.  hat  also  frühere  spezielle  Studien  an  den  Anfang  seines 
Werkes  gestellt  und  dabei  auch  eine  ältere  Arbeit  über  die  Krisen  in 
England  verwertet.  Diese  Behandlung  des  Gegenstandes  ist  von  Uebel 
in  einem  Buche,  das  sich  als  wirtschaftliche  Theorie  bezeichnet. 
Denn  Theorie  —  mit  dem  Worte  wird  allerdings  seit  den  Zeiten  der 
historischen  Schule  in  der  Nationalökonomie  ein  ungeheurer  Mißbrauch 


744     Ueberaicht  aber  die  neuesten  Pablikationen  Deutechlands  and  des  A 

getrieben  —  ißt  die  Erklärung  einer  Erscheinung  aus  den  allgemeinsten 
Begriffen  einer  Wissenschaft.  An  Klarheit  darüber  aber  fehlt  es  dem 
Verf.  entsprechend  dem  Zustande  der  heutigen  Nationalökonomie.  Um 
eine  Theorie  des  volkswirtschaftlichen  Entwicklungsprozesses"  zu  liefern, 
hätte  vor  allem  erörtert  werden  müssen,  was  Entwicklung  und 
was  Wirtschaft  ist.  Auf  das  Wesen  der  Wirtschaft  kommt  Vogel 
nur  sehr  gelegentlich  in  dem  Kapitel:  Die  dem  Entwicklungsbegriff 
zugrunde  liegenden  elementaren  Tatsachen.    Er  unterscheidet  (8.  237): 

1.  individualwirtschaftliche  Entwicklungstatsachen, 

a)  primäre,  b)  sekundäre  in  einer  ausgebildeten  verkehrswirtschafi- 
lich  organisierten  Volkswirtschaft; 

2.  gesellschaftswirtschaftliche   Entwicklungstatsachen , 

a)  auf  individualistischer  Grundlage, 

b)  auf  kollektivistischer  (gesamtwirtschaftlicher)  Grundlage; 

3.  außerwirtschaftliche  Entwicklungstatsachen. 

Unter  den  „primären  individualwirtschaftlichen  Tatsachen  der  Ent- 
wicklung" wird  eingehend  über  die  „Bedürfnisse",  nebenbei  aber  auch 
über  „das  wirtschaftliche  Handeln",  „das  Handeln  nach  dem  wirtschaft- 
lichen Prinzip"  gesprochen.  Leider  ignoriert  der  Verf.  meine  diesbezüg- 
lichen Aufsätze  und  die  ganze  neuere  Literatur  über  diese  Grundfrage  und 
kommt  daher  über  die  üblichen  Unklarheiten  der  bisherigen  materialisti- 
schen Auffassung  nicht  heraus  und  zu  keiner  Entscheidung  der  Frage,  ob 
das  Wirtschaften  materialistisch- quantitativ  als  „Sachgüterbeschaffuog", 
oder  ob  der  „Erfolg"  psychisch  aufzufassen  ist.  Ja,  nicht  einmal  zu  dem 
Grundproblem  wird  Stellung  genommen,  ob  der  Tauschverkehr,  die 
„Volkswirtschaft",  nun  selbst  eine  Wirtschaft  sei  oder  ob  nicht  alles 
Wirtschaften  sich  nur  individuell  (natürlich  unter  Umständen  auch  ge- 
meinsam) vollzieht.  Gelegentlich  sagt  Vogel  sogar  (S.  5):  „gerade  in 
ihrem  Entwicklungsleben  (?)  offenbarte  sich  die  Volkswirtschaft  als  ein 
ethisch-soziales  Zweckgebilde,  das  nur  im  Zusammenhange 
mit  seinen  rechtlichen,  gesellschaftlichen  und  historisch  gewordenen 
Organisationsbedingungen  beurteilt  werden  kann."  Zu  der  damit  auf- 
geworfenen methodologischen  Grundfrage,  die  von  mir  in  diesen  „Jahr- 
büchern" im  Gegensatz  zu  der  Stammler- Stolzmann-Diehlschen  Auffassung 
eingehend  behandelt  worden  ist ,  nimmt  er  aber  gar  keine  Stellung. 
Daher  bleibt  seine  grundlegende  Auffassung  der  Wirtschaft  unklar, 
d.  h.  es  rächt  sich  hier  die  allgemeine  Unklarheit  über  diese  Probleme. 

Nur  infolge  dieser  Unklarheit  ist  überhaupt  das  ganze  Schema  des 
Verf.  von  den  Entwicklungstatsachen  möglich.  Neben  den  Bedürfnissen 
und  dem  Gewinnstreben,  die  nicht  ganz  mit  Unrecht  als  primäre  Ent- 
wicklungtatsachen ,  mit  einem  Worte  als  Voraussetzung  des  Tausch- 
verkehrs, dessen  Organisation  zu  eiklären  ist,  hingestellt  werden,  werden 
als  sekundäre  individualwirtschaftliche  Entwicklungstatsachen  ge- 
nannt: der  Unternehmerbegriff  und  das  Kapital.  Bei  letzterem  Begriff 
schwankt  der  Verf.  naturgemäß  zwischen  der  technisch- materialistischen 
Auffassung  und  der  geldlichen. 

Als  „gesellschaftswirtschaftliche  Entwicklungstatsachen  auf  indivi- 
dualistischer Grundlage"  werden    dann  behandelt:    „der  wechselseitige 


üebersicht  aber  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  and  des  Auslandes.     7411 

Wettbewerb",  die  Arbeitsvereiniguog,  die  gesellschaftliche  Unternehmung 
und  die  Assoziation  der  Arbeiter  und  Unternehmer,  wobei  die  Kon- 
xentrafion  der  Kreditbanken,  die  Zentralisierung  der  Notenbanken  und 
die  Beteiligungs-  und  Finanzierungsgesellschaften  eine  besondere  Be- 
sprechung erhalten. 

Unter  dem  Schlagwort:  „die  auf  kollektivistischer  Grundlage  er- 
wachsenen gesellschafts wirtschaftlichen  Entwicklungstatsachen"  wird  gan» 
einfach  die  Wirtschaftspolitik  behandelt.  Dabei  teilt  der  Verf.  did 
häufig  vertretene  Auffassung,  daß  ein  Staatsmonopol  eine  ganz  besonder» 
Art  von  Wirtschaft  und  Wirtschaftsordnung  sei ;  es  fehlt  wegen  der  Un- 
klarheit über  die  Grundlagen  des  Tauschverkehrs  die  Vorstellung,  daft 
Staatsmonopole  doch  auch  nur  in  den  durch  Gewinnerzielung  organisier- 
ten Mechanismus  des  Tauschverkehrs  hineingestellte  Erwerbswirtschaften 
sind,  die  an  die  Preisbildung  des  freien  Verkehrs  anknüpfen. 

Im  ganzen  ist  natürlich  die  Gegenüberstellung  von  individual wirt- 
schaftlichen und  gesellschaftswirtschaftlichen  Entwicklungstatsachen  ab- 
zulehnen. Alle  individualwirtschaftlichen  Erscheinungen  von  den  Bedürf- 
nissen bis  zum  Kapital  sind  für  die  Wirtschaftstheorie  und  für  di© 
Erklärung  der  Probleme  des  Tauschverkehrs  zugleich  auch  gesellschafts- 
wirtschaftliche, weil  eben  die  Probleme  des  Tauschverkehrs  nur  durch 
Zurückgehen  auf  die  individuellen  Erwägungen  zu  erklären  sind. 

Während  so  leider  die  wirklichen  Grundprobleme  der  Wirtschafts- 
theorie, die  Fragen  nach  dem  Wesen  der  Wirtschaft  und  des  Tausch- 
verkehrs übergangen  werden,  weil  das  bisher  immer  geschehen  ist,  wird 
einem  künstlich  geschaffenen  Problem:  der  Frage  Statik  und  Dy- 
namik im  Wirtschaftsleben  eingehendste  Behandlung  zuteil  (S.  166. 
bis  234).  Verf.  besitzt  immerhin  so  viel  Beobachtungsgabe  und  Wirk- 
lichkeitssinn, um  zu  erkennen,  daß  bereits  diese  grundlegenden  Begriff» 
von  „Wirtschaft",  „wirtschaftlichem  Handeln",  „Wirtschaftsleben", 
^wirtschaftlichem  Prinzip"  ihrem  Wesen  nach  dynamischen  Charak- 
ters sind,  da  das  ihnen  innewohnende  Element  des  Gewinnstrebens  bereits 
den  Impuls  zur  Veränderung,  Erweiterung  der  Güterversorgung,  Er- 
zielung eines  Mehrwertes  über  die  Kosten  der  Produktion  oder  de» 
Erwerbes  in  sich  schließt  (S.  243).  Sehr  richtig!  Aber  warum  nimmt 
dann  die  Erörterung  der  ganz  unwirklichen,  absolut  willkürlichen  und 
gar  nichts  erklärenden  Konstruktionen  über  Statik  und  Dynamik  bei 
Schumpeter  gegenüber  viel  wichtigeren  Problemen  einen  so  breiten  Baum 
ein,  und  warum  ignoriert  der  Verf.  vollkommen  meine  auf  dem  Ertrags - 
streben  aufgebaute  Wirtschaftstheorie,  wo  sich  doch  auch  ihm  dieses 
Ertragsstreben  als  Organisationsprinzip  des  Tauschverkehrs  fundamental 
aufdrängte? 

Und  nun  zum  Entwicklungsbegriff,  der,  wie  gesagt,  erst 
gegen  Schluß  des  Buches  erörtert  wird !  Den  Begriff  der  Entwicklung 
setzt  Vogel  nicht  gleich  Dynamik,  „die  nur  Veiönderung,  Bewegung 
bedeutet".  „Entwicklung  dngegen  ist  Aufwärtsbewegung,  Fortschritt 
in  extensiver  und  intensiver  Beziehung,  hier  im  Ei  folge  des  wirtschaft- 
lichen Handelns"  (S.  311  u.  312).  Keben  der  „Aufwärtsbewegurg'*, 
deren   „individualistische   Seite"   in    dem  „Wiitschaftserfolg'^   der  Pr- 


746    üeberaicht  über  die  nenesien  Pablikationen  Deatschlands  und  dee  Auslandes. 

ijuzenten  und  Händler,  und  deren  „kollektivistische  Seite"  in  einer 
sonstigen  „günstigen  Aenderung  der  Einkommensverteilung  und  damit 
«iner  Steigerung  der  Kaufkraft  und  in  weiterer  Linie  der  Konsumtion" 
gesehen  wird,  unterscheidet  der  V^erf.  später  noch  eine  „Aufschwtingg- 
bewegung"  (S  362).  Der  Aufschwung  sei  allerdings  „potenzierte  Ent- 
wicklung", „da  er  das  Stadium  deutlichen  Ueberwiegens,  des  Sieges 
der  Entwicklungskräfte  über  die  gegenteiligen  Faktoren  darstellt;  aber 
Entwicklung  als  Gesaraterscheinung  ist  nicht  notwendig  auf  das  , Auf- 
schwungsstadium' beschränkt,  sie  kann  selbst  im  Depressionsstadium 
zum  Ausdruck  kommen,  wenn  dessen  Tiefpunkte  im  Verlaufe  der  Zeit 
immer  höher  (?)  liegen,  d.  h.  die  volkswirtschaftlichen  Entwicklungs- 
kräfte die  Festhaltung  eines  immer  höheren  Niveaus  (?)  trotz  aller 
Rückschläge  gestatten,  .  .  .  wenn  die  Kurvenlinie  (?)  über  die  nach 
dem  Anfangsstand  bestimmte  Horizontale  emporsteigt"  (S.  362/3). 

Was  dieses  „Höherliegen"  bedeutet  und  worin  es  sich  ausspricht, 
was  die  „Kurvenlinie"  ausdrückt,  das  sagt  der  Verf.  aber  nicht,  mit 
anderen  Worten,  er  untersucht  nicht,  was  man  sich  nun  als  Ziel  der 
wirtschaftlichen  Entwicklung  vorzustellen  hat  und  woran  die  „Aufwärts- 
bewegung" festzustellen  ist.  Es  hängt  dies  natürlich  wieder  mit  der  allge- 
meinen Unklarheit  über  das  Wesen  der  Wirtschaft  und  damit  über  die  all- 
gemeinen logischen  Grundlagen  unserer  Wissenschaft  zusammen.  Einer  Er- 
örterung des  ja  neuerdings  wieder  viel  besprochenen  Produktivitäts- 
problems (vgl.  meinen  Aufsatz  in  dieser  Zeitschrift,  1912)  hätte  der 
Verf.  in  einer  Theorie  der  wirtschaftlichen  Entwicklung  natürlich  nie- 
mals aus  dem  Wege  gehen  dürfen,  wenn  er  gleich  auf  Grund  jener 
Unklarheit  darüber  zu  keinem  Resultat  hätte  gelangen  können.  Aber 
weiter  hätte  erörtert  werden  müssen,  ob  und  nach  welchen  Gesichts- 
punkten ein  „Aufwärts",  ein  „Höherliegen"  allgemein  festgestellt  werden 
kann  und  ob  und  unter  welchen  Bedingungen  die  Statuierung  eines 
solchen  Ziels  der  wirtschaftlichen  Entwicklung  überhaupt  noch  Wissen- 
schaft ist.  Kurzum,  die  Frage :  kausale  oder  teleologische  Betrachtungs- 
weise? hätte  in  einer  so  weit  gespannten  Untersuchung  nicht  außer  acht 
gelassen  werden  dürfen.  Davon  hat  Vogel,  wie  es  scheint,  überhaupt 
gar  keine  Vorstellung  gehabt. 

Der  Begriff  der  wirtschaftlichen  Entwicklung,  wie  ihn  der  Verl 
untersucht,  ist  also  viel  zu  allgemein  und  unbestimmt,  zumal  er  betont 
(S.  310),  daß  „die  wirtschaftliche  Entwicklung  nur  ein  Teilproblem 
eines  größeren  Komplexphänomens  ist,  der  Gesamtentwicklung 
des  Menschengeschlechts  in  allen  anderen  Beziehungen  .  .  .,  ähnlich 
wie  das  Wirtschaftsleben  selbst  nur  einen  Teil  .  .  .  des  allgemeinen 
Lebensprozesses  von  Einzelsubjekt  und  Gemeinschaft  darstellt".  Hier 
wird,  wie  so  häufig,  übersehen,  daß  keine  Wissenschaft  eine  mensch- 
liche Erscheinung  in  allen  ihren  Beziehungen  betrachten  kann,  sondern 
daß  jede  abstrahieren  muß,  wofür  man  eben  eine  klare  Abgrenzung  des 
Erkenntnisobjekts  dieser  Wissenschaft  von  anderen  gebraucht,  was  der 
heutigen  Wirtschaftstheorie  infolge  ihrer  Verquickung  der  Wirtschaft 
mit  der  Technik  einerseits,  mit  allen  möglichen  anderen  „sozialen"  Er- 
-^cheinungen  andererseits  fehlt. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     747 

Nach  meiner  Ansicht  kann  es  sich  bei  dem  Problem  der  wirtschaft- 
lieben Entwicklung  als  einem  solchen  der  WirtscLaftlheorie,  wie  es 
der  Verf.  auffaßt,  nur  um  die  Konstatierung  von  Veränderungen 
Jim  tauschwirtschaftlichen  Organismus  handeln,  dessen  Untersuchung, 
eben  ihre  Aufgabe  ist.  Ueber  diese  Veränderungen  läßt  sich  aber  keine 
allgemeine  „Theorie"  aufstellen,  denn  sie  können  und  werden  sich  auf 
die  verschiedensten  wirtschaftlichen  Erscheinungen,  z.  B.  die  Formen 
ier  Erwerbstätigkeiten  und  Erwerbswirtschaften,  die  Bedeutung  der 
Märkte,  des  Geldes,  des  Kredits,  der  Konkurrenz-  oder  Monopol- 
stellungen usw.  usw.  beziehen  und  jede  einzelne  solche  Aenderung  kann 
and  wird  von  den  verschiedensten  Dingen,  wirtschaftlichen  und  außer- 
wirtschaftlichen, beeinflußt  sein.  Wirtschaftliche  Veränderungen  sind  also 
an  sich  kein  Objekt  wissenschaftlicher  Betrachtung,  sondern  nur  in  Be- 
aiehung  auf  konkrete  wirtschaftliche  Erscheinungen.  Das  ist  neben 
allen  sonstigen  Unzulänglichkeiten  der  logische  Hauptgrund,  an  dem 
der  Verf.  scheitern  mußte  und  weshalb  sein  Buch  trotz  aller  Belesen- 
heit und  mancher  guten  Bemerkungen  im  einzelnen  einen  so  unbe- 
friedigenden Eindruck  hinterläßt. 

Ist  so  eine  allgemeine  „Theorie  des  volkswirtschaftlichen  Entwick- 
lungsprozesses" nicht  möglich,  weil  die  wirtschaftliche  Entwicklung  an 
sich  kein  Erkenntnisobjekt  ist,  so  könnte  doch  die  Entwicklung  der 
wirtschaftlichen  Organisationen  zu  bestimmten  Zielen  hin  unter- 
sucht werden,  die  aber  sehr  mannigfaltig  sein  können,  z.  B.  Vermehrung 
der  Sachgütermengen,  Verwendung  der  verschiedenen  Kostenfaktoren, 
gleichmäßigere  Verteilung  der  Sacbgüter  usw.  Ist  ein  solches  Ziel  an- 
genommen, so  ist  eine  rein  kausale  Betrachtung  möglich,  ob  und  wie 
die  wirtschaftliche  Entwicklung  ihm  näher  gekommen  ist.  Dabei  ist 
aber  wirtschaftliche  Kausalbetrachtung  selbstverständlich  nur  die 
Frage,  wie  die  Organisation  des  Tausch  Verkehrs,  wie  gesagt,  das 
Objekt  der  Wirtschaftstheorie,  diesem  Ziele  näher  kommt.  Bloße  Ver- 
billigung  der  Produktionskosten  durch  technische  Fortschritte  ist  eben 
Technik,  genau  so  wie  das  Ziel  einer  möglichst  großen  Gütermenge 
noch  kein  wirtschaftliches,  sondern  ein  technisches  ist.  (Vgl.  dafür  und 
für  die  allgemeinsten  Grundlagen  dieser  Besprechung  überhaupt  jetzt 
meine  „Grundsätze  der  Volkswirtschaftslehre",  Bd.  1.) 

Aus  dem  eben  Gesagten  ergibt  sich  aber  auch  schon,  daß  nach 
unserer  Auffassung  auch  eine  rein  wirtschaftliche  Zielsetzung 
möglich  ist,  auf  das  hin  die  wirtschaftliche  Entwicklung  kausal  be- 
trachtet werden  kann,  nämlich  eben  die  Frage  nach  der  Organi- 
isation  des  Tauschverkehrs,  welche  das  Ziel  jeder  einzelnen  Wirtschaft, 
größtmögliche  Bedarfsversorgung ,  natürlich  nicht  nur  an  materiellen 
Gütern,  sondern  psychisch  aufgefaßt  und  daher  nicht  meßbar,  für  alle 
herbeiführt.  Auch  dies  Problem  kann  rein  theoretisch- kausal  betrachtet 
werden.  Man  kommt  dabei  auf  Fragen,  wie  ich  sie  in  meiner  Pro- 
duktivitätstheorie, in  dem  Aufsatz  über  Sparen  und  Kapitalbildung  (den 
der  Verf.  allein,  aber  nur  für  Nebensächlichkeiten  heranzieht),  dann 
neuerdings  in  dem  Aufsatz:  Die  amerikanische  Trustpolitik  im  Lichte 
(ier  ökonomischen  Theorie,  im  Weltwirtschaftlichen  Archiv  1915,  und  jetzt 


748     Uebersicht  aber  die  neuesten  Pnblikationeu  DeutechlandB  und  des  Anslandes. 

in  der  im  Druck  befindlichen  3.  Auflage  meiner  Kartelle  und 
Trusts  behandelt  habe.  Ich  erwähne  nur  das  Problem:  Führt  Monopol 
oder  freie  Konkurrenz  vollkommenere  Bedarfsversorgung  herbei? 

Von  allen  solchen  Erörterungen  findet  sich  in  dem  Buche  Vogels 
nichts.  Neben  diesen  Problemen,  die  ohne  Zweifel  in  die  Wirtschaft*- 
Wissenschaft  und  Wirtschaftstheorie  gehören,  ist  aber  noch  eine  \^  eitere 
Betrachtungsweise  möglich,  nämlich  vom  Standpunkt  der  Entwicklung»- 
Wissenschaft  menschlicher  Vorgänge  selbst,  vom  Standpunkt  der  Ge- 
schichte, also  eine  geschichtsphilosophische  Betrachtung,  wie 
sie  A.  Mitscherlich  in  seinem  Buche:  Der  wirtschaftliche  Fortbchritt, 
1913  versucht  hat,  das  der  Verf.  überhaupt  nicht  erwähnt.  Allerdings 
sind  die  Ergebnisse,  trotzdem  darin  wirtschaftsgeschichtliche  Betrach- 
tungen in  den  Vordergrund  gestellt  sind,  für  die  Wirtschaftswissen- 
schaft gering,  für  die  Wirtschaf tstheorie,  die  Vogel  treiben  will, 
natürlich  Null. 

Im  ganzen  muß  ich  leider  zu  dem  Resultat  kommen,  daß  hier  in 
typischer  Weise  versucht  worden  ist,  eine  „Theorie"  auf  bloße  Worte 
aufzubauen,  daß  der  Verf.  „mit  Worten  ein  System  bereitet  hat".  Eß 
fehlt  die  klare  Feststellung  des  Erkenntnisobjekts,  die  notwendig  ißt, 
wenn  man  sich  ein  so  allgemeines  Ziel  setzt,  den  ganzen  volkswirt- 
schaftlichen Entwicklungsprozeß  theoretisch  zu  erfassen,  es  fehlt  femer, 
wie  gesagt,  die  Untersuchung  darüber,  inwieweit  und  in  welcher  Weise 
eine  solche  Aufgabe  überhaupt  logisch  und  methodologisch  möglich  ist. 

Es  ist  eine  merkwürdige  Erscheinung,  daß  das  unzweifelhaft  neu 
erwachte  Interesse  für  ökonomische  Theorie  sich  so  häufig  gerade  anf 
Probleme  wirft,  die  theoretisch  überhaupt  nicht  erfaßbar  sind,  und  daß 
man,  wie  ich  schon  gelegentlich  zweier  Besprechungen  in  dieser  Zeit- 
schrift bemerkte,  so  häufig  bestrebt  ist,  an  jede  kleine  deskriptive 
Schilderung  eine  Theorie  anzuhängen.  Ersteres  führt  dazu,  an  so  un- 
klare und  allgemeine  Begriffe,  wie  Entwicklung,  Konzentration,  Kapi- 
talismus, Sozialwissenschaft  u.  dgl.  eine  „Theorie"  zu  knüpfen.  Dagegen 
wird  gerade  die  Aufgabe  der  ökonomischen  Theorie,  eine  bessere  Er- 
klärung der  Grundlagen  des  tauschwirtschaftlichen  Mechanismus  zu  liefern, 
vernachlässigt,  und  viele  verzweifeln  überhaupt  an  ihrer  Lösung,  weil 
sie  vom  Standpunkt  einer  technisch- materialistischen  Wirtschaftsauffas- 
sung  in  der  Tat  unlösbar  ist. 

Aus  diesem  bedauerlichen  Zustande  unserer  Wissenschaft  ist  auch 
das  vorliegende  Buch  entstanden.  Der  Verf.  ist  nicht  zur  Erkenntnis 
gelangt,  daß  man  in  der  ökonomischen  Theorie  ab  ovo  anfangen  müsse. 
Daher  ist  er  schon  an  der  Unklarheit  über  die  logischen  und  methodo- 
logischen Grundlagen  seiner  Problemstellung  gescheitert.  Das  ist  um 
so  bedauerlicher,  als  Vogel  anscheinend  vor  manchen  österreichischen 
Theoretikern,  bei  denen  das  Konstruieren  im  luftleeren  Baum  eine 
Schuleigentümlichkeit  ist,  sich  dadurch  auszeichnet,  daß  er  die  Be- 
obachtung der  Tatsachen  nicht  so  vollkommen  ignoriert.  Es  soll  auck. 
nicht  veikannt  werden,  daß  seine  Arbeit  in  den  dogmengeschichtlichen 
und  kritischen  Partien  und  auch  in  Einzelheiten  der  Erklärung  wirt- 
schaftlicher Vorgänge  und  Probleme  manches  Wertvolle  enthält  und  daß. 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     740 

me  mancherlei  Anregungen  zu  geben  vermag.  Aber  eine  Theorie  der 
wirtschaftlichen  Entwicklung,  soweit  eine  solche  überhaupt  möglich  ist, 
onthält  sie  nicht,  und  ebensowenig  eine  Krisentheorie,  auf  die  sich  der 
Verf.  besser  beschränkt  hätte,  wenn  er  ökonomische  Theorie  treiben 
wollte.  Dagegen  zeigt  sie  auf  Schritt  und  Tritt,  bei  jedem  wirtschaft- 
lichen Begriffe,  der  hervorgezogen  wird,  die  Unklarheit  der  heutigen 
Nationalökonomie  über  ihre  allgemeinsten  Grundlagen  und  Grundbegriffe. 
Möchten  doch  die  theoretisch  interessierten  und  begabten  Jünger  der 
Wissenschaft  sich  bald  mehr  diesen  Problemen  zuwenden,  die  zunächst 
klargestellt  werden  müssen  und  von  deren  Lösung  wir  heute  noch  weit 
entfernt  sind! 

Freiburg  (B.).  Robert  Lief  mann. 

Hertz,  Dr.  Frdr. ,  Die  Notwendigkeit  eines  österreichischen  Instituts  für  Wirt- 
schaftspolitik. Berlin,  Verlag  f.  Fachliteratur,  1917.  gr.  8.  12  SS.  M.  1.—.  (S.-A. 
««a  der  Zeitschrift:  Oesterreichischer  Volkswirt.) 

Roland,  Dr.  J.,  Unsere  Lebensmittel,  ihr  Wesen,  ihre  Veränderungen  und  Kon- 
servierung vom  ernährungs-physiologisohen  und  volksvirUschaftlichen  Standpunkt  gemein- 
fafilich  dargestellt.  Preisgekrönte  Arbeit,  hlit  einer  Einführung:  Wie  können  wir  aus 
«nseren  Lebensmitteln  besseren  Nutzen  ziehen?  Eine  Forderung  der  neuen  Zeit  von 
(Geh.  Reg.-R.)  Prof.  Dr.  Thdr.  Paul.  Dresden,  Theodor  Steinkopff,  1917.  gr.  8.  XIX— 
263  SS.  mit  Fig.     M.  9.—. 

Scholl,  Frdr.,  Der  Ausbau  unserer  Kriegswirtschaft  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung der  Volksernährung.     Stuttgart.  Mimir,   1917.     kl.  8.     20  SS.     M.  0,50. 

Senator,  Dr.  Eduard,  Wellkrieg  und  Brotversorgung.  Berlin,  Franz  Siemen- 
roth,  1917.     gr.  8.     XII— 192  SS.     M.  6.—. 

Chessa,  Federico,  II  nazionalicmo  economico  nel  passato  e  nel  presente. 
Scansano,  tip.  degli  Olmi,  di  0.  Tessitori,  1917.     8.    34  p. 

2.  Geschichte  nnd  Darstellnxig  der  wirtschaftlichen  Kultur. 

Brück,  W.  r.  Vorläufiger  Bericht  über  Baumwollerzeugung  und 
-verbrauch  der  Türkei.  Hersg.  vom  Arbeitsausschuß  der  Deutschen 
Baum  wollspinnerverbände.     Augsburg- Berlin  1917.     62  SS. 

Der  Verf.  hat  es  sich  in  seinem  vorläufigen  Bericht  zur  Aufgabe 
gestellt,  in  großen  Zügen  ein  Bild  von  den  Produktionsverhältnissen 
der  türkischen  Baumwollkultur  zu  geben  (S.  6).  Er  beginnt  mit  einer 
kurzen  Erörterung  des  Bedarfs  der  Türkei  an  Textilerzeugnissen,  ins- 
besondere an  Baumwolle.  Bei  einem  Konsum  von  1,5  kg  pro  Kopf  und 
Jahr  der  rund  20  Mill.  betragenden,  anspruchslosen  und  armen  Be- 
Tölkerung  würde  der  Kleidungsbedaif  150ÜÜ0  Ballen  des  Adanaballen- 
gewichts  zu  200  kg  ausmachen.  „Dieser  Bedarf  ist  kleiner  als  das 
Quantum  roher  Baumwolle,  das  die  deutschen  Spinnereien  in  einem 
Monat  verarbeiten"  (S.  8).  Von  diesen  150000  Ballen  entfallen  etwa 
110—120000  Ballen  auf  gröbere  Nummern,  die  aus  den  minderwertigen 
kleinasiatischen  Sorten  sich  herstellen  lassen.  „In  bezug  auf  Gespinnste 
höherer  Nummern  wird  die  Tüikei  nach  wie  vor  auf  die  Einfuhr  an- 
gewiesen sein"  (S.  9).  Dieses  Passivum  der  Baumwollbilanz  sei  zu  decken 
durch  vergrößerten  Anbau  und  gesteigerte  Ausfuhr  von  weltmarktfähiger 
Rohbaumwolle.  Zu  dem  genannten  Kleidungsbedarf  des  Volkes  tritt  noch 
eine  wenig  genau  meßbare  Nachfrage  nach  Kriegsbekleidungsmitteln, 
nach  Sack-  und  Packstoffen,  nach  Pulver  und  Sanitätsmaterial. 


760     Uebersicht  über  die  neuesten  Pnblikationeu  Dentachlanda  und  des  Auslandes. 

Das  Hauptkapitel  ist  der  Betrachtung  tiber  den  Anbau  von  Ban&- 
wolle  in  der  Tüilcei  gewidmet.  Die  einzeluen  Anbauregionen  weiden 
nacheinander  von  dem  Verf.  durchgesprochen.  Das,  an  der  Produktion»- 
Ziffer  gemessen,  zurzeit  hauptsächlichste  Gebiet  ist  die  Ebene  von  A  d  ana. 
Mit  105  000  Ballen  zu  200  kg  erreichte  die  Erzeugung  den  Höhepunkt 
im  Jahre  191 3;  seitdem  ist  infolge  der  durch  den  Krieg  verursachtea 
Kredit-  und  Arbeiterschwierigkeiten  ein  jäher  Abfall  eingetreten.  Der 
Anbau  erfolgt  nach  dem  Bericht  des  Verf.  in  einer  der  Dreifelderwirt- 
schaft ähnlichen  Rotation.  Angebaut  wird  zu  95  Pioz.  eine  in  Klein- 
asien heimisch  gewordene  Baumwollpflanze  mit  dem  lokalen  Namem 
Jerly,  während  die  in  den  letzten  Jahren  eingeführten  amerikanischen 
Sorten  nur  5  Proz.  der  Ernte  bringen.  „Die  Gesamtbaumwollkultur 
wurde  bisher  ohne  Irrigation  betrieben"  (S.  13).  Die  Pjoduktions- 
fläche  ist  jedoch  noch  sehr  ausdehnungsfähig  und  ebenso  wie  die  Arbeits- 
methode stark  verbesserbar.  Aber  der  Uebergang  zu  einer  höheren 
Qualität,  der  an  sich  notwendig  ist  wegen  der  Minderwertigkeit  der 
Jerly,  wird  außerordentlich  gehemmt  durch  die  Arbeiterschwierigkeiten, 
lieber  dies  Problem,  wie  über  die  Bodenbesitzverteilung  und  die 
Arbeitsverhältnisse  werden  ausführliche  Mitteilungen  gegeben.  Als 
zweites  Produktionsgebiet  kommt  die  Umgebung  von  Smyrna  in  Be- 
tracht, wo  bereits  im  Jahre  1911/12  der  Höhepunkt  mit  52000  Ballen 
erreicht  w^ard  und  seitdem  ein  dauernder  Rückgang  eingetreten  ist 
Auch  hier  gedeiht  die  Baumwolle  ohne  künstliche  Bewässerung  (S.  23) 
Die  einzelnen  Anbaugegenden  werden  beschrieben,  der  Ertrag  und 
manche  technischen  Verhältnisse  kurz  dargestellt.  Das  dritte  Gebiet 
ist  Syrien.  Versuche  haben  ergeben,  daß  hochwertige  ägyptische- 
Baumwolle  hier  bei  Bewässerung  ganz  vortrefflich  zu  gedeihen  vermag 
(S.  27).  Diese  Baumwolle  kann  nun  aber  kein  Rohstoff  für  eine  in- 
ländische türkische  Industrie  sein,  da  die  Spinnerei  der  ägyptischen 
Baumwolle  für  die  ungeschulten  Arbeitskräfte  viel  zu  kompliziert  ist 
„Würde  also  die  tüikische  Regierung  die  ägyptischen  Sorten  im  An- 
bau begünstigen,  so  müßte  sie  sich  darüber  klar  sein,  daß  es  sich  dann 
um  ein  Erzeugnis  lediglich  für  den  Export  handeln  würde"  (S.  27).. 
Der  Bericht  geht  im  einzelnen  ein  auf  die  Bodenverhältnisse,  die 
Arbeiterfrage  und  einige  spezielle  Probleme.  Als  viertes  und  für  eine 
ferne  Zukunft  wohl  größtes  Produktionsgebiet  wird  zum  Schluß  Me- 
sopotamien behandelt.  Der  Verf.  unterscheidet  Ober-,  Mittel-  und 
Niedermesopotamien  und  sagt  über  die  Anbaumöglichkeiten  (S.  34/35) 
„Die  gemeinsame  Südgrenze  der  erwähnten  Landschaften  gegen  Mittel- 
mesopotamien fällt  ungefähr  mit  einer  klimatisch- wirtschaftlichen  zu- 
sammen. Während  im  Norden  der  Ackerbau  und  auch  der  Anbau  vom 
Baumwolle  ohne  künstliche  Bewässerung  möglich  ist,  versagt  jede  Kultur 
südlich  davon  in  Mittel-  und  Niedermesopotamien  ohne  künstliche  B^ 
Wässerung."  Auch  hier  werden  alle  für  eine  geregelte  Produktion 
wichtigen  Momente  berührt;  besonders  eingehend  wird  das  Bewässerunga- 
problem,  von  dessen  Lösung  die  ganze  Kultur  abhängig  ist,  unter  Be- 
rücksichtigung der  Willcocksschen  Pläne  eiörtert. 

Im  dritten  Kapitel  schläft  der  Verf.  Mittel  zur  Hebung  des  Baum- 
wollanbaues in  der  Türkei  vor.     „Am  zweckmäßigsten  würden  im  Ver- 


Uebereicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     751 

ein  mit  der  türkischen  Regierung  Gesellschaften  zu  gründen  oder  be- 
fltehende  umzuwandeln  sein,  die  den  ausgesprochenen  Zweck  haben,  di^ 
Baumwollkultur  zu  heben"  (S.  50).  Sie  hätten  mit  den  Bewässeruugs- 
unternehmungen  Verträge  abzuschließen  uüd  die  Beziehungen  zu  den 
Grundbesitzern  und  Arbeitskräften  in  sichere  Bahnen  zu  lenken.  Die 
Aufgaben  dieser  Gesellschaften  sollten  außerdem  die  Lieferung  aller  für 
die  Bearbeitung  und  die  Ernte  nötigen  Hilfsmittel,  die  Bereitstellung 
von  Kredit,  die  Besorgung  von  Baumwollsaatgut  umfassen.  Zu  letzterem 
Zweck  hätten  sie  Stationen  einzurichten,  auf  denen  Versuchsanstellungen 
für  Anbau  und  Bekämpfung  der  Krankheiten  vorzunehmen,  und  die 
mit  einer  Entkörnungsanstalt  zu  verbinden  wären.  Für  Syrien  und 
Mesopotamien  werden  noch  spezielle  Maßnahmen  als  erstrebenswert  be- 
Beichnet.  Der  Verf.  glaubt,  daß  auf  diese  Weise  eine  gewisse  Arbeits- 
teilung in  der  Türkei  stattfinden  könnte.  Die  Türkei  vermöchte  in 
Kleinasien  und  Syrien  vielleicht  80  Proz.  ihres  eigenen  Verbrauchs 
selbst  herzustellen.  Was  sie  darüber  hinaus  an  ägyptischer  Baumwolle 
für  den  Export  erzeugte,  würde  dazu  dienen,  ihre  Handelsbilanz  akti- 
ver zu  gestalten  (S.  56). 

Da  solche  Pläne  aber  zur  Durchführung  umfangreiche  Vorarbeiten 
erfordern  und  es  in  vieler  Hinsicht  nötig  ist,  sofort  mit  einer  Erweiterung 
und  Verbesserung  zu  beginnen,  so  werden  in  dem  letzten  Abschnitt 
praktische  Vorschläge  für  sofort  gemacht.  Sie  gipfeln  in  den  am  Schluß 
des  Berichts  (S.  62)  gegebenen  Leitsätzen,  die  vor  allem  ein  Handin- 
handarbeiten  kapitalkräftiger  deutscher  Gesellschaften  mit  türkischem 
Regierungsprivileg  mit  Vertretern  dieser  Regierung  vorsehen  und  in 
technischer  Hinsicht  eine  planvolle  Saatzucht  und  eine  möglichst  große 
Entkörnungstätigkeit  wünschen. 

Wie  der  Verf.  im  Vorwort  angibt,  ist  eine  ausführliche  Denk- 
schrift in  Vorbereitung.  Doch  gewährt  der  vorläufige  Bericht  bereits 
einen  umfassenden  Einblick  in  die  türkische  Baumwollkultur.  Der  Verf., 
der  besonders  vorbereitet  und  sachkundig  zur  Beurteilung  der  Baum- 
wollfrage ist,  hat,  soweit  nicht  Kriegsverhältnisse  ihn  daran  hinderten,^ 
alle  Anbaugebiete  wohl  ausgerüstet  und  unterstützt  von  türkischen  Be- 
hörden in  Ruhe  bereisen  können.  Seine  Daistellung  ist  anschaulich, 
knapp  und  erschöpfend;  seine  Vorschläge  sind  sorgfältig  abgewogen 
und  den  bestehenden  Schwierigkeiten  persönlicher  und  sachlicher  Art 
angepaßt. 

Arnautköj.  Friedrich  Hoffmann. 

Böhm,  Prof.  Max,  Die  Letten.  (Kurland  in  Vergangenheit  und  Gegonwart, 
Bd.  4.)     Berlin-Steglitz,  Fritz  Würtz,  1917.     kl.  8.     86  SS.  nut  9  Abb.     M.  1,20. 

Floericke,  Dr.  Kurt,  Bulgarien  und  die  Bulgaren.  7.  Aufl.  Stuttgart, 
Franckhsche  Verlagshdlg.,  1917.  8.  92  SS.  mit  1  (eingedr)  Uebersicbtskarte  u.  26  Akb. 
M.  1,80. 

Forschungen  zur  brandenburgischen  und  preußischen  Geschichte.  Neue  Folge 
der  „Märkischen  Forschungen"  des  Vtrcins  für  Gchchichte  d«r  Mark  Brandenburg.  In 
Verbindung  mit  Otto  Hinize  hrag.  von  Melle  Klinkenborg.  Bd.  30,  1.  Hälfte.  München, 
Duncker  u.  Humblot,  1917.     gr.  8.     111-^315  SS.     M.  8.—. 

Hagmann,  Prof.  Dr.,  Studien  zur  Geschichte  Belgiens  seit  1815.  Bern,  Ferd. 
Wyß,  1917.     8.     III -63  SS.     M.  1,60. 

Handbuch  von  Polen.  Beiträge  zu  einer  allgemeinen  Landeskunde.  Anf  Grund 
4er  Studienergebnisse   der  Mitglieder  der  landebkundlichen   Kommission  beim  General- 


762     Ueberaicht  über  die  nenesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

gouveraement  Warschau.  Hrsg.  unter  der  Redaktion  von  Dr.  E.  Wunderlich  vom  Kate. 
deutschen  Qeneralgouv^emement  Warschau.  Berlin,  Dietrich  Reimer  (Ernst  Vobsen]^ 
1917.  Lex.-8.  XXII— 467  SS.  mit  55  Taf.,  15  (färb.)  Karten,  45  Textfig.  M.  16.—. 
Schumacher  (Geh.  Reg.-R.),  Prof.  Dr.  Herrn.,  Der  Reis  in  der  Weltwirtschaft. 
München,  Duncker  u.  Humblot,  1917.    gr.  8.     VJII— 145  SS.     M.  4.—. 

Meyer,  Balthasar  H.,  History  of  transportation  in  the  United  States  befon 
1860.  Washington,  D.  C.  Carnegie  Inst.  8.  $  6.  (Conti  ibutions  to  American  eeoaa- 
mio  history  from  the  Dept.  of  Eeonomics  and  Socioiogy.) 

Whitton,  Major  F.  E.,  A  history  of  Poland.  From  the  earliest  times  to  Ika 
present  day.     With  maps.     London,  Constable.     8.     8/.6. 

3.   Bevölberuugslelire  und  Bevölkerangfspolitik.    Anawandeximg 
und  Kolonisation. 

Arldt,  Pr.  Dr.  Th. ,  Germanische  Völkerwellen  und  ihre  Bedeutung  in  der  Ba- 
völkerungsgeschichtc  von  Europa.  (Umschl. :  Germanische  Völkerwellen  und  die  Basied- 
lung  Europas.)  Leipzig,  Dieterichsche  Verlagsbuchhdlg. ,  1917.  8.  XII— 226  88. 
M.  5.—. 

Trietsch,  Davis,  Jüdische  Emigration  und  Kolonisation.  Berlin,  Orient- Ver- 
lag, 1917.     8.     474  SS.     M.  12.—. 

4.  Bergbau.    Land-  und  Forstwirtschaft.     Fischereiwesen. 

Bekanntmachungen  über  den  Ernteverkehr  nebst  den  anderweitigen  Ge- 
setzen und  Verordnungen  Wirtschaft  lieber  Natur  aus  den  Jahren  1915/17.  15.  Nach- 
trag. Vom  1.  Vll.  1917.  bis  11.  VllL  1917.  Berlin,  Klemens  Rcuschel,  1917.  gr.  S. 
VIII— 207  SS.     M.  3,60. 

Luberg  (Sem.-Dir.),  Dr.,  Landwirtschaftliche  Betriebslehre.  Zum  Gebrauch  ao 
Landwiitsohaltsschulen  und  landwirtschaftlichen  Winierschulen.  6.  Aufl.  (Landwirt- 
sthafthche  Unterrichtsbücher.)     Berlin,  Paul  Parey,  1917.     8.     VIII— 178  SS.    M.  2,40, 

Metzel,  Konrad,  Vermehrung  der  klein  wirtschaftlichen  Erzeugung.  Ein  Bei- 
trag zur  Sicherung  der  Volksernährung,  zur  Hebung  des  Volkswohlslandes  und  zur 
Stärkung  der  Volkskraft  in  Krieg  und  Frieden.  Leipzig,  Dieterichsche  Verlagsbuchhdlg., 
1917.  Lex.-8.  Mit  9  Textabb.,  12  Satzungen,  4  Wirtschaftsplänen  u.  2  Wirtschalto- 
crgebnissen  nebst  Atlas  mit  49  Taf.  (u.  4  SS.  Text).     M.  15.—. 

N  i  kl  as- München,  Dr.  Hans,  Neue  Grundlagen  und  Wege  zur  Erhöhung  der 
Bodenproduktion  Deutschlands.  Berlin,  Verlag  f.  Fachliteratur,  1917.  gr.  8.  38  SS. 
H.  2. — .  (S.-A.  aus  der  Zeitschrift:   Internationale  Mitteilungen  für  Bodenkunde,  1917.) 

Schoenichen,  Prof.  Dr.  Walther,  Unsere  Volksernährung  auf  der  Grund- 
lage unserer  Landwirtschaft.  65  graphische  Darstellungen  mit  erläuterndem  Text,  in  Ver- 
bindung mit  (Versuchsstations-Voi sicher)  Prof.  Dr.  Max  Popp  hrsg.  Leipzig,  Quelle  n. 
Meyer,  1917.     gr.  8.     III,  56  u.  46  SS.     M.  2,20. 

Simpson  ,  Will  V.,  Tagesfragen  zur  deutschen  Landespferdezucht.  Berlin,  Geoxf 
«tüke,  1917.    gr.  8.     102  SS.  mit  Abb.,  3  Taf.  u.  1  Stammtaf.     M.  2.—. 


Mac  Nutt,  J.  Scott,  The  modern  milk  problem  in  sanitation,  eeonomics,  and 
agriculture.     New  York,  Macmillan  Co.     8.     $  2. — . 

Woolsey,  Th.  Salisbury,  French  forests  and  forestry;  Tunisia,  Algeria, 
Oorsica.  With  a  translation  of  the  Algerian  code  of  1903.  New  York,  Wiley.  8. 
$  2,50. 

Raineri,  Giovanni  (ministro),  Sul  bilancio  d' agricoltura  per  1' esercirio 
1916 — 17:  discorso  pronunziato  nella  tornata  del  23  giugno  1917.  Roma,  tip.  del 
Senato,  1917.     8.     45  p. 

Todkro,  Francesco,  Lezioni  di  agricoltura  nella  r.  scuola  superiore  di  agraria 
dell' universitä  di  Bologna.  Vol.  I.  Casale  Monferrato,  fraielli  Marescalchi  (ditta 
C.  Cassone),  1917.     16.     XIV,  X,  545  p.     1.  4.—. 

5.   Gewerbe  und  Industrie. 

Glück 8 mann    (Doz.),     Dr.    Roh.,     Privatwirtschaffslehre    des  Hotelgewerbe!. 

Berlin,    Haude  u.   Spenersche  Buchhdlg.   Max  Paschke,  1917.     gr.   8.  VIU— 19G  m, 
M.  6.—. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     753 

Hoffmann  (Wirkl.  Geh.  Ober-Reg.-ß.,  vortr.  Rat),  Dr.  Franz,  Die  Gewerbe- 
Ordnung  mit  allen  Ausführungsbestimmungen  für  das  Deutsche  Reich  und  Preußen. 
Erläuterte  17.  Aufl.  (Taschen-Gesetzsammlung,  Nr.  36.)  Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag, 
1917.     kl.  8.     XXIV— 1344  SS.     M.  8.—. 

Meesmann  (Synd.,  Hauptm.  d.  Landw.),  P.,  Der  Kriegsausgang  und  die  deutsche 
Industrie.     Mainz,  J.  Diemer,  1917.     8.     36  SS.     M.  0,60. 

Singer,  J.,  Die  amerikanische  Stahlindustrie  und  der  Weltkrieg.  Berlin,  Franz 
Siemenrotb,  1917.     gr.  8.     III— 114  SS.     M:  4.-. 


EnquSte  sur  la  production  fran9aise  et  la  concurrence  gtrang^re.  Rapporteurs 
g§n§raux.  Industrie  et  commerce:  (prof.)  Henri  Hauser.  Agriculture:  Henri  Hitier. 
Tome  1".  Preface  de  M.  David-Menuet.  Industries  diverses.  Paris,  impr.  de  la  Bourse 
de  commerce  (G.  Burlau),  1917.  4.  427  pag.  (Association  nationale  d'expansion 
economique.     Industrie.     Commerce.    Agriculture.) 

Lahy,  J.  M.,  Le  syst&me  Taylor  et  la  physiologie  du  travail  professionnel.  Paris, 
Masson  et  Cie.     8.     X— 198  pag.     fr.  4,50. 

Leffevre  (notaire),  Narcisse,  et  (Dr.)  Roger  Masson,  Nos  centres  in- 
dustriels  du  Nord  aprös  la  guerre.  Relövement  §conomique.  Concours  financier.  ^^tampes, 
irapr.  Terrier  fröres  et  Cie.,   1917.     8.    31  pag.     fr.   1,50. 

Lorenzoni,  Giovanni,  L'evoluzione  delP  industria  de!  trasporti  marittimi 
negli  Ultimi  cento  anni :  discorso  inaugurale  letto  nell'  aula  magna  della  r.  universitä 
di  Macerata  il  12  novembre  1916.     Macerata,  tip.  Bianchini,  1917.     8.     36  p. 

6.  Handel  nnd  Verkehr. 

Konietzko  (Reg.-R.),  A.,  Unsere  wirtschaftliche  Zukunft  bei  einem  Verzicht- 
frieden. (Kriegs-  und  Friedensziele.  Deutsche  Flugschriften,  Heft  5.)  Weimar,  Alexander 
Duncker  Verlag,  1917.     8.     27   SS.     M.  0,40. 

Lamp,  Prof.  Dr.  Karl,  Die  Theorie  des  deutschen  Zollrechts  und  der  Entwurf 
einer  neuen  österreichischen  Zollordnung.  Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr,  1917.  gr.  8. 
JII— 96  SS.     M.  2,50. 

Nachimson,  Dr.  M.,  Imperialismus  und  Handelskriege.  Eine  volkswirtschaft- 
liche Untersuchung  über  die  Entwicklungstendenzen  der  modernen  Wirtschaft  und  der 
Handelspolitik.     Bern,  Ferd.  Wyß,  1917.     8.     167  SS.     M.  3,50. 

Repenning  (wiss.  Assist.),  Dr.  Otto,  Zusammenstellung  der  Aus-  und  Durch- 
fuhrverbote (nach  dem  statistischen  Warenverzeichnis),  der  Zentralstellen  für  Ausfuhr- 
bewilligungen, sowie  die  Bestimmungen  über  die  Einfuhr.  (Abgeschlossen  am  15.  IX. 
1917.)    Berlin,  R.  v.  Deckers  Verlag  G.  Schenek,  1917.    Lex.-8    VIII— 386  SS.    M.  18.—. 

Wolf,  Julius,  An  der  Wiege  Mitteleuropas.  3.  Aufl.  der  Schrift:  „Ein 
deutsch-österreichisch-ungarischer  Zollverband".  Leipzig,  A.  Deichertsche  Verlagsbuch- 
handlung Werner  Scholl,  1917.     gr.  8.     43  SS.     M.  1,20. 

Boret  (d§put6),  Victor,  La  bataille  Economique  de  demain.  2*  Edition.  Paris, 
Payot  et  Cie.,  1917.     16.     245  pag.     fr.  3,50. 

Guarducci,  Alberto,  Per  la  riforma  del  nostro  regime  doganale.  (Camera  di 
commercio  e  industria  della  provincia  di  Pisa.)  Pisa,  tip.  suco.  fratelli  Nistri,  1917. 
8.     32  p. 

Landra,  Angelo,  Corso  di  storia  del  commercio.  Parte  II.  (Epoca  modema 
e  contemporanea,  a.  1492—1917.)  Torino,  ditta  G.  B.  Paravia  e  C,  1917.  8.  280  p. 
con  tre  tavole.     1.  5. — . 

Movimento  commerciale  del  regno  d' Italia  nell' anno  1915.  Parte  II,  vol.  I: 
Movimento  per  paesi  di  provenienza  e  di  destinazioue,  paesi  europei.  (Ministero  delle 
finanze :  direzione  generale  delle  gabelle,  ufficio  trattati  e  legislazione  doganale.)  Roma, 
tip.  Nazionale,  Bertero,  1917.     4.     686  p. 

Dam,  W.  A.  C.  van,  Vractrecht  der  Rijnvaart.  Een  toelichting  tot  de  gede- 
poneerde  Rotterdamsche  Rijnvaartconditien.  Rotterdam,  D.  Brouwer  en  Zonen,  gr.  8. 
300  blz.     fl.  3,60. 

7.  Finansweseu. 

Kornfeld  (Priv.-Doz.,  Hof-  u.  Ger.- Ad v.),  Dr.  Felix,  Zur  Frage  der  Ein- 
kommensteuerpflicht von  Bezugsrechten.  Eine  Studie.  Wien,  Manz,  1917.  8.  IV — 
31  SS.     M.  1.—. 

Jahrb.  f.  NaUonalök.  n.  Stat.  Bd.  109  (Dritte  Folge  Bd.  M).  48 


754     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Mayer  (Reichs-Mil.,  Ger.-Rat  a.  D.),  Dr.  Ph.  Otto,  Die  Beseitigung  der  Ge- 
meindeumlagen  (in  Bayern).  Vortrag,  gehalten  am  29.  XI.  1916  in  Ludwig»bafen  a.  Rh. 
und  anderwärts.  München,  J.  Schweitzer  Verlag  (Arthur  Sellier),  1917.  gr.  8.  40  88. 
M.  1,80. 

Pin  n  er,  Dr.  Walter,  Eine  halbe  Milliarde  Getreidemonopolertrag  ohne  Brot- 
preiserhöbung?  Berlin,  Verband  der  Getreide-  und  Futtermittel  Vereinigungen  Deutsch- 
lands, 1917.  8.  15  SS.  M.  0,30.  (8.-A.  ans  dem  Preußischen  Verwaltnngs- Blatt» 
39.  Jahrg.) 

Zedlitz-Neukirch  (Abg.,  Wirkl.  Geh.-R.),  Frhr.  v.,  Neuaufbau  der  Finanzen 
nach  Friedensschluß  und  qualitative  Sparsamkeit.  (Finanz-  und  volkswirtschaftliche 
Zeitfragen.  Hrsg.  von  Reichsr.  Prof.  Dr.  Georg  v.  Schanz  und  Geh.  Reg.-R.  Prof.  Dr. 
Julius  Wolf.     Heft  41.)     Stuttgart,    Ferdinand  Enke,  1917.     Lex.-8.     21  SS.     M.  1.—. 

Ohmstede,  V.  S.,  Practijk  der  oorlogswinstbelasting.  Gouda,  Electrische  drok- 
kerij,  Joh.  Mulder  (Woerden,  P.  de  Ruyter).     gr.  8.     2  en  42  bldn.     fl.   1.—. 

8.  Geld-,  Bank-,  Kredit-  und  Versicherungswesen. 

V.  Schrötter,  Friedrich,  Frh.,  Geschichte  des  neueren  Mödb- 
und  Geldwesens  im  Kurfürstentum  Trier  1550 — 1794.  Mit  einer  Karten- 
skizze des  Kurfürstentums  Trier.  Berlin  (Paul  Parey)  1917.  8^.  VIII 
u.  214  SS.     (Preis:  M.  15,—.) 

Das  vorliegende  Werk  behandelt  die  neuere  Mün^geschichte  nnd 
Münzpolitik  eines  deutschen  Mittelstaates,  „dessen  meiste  Fürsten  sich 
bemühten,  ein  gutes  Münzwesen  zu  schaffen,  denen  es  aber  sowohl 
wegen  der  ungünstigen  geographischen  Lage  des  Landes  wie  auch 
wegen  dessen  geringer  Kräfte  nicht  gelang,  dieses  Ziel  zu  erreichen". 
Die  führende  Stellung,  welche  die  vier  rheinischen  Kurfürstentümer  im 
14.  und  15.  Jahrhundert  im  deutschen  Münzwesen  einnahmen,  der  feste 
Halt,  den  sie  ihm  durch  ihre  nach  gleichem  Fuß  auf  Grund  ihrer  Münz- 
verträge geprägten  Goldgulden  boten,  gingen  im  16.  Jahrhundert  ver- 
loren, da  der  ßheinhandel,  der  sie  im  Mittelalter  reich  gemacht  und 
mit  Gold  und  Silber  für  die  Münzstätten  versorgt  hatte,  abnahm,  und 
andererseits  Kaiser  und  Reich  (zuerst  durch  die  Reichsmünzordnuug 
von  1524)  das  Reichsmünzwesen  durch  eigene  Gesetze  und  durch  die 
Probationsversammlungen  der  Reichskreise  selber  zu  regeln  unternahmen. 
Kurtrier  spielte  seitdem  in  der  Münzpolitik  wie  auch  sonst  in  der 
Reichspolitik  im  wesentlichen  eine  passive  Rolle.  War  doch  z.  B.  der 
Mittelpunkt  des  Geldhandels  für  das  Land  nicht  die  eigene  Haupt- 
stadt, sondern  Frankfurt  a.  M.  Wie  die  anderen  in  ähnlicher  Lage 
befindlichen  deutschen  Mittel-  und  Kleinstaaten  suchte  auch  Trier  nicht 
selten  seinen  Vorteil,  indem  es  den  Wirrwar  und  die  Verschlechterung 
des  deutschen  Münzwesens  noch  vermehren  half.  Diese  beiden  traurigen 
Erscheinungen  waren  in  Westdeutschland  offenbar  noch  schlimmer  als 
in  Mittel-,  Süd-  und  Norddeutschland.  Es  kam  so  weit,  daß  am  Rhein 
Ende  des  16.  Jahrhunderts  eine  Zahlung  von  1000  Fl.  in  Pfennigen 
geleistet  wurde  (S.  41).  So  sehr  verschwanden  die  großen  silbernen 
und  goldenen  Geldsorten,  Taler  und  Gulden,  Goldgulden  und  Dukaten, 
neben  den  massenhaft  umlaufenden  und  außerordentlich  verschieden- 
artigen Scheidemünzsorten.  Oder  diese  „groben"  Geldsorten  lebten  nur 
noch  schattenhaft  als  Rechnungseinheiten  der  Scheidemünze  fort;  so 
gab  es  im  17.  Jahrhundert  5  verschiedene  Gulden  als  Rechnungswerte, 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     755 

die  sich  alle  von  dem  wirklich  geprägten  „Spezies "-Goldgulden  abgezweigt 
hatten,  zu  24,  36,  48,  54,  72  Albus  oder  Weißgroschen  (S.  66).  Kur- 
trier beteiligte  sich  auch  wacker  an  der  allgemein  üblichen  übermäßigen 
Scheidegeldprägung,  und  zwar  seit  1601  durch  die  sogenannten  „Peter- 
männchen" (einfache,  doppelte  und  dreifache  Albussorten  mit  dem 
hl.  Petrus),  deren  sich  die  anderen  Staaten  nur  mit  Mühe  erwehren, 
konnten.  Sie  kursierten  in  Süddeutschland  bis  nach  Bayern,  in  Nord- 
deutschland bis  nach  Stolberg  (S.  85)  und  sind  heute  noch  den  Sammlein 
von  Kleinmünzen  wohlbekannt.  Eine  wichtige  Ursache  dieser  über- 
mäßigen Kleingeldprägung  war  neben  der  fiskalisch  eigennützigen  Münz- 
politik der  Regierungen  auch  der  fortwährende  Kriegszustand  im  16. 
bis  18.  Jahrhundert,  der  den  Bedarf  nach  kleinen  Zahlungsmitteln 
steigerte  (S.  84),  was  ja  auch  im  heutigen  Kriege  zu  beobachten  ist. 
Nach  dem  siebenjährigen  Kriege  haben,  wie  der  Verf.  sagt,  „die 
deutschen  Staaten  ....  eine  vernünftigere,  selbstlosere  Münzpolitik 
befolgt  als  vorher:  das  sinnlose  Darauflosprägen  von  Scheidemünze 
nur  um  des  Gewinnes  willen  hatte  aufgehört.  Aber  man  hatte  nun 
eben  nicht  die  Kraft,  jene  Massen  zu  beseitigen,  man  mußte  für  ältere 
Sünden  büßen"  (S.  128).  Daher  blieben  auch  die  trierischen  Scheide- 
münzen noch  lange  im  Verkehr,  nachdem  schon  das  trierische  Staats- 
wesen 1794  aufgelöst  war,  und  wurden  erst  1821  von  der  preußischen 
Regierung  beseitigt. 

Die  Darstellung  des  Verf.  ist,  wie  in  seinem  monumentalen  Werk 
über  das  preußische  Münzwesen  im  18.  Jahrhundert  und  seinen  kleineren 
Monographien,  klassisch  durch  die  Klarheit,  mit  der  die  schwierige 
Materie  behandelt  wird,  und  durch  die  auf  umfassendem  Literatur- 
und  Aktenstudium  beruhende  Gründlichkeit;  sie  gibt  auch,  nach  dem 
Grundsatz,  „daß  das  Münzwesen  der  Spiegel  der  politischen  Zustände 
durch  alle  Zeiten  ist",  einen  interessanten  Einblick  in  die  Verwaltung 
und  Staatswirtschaft  dieses  geistlich-aristokratisch  regierten  Ländchens. 

Dresden.  Schwinkowski. 

Bericht  des  schweizerischen  Versicherungsamtes.  Die  privaten  Versicherungs- 
unternehmungen in  der  Schweiz  im  Jahre  1915.  Veröffentlicht  auf  Beschluß  des 
schweizerischen  Bundesrats  vom  13.  VIII.  1917.  30.  Jahrg.  Bern,  A.  Francke,  vorm. 
Schmid  u.  Francke,  1917.     Lex.-S.     IV,  117  u.  202  SS.     M.  5.—. 

Handbuch  der  deutschen  Aktien-Gesellschaften.  Jahrbuch  der  deutschen  Börsen, 
Ausgabe  1917/18.  Bd.  1.  Nebst  einem  Anhang,  enthaltend:  Deutsche  und  ausländische 
Staatspapiere,  Provinzial-,  Stadt-  und  Prämien-Anleihen,  Pfand-  und  Rentenbriefe,  aus- 
ländische Banken,  Eisenbahn-  und  Industrie-Gesellschaften.  Ein  Hand-  und  Nachschlage- 
buch für  Bankiers,  Industrielle,  Kapitalisten,  Behörden  etc.  22.  umgearb.  und  verm. 
Aufl.  Berlin,  Verlag  f.  Börsen-  u.  Finanzliteratur.  Lex.-8.  CXXVIII,  XIII,  2450, 
668  u.  103  SS.     M.  40.—. 

Iränyi,  Beruh.,  Die  deutschen  Privatversicherungs-Gesellschaften  im  Jahre  1916. 
23.  Jahrg.     Wien,  J.  Eisenstein  &  Co.,  1917.     Lex.-8.     32  SS.     M.  1,75. 

Rathenau,  Walther,  Vom  Aktien wesen.  Eine  geschäftliche  Betrachtung. 
Berlin,  S.  Fischer,  1917.     8.     62  SS.     M.  1.—. 

Spreuer,  Jobs.,  Die  Haftpflichtversicherung  der  deutschen  Landwirte  auf 
öffentlich-rechtlicher  Grundlage,  insbesondere  die  Entwicklung  der  Haftpflichtversiche- 
rungsanstalt der  schlesi^chen  iand wirtschaftlichen  Berufsgenossenschaft.  Ein  Beitrag  zur 
Frage  der  Haftpflichtversicherung.  (Das  gesamte  Versicherungswesen  in  Einzeldar- 
stellungen,  Bd.  8.)     München,  Max  Steinebach,  1917.     gr.  8.     VIII— 79  SS.     M.  2,50. 

48* 


756     Ueberaicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Wolf,  Julius,  Der  französische  Nationalreiahtum  vor  dem  Kriege.  (Finanz* 
und  volkswirtschaftliche  Zeitfragen.  Hrsg.  von  Prof.  Dr.  Georg  v.  Schanz  und  Geh. 
Reg.-R.  Prof.  Dr.  Julius  Wolf.  Heft  40).  Stuttgart,  Ferdinand  Enke,  1917.  Lex.-S. 
39  SS.     M.  1,60. 

Wolter,  Jobs.,  Das  staatliche  Geldwesen  Englands  zur  Zeit  der  Bank-Restriktion 
(1797 — 1821).  Abhandlungen  aus  dem  staatswissenschaftlichen  Seminar  zu  Straßburg  i.  E. 
Hrsg.  V.  G.  F.  Knapp  u.  W.  Wittich.  Heft  33.)  Straßburg,  Karl  J.  Trübner,  1917. 
gr.  8.     VIII— 214  SS.  m.  2  Tab.     M.  7.—. 


Trocheris,  Georges,  Le  crfedit  f oneier  et  Pagriculture.  Paris,  Qiard  et  Brifere. 
8.     fr.  5.—. 

Bosch,  A.  H.,  In  dubiis  abstine.  Objectieve  beschouwingen  aangaande  het  staats- 
verzekeringsmonopolie.    2e  druk.    Rotterdam,  W.  J.  van  Hengel.    gr.  8.    46  blz.    fl.  1,25. 

Fabius,  G.  J.,  Het  bankwezen  in  Nederlandsch  West-Indie.  (Instituut  voor  cco- 
nomische  geschriften,  No.  2.)  Rotterdam,  Nijgh  en  van  Ditmar's  Uitg. -maatschappij. 
gr.  8.     65  blz.     fl.  1,50. 

Houten,  D.  van,  Eenige  opmerkingen  over  een  staatsmonopolie  van  het  ver- 
«ekeringsbedrijf.     's  Gravenhage,  Mouton  en  Co.     gr.  8.     23  blz.     fl.  0,25. 

9.  Soxiale  Frag-e. 

Albrecbt,  Dr.  G.,  Dr.  K.  v.  Mangoldt,  und  (Reg.-Amtm.)  Dr.  Rusch, 
Wohnungsfrage  und  üebergangswirtschaft.  (Schriften  des  deutschen  Wohnungsaus- 
schusses, Heft  3.)     Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917.     gr.  8.    IV — 91  SS.    M.  3. — . 

Eberstadt,  Prof.  Dr.  Rud.,  Handbuch  des  Wohnungswesens  und  die  Wohnungs- 
frage. 3.  umgearb.  u.  erweit.  Aufl.  Jena,  Gust.  Fischer,  1917.  gr.  8.  X— 690  SS. 
M.  16.—. 

Kuszynski  (Dir.),  Dr.  R.,  Wohnungsnot  bei  Friedensschluß?  (Schriften  des 
deutschen  Wohnungsausschusses,  Heft  2.)  Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917.  gr.  8. 
IV-48  SS.     M.  1,80. 

Salomon,  Dr.  Alice,  Soziale  Frauenbildung  und  soziale  Berufsarbeit.  2.  Aufl. 
der  Sozialen  Frauenbildung.     Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1917.    8.    VI— 107  SS.    M.  2.—. 

Schumacher  (Bau-Dir.),  Prof  Dr.  Fritz,  Die  Kleinwohnung.  Studien  zur 
Wohnungsfrage.  (Wissenschaft  und  Bildung.  Einzeldarstellungen  aus  allen  Gebieten 
des  Wissens.  Bd.  145.)  Leipzig,  Quelle  u.  Meyer,  1917.  8.  115  SS.  u.  48  SS.  Abb. 
M.  1,25. 

Schweyer  (Minist.-R.),  Dr.  Franz,  Deutsche  Kriegsfürsorge.  Gemeinverständ- 
liehe  Darstellung  der  für  die  Versorgung  der  Kriegsteilnehmer  und  ihrer  Familien 
geltenden  Vorschriften  und  Grundsätze.  In  Verbindung  mit  dem  Reichsausschusse  der 
Kriegsbeschädigtenfürsorge  und  mit  der  Nationalstiftung  für  die  Hinterbliebenen  der  im 
Kriege  Gefallenen.    Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1918.    kL  8.    VIII— 291  SS.    M.  6.— . 

ümbreit,  Paul,  üebergangswirtschaft  und  Arbeiterinteressen.  Zehn  Aufsätze 
über  die  wichtigsten  Fragen  der  üeberführung  der  Kriegswirtschaft  in  die  Friedens- 
wirtschaft.    Berlin,  Verlag  für  Sozialwissenschaft,  1917.     8.     48  SS.     M.  0,50. 


Barroil,  E.,  La  question  sociale  et  la  natalit§.  Conference  faite  ^  l'üniversite 
populaire  du  Faubourg  Saint- Antoine,  le  14  avril  1917.  Paris,  E.  Barroil,  1917.  4. 
25  pag. 

10.  Genossenscliaftsweseii.^ 

Einkaufsvereinigungen  auf  dem  Lande.  Mit  Beiträgen 
von  E,.  Grabein,  R.  Feldmann,  E.  Köhler,  K.  Gaebel.  (Schriften  des 
Vereins  für  Sozialpolitik.  Untersuchungen  über  Konsumvereine.  Heraus- 
gegeben von  H.  Thiel  und  R.  Wilbrandt.  Bd.  161,  2.  Teil.)  München 
u.  Leipzig  (Duncker  u.  Hamblot)  1916.    S«.     111  SS.    (Preis:  M.  3, — .) 

Das  Buch  enthält  fünf  Arbeiten,  jede  in  ihrer  Art  von  besonderem 
Werte.  Die  erste,  betitelt:  „Gemeinsame  Bezüge  der  deutschen  Land- 
wirtschaft",   aus    der  Feder    des  früheren  Generalsekretärs  des  Reichs- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     757 

Verbandes  der  deutschen  landwirtschaftlichen  Genossenschaften,  jetzigen 
Verbandsdirektors  des  Berliner  Raiffeisenverbandes,  Dr.  Grab  ein, 
dürfte  von  ganz  besonderem  Interesse  sein.  Sie  gibt  in  außerordentlich 
klar  und  anschaulich  geschriebener  Weise  ein  fast  lückenloses  Bild  der 
bestehenden  Einrichtungen  und  Organisationen  des  gemeinsamen  Be- 
zuges landwirtschaftlicher  Bedarfsartikel.  Nach  einem  kurzen  geschicht- 
lichen Ueberblick  werden  die  rechtliche  und  wirtschaftliche  Organi- 
sation des  gemeinsamen  Bezuges  untersucht  und  die  Verschiedenheiten 
im  örtlichen  wie  zentralen  Aufbau  bei  den  wirtschaftlichen  Organi- 
sationen der  Landwirte,  insbesondere  den  genossenschaftlichen,  in  ihren 
Vor-  und  Nachteilen  fein  gekennzeichnet.  Ein  besonderes  Kapitel  be- 
handelt die  kaufmännische  und  technische  Seite  des  Bezugsgeschäftes. 
Der  Umfang  der  gemeinsamen  Bezüge  wird  für  das  Jahr  1913  auf 
450  Mill.  M.  geschätzt,  woran  die  Düngemittel  am  stärksten  beteiligt 
sind,  weniger  Futtermittel  und  Sämereien.  Der  Verf.  weiß  auch  hier 
die  Unterschiede  zu  begründen.  Die  Umwälzungen,  die  der  Krieg  her- 
vorgerufen hat,  werden  nicht  behandelt,  jedoch  die  dabei  gemachten 
Erfahrungen  hin  und  wieder  als  Schulbeispiel  herangezogen.  Nur  wenig 
Raum  widmet  der  Verf.  dem  Absatz  der  landwirtschaftlichen  Produkte. 

Die  zweite  Abhandlung:  „Ueber  ländliche  Lebensmittei- 
Konsumvereiue"  von  R.  Feldmann  bringt  im  wesentlichen  drei 
Monographien,  aus  denen  Schlüsse  auf  die  Allgemeinheit  zu  ziehen, 
gewagt  erscheint.  Aber  auf  so  unerforschtem  Gebiet  ist  die  induktive 
Methode  oft  der  einzige  Weg  zur  Herausschälung  einiger  Normen,  die 
einen  Maßstab  zur  weiteren  Forschung  geben  können.  Solche  Normen 
herausgearbeitet  zu  haben,  ist  der  Wert  der  Arbeit.  In  den  Lebens- 
mittel-Konsumvereinen wird  ein  Fortschritt  gegenüber  dem  ländlichen 
Kleinhandel  gesehen.  Anfechtbar  erscheint  der  auf  Induktionschlüssen 
beruhende  Vergleich  zwischen  den  ländlichen  Ortskonsumvereinen  und 
den  Bezirkskonsumvereinen  (städtischen)   mit  Filialen   auf   dem  Lande. 

In  den  beiden  folgenden  Aufsätzen  schildert  der  Geschäftsführer 
des  Bundes  der  Landwirte,  Dr.  Ernst  Köhler,  „Die  Einrich- 
tungen der  Verkaufsstelle  des  Bundes  der  Landwirte 
und  deren  Zwecke  und  Ziele"  und  „Die  Ein-  und  Vor- 
kauf sgenossenschaften  des  R e V i si 0 n s Verbandes  des 
Bundes  der  Landwirte  und  ihre  Entwicklung".  Die  Schil- 
derung ist  ganz  deskriptiv  und  vermittelt  in  großen  Umrissen  ein  in- 
teressantes Bild  der  Entwicklung,  auf  Probleme  geht  sie  nicht  ein. 
Das  gleiche  gilt  von  der  letzten  Arbeit  aus  der  Feder  der  Dr.  Käthe 
Gaebel:  „Die  Konsum-  und  Spargenossenschaft  für 
Schney  und  Umgegend"  (Oberfranken).  Es  handelt  sich  hier  um 
eine  recht  vielseitig  und  mit  außergewöhnlichem  Erfolge  tätige  Ge- 
nossenschaft von  Korbmachern,  die  im  Jahre  1900  gegründet  wurde, 
um  die  Heimarbeiter  aus  ihrer  Abhängigkeit  im  Rohmaterialienbezug 
vom  Arbeitgeber  zu  befreien.  Die  Genossenschaft  hat  sich  in  den 
l^/j  Jahrzehnten  ihres  Bestehens  in  einzigartiger  Weise  entwickelt, 
indem  sie  aus  gewichtigen  Gründen  auch  den  Verkauf  der  Körbe  über- 
nahm.    Der    Krieg    brachte    durch    den   Riesenbedarf    an    Korbwaren 


758     Ueberaioht  Über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Geschoß-,  Werft-  und  Kohlenkörben,  einen  besonders  starken  Aufschwung. 
Einzelheiten  aus  dem  echt  genossenschaftlichen  Geschäftsbetrieb  machen 
die  kleine  Abhandlung  besonders  lesenswert.  Willy  Krebs. 

11.  Qtmetxgehung,  Staats-  und  Verwaltungsreclxt.    Staatsbürgerkunde. 

Anbolt,  Dr.  Franz,  Die  deutsche  Verwaltung  iu  Belgien.  Berlin,  Georg  Stilke, 
1917.    gr.  8.     132  SS.     M.  1,50. 

Aschrott  (Geh.  Just.-R.,  Landger.-Dir.  a.  D.),  Dr.  P.  F.,  Die  Fürsorgeerziehung 
Minderjähriger.  Gesetz  nebst  Ausführungsbestimmungen  und  allen  wichtigeren  Ministe- 
rialerlässen.  Textausgabe  m.  Einleitung  u.  Erläut.  3.  neubearb.  Aufl.  (Guttentagsche 
Sammlung  preußischer  Gesetze.  Textausgaben  m.  Anm.  Nr.  28.)  Berlin,  J.  Guttentag, 
1917.    kl.  8.     374  SS.    M.  5.—. 

Bi hl  mann  (Revisions-Vorst.,  Rechnungs-R.),  Karl,  Badisches  Beamtenrecht. 
Textausgabe,  auf  Grund  amtlicher  Quellen  bearb.  Karlsruhe,  G.  Braun,  1917.  gr.  8. 
XV— 400  SS.     M.  5,60. 

Front,  Die  innere.  Das  Kgl.  Polizeipräsidium  in  Berlin.  Mit  13  Handzeich- 
nungen von  E.  Piekardt  und  Fritz  Wolff  (und  3  photogr.  Taf.).  Berlin,  A.  Jandorfs 
Verlag,  1917.    17X25,5  cm.     94  SS.     M.  5.—.  . 

Fürnrohr  (Rechtsanw.,  Intend.-Assess.),  Dr.  August,  Das  bayerische  Gesetz 
über  die  Ansiedlung  von  Kriegsbeschädigten  in  der  Landwirtschaft  vom  15.  VII.  1916 
(bayerisches  Ansiedlungsgesetz) ,  mit  allen  VoUzugsvorschriften  erläutert.  (Schweitzers 
Textausgaben  mit  Anmerkungen.)  München,  J.  Schweitzers  Verlag  (Arthur  Sellier),  1917. 
kl.  8.     XII— 210  SS.     M.  5.—. 

Haus  er,  Dr.  Victor,  Der  Versorgungsanspruch  der  Kriegsbeschädigten  und 
Kriegshinterbliebenen  und  die  Zulässigkeit  des  Rechtsweges.  München,  J.  Schweitzer 
Verlag  (Arthur  Sellier),  1917.     gr.  8.     71  SS.     M.  2.—. 

Hirsch  (Abg.),  Paul,  Aufgaben  der  deutschen  Gemeindepolitik  nach  dem 
Kriege.  Verfassungs-  und  Verwaltungsfragen.  —  Finanzwesen.  —  Armen-  und  Waisen- 
pflege. —  Arbeitslosenfürsorge.  —  Schul-  und  Bildungswesen.  (Sozialwissenschaftliche 
Bibliothek,  Bd.  2.)    Berlin,  Verlag  für  Sozialwissenschaft,  1917.     8.    106  SS.    M.  2.—. 

Kriegs-Gesetze,  -Verordnungen  und  -Bekanntmachungen,  Sämt- 
liche. Eingeleitet  durch  einen  Auszug  aus  der  Denkschrift  des  Reichskanzlers  über 
wirtschaftliche  Maßnahmen  aus  Anlaß  des  Krieges  1914/17,  und  Anhang:  Preußische 
Ausführungsbestimmungen.  Mit  Inhaltsverzeichnis,  ausführlichem  Sachregister  und  Ge- 
setzesverzeichnis nach  der  Zeitfolge,  hrsg.  von  der  Redaktion  des  Deutschen  Reichs- 
gesetzbuches für  Industrie,  Handel  und  Gewerbe.  1./2.  Erg.-Heft  zu  Bd.  4  (13./14.  Erg.- 
Heft  zu  Bd.  1).  Abgeschlossen  am  15.  VIII.  1917.  Berlin,  Verlag  Deutsches  Reichs- 
gesetzbuch für  Industrie,  Handel  und  Gewerbe  (Otto  Drewitz),  1917.  gr.  8.  XII— 398  SS. 
M.  6.—. 

Lammasch,  Heinr.,  Das  Völkerrecht  nach  dem  Kriege.  (Publications  de  l'in- 
stitut  Nobel  norv^ien,  Tome  3.)  München,  Duncker  u.  Humblot,  1917.  Lex.-8, 
XI— 218  SS.     M.  10.—. 

Lewinsky  (Rechtsanw.,  Just.-R.),  Herm.,  Die  Apothekenbetriebsrechte  in 
Preußen.  2.  vollst,  umgearb.  Aufl.  Berlin,  Julius  Springer,  1917.  8.  VIII— 220  SS. 
M.  5.—. 

Lütgert  (Geh.  Konsist.-R.),  Prof.  Dr.  Wilh.,  Gesetz  und  Freiheit.  Rede,  bei 
der  Uebernahme  des  Rektorats  in  der  Aula  der  vereinigten  Friedrichs- Universität  Halle- 
Wittenberg.  (Hallische  Universitätsreden,  Nr.  6.)  Halle,  Max  Niemeyer,  1917.  gr.  8. 
19  SS.     M.  0,80. 

Mayer,  Otto,  Deutsches  Verwaltungsrecht.  Bd.  2.  2.  Aufl.  (Systematisches 
Handbuch  der  deutschen  Rechtswissenschaft.  Unter  Mitwirkung  von  Prof.  Dr. 
H.  Brunner  ....  hrsg.  von  fr.  Prof.  Dr.  Karl  Binding.  VI.  Abt.  Bd.  2.)  München, 
Dancker  u.  Humblot,  1917.     gr.  8.     VI— 737  SS.     M.  21.—. 

Melden,  Berth.,  Alois  Graf  Aehrenthal.  Sechs  Jahre  äußere  Politik  Oester- 
reioh-Ungarns.  Mit  einem  Bildnis.  Stuttgart,  Deutsche  Verlags- Anstalt,  1917.  gr.  8. 
242  SS.     M.  6.—. 

Niemeyer,  Prof.  Dr.  Thdr. ,  Belgien  und  seine  Neutralisierung.  München, 
Duncker  u.  Humblot,  1917.     gr.  8.     IV— 61  SS.     M.  1,50. 


Uebenicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     759 

Paetel,  Dr.  Hanswerner,  Die  Stellvertretung  des  Reichskanzlers.  Berlin, 
Waldemar  Wellnitz,  1917.     8.     VII— 65  SS.     M.  2.—. 

Roeder,  Dr.  R.  H.,  Das  neue  deutsche  Postrecht,  enthaltend  Postordnung  für 
das  Deutsche  Reich  vom  28.  VII.  1917  mit  erläuternden  Anmerkungen,  sowie  Gesetz 
über  das  Postwesen  des  Deutschen  Reichs  vom  28.  X.  1871,  nebst  der  Postnovelle  vom 
20.  XII.  1899,  erläutert  durch  die  Rechtsprechung  bis  in  die  jüngste  Zeit.  Beide 
Ausgaben  mit  einem  ausführlichen  Sachregister  und  einem  Tabellenanhang  über  das 
Postgebührenwesen.  Berlin,  Industrieverlag  Spaeth  u.  Linde,  1917.  kl.  8.  213  SS. 
M.  4.—. 

Wedermann  (Oberamtsrichter),  Konrad,  Ein  deutsches  Jugendgesetz,  vom  Ge- 
sichtspunkte der  angewendeten  Rechtspflege  aus  beurteilt.  Nürnberg,  Landesverein  f. 
innere  Mission  in  Bayern,  1917.     gr.  8.     24  SS.     M.  0,60. 

Werthauer,  Dr.  Kurt,  Die  rechtliche  Stellung  der  Beamten  und  Angestellten 
der  Versicherungsträger.  Nach  deutschem  Sozialversicherungsrecht  dargestellt.  Berlin- 
Lichterfelde,  Verlag  der  „Arbeiter- Versorgung",  1917.     kl.  8.     78  SS.     M.  1,50. 


Organisation  politique  et  administrative  et  l§gi8lation  de  l'Alsace  -  Lorraine. 
Deuxifeme  partie:  Textes  Ifegislatifs  traduits  et  annot^s  par  l'Office  de  l^gislation  fetran- 
gfere  et  de  droit  internationale.  Tome  2.  Lois  fiscales.  Paris,  Impr.  nationale,  1917. 
8.     719  pag.     (Ministfere  de  la  guerre.     fitat  major  g^n^ral,  deuxi^me  bureau.) 

Legislazione  per  le  concessioni  governative  e  per  gli  atti  e  provvedimenti 
amministrativi :  raccolta  completa  di  leggi,  decreti,  regolamenti,  istruzioni  e  normal! 
ministeriali.  Napoli,  casa  cd  E.  Pietrocola  succ.  P.  A.  Molina,  1917.  16.  163  p. 
L.  2.-. 

Cauwelaert,  Fr.  van,  Losse  bladen  over  Staatkunde.  I.  Vrij  Belgie.  Leiden, 
De    Vlaamsche    Boekenhalle    N.  V.  Üitg.-Mij.  „Futura".     8.     8  en  143  blz.     fl.  1,30. 

Teding  van  Berkhout,  N.  G.,  Proeve  tot  een  wet  voor  burgerlijken  dienst- 
plicht  voor  mannen,  met  toelichting.  Rotterdam,  D.  van  Sijn  en  Zonen.  8.  51  blz. 
II.  0,50. 

12.  Statistik. 

Deutsches  Reich. 

Forsten  und  Holzungen,  Die,  im  Deutschen  Reiche,  nach  der  Erhebung  des 
Jahres  1913.  Bearbeitet  im  Kais,  statistischen  Amte.  Berlin,  Puttkammer  u.  Mühl- 
breeht,  1917.  32  X  25  cm.  125  SS.  m.  3  Taf.  M.  1,50.  (S.-A.  a.  d.  Vierteljahrs- 
heften zur  Statistik  des  Deutschen  Reichs,  25.  Jahrg.,  1916.) 

Kohn,  Albert,  Unsere  Wohnungsuntersuchungen  in  den  Jahren  1915  und  1916. 
Im  Auftrage  des  Vorstandes  der  allgemeinen  Ortskrankenkasse  der  Stadt  Berlin  bearb. 
Berlin,  Allgemeine  Ortskrankenkasse  (Klosterstr.  71/72),  1917.  Lex.-8.  88  SS.  m. 
15  Taf.     M.  5.—. 

Tarifverträge,  Die,  im  Deutschen  Reiche  am  Ende  des  Jahres  1915.  Bearb. 
im  Kais,  statistischen  Amte,  Abteil,  f.  Arbeiterstatistik.  (Reichs-Arbeitsblatt,  15.  Sonder- 
heft.)    Berlin,  Carl  Heymanns  Verlag,  1917.     30,5  X  21,5  cm.     14  u.  36  SS.    M.  1,60. 

Frankreich. 

Statistiques  des  p^ches  maritimes.  Ann6e  1914.  Paris,  Impr.  nationale,  1917. 
8.  202  pag.  (Ministfere  des  travaux  publics  et  des  transports.  Sous-secrfetariat  de  la 
marine  marchande.     Services  des  pdches  maritimes,  Office  des  pSches.) 

Italien. 

Jannitti  Di  Guyanga,  Eugenio,  Lc  ultime  statistiche  penali  e  carcerarie 
in  Italia  ed  in  Ispagna.     Torino,  ünione  tipografico-editrice,  1917.     8.     14  p. 

Mortara,  Giorgio,  Elementi  di  Statistical  appunti  sulle  lezioni  di  statistica 
metodologica ,  dettata  nell'  Istituto  superiore  di  studi  commerciali  di  Roma.  Roma, 
Athenaeum  (CittÄ  di  Castello,  soc.  Leonardo  da  Vinci),  1917.  8.  VIII— 414  p. 
1.  10.—. 


760     Ucbenioht  über  di«  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslande«. 

13.  Verscliiedene>. 

Wagner,  Martin,  Bauwirtschaft,  Realkredit  und  Mieten  in  und 
nach  dem  Kriege.  (Finanz-  und  Volkswirtschaftliche  Zeitfragen,  hrsg. 
von  V.  Schanz  und  J.  Wolf,  Heft  34.)  Stuttgart  (Ferdinand  Enke) 
1917.     80.     45  SS.     (Preis  M.   1,80.) 

Der  in  der  Groß- Berliner  Praxis  stehende  Verf.,  der  durch  frühere 
Arbeiten  zur  Siedlungspolitik  bekannt  geworden  ist,  untersucht  in 
seiner  Schrift  die  Grundlagen  der  städtischen  Bauwirtschaft  nach 
Friedensschluß.  In  dem  Abschnitt  „Wohnungsproduktion  und  Mietsteige- 
rung" geht  er  davon  aus,  daß  die  Baukosten  nach  dem  Kriege  weit  über 
20  V.  H.  mehr  betragen  werden  als  vor  dem  Kriege,  daß  die  rentable 
Wohnungsproduktion  auf  privatwirtschaftlicher  Grundlage  nicht  denk- 
bar sein  wird,  wenn  die  Mieten  für  Neubauten  bei  einer  Baukosten- 
verteuerung von  20  V.  H.  nicht  um  mindestens  33  Proz.  und  bei  einer 
solchen  von  50  v.  H.  nicht  um  mehr  als  50  Proz.  steigen.  Er  will 
der  Schwierigkeiten  nach  Friedensschluß  Herr  werden  durch  die  Be- 
schränkung der  Mietsteigerung  auf  einen  bestimmten  Satz  und  eine 
Umlage  der  Neubaumehrkosten  auf  die  alten  und  neuen  Wohnungs- 
bestände derart,  daß  nach  vorbereiteter  landesgesetzlicber  Regelung  die 
Gemeinden  auf  Grund  besonderer  jährlicher  Veranlagungen  eine  Ab- 
gabe vom  Mietzins  (Mietssteuer)  erheben,  indem  durch  Einschätzung  des 
Mietwertes  jeder  vermieteten  Wohnung  an  dem  Veranlagungstag  die- 
jenige Grenze  bestimmt  wird,  über  die  hinaus  die  Miete  nicht  gesteigert 
werden  darf.  Für  die  Verwendungsmöglichkeiten  einer  solchen  Miets- 
steuer macht  der  Verf.  eine  Reihe  wohldurchdachter  Vorschläge,  unter 
anderen  den,  mit  der  geldlichen  Hilfe  der  Mietssteuer  auch  das  schwer- 
wiegende Problem  der  Abbürdung  der  während  des  Krieges  gestundeten 
Mieten  und  das  nicht  minder  ernste  Problem  der  Behausung  kinder- 
reicher Familien  zu  verbinden.  In  einem  besonderen  Abschnitt  über 
staatliche  und  städtische  Siedlungsämter  kommt  der  Verf.  zu  dem  Er- 
gebnis, daß  die  Demobilisation  der  Kriegswirtschaft  den  staatlichen 
Organisationen  die  positive  Siedlungspolitik  unmittelbar  aufzwingen 
wird;  zu  deren  tatkräftigen  Durchführung  hält  er  über  den  Siedlungs- 
organisationen der  Städte  und  Kreise  besondere  Bezirkssiedlungsämter, 
Landessiedlungsämter  und  als  Krönung  des  neuen  Baues  ein  Reichs- 
siedlungsamt  für  grundlegende  Notwendigkeiten. 

Die  Wagnersche  Schrift  ist  ein  wertvoller  Baustein  für  die  Lösung 
der  großstädtischen  Boden-  und  Wohnungsfrage  nach  dem  Kriege;  in 
engem  Rahmen  vermittelt  sie  eine  Fülle  von  Anregungen,  denen  die 
Nachwirkung  gewiß  nicht  mangeln  wird. 

Berlin.  Walter  Leiske. 

Egelhaaf,  Gottlob,  Bismarck.  Sein  Leben  und  sein  Werk.  2.  verm.  Aufl 
Stuttgart,  Carl  Krabbe  Verlag,  Erich  Gußmann,  1918.  8.  X— 491  SS.  mit  1  BUdnii. 
M.  11,50. 

Festschrift  zum  25-jährigen  Regierungsjubiläum  Sr.  Kgl.  Hoheit  des  Groß- 
herzogs Ernst  Ludwig  von  Hessen  und  bei  Rhein.  Leipzig,  Kurt  Wolff  Verlag,  1917. 
Lex.-8.     175  SS.  mit  Abbild gn.     M.  20.—. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     761 

Helmolt,  Dr.  Hans  F.,  Die  Wiederherstellung  Polens.  Eine  Gedenkschrift. 
(Perthes'  Schriften  zum  Weltkrieg,  Heft  14.)  Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  1917. 
8.     77  SS.     M.  1,20. 

Hinterthür  (Handelsk.-Biblioth.j,  Th.,  Kriegsstellen  und  Kriegsgesellschaften 
für  das  Deutsche  Reich  und  für  Bayern,  sowie  die  kommunalen  Kriegborganisationen 
für  München.  Nach  dem  Stande  vom  1.  IX.  1917,  auf  dem  Sekretariat  der  Han- 
delskammer München  zusammengestellt.  München,  Chr.  Kaiser,  1917.  8.  134  SS. 
M.  3.—. 

Hoetzsch,  Otto,  Der  Krieg  und  die  große  Politik.  Bd.  2.  Bis  zum  Eintritt 
Rumäniens  in  den  Krieg.     Leipzig,    S.  Hirzel,    1917.     gr.  8.     IV— 488   SS.     M.  10.—. 

Hofrichter,  Dr,  Anton,  Krieg  und  Handelsrivalität.  Ein  kritischer  Beitrag 
zur  deutsch-englischen  Politik.  Berlin,  Buchhdlg.  Vorwärts  Paul  Singer,  1917.  8. 
104  SS.     M.  2.—. 

Kralik,  Rieh,  v.,  Oesterreichs  Wiedergeburt.  (Bücher  der  Stunde,  Bd.  ö.) 
Regensburg,  Friedrich  Pustet,  1917.     kl.  8,     107  SS.     M.  1,20. 

Kriele,  Dr.  Martin,  Gedanken  über  Rußland.  (Volkswirtschaftliche  Zeitfragen, 
Vorträge  und  Abhandlungen,  hrsg.  von  der  Volkswirtschaftlichen  Gesellschaft  in  Berlin. 
Red.:  Dr.  Croner.  Nr.  300/301,  39.  Jahrg.,  Heft  2/3.)  Berlin,  Leonhard  Simeon 
Nachf.,  1917.    gr.  8.     M.  2,50. 

Leonhard,  Prof.  Dr.  Rud.,  Zur  Soziologie  des  Polentums.  (Finanz-  und 
volkswirtschaftliche  Zeitfragen.  Hrsg.  von  Reichsr.  Prof.  Dr.  Georg  v.  Schanz  und  Geh. 
Reg.-R.  Prof.  Dr.  Julius  Wolf.  Heft  39.)  Stuttgart,  Ferdinand  Enke,  1917.  Lex.-8. 
24  SS.     M.  1.—. 

Penck,  Albr.,  Die  natürlichen  Grenzen  Rußlands.  Ein  Beitrag  zur  politischen 
Geographie  des  europäischen  Ostens.  (Meereskunde.  Sammlung  volkstümlicher  Vor- 
träge zum  Verständnis  der  nationalen  Bedeutung  von  Meer  und  Seewesen,  Hrsg.  vom 
Institut  für  Meereskunde  an  der  Universität  Berlin.  Heft  133,  12.  Jahrg.,  Heft  1.) 
Berlin,  E.  S.  Mittler  u.  Sohn,  1917.  8.  40  SS.  mit  1  Abb.  und  2  eingedr.  Karten. 
M.  0.60. 

Provo,  Herm. ,  Sozialdemokratie  und  Mittelstand.  Ein  zeitgemäßes  Wort  an 
die  Parteien.  (Kriegspolitische  Einzelschriften,  Heft  19.)  Berlin,  E.  A.  Schwetschke  u. 
Sohn,  1917.     gr.  8.     96  SS.     M.  1,50. 

Ramos,  Prof.  Dr.  Juan  P.,  Die  Bedeutung  Deutschlands  im  europäischen  Krieg, 
üebersetzt  von  Heinr.  Albrecht.  (Veröffentlichungen  des  Deutsch-südamerikanischen 
Instituts,  Cöln  a.  Rh.,  Nr.  5.)  Stuttgart,  Deutsche  Verlags-Anstalt,  1917.  gr.  8.  135  SS. 
M.  2,50. 

Rausch,  Prof.  Dr.  Karl,  Die  angelsächsische  Verschwörung.  Eine  zeitgeschicht- 
liche Untersuchung.     Wien,  Manz,  1917.     Lex.-8.     250  SS.     M.  5.—. 

Rein,  Wilh.,  Zur  Neugestaltung  unseres  Bildungswesens.  Rückblicke  und  Aus- 
blicke.    Leipzig,  K.  F.  Koehler  Verlagskonto,  1917.     IX— 148  SS.     M.  4.—. 

Rhätus,  Die  moderne  Reisewelt,  Saison-  und  Handelswelt.  Eine  geschichtliche, 
soziale  und  volkswirtschaftliche  Großmacht  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Kriegs- 
und Zukunfiaverhältnisse.  Davos,  Buchdruckerei  Davos,  1917.  8.  VII— 167  89. 
M.  5.—. 

Sapper,  Prof.  Dr.  Karl,  Oesterreich-Ungam.  Land,  Völker  und  Staat.  (Vor- 
trag.)    München,  Verlag  Natur  und  Kultur,  1917.     kl.  8.     48  SS.     M.  0,50. 

Sztern,  Die  Lösung  der  Nationalitätenfrage.  Zürich,  Orell  Füßli,  1917.  gr.  8. 
26  SS.     M.  1.—. 

Tseretheli,  M.  v.,  Die  Befreiung  Polens  und  das  Nationalitätenprinzip  bei  den 
Zentralmächten  und  bei  der  Entente.  Bern,  Ferd.  Wyß,  1917.  8.  VIH— 55  SS. 
M.  1,50. 

Wiese,  Leop.  v..  Der  Liberalismus  in  Vergangenheit  und  Zukunft.  (1.  und  2. 
Aufl.)     Berlin,  S.  Fischer,  1917.     8.     248  SS.     M.  4.—. 

Zahorski,  Dr.  Bohdan  v.,  Die  Pazifikation  Europas  und  die  soziale  Evolution. 
Soziologische  Betrachtungen.  Mit  einem  Vorwort  von  (päpstl.  Hauspräl.,  M.  d.  R.)  Dr. 
Alxdr.  Gießwein.  Budapest,  C.  Grills  Hofbuchhdlg.  (Julius  Benkö),  1917.  gr.  8.  47  88. 
M.  2,60.  

Eversley,  Lord,  The  Turkish  Empire.  Tts  growth  and  decay.  London, 
Unwin.     8.     12/.6. 


jaa  Die  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Johnson,  Douglas  Wilson,  The  peril  of  Prussianism.  New  York,  Patnam. 
8.    75  c 

üriel  d'Acosta,  Peace  problems  in  economics  and  finance.    London,  Bontledge. 

8.     2/.6. 

Donadeo,  Alfredo,  maggiore.  La  guerra  e  P  avvenire  del  popolo  italiano, 
Roma,  tip.  E.  Voghera,  1917.     8.     67  p. 

Puyyelde,  Leo  van,  L'orientation  nouvelle  du  mouvement  flamand.  Amster» 
dam,  P.  N.  van  Kampen  en  Zoon.     gr.  8.     20  blz.     fl.  0,30. 


Die  periodische  Fresse  des  Auslandes. 

A.  Frankreich. 
Journal  de  la  Soci^tö  de  Statistique  de  Paris.  58«  Ann&e,  Oetobre  1917,  No.  10: 
La  circulation    et   la  thfesauration   des  monnaies   d'or  en  France,  par  Ren§  Piipin.  — 
Chronique   des   questions   ouvri^res   et  des   assurances   sur  la  vie,  par  Maurice  Bellom. 

—  etc. 

Journal  des  ^conomistes.  76*  Ann§e,  Septembre  1917:  „The  industrial  unrest" 
et  les  80ci&t§3  commerciales  de  travail,  par  Yves  Guyot.  —  Le  contröle  du  commerce  et 
de  l'industrie  par  l'jfetat,  par  A.  Raffalovich.  —  La  question  de  l'alcool,  par  G.  Schelle. 

—  Le  problfeme  de  la  marine  marchande  aux  fitats-Unis,  par  Maurice  Dewavrin.  — 
Le  projet  d'impöts  nouveaux,  par  £tienne  Falck.  —  La  question  des  sucres  en  1917, 
par  Yves  Guyot.  —  La  presse  allemande,  par  A.  ß.  —  etc. 

B.  England. 
Century,  The  Nineteenth,  and  after.  August  1917,  No.  486:  The  Imperial  Con- 
stitution: the  new  phase,  by  Sidney  Low.  —  Cabinet  and  Convention,  by  D.  C.  Lath- 
bury.  —  The  real  basis  of  democracy,  by  Edmoud  Holmes.  —  etc.  —  Septembre  1917, 
No.  487:  British  federalism :  a  vanished  dream?  by  J.  A.  R.  Marriott.  —  The  retum 
of  Alsace-Lorraine,  by  (the  abb§)  Ernest  Dimnet.  —  Agriculture  and  the  minimum 
wage,  by  F.  E.  Green.  —  A  plea  for  British  trade,  by  Charles  Mallet.  —  etc. 

Review,  The  Fortnightly.   September  1917:  Counting  the  cost,  by  Dr.  E.  J.  Dillon. 

—  The  political  future  of  Germany,  1)  by  Kuno  Francke  (Emeritus  curator  of  the 
Germanic  Museum,  Harvard-University) ;  2)  A  reply,  by  James  M.  Beck  (formerly 
assistant  Attorney-general  of  the  United  States).  —  France  1916 — 1917,  by  John  Gale- 
worthy.  —  Our  monarchy  and  its  alliances,  by  Cecil  Battine.  —  The  Reichstag  and 
economic  peace,  by  H.  N.  Brailsford.  —  etc. 

Review,  The  National.  September  1917:  The  Britannic  Commonwealth,  by 
(capt.)  Richard  Jebb.  —  etc. 

C.  Oesterreich-Ungarn. 

Handelsmuseum,  Das.  Hrsg.  von  der  Direktion  des  k.  k.  österreichischen 
Handelsmuseums.  Bd.  32,  1917,  Nr.  40:  Die  Rhein-Main-Donau-Groß-Schiffahrtsstraße, 
von  (Sekr.  der  Linzer  Handelskammer)  Dr.  Gustav  Bansky.  —  Wirtschaftspolitische 
üebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Bulgarien,  Türkei,  Schweiz,  Frankreich,  Rußland).  — 
Der  niederländische  Außenhandel  im  ersten  Halbjahr  1917.  —  Die  schweizerische 
Papierindustrie.  —  etc.  —  Nr.  41 :  Die  Arbeiterverhältnisse  in  Kleinasien,  von  Gustav 
Herlt.  —  Wirtschaftspolitische  üebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Holland,  Schweiz, 
England,  Frankreich,  Italien,  Rußland).  —  Handelspolitische  Annäherung  der  skandi- 
navischen Länder.  —  etc.  —  Nr.  42 :  Wirtschaftspolitische  Ueberaicht  (Ungarn,  Deutsch- 
land, Serbien,  Bulgarien,  Türkei,  Rußland,  England,  Frankreich,  Italien).  —  Die  neue 
Exportbank  in  Hamburg.  —  Die  Lage  der  deutschen  Eisenmärkte.  —  etc.  —  Nr.  43: 
Wirtschaftspolitische  Üebersicht  (Ungarn,  Deutschland,  Schweiz,  Türkei,  Rußland,  Eng- 
land, Frankreich).  —  Die  Eisenindustrie  Italiens.  —  Das  Post-  und  Telegraphenwesen 
in  der  Türkei  —  etc. 

Volkswirt,  Der  österreichische.  Jahrg.  10,  1917,  Nr.  2:  Wir  und  Deutschland, 
von  Dr.  G.  St.  —  Die  Grundlage  für  die  Veranlagung  der  allgemeinen  Erwerbsteuer 
(Schluß),  von  Dr.  Franz  Schwarz.  —  etc.  —  Nr.  3 :  Wir  und  Deutschland  (II),  von  Dr. 
G.  St.  —  Neue  Methoden  der  Erntestatistik,  von  Dr.  Toni  Kassowitz.  —  etc.  —  Nr.  4: 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  7jg9 

Wir  und  Deutschland  (III,  Schluß),  von  Dr.  G.  St.  —  Die  wirtschaftliche  Verwaltung 
des  serbischen  Okkupationsgebietes,  von  Prof.  Dr.  Karl  Pribram.  —  etc.  —  Nr.  5 :  Krieg 
und  Geldlehre  (IX.  Kriegskosten  und  „Geldentwertung"),  von  Walter  Federn.  —  Die 
wirtschaftliche  Verwaltung  des  serbischen  Okkupationsgebietes  (Forts.),  von  Prof.  Dr. 
Karl  Pribram.  —  etc. 

F.  Italien. 

Giornale  degli  Eeonomisti  e  Rivista  di  Statistica.  Vol.  LV,  Agosto  1917,  No.  2: 
Odserraiioni  su  alcune  recenti  dottrine  protezioniste,  di  Attilio  Cabiati.  —  etc. 

G.  Holland. 

Economist,  De,  opgericht  door  J.  L.  de  Bruyn  Kops.  Jaarg.  66,  October  1917, 
No.  10:  Het  medium  voor  internationale  verrekeningen ;   Het  goud,  door  V.  L.  —  etc. 

Gids,  De  Socialistische.  Maandschrift  der  sociaaldemocratische  arbeiderspartij. 
Jaarg.  II,  Oetober  1917,  No.  10:  De  oorlog  en  de  schuldvraag.  III.  (Slot.)  (De  sociaal- 
democratie  en  de  schuldvraag),  door  Mr.  W.  A.  Bonger.  —  De  waardeering  van  het 
parlement  (II).  door  J.  H.  Schaper.  —  Crisis  en  oorlog,  (Een  parallel),  door  J.  van 
Gelderen.  —  Staat  en  maatschappij,  door  Jos.  Loopuit.  —  etc. 


Die  periodische  Fresse  Deutschlands. 

Archiv  für  innere  Kolonisation.  Bd.  9,  Jahrg.  1916/17,  September,  Heft  12: 
Der  Kampf  gegen  die  Landflucht  und  die  Slavisierung  des  platten  Landes,  von  Kuno 
Waltemath.  —  Die  Tätigkeit  der  deutschen  Ansiedlungsgesellschaften  im  Jahre  1916/17. 
I.  Ostpreußische  Landgesellschaft.     II.  Pommersche  Landgesellschaft.  —  etc. 

Archiv,  Weltwirtschaftliches.  Bd.  11,  September  1917,  Heft  1:  Die  inter- 
nationalen Wirtschaftsbeziehungen  im  Zeitalter  des  Frühkapitalismus,  vornehmlich  im 
16.,  17.  und  18.  Jahrhundert,  von  Prof.  Dr.  Werner  Sombart.  —  „Privatwirtschafts- 
lehre**, von  Dr.  Luc.  Wiernik.  —  Der  Handel  Kon^tantinopels,  von  Dr.  N.  Honig.  — 
Verkehrswege  in  Polen,  von  Dr.  Bruno  Heiuemann.  —  etc.  —  Okiober  1917,  Heft  2: 
Der  Kampf  um  die  Edelmetalle  im  Zeitalter  des  Frühkapitalismus,  vornehmlich  im 
16.,  17.  und  18.  Jahrhundert,  von  Prof.  Dr.  Werner  Sombart.  —  Das  österreichische 
Verkehrswesen  im  Kriege,  von  (Staatsbahnrat)  Dr.  Victor  Krakauer.  —  Privatwirt- 
«ehaftslehre  (Schluß),  von  Dr.  Luc.  Wiernik.  —   etc. 

Außenhandel,  Deutscher.  Zeitschrift  des  Handelsvertragsvereins.  Jahrg.  17, 
1917,  Nr.  10:  Syriens  Bedeutung  für  den  deutschen  Handel,  von  (Zoll Verwalter)  G. 
Gschwender.  —  Finanzierung  der  europäischen  Kriegslasten  durch  eine  internationale 
Bank.  —  etc.  —  Nr,  11:  Gegen  einen  Handelsvertrag  nach  Friedensschluß.  —  Die 
Kolonien  in  der  Handelspolitik.  —  etc. 

Bank,  Die.  Oktober  1917,  Heft  10:  Das  gute  und  das  schlechte  Geld  (VIII  u. 
IX),  von  Alfred  Lansburgh.  —  Pflichtenkonflikte  im  Bankgewerbe,  von  Ludwig  Esch- 
wege. —  Probleme  der  Uebergangswirtschaft.  (III.  Der  ideale  Produzentenstaat,  von 
F.  Gerling.  IV.  Die  Arbeit  und  ihre  Antriebskräfte,  von  A.  L.).  —  Kriegsanleihe  auf 
Hypothek.  —  Kapitalbildung  aus  dem  Jahresgewinn.  —  Borg-  und  Barwirtschaft.  —  etc. 

Bank-Archiv.  Jahrg.  17,  1917,  Nr.  2:  Kriegskosten  und  deren  Deckung  beim 
Vierverband,  von  (Wirkl.  Geh.  Oberfinanzrat)  Dr.  O.  Schwarz.  —  Silber,  von  G.  H. 
Kaemmerer.  —  etc.  —  Nr.  3 :  Das  Ergebnis  der  7.  Kriegsanleihe,  von  (Geh.  Justizr.) 
Prof.  Dr.  ßiesser.  —  Die  Zuwachsberechnung  des  Besitzsteuergesetzes,  von  (K.  S.  Geh. 
Rate  u.  Senatspräs.  a.  D.  in  Dresden)  M.  Hallbauer.  —  etc. 

Blätter  für  vergleichende  Rechtswissenschaft  und  Volkswirtschaftslehre.  Jahrg.  13, 
November  1917,  Nr.  5:  Gleiches  Wahlrecht,  von  Prof.  Dr.  Robert  Piloty.  —  Der 
Anwaltstand  in  der  Türkei,  von  (Rechtsanw.)  Curt  Albu.  —  Aus  den  Kolonisations- 
problemcn  Anatoliens,  von  Nathan  Ben-Nathan.  —  Zur  Frage  der  Rechtsvergleichung 
und  Rechtsvereinheitlichung,  von  (Amtsrichter)  Dr.  Albert  Hellwig.  —  etc. 

Blätter,  Kommunalpolitische.  Jahrg.  8,  1917,  Nr.  10:  Kommunalpolitische 
Vereinigung;  Aufruf  und  Gründungstagung  in  Essen  am  22.  und  23.  September  1917.  — 
Vorträge:  Welches  ist  die  gegenwärtige  Lage  der  Katholiken  und  Anhänger  des  Zen- 
trump  in  den  Gemeinden?,   von  (Landtagsabg.)   Dr.  Grunenberg.    —    Welche  Aufgaben 


754  ^^  periodische  Presse  Deutschlands. 

harren  der  Gemeinden  im  „neuen  Deutschland",   von  (Stadtverordn.,  Justizr.)   Dr.  Bell. 

—  Was  haben  die  Stadtverordneten  und  Gemeindevertreter  zu  tun,  um  ihren  künftigem 
Aufgaben  gerecht  zu  werden?,    von  (Stadtverordn.)  Dr.  Ernst  Esch. 

Concordia.  Zeitschrift  der  Zentralstelle  für  Volkswohlfahrt.  Jahrg.  24,  1917, 
Nr.  20:  Grundlagen,  Ziele  und  Durchführung  der  unter  der  Bezeichnung  „Kriegs- 
Wohlfahrtspflege"  von  den  Staatsbehörden  den  Gemeinden  übertragenen  Aufgaben  (Schluß), 
von  (Magistratsrat)  Liebrecht.  —  etc.  —  Nr.  21:  Wirtschaftsrechnungen  und  Lebens- 
verhältnisse von  Wiener  Arbeiterfamilien  in  den  Jahren  1912 — 1914,  von  Dr.  G.  Al- 
brecht. —  etc. 

Export.     Jahrg.  39,  Oktober  1917,  Nr.  42—45:   In  letzter  Stunde,    von  W.  W. 

—  Umwälzung  jenseits  des  Kanals,  von  Dr.  Frhr.  v.  Mackay.  —  Die  englischen  Dro- 
hungen über  den  Krieg  hinaus  (Forts.),  von  Dr.  R.  Jannasch.  —  Deutsche  Handels- 
kammern im  Auslande.  —  Zur  Geschichte  des  Deutschtums  in  Brasilien,  von  A.  W. 
Sellin.  —  etc.  —  November  1917,  Nr.  46—49:  Der  Einfluß  der  Reformation  auf 
das  heutige  Staatsleben,  von  Dr.  R.  Jannaach.  —  Meeresfreiheit  und  Mittelmeer, 
von  Dr.  Frhr.  v.  Mackay.  —  Zur  Lage  in  Spanien.  —  Die  Lage  in  der  Schweiz  Ende 
Oktober  d.  J.  —  Aus  dem  Wirtschaftsleben  Skandinaviens.  —  Nordamerikanischer 
Wirtschaftsbericht.  —  Deutschland  und  Lateinamerika,  von  O.  Sperber.  —  Zur  Ge- 
schichte des  Deutschtums  in  Brasilien  (Forts.),  von  A.  W.  Sellin.  —  etc. 

Jahrbücher,  Preußische.  Bd.  170,  November  1917,  Heft  2:  Luthers  welt- 
geschichtliche Stellung,  von  (Geh.  Reg.-R.)  Prof.  Dr.  Max  Lenz.  —  Krieg,  Kultur  und 
Dänemark,  von  Prof.  Karl  Larsen.  Berechtigte  üebersetzung  aus  dem  Dänischen  tou 
Erich  Schlaikjer.  —  Neue  Wege  kolonialer  Siedluugspolitik,  von  Ulrich  Otto.  —  Die 
allgemeine  Abrüstung,  von  Hans  Delbrück.  —  Die  „Times"  und  die  deutschen  Kolo- 
nien, von  Emil  Zimmermann.  —  Die  türkischen  Bahnbauten  während  des  Krieges,  von 
Emil  Daniels.  —  Die  innere  Krisis  und  die  auswärtige  Politik;  Die  zukünftige  mili- 
tärisch-politische Bedeutung  Belgiens,  von  Hans  Delbiück.  —  etc. 

Monatshefte,  Sozialistische.  Jahrg.  23,  Bd.  49,  1917,  Heft  22:  Wirtschafts- 
politische  Betrachtungen  zum  Ergebnis  des  Würzburger  Parteitages,  von  Dr.  August 
Müller.  —  Sind  die  Gewerkschaften  Vertreter  der  Konsumenten  oder  der  Produzenten?, 
von  Emil  Kloth.  —  Koloniale  Rechtsordnung  und  Staatenbildung,    von  Max  Schippel. 

—  Oekonomisches  zur  Rassenhygiene,  von  Georg  Davidsohn.  —  etc.  —  Heft  23:  Vor- 
wärts zum  politischen  Handeln  !,  von  Heinrich  Pens.  —  England,  die  Ostorientierung 
und  Elsaß-Lothringen,  von  Dr.  Ludwig  Quessel.  —  Wie  andere  Interessenvertretungen 
Gehör  verlangen.  Ein  Beitrag  zur  Arbeitskammerfrage,  von  Max  Schippel.  —  Der  Ge- 
nossenschaftsgedanke vor  25  Jahren,  von  Franz  Laufkötter.  —  Frauenarbeit  in  der 
Glasindustrie,  von  Emil  Girbig.  —  etc. 

Oekonomist,  Der  Deutsche.  Jahrg.  35,  1917,  Nr.  1818:  Finanzielles  und 
Wirtschaftliches  aus  England.  —  Die  deutschen  Banken  im  Jahre  1916  (IX),  von  Dr.. 
jur.  Willy  Baecker.  —  Hypothekenschutzbanken  und  Versicherungsgewerbe.  —  etc.  — 
Nr.  1819 :  Das  deutsche  Volksvermögen  unter  dem  Einfluß  des  Krieges,  von  (Bankvor- 
stand) Jaenecke.  —  Die  deutschen  Banken  im  Jahre  1916  (X),  von  Dr.  jur.  Willy 
Baecker.  —  etc.  —  Nr.  1820:  Die  dritte  französische  Kriegsanleihe.  —  Die  Erneuerung 
des  Privilegs  der  Bank  von  Frankreich.  —  Die  deutschen  Banken  im  Jahre  1916  (XI), 
von  Dr.  jur.  Willy  Baecker.  —  etc.  —  Nr.  1821:  Die  Einführung  der  Genehmigungs- 
pflicht für  Neugründungen  und  Kapitalserhöhungen.  —  Die  deutschen  Banken  im  Jahre 
1916  (XII),  von  Dr.  jur.  Willy  Baecker.  —  Kgl.  Preuß.  Staatsbank  (Seehandlung).  —  etc. 

Plutus.  Jahrg.  14,  1917,  Heft  43/44:  Eisenbahnsperre.  —  Uebergangs Wirt- 
schaft (XII),  von  G.  B.  —  etc.  —  Heft  45/46:  Förderung  des  kaufmännischen  Nach- 
wuchses, von  (Diplom-Handelslehrer)  R.  Fuchs.  —  Uebergangswirtschaft  (XIII),  von 
G.  B.  —  etc. 

Praxis,  Soziale,  und  Archiv  für  Volks  Wohlfahrt.  Jahrg.  27,  1917,  Nr.  3:  Die 
Lebensversicherung  der  Kriegsbeschädigten,  von  (Mathem.)  E.  Thiele.  —  Sozialpolitik 
im  Reichstag.  —  Gewerkschafter  im  Großen  Hauptquartier.  —  Die  Freien  Gewerk- 
schaften 1916.  —  Die  Reichswochenhilfe  in  der  Praxis,    von  (Arbeitersekr.)   Fr.  Kleeis. 

—  etc.  —  Nr.  4:  Sozialpolitik  in  Bulgarien,  von  Arthur  Dix.  —  Der  Sozialdemokra- 
tische Parteitag  und  die  Sozialpolitik.  —  Zur  Frage  der  Dienstpflicht  der  Frau,  von 
Else  Lüders.  —  Die  Ergebnisse  der  Kürzung  der  Arbeitszeit  in  den  nordamerikanisohen 
Bergwerken.  —  etc.  —  Nr.  5:  Für  die  „gefährdeten"  Jugendlichen!,  von  (Stadtschnl- 
arat)    Prof.    Dr.   Thiele.    —    Die   Reichsregierung    über   die   künftige    Sozialpolitik.   — 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  765 

Kohlennot,  Ernährungsschwierigkeiten  und  Massenspeisung.  —  Tarifberatung  im  Buch- 
druckergewerbe, von  Treffert.  —  Notwendige  Verbesserungen  der  Krankenversicherung. 

—  etc.  —  Nr.  6 :  Die  Kriegstagung  des  deutschen  Arbeiterkongresses,  von  Dr.  Ludwig 
Heyde.  —  Der  Plan  einer  Kinderzulageversicherung  der  bayerischen  Staatsbeamten, 
von  (Armee-Postinspektor)  Dr.  P.  Krinner.  —  Die  Aufgaben  der  Konsumvereine  in  der 
Uebergangs-  und  Friedenswirtschaft.  —  Eine  Wohnungsreform-Kundgebung.  —  etc. 

Recht  und  Wirtschaft.  Jahrg.  6,  November  1917,  Nr.  11:  Das  Reichsge- 
setz über  die  Wiederherstellung  der  deutschen  Handelsflotte,  von  (Justizr.,  M.  d.  R.  u. 
M.  d.  A.)  Waldstein.  —  Keime  künftiger  Rechtsentwicklung  im  privaten  Kriegnot  recht, 
von  (Geh.  Justizr.)  Prof.  Dr.  Paul  Oertmann.  —  Neue  Rechtsprobleme  in  der  Mieter- 
aebutzverordnung,  von  (Beigeordn.)  Rohde.  —  etc. 

Rundschau,  Koloniale.    Jahrg.  1917,  Juli/August,  Heft  7/8:  Dr.  Georg  Michaelis. 

—  Ein  Amerikaner  über  die  Kolonisation  in  Afrika.  Zur  Verfügung  gestellt  von 
(Geh.  Reg.-R.)  Dr.  Franz  Stuhlmann.  —  Der  deutsch -engliche  Wettbewerb  und  die 
Pariser  Wirtschaftskonferenz,  von  Prof.  Dr.  H.  Großmann.  —  Die  Erneuerung  des  Is- 
lam, von  Hafis  Abdul  Hadi.  —  etc. 

Schmollers  Jahrbuch  für  Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Volkswirtschaft  im 
Deutschen  Reiche.  Jahrg.  41,  1917,  Heft  3:  Wäre  der  Parlamentarismus  für  Deutsch- 
land oder  Preußen  richtig?  von  Gustav  Schmoller.  —  Die  Wege  zur  Festigung  der 
ungarisch-deutschen  Beziehungen,  von  Julius  Bunzel.  —  Propaganda  gegen  England 
in  Rheinland  unter  französischer  Herrschaft,  von  Justus  Hashagen.  —  Das  Bergregal 
•der  Standesherren  im  Ruhrkohlenbezirk,  von  Ernst  Havenstein.  —  Die  gutsherrlich- 
bäuerlichen  Verhältnisse  in  Kurhessen,  von  Hans  L.  Rudioff.  —  Zur  Krisis  und  Zu- 
kunft des  politischen  Parteiwesens,  von  E.  Hurwicz.  —  Niederländisch-Ostindien  der 
Gold- Exchange-Standard  (Goldkern Währung),  von  G.  Vissering.  —  Die  beabsichtigte  Ent- 
thronung des  Goldes,  von  Joseph  Bergfried  Eßlen.  —  Agrarzölle,  Getreidemonopol  oder 
Freihandel.  Ein  Beitrag  zur  zukünftigen  Gestaltung  der  deutschen  Agrarpolitik,  von 
Karl  V.  Tyszka.  —  Wertarbeit  und  soziale  Frage,  von  Bruno  Rauecker.  —  Die  aus- 
ländische   Kapitalbeteiligung    an    der    deutschen    Industrie,    von    Charlotte    Leubuscher. 

—  Neue  Wege  der  Bevölkerungspolitik  (II)  von  Karl  Oldenberg.  —  Kriegsurteile.  Die 
Bestrafung  von  Wucher  und  Preistreiberei  im  Kriege,  von  Alfred  Hartwig.  —  Probleme 
des  Städtebaues  im  Lichte  der  Wirtschaftspolitik,  von  Karl  Pribram.  —  Bemerkungen 
zu  Irving  Fishers  Geldlehre,   von  Othmar  Spann. 

Weltwirtschaft.  Zeitschrift  für  Weltwirtschaft  und  Weltverkehr.  Jahrg.  7, 
Oktober/November  1917,  Nr.  10/11  (Sondernummer:  Die  Schweiz):  Weltkrieg  und  Welt- 
wirtschaft, von  (Wirkl.  Geh.  Oberfinanzrat)  Dr.  Schwarz.  —  Die  Handelsbeziehungen 
der  Schweiz  und  Mitteleuropa,  von  Dr.  L.  Janko.  —  Der  deutsch-sehweizerische  Handels- 
verkehr im  Kriege,  von  Dr.  Paul  Leutwetn.  —  Die  Schweizer  Bestrebungen  zur  Schaf- 
fung einer  nationalen  Seehandelsflotte.  1)  Der  Plan  einer  Schweizer  Seeschiffahrt,  von 
H,  Fehlinger.  2)  Ist  die  Schaffung  einer  schweizerischen  Handelsflotte  möglich?,  von 
E.  Trott-Helge.  —  Schweizer  Finanzprobleme.  —  Ein  neues  Donau- Rheinprojekt.  Der 
Oberdonau-Untersee-Schiffahrtskanal,  von  (Ziviling.  Nationalrat)  R.  Gelpkc.  —  Die  Stel- 
lung Basels  im  internationalen  Verkehr,  von  (Sekr.  der  „Neuen  Gotthardvereinigung" 
Luzern)  W.  Miller.  —  etc. 

Wirtschafts-Zeitung,  Deutsche.  Jahrg.  13,  Oktober  1917,  Nr.  20:  Zur  Orga- 
nisation des  Kleinhandels,  von  Dr.  Otto  Brandt.  —  Mitteilungi'n  des  Deutsch- Ameri- 
kanischen Wirtschaftsverbandes:  Die  Farbstofffrage  nach  dem  Kriege.  —  etc.  —  Nr.  21: 
Zur  Lage  der  deutschen  Seifenindustrie,  von  Dr.  C.  Deite.  —  Krieg  und  Wirtschaft, 
von  Dr.  Leo  Blum.  —  Deutsch-Amerikanischer  Wirtschaftsverband :  Eine  nationale 
Ausstellung  chemischer  Industrien.  —  etc. 

Zeit,  Die  Neue.  Jahrg.  36,  Bd.  1,  1917,  Nr.  3:  Die  Bemer  internationale  Ge- 
werkschaftskonferenz,  von  C.  Legien.  —  Praktische  Friedensarbeit,    von  Paul  ümbreit. 

—  Trusts  und  Schleuderkonkurenz  in  der  Handelspolitik,  von  Max  Schippel.  —  Mehr 
Mutterschutz  und  Sänglingsschutz,  von  Rudolf  Wisseil.  —  etc.  —  Nr.  4:  Nach  der 
Würzburger  Tagung,  von  Heinrich  Cunow.  —  Höhere  Grundlöhne  oder  Teuerungszu- 
lagen?, von  Emil  Dittmer.  —  Krankenkassen  und  Wohnungsfürsorge,  von  Hermann 
Mattutat.  —  etc.  —  Nr.  5 :  Belgien  und  die  flämische  Frage.  —  Zur  Entwicklung 
des  Staatsgedankens  in  England,  von  Heinrich  Cunow.  —  Die  Opportunität  in  der  Poli- 
tik, von  Arno  Franke.  —  etc. 


'7ßß  Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

Zeitschrift  des  Kgl.  Preußischen  Statistischen  Landesamts.  Jahrg.  56,  1916, 
IV.  (8chluß-)Abteilung :  üeber  Bilanzen,  Rentabilitätsberechnung  und  Rentabilitätnta- 
tistik,  von  (Mitgl.  des  Kgl.  Preuß.  Statist.  Landesamts)  Dr.  Rudolf  Meerwarth.  —  Eisenerx- 
vorräte  und  Eisenerzerzeugung  der  Welt  (nebst  einer  Einführung  in  die  Entwicklung  der 
Roheisen-,  Hochofen-  und  Eisenhütten-Industrie),  von  Dr.  Heinrich  Pudor.  —  Die  Steuern 
der  preußischen  Städte  und  Landgemeinden  im  Rechnungsjahr  1911,  von  (Mitgl.  des 
KgL  Preuß.  Statist.  Landesamts)  Prof.  Dr.  Oscar  Tetzlaff.  —  etc. 

Zeitschrift  für  die  gesamte  Versicherungswissenschaft.  Bd.  17,  November  1917, 
Heft  6:  Die  Einwirkung  der  Ernährung,  insbesondere  der  Kriegsemährung,  auf  die 
Lebensdauer,  von  Prof.  Dr.  med.  Albert  Albu.  —  Das  Versicherunjjfcwesen  in  sorio- 
logischer  Betrachtung,  von  (Geh.  Reg.-R,)  Prof.  Dr.  phil.  Ferdinand  Tönnies.  —  Kredit- 
versicherung, von  (Justizr.,  M.  d.  A.)  Prof.  Dr.  jur.  Hans  Crüger.  —  Zwei  grunds&tzliche 
Fragen  des  Haftpflichtversicherungsrechts,  von  (Synd.,  Rechtsanwalt)  Elperting.  —  Die 
Klauseln  in  der  Feuerversicherung,  von  (Direktor)  E.  Reuter. 

Zeitschrift  für  Kommunalwirtschaft  und  Kommunalpolitik.  Jahrg.  7,  1917, 
Nr.  17/18:  Neueinteilung  von  Baugrundstücken,  von  (Stadtbauinsp.)  Ehlgötz.  —  Znr 
Kartoffelversorgung,  von  (Oberbürgermstr.,  M.  d.  H.)  Jarres.  —  Finanztechnische  Be- 
ratungstellen, eine  Zeitforderung,  von  (Stadtsekretär)  Gerling.  —  Die  Sozialethik  im 
Pflichten  kreis  der  Stadtverordneten ,  von  (Berufsvormund)  Niestroj.  —  etc.  — 
Nr.  19/20:  Der  städtische  Milchhof  in  Hildesheim,  von  Dr.  ing.  Weidlich.  —  Unsere 
Stadtkinder  in  Ostpreußen,  von  (Oberbürgermst.)  Dr.  Scholz.  —  Neueinteilung  von  Bau- 
grundstücken (Schluß),  von  (Stadtbauinsp.)  Ehlgötz.  —  Ein  Streit  um  den  Unterstützung;«: 
Wohnsitz,  von  (Ober, -Reg.-R.)  Dr.  Oertel.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Sozial  Wissenschaft.  Jahrg.  8,  1917,  Heft  8/9:  Die  parlamen- 
tarische Kabinetsregierung  (III),  von  W.  Hasbach.  —  Deutschlands  Aussichten  in  einem 
Wirtschaftskriege  nach  Friedensschluß  (I),  von  Jan  Eyssen.  —  Die  Gliederung  der 
deutschen  Gewerbegeschichte  nach  sozialen  Gesichtspunkten  (II),  von  Prof.  Dr.  Karl 
Koehne.  —  Einiges  über  meine  Stellung  zur  Sozialpolitik,  von  Julius  Wolf.  —  Die 
Lebenshaltung  der  Arbeiter  in  Wien,  von  F.  Zizek.  —  Produktionsgrenze  und  Arbeiter- 
mangel, von  H.  Oswalt.  —  Der  Tabakbau  in  Bulgarien,  von  Dr.  P.  Martell.  —  Freihandel 
und  Schutzzoll  in  Britisch-Indien,  von  Fehlinger.  —  Die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika 
als  geschlossener  Wirtschaftsstaat,  von  Dr.  Heinrich  Pudor.  —  Der  deutsche  Handel 
mit  Mexiko,  von  Dr.  Ernst  Schnitze.  —  Die  Rechtsform  des  Arbeitstarifvertrages,  von 
Dr.  Georg  Jahn.  —  etc.  —  Heft  10:  Die  parlamentarische  Kabinetsregierung  (IV),  von 
W.  Hasbach.  —  Die  Gliederung  der  deutschen  Gewerbegeschichte  nach  sozialen  Ge- 
sichtspunkten (III),  von  Prof.  Dr.  Karl  Koehne.  —  Deutschlands  Aussichten  in  einem 
Wirtschaftskrieg  nach  Friedensschluß  (II  Schluß),  von  Jan  Eyssen.  —  Die  internationalen 
Wechselkurse  im  Kriege,  von  Prof.  Dr.  G.  Cassel.  —  Der  Handelskrieg  und  die  che- 
mische Industrie,  von  Dr.  Julius  Luebeck.  —  Die  Ottomanbank,  von  Dr.  P.  Martell. 
—  Krieg  und  Fürsorgeerziehung,  von  (Amtsrichter)  Dr.  Albert  Hellwig.  —  Englands 
Webstoffindustrie  auf  dem  südamerikanischen  Markt,  von  Dr.  Ernst  Schnitze.  —  etc. 

Zentralblatt,  Deutsches  Statistisches.  Organ  der  Deutschen  Statistischen  Ge- 
sellschaft und  des  Verbandes  Deutscher  Städtestatistiker.  Jahrg.  9,  September/Oktober 
1917,  Nr.  7/8:  Zur  gewerblichen  Betriebszählung  im  Deutschen  Reich  vom  15.  August 
1917,  von  (Priv.-Doz.,  Mitgl.  des  Kgl.  Preuß  Statist.  Landesamts),  Dr.  Rudolf  Meer- 
warth. —  Die  Städtestatistik. nach  dem  Kriege,  von  Dr.  Walter  Schöne.  —  Nochmals 
die  Ermittlung  der  Säuglingssterblichkeit  in  Kriegszeiten,  von  (Reg.-R.)  Knöpfel.  — 
Vorbereitung  zum  Statistikerberuf,  von  Eugen  Würzburger.  —  etc. 


Frommannsche  Buchdruokerei  (Hermann  Pohle)  in  Jena  —  4629 


—    30I    — 


Volkswirtschaftliche  Chronik. 

Mai  1917. 

I.  Produktion  im  allgemeinen. 

Inhalt;    Beschäftigungsgrad  im  Mai. 

Ueber  den  Geschäftsgang  im  Monat  Mai  schreibt  das  „Reichs- 
Arbeitsblatt*' :  „Die  Kraft,  mit  der  die  deutsche  Kriegswirtschaft  seit 
Monaten  arbeitet,  um  den  Erfordernissen  des  Heeres  und  des  Inlands- 
maj-ktes  zu  genügen,  zeigte  sich  auch  im  Mai  unvermindert  stark  und 
verriet,  mit  dem  Mai  des  Vorjahres  verglichen,  vielfach  noch  einei 
Steigerung. 

Im  Bergbau  und  Hüttenbetrieb  macht  sich  dem  Vormonat  gegen- 
über teilweise  eine  Steigerung  des  Absatzes  bemerkbar.  Insbesondere 
ist  hier  wie  bei  der  Metall-  und  Maschinenindustrie  verschiedentlich, 
eine  höhere  Arbeitsleistung  als  im  Mai  des  Vorjahres  festzustellen. 
Die  elektrische  wie  die  chemische  Industrie  arbeiteten  ebenso  rege  wie 
im  Vormonat.  Für  die  Nahrungsmittelindustrie  ist  im  ganzen  eine 
Abschwächung  kennzeichnend,  während  das  Bekleidungsgewerbe  eine 
Veränderung  in  seiner  im  allgemeinen  befriedigenden  Lage  nicht  er- 
fahren hat.  Für  den  Baumarkt  macht  sich  keine  erhebliche  Veränderung 
geltend. 

Die  Nachweisungen  der  Krankenkassen  ergeben  für  die 
am  1.  Juni  1917  in  Beschäftigung  stehenden  Mitglieder  dem  1.  Mai 
gegenüber  insgesamt  eine  Zunahme  um  100 186  Beschäftigte  oder  um- 
1,41  V.  H.  (gegenüber  einer  Zunahme  der  Beschäftigtenzahl  um  1,42 
V.  H.  in  der  entsprechenden  Zeit  des  Vorjahres).  Das  Zunahme  Verhältnis 
ist  bei  beiden  Geschlechtern  annähernd  gleich.  Die  Steigerung  der 
männlichen  Beschäftigung  betrug  1,16  v.  H.  (gegenüber  einer  solchen 
um  1,26  V.  H.  im  Vorjahr).  Die  Erhöhung  der  weiblichen  Beschäf- 
tigung stellte  sich  am  1.  Juni  auf  1,64  v.  H-,  (gegenüber  einer  Zu- 
nahme um  1,61  V.  H.  im  Vorjahr).  Daß  die  noch  stärkere  Zunahme 
des  vorigen  Monats  nicht  ganz  erreicht  worden  ist,  erklärt  sich  in 
erster  Linie  daraus,  daß  der  April  infolge  des  Eintritts  der  schulent- 
lassencD  Jugend  ins  Erwerbsleben  in  der  Regel  eine  außergewöhnlich 
hohe  Zunahme  verzeichnet.  Zu  berücksichtigen  ist  bei  der  Beurteilung 
der  Bewegung  der  männlichen  Beschäftigtenzahl,  daß  die  Kriegsge- 
fangenenarbeit in  den  Ergebnissen  der  Krankenkassenstatistik  nicht  ein- 
begriffen  ist." 

Was  die  männlichen  Beschäftigten  der  Betriebskrankenkassen 
im  Vergleich  zum  Vormonat  anbelangt,  so  zeigt  sich  ein  Anwachsen  der 

Jahrb. f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XX 


302      — 


Beschäftigung  im  Baugewerbe,  in  der  chemischen  und  in  der  elektrischen 
Industrie,  ferner  in  der  Landwirtschaft  wie  in  der  Metall-  und  Ma- 
schinenindustrie; wohingegen  das  Nahrungsmittelgewerbe,  die  Beklei- 
dungs-  und  Spinnstoffindustrie  und  das  Holzgewerbe  einen  Rückgang  an 
Männern  verzeichnen.  Die  weibliche  Beschäftigung  ist  in  denselben 
Gewerbezweigen  vorangegangen  bezw.  zurückgegangen  wie  die  männ- 
liche  Beschäftigung. 

Nachstehend  ist  die  Bewegung  der  Beschäftigten  in  den  einzelnen 
Gewerbegruppen,  soweit  sie  in  der  Berichterstattung  der  Betriebskranken- 
kassen zum  Ausdruck  kommt,  vom  1.  Mai  bis  1.  Juni  dar^stellt.  Die 
Zahl  der  versicherungspflichtigen  Mitglieder  betrug  am  1.  Juni  1917: 


Land-   und    Forstwirtschaft, 

Gärtnerei 
Metall-,  Maschinenindustrie 

davon  in  Schlesien 

Kheinl.-Westf. 
Elektrische  Industrie 
Chemische  Industrie 
Spinnstoffgewerbe 

{Schlesien 
ßheinl.-Westf. 
Kgr.  Sachsen 
Eis. -Lothringen 
Holz-  und  Schnitzwaren 
Nahrungs-  und  Genußmittel 
Bekleidung 
Baugewerbe 

Voi?  den  berichtenden  Unternehmungen  gaben  290  den 
Stand  ihrer  Arbeiterschaft  im  Berichtsmonat  an.  Diese  beschäftigten 
304128  Arbeiter.  Neben  der  Beschäftigtenzahl  im  Berichtsmonat  gaben 
279  Unternehmungen  auch  die  Zahl  der  im  Vormonat  beschäftigten 
Arbeiter  an.  Hier  waren  am  letzten  Tage  des  Berichtsmonats  insgesamt 
288853  gegen  286  351  Arbeiter  am  Schlüsse  des  Vormonats  tätig. 
Es  ist  also  im  Berichtsmonat  dem  Vormonat  gegenüber  eine  Zunaiime 
der  Beschäftigten  um  2502  oder  0,87  v.  H.  eingetreten.  Die  Steigerung 
gegen  den  Vormonat  geht  diesmal  in  der  Hauptsache  auf  eine  Mehr- 
beschäftigung von  Männern   zurück. 

An  der  Erhöhung  der  Beschäftigtenzahl  dem  Vormonat  gegenüber 
sind  in  erster  Linie  Bergbau  und  Hütten  und  die  chemische  Industrie 
beteiligt.  Ein  Rückgang  macht  sich  besonders  im  Maschinenbau  und 
in  der  Nahrungsmittelindustrie  bemerkbar. 

Der  größte  Teil  der  berichtenden  Unternehmungen,  nämlich  287, 
teilte  neben  der  Beschäftigtenzahl  im  Betriebsmonat  auch  den  Stand  der 
Arbeiterschaft  im  gleichen  Monat  des  Vorjahres  mit.  In  diesen  287  Unter- 
nehmungen waren  im  Berichtsmonat  303  854  Arbeiter  gegenüber  247  689 
im  Mai  1916  tätig.  Es  ist  also  gegenüber  dem  Vorjahr  eine  Zunahme 
der  Arbeiterzahl  um  56165  oder  22,68  v.  H.  eingetreten.    Diese  starke 


Zahl  der 

Pflichtmi 

itglieder 

Zu-  oder  Abnahme 

abzüglich  der  arbeits- 

gegen den 

Vormonat 

den  Kassen 

unfähigen 

Kranken 

in  Prozent 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

75 

7966 

7273 

+    1,04 

+      8,96 

568 

425  142 

141  257 

+  0,02 

+       2,01 

47 

42224 

15885 

—  0,68 

+      4,25 

160 

108  000 

35930 

+  0,92 

+      3,24 

13 

32019 

52147 

+    1,49 

+       1,33 

75 

51447 

22494 

+    3,20 

+      7,76 

716 

51  811 

121  336 

—    1,57 

—      0,72 

54 

6089 

14  411 

—  0,88 

-     o,si 

141 

9001 

13763 

—  0,41 

+      0,76 

31 

13  802 

36945 

—   0,62 

+      0,6  2 

41 

2635 

7031 

-   8,51 

—      5,38 

63 

6338 

2856 

—  0,44 

—      0,8  S 

271 

26638 

41  719 

—  3,35 

—     4,59 

73 

5661 

II  460 

—    2,01 

—     3,25 

147 

39668 

6060 

+    9,63 

+    16,34 

—    303    — 

Zunahme  geht  in  etwas  größerem  Maße  auf  das  männliche  als  auf  das 
weibliche  Geschlecht  zurück. 

Dem  Vorjahr  gegenüber  ist  ein  Hückgang  in  der  Beschäftigten- 
zahl von  nennenswerter  Größe  nur  in  der  Nahrungsmittelindustrie,  ferner 
in  der  Bekleidungs-  und  Papierindustrie  zu  verzeichnen.  Wesentlich 
größer  als  die  hier  eingetretene  Abnahme  ist  demgegenüber  die  Zu- 
nahme in  der  chemischen  Industrie,  in  der  Metall-  und  Maächinen- 
industrio  wie  auch  im  Bergbau  und  der  elektrischen  Industrie.  In  den 
zuletzt  genannten  fünf  G^werbezweigen  ist,  namentlich  im  Maschinen- 
bau und  in  der  chemischen  Industrie,  abermals  eine  lebhafte  Steigerung 
der  männlichen  Arbeiterzahl  festzustellen.  Die  Anzahl  der  Frauen  und 
Mädchen  ist  dem  Vorjahr  gegenüber  am  meisten  in  der  Maschinen- 
indutsrie,  sodann  in  der  Metallverarbeitung,  in  der  chemischen  Industrie 
wie  in  der  elektrischen  Industrie  und  im  Hüttenbetrieb  gestiegen. 

Um  den  Einfluß  des  Krieges  auf  die  Industrie  festzustellen,  sind  die 
Beschäftigtenzahlen  für  diejenigen  Betriebe  errechnet  worden,  welche 
sowohl  für  den  Berichtsmonat  als  auch  für  den  entsprechenden  letzten 
Friedensmonat,  den  Mai  1914,  Bericht  erstattet  haben.  Es  waren  bei 
160  Betrieben  im  Mai  1917  207  316  Arbeiter  gegen  201317  im  Mai 
1914  beschäftigt,  so  daß  also  im  Berichtsmonat  der  Friedenszeiti 
gegenüber  wiederum  keine  Abnahme,  sondern  eine  Zunahme  um  2,94 
V.  H.  eingetreten  ist. 

Nachstehend  geben  wir  die  Veränderungen  in  den  einzelnen  Ge^ 
werben  tabellarisch  wieder: 


Gewerbegruppen 

1 

B 

Beschäftigte 

am  letzten  Tage 

des  Berichtsmonats 

Zu-  oder  Abnahme  gegen  den 
Vormonat 

insgesamt 

männl.  |  weibl. 

insges. 

männl. 

Anzahl 

V.  H. 

Anzahl 

Bergbau  und  Hüttenbetrieb 
Eisen-  und  Metallindustrie 
Industrie  der  Maschinen 
Elektrische  Industrie 
Chemische  Industrie 
S  pinnstoff  gewerbe 
Holzindustrie 

Nahrungs-  und  Genußmittel 
Bekleidungsgewerbe 
Glas  und  Porzellan 
Papierindustrie,  Buchdruck 
Sonstige  Gewerbe  (einschl. 
Baustoffe  und  Schiffahrt.) 

29 

40 
72 

12 

27 
12 

9 

16 
13 

6 
30 

13 

47456 

65634 

loi  598 

5654 
43  597 
6493 
640 
6422 
2695 
1971 
3914 

2779 

42484 
49301 
83661 

2885 
34996 

1936 
519 

1823 

455 
1029 
2  462 

1665 

+   1766 
+     275 

-  665 
+       30 
+   1585 
+     119 

—  I 

-  487 

—  59 

-  31 

—  50 

+       20 

+     3,87 
+     0,42 

—  0,65 
+     0,5  8 
+     3,77 
+      1.87 

—  0,16 

—  7,06 

—  2,14 

—  1,55 

—  1,26 

+     0,72 

+  1915 

—  188 

—  211 

—  32 
+    990 
+       18 
+        2 

—  91 

—  22 

—  34 

—  120 

+        6 

—  149 
+    463 

—  454 
-{■    162 

+    595 

+     lOI 

—  3 

—  396 

—  27 
+        3 
+      70 

+      14 

Summe 

279 

288  853 

223  216 

+  2502 

+     0,87 

+  2233 

+    379 

Nach  den  Feststellungen  über  die  Arbeitslosigkeit  in  33 
Fach  verbänden,  die  für  891 654  Mitglieder  berichteten,  wurden  Ende 
Mai  8729  Arbeitslose  oder  1,0  v.  H.,  d.  i.  die  gleiche  niedrige  Ziffer 
wie  im  Vormonat  ermittelt.     Sie  war  gegen  den  Mai  der  drei  vprher- 

XX* 


—    304    - 

gehenden  Jahre  wesentlich  gesunken,  da  sie  1914  2,8,  1915  2,9  und  1916 
2,5  V.  H.   betrug. 

Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  läßt  im  Berichtsmonat  für 
das  männliche  wie  das  weibliche  Greschlecht  ein  Sinken  des  Andranges 
der  Arbeitsuchenden  erkennen.  Im  Mai  kamen  auf  100  offene  Stellen 
bei  den  Männern  53  Arbeitsuchende  (gegen  56  im  Vormonat),  während 
beim  weiblichen  Geschlecht  sich  der  Andrang  von  107  auf  96  ver- 
minderte." 

n.  Landwirtschaft  und  yerwandte  Grewcrbe. 

Inhalt:  Lage  der  landwirtschaftlichen  Produktion :  Weizen  in  England. 
Getreidebörsen  in  den  Vereinigten  Staaten.  Weltmarktpreise.  Saatkartoffeln. 
Haferration  Korbweiden.  Milch  in  Hessen.  Getreideversorgung  der  Schweiz; 
Brotkarte.  Frankreich:  Brotkarte;  Weizenanbau;  Erntearj^iten.  Schweden: 
Fischausfuhr.  Rußland :  Sommersaaten.  Südaustralien :  Weizen.  London : 
Massenspeisungen.  England:  Paketversand.  Bier.  Versorgung.  Pferde- 
fütterung. Getreidemühlen.  Brotverbrauch.  Vorräte.  Lohnerhöhung.  Ver- 
einigte Staaten :  Handelsflotte.  Italien :  Landwirtschaftspolitik.  Rumänien : 
Wirtschaftsverband.  —  Bau  von  Handelsschiffen.  Argentinien:  Ausfuhrverbot. 
—  Getreidemarkt.  —  Ungarn  :  Ansiedlung.  Lancashire  :  Lohnerhöhung.  Irland  : 
Anbau.  England:  Brot-  und  Zucker  verbrauch.  Anbau.  Merinowolle.  Ration 
der  Soldaten.  Schiffsversicherungen.  Brotkarten.  Volksküchen.  Renn- 
pferde. Frankreich :  Saatenstand.  Versorgung.  Italien :  Bestandsaufnahme. 
Schweden :  Zivildienstpflicht.  Kanada :  Zolltarif.  Argentinien :  Ausfuhr. 
Schweden :  Getreideeinfuhr.  Kanada :  Zolltarif.  Argentinien :  Mais.  Itahen : 
Zucker,  Reis,  Milch.  Petersburg:  Getreidezufuhr.  Frankreich:  Vieh.  Ge- 
treide. Mehlverbrauch.  Höchstpreise.  Fleisch.  Getreidevorräte.  England: 
Stärke.  Lebensmittel.  Kartoffeln.  Saatenstand.  Landarbeit.  Brotkarten.  Gerste. 
Saatkartoffeln.  Vereinigte  Staaten :  Regelung.  Neuseeland :  Hammel.  Schweiz : 
Hafer.  Gerste.  Futternot.  Stroh.  Jungvieh.  Italien :  Butter.  Reis.  Frankreich : 
Teigwaren.  Oel.  Gretreide.  Vereinige  Staaten:  Baumwolle.  Lebensmittel. 
England:  Bergleute.  Lebensmittel.  Käse.  Weizen.  Algier:  Weizen.  Kanada: 
Weizenpreis.  Anbau.  Rußland:  Getreidemonopol.  Fleisch.  —  Saaten-  und 
Ernteberichte :  Frankreich.  England.  Argentinien.  Oesterreich.  Ungarn.  Bul- 
garien. Rumänien.  Dänemark.  Rußland.  Bericht  des  Internationalen  Land- 
wirtschaftHchen   Instituts.     Weltmarkt.     Seefrachten.     Preise   in   Rußland. 

Nach  dem  Wochenbericht  der  Preisberichtsstelle  des  Deutschen 
Landwirtschaftsrats  läßt  sich  die  Lage  der  landwirtschaftlichen 
Produktion   in    folgender   Weise-   beurteilen: 

Während  die  englischen  Minister  im  Ober-  und  ünterhause  die  öffent- 
liche Meinung  ihres  Landes  mit  der  Versicherung  trösten,  daß  die  Rasen- 
flächen und  Weideländereien  der  englischen  Lords  zu  Weizenacker  umgebrochen 
würden,  enthalten  die  Provinzblätter  die  Nachricht,  daß  die  Landwirte  aus 
Mangel  an  Arbeitskräften  und  Betriebsmitteln  vielfach  nicht  imstande  sind, 
die  bisherige  Fläche  mit  Weizen  zu  bebauen.  Die  Minister  sind  deshalb  in 
letzter  Zeit  schon  dazu  übergegangen,  die  Bevölkerung  auf  das  nächste 
Jahr  1918  zu  vertrösten;  dann  würde  die  Weizenfläche  derart  vergrößert 
werden,  daß  nur  ein  Fünftel  des  Bedarfs  eingeführt  zu  werden  brauchte. 
Um  die  Lage  Englands  zu  beurteilen,  muß  man  sich  vergegenwärtigen,  daß 
England  schon  vor  dem  Kriege  mit  über  80  Proz.  seines  Brotbedarfes  auf  die 
überseeische  Einfuhr  angewiesen  war,  während  Deutschland  in  normalen  Zeiten 
nur  etwa  ein  Fünftel  seines  Brotbedarfes  einzuführen  brauchte,  und  deshalb 
während  des  Krieges  in  der  Lage  ist,  durch  Rationierung  den  Bedarf  aus  der 
einheimischen   Ernte   zu   befriedigen.     Während   in   Deutschland   die   Getreide- 


305 


Ernteertrag 

Weizenpreis 

t 

M.  f.  d.  Tonn 

3327301 

255,10 

3  175  295 

231,90 

2  569  806 

230,40 

2  169  401 

166,05 

I  766  337 

129,05 

I  565  650 

132,05 

I  681  939 

147,85 

2  005  000 

237,15 

I  642  000 

262,90 

fläche  von  Jahrzehnt  zu  Jahrzehnt  gestiegen  ist,  ist  sie  gleichzeitig  in  England 
gesunken.  Die  nachstehende  Uebersicht  zeigt  die  Entwicklung  der  Weizenfläche 
und  des  Ernteertrages  Englands  seit  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  von  1852  bis 
1896,  also  in  den  letzten  64  Jahren,  Zugleich  ist  der  durohschnittliohe 
Jahrespreiö  für  Weizen  hinzugefügt : 
Anbaufläche 
ha 

1852—59  I  655  978 

1860—69  I  535  053 

1870—79  I  425  926 

1880—89  1097  431 

1890—99  826  424 

1900—09  699  III 

1910—14  767  208 

1915  878  205 

1916  773815 

Aus  der  Uebersicht  ergibt  sich,  daß  die  Weizenfläche  Groß- 
britanniens und  Irlands  seit  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  von  1656000  ha 
bis  auf  700000  ha  im  Jahrzehnt  1900 — 09  oder  um  mehr  als  die  Hälfte  herab- 
gesunken war  und  sich  seitdem  nur  wenig  über  diesen  Tiefstand  gehoben  hat. 
Dementsprechend  ist  der  Ernteertrag  von  31/2  MjII.  t  1852—59  auf  nur  etwas 
über  11/2  Mall,  t  gesunken.  Die  Abnahme  der  Weizenfläche  ist  genau  parallel 
mit  dem  Sinken  des  Weizenpreises  gegangen.  Derselbe  ist  von  255  M.  für 
die  Tonne  in  den  50er  Jahren  des  19.  Jahrhunderts  von  Jahrzehnt  zu 
Jahrzehnt  bis  Mitte  der  90er  Jahre  auf  unter  130  M.,  also  um  die  Hälfte 
gesunken.  Oder  mit  anderen  Worten :  England  muß  den  niedrigen  Weizenpreis 
im  Frieden  jetzt  im  Kriege  mit  der  halben  Weizenproduktion  der  früheren 
Zeit  bezahlen.  Aber  selbst  die  frühere  Anbaufläche  würde  für  die  inzwischen 
auf  über  47  Mill.  angewachsene  Bevölkerung  nicht  ausreichen.  England  hatte 
nur  800000  ha  Brotkorn,   Deutschland  dagegen   über  8   Mill.   ha. 

Aus  Chicago  wird  am  15.  Mai  gemeldet,  daß  die  Vertreter  der  führenden 
Getreidebörsen  der  Vereinigten  Staaten  beschlossen  haben,  an 
ihren  verschiedenen  Börsen  einschränkende  Bestimmungen  am  14. 
Mai  in  Kraft  zu  setzen.  Die  Mainotierung  ist  nicht  mehr  gestattet.  Der 
Juli-  und  Septembertermin  ist  infolge  dieses  Druckes  gefallen,  wie  die  nach- 
stehende Uebersicht  zeigt. 

Entwicklung  der  Weizenpreise  seit  Anfang  Januar  1917. 


New  York 
Northern  I        Hardwinter 


Chicago. 


1917 
Datum 
6.  Januar 
3.  Februar 
2.  März 
1.  Mai 

8.  „ 

9.  „ 

10.  „ 

11.  „ 

12.  „ 

13.  „ 

14.  „ 

15.  „ 

16.  „ 

17.  „ 

18.  „ 

19.  „ 
dagegen   1916 


Duluth 
Cents 
196V, 
185V, 

2137* 

22iy, 

2797* 

320 


Nr.  2 
Cents 
220V, 
203V2 
227% 
238V, 

297V. 
326 


Mai 

Juli 

September 

Cents 

Cents 

Cents 

185 

151V. 

13974 

1688/4 

14478 

137V4 

1888/, 

'59 

147^8 

199V8 

16774 

154V4 

257V» 

212V4 

182V4 

297 

232V4 

194*/« 

318 


12374 


29V4 


250 

275 
259 

242 
230 

219 
228 
240 

"2V8 


217 

245 
226 
220 
207 
199 
205 
217 
II2V, 


—    3o6    — 

Der  Weltmarkt  zeigte  in  der  letzten  Woche  folgendes  Bild:   Weizen- 
preise  für   die    Tonne    (Umrechnung    nach    dem    Fri^enskurs) : 

Letzte       Vorletzte     Zu-  bzw. 


New  York:   Hardwinter  No.  2 
Northern  I  Duluth 
Chicago:  Lieferungsware  Mai 
„  Juli 

„  September 

Buenos  Aires 

London:  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
Paris:  Ankaufspreis  für  ausländischen  Weizen  ca. 
Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
»  ,.  ,T  Roggen 

BrOm:  Ankaufspreis  für  ausländischen  Weizen  ca. 

Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
Bern  (Schweiz) :  Ankaufspreis  für  ausländ.  Weizen  ca. 

Abgabepreis  im  Jnlande 
Petersburg:  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
>,  n  „  Boggen 

Kopenhagen:    Ankaufspreis  für  ausländischen  Weizen 

Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
Stockholm:  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
.»  .»  V  Boggen 

Wien:  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
M  M  „  Boggen 

Budapest:  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 


Woche 

Woche 

Abnahme 

M. 

M. 

M. 

— 

503  — 

— 

— 

493,7  6 

— 

— 

490,65 

— 

37o,so 

424,30 

54,— 

334,80 

378,05 

43,2* 

368,- 

368,— 

— 

500- 

500,— 

0 

267,30 

267,30 

0 

244  — 

244,— 

0 

500  — 

500,— 

0 

291,60 

291,60 

0 

550,— 

550,- 

0 

453,60 

453,60 

0 

315  — 

315  — 

0 

256,— 

256,- 

0 

500  — 

500,- 

0 

236,- 

236,- 

0 

270,— 

270,— 

0 

259,- 

259,- 

0 

290,50 

290,50 

0 

240,70 

240,70 

0 

315,10 

3i5,*o 

0 

257,30 

257,30 

0 

260,- 

260,— 

0 

220.— 

220,— 

0 

Berlin:  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
»  ,,  „  Boggen 

Unter  den  obigen  Höchstpreisen  sind  die  Preise  beim  Verkauf  durch 
den  Erzeuger  zu  verstehen.  Die  Höchstpreise  für  Petersburg  gelten  bei  An- 
käufen durch  die  Heeresverwaltung. 

Das  Kriegsernährungsamt  hat  mitgeteilt,  daß  die  höheren  Preise  für 
Pflanzkartoffeln  bis  Ende  Mai  für  diejenigen  Lieferungen  gelten,  die  bis 
zum  15.  Mai  abgeschlossen  waren. 

Vom  1.  Juni  ab  tritt  im  Interesse  der  Sichers tellung  der  Haferversorgung 
des  Heeres  eine  allgemeine  Herabsetzung  der  Haferration  der  Zivil- 
pferde auf  3  Pfund  täglich  ein.  Für  die  Pferdehalter  ohne  andere  selbstge- 
wonnene Futtermittel  kommen  zum  Ausgleich  der  Kürzung  der  Haferration 
erhöhte  Mengen   an   Zusatz-   und  Ersatzfuttermitteln   zur  Verteilung. 

Vom  20.  Mai  darf  bis  zum  15.  Juli  den  Landwirten,  welche  aus  den 
ihnen  zur  Verwendung  im  eigenen  Betriebe  gelassenen  Mengen  Hafer  frei- 
willig an  die  Heeresverwaltung  abliefern,  neben  den  Höchstpreisen  eine  Ver- 
gütung von   100  M.   für   die  Tonne  gezahlt   werden. 

Am  15.  Mai  ist  eine  Bekanntmachung  betr.  Bestandserhebung 
von  Weiden,  Weidenstöcken,  Weidenschienen  und  Weidenrinden  in  Kraft 
getreten.  Durch  diese  Bekanntmachung  werden  alle  Weiden  auf  dem  Stock 
und  geschnitten,  Weidenstöcke,  Weidenschienen  und  Weidenrinden  einer  drei- 
monatlichen Meldepflicht  unterworfen,  sofern  die  Vorräte  in  den  einzelnen 
Sorten  mehr  als  3  Ztr.  betragen.  Die  Meldungen  sind  von  den  in  der  Be- 
kanntmachung bezeichneten  Personen  mittelst  vorgeschriebenen  Meldescheins 
an  die  Holzmeldestelle  der  Kriegsrohstoffabteilung  des  Königlich  Preußischen 
Kriegsministeriums  in  Berlin  SW.  11  (Königgrätzerstraße  100  A),  welche 
auch  für  Anfragen  und  Anträge  zuständig  ist,  zu  richten,  und  zwfer  die  erste 
Meldung  für  den  beim  Beginn  des  15.  Mai  1917  (Stichtag)  vorhandenem 
Bestand  bis  zum  25.  Mai  1917.  Bei  den  späteren,  bis  zum  10.  August,  10. 
November   1917,    10.   Februar   und   10.    Mai    1918    usw.   einzureichenden   Mel- 


—    307    — 

düngen  ist  der  beim  Beginn  des  ersten  Tages  eines  jeden  Meldeononats  tat- 
sächlich vorhandene  Bestand  maßgebend.  Jeder  Meldepflichtige  ist  außer- 
dem zur  Führung  eines  Lagerbuches  verpflichtet,  aus  dem  jeide  Aenderung! 
in  den  Vorratsmengen  und  ihre  Verwendung  ersichtlich  sein  muß.  Der 
Wortlaut   der   Bekanntmachung    ist    bei    den    Polizeibehörden    einzusehen. 

Der  Kommunalverband  für  Milch-  und  Speisefettversorgung  im  Groß- 
herzogtum Hessen  hat  in  einer  Bekanntmachung  vom  9.  Mai,  die  am  15. 
Mai  in  Kraft  tritt,  das  Großherzogtum  für  die  Erfassung  und  Leitung  der 
Milch  in  Milchbezirke  geteilt.  Milchbezirk  kann  sein  eine  Gemeinde,  mehrere 
Gemeinden  oder  Teile  einer  Gemeinde.  Mehrere  Milchbezirke  können  zu  einem 
Milchgebiet  vereinigt  werden.  Als  Stallpreis  ist  zu  zahlen  26  Pf.  für  das  Liter 
Vollmilch,  wenn  pro  Kuh  des  Milchbezirkes  weniger  als  1  Liter  gehefert 
wird,  der  Stallpreis  steigt  auf  26^/2  Pf.  bei  Lieferung  von  1  bis  I1/2  Liter,  auf 
27  Pf.  bei  IV2  bis  2  Litern  usw.  bis  auf  3OV2  Pf-  bei  Ueferunfe  von  16 
und   mehr   Litern   pro   Kuh. 

Der  schweizerische  Bundespräsident  Schultheß  hat  dem  Vertreter 
der  amerikanischen  Depeschenagentur  Associated  Press  Powers  über  die  Ge- 
treideversorgung   der    Schweiz    u.    a.    folgende    Mitteilung    gemacht: 

„Vor  dem  Kriege  bezog  die  Schweiz,  beispielsweise  im  Jahre  1913,  aus 
Rußland  und  Rumänien  ca.  240000  t,  aus  Kanada  80000  t,  aus  den  Ver- 
einigten Staaten  150000  t  Weizen.  Seit  dem  Kriegsausbruch  ist  der  Handels- 
verkehr zwischen  der  Schweiz  und  Rußland  zufolge  der  Schließung  der  Dar- 
danellen und  der  Sperrung  der  russischen  Westgrenze  vollständig  unter- 
brochen, und  das  Gleiche  trifft  zu  für  Rumänien.  Auch  Kanada  liefert  nicht 
mehr.  Die  Schweiz  hat  daher  im  Jahre  1916  fast  ihre  gesamten  Warenbe- 
dürfnisse in  Amerika,  vor  allem  in  den  Vereinigten  Staaten  und  zum  Teil  in 
Argentinien  gedeckt,  und  ihr  Bezug  stieg  daher  naturgemäß  auf  über  500000  t. 
Die  amerikanischen  Staaten  sind  heute  praktisch  unsere  einzig  möglichen  Ge- 
treideUeferanten.  Unsere  gesamte  Einfuhr  an  Getreide  jeder  Art  und  Mehl 
ist  keineswegs  gestiegen;  sie  hat  sich  nur,  was  die  Bezu^länder  betrifft,  ver- 
schoben, und  wir  können  also  heute  nur  mit  Hilfe  der  Lieferungen  eixistieren, 
die  uns  aus  den  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  und  aus  Argentinien 
zukommen.  Dabei  betone  ich  erst  noch,  daß  wir  seit  langer  Zeit  großen 
Mangel  an  Futtermitteln,  Mais,  Futtermehlen,  Oelkuchen  leiden,  so  daß 
unsere  Fleisch-  und  Milchproduktion  in  geradezu  beunruhi_gender  Weise  zurück- 
ging. Wir  haben  in  dieser  Beziehung  ein  jährliches  Defizit  von  über  300000  t, 
und  so  erklärt  es  sich,  daß  die  Schweiz,  das  Land  der  Milchoroduktion,  im 
letzten  Winter  und  zur  Stunde  noch  nicht  einmal  genug  Milch  produziert  für 
seinen  eigenen  Bedarf,  und  daß  ein  großer  Teil  ihres  Viehes,  da  auch  die  Heu- 
ernte des   letzten  Jahres  schlecht  war,   direkt  Hunger  leidet." 

Eine  Konferenz  von  Vertretern  der  Kantonsregierungen  und  der  Wirt- 
schafts-Verbände in  der  Schweiz  sprach  sich  zu  Ende  April  d.  J.  dahin 
aus,  daß  vorläufig  von  der  Einführung  der  Karte  Abstand  genommen 
werden  möchte,  weil  Kartoffeln  und  Gemüse  nicht  mehr  oder  doch  noch 
nicht  in  ausreichender  Menge  zur  Verfügung  stehen.  Diesem  Wunsche  konnte 
um  so  eher  Rechnung  getragen  werden,  als  die  Weizenabgabe  zur  Vermahlung 
seit  4.  April  ohnehin  schon  derart  reduziert  ist,  daß  die  auf  den  Kopf  der 
Bevölkerung  entfallende  Mehlmenge  das  vor  dem  15.  April  in  Deutschland 
noch  gültige  Mittel  von  225  g  kaum  wesentlich  übersteigt.  Immerhin 
dürfte  es  die  eidgenössische  Monopolverwaltung  nach  wie  vor  als  ihre  Pflicht 
betrachten,  für  den  Fall  einer  eigentlichen  Notlage  diejenigen  Maßnahmen  vorzu- 
bereiten, die  bisher  mehr  als  Prophylaxis  angesehen  und  deshalb  immer  noch 
verschoben   wurden.     Zu    ihnen    gehört    auch    die   Brotkarte. 

Der  „Rappel"  vom  11.  Mai  schreibt:  „Die  Brotkarte  wäre  für  Frank- 
reich, das  Land  der  Brotesser,  ein  wahres  Unglück". 

Nach  den  Veröffentlichungen  des  französischen  Landwirtschaf ts- 
ministeriums  wurde  1916  mit  Weizen  eine  Fläche  von  5034510  ha,  1917 
dagegen  nur  4276990  ha  angebaut,  also  15  Proz.  weniger.  Die  Roggenfläche 
verminderte  sich  von  920975  ha  auf  827  840  ha,  d.  s.  10  Proz.;  Hafer  ist 
1917   mit   650950   ha   oder   5    Proz.    weniger   angebaut   als    1916   und   Gerste 


~   308   - 

mit  109365  ha  oder  9635  ha  mehr.  Die  Anbaufläche  von  Kartoffeln  betrug 
1914:  1487  642  ha,  1915:  1344600  ha;  1916:  1303940  ha  gleich  12,3  Proz. 
weniger   als   1914. 

Im  französischen  Senate  interpellierte  der  Abgeordnete  Quesnel  über 
die  Gleichstellung  der  verschiedenen  Ministerien  zur  Sicherstellung  der 
für  die  Erntearbeiten  notwendigen  landwirtschaftlichen  Ar- 
beitskräfte. Alle  zurzeit  verfügbaren  Arbeitskräfte  müßten  für  den  Acker- 
bau freigelassen  werden.  Ackerbauminister  Ferdinand  David  erwiderte,  durch 
Freilassung  der  Klassen  1888/89  seien  75000  Ackerbauer  frei  geworden,  zu 
denen  demnächst  noch  50000  freigelassene  Mannschaften  des  Reserve-  und 
des  Territorialheeres  kämen.  Außerdem  seien  35000  deutsche  Kriegsgefangene, 
sowie  17000  Tunesier,  Indochinesen  und  andere  Ausländer  zu  landwirtschaft- 
lichen Arbeiten  herangezogen  worden.  Für  die  ausländischen  Arbeitskräfte  sei 
ein  Lohnzuschlag  von  30  Proz.  festgesetzt  worden,  um  einen  größeren  Zuzug 
zu    erreichen. 

Die  schwedische  Regierung  erließ  ein  Ausfuhrverbot  für  Fische, 
die  in  schwedischen  Grewässern  oder  in  der  Ostsee,  im  Oeresund,  Kattegat 
oder  Skagerrak  gefangen  worden  sind. 

Die  „Moskowskija  Wjedomosti"  vom  26.  April  schreibt,  daß  in 
Rußland  die  Bestellung  der  Sommersaaten  durch  die  Banernunruhen 
besonders  auf  den  Gütern  erschwert  wird.  Im  Durchschnitt  des  Jahrzehnts 
1901 — 10  waren  in  den  50  Gouvernements  des  europäischen  Rußlands  etwa 
27  Mill.  Deßjätinen  mit  Wintersaaten,  dagegen  etwa  47  Mill.  Deßjätinen  mit 
Sommersaaten  bestellt.  In  den  Jahren  1910 — 12  betrug  bei  den  Gutsbesitzern 
die  Anbaufläche  24  Mill.,  bei  den  Bauern  53  Mill.  Deßjätinen.  Wenn  man  aber 
das  Ernteergebnis  berücksichtigt,  so  erbrachte  dieses  bei  den  Gutsbesitzern 
1291,7  Mill.,  bei  den  Bauern  2661,2  Mill.  Pud  Getreide.  Die  Bauern  ver- 
brauchen aber  den  größten  Teil  ihrer  Ernte  in  der  eigenen  Wirtschaft,  während 
das  Getreide  der  Gutsbesitzer  in  der  Hauptsache  auf  den  Markt  gelangt.  Die 
Ernteerträgnisse  der  Gutsbesitzer  sind  um  15 — 20  Proz.  "höher  als  die  der 
Bauern. 

Aus  London  wird  vom  16.  Mai  berichtet,  daß  der  Regierungsstatistiker 
die  letzte  südaustralische  Weizenernte  auf  43851000  Busheis  schätzt, 
im  Durchschnitt  15,85  Busheis  vom  Acre;  die  Gerstenernte  betrug  1839000 
Busheis,  im  Durchschnitt   16,99  Proz.,  und  die  Haferernte   1825000  Busheis. 

„Daily  Mail"  vom  11.  Mai  meldet,  daß  gewisse  Londoner  Distriktsaus- 
schüsse die  Weisung  erhalten  haben,  geeignete  Maßnahmen  für  Massen- 
speisungen vorzubereiten.  Die  Weisung  besagt,  der  Fall  könnte  eintreten, 
daß  Maßregeln  auf  kurzfristige  Benachrichtigung  hin  getroffen  werden  müßten, 
und  empfiehlt  die  Aufstellung  von  Listen  in  Wirtschaften  und  Speisehäusern 
über  die  Zahl  der  von  ihnen  zu  verpflegenden  Personen,  ferner  über  die  Zahl 
der  in  den  Schulen  zu  speisenden  Kinder  und  Einzelheiten  über  Fabrikkantinen. 

„Times"  erfahren,  daß  angesichts  der  Knappheit  der  Körnerfruchtvorräte 
und  der  Begrenztheit  des  Schiffsraums  die  Regierung  beschlossen  habe,  den 
Paketversand  von  ganz  oder  teilweise  aus  Körnerfrucht  hergestellten  Lebens- 
mitteln an  die  Frontsoldaten  zu  verbieten. 

„Times"  teilen  mit,  daß  viele  Gastwirtschaften  sich  weigern,  einem  Gaste 
mehr  als  eine  halbe  Pinte  Bier    zu  verabfolgen. 

Stegemann  schreibt  im  „Bund"  am  15.  Mai :  „England  kämpft  jetzt  nicht 
weniger  um  das  Ganze  als  Deutschland,  und  man  muß  mit  einem  systema- 
tischen Feldzug  gegen  die  Stützpunkte  der  deutschen  Unterseeboote  rechnen, 
dessen  erster  Akt  in  dem  üeberfall  auf  Zeebrügge  bestanden  hat.  An  deutschen 
Gegenmaßnahmen  wird  es  nicht  fehlen.  Damit  rückt  auf  beiden  Seiten  ^  die 
Seeflanke  in  den  Vordergrund  des  Interesses.  Grelingt  es  den  Briten  nicht, 
durch  rücksichtsloses  Einsetzen  ihrer  See-  und  Luftstreitkräfte  die  deutschen 
Häfen  so  zu  beschädigen,  daß  die  Verringerung  des  Fra^htraumcs  durch  diese 
oder  andere  Maßnahmen  wieder  auf  die  alte  Norm  heruntergedrückt  wird,  so 
ist  England  im  September  kaum  noch  imstande,  den  Krieg  mit  Aussicht  auf 
Erdauerung  des  Erfolges  zu  Ende  zu  führen,  von  der  Revolution  im  Osten  ganx 
zu  schweigen." 


—    309    — 

Eine  Verordnung  des  englischen  Nahrungsmittelkontrolleurs  vom  11. 
Mai  schreibt  einen  eingehenden  Maßstab  für  die  Verwendung  von  Körner- 
frucht bei  der  Pferdefütterung  je  nach  dem  Grade  der  Verwendung 
der  Pferde  vor.  Luxuspferde  sind  künftig  von  der  Körnerfruchtfütterung  ganz 
ausgeschlossen. 

Der  in  Verbindung  mit  dem  Lebensmittelamt  stehende  Getreide- 
mühlenausschuß hatte  bis  Anfang  Mai  261  Mühlen,  d.  s.  87  Proz.  der 
Maidfähigkeit  Englands  übernommen. 

Der  Generaldirektor  für  sparsame  Lebensmittelwirtschaft  Kennedy  Jones 
schreibt  in  einem  zur  Einschränkunjg  des  Brotgenusses  in  Eng- 
land aufrufenden  Bericht:  Die  Lage  ist  so,  daß  unsere  Kornernte  erst  spät' 
stattfinden  und  wahrscheinüch  hinter  der  vorjährigen  zurückbleiben  wird.  Zwi- 
schen jetzt  und  dem  Zeitpunkte,  zu  dem  wir  aus  dem  neuen  heimischen  Korn 
zu  backen  vermögen,  kann  nach  Ausweis  der  Statistik  ein  Brotmangel  eintreten. 

Der  Nationalausschuß  der  War  Emergency  Workers  in  England  hat  den 
Arbeiter-  und  Arbeiterinnen- Verbänden  eine  Kundgebung  mit  dem  Ersuchen 
übersandt,  die  zuständigen  Parlamentsvertreter  dazu  anzuhalten,  daß  die  For- 
derungen des  brotessenden  Arbeiterstandes  gebührende  Berücksichtigung  finden. 
Die  Kundgebung  legt  dar,  daß  der  Nationalausschuß  seit  geraumer  Zeit  die 
verantwortlichen  Minister  vergeblich  zu  Maßnahmen  zur  Sicherung  aus- 
reichender Lebensmittelvorräte  und  zu  deren  gleichmäßigen  Ver- 
teilung aufgefordert  habe.  Obwohl  nunmehr  die  Tauchbootgefahr  jenen  For- 
derungen besonderen  Nachdruck  verleihe,  schienen  die  zuständigen  Stellen 
noch  immer  nicht  von  der  äußersten  Dringlichkeit  der  Frage  überzeugt 
zu  sein.  Die  Gefahr  liege  weniger  darin,  daß  tatsächlich  eine  Hungersnot 
eintreten  könne,  als  darin,  daß  die  beständig  steigenden  Lebensmittelpreise  eine 
für  den  Arbeiterstand  unerschwingliche  Höhe  erreichen  könnten.  Die  Kund- 
gebung fordert  daher,  daß  die  Regierung  sämtliche  eingeführten  und  heimischen 
Lebensmittel  mit  Beschlag  belege,  sie,  soweit  sie  knapp  seien,  nach  Familien 
zuteile  und  den  Brothöchstpreis  für  die  Zeit  bis  6  Monate  nach  Friedensschluß 
auf  6  d  für  ein  Vierpfundbrot  (14  Pf.  für  das  deutsche  Pfund,  der  jetzige 
Brotpreis  beträgt  in  London  12  d,  also  doppelt  so  viel,  wie  die  Arbeiter  for- 
dern) festsetze  bei  eventuellen  Zuschüssen  aus  dem  allgemeinen  Kriegsaus- 
gabenfonds. 

Die  Textilarbeiter  in  Lancashire,  Yorkshire,  Cheshire  und  Derby- 
shire,  insgesamt  etwa  200000  Mann,  drohen,  am  26.  Mai  in  den  Ausstand 
zu  treten,  wenn  ihre  Forderung,  20  Proz.  Lohnerhöhung,  nicht  erfüllt  wird. 

Die  Eegierung  der  Vereinigten  Staaten  hat  auf  Veranlassung  Arlottas 
einen  Gesetzentwurf  eingebracht,  die  gesamte  amerikanische  Handelsflotte 
in  Staatsdienst  zu  stellen.  Man  wird  aber  nicht  alle  Schiffe  zur  Be- 
frachtung nach  Europa  benutzen  können,  da  sich  Schwierigkeiten  mit  den  süd- 
amerikanischen Staaten  ergeben  könnten,  die  Kohlen  und  andere  wichtige  Waren 
ausschließlich  durch  Küstenschiffahrt  erhielten  und  bei  ungenügender  Ver- 
sorgung Gegenmaßregeln  treffen  würden,  z.  B.  hinsichtlich  der  argentinischen 
Getreideausfuhr. 

In  Italien  hielt  Minister  Raineri  vor  dem  Provinzialrat  eine  Rede  über 
die  zukünftige  Landwirtschaftspolitik  der  Regierung  und  sagte  u.  a., 
die  für  die  diesjährige  Ernte  geltenden  G^treidepreise  müßten  auch  nach 
dem  Kriege  lange  Jahre  als  Zwangspreise  beibehalten  werden.  „Secolo"  schreibt 
dazu,  die  diesjährigen  Preise  seien  doppelt  so  hoch  wie  der  Durchschnitts- 
preis der  Friedensjahre.  Man  hoffe,  dadurch  die  Erzeugung  in  Italien  ge- 
waltig zu  steigern. 

Die  Hafenarbeiter  in  Savona  haben  eine  Lohnerhöhung  von  25  Proz.  sowie 
Teuerungszulagen  gefordert,  da  die  Preise  für  Lebensmittel  sich  vielfach  ver- 
dreifacht  hätten. 

Im  besetzten  Rumänien  ist  ein  rumänischer  Wirtschaftsver- 
band gegründet  worden,  weil  die  Militärverwaltung  wünscht,  daß  das  rumä- 
nische Volk  bei  seiner  Versorgung  und  der  Verwertung  seiner  Bodenerzeugnisse 
mitsprechen  soll.  Der  Wirtschaftsverband  besteht  neben  der  Militärbehörde 
aus  Vertretern  des  rumänischen  Ministeriums  des  Innern  und  des  Ministeriums 


—    3IO    — 

für  Landwirtschaft  und  Domänen,  sowie  der  landwirtschaftlichen  Syndikate, 
Volksbanken  und  Bauerngenossenschaften.  Der  Sitz  ist  Bukarest,  Neben- 
stellen bestehen  in  der  Provinz. 

Ueber   den   Bau    von    Handelsschiffen    liegen    folgende   Zahlen    in 
Tonnen   vor : 


Großbritannien 

Frankreich 

Italien 

Ver.  Staaten 

Japan 

Niederlande 

1913 

1932  153 

176095 

50536 

276  448 

64664 

104  296 

1914 

I  683  553 

114  052 

42981 

200  764 

85861 

118  153 

1915 

650919 

41320 

31253 

272  042 

106  388 

238  503 

1916 

582  305 

38383 

62944 

521  136 

232  858 

226866 

In  Argentinien  hat  die  Regierung  das  Ausfuhrverbot  für  Ge- 
treide erneuert;  es  scheint  demnach,  daß  die  Regierung  auch  die  kleinen 
Mengen,  die  sie  zur  Ausfuhr  zugelassen  hatte,  wieder  zurückgezogen  hat. 

Auf  den  deutschen  Getreidemärkten  haben  die  warmen  Gewitter- 
regen sehr  befriedigt,  da  ebenso  wie  schon  während  der  letzten  Woche  die 
Niederschläge  in  anderen  Gegenden  Deutschlands  den  Rückstand  im  Wachs- 
tum  gegenüber   normalen   Jahren  wesentlich   verringert   haben. 

Außerdem  liegen  über  die  verschiedenen  ausländischen  Erzeugungs- 
gebiete noch  folgende  Mitteilungen  vor,  die  dem  deutschen  Landwirtschafts- 
rate zugegangen  sind: 

In  Ungarn  bereitet  die  Regierung  u.  a.  einen  Gesetzentwurf  vor,  der 
sich  auf  die  Schaffung  von  Bauernstellen  durch  Erleichterung  des 
Erwerbs  von  Grundbesitz  für  die  breiten  Volksschichten  bezieht. 

Die  Gewerkschaftsorganisationen  der  Weber  in  der  Baumwollindustrie 
von  Lancashire  mit  etwa  200000  Arbeitskräften  verlangen  eine  Lohn- 
erhöhung von  20  V.  H.  angesichts  der  steigenden  Kosten  für  den  Lebens- 
unterhalt. Dabei  haben  sie  schon  eine  solche  von  je  5  v.  H.  Anfang  1916  und 
Anfang  1917  erhalten.  Während  der  letzten  Monate  sei  aber  die  Lage  der 
Arbeitgeber  schlechter  geworden,  und  die  Aussichten  seien  weniger  befriedigend 
als  je  seit  Kriegsausbruch. 

Lloyd  George  teilte  in  seiner  Rede  am  27.  April  in  der  Londoner Guild- 
hall  mit,  daß  in  Irland  angeordnet  sei,  daß  die  Landwirte  mindestens  10  Proz. 
mehr  Land  bebauen  müßten,  und  daß  sie  es  getan  hätten.  Es  seien 
weiter  in  3  bis  4  Monaten  1  Mill.  Acres  neues  Ackerland  zur  Bestellung 
gebracht,  was  2  Mill.  t  Nahrungsmittel  mehr  bedeute.  Nach  den  Plänen 
der  Regierung  werden  3  Mill.  Acres  mehr  bebaut  sein.  Die  Einfuhr  von 
Holz  und  Erz  müsse  ganz  eingestellt  werden,  um  an  Schiffsraum   zu  sparen. 

Im  englischen  Oberhaus  bezeichnete  der  Minister  für  Nahrungs- 
mittelkontrolle, Lord  Devonport,  als  Sicherheitshöchstmaß  des  Brot  Ver- 
brauchs eine  Wochenration  von  4  Pfund  (1815  g)  und  teilte  gleichzeitig  mit, 
daß  die  Zuckerration  von  ^4  Pfund  auf  V2  Pfund  (225  g)  für  die  Woche 
herabgesetzt   werden   müsse. 

Im  englischen  Unterhaus  führte  am  25.  April  in  der  zweiten  Lesung 
über  das  Kornanpflanzungsgesetz  der  Präsident  des  Ackerbauamtes, 
Prothero,  aus,  daß  die  Nation  frei  von  dem  Alpdrücken  der  Tauchbootgefahr 
sei,  wenn  der  Gesetzesvorlage  entsprechend  die  Anbaufläche  des  vereinigten 
Königreichs  um  8  Mill.  Acres  erhöht  und  dadurch  von  19  auf  27  Mill. 
gebracht  würde.  In  der  Debatte  führte  der  frühere  Handelsminister  Runciman 
aus,  daß  die  Vorlage  Englands  Lage  während  des  Krieges  keineswegs  zu  bessern 
vermöge. 

In  England  hat  nach  einer  amtlichen  Mitteilung  der  durchschnittliche 
wöchentliche  Brotverbrauch  6  Pfund  (2720  g)  statt  der  von  Lord 
Devonport   als   Sicherheitshöchstmaß  bezeichneten  4  Pfund   (1815  g)   betragen. 

In  England  sind  nicht  nur  alle  rohen  Merinowollen,  sondern  auch 
die  daraus  gefertigten  Kammzüge  und  die  Merino-Kämmlinge  mit  Beschlag 
belegt  und  von  den  Militärbehörden  requiriert  worden.  Es  sollen  mindestens 
11/2  Mill.  Ballen  aus  Melburne  weniger  in  England  eingetroffen  sein,  als  man 
erwartet  hatte. 

Nach  Aussagen  englischer  Kriegsgefangener,  die  am  15.  April  einge- 
bracht würden,  wird  seit  etwa  2  Monaten  die  Kation  der  Soldaten  in  den 


—    311     — 

Camps  verkürzt.  So  ist  die  Brotration  von  12  auf  9  Unzen  (255  g)  und 
die  Fieischration  von  12  auf   6  Unzen  (170  g)  herabgesetzt  worden. 

Kapitän  Bathurst  teilte  im  englischen  Unterhause  mit,  daß  die  Re- 
gierung Beschlüsse  über  die  Rationierung  gefaßt  habe.  Danach 
sollen  sofort  Schritte  getan  werden,  um  die  Rationierung  örtlich  zu  regeln. 
Die  Regelung  soll  eine  gerechte  Verteilung  in  allen  Bezirken  sichern.  Die 
Einführung  eines  brotlosen  Tages  erklärte  Bathurst  für  unzweckmäßig.  Auch 
der  fleischlose  Tag  habe  sich  nicht  bewährt,  da  er  zu  gesteigertem  Brot- 
verbrauch geführt  habe. 

In  England  sind  vom  1.  Mai  ab  die  Prämien  für  Schiffsver- 
sicherungen um   100  Proz.  erhöht  worden. 

Der  Londoner  Korrespondent  des  „Corriere  della  Sera"  drahtet,  daß  Eng- 
land in  sechs  Wochen  Brotkarten  einzuführen  beabsichtige.  „Daily  MaU" 
erfährt  Ende  April,  daß  demnächst  die  Brotrationen  für  die  Armee  verkürzt 
werden. 

Dem  die  Volksernährung  leitenden  Minister  Lord  Devonport  stehen  als 
Gehilfinnen  zwei  Frauen  zur  Seite,  die  vorerst  in  London  Volksküchen 
eröffnen  werden,  in  denen  Hunderttausende  ihre  Mahlzeiten  abholen  können. 
Auch  wandernde  Küchen  sollen  eingerichtet  werden.  Daß  der  für  die  Land- 
wirtschaft verantwortliche  Minister  Prothero  —  ein  früherer  Landagent  des 
Herzogs  von  Bedford  —  zum  Ersatz  für  die  unter  die  Fahne  einberufenen 
Bauern  und  Bauernsöhne  Frauen  für  den  Ackerbau  anwirbt,  ist  ebenfalls 
ein  Zeichen  dafür,  daß  auf  allen  Gebieten  des  Erwerbslebens^  sogar  als 
Schornsteinfeger,   das   weibliche   Geschlecht   eingestellt   wird. 

Da  der  gegenwärtige  Umfang  der  Haferfütterung  für  Renn- 
pferde in  England  das  Ausgehen  der  Hafervorräte  vor  der  Herbsternte 
befürchten  lasse,  empfiehlt  der  Generaldirektor  für  eine  sparsame  Nahrungs- 
mittelwirtschaft Jones  in  einer  Zuschrift  der  „Times",  die  Haferfütterung  auf 
die  besten  Zuchtpferde  und  für  die  zu  den  fünf  klassischen  Newmarket- 
R^nnen  angemeldeten  Tiere  zu  beschränken,  dadurch  würde  die  Zahl  der  gegen- 
wärtig trainierten  Rennpferde  von  viertausend  auf  einhundert  herabgedrückt 
werden.     Die  Pferderennen  sind  verboten. 

Der  französische  Saatenstand  war  am  1.  April  1917  gegen- 
über demjenigen  des  Vorjahres  bedeutend  weniger  zufriedenstellend.  Nur  in 
drei  Departements  gegenüber  33  des  Vorjahres  sind  die  Aussichten  gut,  in 
vier  sind  sie  ganz  schlecht,  in  allen  übrigen  ziemlich  gut.  Ungenügende  Bearbei- 
tung des  Bodens  und  der  Mangel  an  Dungmitteln,  sowie  Ueberfluß  an  Regen 
haben  auf  den  Saatenstand  sehr  ungünstig  gewirkt,  was  "Winterkorn  sowohl, 
als    auch   Mengkorn,    Roggen,    Weizen,    Hafer    und    Futtermittel    betrifft. 

In  Frankreich  erklärte  der  Landwirtschaftsminister  Violette,  daß  nur 
der  für  die  Landesversorgung  notwend^e  Teil  beschlagnahmt  werde, 
die  überschüssigen  Bestände  jedoch  für  den  Handel  freibleiben  sollten.  An 
seinem  Plane  für  die  nächste  Ernte  werde  der  freie  Getreidehandel  unter  ge- 
wissen Bedingungen  teilnehmen  dürfen.  Die  Bedingungen  bezweckten,  der 
Regierung  darüber  Aufschluß  zu  geben,  in  welchem  Maße  in  den  einzelnen 
Provinzen    die    Getreidevorräte    zunehmen    oder    abnehmen. 

In  Frankreich  hat  der  Ministerrat  den  von  dem  Verpflegungsminister 
Violette  vorgeschlagenen  Maßnahmen,  die  den  Mühlenbetrieb  und  die  Getreide- 
versorgung sicherstellen  sollen,  seine  Zustimmung  erteilt.  Die  Zucker- 
bäckereien werden  endgültig  geschlossen  werden,  wahrscheinlich  vom  10.  Mai 
ab.    Das  Getreide  soll  bis  zu  85  Proz.  ausgemahlen  werden. 

In  Italien  ordnet  ein  Regierungserlaß  die  allgemeine  pflichtmäßige 
Bestandsaufnahme   aller   Getreide-,   Mais-    und   Mehlvorräte   an. 

In  Schweden  hat  die  Regierung  eine  Vorlage  zur  Einführung  der 
Zivil dienstpflicht  für  alle  männlichen  und  weiblichen  Staatsbürger  zwi- 
schen 15  und  60  Jahren  eingebracht,  die  durch  Erlaß  der  Regierung  einberufen 
werden  können.  Die  Dienstpflicht  umfaßt  im  Prinzip  das  ganze  Wirtschafts- 
leben; sie  soll  aber  vorläufig  nur  zur  Beseitigung  des  Holzmangels  in  Anwen- 
dung gebracht  werden. 

Die  kanadische  Regierung  hat  Weizen,  Weizenmehl  und  Grieß- 
mehl  auf   die   Freiliste   gesetzt.     Hierdurch   wird   auf   Grund   der   Gegen- 


—     312     — 

seitigkeitsbestimmungen  der  amerikanischen  Zolltarife  der  amerikanische  Markt 
für  kanadisches  Getreide  eröffnet.  Die  Maßnahme  ist  hervorgerufen  durch  den 
Mangel  an  Tonnage  und  durch  die  Beschränkung  der  englischen  Einfuhr  für 
Mahlzwecke.  Der  aufgehobene  Ausfuhrzoll  beträgt  70  Cts.  pro  Bushel  Weizen, 
45  as.  für  ein  Faß  Mehl. 

In  Argentinien  hat  die  Regierung  beschlossen,  denjenigen  argentinischen 
Schiffen,  welche  ausländischen  Reedern  gehören,  das  Befahren  der  Kriegszone 
zu  verbieten.  Ferner  wird  versichert,  die  deutsche  Regierung  zeige  Geneigtheit, 
den  Forderungen  der  argentinischen  Republik  Genugtuung  zu  geben.  Es  heißt, 
die  Regierung  werde  die  Ausfuhr  von  50000  t  Getreide  nach  Spanien  und 
von  8000  t  nach  Paraguay  bewilligen. 

In  Argentinien  hat  der  Ackerbauminister  bekanntgegeben,  daß  er  die 
Ausfuhr  von  35000  tMehl  und  15000  tKorn  nach  Spanien  gestatten  werde. 
Die  Regierung  werde  gleichfalls  die  Mehlausfuhr  nach  Brasilien  gestatten,  unter 
der  Bedingung,  daß  Brasilien  den  Differenzzolltarif  aufhebe,  durch  den  die 
nordamerikanische  Einfuhr  begünstigt  würde. 

Schweden  hat  mit  England  ein  Abkommen  getroffen,  nach  welchem 
die  Möglichkeit  geschaffen  ist,  die  schwedischen,  in  ausländischen  Häfen 
befindlichen  Getreideladungen  nach  Schweden  einzuführen.  Danach  würde 
unter  der  Voraussetzung  der  Dauer  des  jetzt  angeordneten  Verteilungssyst^ns 
das  Bedürfnis  des  Landes  an  Brotgetreide  bis  zur  nächsten  Ernte  völlig  ge^ 
sichert  werden,  und  zwar  auch,  wenn  die  Ernte,  wie  zurzeit  zu  befürchten 
ist,  sich  verspäten  würde. 

Die  Farmer  von  Manitoba  in  Canada  haben  über  1  Mill.  $  ausgegeben, 
um  über  400000  Busheis  an  Saatgetreide  zu  beschaffen.  Die  Anbau- 
fläche wird  in  diesem  Jahre  größer  sein  als  im  Vorjahre.  Für  Manitoba- 
weizen  zur  Saat  herrscht  Nachfrage  aus  Frankreich. 

Nach  den  Angaben  des  argentinischen  Ackerbau- Departements  wird 
die  Maisernte  bedeutend  unter  einer  mittelmäßigen  liegen.  Nach  amtlicher 
Schätzung  beträgt  die  mit  Mais  angepflanzte  gesamte  Bodenfläche  3  629  570  ha; 
wie  bereits  mitgeteilt,  ist  indes  mehr  als  ein  Drittel  davon,  nämlich  1328100  ha, 
als  verloren  zu  betrachten.  Es  kommen  somit  für  die  Ernte  nur  2  301470  ha 
in  Betracht.  In  Jahren  mit  regelmäßigem  Ertrag  stellte  sich  dieser  auf  1500 
bis  2000  kg  Mais  vom  Hektar,  während  in  diesem  Jahr  nur  einige  bevorzugte 
Gegenden  ähnliche  Erträge  zeitigen  werden.  Die  amtlichen  Schätzungen  der 
Hektarerträge  lauten :  für  Buenos  Aires  600  kg,  Santa  Fe  500  kg,  Cordoba 
500  kg,  Entro  Rios  800  kg  und  für  die  anderen  Gegenden  1500  kg.  Auf 
dieser  Grundlage  wird  das  Ergebnis,  wie  folgt,  berechnet :  Buenos  Aires 
Ö63  000  t,  Santa  Fe  277  500  t,  C!ordoba  175000  t,  Entre  Rios  24000  t,  andere 
Gebiete  382  500  t,  zusammen  1522000  t.  Diese  Gesamternte  ist  kleiner  als  die 
früherer  Jahre,  mit  Ausnahme  von  1910/11,  in  welchem  Jahre  sie  nur 
703000  t  betrug.  Der  inländische  Verbrauch  von  Mais  wird  durchschnittlich 
jährlich  auf  1680700  t  geschätzt,  so  daß  auf  der  Grundlage  der  obigen  Er- 
tragsschätzung die  Ernte  zur  Deckung  nicht  genügen  würde,  auf  keinen 
Fall  aber  einen  Ausfuhrüberschuß  lassen  wird.  Von  der  letzten  Ernte  ist 
allerdings  noch  eine  Restmenge  vorhanden,  welche  je  nach  Ausfall  der  neuen 
Ernte  für  die  Ausfuhr  in  Betracht  kommen  könnte. 

„Popolo  d'  Italia"  beklagt  sich  darüber,  daß  in  keinem  Mailänder  Geschäft 
mehr  100  g  Zucker  aufzutreiben  seien,  und  fragt,  wohin  der  italienische 
Zucker  geraten  sei,  und  wann  wieder  Reis  zum  Verkauf  gelangen  werde, 
der  ebenfalls  nicht  zu  kaufen  sei. 

Für  die  Provinz  Mailand  ist  Ende  April  der  Höchstpreis  für 
Milch  auf  35  Lire  für  den  Hektoliter  im  Verkauf  an  die  Händler  und  50  Lire 
im  Kleinverkauf  festgesetzt. 

Die  Zentrale  des  Lebensmittelausschusses  in  Petersburg  teilte  der  Be- 
völkerung mit,  daß  die  Getreidezufuhr  nur  langsam  vor  sich  gehe.  Man 
sei  daher  gezwungen,  die  Brotration  auf  ^/^  Pfund  herabzusetzen.  Der  Ausschuß 
forderte  auf,  diese  unumgängliche  Maßnahme  ruhig  aufzunehmen  und  mit 
Brot  möglichst  zu  sparen. 


—    313    — 

In  Frankreich  ist  nach  einem  amtlichen  Bericht  die  Anzahl  der 
Rinder  auf  12  341950  Stück  gegenüber  12  520106  am  1.  Juü  1916  und 
12  723  946  am  1.  Juü  1915,  die  Zahl  der  Schafe  von  12261000  am  1.  Juü 
1915  auf  10845  280,  die  Zahl  der  Schweine  von  4909  886  auf  4361900  ge- 
faUen.  Die  Pariser  Blätter  betonen,  diese  Statistik  führe  die  Berechtigung  der 
von  der   Regierung  ergriffenen   einschränkenden  Maßnahmen   klar  vor   Augen. 

Der  Pariser  „Temps"  teilte  am  7.  Mai  mit,  daß  infolge  des  schlechten 
Wetters  der  letzten  zwei  Monate  und  des  plötzüchen  Witterungsumschwunges 
die  Aussichten  Frankreichs  für  Wintergetreide  sehr  wenig  zu- 
friedensteUend  und  bezügüch  der  Frühjahrsaussaat  die  Aussichten  nur  in  den 
nordöstüchen  und  östlichen  Departements  günstig,  im  übrigen  Frankreich 
mittelmäßig  seien. 

In  Frankreich  regelt  ein  Dekret  vom  5.  Mai  die  Herstellung 
und  den  Verbrauch  von  Mehl  in  folgender  Weise:  Vom  10.  Mai  ab 
ist  den  MüUern  untersagt :  1.  die  HersteUung  von  Weizenmehl  unter  85  Proz., 
2.  der  Verkauf  von  anderen  Arten  von  Mehl,  Kleie  und  solchen  Abfällen,  die 
sich  bei  der  Gretreidereinigung  ergeben,  3.  die  Lieferung  von  Mehl  außer  an 
Bäcker,  an  Bauern,  die  ihr  eigenes  Gretreide  vermählen  lassen,  sowie  an  Teig- 
warenfabrikanten unter  den  vom  Ministerium  festzusetzenden  Bedingungen. 
Grieß  darf  künftig  nur  aus  Hartweizen  hergesteUt  werden.  Mischungen  von 
Oelarten  und  Surrogaten,  wie  sie  nach  Artikel  14  des  Dekrets  vom  8.  April 
1917  zulässig  sind,  sollen  ausschüeßüch  mit  solchem  Weizenmehl  vorge- 
nommen werden,  das  künftighin  für  den  Bedarf  der  Zwiebackfabriken  vorge- 
sehen ist,  die  nur  im  Dienst  der  Armee  und  Marine,  sowie  der  öffentüchen  Für- 
sorge arbeiten  werden.  Zum  Verkauf  von  Mehl  in  Mengen  von  über  125  g  sind 
allein  die  Bäcker  berechtigt.  Der  Preis  für  Kleie  oeträgt,  ab  Mühle  ge- 
retjhnet,  24  frcs.  per  Ztr.  Die  Kuchenbäckereien  und  Biskuitfabriken  sind 
vom  10.  Mai  ah  geschlossen. 

Pariser  Blätter  verurteilen  nach  dem  „Bund"  fortgesetzt  die  Höchst- 
preise. „Als  der  Minister  Herriot  den  Preis  der  Butter  mit  6  frcs.  für  das 
Kilo  angesetzt  hatte,  gingen  die  Eingänge  an  Butter  in  den  Pariser  Hauen 
von  40000  kg  auf  etwa  5000  kg  zurück.  Herriot  üeß  in  den  Produktions- 
zentren requirieren.  Das  ging  so  lange,  bis  die  Vorräte  erschöpft  waren.  Auf 
d.en  Märkten,  wo  die  poüzeiüche  Aufsicht  scharf  war,  war  kaimi  Butter  zu 
finden,  und  die  vorhandenen  kleinen  Mengen  waren  von  sehr  geringer  Qualität. 
Das  Pubükum  war  höchst  unzufrieden.  Es  erklärte,  lieber  viel  bezahlen  zu 
woUen,  als  keine  Butter  zu  haben.  So  ist  es  gekommen,  daß  der  neue  Er- 
nährungsminister Violette  den  Butterhöchstpreis  auf  den  1.  Mai  wieder  auf- 
gehoben hat,  und  heute  gilt  das  Küo  Butter  10  frcs.  Der  Höchstpreis  auf 
Käse  ist  nicht  aufgehoben,  um  die  zurückgegangene  Butterproduktion  zu 
ermutigen.  In  ähnücher  Weise  wie  bei  der  Butter  hat  die  Taxation  bei  den 
Kartoffeln   Fiasko   gemacht." 

„Seit  dem  25.  April  ist  es  in  ganz  Frankreich  verboten,  in  Wirt- 
schaften, Kosthäusern  usw.  an  Wochentagen  abends  Fleisch  zu  geben. 
üeberaU  müssen  die  Fleisch-  und  Wurstwarenhandlungen  von  nachmittags  1  Uhr 
an  geschlossen  sein.  Mit  diesen  Einschränkungen  soU  ein  Problem  gelöst 
werden,  das  Herriot  mit  seinen  Zweiplatten-Mahlzeiten  nicht  lösen  konnte. 
Es  handelt  sich  darum,  monatÜch  30000  Häupter  Schlachtvieh  zu  sparen. 
Geüngt  dies  mit  den  fleischlosen  Abenden  nicht,  so  wird  Minister  Violette 
wahrscheinüch  die  Fleischkarte  einführen  lassen." 

Der  „Matin"  sagt,  daß  man  schon  aus  den  ersten  Resultaten  der  Bestands- 
aufnahme der  Getreidevorräte  schÜeßen  könne,  daß  die  Lage  nicht 
gut  sei.  Man  sehe,  so  sagt  das  Pariser  Blatt,  zwischen  dem  Augenblick  der 
Erschöpfung  der  eigenen  Vorräte  und  dem  der  Ankunft  der  ersten  Getreidetrans- 
porte eine  kurze  Periode  vor,  in  der  Frankreich  kein  Brot  hätte,  wenn  nicht 
die  kompetenten  Behörden  Ankäufe  im  Auslande  gemacht  hätten,  die  größer 
seien  als  die  Bedürfnisse.  Es  sind  also  für  dieses  Jahr  noch  Stocks  vorhanden  — 
das  nächste  Jahr  wird  die  Lage  bedeutend  schÜmmer  sein,  ob  der  Krieg  an- 
dauert oder  nicht  — ,  aber  aus  den  Regierungsmaßnahmen  geht  hervor,  daß 
die  Vorräte    sehr    gestreckt    werden    müssen,    wenn    es    langen    soll.     Vor    der 


—    314    — 

Bestandesaufnahme  des  Getreides  hatte  der  Minister  Violette  sich  mit  dem 
Gedanken  getragen,  die  Fabrikation  der  Biskuits  zu  reglementieren.  Jetzt  heißt 
es,  alles  Mehl  der  Biskuitfabriken  werde  beschlagnahmt,  mit  Ausnahme  der 
Mengen,  die  für  die  Bereitung  der  Armeebiskuits  notwendig  sind.  Für  die 
Zivilbevölkerung  wird  es  also  bald  keine  Biskuits  mehr  geben.  Die  Sache 
ist  so  schlimm  nicht;  die  Zeiten  sind  so,  daß  man  zufrieden  sein  kann,  wenn 
man  Brot  hat.  Seit  dem  1.  Mai  ist  der  neue  Brotpreis  in  Kraft  getreten. 
Man  bezahlt  jetzt  95  Centimes  für  das  Zivilbrot.  Außerdem  werden  5  Proz. 
vom  Gewicht  zugunsten  des  Bäckers  abgezogen,  da  nur  mindestens  12  Stunden 
altes  Brot  verkauft  werden  darf  und  die  Bäcker  den  Gewichtsverlust  nicht 
tragen  wollen. 

Auf  der  Jahresversammlung  der  General  Steam  Navigation  Company  er- 
klärte Richard  White,  daß  der  Schaden,  der  der  Weltschiffahrt  von  den  Deut- 
schen zugefügt  sei,  sich  bereits  auf  die  riesige,  fast  unglaubliche  Summe  von 
12  Milliarden  belaufe. 

Bathurst  teilte  im  englischen  Unterhause  mit,  daß  die  Stärke- 
fabrikation aus  Getreide  ;3Lur  noch  mit  besonderer  Bewilligung  gestattet 
sein  werde. 

Die  „Dai  ly  Mail"  schreibt  unter  dem  27.  April :  „Wenn  der  gegenwärtige 
üeberverbrauch  und  die  Verschwendung  anhalten,  sind  wir  in  weniger  als 
drei   Monaten   mit   den   notwendigsten   Lebensmitteln   zu   Ende." 

Eine  V^  Meile  lange  Kartoffelpolonaise  fand  in  Kingston  statt. 
wo  14000  Pfd.  Kartoffeln  in  Einzelmen^en  von  6  Pfd.  zu  10  d  (=  ISi/g  Pf. 
für  das  deutsche  Pfund)  angeboten  wurden.  Von  5000  erschienenen  Personen 
erhielten   1000  nichts. 

In  dem  Saatenstandsbericht  des  englischen  Ackerbauministeriums 
vom  1.  April  ist  die  mit  Weizen  besäte  Anbaufläche  im  Vergleich  zum 
Vorjahre  um  ungefähr  8  Proz.  niedriger  geschätzt. 

Die  für  landwirtschaftliche  Arbeiten  beurlaubten  englischen 
Soldaten  sind  am  1.  Mai  auf  telegraphische  Order  vom  General  Haig 
zurückberufen  worden. 

Der  Lebensmittelkontrolleur  Lord  Devonport  teilte  am  8.  Mai  im  eng- 
lischen Oberhause  mit,  daß  die  Regierung  es  nicht  für  notwendig  halte,  das 
Brotkartensystem  einzuführen. 

Die  englische  Regierung  hat .  die  gesamten  Gersten  Vorräte,  die 
sich  im  Besitze  der  Brauereien  befanden,   beschlagnahmt. 

Nach  den  „Daily  News  and  Leader"  vom  28.  April  bezahlen  die  Wohl- 
habenden in  England  „Saat"-Kartof f ein  mit  3  d  für  das  Pfund  (=28  Pf. 
für  das  deutsche  Pfund). 

Im  Kongreß  der  Vereinigten  Staaten  hat  die  Regierung  einen 
Gesetzantrag  einbringen  lassen,  durch  den  sie  ermächtigt  werden  soll : 
1.  Höchst-  und  Mindestpreise  für  Nahrungsmittel,  Kleidungsstücke, 
Petroleum,  Benzin  und  alle  für  das  tägliche  Leben  notwendigen  Artikel 
festzusetzen;  2.  alle  Fabriken,  Werkstätten  und  Bergwerke  zu  übernehmen; 
3.  Personen,  welche  für  das  tägliche  Leben  notwendige  Waren  und  Lebens- 
mittel zurückbehalten,  diese  Artikel  gegen  entsprechende  Entschädigung  ab- 
zunehmen; 4.  den  Handelsverkehr  so  zu  regeln,  daß  die  Spekulation  unmöglich 
wird;  5.  die  Eisenbahnen  zu  zwingen,  den  Verkehr  entsprechend  dem  Böiarf 
der  Landesverteidigung  zu  regeln;  6.  den  Getreideverbrauch  in  Likör-  und 
Spirituosenfabriken  einzuschränken;  7.  dem  Ackerbauminister  soll  das  Recht 
zustehen,  den  Verkehr,  die  Aufspeicherung,  die  Verteilung  und  die  Ausfuhr 
aller  Lebensmittel  zu  kontrollieren. 

Der   Premierminister   von   Neuseeland    teilte    mit,    daß    augenblicklich 

2  MiU.  Hammel  sich  in  neuseeländischen  Gefrierräumen  befänden,  daß 
aber  keine  Schiffe  zur  Verschiffung  erhältlich  seien.  Die  Zahl  der  gefrorenen 
Hammel,    die    nicht    verschifft    werden    konnten,    würde    bis    Ende    Mai    auf 

3  500000  steigen. 

Vom  17.  Mai  an  liefert  das  schweizerische  Oberkriegskommissariat 
Hafer,  Gerste  und  Mischfutter,  bestehend  aus  Hafer,  Mais  und  Gerste, 
in  ganzen  Wagenladungen,  zu   52  fres.   die  100   kg   (42  M.)   oder  brutto  für 


—    315    — 

netto  (Sack  für  Ware),  franko  Station  des  Käufers.  Diese  Waren  dürfen  nur 
als  Nahrungs-  und  Futtermittel  verwendet  werden.  Kauf,  Verkauf  und  Ver- 
wendung zu  anderen  Zwecken,  z.  B.  zur  Herstellung  ?on  Genußmitteln 
(Bier,  Malzkaffee  usw.),  zur  Stärke-  und  Hefefabrikation  und  zu  anderen 
industriellen  und  gewerblichen  Zwecken  und  Erzeugnissen,  ist  ohne  besondere 
Bewilligung  des  Oberkriegskommissariates  verboten.  Der  Weiterverkauf  in 
ganzen  Wagenladungen  ist  verboten.  Die  Höchstpreise  sind  in  der  Verfügung 
des  Militärdepartements  angegeben. 

Nach  einer  Mitteilung  der  Preisberichtssteile  des  schweizerischen 
Bauernverbandes  hatte  die  Futternot  im  Monat  April  einen  Produktionsrück- 
schlag zur  Folge,  wie  sie  einen  solchen  seit  Bestehen  ihrer  Erhebungen  noch 
nie  erlebte.  Nach  dem  vorläufigen  Ergebnis  der  Produktionsstatistik  waren  im 
Mittel  von  461  Gesellschaften  die  Milchlieferungen  um  37  Proz.  kleiner  als  im 
gleichen  Zeitraum  des  Vorjahres.  Verglichen  mit  den  Einlieferungen  vor  ^em 
Kriege,  beträgt  (4.  April  1914)  der  Produktionsrückgang  48,7  Proz.  Die  in 
Konsumentenkreisen  herrschende  Auffassung,  daß  infolge  des  höheren  Preises 
auf  Anfang  Mai  die  Milchknappheit  behoben  wurde,  ist  nicht  zutreffend.  Die 
Zunahme  der  Milchproduktion  seit  1.  Mai  ist  zur  Hauptsache  auf  die  seit- 
herige günstige  Witterung  zurückzuführen. 

Das  schweizerische  Militärdepartement  hat  die  am  6.  Oktober  1916 
für  Getreidestroh,  Strohhäcksel  und  Eiedstreue  festgesetzten  Höchst- 
preise am  24.  Mai  bis  auf  weiteres,  wie  folgt,  erhöht:  a)  Getreidestroh 
(Hafer,  Gerste,  Korn,  Weizen,  Roggen) :  9,50  frcs.  (=  7,70  M.)  in  Wellen, 
Garben  oder  beim  Maschinendrusch  hergestellten  Ballen  ab  Stock,   11  frcs.  in 

fjpreßten,  mit  Draht  gebundenen  Ballen  ab  Stock;  b)  Riedstreue  in  vergorenem 
ustande :  7,50  frcs.  offen  ab  Stock  oder  Triste,  9  frcs.  in  Ballen  gepreßt, 
ab  Stock;  für  un vergorene  Riedstreue  reduzieren  sich  die  obengenannten 
Höchstpreise  um  20  Proz.;  c)  Strohhäcksel:  13  frcs.  in  gepreßten  Ballen 
oder  in  Säcken,  verladen  auf  der  Abgangsstation  oder  ab  Schneiderei.  Die 
obigen  Preise  gelten  nur  für  Waren  der  Ernte  1916.  Die  Höchstpreise  für 
Stroh  der  Ernte  1917  werden  später  festgesetzt.  Diese  Verfügung  tritt  sofort 
in  Kraft.  Zuwiderhandlungen  gegen  dieselbe  werden  mit  Buße  bis  auf 
10000  frcs.  oder  mit  Gefängnis  auf  drei  Monate  bestraft. 

In  der  Schweiz  teilt  die  Landwirtschaftsdirektion  des  Kantons  Bern 
mit:  Die  Viehzüchter  werden  dringend  ersucht,  bei  der  Aufzucht  des 
Jungviehs,  besonders  der  Stierkälber,  nicht  mehr  Milch  zu  verabreichen, 
als  diese  für  eine  normale  Entwicklung  unbedingt  nötig  haben.  Als  Höchst- 
quant um  der  täglichen  Vollmilchgabe  sollten  für  Kuhkälber  5  bis 
6  Ltr.,  für  Stierkälber  7 — 8  Ltr.  nicht  überschritten  werden.  Das  Verabreichen 
von  Vollmilch  ist  zulässig  bis  zu  einem  Höchstalter  von  5  Monaten  bei  Kuh- 
kälbern und  6 — 7  Monaten  bei  Stierkälbem.  Wo  einwandfreie  Magermilch 
gewonnen  wird,  sollte  dieselbe  an  Stelle  der  Vollmilch  den  Elälbern  im  Alter 
von  6  und  mehr  Wochen  gereicht  werden.  In  einem  an  die  Kantonsregieningen 
gerichteten  Kreis- Schreiben  des  schweizerischen  Volks  wir  tschaftsdepartements 
wird  darauf  hingewiesen,  daß  an  den  interkantonalen  Zuchtstiermärkten  zu 
üppig  gefütterte  Stierkälber  und  Jungstiere  bei  der  Prämiierung  zurückgesetzt 
oder  ganz  ausgeschlossen  werden.  Die  Landwirtschaftsdirektion  wird  der 
Viehschaukommission  strikte  Weisung  geben,  Tiere,  denen  offensichtlich  ein 
größeres  Quantum  Milch  verabreicht  worden  ist,  als  zu  ihrer  Entwicklung 
notwendig  war,  von  der  Zuerkennung  von  Barprämien  auszuschließen. 

„Gazzetta  Ufficiale"  veröffentlicht  einen  Erlaß,  durch  den  eine  allge- 
meine Beschlagnahme  der  Buttervorräte  in  Italien  angeordnet  wird. 

Von  der  Tagung  der  lombardischen  Landwirtechaftsverbände  in  Mai- 
fand verlautet,  daß  im  Juni  nur  ein  Kilo  Reis  für  die  Person  verabreicht; 
werden  kann.  Es  bestehe  aber  die  Hoffnung,  daß  infolge  der  augenblicklich 
stattfindenden  Beschlagnahme  die  Menge  verdoppelt  werden  könne. 

In  seiner  Kammerrede  vom  29.  Mai  über  die  Preistreibereien  in 
Frankreich  teilte  Verpflegungsminister  Violette  mit,  daß  sein  Ministerium 
kürzlich  in  Marseille  Teigwaren  zu  159  frcs.  für  100  kg  gekauft  habe,  die 
später   in   Paris    zu    300    frcs.    verkauft    worden    seien;    den    Preisunterschied 


—    3i6    — 

hätten   Schieber   eingesteckt.     Die    ganze   tunesische   Oelerzeugung   werde   jetzt 
beschlagnalimt   und   an   die   französische   Industrie   verteilt  werden. 

Zur  Getreideversorgung  Frankreichs  schreibt  Bataille,  der  dies- 
jährige Ausfall  an  Brotgetreide  werde  ungefähr  41  Mill.  dz  erreichen.  Diese 
Ziffer  sei  geeignet,  die  ernsteste  Besorgnis  für  die  Lage  Frankreichs  im  Jahre 
1918/19  einzuflößen.  Hoffentlich  werde  sich  angesichts  der  drohenden  Gefahr 
in  der  Kammer  ein  Abgeordneter  finden,  der  von  der  Regierung  Aufklärung 
und  Vorsichtsmaßregeln  fordere.  Es  wäre  zu  spät,  über  die  kommende  Ernte, 
die  Frankreich  im  Jahre  1917/18  ernähren  müsse,  zu  verhandeln,  deswegen 
solle  man  um  so  mehr  rechtzeitig  an  die  Ernte  1918  denken,  die  ausreichend 
genug  sein  müsse,  um  nicht  1918/19  zum  furchtbarsten  Jahre  für  die  franzö- 
sische Bevölkerung  zu  machen,  das  in  der  Weltgeschichte  ohnegleichen  wäre. 
Das  Landwirtschaftliche  Bureau  in  Washington  veröfientlichte  am 
1.  Juni  den  ersten  diesjährigen  Monatsbericht  über  Baumwolle,  nach 
welchem  der  allgemeine  Durchschnittsstand  Ende  Mai  69,5  Proz.  betrug  gegen 
77,5  Proz.  im  Vorjahre,  80  Proz.  im  Jahre  1915,  74,1  Proz.  in  1914  und 
79,1  Proz.  in  1913.  Es  ist  also  gegen  das  Vorjahr  eine  Verschlechterung  imi 
8  Proz.  zu  verzeichnen. 

Das  amerikanische  Repräsententenhaus  hat  das  erste  Lebensmittel- 
gesetz angenommen,  das  eine  Ausgabe  von  15  Mill.  Dollar  für  eine  Bestandes- 
aufnahme der  Lebensmittel  vorsieht. 

Anscheinend  ist  ein  bedeutender  Faktor,  mit  dem  die  englische  Re- 
gierung bei  ihrer  Beschlußfassung  zu  rechnen  hat,  der  über  eine  Million 
Mitglieder  zählende  Bergmanns  verband.  Die  Vertreter  Versammlung  des- 
selben nahm  am  15.  Mai  eine  Entschließung  an,  daß,  bevor  sie  grundsätzlich 
der  Zwangszuteilung  zustimme,  ein  Ausschuß  aus  ihrer  Mitte  bei  der  Re- 
gierung den  Nachweis  der  Notwendigkeit  des  Schrittes  verlangen  müsse, 
und  daß  der  Ausschuß  dem  Premierminister  klarmachen  solle,  die  Regierung 
müsse  die  gesamte  Lebensmittelverteilung  übernehmen,  die  Preise  in  einer 
Höhe  ansetzen,  die  dem  kleinen  Manne  den  Kauf  gestatteten  und  den  be- 
stehenden  schamlosen   Nahrungsmittelwucher    unterdrücken. 

Hinsichtlich  der  Lage  der  Lebensmittel  sagte  Bathurst  am  25. 
Mai  in  Hampstead:  „Die  Weizenvorräte  sind  beinahe  gefährlich  knapp 
gewesen,  aber  die  Brauer,  die  zwei  Mill.  Quarters  ungemalzter  Gerste  lagern 
hatten,  haben  die  Lage  gerettet." 

Der  englische  Lebensmittelkontrolleur  hat  die  gesamte  Käseein- 
fuhr aus  den  Vereinigten  Staaten,  Kanada,  Australien  und  Neuseeland  in 
Beschlag  genommen. 

In  England  bestätigt  eine  amtliche  Mitteilung,  daß  der  Lebensmittel- 
kontrolleur  Lord  Devonport  aus  Gesundheitsrücksichten  seine  Entlassung  er- 
beten hat. 

In  England  schreibt  der  landwirtschaftliche  Mitarbeiter  der  „Yorkshire 
Post"  unter  dem  5.  Mai  u.  a.  folgendes :  „Es  tritt  die  Frage  auf,  wieviel 
Weizen  die  Nationen  zu  ihrer  eigenen  Erhaltung  bauen  müssen,  wenn  Brot 
nur  aus  Weizenmehl  hergestellt  wird.  Ich  nehme  dabei  an,  daß  wir  auch  nach 
dem  Kriege  nicht  mehr  zu  dem  weniger  nahrhaften  weißen  Mehl  zurückkehren 
werden,  sondern  nur  Brot  aus  voll  ausgemahlenem  Weizen  (Standardbrot) 
verwenden  werden.  Eine  Bevölkerung  von  46  Millionen  Menschen,  die  durch- 
schnittlich 6  engl.  Pfd.  (=  2722  g)  auf  den  Kopf  wöchentlich  verbraucht, 
würde  im  Jahre  wenigstens  250  IVfill.  Busheis  Weizen  benötigen.  Falls  wir 
unserer  Rechnung  das  Standardbrot  zugrunde  legen,  so  würden  4^/4  Bushd 
(=  116  kg)  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  genügen.  Dies  würde  also  eine 
entsprechend  geringere  Einfuhr  oder  weniger  bebautes  Land  bedeuten.^  Ein 
Durchschnitt  von  2  Mill.  Acres  mit  Weizen  bebauter  Fläche,  wie  wir  ihn 
in  der  Vergangenheit  ungefähr  innehielten,  würde  nur  64  Mill.  Busheis 
(=  1,742  Mill.  t)  hervorbringen.  Aber  selbst  wenn  wir  hierzu  3  Mill.  weitere 
Acres  Weizenland  tdnzurechnen  —  obgleich  es  mir  schleierhaft  ist,  wie  wir 
so  viel  Land  unter  Weizen  bekommen  sollen  —  so  werden  wir  noch  nicht 
einmal  150  Mill.  Busheis  (=  4,083  Mill  t)  erreichen,  da  mit  der  vergrößerten 


—    317    — 

Anbaufläche  der  Durchschnittsertrag  sinkt.  Als  ich  vor  einigen  Jahren  diese 
Frage  hier  beleuchtete,  war  der  Weizenertrag  in  Deutschland  18,8  Bushefe 
per  Acre,  jetzt  ist  er  über  31  Busheis.  Diese  Zahlen  sind  einfach  ^enug, 
aber  sie  zeigen  uns,  daß  trotz  einer  Hin  zunähme  von  3  Mül.  Acres  neuen 
Weizenlandes  wir  noch  um  ca.  100  Mill.  Busheis  (=  2,722  Mill.  t)  zu  kurz 
kommen." 

Die  Weizenanb  auf  lache  in  Algerien  beträgt  im  Dep.  Oron  348697 
ha  (7881  ha  weniger  als  1916),  im  Dep.  Alger  265944  ha  (70692  ha  weniger 
als  1916),  im  Dep.  Constantine  656006  ha  (24892  ha  mehr  als  1916).  Mit 
Gerste  wurden  in  Algerien  1153  689  ha  bestellt  (64109  ha  weniger  als  im 
Vorjahre). 

In  Kanada  fordert  ein  starker  Druck  der  öffentlichen  Meinung,  wie 
€in  in  den,  „Times"  vom  "7.  Mai  veröffentlichter,  drahtlicher  Eigenbericht  aus 
Toronto  meldet,  von  der  Regierung  Maßnahmen  zur  Kontrolle  der  Weizen- 
preise. In  Ottawa  ist  man  der  Ansicht,  daß  die  künstlichen  Preistreibereien 
auf  dem  Winnipeg- Weizenmarkt,  die  so  wilde  Schwankungen  der  Preise  hervor- 
rufen, unbeabsichtigterweise  durch  die  Agenten  der  britischen  Weizenkom- 
mission hervorgerufen  sind,  indem  sie  ungewöhnlich  große  Kontrakte  ab- 
geschlossen haben.  Es  ist  nicht  genug  Weizen  vorhanden,  um  diese  Kontrakte 
einzuhalten,  und  die  Verkäufer  bitten,  von  den  Kontrakten  entbunden  zu  werden, 
oder  geringere  Qualitäten  als  die  geforderten  zu  niedrigeren  Preisen  liefern  zu 
dürfen.  Andererseits  wird  in  Nachrichten  aus  dem  Westen  berichtet,  daß 
die  Preise  an  der  Kornbörse  in  Winnipeg  kein  richtiger  Maßstab  für  die  wirk- 
lichen, den  Farmern  gezahlten  Preise  sind.  Die  Behörden  glauben,  daß  es 
kein  wirksames  Mittel  zur  Preiskontrolle  gibt,  falls  man  nicht  gemeinsam 
mit  Washington  vorgeht. 

Die  Anbaufläche  für  Winterweizen  in  Kanada  wird,  wie 
,3irmingham  Daily  Post"  vom  9.  Mai  meldet,  auf  899  000  Acres  geschätzt, 
d.  i.  18  V.  H.  weniger  als  im  Vorjahre. 

Der  russische  Verpflegungsminister  ,Plechanow  hat  auf  dem  Kongreß 
der  Frontvertreter  festgestellt,  daß  ein  Getreidemonopol  bis  jetzt  nicht 
durchführbar  sei,  da  die  Organisation  sehr  verwickelt  sei  und  viel  Zeit  be- 
anspruche, besonders  in  den  Gemeinden  und  Dörfern.  Selbst  bei  Durchführung 
eines  Gctreidemonopols  würde  sich  die  Lage  nicht  bessern,  weil  die  Bauern 
dem  Papiergeld  keinen  Wert  beilegten. 

In  Rußland  berichtet  die  „Wetscherneje  Wremja"  vom  25.  Aprü: 
„Die  städtischen  Fleischabgabestellen  verteilten  ein  Wochenquantum 
von  3  Pfd.  (1200  g)  pro  Kopf.  Im  freien  Verkehr  ist  Kalb-  und  Schweine- 
fleisch angeboten.  Kalbfleisch  schwankt  zwischen  80  Kop.  und  1,20  Rbl. 
(=  2,10—3,15  M.  für  das  deutsche  Pfund,  Friedenspreis  etwa  20  Kop. 
=  0,52  M.  für  das  deutsche  Pfund.  Wild  fehlt  beinahe  ganz.  Hühner 
1,40  Rbl.  (=2,90  M.),  Truthühner  1,40  Rbl.  das  Pfund  (=3,65  M.  für 
1  deutsches  Pfund).  Bei  den  Wursthändlern  sind  große  Vorräte  von  ge- 
räucherter Wurst  zum  Preise  von  1,60  Rbl.  bis  2  Rbl.  das  Pfund  (=  4,20 
bis  5,25  M.  für  das  deutsche  Pfund)  angeboten.  Gemüse  ist  sehr  knapp.  Salat 
kostet  3  Rbl.,  Bohnen  3,20  Rbl.,  Kresse  85  Kop.  das  Pfund,  Gurken  60—70 
Kop.  das  Stück,   1  Bund  Radieschen  kostet  80—90  Kop.   (=  1,70—1,95  M.). 

Im  Nachfolgenden  seien  weiter  einige  noch  eingegangene  Saaten- 
stands- und  Ernteberichte  wiedergegeben  (nach  „Landw.  Markt- 
zeitung" Berlin  XVIII.  36  u.  ff.): 

Frankreich.  Der  französische  Saatenstand  war  am  1.  April  1917 
gegenüber  demjenigen  des  Vorjahres  bedeutend  weniger  zufriedenstellend.  Nur 
in  3  Departements  gegenüber  33  des  Vorjahres  sind  die  Aussichten  gut,  in  4 
sind  sie  ganz  schlecht,  in  allen  übrigen  ziemlich  gut.  Ungenügende  Bearbeitung 
des  Bodens  und  der  Mangel  an  Dungmitteln,  sowie  Ueberfluß  an  Regen 
haben  auf  den  Saatenstand  sehr  ungünstig  gewirkt,  was  Winterkorn  sowohl 
als  auch  Mengkorn,  Roggen,  Weizen,  Haier  und  Futtermittel  betrifft. 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volks wirtsch.  Chronik.  1917. :  XXI 


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England.  Nach  dem  Berichte  des  Landwirtschaf teministeriums  vom 
1.  April  nat  das  ungünstige  Wetter  im  März  die  Feldarbeiten  sehr  behindert; 
trotzdem  aber  konnte  das  Land  für  die  Frühjahrsbestellung  vorbereitet  werden, 
auch  einige  Sämereien  gesät  und  hier  oder  da  mit  dem  Stecken  der  Frühkar- 
toffeln begonnen  werden.  Der  früh  gesäte  Weizen  steht  befriedigend,  bei  dem 
»pät  gesäten  ist  die  Pflanze  dünn  und  kümmerlich.  Die  Weizenfläche  ist 
um  8  Proz.  kleiner  als  im  Vorjahre. 

Argentinien.  Buenos  Aires,  24.  April.  Die  argentinische  Regierung  er- 
teilte die  Erlaubnis  zur  Ausfuhr  von  100000  t  Weizen  nach  Spanien,  Brasilien, 
Paraguay  und  Norwegen.  Ferner  wurden  zum  Export  zugelassen  180000  t 
Weizen  und  20000  t  Mehl  nach  Großbritannien  und  den  anderen  Verbands- 
mächten unter  der  Bedingung,  daß  die  britische  Regierung  nötigenfalls  diese 
Quantitäten  in  der  Zeit  von  Juli  bis  September  an  Argentinien  zurückerstattet. 

Argentiniens  Maisexport.  Nach  einem  in  der  soeben  abgehaltenen  Ge- 
neralversammlung der  British  Bank  of  South  America  verlesenen  Nachricht 
aus  Buenos  Aires  schätzt  die  argentinische  Regierung  die  Höhe  der  voraus- 
sichtlichen Maisausfuhr  auf  weniger  als  1  Mill.  t.  (Da  die  diesjährige  Ernte 
nur  IV2  Mill.  t  beträgt  und  der  jährliche  Eigenverbrauch  Argentiniens  im 
Durchschnitt  etwas  über  2  Mill.  t  beträgt,  ist  eine  Ausfuhr  überhaupt  nur 
mögüch  durch  das  Vorhandensein  alter  Bestände.  Diese  aber  können  nicht 
allzu  bedeutend  sein,  weil  schon  die  vorjährige  Ernte  mit  4100000  t  einen 
kaum  mittleren  Ertrag  ergeben  hatte,  während  etwa  2^/2  Mill.  t  zur  Ausfuhr 
gelangten.     Die  letzte   gute  Ernte  wurde   1915  mit   860K)OOOO   t   eingebracht.) 

Oesterreich-Ungarn.  Den  österreichischen  Blättern  zufolge  lauten 
die  Berichte  über  den  Saatenstand,  die  aus  den  verschiedenen  Gebieten  der 
Monarchie  vorliegen,  übereinstimmend  dahin,  daß  auf  eine  rechtzeitige  und 
gute  Ernte  mit  Sicherheit  zu  rechnen  ist. 

Aus  Budapest  wird  berichtet,  daß  nach  den  aus  der  Provinz  einge- 
gangenen Berichten  der  Saatenstand  in  ganz  Ungarn  günstig  ist.  Jenseits 
der  Donau  und  im  Tiefland  hat  es  seit  längerer  Zeit  nicht  geregnet,  was  aber 
zu  ernsten  Besorgnissen  keinen  Anlaß  bietet.  Die  diesjährigen  Aussichten  gehen 
dahin,  daß  von  den  Herbstsaaten  ein  bedeutend  größerer  Ertrag  erzielt  werden 
wird  als  im  Vorjahre.  Das  diesmal  bebaute  Areal  ist  um  ein  Viertel  größer 
als  im  Vorjahre.  Besonders  günstig  entwickeln  sich  Gerste  und  Hafer, 
während  Roggen  im  Wachsen  ein  wenig  zurückgeblieben  ist. 

Oesterreich.  Nach  dem  „Neuen  Wiener  Tageblatt"  hat  die  mit  Winter- 
und  Sommerfrucht  bestellte  Fläche,  trotzdem  Arbeitskräfte  nicht  immer  reichlich 
zur  Verfügung  standen,  keine  Abnahme  erfahren.  Die  mit  Weizen  und  Korn 
im  vergangenen  Herbst  bebaute  Fläche  weist  sogar  eine  Zunahme  auf,  weU 
der  Witterungsverlauf  die  Vornahme  der  Feldarbeiten  weit  in  den  Winter  hinein 
ermöglicht  hat  und  Auswinterungen  fast  gar  nicht  vorkamen.  Dies  hatte 
das  Gute,  daß  in  der  kurzen  Spanne  Zeit,  die  für  den  Frühjahrsanbau 
zur  Verfügung  stand,  alles  verfügbare  Material  aufgearbeitet  werden  konnte.  Das 
günstige  Maiwetter  hat  dann  das  Wachstum  der  jungen  Pflanzen  sehr  gefördert. 
Die  Winterfrucht  steht  hoch  und  dicht.  Den  eigentlichen  Brotfrüchten  kommt 
das  trockene  Schönwetter  der  letzten  Wochen  sehr  zustatten.  Da  in  Jahren 
mit  wenig  Niederschlägen  während  der  Aehren-  und  Kernbildung  gewöhnlich 
auch  die  Qualitäten  besser  ausfallen,  ist  wegen  des  vergrößerten  Anbaues  — 
die  Zunahme  ist  mit  10  Proz.  zu  veranschlagen  —  auf  einen  quantitativ 
größeren  und  wegen  des  günstigen  Witterungsverlaufes  auf  einen  qualitativ 
guten  Ertrag  zu  rechnen.  Wenn  auch  jetzt  für  die  jungen  Pflanzen  in 
manchen  Gegenden  leichte  Niederschläge  gewünscht  werden,  so  ist  doch  sicher, 
daß  die  Vegetation  durch  Trockenheit  nirgends  gelitten  hat. 

Bulgarien.  Die  Witterungsverhältnisse  im  Monat  März  waren  im 
allgemeinen  für  die  Weiterentwicklung  der  Herbst-  und  Wintersaaten  sehr 
günstig.  Die  Saaten  sind  unter  der  langsam  wegschmelzenden  Schneedecke 
kräftig  hervorgekommen  und  stehen  überall  in  bester  Verfassung.  Klagen 
über  Auswinterung  sind  hur  an  einigen  ganz  vereinzelten  Stellen  des  Rust- 
schuker  und  Varnaer  Bezirks  laut  geworden.  Der  Anbau  der  Frühjahrssaaten 
Jiat    sich   im    allgemeinen    etwas    verzögert,    da    die    Felder    in    einem    großen 


-    319    - 

Teile  des  Landes,  insbesondere  in  der  Donaugegend,  fast  bis  Mitte  des  Berichts- 
monats mit  Schnee  bedeckt  waren.  Die  Weingärten  haben  überall  gut  über- 
wintert und  versprechen  reichen  Ertrag.  (Bericht  des  Kaiserlichen  Konsulats 
in  Sofia  vom  28.  April  d.  J.); 

Bulgarien.  Die  Trockenheit  in  der  ersten  Hälfte  des  April  sowie 
die  kalten  Winde  in  der  zweiten  Hälfte  haben  die  Weiterentwicklung  der 
Herbstsaaten  im  großen  und  ganzen  nicht  gestört.  Hier  und  da  sind  die 
Saaten  allerdings  in  der  Entwicklung  des  Halms  etwas  klein  geblieben,  die 
Hoffnung  auf  eine  gute  Ernte  besteht  jedoch  allgemein.  Die  Feldarbeiten  zum 
Frühjahrsanbau  konnten  erst  ziemUch  spät  begonnen  werden.  Ein  großer 
Teil  der  Maisfelder  nicht  nur  in  Nordbulgarien  und  in  der  Morawagegend, 
sondern  auch  iji  Südbulgarien,  wo  die  Aussaat  gewöhnlich  früher  erfolgt,  konnte 
erst  im  Mai  bebaut  werden.  Auch  in  Zuckerrüben  war  der  Anbau  geringer 
als  sonst.  Hafer  ist  ebenfalls  in  etwas  geringerem  Umfange  angebaut  worden. 
Dagegen  sind  fast  überall  Kartoff  ein  in  weit  größerer  Menge  als  bisher  gepflanzt 
worden.  Auch  der  Anbau  von  Baumwolle  und  Mohn  hat  in  größerem  Umfange 
als  bisher  stattgefunden.  Der  Anbau  von  Bohnen  ist  verhältnismäßig  eben- 
falls größer  als  sonst.  Die  früh  ausgesäten  Bohnen  sind  allerdings  an  vielen 
Stellen  durch  Reif  beschädigt  worden;  es  ist  aber  noch  Zeit,  um  die  Aussaat 
zu  wiederholen.  Der  gegen  Ende  des  Berichtsmonats  fast  im  ganzen  Lande 
gefallene  warme  Regen,  sowie  die  günstigen  Witterungsverhältnisse  im  Anfang 
Mai  gestatteten  die  Fortsetzung  aller  Feldarbeiten  und  insbesondere  auch 
die  Weiteraussaat  der  Frühjahrssaaten.  (Bericht  des  Kaiserlichen  Konsulats 
in  Sofia  vom   19.  Mai  d.   J.) 

Rumänien.  Dem  „Pester  Lloyd"  wird  aus  Bukarest  gemeldet :  Die 
bisher  eingelaufenen  Nachrichten  über  den  Saatenstand  im  Gebiete  der  Militär- 
verwaltung Rumänien«  lauten  sehr  befriedigend.  Die  Herbstsaat  hat  gut  über- 
wintert. Der  Frühjahrsanbau  für  alle  Fruchtgattungen,  mit  Ausnahme  für 
Mais,  ist  beendet.  Die  Aussichten  für  den  Maisanbau  sind  gut.  Dank  der 
tatkräftigen  und  umsichtigen  Arbeit  der  landwirtschaftlichen  Stellen  der  Militär- 
verwaltung kann  man  heute  mit  gutem  Grunde  hoffen,  daß  das  mit  Winter- 
und  Frühjahrssaat  bestellte  Gebiet  im  Bereiche  der  Militärverwaltung  nicht 
kleiner  sein  wird  als  in  einem   durchschnittlichen  Friedens  jähre  in  Rumänien. 

Dänemark.  Der  Kaiserhche  Generalkonsul  in  Kopenhagen  berichtet 
unter  dem  19.  Mai :  Soweit  sich  nach  den  aus  den  einzelnen  Landesteilea 
eingehenden  Berichten  erkennen  läßt,  hat  der  lange  und  kalte  Winter  un- 
günstig auf  den  Saatenstand  eingewirkt.  Roggen  und  Weizen  stehen  dünn 
und  sind  in  ihrer  Entwicklung  zurückgeblieben,  so  daß  wohl  höchstens  auf 
eine  Mittelernte  gerechnet  werden  kann.  Das  Sommergetreide,  Gerste  und 
Hafer,  ist  zwar  wegen  der  ungünstigen  Witterung  später  als  durchschnittlich 
gesät  worden,  aber  beide  Getreidearten  scheinen  sich  doch  gut  entwickelt 
zu  haben,  so  daß  man,  wenn  die  Witterung  des  Sommers  sich  günstig 
gestaltet,  eine  gute  Ernte  zu  erwarten  berechtigt  sein  dürfte. 

Rußland.  Ueber  die  Landarbeiten  in  Mittel-  und  Südrußland  bringt 
„Rußkoje  Slowo"  folgende  Uebersicht :  In  den  Gouvernements  Charkow  und 
Kursk  blieb  die  Saatfläche  außer  für  Zuckerrüben  die  gleiche  wie  im  Vor- 
jahre, in  den  Gouvernements  Kiew,  Podolien,  Wolhynien  und  Beßarabien 
zeigt  die  Saatfläche  wegen  des  Mangels  an  Arbeitskräften  einen  bedeutenden 
Rückgang.  In  der  Krim  sowie  im  Kaukasus  beträgt  die  Verminderung  stellen- 
weise 30  Proz.,  dagegen  hat  im  Don-  und  Kubangebiet  die  Saatfläche  außer 
bei  Großgrundbesitz  zugenommen. 

Der  Bericht  des  Internationalen  Landwirtschaftlichen 
Instituts  über  den  Stand  der  Getreidesaaten  lautet,   wie   folgt: 

Internationales    Landwirtschaftliches    Institut. 
Der   Stand    der    Getreidesaaten    am    1.    Mai    war    gut    in   Tunis,    mittel- 
mäßig  in    Spanien    und    Niederlande,    und    mangelhaft    in    Frankreich,    Groß- 
britannien, Italien  und  der  Schweiz : 

XXI* 


—     320     — 


Die  Anbaufläche  betrug  im  Jahre 

1917: 

Weizen 

Boggen 

ha 

in  Prozent 

ha 

in  Prozent 

1916 

vgl.m.d.Durch- 
schn.  1912-1915 

1916 

vgl.  m.  d.  Dnrdi- 
sehn.  1912-1915 

Spanien 

Schweiz 

Kanada  (Winterweizen) 

Ver.  Staaten  (Winterweizen) 

Indien 

Algier 

4  168000 

52000 

254000 

II  191  000 

13  308  000 

I  271  000 

105 
104 

67 

79 

109 

96 

106 
121 

108 
92 

747000 
30000 

100 
105 

97 
122 

Spanien 
Schweiz 

Gerste 

Hafer 

I  629  000 

93 

— 

573000 

119 

107 

Algier 

— 

— 

— 

45000 

108 

133 

I  154000 

95 

90 

212000 

98 

100 

Der    letzte    Wochenmarktbericht    des    Deutschen    Landwirt- 
schaftsrats  über  Getreidepreise  lautet  wie  folgt: 


Weltmarkt. 
Getreidepreise  in  Mark  für  1000  kg, 
für  amerikanische  Märkte  umgerechnet  nach  dem  Friedensknrse  1  $  =  4,20 
für  London  umgerechnet  nach  dem  Friedenskurse  1  £  =  20,50  M. 


M., 


Weizen:     New  York: 


Mais: 


Chicago : 
Chicago : 


Roter  Winter  Nr.  2 
Northern  I  (Duluth) 
Liefern  ngs wäre  Juli 

„  Sept. 

„  Juli 

„  Sept. 

,,  Dez. 


3. 
Cents 


206 
191 

134 

90V4 


Juni 


Baltic-Markt : 


Weizen:  London:  Hardwinter  Teilladung  schwimmend 
Kedwestem,  Teilladung  schwimmend 
Manitoba  Nr.  IV,   Teilladung  schwimm. 


Redwinter,  Teilladung  Dampfer 
Walla  Walla  Bluestem,  schwimmend 


Northern  Duluth,  schwimmend 
Hardwinter,  Teilladung 


Manitoba  Nr.  II  schwimmend 

Nr.  m 
Bedwinter,  Teilladung  schwimmend 


M. 


317,85 
294,70 
243,50 
222,55 
100, — 

31. 
sh 
80/.— 
89/.- 

25. 

sh 

75/.6 
84/.— 

24. 
sh 
80/.6 
79l-— 

22. 
80/.6 
78/.- 
75/.6 


26.  Mai 
M. 


325,55 
283,90 
242,65 
219,10 


Mai 
M. 

377,— 

372,80 

362,85 

Mai 
M. 

355.80 
380,06 

Mai 
M. 

379,85 

372,80 

Mai 
379,85 
367,60 
355,80 


321      — 


Wöchentliche  englische  „Farmers  ^/,  Deliveries". 
Durchschnittspreise  für  inländischen  Weizen. 


London,  19.  Mai  1917. 


entsprechende  Wochen  in  den  Vorjahren 

1916 
1915 
Buenos  Aires,  24.  Mai  1917. 

Diese  Woche 
Pesos 


Diese  Woche 


Vorige  Woche 


sh 

77/.II 

55/.- 

62/.— 


M. 

349,70 

246,80 
278,25 


sh 

78/.0 


M. 

350,10 


Weizen 

Mais 

Hafer 


18,00 
11,85 
IO,70 


M. 

Kriegskurs 
(2,45) 
441,00 
290,30 
262,16 


Vorige  Woche 
Pesos  M. 

Kriegskurs    Friedenskürs 


427,50 
287,85 
268,25 


310,60 
209,15 
194,90 


Friedenskurs 
(1,78) 

320,40  17,45 

210,95  11,75 

190,45  10,95 

See-Frachten. 
Buenos  Aires,  10.  Mai  1917. 

Dampferfracht  für  die  Tonne: 
sh 
Nach  St.  Vincent  140/. — 

„      direkten  Häfen  135/. — 

Vor    den    Berichten,    die    dem    Deutschen 
der  letzten  Zeit  regelmäßig  über  die  Preise  in  Rußland 
fügung  stehen,  soll  hier  der  letzte  angeführt  werden: 

Preise  in  Rußland. 
Die  letzten  von  dem  Ausführungskomitee  der  Moskauer  kommunalen  Organisation 
festgesetzten  Preise  sind : 

Pokrowik,  1./14.  April: 
Mehl  und  Getreide: 


M. 
143,50 
138,35 

Landwirtschaftsrat    in 
zur   Ver- 


Sommerroggen (trockener,  114/118  Sol.)  mit  Sack 
Hafer  (mit  Kul-Sack)  ungesiebt 
Futtergerste  (105/110  Sol.) 
Viktoria-Erbsen,  große 

„  „         mittlere 

Buchweizengrütze,  großkemige 

„  enthülste 

enthülste  Hirse,  geschrotene 

„  „       gestoßene 

Moskau,  31.  März/13.  April: 


für  1  Pud 

Ebl. 
2,12 
2,45 

2,35 


für  die  Tonne 
M. 

278,30 
=  321,60 
=  308,45 


In  Partienver- 
kauf auf  der 
Bahn 


Weizenmehl  einfacher  Mahlweise 
I.  Sorte 

n.    „ 
m.     .. 


Im  Großverkauf  (  Weizenmehl  einfacher  Mahlweise 
aus    der    Mehl-  I  I.  Sorte 

handlung    ohne  j  II.      „ 

Anlieferung      l  III.      „ 

Partienverkauf  f  Roggenmehl  einfacher  Mahlweise  28,05 

von  der  Bahn  \  „  ausgesiebt  3i;26 

Im    Großhandel  f 

aus    den   Mehl-  J  Roggenmehl  einfacher  Mahlweise  20,75 
handlungen  ohne  I  „  ausgesiebt  29,95 

Anlieferung      [ 


2,80  —  2,88  =  367,50  —  371,45 

2,80        =  367,50 

4,14      =  543,40 

3,65      =  479,10 

3,43        =  450,20 

3,53        =  463,30 

für  5  Pud  für  die  Tonne 
Rbl.  M. 

17,00  —  17,15  =  446,26  —  450,20 

25,00  —  25,60  =  656,30  —  669,40 

21,60  =  567,00 

»5,00  =  393,75 

für  9  Pud  mit  Sack 

Rbl. 
18,10 
26,66 
22,00 

5,90 


M. 

= 

263,95 

= 

388,65 

= 

320,86 

= 

231,90 

= 

409,05 

= 

455,75 

= 

302,60 

= 

436,80 

—     322     — 

Bostowa.    Donn,  12./25.  April: 

für  1  Pud  für  1  Tonne 

BbL  M. 

Höchstpreise  für  Weizen  3,04  =  399, oo 

„   Roggen  2,30  =  301,86 

„    Hafer  2,40  =  315,00 

„              „   Gerste  2,00  =  262,50 

„    Hirse  2,60  =  34i,«5 
Orenburg,  12./25.  April: 

Russischer  Weizen  2,88  =  37^,00 

Hirse  3,85  =  505,35 

Gewöhnlicher  Hafer  3,60—4,25  =472,50  —  557,85 

Kleie  i,*o  —  i,40  =  157,50  —  183,76 
Moskau,  6./19.  April: 

Trockener  Roggen  mit  Sack  (114/118  Sol.)   2,12  =  278,25 

Hafer  mit  Sack,  enthülst  2,45  =321,60 

Futtergerste  (110/115  Sol.)  2,35  =  308,45 

Große  Viktoria-Erbsen  2,80  =  3^7,^0 

Mittelgroße              „  2,80  =  367,50 

Buchweizengrütze,  grobe  4,14  =  5 43»  10 

Hirse,  geschrotete  3,43  ==  45o>20 

„       gestoßene  3,63  =  463,45 
Wladikawkas,   2./15.  April: 

Hirse,  gestoßene  4,90  —  5, —  =643,15 — 656,30 

„       geschrotene  4,50  —  4,60  =  590,65  —  603,80 

Gerste  von  der  Fuhre  i,96  ^=  255,95 

,,       aus  dem  Speieher  2,15  =  282,20 

Roggen  von  der  Fuhre  2,65  =  347i85 

Weißer  Mais  1,60  —  1,65  =210,00  —  216,55 

Dunklerer  Mais  i,70  — i,75  =223,15  —  229,70 

Roggenmehl  von  der  Fuhre  2,90  =  380,66 

Kleie  1,20  =  I57»50 

Weißes  Maismehl  2,80  =  367,50 

Dunkleres  Maismehl  2,65  =  334>70 
Jelisawetgrad,  29.  März/ 11.  April: 

Winterweizen  (130/132  Sol.)  2,40  —  2,45  =315.00—321,60 

Roggen  (120/122  Sol.)  i,80  —  i,85  =  236,25  —  242,80 
Rybinsk,  27.  März/9.  April: 

Die  Preise  für  Grütze  sind  fest,  aus  den  städtischen  Läden  wird  sie  an  die  Ver- 
braucher nach  der  Taxe  verkauft: 

I.  Sorte  für  1    Pud  4,80  Rbl.     =  630,05  M.  für  die  Tonne 
n.      „       „     1       „     3,00     „        =  393,75    „      „      „ 

m.  Industrie,  einschließlich  Bergbau  und  Baugewerbe. 

Inhalt:  1)  Bergbau:  Geschäftslage  im  Kohlen-  und  Kalibergbau 
während  des  Monats  Mai. 

2)  Eisengewerbe.  —  Metalle  und  Maschinen :  Beschäftigungsgrad 
im  Mai. 

1.    Bergbau. 

Ueber  die  Geschäftslage  im  Kohlen-  und  Kalibergbau  während 
des  Monats  Mai  berichtet  das  „Reichs-Arbeitsblatt" :  „Im  Euhrkohlen- 
bezirk  hielt  auch  im  Mai  der  flotte  Abruf  von  Kohlen  und  Koka 
an,  der  in  den  Vormonaten  festzustellen  war.  Die  Wagengestellung  war 
befriedigend;  gestürzte  Mengen  Kohlen  und  Koks  konnten  in  beträcht- 


—    323    — 

Hoher  Menge  zum  Versand  gebracht  werden.  Auf  dem  Wasserwege  wurde 
teilweise  ein  höherer  Umschlag  als  im  Vormonat  erreicht.  Es  mußten 
Ueberschichten   eingelegt   werden. 

Die  Aachener  Steinkohlen  werke  waren  ebensogut  wie  im 
Vormonat  und  im  gleichen  Monat  des  Vorjahres  beschäftigt.  Die  Löhne 
bewegten  sich  weiterhin  in  steigender  Richtung. 

Die  Saarkohlengruben  erzielten  der  größeren  Zahl  der  Ar- 
beitstage entsprechend  eine  etwas  höhere  Förderung  als  im  Vormonat. 

Im  obersch lesischen  Steinkohlengebiet  zeigte  der  Kohlenbedarf 
eine  weitere  Erhöhung.  Zur  Deckung  desselben  konnten  die  Bestände 
in  starkem  Maße  verwandt  werden,  da  die  "Wagengestellung  in  völlig 
ausreichendem  Maße  vor  sich  ging.  Im  Vergleich  zum  Vorjahr  wird  die 
Lage  des  Berichtsmonats  als  günstiger  geschildert.  Ueberarbeit  war 
notwendig.  Lohnerhöhungen  haben  teilweise  auch  im  Mai  in  größerem 
Umfange  stattgefunden. 

In  den  Steinkohlenbergwerken,  die  zum  oberschlesischen  Knapp- 
schaftßverein  gehören,  waren  am  Schlüsse  des  ersten  Vierteljahres  1917 
124319  Arbeiter  gegenüber  119  346  am  Ende  des  letzten  Vierteljahres 
1916  beschäftigt.  Im  ersten  Vierteljahr  1916  hatte  der  Bestand  der 
Beschäftigten  nur  113  398  betragen.  Auch  im  Jahre  1915  war  die  Ar- 
beiterzahl im  ersten  Viertel  geringer  (118  546). 

Die  niederschlesischen  Steinkohlenwerke  hatten  noch  befrie- 
digenderen Geschäftsgang  als  im  Vormonat,  da  die  günstige  Wagenge- 
stellung nicht  nur  ermöglichte,  die  tägliche  Förderung,  sondern  auch  eine 
große  Menge  Kohlen  und  Koks  vom  Bestände  zum  Versand  zu  bringen. 
Dem  Mai  1916  gegenüber  war  die  Nachfrage  eine  stärkere.  Der  Durch- 
schnittslohn  ist,   wie   hervorgehoben   wird,    weiter  gestiegen. 

Der  Zwickauer  und  Lugau-Oelsnitzer  Steinkohlenbergbau 
weist  gleichfalls  eine  geringe  Verbesserung,  dem  April  gegenüber  auf. 
Auch  hier  ist  die  Lage  im  Vergleich  zum  Mai  des  Vorjahres  eine  bessere. 

Aus  Süddeutschland  wird  für  die  Steinkohlengewinnung  bessere 
Beschäftigung  als  im  April  und  ebenso  gute  wie  im  Mai  1916  gemeldet. 
Zum  Teil  wurden  Lohnerhöhungen  gewährt. 

Im  mitteldeutschen  Braunkohlengebiet  ist  infolge  noch 
größeren  Abrufes  als  im  April  eine  Steigerung  der  Beschäftigung  einge- 
treten. Im  Vergleich  zum  Vorjahr  ist  sowohl  für  Kohlen  als  auch  für 
Preßkohlen  und  Naßpreßsteine  ebenfalls  eine  Verbesserung  festzustellen. 
Die  Wagengestellung  war  im  allgemeinen  gut.  Die  Löhne  sind  vielfach 
weiter  erhöht  worden.  Ueberstunden  und  Sonntagsarbeit  waren  nicht  zu 
vermeiden. 

Die  Niederlausitzer  Braunkohlen  werke  und  Brikettfabriken 
waren  teils  ebensogut  wie  im  April  dieses  Jahres  und  im  gleichen 
Zeitraum  des  Vorjahres  beschäftigt,  teils  war  etwas  schwächer  als  im 
Vormonat  zu  tun.    Ueberarbeit  war  wie  bisher  erforderlich. 

Die  Kaliindustrie  hatte  verhältnismäßig  gut  zu  tun.  Der 
Jahreszeit  entsprechend  machte  sich  vielfach  eine  Verschlechterung 
geltend;  aber  auch  dem  Mai  1916  gegenüber  ist  verschiedentlich  ein 
Rückgang    eingetreten.     Andererseits    wird    jedoch    von    verschiedenen 


—    324    — 

Berichten   der  Geschäftsgang  als  gut  und  dem   Vorjahr  gegenüber  als 
besser  bezeichnet." 


2.   Eisengewerbe.   —   Metalle   und  Maschinen. 

lieber  den  Beschäftigungsgrad  im  Mai  berichtet  das  ,, Reichs- Ar- 
beitsblatt": „Für  die  Eisenerzgewinnung  wird  aus  Lothringen 
keinerlei  Veränderung  der  Verhältnisse  weder  im  Hinblick  auf  den  Vor- 
monat noch  auf  das  Vorjahr  gemeldet. 

Die  Roheisenerzeugung  hat  in  Westdeutschland  im  Vergleich 
zum  April  zum  Teil  eine  Verbesserung  erfahren.  Die  Löhne  verfolgen 
weiterhin  steigende  Richtung.  In  Süddeutschland  gestalteten  sich  die 
Verhältnisse  ebenso  zufriedenstellend  wie  im  Vormonat  und  im  Vorjahr. 
Die  Beschäftigung  der  Zinkhütten  war  durchaus  befriedigend. 
Der  Bedarf  blieb  ebenso  groß  wie  im  Vormonat  und  zeigte  dem  Vorjahr 
gegenüber  eine  zum  Teil  wesentlich  umfangreichere  Nachfrage.  Es 
mußte  verschiedentlich  mit  Ueberstunden  gearbeitet  werden.  Auch  für 
die  Blei-  und  Kupfererzgruben  ist  über  befriedigende  Tätigkeit  zu  be- 
richten. 

Die  Kupfer-  und  Messing  werke  hatten  ebensogut  wie  im 
Vormonat  zu  tun.  Teilweise  war  dem  Vorjahr  gegenüber  die  Beschäf- 
tigung eine  regere.  Es  wird  hervorgehoben,  daß  die  Teuerungszulagen 
erhöht    worden   sind. 

Die  Eisengießereien  Westdeutschlands  waren  im  Mai  eben- 
sogut wie  in  den  vorhergehenden  Monaten  und  im  Vorjahr  beschäftigt. 
Es  mußte  mit  Ueberstunden  gearbeitet  werden.  Für  Nord  Westdeutsch- 
land wird  gleichfalls  keine  Veränderung  gemeldet.  Der  gute  und  sehr 
gute  Geschäftsgang  bewegte  sich  teils  in  den  gleichen  Bahnen  wie  im 
Vorjahr,  teils  ist  eine  weitere  Steigerung  erzielt  worden.  Auch  die  mittel- 
deutschen Gießereien  hatten  nach  wie  vor  gut  zu  tun.  Dem  Mai  1916 
gegenüber  stellte  sich  die  Beschäftigung  im  Berichtsmonat  vielfach 
noch  günstiger.  Aus  Sachsen  werden  die  Verhältnisse  als  ebensogut 
zufriedenstellend  bezw.  gut  wie  im  Vormonat  geschildert.  Auch  im 
Vergleich  zum  Vorjahr  war  die  Beschäftigung  annähernd  die  gleiche. 
Teilweise  ist  aber  auch  hier  eine  Besserung  hervorgetreten.  Ver- 
schiedentlich werden  Lohnerhöhungen  festgestellt.  Auch  für  Schlesien 
kommt  dem  Vorjahr  gegenüber  teils  ebenso  gute  Lage,  teils  eine  weitere 
Steigerung  in  Betracht.  Im  Vergleich  zum  April  war  der  Geschäftsgang 
gleich  gut.  Es  wird  über  Leistung  von  Ueberstunden  berichtet.  Die 
süddeutschen  Eisengießereien  bekunden,  daß  sich  der  Geschäftsgang 
ebensogut  wie  im  Vormonat  und  zum  Teil  besser  als  im  Mai  1916 
gestaltet  hat.    Es  sind  teilweise  Lohnerhöhungen  vorgenommen  worden. 

Die  Stahl-  und  Walzwerke  in  West-,  Nordwest-  und  Mittel- 
deutschland, Sachsen  und  Schlesien  sind  ebenso  angespannt  beschäftigt 
wie  in  den  Vormonaten.  Teilweise  wird  die  Tätigkeit  im  Mai  noch  ab 
etwas  lebhafter  geschildert.  Im  Vergleich  zum  Vorjahr  ist  keinerlei 
nennenswerte  Verschiebung  der  Verhältnisse  eingetreten.    Vereinzelt  wird 


—    325    — 

auch  hier  die  Lage  als  noch  reger  geschildert.    Es  mußte  mit  üeber- 
arbeit  bezw.  mit  Nachtschichten  und  Sonntags  gearbeitet  werden. 

Die  Blechwalzwerke  waren  ebensogut  wie  im  Vormonat  und 
Vorjahr  beschäftigt.  Insbesondere  war  die  Nachfrage  nach  Feinblechen 
andauernd  stark. 

Für  die  Emaillierwerke  wird  unverändert  guter  bezw.  sehr 
guter  Geschäftsgang  vermerkt.  Ueberarbeit  war  vielfach  erforderlich. 
Es   werden   Lohnerhöhungen   gemeldet. 

Die  Röhrenwerke  verzeichnen  keinerlei  Veränderung  ihrer  nach 
wie  vor  überaus  starken  Beschäftigung.  Vereinzelt  wird  dem  Vorjahr 
gegenüber  eine  Steigerung  angezeigt.  Nach  einem  der  Berichte  war 
allerdings  etwas  geringer  zu  tun  als  im  Mai  1916. 

Die  Drahtindustrie  erfreute  sich  ebenso  guten  Geschäfts- 
ganges wie  im  Vormonat.  Dem  Mai  1916  gegenüber  ist  verschiedentlich 
eine  Verbesserung  der  Verhältnisse  eingetreten.  Auch  für  die  Herstellung 
von  Drahtstiften  und  Sohlennägeln  ist  die  Geschäftslage  die  gleiche 
wie  im  April,  während  dem  Mai  1916  gegenüber  eine  Verbesserung 
festzustellen   ist. 

Die  Kleineisenindustrie  hatte  im  Mai  eine  Beschäftigung 
aufzuweisen,  die  derjenigen  des  Vormonats  entsprach  und  etwas  besser 
als  im  Vorjahr  war. 

Die  Maschinenbauanstalten  Nordwestdeutschlands  waren  im 
Mai  ebensogut  wie  in  den  Vormonaten  beschäftigt.  Im  Vergleich  zum  Mai 
1916  wird  der  Geschäftsgang  meist  als  besser  geschildert.  Auch  in 
Mitteldeutschland  waren  die  Verhältnisse  im  ganzen  die  gleichen  wie 
im  Vormonat.  Es  wird  gemeldet,  daß  Ueberstundenarbeit  bezw.  Arbeit 
in  Wechselschichten  notwendig  war.  In  Schlesien  war  der  Geschäfts- 
gang unverändert  gut  imd  besser  als  im  Vorjahr.  Aus  Süddeutschland 
wird  über  sehr  lebhafte  Beschäftigung  berichtet.  Teils  ist  dem  Vor- 
monat gegenüber  keine  Veränderung,  teils  eine  weitere  Besserung  zu 
erkennen.  Die  Berichte  stellen  in  der  Mehrzahl  fest,  daß  die  Lage  im 
Vergleich  zum  Vorjahr  um  dieselbe  Zeit  eine  Steigerung  erfahren  hat. 
Es   war  Ueberzeitarbeit  und   Nachtschichtleistung  erforderlich. 

Die  Lokomotivfabriken  waren  teils  ebensogut  wie  in  den 
Vormonaten  beschäftigt,  teils  hat  sich  die  Beschäftigung  dem  Vormonat 
gegenüber  noch  gesteigert.  Auch  im  Vergleich  zum  Vorjahr  wird 
vielfach  eine  Erhöhung  der  Leistungen  festgestellt.  Verschiedentlich  sind 
Lohnerhöhungen  vorgenommen  worden.  Es  wird  hervorgehoben,  daß 
mit  Ueberstunden  und  in  Nachtschichten  gearbeitet  werden  mußte. 

Die  Dampfkesselfabriken  und  Armaturenwerkstätten 
West-  und  Mitteldeutschlands  hatten  im  ganzen  unverändert  gut  zu  tun. 
Im  Vergleich  zum  Vorjahr  machte  sich  verschiedentlich  eine  Steigerung 
bemerkbar.  Auch  in  Nordwestdeutschland  hielt  sich  die  Beschäftigung 
auf  der  gleichen  Höhe  wie  im  April. 

Die  Maschinenfabriken,  die  landwirtschaftliche  Maschi- 
nen herstellen,  waren  gleichbleibend  gut  beschäftigt.  Verschie- 
dentlich trat  sowohl  dem  April  wie  dem  Mai  gegenüber  eine  Ver- 
besserung hervor.   Auch  hier  haben  Lohnerhöhungen  stattgefunden. 


—    326    — 

Für  den  Bau  von  Verbrennungsmotoren  war  der  Geschäfts- 
gang ebensogut  wie  bisher.  Teilweise  wird  sowohl  im  Vergleich  zum 
Vormonat   alfi   auch   zum   Vorjahr   noch  eine   Verbesserung   festgestellt. 

Die  Werkstätten  für  Eisenkonstruktionen  und  Brücken- 
bau hatten  teils  ebenso  befriedigend  bzw.  gut  wie  im  Vormonat  zu  tun, 
teils  ist  eine  Verbesserung  gegen  den  April  eingetreten.  Auch  im  Ver- 
gleich zum  Vorjahr  war  der  Geschäftsgang  teilweise  günstiger;  nur  ganz 
vereinzelt  wird  angegeben,  daß  dem  Vormonat  und  dem  Vorjahr  gegen- 
über ein  Rückgang  statthatte. 

Für  den  Bau  von  Elektromotoren,  Dynamos  und  Trans- 
formatoren machte  sich  im  Mai  keinerlei  Aenderung  dem  Vormonat 
gegenüber  bemerkbai".  Dem  Vorjahr  gegenüber  ist  vielfach  die  Be- 
schäftigtenzahl erheblich  größer.  Der  Bestellungseingang  der  Betriebe 
für  elektrotechnische  Meßinstrumente  übertraf  den  des  Mai  1916,  wie 
hervorgehoben  wird,  nicht  unbedeutend.  Auch  gegen  den  Vormonat  ist 
zum  Teil  eine  Steigerung  hervorgetreten.  Es  mußte  mit  Wechselschichten 
gearbeiteit  werden.  In  der  Nachfrage  nach  elektromedizinischen  Ein- 
richtungen sind  keine  wesentlichen  Aenderungen  dem  Vormonat  gegen- 
über zu  verzeichnen. 

Auch  für  die  Einrichtung  elektrischer  Licht-  und  Kraft- 
anlagen ist  die  Gestaltung  der  Verhältnisse  im  ganzen  die  gleiche  wie 
im  Vormonat.  Vereinzelt  wird  eine  Verbesserung  verzeichnet.  Auch  dem 
Vor j  ah/  gegenüber  ist  verschiedentlich  ein  verbesserter  Geschäftsgang 
festzustellen. 

Die  Kabelwerke  hatten  gut  und  zum  Teil  sehr  lebhaft  zu  tun. 
Dem  Mai  1916  gegenüber  zeigte  sich  der  Geschäftsgang  teils  unver- 
ändert, teils  noch  gesteigert.  Ueberarbeit  war  in  größerem  Umfange  er- 
forderlich. Es  sind  auch  Lohnerhöhungen,  zum  Teil  um  etwa  10  v.  H., 
vorgenommen    worden." 

IV.  Handel  und  Verkehr. 

Inhalt:  Deutsch-schweizerisches  Wirtschaftsabkommen.  Deutsch-türkische 
Verträge  über  Rechts-  und  Wirtschaftsfragen.  Einfluß  des  Weltkriegs  auf  die 
wirtschaftliche  Lage  Spaniens.  Außenhandel  (Statistik)  Frankreichs,  Englands, 
Rußlands,  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  Panamas,  Brasiliens,  Argentiniens, 
Paraguays  und  Uruguays.  Hafenverkehr  Rotterdams  und  Amsterdams.  Kanah- 
sierung  von  Mosel  und  Saar.  Wasserstraßenverbindung  zwischen  Donau  und 
Norddeutschland.  Rhein-Herne-Kanal,  Verstaatlichung  der  kanadischen  Eisen- 
bahnen. 

Das  am  29.  September  1916  abgeschlossene  und  am  30.  April  1917 
abgelaufene  deutsch-schweizerische  Wirtschaftsabkommen 
(vgl.  Chronik  für  1916,  S.  757  ff.)  ist  Anfang  Mai  1917  auf  drei  Mo- 
nate verlängert  worden.  Damit  war,  wie  der  „Frankfurter  Zeitung" 
am  3.  Mai  1917  aus  Bern  berichtet  wurde,  u.  a.  die  Belieferung  der 
Schweiz  mit  Kohle  und  Eisen  für  die  nächsten  drei  Monate  im  bis- 
herigen Umfang  und  auf  der  bisherigen  Grundlage  zu  erwarten.  Außer- 
dem wurde  für  die  durch  das  deutsche  Einfuhrverbot  besonders  be- 
troffenen   schweizerischen    Hauptindustrien    die    Möglichkeit    einer    be- 


—    327    — 

friedigenden  Ausfuhr   ihrer   Erzeugnisse   nach  Deutschland   geschaffen. 

—  Im  übrigen  wurde  die  Bedeutung  des  Abkommens  von  dem  Berner 
Korrespondenten  der  „Frankfurter  Ztg."  folgendermaßen  gekennzeichnet: 

Zu  der  gemeldeten  Verlängerung  des  Wirtschaftsabkommens  zwischen 
Deutschland  und  der  Schweiz  ist  zu  bemerken,  daß  die  Grundbedingungen  des 
neuen  Vertrages  die  gleichen  geblieben  sind,  wie  die  des  alten:  gegenseitige 
Lieferung  von  Landeserzeugnissen  unter  Berücksichtigung  der  eigenen  Bedürfnisse. 
Daß  die  Fortsetzung  des  Vertrages  keine  besonderen  Schwierigkeiten  machen 
werde,  war  vorauszusehen;  die  Schweiz  und  Deutschland  leben  in  freundschaft- 
lichen Beziehungen  miteinander,  und  ihr  Handelsverkehr  ist  ein  praktisches  Er- 
gebnis dieses  Verhältnisses.  Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  eine  wechselseitige 
Ausfuhr  eigener  Erzeugnisse  nur  so  weit  möglich  ist,  als  der  eigene  Bedarf  sie  zu- 
läßt. Sowohl  die  Schweiz,  wie  das  Deutsche  Keich  haben  durch  die  lange  Dauer 
des  Krieges  mit  wachsenden  Schwierigkeiten  in  der  eigenen  Versorgung  zu  rechnen, 
und  diese  Umstände  kommen  natürlich  auch  bei  der  Bemessung  der  für  die 
Ausfuhr  verfügbaren  Produkte  in  Betracht;  keines  von  beiden  Ländern  kann 
mehr  abgeben,  als  es  nach  Berechnung  des  eigenen  Bedarfes  übrig  hat.  Diese 
Voraussetzung  bestand  schon  für  den  Wirtschaftsvertrag  vom  September  1916 
und  ist  unverändert  geblieben ;  neu  geregelt  wurden  lediglich  gewisse  Einzelheiten 
in  der  technischen  Ausführung  des  Vertrages,  die  sich  erst  aus  der  praktischen 
Erfahrung  seit  Bestehen  des  ersten  Wirtschaftsabkommens  ergeben  haben.  Damit 
ist  der  Sinn  des  neuen  Vertrages  gekennzeichnet,  der  sich  in  seinen  Einzelbe- 
ßtimmungen  den  veränderten  Produktionsverhältnissen  anpaßt.  Die  Hauptsache 
ist,  daß  beide  Länder  in  den  Stand  gesetzt  sind,  ihren  freundschaftlichen  Wirt- 
schaftsverkehr fortzusetzen. 

Am  10.  Mai  1917  sind  die  deutsch-türkischen  Verträge 
(vgl.  oben  S.  164)  vom  Deutschen  Reichstag  —  zum  größten  Teil  ein- 
stimmig —  angenommen  worden.  Sie  betreffen  hauptsächlich  Rechts- 
fragen, sind  aber  auch  von  erheblicher  wirtschaftlicher  Bedeutung. 
Einem  über  sie  in  der  „Frankfurter  Zeitung"  vom  15.  Mai  1917  ver- 
öffentlichten Artikel  (von  Dr.  Karl  Strupp)  ist  folgendes  zu  entnehmen : 

Am  11.  Januar  1917  sind  im  Getöse  des  Weltkrieges  zwischen  den  Bevoll- 
mächtigten des  Deutschen  Reiches  und  der  Türkei  zu  Berlin  zehn  Ver- 
träge unterzeichnet  worden,  die  es  für  sich  beanspruchen  dürfen,  als  Marksteine 
der  Völkerrechtsgeschichte  bezeichnet  zu  werden.  Der  Deutsche  Reichstag  hat 
jetzt  am  lö.  Mai  seine  Zustimmung  ausgesprochen.     Indem  diese  Verträge  die 

—  einseitig  im  Herbst  1914  türkischerseits  erfolgte  —  Aufhebung  des  Rechtes  der 
Kapitulationen  durch  ihren  Inhalt  legalisieren,  bedeuten  sie  zugleich  materiell, 
wenn  auch  zunächst  auf  Deutschland  beschränkt,  die  Einlösung  eines  Ver- 
sprechens, das  bereits  im  Jahre  1856  auf  der  Pariser  Konferenz  die  dort  ver- 
sammelten Mächte  durch  feierliche  Aufnahme  des  Osmanischen  Reiches  in  das 
„Europäische  Konzert"  übernommen  hatten.  Ein  Versprechen,  mit  dem  die  Tat- 
sachen, das  Fortbestehen  vor  allem  der  Konsulargerichtsbarkeit,  wie  sie  dem 
Deutschen  Reiche  auf  Grund  noch  des  preußisch-türkischen  Vertrages  von  1761 
eingeräumt  waren,  im  schärfsten  Kontrast  standen.  Konnte  sich  der  Staat  Abdul 
Hamids  und  seiner  Vorgänger  damit  abfinden,  so  nicht  das  vom  Geiste  zeit- 

femäßer  Reformen  im  Innern  wie  nach  außen  erfüllte  moderne  türkische  Reich. 
)es8en  heißester  Wunsch  mußte  es  sein,  aus  dem  Zustande  eines  selbst  in  der 
Theorie  nicht  vollberechtigten  Mitgliedes  der  Völkerrechtsgemeinschaft  herauszu- 
kommen. Welche  Bedeutung  die  osmanische  Regierung  selbst  der  völligen  Gleich- 
stellung der  Türkei  in  rechlicher  Beziehung  mit  anderen  Staaten  beimaß,  erhellt 
aus  der  kürzüch  bekannt  gewordenen  Aeußerung  eines  ihrer  bedeutendsten  Staats- 
männer, der  die  Abschaffung  der  Kapitulationen  geradezu  als  eines  der  vornehmsten 
Kriegsziele  der  Türkei  bezeichnet  hat.  Konnte  man  in  Konstantinopel  dabei  des 
weitestgehenden  Beistandes  des  in  treuer  Waffenbrüderschaft  verbündeten  Deutschen 
Reiches  von  Anfang  an  sicher  sein,  so  bedurfte  es  doch  langwieriger,  über  viele 


-    328    - 

Monate  sich  hinziehender  Verhandlungen,  deren  ganze  Schwierigkeit  nur  der  zu 
ermessen  vermag,  der  die  Fülle  der  —  insbesondere  aus  der  Verschiedenheit 
der  Eechtssysteme  sich  ergebenden  —  Probleme  und  die  ^anze  (auch  poli- 
tische, ja,  soweit  die  Türkei  in  Frage  kommt,  selbst  religiöse)  Bedeutung  der 
Fragen  kennt,  die  nunmehr  in  dem  Werke  vom  11.  Januar  1917  zur  Lösung 
gekommen  sind.  Man  kann  dieses  und  die  Arbeit,  die  mit  seiner  Errichtung  ge- 
leistet ist,  aber  nur  unvollkommen  würdigen,  wenn  man  lediglich  an  die  materiellen 
Schwierigkeiten  und  nicht  auch  an  die  formellen  denkt,  die  sich  daraus  ergeben, 
daß  alle  Verträge  in  deutscher  und  türkischer  Sprache  abgeschlossen,  und  daß 
beide  Texte  völlig  gleichwertig  sind. 

Nicht  die  Tatsache  des  Abschlusses  der  Verträge  an  sich  mit  ihren  völker- 
rechtshistorischen und  politischen  Wirkungen,  auch  der  bis  zu  einer  beinahe 
raffinierten  Verfeinerung  gesteigerte  Inhalt  jedes  einzelnen  Vertrages  in  juristisch- 
technischer Hinsicht  verdient  weitestgehende  Beachtung  und  Würdigung.  Es  ist 
nicht  zuviel  gesagt,  wenn  man  die  rechtliche  Normierung  in  ihrer  sachlich  so  um- 
fassenden Gesamtheit,  wie  sie  die  zehn  innerlich  zusammengehörenden  Verträge 
darstellen  (eine  sachliche  Gesamtheit,  wie  sie  bisher  noch  nie  zu  gleicher  Zeit 
zwischen  zwei  Staaten  hergestellt  worden  ist),  als  geradezu  epochemachend  be- 
zeichnet. 

Von  den  Verträgen,  die  soeben  dem  Keichstage  zugegangen  sind,  sind  die 
wichtigsten  der  Konsularvertrag,  der  Vertrag  über  Eechtsschutz 
und  gegenseitige  Kechtshilfe,  der  Auslieferungsvertrag,  der 
Niederlassungsvertrag.     Von   den   übrigen  6  betrifft  em   Vertrag   die 

Gegenseitige  Zuführung  von  Wehr-  und  Fahnenflüchtigen  der 
and-  und  Seestreitkräfte,  während  die  übrigen  je  einen  Neben  vertrag  zu  den 
vorstehenden  Haupt  verträten  darstellen,  sich  nur  auf  die  deutschen  Schutzgebiete 
(der  Nebenvertrag  zum  Niederlassungsvertrage  auch  auf  die  türkischen  Provinzen 
Hedijchas,  Jemen  und  Neschd)  beziehen,  und  gewisse,  auf  politischen  und  religiösen 
Gründen  beruhende  Modifikationen  zum  Inhalte  haben. 


Ueber  die  wirtschaftliche  Lage  Spaniens  unter  dem  Ein- 
fluß des  Weltkrieges  wurde  im  Handelsteil  der  „Frankfurter  Zeitung" 
(vom  6.  Mai  1917)  folgendes  berichtet: 

Die  Wirtschaftslage  hat  sich  im  Kriege  ganz  besonders  bessern  können. 
Das  hat  u.  a.  das  Zeichnungsergebnis  der  vor  kurzem  aufgelegten  5-proz.,  in  50  Jahren 
amortisierbaren  Anleihe  von  einer  Milliarde  Pesetas  gezeigt,  die  ganz  erheblich 
überzeichnet  wurde.  Etwa  zwei  Drittel  davon  dienen  zur  Fundierung  der 
schwebenden  kurzfristigen  Schuld.  Während  der  spanische  Wechselkurs  auf 
London  im  Juli  1914  26,15  Pesetas  pro  £  betrug,  stellt  er  sich  jetzt  auf  nur  21,70. 
Dabei  hatte  der  Goldbestand  der  Bank  von  Spanien,  der  vor  dem  Kriege  etwa 
550  Mül.  Pesetas  ausmachte,  Ende  1916  bereits  1341  Mill.  Pesetas  erreicht.  Von 
der  günstigen  Gestaltung  des  spanischen  Außenhandels  hatten  die  vor  kurzem 
an  dieser  Stelle  veröffentlichten  Ziffern  bereits  ein  Bild  gegeben;  ergänzend  seien 
nach  der  Zeitschrift  Scotsman  noch  folgende  Zahlen  in  £  (ohne  die  Metallgeld- 
bewegung) erwähnt :  Einfuhr  1913  52,2  Mül.,  dagegen  1916  36,5  Mill. ;  Ausfuhr 
1913  42,28,  1916  54,72  MiU.  Mithin  ergibt  sich  im  Jahre  1916  gegenüber  1913: 
Abnahme  der  Einfuhr  um  15,72,  Zunahme  der  Ausfuhr  um  12,44  MiU.  1913  be- 
lief sich  der  Ueberschuß  der  Einfuhr  gegen  die  Ausfuhr  auf  9,96,  1916  der  Ueber- 
schuß  der  Ausfuhr  gegen  die  Einfuhr  auf  18,20  MiU.,  Zahlen,  die  geradezu  das 
Ideal  einer  günstigen  Handelsbilanz  darsteUen.  In  der  spanischen  Einfuhr  nahm 
Deutschland  vor  dem  Kriege  hinter  England  und  Frankreich  den  dritten  Platz 
ein.  Auch  in  der  Ausfuhr  stand  Deutschland  an  dritter  SteUe,  freUich  in  weitem 
Abstände  hinter  Frankreich  und  England.  Bei  Betrachtung  der  jetzigen  Einfuhr- 
und  Ausfuhrziffern  darf  nicht  übersehen  werden,  daß  der  Gesamthandel  Spaniens 
während  des  Krieges  trotz  der  wesentlich  erhöhten  Preise  aUer  Waren  um  einige 
Prozent  geringer  geworden  ist.  Dies  geht  nach  der  „Zeit"  auch  aus  den  in  den 
Schiffahrtsausweisen  enthaltenen  Daten  hervor.  Es  wurden  im  Jahre  1916, 
gegenüber  den  in  Klammern  angeführten  Zahlen  des  Jahres  1913,  ausklariert  und 
verladen  14,46  MiU.  t  (20,6);  davon  standen  unter  spanischer  Flagge  5,67  (6,87), 


-    329    — 

und  unter  fremder  Flagge  8,78  (13,79)  Mill.  t.  Die  Abnahme  beträgt  ungefähr 
17  Proz.  bei  spanischen  und  36  Proz.  bei  ausländischen  Schiffen.  An  letzterer 
Abnahme  ist  zweifellos  das  Verschwinden  der  deutschen  und  österreichisch- 
ungarischen Flaggen  schuld.  Weniger  befriedigend  ist  der  Bahn  verkehr.  Die 
spanischen  Blätter  klagen  darüber,  daß  die  größten  Anforderungen  an  die  Eisen- 
bahnen von  der  Regierung  gestellt  werden;  nur  25  Proz.  des  Eisenbahnverkehrs 
dienen  der  Ausfuhr  in  den  Häfen.  Dies  führte  zu  Transporthindernissen,  so  z.  B. 
zur  Verstopfung  des  Hafens  von  Valencia.  Damit  steht  auch  die  wirtschaftliche 
Bedrängnis  der  Bevölkerung  im  Zusammenhang,  da  das  nationale  Gedeihen  eines 
neutralen  Landes  infolge  abnormaler  Verhältnisse  keineswegs  eine  entsprechende 
Besserung  in  der  sozialen  Wohlfahrt  seiner  Bewohner  bedeutet.  So  befindet  sich 
die  Küstenbevölkerung,  für  die  die  Apfelsinenernte  wirtschaftlich  alles  bedeutet, 
in  großer  Notlage.  Sobald  die  ßegierung  Abhilfe  und  die  Sendung  von  400 
Eisenbahnwagen  versprach,  besserte  sich  die  Stimmung.  Es  ist  daher  zu  hoffen, 
daß  die  von  den  Mittelmächten  in  Aussicht  gestellten  Maßnahmen,  wie  Ankauf 
spanischer  Agrarprodukte  im  größten  Umfang,  Begünstigung  des  spanischen  See- 
verkehrs, BeisteUung  von  Komen  für  die  spanischen  Schiffe  und  anderes  mehr 
mittelbar  und  unmittelbar  den  breiten  Bevölkerungsschichten  zugute  kommen 
werden. 

Den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirtschaft"  sind 
folgende  Angaben  über  den  Außenhandel  Frankreichs  in  den 
Jahren  1915  und  1916  zu  entnehmen:  Nach  der  amtlichen  Statistik 
erreichte  die  Einfuhr  Frankreichs  den  Betrag  von  15159  412  000  frcs. 
und  überstieg  damit  diejenige  des  Vorjahres  um  4123  618000  frcs. 
Der  Wert  der  Ausfuhr  stieg  um  1  178  321000  frcs.  und  belief  sich  auf 
5115  690000  frcs.  Die  Verteilung  des  Handelsumsatzes  auf  die  ver- 
schiedenen Warengruppen  ist  aus  der  nachstehenden  Zusammenstellung 
zu  entnehmen: 

Einfahr. 

.Q.f.  .Q.ß         Zunahme  (+)  oder  Abnahme  ( — ) 

.ft^A  *  lAAA  «         im  Jahre  1916,  verglichen  mit  1915 

1000  frcs.  1000  frcs.  ^^^^  ^^^    ^  ^^  ^ 

Lebensmittel  3  3^4  797  4076052  +     761255  +22,9 

Eohstoffe  4  653  404  6  452  320  +  i  798  916  -f  3^,6 

Fabrikate  3  067  593  4  631  040  +1  563  447  +  50,9 


zusammen 
Gold  u.  Silber 

II  035  794 
126  886 

15  159412 
146  341 

Ausfuhr. 

4-  4  123  618 
+        19455 

+  37,8 
+  15,8 

Lebensmittel 
Rohstoffe 
Fabrikate 
Postpakete 

648  953 

767521 

2  341  317 

179578 

483  262 

801  090 

3  587  024 

244314 

—     165  691 
+       33  5^9 
+  I  245  707 
+       64  736 

-25,5 

+    4,3 
+  53,2 
+  36,0 

zusammen       3  937  369  5  115  690  +1178321  +29,9 

Gold  u.  Siber  150823  34643  —     116  180  —77,0 

Die  Handelsbilanz  hat  sich  demnach  während  des  Krieges  in  hohem  Maße 
verschlechtert.  Dies  geht  aus  der  nachstehenden  Zusammensteflung  hervor,  welche 
die  Höhe  des  Einfuhrüberschusses  während  des  letzten  Jahrfünfts  zeigt: 


Einfuhr 

Ausfuhr 

Einfuhrüberschuß 

1000  frcs. 

1000  frcs. 

1000  frcs. 

V.  H. 

1912 

8  230  846 

6712  580 

I  518266 

22,6 

1913 

8421332 

6880217 

I  541  115 

22,4 

1914 

6  402  169 

4  868  834 

1533335 

31,4 

1915 

II  035  794 

3  937  369 

7  098  425 

180,8 

1916 

15  159  412 

5  115  690 

10043  722 

196,8 

—    330    — 

Man  darf  hieraus  indes  nicht  den  Schluß  ziehen,  daß  die  ungünstige  Handels- 
bilanz ihre  Ursache  lediglich  in  der  Zunahme  der  Einfuhr  aus  dem  Ausland  habe, 
und  daß  eine  Minderung  der  Einfuhr  die  einzig  mögliche  Abhilfe  bedeute.  Wenn 
man  nämlich  die  Verhältnisse  näher  untersucht,  so  findet  man,  daß  die  Einfuhr- 
menge keine  Zunahme  gegenüber  einem  Normaljahr  aufweist  (abgesehen  von  Gre- 
treide,  Zucker,  Petroleum,  öchieferöl  und  besonders  Eisen,  Stsdil  und  Kupfer), 
daß  dagegen  die  Ausfuhr  der  Menge  nach  erheblich  zurückgegangen  ist  und  das 
Wachsen  der  Wertziffern  auf  den  stark  gestiegenen  Preisen  beruht. 

Dem  „Board  of  Trade  Journal"  entnehmen  die  „Nachrichten  für 
Handel,  Industrie  und  Landwirtschaft"  die  folgenden  Angaben  über 
den  Außenhandel  Englands:  Der  Gesamthandelswert  (nur  in 
Waren)  belief  sich  1916  auf  1553,3  Mill.  £;  hiervon  entfielen  auf  die 
Einfuhr  949,2  Mill.  £,  auf  die  Ausfuhr  506,5  Mill.  £  und  auf  die  Ausfuhr 
fremder  und  Kolonialerzeugnisse  (Wiederausfuhr)  97,6  Mill.  £.  In  den 
letzten  5  Jahren  stellte  sich  der  Gesamthandel  folgendermaßen: 


Einfuhr 

Ausfuhr 

Wiederausfi 

Mill.  £ 

Mill.  £ 

MiU.  £ 

744,6 

487,2 

111,7 

768,7 

525,2 

109,6 

696,6 

430,7 

95,5 

851,9 

384,9 

99,1 

949,2 

506,5 

97,6 

Der  Wert  der  Einfuhr  erreichte  somit  1916  einen  Höchstwert  von  nahezu  950 
Mill.  £;  dies  bedeutet  eine  Zunahme  von  23,5  v.  H.  gegenüber  der  Höchstziffer 
des  Jahres  1913  von  etwa  769  Mill.  £.  Der  Wert  der  Ausfuhr  von  britischen 
Erzeugnissen  und  Waren  war  zwar  um  etwa  20  MiU.  £  geringer  als  im  Jahre 
1913;  er  stellte  sich  aber  um  4  v.  H.  höher  als  1912,  18  v.  H.  höher  als  1914 
und  nicht  weniger  als  36  v.  H.  höher  als  1915. 

Der  Wiederausfuhrhandel  im  Jahre  1916  war  um  11  v.  H.  geringer  als  1913 
und  um  13  v.  H.  geringer  als  im  Jahre  1912  mit  seiner  Höchstziffer. 

Hierbei  ist  zu  bemerken,  daß  in  der  Statistik  der  Wareneinfuhr  seit  Kriegs- 
ausbruch die  Ziffern  alle  Nahrungsmittel  umfassen,  aber  nicht  andere  Waren  ein- 
schließen, die  zur  Zeit  der  Einfuhr  Eigentum  der  Britischen  Regierung  oder  der 
Eegierungen  der  Verbündeten  waren.  Was  die  Ausfuhr  anlangt,  so  sind  alle  in 
Großbritannien  von  den  Verbündeten  oder  auf  deren  Rechnung  gekauften  Waren 
einbegriffen;  Waren  dagegen,  die  aus  Lägern  und  Vorräten  der  Britischen  Re- 
gierung entnommen,  oder  Waren,  die  von  der  Britischen  Regierung  angekauft 
und  auf  Regierungsschiffen  verschifft  wurden,  sind  nicht  eingeschlossen. 

Die  früheren  Mitteilungen  über  den  Außenhandel  Rußlands 
(vgl.  oben  S.  263  f.)  werden  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie 
und  Landwirtschaft"  folgendermaßen  ergänzt:  Der  Gesamtwert  der 
russischen  Einfuhr  im  Jahre  1916  über  die  europäische  Grenze  und 
über  Finnland  wird  auf  1717  Mill.  Rbl.  gegen  692  Mill.  Rbl.  im  Jahre 
1915  geschätzt.  Er  hat  demnach  um  das  Zweieinhalbfache  zugenommen; 
sogar  im  Vergleich  zu  dem  letzten  Jahre  vor  dem  Kriege  (1913)  ist 
er  um  496  Mill.  Rbl.  oder  um  41  v.  H.  gestiegen.  Außerdem  ging 
noch  der  größte  Teil  der  Einfuhr  über  die  asiatische  Grenze,  meistenteils 
über  Wladiwostok,  nach  dem  europäischen  Rußland,  lieber  Wladi- 
wostok wurden  in  den  ersten  11  Monaten  1916  im  ganzen  für  698  Mill.  Rbl. 
gegen  261  Mill.  Rbl.  im  Jahre  1915  und  23  Mül.  Rbl.  im  Jahre  1914 
eingeführt. 


-    331    ~ 


Auf  die  Herkunftsländer  verteilte 
Handel  in  folgender  Weise: 


sich  die  Einfuhr  Kußland  im  europäischen 


Im  Jahre  1916 

1913 

1914 

1915 

1916 

mehr  (+)  oder 
weniger( — )al8 
im  Jahre  1915 

Millionen  Rubel 

Großbritannien 

170,4 

167.4 

232,5 

616,2 

+ 

383,7 

Vereinigte  Staaten 

von  Amerika 

74,2 

77,« 

162,2 

422,4 

+ 

260,2 

Frankreich 

56,0 

42,9 

30,3 

170,2 

+ 

139,9 

Schweden 

16,1 

11,1 

54,2 

91,4 

+ 

37,2 

Japan 

0,6 

2,5 

13,1 

47,3 

+ 

34,2 

China 

15,3 

18,8 

22,4 

34,6 

+ 

12,2 

Norwegen 

10,0 

6,7 

5,9 

29,7 

+ 

23,8 

Ostindien 

3o»o 

24.5 

7,5 

15,6 

+ 

8,1 

Dänemark 

12,8 

7,3 

7,2 

11,7 

+ 

4,5 

Schweiz 

5,^ 

3,6 

3,9 

11,4 

+ 

7,5 

Italien 

16,7 

15,0 

8,2 

10,3 

+ 

2,1 

Deutschland 

642,8 

418,4 

23,7 

9,1 

14,6 

Niederlande 

21,4 

19,4 

8,3 

7,9 



0,4 

Finnland 

51,0 

S3,i 

91,9 

212,2 

+ 

120,3 

Zusammen  einschließlich 
anderer  Länder 


1220,5 


939,8 


691,7       1716,5 


+  1024,8 


Die  stärkste  Einfuhr  fand  im  Jahre  1916  aus  Großbritannien,  den  Ver- 
einigten Staaten  von  Amerika,  Frankreich  und  Finnland  statt.  In  der  Einfuhr 
über  Wladiwostok  (in  den  11  ersten  Monaten  1916  im  ganzen  für  697,9  Mill.  Rbl.) 
hatten  die  größte  Bedeutung  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  (379,3  Mill.  Rbl.), 
Japan  (194,9  Mill.  Rbl.),  Großbritannien  ^5,4  Mill.  Rubel)  und  China  (27,4  MiÜ. 
Rbl.).  Rechnet  man  die  Einfuhr  über  Wladiwostok  derjenigen  über  die  euro- 
päische Grenze  hinzu,  so  stehen  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  an  der 
Spitze  der  Einfuhrländer, 

Am  Außenhandel  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika 
in  den  letzten  3  Jahren  (vgl.  oben  S.  265  f.)  beteiligten  sich  nach  dem 
„W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst"  die  einzelnen  fremden  Länder 
in  folgendem  Umfange  (in  Mill.  Doli.) : 


Europa. 

Einfuhr. 

1916 

1915 

1914 

Großbritannien  (einschließlich  Gibraltar  und  Malta) 

305,7 

258,3 

287,4 

Frankreich 

108,9 

77,9 

104,2 

Rußland  (gesamt) 

8,7 

3,2 

15,7 

Italien 

60,2 

5,6 

55,2 

Belgien 

1,6 

2,6 

30,4 

Portugal,  Azoren  und  Madeira 

8,4 

6,0 

6,5 

Rumänien 

0,02 

0,5 

Serbien  und  Montenegro 

— 

— 

1,0 

Deutsehland 

5,8 

45,0 

149,4 

Oesterreich-Ungarn 

0,6 

5,5 

15,7 

Bulgarien 

0,01 

0,8 

0,1 

Europäische  Türkei 

0,04 

y 

7,9 

Spanien 

32,6 

18,7 

22,0 

Niederlande 

43,6 

28,5 

37,5 

Dänemark  und  Island 

3,« 

2,8 

3,9 

Norwegen 

6,4 

7,0 

12,0 

Schweden 

18,9 

11,4 

11,7 

Griechenland 

10,6 

5,4 

4,1 

Schweiz 

22,4 

19,9 

21,6 

—    332 


Ausfuhr. 

1916 

1915 

1914 

Großbritannien  (einschließlich  Gibraltar  und  Malta) 

1894,1 

1203,7 

602,9 

Frankreich 

860,8 

500,8 

170,1 

Rußland  (gesamt) 

469,0 

170,4 

30,1 

Italien 

303,5 

269,7 

97,9 

Belgien 

31,2 

23,* 

34,8 

Portugal,  Azoren  und  Madeira 

15,9 

9,2 

4,1 

Rumänien 

0,5 

1,2 

Serbien  und  Montenegro 

0,05 

1,2 

0,01 

Deutschland 

2,3 

11,8 

158,3 

Oesterreich-Ungam 

0,06 

0,1 

12,8 

Bulgarien 

— 

0,05 

o,s 

Europäische  Türkei 

— 

0,05 

1,7 

Spanien 

63,5 

45,9 

27,8 

Niederlande 

"3,7 

143,0 

100,7 

Dänemark  und  Island 

56,8 

73,8 

42,1 

Norwegen 

66,2 

46,2 

19,6 

Schweden 

48,4 

85,2 

31,0 

Griechenland 

33,7 

26,8 

8,8 

Schweiz 

Amerika. 

13,7 

6,0 

0,7 

Einfuhr. 

Kanada  und  Neufundland 

240,0 

178,6 

165,5 

Andere  britische  Besitzungen 

19,0 

15,7 

17,2 

Holländische  Besitzungen 

2,0 

1,1 

1,6 

Französische  Besitzungen 

0,1 

0,1 

0,08 

Dänische  Besitzungen 

1,1 

0,08 

o,s 

Kuba 

243,7 

197,5 

146,8 

Mexiko 

105,1 

83,6 

86,3 

San  Domingo  und  Haiti 

18,7 

12,3 

6,8 

Zentralamerikanische  Staaten  (Oostarica,  Guatemala, 

Honduras,  Nicaragua,  Panama, 

Salvador) 

30,7 

21,3 

18,0 

Argentinien 

116,3 

94,7 

56.8 

Bolivien 

0,2 

0,03 

Brasilien 

132,1 

120,1 

95,0 

Chile 

82,1 

37,3 

24,2 

Kolumbien 

25,7 

19,8 

17,5 

Ecuador 

8,0 

5,* 

3,* 

Paraguay 

0,05 

0,08 

0,06 

Peru 

31,1 

15,8 

11,8 

Uruguay 

i6,s 

13,9 

9,6 

Venezuela 

13,7 

14,8 

10,9 

Ausfuhr. 

Kanada 

614,7 

350,8 

3i5»9 

Andere  britische  Besitzungen 

24,9 

19,0 

17,8 

Holländische  Besitzungen 

2,7 

1,9 

1,7 

Französische  Besitzungen 

4,* 

3,2 

2,4 

Dänische  Besitzungen 

0,9 

0,9 

0,8 

Kuba 

164,6 

95,8 

67,9 

Mexiko 

52,9 

41,1 

33,2 

San  Domingo  und  Haiti 

16,7 

12,8 

8,2 

Zentralamerikanisohe  Staaten  (Costarica,  Guatemala, 

Honduras,  Nicaragua,  Panama, 

Salvador) 

46,6 

36,7 

36,9 

Argentinien 

76,9 

52,8 

27,1 

Bolivien 

1,9 

1,0 

0,8 

Brasilien 

47,7 

34,0 

23,8 

Chile 

33,* 

17,8 

13,6 

Kolumbien 

14,3 

9,0 

5,8 

333 


Ausfuhr 

1916 

1915 

1914 

Ecuador 

5,0 

3,4 

2,5 

Paraguay 

o,i 

0,05 

0,08 

Peru 

14,0 

7,9 

5,9 

Uruguay 

11,9 

7,9 

4,2 

Venezuela 

11,3 

7,3 

5,0 

Asien. 

Einfuhr. 

Asiatische  Türkei 

0,3 

2,3 

10,6 

Persien 

0,f, 

0,5 

1,5 

Britisch-Ostindien 

201,2 

119,4 

98,7 

Siam 

0,1 

0,3 

0,1 

Hongkong 

6,3 

3,1 

2,7 

China 

82,2 

53,2 

37,2 

HoUändisch-Indien 

36,9 

»5,8 

6,5 

Japan 

182,1 

108,3 

105,7 

üebriges  Asien 

3,0 

2,0 

1,6 

Ausfuhr. 

Asiatische  Türkei 

0,2 

0,07 

0,8 

Persien 

0,3 

0,9 

0,5 

Britisch-Ostindien 

30,8 

20,9 

14,5 

Siam 

1,1 

0,6 

0,7 

Hongkong 

13,3 

8,3 

9,8 

China 

33,6 

21,0 

21,8 

Holländisch-Indien 

13,0 

5,1 

2,7 

Japan 

108,8 

45,7 

41,8 

üebriges  Asien 

2,2 

2,9 

2,1 

Ozeanien. 

Einfuhr. 

Australien 

44,7 

32,0 

18,5 

Neuseeland 

11,1 

3.1 

4,9 

Philippinen 

34,2 

22,9 

23,6 

Europäische  Besitzungen  in  Ozeanien 

3,7 

2,4 

1,3 

Ausfuhr. 

Australien 

64,3 

52,3 

45,0 

Neuseeland 

17,0 

11,7 

8,1 

Philippinen 

22,8 

26,8 

22,8 

Europäische  Besitzungen  in  Ozeanien 

1,5 

1,1 

1,3 

Afrika. 

Einfuhr. 

Aegypten 

29.5 

29,9 

15,0 

Südafrikanische  Union 

18,5 

9,6 

1,8 

Üebriges  Afrika 

41,1 

15.4 

5,8 

Ausfuhr. 

Aegypten 

14,7 

5,1 

2,1 

Südafrikanische  Union 

24,3 

20,0 

12,1 

Üebriges  Afrika 

47,7 

36,7 

27,2 

lieber  den  Außenhandel  Panamas  teilen  die  „Nachrichten 
für  Handel,  Industrie  und  Landwirtschaft"  folgendes  mit :  Bei  dem  fast 
gänzlichen  Fehlen  einer  einheimischen  Industrie  und  der  nur  wenig 
entwickelten  Landwirtschaft  ist  es  erklärlich,  daß  Panama  für  fast  alle 
Artikel  auf  das  Ausland  angewiesen  ist.  Die  Ausfuhr  besteht  fast 
ganz  aus  Bananen,  die  fast  ausnahmslos  nach  den  Vereinigten  Staaten 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXII 


—    334    — 

gehen.     Die  Ausfuhr  erreicht  infolgedessen  bei  weitem  nicht  die  Höhe 
der  Einfuhr,  so  daß  die  Handelsbilanz  Panamas  stark  passiv  ist. 

Es  betrug  die  Einfuhr  in  Panama: 


1913 

1914 

1915 

Millionen  M. 

48,0 

41,5 

39, 2  i 

Davon  kamen  aus: 

Deutschland 

4.5 

1,9 

0,01 

Belgien 

0,9 

1,3 

China,  Japan 

1,1 

1,0 

1,1 

Spanien  und  Kolonien 

0,6 

0,1 

0,6 

Frankreich 

1,5 

0,9 

0,8 

Großbritannien 

10,4 

7,7 

5,0 

Italien 

0,8 

0,5 

0,4 

Vereinigten  Staaten  von  Amerika 

26,8 

26,9 

29,4 

Verschiedenen  Ländern 

1,4 

I,« 

1,9 

Dagegen  betrug  die  Ausfuhr  1913  nur  10,3  Mill.  M.  und  1915  nur 
14,1  Mül.  M.  Infolge  der  starken  finanziellen,  wirtschaftlichen  und  politischen 
Abhängigkeit  Panamas  von  den  Vereinigten  Staaten  ist  auch  sein  Handel  zum 
größten  Teil  auf  die  Vereinigten  Staaten  eingestellt,  von  wo  1913:  56,  1914:  65 
und  1915:  75  v.  H.  der  Gesamteinfuhr  kamen. 

Nach  dem  „Board  of  Trade  Journal"  bewertete  sich  die  Gesamt- 
einfuhr Brasiliens  im  Jahre  1915  auf  267  854954  Milreis  Gold 
gegen  322  882  596  im  Jahre  1914.  Die  Gesamtausfuhr  belief  sich 
auf  516  617  734  Milreis  Gold  gegen  486  963  360  im  Vorjahr.  Die 
einzelnen  Länder  waren,  wie  folgt,  beteiligt: 


Einfuhr 

Ausfuhr 

1915 

1914 

1915            1914 

1000  MUreis  Gold 

1000  Milreis  Gold 

Vereinigte  Staaten  von  Amerika 

85789 

55315 

196  858         168  901 

Großbritannien 

58639 

74987 

56932          59  959 

Britische  Besitzungen 

13528 

12998 

3  883            2  841 

Argentinien 

42543 

30337 

23782          19554 

Frankreich 

13  214 

24599 

53616          34037 

Niederlande 

1838 

2  706 

29954          23941 

Italien 

II  796 

12  876 

14780          12383 

Portugal 

13247 

16083 

4321            3694 

Schweden 

2359 

1541 

42451            9496 

Deutschland 

4  128 

50836 

—              41  212 

Zur  Ergänzung  früherer  Angaben  über  den  Außenhandel 
Argentiniens  (vgl.  oben  S.  93)  dienen  die  folgenden  (den  „Nach- 
richten für  Handel,  Industrie  und  Landwirtschaft"  entnommenen)  Mit- 
teilungen über  die  Beteiligung  der  wichtigsten  Länder  an  der  Ein-  und 
Ausfuhr  der  Republik  (Angaben  in  Dollar  Gold): 

Einfuhr.  Vereinigte  Staaten  von  Amerika  63  522  368  (59126  951),  Groß- 
britannien 61284  989  (118  669  226),  Italien  21338031  (32487152).  Frankreich 
14  299  061  (37  618  578),  Spanien  13  477  416  (11928  307),  BraßiHen  11897  683 
(9  547  236),  Mexiko  6  519  982  (13  720),  Britische  Besitzungen  5  649  352  (6  093  128), 
Niederlande  2  207  750  (3  441  667),  Uruguay  2  458  951  (2  496  913),  Schweden  2  099  611 
(2  290206),  Paraguay  2067  846  (2127  506),  Schweiz  2018  594  (2183400),  Kuba 
1323019  (1105  380),  Japan  1182  313  (774885),  Kanada  1 126 196  (2  266  257),  Nor- 


—    335    — 

wegen    832  258    (1468  794),    Deutschland    350879    (63  941503),    Belgien    276461 
(20  370  530),  Oesterreich-Ungarn  10  095  (3  476  805). 

Ausfuhr.  Deutschland  —  (53  995 175),  Oesterreich- Ungarn  —  (2  896  798), 
Belgien  — (37  258  225),  Brasilien  24498  226  (22  646  362),  Chüe  1  541 904  (2  456  280), 
Dänemark  6  093  959  (861587),  Spanien  8  563  677  (3  582  495),  Vereinigte  Staaten 
von  Amerika  113  488  289  (32  391148),  Frankreich  64  737  625  (36052009),  Italien 
27148468  (21147  962),  Norwegen  4128059  (1804  741),  Niederlande  27  491405 
(16  027  223),  Paraguay  2  987  734  (1  219  925),  Portugal  1  360  324  (567  019),  Fran- 
zösische Besitzungen  2  514  575  (74 106),  Großbritannien  159  755  301  (121  373  358), 
Rußland  2  950182  (376  643),  Schweden  10084  346  (1496  050),  Uruguay  6487  619 
(4  714480),  auf  Order  75  596  240  (114  903  510). 

lieber  den  Außenhandel  Paraguays  macht  der  „W.  N.  D. 
Deutscher  Ueberseedienst"  folgende  Angaben: 


(in  1000  $  Gold) 
Einfuhr 
Ausfuhr 


1916 
4652 
4862 


1915 
2406 
5616 


1914 
5149 
4584 


Ausfuhrüberschuß    2 1  o 


3210       Einfuhrüberschuß     565 


Diese  Angaben  der  amtlichen  Statistik  sind  in  Wahrheit  unzutreffend,  weil 
sich  die  Wertbestimmungen  auf  Preisen  begründen,  die  heute  um  50 — 100  Proz. 
höher  sind.  Deshalb  hat  die  Handelskammer  von  Asunciön  für  die  Hauptaus- 
fuhrartikel eine  Berichtigung  vorgenommen.  Sie  gelangt  so  zu  einem  Ausfuhr- 
wert von  8,8  Mül.  $  Gold,  während  der  wirkliche  Wert  der  Einfuhr  mit  6,9  Mill.  $ 
Gold  angegeben  wird,  so  daß  sich  ein  rechnerischer  Ausfuhrüberschuß  von  rund 
1,9  Mill.  Gold  ergibt.  Dieser  vermindert  sich  wieder  um  die  Gewinne  auf  das 
ausgeführte  Tannin,  die  ausländischen  Gesellschaften  zufließen  und  deshalb  in 
Wirklichkeit  keinen  Aktivposten  in  der  Zahlungsbilanz  darstellen. 


Einfuhr 


Ausfuhr 


(in  1000  $  Gold) 

Herkunfts-  bzw. 

1916 

1915 

1914 

1916 

1915 

1914 

Bestimmungsländer : 

(11  Monate) 

(11  Monate) 

Großbritannien 

1690 

794 

1183 

75 

197 

116 

Frankreich 

68 

59 

250 

108 

71 

51 

Italien 

229 

175 

356 

121 

39 

33 

Belgien 

I 

5 

117 

— 

— 

36 

Deutschland 

30 

167 

1398 

— 

4 

810 

Oesterreich 

69 

— 

— 

Spanien 

158 

117 

280 

329 

65 

81 

Schweiz 

— 

2 

12 

— 

24 

— 

Dänemark 

— 

— 

— 

— 

60 

— 

Schweden 

— 

— 

— 

— 

4 

2 

Norwegen 

3 

— 

— 

— 

55 

— 

HoUand 

16 

14 

IG 

74 

553 

III 

Argentinien 

1495 

788 

930 

3297 

3638 

2715 

Uruguay 

52 

3^ 

38 

215 

574 

591 

Brasilien 

34 

9 

24 

14 

28 

27 

Chile 

I 

I 

4 

I 

— 

— 

Bolivien 

— 

— 

— 

I 

— 

Vereinigte  Staaten 

537 

216 

^8 

198 

303 

11 

Verschiedene 

36 

27 

50 

— 

— 

4350 

2406 

5149 

4432 

5616 

4584 

Der  Außenhandel  Uruguays  (vgl.  oben  S.  94)  hatte  nach 
dem  „W.  N.  T.  Deutscher  Ueberseedienst"  in  den  Jahren  1914,  1915 
und  1916  folgenden  Umfang: 

XXII* 


336    — 


(in  1000  1) 

1916 

1915                  1914 

Einfuhr 

33802 

34  979              37234 

Ausfuhr 

68341 

73  290             58  233 

Ausfuhrüberschuß 

34  539 

38  311              20999 

Herkunftsländer  (1915 

) 

Bestimmungsländer  (1915) 

Argentinien 

7  373 

Frankreich 

17687 

Brasilien 

4865 

Italien 

14943 

Kuba 

229 

Großbritannien 

13207 

Spanien 

2277 

Vereinigte  Staaten 

II  746 

Vereinigte  Staaten 

7271 

Argentinien 

8941 

Großbritannien 

6851 

Spanien 

2473 

Frankreich 

1635 

Brasilien 

1054 

Italien 

2535 

Kuba 

873 

Deutschland 

749 

Andere  Länder 

2366 

Holland 

368 

73290 

Schweden 

265 

Andere  Länder 

561 

34  979 

Der  Hafenverkehr  1)  von  Rotterdam  und  Amsterdam  war 
(nach  dem  „W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst")  in  den  letzten  Jahren 
folgender : 

Nieuwe  Eotterdamsche  Waterweg 


Einklariert 

Ausklariert 

Schiffe 

in  1000  Reg.-T. 

Schiffe 

in  1000  Beg.-T 

1916 

3284 

3255 

3505 

3351 

1915 

3883 

4228 

3992 

4305 

1914 

8011 

9885 

8  115 

9988 

1913 

II  285 

13749 
Amsterdam 
Einklariert 

II  360 

13796 
Ausklariert 

Schiffe 

in  1000  Reg.-T. 

Schiffe 

in  1000  Reg.-T 

1916 

1622 

1506 

1590 

1519 

1915 

1820 

1801 

1816 

1810 

1914 

2403 

2375 

2403 

2382 

1913 

2597 

2650 

2579 

2613 

Der  Vorstand  des  Verbandes  für  Kanalisierung  der  Mosel 
und  Saar  faßte  Anfang  Mai  1917  eine  Entschließung,  in  der  es  hieß: 
„Nur  der  sofortige  zeitgemäße  Ausbau  des  Mosel-  und  Saarkanals 
bietet  dem  Südwesten  die  Möglichkeit  für  das  Wiederaufleben  und  Ge- 
deihen von  Handel,  Grewerbe  und  Schiffahrt  in  der  Kriegsfolgezeit  und 
gibt  der  südwestlichen  Eisenindustrie  das  erforderliche  Rüstzeug  für 
ihre  Wettbewerbsfähigkeit  auf  dem  Weltmarkte  in  dem  bevorstehenden 
Wirtschaftskampfe  aller  Nationen.  Die  an  sich  durch  den  Austausch 
der  gewaltigsten  Massengüter  zwischen  dem  Südwesten  und  dem  Nord- 
westen gegebene  Rentabilität  der  Mosel-  und  Saarkanalisierung  wird 
durch  die  in  Aussicht  genommene  Ausnutzung  der  Wasserkräfte  noch 
erheblich  gesteigert.  Um  so  williger  werden  die  beteiligten  Kreise,  wie 
sie  bereits  früher  erklärt   haben,    bereit  sein,    nicht  nur    die  Zins-  und 


1)  Fischerboote  sind  nicht  berücksichtigt. 


—     337    — 

TilguDgsgewähr  für  das  aufzuwendende  Baukapital  zu  übernehmen, 
sondern  das  Baukapital  selbst  zur  Verfügung  zu  stellen,  falls  ihnen 
unter  angemessenen  Bedingungen  die  Genehmigung  zur  Ausführung 
des  großen  Werkes  erteilt  wird.  Der  Vorstand  erblickt  in  der  Schaf- 
fung der  in  Rede  stehenden  Wasserwege  das  geeignete  Mittel  für  die 
Verbindung  der  aufeinander  angewiesenen  Industriegebiete  des  Süd- 
westens und  des  Nordwestens  untereinander  und  mit  dem  Meere  und  auch 
für  die  engere  wirtschaftliche  und  politische  Angliederung  von  JElsaß- 
Lothringen  an  Alt-Deutschland  und  schließlich  für  die  Nutzbarmachung 
des  südwestlichen  Erzbeckens  für  die  deutsche  Eisenindustrie." 

Zur  Frage  der  Verbindung  der  Donau  mit  den  nord- 
deutschen Strömen  nahm  der  Hamburger  „Ehrbare  Kaufmann", 
die  Vereinigung  der  Inhaber  der  eingetragenen  kaufmännischen  Firmen 
Hamburgs,  am  8.  Mai  1917  einstimmig  die  folgende  Entschließung  an: 
„Der  von  der  Handelskammer  zu  einer  außerordentlichen  Versammlung 
berufene  ,Ehrbare  Kaufmann  Hamburg'  hält  den  Bau  einer  Wasser- 
straße zwischen  der  Elbe  und  der  Donau  im  Interesse  der  wirtschaft- 
lichen Entwicklung  und  des  wirtschaftlichen  Zusammenschlusses  der 
beiden  im  Kriege  und  Frieden  verbündeten  Staaten  des  Deutschen 
Reiches  und  Oesterreich-Ungarns  für  dringend  erforderlich.  Die  gün- 
stigste und  billigste  Linie  hierfür  ist  der  von  der  Elbe  bei  Pardubitz 
abzweigende  und  bei  Prerau  in  den  zu  erbauenden  Oder-Donau- 
Kanal  einmündende  Kanal.  Die  so  zu  schaffende,  im  österreichischen 
Wasserstraßengesetz  von  1901  bereits  vorgesehene  Verbindung  zwischen 
der  Elbe-Oder  und  der  Donau  ist  vom  Deutschen  Reich  mit  allen  Mitteln, 
auch  durch  Beitrag  zu  den  Kosten  des  Baues,  zu  fördern.  Diese  Auf- 
gabe darf  hinter  dem  Donau-Main-Kanal  nicht  zurückstehen. 
Dieser  würde  nur  den  Häfen  von  Antwerpen  und  Rotterdam  zugute 
kommen  und  dadurch  Hamburg  schaden.  Die  Interessen  Hamburgs, 
das  durch  den  Krieg  schwerer  als  ein  anderer  deutscher  Bundesstaat 
in  seiner  wirtschaftlichen  Stellung  geschädigt  ist,  müssen  wir  beim  Bau 
von  Wasserstraßen  in  erster  Linie  berücksichtigen." 

Nach  einem  Bericht  der  „Frankfurter  Zeitung"  vom  15.  Mai  1917 
ist  dem  deutschen  Reichstag  ein  Ergänzungsetat  zugegangen,  der 
1  200  000  M.  als  Beiträge  zu  den  Kosten  der  Bearbeitung  von  Ent- 
würfen für  den  Ausbau  des  deutschen  Wasserstraßennetzes  (vgl. 
oben  S.  171)  als  erste  Rate  aussetzt.  Es  handelt  sich  um  die  Be- 
teiligung des  Reiches  an  den  Kosten  der  Bearbeitung  solcher  Ent- 
würfe, deren  Durchführung  gleichzeitig  der  gesamten  deutschen  Volks- 
wirtschaft dienen  würde.  Als  solche  Pläne  kommen  zunächst  in  Betracht 
die  Verbindung  des  Rheins  mit  der  Donau  durch  den  Main,  durch 
den  Neckar  und  über  den  Bodensee  und  ferner  die  Herstellung 
von  Wasserstraßenverbindungen  im  Stromgebiet  der  Weser,  der 
Elbe  und  der  Oder.  Die  endgültige  Auswahl  soll  vorbehalten 
bleiben.  Es  bedarf  bei  diesen  der  entschiedenen  Mitwirkung  des  Reiches 
um  so  mehr,  als  dieses  auch  das  erforderliche  Einvernehmen  mit  den  be- 
teiligten außerdeutschen  Staaten   herbeizuführen   haben  wird.     Von  der 


-    338    - 

ausgesetzten  Summe  entfallen  700  000  M.  auf  die  Großschiffahrtsstraße 
von  Aschaffenburg  bis  zur  Reichsgrenze  bei  Passau,  auf  den  Großschiff- 
fahrtsweg  vom  Rhein  nach  der  Donau  über  den  Neckar  einschließlich 
der  Schiffbarmachung  der  Donau  von  Regensburg  bis  Ulm,  sowie  die 
Verbindung  des  Oberrheins  über  den  Bodensee  mit  der  Donau  100  000  M., 
und  die  übrigen  400000  M.  auf  die  übrigen  Pläne.  Die  Festsetzung 
der  Beiträge,  die  keinesfalls  mehr  als  zwei  Fünftel  der  erforderlichen 
Aufwendungen  betragen  sollen,  bleibt  im  einzelnen  der  Verständigung 
des  Reiches  mit  den  beteiligten  Bundesstaaten  auf  Grund  genauerer 
Unterlagen  vorbehalten.  Die  Uebernahme  eines  Teiles  der  Entwurf- 
kosten erfolgt  lediglich,  um  die  Durchführbarkeit  und  Bauwürdigkeit 
der  einzelnen  Pläne  vom  Standpunkt  der  Reichswirtschaft  zu  ermitteln. 
Durch  sie  wird  dabei  der  späteren  Entscheidung,  ob  und  in  welchem 
Umfange  etwa  das  Reich  einen  Teil  der  Baukosten  für  die  eine  oder 
andere  Verbindung  übernehmen  wird,  in  keiner  Weise  vorgegriffen. 

Dem  preußischen  Abgeordnetenhause  ist  Anfang  Mai  1917  ein 
Gesetzentwurf  zugegangen,  in  dem  die  Bereitstellung  von  weiteren 
Staatsmitteln  für  die  Herstellung  des  Schiffahrtskanals  vom 
Rhein  zur  Weser  gefordert  wird,  und  zwar  rund  13  Mill.,  die  zur 
Herstellung  einer  zweiten  Mündung  des  Rhein-Herne-Kanals  in 
den  Rhein  dienen  sollen. 

Einem  Bericht  im  Handelsteil  der  „Frankfurter  Zeitung"  (vom 
20.  Mai  1917)  über  die  Börse  und  den  Geldmarkt  in  London  sind  die 
folgenden  Angaben  über  die  bevorstehende  Verstaatlichung  der 
kanadischen  Eisenbahnen  entnommen: 

Wenig  Freude  hat  der  Bericht  der  parlamentarischen  Untersuchungs-Kom- 
mission betreffend  die  kanadischen  Bahnen  den  englischen  Kapitalisten  bereitet, 
nachdem  er  zweifellos  eine  starke  Mißwirtschaft  aufdeckte.  Kanada  hat  heute 
eine  englische  Meüe  Eisenbahnlinie  auf  je  185  Einwohner,  während  die  Ver- 
einigten Staaten  auf  je  400  Einwohner,  Großbritannien  auf  je  2000  Einwohner 
eine  Meile  Bahnlinie  verzeichnen.  Der  Bericht  gipfelt  in  der  Forderung,  die 
Canadian  Northern,  die  Grand  Trunk  und  Grand  Trunk  Pacific,  die  Intercolonial 
und  Transcontinental-Linien  zu  verstaatlichen  und  unter  gemeinsame  Verwaltung 
zu  stellen,  um  die  Interessen  der  beteiligten  Kapitalisten  tunlichst  zu  wahren. 
Es  war  vorauszusehen,  daß  die  Verwaltung  der  Grand  Trunk-Linien  mit  einem 
scharfen  Protest  auf  die  erhobenen  Anklagen  antworten  würde ;  dieser  ist  in  heftig- 
ster Form  erfolgt,  und  dürfte  nun  die  öffentHche  Diskussion  der  Beteiligten  ein- 
setzen, die  erbauliche  Dinge  über  die  vielgerühmten  englischen  Finanzierungs- 
methoden zutage  fördern  wird.  Für  eingeweihte  Kreise  ist  es  nichts  Neues,  daß 
trotz  des  phänomenalen  Erfolges  der  Canadian  Pacific-Eisenbahn  die  kanadische 
Kolonie  den  korruptesten  Distrikt  des  englischen  Weltreichs  büdet ;  der  Weltkrieg 
dürfte  in  dieser  Beziehung  mit  gar  manchen  Blusionen  aufräumen. 

P.  Arndt. 

V.  Versicherungswesen. 

Inhalt:  1.  Privatversicherung.  Deutschland:  Ergebnisse  der 
Lebensversicherungsgesellschaften  1916.  Deutsche  Lebensversicherung  bei  ameri- 
kanischen Gesellschaften.  Neue  Wege  in  der  Seeversicherung.  Güde  für  Trans- 
portversicherung. Errichtung  eines  deutschen  Schiffsnachrichtendienstes.  Zu- 
sammenschluß von  Versicherimgsgesellschaften.  Ausland:  Oesterreich-ungarische 
Lebensversicherung  1916.    Versicherungswesen  in  Polen.     Versicherungswesen  in 


—    339    — 

Spanien.  Plan  eines  Lebens versicherungs- Staatsmonopols  in  Dänemark.  Nor- 
wegische Kriegsversicherung.  Französische  Seeversicherung.  Aktienkurse  der 
russischen  Versicherungsgesellschaften.  Englischer  Versicherungsmarktbericht  1916. 
Neue  englische  Versicherungsanstalten.  Steigen  der  Seeversicherungssätze  in 
England.    Ausdehnung  der  englischen  Kriegsversicherung. 

2.  Sozialversicherung.  Deutschland:  Betriebsunfälle  in  der  Kriegs- 
zeit. Hamburgische  Krankenversicherung  für  Dienstboten.  Ausland:  Zur  Aus- 
gestaltung der  Pensionsversicherung  in  Oesterreich.  Arbeiterversicherungskassen 
m  Serbien. 

1.  Privatversicherung. 

Die  Abschlüsse  von  47  Privat-Lebensversicherungs- 
gesellschaften  für  das  Jahr  1916  sind  im  Wiener  „Nationalökonom" 
zusammengestellt.  Daraus  ergibt  sich,  daß  die  Anstalten  Neuabschlüsse 
in  Höhe  von  603,9  Mill.  M.  Versicherungssumme  und  1,7  Mill.  M. 
Jahresrente  aufzuweisen  haben. 

Gegenüber  den  Vorjahren  zeigt  sich  folgende  Abnahme: 


Policen 

Versicherungs- 

davon Volks- 

Jahres- 

kapital 

versicherung 

renten 

1916 

591  824 

603  866  962 

HO  436  943 

I  696  989 

1915 

429693 

527  638  487 

84783516 

I  089  588 

1914 

I  092  303 

I  260  029  698 

220  702  283 

2  214  186 

1913 

I  541  140 

I  764  225  782 

317  187  233 

2  412  123 

1912 

I  438  701 

I  738  346  388 

296  674  758 

2  780932 

Diese  Aufstellung  zeigt  die  bedeutende  Verringerung  des  Neuzugangs 
gegen  1913  und  1914,  aber  eine  Steigerung  gegen  1916.  Es  ist  jeden- 
falls ein  bedeutsamer  Erfolg,  in  einem  Kriegsjahre  mehr  als  600  Mill.  M. 
an  neuen  Versicherungen  zum  Abschlüsse  zu  bringen.  Soweit  Berichte 
vorliegen,  haben  die  großen  Ausgaben,  welche  die  Kriegsschäden  er- 
forderten, die  finanzielle  Lage  der  Gesellschaften  auch  im  dritten  Kriegs- 
jahre nicht  zu  erschüttern  vermocht. 

Ueber  die  deutschen  Lebensversicherungen  bei  ameri- 
kanischen Gesellschaften  ist  der  „Frankfurter Zeitung"  folgendes 
zu  entnehmen. 

In  den  Kreisen  derjenigen  deutschen  Versicherten,  die  eine  Lebensversiche- 
rungspolice bei  amerikanischen  Lebensversicherungsgesellschaften  laufen  haben, 
herrschen,  wie  aus  Anfragen  aus  unserem  Leserkreis  hervorgeht,  noch  immer 
Zweifel,  wie  sie  sich  bezüglich  der  Prämienzahlung  verhalten  sollen.  Wir  weisen 
deshalb  nochmals  darauf  hin,  daß  von  den  in  Deutschland  zugelassenen  ameri- 
kanischen Versicherungsgesellschaften  nur  vier  in  Betracht  kommen,  nämlich  die 
„New  York" -Lebensversicherungsgesellschaft,  die  New  Yorker  „Germania",  die 
„Equitable"  und  die  „Mutual"  Leoensversicherungsgesellschaft.  Die  vier  Lebens- 
versicherungsgesellschaften sind  verpflichtet,  den  vollen  Wert  ihrer  Prämien- 
reserven für  das  deutsche  Geschäft  in  Deutschland  zu  hinterlegen  und  sicherzu- 
stellen. Die  Prämien  aller  deutschen  Versicherungsverträge  werden  in  mündel- 
sicheren deutschen  Papieren  derart  angelegt,  daß  ohne  Genehmigung  des  Auf- 
sichtsamtes darüber  nicht  verfügt  werden  kann.  Außerdem  haben  die  Gesell- 
schaften für  das  Deckungskapital  f ür  die  erforderlichen  Sicherungen  in  Deutsch- 
land zu  sorgen.  Deshalb  erscheinen  die  in  Deutschland  vorhandenen  Sicherungen 
ausreichend  groß,  daß  die  amerikanischen  Versicherungsgesellschaften  ihren  Ver- 
pflichtungen gegenüber  den   deutschen  Versicherungsnehmern  jederzeit  voll  ent- 


—    340    — 

eprechen  können.  Dadurch  erledigt  sich  auch  die  Frage,  ob  eine  Weiterzahlung 
der  Prämie  erfolgen  soll  oder  nicht;  wenn  die  Kechtskraft  der  Police  aufrecht- 
erhalten werden  soll,  so  müssen  die  Prämien  weitergezahlt  werden. 

NeueWege  in  der  deutschen  Seeversicherung  schildert 
ein  Hamburger  Bericht  der  „Münchener  Neuesten  Nachrichten*',  wie 
folgt: 

In  allen  Kreisen,  die  sich  für  die  Transportversicherung,  insbesondere  für 
die  Seeversicherung  interessieren,  zeigt  sich  schon  seit  geraumer  Zeit  eine  starke 
Bewegung,  die  auf  die  Organisation  dieses  wichtigen  nationalen  Versicherungs- 
zweiges gerichtet  ist  und  jetzt  durch  den  Krieg  eine  besondere  Bedeutung  erlangt 
hat.  Nicht  nur,  daß  bestehende  Gesellschaften,  die  bisher  der  Transportversiche- 
rung fernstanden,  sich  diesem  Arbeitsfelde  zuwenden,  daß  Transportversicherungs- 
gesellschaften ihr  Kapital  erhöhen,  daß  neue  Unternehmungen,  die  sich  haupt- 
sächlich der  überseeischen  Transportversicherung  widmen  wollen,  gegründet  werden 
—  wie  der  neue  „Hamburger  Lloyd"  mit  6  Mill.  M.  Kapital,  dem  die  Dunker- 
Gruppe  nahesteht  — ,  auch  ganz  neue  Bahnen,  neue  Entwicklungslinien  treten 
in  den  Gesichtskreis,  werden  erörtert,  vorbereitet,  vielleicht  bald  beschritten.  Da- 
hin ist  auch  das  Projekt  zu  rechnen,  in  Hamburg  nach  dem  Vorbild  der  eng- 
lischen E^lub- Versicherung  eine  Privat-Transportvericherungs- Vereinigung  zu  er- 
richten. Bei  dieser  Gilde  soll  ebenso  wie  bei  Lloyds  Underwriter  jedes  Mitglied 
einen  Einschuß  von  100000  M.  hinterlegen  und  außerdem  mit  seinem  ganzen 
Vermögen  für  etwaige  Verluste  haftbar  sein.  Ob  sich  für  diese  Idee  wirklich 
maßgebende  Handels-  und  Schiffahrtskreise  ins  Zeug  legen  werden,  erscheint 
zunächst  fraglich.  Das  englische  Vorbild  dürfte  nicht  in  allen  Teilen  auf  unsere 
Verhältnisse  passen;  manchen  reichen  Privatmann,  der  sich  sonst  wohl  für  die 
Idee  erwärmen  könnte,  wird  es  abschrecken,  sein  ganzes  Vermögen  bei  so  starken 
Eisiken  einzusetzen.  Tatsächlich  begegnet  man  hier  denn  auch  in  dieser  Be- 
ziehung großer  Zurückhaltung.  Man  will  allenfalls  gelten  lassen,  daß  eine  solche 
Privatversicherung  in  Frage  kommen  kann  für  die  Werte  kleinerer  oder  mittlerer 
Schiffahrtsunternehmungen,  während  die  Versicherung  auf  Gegenseitigkeit  für  die 
große  überseeische  Schiffahrt  kaum  ausreichen  dürfte. 

Unsere  Großschiffahrt  selbst  hat  auch  gerade  in  der  Versicherung  ihrer 
Schiffswerte  für  die  Zukunft  eigene  Pläne.  Nach  den  Vorbereitungen,  welche 
von  unseren  Großreedereien  schon  vor  dem  Kriege  getroffen  wurden,  muß  man 
annehmen,  daß  ihre  Pläne  mehr  dahinzielen,  unter  sich  eine  gemeinsame  Organi- 
sation zu  schaffen.  Das  dürfte  ihnen  im  allgemeinen  wohl  auch  gelingen.  Es 
wird  möglich  sein,  für  fast  alle  Eisiken  bei  uns  im  Lande  Deckung  zu  finden, 
wie  auch  eine  Umfrage  der  Eeichsversicherungsbehörde  erwiesen  hat.  Nur  für 
die  Eiesenschiffe,  die  Mammut-Dampfer,  für  deren  Versicherung  vor  dem  Kriege 
bestimmte  Abmachungen  auch  mit  englischen  Großreedereien  bestanden  haben, 
müssen  neue  Wege  der  Versicherung  geschaffen  werden.  Hierfür  wäre  ein  Zu- 
sammenschluß der  Interessenten,  eine  starke  Organisation  ins  Leben  zu  rufen.  Die 
jetzt  stetig  wachsende  Kraft  unserer  Transportversicherungsgesellschaften  bahnt 
diese  Möglichkeit  an,  und  die  in  diesem  Zweige  der  Versicherung  immer  klarer 
zutage  tretende  Gruppenbüdung,  eine  Bestrebung,  die  sich  von  jeder  Vertrustung 
fernhalten  muß,  wird  einen  genügend  kraftvoUen  Faktor  bilden,  um  vielleicht 
unter  Heranziehung  anderer  Versicherungsgruppen  auch  diese  größten  Eisiken 
der  Seeversicherung  im  Lande  selbst  unterzubringen. 

Ob,  wie  von  manchen  Seiten  angenommen  wird,  die  Deutsche  Seeyersiche- 
ri^igs-Gesellschaft  von  1914,  die  vorläufig  nach  dem  Kriege  nun  doch  in  Form 
einer  reinen  EückversicherungsgeseUschaft  bestehen  bleiben  wird,  den  Kern  und 
den  Träger  in  finanzieller  Beziehung  für  eine  Beteiligung  des  Eeiches  an  der 
nationalen,  höchst  wichtigen  Aufgabe  der  Versicherung  unserer  Ueberseeschiffe 
abgeben  kann  und  soll,  muß  vorderhand  noch  bezweifelt  werden.  Durchaus 
fraglich  ist  es  sogar,  ob  eine  solche  geschäftsmäßige  Beteiligung  des  Eeiches  an 
der  Seeversicherung  nützlich  und  notwendig  ist.  Die  Bedürfnisfrage  dürfte  eher 
zu  verneinen   sein.    Durchaus  notwendig  ist  dagegen,   daß  keine  Zersplitterung 


—    341     ~ 

unter  den  verschiedenen  Interessentengruppen  eintritt,  so  daß  eine  kraftvolle 
nationale  Organisation  für  unsere  Seeversicherung  ersteht.  Die  großen  Unter- 
nehmungen unserer  Seeschiffahrt  und  auf  der  anderen  Seite  der  deutschen  Trans- 
portversicherung dürften  wohl  einen  gemeinsamen  Weg  finden,  auf  dem  sie  zum 
Nutzen  unserer  für  das  Wiederaufblühen  des  Wirtschaftslebens  ganz  unentbehr- 
lichen Seeschiffahrt,  die  in  der  ersten  Zeit  nach  Friedensschluß  noch  besonders 
stark  durch  Minen  gefährdet  sein  wird,  eine  Arbeitsmöglichkeit  durch  Deckung 
der  großen  ßisiken  schaffen. 

In  Verbindung  mit  diesen  Neuerungen  in  Hamburg  steht  femer 
die  Errichtung  eines  deutschen  Schiffsnachricbten- 
dienstes.     Hierüber  meldet  die  „Vossische  Zeitung"  : 

Der  aus  der  Notwendigkeit  des  Krieges  geborene  Plan  zur  Gründung  eines 
Unternehmens  für  den  deutschen  Schiffsnachrichtendienst,  der  die  Unabhängigkeit 
von  England  gewährleisten  soll,  wurde  in  Hamburg  durch  die  Errichtung  des  Ver- 
eins „Seedienst"  in  die  Tat  umgesetzt.  Etwa  400  Vertreter  der  Seeschiffahrt, 
der  Seeversicherung,  des  Handels  und  anderer  Interessenvertretungen  hatten  sich 
zu  diesem  Zwecke  zusammengefunden;  auch  die  Staatsbehörden  Hamburgs  und 
Lübecks,  sowie  Abgeordnete  des  Eeichstages  und  anderer  deutscher  Parlamente 
waren  erschienen.  Unter  lebhaftem  Beifall  wurde  eine  Entschließung  angenommen, 
welche  die  Schaffung  eines  Schiffsnachrichtendienstes  im  Interesse  der  gesamten 
deutschen  Volkswirtschaft  für  dringend  erforderlich  erklärt  und  den  vorbereitenden 
Ausschuß  mit  den  weiteren  Arbeiten  betraut.  In  diesem  Ausschuß,  der  vorläufig 
aus  12  Mitgliedern  besteht,  sind  vertreten  außer  den  Keedereien  die  Seeversicherer, 
die  Banken,  die  Schiffswerften,  die  Baumwollindustrie,  die  Exporteure,  der  Ein- 
fuhrhandel und  die  Kolonialinteressen.  Der  Verlauf  der  Versammlung  befestigte 
die  Erwartung,  daß  die  Gründung  des  Vereins  „Seedienst«  und  der  „Schiffahrts- 
zeitung"  gesichert  und  auch  die  finanzielle  Grundlage  in  kurzer  Zeit  gefunden 
sein  wird. 

Abermals  ist  von  einem  geplanten  Zusammenschluß  von 
Versicherungsgesellschaften  zu  melden. 

Die  Versicherungsgesellschaft  „Thuringia"  in  Erfurt  beantragt  Fusion  mit  der 
„Fortuna"  Allgemeine  Versicherungs- Aktiengesellschaft  in  BerUn,  mit  Wirkung  ab 
1.  Januar  1917,  und  Erhöhung  des  Aktienkapitals  um  750000  M.  Die  „Fortuna" 
empfiehlt  ihren  Aktionären,  den  Fusionsantrag  anzunehmen.  Die  „Thuringia", 
die  bisher  die  Transportversicherung  nur  in  der  Valorenbranche  betrieb,  wird  in 
Zukunft  die  gesamte  Transportversicherung  betreiben.  Für  je  zwei  Fortuna- 
Aktien  wird  eine  Thuringia- Aktie  gewährt.  Die  Gewinnanteile  für  1916  verbleiben 
den  Aktionären.  Die  Leitung  der  Transportversicherung  bleibt  in  Berlin.  Der 
Vorsitzende  der  „Fortuna"  wird  in  den  Aufsichtsrat  der  „Thuringia"  eintreten, 
die  anderen  Aufsichtsräte  der  „Fortuna"  werden  in  einen  Prüfungsausschuß  ge- 
wählt werden.  Die  Thuringia  schlägt  wieder  400  M.  für  die  Aktie  aus  einem 
Jahresüberschuß  von  2  631 625  M.  (im  Vorjahr  2  303 152  MJ  vor,  die  Fortuna 
wieder  220  M.  aus  einem  Jahresüberschuß  von  192  282  M.  (170  700  M.). 

Ueber  die  österreichisch-ungarischenLebensversiche- 
rungsgesellschaften  im  Jahre  1916  sind  dem  Wiener  „National- 
ökonom" folgende  Angaben  zu  entnehmen: 

Die  Befürchtung,  der  Weltkrieg  werde  einen  Zusammenbruch  der  Volks- 
wirtschaft herbeiführen,  zeigt  sich  immer  mehr  als  grundlos;  ein  Beispiel  dafür 
liefert  die  Lebensversicherung.  Unsere  Gesellschaften  haben  im  Jahre  1916  die 
stattliche  Summe  von  344,3  Mill.  K.  neu  versichert,  um  60  MiU.  mehr  als  im 
Vorjahre.  Gegen  das  letzte  Friedensjahr,  das  975  MUl.  Produktion  brachte,  ist 
der  Kückgang  allerdings  bedeutend.  Aber  es  zeugt  von  der  ausgezeichneten 
Außenorganisation  unserer  Institute,  wenn  sie  ungeachtet  aller  Schwierigkeiten, 


—    342    — 

welche  der  Krieg  gerade  der  Lebensversicherung  bereitet,  ungeachtet  des  dezi- 
mierten Agentenapparates  für  Vs  Milliarde  K.  neue  Versicherungen  abschließen 
konnte. 

Die  Produktion  reicht  allerdings  nicht  aus,  um  die  großen  Abfälle  zu 
decken,  und  man  muß  sich  mit  dem  Gedanken  vertraut  machen,  daß  ein  nicht 
unbedeutender  Kückgang  der  versicherten  Summen  eintreten  wird.  Anderseits 
ist  zu  erwarten,  daß  der  finanzielle  Erfolg  nicht  ungünstig  sein  wird,  ungeachtet 
der  vielen  Kriegsschäden  und  der  neuerlichen  Kursverluste.  Jedenfalls  ist  der 
Beweis  erbracht,  daß  unsere  Gesellschaften  allen  Anforderungen  gewachsen  sind 
und  reichliche  Mittel  für  die  Erfüllung  aller  Verpflichtungen  besitzen. 

Die  Produktion  der  österreichisch-ungarischen  Lebensversicherungsgesell- 
schaften zeigt  bis  zum  Jahre  1913  eine  andauernde  Steigerung;  es  wurden  neu 
ausgestellt  in  Kronen: 


Aktien- 

Gegenseitigkeits- 

Totale 

Gesellschaften 

Anstalten 

1875 

68  126000 

31944000 

100070000 

1880 

85  800  000 

3 1  460  000 

117  260000 

1885 

152  252  000 

45  258  000 

197  508  000 

1890 

174  218  000 

49  186  000 

223404000 

1895 

203  128000 

80  848  000 

283  976  000 

1900 

298  843  000 

121  073000 

419  916  000 

1905 

405583910 

162  136  711 

567  720621 

1910 

602  797  762 

249019  186 

851  816948 

1911 

643  935  652 

252  152  271 

896087  923 

1912 

719707699 

250915570 

970623  269 

1913 

730070791 

244  785  546 

974856337 

1914 

561  176320 

182  407  486 

743  583  806 

1915 

230214446 

54379980 

284  594  426 

1916 

270558209 

73  765  067 

344  323  276 

Die  vorstehende  Tabelle  weist  die  Produktion  für  die  einzelnen  Gesellschaften 
aus,  und  werden  wohl  einzelne  dieser  Ziffern  noch  Korrekturen  erfahren.  Dies 
beeinträchtigt  jedoch  den  Wert  dieser  Aufstellung  nicht,  da  die  Gesamtsumme 
erfahrungsgemäß  nur  um  wenige  Prozente  durch  die  endgültigen  Ziffern  abge- 
ändert wird. 

Die  Volksversicherung  wird  in  Oesterreich  noch  immer  sehr  vernach- 
lässigt, wenn  man  bedenkt,  daß  die  deutschen  Gesellschaften  1913  bereits  für 
375  Mill.  K.  zum  Abschlüsse  brachten.  Von  unseren  Gesellschaften  wurden  im 
Jahre  1913  nur  65,3,  im  Berichtsjahre  45,2  Mill.  neu  abgeschlossen.  Wir  sind 
überzeugt,  daß  auch  bei  uns  viel  mehr  erzielt  werden  könnte.  Einige  unserer 
großen  Anstalten  beschäftigen  sich  mit  der  Frage,  ob  sie  die  Volksversicherung 
nicht  in  ihr  Programm  aufnehmen  sollen. 

Rentenversicherungen  wurden  1916,  soweit  konstatierbar,  in  geringem 
Maße  abgeschlossen.  Insgesamt  wurden  wohl  kaum  mehr  als  für  17*  Mill.  K. 
Jahresrenten  realisiert. 

Das  Versicherungswesen  in  Polen  hat  infolge  des  Krieges 
grundlegende  Veränderungen  erfahren.  Nach  dem  „Berl.  Tageblatt" 
wurde  den  Vertretern  der  im  Gebiete  des  Generalgouvernements 
Warschau  tätigen  feindlichen  (russischen)  Versicherungsgesellschaften, 
die  auf  Anordnung  des  Verwaltungschefs  bei  dem  Generalgouvernement 
Warschau  bereits  seit  Mitte  des  vorigen  Jahres  unter  Geschäftsauf- 
sicht stehen,  von  der  Aufsichtsperson  der  Abschluß  neuer,  die  Abände- 
rung laufender  und  die  Erneuerung  ablaufender  Feuer-,  Einbruchsdieb- 
stahl-, Glas-  und  Transportversicherungsverträge  für  die  von  ihnen  ver- 


—    343    — 

tretenen  Gesellschaften  untersagt.  Die  Verhältnisse,  die  zu  diesen  Maß- 
nahmen geführt  haben,  werden  in  der  „Deutschen  Warschauer  Zeitung", 
wie  folgt,  geschildert: 

Seit  der  Besetzung  Polens  durch  die  verbündeten  Mächte  sind  die  polnischen 
Vertretungen  der  hier  arbeitenden  Versicherungsgesellschaften,  die  ihren  Sitz  im 
feindlichen  Auslande  haben,  außer  jeder  Verbindung  mit  ihren  Zentralen.  Infolge- 
dessen standen  ihnen  seit  jener  Zeit  weder  die  Garantie-  noch  die  Kückversiche- 
rungsmittel  der  Zentralen  bei  ihrem  Geschäftsbetriebe  zur  Verfügung,  so  daß  sie 
zur  Fortführung  ihres  Betriebes  seitdem  lediglich  auf  die  fähig  werdenden  Prämien 
angewiesen  waren.  Da  diese  nun,  insbesondere  in  der  Sachversicherung,  infolge 
der  Entwicklung  der  Verhältnisse  in  der  Industrie  immer  mehr  zurückgehen 
und  auch  großenteils  von  den  Außenorganen  schwer  eintreibbar  sind,  rückt  die 
Gefahr  immer  näher,  daß  auch  die  \^rtretungen  der  größten  und  leistungs- 
fähigsten feindlichen  Versicherungsgesellschaften  durch  den  Eintritt  größerer 
Schadensfälle  in  die  Unmöglichkeit  versetzt  werden,  ihren  Verpflichtungen  nach- 
zukommen, so  daß  die  Versicherung  ihren  Zweck,  dem  Versicherten  unmittelbar 
nach  dem  Schadensfalle  Mittel  zur  Verfügung  zu  stellen,  vöUig  verfehlt.  Um  dem 
Eintritt  solcher  Vorkommnisse  vorzubeugen  und  dadurch  die  Versicherten  vor 
ferneren  möglichen  Schädigungen  zu  bewahren,  ist  im  Interesse  und  zum  Schutze 
der  Versichterten  den  Vertretungen  feindlicher  Versicherungsgesellschaften  der 
Abschluß  neuer,  die  Abänderung  laufender  und  die  Erneuerung  ablaufender 
Feuer-,  Einbruchsdiebstahl-,  Glas- und  Transportversicherungsverträge  für  die  von 
ihnen  vertretenen  Gesellschaften  auf  Grund  der  Verordnung  betreffend  Zwangs- 
verwaltung vom  10.  Juli  1915  und  Ergänzung  dazu  vom  22.  März  1916  unter- 
sagt worden.  Das  bestehende  Versicherungsbedürfnis  kann  auch  in  Zukunft 
leicht  bei  den  einheimischen  polnischen  und  bei  den  seit  der  Besetzung  Polens 
hier  zugelassenen  deutschen  Versicherungsgesellschaften  befriedigt  werden,  so  daß 
der  Eintritt  eines  Versicherungsnotstandes  völlig  ausgeschlossen  erscheint. 

Die  Versicherungsgesellschaften  in  Spanien  erzielten 
im  Jahre  1915  folgende  Einnahmen  in  Pesetas: 

in  der  Lebensversicherung  8  699  777 

,,  „    Pensions  Versicherung  3  668  430 

„  „    Feuerversicherung  13320000 

„  „    Hagelschaden  Versicherung  2  762  963 

,,  „    KoUektiv-ArbeiterunfaU  Versicherung  4669221 

„  „    Krankenversicherung  4635165 

„  ,,    privaten  Unfallversicherung  476  501 

,,  ,,    Glasversicherung  2t>o  768 

„  anderen  Versicherungsarten  9531051 

Im  Verhältnis  zu  den  inländischen  Gesellschaften  entfalteten  die  auslän 
dischen  Versicherungsgesellschaften  eine  rege  Tätigkeit.  In  der  Lebensversiche- 
rung waren  der  Letzteren  Prämieneinnahmen  geracfe  doppelt  so  hoch  wie  die  dei 
spanischen.  Im  Feuerversicherungs^eschäft  standen  die  spanischen  Gesellschaften 
besser.  Zurzeit  wird  von  skandinavischen  Gesellschaften  Spanien  außerordentlich 
kräftig  bearbeitet. 

Ueber  den  Plan  eines  Staatsmonopols  für  Lebensver- 
sicherung in  Dänemark  schreibt  die  „Oesterreichische  Versiche- 
rungszeitung" : 

Gelegentlich  der  Diskussion  nach  einem  Vortrage  über  das  Verhältnis  der 
Lebensversicherung  zum  Staat,  welchen  der  Direktor  der  dänischen  Versiche- 
rungsanstalt, Dr.  Iversen,  kürzlich  gehalten  hat,  deutete  der  anwesende  Verkehrs- 
minister, Herr  Hassing-Jörgensen  an,  daß  der  Staat  früher  oder  später  auf  dem 


-    344    — 

Gebiete  der  privaten  Lebensversicherungstätigkeit  eingreifen  werde.  Wenn  auch 
der  Minister  sich  über  die  Art  dieses  Eingriffes  nicht  näher  ausgelassen  hat,  so 
wurde  doch  von  den  Anwesenden  allgemein  die  Form  des  Monopols  darunter 
verstanden.  Gegen  dieses  Projekt  nimmt  nun  das  dänische  Fachblatt  „Assurance- 
tidende"  Stellung  und  verwahrt  sich  vor  allen  Dingen  §egen  die  eventuelle  viel- 
fach mißbrauchte  Motivierung,  daß  der  Krieg  und  seme  Folgen  eine  derartige 
Aenderung  notwendig  gemacht  habe.  Das  Blatt  gibt  zu,  daß  auf  dem  Gebiete 
der  privaten  Versicherung  manches  zu  bessern  sei,  hauptsächlich,  daß  man  dem 
allzugroßen  vorzeitigen  Abgang  von  Versicherungen  vorbeugen,  die  Aequisitions- 
Unkosten  der  privaten  Gesellschaften  vermindern  und  einige  Formen  der  Agitation 
ändern  müsse.  Ob  aber  die  Einführung  des  Staatsmonopols  auf  diesem  Gebiete 
einen  durchgreifenden  Nutzen  bringen  würde,  sei  sehr  fraglich,  und  wenn  es  der 
Fall  wäre,  so  würde  das  Monopol  nach  anderen  E-ichtungen  so  viel  zerstören, 
daß  der  Schaden  gar  nicht  wieder  gutgemacht  werden  könne.  Das  Blatt  ver- 
weist in  dieser  Beziehung  auf  die  Verhältnisse  in  Italien.  Außerdem  sei  das  Ver- 
sicherungs- Aufsichtsgesetz,  sofern  es  jeweils  den  bestehenden  neuen  Verhältnissen 
angepaßt  wäre,  eine  genügende  Garantie  für  den  Staat  dafür,  daß  sich  die  private 
Versicherungstätigkeit  ordnungsgemäß  abwickle.  Auch  darauf  macht  das  Blatt 
aufmerksam,  daß  die  Propagandatätigkeit  der  Agenten  der  privaten  Lebensver- 
sicherungsgesellschaften vielfach  schon  jetzt  der  bestehenden  staatlichen  Ver- 
sicherungsanstalt unmittelbar  zugute  kommt,  da  viele  Versicherungsnehmer,  nach- 
dem sie  durch  die  privaten  Agenten  dem  Gedanken  einer  Versicherung  zugeführt 
worden  sind,  diese  schließlich  bei  der  Staatsanstalt  abschließen.  Das  Blatt  schließt 
mit  folgenden  Worten :  „Die  private  Initiative  ist,  wofern  nicht  bei  jeder  Tätigkeit, 
so  doch  jedenfalls  im  Versicherungswesen,  der  Grundpfeiler,  und  ein  Staats- 
monopol für  Lebensversicherungen  würde  nur  die  großen  Kesultate,  welche  die 
privaten  Gesellschaften  durch  energische  Arbeit  schließlich  zuwege  gebracht 
haben,  zerstören." 

Eine  Meldung  aus  Kristiania  besagt,  daß  die  norwegische 
Kriegsversicherung  am  1.  Mai  bereits  mit  einem  Fehlbetrag 
von  118  Mill.  Kr.  zu  rechnen  gehabt  hat.  Zur  Deckung  des  Fehl- 
betrages sollen  sämtliche  beteiligten  Reedereien  einen  Zuschuß  von 
50  Proz.  des  bisherigen  Gebührensatzes  zahlen. 

Ueber  die  in  der  französischen  Seeversicherung  zufolge 
des  Krieges  herrschende  Krisis  meldet  die  „Oesterreichische  Ver- 
sicherungszeitung" ; 

Vor  ihrer  letzten  Vertagung  gegen  Ende  des  vorigen  Monats  haben  die 
französische  Kammer  und  der  Senat  das  Gesetz,  das  die  obligatorische  Kriegs- 
versicherung der  Handelsschiffe  von  mehr  als  500  Bruttotonnen  verfügte,  auch 
auf  die  Ladung  der  Schiffe  erstrecken  woUen  und  einen  Ausschuß  mit  dem 
Studium  dieser  Frage  beauftragt.  Dagegen  machte  sich  in  der  Kammer  eine 
starke  Opposition  geltend,  so  dsS  sich  der  Berichterstatter  genötigt  sah,  den  be- 
treffenden Antrag  zurückzuziehen.  Die  Gegner  desselben  machten  geltend,  daß 
die  abnorme  Höhe  der  Kriegsversicherungsprämien  einen  großen  Teil 
der  französischen  Handelsflotte  zum  Stilliegen  in  den  Häfen  verurtefle  und  da- 
durch dem  Lande,  das  auf  die  Einfuhr  von  Nahrungsstoffen  angewiesen  sei, 
großen  Schaden  bringe.  Außerdem  weigere  sich  die  staatliche  Versicherung,  die 
Schiffskörper  höher  als  zu  den  vorgeschriebenen  Taxen  zu  bewerten,  und  zwinge 
dadurch  cfie  Eeeder,  die  Exzedenten  bei  ausländischen  Versicherungsgesellschaften 
zu  decken,  die  dafür  übermäßige  Prämien  verlangen,  was  wieder  auf  den  Schiffs- 
verkehr hemmend  einwirke  und  die  Preise  der  importierten  Waren  verteuere. 
Daraufhin  erließ  die  französische  Regierung  zwei  Verordnungen,  die  von  den 
gesetzgebenden  Körpern  auch  sofort  angenommen  wurden  und  nach  welchen 
einerseits  die  Prämien  für  die  obligatorische  Versicherung  der  Handelsmarine 
festgesetzt  und  anderseits   die  Reeder  angewiesen  werden,  ihre  Deklarationen  in 


—    345    — 

einer  Weise  abzugeben,  welche  die  Kontrolle  derselben  erleichtert.  Die  Prämien 
für  Ladungen,  die  bisher  im  privaten  Versicherungs verkehr  z.  B.  zwischen 
Marseile  und  den  algierischen  Häfen  8—10  Proz.  betragen  hatten,  wurden  auf 
2,75  Proz.  herabgesetzt,  jene  zwischen  dem  Biskayischen  Meerbusen  oder  Häfen 
des  Aermelkanals  und  England  von  8  Proz.  auf  3  Proz.  für  Dampfer,  und  von 
10—12  Proz.  auf  4V2  Proz.  für  Segler.  Für  transatlantische  Fahrten  wurde  der 
Satz  von  12 — 15  Proz.  auf  5,75  Proz.  herabgemindert.  Diese  Vereinfachung 
der  Prämienraten,  die  auf  die  Spezifikation  des  Kisikos,  wie  sie  bei  den  privaten 
See  Versicherungsgesellschaften  besteht,  keine  Eücksicht  nimmt,  verfolgt  den  Zweck, 
die  Einfuhr  auf  den  gefährdeten  Linien  im  nationalen  Interesse  zu  ermöglichen, 
ohne  Eücksicht  auf  die  sich  für  die  staatliche  Versicherungsanstalt  ergeoenden 
Verluste.  Der  Berichterstatter,  Guernier,  machte  übrigens  die  Kammer  im  vor- 
hinein auf  deren  sicheres  Eintreten  aufmerksam,  bezeichnete  sie  aber  als  unver- 
meidlich, um  die  bestehende  Krise  überwinden  zu  können. 

Auf  Ansuchen  des  russischen  Finananzministeriums  wurden  an  der 
Petersburger  Börse  die  Kurse  für  die  russischen  Versiche- 
rungsgesellschaften auf  Grundlage  der  Geschäftsberichte  von  1916 
festgesetzt.     Nach  dem  „Kurier"  stellen  sich  diese  folgendermaßen: 


Nomineller 

Festgesetzer 

Kurs 

Kurs 

Wolga 

100 

425 

Orient 

125 

340 

Russischer  Lloyd 

500 

800 

Versicherungsgesellscha 

ift  von  1835 

100 

200 

Mosko  witsch  er 

200 

900 

Russische  Rückversicherung 

250 

575 

Pomoe 

250 

300 

Rossija 

240 

950 

Zweite  russische 

100 

235 

Erste  russische 

400 

1575 

Russische 

100 

165 

Salamandia 

250 

700 

Nordische 

100 

500 

Jakor 

200 

450 

Russische  Transport 

100 

165 

Eine  Darstellung  des  englischen  Versicherungsmarkts  im 
Jahre  1916  veröffentlicht  der  „Berliner  Börsen-Coui-ier".  Daraus  ist 
folgendes  zu  entnehmen : 

Nach  den  vorliegenden  englischen  Berichten  ist  der  Markt  von  katastrophalen 
Schäden  bewahrt  geblieben.  Die  Resultate  der  Feuerversicherungsgesell- 
schaften werden  voraussichtlich  günstig  sein,  wenn  auch  nicht  so  günstig  wie 
in  1915,  in  welchem  Jahre  die  amerikanische  Abteilung  besonders  günstige  Ab- 
schlüsse ermöglichte.  Im  abgelaufenen  Jahre  sind  die  Feuerschäden  in  Amerika 
erheblich  gewachsen  und  ebenso  hat  eine  erhebliche  Anzahl  von  Bränden  im 
Vereinigten  Königreich  stattgefunden.  Den  erhöhten  Prämieneinnahmen  stehen 
wesentlich  erhöhte  Werte  für  Material  und  Produktion  gegenüber.  Die  Auf- 
merksamkeit der  Versicherten  wird  besonders  auf  die  Tatsache  gelenkt,  daß  mit 
Eücksicht  auf  die  erhöhten  Material-  und  Arbeitskosten  in  einer  erheblichen  An- 
zahl von  Fällen  die  Versicherungssumme  nicht  ausreicht;  anderseits  ist  ein 
größerer  Teil  der  erhöhten  Prämieneinnahme  durch  Nachversicherung  auf  Ge- 
äude  und  Inhalt  zurückzuführen.  Mit  Genugtuung  stellt  der  Bericht  fest,  daß 
trotz  der  Ausfälle  aus  Deutschland,  Oesterreich- Ungarn  und  den  anderen  feind- 
lichen Ländern  größere  Prämieneinnahmen  erzielt  wurden.     Dieses  Resultat  sei 


—    346    — 

vornehmlich  auf  den  Fortfall  der  feindlichen  Konkurrenz  zurückzuführen,  da  als 
Folge  dieses  ümstandes  bessere  Prämien  erzielt  wurden.  Der  Prämienbetrag,  der 
von  englischen  Feuer-  und  anderen  Versicherungsgesellschaften  an  ausländische 
Gesellschaften  für  Kückversicherung  bezahlt  wurde,  soll  schätzungsweise  20  Mill.  £ 
jährlich  betragen,  von  welcher  Summe  die  „Münchener  Eück"  allein  über  5  Mill.  £ 
vereinnahmt  habe.  Es  dürfe  nicht  außer  acht  gelassen  werden,  daß  englische 
Gesellschaften  mindestens  50  Proz.  ihres  Gesamtgeschäftes  vom  Auslande  er- 
hielten, besonders  von  den  Vereinigten  Staaten  Amerikas.  Sehr  erhebliche  Be- 
träge wurden  für  Flug-  und  Luftschiff- Versicherungen  vereinnahmt,  doch  waren 
bestimmte  Zahlen  nicht  zu  erfahren. 

Die  Feuerschäden  im  Jahre  1916  betrugen  schätzungsweise  3  364  350  £. 
Der  größte  Schaden  im  Jahre  war  auf  die  Widnes  Copper  Works  im  Mai  1916 
zu  verzeichnen,  und  zwar  in  Höhe  von  500000  £,  ferner  250000  £  für  einen 
doppelten  Feuerschaden  auf  Ellen  ßoad  Cotton,  der  größten  Spinnweberei  in 
Lancashire,  ferner  150000  £  bei  einem  Warenhaus  in  Upper  Thames  Street  in 
London,  100000  £  bei  einem  Feuerschaden  in  Londonderry,  weitere  100000  £  in 
Runcorn  Highfield  Tannery,  75  000  £  auf  die  großen  ßuchbinderwerke  in  Penton- 
ville  bei  London. 

Die  Feuerversicherungsgesellschaften  vereinnahmten  insgesamt  30  886184  £ 
und  erzielten  einen  Geschäftsgewinn  von  3  991080  £  oder  12,92  Proz.  gegenüber 
einem  Gewinn  von  1  834  765  £  oder  6,18  Proz.  im  Vorjahr.  Die  Verlustrate  ist 
von  56,64  Proz.  in  1915  auf  49,89  Proz.  in  1916  gefallen;  die  Ausgaben  steigen 
im  Verhältnis  von  37,16  Proz.  auf  37,18  Proz.  Die  Brandschäden  in  den  Ver- 
einigten Staaten  und  Kanada  betrugen  bis  Ende  1916  231442  995  3  gegen 
182  836  200  $  im  Jahre  1915.  Zwei  der  bedeutendsten  amerikanischen  Brand- 
schäden beliefen  sich  auf  je  11  Mill.  $  und  5  Mill.  $.  Der  größte  vorgekommene 
Schaden  trug  sich  auf  Black  Tom  Island  zu  und  belief  sich  auf  12  MiU.  3.  Ver- 
schiedene maßgebende  englische  Gesellschaften  waren  an  diesem  Schaden  be- 
teiligt, und  zwar  mit  60000  $  und  darunter.  Außer  dem  großen  Explosions- 
schaden in  Wladiwostock,  bei  welchem  es  noch  unbestimmt  ist,  ob  die  Feuer- 
versicherungsgesellschaften dafür  einzustehen  haben,  ereignete  sich  ein  großer 
Brandschaden  bei  den  militärischen  Anlagen  in  Lissabon,  der  ein  Kapital  von 
ca.  400  000  £  erforderte.  Die  bekannte  große  Feuersbrunst  in  Bergen  beanspruchte 
4  MiU.  £,  und  und  der  Schaden  in  Molde  in  Norwegen  gleichfalls  1  MiU.  £,  doch 
sind  die  englischen  GeseUschaften  angebUch  an  beiden  Schäden  nicht  mit  erheb- 
lichen Beträgen  beteüigt. 

Das  Geschäft  der  englischen  Lebensversicherungsgesellschaften 
hat  durch  den  E^rieg  erheblich  gelitten,  einmal  durch  die  übergroße  Anzahl  von 
TodesfäUen,  ferner  durch  die  geringere  Anzahl  von  gestellten  Anträgen,  da  die 
erhöhten  Steuern  das  Einkommen  des  großen  PubUkums  zu  stark  belasten,  ferner 
durch  die  umfangreichen  Heereseinziehungen  und  schUeßlich  auch  durch  den  aU- 
gemeinen  Geschäftsdruck.  Während  die  Kriegssterbefälle  im  Jahre  1914  sich  nur 
auf  1270  800  £  beliefen,  stieg  diese  Summe  im  Jahre  1915  auf  3  042  500  £  und 
betrug  im  Jahre  1916  bereits  7  500  000  £.  Wenn  auch  nach  den  vorUegenden  Be- 
richten die  Zahlungsfähigkeit  der  englischen  Gesellschaften  nicht  in  Zweifel  ge- 
zogen werden  darf,  da  die  in  englischen  Banksicherheiten  bestehenden  Depots 
aUein  75  MiU.  £  betrugen,  so  scheint  doch  die  Stimmung  eine  aUgemein  recht 
gedrückte  zu  sein.  Nach  den  im  August  vorigen  Jahres  veröffentUchten  Sterbe- 
tafeln hatte  die  Commercial  Union  Kriegssterbefälle  in  Höhe  von  25,31  Proz.  im 
Vergleich  zur  Gesamtsterblichkeit,  die  Royal  Exchange  and  Clerical,  Medical  and 
General  22  Proz.,  und  die  University  Life  18  Proz.  Aus  dem  Reiche  der  In- 
dustrie hatte  die  größte  Schadensziffer  die  Prudential,  welche  im  Jahre  1916  allein 
84550  SterbefäUe  mit  einem  Betrage  von  770123  £  bis  Ende  1916  zu  regulieren 
hatte. 

In  welch  bedeutendem  Umfange  es  den  englischen  Seeversicherern 
möglich  gewesen  ist,  während  des  Krieges  die  Summe  ihrer  Vertragsabschlüsse 
zu  vermehren,  wird  durch  die  von  der  „Royal  Exchange  Assurance"  veröffent- 
lichten Ziffern  erläutert.  Die  Prämieneinnahme  der  Seeversicherungsabteüung 
dieser   Korporation   ist   von   267  655  £  im   Jahre   1913   auf   359  008  £   in   1914, 


—    347    — 

854 124  £  in  1915  und  nicht  weniger  als  1  331 913  £  im  Jahre  1916  gestiegen. 
Diese  gewaltige  Zunahme  der  Prämieneinkünfte  war  natürlich  von  einer  ent- 
sprechenden Erhöhung  der  Schäden  begleitet.  So  stiegen  z.  B.  die  Schaden- 
regulierungen der  Koyal  Exchange  im  vergangenen  Jahre  von  488  200  £  auf 
8CK)  932  £.  Dank  der  Geschicklichkeit,  mit  der  die  Geschäfte  durchgeführt  wurden, 
scheinen  für  1915  befriedigende  Ueberschüsse  herausgewirtschaftet  worden  zu  sein, 
Ueber  das  Ergebnis  für  1916  ist  noch  nichts  bekannt  geworden.  Das  ständige 
Anwachsen  des  Eisikos  veranlaßt  jedoch  die  „Times"  zu  der  Bemerkung,  es  sei 
gewiß,  daß  die  Masse  der  Vertragsabschlüsse,  die  zurzeit  in  London  als  dem 
führenden  Seeversicherungsmarkt  der  Welt  angeboten  werde,  derart  zugenommen 
habe,  daß  die  Underwriters  gewiß  nicht  ungern  sehen  würden,  wenn  die  Kegierung 
ihren  Anteil  an  der  Uebernahme  von  Versicherungen  erhöhen  würde. 

Auch  einige  neue  Gründungen  englischer  Versiche- 
rungsgesellschaften sind  zu  melden: 

Mit  einem  Kapital  von  100  000  £  in  10  £ -Anteilen  ist  die  „Delta  Insurance 
Company  Ltd."  begründet  worden;  sie  wird  in  der  Hauptsache  die  Land-  und 
Seetransport- Versicherung,  und  zwar  direkt  als  Rückversicherungs  -  Gesellschaft, 
betreiben.  Ferner  ist  die  „United  Motor  and  General  Insurance  Company"  gleich- 
falls mit  einem  Nominalkapital  von  100  000  £  eingetragen.  Sie  will  sämtliche 
Versicherungszweige  betreiben  außer  der  Lebens-  und  Valorenversicherung.  Zu- 
nächst sind  20000  £  eingezahlt. 

Ueber  das  fortgesetzte  Steigen  der  Seeversicherungs- 
sätze in  England  sind  folgende  Mitteilungen  zu  machen: 

Seit  Ende  April  dieses  Jahres  sind  neue  Ansätze  in  den  Transportversiche- 
rungsprämien in  Kraft  getreten,  und  zwar  zwischen  Großbritannien  und  dem 
westlichen  Mittelmeer  25  Proz.,  nach  atlantischen  Häfen  Portugals  sowie  nach 
französischen  Mittelmeerhäfen  20  Proz.,  via  Dette  mit  Dampfern  neutraler  Flagge 
6  Proz.,  nach  Häfen  des  westlichen  Mittelmeers  20  Proz.,  nach  Nord-,  Zentral- 
und  Südamerika  20  Proz.,  via  einem  Hafen  des  Kontinents  zwischen  Bordeaux 
und  Amsterdam  20  Proz.,  per  neutrale  Dampfer  via  einem  holländischen  Hafen, 
direkt  bei  Benutzung  der  Freizone  10  Proz ,  via  einem  französischen  oder  italieni- 
schen Mittelmeerhafen  (ausgenommen  Cette)  20  Proz.,  via  Cette  oder  Spanien  mit 
Dampfern  neutraler  Flagge  6  Proz.,  via  Holland  mit  Umladung  in  Norwegen  mit 
Dampfern  neutraler  Flagge  bei  direkter  Fahrt  nach  Halifax  15  Proz.,  mit  An- 
laufen von  England  25  Proz.;  nach  Indien,  Ostasien,  Australien  und  Ostküste 
Afrikas:  via  einem  französischen  oder  italienischen  Mittelmeerhafen  20  Proz.,  via 
einem  Hafen  des  Kontinents  zwischen  Bordeaux  und  via  Suez,  via  Kap  oder  Pa- 
nama Amsterdam  25  Proz.  (20),  via  Spanien  oder  Cette  mit  Dampfern  neutraler  Flagge 
20  Proz.  (6) ;  nach  der  Westküste  Afrikas,  Azoren,  Canarische  und  Kap  Verdische 
Inseln :  via  einem  französischen  oder  italienischen  Mittelmeerhafen  oder  via  einem 
Hafen  des  Kontinents  zwischen  Bordeaux  und  Amsterdam  20  Proz.,  via  Spanien 
oder  Cette  mit  Dampfern  neutraler  Flagge  6  Proz.  usw. 

Lloyds  Agentur  berechnet  jetzt  als  Versicherungsprämie  für  Güter  von 
England  nach  Dänemark  26  Proz. 

Wie  „Manchester  Guardian"  meldet,  sind  die  englischen 
Ausfuhrhäuser  über  die  Steigerungen  sehr  bestürzt,  weil  die 
Kriegsversicherungsrate  wieder,  wie  in  den  ersten  Kriegstagen,  auf 
5  Proz.  festgesetzt  worden  ist.  Inzwischen  war  sie  bis  auf  15  sh  für 
100  £  (3/4  Proz.)  gesunken  und  stand  dann  lange  Zeit  auf  1  Guinee 
(21  sh)  für  100  £.  Vor  einigen  Monaten  stieg  sie  wieder  auf  2  Gui- 
neen,  am  19.  März  auf  3  Guineen.  Die  Steigerungen  kommen  also  in 
rascher  Folge  und  in  beträchtlicher  Höhe. 


—    348    — 

Die  englische  Regierung  übernimmt  neuerdings  auch  Kriegsver- 
sicherungen auf  Frachten,  die  mit  neutralen  Schiffen  transportiert  werden. 
Als  Prämien  werden  angegeben  für  die  Ostküste  Englands  nach  Frankreich  bis 
Brest  2  Proz.,  von  der  Westküste  Englands  nach  Frankreich  bis  Brest  2»/,  Proz.. 
nach  südlicher  gelegenen  Häfen  1  Proz.  mehr,  von  Großbritannien  und  Englana 
nach  den  atlantischen  Häfen  Spaniens  5  Proz.  Versicherungen  auf  diese  Route 
werden  jedoch  nur  angenommen,  wenn  die  Heimreise  mit  Frachten  nach  den 
Häfen  der  Alliierten  geschieht.  Zu  Reisen  von  Frankreich  nach  Portugal  und 
Häfen  des  Mittelländischen  Meeres  ergeben  sich  Prämiensätze  von  8  Proz.,  bei 
der  Reise  nach  der  südamerikanischen  Ostküste  7  Proz.  und  nach  Nordamerika 
8  Proz.  Nach  dem  Osten  betragen  die  Prämien  9  Proz.  für  Reisen  durch  den 
Suezkanal  und  7  Proz.  durch  den  Panamakanal  und  um  das  Kap  der  guten 
Hoffnung. 

Ueber  die  amerikanische  Kriegsversicherung  meldet  die 
„Frankfurter  Zeitung",  daß  die  amerikanische  Regierung  die  unter  ihrer 
Flagge  segelnden  Schiffe  mit  3  Proz.  gegen  Kriegsschäden  versichert. 
Bis  jetzt  hatten  die  Versicherungen  im  Durchschnitt  2  Proz.  betragen. 
Trotzdem  ist  die  offizielle  Rate  darum  als  zu  niedrig  zu  bezeichnen, 
weil  private  Gesellschaften  in  der  letzten  Zeit  für  Schiffe,  die  nach 
Großbritannien  fuhren,  und  solche,  die  nach  dem  Mittelmeere  gingen, 
sogar  10 — 12  Proz.  forderten. 

Die  amerikanische  Kriegs  Versicherung  für  Schiffe 
hat  in  der  Zeit  vom  2.  September  1914  bis  31.  Dezember  1916  1760 
Policen  ausgestellt,  deren  Gesamtversicherungssumme  182,2  Mill.  $  be- 
trug. Die  Prämieneinnahmen  in  demselben  Zeitraum  beliefen  sich  auf 
3,2  Mill.  $.     Bis  Ende  1916  betrugen  die  Nettoschäden  ca.  775  000  $. 

Wie  eine  New  Yorker  Meldung  besagt,  hat  der  amerikanische  Senat 
das  Gesetz  über  die  Schiffsversicherungen  gegen  Kriegs- 
gefahren angenommen  und  einen  Versicherungskredit  von  50  Mill.  $ 
für  in  der  Kriegszone  fahrende  Schiffe  bewilligt. 

2.  Sozialversicherung. 

In  den  „Amtlichen  Nachrichten  des  Reichs versicherungsamt es"  wird 
jetzt  der  Bericht  der  Träger  der  Unfallversicherung  für 
das  Jahr  1915  veröffentlicht.  Das  Ergebnis  ist,  kurz  zusammengefaßt, 
folgendes :  Es  wurden  insgesamt  592  504  Unfälle  gemeldet,  doch  er- 
hielten nur  96  227  Verletzte  eine  Entschädigung.  Von  den  Verletzten 
wurden  8969  getötet,  und  644  Verletzte  haben  als  Unfallfolge  dauernd 
völlige  Erwerbsunfähigkeit  davongetragen.  Die  Getöteten  hinterließen 
5808  Witwen,  11 122  Kinder  und  Enkel  und  328  Verwandte  in  auf- 
steigender Linie,  die  eine  Rente  erhielten. 

Die  absoluten  Unfallziffern  sind  niedriger  als  die  des  Vorjahres,  was  aus  dem 
Rückgang  der  Zahl  der  beschäftigten  Arbeiter  ohne  weiteres  erklärUch  ist.  Die 
in  dem  Bericht  angegebenen  Vergleichsziffern  des  Jahres  1914  lassen  die  Ein- 
wirkung des  Krieges  auf  den  Beschäftigungsgrad  der  Industrie  nicht  deutlich 
erkennen,  da  auch  das  Jahr  1914  zum  Teil  schon  unter  dem  Einfluß  des  Krieges 
stand.  Die  Vergleiche  lassen  sich  auch  nur  für  die  gewerblichen  Berufsgenossen- 
schaften durchfuhren.  Die  landwirtschaftlichen  Berufsgenossenschaften  rechnen 
unverändert  mit  17  403  000  beschäftigten  Personen,  die  auf  Grund  der  Betriebs- 
statistik vom  Jahre  1907  schätzungsweise  festgestellt  wurden. 


—    349    - 

Die  68  gewerblichen  ßerufsgenossenschaften  umfaßten  im  Jahre  1913 
828  335  Betriebe;  diese  Zahl  war  im  Jahre  1915  auf  789  078  zurückgegangen.  An 
versicherten  Personen  wurden  im  Jahre  1913  10630437,  im  Jahre  1915  nur 
7  547  338  gezählt.  Für  je  300  geleistete  Arbeitstage  wird  in  der  Unfallversicherung 
ein  Vollarbeiter  gerechnet.  Solcher  Vollarbeiter  wurden  im  Jahre  1913  9476233, 
im  Jahre  1915  aber  nur  6  692 104  festgesteUt. 

Die  Unfallhäufigkeit  hat  sich  im  Jahre  1915  gegenüber  den  Vorjahren  nicht 
wesentlich  geändert.  Wenn  man  in  Betracht  zieht,  daß  im  Jahre  1915  schon  sehr 
viele  geübte  und  mit  den  Berufsgefahren  vertraute  Arbeiter  zum  Heeresdienst 
einbezogen  und  durch  mindergeübte  ersetzt  waren,  dann  erscheint  es  direkt  auf- 
fäUig,  daß  nach  einer  Steigerung  der  Zahl  der  entschädigten  Unfälle  im  Jahre 
1914,  im  Jahre  1915  wieder  eine  Verminderung  eintrat.  Auf  1000  Vollarbeiter 
kamen  im  Jahre  1913  7,91  entschädigungspflichtige  Unfälle,  im  Jahre  1914  stieg 
diese  Zahl  auf  8,05  an,  sie  ging  aber  im  Jahre  1915  wieder  auf  7,49  zurück. 
Einwenig  anders  verläuft  aber  die  Kurve,  wenn  man  alle  gemeldeten  Unfälle  in  Be- 
tracht zieht.  Im  Jahre  1913  wurden  581 211  Unfälle,  das  sind  61,33  auf  1000 
Vollarbeiter  gemeldet;  im  Jahre  1914  waren  es  514  975  oder  62,23  auf  1000 
VoUarbeiter.  Im  Jahre  1915  ging  die  absolute  Zahl  der  Unfälle  auf  427  994  zu- 
rück, aber  auf  1000  Vollarbeiter  macht  das  68,96  Unfallmeldungen. 

Die  Inkongruenz  dieser  Kurven  dürfte  ihre  Erklärung  zum  Teil  darin  finden, 
daß  die  Berufsgenossenschaften  bei  der  Beurteilung  der  Unfallfolgen  einen  immer 
strengeren  Maßstab  anlegen.  Diese  Vermutung  enthält  eine  gewisse  Stütze,  wenn 
man  die  Zahl  der  tödlichen  Unfälle  für  sich  allein  betrachtet.  Im  Jahre  1913 
kamen  auf  9  476  233  Vollarbeiter  6583  tödliche  Unfälle,  das  sind  6,9  Tote 
auf  je  10000  VoUarbeiter;  im  Jahre  1914  wurden  auf  8  274  900  VoUarbeiter  5992 
Getötete  gezählt,  das  sind  7,2  auf  10000;  im  Jahre  1915  stiegen  die  tödüchen 
UnfäUe  auf  8,4  auf  10000  VoUarbeiter,  denn  auf  6  692104  VoUarbeiterkamen 
5593  Getötete. 

Unverhältnismäßig  hoch  ist  auch  die  Zahl  der  verletzten  jugendlichen  Ar- 
beiter. Von  den  verletzten  Personen  waren  Jugendliche  unter  16  Jahren:  1913 
=  2550  männliche  und  301  weibUche;  1914  =  2265  männliche  und  273  weibUche; 
1915  =  2663  männliche  und  231  weibliche.  Die  Berufungsgenossenschaften  geben 
keinen  Nachweis  über  Alter  und  Geschlecht  der  versicherten  Personen,  es  ist 
deshalb  nicht  möglich,  die  Zahl  der  verletzten  Jugendlichen  mit  der  Gesamtzahl 
in  Beziehung  zu  bringen.  Ebenso  ist  es  nicht  mögUch,  festzusteUen,  in  welchem 
Maße  die  UnfaUhäufigkeit  der  erwachsenen  Arbeiterinnen  eine  Steigerung  erfahren 
hat.  Die  absolute  Zahl  der  verletzten  Arbeiterinnen  betrug  im  Jahre  1913  2947; 
sie  ging  im  Jahre  1914  auf  2727  zurück,  stieg  aber  im  Jahre  1915  auf  3098.  In 
diesen  Zahlen  prägt  sich  die  verstärkte  Heranziehung  der  weiblichen  und  jugend- 
lichen Arbeitskräfte  zur  gewerbUchen  Betätigung  aus.  Leider  muß  damit  ge- 
rechnet werden,  daß  die  Unfallstatistik  für  das  Jahr  1916  über  eine  weit  größere 
Zahl  von  Unfallverletzten  Frauen  und  Kindern  berichten  wird. 

Die  Lohnnachweisungen  der  Berufsgenossenschaften  sind  für  den  Nachweis 
der  Lohnhöhe  der  Arbeiter  nur  in  beschränktem  Maße  zu  verwenden,  doch  zeigen 
sie  die  Schwankungen  des  Lohnniveaus  der  Arbeiterschaft.  In  dieser  Hinsicht 
sind  sie  mangels  sonstiger  amtlicher  Lohnstatistiken,  die  nur  für  die  bergbaulichen 
Betriebe  veröffentlicht  werden,  ein  wertvoUes  Material.  Die  Angaben  der  68  ge- 
werblichen Berufsgenossenschaften  über  die  tatsächUch  verdienten  Löhne,  Ge- 
hälter usw.  ergeben  auf  den  Kopf  des  VoUarbeiters  einen  durchschnittlichen 
Jahresarbeitsverdienst  im  Jahre  1913:  1215  M.,  1914:  1197  M.,  1915:  1260  M. 
Das  Lohnniveau  ist  also  im  Jahre  1914  gesunken  und  hat  sich  im  Jahre  1915  trotz 
der  inzwischen  kräftig  einsetzenden  Teuerung  nur  weni^  gehoben.  Zu  beachten 
ist  allerdings  die  veränderte  Zusammensetzung  der  Arbeiterschaft.  An  SteUe  der 
ins  Feld  gezogenen  voU  leistungsfähigen  Arbeiter  traten  ältere  Leute,  besonders 
aber  weibliche  und  jugendliche  Arbeiter.  Aber  auch  unter  Berücksichtigung  dieses 
Umstandes  kann  nicht  gesagt  werden,  daß  die  gezahlten  Löhne  im  richtigen  Ver- 
hältnis zu  den  Preisen  der  Lebensbedürfnisse  standen. 

Eine  Paradezahl  in  den  Berichten  der  Unfallversicherung  ist  die  Entschädi- 
gungssumme.   Auch  im  vorliegenden  Bericht  ist  die  Gresamtsumme  der  gezahlten 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXIII 


—    350    — 

Entschädigungen  usw.  im  Berichtsjahr  mit  173  495  767,92  M.  fett  gedruckt.  Von 
dieser  Summe  entfallen  123047  833,79  M.  auf  die  gewerblichen  ßerufsgenossen- 
schaften.  Der  starke  Eindruck,  den  solche  Zahlen  machen,  wird  jedoch  wesent- 
lich herabgemindert,  wenn  man  die  Summe  in  Betracht  zieht,  die  auf  den  ein- 
zelnen Empfänger  kommt.  In  den  Einzelnachweisun^en  ist  der  wichtigste  Posten 
die  Eenten  an  Verletzte.  Hierfür  haben  die  gewerblichen  Berufsgenossenschaften 
im  Jahre  1915  82  700  987  M.  ausgegeben.  In  diese  Summe  teilten  sich  aber 
421  273  Verletzte,  so  daß  der  Jahresbetrag  einer  Unfallrente  im  Durchschnitt  nur 
196,31  M.  beträgt.  Bei  den  49  landwirtschaftlichen  Berufsgenossenschaften  kam 
auf  367  598  Verletzte  eine  Gesamtrentensumme  von  26  867  165  M.  Die  durch- 
schnittliche Jahresrente  beträgt  also  nur  73,09  M.  Bei  solchen  Beträgen  ist  das 
Verlangen  der  Unfallverletzten  nach  einer  Erhöhung  ihrer  Bezüge  mit  Kücksicht 
auf  die  ungeheuer  verteuerte  Lebenshaltung  wohl  begreiflich.  Hoffentlich  hat 
die  Eingabe  der  Generalkommission,  welche  die  Aufmerksamkeit  der  gesetz- 
gebenden Faktoren  auf  diesen  Mißstand  hinlenkt,  den  gewünschten  Erfolg. 

Der  Hamburger  Senat  hat  der  Bürgerschaft  den  Entwurf 
eines  Gesetzes  betr.  Abänderung  des  Krankenversiche- 
rungsgesetzes für  Dienstboten  übermittelt,  dessen  Begründung 
allgemein  lehrreiche  Tatsachen  enthält.     Es  heißt  darin : 

Das  Vermögen  der  Dienstbotenkrankenkasse  ist  in  den  letzten  Jahren  in 
ständigem  Rückgang  begriffen.  Das  Eechnungsjahr  1914  schloß  bereits  mit  einem 
Fehlbetrag  von  43241,19  M.  ab,  im  Rechnungsjahr  1915  sank  das  Kassen  vermögen 
um  weitere  79865,62  M.,  und  im  Rechnungsjahr  1916  ist  es  wieder  um  144  785,80  M. 
zurückgegangen.  Um  diese  Beträge  ist  der  Reservefonds,  welcher  die  Höchst- 
grenze von  etwa  800000  M.  bisher  niemals  erreicht  hatte,  zurückgegangen.  Er 
betrug  am  1.  Januar  1914  rund  600000  M.  und  würde  mit  dem  Laufe  des  Jahres 
bis  auf  eine  Kleinigkeit  verbraucht  sein.  Die  Behörde  für  das  Versicherungs- 
wesen, die  in  ihren  letzten  Jahresberichten  wiederholt  in  Sachen  der  Dienstboten- 
krankenkasse auf  deren  ungünstige  Lage  hingewiesen  hat,  hält  jetzt  eine  Besserung 
für  dringend  notwendig,  da  andernfalls  das  Fortbestehen  der  Kasse  ernstlich  in 
Frage  gestellt  werde.  Die  Behörde  ist  der  Ansicht,  daß  nur  durch  eine  an- 
gemessene Erhöhung  der  Beiträge  eine  Gesundung  der  Kassen  Verhältnisse  zu  er- 
reichen ist,  und  hat  deshalb  vorgeschlagen,  anstatt  des  jetzigen  Betrages  von 
monatlich  1,60  M.  vom  1.  Juli  d.  J.  ab  einen  solchen  von  monatlich  2,50  M.  zu 
erheben.  Diese  Beitragssteigerung  mag  hoch  erscheinen.  Wird  aber  in  Betracht 
gezogen,  daß  der  jetzige  Beitrag  von  1,60  M.  bereits  im  Jahre  1903,  also  vor 
14  Jahren,  festgesetzt  ist,  und  daß  seit  dieser  Zeit  die  Leistungen  der  Kasse  er- 
heblich erweitert  und  verteuert  worden  sind,  so  erscheint  die  Erhöhung  nicht 
auffällig.  Die  Dienstbotenkrankenkasse  hat  seit  1903  nicht  nur  eine  eigene  Zahn- 
klinik auf  ihre  Kosten  eingerichtet,  sondern  auch  behufs  Anpassung  ihrer  Satzung 
an  die  Vorschriften  der  Reichsversicherungsordnung  eine  bedeutende  Last  auf 
sich  nehmen  müssen,  indem  sie  die  Unterstützungsdauer  in  jedem  Krankheitsfall 
und  bei  jedem  Wochenbett  von  26  Wochen  auf  39  Wochen  ausgedehnt,  die  Sterbe- 
unterstützung von  60  M.  auf  80  M,  erhöht  und  ferner  neben  der  Krankenhaus- 
pflege in  gewissen  Folien  die  Gewährung  eines  Hausgeldes  vorgeschrieben  hat. 
Die  seit  dem  1.  Juli  1914  eingetretene  Erhöhung  der  Verpflegungskosten  der 
öffentlichen  Krankenanstalten  von  2,50  M.  auf  3  M.,  die  naturgemäß  eine  ent- 
sprechende Erhöhung  der  Verpflegungskosten  in  den  Genesungsheimen  nach  sich 
zog,  hat  die  Lage  der  Dienstbotenkrankenkasse  weiter  erschwert.  Eine  nach  Be- 
endigung des  Krieges  eintretende  Besserung  der  Lage  ist  nicht  zu  erwarten;  im 
Gegenteil  sind,  abgesehen  von  einstweilen  erheblicher  Steigerung  aller  Ausgaben, 
später  manche  heute  noch  nicht  zu  übersehenden  Mehrausgaben  für  die  Kasse 
in  sicherer  Aussicht.  Die  Verteilung  des  Beitrags  auf  Dienstherrschaft  und 
Kassenmitglied  empfiehlt  sich  nach  dem  Vorschlag  der  Behörde  für  das  Ver- 
sicherungswesen in  der  Weise,  daß  erstere  1,50  M.  und  letztere  1  M.  tragen.  Da- 
mit ist  der  bisherige  Grundsatz  der  hamburgischen  Dienstbotenversicherung  bei- 
behalten, den  HauptteU  des  Beitrages  den  Schultern  derjenigen  Beteiligten  auf- 


—    351    — 

zuerlegen,  die  die  wirtschaftlich  stärkeren  sind.  Gegen  die  vermehrte  Belastung 
der  Dienstboten  besteht  aus  §  440  Abs,  3  der  EeicHsversicherungsordnung  kein 
Bedenken.  Mit  dem  Antrage  auf  Beitragserhöhung  hat  die  Behörde  für  das  Ver- 
sicherungswesen den  Antrag  auf  Erhöhung  der  Sterbeunterstützung  von  80  M. 
auf  100  M.  verbunden.  Der  Antrag  bedarf  kaum  der  Begründung,  da  die  Be- 
stattungskosten gestiegen  sind  und  das  Begräbnis  eines  Kassenmitgliedes  sich  in 
der  bisherigen  Weise  für  80  M.  nicht  mehr  ausführen  läßt. 

Die  drei  Zentralverbände  derlndustriellen  (Bund  öster- 
reichischer Industrieller,  Industrieller  Klub  und  Zentralverband  der 
Industriellen  Oesterreichs)  haben  gemeinsam  mit  dem  Zentralverband 
der  Kaufleute  sich  in  eingehenden  Beratungen  mit  der  Frage  be- 
schäftigt, welche  Rückwirkung  der  Krieg  auf  die  Gesundheits-  und 
Arbeitsfähigkeit  der  aus  dem  Kriege  heimkehrenden  Privatangestellten 
ausüben  wird. 

Die  Unternehmerschaft  der  Industrie  und  des  Handels  ist  hierbei  zur  Ueber- 
zeugung  gelangt,  daß  nach  dem  Kriege  besondere  Einrichtungen  dringend  not- 
wendig sein  werden,  um  für  die  Wiederherstellung  der  Gesundheit  der  aus  dem 
Kriege  verletzt  oder  krank  heimkehrenden  Privatangestellten  durch  entsprechende 
Heübehandlung  zu  sorgen,  damit  die  Zahl  der  dauernd  Invaliden  nicht  unver- 
hältnismäßig anschwelle.  Die  Beratungen  führten  zu  dem  Ergebnis,  daß  vor 
allem  eine  großzügige  Organisierung  des  Heilverfahrens,  insbesondere  des  vor- 
beugenden Heilverfahrens,  der  Stellenvermittlung  und  Stellenlosenunterstützung 
ins  Auge  gefaßt  werden  müsse.  Die  genannten  Verbände  sind  daher  an  die  ße- 
gierung  mit  der  Anregung  herangetreten,  möglichst  bald  die  gesetzlichen  Grund- 
lagen für  die  angedeutete  Ausgestaltung  der  Angestelltenversicherung  zu  schaffen, 
und  haben  gleichzeitig  die  Erklärung  abgegeben,  daß  die  Lasten  der  Ergänzung 
der  Pensions  Versicherung  ausschließlich  von  den  Unternehmern  auf  sich  ge- 
nommen werden  und  eine  Heranziehung  der  Angestellten  ausgeschlossen  er- 
scheinen soll.  Trotz  der  großen  Lasten,  welche  der  Industrie  und  dem  Handel 
ohnehin  infolge  der  E^riegsereignisse  auferlegt  werden,  will  die  Unternehmerschaft 
der  Industrie  und  des  Handels  durch  ihre  Anregung  den  sichtbaren  Beweis 
liefern,  daß  sie  zur  Erfüllung  der  von  ihr  als  richtig  erkannten  sozialpolitischen 
Aufgaben  auch  unter  den  schwersten  Umständen  bereit  ist.  Die  genannten  in- 
dustriellen und  kaufmännischen  Körperschaften  haben  der  Regierung  bestimmte 
Vorschläge  für  die  Schaffung  eines  Fürsorgefonds,  welcher  die  angedeuteten  Zwecke 
verfolgen  soll,  unterbreitet,  bei  welchen  auf  die  besonderen  Verhältnisse  der  all- 
gemeinen Pensionsanstalt  und  der  Ersatzeinrichtungen  entsprechend  Rücksicht 
genommen  wurde.  Es  ist  zu  hoffen,  daß  die  Regierung  diese  wichtige  sozial- 
politische Ergänzung  der  Privatangestelltenversicherung  baldigst  durchführen 
wird,  damit  die  vom  Kriege  heimkehrenden  Angestellten  sogleich  die  wohltätigen 
Folgen  der  neuen  Einrichtung  genießen  können. 

Das  k.  k.  Militär-Generalgouvernement  in  Belgrad  hat  die  Er- 
richtung einer  Arbeiterversicherungskasse  genehmigt.      (G.  C.) 

Via.  Geld,  Kredit,  Währung. 

Inhalt:  1.  Der  internationale  Geldmarkt  und  die  Entwick- 
lung in  den  wichtigeren  Ländern  während  des  Monats  Mai. 

2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung,  a)  Banken  im  In- 
und  Auslande,  b)  Kreditwirtschaf  tliche  Maßnahmen  in  Deutschland, 
den  besetzten  Gebieten  Rußlands,  Rumäniens,  in  England,  den  Niederlanden, 
Oesterreich- Ungarn,  Japan,  c)  Schuldbuchwesen  in  Deutschland,  d)  Bar- 
geldloser Zahlungsverkehr  in  Deutschland  und  der  Schweiz,  e)  Börsen- 
wesen in  England,  Frankreich,  Oesterreich -Ungarn,  der  Schweiz,  der  Türkei. 

XXIII* 


-     352    — 

f)  Währungs-  und  Notenbankwesen  in  Deutschland,  Deutsch  -  Ostafrika, 
aen  besetzten  Gebieten  Rußlands,  Rumäniens,  in  England,  Oesterreich- Ungarn, 
Rußland,  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  Brasilien. 

3.  Statistik.  Üebersicht  über  den  Stand  der  hauptsächlichen  Notenbanken 
und  der  ßankzinssätze. 

1.  Der  internationale  Geldmarkt  und  die  Entwicklung  in 
den  wichtigeren  Ländern  während  des  Monats  Mai. 

Auf  dem  internationalen  Geldmarkt  trat  im  Berichtsmonat 
die  Teilnahme  der  Vereinigten  Staaten  am  Weltkriege  in  einer  Steige- 
rung der  den  Verbandsmächten  gewährten  finanziellen  Hilfe  in  die  Er- 
scheinung ^).  Wenn  sich  die  Wirkung  dieser  Hilfe  äußerlich  weit  weniger 
bemerkbar  machte,  als  vielfach  erhofft  worden  war,  so  lag  das  einmal 
daran,  daß  die  Unterstützung  Amerikas  bereits  zu  lange  im  voraus  er- 
wartet und  in  weitgehendem  Maße  von  den  die  Entwicklung  bestim- 
menden Kräften  in  die  Rechnung  eingestellt  worden  war.  Auf  der 
anderen  Seite  ist  zu  beachten,  daß  die  Verbandsländer  —  selbst  Eng- 
land und  Frankreich  —  vor  dem  Eingreifen  der  Vereinigten  Staaten 
hinsichtlich  der  Bezahlung  ihrer  Auslandsverpflichtungen  aus  ver- 
schiedenen Gründen  von  einem  Zusammenbruch  scheinbar  nicht  weit 
entfernt  gewesen  waren  (vgl.  „Springfield  Republican"  vom  10.  Mai),  und 
daß  es  für  jene  Länder  schon  einen  außerordentlich  schätzbaren  Gewinn 
bedeutete,  diesen  katastrophalen  Schwierigkeiten  bis  auf  weiteres  ent- 
gangen zu  sein.  Man  verhehlte  sich  weder  in  England  noch  in  Frankreich, 
daß  das  Devisenproblem  trotz  der  optimistischen  Auslassungen  amtlicher 
Stellen  weiterhin  ernst  sei  ^),  weil  vor  dem  privaten  in  erster  Linie  natürlich 
der  große  staatliche  Devisenbedarf  gedeckt  werden  mußte  und  anderer- 
seits die  Anspannung  des  amerikanischen  Marktes  zu  umfangreichen 
Kündigungen  amerikanischer  Guthaben  in  Europa  führte  3).  Trotz  des 
zwischen  der  Federal  Reserve  Bank  in  New  York  und  der  Bank  von 
England  getroffenen  Abkommens  (vgl.  „The  Economist"  vom  5.  Mai  1917, 
S.  766)    nahmen  die  Goldzuflüsse  nach  Amerika  wieder  zu*),   während 


1)  Die  gesamten  Vorschüsse  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  seit  ihrem 
Eintritt  in  den  Krieg  an  die  Verbündeten  beliefen  sich  —  beginnend  am  25.  April  — 
Ende  Mai  auf  745  Mill.  $;  davon  erhielt  England  400  Mill.  $,  Frankreich,  Rußland 
und  Italien  je  100  Mill.  $,  Belgien  45  Mill.  $  („The  Statist"  vom  2.  Juni  1917,  S.  952). 
Die  Mittel  wurden  gewonnen  durch  den  Verkauf  einjähriger  Schatzscheine  (Treasury 
Certificates)  an  die  Banken,  die  ihrerseits  wieder  die  Möglichkeit  haben,  solche  Schatz- 
scheine zur  Begleichung  der  gezeichneten  Freiheitsanleihe  in  Zahlung  zu  geben. 

2)  Der  Einfuhrüberschuß  Englands  —  ohne  die  Regierungseinfuhren  —  im  April 
wies  mit  40  296  500  £  die  höchste  seit  Kriegsbeginn  verzeichnete  Ziffer  auf,  hn  April 
des  Vorjahres  nur  30  774  100  £  („The  Econ."  vom  12.  Mai  1917,  S.  808,  femer  vom 
5.  Mai,  S.  766,  und  vom  26.  Mai;  „Econ.  Europ."  vom  18.  Mai  1917,  S.  306).  Das 
„Journal  of  Commerce",  Liverpool,  schreibt  am  24.  April:  „Für  Deutschland  sind  die 
auswärtigen  Wechselkurse  gegenwärtig  Fragen  von  geringer  oder  überhaupt  keiner  Be- 
deutung, für  uns  sind  sie  eine  Angelegenheit  auf  Leben  und  Tod." 

3)  Nach  „The  Statist"  vom  2.  Juni  1917,  S.  939  wird  der  Betrag  dieser  Guthaben 
in  London  allein  auf  30  Mill.  £  geschätzt. 

4)  „The  Statist"  vom  12.  Mai  1917  verzeichnet  in  der  zweiten  Maiwoche  zwei 
große  Zufuhren  von  6  Mill.  £  „from  a  quarter  not  stated". 


—    353    — 

dieses  Land  seinerseits  erneut  beträchtliche  Mengen  Goldes  nach  Japan 
abgeben  mußte.  Zur  Verhütung  weiter  erwarteter  Goldabflüsse  soll 
sich  in  den  letzten  Maitagen  mit  Unterstützung  der  japanischen  Re- 
gierung ein  Konsortium  gebildet  haben,  das  sich  die  Uebernahme  eng- 
lischer und  französischer  Wertpapiere  in  New  York  zur  Aufgabe  ge- 
macht hat^). 

Die  Entwertung  der  Devisenkurse  der  Verbandsmächte  in  den 
neutralen  Ländern  setzte  sich  trotz  der  Vorschüsse  der  Vereinigten 
Staaten  und  trotz  andauernder  Einziehung  ausländischer  Wertpapiere 
aus  dem  Verkehr  fort.  Besonders  stark  angeboten  wurden  Franken- 
und  Sterlingwechsel  in  Spanien,  wo  sie  neue  Tiefstkurse  erreichten  2). 
Die  Kubeldevise  sank  sowohl  an  den  neutralen  Börsen,  wie  auf  dem 
Londoner  und  Pariser  Geldmarkt  weiter  im  Preise  3).  Die  Devisen- 
kurse der  Mittelmächte  mußten  gleichfalls  eine  neue  Abwärtsbewegung 
erleben,  für  die  vermehrte  Einfuhr,  bei  verringerter  Ausfuhr  neben 
der  anscheinend  wieder  sehr  regen  Baissespekulation  auf  den  neutralen 
Märkten  die  Ursache  bildete. 

Die  Verhältnisse  auf  dem  deutschen  Geldmarkt  haben  im 
Berichtsmonat  keine  wesentliche  Aenderung  erfahren.  Die  Geldflüssig- 
keit hielt  an  und  ermöglichte  die  rasche  und  vorzeitige  Bezahlung  der 
sechsten  Kriegsanleihe;  am  31.  Mai  1917  waren  11823  Mill.  M  = 
91,1  Proz.  der  gezeichneten  Summe  vollgezahlt. 

Der  Privatdiskontsatz  verharrte  auf  dem  Stande  von  4%  Proz. 
Die  für  tägliches  Geld  gezahlten  Zinssätze  bewegten  sich  im  Ver- 
laufe des  Monats  in  absteigender  Richtung.  Während  in  den  ersten 
Tagen  noch  4^/^  Proz.  vergütet  wurden,  betrug  der  Zinsfuß  am  Monats- 
schluß nur  noch  4  Proz.  Der  durchschnittliche  Satz  war  4,432  Proz. 
(4,659   Proz.    im  April).     Ultimogeld   bedang   wieder   etwa   6  Proz. 

Die  Veränderungen  im  Status  der  Reichsbank  waren  geringer 
als  im  Vormonat.  Die  Kapitalanlage  wuchs  während  des  Berichtsmonats 
infolge  der  Hereinnahme  von  Schatzanweisungen  um  645,4  Mill.  M. 
Aber  auch  die  fremden  Gelder  nahmen  um  557,2  Mill.  M  zu.  Der 
Zahlungsmittelbedarf  wurde  durch  Bereitstellung  von  212,5  Mill.  M 
Darlehnskassenscheinen  mehr  als  gedeckt,  so  daß  sich  der  Notenumlauf 
noch  etwas  verringern  konnte.  Bemerkenswert  ist  die  Erhöhung  des 
Silberbestandes  (plus  17,2  Mill.  M),  eine  Folge  der  amtlichen  Aus- 
lassungen  über   die   beabsichtigte  Außerkurssetzung   von  Münzen    (vgl. 


1)  „The  Statist"  vom  2.  Juni  1917,  S.  952/953. 

2)  Der  Peseta  wurde  am  30.  Mai  in  Paris  mit  655 V,  (Parität  500),  d.  h.  mit 
einem  Agio  von  mehr  als  31  Proz.  notiert;  in  der  Börsen  Wochenschau  des  „New 
Statesman"  vom  2.  Juni  bezeichnet  Emil  Davies  als  „eine  der  seltsamsten  Anomalien 
des  Krieges",  daß  die  4-proz.  spanische  Staatsanleihe  jetzt  in  London  einen  höheren 
Kurs  habe  als  die  —  unter  ihren  Emissionskurs  gesunkene  —  5-proz.  englische  Kriegs- 
anleihe, nämlich  9672  ^^oz. 

3)  Besonders  in  der  Woche  vom  14. — 19.  Mai  zeigte  sich  an  der  Londoner  Börse 
drängendes  Angebot  von  Kubeldevisen.  Die  Kurse  schwankten  zwischen  170  und  189  Rbl 
für  100  £,  Parität  94,57  („The  Econ."  vom  19.  Mai,  S.  842). 


—    354    — 

Reichstagsverhandlung  vom  2.  Mai).   Die  Beanspruchung  der  Darlehns- 
kassen  erfuhr  eine  Zunahme  um  150,1  Mill.  M. 

An  den  englischen  Geldmarkt  wurden  im  Berichtsmonat 
wieder  besonders  große  Anforderungen  gestellt.  Die  dem  Markte 
durch  die  amerikanische  Finanzhilfe  zuteil  gewordene  Entlastung  von 
den  Zahlungen  an  die  Verbündeten  schien  aufgewogen  durch  die  Rück- 
forderung amerikanischer  Guthaben  aus  London  („N.  Rott.  Ort."  vom 
13.  Mai).  Die  Deckung  der  andauernd  wachsenden  Kriegsausgaben 
nahm  die  verfügbaren  Mittel  voll  in  Anspruch^),  so  daß  z.  B.  nicht 
einmal  ein  verhältnismäßig  kleiner  Geldbedarf  des  Dominions  Neu- 
Südwales  befriedigt  werden  konnte  2),  und  eine  Flüssigkeit  des  Geld- 
marktes nur  selten  und  vorübergehend  beobachtet  wurde.  Die  Deckung 
des  Geldbedarfs  der  Regierung  erfolgte  überwiegend  in  kurzfristiger 
Form,  da  der  im  Vormonat  begonnene  Verkauf  von  5-proz.  Exchequer 
Bonds  (vgl.  Aprilchronik)  nur  sehr  langsam  vonstatten  ging^j;  am 
26.  Mai  standen  bereits  wieder  562  098  000  £  Schatzwechsel  aus*). 
Das  Mißverhältnis  zwischen  den  regulären  Einnahmen  und  den  Aus- 
gaben, das  z.  B.  in  der  letzten  Maiwoche  besonders  deutlich  zutage 
trat  5),  wurde  in  der  Finanzpresse  lebhaft  erörtert  und  rief  Wünsche 
nach  anderen  Finanzierungsmethoden  wach^). 


1)  Aach  die  von  den  Dominions  und  Kolonien  im  eigenen  Lande  aufgebrachten 
Anleihen  führten  dem  englischen  Geldmarkt  keine  neuen  Mittel  zu.  Z.  B.  blieb  der 
indischen  100  Mill.  £- Anleihe  ein  Erfolg  völlig  versagt.  „The  Statist"  vom  2.  Juni, 
S.  952,  beziffert  den  zu  erwartenden  Betrag  der  Anleihe,  deren  Zeichnungslisten  am 
15.  Juni  geschlossen  werden,  auf  18  Mill.  £  (die  bisher  bekannt  gewordene  gezeichnete 
Summe  beläuft  sich  auf  15,6  Mill.  £).  Daß  man  von  vornherein  nur  mit  10  Mill.  £ 
Zeichnungen  gerechnet  hatte,  zu  denen  noch  die  von  der  indischen  B^gierung  garan- 
tierten Zinsen  auf  90  Mill.  £,  d.  h.  3  Mill.  £,  kommen,  wie  „The  Statist"  glauben 
machen  will,  erscheint  angesichts  des  großen  Unterschiedes  zwischen  dem  aufgelegten 
Betrage  und  dem  erzielten  Zeichnungsergebnis  wenig  wahrscheinlich.  —  Nach  „Fin. 
News"  vom  29.  Mai  hat  sich  auch  Ceylon  bereit  erklärt,  außer  einer  bereits  aufgelegten 
Anleihe  von  1  Mill.  £  eine  weitere  Million  dem  Mutterlande  zur  Verfügung  zu  stellen. 

2)  Es  handelte  sich  um  eine  zu  98  Proz.  aufgelegte  öVg-proz.  Anleihe  von  3  Mill.  £, 
von  der  61  Proz.  in  den  Händen  des  Uebernahmekonsortiums  verblieben  („f^con.  Franc." 
vom  2.  Juni  1917,  S.  730).  —  Aus  einer  Aufstellung  des  „Statist"  vom  12.  Mai,  S.  800, 
der  gesamten  seit  Kriegsausbruch  von  Neu-Südwales  in  London  aufgenommenen  An- 
leihen geht  hervor,  daß  die  Verzinsung  sich  von  Anleihe  zu  Anleihe  für  den  Staat  un- 
günstiger stellte. 

3)  Um  Kriegssparzertifikate  abzusetzen,  hat  der  nationale  Ausschuß  Papierdüten 
für  Kleinhändler  herstellen  lassen,  die  auf  beiden  Seiten  mit  Aufforderungen  zum  Er- 
werb solcher  Stücke  bedruckt  sind  („Fin.  News"  vom  7.  Mai). 

4)  Der  Betrag  der  von  Anfang  April  bis  zum  22.  Mai  untergebrachten  Schatz- 
wechsel betrug  278  299  000  £,  davon  43  299  000  £  „over  the  counter" ;  die  8.  und  9. 
Serie  von  Schatzwechseln  in  Höhe  von  30  und  40  Mill.  £,  deren  Submission  auch 
noch  in  den  Mai  fällt,  sind  hierin  nicht  einbegriffen. 

5)  In  dieser  Woche  beliefen  sich  die  Einnahmen  des  Schatzamtes  auf  nur 
6  250  000  £,  während  allein  für  fällige  Zinsen  auf  die  4V2-  nnd  5-proz.  Kriegsanleihen 
40  Mill.  £  am  1.  Juni  zu  zahlen  sind. 

6)  Vgl.  „The  Statist"  vom  2.  Juni  1917,  S.  939.  „The  Economiat"  ist  mit  der 
Methode  des  „finanoing  by  Inflation"  Bonar  Laws  nicht  einverstanden  und  wirft  der 
Begierung  Mangel  an  Ernst  und  Voraussicht  auf  finanziellem  Gebiet  vor.  Insbesondere 
wünscht  das  Blatt,  daß  die  Kriegsausgaben  vornehmlich  durch  Steuern  und  Ersparnisse 


—    355    - 

Der  Privatdiskontsatz  stellte  sich  etwas  höher  als  im  Vor- 
monat, nämlich  auf  4^/4 — 423/32  Proz.  Die  Durchschnittsziffern  lauten 
4,738  Proz.  gegen  4,689  Proz.  im  April.  Im  Gegensatz  zu  der  Stetigkeit 
der  Entwicklung  der  Diskontsätze  unterlagen  die  Zinssätze  für  täg- 
liches Geld  größeren  Schwankungen,  die  mit  den  Schatzwechsel- 
verkäufen zusammenhängen.  Die  Sätze  stellten  sich  auf  SYj — 41/4  Proz. 
Am  29.  Mai,  dem  Vortage  der  letzten  Einzahlung  auf  die  Kriegsanleihe, 
erfolgte  dann  eine  plötzliche  Steigerung  auf  5 — 5^2  Proz.;  doch  bereits 
am  nächsten  Tage  ging  der  Satz  infolge  großer  Zahlungen  der  Re- 
gierung wieder  auf  4  Proz.  zurück. 

Die  Veränderungen  im  Status  der  Bank  von  England  im  Mai 
waren  von  geringer  Bedeutung.  Größere  Bewegungen  waren  allein 
auf  den  Konten  der  fremden  Gelder  zu  verzeichnen,  nämlich  ein  Rück- 
gang der  privaten  Guthaben  um  etwa  9,4  Mill.  £,  denen  ein  Zufluß 
von  10,2  Mill.  £  auf  dem  Konto  der  öffentlichen  Guthaben  gegenüber- 
steht. Der  Umlauf  an  Currency  Notes  nahm  wieder  um  4,7  Mill.  £ 
zu  (von  154,4  Mill.  £  auf  159,1  Mill.  £).  Am  Londoner  Silber- 
markt trat  im  Berichtsmonat  eine  neue  Aufwärtsbewegung  ein;  der 
Durchschnittspreis  stellte  sich  auf  37,9  gegen  36,5  d  per  oz.  st.  im 
April. 

Die  Entwicklungstendenzen  des  französischen  Geldmarktes 
änderten  sich  gegenüber  den  Vormonaten  kaum.  Der  Verlauf  der 
russischen  Revolution  bereitete  nach  wie  vor  schwere  Sorgen.  Die 
Frage  der  Konsolidierung  der  schwebenden  Staatsschulden  blieb  ein 
ungelöstes,  aber  dringliches  Problem  i);  denn  die  gesamten  Kriegsaus- 
gaben wurden  für  die  Zeit  vom  1.  August  1914  bis  zum  30.  September 
1917  auf  über  95  Milliarden  fr  es  geschätzt  2)^  während  bisher  nur  etwa 
21  Milliarden  frcs  dauernd  untergebracht  waren.  Gerade  aus  dem  un- 
bestreitbaren Erfolge  der  großen  Anleihen,  die  mit  dem  Staatskredit 
nicht  unmittelbar  im  Zusammenhang  standen  [Credit  foncier,  Pariser 
Stadtanleihe  ^)],  ergab  sich  besonders  deutlich,  daß  der  Geldmarkt  über 


ohne  Verlaß  auf  die  Unterstützung  der  Vereinigten  Staaten  aufgebracht  werden  (vgl.  die 
Artikel  „Retrograde  Finance"  im  „Econ."  vom  12.  Mai  1917,  S.  803,  und  „The  Progress 
of  Inflation"  im  „Econ."  vom  19.  Mai  1917,  S.  844;  dort  wird  die  Zunahme  der  Um- 
laufsmittel seit  Beginn  des  Krieges  auf  697  Mill.  £  berechnet). 

1)  Die  Ansichten  über  das  Wie  gingen  selbst  bei  den  führenden  Volkswirten  weit 
auseinander.  A.  Neymarck  („Le  Rentier"  vom  27.  April  1917)  und  Charles  Thollot 
(„Revue  §con.  et  fin."  vom  21.  April  1917)  redeten  angesichts  des  Erfolges  der 
letzten  ähnlichen  Anleihe  des  Credit  foncier  einer  Prämienanleihe  das  Wort.  Ihre 
Ansicht  wurde  scharf  bekämpft  im  „Temps"  vom  7.  Mai  1917.  Maroni  („Journal  des 
D^bats")  war  für  eine  Anleihe  mit  niedrigem  Emissionskurs  und  hohem  Rückzahlungs- 
agio; andere  Finanzschriftsteller  (z.  B.  Manchez  im  „Temps")  hielten  den  Uebergang 
zum  6-proz.  Typ  für  wünschenswert.  Louis  Aubert  schrieb  im  „Figaro"  vom  5.  Mai 
1917:  „Das  französische  Volk  liebt  die  Abwechslung  und  würde  vielleicht  ermüden, 
wenn  man  ihm  immer  wieder  denselben  Anleihetyp  anbieten  würde,  auch  wenn  er  noch 
so  vorzüglich  und  vorteilhaft  ist." 

2)  Vgl.  „ficonomiste  Frangais"  vom  26.  Mai  1917,  S.  695;  „Le  Temps"  vom 
23.  Mai  1917. 

3)  Die  am  24.  Mai  aufgelegte  Pariser  Stadtanleihe  in  Höhe  von  634,3  Mill.  frcs 
sollte    der    Konsolidierung    kurzfristiger    Stadtwechsel    dienen.      Von    diesen    wurden 


—    356    — 

genügend  flüssige  Mittel  verfügte,  daß  diese  jedoch  dem  Staate  infolge 
der  Abneigung  des  Kapitalistenpublikums  gegenüber  den  Staatsanleihen 
vorenthalten  wurden.  Der  Umlauf  an  National  Verteidigungswechseln 
belief  sich  Ende  Mai  auf  17 1/2  Milliarden  frcs,  der  der  National  Ver- 
teidigungsobligationen auf  nur  640  Mill.  frcs.  Die  für  Frankreich 
bisher  verhältnismäßig  geringe  finanzielle  Hilfe  Amerikas  (siehe  oben) 
hatte  offenbar  enttäuscht.  Es  wurde  jedenfalls  immer  deutlicher,  daß 
für  die  Deckung  des  inländischen  Geldbedarfs  von  den  Vereinigten 
Staaten  keine  Unterstützung  zu  erlangen  sein  würde,  und  daß  also  auch 
von  einer  Ermäßigung  des  Zinsniveaus  der  französischen  Kriegsanleihen, 
wie  man  sie  als  Folge  einer  Kreditgewährung  Amerikas  zu  billigen 
Sätzen  erwartet  hatte,  keine  Rede  sein  könnte.  Genau  wie  in  England 
wurde  daher  schärfste  Ausnutzung  der  Finanzkraft  des  eigenen  Landes 
gefordert  ^). 

Der  bemerkenswerteste  Vorgang  bei  der  Bank  von  Frank- 
reich war  eine  seit  Februar  1917  zum  ersten  Male  wieder  ein- 
getretene Verminderung  des  „Goldes  in  der  Kasse"  um  80  Mill.  frcs  im 
Ausweis  vom  24.  Mai.  Es  steht  dahin,  ob  der  Goldabfluß  (85  Mill.  frcs) 
auf  das  neue  Finanzabkommen  mit  England  zurückzuführen  ist  (ein  ähn- 
liches Finanzabkommen  wurde  übrigens  auch  zwischen  England  und 
Italien  geschlossen),  durch  das  vor  allem  Abmachungen  über  ein  ein- 
heitliches Vorgehen  der  Verbündeten  bei  Anleihegeschäften  auf  neutralen 
und  verbündeten  Märkten  und  über  die  Ausdehnung  der  Auslands- 
kredite getroffen  worden  sein  sollen  2).  Die  Vorschüsse  der  Bank  an 
den  Staat  und  an  die  Verbündeten  waren  im  Berichtsmonat  wieder 
bedeutend  (600  und  140  Mill.  frcs). 

Der  Geldmarkt  Oesterreich-Ungarns  zeigte  nach  wie  vor 
eine  starke  Flüssigkeit.  Die  Einlagen  bei  Banken  und  Sparkassen 
hatten    sich    mit    der    Abwicklung    des   Einzahlungsgeschäftes    auf   die 

5.  Kriegsanleihe  3)  wieder  zu  besonderer  Höhe  erhoben,  so  daß  für  die 
in    der    ersten   Hälfte    des    Berichtsmonats    zur    Zeichnung    aufgelegte 

6.  Kriegsanleihe*)  der  Boden  aufs  beste  bereitet    erschien.     Den   maß- 


434,3  Mill.  frcs  umgewandelt;  auf  die  restlichen  200  Mill.  frcs  liefen  Zeichnungen  im 
Betrage  von  1,3  Milliarden  frcs  ein.  Der  Kurs  der  von  gegenwärtigen  Steuern  be- 
freiten, am  15.  Juni  1922  fälligen  Stücke  stellte  sich  auf  99  Proz.,  der  Zinssatz  auf 
5Ya  Proz. ;  von  der  genehmigten  6-proz.  Verzinsung  wurde  abgesehen  (vgl.  Märzchronik 
und  „ficonomiste  Europ."  vom  1.  Juni,  „ficon.  Francais"  vom  2.  Juni,   S.  749). 

1)  Dumesnil  in  seinem  Bericht  über  die  neuen  Steuern  siehe  „^onomiste  Euro- 
pfeen"  vom  25.  Mai  1917,  ferner  „Le  Temps"  vom  7.  Mai  1917. 

2)  Vgl.  „The  Statist"  vom  2.  Juni  1917,  S.  951. 

3)  Auf  die  5.  österreichische  Kriegsanleihe  wurden  gezeichnet  2025  Mill.  K 
5V2-proz.  amortisierte  Anleihe,  2439,6  Mill.  K  Schatzscheine,  femer  durch  Umtausch 
gegen  Stücke  der  1.  und  2.  Kriegsanleihe  1770  Mill.  K  5-proz.  amortisierte  Staats- 
anleihe aufgebracht.  Das  Zeichnungsergebnis  für  Ungarn  stellte  sich  auf  2,3  Mil- 
liarden K.  Die  durch  die  ersten  fünf  Kriegsanleihen  aufgebrachten  Summen  neuen 
Geldes  betrugen  für  Oesterreich  18,1,  für  Ungarn  8,5  Milliarden  K. 

4)  In  Oesterreich  wurden  eine  5V2-proz.  steuerfreie  40-jährige  amortisable  Staats- 
anleihe zu  927,  Proz.  und  5V2-proz.  steuerfreie  am    1.  Mai  1927    rückzahlbare  Schatz- 


—    357    — 

losen  Spekulationsausschreitungen  an  der  Wiener  und  Budapester  Börse 
suchte  man  entgegenzutreten,  um  im  Interesse  der  Kriegfinanzierung 
einer  übermäßigen  Ablenkung  der  verfügbaren  Mittel  des  Geldmarktes 
zu  steuern. 

Der  Privatdiskontsatz  wurde  schon  seit  geraumer  Zeit  mit 
IY2  Broz.  notiert.  Die  Zinssätze  der  Banken  für  Einlagen  und 
Gelder  in  laufender  Rechnung  stellten  sich  auf  3 — 8Y2  Broz.,  während 
die  Sparkassen  S^/^  Broz.  vergüteten. 

Auf  dem  Geldmarkt  der  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika  konzentrierte  sich  das  Hauptinteresse  auf  die  SYg-proz. 
Freiheitsanleihe  („Liberty  Loan")  i).  Da  trotz  verhältnismäßig  günstiger 
Verfassung  des  Geldmarktes  auf  eine  große  Zeichnungswilligkeit  des 
an  höhere  Kapitalverzinsung  gewöhnten  breiten  Bublikums  nicht  ge- 
rechnet werden  konnte,  wurde  eine  weitreichende  Werbetätigkeit  ent- 
faltet 2).  Der  Federal  Reserve  Board  gab  bekannt,  daß  für  Vorschüsse 
zu  Zeichnungszwecken,  deren  Bückzahlung  in  drei  Monaten  erfolgte, 
derselbe  Zinssatz  berechnet  würde,  den  die  Anleihe  erbringt. 

Die  Zinssätze  erfuhren  besonders  im  Anfang  des  Monats  eine 
Steigerung,  ermäßigten  sich  allerdings  gegen  Monatsschluß  wieder. 
Immerhin  erhöhte  sich  der  Durchschnittssatz  für  tägliches  Geld  von 
2,288  im  April  auf  2,523  Broz.  im  Mai. 

2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung. 

a)  Banken  im  In-  und  Auslände. 

Von  der  Hauptverwaltung  der  Darlehnskassen  in  Ber- 
lin ist  am  5.  Mai  die  Hilfsstelle  in  Memmingen  (vgl.  Chr.  1914, 
S.  594)  aufgehoben  worden. 

In  Berlin  wurde  die  Genossenschaftsbank  deutscher 
Viehhändler,  e.  G.  m.  b.  H.  gegründet. 

Die  Magdeburger  Bau-  und  Kredit-Bank,  Magdeburg, 
nimmt  eine  Sanierung  durch  Zusammenlegung  der  Aktien  im  Verhältnis 
4 :  1  und  Schaffung  von  Vorzugsaktien  durch  Zuzahlung  von  75  Proz. 
des  Nennwerts  vor. 


scheine  zu  94  Proz.,  in  Ungarn  eine  6-proz.  steuerfreie  Staatsrentenanleihe  zu  96  Proz., 
für  Zeichner  nach  dem  25.  Mai  zu  96,30  Proz.,  bei  Ratenzahlung  zu  96,80  Proz.  auf- 
gelegt („Oesterr.  Volkswirt"  vom  12.  Mai  1917,  S.  573). 

1)  Betrag  2  Milliarden  $.  Zeichnungsfrist  1. — 15.  Juni.  Einzahlungen  2  Proz. 
bei  der  Zeichnung,  18  Proz.  am  28.  Juni,  20  Proz.  am  30.  Juli,  30  Proz.  am  15.  August, 
30  Proz.  am  30.  August. 

2)  So  sollen  Aufrufe  zur  Zeichnung  an  10  Millionen  Korporationen  und  Einzel- 
personen versandt  worden  sein,  die  nach  ihrem  Einkommen  und  Vermögen  imstande 
wären,  zu  zeichnen.  Der  Schatzsekretär  Mac  Adoo  hat  sich  persönlich  auf  die  Werbe- 
reise begeben.  Hier  ist  als  interessante  Tatsache  anzumerken,  daß  sich  die  Anzahl  der 
Personen  in  den  Vereinigten  Staaten,  die  sich  bisher  überhaupt  schon  einmal  an  Re- 
zierungsanleihen  beteiligt  haben,  nur  auf  300  000  beläuft  („The  Statist"  vom  2.  Juni 
1917,  S.  952).  —  Zur  Förderung  der  Anleihezeichnungen  und  um  die  Bankwelt  nicht 
zu  verstimmen,  soll  die  Regierung  ihren  in  der  Märzchronik  gekennzeichneten  Stand- 
punkt der  Preisdrückerei  für  Kriegslieferungen  wieder  aufgegeben  haben. 


-    358    - 

Die  Rheinisch-Westfälische  Bank  für  Grundbesitz, 
Essen,  wird  auf  einer  Basis  von  3:  1  und  durch  Zuzahlung  von 
66%  Proz.  saniert. 

Aus  Brüssel  wird  die  Gründung  des  Comptoir  de  Banque 
et  de  Change  berichtet. 

Im  besetzten  Gebiet  Rumäniens  wird  durch  Verordnung 
vom  10.  April  1917  die  Errichtung  einer  Landwirtschaftlichen 
Darlehnskasse  bei  der  Nationalbank,  Bukarest,  verfügt 
(vgl.  Verordnungsblatt  für  die  Bevölkerung  Rumäniens  im  Gebiete  der 
Militärverwaltung,  S.  48). 

An  dem  Gesetzentwurf  über  die  Gründung  der  Britischen 
Handelsbank  (vgl.  Chr.  1916,  S.  688)  wird  im  englischen  Unter- 
haus am  17.  Mai  1917  scharfe  Kritik  geübt,  worauf  die  Regierung  den 
Gesetzentwurf  vorläufig  zurückzieht  (vgl.  „The  Statist"  vom  19.  Mai 
1917  und  „Journal  of  Commerce",  Liverpool,  vom  17.  Mai  1917). 

Unter  Mitwirkung  der  italienischen  Regierung  ist  zur  Unterstützung 
des  Orientgeschäfts  die  Societä  Generale  di  Credito,  Rom, 
gegründet  worden. 

Die  Groninger  Bankvereeniging  Schortinghuis  & 
Stikker,  Haag,  wird  in  eine  Aktiengesellschaft  mit  dem  Namen 
Groninger  Bank  und  einem  Aktienkapital  von  6  Mill.  fl  um- 
gewandelt. 

In  London  wird  von  norwegischen  Schiffsreedern  und  Handels- 
firmen The  Norwegian  Shipping  Bank  mit  1  Mill.  £  Kapital 
gegründet. 

Unter  Führung  der  Centralbanken  for  Norge,  Kristiania,  errichteten 
9  norwegische  Banken  die  Norwegisch-Russische  Bank,  Peters- 
burg, mit  5  Mill.  Rbl  Kapital. 

In  Petersburg  wurde  eine  Bank  unter  dem  Namen  Gesell- 
schaft gegenseitigen  Kredits  für  Handel  und  Mittel- 
und  Kleinindustrie  und  durch  die  jüdische  Kolonisationsgesell- 
schaft die  Nordische  Genossenschaftsbank  mit  1  Mill.  Rbl 
Stammkapital  gegründet. 

Aus  Schweden  wird  neuerdings  eine  Reihe  weiterer  Banken- 
fusionen gemeldet. 

In  Basel  wird  die  Verwaltungs-,  Revisions-  und  Treu- 
hand-A.-G.  mit  1  Mill.  frcs  Kapital  ins  Leben  gerufen. 

Aus  New  York  wird  über  die  Errichtung  einer  Schiff shypotheken- 
bank  unter  dem  Namen  H a n n e V i g  Marine  Trust  Cy.,  New  York, 
berichtet. 

Die  First  National  Bank,  New  York,  eröffnet  eine  Filiale 
in  Buenos  Aires,  die  Irving  National  Bank,  New  York, 
eine  solche  in  Paris. 

b)  Kreditwirtschaftliche  Maßnahmen. 

In  Deutschland  wurden  veröffentlicht : 

1)  eine  Bekanntmachung  des  Reichskanzlers,  betr.  Versteuerung 
ausländischer  Wertpapiere  ohne  Abstempelung,  vom 
26.  Mai  1917  (Zentralbl.  f.  d.  Deutsche  Reich,  S.  129); 


—    359    - 

2)  zwei  Erlasse  des  preußischen  Handelsministers,  betr.  Forde- 
derungen  an  das  feindliche  Ausland  (vgl.  Aprilchronik)  vom 
9.  und  16.  Mai  1917  (vgl.  „Handel  und  Gewerbe",  Nr.  30  vom  19.  Mai 
1917,  S.  498,  und  Nr.  31  vom  2.  Juni  1917,  S.  520); 

3)  eine  amtliche  Mitteilung  des  Präsidenten  der  Reichsentschädi- 
gungskommission über  die  Mitwirkung  der  Reichsentschädi- 
gungskommission  bei  Einziehung  von  Forderungen  an 
das  feindliche  Ausland  (vgl.  ebenda  Nr.  31  vom  2.  Juni  1917, 
S.  535); 

4)  eine  Bekanntmachung  der  Hauptverwaltung  der  Darlehnskassen, 
durch  welche  unverzinsliche  Schatzanweisungen  des  Reichs 
mit  höchstens  einem  Jahre  Laufzeit  bis  zu  85  Proz.  des  Nennwertes 
zur  Beleihung  bei  den  Darlehnskassen  des  Reichs  zu- 
gelassen werden  (R.-Anz.  Nr.  126  vom  30.  Mai  1917). 

Für  die  besetzten  Gebiete  Russisch-Polens  hat  der  Ge- 
neral-Gouverneur unter  dem 

1)  16.  Mai  1917  eine  Verordnung,  betr.  Verlängerung  der 
Protestfristen  (Verordn.-Bl.  f.  d.  Generalgouvernement  Warschau, 
Nr.  74  vom  23.  Mai  1917,  S.  224;  vgl.  Januarchronik), 

2)  19.  Mai  1917  eine  Verordnung,  betr.  die  Zuständigkeit 
der  Militärgerichte  —  die  M.-G.  sind  u.  a.  zuständig  für  Zu- 
widerhandlungen gegen  Währungsverordnungen;  s.  April- 
chronik —  (ebenda  Nr.  76  vom  10.  Juni  1917,  S.  227)  erlassen. 

In  den  dem  Oberbefehlshaber  Ost  unterstellten  Ge- 
bieten ist  unter  dem 

1)  22.  Mai  1917  eine  Verordnung,  betr.  Verlängerung  der 
Wechsel-  und  Scheckrechtsfristen  (Befehls-  und  Verordn.-Bl. 
des  Oberbefehlshabers  Ost,  Nr.  80  vom  8.  Juni  1917,  S.  633,  Ziff.  582; 
vgl.  Februarchronik), 

2)  30.  Mai  1917  eine  Bekanntmachung,  betr.  Aenderung  der 
Satzung  der  Darlehnskasse  Ost  der  Ostbank  für  Handel 
und  Gewerbe  vom  17.  April  1916  (ebenda  Nr.  80  vom  8.  Juni  1917, 
S.  636,  Ziff.  584;  vgl.  Chr.  1916,  S.  303),  ergangen. 

In  dem  neuen  „Verordnungsblatt  für  die  Bevölkerung  Rumäniens 
im  Gebiete  der  Militärverwaltung"  werden  —  unter  nachträg- 
licher Aufnahme  auch  früherer  Bekanntmachungen  —  folgende  wichtigere 
Verordnungen  veröffentlicht : 

1)  betr.  Verbot  der  Veräußerung  rumänischen  Staat s- 
und  kommunalen  Eigentums  (S.  5,  Nr.  5), 

2)  betr.  Aufhebung  des  rumänischen  Verbots  derZah- 
lungen  an  Deutsche  und  Verbündete  (S.  5,  Nr.  7), 

3)  über  die  Stempelsteuer  vom  30.  März  1917  (S.  32,  Nr.  36), 

4)  betr.  Zwangsverwaltungen  vom  10.  Februar  1917  (S.  39, 
Nr.  56), 

5)  betr.  das  Verbot  von  Zahlungen  nach  feindlichen 
Staaten,  vom  10.  Februar  1917  (S.  41,  Nr.  57), 


—    3^0    — 

6)  über  die  Bankaufsicht,  vom  30.  April  1917  (S.  79,  Nr.  111), 

7)  über  die  Sicherung  und  Beitreibung  der  Forde- 
rungen der  Landwirtschaftlichen  Darlehnskasse  bei  der 
Nationalbank  vom  5.  Mai  1917  (S.  80,  Nr.  112). 

Ein  Abdruck  der  englischen  geheimen  sog.  „Grauen  Liste" 
(vgl.  Chr.  1916,  S.  779)  findet  sich  in  den  „Nachrichten  für  Handel, 
Industrie   und  Landwirtschaft",  Nr.  40  vom   9.  Mai  1917,  als  Beilage. 

In  den  Niederlanden  hat  die  Regierung  zur  Regelung  der  Ein- 
und  Ausfuhr  den  Generalstaaten  einen  „Gesetzentwurf,  betr.  besondere 
Maßnahmen  für  den  Warenverkehr  mit  dem  Auslande",  vorgelegt,  in 
dem  die  Errichtung  eines  holländischen  Zentral-Ausfuhrbüros 
und  einer  besonderen  Bank  mit  Staatsbeteiligung  vorgesehen  ist  (vgl. 
„Voss.  Ztg.",  Nr.  242  vom  13.  Mai  1917). 

In  Oesterreich-Ungarn  wurden  folgende  wichtigere  kredit- 
wirtschaftliche Maßnahmen  getroffen: 

1)  Verordnung  des  österreichischen  Finanzministers  über  die  Ge- 
währung von  Gebührenbefreiungen  zur  Förderung  der 
Zeichnung  der  sechsten  österreichischen  Kriegsanleihe 
vom  7.  Mai  1917  (RGBl.  f.  d.  im  Reichsrate  vertretenen  Königreiche 
und  Länder,  S.  513); 

2)  Verordnung  des  österreichischen  Gesamtministeriums  über  Be- 
günstigungen zur  Berichtigung  von  Rückständen  an 
Zinsen  verbücherter  Forderungen  und  an  Steuern  und 
öffentlichen  Abgaben  vom  9.  Mai  1917  (ebenda  S.  528); 

3)  Verordnung  der  ungarischen  Regierung  über  die  Anmeldung 
ausländischer  Forderungen  und  Vermögen,  die  im  I n - 
lande  investiert  sind,  sowie  inländischer  Vermögen,  die  im 
Auslande  investiert  sind  (vgl.  „Oesterr.  Volkswirt",  Nr.  33  vom 
19.  Mai  1917,  S.  593). 

In  Japan  ist  am  14.  Mai  1917  ein  Dekret  der  Kaiserlichen  Re- 
gierung, betr.  das  Verbot  des  Handels  mit  dem  Feinde,  vom 
23.  April  1917  in  Kraft  getreten. 

c)  Schuldbuchwesen. 

Durch  Verfügung  des  preußischen  Finanzministers  und  des  Ministers 
des  Innern  vom  13.  und  20.  April  1917  (Min.-Bl.  f.  d.  preuß.  innere 
Verwaltung,  S.  115)  wird  der  Betrag,  für  welchen  die  öffentlichen 
Sparkassen  Preußens  Anträge  in  Staatschuldbuchange- 
legenheiten entgegennehmen  können,  von  5000  auf  10000  M.  er- 
höht (vgl.  Aprilchronik). 

d)  Bargeldloser  Zahlungsverkehr. 

1)  Durch  Beschluß  des  Bundesrats  vom  2.  Mai  1917  wird  die  am 
12.  Juni  1917  in  Wirksamkeit  tretende  Abrechnungsstelle  bei 
der  Reichsbank  in  Danzig  als  Abrechnungsstelle  im  Sinne  des 
Scheckgesetzes  erklärt  (RGBl.  S.  396). 


—    301    — 

2)  Durch  Bundesratsverordnungen  vom  24.  Mai  1917  (RGBl.  S.  431 
und  S.  432)  werden  für  Einzahlungen  auf  Aktien  und  Zah- 
lungen des  Bargebots  bei  Zwangsversteigerungen  den 
bargeldlosen  Verkehr  fördernde  Erleichterungen  gewährt. 

3)  Durch  Gesetz,  betr.  Aenderung  des  Postscheckgesetzes 
vom  26.  März  1914,  vom  30.  Mai  1917  (RGBl.  S.  469)  wird  die 
Stammeinlage  auf  Postscheckkonto  von  50  auf  25  M  herabgesetzt. 

4)  Die  Schweiz  richtet  Postsparkassen  ein. 

e)  Börsenwesen. 

Im  „Morgenbladet",  Kristiania,  Nr.  257  vom  24.  Mai  1917  werden 
die  neuen,  den  Handel  mit  Wertpapieren  in  England  regeln- 
den Bestimmungen  veröffentlicht. 

An  der  Pariser  Börse  wird  der  Handel  in  österreichisch- 
ungarischen Eisenbahnwerten  verboten. 

Durch  Verordnung  des  österreichischen  Finanzministers  vom  14.  Mai 
1917  (RGBl.  f.  d.  im  Reichsrate  vertretenen  Königreiche  und  Länder, 
S.  569)  werden  die  Schlußeinheiten  der  an  den  inländischen 
Börsen  ( W ien,  Prag  und  Triest)  notierten  Effekten  als  Grundlage 
für  die  Bemessung  der  Effektenumsatzsteuer  festgesetzt. 

Ueber  die  verschiedenen  zur  Eindämmung  der  Spekulation  an 
der  Wiener  Börse  erfolgten  Erlasse  und  amtlichen  Warnungen  vgl. 
„Vossische  Zeitung",  Nr.  228  vom  5.  Mai  1917  und  Nr.  261  vom 
24.  Mai  1917. 

In  Bern  wurde  eine  Handelsbörse  gegründet,  die  ihre  Tätig- 
keit aber  erst  mit  Friedensschluß  aufnehmen  wird  (vgl.  „Der  Bund", 
Bern,  vom  4.  April  1917). 

Die  seit  Kriegsbeginn  geschlossene  Börse  in  Konstantinopel 
wurde  am  14.  Mai  1917  —  vorläufig  nur  für  Bargeschäfte  —  wieder 
eröffnet. 

f)  Währungs-  und  Notenbankwesen. 

In  Deutschland  wurden  folgende  währungspolitischen 
Maßnahmen  getroffen : 

1)  Bek.  des  Reichskanzlers  zur  Verordnung  über  den  Zahlungs- 
verkehr mit  dem  Auslande  vom  8.  Februar  1917  (vgl.  Februar- 
chronik), vom  9.  Mai  1917  (R.-Anz.  Nr.  112  vom  11.  Mai  1917). 

2)  Mitteilung  des  W.  T.  B.,  daß  das  in  der  Bundesratsverordnung 
vom  8.  Februar  1917,  betr.  den  Zahlungsverkehr  mit  dem 
Auslande,  ausgesprochene  Verbot  der  Markausfuhr  auch  auf  den 
Verkehr  mit  den  besetzten  östlichen  Gebieten  Anwendung  findet  (R.-Anz. 
Nr.  114  vom  14.  Mai  1917). 

3)  Bek.  des  Reichskanzlers,  betr.  die  Ueberlassung  auslän- 
discher Wertpapiere  an  das  Reich  (vgl.  Märzchronik),  vom 
22.  Mai  1917  (RGBl.  S.  429),  durch  welche  ein  Teil  der  in  deutschem 
Besitz  befindlichen  dänischen,  schwedischen  und  schweize- 
rischen Wertpapiere  aufgerufen  wird. 


—    3^2     — 

4)  Bek.  des  Reichskanzlers,  betr.  die  Bedingungen  ffir  die 
Ueberlassung  ausländischer  Wertpapiere  an  das  Reich, 
vom  22.  Mai  1917  (R.-Anz.  Nr.  122  vom  24.  Mai  1917). 

5)  Verordnung  des  Bundesrats  über  die  gewerbliche  Verarbei- 
tung von  Reichsmünzen  und  den  Verkehr  mit  Silber  und 
Silberwaren,  vom  10.  Mai  1917  (RGBl.  S.  406). 

6)  Bek.  des  Reichskanzlers,  betr.  Ausnahme  von  dem  Verbot 
der  gewerblichen  Verarbeitung  von  Reichsmünzen,  vom 
11.  Mai  1917  (R.-Anz.  Nr.   116  vom  16.  Mai  1917). 

Zur  Behebung  des  Kleingeldmangels  sind  verschiedene  Maß- 
nahmen erfolgt: 

1)  Am  2.  Mai  1917  erklärt  die  Reichsregierung  im  Reichstag 
(98.  Sitzung),  daß  die  Absicht  bestehe,  das  Silber-  und  Nickel- 
geld  außer  Kurs  zu  setzen,  um  die  Kleingeldhamster   zu  treffen. 

2)  Nach  einer  Mitteilung  der  „Nordd.  Allg.  Zeitung"  vom  12.  Mai 
1917  ist  die  Prägung  von  Zinkmünzen  an  Stelle  des  gegebenen- 
falls einzuziehenden  Silber-  und  Nickelgeldes  in  Aussicht  genommen. 

3)  Verf.  des  Reichspostamts,  betr.  Beschleunigung  des  M ü n z - 
geldumlaufs  (vgl.  Aprilchronik),  vom  21.  Mai  1917  (Amtsblatt  des 
R.P.A.  S.  188). 

4)  Der  stellv.  Komm.  General  des  VI.  Armeekorps  und  die  Kom- 
mandanten von  Breslau  und  Glatz  veröffentlichen  eine  Anordnung 
gegen  das  Ansammeln  kleiner  Scheidemünzen  (vgl.  „Nordd. 
Allg.  Zeitung",  Nr.  147  vom  30.  Mai  1917,  2.  Ausgabe). 

5)  Der  preußische  Minister  des  Innern ,  der  preußische  Finanz- 
und  der  Handelsminister  richteten  am  8.  Mai  1917  an  die  Regierungs- 
präsidenten einen  Erlaß,  in  dem  die  Ausgabe  von  Notgeld  durch 
Gemeinden  und  Betriebe  ausnahmsweise  gestattet  wird  (vgl. 
„Handel  und  Gewerbe",  Nr.  30  vom  19.  Mai  1917,  S.  500). 

6)  Nach  einem  Erlaß  des  preußischen  Handelsministers  vom  8.  Mai 
1917  sollen  die  Handelsvertretungen  nur  in  Ausnahmefällen 
Notgeld  ausgeben,  im  übrigen  dessen  Ausgabe  den  Gemeinden  über- 
lassen (ebenda  S.  498). 

7)  Durch  Runderlaß  des  preußischen  Finanzministers  vom  14.  April 
1917  werden  die  Regierungshauptkassen  und  Kreiskassen 
angewiesen,  das  Notgeld  als  vollgültiges  Zahlungsmittel  anzu- 
nehmen (Zentralblatt  für  die  gesamte  Unterrichts  Verwaltung  in  Preußen, 
S.  412). 

8)  Nach  der  „Frankf.  Zeitung"  vom  13.  Mai  1917  kann  das  Not- 
geld im  örtlichen  Zahlungsverkehr  auch  von  den  Eisen  bahnkassen 
in  unbeschränkter  Höhe  angenommen  werden. 

Der  Gouverneur  von  Deutsch-Ostafrika  wurde  durch  die 
Deutsche  Regierung  ermächtigt,  die  Banknoten  und  Interims- 
noten der  Deutsch-Ostafrikanischen  Bank  zu  gesetz- 
lichen Zahlungsmitteln  zu  erklären  (vgl.  Reichstagsberichte, 
106.  Sitzung  am  11.  Mai  1917,  S.  3244). 


—  363  — 

Für  die  besetzten  Gebiete  Russisch-Polens  hat 

1)  der  Generalgouverneur  unter  dem  29.  April  1917  eine  Verord- 
nung über  die  Ausfuhr  von  Gold  und  Silber  (Verordn.-Bl.  für 
das  Generalgouvernement  Warschau,  Nr.  74  vom  23.  Mai  1917,  S.  221), 

2)  der  Verwaltungschef  beim  Generalgouvernement  Warschau  unter 
dem  3.  Mai  1917  eine  Ausführungsverordnung  zu  der  vor- 
stehenden Verordnung  (ebenda)  erlassen. 

Der  Oberbefehlshaber  Ost  erließ  für  die  ihm  unter- 
stellten russischen  Gebiete  unter  dem  30.  Mai  1917  eine  Ver- 
ordnung über  die  Zahlungsmittel  im  Gebiet  des  Oberbe- 
fehlshabers Ost  (vgl.  Aprilchronik)  nebst  Ausführungsbestimmungen 
(Befehls-  und  Verordn.-Bl.  des  Oberbefehlshabers  Ost,  Nr.  80  vom 
8.  Juni  1917,  S.  636,  Ziff.  585). 

Im  „Verordnungsblatt  für  die  Bevölkerung  Rumäniens  im  Gebiete 
der  Militärverwaltung"  wird  auf  S.  50  unter  Nr.  72  eine  Verordnung 
über  beschädigte  Noten  der  Banca  Nationale  aRomaniei 
vom  5.  April  1917  veröffentlicht. 

In  England  wird  die  vierte  Requisitionsliste  ftlr  Dol- 
larwerte vom  5.  Mai  1917  veröffentlicht  (vgl.  „The  Statist"  vom 
12.  Mai  1917). 

In  Oesterreich-Üngarn  wurden  folgende  währungspoli- 
tischen Verordnungen  erlassen: 

1)  Verordnung  des  österreichischen  Finanzministers,  betr.  die  Ein- 
ziehung der  Nickelmünzen  zu  zehn  Heller  (vgl.  Aprilchronik), 
vom  30.  Mai  1917  (RGBl.  f.  d.  im  Reichsrate  vertretenen  Königreiche 
und  Länder,   S.  628). 

2)  Desgleichen,  betr.  die  weitere  Ausprägung  und  Ausgabe 
von  Teilmünzen  der  Kronenwährung  zu  zwanzig  Heller  und  zu 
zwei  Heller  aus  Eisen  (vgl.  Chr.  1916,  S.  829),  vom  30.  Mai  1917 
(ebenda  S.  628). 

3)  Verordnung  des  Handelsministers  im  Einvernehmen  mit  dem 
Finanzminister,  betr.  die  Einlösung  der  Zinsscheine  der  fünften 
österreichischen  Kriegsanleihe  durch  die  P 0 s t ä m t  e r,  vom  6.  Mai 
1917  (ebenda  S.  549). 

4)  Verordnung  des  österreichischen  Finanzministers,  betr.  das  Ver- 
bot der  Ein-  und  Durchfuhr  von  Zahlungsmitteln  der 
Rubelwährung,  vom  24.  Mai  1917  (ebenda  S.  613). 

5)  Entsprechende  Verordnungen  der  ungarischen  Regierung  (vgl. 
„Der  ungarische  Volkswirt",  Nr.  11  vom  5.  Juni  1917,  S.  8). 

Das  Notenprivileg  der  Russischen  Staatsbank  wurde 
um  weitere  2  Milliarden  auf  IOV2  Milliarden  erhöht  (vgl.  Märzchronik). 

Durch  das  Gesetz  über  die  Freiheitsanleihe  der  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika  wird  der  Schatzsekretär  ermächtigt,  den 
Staatsbanken  und  Trustgesellschaften  auf  die  Anleihe  eingezahlte  Be- 
träge wieder  zur  Verfügung  zu  stellen,  ohne  daß  diese  für  solche 
Regierungsdepositen  eine  erhöhte  Goldreserve  zu  halten 
brauchen  (vgl.  „Frankf.  Zeitung"  vom  15.  Mai  1917). 


364  3.  Statistik. 

UebersichtüberdenStand  der  deutschen  und  einiger  au sländischenNotenbanke 
sowie  des  Bankzinsfußes  an  den  wichtigeren  Börsenplätzen  im  Mai  1917. 

Beträge  in  Millionen  Mark. 


Deutsches  Reich                 | 

Bank 

von 

Bank 

von 

RusBiach 

ßeichs- 
bank 

Privat- 
noten- 
banken 

Summe 

Frankreicn 

(nach  .,L'Eco- 

nomifete 

Franoai»") 

England 

(nach  „Tbe 

Statitt") 

Staatebanl 
(nach  WoUt- 
Depe«cheiij 

Ausweis  vom 

15.  1    31.    1  15.|31.|    15.  1    31. 

Mai 

Ausweis  V. 

17.  1    31. 

Mai 

Ausweis  V. 

16.    1  30. 

Mai 

Ausweis  V 

14.      1     2'.: 

Mai  n.  Si 

Aktiva. 

Barvorrat: 

"«•^^{X;  :  :  : 

2533 
22 

2533 
34 

— 

— 

— 

4264 
208 

4271 
209 

— 

3193 
257 

3  196 

267 

Summe 

Sonstige  Geldsorten    .     . 

Wechsel  auf  das  Ausland 

und  Guthaben  daselbst 

2555 
467 

2567 
450 

68 
32 

68 
30 

2623 
499 

2635 
480 

4472 

4480 

II 20 

1125 

3450 

4  577 

3463 
4  576j 

Gesamtsumme  d.  Barvorrats 

3022 

3017 

100 

98 

3122I  3  "5 

4472 

4480 

1120 

1125 

8027 

8o;q 

Anlagen  : 

Wechsel  1) 

Lombard 

Effekten 

Sonstige  Anlagen      .     .     . 

9278 

10 

107 

1063 

9364 

10 

112 

1057 

22 

43 

'11 

22 

55 

9393 

76 

129 

T106 

9  477 

79 

134 

I  112 

1927 
926 

179 
ro88o 

2034 

918 

179 

II  090 

Bank 
Gov. 
919 
Other 
2211 

.Dep. 

See: 

921 

See.: 

2351 

546 
2  190 

508 
2798 

Summe   der   Anlagen 

10458 

10543 

246 

259 

10704 

10802 

13  912 

14221 

3507 

3649 



- 

Summe  der  Aktiva 

13480 

13560 

346 

357 

13826 

13  917 

18384 

18  701 

4627 

4774 

— 

— 

Passiva. 

Grundkapital 

Eeservefonds 

Notenumlauf 

Verbindlichkeiten: 

Tätlich  f^"^^*^*^^^®^      • 
^^^]:^^J0effentl.  Guthaben 

180 

90 

8206 

I4593 

180 

90 

8285 

4538 

56 

15 

154 

93 

56 

15 

150 

100 

236 

105 

8360 

4686 

236 
105 

8435 

4638 

155 
15669 

2072 
55 

155 
28 

15778 

2  163 
103 

t 

78; 

2394 
1083 

298 

61 

797 

2441 
1173 

108 
II 

24747 

4676 
456 

16 

I 
2541 

4654 

527 

l                    Summe 
Sonstige  Verbindlichkeiten 

4593 
411 

4538 
467 

93 
28 

100 
36 

4686 
439 

4638 
503 

2  127 
405 

2266 
474 

3477 
4 

3614 
4 

5132 

5  181 

Summe  der  Passiva 

13480 

13560 

346 

357 

13826 

13  917 

18384 

18  701 

4627 

4774 

— 

— 

Notenreserve  im  Sinne  des 
betreffenden  Bankgesetzes 

') 

') 

14 

17 

') 

') 

1341 

I  232 

711 

705 

1382 

5039 

Deckung : 

in  Prozenten 

der  Noten   durch  den  ge- 
samten Barvorrat^")    .     . 
durch     den     inländischen 

Metallvorrat 

der  Noten  u.  sonstigen  täg- 
lich fälligen  Verbindlich- 
keiten durch  den  gesamten 
Barvorrat '°)  ..... 
Bankzinsfuß 

während     des    Monats 
Mai 

36,8 
31,1 

23,6 

in  Be 
5,- 

36, 
31, 

23, 
rlin 

4 
0 

5 

h 

64,7 
43,9 

40,3 

a  Wi 

5- 

65,2 
45,1 

39,2 
en 

37,8 
31,4 

23,9 

in  Pan 
5,— 

IS 

J6,9 
JI,2 

^3,8 

in  L 
5 

28,5 
18,5 

25,1 
london 

28,4 
18,0 

24,8 

in 

St.  Pete 

6,- 

142,4 
142,4 

rsburg 

141,2 
141,2 

25,6 

in 

Amsteri 

4V. 

32,4 
13,9 

26,9 

am       Nei 
4, 

31,0 
13,6 

26,3 

n 

V  York 

-') 

Wegen  Umrechnung  der  fremden  Valuten  usw.  vgl.  Chronik  1913,  S.  1038  unten. 


1)  Für  die  ßeichsbank  die  gesamte  bankmäßige  Deckung,  d.  h.  Wechsel,  Schecks  und  diskontierte 
Schatzanweisungen.  2)  Für  die  Reichsbank  ist  die  Notensteuer  bis  auf  weiteres  aufgehoben  (Ges.  v.  4.  Aug. 
1914,  RGBl.  S.  327).  3)  Darunter  im  Auslande  am  17.  Mai:  1578  MUl.  M;  am  31.  Mai:  1647  Mill.  M. 
4)  Einschließlich  der  377  Mill.  M  betragenden  Anlagen  des  Issue-Department.  5)  Totalreserve.  6)  Ver- 
hältnis der  Reserve  zu  den  Depositen  am  16.  Mai :  20,4  Proz. ;  am  30.  Mai :  19,5  Proz.  7)  Die  in  diesen 
Spalten  offen  gelassenen  Posten  ergeben  sich  nicht  aus  den  Wolffschen  Depeschen.  8)  Das  Notenkontingent  ist 
Ende  Mai  1917  auf  10,5  Milliarden  Rbl  erhöht  worden.  9)  Diskontrate  für  60  Tage.  10)  Im  Sinne  der 
betr.  Notenbankgesetze. 


—    365 


VII.  Arbeiterverhältnisse. 

Inhalt:  Der  Arbeitsmarkt  im  Mai  1917.  Arbeitslosenstatistik  der  Arbeiter- 
verbände. Arbeitsnachweisstatistik.  Der  weibliche  Arbeitsmarkt  im  Mai  1917. 
Der  Arbeitsmarkt  in  Berlin  und  in  der  Provinz  Brandenburg.  Die  Tarifbewegung 
im  Baugewerbe. 

Die  deutschen  Großindustrien  sind  nach  wie  vor  in  vollem  Um- 
fange auf  Kriegslieferungen  eingestellt.  Aus  den  Berichten,  welche 
eine  große  Anzahl  von  Unternehmungen  allmonatlich  an  das  Kaiserlich 
Statistische  Amt,  Abt.  für  Arbeiterstatistik,  einsenden,  geht  hervor,  daß  in 
zahlreichen  Betrieben  des  Bergbaus,  der  Eisen-  und  Maschinenindustrie 
sowie  der  elektrischen  Industrie  mit  Ueberstunden  und  Nachtschichten 
gearbeitet  wurde.  Gleichzeitig  wird  über  zahlreiche  Lohnerhöhungen 
berichtet.  Was  die  Lage  im  Baugewerbe  betrifft,  so  lebte  nach  der 
Mitteilung  des  „Baumaterialienmarktes"  die  Bautätigkeit  im  Mai  nach 
der  langen  Winterpause  im  großen  und  ganzen  in  dem  schwachen  Um- 
fange der  Herbstmonate  des  Jahres  1916  wieder  auf.  Erschwert  werden 
die  notwendigen  Bauarbeiten  durch  den  Mangel  an  Arbeitskräften  so- 
wie an  Baustoffen.  Im  Wiederaufbaugebiet  Ostpreußens  ist  die  Bau- 
tätigkeit überall  im  Gange,  in  einigen  Orten,  z.  B.  in  Orteisburg,  sogar 
sehr  rege.  Auch  hier  wird  die  Arbeit  durch  den  Mangel  an  verschie- 
denen Baustoffen  beeinträchtigt. 

Die  Arbeitslosenziffer,  die  allmonatlich  aus  den  Nachweisen 
der  Arbeiterverbände  von  der  Abteilung  für  Ar b eiterst atistik  berechnet 
wird,  verharrte  auf  dem  niedrigen  Satz  von  1  v.  H.,  ein  Satz,  der 
bereits  im  Vormonat  festgestellt  wurde.  Im  einzelnen  berichteten 
33  Arbeiterverbände  für  891  654  Mitglieder;  unter  diesen  wurden  Ende 
Mai  8729  Arbeitslose  gezählt. 

Für  die  6  größten  Arbeiterverbände,  die  mit  ihrem  Mitglieder- 
bestand 72  V.  H.  der  Mitglieder  sämtlicher  berichtenden  Arbeiterver- 
bände umfassen,  wurden  seit  Ende  Februar  1917  folgende  Arbeitslosen- 
ziffern berechnet: 


Arbeitslosigkeit  v.  H.  der  vom 

Mitgliederzahl 
Ende  Mai 

Bericht  erfaßten  Mitglieder 

Arbeiterverbände 

Ende 

Ende 

Ende 

Ende 

1917 

Mai 

Aprü 

März 

Febr. 

1917 

Metallarbeiter 

309  879 

0,2 

0,3 

0,4 

0,4 

Fabrikarbeiter 

90824 

0,2 

0,4 

0,5 

0,6 

Bauarbeiter 

76858 

0,2 

o,.H 

1,9 

2,5 

Holzarbeiter 

76462 

0,6 

0,8 

0,8 

1,0 

Textilarbeiter 

63703 

5,2 

7,0 

9,0 

10,2 

Transportarbeiter 

58415 

0,3 

0,5 

0,4 

0,4 

Es  ging  also  bei  allen  Verbänden,  abgesehen  vom  Transportarbeiter- 
verband, die  Arbeitslosenziffer  von  Ende  April  auf  Ende  Mai  noch 
weiter  zurück. 

Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  ergibt  für  den  Monat 
Mai  ein  Sinken  des  Andrangs  der  Arbeitsuchenden.  Auf  100  offene 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXIV 


366    — 


Stellen  kamen  bei  den  Männern  53  Arbeitsuchende  gegen  56  im  April ; 
bei  den  Frauen  sank  die  Verhältnisziffer  in  der  gleichen  Zeit  von 
107  auf  96. 

Um  die  Lage  auf  dem  weiblichen  Arbeitsmarkt  im  einzelnen 
erkennen  zu  können,  seien  im  folgenden  für  die  hinsichtlich  der  Zahl 
der  Vermittlungen  wichtigsten  weiblichen  Berufsarten  die  Verhältnis- 
ziffern für  Mai  1916  sowie  für  April  und  Mai  1917  zusammengestellt. 


Zahl  der 

Auf  100  offene  Stellen  kamen 

Wichtige  Berufsarten 

Vermitt- 

.... Arbeitsgesuche  im 

lungen  im 

Mai 

Mai 

Aprü 

Mai  1917 

1917 

1916 

1917 

Weibliche  Personen. 

Landwirtschaftliche  Arbeiterinnen 

6327 

58 

83 

62 

Metallarbeiterin  nen 

15700 

94 

210 

IIO 

Arbeiterinnen  in  der  chemischen  Industrie 

2012 

67 

188 

83 

Spinnstoffarbeiterinnen  (einschl.  Färberei-  und 

■ 

Appreturarbeiterinnen) 

4  115 

345 

625 

403 

Buchbinderei-  u.  Kartonnagenarbeiterinnen  usw. 

1413 

80 

164 

lOI 

Arbeiterinnen  in  der  Lederindustrie 

775 

90 

159 

95 

Tabakarbeiterinnen  usw. 

1473 

112 

173 

117 

Schneiderinnen,  Putzmacherinnen  usw. 

8312 

138 

211 

157 

Büglerinnen,    Wäscherinnen    in    Wasch-    und 

Plättanstalten  usw. 

603 

66 

100 

106 

Buchdruckereiarbeiterinnen 

3015 

86 

130 

92 

Fabrikarbeiterinnen 

13303 

98 

245 

121 

Angestellte  im  Handelsgewerbe 

2016 

298 

305 

411 

Kellnerinnen,  Büfettfräulein 

9019 

113 

137 

115 

Hotelzimmermädchen,  Beschließerinnen 

645 

n 

195 

93 

Kochpersonal  in  Gastwirtschaften 

737 

87 

132 

-96 

Herd-  u.  Küchenmädchen  in  Gastwirtschaften 

2938 

58 

105 

69 

Putz-,  Wasch-,  Lauffrauen,  Aufwärterinnen  usw. 

20713 

11 

132 

83 

Dienstboten,  Hauspersonal 

7  435 

43 

127 

46 

Sonstige  Tagelöhnerinnen 

8346 

89 

164 

124 

Freie  Berufsarten 

969 

214 

244 

222 

Es  tritt  demnach  vom  April  zum  Mai  1917  bei  sämtlichen  hier 
aufgeführten  weiblichen  Berufsarten  ein  vielfach  starker  Rückgang  der 
Verhältnisziffer  zutage;  mit  anderen  Worten:  die  Lage  des  Arbeits- 
marktes  hat  sich  zugunsten  der  Arbeiterinnen  weiter  stark  verbessert. 

Wie  allmonatlich  soll  im  folgenden  nach  dem  Bericht  des  Ver- 
bandes Märkischer  Arbeitsnachweise  die  Lage  des  Arbeitsmarktes  in 
Berlin  und  in  der  Provinz  Brandenburg  dargestellt  werden. 
Der  Bericht  ist  bereits  im  Juniheft  des  Reichs-Arbeitsblattes  (S.  478) 
erschienen  und  von  der  Tagespresse  benutzt  worden. 

Danach  stand  der  Arbeitsmarkt  so  sehr  im  Zeichen  lebhaftester 
Anspannung,  daß  eine  Reihe  von  gewerblichen  Facharbeitsnachweisen 
wenig  oder  keine  Arbeitslosen  aufzuweisen  hatten.  Wenn  trotzdem  die 
Inanspruchnahme  der  Arbeitsnachweise  im  Monat  Mai  zahlenmäßig  nicht 
überall  lebhaft  war,  wie  man  es  im  Frühjahr  und  bei  dem  Mangel  an 
Arbeitskräften  hätte  erwarten  können,  so  war  eine  hauptsächliche  Ur- 
sache die  gesetzliche  Einführung  der  Abkehrscheine,  welche  den  Wechsel 
von  einer  Arbeitsstelle  zur  anderen  erschwert. 


-    367    — 

Der  Berichtsmonat  Mai  wirkte  wie  stets  belebend  auf  den  land- 
wirtschaftlichen Arbeitsmarkt,  was  in  einer  gesteigerten  Nachfrage  nach 
brauchbaren  Arbeitskräften  seinen  Ausdruck  fand.  Das  Angebot  bildete 
hauptsächlich  eine  größere  Anzahl  sogenannter  Berliner  Burschen,  die 
weder  Landwirtschaft  verstehen,  noch  von  den  Arbeitgebern  gesucht 
werden. 

Es  herrschte  weiter  Mangel  an  Facharbeitern  in  der  M  e  t  a  1 1  i  n  d  u  s  t  r  i  e.  Es 
fehlten  Elektrotechniker  und  Werkmeister,  Schlosser,  Dreher  und  Werkzeugmacher. 

Im  Spinnstoffgewerbe  war  die  Lage  der  Weber  gut  für  Heeresdecken,  die 
der  Posamentierer  mittelmäßig,  während  Stickerei,  Dekatur,  Wirker  und  Stricker 
ungünstige  Arbeitsverhältnisse  aufzuweisen  hatten.  Aus  Guben  wird  ein  völliges 
Darniederliegen  der  Wollhutfertigung  infolge  von  Heeresaufträ^en  gemeldet, 

Papier-  und  Lederindustrie  haben  gute  Beschäftigungs Verhältnisse. 
Die  verlangten  Arbeitskräfte,  insbesondere  Polsterer  und  Heeressattler  konnten 
nur  zum  Teil  beschafft  werden. 

Im  Holz  gewerbe  war  wieder  starke  Nachfrage  nach  Tischlern,  Stellmachern 
und  Maschinenarbeitern  für  Holzbearbeitungmaschinen,  die  nur  in  beschränkter 
Anzahl  verfügbar  waren.  In  Brandenburg  konnte  die  Nachfrage  nach  Tischlern 
und  Stellmachern  nicht  befriedigt  werden.  Die  Nachfrage  nach  Holzarbeitern 
war  in  Berlin  nur  wenig  stärker  als  das  Angebot.  Am  Schlüsse  des  Monats 
waren  im  paritätischen  Facharbeitsnachweis  für  die  Holzindustrie  noch  175  Ar- 
beitslose gemeldet.  Der  Nachfrage  nach  Böttchern  konnte  im  Berichtsmonat  bei 
weitem  nicht  entsprochen  werden. 

Im  Nahrungsmittelgewerbe  waren  Fleischergesellen,  Brauer  und 
Braumeister  schwer  zu  beschaffen,  während  bei  den  Bäckern  Arbeitskräfte  für 
Groß-Berlin  in  kleinerer  Anzahl  gestellt  werden  konnten. 

Im  Bekleidungs-  und  Reinigungsgewerbe  war  guter  Geschäftsgang 
im  Pelzzweige,  während  die  Mützenmacherei  Mangel  an  Rohstoffen  hat.  Große 
Nachfrage  ohne  entsprechendes  Angebot  lag  bei  Schuhmachern  und  Schneidern 
vor.  Die  von  der  Bezugsscheinpflicht  wenig  betroffene  Hutindustrie  hat  weiter 
eine  befriedigende  Lage. 

Eine  gesteigerte  Tätigkeit  hatte  das  Baugewerbe  zu  verzeichnen.  Der 
großen  Nachfrage  nach  Maurern,  Zimmerern,  Bau-  und  Erdarbeitern,  Einschalern, 
Rammern,  Steinsetzarbeitern  und  Bauschlossern  konnte  lange  nicht  entsprochen 
werden.  Günstige  Arbeitsgelegenheit  bot  sich  für  Ofensetzer  und  Stukkateure, 
für  Maler  und  Anstreicher.  Ende  des  Monats  fehlten  sehr  Arbeitskräfte  bei  den 
Lackierern.  Stark  begehrt  waren  Küchenmöbelmaler,  die  nur  vereinzelt  zu  haben 
waren. 

Das  Vervielfältigungsgewerbe  hatte  Mangel  an  Facharbeitern.  Stein- 
drucker, Chemigraphen,  Lithographen  und  Kupferdrucker  hatten  sehr  gute  Be- 
s  chäf  tigu  ngsgelegenheit. 

Im  Handelsgewerbe  fehlten  Stellen  für  Lebensmittelhändler,  während 
für  die  Eisenwaren-  und  Drogengeschäfte  Bewerber  fehlten.  Der  Mangel  an 
Arbeitskräften  für  das  Bank^ewerbe  und  im  Buchhandel  hält  an. 

Die  Kriegsbeschädigten- Vermittlung  hatte  im  Berichtsmonate  gün- 
stige Vermittlungsergebnisse  aufzuweisen. 

Die  Nachfrage  nach  Arbeitern  für  Holz-  und  Eisenplätze,  Verkehrs- 
arbeitern für  Munition,  Arbeitern  für  Bau,  Straßenbau  und  für  das  Verkehrs- 
gewerbe war  sehr  lebhaft,  ohne  daß  ihr  ein  zureichendes  Angebot  gegenüberstand. 

Auf  dem  Arbeitsmarkt  für  weibliche  Personen  war  größere  Nachfrage  in 
der  Metallindustrie.  Für  chemische  Fabriken  wurden  mit  Vorliebe  jugendliche 
Arbeiterinnen  verlangt.  Die  Seifenereatzfabriken  hatten  erhöhten  Bedarf. 
Nahrungsmittelfabriken  bestellten  weniger  Arbeiterinnen  als  im  Vorjahre.  Der 
Durchschnittslohn  für  Minderjährige  betrug  für  die  Woche  17,3  M.,  das  ist  mehr 
als  das  IVg-fache  des  Vorjahres.  Die  Lage  im  Gast-  und  Schankwirtschafts- 
gewerbe war  unverändert.  Am  stärksten  oheb  der  Mangel  an  Kräften  in  der 
Gruppe  der  häuslichen  Dienste.  So  waren  z.  B.  in  Schöneberg  für  134  Dienst- 
herrschaften nur  54  Dienstmädchen  gemeldet.    Gute  Arbeitsgelegenheit  bot  sich 

XXIV* 


—    368    — 

Frauen  bei  der  Post  und  Eisenbahn.  Für  gewerbliche  Arbeiterinnen  war  im  all- 
gemeinen durch  vielseitige  Beschäftigungsgelegenheit  in  den  Fabriken  die  Lage 
des  Arbeitsmarktes  im  Berichtsmonat  weiter  günstig. 

Die  Berichte  der  übrigen  Arbeitsnachweisverbände,  die  gleichfalls 
im  „Reichs -Arbeitsblatt"  wiedergegeben  sind,  weisen  fast  überein- 
stimmend auf  die  starke  Nachfrage  hin,  welche  zurzeit  die  Landwirt- 
schaft ausübt.  Der  Bedarf  konnte  nicht  überall  auch  nur  annähernd 
gedeckt  werden. 

Ende  April  kam  die  schon  seit  längerer  Zeit  schwebende  Tarif- 
bewegung  im  Baugewerbe  zu  einem  Abschluß.  Die  meisten 
Tarifverträge  für  das  Baugewerbe  liefen  am  31.  März  1917  ab.  Um 
eine  tariflose  Zeit  zu  vermeiden,  und  um  Arbeitsstreitigkeiten  zwischen 
Arbeitgebern  und  Arbeitern  vorzubeugen,  fanden  Ende  April  im  Reichs- 
amt des  Innern  unter  dem  Vorsitz  des  Ministerialdirektors  Dr.  Caspar 
Verhandlungen  über  den  Abschluß  eines  neuen  Tarifvertrags  zwischen 
dem  Deutschen  Arbeitgeberbund  für  das  Baugewerbe  und  den  in  Be- 
tracht kommenden  Arbeiterorganisationen  statt.  Die  Verhandlungen 
zeitigten  folgendes  Ergebnis: 

1)  In  allen  Tarif  orten  des  Deutschen  Reiches,  in  denen  nach  der 
Vereinbarung  vom  3./4.  Mai  1916  eine  (erste)  Kriegszulage  zu  den 
Tariflöhnen  zu  zahlen  war,  wird  sämtlichen  in  den  Tarifverträgen  der 
einzelnen  Tarifgebiete  aufgeführten  Arbeit erkategorien  bei  Zeit-  und 
Akkordarbeit  vom  27.  April  1917  bis  31.  März  1918  eine  neue  (zweite) 
Kriegszulage  gezahlt,  die  für  die  Arbeitsstunde  15  Pfg.  beträgt. 

2)  Soweit  in  den  einzelnen  Tariforten  oder  auf  einzelnen  Arbeits- 
stellen bereits  zu  der  in  der  Vereinbarung  vom  3./4.  Mai  1916  festge- 
setzten ersten  Kriegszulage  eine  weitere  Zulage  gezahlt  wird,  kommt 
diese  vom  27.  April  1917  ab  auf  die  unter  1)  vereinbarte  neue  (zweite) 
Kriegszulage  in  Anrechnung.  Ist  eine  derartige  Zulage  höher  als  die 
neue  (zweite)  Kriegszulage,  so  wird  sie  auch  vom  27.  April  1917  ab 
unverändert  weitergezahlt. 

3)  Auf  Arbeitsstellen,  die  am  31.  März  1916  noch  tariffrei  waren 
und  für  die  während  des  Krieges  besondere  Platzverträge  oder  Lohn- 
vereinbarungen abgeschlossen  sind,  wird  die  neue  (zweite)  Kriegszulage 
nur  so  weit  gezahlt,  als  die  bisherige  Entlohnung  hinter  dem  Tariflohn 
des  nächstliegenden  Tarifgebiets  unter  Hinzurechnung  der  ersten  Kriegs- 
zulage und  der  zweiten  Kriegszulage  zurückbleibt.  Zur  Entlohnung  in 
diesem  Sinne  rechnet  auch  eine  etwa  gewährte  Auslösung,  soweit  sie 
zwei  Mark  für  den  Kalendertag  übersteigt.  Wo  nach  solchen  Platz- 
verträgen oder  Lohnvereinbarungen  bereits  mehr  gezahlt  wird  als  diese 
Summe,  bleibt  die  Mehrzahlung  bis  zum  31.  März  1918  bzw.  bis  zu 
dem  etwa  vorher  erfolgten  Ablauf  des  Platzvertrages  oder  der  Lohn- 
vereinbarung in  Geltung. 

4)  Die  Arbeitgeber  verpflichten  sich,  die  neue  Zulage  rückwirkend 
vom  27.  April  1917  ab  zu  gewähren;  dabei  ist  vorausgesetzt,  daß, 
bevor  die  Zahlung  beginnt,  die  Frage  der  Rückerstattung  durch  das 
Reich  bzw.  die  Bundesstaaten  geregelt  ist. 

Die  Organisationen  der  Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer  stimmten, 
diesen  Bedingungen  zu. 


—  369  — 


Vni.  Finanzwesen. 

Inhalt:  Der  neue  Keichshaushaltsetat.  Oesterreichs  Kriegsschulden.  Aus- 
gabe der  6.  österreichischen  Kriegsanleihe.  Das  schweizerische  Finanzjahr.  Die 
niederländischen  Finanzen.  Eine  neue  norwegische  Staatsanleihe.  Zur  Lage  der 
französischen  Finanzen.  Ergebnis  der  4.  itahenischen  Kriegsanleihe.  Chilenische 
Finanzen.    Brasilianische  Finanzen. 

Nach  dem  Gesetz  vom  30.  Mai  1917  wird  der  Reichshaushalts- 
etat für  das  Rechnungsjahr  vom  1.  April  1917  bis  31.  März  1918  in 
Einnahme  und  Ausgabe  auf  5  035  081052  M.  festgestellt,  und  zwar: 
im  ordentlichen  Etat  auf  4  941876  060  M.  an  Einnahmen,  auf 
4802  310488  M.  an  fortdauernden  und  auf  139  565  572  M.  an  einmaligen 
Ausgaben ;  im  außerordentlichen  Etat  auf  93  204 992  M.  an  Ein- 
nahmen und  auf  93  204  992  M.  an  Ausgaben.  Der  Reichskanzler  wird 
ermächtigt:  a)  zur  Bestreitung  einmaliger  außerordentlicher  Ausgaben 
nach  Verkündung  dieses  Gesetzes  die  Summe  von  7  275  764  M.  im  Wege 
des  Kredits  flüssig  zu  machen ;  b)  zur  vorübergehenden  Verstärkung  der 
ordentlichen  Betriebsmittel  der  Reichshauptkasse  nach  Bedarf,  jedoch 
nicht  über  den  Betrag  von  3000  Mill.  M.  hinaus,  Schatzanweisungen 
auszugeben;  c)  zur  Befriedigung  unabweisbarer,  durch  die  Verhältnisse 
des  Krieges  hervorgerufener  Bedürfnisse  nötigenfalls  Garantien  zu 
übernehmen;  d)  bei  Zahlungen  für  das  Reich,  die  vor  der  gesetzlichen 
oder  vertraglichen  Fälligkeit  erfolgen,  einen  angemessenen  Abzug  zu 
gewähren. 

lieber  Oesterreichs  Kriegsschulden  wurde  dem  „Berliner 
Börsen-Courier"  Ende  Mai  geschrieben: 

Die  Staatsschuldenkommission  des  österreichischen  Reichsrates  veröffentlicht, 
wie  bereits  telegraphisch  gemeldet  wurde,  die  Nach  Weisung  über  den  Stand  der 
österreichischen  Staatsschuld  am  31,  Dezember  1916.  Danach  betrugen  die  ge- 
samten Staatsschulden  der  österreichischen  Reichshälfte  zu  Ende  des  abgelaufenen 
Jahres  rund  44,2  Milliarden  Kr.  Diese  Schuld  zerfällt  in  zwei  große  Teile:  in 
die  vor  dem  Kriege  aufgenommenen  Staatsschulden  in  Höhe  von  12,8  Milharden 
und  in  die  seit  Kriegsbeginn  aufgenommenen  Staatsschulden  in  Höhe  von  rund 
31,4  Milliarden.  Im  Jahre  1914,  d.  h.  in  den  5  Kriegsmonaten  dieses  Jahres,  be- 
liefen sich  die  Kriegsschulden  auf  5,04  Milliarden,  im  Jahre  1915  auf  9,14  Mil- 
liarden, und  im  Jahre  1916  auf  17,26  Milliarden  Kr.  Von  den  gesamten  Kriegs- 
schulden von  31,4  Milliarden  sind  mehr  als  18  Milliarden,  also  beinahe  60  Proz., 
durch  das  Ergebnis  der  fünf  österreichischen  Kriegsanleihen  fundiert.  Den  Rest 
von  13,3  Milliarden  stellen  schwebende  Kriegsschulden  dar,  die  auf  verschiedene 
Weise  kontrahiert  wurden.  Den  Hauptanteil  bilden  die  Vorschüsse  bei  der  Noten- 
bank im  Ausmaße  von  8,19  Milliarden,  dann  kommen  Kontokorrent  -  Vorschüsse 
des  Staates  beim  Oesterreicherkonsortium  von  rund  3,3  Milliarden,  und  zum  Schluß 
die  Valutaanleihen  gegen  Markschatz  Wechsel  in  Deutschland  von  rund  1,8  Mil- 
liarden Kr.  Erwähnt  sei  schließlich  noch,  daß  auch  bei  einem  nichtdeutschen 
ausländischen  Konsortium  eine  relativ  unbedeutende  Vorschußanleihe  von  etwa 
4  Mill.  Kr.  aufgenommen  wurde. 

Was  den  Zinsendienst  der  österreichischen  Staatsschulden  anbelangt,  so 
beläuft  er  sich  für  die  Kriegsanleihen  bekanntlich  auf  57,  Proz.,  das  sind  dem- 
nach 993  Mill.  Kr.  jährlich.  Die  Zinsenlast  der  schwebenaen  Schulden  wird  mit 
321  Mill.  Kr.  angegeben.  Die  verhältnismäßig  niedrige  Verzinsung  der  schwebenden 
Schuld  hängt  damit  zusammen,  daß  die  Regierung  die  bei  der  Oesterreichisch- 
ungarischen  Bank  aufgenommenen  Darlehen  gegen  Schuldschein  —  das  Lombard- 
darlehen wird  mit  öV,  Proz.  verzinst  —  jetzt  bloß  mit  einem  halben  Prozent  zu 
verzinsen  hat,  so  daß  im  Durchschnitt  für  das  Darlehen  des   österreichischen 


—    370    - 

Staates  bei  der  Notenbank  Jahreszinsen  von  bloß  V/^  Proz.  zu  entrichten  sind. 
Die  Valutaanleihen  in  Deutschland  werden  mit  2,2  Proz.,  die  Kontokorrent-Vor- 
schüsse beim  Oesterreicherkonsortium  mit  47*  Proz.  verzinst. 

Für  die  Beurteilung  der  in  der  Nachweisung  der  Staatsschulden kontroll- 
kommission  enthaltenen  Ziffern  müßte  in  Betracht  kommen,  inwiefern  die  dort 
verzeichnete  Kriegsschuld  mit  den  tatsächlich  verausgabten  Kriegskosten  über- 
einstimmt. Man  darf  annehmen,  daß  die  bis  Ende  1916  aufgelaufenen  Kriegs- 
kosten sich  unterhalb  der  Kriegsschuld  bewegen.  Für  die  gesamten  Kriegsschulden 
der  österreichisch-ungarischen  Monarchie  bis  Ende  des  Jalu-es  1916  fehlen  offizielle 
Angaben.  Nimmt  man  das  im  Ausgleich  festgelegte  Beitrags  Verhältnis  der  beiden 
Reichshälften  zum  Ausgangspunkt  einer  ungefähren  Ermittlung  der  ungarischen 
Kriegsschuld,  was  allerdings  einigermaßen  fehlerhaft  sein  kann,  so  würde  man  zu 
einer  Kriegsschuld  Ungarns  allein  von  etwa  16  Milliarden  gelangen,  so  daß  sich 
die  Kriegsschuld  der  Monarchie  bis  Ende  1916  auf  etwa  47'/,  Alilliarden  Kr.  be- 
laufen würde,  wovon  26  Milliarden  im  Wege  von  Kriegsanleihen  aufgebracht 
wurden. 

Im  Mai  wurde  auch  die  sechste  österreichische  Kriegs- 
anleihe vom  Finanzminister  angekündigt  als  eine  steuerfreie  5V2-proz. 
amortisable  Staatsanleihe  (und  steuerfreie  ö^/g-proz.,  am  1.  Mai  1927 
rückzahlbare  Staatsschatzscheine)  zu  einem  Subskriptionspreis  für  die 
Staatsanleihe  von  92,50  und  für  die  Staatsschatzscheine  von  94  Proz. 
Die  Stücke  der  Staatsanleihe  sind  vom  1.  April,  die  Stücke  der  Staats- 
scbatzscheine  vom  1.  Mai  1917  datiert.  Die  Staatsanleihe  wii-d  zum 
Nennwerte  zurückgezahlt  und  in  den  Jahren  1923 — 1957  auf  Grund 
von  Auslosungen  getilgt.  Die  Subskription  sollte  am  8.  Juni  geschlossen 
werden. 

Das  verflossene  schweizerische  Finanzjahr  schließt  mit 
einem  Defizit  von  16  645  000  frcs.  (im  Vorjahr  21551000),  wobei  je- 
doch die  Mobilisationskosten  nicht  eingerechnet  sind.  Der  Voranschlag 
hatte  ein  Defizit  von  über  60  Mill.  vorgesehen. 

Zu  den  Staatsfinanzen  der  Niederlande  schrieb  am  31.  Mai 
das   „Berliner  Tageblatt": 

Die  Kosten  für  die  fortdauernd  aufrechterhaltene  Mobilisierung  des  Heeres 
beliefen  sich  bis  Ende  1916  bereits  auf  rund  550  Mill.  Gulden,  und  dieser  Betrag 
erhöht  sich  jeden  weiteren  Monat  um  je  20  Mill.  Zur  Deckung  der  außerordent- 
hchen  Ausgaben  sind  bisher  drei  Kriegsanleihen  aufgenommen  worden,  eine 
5 -proz.  Anfang  1915  über  275  Mill.  Gulden,  eine  4V2-proz.  Anfang  1916  über 
125  Mül.  und  eine  4-proz.  Ende  1916  gleichfalls  über  125  MiU.  Gulden.  Es  wird 
beabsichtigt,  im  Laufe  des  Jahres  1917  eine  neue  4-proz.  Anleihe  über  500  Mill. 
Gulden  herauszubringen  und  damit  die  erste  von  275  Mill.  abzulösen.  Die 
Kriegsschuld  würde  dann  aus  750  Mill.  bestehen,  davon  625  Mül.  zu  4  Proz.  und 
125  Mill.  zu  47^  Proz. 

Zur  Ablösung  dieser  Schulden  dienen  teUs  Zuschläge  auf  bestehende  Steuern, 
teüs  außerordentliche  Kriegsabgaben.  So  ist  am  22.  Juni  1916  ein  Gesetz  über 
die  Erhebung  einer  Kriegsgewinnsteuer  ergangen,  von  der  man  nach  der 
neuesten  Schätzung  einen  Ertrag  von  100  Mül.  Gulden  erwartet.  Ferner  wurde 
am  18.  August  1916  ein  Gesetz  über  Wehrbeiträge  erlassen.  Diese  Gresetze  sind 
zwar  schon  im  Jahre  1916  in  Kraft  getreten,  die  Haupteinnahmen  daraus  werden 
aber  erst  im  Jahre  1917  erscheinen.  Da  aber  alle  diese  Einkünfte  zur  Deckung 
der  außerordentlichen  Kriegsausgaben  noch  nicht  ausreichen,  so  beabsichtigt  der 
Finanzminister,  das  Versicherungswesen  zu  verstaatlichen,  ein  Plan,  der,  wie  das 
deutsche  Generalkonsulat  in  Amsterdam  berichtet,  auf  vielen  Seiten  großem  Wider- 
stände begegnet.  Schließlich  besteht  die  Absicht,  den  Gewinn,  den  die  nieder- 
ländischen Landwirte  und  Händler  bisher  durch  die  Ausfuhr  von  Lebensmitteln 
nach  Deutschland  und  zum  Teü  auch  nach  Großbritannien  erzielten,  dem  Staate 


—     371    — 

zuzuführen,  indem  diese  Ausfuhr  einer  halbamtlichen  Monopolgesellschaft  über- 
tragen wird. 

Neben  diesen  außerordentlichen  Einnahmequellen  hatte  der  Finanzminister 
einen  großen  Plan  zur  Umgestaltung  des  gesamten  niederländischen  Steuerwesens 
ausgearbeitet,  der  den  Staat  auf  absehbare  Zeit  hinaus  dauernd  finanziell  sicher- 
stellen sollte.  Von  den  darin  enthaltenen  Vorlagen  sind  in  Kjaft  getreten  das 
Gesetz  betreffend  Erhebung  einer  statistischen  Gebühr  auf  die  Ein-  und  Ausfuhr, 
vom  14.  Dezember  1916,  das  Erbschaftssteuergesetz  vom  20.  Januar  1917,  die  Ge- 
setze über  die  ßiersteuer  und  den  Bierzoll  vom  gleichen  Tage,  das  Gesetz  über 
die  Eegistrierungsgebühren  vom  22.  März  1917,  und  das  Gesetz  über  die  Stempel- 
abgabe vom  gleichen  Tage.  Ferner  sind  im  Laufe  des  Jahres  durch  verschiedene 
Gesetze  und  Verordnungen  das  Brief-  und  Paketporto  sowie  die  Telegramm-  und 
Fernsprechgebühren  erhöht  worden.  Die  übrigen  zu  dem  Reformplan  gehörigen 
Gesetzentwürfe  harren  noch  der  Erledigung. 

Ueber  eine  neue  norwegische  Staatsanleihe  berichtet  die 
„Voss.  Ztg."  am  25.  Mai:  Die  Budgetkommission  des  Storthings  hat 
beschlossen,  der  Regierung  die  Genehmigung  zur  Aufnahme  einer  neuen 
Staatsanleihe  von  80  Mill.  Kr.  zu  erteilen.  Der  Haushaltsausschuß  be- 
dauerte, daß  die  norwegischen  Großbanken  dem  Auslande  Anleihen  be- 
deutenden Umfanges  gewährt  hätten,  und  befürwortete  Regierungs- 
maßnahmen, um  den  Abfluß  norwegischen  Geldes  ins  Ausland  zu  be- 
grenzen, damit  das  Kapital  für  die  Ansprüche  des  Staates  und  der 
heimischen  Kommunen  zur  Verfügung  stehe. 

Zu  der  Lage  der  französischen  Finanzen  schreibt  „Berl. 
Börsencourier"  : 

Die  Ausführungen,  welche  die  Kreditforderung  für  das  dritte  Quartal 
begleiten,  sind  kurz,  die  Ziffernvergleiche  entbehren  der  Klarheit.  Für  das  Haupt- 
budget werden  9843  Mill.  verlangt,  die  eine  Zunahme  von  219  MiU.  gegen  die 
für  das  zweite  Quartal  verlangte  Summe  ausmachen  sollen.  Nun  waren  aber 
damals  9574  MiU.  verlangt  und  auch  hieran  von  der  Budgetkommission  größere 
Abstriche  vorgenommen  worden,  woraus  hervorgeht,  daß  diese  Kredite,  wie  jedes- 
mal, überschritten  worden  sind.  Die  Militärausgaben  erfordern  297  Mill.  mehr, 
während  für  die  Zivü Verwaltung  78  Mül.  weniger  ausgesetzt  sind.  Diese  Ab- 
nahme rührt  aus  einer  Verschiebung  der  Zinsenfälligkeiten  infolge  der  Anleihe 
her,  in  Wirklichkeit  erfordert  der  Anleihedienst  immer  größere  Beträge.  Für  die 
Nebenbudgets  werden  1033  Mill.  gegen  926  Mill.  im  zweiten  Quartal  verlangt. 

Der  Monatsdurchschnitt  der  Ausgaben  wird,  wie  folgt,  angegeben  (die  erste 
Ziffer  bezeichnet  die  Gesamtausgaben,  die  zweite  die  Kriegsausgaben): 

1914  1340  —    800 

1915  1900  —  1314 

1916  2720  —  1972 

1917  (1.  Quartal)  2963  —  2088 
1917  (2.  „  )  3426  —  2391 
1917  (3.        „      )     3281  —  2632 

Abweichend  von  der  regelmäßigen  Zunahme  zeigt  das  dritte  Quartal  eine 
ansehnliche  Abnahme,  die  um  so  mem*  überraschen  muß,  als  doch  der  geforderte 
Kredit  um  219  Mill.  höher  ist.  Bei  näherer  Prüfung  findet  man,  daß  der  ur- 
sprünglich für  das  zweite  Quartal  errechnete  Betrag  von  3191  Mill.  sich  auf 
3426  Mill.  erhöht  hat,  weü  die  Kammer  durch  Erhöhung  der  den  Familien  der 
Mobilisierten  gewährten  Beiträge  die  Kredite  auf  10  MüTiarden  gesteigert  hatte. 
Die  Ausgaben  seit  Kriegsbeginn  (die  fünf  Zwölftel  von  1914  in  Höhe  von  2  MU- 
liarden  und  die  Vorschüsse  an  Verbündete  nicht  inbegriffen)  werden  am  30.  Sep- 
tember 91 039^2  Mill.  betragen,  wovon  65  844  Mill.  für  Kriegskosten,  8447  für 
den  Schuldendienst,  9486  Mill.  für  soziale  Unterstützung  und  7262  Mill.  für  die 
übrigen  Ausgaben.    Für   das  Ende  des   zweiten   Quartals  war  ein   Betrag   von 


-    372    — 

80  311  Mill.  angegeben  worden,  die  Zunahme  ist  also  viel  bedeutender  als  der  Be- 
trag des  neu  hinzukommenden  Kredites.  Die  Einnahmen  aus  direkten  Steuern 
für  1916  betrugen  eine  Milliarde  auf  1236  Mill.  Zuschlag,  also  84  Proz.  Die  in- 
direkten Steuern  erbrachten  für  die  vier  abgelaufenen  Monate  von  1917  1595  Mill. 
Von  der  Zunahme  von  444  Mill.  entfallen  218  auf  die  Zölle  und  ein  großer  TeU 
des  Kestes  auf  neue  Steuern,  man  kann  daher  nicht  gerade  von  einer  Besserung 
sprechen. 

Die  Staatsschuld  hat  sich  in  den  drei  Monaten  von  Ende  Januar  bis  Ende 
April  um  7200  Mill.  gesteigert,  wovon  4200  Mill.  kurzbefristete  und  3000  MiU. 
schwebende  Schulden.  Der  Absatz  von  Nationalverteidigungsbons  war  2927  Mill. 
(wodurch  sich  deren  Gesamtumlauf  auf  ca.  51  Milliarden  steUt). 

Den  Schluß  des  Berichtes  bildet  eine  Lobrede  auf  die  Vereinigten  Staaten, 
deren  moralische  und  finanzielle  Mitwirkung  willkommen  geheißen  wird.  Aber 
der  Minister  verkennt  nicht,  daß  die  neuerdings  um  2529  Mill.  angewachsene 
Verschuldung  an  das  Ausland  eine  schwere  Sorge  bildet,  und  wenn  auch  die 
seitherigen  schwer  durchzuführenden  und  durch  Hinterlegung  von  Titeln  oder 
Gold  zu  sichernden  Kreditoperationen  jetzt  in  WegfaU  kommen,  so  verlange  doch 
die  Sorge  um  die  Zukunft,  daß  man  die  Ausgaben  im  Ausland  tunlichst  ein- 
schränke. In  diesem  Sinne  habe  man  mit  den  Vereinigten  Staaten  gemeinsam 
Anordnungen  getroffen,  die  eine  bessere  Durchführung  und  eine  strenge  Kontrolle 
der  Auslandskäufe  bezwecken. 

Das  Ergebnis  der  4.  italienischen  Kriegsanleihe  ist  nach 
einer  römischen  Meldung  der  „Voss.  Ztg."  (6.  Mai)  folgendes: 

Die  Inlandzeichnungen  auf  die  letzte  italienische  Kriegsanleihe  sollen  6347 
MiU.  Lire  betragen  haben,  wovon  2489  Mill.  Lire  Barzeichnungen  waren,  1123 
Mill.  Lire  aus  Schatzwechseln  und  der  Uebernahme  fremder  Werte  stammten 
und  2735  Mül.  Lire  dem  Umtauschen  früherer  Anleihen  herrührten. 

Ueber  chilenische  Finanzen  meldet  der  „Statist": 

Der  chilenische  Staatshaushalt  für  1916  weist  einen  Ueberschuß  von 
13115  293  Pesos  Gold  auf,  d.  h.  etwas  weniger  als  1  Mül.  £.  Von  Interesse  ist, 
daß  die  Staatsbahnen  jetzt  einen  Gevsänn  abwerfen,  was  bei  den  früheren  niedrigen 
Sätzen  nicht  möglich  war.  Die  Regierung  schickt  sich  an,  die  Verbesserung  und 
Erweiterung  des  Hafens  von  Valparaiso  auszuführen,  die  einen  Kostenaufwand 
von  2^2  Mill.  £  erfordern  wird.  Die  Zolleinnahmen  des  letzten  Kalenderjahres 
beliefen  sich  auf  mehr  als  10^/^  Mill.  £  gegen  noch  nicht  7V4  Mül.  1915.  Der 
Staatshaushalt  für  das  neue  Finanzjahr  sieht  Ausgaben  von  193  435000  Papier- 
pesos und  69  635  000  Goldpesos  vor.  Gegenüber  dem  Vorjahre  wurden  Ersparnisse 
in  Höhe  von  je  47^  MiU.  Pesos  erzielt. 

Zu  der  Frage  der  brasilianischen  Finanzen  heißt  es  in 
der  Botschaft  des  brasilianischen  Präsidenten  an  den  Kongreß: 

Der  Staatsschatz  habe  in  London  1 685  945  £  für  laufende  Verbindlichkeiten 
deponiert  und  im  Lande  3  MiU.  £  Gold  angesammelt,  womit  selbst  bei  Fortdauer 
des  Krieges  den  Verpflichtungen  nachgekommen  werden  könne.  Die  äußere 
Schuld  betrage  112  332  968  £  und  die  konsoUdierte  innere  Schuld  habe  Ende  des 
Vorjahres  864436  Contos  betragen.  Die  Ausgabe  für  die  Fun  ding- Anleihe  be- 
laufe sich  auf  568 127  £.  Nach  Rückkauf  von  3  540 163  £  Goldtratten  der  inneren 
Schiüd  blieben  noch  1 456  370  £  im  Umlauf.  Wegen  des  Rückkaufes  weiterer 
500000  £  stehe  die  Regierung  in  Verhandlungen.  Die  Bundeseinnahmen  be- 
trugen in  1917  bisher  587  912  Contos  Papier  und  104  388  Contos  Gold,  die  Aus- 
gaben 545  864  Contos  Papier  und  83  667  Contos  Gold.  Die  Lage  der  Finanzen 
sei  vöUig  geordnet,  ebenso  die  äußeren  Verbindlichkeiten  bezüglich  der  Eisen- 
bahnen (Voss.  Ztg.) 


—     373 


Volkswirtschaftliche  Chronik. 

Jnni  1917. 
L   Produktion  im  allgemeinen. 

Inhalt:    Beschäftigungsgrad  im  Juni. 

Das  „Reichs-Arbeitsblatt"  schreibt  in  seiner  Gesamtübersicht  über 
den  Monat  Juni:  „Wie  das  deutsche  Heer  den  zahlreichen  Feinden, 
so  bietet  auch  die  deutsche  Wirtschaft  allen  Schwierigkeiten  und  Er- 
fordernissen des  Krieges  erfolgreich  Trotz.  Der  Berichtsmonat  bietet 
das  gleiche  erfreuliche  Bild  angespannter  und  ungeschwächter  Tätigkeit 
wie  bisher.  Insbesondere  hielt  sich  die  Beschäftigung  im  Vergleich 
zum  Vorjahr  zum  mindesten  auf  der  gleichen  Höhe ;  nicht  selten  ist  es 
gelungen,  noch  weitere  Leistungserhöhungen  zu  erzielen. 

Im  Bergbau  und  Hüttenbetrieb  herrschte  dieselbe  lebhafte  Tätigkeit 
wie  seit  Monaten;  dem  Vorjahr  gegenüber  machte  sich  verschiedentlich 
noch  eine  Steigerung  bemerkbar.  Die  Eisen-  und  Metallindustrie  hatte 
'ebenso  wie  der  Maschinenbau  aufs  lebhafteste  zu  tun.  In  einzelnen 
Zweigen  der  elektrischen  Industrie  tritt  eine  Erhöhung  der  Beschäftigung 
dem  Juni  1916  gegenüber  hervor.  In  der  chemischen  Industrie  ist 
gleichfalls  verschiedentlich  eine  Steigerung  dem  Vorjahr  gegenüber  zu 
erkennen.  Die  Nahrungs-  und  Genußmittelindustrie  hat  teils  eine  Zu- 
nahme, teils  aber  eine  Abnahme  der  Beschäftigung  im  Vergleich  zum 
Vormonat  erfahren.  Auf  dem  Baumarkt  ist  die  Lage  im  ganzen  un- 
verändert. 

Die  Nachweisungen  der  Krankenkassen  ergeben  für  die  am  1.  Juli 
1917  in  Beschäftigung  stehenden  Mitglieder  dem  1.  Juni  gegenüber 
insgesamt  eine  Abnahme  um  102  236  Beschäftigte  oder  um  1,12  v.  H. 
(gegenüber  einer  Abnahme  der  Beschäftigtenzahl  um  0,22  v.  H.  in  der 
entsprechenden  Zeit  des  Vorjahrs).  Der  im  Vergleich  zum  Vorjahr 
etwas  verstärkte  Rückgang  geht  auf  die  lebhaftere  Verminderung  der 
männlichen  Beschäftigung  zurück.  Die  Abnahme  um  109  405  Männer 
oder  2,40  v.  H.  ist  zum  Teil  eine  Folge  weiterer  Einziehungen  zum 
Heeresdienst.  Während  im  vorigen  Jahre  das  weibliche  Geschlecht  am 
1.  Juli  eine  geringfügige  Verminderung  der  Beschäftigtenzahl  erkennen 
ließ,  haben  die  Frauen  und  Mädchen  dieses  Mal  keinen  Anteil  an  dem 
Rückgang  der  Beschäftigtenzahl  insgesamt ;  es  zeigt  sich  vielmehr  eine 
geringfügige  Zunahme  der  weiblichen  Beschäftigung  um  7169  oder 
0,16  V.  H.  Bei  der  Beurteilung  der  Bewegung  der  männlichen  Be- 
schäftigtenzahl ist  zu  berücksichtigen,  daß  die  Kriegsgefangenenarbeit 
in  den  Ergebnissen  der  Krankenkassenstatistik  nicht  einbegriffen  ist." 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkawirtsch.  Chronik.  1917.  XXV 


—     374     — 

Nachstehend  ist  die  Bewegung  der  Beschäftigten  in  den  einzelnen 
Gewerbegruppen,  soweit  sie  in  der  Berichterstattung  der  Be^ 
triebskrankenkassen  zum  Ausdruck  kommt,  vom  1.  Juni  bis  1.  Juli 
dargestellt.  Die  Zahl  der  versicherungspflichtigen  Mitglieder  betrug 
am  1.  Juli  1917: 


Zahl  der 
berichten- 
den Kassen 

Pflichtmitglieder 

Zu-  oder  Abnahme 

Gewerbe 

abzüglich  der  arbeits- 
unfähigen Kranken 
männl.           weibl. 

gegen  den  Vormonat 

in  Prozent 

männl.           weibl. 

Land-    und    Forstwirtschaft, 

Gärtnerei 

78 

8235 

7389 

—     o,64 

+    0,30 

Metall-,  Maschinenindustrie 

790 

665  724 

230  307 

—      2,18 

+    2,2» 

.     /Schlesien 
davon  in  (Rheinl.-Westf. 

57 

51  319 

19230 

—       I,5if 

—   0,43 

288 

282  598 

93014 

—      1,65 

+    6,7» 

Elektrische  Industrie 

27 

35391 

60315 

+      0,45 

+    3,9<^ 

Chemische  Industrie 

112 

72434 

35149 

+       1,55 

+    1,89 

Spinnstoffgewerbe 

846 

57910 

133  168 

—      2,79 

—    1,55 

("Schlesien 

65 

6667 

16002 

—      2,11 

—    2,01 

.      1  Rheinl.-Westf. 
davon  in  U^^    ^^^^^^^ 

234 

14424 

24989 

—      3,23 

--    I,2<> 

242 

13593 

37180 

—      2,87 

—  0,87 

lEls.-Lothringen 

39 

2215 

6147 

—    IO,72 

-    6,15 

Holz-  und  Schnitzwaren 

80 

7704 

3338 

—      3,47 

+    2,80 

Nahrungs-  und  Genußmittel 

306 

29053 

44426 

—      4,85 

—  3,79 

Bekleidung 

86 

5635 

12  229 

—      3.77 

—   2,46 

Baugewerbe 

198 

49509 

8416 

—      0,7  7 

+    1,91 

Von  den  berichtenden  Unternehmungen  gaben  302  den 
Stand  ihrer  Arbeiterschaft  im  Berichtsmonat  Juni  an.  Diese  beschäf- 
tigten 437  378  Arbeiter.  Neben  der  Beschäftigtenzahl  im  Berichts- 
monat gaben  295  Unternehmungen  auch  die  Zahl  der  im  Vormonat  be- 
schäftigten Arbeiter  an.  Hier  waren  am  letzten  Tage  des  Berichts- 
monats insgesamt  420  540  gegen  410077  Arbeiter  am  Schlüsse  des 
Vormonats  tätig.  Es  ist  also  im  Berichtsmonat  dem  Vormonat  gegen- 
über eine  Zunahme  der  Beschäftigten  um  10463  oder  2,55  v.  H.  ein- 
getreten. Die  Steigerung  gegen  den  Vormonat  geht  diesmal  in  der 
Hauptsache  auf  eine  Mehrbeschäftigung  von  Männern  zurück. 

An  der  Erhöhung  der  Beschäftigtenzahl  sind  in  erster  Linie 
Bergbau  und  Hüttenbetrieb,  Eisen-  und  Metallindustrie  und  die  che- 
mische Industrie,  daneben  auch  der  Maschinenbau  beteiligt.  Ein  Rück- 
gang der  Beschäftigtenzahl  macht  sich  nur  in  der  Papierindustrie  und 
in  geringem  Maße  in  der  elektrischen  Industrie,  im  Nahrungsmittel- 
und  Glasgewerbe  bemerkbar. 

Der  größte  Teil  der  berichtenden  Unternehmungen,  nämlich  302, 
teilte  neben  der  Beschäftigtenzahl  im  Berichtsmonat  auch  den  Stand 
der  Arbeiterschaft  im  gleichen  Monat  des  Vorjahrs  mit.  In  diesen 
302  Unternehmungen  waren  im  Berichtsmonat  437  378  Arbeiter  im 
Vergleich  zu  361347  im  Juni  1916  tätig.  Es  ist  also  gegenüber  dem 
Vorjahr  eine  Zunahme  der  Arbeiterzahl  um  76031  oder  um  21,04  v.  H. 
eingetreten.  Diese  starke  Zunahme  geht  in  etwas  größerem  Maße  auf 
das  männliche  als  auf  das  weibliche  Geschlecht  zurück. 


—     375     — 

Dem  Vorjahr  gegenüber  ist  ein  Rückgang  in  der  Beschäftigtenzahl 
von  nennenswerter  Größe  im  Nahrungs-  und  GenuJßmittelgewerbe,  ferner 
in  der  Bekleidungs-,  Papier-  und  Glasindustrie  zu  verzeichnen.  Wesent- 
lich größer  als  die  hier  eingetretene  Abnahme  ist  demgegenüber  die 
Zunahme  in  der  Metall-  und  Maschinenindustrie,  in  der  chemischen 
Industrie,  wie  auch  im  Bergbau  und  der  elektrischen  Industrie.  In 
den  zuletztgenannten  5  Gewerbezweigen,  namentlich  in  der  chemischen 
Industrie  und  im  Maschinenbau,  ist  abermals  eine  lebhafte  Steigerung 
der  männlichen  Arbeiterzahl  festzustellen.  Die  Anzahl  der  Frauen  und 
Mädchen  ist  dem  Vorjahr  gegenüber  am  meisten  in  der  Metallver- 
arbeitung und  in  der  Maschinenindustrie  gestiegen. 

Nachstehend  geben  wir  die  Veränderungen  in  den  einzelnen  Ge- 
werben, im  Vergleich  mit  dem  Vormonat,  tabellarisch  wieder: 


Beschäftigte 

Zu-  oder  Abnahme  eeeen  den 

M 

am  letzten  Tage 

Vormonat 

Gewerbegruppen 

9i 

des  Berichtsmonats 

^ 

Juni 

insgesamt 

männl.  {  weibL 

insges. 

männl. 

Anzahl 

V.  H. 

Anzahl 

Bergbau  und  Hüttenbetrieb 

29 

46592 

42823 

+ 

5975 

+  14,71 

+  5645 

+    330 

Eisen-  und  Metallindustrie 

45 

158  461 

122  130 

+ 

2202 

+      1,41 

—    801 

+  3003 

Industrie  der  Maschinen 

91 

132673 

108  891 

+ 

981 

+     0,74 

+    870 

+    III 

Elektrische  Industrie 

13 

10  191 

5740 

— 

102 

—    0,99 

-    286 

+    184 

Chemische  Industrie 

27 

50480 

41802 

+ 

1459 

+     2,98 

+  1338 

-1-    121 

Spinnstoff  gewerbe 

12 

4240 

I  156 

+ 

183 

+     4,51 

+       II 

+    172 

Holzindustrie 

IG 

658 

394 

+ 

19 

+     2,9T 

—      19 

+     38 

Nahrungs-  und  Genußmittel 

13 

5843 

1667 

— 

91 

—     1,55 

—     33 

-     58 

Bekleidungsgewerbe 

II 

I  408 

508 

+ 

3Q 

+     2,85 

+      19 

-f-     20 

Glas  und  Porzellan 

6 

2  156 

I  102 

— 

42 

—     1,91 

—     55 

+      13 

Papierindustrie,  Buchdruck 

25 

5203 

3426 

— 

170 

—    3,16 

—    153 

—     17 

Sonstige  Gewerbe  (einschl. 

Baustoffe  und  Schiffahrt.) 

13 

2635 

1596 

+ 

10 

+     0,88 

+      15 

-       5 

Summe 

295 

420  540 

331  235 

+ 10463 

+     2,65 

+  6551 

+  3912 

Nach  den  Feststellungen  von  35  Fachverbänden,  die  für  929  227 
Mitglieder  berichteten,  betrug  die  Arbeitslosigkeit  Ende  Juni 
7967  oder  0,9  v.  H.  Der  Vormonat  hatte  eine  Arbeitslosenziffer  von 
1,0  V.  H.  zu  verzeichnen,  so  daß  also  im  Berichtsmonat  eine  Abnahme 
hervortritt.  Auch  im  Vergleich  zu  den  entsprechenden  Monaten  der 
drei  vorhergehenden  Jahre  ist  die  Arbeitslosigkeit  geringer,  und  zwar 
wesentlich  niedriger.  Sie  stand  im  Juni  sowohl  des  Jahres  1914  wie 
der  Jahre  1915  und  1916  auf  der  gleichen  Höhe  von  2,5  v.  H. 

Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  läßt  im  Berichtsmonat 
für  das  männliche  wie  für  das  weibliche  Geschlecht  ein  weiteres  Sinken 
des  Andranges  der  Arbeitsuchenden  erkennen.  Im  Juni  kamen  auf  100 
offene  Stellen  bei  den  männlichen  Personen  47  Arbeitsgesuche  (gegen- 
über 53  im  Vormonat) ;  beim  weiblichen  Geschlecht  ging  die  Andrangs- 
ziffer von  96  im  Mai  auf  86  im  Berichtsmonat  zurück. 

XXV* 


37Ö 


II.  Landwirtschaft  und  yerwandte  Gewerbe. 

Inhalt:  Lage  der  landwirtschaftlichen  Produktion:  Kartoffel  Versorgung. 
Weltmarkt.  Weizenpreise  auf  den  amerikanischen  Märkten.  Oelsaaten.  Mehl- 
zoU.  Honig.  Technischer  Spiritus.  Bayern:  Kartoffeln;  Walnüsse;  Geflügel; 
Heidel-  und  Preißelbeeren.  Weinpreise.  Schweiz:  Inlandsgetreide;  Brotkarte; 
Getreidezufuhr;  Butter höchstpreise.  Niederlande:  Gemüseausfuhr;  Kartoffelaus- 
fuhr nach  England.  England:  Weizeneinfuhr;  Landarbeiter;  Heuernte,  Ruß- 
land: Beaufsichtigung  der  Ackernutzung.  Deutsche  Märkte.  Weltmarkt.  See- 
frachten. —  Saatenstands-  und  Ernteberichte :  Schweden.  Dänemark.  Bulgarien. 
Italien.  Frankreich.  Argentinien.  Indien.  Montenegro.  Serbien.  —  Zucker- 
produktion: Polen.  Deutschland.  Wirtschaftskarte  in  landwirtschaftlichen  Be- 
trieben. Neue  Kalipreise.  Erzeugerpreise  für  Obst.  Preise  für  deutsche  Schaf- 
wolle. Brasiliens  Stellung  zum  argentinischen  Getreide- Ausfuhrverbote.  Salpeter- 
produktion Chiles,    Preise  in  Rußland. 

Zur  KenQzeichauüg  der  Gesamtlage  der  landwirtschaft- 
lichen Produktion  und  der  Versorgung  der  Bevölke- 
rung in  den  verschiedenen  Ländern  sei  der  Allgemeine 
Wochenbericht  der  Preisberichtsstelle  des  Deutschen  Landwirtschafts- 
rats vom  3.  Juli  1917  angeführt.     Es  heißt  darin: 

Der  Bundesrat  hat  in  seiner  Sitzung  vom  28.  Juni  dem  Entwurf  einer  Ver- 
ordnung über  die  Kartoffelversorgung  für  das  Wirtschaftsjahr  1917/1918 
zugestimmt.  Die  Verordnung  gibt  lediglich  den  ßahmen,  innerhalb  dessen  dem- 
nächst das  Kriegsernährungsamt,  die  ßeichskartoffelstelle  und  die  Landesbehörden 
die  Versorgung  mit  Kartoffeln  für  die  Zeit  vom  16.  August  1917  bis  zum  15.  Sep- 
tember 1918  zu  regeln  haben  werden.  Bis  zum  15.  August  1917  gilt  die  bis- 
herige Verordnung  des  Bundesrats  vom  26.  Juni  1916.  Bei  den  Beratungen  mit 
den  Sachverständigen  aller  Berufsgruppen  ist,  von  ganz  wenigen  Ausnahmen  ab- 
gesehen, durchweg  erklärt  worden,  daß  man  bei  dem  ZwangsTieferungssystem  so- 
wohl für  Früh-  wie  für  Winterkartoffeln  bleiben  müsse. 

Alle  Vorschläge,  die  die  Zwangslieferung  auf  dem  einen  oder  anderen  Wege 
vermeiden  wollen,   sind  mit   den   Anregern  und  anderen  Sachverständigen   ein- 

fehend  erörtert  worden,  haben  aber  zu  keinem  brauchbaren  Ergebnis  geführt. 
)ie  Kontrolle  wird  im  Wege  der  Ausführungsvorschrift  in  der  Richtung  geordnet 
werden,  daß  ständig  bei  den  Empfangsverbänden  und  bei  den  Ueberschußyerbän- 
den  festgestellt  wird,  ob  bei  ersteren  der  Verbrauch  sich  in  dem  vorgeschriebenen 
Rahmen  bewegt  und  die  Aufbewahrung  sachgemäß  erfolgt,  und  ob  bei  letzteren 
die  zur  Lieferung  aufgegebenen  Mengen  von  den  Landwirten  den  Gemeinden  und 
den  Kommunalverbänden  rechtzeitig  und  im  ausreichenden  Umfange  geliefert 
werden.  Zugleich  wird  die  Beschäftigung  durchweg  sachverständiger,  dem  Handel  an- 
gehörender Personen  als  Kommissionäre  vorgeschrieben  und  dabei  bestimmt  werden, 
daß  Kommissionäre  in  jedem  Kreise  in  genügender  Zahl  eingestellt  werden  müssen. 
Die  Kontrolle  beim  Landwirt  wie  beim  Kommunalverband  wird  nach  der  Bundes- 
ratsverordnung durch  Aufnahme  der  Kartoffeln  in  die  Wirtschaftskarte  gesichert, 
die  für  die  Körnerfrüchte  und  die  Hülsenfrüchte  durch  die  Reichsgetreideordnung 
vorgeschrieben  ist.  Säumigen  Kommunalverbänden,  Gemeinden  und  Landwirten 
gegenüber  sieht  die  Bundesratsverordnung  eine  Haftpflicht  vor.  Muß  zur  Ent- 
eignung geschritten  werden,  so  wird  der  Enteignungspreis  um  60  M.  für  die 
Tonne  gekürzt.  Die  Ausführungsvorschriften  können  erst  im  August  ergehen, 
wenn  die  Kartoffelanbauflächen  feststehen  und  die  Aussichten  für  die  kommende 
Herbstkartoffelernte  sich  einigermaßen  übersehen  lassen.  Aufrechterhalten  bleibt 
bis  auf  weiteres  die  jetzige  Bestimmung,  wonach  das  Verfüttern  von  Kartoffeln  ver- 
boten ist.  Inwieweit  dieses  strenge  Verfütterungsverbot  im  kommenden  Herbst 
etwa  gemildert  werden  kann,  und  wie  die  Rationen  und  Lieferungsbedingungen 
im  einzelnen  festzusetzen  sind,  läßt  sich  erst  entscheiden,  wenn  das  Ergebnis  der 
Herbstkartoffelernte  besser  zu  übersehen  ist. 


Letzte 

Vorletzte 

Zu-  bzw. 

Woche 

Woche 

Abnahme 

M. 

M. 

M. 

311,70 

330,20 

—  18,50 

280,80 

288,55 

—   7,75 

368,00 

368,00 

0 

500,00 

500,00 

0 

267,30 

267,30 

0 

244,00 

244,00 

0 

500,00 

500,00 

0 

291,60 

291,60 

0 

648,00 

648,00 

0 

453,60 

453,60 

0 

315,00 

3151O0 

0 

256,00 

256,00 

0 

500,00 

500,00 

0 

236,00 

236,00 

0 

270,00 

270,00 

0 

259.00 

259,00 

0 

290,50 

290,50 

0 

240,70 

240,70 

0 

315,40 

315,40 

0 

257,30 

257,30 

0 

260,00 

260,00 

0 

220,00 

220,00 

0 

-     377    — 

Der  Weltmarkt  zeigte  in  der  letzten  Woche  folgendes  Bild: 
Weizen  preise  für  die  Tonne  (Umrechnung   nach  dem  Friedenskurs): 


Chicago:  Lieferungsware  Juli 

„  September 

Buenos  Aires :     , 

London :  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
Paris:  Ankaufspreis  für  ausländischen  Weizen  ca. 

Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 

Roggen 
Rom :  Ankaufspreis  für  ausländischen  Weizen  ca. 

Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
Bern  (Schweiz):  Ankaufspreis  für  ausländischen  Weizen  ca. 

Abgabepreis  im  Inlande 
Petersburg:  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
,f  »,  „  Roggen 

Kopenhagen :  Ankaufspreis  für  ausländischen  Weizen 

Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
Stockholm:  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 

„  Roggen 

Wien:  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
„  „  „  Roggen 

Budapest:  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
„  „  „  Roggen 

Berlin :  Höchstpreis  für  inländischen  Weizen 
„  Roggen 

Unter  den  obigen  Höchstpreisen  sind  die  Preise  beim  Verkauf  durch  den 
Erzeuger  zu  verstehen.  Die  Höchstpreise  für  Petersburg  gelten  bei  Ankäufen 
durch  die  Heeresverwaltung. 

Auf  den  amerikanischen  Märkten  ist  ein  weiteres  Sinken  der  Preise  zu  ver- 
zeichnen. 

Entwicklung  der  Weizenpreise  seit  Anfang  Januar  1917. 
Buenos  Aires  Chicago 

September 
Bushel 
Cents 

137V4 

147V« 

154V, 

182V, 

191 

202 

i<)5V, 
185 
181 
180 

178V, 
184 

187 

185 

184 

183 

181V, 

1817, 

182 

105 


1917 
Datum 

100  kg 

Juli 
Busbel 

Pesos 

Cents 

6. 

Januar 

13,35 

15  iV, 

3. 

Februar 

13,80 

H478 

3. 

März 

13,65 

159 

2. 

April 

16774 

1. 

Mai 

15.45 

212V, 

2. 

Juni 

18,15 

206 

9. 

», 

— 

235 

16. 

,, 

— 

221V, 

18. 

— 

2IlVs 

19. 

„ 

— 

205 

20. 

,, 

— 

201 

21. 

,, 

-- 

203 

22. 

j, 

— 

210 

23. 

„ 

— 

214 

25. 

,, 

— 

210 

26. 

,» 

— 

209 

27. 

,» 

— 

205 

28. 

,, 

— 

201 

29. 

,, 

— 

201 

30. 

— 

202 

dagegen 

1916: 

7,85 

loiV. 

-    378     - 

Da  die  Oelsaatenernte  schon  begonnen  hat,  macht  der  Kriegsausschuß 
ür  pflanzliche  und  tierische  Oele  und  Fette  darauf  aufmerksam,  daß  alle  gemäß 
Bundesrats  Verordnung  vom  26.  Juni  1916  beschlagnahmten  Oelsaaten,  also  Raps, 
Rübsen,  Hederich  und  Ravison,  Dotter,  Mohn,  Leinsamen,  Hanfsamen,  Sonnen- 
blumenkerne, Senfsaat,  auch  in  diesem  Jahre  dem  Kriegsausschuß  bzw.  den  von 
ihm  bezeichneten  Kommissionären  ausgeliefert  werden  müssen. 

Die  deutsche  Mühlenindustrie,  die  in  drei  großen  Organisationen  zu- 
sammengeschlossen ist,  hat  an  die  Reichsregierung  eine  Eingabe  gerichtet,  in  der 
Wünsche  für  die  künftige  Gestaltung  unserer  Mehlzölle  vorgetragen  werden. 
Für  den  Fall  einer  Beibehaltung  der  jetzigen  Zollsätze  für  Getreide  wird  eine 
Heraufsetzung  des  Mehlzolles  auf  das  Zweieinhalbfache  des  KornzoUes  in  Vor- 
schlag gebracht.  Bei  einer  etwaigen  Herabsetzung  der  Getreidezölie  wird  die  Er- 
höhung der  Mehlzölle  auf  das  Dreieinhalbfache  des  Kornzolles  für  notwendig  er- 
klärt. Zum  guten  Teil  ist  die  Eingabe  durch  die  starke  Konkurrenz  der  bifliger 
arbeitenden  ungarischen  Großmühlen  veranlaßt  worden. 

Nach  einer  Verordnung  des  Reichskanzlers  vom  26.  Juni  darf  vom  30.  Juni 
ab  der  Preis  für  inländischen  Honig  beim  Verkaufe  durch  den  Erzeuger 
bei  Seim-  und  Preßhonig  1,75  M.  bei  anderen  Honigarten  2,75  M.  für  1  Pfd. 
nicht  übersteigen.  Beim  Verkaufe  durch  andere  Personen  darf  der  Preis  für 
Seim-  und  Preßhonig  2,50  M.,  für  andere  Honigarten  3,50  M.  für  1  Pfd.  nicht 
übersteigen.  Verkauft  der  Erzeuger  in  Mengen  bis  zu  5  kg  unmittelbar  an  Ver- 
braucher, so  darf  der  Preis  für  Seim-  und  Preßhonig  bis  auf  2  M.,  für  andere 
Honigarten  bis  auf  3  M.  für  1  Pfd.  erhöht  werden.  Die  Landeszentralbehörden 
können  niedrigere  als  obige  Höchstpreise  festsetzen.  Der  Preis  für  ausländi- 
schen Honig  darf  nicht  übersteigen:  für  Seim-  und  Preßhonig  2,50  M.,  für 
andere  Honigarten  3,50  für  1  Pfd.  Unter  Seimhonig  ist  der  durch  Erhitzen  der 
Waben  gewonnene,  unter  Preßhonig  der  durch  Auspressen  aus  den  Wabenresten 
gewonnene  Honig  zu  verstehen. 

Nach  einer  Verordnung  des  Bundesrats  vom  28.  Juni  1917  darf  bis  auf 
weiteres  nach  näherer  Bestimmung  des  Reichskanzlers  an  einzelne  Betriebe 
Branntwein  zur  Herstellung  von  Fettsäureestern  für  Kunstspeisefette 
ohne  Vergällung  steuerfrei  mit  der  Maßgabe  abgelassen  werden,  daß  die  Ver- 
brauchsabgabe erlassen  und  die  Betriebsauflage  zum  Satze  für  vollständig  ver- 
gällten Branntwein  vergütet  wird. 

Im  Königreich  Bayern  dürfen  nach  einer  Verordnung  des  Königlichen 
Staatsministeriums  des  Innern  vom  28.  Juni  1917  bis  zum  15.  September  1917 
feldmäßig  gebaute  Kartoffeln  vor  den  von  den  Distriktverwaltungsbehörden 
für  ihren  Bezirk  oder  Teile  desselben  bestimmten  Terminen  auch  zum  eigenen 
Verbrauch  nicht  geerntet  werden.  Außerdem  darf  mit  dem  Ausnehmen  von 
Kartoffeln  auf  dem  einzelnen  Grundstücke  nur  mit  Genehmigung  der  Ortspolizei- 
behörde, in  deren  Bezirk  das  Grundstück  liegt,  begonnen  werden.  Kartoffeln,  die 
nicht  ausgereift  sind,  dürfen  nicht  in  Verkehr  gebracht  werden.  Der  Verkauf 
von  Kartoffeln  nach  Hohlmaß  ist  verboten.  Es  ist  verboten,  bei  Reisen  auf  der 
Eisenbahn  Kartoffeln  als  Reisegepäck  mitzuführen. 

Auf  Anordnung  der  bayerischen  Lebensmittelstelle  vom  28.  Juni  1917 
dürfen  Kartoffeln  aus  Bayern  ohne  Rücksicht  auf  die  Ausfuhrmenge  nur  mit 
Genehmigung  der  Landeskar  toffelstelle  ausgeführt  werden. 

Nach  den  Ausführungsbestimmungen  vom  26.  Juni  kann  die  Reichsbrannt- 
weinsteUe,  Abteilung  München,  Brennern,  die  den  Vorschriften  der  Verordnung 
über  den  Verkehr  mit  Branntwein  aus  Klein-  und  Obstbrennereien  vom  24.  Februar 
1917  unterliegen,  auf  Antrag  im  Betriebsjahr  (1.  Oktober  bis  30.  September)  bis 
zu  10  Liter  reinen  Alkohol  eigenen  Erzeugnisses  zum  Verbrauch  im  eigenen 
Haushalt  belassen.  Brennern,  deren  Erzeugung  im  laufenden  Betriebsjahr  ein- 
schließlich der  mit  Beginn  des  11.  März  1917  vorhandenen  Bestände  25  Liter 
nicht  übersteigt,  und  für  deren  Erzeugung  eine  Verbrauchsabgabe  von  0,84  M. 
für  das  Liter  Alkohol  zu  entrichten  ist,  sind  im  laufenden  Betriebsjahr  die  ge- 
samten Vorräte  zum  Verbrauch  im  eigenen  Haushalt  zu  belassen. 

Nach  einer  Bekanntmachung  der  bayerischen  Lebensmittelstelle  vom 
22.  Juni  ist  es  verboten,  vor  dem  1.  September  1917  grüne  Walnüsse  zu  ernten 
und  entgeltlich  oder  unentgeltlich  in  den  Verkehr  zu  bringen. 


—    379    — 

Die  bayerische  Fleisch  versorgungssteile  setzt  durch  Bekanntmachung 
vom  27.  Juni  nachstehende  Höchstpreise  für  Geflügel  fest:  1^  Beim  Ver- 
kauf durch  den  Erzeuger  für  Gänse-  und  Enten-Küken  bis  zu  2  Pfd.  Lebend- 
gewicht an  Züchter,  Mäster,  Händler  oder  andere  Personen  3  M.  für  das  Stück; 
für  Gänse  oder  Enten  über  2  Pfd.  Gewicht,  lebend  oder  geschlachtet,  beim  Ver- 
kauf an  den  Händler,  überhaupt  an  andere  Personen  als  Verbraucher  oder  Ver- 
arbeiter  2  M.  für  das  Pfund;  2)  beim  Verkauf  an  den  Verbraucher  oder  Verarbeiter 
(Gastwirt  usw.) :  für  Gänse  oder  Enten,  lebend  oder  geschlachtet,  2,80  M.  für  das 
Pfund;  für  Gänse  oder  Enten,  bratfertig  hergerichtet,  3,50  M.  für  das  Pfund. 
Für  das  Gansjung  ohne  Herz  und  Leber  2  M.  für  das  Stück;  für  das  Entenjung 
ohne  Herz  und  Leber  1  M.  für  das  Stück;  für  das  Gansherz  30  Pfg.,  für  das 
Entenherz  15  Pfg.;  für  die  Gans-  oder  Entenleber  2,80  M.  für  das  Pfund.  Der 
Erzeugerhöchstpreis  für  Hühner  beträgt:  für  lebende  oder  geschlachtete,  unaus- 
genommene  Hühner  im  Federkleid  1,20  M.  für  das  Pfund;  für  junge  Hühner, 
lebend  oder  geschlachtet,  unausgenommen  im  Federkleid  3  M.  für  das  Pfund. 
Beim  Verkauf  an  den  Verbraucher  oder  Verarbeiter  (Gastwirt  usw.)  für  lebende 
oder  geschlachtete,  unausgenommene  Hühner  im  Federkleid,  1,70  M.  für  das  Pfund; 
für  Hühner  im  küchenfertigen  Zustande  2,20  M.  für  das  Pfund ;  für  junge  Hühner, 
lebend  oder  geschlachtet,  unausgenommen  im  Federkleid,  3,50  M.  für  das  Pfund. 
Für  Tauben,  lebende  oder  tote  Tiere,  dürfen  folgende  Preise  nicht  überschritten 
werden:  1)  beim  Verkauf  durch  den  Erzeuger  an  Händler:  für  alte  Tauben  60  Pfg., 
für  junge  90  Pfg.  das  Stück;  2)  beim  Verkauf  an  den  Verbraucher  oder  Ver- 
arbeiter: für  alte  Tauben  1  M.,  für  junge  Tauben  1,30  M.  für  das  Stück.  Von 
Gänsen,  Enten  und  Hühnern,  die  zum  Verkaufe  bestimmt  sind,  darf  das  Kohfett 
nicht  abgetrennt  werden.  Rohfett  dieser  Tiere  darf  nicht  getrennt  vom  Tierkörper 
feilgehalten  oder  verkauft  werden. 

In  Bayern  ist  auf  Verordnung  der  Generalkommandos  I-,  H.  und  IH. 
Bayerischen  Armeekorps  vom  20.  Juni  das  Einsammeln  von  Heidel-  und 
Preiselbeeren  auch  für  den  eigenen  Verbrauch  vor  Beginn  der  Ernte  verboten. 
Beim  Pflücken  und  Einsammeln  von  Preiselberen  ist  die  Verwendung  von  Kämmen 
und  ßiffeln  verboten. 

Am  19.  Juni  fand  in  Mainz  unter  dem  Vorsitz  des  Ministers  des  Innern 
V.  Hombergk  Exzellenz  mit  Vertretern  des  Weinbaues,  insbesondere  auch  des 
Kleinwinzerstandes  und  der  Winzergenossenschaften,  des  Weinhandels,  der 
Handelskammern  der  weinbautreibendenden  Bezirke,  ferner  von  Vertretern  des  er- 
weiterten ersten  Ausschusses  der  zweiten  Kammer  der  Landstände  und  der  Reichs- 
und Landtagsabgeordneten  der  am  Weinbau  beteiligten  Wahlkreise  eine  eingehende 
Besprechung  über  kriegswirtschaftliche  Maßnahmen,  betreffend  den  Ver- 
kehr mit  Wein,  und  damit  zusammenhängende  Fragen  statt.  Die  Konferenz 
erklärte  einmütig,  daß  die  Einführung  von  Höchstpreisen  von  Wein  aus 
überwiegend  dagegen  sprechenden  Gründen  abzulehnen  sei.  Die  Versteigerungen 
seien  auf  Weine  eigenen  Wachstums  zu  beschränken. 

Der  „Bund"  schreibt  am  22.  Juni  d.  J. :  „Wie  wir  hören,  fand  dieser  Tage 
in  Bern  (Schweiz)  eine  konsultative  Konferenz  statt  zur  Besprechung  der  Frage, 
auf  welche  Weise  das  Inlandsgetreide  vom  Bund  erworben  und  der  allge- 
meinen Volksernährung  zugänglich  gemacht  werden  kann.  Bekanntlich  sprach 
sich  schon  die  wirtschaftliche  Kommission  der  Neutralitätskommission  zugunsten 
des  Ankaufes  aus,  wobei  der  Produzent  nur  die  für  den  Bedarf  des  eigenen 
Haushaltes  notwendigen  Mengen  zu  behalten  hätte.  Gemeint  ist  damit  wohl 
nicht  der  freie  Ankauf,  sondern  eine  Art  Zwangsenteignung.  Die  erstgenannte 
konsultative  Konferenz  hielt  die  Durchführung  einer  solchen  Maßnahme  für  sehr 
schwierig.  Sie  war  vor  allem  für  die  Ansetzung  von  Höchstpreisen  für  Inlands- 
getreide. Wie  man  weiß,  scheiterte  letzten  Herbst  der  Ankauf  durch  den  Bund 
an  den  außerordentlichen  Preisforderungen  der  Produzenten.  Und  auch  heute, 
wo  die  Monopol  Verwaltung  den  Weizen  (älerdings  mit  großem  Verlustj  zu  56  frcs. 
für  100  kg  abgibt,  wird  Inlandsgetreide  im  Lande  herum  für  75—85  frcs.  ver- 
kauft. Die  Frage,  ob  nicht  Höchstpreise  eingeführt  werden  sollen,  ist  also  keine 
müßige.  Im  Gegenteil  wird  sie  die  Grundlage  aller  weiteren  Maßnahmen  zu  bilden 
liaben.    Sodann  ist  auf  jeden  Fall  auch  eine  genaue  Kontrolle  notwendig,  die 


—    3^o    -- 

darüber  zu  wachen  hat^  daß  das  Getreide  nur  für  Zwecke  der  richtigen  Volks- 
ernährung  verwendet  wird." 

Am  19.  Juni  tagte  in  Bern  (Schweiz)  unter  dem  Vorsitz  von  Bundesrat 
Decoppet  eine  konsultative  Konferenz  zur  Besprechung  der  Frage  der  Brotkarte. 
Die  Konferenz  war  der  Ansicht,  daß  die  Rationierung  auf  den  Zeitpunkt,  wenn 
andere  Bodenprodukte,  wie  Kartoffeln,  Gemüse,  Obst  und  dergleichen  zur  Ver- 
fügung stehen,  nicht  mehr  umgangen  werden  könne.  Einzig  auf  dem  Wege  des 
Kartensystems  sei  die  wahrscheinlich  nötig  werdende  weitere  Einschränkung  des 
Brot-  und  Mehlkonsums  möglich.  Die  Kommission  verhehlte  sich  nicht,  daß  die 
Vorbereitung  des  ßationierungssystems  in  Kantonen  und  Gemeinden  längere  Zeit 
in  Anspruch  nimmt;  sie  rechnet  dafür  mindestens  einen  Monat.  Als  geeigneten 
Zeitpunkt  für  die  Karte  betrachtet  sie  den  Monat  September.  Es  ist  anzunwimen, 
daß  das  Militärdepartement,  dem  die  Brotgetreideversorgung  untersteht,  in  diesem 
Sinne  seine  Anträge  an  den  Bandesrat  formulieren  wird. 

In  der  Tat  lenkt  in  der  Schweiz  die  mangelhafte  Getreidezufuhr 
den  Blick  längst  auf  neue  Sparmaßnahmen.  Für  die  Monate  Juli  und  August 
konnte  in  bescheidenem  Maße  für  Frachtraum  vorgesorgt  werden,  jedoch  nichts 
wie  man  gewohnt  ist,  auf  weitere  Zeit  hinaus.  Die  Frachtraumnot  nimmt  ständig 
zu,  im  nämlichen  Verhältnis,  wie  die  Anspruchslosigkeit  der  Reedereien  abnimmt. 
Die  Zufuhr  zu  Lande  geht  mit  zwei  Zügen  des  Tages  einzig  auf  dem  Wege 
von  Cette  her  vor  sich.  Das  bedeutet  täglich  120  Wagenladungen.  Darin  sind 
die  S.  S.  S.-Waren  einbegriffen,  ebenso  Hafer,  Mais,  Reis,  Zucker,  so  daß  man 
leicht  auszurechnen  vermag,  daß  die  Einfuhrmenge  an  Brotgetreide  das  Ver- 
brauchsquantum längst  nicht  mehr  deckt.  „Wir  zehren  mächtig  von  unseren 
Vorräten  und,  wenn  wir  nicht  zeitig  genug  zum  Rechten  sehen,  bald  —  vom 
eigenen  Fett." 

Dem  „Bund"  (Schweiz)  wird  geschrieben:  „Wie  den  Höchstpreisen 
für  Butter  nachgelebt  wird,  zeigt  folgende  kleine  Begebenheit,  die  allerdings, 
wie  Schreiber  dieses  hofft,  zu  einem  Meinen  Nachspiel  führen  wird:  In  einer 
bündnerischen  Gemeinde  war  letzten  Sonntag  die  öffentliche  Versteigerung  der 
diesen  Sommer  durch  die  Alpgenossenschaft  zu  liefernden  Butter,  zu  der  sich  ca. 
15  Interessenten  einfanden.  Das  Mindestangebot  war  5  frcs.,  das  Höchstangebot 
7,40  frcs.,  und  es  wurde  die  Butter  auch  zu  diesem  Preise  zugeschlagen,  franko 
Talstation.     Wie  hoch  kommt  diese  Butter  wohl  nun  den  Konsumenten  zu  stehen  ?• 

Wie  der  „Bund"  hört,  haben  in  gewissen  Butterhandlungen  Genfs  die  Ein- 
geweihten Butter  zu  10  frcs.  das  Kilogramm  kaufen  können. 

In  Holland  hat  der  Landwirtschaftsminister  durch  Verfügung  vom 
12.  Juni  bestimmt:  Ausfuhrbewilligungen  für  frisches  Gemüse  werden 
den  Aüsführern  nur  erteilt,  wenn  sie  einer  oder  mehreren  der  folgenden  Be- 
dingungen nachkommen,  die  von  der  staatlichen  Kommission  zur  Aufsicht  über 
den  Verein  „Gemüsezentrale"  näher  festzusetzen  sind:  a)  Von  jeder  zu  ver- 
steigernden Post  Gemüse  (kein  Stapelgemüse)  muß  ein  festzusetzender  Prozentsatz 
für  das  Inland  versteigert  werden;  b)  von  jeder  für  die  Ausfuhr  zu  versteigernden 
Post  Gemüse  muß  eine  festzusetzende  Menge  und  Sorte  eines  anderen  Gemüses 
für  das  Inland  versteigert  werden ;  c)  von  dem  Ertrag  einer  für  die  Ausfuhr  ver- 
steigerten Post  Gemüse  ist  ein  von  der  Auf  Sichtskommission  festzusetzender 
Prozentsatz  an  den  Verein  „Gemüsezentrale"  abzuführen;  d)  sonstige  Bedingungen 
sind  zu  erfüllen,  die  im  Interesse  der  Volksernährung  gestellt  werden;  e)  was 
näher  zu  bezeichnende  Einmachgemüse  und  Stapelgemüse  betrifft,  so  ist  für  je 
100  kg  Gemüse,  die  für  die  Ausfuhr  zu  versteigern  sind,  eine  festgesetzte  Men^e 
und  Sorte  erstklassiger  Dauerware  oder  zum  Einmachen  geeigneter  Ware  (je 
nachdem  es  sich  um  Stapelgemüse  oder  Einmachgemüse  handelt)  auf  Verlangen 
der  Staatskommission  an  den  Verein  „Gemüsezentrale"  abzuliefern,  oder  für  ihn 
zurückzustellen.  Die  Staatskommission  ist  befugt,  in  besonderen  Fällen  die  Er- 
teüung  von  Ausfuhrbewilligungen  einzustellen,  sei  es  für  eine  bestimmte  Zeit,  sei 
es  für  Gemüse  einer  bestimmten  Sorte  oder  für  Gemüse,  die  in  bestimmten  Ge- 
genden gezogen  sind. 

Im  englischen  Unterhaus  sagte  Bridgeman  in  Vertretung  des  Nahrungs- 
mittelkommissars, mit  Holland  sei  ein  Abkommen  getroffen  worden,  um  Eng- 
land einen  Teil  der  Kartoffelernte  zu  sichern,  von  dem  er  hoffe,  daß  er  vor 
der  englischen  Haupternte  verfügbar  sein  werde. 


-    38i     - 

In  England  sind  im  Jahre  1916  insgesamt  5083480  t  Weizen  einge- 
führt, und  zwar  aus  Rußland  635  t,  aus  den  Vereinigten  Staaten  3  278840  t,. 
aus  ChUe  5938  t,  Argentinien  228  382  t,  Britisch  Indien  285  085  t,  Australien  und 
Neuseeland  189  490  t,  Kanada  1 094  699  t,  anderen  Ländern  411  t.  Im  Januar  1917 
betrug  die  Einfuhr  351  626  t,  und  zwar  aus  Rußland  943  t,  Vereinigten  Staaten 
236164  t,  Chile  25  t,  Argentinien  27320  t,  Britisch  Indien  37  663  t,  Australien  und 
Neuseeland  17  476  t,  Kanada  31  872  t,  anderen  Ländern  163  t. 

Nach  einer  Mitteilung  der  „Daüy  Maü"  vom  11.  Juni  wies  in  England 
der  Vorsitzende  des  landwirtschaftlichen  Kriegsausschusses  von  Chertsey  darauf 
hin,  daß  das  Kriegsministerium  100000  Landarbeiter  auftreiben  müsse,  wenn 
weitere  3  Müh  Acres  Land  bestellt  werden  sollen. 

Nach  „Times"  vom  18.  Juni  teilt  das  Landwirtschaftsministerium  mit,  daß 
für  die  Heuernte  in  England  und  Wales  noch  mindestens  10000,  und  für 
die  Getreideernte  15  000  Arbeiter  fehlen.  Man  will  u.  a.  gegenwärtig  wenig 
beschäftigte  Bergarbeiter  für  diese  Aufgabe  gewinnen. 

In  Rußland  hat  der  Ackerbauminister  einen  Gesetzentwurf  ausgearbeitet, 
nach  dem  alle  Ländereien  von  landwirtschaftlichem  Werte  bis  zur  Lösung  der 
A^arfrage  durch  die  verfassunggebende  Versammlung  im  Interesse  des  Staate» 
zeitweilig  landwirtschaftlichen  Ausschüssen  zur  Beaufsichtigung  der  Aus- 
nützung unterstellt  werden  sollen.  Zu  diesem  Zweck  werden  örtliche  Ackerbau- 
ausschüsse die  Anbaufläche  der  Ländereien  festseilen,  bevor  sie  von  Ge- 
meinden, Gesellschaften  und  privaten  Besitzern  bestellt  werden,  während  alle 
übrigen  Lähdereien  eine  Bodenreserve  bilden  sollen. 

An  den  deutschen  Märkten  war  Heu  neuer  Ernte  nur  wenig  ange- 
boten, während  sich  gute  Nachfrage  dafür  zeigte.  Für  Stroh  ist  die  Lage  öinlich, 
doch  ist  manches  zu  Höchstpreisen  umgesetzt  worden.  Häcksel  ist  aus  den  be- 
kannten Gründen  nur  schwer  zu  beschaffen.  Für  Erbsen preßstroh  wird  5  35  M. 
und  für  Bohnenpreßstroh  4,50  M.  ab  Station  verlangt.  Heidekraut  war  zu  Streu- 
zwecken stark  gesucht.  Die  Forderungen  lauten  auf  1,40—1,50  M.  ab  Station. 
Das  Geschäft  war  hierin  nur  beschränkt.  Die  Nachfrage  nach  Spörgel,  Sand- 
wicken, Senf  und  anderen  Sämereien  war  lebhaft.  Geschäfte  kamen  indessen,  da 
nur  wenig  angeboten  war,  nur  in  geringem  Umfange  zustande.  Inkarnatklee 
blieb  gut  gefragt. 

Weltmarkt. 
Getreidepreise  in  Mark  für  1000  kg, 


für  amerikai 

Qische  Märkte  umgerechnet  nach  dem  Friedei 

iskurs  1  $ 

=  4.20  M.. 

für  London  umgerechnet  nach  dem 

Friedenskurs  1  £  =  20,50  M. 

29. 

Juni 

23.  Juni 

Cents 

M. 

M. 

New  York: 

Roggen  loco 

244 

476,50 

378,05 

Hafer  white  clipped 

7874 

182,35 

170,55 

Mais  Nr.  2 

190V, 

314,60 

307,15 

Chicago : 

Weizen:    Lieferware  Juli 

202 

311,70 

330,20 

Sept. 

182 

280,80 

288,55 

Mais:                „          Juli 

157V8 

2bl,0.S 

257,65 

Sept. 

WU 

244,10 

243,26 

„                    „           Dez. 

109 

i8o,2.s 

182,70 

Hafer:                   per  Juli 

65V8 

150,80 

146,15 

„    Sept. 

ssVs 

127,65 

123,— 

Boggen :    loco 

240 

370,30 

373,40 

Minneapolia 

:  Weizen:                per  Juli 

21 27, 

327,90 

364,15 

Winnipeg : 

„    Okt. 

1887« 

290,26 

308,80 

Wöchentliche  englische  „. 

Farmers'  Deliveries". 

Durchschnittspreise  für 

englischen  Weizen. 

London,   16. 

Juni  1917.                            Diese  Woche 

Vorige 

Woche 

sh 

M. 

sh 

M. 

78/. 

,2        350,85 

78/.0 

350,10 

entsprechende  Wochen 

in  den  Vorjahren:  1916  48/.10       219,25 

1915  56/.1         251,65 


382 


Buenos  Aires,  14.  Juni  1917. 


Diese  Woche 

Vorige  Woche 

Pesos             M.                    M. 

Pesos 

M.                     M. 

Kriegskurs     Friedenskurs 

Kriegskurs     Friedenskur» 

(2,45)                   (1,78) 

Weizen 

— 



Mais 

13,55        33i,f5            241,20 

12,95 

316,25              230,50 

Hafer 

II,—           269,50                 195,80 

11,40 

279,30              202,90 

See-Frachten. 
Buenos  Aires,  14.  Juni  1917. 

Dampferfracht  für  die  Tonne  für  Rechnung  der  Regierung: 

sh  M. 

nach  St.  Vincent  145/. —  148,60 

„     direkten  Häfen  140/. —  I43,50 

Ueber  den  Saatenstand  und  über  den  Ausfall  der  Ernte- 
erträge finden  sich  aus  den  verschiedenen  Gebieten  eine  Anzahl 
neuerer  Berichte,  die  im  folgenden  wiedergegeben  werden  sollen: 

Schweden.  Der  schwedische  Saatenstandsbericht  für  Ende  Mai  ergibt  im 
Vergleich  mit  dem  Vorjahr  das  folgende  Bild,  wobei  5  =  sehr  gut,  4  =  gut, 
3  =  mittelgut,  2  ==  gleich  bedeutend  unter  mittel,  1  =  Mißernte  bedeutet. 


31. 

Mai 

31. 

Mai 

1917 

1916 

1917 

1916 

Winterweizen 

2,5 

3,5 

Bohnen 

2,8 

2,9 

Winterroggen 

2,0 

2,6 

Wicken 

2,8 

3,3 

Sommerweizen 

2,7 

3,3 

Kartoffeln 

2,9 

3,2 

Sommerroggen 

2,9 

3,0 

Zuckerrüben 

2,6 

3,5 

Gerste 

3,0 

3,4 

Futterrüben 

2,7 

3,3 

Hafer 

2,9 

3>8 

Ackerheu 

3,0 

3,8 

Mengkorn 

2,8 

3,« 

Wiesenheu 

2,7 

2,7 

Erbsen 

2,9 

3,3 

Die  Fläche  des  Wintergetreides  ist  erheblich  geringer  als  in  normalen  Jahren. 
Die  Herbstbestellung  war  durch  ungünstige  Witterung  verzögert,  teilweise  ganz 
unmöglich  gemacht  worden.  Ein  Teil  des  Wintergetreides  ist  ausgefroren.  In- 
folgedessen haben  bedeutende  Flächen,  statt  mit  Winter-,  mit  Sommerkorn  be- 
stellt werden  müssen.  Um  ein  zuverlässiges  Bild  hierüber  zu  gewinnen,  ist  eine 
genaue  Aufnahme  der  bestellten  Flächen  angeordnet.  Die  Frühjahrsbestellung 
hat  sich  infolge  des  bis  in  den  späten  Mai  anhaltenden  kalten  Wetters  ungewöhn- 
lich verzögert.  Nur  im  südlichsten  Schweden  waren  die  Bestellarbeiten  zu  Ende 
Mai  abgeschlossen,  im  mittleren  und  nördlichen  Schweden  waren  sie  noch  im 
Gange.  Nach  reichlichen  Niederschlägen  im  April  herrscht  seit  dem  Mai  mehr 
als  gewöhnliche  Trockenheit;  von  dem  baldigen  Eintritt  des  Regens  muß  es  ab- 
hängen, ob  man  im  ganzen  noch  mit  einer  Mittelernte  rechnen  kann. 

Dänemark.  Kopenhagen,  18.  Juni.  Der  Kaiserliche  Generalkonsul  be- 
richtet :  Die  anhaltende  Dürre  der  letzten  Zeit  hat  ungünstig  auf  die  Saaten  ein- 
gewirkt, und  aus  allen  Teilen  des  Landes  mehren  sich  die  Berichte,  daß  baldiger 
und  reichlicher  Regen  notwendig  ist.  Roggen  wird  nach  dem  jetzigen  Stande 
kaum  eine  Mittelernte  geben.  Der  Winter  war  streng,  das  Frühjahr  kalt  und  der 
Vorsommer  trocken.  Alles  das  hinderte  die  Entwicklung  der  Pflanzen,  und  sie 
sehen  dünn  und  kurz  aus.  Aehnlich  steht  es  mit  dem  Weizen.  Die  Sommer- 
saaten, Hafer  und  Gerste,  geben  etwas  bessere  Aussichten,  aber  auf  leichterem 
Boden  hat  auch  das  Sommerkorn  vielfach  gelitten.  Für  die  Weiden  ist  die 
Trockenheit  sehr  schädlich  gewesen,  und  die  Heuernte  dürfte  nur  einen  geringen 
Ertrag  geben. 

Bulgarien.  Sofia,  19.  Juni.  Die  verhältnismäßig  kühle  und  ziemlich 
trockene  Witterung  des  Monats  Mai  war  dem  Saatenstand  zwar  nicht  besonders 
förderlich,  hatte  jedoch  im  großen  und  ganzen  auch  keine  nachteilige  Wirkung 


-    383    - 

auf  die  Saaten   ausgeübt.    Dieselben  blieben   zwar  klein  im  Halm,  standen  aber 

fegen  Ende  des  Berichtsmonats  allgemein  in  guter  Verfassung  und  werden  sich 
urch  die  ausgiebigen  Niederschläge,  die  Anfang  Juni  im  ganzen  Lande  zur 
rechten  Zeit  einsetzten,  schnell  und  vollständig  erholen.  Insbesondere  läßt  der 
Stand  der  Gerste  und  des  Eoggens  nichts  zu  wünschen  übrig.  Der  Weizen  hat 
an  vielen  Stellen,  besonders  in  der  Gegend  von  Stara-Zagora,  durch  Getreiderost 
etwas  gelitten.  Immerhin  wird  auch  der  Stand  dieser  Getreideart  nirgends  im 
Lande  als  unter  mittel  bezeichnet.  Für  die  Fortsetzung  des  Frühjahrsanbaues 
war  die  Witterung  des  Monats  Mai  durchweg  günstig.  Bis  gegen  Ende  des  Be- 
richtsmonats konnte  trotz  des  verspäteten  Frühjahrsanbaues  fast  überall  im 
Lande  mehr  angebaut  werden  als  im  Vorjahre. 

Italien.  Lugano,  26.  Juni.  Nach  dem  Mailänder  Handelsblatt  „Sole" 
wird  das  Ergebnis  der  in  Italien  binnen  wenigen  Tagen  beginnenden  Weizenernte 
hinter  dem  schon  geringen  Ertrag  des  Vorjahres  zurückbleiben,  weil  die 
Saaten  durch  die  andauernden  Winter-  und  Frühjahrsregen  gelitten  haben. 
Andererseits  leiden  auch  Zuckerrüben,  Hanf,  Hülsenfrüchte  und  Gras  unter  der 
gegenwärtigen  Dürre. 

Frankreich.  Das  mit  Getreide  angebaute  Land  beträgt  nach  der  Auf- 
nahme am  1.  Mai:  Weizen  4  207  530  ha  (gegen  5  205  620  ha  im  Jahre  1916),  Korn 
84485  (101205)  ha,  ßoggen  809  435  (925  600)  ha,  Gerste  596  705  (286  285)  ha, 
Hafer  1  605  570  (3  044  760)  ha.  Die  Verminderung  des  Anbaues  rührt  von  dem 
regnerischen  Herbst  her,  der  die  Vorarbeiten  in  weitem  Maße  behinderte,  und  dem 
harten  und  langen  Winter,  der  das  Anpflanzen  und  Aussäen  des  Winter-  und 
Frühjahrsgetreides  unmöglich  machte. 

Argentinien.  Buenos  Aires,  24.  Mai.  Die  Beschaffenheit  der  Mais- 
zufuhren an  die  oberen  Flußhäfen  ist  schlecht,  und  die  Berichte  über  die  Ernte 
lauten  im  allgemeinen  unbefriedigend.  Für  die  Bestellungsarbeiten  von  Weizen, 
Hafer  und  Leinsaat  war  das  Wetter  in  der  Berichtswoche  günstig. 

Indien.  Nach  der  letzten  amtlichen  Schätzung  beträgt  die  diesjährige 
Weizenernte  9  929  000  t  gegen  8501000  t  in  1916.  Da  Indiens  Eigenverbrauch 
auf  etwa  8^/^  Mill.  t  geschätzt  wird,  alte  Vorräte  aber  wahrscheinlich  in  nennens- 
werten Mengen  nicht  mehr  vorhanden  sind,  wäre  eine  Exportfähigkeit  von  1*/^ 
bis  l^/„  Mill.  t  gegeben. 

Montenegro.  Wien,  16.  Juni.  Aue  dem  Kriegspressequartier  wird  ge- 
meldet :  Die  Ernteaussichten  in  •  Montenegro  sind  günstig,  was  namentlich  der 
reichlichen  Unterstützung  der  Bevölkerung  mit  Arbeitskräften  und  Zugtieren 
durch  die  Militärverwaltung  zu  danken  ist. 

Serbien.  Belgrad,  17.  Juni.  Der  Stand  der  Wintersaaten  ist  in  den 
nördUchen  Kreisen  Serbiens  überall  gut,  stellenweise  sogar  sehr  gut.  In  den 
südlichen  Kreisen  sind  die  Saaten  infolge  Auswinterung  schütterer.  Hafer  ist 
infolge  des  verspäteten  Anbaues  zurückgeblieben.  Mais  steht  frisch  und  üppig. 
Der  Stand  ist  im  allgemeinen  sehr  zufriedenstellend  und  besser  als  im  Vorjahre. 

Ueber  den  Zuckerrübenanbau  und  die  Zuckerproduktion 
liegen  noch  aus  einigen  Gebieten  folgende  Berichte  vor: 

Die  Zuckerkampagne  1917/18  im  Königreich  Polen. 

Die  Bebauungsfläche  der  polnischen  Zuckerrüben kampagne  1917/18  wird 
nach  mutmaßlichen  Berechnungen  etwa  40000  Morgen  betragen,  wovon  34000 
Morgen  auf  die  im  deutschen  Okkupationsgebiete  gelegenen  Raffinerien  und  6000 
auf  die  im  österreichischen  entfallen.  Den  diesjährigen  Betrieb  nehmen  im 
deutschen  Okkupationsgebiete  27  Raffinerien  (außer  Betrieb  8)  und  7  im  öster- 
reichischen (außer  Betrieb  13)  auf. 

Zuckerrübenanbau  in  Oesterreich-Ungarn. 

Der  Zentralverein  für  die  Zuckerrübenindustrie  Oesterreichs  und  Ungarns 
veröffentlicht  folgende  Umfrageergebnisse  vom  2.  d.  Mts.  In  Böhmen  sind  in  der 
Kampagne  1917/18  im  Betriebe  105  Fabriken.  Die  gesamte  Rübenanbaufläche 
beträgt  107  350  ha  (1916/17  =  111  780  ha  =  3,9  Proz.).  In  Mähren  sind  52  Fa- 
briken im  Betriebe.  Die  gesamte  Rüben anbaufläche  umfaßt  pro  1917/18  ^  73050  ha 
Q916/17  =  73720  =  —0,9  Proz.).  In  Ungarn  und  Bosnien  sind  29  Fabriken  im 
Betriebe  bei  einer  Anbaufläche  von  108  850  ha  (1916/17  =  87  850  ha  =  +  23,9  Proz.), 
so  daß  sich  bei  dem  Rübenareal  in  Ungarn  eine  namhafte  Zunahme  zeigt.    In 


-    384    - 

Oesterreich- Ungarn  sind  mithin  in  der  Kampagne  1917/18  187  (+  1)  Fabriken  im 
Betriebe,  und  die  gesamte  Kübenanbaufläche  beträgt  289  250  ha  (+15900«- 
+  5,8  Proz.). 

Frankreichs  Zuckerproduktion  1915/16.  Der  bedeutende  Rückgang 
der  Zuckerproduktion  Frankreichs  während  des  Krieges  geht  aus  den  Ziffern  der 
französischen  Steuerbehörde  hervor  :  Die  Anzahl  der  Rüben-Zuckerfabriken 
fiel  in  1915/16  auf  64,  gegen  69  in  1914/15  und  206  in  1913/14.  Die  Anbaufläche 
der  Zuckerrüben  betrug  nur  63,209  ha,  gegen  229  275  in  Friedenszeit.  Infolge  des 
Mangels  an  Dünger  und  landwirtschaftlichen  Maschinen  stellte  sich  die  Rüben- 
durchschnittsernte pro  Hektar  auf  18134  kg,  gegen  29  000  in  1913/14.  Der 
Zuckergehalt  der  Rüben  belief  sich  auf  11,80  Proz.  gegen  13,15  Proz.  in 
1912/13.  Die  Folge  dieser  genannten  Faktoren  war,  daß  in  der  Kampagne  1915/16 
nur  1146  207  t  Rüben,  gegen  6  674  022  t  in  1912/13  verarbeitet  wurden. 

Ueber  die  Ausführung  der  Ernteschätzung  in  Deutsch- 
land im  Jahre  1917  ist  folgende  Bekanntmachung  erlassen. 

Bekanntmachung  über  die  Ernteschätzung  im  Jahre  1917. 
Vom  21.  Juni  1917. 
1.    Die  Ernte  Vorschätzung  findet  statt: 
[n  der  Zeit  vom  1.  bis  20.  Juli  1917  für 

1.  Weizen: 

a)  Winterfrucht, 

b)  Sommerfrucht; 

2.  Spelz  —  Dinkel,  Fesen   —   sowie   Emmer   und   Einkorn   (Winter-   und 
Sommerfrucht) ; 

3.  Roggen: 

a)  Winterfrucht, 

b)  Sommerfrucht; 

4.  Gerste: 

a)  Winterfrucht, 

b)  Sommerfrucht. 

n.  In  der  Zeit  vom  1.  bis  20.  August  1917  für 

1.  Hafer; 

2.  Gemenge  aus  Getreide  aller  Art. 

III.  In  der  Zeit  vom  20.  September  bis  5.  Oktober  1917  für 

1.  Hülsenfrüchte  zur  Körnergewinnung: 

a)  Erbsen  und  Peluschken, 

b)  Eßbohnen  (Stangen-,  Buschbohnen), 

c)  Linsen, 

d)  Acker-  (Sau-)Bohnen, 

e)  Wicken, 

f)  Gemenge  aus  Hülsenfrüchten  aller  Art  untereinander  oder  mit  Getreide 
oder  anderen  Körnerfrüchten; 

2.  Spätkartoffeln; 

3.  Rüben  und  Wurzelfrüchte: 

a)  Zuckerrüben, 

b)  Runkelrüben, 

c)  Kohlrüben  (Steckrüben,  Bodenkohlrabi,  Wrucken,  Dotschen), 

d)  Mairüben,  Wasserrüben,  Herbstrüben,  Stoppelrüben  (Turnips), 
ej  Möhren  (Karotten); 

4.  Weißkohl. 

§  2.  Die  Erntevorschätzung  erfolgt  auf  Grund  der  Ernteflächenerhebung 
nach  der  Bundesratsverordnung  vom  20.  Mai  1917  durch  Feststellung  von  Durch- 
schnittshektarerträgen  für  die  einzelnen  Gemeinden.  Die  Feststellung  der  Durch- 
schnittserträge liegt  den  zu  diesem  Zwecke  ernannten  Sachverständigen  oder  Ver- 
trauensleuten ob. 

§  3.  Die  Landeszentralbehörden  sind  berechtigt,  die  Erntevorschätzung  auf 
andere  Früchte  zu  erstrecken. 

§  4.  Die  zuständige  Behörde  oder  die  von  ihr  beauftragten  Personen  sind 
befugt,  zur  Feststeilung  der  Hektarerträge  Grundstücke  landwirtschaftlicher  Be- 
triebsinhaber zu  betreten. 


-    385    - 

§  5.  Dem  Kaiserlichen  Statistischen  Amte  ist  eine  nach  Bezirken  der  unteren 
Verwaltungsbehörden  gegliederte  Zusammenstellung  der  Ergebnisse  (Muster  1,  2,  3) 
•einzusenden : 

a^  für  die  im  §  1,  I  genannten  Früchte  bis  zum  1.  August  1917, 

b)  für  die  im  §  1,  II  genannten  Früchte  bis  zum  1.  September  1917, 

c)  für  die  im  8  1,  III  genannten  Früchte  bis  zum  15.  Oktober  1917. 

§  6.  Die  Landeszentralbehörden  erlassen  die  Bestimmungen  zur  Ausführung 
dieser  Verordnung. 

Die  Ausführungsbestimmungen  sind  dem  Kriegsernährungsamt  und  dem 
Kaiserlichen  Statistischen  Amte  bis  zum  1.  Juli  1917  einzusenden. 

§  7.     Diese  Verordnung  tritt  mit  dem  Tage  der  Verkündung  in  Kraft. 

Ueber  die  Einführung  der  Wirtschaftskarte  in  land- 
wirtschaftlichen Betrieben  ist  folgendes  angeordnet: 

Die  durch  §  25  der  neuen  Reichsgetreideordnung  vorgeschriebene  Wirt- 
schaftskarte  muß  folgende  Eintragungen  enthalten: 

1)  die  ßodenfläche  des  landwirtschaftlichen  Betriebes  auf  Grund  der  Kataster 
oder  sonstiger  zuverlässiger  Unterlasen; 

2)  die  Zahl  der  ständig  zum  Haushalt  gehörigen  Personen; 

3)  das  vorhandene  Vieh  nach  Arten  getrennt  (Viehliste); 

4)  die  mit  Frucht  bebaute  Fläche  unter  Angabe  der  Fruchtarten  auf  Grund 
der  Ernteflächenerhebung ; 

5)  das  Ergebnis  der  Erntevorschätzung  und  Erntenachprüfung; 
ü)  das  von  den  Betriebsunternehmern  zu  verwendende  Saatgut; 

7)  den  den  Selbstversorgern  zustehenden  Bedarfsanteil  an  Brotgetreide; 

8)  die  dem  Betriebsunternehmer  für  sein  Vieh  zustehende  Menge  an  Futter- 
getreide; 

9)  die  aus  der  Erntevorschätzung  und  -nachprüfung  nach  Abzug  des  dem 
Betriebsunternehmer  als  Saatgut,  zur  Ernährung  der  Selbstversorger  und  zur 
Fütterung  des  Viehs  sich  ergebende  Mindestablieferungsschuldigkeit; 

10)  die  erfolgten  Ablieferungen  (Ablieferungskontrolle) ; 

11)  die  zur  Verarbeitung  für  Ernährungs-  und  Verfütterungsz wecke  frei- 
gegebenen Mengen  (Verbrauchs-  und  Verfütterungskontrolle) ; 

12)  die  als  Saatgut  gekauften  und  verkauften  Mengen  (Saatkontrolle).  Den 
Kommunalverbänden  bleibt  überlassen,  diese  Angaben  noch  durch  weitere  An- 
gaben, insbesondere  über  die  etwa  festgestellten  Dreschergebnisse  zu  ergänzen. 
Sie  können  die  Dreschmaschinenbesitzer  zur  Führung  von  Dreschlisten  ver- 
pflichten, aus  denen  sich  die  Menge  des  bei  jedem  Betriebsunternehmer  ge- 
droschenen Getreides  ergibt.  Auch  können  sie,  namentlich  in  Zweifelsfällen,  eme 
Nachprüfung  der  Ernteschätzung  durch  Anordnung  eines  Probedrusches  oder 
auch  des  Ausdreschens  der  gesamten  Getreidevorräte  anordnen  und  hiernach  die 
Angaben  der  Wirtschaftskarte  ergänzen. 

Ueber  die  neuen  Kalipreise  wird  im  „Ueichsanzeiger"  vom 
22.  Juni  1917  das  ,, Gesetz,  betreffend  Aenderung  des  Gesetzes  über 
den  Absatz  von  Kalisalzen"  vom  16.  Juni  1917,  veröffentlicht.  Danach 
erhält  §  20a  folgende  Fassung: 

Für  die  Zeit  vom  1.  Juli  1917  bis  31.  Dezember  1918  dürfen  die  Preise  für 
das  Inland 

für  Karnallit  mit  mindestens  9  vom  Hundert 
und  weniger  als  12  v.  H.  KjO 
„    Bohsalze        mit  12 — 15 
„    Düngesalze      „     20—22 
„     30-32 
„     40—42 
„    Chlorkalium  „     50—60 
„  „  ,,    über  60 

„    schwefelsaures  Kali  mit  über  42   v.  H.  KjO 
„  „  Magnesia  mit  über  42  v.H.KgO 

für  1  vom  Hundert  (KjO)  im  Doppelzentner  nicht  übersteigen. 


V.  H. 

KjO 

V.  H. 

KjO 

V.  H. 

K^O 

V.  H. 

kIo 

V.  H. 

K,0 

V.  H. 

K^O 

über 

42   V. 

i6,o  Pfg. 

i  i8,o  „ 

§-§         23,0  „ 

3  §         23,^  ,1 

a|       25,5  „ 

äs^       37,0  „ 

a  40,0  „ 

43,0  „ 

40,0  ., 


-    386    - 

Ueber  die  Gestaltung  der  Erzeugerpreise  für  Obst  ist  fol- 
gende Anordnung  bemerkenswert: 

Von  der  Eeichsstelle  für  Gemüse  und  Obst  sind  folgende  Richtpreise  für 
die  Erzeuger  von  Obst  je  Pfund  (0,50  kg)  frei  Verladeort  festgesetzt  worden: 

M. 

Erdbeeren,  1.  Wahl  o,65 

2.      „  0,80 

Walderdbeeren  i,00 

Johannisbeeren,  weiße  und  rote  o,80 

„  schwarze  0,40 

Stachelbeeren,  reif  und  unreif  o,30 

Himbeeren  o,50 

Blaubeeren  o,j86 

Preiselbeeren  o,Sn 

Saure  Kirschen  o,»© 

Süße  Kirschen,  weiche  0,2  5 

„  „         große  harte  0,35 

Schattenmorellen  0,40 

Glaskirschen  0,4  5 

Reineclauden,  große,  grüne  0,30 

Pflaumen  0,25 

Mirabellen  0,40 
Zwetschen,  Hauspflaumen,  Hauszwetschen,  Muspflaumen, 

Bauernpflaumen,  Thüringer  Pflaumen,  Brennzwetschen         0,10 

Aepfel. 
Gruppe  1  0,35  M. 

Hierher  gehören :  Weißer  Winterkalvill,  Cox'  Orangen,  Gravensteiner,  Kanada- 
Renette,  Adersleber  Kalvill,  Gelber  Richard,  Signe  Tillisch,  v,  Zuccalmaglios 
Renette,  Ananas-Renette,  Gelber  Bellefleur,  Schöner  v.  Boskoop,  Landsberger 
Renette,  Goldrenette  von  Blenheim,  Coulons- Renette. 

Diese  Früchte  müssen  aber,  wenn  sie  zur  Gruppe  1  gerechnet  werden  sollen, 
die  Beschaffenheit  von  Edelobst  haben,  mithin  für  ihre  Sorte  übermittelgroß  und 
ohne  nennenswerte  Fehler  sein.  Als  Fehler  sind  insbesondere  anzusehen:  un- 
vollständige Reife,  starke  Fusicladiumflecke,  starke  Druckflecke,  Wurmstich, 
Stippflecke,  Verkrüppelungen  oder  mißgestaltete  Formen. 

Gruppe  2  0,20  M. 

Diese  Gruppe  umfaßt  sämtliche  Aepfel,  soweit  sie  nicht  unter  Gruppe  1 
genannt  sind  oder  infolge  ihrer  Beschaffenheit  nicht  zur  Gruppe  1  gehören.  Die 
Aepfel  müssen  aber  gepflückt,  gut  sortiert  und  mittlerer  Art  und  Güte  sein. 

Gruppe  3  o,o8  M. 

Zu  dieser  Gruppe  gehören:  alles  Schüttelobst,  Ausschuß-  und  Falläpfel 
sowie  Mostäpfel. 

Verkauft  ein  Erzeuger  sein  gepflücktes  Obst  unsortiert,  so  wie  der  Baum 
es  gegeben  hat,  aber  ohne  Fallobst,  so  kann  er  einen  Einheitspreis  verlangen,  der 
aber  den  Betrag  von  0,16  M.  nicht  übersteigen  darf. 

Birnen. 
Gruppe  1  0,25  M. 

Diese  Gruppe  bilden:  Gute  Luise  von  Avranches,  Köstliche  von  Charneu, 
Birne  von  Tongre,  Boscs  Flaschenbirne,  Dr.  Jules  Guyot,  Williams  Christbime, 
Hardenponts  Butterbirne,  Clapps  Liebling,  Diels  Butterbirne,  Vereins  Dechants- 
birne. 

Diese  Früchte  müssen  aber,  wenn  sie  zur  Gruppe  1  gehören  sollen,  die  Be- 
schaffenheit von  Edelobst  haben,  mithin  für  ihre  Sorte  übermittelgroß  und  ohne 
nennenswerte  Fehler  sein.    Als  Fehler  sind  insbesondere  anzusehen :  unvollständige 


-    387     - 

Eeife,  starke  Fusicladiumflecke,  starke  Druckflecke,  Wurmstich,  Stippflecke,  Ver- 
krüppelungen  und  mißgestaltete  Formen. 

Gruppe  2  0,12  M. 

Die  Gruppe  2  umfaßt  sämtliche  Sorten  Birnen,  soweit  sie  nicht  unter  Gruppe  1 

fenannt    sind    oder  infolge    ihrer  Beschaffenheit  nicht  zur  Gruppe  1    gehören. 
)ie  Birnen  müssen   gepflückt,   gut  sortiert    und  mittlerer  Art   und  Güte  sein. 
Gruppe  3  0,0  6  M. 

Hierher  gehören:  alles  Schüttelobst,  Ausschuß-  und  Fallbirnen  sowie  Most- 
birnen. 

Berlin,  den  15.  April  1917. 

Eeichsstelle  für  Obst  und  Gemüse. 
Verwaltungsabteüung. 

Ueber  garantierte  Preise  für  deutsche  Schafwollen  schreibt 
eine  amtliche  Nachrichtenstelle: 

Die  auch  nach  dem  Kriege  zweifellos  noch  anhaltenden  Schwierigkeiten  in 
der  Eohstoffbeschaffung  für  unser  Stoffgewerbe  haben  zu  dem  Entschluß  geführt, 
die  deutsche  Schafzucht  mit  allen  verfügbaren  Mitteln  zu  fördern.  Im  preußischen 
Landwirtschaftsministerium  haben  wiederholte  Beratungen  mit  Sachverständigen 
stattgefunden,  um  die  Ansichten  aller  beteiligten  Kreise  kennen  zu  lernen.  Bei 
allen  Verhandlungen  ist  von  selten  der  Züchter  der  Standpunkt  vertreten  worden, 
daß  nur  ein  ausreichend  hoher  Wollpreis,  der  auf  eine  möglichst  lange  Keihe  von 
Jahren  gewährleistet  werden  müßte,  imstande  ist,  die  Landwirtschaft,  und  vor 
allem  die  mittleren  und  die  kleinen  Besitzer,  in  deren  Händen  80  v.  H.  unserer 
landwirtschaftlich  genutzten  Fläche  liegen,  zu  veranlassen,  sich  in  ausgedehntem 
Maße  wieder  der  Schafzucht  zuzuwenden.    Dieser  Standpunkt  ist  von  den  maß- 

febenden  Stellen  als  berechtigt  anerkannt.  Dem  Vernehmen  nach  darf  mit  Sicher- 
eit  darauf  gerechnet  werden,  daß  auskömmliche  Preise  für  die  deutschen  Wollen 
zunächst  für  eine  Zeit  von  10  Jahren  garantiert  werden.  Unsere  heimischen 
Wollen  gehören  bekanntlich  zu  den  besten,  besonders  haltbarsten  der  Welt.  Wenn 
es  deshSb  gelingt,  große  Mengen  von  möglichst  einheitlicher  Beschaffenheit  zu 
erzeugen,  dann  ist  Deutschland  in  der  Lage,  sich  nicht  nur  vom  Bezüge  über- 
seeischer Wollen  teilweise  unabhängig  zu  machen,  sondern  sogar  eine  gewisse 
Monopolstellung  in  bezug  auf  die  Qudität  seiner  Wollen  zu  erringen.  Der  Wert 
unserer  Wolleinfuhr  erreichte  im  letzten  Jahre  vor  dem  Kriege  über  360  Mill.  M. 

Ueber  die  Stellung  Brasiliens  zu  dem  argentinischen 
Getreideausfuhrverbote  schreibt  die  „Landwirtschaftliche  Markt- 
zeitung«  (Berlin  XVII,  49)  folgendes: 

Das  von  der  argentinischen  Eegierung  erlassene  Verbot  der  Getreideausfuhr 
hat  in  Brasilien  große  Erregung  hervorgerufen. 

Nach  den  Angaben  des  Handelsstatistischen  Amtes  des  brasilianischen 
Finanzministeriums  wies  die  Getreideeinfuhr  Brasiliens  folgende  Mengen  auf: 
1913  =r-.  438  425,  1914  =  382  295,  1915  =  370  745  und  1916  =  423  872  t. 

Hiervon  stammte  in  allen  genannten  Jahren  der  überwiegende  Teil  aus 
Argentinien,  wie  sich  aus  der  folgenden  Aufstellung,  welche  die  Jahre  von  1910 
bis  1916  umfaßt,  ergibt: 

Einfuhr  aus 

Argentinien  Nordamerika 

t  t 

1910  314  IOC        9400 

1911  328800        4000 

1912  275000         3000 

1913  429500        8700 

1914  305  000        53  600 

1915  317  100        53500 

1916  407  000  13 


-     388    — 

An  Weizenmehl  führte  Brasilien  insgesamt  ein: 

davon  aus 

Argentinien  Nordamerika 

t                          t  t 

1913  170  i6o              103  961  56900 

1914  144589                62134  68600 

1915  128  812              55  355  70800 

1916  118  121               65892  39500 

Aus  diesen  Statistiken  ersieht  man  die  hohe  Bedeutung  der  argentinischen 
Weizeneinfuhr  für  Brasilien  und  den  Ernst  der  La^e,  der  durch  das  GretreideauB- 
fuhrverbot  der  argentinischen  Regierung  für  Brasilien  geschaffen  wurde. 

In  den  ersten  vier  Monaten  des  Jahres  1917  hat  Brasilien  an  argentinischem 
Getreide  und  Mehl  nur  etwa  70  000  t  erhalten.  Die  Folge  der  ungenügenden 
Einfuhr  von  Getreide  und  Weizenmehl,  ist  ein  sehr  starkes  Anziehen  der  rreise. 

Ueber  die  Steigerung  der  Salpeterproduktion  in  Chile 
findet  sich  in  der  „Landwirtschaftlichen  Marktzeitung"  (Berlin  XVIII, 
50)  folgende  Mitteilung: 

Der  „Statist«  vom  19.  Mai  gibt  folgende  Zahlen  der  Salpeterproduktion 
Chües  für  das  mit  März  abschließende  Jahr:  1916/17  63V,  MiU.  dz,  1915/16 
52  MiU.  dz,  1914/15  32^^  MiU.  dz. 

Ueber  die  Weiterentwicklung  der  Preise  in  Rußland  sei  hier 
nach  dem  „Wochenbericht"  des  Deutschen  Landwirtschaftsrats  vom 
3.  Juli  folgendes  wiedergegeben: 

Preise  in  Bußland. 
Moskau,  5./18.  Mai.    Letzte  vom  Ausführungskomitee   der  kommunalen 
Organisation  festgesetzten  Preise: 

Für  1  Pud         Für  die  Tonne 
Rbl.  M. 

Weizenmehl  in  Partienverkauf   einfacher 

Mahlung  4.81  631,55 

Weizenmehl,  gebeuteltes  5,52  7^A>^6 

Zuschlag  für  Anlieferung   von  der  Eisen- 
bahnstation 25  Kop.  für  1  Pud.     =  32,80  M.  für  die  Tonne 
Zuschlag    für   Organisationskosten    10   bis 

15  Kop.  für  1  Pud     =  13,10  —  19,70  M.  für  die  Tonne 

Für  1  Pud         Für  die  Tonne 
Rbl.  M. 

Weizerimehl,  einfaches  5,20  682,55 

„  gebeuteltes  .  5»9«  777,05 

Roggenmehl,  einfaches  4,10  53^>15 

„  gebeuteltes  4,50  S90,6b 

Oelsämereien : 

Sonnenblumensamen  7—9.25  918,80    bis    1214,15 

Sonnen  blumensamenöl  3  2» —  4200,20 

Hanföl  32,—  4200,20 

Tschistopol,  5./18.  Mai.     Komzufnhren  gering. 

Für  1  Pud  Für  die  Tonne 

Rbl.  M. 

Roggen                                                               2,85  3oS,ib 

Hafer                                                                  2,4  0  315.— 
Pokrowik,  1./4.  Mai. 

Pererod  (bester  Weizen)                                  3,26  427.9« 

Roggen                                                             2,10  3oi»90 


389  - 


Jekatarinodar,  25.  April/8.  Mai. 

Festgesetzte  Preise  im  Kuban  gebiet:  Frei  Station  oder  Landestelle. 

Für  1  Pud  Für  die  Tonne 

Rbl. 
Hoggen  im  Naturagewicht  von  116  Sol. 
Weizen  (Winter-  u.  Sommervr.)  128     „ 
Hafer  im  Naturagewicht  von       70     „ 
Oerste  im  Gewicht  von  94     „ 

Hirse 

Für  höheres  oder  niedrigeres  Naturagewicht  bei  Roggen,  Weizen,  Gerste  und 
Hafer  werden  V/.^  Kop.  für  das  Solotnik  zugeschlagen  oder  abgezogen. 

Homel,  2./15.  Mai. 
Freie  Station  oder  Landungsstelle  sind  folgende  Preise  festgesetzt: 


Rbl. 

M. 

2,2s 

292,70 

3,04 

393  — 

2,40 

315  — 

1,90 

249,40 

2,55 

334,70 

Für  1  Pud 

Für  die  Tonne 

Rbl. 

M. 

Roggen  Gew.  115  Solotnik 

2,65 

347,85 

Weizen       »      126 

3,35 

439,7  0 

Hafer          „        72 

2,65 

347,85 

Gerste         „        97          „ 

2,35 

308,45 

Buchweizen 

3»35 

439,70 

Erbsen 

3,30 

433,15 

Rostoff  a.  Donn,  23  April/6. 

Mai. 

Für  1  Pud 

Für  die  Tonne 

Rbl. 

M. 

Weizenmehl,  einfaches 

4,07 

534,20 

„            gebeuteltes 

4,74 

622,15 

Roggenmehl,  einfaches 

3,21 

421,35 

„             gebeuteltes 

3,61 

473,90 

Weizen-  und  Roggenkleie 

1,85 

177,15 

Bjeschezk,  4./17.  Mai. 

Flachs,  I.  Sorte 

25,— 

3281,45 

(Aus  der  „Torg.  Prom 

.  Gaz. 

'S  Nr.  93,  94  und  96.) 

in.  Indnstrie,  einschließlich  Bergbau  nnd  Bangewerbe. 

Inhalt:  1)  Bergbau:  Geschäftslage  im  Bergbau  während  des  Monats 
Juni  (nach  der  Berichterstattung  des  „Reichs- Arbeitsblattes"). 

2)  Eisengewerbe.  —  Metalle  und  Maschinen:  Beschäftigungsgrad  im 
Juni  (nach  dem  „Reichs-Arbeitsblatt"). 

1.  Bergbau. 

Im  Ruhrbezirk  gestaltete  sich  der  Abruf  von  Kohlen  und  Koks 
im  Monat  Juni  wieder  ebenso  lebhaft  wie  in  den  Vormonaten.  Es 
konnten  nicht  nur  alle  Erzeugnisse  glatt  abgesetzt  werden,  sondern 
auch  gestürzte  Mengen  von  Kohlen  und  Koks  weiterhin  zum  Versand 
gebracht  werden.  Der  Absatz  wird  sowohl  für  den  Wasserweg  als 
auch  für  die  Eisenbahn  als  recht  lebhaft  gekennzeichnet.  Es  wird  be- 
richtet, daß,  wie  im  Vormonat,  auch  im  Berichtsmonat  mit  üeberschichten 
gearbeitet  werden  mußte. 

Die  Aachener  Steinkohlenwerke  hatten  unverändert  gut 
zu  tun.  Auch  im  Vergleich  zum  Vorjahr  ist  keinerlei  Veränderung  zu 
melden.     Die  Löhne  haben  dauernd  steigende  Richtung. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXVT 


—    390     - 

Im  Saargebiet  war  die  Förderung  der  Kohlengruben  entsprechend 
der  etwas  geringeren  Arbeitszeit,  die  im  Berichtsmonat  zur  Verfügung 
stand,  ein    wenig  niedriger  als  im  Vormonat. 

Die  oberschlesischen  Steinkohlengruben  erfreuten  sich 
dauernd  lebhafter  Nachfrage  und  starker  Beschäftigung.  Eine  Aenderung 
gegen  den  Vormonat  ist  nicht  eingetreten,  wohl  aber  machte  sich  eine 
Steigerung  im  Vergleich  zum  Juni  1916  bemerkbar.  Die  Wagenge- 
stellung war  befriedigend,  so  daß  sich  die  Verladung  günstig  gestaltete. 

Aus  Niederschlesien  wird  vom  Steinkohlenbergbau  über  gleich 
befriedigende  Lage  wie  im  Mai  d.  J.  und  im  Juni  des  Vorjahrs 
berichtet.  Es  wird  angegeben,  daß  Lohnerhöhungen  vorgenommen 
worden  sind. 

Die  Zwickauer  und  Lugau-Oelsnitzer  Steinkohlen- 
werke bekunden  dem  Mai  gegenüber  wie  im  Vergleich  zum  Vorjahr 
eine  Steigerung  des  Geschäftsganges. 

Im  mitteldeutschen  Braunkohlenbergbau  war  die  Nach- 
frage nach  Preß-  und  Rohkohle  auch  im  Juni  eine  sehr  große.  Die 
Beschäftigung  der  Werke  wird  als  gut  geschildert  und  hervorgehoben, 
daß  teilweise  die  Förderung  noch  gesteigert  werden  konnte.  Lohner- 
höhungen sind  auch  hier  eingetreten. 

Die  Niederlausitzer  Brikettwerke  erreichten  im  Berichts- 
monat ungefähr  die  gleiche  Leistung  wie  im  Vormonat.  Gegenüber 
dem  Vorjahr  machte  sich  jedoch  eine  Abschwächung  geltend.  Ueber- 
arbeit   war   bisher    erforderlich.     Die  Löhne    sind   weiterhin   gestiegen. 

Die  Kaliindustrie  gibt  im  ganzen  eine  Verbesserung  zu  er- 
kennen, die  sich  sowohl  auf  den  Vormonat  wie  auf  das  Vorjahr  erstreckt. 
Die  Abrufe  werden  verschiedentlich  als  außerordentlich  stark  bezeichnet. 
Vereinzelt  wird  aber  dem  Vorjahr  gegenüber  keine  Steigerung,  sondern 
eine  Abschwächung  festgestellt.  Es  wird  zum  Teil  Ueberstundenarbeit 
gemeldet. 

Der  bayerische  Salzbergbau  und  Salinenbetrieb  bezeichnet 
auch  im  Berichtsmonat  die  Lage  als  normal. 

2.  Eisengewerbe.  —  Metalle  und  Maschinen. 

Für  die  Roheisenerzeugung  kennzeichnet  sich  die  Lage  im 
allgemeinen  als  unverändert. 

Die  Zinkhütten  waren  ausreichend  beschäftigt.  Gegenüber  dem 
Vormonat  und  dem  Vorjahr  waren  Veränderungen  nicht  zu  verzeichnen. 
Von  Blei-  und  Zinkerzgruben  wird  befriedigende  Lage  vermerkt. 

Die  Kupferwerke  hatten  ebenso  gut  wie  im  Vormonat  und  im 
Vorjahr  zu  tun. 

Die  Eisengießereien  Westdeutschlands  waren  im  Juni  eben- 
so gut,  teils  besser  beschäftigt  als  im  Mai  und  im  gleichen  Monat  des 
Vorjahres.  Fast  überall  mußte  mit  Ueberstunden  und  auch  Sonntags 
gearbeitet  werden.  Aus  Mittel-  und  Nordwestdeutschland  wird  derselbe 
günstige  Geschäftsgang  wie  im  Vormonat  berichtet;  im  Vergleich  zum 
Vorjahr  ist  eine  Verbesserung  eingetreten.     In  Sachsen  wird  eine    be- 


—    391     — 

friedigende  Geschäftslage  wie  im  Vormonat  gemeldet ;  im  Vergleich  zum 
Vorjahr  ist  ein  teils  besserer,  teils  schlechterer  Geschäftsgang  zu  ver- 
zeichnen. Die  Lage  in  Schlesien  und  Süddeutschland  ist  ebenso  gut 
wie  im  Vormonat,  im  Vergleich  zum  Vorjahr  ist  eine  nicht  unwesent- 
liche Besserung  zu  vermerken.  In  fast  allen  Bezirken  wurden  zum 
Teil  nicht  unerhebliche  Lohnerhöhungen  gemeldet. 

Die  Stahl-  und  Walzwerke  in  West- und  Norddeutsch- 
land sowie  in  Schlesien  hatten  teilweise  wesentlich  besseren  Geschäfts- 
gang als  im  Vormonat  und  im  Vorjahr  aufzuweisen.  Auch  wurde  viel- 
fach Ueberarbeit  geleistet.  Von  verschiedenen  Werken  wurden  Teue- 
rungszulagen gewährt;  auch  sind  erhebliche  Lohnerhöhungen  zu  ver- 
zeichnen. 

Die  Blechwalzwerke  sind  wie  im  Vormonat  und  im  Vorjahr 
anhaltend  stark  beschäftigt;  auch  hier  werden  Lohnsteigerungen  gemeldet. 

Bei  den  Röhrenwerken  herrschte  die  angespannteste  Tätig- 
keit, die  im  Vergleich  zum  Vorjahr  noch  eine  wesentliche  Steigerung 
aufzuweisen  hat.  Auch  hier  wurde  mit  Ueberstunden  gearbeitet;  Lohn- 
erhöhungen wurden  ebenfalls  berichtet. 

Die  Drahtindustrie  ist  wie  im  Vormonat  und  im  Vorjahr  voll 
beschäftigt.  Ueberstunden  wurden  gemeldet.  Auch  ftir  die  Herstellung 
von  Drahtstiften  und  Sohlennägeln  ist  die  Geschäftslage  die  gleiche  wie 
im  Vormonat  und  im  Vorjahr. 

Bei  der  Herstellung  von  Beleuchtungskörpern  herrschten 
die  gleichen  wenig  günstigen  Verhältnisse  wie  im  Vormonat. 

Die  Eisenmöbelfabriken  hatten  den  gleichen  Geschäftsgang 
wie  im  Vormonat.  Er  ist  im  Vergleich  zum  Vorjahr  etwas  gestiegen.  Ver- 
schiedentlich wird  von  Teuerungszulagen  berichtet. 

Bei  den  Eisen-  undMetallwarenfabrikenist  keine  wesent- 
liche Veränderung  zu  verzeichnen;  dasselbe  gilt  für  die  Kleineisen- 
industrie. 

Die  Edelmetallindustrie  hatte  im  Vergleich  zum  Vormonat 
denselben  guten  und  im  Vergleich  zum  Vorjahr  einen  wesentlich  günsti- 
geren  Geschäftsgang. 

Die  Maschinenbauanstalten  Westdeutschlands  hatten  im 
Juni  ebenso  rege  Beschäftigung  aufzuweisen  wie  in  den  Vormonaten. 
Für  Nordwestdeutschland  wird  die  Tätigkeit  als  unverändert  gut  ge- 
kennzeichnet. Im  Vergleich  zum  Vorjahr  machte  sich  keine  Veränderung 
bemerkbar.  Zum  Teil  war  Ueberstundenarbeit  erforderlich.  Mittel- 
deutsche Maschinenbaubetriebe  bekunden  ebenfalls  keinerlei  wesentliche 
Verschiebung  der  Verhältnisse.  Auch  hier  mußte  mit  Ueberstunden- 
arbeit bzw.  in  Tag-  und  Nachtschichten  gearbeitet  werden.  In  Sachsen 
war  wie  bisher  befriedigend  zu  tun,  in  Schlesien  gut  und  zum  Teil 
besser  als  im  Vorjahre.  Aus  Süddeutschland  wird  ebenso  guter  Ge- 
schäftsgang wie  im  Vormouat,  doch  bessere  und  bedeutend  stärkere 
Tätigkeit  als  im  Juni  des  Vorjahres  festgestellt.  Doppelschichtenarbeit 
bzw.  Ueberarbeit  war  auch  in  Süddeutschland  notwendig. 

Die  Dampfmaschinen-  und  Lokomotivbauanstalten 
vermerkten    dem    Vormonat    gegenüber    keine    wesentliche   Aenderung. 

XXVI* 


-     392     — 

Die  Lage   ist   auch   im  Vergleich    zum  Vorjahr  die   gleiche,    zum    Teil 
wird  sie  als  noch  günstiger  geschildert. 

Die  Dampfkessel-  und  Armaturenfabriken  lassen  für 
Westdeutschland  dieselbe  befriedigende  bzw.  gute  Beschäftigung  wie 
im  Vormonat  und  im  Vorjahr  erkennen.  Es  haben  zum  Teil  weitere 
Lohnerhöhungen  stattgefunden.  Für  Nordwestdeutschland  bewegte  sich 
die  Tätigkeit  in  denselben  Bahnen  wie  bisher.  Die  Beschäftigung  hielt 
sich  auch  auf  derselben  Höhe  wie  im  Vorjahr. 

Bei  den  Werkzeugmaschinenfabriken  hielt  die  starke  Be- 
schäftigung im  allgemeinen  an.  Vielfach  ist  dem  Vorjahr  gegenüber 
die  Beschäftigung  besser,  zum  Teil  wurden  die  Akkord-  wie  die  Stunden- 
löhne weiter  heraufgesetzt.  Es  wird  auch  berichtet,  daß  mit  Ueber- 
stunden  gearbeitet  werden  mußte. 

Die  Maschinenfabriken,  die  landwirtschaftliche  Maschinen 
herstellen,  hatten  ebenso  wie  im  Mai  gut  zu  tun.  Dem  Vorjahr  gegen- 
über ist  verschiedentlich  noch  eine  Erhöhung  der  Beschäftigung  her- 
vorgetreten. Die  Lohnsätze  weisen  auch  im  Berichtsmonat  eine  Auf- 
wärtsbewegung auf. 

Hinsichtlich  des  Baues  von  Verbrennungsmotoren  für  flüssige  und 
gasförmige  Brennstoffe  gestalteten  sich  die  Verhältnisse  ebenso  gut  wie 
im  Vormonat,  zum  Teil  sogar  noch  besser  als  im  Vorjahr. 

Die  Eisenkonstruktionen  und  Brückenbauten  über- 
nehmenden Betriebe  kennzeichnen  die  gute  Geschäftslage  dem  Vorjahr 
gegenüber  im  allgemeinen  als  besser,  zum  Teil  ist  dies  auch  im  Ver- 
gleich zum  Vormonat  der  Fall. 

Die  Maschinenfabriken  für  Hebezeuge,  Aufzüge,  Verlade- 
vorrichtungen u.  dgl.  melden  ebenso  starke  Beschäftigung  wie  im 
Mai.  Gegen  Juni  1916  verzeichnet  die  Mehrzahl  der  eingegangenen 
Berichte  eine  Steigerung  des  Geschäftsganges.  Für  Drahtseil verlade- 
anlagen  gilt  im  ganzen  das  gleiche.  Ueberarbeit  wird  auch  aus  diesem 
Gewerbezweige  berichtet. 

Die  Berg  Werksmaschinenfabriken  haben  eine  wesentliche 
Veränderung  ihrer  Tätigkeit  nicht  erfahren,  doch  wird  auch  hier  die 
Beschäftigung  von  den  eingegangenen  Berichten  dem  Vorjahr  gegen- 
über als  besser,  zum  Teil  als  wesentlich  besser  bezeichnet. 

Der  Maschinen-  und  Apparatebau  für  die  Zuckerin- 
dustrie hatte  ebenso  gut  wie  im  Vorjahr  und  im  Vormonat  zu  tun. 
Es  war  Ueberstundenarbeit  erforderlich.  Fabriken,  die  Maschinen  für 
die  Reis-  und  Haferindustrie  herstellen,  berichten  über  eine  Verbesserung 
der  Beschäftigung  dem  Mai  gegenüber.  Unverändert  gut  haben  die 
Fabriken  zu  tun,  die  Bäckereimaschinen  bzw.  Maschinen  für  die  Keks- 
iind  Zwiebackindustrie  herstellen.  Verschiedentlich  wird  auch  hier 
Ueberstundenarbeit  und  Gewährung  von  Lohnerhöhungen  gemeldet. 

Die  Werke  für  den  Bau  von  Dynamomaschinen,  Elektro- 
motoren und  Akkumulatoren  hatten  im  Juni  ebenso  rege  zu 
tun  wie  in  den  Vormonaten;  vereinzelt  wird  eine  Verbesserung  dem 
Mai  gegenüber  festgestellt.  Im  Vergleich  zum  Vorjahr  ist  zum  Teil 
eine  Steigerung  der  Tätigkeit  eingetreten.    Vielfach  mußten  Ueberstunden 


—    393    - 

und  Doppelschichten  zu  Hilfe  genommen  werden.  Auch  für  die  Her- 
stellung elektrotechnischer  Meßinstrumente  liegt  ebenso  guter  Bestellungs- 
eingang wie  im  Vormonat  vor,  während  der  des  Juni  1916  zum  Teil 
erheblich  übertroffen  wurde.  Die  Unternehmen  für  elektromedizinische 
Apparate  haben  über  keinerlei  wesentliche  Aenderung  gegen  den  Vor- 
monat zu  berichten. 

Für  die  Herstellung  von  Apparaten  für  die  elektrische 
Beleuchtung  ist  eine  erheblich  andere  Gestaltung  der  Verhältnisse 
nicht  zu  melden. 

Bezüglich  der  Einrichtung  elektrischer  Licht-  und 
Kraftanlagen  liegen  ebenso  befriedigende  Aufträge  wie  im  Vor- 
monat und  im  Vorjahr  vor.  Nur  vereinzelt  wird  dem  Vorjahr  gegen- 
über eine  kleine  Abschwächung  gemeldet.  In  einigen  Betrieben  haben 
Lohnerhöhungen  stattgefunden. 

Die  Kabelwerke  sind  ebenso  lebhaft  wie  im  Vormonat,  zum 
Teil  sogar  noch  besser  als  im  Vorjahr  beschäftigt.  In  verschiedenen 
Unternehmungen  wurden  Ueberstunden  und  Nachtschichten  geleistet. 
Lohnerhöhungen  haben  auch  hier  stattgefunden. 

rV.  Handel  und  Verkehr, 

Inhalt:  Auslandsverkehr  Hollands.  Künftige  englische  Handelspolitik.  Zoll- 
politik der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.  Wirtschaftslage  in  ßrasüien.  Außen- 
handel (Statistik)  Kanadas,  ßritisch-Indiens,  Marokkos,  Madagaskars,  Guatema- 
las und  Chinas.  Schiffahrt  Hollands.  Hafenverkehr  Genuas.  Schiffahrt  Chinas. 
Süddeutsche  Eisenbahn-  und  Wasserstraßenpolitik.  Hafenbaupläne  in  Wien. 
Verbindung  der  Schweiz  mit  Nordsee-  und  Mittelmeerhäfen. 

Dem  im  Juui  1917  erstatteten  Jahresbericht  (1916/17)  der  „Nieder- 
ländischen Bank"  in  Amsterdam  sind  folgende  Aeußerungen  über  die 
allgemeine  Wirtschaftslage  Hollands,  insbesonderes  einen  A u s - 
landsverkehr,  zu  entnehmen:  das  vergangene  Geschäftsjahr  stand 
naturgemäß  wieder  vollständig  unter  dem  Einfluß  des  Krieges.  In  den 
wenigen  neutralen  Ländern  häuften  sich  Sorgen  und  Schwierigkeiten, 
und  dies  nicht  zum  mindesten  in  Holland,  dessen  Wirtschaftsleben  in- 
folge seiner  geographischen  Lage  auf  internationalem  Verkehr  begründet 
ist.  Zu  erledigen  waren  drei  Hauptfragen,  gleichbedeutend  mit  eben- 
soviel schwer  zu  lösenden  Problemen :  Die  Verteidigungsfrage,  die 
Nahrungsmittel-  und  Eohstoffversorgung  und  die  Lage  am  Geldmarkte. 
Bei  letzterer  handelt  es  sich  hauptsächlich  um  den  Einanzverkehr  mit 
dem  Auslande,  das  Kreditwesen  und  in  engem  Zusammenhang  mit 
diesen  beiden  Punkten  um  die  Goldfrage.  Diese  Einanzprobleme  und 
vor  allem  auch  die  Volksernährung  und  Rohstoffversorgung  bereiteten 
schwere  Sorgen. 

Die  Niederlande  waren  genötigt,  andauernd  Waren  an  das  Ausland,  nament- 
lich an  die  kriegführenden  Mächte,  zu  liefern.  Obschon  diese  Waren  zum  Lebens- 
unterhalt dienen,  und  die  Lieferung  an  und  für  sich  eine  Handlung  friedlicher 
Natur  darstellte,  entstanden  sogar  darüber  Schwierigkeiten  als  Folgen  der  gegen- 
seitig von  den  Kriegführenden  befolgten  Aushungerungspolitik.  Daß  Holland 
die  Lieferungen  durchgesetzt  hat,  ist  nicht  lediglich  dem  damit  verbundenen  pe- 
kuniären Vorteil  zuzuschreiben ;  vielmehr  ist  daran  zu  denken,  daß  wir  zu  diesen 


—    394    — 

Lieferungen  gezwungen  wurden.  Einmal  galt  es,  einen  Absatz  für  die  heimischen 
Bodenprodukte  zu  sichern,  deren  Menge  den  heimischen  Bedarf  stark  übersteigt. 
Wir  konnten  nun  auch  vom  Auslände  Rohstoffe,  namentlich  Düngmittel  und 
Viehfutter  fordern,  um  Industrie  und  Landwirtschaft  im  Gange  zu  halten.  Anderer- 
seits war  ein  gewisser  Druck  unverkennbar.  Das  Ausland  bedurfte  unserer  Pro- 
dukte zum  eigenen  Verbrauch  und  wollte  es  als  eine  unfreundliche  Tat  ansehen, 
wenn  wir  die  Lieferungen  einstellen  würden;  man  drohte  mit  Verhinderung 
unserer  Einfuhren  von  Getreide,  Eisen,  Kohlen  usw.  Schließlich  wurde  die  Aus- 
fuhr unserer  Produkte  eine  Lebensfrage  für  uns. 

Mit  diesen  Lieferungen  waren  indessen  umfangreiche  finanzielle  Maßnahmen 
verknüpft.  Unsere  Einfuhren,  namentlich  die  aus  den  kriegführenden  Ländern, 
verringerten  sich  in  bedenklicher  Weise,  und  dadurch  wurden  die  Zahlungsver- 
pflichtungen des  Auslandes  uns  gegenüber  immer  bedeutender.  Eine  für  das 
Ausland  ungünstige  Beeinflussung  der  Wechselkurse  war  nunmehr  unvermeidlich, 
und  immer  dringender'  gestalteten  sich  die  Gesuche,  mit  Schuldverschreibungen 
anstatt  mit  Waren  oder  Geld  bezahlen  zu  dürfen.  Es  galt  daher  wiederholt,  neue 
Bedingungen  zu  vereinbaren,  um  dem  Auslande  die  Bezahlung  mittels  Kredit- 
papier zu  ermöglichen,  und  jedesmal  wurde  bei  diesen  Unterhandlungen  die  Nieder- 
ländische Bank  befragt,  da  sie  doch  schließlich  bereit  sein  müßte,  eventuell  das 
zu  schaffende  Kreditpapier  als  Liquiditätsmittel  zu  betrachten.  Das  Gemeinwohl 
stand  auf  dem  Spiel,  und  auf  die  Dauer  konnte  ein  Zweifel  nicht  mehr  darüber 
bestehen,  daß  die  Notenbank  während  des  Krieges  zu  vielen  Geschäften  mitwirken 
mußte,  denen  gegenüber  sie  sich  vor  dem  Kriege  wahrscheinlich  abweisend  ver- 
halten hätte.  Um  so  mehr  mußte  die  Bank  gegen  solche  Transaktionen  Beschwerde 
einlegen,  die,  wenn  auch  in  geringeren  Beträgen,  von  Instituten  jeder  Art,  ja  so- 
gar von  Privatpersonen,  unter  der  Hand  und  insgeheim,  ausschließlich  mit  der 
Aussicht  auf  pekuniäre  Vorteile,  die  vom  Ausland  reichlich  gewährt  wurden,  zum 
Abschluß  gelangten.  Wiederholt  hat  die  Bank  vor  solchen  alleinstehenden  Ab- 
schlüssen gewarnt.  Ist  doch  mit  ihrem  Zustandekommen  der  Nachteil  verknüpft, 
daß  die  Totalsumme  der  gewährten  Kredite  an  das  Ausland  sogar  für  die  momen- 
tanen bedeutenden  liquiden  Gelder  unseres  Landes  zu  groß  werden  könnte.  Außer- 
dem verhindert  die  Verbreitung  dieser  Kreditgewährung  die  Möglichkeit,  sie  mit 
Bedingungen  zu  verbinden,  die  für  unsere  Volkswirtschaft  und  sogar  für  unsere 
politischen  Beziehungen  zu  den  kriegführenden  Mächten  wichtig  sind. 

Die  Handelspolitik,  der  sich  England  während  des  Welt- 
kriegs zugewandt  hat,  und  an  der  es  voraussichtlich  auch  in  der  ersten 
Zeit  nach  Friedensschluß  festhalten  wird,  insbesondere  die  Gründung 
der  „British  Trade  Corporation"  (vgl.  oben  S.  262),  w4rd  in  einem  Ar- 
tikel des  Handelsteils  der  „Hamburger  Nachrichten"  (vom  15.  Juli  1917) 
folgendermaßen  gekennzeichnet :  „Man  mag  über  die  wirtschaftlichen 
Maßnahmen,  welche  die  Entente  und  namentlich  England  für  den 
Frieden  im  Auge  haben  und  vorbereiten,  denken,  wie  man  will, 
ein  Ding  ist  sicher,  nämlich  daß  unsere  Gegner  mit  einer  ganz  hervor- 
ragenden Gründlichkeit  und  Hartnäckigkeit  alle  Handhaben  suchen 
oder  zu  schaffen  suchen,  mit  denen  sie  den  deutschen  Handel  nach 
dem  Kriege  zu  untergraben  wie  die  wirtschaftliche  und  damit  auch 
politische  Wiedererstarkung  Deutschlands  im  Auslande  zu  verhindern 
trachten.  Nach  dem  Fehlschlagen  der  Pariser  Wirtschaftskon- 
ferenz ist  vielfach  in  Deutschland  die  gefährliche  Neigung  entstanden, 
die  gegen  den  deutschen  Handel  gerichteten  Pläne  Englands  gering 
einzuschätzen.  Dabei  ist  auch  heute  über  die  praktischen  Folgen  der 
Pariser  Wirtschaftskonferenz  noch  kein  abschließendes  Urteil  zu  fällen. 
Wenn  diese  Konferenz,  der  im  vorigen  Jahre  die  Wirtschaftskonferenz 
der  Verbündeten  in  Rom  folgte,  während  man  sich  zurzeit  in  England 


—    395    — 

mit  den  Vorbereitungen  der  dritten,  nach  London  einberufenen  Wirt- 
schaftskonferenz der  Entente  beschäftigt,  nicht  mit  dem  Erfolge  ab- 
schloß, den  ihre  Urheber  im  Auge  hatten,  so  lag  dies  hauptsächlich 
daran,  daß  ein  zu  großes  und  weitläufiges  Programm  zu  bearbeiten  war. 
Um  so  größere  Aufmerksamkeit  verdienen  dagegen  alle  Maßnahmen 
Englands,  wo  dieses  an  konkrete  Gebiete  herangeht  und  bestimmte  Or- 
ganisationen zu  schaffen  trachtet,  die  dem  deutschen  Handel  und  da- 
mit der  Gesamtheit  der  deutschen  Wirtschaftsinteressen  später  Abbruch 
tun  sollen.  Eine  derartige  Organisation  ist  die  von  englicher  Seite 
schon  seit  längerer  Zeit  vorbereitete  und  in  den  letzten  Tagen  erfolgte 
Gründung  der  British  Trade  Corporation,  die  mit  einem  Aktien- 
kapital von  10  Mill.  £,  also  200  Mill.  M.,  arbeiten  soll.  In  England 
hat  man  sich  zurzeit  zwei  Hauptaufgaben  gestellt:  Reorganisation 
der  englichen  Industrie  und  Reorganisation  des  eng- 
lichen Handels.  Die  während  des  Krieges  und  namentlich  seit 
Beginn  der  vorjährigen  Somme-Offensive  gemachten  Erfahrungen  schließen 
die  Tatsache  ein,  daß  man  das  Arbeits-  und  Reorganisationsvermögen 
Englands  nach  der  technisch-industriellen  Seite  hin  zu  niedrig  einge- 
schätzt hat;  eine  Erkenntnis,  die  zwar  keineswegs  zu  spät  gekommen 
ist,  jedoch  jedenfalls  zeigt,  daß  der  gefährlichste  Feind  Deutschlands 
alle  seine  Kräfte  anspannt  und  zähe  Entschlossenheit  an  den  Tag  legt, 
seine  Pläne  zu  verwirklichen.  Für  die  Reorganisation  seiner  Industrie 
hat  England,  getrieben  durch  den  Krieg,  bereits  äußerst  viel  getan, 
und  aus  dem  Studium  englicher  Zeitungen  und  Zeitschriften  gewinnt 
man  den  Eindruck,  daß,  was  die  Modernisierung  industrieller  Anlagen, 
die  Erfindung  neuer  und  Vervollkommnung  alter  Fabrikationsverfahren, 
die  Umgruppierung  von  Werken,  die  Schaffung  neuer  Anlagen  zur  Er- 
höhung der  Produktion  in  Eisen  und  Stahl,  die  Förderung  von  Kohle 
und  Erzen  anlangt,  es  tatsächlich  schon  auf  bedeutende  Leistungen  zu- 
rückblicken kann.  Aber  mit  der  technischen  Reorganisation  seiner  In- 
dustrie ist  es  England  nicht  allein  getan;  es  macht  heute  in  kauf- 
männischer Richtung  auch  den  Versuch,  sich  die  Absatzmärkte 
der  Welt  zu  sichern.  Daß  es  sich  bei  der  British  Trade  Corporation 
um  die  Gründung  derjenigen  Organisation  handelt,  welche  die  von  dem 
britischen  Handelsamt  eingesetzte  besondere  Studienkommission  in  ihrem 
im  März  d.  J.  veröffentlichten  Bericht  empfohlen  hatte. 

Die  British  Trade  Corporation  soll  in  erster  Linie  dem  englichen  Bedürfnis 
nach  langfristigeren  Handelskrediten  im  überseeischen  Auslande 
Rechnung  tragen.  Hieraus  ergibt  sich,  daß  die  Rolle  der  britischen  Uebersee- 
und  Kolonialbanken  nach  Ansicht  der  englichen  Handelskreise  offenbar  nicht  zur 
Durchführung  der  Absichten  genügt,  welche  die  Handelswelt  und  Industrie  Eng- 
lands im  Wettbewerbe  mit  der  deutschen  für  den  Frieden  vorhat.  Eine  der 
leitenden  Persönlichkeiten  Englands,  welche  die  BUdung  der  neuen  Handelsorga- 
nisation Englands  betrieben  haben,  ist  Sir  Albert  Stanley,  Präsident  des  Board  o 
Trade,  der  schon  auf  der  im  Frühjahr  abgehaltenen  Jahresversammlung  der  briti- 
schen Handelskammern  die  Grundzüge  der  jetzt  errichteten  British  Trade  Cor- 
poration kurz  darlegte.  Mit  Unterstützung  der  Regierung  geschaffen  und  mit 
besonderen  Privüegien  versehen,  soll  sie  „weder  das  Arbeitsgebiet  der  britischen 
Großbanken  noch  der  britischen  Kolonialbanken  berühren,  sondern  Handel  und 
Industrie  in  ihren  Bestrebungen  auf  dem  Auslandsmarkt  diejenige  Unterstützung 


—    30    — 

zuteil  werden  lassen,  zu  der  die  bestehenden  Banken  vielleicht  nicht  in  der  Lage 
sind".  Im  Aufsichtsrat  des  Verbandes  werden  Vertreter  der  Industrie  und  des 
Handels  sitzen,  wie  sich  überhaupt  seine  Leitung  aus  Männern  zusammensetzen 
soll,  die  bei  großer  Kenntnis  der  Auslandmärkte  m  erster  Linie  auch  in  den  ver- 
schiedenen Industriezweigen  bewandert  sind.  Ferner  soll  der  Corporation  ein 
„Informationsbureau"  angegliedert  werden,  das  neue  Pläne  betreffs  der  von  Handel 
und  Industrie  als  wünschenswert  bezeichneten  Krediterweiterung  ausarbeiten  soll. 
Im  Vordergrunde  aller  Fragen  soll  „die  Sicherung  der  Aufrechterhaltung  von 
Interessen  jener  britischen  Industrie  stehen,  hinsichtlich  deren  England  vor  dem 
Kriege  vielfach  von  feindlichen  Ländern  abhängig  war".  Durch  die  Beschlüsse 
der  Pariser  Wirtschaftskonferenz  habe  sich  England  verpflichtet,  diese  Abhängig- 
keit nach  dem  Kriege  nicht  weiter  in  die  Erscheinung  treten  zu  lassen. 

Nachdem  jetzt  die  wegen  der  British  Trade  Corporation  gehegten  Pläne  feste 
Form  angenommen  haben,  ergibt  sich,  daß  das  Programm  des  Vorsitzenden  des 
britischen  Board  of  Trade  in  nahezu  sämtlichen  Punkten  verwirklicht  worden  ist; 
in  einem  Punkte  jedoch  vorläufig  nicht.  Sir  Albert  Stanley  hatte  auf  der  Jahres- 
versammlung der  britischen  Handelskammern  seiner  üeberzeugung  Ausdruck  ge- 
feben,  daß  sich  die  bestehenden  Banken  Englands  und  der  Kolonien  dem  neuen 
Internehmen  sympathisch  gegenüberstellen  und  ihm  auch  ihre  Unterstützung 
zuteil  werden  lassen  würden.  Die  Debatten  im  Unterhause  zeigten  aber,  daß  die 
englischen  Banken  der  Trade  Corporation  keineswegs  besonders  sympathisch 
gegenüberstehen  und  allerlei,  hauptsächlich  auf  geschäitliche  Motive  persönlicher 
Natur  zurückzuführende  Bedenken  und  Beschwerden  geäußert  haben. 

Es  würde  im  Kahmen  dieses  Artikels  zu  weit  fülu-en,  die  finanztechnischen, 
mit  dem  Wesen  und  der  Geschäftstätigkeit  der  englischen  Banken  verbundenen 
Besonderheiten  zu  besprechen,  die  in  England  den  Kuf  nach  einem  Unternehmen, 
das  langfristige  Bjredite  zur  Unterstützung  des  englischen  Handels  gegen  den  in 
dieser  Richtung  bedeutend  besser  dastehenden  deutschen  Wettbewerb  ermöghchen 
soll,  aufkommen  ließen.  Es  genüge,  zu  sagen,  daß  in  England  Dreimonats-Kredit- 
wechsel,  in  Deutschland  keineswegs  zum  Diskont  verschmäht  und  nötigenfalls 
prolongiert,  nicht  besonders  gern  gesehen  waren.  Auch  scheint  es  in  England 
besonders  schwer  geworden  zu  sein,  industriellen  Kredit  zu  erhalten,  wenn  es 
sich  um  Fertigerzeugnisse  oder  Halbfabrikate  handelte,  die  keinen  festen  Markt 
haben. 

Zu  den  Statuten  der  Bank  ist  folgendes  zu  bemerken :  Das  Kapital  erscheint 
ungenügend,  um  wirklich  ausgebreitete  Kredite,  namentlich  langfristige  industrielle 
Kredite,  zu  gewähren  oder  für  längere  Zeit  in  industriellen  Betrieben  eine  Be- 
teiligung zu  nehmen.  Die  Bank  soll  keine  kurzfristigen  Depositengelder  an- 
nehmen. Sehr  verständig;  aber  wie  soU  sie  dann  an  die  nötigen  Betriebsmittel 
kommen?  Wird  sie  langfristige  Depositengelder  zu  erlangen  trachten  oder  von 
der  britischen  Regierung  garantierte  Obligationen  ausgeben?  Es  soll  vermieden 
werden,  das  Arbeitsfeld  der  englischen  Ueberseebanken  zu  durchkreuzen.  Wird 
sich  dies  in  der  Praxis  machen  lassen,  oder  ist  nicht  mit  der  Möglichkeit  zu 
rechnen,  daß  die  Banken  gute  Transaktionen  für  sich  behalten,  schlechte  jedoch 
der  Trade  Corporation  überlassen? 

Wie  dem  auch  sei  —  es  handelt  sich  hierbei  nur  um  Fragen,  die  unwillkür- 
lich auftauchen  — :  die  Bildung  der  British  Trade  Corporation  ist  jetzt  voll- 
zogene Tatsache.  Von  dem  Aktienkapital  von  10  Mill.  £  ist  1  Mill.  £  bereits 
unterderhand  untergebracht,  während  1  500  000  £  Anteile  zur  öffentlichen  Zeich- 
nung angeboten  werden.  Die  Zeichnung  der  auf  den  Namen  ausgestellten  Aktien 
ist  nur  Engländern  und  den  Vertretern  rein  englischer  Interessen  offengestellt. 
Das  Unternehmen  hat  seine  Konzession  für  60  Jahre  erhalten  und  das  Recht 
bekommen,  als  Agent  der  britischen  Regierung  aufzutreten,  obwohl  letztere  sich 
die  Möglichkeit  vorbehalten  hat,  nötigenfalls  auch  andere  Vertreter  anzuweisen. 
Die  Gesellschaft  muß  den  Zweck  verfolgen,  Handel  und  Industrie  Englands  und 
der  Kolonien  zu  entwickeln ;  wenn  sie  von  diesem  Wege  abweicht,  kann  ihre 
Konzession  eingezogen  werden.  Umfangreiche  Maßnahmen  sind  getroffen  worden, 
daß  das  Unternehmen  durch  Abretung  von  Aktien  unter  ausländische  Kontrolle 
kommen  könnte.  Die  Unterstützung  des  Unternehmens  seitens  der  Regierung 
selbst  „soU"  rein  moralischer  Art  sein,  und  die  Regierung  hat  sogar  zusagen 
müssen,   ihr  keine  Subsidien  oder  Garantien  in  irgendeiner  Form  zu  gewähren.* 


—    397  '  - 

Wie  das  „Scliweizerische  Handelsamtsblatt"  mitteilt,  sieht  eine 
am  23.  Mai  1917  vom  Abgeordneterihause  der  Vereinigten  Staaten 
von  Amerika  angenommene  und  an  den  Senat  zur  Behandlung  über- 
wiesene Finanzvorlage  unter  anderem  eine  allgemeine  Zollerhöhung 
um  10  V.  H.  vor.  Nach  der  Fassung  des  in  Betracht  kommenden 
Artikels  (der  Senat  dürfte  aber  noch  Aenderungen  treffen)  würde  der 
Zoll  auf  jetzt  schon  zollpflichtige  Waren  um  10  v.  H.  des  Wertes 
erhöht  (ohne  Rücksicht  darauf,  ob  der  jetzige  Zoll  ein  spezifischer  oder 
ein  Wertzoll  sei),  und  Waren,  die  jetzt  auf  der  Freiliste  stehen,  würden 
einem  Zolle  von   10  v.  H.  unterliegen. 

Eine  Ausnahme  soll  für  nachstehend  bezeichnete  Waren  gemacht  werden, 
die  auf  der  Freiliste  verbleiben  würden:  Gold-  und  Silberbarren,  Münzen  aus 
Gold,  Silber,  Kupfer  oder  anderem  Metall ;  Druckpapier  (§  567  des  gegenwärtigen 
Zolltarifs);  Platin  und  Platinerze;  Soda-Nitrat;  Holz-  und  anderer  Brei  für  Papier- 
fabrikation; Tiere,  die  zu  Zuchtzwecken  oder  zu  vorübergehendem  Aufenthalt 
eingeführt  werden;  wiedereingeführte  Waren  amerikanischen  Ursprunges;  Bücher 
Photographien  usw.  für  den  Gebrauch  amerikanischer  Behörden ;  Bücher  und 
Hausgerätschaften  usw.,  die  von  Einwanderern  mitgeführt  werden ;  Kohle,  Dünge- 
mittel, Zeitungen  und  Zeitschriften,  wissenschaftliche  Bücher  und  Geräte  für  den 
persönlichen  Gebrauch  von  Einwanderern;  Kleider  usw.  im  Besitze  von  Ein- 
wanderern. 

Die  erhöhten  Zölle  sollen  vom  Tage  des  Inkrafttretens  des  Gesetzes  ab  er- 
hoben werden. 

Ueber  die  Gestaltung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse 
in  Brasilien  unter  dem  Einfluß  des  Weltkrieges  (vgl.  Chronik  für 
1916,  S.  500)  wurde  im  Handelsteil  der  „Frankfurter  Zeitung"  (vom 
12.  Juni  1917)  folgendes  berichtet: 

Die  wirtschaftlichen  und  kulturellen  Beziehungen  Deutschlands  zu  dem 
großen  südamerikanischen  Staatenbunde  waren  (vor  dem  Kriege)  recht  lebhaft. 
Zahlreiche  Deutsche  haben  ihren  Wohnsitz  in  Brasüien,  große  Summen  deutschen 
Kapitals  sind  in  brasilianischen  Wertpapieren  angelegt,  und  die  deutsche  Schiff- 
fahrt und  der  deutsche  Handel  hatten  den  Tausch  verkehr  mit  Brasilien  seit  Jahr- 
zehnten eifrig  gepflegt. 

Unter  den  heutigen  Verhältnissen  erscheint  es  allerdings  tröstlich  für  uns, 
daß  von  deutscher  Seite  in  Brasilien  viel  weniger  Kapital  investiert  worden  ist, 
als  von  englischer  und  französischer.  Als  ein  noch  ziemlich  unentwickeltes  Land, 
dessen  große  Naturschätze  und  Produktivkräfte  erst  zu  einem  verhältnismäßig 
kleinen  Teil  zur  rationellen  Verwertung  gelangt  sind,  hat  Brasilien  seit  langer 
Zeit  bedeutende  Ansprüche  an  die  europäischen  Kapitalmärkte  gestellt,  und  der 
Bund  sowohl  wie  die  Einzelstaaten,  die  Kommunen,  die  Eisenbahnen  und  die 
vielen  sonstigen  Privatunternehmungen  wetteiferten  miteinander,  englische  und 
französische  Gelder  ins  Land  zu  ziehen,  die  in  diesem  weitausgedehnten  Gebiet, 
das  an  Größe  fast  den  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  gleichkommt,  die 
mannigfachsten  Anlagemöglichkeiten,  darunter  viele  von  höchst  zweifelhafter 
Solidität,  fand. 

In  der  ersten  Zeit  des  Weltkrieges  hatten  die  Gläubiger  Anlaß,  die  Ent- 
wicklung in  Brasilien  mit  ernster  Sorge  zu  betrachten.  Die  Finanzmis^re  zwang 
den  brasilianischen  Bund  wie  auch  einzelne  Gliedstaaten  zur  Einstellung  der  Zins- 
zahlungen, die  Kegierung  mußte  der  Geschäftswelt  mit  einem  Moratorium  zu  Hilfe 
kommen,  und  die  wirtschaftliche  Gesamtlage  er^ab  ein  unerfreuliches  Büd. 

Inzwischen  ist  drüben  in  mancher  Hinsicht  eine  Wendung  zum  Bessern 
eingetreten,  und  wenn  auch  die  Zollausfälle,  die  Verteuerung  der  Seefrachten,  die 
Steigerung  der  Kosten  der  Lebenshaltung  usw.  unangenehm  empfunden  wurden, 
so  hat  doch  Brasilien  aus  der  Kriegskonjunktur  auch  Vorteile  erlangt.  Die 
Ausfuhr  hat  sich  ungeachtet  vieler  Schwierigkeiten  wieder  belebt,  und  die  Preis- 
gestaltung für  einige  der  Hauptausfuhrartikel  besserte  sich  wesentlich.  Zum  Bei- 
spiel stellte  sich  der  Jahresdurchschnitt: 


398 


1914 

191E 

1916 

Papier 

Gold 

Papier 

Gold 

Papier 

Gold 

1 

1 

$ 

$ 

$ 

1 

Kaffee  pro  Sack 

40,017 

22,892 

35,263 

16,537 

44,502 

19,640 

Kakao           kg 

0,7 19 

0,4 17 

1,154 

0,6  3  4 

1,198 

0,528 

Tabak 

0,873 

0,514 

0,825 

0,880 

1,428 

0,640 

Baumwolle    „ 

0,9  60 

0,549 

1,000 

0,4  6  6 

2,086 

0,921 

Gummi           „ 

3,32P 

1,913 

3,652 

1,706 

4,802 

2,094 

Die  Nachfrage  auf  den  für  die  Ausfuhr  noch  offen  gebliebenen  Märkten  hat 
sich  teilweise  bemerkenswert  entwickelt.  Neue  Absatzgebiete  wurden  aufgesucht, 
besonders  auch  im  fernen  Osten.  Selbstverständlich  bedeutete  das  Fehlen  solch 
wichtiger  Abnehmer  wie  Deutschland,  Oesterreich-Ungarn  und  Belgien  einen 
fühlbaren  Ausfall.  Bezog  doch  Deutschland  in  der  Friedenszeit  im  Durchschnitt 
allein  für  etwa  160  MilL  M.  Brasilkaffee  und  für  rund  75  Mill.  M.  Kautschuk. 
Da  indes  nach  manchen  Waren  steigender  Begehr  aus  den  Ententeländern  sich 
geltend  machte  —  man  denke  nur  an  Kautschuk,  Zucker,  Gefrierfleisch  usw.  — 
weist  der  Export,  im  ganzen  genommen,  gebesserte  Ergebnisse  auf.  War  die  Aus- 
fuhr 1914  gegen  das  Vorjahr  um  rund  18  MiU.  £  zurückgegangen,  so  daß  sie 
nicht  mehr  als  46'/o  Mill.  £  betrug,  so  stieg  sie  1915  wieder  auf  53  Mill.  £,  also  um 
6V<>  Mill.  £,  und  1916  ergab  sich  eine  weitere  Zunahme  um  etwa  8  Mill.  £,  der 
freilich  eine  ungefähr  ebenso  starke  Zunahme  der  Einfuhr  gegenübersteht.  Die 
Steigerung  der  Wertbeträge  im  Außenhandel  ist  wesentlich  mitbedingt  durch  die 
höheren  Preise  vieler  Waren.  Der  Menge  nach  haben  sich  die  Umsätze  bei 
manchen  Waren  eher  verkleinert. 

Ueber  den  Auiienhandel  Kanadas  in  den  letzten  Jahren 
wurde  im  Handelsteil  der  „Frankfurter  Zeitung"  (vom  6.  Juni  1917) 
folgendes  geschrieben :  Es  ist  bekannt,  daß  Kanada  (im  verkleinerten 
Maßstab)  eine  ähnliche  Entwicklung  seines  Außenhandels  im  Kriege  zu  ver- 
zeichnen hat  wie  die  Vereinigten  Staaten.  Die  jetzt  vorliegenden  Ziffern  für 
das  am  31.  März  abgeschlossene  Rechnungsjahr  1916/17  bestätigen  das: 

(in  Mill.  $)         1911/12        1912/13       1913/14       1914/15       1915/16       1916/17 
Ausfuhr  310  382  479  491  742  1151 

Einfuhr         537 687 647 587 508 843 

Einfuhr  1  Ueber-   —  227  —  305  —  168  —  96  —  — 

Ausfuhr  j  schuß  —  —  —  —         +  234  +  306 

Interessant  ist,  daß  von  den  1151  Mill.  $  Ausfuhr  nicht  weniger  als  477 
(im  Vorjahr  nur  242)  Mill.  $  auf  Fabrikate  entfallen,  vermutlich  vor  allem  Kriegs- 
materialien ;  die  Agrarprodukte  stiegen  viel  weniger  —  von  250  auf  373  Mill,  $  — 
die  Ausfuhr  an  Tieren  unter  anderem  von  103  auf  128  Mill.  $.  Die  erhebliche 
Einfuhrsteigerung  kam  fast  ausschließlich  den  Vereinigten  Staaten  zugute. 

Der  „W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst"  veröffentlicht  (nach  dem  „Eco- 
nomist")  folgende  Angaben  über  den  Außenhandel  Kanadas: 


Einfuhr  (in  Mill.  $) 

1916,17 

1915/16 

1914/15 

Waren 

882,0 

529,0 

446,8 

Gold  und  Süber 

28,1 

34,1 

132,2 

Ausfuhr ; 

Erzeugnisse  aus 

Bergbau 

85,8 

67,5 

51,8 

Fischerei 

24,7 

22,5 

19,9 

Forstwirtschaft 

56.1 

51,« 

42,7 

Viehzucht 

128,2 

104,7 

75,8 

Landwirtschaft 

363,.^ 

264,3 

134,9 

Industrie 

496,7 

250,4 

94,5 

Verschiedenes 

6,4 

7,0 

0,8 

1161,4 

768,0 

420,4 

Wiederausfuhr 

28,8 

35.9 

53,9 

Gesamtausfuhr 

1 190,2 

803,» 

474,8 

Gold  und  Silber 

196,5 

98,7 

33,1 

—    399    — 

Für  die  Kalenderjahre  werden  folgende  Ziffern  angegeben  (in  Mill.  $) : 

1916  1915  1914 

Einfuhr                 788  463  494,5 

Ausfuhr              1122  632  299,:-) 

1910  1095  794,ü 

Ueber  den  Außenhandel  Britisch-Indiens  (vgl.  oben 
S.  264  f.)  veröffentlicht  der  „W.  N.  D.  Deutsche  Ueberseedienst"  nach 
englischen  Quellen  folgendes: 

„Eine  Uebersicht  des  indischen  Handels  im  Jahre  1915/16  ist  soeben  in 
Form  eines  Blaubuches  erschienen.  Es  wird  darin  ausgeführt,  daß  der  Handel 
in  diesem  Zeitraum  sich  den  Kriegs  Verhältnissen  erfolgreich  anpaßte,  und  daß 
ein,  wenn  auch  unsicherer,  Ausgleich  erzielt  wurde.  Das  Aufhören  der  Handels- 
beziehungen mit  den  feindlichen  Ländern,  die  Benachteiligung  des  Handels  mit 
Frankreich  und  Belgien,  die  Einschränkungen  in  den  Beziehungen  mit  den 
neutralen  Ländern  und  der  Mangel  an  Tonnage  dauern  weiter  an,  und  die  Not- 
wendigkeit des  Dazwischentretens  und  der  Kontrolle  der  Kegierung,  eine  Erb- 
schaft des  Vorjahres,  prägte  sich  noch  schärfer  aus.  Charakteristisch  für  das 
Berichtsjahr  war  die  Ausdehnung  im  Ausfuhrhandel,  die  sich  sehr  günstig  mit 
der  langsamen  Erholung  vergleicht,  die  die  Einfuhr  seit  dem  plötzlichen  Fadl  bei 
Ausbruch  der  Feindseligkeiten  erfahren  hat.  Die  gesamte  Ausfuhr  indischer 
Waren  während  des  Jahres  wird  mit  128  356  000  £  bewertet  gegen  118  323  000  £ 
in  den  vorangegangenen  12  Monaten,  eine  Zunahme  von  10  033  000  £.  Der  Wert 
der  Einfuhr  war  in  derselben  Periode  87  560  000  £  gegen  91  953  000  £  im  Jahre 
1914/15,  eine  Abnahme  von  4  393  000  £.  Hierbei  muß  aber  darauf  hingewiesen 
werden,  daß  der  indische  Außenhandel  von  der  allgemeinen  Wertveränderung 
beeinflußt  worden  ist;  um  den  wirklichen  Umfang  der  in  1915/16  getätigten  Ge- 
schäfte zu  schätzen,  sind  die  Werte  zu  den  Preisen  des  Vorjahres  nachträglich 
umgerechnet  worden.  Auf  dieser  Grundlage  erweist  es  sich,  daß  der  Betrag  der 
Einfuhr  um  13  631  000  £  gefallen  ist,  während  die  Steigerung  der  Durchschnitts- 
preise eine  Zunahme  von  9  238000  £  zuwege  brachte,  so  daß  die  Abnahme  auf 
4  393  000  £  verringert  wird,  mit  anderen  Worten,  die  Durchschnittseinfuhrpreise 
stiegen  um  12  Proz.,  und  der  Einfuhrbetrag  verminderte  sich  um  15  Proz.  Andrer- 
seits stieg  der  Ausfuhrbetrag  um  10878Ä)0  £,  während  das  Fallen  der  Durch- 
schnittspreise die  Zunahme  auf  10033  000  £  ermäßigte.  Das  heißt  also,  die 
durchschnittlichen  Ausfuhrpreise  fielen  um  0,7  Proz.  und  der  Ausfuhrbetrag 
stieg  um  9  Proz.  Der  Anteil  des  britischen  Eeiches  an  der  ganzen  Handels- 
bewegung betrug  über  60  Proz.  und  derjenige  der  fremden  Länder  nahe  40  Proz., 
hielt  sich  also  annähernd  auf  demselben  Niveau  wie  1914.  Verglichen  mit  dem 
letzten  Friedensjahr  1913/14,  hat  sich  der  Anteil  des  britischen  Kelches  um  nahe 
9  Proz.  gehoben.  Der  Anteü  des  Ver.  Königreiches  war  1915/16  dem  des  Ver- 
Jahres nsQiezu  gleich;  mit  46,6  Proz.  des  Gesamtbetrages  zeigt  er  eine  Zunahme 
von  6  Proz.  gegen  das  letzte  Friedensjahr  1913/14." 

Der  Handelsverkehr  in  den  Häfen  Marokkos  zeigte  in  den 
letzten  Jahren  nach  dem  „W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst"  folgende 
Entwicklung  (in  Mill.  frcs.) : 


Einfuhr 

1916 

1915 

1914 

Rabat 

32,2 

25,» 

18,9 

Kenitra 

14.0 

19,4 

3,9 

Fedala 

0,» 

0,6 

0,3 

Casablanca 

85,5 

59,9 

47,0 

Magazan 

16,5 

13,0 

11,0 

Saffi 

12,8 

11,9 

11,8 

Mogador 

i6,s 

13,5 

II, s 

Zusammen 

117,6 

H4,« 

104,» 

400 


A  U8f uhr 

1916 

1915 

1914 

Rabat 

3,3 

1,3 

1,6 

Kenitra 

1,1 

1,1 

— 

Fedala 

o,2 

0,8 

— 

Casablanca 

21,3 

17,6 

8,6 

Magazan 

21,5 

12,5 

5,2 

Saffi 

11,9 

8,8 

>»7 

Mogador 

8,5 

6,6 

4,ft 

Zusammen    67,8  48,7  21,8 

Nach  derselben  Quelle  hatte  der  AußenhaDdel  Madagaskar 
in  den  Jahren  1915  und  1916  folgenden  Umfang  (in  Mill.  frcs.): 


Einfuhr 
Ausfuhr 


1916 

102 

85 


1915 

44 
66 


Zus.    187 


HO 


lieber  den  Außenhandel  Guatemalas  (vgl.  oben  S.  266  f.) 
liegen  noch  folgende  Angaben  (in   1000  $  amerik.)  vor: 

1916  1915 

Einfuhr         8  539  6  001 

Ausfuhr        10638  II  567 

Zus.  19  177  17  568 

Nach  dem  „Board  of  Trade  Journal"  hatte  der  Außenhandel 
Chinas  (vgl.  Chronik  für  1916,  S.  5071)  in  den  Jahren  1914  und  1915 
folgenden  Umfang  (in  Haikwan  Taels)  ^) : 


19: 

15 

1914 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Einfuhr 

Ausfuhr 

(einschl. 

von 

(einschl. 

von 

Wieder- 

Landes- 

Wieder- 

Landes- 

ausfuhr) 

erzeugnissen 

ausfuhr) 

erzeugnissen 

Hk.  Taels 

Hk.  Taels 

Hk.  Taels 

Hk.  Taek 

Großbritannien 

71558735 

31  934621 

105  207  580 

22576781 

Hongkong 

148436  189 

104  169  938 

167993852 

94428571 

Britisch-Indien 

40753  iq6 

7  942  664 

39149254 

6776819 

Straits  Settlements  usw. 

5381386 

8  893  040 

7663720 

6968  519 

Australien,  Neuseeland  usw. 

767  704 

I  030832 

I  038  996 

497  069 

Südafrika  und  Mauritius 

15 

45252 

121 

36  274 

Kanada 

886  263 

I  465  226 

I  166  944 

794061 

Zus.  Brit.  Reich 

267  783  488 

155  481  573 

322  220467 

132078094 

Japan  (einschl.  Formosa) 

120  249  514 

77676817 

127  119  992 

64616059 

Ver.  Staaten  von  Amerika  (ein- 

schließlich Hawai) 

37  C43  449 

60579257 

41  231  654 

40213065 

Rußland  (einschl.  Sibirien) 

17  027  203 

59  398  648 

22275398 

43339313 

Deutschland 

160458 

85 

16696945 

12063327 

Belgien 

3  464  707 

17940243 

5  440  908 

Frankreich 

2430589 

30  470688 

4951471 

25  500  924 

Zus.  einschL  anderer  Länder  477  064  005       418  861  164       584  209  003       356  226  629 

Wie  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirt- 
schaft" (nach  einem  Bericht  des  deutschen  Generalkonsulats  in  Amster- 
dam) mitgeteilt  wurde,  bestand  die  niederländische  Dampf- 
schiffsflotte (einschließlich  der  Motorboote) 


1)  1  Haikwan  Tael  im  Jahre  1915  =  etwa  2,80  M.,  1914  =  2,79  M. 


—    40I     — 

am  31.  Dezember  1915  am  31.  Dezember  1916 

.       , ,     Nettogehalt  ,       , ,     Nettogehalt 

Anixahl                         °  Anzahl                         c 


ADzaui 

in  cbm^) 

ADzani 

in  cbm^) 

Dampfern 

345 

2051796 

349 

2  025  000 

Motorbooten 

15 

26259 

16 

27  000 

Schleppern 

52 

I  460 

57 

I  400 

Die  niederländische  Handelsflotte  hat  sich  also  auch  1916  nicht  weiter  ver- 
mehrt, sondern  ist  während  des  Krieges  ungefähr  gleich  groß  geblieben.  Der 
Grund  hierfür  liegt  vor  allem  in  den  zahlreichen  Verlusten  durch  Kriegsmolest. 
Diese  betrugen  1914  5  Dampfer  von  zusammen  11 000  Bruttotons,  1915  11  Dampfer 
Ton  31000  ßruttotons,  1916  24  Dampfer  von  70000  Bruttotons,  und  in  diesem 
Jahre  bis  zum  1.  Juni  1917  18  Dampfer  von  fast  60000  Bruttotons. 

Der  Schiffbau  war  zwar  sehr  rege,  hatte  aber  mit  großen  Schwierigkeiten 
zu  kämpfen,  namentlich  bezüglich  der  Beschaffung  von  Baumaterialien,  insbe- 
sondere Eisen  und  Stahl, 

Im  Bau  waren  auf  niederländischen  Werften  Ende  1913:  172  000,  1914: 
185  000,  1915:  406  000  und  1916:  440  000  Bruttotons. 

Außerdem  lagen  im  Ausland  für  niederländische  Rechnung  auf  Stapel  Ende 
1913:  104  000,  1914:  74000,  1915:  86  000,  und  1916:  74  000  Bruttotons. 

Es  handelt  sich  hierbei  fast  nur  um  Schiffe,  die  in  Großbritannien  gebaut 
werden. 

Bei  dem  allgemeinen  Mangel  an  Frachtraum  erschien  es  der  niederländischen 
Regierung  geboten,  sich  die  Verfügung  über  die  niederländischen  Schiffe  vorzu- 
behalten, um  dadurch  die  Zufuhr  von  Getreide,  Düngemitteln,  Rohstoffen  usw. 
öich^rzustellen.  Sie  erließ  daher  am  18.  März  1916  ein  Schiffsausfuhrgesetz,  das 
hr  die  Möglichkeit  gab,  die  Ausfahrt  eines  niederländischen  Schiffes  zu  ver- 
ihindern  oder  nur  unter  bestimmten  Bedingungen  zu  gestatten.  Dieses  Gesetz 
wies  jedoch  noch  insofern  eine  Lücke  auf,  als  es  nur  dann  zur  Anwendung 
kommen  konnte,  wenn  ein  niederländisches  Schiff  aus  einem  niederländischen 
Hafen  ausklariert  wurde.  Die  Reeder  konnten  sich  daher  den  Vorschriften  des 
(^esetzes  dadurch  entziehen,  daß  sie,  sofern  ihnen  der  von  der  Regierung  ge- 
botene Frachtsatz  nicht  lohnend  erschien,  entweder  ihre  Schiffe  überhaupt  nicht 
ausfahren  ließen  oder  sie  nur  zwischen  ausländischen  Häfen  hin  und  her 
befrachteten,  ohne  daß  sie  jemals  nach  den  Niederlanden  zurückkehrten.  Um 
diese  Lücke  auszufüllen,  brachte  die  Regierung  ein  Schiffseinforderungsgesetz  ein, 
das  nach  langen  Kämpfen  schließlich  am  11.  Februar  1917  Gesetzeskraft  erlangte. 
Ebenso  wurde,  um  düen  niederländischen  Schiffahrtsinteressen  angesichts  der  er- 
höhten Gefahr  eine  größere  Sicherheit  gegen  Sachschaden  zu  bieten,  das  bereits 
am  27.  Mai  1916  verkündete  Kriegsmolest- Versicherungsgesetz  am  9.  Februar  1917 
in  Kraft  gesetzt.  Ein  besonderes  Seeunfall- Versicherungsgesetz  vom  8.  Mai  1915 
war  schon  am  19.  Juli  1915  in  Kraft  getreten.  Dieses  Gesetz  bezog  sich  im 
Gegensatz  zu  dem  vorigen  nur  auf  die  von  Personen  erlittenen  Unfälle. 

Drei  weitere  für  die  niederländische  Schiffahrt  wichtige  Gesetze  wurden  am 
2.  Januar  1917  veröffentlicht.  Das  erste  betraf  die  Verbesserung  der  Fahrrinne 
von  Rotterdam  nach  Hoek  van  Holland,  das  zweite  den  Bau  einer  neuen  (dritten) 
Schleuse  in  Ymuiden  mit  einer  Tiefe  von  15  m,  sowie  eine  entsprechende  Aus- 
baggerung des  Nordseekanals  zwischen  Amsterdam  und  Ymuiden,  und  das  dritte 
den  Bau  neuer  Hafenanlagen  westlich  von  Amsterdam,  Diese  Pläne  sichern  den 
beiden  Plätzen  Amsterdam  und  Rotterdam  für  absehbare  Zeit  ihre  Stellung  als 
erstklassige  Welthäfen.  Ihre  Fertigstellung  wird  eine  Reihe  von  Jahren  bean- 
spruchen. 

Ueber  den  Ausbau  des  Hafens  von  Harlingen  (westlich  von  Emden)  sowie 
über  eine  bessere  Verbindung  des  Hafens  von  Dordrecht  mit  dem  Meere  schweben 
noch  Erwägungen, 

Die  niederländische  Schiffahrt  hatte  auch  1916  mit  großen  Schwierigkeiten 
seitens  Großbritanniens  zu  kämpfen.  Trotz  aller  Widerwärtigkeiten  waren  indes 
die  Gewinne  der  niederländischen   Schiffahrt  1916  durchschnittlich   noch  höher 


1)  Zur  Umrechnung  sei  bemerkt^  daß  eine  Registerton  2,83  obm  mißt. 


—    40-^    — 

als  1915.  Die  meisten  Linien  haben  glänzende  Geschäfte  gemacht.  Sie  konnten 
ohne  Aufnahme  neuer  Mittel  große  Neubauten  in  Auftrag  geben,  ihre  alten  Schiffe 
zum  Teil  abschreiben,  hohe  Kücklagen  für  unvorhergesehene  Verluste  und  für 
die  Kriegsgewinnsteuer  machen  und  schließlich  derartige  Dividenden  verteilen, 
daß  bei  manchen  Gesellschaften  die  Aktionäre  ihr  ganzes  Kapital  während  des 
Krieges  zurückgezahlt  erhalten  haben. 

Alles  in  allem  dürften  die  Jahre  1915  und  1916  für  die  niederländische 
Schiffahrt  einen  Höhepunkt  bedeuten,  den  das  Jahr  1917  wohl  nicht  mehr  er- 
reichen oder  gar  überschreiten  wird. 

Schiffsverkehr.    In  sämtlichen  niederländischen  Häfen  liefen  ein: 

1913  1916 

Dampfer  j^      .^Ino^n^^f         Anzahl      .^"!!S5f*^f 

in  1000  cbm  in  1000  cbm 

Niederländische  4043  12  921  2869  8849 

Deutsehe  3096  9  57°  84  177 

Britische  5177  15823  802  1374 

Französische  233  360  —  — 

Belgische  104  I99  8$  57^ 

Dänische  393  i  115  37  "4 

Norwegische  948  3  1 10  479  i  228 

Schwedische  931  3045  361  568 

Russische  190  885  l  8 

Rumänische  20  lOO  —  — 

Griechische  120  633  18  78 

Oesterreichisch- ungarische  137  9^8  2  12 

Italienische  54  336  —  — 

Spanische  308  i  43i  —  — 

Amerikanische         3 39 18 118 

Insgesamt  einschließlich 

anderer  15  793  50640  4759  13  "5 

Der  Dampferverkehr  ist  also  fast  auf  ein  Viertel  seines  Umfanges  vor  dem 
Kriege  zusammengeschrumpft. 

Von  Segelschiffen  liefen  ein  im  Jahre  1913:  1203  von  860000  cbm  und 
1916:  365  von  133  000  cbm. 

Die  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirtschaft"  teilen 
über  den  Hafen  verkehr  von  Genua  in  den  Jahren  1915  und  1916 
folgendes  mit: 

Der  Hafen  verkehr  von  Genua  im  Jahre  1916  weist  gegenüber  dem  Jahre 
1915  einen  sehr  erheblichen  Rückgang  auf.  Angekommen  sind  4337  Schiffe  (—  808), 
ausgelaufen  4398  Schiffe  (—674).  Der  Gesamtschiffsverkehr  beläuft  sich  auf 
8735,  d.  h.  1482  weniger  als  1915. 

Der  Nettotonnengehalt  betrug  bei  den  angekommenen  Schiffen  2  524  537 
Reg.-T.   (—740836)    und   bei   den    ausgelaufenen    5  533129    Reg.-T.    (—678  563). 

Mit  diesen  Schiffen  wurden  an  Waren  eingeführt  6865154  t,  ausgeführt 
808097  t.  Gegenüber  1915  erhöhte  sich  die  Einfuhr  um  314721 1;  die  Ausfuhr  ver- 
ringerte sich  um  99480  t. 

Die  Einfuhr  bestand  in  3193288  t  Kohlen  (+  482308)  und  in  3671866  t 
verschiedener  Waren  (—167  587). 

Die  für  Ausreisen  eingenommenen  Kohlenvorräte  beliefen  sich  auf  172  880  t 
(—198332). 

Im  Hafen  wurden  während  des  ganzen  Jahres  444041  Eisenbahnwagen  mit 
5903492  t  beladen  (gegenüber  1915  50010  Wagen  mit  781604  t  mehr). 

Außer  Kohle  wurden  weiter  eingeführt:  885705  t  Getreide  (—227542), 
218405  t  Baumwolle  (—147243),  37995  t  Jute  (—12403),  54440  t  Rohwolle 
(24889  weniger  als  1915,  aber  immer  noch  bedeutend  mehr  als  in  normalen  Zeiten), 
3175  t  Seide  (430  mehr  als  1915,  aber  gegen  normale  Zeiten  30  v.  H.  weniger) 
und  24478  t  Häute  (1915  wurde  die  doppdte  Menge  eingeführt). 


—    403     — 

Ueber  die  Schiffahrt  Chinas  in  den  letzten  Jahren  wurde 
in  dem   „Board  of  Trade  Journal"   folgendes  mitgeteilt : 

Der  Tonnengehalt  der  eio gelaufenen  und  ausklarierten  Dampfer  betrug 
84641227  t  und  zeigte  gegen  1914  eine  Abnahme  um  6485013  t.  Bei  Segelschiffen 
belief  sich  der  Tonnengehalt  auf  6021778  t;  er  zeigte  eine  Abnahme  um  836195  t. 
Die  genannten  Zahlen  umfassen  auch  den  Schiffsraum  der  chinesischen  Schiffe^ 
der  sich  auf  18655411  t  für  Dampfer  und  Segelschiffe  ausländischer  Bauart  und 
auf  5503  598  t  für  Dschunken  belief.  Während  des  ganzen  Jahres  was  das  An- 
gebot für  Frachten  nach  Auslandshäfen  größer,  als  durch  den  verfügbaren  Schiffs- 
raum aufgenommen  werden  konnte,  obgleich  sich  eine  gewisse  Anzahl  von  japa- 
nischen, norwegischen  und  chinesischen  Dampfern  von  dem  Küstenhandel  dem 
mehr  Gewinn  bringenden  Geschäfte  zugewendet  hatten.  Alle  Dampfer  an  der 
Küste  und  in  Binnengewässern  waren  voll  im  Betrieb,  und  die  Frachtsätze 
stiegen.  Die  Nachfrage  nach  Schiffsraum  für  Europa,  Amerika  und  Australien 
überstieg  bei  weitem  das  Angebot,  so  daß  der  Ausfuhrhandel  dadurch  sehr 
beeinträchtigt  wurde.  Amerikanischer  Schiffsraum  zeigte  eine  Abnahme  um 
etwa  200000  t,  britischer  eine  solche  um  etwa  1500000  t,  dänischer  um  24000  t^ 
französischer  um  337000  t,  japanischer  um  120000  t,  russischer  um  32000  t  und 
portugiesischer  eine  solche  um  150000  t;  die  österreichische  Flagge  verschwand 
vollständig,  und  der  deutsche  Schiffsraum  sank  von  4026493  auf  58263  t,  ver- 
treten durch  kleine  Dampfer,  die  auf  Binnengewässern  verkehrten.  Die  nieder- 
ländische Flagge  zeigte  eine  Zunahme  um  100000  t  und  die  schwedische  um 
29000  t.  Die  norwegische  und  chinesische  Flagge  hielten  sich  auf  ihrem  bisherigen 
Stande;  nur  war  eine  Abnahme  im. Dschunken  verkehr  festzustellen. 

Nach  einem  Berichte  der  „Frankfurter  Zeitung"  beriet  die  Ver- 
einigung südwestdeutscher  Handelskammern  am  16.  Juni  1917  in  Heidel- 
berg über  gemeinsame  Aufgaben  süddeutscher  Eisenbahn-  und 
Wasserstraßenpolitik.  Vertreten  waren  die  Handelskammertage 
von  Württemberg,  Baden,  Hessen,  Bayern,  ferner  die  Handelskammern 
Frankfurt  a.  Main  und  Wiesbaden,  insgesamt  28  Handelskammern. 
Einmütige  Zustimmung  fanden  die  folgenden  Leitsätze  des  Berichter- 
statters, Herrn  Dr.  Blaustein,  Mannheim: 

Ein  Haupterfordernis  für  den  wirtschaftlichen  Wiederaufbau  ist  die  Schaffung 
von  Verkehrs-  und  Arbeitsgelegenheiten.  Der  schleunige  Ausbau  des  mittel- 
europäischen Wasserstraßennetzes  ist  daher  dringend  notwendig.  Ge- 
meinsames Interesse  aller  Teile  Süddeutschlands  ist  die  wirtschaftliche  Erschließung 
der  einzelnen  Landesteile,  die  Ausnutzung  der  Wasserkräfte  in  Verbindung  mit 
der  Regulierung  und  Kanaüsierung  des  Rheines  und  seiner  Nebenflüsse,  die  Be- 
rücksichtigung der  süddeutschen  Wasserstraßenpläne  in  einem  einheitlichen  mittel- 
europäischen Wasserstraßenprogramm  in  mindestens  dem  gleichen  Maße  wie  die 
der  übrigen  Stromgebiete.  Es  liegt  im  Reichs-  und  Staatsinteresse,  daß  die  Kreise 
des  Wirtschaftslebens  bei  der  Planlegung  und  dem  Ausbau  der  Wasserstraßen  in 
jedem  Stadium  der  Verhandlungen  hinzugezogen  werden.  Aufgabe  des  Wirtschafts- 
ieb ens  ist  es,  nachzuweisen,  wie  ohne  übermäßige  finanzielle  Belastung  große, 
durchgehende  Wasserstraßen  auch  nebeneinander  möglich  sind,  da  schon  ihr 
Ausbau  allein  Arbeitsgelegenheit  in  reichem  Maße  für  die  verschiedensten  Ge- 
werbszweige zu  schaffen  geeignet  ist.  Nur  im  Zusammenwirken  von  Reich,  Einzel- 
staaten, den  Körperschaften  der  städtischen  und  wirtschaftlichen  Selbstverwaltung 
und  mit  wirtschaftlichen  Unternehmungen  kann  mit  Unterstützung  der  breitesten 
Oeffentlichkeit  das  große  Werk  gelingen.  Der  zwischen  den  einzelnen  Teilen  Süd- 
deutschlands und  den  einzelnen  vorhergenannten  Faktoren  noch  vorhandene 
Wettbewerb  ist  soweit  als  möglich  zurückzudämmen,  wobei  Wege  zu  suchen  und 
zum  Teil  schon  gefunden  sind,  um  die  verschiedenen  Interessen  ihrer  Bedeutung 
entsprechend  bei  Bau,  Verwaltung  und  Finanzierung  der  Wasserstraßen  zu  be- 
rücksichtigen. 

Der  Wettbewerb  der  Eisenbahnen  gegen  die  Wasserstraßen  ist  als  schäd- 
lich immer  mehr  erkannt  worden.    Sollte  zur  künftigen  Vermeidung  desselben. 


—    404    — 

eine  einheitliche  Verwaltung  von  Wasserstraßen  und  Eisenbahnen  im  Reich  oder 
in  den  Einzelstaaten  eingeführt  werden,  so  ist  im  Reich  eine  entsprechende  Be- 
rücksichtigung der  süddeutschen  Staaten,  in  jedem  Falle  eine  solche  des  süd- 
deutschen Wirtschaftslebens  in  der  Verwaltung,  nicht  nur  in  Beiräten,  zu  ver- 
langen. Beim  Wiederaufbau  des  Eisenbahnwesens  sind  alle  lediglich  unwirtschaft- 
lichem Wettbewerb  dienenden  Maßnahmen  zu  beseitigen.  Ehe  man  an  weitere 
Tariferhöhungen  herantritt  oder  die  im  Kriege  erfolgten  Tariferhöhungen  und 
Verkehrssteuern  dauernd  festlegt,  ist  eine  Prüfung  der  sowohl  bei  den  einzelnen 
Verwaltungen,  wie  im  gesamten  deutschen  Eisenbahnwesen,  durch  Vereinheit- 
lichung möglichen  ßetriebsvereinfachungen  und  -ersparnisse  notwendig. 

In  allen  Verkehrsfragen  von  grundlegender  Bedeutung  sind  Vertreter  des 
Wirtschaftslebens  nicht  mehr  wie  bisher  lediglich  mit  beratender  oder  gar  nach- 
träglich genehmigender  Stimme  zuzuziehen,  sondern,  damit  der  bürokratische  Be- 
trieb sich  die  Vorzüge  des  kaufmännischen  und  industriellen  Großbetriebes  nutz- 
bar machen  kann,  unmittelbar  an  der  Verwaltung  zu  beteiligen.  Eisenbahnen 
und  Binnenwasserstraßen  und  Seehäfen  sind  künftig  unter  dem  Gesichtspunkte 
gemeinsamer  größtmöglicher  wirtschaftlicher  Ausnutzung,  unter  Zurückdrängung 
vorhandener,  oft  sachlich  wenig  begründeter  Gegensätze  und  unter  Hinzuziehung 
der  beteiligten  Kreise  zu  bauen  und  zu  verwalten. 

Im  Anschluß  an  die  neuen  Donauschiffahrtspläne  werden  in  Wien 
großzügige  Hafenbauten  in  Aussicht  genommen,  über  die  das  „Neue 
V^iener  Journal"  Anfang  Juni  1917  folgendes  mitteilt:  Die  bereits  im 
einzelnen  ausgearbeiteten  Hafenprojekte  sollen  der  Stadt  Wien  die 
herrschende  Stellung  im  mitteleuropäischen  Verkehr  und  besonders  im 
Verkehr  nach  dem  Orient  sichern.  Das  erste  Projekt  besteht  darin, 
daß  die  Donaudampf  schiff  ahrts-Gesellschaft  auf  ihre  eigenen  Kosten  am 
rechten  Donauufer  beim  Praterspitz  einen  überaus  großen  Umschlag- 
hafen hauptsächlich  für  oberdeutsche  und  oberschlesische  Kohle  errichten 
wird,  die  insbesondere  nach  dem  Orient,  der  ihr  als  neues  Absatzgebiet 
an  Stelle  der  englischen  Kohle  eröffnet  werden  soll,  weiterbefördert 
wird.  Das  zweite  Projekt  betrifft  einen  von  der  Stadt  Wien  zu  er- 
bauenden neuen  Donauhafen  am  linken  Donauufer.  Voraussetzung  ist 
bei  beiden  Projekten,  daß  der  Donau-Oder-Kanal  nicht  bei  Laengenzers- 
dorf,  sondern  unterhalb  bei  den  neuen  Hafenanlagen  münden  soll.  Alle 
technischen  und  sonstigen  Voraussetzungen  für  die  Ausführung  der 
beiden  Projekte  sind  bereits  erledigt. 

Ueber  verschiedene  Pläne  zur  Schaffung  besserer  Verbindungen 
der  Schweiz  mit  Nordsee-  und  Mittelmeerhäfen  wird  in 
einem  Artikel  des  „W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst"  folgendes  mit- 
geteilt : 

Seit  einiger  Zeit  ist,  wenn  auch  unter  einschränkenden  Bedingungen,  die 
Rheinschiffahrt  zwischen  Straßburg  und  Basel  freigegeben  worden.  Wegen 
der  Kohlenersparnis  und  der  Entlastung  der  Bahnlinien  erwarten  maßgebende 
Kreise,  daß  die  Wasserstraße  sehr  benutzt  werden  wird.  Außer  den  Zufuhren 
aus  Deutschland  könnten  möglicherweise  auch  überseeische  Ladungen  diesen  Weg 
gebrauchen.  Die  holländischen  Häfen,  vor  allem  Rotterdam,  hätten  hier- 
von Nutzen,  vorausgesetzt,  daß  die  Nordsee  frei  bleibt  und  die  Verbündeten  keine 
Schwierigkeiten  machen.  Von  selten  der  Zentralmächte  wurde  bereits  bei  An- 
kündigung des  verschärften  U-Bootkrieges  zugesagt,  die  schweizerischen  Verkehrs- 
schwierigkeiten durch  Erleichterung  des  Transitverkehrs  über  den  Rhein  zu  mil- 
dern. Vor  dem  Kriege  fanden  die  schweizerischen  Zufuhren  über  Marseille  und 
Genua,  sowie  auch  über  Hamburg,  Rotterdam  und  Antwerpen  statt.  Die  beiden 
letzteren  verdrängten  nach  und  nach  die  Häfen  am  Mittelländischen  Meere. 
Während  des  Krieges  fielen  Hamburg  und  Antwerpen  aus,  während  Grenua  Hafen 


—    405    — 

und  Bahn  für  italienische  Zwecke  voll  benötigte.  Außer  Rotterdam  und  Mar- 
seille kamen  nunmehr  Cette,  Bordeaux  und  St.  Nazaire  in  Betracht.  Besonders 
Cette  wurde  von  der  französischen  Regierung  für  schweizerische  Zufuhren  zur 
Verfügung  gestellt  und  deshalb  auch  nicht  in  das  ßlockadegebiet  einbegriffen. 
Das  französische  Zugeständnis  ist  ungenügend;  denn  weder  die  Hafeneinrich- 
tungen von  Cette  noch  seine  Bahnverbindungen  sind  dem  schweizerischen  Durch- 
gangsverkehr gewachsen.  Aus  diesem  Grunde  dürften  auch  die  Schweizer  Zu- 
fuhren nur  augenblicklich  ihren  Weg  über  Frankreich  nehmen,  denn  nach  dem 
Kriege  wird  sich  der  Verkehr  über  die  Nordseehäfen  als  billiger  herausstellen. 
Aus  diesem  Grunde  wird  in  letzter  Zeit  von  französischer  Seite  dem  Plan  zur 
Schaffung  einer  schiffbaren  Wasserstraße  zwischen  der  Schweiz  und  dem  Mittel- 
ländischen Meer  viel  Beachtung  geschenkt.  Eine  französisch-schweizerische  Kom- 
mission trat  an  die  beiden  Regierungen  mit  der  Aufforderung  heran,  den  oberen 
Lauf  der  Rhone  so  zu  verbessern,  daß  Schiffe  von  600  t  in  voller  Sicherheit 
bis  Genf  verkehren  können.  In  der  Kommission  wurde  auch  die  Errichtung 
schweizerischer  Freigebiete  in  Lyon  und  Marseille  erwogen.  Gleichzeitig  mit 
diesem  Projekt  tauchten  andere  Pläne,  nur  die  Schweiz  betreffend,  auf.  Es  wurde 
z.  B.  vorgeschlagen,  eine  Wasserstraße  zwischen  dem  Genfer- See  und  den  In- 
dustriegebieten im  Nordosten  des  Landes  zu  schaffen.  Zu  diesem  Zweck  müßte 
ein  Kanal  zwischen  Genfer  und  Neuenburger-See,  der  sogenannte  Kanal 
„d'Entreroches",  gebaut  werden.  Der  Neuenburger-See  steht  bereits  jetzt  in  Ver- 
bindung mit  dem  nördlicher  gelegenen  Bieler-See.  Von  dort  aus  könnten  dann 
die  Güter  in  Zukunft  über  die  kanalisierte  Aar  und  den  Rhein  nach  dem 
Bodensee  gebracht  werden.  Gegenüber  dem  Rhöneplan  wird  von  deutscher 
Seite  viel  Propaganda  für  Schiffbarmachung  des  Rheins  zwischen  Basel  und  Kon- 
stanz gemacht.  Auch  von  schweizerischer  Seite  wird  der  Vorzug  dieses  Planes 
gewürdigt,  da  auf  diese  Weise  die  nördlichen  Kantone  eine  weniger  kostspielige 
und  umständliche  Verbindung  mit  dem  Meer  erhielten,  als  durch  das  Rhöneprojekt. 
Zu  beachten  ist,  daß  der  Baseler  Ingenieur  Gelpke,  der  das  deutsche  Projekt 
unterstützt,  in  den  Bundesrat  gewählt  wurde.  P.  Arndt. 


V.  Versicherungswesen. 

Inhalt:  1.  Privatversicherung.  Deutschland:  Die  Lebensversiche- 
rungsanstalten 1916.  Versicherungsschutzverband.  Kriegsvorsor^eversicherung. 
Kriegsmehrwertversicherung.  Ausland:  Elementarversicnerung  in  Oesterreich 
1917.  Ablehnung  des  Mobiliar- Feuerversicherungsmonopols  im  Kanton  Aargau. 
Die  englische  Seeversicherung  nach  dem  Krieg.  Erweiterung  der  amerikaniscnen 
Kriegsversicherung. 

2.  Sozialversicherung.  Deutschland:  Kampf  um  die  Selbständig- 
keit der  Angestellten  Versicherung.  Die  Angestellten  Versicherung  1916.  Städtische 
Arbeitslosenversicherung  in  Ludwigshafen.  Ausland:  Für  me  Beschleunigung 
der  Sozialversicherung  in  Oesterreich. 

1.  Privatversichernng. 

Ueber  das  Ergebnis  der  deutschen  Lebensversiche- 
rungsgesellschaften im  Jahre  1916  sind  dem  „Nationalökonom" 
folgende  Angaben  zu  entnehmen: 

Der  Weltkrieg  hat  die  deutschen  Lebens  Versicherungsgesellschaften  in 
ihrer  Entwicklung  wohl  unterbrochen,  aber  es  zeugt  für  deren  glänzende  Organi- 
sation und  für  das  Pflichtgefühl  der  deutschen  Familienväter,  daß  die  Abnäime 
des  Bestandes  sich  in  engsten  Grenzen  hielt.  Ende  1916  waren  für  157^  Mil- 
liarden M.  Kapitals  Versicherungen  in  Kraft,  nur  um  0,72  Proz.  weniger  als  im 
Vorjahre.  Wir  werden  in  einem  weiteren  Aufsatze  zeigen,  daß  auch  die  finan- 
zielle Kraft  der  Gesellschaften  nicht  geschädigt  wurde  und  die  Ausgaben  für 
vKriegssterbefälle  statutengemäß  ihre  Erledigung  finden. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXVII 


—    4o6    — 

Die  Entwicklung  der  letzten  Jahrzehnte  zeigen  folgende  Ziffenk 
in  Mark: 

Stand  am  Ende  Nettozuwachs 

des  Jahres  in  den  Jahren 

4311  510658  246178032 

7999956726  387549042 

13564872822  833172783 

16  191  057  666  798754840 

16  294  768  124  103710458 

15854568877  —440199247 

15732095640  —122473237 

Im  Jahre  1916  wurden  bei  50  Gesellschaften  neue  Versicherungen  in 
der  Höhe  von  618  Mill  M.  zum  Abschluß  gebracht,  und  am  Jahresschlüsse  ver- 
zeichneten die  50  Anstalten  einen  Bestand  von  ca.  12  MiU.  Policen  über  15  732,1 
Mill.  M.  Kapitals  Versicherungen,  wovon  ca.  8,9  Mill.  Policen  auf  die  Volksversiche- 
rung entfallen.  Die  bedeutenden  Erfolge  sind  um  so  wertvoller,  da  sie  mit  ver- 
hältnismäßig bescheidenen  Akquisitionskosten  verbunden  waren.  Außerdem  ent- 
hält unsere  Tabelle  für  116,85  Mill.  M.  Zeitungsabonnements-Todesfallversicherungen, 
welche  die  „Nürnberger  Leben"  abgeschlossen  hat.  Wir  führen  diese  Versiche- 
rungen separat,  da  es  keine  dauernden  Versicherungen  sind. 

Der  gesamte  Bestand  verteilte  sich  1916  auf  die  verschiedenen  Kom- 
binationen: 


Neue 

Abschlüsse 

1890 

425  599  445 

1900 

770275672 

1910 

1535  821  428 

1913 

I  734  109086 

1914 

I  260029  700 

1915 

527638487 

1916 

617  916  709 

Vers. -Summen 

(Jahresrenten) 

Ende  1916 

Nettozuwachs  in  den  Jahren 
1916                  1915              1914 

in  Tausenden  Mark 

Gemischte  Vers. 

II  394538 

—31  120          —235531 

251911 

Todesfallvers. 

I  878  467 

—57637             —44658 

—38  393 

Volksvers. 

I  841  980 

—3340          —100379 

—53  977 

Erlebensvers. 

617  III 

—30374            —59199 

-55831 

Kapitalsvers.  15732096  — 122  471 

Renten  vers.  1  ,      «  ^ 

Steigende  Rentenvers.  J 

Invaliditätsrentenvers.  45  000  ^)  — 294  ^) 


-440  63 1 
—701 
—510 


[  03  710 

+  32 

-897 


Von  dem  Kapitalsversicherungsbestan de  entfielen  Ende  1916  auf 
die  gewöhnlichen  Todesfallversicherungen  ca.  2  Milliarden,  wenn  man  in  Betracht 
zieht,  daß  einige  Gesellschaften  sie  nicht  separat  angeben.  Es  kommt  dem- 
zufolge auf  diese  Versicherungsform  nur  mehr  ca.  Vg  ^^^  Bestandes,  während  im 
Jahre  1800  noch  mehr  als  die  Hälfte  des  gesamten  Bestandes  darauf  entfiel. 
Gegenwärtig  wird  diese  Kombination  selten  gewählt.  Dagegen  weisen  die  ge- 
mischten Versicherungen  ungeachtet  der  großen  Fälligkeiten  einen  Rückgang  von 
nur  57,6  Mill.  im  Berichtsjahre  aus  und  schließen  mit  einem  Bestände  von 
11  394  MiU.  M.  Im  letzten  Jahrzehnt  stiegen  die  gemischten  Versicherungen  um 
rund  6  Milliarden  M.,  die  gewöhnlichen  Todesfallversicherungen  dagegen  haben 
um  rund  200  Mill.  abgenommen;  diese  Ziffern  zeigen  die  Beliebtheit,  deren  sich 
düe  gemischten  Versicherungen  erfreuen. 

Die  Sterbekassen  resp.  Volksversicherungen  zeigen  nur  ganz  ge- 
ringe Abnahme,  obgleich  infolge  des  Krieges  die  wirtschaftlich  Schwachen  in 
großer  Zahl  die  Versicherung  aufgeben  mußten.  Daß  die  Abnahme  nur  Ve  JProz. 
der  Versicherungssumme  beträgt,  zeugt  von  dem  großen  Wert  der  Volksversiche- 
rung für  die  Beteiligten. 

In  unserer  Tabelle  verzeichnen  bereits  36  Gesellschaften  Volksversicherungen, 
mehr  als  ^L  des  ganzen  Bestandes  entfallen  jedoch  auf  Victoria  und  Friedrich 
WUhelm,  bei  denen  Ende  1916  rund  6,43  Mül.  Policen  mit  1  229  056  000  M.  Volko- 
versicherungen  in  Kraft  waren. 

Die  Entwicklung  der  einzelnen  Versicherungsformen  seit  1882 
zeigen  folgende  Daten: 


1)  Daten  für  1914. 


407 


1916 

1910 

1900 
Millionen  Mark 

1890 

1882 

Todesfallvers. 

1878,5 

2098,3 

2274,7 

2215,1 

1933,6 

Gemischte  Vers. 

"394,5 

9011,7 

4124,7 

1446,0 

427,1 

Volksvers. 

I  842,0 

1628,6 

689,7 

128,1 

36,4 

Erlebens  vers. 

617,1 

826,2 

910,8 

522,3 

168,4 

Von  den  50  Lebens  Versicherungsgesellschaften,  welche  unsere  Tabelle  umfaßt» 
haben  nur  31  einen  Versicherungsstock  von  mehr  als  100  Mill.  M. 
und  bloß  20  Institute  weisen  mehr  als  7*  Milliarde  aus. 

Renten  versichern  13  gegenseitige  und  21  Aktiengesellschaften;  im  Jahre 
1916  wurden  neue  Jahresrenten  nur  in  geringem  Maße  abgeschlossen,  und  waren 
am  Jahresschlüsse  für  30  008  533  M.  Jahresrente  in  Kraft,  wovon  ca.  85  Proz.  auf 
fällige,  der  Rest  auf  aufgeschobene  und  steigende  Renten  entfallen.  Gegen  1915 
trat  eine  Verminderung  um  ca.  100000  M.  Jahresrente  ein. 

In  den  Renten  mit  bestimmtem  Jahresbezuge  sind  auch  die  steigenden  Ren- 
ten einbezogen,  welche  bei  den  Rentenanstalten  in  Berlin,  Darmstadt,  Karlsruhe 
und  Stuttgart  bestehen.  Obgleich  diese  4  Anstalten  seit  einer  Reihe  von  Jahren 
derartige  Renten  nicht  mehr  abschließen,  so  verzeichnen  sie  noch  immer  ca. 
44  000  Mitglieder,  die  1915  37,  Mill.  M.  an  Renten  bezogen  haben. 

Außer  den  hier  verzeichneten  Renten  waren  bei  14  Gesellschaften  1915  für 
45,3  Mill.  M.  invaliditätsversicherung  als  Zusatz  zur  Todesfallversicherung  vor- 
handen. 

Die  deutschen  öffentlich-rechtlichen  Lebensversicherungsan- 
stalten konnten  wir  in  unserer  Tabelle  nicht  berücksichtigen,  da  sie  uns  über 
den  Versicherungsbestand  keine  Mitteilung  machten.  Wir  lassen  hier  die  Daten 
folgen,  soweit  sie  uns  bisher  bekannt  wurden: 


Normalversicherung 

Volks  versieh  erung 

Policen 

Kapital 

Policen 

Kapital 

Ostpreußische 

2183 

24  755  202 

905 

598  167 

Westpreußische 

1371 

14  190380 

6714 

I  894615 

Posensche 

600 

3  767  258 

I  002 

709156 

Schlesische 

3  493 

19  133  989 

28055 

8025922 

Brandenburger 

1291 

9  097  250 

2145 

I  389381 

Pommern 

1749 

10  900  856 

2302 

1254069 

Nassau 

962 

4845376 

2995 

2  546  499 

Sachsen 

765 

4403574 

I  521 

I  133  421 

Rheinprovinz 

617 

3689576 

1882 

I  496  495 

Westfalen 

566 

4  360  720 

581 

482  726 

Verband 

1519 

7  977  807 

7484 

4  892  763 

15  n6 

108  121  988 

55586 

24423  214 

Ende  115  waren  bei  11  Provinzial-Lebensversicherungsinstituten,  ungeachtet 
des  Hochdruckes  ihrer  Anwerbung,  erst  15  116  größere  und  55  586  Volksversiche- 
rungen in  Kraft.    Die  Versicherungssummen  betragen   zusammen  108 121  988  M. 

Dem  Bericht  des  Deutschen  Versicherungs-Schutzver- 
b  an  des  über  das  Jahr  1916  ist  folgendes  zu  entnehmen:  Infolge  des 
Krieges  hat  die  Werbetätigkeit  im  abgelaufenen  Jahre  zum  größten 
Teil  stillgestanden,  dennoch  aber  konnte  der  Abgang  durch  Neu- 
erwerbungen fast  ausgeglichen  werden.  Die  von  dem  Verbände  schon 
in  den  beiden  ersten  Kriegsjahren  vertretene  Ansicht  von  der  Not- 
wendigkeit der  Loslösung  des  deutschen  Versicherungswesens  vom  Aus- 
lande bricht  sich  weiter  Bahn.  Dies  zeigt  sich  in  der  Gründung  neuer 
deutscher  Rückversicherungsgesellschaften,  die  bestimmt  sind,  die  bis- 
herige umfangreiche  ausländische  Rückversicherung  auszuschalten.  Das- 
selbe gilt    auch    von    der  nach  dem  Kriege  zu  erwartenden  gewaltigen 

XXVII* 


—    4o8    — 

Ausdehnung  der  Transportversicherung.  Es  muß  aber  auch  wieder- 
holt die  Erwartung  ausgesprochen  werden,  daß  sich  die  Ausschaltung 
des  ausländischen  Wettbewerbes  nicht  etwa  in  der  flichtung  einer  Er- 
schwerung von  Rückversicherungen  für  ringfreie  Versicherungsgesell- 
schaften geltend  machen  werde. 

Die  Landschaftliche  Brandkasse  Hannover  weist  auf  die  Not- 
wendigkeit einer  Kriegsvorsorgeversicherung  hin,  indem  sie 
ausführt : 

Infolge  des  Krieges  sind  bekanntlich  die  zur  Herstellung  von  Gebäuden  usw. 
dienenden  Materialien  sowie  Arbeitslöhne  usw.  so  erheblich  gestiegen,  daß  die 
Feuerversicherungssummen  in  den  allerseltensten  Fällen  noch  als  ausreichend  im 
Fall  eines  Brandes  angesehen  werden  können.  Diese  allgemeine  Preissteige- 
rung ist  auch  in  ganz  besonderem  Maße  für  Vieh  und  Erntefrüchte  eingetreten, 
so  daß  beispielsweise  der  Ertrag  eines  Morgens  Halmfrucht  an  Korn  und  Stroh, 
der  vielfach  noch  mit  120—150  M.  versichert  ist,  unter  den  heutigen  Verhältnissen 
um  das  Doppelte  berechnet  werden  muß.  Ebenso  sind  Pferde,  Rindvieh,  Schweine 
usw.  meistens  nur  zur  Hälfte  und  weniger  versichert.  Welche  unliebsamen 
Folgen  diese  Preisunterschiede  im  Fall  eines  Brandes  für  den  Versicherten 
haben  können,  liegt  klar  auf  der  Hand;  denn  er  muß  den  Schaden  für  den  nicht 
versicherten  Teil  des  Wertes  selbst  tragen,  und  dieser  kann  unter  den  heutigen 
Verhältnissen  sehr  bedeutend  sein.  Es  ist  daher  Pflicht  des  Versicherten  dafür 
Sorge  zu  tragen,  daß  die  Versicherungssumme  dem  Werte  am  Tage  des  Brandes 
einigermaßen  entspricht ;  der  Versicherte  hat  also  für  die  etwa  notwendige  Nach- 
versicherung zu  sorgen.  Diesem  Umstände  trägt  denn  auch  die  Landscnaftliche 
Brandkasse  Hannover  in  der  Weise  Rechnung,  daß  sie  sogenannte  Blriegsvorsorge- 
Versicherungen  abschließt,  die  sich  sowohl  auf  Gebäude  wie  auf  den  beweglichen 
Inhalt  derselben  beziehen.  Einer  förmlichen  Neueinschätzung  der  Gebäude  be- 
darf es  hierzu  nicht,  wie  auch  die  Aufnahme  eines  neuen  Antrags  auf  Mobiliar- 
versicherung nicht  nötig  ist.  Es  genügt  vielmehr  ein  einfacher  Antrag  auf  Ab- 
schluß einer  Vorsorgeversicherung  unter  Angabe  der  Höhe  in  Prozenten  von  der 
bestehenden  Hauptversicherung.  In  der  Regel  werden  solche  Versicherungen  in 
Höhe  von  20—30  Proz.,  und  zwar  auf  die  Dauer  eines  Jahres,  abgeschlossen. 

Bei  der  Berliner  Städtischen  Feuersozietät  hat  die  gleiche 
Frage  zu  Schwierigkeiten  geführt,  die  zu  lebhaften  Auseinandersetzungen 
in  der  Berliner  Presse  Anlaß  gaben.  Darüber  berichtet  die  „Vossische 
Zeitung''  nun,  wie  folgt: 

Nach  den  Satzungen  der  Städtischen  Feuersozietät  von  Berlin  ist  jeder  Ge- 
bäudebesitzer verpflichtet,  seine  im  Weichbilde  der  Gemeinde  Berlin  (nicht  Groß- 
Berlin)  gelegenen  Gebäude  gegen  Brandschaden  zu  versichern.  Der  Versicherungs- 
wert des  weitaus  größten  Teils  derselben  hat  jedoch  im  Verlauf  des  nunmehr  fast 
dreijährigen  Krieges  durch  erhebliche  Steigerung  der  Baumaterialien,  Arbeitslöhne 
usw.  eine  Erhöhung  erfahren,  die  in  den  vor  dem  Kriegsbeginn  festgesetzten  Ver- 
sicherungssummen nicht  enthalten  ist.  Das  heißt,  die  Gebäudebesitzer  sind 
nach  dem  jetzigen  Stand  der  Dinge  in  den  meisten  Fällen  zu  niedrig 
versichert,  wodurch  ihnen  im  Brandschadenfalle  erhebliche  Nachteile  erwachsen 
können.  Um  solchen  zu  begegnen,  wurde  schon  seit  einiger  Zeit  der  Wunsch  um 
allgemeine  Erhöhung  der  eingeschätzten  Versicherungssumme  laut.  Diesem  durch- 
aus berechtigten  Verlangen  konnte  die  Städtische  Feuersozietät  jedoch  nicht  nach- 
kommen, da  sie  sich  infolge  statutarischer  Bestimmungen  (§  17)  auf  neue  Schätzungen 
nur  dann  einlassen  kann,  wenn  seit  der  letzten  Schätzung  bereits  10  Jahre  ver- 
strichen oder  bauliche  Veränderungen  vorgenommen  worden  sind. 

Soll  Abhilfe  geschaffen  werden,  so  smd  Aenderungen  der  Satzungen  nötig. 
Solche  sind  auch  nunmehr  in  vollem  Gange.  Ende  März  d.  J.  wurde  vom  Stadt- 
verordnetenausschuß eine  dahin  gehende  Magistratsvorlage  angenommen,  die 
städtische   Deputation   für   die  Feuersozietät   anzuweisen,   daß  diese  bei  Brand- 


—    409    - 

schaden  während  der  Kriegsdauer  volle  Entschädigung,  d.  h.  eine  über  die  bei 
der  früheren  Ä.ufnahme  vorgenommene  Taxe  hinausgehende  Entchädigung  zahJe 
Dieser  Antrag  wurde  in  einer  weiteren  Beratung  danin  gehend  geändert,  daß  in- 
§  17  der  Satzungen  die  Bestimmung  aufgenommen  werde,  daß  für  den  Fall  einer 
außergewöhnlichen  Aenderung  der  Baukosten  auf  Antrag  der  Versicherten  auch 
vor  Ablauf  der  10-jährigen  Frist  eine  neue  Schätzung  vorgenommen  werden 
könne.  Naturgemäß  wird  von  diesem  Kecht  ein  großer  Teil  der  Berliner  Haus- 
besitzer Gebrauch  machen,  so  daß  zu  befürchten  ist,  daß  sich  bei  der  nach 
Hunderttausenden  zählenden  Zahl  der  Versicherten  die  entsprechenden  Geschäfte 
nicht  so  rasch  abwickeln  werden,  wie  gewünscht  wird.  Um  etwaigen,  damit  zu- 
sammenhängenden Mißständen  von  vornherein  zu  begegnen,  wurde  ferner  be- 
antragt, daß  bis  zur  Festsetzung  des  neuen  Schätzungsamtes  der  Versicherte  einen 
Zuschlag  von  SS*/«  Proz.  zu  dem  bisherigen  Jahresbeitrag  entrichten  könne,  wo- 
durch bewirkt  werde,  daß  die  Feuersozietät  bei  einem  Brandschaden  vor  durch- 
geführter Neuabschätzung  die  Zahlung  der  Entschädigung  nach  dem  zur  Zeit  des 
Brandes  maßgebenden  Preise  vornehmen  könne. 

Diese  Satzungsänderungen  versetzen  die  Berliner  Gebäudebesitzer  in  die 
Lage,  ihre  Bauten  nach  dem  Gegenwartswert  gegen  Brandschäden  zu  decken, 
bzw.  eine  entsprechende  Entschädigungssumme  zu'  erhalten.  Aehnliche,  im  In- 
teresse der  Hausbesitzer  liegende  Vorkehrungen  wurden  schon  vor  einiger  Zeit 
auch  in  Bayern,  Sachsen,  Lippe,  Hamburg,  Bremen  usw.  getroffen. 

Zu  den  Satzungen  der  Berliner  Feuersozietät  wurde  endlich  noch  die  Be- 
stimmung aufzunehmen  beantragt,  daß  während  des  Krieges  und  bis  Ende  des 
zweiten  Jahres  nach  Friedensschluß  die  Feuerschäden  nicht  nach  dem  Werte  der 
Aufnahme,  sondern  nach  dem  zur  Zeit  des  Brandschadens  vergütet  werden  sollten. 
Während  dieser  Antrag  ähnliches  wie  der  letzterwähnte  bezweckt,  kann  er  in 
dieser  rohen  Form  kaum  angenommen  werden,  da  er  den  im  Feuerversicherungs- 
wesen seit  Jahrzehnten  gepflegten  und  durch  Gesetz  gestützten  Uebungen  wider- 
spricht. Die  vom  „Verbände  der  öffentlichen  Feuerversicherungs-Anstalten  in 
Deutschland"  ausgearbeiteten  „Normativbedingungen"  (§  4)  sagen  z  B.  hierüber, 
daß  die  Gesellschaften  nur  für  den  Versicherungswert  der  Sachen  zur  Zeit  des 
Eintritts  des  Schadensfalles  bis  zur  Höhe  der  Versicherungssumme  haften.  Sollte 
somit  nicht  nur  vorübergehend,  sondern  auf  die  Dauer  Wandel  geschaffen  werden, 
so  wäre  nicht  nur  eine  Abänderung  der  Satzungen,  sondern  auch  eine  solche  der 
„Allgemeinen  Versicherungsbedingungen"  nötig,  wobei  zu  berücksichtigen  ist,  daß 
beide  der  Genehmigung  des  Ministers  des  Innern  bedürfen.  Einer  zweckmäßigen 
Aenderung  wird  eine  solche  jedoch  nicht  versagt  bleiben.  Im  Interesse  der 
Dringlichkeit  der  Frage  ist  eine  rasche  Erledigung  sehr  geboten.^. 

Ueber  den  Verlauf  des  Elementarversicherungsgeschäfts 
in  Oesterreich  1917  ist  zu  melden,  daß  der  Verlauf  des  Feuer- 
versicherungsgeschäftes in  den  verflossenen  5  Monaten  des 
laufenden  Jahres  sich,  wenn  man  das  Ganze  zusammenfaßt,  lange  nicht 
so  gut  gestaltet  hat,  wie  dies  im  verflossenen  Jahre  der  Fall  gewesen 
ist.  Orts-  und  einige  große  Fabriks-  und  Mühlenbrände  haben  die 
Aussichten  für  das  Jahr  1917  in  sehr  bedenklicher  Weise  verschlechtert. 
Dazu  kommt  noch  die  Einwirkung  der  anhaltenden  Hitze  und  Düne, 
welche  es  mit  sieht  bringt,  daß  von  allen  Seiten  größere  und  kleinere 
Brände  gemeldet  werden,  die  gewiß  nicht  geeignet  sind,  dns  Gesamt- 
situationsbild  aufzuhellen.  —  Was  die  Hagelkampagne  anbelangt, 
so  steht  die  Sache  in  einigen  Kronländern  und  auch  in  Ungarn  noch 
immer  gut;  dagegen  werden  aus  Niederösterreich,  Oberösterreich  und 
Salzburg  verheerende  Hagelwetter  gemeldet,  die  teilweise  aus  Bayern 
über  die  österreichische  Grenze  hereingebrochen  sind.  Die  von  diesen 
Wettern  hervorgerufenen  Schäden  waren  oft  so  ruinös,  das  sie  80  bis 
100  Proz.  der  Versicherungssumme  ausmachten. 


—    4IO      — 

Ueber  die  geplante  Vers  taatlichuiig  der  Mobiliar- Feuer- 
versicherung im  Kanton  Aargau  ist  „Wallmanns  Versicherungs- 
zeitschrift" folgendes  zu  entnehmen: 

In  der  Schweiz  hat  der  Eegierungerat  des  Kantons  Aargau  am  13.  Mai  1917 
dem  Volke  ein  Gesetz  über  die  Verstaatlichung  der  Mobiliarversicherung  zur  Ab- 
stimmung vorgelegt.  Der  Gesetzesentwurf  ist  in  der  vorberatenden  Be- 
hörde, dem  Großen  Rate,  wo  die  Verstaatlichungsfreunde  fast  ausschließlich  das 
Wort  führten,  beinahe  einstimmig  angenommen  und  dem  Volke  zur  Genehmigung 
empfohlen  worden.  Es  setzte  alsdann  eine  große  Pressecampagne  ein  zugunsten 
des  Gesetzes.  Bemerkenswert  war  dabei,  daß  kein  einziges  der  vielen  lokalen 
Tagesblätter  Einsendungen  gegen  die  Verstaatlichung  aufgenommen  hat.  Alle 
Blätter  schrieben  für  das  Monopol,  Der  Privatversicherung  war  somit  die  Presse 
vollkommen  verschlossen.  Das  einzige,  was  sie  tun  konnte  und  auch  getan  hat, 
war  die  Verbreitung  kurzer  Flugblätter,  die  sie  an  ihre  Versicherten  versandte 
und  in  denen  auf  die  Mängel  des  Monopols  —  Feuerpolizeichikanen,  Beamten- 
heer, teure  Verwaltung,  schöne  Verwaltungsgebäude,  hohe  Prämien,  gefährliches 
Unterfangen,  Klumpenrisiken  usw.  —  hingewiesen  worden  war.  Bei  der  Art  und 
Weise,  wie  das  Gesetz  vorbereitet,  dem  Volke  in  den  schönen  Farben  dargestellt 
und  der  Gegner  von  der  öffentlichen  Diskussion  ausgeschlossen  worden  war,  ist 
nun  höchst  bemerkenswert,  wie  die  Abstimmung  tatsächlich  ausgefallen  ist. 
Von  42  769  Stimmenden  wurden  1842  Stimmen  leer,  17  539  für  und  23  388  gegen 
die  Monopolanstalt  abgegeben.  Also  trotzdem  gegen  das  Monopol  in  den  Tages- 
zeitungen nicht  aufgetreten  werden  konnte,  erlitten  die  Verstaatlichungs- 
freunde durch  die  Mehrheit  des  Volkes  eine  glatte  Absage. 

Ueber  die  Lage  und  Aussichten  der  Seeversicherung 
in  England  ist  dem  Liverpooler  „Journal  of  Commerce"  folgendes  zu 
entnehmen : 

Nicht  weniger  als  einige  60  See  Versicherungsgesellschaften  sind  seit  Kriegs- 
ausbruch in  Europa  gegründet  worden.  Zwar  mag  bei  einer  größeren  Anzahl 
von  ihnen  lediglich  die  Firma  eingetragen  worden  sein,  ohne  daß  sie  tatsächlich 
Geschäfte  betreiben,  aber  mindestens  die  Hälfte  von  diesen  Gesellschaften  hat 
den  Betrieb  aufgenommen  und  strebt  nach  Neuabschlüssen.  Außerdem  haben 
eine  Anzahl  Gesellschaften,  welche  bisher  nur  andere  Versicherungszweige  be- 
trieben, die  Seeversicherung  neu  aufgenommen.  Während  des  Krieges  ist  nun 
zwar  für  alle  diese  Neugründungen  ausreichend  Platz  zur  Betätigung,  da  es  sich 
um  Kriegsrisiken  und  um  die  Versicherung  hoher  Werte  handelt.  Aber  was  soll 
werden,  wenn  der  Friede  wieder  im  Lande  ist  und  mit  ihm  die  Kriegsrisiko- 
prämien und  die  Versicherungen  abnorm  hoher  Werte  wieder  verschwinden? 
Natürlich  werden  die  neuen  Gesellschaften  die  ersten  sein,  welche  darunter  leiden, 
und  eine  Anzahl  von  ihnen  wird  möglicherweise  durch  Liquidation  oder  Fusion 
wieder  verschwinden.  Aber  sicherlich  wird  unter  den  übrigbleibenden  ein  starker 
Wettbewerb  einsetzen,  und  die  jetzt  vorhandenen  hohen  Prämiensätze  werden  auf 
einen  Tiefstand  herabsinken,  der  niedriger  ist  als  in  den  Jahren  vor  dem  Kriege. 
Sollten  da  die  britischen  Seeversicherer  und  die  Gesellschaften  nicht  das  Problem 
erörtern  und  rechtzeitige  Schritte  unternehmen? 

Der  zu  erwartende  scharfe  Wettbewerb  unter  den  See  Versicherern  nach 
dein  Kriege  kann  vielleicht  durch  folgende  Maßregeln,  die  empfehlenswert  er- 
scheinen, gemildert  werden: 

a)  Möglichst  weitgehende  Ausschaltung  des  Wettbewerbs  fremder 
Gesellschaften,  welche  jetzt  in  England  Geschäfte  betreiben.  Erreichung 
dieses  Ziels  durch  die  Forderung  einer  Sicherheitsleistung  von  mindestens 
20  000  £  für  alle  in  England  tätigen  ausländischen  See  Versicherungsanstalten. 
Dann  werden  die  meisten  von  der  Bildfläche  verschwinden. 

b)  Anwendung  des  Versicherungsgesetzes  von  1909  auf  die 
Seeversicherung.  Hierdurch  wird  erreicht,  daß  alle  nach  1909  gegründeten 
britischen  Seeversicherungsgesellschaften,  ebenso  wie  die  Lebens-,  Feuer-,  Unfall- 
und   Haftpflichtversicherungs-Gesellschaften   20  000   £  Kaution    stellen    müssen. 


—    411    - 

Auf  diese  Weise  werden  die  Gesellschaften  mit  kleinem  Kapital  zur  Einstellung 
des  Betriebes  gezwungen  werden  und  die  Neugründung  kleiner  Gesellschaften 
wird  unterbunden. 

c)  Vereinbarung  der  gemeinsamen  Durchführung  genau  ausgearbeiteter  voll- 
ständiger Tarife,  welche  für  alle  oder  möglichst  viele  See  Versicherer  obligatorisch 
zu  machen  sind.    Dieser  Vorschlag  ist  am  schwierigsten  durchführbar. 

Eine  Meldung  aus  Washington,  welche  „Journal  of  Commerce"  wieder- 
gibt, beschäftigt  sich  mit  der  Erweiterung  der  amerikanischen 
Kriegsversicherung,  und  zwar  soll  diese  dahin  ausgedehnt  werden, 
daß  auf  Grund  von  Beiträgen  der  Reeder  die  gesamte  Besatzung,  auch 
Offiziere  und  Kapitäne,  amerikanischer  Fahrzeuge,  welche  in  gefähr- 
deten Gewässern  verkehren,  eine  Versicherung  auf  den  Todesfall  sowie 
gegen  Unfälle  durch  Kriegsgefahr  erhalten  sollen.  Auch  sollen  sie  für 
den  Fall  der  Gefangennahme  Entschädigungen  erhalten.  Es  sollen 
ferner  Vorkehrungen  getroffen  werden,  daß  die  Kriegsversicherung  von 
Fahrzeugen  und  deren  Ladung,  welche  nach  Ländern  gehen,  die  sich 
im  Krieg  mit  Deutschland  befinden,  besser  geregelt  und  der  vorhandene 
Versicherungsmarkt  ausgebaut  wird,  die  Prämiensätze  sollen  gefestigt 
und  als  Folge  von  alledem  der  Außenhandel  der  Vereinigten  Staaten 
gefördert  werden.  Der  endgültige  Zweck  der  Gesetzesänderung  soll  in 
der  gegenseitigen  Rückversicherung  zwischen  Amerika  und  anderen 
A^erbündeten  Ländern  bestehen. 

Das  in  Amerika  eingerichtete  staatliche  Versicherungsbüro  hat 
inzwischen  eine  ungeheure  Ausdehnung  seines  Geschäftskreises  erfahren.  Bis 
zum  1.  Januar  1917  waren  hier  insgesamt  182  Mili.  $  versichert,  wofür  3,2  Mill.  $ 
Prämien  bezahlt  wurden.  Zwischen  1.  Januar  und  Ende  April  1917  hat  sich  die 
Versicherungssumme  auf  252,7  Mill.  $  erhöht,  wofür  4,5  Mill.  $  ^^rämien  bezahlt 
wurden.  Bis  zum  1.  Mai  waren  Verluste  bekannt  geworden  in  Höhe  von  3,6 
Mill.  $.  An  diesem  Tage  befanden  sich  unter  Deckung  166,9  Mill.  $.  Die 
Prämieneinnahme  des  April  1917  war  doppelt  so  hoch  wie  während  des  März 
1917,  und  die  Prämieneinnahme  während  dieser  Monate  März  und  April  über- 
schritten bei  weitem  die  gesamten  Prämieneinnahmen  für  die  ganze  Zeit  seit  Be- 
stehen des  Amtes  vom  2.  September  1914  bis  zum  1.  Januar  1917.  Im  März 
stellte  das  staatliche  Versicherungsbüro  384  Policen  aus,  die  eine  Prämieneinnahme 
von  1,3  Mill.  $  brachten,  im  Monat  April  aber  1047  Policen  mit  2,8  Mill.  $ 
Prämieneinnahme.  Bis  zum  1.  Mai  betrug  die  gesamte  Prämien  ein  nähme  7,8  Mill.  $. 
Die  Tätigkeit  des  Büros  nach  Inkrafttreten  der  beabsichtigten  Neuerung  ist  in 
der  Weise  gedacht,  daß,  wenn  beispielsweise  die  Vereinigten  Staaten  Waren  im 
Werte  von  20  Mill.  $,  die  eine  Hälfte  davon  auf  fünf  amerikanischen  Dampfern, 
die  andere  Hälfte  auf  fünf  italienischen  Dampfern   nach  Italien  verschiffen,   das 

fesamte  Risiko  zum  vollen  Betrag  für  die  Verschiffung  auf  den  italienischen 
)ampfern  von  der  italienischen  Regierung  und  für  die  Verschiffung  auf  den 
amerikanischen  Fahrzeugen  vom  amerikanischen  Kriegsversicherungsbüro  über- 
nommen wird.  Betrüge  der  Wert  auf  jedem  italienischen  oder  amerikanischen 
Schiff  2  Mill.  $,  so  würde  Amerika  10  Mill.  $  Versicherung  gewähren,  die  sich 
auf  fünf  verschiedene  Schiffe  verteilen.  Durch  Rückversicherung  aber  würde 
das  Maximum,  welches  die  amerikanische  Regierung  für  jedes  Schiff  übernimmt, 
auf  1  Mill.  $  beschränkt  werden.  Ebenso  würde  durch  Rückversicherung  die 
Haftung  der  italienischen  Regierung  vermindert  werden  können.  Was  die  Un- 
fallversicherung der  amerikanischen  Schiffsmannschaften  betrifft,  so  ist  darauf 
hinzuweisen,  daß  England  eine  ähnliche  Versicherung,  deren  Kosten  die  Reeder 
tragen,  bereits  besitzt  und  auch  die  norwegische  Regierung  einen  ähnlichen 
Zwangsversicherungsplan  ausgearbeitet  hat.  In  England  kommt  hinzu,  daß  auch 
noch  eine  Art  Staatspension  für  die  Schiffsmannschaften  besteht,  deren  Kosten 
aus  öffentlichen  Mitteln  bestritten  werden. 


412      — 


2.  Sozialversicherung. 

In  den  wissenschaftlichen  Zeitschriften  wie  in  den  politischen 
Tagesblättern  finden  sich  seit  einiger  Zeit  Erörterungen  für  und 
wider  die  Beibehaltung  der  selbständigen  Organi- 
sationen der  Angestelltenversicherung.  Die  Reichsver- 
sicherungsanstalt für  Angestellte  erläßt  folgende  Preßnotiz: 

Gegen  die  Zusammenlegung  der  Angestellten-  und  Invalidenversicherung 
hat  sich  der  Verwaltungsrat  der  Angestellten  Versicherung  in  seiner  letzten  Sitzung 
nach  eingehender  Beratung  ausgesprochen.  Mit  allen  gegen  eine  Stimme  wurde 
ein  Beschluß  angenommen,  worin  der  Verwaltungsrat  mit  Befriediguog  feststellt, 
daß  sich  die  Angestelltenversicherung  auch  während  des  Krieges  in  erfreulicher 
finanzieller  Entwicklung  befindet  und  sich  durchaus  bewährt  habe.  Der  Ver- 
waltungsrat lehnt  daher  mit  aller  Entschiedenheit  die  vor  kurzem  hervorgetretenen 
Bestrebungen  auf  Zusammenlegung  der  Angestellten-  und  der  Invalidenversiche- 
rung ab.  Derartige  Versuche  verdienten  schon  deshalb  scharfe  Zurückweisung, 
weil  ihre  Verwirklichung  zu  einer  sehr  erheblichen  Verschlechterung  der  Ver- 
sicherungsrechte und  Ansprüche  der  Angestellten  führen  würde.  Die  erstrebte 
Umwandlung  sei  ferner  aus  dem  Grunde  zu  verwerfen,  weil  sie  im  Hinblick  auf 
die  vorgeschrittene  Durchführung  des  An  gestellten  Versicherungsgesetzes  die  größten 
technischen  Schwierigkeiten  und  finanziellen  Schädigungen  mit  sich  bringen 
würde.  Das  Direktorium  der  Eeichsversicherungsanstalt  wurde  ersucht,  die  Ge- 
fährdung der  Angestelltenversicherung  durch  die  Bedrohung  ihrer  Selbständigkeit 
nachdrücklich  zu  bekämpfen  und  bei  den  gesetzgebenden  Körperschaften  gegen 
jeden  Zusammenlegungswunsch  Verwahrung  einzulegen. 

Demgegenüber  ist  hinzuweisen  auf  eine  in  der  „Zeitschrift  für  die 
gesamte  Versicherungswissenschaft"  erschienene  Darstellung  des  Ge- 
heimen Regierungsrats  Direktors  Dr.  Zacher. 

Dort  wird  einerseits  auf  das  Verfehlte  der  künstlichen  Bildung  eines  be- 
sonderen „Standes  der  Angestellten"  und  dessen  Herausnahme  aus  der  all- 
gemeinen Sozialversicherung,  ferner  auf  die  inneren  Schwierigkeiten  sowie  auf 
die  ungeheuren  Kosten  hingewiesen,  die  durch  diese  Sonderorganisation  erwachsen 
und  angesichts  der  starken  Verschuldung  des  Reichs  wie  der  kommenden  schwie- 
rigen Wirtschaftslage  doppelt  schwer  zu  ertragen  sein  werden.  Allein  für  da» 
auf  3000  Beamte  berechnete  Verwaltungsgebäude  sind  10  Mill.  M.  veranschlagt 
worden.  Schließlich  wird  von  dem  sachkundigen  Verfasser  die  schleunige 
Aufhebung  der  Reichsversicherungsanstalt,  die  üebertragung  ihrer 
Aufgaben  bezirksweise  auf  die  Träger  der  Invalidenversicherung,  die  Eingliederung 
des  Verfahrens  in  die  Organisationen  der  Reichsversicherungsordnung  und  der 
Uebergang  der  Aufsicht  über  die  Durchführung  der  Angestelltenversicherung  auf 
das  Reichsversicherungsamt  gefordert. 

Ueber  die  Ergebnisse  der  deutschen  Angestelltenver- 
sicherung im  Jahre  1916  ist  folgendes  mitzuteilen. 

Die  An  gestellten  Versicherung  erzielte  im  Jahre  eine  Beitragseinnahme  von 
110  Mill.  und  im  Jahre  1914  (die  höchste  bis  jetzt  erzielte  Einnahme)  132  MilL 
Die  Versicherung  gewährt  zurzeit  Renten  nur  in  Ausnahmefällen,  nämlich  dann, 
wenn  durch  erhebliche  Beitragsnachzahlungen  die  Wartezeit  abgekürzt  worden  ist. 
Die  hauptsächlichste  Leistung  der  Angestellten  Versicherung  ist  vorläufig  nur  das 
Heilverfahren.  Im  Jahre  1916  wurden  24179  Anträge  auf  üebernahme  solcher 
gestellt.  In  Wirklichkeit  wurden  16  804  Personen  einer  Heilbehandlung  unter- 
zogen (gegen  1020  im  Jahre  1915),  wodurch  87,  Mill.  M.  Kosten  entstanden.  In 
2303  Fällen  handelte  es  sich  um  Zuschüsse  zum  Zahnersatz.  Die  Versicherung 
gewährt  auch  Beihilfen  zur  „Berufsumlernung" ;  dahingehende  Anträge  gingen  87 
ein.    In  der  kurzen  Zeit  ihres  Bestehens  hat  die  Angestelltenversicherung  mit 


—    413    — 

ihren  knapp  zwei  Millionen  Versicherten  ein  Vermögen  von  annähernd  einer  halben 
Milliarde  Mark  zusammengebracht.  Die  ßeichsverßicherungßanstalt  für  Angeßtellte 
klagt  jetzt  sehr  über  mangelhaften  Eingang  aller  Beiträge  durch  die  Arbeitgeber. 
Es  sollen  schärfere  Maßnahmen  angewendet  werden. 

In  der  Stadt  Ludwigshafen  a.  Eh.  ist,  wie  „Der  Arbeitgeber" 
berichtet,  seit  April  eine  Arb  eitslos  en  Versicherung  eingeführt 
worden.  Der  Beitrag  ist  nicht  nach  Gefahrenklassen  abgestuft,  sondern 
nach  dem  jeweiligen  Verdienste.  10  Pfennige  in  der  Woche  zahlen 
Arbeiter,  Handlungsgehilfen,  Büroangestellte  u.  a.  mit  weniger  als  4  M. 
Tagesverdienst,  15  Pfennige  jene  mit  mehr  als  6  M.  Tagesverdienst, 
20  Pfennige  und  damit  den  Höchstsatz  Arbeiter  mit  mehr  als  7  M. 
Tagesverdienst.  Aufgenommen  werden  als  Mitglieder  der  Arbeitslosenver- 
sicherungsanstalt Personen  von  16 — 65  Jahren,  gleichgültig,  ob  männlichen 
oder  weiblichen  Geschlechts,  bis  zu  einem  Jahreseinkommen  von  3CC0  M. 
Die  tägliche  Leistung  der  Ludwigshafener  Arbeitslosenversicherungs- 
anstalt beträgt  bei  einjähriger  Wartezeit  1,80  M.  als  Mindestsatz  für 
die  ledigen  Mitglieder  bis  zu  2,70  M.  für  die  verheirateten  mit  Kindern ; 
bei  letzteren  kann  sie  bis  zu  3,24  M.  steigen.  Den  beitretenden  Kriegs- 
teilnehmern ist  eine  Erleichterung  geboten,  insofern  für  sie  die  Warte- 
zeit auf  ein  halbes  Jahr  herabgesetzt  ist.  Der  Begriff  „Arbeitslosig- 
keit" ist  festgelegt  als  „unfreiwilliger,  nicht  unmittelbar  durch  Er- 
füllung der  Wehrpflicht,  durch  Arbeitsunfähigkeit,  Ausstände,  Aus- 
sperrung oder  eigenes  Verschulden  verursachter  Mangel  an  Arbeit  und 
Verdienst".  Eine  Besonderheit  der  Ludwigshafener  Arbeitslosenver- 
sicherungsanstalt besteht  darin ,  daß  sie  auch  Kleingewerbetreibende 
gegen  Verdienstlosigkeit  versichern  will.  Beim  Kleingewerbetreibenden 
gelten  die  Voraussetzungen  für  eine  Unterstützuag  dann  als  gegeben, 
wenn  er  beim  städtischen  Arbeitsamte  vergeblich  um  Vermittlung  einer 
abhängigen  Stellung  nachgesucht  hat. 

Zwecks  Beschleunigung  der  Sozialversicherung  in 
Oesterreich  haben  die  deutschen  sozialdemokratischen 
Klubs  folgenden  Antrag  eingebracht: 

Die  entscheidenden  Veränderungen,  die  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  in 
Oesterreich  erfahren  haben  und  die  wohl  noch  lange  Zeit  nach  dem  Kriege  fort- 
wirken werden,  zwingen  zu  einer  Keihe  von  Aenderungen  im  Gefüge  des  Gesetz- 
entwurfes über  die  Sozialversicherung,  der  in  der  vorigen  Session  von  dem  per- 
manenten Versicherungsausschuß  beschlossen  worden  ist.  Andererseits  ist  die 
beschleunigte  Einbringung  und  rascheste  Erledigung  dieses  Gesetzwerkes  heute 
eine  noch  dringlichere  Staatsnotwendigkeit  geworden,  als  sie  es  schon  vor  dem 
Kriege  war. 

Es  wird  sohin  beantragt:  Die  Eegierung  wird  aufgefordert,  ungesäumt  eine 
beschleunigte  Umarbeitung  der  Vorlage  über  die  Sozialversicherung,  insbesondere 
in  folgenden  ßichtungen  vorzunehmen: 

1)  Bei  der  Krankenversicherung  ist  die  Ausdehnung  auf  die  bisher  noch 
nicht  einbezogenen  Kreise  der  arbeitenden  Bevölkerung  vorzunehmen.  Ueberdies 
sind  die  leistungsunfähigen  kleinen  Kassengebilde  zu  beseitigen  und  mit  den  be- 
stehenden Kassen  zu  vereinigen. 

2)  Für  die  Unfallversicherung:  Die  Höhe  der  ünfallsrenten  ist  dem  gegen- 
wärtig geminderten  Geldwert  anzupassen.  Ueberdies  ist  der  Kreis  der  der  Unfall- 
versicherung unterliegenden  Personen  wesentlich  auszudehnen. 

3)  Für  die  Invaliden-  und  Altersversicherung:  Hier  ist  eine  Trennung  der 
Eiskengemeinschaft  zwischen  Selbständigen  und  Unselbständigen  durchzufmiren. 


—    414    — 

Weiter  ist  eine  Aenderung  des  organisatorischen  Aufbaues  vorzunehmen.  Die 
Kenten  sind  den  gegenwärtigen  wirtschaftlichen  Verhältnissen  durch  eine  Er- 
höhung anzupassen. 

Endlich  ist  ein  Anschluß  der  Versorgungseinrichtungen  der  Kriegsinvaliden 
vorzusehen. 

Via.  Geld,  Kredit,  Währung. 

Inhalt:  1]  Der  internationale  Geldmarkt  und  die  Entwick- 
lung in  den  wichtigeren  Ländern  während  des  Monats  Juni. 

2)  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung,  a)  Banken  im  In- 
und  Auslande,  b)  Kreditwirtschaftliche  Maßnahmen  in  Deutschland 
und  den  besetzten  Gebieten  Belgiens,  Oesterreich  und  den  unter  österreichischer 
Militärverwaltung  stehenden  Gebieten  Serbiens,  Portugal,  c)  Bargeldloser 
Zahlungsverkehr  in  Deutschland  und  den  besetzten  Gebieten  Belgiens, 
Oesterreich.  d)  Börsenwesen  in  Deutschland,  Frankreich,  den  Niederlanden, 
Oesterreich-Ungarn.  e)  Währungs-  und  Notenbankwesen  in  Deutschland 
und  den  besetzten  Gebieten  Rußlands,  Luxemburg,  Oesterreich-Ungarn,  Portugal, 
Rußland,  der  Türkei,  Argentinien,  Brasilien. 

3)  Statistik.  Uebersicht  über  den  Stand  der  hauptsächlichen 
Notenbanken  und  der  Bankzinssätze. 

1.  Der  internationale  Geldmarkt  und  die  Entwicklung  in 
den  wichtigeren  Ländern  während  des  Monats  Juni, 

Am  internationalen  Geldmarkt  konnten  die  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika  gegenüber  den  Verbandsländern  ihre  Vormacht- 
stellung i)  weiter  verstärken.  Die  Geldsätze  von  New  York  be- 
herrschten nach  wie  vor  besonders  die  Lage  des  Londoner  Geld- 
marktes, und  man  war  sich  gerade  in  England  darüber  klar,  daß  die 
Lösung  der  immer  schwieriger  werdenden  Finanzfragen  der  Entente 
wesentlich  von  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  abhinge  2).  Auf 
der  anderen  Seite  wurden  allerdings  die  finanziellen  Kräfte  Amerikas 
durch  die  Unterstützung  der  Alliierten  ^)  und  infolge  der  eigenen  Kriegs- 
bedürfnisse bereits  erheblich  angespannt.  —  Neben  zahlreichen  Kredit- 
geschäften der  kriegführenden  Länder  untereinander  und  mit  neutralen 
mußte    zwecks    Ausgleichs    der    internationalen    Verpflichtungen*)    die 


1)  Vgl.  die  Aeußerungen  des  Gouverneurs  der  Bank  von  England,  Lord  Cunliffe 
(„Daily  Express"  vom  29.  Mai,  „Fin.  News"  vom  5.  Juni). 

2)  Vgl.  „The  Statist"  vom  23.  Juni,  S.  1218,  vom  30.  Juni,  und  die  interessanten 
Ausführungen  von  Professor  Cassel  im  „Svenska  Dagbl."  vom  31.  Juli. 

3)  Die  Vorschüsse  Amerikas  an  die  Verbündeten,  die,  wie  „Bankers*  Magazine" 
(Juni  1917,  S.  788)  ausführt,  nach  30  Jahren  rückzahlbar  sind,  während  der  Schuldner 
■das  Recht  hat,  sie  bereits  nach  15  Jahren  zu  tilgen,  beliefen  sich  Ende  Juni  auf 
1008  Mill.  $  (vgl.  „The  Statist"  vom  7.  Juli,  S.  3,  „Morning  Post"  vom  29.  Juni). 

4)  England  bekam  einen  Vorschuß  von  75  Mill.  $  von  Kanada  (vgl.  „Econ. 
Europ."  vom  29.  Juni),  die  Canada-Pacific-Eisenbahnges.  gewährte  außerdem  10  Mill.  $ 
<s.  „Köln.  Volkszeitung"  vom  5.  Juli),  dagegen  zahlte  England  den  am  20.  Juni  fälligen 
Kredit  amerikanischer  Banken  von  io  Mill.  £  zurück  (vgl.  „The  Statist"  vom  23.  Juni). 
—  Italien  und  Rußland  brachten  Schatzwechsel  in  London  unter.  —  Frank- 
reich nahm  eine  dreijährige  6-proz.  Schatzwechselanleihe  in  Japan  auf  über  50  Mill.  Yen 
zu  Pari  —  allerdings  erfolgt  die  Zahlung  mit  40  Proz.  erst  am  7.  Juli,  mit  60  Proz. 
am  10.  August  („The  Statist"  vom  23.  Juni,  S.  1235)  —  und  hatte  an  einem  der 
Paris-Lyon-M§d.-Eisenbahnges.  gewährten  Kredit  in  Höhe  von  3  Mill.  £  Anteil  (vgl. 
,,Econ.  Europ."  vom  15.  Juni). 


—    415    — 

Ausfuhr  von  Wertpapieren  i)  und  Gold  2)  fortgesetzt  werden,  ohne  daß 
eine  weitere  Verschlechterung  der  ausländischen  Wechselkurse 
immer  verhindert  worden  konnte.  Der  Kurssturz  des  Rubels  dauerte 
im  Berichtsmonat  an,  und  auch  der  Kurs  der  italienischen  Lira  mußte 
«erneut  nachgeben.  Während  die  englischen  und  französischen  Wechsel- 
kurse in  New  York  unverändert  blieben,  war  ihre  Entwicklung  —  ge- 
rade wie  die  der  amerikanischen  Währung  —  in  der  Schweiz  ^)^  in 
den  nordischen  Ländern,  besonders  aber  in  Spanien  (Aufgeld  gegenüber 
dem  Pfund  Sterling  25,2  Proz.,  dem  Franken  36  Proz.,  dem  Dollar 
bereits  Mitte  Juni  I8V4  Proz.)  wieder  recht  ungünstig.  In  Berlin 
brauchten  die  Wechselkurse  auf  das  neutrale  Ausland  in  Anpassung 
an  die  Auslandsnotierungen  während  des  Monats  Juni  nur  wenig 
heraufgesetzt  zu  werden.  In  Holland  konnte  der  durch  Baissespekula- 
tionen*) gedrückte  Markkurs  in  der  zweiten  Hälfte  des  Monats  —  an- 
scheinend unter  der  Einwirkung  der  Goldausfuhren  der  Reichsbank  — 
sich  etwas  erholen. 

Der  deutsche  Geldmarkt  zeigte  im  Juni  wie  in  den  Vor- 
monaten eine  große  Flüssigkeit,  die  gegen  Ende  des  Monats  namentlich 
infolge  von  Kriegsanleihezinszahlungen  noch  weiter  zunahm.  Die  Ein- 
zahlungen auf  die  6.  Kriegsanleihe,  deren  Ergebnis  einschließlich  der 
nachträglich  eingegangenen  Feld-  und  Ueberseezeichnungen  —  aber  ohne 
Berücksichtigung  von  492,6  Mill.  M  Konversionen  früherer  Anleihen  — 
endgültig  mit  13  122  069  600  M  bekannt  gegeben  wurde  5),  setzten  sich 
ohne  jede  Schwierigkeit  fort.  Am  30.  Juni  waren  bereits  12  633  Mill.  M 
gleich  96,3  Proz.,  voll  gezahlt.  Die  von  der  Reichsbank  seit  Anfang 
Juni  für  Zwecke  der  7.  Kriegsanleihe  zu  annähernd  den  gleichen  Be- 
dingungen (4^2  Proz.)  wie  vor  der  6.  Kriegsanleihe  ausgegebenen 
Reichsschatzanweisungen  waren  für  die  überreichlich  vorhandenen 
Mittel  eine  willkommene  Anlage. 

Der  Privatdiskont  hielt  sich  auf  dem  seit  Anfang  Juli  1916 
unveränderten  Stande  von  4^8  Proz.     Die  Sätze  für  tägliches  Geld 


1)  In  England  wurde  offenbar  von  einer  weiteren  Mobilisierung  ausländischer 
Wertpapiere  abgesehen  (vgl.  „Alg.  Handelsbl."  vom  10.  Juni). 

2)  Die  deutsche  Eeichsbank  zeigte  eine  Abnahme  des  Goldbestandes  von 
76,5  Mill.  M  (vgl.  dazu  „Information"  vom  30.  Juni).  —  England  hat  zur  Bezahlung 
russischer  Kupons  10  Mill.  hfl  Gold  nach  Holland  geschickt  (vgl.  „Econ.  Stat.  Ber." 
vom  27.  Juni)  und  außerdem  beträchtliche  Summen  nach  den  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika  ausführen  müssen,  die  im  Juni  einen  Goldzufluß  von  90  Mill.  $  aufwiesen 
(vgl.  „Daily  Telegraph"  vom  3.  Juli). 

3)  Die  Schweiz  legte  vom  26.  Juni  bis  4.  Juli  —  nach  zwei  5-proz.  Anleihen 
von  30  und  50  Mill.  frcs  und  vier  4V2-pi*oz.  zu  je  100  Mill.  frcs  —  die  VII.  4'/9-proz., 
nach  10  Jahren  rückzahlbare  Mobilisationsanleihe  über  100  MiU.  frcs  zu  96  Proz.  auf, 
die  ein  Zeichnungsergebnis  von  150,4  Mill.  frcs  erbrachte. 

4)  Vgl.  „Econ.  Stat.  Ber."  vom  27.  Juni. 

5)  Wie  der  Keichsbankpräsident  in  der  Zentralausschußsitzung  vom  29.  Juni  und 
der  Reichsschatzsekretär  in  der  Reichstagssitzung  vom  5.  Juli  ausführten,  wurden  ins- 
gesamt 7  063  347  Zeichnungen  abgegeben.  Die  Zeichnungssumme  setzt  sich,  wie  folgt, 
zusammen : 

Reichsanleihe,  Stücke  9  182  863  500  M 

„  ,  Schuldbucheintragungen  2  575  054  900  „ 

Reichsschatzanweisungen  i  364  151  200  „ 


—    4i6    — 

stellten  sich  im  Monatsdurchschnitt  mit  4,298  Proz.  etwas  niedriger  als 
im  Monat  Mai  (4,432  Proz.).  Für  Ultimogeld  wurden  5  Proz.,  am 
29.  Juni  6Y4  Proz.  bezahlt. 

Die  Ausweise  der  deutschen  Reichsbank  zeigten  im  Berichts- 
monat und  besonders  in  den  letzten  beiden  Wochen  im  Zusammenhang 
mit  den  sehr  großen  Anforderungen  zum  Halbjahrstermin  ein  starkes 
Anschwellen  der  Anlage,  das  indes  in  seiner  Wirkung  auf  den  Status 
der  Eeichsbank  durch  eine  beträchtliche  Vermehrung  der  fremden  Gelder 
zum  großen  Teil  wieder  ausgeglichen  wurde.  Die  Zunahme  des  Noten- 
umlaufs blieb  hinter  derjenigen  des  Juni  1916  um  100  Mill.  M  zurück; 
allerdings  war  im  Berichtsmonat  der  Bedarf  an  kleineren  Zahlungs- 
mitteln, den  die  Reichsbank  durch  Hergabe  von  Darlehnskassenscheinen 
aus  ihren  Beständen  befriedigen  mußte,  größer  als  vor  einem  Jahre» 
Während  der  Silberbestand  die  im  Vormonat  begonnene  Aufwftrts- 
bewegung  fortsetzen  konnte  (-j-  30  Mill.  M),  zeigte  der  Goldbestand  der 
Eeichsbank  i)  im  Ausweis  vom  23.  Juni  zum  ersten  Male  seit  Ausbruch 
des  Krieges,  wie  erwähnt,  eine  Abnahme,    und  zwar  um  76,5  Mill.  M. 

Der  englische  Geldmarkt  stand  wie  schon  vorher,  so  auch 
im  Berichtsmonat,  besonders  unter  dem  Einfluß  des  amerikanischen 
Geldmarktes  und  der  eigenen  Kriegsfinanzierung  2).  Es  herrschte  na- 
mentlich zu  Anfang  des  Monats  unter  der  Einwirkung  der  Zinszahlungen 
zeitweilig  eine  erhebliche  Geldflüssigkeit  vor;  sie  verschwand,  als  die 
Bank  von  England  größere  Summen  aus  dem  Markte  nahm,  und  ver- 
stärkte sich  wieder  beim  Herannahen  des  Termins  infolge  Nachlassen» 
des  Absatzes  von  Schatzwechseln.  Um  den  Verkauf  der  Kriegsschuld- 
verschreibungen zu  fördern,  war  die  Regierung  bemüht,  die  Marktzins- 
sätze möglichst  niedrig  zu  halten  ^) ;  doch  lief  sie  dabei  Gefahr,  die- 
Herrschaft  über  den  Geldmarkt  zu  verlieren*)  und  amerikanisches  Ka- 
pital zur  Abwanderung  zu  veranlassen  (vgl.  „The  Statist"  vom  16.  Juni, 
S.  1161).  Der  Verkauf  von  Schatzwechseln  im  Tenderverfahren  wurde 
Mitte  Juni  wieder  aufgegeben,  nachdem  er  schon  für  die  letzten  beiden 
Male  auf  je  25  Mill.  £  beschränkt  worden  war,  der  Verkauf  zur  festen 


1)  Der  Goldbestand  der  Reicbsbank  wurde  am  31.  Juli  1914  mit  1253  Mill.  M 
ausgewiesen;  er  stieg  bis  zum  15.  Juni  1917  in  ununterbrochener  Folge  bis  auf 
2533  Mill.  M. 

2)  Nach  „The  Econ."  vom  30.  Juni  entfielen  von  den  Gesamtemissionen  de» 
ersten  Halbjahres  im  Betrage  von  1047,2  Mill.  £  99,2  Proz.  auf  Regierungsanleihen. 
Von  dem  der  Industrie  usw.  zugebilligten  Emissionsbetrag  von  2,2  Mill.  £  rührte  der 
größte  Teil  von  der  Einzahlung  auf  die  „British  Trade  Corporation"  her.  —  Die  „Times" 
(vom  4.  Juni)  schrieben,  daß  sich  nach  der  Kriegsanleiheauflegung  eine  gewisse  Er- 
schöpfung an  verfügbaren  Kapitalien  zeige.  —  Nach  Bonar  Law  betrugen  die  täglichen 
Kriegskosten  von  April  bis  Anfang  Juni  7,884  Mill.  £  (vgl.  „Moming  Post"  vom  12.  Juni), 
für  die  letzten  3  Juniwochen  nach  „The  Statist"  (vom  7.  Juli,  S.  3)  9,842  Mill.  £. 

3)  Am  19.  Juni  ermäßigte  die  Bank  von  England  den  Depositensatz  für  Banken 
von  4  Proz.  auf  37^  Proz ,  für  Clearing- Banken  von  47,  Proz.  auf  4  Proz.  („The  Econ." 
vom  23.  Juni). 

4)  Trotz  Ermäßigung  der  Depositensätze  der  Bank  von  England  zogen  die  G^eld- 
leihsätze  in  London  an  (vgl.  „The  Statist"  vom  23.  Juni).  —  Die  Depositenbanken 
sahen  von  einer  Ermäßigung  ihres  Depositenzinssatzes  ab. 


—    417    — 

—  allerdings  auf  41/2  Proz.  ermäßigten  —  Rate  beibehalten  i).  Der 
Absatz  an  Schatzwechseln  blieb  ebenso  wie  die  Verkäufe  von  Exchequer 
Bonds  und  War  Saving  Certificates  2)  unbefriedigend  (vgl.  „The  Statist" 
vom  7.  Juli). 

Die  Schwankungen  des  Privatdiskontsatzes  hielten  sich 
wiederum  in  engen  Grenzen.  Im  Monatsdurchschnitt  stellte  sich  der 
Sata  mit  4,697  Proz.  um  eine  Kleinigkeit  niedriger  als  im  Vormonat 
(4,738  Proz.).  Der  Satz  für  tägliches  Geld  wurde  wesentlich  be- 
einflußt durch  Zahlungen  oder  Geldaufnahmen  der  Regierung.  Er  be- 
wegte sich  zwischen  b^j^  Proz.  und  4Y4  Proz. 

Der  Status  der  Bank  von  England  zeigte  eine  Abnahme 
der  sonstigen  Sicherheiten  um  fast  15  Mill.  £,  nebenher  eine  Steigerung 
der  privaten  Guthaben  um  5,6  Mill.  £,  während  den  Guthaben  der 
Regierung  entsprechende  Beträge  (18,3  Mill.  £)  entzogen  wurden. 
Bemerkenswert  ist  ferner  die  Stärkung  des  Barvorrats  um  2,4  Mill. 
£,  auf  57,5  Mill.  £,  den  höchsten  seit  Juli  1916  ausgewiesenen  Be- 
trag. —  Die  durch  das  weitere  Steigen  des  Umlaufs  von  currency 
notes  auf  161,7  Mill.  £  (am  27.  Juni)  beeinflußte  Inflation  wurde 
fortgesetzt  stark  kritisiert  (vgl.  „The  Econ."  vom  9.  und  23.  Juni). 

Am  Londoner  Silbermarkt  stieg  der  Silberpreis  infolge  der 
starken  Nachfrage  3)  von  neuem.  Der  Monatsdurchschnitt  stellte  sich 
auf  39,077  d  gegen  37,943  d  im  Mai. 

Die  Lage  des  französischen  Geldmarktes  zeigte  gegenüber 
den  Vormonaten  kaum  eine  Aenderung.  Die  Schwierigkeiten  des  De- 
visenproblems *)  und  der  inländischen  Kriegsfinanzierung  ^)  dauerten  an. 
Es  ist  bezeichnend,  daß  die  Regierung  sich  zu  einer  abermaligen  Ver- 
längerung des  Moratoriums  um  90  Tage  entschließen  mußte  (vgl.  „Econ. 
rran9."  vom  23.  Juni). 

Die  Vorschüsse  der  Bank  von  Frankreich  an  den  Staat  er- 
fuhren im  Berichtsmonate  eine  auffällig  geringe  Vermehrung  von  nur 
100  Mill.  frcs.    Demgegenüber  war  die  Zunahme  der  Vorschüsse  an  die 


1)  Um  den  Exchequer  Bonds  keine  Konkurrenz  zu  machen,  wurden  12-monatige 
Treasury  Bills  nicht  mehr  ausgegeben  (vgl.  „The  Econ."  vom  23.  Juni). 

2)  Nach  „Fin.  Times"  vom  25.  Juli  arbeiten  in  England  und  Wales  jetzt  35  473 
ßparvereinigungen  und  1459  Ausschüsse  für  den  Absatz  von  Kriegssparzertifikaten.  Es 
worden  verkauft  im  April  5,5,  im  Mai  4,4,  im  Juni  4,3  Mill.  £,  bis  Ende  Juni  ins- 
gesamt 109,4  Mill.  £,  und  zwar  26  Mill.  £  in  1  £- Stücken,  7,4  Mill.  £  zu  12  £, 
23  Mill.  £  zu  25  £,  25,4  Mill.  £  zu  26—499  £,  27,6  Mill.  £  zu  500  £. 

3)  Die  indische  Regierung  führte  im  letzten  Finanzjahr  mehr  als  die  Hälfte  der 
gesamten  Weltsilberproduktion  ein.  In  Indien  nahmen  infolge  des  zur  Verhinderung 
<ler  dort  üblichen  Goldaufspeicherungen  erlassenen  Goldeinfuhrverbots  offenbar  die  Silber- 
thesaurierungen  zu  (vgl.  „The  Econ."  v.  23.  Juni,  S.  1168,  und  „The  Statist"  v.  30.  Juni, 
S.  1280). 

4)  Die  Bank  von  Frankreich  traf  besondere  Erleichterungen  für  den  Verkauf  aus- 
ländischer Wertpapiere  (vgl.  „ficon.  Fran9."  v.  23.  Juni).  —  Da  die  Bank  die  Devisenab- 
gabe von  dem  Nachweis  über  die  Notwendigkeit  der  Einfuhr  abhängig  macht,  be- 
dangen die  am  freien  Markte  gehandelten  Devisen  nach  wie  vor  ein  geringeres  oder 
größeres  Aufgeld. 

5)  Die  Summe  der  Ausgaben,  welche  durch  Einnahmen  keine  Deckung  fanden, 
vergrößerte  sich  fortgesetzt  und  wurde  für  Ende  September  auf  mehr  als  18  Milliarden  frcs 
beziffert. 


—    4i8    — 

Verbündeten  i)  mit  150  Mill.  frcs,  des  Notenumlaufs  *)  mit  344  Mill.  frc» 
recht  beträchtlich. 

Für  die  befriedigende  Verfassung  des  österreichisch-ungari- 
schen Geldmarktes  legten  die  Zeichnungsergebnisse  der  6.  Kriegs- 
anleihe Zeugnis  ab;  die  gegen  Ende  Juni  geschlossenen  Zeichnungen 
erbrachten  für  Oesterreich  4,9,  für  Ungarn  2,5  Milliarden  K. 

Die  Lage  des  russischen  Geldmarktes  war  im  Monat  Juni 
unter  der  Einwirkung  der  Unsicherheit  der  politischen  Verhältnisse  un- 
verändert schlecht.  Mangels  genauerer  Nachrichten  sei  hier  auf  die 
Entwicklung  des  Standes  der  Russischen  Staatsbank  —  unter 
Ziffer  3.  —  und  auf  die  Erklärungen  des  Finanzministers  Schingarew 
verwiesen  („Econ.  Europ."  v.  13.  Juli,  S.  27),  nach  denen  sich  bei  der 
Staatsbank  die  Einlagen  verminderten,  bei  den  Sparkassen  allerdings 
vermehrten.  Die  Lage  der  Industrie  sei  schwierig,  da  die  Banken 
keinen  Kredit  mehr  gäben;  der  Staat  würde  zur  Unterstützung  der 
Industrie  einspringen.  Die  Steuern  gingen  schlecht  ein,  weil  es  an 
Erhebern  fehlte.  Bis  Ende  Juni  wären  auf  die  Freiheitsanleihe 
2478  Mill.  ßbl  gezeichnet  gewesen,  nämlich  bei  der  Staatsbank  757, 
bei  den  Handelsbanken  936  und  bei  den  Sparkassen  785  Mill.  Rbl. 

Am  amerikanischen  Geldmarkt  verursachten  namentlich 
die  ersten  Einzahlungen  auf  die  „Freiheitsanleihe" 3)  und  die  Auflegung 
einer  Roten-Kreuz-Anleihe  über  100  Mill.  $  trotz  der  zu  Anfang  des 
Monats  erfolgten  reichen  Zinszahlungen  und  trotz  der  Ueberwachung 
der  Kapitalübertragungen  nach  dem  neutralen  Auslande  („New  York 
Tribüne"  v.  5.  Juni)  eine  Geldknappheit,  die  den  Satz  für  tägliches 
Geld  bis  auf  6  Proz.  heraufschnellen  ließ  und  das  Schatzamt  veran- 
laßte,  den  Gegenwert  der  Anleiheeinzahlungen  alsbald  den  Banken  als 
Depositum  wieder  zur  Verfügung  zu  stellen  (vgl.  „Times"  vom  28.  Juli,_ 
ferner  „Bankers'  Magazine",  Juni,  S.  788). 

2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung*). 

a)  Banken  im  In-  und  Auslande. 

Es  wurden  übernommen  von  der  Allgemeinen  Deutschen  Credit- 
Anstalt,    Leipzig  (vgl.  Chr.  1916,  S.  777):    die   Oberlausitzer  Bank   zu 

1)  Durch  Gesetz  wurde  die  Regierung  zu  weiteren  Vorschüssen  an  die  Verbündeten 
und  befreundeten  Regierungen  im  Betrage  von  2,1  Milliarden  frcs  ermächtigt.  Bisher 
waren  3875  Mill.  frcs  bewilligt  worden  (vgl.  „Journ.  du  Lundi"  v.  2.  Juli). 

2)  Vgl.  die  Interpellation  Chastenet  im  Senat  (29.  Juni),  in  der  unter  Hinweis 
auf  das  deutsche  Beispiel  eine  kräftigere  Propaganda  zur  Einschränkung  des  Notenum- 
laufs gefordert  wurde.  An  Banknoten  sollen  in  Frankreich  9 — 10  Milliarden  frcs,  an 
Gold  2  Milliarden  frcs,  an  Silber  500  Mill.  frcs  thesauriert  sein.  In  einer  anscheinend 
offiziösen,  wenig  glücklichen  Gegenäußerung  des  „Journ.  des  Debats"  vom  2.  Juli  wird 
u.  a.  die  Meinung  vertreten,  daß  bei  einer  Würdigung  des  Notenumlaufs  der  Bank  von 
Frankreich  die  thesaurierten  Summen  außer  Ansatz  bleiben  können. 

3)  Auf  die  im  Betrage  von  2  Milliarden  $  aufgelegte  Anleihe  wurden  insgesamt 
3  025  226  850  $  gezeichnet  (vgl.  „tcon.  Europ."  v.  6.  Juli).  Die  Mitwirkung  der 
Banken  scheint  dabei  eine  wichtige  Rolle  gespielt  zu  haben.  Die  Anleihe  ist  als- 
bald unter  Emissionskurs  gesunken. 

4)  Besondere  Abkürzungen:  BelgGVBl.  =  Gesetz-  und  Verordnungsblatt  für  die 
okkupierten  Gebiete  Belgiens.  —  FMBl.  =  Finanz- Ministerial- Blatt.  —  JMBl.  =  Justiz- 


~  419  — 

Zittau,  Zittau,  mit  Filialen  in  Löbau  und  Neugersdorf,  und  die  Gerings- 
walder  Bank,  Geringswalde,  mit  Filialen  in  Döbeln,  Frohburg,  Geit- 
hain,  Mittweida,  Rochlitz  und  Roßwein,  —  von  der  Mitteldeutschen 
Privat-Bank  A.-G.,  Magdeburg:  die  Bankfirma  Friedrich  Schultze,^ 
Weißenfels,  und  der  Greußoner  Bankverein  A.-G.,  Greußen,  —  von 
der  Bank  für  Thüringen  vorm.  B.  M.  Strupp  Akt.-Ges.,  Meiningen: 
das  Bankhaus  I.  Heilbrun  &  Co.,  Erfurt,  —  von  der  Bayerischen  Ver- 
einsbank, München  (vgl.  S.  118):  die  Ulmer  Filiale  der  Württembergischen 
Vereinsbank  Stuttgart  (vgl.  S.  285),  —  von  der  London  City  and  Mid- 
land Bank  Ltd.,  London  (vgl.  Chr.,  1916,  S.  889):  die  Belfast  Banking 
Co.  Ltd.,  Belfast. 

Filialen  eröffneten  die  Ostbank  für  Handel  und  Gewerbe,  Posen 
und  Königsberg  (vgl.  S.  194),  in  Grodno,  der  Banco  Nacional  Ultra- 
marine, Lissabon  (vgl.  S.  120),  in  Bahia  und  Pernambuco  (Brasilien), 
die  Yokohama  Specie  Bank  Ltd.,  Yokohama  (vgl.  Chr.  1916,  S.  827), 
in  Rio  de  Janeiro. 

Gegründet  wurden  in  Berlin  die  Sparbank  Siemensstadt  G.  m. 
b.  H.,  in  Bochum  die  Handels-  und  Handwerkerbank  G.  m.  b.  H.,  in 
Warschau  mit  1  Mill.  Rbl  Kapital  die  Bank  für  Immobilienbesitz,  in 
Kopenhagen  mit  1^2  Mill.  Kr  die  Exportbank  Industrial  Trade  Cy,  in 
Genua  mit  4  Mill.  Lire  die  Banca  Genovese  di  Credito,  in  Kristiania 
mit  6  Mill.  Kr  das  Norwegische  Emissions-Institut  und  mit  2  Mill.  Kr 
The  Northern  Holding  Company  (Bank  für  ausländische  Wertpapiere 
in  Norwegen),  in  Stockholm  mit  10  Mill.  Kr  die  Emissions-Akt.-Ges, 
Merkator,  in  Changsha  (China)  mit  1  Mill.  Yen  die  Chinesisch-Japa- 
nische Bank. 

Die  Bank  Handlowy  (Handelsbank),  Posen  (vgl.  S.  118),  erhöht 
ihr  Kapital  um  2^/2  auf  5  Mill.   M. 

Die  Gebäude  der  Londoner  Filialen  der  Deutschen  Bank, 
der  Dresdner  Bank  und  der  Direktion  der  Disconto-Gesellschaft  sind 
am  19.  Juni  versteigert  worden  (vgl.  S.  284). 

Ueber  die  Abänderungen  der  am  25.  Juni  genehmigten  Charter 
der  British  Trade  Corporation  (vgl.  Maichronik)  erscheint  ein 
Weißbuch;  der  Prospekt  ist  in  „The  Statist"  vom  30.  Juni  ab- 
gedruckt. 

Aus  Madrid  wird  die  Gründung  der  As ociacion  de  Banque- 
ros  Espanoles  del  Centro  de  Espaiia  (Vereinigung  spanischer 
Bankiers  Mittelspaniens)  gemeldet. 

b)  Kreditwirtschaftliche  Maßnahmen. 

In  Deutschland  und  den  besetzten  Gebieten  wurden  ver- 
öffentlicht: 1)  Bek.  des  RKzl.,  betr.  Zahlungsverbot  gegen  Ita- 
lien,   V.  7.  Juni  (RGBl.    S.  483);    2)    dgl.,    über   die  Anwendung   der 


Ministerial-Blatt  für  die  preußische  Gesetzgebung  und  Rechtspflege.  —  ObostBVBl.  = 
Befehls-  und  Verordnungsblatt  des  Oberbefehlshabers  Ost.  —  OestRGBl.  =  Reichsge- 
setzblatt für  die  im  Reichsrate  vertretenen  Königreiche  und  Länder.  —  PostBl.  =  Amts- 
blatt des  Reichs-Postamts.  —  SerbVBl.  =  Verordnungs-Blatt  der  k.  u.  k.  Militärver- 
waltung in  Serbien.  —  VMBl.  =  Ministerial-Blatt  für  die  Preußische  innere  Verwaltung. 
—  GG.  =  Generalgouverneur. 


V.,  betr.  Verträge  mit  feindlichen  Staatsangehörigen,  auf 
Portugal,  V.  19.  Juni  (RGBl.  S.  503;  vgl.  Chr.  1916,  S.  890);  3)  V. 
des  BR.  über  die  Geltendmachung  von  Ansprüchen  von  Personen, 
die  im  Ausland  ihren  Wohnsitz  haben,  v.  28.  Juni  (RGBl.  S.  566); 
4)  dgl.,  betr.  die  Fristen  des  Wechsel-  und  Scheckrechts  für 
Elsaß-Lothringen,  v.  28.  Juni  (RGBl.  S.  566 ;  vgl.  S.  196) ;  5)  dgl., 
betr.  Aenderung  der  Postordnung  v.  20.  März  1900,  v.  3.  Juli 
(RGBl.  S.  587;  vgl.  S.  196);  6)  Min.- Vf.,  betr.  Veröffentlichung 
des  Verlustes  von  Inhaberpapieren,  v.  14.  Mai  (VMBl.  S.  146 
und  FMBl.  S.  174);  7)  V.  des  GG.  in  Belgien,  betr.  Bestellung  von 
Aufsichtspersonen  über  Unternehmungen  Angehöriger  des  feind- 
lichen Auslandes,  v.  23.  Juni  (BelgGVßl.  S.  3921);  8)  dgl.,  betr.  die 
üebert  ragung  weiterer  dem  Generalkommissar  für  die 
Banken  in  Belgien  auf  Grund  der  Verordnungen  v.  26.  Nov.  1914 
und  17.  Febr.  1915  zustehenden  Befugnisse  auf  den  Verwaltungs- 
chef bei  dem  GG.  in  Belgien,  v.  23.  Juni  (BelgGVBl.  S.  3922);  9)  dgl. 
betr.  Zahlungsverbot  gegen  Italien,  v.  25.  Juni  (BelgGVBl. 
S.  3929). 

Das  österreichische  Gesamtministerium  hat  unter  dem  19.  Juni 
«rlassen:  1)  V.  über  Erleichterungen  bei  der  Erfüllung  privat- 
rechtlicher Geldforderungen  (OestRGBl.  S.  671);  2)  dgl.  über 
die  Stundung  privatrechtlicher  Geldforderungen  gegen 
Schuldner  in  Galizien  und  in  der  Bukowina  (OestRGBl.  S.  675); 
3)  dgl.  über  Bilanzen  und  Abweichungen  von  statutarischen 
Bestimmungen  während  des  Krieges  (OestRGBl.  S.  683). 

Für  die  unter  österreichischer  Mil. -Verw.  stehenden  Ge- 
biete Serbiens  werden  im  SerbVBl.  v.  14.  Juli  veröffentlicht:  1)  V., 
betr.  den  Verkehr  mit  ausländischen  Zahlungsmitteln  und 
den  Geldverkehr  mit  dem  Auslande,  v.  7.  Juni;  2)  dgl.,  betr. 
die  Entrichtung  von  Stempel-  und  anderen  Gebühren,  v.  8.  Juni; 
3)  dgl.,  betr.  die  Anzeigepflicht  von  Zahlungen  bestimmter 
Schulden,  v.  16.  Juni;  4)  Bek.,  betr.  die  Errichtung  einer  Devisen- 
zentrale  des  MGG.  in  Serbien,  v.  25.  Juni;  5)  dgl.,  betr.  das 
Verbot  der  Ein-  und  Durchfuhr  von  Zahlungsmitteln  der 
Rubelwährung,  v.  22.  Juni;  6)  dgl,,  betr.  Konzessionserteilung 
zum  Devisen-Verkehre,  v.  30.  Juni. 

Durch  V.  der  portugiesischen  Regierung  v.  18.  Mai  werden 
die  Maßnahmen  gegen  den  Handel  mit  dem  Feinde  auf  die 
von  diesem  besetzten  Gebiete  der  Verbündeten  ausgedehnt  (vgl.  Chr. 
1916,  S.  780). 

c)  Bargeldloser  Zahlungsverkehr. 

Maßnahmen  in  Deutschland  und  den  besetzten  Gebieten: 
1)  AUg.  Vf.  des  preuß.  Justizmin.  über  weitere  Einschränkung  des 
baren  Zahlungsverkehrs  und  Aenderung  der  Kassenordnung,  v. 
2.  Juni  (JMBl.  S.  183);  2)  dgl.  über  die  Beteiligung  der  Gerichts- 
vollzieher am  Postscheckverkehr,  v.  4.  Juni  (JMBl.  S.  187); 
8)  dgl.  über  die  Zahlung  des  Bargebots  bei  Zwangsversteige- 
rung en    sowie   über   Aenderungen    der    Kassenordnung,    v.    12.   Juni 


—     421      — 

{JMBl.  S.  191;  vgl.  Maichronik);  4)  Best,  des  Kaiserl.  Patentamts,  betr. 
<lie  Zahlung  patentamtlicher  Gebühren,  v.  25.  Juni  (RAnz. 
V.  27.  Juni;  vgl.  S.  198);  5)  Vf.  des  Reichs-Postamts,  betr.  Wegfall 
der  Empfangsbescheinigung  bei  Ueberweisung  des  Gehalts 
Äuf  ein  Konto  des  Zahlungsempfängers,  v.  28.  Juni  (PostBl.  S.  241); 
6)  V.  des  GG.  in  Belgien,  betr.  Ergänzung  der  V.  v.  29.  Juni  1916  über 
die  Wiederaufnahme  des  Postscheck-  und  Ueberweisungs- 
dienstes,  v.  19.  Juni  (BelgGVBl.  S.  3920). 

In  Oesterreich  erfolgte  unter  dem  18.  Juni  eine  Bek.  des 
Ministerpräsidiums  pp.,  betr.  den  Vollzug  von  Auszahlungen  für  Rechnung 
des  Ministerrates  und  des  Verwaltungsgerichtshofes  durch 
die  Postsparkasse  (OestRGBl.  S.  660;  vgl.  S.  199). 

d)  Börsenwesen. 

Die  Pachorganisation  der  freien  Makler  an  der  Berliner 
Börse  (vgl.  Chr.  1916,  S.  893)  erhöht  die  Maklergebühr  von  1/2 
auf   1  Prom. 

Die  Zulassungsstelle  der  Berliner  Börse  wird  von  dem 
preußischen  Handelsminister  angewiesen,  einem  künftigen  Zu- 
lassungsantrage für  die  neuen  Aktien  einzelner  Firmen,  die  Ka- 
pitalserhöhungen trotz  vorheriger  amtlicher  Warnung  durchgeführt 
haben,  nicht  zu  entsprechen  (vgl.  S.  122). 

Die  Pariser  Börse  bleibt  ab  1.  Juni  Sonnabends  bis  auf 
weiteres  geschlossen. 

In  den  Niederlanden  ist  am  1.  Juni  ein  neues  Stempel- 
gesetz in  Kraft  getreten,  durch  das  ein  Effektenumsatzstempel  von 
Y2  Prom.  eingeführt  und  der  bestehende  Effektenstempel  für  fremde 
Obligationen  auf  8  Prom.,  für  fremde  Aktien  auf  10  Prom.  erhöht  wird. 

Die  Wiener  Börsekammer  erläßt  weitere  Kundgebungen  gegen 
die  Spekulation  („Voss.  Ztg."  vom  5.,  12.,  23.  Juni;  vgl.  Maichronik), 
verbietet  die  Neuaufnahme  von  Aktien  in  den  Kulissenhandel 
(„Oesterr.  Volksw."  vom  9.  Juni),  stellt  Sonnabends  während  des 
Sommers  den  Börsenverkehr  ein,  und  führt  Gruppensystem  der 
Makler  und  Kursfestsetzung  nach  Berliner  Muster  ein  („Frankf. 
Ztg."  vom  26.  Juni  und  „Oesterr.  Volksw."  vom  30.  Juni).  —  Auch 
die  Budapester  Börse  bleibt  während  der  Sommermonate  Sonn- 
abends geschlossen,  und  trifft  Maßnahmen  gegen  die  Ueberspeku- 
lation  („Voss.  Ztg."  vom  13.  Juni). 

e)  Währungs-  und  Notenbankwesen. 

In  Deutschland  und  den  besetzten  Gebieten:  1)  Bekanntm. 
des  Reichskanzlers  über  Silberpreise  vom  19.  Juni  (RGBl.  S.  505; 
vgl.  Maichronik);  2)  Verf.  des  Reichspostamts,  betr.  Beschränkungen 
im  Zahlungsverkehr  nach  dem  Auslande,  vorn?.  Juni  (PostBl. 
S.  209;  vgl.  S.  288);  3)  Best,  des  Ob.Ost  über  die  Behandlung  nach- 
gemachter oder  verfälschter  Darlehnskassenscheine  der 
Hauptverwaltung  der  Darlehnskassen  in  Berlin  und  der  Darlehnskasse 
Ost  der  Ostbank  für  Handel  und  Gewerbe  vom  1.  Juni  (Ob.-OstBVBl. 
S.  640);  4)  V.  des  Ob.Ost  über  die  gewerbliche  Verarbeitung 
von  Münzen  des  Deutschen  Reiches  vom  4.  Juni  (Ob.OstBVBl.  S.  646). 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Volkswirtsch.  Chronik.  1017.  XXVIII 


—     422     — 

6)  Zur  Erleichterung  der  Beschaffung  des  Bedarfs  an  Zahlungsmitteln 
für  die  im  Osten  und  Südosten  kämpfenden  deutschen  Truppen  ist  in 
Wien  eine  Zweigstelle  der  Preuß.  Generalkriegskasse  er- 
richtet worden  („Nordd.  Allg.  Ztg."  vom  6.  Juni). 

Zur  Behebung  des  Kleingeldmangels  wurden  weitere  Maß- 
nahmen getroffen  (vgl.  Maichronik):  a)  In  Deutschland:  1)  Erlasse 
des  preuß.  Finanz-  und  Justizministers,  betr.  Annahme  und  Um- 
tausch von  Hartgeld  (FMBl.  S.  198  und  JMBl.  S.  209);  2)  ErL 
des  preuß.  Ministers  des  Innern,  betr.  die  Münzen  in  den  Automaten 
und  Sammelbüchsen  („Nordd.  Allg.  Ztg."  vom  22.  Juni) ;  3)  Bekanntm. 
des  Berliner  Magistrats  über  den  Münzenumlauf  („Nordd.  Allg.  Ztg." 
vom  6.  Juni) ;  4)  Beauftragung  der  Post-  und  Telegraphenanstalten  mit 
der  Umwechselung  von  Nickelgeld  („Nordd.  Allg.  Ztg."  vom 
13.  Juni)  und  Ermächtigung  zur  Annahme  von  Notgeld  im  ört- 
lichen Verkehr  („Voss.  Ztg."  vom  7.  Juni;  vgl.  Maichronik),  b)  In 
Luxemburg  wurde  die  Regierung  durch  Großherzogl.  Beschluß  vom 
15.  Juni  zur  Prägung  neuer  Scheidemünzen  zu  5,  10  und  evtl. 
zu  26  cts  bis  zum  Höchstbetrage  von  400  000  frcs  ermächtigt  (vgl. 
Chr.  1916,  S.  691). 

In  Oesterreich  hat  der  Finanzminister  unter  dem  27.  Juni  eine 
Bekanntmachung,  betr.  Abänderung  der  Prägevorschriften 
über  die  Ausprägung  von  20  K- Stücken  für  Privatrechnung 
(Oest.  EGBl.  S.  693),  und  unter  dem  28.  Juni  einen  Erlaß,  betr.  die 
Ausgabe  der  neuen  Banknoten  zu  2  K  mit  dem  Datum  1 .  März 
1917  (Oest.  RGBl.  S.  691)  veröffentlicht. 

Durch  V.  der  portugiesischen  Regierung  vom  11.  September 
1916  sind  die  Silbermünzen  der  früheren  Regierung  außer 
Kurs  gesetzt  worden   („Nachr.  f.  Handel,  Ind.  u.  Landw."  v.  2.  Juli). 

In  Rußland  werden  die  Einfuhr  von  russischen  Wert- 
papieren und  Zinsscheinen  —  mit  Ausnahme  der  Kriegsanleihen  — , 
sowie  die  Ausfuhr  von  Fonds  —  nach  anderen  Meldungen  nur  Ver- 
sendung von  Schecks  —  und  Rubelverfügungen  in  laufender 
Rechnung  zugunsten  russischer  Firmen  oder  Personen  im  Auslande 
verboten;  im  Finanzministerium  wird  eine  besondere  Abteilung  für 
ausländische  Wertpapiere  eingerichtet  und  der  Umsatz  in  Wertpapieren 
zentralisiert  („Frankf.  Ztg."  und  „Voss.  Ztg."  vom  21.  Juni).j 

Durch  ein  türkisches  Gesetz  vom  8.  April  wird  die  gesamte 
Ausfuhr  bis  zum  Ablauf  von  3  Monaten  nach  Beendigung  des  Krieges 
einer  Ausfuhrkommission  unterstellt,  die  für  alle  auszuführenden 
Waren  die  Preise  festsetzt  („Deutsches  Handelsarchiv",  Juniheft  1917, 
S.  580). 

Der  argentinische  Bankier  Tornquist  tritt  in  einem  Bericht 
über  das  argentinische  Finanzwesen  im  zweiten  Kriegs  jähr  für  die  Er- 
setzung der  Konversionskasse  durch  eine  staatliche  Noten- 
bank ein  („Frankf.  Ztg."  vom  28.  Juni). 

Ueber  Notenausgabe  und  Währungsverhältnisse  in  Brasilien 
vgl.  „Die  Bank",  Juli  1917,  S.  607. 


üebersichtüber  den  st 
sowie  des  BankzinE 


3.  Statistik.  423 

and  der  deutschen  und  einiger  au sl an dischenNotenbanken, 
jfußes  an  den  wichtigeren  Börsenplätzen  im  Juni  1917. 
Beträge  in  Millionen  Mark. 


Deutsches  Reich                   | 

Bank 

von 

Bank 

von 

Russische  ^ 
Staatsbank 

Reichs, 
bank 

Privat- 
noten 
banken 

Summe 

(nach  „L'fico- 

nomiste 

Pran^ais") 

England 

(nach  „The 

Statist") 

nach 
„L'Eco- 
Qi  miste 
Francais" 

nach 
Wolffi 

De- 
peschen 

Ausweis  vom 

15.    1    30.    1  15. 1 30. 1    15.    1    30. 

Juni 

Ausweis  V. 

14.    1    28. 

Juni 

Ausweis  V. 

13.   1  27. 

Juni 

Ausweis  V. 

14.    1    29. 

Juni 

Iktiya. 

Barvorrat ; 

Metall /^^l^-     •     •     • 
Metall  j  g.j^^g^ 

2533 
50 

2457 
64 

— 

— 

— 

— 

4278 
209 

4283 
211 

1132 

— 

3203 
269 

3199 
279 

Summe 

Sonstige  Geldsorten   .     . 

Wechsel  auf  das  Ausland 

und  Guthaben  daselbst 

2583 
533 

2521 
453 

68 
36 

67 
26 

2651 
569 

2588 
479 

4487 

4  494 

1132 

1175 

3472 
4  577 

3478 
4578 

Cksamtsumme  d.  Barvorrats 

3  116 

2974 

104 

93 

3  220 

3067 

4487 

4  494 

1132 

1175 

8049 

8056 

Anlagen 

Wechsel^) 

Lombard 

Effekten 

Sonstige  Anlagen      .     .     . 

9  474 
10 

ICK» 
1078 

10962 

9 

105 

I  224 

III 

67 
21 

55 

114 
68 
21 
67 

9585 

77 

121 

I  133 

II  076 

77 

126 

I  291 

1999 

935 

179 

II  219 

2007 

917 

179 

II  356 

Bank 
Gov. 

923 
Other 

2311 

.Dep. 

See.: 

926 

See: 

2047 

707 
3  105 

22498 

827 

3  III 

Summe    der  Anlagen 

10662 

12300 

254 

270 

10  916 

12570 

14332 

14459 

361 1 

3350 

26864 



Summe  der  Aktiva 

13778 

15274 

358 

363 

14  136 

i';637 

18819 

i8q53 

4743 

4525 

34913 

— 

PassiTa. 

Grundkapital 

Keservefonds 

Notenumlauf 

Yerbindlichkeiten: 
TAirUoh  f  Privatguthaben     . 
*^r     iOeffentl.  Guthaben 

180 
90 

8  224 
I4816 

180 

90 

8699 

5693 

56 

15 

152 

104 

56 

15 

154 

107 

236 
8376 

4920 

236 

105 

8853 

5800 

155 

28 

16033 

2132 
28 

155 

28 

16057 

2243 

27 

298 

61 

793 

2570 
1017 

298 

61 

805 

108 

II 

26321 

4  437 
1814 

108 

II 

27199 

4667 

l                    Summe 
Sonstige  Verbindlichkeiten 

4816 
468 

5693 
612 

104 
31 

107 
31 

4920 
499 

5800 
643 

2  160 

443 

2  270 

443 

3587 
4 

3357 
4 

6251 
2  222 

4667 

Summe  der  Passiva 

13778 

15274 

358  1 

363 

14136I15637 

18819 

18953 

4743 

4525 

34913 

— 

Äotenrea  rve   im  Sinne  des 
betreffenden  Bankgesetzes 

') 

•) 

20 

7 

') 

') 

977 

953 

715 

748 

4  139 

3258 

Deckung: 

in  Prozenten 

der  Noten   durch   den   ge- 
samten Barvorrat^)  .     . 
durch     den      inländischen 

Metallvorrat 
der  Noten  u.  sonstigen  täg- 
lich   fälligen    Verbind- 
lichkeiten durch  den  ge- 
samten Barvorrat     .     . 
Bankzinsfuß 

während    des    Monats 
Juni 

Wegen  ümre 

37,9 
31,* 

23,9 

in  Be 

5,- 

chnung 

34 
29 

20 
rlin 

der 

2 

,0 

ii 
fr 

68,1 
44,8 

40,4 

l   Wi€ 

5,— 
emdei 

60,8 
43,7 

35,7 
n 

a  Va 

38,4 
31,7 

24,2 

in  Pari 

5,- 

Juten  V 

9 

SV 

14,6 

89,2 

?0,9 

inL 

5 

7.  vg 

28,0 
17,7 

24,7 
ondon 

1.  Chro] 

28,0 
17,7 

24,5 

in 

St.Petei 

6,- 

Qik  191 

142,7 
142,7 

25,8 
•sburg 

3,    S. 

146,0 
146,0 

28.3 

in 
Amstei 

4V 
1038 

30 
13 

24 
rdam 
unte 

,6 
,2 

,7 

Ne^ 
4 

D. 

29,« 
12,8 

«5,8 

in 
»eYork 

1)  Für  die  Reichsbank  die  gesamte  bankmäßige  Deckung,  d.  h.  Wechsel,  Schecks  und  diskontierte 
Schatzanweisungen.  2)  Für  die  Reichsbank  ist  die  Notensteuer  bis  auf  weiteres  aufgehoben  (Ges.  v. 
4.  Aug.  1914,  RGBl.  S.  327).  3)  Darunter  im  Auslande  am  14.  und  28.  Juni:  1648  Mill.  M. 
4)  Einschließlich  der  377  Mill.  M  betragenden  Anlagen  des  Issue  -  Department.  5)  Totalreserve.  6)  Ver- 
hältnis der  Reserve  zu  den  Depositen  am  13.  Juni:  19,9  Proz. ;  am  27.  Juni:  22,3  Proz.  7)  Die  in  dieser 
Spalte  offen  gelassenen  Posten  ergeben  sich  nicht  aus  den  Wolffschen  Depeschen.  8)  Diskontrate  für 
60  Tage.  9)  Im  Sinne  der  betr.  Bankgesetze,  d.  h.  für  Frankreich  und  Rußland  unter  Einrechnung  des 
sogenannten  „Auslandsgoldbestandes". 

XXVIII* 


—    424    — 


VII.  Arbeiterrerhältnisse. 

Inhalt:  Der  Arbeitsmarkt  im  Juni  1917.  Die  Arbeitslosenziffer  der  Arbeiter- 
verbände.  Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise.  Der  weibliche  Arbeitsmarkt.  Die 
Berichte  der  Arbeitsnachweisverbände.  Der  Berliner  Arbeitsmarkt.  Die  Löhne  der 
Arbeiterschaft  während  des  Krieges. 

Die  für  Heer  und  Marine  arbeitende  deutsche  Industrie  war  im 
Monat  Juni  wie  in  den  Vormonaten  bis  zur  Grenze  ihrer  Leistungs- 
fähigkeit beschäftigt.  Sie  konnte  den  großen  Anforderungen,  die  an 
sie  gestellt  wurden,  zum  großen  Teil  nur  unter  Zuhilfenahme  von  Ueber- 
stunden  und  Nachtschichten  nachkommen.  Eine  Sonderstellung  nimmt 
wie  immer  das  Baugewerbe  ein.  Nach  dem  Bericht  des  „Baumaterialien- 
Marktes"  zeigte  der  Baumarkt  im  Juni  gegenüber  dem  Mai  keine  Ver- 
änderungen. Bei  den  Bauten  für  Heereslieferungen  war  gegenüber  dem 
Vorjahr  ein  gewisser  Stillstand  zu  bemerken,  da  die  in  den  letzten 
Jahren  ausgeführten  Erweiterungen  und  Neuanlagen  vorläufig  den  An- 
sprüchen genügen.  Lediglich  aus  dem  Wiederaufbaugebiet  Ostpreußens 
und  aus  Marienburg  wird  über   eine   rege  Privatbautätigkeit  berichtet. 

Die  Arbeitslosenziffer,  die  allmonatlich  aus  den  Angaben 
der  Arbeiterverbände  berechnet  wird,  hatte  Ende  Juni  den  niedrigen 
Stand  von  0,9  v.  H.  Es  berichteten  im  einzelnen  35  Arbeiterverbände 
für  929  227  Mitglieder;  davon  waren  Ende  Juni  7967  arbeitslos.  Der 
Vormonat  hatte  eine  Arbeitslosenziffer  von  1,0  v.  H.  ergeben.  Der 
Juni  der  Jahre  1914,  1915  und  1916  wies  jeweils  eine  erheblich  höhere 
Ziffer,  nämlich  2,5  v.  H.  auf. 

Stellt  man  für  die  6  größten  Arbeiterverbände  —  es  sind 
durchweg  sogenannte  freie  Gewerkschaften  —  die  Arbeitslosenziffern 
während  der  letzten  Monate  zusammen,   so   ergibt  sich  folgendes  Bild: 


Arbeitslosigkeit  v.  H.  der  vom 

Mitgliederzahl 
Ende  Juni 

Bericht  erfaßten  Mitglieder 

Arbeiterverbände 

Ende 

Ende 

Ende 

Ende 

1917 

Juni 

Mai 

April 

März 

1917 

Metallarbeiter 

315345 

0,2 

0,2 

0,3 

0,4 

Fabrikarbeiter 

92822 

0,2 

0,2 

0,4 

0,5 

Bauarbeiter 

79758 

0,1 

0,2 

o,s 

1,6 

Holzarbeiter 

77729 

0,6 

0,6 

0,8 

0,8 

Textilarbeiter 

66854 

4,1 

5,2 

7,0 

9,0 

Transportarbeiter 

59005 

0,2 

0,8 

o,s 

0,* 

Danach  ging  insbesondere  beim  Textilarbeiterverband  die  Ziffer 
von  Ende  Mai  auf  Ende  Juni  erheblich  zurück. 

Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  läßt  für  das  männ- 
liche wie  für  das  weibliche  Geschlecht  ein  weiteres  Sinken  des  An- 
dranges der  Arbeitsuchenden  erkennen.  Im  Juni  kamen  auf  100  offene 
Stellen  bei  den   männlichen  Personen    47  Arbeitsgesuche   gegen  53  im 


—    425     — 

Mai;    beim   weiblichen  Geschlecht   ging  die  Andrangsziffer   von  96  im 
Mai  auf  86  im  Juni  zurück. 

Bei  der  besonderen  Bedeutung,  welche  dem  weiblichen  Arbeits- 
markt zurzeit  zukommt,  seien  für  die  wichtigsten  weiblichen  Berufsarten 
die  Verhältnisziffern  im  Mai  und  Juni  1917  sowie  im  Juni  1916  be- 
sonders aufgeführt. 


Zahl  der 

Auf  100  offene  Stellen  kamen 

Wichtige  Berufsarten 

Vermitt- 

.... Arbeitsgesuche  im 

lungen  im 

Juni 

Juni 

Mai 

Juni  1917 

1917 

1916 

1917 

Weibliche  Personen. 

Landwirtschaftliche  Arbeiterinnen 

5  934 

53 

76 

58 

Metallarbeiterinnen 

17  "9 

80 

180 

94 

Arbeiterinnen  in  der  chemischen  Industrie 

2532 

78 

106 

67 

Spinnstoffarbeiterinnen  (einschl.  Färberei-  und 

Appreturarbeiterinnen) 

3  395 

365 

628 

345 

Buchbinderei-  u.  Kartonnagenarbeiterinnen  usw. 

1245 

64 

140 

80 

Arbeiterinnen   in  der  Lederindustrie 

543 

72 

143 

90 

Tabakarbeiterinnen  usw. 

1327 

96 

186 

112 

Schneiderinnen,  Putzmacherinnen  usw. 

10624 

HO 

^95 

138 

Büglerinnen,    Wäscherinnen    in    Wasch-    und 

Plättanstalten  usw. 

836 

75 

130 

66 

Buchdruckereiarbeiterinnen 

2553 

79 

130 

86 

Fabrikarbeiterinnen 

14024 

78 

217 

98 

Angestellte  im  Handelsgewerbe 

2093 

202 

340 

298 

Kellnerinnen,  Büfettfräulein 

9  H9 

107 

131 

"3 

Hotelzimmermädchen,  Beschließerinnen 

641 

57 

119 

77 

Kochpersonal  in  Gastwirtschaften 

642 

59 

118 

87 

Herd-  u.  Küchenmädchen   in  Gastwirtschaften 

2723 

52 

93 

58 

Putz-,  Wasch-,  Lauffrauen,  Auf  Wärterinnen  usw. 

19275 

79 

136 

77 

Dienstboten,  Hauspersonal 

7329 

39 

120 

43 

Sonstige  Tagelöhnerinnen 

8802 

100 

141 

89 

Freie  Berufsarten 

706 

196 

267 

214 

Danach  wurde  vom  Mai  zum  Juni  die  Lage  des  Arbeitsmarktes 
insbesondere  für  die  Angestellten  im  Handelsgewerbe,  für  die  Schneide- 
rinnen und  Putzmacherinnen ,  für  die  Metallarbeiterinnen  erheblich 
günstiger. 

Die  Berichte  der  Arbeitsnachweisverbände  über  Beschäf- 
tigung und  Arbeitsmarkt  sind  im  Reichs-Arbeitsblatt,  Juliheft,  über- 
sichtlich zusammengestellt.  Danach  lassen  die  Berichte  für  West- 
preußen, Hannover,  Braunschweig,  Oldenburg  und  Bremen  keine  erheb- 
liche Abweichung  von  der  bisherigen  Lage  erkennen.  In  Pommern  ist 
für  die  Landwirtschaft  gleichfalls  im  allgemeinen  keine  Veränderung 
zu  verzeichnen.  Auch  in  Hessen  und  Hessen-Nassau  ist  die  Grund- 
richtung der  Entwicklung  des  Arbeitsmarktes  unverändert  geblieben. 
Aus  Bayern  wird  berichtet,  daß  sich  die  Beschäftigungsmöglichkeit  für 
männliche  wie  für  weibliche  Arbeitsuchende  weiterhin  vergrößert  hat. 
Für  Schlesien  blieb  der  männliche  Arbeitsmarkt  im  ganzen  der  gleiche 
wie  im  Vormonat,    während  sich    für  die  weiblichen  Arbeitskräfte  eine 


—     426    — 

Aenderung  der  Lage  in  der  Weise  bemerkbar  machte,  daß  die  Nach- 
frage der  Landwirtschaft,  der  Rüstungsindustrie  wie  des  Bekleidungs- 
und des  Handelsgewerbes  der  Provinz  Schlesien  lebhaft  stieg,  so  daß 
eine  Abgabe  zahlreicher  weiblicher  Arbeitskräfte  an  Fabriken  Mittel- 
deutschlands, wie  sie  bisher  möglich  war,  nicht  mehr  statthatte.  In 
Hamburg  ist  auf  dem  Arbeitsmarkt  für  weibliche  Personen  eine  Zu- 
nahme nicht  nur  der  offenen  Stellen,  sondern  auch  der  Arbeitsuchenden 
und  der  Stellenvermittlungen  festzustellen.  In  Schleswig-Holstein 
machte  sich  insgesamt  eine  nicht  unbedeutende  Steigerung  der  Tätig- 
keit der  öffentlichen  Arbeitsnachweise  bemerkbar.  Während  für  Elsaß- 
Lothringen  eine  Besserung  der  Lage  des  Arbeitsmarktes  für  weibliche 
Personen  gemeldet  wird,  berichtet  eine  Anzahl  von  Arbeitsnachweis- 
verbänden über  einen  Rückgang.  In  Westfalen  hat  sich  zwar  die  Zahl 
der  weiblichen  Arbeitsuchenden,  wenn  auch  unwesentlich,  erhöht,  doch 
ist  eine  Abnahme  der  männlichen  Arbeitsuchenden  hervorgetreten.  Das 
gleiche  gilt  für  das  Königreich  Sachsen.  In  Thüringen,  Württemberg  und 
Baden  ist  das  Angebot  nicht  nur  männlicher,  sondern  auch  weiblicher 
Arbeisuchender  zurückgegangen.  Auch  für  die  Provinz  Rheinland  ist 
eine  rückläufige  Bewegung  zu  erkennen. 

Für  Berlin  und  die  Provinz  Brandenburg  soll  mit  Rück- 
sicht auf  die  besondere  Bedeutung  dieses  Arbeitsmarktes  die  Lage  nach 
dem  Bericht  des  Verbandes  Märkischer  Arbeitsnachweise  (vgl.  Reichs- 
Arbeitsblatt,  Juliheft,  S.  560  und  561)  besonders  geschildert  werden. 
Danach  ist  das  regelmäßige  sommerliche  Abflauen,  welches  die  Lage 
des  Arbeitsmarktes  im  Monat  Juni  sonst  kennzeichnete,  in  diesem  Jahre 
in  keiner  Weise  spürbar  geworden.  Im  Gegenteil,  die  Anspannung 
und  der  Mangel  an  Arbeitskräften  fast  aller  kriegswichtigen  Betriebe 
hat  sich  noch  verschärft. 

In  der  Metallindustrie  hält  der  Mangel  an  Facharbeitern,  wie  Drehern, 
Werkzeugmachern,  Mechanikern,  Schmieden,  Kupferschmieden  usw.,  weiter  an. 
Nur  beschränkt  verfügbar  waren  Maschinen-  und  Hilfsarbeiter,  MetaUschleifer, 
Gürtler,  Goldarbeiter,  Klempner  und  Autogenschweißer. 

Buchbinder  und  Buchbinderinnen  hatten  volle  Beschäftigung.  Die 
Beschaffung  von  Beschneidern  und  Kontobucharbeitern  und  auch  weiblicher 
Arbeitskräfte  war  sehr  schwierig. 

Im  Monat  Juni  fehlte  es  wieder  hauptsächlich  an  eingearbeiteten  Möbel- 
tischlern, zeitweise  auch  an  Bautischlern.  Am  Schlüsse  des  Monats  waren  im 
paritätischen  Facharbeitsnachweise  für  die  Berliner  Holzindustrie  185  Arbeits- 
lose gemeldet.  Die  gebotenen  Stellen  für  den  HUfsdienst  konnten  fast  alle  nicht 
besetzt  werden,  da  der  gebotene  Lohn  den  Stellensuchenden  zu  gering  war.  Ganz 
besonders  fehlten  Böttcher,  Korb-  und  Bürstenmacher. 

Bei  den  Bäckern  wurden  infolge  starker  Einberufungen  hauptsächlich 
Ofenarbeiter  verlangt ;  junge  Kräfte  fehlten.  Infolge  der  Kartoffelknappheit  haben 
die  Bäcker  mehr  Umsatz  und  deshalb  viele  Aushilfen  gebraucht.  Im  paritä- 
tischen Facharbeiternachweis  der  Brauer  haben  sich  102  Personen  weniger  an- 
schreiben lassen  als  im  gleichen  Monat  des  Vorjahres.  Ein  Mangel  an  Arbeits- 
losen war  am  1.  Juli  nicht  zu  verzeichnen.  Die  Nachfrage  nach  Personal  ist  gegen 
den  Vormonat  um  107  Stellen  und  gegen  den  gleichen  Monat  des  Vorjahres  um 
79  Stellen  gestiegen. 

Im  Baugewerbe  hat  sich  die  Lage  infolge  behördlicher  Einschränkungen 
der  privaten   Bautätigkeit  verändert.    Maurer,  Zimmerer,   Dachdecker  imd  Bau- 


—    427     — 

arbeiter,  die  lange  Zeit  auf  dem  Arbeitsmarkt  fehlten,  waren  wieder  in  beschränkter 
Anzahl  aufgetaucht. 

Im  Handelsgewerbe  kamen  nach  Berichten  der  kaufmännischen  Arbeits- 
nachweise auf  2  offene  Kontoristenstellen  1  Bewerber  und  auf  5  offene  Lageristen- 
bzw. 3  Verkäuferstellen  je  1  Bewerber. 

Bau-   und   Erdarbeiter,    Verkehrsarbeiter,   sowie   Arbeiter    für   Kohlen-, 
Eisen-  und  Holzplätze  waren  stark  gesucht. 

Die  Knappheit  weiblicher  Arbeitskräfte  machte  sich  geltend,  sie  kommt 
vor  allem  in  den  steigenden  Löhnen  zum  Ausdruck.  Der  wöchentliche  Durch- 
schnittslohn der  ungelernten  Arbeiterinnen  betrug  29,24  M.  gegen  16,23  M.  im 
Vorjahr,  eine  Steigerung  um  beinahe  90  v.  H.  Die  Hauptanforderungen  hatte 
nach  wie  vor  die  Munitionsindustrie.  Zurückgegangen  ist  die  Nachfrage  für 
Heeresnäharbeiten,  Buchdruck- Hilfspersonal  feWte  weiter.  Die  Lage  des  Arbeits- 
markts für  jugendliche  Arbeiterinnen  zeigte  im  allgemeinen  dasselbe  Bild  wie  das 
für  ältere  Arbeiterinnen.  Der  wöchenthche  Durchschnittslohn  für  Jugendliche 
zeigte  im  Verhältnis  dasselbe  Ansteigen  von  19,00  M.  gegen  10,62  M.  im  Vor- 
jahre. Am  regsten  waren  Angebot  und  Nachfrage  auch  hier  in  der  Metallindustrie. 
Der  Aufruf  der  Kriegsamtsstelle  zur  üebernahme  von  Arbeiten  in  der  Munitions- 
industrie hatte  einen  erfreulichen  Erfolg.  In  der  Abteilung  für  weibliche  Per- 
sonen des  städtischen  Arbeitsamtes  Schöneberg  konnten  z.  B.  311  solcher  Stellen 
infolge  der  vermehrten  Meldungen  besetzt  werden.  Durch  den  gesteigerten  Be- 
darf an  kaufmännischen  Kräften  für  militärische  Büros  stieg  die  Nachfrage. 
Mangel  ist  immer  noch  an  gut  ausgebildeten  Stenotypistinnen  und  gewandten 
Kontoristinnen,  sowie  Buchhalterinnen ;  dagegen  ist  Ueberfluß  an  mangelhaft  vor- 
gebildeten Anfängerinnen  vorhanden.  Der  Mangel  an  Hauspersonal  blieb  auch 
im  Monat  Juni  bestehen.  Im  Arbeitsamt  der  Stadt  Schöneberg  standen  beispiels- 
weise 1754  offenen  Stellen  871  Bewerberinnen  gegenüber,  auf  1  Stellensuchende 
kamen  also  immer  2  offene  Stellen. 

Von  wenigen  Ausnahmen  abgesehen,  fehlt  es  zurzeit  in  Deutsch- 
land an  Nachweisungen  über  die  in  den  einzelnen  Industriezweigen 
gezahlten  Löhne.  Die  Nach  Weisungen,  die  veröffentlicht  werden  und  die 
auch  hier  in  früheren  Uebersichten  berührt  worden  sind,  beziehen  sich 
einmal  auf  die  Bergarbeiterlöhne,  dann  auf  die  Angaben  einiger  Orts- 
krankenkassen, insbesondere  der  Großen  Leipziger  Ortskrankenkasse. 
Es  ist  daher  eine  jüngst  veröffentlichte  Untersuchung  des  Kaiserlichen 
Statistischen  Amts  über  die  Löhne  der  Arbeiterschaft  während 
des  Krieges  außerordentlich  zu  begrüßen. 

Das  Kaiserliche  Statistische  Amt  hat,  um  die  Veränderung  der 
Lohnhöhe,  ausgehend  vom  Friedensmonat  März  1914,  festzustellen,  eine 
Erhebung  veranstaltet,  die  auf  die  Entwicklung  der  Höhe  des  durch- 
schnittlichen Tagesverdienstes  der  erwachsenen  männlichen  und  weib- 
lichen Arbeiter  verschiedenster  Industriegruppen  einen  Ueberblick  ge- 
stattet. Dabei  ist  natürlich  zu  berücksichtigen,  daß  die  Ziffern  auf 
eine  absolute  Gültigkeit  keinen  Anspruch  erheben  und  erheben  können, 
einmal  wegen  des  geringen  Umfangs  der  Stichprobenerhebung,  sodann 
weil  in  der  Kriegswirtschaft  selbst  begründete  Mängel  vorliegen,  die 
eine  absolut  richtige  Statistik  nicht  zustande  kommen  lassen.  Soweit 
die  Löhne  in  Frage  kommen,  ergibt  sich  folgendes  Bild: 

Bei  sämtlichen  Stichproben,  die  gemacht  worden  sind  und  die  sich  auf  die 
beiden  letzten  Wochen  der  Monate  März  und  September  1914,  1915  und  1916  er- 
strecken, ergibt  sich  für  September  1914  ein  Kückgang  der  Löhne,  von  diesem 
Zeitpunkte  an  eine  dauernde  Steigerung  derselben.    Die  Uebersicht  über  die  Lohn- 


—    428    — 

entwicklung  der  Gesamtlieit  der  befragten  Gewerbegruppen  zeigt  für  die  männ- 
lichen Arbeiter  vom  März  auf  September  1914  einen  Kückgang  von  5,17  M.  auf 
5.12  M.  An  den  folgenden  vorgenommenen  Stichterminen  ist  der  männliche 
Durchschnittslohn  ununterbrochen  gestiegen  bis  auf  7,55  M.  =  146  Proz.  des 
Lohnes  vom  März  1914  im  September  1916.  Am  stärksten  war  die  Zunahme 
vom  September  1914  auf  März  1915  (14,8  Proz^;  vom  März  auf  September  1915 
betrug  sie  11,4  Proz.,  im  folgenden  Zeiträume  6,7  Proz. ;  vom  März  bis  September 
1916  stieg  sie  wieder  um  7,8  Proz.    Die  Gesamtsteigerung  betrug  46  Proz. 

Etwas  anders  ist  die  Entwicklung  des  weiblichen  Durchschnittslohnes  ver- 
laufen. Seine  prozentuale  Steigerung  während  des  ganzen  Erhebungszeitraumes 
war  größer  als  die  des  männlichen  Durchschnittslohnes,  sie  betrug  nämlich  54,1 
Proz.  Im  September  1914  fand  zunächst  ein  Rückgang  gegenüber  den  für  März 
ermittelten  Löhnen  statt,  und  zwar  von  2,29  M,  auf  1,94  M.  ^  15,3  Proz.  Danach 
stiegen  die  Löhne  ununterbrochen  bis  auf  3,53  im  September  1916,  doch  vollzog 
sich  hier  die  größte  Steigerung  nicht  im  Kriegswinter,  wo  sie  16,5  Proz.  betrug, 
sondern  vom  September  1915  bis  auf  März  1916  mit  18,3  Proz. ;  vom  März  bis 
September  1916  betrug  sie  wieder  16,5  Proz. 

Soweit  über  die  Entwicklung  der  Löhne  in  einzelnen  Industrien  ein  Ergebnis 
festgestellt  werden  konnte,  ergab  sich  folgendes  Bild:  In  der  Maschinenindustrie 
stieg  der  Durchschnittslohn  für  das  männliche  Arbeitertagewerk  von  5,33  M.  auf 
7,89  M.,  d.  h.  um  48  Proz.  Der  Lohn  der  weiblichen  Arbeiter  ist  während  des 
Krieges  hier  von  2,28  M.  auf  3,88  M.  oder  um  70,2  Proz.  gestiegen.  In  der  elek- 
trischen Industrie  findet  sich  die  stärkste  prozentuale  Zunahme  des  männlichen 
Durchnittslohnes,  der  von  4,52  M.  im  März  1914  auf  7,44  M.  im  September  1916, 
d.  h.  um  64,6  Proz.  stieg.  Der  weibliche  Durchschnittslohn  nahm  von  2,75  M. 
auf  4,80  M.,  d.  h.  um  74,5  Proz.  zu.  In  der  Eisen-  und  Metallindustrie  stieg  der 
Durchschnittslohn  von  5,55  M.  im  März  1914  auf  8,02  M.  im  September  1916, 
d.  h.  um  44,5  Proz.  Die  Zunahme  der  weiblichen  Lohnsätze  war  viel  bedeutender, 
sie  betrug  99,5  Proz.,  d.  h.  sie  stieg  von  2,06  M.  auf  4,11  M.  In  der  chemischen 
Industrie  weist  der  Durchschnittslohn,  der  im  März  1914:  5,14  M.,  im  September 
1916:  6,90  M.  betragen  hatte,  eine  Steigerung  von  34,2  Proz.  auf.  Der  Durch- 
schnittslohn für  das  weibliche  Arbeitertagewerk  hatte  hier  eine  Steigerung  von 
2,36  M.  auf  3,55  M.,  d.  h.  um  50,4  Proz.,  erfahren.  In  den  der  Papierindustrie 
angehörenden  Werken,  die  bearbeitet  wurden,  stieg  der  Lohnsatz  für  die  männ- 
lichen Arbeiter  von  3,94  M.  auf  5,54  M.,  d.  h.  auf  140,6  Proz.  des  im  März  ver- 
dienten Lohnes.  In  der  Gewerbegruppe  Holz-  und  Schnitzstoffe  fand  eine  Steige- 
rung des  männlichen  Durchschnittslohns  der  befragten  Werke  von  4,22  auf  5,61  M., 
d.  h.  um  32,9  Proz.,  des  weiblichen  Durchschnittslohns  von  1,99  auf  2,59  M.,  d.  h. 
um  30,2  Proz.  statt. 

Im  Nahrungs-  und  Genußmittelgewerbe  hatte  der  Durchschnittslohn  für  die 
männlichen  Arbeiter  im  September  1916  im  Verhältnis  zum  März  1914  eine  Ge- 
samtzunahme von  5,70  auf  6,17  M.,  also  um  8,2  Proz.  erreicht.  Der  Durchschnitts- 
lohn für  das  weibliche  Arbeitertagewerk  stieg  von  2,10  auf  2,89  M.  In  der  Leder- 
und  Gummiindustrie  stieg  der  Lohnsatz  für  männliche  Arbeiter  von  5,04  M.  auf 
6,28  M.,  d.  h.  auf  124,6  Proz.  des  Anfangssatzes,  der  Lohnsatz  für  weibliche 
Arbeiter  von  2,80  M.  auf  3,18  M.  oder  auf  113,6  Proz.  In  der  Industrie  der 
Steine  und  Erden  stieg  der  Durchschnittslohn  für  das  männliche  Arbeitertage- 
werk von  4,45  auf  5,40  M.,  d.  h.  um  21,3  Proz.;  für  das  weibliche  Arbeitertage- 
werk von  1,67  auf  2,19  M.,  d.  h.  um  31,1  Proz. 

Eine  Steigerung  der  Löhne  wurde  ferner  im  Baugewerbe,  im  Vervielfälti- 
gungsgewerbe und  im  Spinnstoffgewerbe  festgestellt.  Die  Zahl  der  befragten 
Werke  aus  den  genannten  Gewerben  war  allerdings  gering.  Im  Spinn stoffge werbe 
zei^t  sich  außerdem  innerhalb  der  einzelnen  Zweige  des  Gewerbes  eine  sehr  ver- 
schiedene Entwicklung. 

VIII.  Finanzwesen. 

Inhalt:  Einzahlungen  auf  die  6.  Kriegsanleihe.  Der  neue  15-Milliarden- 
Kredit.  Preußische  Schatzanweisungen.  Ergebnis  der  6.  österreichischen  und 
6.  ungarischen  Kriegsanleihe.    7.  eidgenössische  Mobilisationsanleihe.    Spanische 


—    429    — 

Staatseinnahmen.  Türkischer  Staatsvoranschlag  und  Staatsschuld.  Griechische 
Finanzen.  Englische  Staatsfinanzen.  Englands  Vorschüsse  an  die  Verbündeten. 
Französische  Kriegsschulden  und  neue  Steuern.  Kußlands  Finanzlage.  Die 
amerikanische  „Freiheitsanleihe".  Anleihen  an  Brasilien.  Indische  Kriegsanleihe- 
Lotterien. 

Auf  die  sechste  Kriegsanleihe,  deren  Gesamtergebnis  auf 
13  122  069  600  M.  festgestellt  ist,  sind  12  632,7  Mill.  M.  gleich  96,3  Proz. 
des  endgültig  bekanntgegebenen  Zeichnungsresultats  eingezahlt.  Der 
Betrag  der  insgesamt  für  die  Zwecke  der  Einzahlungen  auf  die  sechste 
Kriegsanleihe  hergegebenen  Darlehen  beläuft  sich  auf  392,3  Mill.  M. 
gleich  3,10  Proz.  des  vollbezahlten  Anleihenennwertes. 

Dem  Reichstag  ging  der  Gesetzentwurf  über  einen  Kriegs- 
kredit von  15  Milliarden  M.  als  Nachtrag  zum  Reichsbaushalts- 
plan  1917  zu. 

Preußen  gab  200  Mill.  M.  5-proz.,  bis  1921  laufende  Schatz- 
an Weisungen  aus  zur  Verlängerung  der  am  1.  August  fällig  werden- 
den 4-proz.  Serie. 

Die  sechste  österreichische  Kriegsanleihe,  deren  Zeich- 
nungsfrist am  22.  Juni  abgelaufen  ist,  hat  4909  Mill.  ergeben.  Mit 
den  bereits  in  Verhandlung  befindlichen  Zeichnungen,  für  die  noch 
gewisse  formale  Voraussetzungen  zu  erfüllen  sind,  dürfte  das  Gesamt- 
ergebnis 5  Milliarden  K.  erreichen.  Für  Ungarn  liegt  eine  genaue 
Mitteilung  über  die  sechste  Anleihe  noch  nicht  vor.  Nach  einer  Ver- 
lautbarung vor  einigen  Tagen  soll  mit  mindestens  2,5  Milliarden  K.  zu 
rechnen  sein,  wovon  jedoch  700  Mill.  K.  auf  die  von  den  Banken 
übernommenen  Schatzanweisungen  entfallen,  so  daß  durch  Zeichnungen 
des  Publikums  nur  rund   1800  Mill.  K.  neue  Mittel  zufließen. 

Wie  in  Deutschland  hat  auch  in  Oesterreich  die  sechste  Kriegs- 
anleihe ein  Rekorderträgnis  gebracht.  Die  Resultate  der  6  Anleihen 
stellen  sich: 


1.  Kriegsanleihe 

2,20 

Milliarden  K. 

2. 

2,68 

»            »» 

3. 

4,if0 

>,            ,f 

4. 

4,52 

„            „ 

5. 

4,4  6 

M                            M 

6. 

4,90 

„                           » 

also  zusammen 

22,96 

Milliarden  K. 

Dazu  kommt  noch  das  Ergebnis  der  ungarischen  Kriegsanleihe, 
das  bei  den  ersten  fünf  Anleihen  8,54  Milliarden  K.  eingebracht  hat, 
und  das  für  die  jetzige,  die  sechste,  noch  mindestens  2  Milliarden  K. 
erwarten  läßt.  Setzt  man  die  sechs  ungarischen  Kriegsanleihen  also 
mit  rund  11  Milliarden  K.  an,  so  ergibt  sich  für  beide  Staaten,  für 
Oesterreich  und  Ungarn,  das  ganz  über  alle  Erwartungen  hohe  Gesamt- 
ergebnis von  mindestens  34  Milliarden  K. 

Der  Wiener  Korrespondent  der  „Voss.  Ztg."  schrieb  dazu :  „Daß 
die  Zeichnungsergebnisse  in  Oesterreich  weniger  schwanken  als  in 
Deutschland,  erklärt  sich  damit,  daß  es  im  großen  und  ganzen  immer 
dieselben  Schichten  sind,  die  den  Hauptteil  der  Zeichnungen  aufbringen. 
Die  Zunahme   gegen   die   fünfte  Kriegsanleihe   beträgt  genau  10  Proz. 


—    430    — 

Man  hat  in  den  ersten  Zeichnungswochen  mehr  erwartet.  Während 
bei  den  früheren  Kriegsanleihen  der  starke  Zufluß  an  Zeichnern  meist 
im  letzten  Teil  der  Zeichnungsfrist  zu  beobachten  war,  haben  diesmal 
schon  die  ersten  Zeichnungswochen  Anlaß  zu  großen  Erwartungen  ftlr 
das  Zeichnungsergebnis  geboten.  Darum  bedeutet  das  Ergebnis,  so 
glänzend  und  erfreulich  es  ist,  trotzdem  eine  leichte  Enttäuschung. 

Die  Gründe  dafür  sind  verschieden.  Vor  allem  hat  diesmal  die 
Landwirtschaft,  Großgrundbesitz  und  Bauernschaft  sich  verhältnismäßig 
noch  weniger  an  der  Kriegsanleihe  beteiligt  als  früher.  Es  ist  nicht 
gelungen,  Bequemlichkeit  und  Vorurteile,  die  die  landwirtschaftlichen 
Kreise  noch  immer  von  der  Kriegsanleihe  fernhalten,  zu  überwinden. 
Dazu  ist  auch  der  Werbeapparat  zu  primitiv  geblieben.  Er  hat  sich 
allerdings  gegen  die  früheren  Anleihen  etwas  verfeinert  und  ausge- 
staltet. Aber  mit  dem,  was  anläßlich  der  sechsten  Kriegsanleihe  in 
Deutschland  geleistet  wurde,  ist  das  überhaupt  nicht  vergleichbar.  Be- 
zeichnend genug  ist  die  eindruckslose  Form,  in  der  sogar  die  Plakate 
gehalten  waren.  Sie  entsprachen  allen  künstlerischen  Anforderungen, 
waren  aber  blutleere  Allegorien,  die  die  Masseninstinkte  vollkommen 
kalt  ließen.  Auch  die  Pressepropaganda  hat  nicht  viel  Phantasie  ge- 
zeigt und  durch  die  Wiederholung  natürlich  an  Wirksamkeit  verloren. 
Ein  zweiter  Umstand,  der  das  Zeichnungsergebnis  nicht  gerade  fördern 
konnte,  waren  die  wechselvollen  Vorgänge  an  der  Börse.  Der  Rummel 
in  Schiffahrtsaktien,  der  darauffolgende  empfindliche  Rückschlag  und 
neuerdings  wieder  die  Belebung  des  Verkehrs  haben  sicherlich  beträcht- 
liche Mittel  gebunden,  die  so  dem  Markt  für  die  Kriegsanleihe  ent- 
zogen blieben.  Dazu  kam  schließlich,  daß  die  innerpolitischen  Vorgänge 
gerade  im  letzten  Teil  der  Zeichnungsfrist  nicht  gerade  geeignet  waren, 
den  Zeichnungseifer  anzustacheln.  Wie  weit  schließlich  der  kapital- 
feindliche Geist,  der  in  den  Massen  unzweifelhaft  immer  mehr  Boden 
gewinnt,  Verärgerung  der  Besitzenden  hervorgerufen  hat,  läßt  sich 
schwer  beurteilen.  Von  einem  „Streik  der  Kapitalisten"  zu  sprechen, 
wie  es  vielfach  geschieht,  ist  angesichts  des  glänzenden  Ergebnisses 
der  Kriegsanleihe  sicherlich  unzulässig.  Aber  ohne  Zweifel  hat  die 
schwächliche  Bekämpfung  dieses  Geistes  durch  die  Regierung  die 
Zeichnungsfreudigkeit  auch  der  besitzenden  Kreise  beeinträchtigt. 

Indem  wir  das  feststellen,  soll  der  Erfolg  der  sechsten  Kriegs- 
anleihe nicht  herabgesetzt  werden.  Oesterreich  allein  hat  mit  seinen 
sechs  Kriegsanleihen  bisher  nicht  weniger  als  23  Milliarden  K.  auf- 
gebracht. Da  die  Kriegskosten  Oesterreichs  bis  Ende  Januar  35  Mil- 
liarden K.  betragen,  so  hat  Oesterreich  bisher  durch  Anleihen  rund 
zwei  Drittel  seiner  Kriegskosten  gedeckt.  Die  ungarischen  Kriegs- 
anleihen mit  zusammen  etwa  11  Milliarden  halten  sich  ungefähr  im 
selben  Verhältnis.  Das  ist  mehr,  als  mit  Ausnahme  Deutschlands 
sämtliche  kriegführenden  Staaten  durch  Kriegsanleihen  aufbringen 
konnten. 

Besonders  erfreulich  erscheint  unter  diesem  Gesichtspunkt,  daß 
von  der  sechsten  Kriegsanleihe  mehr  als  die  Hälfte  auf  die  langfristige 
amortisable  Anleihe  entfällt,  während  von  der  fünften  etwa  drei  Fünftel 


—    431     — 

in  kurzfristigen  Schatzscheinen  gezeichnet  waren.  Oesterreich  hat  dies- 
mal, wie  erinnert  sei,  wahlweise  eine  40-jährige  amortisable  Anleihe 
zu  92  Proz.  und  10-jährige  Schatzscheine  zu  93,50  Proz.  aufgelegt. 
Der  Zinsfuß  beträgt,  wie  bei  sämtlichen  früheren  Anleihen,  51/2  Proz. 
Die  E,entabilität  der  amortisablen  Anleihe  stellt  sich  auf  durchschnitt- 
lich 6^4  Proz.,  die  der  Schatzscheine  auf  6,4  Proz.  Daß  als  Volks- 
anleihe vor  allem  die  langfristige  gedacht  ist,  kommt  darin  zum  Aus- 
druck, daß  nur  sie  in  kleinen  Stücken  von  50  K.  aufwärts  ausgestellt 
ist,  während  von  den  Schatzscheinen  nur  Stücke  von  1000  K.  aufwärts 
ausgegeben  werden.  Ungarn  hat  lediglich  6-proz.  Rente  zu  96  Proz. 
ausgegeben.  Dort  hat  man  diesmal  auf  einen  zweiten  Anleihetypus  ver- 
zichtet. Die  Zinsfußbegünstigungen  und  Belehnungsbedingungen  sind 
in  beiden  Reichshälften  unverändert  die  gleichen  geblieben. 

Die  Gleichförmigkeit  des  Anleihetypus,  namentlich  in  Oesterreich, 
scheint  sich  im  allgemeinen  bewährt  zu  haben,  da  sie  bei  einem  finan- 
ziell weniger  geschulten  Publikum  die  Werbetätigkeit  erleichtert.  Aber 
man  hat  sie  sich  zu  leicht  gemacht." 

Nach  einer  Meldung  der  schweizerischen  Depeschen-Agentur  hat 
die  siebente  eidgenössische  Mobilisationsanleihe  von 
100  Mill.  frcs.  ein  glänzendes  Ergebnis  gehabt.  Es  wurden  von 
23  581  Zeichnenden  150423400  frcs.  gezeichnet.  Das  Ergebnis  der 
Anleihe  bedeutet  ein  glänzendes  Vertrauensvotum  des  Schweizer  Volkes 
in  die  unerschütterliche  Neutralitätspolitik  des  schweizerischen  Bundes- 
rates, 

Im  April  d.  J.  haben  die  spanischen  Staatseinnahmen 
98899  000  Pesetas  betragen,  was  einer  Zunahme  gegenüber  dem  Vor- 
jahre um  5  693  000  Pesetas  entspricht.  In  den  ersten  4  Monaten 
dieses  Jahres  beläuft  sich  das  Plus  der  Staatseinnahmen  auf26  087  000 
Pesetas. 

Der  türkische  Staatsvorschlag  für  1917  beziffert,  wie  wir 
einem  in  der  „N.  Zürch.  Ztg."  veröffentlichten  Aufsatz  von  Dr.  C.  P. 
Wiedemann,  Subdirektor  der  Betriebsgesellschaft  der  Orientalischen 
Eisenbahnen,  entnehmen,  die  ordentlichen  Ausgaben  für  das  Finanzjahr 
1917  (1.  März  1917  bis  28.  Februar  1918)  auf  1  253  175  000  frcs.  (um- 
gerechnet auf  Grund  der  Münzparität,  d.  h.  1  türk.  Pfund  gleich 
22,785  frcs.),  und  zwar  unter  Zuhilfenahme  des  seit  Fertigstellung  des 
Budgets  durch  die  Regierung  sich  ergebenden  notwendigen  Ergänzungs- 
kredit in  Höhe  von  203  470050  frcs.  Die  Einnahmen  werden  auf 
478  485  000  frcs.  veranschlagt,  so  daß  sich  ein  Fehlbetrag  von 
774  690  000  frcs.  ergibt.  Die  Ziffern  rühren  von  den  Ausführungen  , 
her,  die  der  Finanzminister  Dschavid  Bei  in  der  ottomanischen  De- 
putiertenkammer anläßlich  der  Budgetverhandlungen  machte. 

Ueber  die  finanziellen  Aussichten  nach  dem  Kriege  äußerte  der 
Minister  bei  dieser  Gelegenheit,  die  ordentlichen  Jahresausgabeu  seien 
auf  956,96  Mill.  frcs.  zu  schätzen,  unter  der  dreifachen  Voraussetzung, 
daß  die  Heeres-  und  Marineausgaben  nach  Friedensschluß  unverändert 
bleiben,  daß  die  Mittel  für  Verzinsung  und  Amortisation  der  im 
Kriege   kontrahierten   schwebenden   Schuld   außerhalb  des  ordentlichen 


-     432    — 

Budgets  aufgebracht  werden,  und  daß  keine  neuen  namhaften  Investi- 
tionen geschehen.  Die  zukünftigen  Einnahmen  berechnet  Dschavid  Bei 
auf  820,26  Mill.  frcs.,  wobei  er  für  die  bisherigen  Einnahmen,  die  vor 
dem  Weltkrieg  etwa  683,55  Mill.  frcs.  pro  Jahr  lieferten,  wegen  der 
inzwischen  verminderten  Ergiebigkeit  nur  592,32  Mill.  frcs.  ansetzt. 
Dazu  kämen  113,92  Mill.  frcs.  aus  der  von  den  Beengungen  der  Kapi- 
tulationen befreiten  Zollverwaltung  mitsamt  dem  Zehnten,  45,57  Mill. 
frcs.  aus  den  geplanten  Erhöhungen  der  Verzehrungssteuern  und  end- 
lich 68,45  Mill.  frcs.  aus  der  gleichfalls  geplanten  Kriegsgewinnsteuer, 
sowie  aus  dem  Ertrag  von  später  einzuleitenden  Reformen  des  jetzigen 
Steuersystems.  Diese  Voraussichten,  in  Verbindung  mit  der  von 
Deutschland  zugesicherten,  sich  auf  11  Jahre  nach  Friedensschluß  er- 
streckenden staatsfinanziellen  Beihilfe  und  ergänzt  durch  größtmögliche 
Sparsamkeit  im  gesamten  Staatshaushalt,  lassen  Dschavid  Bei  erhoffen, 
es  werde  möglich  sein,  das  türkische  Budget  nach  dem  Kriege  wieder 
in  sichere  Bahnen  zu  leiten. 

Das  Anwachsen  der  Staatsschuld  ist  derart  stark,  daß  sie  sich 
Ende  August  1917  bereits  auf  7523,29  Mill.  frcs.  belaufen  wird.  Bei 
Ausbruch  des  Krieges  betrug  die  konsolidierte  und  schwebende  Schuld 
3417,75  Mill.  frcs.;  mithin  beträgt  der  Zuwachs  4105,54  Mill.  frcs., 
der  sich,  wie  folgt,  zusammensetzt:  die  ersten,  aus  der  Mobilisierung 
entstandenen  Bedürfnisse  wurden  durch  Requisitionen  gedeckt,  deren 
im  März  1917  noch  uneingelösten  Betrag  Dschavid  Bei  auf  455,70 
Mill.  frcs.  schätzt.  Dazu  kamen  54,09  Mill.  frcs.  für  sofort  in  Angriff 
zu  nehmende  militärische  Ausgaben,  27,62  Mill.  frcs.  Kredite  bei  der 
Ottomanbank,  ferner  die  beträchtlichen  Subsidien  der  Verbündeten 
(Deutschlands  und  Oesterreich-Ungarns),  die  bis  jetzt  207], 13  Mill.  frcs. 
erreichen.  Außerdem  wurden  in  Deutschland  zur  Deckung  verschie- 
dener Bedürfnisse  Kredite  von  496  Mill.  M.  in  Anspruch  genommen,  was 
eine  weitere  Zunahme  der  Schuld  um  569,63  Mill.  frcs.  bedeutet.  Für 
Munitionslieferungen  Deutschlands  wurden  bisher  weitere  569,63  Mill. 
frcs.  verausgabt.  Zu  diesen,  den  eigentlichen  Kriegsbedarf  deckenden 
Mitteln  traten  noch  verschiedene  andere  Verbindlichkeiten :  Guthaben 
von  Kriegslieferanten  usw.  mit  93,46  Mill.  frcs.,  Gehalt-  und  Pensions- 
erfordernisse, die  der  definitiven  Regelung  bedürfen,  mit  39,10  Mill.  frcs., 
Ansprüche  der  Ottomanbank  mit  34,18  Mill.  frcs.  und  unbezahlte  Zins- 
scheine im  Besitz  der  von  Angehörigen  der  feindlichen  Länder  befindlichen 
Anleihen  mit  191,01  Mill.  frcs.  Der  veranschlagte  Schuldenzuwachs 
von  4105,54  Mill.  frcs.  erfährt  noch  eine  Erhöhung  durch  240  Mill.  K. 
inzwischen  genehmigte  weitere  Subsidien  Oesterreich-Ungarns  für  die 
Militärlieferungen  und  Transportkosten;  dieser  Betrag  macht  188,55 
Mill.  frcs.  aus. 

lieber  Griechenlands  Finanzen  schrieb  Fritz  Zutrauen  in 
der  „Voss.  Ztg."  vom  14.  Juni  uater  anderem:  Was  die  finanziellen 
Verhältnisse  anbelangt,  so  interessieren  uns  in  Deutschland  von  den 
griechischen  Anleihen  nur  die  hier  zur  Zeichnung  aufgelegten  und  an 
deutschen  Börsen  zugelassenen  Werte,  und  zwar  (die  in  Klammern  bei- 
gefügten  Ziffern    geben    den  Umlauf   am  Ende  des  Jahres  1915  sowie 


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die  Kurse  der  Berliner  Börse  am  25.  Juli  1914  an):  5-proz.  Anleihen 
von  1881  und  1884  (88,3  Mill.  bzw.  77,0  Mill.  frcs  —  54,50),  4-proz. 
Monopolanleihe  von  1887  (116,7  Mill.  frcs.  —  ohne  Notiz),  4-proz. 
Goldrente  von  1889  (131,7  Mill.  frcs.  —  41,75),  5-proz.  Piräus-Larissa- 
Anleihe  (50,8  Mill.  frcs.  —  52,50),  sowie  die  gleichfalls  5-proz.  Fundie- 
rungsanleihe  von  1893  (8,2  Mill.  frcs.  —  hier  nicht  notiert).  Nachdem 
die  Besitzer  der  griechischen  Papiere  im  Jahre  1893  so  schmerzliche 
Erfahrungen  gemacht  hatten,  haben  sich  die  Aussichten  für  sie  doch 
von  Jahr  zu  Jahr  günstiger  gestellt.  Und  wenn  es  sich  jeweils  auch 
nur  um  bescheidene  Bruchteile  eines  Prozents  handelte,  um  welche  die 
Anleiheinhaber  in  ihrem  Zinsgenuß  aufgebessert  wurden,  so  war  doch 
die  Entwicklung  dauernd  und  stetig.  Nur  die  Balkankriege  brachten 
vorübergehend  einen  leichten  Rückgang  in  den  Einnahmen.  Aber  der 
für  Griechenland  siegreiche  Ausgang  jener  Kämpfe  förderte  die  Ent- 
wicklung um  so  mehr,  als  dem  Lande  so  reiche  Gebiete,  wie  Saloniki, 
Kawalla  und  Mazedonien  als  Siegespreis  zufielen. 

Ueber  die  Höhe  der  Einnahmen  der  für  den  Dienst  der  griechischen 
Schuld  bestimmten  Pfänder  ist  hier  auf  Grund  der  seitens  der  Inter- 
nationalen Einanzkommission  in  Athen  zusammengestellen,  vom  Council 
of  Foreign  Bondholders  veröffentlichten  Ziffern  jeweils  regelmäßig 
berichtet  worden.  Natürlich  hat  die  ganze  Entwicklung  durch  die 
Festsetzung  der  Entente  in  Saloniki  und  durch  die  Drangsalie- 
rungen jeder  Art  des  übrigen,  königstreuen  Griechenland  gewaltige 
Verschiebungen  erfahren,  die  über  die  wahre  Lage  des  Landes  nur 
unvollkommen  Aufschluß  geben.  Bemerkenswert  ist,  daß  sich  der 
griechische  Wechselkurs  während  dieses  Krieges  stets  über  pari  be- 
wegt hat,  nachdem  er  schon  in  den  letzten  8  Jahren  den  Paristand 
eingenommen  hatte.  Diese  Erscheinung  ist  darauf  zurückzuführen,  daß 
Griechenland  im  Vergleich  mit  seinem  Notenumlauf  die  höchste  Gold- 
deckung aller  Länder  der  Welt  besitzt,  nämlich  eine  Goldreserve  von 
100  Proz.  In  der  Tat  stand,  laut  Dragumis-Akte  vom  Jahre  1910, 
am  31.  Dezember  1916  einer  Zirkulation  von  153  Mill.  Dragmen  ein 
Goldschatz  in  gleicher  Höhe  gegenüber.  Rechnet  man  die  seitens  der 
Nationalbank  von  Griechenland  und  der  englischen  Jonian  Bank  aus- 
gegebenen Noten  mit  —  das  Emissionsrecht  der  letzteren  läuft  1920 
ab  —  so  ergibt  sich  bei  einer  Zirkulation  von  226  Mill.  eine  Gold- 
reserve von  208  Mill.  Drachmen,  was  immer  noch  einem  Deckungsver- 
hältnis von  92  V.  H.  entspricht.  Freilich  sind  daneben  noch  für 
'62  Mill.  Drachmen  Noten  für  Rechnung  der  Regierung  in  Umlauf,  aber 
weder  diese  noch  die  Emmissionen  der  genannten  beiden  Banken  ver- 
mögen an  dem  Prinzip  der  Dragumirs-Akte  in  bezug  auf  die  Gold- 
deckung etwas  zu  ändern,  weil  die  Noten  der  Nationalbank  und  der 
-Jonian-Bank  „privilegiert"  und  bei  dem  Erlöschen  der  Emissionsrechts- 
frist zu  tilgen  sind.  Andererseits  bedürfen  die  für  Rechnung  der 
Regierung  umlaufenden  Noten  keiner  Golddeckung. 

Als  dann  Anfang  September  in  Athen  Unruhen  gegen  die 
Entente  ausbrachen,  wurde  nicht  nur  die  Hungerblockade  über  das 
Land  verhängt,  sondern  auch  die  Finanzblockade  über  die  griechischen 


—    434    — 

Outhaben  an  der  Seine  und  Themse.  Einschließlich  der  laut  Dra- 
gumis-Akte  bestehenden  Goldreserve  mag  es  sich  da  um  erhebliche 
Summen,  die  auf  7  Mill.  £  zu  veranschlagen  sind,  gehandelt  haben. 
Natürlich  nahmen  die  Changeoperationen  ein  plötzliches  Ende,  und 
da  auch  das  Zahlen  von  Nationalbanknoten  nach  Saloniki  mit 
einem  Schlage  aufhörte,  so  drohte  eine  heftige  Währungskrise  auszu- 
brechen. Die  Verbündeten  suchten  sich  dadurch  zu  helfen,  daß  sie 
große  Beträge  von  Noten  der  Bank  von  Frankreich  nach  Saloniki 
sandten,  denen  sie  dort  Zwangskurs  gaben.  Damit  schnitt  sich  die 
Entente  aber  ins  eigene  Fleisch,  da  diese  Noten  ja  auf  die  französische, 
gegenüber  der  griechischen  stark  entwertete  Valuta  lauteten  und  in 
Saloniki  nur  mit  großem  Disagio  unterzubringnn  waren.  Inzwischen 
half  sich  die  Athener  Regierung  ihrerseits,  um  die  bedrohten  griechischen 
Guthaben  in  London  und  Paris  zu  retten,  dadurch,  daß  sie  gegen  die 
Bestimmungen  des  Gesetzes  von  1910  verstieß.  Durch  den  damaligen 
Ausgleich  zwischen  der  Regierung  und  den  Ententemächten  wurden 
die  Schwierigkeiten  der  für  beide  Parteien  heiklen  Lage  beigelegt. 

Ueber  die  englischen  Staatsfinanzen  berichteten  „Financial 
News"  und  „Financial  Times"   am  20.  Juni: 

Die  staatshaushaltmäßigen  Einnahmen  der  11.  Woche  des  Rechnungs- 
jahres (10. — 16.  Juni)  belaufen  sich  auf  8  316  000  £,  wozu  Einkommen« 
Steuer  nur  473000  £,  dagegen  Kriegsgewinnsteuer  4  237  000  £,  Zölle 
1188  000  £  und  indirekte  Abgaben  671000  £  beitrugen. 

Die  verrechnete  Ausgabe  betrug  bei  nur  1 042  950  £  für  Kriegs- 
schuldendienst nicht  mehr  als  32  468  272  £.  (Dies  beruht  offenbar 
auf  dem  System  der  Verrechnung,  da  eine  „Central  News"  -  Meldung 
vom  19.  Juni,  laut  „Financial  Times"  vom  20.  Juni,  Lord  Northcliffe 
in  New  York  erklären  läßt,  daß  England  in  Amerika  allein  wöchentlich; 
50  Mill.  $  ausgibt.) 

Die  Geldaufnahme  ergab  so  viel,  daß  damit  nicht  nur  der  Ausgaben- 
Überschuß  gedeckt  werden,  sondern  auch  noch  der  Kassenbestand  um 
1 865  728  £  erhöht  werden  konnte,  so  daß  er  bei  Wochenschlul^ 
25  312  924  £  gegen  25  718  492  £  vor  einem  Jahre  betrug. 

Einzelheiten  der  Geldaufnahme: 

Anzahlungen  auf  die  letzte  Anleihe  gelangten  in  Höhe  von 
30  600000  £  zur  Verrechnung,  womit  der  eingezahlte  Betrag  sich  auf 
941  467  710  £  hebt.    Kleine  Nachzahlungen  bleiben  noch  zu  verrechnen. 

Der  Ertrag  der  Kriegssparzertifikate  hat  sich  auf  900000  £  ge^ 
hoben,  dagegen  ist  der  Wochenertrag  des  Verkaufs  5-prozentiger  Schatz- 
anweisungen auf  2  603  000  £  (also  weniger  als  die  Hälfte  des  Betrages 
der  Woche  vorher,  und  dies  trotz  der  größten  Anstrengungen  durch 
Reklame)  zurückgegangen.  Man  hofft  jetzt,  laut  „Financial  News",  auf 
eine  Verbesserung  infolge  der  Abänderung  der  Bestimmungen  über  die 
Ausgabe  von  Schatzwechseln  und  der  Herabsetzung  des  Banksatzes  „für 
besondere  Depositen  der  Clearing  Banks  von  4Y2  auf  4  v.  H.,  die  mit 
der  Herabsetzung  des  Banksatzes  auf  den  Stand  der  Friedenszeit  gleich- 
bedeutend ist". 


—    435    — 

An  zeitweiligen  Vorschüssen  wurden  28^2  Mill.  zurückgezahlt  und 
4  Mill.  aufgenommen. 

An  Schatzwechseln  wurden  13  478  000  £  zurückgezahlt  und 
29  568  000  £  neu  ausgegeben.  Der  Gesamtbetrag  der  ausstehenden 
Schatzwechsel  steigt  damit  auf  614  680000  £.  Nach  einer  im  „Statist" 
vom  16.  Juni  aufgestellten,  aber  durch  die  Ergebnisse  der  11.  Woche 
ergänzten  Berechnung  sind  davon  387  726  000  £  neue  Schatzwechsel 
des  laufenden  und  226  834000  £  solche  des  letzten  Rechnungsjahres, 
die  noch  in  diesem  Rechnungsjahre  getilgt  oder  erneuert  werden  müssen. 

Die  laut  Börsenbericht  der  „Finaucial  News"  vom  20.  Juni  vom 
Geldmarkt  günstig  aufgenommene  Neuerung  in  der  Geldaufnahme,  die 
am  19.  Juni  angekündigt  worden  ist,  besteht  darin,  daß  die  Schatz- 
wechsel nicht  mehr  im  Vergebuogswege  und  nicht  mehr  mit  einjähriger 
Laufzeit  ausgegeben  werden.  Es  werden  nur  noch  freihändig  Drei- 
und  Sechsmonatswechsel  verkauft,  aber  nicht  mehr  wie  bisher  nur  an 
Banken  und  Bankfirmen,  und  zu  etwas  niedrigeren  Diskontsätzen  als 
bisher,  die  von  Zeit  zu  Zeit  neu  festgesetzt  werden  sollen,  um  dadurch 
die  5-proz.  Zinsen  der  Schatzanweisungen  für  deren  künftige  Abnehmer, 
die  bekanntlich  bei  dreimonatiger  Kündigung  am  1.  Oktober  1919 
Rückzahlung  verlangen  können,  reizvoller  zu  machen. 

Der  „Statist"  stellt  folgende  Berechnungen  über  die  von  Eng- 
land an  Verbandsgenossen  und  Dominien  gewährten 
Kriegs  Vorschüsse  auf  (in  Mill.  £): 

Verbandsgenossen      Dominien       Insgesamt 
1914/15  i8  44  62 

1915/16  270    -  54  324 

1916/17  540 54 594 

Zusammen  828  152  980 

1./4.— 5./5.  1917  64 4 68 

Zusammen  892  156  1048 

Interessant  ist  dabei,  daß  von  den  980  Millionen,  die  bis  Ende 
letzten  Rechnungsjahres  vorgeschossen  waren,  wie  der  „Statist"  angibt, 
nur  918  Millionen  bar  vorgeschossen  waren,  während  sich  die  übrigen 
62  Millionen  aus  geschuldeten  Zinsen  und  Skonti  zusammensetzen. 

Einem  Bericht  über  französische  Finanzen  im  „Berliner 
Börsen-Courier"  (Mitte  Juni)  entnehmen  wir  folgendes: 

Ende  April  laetrug  die  französische  Kriegsschuld  nahe  an 
59  Milliarden,  worunter  ungefähr  7  an  England  und  3  an  die  Ver- 
einigten Staaten.  Die  Rückzahlung  dieser  beiden  Posten  dürfte  vorerst 
keine  Sorge  machen,  im  Gegenteil  werden  die  Fortschritte  auf  der 
schiefen  Ebene  durch  die  Hilfsbereitschaft  der  Vereinigten  Staaten  er- 
leichtert werden,  die  auf  diese  Weise  die  bereits  geliehenen  Summen 
sicherzustellen  suchen.  Der  Fälligkeit  nach  verteilte  sich  die  obige 
Summe  in  21^/^  Milliarden  konsolidierte  Anleihe,  20 Yg  Milliarden  be- 
fristete und  16^/2  Milliarden  schwebende  Schulden;  die  beiden  letzteren 
Posten  müssen  sich  inzwischen  entsprechend  vermehrt  haben.  Für  die 
befristeten   Schulden   im   Inland   braucht    man    auch    einstweilen    nicht 


—    436    — 

vorzusorgen  nach  dem  Axiom  „qui  doit  k  terme  ne  doit  rien",  aber 
man  kann  sie  nicht  unausgesetzt  weiter  erhöhen.  Schon  schuldet  man 
der  Bank  von  Frankreich  lO^/g  Milliarden  (ganz  abgesehen  von  den 
2Y2  Milliarden  Schatzwechseln)  und  nähert  sich  rasch  der,  erst  Mitte 
Februar  auf  12  Milliarden  erhöhten  Grenze,  während  als  Folge  hiervon 
deren  Notenumlauf  I9V2  Milliarden  beträgt.  Am  bedenklichsten  ist  aber 
die  schwebende  Schuld,  sowie  der  Umstand,  daß  die  Geldbeschaffung 
erheblich  hinter  den  Ausgaben  zurückbleibt;  so  erreichen  die  Kredite 
und  Vorschüsse  an  Verbündete  bis  30.  Juni  87  Milliarden,  während 
am  30.  April  durch  Anleihen  und  Steuern  erst  ungefähr  64  Milliarden 
eingeangen  waren. 

Unter  diesen  Verhältnissen  ist  es  begreiflich,  daß  man  an  die 
baldige  Konsolidierung  durch  eine  neue  Anleihe  denkt,  wenn  auch 
offiziell  nicht  davon  gesprochen  wird.  Die  Finanzpresse  beschäftigt 
sich  angelegentlich  mit  der  Frage,  welcher  Art  die  Anleihe  sein  soll, 
und  jeder  „economiste  eminent"  bringt  seine  Vorschläge  und  setzt  sie 
auseinander.  Der  Direktor  des  „Rentier",  Herr  Neymark,  empfiehlt  in 
der  „Information"  eine  große  Losanleihe,  der  er  einen  großen  Erfolg 
in  Aussicht  stellt.  Er  sucht  besonders  das  Vorurteil  zu  entkräften, 
daß  es  unmoralisch  sei,  die  Gewinnsucht  ausbeuten  zu  wollen,  und  er- 
innert daran,  daß  eine  ganze  Reihe  französischer  Kirchen  aus  dem  Er- 
trag von  Lotterien  gebaut  worden  sind.  Im  „Temps"  empfiehlt  Herr 
Manchez  eine  6-proz.,  jederzeit  konvertierbare  Anleihe  und  spricht  sich 
gegen  eine  Losanleihe  aus,  mit  welcher  man  keinesfalls  die  vielen  Mil- 
liarden aufbringen  könnte,  um  welche  es  sich  handelt.  Als  Beweis  für 
«eine  Behauptung  dienen  ihm  Angaben  über  Emissionen  des  Credit 
Foncier,  die  geringen  Erfolg  hatten,  weil  sie  an  das  beschränkte  Pub- 
likum, welches  derartige  Obligationen  kauft,  zu  große  Ansprüche  stellten. 
So  viel  ist  sicher,  es  würde  dem  Credit  Foncier,  der  schon  seit  3  Jahren 
zur  Untätigkeit  verdammt  und  jetzt  im  Begriff  ist,  eine  Kapitals- 
-erhöhung  von  12  Mill.  frcs.  vorzunehmen,  damit  er  sobald  wie  möglich 
in  der  Lage  ist,  eine  möglichst  hohe  Ausgabe  von  Losobligationen  zu 
machen,  recht  ungelegen  kommen,  wenn  ihm  der  Staat  alle  Möglichkeit 
hierfür  abschneiden  würde.  Es  ist  also  nicht  zu  verwundern,  wenn  er 
^egen  derartige  Vorschläge  Stimmung  zu  machen  sucht,  und  der  „Temps" 
ist  für  derartiges  stets  zu  haben. 

Der  neue  Finanzminister  hat,  wie  sein  Vorgänger,  betont,  daß  es 
Pflicht  der  Regierung  wie  jedes  Einzelnen  sei,  die  Bezüge  aus  dem 
Ausland  herabzumindern  und  die  heimische  Industrie  zu  fördern  und 
zu  entwickeln.  Aber  die  Lage  der  Industrie  hat  sich  bis  jetzt  nicht 
viel  gebessert,  nur  diejenige,  welche  Kriegsbedarf  irgendwelcher  Art 
liefert,  ist  stark  beschäftigt.  Bei  den  Eisenbahnen  haben  sich  die  Ein- 
nahmen (hauptsächlich  durch  die  nichts  weniger  als  einträglichen  mili- 
tärischen Transporte)  erhöht,  aber  die  Ausgaben  teilweise  noch  mehr. 
Das  Defizit  der  sechs  Bahnsysteme  beträgt  für  die  drei  letzten  Jahre 
über  eine  Milliarde,  wovon  die  Staatsbahnen  mit  400  Mill.  den  Löwen- 
anteil zu  tragen  haben.    Die  bei  den  Kammern  beantragte  provisorische 


—    437    - 

Tariferhöhung  von  15  Proz.  wird  nicht  den  Bahnen,  sondern  dem  Per- 
sonal zugute  kommen. 

Ueber  neue  f  r  anzösisch  e  Steuern  meldet  (ebenfalls  Mitte  Juni) 
„Nouvelliste  de  Lyon"  aus  Paris :  Der  Haushaltsausschuß  der  Kammer 
billigte  die  Regierungsvorlage  bezüglich  der  vorläufigen  Haushalts- 
zwölftel für  das  dritte  Vierteljahr  1917  und  erhöhte  die  Kredite  von 
9  843  272  000  frcs.  auf  9  87 1  330  000  frcs.  Der  Haushaltsausschuß  billigte 
ferner  die  Absicht  der  Regierung,  der  Kammer  neue  Maßnahmen  zu 
unterbreiten,  durch  welche  die  Einnahmen  Frankreichs  um  jährlich  über 
eine  Milliarde  erhöht  werden.  Die  neuen  Einnahmen  sollen  zur  Deckung 
der  laufenden  Ausgaben  dienen.  Die  eigentlichen  Kriegsausgaben  sollen 
weiterhin  durch  vorläufige  Kredite  sichergestellt  werden. 

Der  Finanzminister  teilte  dem  Haushaltsausschuß  die  Ausarbeitung 
eines  Systems  neuer  Steuern  mit,  die  1200  Mill.  frcs.  einbringen  sollen. 
Eine  Steuer  von  eins  vom  Tausend  auf  Zahlungen  im  Handelsbetriebe 
wird  auf  die  Zahl  der  Umsätze  gelegt  werden  und  soll  50  Mill.  frcs. 
erbringen.  Eine  Steuer  auf  Aufwendungen  im  Privathaushalt,  ab- 
gesehen von  Ernährung,  Heizung,  Beleuchtung  und  Miete,  soll  sich  auf 
5  v.  H.  für  Kleidung,  Mobiliar  usw.  und  auf  10  v.  H.  für  Luxus- 
ausgaben belaufen  und  450  Mill.  frcs.  bringen.  Ein  Gesetzentwurf 
führt  eine  Erbschaftssteuer  bei  Antritt  des  Erbes  und  eine  jährliche 
Abgabe  auf  den  Wert  der  Erbschaft  während  des  Lebens  des  Erben 
ein.  Der  Minister  schlägt  noch  die  Erhöhung  der  Erbschaftssteuer  für 
den  Fall  vor,  daß  nur  ein  Erbe  vorhanden  ist,  ferner  die  Aenderung 
der  Portofreiheit  der  Soldaten,  die  Erhöhung  der  Eisenbahntarife,  die 
Aenderung  oder  Ausgleichung  gewisser  bestehender  Abgaben,  haupt- 
sächlich auf  Kriegsgewinne,  und  gerichtlicher  Beurkundungen,  und  sieht 
endlich  Maßnahmen  gegen  betrügerische  Umgehungen  der  Steuern  vor. 

Ueber  Rußlands  Finanzlage  heißt  es  in  „ Russkija  Wjedomosti" 
u.  a.:  „Außerordentliche  Maßregeln  sind  erforderlich,  um  die  Finanzen 
vor  einer  Erschütterung  zu  bewahren.  Die  nächste  und  gegenwärtig 
einzig  mögliche  Maßregel  ist  eine  kräftige  energische  Unterstützung  der 
Freiheitsanleihe,  und  zwar  von  Seiten  aller  Klassen  der  Bevölkerung. 
Der  erste  Monat  ergab  Zeichnungen  auf  den  ungefähren  Betrag  von 
einer  Milliarde,  also  beinahe  doppelt  so  viel  wie  bei  früheren  Anleihen. 
Es  wäre  also  ungerechtfertigt,  von  einem  Mißerfolg  oder  einem  , Durch- 
fall' der  Anleihe  zu  sprechen.  In  Berücksichtigung  des  Ueberflusses 
an  freiem  Kapital  kann  man  trotzdem  nicht  umhin,  zu  konstatieren, 
daß  die  Kreise  des  Handels  und  der  Industrie  nicht  den  Enthusiasmus 
in  der  Unterstützung  der  Anleihe  bewiesen  haben,  den  das  Land  mit 
Recht  von  ihnen  erwarten  durfte.  Die  Veränderungen  in  der  pro- 
visorischen Regierung  müssen  auch  den  Zeichnungen  für  die  Anleihe 
einen  neuen  Schwung  verleihen.  Die  Zeichnungsfrist  läuft  erst  in 
2 — 3  Wochen  ab.  Das  Land  muß  den  Beweis  liefern,  daß  es  zu  der 
neuen  Form  der  Regierung  Vertrauen  hat  und  mit  Zuversicht  seiner 
Zukunft  entgegenblickt."  Das  Ergebnis  der  inneren  „Freiheitsanleihe" 
war  aber  in  Wirklichkeit  sehr  schlecht,  und  die  Zeichnungsfrist  ist 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkawirtsch.  Chronik.  1917.  XXIX 


-    43»    - 

„aus  technischen  und  politischen  Gründen"  bis  Mitte  Juli  verlängert 
worden.  Bis  Mitte  Juni  sollen  nur  etwa  1200  Mill.  Rubel  gezeichnet 
worden  sein.  Der  Gedanke  einer  Zwangsanleihe  wurde  daher  in  der 
russischen  Presse  ernsthaft  besprochen. 

Die  große  SYg-proz.  Anleihe  der  Vereinigten  Staaten  hat 
mit  einem  Mißerfolg  geendigt.  Zwar  sind  die  aufgelegten  2  Milliarden 
etwa  anderthalbmal  gezeichnet  worden,  doch  mußten  die  Banken  große 
Summen  übernehmen,  und  die  Anleihe  wurde  an  der  New  Yorker  Börse 
sofort  nach  Zeichnungsschluß  mit  Disagio  gehandelt,  was  die  Regierung 
dazu  veranlaßte,  Kabelmeldungen  des  Kurses  zu  unterdrücken.  Nun 
sind  3  Milliarden  $  gewiß  eine  sehr  stattliche  Summe.  Vergegen- 
wärtigt man  sich  aber  den  Reichtum,  zu  dem  Amerika  im  Verlaufe 
des  Krieges  gekommen  ist,  so  deutet  die  Zahl  von  3  Milliarden  $ 
nicht  auf  eine  besonders  große  Popularität  der  Freiheitsanleihe  hin. 
Bezeichnend  ist,  daß  bereits  für  Mitte  September  die  Ausgabe  einer 
4Y2-proz.  Anleihe  angekündigt  wird,  wodurch  sich  der  Zinssatz  der 
ersten  Anleihe  automatisch  auf  die  gleiche  Höhe  heben  würde.  Die 
Vorschüsse  an  die  Verbündeten  scheinen  übrigens  jetzt  schon  etwas 
sparsamer  gewährt  zu  werden. 

Nach  brasilianischen  Pressemeldungen  wurde  Brasilien  eine 
amerikanische  Anleihe  in  Höhe  von  500000  Contos  in  Aussicht  ge- 
stellt, ferner  von  selten  Englands  ein  Vorschußbetrag,  der  den  Forde- 
rungen an  Deutschland  für  Kaffeeverkäufe  in  Hamburg  und  Antwerpen 
entspricht. 

üeber  indische  Kriegsanleihe-Lotterien  berichtet  die 
„Voss.  Ztg."  :  Mit  welchen  Mitteln  gearbeitet  wurde,  um  der  indischen 
Kriegsanleihe  zum  Erfolge  zu  verhelfen,  geht  daraus  hervor,  daß  dem 
India  Turf  Club  und  dom  Royal  Calcutta  Turf  Club  gestattet  wurde, 
zugunsten  der  Anleihe  Lotterien  zu  veranstalten.  Die  Gewinne  be- 
standen in  öYg-proz.  Kriegsanleihebonds.  Und  dabei  wurde  knapp  ein 
Viertel  des  Anleihebetrages  gezeichnet.  (G-  C.) 

IX.  Kleingewerbe,  einschließlich  Mittelstandsbewegung. 

Inhalt:  Sitzung  des  geschäftsführenden  Ausschusses  des  Deutschen  Hand- 
werks- und  Gewerbekammertages;  Rohstoffversorgung  des  Handwerks;  Zentral- 
Lieferungsgenossen Schäften ;  Heranziehung  des  gewerblichen  Nachwuchses  zum 
Handwerk;  Berufsberatung  und  Lehrstellen  Vermittlung;  gewerbliche  Privatschulen; 
das  gewerbliche  Berechtigungswesen;  Fürsorge  Versicherung  für  Handwerker; 
Aenderung  des  Wahlrechts  zur  Handwerkskammer. 

Am  31.  Mai  und  1.  Juni  d.  J.  fand  eine  Sitzung  des  geschäfts- 
führenden Ausschusses  des  Deutschen  Handwerks-  und  Gewerbekammer- 
tages in  Danzig  statt,  auf  der  vor  allem  wichtige  kriegswirtschaft- 
liche Maßnahmen  des  Handwerks  zur  Besprechung  kamen.  In  erster 
Linie  war  es  die  Frage  der  Rohstoffversorgung  des  Hand- 
werks für  die  Zeit  der  Uebergangswirtschaft  aus  dem  Kriegs-  in 
den  Friedenszustand,  die  hier  Gegenstand  eingehender  Erörterung 
bildete.     Die  außerordentliche  Bedeutung  dieser  Frage  für  das  deutsche 


—    439    - 

klein  gewerbliche  Wirtschaftsleben  hat  bereits  seit  längerer  Zeit  die 
Regierung,  die  Interessenvertretungen  und  die  beteiligten  Handwerker 
veranlaßt,  Maßnahmen  zu  erwägen,  die  einerseits  eine  möglichst  glatte 
Forti  etzung  der  Erzeugung  möglich  machen,  andererseits  eine  Ueber- 
schwemmung  des  deutschen  Arbeitsmarktes  mit  Rohstoffen  verhindern 
sollen.  Feste  Grundlagen  für  den  künftigen  Bedarf  zu  gewinnen,  ist 
naturgemäß  sehr  schwer,  da  nicht  übersehen  werden  kann,  wie  sich 
das  wirtschaftliche  Leben  nach  dem  Kriege  gestalten  wird,  andererseits 
ist  eine  solche  Grundlage,  die  wenigstens  einen  ungefähren  Ueberblick 
bietet,  kaum  zu  entbehren.  Es  erscheint  deshalb  notwendig,  daß  die 
einzelnen  Gewerbe  sich  ein  Bild  von  dem  zukünftigen  Stande  zu  machen 
versuchen,  und  es  ist  bereits  der  Anfang  damit  gemacht  worden,  in  den 
einzelnen  Kammerbezirken  durch  Ausschüsse  derartige  Aufstellungen 
vorzubereiten.  Bekanntlich  ist  für  die  Regelung  der  Uebergangswirt- 
schaft  ein  besonderes  Reichskommissariat  geschaffen  worden,  und  es 
wird  nun  notwendig  sein,  daß  das  Handwerk  in  diesem  eine  aus- 
reichende Vertretung  zu  erhalten  sucht,  um  genügend  Gehör  und  Ver- 
ständnis für  seine  Wünsche  zu  erlangen.  Der  geschäftsführende  Aus- 
schuß faßte  in  seiner  Tagung  hierzu  folgenden  Beschluß  : 

„1.  Der  Deutsche  Handwerks-  und  Gewerbekammertag  verlangt 
mit  Nachdruck  eine  angemessene  Vertretung  des  Handwerks  beim 
Reichskommissar  für  die  Uebergangswirtschaft. 

2.  Dem  Handwerk  ist  während  der  Uebergangszeit  von  allen 
staatlich  bewirtschafteten  Rohstoffen  ein  bestimmter  Anteil  zu  sichern. 

Der  auf  das  Handwerk  entfallende  Anteil  soll  unter  Mitwirkung 
der  Handwerkskammern  baldigst  ermittelt  werden. 

3.  Zur  Verteilung  des  auf  das  Handwerk  entfallenden  Anteils  an 
Rohstoffen  sind  die  gesetzlichen  und  wirtschaftlichen  Organisationen 
des  Handwerks  heranzuziehen. 

Die  Verdingungsstellen  und  wirtschaftlichen  Abteilungen  der 
Handwerkskammern  sind  zu  Bezirkslieferungsverbänden,  d.  h.  bezirks- 
weisen Vereinigungen  der  bestehenden  genossenschaftlichen  und  sonstigen 
rechts-  und  geschäftsfähigen  Rohstoff-  und  Lieferungsvereinigungen  um- 
zubauen. Diesen  Bezirkslieferungsverbänden  sind  die  auf  die  Hand- 
werker des  Kammerbezirks  entfallenden  Rohstoffe  von  der  Reichsstelle 
zuzuweisen;  sie  haben  ihrerseits  vorbehaltlich  einer  weiteren  zentralen 
Zusammenfassung  in  Anlehnung  an  die  beruflichen  Fachgruppen  des 
Handwerks  bei  der  Verteilung  dieser  Rohstoffe  alle  darauf  Anspruch 
machenden  Handwerker  zu  berücksichtigen. 

4.  Die  Finanzierung  der  Rohstoffversorgung  ist  von  den  Bezirks- 
verbänden und  den  in  ihnen  vereinigten  Organisationen  unter  restloser 
Beachtung  des  Grundsatzes  der  Barzahlung  durchzuführen.  An  Stelle 
des  Warenkredites  muß  durch  die  Inanspruchnahme  der  Kreditgenossen- 
schaften der  Geldkredit  treten. 

5.  Der  Ausbau  der  Organisation  des  Handwerks  zur  genossenschaft- 
lichen Rohstoffversorgung  ist  mit  allem  Nachdruck  zu  fördern." 

Die  hier  unter  Punkt  3  beantragte  Zusammenfassung  zu  Bezirks- 
lieferungsverbänden ist  bereits  in  einem  Erlaß  des  preußischen  Ministers 

XXIX* 


—    440    — 

für  Handel  und  Gewerbe  vom  28.  April  d.  J.  angeregt  worden,  in 
welchem  wiederholt  vor  einer  direkten  Beteiligung  der  Kammern  an 
den  Heereslieferungen  gewarnt  wird.  Der  Erlaß  wendet  sich  auch 
gegen  die  Bildung  von  privatwirtschaftlichen  Unternehmungen,  wie  sie 
häufig  in  der  Form  der  G.  m.  b.  H.,  bei  denen  Mitglieder  der  Kammern 
Gesellschafter  sind,  ins  Leben  getreten  sind,  und  er  weist  auf  die 
Zweckmäßigkeit  der  Gründung  von  Zentrallieferungsgenossen- 
schaften  zur  Uebernahme  und  Vermittlung  von  Heereslieferungen, 
welche  unabhängig  von  der  Kammer  bestehen  sollen,  hin.  Gedacht  ist, 
daß  sich  die  bestehenden  Lieferungsgenossenschaften  und  Einzelbetriebe 
zu  solcher  Zentrallief erungsgenossenschaft  zusammenschließen.  Anfänge 
hiermit  sind  bereits  in  einzelnen  Teilen  des  Reiches  gemacht  worden. 
Ob  diese  Organisation  aber  überall  erwünscht  sein  wird,  bedarf  noch 
eingehender  Erörterungen,  da  in  einzelnen  Bezirken  die  Lieferungs- 
genossenschaften noch  zu  wenig  vertreten  sind,  um  mit  Sicherheit  an- 
nehmen zu  können,  daß  sich  hier  die  nötige  Mitgliederzahl  für  eine 
solche  Genossenschaft  zusammenfinden  wird.  Der  Erlaß  lehnt  aus- 
drücklich eine  staatliche  Förderung  der  Gründung  von  Verdingungs- 
stellen  als  Genossenschaft  mit  beschränkter  Haftpflicht,  derart,  daß  das 
Gesellschaftskapital  ganz  oder  zu  einem  beträchtlichen  Teile  von  der 
Handwerkskammer  eingebracht  wird,  ebenso  wie  die  Uebernahme  von 
Aufträgen  auf  eigene  Rechnung  ab,  und  die  Kammern  werden  ange- 
wiesen, bei  den  bereits  geschaffenen  Verdingungseinrichtungen  den  all- 
mählichen Abbau  ihrer  finanziellen  Beteiligung  und  der  Uebernahme 
der  von  ihnen  eingezahlten  Geschäftsguthaben  durch  Handwerker- 
lieferungsgenossenschaften oder  einzelne  Handwerker  vorzubereiten. 
Weiter  wird  in  dem  Erlaß  zu  der  Organisation  der  Zentrallieferungs- 
genossenschaft  und  der  Stellung  der  Kammern  folgendes  bestimmt: 

„Durch  die  Satzung  wird  Vorsorge  dahin  zu  treffen  sein,  daß  zu 
jeder  Lieferungsgenossenschaft  jedem  tüchtigen  Handwerksmeister  der 
Betrieb  offen  steht,  und  nicht  etwa,  wie  das  vereinzelt  der  Fall  ge- 
wesen ist,  durch  hohe  Eintrittsgelder  der  Zuzug  frischer  Kräfte  unter- 
bunden wird.  Um  die  Fühlung  mit  der  Handwerkskammer  aufrecht- 
zuerhalten, ist  es  weiter  erwünscht,  daß  dem  Vorstande  der  Kammer 
oder  einzelnen  seiner  Mitglieder  satzungsmäßig  das  Recht  eingeräumt 
wird,  an  allen  Sitzungen  der  Vertretungen  der  Genossenschaft  mit  be- 
ratender Stimme  teilzunehmen.  Sofern  eine  andere  Lösung  nicht  ge- 
funden werden  kann,  bin  ich  im  Hinblick  auf  den  mangelhaften  Ausbau 
der  genossenschaftlichen  Organisation  des  Handwerks  auch  bereit,  einst- 
weilen noch  zuzulassen,  daß  die  Handwerkskammern  selbst  einen  Ge- 
schäftsanteil übernehmen,  um  auf  die  Verwaltung  der  Zentrallief  erungs- 
genossenschaft größeren  Einfluß  ausüben  zu  können.  Der  Geschäftsanteil 
ist  jedoch  möglichst  nur  aus  solchen  bereiten  Mitteln  einzuzahlen,  die 
nicht  aus  den  im  Wege  des  ordentlichen  Umlageverfahrens  von  Ge- 
meinden   oder   Handwerksbetrieben    aufgebrachten    Summen    herrühren. 

Ob  neben  den  Genossenschaften  auch  Gesellschaften  mit  be- 
schränkter Haftung  als  Zentrallieferungsvereinigungen  dauernd  zuge- 
lassen   werden    können,    wird    von    weiteren    Erfahrungen    abhängen. 


—    441    — 

Gegen  diese  Gesellschaftsform  spricht  die  Erwägung,  daß  die  liefernden 
Handwerker  oder  deren  Vereinigungen  an  der  Verteilung  des  durch 
ihre  Arbeit  erzielten  Reingewinns  nicht  beteiligt  sind.  Dazu  kommt, 
daß  die  Geschäftsleitung,  insbesondere  die  Unterverteilung  der  Auf- 
träge, ganz  in  den  Händen  der  wenigen  Gesellschafter  liegt,  während 
die  ausführenden  Handwerker  keinerlei  Einfluß  darauf  und  bei  etwaiger 
Benachteiligung  keine  Möglichkeit  haben,  durch  Anrufung  einer  unbe- 
teiligten Stelle  Abhilfe  ihrer  Beschwerden  durchzusetzen.  Anderseits 
kann  zugunsten  der  Gesellschaften  mit  beschränkter  Haftung  darauf 
hingewiesen  werden,  daß  in  ihnen  die  Verwaltung  einfacher  und  be- 
weglicher ist. 

In  jedem  Ealle  aber  ist  Wert  darauf  zu  legen,  daß  die  Arbeit  der 
wirtschaftlichen  Organisation  durch  eine  beaufsichtigende,  vermittelnde 
und  ausgleichende,  dem  behördlichen  Charakter  Rechnung  tragende 
Tätigkeit  der  Handwerkskammer  gefördert  wird.  Sei  es,  daß  auf  Ver- 
langen der  vergebenden  Behörden  ihr  zur  Herbeiführung  einer  gerechten 
Verteilung  der  Aufträge  seitens  der  Zentrallieferungsvereinigungen  die 
Verteilungspläne  über  die  einzelnen  Aufträge  zur  Genehmigung  und 
Weiterleitung  an  jene  Stellen  vorzulegen  sind,  sei  es,  daß  sie  die 
Ueberwachung  der  Ausführung  und  die  Besichtigung  der  mit  den  Auf- 
trägen bedachten  Betriebe  übernimmt,  um  die  Lieferung  einwandfreier 
Arbeit  sicherzustellen,  sei  es  endlich,  daß  sie  durch  Einsetzung  eines 
Schlichtungsausschusses  für  alle  Streitigkeiten  aus  der  Abwicklung 
eines  Auftrages  mitwirkt,  stets  wird  die  Handwerkskammer  hinreichend 
Gelegenheit  zu  einer  für  die  Gesamtheit  des  Handwerks  ersprießlichen, 
ihr  Ansehen  wahrenden  Betätigung  haben." 

Der  Kammertag  befaßte  sich  ferner  in  seiner  Sitzung  am  31.  Mai 
mit  der  Fürsorge  für  die  Beschaffung  eines  leistungsfähigen  handwerk- 
lichen Nachwuchses  und  stellte  hierzu  folgende  Leitsätze  auf: 

„1.  Die  Fürsorge  für  einen  geeigneten,  an  Zahl  ausreichenden 
Nachwuchs  im  Handwerk  bildet  besonders  bei  der  bevorstehenden 
Ueberleitung  von  der  Kriegs-  in  die  Friedenswirtschaft  einen  wesent- 
lichen Bestandteil  der  Gewerbeförderung. 

2.  In  erster  Linie  haben  seine  berufenen  Vertretungen,  die  Hand- 
werks- und  Gewerbekammern,  die  pflichtgemäße  Aufgabe,  alle  hierzu 
geeigneten  Maßnahmen  zu  ergreifen  und  zu  unterstützen. 

3.  Als  solche  kommen  in  Betracht: 

a)  Die  planmäßige  Aufklärung  der  aus  der  Schule  entlassenen  Jugend, 
sich  nicht  eines  augenblicklichen,  oft  nur  vermeintlichen  Vorteils 
wegen,  ohne  Rücksicht  auf  ihr  späteres  Fortkommen,  ungelernten 
oder  solchen  Berufen  zuzuwenden,  die  erfahrungsgemäß  schon  an 
Ueberfüllung  leiden. 

b)  Die  Schaffung  von  Einrichtungen  und  Veranstaltungen,  die  ge- 
eignet sind,  die  öffentliche  Meinung  zugunsten  des  Handwerks  zu 
beeinflussen,  z.  B.  Abhaltung  von  Ausstellungen  mit  Prämiierung 
gut  ausgeführter  Gesellen-  und  Lehrlingsarbeiten,  die  Bereit- 
stellung von  staatlichen  Mitteln  zur  Gewährung  von  Unterstützung 
von   Lehrlingen,    die    Gründung   von   Lehrlingsversicherungen   und 


—    442     — 

damit  im  Zusammenhang  Herbeiführung  einer  durchgreifenden 
Neuregelung  einer  den  veränderten  wirtschaftlichen  Verhältnissen 
entsprechenden  Entlohnung  der  Lehrlinge, 
c)  Während  der  Uebergangszeit  empfiehlt  es  sich,  die  in  den  Kriegs- 
betrieben mit  praktischer  Arbeit  zugebrachte  Zeit  auf  die  Lehr- 
zeit anzurechnen." 

Auch  diese  Trage  hat  bereits  mehrfach  die  Kammern  beschäftigt 
und  sie  fand  neuerdings  auch  wiederholt  im  Reichstage  Würdigung. 
Unter  anderem  wurde  hier  der  Vorschlag  gemacht,  durch  Gewährung 
von  Prämien,  die  sich  bis  zur  Vollendung  der  Lehrzeit  auf  eine  be- 
stimmte größere  Summe  erhöhen  sollten,  geeignete  junge  Kräfte  für 
das  Handwerk  zu  gewinnen,  und  die  Zahlung  dieser  Beträge  den 
Kammern  und  den  Bundesstaaten  aufzuerlegen.  Ob  auf  diesem  Wege 
ein  Anreiz  für  den  Handwerksberuf  geschaffen  werden  kann,  bedarf 
noch  eingehender  Ueberlegung.  Jedenfalls  wird  man  aber  eine  Er- 
höhung der  in  einzelnen  Grewerben  bereits  seit  Jahrzehnten  gleich  ge- 
bliebenen Vergütungssätze  bei  den  veränderten  wirtschaftlichen  Ver- 
hältnissen ohne  weiteres  befürworten  müssen,  wenn  man  auf  einen 
Zuzug  aus  den  Mittelstandskreisen  zum  Handwerk  rechnen  will.  Ein 
Beharren  auf  den  alten  niedrigen  Sätzen  wird  schon  deshalb  kaum 
möglich  sein,  weil  die  Kriegszeit  eine  oft  hohe  Entlohnung  der  bereits 
Werte  schaffenden  jugendlichen  Arbeiter  notwendig  machte. 

Eng  zusammen  mit  dieser  Frage  hängt  der  weitere  Beratungsgegen- 
stand „Berufsberatung  und  Lehrstellen  Vermittlung".  Der 
geschäftsführende  Ausschuß  weist  in  seiner  Resolution  auf  die  Not- 
wendigkeit der  Gründung  von  Zentralstellen  oder  von  Ausschüssen  für 
die  einzelnen  Bezirke  bzw.  Gemeinden  hin,  bei  denen  Vertreter  von 
Handwerk,  Handel  und  Industrie  sowie  der  öffentlichen  Behörden  und 
der  beteiligten  Interessenten  zu  beteiligen,  sind.  Handwerkskammern, 
Innungen  und  gewerblichen  Vereinen  müsse  ein  hervorragender  Ein- 
fluß und  eine  weitgehende  Mitarbeit  eingeräumt  werden.  Neben  diesen 
örtlichen  Zentralstellen  ist  eine  weitere  Zusammenfassung  der  einzelnen 
Lehrstellenzentralen,  eventuell  in  Anlehnung  an  die  bestehenden  Pro- 
vinzial-  und  Landesverbände  der  öffentlichen  und  gemeinnützigen  Arbeits- 
nachweise herbeizuführen,  da  auf  diese  Weise  der  notwendige  zwischen- 
örtliche Ausgleich  geregelt  und  die  Verbindung  mit  dem  allgemeinen 
Arbeitsmarkt  hergestellt  werden  kann. 

Es  wird  dann  weiter  für  die  Unterbringung  der  Lehrlinge  die 
Schaffung  von  Lehrlingsheimen  in  Vorschlag  gebracht,  in  denen  sie  zu 
günstigen  Bedingungen  Unterkunft  und  Verpflegung  finden  können. 
Die  Aufbringung  der  Mittel  wird,  da  es  sich  hier  um  allgemeine  soziale 
Interessen  handelt,  in  der  Weise  gedacht,  daß  vom  Staat  oder  den 
Kommunen  öffentliche  Mittel  für  diese  Zwecke  zur  Verfügung  gestellt 
werden. 

Nachdem  in  den  einzelnen  Bundesstaaten  bereits  durch  Gesetze 
und  Verordnungen  im  Interesse  einer  guten  Ausbildung  der  Lehrlinge 
gegen  die  schädlichen  Wirkungen  der  privaten  gewerblichen 
Lehranstalten    vorgegangen    worden    ist,    hat  jetzt    der  preußische 


—    443    — 

Minister  für  Handel  und  Gewerbe  in  einem  Erlaß  vom  1.  Mai  d.  J. 
Bestimmungen  erlassen,  welche  genaue  Anweisungen  für  die  Gründung 
und  Unterhaltung  solcher  Lehranstalten  geben.  Als  Privatschulen 
werden  hier  alle  Schulen  angesehen,  deren  Träger  eine  Privatperson 
oder  eine  private  Personenvereinigung  ist.  Nicht  unter  den  Begriff 
der  Privatschulen  fallen  die  von  Körperschaften  des  öffentlichen  Rechts 
errichteten  Schulen,  denen  wie  den  Gemeinden,  Handelskammern,  Hand- 
werkskammern, Innungen  usw.  die  Befugnis  zur  Errichtung  von  Unter- 
richtsanstalten gesetzlich  zusteht.  Zu  den  Privatschulen  im  Sinne  dieses 
Erlasses  gehören  ferner  nicht  die  von  anderen  Körperschaften  und  Ver- 
einen errichteten  Schulen,  die  ausdrücklich  als  gemeinnützig  vom  Mi- 
nister anerkannt  sind.  Zur  Jugend  im  Sinne  der  Vorschriften  über 
das  Privatschulwesen  gehören  nicht  nur  alle  Personen  unter  21  Jahren, 
sondern  auch  diejenigen  im  höheren  Alter,  welche  nach  Maßnahme  des 
einzelnen  Falles  als  des  Schutzes  vor  Benachteiligung  durch  unzuläng- 
lichen und  schädlichen  Unterricht  bedürftig  anzusehen  sind.  Anträge 
auf  Erteilung  der  Erlaubnis  zum  Betriebe  einer  Privatschule  sind  in 
Städten  mit  mehr  als  10000  Einwohnern  beim  Gemeindevorstand 
anzubringen.  Voraussetzung  zur  Erteilung  der  Erlaubnis  zum  Betriebe 
«iner  Privatschule  ist  vor  allem  die  sittliche  Zuverlässigkeit  des  Schul- 
unternehmers und  des  Schulleiters.  Der  Schulleiter  hat  die  Kenntnisse 
und  Fertigkeiten  nachzuweisen,  die  für  den  Unterricht  erforderlich  sind, 
dessen  Erteilung  die  Aufgabe  der  Schule  bildet.  Ist  die  Vermittlung 
handwerklicher  Fertigkeiten  die  Aufgabe  der  Schule  (Zuschneide-,  Fri- 
sier- und  ähnliche  Schulen),  so  hat  der  Schulleiter  den  Besitz  der  Be- 
fugnis zur  Anleitung  von  Lehrlingen  oder  den  Erwerb  einer  gleich- 
wertigen Ausbildung  nachzuweisen.  Die  Bezeichnung  der  Privatschulen 
muß  den  vollen  Namen  des  Inhabers,  gegebenenfalls  neben  dem  des 
Gründers  oder  früheren  Inhabers,  und  das  Wort  „Privat"  enthalten. 
Die  Beifügung  eines  Zusatzes,  wie  „staatlich  genehmigt",  „staatlich  kon- 
zessioniert", ist  unzulässig.  Die  Genehmigung  ist  ferner  von  der  Be- 
dürfnisfrage abhängig  zu  machen.  Bei  Prüfung  des  Bedürfnisses  ist 
zu  berücksichtigen,  daß  einerseits  der  Bestand  und  die  Entwicklung  der 
vorhandenen  einwandfreien,  insbesondere  der  öffentlichen  Schulen  nicht 
beeinträchtigt  werden  darf,  daß  andererseits  aber  die  öffentlichen  Schulen 
unter  Umständen  der  gesamten  Nachfrage  nach  Unterricht  nicht  zu 
genügen  vermögen.  In  Veröffentlichungen,  namentlich  auch  in  der 
Presse,  dürfen  keine  irreführenden  Angaben  oder  Versprechungen  ins- 
besondere über  Arbeits-  oder  Verdienstmöglichkeiten  gemacht  werden. 
Ist  mit  der  Privatschule  eine  Stellenvermittlung  gegen  Entgelt  ver- 
bunden, so  finden  auf  diese  die  Vorschriften  des  Stellenvermittlerge- 
setzes  vom  2.  Juni  1910  Anwendung.  Alle  gewerblichen  Privatschulen 
unterstehen  der  Aufsicht  der  Schulaufsichtsbehörden.  Ihren  Beauftragten 
ist  der  Besuch  der  Anstalt  jederzeit  zu  gestatten.  Privatschulen,  die 
ohne  Erlaubnis  betrieben  werden,  sind  in  der  Regel  bis  zur  etwaigen 
Erteilung  der  Erlaubnis  zu  schließen.  Die  Genehmigung  kann  durch 
die  Schulaufsichtsbehörde  zurückgenommen  werden,  wenn  Tatsachen 
vorliegen,  nach  denen  die  Erlaubnis  verweigert  werden  muß  oder  kann, 


-     444    — 

oder  wenn  sich  ergibt,  daß  die  Schule  nicht  in  einem  den  Anforderungen 
einer  geordneten  Einrichtung  und  Verwaltung  sowie  eines  geordneten 
Unterrichtsbetriebes  entsprechenden  Zustand  erhalten  wird.  Ein  Mangel 
der  erforderlichen  sittlichen  Zuverlässigkeit  liegt  bei  dem  Schulunter- 
nehmer insbesondere  auch  dann  vor,  wenn  er  eine  auf  Täuschung  des 
Publikums  berechnete  Reklame  betreibt  oder  zuläßt,  oder  wenn  er  seine 
Schüler  durch  übermäßige  Schulgelder  ausbeutet.  Es  ist  sehr  erfreulich, 
daß  hier  in  völlig  klarer  unzweideutiger  Weise  dargelegt  wird,  unter 
welchen  Bedingungen  gewerbliche  Lehranstalten  unterhalten  werden 
dürfen,  und  es  darf  angenommen  werden,  daß  die  schwindelhaften  An- 
gebote auf  diese  Weise  immer  mehr  zurückgedrängt  werden. 

Zu  der  Frage  des  Berechtigungswesens  auf  Grund  des  §89- 
Ziffer  6  der  deutschen  Wehrordnung  hat  der  deutsche  Handwerks-  und 
Gewerbekammertag,  gestützt  auf  die  im  Kriege  gemachten  Erfahrungen, 
erneut  eine  Eingabe  an  das  E-eichsamt  des  Innern  gerichtet,  in  welcher 
er  in  klarer  Weise  Vorschläge  für  Grundsätze  bei  Erteilung  des  Be- 
rechtigungsscheins für  einen  jungen  Handwerker  macht.  Der  Kammer- 
tag hat  sich,  um  eine  möglichst  einwandfreie  Lösung  der  Aufgabe  zu 
finden,  mit  dem  deutschen  Gewerbeschulverband  und  dem  Verbände 
deutscher  Gewerbevereine  und  Handwerkervereinigungen  in  Verbindung 
gesetzt  und  ist  mit  diesen  zu  einheitlichen  Beschlüssen  gelangt.  Vor 
allem  ist  der  Kammertag  der  Ansicht,  daß  bei  der  Abmessung  von 
„Bildung  und  geistiger  Reife"  ein  gerechter  Maßstab  insofern  an- 
zuwenden ist,  als  diese  nicht  nur  in  der  Beherrschung  wissenschaft- 
licher Fächer  gesehen,  sondern  auch  dem  technischen  Können  der 
gebührende  Wert  beigelegt  werden  müsse.  Die  Forderung  geht  dahin, 
allen  öffentlichen  gewerblichen  und  technischen  Fachschulen  mit  min- 
destens 2-jährigem  Lehrgang,  die  eine  mindestens  1-jährige  praktische 
Tätigkeit  ihrer  Schüler  verlangen,  die  Berechtigung  zur  Ausstellung 
von  Befähigungszeugnissen  für  den  einjährig-freiwilligen  Militärdienst 
zu  verschaffen,  ferner  die  zurzeit  als  Maßstab  der  allgemeinen  Bildung 
vorgeschriebene  Kenntnis  zweier  Fremdsprachen,  sowie  die  sonstigen 
als  Elementarfächer  bezeichneten  Prüfungsgegenstände  bei  Ablegung 
der  Prüfung  ersatzfähig  zu  machen  durch  technische  und  zeichnerische 
Disziplinen.  Für  die  gewerbliche  Einjährigenprüfung  wird  etwa  folgende 
Aenderung  der  Prüfungsfächer  vorgeschlagen: 

In  den  Hauptfächern  „Deutsch  und  Rechnen"  bleiben  die  gleichen 
Anforderungen  wie  bisher  bestehen;  an  die  Stelle  des  3.  Hauptfaches 
„Fremdsprachenkenntnis"  würden  Fachkenntnisse  und  das  Fachkönnen 
konstruktiver  und  entwerfender  Art  zu  treten  haben;  in  den  Neben- 
fächern „Naturwissenschaft  und  Mathematik"  könnte  erheblich  mehr 
gefordert  werden,  und  dieses  Mehr  wäre  als  Ausgleich  für  die  in  Weg- 
fall kommenden  Fremdsprachen  zu  betrachten.  Berufe,  die  in  Mathe- 
matik und  darstellender  Geometrie  nicht  die  gleichen  Anforderungen 
stellen,  hätten  an  deren  Stelle  in  anderen  fachlichen  Hilfswissenschaften, 
insbesondere  in  „Technologie  und  Rohstoffkunde"  höhere  Kenntnisse 
zu  fordern.  Schließlich  könnten  fehlende  Stunden  in  Geschichte  und 
Erdkunde  ausgeglichen  werden  durch  Unterricht  in  Gesetzes-  und  Bürger- 


~    445    — 

künde,  sowie  in  Wirtschaftslehre.  Ferner  wird  bezüglich  des  Ausdrucks 
„hervorragend",  der  eine  so  vielseitige  Bedeutung  zuläßt,  vorgeschlagen, 
daß  im  Wege  der  Ausführungsbestimmungen  genau  festgelegt  wird,  daß  in 
Zukunft  unter  einer  „hervorragenden  Leistung"  innerhalb  oder  außer- 
halb der  Schule  eine  einzelne  Leistung  oder  Gesamtleistung  verstanden 
werden  soll,  die  eine  hervorragende  Begabung  und  eine  gewisse  geistige 
Reife  erkennen  läßt.  Ferner  müßten  darüber  Vorschriften  erlassen 
werden,  welchen  Organen  die  Beurteilung  der  Leistungen  übertragen 
werden  solle  und  nach  welchen  einheitlich  festgelegten  Richtlinien  deren 
Entscheidung  zu  erfolgen  hat,  und  schließlich  darüber,  daß  der  Umfang 
der  Prüfung  in  den  Elementarkenntnissen  durch  Angabe  von  Lehr- 
büchern genauer  umschrieben  wird,  sowie  daß  besonders  in  Aufsatz 
und  Rechnen  bei  dem  Stoffauswahl  und  der  Prüfungsmethode  auf  den 
Interessenkreis  der  Schüler  entsprechend  Rücksicht  genommen  und  die 
Prüfung  den  Gewerbeschulmännern  übertragen  wird. 

Auf  der  bereits  erwähnten  Sitzung  des  geschäftsftihrenden  Aus- 
schusses wurde  auch  die  Eürsorgeversicherung  für  selbstän- 
dige Handwerker  besprochen,  und  es  wurde  dem  18.  Deutschen 
Handwerks-  und  Gewerbekammertage  empfohlen,  angesichts  der  Tat- 
sachen, daß  sich  das  Bedürfnis  nach  einer  ausreichenden  Fürsorge  in 
Krankheits-  und  Sterbefällen  zugunsten  der  selbständigen  Handwerker 
und  Gewerbetreibenden  nach  dem  Kriege  noch  fühlbarer  als  vorher 
machen  dürfte,  zu  beschließen,  daß  unter  Hinzuziehung  der  Kammern 
und  der  Gewerbevereinsverbände  für  das  Gebiet  des  Deutschen  Reiches 
eine  Reihe  großer  leistungsfähiger  auf  Gegenseitigkeit  beruhender 
Krankenkassen  durch  Ausbau  bestehender  und  Errichtung  neuer  Ver- 
sicherungseinrichtungen geschaffen  werden  möge.  Um  eine  möglichst 
große  Einheitlichkeit  in  der  Geschäftsführung  dieser  Krankenkassen  zu 
gewährleisten,  soll  ein  „Verband  der  Krankenkassen  für  selbständige 
Handwerker  und  Gewerbetreibende"  errichtet  werden,  der  einen  Aus- 
gleich unter  den  Kassen  im  Wege  der  Rückversicherung  anzustreben 
hat.  Der  Verband  soll  dem  Deutschen  Handwerks-  und  Gewerbe- 
kammertage angegliedert  werden,  der  auch  seine  Geschäftsführung  be- 
sorgt. 

Schließlich  befaßte  sich  der  geschäftsführende  Ausschuß  noch  mit 
der  Frage  der  Aenderung  des  Wahlrechts  zu  den  Handwerks- 
kammern. In  der  Erkenntnis,  daß  nach  den  bisherigen  Vorschriften 
über  die  Wahlen  zur  Handwerkskammer  nach  §  108  a  der  Reichsge- 
werbeordnung weite  einflußreiche  Kreise  des  deutschen  Handwerks  von 
der  Mitbestimmung  für  die  Wahl  der  Vertreter  zur  Kammer  ausge- 
schaltet sind,  wird  die  Einführung  eines  allgemeinen  direkten  Wahl- 
rechts für  alle  selbständigen  Handwerker,  die  ihren  Betrieb  gemäß  §  14 
RO.  angemeldet  und  mindestens  3  Jahre  im  Kammerbezirk  ausgeübt 
haben,  empfohlen.  Zur  Hebung  des  Ansehens  des  Handwerkerstandes 
wird  es  für  notwendig  gehalten,  die  Vorbereitung  und  Durchführung 
der  Wahlen  zur  Vollversammlung,  soweit  dies  durch  die  einzelnen  Wahl- 
ordnungen noch  nicht  geschehen  ist,  den  Handwerkskammern  zu  über- 
lassen. 


—    446    — 


X.  Soziale  Hygiene. 

Inhalt:  Säuglingssterblichkeit  in  deutschen  Städten.  Fürsorge  für  Mutter 
und  Kind.  Kinderfürsorge  der  Landesversicherungsanstalten.  Landaufenthalt 
für  Stadtkinder.  Die  Gesundheitsverhältnisse  im  allgemeinen.  Tuberkulosenfür- 
sorge.   Alkohol  und  Leistungsfähigkeit  der  Schulkinder.    Arbeiterinnenschutz. 

üeber  die  Säuglingsterblichkeit  in  den  deutschen 
Orten  mit  15000  und  mehr,  insbesondere  in  den  Großstädten 
mit  200000  und  mehr  Einwohnern  im  Jahre  1916  im  Vergleich  mit 
der  in  den  letzten  Vorjahren  sind  die  statistischen  Angaben  jetzt  ver- 
fügbar, aber  da  die  auf  Grund  der  Monatsausweise  gewonnenen  Angaben 
über  die  Zahlen  der  Lebendgeborenen  und  der  Sterbefälle  im  1.  Lebens- 
jahre nur  vorläufige  sind,  haben  sie  nur  mit  den  auf  gleiche  Weise  ge- 
wonnenen Angaben  für  die  Vorjahre  in  Vergleich  gesetzt  werden  können. 

Wie  zunächst  ein  Vergleich  für  das  Jahr  1916  mit  den  Angaben  für  die  beiden 
Vorjahre  in  bezug  auf  die  26  deutschen  Großstädte  mit  200000  und  mehr  Einwohnern 
zeigt,  ist  aus  begreiflichen  Gründen  die  Zahl  der  Lebendgeborenen,  die  sich  im 
Jahre  1915  bereits  um  49  470  gegenüber  dem  Jahre  1914  vermindert  hatte,  im 
Jahre  1916  weiterhin  gesunken,  nämlich  um  48623.  Insgesamt  betrug  daher  die 
Abnahme  der  Zahl  der  Lebendgeborenen  seit  dem  Jahre  1914  bis  zum  Schlüsse 
des  Jahres  1916  98093,  d.  s.  38,3  Proz.  der  Zahl  der  Lebendgeborenen  im  Jahre  1914. 

Aus  dem  Vergleich  der  monatlichen  und  vierteljährlichen  Angaben  für  die 
einzelnen  Jahre  ist  jedoch  zu  ersehen,  daß  die  Abnahme  der  Zahl  der  Lebendge- 
borenen im  Verlaufe  des  Jahres  1916  weniger  sprungweise  vor  sich  ging  als  im 
Vorjahr,  in  dem  im  Mai  ein  plötzlicher  Absturz  der  Geburtenzahl  eingetreten  ist. 
Im  August  und  September  1916  machte  sich  sogar  eine  nicht  unbeträchtliche  Zu- 
nahme der  Zahl  der  Lebendgeborenen  gegenüber  dem  Monat  Juli  bemerkbar,  und 
zwar  sowohl  in  den  26  größten  deutschen  Städten  als  auch  in  der  Gesamtheit 
deutscher  Orte  mit  15  000  und  mehr  Einwohnern,  eine  Erscheinung,  die  um  so  mehr 
auffällt,  als  sie  bisher  noch  nicht  beobachtet  worden  ist;  denn  der  bisherige  monat- 
liche Verlauf  der  Geburtenzahl  in  den  deutschen  Orten  mit  15000  und  mehr 
Einwohnern  war  dadurch  gekennzeichnet,  daß  die  Geburtenzahl  von  ihrem  Höchst- 
stand in  den  Wintermonaten  unter  einigen  Schwankungen  allmählich  auf  ihren 
Tiefstand  in  den  Herbstmonaten  September  bis  November  herabsank.  Zweifellos 
hängt  die  Erscheinung  mit  der  Beurlaubung  zahlreicher  Militärpersonen  anläßlich 
des  Weihnachtsfestes  1915  zusammen. 

Nach  den  vorläufigen  Angaben  über  die  Zahl  der  Lebendgeborenen  in  den 
deutschen  Orten  mit  15000  und  mehr  Einwohnern,  die  sich  seit  dem  Jahre  1914 
auf  dieselben  Orte  beziehen,  ist  diese  Zahl  im  Jahre  1915  um  131  068  gegenüber 
der  des  Vorjahres  und  im  Jahre  1916  weiterhin  um  114  557  gesunken,  so  daß  die 
Abnahme  dieser  Zahl  seit  dem  Jahre  1914  bis  zum  Schlüsse  des  Jahres  1916  ins- 
gesamt 245  625  oder  39,5  Proz.  der  Geburtenzahl  des  Jahres  1914  betrug.  Wie 
man  sieht,  stimmt  dieser  Prozentsatz  mit  dem  oben  angegebenen  Prozentsatz  der 
Abnahme  der  absoluten  Zahl  der  Lebendgeborenen  in  den  26  größten  deutschen 
Städten  nahezu  überein. 

Es  ist  klar,  daß  diese  durch  außerordentliche  Verhältnisse  bedingte  Abnahme 
der  Geburtenzahl  durch  die  gleichzeitige  Abnahme  der  Zahl  der  Sterbefälle  im 
1.  Lebensjahre  nicht  wettgemacht  werden  konnte,  doch  war  die  Abnahme  der 
Zahl  dieser  Sterbefälle  immerhin  verhältnismäßig  etwas  stärker  als  das  Absinken 
der  Zahl  der  Lebendgeborenen.  Dies  kommt  dadurch  zum  Ausdruck,  daß  das 
Verhältnis  der  Zahl  der  Sterbefälle  im  1.  Lebensjahre  zu  der  der  Lebendgeborenen 
sowohl  in  den  26  größten  deutschen  Städten  als  auch  in  der  Gesamtheit  deutscher 
Orte  mit  15000  und  mehr  Einwohnern  sich  seit  dem  Jahre  1914  fortgesetzt  ver- 
mindert hat,  und  zwar  verminderte  sich  dieses  auf  je  100  Lebendgeborene  des 
gleichen  Jahres  berechnete  Verhältnis  nach  den  vorläufigen  Angaben  in  den  ersteren 
Orten  von  15,3  im  Jahre  1914  bis  auf  13,0  im  Jahre  1916,  in  den  letzteren  während 


—    447    — 

der  gleichen  Zeit  von  15,5  auf  13,3.  Demnach  war  die  Säuglingssterb- 
lichkeit in  diesen  Orten  in  dem  Kriegsjahr  1916  sogar  geringer 
als  ihr  im  Jahre  1912  mit  14,1  erreichtes  bisheriges  Minimum. 
Ein  Aufstieg  der  Zahl  der  Sterbefälle  im  1.  Lebensjahre  sowohl  in  der  Gesamt- 
heit der  26  größten  deutschen  Städte  als  auch  in  der  der  deutschen  Orte  mit 
15000  und  mehr  Einwohnern  machte  sich  jedoch  in  dem  8.  Vierteljahr  des  Jahres 
1916  bemerkbar.  Da  die  Temperaturverhältnisse  in  den  Sommermonaten  des 
Jahres  1916  gleichwie  im  Vorjahr  unternormal  gewesen  sind,  kann  dieser  Aufstieg 
nur  teilweise  auf  die  Gestaltung  der  Temperatur veihältnisse  während  dieser  Zeit 
zurückgeführt  werden.  Man  muß  vielmehr  zugleich  vermuten,  daß  er  mit  der 
gleichzeitigen  Zunahme  der  Zäh]  der  Lebendgeborenen  im  August  und  Septem- 
ber 1916  zusammenhängt;  doch  könnte  der  Beweis  hierfür  nur  dann  erbracht 
werden,  wenn  sich  während  dieser  Zeit  auch  ein  Aufstieg  der  Zahl  der  im  1. 
Lebensmonat  gestorbenen  Säuglinge  nachweisen  ließe,  wozu  indessen  dem  Kaiser- 
lichen Gesundheitsamt  kein  Material  zur  Verfügung  steht.  Inwieweit  neben  diesem 
biologischen  Faktor  noch  andere  Umstände  für  die  Mehrung  der  Sterbefälle  be- 
stimmend waren,  läßt  sich  nur  durch  besondere  Untersuchungen  in  den  einzelnen 
größeren  Städten  feststellen. 

Der  Reichstags  ausschuß  für  Bevölkerungspolitik  hat 
sich  im  letzten  Abschnitt  seiner  Tagung  mit  Kriegs  maßnahmen 
zum  Schutz  von  Mutter  und  Kind  beschäftigt  und  hat  dabei 
einstimmig  den  Antrag  der  Abgeordneten  Faßbender  und  Sivkovich 
angenommen : 

',Den  Herrn  Reichskanzler  zu  ersuchen,  durch  Einwirkung  auf  die  Bundes- 
regierung ein  einheitliches  und  durchgreifendes  Vorgehen  aller  beteiligten  Ver- 
wStungsbeh Orden  zu  veranlassen  in  der  Schaffung,  Ausdehnung  und  besseren 
finanziellen  Ausstattung  der  Beratungsstellen  für  Säuglings fürsorge,  für  Schul- 
kinderpflege und  für  Kinderhortwesen,  im  Ausbau  und  in  der  Beaufsichtigung 
der  Kinderkrippen,  Kindergärten  und  Schulhorte,  sowie  in  der  Ausgestaltung  des 
Aufsichtswesens  für  Privatpflegestellen,  wie  es  der  gesteigerten  Inanspruchnahme 
der  Mütter  für  Frauenarbeit  während  des  Krieges  entspricht." 

Das  Kriegsernährungsamt  hat  neuerdings  den  deutschen  Bundes- 
regierungen Grundsätze  für  die  Ernährung  werdender 
Mütter,  Säuglinge  und  Kinder  mit  dem  Ersuchen  zugehen 
lassen,  hiernach  die  Versorgung  der  Mütter  und  Kinder  einheitlich 
durchzuführen.  Die  Kommunalverbände  und  Gemeinden  sollen  zu  einem 
diesen  Grundsätzen  entsprechenden  Verfahren  verpflichtet  werden.  Die 
Gemeindebehörden  haben  besonders  Vorsorge  zu  treffen,  daß  die  den 
werdenden  und  stillenden  Müttern  und  Säuglingen  zustehende  Milch- 
menge ohne  Schwierigkeiten  und  Zeitverluste  in  Empfang  genommen 
werden  kann.  Ferner  soll  die  Versorgung  der  Mütter  und  Kinder  mit 
Brot,  Mehl,  Nährmitteln  und  Zucker  der  Versorgung  der  anderen  Be- 
völkerungsgruppen vorgehen. 

Zur  gesundheitlichen  Kinderfürsorge  durch  die 
Landesversicherungsanstalten  ist  (nach  der  „Soz.  Prax.")  fol- 
gendes mitzuteilen. 

Auf  Grund  des  §  1277  der  Reichsversicherungsordnun^  können  die  Landes- 
versicherungsanstalten ihre  Satzungen  so  ausbauen,  daß  sie  die  Empfänger  von 
Waisenrenten  auf  Antrag  in  einem  Waisenhaus  oder  einer  ähnlichen  Anstalt  unter- 
bringen und  dazu  die  Waisenrente  ganz  oder  teilweise  verwenden.  Die  Landes- 
versicherungsanstalt der  Hansestädte  hat  im  Jahre  1912  zum  ersten  Male  von 
dieser  Befugnis  Gebrauch  gemacht  und  5  Waisen  bei  Familien  auf  dem  Lande 
untergebracht.    1913  wuchs  diese  Zahl  bereits  auf  162,  von  denen  38  bei  FamUien 


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auf  dem  Lande,  124  in  einer  Ferienkolonie  untergebracht  waren.  Auch  andere 
Versicherungsanstalten  sind  inzwischen  dem  Beispiel  der  Hansestädte  gefolgt.  Im 
Reichsarbeitsblatt  vom  Mai  1917  veröffentlicht  das  Reichs  versicherungsam  t  eine 
Zusammenstellung  der  Leistungen  der  Landes  Versicherungsanstalten  auf  diesem 
Gebiet  im  Jahre  1915.  Im  ganzen  waren  15  Anstalten  an  dieser  Form  der  Waisen- 
fürsorge beteiligt,  und  zwar  handelte  es  sich  im  ganzen  um  761  Waisen,  wofür 
ein  Gesamtkostenaufwand  von  182  024  M.  notwendig  war.  Vorwiegend  wurden 
Fälle  berücksichtigt,  in  denen  die  Waisen  entweder  selbst  tuberkulosverdächtig 
waren  oder  in  denen  man  sie  aus  tuberkulösen  Familien  entfernen  wollte.  Am 
stärksten  beteiligt  sind  die  Hansestädte  (400  Kinder,  125933  M.  Kostenaufwand), 
Rheinprovinz  (110  Kinder,  13200'M.  Kostenaufwand),  Hessen  (96  Kinder,  10000  M. 
Kostenaufwand),  dann  folgen  Königreich  Sachsen,  Pensionskasse  der  Arbeiter  der 
Preußisch- Hessischen  Eisenbahngemeinschaft,  Thüringen  usf.  -  Die  „Familien- 
pflege" wird  von  den  Versicherungsanstalten  als  eine  Nebenart  der  Anstaltspflege 
angesehen.  Von  den  Landes  Versicherungsanstalten  Posen  und  Mittelfranken  wird 
berichtet,  daß  die  Unterbringung  von  Kindern  oft  daran  scheiterte,  daß  die  ge- 
setzlichen Vertreter,  meist  der  Vormund  oder  die  Mutter,  die  Genehmigung  da- 
zu versagten.  Die  besten  Erfahrungen  mit  dieser  Art  der  Kinderfürsorge  hat 
bisher  die  Landes  Versicherungsanstalt  der  Hansestädte  gemacht,  die  ja  auch  be- 
reits am  längsten  diese  Fürsorge  gepflegt  hat.  Vielleicht  werden  also  auch  in 
anderen  Teilen  Deutschlands  etwa  dagegen  bestehende  Vorurteile  allmählich  über- 
wunden. Der  §  1277  RVO.  gibt  den  Landesversicherungsanstalten  die  Möglich- 
keit des  Eingreifens  bei  Kindern,  für  die  Waisenrente  gezahlt  wird,  und  dieser 
Paragraph  wird  vielleicht  auch  für  die  Kriegswaisenfürsorge  eine  größere  Bedeutung 
erlangen.  Wollen  die  Landes  Versicherungsanstalten  ihren  Wirkungskreis  auf  diesem 
Gebiet  erweitern,  so  bietet  dazu  der  §  1274  eine  Handhabe,  der  im  allgemeinen 
die  Möglichkeit  gibt,  Aufwendungen  zur  Hebung  der  gesundheitlichen  Verhält- 
nisse der  versicherungspflichtigen  Bevölkerung  zu  machen.  Die  Versicherungs- 
anstalten geben  im  allgemeinen  allerdings  nicht  direkte  Mittel  zur  Jugendfürsorge, 
sondern  sie  bahnen  ein  Zusammenarbeiten  mit  anderen  Stellen  (Gemeindever- 
waltungen, Jugendfürsorge  vereinen  usw.)  an  und  geben  geldliche  Beihilfen,  even- 
tuell auch  in  Form  billiger  Hypotheken  zu  den  Unternehmungen  und  Anstalten 
dieser  Stellen.  Als  Gegendienst  bleibt  dann  den  Versicherungsanstalten  eine  An- 
zahl von  Freiplätzen  in  Heilstätten  und  Erholungsheimen  gesichert.  Auf  diese 
Weise  sind  von  einer  ganzen  Reihe  von  Landesversicherungsanstalten  kränkliche 
Kinder  von  versicherten  Eltern  in  Heilstätten,  Solbädern,  Seehospizen  oder  zu 
anderen  Kurgelegenheiten  untergebracht  worden. 

Der  Verein  „Landaufenthalt  für  Stadtkinder"  zielt  darauf 
ab,  eine  möglichst  große  Zahl  von  Großstadtkinderu  im  Sommer  auf 
das  Land  zu  verschicken.  Zugleich  soll  auch  das  Verständnis  zwischen 
Stadt-  und  Landbevölkerung  gefördert  werden.  Von  der  Reichs-  und 
Staatsregierung  ist  die  Unterstützung  dieser  Idee  bereits  in  weitem 
Maße  zugesichert,  vor  allem  ist  jedoch  die  Mitarbeit  der  Stadt-  und 
Landbewohner  notwendig. 

Diesem  Verein  „Landaufenthalt  für  Stadtkinder"  in  Berlin  ist  bekanntlich 
in  dem  Ministerialerlaß  vom  1.  März  1917  unter  anderem  die  Vornahme  des  Aus- 
gleichs von  Angebot  und  Nachfrage  zwischen  den  Provinzen  übertragen  worden, 
und  ferner  bildet  der  Verein  die  Zentral  vermittlungssteile  zur  Regelung  von  An- 
gebot und  Nachfrage  zwischen  Preußen  und  den  der  Organisation  angeschlossenen 
Bundesstaaten.  Soweit  Preußen  in  Frage  kommt,  hat  die  Werbetätigkeit  nach 
den  bisher  aus  den  Provinzen  eingelaufenen  Meldungen  folgendes  vorläufige  Er- 
gebnis gehabt: 

Die  Provinz  Ostpreußen  stellte  66  498  unentgeltliche  Pflegestellen  zur  Ver- 
fügung, darunter  8599  für  katholische  Kinder.  Nach  Abzug  des  eigenen  Bedarfs 
verbleiben  für  auswärtige  Kinder  noch  63  692.  Diese  Stellen  werden  belegt  mit 
40  823  Kindern  aus  der  Provinz  Brandenburg,  11 110  aus  Westfalen,  2000  aus 
Hessen-Nassau,  6228  aus  der  Rheinprovinz,  2652  aus  dem  Königreich  Sachsen, 


—    449    — 

879  aus  Lübeck.  In  der  Provinz  Pommern  sind  bisher  37  000  Pflegestellen, 
darunter  300 — 400  für  katholische  Kinder  vorhanden.  2900  werden  für  den  eigenen 
Bedarf  gebraucht,  so  daß  34100  Stellen  für  auswärtige  Kinder  vorhanden  sind. 
Etwa  9CO0  Kinder  aus  der  Provinz  Brandenburg,  3000  Kinder  aus  Westfalen  werden 
Aufnahme  finden.  Alle  übrigen  Stellen  werden  mit  Kindern  aus  der  Rhein- 
provinz belegt.  In  Posen  stehen  bisher  21  689  Stellen,  darunter  8279  für  katho- 
lische Kinder  bereit.  Der  eigene  Bedarf  beträgt  nur  etwa  1000  Stellen,  so  daß 
20  689  schon  jetzt  auswärtigen  Kindern  zur  Verfügung  stehen.  Die  noch  stark 
im  Gange  befindliche  Werbetätigkeit  läßt  erwarten,  daß  etwa  30000  Kinder  von 
auswärts  werden  aufgenommen  werden  können.  Die  Provinz  wird  fast  ausschließ- 
lich mit  Kindern  Westfalens  besetzt  werden.  Die  Provinz  Sachsen  verzeichnet 
bisher  15  479  Landpflegestellen,  darunter  289  katholische.  Der  eigene  Bedarf  der 
Provinz  beträgt  nur  etwa  10  404  Stellen,  so  daß  noch  5075  auswärtige  Kinder 
untergebracht  werden  können.  Das  Ergebnis  wird  sich  durch  weitere  Werbe- 
tätigkeit noch  erhöhen.  Die  Provinz  wird  mit  wenigen  Ausnahmen  nur  Kinder 
aus  dem  Königreich  Sachsen  erhalten.  Aus  Westpreußen  und  Schlesien  liegen 
abschließende  Meldungen  noch  nicht  vor.  Indessen  kann  schon  jetzt  damit  ge- 
rechnet werden,  daß  nach  Ausgleich  des  eigenen  Bedarfs  Westpreußen  mindestens 
10  000,  Schlesien  3000  4000  auswärtige  Kinder  wird  aufnehmen  können.  In  der 
Provinz  Brandenburg  wird  der  anderweit  unterzubringende  Ueberschuß  an  Stadt- 
kindern insgesamt  etwa  62  000  betragen,  darunter  die  Stadt  Berlin  mit  etwa 
40000.  Der  größte  Teil  der  Kinder  wird  in  Ostpreußen  und  Pommern  unter- 
gebracht. Nach  dem  Vorbericht  der  Provinz  Hannover  werden  dort,  da  bereits 
aus  anderen  Provinzen  Kinder  auf  Grund  früherer  Beziehungen  untergebracht 
worden  sind,  auswärtige  Kinder  kaum  Aufnahme  mehr  finden  können.  In 
Schleswig-Holstein  stehen  14000  Landpflegestellen  zur  Verfügung,  denen  eine 
Nachfrage  von  13  300  Kindern  gegenübersteht.  In  der  Provinz  Hessen-Nassau 
besteht  eine  Nachfrage  für  etwa  34  600  Stadtkinder.  Die  Deckung  des  Bedarfs 
innerhalb  der  Provinz  wird  erreicht  werden.  In  Westfalen  steht  ein  Angebot  von 
14  807  Pflegestellen  einer  Nachfrage  von  75  752  Stadkindern  gegenüber.  Der  Ueber- 
schuß beträgt  also  60  945  Kinder,  davon  sind  etwa  32  000  katholisch.  Die  Kinder 
werden  in  den  verschiedensten  Provinzen  untergebracht,  der  Hauptteil  kommt 
nach  der  Provinz  Posen.  Die  Rheinprovinz  wird  voraussichtlich  einen  Ueber- 
schuß von  etwa  40000  Stadtkindern  haben.  Ein  großer  Teil  der  Kinder  kommt 
nach  Pommern.  • 

Zusammenfassend  kann  gesagt  werden,  daß  nach  oberflächlicher 
Schätzung  schon  jetzt  mehr  als  300000  Laudpflegestellen  in  den  preu- 
ßischen Provinzen  insgesamt  zur  Verfügung  gestellt  sind.  Es  ist  dies 
wiederum  ein  höchst  erfreuliches  Zeichen  vaterländischer  Opferwillig- 
keit, und  es  dürfte  mit  Sicherheit  damit  gerechnet  werden  können,  daß 
die  infolge  der  Fortsetzung  der  Werbetätigkeit  wachsende  Zahl  kaum 
hinter  einer  halben  Million  zurückbleiben  dürfte.  Bei  dieser  Zählung  han- 
delt es  sich  nur  um  Kinder,  die  innerhalb  der  geschaffenen  Organisation 
untergebracht  werden  und  deshalb  dem  Verein  „Landaufenthalt  für 
Stadtkinder"  gemeldet  sind.  V7enn  man  berücksichtigt,  daß  von  vielen 
privaten  Stellen  ohne  Eingliederung  in  die  Organisation  Tausende  von 
Kindern  schon  untergebracht  sind  und  noch  untergebracht  werden,  so 
würde  bei  Hinzuzählung  auch  dieser  Stellen  eine  noch  wesentlich  höhere 
Zahl  das  Endergebnis  bilden. 

Ueber  die  Ernährung  der  Stadtkinder  auf  dem  Lande 
hat  der  preußische  Staatskommissar  für  Volksernährung  im  Einver- 
nehmen mit  dem  Präsidenten  des  Kriegsernährungsamtes  Bestimmungen 
erlassen.  Nach  diesen  Bestimmungen  werden  den  Landwirten  aus- 
reichende Mengen  an  Lebensmitteln  zur  kräftigen  Ernährung  der  Stadt- 
kinder belassen  werden,  so  daß  die  Eltern  der  Stadtkinder    die  ruhige 


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Gewißheit  haben  können,  daß  es  ihren  Kindern  an  der  so  dringend 
notwendigen  kräftigen  Ernährung  nicht  fehlen  wird. 

Im  Haushaltsauöschuß  des  Reichstags  gab  Ministerialdirektor 
Kirchner  einen  Ueberblick  über  die  Gesundheitsverhftlt- 
nisse  im  allgemeinen,  die  trotz  der  Erschwerungen  des  Krieges 
günstig  sind: 

Es  sei  dies  sowohl  dem  hingebenden  Eifer  der  Aerzte  zu  danken,  wie  auch 
ein  erfreuliches  Zeichen  für  die  innere  Kraft  der  Bevölkerung.  Von  den  schweren 
Volkskrankheiten  habe  die  Tuberkulose  in  den  letzten  Jahren  wieder  eine,  wenn 
auch  geringe,  Zunahme  gezeitigt,  weshalb  dem  deutschen  Zentralkomitee  zur  Be- 
kämpfung der  Tuberkulose  größere  Mittel  zur  Verfügung  gestellt  wurden,  um  die 
etwa  1300  in  Deutschland  vorhandenen  Fürsorgestellen  leistungsfähiger  zu  machen. 
Krebsige  Erkrankungen  des  Magens  und  des  Darmkanals  scheinen  zurzeit 
weniger  häufig  als  in  Friedenszeiten.  Dagegen  würde  über  eine  gewisse  Zunahme 
nervöser  Erkrankungen  geklagt.  Die  Pocken  haben  sich  seit  einigen  Monaten 
in  Norddeutschland  gehäuft,  besonders  in  den  Provinzen  Schleswig-Holstein, 
Hannover,  Brandenburg,  Oldenburg,  Mecklenburg,  Hamburg  und  Lübeck,  es 
handelt  sich  um  etwa  300  Fälle.  Zu  der  Bekämpfung  der  Pocken  hatten  die  be- 
fallenen Bundesstaaten  gemeinsame  Maßregeln  getroffen,  welche  sich  auf  die 
Impfung  der  Landstreicher,  der  Herbergsinsassen  und  des  Personals  und  der 
Kranken  in  den  Krankenhäusern  bezogen.  Sehr  viel  ernster  sei  die  Gefahr  der 
übertragbaren  Geschlechtskran keiten  für  die  Bevölkerung.  Die  Ansicht,  daß  sie 
in  erster  Linie  durch  das  Feldheer  bei  uns  eingeschleppt  würden,  sei  nicht  zu- 
treffend; allerdings  seien  sie  zu  Beginn  des  Krieges  in  Belgien  und  in  Polen  sehr 
verbreitet  gewesen.  Sie  seien  aber  dort  durch  die  Maßregeln  der  Generalgouver- 
neure  erheblich  eingeschränkt  worden.  Zurzeit  seien  die  Geschlechtskrankheiten 
im  Feldheere  nur  wenig  verbreiteter  als  in  dem  Friedensheer;  dazu  komme,  daß 
mehr  als  60  v.  H.  der  Erkrankten  sich  die  Ansteckung  nicht  im  Felde,  sondern 
in  der  Heimat  zuziehen.  Hieraus  ergebe  sich  die  Notwendigkeit,  gegen  die 
Hauptquelle  der  übertragbaren  Geschlechtskrankheiten,  nämlich  gegen  die  Pro- 
stitution, entschieden  vorzugehen.  Diese  Notwendigkeit  sei  auch  im  Eeichstage 
anerkannt  worden,  und  gegenwärtig  sei  ein  Gesetzentwurf  zur  Bekämpfung  der 
Geschlechtskrankheiten  in  Arbeit,  welcher  voraussichtlich  noch  in  diesem  Sitzungs- 
abschnitt dem  Reichstag  vorgelegt  werden  wird. 

Ueber  den  Ausbau  der  Tuberkulosenfürsorge  schreibt 
„Berl.  Tagebl."  v.  14.  April: 

Der  Fürsorgestellen ausschuß  des  Deutschen  Zentralkomitees  zur  Bekämpfung 
der  Tuberkulose  trat  unter  dem  Vorsitz  des  Landesrats  Dr.  Freund  und  in  An- 
wesenheit von  Vertretern  des  Reichsgesundheitsamts,  des  Reichsversicherungs- 
amtes, des  preußischen  Ministeriums  des  Innern  und  der  Reichs  Versicherungsan- 
stalt für  Angestellte  in  Berlin  zu  einer  Sitzung  zusammen. 

Man  war,  wie  uns  von  zuständiger  Seite  mitgeteilt  wird,  einmütig  der  üeber- 
zeugung,  daß  der  Kampf  ^egen  die  Tuberkulose,  der  durch  die  besonderen  Ver- 
hältnisse des  Krieges  in  seinen  Wirkungen  notgedrungen  eine  Abschwächung  er- 
fahren mußte,  mit  aller  Energie  weiter  zu  organisieren  sei,  damit  man  insbeson- 
dere den  nach  dem  Kriege  herantretenden  erhöhten  Anforderungen  gerecht  werden 
könne.  Zu  diesem  Zweck  soll  das  ganze  Deutsche  Reich  mit  einem  Netze  von 
Tuberkulosefürsorgestellen  umspannt  werden.  Es  soll  zentralen,  provinzialen  und 
Landesorganisationen,  unter  Benutzung  der  bereits  vorhandenen  Organisationen 
zur  Bekämpfung  der  Tuberkulose,  die  Aufgabe  zugewiesen  werden,  für  die  Er- 
richtung neuer  und  den  weiteren  Ausbau  vorhandener  Fürsorgestellen  in  ihrem 
Bezirke  tätig  zu  sein. 

Mit  der  Berufsberatung  Lungenkranker  beschäftigte  sich 
die  Tagung  des  Deutschen  Zentralkomitees  am  23.  Mai. 

Ministerialdirektor  Dr.  Kirchner  hob  hervor,  daß  die  Sterbhchkeit  an  Lungen- 
schwindsucht in  den  Kriegs  jähren  ständig  zunimmt.    Aus  dem  Jahresbericht  des 


—    451    — 

Generalsekretärs  Oberstabsarzt  Dr.  Helm  geht  hervor,  daß  zurzeit  161  Heilstätten 
für  Erwachsene  mit  16000  Betten  und  ebenso  viele  Kinderheilstätten  mit  12000 
neben  2000  ßeratungs-  und  Fürsorgestellen  in  Deutschland  bestehen.  Ueber  die 
Berufsberatung  und  Arbeitsvermittlung  für  Lungenkranke  unter  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  Kriegsbeschädigten  sprachen  Oberstabsarst  Dr.  Beschorner- 
Dresden  und  Oberregierungsrat  Dr.  Freudenfeld- Straßburg  i.  E,  Beschorner  hob 
die  großen  Schwierigkeiten  hervor,  die  der  Berufsberatung  und  Arbeitsvermittlung 
Tuberkulöser  hinderlich  sind.  Neben  der  geringen  Zahl  geeigneter  Berufe  sind 
es  die  Abneigung  der  Arbeitgeber,  Lungenkranke  wieder  zu  beschäftigen,  und 
die  Scheu  des  Erkrankten  selbst,  die  Arbeit  wieder  aufzunehmen.  Eingehend 
schildert  Beschorner  die  Berufsberatung  und  Arbeitsvermittlung  im  XII.  sächsi- 
schen Armeekorps,  die  mit  Hilfe  der  Tuberkuloseorganisationen  und  der  Vereine 
„Heimatsdank  für  die  Kriegsbeschädigten"  auf  das  zweckmäßigste  geschieht.  Ober- 
regierungsrat Dr.  Freudenfeld  führte 'aus,  daß  sowohl  bei  der  Berufswahl  gelegen t- 
lidi  der  Schulentlassung  wie  bei  der  Berufsberatung  nach  einer  Heilstätten be- 
handlung  immer  wieder  die  Feststellung  gemacht  wird,  daß  weniger  der  Beruf 
selbst  für  den  Lungenkranken  schädlich  ist  als  die  näheren  Umstände,  unter 
denen  er  ausgeübt  wird,  und  daß  kein  Beruf  —  auch  nicht  des  Landwirts  und 
Gärtners  —  frei  von  Schädlichkeiten  ist.  Er  empfiehlt  die  Einrichtung  von  Ar- 
beitsgenesungsheimen im  Anschluß  an  die  Heilstätten.  Die  Einrichtungen  soUen 
dem  doppelten  Zwecke  dienen,  die  Genesenen  wieder  an  die  Arbeit  zu  gewöhnen 
und  ihnen,  wenn  nötig,  Gelegenheit  zur  Berufsumschulung  zu  geben. 

Im  Anschluß  an  diese  Sitzung  fand  unter  dem  Vorsitz  des  Grafen  Posa- 
dowski  die  Hauptversammlung  des  Ausschusses  für  die  Tuberkulosebekämpfung 
im  Mittelstand  (Abteilung  des  Zentral-Komitees)  statt. 

Nach  einer  neueren  holländischen  Erhebung  über  den  Alkohol- 
gebrauch der  Schulkinder  und  den  Grad  der  dadurch  beein- 
trächtigten Leistungsfähigkeit  ergeben  sich  die  folgenden 
(in  einem  Aufsatz  der  Zeitschrift  „Alkoholfrage")  wiedergegebenen. 
Zahlen : 

Von  den  (immerhin !)  5448  Enthaltsamen  waren : 

gute  Schüler  33,4  v.  H. 

mittelmäßige  50,2   „    „ 

schlechte  16,4   „    „ 

Von  den  8679  gelegentlich  Trinkenden: 

gute  25,6  V.  H. 

mittelmäßige  53,0  „    „ 

schlechte  21,4  „    „ 

Von  den  (immerhin  nur)  136  täglich  Trinkenden: 

gute  16,9  V.  H. 

mittelmäßige  58,0   „  „ 

schlechte  25,0    „  „ 

Der  vom  Reichstag  eingesetzte  Ausschuß  für  Bevölkerungspolitik^ 
an  dem  Dr.  Marie  Elisabeth  Lüders,  das  sachkundige  Mitglied  der 
Abteilung  für  Frauenarbeit  beim  Kriegsamt,  teilnahm,  einigte  sich  (wie 
„Soz.  Prax."  mitteilt)  auf  eine  Reihe  von  Forderungen  für  einen 
verstärkten  Arbeiterinnenschutz: 

Der  Reichskanzler  soll  ersucht  werden,  dahin  zu  wirken,  daß  für  die  Aus- 
nahmen von  den  Beschäftigungsbeschränkungen  weiblicher  und  jugendlicher  Ar- 
beiter, die  seit  Kriegsbeginn  durch  das  Ermächtigungsgesetz  vom  4.  August  1914 
gestattet  sind,  durch  bundesrätliche  und  kriegsamtliche  Verordnung  oder  Anweisung 
einheitlich  für  das  Reichsgebiet  baldmöglichst  folgendes  Mindestmaß  von  Arbeiter- 
schutz während  der  Elriegszeit  zur  Einhaltung   vorgeschrieben  wird:   bei  regel- 


-    452    — 

mäßigem  Tag-  und  Nachtbetrieb  in  der  Regel  die  Achtstundenschicht,  bei  den 
übrigen  Betrieben  in  der  Regel  die  Zehnstundenschicht;  mindestens  jeden  zweiten 
Sonntag  völlige  Ruhezeit;  Wöchnerinnenschutz  während  10  Wochen,  von  denen 
bis  zu  3  Wochen  vor  der  Niederkunft  liegen  können,  unter  entsprechender  Aus- 
dehnung der  Reichswochenhilfe;  besondere  Schutz  Vorschriften  für  die  Beschäftigung 
mit  giftigen  und  explosiven  Stoffen;  Ausnahmen  im  Rahmen  nachstehender  Be- 
schränkungen sollen  nur  für  einzelne  Betriebe  zulässig  sein  und  unter  Beachtung 
besonderer  Schutzmaßnahmen.  Es  wird  ferner  ersucht,  daß  das  Hausarbeitsge- 
setz vom  20.  Dezember  1911  und  seine  Fachausschüsse  für  Lohnschutz  zur 
schleunigen  Durchführung  gelangen,  und  schließlich,  daß  die  Wiederherstellung 
«iner  ausreichenden  Gewerbeaufsicht  und  der  berufsgenossenschaftlichen  Unfall- 
aufsicht so  rasch  wie  möglich  erfolgt,  daß  die  Zahl  der  Aufsichtsbeamten  syste- 
matisch vermehrt,  besonders  auch  weibliche  Beamte  und  Arbeiter  in  höherer  Zahl 
angestellt  werden,  und  daß  eine  angemessene  Zahl  hygienisch  vorgebildeter  Be- 
amten bei  der  Anstellung  Berücksichtigung  finde,  sowie  daß  für  die  so  ausge- 
baute Gewerbeaufsicht  eine  ausreichende  Mitwirkung  bei  der  Organisation  der 
kriegsamtlichen  Stellen  für  den  vaterländischen  Hilfsdienst  gesichert  wird. 


-    453    - 


Volkswirtschaftliche  Chronik. 

Juli  1917. 

I.   Produktion  im  allgemeinen. 

Inhalt:  Beschäftigungsgrad  im  Juli. 

Im  Monat  Juli  hat  die  rückläufige  Bewegung  der  Be- 
schäftigten weiter  angehalten,  wenn  auch  die  Abnahme  weniger 
stark  war  als  im  Juni.  Im  Vorjahre  ging  die  Beschäftigtenziffer  in 
den  Monaten  Juni  und  Juli  ebenfalls  zurück,  aber  weit  weniger  stark 
als  im  laufenden  Jahre.  Bis  Mai  war  im  laufenden  Jahre  die  Ver- 
mehrung der  Beschäftigten  verhältnismäßig  sehr  kräftig,  die  Zugänge 
waren  größer  als  im  Vorjahr,  wie  sich  aus  einem  Vergleich  der  monatlichen 
Zu-  und  Abnahme  ergibt,  die  auf  Grund  der  Berichterstattung  der  Kranken- 
kassen an  das  „Reichs-Arbeitsblatt"  errechnet  sind.  Es  betrug  danach 
die  Zu-  (-|-)    bzw.  Abnahme   ( — )    der  Beschäftigten    in    den  Monaten : 

1916  1917 

4137  —    33  563 

10467  +     29334 

44412  +     98245 

192049  -I-  232366 

III  308  -h  100  186 

19626  —  102  236 

6382  —     II  608 

Diese  Ziffern  sind  zwar  keineswegs  miteinander  genau  vergleichbar,  da 
die  Zahl  der  berichtenden  Kassen  leider  von  Monat  zu  Monat  schwankt, 
aber  sie  geben  doch  immerhin  einen  Fingerzeig  für  die  Richtung  der 
Bewegung.  Da  läßt  sich  nun  soviel  aus  ihnen  entnehmen,  daß  die  Zu- 
nahmen im  laufenden  Jahre  bis  einschließlich  Mai  recht  befriedigend  waren, 
die  des  Vorjahres  wohl  übertroffen  haben,  daß  aber  mit  dem  Juni  1917 
eine  unerfreuliche  Wendung  eingetreten  ist.  Die  Abnahme  in  diesem 
Monat  hat  die  ganze  Zunahme  des  Monats  Mai  wieder  aufgeschluckt. 
Nun  ist  allerdings  zu  beachten,  daß  im  Juni  eine  überaus  kräftige  Ver- 
minderung der  männlichen  Beschäftigten  eingetreten  ist.  Ihre  Zahl  ist 
um  nicht  weniger  als  109  405  gesunken.  Dafür  hätte  man  eine  um  so 
stärkere  Zunahme  der  weiblichen  Beschäftigten  erwarten  sollen.  Diese 
ist  aber  ausgeblieben :  die  Steigerung  der  weiblichen  Beschäftigten  war 
vielmehr  im  Vergleich  zu  den  Vormonaten  recht  gering.  Wie  stark 
der  Ausfall  wirken  muß,  erkennt  man,  wenn  man  die  Bewegung  der 
weiblichen  Beschäftigten  in  den  einzelnen  Monaten  des  laufenden  Jahres 
verfolgt.     Die  Zunahme  betrug: 

Januar         10  865  Mai         60  294 

Februar      25  108  Juni  7  169 

März  54  744  Juli  8  392 

April         113  570 

Im  Monat  Juli  war  es  Groß-Berlin,    wo  die  Zahl  der  Beschäftigten  am 

stärksten  sank.     Das  Weniger  ist  hier  allein  größer    als  für  das  ganze 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXX 


Januar 

— 

Februar 

— 

März 

+ 

AprU 

+ 

Mai 

+ 

Juni 

— 

Juli 

— 

—    454    - 

Reich.  Für  dieses  beträgt  das  Minus  1 1 608  Beschäftigte  oder  gegen- 
über Juni  0,14  Proz.,  für  Groß-Berlin  allein  beträgt  es  12  873  oder 
1,25  Proz.  Was  noch  besonders  auffällt,  das  ist  der  Umstand,  daß  in 
Groß-Berlin  nicht  nur  die  Zahl  der  männlichen  Beschäftigten  abge- 
nommen hat,  sondern  auch  die  der  weiblichen.  Dazu  war  die  Abnahme 
der  weiblichen  stärker  als  die  der  männlichen.  Die  Zahl  der  männ- 
lichen sank  um  5419,  die  der  weiblichen  aber  um  7454.  Die  starke 
Abnahme  in  Groß-Berlin  hat  auf  das  Reichsmittel  sehr  ungünstig  ein- 
gewirkt. In  Nordwestdeutschland,  in  Westdeutschland  und  in  Süd- 
deutschland war  die  Bewegung  der  Beschäftigten  auch  im  Juli  steigend. 
Besonders  ist  die  Rheinprovinz  hervorzuheben,  wo  die  Zahl  der  Be- 
schäftigten um  5884  oder  um  0,65  Proz.  gegenüber  Juni  stieg.  Die 
besonderen  Ursachen  des  Rückganges  der  Beschäftigten  in  Groß-Berlin 
sind  nicht  klar  erkennbar.  Der  Verband  Märkischer  Arbeitsnachweise 
spricht  in  seinem  Bericht  für  den  Monat  Juli  von  gelegentlicher  Still- 
legung  einzelner  Industriebetriebe,  aber  damit  allein  dürfte  der  starke 
Rückgang  nicht  erklärt  sein.  Viel  stärker  dürfte  der  Umstand  gewirkt 
haben,  daß  die  Zahl  der  Erkrankten  in  Groß-Berlin  im  Juli  sehr  hoch 
gewesen,  daß  dieser  Monat  mit  Vorliebe  zu  Kurzwecken  benutzt  worden 
ist.  Denn  während  die  Gesamtzahl  der  weiblichen  Beschäftigten  ein- 
schließlich der  arbeitsunfähigen  Kranken  und  Wöchnerinnen  nur  um 
2896  abgenommen  hat,  betrug  der  Rückgang  der  versicherungspflich- 
tigen Beschäftigten  abzüglich  der  arbeitsunfähig  Kranken  und  Wöch- 
nerinnen nicht  weniger  als  7454. 

Im  Bergbau  und  Hüttenbetrieb  herrschte,  nach  dem  „Reichs- Arbeits- 
blatt", die  gleiche  lebhafte  Tätigkeit  wie  in  den  vorangegangenen 
Monaten ;  dem  Vorjahr  gegenüber  ist  verschiedentlich  noch  eine  Steige- 
rung zu  bemerken.  Die  Eisen-  und  Metallindustrie  ebenso  wie  der 
Maschinenbau  zeigt  dem  Vormonat  gegenüber  im  allgemeinen  keine 
wesentlichen  Veränderungen  und  ist  weiterhin  voll  beschäftigt.  In  der 
elektrischen  Industrie  ist  eine  außerordentlich  rege  Beschäftigung  zu 
erkennen,  die  in  verschiedenen  Zweigen  im  Vergleich  zum  Vorjahr  nicht 
unwesentlich  gestiegen  ist.  In  der  chemischen  Industrie  ist  in  ein- 
zelnen Zweigen  eine  Erhöhung  der  Leistungsfähigkeit  dem  Vorjahr 
gegenüber  zu  verzeichnen.  In  der  Holzindustrie  sind  im  allgemeinen 
keine  wesentlichen  Veränderungen  dem  Vormonat  gegenüber  eingetreten, 
doch  ist  im  Vergleich  zum  Vorjahr  teilweise  ein  Rückgang  zu  bemerken. 
Das  Nahrungs-  und  Genußmittelgewerbe  hat  teils  eine  Zunahme,  teils 
eine  Abnahme  der  Beschäftigung  im  Vergleich  zum  Vormonat  und  Vor- 
jahr erfahren.     Die  Lage    des  Baumarktes  ist   im   ganzen  unverändert. 

Die  Nachweisungen  der  Krankenkasen  ergeben  für  die 
am  1.  August  1917  in  Beschäftigung  stehenden  Mitglieder  dem  1.  Juli 
gegenüber  insgesamt  eine  Abnahme  um  1 1 608  Beschäftigte  oder  um 
0,14  V.  H.  (gegenüber  einer  Abnahme  der  Beschäftigten  zahl  um  0,08  v.  H. 
in  der  entsprechenden  Zeit  des  Vorjahrs).  Der  im  Vergleich  zum  Vor- 
jahr etwas  verstärkte  Rückgang  ist  hauptsächlich  auf  die  Verminderung 
der  männlichen  Beschäftigtenzahl  zurückzuführen.  Die  Männer  haben 
um  20000  oder  0,49  v.  H.  abgenommen.  Die  weibliche  Beschäftigten- 
zahl ist  im  Berichtsmonat  auch  weiterhin  gestiegen   und   hat  eine  Zu- 


—    455    - 

nähme  um  8392  oder  0,20  v.  H.  erfahren.  Bei  der  Beurteilung  der 
Bewegung  der  männlichen  Beschäftigtenzahl  ist  zu  berücksichtigen,  daß 
die  Kriegsgefangenenarbeit  in  den  Ergebnissen  der  Krankenkassen- 
statistik nicht  einbegriffen  ist. 

Im  Vergleich  zum  Vormonat  ist  die  männliche  Beschäftigtenzahl, 
wie  die  nachstehende  Zusammenstellung  der  an  das  ,,Reichs- Arbeitsblatt" 
berichtenden  Betriebskrankenkassen  erkennen  läßt,  in  der 
elektrischen,  chemischen  sowie  in  der  Metall-  und  Maschinenindustrie 
gestiegen.  Die  im  übrigen  hervortretende  Abnahme  ist  am  größten  im 
Bekleidungs-  und  Spinnstoffgewerbe  wie  in  der  Holz-  und  Nahrungs- 
mittelindustrie. Die  weibliche  Beschäftigung  hat  in  der  Regel  zu- 
genommen, nur  die  Land-  und  Forstwirtschaft  sowie  die  Holzindustrie, 
das  Bekleidungs-  und  Spinnst offgewerbe  verzeichnen  einen  Rückgang 
auch  der  weiblichen  Hilfskräfte.  Die  Zahl  der  versicherungspflichtigen 
Mitglieder  betrug  am  1.  August  1917 : 


Zahl  der 
berichten- 
den Kassen 

Pflichtmitglieder 

Zu 

-  oder  Abnahme 

Gewerbe 

abzüglich  der  arbeits- 

gegen den 

Vormonat 

unfähigen 

Kranken 

in  Prozent 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

Land-    und    Forstwirtschaft, 

Gärtnerei 

69 

7688 

7008 

— 

0,6  5 

—  7,15 

Metall-,  Maschinenindustrie 

733 

593  274 

201  908 

+ 

O,ö0 

+    1,52 

,           .     (Schlesien 
davon  in  (ßheinL-Westf. 

53 

49158 

19764 

0,5  6 

+    2,51 

244 

222  544 

74  349 

+ 

1,49 

+   2,47 

Elektrische  Industrie 

22 

34928 

61  615 

+ 

0,01 

+    2,28 

Chemische  Industrie 

99 

64672 

26649 

+ 

0,74 

+    6,84 

Spinnstoffgewerbe 

787 

54748 

125468 

1,09 

—   0,08 

rSchlesien 

57 

6084 

13865 

+ 

0,10 

-    1,18 

,           .       Rheinl.-Westf. 
davon  m  }^^^    ^^^^^^^ 

218 

12607 

20883 

— 

1,96 

—  0,57 

202 

12467 

34  377 

— 

0,7 1 

+    0,6  2 

(Eis. -Lothringen 

45 

2309 

6407 

— 

4,78 

—  4,*4 

Holz-  und  Schnitzwaren 

79 

7874 

4144 

— 

0,88 

-   3,85 

Nahrungs-  und  Genußmittel 

267 

26390 

37  773 

— 

0,82 

+    0,20 

Bekleidung 

71 

4873 

IG  881 

— 

2,46 

—   2,35 

Baugewerbe 

170 

43570 

7146 

— 

0,21 

+    1,72 

Wird  die  Zu-  und  Abnahme  der  Mitglieder  nach  Oberversicherungs- 
ämtern betrachtet,  so  findet  man  bei  Betrachtung  der  Grundzahlen  bei 
den    männlichen  Mitgliedern    eine    größere  Zunahme  nur  in  Düsseldorf. 

Eine  größere  Abnahme  der  männlichen  Mitglieder  zeigt  sich  bei: 
Groß-Berlin,  Breslau,  Liegnitz,  Schleswig,  Dresden-N.,  Zwickau  und 
Darmstadt  mit  Provinz  Starkenburg. 

An  weiblichen  Mitgliedern  weisen  größere  Zunahmen  auf:  Danzig, 
Oppeln,  Schleswig,  Cassel,  Düsseldorf,  Cöln  a.  Rh.,  Zwickau,  Stuttgart 
mit  Schwarzwaldkreis,  Darmstadt  mit  Provinz  Starkenburg,  Dessau 
und  Hamburg. 

Eine  größere  Abnahme  bei  den  weiblichen  Mitgliedern  zeigt  sich 
bei  Groß-Berlin,  Potsdam,  Breslau,  Merseburg  und  Hannover. 

Von  den  berichtenden  Unternehmungen  gaben  273  den 
Stand  ihrer  Arbeiterschaft  im  Berichtsmonat  an.  Diese  beschäftigten 
332  309  Arbeiter.  Neben  der  Beschäftigtenzahl  im  Berichtsmonat  gaben 
271  Unternehmungen    auch    die    Zahl    der   im   Vormonat   beschäftigten 

XXX* 


—    456    - 

Arbeiter  an.  Hier  waren  am  letzten  Tage  des  Berichtsmonats  insge- 
samt 317  449  gegen  312195  Arbeiter  am  Schlüsse  des  Vormonats  tätig. 
Es  ist  also  im  Berichtsmonat  dem  Vormonat  gegenüber  eine  Zunahme 
der  Beschäftigten  um  5254  oder  1,68  v.  H.  eingetreten.  Die  Steigerung 
gegen  den  Vormonat  geht  diesmal  in  der  Hauptsache  auf  eine  Mehr- 
beschäftigung von  Männern  zurück. 

An  der  Erhöhung  der  ßeschäftigtenzahl  sind  in  erster  Linie  Eisen- 
und  Metallindustrie,  Bergbau-  und  Hüttenbetrieb  und  der  Maschinen- 
bau, daneben  auch  die  chemische  Industrie  beteiligt.  Ein  Rückgang 
der  Beschäftigtenzahl  macht  sich  hauptsächlich  im  Nahrungsmittelge- 
werbe, in  der  Glas-  und  Papierindustrie  bemerkbar. 

273  der  berichtenden  Unternehmungen  teilten  neben  der  Beschäftig- 
tenzahl im  Berichtsmonat  auch  den  Stand  der  Arbeiterschaft  im  gleichen 
Monat  des  Vorjahrs  mit.  In  diesen  273  Unternehmungen  waren  im 
Berichtsmonat  332  309  Arbeiter  gegenüber  265  913  im  Juni  1916  tätig. 
Es  ist  also  gegenüber  dem  Vorjahr  eine  Zunahme  der  Arbeiterzahl  um 
66396  oder  um  24,97  v.  H.  eingetreten.  Diese  starke  Zunahme  geht 
auf  das  männliche  Geschlecht  zurück. 

Dem  Vorjahr  gegenüber  ist  ein  Rückgang  in  der  Beschäftigten- 
zahl von  nennenswerter  Größe  nur  im  Nahrungsmittelgewerbe,  ferner 
in  der  Bekleidungs-  und  Glasindustrie  zu  verzeichnen.  Wesentlich 
größer  als  die  hier  eingetretene  Abnahme  ist  demgegenüber  die  Zunahme 
in  der  Metall-  und  Maschinenindustrie,  in  der  chemischen  Industrie,  wie 
auch  im  Bergbau  und  der  elektrischen  Industrie.  In  den  zuletzt  ge- 
nannten fünf  Gewerbezweigen,  namentlich  in  der  chemischen  Industrie 
und  in  der  Metall-  und  Maschinenindustrie,  ist  abermals  eine  lebhafte 
Steigerung  der  männlichen  Arbeiterzahl  festzustellen.  Die  Anzahl  der 
Frauen  und  Mädchen  ist  dem  Vorjahr  gegenüber  am  meisten  in  der 
Metallverarbeitung  und  in  der  Maschinenindustrie  gestiegen. 

Nachstehend  geben  wir  die  Veränderungen  in  den  einzelnen  Ge- 
werben tabellarisch  wieder: 


Beschäftigte  am 

Zu-  oder  Abnahme 

Be- 

letzten Tage  des 

Gewerbegruppen 

triebe 

Berichtsmonats 

insgesamt 

männl.  |  weibl. 

insgesamt 

männl. 

Anzahl 

V.  H. 

Anzahl 

Bergbau  und  Hüttenbetrieb 

29 

57154 

51005 

+  1230 

-t-2,20 

+  1150 

-H     80 

Eisen-  und  Metallindustrie 

bo 

108  239 

84246 

+2S84 

4-2,45 

+  1454 

+  1130 

Industrie  der  Maschinen 

44 

66544 

55350 

+  451 

-f  0,68 

-fii86 

—  735 

Elektrische  Industrie 

12 

10404 

4521 

+   191 

+  1,87 

4-       2b 

+   165 

Chemische  Industrie 

31 

50010 

37470 

+  723 

+  1,47 

+  158 

+  565 

Spinnstoffgewerbe 

14 

4306 

1028 

+   151 

+  3,68 

+     14 

+  137 

Holzindustrie 

6 

466 

318 

+     18 

+  4,02 

+     14 

+       4 

Nahrungs-  und  Genußmittel 

15 

5958 

1543 

-    89 

—  1,47 

—     II 

-     78 

Bekleidungsgewerbe 

II 

1429 

476 

—       I 

—  0,07 

+       I 

—       2 

Glas  und  Porzellan 

7 

2404 

I  168 

—    37 

—  1,62 

-    48 

+     II 

Papierindustrie,  Buchdruck 

34 

7871 

4859 

-    34 

—  0,48 

+       8 

—    42 

Sonstige  Gewerbe  (einschließlich 

Baustoffe  und  Schiffahrt) 

8 

2664 

1564 

+     67 

+  2,68 

+       6 

+     61 

Summe 

271 

317449 

243  548 

+  5354 

+  1,68 

+3958 

-hl  296 

-    457    - 

Nach  den  Feststellungen  von  34  Fachverbänden,  die  für  946  241 
Mitglieder  berichteten,  betrug  die  Arbeitslosigkeit  Ende  Juli 
7807  oder  0,8  v.  H. ;  der  Vormonat  hatte  eine  Arbeitslosenziffer  von 
0,9  V.  H.  zu  verzeichnen,  so  daß  also  im  Berichtsmonat  eine  Abnahme 
hervortritt.  Auch  im  Vergleich  zu  den  entsprechenden  Monaten  der 
drei  vorhergehenden  Jahre  ist  die  Arbeitslosigkeit  geringer,  und  zwar 
wesentlich  niedriger.  Sie  betrug  im  Juli  1914  2,9  v.  H.  und  ist  in 
den  beiden  nächsten  Jahren  auf  2,7  und  2,4  v.  H.  zurückgegangen. 

Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  läßt  im  Berichtsmonat 
für  das  weibliche  Geschlecht  ein  weiteres  Sinken  des  Andrangs  der 
Arbeitsuchenden  erkennen,  während  er  für  das  männnliche  dem  Vor- 
monat entspricht.  Im  Juli  kamen  auf  100  offene  Stellen  bei  den 
männlichen  Personen  47  Arbeitsuchende  (gegenüber  47  im  Vormonat); 
beim  weiblichen  Geschlecht  ging  die  Andrangsziffer  von  86  im  Juni 
auf  83  im  Berichtsmonat  zurück. 

n.  Landwirtschaft  und  Tcrwandte  Grewerbe. 

Inhalt:  Saatenstand:  Vereinigte  Staaten  von  Amerika;  Italien;  Oester- 
reich;  Bulgarien.  —  Lage  der  Erzeugung  landwirtschaftlicher  Produkte. 
Schweiz:  Brotpreis;  Höchstpreis  für  Torf;  Kartoffeltrocknung;  Verbot  des 
Verkaufs  von  frischem  Brot;  Preis  der  Schlachtwaren;  Frauen  vereine ;  Mais; 
Bodenpreise ;  Pferdemangel.  Norwegen: Roggenmehl.  England:  Steigerung 
der  Frachten:  Einheitsmehl;  Brotkrankheit;  kanadischer  Weizen.  Vereinigte 
Staaten:  Frachtpreise.  Neusüdwales:  Getreideüberschuß.  Frankreich: 
Broteinschränkung ;  Ernteerträge.  Italien:  Seidenkokons.  Deutschland: 
Brotversorgung;  Verkehr  mit  Saatgut;  G^müsesaatgut ;  Höchstpreise  für  Ge- 
treide ;  anerkanntes  Saatgut.  Schweiz:  Lebenskosten ;  Höchstpreise  für  Heu 
und  Stroh;  Schilf.  Norwegen:  Schiffsfrachten.  Rußland:  Zuckerrüben- 
anbau. Frankreich:  Kartoffelpreise.  Deutschland:  Selbstversorger ;  Preis 
der  Hülsenfrüchte;  Reichsgerstengesellschaft  m.  b.  H.;  Oelsaatanbau  und  Am- 
moniak zur  Düngung;  Uebernahmepreis  für  Oelfrüchte;  Rohtabak.  Schweiz: 
Höchstpreise  für  Fleisch;  Obst-  und  Gemüseproduzentenverband.  Holland: 
Erntebeschlagnahme.  England:  Lebensmittelversorgung;  Mindestlöhne  land- 
wirtschaftlicher Arbeiter.  Vereinigte  Staaten:  Fettausfuhrverbot.  Frank- 
reich: Erhöhung  des  Brotpreises.  Rußland:  Verband  der  Landwirte. 
Italien:  Getreidehöchstpreise.  Amerika:  Weizeupreise.  Weltmarkt:  Wei- 
zenpreise. O  es  ter  reich:  Kartoffelregelung.  Schweiz:  Getreidebeschlagnahme; 
Höchstpreis  für  Reis  und  Zucker;  Speisekartoffeln.  Schweden:  Getreide- 
beschlagnahme ;  Brotzuteilimg.  England:  Butterversorgung.  Frankreich: 
Brotkonsum;  Teigwaren  und  Grieß;  Getreideverteilung.  Deutschland:  Saa- 
tenmarkt.   Großbritannien  und  Irland:  Einfuhr  von  Weizen  und  Weizenmehl. 

Ueber  den  Stand  der  Saaten  in  den  verschiedenen  Produktions- 
ländern sollen  nachstehende  Berichte  wiedergegeben  werden.  Zunächst 
über  die  ,       j       '~i 

Ernteaussichten  der  Vereinigten  Staaten  (nach  „Land. 
Marktztg."  Berlin  XVIIT.  56).  Xach  einem  Telegramm  aus  Washington 
hat  das  Landwirtschaftsamt  unterm  9.  Juli  nachstehende  Schätzungen 
veröffentlicht : 

Winterweizen: 
Saatenstand  (in  Proz.) 
Anbaufläche  (in  1000  ha) 
Ernteerwartung  (in  1000  t) 


1.  Juli 

1.  Juni 

1.  Juli 

1.  Juli 

1.  Juli 

1917 

1917 

1916 

1915 

1914 

75,9 

70,9 

75,7 

84,4 

94,1 

II  o6i 

II  061 

13208 

16068 

14155 

I0  934 

IG  146 

13  301 

18  170 

17807 

—    458    - 


Sommerweizen: 
Saatenstand  (in  Proz.) 
Anbaufläche  (in  1000  ha) 
Ernteerwartung  (in  1000  t) 

1.  Juli 
1917 

83,6 
7616 

7507 

1.  Juni 
1917 
91,6 
7616 
7698 

1.  Juli 
1916 
89.0 
7140 
7  344 

1.  Juli 
1915 
93.3 
7698 
8024 

1.  JuH 
1914 
92,1 
7  196 
7484 

Weizen  insgesamt: 
Saatenstand  (in  Proz.) 
Anbaufläche  (in  1000  ha) 
Emteerwartung  (in  1000  t) 

18677 
18  441 

18677 
17844 

82,4 
20348 
20645 

88,8 
24066 
26194 

93.* 
21  351 

25891 

Mais: 
Saatenstand  (in  Proz.) 
Anbaufläche  (in  1000  ha) 
Emteerwartung  (in  1000  t) 

81,1 
43480 
79350 

— 

82,0 
43448 
72  796 

81,2 
43709 
71476 

85.8 
42027 
72865 

Hafer: 
Saatenstand  (in  Proz.) 
Anbaufläche  (in  1000  ha) 
Emteerwartung  (in  1000  t) 

89,4 
17264 
21068 

88,8 
17264 
20024 

86,3 
16  240 
19097 

93.9 
16077 
20286 

84,5 
15353 
17426 

Gerste: 
Saatenstand  (in  Proz.) 
Anbaufläche  (in  1000  ha) 
Emteerwartung  (in  1000  t) 

85,4 

3352 

4644 

89,3 

3352 
4644 

87,9 

3103 

4448 

94,1 
2958 

4  444 

92,6 
3011 
4  547 

Roggen: 
Saatenstand  (in  Proz.) 
Anbaufläche  (in  1000  ha) 
Emteerwartung  (in  1000  t) 

79,4 
1549 

84,8 
1473 

87,0 
I  118 

92,0 
I  019 

92,9 
I  081 
I  180 

Die  im  Besitz  der  Landwirte  befindlichen  Vorräte  von  Weizen 
betrugen  am  1.  Juü  1917  428000  t  gegen  2006000  t  am  1.  Juü  1916,  789000  t 
am  1.  Juli  1915  und  876000  t  am  1.  Juli  1914. 

Nach  diesem  Bericht  hat  sich  also  der  Stand  des  Winterweizens  im 
Laufe  des  Juni  um  5  Proz.  gebessert,  der  des  Sonuüerweizens  um  8  Proz. 
verschlechtert.  Wie  hoch  die  Ernte  endgültig  ausfallen  wird,  hängt  im  wesent- 
lichen von  der  weiteren  Entwicklung  des  Sommerweizens  ab.  Zwar  differiart 
auch  bei  Winter weizen  die  nach  dem  Stande  vom  1.  Juli  berechnete  Emteer- 
wartung fast  immer  von  der  endgültigen  Schätzung,  aber  zumeist  nur  um 
wenige  Prozent;  dagegen  sind  die  Unterschiede  bei  Sommerweizen  oft  recht  be- 
trächtlich. So  betrug  im  Vorjahre  die  Ernte  nur  4300000  t  gegenüber  einer 
Julierwartung  von  7  340000  t.  Nehmen  wir  nun  für  dies  Jahr  an,  daß  Sommer- 
weizen ungefähr  seinen  jetzigen  Stand  bewahrt,  so  könnte  in  diesem  günstigen 
Falle  die  Gesamt  weizenernte  die  vorjährige  von  nicht  ganz  17V2  Mill.  t 
um  1  Mill.  t  übertreffen.  Demgegenüber,  ist  aber  zu  berüc£ichtigen,  daß  die 
diesmal  am  1.  Juli  vorhandenen  Weizenbestände,  die  der  Landwirte  und  die 
sogenannten  „offiziellen"  der  zweiten  Hand  nur  815  000  t  betragen  gegen 
3  300000  t  vor  einem  Jahre,  also  2  500000  t  weniger. 

In  Wirklichkeit  dürfte  das  Minus  1— IV2  Mill.  t  größer  sein,  weil  die 
sogenannten  „offiziellen"  Vorräte  nur  den  kleineren  Teil  der  Vorräte  der  Zweit- 
hand umfassen,  und  die  nicht  mitgezählten  sich  in  ungefähr  gleichem  Maße, 
die  Vorräte  der  Mühlen  und  in  den  „interior  elevators"  wahrscheinlich  in  er- 
heblich stärkerem  Maße  vermindert  haben.  Unter  natürlichen  Verhältnissen 
könnten  die  Vereinigten  Staaten  im  neuen  Ernte  jähre  also  höchstens  1  Mill.  t 
Weizen  und  Mehl  exportieren  und  würden  dann  in  das  Erntejahr  1918/19 
mit  noch  minimaleren  Vorräten  treten  als  jetzt.  Exportieren  sie  mehr,  was  in- 
folge der  Maßnahmen  der  Wilsonschen  Regierung  sehr  wahrscheinlich  ist,  so 
würden  sie  ihren  eigenen  Verbrauch  an  Weizen  erheblich  einschränken  und 
Ersatzmittel,  also  vermutlich  Mais,   heranziehen  müssen. 

Für  Mais  ist  die  diesjährige  Anbaufläche  um  5  Mill.  ha  größer  als  die 
vorjährige;  man  hat  einmal  ausgewinterte  Weizenfelder  mit  dieser  Frucht  be- 
stellt, und  sodann  den  Baumwollanbau  zugunsten  des  Maisbaues  verringert.   Wie 


—    459    — 

der  endgültige  Ertrag  sein  wird,  hängt  völlig  von  der  Entwicklung  in  der 
noch  zwischen  Saat  und  Ernte  liegenden  Zeit  ab;  die  Unterschiede  zwischen 
Julier  Wartung  und  Ernte  sind  hier  noch  größer  als  bei  Sommerweizen.  Hält 
Mais,  was  er  heute  verspricht,  so  wird  das,  wie  schon  angedeutet,  die  Weizen- 
ausfuhr erleichtem. 

Hafer,  Gerste  und  Roggen  versprechen  nach  dem  heutigen  Stande 
die  vorjährigen  übertreffende  Erträge,  so  daß  bei  den  hohen  Preisen  wohl 
auf  Export  ähnlich  dem  Vorjahre  gerechnet  werden  kann.  Der  Mehrertrag  in 
Roggen  ist  eine  Folge  der  stark  vergrößerten  Anbaufläche,  und  diese  Ver- 
gröferung  ist  auch  nur  erfolgt,  um  mehr  exportieren  zu  können.  Roggen  neuer 
Ernte  notiert  gegenwärtig  in  New  York  auf  ungefähr  320  M. 

Italien.  Dem  Mailänder  Handelsblatt  „II  Sole"  zufolge  kann  Italien 
auf  eine  gute  Mittelernte  von  Weizen  rechnen.  Trotzdem  wird  es  aber  genötigt 
sein,  20  Mill.  dz  Weizen  einzuführen. 

Oester reich:    Wie  die  Wiener  Blätter  melden,  ist  das  quantitative  Er- 

febnis  der  heurigen  Ernte  befriedigend  und  das  qualitative  Ergebnis  noch  besser. 
)ie  Ernte  in  Brotstoffen  stellt  sich  als  gute  Mittelernte  dar,  die  in  normalen 
Zeiten  ausreicht,  um  den  Bedarf  der  Monarchie  zu  decken.  In  diesem  Jahre 
stehen  außerdem  auch  die  Zuschüsse  aus  den  besetzten  Gebieten  Rumäniens, 
Polens  und  Serbiens  zu  Gebote,  so  daß  bei  Aufrechterhaltung  der  Rationierung 
des  Verbrauches  ein  Auslangen  leichter  zu  finden  ist,  als  im  letzten  Erntejahre. 
Bulgarien:  Sofia,  17.  Juli.  Die  mäßig  warme,  von  häufigen  Nieder- 
schlägen begleitete  Witterung  des  Monats  Juni  war  für  die  bidgarische  Land- 
wirtschaft iiberaus  günstig.  Die  Frühjahrsaussaaten,  die  infolge  der  Trocken- 
heit des  Vormonats  im  Wachstum  zurückgeblieben  waren,  haben  sich  über  Er- 
warten prächtig  erholt  und  stehen  in  bester  Verfassung.  Dies  trifft  insbesondere 
auch  bei  Mais,  Hirse,  Bohnen  und  Kartoffeln  zu,  die  überall  im  Lande  eine 
bessere  Ernte  als  im  Vorjahre  versprechen.  Die  Aussaat  des  Reises  ist  bis 
gegen  Mitte  Juni  fortgesetzt  worden.  Der  gegenwärtige  Stand  der  Reisfelder 
läßt  nichts  zu  wünschen  übrig.  Auch  die  Zuckerrüben  stehen  in  Nordbulgarien 
in  bester  Verfassung,  in  Südbulgarien  sind  sie  jedoch  im  Wachstum  ziemlich 
zurückgeblieben.  Die  Heumahd  hat  rechtzeitig  und  unter  günstigen  Witterungs- 
verhältnissen stattfinden  können.  —  Ein  gewisser  Mangel  an  Arbeitskräften 
macht  sich  fühlbar.  » 

Aus  den  Wochenberichten  des  Deutschen  Land  wir  tschaftsrates  sollen 
über  die  Lage  der  Erzeugung  landv^irtschaftlicher  Produkte 
folgende  Mitteilungen,  speziell  über  die  Verhältnisse  im  Aus  lande, 
hier  angeführt  werden. 

u        17.   Juli  1917. 

In  Burgdorf  in  der  Schweiz  beträgt  der  Brotpreis  seit  dem  7.  Juli 
70  Rappen  für  1  kg  (28  Pf.  p.  Pfund). 

In  der  Schweiz  sind  die  Höchstpreise  für  Torf  auf  12 — 14  Franken 
per   Ster   (9,70—11,35   M.   für   den   Raummeter)   festgesetzt. 

In  der  Schweiz  sind  Maßnahmen  für  das  Trocknen  von  Kartoffeln 
getroffen  worden.  Es  sollen  staatlicherseits  2  Trockenanlagen  errichtet  und 
außerdem  Brennereien  und  ähnliche  Einrichtungen  verwandt  werden.  Die  größte 
Wirkung  schreibt  man  dabei  der  Mitarbeit  des  Volkes  zu.  Es  müßten 
in  jedem  Haushalt  auf  dem  Herd  oder  Ofentritt  die  in  Scheiben  zerschnittenen 
kleinen  und  kranken  Kartoffeln,  aus  denen  die  beschädigten  Teile  entfernt 
wurden,  gedörrt  werden.  Konserviert  sich  jede  der  800000  Haushaltungen  m 
der  Schweiz  nur  je  1  kg  Kartoffeln,  so  ergibt  dies  schon  eine  Gesamtmenge 
von  80  Eisenbahn  Wagenladungen.  Außerdem  plant  die  eidgenössische  Obstkom- 
mission das  Dörren  von  Obst  und  Gemüse  in  größerem  Umfange. 

In  der  Schweiz  ist  ab  1.  Juli  das  durch  Bundesratsbeschluß  vom  18. 
Juni  erweiterte  Verbot  des  Verkaufs  von  frischem  Brot  in  Wirk- 
samkeit getreten.  Danach  darf  Groß-  und  Kleinbrot  frühestens  am  zweit- 
nächsten Tage  (also  nicht  mehr  am  nächsten  Tage)  nach  dessen  Herstellung 
in  den  Verkehr  gebracht  werden. 


—    460    — 

Der  Schweizerische  Städteverband  hat  Ende  Juni  eine  Eingabe  an  die 
Bundeebehörde  gerichtet,  die  um  die  Einführung  von  Höchstpreisen  für  soge- 
nanntee  Eingeschlachtetes  ersucht.  Die  Preise  für  das  Eingeschlachtete 
waren  bekanntlich  infolge  der  „fleischlosen  Tage"  bedeutend  gestiegen.  Bei  den 
zuständigen  Stellen  gehen  nun  die  Meinungen  dahin,  daß  die  Preise  für  das 
Eingeschlachtete  mit  der  Beseitigung  der  „fleischlosen  Tage"  von  selbst  wieder 
auf  den  normalen  Stand  zurückkehren.  Dagegen  wird  eine  Preisregelung  für 
Vieh  im  allgemeinen  angestrebt.  Schon  vor  einigen  Tagen  hat  die  eidgenössische 
Schlachtviehanstalt  dem  zuständigen  Departement  Vorschläge  betreffend  Nor- 
malpreise für  Vieh  unterbreitet,  die  bei  einer  möglicherweise  notwendig  werdenden 
Enteignung  zur  Geltung  kommen  sollten.  Inzwischen  hat  sich,  dank  des  guten 
Futterwucnses  und  des  besseren  Nährzustandes,  das  Angebot  verbessert,  und 
eine  weitere  Besserung  ist  zu  erwarten,  so  daß  an  Enteignung  gegenwärtig  kaum 
gedacht  werden  muß.  Damit  steht  auch  eine  Preismilderung  in  Aussicht. 
In  jenem  Zeitpunkt  wird  man  daran  denken  müssen,  Höchstpreise  für  Vieh 
und  Fleisch  anzusetzen,  um  ein  Wiederansteigen  nach  Möglichkeit  zu  verhindern. 
Ein  Preisabschlag  um  ca.  30  Rappen  ist  bereits  für  Schweine  eingetreten,  be- 
wirkt durch  eine  gewisse  Stauung  des  Angebotes,  die  vor  etwa  3 — 4  Wochen, 
eintrat.  Heute  macht  sich  wieder  die  Tendenz  zur  Stabilität  geltend.  Jeden- 
falls ist  diesem  Umstände  behördlicherseits  im  vorerwähnten  Sinne  der  Höchst-, 
preisansetzung  alle  Aufmerksamkeit  zu  schenken. 

Die  Generalversammlung  des  Schweizerischen  gemeinnützigen 
Frauen- Vereins  hat  am  19.  Juni  über  die  Lebensmittelversorgung 
folgende  Beschlüsse  gefaßt : 

„Der  Vorstand  wird  beauftragt,  dem  Bundesrat  in  einer  Eingabe  Dank 
und  Anerkennung  auszusprechen  für  die  unermüdliche,  große  und  erfolgreiche 
Arbeit,  die  er  für  die  Lebensmittelversorgung  der  Bevölkerung  entfaltet,  und 
ihm  zugleich  folgende  Wünsche  zu  unterbreiten :  1.  Es  möchte  der  Bundesrat 
im  Hinblick  auf  die  Volksernährung,  welche  die  Grundlage  der  Volksgesund- 
heit und  Volkskraft  bildet,  auch  fernerhin  von  der  Rationierung  der  Konsum - 
milch  absehen,  selbst  dann,  wenn  sich  die  Produktionsverhältnisse  vrieder  un- 
günstiger gestalten  gpUten.  2.  Es  möchte  der  Bundesrat  eine  Rationierung  des 
Brotes  nur  im  äußersten  Notfall  und  erst  dann  eintreten  lassen,  wenn  jede 
Luxusverwendung  des  Getreides  und  Mehles  auf  das  äußerste  beschränkt  ist. 
Vorgängig  der  Rationierung  wäre  zu  prüfen,  ob  nicht  abweichend  vom  Modus 
der  einheitlichen  Ration  verschiedene  Brotkarten  einzuführen  seien,  die  ent- 
sprechend der  Eigenart  des  Brotverbrauchs  dem  Bedürftigeq  und  dem  Mittel- 
stand eine  größere  Brotration  verbürgten  als  dem  Begüterten.  Die  Abgabe  des 
Brotes  zu  reduziertem  Preise  an  die  Bedürftigen  ist  in  der  bisherigen  Weise 
weiterzuführen." 

Der  Schweizerische  Bund  hat  die  Verteilung  der  Maisvorräte 
den  Kantonen  übertragen.  Es  ist  wenig,  was  zur  Verfügung  gestellt  werden 
kann,  für  die  ganze  Schweiz  höchstens  200  Wagenladungen  pro  Monat,  für 
den  Kanton  Bern  37  Wagenladungen  pro  Monat  Juli.  Schon  im  Mai  und 
Juni  langten  dagegen  aus  dem  Gebiete  des  Kantons  Bern  Begehren  für  über 
200  Wagenladungen  ein,  so  daß  diese  37  Wagen  nur  einen  kleinen  Teil  der 
Ansprüche  darstellen.  Es  wird  demnach  schwierig  sein,  den  eingelangten  Be- 
gehren auch  nur  im  bescheidensten  Umfange  Rechnung  tragen  zu  können. 
Angesichts  dieser  Sachlage  muß  des  b€Ätimmtesten  verlangt  werden,  daß  dieses 
Quantum  zum  weitaus  größten  Teil  der  menschlichen  Ernährung  dienstbar 
gemacht  werde.  Als  Schweinefutter  darf  Mais  nur  abgegeben  werden,  wo  dafür 
eine  dringende  Notwendigkeit  besteht. 

Der  aargauische  Bauerntag,  der  von  2500  Personen  besucht  war, 
hat  am  9.  Juli  nach  einem  Referat  von  Dr.  Laur  über  den  Einfluß  des  Krieges 
auf  die  landwirtschaftlichen  Liegenschaftspreise  und  die  Verschuldung  des 
Bauernstandes  folgenden  Beschluß  gefaßt :  „Der  aargauische  Bauernbund,  in 
Erwägung,  daß  die  Preise  der  landwirtschaftlichen  Erzeugnisse  voraussichtlich 
nach  dem  Kriege  mehr  und  rascher  sinken  werden  als  die  Löhne,  die  Schuld- 
zinsen und  die  anderen  Kosten,  und  unter  Hinweis  auf  die  schlimmen  Er- 
fahrungen der  landwirtschaftlichen  Bodenspekulation  nach  dem  70er  Krieg, 
warnt    die    Bauern    vor     der    Bezahlung    höherer    Bodenpreise.      Er    erwartet 


—    4^1     — 

vom  Staat,  daß  dieser  durch  Zurückhaltung  in  den  Schätzungen  der  Liegen- 
schaften und  durch  stärkere  Berücksichtigung  des  Ertragswertes  zur  Aufklärung 
beitrage.  Er  ersucht  die  Banken,  der  Güterspekulation  durch  Verweigerung 
des  Kredites  entgegenzutreten  und  dafür  den  Bauern  für  die  Kreditbedürfnisse 
des  laufenden  Betriebes,  ferner  bei  Notständen,  mehr  entgegenzukommen/'  Der 
Referent  teilte  mit,  daß  die  Parzellenpreise,  die  z.  B.  im  Bezirk  Lautenburg 
um  100  Proz.  gestiegen  seien,  nicht  maßgebend  für  den  Preis  ganzer  Güter 
sein  dürfen.  Er  verlangt  eine  allgemeine  Ertragswertschätzung  und  Bekämpfung 
der  unsinnigen  Bodenspekulation. 

In  der  Schweiz  konnten  am  Menzberg  (Luzern)  wegen  Pferdemangels 
beim  Ackern  keine  Tiere  vorgespannt  werden,  weshalb  14  Mann  dem  Pfluge 
vorgespannt   werden   mußten. 

In  Norwegen  konnte,  wie  „Aftenposten"  vom  3.  Juli  meldet,  seit  dem 
23.  März  zum  erstenmal  wieder  Roggenmehl  an  der  Börse  von  Christiania 
notiert  werden.  Damals  notierte  es  54  Kr.  für  den  Sack  (60,75  M.  für  1  dz), 
heute  75  Kr.  für  den  Sack  (84,35  M.  für  1  dz). 

In  England  hat  der  Ernährungsminister  jeglichen  Handel  mit  Getreide 
und  Kartoffeln  verboten. 

„Lloyd's  List"  vom  30.  Juni  berichtet  über  eine  ungewöhnlich  überraschende 
Steigerung  der  Frachtsätze  für  frische  Früchte  von  Valencia  nach  Liverpool 
in  den  letzten  sechs  Monaten.  Im  November  vorigen  Jahres  wurden  für  eine 
Kiste  Apfelsinen  von  Valencia  nach  Liverpool  4^/2 — 5  sh  Fracht  bezahlt.  Dieser 
Frachtsatz  ist  in  der  dritten  Juniwoche  bis  auf  19  sh  gestiegen.  Man  vermutet, 
daß  die  Frachtsätze  für  Kartoffeln  und  Tomaten,  die  demnächst  von  Valencia 
nach  England  verschifft  werden,  ebenso  hoch  sein  werden.  Die  erste 
Sendung  von  500  t  spanischer  Kartoffeln  ist  soeben  eingetroffen. 
Zu  diesen  hohen  Frachten  kommt  eine  Lohnsteigerung  von  15  v.  H.  für  die 
im  Hafen  von  Liverpool  auf  Leichterfahrzeugen  beschäftigten  Arbeiter.  Auch 
von  den  Liverpooler  Docks  wird  eine  Lohnsteigerung  von  33^/3  v.  H.  gemeldet. 
Entsprechend  gehen  die  Gebühren  der  Lagerhäuser  in  die  Höhe. 

Wie  die  „Evening  News"  vom  26.  Juni  schreiben,  hat  das  Einheitsmehl 
81  V.  H.  Gehalt  Weizenkorn,  wovon  wieder  75  v.  H.  reines  Mehl  sind.  Den 
Rest  von  19  v.  H.  ersetzen  die  Müller  durch  Bohnen-,  Mais-,  Reis-  und  andere  Mehle, 
je  nachdem  sie  Vorräte  von  dem  einen  oder  anderen  besitzen.  Diese  19  v.  H. 
bestimmen  die  Güte  des  Brotes.  Die  Preise  bewegen  sich  zwischen  10^/2  d  und 
1  sh  2  d  für  das  vierpfündige  Brot  (1810  g)  (=  241/2  und  33  Pf.  für  das 
Pfund),  trotzdem  das  gesamte  Brot  aus  Regierungseinheitsmehl  gebacken  wird. 
Wie  verlautet,  beabsichtigt  Lord  Rhondda  einen  Einheitspreis  für  Brot  fest- 
zusetzen, der  gemäß  dem  Gutachten  der  Bäckereiverbände  1  sh  für  das  vier- 
pfündige Brot  betragen  dürfte. 

Der  Schriftführer  des  englischen  Bäckei'verbandes  warnt  nach  „Times" 
vom  30.  Juni  vor  der  Gefahr,  daß  die  bekannte  Brotkrankheit  „rope"  viele 
Tausende  Tonnen  Brot  vernichten  werde,  wenn  nicht  geeignete  Schritte  dagegen 
unternommen  würden.  Der  Landesverband  der  Bäcker  hat  dem  Premierminister 
und  den  zuständigen  Behörden  vorgeschlagen,  Weizen  während  der  Sommer- 
monate nicht  mehr  auf  81  v.  H.,  sondern  nur  auf  76  v.  H.  ausmahlen  zu, 
lassen  und  den  Zusatz  von  Streckungsmitteln  —  besonders  Mais,  der  eine 
Hauptursache  dieser  Krankheit  ist  —  zu  verringern.  Umfragen  bei 
den  Bäckern  haben  ergeben,  daß  bei  gutem  Ausfall  der  Kartoffelernte  in  diesem 
Jahre  viele  Bäcker  eine  .Streckung  durch  Kartoffeln  vorziehen  würden,  die 
schon  vor  dem  Kriege  dem  Mehl  beigemischt  worden  wären,  wenn  das  Gesetz 
dies  nicht  als  Fälschung  verboten  hätte.  Die  Hinzufügung  von  7 — 14  Pfund 
richtig  verarbeiteter  Kartoffeln  zu  einem  Sack  Mehl  würde  die  Güte  des  Brotes 
verbessern. 

Der  englische  „Economist"  vom  23.  Juni  schreibt :  „Vor  etwa  zwei  Mo- 
naten wurde  berichtet,  daß  Weizen  in  Chicago  stark  im  Preise  falle,  da  der 
Zoll  auf  kanadischen  Weizen  und  Weizenerzeugnisse  beseitigt  sei.  Vierzehn 
Tage  später  hieß  es,  daß  die  englische  Regierung  sich  entschlossen  habe,  ge- 
ringerwertigen kanadischen  Weizen  zu  kaufen.  Eine  Aufklärung  darüber,  was 
dahinter  gesteckt  hat,  erhalten  wir  von  gut  unterrichteter  Seite.  Die  Einkäufer 
der  englischen  Regierung  hatten  bisher  ihre  Aufmerksamkeit  ausschließlich  auf 


—      4^2      — 

hochwertigeu  Weizen  beschränkt  und  trotz  kanadischer  Proteste  sich  geweigert, 
geringerwertigen  Weizen  für  England  und  die  Verbandsgenossen  zu  kaufen. 
Von  diesem  aber  hatte  Kanada  große  Mengen,  von  denen  viel  stark  verdarb. 
Die  nordwestlichen  Provinzen  Kanadas  übten  einen  Druck  auf  die  Regierung 
in  Ottawa  aus,  damit  der  Weizeneinfuhrzoll  beseitigt  würde.  Dies  geschah, 
und  nach  dem  Zollabkommen,  das  mit  Washington  l^steht,  fiel  dadurch  auch 
der  amerikanische  Zoll  auf  kanadischen  Weizen  von  selbst  fort.  Die  englische 
Regierung  begriff  nun  den  gemachten  Fehler  und  ^bot  sich,  geringerwertigen 
kanadischen  Weizen  zu  kaufen,  aber  dieser  Entschluß  kam  zu  spät,  um  noch 
eine  Wirkung  zu  haben.  Für  Weizen  und  Weizenmehl  herrschte  nun  Frei- 
handel zwischen  den  Vereinigten  Staaten  und  Kanada;  schwerlich  wird  der 
Zoll,  nachdem  er  nun  einmal  beseitigt  ist,  je  wieder  eingeführt  werden.  Viel 
Weizen  aus  Manitoba,  Saskatchewan  und  Alberta  wird  nun  in  Chicago,  Minnea- 
polis,  vielleicht  seine  natürlichen  Märkte,  verkauft  werden.  Nebenbei  scheint 
damit,  soweit  Kanada  in  Betracht  kommt,  eine  neue  Schwierigkeit  für  das 
schon  recht  schwierige  Problem  der  Vorzugsbehandlung  im  Reiche,  die  sich 
auf  Nahrungsmittelbesteuerung  gründen  soll,  gegeben  zu  sein." 

Da  die  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  vom  Kongreß  zur  Re- 
quirierung von  Fahrzeugen  ermächtigt  worden  ist,  wird  es  nach  einer  Mel- 
dung aus  Washington  möglich  sein,  ein  internationales  Uebereinkommen  be- 
treffend Herabsetzung  der  Frachtpreise  für  den  Ueberseeverkehr  auf  eine 
normale  Höhe  abzuschließen.  Die  zwischen  den  Vereinigten  Staaten  und  den 
Verbündeten  schwebenden  diesbezüglichen  Verhandlungen  stehen  vor  dem  Abschluß. 

Nach  einem  Bericht  im  „Bund"  vom  26.  Juni  ist  Mitte  Juni  der  leitende 
Staatsmann  der  australischen  Siedelung  Neusüdwales,  W.  A.  Hol- 
man,  in  London  angekommen,  um  bei  der  britischen  Regierung  vorstellig  zu 
werden  der  50  Mill.  Bushel  Gretreide  wegen,  im  Wert  von  15  Mill.  £  (=  SOT^/j 
Mill.  M.),  die  in  Neusüdwales  aufgespeichert  sind  und  Gefahr  laufen,  von  den 
Feldmäusen  aufgefressen  zu  werden,  wenn  nicht  rechtzeitig  Fahrzeuge  zur 
Ueberführung  beschafft  werden.  Und  der  ganze  australische  Commonwealth  hat 
150  Mill.  Bushel  zu  Englands  Verfügung,  aber  keine  Schiffe. 

Zu  der  bevorstehenden  Brotrationierung  in  Frankreich  schreibt  „Libertc" : 
„In  keinem  anderen  Lande  ist  Brot  so  sehr,  wie  bei  uns,  die  Hauptnahrung 
und  in  gewissen  Grebieten  an  bestimmten  Tagen  sogar  die  einzige  Nahrung.  Eine 
Broteinschränkung  bei  den  Bauern  und  Arbeitern  bedeutet  nicht  nur  eine 
Herabsetzung  ihrer  Kraft,  sondern  .  .  .  ."  (Zensurlücke).  Der  Artikel  schließt : 
„Rührt  niclit  an  das  Brot !    Keine  Regierung  in  Frankreich  hat  das  je  gewagt !" 

„Nouvelliste  de  Lyon"  meldet  aus  Paris :  „Die  Ernteauskünfte  aus 
Marokko  und  Algier  lauten  günstig.  In  Frankreich  dagegen  ist  die  Lage 
weit  entfernt  befriedigend  zu  sein.  Das  diesjährige  Ernteergebnis  dürfte  40 
Mill.  dz  erreichen  gegenüber  77  Mill.  im  Jahre  1914/15,  60  Mill.  1915/16  und 
58  Mill.  1916/17.  Trotz  aller  Einschränkungen  ist  der  Bedarf  nur  wenig  ge- 
sunken. Die  Einfuhr  muß  demnach  für  das  nächste  Jahr  um  1/3  der  bisherigen 
Einfuhr  gesteigert  werden." 

In  Italien  ist  nach  „Perseveranza"  vom  3.  Juli  der  Preis  der  Seiden- 
kokons auf  7 — 10  Lire  für  das  Kilo  gestiegen,  während  er  im  vergangenen 
Jahre  5,34  Lire  und  im  Durchschnitt  der  letzten  10  Jahre  3^31  Lire  betrug. 
Jedoch  steht  dem  Vorteil  dieser  Preissteigerung  der  Mangel  an  Arbeitskräften 
gegenüber.  Der  Gesamtwert  der  Kokonernte  j^läuft  sich  auf  250  Mill.  Lire, 
wovon  190  Mill.  Lire  auf  Oberitalien,  46  auf  Mittelitalien,  14  auf  den  Süden 
und  die  Inseln  entfallen. 

24.    JuU    1917. 

Das  Kriegsernährungsamt  gibt  bekannt,  daß  ISIitte  August  1917 
die  allgemeine  Kopf  ratio n  an  Mehl  für  die  Versorgungsberechtigten  von 
170  auf  220  g  täglich  erhöht  wird  (vor  dem  15.  April  1917  betrug  die  allge- 
meine Kopfration  200  g,  während  weitere  20  g  in  Streckmitteln,  soweit  solche 
zur  Verfügung  standen,  gegeben  wurden).  Den  Wochentag  des  Eintritts  der 
Aenderung  bestimmen  die  Kommunen  entsprechend  ihrer  Versorgungswoche. 
Von  demselben  Zeitpunkt  ab  kommt  die  seit  Mitte  April  1917  gewährte  ver- 
billigte Fleischzulage  von  wöchentlich    250  g  wieder  in  Fortfall.     Für  die  Be- 


—    4^3    — 

messuug  der  Schwer-  und  Schwerstarbeiterzulagen  und  des  Mehlersatzes  für 
fehlende  Kartoffeln  bleiben  die  zurzeit  bestehenden  Bestimmungen  unverändert. 
Anfang  Oktober  1917  ist  auf  Grund  der  bis  dahin  vorzunehmenden  Ernte- 
schätzung und  Viehzählung  die  zu  verteilende  Kopfmenge  an  Mehl,  Fleisch 
und  Kartoffeln  erneut  festzusetzen.  Die  den  Getreideselbstversorgeru 
zustehende  Menge  an  Brotgetreide  ist  durch  Beschluß  des  Bundesrats  vom  1. 
August  ab  auf  den  bis  zum  15.  April  in  Geltung  gewesenen  Satz  von  9  kg 
monatlich  wieder  erhöht  worden. 

Nunmehr  ist  durch  Verordnung  des  Präsidenten  des  Kriegsernährungsamtes 
vom  12.  Juli  der  Verkehr  mit  Getreide,  Hülsenfrüchten,  Buch- 
weizen und  Hirse  aus  der  Ernte  1917  zu  Saatzwecken  geregelt. 
Die  Verordnung  ist  am  15.  Juli  in  Kraft  getreten.  Nach  derselben  ist  die  Ver- 
äußerung, der  Erwerb  und  die  Lieferung  der  obigen  Früchte  zu  Saatzwecken 
nur  gegen  Saatkarte  erlaubt,  doch  gilt  dies  nicht  für  den  Verkehr  zwischen 
Züchtern  von  Originalsaaten  und  ihren  Vermehrungsstellen.  Die  Veräußerung 
von  Saatgut  bedarf  der  Zustimmung  des  Kommnnalverbandes,  für  den  die 
Früchte  beschlagnahmt  sind.  Die  Zustimmung  ist  nicht  erforderlich  für  die 
Veräußerung  anerkannten  Saatgutes  durch  anerkannte  Saatgutwirt- 
schaften sowie  für  die  Veräußerung  und  Lieferung  von  Saatgut  durch  zuge- 
lassene Händler.  Als  anerkannte  Saatgutwirtschaften  gelten  nur  solche  Wirt- 
schaften, die  in  einem  im  Deutschen  Keichsanzeiger  zur  Veröffentlichung  ge- 
langenden Verzeichnis  für  die  Fruchtart  als  anerkannte  Saatgutwirtschaften 
aufgeführt  sind.  Wer  mit  nicht  selbstgebauten  Früchten  zu  Saatzwecken  han- 
deln will,  bedarf  der  Zulassung.  Dies  gilt  auch  für  Genossenschaften  und 
andere  Vereinigungen.  Die  Zulassung  erfolgt  durch  die  Reichsgetreidestelle, 
diese  kann  andere  Stellen  zur  Zulassung  ermächtigen.  Soweit  es  sich  um  den 
Verkauf  handelt  kann  die  Zulassung  von  der  Reichsgetreidestelle  für  das 
ganze  Gebiet  des  Deutschen  Reiches  oder  Teilgebiete,  von  den  von  ihr  er- 
mächtigten Stellen  nur  für  deren  Bezirk  erteilt  werden.  Die  Zulassung  kann 
an  Bedingungen  geknüpft  und  jederzeit  zurückgenommen  werden.  Unternehmern 
landwirtschaftlicher  Betriebe,  die  sich  nachweislich  in  den  Jahren  1913  und 
1914  mit  dem  Verkauf  von  Saatgetreide  befaßt  haben,  kann  der  Kommunal- 
verband die  Zustimmung  zur  Veräußerung  selbstgebauten  Saatgetreides  zu  Saat- 
zwecken allgemein  erteilen.  Die  Zustimmung  ist  auf  eine  bestimmte  Menge  zu 
beschränken.  Bei  Festsetzung  dieser  Menge  ist  der  Umsatz  des  Betriebes  in 
den  Jahren  1913  und  1914  zu  berücksichtigen.  Die  Veräußerung,  der  Erwerb 
und  die  Lieferung  von  Wintergetreide  zu  Saatzwecken  darf  nur  in  der 
Zeit  vom  15.  Juli  bis  15.  Dezember  1917,  von  Sommergetreide  zu  Saat- 
zwecken nur  in  der  Zeit  vom  1.  Januar  bis  15.  Juni  1918  erfolgen.  Saatgut 
von  Buchweizen,  Hirse  und  Hülsenfrüchten,  sowie  von  Gemenge,  in  dem  sich 
Hülsenfrüchte  befinden,  mit  Ausnahme  des  Saatguts  von  Winterwicken  (Vicia 
villosa)  und  von  Gemenge  von  Roggen  und  Winterwicken,  darf  nur  an  die 
Reichsgetreidestelle  abgesetzt  werden.  Diese  bestimmt,  welche  Menge  sie  er- 
werben will  und  setzt  die  Bedingungen  fest.  Sie  kann  das  von  ihr  erworbene 
Saatgut  durch  Kommunalverbände,  Saatstellen  oder  durch  zugelassene  Händler 
dem  Verbrauche  zuführen.  Die  Reichsgetreidestelle  kann  die  Erzeuger  des  vor- 
stehend genannten  Saatgutes  ermächtigen,  Saatgut  unmittelbar  an  Verbraucher 
abzusetzen.  Die  Ermächtigung  kann  an  Bedingungen  geknüpft  werden.  Auf 
Saatgut  von  Hülsenfrüchten,  das  zum  Gemüseanbau  bestimmt  ist 
(Gemüsesaatgut),  finden  die  Vorschriften  dieser  Verordnung  mit  folgender  Maß- 
gabe Anwendung : 

1.  Als  zum  Gemüseanbau  bestimmte  Hülsenfrüchte  gelten  nur  solche 
Sorten,  die  in  einem  im  Deutschen  Reichsanzeiger  zur  Veröffentlichung  gelan- 
genden Verzeichnis  aufgeführt  sind. 

2.  Die  Reichsgetreidestelle  kann  ermächtigen,  Gemüsesaatgut  auch  an 
Händler  abzusetzen.  Die  Ermächtigung  kann  an  Bedingungen  geknüpft 
werden. 

3.  Der  Handel  mit  Gemüsesaatgut  ist  außerdem  gestattet: 

a)  Personen,  denen  gemäß  §  1  der  Verordnung  über  den  Handel  mit 
Sämereien  vom  15.  November  1916  (Reichsgesetzbl.  S.  1277)  eine  Erlaubnis 
zum  Betriebe  des  Handels  mit  Sämereien  erteilt  ist; 


—  464  — 

b)  Inhabern  von  Kl^inbandelögeschäften,  die  Sämereien  auschließlich  im 
Kleinverkauf  in  Mengen  bis  zu  50  kg  an  Verbraucher  absetzen. 

Die  Ausstellung  der  Saatkarten  für  diese  Händler  erfolgt  durch  den  Kom- 
munalverband, in  dessen  Bezirk  der  Händler  seine  Niederlassung  hat. 

Gleichzeitig  mit  dieser  Verordnung  sind  die  Höchstpreise  für  Ge- 
treide, Buchweizen  und  Hirse  aus  der  Ernte  191^  festgesetzt.  Die- 
selben betragen :  für  Roggen,  je  nach  den  Produktionsgebieten,  265 — 280  M.  für 
die  Tonne,  für  Weizen  20  M.  höher,  also  285—300  M.  für  die  Tonne.  Für 
Roggen  und  Weizen  früherer  Ernten  gelten  nicht  die  neuen,  sondern  die 
früheren  Höchstpreise,  ebenso  für  Mischungen  von  Roggen  und  Weizen  aus 
der  Ernte  1917  mit  Roggen  und  Weizen  früherer  Ernten.  Die  Höchstpreii*e 
für  die  Tonne  sind  für : 

Hafer  und  Gerste  270  M. 

ungeschälten  Buchweizen  600    „ 

geschälten  Buchweizen  800    „ 

ungeschälte  Hirse  600    „ 

ungeschälte  Hirse  und  Brucbhirse       970    „ 

Diese  Höchstpreise  gelten  auch  für  Hafer,  Gerste,  Buchweizen  und  Hirse 
früherer  Ernten.  Die  Druschprämie  für  Getreide  beträgt  bis  zum  15.  August 
einschließlich  60  M.  für  die  Tonne,  vom  16.  bis  31.  August  einschließlidi 
40  M.  für  die  Tonne,  und  vom  1.  September  bis  zum  30.  September  ein- 
schließlich 20  M.  für  die  Tonne.  Ist  Getreide,  das  vor  dem  1.  Oktober  1917 
abgeliefert  wird,  vor  der  Anlieferung  künstlich  getrocknet  worden,  so  dürfen 
dem  Höchstpreise  neben  der  durch  §  1  der  Verordnung  über  Frühdrusch  vom  2. 
Juni  1917  (Reichsgesetzblatt  S.  443)  festgesetzten  Druschprämie  folgende  Be- 
träge zugeschlagen  werden :  Als  Trocknungslohn  6  M.  für  die  Tonne,  als 
Prämie  je  1  v.  H.  des  Höchstpreises  für  jeden  vollen  Hundertteil,  den  die 
Feuchtigkeit  bei  Lieferungen  vor  dem  16.  August  1917  weniger  als  19  v.  H., 
vor  dem  1.  Oktober  1917  weniger  als  18  v.  H. "  beträgt.  Getreide  gilt  hin- 
sichtlich des  Feuchtigkeitsgehaltes  als  vollwertig,  falls  die  Feuchtigkeit  nicht 
übersteigt 

bei  Lieferungen  vor  dem  16.  August  1917       19  v.  H. 

„     1.  Oktober  1917       18   „    „ 

vom  1.  Oktober  1917  ab         17    „    „ 

Bei  anerkanntem  Saatgut  aus  anerkannten  Saatgutwirtschaften  dürfen 
dem  Höchstpreise  folgende  Beträge  zugeschlagen  werden:  für  die  erste 
Absaat  bis  zu  120  M.,  für  die  zweite  bis  zu  100  M.,  für  die  dritte  bis  zu 
80  M.  für  die  Tonne.  Bei  Saatgut  aus  landwirtschaftlichen  Betrieben,  deren 
Unternehmer  sich  nachweislich  in  den  Jahren  1913  und  1914  mit  dem  Verkauf 
von  Saatgut  befaßt  haben,  dürfen  dem  Höchstpreis,  soweit  es  sich  um  die 
Mengen  handelt,  für  die  der  Kommunalverband  gemäß  den  Bestimmungen  über 
den  Verkehr  mit  Saatgut  die  Zustimmung  zur  Veräußerung  allgemein  erteilt 
hat,  bis  zu  70  M.  für  die  Tonne  zugeschlagen  werden. 

Die  Höchstpreise  gelten  nicht  für  Originalsaatgut,  wenn  die  Be- 
stimmungen über  den  Verkehr  mit  Saatgut  innegehalten  werden.  Als  Original- 
gaatgut  gilt  das  Saatgut  solcher  Sorten,  an  denen  die  Stammbau mzucht 
durch  schriftliche  Belege  nachgewiesen  werden  kann  (Hochzucht), 
wenn  der  Züchter  in  einem  im  Deutschen  Reichsanzeiger  zur  Veröffentlichung 
gelangenden  Verzeichnis  für  die  Fruchtart  als  Züchter  von  Origiualsaatgut 
aufgeführt    ist. 

Die  Reichsgetreidestelle  ist  bei  Abgabe  von  Getreide,  Buchweizen  und 
Hirse  an  die  Höchstpreise  nicht  gebunden.  Dasselbe  gilt  für  die  Kommunal- 
verbände hinsichtlich  der  Abgabe  zu  Futterzwecken. 

Der  Verband  schweizerischer  Konsumvereine  bat  die  Stei- 
gerung der  Lebenskosten  während  des  Krieges  festgesetzt.  Rechnet  man  auf 
Grund  der  Landesdurchschnittspreise  von  45  Artikeln  aus,  was  bei  gleichblei- 
bendem Verbrauch  eine  Familie  mit  einem  Einkommen  von  ca.  3000  Franken 
bei  einem  Bestand  von  2  Erwachsenen  und  3  Kindern  unter  10  Jahren  während 
eines  Jahres  ausgeben  mußte,  so  weisen  die  Ergebnisse  der  Erhebungen  an  nach- 
stehenden Stichtagen  folgende  Jahresausgaben  nach : 


—    4^5    — 

Jahresausgaben  einer  Normalfamilie 
auf  Grund  der  jeweils  ermittelten 
Preisstand  am:  Durchschnittspreise: 

1.  Juni  1912  1097,47  frcs. 

1.  Juni  1913  1050,74     „ 

1.  Juni  1914  1043,63     „ 

1.  Juni  1915  1237,10     „ 

1.  Juni  1916  1455,92     „ 

1.  Juni  1917  1865,67     „ 

Gregenüber  der  letzten  Erhebung  vor  Kriegsausbruch  (1.  Juni  1914) 
beträgt  die  nominelle  Teuerung  78,8  Proz.  Auf  Grund  der  Preisstatistik  im 
März  dieses  Jahres  stand  sie  auf  57,9  Proz.  Die  Teuerung  im  letzten  Viertel- 
jahr war  die  intensivste  seit  Kriegsausbruch. 

Die  Lebenskosten  sind  picht  in  allen  Landesteilen  gleich  groß;  die  Gegend 
mit  dem  niedrigsten  Index  (Thurgau,  Schaffhausen)  steht  4,6  Proz.  unter, 
jene  mit  dem  höchsten  (Graubünden,  Genf)  5,9  Proz.  über  dem  Landesdurch- 
schnitt. 

In  der  Schweiz  sind  neue  Höchstpreise  für  Heu  und  Stroh 
aus  der  Ernte  1917  festgesetzt.  Die  Erzeugerpreise  sind :  für  Heu  unver- 
goren,  auf  der  Wiese  angenommen,  9  frcs.  für  100  kg,  auf  der  Abgangsstation 
verladen  oder  zum  Magazin  des  Käufers  geliefert,  9,50  frcs.  für  100  kg,  ver- 
goren bis  zum  31.  Dezember  11,50  frcs.,  vom  1.  Januar  bis  15.  März  1918 
11,75  frcs.  und  vom  16.  März  12  frcs.;  für  gepreßtes  Heu  kann  ein  Zuschlag 
bis  zu  2  frcs.  für  100  kg  erhoben  werden;  für  Heuhäcksel :  15,50  bis  16  frcs., 
je  nachdem  es  in  gepreßten  Ballen  oder  in  Säcken  verladen,  oder  ab  Heu- 
schneiderei geliefert  wird. 

In  der  Schweiz  hat  das  Oberkriegskommissariat  den  Kantonsregierungen 
mitgeteilt,  daß  der  schweizerische  Schilfbestand  der  Schweizerischen 
Schilfverwertungsgenossenschaft  mit  Sitz  in  Bern  zum  Ankauf  nach 
den  behördlich  festgesetzten  Preisen  freigegeben  worden  sei.  Aus  dem  Schilfrohr 
soll  Futtermehl  hergestellt  werden. 

Die  in  Kristiania  erscheinende  Zeitung  „Verdens  Gang"  teilt  am  9.  Juli 
über  die  Schiffsfrachten  folgendes  mit:  „Es  wird  notiert  von  Amerika 
nach  England  180  Kr.,  nach  Frankreich  220  Kr.,  nach  Italien  350  Kr.,  alles 
auf  net  charter;  bei  Verschiffung  vom  Mexikanischen  Golf  werden  etwa  30  Kr. 
mehr  bezahlt.  Die  Getreidefracht  von  den  Nordstaaten  nach  dem  Vereinigten 
Königreich  oder  Frankreich  beträgt  40  Kr.  für  den  Quarter.  Ein  Dampfer 
von  La  Plata  nach  Norwegen  wurde  zu  280  Kr.  die  Tonne  gechartert.  Dieser 
Satz  ist  höher  als  bisher  gezahlt  wurde.  Nach  dem  Vereinigten  Königreich  oder 
Frankreich  werden  nur  etwa  145  Kr.  bezahlt,  ein  Satz,  den  die  norwegischen 
Reeder  nicht   annehmen. 

In  Rußland  ist  der  Zuckerrübenanbau  während  des  Krieges  sehr 
zurückgegangen.  Nur  soweit  die  Zuckerfabriken  Rüben  selbst  anbauen,  hat  sich 
der  Anbau  ungefähr  auf  der  vorjährigen  Höhe  gehalten.  Er  betrug  nach  den 
amtlichen  Berechnungen  231200  Deß jätinen,  gegen  272800  im  Vorjahre,  bleibt 
also  auch  hier  schon  um  41600  Deßjätinen  zurück.  Der  freie  Anbau  von 
Zuckerrüben,  der  sogenannten  Kaufrüben,  aber  zeigt  einen  Rückgang  um  mehr 
als  die  Hälfte.  Die  russischen  Landwirte  bauten  nur  107  800  Deßjätinen  an, 
gegen  265  300  Deßjätinen  im  Vorjahre.  Im  ganzen  sind  danach  in  Rußland 
angebaut  worden  339100  Deßjätinen,  gegen  538100  Deßjätinen  im  Vorjahre. 
Es  ergibt  sich  also  insgesamt  ein  Rückgang  um  nicht  weniger  als  199000 
Deßjätinen. 

In  Paris  wurden  für  100  kg  Kartoffeln  gezahlt: 

am  27.  Juni  für  alte  15 — 32  frcs.,  für  neue  38 — 70  frcs., 
„       4.  Juli     „       „    15—30      „        „       „      40—60     „ 
>»       5.     „       „       „        —         „        „       „      34—40     „ 
Auf  den  Provinzmärkten  wurden  alte  Kartoffeln  mit  25 — 28  frcs.  das  Hekto- 
liter   gehandelt,    ganz    vereinzelt    (Gegend   von    Bordeaux)   erscheint    der    Preis 
von  8,50  frcs.     Neue  Kartoffeln  wurden  mit  0,40 — 0,70  frcs.   das   Kilogramm, 
stellenweise  auch  mit  bis  zu  1  frc.  bezahlt. 


—    466     - 

31.  Juli   1917. 

Nach  der  Bundesrateverordnung  vom  20.  Juli  dürfen  Unternehmer  iaud- 
wirtschaftlicher  Betriebe  aus  ihren  seibstgebauten  Früchten  verwenden :  1.  zur 
Ernährung  der  Selbstversorger  auf  den  Kopf  für  die  Zeit  vom  1.  Aueust 
1917  ab,  unter  Anrechnung  der  nach  §  2  der  Verordnung  über  Inanspruchnahme 
von  Getreide  und  Hülsenfrüchten  vom  22.  März  1917  belassenen  Mengen: 
a)  an  Brotgetreide  monatlich  9  kg,  b)  an  Gerste  und  Hafer  für  die  Zeit  bis 
zum  30.  September  1917  insgesamt  8  kg;  2.  zur  Bestellung  der  zum  Betriebe 
gehörenden  Grundstücke  auf  den  Hektar :  au  Winterroggen  bis  zu  155  kg,  an 
Winter weizen  bis  zu  190  kg,  an  Sommerweizen  bis  zu  185  kg,  an  Gerste 
bis  zu  160  kg,  an  Hafer  bis  zu  150  kg,  an  Erbsen  einschließlich  Peluschken 
und  an  Bohnen  bis  zu  200  kg,  an  großen  Viktoriaerbsen  und  an  Ackerbohnen 
bis  zu  300  kg,  an  Linsen  bis  zu  100  kg,  an  Mischfrucht  dieselben  Sätze 
nach  dem  Mischungsverhältnisse  der  Früchte,  an  Buchweizen  bis  zu  100  kg, 
an  Hirse  bis  zu  30  kg.  Die  Landeszentralbehörden  sind  ermächtigt,  die  Saat- 
gutmengen  bei  dringendem  wirtschaftlichen  Bedürfnis  für  einzelne  Betriebe  oder 
ganze  Bezirke  bis  zu  einer  von  der  Reichsgetreidestelle  zu  bestimmenden  Grenze 
zu  erhöhen. 

Nach  einer  Verordnung  des  Kriegsernährungsamtes  vom  24.  Juli  darf  der 
Preis  für  den  Doppelzentner  inländischer  Hülsenfrüchte  aus  der  Ernte 
1917  nicht  übersteigen :  bei  Erbsen  70  M.,  Bohnen  80  M.,  Linsen  85  M.,  Acker- 
bohnen 60  M.,  Peluschken  60  M.,  Saatwicken  (Vicia  sativa)  50  M.,  Winter-, 
Sand-  oder  Zottel wicken  (Vicia  villosa)  45  M.  und  Vogel wicken  (Vicia  cracca) 
28  M,  Der  Preis  für  Gemenge  richtet  sich  nach  der  Art  der  gemischten  Früchte 
und  dem  Mischungsverhältnisse.  Er  darf  55  M.  für  den  Doppelzentner  nicht 
übersteigen.  Für  die  Bewertung  der  Hülsenfrüchte  gelten  folgende  Grundsätze : 
a)  Die  Höchstpreise  sind  nur  für  beste,  gesunde  und  trockene  Hülsenfrüchte  zu 
zahlen,  b)  Für  kleine  Erbsen  dieser  Beschaffenheit  sind  höchstens  68  M.  zu 
zahlen,  bei  gelben  und  grünen  Viktoriaerbsen  sowie  großen  grauen  Erbsen 
65  M  .für  den  Doppelzentner,  bei  kleinen  gelben,  grünen  und  grauen  Erbsen 
63  M.  für  den  Doppelzentner,  bei  weißen,  gelben  und  braunen  Bohnen  75  M. 
für  den  Doppelzentner,  bei  Linsen  80  M.  für  den  Doppelzentner;  c)  für  Hülsen- 
früchte von  geringerer  Beschaffenheit  ist  entsprechend  weniger  zu  zahlen.  Bei 
feuchten  und  bei  käfer-  und  madenhaltigen  Hülsenfrüchten  sind  außer  dem 
Minderwerte  die  durch  künstliche  Trocknung  und  Bearbeitung  entstehenden 
Kosten  und  Gewichtsverluste  zu  berücksichtigen.  Für  die  Bewertung  ist  die 
Beschaffenheit  der  Hülsenfrüchte  bei  der  Ankunft  an  dem  von  dem  Erwerber 
bezeichneten  Bestimmungsorte  maßgebend.  Für  Hülsenfrüchte  aus  früheren 
Ernten  sind  die  Preise  der  Verordnung  über  Hülsenfrüchte  vom  29.  Juni  1916, 
vom  30.  August  1916  maßgebend.  Diese  Preise  gelten  auch  für  Mischungen 
von  Hülsenfrüchten  der  Ernte  1917  mit  Hülsenfrüchten  früherer  Ernten.  Die 
Höchstpreise  gelten  für  Barzahlung  binnen  15  Tagen  nach  Ablieferung.  Wird 
der  Kaufpreis  länger  gestundet,  so  dürfen  bis  zu  2  v.  H.  Jahreszinsen 
über  Reichsbankdiskont  zugeschlagen  werden.  Die  Höchstpreise  schließen  die 
Beförderungskosten  ein,  die  der  Verkäufer  vertraglich  übernommen  hat.  Der 
Verkäufer  hat  auf  jeden  Fall  die  Kosten  der  Beförderung  bis  zur  Verladestelle 
des  Ortes,  von  dem  die  Ware  mit  der  Bahn  oder  zu  Wasser  versandt  wird,  sowie 
die  Kosten  des  Einladens  daselbst  zu  tragen.  Stellt  der  Verkäufer  Säcke  nur 
bis  zu  dieser  Verladestelle  zur  Verfügung,  so  darf  hierfür  eine  Leihgebühr  nicht 
berechnet  werden.  Bei  anerkanntem  Saatgut  aus  anerkannten  Saatgutwirt- 
schaften dürfen  dem  Höchstpreis  folgende  Beträge  zugeschlagen  werden :  für 
die  erste  Absaat  bis  zu  30  M.,  für  die  zwfeite  bis  zu  25  M.,  für  die  dritte 
bis  zu  20  M.  für  den  Doppelzentner.  Als  anerkannte  Saatgutwirtschaften  gelten 
nur  solche  Wirtschaften,  die  in  einem  im  Deutschen  Reichsanzeiger  zur  Ver- 
öffentlichung gelangenden  Verzeichnis  für  die  Fruchtart  als  anerkannte  Saat- 
gutvjdrtschaften  aufgeführt  sind.  Bei  nicht  anerkanntem  Saatgut  (Handelssaat- 
gut) dürfen  dem  Höchstpreis  bis  zu  15  M.  für  den  Doppelzentner  zugeschlagen 
werden.  Die  Reichsgetreidestelle  ist  bei  Abgabe  von  Hülsenfrüchten  an  die 
Höchstpreise  nicht  gebunden.  Dasselbe  gilt  für  die  Kommunalverbände  liinsicht- 
lich  der  Abgabe  solcher  Früchte  zu  Futterzwecken. 

Nach  einer  Verordnung  des  Kriegsernährungsamtes  vom   21.   Juli  ist   als 


—    4^7    — 

zuständige  Stelle  für  Gerste,  soweit  es  sich  um  den  weiteren  freihändigen 
Erwerb  von  Gerste  alter  Ernte  handelt,  die  Reichsgetreidestelle  bestimmt.  Im  übrigen 
bleibt  die  E-eichsgerstengesellschaft  m.  b.  H.  die  zuständige  Stelle. 

Die  Landwirte,  die  durch  Vermittlung  des  Kriegsausschusses  im  Interesse 
der  Vermehrung  des  Oelsaatenanbaues  Ammoniak  erhalten,  werden  darauf 
aufmerksam  gemacht,  daß  ihnen  die  Bezugsscheine,  die  zum  Empfang  des  Am- 
moniaks berechtigen,  durch  die  Bezugsvereinigung  der  deutschen  Landwirte, 
Abteilung  Einfuhr  F,  zugestellt  werden.  Auf  den  Bezugsscheinen  ist  die  Ver- 
teilungsstelle angegeben,  welche  die  Lieferung  des  Ammoniaks  bewirkt.  Die 
Scheine  müssen  von  dem  Bezugsberechtigten  den  Verteilungsstellen  sofort  ein- 
gereicht werden,  die  ohne  Angabe  der  Scheine  das  Ammoniak  nicht  liefern 
dürfen.  Es  wird  deshalb  im  Interesse  der  rechtzeitigen  Lieferung  dringend 
ersucht,  die  Scheine  der  Verteilungsstelle  schnellstens  zukommen  zu  lassen. 

Nach  der  Bundesratsverordnung  vom  23.  Juli  darf  der  vom  Kriegsaus- 
schuß für  pflanzliche  und  tierische  Oele  und  Fette  zu  zahlende  Uebernahme- 
preis  für  100  kg  Oelfrüchte  der  Ernte  1918  nicht  übersteigen :  bei  Winter- 
und  Sommerraps  85  M.  (bisher  60  M.),  bei  Winter-  und  Sommerrübsen  83  M. 
(bisher  57,50  M.),  bei  Hederich  und  Ravison  62  M.  (bisher  40  M.),  bei  Dott^er 
74  M.  (bisher  40  M.),  bei  Mohn  115  M.  (bisher  85  M.),  bei  Leinsamen  74  M. 
(bisher  50  M.),  bei  Hanfsamen  62  M.  (bisher  40  M.),  bei  Sonnenblumenkernen 
68  M.  (bisher  45  M.),  bei  Senfsaat  74  M.  (bisher  50  M.).  Landwirten  oder 
Vereinigungen  von  Landwirten,  welche  selbstgewonnene  Oelfrüchte  abliefern,  sind 
auf  Antrag  für  den  eigenen  Bedarf  für  je  100  kg  abgelieferter  Oelfrüchte  aus 
der  Ernte  1917  bis  zu  35  kg,  aus  der  Ernte  1918  bis  zu  40  kg,  bei  Mohn  und 
Dotter  aus  beiden  Ernten  je  bis  zu  50  kg  Oelkuchen  zu  liefern.  Die  übrigen 
bei  der  Oelgewinnung  abfallenden  Kuchen  sind  der  Bezugsvereinigung  der  deut- 
schen Landwirte  zur  Verfügung  zu  stellen  und  unterliegen  den  Vorschriften 
der  Verordnung  über  Futtermittel  vojn  5.  Oktober  1916.  Oele,  Oelkuchen  und 
Oelmehle,  die  aus  den  den  Erzeugern  belassenen  Mengen  entfallen,  verbleiben 
den  Erzeugern  für  den  Verbrauch  in  der  eigenen  Wirtschaft. 

Nach  einer  Verordnung  des  Reichskanzlers  vom  21.  Juli  erhält  §  20  der 
Ausführungsbestimmungen  vom  27.  Oktober  1916  zu  der  Verordnung  über 
Rohtabak  folgende  Fassung:  Die  Inlandgesellschaft  kann  den  Verkauf  von 
Tabakrippen  und  Tabakstengeln  zulassen,  wenn  der  Preis  für  lufttrockene 
Rippen  und  Stengel,  in  Ballen  verpackt  und  gepreßt,  in  Wagenladungen  von 
mindestens  5  t  die  nachstehenden  Grenzen  nicht  übersteigt :  Rippen  und  Stengel 
von  deutschem  Tabak,  sowie  Rippen  und  Stengel  von  deutschem  und  auslän- 
dischem Tabak  gemischt  115  M.,  Rippen  und  Stengel  von  ausländischem  Tabak 
125  M.  für  50  kg.  Die  zum  Handel  mit  Rippen  von  der  Inlandgesellschaft  zuge- 
lassenen Händler  können  beim  Verkaufe  von  Rippen  für  eigene  Rechnung  hierzu 
einen  Aufschlag  bis  zu  1  M.  für  volle  50  kg  machen.  Für  die  Ver- 
mittlung des  Verkaufs  von  Rippen  von  Zigarren-  oder  Zigarettenherstellern  un- 
mittelbar an  Rauchtabak-  oder  Schnupftabakhersteller  kann  dem  Vermittler 
vom  Käufer  eine  Maklergebühr  bis  zu   1  M.  für  volle  50  kg  gewährt  werden. 

Der  Stadtrat  von  Winterthur  (Schweiz)  beantragt  bei  dem  Städteverband 
auf  eine  Festsetzung  von  Höchstpreisen  für  Fleisch  hinzuwirken. 

In  Ulster  (Schweiz)  wurde  am  22.  Juli  die  endgültige  Gründung  eines 
schweizerischen  Obst-  und  Gemüseproduzenten  Verbandes  beschlossen.  Es  wurde 
eine  Verständigung  erzielt,  daß  der  Verband  in  erster  Linie  die  Interessen  der 
Produzenten  zu  berücksichtigen  habe,  hingegen  auch  in  weitgehendstem  Maße 
diejenigen  der  Konsumenten  wahrgenommen  werden  sollen. 

Nach  einer  Mitteilung  des  „Nieuwe  Rotterdamsche  Courant"  vom  20.  Juli 
wird  in  Holland  der  gesamte  Ertrag  der  nachstehenden  Gewächse  aus  der 
Ernte  1917  bei  Beginn  der  Ernte  beschlagnahmt:  Winterweizen,  Sommer- 
weizen, Spelz,  Winterroggen,  Sommerroggen,  Wintergerste,  Sommergerste,  Hafer, 
Buchweizen,  Feldbohnen,  alle  Arten  Erbsen,  alle  anderen  Arten  Bohnen  und 
Kanariensamen.  Wer  diese  Produkte  an  jemand  anders  als  an  die  hierzu 
ernannten  Kommissare  abliefert  oder  sie  verbraucht,  wird  strafrechtlich  verfolgt. 
Die  Ablieferung  und  der  Transport  aller  Kartoffeln  ist  verboten.  Ausgenommen 
sind  allein  die  „Frühkartoffeln"  und  solche,  für  die  ein  Transportausweis  der 
Reichskommission  vorliegt. 


468 


Das  „Allgemeen  Handelsblad"  meldet  aus  London:  Der  Lebensmittelkou- 
trolleur  Lord  Rhondda  hat  im  Oberhause  sein  System  der  englischen 
Lebensmittelversorgung  dargelegt.  Er  sagte,  daß  für  die  wichtigsten 
Bedarfsartikel,  vor  allem  für  Brot,  Fleisch  und  Zucker  Preise  festgesetzt  werden 
würden,  und  zwar  für  alle  Stufen,  die  die  Lebensmittel  durchlaufen,  vom  Er- 
zeuger bis  zum  Kleinhändler.  Als  Grundlage  für  die  Preisbestimmungen  würde 
der  Gewinn  vor  dem  Kriege  angesehen.  Der  Fleischpreis  werde  um  6  Penniea 
das  Pfund  (=  56  Pfg.  für  das  deutsche  Pfund)  herabgesetzt  werden.  Der 
Höchstpreis  von  Brot  werde  9  Pennies  für  den  Vierpfundlaib  (=  21  Pfg.  für 
das  deutsche  Pfund)  betragen.  Wenn  die  Regierung  den  Müllern  das  Gretreide 
nicht  zu  einem  entsprechend  niedrigen  Preise  liefern  könne,  werde  sie  einen 
Teil  der  Kosten  auf  sich  nehmen.  Für  Fleisch  werde  die  Regierung  keinen 
Zuschuß  gewähren.  Die  Zuckerverteilung  werde  örtlichen  Lebensmittelaus- 
schüssen  übertragen  werden.  Für  Gasthöfe,  Schankhäuser  und  Fabriken  werde 
eine  besondere  Rationierung  eingeführt  werden.  Außerdem  werde  jede  Familie 
aufgefordert  werden,  sich  eine  Zuckerkarte  zu  besorgen  und  sich  bei  einem  Klein- 
händler einzuschreiben. 

Bei  Besprechung  des  Gesetzentwurfes  über  die  Getreideerzeugung  im  eng- 
lischen Unterhause  wurde  der  Vorschlag,  den  Mindestlohn  der  land- 
wirtschaftlichen Arbeiter  von  25  sh  wöchentlich,  wie  er  in  dem  Entwurf 
festgesetzt  ist,  auf  30  sh  zu  erhöhen,  mit  301  gegen  102  Stimmen  verworfen. 
Die  Regierung  hatte  die  Vertrauensfrage  gestellt. 

„Matin"  meldet  aus  New  York:  Der  Ausfuhrrat  der  Vereinigten 
Staaten  hat  die  F  e  1 1  a  u  sf u h  r  nach  Deutschland  benachbarten  neutralen  Län- 
dern vollkommen  untersagt. 

In  Frankreich  beschwert  sich  der  „Radical  de  Marseille"  über  die  Er- 
höhung des  Brotpreises  von  5  Centimes  für  das  Kilogramm  und  bemerkt 
dazu,  daß  das  Brot  wirklich  schlecht  sei.  Man  frage  sich,  was  für  die 
Schweine  übrig  bleibe,  da  man  alle  Mühlen-  und  Kornprodukte,  die  bisher  für 
die  Tiere  bestimmt  waren,  zur  Brotbereitung  verwende.  Wenn  man  wirklich 
gutes  Weizenbrot  gebe,  würde  man  sich  lediglich  über  die  neue  Preiserhöhung 
beklagen.  Aber  man  höre  doch  mit  diesem  unverdaulichen  G^mengsel  auf, 
das  allgemeines  Uebelbefinden  und  Störungen  selbst  bei  den  kräftigsten  Naturen 
verursache. 

Die  russischen  Agrarier  haben  sich,  wie  der  Berner  „Bund"  mitteilt, 
in  einen  Verband  zusammengeschlossen,  um  ihre  Interessen  gegen  die  Ent- 
eignung des  Grundeigentums  zu  verteidigen.  Sie  tragen  ihre  Opposition  gegen 
die  Sozialrevolution  offen  zur  Schau. 

Nach  der  „Gazzetta  Ufficiale"  sind  in  Italien  folgende  Getreide- 
höchstpreise für  die  Ernte  1918  (für  100  kg  Nettogewicht)  festgesetzt: 
Weichkorn  (und  halbhart)  52  Lire,  Hartkorn  60,  Mais  38,  Hafer  38,  Gerste  43, 
Roggen  43  Lire.  Für  die  Lieferungen  nach  dem  1.  August  1918  wird  einmonat- 
licher Zuschlag  gewährt,  und  zwar  für  Hart-  und  Weichkorn  30  Centimes,  für 
Hafer,  Gerste  und  Roggen  20  Centimes,  für  Mais  nach  dem  1.  November  20 
Centimes.  ^ 


Entwicklung  der  Weizenpreise  seit  Anfang  Januar  1917: 

Chicago 


1917 

Buenos  Aires 

New  York 

Hardwinter 

Juli 

Datum 

100  kg 

Nr.  2 

Bushel 

Pesos 

Cents 

Cents 

6.  Januar 

13,85 

— 

15  ly* 

144% 

3.  Februar 

13,85 

— 

3.  März 

13,65 

— 

159 

2.  April 

— 

167V4 

1.  Mai 

I5*«5 



212V, 

2.  Juni 

l8,16 

— 

206 

9.       „ 

— 

— 

235 

16.       „ 

— 

— 

221V. 

23.       „ 

— 

— 

214 

September 

Bushel 

Cents 

139V. 

137V4 

147V. 

154V4 

182V, 

191 

202 

195V» 
187 


469  — 


1917 

Buenos  Aires 

New  York 

Hardwinter 

Juli 

Datum 

100  kg 

Nr.  2 

Bushel 

Pesos 

Cent» 

Cents 

30.  Juni 

— 

— 

202 

2.  Juli 

— 

— 

201 

9.      „ 

— 

— 

202V, 

14.      „ 

— 

— 

204 

21.      „ 

— 

285 

255 

28.      „ 

I8,65 

260 

30.      „ 

— 

262 

31.      „ 

— 

— 

274 

1.  August 

2.  „ 

3.  „ 

— 

— 

— 



260 

— 

dagegen:  1916 

8,25 

143V2 

— 

Chicago 


September 

Bushel 

Cents 

182 

iH\ 
190V, 

229 
224 
217 
218 

22772 
129% 


Der  Weltmarkt  zeigte  in  der  letzten  Woche  folgendes  Bild 


Weizenpreise  für  die  Tonne  (Umrechnung  nach  dem  Friedenskurs): 


Letzte  Woche 

M. 
401,15 


Vorletzte 

Woche 

M. 


Zu-  bzw. 

Abnahme 

M. 


New  York:  Hardwinter  Nr.  2  neuer,  franko  Bord 
Chicago:  Lieferungsware  Juli  —  401,15  — 

„  September  35i|38  353>35  2'3S 

Buenos  Aires  —  33 '»9  5  — 

In  Oesterreich  sind  durch  Verordnung  vom  26.  Juli  Kartoffeln 
der  Ernte  1917,  welche  nach  dem  1.  August  geerntet  werden,  mit  dem  Zeit- 
punkt der  Trennung  vom  Ackerboden  zugunsten  des  Staates  beschlagnahmt. 
Die  beschlagnahmten  Kartoffeln  dürfen  weder  verarbeitet,  verbraucht,  verfüttert 
noch  freiwiUig  oder  zwangsweise  veräußert  werden.  Ungeachtet  der  Beschlag- 
nahme dürfen  Kartoffeln :  1.  welche  der  Kartoffelerzeuger  zur  Ernährung 
der  Angehörigen  seines  Haushalts  einschließlich  jener  Ausgedingberechtigten, 
Arbeiter  und  Angestellten,  denen  freie  Kost  als  Ausgedinge  oder  Lohn  gebühren, 
benötigt,  in  der  durch  die  Verbrauchsregelung  festgesetzten  Menge  verbraucht, 
2.  in  dem  festgesetzten  Ausmaße  für  Saat  verwendet,  3.  unter  den  gesetzlich 
bestimmten  Beschränkungen  verfüttert,  4.  auf  Grund  von  genehmigten  Ver- 
trägen geHefert,  5.  unter  bestimmten  Einschränkungen  verarbeitet  werden.  Die 
beschlagnahmten  Kartoffeln  sind  der  Kriegsgetreideverkehrsanstalt  zu  übergeben. 
Kartoffeln  dürfen  nur  von  Kartoffelerzeugern  und  nur  auf  besondere  Gestattung 
der  Behörde  verfüttert  werden.  Zur  Verfütt^rung  dürfen  nur  Kartoffeln  ge- 
langen, welche  zum  menschlichen  Genüsse  nicht  geeignet  sind. 

In  der  Schweiz  hat  der  Bundesrat  beschlossen,  die  Inlandgetreide- 
«rnte  zu  beschlagnahmen.  Ausgenommen  sind  die  Mengen,  die  der  Er- 
zeuger zum  eigenen   Gebrauch  notwendig  hat,   sowie  das   notwendige   Saatgut. 

Die  in  der  Schweiz  vom  Militärdepartement  neu  festgesetzten  Höchst- 
preise für  Reis  und  Zucker  stellen  sich  im  Kleinhandel  wie  folgt:  Reis 
1  frc.  pro  Eälogramm,  Reiscreme  1,10  frcs.,  Kristallzucker  und  Pilä  1,28  frcs. 
pro  Kilogramm,  Grießzucker  und  ganze  Zuckerstöcke  1,32  frcs.  pro  Ealogramm, 
Stockzucker  im  Anbruch  1,36  frcs.,  Mehlzucker  1,38  frcs.,  Würfelzucker  ans 
Kisten  1,46  frcs.  und  Würfelzucker  in  Paketen  1,42  frcs. 

Nachdem  sich  herausgestellt  hat,  daß  versucht  wird,  große  Quantitäten 
Speise-Kartoffeln  neuer  Ernte  zu  Futterzwecken  aufzukaufen,  hat  der 
Regierungsrat  des  Kantons  Thurgau  (Schweiz)  beschlossen,  den  An-  und  Ver- 
kauf von  Speisekartoffeln  neuer  Ernte  1917  zu  Futterzwecken  bis  auf  wei- 
teres  zu   verbieten. 

In  Schweden  ist,  wie  das  „Svenska  Dagbladet"  vom  22.  Juli  berichtet, 
sämtlicher  Weizen,  Roggen,  Gerste,  Mischkorn,  Wicken,  Erbsen,  Bohnen,  Zucker- 
rüben der  Ernte    1917   beschlagnahmt;   ausgenommen   hiervon  sind  in   Privat- 


Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917. 


XXXI 


—    470    — 

haushaltungea  3  kg  Erbsen  und  Bohnen  für  jedes  Mitglied.  Die  beschlagnahjiite 
Ernte  soll  spätestens  am  5.  Oktober  und  die  älteren  Vorräte  am  5.  September 
deklariert  werden.  Das  Getreide  soll  vor  dem  1.  Februar  sorgfältig  gedroschen 
und  gereinigt  werden.  Die  Vermahlung  oder  die  Verarbeitung  zu  Grütze 
von  Weizen,  Roggen  und  Gerste  darf  nur  gegen  besondere  Vermahlungskarten 
erfolgen.  Das  Becht  zur  Selbstversorgung  ist  beibehalten  worden,  aber  nur 
für  Landwirte. 

„Daily  Express"  vom  19.  Juli  berichtet  aus  Stockh-olm:  „Schweden 
ist  für  die  Brotzuteilung  in  200  Bezirke  mit  einem  Brotbureau  eingeteilt. 
Der  Tagesbedarf  der  einzelnen  Personen  ist  auf  7  Unzen  (200  g)  weiches  und 
41/2  Unzen  (128  g)  des  schwedischen  Hartbrotes  festgesetzt. 

Ein  Fachblatt  des  dänischen  Butterhandels  vom  20.  Juni  1917  bringt 
in  seinem  Marktbericht  Mitteilungen,  welche  zeigen,  wie  stark  die  englische 
Butterversorgung  durch  die  unmittelbar  oder  mittelbar  mit  der  Seesperre 
zusammenhängenden  Ereignisse  gefährdet  ist.  Nach  Angaben  dieses  Blattes  aus 
London  ist  gegen  Ende  Juni  die  Preissteigerung  auf  dem  englischen  Buttermarkte 
darauf  zurückzuführen  gewesen,  daß  20000  Kisten  australischer  Butter  „auf 
See  verloren  gingen",  und  daß  sich  die  englische  Regierung  gezwungen  sah, 
in  Transit  lagernde  australische  Butter  zu  beschlagnahmen.  Ueber  die  Zufuhr 
holländischer  Butter  heißt  es,  daß  kleine  Mengen  angekommen  seien,  daß  aber 
diese  infolge  ihrer  Verschiffung  ohne  entsprechende  Kühlung  in  großem  Maß- 
stabe verdorben  seien.  Ueber  die  Versorgung  Englands  mit  australischer  Butter, 
welche  eine  so  bedeutsame  RoUe  auf  dem  englischen  Markte  spielt,  wird  gesagt, 
daß  in  Neuseeland  nur  geringe  Vorräte  vorhanden  und  ^us  Australien  nur  ein 
oder  zwei  Dampfer  mit  Butter  unterwegs  seien,  während  im  übrigen  ein  Aus- 
fuhrverbot für  Butter  dort  bestände.  In  Argentinien  sollen  45  000  Kisten  in 
Kühlhäusern  lagern,  während  es  an  entsprechenden  Schiffen  mit  Kühlvorrichtung 
fehlt.  In  einem  Bericht  vom  20.  Juli  1917  heißt  es,  daß  die  Vorräte  an  kolo- 
nialer Butter  in  England  zu  Ende  gehen. 

In  Frankreich  hat  das  Amtsblatt  ein  Dekret  veröffentlicht,  das  den 
Konsum  des  Brotes  regelt.  Den  Erwachsenen  werden  500  g,  den  Kindern 
300  g  täglich  und  pro  Kopf  zugestanden.  Die  Ration  wird  auf  begründetes 
Verlangen  hin  um  400  g  erhöht  werden. 

In  Frankreich  beschloß  Violette  im  Einverständnis  mit  den  Fabri«^ 
kanten  von  Grieß  und  Teigwaren,  alle  reinen  und  anderen  Getrei  de  zu  re- 
quirieren, die  zur  Fabrikation  von  Teigwaren  und  Grieß  verwendet 
werden  können  und  die  in  den  französischen  Häfen  ankommen.  Reines  Ge-i 
treide  zu  Grieß  wird  nur  denjenigen  Spezialisten  zugeteilt,  die  sich  verpflichten, 
keine  anderen  Getreide  zu  verschaffen  und  alle  ihre  Fabrikationsprodukte  dem 
Komitee  für  Teigwaren  abzuliefern.  Der  Verkauf  von  Eierteigwaren  wird  ab 
1.  November  verboten  sein. 

In  Frankreich  wird  ein  Dekret  veröffentlicht,  das  bestimmt  ist,  die 
genaue  Verteilung  des  Getreides  und  dessen  Ankauf  unter  Kontrolle  des 
Staates  zu  sichern.  Zu  diesem  Zwecke  wird  ein  Zentralamt  unter  Leitung  von 
Violette  gebildet,  das  die  Verteilung  und  den  Transport  von  Getreide  in  ganz 
Frankreich,  für  die  Armee  sowohl  als  für  die  Zivilbevölkerung,  überwachen  wird. 
An  den  deutschen  Märkten  war  die  Nachfrage  nach  Zwischenfnichtsämereien 
größer  als  das  Angebot.  Begehrt  sind  Winterwicken,  Lupinen,  Johannisroggen, 
Herbstrüben  und  Serradella  und  einzelne  Grassamen.  Gute  Nachfrage  herrschte 
bei  allen  Kleesaaten,  speziell  bei  Rotklee,  Weißklee,  Schwedenklee  und  Wund- 
klee, jedoch  befindet  sich  von  allen  di^en  Sorten  nur  sehr  wenig  in  Händen 
des  Handels.  Grcschäft  in  Saatgetreide  hat  sich  bisher  nicht  entwickelt.  Die 
Situation  am  Rauhfuttennarkt  ist  unverändert,  Heu  ist  unter  dem  neuen  Höchst- 
preis im  freien  Handel  nicht  mehr  zu  beschaffen.  Durch  die  Annahme  der 
neuen  Verordnung  über  Stroh  und  Häcksel  im  Bundesrat,  deren  Einzelheiten 
noch  unbekannt  sind,  ist  das  Greschäft  in  diesen  Artikeln,  da  man  höhere 
Preise  erwartet,  vollständig  ins  Stocken  geraten.  Nachfrage  zeigt  sich  auch  für 
Runkelrüben.  Die  Witterung  ist  für  die  Hackfrüchte  ausgezeichnet;  auch 
Futterpflanzen  werden  sehr  günstig  dadurch  beeinflußt.  Die  Ankünfte  von 
Roggen  zeigen  überwiegend  sehr  befriedigende  Qualität. 


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ni.  Indastrie,  einschließlich  Bergban  and  Baugewerbe. 

Inhalt:  1.  Bergbau:  Geschäftelage  im  Kohlen-  und  Kalibergbau  während 
des  Monats  Juli. 

2.  Eisengewerbe.  —  Metalle  und  Maschinen:  Beschäftigungsgrad 
im  Juli. 

1.  Bergbau. 

lieber  die  Geschäftslage  vom  Juli  berichtet  das  „Reichs-Arbeits- 
blatt"  :  „Im  Ruhrgebiet  gestaltete  sich  der  Abruf  von  Kohlen  und  Koks 
im  Monat  Juli  wieder  so  lebhaft  wie  in  den  Vormonaten.  Es  konnten 
nicht  nur  alle  Erzeugnisse  glatt  abgesetzt  werden,  sondern  auch  die 
noch  vorhandenen  Bestände  an  gekürzten  Kohlen-  und  Koksmengen 
wurden  restlos  zum  Versand  gebracht.  Der  Absatz  auf  dem  Wasser- 
wege gestaltete  sich  ebenfalls  sehr  lebhaft.  Es  wird  berichtet,  daß, 
wie  im  Vormonat,  auch  im  Berichtsmonat  mit  Ueberschichten  gearbeitet 
werden  mußte. 

Die  Aachener  Steinkohlenwerke  hatten  den  gleichen  guten 
Geschäftsgang  wie  im  Vormonat  und  im  Vorjahr.  Es  werden  weitere 
Lohnerhöhungen  gemeldet. 

Die  oberschlesischen  Steinkohlengruben  berichten  auch  für 
Juli  wieder  über  eine  außerordentlich  große  Nachfrage.  Dem  Vormonat 
gegenüber  ist  keine  wesentliche  Aenderung  in  der  Geschäftslage  einge- 
treten, während  im  Vergleich  zum  Vorjahre  eine  nicht  unbedeutende 
Steigerung  zu  verzeichnen  ist. 

Die  dem  Plessischen  Knappschafts  verein  angehörenden  Kohlenberg- 
werke hatten  im  zweiten  Vierteljahr  1917  bei  einem  Bestand  von 
4299  Mann  einen  Abgang  von  597  und  einen  Zugang  von  540.  Im 
vorhergehenden  Vierteljahr  betrug  der  Bestand  4356  Mann. 

Aus  Niederschlesien  wird  vom  Steinkohlenbergbau  über  eine 
unverändert  befriedigende  Lage  berichtet.  Es  wird  angegeben,  dat 
Lohnerhöhungen  vorgenommen  werden  mußten. 

Die  Zwickauer  Steinkohlenwerke  bekunden  einen  be- 
friedigenden Geschäftsgang,  der  im  Vergleich  zum  Vormonat  etwas 
schlechter,  im  Vergleich  zum  Vorjahr  aber  etwas  besser  ist.  Es  wird 
über  Teurerungszulagen  berichtet. 

Die  Niederlausitzer  Brikettwerke  berichten  über  eine  dem 
Vormonat  gegenüber  gleiche  Erzeugung,  jedoch  hat  dem  Vorjahr  gegen- 
über ein  wesentlicher  Rückgang  stattgefunden,  üeberarbeit  war  wie 
bisher  erforderlich,  die  Löhne  sind  auch  weiterhin  gestiegen. 

Die  Kaliindustrie  berichtet  über  eine  gute  Beschäftigung,  die 
im  Vergleich  zum  Vormonat  und  Vorjahr  lebhafter  ist.  Die  Löhne  be- 
wegen sich  weiterhin  in  steigender  Richtung,  vielfach  mußte  mit  Ueber- 
stunden  gearbeitet  werden." 

2.  Eisengewerbe.  —  Metalle  und  Maschinen. 
Ueber    den   Beschäftigungsgrad    vom   Juli   berichtet   das   „Reichs- 
arbeitsblatt" :  „Die  Eisengießereien  Westdeutschlands  waren  im  Juli 


-    473    - 

ebensogut  wie  im  Vormonat  beschäftigt.  Fast  überall  mußte  mit  Ueber- 
stunden  und  auch  Sonntags  gearbeitet  werden,  damit  das  Angebot  mit 
der  überaus  großen  Nachfrage  Schritt  halten  konnte.  Es  wird  über 
eine  weitere  Steigerung  der  Löhne  berichtet.  Aus  Mittel-  und  Nord- 
westdeutschland wird  über  den  Geschäftsgang  nicht  einheitlich  berichtet. 
Derselbe  wird  teils  ebensogut  wie  im  Vormonat  und  Vorjahr,  teils  un- 
genügend und  geringer  als  im  Vorjahr  bezeichnet ;  aus  vielen  Bezirken 
werden  Lohnerhöhungen  gemeldet.  Aus  Sachsen  wird  über  eine  teils 
gute  oder  befriedigende,  teils  unbefriedigende  Geschäftslage  berichtet. 
Bei  den  stark  beschäftigten  Betrieben  blieb  das  Angebot  vielfach  hinter 
der  Nachfrage  zurück.  Die  Lage  in  Schlesien  und  Süddeutschland  ist 
ebensogut  wie  im  Vormonat.  Im  Vergleich  zum  Vorjahr  ist  eine  nicht 
unwesentliche  Besserung  zu  vermerken.  Vielfach  wird  von  Ueberstunden 
berichtet.  In  fast  allen  Bezirken  wurden  zum  Teil  nicht  unwesentliche 
Lohnerhöhungen  gemeldet. 

Die  Stahl-und  Walzwerke  in  West-  und  Nordwestdeutsch- 
land sowie  in  Schlesien  berichten  über  einen  sehr  guten  und  guten  Ge- 
schäftsgang wie  im  Vormonat,  der  im  Vergleich  zum  Vorjahr  nicht 
unbedeutend  gestiegen  ist.  Auch  wurde  vielfach  Ueberarbeit  geleistet. 
Von  verschiedenen  Werken  wurden  Teuerungszulagen  gewährt;  auch 
sind  wiederum  erhebliche  Lohnerhöhungen  zu  verzeichnen. 

Die  Blechwalzwerke  sind  wie  im  Vormonat  und  Vorjahr  teils 
gut,  teils  sehr  gut  beschäftigt ;  auch  hier  werden  Lohnerhöhungen  und 
Ueberarbeit  gemeldet. 

Bei  den  Röhrenfabriken  ist  wie  im  Vormonat  eine  gute  Be- 
schäftigung zu  verzeichnen ;  diese  hielt  sich  im  Vergleich  zum  Vorjahr 
auf  ungefähr  der  gleichen  Höhe. 

Die  Drahtindustrie  berichtet  über  die  Beschäftigung  nicht 
einheitlich.  Sie  wird  teilweise  als  sehr  lebhaft,  teilweise  als  schlechter 
wie  im  Vormonat  bezeichnet.  Lohnerhöhungen  sind  auch  von  diesem 
Industriezweige  gemeldet. 

Bei  den  Eisen-  und  Metallwarenfabriken  ist  dem  Vor- 
monat gegenüber  keine  wesentliche  Veränderung  zu  verzeichnen. 

Die  Beschäftigung  in  der  Kleineisenindustrie  war  wie  im 
Vormonat  wiederum  sehr  lebhaft.  Vielfach  mußte  mit  Doppelschichten 
und  Ueberstunden  gearbeitet  werden.  Die  Löhne  sind  auch  weiterhin 
gestiegen. 

Die  Edelmetallindustrie  hatte  einen  etwas  geringeren  Ge- 
schäftsgang als  im  Vormonat  zu  verzeichnen. 

Die  Maschinenbauanstalten  Westdeutschlands  waren 
auch  im  Berichtsmonat  wiederum  voll  beschäftigt.  Die  Geschäftslage 
war  im  Vergleich  zum  Vorjahr  wesentlich  besser,  die  Löhne  befanden 
sich  in  steigender  Richtung ;  vielfach  mußte  mit  Ueberstunden  gearbeitet 
werden.  Aus  Süddeutschland  wird  ebenso  lebhafter  Geschäftsgang  wie 
im  Vormonat  berichtet,  der  im  Vergleich  zum  Vorjahr  wesentlich  besser 
ist.  Auch  in  diesem  Bezirke  sind  weitere  Lohnerhöhungen  zu  ver- 
zeichnen. 


—    474    — 

Der  Beschäftigungsgrad  der  Dampfmaschinen-  und  Loko- 
motivbauanstalten  hielt  sich  auf  der  gleichen  Höhe  wie  im  Vor- 
monat. Vielfach  mußte  mit  Doppelschichten  und  Ueberstunden  gearbeitet 
werden.    Die  Löhne  hielten  sich  auch  weiterhin  in  steigender  Richtung. 

Die  Dampfkessel-  und  Armaturenfabriken  lassen  für 
Westdeutschland  denselben  lebhaften  Geschäftsgang  wie  im  Vormonat 
und  Vorjahr  erkennen.  Es  haben  zum  Teil  weitere  Lohnerhöhungen 
stattgefunden.  Für  Mittel-  und  Norddeutschland  wurde  teils  eine  be- 
friedigende, teils  eine  geringere  Beschäftigung  als  im  Vormonat  und 
Vorjahr  berichtet. 

Bei  den  Werkzeugmaschinenfabriken  hielt  die  starke  Be- 
schäftigung im  allgemeinen  an ;  sie  ist  im  Vergleich  zum  Vorjahr  wesent- 
lich besser.     Die  Löhne  wurden  auch  weiterhin  erhöht. 

Die  Maschinenfabriken,  die  landwirtschaftliche  Maschinen 
herstellen,  waren  ebenso  wie  im  Vormonat  gut  beschäftigt.  Dem  Vor- 
monat gegenüber  ist  verschiedentlich  noch  eine  Erhöhung  der  Beschäfti- 
gung hervorgetreten.  Die  Lohnsätze  wiesen  auch  im  Berichtsmonat 
eine  Aufwärtsbewegung  auf. 

Hinsichtlich  des  Baues  von  Verbrennungsmotoren  für  flüssige 
und  gasförmige  Brennstoffe  gestalteten  sich  die  Verhältnisse  wesentlich 
besser  als  im  Vormonat,   zum  Teil    sogar   noch  besser    als  im  Vorjahr. 

Die  Eisenkonstruktionen  und  Brückenbauten  über- 
nehmenden Betriebe  kennzeichnen  die  Geschäftslage  ebensogut  wie  im 
Vormonat  und  noch  besser  als  im  Vorjahr;  verschiedentlich  mußte  mit 
Ueberstunden  gearbeitet  werden. 

Die  Maschinenfabriken  für  Hebezeuge,  Aufzüge,  Ver- 
ladevorrichtungen u.  dgl.  melden  ebenso  starke  Beschäftigung 
wie  im  Vormonat.  Gegen  Juli  1916  wird  verschiedentlich  eine  Steige- 
rung des  Geschäftsganges  verzeichnet.  Die  Löhne  hielten  sich  auch 
weiterhin  in  steigender  Richtung,  vielfach  war  wiederum  Ueberarbeit 
erforderlich. 

Die  Bergwerkmaschinenfabriken  haben  eine  wesentliche 
Veränderung  ihrer  lebhaften  Tätigkeit  nicht  erfahren ;  die  Beschäftigung 
wird  dem  Vorjahr  gegenüber  als  wesentlich  besser  bezeichnet. 

Der  Maschinen-  und  Apparatebau  für  die  Zuckerin- 
dustrie hat  dem  Vormonat  und  Vorjahr  gegenüber  keine  Veränderung 
der  Geschäftslage  zu  verzeichnen.  Für  den  Schiffbau  sind  wesentliche 
Verschiebungen  der  Beschäftigungsverhältnisse  nicht  zu  vermerken. 

In  der  Beschäftigung  der  Eisenbahnwagenbauan- 
stalten sind  Aenderungen  gegen  den  Vormonat  nicht  eingetreten ; 
der  Beschäftigungsgrad  dem  Vorjahr  gegenüber  ist  jedoch  bedeutend 
höher.  Vielfach  mußte  mit  Ueberstunden  und  Nachtschichten  gearbeitet 
werden.     Die  Lohnsätze  sind  zum  Teil  gesteigert  worden. 

Die  Fabriken  für  Kleinbahnen  hatten  genügend  zu  tun. 
Eine  Aenderung  ist  weder  im  Hinblick  auf  den  Vormonat  noch  das 
Vorjahr  zu  vermerken. 

Der  Bau  von  Apparaten  zur  Sicherungdes  Zugverkehrs 
hatte  die  gleiche  Lage  wie  bisher  aufzuweisen. 

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—    475    - 

Für  den  Kraftwagenbau  und  die  Herstellung  von  Flugmotoren 
wird  die  gleiche  sehr  gute  Beschäftigung  wie  im  Vormonat  berichtet, 
die  im  Vergleich  zum  Vorjahr  wesentlich  gestiegen  ist. 

Die  Werke  für  den  Bau  von  Dynamomaschinen,  Elektro- 
motoren und  Akkumulatoren  hatten  im  Berichtsmonat  wieder 
außerordentlich  rege  zu  tun.  Der  Umsatz  ist  im  Vergleich  zum  Vorjahr 
wesentlich  gestiegen.  Vielfach  mußte  wiederum  mit  Ueberstunden  und 
Doppelschichten  gearbeitet  werden.  Auch  für  die  Herstellung  elektro- 
technischer Meßinstrumente  liegt  ebenso  guter  Bestellungseingang  wie 
im  Vormonat  vor,  während  der  des  Juli  1912  zum  Teil  wesentlich  über- 
troffen wurde.  Die  Unternehmen  für  elektromedizinische  Apparate 
haben  über  keinerlei  wesentliche  Aenderung  gegen  den  Vormonat  zu 
berichten. 

Für  die  Herstellung  von  Apparaten  für  elektrische  Be- 
leuchtung ist  eine  erheblich  andere  Gestaltung  der  Geschäftslage 
nicht  zu  melden. 

Bezüglich  der  Einrichtung  elektrischer  Licht-  und 
Kraftanlagen  wird  eine  lebhafte  Beschäftigung  verzeichnet,  die  ver- 
schiedentlich auch  Sonntagsarbeit  erforderlich  machte.  Die  Geschäfts- 
lage hat  sich  dem  Vorjahr  gegenüber  nicht  wesentlich  verändert 

Die  Kabelwerke  hatten  ebenso  rege  wie  im  Vormonat,  zum 
Teil  sogar  noch  besser  als  im  Vorjahr  zu  tun.  Lohnerhöhungen  haben 
auch  hier  stattgefunden.  In  verschiedenen  Unternehmungen  wurden 
Ueberstunden  und  Nachtschichten  geleistet." 

IV.  Handel  und  Verkehr. 

Inhalt:  Künftige  Gestaltung  des  Außenhandels  Deutschlands  (Aufgaben 
Hamburgs).  Skandinavische  Handelskonferenz.  Handelspolitischer  Zusammen- 
schluß Frankreichs  mit  Italien.  Handelsabkommen  Italiens  mit  Brasilien.  Außen- 
handel (Statistik)  Englands,  Britisch-Indiens,  Ecuadors,  Columbiens,  Venezuelas, 
Chinas  und  Sierra  Leones.  Hafenbauten  in  Frankreich.  Schiffsverkehr  Kristi- 
anias. Hafenbauten  in  Italien.  Wiederherstellung  der  deutschen  Handelsflotte. 
Künftiger  internationaler  Wettbewerb  in  der  Seeschiffahrt.  Trockenlegung  der 
Zuidersee. 

Die  künftige  Gestalung  des  Außenhandels  Deutschlands, 
insbesondere  die  Hamburg  dabei  zufallende  Aufgabe,  wurde  in  einer 
im  Juli  1917  von  der  Hamburger  Handelskammer  veröffentlichten  Denk- 
schrift behandelt,  über  deren  Inhalt  in  den  „Hamburger  Nachrichten" 
vom  15.  Juli  1917  folgendes  mitgeteilt  wurde: 

Gerade  der  Krieg  hat  unserer  westdeutschen,  schlesischen  und  überhaupt  in- 
ländischen Schwerindustrie  zum  TeU  einen  so  unerwartet  starken  Kapitalzuwachs 
gebracht,  daß  es  sich  wohl  denken  läßt,  daß  diese  Kreise  starke  Neigung  zeigen 
werden,  ihre  wirtschaftliche  Macht  auszudehnen.  Klar  hervor  geht  dieses  Be- 
streben bereits  aus  dem  Verhalten  einiger  rheinischer  Großindustrieller,  wie 
Thyssen  und  insbesondere  Hu^o  Stinnes,  der  sich  bekanntlich  in  jüngster  Zeit  in 

frößerem  Umfange  an  hanseatischen  Unternehmungen  auf  dem  Gebiete  des  Welt- 
andels  und  Seeverkehrs  beteüigt  hat.  Hamburg  erblickt  es  als  eine  seiner  Auf- 
gaben nach  dem  Kriege,  die  Flagge  seiner  Reedereien  wieder  auf  allen  Meeren  zu 
zeigen.  Wer  an  dieser  deutschen,  vaterländischen  Aufgabe  mitwirken  wül,  wird 
uns  willkommen  sein,  aber  darüber  hinaus  hat  Hamburg  erkannt,  daß  auch  neue 


-    476    - 

Wege  gesucht  werden  müssen,  um  den  Aufgaben  der  Zukunft  gerecht  zu  werden. 
Dazu  gehört  das  Streben,  einen  Ausbau  der  Wasserstraßen  und  eine  Ausdehnung 
der  Industrie  zu  erreichen.  In  der  Hamburger  Bürgerschaft  wurde  vor  noch 
nicht  zu  langer  Zeit  von  zuständiger  Seite  darauf  hingewiesen,  daß  wir  besonders 
auf  dem  Gebiete  der  Industrie  fortschreiten  müssen.  Unsere  Feinde  haben  diese 
Kundgebung  so  ausgelegt,  als  ob  die  alte  Seekönigin  an  der  Elbe  sich  von  dem 
Weltmeere  zurückziehen  wollte.  Da  werden  sie  sich  täuschen.  Wir  haben  nur 
den  Wunsch,  in  Hamburg  sich  die  bereits  bestehenden  industriellen  Anlagen  ver- 
größern und  vermehren  zu  sehen,  und  ein  Bxporthafen  mit  der  zugehörigen  Ex- 
portindustrie zu  werden.  Diesem  Streben  versucht  die  Denkschrift  der  Hamburger 
Handelskammer  vorbereitende  Hilfe  angedeihen  zu  lassen,  indem  sie  in  auf- 
klärender Weise  die  Umstände  hervorhebt,  die  solchen  Zwecken  förderlich  sein 
können.  Das  Geländewesen  des  Hamburger  Industriegebietes  wird  eingehend  be- 
sprochen, die  Verkehrsverhältnisse  der  inneren  Stadt  und  der  näheren  Umgebung 
werden  sachlich  geschildert.  Daran  schließt  sich  eine  gründliche  Abhandlung 
über  Hamburgs  Eisenbahn-  und  Wasserverbindung  nach  dem  Reiche.  Eine  ganze 
Anzahl  entsprechender  Ausführungen  aus  bewährter  Feder  ergänzen  die  Scnrift, 
die  besonders  die  Kreise,  die  Hamburger  Verhältnisse  nicht  genauer  kennen,  viel- 
leicht veranlassen  werden,  sich  näher  mit  der  Frage,  was  Hamburg  der  Industrie 
zu  bieten  vermag,  zu  beschäftigen. 

Wie  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirtschaft" 
mitgeteilt  wird,  soll  laut  einer  in  der  Presse  Kristianias  veröffentlichten 
Notiz  am  14.  und  15.  September  1917  in  Stockholm  die  erste  skan- 
dinavische Handelskonferenz  abgehalten  werden.  Jedes  der 
drei  skandinavischen  Länder  wird  25  Vertreter  der  hauptsächlichsten 
Gewerbe  entsenden.  Die  Konferenz  wird  durch  einen  Arbeitsausschuß, 
bestehend  aus  vier  Vertretern  jedes  Landes,  vorbereitet  werden.  Das 
Programm  der  Konferenz  soll  folgende  Punkte  umfassen: 

1)  Zusammenarbeit  zwischen  den  drei  nordischen  Ländern  auf 
handelspolitischem  Gebiete. 

2)  Weiterentwicklung  der  gemeinsamen  nordischen  Gesetzgebung 
auf  den  Gebieten,  die  das  Erwerbsleben  berühren. 

3)  Einräumung  gegenseitiger  Vorteile  auf  dem  Gebiete  der  Kon- 
zessionsgesetzgebung für  die  drei  skandinavischen  Reiche  untereinander 
(Revision  der  skandinavischen  Münzkonvention). 

Seit  einiger  Zeit  wird  in  Frankreich  und  in  Italien  ein 
engerer  handelspolitisch  er  Zusammenschluß  der  beiden  Länder, 
der  ihnen  anscheinend  auch  innerhalb  der  „Entente"  eine  Sonder- 
stellung schaffen  würde,  empfohlen.  Hierüber  berichtet  der  „W.  N.  D. 
Deutscher  Ueberseedienst"  vom  21.  Juli  1917  folgendes:  L.  J.  Magnan, 
Direktor  des  Zollwesens  im  französischen  Finanzministerium,  äußert  sich 
in  der  in  Rom  erscheinenden  „Revue  Finan eiere  et  Economique  d'Italie" 
über  die  gemeinsame  italienisch-französische  Zollpolitik :  Für  die  gegen- 
über den  Zentralmächten  in  wirtschaftlicher  Hinsicht  zu  befolgenden 
Richtlinien  müsse  von  den  Verbündeten  eine  einheitliche  Grundlage 
geschaffen  werden.  Daher  sei  es  wünschenswert  und  mit  dem  gegen- 
seitigen Interesse  sehr  gut  vereinbar,  wenn  Italien  und  Frankreich  vor 
der  Revision  ihrer  Zolltarife  ein  Abkommen  träfen,  um  ihr  Zollsystem 
nach  einheitlichem  Muster  umzugestalten.  Dabei  könne  sowohl  die 
während  des  Krieges  bedeutend  entwickelte  französische  Industrie,  die 
sich  vom  Auslande  möglichst  unabhängig  zu  machen  suche,  als  auch 
die  italienische  Landwirtschaft,  für  deren  Produkte  an  Stelle  der  durch 


—    477    — 

den  Krieg  verloren  gegangenen  Märkte  neue  Absatzgebiete  erschlossen 
werden  müßten,  auf  ihre  Rechnung  kommen.  Sehr  wenige  Erzeugnisse 
der  beiden  Länder  seien  nicht  austauschfähig.  Die  nicht  aus  den 
Ententeländern  kommenden  Waren  müßten  von  den  zu  vereinbarenden 
Vorzugstarifen  ausgeschlossen  werden.  In  Frankreich  würde  man  es 
ferner  gerne  sehen,  wenn  gewisse  Handelsinteressen  in  italienische 
Hände  übergingen,  während  andererseits  die  reichen  natürlichen  Hilfs- 
quellen Italiens  durch  französische  Maschinen  und  Kapitalien  besser 
zur  Geltung  gebracht  werden  könnten. 

Die  italienische  Regierung  hat  das  vorläufige  Handelsabkom- 
men zwischen  Italien  und  Brasilien  vom  5.  Juli  1900  gekündigt. 
Das  Abkommen  wird  am  31.  Dezember  1917  außer  Kraft  treten. 

In  dem  „W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst"  werden  folgende 
Mitteilungen  über  den  Außenhandel  fremder  Länder  veröffentlicht : 

Der  Außenhandel  Englands  zeigte  im   ersten  Halbjahr  1917 

nach  den  amtlichen  Angaben  folgende  Entwicklung  (in  1000  £): 

p,.   ,  ,  Gesamt-  Einfuhr-  Einfuhrüber- 

ii^iniunr  ausfuhr  Überschuß  sehuß  in  1916 

55  292 

46279 

51  681 

44289 

49  774 
50080 


Januar 

90565 

Februar 

70948 

März 

81  114 

April 

84585 

Mai 

87620 

Juni 

86068 

35273 

29348 

24669 

22470 

29433 

39706 

40296 

30805 

37847 

25785 

35989 

30  780 

500900        297395         203507  178894 

Der   Außenhandel    Britisch-Indiens    (vgl.    oben    S.    399) 
hatte  in   den  letzten  Kalenderjahren  folgenden  Umfang  (in  1000  £): 

1914        1915       1916 
Einfuhr       104  377       83  762      97  424 
Ausfuhr       138269      118  969      149690 

Ueber  den  Außenhandel  Ecuadors  in  den  Jahren  1913,   1914 
und  1915  liegen  folgende  Angaben  vor: 


(in  MiU.  Sucres) 

1915 

1914 

1913 

Einfuhr 

17,30 

17,29 

l8,18 

Ausfuhr 

26,53 

26,88 

32,49 

Ausfuhrüberschuß 

9,23 

9,59 

14.8I 

Herkunftsländer : 

(,in  1000  Sucres) 

Deutschland 

104 

2477 

3216 

England 

6  888 

4969 

5386 

Frankreich 

507 

672 

894 

Italien 

821 

801 

608 

Belgien 

63 

572 

661 

Spanien 

680 

750 

485 

Holland 

354 

124 

— 

Vereinigte  Staaten 

6592 

5701 

5798 

Chile 

120 

108 

131 

Peru 

555 

615 

329 

Panama 

32 

71 

87 

Zentral-  und  Südamerika 

134 

105 

235 

Australien 

238 

166 

129 

Verschiedene  Länder 

212 

158 

223 

-    478    - 


Bestimmungsländer 
(in  1000  Sucres) 
Deutschland 
Oesterreich-Üngarn 
England 
Frankreich 
Italien 
Spanien 
Holland 

Vereinigte  Staaten 
Chile 
Peru 
Panama 

Zentral-  und  Südamerika 
Verschiedene  Länder 


1915 

1914 

1913 

87 

1775 

5406 

— 

299 

17s 

5482 

2544 

3336 

2420 

9  182 

II  072 

I  230 

581 

692 

I  197 

I  291 

1379 

2018 

2084 

526 

II  693 

7329 

7888 

867 

689 

1073 

266 

174 

177 

78 

59 

135 

ika                   4 '3 

266 

SOI 

782 

602 

129 

26533 


26875 


32489 


Ueber    den  Außenhandel   Columbiens    in    den  Jahren 
1914  und  1915  wird  folgendes  (in   1000  £)  mitgeteilt: 


1913. 


1915 

1914 

1913 

Einfuhr 

3847 

4196 

5705 

Ausfuhr 

6034 

6527 

6863 

Ausfuhrüberschuß 

2187 

2331 

1158 

Hauptherkunftsländer : 

Vereinigte  Staaten 

1790^) 

1297 

1573 

Großbritannien 

1130I) 

1269 

1204 

Frankreich 

170^) 

250 

909 

Deutschland 

80») 

514 

827 

Hauptbestimmungsländer : 

Vereinigte  Staaten 

3908 

3654 

3889 

Großbritannien 

1000 

1175 

1148 

Frankreich 

80*) 

92. 

165 

Deutschland 

8>) 

356 

663 

Der   Außenhandel  Venezuelas  hatte  in  den  Kalenderjahren 
1914  und  1915  folgenden  Umfang: 


1915 


1914 


Gewicht 

Wert 

Gewicht 

Wert 

(in  1000  t) 

(in  Millionen 
Bolivares) 

(in  1000  t) 

(in  Millionen 
Bolivares) 

Einfuhr 

105,0 

69,5 

114,0 

,    72,4 

Ausfuhr 

169,5 

I2T,2 

188,» 

^11,5 

Ausfuhrüberschuß 

51,' 

39,1 

Herkunftsländer : 

Vereinigte  Staaten 

77,c 

41,1 

54,9 

3M 

Großbritannien 

17,5 

iS.o 

23,0 

14,9 

Niederlande 

5,6 

4,0 

16.« 

7,5 

Spanien 

2,9 

3,8 

2,2 

2,* 

Italien 

1,2 

2,5 

I,* 

2,8 

Frankreich 

1,1 

3,3 

1,5 

4,0 

Deutschland 

11,0 

8,« 

1)  Geschätzt. 

—    479 


1915 

1914 

Gewicht 

Wert 

Gewicht 

Wert 

(in  1000  t) 

(in  Millionen 
Bolivares) 

(in 

mno  t^     (^^  Millionen 
^^^^  *^        Bolivares) 

Bestimmungsländer  : 

Vereinigte  Staaten 

IOI,9 

68,2 

111,8 

48,5 

Niederlande 

24,8 

16,5 

10,8 

Großbritannien 

17.6 

10,5 

15,9 

Frankreich 

14.5 

15,* 

26,6 

3M 

Spanien 

5,0 

5,5 

5,1 

Italien 

2,7 

2,7 

1,2 

Dänemark 

i>4 

I,S 



Deutschland 

— 

12,9 

9,9 

Ueber   den   A  u 

ßenhand 

el    Chinas 

(Vgl. 

oben  S.  4 

00)   in   ( 

usammen    263  393 

172548 

267  783 

155  482 

160  491 

122  922 

120250 

n^Tj 

53824 

72081 

37043 

60579 

25694 

65514 

17027 

59399 

24 

— 

160 

— 

8 

— 

3465 

— 

2838 

27  262 

2431 

30471 

28996 

31470 

28905 

35254 

den 
Jahren  1915  und  1916  liegen  noch  folgende  Mitteilungen  vor: 

1916  1915 

Von  und  nach                      Einfuhr        Ausfuhr  Einfuhr  Ausfuhr 

(in  1000  Hk.-Taels) 

Großbritannien                              70  353           34  9^8  7^559  3^935 

Hongkong                                     153  348         119  486  148436  104  170 

Britisch-Indien                              32  755             6  590  40  753  7  943 

Straits  Settlements  etc.                 4603             8349  5381  8893 

Australien,  Neuseeland  etc.              466             i  615  768  1031 

Südafrika  und  Mauritius                —                      51  —  45 

Canada                                              i  868             i  539  886  i  465 

Britisches  Beich  ; 

Japan 

Vereinigte  Staaten 

Kußland 

Deutschland 

Belgien 

Frankreich 

Andere  Länder 

Gesamt  535268         481797  477064         418  861 

Wie  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirt- 
schaft" mitgeteilt  wird,  bezifferte  sich  die  Einfuhr  der  Kolonie 
Sierra  Leone  im  Jahre  1915  auf  1255  755  £,  worunter  sich  ein 
Betrag  von  175  724  £  an  gemünztem  Geld  befand.  Der  reine  Waren- 
verkehr betrug  infolgedessen  in  der  Einfuhr  1080031  £.  Der  Anteil 
an  Regierungsgütern  bezifferte  sich  auf  125082  £.  Die  nachfolgende 
Aufstellung  weist  die  entsprechenden  Zahlen  für  die  beiden  vorher- 
gehenden Jahre  auf: 

Gesamteinfuhr  Metallgeld  Reineinfuhr  Davon  Regierungsgüter 

£                       £  £                              £ 

1913  1750303             312268  1438035                   146053 

1914  1405049             238648  1166401                   196770 

Vom  dem  gegen  die  Vorjahre  eingetretenen  Kückgang  wurden  in  erster 
Linie  die  Fabrikate  betroffen,  die  einen  Ausfall  von  rund  130000  £  gegen  1914 
aufweisen.  Darin  kommt  das  Ausbleiben  der  deutschen  Einfuhr  deutUch  zum 
Ausdruck.  Stark  zugenommen  hat  dagegen  die  Einfuhr  von  Nahrungsmitteln, 
Getränken  und  Tabat  mit  einem  Mehr  von  rund  63  000  £  gegen  1914.  Diese 
Steigerung  ist  im  großen  und  ganzen  lediglich  durch  die  erhonten  Lebensmittel- 
preise bedingt,  welche  vor  allem  bei  Mehl,  Zucker,  Butter  und  Salz  in  die  Augen 
springend  sind. 


—    48o    — 

Die  Ausfuhr  betrug  im  Jahre  1915  1  254  621  £*  gegen  1  250  478  im  Jahre 
1914.  Der  darin  einbegriffene  Anteil  an  Bargeld  belief  sich  auf  311 753  bzw. 
208  571  £.  Somit  stellte  sich  der  reine  Ausfuhrverkehr  auf  942868  £'  im  Jahre 
1915  gegen  1 041  907  £  im  Jahre  1914.  Die  nachstehende  Uebersicht  schließt  die 
Zahlen  lür  das  normale  Jahr  1913  mit  ein  : 

Gesamtausfuhr        Metallgeld        Reinausfahr 
£  £  £ 

1913  I  731  252      240964      1490288 

1914  1250478      208571      I  041 907 

1915  I  254621      311  753      942868 

An  der  Ein-  und  Ausfuhr  waren  in  den  Jahren  1914  und  1915  die  folgen- 
den Länder  beteiligt: 

Einfuhr  Ausfuhr 

1914  1915  1914  1915 

£  £  £  £     . 

Großbritannien                                                979796  870901  367961  657297 

Britisch-westafrikanische  Besitzungen            82527  73167  253370  292472 

Britische  Besitzungen  (andere)                           496  4  286  —  — 

Frankreich                                                         1 7  607  2 1  994  i  695  1 1  347 

Deutschland                                                       98548  132 10  313152  — 

Niederlande                                                       47  533  55  333  —  — 

Vereinigte  Staaten  von  Amerika                   62  914  102  435  —  14 

Fremde  westafrikanische  Bestitzungen         76209  96932  220993  226471 

Andere  europäische  Länder                              6  408  i  509  —  — 

Uebrige  Länder                                                33  0ii  15988  839  791 

Schiffsproviant  u.  a.  m.                                   —  —  92  468  66  229 

Zusammen                                                     i  405049  i  255  755  i  250478  i  254621 

Hiervon  Bargeld                                             238648  175724  208571  3^1  753 

Ueber  große  französische  Hafenbauten  berichtet  der  „W. 
N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst"  (vom  19.  Juli  1917)  folgendes: 

Die  geplanten  Erweiterungsbauten  des  Hafens  von  Marseille,  die  bereits 
seit  einigen  Jahren  in  Angriff  genommen  wurden,  aber  während  des  Krieges  nur 
langsam  gediehen,  haben  sich  bei  dem  beständigen  Wachsen  des  Verkenrs  als 
nicht  ausreichend  erwiesen.  In  den  letzten  20  Jahren  vor  dem  Kriege  ist  der 
Verkehr  um  90  Proz.  von  5  Mill.  t  auf  9,5  Mill.  t  gestiegen.  In  den  ersten  Jahren 
nach  dem  Krieg  dürfte  er  weiter  auf  11,5  Mill  t  wachsen.  Daher  ist  es  dringend  not- 
wendig, die  Arbeiten  an  den  neuen  Kais  aufs  schnellste  zu  fördern  und  eine 
weitere  Vergrößerung  von  rund  3150  m  vorzunehmen,  damit  Postdampfer  von 
etwa  300  m  Länge  und  12  m  Tiefgang  einlaufen  können.  Zu  diesem  Zwecke 
wird  im  Norden  des  Hafens,  unmittelbar  am  Dock  „Madrague",  das  neue  Dock 
„Mirabeau"  gebaut.  Es  sind  63  ha  Wasseroberfläche  vorgesehen  mit  einem  Durch- 
messer von  450  m.  Schiffe  mit  13  m  Tiefgang  können  an  einer  Kailänge  von 
3760  m,  Schiffe  mit  9  m  Tiefgang  an  2140  m  Kailänge,  am  Kande  des  Kanals 
Marseille- ßhöne,  anlegen;  außerdem  faßt  das  neue  Dock  noch  etwa  10  Schiffe 
von  300  m  Länge  oder  21  Schiffe  von  150  m,  die  unmittelbar  am  Kai  löschen 
können.  Im  Kanal  finden  noch  15  Schiffe  von  130  bis  150  m  Platz.  Die  vor- 
gesehenen Kosten  belaufen  sich  auf  123  Mill.  frcs.  Ein  entsprechender  Entwurf 
liegt  der  Kammer  vor  Einige  vorbereitende  Arbeiten,  die  etwa  13  Mill.  frcs.  in 
Anspruch  nehmen,  sollen  sofort  in  Angriff  genommen  werden ;  die  Handelskammer 
erbietet  sich,  die  Kosten  allein  zu  tragen. 

Die  Handelskammer  von  Cette  wurde  ermächtigt,  eine  Anleihe  von  817300 
frcs.  zum  Bau  eines  Kanals  und  von  Dockanlagen  aufzunehmen.  Zur  Deckung 
der  Kosten  darf  die  Stadt  50  cts.  pro  t  auf  die  durch  den  Kanal  gehenden  Waren 
erheben. 

Le  Ha  vre  ist  unablässig  bemüht,  seinen  Hafen  auszubauen  Nachdem  im 
Jahre  1895  mit  einem  Kostenaufwand  von  43  Mill.  frcs.  ein  Außenhafen  von  78  ha 
Wasserfläche  mit  einen^  Kai  von  500  m,   verbunden  durch  eine  Schleusenanlage 


—    48i     — 

von  240  m  mit  3  neuzeitlichen  Docks  von  8— 10  m  Tiefe  und  6  km  Kailänge, 
errichtet  worden  war,  sind  im  Jahre  1907  neue  Hafenbauten  für  85  Mill.  frcs.  in 
Angriff  genommen  worden,  die  trotz  des  Krieges  zum  größten  Teil  bereits  ihrer 
Fertigstellung  entgegensehen.  Der  neue  Hafen  nimmt  einen  Flächenraum  von 
285  ha  ein  und  wird  bei  einer  Wassertiefe  von  12  m  zurzeit  der  Ebbe  imtand 
sein,  mehrere  der  größten  Ozeandampfer  gleichzeitig  aufzunehmen.  Ein  Damm 
von  4400  m  Lange  umführt  den  Hafen ;  ein  geradliniger  1000  m  langer  Kai  wird 
in  kurzer  Zeit  fertig  sein.  Ein  großes  Trockendock  von  312  m  Länge  und  38  m 
Breite  ist  ebenfalls  vorgesehen,  um  Schiffe  mit  einem  Tiefgang  von  137,  m  und 
einer  Länge  von  300  m  aufzunehmen.  Um  jedoch  allen  Ansprüchen,  die  für  die 
Zukunft  an  den  Hafen  gestellt  werden  dürften,  zu  begegnen,  sind  bereits  weitere 
Hafenbauten  in  noch  größerem  Maßstabe  beschlossen  worden.  Mit  einem  Kosten- 
aufwand von  200  Mill.  frcs.  soll  der  Kai  dui'ch  ein  ganzes  System  von  Docks  eine 
Ausdehnung  von  20  km  erfahren  und  mit  dem  alten  und  neuen  Hafen  in  Ver- 
bindung stehen.  Entsprechend  der  Vergrößerung  des  Verkehrs  soll  der  Ausbau 
des  Hafens  stufenweise  erfolgen. 

Der  Hafen  von  Le  Havre,  der  schon  vor  dem  Kriege  neben  einem  großen 
internationalen  Passagierverkehr  einer  bedeutenden  Ein-,  Aus-  und  Durchfuhr 
von  Waren  aller  Art,  sowie  deren  Lagerung  diente,  hat  sich  mehr  als  irgendein 
anderer  französischer  Hafen  den  durch  den  KJrieg  geschaffenen  neuen  Verhält- 
nissen anpassen  müssen.  In  nächster  Nähe  des  Kriegsgebietes  gelegen,  ist  Le 
Havre  Basis  der  Verproviantierung  des  englischen  Heeres  in  Frankreich  und  be- 
sitzt eine  bedeutende  französische  und  belgische  Kriegsindustrie.  Auch  die  Ver- 
legung der  belgischen  Eegierung  nach  dort  konnte  nicht  ohne  Einfluß  auf  den 
ganzen  Charakter  des  Hafenverkehrs  bleiben.  In  1913  liefen  6548  Schiffe  mit 
5,4  Mill.  Netto-ßeg.-T.  aus,  gegen  11592  umlaufende  Schiffe  mit  8,7  Mill.  t  in 
1916;  die  Ausfuhr  ging  dagegen  um  die  Hälfte  zurück.  Der  internationale  Pas- 
sagierverkehr mit  235 130  Personen  in  1913  hat  bedeutend  abgenommen ;  er  betrug 
in  1915  nur  31 462  Personen,  stieg  jedoch  in  1916  auf  113768.  Truppentransporte 
sind  in  diesen  Zahlen  nicht  einbegriffen.  Aber  auch  die  Art  der  eingeführten 
Waren  hat  eine  Aenderung  erfahren.  Wenn  früher  in  bedeutendem  Umfange 
Baumwolle,  Kaffee,  Holz,  Kakao  und  Leder  eingeführt  wurden,  so  kommen  jetzt 
hauptsächlich  Getreide,  Gußeisen,  Stahl,  Zucker,  Fleisch,  Kupfer,  Automobile  und 
andere  für  die  Verproviantierung  der  Militär-  und  Zivilbevölkerung  notwendigen 
Gegenstände  herein.  Die  gegen  den  Frieden  verdoppelte  Einfuhr,  die  fast  aus- 
schließlich für  das  Land  selbst  bestimmt  war,  bedang  einen  schnellen  Weiter- 
transport nach  dem  Hinterlande.  Es  entstanden  daher  eine  Keihe  von  Rangier- 
und  Hilfsgleisen  und  eine  besondere  Zweiglinie,  die  die  vielen  Docks  und  Bahn- 
höfe mit  der  Hauptbahn  verbindet.  Die  Verlängerung  einer  Zweigbahn  von  32  km 
Länge,  um  die  Hauptbahn  in  einer  Entfernung  von  60  km  von  Le  Havre  mit 
Gleisen  der  Nordbahn  und  Paris— Dieppe  über  Pontoise  zu  verbinden,  wird  bald 
dem  Betrieb  übergeben  werden. 

Die  Handelskammer  in  Caen  hat  beschlossen,  sich  an  den  Erweiterungs- 
und Vertiefungsarbeiten  des  Seekanals  zu  beteiligen.  Der  bestehende  Schiffahrts- 
kanal von  Caen  bis  zum  Meer,  der  bis  1895  nur  Schiffen  von  1400  t  Zugang  ge- 
währte, wird  derart  vergrößert,  daß  ihn  8000  t-Schiffe  befahren  können.  1913 
wies  der  Hafen  einen  Verkehr  von  1 126000  t  auf;  dieser  ging  1915  auf  877000t 
zurück,  hat  sich  seitdem  aber  wieder  langsam  gehoben.  Ein  25  t-Kran  und  zwei  4 1- 
Kräne  wurden  beschafft,  die  Hafenbrücken  und  Kanalbrücken  erweitert  und  elek- 
trisches Licht  für  die  Nachtarbeit  installiert.  Zurzeit  können  bereits  Schiffe  von 
2500  t  im  Hafen  einlaufen.  Die  in  Caen  beheimatete  Handelsflotte  zählte  1912 
18  Schiffe  von  zusammen  36000  t.  Gegenwärtig  nimmt  Caen  den  7.  Platz  unter 
den  Häfen  Frankreichs  ein,  durch  die  Erweiterungsarbeiten  ist  es  aber  berufen, 
bald  in  eine  der  ersten  Stellen  aufzurücken. 

Der  Verkehr  im  Hafen  von  Brest  ist  im  Jahre  1916  auf  603222  t  gestiegen, 
während  er  1914;  63512  t  und  1915:  284936  t  betrug.  Eine  Kommission  hat 
kürzlich  Brest  besucht,  um  die  Bedingungen  für  ein  großes  Handelszentrum  und 
einen  Hafen  für  Uebersee- Dampfer  festzustellen.  Der  Hafen  soll  jetzt  der  Ee- 
gierung der  Vereinigten  Staaten  für  deren  Marine  und  zur  Ausschiffung  von  Truppen 
und  Material  zur  Verfügung  gestellt  werden. 


—    482    — 

Dünkirchen  ist  ermächtigt  worden,  eine  Anleihe  von  7  Hill.  frcs.  aufzu- 
nehmen, um  die  Hafenanlaeen  zu  erweitern.  Die  Stadt  erhielt  die  Genehmigung, 
die  bestehenden  Hafengebühren  zu  erhöhen.  Der  Mangel  an  Verkehrsmitteln  hat 
ein  großes  Aufstapeln  der  Waren  in  den  Häfen  zur  Folge.  Um  diesem  Uebel- 
stand  abzuhelfen,  ist  ein  Teil  der  Güter  über  weniger  bedeutende  Häfen  wie  La 
Rochelle  und  St.  Nazaire  geleitet  worden.  Amerikanische  und  englische  Maschinen 
vermehrten  die  Löschvorrichtungen ;  Kriegsgefangene  wurden  zu  den  Arbeiten  her- 
angezogen . 

Der  Schiffsverkehr  Kristianias  in  den  Jahren  1914,  1915 
und  1916  war  nach  dem  „W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst'-  (vom 
19.  Juli  1917)  folgender: 

1916  1915  1914 

tmu     l»«»  B..E.T..    t^f"     "»»  B-I'-T-     t:S^l    1000  B.E..T. 
Eingelaufen  2239  1439  2481  1606  2234  1469 

Ausgelaufen  1988  1528  2015  1573  1894  1507 

Ueber  italienische  Hafenbauten  berichtet  dasselbe  Blatt 
folgendes : 

Die  Eegierung  billigte  den  Plan  der  Hafenbehörde  von  Genua,  der  eine  be- 
deutende Erweiterung  des  Genueser  Hafens  vorsieht.  Dieser  soll  sich  im 
Westen  bis  zum  Flüßchen  Polcevera  ausdehnen,  so  daß  eine  Anzahl  kleinerer 
Bassins  und  möglicherweise  ein  weiterer  Freihafen  gebaut  werden  können.  An 
die  Hafenerweiterung  soll  sich  die  geplante  Ausdehnung  der  Ansaldo- Werften  an- 
Bchließen.  Der  Bau  der  neuen  Anlagen  beansprucht  8  Jahre  und  kostet  ungefähr 
16  Mill.  Lire. 

Hafenverkehr  in  Genua 

(in  1000  t)  1916  gegen  1915 

Eingelaufen  5  525  —  741 

Ausgelaufen  5  573  —  679 

Der  Warenverkehr  im  Hafen  von  Genua  belief  sich  im  ersten  Halbjahr  1917 
auf  2,8  Mill.  t  oder  0,8  Mill.  t  weniger  als  im  gleichen  Zeitraum  des  Vorjahres. 
Es  wurden  300000  t  verschifft  und  etwa  2,5  Mill.  t,  davon  0,9  Mill.  t  Kohle, 
eingeführt. 

Der  Bau  eines  großen  Binnenhafens  auf  dem  Festlande  von  Venedig, 
der  mit  dem  ganzen  Kanalsystem  Oberitaliens  einerseits  und  mit  dem  Meerhafen 
andererseits  in  Verbindung  steht,  ist  beschlossen  worden.  Die  Kosten  sind  auf 
60  Mill.  Lire  veranschlagt  und  werden  wahrscheinlich  von  der  Stadt  Venedig 
vorgeschossen,  die  dafür  den  Betrieb  des  Hafens  für  30  Jahre  übernimmt.  In 
der  Nähe  des  letzteren  soll  ein  Industriegebiet  geschaffen  werden. 

Die  römische  Stadtverwaltung  beabsichtigt,  bei  der  Eegierung  um  Genehmigung 
für  die  Anlage  eines  Seehafens  in  Rom  einzukommen. 

Dem  deutschen  Reichtag  ist  am  10.  Juli  1917  ein  Gesetz- 
entwurf zur  Wiederherstellung  der  deutschen  Handels- 
flotte zugegangen,  der  von  dem  Grundsatz  ausgeht,  es  sei  eine  der 
wichtigsten  Aufgaben  des  deutschen  Volkes  nach  dem  Kriege,  den 
Weltverkehr  und  die  Weltwirtschaft  sofort  wieder  aufzunehmen.  Wie 
in  der  Begründung  des  Entwurfs  ausgeführt  wird,  hat  die  Erfüllung 
dieser  Aufgabe  zur  Voraussetzung,  daß  die  Handelsflotte  wiederher- 
gestellt und  die  deutsche  Reederei  in  den  Stand  gesetzt  wird,  nach 
Beendigung  des  Krieges  den  überseeischen  Schiffsverkehr  entsprechend 
den  Bedürfnissen  der  deutschen  Volkswirtschaft  ungesäumt  wieder  auf- 
zunehmen. Hierzu  bedarf  es  der  finanziellenHilfedesReiches, 
weil  die  Verluste,  die  der  Krieg  der  deutschen  Reederei  zugefügt  hat, 
zu   groß    sind,    als   daß  sie  aus  eigener  Kraft  die  erforderlichen  Schiffe 


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tauen  und  ihren  Betrieb  in  dem  gebotenen  Umfange  wieder  aufnehmen 
könnte.  Der  Begründung  des  Entwurfs  ist  (nach  einem  Bericht  der 
„Frankf.  Ztg.")  weiter  folgendes  zu  entnehmen: 

Der  Bestand  der  deutschen  Handelsflotte  belief  sich  vor  dem  Kriege  auf 
mehr  als  5  Mill.  Bruttoregistertonnen.  Davon  sind  über  2  Mill.  t  in  Feindeshand 
gefallen  oder  gefährdet.  Außerdem  liegen  über  1  Mill.  in  den  Häfen  verbündeter 
oder  neutraler  Staaten  infolge  der  Seesperre  fest.  Die  Ersatzbeschaffung  des  ver- 
lorenen Schiffsraumes  gestaltet  sich  für  die  deutsche  Keederei  um  so  schwieriger, 
als  die  Preise  sowohl  für  den  Neubau  wie  für  den  Ankauf  von  Handelsschiffen 
eine  ungewöhnliche  Steigerung  und  zwar  ein  Vielfaches  des  Friedenspreises  er- 
fahren haben.  Die  Schiffsneubauten,  die  jetzt  oder  in  den  ersten  Jahren  nach 
dem  Kriege  ausgeführt  werden,  stellen  sich  so  teuer,  daß  sie  aller  Voraussicht 
nach  auf  die  Dauer  keine  ausreichende  Verzinsung  erwarten  lassen,  sondern  später 
mit  Verlust  arbeiten  werden,  wenn  sie  allein  auf  Kosten  des  Eeeders  hergestellt  sind. 
Der  weitaus  größte  Teil  der  deutschen  Keederei  ist  für  den  Krieg  völlig 
lahmgelegt,  und  die  aus  dem  Ueberseeverkehr  fließenden  Einnahmen  sind  versiegt. 
Andererseits  hat  die  Instandhaltung  der  im  Auslande  liegenden  Schiffe  und  der 
Unterhalt  ihrer  Besatzung  sehr  hohe  Ausgaben  erfordert.  Diese  laufenden  Aus- 
gaben, der  Fortfall  der  Einnahmen  aus  dem  Ueberseeverkehr,  sowie  die  mit  der 
Aufrechterhaltung  einer  Organisation  verbundenen  Kosten  haben  die  deutschen 
Keedereien  finanziell  ungemein  geschwächt.  Ueberall  machen  die  ßeedereien  in 
den  neutralen,  zum  Teil  auch  in  den  feindlichen  Staaten  während  des  Krieges 
die  stärksten  Anstrengungen,  ihren  Schiffsraum  zu  vermehren  und  in  das  bis- 
herige Geschäfts^ebiet  der  deutschen  Reedereien  einzudringen.  Bei  diesem  Vor- 
fehen  befindet  sich  die  ausländische  Eeederei  auch  deshalb  in  besonders  günstiger 
.age,  weil  sie  im  bisherigen  Verlauf  des  Krieges  vielfach  glänzende  Erträge  erzielt 
hat  und  sich  infolgedessen  im  Besitze  sehr  großer  Mittel  befindet.  Außerdem 
wird  sie  bei  diesen  Bestrebungen  von  ihren  Landesregierungen  kräftig  unterstützt. 
Namentlich  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  und  Japan  haben  sowohl  ihren 
Schiffsbau  als  auch  ihren  Schiffsbetrieb  schon  jetzt  außerordentlich  gesteigert  und 
ausgedehnt. 

Angesichts  dieser  Lage  der  deutschen  Schiffahrt  war  zunächst  erwogen  worden 
die  beschleunigte  Wiederherstellung  der  Handelsflotte  durch  Gewährung  von 
Darlehen  an  diejenigen  Reedereien  zu  fördern,  welche  durch  Neubauten  oder  durch 
Ankauf  von  Schiffen  im  Auslande  ihren  verlorenen  Schiffsraum  ersetzen  wollen. 
Seit  dem  Frühjahr  1917  haben  aber  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  der  deutschen 
Reedereien  durch  die  feindliche  Haltung  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika 
und  durch  die  fortgesetzte  außerordentliche  Steigerung  der  Schiffsbaupreise  eine 
weitere  ungünstige  Verschärfung  erfahren.  Die  Gewährung  von  Darlehen ,  auch 
wenn  sie  erst  zu  einem  späteren  Zeitpunkt  zurückzuzahlen  wären,  bietet  daher 
keine  ausreichende  Gewähr  mehr  für  die  erforderliche  Neubelebung  der  deutschen 
Schiffahrt.  Den  dringlichen  Vorstellungen  der  Reedereien  nach  Vorlage  eines 
Entschädigunsgesetzes  vermag  die  Reichsleitung  bis  jetzt  noch  nicht  zu  entsprechen. 
Die  Vorlage  eines  solchen  Gesetzes  ist  zwar,  wie  bereits  wiederholt  betont,  nach 
dem  Vorgehen  vom  Jahre  1870/71  in  Aussicht  genommen.  Da  es  aber  in  seinen 
Voraussetzungen  und  seiner  Ausgestaltung  von  der  finanziellen  und  wirtschaft- 
lichen Gesamtlage  bei  Friedensschluß  abhängig  ist,  so  kann  mit  seiner  Fertig- 
stellung erst  nach  Friedensschluß  gerechnet  werden. 

Muß  demnach  auch  der  Gesichtspunkt  der  Entschädigung  der  Reedereien 
für  ihre  im  Krieg  erlittenen  Verluste  zurzeit  zurücktreten,  so  bildet  es  gleichwohl 
eine  Frage  von  höchster  Bedeutung  nicht  nur  für  die  Zukunft  der  deutschen 
Reedereien,  sondern  auch  für  die  gesamte  deutsche  Volkswirtschaft,  daß  die  deutsche 
Handelsflotte  so  bald  als  möglicn  nach  Friedensschluß  und  in  dem  Umfang  und 
in  der  Leistungsfähigkeit,  die  sie  vor  dem  Kriege  hatte,  wiederhergestellt  wird. 
Die  notwendige  Wiederaufrichtung  des  deutschen  Wirtschaftslebens  erfordert  es, 
daß  bereits  während  des  Krieges  Reichsmittel  zur  Verfügung  gestellt  werden,  um 
durch  Neubauten  oder  Ankauf  von  Schiffen  fremder  Flagge  für  den  verlorenen 
Schiffsraum  mit  möglichster  Beschleunigung  Ersatz  zu  beschaffen.  Die  erstrebte 
Belebung   der   deutschen  Schiffahrt  läßt  es  aber  auch  geboten  erscheinen,  der 


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deutschen  Reederei  mit  Rücksicht  auf  die  ungünstige  finanzielle  Lage,  in  der  sie 
sich  infolge  des  Krieges  befindet,  neue  Betriebsmittel  zuzuführen,  um  sie  gegen- 
über dem  zu  erwartenden  Wettbewerbe  ausländischer  Reedereien  in  den  Stand  zu 
setzen,  den  überseeischen  Güteraustausch  entsprechend  den  Wirtschaftsbedürfnissen 
des  deutschen  Volkes  mit  Tatkraft  baldigst  wieder  aufzunehmen.  Die  Neubelebung 
des  Schiffsverkehrs  nach  dem  Kriege  setzt  ferner  die  schleunige  Wiederaufnahme 
der  Berufstätigkeit  durch  die  seefahrende  Bevölkerung  voraus.  Es  erscheint  daher 
angezeigt,  den  Schiffsbesatzungen,  die  auf  deutschen  Schiffen  im  Auslande  infolge 
des  Krieges  ihre  Habe  eingebüßt  haben,  ihre  Ersatzbeschaffung  für  die  Wieder- 
aufnahme ihres  Berufes  durch  Zuwendung  von  Reichsmitteln  zu  erleichtern.  Diese 
Erwägungen  haben  unter  Berücksichtigung  der  im  Reichstagsbeschlusse  vom 
24.  Mai  1916  ausgesprochenen  Wünsche  dazu  geführt,  in  dem  vorliegenden  Gre- 
setzentwurfe  die  Gewährung  nicht  rückzahlbarer  Beihilfen  zu  gunsten  der  Reedereien 
und  der  geschädigten  Schiffsbesatzungen  vorzuschlagen.  Innerhalb  des  Rahmens 
dieses  Gesetzentwurfes  können  die  Ladungseigentümer,  die  ihre  verschifften  Waren 
infolge  des  Seekrieges  verloren  haben,  keine  Berücksichtigung  finden.  Die  Frage 
einer  Entschädigung  muß  späterer  Entscheidung  im  Zusammenhang  mit  der 
Lösung  der  Frage  des  Ersatzes  für  Kriegsschäden  auf  anderen  Gebieten  vorbe- 
halten bleiben. 

Die  wichtigsten  Bestimmungen  des  Gesetzentwurfes  lauten: 
§  1.    Der  Reichskanzler  wird  ermächtigt,  zur  Wiederherstellung  der  deutschen 
Handelsflotte  den  Eigentümern  deutscher  Kauffahrteischiffe  (§  1  des  Gesetzes,  be- 
treffend das  Flaggenrecht  der  Kauffahrteischiffe,  vom  22.  Juli  1899)  auf  Antrag 
Beihilfe  zu  gewähren: 

1.  Für  die  Ersatzbeschaffung  von  Schiffen  und  Inventar,  wenn  das  Schiff 
nach  dem  31.  Juli  1914  durch  Maßnahmen  feindlicher  Regierungen  oder  durch 
kriegerische  Ereignisse  verloren  gegangen  oder  erheblich  beschädigt  worden  ist. 

2.  Zur  Deckung  der  Aufwendungen  für  Instandhaltung  der  Schiffe,  für 
Hafengelder  sowie  für  Heuer  und  Unterhalt  der  Schiffsbesatzung,  die  dadurch 
notwendig  geworden  sind,  daß  das  Schiff  infolge  des  Krieges  in  deutschen  Schutz- 
gebieten ooer  in  außerdeutschen  Ländern  festgehalten  oder  in  der  Fortsetzung 
seiner  Reise  gehindert  worden  ist. 

Eine  erhebliche  Beschädigung  im  Sinne  des  Absatz  1  Nr.  1  ist  regelmäßig 
anzunehmen,  wenn  die  zur  Wiederherstellung  des  Schiffes  erforderlichen  Kosten 
die  Hälfte  des  Friedenswertes  erreichen. 

§  2.  Den  deutschen  Schiffsbesatzungen  der  im  §  1  Absatz  1  bezeichneten 
Schiffe  kann  im  Falle  des  Verlustes  ihrer  Habe  iür  deren  Wiederbeschaffung 
gleichfalls  Beihilfe  gewährt  werden. 

§  3.  Die  Beihilfen  sind  auf  die  Entschädigungen  zur  Anrechnung  zu  bringen, 
die  den  Schiffseigentümern  und  den  Schiffsbesatzungen  nach  dem  in  Aussicht 
genommenen  Reederei-Entschädigungsgesetz  etwa  gewährt  werden. 

Zur  Unterstützung  der  deutschen  Reedereien  sollen  nach  privaten 
Schätzungen,  wie  im  Handelsteil  der  „Frankfurter  Zeitung"  vom  14.  Juli 
1917  angegeben  wurde,  IV4  Milliarden  Mark  Reichsmittel  aufgewendet 
werden.  Die  Frage  des  künftigen  internationalen  Wett- 
bewerbs in  der  Seeschiffahrt  wurde  an  derselben  Stelle  folgen- 
dermaßen beurteilt: 

Daß  unsere  Reederei  bisher  keineswegs  still  zugesehen  hat,  bis  ihr  die  All- 
gemeinheit zu  Hilfe  kommt,  ergibt  sich  u.  a.  aus  einer  Reihe  von  Neugründungen 
in  den  letzten  Jahren,  die  mehr  als  bisher  dem  Bau  von  Typenschitfen  dienen. 
Es  ist  außerdem  kein  Geheimnis,  daß  auch  während  des  Krieges  in  Deutschland 
eine  recht  ansehnliche  Tonnage  bereits  gebaut  worden  ist.  Wenn  wir  erwähnten, 
daß  der  deutsche  Außenhandel  zunächst  auf  eigene  Schiffe  angewiesen  ist,  so 
dachten  wir  dabei  an  die  Tatsache,  daß  die  enghsche  Flotte,  die  bisher  weitaus 
die  meisten  Schiffe  zur  Verfügung  stellen  konnte,  durch  den  Tauchbootkrieg 
ebenfalls  in  ihrem  Bestand  außerordentlich  gelitten  hat  und  noch  ständig  weiter 
leidet.  Wenn  man  lediglich  die  absoluten  Ziffern  berücksichtigen  würde,  so  könnte 
man  sagen,   daß  die   englische  Handelsflotte  ein  Mehrfaches   im  Vergleich  zur 


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deutschen  gelitten  hat.  Der  grundliegende  Unterschied  aber  in  der  Verfassung 
der  beiden  bisher  führenden  Schiffahrtsländer  besteht  darin,  daß  die  Deutschen 
für  ihre  Verluste  nichts  bekommen  haben,  da  es  sich  um  feindliche  Beschlag- 
nahmungen handelt,  während  die  englischen  Reedereien,  so  paradox  es  klingt,  an 
ihren  Versenkungen  noch  ein  ungewöhnliches  Geld  verdienen.  Nichts  ist  hierfür 
charakteristischer  als  die  Erklärungen,  welche  der  britische  Schatzkanzler  Bonar 
Law  kürzlich  im  englischen  ünterhause  machte,  als  einige  Reeder  sich  über  die 
hohen  Steuern  beklagten.  Er  antwortete  nämlich,  er  könne  besonders  gut  die 
Lage  dieses  Gewerbes  beurteilen,  da  er  selbst  8110  £  bei  15  verschiedenen  eng- 
lis(3ien  Schiffahrtsgesellschaften  angelegt  habe.  Die  normale  Verzinsung  einer 
solchen  Anlage  sei  auf  405  £  zu  schätzen.    Er  habe  aber  nach  Abzug  der  Kriegs - 

fewinnsteuer  im  Jahre  1915  dafür  3624  £,  im  Jahre  1916  sogar  3847  £,  erhalten. 
)as  sei  aber  noch  nicht  alles.  So  sei  einer  der  Dampfer,  an  dem  er  interessiert 
gewesen  sei,  kürzlich  gesunken,  und  er  habe  auf  seine  Beteiligung  an  diesem 
Schiff  in  Höhe  von  200  £,  ganz  abgesehen  von  der  Dividende,  noch  einen  Scheck 
von  mehr  als  1000  £  erhalten.  Der  Reederei  wurde  also  das  Fünffache  ihrer  ur- 
sprünglichen Selbstkosten  zurückerstattet.  Bezeichnend  für  diese  Anomalien  ist 
ferner  das  Beispiel  einer  englischen  Schiffahrtsgesellschaft,  die  vor  einiger  Zeit 
einen  großen  Dampfer  verloren  hat  und  durch  diesen  Umstand  in  der  Lage  war, 
ihren  Reserven  58000  £  zuzuführen.  Und  der  „Statist"  hat  vor  einiger  Zeit  eine 
Berechnung  aufgestellt,  wonach  die  englische  Großreederei  im  Jahre  1916  einen 
Reingewinn  von  250  Mill.  £  habe  einheimsen  können  gegen  20  Mill.  im  Jahre  1913. 
Das  ist  also  eine  Steigerung  von  1250  Proz.  Daß  diese  Gewinne  keine  Bereiche- 
rung der  englischen  Volkswirtschaft  bedeuten,  sondern  aus  den  Taschen  des  eng- 
lischen Volkes  bezahlt  werden,  ändert  nichts  an  der  günstigen  finanziellen  Lage 
der  englischen  Reedereien.  Auch  bei  ihnen  ist,  wie  gesagt,  der  Schiffspark  £Qs 
solcher  entsetzlich  verwüstet.  Namentlich  die  großen  leistungsfähigen  ScMffe  sind 
durch  den  Tauchbootkrieg  dezimiert,  und  die  für  Heer  und  Marine  beschlag- 
nahmten Boote  müssen  später  einer  sehr  gründlichen,  zeitraubenden  Umgestaltung 
unterzogen  werden.  Die  Neubauten  haben  drüben,  wie  jedermann  weiß,  auch 
nicht  annähernd  Schritt  gehalten  mit  den  Verlusten,  denn  sie  betrugen  in  den 
beiden  letzten  Jahren  651000  bzw.  582000  Bruttotonnen  gegen  rund  2  Millionen 
in  den  letzten  Friedensjahren.  In  dieser  Beziehung  schneiden  die  Neutralen  und 
unsere  außereuropäischen  Feinde  um  so  besser  ab.  Die  Vereinigten  Staaten  vor 
allem  werden  in  Zukunft  auf  dem  Weltmeere  eine  außerordentliche  Rolle  spielen - 
Hat  doch  die  Union  allein  im  letzten  Jahre  schon  521000  Tonnen,  Japan  233000 
Tonnen  vom  Stapel  gelassen.  Im  laufenden  Jahre  werden  sich  diese  Ziffern  noch 
sehr  erheblich  erhöhen.  Dazu  kommt  aber  weiter,  daß  gerade  diese  beiden  Länder 
ebenso  wie  die  europäischen  Neutralen  die  Hochkonjunktur  am  Frachtenmarkt 
bis  in  die  letzten  Konsequenzen  hinein  ausnützen  können.  Einmal  waren  sie  im 
Gegensatz  zu  den  Engländern  nicht  an  die  Blaubuchraten  gebunden,  dann  aber 
sind  ja  in  diesen  Ländern  die  Kriegsgewinnsteuern,  sofern  sie  überhaupt  erhoben 
werden,  äußerst  bescheiden,  und  ermöglichen  also  eine  ungeheuere  Stärkung  der 
Finanzkraft  früher  recht  bescheidener  Gesellschaften,  die  selbst  die  englische 
Konkurrenz  weit  hinter  sich  läßt.  Alle  diese  Umstände  zeigen,  daß  die  deutschen 
Reedereien  nach  dem  Kriege  keinen  leichten  Stand  haben  werden. 

Ueber  den  holländischen  Plan  einer  Trockenlegung  der 
Zuidersee  (vgl.  Chronik  für  1916,  S.  760)  wurde  in  dem  „W.  N.  D. 
Deutscher  Ueberseedienst"  vom  12.  Juli  1917  folgendes  mitgeteilt:  In 
der  Kammer  gelangte  der  Gesetzentwurf  betreffs  Trockenlegung  der 
Zuidersee  zur  Verhandlung.  Zahlreiche  Abgeordnete  traten  lebhaft  für 
das  Projekt  ein  und  sehen  in  ihm  gewissermaßen  die  Krönung  der  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  von  Holland  vorgenommenen  Abdämmungen 
und  Austrocknungen.  Andere  dagegen  sind  wesentlich  bedenklicher 
gestimmt,  und  obwohl  auch  sie  die  Lichtseiten  des  Unternehmens  ge- 
bührend würdigen,  können  sie  sich  nicht  für  die  Ausführung  entscheiden, 
da  ihnen  vor  allem  die  finanzielle  Seite  zu  unsicher  erscheint.  Die 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Volkswirtsch .  Chronik.  1017.  XXXII 


—     486    — 

Finanzlage  Hollands  sei  sowieso  recht  schwierig,  und  deshalb  wäre 
es  unangebracht,  sie  durch  Eingehen  neuer  Verbindlichkeiten  noch  ver- 
wickelter zu  gestalten.  Die  Anhänger  des  Planes  entgegnen  hierauf, 
daß,  wenn  auch  in  den  letzten  Jahren  große  Anforderungen  an  den 
Staatsschatz  gestellt  worden  sind,  doch  offenbar  geworden  sei,  daß  die 
geldliche  Leistungsfähigkeit  der  Nation  viel  größer  sei,  als  man  vermutet 
habe.  Außerdem  erwarte  man,  daß  die  neu  zu  gewinnenden  Ländereien 
sich  bezahlt  machen  und  somit  keine  dauernden  Lasten  ftlr  die  Allge- 
meinheit entstünden. 

Der  von  der  Regierung  vorgeschlagene  Weg,  mit  Eindämmung  der  Zuidersee 
zu  beginnen,  fand  allgemeinen  Anklang,  obwohl  einige  Mitglieder  Bezweifeln,  daß 
das  vorgesehene  Becken  LYsselmeer")  zur  Ansammlung  des  Ysselwassers  während 
der  Flut  ausreichen  wird.  Es  wurde  auch  auf  den  Vorteil  der  durch  die  Aus- 
trocknung ermöglichten  kürzeren  Bahnverbindung  zwischen  Nord -Holland  und 
Friesland  hingewiesen.  Die  Bahnstrecke  Amsterdam— Leeuwarden  würde  um  56  km 
verkürzt.  Der  von  der  Regierung  vorgesehene  Zeitraum  von  9  Jahren  zur  Aus- 
führung der  Arbeiten  wurde  vielfach  als  zu  kurz  bezeichnet,  da  allein  die  nötigen 
Enteignungen  2—3  Jahre  beanspruchen  dürften.  Man  ginge  deshalb  kaum  fehl, 
wenn  man  eine  Ausführungszeit  von  ca.  18  Jahren  annehme.  Auch  seien  die  in- 
direkten Vorteile  der  Trockenlegung  keineswegs  über  jeden  Zweifel  erhaben,  und 
vielfach  wird  befürchtet,  daß  nach  Abschließung  der  Zuidersee  eine  viel  stärkere 
Belastung  der  Groninger  und  friesischen  Deiche  eintreten  wird,  da  diese  alsdann 
bei  Hochwasser  weit  stärkerem  Druck  standhalten  müßten.  Desgleichen  behaupten 
verschiedene  Abgeordnete,  daß  die  für  Entschädigung  der  Anliegen  ausgeworfenen 
Summen  zu  niedrig  bemessen  seien.  Eine  günstige  Einwirkung  auf  die  Arbeits- 
losigkeit sei  von  dem  Unternehmen  kaum  zu  erwarten,  da  hauptsächlich  Maschinen- 
arbeit bei  der  Ausführung  in  Betracht  kommt.  Der  Zuwachs  an  Grund  und 
Boden  kann  unter  gewissen  Umständen  allerdings  von  größtem  Vorteil  sein, 
anderseits  darf  aber  auch  mit  Recht  die  gute  Beschaffenheit  des  neu  zu  gewinnenden 
Geländes  angezweifelt  werden.  An  Widerspruch  seitens  der  Anhänger  fehlte  es 
nicht,  dagegen  griff  die  Gegenpartei  wiederum  die  Rentabilitätsberechnung  der 
Regierung  an.  Der  Wert  der  neuen  Polder  sei  entschieden  zu  hoch  eingesetzt. 
AiSerdem  sei  die  Berechnung  durch  Annahme  eines  nur  472-proz.  Rentensatzes 
günstig  gefärbt;  denn  die  Befürchtung  läge  nahe,  daß  nach  dem  Kriege  mit  6  Proz. 
gerechnet  werden  müsse.  Es  wurde  Sisdann  noch  über  die  Einwirkung  der 
Trockenlegung  auf  die  Landesverteidigung  verhandelt.  p.  Arndt, 

V.  Versicherungswesen. 

Inhalt:  1.  Privatversicherung.  Deutschland.  Ausdehnimg  und 
Neugründungen  in  der  Transportversicherung.  Die  Großrisiken  in  der  Transport- 
versicherung. Gegen  die  deutschen  Seeversicherungsgesellschaften  in  Amerika. 
Die  Privatfeuerversicherung  im  Krieg.  Die  deutschen  imd  österreichisch-ungari- 
schen Lebensversicherungsgesellschaften  im  Krieg.  Ausland.  Französische 
Tontinengesellschaften  im  Krieg.  Lage  des  engHschen  Versicherun^marktes. 
Steigerung  der  Versicherungssätze  in  England.  !&richtung  eines  Versicherungs- 
Clearing-House  in  London. 

2.  Sozialversicherung.  Deutschland.  Konferenz  der  Landesver- 
sicherungsanstalten. Sozialversicherungspläne  der  bayerischen  Verkehrsverwaltung. 
Versicherungspflicht  polnischer  Arbeiter.  Ausland.  Abänderung  der  öster- 
reichischen Unfallversicherung. 

1.    Privatversicherung. 
Die  auffälligen  Au sdehnungs-  und  Neugrtindungsbestre- 
bungen   in    der  Transportversicherung  —  so  heißt  es  in  der 
„Frankfurter  Zeitung"  —  sind  auch  in  den  letzten  Monaten  nicht  zur 


-    487    - 

Ruhe    gekommen ,    und    anscheinend   stehen  wir   noch   immer   nicht  am 
Ende  dieser  Bewegung. 

Es  ist  hier  und  in  der  Fachpresse  mehrfach  darauf  hingewiesen  worden, 
daß  gegenüber  diesem  großen  Eifer  die  bisher  gewiß  nicht  rückschlagsfreien  Er- 
folge des  Transportversicherungsgeschäfts  (Deutsche  Transport  -  A.-G. ,  oder  gar 
„Germania")  zur  Vorsicht  raten,  und  daß  die  Betätigungsmöglichkeiten  während 
des  Kriegs,  sowie  die  Aussichten,  die  sich  im  kommenden  Frieden  bei  wahrschein- 
lich verstärkter  Konkurrenz  eröffnen,  weitgehende  Reserve  anempfehlen.  Trotz- 
dem hat  bis  in  die  letzte  Zeit  hinein  die  Gründungsära  angehalten.  In  der  folgen- 
den Tabelle  ist  versucht,  die  Neuerscheinungen  nach  oberflächlicher  Verfolgung 
in  Gruppen  zusammenzustellen.  Auf  Vollständigkeit  macht  die  Tabelle  keinen 
Anspruch.  In  der  Hauptsache  sind  es  am  Meere  sitzende  Kreise,  die,  auf  Ver- 
bindungen und  Freundschaften  in  Hafenstädten  gestützt,  besonders  rührig  waren. 
Nur  einige  wenige  Transportversicherungskonzerne,  wie  z.  ß.  derjenige  der  Münchener 
Rückversicherungs-Gesellschaft,  haben  sich  bisher  still  verhalten,  offenbar,  weil 
sie  glauben,  für  die  kommenden  Ansprüche  genügend  gerüstet  zu  sein.  Aller- 
dings waren  diese  Konzerne  schon  in  der  Vergangenheit  weitgehend  ausgebaut, 
und  es  gehört  vielfach  zu  den  Motiven  der  gegenwärtigen  Expansion  auch  das 
Bestreben,  ein  vorhandenes  Agentennetz  durch  Komplettierung  der  Versicherungs- 
zweige nutzbringender  zu  verwerten. 
Norddeutsche  Vers.-Ges.,  Hamburg  (Kap.  16  MiU.  M.  mit  25  Proz.  Einz.) 
Kapitalserhöhung  bei 
Hanseatische  Vers.-A.-G.  von  1877  (um  3  Mül.  M.  auf  8  Mill.  M.) 
Ocean  Versich.-A.-G.  (um  1  Mill.  M.  auf  2  Mill.  M^ 

Berlin-Hamb.  Land-  u.  Wass.-Trsp.-A.-G.  (um  2,25  MiU.  M.  auf  3  MiU.  M.) 
Neugründung  der 

Hamburger  Lloyd  Versich.-A.-G.  (Kap.  6  Mill.  M.) 
noch  in  Gründung 
Lübecker  Transport- Vers.-A.-G.  ^ap.  ca.  2  Mill.  M.  mit  25  Proz.  Einz.) 
Frankfurter  AUgemeine  Versich.-A.-G. 
Kapitalserhöhung  um  1,50  Mill.  M.   auf  20,50  MiU.  M.   (mit  25  Proz.  Einz.) 
zwecks  Uebernahme  der 
Deutschen  Transport- Vers.-A.-G.  (Kap.  1,20  Mül.  M.  voUgez.) 
Deutschen  Rück-  u.  Mitvers.-A.-G.  (Kap.  1,50  Mül.  M.  mit  25  Proz.  Einz.) 
dagegen  Abstoßung  in  1915  der 
Frankona  Rück-  u.  Mitvers.-A.-G. 
Securitas  Versich.-A.-G.  Bremen  (früher  Berlin) 
Kapitalerhöhung  um  6  Mül.  M.  auf  8  MiU.  M.  zwecks  Aufnahme  der 

Direkten  Transportversicherung 
Interessengemeinschaft  (in  1916)  mit 

Albingia  Hamb.-Düsseldorf.  Vers.-A.-G. 
dagegen  in  1916  Abstoßung  der 

Securitas  Feuer- Versich.-A.-G.  Berlin. 
Kapitalserhöhungen : 
Assecuranz  Union  von  1865,  Hamburg 

um  4  Mül.  M.  auf  8  MiU.  M.  (mit  25  Proz.  Einz.) 
Deutsche  Versich.-Ges.,  Bremen 

um  0,64  Mül.  M.  auf  3  Mül.  M.  (mit  25  Proz.  Einz.} 
Atlantic  Transp.- Versich.-A.-G.,  Stettin  (Reeder  Retzlaff) 

um  2  Mül.  M.  auf  4  Mül.  M.  (mit  25  Proz.  Einz.) 
Baltische  Versich.-A.-G.,  Rostock 
um  0,50  Mül.  M.  auf  1  MilL  M. 
Hansa,  Allgemeine  Versich.-A.-G.,  Hamburg 

um  3  MiU.  M.  auf  8  Mül.  M.  (mit  25  Proz.  Einz.). 
Sonstige  Neugründungen: 
Nürnberg.  Rückvers.-A.-G.  (Kap.  5  Mül.  M.  mit  35  Proz.  Einz.) 
Deutsche  Vers.-Bank  A.-G.,  Köln  (Kap.  3MiU.M.)  durch  Kronprinz-Rhein.  Feuer 
Mitteleuropäische  Vers.-A.-G..  Köln  (Kap.  2  Mill.  M.  mit  25  Proz.  Einz.)  durch 
Agrippina-Kölner  Lloya 

XXXII* 


—    488    — 

See -Gilde,   Hamburg,   nach  dem  Muster  von  Lloyds  unter  Beteiligung  von 
Waren-  und  Schiffahrtsfirmen, 
Transport- Versicherung  nahmen  auf 

Aacnen  u.  Münchener  Feuer- Vers.-A.-G. 

Württemberg.  Feuer- Vers.-Ges. 

Gladbacher  Versich.-Ges. 

Badische  Feuer- Versich.-Bank 

Thuringia  durch  Angliederung  der  Fortuna  Allg.  Vers.-A.-G. 
Die  Beweggründe  für  diese  Erweiterungen  sind  oben  schon  gestreift.  Es 
spricht  in  erster  Linie  der  Wunsch  der  deutschen  Versicherer  mit,  nach  dem 
Ausscheiden  der  großen  englischen  Konkurrenz,  die  im  Frieden  im  deutschen 
und  im  internationalen  Geschäft  eine  erste  Rolle  spielte,  diese  Lücken  auszufüllen, 
und  auf  den  nach  dem  Kriege  zu  erwartenden  Risiken  ein  eigenes  Geschäft  auf- 
zubauen. Aber  schon  hier  ergibt  sich  ein  Einwand.  So  sehr  der  Ruf  „Los  von 
London"  auch  hier  Geltung  hat,  und  so  warm  der  Wunsch  nach  einer  Nationali- 
sierung des  Transportversicherungsgeschäfts  zu  unterstützen  ist,  ebenso  sehr  muß 
man  auf  der  anderen  Seite  fragen,  ob  gerade  in  der  Transportversicherungsbranche 
zu  weitgehende  Verlangen  in  dieser  Richtung  dauernd  Aussicht  auf  Erfüllung 
haben.  Die  Transportversicherung  hat  von  jeher  einen  stärkeren  internationden 
Charakter  gehabt  als  andere  Versicherungszweige,  und  sie  wird  ihn  wohl  auch 
nach  dem  Kriege  nicht  ganz  abstreifen  können.  Das  ist  auch  der  Grund  dafür 
gewesen,  daß  die  Transportversicherung,  um  ihre  Konkurrenzfähigkeit  gegenüber 
dem  Ausland  durch  umständliche  und  zeitraubende  Formalitäten  nicht  zu  er- 
schweren, dem  Aufsichtszwang  des  Kaiserlichen  Aufsichtsamtes  nicht  unterstellt 
wurde,  und  nach  meinen  Informationen  künftig  auch  nicht  unterstellt  werden 
wird.  Man  weiß  aus  der  Zeit  vor  dem  Krieg,  daß  es  in  Deutschland  für  einzelne 
Risiken  (besonders  Schiffsrumpf)  an  Deckungs-  und  Rückdeckungsmöglichkeit 
fehlte,  und  daß  in  solchen  Fällen  ausländische,  vor  allem  englische  Versicherer 
eintraten ;  wie  gelegentlich  auch  für  große  englische  Risiken  deutsche  Versicherer. 
In  Fachkreisen  ist  man  vielfach  der  Meinung,  daß  sich  hierin  auch  nach  dem 
Krieg  die  Bedürfnisse  allmählich  wieder  berühren  werden.  In  einer  kürzlichen 
Versammlung  des  im  Vorjahre  gegründeten  Versicherungswissenschaftlichen  Ver- 
eins in  Hamburg  hat  man  sich  dahin  ausgesprochen ,  daß  der  gegenseitige  Gre- 
schäftsbetrieb  auch  weiter,  allerdings  gegen  eine  Sicherheitsleistung,  gestattet  werden 
soUte.  Aber  bei  allem  Zutrauen  zu  der  Tüchtigkeit  von  Handel  und  Industrie 
und  bei  aller  Hoffnung  auf  die  Regsamkeit  der  deutschen  Schiffahrtskreise  wird 
schon  der  stark  verminderte  und  nur  allmählich  durch  Neubauten  wieder  auf  den 
alten  Stand  zu  bringende  Raumgehalt  eine  Einschränkung  bedingen.  Gegenüber 
der  Seeversicherung  spielt  doch  die  Binnentransportversicherung  eine  untergeord- 
nete Rolle.  Ob  der  nach  dem  Friedensschluß  von  der  Entente  angedrohte  Ge- 
schäftskrieg  wirklich  so  hitzig  durchgeführt  werden  wird,  wie  er  jetzt  gemeint  ist, 
mag  man  bezweifeln,  aber  sicherlich  ist  damit  zu  rechnen,  daß  der  deutsche  Außen- 
handel mit  zahlreichen  Erschwerungen  zu  rechnen  haben,  daß  er  nur  langsam 
wieder  in  Gang  kommen  wird,  daß  auch  aus  anderen  Gründen  die  Frage  der 
Einfuhr  große  Schwierigkeiten  bieten  dürfte.  Die  Risiken  selbst  werden  nacn  dem 
Krieg  unvergleichlich  viel  schlechter  sein  als  vorher.  Das  reine  Kriegsversicherungs- 
geschäft  hat  in  der  letzten  Zeit  allerdings  bessere  Resultate  geliefert,  dagegen 
waren  die  Verdienste  in  der  Seetransportversicherung  geringer.  Durch  die  Vor- 
schrift, daß  die  Dampfer  innerhalb  bestimmter  Routen  in  der  Nähe  der  Küste 
fahren  müssen,  wird  die  Gefalir  einer  Strandung  erheblich  vergrößert,  und  bei 
dem  schlechteren  Zustand  der  Schiffe,  ihrer  in  den  meisten  Fällen  schweren 
Ladung  und  bei  der  unter  jetzigen  Verhältnissen  stark  verkürzten  Möglichkeit 
baldiger  Abschleppung  bedeutet  heute  eine  Strandung,  die  im  Frieden  einen  ge- 
ringen Teil  Verlust  verursacht  hätte,  fast  immer  einen  Total  verlust  für  die  Ver- 
sicherungsgesellschaft. Die  stark  gestiegenen  Kosten  für  Bergung  und  Reparatur 
sind  vielfach  so  hoch,  daß  man  den  Dampfer  liegen  läßt  und  auf  Abschleppung 
verzichtet.  Die  Preisteuerung,  die  durch  den  Rückgang  unserer  Valuta  hervor- 
gerufen ist,  kommt  hinzu.  Auch  nach  dem  Kriege  werden  diese  Erschwernisse 
zunächst  noch  andauern,  und  auch  das  Risiko  wird  sich  nur  langsam  vermindern. 
Der  alte  Stamm  bewährter  Seeleute  ist  durch  Kriegsverluste  unzweifelhaft  reduziert 
worden,  die  Schiffe    haben   durch  langes  'Aufliegen  gelitten,   beseitigte  Schiffs- 


-    489    - 

zeichen  müssen  neu  angelegt  werden ,  und  die  Minengefahr  wird  durchaus  nicht 
sofort  mit  Friedensschluß  beseitigt  sein,  sondern  noch  auf  lange  Zeit  hinaus 
dauernde  Gefahren  in  sich  bergen,  und  zwar  nicht  nur  für  die  Schiffe,  sondern 
auch  für  die  Versicherer.  Ob  demgegenüber  die  künftigen  Prämiensätze  einen 
vollen  Ausgleich  bieten  werden,  ist  bei  der  künftigen  Vielzahl  der  Versicherer 
und  bei  dem  Mangel  an  Geschlossenheit  durchaus  nicht  sicher.  Aus  Eeeder- 
kreisen,  deren  Ansicht  in  diesem  Punkt  naturgemäß  den  Transport  Versicherungs- 
gesellschaften entgegengesetzt  sein  muß,  hört  man  trotz  der  augenblicklich  recht 
guten  Frachtgewinne  schon  vielfach  Klagen  über  zu  hohe  Prämien sätze;  das  er- 
klärt auch  das  früher  vorhandene  Bestreben  der  Keeder,  Einfluß  in  der  Verwaltung 
einzelner  Versicherungsunternehmen  zu  gewinnen,  bildet  ferner  wohl  den  tieferen 
Grund  für  manche  der  Neugründungen  (Atlantic  Vers.-A.-G.,  Seegilde!).  Von 
denjenigen  Gesellschaften,  die  sich  zur  Aufnahme  der  Transportversicherung  er- 
mächtigen ließen,  wollen  zwar  nur  einzelne  das  direkte  Geschäft  aufnehmen,  aber 
ob  die  anderen,  die  sich  nach  bisheriger  Mitteilung  nur  gelegentlich  betätigen 
wollen,  daran  für  lange  festhalten,  weiß  man  nicht.  Da  im  Gegensatz  zu  anderen 
Branchen  in  der  Transportversicherung  nur  einzelne  Eisiken  tarif arisch  geregelt 
sind,  ist  die  Gefahr  einer  stark  vermehrten  Konkurrenz  und  damit  stark  gedrück- 
ter Prämien  nicht  von  der  Hand  zu  weisen.  Dabei  würden  vermutlich  die  neuen 
Gesellschaften,  denen  erfahrungsgemäß  nicht  sofort  die  besten  Risiken  zufließen, 
weniger  günstig  abschneiden ,  als  die  alten ,  mit  starken  Reserven  ausgestatteten 
Unternehmen. 

Auch  auf  einige  andere  Gesichtspunkte  ist  noch  hinzuweisen.  Die  Rechts- 
lage über  manche  im  Kriege  entstandenen,  teilweise  sehr  beträchtlichen  Schadens- 
fälle ist  noch  ungeklärt.  Man  weiß  nicht,  ob  vor  dem  Krieg  abgeschlossene  Ver- 
träge, für  die  im  Krieg  die  Schadenspflicht  eintrat,  zu  erfüllen  sind  oder  nicht, 
hat  auch  keinen  Anhalt  dafür,  wie  sich  die  Versicherungsgesellschaften  gegenüber 
den  durch  die  feindlichen  Regierungen  aufgehobenen  Verträgen  verhalten  sollen. 
Das  gilt  zwar  mehr  für  die  bestehenden  Gesellschaften,  für  die  aber  ist  das  Vor- 
handensein und  das  Fortbestehen  der  1914  und  1916  gegründeten  beiden  Ver- 
sicherungsgesellschaften besonderer  Art,  die  neben  und  mit  den  privaten  Assekura- 
teuren  arbeiteten ,  für  die  künftigen  Aussichten  der  Transportversicherung  von 
größter  Bedeutung.  Vielleicht  kann  man  einen  weiteren  Grund  für  die  jetzige 
Ausdehnung  der  privaten  Versicherung  in  dem  Wunsch  mancher  Versicherer 
sehen ,  diese  beiden  Unternehmen ,  die  sich  während  des  Krieges  als  notwendig 
erwiesen,  für  die  Zeit  nach  dem  Kriege  dadurch  überflüssig  zu  machen,  daß  man 
die  private  Versicherung  selbst  genügend  stärkt. 

Ueber  die  Unterbringung  der  Großrisiken  in  der  Trans- 
portversicherung schreibt  die  „Frankfurter  Zeitung": 

Wie  man  trotz  unverminderten  Fortgangs  des  Weltkriegs  auf  den  ver- 
schiedensten Gebieten  von  Industrie  und  Handel  in  Deutschland  bereits  emsig 
Vorkehrungen  trifft  für  die  künftige  Friedenszeit  und  wie  man  bestrebt  ist,  Vor- 
aussetzungen zu  schaffen,  um  den  Uebergang  zu  ihr  möglichst  zu  erleichtern,  so 
ist  man  auch  im  Versicherungsgewerbe  bemüht ,  diese  Bestrebungen  nach  Mög- 
lichkeit zu  unterstützen.  Die  Tange  Dauer  des  Krieges  und  die  Abschnürung 
Deutschlands  von  ausländischer  Zufuhr  wird  es  mit  sich  bringen,  daß  sich  nach 
dem  Kriege  eine  lebhafte  Einfuhrbewegung  geltend  machen  wird,  um  erforder- 
liche Güter  und  Materialien  beizuschaffen,  und  man  wird  außerdem  bestrebt  sein, 
die  zurückgehaltene  Ausfuhrtätigkeit  möglichst  rasch  wieder  in  Gang  zu  bringen. 
Namentlich  von  und  nach  Uebersee  wird  ein  starker  Verkehr  zu  erwarten  sein. 
Das  wird  bedingen,  daß  den  deutschen:  Transportversicherungsgesellschaften  in 
der  Seetrau sport Versicherung  erhöhte  Aufgaben  und  erhöhte  Risiken  erwachsen 
werden,  zumal,  wenigstens  in  erster  Zeit  nach  dem  Kriege,  Rückversicherung  im 
Auslande  nur  in  gegen  früher  wesentlich  eingeschränkterem  Umfange  wird  ge- 
nommen werden  können.  Diesen  vermehrten  Aufgaben  gegenüber  waren  die 
deutschen  Transportversicherungsgesellschaften  in  letzter  Zeit  hemüht,  sich  mehr 
noch  als  bisher  stark  und  leistungsfähig  zu  machen.  Das  löste  eine  eifrige  Zu- 
sammenschlußbewegung aus.  Daneben  ging  Hand  in  Hand  eine  verstärkte  Grün- 
dung neuer  Transportversicherungs-Gesellschaften.  Jedenfalls  glaubt  sich  die 
deutsche  Transportversicherung   in  Zukunft   auch    großen   Aufgaben   gegenüber 


—    490    — 

durchaus  gewachsen,  und  sie  sucht  durch  eine  gegenseitige  Fühlungnahme  der 
einzelnen  Konzerne  ihre  Leistungsfähigkeit  noch  zu  erhöhen.  Nach  unseren  In- 
formationen wurde  zu  diesem  Zwecke  von  den  deutschen  Transportversicheruugs- 
gesellschaften  eine  Kommission  eingesetzt,  die  sich  mit  der  gemeinsamen  Be- 
handlung und  richtiger  Verteilung  großer  Risiken  in  der  Zukunft  befassen  soll. 
Außerdem  wurde  mit  den  Feuerversicherungsgesellschaften  eine  Verständigung 
erzielt,  wonach  sich  auch  diese  künftig  an  den  großen  Transportrisiken  beteiligen 
werden,  unter  diesen  Umständen  ist  in  Deutscnland  ein  Ausbau  der  Transport- 
versicherungsmacht zustande  gekommen,  die  auch  den  weitgehendsten  Anforde- 
rungen ßecnnung  zu  tragen  in  der  Lage  sein  wird.  Die  vorerwähnte  sogenannte 
„Großrisiken-Kommission"  hat  die  Aufgabe,  feste  Tarifsätze  für  die  hauptsäch- 
lichsten Stapelartikel,  wie  Erze,  Metalle,  Baumwolle,  Getreide  usw.  festzustellen. 
Sie  ist  gegenwärtig  mit  dieser  Aufgabe  befaßt ;  ihre  Arbeiten  sind  aber  noch  nicht 
zum  Abschluß  gelangt.  Es  ist  wohl  anzunehmen,  daß  die  Kommission  in  nicht 
zu  ferner  Zeit  zu  bestimmten  Vorschlägen  kommen  und  daß  durch  die  Ab- 
machungen dem  deutschen  Transportversicherungswesen  eine  Unterlage  gegeben 
wird,  die,  auch  ohne  ausländische  Beihilfe,  alle  Anforderungen  zu  tragen  vermag. 

Gegen  die  deutschen  Seeversicherungsgesellschaften 
in  Amerika  hat  Präsident  Wilson  eine  Bekanntmachung  erlassen, 
wonach  ihnen  die  weitere  Tätigkeit  in  den  Vereinigten  Staaten  unter- 
sagt und  den  amerikanischen  Versicherungsgesellschaften  die  Rück- 
versicherung mit  ihnen  verboten  wird.  Die  Zahlungen  auf  Grund  der 
bestehenden  Verträge  werden  während  des  Krieges  aufgehoben,  aus- 
genommen, wenn  es  sich  um  jetzt  auf  der  See  befindliche  Schiffe  handelt. 

Die  diesjährige  ordentliche  Generalversammlung  der  Vereinigung 
der  in  Deutschland  arbeitenden  Privat-Feuerversicherungs- 
gesellschaften  hatte  sich  in  erster  Linie  mit  verschiedenen  mit 
dem  Kriegszustande  zusammenhängenden  Fragen,  welche  für  das  deutsche 
Feuerversicherungswesen  von  Bedeutung  sind,  zu  beschäftigen.  Für  die 
Vorratsversicherungen  der  Kriegsgesellschaften,  welche 
mit  dem  Speditionsamte  der  Kriegsrohstoff gesellschaften  in  Verbindung 
stehen,  wurden  besondere  Vergünstigungen  in  Aussicht  gestellt,  ebenso 
für  Versicherungen  von  Lebensmitteln  der  Heeresverwaltung  der  preußi- 
schen Armeekorps  in  verschiedenen  Privatlägern ,  sofern  die  Versiche- 
rungen ohne  Inanspruchnahme  von  Vermittlern  bei  der  Gesamtheit  der 
interessierten  Vereinigungsgesellschaften  geschlossen  werden. 

Das  Speditionsamt  der  KriegsrohstoffgeseUschaften  ist  jedoch  trotz  des  zum 
Teil  außerordentlich  und  außergewöhnlich  großen  Umfanges  des  einzelnen  ßisikos 
zur  Selbstversicherung  geschritten,  während  bezüglich  der  Versicherungen  von 
Lebensmitteln  der  Heeresverwaltung  in  Privatlägern  ein  Uebereinkommen  mit 
der  zuständigen  Stelle  getroffen  wurde.  Was  die  Kisiken  der  Kriegsgesellschaften 
im  allgemeinen  angeht,  wurde  von  der  Vereinigung  mehrfach  darauf  hingCAviesen, 
daß  es  im  Interesse  der  Erhaltung  der  Vorräte,  welche  zurzeit  für  die  deutsche 
Volkswirtschaft  und  die  Lebenshaltung  des  Heeres  und  der  Einwohner  von  großer 
Wichtigkeit  sind,  mehr  als  bisher  zu  vermeiden  ist,  große  Werte  an  einer  Stelle 
—  zumal  in  leichtgebauten  Gebäuden  —  anzuhäufen  und  sie  dadurch  der  Gefahr 
leichterer  Vernichtung  im  ßrandfalle  auszusetzen. 

Das  Geschäft  im  Auslande,  besonders  im  überseeischen  Gebiet,  der  deutschen 
Feuerversicherungsgesellschaften  vor  dem  Kriege  ist  relativ  nicht  allzu  lunfang- 
reich  gewesen,  einzelne  Gesellschaften  haben  jedoch  seit  langen  Jahren  im  neutralen 
Auslande  wichtige,  bewährte  Niederlassungen;  es  wird  späterhin  ihre  Aufgabe 
sein,  dieselben  nach  Möglichkeit  zu  stützen  und  zu  erhalten  und  etwa  durch  die 
Kriegs  Verhältnisse  zerstörte  Beziehungen  wieder  aufzubauen. 

Nach  der  von  dem  Versicherungsstatistiker  Iranja  gelieferten  Zu- 
sammenstellung   des    Neugeschäfts    in    der    deutschen   und    öster- 


—    491      — 

reichisch-ungarischen  Lebensversicherung  weist,  wie  das 
„Neue  Wiener  Tageblatt"  berichtet,  die  Gresamtheit  der  Versicherungs- 
gesellschaften folgenden  Neuzugang  aus : 

Deutsche  Gesellschaften  Oest.-ung.  Gesellschaften 

1913  i]734  000  000  M.  Vers.-Kap.         975000000  K.  Vers.-Kap. 

1914  1260000000    „  „  743000000    „  „ 

1915  527000000    „  „  284000000    „ 

1916  617000000    „  „  344000000    „  „ 

Aus  diesen  Ziffern  ist  abzuleiten,  daß  bei  den  deutschen  Gesell- 
schaften der  Neuzugang  in  den  Jahren  1914  73  Proz.,  1915  30  Proz.^ 
1916  35  Proz.  desjenigen  des  letzten  Friedensjahres  1913  betragen  hat, 

Bei  den  österreichisch-ungarischen  Gesellschaften  betrug  der  Neu- 
zugang in  den  Jahren  1914  76  Proz.,  1915  29  Proz.,  1916  35  Proz. 
desjenigen  des  letzten  Priedensjahres  1913. 

Diese  Verhältniszahlen  sind  bemerkenswert;  sie  zeigen  eine  nahezu 
vollständige  Uebereinstimmung  in  der  Entwicklung  der  Lebensversiche- 
rung während  des  Krieges  in  den  verbündeten  Staaten;  sie  erweisen 
aber  auch,  daß  der  Energieaufwand,  mit  dem  die  heimischen  Lebens- 
versicherer die  abträglichen  Einflüsse  des  Krieges  auf  die  Fortentwick- 
lung der  Produktion  bekämpft  haben,  kein  geringerer  war  als  der  in 
Deutschland  betätigte. 

Ueber  französische  Tontinengesellschaften  im  Kriege, 
deren  Versicherte  im  Laufe  des  gegenwärtigen  Ki-ieges  sehr  trübe  Er- 
fahrungen gemacht  haben,  berichtet  die  „Oest.  Vers.-Zeitg."  : 

Die  französischen  Tages-  und  Fachblätter  erhalten  fortwährend  Briefe  von 
Versicherten  von  Tontinengesellschaften  —  bekanntlich  ist  dies  eine  der  belieb- 
testen Formen  der  Lebensversicherung  in  Frankreich  —  die  sich  darüber  be- 
schweren, daß  die  am  31.  Dezember  1916  fälligen  Tontinenauszahlungen  nicht 
erfolgten.  Ihnen  geht  es  nicht  besser  als  den  Tontinenmitgliedern,  die  bereits 
seit  Ende  1914  auf  ihre  Auszahlungen  warten.  Anstatt  Geld  wird  ihnen  im 
günstigsten  Falle  französische  Staatsrente  als  Abschlagszahlung  geboten  und 
Tange  Zirkulare,  in  welchen  sich  die  Tontinengesellschaften  entschuldigen,  ihren 
statutarischen  Verpflichtungen  nicht  nachzukommen,  sondern  sie  erst  nach  Be- 
endigung des  Krieges  erfüllen  zn  können.  Einige  Tontinengesellschaften  sind  je- 
doch bemüht,  den  Wünschen  ihrer  Mitglieder  wenigstens  in  der  Richtung  ent- 
gegenzukommen, daß  sie  ihnen  Teilzahlungen  anbieten.  So  z.  B.  offeriert  die 
Mutuelle  de  France  et  des  Colonies  für  je  600  frcs.  Gesamteinzahlungen  einen  3- 
proz.  Rentenschein,  der  18  frcs.  jährliche  Rente  trä^t  und  gegenwärtig  einen  Wert 
von  rund  360  frcs.  hat;  die  Mutuelle  Lvonnaise  bietet  eine  Eisenbannschuldver- 
schreibung im  Werte  von  ca.  323  frcs. ;  der  Conservateur  für  eine  Einzahlung  von 
2320  frcs.  einen  Rentenschein  über  40  frcs.  jährliche  Rente,  im  Werte  vod  ca. 
800  frcs.,  während  speziell  diese  Gesellschaft  einst  ihren  Versicherten  das  Drei- 
fache des  eingezahlten  Kapitals  in  Aussicht  stellte.  Und  dabei  werden  diese  Renten- 
titres  nicht  gleich,  sondern  erst  nach  Monaten  ausgefolgt,  wobei  den  Versicherten 
oft  mitgeteilt  wird,  daß  weiteres  Mahnen  wegen  früherer  Auszahlung  nicht  er- 
füllt werden  könne  und  daher  nutzlos  sei.  —  Bei  einer  anderen  Pariser  Gesell- 
schaft, der  „Mondiale",  haben  die  Versicherten  während  des  Krieges  die  Ent- 
deckung gemacht,  daß  die  Gesellschaft  erst  „nach  Einstellung  der  Feindsehgkeiten" 
in  jenen  Ländern,  in  denen  sie  arbeitet,  verpflichtet  ist,  irgendwelche  Zahlungen 
zu  leisten.  Vor  dem  Kriege  war  nur  davon  die  Rede,  daß  die  Versicherten  der 
„Mondiale"  während  eines  Krieges  keine  Prämien  zu  bezahlen  brauchten,  was 
ihnen  natürlich  recht  gut  paßte,  aber  es  wurde  ihnen  nicht  gesagt,  daß  auch 
die  Gresellschaft  die  fälligen  Vericherungen  nicht  auszuzahlen  brauchte.  Gegen- 
über diesen  ungeregelten  Verhältnissen  bei  vielen  französischen  Versicherungsge- 
sellschaften genügt  der  Hinweis  auf  die  strenge  Erfüllung  ihrer  VerpfÜchtungen 
bei  den  Lebensversicherungsgesellschaften  in  Deutschland  und  Oesterreich. 


—    492    — 

In  einem  in  der  „Frankfurter  Zeitung"  über  engliche  Wirtschafts- 
probleme -  erschienenen  Berichte  finden  sich  über  den  englischen 
Versicherungsmarkt  folgende  einer  englischen  Quelle  entnommenen 
Mitteilungen :  Was  die  äußerst  angespannten  Verhältnisse  für  Konsequen- 
zen auslösen,  läßt  sich  am  besten  am  Versicherungsmarkt  beobachten. 
Fast  alle  Prämien  gegen  Feuer,  Betriebsschäden  usw.  sind  heute  um  50  bis 
100  Proz.  erhöht  worden.  Feuerschäden  in  Lagerhäusern  und  Fabriken 
sind  anhaltend  häufig  und  schwer  —  ein  Zustand,  der  als  Symptom  der 
sozialen  und  industriellen  Desorganisation  gelten  kann.  Ebenso  wie 
eine  ungeheure  ßaupenseuche  im  Hochland  von  Derbyshire  zurückge- 
führt wird  auf  den  Bruch  mit  alten  Sitten  infolge  des  Krieges,  eben- 
so sind  die  Verwendung  inferiorer  Arbeitskräfte,  die  Lockerung  der 
Disziplin,  das  Heißlaufen  der  Transmissionen  und  die  Verwendung 
schlechten  Oels  Kriegsfolgen  und  Ursachen  der  vielen  Schadenfeuer  .... 
In  der  Tat  —  der  Krieg  ist  .überall ! 

Nach  „Fairplay"  hat  der  vor  einiger  Zeit  aufgetauchte  Plan,  in 
London  ein  Clearinghouse  für  das  Versicherungsge- 
schäft zu  errichten,  heftige  Kritik  gefunden,  und  der  Plan  wurde 
dann  aufgegeben. 

Nun  ist  die  Angelegenheit  unlängst  in  Eom  beraten  worden,  und  der  Ab- 
geordnete W.  W.  Rutnerford  hat  einen  Bericht  darüber  geliefert.  Darin  wird 
vorgeschlagen,  einen  Versicherungs verband  aller  Verbandsländer  zu  errichten,  um 
die  gesamten  Versicherungsfragen  in  allen  ihren  Erscheinungen  in  sämtlichen 
Verbandsländern  zu  lösen.  Die  Angelegenheit  in  dieser  Frage  zu  erörtern,  ist 
durch  die  ungewöhnliche  Art,  in  der  Deutschland  sein  Versicherungsgeschäft 
aufrechtzuerhmen  sucht,  hervorgerufen.  Das  im  Ausland  tätrge  deutsche  Ver- 
sicherungswesen ermöglicht  es  nämlich  der  Berliner  Regierung,  über  die  Ver- 
sicherungssätze und  die  Lage  einzelner  Handelszweige  und  Gewerbetreibender 
und  über  die  Preisbewegungen  Nachrichten  zu  erhalten,  die  zur  Förderung 
deutscher  Interessen  benutzt  wurden.  Nicht  weniger  als  47  deutsche  Rückver- 
sicherungsesgellschaften  gibt  es,  die  einen  großen  Teil  des  Versicherungsgeschäfts 
in  Italien,  Rußland  und  Rumänien  beherrschten.  Nachdem  aber  nun  die  Ver- 
bündeten gemerkt  haben,  wie  sie  in  früheren  Zeiten  ausgebeutet  worden  sind,  wird 
es  für  sie  nötig  sein,  Schritte  zu  unternehmen,  um  denselben  Fehler  für  die  Zu- 
kunft zu  vermeiden. 

2.  Sozialversicherung. 

In  Heidelberg  hat  die  diesjährige  Vollversammlung  der 
deutschenLandesversicherungsanstalten  stattgefunden.  Es 
wurde  dabei  eine  Entschließung  angenommen,  in  der  es  u.  a.  heißt: 

„In  der  Einrichtung  der  Beratungsstelle  für  Geschlechtskranke 
wird  ein  wichtiges  und  für  die  Zukunft  vielversprechendes  Mittel  er- 
blickt, um  dieser  Volksseuche  Herr  werden  zu  können.  Die  Tätigkeit 
der  Beratungsstellen  muß  sich  auf  die  vertrauensvolle  Zusammenarbeit 
mit  Krankenkassen  und  Aerzten  aufbauen.  Um  einem  Abwandern  der 
Geschlechtskranken  zu  Nichtärzten  vorzubeugen,  erachtet  die  Versamm- 
lung es  einstimmig  für  dringend  erforderlich,  daß  die  Behandlung  Ge- 
schlechtskranker durch  Nichtärzte  (Kurpfuscher)  oder  auf  schriftlichem 
Wege  durch  Reichsgesetz  verboten  wird." 

Gleichfalls  einstimmige  Annahme  fand  folgender  Antrag: 

„Der  seit  1901  in  verstärktem  Umfange  eingetretene  Geburten- 
rückgang fordert  unabweislich,  daß  ohne  jeden  weiteren  Verzug  in  groß- 


—    493    — 

zügiger  Weise  mit  wirksamen  Mitteln  eingegriffen  werde.  Soweit  es 
sich  dabei  um  eine  Minderung  der  wirtschaftliclien  Nöte  der  kinder- 
reichen Familien,  darunter  insbesondere  auch  der  Wohnungsnot,  und 
um  eine  Beeinflussung  der  Lebensauffassung  der  versicherungspflichtigen 
Bevölkerung  handelt,  ist  bei  einem  zweckentsprechenden  Ausbau  der 
Sozialversicherung  von  deren  als  Stützen  der  Volkskraft  bewährten 
Trägern  eine  erfolgreiche  Tätigkeit  zur  Bekämpfung  des  Geburtenrück- 
ganges zu  erwarten. 

Eine  Verminderung  der  Kapitaldeckung  bei  der  Invaliden-  und 
Hinterbliebenenversicherung  und  der  Ersatz  der  außerordentlich  kost- 
spieligen besonderen  Angestelltenversicherung  durch  einen  den  Be- 
teiligten sofort  Hilfe  bringenden  Ausbau  der  allgemeinen  Invaliden-  und 
Hinterbliebenenversicherung  werden  geeignete  Wege  bieten,  um  die 
Tragung  der  neuen  Lasten  zu  erleichtern." 

Der  vom  bayerischen  Verkehrsministerium  ausgearbei- 
tete Entwurf,  der  auf  dem  Wege  sozialer  Versicherung,  und  zwar  durch 
Kinderzulagenversicherung,  Hinterbliebenen-  und  Kapitalver- 
sicherung, die  mißliche  Lage  der  Beamten  heben  will,  wird  im  nächsten 
Landtag  vorgelegt  werden. 

Ueber  die  Versicherungspflicht  polnischer  Arbeiter 
erläßt  die  Landesversicherungsanstalt  Brandenburg  folgende  Bekannt- 
machung: 

Die  polnischen  Arbeiter  ehemals  russischer  Staatsangehörigkeit  können  seit 
dem  5.  November  1916,  dem  Tag  der  Errichtung  des  Königreichs  Polen,  nicht 
mehr  als  Angehörige  eines  feindlichen  Staates  angesehen  werden.  Sie  unterliegen 
daher  von  dem  genannten  Zeitpunkt  ab  wie  Inländer  dem  Versicherungszwange 
ohne  Kücksicht  darauf,  ob  sie  bei  Beginn  des  Krieges  hier  zurückgehalten  oder 
erst  später  freiwillig  zur  Arbeitsleistung  hergekommen  sind.  Für  sie  sind  deshalb 
—  soweit  sie  nicht  schon  vorher  als  freie  Arbeiter  dem  Versicherungszwange  unter- 
lagen —  in  versicherungspflichtiger  Beschäftigung  jedenfalls  vom  5.  November 
1916  ab  durchweg  Versicherungsmarken  in  Quittungskarten  zu  verwenden,  auch 
wenn  sie  in  land-  und  forstwirtschaftlichen  Betrieben  beschäftigt  werden.  Die 
Bestimmung  aus  dem  Jahre  1901,  wonach  für  russisch-polnische  Zeitarbeiter  in 
der  Land-  und  Forstwirtschaft  vom  Arbeitgeber  nur  die  halben  Beiträge  in  bar 
an  die  Versicherungsanstalt  zu  entrichten  sind,  findet  auf  die  Angehörigen  des 
Königreichs  Polen  keine  Anwendung  mehr.  Sie  besteht  dagegen  noch  für  die 
österreichisch-polnischen  land-  und  forstwirtschaftlichen  Zeitarbeiter  weiter,  von 
deren  Beschäftigung  daher  die  Arbeitgeber  wie  bisher  der  Versicherungsanstalt 
Anzeige  zu  erstatten  haben.  —  Was  die  Angehörigen  feindlicher  Staaten  anlangt, 
so  werden  sie  regelmäßig  dann  als  freie  Arbeiter  von  der  Invalidenversicherung 
erfaßt,  wenn  sie  nicht  auf  Grund  von  Maßnahmen  der  deutschen  Heeresverwaltung 
zum  Zwecke  ihrer  Beschäftigung  nach  Deutschland  gekommen  oder  übergeführt 
und  auch  nicht  interniert  worden  sind. 

Das  österreichische  Abgeordnetenhaus  hat  nach  Entgegennahme 
des  Berichts  des  Sozialversicherungsausschusses  über  eine  Regierungs- 
vorlage betr.  die  Abänderung  einiger  Bestimmungen  der  Arbeiter- 
unfallversicherung diese  angenommen. 

Via.  Geld,  Kredit,  Währung. 

Inhalt:  1.  Der  internationale  Geldmarkt  und  die  Entwicklung 
in  den  wichtigeren  Ländern  während  des  Monats  Juli. 

2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung,  a)  Banken  im  In-  und 
Auslande,    b)  Kreditwirtschaftliche   Maßnahmen   in  Deutschland   und 


—    494    — 

den  besetzten  Gebieten  Belgiens,  Russisch-Polens,  England,  den  Niederlanden,  den 
Ver.  Staaten  von  Amerika,  c)  Bargeldloser  Zahlungsverkehr  in  Deutsch- 
land und  den  besetzten  Gebieten  Russisch- Polens,  d)  Börsen  wesen  in  Deutsch- 
land, Oesterreich- Ungarn,  e)  Währungs- und  Notenbankwesen  in  Deutsch- 
land und  den  besetzten  Gebieten  Rußlands,  Bulgarien,  den  Niederlanden  und 
den  von  Oesterreich- Ungarn  verwalteten  besetzten  Gebieten  Polens  und  Serbiens, 
Schweden,  den  Ver.  Staaten  von  Amerika,  Argentinien,  Britisch-Indien,  Kolumbien, 
Mexiko,  Venezuela. 

3.  Statistik.     Uebersicht  über  den  Stand  der  hauptsächlichen 
Notenbanken  und  der  Bankzinssätze. 

1.  Der  internationale  Geldmarkt  und  die  Entwicklung 
in  den  wichtigeren  Ländern  während  des  Monats  Juli. 
Die  auf  verschiedene  Gründe  zurückzuführende  Erschwerung  der 
Zufuhr  von  Lebensmitteln  und  Rohstoffen  in  die  neutralen  Länder  übte 
auch  auf  den  internationalen  Geldmarkt  ihre  Wirkung  aus. 
Bei  der  immer  stärker  hervortretenden  Neigung  der  neutralen  europäischen 
Länder,  Goldrimessen  zurückzuweisen  ^)  und  ihren  Markt  dem  Kredit- 
begehr der  kriegführenden  Länder  zu  verschließen,  war  die  bisher  noch 
vorhandene  Wareneinfuhr  aus  den  Verbandsländern  für  diese  der  wich- 
tigste Aktivposten  2)  ihrer  passiven  Zahlungsbilanz  gegenüber  den  Neu- 
tralen gewesen.  Der  Wegfall  dieses  Aktivpostens  führte  daher  —  trotz 
der  kräftigen  finanziellen  Hilfe  der  Vereinigten  Staaten  S)  —  zu  einer 
weiteren  Entwertung  der  Devisenkurse  der  Verbandsländer 
einschließlich  der  Union.  Während  des  Berichtsmonats  vollzog  sich 
diese  Entwertung  in  einem  bisher  noch  nicht  beobachteten  Ausmaß. 
Die  Verschlechterung  betrug  für  die  Devisen  der  wichtigeren  krieg- 
führenden Staaten : 

in  Amsterdam 
Proz. 
für  die  Devise  Englands  i,s 

„      „         „       Frankreichs  i,i 

„      „         „       der  Ver.  Staaten  i,2 

„      „         „        Deutschlands  i,7 

Aus  der  Tabelle  geht  gleichzeitig  hervor,  daß  sich  die  deutschen 
Wechselkurse  zwar  ebenfalls  weiter  verschlechterten,  daß  ihre  Ent- 
wertung jedoch,  von  Amsterdam  abgesehen,  in  langsamerem  Tempo  vor 
sich   ging   als    die    der  Devisen    der  Verbandsländer  ^).     Auch   für  ver- 


in  Stockholm 

in  Zürich 

Proz. 

Proz. 

7,3 

5,ä 

6,7 

5,1T5 

7,5 

5,5 

4,5 

4,5 

1)  So  setzte  z.  B.  die  Bank  von  Spanien  den  Ankaufspreis  für  Golddollars  auf 
4,90  Pesetas  (5,4  Proz.  Disagio  bei  einer  Parität  von  5,18  Pes.  für  1  $),  für  Sovereigns 
auf  24,75  Pesetas  (1,9  Proz.  Disagio  bei  einer  Parität  von  25,22  Pes.  für  1  £  Stlg.)  herab. 

2)  Vgl.  „The  Statist"  vom  4.  August  1917,  S.  178. 

3)  Die  von  uns  auf  S.  352  vertretene  Ansicht,  daß  die  Verbandsländer  ohne  das 
Eingreifen  der  Vereinigten  Staaten  hinsichtlich  der  Begleichung  ihrer  Auslandsver- 
pflichtungen bald  zusammengebrochen  wären,  wird  durch  die  Aeußerungen  Bonar  Laws 
im   Unterhaus   vom   24.  Juli   und   der   englischen  Presse   bestätigt   (vgl.  „Statist"    vom 

4.  August,  S.  191,  „Fairplay"  vom  2.  August).    Nach  „The  Economist"  vom  11.  August, 

5.  199  hatten  die  Verbandsmächte  vor  der  Kriegserklärung  Amerikas  hier  2381  Mill.  $ 
Anleihen,  außerdem  etwa  100  Mill.  $  Bankkredite  erhalten;  bis  zum  2.  August  1917 
kamen  alsdann  insgesamt  1868  Mill.  $  Kredite  hinzu. 

4)  Vgl.  die  wertvollen  Ausführungen  des  holländischen  Finanzministers  Treub  in 
seiner  Schrift  über  „Die  wirtschaftliche  Zukunft  Hollands".  In  dem  Abschnitte  „Die 
Warenpreise  nach  dem   Kriege"   wird   die   Entwertung  der   Wechselkurse  aller  krieg- 


—    495     - 

schiedene  neutrale  Länder  spitzte  sich  das  Devisenproblem  immer 
schärfer  zu^). 

Der  deutsche  Geldmarkt  zeigte  wieder  das  gewohnte  Bild 
großer  Geldflüssigkeit.  Die  restlichen  Einzahlungen  auf  die  6.  Kriegs- 
anleihe gingen  unbemerkt  vonstatten  2).  Der  Privatdiskont  wurde 
unverändert  mit  4^8  Proz.  und  darunter  notiert.  Die  Sätze  für  täg- 
liches Geld  und  Ultimogeld  stellten  sich  etwas  niedriger  als  im 
Vormonat. 

Im  Ausweis  der  deutschen  Reichsbank  war  ein  weiterer  — 
zweiter  —  Rückgang  des  Gold  Vorrats  (um  56,2  Mill.  M  in  der  dritten 
Juliwoche)  bemerkenswert  3).  Demgegenüber  hat  sich  der  Silbervorrat 
durch  Rückflüsse  aus  dem  Verkehr  infolge  der  verfügten  Außerkurs- 
setzung der  Zweimarkstücke  um  12  Mill.  M  erhöht.  Die  Steigerung 
der  Anlage  um  188, .8  Mill.  M  wurde  durch  eine  entsprechende  Zunahme 
der  fremden  Gelder  fast  wettgemacht. 

Auf  dem  englischen  Geldmarkte  setzte  sich  —  namentlich 
im  Zusammenhang  mit  dem  Fälligwerden  und  dem  Neuabsatz  von  treasury 
bills  *)  —  das  Wechselspiel  von  Geldflüssigkeit  und  Geldknappheit  fort, 
das  schon  für  die  letzten  Monate  charakteristisch  gewesen  war.  Die 
ungelösten  Fragen  der  Wechselkurse^)  und  der  niedrigeren  Zinssätze 
verursachte  weiter  große  Sorge  ^),  zumal  die  Entwicklung  des  Geldmarktes 
der  Vereinigten  Staaten  wenig  befriedigte. 


führenden  Länder  gegenüber  Holland  darauf  zurückgeführt,  daß  die  Einfuhr  aus  Holland 
in  jene  Länder  größer  ist  als  die  Ausfuhr  der  Länder  nach  Holland  und  daß  die 
Differenz  wegen  der  bestehenden  Goldausfuhrverbote  oder  wegen  tatsächlicher  Erschwerung 
der  Goldausfuhr  (England)  nicht  in  Gold  beglichen  werden  kann.  Die  neutralen  Länder 
Holland,  Schweden  usw.  hätten  daher  keine  Veranlassung,  sich  gegen  die  Hereinnahme 
von  Gold  zu  sperren,  sie  brauchten  keine  Ueberschwemmung  mit  Gold  zu  fürchten. 
(Vgl.  auch  die  holländischen  „Ec.  Stat.  Berichten"  vom  1.  August,  S.  567/8,  und  „Statist" 
vom  4.  August,  S.  178.) 

1)  Die  Schwierigkeiten  Hollands  in  der  Bezahlung  der  Holzeinfuhr  aus  Schweden 
führten  schließlich  dazu,  daß  den  holländischen  Importeuren  die  Einfuhr  von  ihrer  Re- 
gierung nur  noch  gestattet  wurde,  wenn  sie  eine  Bezahlung  in  holländischer  Valuta 
ausbedangen.  —  Zwischen  Holland  und  der  Schweiz  wurden  die  Schwierigkeiten  erst 
nach  längeren  Verhandlungen  behoben  und  zwar  durch  eine  Goldausfuhr  von  2.5  Mill.  fl. 
—  Das  Disagio  der  dänischen  Krone  in  Schweden  stieg  auf  12  Proz. 

2)  Das  Reichsschatzamt  brachte  einen  weiteren  Kriegskredit  von  15  Milliarden  M 
ein;  der  Gesamtbetrag  der  Kredite  stieg  damit  auf  94  Milliarden  M. 

3)  Das  Reichsbankdirektorium  hat  beschlossen,  die  Abgabe  von  Rohgold  zur  Her- 
stellung echter  Inlandswaren  ganz  einzustellen. 

4)  Die  Summe  der  ausstehenden  Schatzwechsel  erhöhte  sich  von  652  Mill.  £  (am 
30.  Juni)  auf  758  Mill.  £  (am  4.  August) ;  unter  diesen  Umständen  wurde  mehrfach  die 
Auflegung  einer  neuen  Anleihe  empfohlen  (vgl.  „Statist"  vom  21.  Juli,  S.  84). 

5)  Anscheinend  um  die  Einwirkung  des  Tauchbootkrieges  auf  die  Außenhandels- 
statistik abzuschwächen,  enthält  die  englische  Statistik  für  Juli  zum  ersten  Male  auch 
die  Regierungseiu-  und  -ausfuhren  mit  Ausnahme  der  Ausfuhren  für  die  Zwecke  der 
Heere  auf  den  verschiedenen  Kriegsschauplätzen  („Econ."  vom  18.  August,  S.  236). 

6)  Der  eben  erst  auf  472  Proz.  herabgesetzte  Zinsfuß  für  3-  und  6-monatige  Schatz- 
wechsel mußte  schon  am  3.  Juli  wieder  auf  4^^  Proz.  erhöht  werden,  da  der  Verkauf 
bei  dem  niedrigen  Satze  und  wegen  des  Abflusses  von  Guthaben  nach  dem  Ausland 
nur  schlecht  vonstatten  ging.  Am  16.  Juli  mußten  1  Mill.  £  einjähriger  "Wechsel  der 
Stadt  Moskau  erneuert  werden.  Die  Verlängerung  der  ursprünglich  4^/3 -proz.  Wechsel 
erfolgte  zu  einem   Zinssatz   von   7  V2  Pioz.   bei   einem  Kurse   von  92  Y,  Proz.   —   Am 


—    40    — 

Der  Privatdiskontsatz  schwankte  zwischen  4^/gUnd  4^%^  Proz. 
und  stellte  sich  im  Monatsdurchschnitt  ein  wenig  höher  als  im  Juni. 
Tägliches  Geld  war  dagegen  im  allgemeinen  etwas  billiger  als  im 
Vormonat  —  durchschnittlich  zu  3,8  Proz.  (gegen  3,9  Proz.)  —  zu  er- 
halten. 

Der  Status  der  Bank  von  England  zeigte  eine  beträchtliche 
Verminderung  des  Barvorrats  (um  5,079  Mill.  £).  Die  Anlagen  erhöhten 
sich  um  15,598  Mill.  £,  die  fremden  Gelder  im  Zusammenhang  damit 
um  9,266  Mill.  £.  Der  Zahlungsmittelbedarf  war  wieder  besonders 
stark  und  ließ  den  Betrag  der  ausstehenden  currency-notes  um 
nahezu  6,9  Mill.  £  auf  168,5  Mill.  £  anwachsen. 

Der  Londoner  Silberpreis  erreichte  mit  41 V4  d  für  die 
Standardunze  (am  16.  Juli)  einen  seit  März  1892  in  dieser  Höhe  nicht 
mehr  bekannt  gewordenen  Stand  ^). 

Auf  dem  französischen  Geldmarkt  traten  im  Berichtsmonat 
insofern  keine  erheblichen  Veränderungen  ein,  als  die  Auflegung  einer 
großen  festen  Anleihe,  die  angesichts  der  Höhe  der  nur  kurzfristig  ge- 
deckten und  der  bisher  jeglicher  Deckung  entbehrenden  Staatsschuld 
wünschenswert  erschien  und  in  der  gesamten  Finanzpresse  seit  Monaten 
lebhaft  erörtert  worden  war,  weiter  vertagt  wurde  und  man  sich  mit 
kurzfristiger  Geldbeschaffung  durch  Absatz  von  Nationalverteidigungs- 
wechseln  behalf  2).  Besondere  Aufmerksamkeit  mußte  der  Präge  der 
Wechselkurse  3)  geschenkt  werden,  ein  Beweis  für  die  Wirkungslosig- 
keit der  amerikanischen  Hilfe.  Durch  Verordnung  vom  6.  Juli  1917 
wurde  eine  besondere  „Commission  des  changes"  geschaffen,  auf  deren  An- 
regung zweifellos  die  neuen  gesetzlichen  Bestimmungen  zur  Regelung 
des  Devisenverkehrs  zurückzuführen  sind  (Identitätsnachweis  des  De- 
visenkäufers, Register-  und  Anmeldepflicht  des  Devisenhändlers)*). 

Der  Status  der  Bank  von  Frankreich  zeigte  im  Berichts- 
monat eine  weitere  starke  Anspannung.  Die  Zunahme  des  Notenum- 
laufs betrug  fast  eine  halbe  Milliarde  frcs  ^),  die  Neubeanspruchung  der 


26.  Juli  wurde  eine  neue  Kreditforderung  von  650  Mill.  £  eingebracht  (vgl.  „The  Eeon." 
vom  28.  Juli,  S.  110).  —  „The  Econ."  vom  4.  August,  S.  151  berechnet  die  Gesamt- 
ausgaben Englands  vom  1.  August  1914  bis  4.  August  1917  auf  5184  Mill.  £,  von 
denen  1252  Mill.  £  durch  Steuern  gedeckt  worden  sind.  Die  reinen  Kriegsausgaben 
betrugen  4584  Mill.  £  (darunter  Vorschüsse  an  die  Verbündeten  1191  Mill.  £). 

1)  Ernste  Gefahr  für  die  indische  Währung  (vgl.  „The  Econ."  vom  21.  Juli,  S.  74). 

2)  Absatz  im  Mai  1114,  im  Juni  1011,  vom  1.  bis  15.  Juli  608  Mill.  frcs  (vgl. 
S.  282  Anm.  6). 

3)  Eine  Verordnung  des  Handelsministers  vom  8.  Juli  unterwirft  die  Einfuhr 
sämtlicher  Waren  ausländischer  Herkunft  einer  vorherigen  Genehmigung  (Näheres  s. 
„ficon.  Fran?."  vom  14.  Juli,  S.  47). 

4)  Vgl.  „6con.  Fran5."  vom  11.  August,  S.  185. 

5)  Um  den  bargeldlosen  Verkehr  zu  fördern,  wurde  eine  Ausdehnung  des  Pariser 
Abrechnungsverkehrs  durch  die  Fusion  der  Caisse  Compensation,  Paris,  mit  der  Chambre 
de  Compensation  des  Banques  de  Paris  angestrebt,  ferner  einerseits  die  Ungültigkeit 
teilweise  gedeckter  Schecks  aufgehoben,  andererseits  die  bösgläubige  Ausgabe  ungedeckter 
Schecks  mit  empfindlichen  Strafen  bedroht.  (Näheres  s.  .,ficon.  Frany."  vom  4.  August 
S.  141.).  —  Um  die  thesaurierten  Goldmünzen  hervorzulocken,  wurde  vorgeschlagen,  das 
Goldgeld  abzuschaffen  (vgl.  „Alg.  Handelsbl.  vom  23.  Juli). 


—    497    — 

Bank  durch  den  Staat  200  Mill.  frcs,  die  durch  die  Verbündeten 
150  Mill.  frcs.  Die  Notenemissionsgrenze  der  Bank  von  Algier 
wurde  durch  Gesetz  vom  29.  Juli  1917  von  500  auf  550  Mill.  frcs  erhöht. 

Die  Verhältnisse  des  russischen  Geldmarktes  blieben  nach 
wie  vor  undurchsichtig.  Da  die  Mittel  aus  der  Freiheitsanleihe,  deren 
Zeichnungsfrist  wieder  verlängert  wurde,  nicht  im  entferntesten  zur 
Deckung  der  laufenden  Kriegsausgaben  ausreichten,  verschaffte  sich 
der  Staat  die  notwendigen  Gelder  vorwiegend  durch  Inanspruchnahme 
von  Bankkredit  und  durch  vermehrte  Notenausgabe.  Die  sich  schnell 
fortsetzende  außerordentliche  Verschlechterung  des  russischen  Rubel- 
kurses 1)  auf  den  verbündeten  und  neutralen  Märkten  wurde  selbst  durch 
starke  Goldabgaben  der  Russischen  Staatsbank  und  andere 
Maßnahmen  der  Regierung  nicht  aufgehalten  2). 

Der  Geldmarkt  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika 
zeigte  erneut  eine  wenig  stetige  Entwicklung.  Der  Zinssatz  für  täg- 
liches Geld  bewegte  sich  in  wilden  Schwankungen.  Der  Satz  stieg 
in  der  Woche  vom  14.  bis  21.  Juli  vorübergehend  bis  auf  10  Proz. 
(„Statist"  21.  Juli,  S.  84)  und  ging  gegen  Monatsschluß  wieder  bis  auf 
2  Proz.  herunter.  Die  Goldbewegung  war  trotz  der  großen  Zuflüsse 
aus  England  gegen  Amerika  gerichtet;  ein  wesentlicher  Teil  des  ab- 
fließenden Goldes  ging  wieder  nach  Japan.  Um  das  Banksystem  gegen- 
über den  großen  Ansprüchen  des  eigenen  Landes  und  der  Verbündeten 
genügend  stark  zu  erhalten,  waren  die  gesetzlichen  Deckungsvorschriften 
schon  durch  Gesetz  vom  21.  Juni  zugunsten  der  Banken  wesentlich  ge- 
mildert worden  ^). 

2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung*). 
a)  Banken  im  In-  und  Auslande. 

Es  wurden  übernommen:  von  der  Bayerischen  Disconto-  und 
Wechselbank,   Nürnberg   (vgl.   S.  118):   die   Bankfirma  S.  Hirschmann 


1)  In  London  stellte  sich  der  Rubelkurs  z.  B.  am  24.  Juli  1917  auf  230  R  = 
10  £  —  Parität  10  £  =  94,576  R  —  („The  Econ."  vom  28.  JuU  1917). 

2)  Die  Bank  von  Finnland  gewährte  dem  russischen  Staate  einen  Valutakredit  von 
100  Mill.  F  Mark  gegen  üebergabe  einer  gleichen  Summe  russischen  Goldes  („Dt.  Reiehs- 
anzeiger"  vom  31.  Juli  1917).  —  Die  Einfuhr  ausländischer  Waren  wurde  nur  noch 
mit  Erlaubnis  des  Handelsministers  gestattet  („ficon.  Europ."  vom  3.  August  1917).  — 

3)  Die  Notenbanken  der  3  Zentral-Reserve-Städte  (New  York,  Chicago  und  St. 
Louis)  brauchen  hinfort  gegenüber  ihren  sofort  fälligen  Verbindlichkeifen  nur  noch 
13  Proz.  Kassenreserven  zu  halten  (bisher  18  Proz.;  vor  Erlaß  der  Federal  Reserve 
Acts  25  Proz.),  für  die  Reservestädte  der  Provinz  wurden  die  Pflichtreserven  von 
15  Proz.  auf  10  Proz.,  für  die  Banken  auf  dem  flachen  Lande  von  13  Proz.  auf  7  Pro«, 
ermäßigt  („Alg.  Handelsbl."  vom  22.  Juli  1917). 

4)  Besondere  Abkürzungen:  BelgGVBl.  =  Gesetz-  und  Verordnungsblatt  für  die 
okkupierten  Gebiete  Belgiens.  —  FMBl.  =  Finanz-Ministerial-Blatt.  —  ObostBVBl.  = 
Befehls-  und  Verordnungsblatt  des  Oberbefehlshabers  Ost.  —  OestRGBl.  =  Reichsgesetz- 
blatt für  die  im  Reichsrate  vertretenen  Königreiche  und  Länder.  —  PolnVBl.  =  Ver- 
ordnungsblatt für  das  Generalgouvernement  Warschau.  —  PostBl.  =  Amtsblatt  des 
Reichs-Postamts.  —  ZZBl.  =  Zentralblatt  der  preußischen  Verwaltung  der  Zölle  und 
indirekten  Steuern.  —  GG.  =  Generalgouverneur.  —  GGt.  =  Generalgouvernement. 


—    499    — 

Bank  Institut  A.-G. ;  in  Tonsberg  (Norwegen)  mit  3  Mill.  Kr  die  Tons- 
berg Kreditbank;  in  Petersburg  mit  5  Mill.  Rbl  die  Polnische  Ge- 
sellschaft für  Entwicklung  von  Handel  und  Industrie  Polens ;  in  Madrid 
mit  10  Mill.  Pesetas  die  Landwirtschaftliche  Bank;  in  New  York  mit 
2  Mill.  $  die  American  Foreign  Banking  Corporation;  in  Bio  de  Janeiro 
der  Banco  Populär  do  Rio  de  Janeiro;  in  Nictheroy  (Brasilien)  mit 
1000  Contos  Kapital  der  Banco  Predial  (Hypothekenbank) ;  in  Hongkong 
mit  1  Mill.  $  (innerhalb  5  Jahren  bis  50  Mill.  $)  die  Industrie-  und 
Handelsbank  Ltd  (Notenausgaberecht).  —  Der  kanadische  Staat  beschloß 
die  Gründung  einer  Trade  Bank.  —  In  Deutschland  und  Frank- 
reich wird  für  Gründung  besonderer  Exportbanken  Stimmung 
gemacht. 

b)  Kreditwirtschaftliche  Maßnahmen. 

In  Deutschland  und  in  den  besetzten  Gebieten  wurden 
veröffentlicht:  1)  V.  des  BR.  zur  Ergänzung  der  V.,  betr.  Liquidation 
britischer  Unternehmungen,  v.  31.  Juli  1916  (RGBl.  S.  871),  v. 
12.  Juli  1917  (RGBl.  S.  603;  vgl.  S.  51);  2)  V.  des  BR.  über  zwangs- 
weise Verwaltung  und  Liquidation  des  inländischen  Vermögens  landes- 
flüchtiger Personen,  v.  12.  Juli  (RGBl.  S.  603);  3)  V.  des  BR.  über 
Verjährungsfristen  im  Wechselrechte,  v.  19.  Juli  (RGBl.  S.  635,  vgl. 
auch  „Nordd.  Allg.  Ztg."  v.  21.  Juli,  I.  Ausg.);  4)  Bek.  der  Haupt- 
verwaltung der  Darlehnskassen  über  Zulassung  verz.  und  unverz.  Schatz- 
anweisungen der  Bundesstaaten  zur  Beleihung  bei  den  Darlehnskassen 
(RAnz.  V.  16.  Juli);  5)  Rundschreiben  der  Reichsbank  an  die  Bankier- 
vereinigungen gegen  die  Auflegung  langfristiger  Stadtanleihen  („Voss. 
Ztg."  V.  24.  Juli);  6)  V.  des  GG.  in  Belgien,  betr.  die  Anmeldung 
des  Vermögens  von  feindlichen  Ausländern  in  Belgien,  v.  4.  Juli 
(BelgGVBl.  S.  3962) ;  7)  dgl.  über  Abänderung  der  V.  v.  4.  Juli,  betr. 
die  Anmeldung  des  Vermögens  von  feindlichen  Ausländern  in  Belgien, 
V.  14.  Juli  (BelgGVBl.  S.  4184);  8)  dgl.  über  die  Errichtung  von 
Gesellschaften  und  die  Ausgabe  von  Wertpapieren ,  v.  28.  Juli 
(BelgGVBl.  S.  4281);  9)  V.  des  GG.  in  Warschau,  betr.  das  Verbot 
des  Handels  mit  Kriegsanleihen  feindlicher  Staaten  und  der  Einfuhr 
von  Wertpapieren  aus  dem  feindlichen  oder  neutralen  Auslande,  v. 
18.  Juli  (PolnVBl.  S.  264). 

Ein  Nachtrag  zu  der  englischen  schwarzen  Liste  (vgl.  S.  360) 
ist  in  Nr.  65  der  „Nachr.  f.  Handel,  Industrie  und  Landwirtschaft"  ab- 
gedruckt. 

Die  Niederländische  Ausfuhr-Gesellschaft  im  Haag  ist  auf 
Grund  der  am  27.  Juli  von  der  2.  holländischen  Kammer  angenommenen 
Gesetzesvorlage  (vgl.  S.  360)  mit  5  Mill.  hfl  Kapital  und  dem  Recht 
zur  Ausgabe  von  125  Mill.  hfl  Obligationen  gegründet  worden. 

Laut  „Morning  Post"  v.  5.  Juli  haben  die  amerikanischen 
Behörden  den  Banken  Auftrag  gegeben,  die  laufenden  Konten  feindlicher 
Ausländer  besonders  zu  überwachen.  —  Am  11.  Juli  hat  das  Repräsen- 
tantenhaus die  Bill  angenommen,  die  den  Handel  mit  feindlichen  Staaten 
untersagt. 


-    498    - 

Söhne,  Nürnberg,  —  von  der  Bayerischen  Vereinsbank,  München  (vgl. 
S.  419) :  die  Bankfirma  Josef  Egner,  Weißenhorn,  —  von  der  Stahl 
&  Federer  A.-G.,  Stuttgart  (vgl.  Chr.  1916,  S.  888):  das  Bankhaus 
Bernh.  Allgoewer,  Geislingen  a.  d.  Steige  und  die  Vereinsbank  Wildbad 
e.  G.  m.  u.  H. ,  Wildbad,  —  von  der  Bankfirma  Eichborn  &  Co., 
Breslau,  das  Bangeschäft  Leopold  Thamm,  Löwenberg,  —  von  der 
Mercantile  Bank  of  India  Ltd,  London,  die  Bank  of  Mauritius  Ltd, 
Port  Louis. 

Filialen  eröffneten:  die  Bayerische  Disconto-  und  Wechselbank, 
Nürnberg  (s.  oben),  in  Passau,  Straubing  und  Vilshofen ;  die  Bayerische 
Handelsbank,  München  (vgl.  S.  194),  in  Krumbach;  die  Bayerische 
Vereinsbank,  München  (s.  oben),  in  Preising;  das  Hofbankhaus  Max 
Mueller,  Gotha,  in  Mehlis ;  die  Polnische  Landes-Darlehnskasse,  Warschau 
(vgl.  S.  289),  in  Lodz;  die  Anglo-South  American  Band  Ltd,  London 
(vgl.  S.  119),  in  Puerto  Gallegos  und  Puerto  Descado  (Argentinien); 
die  Bank  of  British  West  Africa,  London  (vgl.  Chr.  1916,  S.  889),  in 
Magazan  (Marokko);  die  Colonial  Bank,  London,  in  Jos  (Nigeria);  die 
London  and  Brazilian  Bank  Ltd,  London,  in  Pelotas  (Rio  Grande  do 
Sul,  Brasilien);  die  Standard  Bank  of  South  Africa  Ltd,  London  (vgl. 
S.  285),  in  Breyton  (Transvaal) ;  die  Banque  frauQaise  et  italienne  pour 
TAm^rique  du  Sud,  Paris  (vgl.  S.  119),  in  Porto  Alegre  (Brasilien); 
der  Banco  di  Roma,  Rom,  in  Beni-Suef,  Maghagha,  Mehallet-Kebir, 
Mit-Ghamr  und  Tantah  (sämtlich  in  Aegypten);  die  Holländisch-Süd- 
amerikanische Bank,  Amsterdam  (vgl.  S.  285),  in  Rio  de  Janeiro;  die 
Kaufmannsbank  in  Odessa  —  unter  Verlegung  des  Verwaltuugssitzes 
nach  Petersburg  und  Aenderung  der  Firma  in  Russische  Handels-  und 
Transportbank  —  in  Moskau,  London,  Paris  und  Genua.  —  Ge- 
suche der  Bank  Handlowy,  Posen  (vgl.  Junichronik),  und  der  Bank 
Zwiazku  Spolek  Zarobkowych,  Posen  (vgl.  Chr.  1916,  S.  688), 
Filialen  im  Königreich  Polen  errichten  zu  dürfen,  wurden  —  nach 
Mitteilung  der  „Bank"  S.  684  —  vom  GG.  in  Warschau  abschlägig 
beschieden. 

Die  Banken  und  Bankfirmen  Thüringens  haben  sich  nach  dem 
Muster  der  Berliner  Bankenvereinigung  (vgl.  Chr.  1916,  S.  688)  zu  einer 
Vereinigung  von  Banken  und  Bankiers  für  Thüringen 
zusammengeschlossen. 

Gegründet  wurden:  in  Rustschuk  mit  5  (später  10)  Mill.  Lewa 
die  Bulgarska  Dunawska  Banka  (Bulgarische  Donaubank)  A.-G.;  in 
Sofia  mit  3  Mill.  Lewa  die  Bulgarska  Zentralna  Banka  (Bulgarische 
Zentralbank)  A.-G.,  die  Losarska  Banka  (Winzerbank)  und  die  Banka 
sa  pokupka  i  prodaschba  na  nedwischni  imoti  (Bank  für  Einkauf  und 
Verkauf  von  unbeweglichen  Gütern);  in  London  mit  1  Mill.  £  die 
Hannevigs  Bank  Ltd  und  nach  dem  Muster  der  British  Trade  Corporation 
(vgl.  Junichronik)  mit  100000  £  die  Industrial  Development  Co.  of 
South  Africa;  in  Rotterdam  mit  2  Mill.  hfl  die  Internationale  Schiffs- 
Hypothekenbank;  in  Batavia  mit  2^2  Mill.  hfl  der  Ostindische  Bank- 
verein (deutsche  Gründung,  vgl.  S.  285);  in  Frederikstad  (Norwegen) 
mit  5  Mill.  Kr  das  Finanz-Emissionsinstitut;  in  Kristiania  die  Nordisk 


—    500    — 

c)  Bargeldloser  Zahlungsverkehr. 

Maßnahmen  in  Deutschland  und  den  besetzten  Gebieten: 
1)  Vf.  des  preuß.  Finanzmin.,  betr.  Postscheckverkehr  bei  den  staatlichen 
Kassen,  v.  12.  Juni  (FMBl.  S.  210);  2)  Allg.  Vf.  des  preuß.  Finanzmin., 
betr.  Zahlungen  im  Giro-  und  Postscheckwege,  v.  27.  Juni  (ZZBl. 
S.  141);  3)  Vf.  des  Reichs-Postamts,  betr.  Zahlungen  im  Wege  des 
Scheck-  und  Ueberweisungsverkehrs,  v.  3.  Juli  (PostBl.  S.  247) ;  4)  Ein- 
richtung des  Postscheckverkehrs  im  GGt.  Warschau  unter  Anschluß  an 
das  Postscheckamt  in  Breslau  (RAnz.  v.  10.  Juli). 

d)  Börsenwesen. 

Mit  Bek.  des  RKzl.  v.  7.  Juli  (RGBl.  S.  635)  sind  Mitteilungen 
über  Wertpapierkurse  zwischen  inländischen  Bankfirmen  zuge- 
lassen worden. 

Der  Berliner  Börsenvorstand  erläßt  eine  Warnung  gegen  die 
Angestelltenspekulation  und  unlautere  Kursberechnung  („Nordd.  Allg. 
Ztg."  V.  1.  Aug.  I.  Ausg.)  und  bringt  am  4.  Aug.  die  Bek.  v.  12.  Juli 
1916,  betr.  die  Aenderung  der  Börsenordnung  zur  Einschränkung  speku- 
lativer Uebertreibung,  in  Erinnerung  (vgl.  Chr.  1916,  S.  524;  „Voss. 
Ztg."  V.  4.   Aug.). 

An  der  Wiener  und  Budapester  Börse  werden  von  Ende  Juli 
ab  alle  Dividendenpapiere  ohne  Berechnung  laufender  Zinsen  gehandelt. 
—  An  der  Budapester  Börse  soll  eine  Kommission  von  21  Börsen- 
mitgliedern Wertpapiere,  bei  denen  unzulässige  Preistreibereien  be- 
obachtet werden,  für  einen  oder  mehrere  Tage  aus  dem  Verkehr  aus- 
schalten dürfen  („Berl.  Börsen-Cour."  v.  21.  Juli;  vgl.  Junichronik). — 
Die  Börse  von  Fiume  nimmt  v.  20  Juli  ab  ihre  seit  Kriegsausbruch 
ruhende  Tätigkeit  zunächst  zur  Abwicklung  des  Privatverkehrs  wieder 
auf  („Frankf.  Ztg."  v.   21.  Juli). 

e)  Währungs-  und  Notenbankwesen. 

In  Deutschland  und  in  den  besetzten  Gebieten:  1)  V. 
des  BR.,  betr.  die  Außerkurssetzung  der  Zweimarkstücke,  v.  12.  Juli 
(RGBl.  S.  625) ;  2)  Vf.  des  Reichs-Postamts,  betr.  Außerkurssetzung  der 
Zweimarkstücke,  v.  24.  Juli  (PostBl.  S.  271) ;  3)  Erlaß  des  Reichsbank- 
Direktoriums,  durch  den  der  Erwerb  von  Wertpapieren  aus  0  esterreich - 
Ungarn  an  eine  Erklärung  gebunden  wird,  daß  der  Erlös  zur  Deckung 
von  Schulden  in  Deutschland  dient  oder  durch  den  Verkäufer  der  öster- 
reichisch-ungarischen Devisenzentrale  überlassen  wird  („Gest.  Volksw.'' 
V.  4.  Aug.  u.  „Die  Bank",  Augustheft,  S.  682);  5)  V.  des  Ob.  Ost.,  betr. 
Annahmeverbot  für  russische  Rubel,  v.  24.  Juli  (ObostBVBl.  S.  668; 
vgl.  S.  363). 

Die  auf  S.  288  unten  gebrachte  Mitteilung,  daß  von  der  Post  in 
sauberem  Zustande  befindliche  Briefmarken  in  beschränkter  Menge 
in  Zahlung  genommen  würden,  ist  bisher  amtlich  nicht  bestätigt. 

Die  Bulgarische  Nationalbank,  Sofia,  hat  in  Serbien  zwei 
weitere  Agenturen  (vgl.  Chr.  1916,  S.  780),  und  zwar  in  Kj-iwa  Pa- 
lanka  und  Egri  Dere,  errichtet. 


—    50I    — 

Im  Hinblick  auf  die  Einziehung  der  Zweimarkstücke  in  Deutsch- 
land wurden  die  niederländischen  Zollinspektoren  ermächtigt,  den 
Bankiers  die  Ausfuhr  der  noch  in  Holland  vorhandenen  Bestände  an 
deutschem  Silber-  und  Nickelgeld  bis  zum  1.  Aug<  1917  zu 
gestatten. 

Für  das  unter  österr. -ungarischer  Militärverwaltung  stehende 
Gebiet  Polens  wird  durch  Verordnungen  v.  20.  Juni  1)  der  Verkehr 
mit  ausländischen  Zahlungsmitteln  (vgl.  S.  290)  neu  geregelt, 
2)  die  Ein-  und  Durchfuhr  von  Rubeln  verboten,  3)  die  Expositur 
Lublin  der  Oesterr.-Ungarischen  Bank  mit  den  Funktionen  einer  De- 
visenstelle betraut  (Verordn.-Bl.  der  k.  u.  k.  Militär- Verw.  in  Polen 
V.  30.  Juni).  —  Für  das  unter  österr.-ung.  Militärverwaltung  stehende 
Gebiet  Serbiens  sind  den  beiden  ersteren  entsprechende  Verordnungen 
unter  dem  7.  und  22.  Juni  erfolgt  (Verordn.-Bl.  der  k.  u.  k.  Militärverw. 
in  Serbien  v.  14.  Juli). 

Die  Schwedische  Reichsbank  ist  von  der  Verpflichtung,  bei 
der  Münze  eingeliefertes  Gold  in  Barren  einzulösen  und  Privaten  die 
Ausprägung  von  Gold  bei  der  Münze  zu  gestatten,  weiter  bis  zum 
28.  Februar  1918  befreit  worden  (vgl.  S.  125  unten).  ' 

Die  Bundes-Reserve-Bank,  New  York,  hat  mit  dem  Banco 
de  la  Nacion  Argentina,  Buenos  Aires,  ein  Uebereinkommen  der  gegen- 
seitigen Vertretung  abgeschlossen  (vgl.  S.  189). 

In  Argentinien  wird  durch  einen  dem  Kongreß  vorgelegten 
Gesetzentwurf  die  Gründung  einer  Staatsbank  mit  120  Mill.  Pesos 
Kapital  beantragt  (vgl.  Junichronik). 

Infolge  der  zunehmenden  Thesaurierung  erläßt  die  britisch-in- 
dische Regierung  ein  Goldeinfuhrverbot  (vgl.  Junichronik)  und 
beschlagnahmt  das  eingeführte  Gold  auf  der  Basis  von  77  sh  10 Yj  d  per 
Unze  und  15  Rupien  per  £.  Ferner  verbietet  sie  die  Silbereinfuhr  für 
private  Rechnung  und  setzt  den  Verrechnungspreis  für  Silberankäufe 
des  Währungsamts  auf  5  Proz.  unter  dem  Londoner  Tagespreis  des 
Ankunftstages  fest.  Die  Silberrupien  im  Verkehr  sucht  sie  allmählich 
durch  kleine  Noten  (kleinster  Abschnitt  bisher  5  Rupien)  zu  ersetzen 
(vgl.  auch  „The  Bankers'  Magazine",  Juli  1917,  S.  7  über  Ausgabe  von 
Noten  zu  2  Rupien). 

In   Kolumbien   ist    ein   neues   Münzgesetz    erlassen  worden. 

Wie  „Nieuwe  Rotterdamsche  Courant"  v.  19.  Juli  meldet,  ist  in 
Mexiko  das  amerikanische  Geld  zum  gesetzlichen  Zahlungs- 
mittel erklärt  worden.  —  Die  Deputiertenkammer  ermächtigte  den 
Präsidenten  Carranza  zur  Aufnahme  einer  Anleihe  von  100  Mill.  Pesos 
zur  Gründung  einer  Zentralnotenbank. 

Die  Bank  von  Venezuela,  Caracas,  übernimmt  nach  dem 
neuen  Bankgesetz  als  Staatsbank  verschiedene  Funktionen  des 
Schatzamtes,  unter  anderem  die  Regelung  des  Geldverkehrs  mit  dem 
In-  und  Auslande. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXXIII 


502  3.  Statistik. 

Veberli cht  über  den  Stand  der  deutsch  en  und  einieer  au sl an dlBchen  Notenbanken 
so^ie  des  Bankzinsfußes  an  den  wichtigeren  Börsenplätzen  im  Juli  1917. 

Beträge  in  Millionen  Mark. 


Deutsches  Beich 


Kelchs- 
bank 


Privat- 
noten- 
banken  | 


Summe 


14.  I 


Ausweis  vom 

31.    I  14.  131. 1    14. 

JuU 


31. 


Bank  von 

Frankreich 

(nach  ,,L'Eco- 

nomi&te 

FranoaU") 


Ausweis  V. 


10. 
JuU 


2. 
Aug. 


Bank  von 

England 

(nach  „The 

Statist") 


Ausweis  V. 

18.    I    1. 
Juli  I  Aug. 


Bussiseke 
Staatsbank 
(nach  Vi  (.'.'.« 

Depetche:.j 


Ausweis  V. 
14.     1    29. 
Juli 


AktiTa. 

Barvorrat : 

Metall 


Gold  . 
Silber 


2458 
66 


Summe 

Sonstige  Geldsorten   .     . 

Wechsel  auf  das  Ausland 

und  Guthaben  daselbst 


2524 
452 


2402 
76 


2478 
529 


2592 
493 


4290 
212 


4295 
212 


2545 
560 


4502 


4507 


1087 


3  200 

273 


1071 


3  473 


4  577 


) 

2790 
270 


3060 


4  9«5 


Gesamtsumme  d.  Barvorrats 


2976 


3007 


109 


98 


3085 


3105 


4502 


4507 


1087     1071 


8050 


804s 


Anlagen  : 

Wechsel^)  .  .  . 
Lombard  .  .  . 
Effekten  .  .  , 
Sonstige  Anlagen 


10434 

9 

118 

1257 


I  128 

10 

127 

1251 


114 
76 
21 
68 


116 

78 
19 
74 


10548 

85 

139 

1325 


II  244 

88 

146 

1325 


2086 
926 

179 
II  463 


2  124 

913 
179 

1589 


Bank.  Dep. 
Gov.  See. : 
930  I   1029 
Other  See. : 
2302     2262 


881 
3097 


I  III 

3158 


Summe   der  Anlagen 


11818  12  516 


279 


287 


2097 


2803 


14654 


14805 


3609 


3668 


Summe  der  Aktiva 


14794I15523 


388 


385 


15182 


5908 


9156 


19  312 


4696 


4739 


PassiTa. 

Grundkapital 

Beservefonds 

Notenumlauf 

Verbindlichkeiten : 

Täelichf^"^**^**'^^®''      • 
f^i    {  Qe«entl.  Guthaben 

i  Summe 

Sonstige  Verbindlichkeiten 


180 

90 

8641 

5335 


5335 
548 


180 

90 

8853 


56 

15 
156 

127 


56 

15 

156 

124 


236 

105 

8797 

5462 


236 

105 

9009 

5972 


155 

28 

6366 

2094 
103 


155 

•  28 

:fe453 

2154 
49 


298 

61 

807 

2548 
976 


298 

61 

828 

2629 
915 


108 
28  200 

4751 
474 


108 
II 

29476 

5276 
434 


552 


127 

34 


124 
34 


5462 
582 


5972 
;86 


2197 
410 


2  203 
473 


3524 
6 


3544 
8 


5225 


10 


Summe  der  Passiva 


4794 


5523 


388 


385 


15182  15  908 


19  156 


19312 


4696 


4739 


Hotenreserve  im  Sinne  des 
betreffenden  Bankgesetzes 


') 


644 


;57 


656 


621 


2257!  5500 


Deckung : 

der  Noten   durch  den  ge- 
samten Barvorrat^")    .     . 
durch     den     inländischen 

Metallvorrat 

der  Noten  u.  sonstigen  täg- 
lich fälligen  Verbindlich- 
keiten durch  den  gesamten 

Barvorrat '") 

BanksinsfoB 

während     des    Monats 
Juli 


in  Prozenten 


34,* 
29,2 

21,8 


34,0 

65,8 

64,1 

35,1 

34,5 

27,6 

27,4 

134,6 

129,« 

28,5 

28,0 

43,2 

43,3 

29,5 

28,3 

16,1 

16,1 

134,6 

129,6 

I2,S 

20,5 

38,6 

35,2 

21,6 

20,7 

24,3 

24,2 

25,1 

24,5 

24,1 

27,» 


22,9 


in  Berlin 

in  Wien 

m  Paris 

in  London 

in 
St.  Petersburg 

in 
Amsterdam 

in 
New  York 

5,— 

5,— 

5,- 

5,— 

6  — 

4V, 

4,-^) 

Wegen  Umrechnung  der  fremden  Valuten  usw.  vgl.  Chronik  1913,  S.  1038  unten. 


1)  Für  die  Beichsbank  die  gesamte  bankmäßige  Deckung,  d.  h.  Wechsel,  Schecks  und  diskontierte 
Schatzanweisungen.  2)  Für  die  Beichsbank  ist  die  Notensteuer  bis  auf  weiteres  aufgehoben  (Ges.  v.  4.  Aug. 
1914,  BGBl.  S.  327).  3)  Darunter  im  Auslande  am  19.  Juli :  1649  Mill.  M;  am  2.  Aug.:  1650  Mill.  M. 
4)  Einschließlich  der  377  Mill.  M  betragenden  Anlagen  des  Issue-Department  5)  Totalreserve.  6)  Ver- 
hältnis der  Beserve  zu  den  Depositen  am  18.  Juli:  18,6  Proz.;  am  1.  Aug.:  17,5  Proz.  7)  Die  in  diesen 
Spalten  offen  gelassenen  Posten  ergeben  sich  nicht  aus  den  Wolffschen  Depeschen.  8)  Das  Notenkontingent  iet 
Ende  Juli  1917  auf  12  Milliarden  Bbl  erhöht  worden.  9)  Diskontrate  für  60  Tage.  10)  Im  Sinne  der 
betr.  Bankgesetze. 


—    503    — 


VII.  Arbeiterverhältnisse. 

Inhalt:  Der  Arbeitsmarkt  im  Juli  1917.  Die  Arbeitslosenziffer  der  Arbeiter- 
verbände. Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise.  Der  weibliche  Arbeitsmarkt.  Die 
Berichte  der  Arbeitsnachweisverbände.  Der  Berliner  Arbeitsmarkt.  Die  Streiks 
und  Aussperrungen  im  Jahr  1916.     Bergarbeiterlöhne  im  Ruhrrevier. 

Im  Monat  Juli  waren  die  Hauptindustriezweige  Deutschlands  wie 
in  den  Vormonaten  voll  beschäftigt.  Sie  sind  nach  wie  vor  mit  Auf- 
trägen für  Heer  und  Marine  reichlich  versehen.  Soweit  das  Baugewerbe 
in  Betracht  kommt,  beschränkte  sich  die  Bautätigkeit  fast  nur  auf  die 
Errichtung  von  Kriegsbauten,  d.  h.  von  Bauten,  deren  Fertigstellung 
im  dringendsten  Landes-  und  Heeresinteresse  liegt.  Die  private  Bau- 
tätigkeit, die  infolge  der  behördlichen  Maßnahmen  sehr  erschwert  ist, 
ruhte  fast  vollständig ;  nur  die  unbedingt  notwendigen  Wiederherstellungs- 
arbeiten und  Ausbesserungen  wurden  ausgeführt,  soweit  Hilfskräfte  vor- 
handen waren. 

Die  Arbeitslosenziffer,  die  allmonatlich  aus  den  Angaben 
der  Arbeiterverbände  berechnet  wird,  sank  von  Ende  Juni  auf  Ende 
Juli  von  0,9  v.  H.  auf  0,8  v.  H.  Nach  den  Feststellungen  von  34  Ar- 
beiterverbänden,  die  für  946  241  Mitglieder  berichteten,  betrug  Ende 
Juli  die  Zahl  der  Arbeitslosen  7807  oder  0,8  v.  H. 

Stellt  man  für  die  sechs  größten  Arbeiterverbände  —  es  sind  sog. 
freie  Gewerkschaften  —  die  Arbeitslosenziffern  während  der  letzten 
Monate  zusammen,  so  ergibt  sich  folgende  Uebersicht: 


Arbeitslosigkeit  v.  H.  der  vom 

Mitgliederzahl 
Ende  Juli 

Bericht  erfaßten  Mitglieder 

Arbeiterverbände 

Ende 

Ende 

Ende 

Ende 

1917 

Juli 

Juni 

Mai 

April 

1917 

Metallarbeiter 

334662 

0,1 

0,2 

0,2 

0,3 

Fabrikarbeiter 

96  132 

0,1 

0,2 

0,2 

0,4 

Bauarbeiter 

81  581 

0,1 

0,1 

0,2 

0,3 

Holzarbeiter 

79917 

0,6 

0,6 

0,6 

0,8 

Textilarbeiter 

70050 

4,3 

4,1 

5,2 

7,0 

Transportarbeiter 

59  457 

0,2 

0,2 

0,8 

o,s 

Danach  ging  bei  den  Metallarbeitern  und  bei  den  Fabrikarbeitern  die 
Ziffer  von  Ende  Juni  auf  Ende  Juli  etwas  zurück;  sie  stieg  hingegen 
bei  den  Textilarbeitern. 

Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  zeigt  im  Juli  für  das 
weibliche  Geschlecht  ein  weiteres  Sinken  des  Andranges  der  Arbeit- 
suchenden, für  das  männliche  Geschlecht  entspricht  die  Ziffer  der  des 
Vormonats.  Im  Juli  kamen  auf  100  offene  Stellen  bei  den  männlichen 
Personen  47  Arbeitsuchende  wie  im  Juni,  bei  den  weiblichen  Pereonen 
ging  die  Andrangsziffer  von  86  im  Juni  auf  83  im  Juli  zurück. 

Um  den  weiblichen  Arbeitsmarkt  besonders  zu  kennzeich- 
nen ,    seien   für   die  wichtigsten  weiblichen  Berufsarten  die  Verhältnis- 

XXXIII* 


—    504    — 

Ziffern   vom  Juni  und  Juli  1917    sowie   vom  Juli  1916   besonders  auf- 
geführt. 


Zahl  der 

Auf  100  offene  SteUen  kamen 

Weibliche  Berufsarten 

Vermitt- 
lungen im 

....  Arbeitsgesache  im 

Juli 

Juli 

Juni 

Juli  1917 

1917 

LJ916 

1917 

Landwirtschaftliche  Arbeiterinnen 

3635 

55 

75 

53 

Metallarbeiterinnen 

17  743 

81 

147 

80 

Arbeiterinnen  in  der  chemischen  Industrie 

2721 

59 

100 

78 

Spinnstoffarbeiterinnen  (einschl.  Färberei-  und 

Appreturarbeiterinnen) 

3273 

315 

560 

365 

Buchbinderei-  u.  Kartonnagenarbeiterinnen  usw. 

1359 

62 

150 

64 

Arbeiterinnen  in  der  Lederindustrie 

670 

74 

lOI 

72 

Tabakarbeiterinnen  usw. 

I  343 

86 

136 

96 

Schneiderinnen,  Putzmacherinnen  usw. 

10249 

HO 

218 

HO 

Büglerinnen,    Wäscherinnen    in    Wasch-    und 

Plättanstalten  usw. 

714 

81 

107 

75 

Buchdruckereiarbeiterinnen 

908 

59 

140 

79 

Fabrikarbeiterinn  en 

15   019 

74 

189 

78 

Angestellte  im  Handelsgewerbe 

1948 

206 

345 

202 

Kellnerinnen,  Büfettfräulein 

7  199 

103 

126 

107 

Hotelzimmermädchen,  Beschließerinnen 

505 

55 

159 

57 

Kochpei-sonal  in  Gastwirtschaften 

630 

64 

115 

59 

Herd-  u.  Küchenmädchen   in  Gastwirtschaften 

4  549 

63 

85 

52 

Putz-,  Wasch-,  Lauffrauen,  Aufwärterinnen  usw. 

16960 

82 

134 

79 

Dienstboten,  Hauspersonal 

6904 

40 

115 

39 

Sonstige  Tagelöhnerinnen 

8472 

98 

145 

100 

Freie  Berufsarten 

757 

192 

300 

196 

Danach  hat  sich  vom  Juni  zum  Juli  1917  die  Lage  für  die  nach  der 
Vermittlungsstatistik  am  stärksten  besetzten  weiblichen  Berufsarten  nur 
unwesentlich  verändert. 

Die  Berichte  der  Arbeitsnachweis  verbände  über  die  Be- 
schäftigung im  Juli  lassen  für  Westpreußen,  Hannover,  Braunschweig, 
Bremen  sowie  Württemberg  und  Baden  wesentliche  Veränderungen  der 
bisherigen  Lage  nicht  erkennen.  In  Pommern  ist  für  die  Landwirt- 
schaft gleichfalls  im  allgemeinen  keine  größere  Veränderung  zu  be- 
merken. In  Hessen  und  Hessen-Nassau  ist  im  Vergleich  zum  Vormonat 
bei  namhaftem  Sinken  des  Gesamtarbeitsangebots  ein  starkes  Steigen 
der  offenen  Stellen  und  der  Ziffern  der  Vermittlungen  zu  erkennen. 
Aus  Bayern  wird  berichtet,  daß  sich  die  Beschäftigungsmöglichkeit  für 
männliche  wie  für  weibliche  Arbeitsuchende  weiterhin  günstig  gestellt 
hat.  Für  Schlesien  weist  der  Arbeitsmarkt  für  männliche  wie  weibliche 
Personen  im  allgemeinen  keine  wesentlichen  Veränderungen  auf.  Im 
Vergleich  zum  Vormonat  ist  nur  zu  bemerken,  daß  die  lebhafte  Nach- 
frage nach  weiblichen  Arbeitskräften  in  der  Landwirtschaft  und  in  dem 
Bekleidungs-  und  Handelsgewerbe  oft  nicht  unwesentlich  nachgelassen 
hat.  Aus  Hamburg  wird  im  allgemeinen  eine  Abnahme  der  Arbeit- 
suchenden,  der   offenen   und   besetzten  Stellen   für  das  männliche  Ge- 


—    505    — 

schlecht  und  eine  Verringerung  des  Arbeitsangebots  für  weibliche  Be- 
schäftigte berichtet.  Aus  Westfalen  wird  auch  für  Juli  eine  weitere 
rückläufige  Bewegung  auf  dem  Arbeitsmarkt  für  männliche  Personen 
gemeldet,  während  für  weibliche  Arbeitskräfte  eine  nicht  unbedeutende 
Zunahme  der  Arbeitsuchenden,  der  offenen  und  besetzten  Stellen  zu 
verzeichnen  ist.  Im  Königreich  Sachsen  zeigen  die  Vermittlungsziffern 
auf  dem  männlichen  Arbeitsmarkt  einen  Rückgang;  dagegen  besteht 
weiterhin  eine  lebhafte  Nachfrage  nach  weiblichen  Arbeitskräften.  In 
Thüringen  ist  das  Angebot  Arbeitsuchender  sowie  die  Zahl  der  offenen 
und  besetzten  Stellen  im  allgemeinen  im  Rückgang  begriffen.  Das 
gleiche  wird  für  Rheinland  berichtet. 

Für  Berlin  und  die  Provinz  Brandenburg  soll  mit  Rücksicht 
auf  die  besondere  Bedeutung  dieses  Arbeitsmarktes  die  Lage  nach  dem 
Bericht  des  Verbandes  Märkischer  Arbeitsnachweise  (vgl.  Reichs- Arbeits- 
blatt, Augustheft,  S.  632)  besonders  geschildert  werden. 

Danach  weist  die  Lage  des  Arbeitsmarktes  im  Monat  Juli,  der  meist  ein  all- 
gemeines Abflauen  mit  sich  bringt,  keine  bemerkenswerten  Veränderungen  im 
Vergleich  zu  den  Vorjahren  auf.  Die  Zahl  der  gesuchten  Personen  übersteigt 
weiter  die  der  Stellen  suchenden. 

In  der  Landwirtschaft  waren  Angebot  und  Nachfrage  nicht  bemerkens- 
wert rege.  Das  mangelnde  Angebot  erklärt  sich  ohne  weiteres  daraus,  daß  sich 
die  schon  seit  langem  knappen  geeigneten  Arbeitskräfte  wesentlich  vermindert 
haben  und  am  Ende  des  Monats  mit  Schluß  der  Hafer-  und  Roggenernte  eine 
vorübergehende  leichte  Entspannung  der  landwirtschaftlichen  Tätigkeit  eingetreten 
ist.  Die  eingeschränkte  Nachfrage  ist  auf  die  vermehrte  Einstellung  von  Ge- 
fangenen als  landwirtschaftliche  Arbeiter,  die  Verwendung  von  Jungmannen  in 
Stefien  von  Kleinknechten  usw.,  das  Vorhandensein  von  Militärkommandos  zur 
Ernte,  fHegenden  Dreschkommandos,  Kraftwagen  zur  Abfuhr  und  die  im  Interesse 
der  Volksernährung  von  der  Heeresverwaltung  vorgenommenen  Beurlaubungen 
selbständiger  kleinerer  Landwirte  zurückzuführen.  Verlangt  wurden  Arbeiter- 
familien, landwirtschaftliches  Aufsichtspersonal  und  Wirtschaftsleiter.  Der  Bedarf 
konnte  nicht  gedeckt  werden.  Gelernte  Gärtner  wurden  gesucht,  konnten  aber 
nicht  genügend  beschafft  werden. 

Die  Lage  in  den  Braunkohlengruben  und  Preßkohlen  werken  war 
sehr  befriedigend. 

Von  aUen  Seiten  wird  weiter  ein  empfindlicher  Mangel  an  Facharbeitern 
jeder  Art  gemeldet.  In  der  Metallindustrie  mangelte  es  besonders  an 
Schlossern,  Rohrlegern,  Werkmeistern,  Elektrotechnikern,  Uhrmachern  usw. 

Das  Spinnstoffgewerbe  konnte  wegen  weiterer  Einschränkungen  keine 
regere  Tätigkeit  entwickeln ;  Guben  meldet  ein  völliges  Darniederliegen  der  Woll- 
hutfertigung. In  Driesen  ist  die  Gamaschenherstellung,  in  Friedeberg  die  Filz- 
schuhanfertigung eingestellt  worden. 

Ein  weiterer  Rückgang  ist  im  allgemeinen  in  der  Bautätigkeit  zu  be- 
obachten; die  frei  werderden  Arbeitskräfte  fanden  sofort  wieder  passende  Be- 
schäftigung. 

Gelernte  Arbeitskräfte  in  der  Buchbinderei  und  im  Buchdruck  wurden 
stark  verlangt,  nur  ein  Teü  der  Aufträge  konnte  erledigt  werden.  Die  Nachfrage 
nach  Setzern  und  gelernten  Arbeitern  im  Zeitungsgewerbe  hält  an. 

Auch  geeignetes  kaufmännisches  Personal  war  sehr  knapp,  vor  allem 
fehlten  Lageristen  und  Verkäufer. 

Nur  vereinzelt  zu  beschaffen  sind  noch  ungelernte  Arbeitskräfte  für  alle 
Gewerbezweige. 

Auf  dem  Arbeitsmarkt  für  weibliche  Personen  herrscht  weiter  großer 
Mangel  an  Landmädchen  und  vor  allem  an  häuslichem  Dienst-  und  Aushilf s- 


—    5o6    — 

Sersonal.  Die  Nachfrage  ist  am  Schlüsse  des  Berichtsmonats  im  Hinblick  auf 
as  Ende  der  Reisezeit  noch  dringender  geworden  als  zuvor,  es  waren  aber  noch 
weniger  verfügbare  Kräfte  vorhanden.  Die  Metalindustrie  zeigte  weiter  sehr  starken 
Bedarf,  den  vorliegenden  großen  Aufträgen  verschiedener  Rüstungsfabriken  konnte 
nur  zum  Teil  genügt  werden.  Verlangt  wurden  ferner  vor  allem  Hilfskräfte  im 
Buchdruckgewerbe,  die  nur  in  geringem  Umfang  beschafft  werden  konnten  Die 
Nachfrage  nach  ungelernten  Arbeiterinnen  für  alle  Industrien  konnte  nicht  ge- 
deckt werden.  Der  Bedarf  an  geübtem  Kontorpersonal  hält  an,  Verkäuferinnen 
werden  mehr  als  vorhanden  verlangt.  An  ungeschultem  kaufmännischen  An- 
fangspersonal ist  weiter  reicher  üeberschuß. 

Die  für  die  Arbeitnehmenden  günstige  Lage  des  Arbeitsmarktes  macht  sich 
in  einem  weiteren  allgemeinen  Steigen  der  Löhne  bemerkbar,  vor  allem  zeigen 
die  Lohnsätze  für  Facharbeiter  noch  bemerkenswert  steigende  Richtung. 

Die  Arbeitsvermittlung  für  genesende  Soldaten  zeigt  einen  erfreulichen 
Umfang. 

Die  Arbeitsnachweisstellen  für  Kriegsbeschädigte  hatten  gut«  Erfolge, 
es  konnten  etwa  50  v.  H.  der  Kriegsverletzten  untergebracht  werden.  Das  ist 
im  Hinblick  darauf,  daß  jetzt  nur  die  schwerer  Verletzten  für  eine  Arbeitsver- 
mittlung in  Frage  kommen,  ein  recht  bemerkenswertes  Ergebnis.  Das  Angebot 
an  offenen  Stellen  stieg  bedeutend  wegen  des  herrschenden  Arbeitermangels. 

Zurzeit  liegen  die  endgültigen  Ziffern  über  die  Aussperrungen 
und  Streiks  im  Reich  im  Jahre  1916  vor.  Danach  wurden  im 
Jahre  1916  im  ganzen  240  Arbeitskämpfe  (nur  Streiks)  beendet,  welche 
sich  auf  437  Betriebe  erstreckten,  die  im  ganzen  124188  streikende 
Arbeiter  umfaßten.  Die  nachfolgende  Uebersicht  gibt  die  Zahl  der 
Streikenden  und  Ausgesperrten  1899 — 1916  und  ihr  Verhältnis  zur 
Gesamtzahl  in  jedem  Jahre  wieder. 

Zahl  der  Streikenden  und  Ausgesperrten  1899    bis    1916 
und  ihr  Verhältnis  zur  Gesamtzahl  in  jedem  Jahre. 


Zahl  der 

Jahr 

Streikenden 

Ausgesperrten 

Streikenden 

und  Ausgesperrten 

zusammen 

Grundzahl 

V.  H. 

Grundzahl 

V.  H. 

Jahresdurchschnitt 
1899—1903 
1904—1908 
1909—1913 

1914 
1915 
1916 

83384 
210933 
226  187 

58682 

II  639 

124  188 

86,4 
75,4 
69,0 

61,7 

90,5 

100,0 

13075 

68884 

loi  406 

36458 
I  227 

13,0 

24,6 
31,0 

38,3 

9,5 

96459 
279817 
327  593 

124  188 

Zu  dieser  Uebersicht  ist  allerdings  hervorzuheben,  daß  die  Zahl  der 
an  Arbeitskämpfen  beteiligten  Arbeiter  für  die  Kriegszeit  keinen  ge- 
eigneten Maßstab  für  den  Umfang  und  die  Bedeutung  der  Arbeits- 
kämpfe selbst  bietet.  Vor  allem  deshalb  nicht,  weil  im  gegenwärtigen 
Kriege  die  Dauer  der  Arbeitskämpfe  ganz  wesentlich  kürzer  ist  als  in 
den  gleichmäßigeren  Friedenszeiten.  Während  im  Durchschnitt  der 
letzten  5  Friedensjahre  der  einzelne  Arbeitskampf  28,12  Tage  dauerte, 
betrug  seine  Dauer  im  Jahr  1916  nur  4,98  Tage. 

Von  Interesse   ist   eine  Uebersicht   über    die  Zahl   der   verlorenen 
Arbeitstage : 


-    507    - 


Verlorene   Arbeitstage   von    1899   bis    1916. 

(Zahl  der  jedesmal  Streikenden  oder  Ausgesperrten,  vervielfacht  mit  der 

jedesmaligen  Dauer  des  Streiks  oder  der  Aussperrung.) 


Errechnete  Anzahl  der  verlorenen  Arbeitstage  bei 

Jahr 

Streiks 

Aussperrungen 

Streiks 

und  Aussperrungen 

zusammen 

Jahresdurchschnitt 
1899—1903 
1904—1908 
1909—1913 

1914 
1915 
1916 

2581686 
6959814 
6331472 

I  714790 

41838 

245  404 

544  240 
2  744  138 
4859022 

I  129  105 
3673 

3125926 

9703952 

II  190494 

2  843  895 

45  511 
245  404 

Daraus  geht  hervor,  daß  die  Zahl  der  verlorenen  Arbeitstage  1916 
wesentlich  niedriger  als  in  den  Friedensjahren,  jedoch  höher  als  im 
Jahr  1915  ist. 

Im  Reichs- Anzeiger  sind  kürzlich  die  für  das  zweite  Vierteljahr  1917 
(1.  April  bis  1.  Juli)  amtlich  ermittelten  Bergarbeiterlöhne  im 
Kuhrrevier  mitgeteilt  worden.  Danach  stellte  sich  im  Ober-Berg- 
amtsbezirk Dortmund  der  durchschnittliche  Schichtlohn  eines  Arbeiters 
der  Gesamtbelegschaft  (einschließlich  der  jugendlichen  und  weiblichen 
Arbeitskräfte)  nach  Abzug  der  Versicherungsbeiträge  in  Höhe  von 
24  Pf.  und  nach  Abzug  aller  Arbeitskosten  auf  7,75  M.  (gegen  7,24  M. 
im  1.  Vierteljahr  1917),  der  durchschnittliche  Schichtlohn  der  unter- 
irdisch beschäftigten  eigentlichen  Bergarbeiter  (Hauer  genannt)  auf 
10, —  M.  (9,33  M.).  Die  Steigerung  beträgt  somit  im  Vergleich  zum 
vorhergehenden  Vierteljahr  51  Pf.  je  Schicht  der  Gesamtbelegschaft 
und  67  Pf.  je  Hauerschicht;  sie  übertrifft  damit  erheblich  die  in  den 
vorhergehenden  Vierteljahrsabschnitten  der  Kriegszeit  gewährten  Lohn- 
erhöhungen. Zu  dem  angegebenen  reinen  Nettolohn  tritt  noch  der 
Geldwert  der  den  Bergarbeitern  gewährten  wirtschaftlichen  Beihilfen, 
der  mit  23,6  Pf.  je  Schicht  der  Gesamtbelegschaft  errechnet  worden 
ist.  —  Das  Gesamteinkommen  eines  Arbeiters  der  Gesamtbelegschaft 
hat  sich  im  zweiten  Vierteljahr  1917  auf  632  M.  (gegen  525,  445  und 
402  M.  im  zweiten  Viertel  der  Jahre  1916,  1915  und  1914)  belaufen, 
das  eines  Hauers  auf  809  M.  (675,  551  und  469  M.);  das  Vierteljahrs- 
einkommen ist  somit  in  der  Kriegszeit  um  230  M.  =  57,2  Proz.  bei 
der  Gesamtbelegschaft,  um  340  M.  =  72,5  Proz.  bei  den  Hauern,  ge- 
stiegen. 

Wie  sich  seit  Kriegsbeginn  die  durchschnittlichen  Schichtlöhne 
entwickelt  haben  (vom  3.  Vierteljahr  1914  bis  zum  2.  Vierteljahr  1917), 
zeigen  folgende  Lohnzahlen:  Schichtlohn  der  Gesamtbelegschaft:  5,07, 
5,03,  5,18,  5,39,  5,62,  5,80,  6,02,  6,28,  6,57,  6,86,  7,24,  7,75  M.  — 
Schichtlohn  der  Hauer:  6,08,  6,13,  6,36,  6,6Q,  7,04,  7,29,  7,62,  8,05, 
8,50,  8,88,  9,33,  10,—  M. 


—    5o8    — 

Bei  Würdigung  dieser  Lohnzahlen  darf,  wie  der  Reichs- Anzeiger 
"betont,  nicht  übersehen  werden,  daß  die  Zusammensetzung  der  Ge- 
samtbelegschaft unter  dem  Einfluß  des  Krieges  eine  nicht  unerheb- 
liche Verschiebung  gegen  die  Zeit  vor  Kriegsbeginn  erfahren  hat.  Die 
tüchtigsten  und  bestgelohnten  Arbeiter  der  1.  Lohnklasse  (Hauer)  sind 
zum  großen  Teil  zum  Heeresdienst  eingezogen ;  dadurch  ist  das  Prozent- 
verhältnis ihrer  Zahl  zur  Gesamtbelegschaft  gegen  früher  wesentlich 
verändert.  An  die  Stelle  der  Hauer  sind  junge  Schlepper  und  Wagen- 
stößer getreten.  Die  Verwendung  jugendlicher  und  weiblicher  Arbeiter 
hat  erheblich  zugenommen,  auch  sind  ungelernte  Arbeiter  in  großer 
Zahl  eingestellt  worden.  Infolge  der  geringeren  Leistungsfähigkeit  der 
Belegschaft  ist  daher  der  Durchschnitt  der  Löhne  niedriger,  als  er  sich 
für  Arbeiter  mit  früherer  Leistungsfähigkeit  ergeben  würde.  (G.  C.) 


yni.  Finanzwesen, 

Inhalt:  Annahme  des  15  Müliarden-Kredits.  Bedenklicher  Stand  der  eng- 
lischen Finanzen.  Die  französischen  Steuerprojekte.  Zeichnungen  auf  die  russische 
^ Freiheitsanleihe".  Fremde  Anleihen  in  den  Vereinigten  Staaten.  Die  nächste 
amerikanische  Anleihe.    Ergebnis  der  letzten  amerikanischen  Anleihe. 

Am  30.  Juli  nahm  der  Reichstag  die  Vorlage  des  neuen  15  Mil- 
liarden-Kredits  an,  mit  dem  die  Kriegskredite  eine  Höhe  von 
94  Milliarden  M.  erreichen.  Am  21.  Juli  wurde  der  Nachtragskredit  als 
Gesetz  publiziert  (RGBl.  S.  651). 

Zu  dem  bedenklichen  Stand  der  englichen  Finanzen 
äußert  ein  Leitartikel  der  „Daily  News"  vom  25.  Juli: 

Bonar  Law  hat  bei  Einbringung  des  letzten  Budgets  die  täglichen  Kriegs- 
ausgaben für  das  laufende  Jahr  auf  unter  öVa  Mill.  £  geschätzt.  Tatsächlich  hat 
sich  herausgestellt,  daß  sie  6^A  MiU.  betragen.  Bonar  Law  hat  allerhand  an- 
geführt, um  dieses  Plus  plausioel  zu  machen;  wirklich  einleuchtende  Gründe 
hat  er  nicht  bringen  können.  Es  ist  kaum  zu  glauben,  daß  das  Kriegskabinett 
diese  alarmierende  Ueberraschung  nicht  voraussehen  konnte.  Auf  jeden  Fall  ist 
diese  Verschleierung  symptomatisch  für  den  Leichtsinn  unserer  Regierung  und 
für  ihre  Mißachtung  des  Parlaments.  Das  Unbehagen  angesichts  unserer  Finanz- 
lage ist  allgemein.  Dadurch,  daß  man  Geld  zum  Fenster  hinaus  wirft,  wird  man 
den  Krieg  nicht  gewinnen,  vielmehr  wird  man  unsere  Kraft  zum  Durchhalten, 
von  der  der  Sie^  abhängt,  untergraben. 

Scharfe  Kritik  an  Bonar  Law  übt  der  „Daüy  Graphic"  vom  25.  Juli: 
Die  gestrige  Debatte  über  die  Bewilligung  eines  neuen  Kriegskredites  von 
650  Mill.  £  beweist,  daß  die  Regierung  nicht  im  geringsten  geneigt  ist,  die  Acht- 
losigkeit in  ihrer  Finanz  Wirtschaft  einzuschränken.  Daß  die  Kosten  des  Kri^es 
bestritten  werden  müssen,  weiß  man ;  aber  das  ist  ein  um  so  stärkerer  Grund 
für  uns,  in  anderer  Beziehung,  sowohl  öffentHch  wie  privat,  haushälterisch  zu 
sein.  Dies  zu  begreifen,  ist  Bonar  Law  unfähig.  Er  hat  keine  Schritte  getan,  seit- 
dem er  Schatzkanzler  geworden  ist,  um  unnötige  Staatsausgaben  zu  beschränken. 
Er  hat  sogar  noch  weniger  als  seine  Vorgänger  getan,  private  Sparsamkeit  durch 
neue  Steuern  zu  erzwingen.  Kürzlich  betreffs  des  Hüfsdienstamtes  befragt,  das 
schon  160000  £  verschlungen  hat  und  zugestandenermaßen  nutzlos  ist,  erklärte 
er,  daß  man  dessen  Schließung  nicht  beabsichtige.  Bonar  Laws  Begriff  von  den 
Staatsfinanzen  scheint  zu  sein,  mit  der  rechten  Hand  zu  borgen  und  mit  der 
linken  fortzuwerfen,  indem  er  es  seinen  Nachfolgern  überläßt,  mit  der  riesenhaften 
Staatsschluld  fertig  zu  werden,  so  gut  sie  es  können. 


—    509    — 

Erfahrungen  im  Amte  als  Schatzkanzler  —  so  schreibt  der  „Statist"  vom 
21.  Juli  —  haben  Bonar  Law  bereits  zu  der  Erkenntnis  gebracht,  daß  wir  mit 
unseren  Finanzen  in  bejammernswerter  Weise  verfahren  sind,  und  daß,  wenn  wir 
uns  nicht  bessern,  wir  nach  Kriegsende  schwere  Zeiten  vor  uns  haben  werden. 
Das  soll  heißen,  wenn  das  Borgen  aufhört  und  das  Problem  der  Zurückzahlung 
irgendwie  gelöst  werden  muß.  Er  ist  der  erste  Finanzminister,  der  das  Publikum 
offen  und  ausreichend  gewarnt  hat.  Gleichviel  ob  seine  Vorgänger  im  Kriege 
unter  dem  Eindruck  standen,  daß  sie  nur  das  Kechte  taten,  oder  ob  die  Häufung 
der  Erfahrung  alle  Welt  zu  der  Erkenntnis  gezwungen  hat,  die  gut  unterrichtete 
von  Anfang  an  hatten,  anscheinend  macht  man  sich  jetzt  im  Schatzamt  völlig 
klar,  daß  wir  sehr  stark  in  die  Irre  gegangen  sind.  Jetzt,  wo  das  Unglück  ge- 
schehen ist,  kommt  ein  Minister,  tut  so,  als  ob  er  allein  in  seiner  höheren  Weis- 
heit die  Fehler  seiner  Kollegen  und  Vorgänger  erkannt  habe,  und  stößt  einen 
ernsten  Warnruf  aus,  aus  dem  wir  nur  zwei  Sätze,  die  freilich  genügen,  anführen 
möchten.  „Niemand  darf  auch  nur  einen  Augenblick  glauben,  daß  das  Land,  ohne 
ernsten  Schaden  zu  nehmen,  fortfahren  könnte,  in  dem  Maße  wie  jetzt  Geld  für 
den  Krieg  auszugeben.  Ich  befürchte,  daß  man  den  Schaden  erst  völlig  erkennen 
wird,  wenn  der  Krieg  zu  Ende  ist,  was  noch  schlimmer  ist."  Minister  sind  so 
allwissend,  daß  wir  annehmen  dürfen,  man  würde  es  unpassend  finden,  wenn  wir 
so  spät  mit  einem  Rat  kommen  wollten.  Wir  wollen  also  abwarten,  was  das  Er- 
gebnis dieser  sehr  späten  Entdeckung  der  Tatsachen  sein  wird,  daß  wir  drei  Jahre 
lang  in  einem  Narrenparadies  gelebt  und  jetzt  das  Land  in  einen  Sumpf  geritten 
haben,  wie  ihn  die  beiden  oben  angeführten  Sätze  schildern. 

Ueber  die  französischen  Steuerprojekte  teilt  der  „Berl. 
Börsen-Cour."  noch  folgendes  mit: 

Nachdem  der  frühere  Finanzminister  lange  gezögert  hatte,  neue  Steuern  zu 
beantragen,  und  auch  dann  sehr  vorsichtig  zu  Werke  gegangen  war,  hat  sein 
Nachfolger  um  so  energischer  die  Sache  in  die  Hand  genommen.  Der  Berechnung 
gemäß  erwartet  er  aus  der  erhöhten  Transportsteuer  (Eisenbahnen  und  Flußschiff - 
fahrt),  der  Einschränkung  der  militärischen  Portofreiheit  und  der  Erhebung  von 
Eintrittsgebühren  für  den  bisher  unentgeltlich  gewesenen  Besuch  der  Museen 
450  Mill.  frcs.,  aus  Aenderungen  in  der  Auflage  und  Einhebung  verschiedener 
Abgaben  200  Mill.,  aus  der  zu  schaffenden  Steuer  auf  kommerzielle  Zahlungen 
und  Käufe  der  Privatpersonen  450  Mill.,  aus  der  Unterdrückung  der  Steuer- 
defraudation  60  Mill.  und  aus  einer  neuen  Erbschaftssteuer  40  MiU.,  zusammen 
1200  Mill.;  in  neueren  Angaben  wird  von  einer  Summe  von  1500  Mill.  frcs.  ge- 
sprochen. 

Verschiedene  dieser  Steuer  vorschläge  verdienen  eine  eingehendere  Besprechung. 
Die  Kriegsgewinn  Steuer,  die  anfänglich  gleichmäßig  50  Proz.  betragen  hatte  und 
dann  für  höhere  Gewinne  auf  60  Proz.  gesteigert  worden  war,  soll  für  die  Folge 
bis  zu  80  Proz.  hinaufgehen,  letzterer  Satz  soU  für  Beträge  über  eine  halbe  Million 
in  Ansatz  gebracht  werden.  Eine  vollständige  Neuerung  ist  die  Ausgabensteuer. 
Bei  den  Zahlungen  für  gelieferte  Waren  soll  im  Handelsverkehr  an  Stelle  der 
seitherigen  Quittungssteuer  eine  Abgabe  von  1  Prom.  treten,  deren  Kontrolle  der 
Fiskus  durch  Einsicht  der  Bücher  vornehmen  kann.  —  Die  Käufe  von  Privat- 
leuten, mit  Ausnahme  der  Lebens-,  Heizungs-  und  Beleuchtungsmittel  sowie  an- 
derer ausdrücklich  bezeichneter  Bedarfsmittel,  werden  einer  Abgabe  unterworfen, 
die  5  Proz.  beträgt  und  für  Luxusgegenstände  aller  Art,  worunter  auch  Kleidungs- 
stücke und  Schunwerk  nach  Maß,  feine  Weine,  Liköre  und  teuere  ausländiscne 
Biere,  Pelzwerk,  usw.  auf  10  Proz.  gesteigert  wird.  Die  Steuer  geht  zulasten  des 
Käufers,  ist  aber  durch  den  Verkäufer  zu  entrichten,  der  eine  besondere  Buch- 
führung hierfür  einzurichten  hat  und  verpflichtet  ist,  seine  sämtlichen  Bücher 
auf  Verlangen  vorzulegen;  bei  Steuerhinterziehungen  sind  beide  Teile  strafbar. 
Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  die  Ueberwachung  durch  die  Verwaltungsorgane  viele 
Unannehmlichkeiten  mit  sich  bringen  wird,  und  aus  Geschäftskreisen  macht  sich 
bereits  Einsprache  dagegen  bemerkbar.  Auch  im  kaufenden  Publikum  wird  man 
es  jedenfalls  sehr  ungern  sehen,  daß  bei  der  herrschenden  sozialistischen  Strömung 
der  Staat,  der  auf  die  Suche  nach  weiterem  Steuerquellen  angewiesen  bleiben  wird, 
sich  auf  diesem  Wege  Einblick  in  die  persönlichen  Ausgaben  verschaffen  kann. 


—    5IO    - 

—  Das  ungeheurlichste  Projekt  ist  aber  das,  durch  welches  alle  Erbschaften  mit 
einer  Zuschlagsteuer  von  0,30  Proz.  belebt  werden  sollen,  welche  die  Erben  zeit- 
lebens jährlich  zu  erlegen  hätten,  einerlei  was  im  Laufe  der  Jahre  aus  dem  Erbe 
geworden  ist.    Diese  Steuer  ist  nichts  anderes   als  eine   verkappte  Kapitalsteuer. 


Die  erste  der  Presse  zugegangene  vorläufige  Ankündigung  besagte,  das  Gesetz 
werde  rückwirkende  Kraft  für  die  Kriegszeit  haben  und  das  Erträgnis  für  jedes 
der  drei  Kriegsjahre  werde  auf  14.  Mill.  geschätzt.  Mit  der  Zeit  werde  es  auf 
270  Mill.  jährlich  anwachsen,  dieses  Ergebnis  werde  nach  30  Jahren  erreicht,  da 
in  diesem  Zeitraum  sich  der  vollständige  Besitzwechsel  vollzieht.  Ferner  solle 
die  eigentliche  Erbschaftssteuer  erhöht  werden,  wenn  nur  ein  oder  zwei  Erben 
vorhanden  sind,  und  dies  würde  weitere  88  Mill.  erbringen.  —  Diese  Form  einer 
lebenslänglichen  Erbschaftssteuer,  so  sozialistisch  sie  auch  ist,  war  jedoch  nur  da- 
zu bestimmt,  auf  die  eigentliche  Ueberraschung  vorzubereiten.  Der  Gesetzentwurf 
enthält  nämlich  die  unglaubliche  Bestimmung,  daß  jederman,  der  vor  der  Ver- 
öffentlichung des  Gesetzes  einmal  eine  Erbschaft  von  mehr  als  2000  frcs.  gemacht 
hat,  die  jährliche  Steuer  für  die  abgelaufene  Zeit  nachträglich  zu  entrichten  hat. 
Mag  die  Erbschaft  schon  längst  verschwunden  oder  stark  entwertet  sein  (man 
denke  an  die  rückgängigen  Börsenkurse  und  an  den  Grund-  und  Immobilienbesitz  in 
der  Kriegszone)  —  der  „glückliche"  Erbe  muß  nachzahlen,  es  sei  denn,  er  sei  be- 
reits in  Konkurs  oder  in  gerichtlicher  Liquidation  oder  er  führe  den  Nachweis, 
daß  er  die  ererbten  Güter  verschenkt  hat.  Sogar  die  Angehörigen  der  im  Krieg 
Gefallenen  werden  nicht  verschont.  Damit  sicn  niemand  der  Steuer  entzieht,  ist 
eine  verschärfte  Kontrolle  der  gemieteten  Sicherheitsfächer  notwendig,  die  Ver- 
mieter müssen  daher  ein  Verzeichnis  derselben  einreichen  und  dürfen  nicht  ge- 
statten, daß  nach  dem  Tode  des  Mieters  oder  eines  der  Mieter  oder  eines  Ehe- 
gatten die  Oeffnung  stattfindet  ohne  die  Aufnahme  eines  Inventars  durch  Notar- 
oder Friedensrichter.  Da  sehr  viele  Geschäftshäuser  jeden  Abend  ihren  Kassen- 
vorrat und  die  Wertpapiere  im  Sicherheitsfach  verschließen,  so  muß  also  die  Firma 
die  Zahlungen  vorübergehend  einstellen,  wenn  über  Nacht  der  Chef  oder  dessen 
Frau  stirbt.  —  Es  ist  nicht  anzunehmen  daß  ein  solches  Gesetz  durchgeht,  das 
mit  einer  Abgabe  auf  das  Kapital  gleichzeitig  einen  Einblick  in  das  Vermögen 
verbindet,  von  welchem  die  besitzende  Klasse  in  Frankreich  durchaus  nichts 
wissen  will. 

Zu  den  entschiedensten  Gegnern  des  Projektes  gehört  der  „Temps",  der 
Verteidiger  des  Kapitals,  das  der  Staat  als  seine  Beute  betrachtet,  weshalb  er 
letzteren  mit  dem  Titel  „Vampir"  bezeichnet.  In  seiner  Finanz-Rundschau  zieht 
er  gleichzeitig  gegen  die  Art  zu  Felde,  wie  der  Fiskus  alles  tut,  um  die  Kapita- 
listen, deren  Mitwirkung  er  doch  jetzt  nötiger  als  je  bedarf,  abzuschrecken.  Er 
führt  hierbei  auf:  die  Einführung  der  Einkommensteuer  zum  Zweck  der  Ver- 
mögenskontrolle der  Kapitalisten,  die  dem  Staate  ihr  Geld  leihen,  die  fehlende 
Unterstützung  des  Marktes  der  Kriegsanleihe,  was  dem  Interesse  der  späteren  An- 
leihen entgegenlaufe,  die  schwierige  Lage,  in  welche  die  Herleiher  fremder  Effekten 
geraten,  da  sie  dieselben  nicht  mehr  verkaufen  können,  die  Weigerung,  den  Bahnen 
Tariferhöhungen  zu  gestatten,  und  das  Hinausschieben  der  Erneuerung  des  Privi- 
legs der  Bank  von  Frankreich.  Alles  dies  zeige  den  sozialistischen  Feldzug  gegen 
den  Besitz. 

Das  „Journal  officiel"  veröffentlich  das  Gesetz,  durch  welches  für  das  dritte 
Quartal  9873,64  Mill.  Kredite  im  Hauptbudget  und  1032,91  Mill.  im  Nebenbudget 
eröffnet  werden.  Die  von  dem  Berichterstatter  der  Kammer  gegebenen  Gesamt- 
ziffern stimmen  nicht  mit  den  von  dem  Minister  gegebenen  überein.  Der  Minister 
bezeichnet  die  Gesamtziffer  der  bis  30.  September  eröffneten  Kredite  mit  91 039  Mill., 
der  Berichterstatter  mit  92819  Mill.  (der  Unterschied  liegt  wohl  in  den  fünf 
Zwölfteln  von  1914,  die  schon  vor  dem  Kriege  bewilligt  waren),  mit  den  6013  Mill. 
Vorschüsse  an  Verbündete  erhöht  sich  die  Summe  auf  98  832  MiU.,  während  der 
Minister  von  nur  95000  spricht.  Die  Eingänge  bis  Ende  September  schätzt  der 
Berichterstatter,  wie  folgt:  Steuern  und  andere  Budgeteinnahmen  13470  Mill., 
Nationalverteidigungsbons  21700  Mill.,  dto.  Obligationen  840  Mill.,  zwei  Kriegs- 
anleihen 21920  Mill,  Bons  im  Auslande  7430  MiU.,  Anleihen  in  Amerika  3100 
Mill.,  Schatzwechsel,  sechsjährige  Obliegationen,  Vorschüsse  der  Generalsteuer- 
einnehmer 580  Mill.,   Vorschüsse  der  Banken  von  Frankreich  und   von  Algerien 


—     511    - 

12,200  Mill.  (d.  h.  der  volle  Betrag  der  bis  jetzt  festgesetzten  Vorschüsse).  Dies 
macht  zusammen  80490  Mill.,  es  würden  somit  18340  Mill.  ungedeckt  bleiben; 
aber  die  geleisteten  Zahlungen  betragen  meist  nur  80  Proz.  der  Kredite. 

Nach  einer  Meldung  der  Petersburger  Telegraphen- Agentur  vom 
15.  Juli  ergaben  die  Zeichnungen  auf  die  russische  „Freiheits- 
anleihe" vom  19.  April  bis  zum  13.  Juli  einschließlich  1922  Mill.  Rbl. 

Der  „Statist"  stellt  folgende  Liste  der  von  fremden,  krieg- 
führenden und  neutralen  Ländern  seit  Kriegsausbruch 
in  den  Vereinigten  Staaten  gemachten  Anleihen  auf,  wo- 
bei die  gemeinsame  englisch-französische  Anleihe  je  zur  Hälfte  unter 
England  und  Frankreich  verteilt  ist: 

$ 

Großbritannien  2  oo6  400  000 

Frankreich  850  500  000 

Rußland  223500000 

Italien  125000000 

Belgien  45  000  000 

Serbien  3  000  000 

Kanada  289  725  000 

Neufundland  5  000  000 

Lateinisch- Amerika  108  971  000 

China  9  000  000 

Schweiz  10  000  000 

Norwegen  6  500  000 

Griechenland  7  000  000 

Deutschland  (etwa)  10  000  000 
Ingesamt      3  699  590  000 

Die  Vorschüsse  der  letzten  Monate  sind  in  diesen  Ziffern  anscheinend  nicht 
enthalten,  ebensowenig  wie  die  —  erheblich  höheren  —  privaten  Kredite  der 
amerikanischen  Kriegslieferer  an  die  Ententestaaten. 

Ueber  die  nächste  amerikanische  Anleihe  meldet  „Morning 
Post"  aus  Washington: 

Nach  den  bisherigen  Vorbereitungen  zu  schließen,  wird  die  nächste  ameri- 
kanische Anleihe  im  September  aufgelegt  werden.  Das  genaue  Datum  sowie  der 
Zinsfuß  soll  je  nach  den  Verhältnissen  des  Geldmarktes  und  dem  Geldbedarf  der 
Eegierung  noch  festgesetzt  werden.  Das  Schatzamt  möchte  die  neue  Anleihe  gern 
wie  bisher  zu  3^/^  Proz.  auflegen,  wegen  der  Ersparnis  für  die  Eegierung,  und  um 
die  viele  Arbeit  zu  vermeiden,  die  mit  einer  Aenderung  des  Zinsfußes  und  einer 
Konvertierung  der  jetzt  im  Umlauf  befindlichen  Bonds  in  solche  mit  einem  höheren 
Zinsfuß  verbunden  wäre.  Die  Bankkreise  zweifeln  aber  am  Erfolge  der  Anleihe, 
falls  sie  nicht  mindestens  4  Proz.  steuerfreie  Zinsen  oder  47.2  Proz.  Zinsen  bei 
Heranziehung  zur  Besteuerung  bringt.  Letzteres  befürworten  viele  Finanzleute 
als  gesunderes  und  gerechteres  Steuerprinzip.  Jede  Aenderung  des  Zinsfußes  und 
jede  Steuerbefreiung  bedingt  ein  neues  Gesetz,  da  die  Zinsen  und  Auflegungsbe- 
dingungen im  ursprünglichen  Anleihegesetz  festgelegt  sind.  Dies  möchte  das 
Schatzamt  mit  ßücksicnt  auf  die  Stimmung  des  Kongresses  vermeiden.  Die  ge- 
schäftliche Lage  hat  sich  seit  der  Zeit  des  Eintritts  Amerikas  in  den  Krieg  wesent- 
lich geändert.  Damals  waren  die  Banken  mit  Geld  überladen  und  froh,  Absatz 
für  ihre  Fonds  zu  finden;  aber  die  großen  Regierungskäufe  in  den  letzten  drei 
Monaten  haben  die  Geschäfte  allenthadben  angeregt.  Die  Fabrikanten  und  andere 
Erwerbstätige  suchen  neues  Geld  für  Geschäftserweiterungen  und  zum  Ankauf 
von  Rohstoffen.  Die  Wirkung  hiervon  ist  in  der  starken  Nachfrage  nach  Geld 
und  im  kürzlichen  Steigen  des  Zinsfußes  für  tägliches  Geld  zu  bemerken.  In 
dieser  Beziehung  macht  die  Regierung  dem  Privatkapital  Konkurrenz.  Die  Re- 
gierung borgt  viel,  ebenso  die  Geschäftsleute,  um  die  für  die  erfolgreiche  Durch- 


—     512     - 

führung  des  Krieges  nötigen  Industriezweige  in  Gang  zu  halten.  Von  den 
2  Milliarden  |,  dem  Ergebnis  der  ersten  Kriegsanleihe,  wurden  1303000000  $  den 
Verbandsgenossen  entweder  bereits  geliehen  oder  für  sie  vorgemerkt,  und 
500  000  CW  $  in  Schatzscheinen  sind  am  30.  Juli  zahlbar.  Zurzeit,  und  mindestens 
bis  zur  nächsten  Anleihe  wird  der  laufende  Geldbedarf  durch  Ausgabe  von  Schatz- 
Bcheinen  gedeckt. 

Was  das  Ergebnis  der  letzten  amerikanischen  Anleihe  betrifft,  so 
ist  (nach  der  „Voß.  Ztg.")  folgendes  mitzuteilen: 

2  Milliarden  $  wurden  aufgelegt,  und  3  035  226  850  $  wurden  gezeichnet. 
Der  amerikanische  Schatzsekretär  hatte  mit  Bestimmtheit  erklärt,  da«  der  auf- 
gelegte Betrag  von  2  Milliarden  auch  im  Falle  stärkster  üeberzeichnung  nicht 
überschritten  werden  würde,  so  daß  die  Zeichner,  in  der  Gevrißheit  der  gekürzten 
Zuteilung  weit  höhere  Zeichnungssummen  riskieren  durften,  als  sie  ohne  diese 
amtliche  Erklärung  gewagt  haben  würden.  Letztere  war  also  eine  feine  Nuance 
der  amerikanischen  Anleinetechnik.  Sie  war  aber  nicht  die  einzige,  wie  aus  dem 
Juli-Zirkular  der  National  City  Bank  in  New  York  ersichtlich  ist. 

Das  genannte  Institut  gibt  über  die  Ergebnisse  der  „Freiheitsanleihe"  folgende 
Zusammenstellung  (alles  in  1000  |) : 


Zeichnungsbetrag      Gesamtzeichnung 

Zuteilung  in  Proz. 

Gesamtzuteilung 

bis  zu  loooo  $ 

I  296  685 

100  Proz. 

I  296  685 

über  lOOOO  bis  zu 

lOOOOO   $ 

560  103 

60  Proz.,  mindestens 

336062 

10  000  $ 

über  ICO  000  bis  zu 

250000  $ 

220  456 

45 

Proz.,  mindestens 
boooo  $ 

99205 

über  250000  bis  zu 

2  000  000  $ 

601  515 

39 

Proz.,  mindestens 
112500  $ 

184382 

über  2000000  bis  zu 

6  000  000  $ 

234  544 

25 

Proz.,  mindestens 
600000  $ 

58661 

über  6000000  bis  zu 

10  000  000  $ 

6674 

21   Proz. 

9802 

25000000  „ 

50000 

20,22  Proz. 

10  110 

25  250  000  „ 

65250 

20,17      „ 

5093 

3  035  227  2  000000 

Diese  Ziffern  sind  in  mehr  als  einer  Beziehung  interessant.  Sie  beweisen  zu- 
nächst, daß  die  Zeichnungsergebnisse  nichts  weniger  als  aufrichtig  sind,  weil  das 
bei  den  Zeichnungen  zwischen  10000  und  6  Mill.  ^  festgesetzte  Minimum  die 
Zuteilungsquote  in  zahlreichen  Fällen  in  Wirklichkeit  bedeutend  erhöht.  Wer, 
um  nur  ein  Beispiel  zu  wählen,  11  000  $  gezeichnet  hat,  muß  nicht  60  Proz.  = 
6600,  sondern  10  000  $,  also  über  90  Proz.,  hierauf  abnehmen.  Die  Ziffern  beweisen 
zweitens,  daß  der  Zeichnungserfolg  im  wesentlichen  dem  Gelde  der  großen  Trust« 
zu  danken  ist,  wobei  das  amerikanische  Schatzamt  in  seiner  Fürsorge  für  diese 
von  Minimalsummen  bei  der  Zuteilung  Abstand  genommen  hat. 


-    513     - 


Volkswirtschaftliche  Chronik. 

August  1917. 
I.   Produktion  im  allgemeinen. 

Inhalt:  Beschäftigungsgrad  im  August. 

Nachdem  die  Monate  Juni  und  Juli  eine  nicht  zu  unterschätzende 
Abnahme  der  gewerblich  Beschäftigten  gebracht  hatten,  trat  im 
August  erfreulicherweise  wieder  eine  Vermehrung  ein.  Die  Ab- 
nahme im  Monat  Juni  ist  damit  freilich  noch  nicht  ausgeglichen,  aber 
doch  war  Ende  August  die  Zahl  der  Beschäftigten  so  groß  wie  außer 
Juni  in  keinem  anderen  Monat  des  Jahres.  Aus  der  Höhe  der  Be- 
schäftigtenziffer kann  man  aber  zurzeit  weder  auf  den  Beschäftigungs- 
grad noch  weniger  auf  die  Arbeitsleistung  schließen.  Dazu  wären 
andere  statistische  Unterlagen  nötig,  als  wir  sie  zurzeit  haben.  Selbst 
im  Vergleich  zum  Vorjahr  kann  nicht  ohne  weiteres  behauptet  werden, 
daß  die  Leistung  sich  gehoben  habe,  obwohl  die  Zahl  der  Beschäftigten 
im  laufenden  Jahre  größer  ist  als  damals.  Wir  behaupten  vielmehr, 
daß  wir  zurzeit  nicht  in  der  Lage  sind,  zusammenfassend  für  das  ge- 
samte Gewerbe  den  Beschäftigungsgrad  oder  gar  die  Arbeitsleistung 
festzustellen.  Das  muß  gegenüber  allen  Versuchen,  ein  Wissen  vorzu- 
täuschen, das  nicht  vorhanden  sein  kann,  immer  von  neuem  wieder 
betont  werden.  Auf  Vermutungen  und  Wahrscheinlichkeiten  aber  wollen 
wir  uns  an  dieser  Stelle  nicht  einlassen.  Die  Zunahme  der  Beschäf- 
tigten im  August  stellt  sich  auf  0,44  Proz.  der  Beschäftigtenziffer  des 
Juli.  Die  Zahl  der  männlichen  Beschäftigten  stieg  um  0,21,  die  der 
weiblichen  um  0,66  Proz.  In  den  einzelnen  Monaten  des  laufenden 
Jahres  verlief  die  Bewegung  in  Prozenten  des  jeweiligen  Vormonats 
bei  den  männlichen  und  bei  den  weiblichen  sowie  bei  den  Beschäf- 
tigten überhaupt,  wie  folgt: 


mftnnliche 

weibliche 

Beschäftigte 
überhaupt 

Januar 

—    1,16 

+  o,29 

—  044 

Februar 

+  o,ii 

+    0,64 

+  0,37 

März 

+    1,04 

+    1,30 

+     1,17 

AprU 

+  3,01 

+    2,85 

+    2, SS 

Mai 

+    1,16 

+    1,64 

+    1,41 

Juni 

—   2,40 

+    0,16 

—    I.l« 

Juli 

—  0,4  9 

+    0,20 

—  0,14 

August 

+    0,21 

-f-    0,66 

+    0,44 

Wir    sehen    im    laufenden  Jahre   in  3  Monaten  eine  Abnahme,  die  nur 
im  Juni  erheblicher  ins  Gewicht  fällt.     Recht  stark    war  die  Zunahme 
in    den    Monaten    März,    April    und   Mai.     Die  Abnahmen  wurden  aus- 
Jahrb.f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXXIV 


—    514    — 

schließlich  durch  die  Bewegung  bei  den  männlichen  Beschäftigten  be- 
wirkt, die  im  Januar  und  Juni  stärkere  Minderungen  aufwiesen.  Da- 
neben aber  stehen  5  Monate  mit  Zunahmen,  die  stark  genug  waren^ 
um  eine  absolute  Verringerung  der  männlichen  Beschäftigten  im  laufen- 
den Jahre  hintanzuhalten.  Die  weiblichen  Beschäftigten  haben  in  jedem 
Monat  eine  Steigerung  erfahren :  im  Juni  und  Juli  freilich  hat  die 
Zunahme  sich  ganz  merklich  verringert.  Erst  im  August  ist  wieder 
eine  Besserung  festzustellen,  von  der  wir  hoffen  wollen,  daß  sie  auch 
in  den  Herbstmonaten  anhalten  möge.  Vom  1.  August  bis  zum  1.  Sep- 
tember stieg  bei  den  an  das  „Reichs- Arbeitsblatt"  berichtenden  Kranken- 
kassen die  Zahl  der  Beschäftigten  von  7  605  626  auf  7  639467  oder 
um  33841  Köpfe.  Davon  entfielen  7892  auf  die  männlichen  und  25  949 
auf  die  weiblichen  Beschäftigten.  Von  dieser  Zunahme  kamen  15  039 
auf  Mitteldeutschland  und  davon  nicht  weniger  als  1 1  024  wieder  auf 
Groß-Berlin.  Die  Zunahme  in  Groß-Berlin  ist  aus  einer  Reihe  von  Ge- 
sichtspunkten bemerkenswert.  Einmal  ist  sie  dadurch  bedingt,  daß  viele 
arbeitsunfähige  Kranke  bzw.  Wöchnerinnen  ersetzt  werden  mußten.  Die 
Neueinstellungen  bedeuten  also  nicht  ohne  weiteres  eine  reine  Ver- 
mehrung der  weiblichen  Beschäftigten.  Sodann  ist  zu  berücksichtigen, 
daß  in  Groß-Berlin  noch  immer  sehr  viel  weibliches  Bureaupersonal 
eingestellt  wird,  das  hauptsächlich  von  den  wachsenden  Kriegsgesell- 
schaften verlangt  wird.  In  Westdeutschland  war  die  Zunahme  der 
weiblichen  Beschäftigten  gering,  für  Ostdeutschland  ergab  sich  sogar 
eine  Abnahme,  die  durch  den  Rückgang  in  Schlesien  bewirkt  worden 
ist.  In  Norddeutschland  und  Süddeutschland  fanden  Zunahmen  statt, 
die  zu  besonderen  Bemerkungen  keinen  Anlaß  geben. 

Das  „Reichs-Arbeitsblatt"  macht  über  den  Beschäftigungsgrad 
folgende  Angaben : 

Im  Bergbau  und  Hüttenbetrieb  gestaltete  sich  die  Beschäftigung 
ebenso  lebhaft  wie  im  Vormonat.  In  der  Eisen-  und  Metallindustrie 
machte  sich  stellenweise  dem  Juli  dieses  Jahres  gegenüber  eine  weitere 
Verbesserung  der  Tätigkeit  bemerkbar.  Hier  wie  im  Maschinenbau 
trat  teilweise  ein  Fortschritt  dem  Vorjahr  gegenüber  aufs  deutlichste 
hervor.  In  der  elektrischen  Industrie  lagen  die  Verhältnisse  im  ganzen 
ebenso  günstig  wie  im  Vormonat  und  vielfach  noch  günstiger  als  im 
Jahre  zuvor.  Die  chemische  Industrie  zeigte  auch  dem  August  vorigen 
Jahres  gegenüber  zum  Teil  eine  Verbesserung,  die  sich  verschiedent- 
lich auch  schon  im  Vergleich  zum  Vormonat  bemerkbar  machte.  In  der 
Holzindustrie  sind  im  allgemeinen  keine  wesentlichen  Veränderungen 
dem  Vormonat  gegenüber  festzustellen.  Das  gleiche  gilt  vom  Spinn- 
stoff- und  Bekleidungsgewerbe.  Auch  für  den  Baumarkt  war  die  Lage 
unverändert. 

Die  Nachweisungen  der  Krankenkassen  ergeben  ftlr  die 
am  1.  September  1917  in  Beschäftigung  stehenden  Mitglieder  dem 
1.  August  gegenüber  insgesamt  eine  Zunahme  um  33841  oder  um 
0,44  V.  H.  gegenüber  einer  Abnahme  der  Beschäftigtenzahl  um  0,14 
V.  H.  bei  der  vorhergehenden  Feststellung  am  1.  August  d.  J.  War 
im  Monat  zuvor  der  Rückgang   auf  die  Verminderung   der  männlichen 


—    515    - 


Beschäftigtenzahl  zurückzuführen,  so  ist  dieses  Mal  eine  schwache  Zu- 
nahme der  männlichen  Beschäftigung  festzustellen.  Sie  beträgt  aller- 
dings nur  7892  oder  0,21  v.  H. ;  im  Vormonat  stand  dieser  Zunahme 
aber  eine  Verminderung  um  20000  oder  um  0,49  v.  H.  gegenüber.  Die 
weibliche  Beschäftigtenzahl  ist  am  1.  September  dem  Vormonat  gegen- 
über um  25  949  oder  um  0,66  v.  H.  gestiegen,  während  sie  im  Monat 
zuvor  sich  nur  um  0,20  v.  H.  erhöht  hatte.  Im  Vergleich  zum  Vor- 
jahr ist  die  Gesamtzunahme  der  beschäftigten  Krankenkassenmitglieder 
eine  nicht  unerheblich  höhere;  sie  stellte  sich  am  1.  September  1916 
nur  auf  0,06  v.  H.,  weil  damals  die  männlichen  Beschäftigten  einen 
E-ückgang  um  0,50  v.  H.  erfahren  hatten.  Beim  weiblichen  Geschlecht 
hatte  sich  allerdings  die  Zunahme  ebenso  hoch  wie  in  diesem  Jahre 
gestellt.  Bei  der  Beurteilung  der  Bewegung  der  männlichen  Beschäf- 
tigtenzahl muß  berücksichtigt  werden,  daß  die  Kriegsgefangenenarbeit 
in  den  Ergebnissen  der  Krankenkassenstatistik  nicht  enthalten  ist. 

Nachstehend  ist  die  Bewegung  der  Beschäftigten  in  den  einzelnen 
Gewerbegruppen,  soweit  sie  in  der  Berichterstattung  der  Be- 
triebskrankenkassen zum  Ausdruck  kommt,  vom  1.  August  bis 
1.  September  dargestellt.  Die  Zahl  der  versicherungspflichtigen  Mit- 
glieder betrug  am  1.  September  1917 : 


Gewerbe 

Land-    und    Forstwirtschaft, 

Gärtnerei 
Metall-,  Maschinenindustrie 

{Schlesien 
Rheinl.-Westf. 
Elektrische  Industrie 
Chemische  Industrie 
Spinnstoffgewerbe 

{Schlesien 
Rheinl.-Westf. 
Kgr.  Sachsen 
Els.-Lothringen 
Holz-  und  Schnitzwaren 
Nahrungs-  und  Genußmittel 
Bekleidung 
Baugewerbe 


davon  in 


T'gV]]      Aar 

Pflichtmitglieder 

Zu 

-  oder  Abnahme 

ZjallL    Ucr 

berichten- 
den Kassen 

abzüglich  der  arbeits- 

gegen den 

Vormonat 

unfähigen 

Kranken 

in  Prozent 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

6o 

6928 

5542 



0,52 

—  1,86 

641 

502  938 

179920 

+ 

0,30 

+    1,61 

52 

48252 

18792 

+ 

0,73 

—  1,02 

196 

138598 

48190 

+ 

0,62 

+   0,26 

14 

9  434 

10830 

+ 

1,45 

—  0,01 

83 

41448 

19469 

+ 

1,37 

+    4,05 

748 

530^9 

126  538 

— 

0,14 

+    0,90 

55 

5855 

14379 

— 

1,26 

—    1,76 

163 

II  050 

19576 

+ 

0,67 

+    2,38 

237 

13463 

37  597 

+ 

0,97 

+    1,30 

37 

I  921 

5408 

— 

5,79 

—  4,88 

63 

5878 

2328 

— 

0,12 

-    2,23 

242 

22634 

36344 

— 

1,48 

—    1,59 

71 

5008 

8978 

— 

0,22 

—   1,68 

147 

37289 

5718 

— 

0,10 

—   2,80 

Die  Zusammenstellung  der  Betriebskrankenkassenmitglieder,  die 
einen  Vergleich  mit  dem  Vormonat  bietet,  läßt  erkennen,  daß  die  männ- 
lichen Pflichtmitglieder  abzüglich  der  arbeitsunfähigen  Kranken  im  Nah- 
rungsmittelgewerbe, in  der  Land-  und  Forstwirtschaft  und  daneben  auch 
im  Spinnstoff-  und  Bekleidungsgewerbe,  im  Holz-  und  im  Baugewerbe 
eine  Abnahme,  in  der  Regel  geringfügiger  Art,  erfahren  haben,  während 
in  der  elektrischen  und  in  der  chemischen  Industrie,  daneben  im  Metall- 
und  Maschinengewerbe  eine  Steigerung  der  männlichen  Beschäftigung 
hervorgetreten  ist.  Eür  die  weibliche  Beschäftigtenzahl  ist  die  Be- 
wegung mit  zwei  Ausnahmen  die  gleiche  wie  für  das  männliche  Ge- 
schlecht.     Die   Ausnahmen    bilden   Öpinnstoffgewerbe    und    elektrische 

XXXIV* 


-    5i6    - 


Industrie.  Die  weiblichen  Arbeitskräfte  haben  im  Spinnstoffgewerbe 
nicht  wie  die  Männer  dem  Vormonat  gegenüber  eine  Abnahme,  sondern 
eine  fast  1  v.  H.  betragende  Zunahme  aufzuweisen,  während  in  der 
elektrischen  Industrie  nicht  wie  bei  den  Männern  eine  Zunahme,  son- 
dern ein  Rückgang,  allerdings  ganz  geringfügiger  Art,  festzustellen  ist. 
Zu  berücksichtigen  ist,  daß  die  Zunahme  der  weiblichen  Arbeitskräfte 
in  der  chemischen  Industrie  wie  in  der  Metall-  und  Maschinenindustrie 
verhältnismäßig  beträchtlicher  als  beim  männlichen  Geschlecht  ist. 
Andererseits  ist  dafür  auch  die  Verminderung  im  Holz-,  Bekleidungs- 
und Baugewerbe  beim  weiblichen  Geschlecht  verhältnismäßig  stärker 
ausgeprägt  als  bei  den  Männern. 

Von  den  berichtenden  Unternehmungen  gaben  282  den  Stand 
ihrer  Arbeiterschaft  im  Berichtsmonat  an.  Diese  beschäftigten  319  175 
Arbeiter.  Neben  der  Beschäftigtenzahl  im  Berichtsmonat  gaben  272 
Unternehmungen  auch  die  Zahl  der  im  Vormonat  beschäftigten  Arbeiter 
an.  Hier  waren  am  letzten  Tage  des  Berichtsmonats  insgesamt  311  588 
gegen  297  485  Arbeiter  am  Schlüsse  des  Vormonats  tätig.  Es  ist  also 
im  Berichtsmonat  dem  Vormonat  gegenüber  eine  Zunahme  der  Be- 
schäftigten um  14  103  oder  4,74  v.  H.  eingetreten.  Die  Steigerung 
gegen  den  Vormonat  geht  in  der  Hauptsache  auf  eine  Mehrbeschäf- 
tigung von  Männern  zurück. 

An  der  Erhöhung  der  Beschäftigtenzahl  sind  in  erster  Linie  Berg- 
bau und  Hüttenbetrieb,  Eisen-  und  Metallindustrie  und  der  Maschinenbau, 
daneben  auch  die  chemische  Industrie  beteiligt.  Ein  Rückgang  der  Be- 
schäftigtenzahl ist  nur  im  Nahrungsraittelgewerbe  nennenswert. 

Nachstehend  geben  wir  die  Veränderungen  in  den  einzelnen  Ge- 
werben, im  Vergleich  mit  dem  Vormonat,  tabellarisch  wieder: 


05 

Beschäftigte  am 

Zu-  oder  Abnahme 

Ol 

letzten  Tage  des 

gegen  den  Vormonat 

Gewerbegruppen 

1 

P3 

August 

insgesamt 

männl.  j  weibL 

insgesamt 

männl. 

Anzahl 

V.  H. 

Anzahl 

Bergbau  und  Hüttenbetrieb 

25 

57049 

50847 

+ 

9878+20,94 

+   7408 

+  2470 

Ei^en-  und  Metallindustrie 

35 

64087 

43  534 

+ 

1942+   312 

+    1435 

+  507 

Industrie  der  Maschinen 

89 

117030 

96013 

+ 

I  181I-I-   1,02 

+    1156 

+     25 

Elektrische  Industrie 

8 

5  202 

2359 

+ 

I24!-f    2,44 

+        99 

+     25 

Chemische  Industrie 

33 

46250 

34638 

+ 

973'+    2,15 

+      333 

+  640 

Spinnstoffgewerbe 

13 

7608 

2248 

+ 

38,4-    0,50 

—        II 

+     49 

Holzindustrie 

9 

549 

381 

+ 

21 

+    3,98 

+         ^ 

+     12 

Nahrungs-  und  Genußmittel 

12 

5  437 

1570 

107 

-    1,98 

—         0 

-  107 

Bekleidungsgewerbe 

10 

I  148 

504 

+ 

55 

+    50s 

+         9 

+     46 

Glas  und  Porzellan 

5 

2  010 

926 

+ 

6;+  0,30 

+        18 

—     12 

Papierindustrie,  Buchdruck 

23 

33'9 

2307 

— 

40 

—    1,01 

—       17 

—     23 

Sonstige  Gewerbe  (einschließlich 

Baustoffe  und  Schiffahrt) 

IG 

1299 

842 

+ 

32 

+    2,68 

+        15 

+     17 

Summe 

272 

311  588 

236  169 

l  +  J 

4103 

+    4,74 

+  10454] 

+3649 

Nach  den  Feststellungen  von  31  Fach  verbänden,  die  für  978  460 
Mitglieder  berichteten,  betrug  die  Arbeitslosenzahl  Ende  August 
7811.     Es  sind  das  0,8  v.  H.     Da   auch  Ende  Juli    1917    die  Arbeits- 


—    517    — 

losenziffer  0,8  v.  H.  betrug,  so  zeigt  sich  dem  Vormonat  gegenüber 
keinerlei  Veränderung  in  der  Grestaltung  der  Arbeitslosigkeit.  Im  Ver- 
gleich zum  August  der  drei  vorhergehenden  Jahre  ist  aber  eine  wesent- 
liche Verminderung  der  Arbeitslosigkeit  festzustellen,  denn  im  August 
1916  stellte  sich  die  Arbeitslosenziffer  auf  2,2,  im  August  1915  auf 
2,6  V.  H.  und  im  ersten  Kriegsmonat,  im  August  1914,  auf  22,4  v.  H. 
Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  läßt  im  Berichtsmonat 
für  das  männliche  Geschlecht  ein  allerdings  nur  schwaches  Steigen 
des  Andranges  der  Arbeitsuchenden  erkennen,  während  er  für  das  weib- 
liche Geschlecht  etwas  lebhafter  anstieg.  Im  August  kamen  auf  100 
offene  Stellen  bei  den  männlichen  Personen  49  Arbeitsuchende  (gegen- 
über 47  im  Vormonat);  beim  weiblichen  Geschlecht  stieg  die  Andrangs- 
ziffer im  Juli  von  83  auf  86. 


II.  Landwirtschaft  und  yerwandte  Grewerbe. 

Inhalt:  Lage  der  lan  d  wirtschaftlichen  Produktion  iVereinigteStaaten: 
Terminhandelsverbot  für  Weizen.  Weizen  preise.  Weltmarkt.  Saatkartoffel- 
preise. Butterpreis.  Braugerste.  Bekämpfung  von  Pflanzenkrankheiten.  Ver- 
ordnung über  Seetang  und  Seegras.  Viehhandelsverbände.  Selbstversorger 
durch  Hausschlachtungen  und  Jagd  Bayern:  Anlieferung  von  Brotgetreide; 
Aufforstung;  Saat  von  Frühkartoffeln.  Baden:  Kartoffel  Versorgung.  Hes- 
sen: Kartoffelpreise;  Gemüseernte.  Sachsen:  Molkeneiweiß.  Württem- 
berg: Nutzviehhandel.  Ungarn:  Spiritus.  Schweiz:  Brotkarte;  Milch; 
Beschlagnahme  von  Getreide;  Weinernte;  Einfuhr  von  Kohle;  Obstpreise. 
Schweden:  Futtermittelfrage.  England:  Getreidevorrräte ;  Lebensmittel- 
verbrauch ;  Corn  Production  Bill ;  Butterhöchstpreis.  Irland:  Flachsbe- 
ßchlagnahme.  Vereinigte  Staaten:  Weizenausfuhr.  Frankreich:  Be- 
schaffenheit des  Brotes;  Kartoffelpreis;  Haferversorgung.  Italien:  Brotkarte. 
Kußland:  Brotanteüe  in  Petersburg.  Deutsche  Märkte.  Weltmarkt. 
Schweiz:  Getreidebeschlagnahme;  Kartoffelfreigabe;  Käseverteilung.  Frank- 
reich: Grieß  und  Teigwaren.  England:  Heringe  aus  Norwegen;  Fleisch  Ver- 
sorgung Londons;  Kartoffelkrankheit.  O esterreich:  Verbrauchsmenge  von 
Mehl  Produkten ;  Kartoffelpreis.  Ungarn:  Höchstpreise  für  Weizen- und  ßoggen- 
mehl.  Schweiz:  Brotamt;  Brotkarte;  Höchstpreise  für  Hafer  und  Gerste. 
Dänemark:  Verringerung  des  Schweinebestandes.  England:  Zuschuß  zum 
Brotpreis.  Frankreich:  Brotverbrauch.  Italien:  Ausmahlung  des  Getreides. 
Eußland:  Höchstpreise.  Oesterreich:  Mohnernte.  Schweiz:  Brotver- 
ßorgung;  Buttererzeugung;  Höchstpreis  für  Butter.  Dänemark:  Korn  Verord- 
nung; Versorgung  mit  Getreide.  Frankreich:  Anbaufläche.  Vereinigte 
Staaten:  Ausfuhrverbot  für  Fleisch;  Kontrolle  über  Lebensmittel  usw.  —  An- 
bau- und  Saatenstandsberichte:  Argentinien.  Indien.  Polen.  Spanien. 
Frankreich.  —  Argentinien:  Getreideausfuhrzölle.  —  Internationaler 
Markt  für  Milch-  und  Molkereiprodukte.  —  Kanada:  Viehbestand.  —  Aufkauf 
australischer  Wolle  durch  die  britische  ßegierung. 

Ueber  die  Lage  der  landwirtschaftlichen  Erzeugung 
und  Versorgung  der  Bevölkerung  der  verschiedenen 
Länder  mit  Nahrungsmitteln  seien  hier  einige  Berichte  wieder- 
gegeben, die  der  Preisberichtsstelle  des  Deutschen  Landwirtschaftsrats 
zugegangen  und  von  ihr  zusammengestellt  sind. 

Unter  dem  4.  September  1917   heißt  es,  wie  folgt: 

Auf  dem  internationalen  Markte  hat  die  letzte  Woche  das  historische  Er- 
eignis aufzuweisen,  daß  in  den  Vereinigten    Staaten   der  Terminhandel 


Si8 


für  Weizen  und  die  Notierung  von  Terminpreisen  eingestellt  sind.  Der  Höchst- 
preis für  Weizen  ist  auf  220  Cents  für  den  Bushel  oder  rund  340  M.  für  die 
Tonne  für  Lieferung  ab  Chicago  festgesetzt. 

Entwicklung  der  Weizenpreise  seit  Anfang  Januar  1917. 
Buenos  Aires  New  York  Chicago 


1917 

100  kg 

Hardwinter 

Red  Winter 

Hardwintei 

Datum 

Nr.  2 

Nr.  2 

Nr.  2  loco 

Pesos 

Cents 

Cents 

Cents 

6.  Januar 

13,35 

220V, 





3.  Februar 

13,85 

203V 

— 

— 

3.  März 

13,65 

2277. 





2.  April 

238V, 

— 

— 

1.  Mai 

15,45 

297V« 

— 

— 

2.  Juni 

18,15 

— 



2.  Juli 

l8,65 

— 





3.  August 

18,45 

260 

— 

— 

11.      ,, 

l8,40 

— 

— 

— 

18.      „ 

17,75 

234 

— 

— 

25.      „ 

l6,7o 

231V4 

— 

— 

27.      „ 

— 

230 

— 

— 

28.      „ 

— 

230 

212V. 

222V, 

29.      „ 

— 

230 

215 

226 

30.      „ 

— 

230 

220 

228 

31.      „ 

— 

230 

220 

226V. 

1.  September 

— 

— 

dagegen 

1916: 

10,25 

154 

— 

— 

Der  Weltmarkt  zeigte  in  der  letzten  Woche  folgendes  Bild: 

Weizenpreise  für  die  Tonne  (Umrechnung  nach  dem  Friedenskurs): 

Letzte  Vorletzte  Zu-  bzw. 

Woche  Woche  Abnahme 

M.  M.  M. 

New  York:     Hardwinter  Nr.  2                    354,30  35^,80  — 1,90 

Chicago:          Redwinter  Nr.  2  loko            339,^5  —  — 

Hardwinter  Nr.  2  loko          349,50  —  — 

Die  landwirtschaftlichen  Körperschaften  Deutschlands  haben  in  der  vom 
Ausschuß  für  Pflanzkartoffeln  einberufenen  Versammlung  vom  24.  August  folgende 
Eichtpreise  für  Pflanzkartoffeln  vereinbart:  Der  Pflanzkartoffelzuschlag 
auf  den  Höchstpreis  für  verlesene  Speisekartoffeln  beträgt  für  50  kg:  für  die 
Sorten:  Juliniere,  Sechswochenkartoffein,  Atlanta,  Ovale  Frühblaue,  Mühlhäuser, 
Goldperle,  Bonifacius  5  M. ;  für  die  Sorten:  Odenwälder  Blaue,  Kaiserkrone, 
Frühe  Eose,  Bürckners  Früheste,  Cimbals  Frühe  Ertragreiche  und  Zwickauer 
Frühe  4  M. ;  für  die  Sorten:  Ella,  Alma,  Fürstenkrone,  Weltwunder,  Industrie, 
üp  to  date  3  M. ;  für  alle  übrigen  Sorten  2  M.  Soweit  es  sich  um  anerkannte 
Pflanzkartoffeln  handelt,  erhöhen  sich  diese  Zuschläge  für  je  50  kg  um  1,50  M., 
für  den  zweiten  anerkannten  Nachbau  um  weitere  50  Pf.,  für  ersten  anerkannten 
Nachbau  fernerhin  um  50  Pf.  für  je  50  kg.  Originalzüchtungen  und  deren  ver- 
tragsmäßiger Vermehrungsanbau  (anerkannte  Saathochzuchten  im  Sinne  des  §  3 
Abs.  II  der  Verordnung  über  Kartoffeln  vom  16.  August  1917,  Nr.  59,  96) 
bleiben  frei  von  Eichtpreisen. 

Der  Präsident  des  Kriegsernährungsamts  hat  in  einer  Verordnung  vom 
25.  August  eine  Neuregelung  der  Preise  für  Butter  eingeführt.  Danach 
wird  der  Preis  für  Molkereibutter,  den  der  Hersteller  beim  Verkauf  im  Groß- 
handel frei  Berlin  einschließlich  Verpackung  fordern  kann  (Grundpreis)  1)  für 
Handelsware  I   (Ware  von   einwandfreier  Beschaffenheit)   auf  höchstens  240  M., 

2)  für   Handelsware  II   (nicht  vollwertige  Speisebutter)    auf  höchstens   220  M., 

3)  für  abfallende  Ware  auf  höchstens  180  M.  für  50  kg  festgesetzt.    Die  Fest- 


-    519    - 

fletzung  niedrigerer  Herstellerhöchstpreise  für  Molkereibutter  unterliegt  keiner  Be- 
schränkung. Höhere  Herstellerhöchstpreise  dürfen  ohne  Zustimmung  der  Reichs- 
ßtelle  für  Speisefette  nur  für  Gebiete  festgesetzt  werden,  in  denen  Erzeugerhöchst- 
preise für  Vollmilch  bestehen;  sie  sind  nur  in  der  Art  zulässig,  daß  der  Höchst- 
preis für  Va  kg  Butter  nicht  mehr  als  das  8V4-fache  des  am  Orte  der 
Niederlassung  oder  des  Sitzes  des  Herstellers  für  einen  Liter  Vollmilch  bestehen- 
den Erzeugerhöchstpreises  und  höchstens  3  M.  beträgt.  Abrundungen  des  Höchst- 
preises für  50  kg  auf  volle  Mark  nach  oben  sind  zulässig.  Der  Preisunterschied 
zwischen  Handelsware  I  und  Handelsware  II  muß  mindestens  20  M.  für  50  kg 
betragen.  Die  Zuschläge  für  den  Weiterverkauf  dürfen  höchstens  betragen :  1)  für 
den  Kommunal  verband  oder  die  Gemeinde,  an  welche  die  Lieferung  erfolgt,  zur 
Deckung  ihrer  Unkosten,  zu  denen  außer  den  Verwaltungskosten  die  verauslagte 
Fracht,  der  Unkostenbeitrag,  den  der  liefernde  Kommunal  verband  und  die  Ver- 
teilungsstellen berechnen,  und  der  nicht  mehr  als  insgesamt  5  M.  für  50  kg  be- 
tragen darf,  und  die  Abgabe  an  die  ßeichsstelle  für  Speisefette  gehören,  höchstens 
12  M.;  2)  im  Großhandel  höchstens  5  M. ;  3)  im  Kleinhandel  höchstens  13  M. 
für  50  kg. 

Es  ist  in  Aussicht  genommen,  monatlich  etwa  20000—30000  t  Gerste  den 
Brauereien  zu  überweisen,  so  daß  über  die  für  Brauzwecke  bestimmte  Gerste 
in  etwa  4—6  Monaten  verfügt  sein  wird.  Ohne  Bayern  steUt  sich  der  Friedens- 
verbrauch der  deutschen  Brauereien  auf  etwa  1,2  Mill.  t  Gerste.  Die  Zuteilung 
im  neuen  Erntejahr  beläuft  sich  infolgedessen  auf  höchstens  27,  v.  H.  des 
Friedensverbrauches.  In  der  Gerstenbewirtschaftung  ist  für  die  diesjährige  Ernte 
insofern   eine  Aenderung  eingetreten,  als  sie  auf  die  Eeichsgetreidestelle  überge- 

fangen  ist.  Diese  hat  die  Zuteilung  der  Gerste  auf  die  einzelnen  Brauereien  dem 
)eutschen  Brauerbund  übertragen,  der  zu  diesem  Zweck  eine  Gersten  verteilungs- 
steile einrichten  wird.  Mit  dieser  Stelle  wird  auch  die  Vermittlungsstelle  rar 
Kontingentsübertragung  verbunden  werden. 

Durch  Bekanntmachung  des  Bundesrats  vom  30.  August  werden  die  Landes- 
zentralbehörden ermächtigt,  Vorschriften  zur  Bekämpfung  von  Krank- 
heiten der  zur  menschlichen  Ernährung  oder  zur  Fütterung 
dienenden  Pflanzen  zu  erlassen,  soweit  die  Bekämpfung  der  Krankheiten 
solcher  Pflanzen  nicht  bereits  reichsrechtlich  geregelt  ist. 

Eine  Ausführungsbestimmung  des  Präsidenten  des  Kriegsernährungsamtes 
vom  24.  August  zur  Verordnung  über  Seetang  und  Seegras  vom  6.  Juni 
1917  bestimmt:  Die  Eisenbahngüterabfertigungen  sind  berechtigt,  Seetang  und 
Seegras  sowie  die  Bestellungen  von  Wagen  für  solche  Sendungen  nur  anzu- 
nehmen, wenn  der  Versender  oder  Besteller  einen  Frachtbrief  mit  der  schrift- 
lichen Beförderungsgenehmigung  des  Kriegsausschusses  für  Ersatzfutter  G.  m.  b.H. 
in  Berlin  oder  eine  vom  löiegsausschuß  gemäß  §  2  Abs.  2  der  Verordnung  er- 
teilte Bescheinigung  vorlegt,  daß  der  Kriegsausschuß  die  Ueberlassung  der  zu 
versendenden  Mengen  nicht  verlangt  hat. 

Provinzialfleischstellen  (Viehhandelsverbändej  haben  häufig 
die  Wahrnehmung  gemacht,  daß  durch  die  Unteraufkäufer  den  Landwirten 
Schlachtvieh  abgenommen  wurde,  welches  dann  in  vielen  Fällen  ohne  Wissen 
des  Verkäufers  als  Nutz-  oder  Zuchtvieh  weiterverkauft  oder  eingetauscht  wurde, 
ohne  daß  der  Verkäufer  den  vollen  Preis  erhalten  hat,  den  sein  Tier  als  Nutz- 
oder Zuchtvieh  erbrachte.  Dies  verstößt  gegen  die  Bestimmungen.  Die  betei- 
ligten Provinzialfleischstellen  veranlassen  nun  die  Ortspolizeibehörden,  die  Unter- 
aufkäufer auf  das  Unzulässige  ihres  Verfahrens  hinzuweisen,  da  dem  Verkäufer 
eines  Schlachttieres  der  volle  Betrag  zusteht,  den  es  als  Nutz-  oder  Zuchtvieh 
erbringt. 

Nach  den  Neuregelungen  der  Hausschlachtungen  und  Not- 
schlachtungen für  Preußen  gilt  als  Selbstversorger  mit  Fleisch,  wer  durch 
Hausschlachtungen  oder  durch  Ausübung  der  Jagd  Fleisch  und  Fleisch- 
waren zum  Verbrauch  im  eigenen  Haushdt  gewinnt.  Selbstversorgung  durch 
Hausschlachtung  kann  nur  eintreten,  wenn  das  zur  Schlachtung  bestimmte  Kind, 
Schwein  oder  Schaf  mindestens  3  Monate  in  eigener  Wirtschaft  gehalten  wird. 
Das  Tier  ist  in  eigener  Wirtschaft  gehalten,  wenn  der  Eigentümer  während  der 
angegebenen   Zeit   zum   wenigsten   a)   Gewahrsam   am  Stall  gehabt,   b)  das  Tier 


—      520     — 

und  die  Futtermittel  selbst  beschafft,  c)  die  Fütterung  selbst  oder  durch  Gesinde 
oder  sonstige  Angestellte  besorgt  hat.  Kälber  bis  zu  6  Wochen  muß  der  Selbst- 
versorger selbst  aufgezogen  haben.  Mehrere  Personen,  die  für  den  eigenen  Ver- 
brauch gemeinsam  Schweine  mästen,  werden  ebenfalls  als  Selbstversorger  ange- 
sehen. Gemeinschaftliche  Mästung  liegt  vor,  wenn  die  Wirtschaftsführung  ge- 
meinsam ist,  also  das  Schwein  in  einer  Wirtschaft  gehalten  wird,  die  vöflig 
gemeinsam  von  verschiedenen  Personen  betrieben  wird;  dies  gilt  bei  mehreren 
Miteigentümern  und  Mitpächtern  auch  dann,  wenn  einzelne  dieser  Personen  nicht 
am  Mästungsorte  selbst  wohnen,  solange  sie  nur  die  Wirtschaft  mitbetreiben. 
Gemeinschaftliche  Selbstversorgung  ist  auch  dann  noch  möglich,  wenn  nicht  die 
ganze  Wirtschaftsführung  der  Beteiligten  gemeinsam  ist,  sondern  nur  die  Be- 
wirtschaftung der  Schweinemästung  gemeinsam  erfolgt.  Zur  Gemeinsamkeit  der 
Mästung  in  diesem  Falle  gehört,  daß  alle  wesentlichen  Vorgänge  der  Mästungen 
gemeinsam  durchgeführt  werden,  daß  also  das  Tier  gemeinsam  beschafft,  der 
Stall  gemeinsam  bereitgestellt  wird  und  die  Fütterung  und  Bedienung  gemeinsam 
oder  durch  gemeinsame  Organe  durchgeführt  werden.  Es  genügt  nicht,  daß  sich 
einzelne  nur  mit  Geld  oder  Futterbeschaffung  beteiligen. 

In  Bayern  hat  das  Staatsministerium  des  Innern  aUe  Kommunal  verbände 
angewiesen,  die  Abnahme  von  Brotgetreide  von  den  Landwirten  auf 
14  Tage  einzustellen.  Die  Handelsgetreidestelle  kann  in  einzelnen  Fällen  Aus- 
nahmen zulassen.  Diese  Sperrzeit  soll  dazu  benützt  werden,  um  die  Läger  soviel 
als  möglich  zu  entlasten  und  für  neue  Anlieferungen  Eaum  zu  schaffen. 

Vielfache  Klagen  über  Aufforstung  bisher  landwirtschaftlich  benützten 
Bodens  haben  dem  bayrischen  Kriegsministerium  zur  Hintanhaltung  dieser 
der  allgemeinen  Volksernährung  abträglichen  und  im  gegenwärtigen  Zeitpunkt 
ganz  besonders  unerwünschten  Erscheinung  Anlaß  gegeben,  solche  Aufforstungen 
auf  Grund  des  Kriegszustandsgesetzes  zu  verbieten.  Zuwiderhandlungen  sind 
mit  strengen  Strafen  bedroht. 

In  Bayern  hat  das  Staatsministerium  des  Innern  die  Kommunalverbände 
zur  Sicherung  des  Bedarfs  an  Saatgut  von  Frühkartoffeln  ange- 
wiesen, Frühkartoffeln,  die  ihnen  von  der  Landesfuttermittelstelle  als  Saatgut  be- 
zeichnet werden,  zu  Speisezwecken  nicht  abzufordern.  Die  zu  Saatzwecken  be- 
gtimmten  Frühkartoffeln  dürfen  vor  vollständigem  Absterben  des  Krautes  nicht 
aus  dem  Boden  genommen  werden,  da  sie  sonst  zu  Saatzwecken  untauglich  sind. 
In  der  Eegel  läßt  die  Landesfuttermittelstelle  vor  der  Eeife  eine  Besichtigung  der 
zum  Verkauf  als  Saatgut  angemeldeten  Feldbestände  vornehmen.  Die  Geschäfts- 
abteilung der  Landesfuttermittelstelle  wird  den  Erzeugern  für  Herbstlieferungen 
(September  -  Oktober)  an  Saatgut  von  Frühkartoffeln  einen  Preis  von  10  M.  für 
den  Zentner  gewähren.  Die  Saatkartoffeln  sind  sortenrein,  in  innerlich  und 
äußerlich  gesunder  handverlesener  Ware  mit  höchstens  V/^  v.  H.  Erdbesatz  zu 
liefern.     Sie  dürfen  nicht  unter  4  cm  mittleren  Durchmesser  haben. 

Die  badische  Kartoffelversorgung  in  Karlsruhe  hat  den  Höchstpreis 
für  Frühkartoffeln  aus  der  Ernte  1917  vom  1.  September  ab  auf  6,50  M.  für 
den  Zentner  beim  Verkauf  durch  den  Erzeuger  festgesetzt. 

Die  Landeskartoffelstelle  im  Großherzogtum  Hessen  hat  den  Erzeuger- 
höchstpreis für  Kartoffeln  vom  20.  August  ab  auf  7,50  M.  für  den  Zentner 
und  den  Kleinhandelshöchstpreis  für  Kartoffeln  vom  1.  September  ab  auf  10  Pfg. 
für  das  Pfund  festgesetzt. 

Im  Großherzogtum  Hessen  hat  das  Ministerium  des  Innern  durch  Be- 
kanntmachung vom  28.  August  1917  bestimmt,  daß  vor  dem  1.  Oktober  außer 
zur  Verwendung  in  der  eigenen  Wirtschaft  nicht  geerntet  werden  dürfen: 
Herbstweißkohl  und  Dauerweißkohl  (Weißkraut),  Herbstrotkohl  und  Dauer- 
rotkohl (Rotkraut),  Herbstwirsingkohl  und  Dauerwirsingkohl,  Runkelrüben  (Dick- 
wurz),  Kohlrüben,  Möhren  aller  Art  mit  Ausnahme  der  Karotten.  Als  Karotten 
gelten  nicht  die  feldmäßig  angebauten  roten  Pferdemöhren.  Ausnahmen  können 
auf  Antrag  von  dem  zuständigen  großherzoglichen  Kreisamt  in  besonderen  Fällen 
gestattet  werden. 

Im  Königreich  Sachsen  sind  für  den  Verkauf  von  Molkeneiweiß  mit 
einem  Wassergehalt  von  höchstens  68  v.  H.  folgende  Richtpreise  aufgestellt: 
a^  Bei  Abgabe  durch  den  Hersteller  in  handelsüblicher  Weise  60  M.  für  50  kg, 
b)  bei  Abgabe  an  den  Verbraucher  im  Kleinhandel  72  Pfg.  für  1  Pfund. 


—    521     — 

In  Württemberg  ist  durch  eine  Verfügung  vom  25.  August  der  Handel 
mit  Nutzvieh  (Rindvieh)  jeder  Art  (Zucht-,  Zug-,  Mager-  oder  Anstellvieh) 
bis  auf  weiteres  verboten.  Abgeschlossene,  noch  nicht  ausgeführte  Aufkäufe  von 
^Nutzvieh  durch  Händler  sind  nichtig.  Viehhaltern  ist  die  Veräußerung  und  der 
Erwerb  von  Nutzvieh  durch  Vermittlung  des  Handels  untersagt.  Zugelassen  ist 
nur  die  Veräußerung  von  Nutzvieh  von  einem  Viehhalter  unmittelbar  an  einen 
anderen  Viehhalter  für  dessen  eigenen  Wirtschaftsbetrieb.  Der  Erwerber  hat  dem 
Veräußerer  beim  Erwerb  eine  Bescheinigung  des  Schultheißenamtes  seines  Wohn- 
sitzes zu  übergeben,  daß  er  das  Nutztier  für  seinen  Wirtschaftsbetrieb  benötigt. 
Der  Veräußerer  hat  den  Verkauf  des  Tieres  unter  Anschluß  dieser  Bestätigung 
dem  Schultheißen amt  seines  Wohnsitzes  anzuzeigen.  Die  Abhaltung  von  öffent- 
lichen Rindviehmärkten  ist  verboten.  Das  Aufkaufsgebiet  der  zum  Viehverkauf 
für  den  eigenen  Betrieb  zugelassenen  Metzger  wird,  soweit  es  sich  über  den  Ober- 
jimtsbezirk  ihres  Betriebssitzes  erstreckt,  beschränkt  auf  diesen  Oberamtsbezirk 
und  außerhalb  desselben  auf  einen  Umkreis  von  15  km  um  den  Ort  des  Betriebs- 
ßitzes.  Der  Aufkauf  von  Schlachtvieh  durch  die  von  der  Fleischversorgungsstelle 
zugelassenen  gewerbsmäßigen  Händler  oder  von  ihr  beauftragten  sonstigen  Per- 
ßonen  darf  durch  Anordnungen  der  Bezirks-  und  Gemeindebehörden  nicht  be- 
schränkt werden. 

In  Ungarn  verfügt  eine  Regierungsverordnung  die  Beschlagnahme  der 
diesjährigen  Spiritusproduktion,  weil  die  Kartoffel  infolge  der  schlechten 
Ernte  für  die  Spiritusproduktion  nicht  verwendet  werden  darf.  Die  bisherige 
Beschlagnahme  betrug  60  Proz.  Der  Finanzminister  wird  die  für  Konsumzwecke 
notwendige  Menge  durch  einzelne  Fabriken  selbst  herstellen  lassen  und  auf  ent- 
sprechende Weise  für  die  Konsumenten  anweisen. 

In  der  Schweiz,  wo  vom  1.  Oktober  an  die  Brotkarte  eingeführt  wird, 
besteht  die  Absicht,  das  Mehl  durch  Zusatz  von  Kartoffeln  zu  strecken. 
Es  wird  ein  Zusatz  von  mindestens  40  Proz.  frischer  (gedämpfter  oder  roher)  gut 
verriebener  Kartoffeln  empfohlen.  Da  der  Wassergehalt  der  Kartoffeln  durch- 
schnittlich 75  Proz.,  derjenige  des  Mehls  13  Proz.  und  derjenige  des  Brotes  rund 
38  Proz.  beträgt,  so  würde  ein  Kartoffelzusatz  von  40  Proz,  etwa  15  Proz.  des 
fertigen  Brotes  ausmachen. 

Zur  besseren  Versorgung  des  Landes  mit  Milch  und  Milchprodukten 
ißt  in  der  Schweiz  im  Anschluß  an  die  Abteilung  für  Landwirtschaft  eine  eid- 

genössische  Zentralstelle  für  Milch  und  Milcherzeugnisse  errichtet,  welche  u.  a. 
ie  bisherigen  Funktionen  der  eidgenössischen  Butterzentrale  übernimmt.  Die 
Leitung  der  Zentralstelle  ist  Professor  Peter,  Direktor  der  Molkereischule  Rütti, 
übertragen.  Durch  den  Bundesratsbeschluß  vom  17.  August  dieses  Jahres  sind 
die  bisherigen  Bestimmungen  vom  18.  April  wirksam  ergänzt  worden.  Danach 
ist  das  Volkswirtschaftsdepartement  ermächtigt,  jederzeit  Milch  und  Milcherzeug- 
nisse für  die  Landesversorgung  freihändig  oder  durch  Requisition  zu  den  geltenden 
Höchstpreisen  zu  erwerben,  die  Eigentümer  anzuhalten,  diese  Produkte  in  ord- 
nungsmäßiger Aufmachung  an  Sammelstellen  abzuliefern,  für  das  ganze  Land 
oder  einzelne  Gebiete  einschränkende  Vorschriften  über  Verwendung  von  Milch 
zur  Aufzucht  und  Mast,  sowie  über  die  Milch  Verarbeitung  in  der  Hauswirtschaft 
zu  erlassen,  bestimmte  Verarbeitungsarten  vorzuschreiben  oder  zu  verbieten,  den 
Handel  mit  Milch  und  Milcherzeugnissen  zu  kontrollieren,  an  Bedingungen  zu 
knüpfen,  ihn  einzuschränken  oder  ganz  zu  verbieten,  und  endlich  Verträge  über 
Lieferung  von  Milchprodukten  im  öffentlichen  Interesse  aufzuheben. 

Das  schweizerische  Militärdepartement  hat  in  einer  Verfügung  vom 
25.  August  die  näheren  Bestimmungen  über  die  Verwendung  und  Ent- 
eignung des  beschlagnahmten  Getreides  und  die  Selbstversorgung  der 
Getreideproduzenten  erlassen.  Alles  inländische  Getreide,  das  nicht  zur  Saat  be- 
nötigt wird  oder  zur  Selbstversorgung  überlassen  bleibt  (pro  Person  der  Ertrag 
von  8  Ar  Brotgetreide),  ist  von  der  Gemeinde  zu  Händen  der  Inlandgetreidestelle 
zur  Verfügung  zu  halten.  Für  die  Berechnung  des  Ertrages  gelten  die  folgenden 
Durchschnittsansätze,  nach  Abzug  des  Saatgutes  für  die  gleiche  Fläche,  wie  sie 
1917  bestellt  war.  Winterweizen  und  Winterroggen  15  kg,  Winterkorn  (Spelz, 
Dinkel)  21  kg,  Sommerweizen  und  Sommerroggen  11  kg,  Sommerkorn  15  kg, 
Einkorn  12  kg,  Emmer  9  kg,  Winter-  und  Sommergerste  12  kg,  Hafer  12  kg  pro 
Ar.    In  Höhenlagen  über  700  m  darf  für  jede  weiteren  100  m  ein  Minderbetrag 


—     522      — 

von  2  kg  von  diesen  Ansätzen  in  Abzug  gebracht  werden.  Die  Getreideprodu- 
zenten sind  verpflichtet,  am  1.  Oktober  1917  mit  der  Selbstversorgung  zu  be- 
ginnen. Von  dem  in  einer  Gemeinde  gepflanzten  Hafer  dürfen  pro  Pferd,  da« 
m  der  Gemeinde  gehalten  wird,  800  kg  pro  Jahr  zurückbehalten  werden.  Vom 
Rest  sind  50  Proz.  von  der  Gemeinde  zur  Verfügung  der  Inlandgetreidestelle  zu 
halten.  Von  der  in  einer  Gemeinde  gepflanzten  Gerste  sind  40  Proz.  von  der 
Gemeinde  der  Inlandgetreidestelle  zu  halten.  Ausnahmen,  besonders  für  Gegenden, 
wo  die  Gerste  und  der  Hafer  zur  menschlichen  Ernährung  dienen,  kann  die  In- 
landgetreidestelle bewilligen.  Die  noch  vorhandenen  Getreidevorräte  früherer 
Ernten  sind  vom  1.  Oktober  1917  an  dem  Getreide  der  Ernte  1917  gleichgestellt. 
Für  die  Erwerbung  des  Getreides  gelten  für  gute,  trockene  und  gereinigte  Ware 
die  folgenden,  auf  Grundlage  des  Abgabepreises  für  Monopolgetreide  festgesetzten 
Preise,  die  100  kg  netto,  oder  brutto  für  netto  (Sack  für  Ware),  auf  Abgangs- 
station geliefert:  Winter-  und  Sommerweizen  64  frcs.  (518,40  M.  für  die  Tonne), 
Winter-  und  Sommerroggen  64  frcs.  (518,40  M.  für  die  Tonne),  Winter-  und 
Sommerdinkel  57  frcs.  (461,70  M.  für  die  Tonne),  Einkorn  und  Emmer  64  frcs. 
(518,40  M.  für  die  Tonne),  Hafer  58  frcs.  (469,80  M.  für  die  Tonne),  Gerste  60  frcs. 
(486, —  M.  für  die  Tonne).  Für  geringe,  nicht  genügend  trockene  oder  nicht  ge- 
nügend gereinigte  Ware  wird  entsprechend  weniger  bezahlt.  Liefert  ein  Getreide- 
produzent  mehr  als  die  vorgeschriebene  Menge  ab,  so  erhöht  sich  für  diese  Mehr- 
ablieferung der  Preis  um  4  frcs.  pro  100  kg  beim  Brotgetreide,  und  um  3  frcs. 
bei  Hafer  und  Gerste  Jede  Gemeinde  ist  verpflichtet,  den  durch  die  Erhebung 
berechneten  Ueberschuß  über  den  Selbstversorgungsbedarf  der  Inlandsgetreide- 
ßtelle  resp.  deren  Beauftragten  zur  Verfügung  zu  halten  und  nach  Weisung  der 
Inlandgetreidestelle  abzuliefern.  Die  Inlandgetreidestelle  stellt  nach  der  Menge 
des  ihr  abgelieferten  Brotgetreides  Kleie  und  Ausmahleten  den  Gemeinden  zur 
Abgabe  an  die  berechtigten  Getreidelieferanten  zur  Verfügung.  Mit  der  Prüfung 
des  Getreides,  das  nicht  in  mahlfähigem  Zustande  gebracht  werden  kann,  werden 
die  schweizerischen  agrikulturchemischen  Anstalten,  eventuell  in  Verbindung  mit 
den  schweizerischen  Samen  Untersuchungsanstalten,  beauftragt.  Die  tägliche  Brot- 
ration der  Selbstversorger  mit  eigenem  Getreide  beträgt  in  der  Annahme  von 
15  kg  Ertrag  pro  Ar  etwas  über  400  g.  Nach  den  Erhebungen  des  Bauem- 
sekretariats  beträgt  der  Brotkonsum  auf  dem  Lande  pro  Kopf  und  Tag  im 
Durchschnitt  460  g.  Die  Beschlagnahme  ist  auch  auf  Hafer,  (Jerste  und  Mais 
ausgedehnt,  so  daß  auch  diese  dem  freien  Verkehr  entzogen  sind,  doch  ist  es 
den  Produzenten  von  Hafer,  Gerste  und  Mais  gestattet,  diese  Getreidearten  zu 
eigenem  Verbrauch  als  menschliche  Nahrung,  als  Futtermittel  und  als  Saatgut 
zu  verwenden.  Kleie  und  Ausmahleten  werden  zu  den  Abgabepreisen  des  Bundes 
nach  der  Menge  des  abgelieferten  Getreides  zurückerstattet.  Für  den  Verkehr 
mit  gewöhnlichem  Getreidesaatgut  sind  Höchstpreise  festgesetzt.  Diese  Höchst- 
preise betragen  für  den  Ankauf  von  Getreidesaat  beim  Produzenten:  für  saatfertige 
gereinigte  Ware:  Winter-  und  Sommerweizen  und  Winter-  und  Sommerroggen 
71  frcs.,  Winter-  und  Sommerdinkel,  Flegeldrusch  mit  mehr  aus  43  kg  Hektoliter- 

fewicht  70  frcs.,  gewöhnlicher  Winter-  und  Sommerdinkel  66  frcs.,  Einkorn  und 
Immer  71  frcs.,  Hafer  68  frcs.  und  Winter-  und  Sommergerste  69  frcs. ;  für  nicht 
saatfertig  gereinigte  Ware:  Winter-  und  Sommerweizen,  Winter-  und  Sommer- 
roggen, Einkorn  und  Emmer  67  frcs.,  Winter-  und  Sommerdinkel  60  frcs.,  Hafer 
63,  Winter-  und  Sommergerste  65  frcs. 

Die  Schweiz  ist  zu  diesen  strengeren  Bestimmungen  über  die  Getreide- 
versorgung durch  die  Knappheit  der  Vorräte  gezwungen.  Seit  Mitte  Juli  wurde 
kein  Dampfer  Weizen  mehr  mit  schweizerischer  Bestimmung  in  Amerika  ver- 
schickt. Der  letzte  Dampfer,  der  in  See  stach,  ist  längst  in  Cette  eingetroffen. 
Von  dort  aus  findet  ein  mäßiger  Weitertransport  nach  der  Schweiz  statt.  Die 
sämtlichen,  in  der  Schweiz  und  in  Cette  liegenden  Vorräte  reichen  nur  hin,  den 
schweizerischen  Bedarf  bis  nächsten  Januar  zu  decken.  Die  Zufuhrverhältnisse 
bringen  es  mit  sich,  daß  ständig  von  den  im  Lande  befindlichen  Vorräten  gezehrt 
werden  muß,  d.  h.  daß  der  tägliche  Einlauf  hinter  dem  täglichen  Bedarf  zurück- 
bleibt. Zu  den  eingeführten  Vorräten  kommt  nun  allerdings  der  Ertrag  der 
Inlandsernte,  der  letztes  Jahr  aber  fast  vollständig  außer  Rechnung  gefallen  ist. 
In  der  Schweiz  plant  man  Maßnahmen  zum  Schutze  der  in- 
ländischen Weinernte  gegen  das  vielerorts  einsetzende  Spekulantentum. 


—    523    — 

In  dem  neuen  Wirtschaftsvertrage  zwischen  Deutschland  und 
der  Schweiz  ist  ein  monatliches  Quantum  von  200000  Kohle  nach  der  Schweiz 
vorgesehen,  das  von  74  000  t  an  aufwärts  in  Relation  zu  dem  Handelskredit  von 
20  Mill.  frcs.  gebracht  wird. 

Das  schweizerische  Volkswirtschaftsdepartement  hat  Normalpreise 
für  Obst  festgesetzt.  Die  Vermittlung  erfolgt  durch  die  Verbände  landwirt- 
schaftlicher Genossenschaften  und  durch  den  Verband  schweizerischer  Obst- 
handels- und  Obstverwertungsfirmen. 

In  Schweden  hat  die  Volkshaushaltskommission  ihre  Erhebungen  über 
den  Stand  der  Futtermittelfrage  abgeschlossen  und  festgestellt,  daß  für 
das  laufende  Jahr  statt  der  im  Frieden  benötigten  2  Mill.  t  nur  800000  t  = 
40  V.  H.  des  Normalbedarfs  zur  Verfügung  stehen.  Da  mit  einer  nennenswerten 
Einfuhr  an  Futtermitteln  nicht  zu  rechnen  ist,  hat  die  Kommission  folgendes 
verfügt:  Der  einzelne  Landwirt  darf  außer  seinem  Saatgut  100  kg  Futtermittel- 
saat pro  ha  und  50  kg  für  jedes  Stück  Vieh  behalten  und  darüber  frei  verfügen. 
Das  übrige  ist  für  den  Staat  beschlagnahmt. 

„Scotsman"  vom  15.  August  berichtet  aus  London:  Die  hoffnungsvollen 
Aeußerungen  aus  Regierungskreisen  über  die  vorhandenen  Getreidevorräte 
und  die  künftigen  Zufuhren  werden  in  Handelskreisen  nicht  geteilt.  Hier  glaubt 
man,  daß  die  Schätzung  der  für  England  verfügbaren  Getreidemengen  einschließ- 
lich der  diesjährigen  Ernte  auf  23  Mill.  Quarter  zu  hoch  gegriffen  ist.  An- 
genommen, daß  die  englische  Ernte  7  Mill.  Quarter  ergeben  wird,  und  daß  die 
Vorräte  in  den  englischen  Häfen  dieses  Quantum  um  etwas  übertreffen,  so  müssen 
noch  große  Mengen  eingeführt  werden.  Durch  das  unbeständige  Wetter,  die 
Einführung  des  neuen  Pence- Brotes  und  ungünstige  Nachrichten  über  die  ameri- 
kanische Ernte  sind  die  Aussichten  ziemlich  unklar. 

In  England  mahnen  die  „Times"  zur  Sparsamkeit  in  den  Lebens- 
mitteln. Der  landwirtschaftliche  Mitarbeiter  der  Times  schreibt:  Auf  eine  der 
schlechtesten  Saatjahreszeiten  ist  eine  ebenso  ungünstige  Ernte  gefolgt.  Der 
Schaden,  den  die  schweren  Regengüsse  von  Anfang  angerichtet  haben,  ist  nicht 
wieder  gut  gemacht  worden.  Der  Regen  hielt  die  ganze  Zeit  über  im  ganzen 
Lande  an,  so  daß  die  Feldfrüchte  zu  Boden  liegen  und  das  Mähen  und  Ein- 
bringen verzögert  wird.  Durch  den  Sturm  am  28.  August  wurde  die  Lage  außer- 
ordentlich verschlechtert.    Die  Ernte  wird  sehr  ungünstig. 

Nach  den  „Times"  vom  22.  August  hat  die  englische  Corn  Production 
Bill,  nachdem  sie  im  Parlament  erledigt  worden  war,  am  21.  August  durch  die 
Zustimmung  des  Königs  Gesetzeskraft  erhalten.  Im  Zusammenhang  damit  weist 
eine  amtliche  Mitteilung  alle  Arbeitgeber  auf  dem  Lande  darauf  hin,  daß  sie  — 
auf  Grund  des  Gesetzes  —  verpflichtet  sind,  jedem  männlichen  Landarbeiter  einen 
Wochenlohn  von  mindestens  25  sh  zu  zahlen,  soweit  er  nicht  durch  Alter  oder 
irgendein   Gebrechen  verhindert  ist,  eine  normale  Arbeitsleistung  zu  vollbringen. 

—  Abgesehen  von  dem  Mindestlohn  für  die  Landarbeiter  bestimmt  das 
Gesetz  Mindestpreise  für  Weizen  und  Hafer   für  die  Periode  1917 

—  1922,  verbietet  eine  Erhöhung  der  Pachtgelder  und  gibt  dem  Land- 
wirtschaftsministerium die  Gewalt,  eine  angemessene  Bestellung  des 
Grundstückes  zu  erzwingen. 

Im  März  d.  J.  wurde  in  England  der  Butterhöchstpreis  auf  213  sh 
für  den  Zentner  (50,80  kg)  festgesetzt.  Vor  einem  Monat  wurde  der  Höchstpreis 
jedoch,  wie  die  „ Nation altiden de"  vom  24.  August  morgens  berichtet,  aufgehoben, 
was  infolge  der  bedeutend  gesteigerten  Nachfrage  eine  gewaltige  Preissteigerung  zur 
Folge  hatte.  Es  soll  jetzt  ein  neuer  Höchstpreis  festgesetzt  werden,  was  bei  den 
englischen  Butterfirmen  bereits  Nervosität  hervorrief. 

„Dailjr  Telegraph"  vom  18.  August  meldet,  daß  die  Regierung  beschlossen 
hat,  allen  im  Jahre  1917  in  Irland  gebauten  Flachs,  ferner  allen  Ende 
September  noch  nicht  in  den  Händen  der  Spinner  befindlichen,  in  Irland  gebauten 
Flachs  zu  übernehmen.  Der  Flachs  wird  in  5  Sorten  eingeteilt  werden,  deren 
Preis  zwischen  35  und  55  sh  per  Stone  (7,4  kg)  schwankt.  Vor  dem  Kriege 
kostete  die  mittlere  Qualität  7  sh  6  d. 

Aus  dem  Regierungsbericht  der  Verein  igten  Staaten  über  die  Weizen- 
ausfuhr im  abgelaufenen  Finanzjahr  1.  Juli  1916  bis  30.  Juni  1917  geht  her- 
vor, daß  die  Weizen-  und  Mehlverschiffungen  ins  Ausland  gegenüber 


—    524    — 

dem  Vorjahre  nur  um  40  Mill.  Bußhelß  zurückgegangen  sind,  trotzdem  die  Weizen- 
ernte von  1916  um  386  Mill.  Buehels  geringer  war  als  im  Jahre  1915.  Die  Handelß- 
kreise  sind  sich  aber  durchaus  klar  darüber,  daß  dies  nur  infolge  des  t^larken 
Ernteüberschußses  möglich  war,  der  von  der  Riesenernte  von  1915  zurückblieb. 
Gegenwärtig  ist  dagegen  tatßächlich  kein  üeberschuß  verblieben,  und  es  scheint, 
daß  die  diesjährige  Weizenernte  nicht  größer  sein  wird  als  die  von  1916. 

„Dailv  Express"  vom  13.  August  teilt  mit,  daß  das  vom  Nachrichtenbüro 
herausgegebene  JStaatsdiensthandbuch  ausführt,  daß  die  Vereinigten  Staaten 
und  die  Verbandsmächte  sich  einem  Weizenfehlbetrage  von  250  MilL 
Busheis  gegenübersehen. 

Im  „8emaphore  de  Marseille"  vom  14.  August  wird  das  Pariser  Brot 
als  grau  wie  Schiefer,  zäh  wie  Leder  bezeichnet.  Es  bestehe  der  Hauptsache  nach 
aus  Kleie,  aus  richtiger  Kleie,  mit  der  man  die  Schweine  füttert.  Einige  Chemiker 
finden  Senfmehl  darin,  andere  Leimmehl.  Sogar  giftige  Getreidepilze,  wie  Mehl- 
tau und  dergleichen,  sind  in  dem  Brot  gefunden  worden.  Herr  Violette  hat  die 
murrenden  Pariser  auf  den  Monat  Juli  vertröstet.  Aber  dieser  ist  herangekommen, 
und  das  gute  Brot  kommt  nicht  wieder,  obwohl  die  Ernte  bereits  vorbei  und 
afrikanisches  Getreide  eingetroffen  ist.  Da  hat  es  die  Provinz  besser,  und  man 
kann  den  Provinzialen,  die  nach  Paris  kommen,  nur  raten,  sich  ihr  Brot  von  zu 
Haus  mitzubringen.  Auch  „L'lntransigeant"  vom  17.  August  klagt  im  Leitauf- 
satz über  das  Brot  und  schreibt  u.  a. :  „Man  beobachtet  jede  Art  von  Fälschung, 
den  Zusatz  von  verdorbenem  Getreide,  von  Staub  und  Müll  zum  Brot.  Die 
Klagen  über  Magen-  und  Darmleiden  häufen  sich.  Keinesfalls  dürfe  die  Absicht, 
Kartoffeln  unter  den  Brotteig  zu  mengen,  ausgeführt  werden,  denn  sonst  würden 
die  Betrüger  verfaulte  und  gekeimte  Kartoffeln  in  das  Brot  tun. 

Nach  dem  „Temps"  vom  15.  August  betrugen  in  den  Pariser  Markt- 
hallen die  Preise  für  100  kg  Kartoffeln  der  Pariser  Gegend  30— 37  frcs., 
der  Bretagne  28—32  frcs.,  für  spanische  30—32  frcs.,  für  rote  aus  Spanien 
38—45  frcs. 

Ueber  die  Haferfrage  in  Frankreich  macht  der  „Economiste  Europöea* 
TOm  10.  August  folgende  Angaben: 


11 

§;  Ertrag  pro 

ha 

Heimische  Erzeugung       Einfuhr 

(in  dz) 

(in 

1000  Doppelzentnern) 

1909/13 

13,7 

51569                       4332 

(Durchschnitt) 

1914 

12,9 

46206                       5012 

1915 

10,6 

34626                       8015 

1916 

13,5 

41280                     10479 

Vor  dem  B^riege  bezahlte  Frankreich  für  seine  Hafereinfuhr  jährlich  etwa 
70  Mill.  frcs.,  im  Jahre  1914:  105;  1915:  218;  1916:  277  Mill.  frcs.  Diese  Zahlen 
sind  der  Zollstatistik  entnommen  und  bleiben  nicht  unerheblich  hinter  der  Wirk- 
lichkeit zurück.  Die  Zahl  für  1916  z.  B.  ist  nach  dem  Käferpreis  von  1915,  d.  h. 
zu  26,40  frcs.  für  den  Doppelzentner  berechnet,  der  wirkliche  Preis  war  aber  im 
Jahre  1916  weit  über  40  frcs.  Für  die  in  1916  eingeführten  10479000  dz  Hafer 
sind  also  in  Wirklichkeit  über  400  Mill.  frcs.  gezahlt  worden.  Ln  laufenden  Jahre 
wird  diese  Ausgabe  noch  steigen,  denn  die  Anbaufläche  für  Hafer  ist  von 
3045  000  ha  im  Vorjahre  auf  2  986000  ha  zurückgegangen,  und  die  Ernte  wird 
höchstens  35—38  Mill.  dz  betragen. 

„Idea  Nazionale"  beantragt  die  sofortige  Einführung  der  Brotkarte  für 
ganz  Italien,  bevor  die  Maßnahme  mit  einer  empfindlichen  Herabsetzung  der 
Brotration  verbunden  werden  müsse,  die,  wenn  man  allzulange  warte,  bis  50  Proz. 
betragen  könnte.  „Avanti"  veröffentlicht  verschiedene  Protesttelegramme  an 
Canepa,  so  eines  des  Turiner  Bürgermeisters,  und  Telegramme  der  Getreidekon- 
sortien von  Alessandria  und  Genua,  in  denen  auf  die  neuerdings  mangelnde 
Brotversorgung  infolge  ungenügender  Eisenbahn  zufuhr  hingewiesen  und  der 
Lebensmittelkommissar  für  alle  aus  diesem  Zustand  sich  ergebenden  Folgen  ver- 
antwortlich gemacht  wird.  Auch  Ministerpräsident  BoseUi  hat  in  einem  Tele- 
gramm an  Canepa  gegen  das  Andauern  der  unhaltbaren  Zustände  Einspruch 
erhoben. 


525. 


Nach  einer  Meldung  des  „Aftonbladet"  aus  Haparanda  sind  die  Brot- 
anteile in  Petersburg  herabgesetzt  worden;  man  rechnet  mit  ihrer  weiteren 
Verringerung.    Den  Grund  dafür  sehe  man   in  der  Hungersnot  im  Wolgagebiet. 

An  den  deutschen  Getreidemärkten  hat  sich  die  Lage  in  den  letzten  8  Tagen 
wenig  verändert.  Saatgetreide  war  ziemlich  reichlich  angeboten,  allerdings  zu 
den  höchsten  Preisen,  so  daß  die  Händler  wenig  Interesse  dafür  übrig  hatten. 
Zwischenfruchtsämereien  waren  dagegen  lebhaft  begehrt,  ohne  daß  sich  nennens- 
wertes Angebot  zeigte.  Winterwicken,  Spörgel  und  andere  Stoppelsaaten  waren 
stark  gesucht.    Auch  Kleesaaten  bleiben  gefragt. 

Weltmarkt. 

Getreidepreise  in  Mark  für  1000  kg, 

lür  amerikanische  Märkte  umgerechnet  nach  dem  Friedenskurs  1   $  =i  4,20  M., 

für  London  umgerechnet  nach  dem  Friedenskurs  1  £  =  20,50  M. 

31.  August  25.  August 


New  York :    Weizen :  Hardwinter  Nr.  2 

Roggen  loko  Nr.  2,  neue  Ernte 
Hafer  white  clipped,  neuer 
Mais  Nr.  2 
Chicago :  Weizen  :  ßedwinter  Nr.  2  loko 

„         Hardwinter  Nr.  2  loko 
Mais:  Dezember 

„      Mai 
Hafer:  per  September 
„  „     Dezember 

Roggen :    loko 
Minneapolis :  Weizen :  per  September 
Winnipeg:  „  „    Oktober 

Baltio-Markt: 


Cents 

f.  1  ßushel 

230 

195 
66 
208 
220 
226V3 

112V4 

108% 

567, 

'797, 
217 

220 


M. 

354.90 
300,90 
152,80 
343,95 
339,45 
349,00 
185,60 
179,80 
129,95 
130,50 
276,95 
334,80 
339,45 


M. 

356,80 
285,45 
144,70 
325,70 


178,10 
174,20 

122,15 
123  — 
273,10 
330,95 
331,75 


Weizen:  London:  Hardwinter  Nr.  3,  Teilladung 


sh 
78/.6 


28.  August 
M. 
369,95 


31.  August 


sh 
Manitoba  Nr.  4,  Teilladung  77/'— 

Wöchentliche  englische  „Farmers*  Deliveries". 
Durchschnittspreise   für  inländischen    Weizen. 


M. 

362,85 


London,  18.  August  1917  : 


Diese  Woche 


Vorige  Woche 


M. 

352,70 


sh 
78/.4 


M. 

35»,6o 


260,70 
243,45 


für  100  kg 

Weizen        16,70 
Mais  9,6  5 

Hafer  6,55 


Pesos 


7,76 

2,— 
7,30 


Vorige  Woche 


sh 

78-/7 
Entsprechende  Wochen  in  den  Vorjahren: 
1916  58/.1 

1915  54/.3 

Buenos  Aires,  23.  August  1917. 
Diese  Woche 
M. 
Eriegsknrs      Friedenskurs 
(2,45)  (1,78) 

409,15  297,25 

236,40  171,75 

160,45  Il6,60 

Ferner  sollen  hier  noch  einige  weitere  Berichte,  im  besonderen 
aus  dem  Auslande,  nach  der  Preisberichtsstelle  des  Deutschen  Land- 
wirtschaftsrats wiedergegeben  werden: 


Kriegs-         Friedens- 
kurs 


434,85 
294,— 
i;8,80 


315,95 

213, riO 
129,96 


—   .526     — 

14.  August  1917. 

Durch  den  Bundesratsbeschluß  vom  2.  August  wird  in  der  Schweiz  die 
gesamte  diesjährige  Inlandsernte  an  Brotgetreide  zuhanden  der  Kantone, 
eventuell  des  Bundes  beschlagnahmt,  in  der  Absicht,  dasselbe  der  Brotver- 
sorgung zuzuführen.  An-  und  Verkauf  von  Brotgetreide,  sowie  die  Verfütterung 
desselben  sind  verboten.  Bereits  abgeschlossene  Kaufverträge  werden  für  nichtig 
erklärt.  Gestattet  ist  nur  die  Verwendung  von  Getreide  zur  ausschließlichen 
Selbstversorgung  des  Produzenten  mit  Brot  und  Mehl  nach  Maßgabe  der  zu  er- 
lassenden Vorschritten  über  die  Brotrationierung,  üeber  die  Verwendung  von 
Getreide  zu  Saatzwecken  wird  das  Volks wirtschaftsdepartement  besondere  Ver- 
fügungen erlassen.  Bund  und  Kantone  sind  ermächtigt,  das  vorhandene  Brot- 
getreide zum  Zwecke  der  gleichmäßigen  Brotversorgung  mit  Beschlag  zu  belegen, 
gegen  Bezahlung  von  Höchstpreisen,  die  auf  Grundlage  des  Abgabepreises  für 
Monopolgetreide  vom  Militärdepartement  bestimmt  werden.  Produzenten,  Ge- 
meinden und  Kantone  sind  verpflichtet,  die  vorläufig  zu  erwartenden  Ernteergeb- 
nisse zu  melden  und  für  eine  richtige  Ernte  und  Aufbewahrung  des  Getreides 
Sorge  zu  tragen.  Die  Verwendung  von  Brotgetreide  zu  anderen  Zwecken  als  zur 
Brotversorgung  ist  nur  ganz  ausnahmsweise  gestattet  und  an  eine  besondere  Be- 
willigung des  Militärdepartements  gebunden.  Es  kommt  hier  die  Verwendung 
zur  Herstellung  von  unentbehrlichen  Nahrungsmitteln,  Stärke,  Hefe,  Malzkaffee 
usw.  in  Betracht.  Das  übrige  Getreide,  nämlich  Hafer,  Gerste  und  Mais,  ist  vor- 
läufig nicht  beschlagnahmt.  Seine  Verwendung  zu  industriellen  und  gewerblichen 
Zwecken  wird  aber  kontingentiert  und  von  einer  Bewilligung  des  Militärdeparte- 
ments abhängig  gemacht.  Das  gleiche  trifft  zu  für  den  Handel  mit  diesen  Pro- 
dukten. Die  Kantone  haben  Vorschriften  zu  erlassen,  um  den  Verbrauch  von 
Hafer,  Gerste  und  Mais  möglichst  einzuschränken  und  eine  gleichmäßige  Ver- 
teilung zu  erzielen.  Sie  haben  auch  dafür  zu  sorgen,  daß  Pferdebesitzer,  die  selbst 
nicht  genügend  produzieren,  sich  den  nötigsten  Hafer  verschaffen  können,  und 
daß  die  Bedürfnisse  der  Armee  gedeckt  werden.  Eine  Beschlagnahme  auch  dieser 
Getreidearten  bleibt  vorbehalten.  Für  ihren  Verkauf  gilt  der  Abgabepreis  des 
Bundes  als  Höchstpreis. 

Nach  der  Verfügung  des  schweizerischen  Volkswirtschaftsdepartements 
ist  vom  25.  Juli  ab  die  Ernte  von  Kartoffeln  freigegeben.  Der  Handel  mit 
Kartoffeln  ist  bis  auf  weiteres  außer  der  Zentralstelle  für  Kartoffelversorgung,  den 
Amtsstellen  und  Fürsorgekommissionen  der  Kantone  und  Gemeinden  ohne  be- 
sondere Bewilligung  auch  den  privaten  Händlern  und  Firmen  gestattet,  die  sich 
schon  bisher  regelmäßig  mit  dem  Kartoffelhandel  befaßten.  Von  der  Festsetzung 
von  Höchstpreisen  für  Kartoffeln  hat  das  Volkswirtschaftsdepartement  nach  An- 
trag der  eidgenössischen  Kommission  für  Kartoffel  Versorgung  abgesehen. 

Nach  einer  Verfügung  des  schweizerischen  Volks  wirtschaftsdepartement» 
vom  6.  August  darf  derjenige,  der  Käse  herstellt  oder  auf  seine  Rechnung  her- 
stellen läßt,  für  den  Bedarf  des  eigenen  Haushaltes,  den  örtlichen  Detailverkauf 
und  zur  Bedienung  einer  weiteren  regelmäßigen  Kundschaft  bis  10  Proz.  seiner 
Produktion  verwenden.  Bei  Berechnung  dieser  10  Proz.  sind  größere  außerordent- 
liche Lieferungen  von  Konsummilch  in  benachbarte  Gebiete  zu  berücksichtigen. 
Den  Inhabern  von  Käsereibetrieben,  in  denen  auch  vor  Kriegsausbruch  regelmäßig 
Käse  hergestellt  wurde,  sind  in  der  Kegel  mindestens  400  kg  Käse  innerhalb 
6  Monaten  zu  belassen.  In  Sennereien  und  Käsereien,  in  denen  es  in  den  dem  Kriege 
unmittelbar  vorausgegangenen  Jahren  üblich  war,  die  erzeugten  Käse  im  Verhält- 
nis zu  der  eingelieferten  Milch  unter  die  Milchlieferanten  zu  verteilen,  kann  der 
bezugsberechtigte  Milchlieferant  nicht  mehr  Käse  beanspruchen,  als  er  für  seine 
Haushaltung  benötigt,  in  der  Regel  jedoch  höchstens  200  kg  innerhalb  12  Monaten. 
Für  mehr  als  200  kg  sind  nur  Lieferanten  bezugsberechtigt,  denen  nach  Maßgabe 
ihrer  Milchlieferungen  eine  größere  Menge  Käse  zukommt.  Die  übrigen  Käse 
dürfen  nur  an  die  Genossenschaft  schweizerischer  Käseexportfirmen  veräußert 
werden.  Ein  Käseproduzent  darf  innerhalb  6  Monaten  ohne  Bewilligung  der  Ab- 
teilung für  Landwirtschaft  nicht  mehr  als  100  kg  Käse  an  den  nämlichen  Ab- 
nehmer verkaufen.  Die  Angehörigen  einer  Familie  mit  gemeinsamem  Haushalte 
und  alle  in   einem  Haushalte  lebenden  Personen  gelten  als  ein  Abnehmer.    Der 


—    527    — 

Verkauf  von  Weichkäse  ist  nur  solchen  Käseproduzenten  gestattet,  die  für  die 
Herstellung  solchen  Käses  nach  Maßgabe  der  Verfügung  des  schweizerischen 
Volkswirtschaftsdepartements,  betreffend  die  Weichkäsefabrikation,  vom  21.  Mai 
1917  hierzu  eine  Bewilligung  erhalten  haben.  Als  Weichkäse  im  Sinne  dieser 
Verfügung  gelten  alle  Käsesorten,  die  nicht  dem  Einkaufsmonopol  der  Genossen- 
schaft schweizerischer  Käseexportfirmen  unterstehen. 

In  Frankreich  traf  laut  „Journal  off iciel"  vom  31.  Juli  der  Verpflegungs- 
minister zwecks  Vorbeugung  von  Preistreibereien  für  Grieß  und  Teigwaren 
folgende  Maßnahmen:  Vom  1.  August  wird  der  Gesamtbestand  an  Hartweizen 
und  an  Korn,  der  sich  für  Herstellung  von  Teigwaren  eignet,  durch  den  Staat 
beschlagnahmt;  ebenso  aller  in  französischen  Häfen  eintreffender  Grieß.  Hart- 
weizen wird  für  Herstellung  von  Grieß  nur  an  Spezialfabrikanten  abgegeben,  die 
sich  verpflichten  müssen,  anderes  Korn  dafür  nicht  zu  verwenden  und  ihre  ge- 
samte Produktion  an  das  Teigwaren komitee  abzuliefern.  Vom  1.  August  an  hat 
jeder  Fabrikant  die  Teigwarenpackungen  (zu  1  kg,  500  g,  250  g)  mit  einem  deut- 
lichen Vermerk  über  den  Kleinhandelspreis  zu  versehen.  Der  Preis  wird  unter 
Zugrundelegung  der  Herstellungskosten,  des  Groß-  und  Kleinhandelsgewinnes 
festgesetzt  auf  151,88  frcs.  für  100  kg  ohne  Packung ,  176,88  frcs.  für  100  kg  in 
Paketen  zu  500  g,  181,88  frcs.  für  100  kg  in  Paketen  zu  250  g.  Hergestellt  wird 
künftig  nur  eine  Grießqualität.  Die  Fabrikanten  von  Eierteigwaren  haben  inner- 
halb 14  Tagen  eine  Erklärung  über  ihre  Bestände  abzugeben  und  dürfen  nach 
Richtigbefund  dieser  Erklärung  ihre  Waren  nur  zum  alten  Preise  verkaufen.  Der 
Verkauf  von  Eierteig  waren  ist  vom  1.  November  an   verboten.     Jeder  Verstoß 

fegen  obige  Vorschrift  hat  die  Einstellung  der  Getreidelieferung,  vorbehaltlich  der 
Jeschlagnahme,  zur  Folge. 

Auf  der  Jahresversammlung  des  englischen  Gemüse-  und  Kolonialwaren- 
händlerverbandes in  Portsmouth  bat,  nach  „Manchester  Guardian"  vom  27.  Juli, 
H.  G.  Maurice  als  Vertreter  des  Nahrungsmittelkontrollamtes  im  Namen  der 
Regierung,  diese  im  Verkauf  gesalzener  Heringe  zu  unterstützen.  Die 
Heringe  seien  in  Norwegen  gekauft,  um  den  Deutschen  ein  Nahrungsmittel  zu 
entziehen. 

„Daily  News"  vom  30.  Juni  teilen  aus  einem  von  H.  W.  G.  Millman,  Ober- 
aufseher des  Zentralviehmarkts  in  Smithfield,  herausgegebenen  Sonderbericht  über 
die  Fleisch  Versorgung  Londons  mit,  daß  in  dem  soeben  abgeschlossenen 
Halbjahr  die  Gesamtzufuhr  von  Fleisch  nach  London  148  218  t  gegen  169  891  t 
im  gleichen  Zeitraum  1916  betragen  hat.  Das  ist  eine  Abnahme  von  12,8  v.  H., 
wovon  ungefähr  ein  Viertel  auf  den  Monat  Juni  entfällt.  Sie  verteilt  sich  auf 
alle  Zufuhrquellen  mit  Ausnahme  der  Vereinigten  Staaten  und  auf  alle  Fleisch- 
arten mit  Ausnahme  von  britischen  Hammeln.  Es  müsse  unbedingt  eine  Kontrolle 
über  Preise  und  Zufuhrmengen  eingerichtet  werden,  aber  anscheinend  seien  die 
zuständigen  Abteilungen  noch  damit  beschäftigt,  eine  der  Kriegsnotwendigkeit 
entsprechende  gemeinschaftliche  Grundlage  für  die  Versorgung  der  Zivilbevölkerung 
mit  Fleisch  auszuarbeiten. 

Einer  Ankündigung  des  britischen  Leben smittelamtes  zufolge  hat  der  neuliche 
Wetterumschlag  von  Treibhauswärme  zu  anhaltender  Nässe  die  Ausbreitung  der 
Kartoffelkrankheit  bedenklich  gefördert.  Das  Uebel  ist  jetzt  über  ganz 
ßüdengland  verbreitet  und  reicht  bis  ins  obere  Themsetal. 

21.  August  1917. 
Das  Oesterreichische  Reichsgesetzblatt  vom  15.  August  enthält  eine 
Verordnung  des  Volksernährungsamtes,  wonach  die  im  Mai  verfügte  Kürzung  der 
Verbrauchsmengen  von  Mehlprodukten  außer  Kraft  gesetzt  wird.  Mit 
Beginn  der  neuen  Verbrauchsperiode,  also  nach  dem  16.  August,  erhalten  Schwei- 
arbeiter  300  g  Mehl,  landwirtschaftliche  Selbstversorger  300  g  und  landwirtschaft- 
liche Schwerarbeiter  360  g  Getreide,  die  übrige  Bevölkerung  200  g  Mehl  pro  Kopf 
und  Tag.  Als  Neuerung  sieht  die  Verordnung  Zulagen  in  Grieß,  Rollgerste, 
Haferreis  und  Teigwaren  im  Höchstausmaße  von  74  kg  wöchentlich  vor. 

In  Oesterreich  wurde  vom  Amt  für  Volksernährung  der  Verkaufspreis  der 
Kriegsgetreideverkehrsanstalt  für  Kartoffeln  für  die  Zeit  vom  1.  bis  20.  August 
mit  43,50  K.  (=  37, —  M.)  für  runde  Kartoffeln  für  den  Doppelzentner  festgesetzt. 


—    528    — 

In  der  Zeit  vom  21.  August  bis  5.  September  hat  der  Verkaufspreis  der  Kriegs- 
getreideverkehrsanstalt  fiir  den  Doppelzentner  28,50  K.  (=  24,20  M.)  für  runde 
und  78,50  K.  (=  66,70  M.)  für  Kipllerkartoffeln  zu  betragen.  Nach  dem  5.  Sep- 
tember ist  der  Höchstpreis  für  runde  Kartoffeln  mit  18,50  K.  (=  15,70  M.)  und 
für  Kipflerkartoffeln  mit  48,50  Kr.  (=  41,20  M )  für  den  Doppelzentner  bestimmt 
Der  Zuschlag  auf  den  Höchstpreis,  den  die  Kriegsgetreide verkehrsanstalt  zu  er- 
heben berechtigt  ist,  beträgt  3,50  K.  (=  3,—  M.)  für  den  Doppelzentner. 

In  Ungarn  veröffentlicht  das  Amtsblatt  die  Höchstpreise  f  ür  Weizen- 
undRoggenmehl,  die  am  15.  August  in  Kraft  getreten  sind.  Die  Preise  be- 
tragen für  100  kg  Mehl  von  135,50  bis  136,—  K.,  je  nach  den  verschiedenen 
Gegenden,  Kochmehl  von  59,50  bis  60,— K.,  Brotmehl  40,50  bis  42,— K.,  Roggen- 
mehl von  64,40  bis  66,20  K.    Die  Preise  verstehen  sich  ab  Station  ohne  Sack. 

In  der  Schweiz  wird  nach  einem  Bundesratsbeschluß  vom  10.  August  zum 
Zwecke  der  Versorgung  des  Landes  mit  Brot  und  Mehl  beim  Oberkriegskom- 
missariat ein  eidgenössisches  Brot  am  t  errichtet,  bestehend  aus  I.Abteilung  für 
Auslandgetreide,  2.  Abteilung  für  Inlandgetreide,  3.  Abteilung  für  ßationierung 
und  Kontrollwesen. 

Nach  dem  „Bund"  wird  in  der  Schweiz  vom  1.  September  ab  die  Ratio- 
nierung des  Brotes  durch  die  Brotkarte  erfolgen.  Vorgesehen  ist  ein  Ration 
von  250  g,  wozu  für  Schwerarbeiter  eine  Zulage  von  100  g  tritt.  Der  Ertrag  von 
9  Ar  soll  dem  Produzenten  zur  Selbstversorgung  überlassen  werden.  Der  Abgabe- 
preis von  64  frcs.  wird  festgehalten  werden. 

Das  schweizerische  Militärdepartement  hat  neue  Höchstpreise  für 
Hafer,  Gerste  und  deren  Mahl-  und  ümwandlungspiodukte  erlassen.  Der 
Preis  für  Hafer  oder  Mischfutter  stellt  sich  auf  59,  —  frcs.  per  100  kg,  für  Gerste 
auf  61,—  frcs.  für  Mengen  von  100  kg  und  mehr.  Für  Mengen  von  25  bis  99  kg 
erhöhen  sich  die  Preise  auf  60,50  frcs.  bzw.  62,50  frcs.  per  iS)  kg.  Detailauswage 
per  1  kg  68  Rappen  für  Hafer  oder  Mischfutter  und  70  Rappen  für  Gerste.  Im 
Kleinhandel  stellen  sich  die  Preise  für  Haferflocken  auf  1,38  frc,  ebenso  für  Hafer- 
kerne und  Hafergrütze,  während  der  Preis  für  Kinderhafermehi  sich  auf  1,62  frc,. 
für  Speisehafermehl  auf  1,42  frc.  und  der  Preis  für  Rollgerste,  sowie  Speise- 
gerstenmebl  auf  1,62  frc.  stellt. 

In  Dänemark  berichtet  „Nordsjällands  Venstreblad"  vom  10.  August:  Auf 
einer  Versammlung  des  Ernährungsausschusses  vom  8.  August  wurde  die  Ver- 
ringerung des  Schweinebestandes  erörtert.  Die  höchstzulässige  Anzahl 
ist  500000,  wohingegen  die  letzte  Zählung  1,6  Mill.  aufweist,  üeber  die  Form 
der  Bestandsverringerung  soll  noch  mit  den  Schlachtern  verhandelt  werden. 

In  England  erklärte  der  Parlamentssekretär  im  Nahrungsmittelamt  Clynes 
auf  eine  Anfrage  im  ünterhause  am  8.  August,  die  Zuschüsse  der  Regierun  g, 
um  den  Verkaufspreis  des  Vierpfundbrotes  auf  9  d  zu  halten,  würden 
jährlich  etwa  40  Mill.  £  betragen,  vorausgesetzt,  daß  die  amerikanischen 
Weizenpreise  nicht  höher  stiegen  und  die  anderen  dieser  Berechnung  zugrunde 
liegenden  Faktoren  sich  nicht  in  ungünstiger  Weise  veränderten.  Das  Nahrungs- 
mittelamt macht  übrigens  bekannt,  daß  die  fragliche  Brotpreisverordnung  nicht 
bereits,  wie  zuerst  angegeben,  am  15  August  in  Kraft  treten  kann,  daß  aber  alles 
getan  wird,  sie  baldmöglichst  in  Kraft  zu  setzen. 

In  Frankreich  meldet  „Petit  Parisien",  daß  die  Regulierung  des 
Brotverbrauches  am  4.  August  angeordnet  worden  ist.  Jeder  Verbraucher 
oder  Familien  vorstand  erhält  eine  Doppelkarte,   auf  der  er  den  Verbrauch  anzu- 

feben  hat.  Den  über  7  Jahre  alten  Personen  stehen  500  g  täglich  zu,  den  jüngeren 
00  g.  Auf  einfache  Begründung  kann  der  Satz  um  200  g  erhöht  werden,  auf 
Antrag  beim  Bürgermeister  um  weitere  300  g.  Die  eine  Hälfte  der  Karte  behält 
der  Ausfüllende,  die  andere  erhält  der  Bäcker  zwecks  Anforderung  des  Mehls. 

Eine  Agenzia  Stefani-Meldung  im  „Economista"  in  Italien  vom  31.  Juli 
besagt:  Die  Ausmahlung  des  Getreides  wurde  auf  85  v.  H.  festgesetzt. 
Das  Brot  darf  nicht  weniger  als  250  g  wiegen.  Die  runde  Form  darf  15  cm,  die 
lange  30  cm  nicht  überschreiten.  Die  Ernte  ist  mäßig,  die  Einfuhr  wegen  der 
Frachtraumnot  schwierig. 

In  Rußland  gibt  das  Zentral versorgungsamt  in  den  „Birshewija  Wjedomosti" 
vom  27.  Juli  folgende  neuen  Höchstpreise  bekannt:  Rindfleisch  I.  Sorte  0,95  Rbl. 


—    529    - 

das  Pfund  (=  2,50  M.  für  das  deutsche  Pfund),  Rindfleisch  II.  Sorte  0,80  Ebl. 
daß  Pfund  (=  2,10  M.  für  das  deutsche  Pfund),  Stückenzucker  0,43  Rbl.  das  Pfund 
(=  1,15  M.  für  das  deutsche  Pfund),  Streuzucker,  0,31  Rbl.  das  Pfund  (=  0,80  M. 
für  das  deutsche  Pfund),  Eier,  roh,  1,10  Rbl.  für  10  Stück  (=  2,35  M.),  Eier,  ge- 
kocht, 0,13  Rbl.  1  Stück  (=  0,28  M.),  Hafer  4,40  Rbl.  für  1  Pfund  (=  525,05  M. 
für  die  Tonne),  Kleie  3,—  Rbl.  für  1  Pud  (=  395,75  M.  für  die  Tonne).} 

28.  August  1917. 

In  Oesterreich  ist  durch  eine  Ministerial Verordnung  vom  19.  August  die 
diesjährige  Mohnernte  vrie  im  Vorjahre  zugunsten  des  Staates  beschlagnahmt 
worden.  Der  üebernahmepreis  für  Mohn  wird  mit  200  K.  für  100  kg  festgesetzt. 
Außerdem  werden  den  Landwirten,  welche  sich  auf  Grund  der  Kundmachung 
des  Ackerbauministers  vom  8.  Februar  1917  durch  freiwillige  Anmeldung  zum 
Anbau  von  Mohn  verpflichtet  haben,  25  kg  Oelkuchen  zum  Preise  von  40  K.  für 
den  Doppelzentner  für  je  100  kg  angelieferten  Mohn  für  den  Bedarf  ihrer  Wirt- 
schaft durch  die  Futtermittelzentrale  zur  Verfügung  gestellt  werden.  Die  Ge- 
winnung des  Mohnsamens  hat  bis  längstens  15.  Januar  1918  zu  erfolgen ;  Sen- 
dungen von  Mohn  sind  auf  Grund  der  neuen  Verordnung  auch  im  Postpaket- 
verkehr an  die  Beibringung  eines  Transportscheines  gebunden. 

In  der  Schweiz  hat  der  Bundesrat  am  21.  August  über  die  Brot  Ver- 
sorgung des  Landes  und  die  Getreideernte  des  Jahres  1917  gemäß  dem  Antrage 
des  Militärdepartements  einen  Beschluß  gefaßt,  wonach  die  Versorgung,  soweit  es 
sich  nicht  um  Selbstversorger  handelt,  auf  Grund  von  Mehl-  und  Brotkarten  er- 
folgt. Jeder  Einwohner  hat  Anspruch  auf  250  g  Brot  pro  Tag  und  500  g  Mehl 
pro  Monat.  Das  schweizerische  Militärdepartement  ist  ermächtigt,  die  Ration  je 
nach  dem  Stande  der  Getreidevorräte  und  Getreidezufuhren  zu  ändern.  Für 
Personen,  die  sich  nur  vorübergehend  im  Lande  aufhalten,  werden  Tageskarten 
abgegeben,  für  welche  das  eidgenössische  Brotamt  besondere  Vorschriften  auf- 
stellt. Für  Schwerarbeiter  und  Minderbemittelte  wird  die  tägliche  Ration  bis  um 
100  g  erhöht.    Der  Kreis  der  zu  dieser  Zusatzkarte  Berechtigten   wird  vom  eid- 

§enössi8chen  Brotamt  aufgestellt.  Selbstversorger,  die  ihren  ganzen  Bedarf  aus 
er  eigenen  Getreideproduktion  decken,  erhalten  keine  Brot-  und  Mehlkarten. 
Familien,  die  ihr  Brot  im  eigenen  Haushalt  backen,  erhalten  auf  ihren  Wunsch, 
auch  wenn  sie  nicht  Selbstversorger  sind,  die  ihrer  Brotration  entsprechende 
Menge  Mehl  zugeteilt.  Kleingebäck,  Zwieback,  Biskuits,  Patisserie-  und  Konfiserie- 
waren, die  mit  Mehl  hergestellt  werden,  dürfen  nur  gegen  entsprechende  Brot- 
kartenabschnitte abgegeben  werden.  Das  gesamte  Brotgetreide  der  Ernte  1917, 
sowie  die  noch  vorhandenen  Vorräte  früherer  Ernten  dürfen  nur  für  die  Brot- 
versorgung des  Landes  und  als  Saatgut  verwendet  werden.  Ueber  das  inländische 
Brotgetreide  wird  die  Bahntransportsperre  verhängt,  indem  Eisenbahnen  und 
Dampfschiffe,  nur  gestützt  auf  eine  schriftliche  Bewilligung,  solches  Getreide  zum 
Transport  annehmen  dürfen.  Die  Gemeinden  werden  verpflichtet,  über  die  vor- 
schriftsgemäße Behandlung  und  Verwendung  der  Inlandernte  zu  wachen,  und 
sie  haben  das  Recht,  verheimlichte  Vorräte  ohne  Entschädigung  zu  Händen  der 
Gemeinde  zu  requirieren.  Durch  den  Beschluß  wird  ferner  der  gesamte  inländi- 
sche Ertrag  an  Hafer,  Gerste  und  Mais  beschlagnahmt.  Ohne  besondere  Be- 
willigung des  Militärdepartements  ist  es  verboten,  Hafer,  Gerste  und  Mais  zu 
industriellen  und  gewerblichen  Zwecken  zu  verarbeiten  und  zu  verwenden.  Der 
Beschluß  ist  am  25.  August  in  Kraft  getreten.  Das  Militärdepartement  wird  be- 
auftragt, die  nötigen  Anordnungen  zu  treffen  zur  Inkraftsetzung  der  Brot-  und 
Mehlkarte  auf  den  1.  Oktober  1917. 

Nach  einer  Verfügung  des  schweizerischen  Volkswirtschaftsdepartements 
vom  18.  August  muß  derjenige,  der  Käse  herstellt,  bis  auf  weiteres  für  je  100  kg 
verarbeitete  Vollmilch  mindestens  1  kg  Butter  als  Nebenerzeugnis  pro- 
duzieren. Wer  im  Mai  und  Juni  1917  oder  während  eines  Teils  dieser  Zeit  eine 
Milch  Verarbeitung  betrieben  hat,  die  auf  100  kg  Milch  mehr  als  1  kg  Butter 
lieferte,  darf  nicht  zu  einer  anderen  Milchverarbeitung  übergehen,  die  weniger 
Butter  ergibt.  Die  eidgenössische  Zentralstelle  für  MUch  und  Milcherzeugnisse 
wird  ermächtigt,  im  Einvernehmen  mit  der  Abteilung  für  Landwirtschaft  auch 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Volkswirtsch .  Chronik.  1017.  XXXV 


—    530    — 

für  andere  Betriebe  eine  vermehrte  Buttererzeugung  vorzuschreiben.  Sie  wird 
den  betreffenden  Unternehmungen  die  erforderlichen  Unterweisungen  in  der  Regel 
direkt  erteilen.  Vom  1.  September  1917  an  muß  jede  Betriebsstelle  für  Kä^e- 
erzeugung,  die  nicht  mehr  als  400  kg  Milch  täglich  zu  verarbeiten  hat,  wenigstens 
2  kg  Butter  auf  100  k^  verarbeitete  Milch  als  Nebenerzeugnis  gewinnen. 

Das  schweizerische  Volks wirtschaftsdepartement  hat  neue  Höchst- 
preise für  Butter  festgesetzt.  Danach  stellt  sich  der  Preis  für  1  kg  Butter 
im  Detailhandel  auf  6  frcs.  (=  4,85  M.). 

In  Dänemark  werden  diejenigen  Landwirte,  die  gewillt  sind,  mehr  Korn 
abzuliefern,  als  sie  nach  der  neuen  Kornverordnung  abzuliefern  verpflichtet 
sind,  aufgefordert,  bekanntzugeben,  wieviel  Gerste  und  Hafer  sie  voraussichtlich 
werden  liefern  können  und  zu  welchem  Zeitpunkt.  Für  jede  mehr  abgelieferten 
100  kg  erhalten  sie  eine  Prämie  von  2  Ki. 

Die  dänische  Regierung  hat  einen  Plan  für  die  Versorgung  des 
Landes  mit  Getreide  für  1917/18  aufgestellt,  wonach  sie  etwa  950000  t 
Roggen,  Weizen,  Gerste  und  Hafer  übernehmen  wird.  Ein  Preisunterschied  von 
9  Kr.  für  100  kg  Roggen,  6  Kr.  für  100  kg  Brotgerste  ist  in  Anschlag  gebracht, 
den  die  Regierung  bezahlt,  um  den  gegenwärtigen  Brotpreis  aufrechtzuerhsdten. 
30000  t  dänische  Gerste  sind  für  die  Brauindustrie  reserviert  worden;  die  Mehr- 
bedarf smenge  an  Braugerste  muß  eingeführt  werden.  Das  Brennen  von  Kom- 
branntwein  wird  verboten  werden. 

Amtlichen  Angaben  ist  folgende  Uebersicht  über  den  Umfang  der  An- 
baufläche in  Frankreich  am  1.  Mai  der  einzelnen  Kriegsjahre  entnommen 
(in  ha): 

1914  1915  1916  1917 


Weizen 

6493330 

5  723  128 

5  205  620 

4  207  530 

Roggen 

I  178  610 

1039  810 

925  600 

809  735 

Mengkorn 

118  950 

104  084 

loi  205 

84485 

Gerste 

732  000 

671  417 

586  285 

596  705 

Hafer 

3  979  420 

3  375  579 

3  044  760 

2  605  070 

zusammen     12  502  310         10  914  018  9863470  8303525 

gMatin"  berichtet  aus  New  York:  Die  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  wird  ein  Ausfuhrverbot  für  Fleisch  erlassen.  Der  Lebensmittel- 
kontroUeur  wird  später  die  für  die  Ausfuhr  freigegebenen  Mengen  bekanntgeben. 

„Politiken"  vom  11.  August  meldet  aus  London:  Der  Korrespondent  der 
,Times"  in  New  York  teilt  mit,  daß  nach  dem  neuen  Lebensmittelgesetz  der 
Präsident  die  vollständige  Kontrolle  über  Lebensmittel,  Futter-  und 
Düngemittel,  Werkzeuge,  Geräte  und  andere  Mittel  zur  Erzeugung  von  Lebens- 
mitteln erhält.  Er  wird  ermächtigt,  die  Börse  und  Handelskammer  zur  Verhinde- 
rung der  Spekulation  zu  schließen,  erhält  außerdem  das  Recht  zum  An-  und 
Verkauf  von  Weizenmehl,  Bohnen  und  Kartoffeln.  Das  Gesetz  verbietet  den 
Verbrauch  von  Nahrungsstoffen  zur  Herstellung  von  Whisky,  Bier  und  Wein. 
Der  Mindestpreis  von  2  $  für  1  Bushel  Weizen   wird  bis  1.  Mai  1919  garantiert. 

Nach  „Economista"  vom  6.  August  beträgt  die  argentinische  Ernte 
1600000  t.  Von  diesen  werden  765  000  t  für  den  Bedarf  des  Landes  und 
465000  t  als  Saatgetreide  zurückgehalten.  Der  Rest  von  ungefähr  410000  t  ist 
zur  Ausfuhr  bestimmt,  und  zwar  für: 


Mehl 

Getreide 

England 

20000  t 

130000  t 

Brasilien 

45000  t 

25000  t 

Spanien 

34000  t 

20000  t 

Uruguay 

6000  t 

4000  t 

Paraguay 

I  000  t 

3000  t 

Eine  endgültige  Schätzung  der  Anbaufläche  und  des  voraussichtlichen 
Ernteergebnisses  von  Weizen  in  Indien  wird  in  folgender  Tabelle  ver- 
öffentUcht: 


—    531    — 

Acres  Ertrag 

Bengal  1 29  000  40  000  t 

Bihar  und  Orissa         i  308  000  598  000  t 

Rasputana  i  147  000  265  000  t 

Central  India  3513000  898000  t 

Hyderabad  1344000  126000  t 

Zusammen  mit  den  Schätzungen  aus  anderen  Provinzen  wird  die  Anbau- 
fläche von  Weizen  mit  32940000  Acres  und  der  Ertrag  mit  10158000  t  gegen 
30 143  000  Acres  bzw.  8  518  000  t  im  Vorjahre  angegeben. 

Von  Saatenstandsberichten  können  im  Anschluß  an  die 
früheren  Mitteilungen  der  „Chronik"  in  den  vorhergehenden  Monaten 
folgende  noch   angefügt  werden : 

Polen.  In  ganz  Polen  ist  mit  der  Ernte  begonnen  worden.  Die  „Gazeta 
Poranna"  erfährt,  daß  die  diesjährige  Ernte  im  allgemeinen  befriedigend  ausfallen 
wird.  In  Nordpolen  wird  sogar  eine  ausgezeichnete  Ernte  erwartet.  Eine  sehr 
gute  Ernte  sollen  die  Kartoffeln  ergeben;  man  kann  erwarten,  daß  die  Kartoffel- 
ernte zu  den  besten  Jahren  zählen  wird.  Das  Dreschen  des  Getreides  wird  heuer 
früher  als  sonst  vorgenommen  werden. 

Spanien.    Amtlich  werden  die  Ernteergebnisse  folgendermaßen  geschätzt: 

Durchschnitt 

1917  1916                      1910/15 

Weizen            3  838  000  t  4  146  000  t  3  408  000  t 

Koggen               706000  t  731000  t                639000  t 

Gerste              i  666000  t  i  891  000  t  i  614000  t 

Hafer                 480000  t  467000  t                437000  t 

Mais                    654000  t  728000  t                703000  t 

Frankreich.  Nach  amtlichen  Angaben  waren  in  den  nachfolgenden 
Jahren  bebaut  (in  ha): 

1914  1915  1916  1917 

Weizen                  6  493  330  5  723  128  5  205  620  4  207  530 

Koggen                  I  178  610  1039  810  925600  809735 

Mengkorn                 118  950  104084  loi  205  84485 

Gerste                      732000  671  417  586285  596705 

Hafer                   3979420  3  375  579  3  044  76o  2605070 

Zusammen:     12502310  10  914  018  9863470  8303525 

Ueber  die  Getreideausfuhrzölle  in  Argentinien  teilt 
die  „Landwirtschaftliche  Marktzeitung"  (Berlin  XVIII,  72)  folgen- 
des mit : 

Nach  einer  telegraphischen  Mitteilung  aus  Argentinien  an  eine  norwegische 
Firma  soll  die  argentinische  Regierung  die  Erhebung  nachstehender  Ausfuhrzölle 
beim  Kongreß  beantragt  haben:  für  I^insaat  15  $,  für  Weizen  7^3  $,  für  Hafer, 
Mais  und  Gerste  4  $,  für  Talg  22V,  $>  alles  pro  Tonne,  und  für  Oelkuchen 
2  Proz.  vom  Werte.  —  Daß  die  Kegierung  Ausfuhrzölle  plane,  war  früher  schon 
vermutet,  und  unwahrscheinlich  ist  die  obige  Mitteilung  auch  deshalb  nicht,  weU 
Argentiniens  Staatsfinanzen  infolge  Heruntergehens  der  Einfuhr  und  damit  der 
Einfuhrzölle  wenig  günstig  sind. 

Ueber  den  internationalen  Markt  für  Milch-  und  Mol- 
kereiprodukte im  2.  Vierteljahr  1917  kommt  die  Preisberichts- 
stelle   des    Schweizer   Bauernverbandes   zu  folgendem  Gesamtergebnis : 

Rückblick:  Die  in  weiten  Gebieten  herrschende  Futternot  und  der  ver- 
spätete Vegetationsbeginn  im  Frühjahre  führten  ganz  allgemein  zu  einem  starken 
Rückgang  der  Milchproduktion.  Erst  mit  dem  Beginn  der  Grünfütterung,  die 
in  allen  Staaten  wesentlich  später  als  im  Vorjahre  einsetzte,  besserten  sich  die 
Produktionsverhältnisse.    Die  feste  Tendenz  der  Milch-,  Butter-  und  Käsepreise 

XXXV* 


30.  Juni 

1917  mehr  (-f ) 

1916 

oder  weniger  ( — ) 

Stück 

Stück 

2990635 

+    44619 

2  603  345 

+    39364 

3  826519 

-  501  506 

I  965  lOI 

+    44615 

2  814  672 

—  301  146 

—  532  — 

hielt  an.  Die  in  einzelnen  Gebieten  im  Mai  und  Juni  eingetretene  leicht  fallende 
Preisbewegung  für  Butter  und  neuen  Käse  ist  eine  alljährlich  wiederkehrende 
Erscheinung  und  blieb  ohne  Einfluß  auf  die  allgemeine  feste  Marktlage.  Infolge 
der  zunehmenden  Schwierigkeiten  in  der  Lebensmittelversorgung  der  Völker  sehen 
sich  die  Staaten  immer  mehr  genötigt,  eingreifende  Maßnahmen  in  bezug  auf 
Förderung  der  Produktion,  Preisgestaltung,  Fabrikations-  und  Verbrauchsregelung 
der  Milch-  und  Molkereiprodukte  zu  treffen. 

Ausblick:  Das  kommende  Quartal  wird  ebenfalls  einen  starken  Ausfall 
in  der  Milchproduktion  bringen.  Jedenfalls  ist  gegen  den  Herbst  hin  mit  einer 
verhältnismäßig  frühzeitigen  Abnahme  der  Käse-  und  Buttererzeugung  zu  rechnen. 
Die  zur  Zeit  der  größten  Produktion  in  Nord-  und  Westeuropa  und  in  Nord- 
amerika etwas  gelockerten  Preise  werden  sich  voraussichtlich  wieder  befestigen. 
Die  allgemeine  Marktlage  ist  durchaus  fest,  wenn  auch  das  Ansteigen  der  Preise 
infolge  der  gestörten  Verkehrsverhältnisse  und  der  Maßnahmen  der  Kegierungen 
ein  langsameres  Tempo  einschlagen  wird. 

Ueber  den  Viehbestand  Kanadas  berichtet  die  „Landw. 
Marktzeitung"  (Berlin  XVIII,  62)  folgendes: 

Nach  den  amtlichen  Ermittelungen  waren  vorhanden: 

31.  Juni 
1917 
Stück 
Pferde  3  035  254 

Milchkühe  2  642  709 

Sonstiges  Rindvieh  3  325  013 

Schafe  2009716 

Schweine  2513526 

Ueber  den  Aufkauf  australischer  Wolle  durch  die 
britische  Regierung  sei  folgende  Mitteilung  der  „Landw.  Markt- 
zeitung" (Berlin  XVIII,  62)  wiedergegeben: 

Nach  einem  Eeuter-Telegramm  aus  Melbourne  vom  17.  Juli  kündigte 
Hughes  laut  „Financial  Times"  vom  14.  Juli  im  australischen  Unterhause  an, 
daß  die  britische  Regierung  die  neue  WoUschur  unter  den  gleichen  Bedingungen 
wie  letztes  Jahr  gekauft  habe.  Die  dafür  bezahlten  40  Mill.  £  hätten  die 
australischen  Finanzen  gerettet.  Hunderttausende  von  Bsdlen  lagerten  noch  in 
Australien. 


m.  Industrie,  einschließlich  Bergban  und  Baugewerbe. 

Inhalt:  1)  Bergbau:  Geschäftslage  von  Kohlen-  und  Kalibergbau  während 
des  Monats  August. 

2)  Eisengewerbe.  —  Metalle  und  Maschinen:  Beschäftigungsgrad 
im  August. 

1.  Bergbau. 

Ueber  die  Geschäftslage  im  Kohlen-  und  Kalibergbau  während  des 
Monats  August  berichtet  das  „Reichs- Arbeitsblatt"  : 

Im  Ruhrkohlengebiet  war  die  Beschäftigung  im  August  nach 
wie  vor  außerordentlich  lebhaft  und  gleich  der  Tätigkeit  im  Vorjahr 
um  dieselbe  Zeit.  Die  Steigerung  der  Löhne  hielt  weiter  an.  Es 
wird  Ueberstundenarbeit  gemeldet. 

Die  Aachener  Steinkohlenwerke  hatten  ebensogut  wie  im 
Vormonat  und  im  August  1916  zu  tun.  Auch  hier  werden  Erhöhungen 
der  Löhne  berichtet. 


—    533    — 

Die  oberschlesischen  Steinkohlengruben  wiesen  ebenso 
außerordentlich  lebhafte  Nachfrage  wie  im  Vormonat  auf.  Im  Vergleich 
zum  Vorjahr  wird  die  Geschäftslage  als  günstiger  geschildert.  Es  wird 
hervorgehoben,  daß  sich  gegen  Ende  des  Monats  Wagenmangel  be- 
merkbar machte.  Weitere  Lohnerhöhungen  haben  stattgefunden.  Ueber- 
arbeit  war  notwendig. 

In  den  Steinkohlenbergwerken,  die  zum  oberschlesischen  Knapp- 
schaftsverein gehören,  waren  am  Schluß  des  zweiten  Vierteljahres  1917 
122141  Arbeiter  gegenüber  124319  am  Ende  des  ersten  Vierteljahres 
1917    beschäftigt.     Im   zweiten  Vierteljahr    1916    waren  112  653  tätig. 

Die  niederschlesischen  Steinkohlenwerke  hatten  eine 
ebenso  befriedigende  Lage  wie  im  Juli  d.  J.  und  im  August  1916. 
Zum  Teil  wurden  Ueberschichten  verfahren.  Die  Löhne  sind  auch  hier 
in  weiterer  Aufwärtsbewegung. 

Im  Zwickauer  und  Lugau-Oelsnitzer  Steinkohlen- 
bergbau war  besser  als  im  Vormonat  und  im  Vorjahr  zu  tun.  Außer 
den  seit  Kriegsbeginn  bewilligten  Teuerungszulagen  ist,  wie  hervor- 
gehoben wird,  vom  1.  August  ab  eine  weitere  Lohnerhöhung  bewilligt 
worden. 

Die  mitteldeutschen  Braunkohlenbergwerke  hatten  im 
Berichtsmonat  sehr  rege  Nachfrage  zu  verzeichnen.  Die  Beschäftigung 
war  wie  im  Vormonat  und  um  die  gleiche  Zeit  des  Vorjahres  gut. 
Vereinzelt  machte  sich  Wagenmangel  bemerkbar.  Ueberarbeit  war 
vielfach  erforderlich. 

Die  Kaliwerke  hatten  der  Jahreszeit  entsprechend  eine  Ver- 
besserung gegen  den  Vormonat  zu  verzeichnen.  Der  Absatz  war  viel- 
fach auch  besser  als  im  Vorjahr;  nur  nach  einem  der  Berichte,  nach 
dem  die  Wagengestellung  zu  wünschen  übrig  ließ,  fiel  der  Umsatz 
niedriger  als  im  August  1916  aus. 

2.  Eisengewerbe.  —  Metalle  und  Maschinen. 

Ueber  den  Beschäftigungsgrad  im  August  macht  das  „Reichs- 
Arbeitsblatt"  folgende  Angaben : 

In  der  Nachfrage  nach  Eisenstein  hat  eine  Aenderung  gegen 
den  Vormonat  nicht  stattgefunden. 

Für  die  Eisenhütten  ist  eine  Verschiedenheit  der  Beschäfti- 
gungsverhältnisse gegenüber  dem  Vormonat  nicht  zu  erkennen.  Teil- 
weise wird  im  Vergleich  zum  Vorjahr  eine  Steigerung  der  Tätigkeit 
berichtet. 

Die  Zinkhütten  weisen  gute  Nachfrage  auf.  Die  Bestellungen 
übertrafen  wie  im  Vormonat  die  Leistungsfähigkeit.  Veränderungen 
dem  Vorjahr  gegenüber  sind  nicht  festzustellen.  Es  haben  weitere 
Lohnerhöhungen  stattgefunden.  Ueberarbeit  war  auch  im  Berichts- 
monat notwendig.  Die  Blei-  und  Zinkerzgruben  bezeichnen  den  Ge- 
schäftsgang als  befriedigend. 

Die  Kupferwerke  melden  unverändert  gute  Geschäftslage.  Dem 
Vorjahr   gegenüber   ist   eine  Steigerung   der  Beschäftigung  eingetreten. 


—    534     — 

Die  Eisengießereien  Westdeutschlands  verzeichneten  im  August 
keine  wesentliche  Veränderung  ihrer  Geschäftslage.  Die  Lage  wird 
als  ebensogut  wie  im  August  1916  bezeichnet.  Die  nordwest-,  mittel- 
und  süddeutschen  Gießereien  haben  ebenso  wie  die  sächsischen  und 
schlesischen  Gießereien  unverändert  zufriedenstellend  bzw.  gut  zu  tun 
gehabt.     Die  Teuerungszulagen  sind  zum  Teil  erhöht  worden. 

Die  Stahl-  und  Walzwerke  Westdeutschlands  und  Schlesiens 
waren  nach  wie  vor  angespannt  beschäftigt.  Dem  Vorjahr  gegenüber 
ist  der  Geschäftsgang  ebensogut  oder  besser  gewesen.  In  Sachsen 
überstieg  der  Abruf,  wie  von  einem  Bericht  betont  wird,  die  Erzeu- 
gungsmöglichkeit. 

Die  Blechwalzwerke  hatten  nach  wie  vor  gute  Geschäftslage. 
Es  wird  in  Tag-  und  Nachtschichten  gearbeitet.  Sehr  stark  ist  nament- 
lich die  Nachfrage  nach  Feinblechen. 

Die  Röhrenwerke  waren  befriedigend  bzw.  gut  beschäftigt. 
Aus  Schlesien  wird  eine  wesentliche  Steigerung  des  Einganges  an  Auf- 
trägen dem  Juli  gegenüber  gemeldet.  Im  Vergleich  zum  Vorjahr  er- 
reichte die  Beschäftigung  entweder  die  gleiche  Höhe  oder  tibertraf  sie 
noch.  Es  ist  Ueberstundenarbeit  festzustellen.  Die  Löhne  sind  ver- 
schiedentlich erhöht  worden. 

Die  Drahtfabriken  zeigen  im  allgemeinen  keine  Aenderung 
der  guten  Beschäftigungsverhältnisse,  während  dem  Vorjahr  gegenüber 
verschiedentlich  eine  Verstärkung  der  Tätigkeit  angegeben  wird.  Ueber- 
arbeit  war  vielfach  erforderlich. 

In  der  Kleineisenindustrie  entsprachen  die  Beschäftigungs- 
verhältnisse im  allgemeinen  denen  des  Vormonats.  Gegen  das  Vorjahr 
ist  zum  Teil  eine  Steigerung  vorhanden.  Auch  wird  dem  Vormonat 
gegenüber  die  Nachfrage  nach  Stahlwaren  als  lebhafter  geschildert. 
Es  mußte  teilweise  mit  Ueberstunden  gearbeitet  werden. 

Die  Blech-  und  Metallwarenfabriken  haben  eine  Aende- 
rung der  Tätigkeit  nicht  zu  verzeichnen. 

Die  Eisenmöbelfabriken  geben  besseren  Geschäftsgang  als 
im  Vormonat,  dem  Vorjahr  gegenüber  aber  keine  Aenderung  zu  er- 
kennen. 

Die  Blech-  und  Metallspielwarenindustrie  wies  die 
gleiche  Lage  wie  im  Vormonat  auf. 

Die  Maschinenbauanstalten  West-,  Nordwest-  und 
Mitteldeutschlands  waren  im  August  im  allgemeinen  ebenso  leb- 
haft beschäftigt  wie  in  den  Vormonaten.  Im  Vergleich  zum  August  1916 
machte  sich  verschiedentlich  eine  Steigerung  des  Geschäftsganges  be- 
merkbar. Für  Sachsen  wird  befriedigende  bzw.  gute  Geschäftslage  ver- 
zeichnet; dem  Vorjahr  gegenüber  ist  teils  keine  Veränderung,  teils  eine 
Verbesserung  vorhanden.  In  Süddeutschland  war  keine  wesentliche 
Aenderung  des  guten  Geschäftsganges  dem  Vormonat  gegenüber  fest- 
zustellen, doch  wird  die  Ueberstunden  erfordernde  Geschäftslage  im 
Vergleich  zum  Vorjahr  als  reger  geschildert. 

Die  Dampfmaschinen-  und  Lokomotivbauanstalten 
hatten  ebensogut  wie  im  Vormonat  und  stärker  als  im  Vorjahr  zu  tun. 


—    535    — 

Die  Aufwärtsbewegung  der  Löhne  hielt  weiterhin  an.  Ueberstunden- 
arbeit  war  in  erheblichem  Maße  notwendig. 

Die  Betriebe,  die  landwirtschaftliche  Maschinen  und 
Lokomobilen  herstellen,  kennzeichnen  die  Beschäftigung  als  unverändert 
gut.  Teilweise  ist  nicht  nur  dem  Vormonat  gegenüber,  sondern  auch 
gegen  den  August  des  Vorjahres  eine  Verbesserung  zu  erkennen. 
Auch  aus  dieser  Industrie  werden  Lohnerhöhungen  gemeldet. 

Die  Dampfkesselfabriken  und  Armaturenwerkstätten 
hielten,  wie  aus  West-,  Nordwest-  und  Mitteldeutschland  berichtet  wird, 
ihre  rege  Tätigkeit  auf  der  gleichen  Höhe  wie  im  Juli  d.  J.  und  im 
August  des  Vorjahres.  Nach  wie  vor  war  üeberstundenarbeit  erforder- 
lich.    Teilweise  sind  weitere  Lohnerhöhungen  gewährt  worden. 

Die  Nachfrage  nach  Strahlapparaten,  Verbrennungs- 
kraftmaschinen und  Heizungsanlagen  ist  auch  im  Berichts- 
monat eine  gute  gewesen  und  übertraf  die  des  gleichen  Monats  im  Vor- 
jahre. Dem  Vormonat  gegenüber  ist  allerdings  ein  Rückgang  der  Be- 
stellungen eingetreten. 

Die  Werkzeugmaschinenfabriken  hatten  sehr  rege  Be- 
schäftigung. Im  Vergleich  zum  Vorjahr  war  die  Geschäftslage  die 
gleiche  oder  vielfach  eine  bessere. 

Die  Brückenbauanstalten  und  Eisenkonstruktions- 
werkstätten schildern  den  Geschäftsgang  zumeist  als  gut,  ver- 
schiedentlich aber  als  nur  mäßig.  Im  Vergleich  zum  August  1916  wird 
nicht  selten  eine  Steigerung  der  Beschäftigung  bekundet;  nur  ein  ein- 
ziger der  eingegangenen  Berichte  verzeichnet  dem  Vorjahr  gegenüber 
einen  Rückgang.  Lohnerhöhungen  bzw.  Teuerungszulagen  sind  bewilligt 
worden. 

Die  Maschinenfabriken  für  Hebezeuge,  Aufzüge,  Krane  und 
Verladevorrichtungen  geben  an,  daß  gute  Beschäftigung  vorlag. 
Der  Umfang  der  Bestellungen  erreichte  im  allgemeinen  dieselbe  Höhe 
wie  im  Vorjahr  bzw.  überstieg  sie  verschiedentlich,  üeberstundenarbeit 
wird  auch  aus  diesem  Industriezweige  gemeldet.  Für  Drahtseilanlagen 
ist  nicht  nur  dem  Vorjahr,  sondern  auch  dem  Vormonat  gegenüber  eine 
Verbesserung  festzustellen. 

Vom  Bergwerksmaschinenbau  wird  keine  Veränderung  gegen 
den  Juli  d.  J.,  wohl  aber  eine  Verbesserung  dem  Vorjahr  gegenüber 
gemeldet.  Insbesondere  war  hinsichtlich  der  Aufbereitungsanlagen  der 
Eingang  von  Bestellungen  ebenso  zufriedenstellend  wie  im  Juli  d.  J., 
und  wesentlich  besser  als  im  August  des  Jahres  1916.  Lohnerhöhungen 
sind  auch  im  Berichtsmonat  bewilligt  worden. 

Von  Maschinenbauanstalten,  die  Maschinen  und  Apparate  für  die 
Nahrungsmittelindustrie  herstellen,  wird  über  unverändert  gute 
Beschäftigung,  zum  Teil  über  bessere  Tätigkeit  als  im  Vorjahr  berichtet. 
Die  Herstellung  von  Maschinen  für  die  Zuckerindustrie  wie  für  die 
Reis-  und  Haferindustrie  hat  keinerlei  Veränderung  zu  melden. 

Die  Kellereimaschinenfabriken  arbeiteten  ebenso  lebhaft 
wie  in  den  vorhergehenden  Monaten. 


-    536    - 

Für  den  Schiffbau  machte  sich  eine  erhebliche  Veränderung 
der  Beschäftigungsverhältnisse  nicht  bemerkbar. 

Die  Eisenbahnwagenbauanstalten  hatten  nach  wie  vor 
lebhaft  zu  tun.  Verschiedentlich  mußten  Lohnerhöhungen  bewilligt 
werden,  vielfach  wurde  mit  Ueberstunden  und  Nachtschichten  gearbeitet. 
Die  Kleinbahnfabriken  waren  ausreichend  und  annähernd  in  der 
gleichen  Weise  wie  im  Vorjahr  beschäftigt. 

Die  Eisenbahnsignalbauanstalten  erfuhren  eine  Verände- 
rung der  Geschäftslage  nicht. 

Der  Kraftwagen-  und  Fahrräderbau  ist  auch  im  Berichts- 
monat gut  beschäftigt  gewesen.  Teilweise  ist  gegen  Juli  dieses  Jahres 
wie  gegen  den  August  1916  eine  Steigerung  der  Beschäftigung  zu 
verzeichnen. 

Die  optische  Industrie  und  Feinmechanik  erfreute  sich 
ebenso  guten  Geschäftsganges  wie  im  Juli.  Im  Vergleich  zum  Vorjahr 
macht  sich  eine  Steigerung  der  Nachfrage  geltend. 

Für  den  Bau  von  Dynamomaschinen,  Elektromotoren, 
Akkumulatoren  usw.  lagen  die  Verhältnisse  im  August  ebenso  wie 
im  Vormonat.  Dem  Vorjahr  gegenüber  wird  teilweise  eine  Steigerung 
festgestellt.  Der  Bestellungseingang  bei  den  Fabriken  für  elektro- 
technische Meßinstrumente  überstieg,  wie  hervorgehoben  wird,  nicht  nur 
den  des  Vormonats,  sondern  auch  den  des  August  1916.  Insbesondere 
machte  für  die  Herstellung  von  Röntgenapparaten  eine  Verbesserung 
des  Geschäftsganges  dem  Vormonat  gegenüber  sich  geltend.  Es  mußte 
nach  wie  vor  mit  Wechselschichten  gearbeitet  werden.  Die  Teuerungs- 
zulagen sind  teilweise  erhöht  worden. 

Die  Schwachstromelektrotechnik  verzeichnet  weder  eine 
Verbesserung  noch  eine  Verschlechterung  gegen  den  Juli,  während  dem 
Vorjahre  gegenüber  eine  Steigerung  unverkennbar  ist.  Es  wird  mit 
Ueberstunden  gearbeitet. 

Metallwarenfabriken  für  elektrischeBeleuchtungsapparate 
hatten  teilweise  stärker  zu  tun  als  im  Vorjahr. 

Die  Starkstromelektrotechnik  meldet  bezüglich  der  Einrichtung 
elekrischer  Licht-  und  Kraftanlagen  wie  des  Schaltwand- 
baues keine  wesentliche  Veränderung,  teils  einen  Rückgang  gegen  Juli 
d.  J.  und  August  des  Vorjahres. 

Die  Kabelwerke  sind  unverändert  gut  beschäftigt.  Ver- 
schiedentlich ist  dem  Vorjahr  gegenüber  eine  Steigerung  des  Geschäfts- 
ganges festzustellen.  Es  mußte  mit  Wechselschichten  gearbeitet  werden. 
Für  Straßenbahn-  und  Isoliergut  aber  wird  dem  Vorjahr  gegenüber  ein 
Nachlassen  der  Beschäftigung  gemeldet. 

IV.  Handel  und  Verkehr. 

Inhalt:  Deutsch-schweizerisches  Wirtschaftsabkommen.  Zentralisierung 
des  Auslandswarenverkehrs  in  Holland.  Zolltarifrevision  in  Italien.  Kündigimg 
der  Handelsverträge  Italiens  mit  iSrankreich  und  Griechenland.    Zolltarifrevision 


—    537    — 

in  Eußland.  Handelspolitik  Argentiniens.  Handelsvertrag  Japans  mit  Bolivien, 
Englands  Schiffahrt  und  Außenhandel.  Eisenbahnbauten  in  Marokko.  Eisen- 
bahnverstaatlichung in  Kanada. 

Bei  den  Verhandlungen  über  die  Erneuerung  des  deutsch- 
schweizerischen  Wirtschaftsabkommens  (vgl.  oben  S.  326  fg.) 
spielt  eine  besondere  Verabredung  über  die  Stundung  eines  Teils 
der  Geldbeträge  eine  große  Rolle.  Das  ganze  Abkommen  soll  eine 
Gültigkeitsdauer  von  9  Monaten  erhalten.  Ueber  die  besondere 
Kreditvereinbarung  wurde  der  „Frankfurter  Zeitung"  am  8.  August 
1917  folgendes  aus  der  Schweiz  geschrieben  : 

„Die  Angelegenheit  ist  im  Augenblick  noch  in  der  Schwebe,  wenn  ihre 
Regelung  in  den  Grundzügen  auch  bereits  feststehen  dürfte.  Die  Verhandlungen 
haben  in  der  ausländischen  Presse  starken  Widerhall  gefunden,  die  französischen 
Zeitungen  haben  —  nicht  eben  zur  Erleichterung  der  Situation  für  die  Schweiz 
—  von  „Erpressungen"  gesprochen,  denen  die  Schweiz  von  Deutschland  ausge- 
setzt sei,  ja  sie  verstiegen  sich  zu  Phantasien,  die  nicht  nur  die  Höhe  der  als 
Valutaregulierung  in  Betracht  kommenden  Summen  betrafen  (man  sprach  von 
Beträgen  bis  zu  720  Mill.  frcs.  jährlich!),  sondern  auch  in  den  Verhandlungen 
das  Vorstadium  zu  einer  Art  wirtschaftlicher  Annexion  der  Schweiz  durch 
Deutschland  erblicken  woUten.  Es  ist  deshalb  zweckmäßig,  die  Grundzüge  des 
neuen  Abkommens  in  seinen  wichtigsten  Punkten  kurz  zu  erörtern.  Die  Basis 
ist,  daß  auf  der  einen  Seite  die  Schweiz  den  allerdringlichsten  Bedarf  an  Kohle 
hat  und  ihn  von  keiner  anderen  Seite  als  eben  von  Deutschland  befriedigen 
kann.  Auf  der  anderen  Seite  hat  Deutschland  Bedarf  an  Zahlungsmitteln  in  der 
Schweiz  zum  Ausgleich  seiner  legitimen  Bezüge  schweizerischer  Produkte. 
Deutschlands  Verlangen  geht  nun  ganz  einfach  dahin,  daß  aus  diesen  Wechsel- 
beziehungen keine  neuen  ungedeckten  Devisen ansprüche  an  die  Reichsbank  her- 
vortreten ;  das  heißt :  der  gegenseitige  Austausch  von  Waren  muß  derart  geregelt 
werden,  daß  Einfuhr  und  Ausfuhr  —  von  Deutschland  aus  gesehen  —  sich  für 
die  Dauer  des  neuen  Wirtschaftsabkommens  decken,  sei  es  durch  eine  dieser 
Sachlage  angemessene  Preisstellung,  sei  es  durch  andere  Maßregeln.  Bei  letzteren 
kommt  in  erster  Linie  Kreditgewährung  in  Betracht.  Deutschland  stellte  den 
Betrag  seiner  durchschnittlichen  monatlichen  Bezüge  aus  der  Schweiz  fest.  Die 
resultierende  Summe  auszugleichen,  war  nun  wesentlichster  Gegenstand  der 
Schweizer  Verhandlungen.  Wie  erwähnt,  boten  sich  zwei  Wege.  Man  konnte 
den  Preis  der  deutschen  Lieferungen  dem  derzeitigen  Weltmarktpreise  so  weit 
nähern,  daß  der  Ausgleich  gefunden  war.  Das  würde  aber  gegenüber  dem  bis- 
herigen Preise  (60  frcs.  für  die  Rechnungseinheit)  einen  so  bedeutenden  Auf- 
schlag repräsentiert  haben,  daß  die  Schweiz  im  Interesse  der  Lebenshaltung  ihrer 
Bevölkerung  und  der  Arbeitsbedingungen  ihrer  Industrie  vor  dieser  Maßregel  zu- 
rückscheute. Da  andererseits  Deutschland  auch  nicht  eben  damit  gedient  sein 
kann,  das  ganze  Finanzerfordernis  für  seine  Warenbezüge  aus  der  Schweiz  auf 
dem  Kreditwege  (soweit  es  für  Deutschland  passiv  sich  gestalten  mußte)  zu 
decken,  wurde  ein  Mittelweg  gesucht  und  gefunden.  Dieser  Weg  besteht  darin, 
daß  der  Kohlenpreis  nur  relativ  mäßig  (um  etwa  50  Proz.)  erhöht,  für  den  Rest 
der  Zahlungserfordernisse  aber  der  Kredit  in  Anspruch  genommen  wird.  Die  in 
der  Presse  bereits  erwähnten  20  Mill.  frcs.  monatlich  —  gleich  180  Mill.  frcs.  für 
die  Dauer  des  neuen  Wirtschaftsabkommens  —  repräsentieren  den  Kredit  für 
den  Importüberschuß  Deutschlands  aus  der  Schweiz.  So  hegt  die  Angelegenheit. 
Für  die  Entente  ist  es  lächerlich,  von  einer  „Erpressung"  zu  sprechen.  Eine 
solche  würde  noch  nicht  einmal  vorliegen,  wenn  Deutschland  für  seine  Kohlen 
den  Weltmarktpreis  fordern  würde,  den  Preis,  den  etwa  ItaUen  an  England  zu 
zahlen  hat  und  der  ein  Vielfaches  des  bisher  von  der  Schweiz  bezahlten  Preises 
darstellt.  Aber  daran  denkt  man  in  Deutschland  nicht ;  im  Gegenteil,  die  Berner 
Verhandlungen  beweisen,  wie  ja  auch  die  deutsche  Preissteflung  für  Kohlen, 
durchaus,  daß  Deutschland  den  Wünschen  und  Verhältnissen  der  Schweiz  in 
gutnachbarlichen   Beziehungen   Rechnung  trägt.     Und  etwa  in  dem  Stundungs- 


-    538    - 

(Kredit-) Geschäft  eine  Aktion  Deutschlands  gegen  die  wirtschaftlichen  Interessen 
und  Notwendigkeiten  der  Schweiz  zu  erblicKen,  steht  den  Franzosen  besonders 
gut  an,  nachdem  sie  es  waren,  die  in  Höhe  von  50  Mill.  frcs.  den  ersten  der- 
artigen Stundungskredit  in  der  Schweiz  in  Anspruch  nahmen.  Ganz  im  Gegen- 
teil: es  darf  nicht  verhehlt  werden,  daß  es  für  Deutschland  ein  Opfer  bedeutet, 
wenn  es  unter  Verzicht  auf  Ausnutzung  der  Konjunktur  am  Kohlenmarkt  (in 
den  Preisen  mancher  Schweizer  Produkte  hat  Deutschland  recht  hohe  Konjunktur- 
preise, für  die  die  Schweiz  allerdings  nicht  immer  verantwortlich  ist,  zu  zahlen !) 
zu  dem  Kreditgeschäft  seine  Zustimmung  gibt.  Denn  diese  Kredite  müssen  doch 
auch  einmal  bezahlt  werden.  Und  ihre  Vertagung  auf  die  Periode  der  deutschen 
Uebergangswirtschaft  nach  dem  Kriege  bedeutet  eine  recht  fühlbare  Belastung 
dieser  Zeit,  in  der  die  Anforderungen  für  die  immerhin  nicht  unbeträchtlichen, 
jetzt  gestundeten  Beträge  der  Tendenz  einer  raschen  Hebung  der  deutschen 
Valuta  gewiß  nicht  förderlich  sein  werden.  Alles  in  allem:  eine  gerechte,  aber 
für  beide  Seiten  nicht  opferfreie  Regelung  ist  es,  die  angestrebt  und  voraussicht- 
lich in  naher  Zeit  zum  Abschluß  gelangen  wird.  Die  Neuordnung  wird  ziemlich 
komplizierte  finanztechnische  Maßnahmen  in  der  Schweiz  erfordern,  so  die  Neu- 
bildung einer  Organisation  speziell  für  die  Kohlenangelegenheit  und  ihre  finanzielle 
Durchführung.  Auf  diese  Punkte,  die  mehr  interner  Art  sind,  erstrecken  sich 
zurzeit  vornehmlich  die  Beratungen." 

Wie  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirt- 
schaft" mitgeteilt  wird,  ist  in  Holland  unter  dem  1.  September  1917 
ein  Gesetz  erlassen  worden,  das  die  Zentralisierung  des  Waren- 
verkehrs mit  dem  Auslande  bezweckt.  Es  hat  folgenden 
Inhalt : 

1.  Im  Falle  des  Krieges  oder  der  Kriegsgefahr,  und  solange  die  in  Artikel  3 
erwähnte  Vorlage  nicht  Gesetzeskraft  erlangt  hat,  können  von  Uns  Maßnahmen 
getroffen  werden  zur  Zentralisierung  und  Leitung  des  Warenverkehrs  mit  dem 
Ausland,  um 

a)  dafür  zu  sorgen,  daß  die  Ausfuhr  von  Waren  soweit  wie  möglich  mit 
Rücksicht  auf  den  inländischen  Bedarf  geregelt  wird,  und  zwar  sowohl  von  im 
Inland  erzeugten,  als  auch  von  auswärts  zu  beziehenden  Waren,  und  daß  zugleich 
die  Einfuhr  von  im  Inland  benötigten  Waren  gefördert  wird; 

b)  wenn  im  Ausland  für  die  nach  Absatz  a  auszuführenden  Waren  höhere 
Preise  zu  erzielen  sind  als  beim  Verkaufe  dieser  Waren  für  den  inländischen 
Verbrauch,  die  Ausfuhr  solcher  Waren  unter  für  alle  Waren  möglichst  gleich- 
artigen Bedingungen  zu  gestatten.  Diese  Bedingungen  richten  sich  nach  Vor- 
schriften, die  durch  eine  allgemeine  Regierungsverordnung  festzusetzen  sind. 

Zur  Ausführung  der  obigen  Maßnahmen  kann  eine  Aktiengesellschaft  er- 
richtet werden,  die  ausschließlich  den  Zweck  hat,  solange  der  ausländische  Waren- 
verkehr infolge  des  Kriegszustandes  behindert  ist,  die  Ausfuhr  von  Waren  aus 
den  Niederlanden  zu  vermitteln  und  dafür  zu  sorgen,  daß  für  diese  Ausfuhr 
Waren  eingeführt  werden,  die  im  Inland  benötigt  werden. 

Hinsichtlich  dieser  Aktiengesellschaft  darf  insofern  von  den  Bestimmungen 
des  Handelsgesetzbuchs  abgewichen  werden,  als  in  den  Satzungen  festgesetzt 
werden  kann, 

1)  daß  die  Beschlüsse  der  Generalversammlung,  des  Vorstandes,  des  Auf- 
sichtsrats und  der  von  Aufsichtsräten  gebildeten  Kommissionen  nur  mit  Ge- 
nehmigung des  Handelsministers  ausgeführt  werden  dürfen; 

2)  daß  die  Gesellschaft  liquidiert,  wenn  nach  Unserm  Ermessen  ihr  Weiter- 
bestehen nicht  länger  erwünscht  ist. 

Auch  können  Wir  die  Niederländische  Bank  bis  zu  einem  Betrage  von 
höchstens  20  Mill.  Gulden  gegen  den  Verlust  decken,  der  aus  der  Beleihung  von 
Effekten  oder  der  Diskontierung  oder  Beleihung  von  Handelspapieren  entsteht, 
soweit  die  Kreditgewährung  aus  dem  Warenverkehr  mit  dem  Ausland  herrührt. 

2.  Dieses  Gesetz  tritt  am  Tage  nach  seiner  Verkündung  in  Kraft. 

3.  Sobald  die  gegenwärtigen  außergewöhnlichen  Umstände  beim  Waren- 
verkehr mit  dem  Ausland  aufgehört  haben,  wird  den  General  Staaten  eine  Vorlage 


—    539    - 

zugehen,  die  die  Aufhebung  dieses  Gesetzes  sowie  nötigenfalls  den  üebergang  zu 
dem  normalen  Zustand  regelt. 

In  Italien  ist,  wie  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie 
und  Landwirtschaft"  mitgeteilt  wird,  laut  Verordnung  des  General- 
statthalters vom  24.  Juli  1917  ein  aus  15  Senatoren  und  15  Depu- 
tierten bestehender  parlamentarischer  Ausschuß  eingesetzt  worden,  dem 
die  Prüfung  des  von  der  Regierung  gemäß  dem  Vorschlag  des  Zoll- 
tarifausschusses der  Genehmigung  des  Parlaments  zu  unterbreitenden 
Zolltarifs  und  der  Vorschriften  zu  seiner  Anwendung  obliegen  wird. 
Der  Ausschuß  soll  auch  bei  Einführung  wichtiger  Neuerungen  auf  zoll- 
politischem Gebiete  zum  Zwecke  der  Neuregelung  der  Handels- 
beziehungen mit  den  anderen  Staaten  infolge  des  Ablaufs 
der  geltenden  Verträge  und  Abkommen  gehört  werden. 

Die  italienische  Regierung  hat  das  Handelsabkommen 
mit  Frankreich  vom  21.  November  1898  gekündigt;  es  tritt  mit 
dem  Ablauf  des  Jahres  1917  außer  Kraft. 

Ebenso  hat  die  italienische  Regierung  das  Protokoll  über  ein 
vorläufiges  Handelsabkommen  mit  Griechenland  vom  31.  De- 
zember 1899  gekündigt;  es  wird  gleichfalls  mit  Ablauf  des  Jahres  1917 
außer  Kraft  treten. 

Wie  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirt- 
schaft" mitgeteilt  wird,  ist  in  Rußland  durch  Beschluß  der  „Vor- 
läufigen Regierung"  vom  5.  Mai  1917,  der  am  14.  Juli  in  der  russi- 
schen Gesetzsammlung  erschien,  ein  dem  Handels-  und  Industrie- 
departement unterstellter  Z  oll  tarif- Ausschuß  und  eine  diesem  an- 
gegliederte Zolltarifkommission  eingesetzt  worden.  Aufgabe  dieser  neuen 
Amtsstellen  ist  die  Untersuchung  von  Fragen,  die  mit  der  Abänderung, 
Ergänzung  und  Begutachtung  aller  Vorschriften  des  gegenwärtigen 
Zolltarifs  zusammenhängen,  ferner  die  Prüfung  der  bei  der  Ausfuhr 
russischer  Erzeugnisse  zu  gewährenden  Rückzölle. 

Nach  derselben  Quelle  enthält  der  Entwurf  zum  neuen  argen- 
tinischen Haushaltsgesetze,  der  dem  Kongreß  unlängst  vorgelegt  wurde, 
den  Vorschlag,  vom  1.  September  1917  ab  bis  Ende  1918  von  allen  aus 
der  Republik  ausgeführten  Waren  Ausfuhrzölle  zu  erheben,  und  zwar : 

a)  von  Artikeln,  deren  Ausfuhr  nur  gegen  Bewilligung  erfolgen 
darf,  20  v.  H.  des  Wertes; 

b)  von  Fleisch,  Rindshäuten,  Schaf-  und  Ziegenfellen,  Wolle,  Mar- 
garine, Palmitin,  Talg,  gereinigten  Fetten,  Haferflocken,  Gerste,  Mais, 
Weizen,  Leinsamen  und  Quebrachoauszug  Gewichtszöile,  deren  Höhe 
zurzeit  noch  nicht  bekannt  ist; 

c)  von  allen  übrigen  Waren  2  v.  H.  vom  Werte. 

Die  Ausfuhrzölle  sollen  in  Gold  entrichtet  werden.  Ferner  ist  für 
eine  Anzahl  ausländischer  Erzeugnisse  eine  Erhöhung  der  Einfuhr- 
zölle in  Aussicht  genommen.  Nach  dem  Voranschlage  kann  die  Re- 
gierung für  Artikel,  deren  Preise  auf  dem  Inlandsmarkt  andauernd 
sinken,  die  Ausfuhrzölle  vorübergehend  ermäßigen  oder  aufheben ;  auch 
soll  sie  ermächtigt  sein,  die  Ausfuhr  von  Landeserzeugnissen  zeitweilig 
zu  verbieten,  falls  die  öffentlichen  Interessen  dies  erfordern  sollten. 


—     540    — 

Zwischen  Japan  und  Bolivien  ist,  wie  in  den  „Nachrichten 
ftir  Handel,  Industrie  und  Landwirtschaft"  mitgeteilt  wird,  am  13.  April 
1914  ein  Handelsvertrag  unterzeichnet  und  am  15.  März  1916 
ratifiziert  worden.  Artikel  6  dieses  Vertrags  sieht  die  gegenseitige 
Meistbegünstigung  für  die  Einfuhr-  und  Ausfuhrzölle  vor,  Artikel  7  die 
gegenseitige  Befreiung  von  Durchfuhrzöllen.  Unter  die  Meistbegünsti- 
gung fallen  nicht  die  den  angrenzenden  Staaten  zur  Erleichterung  des 
Grenzverkehrs  jetzt  oder  künftig  gewährten  Sonderzugeständnisse,  so- 
weit sie  nicht  auch  anderen  Staaten  zugebilligt  werden.  Der  auf 
10  Jahre  abgeschlossene  Vertrag  ist  7  Tage  nach  dem  Austausch  der 
Genehmigungsurkunden  in  Kraft  getreten.  Falls  er  von  keiner  Seite 
ein  Jahr  vor  seinem  Ablauf  gekündigt  wird,  bleibt  er  stets  ein  Jahr  von 
dem  Tage  ab  in  Geltung,  an  dem  ihn  einer  der  vertragschließenden 
Teile  kündigt. 

Wie  im  Handelsteil  der  „Frankfurter  Zeitung"  vom  11.  August 
1917  mitgeteilt  wird,  brachten  vor  kurzem  Londoner  Blätter  einen 
durch  seine  Offenheit  auffallenden  halbamtlichen  Bericht  über  Eng- 
lands Schiffahrt  und  Außenhandel,  der  in  der  Hauptsache 
folgendes  besagte : 

„1.  England  zählte  bei  Kriegsausbruch  17 — 18  Mill.  Bruttotonnen  Ozean- 
dampfer. Davon  waren  über  15  Mill.  t  regelmäßig  für  das  Mutterland  beschäftigt. 
Der  Eest  diente  dem  Verkehr  zwischen  fremden  Ländern,  Kolonien  usw.  und 
leistete  dadurch  der  Zahlungsbilanz  der  Heimat  wertvolle  Dienste.  Ein  großer 
Teil  dieses  Fernverkehrs  ist  für  unsere  unmittelbaren  Bedürfnisse  geopfert  und 
nahezu  50  Proz.  der  in  Betracht  kommenden  Schiffe  in  die  Heimat  zurückberufen 
worden,  um  dem  britischen  Handel  zu  dienen.  Gegenwärtig  besitzt  Großbritannien 
einschließlich  der  gekaperten  Schiffe  etwas  über  15  Mill.  t,  von  denen  14  Mill. 
dem  Mutterlande  zur  Verfügung  stehen. 

2.  Von  diesen  14  Millionen  aber  ist  nur  die  Hälfte  für  den  Handel  verfüg- 
bar. 6V2  Millionen  sind  vollständig  in  den  Dienst  von  Heer,  Marine,  Verbünde- 
ten und  Kolonien  gestellt  worden.  Eine  weitere  Million  Tonnen  dient  auf  ihrer 
Ausreise  diesen  Zwecken,  ist  also  für  unseren  Ausfuhrhandel  nicht  verfügbar, 
während  sie  auf  ihren  Eückreisen  der  Einfuhr  dienstbar  gemacht  werden   kann. 

3.  Die  Dienste  der  Handelsflotte  für  Kriegszwecke  sind  sehr  verschieden. 
Eine  Reihe  der  schnellsten  und  besten  Liniendampfer  wurden  als  Hilfskreuzer 
oder  Hospitalschiffe  eingerichtet.  Eine  ganze  Flotte  versorgt  die  Marine  mit 
Kohle  und  Oel.  .  .  Bis  Ende  Oktober  1916  hat  die  Flotte  8  Millionen  Soldaten 
befördert,  gleichzeitig  9,42  Mill.  t  Munition  usw.,  ferner  über  eine  Million  Pferde 
und  Maultiere,  477?  Mill.  Gallonen  Petroleum  usw. 

4.  Ungefähr  97  Proz.  aller  Dampfer  sind  zurzeit  zu  ßegierungseätzen  ge- 
pachtet. Vor  allem  sind  alle  Linienschiffe  beschlagnahmt.  Wenn  private  Ladungen 
zu  den  Sätzen  des  offenen  Marktes  befördert  werden,  so  geht  dieser  Gewinn  an 
die  Regierung  und  nicht  an  die  Schiffsbesitzer.  Im  übrigen  wird  die  ganze 
Schiffsbewegung  lediglich  vom  Gesichtspunkt  der  möglichst  großen  Einfuhr  ge- 
leitet; die  Interessen  der  Schiffsbesitzer  und  der  Exporteure  bleiben  völlig  unbe- 
rücksichtigt. Dadurch  mußte  gar  mancher  in  fernen  Gewässern  aufgebaute  Handel 
an  Neutrale  abgegeben  werden,  die  sehr  gerne  in  derartigen  Gewässern  Beschäfti- 
gung suchen,  die  von  Kriegsgefahr  verschont  bleiben. 

5.  Die  Schiffahrtsgesellschaften  haben  aUe  ihre  ganze  Organisation  und  ihre 
sonstigen  Erfahrungen  der  Regierung  zur  Verfügung  gestellt  und  vor  allem  sich 
syndiziert,  um  eine  möglichst  rationelle  Arbeit  zu  garantieren.  In  vielen  Fällen 
leiden  naturgemäß  die  von  den  Schiffslinien  aufgebauten  Verbindungen  ernsthaft 
Unter  der  Einstellung  gewohnter  Schiffahrts Verbindungen. 

6.  Abgesehen  von  den  nachteiligen  Einflüssen  auf  die  Interessen  der  Schiff- 
fahrt,  leidet  das  Land   naturgemäß   selbst  unter  den  steigenden  Opfern  und  der 


-     541     — 

Frachtraumnot,  die  bewirkt  wird  durch  die  Requisition  und  die  Tauchbootveriuste.' 
Schwer  gelitten  hat  vor  allem  der  britische  Ausfuhrhandel  und  hier  wiederum 
vor  allem  der  nach  Indien  und  dem  fernen  Osten.  Auch  die  Kolonien  sind  da- 
durch in  der  Ausfuhr  behindert.  Ferner  mußte  auch  der  Import  scharf  einge- 
schränkt werden,  wobei  namentlich  der  Luxusimport  geopfert  wurde.  Die  Ein- 
schränkungen der  Küstenschiffahrt  werden  unvermeidlich  den  Küstenstädten 
allerhand  Härten  auferlegen,  denn  diese  haben  sich  bisher  für  die  Zufuhr  von 
Kohle  und  anderen  Waren  auf  die  Schiffahrt  verlassen,  nachdem  der  Eisenbahn- 
dienst des  Landes  bereits  überlastet  und  nicht  in  der  Lage  ist,  an  die  Stelle  der 
Küstenschiffahrt  zu  treten. 

7.  Ganz  besonders  wichtig  aber  ist  die  ziffernmäßige  Einwirkung  auf  Ein- 
und  Ausfuhr:  Vor  dem  Kriege  führten  wir  für  58  Mill.  t  jährlich  Waren  ein.  Im 
Jahre  1916  fiel  diese  Menge  auf  43  Mill.,  und  im  laufenden  Jahre  wird  sie  noch 
erheblich  weiter  zurückgehen.  Dabei  kann  noch  nicht  einmal  diese  bedeutende 
Verkürzung  in  voller  Klarheit  die  Opfer  enthüllen,  die  wir  sowohl  in  bezug  auf 
unseren  eigenen  Verbrauch  wie  auch  in  bezug  auf  Rohstoffe  für  die  Herstellung 
unserer  Exportwaren  gebracht  haben.  Von  den  58  Mill.  t  nämlich  entfallen  weniger 
als  ein  Viertel  auf  Nahrungsmittel.  Der  Rest  entfällt  fast  ganz  auf  Bedürfnisse 
von  Handel  und  Industrie.  Im  Jahre  1916  aber  entfielen  nicht  weniger  als  zwei 
Drittel  aller  Einfuhr  auf  Nahrungsmittel,  Munition  und  sonstige  Materialien  für 
die  Herstellung  von  Kriegsbedarf,  so  daß  nur  ein  Drittel  der  an  und  für  sich 
scharf  reduzierten  Einfuhr  für  produktive  Zwecke  übrigblieb.  Das  bedeutet,  daß 
einer  Einfuhr  von  40  Mill.  t  jährlich  von  Industrie-  und  Handelswaren  vor  dem 
Kriege  im  Jahre  1916  nur  eine  solche  von  14 — 15  Mill.  t  für  diese  vitalen  Zwecke 
gegenüberstand.  Im  laufenden  Jahre  können  wir  in  keiner  Weise  hoffen,  auch 
nur  annähernd  diese  verkürzte  Menge  zu  erhalten. 

8.  Eine  nähere  Untersuchung  unserer  Einfuhr  führt  zu  denselben  bezeich- 
nenden Resultaten.  Im  Jahre  1913  hatte  unsere  gesamte  Einfuhr  einen  Wert  von 
769  Mill.  £.  Davon  kamen  94  Mill.  aus  Ländern,  mit  denen  wir  jetzt  im  Kriege 
liegen.  Im  Jahre  1916  hatte  unsere  Einfuhr  einen  Wert  von  949  Mill.  £.  Die 
große  Steigerung  erklärt  sich  selbstverständlich  aus  der  allgemeinen  Verteuerung 
und  daraus,  daß  wir  von  anderen  Ländern  kaufen  müssen.  Aber  nach  den  sorg- 
samsten Schätzungen,  die  zur  Verfügung  stehen,  ergibt  sich,  daß  die  im  Jahre 
1916  eingeführten  43  Mill.  t  zu  Friedenspreisen  und  unter  normalen  Verhältnissen 
eher  unter  800  Mill.  £  gekostet  hätten.  Wir  hatten  also  im  Jahre  1916  etwa 
150  Mill.  £  infolge  der  anormalen  Verhältnisse  mehr  zu  zahlen.  Wir  haben  nicht 
nur  in  außerordentlichem  Maße  die  Bedürfnisse  von  Industrie  und  Handel  ge 
opfert,  sondern  wir  haben  zu  allem  üeberfluß  auch  noch  erheblich  höhere  Preise 
für  die  unproduktiven  Kriegsmaterialien  bezahlt. 

9.  Bei  der  Ausfuhr  liegt  es  ähnlich.  1913  belief  sie  sich  auf  525  Mill.  £; 
1916  betrug  sie  506  Mill.  £.  Wären  für  sie  die  Preise  von  1913  bezahlt  worden, 
so  hätte  sie  nur  386  Mill.  £  gebracht.  Wir  haben  also  unsere  Ausfuhr  um  ungefähr 
25  Proz.  verkürzt,  wovon  ungefähr  10  Proz.  auf  frühere  Ausfuhrmengen  an  unsere 

gegenwärtigen  Feinde  entfallen.  Unsere  Lieferungen  an  unsere  Verbündeten 
aben  sich  etwas  erhöht,  was  in  der  Natur  der  Sache  liegt,  wobei  aber  zu  bemerken 
ist,  daß  diese  Steigerung  lediglich  aus  ganz  besonderen  und  vorübergehenden 
Gründen  der  gegenwärtigen  Lage  sich  erklärt  und  keinerlei  Ersatz  für  den  Ver- 
lust unseres  alten  Handels  bedeutet.  Unsere  Ausfuhr  an  andere  fremde  Länder 
und  an  die  Kolonien  ist  ungefähr  um  100  Mill.  £  zurückgegangen,  das  ist,  wenn 
man  die  Friedensziffern  heranzieht,  ungefähr  ein  Drittel. 

10.  Ein  sehr  erheblicher  Teil  der  Ein-  und  Ausfuhr  wird  heute  auf  aus- 
ländischen Schiffen  bewerkstelligt.  Wäre  es  möglich,  den  Außenhandel  genau 
nach  britischen  und  fremden  Schiffen  zu  scheiden  und  zu  vergleichen,  welcher 
Prozentsatz  heute  und  im  Frieden  auf  englischen  Schiffen  erledigt  wurde,  so 
wäre  das  Ergebnis  einer  solchen  Untersuchung  noch  überraschender.  Schon  in 
der  Einleitung  wurde  bemerkt,  daß  ungefähr  50  Proz.  alles  britischen  Schiffs- 
raumes, der  früher  durch  die  Beförderung  fremder  Güter  unsere  Zahlungsbilanz 
verbesserte,  jetzt  für  das  Mutterland  notwendig  geworden  ist.  Es  sind  Anzeichen 
vorhanden,  daß  die  so  entstandene  Lücke  von  der  neutralen  Schiffahrt  ausgefüllt 
wird,  die  sich  aus  dem  europäischen  Handel  zurückgezogen  hat,  um  die  günstige 


—    542    — 

Gelegenheit  zu  benutzen,  sich  des  früheren  englischen  (Geschäftes  zum  mindesten 
für  die  Gegenwart  zu  bemächtigen." 

lieber  Eisenbahnbauten  in  Marokko  (vgl.  Chronik  für 
1916  S.  766)  wurde  im  Handelsteil  der  „Frankfurter  Zeitung"  vom 
24.  August  1917  folgendes  berichtet: 

Das  Projekt  über  Konzessionierung  einer  Eisenbahn  von  Tanger  nach 
Fez  ist  vor  kurzem  an  das  französische  Parlament  gelangt.  Es  betrifft  nur  eine 
Teilstrecke  von  311  km  in  einem  mit  insgesamt  1080  km  geplanten  normalspurigen 
Eisenbahnnetz,  das  die  französische  Regierung  im  Kon  Zession  swege  durch  ein 
privates  Konsortium  ausbauen  lassen  will.  Allerdings  hat  der  Abgeordnete  Bluysen 
jüngst  einen  Gegenvorschlag  eingebracht,  der  die  Ausschaltung  des  Konzeseions- 
systems  und  den  Bau  der  Bahnen  in  eigener  Regie  des  Staates  vorsieht,  zu 
welchem  Zweck  die  marokkanische  Protektoratsregierung  von  Frankreich  einen 
Kredit  von  40  Mill.  frcs.  erhalten  soll.  Indes  hat  sich  die  parlamentarische  und 
administrative  Kommission  schon  1914  für  das  Konzessionssystem  ausgesprochen, 
da  sie  zu  der  Auffassung  kam,  daß  bei  Uebernahme  des  Baues  und  Betriebs  der 
Bahnen  durch  den  Staat  sich  große  Schwierigkeiten  ergeben  müßten.  Nach  dem 
deutsch-französischen  Marokko  -  Abkommen  von  1911  hatte  Frankreich  sich  ver- 
pflichtet, in  der  Reihenfolge  der  Bahnbauten  zuerst  mit  der  Strecke  Tanger — Fez 
zu  beginnen.  An  dieses  Abkommen  ist  Frankreich  jetzt  natürlich  nicht  mehr 
gebunden ;  trotzdem  hält  es  die  ursprünglich  vorgesehene  Reihenfolge  der  Bauten 
ein,  und  zwar  in  Rücksicht  auf  die  anderen  Mächte,  denen  seinerzeit  von  dem 
Abkommen  Kenntnis  gegeben  wurde.  Wenig  bekannt  dürfte  sein,  daß  in  Marokko 
schon  ein  ziemlich  ausgedehntes  Eisenbahnnetz  in  Betrieb  ist,  das  eine  Länge  von 
773  km  hat.  Freilich  handelt  es  sich  nur  um  strategische  Bahnen  von 
60  cm  Spurweite,  deren  Benutzung  für  private  Zwecke  früher  auf  Grund  der 
diplomatischen  Vereinbarungen  verboten  war.  Heute  besteht  infolge  des  Krieges 
diese  Beschränkung  nicht  mehr.  Dieses  leicht  gebaute  Bahnnetz  setzt  sich  aus 
den  Strecken  Rabat — Casablanca  (90  km),  Sal6— Fez  (246  km),  Taza— Oudjda 
(235  km),  Casablanca — Caid  Tounsi  (153  km,  südliche  Richtung)  und  Ber  Rechid 
— Bez  Ahmed  (49  km,  in  der  Richtung  nach  Oued  Zem)  zusammen  und  wird 
von  der  Protektoratsverwaltung  noch  fortgesetzt.  So  wird  gegenwärtig  bei  der 
Strecke  Taza— Fex  an  dem  Abschnitt  Taza— Matmata  gearbeitet,  und  andere  Er- 
gänzungsstrecken sind  von  Ben  Guerir  in  der  Richtung  nach  Kelaa  sowie  von 
Oued  Zem  nach  Kasba  Tadla  und  von  Meknes  nach  Ain  Leah  und  Azrou  pro- 
jektiert. Die  Strecke  Rabat — Casablanca  erzielte  1916  eine  Bruttoeinnahme  von 
18  530  frcs.  pro  1  km,  die  Strecke  SaM— Fez  sogar  23  380  frcs. 

Ueber  die  Verstaatlichung  der  Eisenbahnen  in  Kanada 
(vgl.  oben  S.  338)  wurde  im  Handelsteil  der  „Frankfurter  Zeitung" 
vom  S.August  1917  folgendes  geschrieben:  „Die  kanadische  Regierung 
hat  nach  langen  Untersuchungen  und  Beratungen  eine  einstweilige  Ent- 
scheidung in  der  Eisenbahnfrage  gefällt.  Den  Anstoß  zu  dieser  Be- 
wegung gab,  wie  erinnerlich,  die  äußerst  mißliche  Lage,  in  der  die 
beiden  jüngeren  Konkurrenten  der  Canadian  Pacific,  die  Canadian 
Northern  und  die  Grand  Trunk-Bahn,  sich  befanden.  Diese  mißlichen 
Verhältnisse  gehen  auf  Jahre  zurück.  So  mußte  bereits  im  Juni  1914 
die  Bundesregierung  40  Mill.  $  =  40  Proz.  der  Stammaktien  der 
Canadian  Northern  übernehmen.  Jetzt  soll,  wie  kurz  gemeldet,  der 
Rest  von  60  Mill.  $  an  die  Regierung  übergehen.  Diese  waren  bisher 
in  Händen  der  Unternehmerfirma  Mackenzie,  Mann  &  Co.,  welche  die 
Bahn  gebaut  und  auch  finanziert  hat.  Damit  ist  die  kanadische  Re- 
gierung Alleinbesitzerin  der  Canadian  Northern-Bahn  geworden.  Für 
die  Besitzer  der  zahlreichen  Obligationen  der  Bahn  bedeutet  dieser 
Vorgang  zweifellos  eine  Verbesserung  ihrer  Sicherheit,  soweit  diese 
nicht   ohnehin  von    der  Regierung   bisher   schon   gewährt  worden  war. 


—    543    — 

Die  der  Grand  Trunk-Bahn  gewährte  Hilfe  geht  noch  nicht  so  weit. 
Ihr  gewährt  die  Eegierung  einen  Vorschuß  von  IY2  Mill.  £  zu  6  Proz., 
wird  aber  gleichzeitig  sich  die  Majorität  im  Verwaltungsrat  sichern. 
Die  eingesetzte  Untersuchungskommission  hatte,  wie  wohl  erinnerlich, 
auch  die  Verstaatlichung  dieser  Bahn  vorgeschlagen."        P.  Arndt. 

V.  Versichernngswesen. 

Inhalt:  1.  Privatversicherung.  Deutschland:  Die  Unfall-  und 
Haftpflichtversicherung  1916.  Kjiegsanleiheversicherung.  Fliegerschädenversiche- 
ning.  Neue  Verschmelzungen.  Transportversicherung  und  öffentliche  Feuerver- 
sicherung. Ausland:  Gegenseitige  Reederei  Versicherung  in  Oesterreich.  Deutsches 
Versicherungswesen  in  Polen.  Neue  französische  Versicherungsverordnungen.  Eng- 
lische Soldatenlebens  Versicherung.  Englische  Versicherungsfusionen.  Vom  eng- 
lischen Seeversicherungsmarkt.  Internationaler  Seeversicherungsmarkt.  Aufhebung 
der  deutschen  Versicherungstätigkeit  in  Nordamerika.  Staatliche  Seekriegsver- 
sicherung in  Japan. 

2.  Sozialversicherung.  Deutschland:  Kinderfürsorge  der  Landesver- 
sicherungsanstalten. Tagung  deutscher  Krankenkassen.  Die  Angestelltenversiche- 
Tung  1916.    Ausland:   Seeunfallversicherung  in  den  Vereinigten  Staaten. 

1.  Privatversicherung. 

Der  Krieg  hat  —  wie  es  im  „Wiener  National  Ökonom"  heißt  — 
auf  keinen  Versicherungszweig  so  ungünstig  eingewirkt  wie  auf  die 
Unfallversicherung.  Die  große  Mehrzahl  der  arbeitstüchtigen 
Menschen,  welche  ihren  Beruf  aufgaben,  um  ihrer  Militärpflicht  zu  ge- 
nügen, bedurften  der  Unfall-  und  der  Haftpflichtversicherung 
nicht  mehr,  und  es  darf  wundernehmen,  wenn  trotzdem  die  deutschen 
Anstalten  im  Jahre  1916  noch  82894  272  M.  an  Prämien  einnahmen. 
Gegen  das  letzte  Friedensjahr  betrug  der  Prämienrückgang  brutto 
30,7,  netto  21,6  Mill.  M.,  gegen  1915  nur  mehr  2,91  M.  Ebenso  be- 
greiflich ist  der  Rückgang  an  Schäden,  die  nur  46  Proz.  in  Anspruch 
nahmen.  Die  Spesen  reduzierten  sich  gegen  1913  um  9Y2  Mill.,  so  daß 
ungeachtet  der  bedeutenden  Geschäftsabnahmen  der  Reingewinn  aus 
den  Prämien  ein  hoher  war.  Er  erreichte  13  Proz.  der  Nettoprämien. 
Bemerkenswert  erscheint,  daß  die  Unfallversicherung  einen  größeren 
Prämienrückgang  zeigt  als  die  Haftpflichtversicherung,  welche  im  letzten 
Jahrzehnte  in  ihrer  großen  Wichtigkeit  immer  mehr  erkannt  wird. 

Seit  dem  Jahre  1907  betrugen  die  Prämien  in  Millionen  Mark: 

1907         1912         1913         1914         1915         1916 
Unfallprämien  37,69        51,53        54,43        49,82        37,34         35,1 

Haftpflichtprämien         36,89        56,76        59,18        57,98        48,46         47,8 

Unsere  Tabelle  enthält  die  Resultate  von  33  Gesellschaften,  die  mit  zwei 
Ausnahmen  beide  Branchen  betreiben. 

Betrachten  wir  die  Entwicklung  des  gesamten  Geschäftes  seit  dem  Jahre 
1887,  so  gelangen  wir  zu  den  nachstehenden  Ergebnissen  in  Tausenden  Mark: 

1887  1900  1913  1914         1915           1916 

11  Ges.  24  Ges.  29  Ges.  31  Ges.  32  Ges.  33  Ges. 

Prämien  und  Gebühren            4361  44  7"  "3  617  107804  85804  82894 

Ab  Rückvers.-Prämien                500  8  699  24  993  24  720  18  382         18  242 

Ab  Prämien-R.-Zuw. 357  5  298  4  737  2  750         i  833           2  380 

Nettoprämien                              3504  30  714  83887  80334  65589  62272 


—    544    — 

Dagegen  waren:        11  Ges.     24  Ges.  29  Ges.  31  Ges.  32  Ges.  33  Ges. 

1887          1900  1913  1914  1915  1916 

Eigene  Schadenzahlung         1  ..^q  /    ^3  453  41380  39679  31078  28280 

Prämien-Rückversicherung    /    ^•'^  \         833  582  620  508  385 

Gesamte  Spesen 1460       12562  35  003  32  9"  a4g'8  25  47' 

Prämienüberschuß                        605         3866  6922  7123  9185  8136 

Zinsen  und  Dividende                 192         2417  9979  10  163  10  168  9935 

Kursdifferenz —            —73  —7"  —376  — i  003  —463 

Totalüberschuß                             797         6210  16  190  16  910  18350  17  608 

Von  den  üeberscliüssen  erhielten: 

die  Versicherten                            ?           2898  7229  7400  7721  7346 

Die  Prämieneinnahme  der  deutschen  Gesellschaften  betrug  1884,  wo  die 
Kollektivprämien  noch  einbezogen  waren,  10,8  Mill.  M.,  nach  deren  Abfall  im 
Jahre  1887  nur  noch  4,3  Mill.  M.   und  1914,  wie  schon  bemerkt,  85,8  Mill. 

Die  Zunahme  der  Prämien-  und  Schadenreserven  in  den  letzten 
Jahrzehnten  ergibt  sich  aus  der  folgenden  Darstellung.  Die  Prämien-  und  Schaden- 
reserven betrugen: 


Zahl  der  Gesellschaften 

Prämien  und  Schadensreserven 

1877 

12 

5  304  640 

1890 

14 

7  548  000 

1900 

24 

55  384  140 

1910 

27 

141  659  878 

1914 

31 

182  961  354 

1915 

32 

187  371  756 

1916 

33 

193484959 

Von  den  ßeserven  entfielen  Ende  1916  auf  Schadenreserven  55  531 574  M. 
(-f  3  801  011  M.),  Eentenreserven  17  974  210  M.  (—426 028  M.),  Prämienreserven 
119  979175  M.  (-f  2  738  220  M.).  Besonders  hoch  erscheinen  uns  die  Schaden- 
reserven mit  194  Proz.  des  ganzen  Schadenerfordernisses,  die  jedenfalls  eine  große 
Summe  Vorsichtsreserve  in  sich  schließen;  gleiches  dürfte  bei  den  Prämien- 
reserven der  Fall  sein,  welche  186  Proz.  der  Prämien  für  eigene  Rechnung  be- 
trugen. 

Die  Ausgaben  für  Schadenzahlungen  für  eigene  Rechnung  waren  1916 
bei  den  deutschen  Anstalten  in  Prozenten  der  Nettoprämien  46  Proz.  gegen  48,2, 
50,0,  50,0,  49,1,  50,1,  49,5,  49,8,  49,6,  51,9  in  den  Jahren  1915-1906.  Der  durch- 
schnittliche Schadenersatz  für  die  Jahre  1887—1916  war  46,9  Proz.  bei  den 
deutschen  Instituten.  Zieht  man  in  Betracht,  daß  die  Haftpflichtversicherungen 
bisher  noch  einen  geringen  Schadenersatz  verzeichnen,  so  ergibt  sich  für  die  Un- 
fallversicherung allein  ein  Schadenersatz  von  55—60  Proz. 

Als  Prämienüberschuß  verblieben  den  deutschen  Gesellschaften  13 Proz. 
(14,  8,9,  8,2,  9,6,  8,5,  10,4  ProzJ  der  Nettoprämien,  wobei  die  eingeklammerten 
Ziffern  die  Ergebnisse  der  fünf  Vorjahre  1915—1910  bedeuten.  Die  Ueberschüsse 
aus  den  Prämien  betrugen  in  Mark: 

1887  605176  1897         2  732  HO  1907         4  765  35^ 

1888  878651  1898        3940338  1908         6493913 

1889  1225958  1899  3443313  1909  6605591 

1890  I  481  849  1900  3865986  1910  7028179 

1891  1920  179  1901  3709649  1911  6226472 

1892  2127223  1902  3750165  1912  7522655 

1893  2163950  1903  3678459  1913  6922255 

1894  2192350  1904  3455101  1914  7  122  519 

1895  2  133  513  1905  3492824  1915  9185332 

1896  2858383  1906  4568857  1916  8136598 

An  den  glänzenden  Ergebnissen,  welche  die  bisherigen  Emissionen 
deutscher  Kriegsanleihen  hatten,  haben  die  deutschen  Lebens  Versiche- 
rungsgesellschaften einen  wesentlichen  Anteil,  weil  sie  für  eigene  Rech- 


-    545    - 

nung  erhebliche  Beträge  zeichneten  und  auch  ihren  Versicherten  durch 
Geldbewilligung  auf  ihre  Policen  die  Möglichkeit  zur  Zeichnung  ver- 
schafften. Außerdem  ist  (nach  der  „Frankf.  Zeitung")  eine  Reihe  von 
Anstalten,  und  zwar  sowohl  private  wie  öffentlich-rechtliche,  bei  der 
vorigen  Emission  dazu  übergegangen,  den  Zeichnungserfolg  durch  Neu- 
aufnahme der  sogenannten  Kriegsanleihe-Versicherung  zu 
fördern.  Mit  dieser  soll  es  ermöglicht  werden,  sich  gegen  Zahlung 
kleinerer  jährlicher  Beträge  in  den  Besitz  von  Kriegsanleihestücken  zu 
setzen  und  damit  dem  Erwerber  eine  Lebensversicherung  zu  verschaffen. 
Das  ist  der  Grundgedanke;  die  Bedingungen  im  einzelnen  gehen  bei 
den  verschiedenen  Gesellschaften  auseinander.  Auch  für  die  bevor- 
stehende 7.  Kriegsanleihe-Emission  treten  die  Versicherungsunterneh- 
mungen mit  ihrer  vollen  Werbekraft  in  die  Schranken.  Sie  treffen 
schon  jetzt  Vorbereitungen,  um  sich  ihrerseits  wieder  eifrig  am  Zeich- 
nungsgeschäft zu  beteiligen  und  dies  auch  ihren  Versicherungsnehmern 
zu  ermöglichen.  Zu  diesem  Zwecke  werden  sie  auch  diesmal  wieder 
die  Beleihung  von  Policen  für  Zeichnungszwecke  vornehmen  und  Kriegs- 
anleihe Versicherungen  abschließen.  Verschiedene  Institute,  welche  diese 
das  vorige  Mal  noch  nicht  eingeführt  hatten,  werden  diese  Versicherungs- 
art diesmal  aufnehmen.  Hatte  sie  schon  bei  der  6.  Kriegsanleihe  viel 
Anklang  gefunden,  so  steht  zu  erwarten,  daß  sie  sich  immer  mehr  ein- 
führen wird,  einmal,  weil  durch  die  größere  Zahl  von  Gesellschaften, 
die  sie  betreiben,  die  Möglichkeit  zum  Abschluß  solcher  Versicherungen 
wächst,  und  dann,  weil  sich  die  Erkenntnis  immer  mehr  ausbreitet, 
daß  die  Kriegsanleihe  Versicherung  eine  segensreiche  Einrichtung  be- 
deutet, denn  es  ist  für  den  Versicherungsnehmer  nicht  nur  eine  Spar- 
möglichkeit, sondern  auch  eine  Gelegenheit,  mit  ihr  die  heute  doppelt 
notwendige  Fürsorge  für  die  Familie  zu  verbinden.  Sie  erweist  sich 
besonders  auch  für  Personen  in  vorgeschrittenen  Jahren  nützlich,  die 
es  unterlassen  haben,  sich  früher  eine  Lebensversicherungspolice  zuzu- 
legen, oder  die  eine  Erhöhung  ihres  bisherigen  Versicherungsbetrages 
herbeiführen  wollen. 

Die  Schädigungen  durch  Fliegerangriffe  haben  mehrere  deutsche 
Versicherungsgesellschaften  veranlaßt,  die  Versicherung  gegen 
Fliegerschäden  in  ihre  Geschäftstätigkeit  aufzunehmen.  Eine  all- 
gemeine Verbreitung  wird  (nach  der  Meinung  des  „Berl.  Börsen-Courier") 
dieser  Versicherungszweig  allerdings  nicht  finden,  da  eine  Eigentums- 
gefährdung in  großen  Massen  nicht  zu  befürchten  steht,  je  weiter  nach 
Osten  des  Reichs,  um  so  weniger.  In  Süddeutschland  und  im  Beichs- 
lande  ist  der  Wunsch  nach  einer  derartigen  Sicherung  immerhin  leb- 
haft genug,  um  einen  Versuch  in  dieser  Richtung  machen  zu  können, 
obgleich  die  Versicherungsgesellschaften  beim  Fehlen  jeder  Risiko- 
schätzungen in  ihren  Prämienberechnungen  völlig  im  Dunkeln  tappen 
müssen.  Für  den  durch  feindliche  Flieger  in  Deutschland  einerseits 
und  durch  unsere  Luftstreitkräfte  in  England  andererseits  angerichtete 
Schaden  ist  vielleicht  kennzeichnend,  daß  in  England  die  Versicherung 
gegen  Fliegerschäden  obligatorisch  ist,  falls  eine  staatliche  Entschä- 
digung beansprucht  wird.  Der  Staat  ist  aber  auch  bereit,  die  Ver- 
jährt, f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXXVI 


-    546    - 

sicheruDg  selbst  zu  übernehmeD.  Ob  in  Deutschland  eine  Entschä- 
digungspflicht  des  Reichs  für  Fliegerschäden  späterhin  überhaupt  an- 
erkannt werden  wird,  ist  zweifelhaft.  Vorläufig  beschränkt  sich  die 
Stellungnahme  des  Fiskus  zur  Frage  der  Schadloshaltung  für  Schäden 
im  Zusammenhange  mit  der  Kriegführung,  also  auch  für  Fliegerschäden, 
auf  die  Ermittlung  der  verursachten  Verluste,  wobei  eine  prinzipielle 
Entscheidung  in  bejahendem  Sinn  freilich  insofern  bereits  erfolgt  zu 
sein  scheint,  als  auf  das  Konto  der  künftigen,  gesetzlich  geordneten 
ßeichsentschädigung  in  besonderen  Fällen  schon  jetzt  vorschußweise 
Zahlungsanweisungen  erfolgen  können.  Die  privaten  Feuersicherungs- 
gesellschaften, deren  Verband  zur  Versicherung  gegen  Fliegerschäden 
willens  ist,  müßten  über  die  Entschädigung  mit  den  ßeichsbehörden 
jedenfalls  zu  späterer  Zeit  sich  noch  auseinandersetzen. 

Die  deutsche  Transportversicherung  rüstet  sich  für  die  ihrer 
nach  dem  Kriege  harrenden  Aufgaben.  Gründungen  neuer  Gesell- 
schaften, wie  auch  Kapitalerhöhungen  und  Verschmelzungen  von  be- 
stehenden Gesellschaften  sind  in  jüngster  Zeit  rasch  aufeinander  erfolgt. 
Auch  die  Gruppe  der  Nordstern- Gesellschaften  beabsichtigt  (nach  dem 
„Berl.  Tgbl."),  ihre  Kapitalkraft  dem  gleichen  Interesse  dienstbar  zu 
machen.  Zu  diesem  Zwecke  ist  zwischen  der  Düsseldorfer  Allgemeinen 
Versicherungs-Akt.-Ges.,  die  in  der  Hauptsache  das  Transport  Versiche- 
rungsgeschäft betreibt,  und  der  Nordstern- Gruppe  eine  Gemeinschaft  der 
Interessen  vereinbart  worden.  Die  Nordstern-Unfall-  und  Haftpflicht- 
Versicherungs-Akt.-Ges.  nimmt  den  Betrieb  des  Transportversicherungs- 
geschäftes in  engster  Fühlung  mit  der  Düsseldorfer  Allgemeinen  Ver- 
sicherungs-Akt.-Ges. auf.  Es  soll  angeboten  werden  den  Aktionären 
der  Düsseldorfer  der  Umtausch  von  je  fünf  Aktien  über  1000  M.  mit 
25  Proz.  Einzahlung  gegen  zwei  Aktien  der  Nordstern-Unfall-  und 
Haftpflicht- Versicherungs-Gesellschaft  über  1000  M.  mit  30  Proz.  Ein- 
zahlung und  Dividendenberechtigung  ab  1.  Januar  1917.  Die  Nord- 
stern-Unfall- und  Haftpflicht- Versicherungs-Akt.-Ges.  wird,  um  diefen 
Umtausch  zu  ermöglichen,  ihr  Aktienkapital  um  einen  entsprechenden 
Betrag,  und  zwar  gegebenenfalls  um  1,2  Mill.  M.,  erhöhen. 

Die  „Frankfurter  Zeitung"  berichtet:  „Im  Juli  hat  in  Dresden  eine 
Versammlung  stattgefunden,  in  der  die  deutsche  Feuerversiche- 
rungsunternehmung sich  bereit  erklärt  hat,  in  Transportrisiken, 
soweit  sie  durch  die  bestehenden  Transportversichejungs-Gelegenheiten 
nicht  voll  Aufnahme  finden,  ihrerseits  einzutreten.  Diesem  von  besonderer 
Seite  unterstützten  Vorgehen  haben  sich  nicht  nur  die  privaten,  reinen 
Feuergesellschaften,  sondern  auch  die  öffenilich-rechtlichen  Feuerversiche- 
rungs-Organisationen angeschlossen.  In  Betracht  kommen  namentlich 
besonders  umfassende  Risiken,  wie  große  und  größte  Passagier-  und 
Rohstoffdampfer,  deren  Unterbringung  nach  dem  Ausscheiden  der  feind- 
lichen Transportversicherung  und  nach  dem  Druck,  den  England  auf 
Neutrale  ausübt,  in  Kreisen  der  bisherigen  deutschen  Transportver- 
sicherer nicht  ganz  gesichert  schien.  Die  Feuergruppe  übernimmt  also 
die  Deckung  der  überschießenden  Summe." 

Die  österreichischen  Reedereifirmen  haben  sich  im  Kriege 
zur   gegenseitigen  Versicherung   zusammengeschlossen.     Diese 


—    547    — 

umfaßt  die  Deckung  der  Schäden,  welche  die  versicherten  Schiffe  in 
den  Abrüstungshäfen  und  Buchten,  sowie  infolge  der  damit  verbundenen 
Schiffsbewegungen  treffen  könnten. 

Es  wurde  ein  Komitee  eingesetzt,  welches  die  Verwaltung  der  gegenseitigen 
Versicherung  leitet.  Dieses  Komitee  übernimmt  ßisiken  bis  zu  2  Mül.  K.  auf 
jedes  einzelne  Schiff,  und  die  Schadensdeckung  beginnt  mit  dem  Tage,  an  welchem 
mindestens  60  Schiffe  bei  der  gegenseitigen  Versicherung  angemeldet  wurden. 
Tatsächlich  wurden  123  Schiffe  mit  einer  Versicherungssumme  von  114  482  500  K. 
angemeldet.  Die  Versicherungsdauer  ist  unbeschränkt,  hört  jedoch  von  selbst  auf, 
wenn  die  Zahl  der  versicherten  Schiffe  unter  50  sinkt,  es  sei  denn,  daß  die  übrig- 
bleibenden ßeeder  sich  diesfalls  speziell  einigen  sollten.  Diese  Versicherung 
würde  späterhin  auch  auf  den  Betrieb  der  Schiffe  ausgedehnt.  Ein  zweiter  An- 
satz zur  gegenseitigen  Versicherung  besteht  in  der  im  Juni  1916  geschlossenen 
Kriegs  Versicherung,  welche  zwischen  dem  Oesterreichischen  Lloyd,  der  Austro- 
Americana,  der  Navigazione  libera  und  der  „Adiia"  eingegangen  wurde.  Später 
traten  dem  Vertrage  noch  andere  Keedereien  bei.  Diese  Versicherung  deckt  den 
Schaden,  welche  den  Eeeder  durch  Totalverlust  infolge  von  Kriegsereignissen 
trifft.  Sie  gilt  hauptsächlich  für  die  Schiffe,  welche  der  Heeres-  oder  Marinever- 
waltung zur  Dienstleistung  übergeben  wurden.  Für  diese  wird  im  Falle  des  Ver- 
lustes von  der  Heeres-  oder  Marineverwaltung  unter  Umständen  nur  ein  Betrag 
rückersetzt,  welcher  dem  gegenwärtigen  Werte  der  Schiffe  nicht  entspricht.  Die 
Versicherung  deckt  den  Mehrwert  zwischen  dem  vertragsmäßigen  Ersatzwert  und 
dem  ungefähren  Wert  der  Schiffe.  Diese  Versicherung  ^üt  auch  für  Schiffe, 
die  in  der  Kriegszone  auf  Rechnung  ihrer  Keeder  im  Betnebe  sind;  die  Prämie 
schwankt  je  nach  dem  Gebiete  der  Tätigkeit  dieser  Schiffe. 

Die  deutschen  Versicherungsgesellschaften,  die  ihre  Tätigkeit  auf 
Polen  ausgedehnt  haben,  haben  eine  Tarifkommission  in  Warschau 
gebildet,  die  den  Zweck  hat,  die  Einhaltung  der  zwischen  den  Gesell- 
schaften geschlossenen  Vereinbarung  zu  kontrollieren  und  Wünsche  und 
Beschwerden,  die  sich  aus  dem  Geschäft  in  Polen  ergeben,  zu  be- 
handeln. Hauptsächlich  soll  die  Kommission  darauf  achten,  daß  die 
beibehaltenen  russischen  Tarife  von  allen  Gesellschaften  gleichmäßig 
zur  Anwendung  gelangen. 

Die  französischen  Versicherer  müssen  künftighin  dem 
Arbeistministerium  nachfolgende  Erklärung  abgeben:  Der  unterfertigte 
Versicherer  (Name  und  Wohnort)  verpflichtet  sich  dem  Arbeitsmini- 
sterium gegenüber,  auf  keinen  Fall  irgendein  Risiko  in  Frankreich 
oder  Algier  sich  befindenden  Eigentums  oder  Personen  bei  den  aus- 
ländischen Gesellschaften  zu  versichern,  deren  Namen  sich  auf  dem 
vom  Arbeitsministerium  ausgegebenen  und  in  den  Pariser  Tageszeitungen 
zum  Abdruck  gebrachten  Listen  verzeichnet  finden.  Zuwiderhandlungen 
gegen  diese  Verordnung  haben  zur  Folge,  daß  der  Name  und  die  die 
Verordnung  übertretende  Firma  auf  die  schwarze  Liste  gesetzt  wird. 

Die  englische  Gesellschaft  „Eagle  and  British  Dominions  Insurance 
Company"  hat  für  die  Mannschaft  des  Heeres  und  der  Flotte  eine 
Kriegs-Lebensversicherung  eingeführt. 

Die  Grundlage  für  alle  Versicherungen  büdet  eine  einheitliche  jährHche 
Prämie  von  1  £.  Das  versicherte  Kapital  beträgt:  1)  100  £  im  Falle  eines  Todes 
aus  natürlichen  Ursachen  oder  infolge  eines  Unglücksfalles  innerhalb  Europas 
(mit  Ausnahme  der  Balkanhalbinsel)  und  für  Seeleute  überall  auf  der  See ;  2)  50  £, 
falls  die  unter  1  erwähnten  Fälle  sich  auf  der  Balkanhalbinsel  oder  außerhalb 
Europas  ereignen;    3)  5  £  samt  7io  ^i^^^s  eventuellen  Gewinnüberschusses,  wenn 

XXXVI* 


—     548    — 

der  Versicherte  auf  dem  Schlachtfelde  gefallen  oder  infolge  der  dort  erhaltenen 
Wunden  oder  eines  Luft-  oder  Seeunfalles  bei  Nicht- Seeleuten  gestorben  ist.  Im 
letzteren  Falle  werden  5  £  gleich  den  Erben  des  Versicherten  ausbezahlt,  während 
der  eventuelle  Ueberschuß  erst  18  Monate  nach  dem  offiziellen  Friedensschluß 
zwischen  Deutschland  und  England  und  erst  nach  Abzug  von  10  Proz.  zur 
Deckung  gewisser  Ausgaben  (Stempelabgaben  an  den  Staat,  Provisionen  an 
Agenten  u.  a.)  verteilt  wird.  Eine  Person  kann  eine  jährliche  Prämie  bis  zu 
20  £  für  ein  versichertes  Kapital  bis  zu  2000  £  bezahlen.  Die  Lords  French  und 
Beresford  haben  sich  dafür  verbürgt,  daß  die  Gesellschaft  ihren  Verpflichtungen 
nachkommen  wird.  Nach  Friedensabschluß  darf  die  Gesellschaft  keine  neuen  der- 
artigen Versicherungen  annehmen  oder  frühere  erneuern. 

Ueber  neue  Fusionspläne  im  englischen  Versiche- 
rungsgewerbe ist  der  „Frankfurter  Zeitung"  folgendes  zu  ent- 
nehmen : 

Ein  provisorisches  Abkommen  zwischen  der  Northern  Assurance  C!o.  und 
der  Provident  Accident  and  Guarantee  Co.  (deren  genaue  Firma  „Provident  Clerks 
and  General  Guarantee  and  Accident  Co."  lautet)  sieht,  vorbehaltlich  der  Zu- 
stimmung der  Aktionäre,  den  Uebergang  der  Provident  Accident  an  die  Northern 
durch  Ankauf  der  Aktien  der  Provident  Accident  bei  Auf  rechterhalt  ung  der  Selb- 
ständigkeit der  letztgenannten  Gesellschaft  unter  ihrer  gegenwärtigen  I^itung  vor. 
Die  „Northern"  wurde  1836  gegründet,  hat  ein  Kapital  von  3  Mill.  £  (mit  10  Proz. 
Bareinzahlung)  und  betreibt  alle  Zweige  des  Versicherungsgeschäfts.  Nach  der 
letzten  Bilanz  hatte  sie  Aktiven  im  Gesamtwert  von  8  Mill.  £.  Die  „Provident 
Accident"  (gegründet  1865)  betreibt  hauptsächlich  Unfallversicherung,  daneben 
aber  auch  Feuer-  und  Seeversicherung.  Auf  ihr  Nominalkapital  von  400000  £ 
sind  85000  £  bar  eingezahlt.  —  Die  London  and  Lancashire  Fire  Insurance  Co. 
plant  den  Erwerb  des  Aktienkapitals  der  Marine  Insurance  Co.  und  bietet  für 
die  40  000  Aktien  einen  sehr  günstigen  Preis  in  Gestalt  von  Wertpapieren  in 
Höhe  von  2,28  Mill.  £  sowie  90  000  £  bar.  Die  „London  and  Lancashire"  wurde 
1862  errichtet  und  hat  bereits  wiederholt  andere  Versicherungsunternehmungen 
aufgekauft.  Ihr  Kapital  beträgt  3  Mill.  £,  wovon  264  125  £  bar  eingezahlt  sind. 
Das  Kapital  der  Marine  Insurance  Co.  beziffert  sich  auf  1  Mill.  £,  worauf  drei 
Fünftel  eingezahlt  sind. 

In  den  englischen  Versicherungskreisen  hat  nach  der 
„Frankf.  Ztg."  es  besonderes  Aufsehen  erregt,  als  kürzlich  eine  der 
größten  Schiffahrtsgesellschaften,  die  sich  bisher  gegen  Seeschäden  (nicht 
zu  verwechseln  mit  Kriegsschäden)  in  sich  selbst  versicherte,  Verträge 
mit  Versicherungsgesellschaften  einging.  Dieses  Aufsehen  war  um  so 
größer,  als  sich  die  seitherige  Praxis  naturgemäß  bei  großen  Gesellschaften 
als  sehr  rentabel  bewährt  hatte.  Der  Vorgang  steht  nicht  vereinzelt 
da.  Die  Gründe,  die  nun  die  „Times"  für  das  Vorgehen  anführten,  sind 
sehr  bemerkenswert: 

Der  erste  Grund  ist  bekannt:  die  Erhöhung  der  Gefahren  für 
die  Schiffahrt  während  des  Krieges  und  zwar  infolge  der  Entfernung 
der  Lichter  und  anderer  Unterstützungen  der  Navigation;  ferner  aber 
auch  durch  die  Notwendigkeit,  seitherigen  Liniendampfern  neue  Fahrten 
anzuweisen,  die  bisher  weder  die  Kapitäne  oder  Offiziere  gekannt 
haben,  noch  aber  für  die  Dampfer  nach  ihrer  Bauart  geeignet  sind. 
Dazu  kommt  nun  weiter  die  schwere  Gefahr,  weun  ein  Schiff  vermißt 
wird,  und  man  sich  entscheiden  muß,  ob  es  sich  um  einen  Kriegs  oder 
Seeverlust  handelt.  Dazu  ist  zu  bemerken,  daß  das  Kriegsrisiko  von 
Anfang  an  von  allen  Schiffahrtsgesellschaften  nicht  selbst  getragen  wird. 
Wenn  nun  ein  Schiff  zu  Verlust  gegangen  ist,  so  würde  in  dem  Falle, 


—    549    — 

in  dem  der  Besitzer  nicht  nachweisen  kann,  daß  eine  kriegerische  Hand- 
lung das  Schiff  vernichtet  hat,  er  unter  Umständen  genötigt  sein,  das 
ganze  Risiko  selbst  zu  tragen.  Diese  Unklarheit  hat  ohnehin  in  der 
letzten  Zeit  in  steigendem  Maße  den  ganzen  englischen  Versicherungs- 
markt in  Unruhe  versetzt,  weil  in  außerordentlich  vielen  Fällen  die 
Oeffentlichkeit  nicht  erfahren  konnte,  auf  welchem  Wege  der  Verlust 
entstanden  war,  und  die  Admiralität  im  Landesinteresse  ihre  gewöhnlich 
recht  großen  Kenntnisse  der  wahren  Verhältnisse  nicht  preisgeben  wollte. 
Aus  diesem  Grunde  hat  man  sich  nun  dahin  geeinigt,  daß  künftig  ein 
Schiedsgericht,  dem  seitens  der  Marinebehörde  alle  diskreten  Dokumente 
vorgelegt  werden,  zu  entscheiden  hat,  welche  der  beiden  Versicherungs- 
arten für  den  Verlust  aufzukommen  hat. 

„Journal  of  Commerce"  weist  darauf  hin,  daß  seine  Voraussagungen 
über  die  Prämiensätze  im  Verkehr  mit  Norwegen,  Schweden  und  Däne- 
mark zutreffend  gewesen  sind  und  nun  ein  ziemlich  ausreichender 
Markt  für  die  Deckung  von  Kriegsrisiken  von  und  nach 
diesen  Ländern  zu  10  Proz.  vorhanden  ist. 

Hingegen  hatte  der  Versuch,  den  Prämiensatz  von  5  Guineas  auf  5  £  für 
Versicherungen  aller  britischen  Dampfer  nach  und  von  jedem  Teü  der  Welt,  mit 
Ausnahme  des  Mittelmeeres,  des  Weißen  Meeres  und  der  Nordsee,  herabzusetzen, 
nur  teilweisen  Erfolg  gehabt.  Es  ist  auch  nicht  zu  erwarten,  daß,  mit  Rücksicht 
auf  die  Ende  voriger  Woche  von  der  Admiralität  bekanntgegebenen  wachsenden 
Verluste  im  Atlantischen  Ozean,  in  der  nächcten  Zeit  zu  diesem  Satz  Ver- 
sicherungen übernommen  werden.  Für  Fahrten  zwischen  England  einerseits, 
Nord-  und  Südamerika,  Neuseeland,  dem  fernen  Osten  über  das  Kap  oder 
Panama  andererseits,  hatten  neutrale  Dampfer  8  £  zu  zahlen.  Für  Fahrten 
von  der  englischen  Westküste  nach  Nordfrankreich  wurden  40  bis  50  sh  ge- 
nommen, von  der  englischen  Ostküste  nach  Nordfrankreich  30  bis  40  sh,  von 
England  nach  der  französisch-atlantischen  Küste  und  umgekehrt  80  bis  100  sh, 
zwischen  England  und  den  Mittelmeerhäfen  hatten  neutrale  Dampfer  8  bis  10  £ 
zu  zahlen,  britische  und  Dampfer  der  Verbandsgenossen  8  £.  Zwischen  England 
und  Holland  wurden  5  £  verlangt. 

Die  immer  stärker  fühlbar  werdenden  Wirkungen  desU-Boot- 
krieges  haben,  wie  die  „Köln.  Ztg."  berichtet,  die  englische  Re- 
gierung gezwungen,  ihre  staatliche  Versicherung  gegen  Schiffs- 
verluste einer  einschneidenden  Umgestaltung  zu  unterziehen,  die  am 
19.  d.  M.  in  Kraft  getreten  ist. 

Bisher  versicherten  die  englischen  Reeder  ihre  Schiffe  gegen  Zahlung  be- 
stimmter Prämiensätze  bei  Gegenseitigkeitsgesellschaften.  Diese  nahmen  eine 
Rückversicherung  bis  zur  Höhe  von  80  Proz.  des  Wertes  bei  der  Regierung.  Die 
Beträge,  die  so  versichert  werden  konnten,  wurden  auf  den  Selbstkostenpreis  der 
Schiffe  abzüglich  der  Abschreibungen  zum  Satze  von  4  Proz.  jährlich  beschränkt. 
Dazu  traten  später  weitere  50  Proz.,  um  dem  Wertzuwachs  Rechnung  zu  tragen, 
der  für  Schiffsraum  während  des  Krieges  eingetreten  war.  Da  die  so  versicherten 
Beträge  noch  erheblich  hinter  dem  Marktwert  zurückblieben,  übernahmen  die 
Gegenseitigkeitsgesellschaften  noch  höhere  Versicherungssummen  auf  eigene 
Rechnung,  und  wenn  sich  dann  bei  Verlusten  die  Prämienzahlung  als  unzureichend 
für  die  Deckung  der  Schäden  erwies,  wurden  von  den  Reedern  Nachschüsse  ein- 
gefordert. Diese  Bedingungen  sind  nun  dahin  abgeändert  worden,  daß  die  Re- 
gierung, anstatt  wie  bisher  80  Proz.,  volle  100  Proz.  des  Wagnisses  übernimmt. 
Ebenso  übernimmt  sie  das  Wagnis  für  diejenigen  Summen,  die  bisher  allein  von 
den  Gegenseitigkeitsgesellschaften  getragen  wurden.  Zu  diesem  Zweck  sind  die 
Schiffe  in  drei  Klassen   eingeteilt  worden.    Die  erste  Klasse  umfaßt  diejenigen 


—    550    — 

Fahrzeuge,  die  völlig  von  der  Kegierung  beschlagnahmt  worden  sind  und  un- 
mittelbar im  Dienste  der  Regierung  beschäftigt  werden.  Zur  zweiten  Klasse  ge- 
hören die  für  bestimmte  Linienfahrten  beschlagnahmten  Schiffe,  und  zur  dritten 
freie  Schiffe,  deren  Zahl,  abgesehen  von  denjenigen,  die  im  Küstenhandel  arbeiten, 
verhältnismäßig  klein  ist.  Die  Besitzer  der  Schiffe  der  ersten  Klasse  brauchen 
keine  Kriegsversicherungsprämien  zu  zahlen,  und  im  Fall  des  völligen  oder  teil- 
weisen Verlustes  ihrer  Schiffe  durch  Kriegsgefahr  trägt  die  Regierung  den  Schaden. 
Die  Reeder  sind  also  in  Zukunft  von  der  Verpflichtung,  Nachschüsse  an  die 
Gegenseitigkeitsgesellschaften  zu  zahlen,  befreit.  Die  Eigentümer  von  Schiffen 
der  zweiten  Klasse  fahren  nach  festen,  von  der  Regierung  geregelten  Sätzen  und 
zahlen  Prämien  nach  Sätzen,  die  von  dem  Handelsamt  festgesetzt  werden.  Je 
höher  sich  die  Prämie  für  sie  stellt,  um  so  kleiner  sind  die  Gewinne,  die  dem 
Staat  zufallen.  Im  Falle  von  Verlusten  haben  die  Eigentümer  solcher  Schiffe 
das  Recht,  entweder  die  nach  den  Versicherungsscheinen  versicherten  Beträge 
oder  den  unter  Mitwirkung  der  Regierung  festgestellten  Wert  zu  erlangen.  Die 
Eigentümer  der  sogenannten  freien  Schiffe  haben  nur  Anspruch  auf  die  nach  den 
Versicherungsscheinen  versicherten  Beträge.  Die  Prämien  für  diese  freien  Schiffe 
werden  beträchtlich  höher  sein,  als  die  bisherigen  Sätze.  Dabei  kommt  jedoch 
in  Betracht,  daß  diese  Schiffe  auch  ganz  erheblich  höhere  Frachten  als  diejenigen 
der  andern  beiden  Klassen  erzielen. 

Ueber  die  Lage  des  Frachtenmarktes  bringt  „Verdens  Gang", 
Christiania,  einen  bemerkenswerten  Bericht,  aus  dem  u.  a.  hervorgeht, 
daß  größter  Nachfrage  wegen  Schiffsraummangels  nur  wenige  Abschlüsse 
gegenüberstehen.     Dann  heißt  es  über  die  einzelnen  Märkte : 

Nordseemarkt:  Von  Ost-Norwegen  nach  England  und  Frankreich  wurden 
für  den  Standard  Holzlast  folgende  Frachtsätze  notiert:  150  Kr.  nach  einem 
Kohlenhafen  der  Ostküste,  170—175  Kr.  nach  London,  245  Kj.  nach  einem  fran- 
zösischen Kanalhafen,  alles  bei  Vorausbezahlung.  Für  Grubenhölzer  bezahlt 
man  von  Ost-Norwegen  nach  einem  Kohlenhafen  der  Ostküste  235—240  sh  Fracht 
für  den  Standard.  Auch  vom  Trondhjemfjord  ist  gute  Nachfrage.  Der  Fracht- 
satz für  nasse  Holzmasse  nach  der  Themse  beträgt  60—65  Kr.,  für  den  Standard 
Tannenholz,  Latten  oder  Bretter  nach  einem  Kohlenhafen  der  Ostküste  werden 
150  Kr.  Fracht  bezahlt.  Die  Kohlenfrachten  von  der  Ostküste  Englands  nach 
Norwegen  betragen  190—200  Kr. 

Amerika:  Die  Raten  sind  bei  geringen  Abschlüssen  fast  unverändert.  Es 
notiert  Netcharter  von  Northern  Range  nach  französischen  Atlantikhäfen  220  sh., 
Westitalien  380  sh,  Portugal  220  sh,  Liverpool  200—210  sh.  Die  Kohlenfracht- 
sätze von  den  Nordstaaten  nach  dem  La  Plata  betragen  125  sh  bei  garantierter 
täglicher  Löschung  von  1000  t,  nach  Rio  oder  Santos  125  sh  bei  täglicher  Löschung 
von  750  t  täglich. 

Für  Getreidefrachten  nach  England,  Frankreich  und  Italien  besteht  große 
Nachfrage,  ebenso  vom  Golf  nach  Verbandsländern,  besonders  auf  Netcharter- 
basis. Von  Havanna  nach  Trondhjem  wurden  notiert  270  sh  für  Zucker  auf 
Netcharter. 

Der  Orientmarkt  ist  ungewöhnlich  fest,  z.  B.  beträgt  der  Frachtsatz  für 
die  Tonne  Reis  von  Kochichang  (?)  nach  Cette  600  sh.  Der  Timechartermarkt 
ist  unverändert.  Die  Raten  bei  Charterungen  auf  12  Monate  betragen  bei  Schiffen 
über  5000  t  Tragfähigkeit  an  Schwergutladung  40  sh.  6  d.,  von  4000—5000  t  d.  w. 
41  sh  9  d,  von  2500-4000  t  d.  w.  43  sh,  1800-3500  t  d.  w,  45  sh,  1000-1800  t 
d.  w,  48  sh,,  alle  mit  Kriegs  Versicherung  für  Rechnung  des  Befrachters,  aber  auf 
der  Basis  von  Werten,  die  weit  unter  den  heutigen  Schiffspreisen  liegen,  so  daß 
der  Verdienst  durch  die  hohe  Versicherungsprämie  auf  die  Differenz  des  Schiffs- 
wertes gering  oder  oft  gleich  Null  ist. 

Ueber  die  Aufhebung  der  deutschen  Versicherungs- 
tätigkeit in  Nordamerika  berichtet  die  „Vossische  Zeitung'-. 

Als  sich  die  politischen  Beziehungen  zwischen  Deutschland  und  den  Ver- 
einigten Staaten  zuspitzten  und  endlich  ganz  zum  Abbruch  führten,  schien  Wilson 


—    551    — 

zunächst  die  deutsche  in  Amerika  tätige  Geschäftswelt  nicht  weiter  behindern  zu 
wollen.  An  demselben  handelspolitischen  Grundsatz  gegenüber  amerikanischen 
in  Deutschland  tätigen  Firmen  hielt  auch  das  Deutsche  Reich  fest.  Nun  aber 
scheint  sich  allmählich  eine  Wandlung  zu  vollziehen.  Und  wenn  auch  Amerika 
gemäßigter  und  nicht  so  schroff  wie  England  und  Frankreich  mit  der  Kriegs- 
regelung seiner  Wirtschaftspolitik  vorgeht,  so  verfolgt  es  trotzdem  ähnliche  Grund- 
sätze. In  letzter  Zeit  unternahm  die  amerikanische  Kegierung  den  ersten,  un- 
zweideutigen Vorstoß,  indem  sie  den  in  den  Vereinigten  Staaten  tätigen  deutscheu 
See  Versicherungsgesellschaften  die  weitere  Tätigkeit  untersagt  und  amerikanischen, 
direkt  versichernden  Gesellschaften  die  Rückversicherung  mit  deutschen  Gesell- 
schaften verbietet.  Zahlungen  auf  Grund  bestehender  Verträge  werden  während 
des  Krieges  aufgehoben,  ausgenommen,  wenn  es  sich  um  in  See  befindliche  Schiffe 
handelt.  Aus  den  gekürzten  und  wohl  verstümmelten  telegraphi^chen  Mitteilungen 
geht  jedoch  nicht  klar  hervor,  ob  es  sich  um  eine  Einstellung  der  Geschäftstätig- 
keit deutscher  Versicherungsgesellschaften  überhaupt  oder  nur  um  eine  solche 
deutscher  Seeversicherungsgesellschaften  handelt.  Wir  glauben  annehmen  zu  können, 
daß  die  amerikanische  Regierung  ihre  beschränkenden  Maßnahmen  nur  auf  den 
letztgenannten  Fall  angewendet  wissen  will.  Allein,  zuverlässige  Nachrichten  hier- 
über liegen  noch  nicht  vor. 

Unzweideutiger  dagegen  lauten  die  Bestimmungen  der  deutschen,  in  Amerika 
tätigen  Rückversicherung,  indem  sie  den  amerikanischen  Seeversicherungsgesell- 
schaften verbieten,  Rückversicherungsverträge  mit  diesen  abzuschließen.  Diese 
Maßnahme  trifft  die  deutsche  Rückversicherung  weder  überraschend  noch  be- 
sonders tief.  Denn  die  Dinge  liegen  in  Wirklichkeit  so,  daß  dadurch  den  ameri- 
kanischen rückversicherungsbedürftigen  Versicherungsgesellschaften  —  und  ihre 
Zahl  ist  nicht  gering  —  mehr  Schaden  zugefügt  wird  als  den  deutschen,  da  sie 
zunächst  keinen  vollwertigen  Ersatz  für  die  ausfallende  Rück  versieh  erungsmöglich- 
keit  bei  infolge  des  Krieges  wesentlich  gesteigerten  Rückversicherungsbedürfnissen 
besitzen.  Denn  in  Nordamerika  ist  die  Rückversicherung  noch  kaum  ausgebaut, 
und  nur  wenig  leistungsfähige,  die  Rückversicherung  ausschließlich  betreibende 
Gesellschaften  bestehen,  weshalb  auch  das  deutsche  Rückversicherungsgeschäft, 
insbesondere  das  den  Weltmarkt  beherrschende  der  „Münchener  Rückversicherungs- 
gesellschaft", in  den  Vereinigten  Staaten  tief  Wurzel  faßte.  (Die  im  Jahre  1^)6 
stattgehabte  Erdbebenkatastrophe  von  San  Francisco  hatte  die  letztgenannte  Ge- 
sellschaft für  eigene  Rechnung  11  Mill.  M.  gekostet.)  Naturgemäß  werden  sich 
die  Vereinigten  Staaten  als  HUfe  in  der  Not  an  ihren  trefflichen  Vetter  „Eng- 
land" wenden,  und  dieses  wird  ebenso  selbstverständlich  auch  alle  Kraft  aufbieten, 
um  in  die  Bresche  zu  springen.  Aber  auch  England  vermag  in  puncto  Rück- 
versicherung mit  Deutschland  nicht  zu  konkurrieren;  ebensowenig  Frankreich  oder 
Rußland.  Dem  amerikanischen  Versicherungsmarkt  wird  daher  die  Stütze  der 
deutschen  Rückversicherung  in  ganz  empfinmicher  Weise  fehlen.  Und  mag  sich 
auch  in  Nordamerika,  England,  Frankreich  wie  auch  in  neutralen  Staaten  (z.  B. 
in  Schweden,  Norwegen  und  Dänemark)  eine  große  Anzahl  neuer  Rückversiche- 
rungsgesellschaften auftun,  der  Welt  Versicherungsmarkt  wird  von  der  deutschen 
Rückversicherung  derart  beherrscht,  daß  sie  nicht  mit  einigen  Federstrichen  aus- 
gelöscht werden  kann,  es  sei  denn,  daß  dem  direkten  Versicherungsgeschäft  der 
ausländischen  Staaten  selbst  großer  Schaden  zugefügt  werde. 

Dem  „Japan  Chronicle"  entnimmt  das  Liverpooler  „Journal  of  Com- 
merce" die  Nachricht,  daß  die  japanische  Regierung  beabsichtigt,  in 
der  demnächst  stattfindenden  außerordentlichen  Parlamentssitzung  einen 
für  die  Schiffahrts-  wie  für  die  Versicherungsgesellschaften  sehr  wich- 
tigen Gesetzentwurf  über  eine  staatliche  Seekriegsversicherung  einzu- 
bringen. 

Gegenwärtig  ist  noch  das  im  September  1915  eingeführte  Kriegs versiche- 
rungs-Entschädigungsgesetz  in  Kraft.  Auf  Grund  dieses  Gesetzes  hat  die  japa- 
nische Regierung  es  übernommen,  80  Proz.  jedes  den  Versicherungsgesellschaften 
im  Rahmen  des  Gesetzes  zur  Last  fallenden  Schadens  zu  decken,  ohne  daß  hier- 
für irgendeine  Abgabe  an  die   Regierung  zu  entrichten  ist.    Zweck  dieser  An- 


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ordnuDK  war,  das  Land  vor  den  teuren  Seeversicherungsprämien,  die  sonst  un- 
vermeiolich  gewesen  wären,  zu  bewahren.  Doch  ahnte  die  Regierung  bei  der 
Veröffentlichung  des  Gesetzes  nicht  die  Größe  des  damit  verbundenen  Risikos; 
sie  vermutete  vielmehr,  daß  durch  ihren  Schritt  die  Versicherungesellschaften  an- 
gefeuert würden,  im  Interesse  des  auswärtigen  Handels  die  Seekriegs  Versicherung 
weiter  auszudehnen.  Als  aber  eine  Reihe  japanischer  Schiffe  den  Deutschen  zum 
Opfer  gefallen  waren  und  die  japanische  Staatskasse  infolgedessen  beträchtliche 
Summen  hatte  zahlen  müssen,  sah  die  Regierung  ein,  daß  das  in  der  japanischen 
Presse  scharf  kritisierte  Verfahren  sich  nicht  bewährte.  Mitte  1916  tauchte  der 
Vorschlag  auf,  die  bisherigen  Bestimmungen  aufzuheben  und  ein  geschäftsmäßiges 
System,  u.  a.  auch  eine  staatliche  Rückversicherung  einzuführen.  Inzwischen 
hat  die  Regierung  Prämienerhöhungen  für  die  Gesellschaften  vorgeschrieben,  und 
neuerdings  die  Gewässer  des  Mittelländischen  Meeres  als  nicht  mehr  unter  das 
Entschädigun^sgesetz  fallend  erklärt,  um  auf  diese  Weise  ihre  Lage  zu  verbessern 
und  zu  vermeiden,  daß  das  bisherige  System  völlig  über  den  Haufen  geworfen 
würde.  Nunmehr  will  die  Regierung  eine  staatliche  Seekriegsversicherung  ein- 
führen, und  zwar,  wie  die  japanische  Zeitung  „Asahi"  hört,  soll  es  sich  dabei  um 
eine  Art  Rückversicherungsgeschäft  handeln,  indem  die  Regierung  Rückversiche- 
rungsrisiken gegen  Prämie  übernimmt,  ohne  daß  jedoch  die  Gesellschaften  ver- 
pflichtet sind,  bei  der  Regierung  Rückversicherung  zu  nehmen.  Eine  Folge  des 
neuen  Gesetzes  wird  sein,  daß  die  in  dem  bisherigen  Entschädigungsgesetz  vor- 
gesehenen Prämien  erhöht  werden. 


2.  Sozialversicherung. 

Der  „Norddeutschen  Allgemeinen  Zeitung"  ist  folgende  Darstellung 
über  die  Kinderfürsorge  der  Landesversicherungs- 
anstalten zu  entnehmen. 

Die  Reichs  Versicherungsordnung  ist  durch  die  ihr  einverleibte  Hinterbliebenen- 
versicherung zu  einem  Schutzengel  für  viele  Tausende  unversorgter  oder  doch 
ungenügend  gegen  die  Härten  des  Lebens  versorgter  Kinder  geworden.  Am  Ende 
des  Jahres  1915  betrug  die  Zahl  der  zu  Rentenempfängern  gewordenen  Kinder 
420  000,  sie  wird  für  Ende  1916  auf  über  650  000  gestiegen  sein.  Die  Bezug  efür 
die  Waisenkinder  sind  durch  das  Reichsgesetz  vom  12.  Juni  1916  noch  dadurch 
erhöht  worden,  daß  nunmehr  jede  Waise  "/so  ^^^  „Grundbetrages"  der  Invaliden- 
rente erhält,  die  ursprünglich  nur  für  die  erste  Waise  festgesetzt  waren,  während 
auf  die  weiteren  verwaisten  Kinder  nur  je  ^/^o  der  Grundrente  entfiel.  Natürlich 
ist  der  Jahresbetrag  für  das  einzelne  Kind  auch  nach  dem  letzterwähnten  Gesetz 
nicht  überwältigend,  er  beträgt,  wenn  der  verstorbene  Versicherte  auf  eine  Rente 
von  jährlich  88  M.  Anspruch  hatte,  für  jedes  Kind  etwa  jährlich  40  M. ;  allein  es 
ist  doch  eine  gewisse  Mindestsicherheit  mit  diesem  Rentenanspruch,  zu  dem  noch 
in  bestimmten  Fällen  die  Waisenaussteuer  hinzutritt,  verknüpft.  Die  Waisen- 
renten werden  in  Form  von  Waisenstämmen  geführt.  Ein  Stamm  aller  von  einem 
Todesfall  betroffenen  unterstützungsberechtigten  Waisen  zählt  im  Durchschnitt 
etwa  2S  2  Waisen.  Inwieweit  der  Krieg  die  Verwaisung  zu  einer  abnormen  Massen- 
erscheinung gemacht  und  dadurch  auch  die  gesetzlichen  Leistungen  für  diesen 
Zweck  der  Reichsversicherung  gesteigert  hat,  zeigt  eine  von  A.  Wanderer  (Frank- 
furt a.  M.)  aufgestellte,  in  der  „Zeitschrift  für  das  Armen wesen"  (Karl  Heymanns 
Verlag,  Berlin)  veröffentlichte  Tabelle.  Die  Zahl  der  festgesetzten  Waisenrenten 
(d.  i.  Waisenstämme)  betrug  1912  13  962  mit  einem  Jahresbetr^e  von  628  943  M., 
wozu  noch  108  Waisenaussteuern  mit  2371  M.  kamen.  Diese  Zahlen  stellten  sich 
für  1913  auf  37  774  laufende  Waisenrenten  mit  einem  Auszahlungsbetrage  von 
2  573  433  M.  und  460  Waisenaussteuern  mit  9696  M.,  für  das  Jahr  1914  (5  Kriegs- 
monate einschließend)  auf  64  745  laufende  Waisenrenten  mit  einem  Auszahlungs- 
betrage von  4458680  M.  und  887  Waisen  aussteuern  mit  19  719  M.  Das  Ende 
des  Kriegsjahres  1915  zeigt  167  752  laufende  Waisenrenten,  deren  noch  nicht  fest- 
gestellter Betrag  etwa  13  500000  M.  betragen  dürfte,  und  1408  Waisenaussteuern 
mit  einem  Betrage  von  etwa  32  000  M.    Bei  gleichem  Ansteigen  der  Verwaisungs- 


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Ziffer  und  unter  dem  Einfluß  der  Kentenerhöhung  durch  das  oben  angezogene 
Gesetz  vom  12.  Juni  1916  sind  für  das  Jahr  1916  rund  25  Mill.  M.  Waisenrenten 
zu  zahlen,  davon  durch  das  Keich  17,  durch  die  Landes  Versicherungsanstalten 
8  Mill.  M. 

Wenngleich  also  die  Landes  Versicherungsanstalten  zur  Waisenrente  nur  den 
dritten  Teil  beisteuern,  ist  doch,  wenn  man  so  sprechen  will,  die  eigentliche  Ge- 
fühlswärme für  die  Kentenwaisen  bei  diesen  zu  suchen.  Die  Keichs Versicherungs- 
ordnung ermächtigt  (in  §  1277)  die  Versicherungsanstalten  oder  vielmehr  deren 
Vorstand,  den  Eentenempfänger  auf  Antrag  in  einem  Invalidenhaus  oder,  was 
für  die  Eentenwaisen  in  Betracht  kommt,  in  einem  Waisenhaus  oder  einer  ähn- 
lichen eigenen  oder  fremden  Anstalt  unterzubringen  und  dazu  die  ßente  ganz 
oder  teilweise  zu  verwenden.  Etwa  die  Hälfte  von  den  41  Versicherungsanstalten 
hat  denn  auch  bereits  Ausführungsbestimmungen  über  die  Waisenhauspflege 
rentenberechtigter  Waisen  erlassen,  und  ein  Teil  der  Anstalten  ist  tatsächlich  dazu 
übergegangen,  ihre  Waisen  besonders  dann,  wenn  sie  kränklich  sind  oder  sich  in 
FamUien  befinden,  in  denen  die  Gefahr  tuberkulöser  Ansteckung  vorliegt,  in 
Waisenhäusern,  Heil-  und  Pflegestätten  unterzubringen.  In  besonders  vorbild- 
licher Weise  ist  hier  die  Landesversicherungsanstalt  der  Hansestädte  (Sitz  Lübeck, 
Vorsitzender  Geheimer  Rat  Dr.  ßielefeldt)  vorgegangen.  Sie  hat  sich  ihrer  ßenten- 
waisen  dadurch  warmfühlend  angenommen,  daß  sie  schon  1913  die  Unterbringung 
dieser  Kinder  in  ländlicher  Pflege  durchzuführen  begann  und  bereits  im  folgenden 
Jahre,  1914,  ein  eigenes  Erholungsheim  für  Kinder  mit  50  Betten  in  Groß-Hans- 
dorf  in  Holstein  errichtete.  Außerdem  brachte  sie  Kinder  in  Ferienkolonien  und 
Walderholungsstätten  unter.  Das  Erholungsheim  ist  inzwischen  um  das  Doppelte 
erweitert  und  sowohl  hinsichtlich  der  gesundheitlichen  wie  nach  der  unterricht- 
lichen Seite  hin  musterhaft  eingeiichtet.  Im  Jahre  1914  konnten  schon  seitens 
der  hanseatischen  Versicherungsanstalt  315  Waisen  durch  diese  Anstalt  und  durch 
Landaufenthalt  völlig  versorgt  werden  mit  einem  Kostenauf  wände  von  rund 
86000  M.,  wovon  reiner  Aufwand  der  Versicherungsanstalt  (einschließlich  des 
Reichszuschusses)  74860  M.  sind. 

Es  kann  hier  noch  darauf  hingewiesen  werden,  daß  die  Landesversicherungs- 
anstalten auch  durch  besondere  Verpflichtungen  ihre  Hypothekenschuldner,  so- 
fern diese  entsprechende  Anstaltsunternehmungen  sind,  dazu  nötigten,  neben  der 
Zinszahlung  eine  große  Anzahl  von  Freiplätzen  für  Kinder  von  Versicherten  der 
Landesversicherungsanstalt  zur  Verfügung  zu  stellen.  Hierbei  ist  allerdings  in 
erster  Linie  an  die  gesundheitlich  gefährdeten  Kinder  von  Versicherten  gedacht. 
Aber  das  Bild  der  Kinderfürsorge,  das  die  Versicherungsanstalt  der  Hansestädte 
bietet,  wird  doch  vervollständigt,  und  die  Tatsache,  daß  auch  den  Rentenwaisen 
in  mustergültiger  Weise  Wohlwollen  und  Fürsorge  zuteil  wird,  dadurch  erhärtet. 

Man  darf  auch  als  sicher  annehmen,  daß  das  Vorbild  der  hanseatischen 
Versicherungsanstalt  auf  die  übrigen  Landesversicherungsanstalten  bereits  günstig 
eingewirkt  hat.  Dazu  kommt  die  Einwirkung  der  Kriegsfolgen,  welche  die  Kinder- 
fürsorge in  den  Vordergrund  aller  Fürsorge  drängt.  Während  sich  im  Jahre  1914 
im  ganzen  nur  15  Landesversicherungsanstalten  eingehender  Kinder-  und  speziell 
Waise nfürsorge  widmeten,  waren  im  Jahre  1915  bereits  21  Anstalten,  also  reichlich 
die  Hälfte  der  Gesamtzahl,  hierfür  tätig.  So  betrug  die  Zahl  der  in  vollständige 
Fürsorge  übernommenen  Rentenwaisen  im  Jahre  1915:  761,  wovon  allein  auf  die 
drei  Hansestädte  400  entfielen.  Der  Aufwand  für  diese  Waisenpflege  betrug  rund 
125  000  M.  Die  Gesamtzahl  der  so  verpflegten  Waisen  im  Deutschen  Reiche  ist 
seit  1912  auf  über  1700  gestiegen. 

Wenn  man  sich  die  große  Zahl  der  aus  der  Reichshinterbliebenen  Versiche- 
rung entstammenden  Waisen  —  wie  schon  oben  angedeutet,  rund  650000  —  vor 
Augen  hält,  so  bedeuten  die  berichteten  Leistungen  ja  nur  noch  wenig  für  die 
Lösung  der  großen  Aufgabe.  Es  sind  ja  auch  in  der  Hauptsache  andere  Faktoren, 
die  außer  der  Reichs  Versicherung  bei  dieser  Fürsorge  in  Betracht  kommen,  näm- 
lich die  Militärhinterbliebenengesetze,  die  öffentliche  Armen-  und  Waisenpflege 
und  die  private  Fürsorge.  Daß  aber  die  Landesversicherungsanstalten  sich  nach 
dem  Vorbilde  der  hanseatischen  Anstalt  für  diesen  Fürsorgezweig  besonders  inter- 
essieren, ist  doch  eine  erfreuliche  Tatsache.  Es  gilt  dies  namenüich  in  bezug  auf 
das  planmäßige  Vorgehen.    Während  bei  der  Reichsversicherung  im  wesent- 


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liehen  nur  die  Geldleistung  in  der  Waisenversicherung  zum  Ausdruck  kommt, 
sind  ihre  Organe,  die  Landes  Versicherungsanstalten,  gesetzmäßig  in  der  Lage,  ihre 
Teilnahme  an  dem  Wohl  und  Wehe  ihrer  Rentenwaisen  und  der  Kinder  ihrer 
versicherungspflichtigen  Mitglieder  zum  Ausdruck  zu  bringen  und  Wege  zur 
Lösung  der  Fürsorgeaufgaben  zu  beschreiten. 

In  diesem  Sinne  ist  auch  das  Vorgehen  der  Landesversicherungsanstalt 
ßheinprovinz  bedeutungsvoll,  über  das  ein  vom  30.  Januar  1917  datiertes,  in 
der  Februarnummer  der  „Amtlichen  Mitteilungen"  (Düsseldorf)  abgedrucktes 
Rundschreiben  Aufschluß  gibt.  Diese  Anstalt  will  die  Kriegseinwirkungen  da- 
durch abschwächen,  daß  sie  in  erweitertem  Maße  an  einer  gedeihlichen  gesund- 
heitlichen Entwicklung  der  versicherungspflichtigen  Bevölkerung  durch  plan- 
mäßige Kinderfürsorge  teilnimmt.  Sie  teilt  ihre  Betätigungsgebiete  dieser  Art  in 
drei  Gruppen  ein:  1)  Beteiligung  an  den  Kosten  von  Heilverfahren  für  Kinder 
von  10—15  Jahren,  die  an  ernstlichen  Volkskrankheiten,  hauptsächlich  Lungen- 
tuberkulose, leiden  oder  von  solchen  bedroht  sind,  2)  Förderung  der  Bestrebungen, 
die  der  Bekämpfung  von  Schwächlichkeit  und  Krankiieit  unter  den  Kindern  der  ver- 
sicherungspflichtigen Bevölkerung  zu  dienen  bestimmt  sind,  und  3)  Ausdehnung  der 
Waisenpflege  für  die  ihr  am  1.  Januar  1917  zugefallenen  67217  Rentenwaisen,  indem 
sie  insbesondere  hier  die  Familienpflege  für  die  Kriegswaisen  unter  erfreulicher  Alit- 
wirkung  großer  provinzieller  Erziehungsvereine  ins  Auge  fassen  will.  Das  Rund- 
schreiben der  Landesversicherungsanstalt  Rheinprovinz  zei^  nach  jeder  Richtung 
hin  die  vorliegenden  ernsten  Absichten.  Möge  der  edle  Wetteifer  in  der  Kinder- 
und  insbesondere  der  Waisenfürsorge,  den  die  hanseatische  und  die  rheinische 
Landesversicherungsanstalt  zeigen,  gute  anspornende  Folgen  zeitigen  I 

Bei  der  Tagung  deutscher  Krankenkassen  wurde  insbe- 
sondere die  Mutter-  und  Säuglingsfürsorge  sowie  die  soziale  Besser- 
stellung wirtschaftlich  schwacher  Ehen  erörtert.  Vorschläge  für  letztere 
fanden  ihren  Ausdruck  in  einer  Entschließung,  die  u.  a.  folgende  Ge- 
sichtspunkte betonte. 

Die  Hauptversammlung  des  Gesamt  verbau  des  Deutscher  Krankenkassen  er- 
klärt es  als  ihre  nationale  Pflicht,  alle  Bestrebungen  zu  fördern,  die  auf  Kräfti- 
gung des  deutschen  Volkes  und  seines  Nachwuchses,  insbesondere 
Hebung  und  Festigung  der  wirtschaftlichen  und  sozialen  Lage  kinderreicher 
Familien  abzielen.  Sie  empfiehlt  den  Krankenkassen  Ausbau  der  FamilienhUfe 
durch  Gewährung  von  Krankenpflege,  Wochenhilfe,  Sterbegeld  an  nichtVersicherte 
Familienangehörige;  Beteiligung  an  Wohlfahrtseinrichtungen  für  kinderreiche 
Familien,  womöglich  Schaffung  solcher  Einrichtungen  gemeinsam  mit  Gemeinden, 
Kreisen  und  gemeinnützigen  Vereinen.  Hierzu  ist  notwendig  durchgehend  Schaffung 
von  Säuglingspflegerinnen,  Tuberkulose-  und  TrinkerfürsorgesteUen,  Beratungs- 
stellen für  Geschlechtskranke  in  jedem  Bezirk  und  Errichtung  einer  hauptamt- 
lichen Gesundheitspflegestelle;  Förderung  des  gemeinnützigen  Wohnungsbaues 
unter  Voranstellung  des  ländlichen  Einzelhauses  und  Bevorzugung  kinderreicher 
Familien.  Die  Hauptversammlung  sieht  im  Ausbau  der  gesetzlichen 
Zwangsversicherung  das  beste  Mittel  für  die  nationale  Bevölkerungspolitik. 
Sie  hält  für  notwendig  die  Gewährung  von  Kinderrenten  vom  dritten  Kinde  an  für 
jedes  nicht  erwerbstätige  Kind  als  Ergänzung  der  für  die  Versicherung  in  Betracht 
kommenden  Bevölkerungskreise,  Gewährung  der  jetzigen  Kriegswochenhilfe  für 
alle  minderbemittelten  Wöchnerinnen.  Die  erforderlichen  Mittel  sollen  aufgebracht 
werden  zu  je  einem  Drittel  durch  das  Reich,  durch  den  Staat  oder  die  Provinzen, 
durch  die  Beteiligten. 

Die  Entschließung  fand  einstimmige  Annahme  unter  Zusatz  eines  Antrages, 
wonach  bei  Errichtung  gemeinnütziger  Beratungsstellen  und  Fürsorgestellen  sozial 
geschulte  Bürger  zur  Mitwirkung  herangezogen  werden. 

Annahme  fand  eine  Reihe  von  Anträgen.  U.  a.  beschloß  die  Tagung,  beim 
Bundesrat  Abänderung  der  Reichversicherungsordnung  dahin  zu  be- 
antragen, daß  Personen,  welche  Invaliden-  oder  Krankenrente  beziehen,  bei  halben 
Beiträgen  nur  Anspruch  auf  Krankenpflege  erhalten,  ferner  daß  die  Kranken- 
kassen die  Beiträge  über  4V.2  Proz.  bis  auf  6  Proz.  des  Grundlohnes  erhöhen  können, 


—    555    — 

um  bei  Bedarf  über  die  Eegel  hinaus  Mehrleistungen  zu  gewähren.  Einstimmig 
angenommen  wurde  ein  Antrag,  darauf  hinzuwirken,  daß  Schulkinder,  die  in  ge- 
werblichen, hauswirtschaftlichen  und  landwirtschaftlichen  Betrieben  beschäftigt 
sind,  versicherungspflichtig  sind. 

Das  Direktorium  der  Reichsversicherungsanstalt  für  Angestellte 
veröffentlicht  seinen  Tätigkeitsbericht  über  das  Jahr  1916,  der  eine 
Uebersicht  über  die  Entwicklung  der  Angestelltenversicherung  in  den 
abgelaufenen  Jahren  gibt. 

Die  Hauptleistung  der  Angestelltenversicherung  sind  Ruhegehalt  und  Renten. 
Für  diese  ist  jedoch  durch  das  Gesetz  eine  Wartezeit  von  10  oder  5  Jahren  vor- 

fesehen,  die  noch  nicht  abgelaufen  ist,  so  dai^  in  dieser  Beziehung  der  Krieg  auf 
ie  Angestelltenversicherung  nicht  von  Einfluß  ist.  Nur  solche  Personen  konnten 
bisher  Anspruch  auf  Rente  erheben,  die  die  Wartezeit  durch  Nachzahlung  von 
Beiträgen  abgekürzt  hatten.  Für  solche  Personen  sind  im  Jahre  1916  in  9  Fällen 
Ruhegeld  und  in  15  Fällen  Hinterbliebenenrenten  bewilligt.  Außerdem  sind  in 
237  Fällen  Leibrenten  festgesetzt. 

Die  Haupttätigkeit  des  Direktoriums  bestand  hiernach  in  der  Erhebung  der 
Beiträge  und  in  der  Gewährung  der  freiwilligen,  durch  das  Gesetz  zugelassenen 
Leistungen.  An  Beiträgen  wurden  von  den  Arbeitgebern  im  Jahre  1916  113  Mill. 
M,  eingezahlt,  wofür  der  Reichspost  an  Gebühren  114000  M.  zuflössen.  Daß  die 
Erhebung  der  Beiträge  keine  einfache  Sache  ist,  kann  man  daraus  erkennen,  daß 
bei  den  zuständigen  Stellen  im  Jahre  1916  13953  Streitsachen  über  die  Versicherungs- 
pflicht schwebten,  wovon  7558  als  unerledigt  in  das  Jahr  1917  übernommen  werden 
mußten.  Die  eingezahlten  Beiträge  wurden  zu  einem  erheblichen  Teile  in  Kriegs- 
auleihen angelegt.  So  wurden  auf  die  vierte  und  fünfte  &iegsanleihe  je  60  Mill. 
M.  gezeichnet.  Damit  hat  die  Reichsversicherungsanstalt  bis  Ende  1916  insgesamt 
260  Mill.  M.  für  Kriegsanleihen  aufgebracht. 

Von  den  freiwilligen  Leistungen  der  Reichsversicherungsanstalt  interessiert 
hier  in  erster  Linie  das  Heilverfahren,  das  wie  bei  den  Landesversicherungsan- 
stalten einen  außerordentlichen  Umfang  erlangt  hat.  Im  Jahre  1916  gingen  bei 
der  Reichsversicherungsanstalt  24 184  Anträge  auf  Gewährung  eines  Heilverfahrens 
ein,  d.  h.  910  mehr  äs  im  Vorjahre.  Die  Gesamtkosten  für  die  im  Jahre  1916 
angetretenen  und  bewilligten  Heilsachen  betrugen  4,7  MiU.  M.  Es  wurden  ge- 
wahrt 4853  Heilverfahren  in  Lungenheilstätten,  4898  in  Sanatorien,  5162  in  Bädern. 
In  310  weiteren  Fällen  wurden  Zuschüsse  zu  Heilverfahren  gewährt.  Außerdem 
fanden  in  2586  Beobachtungen  und  Behandlungen  in  Krankenhäusern  statt.  In 
2728  Fällen  wurden  nichtständige  Heilverfahren  gewährt. 

Besondere  Maßnahmen  hat  das  Direktorium  der  Reichsversicherungsanstalt 
auf  dem  Gebiete  der  Kriegsbeschädigtenfürsorge  getroffen,  um  den  kriegsbeschä- 
digten  Versicherten  die  Rückkehr  in  die  bürgerlichen  Verhältnisse  zu  erleichtern. 
Nachdem  eingehende  Versuche  ergeben  hatten,  daß  sich  geeignete  Hunde  dazu 
abrichten  lassen.  Blinde  auf  den  Straßen  sicher  zu  führen  und  sie  auf  die  durch 
den  Verkehr  drohenden  Gefahren  aufmerksam  zu  machen,  hat  das  Direktorium 
beschlossen,  kriegsblinden  Versicherten  die  Mittel  zur  Anschaffung  solcher  Hunde 
zu  gewähren  und  auch  diejenigen  Kosten  zu  übernehmen,  die  durch  den  Aufent- 
halt des  Kriegsblinden  in  dem  Orte  entstehen,  in  welchem  der  Hund  an  den 
Blinden  gewöhnt  wird. 

Ferner  sind  Mittel  bereitgestellt  für  die  Berufsberatung  und  ümlernung 
kriegsbeschädigter  Versicherten.  Im  Jahre  1916  schwebten  bei  der  Reichsver- 
sicherungsanstalt 95  derartige  Fälle,  wovon  60  bewilligt  und  11  abgelehnt  wurden. 
Ueber  die  übrigen  Fälle  war  bis  Ende  1916  zum  Teil  noch  nicht  entschieden,  zum 
Teil  hatten  sie  sich  in  anderer  Weise  erledigt.  Die  Kosten  betrugen  im  Durchschnitt 
für  den  Fall  159  M.  Die  Höchstkosten  eines  Einzelfalles  mit  973  M.  betrafen 
die  Vorbereitung  eines  früheren  Hilfsjägers  für  die  Forstsekretärlaufbahn. 

Auch  auf  dem  Gebiete  der  Bekämpfung  der  Geschlechtskrankheiten  hat  sich 
die  Reichs  Versicherungsanstalt  betätigt,  und  zwar  in  der  Weise,  daß  sie  sich  an 
den  von  den  Landesversicherungsanstalten  eingerichteten  Beratungsstellen  für 
Geschlechtskranke  beteiligt.    Sie  erstattet  den  Landesversicherungsanstalten  einen 


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entßprechenden  Teil  der  Kosten   der  SammlungSHtelle  und   übernimmt  auch  auf 
deren  Mitteilung  die  Kosten  eines  erforderlich  werdenden  Heilverfahrens. 

Ein  neues  See-Unfallversicherungsgesetz  der  Ver- 
einigten Staaten  verpflichtet  die  Schiffseigentümer,  die  Kapitäne, 
Offiziere  und  Mannschaften  der  Handelsschiffe  beim  staatlichen  Kriegs- 
versicherungsamt oder  bei  einer  vom  Schatzsekretär  dafür  zugelassenen 
privaten  Versicherungsgesellschaft  zu   versichern. 

Die  für  die  staatliche  Seekriegsversicherung  vorhandene  Organisation  wird 
auch  für  die  Unfallversicherung  zur  Verfügung  gestellt.  Mithin  sind  die  Zoll- 
einnehmer in  allen  Häfen  der  Vereinigten  Staaten  Agenten  des  Versicher ungs- 
amtes,  können  als  solche  Anträge  entgegennehmen  und  die  Prämien  mit  Billigung 
des  Versicherungssekretärs  in  Washington  festsetzen.  Bei  Fahrten  vom  Ausland 
nach  den  Vereinigten  Staaten  liegen  diese  Aufgaben  den  Konsuln  ob.  Durch  diese 
Einrichtung  erwartet  man  einen  besonders  billigen  Betrieb.  Für  die  Auszahlung 
der  Entschädigungen  ist  eine  Staffeltabelle  aufgestellt.  Bei  Tod,  dauernder  Berufs- 
unfähigkeit, Verlust  beider  Hände,  beider  Arme,  beider  Füße,  beider  Beine  oder 
beider  Augen  wird  ein  Jahreseinkommen  des  Beschädigten  oder  Getöteten  aus- 
bezahlt, jedoch  nicht  mehr  als  5000  und  nicht  weniger  als  1500  $.  Bei  geringeren 
Beschädigungen  sind  die  Auszahlungen  entsprechend  niedriger.  Die  Prämien  sind 
je  nach  den  in  Betracht  kommenden  Reisen  verschieden  und  betragen  0,03  bis 
0,75  Proz.  bei  Dampfern  und  0,06  bis  0,9  Proz.  bei  Segel-  und  HUfsschiffen, 
Die  höchsten  Sätze  werden  für  die  Dampferreise  nach  Europa  sowie  für  die  S^el- 
schiffsreisen  um  das  Kap  der  guten  Hoffnung  nach  Afrika  und  dem  fernen  Osten 
in  Ansatz  gebracht. 

Via.   Oeld,  Ki-edit,  Währimg. 

Inhalt:  1.  Der  internationale  Geldmarkt  und  die  Entwick- 
lung in  den  wichtigeren  Ländern  während  des  Monats  August. 

2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung,  a)  Banken  im  In-  und 
Auslande,  b)  Kreditwirtschaftliche  Maßnahmen  in  Deutschland  und 
den  besetzten  Gebieten  Belgiens  und  Rußlands,  Frankreich,  Italien,  Oesterreich, 
der  Türkei,  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  c)  Bargeldloser  Zah- 
lungsverkehr in  Deutschland  und  Argentinien,  d)  Börsen wesen  in  Deutsch- 
land, Norwegen,  Oesterreich,  Rußland,  der  Schweiz,  Japan,  e)  Währungs- 
und Notenbankwesen  in  Deutschland,  Bulgarien,  Frankreich,  Norwegen, 
Oesterreich  und  den  von  Oesterreich- Ungarn  verwalteten  besetzten  Gebieten 
Polens  und  Serbiens,  Rußland,  Portugal,  der  Türkei,  Britisch-Indien,  China, 
Argentinien,  Brasilien,  Ecuador. 

3.  Statistik.  Uebersicht  über  den  Stand  der  hauptsächlichen 
Notenbanken  und  der  Bankzinssätze. 

1.  Der   internationale    Geldmarkt    und    die    Entwicklung 
in  den  wichtigeren  Ländern  während  des  Mona ts  August. 

Wie  im  Vormonat  übten  auch  im  August  die  von  den  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika  ausgehenden  Maßnahmen  auf  die  Gestaltung  der 
Verhältnisse  am  internationalen  Geldmarkt  einen  erheblichen 
Einfluß  aus.  Die  auf  Gedeih  und  Verderb  an  die  europäischen  Ver- 
bandsmächte gekettete  Union  sah  sich  nicht  nur  zu  weiteren  bedeuten- 
den Geldopfern  an  sie  genötigt,  sondern  ließ  ihrem  bisherigen  Vor- 
gehen gegen  den  Handel  mit  den  Neutralen  nunmehr  ein  förmliches 
Verbot  aller  nicht  vorher  genehmigten  Güterausfuhr  an   diese  folgen  i), 

1)  „The  Economist"  vom  1.  September,  S.  314. 


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eine  Maßnahme,  die  ihre  eigenen  Wechselkurse  und  die  ihrer 
europäischen  Verbündeten  zum  Teil  noch  weiter  verschlechterte  und 
die  Lösung  des  Devisenproblems  offensichtlich  stark  erschwerte  ^)  *). 
In  der  Schweiz  stellten  sich  die  Kurse  aller  kriegführenden  Länder 
am  Ende  des  Monats  ein  wenig  günstiger  als  zu  Anfang.  Für  die 
Mittelmächte  kam  in  Betracht,  daß  die  zwischen  Deutschland  und  der 
Schweiz  gepflogenen  Verhandlungen  wegen  eines  neuen  Wirtschafts- 
abkommens zum  Abschluß  gelangten  und  Deutschland  einen  Kredit  von 
180  Mill.  frcs  in  Monatsraten  von  20  Mill.  nach  Maßgabe  der  an  die 
Schweiz  zu  liefernden  Kohlenmengen  und  gegen  Hinterlegung  deutscher 
Hypothekenbankpfandbriefe  sicherten  (vgl.  „Berliner  Tageblatt"  vom 
6.  September,  „Neue  Zürcher  Zeitung"  vom  10.  September).  Für  die 
Ententeländer  ergab  sich  eine  Besserung  der  Kurse  dadurch,  daß  sie 
erwarten  konnten,  gleichfalls  entsprechende  Kredite  in  der  Schweiz  zu 
erhalten.  —  Als  Wettbewerber  neben  den  Vereinigten  Staaten  3j  um 
die  Herrschaft  auf  dem  internationalen  Geldmarkt  trat  mehr  und  mehr 
Japan  in  den  Vordergrund,  dessen  wirtschaftliche  und  finanzielle 
Lage   durch    die   glänzende    Kriegskonjunktur*),    die    reichlichen    Gold- 


1)  Vgl.  die  fortgesetzten  Erörterungen  und  Klagen  in  der  Ententepresse,  z.  B. 
„Journal  des  D§bats",  vom  6.  August,  „Statist",  Wochenschau  vom  25.  August, „Economist" 
vom  1.  September,  S.  321/22.  —  Eine  Konferenz  von  ßegierungs-  und  Bankvertretem 
trat  zusammen,  um  über  Maßnahmen  gegen  die  Entwertung  des  Dollars  in  den  neutralen 
Ländern  zu  beraten.  Man  beschloß,  zunächst  in  Spanien,  wo  die  Entwertung  der 
amerikanischen  Währung  21  Proz.  erreicht  hatte,  einen  gemeinschaftlichen  Valutakredit 
für  England,  Frankreich  und  die  Vereinigten  Staaten  aufzunehmen,  für  den  von  Frank- 
reich und  England  an  die  Vereinigten  Staaten  verpfändete  Wertpapiere  als  Sicherheit 
hinterlegt  werden  sollten.  —  Das  Bankhaus  Morgan  wurde  mit  dem  Absatz  von 
150  Mill.  $  dreimonatiger  b^j^-^roz.  britischer  Schatzscheine  betraut  („;ßcon.  Europ." 
vom  31.  August.  S.  130,  „Statist"  vom  25.  August,  S.  314).  —  In  Italien  wurde  mit 
Verordnung  vom  1.  September  die  Eegisterpf lieht  für  die  sich  mit  Devisengeschäften 
befassenden  Personen  und  die  Ernennung  eines  dem  Schatzministerium  unterstellten 
Kontrollausschusses  zur  schärferen  staatlichen  Ueberwachung  des  Devisen  Verkehrs  in  die 
Wege  geleitet  („Neue  Zürcher  Zeitung"  vom  4.  September).  —  In  Frankreich  wieder 
Erörterungen  über  internationale  Banknote  und  Völkerbank :  Citroen  in  „Petit  Parisien" 
dafür,  Perchot  in  „Kadical"  vom  9.  August  dagegen ;  „R§forme  ficonomique"  vom 
10.  August. 

2)  Die  schwedische  ßeichsbank  wurde  für  weitere  7  Monate  —  bis  1.  März 
1918  —  von  der  Verpflichtung  zum  Ankauf  von  Gold  befreit  („flcon.  Europ."  vom 
31.  August,  S.  130;  vgl.  auch  den  interessanten  Artikel  von  Cassel  in  „Svenska 
Dagblad"  vom  8.  August,  ferner  vom  20.  Juli  und  dazu  „In-  en  Uitvoer"  vom  8.  August 
über  den  Valutastreit  zwischen  Holland  und  Schweden). 

3)  Interessant  ist  das  Geständnis  der  „Evening  Post",  New  York,  daß  seit  dem 
Eintritt  der  Vereinigten  Staaten  in  den  Krieg  die  immer  noch  reichliche  Goldzufuhr 
aus  den  verbündeten  Ländern  vollständig  aufgewogen  werde  durch  die  gleichzeitige 
Ausfuhr  nach  Japan,  Indien,  Spanien  und  anderen  Ländern  („The  Statist"  vom  1.  Sep- 
tember, S.  354). 

4)  So  wurde  z.  B.  die  japanische  Regierung  von  der  Volksvertretung  ermächtigt, 
bis  zu  200  Mill.  Yen  bereitzustellen,  um  den  Export  zu  fördern  und  den  Verbündeten 
bei  ihren  Munitionsbestellungen  Zahlungserleichterungen  zu  gewähren.  Am  18.  August 
wurden  100  Mill.  Yen  in  Form  5-proz.  5-jähriger  Schatzscheine  zu  95  Proz.  zur 
Zeichnung  aufgelegt,  die  in  der  Hauptsache  zur  Deckung  am  25.  September  fälliger 
russischer  Schatzwechsel  Verwendung  finden  sollen  („The  Economist"  vom  25.  August, 
S.  280). 


-    558    - 

Zuflüsse  1)  und  die  Verminderung  seiner  auswärtigen  Schuld  sich  überaus 
günstig  entwickelt  hatte. 

Auf  dem  deutschen  Geldmarkt  nahm  die  Geldflüssigkeit 
noch  weiter  zu.  Der  Privatdiskontsatz  blieb  unverändert  4^8 
Proz.  und  darunter.  Tägliches  Geld  wurde  im  Monatsdurchschnitt 
mit  4,04  Proz.  gegen  4,15  Proz.  im  Juli  verzinst;  ültimogeld  war 
mit  etwa  5  Proz.  zu  erhalten. 

Die  Rückflüsse  an  Scheidemünzen  in  die  Kassen  der  Reichs- 
bank  dauerten  an  (Zunahme  im  August  20,3  Mill.  M).  Der  Erhöhung 
der  Anlage  der  Bank  (plus  286  Mill.  M)  stand  ein  Zuwachs  der 
fremden  Gelder  um  42,6  Mill.  M  gegenüber.  Zur  Befriedigung  des 
wiederum  erheblichen  Zahlungsmittelbedarfs  mußten  485  Mill.  M  Noten 
und  360  Mill.  M  Darlehnskassenscheine  neu  in  den  Verkehr  gegeben 
werden. 

Der  englische  Geldmarkt  bot  gegenüber  dem  Vormonat  ein 
nur  wenig  verändertes  Bild.  Die  Abhängigkeit  von  der  Gestaltung  der 
Verhältnisse  am  amerikanischen  Geldmarkt  blieb  bestehen.  Die  Ent- 
wicklung der  Wechselkurse  —  trotz  der  weitgehenden  Hilfe  der  Ver- 
einigten Staaten  — ,  die  ungünstigen  Nachrichten  aus  den  verbündeten 
Ländern,  besonders  aus  Rußland,  beunruhigten  den  Markt  fortgesetzt. 
Das  Schatzamt  konnte  seinen  Bedarf  nur  mühsam  und  vorwiegend  nur 
in  ganz  kurzfristiger  Eorm  decken  2).  Die  Zurückhaltung  der  Geld- 
geber gegenüber  anderweitigen  Geldansprüchen  war  noch  offensicht- 
licher 3). 

Der  Privatdiskontsatz  wurde  den  ganzen  Monat  über  mit 
425^/32  Proz.  notiert.  Die  Sätze  für  tägliches  Geld  hielten  sich  im 
Durchschnitt  auf  der  Höhe  des  Vormonats;  dabei  waren  die  Schwankungen 
geringer.  Gegen  Monatsende  zogen  die  Sätze  unter  dem  Einfluß  der 
Geld  Versteifung  in  den  Vereinigten  Staaten  etwas  an,  ohne  indes  4  Proz. 
zu  übersteigen. 

Der  Status  der  Bank  von  England  erfuhr  nach  den  starken 
Goldabflüssen  des  Vormonats  eine  merkliche  Kräftigung  durch  eine 
Vermehrung  des  Metallvorrats  um  1,8  Mill.  £.  Die  übrigen  Konten 
zeigten  nur  geringfügige  Veränderungen. 


1)  Vgl.  „The  Statist"  vom  1.  September,  S.  355.  Nach  derselben  Quelle  (vom 
18.  August,  S.  277)  und  nach  holländischen  Blättern  sollen  in  Japan  Erwägungen 
schweben,  wie  dem  weiteren  Zustrom  von  Gold  gesteuert  werden  könne. 

2)  Im  August  erhöhte  sieh  der  Betrag  der  ausstehenden  Schatzwechsel  aller 
Fälligkeiten  um  88,1  Mill.  £  auf  846,1  Mill.  £.  Unter  Einrechnung  von  243,6  Mill.  £ 
„Ways  and  Means"  -  Vorschüsse  betrug  die  schwebende  Schuld  am  1.  September 
1090  Mill.  £.  Im  „Statist"  vom  8.  September,  S.  394  wird  darüber  geklagt,  daß  vor 
einem  Jahre  der  Absatz  an  War  Savings  Certificates  noch  1,5 — 2,25  Mill.  £  gegen 
'/g  Mill.  £  heute  wöchentlich  betragen  habe;  auch  der  Absatz  von  5-proz.  Exchequer 
Bonds  sei  gegen  damals  stark  zurückgegangen.  Unter  diesen  Umständen  ist  es  nicht 
erstaunlich,  daß  die  Auflegung  einer  Prämienanleihe  ernstlich  ins  Auge  gefaßt  und 
einem  „Special  Committee"  zur  Ausarbeitung  anvertraut  wurde  („The  Economist"  vom 
18.  August.) 

3)  Die  vom  24.  bis  29.  August  zu  98^/,  Proz.  zur  Zeichnung  aufliegende  5V2-proz. 
5.  Anleihe  des  Commonwealth  von  Australien  in  Höhe  von  4,5  Mill.  £  blieb  zum 
größeren  Teil  (58  Proz.)  in  den  Händen  des  Garantiekonsortiums. 


—    559    — 

Der  Umlauf  der  currency  notes  stieg  um  4,8  Mill.  £  auf 
173,4  Mill.  £. 

Die  scharfe  Hausse  auf  dem  Londoner  Silbermarkte  zeigte 
noch  keinerlei  Anzeichen  eines  Abflauens,  im  Gegenteil  waren  die 
Notierungen  am  Monatsende  am  höchsten  (am  31.  August  46  d  für  die 
Standard-Unze). 

Der  französische  Geldmarkt  verfügte  anscheinend  wie  in  den 
Vormonaten  über  erhebliche  Beträge  flüssiger  Mittel,  ohne  daß  sich 
indes  die  Regierung  einen  befriedigenden  Anteil  für  die  Zwecke  der 
Kriegskostendeckung  hätte  sichern  können.  Die  Summen  der  seitens 
des  französischen  Staates  bisher  unbezahlt  gebliebenen  Rechnungen 
wuchs  ganz  bedenklich  an,  und  die  Auflegung  einer  langfristigen  An- 
leihe, die  übrigens  auch  bei  großem  Erfolg  kaum  noch  eine  ins  Gewicht 
fallende  Erleichterung  der  finanziellen  Lage  bringen  könnte,  mußte  an- 
gesichts der  Gestaltung  der  Geldmarktverhältnisse  erneut  verschoben 
werden.  Die  Entwicklung  der  Devisenkurse  bereitete  nach  wie  vor 
schwere  Sorge  i),  zumal  sowohl  England  Frankreich  gegenüber  als  auch 
Amerika  diesen  beiden  Ländern  gegenüber  Vorschüsse  ohne  entsprechende 
Golddeckung  zu  geben  offenbar  nicht  mehr  gewillt  waren  („Zürcher 
Post"  vom  17.  Aug.)  2). 

Die  Ausweise  der  Bank  von  Frankreich  zeigten  im  Berichts- 
monat wieder  besonders  deutlich,  eine  wie  wichtige  Stütze  die  Bank 
für  die  französischen  Finanzen  ist;  sie  mußte  400  Mill.  frcs  für  den 
Staat  und  105  Mill.  frcs  für  die  Verbündeten  neu  bereitstellen.  Hand 
in  Hand  damit  ging  eine  weitere  Erhöhung  des  Notenumlaufs  um 
256  Mill.  frcs. 

Die  Entwicklung  der  Verhältnisse  am  russischen  Geldmarkt 
war  erneut  offenbar  sehr  ungünstig.  Nach  einer  Meldung  der  Peters- 
burger Telegr.-Agentur  wies  der  Finanzminister  Nekrasow  auf  das  außer- 
ordentliche Anwachsen  des  Notenumlaufs  der  Staatsbank  hin,  die  in 
den  beiden  ersten  Monaten  des  Jahres  durchschnittlich  423  Mill.  Rbl, 
seit  März  indes  832  Mill.  Rbl  monatlich  neu  auszugeben  hatte.  Vom 
29.  Juli  bis  29.  August  betrug  die  Ausdehnung  des  Notenumlaufs 
1030  Mill.  Rbl. 

Auf  dem  Geldmarkt  der  Vereinigten  Staaten  vonAmerika 
herrschte  in  den  ersten  3  Wochen  des  Berichtsmonats  ziemlich  große 
Geldflüssigkeit.  Die  Sätze  für  tägliches  Geld  bewegten  sich 
zwischen  2  und  3  Proz.    In  der  4.  Woche  trat  eine  plötzliche  Knappheit 


1)  Der  Finanzminister  richtete  ein  Zirkularschreiben  an  die  Banken,  in  dem  er 
sie  auffordert,  sich  bei  Devisentransaktionen  die  durch  die  Rücksicht  auf  das  Gemein- 
wohl gebotenen  Beschränkungen  aufzuerlegen  („Le  Temps"  vom  15.  August).  —  Wegen 
der  ungünstigen  Wirkung  des  englischen  Einfuhrverbots  auf  die  französische  Zahlungs- 
bilanz wurden  in  einem  neuen  Abkommen  zwischen  England  und  Frankreich  die  scharfen 
Bestimmungen  des  englischen  Einfuhrverbots  für  französische  Waren  wesentlich  ge- 
mildert (vgl.  Chronik,  S.  192,  Anm.  4). 

2)  Anscheinend  offiziös  wurde  erklärt,  Frankreich  müsse,  um  den  Krieg  fortsetzen 
zu  können,  darauf  bestehen,  daß  England  und  Amerika  die  erforderlichen  Waren  und 
Kredite  gewähren  („Journal  des  D^bats"  vom  6.  August). 


—    560      — 

ein,  die  den  Zinssatz  am  31.  August  bis  auf  6Y2  Proz.  hinaufschnellen 
ließ  und  die  Depositen  und  Reserven  der  Banken  stark  verringerte.  Die 
wachsenden  Kriegsausgaben  i),  die  umfangreichen  Steuervorlagen  und 
die  fortgesetzt  großen  Goldabflüsse  verursachten  in  weiten  Kreisen  Be- 
unruhigung und  Zurückhaltung  2 j.  Der  Kurs  der  SYj-proz.  steuerfreien 
Freiheitsanleihe  stieg  wieder  auf  Pari,  da  die  Nachricht,  die  nächste 
Anleihe  werde  nicht  vollkommen  von  den  Steuern  befreit  sein,  Nach- 
frage hervorrief  („Morning  Post"  vom  16.  August). 

2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung. 

a)  Banken  im  In-  und  Auslande. 

Es  wurden  übernommen  (zum  Teil  unter  Errichtung  einer 
Filiale):  von  der  Bank  für  Handel  und  Industrie,  Berlin  (vgl.  Chr. 
1916,  S.  688):  die  Bankfirmen  Epstein  &  Gunz,  Augsburg,  und  Fritz 
Bardele,  Hirschberg  i.  Schles. ;  —  von  der  Bayerischen  Handelsbank, 
München  (vgl.  S.  194):  die  Bankfirmen  D.  Lehrberger,  Augsburg,  Max 
Schloß,  Augsburg  (vgl.  S.  194),  und  Salo  Kohn  &  Co.,  Straubing;  — 
von  der  Bayerischen  Vereinsbank,  München  (vgl.  S.  498):  die  Bank- 
firma Lenze,  Schropp  &  Co.,  Passau,  die  Niederlassung  Freising  des 
Münchener  Bankhauses  Georg  Münzing  sowie  eine  Kommanditbeteili- 
gung  an  dem  Bankgeschäft  J.  Weiskopf,  Kulmbach;  —  von  der  Com- 
merz- und  Disconto-Bank,  Hamburg-Berlin  (vgl.  Chr.  1914,  S.  442):  das 
Bankhaus  Joel  Hirschberg,  Stettin ;  —  von  der  Mitteldeutschen  Credit- 
bank,  Frankfurt  a.  M.-Berlin  (vgl.  S.  194):  die  Bankfirma  L.  Heß  & 
Söhne,  Köln;  —  von  der  Bank-  und  Wechselstuben  A.-G.,  Budapest, 
das  Bank-  und  Kommissionsgeschäft  Wurzel  &  Brach,  Wien. 

Filialen  eröffneten:  die  Polnische  Landes-Darlehnskasse,  War- 
schau (vgl.  S.  498),  in  Czenstochau,  Kaiisch,  Sosnovice  und  Wloclawek ; 

—  die  Banque  Generale  de  Bulgarie,  Sofia  (vgl.  Chr.  1916,  S.  358),  in 
Xanthi;  —  die  Anglo-South  American  Bank  Ltd.,  London  (vgl.  S.  119), 
in  Trelew  (Argentinien);  —  die  London  and  Biver  Plate  Bank  Ltd., 
London,  in  Santiago  de  Chile;  —  die  Banque  Fran9aise  et  Italienne 
pour  l'Amerique  du  Sud,  Paris  (vgl.  S.  498),  in  Araquara  (Brasilien) 
und  Bahia  (Brasilien);  —  die  k.  k.  priv.  Oesterr.  Länderbank,  Wien 
(vgl.  S.  49),  gemeinsam  mit  der  Ungarischen  Escompte-  und  Wechsel- 
bank, Budapest  (vgl.  Chr.  1916,  S.  827),  in  Dabrowa  (Russisch- Galizien); 

—  die  Pester  Ungarische  Commerzial-Bank,  Budapest  (vgl.  S.  119),  in 
Skutari  (weitere  in  Tirana  und  Durazzo  geplant);  —  die  Holländisch- 
Südamerikanische  Bank,  Amsterdam  (vgl.  S.  498),  in  Santos  (Brasilien) ; 

—  die   Royal    Bank   of   Canada,    Montreal  (vgl.  S.  286),    in  Maracaibo 


1)  Im  Juli  betrugen  die  täglichen  Kriegskosten  der  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika  bereits  fast  25  Mill.  $,  die  gesamten  Ausgaben  für  das  laufende  Fiskaljahr 
wurden  auf  10  Milliarden  $  geschätzt  (neben  5  Milliarden  $  an  die  Verbündeten). 

2)  Um  die  Ursache  und  das  Ziel  der  Goldabflüsse,  hinter  denen  man  deutsche 
Machenschaften  vermutete,  zu  ergründen,  wurde  vom  Treasury  Department  und  vom 
Department  of  Commerce  eine  Untersuchungskommission  ernannt,  deren  Feststellungen 
jedoch  nicht  veröffentlicht  wurden  („The  Statist"  vom  25.  August,  S.  315). 


-    561    - 

(Venezuela).  —  Die  chinesischen  Niederlassungen  der  Deutsch- Asiati- > 
sehen  Bank,  Berlin,  werden  durch  die  chinesische  Regierung  liquidiert", 
(siehe  auch  unter  e).  ; 

Gegründet  wurden:  in  Neukölln  mit  1  Mill.  M  Kapital  (von  der 
Stadt  unter  Uebernahme  des  Neuköllner  Bankvereins)  eine  städtische 
Bank  in  Form  einer  G.  m.  b.  H. ;  —  in  London  mit  100000  £  die 
British  and  Foreign  Mercantile  Bank  Ltd.;  —  in  Paris  mit  je  3  Mill, 
frcs  der  Banco  Hispano  Africana  und  die  Banque  Speciale  de  Credit 
pour  Fournisseurs  de  Services  Publics  (vgl.  S.  117);  —  in  Florenz  mit 
100  Mill.  Lire  die  Banca  di  Credito  Industriale;  —  in  Rom  mit  1  Mill.; 
Lire  die  Banca  per  l'Africa  Orientale;  —  im  Haag  die  Internationale 
Commercieele  Bank;  —  in  Kristiania  mit  mindestens  1,  höchstens! 
2  Mill.  Kr  Kapital  die  Gjersöes  Bank  und  mit  5  Mill.  Kr  die  Norsk 
Investment  Aktieselskab ;  —  in  Klagenfurt  mit  5  bis  10  Mill.  K  die 
Kärntner  Bank  G.  m.  b.  H. ;  —  in  Oerebro  mit  5  Mill.  Kr  die  Oerebro 
läns  Bank  Aktiebolag;  —  in  Stockholm  mit  0,8  bis  1  Mill.  Kr  die 
Nordiska  Kapitalförvaltnings  Aktiebolag;  —  in  Manissa  (türk.  Pro- 
vinz Smyrna)  mit  0,15  Mill.  £  eine  Bank  zur  Unterstützung  der  Wein-, 
kulturen;  —  in  New  York  mit  1  Mill  $  die  Mercantile  Trust  and 
Deposit  Cy. ;  —  in  Sao  Paulo  (Brasilien)  der  Banco  de  Credito  Populär 
de  Sao  Paulo  (zwecks  Gründung  landwirtschaftlicher  Genossenschaften) ; 
-»-  in  Guayaquil  (Ecuador)  mit  Yg  ^iH-  Sucres  Kapital  der  Banco 
Nacional  del  Ecuador;  —  in  Tsjangsja  (China)  mit  1  Mill.  Yen  die 
Chinesisch-Japanische  Bank.  —  Ueber  die  Gründung  der  Polnischen 
Landes-Darlehnskasse,  Warschau  (vgl.  S.  289),  bringt  die  „Nordd.  Allg. 
Ztg."  vom  26.  Aug.,  II.  Ausg.,  einen  interessanten  Bericht. 

b)  Kreditwirtschaftliche  Maßnahmen. 

In  Deutschland  und  in  den  besetzten  Gebieten  wurden 
veröffentlicht:  1)  Bek.  des  E-Kzl.,  betr.  Ausnahmebewilligung  von  den 
Zahlungsverboten  gegen  das  feindliche  Ausland,  v.  4.  Aug.  (RAnz.  v. 
10.  Aug.;  vgl.  auch  „Frankf.  Ztg."  v.  22.  Aug.  und  Chr.  S.  286); 
2)  V.  des  BR.,  betr.  Zahlungverbot  gegen  die  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika,  v.  9.  Aug.  (RGBl.  S.  708);  3)  V.  des  BR.,  betr.  die  Ver- 
öffentlichung der  Handelsregistereintragungen  usw.,  v.  30.  Aug.  (RGBl. 
S.  746);  4)  Postordnung  für  das  Deutsche  Reich,  v.  28.  Juli  (RGBl. 
S.  763);  5)  Bek.  des  RKzl ,  betr.  die  Postprotestaufträge  mit  Wechseln 
und  Schecken,  die  in  Elsaß-Lothringen  zahlbar  sind,  v.  28.  Juli  (RGBl. 
S.  817;  vgl.  Chr.  S.  420);  6)  Bek.  des  Oberbefehlshabers  in  den  Marken, 
betr.  Beschlagnahme  aller  dem  siamesischen  („Nordd.  Allg.  Ztg."  v. 
18.  Aug.,  II.  Ausg.)  und  dem  chinesischen  Staate  (ebenda  v.  26.  Aug., 
n.  Ausg.)  gehörenden  Werte  und  Guthaben ;  7)  Vf.  des  preuß.  Finanz- 
und  des  Landwirtschaftsmin.,  betr.  die  Verjährung  der  Ansprüche  aus 
den  Zinsscheinen  der  Rentenbriefe,  v.  14.  Juli  (FMBl.  S.  274);  8)  Vf. 
des  preuß.  Justizmin.,  betr.  die  Behandlung  der  von  den  Hinterlegungs- 
kassen beschafften  neuen  Zinsscheine,  v.  31.  Juli  (JMBl.  S.  277); 
9)  Vf.  des  preuß.  Finanzmin.,  betr.  die  Verpflichtung,  die  bis  zum 
1.  Juli  1917  noch  nicht  gezahlten  Abgabebeträge  nach  §  31  Abs.  8- 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXXVII 


—    562    — 

des  Kriegssteuergesetzes  vom  genannten  Tage  ab  zu  verzinsen,  y. 
31.  Juli  (FMBl.  S.  275);  10)  dgl.,  betr.  die  Miterstattung  von  Zinsen 
bei  Kriegssteuerrückerstattungen,  v.  3.  Aug.  (FMBl.  S.  288);  11)  Allg. 
Vf.  des  preuß.  Justizmin.,  betr.  die  siebente  Kriegsanleihe,  v.  20.  Aug. 
(JMBl.  S.  291;  vgl.  Chr.  8.  196);  12)  Kgl.  V.  zur  Ergänzung  der  V. 
v.  14.  Sept.  1916,  betr.  den  Erwerb  von  Reichskriegsanleihe  für  Stif- 
tungen, standesherrliche  Hausgüter,  Familienfideikommisse,  Lehen  und 
Stammgüter,  v.  30.  Aug.  (PrGS.  S.  83);  13)  V.  des  GtGt.  in  Belgien 
über  die  Aenderung  des  Artikels  6  der  Zahlungsverbote,  v.  16.  Aug. 
(BelgGVBl.  8.  4485);  14)  dgl.,  betr.  Zahlungsverbot  gegen  die  Ver- 
einigten Staaten  von  Amerika,  v.  20.  Aug.  (BelgG-VBl.  S.  4441); 
15)  V.  d.  Ob.  Ost,  betr.  Verlängerung  der  Wechsel-  und  Scheckrechts- 
fristen, V.  10.  Aug.  (ObostBVBl.  S.  671;  vgl.  Chr.  8.  359);  16)  dgl., 
betr.  Erhebung  einer  Stempelabgabe  beim  Umsatz  von  Wertpapieren, 
V.  26.  Aug.  (ObostBVBl.  S.  680). 

Die  französische  Regierung  hat  gegen  die  von  der  deutschen 
Regierung  angeordnete  Liquidierung  französischen  Privatbesitzes  pro- 
testiert und  die  Liquidationen  für  ungültig  erklärt  („L'Äcon.  Europ.-' 
v.  15.  Juni  S.  382  und  „Kölnische  Ztg."  v.  7.  Sept.).  —  Im  „Joum. 
Off.",  Annexe  Nr.  3616  Chambre  8.  1068  v.  21.  Juli  wird  ein  Gesetz, 
betr.  Verbot  des  Handels  mit  dem  Feinde,  veröffentlicht.  —  Durch 
Dekret  v.  2.  Juli  wird  die  Anmeldung  des  französischen  Eigentums 
in  feindlichen  Ländern  verfügt  („L'Information",  Paris,  v.  3.  Sept.). 

In  der  italienischen  „Gazetta  Ufficiale"  wird  die  auf  Grund 
des  kgl.  Dekrets  v.  8.  Aug.  1916  über  das  Verbot  des  Handels  mit 
feindlichen  Untertanen  (vgl.  Chr.  1916,  8.  611)  zusammengestellte 
Schwarze  Liste  veröffentlicht  („L'Economista  d'Italia",  Rom,  v.  7.  Aug.). 

In  Oesterreich  wird  unter  dem  2.  Aug.  ein  Gesetz,  betr.  die 
Sicherung  einer  Kriegssteuer  von  höheren  Geschäftserträgnissen  der 
Gesellschaften  und  vom  Mehreinkommen  der  Einzelpersonen  aus  dem 
Jahre  1917,  erlassen  (OestRGBl.  S.  823). 

Die  Türkei  erläßt  ein  Zahlungsverbot  gegen  Rußland. 

In  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  wird  durch  die 
Trading  with  the  Enemy  Act  ein  Treuhänder  für  das  feindliche  Eigen- 
tum („Alien  Property  Custodian")  ernannt.  („The  Journal  of  Commerce", 
New  York,  v.  31.  Mai  u.  23.  Juli,  und  „Deutsche  Wirtschaf tsztg." 
V.  1.  Sept.;   vgl.  auch  Chr.  S.  499.) 

c)  Bargeldloser  Zahlungsverkehr. 

Maßnahmen  in  Deutschland:  1)  Erl.  des  preuß.  Kriegsmin., 
betr.  die  Stammeinlage  auf  Postscheckkonten,  v.  6.  Aug.  (AVBl.  8.  406 ; 
vgl.  Chr.  8.  361);  2)  Erl.  des  preuß.  Min.  des  Innern  v.  10.  Aug., 
durch  den  die  Grenze  für  den  Depositen-  und  Kontokorrentverkehr  der 
Sparkassen  von  10  auf  25  Proz.  des  Gesamtbetrages  der  Einlagen  auf 
Sparkassenbücher  erweitert  wird  („Sparkasse"  v.  1.  Sept.,  8.  258). 

In  Argentinien  werden  die  Umsätze  der  fremden  Banken  und 
Geschäftshäuser  mit  einer  Qiroumsatzsteuer  von  Y,  Prom.  belegt  („Die 
Bank",  Sept.  1917,  8.  789). 


-  563  — 

d)  Börsenwesen. 

Durch  einen  ErL  des  Kriegsamts  vom  28.  Aug.  wird  der  Einrich- 
tung der  Kursmakler  die  Eigenschaft  einer  behördlichen  Ein- 
richtung im  Sinne  des  §  2  des  Gesetzes  über  den  vaterländischen 
Hilfsdienst  v.  5.  Dez.  1916  zuerkannt  (HMBl.  S.  271).  —  Für  Preußen 
gestattet  der  Handelsmin.  die  begrenzte  Wiederaufnahme  der  Tätigkeit 
der  Zulassungsstellen  („Nordd.  AUg.  Ztg."  v.  19.  und  21.  Aug. 
und  „Voss.  Ztg."  V.  21.  Aug.;  vgl.  Chr.  S.  421).  —  Die  Vorstände 
der  Dresdener,  Frankfurter  und  Leipziger  Börse  warnen  vor  Aus- 
schreitungen („Frankf.  Ztg."  v.  11.  und  19.  Aug.,  „Voss.  Ztg." 
v.  24.  Aug.;    vgl.  Chr.  S.  500). 

Die  Fondsbörse  in  Kristiania  wurde  für  die  Allgemeinheit  ge- 
schlossen („Hamburger  Nachr."  v.  29.  Aug.;  vgl.  Chr.  S.  123). 

Die  neuen  amtlichen  Effektenschätzwerte  der  Wiener 
Börsekammer  nach  dem  Stande  v.  31.  Juli  1917  nebst  Ergänzungs- 
tabelle (vgl.  S.  123)  sind  im  Juliheft  der  „Volksw.  Chronik  der  Oest.- 
üng.  Monarchie",  Wien,  abgedruckt  (vgl.  auch  „Voss.  Ztg."  v.  7.  Aug.). 
—  Die  Wiener  Börse  bleibt  auch  fernerhin  Sonnabends  geschlossen 
(vgl.  S.  421). 

Die  Petersburger  Börse,  die  seit  dem  8.  März  d.  J.  geschlossen 
war  (vgl.  S.  199),  wurde  am  8.  Aug.  für  den  freien  Börsenverkehr 
wieder  geöffnet  („Voss.  Ztg."  v.  14.  Aug.). 

In  der  Schweiz  wird  auf  ausländische  Obligationen  eine 
Stempelsteuer  von  1  Proz.,  auf  Aktien  und  Kuxe  von  IV2  Proz. 
des  Emissions-  oder  Einführungskurses,  auf  Prämienpapiere  von  3  Proz. 
des  Nennwertes  eingeführt  („Die  Bank",  Sept.  1917,  S.  778). 

In  Tokio  wird    von    einer  Bankengruppe    ein  Interventions- 
syndikat   zur    „Linderung   der   Not    auf   den    Effektenmärkten"    mit 
25  Miil.  Yen  Kapital  gegründet  („Die  Bank",  Sept.  1917,  S.  788). 
•   e)  Währungs-  und  Notenbankwesen. 

Maßnahmen  in  Deutschland:  1)  Bekanntm.  des  RKzl.,  betr. 
Zahlungen  nach  den  von  deutschen  oder  verbündeten  Truppen  be- 
setzten Gebieten  Rumäniens  (u.  a.  Verwendung  von  rumänischen 
Zinsscheinen),  vom  7.  August  (Reichs  -  Anzeiger  vom  11.  August); 
2)  dgl.  über  die  Anmeldung  von  Zahlungsmitteln  in  ausländischer 
Währung  und  von  Forderungen  auf  verbündete  und  neutrale  Länder, 
vom  31.  August  (RGBl.  S.  737);  3)  dgl.,  betr.  die  Uebertragung  von 
Zahlungsmitteln  und  Forderungen  in  ausländischer  Währung  auf  die 
Reichsbank,  vom  31.  August  (RGBl.  S.  741);  4)  Ersuchen  des  preuß. 
Min.  des  Innern  an  den  Städtetag,  betr.  die  Aufnahme  von  Markdarlehen 
im  Auslande  durch  deutsche  Städte  („Handel  und  Industrie"  v.  25.  Aug.; 
vgl.  Chronik  S.  499);  5)  Erlaß  des  preuß.  Handelsmin.,  betr.  die  Aus- 
gabe von  Notgeld  durch  Städte  und  Gemeinden  („Voss.  Ztg."  v.  24.  Aug.; 
vgl.  Chronik  S.  362). 

In  Bulgarien  werden  durch  Verfügung  vom  1.  August  alle  Ge- 
schäfte in  Goldmünzen  —  namentlich  die  Ausfuhr  in  jeder  Form  — 

XXXVII* 


—    5^4    — 

und  durch  Verfügung  vom  T.August  die  Ausfuhr  von  bulgarischen 
Banknoten  ohne  Genehmigung  der  Bulgarischen  Nationalbank  sowie 
Einfuhr  und  Umsätze  von  griechischen  und  rumänischenBank- 
noten  verboten  („ Wirtschaf tsztg.  der  Zentralmächte"  vom  31.  August 
und  7.  September). 

In  Frankreich  gelangen  auf  Grund  eines  Gesetzes  vom  2.  August 
15  Mill.  frcs  durchlochte  Münzen  aus  Nickelbronze  zu  25,  10 
und  5  cts  zur  Ausgabe. 

In  Norwegen  werden  durch  ein  Gesetz  der  Auslandsgoldbestand 
der  Bank  von  Norwegen  bis  zu  ^/^  des  Inlandsgoldbestandes  und  die 
Bankguthaben  außerhalb  Skandinaviens  bis  zu  Y^  des  Auslandsgoldbe- 
standes zur  Notendeckung  zugelassen  („Die  Bank",  Sept.  1917, 
S.  785). 

Im  österreichischen  Abgeordnetenhaus  wird  ein  Antrag  auf 
Wiederveröffentlichung  der  seit  Kriegsausbruch  nicht  mehr  bekanntge- 
gebenen Wochenausweise  der  Oesterreichisch -ungarischen 
Bank  eingebracht.  —  In  Belgrad  ist  im  Anschluß  an  die  dortige 
Expositur  der  Oesterr.-ungar.  Bank  eine  Devisenzentrale  errichtet 
worden  (vgl.  S.  501).  —  Für  das  GGt.  Lublin  ist  der  Kurs  für 
lOOEbl  auf  300  K  festgesetzt  worden  („Frankf.  Ztg."  v.  9.  Aug.; 
vgl.  Chr.  1916,  S.  612). 

Das  auf  S.  422  mitgeteilte  russische  Verbot  der  Uebertra- 
gung  von  Rubelguthaben  zugunsten  von  Personen  oder  Firmen 
im  Auslande  gilt  nicht  für  bereits  vor  dem  29.  Juni  (Verkündigungs- 
termin  des  Ges.  v.  5.  Juni)  vorhanden  gewesene  Guthaben  von  Aus- 
ländern („L'Econ.  Europ."  vom  10.  August,  S.  82). 

Ein  portugiesisches  Gesetz  vom  21.  April  verbietet  die  Aus- 
fuhr von  portugiesischem  Metallgeld  („Deutsches  Handels- Archiv", 
August  1917,  S.  790;  vgl.  Chr.  S.  125).  —  Nach  einer  Meldung  der 
„Voss.  Ztg."  vom  18.  August  ist  die  Beschlagnahme  alles  Silber- 
und Kupfergeldes  und  seine  Ersetzung  durch  Banknoten  verfügt  worden. 

Die  türkische  Regierung  wird  zur  Prägung  weiterer  1^/j  Mill.  £ 
Silbermünzen  ermächtigt  („Wirtschaftsztg.  der  Zentralmächte"  vom 
31.  August,  S.  804;  vgl.  Chr.  1916,  S.  612). 

Die  britisch-indische  Regierung  hat  ein  Einschmelz- 
verbot für  Gold-  und  Silbermünzen  erlassen  („Neue  Zürcher  Ztg."  vom 

4.  September;   vgl.  Chr.  S.  501). 

In  China  wurde  der  Umlauf  der  Noten  der  Deutsch-Asia- 
tischen Bank  verboten  (vgl.  auch  unter  a). 

Ueber  die  Papiergeldausgabe  und  geplante  Zentralbank 
in  Argentinien  siehe  ,, Frankfurter  Ztg."    v.  15.    und  22.  Aug.  (vgl. 

5.  501). 

Der  Banco  do  Brasil,  Rio  de  Janeiro,  wird  in  eine  Noten- 
bank umgewandelt  („Die  Bank'',  Sept.  1917,  S.  789;  vgl.  Chr.  S.  422). 

In  Ecuador  wurde  bereits  1914  ein  Goldausfuhrverbot  er- 
lassen („Deutsches  Handels-Archiv",  September  1917,  S.  930;  vgl.  auch 
Chr.  1914,  S.  1018). 


3.    Statistik.  565 

UebeiBicIltüberdenStandderdeutschenundeinigerausländischenNoteiibankenj 
sowie  des  Bankzinsfußes  an  den  wichtigeren  Börsenplätzen  im  August  1917. 

Beträfe  in  Millionen  Mark. 


Deutsches  Reich 


ßeichs- 
bank 


Privat- 
noten 
banken 


Summe 


Auswels  vom 

15.    I    31.    1  15.  1 31. 1    15.    I    31. 

August 


Bank  von 

Frankreich 

(nach  „L'fico- 

nomiste 

Frangais") 


Ausweis  V. 

16.    I    30. 

Anji^ust 


Bank  von 

England 

(nach  „The 

Statist") 


Ausweis  V. 
15.  I  29. 
August 


Bussische 
Staatsbank  «) 
(nach  Wolffs 
Depeschen) 


Ausweis  V. 

14.    I    29. 

August  n.  St. 


AktiTa. 

Barvorrat :  a)  im  Inlande 
/Gold    .     .     . 
\  Silber       .     . 


Metall 


2403 
87 


2403 
96 


2649 
21 


2652 
211 


2797 
268 


803 
259 


Summe 

Sonstige  Geldsorten   .     . 

b)  im  Auslande 

Gold     .     .     . 


2490 
552 


2499 
673 


2557 
590 


2566 
707 


2860 


2863 


1095 


1109 


3  065     3  062 


1650 


650 


4985 


4985 


Gesamtsumme  d.  Barvorrats 


3042 


3172 


105 


loi     3  147    32  73 


Anlagen : 
Wechsel  1)    .     .     . 
Lombard      .     .     . 
Effekten       .     .     . 
Sonstige  Anlagen 


II  369 

14 

151 

1279 


"365 

10 

176 

1341 


Summe    der  Anlagen 


12813 


[2  892 


273 


271 


1483 

93 

169 

1341 


13086 


4510 


4513 


1095    1109 


8050 


8047 


1482 

87 

194 

I  400 


2032 

915 

178 

II  746 


2  009 

903 

178 

12010 


Bank.  Dep. 
Gov.  See. : 
1155I  1183 
Other  See. : 
2084  I  2156 


769 
3  194 


582 
3048 


3163 


[487 


15  ICO 


3616 


3716 


Summe  der  Aktiva 


'5855 


[6064!  378 


372 


16233  16436 


19  381 


iq  613 


47 II  I4825 


PassiTa. 

Grundkapital  .  . 
Seservefonds  .  , 
l^otenumlanf  .  , 
Verbindlichkeiten : 


Täglich  r^^i7*f"*^^^j\  • 

*  .     <Oeffentl.  Guthaben 

.g| — 


fällig 

l  Summe 

Sonstige  Verbindlichkeiten 


180 

90 

8934 

|6o8: 


180 

90 

9  337 

5891 


608 

570 


589 
566 


Summe  der  Passiva 


15855 


16064 


56 

15 

156 

HO 


236 

105 
9091 


236 
105 

9  493 


155 
28 

16  571 

2  140 
65 


6198 
603 


6001 
601 


2205 
422 


155 

28 

16  661 

2288 

12 

2  300 

469 


298 
61 

817 

2595 
930 


3525 
10 


378 


372 


6233116436 


19381 


9613 


471 


298 

61 

825 

2679 
950 


108 

II 

3051» 

5  160 
613 


108 

II 

31700 

5205 
442 


3629 
12 


5  773 


5647 


4825 


Notenreserve   im  Sinne  des 
betreffenden  Bankgesetzes 


') 


438 


349 


654 


660 


4271 


3088 


Deckung: 
der  Noten    durch   den    ge- 
samten Barvorrat     .     . 
durch     den      inländischen 

Metall  Vorrat 
der  Noten  u.  sonstigen  täg- 
lich fälligen  Verbind- 
lichkeiten durch  den  ge- 
samten Barvorrat  .  . 
I  BankzinsfuB 

während    des    Monats 
j  August 


in  Prozenten 


34.1 
27,9 

20,8 

in  Berlin 

5,— 


34,0 

67,0 

64,7 

34,rt 

34,ö 

27,2 

27,1 

134,0 

134.4 

26,4 

26,8 

42,6 

43,1 

28,1 

27,0 

16,0 

15.9 

134,0 

134,4 

10,0 

20,8 

38,4 

37,9 

20,6 

21,1 

24,0 

23,8 

25,2 

24,9 

1 
22,2 

in  Wien 


in  Paris 

5,— 


in  London 

5  — 


in  in 

St.Petersburg  Amsterdam 

6-  4V. 


25,* 


9,7 


21,6 


in 
New  York 


Wegen  Umrechnung  der  fremden  Valuten  usw.  vgl.  Chronik  1913,    S.  1038  unten. 


1)  Für  die  ßeichsbank  die  gesamte  bankmäßige  Deckung,  d.  h.  Wechsel,  Schecks  und  diskontierte 
Sehatzanweisungen.  2)  Für  die  Keichsbank  ist  die  Notensteuer  bis  auf  weiteres  aufgehoben  (Ges.  v. 
4.  Aug.  1914,  BGBl.  S.  327).  3)  Einschließlich  der  377  Mill.  M  betragenden  Anlagen  des  Issue-Depart- 
ment.  4)  Totalreserve.  5)  Verhältnis  der  Eeserve  zu  den  Depositen  am  15.  August:  18,6  Proz.;  am 
39.  August:  18,2  Proz.  6)  Die  in  diesen  Spalten  offen  gelassenen  Posten  ergeben  sich  nicht  aus  den 
Wolffschen  Depeschen.     7)  Diskontrate  für  60  Tage. 


-    566    - 


VII.  Arbelterrerhältnisse. 

Inhalt:  Der  Arbeitsmarkt  im  August  1917.  Die  Arbeitslosen  Statistik  der 
Arbeiterverbände.  Die  Arbeitsnachweisstatistik.  Der  weibliche  Arbeitsmarkt.  Die 
Lage  des  Arbeitsmarktes  in  Berlin  und  in  der  Provinz  Brandenburg.  Der  Reich« - 
kanzler  über  die  Schutzbestimmungen  für  Arbeiterinnen  und  Jugendliche. 

Im  August  1917  war  die  deutsche  Industrie  wie  in  den  Vormonaten 
mit  Kriegslieferungen  voll  beschäftigt.  Der  gleichen  Zeit  des  Vorjahres 
gegenüber  ergibt  sich  fast  durchweg  eine  erhebliche  Steigerung.  Eine 
besondere  Kennzeichnung  erfordert  jeweils  die  Lage  im  Baugewerbe. 
Nach  dem  Berichte  der  Zeitschrift  „Baumaterialien-Markt",  Leipzig, 
macht  sich,  abgesehen  von  den  durch  unaufschiebbare  Ausbesserungs- 
arbeiten, Schadenfeuer  u.  dgl.  herbeigeführten  Bauarbeiten,  fortgesetzt 
die  Errichtung  kriegswichtiger  Bauten  notwendig.  Die  Rohstoffknapp- 
heit für  einzelne  Teile  der  Kriegsindustrie  bedingt  die  Herstellung  von 
Ersatzstoffen  und  damit  eine  Reihe  von  Bauausführungen.  In  letzter 
Zeit  geht  im  Osten  die  Errichtung  zahlreicher  derartiger  Bauten  vor 
sich.  Da  die  Industrie  der  hauptsächlich  in  Frage  kommenden  Provinz 
infolge  ihrer  sehr  guten  Beschäftigung  über  bedeutende  flüssige  Mittel 
verfügt,  sind  die  hohen  Baustoffpreise  und  die  ständig  steigenden 
Arbeiterlöhne  kein  Hindernis  zur  Errichtung  der  als  notwendig  er- 
kannten Neu-  und  Umbauten.  Es  werden  auch  die  Kohlenwerke  er- 
weitert und  ausgebaut.  Ferner  sind  bedeutende  neue  Braunkohlenfelder 
entdeckt  worden,  so  daß  es  wahrscheinlich  ist,  daß  demnächst  größere 
Bergwerks-  und  Förderanlagen  zur  Errichtung  kommen.  Bemerkenswert 
ist  u.  a.,  daß  sich  der  Holzbau  wieder  mehr  einführt,  da  Holz  gegen- 
wärtig den  greifbarsten  Baustoff  darstellt. 

Die  niedrige  Arbeitslosenziffer  vom  Juli  hat  im  Monat 
August  keine  Veränderung  erfahren:  sie  behielt  den  Stand  0,8  v.  H. 
Nach  den  Feststellungen  von  38  Arbeiter  verbänden,  die  an  das  Reichs - 
Arbeitsblatt  für  978460  Mitglieder  berichteten,  waren  Ende  August 
7811  Mitglieder  oder  0,8  v.  H.  arbeitslos. 

Stellt  man  für  die  6  größten  Arbeiterverbände,  die  mit  ihrem  Mit- 
gliederbestand gegen  73  v.  H.  der  Mitgliederzahl  sämtlicher  berichten- 
den Arbeiterverbände  umfassen,  die  Arbeitslosenziffern  von  Ende  Mai, 
Juni,  Juli  und  August  zusammen,  so  ergibt  sich  folgendes  Bild: 


Arbeitslosigkeit  v.  H.  der  vom 

Mitgliederzahl 
Ende  August 

Bericht  erfaßten  Mitglieder 

A  rbeiterverbände 

Ende 

Ende 

Ende 

Ende 

1917 

August  j    Juli 

Juni 

Mai 

1917 

Metallarbeiter 

351767 

0,2 

0,1 

0,« 

0,2 

Fabrikarbeiter 

99414 

0,1 

0,1 

0,» 

0,2 

Holzarbeiter 

85797 

0,5 

0,6 

0,6 

0,6 

Bauarbeiter 

82642 

0,1 

0,1 

0,1 

0,2 

Textilarbeiter 

71687 

4,2 

4,s 

4.1 

5.« 

Transportarbeiter 

60698 

0,2 

0,2 

0,2 

o,s 

—    567    — 

Danach  hat  die  Arbeitslosenziffer  beim  Metallarbeiterverband  un- 
bedeutend zugenommen;  bei  den  übrigen  Verbänden  ist  der  Stand  ent- 
weder der  alte  geblieben,  oder  es  trat  noch  ein  kleiner  Rückgang  zutage. 

Für  sämtliche  berichtenden  Verbände  ergibt  sich  folgende  Zu- 
sammenstellung der  Arbeitslosenziffem : 


Arbeitslose  (am  Orte  und  auf  der  Keise 

Arbeiterverbände 

befindlich)  auf  100 

vom  Bericht  erfaßte 

Mitglieder  am  Ende 

der  letzten  Woche 

des  Monats 

Mai 

G.  =  freie  Gewerkschaft 

August 

Juli 

Juni 

Ch  =  Christlicher  Gewerkverein 

H.-D.  =  Hirsch -Dunckerscher  Gewerkverein 

1917 

Hut-  nnd  Filzwarenarbeiter  (G.) 

28,1 

28,7 

27,5 

3',» 

Porzellan  arbeiter  (G.) 

4,3 

6,0 

7,7 

6,7 

Textüarbeiter  (G.) 

4,2 

4,3 

4,1 

5.2 

Lithographen  (G.) 

2,8 

2,9 

0,8 

1,2 

Lederarbeiter  (G.) 

2,1 

2,7 

1,3 

3,0 

Buchbinder  (G.) 

1,5 

1,7 

1,4 

1,8 

Bildhauer  (G.) 

1,5 

1,0 

1,0 

0,8 

Schuhmacher  (G.) 

1,3 

1,7 

1,4 

I,.^ 

Bäcker  und  Konditoren  (G.) 

1,1 

0,9 

1,1 

2,7 

Glaser  (G.) 

1,1 

0,8 

0,5 

0,9 

Friseurgehilfen  (G.) 

0,9 

0,5 

0,5 

1,0 

Holzarbeiter  (G.) 

0,5 

0,6 

0,6 

0,6 

Glasarbeiter  (G.) 

0,5 

0,3 

0,7 

0,8 

Maschinisten  und  Heizer  (G.) 

0,4 

0,6 

0,3 

0,2 

Fabrikarbeiter  (Ch.) 

0,4 

0,4 

0,4 

1,0 

Tapezierer  (G.) 

0,2 

0,7 

0,5 

0,2 

Maler,  Lackierer  (G.) 

0,2 

0,3 

0,2 

0,4 

Maschinenbau-  und  Metallarbeiter  (H.-D.) 

0,2 

0,2 

0,3 

0,4 

Buch-  a.  Steindruckerei-Hilfsarbeiter  (G.) 

0,2 

0,2 

0,3 

0,2 

Transportarbeiter  (G.) 

0,2 

0,2 

0,2 

0,3 

Gemeinde-  und  Staatsarbeiter  (G.) 

0,2 

0,2 

o,i 

0,2 

Metallarbeiter  (G.) 

0,2 

o,i 

0,2 

0,2 

Brauerei-  und  Mühlenarbeiter  (G.) 

O.l 

0,2 

0,2 

0,3 

Fabrikarbeiter  (G.) 

o,i 

o,i 

0,2 

0,2 

Metallarbeiter  (Ch.) 

0,1 

o,i 

o,i 

0,2 

Bauarbeiter  (G.) 

o,i 

o,i 

o,i 

0,2 

Kupferschmiede  (G.) 

o,i 

o.« 

0,3 

Buchdrucker  (G.) 

0,0 

0,0 

0,2 

0,0 

Holzarbeiter  (Ch.) 

0,0 

0,0 

— 

0,4 

Gutenberg-Bund  (Ch.) 

o,i 

0,1 

— 

Kürschner  (G.) 

— 

— 

0,8 

0,7 

Die  Tabelle  zeigt,  daß  die  größte  Zahl  der  Verbände  unter  dem 
Durchschnittssatz  von  0,8  v.  H.  steht;  nur  11  Verbände  erheben  sich 
über  diesen  Durchschnitt.  Die  erste  Stelle  nimmt,  wie  in  den  meisten 
Monaten  '^  der  Kriegszeit,  der  Hut-  und  Filzwarenarbeiterverband  mit 
28,1  V.  H.  ein,  die  anderen  Verbände  schließen  sich  in  weitem  Abstand 
an.  Der  Hut-  und  Filzwarenarbeiterverband  umfaßte  Ende  August 
7857  Mitglieder,  darunter  waren  2238  männlich  und  5619  weiblich.  In 
diesem  Verband  waren  30  männliche  Mitglieder  und  2179  weibliche 
Mitglieder  arbeitslos.  Die  hohe  Arbeitslosenziffer  dieses  Verbandes  ist 
also  den  weiblichen  Mitgliedern  zu  verdanken. 


-    568    - 

Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  läßt  nur  eine  geringe  Ver- 
änderung gegenüber  dem  Vormonat  erkennen ;  im  August  kamen  auf 
100  offene  Stellen  bei  den  männlichen  Personen  49  Arbeitsuchende 
gegenüber  47  im  Juli;  beim  weiblichen  Geschlecht  stieg  die  Andrangs- 
ziffer von  83  im  Juli  auf  86  im  August. 

Ueber  den  weiblichen  Arbeitsmarkt  im  besonderen  gibt  die 
nachfolgende  Zusammenstellung  Auskunft: 


Weibliche  Berufsarten 


Landwirtschaftliche  Arbeiterinnen 

Metallarbeiterinnen 

Arbeiterinnen  in  der  chemischen  Industrie 

Spinnstoffarbeiterinnen  (einschl.  Färberei-  und 

Appreturarbeiterinnen) 
Buchbinderei-  u.  Kartonnagenarbeiterinnen  usw. 
Arbeiterinnen  in  der  Lederindustrie 
Tabakarbeiterinnen  usw. 
Schneiderinnen,  Putzmacherinnen  usw. 
Büglerinnen,    Wäscherinnen    in    Wasch-    und 

Plättanstalten  usw. 
Buchdruckereiarbeiterinnen 
Fabrikarbeiterinnen 
Angestellte  im  Handelsgewerbe 
Kellnerinnen,  Büfettfräulein 
Hotelzimmermädchen,  Besehließerinnen 
Koehpersonal  in  Gastwirtschaften 
Herd-  u.  Küchenmädchen   in  Gastwirtschaften 
Putz-,  Wasch-,  Lauffrauen,  Aufwärterinnen  usw. 
Dienstboten,  Hauspersonal 
Sonstige  Tagelöhnerinnen 
Freie  Berufsarten 


Zahl  der   Auf  100  offene  Stellen  kamen 
Vermitt-  j    ....  Arbeitsgesuche  im 
lungen  im|  August' 


Aug.  1917|     1917 


4462 

20830 

2165 

3  112 
I  127 
1013 
1688 
10  465 

723 

1  606 
13  762 

2  165 

7  5H 

520 

602 

2950 

16338 

10733 

8693 

620 


58 
88 

67 

268 

65 

81 

89 

III 


August 
1916 


Juli 
1917 


71 

131 

97 

495 
143 
106 
140 

184 


S5 
81 

59 


315 
62 

74 

86 

110 


89 

128 

81 

78 

122 

59 

88 

173 

74 

213 

399 

206 

109 

140 

103 

n 

174 

55 

73 

119 

64 

60 

85 

63 

79 

120 

82 

43 

98 

40 

105 

119 

98 

231 

369 

192 

Die  Uebersicht  zeigt,  daß  bei  einigen  hinsichtlich  der  Zahl  der 
Vermittlungen  wichtigen  Berufsarten  eine  Zunahme  des  Andranges  vom 
Juli  zum  August  eingetreten  ist. 

Wie  allmonatlich,  soll  die  Lage  des  Arbeitsmarktes  in  Berlin 
und  in  der  Provinz  Brandenburg  nach  dem  Bericht  des  Ver- 
bandes Märkischer  Arbeitsnachweise  dargelegt  werden.  Der  Bericht, 
der  im  Septemberheft  des  Beichs-Arbeitsblattes  (S.  706  u.  707)  abge- 
druckt ist,  gibt  gleichzeitig  auch  eine  gewisse  Erklärung  der  eben  dar- 
gelegten Zunahme  des  Andranges  auf  dem  weiblichen  Arbeitsmarkt. 

Wie  der  Bericht  hervorhebt,  zeigte  der  Arbeitsmarkt  in  Berlin  und 
in  der  Provinz  Brandenburg  im  allgemeinen  das  gleiche  Bild  wie  in 
den  Vormonaten;  nur  in  der  Mitte  des  Monats  trat  eine  leichte  Ent- 
spannung ein,  die  sich  in  der  Hauptsache  in  einer  Verringerung  der 
•Aufträge  in  den  Munitionsfabriken  bemerkbar  machte.  Gegen  Ende 
•des  Monats  glich  sich  der  Rückgang  wieder  aus. 

In  der  Landwirtschaft  setzte  eine  etwas  lebhaftere  Nachfrage  nach 
weiblichen  Arbeitskräften  zur  Kartoffelernte  ein.     Die  verlangten  Kräfte  konnten 


—    5^9    — 

beschafft  werden.  Mangel  herrschte  wie  in  den  Vormonaten  an  Arbeiterfamilien, 
Wirtschaftsleitern  und  landwirtschaftlichem  Aufsichtspersonal.  Im  übrigen  ent- 
sprach das  Angebot  der  Nachfrage.  Dagegen  konnte  der  Bedarf  an  weiblichem 
landwirtschaftlichen  Dienstpersonal  bei  weitem  nicht  gedeckt  werden.  Gärtner 
wurden  vielfach  verlangt,  waren  aber  kaum  verfügbar. 

In  Braunkohlengruben  und  Preßkohlen  werken  war  der  Geschäfts- 
betrieb sehr  rege. 

Die  Lage  des  Spinnstoffgewerbes  hat  sich  nicht  wesentlich  geändert. 
Guben  meldete  neben  einem  völligen  Darniederliegen  der  WoUhutfertigung  eine 
befriedigende  Lage  der  Haarhutherstellung  und  eine  Besserung  der  Tuchweberei 
durch  Heeresaufträge.  Trotz  verhältnismäßig  ruhiger  Geschäftslage  in  der  Kleiderei 
konnten  nicht  genug  Schneider  beschafft  werden. 

In  der  Lederindustrie  fanden  wegen  Materialknappheit  weitere  Ein- 
schränkungen statt.    Schuhmacher  waren  außerordentlich  knapp. 

Die  Möbeltischlerei  ist  stark  zurückgegangen.  Auch  viele  Ofenfabriken 
haben  die  Betriebe  nicht  wieder  aufnehmen  können. 

Im  Nahrungsmittelgewerbe  waren  wegen  der  bevorstehenden  Zu- 
sammenlegung kleinerer  Betriebe  Bäcker  wieder  vereinzelt  gemeldet;  Fleischer 
waren  wieder  in  größerem  Maße  verfügbar. 

Die  Lage  im  Baugewerbe  hat  sich  nicht  gebessert. 

Im  Vervielfältigungsgewerbe  herrschte  großer  Mangel  an  Buchdruck- 
personal  und  Maschinenmeistern,  die  Nachfrage  nach  Setzern  und  gelernten 
Arbeitskräften  im  Zeitungsgewerbe  hielt  an. 

Gut  vorgebildetes  kaufmännisches  Personal  war  nur  schwer  zu  be- 
schaffen. Geeignete  Bewerber  für  selbständigere  Posten,  vor  allem  erfahrene 
Buchhalter,  Einkäufer  im  Eisenzweige,  Lageristen  waren  kaum  noch  verfügbar. 

Im  Gastwirtsgewerbe  machte  sich  der  Schluß  der  Sommergeschäftszeit 
durch  erhöhtes  Angebot  von  Arbeitskräften  bemerkbar. 

Ungelernte  Arbeiter  für  alle  Gewerbezweige  wurden  stark  verlangt 
und  waren  bei  Gewährung  guter  Löhne  auch  noch  verfügbar. 

Auf  die  Lage  des  Arbeitsmarktes  für  weibliche  Personen  hat  die  vor- 
übergehende Verminderung  der  Aufträge  einzelner  Fabriken  einen  größeren  Ein- 
fluß gehabt.  Die  in  der  Rüstungsindustrie  nicht  unterzubringenden  Bjräfte 
mußten  vorübergehend  andere  Beschäftigung  übernehmen.  Lebhaft  war  die  Nach- 
frage nach  Arbeiterinnen  in  Färbereien  und  chemischen  Waschanstalten  und 
nach  Flaschenspülerinnen  für  Selterswasserfabriken.  Besonders  wurden  verlangt 
weibliche  Arbeitskräfte  als  Botinnen  für  Handwagendienst,  Transportarbeit  usw. 
Die  große  Anzahl  von  Aufträgen  nach  Hilfskräften  im  Buchdruckgewerbe  konnte 
wohl  besser  als  in  den  Vormonaten  erfüllt  werden.  Weiterer  großer  Bedarf  ist 
aber  noch  vorhanden.  Geübtes  Kontorpersonal,  vor  allem  Stenotypistinnen  und 
Verkäuferinnen  wurden  lebhaft  verlangt,  —  an  ungenügend  vorgebildetem  kauf- 
männischen Anfangspersonal  war  reichlicher  Ueberfluß.  Noch  größer  ist  der  Be- 
darf an  weiblichem  Hauspersonal  geworden,  das  kaum  noch  beschafft  werden 
konnte.  Das  Ende  der  Reisezeit  brachte  eine  erhöhte  Nachfrage  nach  Aushilfen 
und  Aufwärterinnen,  der  Schluß  der  Sommergeschäftszeit  ein  regeres  Angebot 
an  Kellnerinnen  und  Wirtschaftspersonal. 

Der  starke  Zustrom  der  Arbeiterinnen  und  Jugend- 
lichen in  die  Industrie  ist  bald  nach  Kriegsbeginn  ein  Gegenstand 
großer  Sorge  für  die  Sozialpolitiker  gewesen.  Insbesondere  wurden 
über  den  unzureichenden  Schutz  der  Arbeiterinnen  und  jugendlichen 
Arbeiter  lebhafte  Klagen  geführt;  es  wurde  vor  allem  darauf  hinge- 
wiesen, daß  von  den  zuständigen  Behörden  in  viel  zu  weit  gehendem 
Umfange  Ausnahmen  von  den  Schutzbestimmungen  für  Arbeiterinnen 
und  jugendliche  Arbeiter  zugelassen  wurden.  Eine  wesentliche  Besse- 
rung auf  diesem  Gebiet  will  ein  Rundschreiben  des  Reichs- 
kanzlers   an    die   Bundesregierungen,   betreffend   Handhabungen    der 


-    570    — 

Schutzbestimmungen  für  Arbeiterinnen  und  jugendliche  Arbeiter,  vom 
24.  August  herbeiführen. 

Der  Reichskanzler  weist  zunächst  auf  statistische  Zusammen- 
stellungen hin,  die  auf  Grund  eines  früheren  Rundschreibens  vom 
11.  Dezember  1916  eingegangen  sind.  Die  Zusammenstellungen  „lassen 
erkennen,  daß  die  im  Reichstage  und  in  der  Presse  immer  wieder- 
holten Klagen  über  den  unzureichenden  Schutz  der  Arbeiterinnen  und 
jugendlichen  Arbeiter  nicht  unbegründet  sind,  denn  in  manchen  Be- 
zirken sind  von  den  zuständigen  Behörden  in  so  weitgehendem  Maße 
Ausnahmen  von  den  besonderen  Schutzbestimmungen  für  die  Arbeite- 
rinnen und  jugendlichen  Arbeiter  zugelassen  worden,  daß  es  beinahe 
deren  Aufhebung  gleichkommt.  An  erster  Stelle  handelt  es  sich  darum, 
Arbeiterinnen  und  jugendliche  Arbeiter  während  der  Nacht  oder  über 
die  in  den  Gewerbeordnungen  festgesetzte  höchste  Dauer  der  Arbeits- 
zeit hinaus  zu  beschäftigen.  Daneben  kommen  auch  noch  in  Frage 
die  KürzuDg  oder  anderweitige  Regelung  der  Pausen,  die  Beschäftigung 
an  Sonn-  und  Festtagen  usw. 

Wie  die  Zusammenstellungen  weiter  ergeben,  muß  aber  nicht  nur 
die  große  Zahl  der  bewilligten  Ausnahmen,  sondern  auch  die  dadurch 
erfolgte  Regelung  der  Arbeitszeit  der  Arbeiterinnen  und  jugendlichen 
Arbeiter  Bedenken  erregen,  denn  die  zugelassene  Arbeitszeit  ist  zum 
Teil  außerordentlich  lang.  Nicht  selten  ist  eine  regelmäßige  tägliche 
Beschäftigung  der  Arbeiterinnen  und  jugendlichen  Arbeiter  bis  zu 
15  Stunden  einschließließ  lieh  der  Pause  zugelassen.  Für  die  Arbeite- 
rinnen, die  während  der  Nacht  beschäftigt  werden,  ist  in  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Fälle  eine  12-stündige  Arbeitszeit  bewilligt 
worden.  Scheinbar  sind  in  einzelnen  Fällen  sogar  24-stündige  Wechsel- 
schichten für  die  Arbeiterinnen  gestattet.  Eine  12-stündige  Nacht- 
arbeit kann  aber,  wie  ich  bereits  in  meinem  Rundschreiben  vom  11.  De- 
zember 1916  ausgeführt  habe,  für  Arbeiterinnen  im  allgemeinen  nur 
dann  in  Frage  kommen,  wenn  eine  andere  Regelung  wegen  Mangels 
an  Arbeitskräften  oder  wegen  der  besonderen  Betriebsverhältnisse  aus- 
geschlossen erscheint.  Zu  24-stündigen  Wechselschichten  sollten  Arbeite- 
rinnen überhaupt  nicht  herangezogen  werden.  Andererseits  geht  aus 
den  Zusammenstellungen  auch  hervor,  daß  meine  Anregung,  für  die 
des  Nachts  beschäftigten  Arbeiterinnen  so  weit  als  möglich  8-stündige 
Schichten  vorzuschreiben,  nicht  ohne  Erfolg  gewesen  ist. 

Weiter  ist  mir  bei  der  Durchsicht  der  Zusammenstellungen  auf- 
gefallen, daß  manche  Bewilligungen  ohne  jede  zeitliche  Begrenzung 
oder  „für  die  Dauer  des  Krieges"  erteilt  worden  sind,  obwohl  doch 
niemand  die  Entwicklung  des  Arbeitsmarktes  vorhersehen  kann.  Meistens 
sind  die  Bewilligungen  ohne  jeden  Vorbehalt  erteilt,  so  daß  dem  Unter- 
nehmer auch  in  bezug  auf  die  Personen,  die  er  zur  Ueberarbeit  oder 
Nachtarbeit  heranziehen  will,  ganz  freie  Hand  gelassen  wird.  Nur  in 
einzelnen  Staaten  und  Bezirken  scheint  grundsätzlich  vorgeschrieben 
zu  sein,  daß  schwache,  kränkliche,  schwangere  und  stillende  Personen 
nicht  zur  Nachtarbeit  oder  Ueberarbeit  herangezogen  werden  dürfen. 
Die  Bewilligung  so    zahlreicher   und    weitgehender  Ausnahmen  muß  zu 


—    571    — 

ernsten  Bedenken  Anlaß  geben,  denn  es  steht  zu  befürchten,  daß  durch 
die  übermäßig  lange  Arbeitszeit  und  die  Nachtarbeit  sowohl  die  Ge- 
sundheit der  Arbeiterinnen  und  jugendlichen  Arbeiter  Schaden  leidet, 
als  auch  ihre  Leistungsfähigkeit  bedenklich  zurückgeht." 

In  dem  Rundschreiben  wird  weiter  ausgeführt,  daß  es  sich  bei  dem 
Mangel  an  männlichen  Arbeitskräften  nicht  vermeiden  lasse,  daß  Ar- 
beiterinnen und  jugendliche  Arbeiter  deren  Plätze  einnehmen  und  dem- 
gemäß auch  nachts  beschäftigt  werden.  „Doch  sollte  dies  unter  allen 
Umständen  nur  so  weit  gehen,  als  es  zur  Herstellung  der  für  das  Heer 
und  die  Bevölkerung  unentbehrlichen  Waren  unbedingt  notwendig  ist. 
Das  Gleiche  wie  für  die  Nachtarbeit  gilt  auch  für  die  sonstigen  Aus- 
nahmen, besonders  für  die  Ueberarbeit  der  Arbeiterinnen  und  jugend- 
lichen Arbeiter.  Diese  darf  auch  nur  so  weit  zugelassen  werden,  als  es  für 
das  öffentliche  Wohl  notwendig  erscheint.  Die  zuständigen  Stellen 
werden  daher  bei  der  Bewilligung  von  jeder  Ausnahme  sorgfältig 
prüfen  müssen,  wieweit  diese  Voraussetzungen  zutreffen.  In  dieser 
Beziehung  bestanden  aber,  wie  ich  anerkenne,  bisher  gewisse  Schwierig- 
keiten, denn  es  handelt  sich  dabei  hauptsächlich  um  die  Herstellung 
von  Heeresbedarf,  dessen  Lieferung  von  den  vergebenden  Stellen  in 
der  Regel  als  eilig  bezeichnet  worden  ist.  In  solchen  Fällen  blieb 
den  zuständigen  Behörden  nur  übrig,  die  Ueberarbeit  und  Nachtarbeit 
in  dem  Umfang  zu  genehmigen,  wie  sie  beantragt  wurde,  da  eine  Ab- 
lehnung des  Antrags  kaum  in  Frage  kommen  konnte.  Auf  meine  An- 
regung hat  daher  jetzt  das  Kriegsamt  die  Kriegsamtsstellen  angewiesen, 
auch  ihrerseits  dahin  zu  wirken,  daß  die  Ueberarbeit  und  Nachtarbeit 
von  Frauen  und  jugendlichen  Arbeitern  möglichst  eingeschränkt  wird, 
und  daß  die  Anträge  von  Unternehmern  um  Bewilligung  von  Ueber- 
arbeit und  Nachtarbeit  nur  dann  befürwortet  werden,  wenn  wichtige 
Kriegsaufgaben  sich  ohne  diese  Ueberarbeit  und  Nachtarbeit  nicht  er- 
reichen lassen.  Eine  Abschrift  des  Rundschreibens  des  Kriegsamts 
füge  ich  bei." 

Wie  der  Reichskanzler  weiter  ausführt,  „dürfte  es  aber  auch  nötig  sein,  daß 
die  früher  auf  unbegrenzte  Zeit  erteilten  Genehmigungen  mit  angemessener  Frist 
zurückgezogen  werden  und  erst  nach  erneuter  Prüfung  der  Sachlage  eine  weitere 
Ausnahme,  und  zwar  immer  nur  für  eine  bestimmte  Zeit,  widerruflich  bewilligt 
wird,  unter  dem  Vorbehalte,  daß  sie  zurückgenommen  wird,  sobald  die  Bedin- 
gungen, unter  denen  sie  erteilt  worden  ist,  nicht  innegehalten  werden,  oder  wenn 
sich  daraus  ünzuträglichkeiten  ergeben.  Ferner  wird  es  sich  empfehlen,  in  der 
Genehmigung  möglicnst  genau  die  zugelassene  Art  der  Beschäftigung,  Anfang  und 
Ende  der  Pausen  und  gegebenenfalls  die  den  Arbeiterinnen  und  jugendlichen 
Arbeitern  zu  gewährende  Mindestruhezeit  festzulegen.  Bei  Genehmigung  von 
Nachtarbeit  und  Ueberarbeit  wird  grundsätzlich  vorzuschreiben  sein,  daß  dazu 
schwache  und  kränkliche  Personen,  schwangere  und  stülende  Frauen,  sowie  Ar- 
beiterinnen unter  18  Jahren  nicht  herangezogen  werden  dürfen,  und  daß  die  Be- 
stimmungen des  §  137  Abs.  6  der  Gewerbeordnung  (betr  Nichtbeschäftigung  der 
Wöchnerinnen  während  8  Wochen)  unter  allen  Umständen  in  Kraft  bleiben. 
Endlich  können  die  Genehmigungen  auch  davon  abhängig  gemacht  werden,  daß 
für  die  Arbeiter,  und  besonders  für  die  Arbeiterinnen  ausreichende  und  gut  ein- 
gerichtete Umkleideräume,  Speiseräume,  Aborte,  Krippen  und  andere  Woflfahrts- 
einrichtungen  eingerichtet  oder  die  vorhandenen  besser  ausgestaltet  werden.  Damit 
die  Arbeiter  Kenntnis    von    den  Ausnahmebewilligungen   und  den   dabei  vorge- 


—    572    — 

BchiiebeneD  Bedingungen   erhalten,  dürfte  stets  vorzuschreiben  sein,  daß  in  den 
ßetriebsräumen  eine  Abschrift  auszuhängen  ist. 

In  einzelnen  Bundesstaaten  scheint  die  Erlaubnis  zu  Ueberarbeit  und  Nacht- 
arbeit nur  unter  der  Bedingung  erteilt  zu  werden,  daß  dafür  ein  angemessener 
Lohnzuschlag  gewährt  werden  muß.  Dadurch  wird  zweifelsohne  der  Neigung 
einzelner  Unternehmer,  auch  ohne  dringenden  Grund  Ueberarbeit  nachzusuchen, 
entgegengewirkt.  Anderseits  ist  aber  nicht  zu  verkennen,  daß  daraus  unter  Um- 
ständen Schwierigkeiten  in  der  Lohnfrage  entstehen  können.  Es  wird  daher  dem 
pflichtgemäßen  Ermessen  der  zuständigen  Stellen  überlassen  bleiben  müssen,  ob 
sie  eine  derartige  Bedingung  für  zweckmäßig  halten." 

Es  steht  zu  hoffen,  daß  diesen  Anregungen  Folge  geleistet  wird. 
Der  preußische  Handelsminister  hat  Abdrucke  des  Rundschreibens  den 
Regierungspräsidenten  mit  dem  Ersuchen  zugehen  lassen,  diesen  An- 
regungen zu  entsprechen  und  die  Gewerbeinspektor^n  mit  den  erforder- 
lichen Anweisungen  zu  versehen. 

VIII.  Finanzwesen. 

Inhalt:  Die  Steuerleistung  in  Preußen.  Zuschläge  zur  Einkommensteuer 
in  preußischen  Städten.  Ungarische  Finanzen.  Englische  Kriegsanleihen  und 
Kriegsausgaben.  Frankreichs  Finanzen,  Anleiheprojekte  und  Steuern.  Die  Lage 
der  russischen  Finanzen  (Ergebnis  der  Freüieitsanleihe,  Vorboten  der  Zwangsan- 
leihe, Staatshaushalt  und  Steuerpläne).  Kriegsanleihe  und  Finanzlage  in  den  Ver- 
einigten Staaten.  Mexikanische  Anleihepläne.  Brasiliens  Finanzlage.  Dritte 
niederländisch.indische  Anleihe.  Anleihen  in  Japan  und  China.  Chinesische 
Staatsschuld.    Australiens  Finanzen. 

Die  „Berliner  Politischen  Nachrichten"  bringen  (August  1917)  eine 
Uebersicht  über  die  Steuerleistung  in  Preußen,  nach  Provinzen 
geordnet : 

An  direkten  Steuern  sind  1915  vereinnahmt  worden  567,4  Mill.  M.  Davon 
haben  aufgebracht  die  Provinz  Brandenburg  151,3  Mill.,  die  Rheinprovinz  114,7 
Mill.  M.,  so  daß  also  diese  beiden  Provinzen  allein  fast  die  Hälfte  der  direkten 
Steuern  aufgebracht  haben.  Dagegen  steht  an  drittletzter  Stelle  Ostpreußen  mit 
13,  dann  folgt  Westpreußen  mit  11,4  und  Sigmaringen  mit  0,6  Mill.  M.  — 
Die  Stadtkreise  haben  314,3  Mill.,  also  55,4  Proz.  der  Steuern,  aufgebracht,  dar- 
unter Berlin  allein  727^  MUl.  M. 

Unter  dem  Gesichtspunkte  der  durchschnittlichen  Steuerleistung  auf  den 
Kopf  der  Bevölkerung  ergibt  sich  folgendes  Büd.  Auf  je  1  Einwohner  kommen, 
nach  dem  Stande  im  Rechnungsjahr  1915,  direkte  Steuern:  im  gesamten  Staate 
13,83  M.,  in  den  Stadtkreisen  für  sich  23,24  M.,  in  den  Landkreisen  für  sich 
9,20  M.  Die  durchschnittliche  Steuerleistung  des  einzelnen  Einwohners  geht  also 
in  den  Stadtkreisen  weit  hinaus  über  den  Durchschnittssatz  des  ganzen  Staats- 
gebiets, in  den  Landkreisen  bleibt  sie  erheblich  dahinter  zurück.  Der  Durch- 
schnittssatz des  ganzen  Staates  wird  am  weitesten  übertroffen  in  Berlin,  wo  auf 
den  Kopf  des  einzelnen  Einwohners  eine  Steuerleistung  von  37,55  M.,  d.  h.  nahe- 
zu das  Dreifache  des  Durchschnittssatzes  entfällt,  sodann  im  Regierungsbezirk 
Wiesbaden  mit  24,07  M.,  in  der  Provinz  Brandenburg  (ohne  Berlin)  mit  18,38  M. 
und  in  der  Rheinprovinz  mit  15,25  M.  In  den  Landkreisen  bleibt  der  Steuerbe- 
trag des  einzelnen  Einwohners  um  4,63  M.  hinter  dem  Staatsdurchschnittssatz 
zurück.  Dieser  wird  in  der  Provinz  Brandenburg  (ohne  Berlin)  mit  13,95  M. 
übertroffen.  Am  niedrigsten  ist  die  Steuerleistung  mit  4,90  M  auf  den  Kopf  in 
'Ostpreußen. 

Die  Steuerkraft  von  Stadt-  und  Landkreisen  zusammengenommen  war  am 
geringsten  in  Ostpreußen  mit  13  Mill.,  Westpreußen  mit  11,4  Mill.  und  Posen 
mit  10,1  Mill.  M. ;  die  Steuerkraft  war  weitaus  am  höchsten  in  der  Provinz  Branden- 
burg mit  151,3  Mill.  M.,  sodann   in  der  Rheinprovinz   mit  114.7  Mill.  M..  femer 


573    — 


nach  Maßgabe  des  auf  den  einzelnen  Einwohner  entfallenden  Steuerbetrags  in 
Sachsen,  Schleswig- Holstein,  im  Herzogtum  Lauenburg  und  im  Regierungsbezirk 
Wiesbaden.  Es  sind  also  die  vorwiegend  industriell  tätigen  Landesteile  und  in 
ihnen  wieder  die  Stadtkreise,  die  auch  an  der  direkten  Steuerlast  —  die  Stadt- 
kreise in  Brandenburg,  Eheinland  und  Westfalen  rund  205  Mill.  M.  von  insge- 
samt 567,4  Mill.  M.  —  zu  tragen  haben. 

Ueber  die  von  den  preußischen  Städten  mit  mehr  als  5000 
Einwohnern  in  den  Rechnungsjahren  1914,  1915  und  1916  erhobenen 
Zuschläge  zur  Staatseinkommensteuer  veröffentlicht  das 
Königliche  Statistische  Landesamt  in  der  „Stat.  Korr."  eine  Uebersicht, 
in  der  die  Städte  nach  der  Höhe  ihrer  Zuschläge  zur  Staatseinkommen- 
steuer in  den  Rechnungsjahren  1914,  1915  und  1916  regierungsbezirks- 
weise auf  6  Zuschlagsgruppen  verteilt  sind. 

Danach  erhoben  von  den  in  die  Untersuchung  einbezogenen  508  preußischen 
Städten,  die  nach  der  Personenstandsaufnahme  für  das  Rechnungsjahr  1915  mehr 
als  5000  Einwohner  besaßen: 

mehr  als 

150 

bis  200  Proz. 

überhaupt     v.  H. 

234  46,06 

221  43,50 

176  34,65 


300  Proz. 


100 

bis  150  Proz. 

überhaupt      v.  H. 

59  11,61 

47  9,25 

33  6,50 

mehr  als 

250 
bis  300  Proz. 
überhaupt     v.  H. 
38  7,48 

46  9,06 

83        16,34 

Von  den  12  Städten  mit  mehr  als  5000  Einwohnern,  die  1914 
als  100  Proz.  der  Staatseinkommensteuer  für  eigene  Zwecke  erhoben, 
nur  noch  6  unter  diesem  Prozentsatz.  Die  Anzahl  der  Städte  mit  Zuschlägen 
von  mehr  als  100  bis  150  Proz.  ist  im  Beobachtungszeitraum  von  59  auf  33  zu- 
rückgegangen. 

Eine  andere  Statistik  zur  gleichen  Frage  geben  die  vom  Statistischen  Amt 
der  Stadt  Elberfeld  seit  einer  Reihe  von  Jahren  gemachten  Zusammenstellungen  für 
110  preußische  Städte.    Von  diesen  hatten  einen  Zuschlag  zur  Staatssteuer: 

Zuschl.i.Proz.  1912  1914  1915  1916 

d.  Staatsst.        überh.    in  Proz.     überh.  in  Proz.    überh.    in  Proz.    überh.    in  Proz. 


bis  100  Proz. 

1914 
1915 
1916 

überhaupt     v.  H. 
12                2,36 
8             1,57 

6                 1,18 

1914 
1915 
1916 

200 

bis  250  Proz. 

überhaupt     v.  H. 

163           32,09 

182            35,83 

199           39,17 

überhaupt 

2 
4 


V.  H. 

0,39 
0,7  ft 

2.17 


nicht  mehr 
blieben  1916 


100 

7 

6,6 

4 

3,6 

0 

— 

0 

— 

101—150 

13 

12,3 

19 

17,3 

21 

19,1 

II 

10,0 

151—175 

18 

17,0 

19 

17,3 

H 

I2J 

13 

16.3 

176—200 

33 

31,1 

32 

29,1 

25 

22,8 

19 

17,3 

201—225 

22 

20,8 

33 

20,9 

24 

21,8 

22 

20,0 

226—250 

IG 

9,4 

II 

10,0 

23 

20,9 

29 

26,4 

251—300 

3 

2,3 

2 

1,8 

3 

2,7 

II 

10,0 

106 


100 


HO 


100 


100 


Einen  Zuschlag  von  nur  100  Proz.,  den  im  Jahre  1914  nur  noch  die  Groß- 
Berliner  Stadtgemeiden  aufwiesen,  hatte  in  den  beiden  letzten  Jahren  überhaupt 
keine  Stadtgemeinde  mehr.  Den  niedrigsten  Satz  mit  110  Proz.  verlangte  im  Jahre 
1916  die  Stadt  Potsdam.  Umgekehrt  war  der  höchste  Zuschlag,  der  1910  275  Proz., 
1913  260  Proz.  und  1915  280  Proz.  betragen  hatte,  1916  auf  300  Proz.  (Saarbrücken) 
gestiegen.  Bis  zu  200  Proz.  verlangten  1912  37  Proz.  aller  Gemeinden,  1916  aber 
nur  noch  43,6  Proz. 


—    574    — 

Ueber  die  ungarischen  Finanzen  machte  der  Finanzminister 
Dr.  Gratz  Ende  August  einem  Berichterstatter  des  „As  Est"  gegen- 
über unter  anderem  nachstehende  Ausführungen : 

In  dem  Budget  für  1917/18  sind  Ausgaben  in  Höhe  von  3  Milliarden  K. 
vorgesehen  gegenüber  2,3  Milliarden  in  dem  Budget  für  1914/15.  In  dem  Budget 
sind  nur  die  ständigen  Ausgaben  enthalten.  Die  Erhöhung  um  700  Mill.  K. 
stammt  aus  der  Zinsenlast  fiir  die  Kriegsanleihen,  für  die  jedoch  bereits  eine 
Deckung  durch  die  neuen  Steuergesetze  geschaffen  ist.  Bei  Zusammenstellung 
des  Budgets  für  das  Jahr  1917/18  sind  neuerdings  ständige,  auch  nach  dem 
Friedensschluß  nicht  wegfallende  Ausgaben  erwachsen.  Hierzu  gehören  Zinsen- 
lasten von  150  Mill.  K.  für  die  sechste  Kriegsanleihe  und  ferner  ein  Betrag  von 
110  Mill.   für  Verbesserung   der  Bezüge  für  Staatsbeamte  und  andere  Reformen. 

Bezüglich  der  Deckung  dieser  Vermehrung  an  Ausgaben  von  260  MUl.  K. 
wies  der  Minister  darauf  hin,  daß  einzelne  Einnahmeposten  ein  größeres  Ergeb- 
nis gehabt  haben,  als  in  Anschlag  gebracht  worden  war,  und  daß  eine  Erhöhung 
verschiedener  Konsumsteuern  in  Aussicht  genommen  ist.  Auch  sei  eine  sehr  aus- 
giebige Erhöhung  der  Militärbefreiungstaxe  beabsichtigt  und  ebenso  der  Kriegs- 
gewinnsteuer. Ferner  solle  eine  Kartellsteuer  eingeführt  werden,  die  dem  Staate 
einen  Anteil  am  Kartellgewinn  sichere. 

Bezüglich  der  Verbesserung  der  Valuta  würde  er  nicht  vor  dem  Gedanken 
der  Requirierung  gewisser  Gegenstände  von  Goldschmuck  zurückschrecken,  der 
bei  der  Rentenbank  zu  hinterlegen  wäre.  Ein  Hilfsmittel  für  die  Valuta  Verbesse- 
rung wäre  auch  der  Verzicht  auf  die  Einfuhr  gewisser  Luxus-  und  Genußmittel. 

Zu  einer  neuen  englischen  Kriegsanleihe  von  250  Mill.  £. 
hat  nach  einer  Meldung  des  Reuterschen  Bureaus  das  Unterhaus,  das 
sich  demnächst  bis  Mitte  Oktober  vertagen  wird,  in  zweiter  Lesung 
eine  Vorlage  angenommen,  die  die  Regierung  ermächtigt.  Laut  Parla- 
mentsbericht der  „Financial  News"  vom  11.  August  hat  Bonar  Law  je- 
doch in  der  Debatte  über  die  nachgesuchte  Ermächtigung  der  Auflegung 
einer  Anleihe  während  der  Vertagung  des  Parlaments  zum  Ausdruck 
gebracht,  daß  es  außer  im  Falle  ganz  unvorhergesehener  Ereignisse  nicht 
seine  Absicht  sei,  von  dieser  Ermächtigung  Gebrauch  zu  machen.  Er 
fügte  hinzu,  daß  die  Regierung  nunmehr  Vollmacht  zur  Aufnahme  von 
Anleihen  in  Höhe  von  insgesamt  1  600  000  £  besitzt,  und  betonte,  daß 
es  ganz  ausgeschlossen  sei,  bis  Ende  des  Jahres  solche  Summe  aufzu- 
bringen, und  daß  man  es  nicht  versuchen  werde.  Endlich  gab  er  an, 
die  nachgesuchte  Ermächtigung  sei  auch  nötig,  weil  die  amerikanische 
Regierung  in  Zukunft  vorziehen  könnte,  statt  kurzfristiger  Vorschüsse 
(Vorschüsse  bis  zu  5  Jahren  kann  der  Schatzkanzler  ohne  besondere 
Ermächtigung  aufnehmen)  solche  mit  längerer  Laufzeit  zu  geben,  und 
weil  natürlich  die  englische  Regierung  in  dieser  Beziehung  sich  durch- 
aus den  Wünschen  der  amerikanischen  anpassen  müsse. 

Hierzu  bemerkt  ein  Leitaufsatz  des  Blattes:  „Seit  Anfang  AprU  haben  wir  an 
„anderer  Schuld  unter  den  Kriegsanleihegesetzen  von  1914  und  1916"  212283300  £ 
erhalten,  und  insgesamt  belaufen  sich  unsere  Verbindlichkeiten  dieser  Art  auf 
544179  200  £.  Heimische  kurzfristige  Verbindlichkeiten  kann  man  stets  durch 
Erneuerung  oder  Konversion  erledigen,  aber  auswärtige  Gläubiger  muß  man  ge- 
nauer studieren,  und  wir  glauben,  daß  es  eine  allgemeine  Erleichterung  verursachen 
würde,  wenn  man  wüßte,  daß  ein  Teil  der  in  den  Vereinigten  Staaten  emgegangenen 
Verbindlichkeiten  nicht  in  den  schweren  Uebergangsjahren  nach  Kriegsende  fäUig 
würde." 

Im  „Svenska  Dagbladet"  vom  31.  Juli  veröffentlicht  Gustaf  Cassel 
einen  Leitartikel,   in  dem  er  die  gesamten  bisherigen  Kriegs- 


-     575    - 

ausgaben  Englands    auf   5  Milliarden  £  schätzt,    und  weiter   aus- 
führt: 

Da  Ende  März  1916  die  Summe  erst  2078  Mill.  betrug,  so  sind  die  übrigen 
2922  Mill.  seitdem  ausgegeben  worden.  Im  Frühjahr  1916  suchte  man  der  Oeffent- 
lichkeit  die  Vorstellung  oeizubringen,  daß  man  es  nun  nicht  mehr  weit  bis  zum 
Ziele  habe.  Damals  bekam  man  noch  in  England  zu  hören,  daß  es  bis  zu  Deutsch- 
lands vollständiger  wirtschaftlicher  Erschöpfung  nicht  mehr  weit  sei.  Die  mir 
damals  gewährte  Gelegenheit,  Deutschlands  wirtschaftliche  Widerstandskraft  kennen 
zu  lernen,  führte  mich  zu  der  Auffassung,  daß  ein  Jahr  weiteren  Krieges  Deutsch- 
land wohl  wirtschaftlich  schwächen,  aber  gleichzeitig  auch  die  Verbandsmächte 
in  demselben  Maße  der  Erschöpfung  aussetzen  würde.  Die  Kichtigkeit,,  dieser 
Voraussagen  dürfte  jetzt  allen  offenbar  sein.  Die  volkstümliche  Anschauung, 
daß  der  Krieg  wegen  der  wirtschaftlichen  Erschöpfung  der  Mittelmächte  aufhören 
würde,  hat  sich  als  unhaltbar  erwiesen.  Ebensowenig  ist  natürlich  das  Umge- 
kehrte der  Fall.  Es  ergibt  sich  vielmehr  die  schreckliche  Wahrheit,  daß  der  Bj-ieg 
beinahe  so  lange  fortgesetzt  werden  kann,  bis  eine  langsame  wirtschaftliche  Er- 
schöpfung aller  Teile  eintritt. 

Im  übrigen  zeigen  die  Ausgabeziffern  keinerlei  wirtschaftliche  Erschöpfung, 
wenigstens  nicht,  was  England  anlangt.  Im  Gegenteil,  die  täglichen  Ausgaben 
sind  ununterbrochen  gestiegen,  von  1,19  Mill.  im  Jahre  1914  auf  7,37  Mill.  im 
Jahre  1917.  Berücksichtigt  man  das  Sinken  des  Geldwertes  und  setzt  dement- 
sprechend die  Ausgabesumme  herab,  so  ergibt  sich  für  1917  eine  tägliche  Aus- 
gabe von  3,4  Mill.  £.  Die  Steigerung  war  im  Anfang  außerordentlich  stark  und 
hat  sich  später  verlangsamt.  Von  1916  auf  1917  stieg  sie  nur  noch  um  17*/?  v.  H. 
Diese  Ziffern  zeigen,  daß  wohl  jetzt  kaum  noch  die  Möglichkeit  zur  weiteren 
Steigerung  der  wirtschaftlichen  Kraftanspannung  vorliegt. 

Im  übrigen  wäre  England  selbst  schon  längst  erschöpft;  nur  dank  der 
fremden  Hufe,  vor  allem  seitens  der  Vereinigten  Staaten,  war  eine  weitere  Aus- 
gaben Vermehrung  möglich.  Indessen  sieht  es  so  aus,  als  ob  man  die  mit  der 
Teilnahme  der  Vereinigten  Staaten  am  Kriege  verbundene  finanzielle  Hufe  doch 
bedeutend  überschätzt  hat.  Zwar  sind  Amerikas  wirtschaftliche  Hilfsquellen 
außerordentlich  große,  aber  man  wird  sie  kaum  für  Kriegszwecke  ausnützen 
können,  ohne  eine  Inflation  der  amerikanischen  Währung  herbeizuführen.  Diese 
Inflation  schreitet  in  England  gleichmäßig  fort.  Die  letzte  große  Kriegsanleihe 
hatte  freilich  ein  glänzendes  Ergebnis,  aber  viele  Zeichnungen  sind  doch  mit  Hilfe 
der  von  den  Banken  entliehenen  Mittel  gemacht  worden.  Wenn  davon  auch 
später  ein  Teil  abbezahlt  worden  ist,  so  sind  doch  die  Banken  noch  mit  großen 
Forderungen  dieser  Art  belastet.  Gerade  durch  diese  Art  der  Beiträge  zu  den 
Staatsausgaben  kommt  die  Inflation  zustande.  Die  englische  Kegierung  ist  offenbar 
dahin  gekommen,  daß  sie  ihre  ungeheuren  Kriegsausgaben  nicht  ohne  gleichzeitige 
Verschlechterung  der  englischen  Valuta  bestreiten  kann. 

Von  den  5  Milliarden  £,  die  England  seit  Kriegsbeginn  verbraucht  hat, 
stammen  etwa  1210  Mill.  aus  Einnahmen,  und  die  übrigen  3790  Mill.  aus  An- 
leihen. Den  Hauptteü  bilden  zwar  die  festen  Anleihen;  aber  die  schwebende 
Schuld  erreichte  dennoch  eine  beunruhigende  Höhe.  Die  Verpflichtungen  mit 
höchstens  12-monatiger  Fälligkeit  betrugen  am  7.  Juli  nicht  weniger  als  908  Mill.  £. 

England  kann  sich  also  keiner  besonderen  starken  finanziellen  Stellung 
rühmen.  Die  weitere  Fortsetzung  des  Krieges  wird  diese  Stellung  noch  ver- 
schlechtern. Schon  nähern  sich  die  Jahreszinsen  der  Staatsschulden  in  Höhe  von 
V^  Milliarde  £;  das  sind  furchtbare  Lasten  für  die  Zukunft.  Aber  da  man  so 
viel  ausgegeben  hat,  so  will  man  noch  mehr  opfern,  um  ein  Ergebnis  zu  erzielen, 
obwohl  das  Irrige  dieser  Berechnung  schon  hinreichend  erwiesen  ist. 

Wenn  die  Lage  im  reichsten  Lande  der  Welt  derartig  ist,  wie  muß  sie  in 
anderen  kriegführenden  Ländern  sein!  Ist  es  denn  mit  der  wirtschaftlichen  Ver- 
nunft in  der  Welt  gänzlich  zu  Ende,  und  wird  man  sich  nicht  endlich  überlegen, 
daß  alle  Ausgaben  für  den  Krieg  vergebens  und  unwiderruflich  verloren  sind, 
und  daß  jede  weitere  Fortsetzung  die  Sache  nur  noch  verschlimmert? 

Um  Frankreichs  Finanzen  einen  starken  Auftrieb  zu  geben, 
wird  für  Oktober  eine  neue  —  die  dritte  —  Kriegsanleihe  geplant,  die 


-    576    - 

namentlich  durch  das  ständige  Anwachsen  der  unfundierten  Schuld 
dringend  nötig  geworden  ist.  Daß  Frankreich  das  Problem,  seine 
Kriegsschulden  zu  konsolidieren  —  von  98  Milliarden  sind  bisher  nur 
21,8  Milliarden  =  22,2  Proz.  langfristig  untergebracht  —  nicht  lösen 
könne,  darf  nicht  angenommen  werden,  aber  die  Formen,  in  denen  die 
neue  Anleihe  von  verschiedenen  französischen  Beurteilern  vorgeschlagen 
wird,  muten  doch  recht  eigentümlich  an.  Im  „Figaro"  empfiehlt  Louis 
Aubert  das  Projekt  eines  der  angesehensten  Finanzmänner,  den  er  nicht 
namhaft  macht,  eine  4-proz.  steuerfreie  Anleihe,  kündbar  nach 
10  oder  15  Jahren,  auszugeben.  Dies  würde  großen  Anklang  finden, 
weil  viele  Kapitalisten  sich  durch  die  Befürchtung  einer  späteren  Er- 
höhung der  Einkommensteuer  von  allen  Kapitalsanlagen  zurückhalten 
lassen.  Während  der  „Temps"  die  Ausgabe  einer  6-proz.  Anleihe  zu 
pari  empfiehlt,  führt  Neymarck  im  „Rentier"  und  anderswo  eine  tem- 
peramentvolle Kampagne  für  eine  Losanleihe.  Das  „Journal  des  De- 
bats"  verspricht  sich  nur  von  einer  zu  niedrigem  Kurse  heraus- 
kommenden,  mit  hohem  Aufgeld  rückzahlbaren  Emission   einen  Erfolg. 

Vom  1.  Januar  1918  ab  tritt  das  neue  Steuerregime  in  Kraft.  Die  Personal- 
mobiliarsteuer, die  Tür-  und  Fenstersteuer,  die  Patentsteuer  sowie  die  Zuschlags- 
steuern fallen  fort.  Die  neue  direkte  Steuer  besteuert  Einkommen  1.  aus  Industrie 
und  Handel,  2.  aus  Ackerbau,  3.  aus  Staats-  und  Privatgehältern,  Nebeneinkünften, 
Diäten,  Löhnen,  Pensionen  und  Leibrenten,  4.  aus  freien  Berufen,  5.  aus  Kapitalß- 
anlagen.  Der  6.  Artikel  des  im  „Journal  officiel"  vom  1.  August  veröffentlichten 
Gesetzes  regelt  die  Steuerzuschläge  der  Kommunen. 

Von  der  recht  trostlosen  Lage  der  russischen  Finanzen 
gibt  zunächst  das  Ergebnis  der  sog.  „Freiheitsanleihe"  ein  Bild.  Die 
Presse  Rußlands  gibt  das  Gesamtergebnis  der  „Freiheitsanleihe"  mit 
2602  Mill.  Rbl.  an.  Um  das  Resultat  zu  erhöhen,  beschloß  die  Re- 
gierung, den  Zeichnungstermin  bis  zum  Zusammentritt  der  konstitu- 
ierenden Versammlung  zu  verlängern.  Auch  wenn  sich  dadurch  das 
Zeichnungsergebnis  erhöhen  sollte,  ist  es  um  die  Geldbeschaffung  durch 
Anleihen  angesichts  der  großen  Mittel,  die  die  Regierung  allein  für  die 
Durchführung  ihrer  Reformpläne  braucht,  nur  schlecht  bestellt.  1500 
Mill.  Rbl.  werden  für  die  Monopolisierung  des  Getreide-,  Futtermittel-, 
Zucker-  und  Kohlenhandels  benötigt.  Die  Staatsbank  soll  dazu  einen 
Vorschuß  von  500  Mill.  Rbl.  gewähren,  der  Rest  ist  von  Petersburger 
und  Moskauer  Banken  zu  beschaffen.  Letztere  haben  sich  außerdem 
bereit  erklärt,  150  Mill.  Rbl.  der  Zuckerindustrie  als  Kredit  vorzu- 
strecken. Die  Hilfe  der  Banken  bleibt,  da  das  Sparkapital  versagt,  die 
einzige  Rettung.  Nach  einer  Meldung  der  „Nationaltidende"  von  Mitte 
August  bestand  die  Absicht,  zur  Zwangsanleihe  zu  schreiten  und 
folgende  Verordnung  zu  erlassen: 

1.  Jede  Aktiengesellschaft  muß  alle  disponiblen  Mittel  in  Freiheits- Anleihe- 
Obligationen  anlegen. 

2.  Alle  Pensions-,  Unterstützungs-  und  Darlehenfonds,  Sparkassen,  Ver- 
sicherungsgesellschaften und  Stipendienfonds  müssen  mit  allen  zur  Verfügung 
stehenden  Geldmitteln  an  der  Zeichnung  teUnehmen. 

3.  Alle  Kreditvereine  sollen  mit  ihren  Reservefonds  an  der  Zeichnung  teü- 
nehmen. 

4.  Legatkapitale  und  Vermögen  unter  Verwaltung  sollen  in  Freiheitsanleihe 
angelegt  werden. 


—     577    — 

Wie  hieraus  hervorgeht,  t-olleii  —  so  fügt  das  zitierte  Blatt  hinzu  —  also 
sehr  starke  Eingriffe  in  die  Eechte  der  verschiedenen  Institutionen  und  Gesell- 
Bchaften  gemacht  werden ;  sicherlich  nur  die  äußerste  Not  kann  derartige  rigorose 
Bestimmungen  veranlassen. 

In  der  Tat  wäre  das  der  glatte  Uebergang  zur  Zwangsanleihe.  In  diesen 
Zusammenhang  paßt  die  nachstehende,  uns  aus  Zürich  drahtlich  übermittelte  In- 
formation: Das  offizielle  russische  Postbüro  meldet,  die  Anhänger  der  russischen 
Freiheitsanleihe  in  Odessa  gebrauchen  Zwangsmittel  und  stoßen  Drohungen  aus, 
um  die  Bank-,  Handels-  und  Industriewelt  zur  Zeichnung  zu  veranlassen.  Es 
verlautet  vom  Bevorstehen  einer  Zwangsöffnung  der  Safes  zwecks  Entnahme  von 
Gold  und  seiner  Ersetzung  durch  Anleihen. 

Die  Ausgabe  einer  neuen  russischen  Prämienanleihe 
dürfte  nach  einer  Stockholmer  Meldung  der  „Voss.  Ztg."  noch  im 
Laufe  des  bevorstehenden  September  erfolgen. 

Es  handelt  sich,  heißt  es  da,  um  einen  Betrag  von  2  Milliarden,  von  denen 
die  Hälfte  gegen  Barzahlung  bzw.  gegen  Verrechnung  für  russische  Kron- 
besteUungen  nach  den  Vereinigten  Staaten  und  Japan  gehen  soll,  während  die 
andere  Hälfte  in  Kußland  selbst  aufgelegt  werden  wird.  Professor  ßernatzki  (der 
inzwischen  dem  neuen  Einanzminister  als  fachmännischer  Adlatus  beigegeben  ist) 
arbeitet  die  Modalitäten  der  neuen  Prämienanleihe  aus  unter  Beihilfe  der  in 
Petersburg  weilenden  nordamerikanisehen  Finanzkommission ;  soweit  sich  über- 
sehen läßt,  dürfte  die  Anleihe  einen  öVo-proz.  oder  gar  6-proz.  Typus  aufweisen 
und  den  russischen  Zeichnern  zu  etwa  ÖO  Proz.  angeboten  werden. 

Ein  zweites  Projekt,  mit  dem  der  neue  Finanzminister  Nekrassow^  zu  de- 
bütieren gedenkt  (nachdem  er  als  Verkehrsminister  den  russischen  Eisenbahn- 
verkehr völlig  zugrunde  gerichtet  hat),  bedeutet,  genau  betrachtet,  nichts  anderes 
als  eine  regelrechte  Zahlungseinstellung  der  Pvussischen  Staatsbank  als  Zettelbank. 
Nach  diesem  Projekt,  das  demnächst  der  provisorischen  Eegierung  vorgelegt 
werden  soll,  werden  die  Titres  der  beiden  letzten  und  aller  folgenden  russischen 
Kriegsanleihen  als  Zahlungsmittel  mit  Zwangsumlauf  den  Pubeinoten  der  Staats- 
bank gleichgestellt.  Zu  diesem  Behufe  und  um  den  Umlauf  der  Kriegsanleihe- 
obligationen auch  im  Kleinverkehr  zu  ermöglichen,  wird  geplant,  die  bereits  aus- 
gegebenen Abschnitte  zu  100  Rubel  gegen  4  zu  je  25  ßubel  umzutauschen, 
während  etwaige  neue  Kriegsanleihen  auch  in  Abschnitten  zu  10  Rubel  —  even- 
tuell gar  zu  5  Rubel  —  ausgegeben  werden  sollen.  Wie  die  recht  verwickelt 
werdende  Verzinsung  dieser  originellen  neuen  Zahlungsmittel  herausgerechnet 
werden  und  vor  sich  gehen  soll,  ist  allerdings  unerfindlich. 

In  Rußlands  Staatshaushaltsplan  schätzten  amtliche  An- 
gaben die  Fiskaleinnahmen  für  1917  auf  5800,  die  Ausgaben  auf  4407 
Mill.  Rbl.  Die  Kriegskosten  werden  auf  22  Milliarden  Rbl.  ver- 
anschlagt, wovon  13  Milliarden  ungedeckt  sind.  Der  Betrag  der  Staats- 
schuld, der  IOV2  Milliarden  Ende  1915,  331/2  Milliarden  Ende  1916 
betrug,  wird  für  Ende  1917  auf  60  Milliarden  Rbl.  gestiegen  sein,  der 
Zinsendienst  alsdann  31/2  Milliarden  Rbl.  erfordern.  Das  normale 
Budget  für  1918  wird  auf  8900  Mill.  Rbl.  geschätzt.  Laut  ,.Abo 
Underrättelser"  meldet  „Rußkoje  Wolja"  Mitte  August,  in  der  letzten 
Sitzung  der  ökonomischen  Konferenz  hätten  die  Vertreter  des  Finanz- 
ministeriums und  der  Kreditkanzlei  der  Reichsbank  über  die  jetzige 
Lage  der  russischen  Finanzen  berichtet.  Sie  hätten  mitgeteilt,  daß 
bisher  6  Milliarden  Rbl.  ausländischer  Anleihen  aufgenommen  worden 
seien.  Japan  habe  zwei  Anleihen  von  135  Mill.  Yen  bewilligt,  aber 
sich  bereits  im  März  1917  geweigert,  mehr  Geld  zu  geben.  Die  Bilanz 
des  Staatsschatzes  habe  am  5.  August  1917  die  Höhe  von  18  680 
Mill.  Rbl.  erreicht,  während  sie  bei  Kriegsausbruch  nur  2977  Mill.  be- 
Jahrb.  f.  Nationalok.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XXXVIII 


-    57«    - 

tragen    habe.     50—60    Mill.    Papiergeld   kämen   jetzt    täglich    neu    ia 
Verkehr. 

lieber  russische  Steuerpläne  verlautet,  daß  der  russische  Finanzminister 
einem  Pressevertreter  erklärte,  für  das  Budgetgleichgewicht  seien  die  direkten 
Steuern  selbst  bei  äußerster  Anspannung  unzureichend,  daher  müßten  die  in- 
direkten vermehrt  und  solche  Monopole^  eingeführt  werden,  die  keine  großen  Or- 
ganisationskosten beanspruchen.  Das  Finanzministerium  beschloß  die  Einführung 
einer  Nachlaß-  und  Erbschaftssteuer.  Nach  der  August-Nummer  des  „Mercure" 
hat  die  Regierung  die  Bahntarife  für  Eeisende  um  50  Proz.,  für  Güter  um 
200  Proz.  erhöht.  Die  Kriegsgewinnsteuer  wurde  von  dem  durch  das  Finanz- 
ministerium berufenen  Sachverständigenkomitee  auf  90  Proz.  festgesetzt  und  die 
Steuer  auf  Erbschaften  über  10  Mill.  Kbl  (?)  von  40  Proz.  auf  50  Proz.  herauf- 
gesetzt. Ferner  soll  die  provisorische  Regierung  ein  Teemonopol  beschlossen 
haben.  Eine  Kommission  von  Sachverständigen  wurde  nach  China,  dem  Haupt- 
lieferanten Kußlands  für  Tee,  gesandt,  um  die  Bedingungen  des  Monopols  zu 
studieren. 

Ueber  Kriegsanleihe  und  Finanzlage  in  den  Ver- 
einigten Staaten  wird  gemeldet:  Die  amerikanische  Regierung 
gibt  71/2  Milliarden  $  4i|2-proz.  steuerpflichtige  Obligationen  aus,  die 
zum  Zwecke  künftiger  Vorschüsse  an  die  Alliierten  und  zur  Einlösung 
laufender  SYg-p^'oz.  Obligationen  dienen  sollen,  und  zwar  im  Betrage 
von  4  Milliarden  für  jene  neuen  Vorschüsse. 

Danach  hat  man  sich  jetzt,  entgegen  Wilsons  ursprünglichem 
Wunsch,  zu  einer  entschiedenen  Abkehr  von  dem  S^I^-\)voz.  Kriegs- 
anleihetj'pus,  den  man  iür  die  erste  Emission  (Liberty  Loan)  gewählt 
hatte,  entschlossen.  Der  Präsident  hatte  in  der  Wahl  eines  A^j^-i^roz. 
Zinssatzes  eine  Herabwürdigung  des  amerikanischen  Kredits  erblicken 
wollen.  Nunmehr  muß  er  ihn  nicht  nur  gutheißen,  sondern  sich  sogar 
noch  zur  Herauf kouvertierung  der  S^l^-^voz.  Obligationen  verstehen. 

Da  die  für  die  Verbündeten  vorgesehenen  Mittel  erschöpft  sind,  wird 
der  Kongreß  binnen  kurzem  die  Genehmigung  einer  neuen  Anleihe  für 
die  Alliierten  im  Betrage  von  3 — 5  Milliarden  %  verlangen. 

Ein  Zirkular  der  National  Cit^^-Bank  bezeichnet  die  Ausgaben  der 
Vereinigten  Staaten  von  Amerika  für  das  Ende  Juni  abgelaufene  Fiskal- 
jahr mit  10735  Mill.  $;  sie  haben  sich  somit  gegen  die  Ausgaben  vor 
Eintreten  Amerikas  in  den  Krieg  mehr  als  verdoppelt.  Die  Vorschüsse 
an  die  Verbündeten  sind  in  jener  Summe  nicht  inbegriffen.' 

Der  Finanzausschuß  des  Senats  hat  vorgeschlagen,  statt  1867  Mill.  $,  wie 
der  vom  Repräsentantenhause  verabschiedete  Entwurf  vorsah,  2050  Mill.  S  durch 
Kriegssteuern  zu  erheben.  Die  Einkommensteuer  soll  davon  allein  1000  Mill.  $  er- 
geben. Das  Einkommen  Unverheirateter  soll  von  1000  $,  das  Verheirateter  von 
2000  .S  an  besteuert  werden.  Von  der  Kriegsgewinnsteuer  erwartet  man  562  Mill.  $>. 
Branntwein  und  Wein  sollen  205  Mül.  %  Zigarren  10,  Kaffee  20,  Tee,  Kakao, 
Zucker  85,  Fracht-  und  Reisesteuer  145  Mill.  $  bringen.  Der  Antrag  des  Re- 
präsentantenhauses auf  Einführung  einer  allgemeinen  Einfuhrsteuer  von  10  Proz. 
und  einer  Steuer  auf  Gas  sowie  Elektrizität  wurde  vom  Senat  abgelehnt. 

In  „Svenska  Dagbladet"  bebandelt  Professor  Gustaf  Cassel  „Die  Kriegs - 
finanzierung  der  Vereinigten  Staaten".  Der  schwedische  Gelehrte 
stellt  zunächst  fest,  daß  nach  den  Schätzungen  des  amerikanischen  Finanz- 
ministers die  Kriegskosten  des  ersten  Jahres,  uämUch  die  eigenen  Aus- 
gaben der  Vereinigten  Staaten  und  ihre  Vorschüsse  an  die  Verbündeten 
eine  Summe  von  lÖ  Milliarden  %  ausmachen.  „Diese  Summe  müssen  die  Ver- 
einigten Staaten   aus   ihrem    laufenden  Volkseinkommen  aufbringen.      Weil   sie 


~    579    — 

jedoch  nicht  anderswo  leihen  können,  wie  England  —  denn  es  gibt  keine 
Leiher  und  keine  Käufer  mehr  —  müssen  sie  aus  ihrem  jährlichen  Einkommen 
die  10  Milliarden  heraussparea,  die  erforderlich  sind.  Da  das  gesamte  Volksein- 
kommen 40  Milliarden  betragen  dürfte,  so  müßte  die  Bevölkerung  also  hiervon 
ein  Viertel  sparen,  um  die  Mittel  für  den  Krieg  zu  beschaffen.  Augenblicklich 
betragen  die  Ersparnisse  kaum  die  Hälfte  der  10  Milliarden,  und  sie  Averden  natür- 
lich zu  normalen  Zeiten  ganz  von  den  verschiedenen  Kapitalbedürfnissen  eines 
vorwärtsschreitenden  Landes  absorbiert.  Verwendet  man  sie  jetzt  zu  Kriegs- 
finanzierung, so  muß  alle  andere  Entwicklung  abgebrochen  werden.  Trotzdem 
wird  man  unmöglich  5  Milliarden  zusammenbringen,  während  man  doch  10  Mil- 
liarden jährlich  braucht.  Man  muß  also  zu  einer  starken  Einschränkung  des 
täglichen  Verbrauches  schreiten.  Es  hilft  nichts,  wenn  nur  die  Eeichen  ihren 
Luxus  opfern;  damit  kommt  man  nicht  weit.  Es  ist  nötig,  daß  Arbeit  und 
Material,  die  der  Kriegführung  dienen  können,  der  Konsumtion  entzogen  werden, 
und  das  erreicht  man^^auf  keinem  anderen  Wege,  als  daß  die  ganze  Bevölkerung 
ihren  Lebensbedarf  um  ein  Viertel  oder  ein  Drittel  herabsetzt.  Eine  solche  Herab- 
setzung aber  kann  nur  auf  dem  Wege  des  Zwanges  erreicht  werden.  Man  muß 
zunächst  zur  Besteuerung  greifen,  und  hierdurch  hofft  man  ja  auch  1800  Mill. 
zusammenzubringen.  Das  Hauptmittel  aber  bleiben  die  inneren  Anleihen.  Das 
Leihbedürfnis  des  amerikanischen  Staates  ist  augenblicklich  auf  ungefähr  800 
Mill.  %  im  Monat  einzuschätzen.  Dieser  Betrag  kann  verhältnismäßig  leicht  an- 
geschafft werden,  aber  die  Leichtigkeit  ist  mehr  scheinbar.  Denn  die  dauernden 
Anleihen  des  Staates  für  den  Krieg  müssen  eine  ständige  Vermehrung  der 
Zahlungsmittel,  also  eine  Inflation  der  Valuta  zur  Folge  haben.  Diese  Inflation 
verursacht  wiederum  eine  ununterbrochene  Steigerung  des  allgemeinen  Preis- 
niveaus, und  die  Preissteigerung  erzwingt  schließlich  die  notwendige  Einschränkung 
der  Konsumtion." 

lieber  inexikanischeAnleihepläne  berichtet  die  „Voss.  Ztg."  : 

Präsident  Caranza  hat  vom  Kongreß  die  Ermächtigung  für  die  Ausgabe  von 
Anleihen  in  Höhe  von  300  Mill.  mexikan.  Pesos,  d.  s.  ungefähr  150  Mill.  §,  für 
folgende  Zwecke  erhalten :  150  Mill.  Pesos  zum  Ausgleich  von  Zinsen  und  anderen 
Schulden  der  Eegierung,  100  Mill.  Pesos  als  Goldreserve  für  das  Papiergeld,  das 
von  der  Bank  mit  beschränkter  Ermächtigung  ausgegeben  wird,  und  50  Mill. 
Pesos  für  die  Wiederherstellung  der  nationalen  Eisenbahnen,  den  Wiederaufbau 
von  Geleisen,  Brücken  und  Stationen,  den  Erwerb  von  Lokomotiven  und  Waggons 

Zur  Finanzlage  Brasiliens  entnimmt  die  „Frankf.  Ztg."  einer 
Darstellung    des    Deutsch-Brasilianischen   Handelsverbandes    folgendes: 

„Wie  aus  London  und  Paris  gemeldet  wird,  unterliegt  es  keinem  Zweifel 
mehr,  daß  die  brasilianische  Eegierung  am  1.  August  d.  J.  die  Barzahlung  der 
Zinsen  auf  die  äußeren  Anleihen  wieder  aufnehmen  wird.  Im  Zusammennang 
mit  dieser  Meldung  dürfte  nicht  ohne  Interesse  sein,  was  die  Botschaft  des  Prä- 
sidenten vom  3.  Mai,  die  schon  in  unserem  Eundschreiben  vom  30.  Mai  kurz  be- 
sprochen wurde,  über  die  Finanzlage  der  Eepublik  sagt.  Es  heißt  dort:  Die 
Goldwechsel  des  Schatzamtes,  Sabinas  genannt,  beliefen  sich  auf  5027916  £. 
Es  ist  dem  Lande  gelungen,  diese  Schuld  durch  Eückkauf  auf  1456379  £  herab- 
zumindern. Was  die  Schatzwechsel  in  Papierwährung  anbelangt,  so  wird  mit 
deren  Einziehung  fortgefahren;  am  1.  April  befanden  sich  noch  41 086 600  Milreis 
im  Umlauf.  Die  Liquidation  dieser  beiden  Arten  von  Titeln  ist  gesichert,  für  die 
Goldwechsel  durch  die  vorhandenen  Mittel  und  für  die  Papierwechsel  durch  die 
fortschreitende  Zunahme  der  Staatsfonds.  Trotz  dieser  Zahlungen  haben  sich  die 
in  London  angesammelten  Beträge  nicht  wesentlich  vermindert;  sie  beliefen  sich 
am  28.  April  noch  auf  1685945  £.  Sämtliche  Zahlungen  des  Staatsschatzes 
sind  rechtzeitig  geleistet  worden ;  rückständig  sind  nur  solche,  die  der  Genehmigung 
der  Volksvertretung  bedürfen  oder  von  den  Gläubigern  selbst  nicht  verlangt 
worden  sind.  Die  Schulden  der  früheren  Eechnungsjahre  sind  beglichen,  außerdem 
konnte  der  Staatsschatz  noch  Mittel  von  mehr  als  3  Mill.  £  in  den  verschiedenen 
Ländern  ansammeln,  so  daß  die  Eegierung  über  etwa  5  Mill.  £  in  Gold  verfügt. 
Die    äußere  Schuld  betrug  am  31.  Dezember  1916  insgesamt  112332968  £,  sie 

XXXVIII* 


-    sSo    — 

hat  1916  um  3765650  £  zugenommen  durch  Emission  der  Funding  Bonds  vo» 
1914.  Durch  weitere  Emission  solcher  Bonds  ist  die  äußere  Schuld  bis  zum 
31  März  1917  auf  112901095  £  gestiegen.  Die  konsolidierte  innere  Schuld  wuchs 
von  781904300  Milreis  Papier  Ende  1915  auf  864436400  Milreis  Ende  1916  und- 
881993700  Milreis  am  31.  März  1917.«, 

Nach  einer  Meldung  der  „Frankf.  Ztg."  kommt  jetzt  die  dritte 
niederländisch-indische  Anleihe  im  Betrage  von  50  Mill.  fl 
in  5-proz.  Obligationen  zu  99^/^  Proz.  zur  Zeichnung.  Die  Ausgabe- 
bedingungen  für  die  niederländisch-indischen  Anleihen  haben  sich  ebenso 
wie  diejenigen  des  Mutterlandes  im  Laufe  des  Krieges  etwas  verbessern^ 
können,  eine  Folge  des  Geldreichtums,  der  sich  in  Holland  wie  in  seinen 
Kolonien  durch  die  ausgedehnte  Vermittlerrolle  im  Kriege  und  durch  die- 
weitgehende  gewinnbringende  Absatzmöglichkeit  für  die  Produkte  an. 
die  kriegführenden  Staaten  ergab. 

Japan  wird  demnächst  eine  5-proz.  Anleihe  von  100  Mill.  Yen 
herausbringen.  Drei  "Viertel  dieser  Summe  sind  zur  Erneuerung  einer 
ablaufenden  russischen  Anleihe  bestimmt,  ein  Viertel  zur  Stabilisierung 
des  Wechselkurses. 

Nach  einer  Meldung  der  „Times"  aus  Peking  hat  sich  eine  japa- 
nische Finanzgruppe  mit  Zustimmung  des  Konsortiums  der  Viermächte 
bereit  erklärt,  China  eine  Anleihe  von  10  Mill.  Yen  für  allgemeine 
E-egierungszwecke  zu  gewähren.  Der  japanische  Vorschuß  an  China  er- 
folgt gegen  einjährige  Schatzwechsel  zu  7  Proz.  Zinsen  und  10  Proz, 
Provision,  rückzahlbar  aus  dem  Erlös  einer  späteren  Anleihe  der  Vier- 
verbandsmächte. {^ 

A.  Eaffalovich  gibt  im  „Economiste  franyais"  auf  Grund  einer  Studie  des- 
ehemaligen Generalkonsuls  der  Vereinigten  Staaten,  Charles  Denby,  die  chine- 
sische Staatsschuld  auf  161755767  £  an.  Hiervon  befindet  sich  nur  ein 
ganz  geringer  Teil  in  den  Händen  der  Chinesen.  Auch  alle  Eisenbahnunter- 
nehmungen, Bergwerke,  Straßenbahnen,  Wasserleitungen  und  Elektrizitätswerke 
sind  ohne  erhebliche  Beteiligung  der  einheimischen  Bevölkerung  von  den  Aus- 
ländern geschaffen  worden.  Außer  der  Staatsschuld  besteht  noch  eine  Eisenbahn- 
schuld, die  im  Jahre  1914  sich  auf  52157000  £  belief  und  in  den  Jahren  1908 
bis  1913  aufgenommen  worden  ist.  Bei  einigen  Bahnen  ist  außer  der  Hypothek 
auf  die  Bahnlinien  noch  eine  Zinsgarantie  der  Eegierung  gewährt,  die  zum  Teil 
noch  durch  Verpfändung  verstärkt  worden  ist.  In  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres 
1914  erzielten  die  14  Hauptlinien  einen  Reingewinn  von  500000  £.  Die  Eisen- 
bahnen unterstehen  ausländischer  Aufsicht.  Außer  der  Staats-  und  Eisenbahn- 
schuld sind  noch  kurzfristige  Anleihen  ohne  besondere  Garantie  aufgenommen,, 
deren  Betrag  sich  im  Jahre  1913  auf  76  365  298  mexikanische  Pesos  belief ;  hiervon- 
waren  28890153  Pesos  an  Ausländer  geschuldet,  üeber  die  Gesamtsumme  der 
chinesischen  Staatseinnahmen  fehlt  es  an  genauen  Unterlagen.  Eine  der  wichtigste» 
Einnahmen  ist  die  Salzsteuer,  die  im  Jahre  1914  eine  Reineinnahme  von  29  Mill.  $ 
erbrachte  und  im  Jahre  1912  einem  internationalen  Anleihekonsortium  verpfändet 
worden  ist. 

Australiens  Finanzen  zeigen  für  das  vergangene  Jahr  fol- 
gendes Bild:  Die  Einnahmen  haben  107880000  £  betragen;  hiervon 
entfielen  auf  Kriegsanleihe  70844000  £.  Die  Ausgaben  beliefen  sich 
auf  88032000  £  einschließlich  der  Kriegskosten,  die  61506000  £  be- 
trugen. 


-    58i 


Volkswirtschaftliche  Chronik. 

September  1917. 
I.   Produktion  im  allgemeinen. 

Inhalt:   Beschäftigungsgrad  im  September. 

Das  „Reichs- Arbeitsblatt"  schreibt  in  seiner  Uebersicht  über  den 
Monat  September:  „Der  Gang  der  Beschäftigung  im  Septem- 
ber, dem  38.  Kriegsmonat,  zeigt,  daß  dem  deutschen  Wirtschaftsleben 
eine  unverminderte,  nicht  zu  brechende  Widerstandskraft  innewohnt, 
mit  der  es  aller  Schwierigkeiten,  die  sich  ihm  entgegenstellen,  Herr  zu 
werden  weiß.  Dem  September  des  Vorjahres  gegenüber  ist  verschiedent- 
lich auch  im  Berichtsmonat  wieder  eine  Steigerung  der  Tätigkeit  hervor- 
getreten. 

Im  Bergbau  und  Hüttenbetrieb  ist  die  Nachfrage  nach  wie  vor 
außerordentlich  lebhaft  und  die  Beschäftigung  unvermindert  rege.  Die 
Metall-  und  Masöhinenindustrie  arbeitete  auch  im  September  mit  leb- 
haftester Anspannung  und  kann  dem  Vorjahr  gegenüber  vielfach  eine 
Steigerung  der  Leistungen  melden.  Aehnliches  gilt  für  die  elektrische 
Industrie.  In  den  chemischen  Betrieben  hielt  sich  die  Beschäftigung 
im  allgemeinen  auf  der  gleichen  Höhe  wie  im  Vormonat  und  im  Vor- 
jahr um  die  gleiche  Zeit,  einzelne  Betriebszweige  haben  aber  auch  dem 
September  1916  gegenüber  eine  Steigerung  des  Geschäftsganges  er- 
fahren. Im  Holzgewerbe  macht  sich  eine  wesentliche  Verschiebung  der 
Beschäftigungsverhältnisse  nicht  geltend.  Die  Lage  des  Bekleidungs- 
gewerbes war  im  September  im  ganzen  ebenso  befriedigend  wie  im 
Vormonat,  zum  Teil  trat  in  diesem  Gewerbe  eine  Verbesserung  gegeo 
den  Vormonat  hervor.  Für  den  Baumarkt  sind  keine  wesentlichen  Ab- 
weichungen von  der  bisherigen  Lage  zu  vermerken. 

Die  Nach  Weisungen  der  Krankenkassen  ergeben  für  die  am 
1.  Oktober  d.  J.  in  Beschäftigung  stehenden  Mitglieder  dem  1.  Sep- 
tember gegenüber  insgesamt  eine  Zunahme  um  17  838  oder  um  0,19 
v.  H.  gegenüber  einer  etwas  größeren  Zunahme  der  Beschäftigtenzahl 
(um  0,44  V.  H.)  bei  der  vorhergehenden  Feststellung  am  1.  September. 
Wenn  auch  die  Gesamtzunahme  dem  Vormonat  gegenüber  eine  geringe 
Abschwächung  erkennen  läßt,  so  ist  im  Vergleich  zum  Vorjahr  die  Ent- 
wicklung eine  günstigere,  denn  im  vorigen  Jahre  war  keine  Zunahme, 
sondern  eine  Abnahme  der  Beschäftigten  um  insgesamt  0,48  v.  H. 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Volkswirtsch.  Chronik.  1017.  XXXIX 


—    582    — 

hervorgetreten;  gegenüber  dem  1.  Januar  ißt  1917  insgesamt  eine  Zu- 
nähme  von  5,1  v.  H.  gegen  3,3  v.  H.  im  Vorjahr  vorhanden.  Im 
einzelnen  zeigt  sich  die  weibliche  Beschäftigung  am  1.  Oktober  d.  J. 
um  18439  oder  um  0,39  v.  H.  höher  als  am  1.  September,  während 
die  männliche  Beschäftigtenzahl  um  601  oder  um  0,01  v.  H.,  d.  h.  also 
in  ganz  verschwindendem  Maße,  abgenommen  hat.  Bei  der  Beurteilung 
der  Bewegung  der  männlichen  Beschäftigtenzahl  muß  wieder  berück- 
sichtigt werden,  daß  die  Kriegsgefangenenarbeit  in  den  Ergebnissen  der 
Krankenkassenstatistik  nicht  enthalten  ist." 

Die  Zusammenstellung  der  Betriebskrankenkassenmit- 
glieder, die  einen  Vergleich  mit  dem  Vormonat  bietet,  läßt  erkennen, 
daß  die  männliche  Beschäftigung  im  Bekleidungsgewerbe,  in  der  elek- 
trischen Industrie,  in  der  Land-  und  Forstwirtschaft  wie  in  der  Holz- 
industrie abgenommen  hat,  daß  dagegen  die  chemische  Industrie,  das 
Baugewerbe,  die  Nahrungsmittelindustrie,  die  Metall-  und  Maschinen- 
industrie und  das  Spinnstoffgewerbe  eine  Zunahme  der  beschäftigten 
Männer  zu  verzeichnen  hat.  Beim  weiblichen  Geschlecht  tritt  eine  Ver- 
minderung besonders  in  der  Landwirtschaft,  im  Bekleidungs-  und  Nah- 
rungsmittelgewerbe, ferner  im  Baugewerbe,  in  der  elektrischen  In- 
dustrie und  im  Holzgewerbe  auf,  so  daß  also,  abweichend  von  der  Ge- 
staltung beim  männlichen  Geschlecht,  Nahrungsmittelgewerbe  und  Bau- 
gewerbe eine  Verringerung  der  weiblichen  Beschäftigten  aufzuweisen 
haben.  Im  übrigen  erfuhren  aber  dieselben  Gewerbezweige,  die  eine 
Zunahme  an  männlichen  Beschäftigten  verzeichneten,  auch  eine  Steige- 
rung der  weiblichen  Beschäftigung. 

Wird  die  Zu-  und  Abnahme  der  Mitglieder  nach  Oberversiche- 
rungsämtern betrachtet,  so  findet  man  bei  Betrachtung  der  Grund- 
zahlen bei  den  männlichen  Mitgliedern  eine  größere  Zunahme  bei 
Aurich,  Düsseldorf,  Speyer,  Nürnberg,  Stuttgart  mit  Neckarkreis,  Straß- 
burg und  Metz. 

Eine  größere  Abnahme  der  männlichen  Mitglieder  findet  sich 
bei  Danzig,  Groß-Berlin,  Breslau,  Oppeln,  Merseburg  und  Dort- 
mund. 

An  weiblichen  Mitgliedern  weisen  größere  Zunahmen  auf:  Groß- 
Berlin,  Oppeln,  Magdeburg,  Dortmund,  Cassel,  Düsseldorf,  Cöln  a.  Rh., 
Nürnberg,  Chemnitz,  Dresden-N.,  Leipzig,  Zwickau,  Stuttgart  mit  Neckar- 
kreis, Mannheim,  Darmstadt  mit  Provinz  Eheinhessen,  Bremen,  Ham- 
burg und  Straßburg. 

Eine  größere  Abnahme  bei  den  weiblichen  Mitgliedern  zeigt  sich 
bei  Königsberg,  Alienstein,  Breslau,  Liegnitz,  Aachen,  München,  Gotha, 
Braunschweig,  Meiningen  und  Detmold. 

Nachstehend  ist  die  Bewegung  der  Beschäftigten  in  den  einzelnen 
Gewerbegruppen,  soweit  sie  in  der  Berichterstattung  der  Betriebskran- 
kenkassen zum  Ausdruck  kommt,  vom  1.  September  bis  1.  Oktober 
dargestellt.  Die  Zahl  der  versicherungspflichtigen  Mitglieder  betrug 
am  1.  Oktober  1917: 


-     583    - 


Zahl  der 
berichten- 
den Kassen 

Pflichtmi 

itglieder 

Zu 

-  oder  Abnahme 

Gewerbe 

abzüglich  der  arbeits- 
unfähigen Kranken 

gegen  den  Vormonat 
in  Prozent 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

T.and-    und    Forstwirtschaft, 

Gärtnerei 

76 

10824 

7673 

— 

0,70 

-6,43 

Metall-,  Maschinenindustrie 

850 

707  280 

241  184 

+ 

0,54 

+    1,16 

j„„^^  ;«  /Schlesien 
davon  in  {Rheinl-Westf. 

58 

46621 

18  133 

0,77 

+    1,49 

302 

297  742 

100553 

+ 

1,10 

+    1,13 

Elektrische  Industrie 

25 

10595 

12855 

1,52 

—  0,7  6 

Chemische  Industrie 

124 

79551 

40481 

+ 

3,23 

+    1,19 

Spinnstof  fge  w  erbe 

875 

59  994 

142  239 

+ 

0,22 

+    0,40 

[Schlesien 

71 

7580 

18505 

+ 

1,38 

+   0,39 

davon  in  jRheinl.-Westf. 

226 

13554 

23522 

+ 

0,68 

—    1,17 

davon  in  ^^^^    Sachsen 

247 

14107 

39208 

+ 

0,71 

+    1,30 

Els.-Lot  bringen 

40 

2115 

6006 

+ 

3,95 

—  2,61 

Holz-   und  Schnitzwaren 

96 

10018 

4738 

— 

0,42 

-   0,7  3 

Nahrungs-  und  Genußmittel 

321 

29081 

45078 

+ 

0,94 

—   1,81 

Bekleidung 

81 

5  373 

11  282 

— 

2,36 

—  2,70 

Baugewerbe 

196 

50731 

7372 

+ 

1,80 

—    1,09 

Von  den  berichtenden  Unternehmungen  gaben  285  den 
Stand  ihrer  Arbeiterschaft  im  Berichtsmonat  an.  Diese  beschäftigten 
461  601  Arbeiter. 

Neben  der  Beschäftigtenzahl  im  Berichtsmonat  gaben  270  Unter- 
nehmungen auch  die  Zahl  der  im  Vormonat  beschäftigten  Arbeiter  an. 
Hier  waren  am  letzten  Tage  des  Berichtsmonats  insgesamt  436  597 
gegen  417  627  Arbeiter  am  8chliisse  des  Vormonats  tätig.  Es  ist  also 
im  Berichtsmonat  dem  Vormonat  gegenüber  eine  Zunahme  der  Be- 
schäftigten um  18  970  oder  4,54  v.  H.  eingetreten.  Die  Steigerung 
gegen  den  Vormonat  geht  in  der  Hauptsache  auf  eine  Mehrbeschäf- 
tiguDg  von  Männern  zurück. 

An  der  beträchtlichen  Erhöhung  der  Beschäftigten  zahl  sind  in  erster 
Linie  Eisen-  und  Metallindustrie  und  chemische  Industrie  beteiligt. 
Die  Zunahme  im  Maschinenbau  ist  nach  der  jüngsten  Feststellung  ver- 
hältnismäßig geringfügig.  Auch  bei  der  elektrischen  Industrie  macht 
sich  dieses  Mal  nur  eine  geringe  Zunahme  bemerkbar.  Im  Bergbau 
und  Hüttenbetrieb  ist  sogar  eine  unbedeutende  Abnahme  eingetreten. 
Der  in  einigen  anderen  Gewerbezweigen  festzustellende  Rückgang  ist 
zahlenmäßig  kaum  nennenswert. 

283  der  berichtenden  Unternehmungen  teilten  neben  der  Beschäf- 
tigtenzahl im  Berichtsmonat  auch  den  Stand  der  Arbeiterschaft  im 
gleichen  Monat  des  Vorjahrs  mit.  In  diesen  288  Unternehmungen  waren 
im  Berichtsmonat  461378  Arbeiter  gegenüber  370  806  im  September 
1916  tätig.  Es  ist  also  gegenüber  dem  Vorjahr  eine  Zunahme  der 
Arbeiterzahl  um  90  572  oder  um  24,43  v.  H.  eingetreten.  Diese  starke 
Zunahme  geht  auf  das  männliche  Geschlecht  in  fast  doppelt  so  hohem 
Maße  wie  auf  das  weibliche  zurück. 

Eine  Verminderung  der  Beschäftigtenzahl  ist  im  Nahrungsmittel-, 
Buchdruck-  und  Bekleidungsgewerbe  eingetreten.  Die  stärkste  Zu- 
nahme macht  sich  in  der  Eisen-  und  Metallindustrie,  im  Maschinenbau 

XXXIX* 


-  584 


und  in  der  chemischen  Industrie  bemerkbar.  Auch  die  elektrische  In- 
dustrie sowie  Bergbau  und  Htlttenbetrieb  weisen  eine  nicht  unbeträcht- 
liche Vergrößerung  der  Arbeiterzahl  dem  Vorjahr  gegenüber  auf.  Die 
zuletzt  genannten  5  Gewerbegruppen  zeichnen  sich  durch  eine  mehr 
oder  minder  starke  Zunahme  nicht  nur  der  weiblichen,  sondern  auch 
der  männlichen  Arbeitskräfte  aus.  Die  männlichen  Arbeiter  haben  am 
meisten  in  der  Metallindustrie  und  in  der  chemischen  Industrie  zuge- 
nommen, die  weiblichen  in  der  Metallverarbeitung  und  in  der  elekti-ischen 
Industrie. 

Nachstehend   geben  wir  die  Veränderungen   in    den  einzelnen  Ge- 
werben tabellarisch  wieder: 


0) 

Beschäftigte  am 

Zu-  oder  Abnahme 

Gewerbegruppen 

letzten  Tage  des 

gegenüber  dem  Vormonat 

1 

September 

insgesamt 

männl.  j  weibl. 

insgesamt 

männl. 

Anzahl 

V.  H. 

Anzahl 

Bergbau  und  Hüttenbetrieb 

23 

54946 

47661 

—      113 

-  0,21 

-      189 

+     76 

Eisen-  und  Metallindustrie 

44 

153965 

114  654 

+  11447 

+    8,03 

+   7556 

4-3891 

Industrie  der  Maschinen 

74 

121  657 

IOC  034 

+   1249 

+    1,62 

+   1087 

+  855 

Elektrische  Industrie 

IS 

35576 

18748 

+        714  +    2,06 

+      138 

+  576 

Chemische  Industrie 

29 

46944 

38098 

+    51931  +  12,44 

+   5142 

+     51 

Spinnstoffgewerbe 

13 

7250 

2091 

+        I05|-f    1,47 

+        14 

+    91 

Holzindustrie 

7 

629 

383 

—         61—  0,94 

—          2 

—      4 

Nahrungs-  und  Genußmittel 

II 

5  171 

1483 

—        212 

—   3,94 

—        30 

-  182 

Bekleid  ungsge  werbe 

IG 

1389 

587 

+           23 

+    1,68 

+          6 

+     17 

Glas  und  Porzellan 

s 

1845 

926 

—          29 

—    1,55 

—         3 

—    26 

Papierindustrie,  Buchdruck 

27 

5484 

3500 

—       33 

—  0,60 

—       40 

+       7 

Sonstige  Gewerbe  (einschließlich 

Baustoffe  und  Schiffahrt) 

12 

1741 

1129 

—       61 

—   3,39 

-       46 

—     15 

Summe 

270 

436  597 

329  294 

+  18970 

+  4,5* 

+  13633 

+5337 

Nach  der  Feststellung  von  33  Fach  verbänden,  die  für  1  029  179 
Mitglieder  über  Arbeitslosigkeit  berichteten,  betrug  die  Arbeits- 
losenzahl Ende  September  7875.  Es  sind  das  0,8  v.  H.  Da  auch  Ende 
Juli  und  Ende  August  1917  die  Arbeitslosenziffer  0,8  v.  H.  betrug,  so 
zeigt  sich  den  beiden  Vormonaten  gegenüber  keinerlei  Veränderung  in 
der  Gestaltung  der  Arbeitslosigkeit.  Im  Vergleich  zum  September  der 
drei  vorhergehenden  Jahre  ist  aber  eine  wesentliche  Verminderung  der 
Arbeitslosigkeit  festzustellen,  denn  im  September  1916  stellte  sich  die 
Arbeitslosenziffer  auf  2,1,  im  September  1915  auf  2,6  v.  H.,  und  im 
September  1914  auf  15,7  v.  H.  Der  wirkliche  Umfang  der  Arbeits- 
losigkeit war  im  3.  Vierteljahr  1917  mit  0,6  v.  H.  gleich  niedrig  wie 
im  vorhergehenden  und  niedriger  als  in  allen  anderen  früheren  Viertel- 
jahren seit  Beginn  der  Beobachtungen  (1909). 

Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  läßt  im  Berichtsmonat 
für  das  männliche  wie  für  das  weibliche  Geschlecht  ein  allerdings  nur 
schwaches  Steigen  des  Andranges  der  Arbeitsuchenden  erkennen.  Im 
September  kamen  auf  100  offene  Stellen  bei  den  männlichen  Personen 
50  Arbeitsuchende  (gegenüber  49  im  Vormonat);  beim  weiblichen  Ge- 
schlecht stieg  die  Andrangsziffer  von  86  auf  87. 


585 


II.  Landwirtschaft  und  verwandte  Oewerbe. 

Inhalt:  Lage  der  landwirtschaftlichen  Produktion:  Schweiz:  Vermeh- 
rung des  Getreidebaues;  Höchstpreise  für  Holz.  Vereinigte  Staaten: 
Weizen  ertrage.  Kanada:  Weizenertrag.  Argentinien:  Weizenausfuhr. 
Schweden:  Getreidepreise.  England:  Ernte;  Butterpreise;  Landarbeit. 
Frankreich:  Getreide  Verteilung.  Italien:  Weizen  ernte.  Schweiz:  Lebens- 
mittel für  Aermere.  0 esterreich:  Weinpreise.  Ungarn:  Mais.  Schweiz: 
Butterversand ;  Brotherstellung  und  -Verteilung.  Dänemark:  Höchstpreise  für 
Mehl.  Schweden:  Kalkstickstoff.  Norwegen:  Brotpreis.  England:  Fracht- 
preise; Erweiterung  der  Anbauflächen;  Ernte.  Frankreich:  Schweinezucht: 
Lage  der  Landwirtschaft.  Italien:  Getreideeinfuhr.  Vereinigte  Staaten; 
Landwirtschaftliches  Kriegsprogramm;  Verwaltungsrat  für  die  Ausfuhr.  Ar- 
gentinien:  Ausfuhrverbot.  Australien:  Weizenernte.  Deutschland; 
Kartoffel  Verteilung;  Brennerei;  Preise;  Trocknerei  und  Stärkefabrikation;  Gerste 
für  Brennerei;  Verkehr  mit  Zucker;  Verfütterung  von  Zuckerrüben;  Honig  für 
Bierbereitung ;  Mastfutter.  Bayern:  Preise  für  Zucht-  und  Nutzvieh.  Hessen: 
Kälberschlachtungen.  Deutschland:  Schweinezählung;  Tomatenkerne;  Kar- 
toffelkraut und  Bübenblätter.  Schweiz:  Getreideeinfuhr  aus  den  Vereinigten 
Staaten;  Landarbeiter;  Weinausfuhr;  Hafer-  und  Gerstebewirtschaf  lung. 
Schweden:  Lage  der  Volksernährung.  Dänemark:  Grütze;  Butterausfuhr. 
England:  Lebensmittelversorgung;  Umbruch  von  Weideland;  Oelkuchenbeschaf- 
fung ;  Schließung  von  Fleischereien ;  Lebensmitteleinfuhr  aus  den  Vereinigten 
Staaten  und  Kanada.  Frankreich:  Getreideernte;  Höchstpreise  für  Bohnen; 
Getreidebeschaffung;  Zuckerverteiluug.  Italien:  BrotverteÜung,  Rußland: 
Ländliche  Verschuldung.  Australien:  Ankauf  der  Wollschur  für  England; 
Weizenausfuhr;  Gefrierfleisch;  Butter.     Weltmarkt. 

Ueber  die  Lage  d  er  land  wirtsch  aftlichen  Produkt  ion 
in  den  verschiedenen  Gebieten  seien  nachstehend  eine  Anzahl  einzelner 
Berichte  nach  den  Wochenberichten  des  Deutschen  Landwirtschafts- 
rats  mitgeteilt: 

Nachdem  England  bereits  im  letzten  Winter  unter  dem  Drucke  des  U-Boot- 
krieges  die  Vermehrung  des  Weizenbaues  —  wenn  auch  bisher  mit  negativem 
ErfoJge  —  in  die  Hand  genommen  und  sogar  Mindestpreise  für  Getreide  aus  der 
Frnte  der  nächsten  Jahre  festgesetzt  hat,  ist  nunmehr  auch  die  Schweiz  in 
ihrer  bedrängten  Lage  dazu  übergegangen,  eine  Vermehrung  des  Getreide- 
baues planmäßig  zu  unternehmen.  Es  gibt  kein  Land,  das  in  sinnvollerer  und 
großzügigerer  Weise  die  Produktion  zu  fördern  sucht  wie  die  Schweiz.  Zur  Ver- 
mehrung des  Getreidebaues  hat  der  Bund  kürzlich  die  Inlandsgetreidestelle  des 
eidgenössischen  Brotamtes  errichtet.  Die  Kantone  sind  verpflichtet,  die  ange- 
ordnete Vermehrung  der  Anbaufläche,  unter  Berücksichtigung  der  natürlichen 
und  wirtschaftlichen  Verhältnisse,  auf  die  einzelnen  Bezirke  und  Gemeinden  zu 
verteilen.  Ihre  Aufgabe  besteht  ferner  darin,  kulturfähiges  Land,  das  vom  Eigen- 
tümer oder  Pächter  nicht  bebaut  oder  schlecht  bewirtschaftet  wird,  zwangsweise 
für  Rechnung  des  Kantons  für  die  Erntejahre  1917/18  und  1918/19  und,  wenn 
notwendig,  für  die  folgenden  Jahre  in  Pacht  zu  nehmen  und  solches  Land  ent- 
weder auf  Rechnung  des  Kantons  zu  bebauen  oder  Gemeinden,  Genossenschaften, 
gemeinnützigen  Unternehmungen  oder  Privaten  zur  Vermehrung  des  Brotgetreide- 
anbaues zu  überweisen.  Dem  Beispiel  Englands  folgend,  ist  die  Schweiz  weiter 
dazu  übergegangen,  schon  jetzt  für  die  Jahre  1918  und  1919  den  inländischen 
Brotgetreidepreis  festzusetzen.  Der  Bund  zahlt  für  Getreide,  das  ihm  zum  Kauf 
angeboten  wird,  für  Weizen,  Roggen,  Einkorn  und  Emmer  der  Ernte  1918  für 
die  Tonne  500  frcs.  oder  405  M.  nach  dem  Friedenskurs.  Für  Getreide  aus  der 
Ernte  1916  beträgt  der  Preis  450  frcs.  =  364,50  M.  für  die  Tonne.  Steht  der  Ab- 
gabepreis des  Monopolgetreides,  dessen  Höhe  sich  in  erster  Linie  nach  dem  An- 
kaufe des  ausländischen  Getreides  bemißt,  höher  als  500  frcs.  für  die  Ernte  1918 


-    586    - 

und  höher  als  450  frcs.  für  die  Ernte  1919,  so  findet  die  Erwerbung  des  inlän- 
dischen Getreides  zu  den  höheren  Abgabepreisen  des  Monopolgetreides  statt. 

Im  Kanton  Bern  (Schweiz)  hat  der  Eegierungsrat  am  4.  September  1917 
für  Klafter  holz  gesunder  Qualität  folgende  Höchstpreise  festgesetzt;  Für 
Buchen-  und  anderes  Hartholz  per  Ster  Spalter  und  grobes  Eundholz  25—29  frcs. ; 
per  Ster  Kundholz  von  8—15  cm  Durchmesser  22-25  frcs.;  für  Tannenholz  und 
andere  gleichwertige  Holzarten  per  Ster  Spalter  und  grobes  Rundholz  21—23  frcis. ; 
per  Ster  Rundholz  von  8—12  cm  Durchmesser  18  frcs.;  per  Ster  Schwartenholz 
15—17  frcs.  Der  höchste  Preisansatz  darf  nur  für  gut  aufgeschichtetes  Holz 
erster  Qualität  berechnet  werden.  Die  Preise  verstehen  sich  nach  der  nächsten 
Eisenbahnstation  geführt  und  dort  verladen  oder  bei  annähernd  gleicher  Entfernung 
zum  Hause  des  Verbrauchers  geliefert. 

Nach  dem  Bericht  des  Ackerbaubüros  in  Washington  betrug  am  1.  Sep- 
tember der  Durchschnittsstand  von  Frühjahrsweizen  71,2  Proz,  gegen 
68,7  Proz.  im  Vormonat  und  48,6  Proz.  im  Vorjahr,  von  Mais  76,7  Proz.  (78,3  Proz. 
bzw.  71,3  Proz.),  von  Hafer  90,4  Proz.  (87,2  bzw.  78  Proz.),  von  Gerste  76,3  Proz. 
(77,9  bzw.  74,6  Proz.)  und  von  Leinsaat  50,2  Proz.  (60,6  bzw.  84,8  Proz.). 

Der  Ertrag  von  Winterweizen  wird  auf  418  Mill.  Busheis  (11,38  Mill.  t) 
geschätzt  gegen  ein  endgültiges  Ergebnis  von  482  Mill.  Busheis  (13,12  Mill.  t) 
im  letzten  Erntejahre,   von  Frühjahrsweizen  auf  250  Mill.  Busheis  (6,81   Mill.  t) 

fegen  158  Mill.  Busheis  (4,30  Mill.  t)  und  des  gesamten  Weizens  auf  668  Mill. 
Jushels  (18,18  Mill.  t)  gegen  640  Mill.  ßushels.  Das  Ergebnis  von  Mais  wird 
mit  3248  Mül.  Busheis  (82,50  Mill.  t)  angegeben  gegen  2583  Mill.  Busheis 
(65,61  Mill.  t)  im  Vorjahre,  von  Hafer  mit  1533  Mill.  t  Busheis  (27,81  Mill.  t) 
(1252  Mill.  Busheis),  von  Gerste  mit  204  Mill.  Busheis  (40  Mill.  Busheis)  und 
von  Leinsaat  mit  11  Mill.  Busheis  (15  Mill.  Busheis). 

Laut  einem  Telegramm  aus  Washington  in  den  „Times"  vom  20.  August  gibt 
das  Lebensmittelkontrollamt  bekannt,  daß  in  den  Vereinigten  Staaten 
und  Kanada  400  Mill.  Busheis  Weizen  an  dem  Betrage  fehlen,  deren  Lieferung 
aus  Nordamerika  für  die  Verbandsländer  und  die  Neutralen  nötig  ist.  Die  Ver- 
bandsgenossen benötigen  557  Mdl.  Busheis  gegenüber  einem  amerikanischen  Ueber- 
schuß  von  208  Mill.  Die  Vereinigten  Staaten  reservieren  ferner  für  diejenigen 
Neutralen,  die  wichtige  Bedarfsartikel  liefern,  einen  Weizen  vorrat,  der  das  gesamte 
Defizit  auf  400  Mill.  Busheis  bringt.  Das  Lebensmittelkontrollamt  empfi^t  den 
Amerikanern,  ein  Pfund  Weizenmehl  pro  Kopf  und  Woche  durch  ein  Pfund  andere 
Zerealien  zu  ersetzen  und  darüber  hinaus  den  Verbrauch  von  5  auf  4  Pfd.  her- 
abzusetzen. Der  nordamerikanische  üeberschuß  an  anderen  Zerealien,  hauptsäch- 
lich Futtermitteln,  beträgt  950  Mill.  Busheis,  dem  ein  Bedarf  der  Verbandsge- 
nossen von  674  Mill.  ßushels  gegenübersteht. 

Zu  gleicher  Zeit  berichtet  die  gleiche  Quelle :  Das  statistische  Amt  in  Ottawa 
(Kanada)  berichtet,  daß  die  vorläufige  Schätzung  des  Durchschnittser- 
trages eines  Acre  Winterweizen  auf  22  Busheis  gegen  217.J  Busheis  im 
Jahre  1916  lautet.  Der  Gesamtertrag  der  kanadischen  Winterweizen  ernte  wird 
auf  17  816  000  Busheis  geschätzt. 

In  Argentinien  ist  die  Ausfuhr  von  Weizen  und  Mehl  bis  zum 
1.  Dezember  verboten.  Alle  Personen  oder  Gesellschaften,  die  mehr  als  100  kg 
Weizen  oder  Mehl  besitzen,  müssen  ihre  Vorräte  bei  den  Behörden  anmelden. 

„Sydsvenska  Dagbladet"  (Malmö)  meldet  aus  Stockholm:  Die  von  der  All- 
gemeinen Schwedischen  Landwirtschaftsgesellschaft  bei  der  Regierung  bean- 
tragte Erhöhung  der  Getreidehöchstpreise  hat  die  Volkswirtschafts- 
kommission jetzt  dahin  beantwortet,  daß  ein  Grund  für  eine  solche  Maßnahme 
nicht  vorliegt. 

Aus  England  wird  gemeldet,  daß  schwere  Regenstürme  Ende  August  nach 
einer  längeren  Periode  nassen,  sonnenlosen  Wetters  einen  verderblichen  Einfluß 
auf  die  Ernte  gehabt  haben.  Zu  Anfang  September  war  erst  weniger  als  ein 
Drittel  der  Ernte  eingebracht.    Die  Kartoffeln  fangen  an  zu  faulen. 

Laut  „Daily  News"  vom  25.  August  setzte  das  Lebensmittelkontrollamt  in 
England  Höchstpreise  für  Butter  fest,  die  am  3.  September  in  Kraft 
treten,  und  zwar  sollen  sich  diese  auf  der  Basis  der  am  17.  August  von  der  Pro- 


-    587    - 

duktenbörse  veröffentlichten  Preisliste  bewegen,  nämlich  206  sh  frei  an  Bord  für 
irische  und  andere  Butter,  ausgenommen  dänische.  Auf  dieser  Grundlage  werden 
auch  die  Höchstpreise  im  BUeinhandel  festgesetzt  werden. 

Wie  sehr  die  Menschenkräfte  in  der  englischen  Landwirtschaf  t 
fehlen,  darüber  gibt  eine  Gegenüberstellung  der  in  der  englischen  Landwirtschaft 
beschäftigten  Erwerbstätigen  Auskunft:  Es  wurden  1851  in  England  und  Wales 
2  051 000  landwirtschaftlich  erwerbstätige  Personen,  1901  dagegen  nur  1 152  000 
gezählt.    Was  aber  die  bestellte  Fläche  anlangt,  so  hatte 


Großbritannien                   Irland 

1000  Acres 

1874            1911           1874           1911 

Getreide 

9431          7040          1901           1254 

Hackfrüchte 

3581          3040          1353          1013 

Flachs 

9                 0,5           107               67 

Futtergewächse 

(Klee  usw.) 

4340          4120            —               — 

Weide 

13  178        17446             —               — 

in 

Irland 

1874 

1911 

468 

543 

4  118 

4711 

4  437 

3907 

I  096 

1415 

Man  sieht  also:  bereits  von  1874  bis  1911  hat  das  Getreideland  um  über 
3  000  000  Acres  abgenommen,  und  die  Hackfruchtfläche  ist  gleichsf alls  nicht  ge- 
stiegen, sondern  um  880000  Acres  zurückgegangen.  Besser  steht  es  mit  der 
englischen  Viehzucht  bei  einer  Zunahme  der  Weidefläche  um  4,26  Mill.  Acres. 
Es  gab  in  Tausenden 

in  Großbritannien 
1874  1911 

Pferde  i  312  1480 

Rinder  6125  7  114 

Schafe  30313        26494 

Schweine  2  422  2  822 

Die  Zunahme  der  Kinder  umfaßt  1  Mill.  in  Großbritannien,  ist  also  durch  die  Ab- 
nahme der  Schafe  um  4  Mill.  nicht  ausgeglichen.  Die  Theorie,  daß  England  seit 
dem  Niedergange  der  Getreidepreise  intensivere  Viehzucht  betreibe,  trifft  aber 
nicht  zu.  Zu  beachten  ist  ferner,  daß  Englands  Landwirtschaft  auch  in  der  Zeit 
der  höchsten  Blüte,  in  den  70er  und  80er  Jahren,  nicht  die  ganze  Bevölkerung 
ernährt  hat;  es  mußten  vielmehr  2—27,  ^^^'  *  Weizen  eingeführt  werden.  Immer- 
hin hat  damals  der  englische  Weizenbau  den  Bedarf  der  Bevölkerung  zu  mindestens 
50  V.  H.  gedeckt;  in  den  letzten  Jahren  vor  dem  Kriege  nur  noch  zu  20  v.  H. 
Wenn  die  englische  Viehzucht  vor  dem  Kriege  60  v.  H.  des  Eigenbedarfs  deckte, 
eo  hat  sie  dabei  aber  noch  4—5  Mill.  t  an  eingeführtem  Futtergetreide,  Oelkuchen 
und  Oelfrüchten  mitverbraucht. 

In  Frankreich  schreibt  Boidet  in  der  „Humanit^":  „Wir  haben  schon 
auf  die  riesige  Tantieme  aufmerksam  gemacht,  die  der  von  Violette  mit  der  Ge- 
treideverteilung in  den  Departements  betraute  gesetzliche  Bevollmächtigte 
von  der  Staatskasse  bezieht.  Mit  den  4  Sous  für  den  Doppelzentner,  die  der 
Staat  ihm  zubilligt,  verdient  dieser  Bevollmächtigte,  wie  das  Syndikat  der  Müller 
des  Departements  Haute-Garonne  versichert,  für  eine  Arbeit,  die  vielleicht 
ein  Angestellter  besorgen  kann,  280000  frcs.  auf  die  in  diesem  Departement  zu 
verteilenden  1400000  dz.  Das  ist  denn  doch,  selbst  heutzutage,  wo  ja  die  Ver- 
schwendung an  der  Tagesordnung  ist,  etwas  stark.  Schon  murrt  man  darüber 
im  Lande ;  so  z.  B.  fordert  der  Generalrat  des  Cher-Departements  die  Errichtung 
einer  Behörde  an  Stelle  des  so  hoch  besoldeten  Bevollmächtigten.  Für  dieses 
Departement  würden  in  dessen  Tasche  400  000  frcs.  fließen,  da  2  Mill.  dz  zu  ver- 
teilen sind.  Solch  ein  Skandal  muß  beseitigt  werden.  Wenn  Violette  davon  er- 
fahrt, wird  er  sicher  schnell  Abhilfe  schaffen." 

Aus  ßom  wird  unter  dem  6.  September  gemeldet,  daß  die  italienische 
Weizenernte  auf  17,5  Mill.  Quarter  gegen  22  Mill.  Quarter  im  Vorjahre  ge- 
schätzt wird  (1  Quarter  =  217,7  kg). 


-    588    — 

Von  allen  Staaten  ist  die  Schweiz  während  des  Krieges  der  erste  gewesen, 
der  die  Abgabe  von  Lebensmitteln  an  die  ärmere  Bevölkerung  eu 
billigeren  Preisen  festgesetzt  hat.  So  folgte  auf  die  Abgabe  der  billigeren 
Milch  diejenige  des  Brotes,  und  zwar  in  einer  Menge  von  275  Kg  auf  den  Kopf, 
ein  Ansatz,  der  auch  bei  der  Einführung  der  Brotkarte  für  die  Bezugsberechtigten 
beibehalten  werden  soll.  Die  Zahl  der  letzteren  ist  in  stetem  Steigen  begriffen. 
Am  1.  Mai  d.  J.  waren  es  rund  376000,  im  Juni  468000,  im  Juli  521000,  im 
August  620000,  welche  die  Milch  zum  ermäßigten  Preise  erhielten;  büligeree 
Brot  bezogen  im  Juli  550000  und  im  August  bereits  630000  Personen.    Zur  Be- 

fleichung  des  Preisunterschiedes  mußte  der  Bund  bei  der  Milchabgabe  allein  in 
en  ersten  drei  Monaten  rund  1  Mill.  frcs.  ausrichten.  Im  Durchschnitt  be- 
ziehen zurzeit  lö^/j  Proz.  der  schweizerischen  Bevölkerung  Milch  und  Brot  zum 
ermäßigten  Preise.  Nach  Kantonen  gerechnet,  zeigen  sich  aber  ganz  gewaltige 
Unterschiede.  In  der  Stadt  Zürich  beträgt  die  Zahl  der  Bezugsberechtigten  heute 
46  500  oder  20  Proz.,  in  Basel  26  500  oder  19  Proz.,  in  Genf  21000  oder  15  Proz., 
in  Bern  25  000  oder  22  Proz.,  in  St.  Gallen  22  500  oder  30  Proz.,  in  Luzern 
11 500  oder  20  Proz.,  in  Yverdon  4400  oder  50  Proz.,  in  Lausanne  5600  oder 
8  Proz.  der  Bevölkerung.  Diese  Unterschiede  ergeben  sich  einmal  aus  der  un- 
gleichartigen Zusammensetzung  der  Bevölkerung,  dann  aber  auch  aus  der  un- 
gleichartigen Behandlung. 

In  Oesterreich  hat  die  Zentral-Preisprüfungskommission  die 
durch  Beschluß  vom  11.  August  d.  J.  gesetzten  Eichtpreise  für  Mittelweine 
in  Niederösterreich  bezüglich  der  Händler-  und  Ausschankpreise  erhöht  und  mit 
Beschluß  vom  10.  September  die  Eichtpreise  ab  Erzeugerkeller  in  Steiermark, 
Bjrain  und  Mähren  auf  300  K.  für  das  Hektoliter  festgesetzt. 

In  Ungarn  ist  durch  eine  Verordnung  vom  18.  September  der  Verkehr 
mit  Mais  neu  geregelt.  Danach  wird  die  gesamte  Maisfechsung  der  Erzeuger 
des  Jahres  1917  behufs  Sicherung  des  öffentlichen  Bedarfs  unter  Sperre  ge- 
nommen, ebenso  jene  Mengen,  die  als  Arbeitslohn,  Bearbeitungsanteil  oder  Kon- 
vention verabfolgt  wurden.  Wieviel  Mais  und  unter  welchem  Titel  er  als  eigener 
Haus-  und  Wirtschaftgebrauch  zurückgehalten  werden  darf,  werden  der  Acker- 
bauminister und  das  Landes- Volksernährungsamt  ein  verständlich  feststellen.  la 
Angelegenheit  der  Schweinemästung  wird  eine  besondere  Eegierungs Verordnung 
verfügen.  Für  die  Mästung  der  zu  Zwecken  des  öffentlichen  Bedarfs  gebundenen 
Schweine  darf  der  Erzeuger  von  seinem  Maisüberschuß  der  diesjährigen  Eirnte 
höchstens  50  Proz.  verwenden,  vorausgesetzt,  daß  er  hierzu  im  Sinne  der  zu  ver- 
öffentlichenden Verordnung  die  behördliche  Erlaubnis  erhält.  Es  ist  verboten, 
Mais  zu  industriellen  Zwecken  zu  kaufen.  Welche  Mengen  Mais  zur  industriellen 
Verarbeitung  und  zu  welchen  Bedingungen  sie  hierzu  verwendet  werden  dürfen, 
stellt  der  Minister  für  Volksernährung  im  Einvernehmen  mit  den  beteiligten 
Ministern  fest.  Den  überschüssigen  Maisvorrat  darf  der  Erzeuger  nur  an  die 
Ejriegsprodukten-A.-G.  oder  an  solche  Personen  veräußern,  die  im  Sinne  der 
gegenwärtigen  Verordnung  eine  Einkaufsbewilligung  besitzen.  Diese  Verkaufs- 
berechtigung erlischt  jedoch  mit  Eintritt  der  behördlichen  Beschlagnahme, 
spätestens  aber  am  31  Oktober  d.  J.  Der  Erzeuger  darf  jedoch  nur  50  Proz. 
seines  Maisüberschusses  an  Einkaufsberechtigte  veräußern.  Die  Höchstpreise  be- 
tragen auf  dem  ganzen  Landesgebiet  vom  18.  September  an  für  100  kg  netto: 

a)  für  gewöhnlichen  (Zahn-  usw.)  und  gemischten  Mais: 

-c-     ,       T  •  «  X       •  In  Kolben  Gerebelt 

Für  den  Lieferungstermm  K  h  K  h 

50 

50 

50 

58 


September-Oktober  1917 

34 

— 

42 

November  1917 

34 

90 

43 

Dezember  1917 

35 

80 

43 

Januar  1918 

36 

7Q 

44 

Februar  1918 

37 

60 

44 

März  1918 

38 

50 

45 

April  1918 

39 

40 

^§ 

Mai  1918  oder  später 

40 

30 

46 

In  Kolben 

Gerebelt 

K.    h 

K.    h 

36    10 

45    50 

37    05 

46    - 

38    - 

46    50 

38   95 

47    — 

39    80 

47    50 

40   80 

48    - 

41    80 

48    50 

42    80 

49    — 

-  589  - 

b)  Spezialmais  (Cinquantin,  Florentiner,  Putyi,  weiiSer  Eundmais) 

Für  den  Lieferungstermin 

September-Oktober  1917 
November  1917 
Dezember  1917 
Januar  1918 
Februar  1918 
März  1918 
April  1918 
Mai  1918  oder  später 

Nach  den  requirierten  Maiskolben  ist  zu  bezahlen:  in  den  Monaten  Januar 
1918  8  K.,  Februar  8,50  K.,  März  8  K.,  April  9,50  K,  und  für  Mai  und 
gpäter  10  K. 

In  der  Schweiz  ist  mit  dem  25.  September  die  allgemeine  Bahn-  und  Post- 
sperre für  den  ßutterversand  eingetreten.  Buttersendungen  werden  von 
diesem  Tage  an  von  der  Bahn  nur  mehr  in  Begleitung  von  Transportscheinen, 
welche  von  den  Butterzentralen  ausgestellt  werden,  angenommen,  lür  Post- 
sendungen sind  entsprechende  Adreßscheine  zu  verwenden.  Die  Monatsration  ist 
auf  200  g  auf  den  Kopf  festgesetzt.  Es  bleibt  den  einzelnen  Zentralen  anheim- 
gestellt, diese  Kation  in  kleinen  Lieferungen  von  100 — 200  g  abzugeben  oder  die 
Abgabe  von  Tafelbutter  überhaupt  einzustellen  und  dann  nur  von  Zeit  zu  Zeit 
eine  entsprechende  größere  Buttermenge  als  Kochbutter  zu  verabfolgen. 

Das  Fürsorgeamt  der  Schweiz  gibt,  um  Mißverständnissen  vorzubeugen, 
bekannt,  daß  nach  den  Mitteilungen  des  Brotamtes  auch  nach  der  Einführung 
der  Brotkarte  das  Verbot  des  Verkaufs  von  frischem  Brot  nicht  aufge- 
hoben werden  wird.  Häufig  werden  Klagen  über  schlecht  gebackenes  Brot  laut. 
Die  Bundesverwaltung  müsse  es  den  kantonalen  Behörden  und  Gemeindebehörden 
äberlassen,  hier  zum  Kechten  zu  sehen  und  durch  die  Lebensmittelkontrollorgane 
dafür  sorgen  zu  lassen,  daß  auch  aus  Vollmehl  hergestelltes  Brot  den  Anforde- 
rungen der  Lebensmittelgesetzgebung  entspricht.  Das  Fürsorgeamt  macht  ferner 
darauf  aufmerksam,  daß  die  Verwendung  von  Sauerteig  der  Benützung  von  Preß- 
helfe als  Triebmittel  vorzuziehen  ist,  nicht  nur,  weil  die  Verwendung  von  Sauer- 
teig das  Brot  weniger  rasch  trocknen  läßt,  sondern  weil  dadurch  auch  der  Brot- 
krankheit in  denkbar  wirksamster  Weise  entgegengetreten  werden  kann.  Aus 
diesem  Grunde  wurde  z.  B.  schon  vor  längerer  Zeit  den  Militärbäckereien  die 
Verwendung  von  Preßhefe  verboten. 

In  der  Schweiz  ist,  um  unmittelbar  vor  dem  Inkrafttreten  der  Brotkarte 
am  1.  Oktober  ein  übermäßiges  Einhamstern  von  Brot  und  Mehl  zu  verhindern, 
die  Bestimmung  getroffen,  daß  bis  zum  1.  Oktober  von  den  Mehlverkäufern  nur 
noch  250  g  Mehl  pro  Kopf  abgegeben  werden  dürfen.  Die  Namen  der  Käufer 
sind  zu-  notieren.  Das  Brotdörren  ist  untersagt.  Die  Schrotmühlen  werden  unter 
amtliche  Kontrolle  gestellt  bzw.  plombiert  oder  versiegelt. 

In  Dänemark  ist  der  Höchstpreis  für  Mehl,  aus  Weizen,  Roggen 
und  Gerste  hergestellt,  beim  Verkauf  vom  Müller  festgesetzt  auf:  21  Kr.  für 
100  kg  grobes  Koggenmehl,  22,50  Kr.  für  100  kg  halbfeines  Koggenmehl,  44  Kr. 
für  100  kg  Standardweizenmehl,  26  Kr.  für  100  kg  feines  Mehl,  32,25  Kr.  für 
100  kg  grobes  Weizenmehl.  Der  Höchstpreis  für  den  Kestbestand  laut  Bekannt- 
machung vom  24.  Mai  beträgt:  27  Kr.  für  100  kg  halbfeines  Koggenmehl, 
34,20  Kr.  für  100  kg  gemischtes  Mehl.  Auf  die  genannten  Höchstpreise  dürfen 
die  Großhändler  zur  Deckung  ihrer  Unkosten  bei  Vermittlungen  zwischen  den 
Mühlen  und  den  Kleinhändlern  1  Kr.  für  100  kg  aufschlagen.  Beim  Verkauf  von 
Mehl  durch  die  Kleinhändler  ist  aer  Höchstpreis  festgesetzt  auf:  grobes  Koggen- 
mehl 24  Oere  für  1  k^  in  100  kg-  oder  50  kg- Säcken,  26  Oere  für  1  kg  in 
Mengen  unter  50  kg;  mittelfeines  Roggenmehl:  26  Oere  für  1  kg  in  100  kg-  oder 
50  kg-Säcken,  28  Oere  für  1  kg  in  Mengen  von  5  kg  und  darüber,  29  Oere  in 
Mengen  von  1  kg  bis  5  kg,  31  Oere  in  Mengen  von  unter  1  kg;  Standardweizen- 
mehl:   47   Oere   für   1  kg  in  100  kg-  oder  50  kg-Säcken,   50  Oere  für  1  kg  in 


—    590    - 

Mengen  von  5  kg  und  darüber,  51  Oere  für  1  kg  in  Mengen  von  1  kg  bis  5  kg, 
52  Oere  für  1  kg  in  Mengen  unter  1  kg;  feines  Mehl:  29  Oere  für  1  kg  in  100  kg- 
oder  50  kg-Säcken,  32  Oere  für  1  kg  in  Mengen  unter  50  kg;  grobes  Weizen- 
mehl: 35  Oere  für  1  kg  in  100  kg-  oder  50  kg-Säcken,  37  Oere  für  1  kg  in 
Mengen  unter  50  kg.  Der  Höchstpreis  für  den  Restbestand,  laut  Bekanntmachung 
vom  24.  Mai  1917  beträgt:  für  mittelfeines  Roggenmehl:  29  Oere  für  1  kg  in 
100  kg-  oder  50  kg-Säcken,  31  Oere  für  1  kg  in  Mengen  von  5  kg  und  darüber, 
32  Oere  für  1  kg  in  Mengen  von  1  bis  5  kg,  34  Oere  für  1  kg  in  Mengen  unter 
1  kg;  gemischtes  Mehl:  39  Oere  für  1  kg  in  Mengen  von  5  kg  und  darüber, 
40  Oere  für  1  kg  in  Mengen  von  1  bis  5  kg,  41  Oere  für  1  kg  in  Mengen 
unter  1  kg. 

„Svenska  Dagbladet"  vom  12.  September  berichtet:  Zwischen  dem  Volks- 
haushaltsausschuß und  einer  Karbidfabrik  ist  ein  Abkommen  über  Lieferung  von 
Kalkstickstoff  getroffen  worden.  Danach  verpflichtet  sich  die  Gesellschaft, 
dem  schwedischen  Markt  an  Kalkstickstoff  für  den  Herbst  1917  bis 
zu  20000  Säcken  zu  100  kg  mit  mindestens  17  v.  H.  Stickstoff  zur  Verfügung 
zu  stellen.  Der  Verkaufspreis  an  den  Verbraucher  soll  1,50  Kr.  für  1  kg  Stick- 
stoff nicht  übersteigen. 

„Tidens  Tegu"  (Kristiania)  vom  1.  September  schreibt:  Die  norwegische 
Regierung  hat  die  Anträge  auf  Erhöhung  des  Brotpreises  abgewiesen  und 
bestimmt,  daß  dieser  in  Kristiania  und  Tönsberg  nicht  über  75  Oere  das  Kilo- 
gramm (=  42  Pfg.  das  Pfund)  betragen  darf,  in  Bergen  und  Stavanger  nicht 
über  70  Oere  (^  39V2  P%-  das  Pfund),  während  er  zum  Teil  bis  auf  80  Oere 
(==  45  Pfg.  das  Pfund)  gestiegen  war.  Der  Vorsitzende  der  Bäckerinnung  in 
Kristiania  erklärte,  daß  damit  die  Bäcker  einen  Verlust  von  1,80  Kr.  (=  2  M.) 
auf  den  Sack  Mehl  erlitten. 

In  England  erwartet  man  demnächst  eine  bedeutende  Erhöhung  der 
Frachtpreise  nach  Indien  und  Australien.  Vorläufig  wird  der  Äacht- 
preis  nach  Indien  um  ein  Drittel  erhöht. 

Nach  den  „Times"  vom  7.  September  empfing  der  Lebensmittelkon- 
trolleur Lord  Rhondda  eine  Abordnung  der  Landwirtschaftskammer  und  er- 
klärte ihr :  Die  Landwirte  müssen  unbedingt  Opfer  bringen,  damit  der  Krieg  ge- 
wonnen werden  kann.  Die  Regierung  hätte  die  Landwirte  nicht  aufgefordert, 
den  Viehstand  zu  vermindern,  wenn  die  Lage  es  nicht  erforderte.  Infolge  der 
Knappheit  an  Schiffsraum  wird  wahrscheinlich  in  diesem  Winter  nur  eine  be- 
schränkte Menge  von  Oelkuchen  zur  Verfügung  stehen,  die  dann  auf  die  beste 
Art  ausgenutzt  werden  muß.  Milchkühe  sollen  bei  der  Futterzuweisung  bevor- 
zugt werden ;  dadurch  dürfte  die  Futtermenge  für  das  Mastvieh  stark  beschränkt 
werden.  Somit  wird  das  Vieh  in  diesem  Winter  in  einem  früheren  Stadium  der 
Mästung  geschlachtet  werden  müssen,  als  es  sonst  üblich  war.  Die  Regierung 
wird  aber  versuchen,  den  Preis  für  Viehfutter  herunterzubringen.  Die  ägyptische 
BaumwoUsaatenernte  ist  bereits  zu  Bedingungen  beschlagnahmt  worden,  die  eine 
starke  Verbilligung  des  Baumwollkuchens  für  den  englischen  Gebrauch  zur  Folge 
haben  werden.  Aehnliche  Maßregeln  in  bezug  auf  andere  Sorten  Oelkuchen  sind 
geplant.  Ferner  wies  Rhondda  darauf  hin,  daß  im  Frieden  40  v.  H.  des  Fleisch- 
bedarfs der  englischen  Zivilbevölkerung  eingeführt  wurde.  Das  eingeführte 
Fleisch  wird  aber  meistens  für  den  Bedarf  der  verbündeten  Heere  und  Flotten 
gebraucht,  so  daß  nur  noch  kaum  10  v.  H.  des  Verbrauchs  der  Zivilbevölke- 
rung durch  eingeführtes  Fleisch  gedeckt  wird.  Da  also  der  gewohnte  Wett- 
bewerb fortfiel,  sind  die  Fleischpreise  auf  dem  englischen  Markt  so  unnormal  ge- 
stiegen. 

„Times"  veröffentlichen  am  8.  September  eine  Erklärung  des  Lebens- 
mittelerzeugungsamtes. Darin  wird  die  Behauptung  einiger  Zeitungen, 
daß  die  Regierung  die  Anbaufläche  für  1918  um  5  Miß.  Acres  vermehren  will, 
für  falsch  erklärt.  Tatsächlich  ist  eine  Erweiterung  der  Anbaufläche  von  Getreide, 
Kartoffeln  und  Mangold  um  3  Mill.  Acres  geplant,  die  sich  aus  2  Mill.  Acrea 
Grasland  und  1  Million  bisher  mit  weniger  wichtigen  Feldfrüchten  —  wie  z.  ß. 
Hopfen  —  bestellten  Acres  zusammensetzen. 

Nach  dem  „Internationalen  Ackerbau-Institut«  in  Rom  gibt  die  im  Juni 
zusammengestellte  amtliche  Schätzung  der  Ernte  in  England  und  Wale« 


591 


an,  daß  seit  Juni  1916  ungefähr  190000  Acres  Grasland  unter  den  Pflug  ge- 
nommen worden  sind.  Die  verfügbare  Anbaufläche  beträgt  195  000  Acres  mehr 
als  im  Vorjahre.  Die  Anbaufläche  für  Weizen  ist  etwas  größer  als  im  Vorjahre, 
für  Gerste  und  Hafer  bedeutend  umfangreicher,  die  Anbaufläche  für  Hafer  ist 
die  größte  seit  1904.  Was  die  Anbaufläche  von  Hülsenfrüchten  betrifft,  so  ist 
diejenige  für  Bohnen  um  25  000  Acres  kleiner  und  diejenige  für  Erbsen  um 
18000  Acres  größer  geworden  als  im  Vorjahre.  Die  Anbaufläche  für  Kartoffeln 
ist  beinahe  um  ein  Fünftel  vergrößert  worden  und  stellt  sich  ungefähr  10  Proz. 
höher  als  die  bisher  bekannt  gewordene.  Einzelheiten  sind  aus  folgender  Tabelle 
ersichtlich : 


Ernte. 


Gesamtfläche  (ohne  Wasser) 

Anbaufläche     für    landwirt- 
schaftliche Erzeugnisse  ^) 

Kulturfähiges  Land 

Ständige  Wiesenflächen   für 
Heu») 

Ständige  Wiesenflächen  nicht 
für  Heu») 

zusammen 


1917 

Acres 

37  137  600 

27  081  600 
1 1  246  040 

4  798  960 

1 1  036  600 


37 


1916 
Acres 
137  600 


Zunahme 


Abnahme 


27  074080 
II  151  100 

4  825  990 
II  196990 


Acres 


7520 
194  940 


7o 


0,0 
1,8 


Acres 


27030 
160390 


Weizen 


Herbstaussaat 
Frühjahrsaussaat 
zusammen 


I  918  550       I  912  210         6340       0,8 


Gerate 

Hafer 

Roggen 

Bohnen 

Erbsen 

Buchweizen 

Kartoffeln 

Rüben 

Runkelrüben 

Raps 

Wicken 

Luzerne 

Senf 

Hopfen 


1917 
Acres 

1  460  600 

2  257  480 

56020 

210360 

131  000 

4700 

508  190 

972370 

388  740 

64170 

78760 

50210 

24790 

16950 


E  r  n  t 
1916 
Acres 

1  332  080 

2  084  670 

53480 
236  260 
112  680 
3300 
427  950 
938  160 
378  140 

70820 

89  HO 

54170 
65  720 
31350 


Zunahme 

Acres    °/o 

128520   9,6 

172  710   8,3 

2  540   4,7 


18  320 
I  400 
89  240 
34210 
10600 


16,3 
42,4 
18,8 

2,8 


Abnahme 
Acres        7o 


25  400     10,8 


9,4 


1917 
Acres 
Klee  für  Heu        i  682  100 
Klee  nicht  für  Heu    8 1 7  560 
Klee  zusammen     2499660       2590310         — 


1916 
Acres 
762  700 
827  610 


Zunahme 
Acres         »/„ 


—  90  650 


6  650 

10350  11,6 

3  960  7,8 

40  930  62,3 

14400  45,9 

Abnahme 

Acres  "/# 

80  600  4,6 

10050  1,2 


Verschiedenes 
Brachland 


1917 

Acres 

66660 

355300 


1916 

Acres 

67650 

421  890 


Zunahme 
Acres         "/ 


Abnahme 
Acres         7o 

999       1,5 
66590     15,8 


lo 


0,6 


15833560 

I  724600 
193  950 

16022980 

1787320 
124890 

69060  55,4 

187  420 
62  720 

3.f> 

1)  Ausgenommen  Berg-  und  Heideland  für  Weidezwecke  (3  901  710  Acres  in  1917 
gegen  3  816  080  Acres  in  1916). 


592    — 

Vieh. 


Pferde 

Rindvieh 

Schafe 

Schweine 

1917 

1  372  820 

6227  150 

17  169  860 

I  918  540 

1916 

1359570 

6  215  780 

17  951  120 

2  167  940 

Der  „Matin"  vom  9.  September  meldet  aus  Limoges:  Schweine tleisck 
ist  die  teuerste  Fleischsorte  in  Frankreich  und  ist  von  1,90  frc.  für  das  Kilo- 
gramm im  Jahre  1914  auf  5  frcs.  für  das  Kilogramm  gestiegen  (2,05  M.  für  1  Pfd.). 
Infolge  des  großen  Kartoffelmangels  hat  die  Schweinezucht  in  Frankreich  be- 
deutend abgenommen.  In  den  Departements  Haute- Vienne,  Creux  und  La  Cor- 
r^ze  sind  die  Bestände  auf  die  Hälfte  zurückgegangen. 

Ueber  den  Niedergang  der  französischen  Landwirtschaft  in  der 
Kriegszeit  berichtet  das  preußische  Statistische  Landesamt  in  der  „Stat.  Korr.**. 
Die  französische  Landwirtschaft  war   vor  dem  Kriege  stolz  darauf,  daß   sie  die 

troße  ßrotgetreideeinfuhr  von  1—2  Mill.  t,  wie  sie  in  den  70er  und  80er  Jahren 
es  19.  Jahrhunderts  bestand,  nahezu  völlig  überflüssig  gemacht  hatte;  Frank- 
reich brauchte  nur  noch  in  Not-  bzw.  Mißerntejahren  Brotgetreide  einzuführen. 
Während  des  Krieges  ist  jedoch  infolge  der  Einberufungen  landwirtschaftlich  er- 
werbstätiger Personen  und  der  Pferdebeitreibungen  ein  derartiger  Niedergang  der 
Landwirtschaft  eingetreten,  daß  die  französische  Bevölkerung  von  einer  ernst- 
haften Not  bedroht  wird.    Die  Anbaufläche  betrug  nämhch  bei 


1914 

1917 
1000  ha 

Weizen 

6493 

4207 

Roggen 

1179 

810 

Mengkorn 

Brotkorn 

IIQ 

84 

zusammen 

7791 

5101 

Das  ist  also  ein  Rückgang  der  Anbaufläche  um  fast  35  v.  H,  Allerdings  ist  zu 
beachten,  daß  in  der  angeführten  Anbaufläche  für  1917  die  Flächen,  die  in  den 
von  uns  besetzten  Teilen  Frankreichs  liegen,  nicht  mitenthalten  sind ;  doch  dürfte 
dieser  Unterschied  nur  knapp  5  v.  H.  ausmachen,  so  daß  ein  Rückgang  der 
ßrotkornfläche  von  30  v.  H.  Tatsache  ist.  Da  nun  die  diesjährige  Ernte  nicht 
gerade  glänzend  ist,  muß  auch  Frankreich  sich  zur  Einführung  der  Brotkarte 
entschließen.  Nicht  viel  besser  als  beim  Brotgetreide  steht  es  beim  Hafer.  Nur 
bei  den  Kartoffeln  ist  der  Rückgang  der  Anbaufläche  geringer,  diese  hat  sich  von 
1,5  auf  1,3  V.  H.  vermindert.  Den  Rückgang  der  Anbaufläche  erklärt  teilweise 
der  besonders  mißliche  Umstand,  daß  rund  30  v.  H.  der  vorhandenen  Arbeits- 
pferde für  das  Heer  in  Anspruch  genommen  sind;  ferner  hat  Frankreich  den 
Uebelstand  des  ungemein  stark  parzellierten  Grundbesitzes,  weil  nämlich  bei  Erb- 
teilungen fast  immer  in  natura  geteilt  wurde.  Naturgemäß  ist  die  Bewirtschaftung 
kleiner  und  kleinster  Parzellen  nur  mit  einem  großen  unproduktiven  Arbeits- 
aufwande  möglich.  Wenn  also  Frankreich  anstatt  der  früheren  (vor  dem  Kriege) 
Getreideeinfuhr  von  ^I^—Vj.^  Mill.  t  1916  bereits  4,9  Mill.  t  einführen  mußti?,  so 
wird  der  Einfuhrbedarf  im  laufenden  Erntejahr  noch  erheblich  höher  werden; 
seine  Befriedigung  hängt  davon  ab,  ob  die  deutschen  U-Boote  die  Einfuhr  zu- 
lassen werden. 

Nach  dem  „Corriere  della  Sera"  vom  13.  September  kostete  im  August  d.  J. 
der  Doppelzentner  amerikanisches  Getreide  in  New  York  50  frcs.  Grold 
(=  405  M.  für  die  Tonne),  in  französischen  Häfen  kostete  es  70  frcs.  (=  567  M. 
für  die  Tonne).  Alles  in  allem  kostet  der  Doppelzentner  Getreide  der  italieni- 
schen Regierung  in  Genua  120  Lire  (=  972  M.  für  die  Tonne),  alsio  das 
Doppelte  des  Verkaufspreises  an  die  Einwohner.  Die  Regierung  hält  es  für  richtig, 
den  Verkaufspreis  auf  65  Cents  =  43  cts.  Gold  zu  erhalten.  Die  Zeitung  ist 
anderer  Meinung.  Man  sollte  ausländisches  Getreide  von  den  Leuten,  die  nach 
ihrer  Steuererklärung  dazu  imstande  sind,  mit  1,30  Lire  für  1  kg  bezahlen  lassen. 
Auf  dem  inneren  Markt  setzt  der  Staat  30  Mill.  Lire  zu,  auf  dem  äußeren  1500 
Mill.  Lire,  eine  ungeheure  Ziffer,  die  zu  den  übrigen  Kriegskosten  gerechnet 
werden  muß.  Ein  Teil  dieser  Kosten  könnte  jedenfalls  auf  die  größeren  Steuer- 
zahler verteilt  werden,  die  das  Brot  mit  1,20— 1,30  Lire  für  1  kg  bezahlen  müßten 


—    593    — 

während  man  den  Arbeitern  und  kleinen  Leuten  den  Preis  von  65  Cents  weiter- 
gewähren könnte. 

Nach  den  „Financial  Times"  vom  30.  August  melden  „Central  News"  aus 
Washington  unter  dem  14.  August:  Die  Erzeugung  von  mehr  als  1  Milliarde 
Busheis  Weizen  und  mehr  als  83  Mill.  Busheis  Koggen  durch  die  Bestellung  von 
47  377  000  Acres  mit  Winterweizen  und  5  131 000  Acres  mit  Roggen  ist  das  nächste 
landwirtschaftliche  Kriegsprogramm  der  Vereinigten  Staaten, 
wie  es  der  Landwirtschaftsminister  Houston  ankündigt.    Diese  noch  nicht  da- 

fewesene  Winter weizenanbaufläche  (18  v.  H.  mehr  als  letztes  Jahr)  würde  bei 
Irreichung  des  10 -jährigen  Durchschnittsertrages  672  Mill.  Busheis  und  bei 
Wiederholung  der  günstigen  Bedingungen  von  1914  880  Mill.  ergeben.  In  beiden 
Fällen  würde  beim  Hinzutreten  einer  Frühjahrsweizenernte  wie  der  von  1915  die 
Nation  mehr  als  1  Milliarde  Busheis  Weizen  für  eigenen  Verbrauch  und  Ausfuhr 
haben.  Diese  in  jedem  Falle  nötige  starke  Vermehrung  der  Weizenerzeugung 
wird  sehr  wesentlich  sein,  um  im  nächsten  Sommer  einen  ernsten  Brotgetreide- 
mangel zu  verhüten,  für  den  Fall,  daß  der  wachsende  Mais,  der  im  Rückstande 
ist,  durch  die  frühen  Fröste  stark  leiden  sollte.    Das  vom  Landwirtschaftsminister 

febilligte  Programm  ist  das  Ergebnis  von  Erwägungen  der  besten  Köpfe  im 
Bundesland wirtschaftsamt  und  der  Beamten  der  Einzelstaaten  in  ihren  Land- 
wirtschaftsämtern und  Verteidigungsräten.  Die  Schätzungen  sind,  wie  amtlich 
erklärt  wird,  in  dem  Bewußtsein  aufgestellt,  daß  die  Versorgung  mit  Dünge- 
mitteln etwas  knapp  ist,  daß  aber  in  der  Versorgung  mit  Saatgut  und  Maschinen 
keine  allgemeine  Knappheit  herrschen  wird.  Es  verlautet  auch,  daß  für  reich- 
liche Beförderungsmöglichkeiten  gesorgt  und  ein  guter  Weizenpreis  festgesetzt 
werden  wird. 

In  den  Vereinigten  Staaten  hat  der  Verwaltungsrat  für  die 
Ausfuhr,  um  die  notwendigsten  Vorräte  sicherzustellen,  eine  lange  Liste  der 
Waren  bekannt  gegeben,  deren  Ausfuhr  vollständig  verboten  ist,  wofern  der  Ver- 
sand nicht  unmittelbaren  Kriegszwecken  dient.  Die  Liste  führt  auf:  Weizen, 
Mehl,  Zucker,  Butter,  Baumwolle,  Eisen  und  Stahl  aller  Art,  viele  Chemikalien 
und  einige  andere  Artikel.  Hinzugefügt  wird  in  der  Bekanntmachung,  daß  be- 
grenzte Mengen  der  erfaßten  Artikel  in  gewissen  anderen  Fällen  ausgeführt 
werden  können,  wenn  es  ohne  Nachteil  für  die  Vereinigten  Staaten  geschehen 
kann,  oder  wenn  es  für  notwendige  medizinische  oder  pharmazeutische  Zwecke 
erfolgt. 

Die  „Financial  News"  vom  27.  August  bringen  zu  dem  bereits  gemeldeten 
argentinischen  Gesetzentwurf  noch  die  interessante  Nachricht,  daß  auch 
die  Ausfuhr  von  Weizen  und  Mehl  bis  zum  1.  Dezember  1917  verboten 
werden  soll.  Im  Zusammenhang  mit  dieser  Sache  dürfte  auch  stehen,  daß  der 
argentinische  Landwirtschaftsminister  nach  einer  A.  A.-Meldung  aus  Buenos  Aires 
vom  13.  August  laut  „Financial  News"  vom  27.  August  schon  jetzt  eine  vor- 
läufige Schätzung  der  nächsten  Ernte  vorgenommen  und  veröffentlicht  hat,  „die 
die  Erzeuger  als  sehr  gut  bezeichnen".  Die  Schätzung  lautet  auf  eine  Weizen- 
ernte von  6  475  000  t,  eine  Haferernte  von  1467  000  und  eine  Leinsaaternte  von 
1059000  t. 

Nach  den  neuesten  Meldungen  stellt  sich  die  australische  Weizenernte 
für  1916/17  auf  151203503  Busheis.    Einzelheiten  gibt  die  nachstehende  Tabelle: 


Viktoria 

Neu-Süd-Wales 

Süd-Australia 

West-Australia 

Queensland 

Tasmania 

1916—17 
Busheis 
51  162438 
3Ö  743  500 
43830972 
16  107  804 
2  866  679 
492  IIO 

1915—16 

Busheis 

58532706 

67323390 

34  134504 

18236355 

414438 

993  790 

1914—15 
Busheis 

3  940  947 
12830530 
3527428 
2624  190 
I  585  087 
384  220 

Australien 

151  203  503 

179624183 

24  892  402 

Nach  den  Bestimmungen  der  Reichskartoffelstelle  über  die  Kartoffelversorgung 
im  Wirtschaftsjahr  1917/18  werden  die  den  Selbstversorgern  zu  belassenden  Kar- 


—    594    — 

toffelmengen,  wie  folgt,  berechnet:  a)  ein  Fünftel  des  Ernteertrages  zur 
Deckung  der  zum  Verfüttern  freigegebenen  Kartoffeln  und  der  Verluste  durch 
Schwund,  b)  als  Eigenbedarf  des  Kartoffelerzeugers  und  seiner  Wirtschaftsange- 
hörigen 57,  Ztr.  für  den  Kartoffelerzeuger  und  jeden  seiner  Wirtschaftsangehörigen, 

c)  der  Saatgutbedarf  in  Höhe  von  40  Ztr.  für  den  Hektar  der  Kartoffelanbautläche 

d)  die  für  die  landwirtschaftlichen  Kartoffeln  verarbeitenden  Brennereien  angezeigten 
Kartoffelmengen,  e)  die  für  die  landwirtschaftlichen  Trocknereien  und  Stärkefabriken 
einschließlich  Genossenschaften  und  Gesellschaften  zwecks  Verarbeitung  in  diesen 
Fabriken  angebauten,  der  Reichskartoffelstelle  angezeigten  Kartoffeln.  In  einer 
Anmerkung  zu  d)  ist  bestimmt,  daß  der  Kartoffel  menge  der  Brennereien  ein  Ver- 
brauch von  18  Ztr.  Kartoffeln  für  1  Hektoliter  reinen  Alkohols  und  eine  Brannt- 
weinmenge von  90  Hundertteilen  des  allgemeinen  Durchschnittsbrandes  der  Brenne- 
reien zugrunde  gelegt  ist. 

Die  praktische  Bedeutung  der  Bestimmung  geht  dahin,  daß  den  Brenne- 
reien, soweit  deren  Besitzer  Kartoffeln  selbst  erzeugen,  zur  Verarbeitung  auf 
Spiritus  für  jedes  Hektoliter  18  Ztr.  Kartoffeln  freizulassen  sind  und  daß  die  Ab- 
sicht besteht,  den  Durchschnittsbrand  für  das  Betriebsjahr  1917;  18  auf  90  Hundert- 
teile des  Durchschnittsbrandes  festzusetzen.  Die  behördliche  Entscheidung  hierüber 
wird  nicht  mehr  lange  auf  sich  warten  lassen,  damit  die  Brennereiwirtschaften 
in  ihrer  Bewegungsfreiheit  nicht  in  unwirtschaftlicher  Weise  behindert  werden. 

Gemäß  den  Bestimmungen  der  Reichskartoffelstelle  für  die  Kartoffel- 
versorgung  im  Wirtschaftsjahr  1917/18  vom  25.  August  1917  sind  im  Interesse 
einer  raschen  Durchführung  der  Winterein deckung  für  jeden  in  der  Zeit  vom 
15.  September  1917  bis  15.  Dezember  1917  einschließlich  zur  Verladung  gebrachten 
Zentner  Kartoffeln  folgende  Zuschläge  zu  gewähren:  1  eine  Schnelligkeits- 
prämie von  50  Pfg.,  2.  für  die  Verbringung  der  Kartoffeln  vom  Hof  des  Erzeugers 
bis  zur  Verladestelle  oder  zum  Keller  des  Verbrauchers  eine  Ausfuhrprämie  nach 
folgenden  Sätzen:  a)  bei  einer  Entfernung  von  mehr  als  3  bis  7  km  10  Pfg., 
b)  bei  einer  Entfernung  von  mehr  als  7  bis  10  km  20  Pfg.  und  c)  bei  einer  Ent- 
fernung von  mehr  als  10  km  30  Pfg.  Als  Verladestelle  gilt  der  Güterbahnhof, 
bei  Schiffsverladung  die  Anlegestelle  des  Kahns. 

Im  Reichstage  ist  von  sozialdemokratischer  Seite  über  die  Kartoffel- 
preise folgende  Anfrage  gestellt:  „In  der  allgemeinen  Preisausgleichs  Verordnung 
vom  März  d.  J.  ist  ein  Reichskartoffelpreis  von  5  M.  vorgesehen,  mit  der  Maß- 
gabe, daß  die  Pro vinzialkartof felsteilen  ihn  mit  Zustimmung  der  Reichskartoffel- 
stelle auf  6  M.  erhöhen  können.  In  allen  Stadien  der  Verhandlungen  ist  durch 
die  Vertretung  der  Reichsregierung  erklärt  worden,  daß  der  Preis,  insoweit  er 
5  M.  übersteige,  nur  für  die  Bezirke  in  Frage  kommen  solle,  in  denen  im  Frieden 
ein  höherer  Erzeugerpreis  als  derjenige  im  Reichsdurchschnitt  üblich  gewesen  sei. 
Insbesondere  wurde  erklärt,  daß  dieser  Preis  nur  für  den  Westen  und  eventuell 
für  einige  südliche  Bezirke  in  Betracht  komme.  Nun  haben  die  Provinzial- 
kartoffelötellen  in  Westfalen  einen  Kartoffelpreis  von  5,50  M.,  Hannover  und 
Bayern  einen  solchen  von  5  M.  festgesetzt,  während  für  die  Provinzen  Pommern 
und  Brandenburg,  in  denen  der  Kartoffelpreis  nie  den  des  Reichsdurchschnitts 
überstieg,  ein  Kartoffelpreis  von  6  M.  festgesetzt  worden  ist.  Der  Kartoffelpreis 
in  diesen  beiden  Provinzen  steht  im  striktesten  Gegensatz  zu  den  Erklärungen 
der  Reichsregierung  bei  Schaffung  der  Preisausgleichsverordnung.  Was  gedenkt 
der  Herr  Reichskanzler  zu  tun,  um  die  allgemeine  Preisausgleichsverordnung  im 
Sinne  der  Gesetzgeber  durchzuführen  ?" 

Von  einem  Mitglied  der  Zentrumspartei  wurde  folgende  Anfrage  gestellt: 
„In  der  Rheinprovinz  ist  der  Höchstpreis  für  den  Zentner  Kartoffeln  laut  amt- 
licher Bekanntmachungen  auf  6  M.  festgesetzt.  Dazu  kommt  eine  Vermittlungs- 
gebühr von  25  Pfg.  Außerdem  ist  in  der  Zeit  vom  15.  September  1917  bis  15.  De- 
zember 1917  eine  Schnelligkeitsprämie  von  50  Pfg.  für  den  Zentner  zu  zahlen. 
Schließlich  muß  für  jeden  in  derselben  Zeit  zur  Verladung  gelangenden  Zentner 
Kartoffeln  eine  Anfuhrprämie  von  5  Pfg.  für  jeden  angefangenen  Kilometer  ge- 
zahlt werden,  so  daß  beispielsweise  im  Kreise  Ottweiler  der  Preis  für  die  von 
außerhalb  des  Kreises  eingeführten  Kartoffeln  für  den  Verbraucher  —  gemäß 
Bekanntmachung  des  Landrats  vom  15.  September  1917  -  auf  8,50  M.  ab  Bahn- 
hof und  auf  8,75  M.  bei  freier  Lieferung  ins  Haus  zu  stehen  kommt.  Ist  dem 
Herrn  Reichskanzler   bekannt,   daß   diese  Preise   es   der   minderbemittelten  Be- 


-    595    - 

▼ölkerung  unmöglich  machen,  sich  mit  dem  für  sie  notwendigsten  Nahrungsmittel 
zu  versehen?  Was  gedenkt  der  Herr  Keichskanzler  zutun,  ohne  dabei  berechtigte 
Interessen  der  KartotleJerzeuger  zu  schädigen,  den  ärmeren  Volkskreisen  die 
Möglichkeit  zu  geben,  sich  die  zu  ihrem  Lebensunterhalte  notwendigen  Kartoffel- 
mengen zu  beschatten?" 

Die  Preisberichtsstelle  des  Deutschen  Landwirtschaftsrats  bemerkt  dazu  : 
Es  würde  für  die  Kartoffelversorgung  nach  Neujahr  und  im  nächsten  Früh- 
jahr von  verhängnisvoller  Wirkung  sein,  wenn  der  Grundpreis  allgemiein  auf 
5  M.  herabgesetzt  werden  würde.  Wir  haben  bereits  im  Frühjahr  auf  die  un- 
glückliche Bestimmung  hingewiesen,  daß  es  in  das  Belieben  der  Zentralbehörden 
gestellt  werden  soll,  den  Grundpreis  von  5  M.  auf  6  M.  zu  erhöhen.  Es  war 
schon  damals  vorauszusehen,  daß  eine  solche  Bestimmung  zu  vielfach  schlechten 
Zuständen  führen  müßte. 

Der  Staatssekretär  des  Kriegsernährungsamtes  hat  durch  eine  Verfügung 
an  die  Teka  vom  22.  September  genehmigt,  daß  auch  in  gewerblichen  Trock- 
nereien und  Stärkefabriken  Kartoffeln  verarbeitet  werden.  In  welchem 
Umfange  die  Verarbeitung  von  Kartoffeln  in  diesen  Betrieben  erfolgen  darf,  be- 
stimmt die  Eeichskartoffelstelle. 

Zwischen  der  Bergwerk öbehörde  des  Saargebietes  und  den  Bergarbeiterver- 
bänden ist  vereinbart,  daß  vom  1.  Oktober  ab  der  Durchschnittslohn  der 
Hauer,  einschließlich  Kindergeld,  bei  normaler  Leistung  10,50  M  betragen  solle. 
Die  Löhne  der  anderen  Arbeiter  werden  entsprechend  erhöht.  Der  Vorsitzende 
der  Bergwerksdirektion  war  beim  Handelsminister  dahin  vorstellig  geworden,  daß 
den  Bergarbeitern,  solange  der  Kartoffelpreis  nicht  um  eine  Mark  für  den 
Zentner  ermäßigt  werde,  der  Zusatz  von  einer  Mark  auf  den  Zentner  gekaufter 
Kartoffeln  zu  gewähren  sei. 

Nach  der  Bekanntmachung  der  Eeichsgetreidestelle  vom  26.  September  ist 
für  die  Versorgung  der  Brennereien  mit  Gerste  für  das  Betriebsjahr 
1917,18  eine  besondere  Gersten  Verteilungsstelle  der  Spirituszentrale  G.m.b.H.  in 
Berlin  W.  50,  Tauentzienstraße  10,  eingerichtet.  Brennereien,  die  im  eigenen 
landwirtschaftlichen  Betriebe  genügend  Gerste  zur  Herstellung  ihres  Durchschnitts- 
brandes geerntet  haben,  sowie  Gesellschafts-  oder  Genossenschaftsbrennereien,  die 
die  zur  Herstellung  des  Durchschnittsbrandes  erforderlichen  Gerstenmengen  aus 
der  Ernte  ihrer  Gesellschafter  oder  Genossenschafter  entnehmen  können,  werden 
auf  Antrag  die  erforderlichen  Gerstenmengen  eigener  Ernte  freigegeben  werden. 
Brennereien,  die  die  ertorderliche  Gerste  nicht  aus  eigener  Ernte  entnehmen  können, 
liefert  die  (Teschäftsabteilung  der  Eeichsgetreidestelle  die  Gerste  durch  Vermittlung 
der  Gersten  Verteilungsstelle  der  Spirituszentrale.  Der  Preis  für  die  Brenngerste 
wird  auf  452  M.  zuzüglich  3  M.  Geschäftsunkosten  der  Gersten  Verteilungsstelle 
der  Spirituszentrale  fentgesetzt.  Brennereien,  die  selbstgeerntete  Gerste  verarbeiten, 
haben  den  Unterschied  zwischen  diesem  Preis  und  dem  Höchstpreis  zuzüglich 
Druschprämie  für  Gerste  durch  die  Gerstenverteilungsstelle  der  Spirituszeutrale 
an  die  Eeichsgetreidestelle  abzuführen.  Mit  der  Verarbeitung  darf  nicht  begonnen 
werden,  bevor  die  Gerste  den  Brennereien  durch  die  Gersten  Verteilungsstelle  der 
ßpirituszentrale  ausdrücklich  zugeteilt  worden  ist.  Den  Brennereien  werden  in 
den  nächsten  Tagen  die  erforderlichen  Formulare  zur  Stellung  der  Anträge  auf 
Freigabe  oder  Lieferung  von  Gerste  von  der  Gersten  verteilungssteile  der  Spiritus- 
zentrale  zugehen.  Hafer  und  Gemenge  von  Hafer  und  Gerste  kann  für 
das  neue  Betriebsjahr  zu  Brennereizwecken  nicht  freigegeben  werden  Brennereien, 
die  nicht  genügend  Gerste  zur  Herstellung  ihres  Durchschnittsbrandes  im  eigenen 
Betriebe  geerntet  haben,  sind  daher  auf  die  Belieferung  durch  die  Eeichsgetreide- 
stelle angewiesen. 

Weil  die  endgültige  Neuregelung  des  Verkehrs  mitZucker  im  Betriebs- 
jahre 1917/18  nicht  mehr  vor  dem  1.  Oktober  erfolgen  kann,  hat  der  Staatssekretär 
des  Kriegsernährungsamtes  eine  Zwischenverordnung  dahin  erlassen,  daß  das 
geltende  Zuckerrecht  bis  auf  weiteres  auch  für  das  neue  Zuckerbetriebsjahr  zu 
gelten  hat.  Der  Verbrauchszucker,  der  nach  dem  30.  September  geliefert  wird, 
soll  nach  dem  Preise  des  neuen  Jahres,  der  etwa  Mitte  Oktober  veröffentlicht 
werden  wird,  bezahlt  werden.  Soweit  Kommunal  verbänden  noch  Zucker  für 
Oktober  zu  liefern  ist,  bleibt  es  bei  dem  alten  Preise. 


—    596     - 

Da  mit  Rücksicht  auf  die  Kohlenknappheit  die  Verarbeitung  aller  Rüben 
auf  Zucker  voraussichtlich  nicht  möglich  sein  wird,  wird  es  von  großer  Bedeutung 
sein,  die  Zuckerrüben  in  größerer  Menge  zur  Verfütterung  zuzulassen. 
Der  Verein  der  „Deutschen  Zuckerindustrie"  schlägt  deshalb  vor,  daß  insgesamt 
45  Proz.  der  um  15  Proz.  gekürzten  voraussichtlichen  Erzeugung,  innerhalb  der 
ersten  drei  Monate,  vom  Beginn  der  Rüben  Verarbeitung  jeder  einzelnen  Rohzucker- 
fabrik an  gerechnet,  abgenommen  werden  müssen.  Da  zahlreiche  Fälle  eintreten 
dürften,  in  denen  eine  Trocknung  der  Rüben  entweder  zugelassen  oder  angeordnet 
werden  muß,  erscheint  es  billig,  daß  den  Landwirten  auf  die  frisch  gelieferten 
Rüben  5  Proz.  (richtiger  wären  25  Proz.)  Trockengut  für  die  eigene  Wirtschaft 
als  Futtermittel  zurückgeliefert  werden.  Es  ist  nur  begreiflich,  daß,  wenn  die 
Landwirte  gezwungen  werden,  ihre  Rüben  zu  obigen  Zwecken  abzuliefern,  sie 
wenigstens  den  Teil  des  Trockengutes  zurückerhalten  müssen,  der  den  infolge 
von  NichtVerarbeitung  auf  Zucker  ausgefallenen  Schnitzelmengen  entspricht. 
Für  die  getrockneten  Zuckerrüben  wird  von  sachverständiger  Seite  aus  ein  Preis 
von  24  M.  für  den  Zentner  als  angemessen  erachtet. 

Nach  einer  Antwort  auf  eine  Anfrage  im  Reichstage  ist  die  Verwendung 
von  natürlichem  oder  künstlichem  Honig  zur  Bierbereitung  nach  den  in 
den  verschiedenen  deutschen  Brausteuergebieten  geltenden  gesetzlichen  Vorschriften 
über  die  zur  Bierbereitung  zuiässiecen  Stoffe  verboten.  Diese  Vorschriften  sind 
den  Brauern  wohlbekannt;  ihre  Einhaltung  wird  von  den  Steuerbehörden  über- 
wacht. Bestrebungen  deutscher  Brauereien,  zur  Verwendung  von  Honig  zur 
Bierbereitung  überzugehen,  und  hiervon  eine  Ausnahme  von  dem  gesetzlichen 
Verbot  zu  erwirken,  sind  bisher  nicht  bekannt  geworden. 

Nach  einer  Entscheidung  des  Kriegsernährungsamtes  vom  10.  September 
ist  die  Verfütterung  von  Mastfutter  in  Form  von  Hafer,  Gerste  oder  Ge- 
menge an  Schweine  verboten.  Auch  für  Schlachtrinder  kommt  eine  Mast  mit 
Körnerkraftfutter  nicht  in  Frage.  Es  ist  deshalb  ausgeschlossen,  daß  die  Vieh- 
preise für  besonders  fette  Tiere  nach  oben  erhöht  werden.  Die  Schweinepreise 
liegen  bis  30.  November  nach  der  Verordnung  vom  15.  September  1917  fest  und 
zwar  mit  einem  einheitlichen  Höchstpreis,  der  die  obere  Grenze  für  alle  Ge- 
wichtsklassen bildet. 

Nach  einer  Bekanntmachung  der  bayrischen  Fleischversorgfungsstelle 
vom  21.  September  findet  beim  Verkauf  von  Zucht-  und  Nutzvieh  die 
Preisfestsetzung  auf  dem  Wege  der  freien  Vereinbarung  statt.  Beim  Ver- 
kauf von  Zugochsen,  Kühen  und  Kalbinnen  inländischer  Herkunft  dürfen  je- 
doch folgende  Preise  für  den  Zentner  Lebendgewicht  nicht  überschritten  werden: 
a)  Für  Zugochsen  90  M.,  für  Ochsen,  für  die  an  der  Abnahmestelle  ein  Zuschlag 
von  5  M.  für  je  50  kg  gewährt  wurde,  und  die  mit  Genehmigung  der  Fleisch- 
versorgungsstelle als  Zugochsen  an  bayrische  Landwirte,  gewerbliche  Betriebe,  zu- 
gelassene Zucht-  und  Nutzviehvermittler  usw.  abgegeben  werden,  darf  dieser  Zu- 
schlag bei  der  Weitergabe  an  den  Landwirt  usw.  ebenfalls  erhoben  werden,  b)  Für 
Milchkühe  (ohne  Kalb)  90  M.,  für  Milchkühe  (ohne  Kalb)  mit  einer  zugesicherten 
Tagesleistung  von  10  1  Milch  und  darüber,  darf  beim  Verkauf  zum  Kaufpreis  ein 
Zuschlag  bis  zu  25  M.  für  den  Zentner  Lebendgewicht  gewährt  werden,  c)  Für  er- 
kennbar trächtige  (kälbergriffige)  Kühe  und  erkennbar  trächtige  (kälbergriffige) 
Kalbinnen  90  M.  Bei  diesen  Tieren  (c)  darf  beim  Verkauf  zum  Kaufpreis  ein 
Zuschlag  bis  zu  150  M.  für  das  Stück  gewährt  werden.  Der  Verkauf  der  ange- 
führten Tiere  darf  nur  nach  Lebendgewicht  erfolgen.  Der  Kauf  über  Kopf  ist 
verboten.     Die  bayrische  Fleischversorgungsstelle  kann  Ausnahmen  zulassen. 

Durch  Bekanntmachung  des  Großherzoglich  Hessischen  Ministeriums 
des  Innern  vom  15.  September  wird  das  Verbot  des  Schlachten s  und  des 
Verkaufs  weiblicher  zur  Nachzucht  geeigneter  Kälber  für  die  Zeit  bis  zum 
1.  März  1918  aufgehoben. 

Der  Bundesrat  hat  in  seiner  Sitzung  vom  27.  September  beschlossen,  daß 
am  15  Oktober  d.  J.  im  Deutschen  Reiche  eine  Zählung  der  Schweine 
vorzunehmen  ist.  Diese  besondere  Schweinezwischenzählung  noch  vor  der  am 
1.  Dezember  d.  J.  stattfindenden  Viehz  wischen  Zählung  durchzuführen,  erscheint 
dadurch  geboten,  daß  über  den  Erfolg  der  gegenwärtig  in  Wirksamkeit  stehenden 
Maßnahmen,  die  zu  einer  stärkeren  Abschlachtung  von  Schweinen  führen  sollen, 
noch  vor  Eintritt  der  Winterzeit  Klarheit  gewonnen  werden  muß.    Die  gedachten 


—    597    — 

Maßnahmen  sollen  unseren  Schweinebestand  mit  den  zur  Verfügung  stehenden 
Futtermitteln  in  Einklang  bringen,  andererseits  den  Bestand  aber  auch  nicht 
unter  ein  gewisses,  für  die  Versorgung  notwendig  erachtetes  Maß  herabdrücken. 
Würde  sich  durch  die  SchweinezähluDg  am  15.  Oktober  herausstellen,  daß  in  der 
einen  oder  anderen  Richtung  die  gegenwärtigen  Maßnahmen  den  erwünschten  Erfolg 
bringen,    so  sollen  sie  noch  rechtzeitig  abgeändert  und  ergänzt  werden  können. 

Die  vom  Kriegsausschuß  für  Oele  und  Fette  vorgenommene  Untersuchung 
von  Tomaten  kernen  ergab  einen  Oelgehalt  von  20—24  Proz.  bei  9,1  Proz. 
Wasser-  und  4,0  Proz.  Stickstoff.  Dennoch  ist  die  Heranziehung  der  Tomatenkerne 
zur  Oelgewinnung  mit  großen  Schwierigkeiten  verknüpft.  Die  in  den  Haushaltungen 
verwandten  Tomaten  dienen  bekanntlich  mitsamt  den  Kernen  als  wohlschmeckendes 
Nahrungsmittel  in  mannigfachster  Zubereitung.  Die  in  den  Kernen  enthaltenen 
Nährwerte  gehen  somit  unserer  Ernährungsbilanz  nicht  verloren  (?).  Auch  in  den 
Konservenfabriken  werden  die  ganzen  Tomaten  ohne  Ausscheiden  der  Kerne  auf 
Nahrungsmittel  verarbeitet;  wo  dies  nicht  der  Fall  ist,  hat  der  Kriegsausschuß 
für  ein  Erfassen  der  Tomatenkerne  im  Interesse  unserer  Oelbilanz  Sorge  getragen. 
Dies  geschah  nicht  allein  in  der  Heimat,  sondern  auch  in  den  besetzten  Gebieten, 
insbesondere  auch  in  Rumänien,  woselbst  die  Kerne  auf  Veranlassung  des  Kriegs- 
ausschusses mit  Rücksicht  auf  ihre  leichte  Verderblichkeit  an  Ort  und  Stelle  auf 
Oel  mittels  Extraktion  verarbeitet  werden.  Das  gewonnene  Oel  wird  der  heimi- 
schen Wirtschaft  zugeführt. 

Die  Bezugs  Vereinigung  der  deutschen  Landwirte  G.  m.  b.  H.  Berlin  W.  35, 
Potsdamerstraße  30,  macht  bekannt,  daß  sie  grünes  Kartoffelkraut  ge- 
trocknet und  getrocknete  Rübenblätter  zum  Preise  von  300  M.  für 
1000  kg  ohne  Sack  waggonfrei  Verladestation  übernimmt.  Die  näheren  Bedingungen 
sind  in  einem  Rundschreiben  enthalten,  welches  bei  der  Bezugs  Vereinigung  jeder- 
zeit eingefordert  werden  kann. 

Nach  der  „Revue"  soll  die  Zahl  der  von  der  Schweiz  zur  Getreideein- 
fuhr aus  den  Vereinigten  Staaten  zu  charternden  Schiffe  in  der  Regel 
elf  betragen,  was  einem  Kontingent  der  Schweiz  von  55  000  t  entspricht.  Im 
Monat  September  konnten  jedoch  nur  acht  gechartert  werden.  Die  Eidgenossen- 
schaft ist  ermächtigt  worden,  an  Stelle  des  nicht  erhältlichen  Weizens  Malz  und 
Hafer  einzuführen;  drei  solcher  Schiffsladungen  sind  nach  Cette  unterwegs;  die 
übrigen  fünf  laden  zurzeit  Hafer,  Oelkuchen  und  Gerste  und  werden  ebenfalls 
in  einigen  Tagen  nach  Europa  absegeln.  Die  von  den  Vereinigten  Staaten  ge- 
troffenen Maßnahmen  lassen  für  den  Monat  Oktober  die  Entsendung  der  zustehen- 
den Schiffsladungen  nicht  zu.  Dafür  hofft  man,  in  Argentinien  zwei  Schiffe  mit 
Mais  befrachten  zu  können.  Außerdem  glaubt  man  zu  der  Erwartung  berechtigt 
zu  sein,  daß  im  Monat  November  die  Weizen  zufuhr  wieder  einsetzt  und  so  die 
rasch  schwindenden  Vorräte  wieder  ergänzt  werden  können. 

In  der  Schweiz  hat  das  MUitärdepartement  bestimmt,  daß  die  landwirt- 
schaftlich tätigen  Personen  nur  im  Sommer  Zusatzkarten  als  Schwer- 
arbeiter erhalten.  Der  schweizerische  Bauernverband  verlangt  in  einer  Eingabe, 
daß  die  Viehwärter  und  alle  regelmäßig  im  Freien  arbeitenden  Personen  der 
Land-  und  Forstwirtschaft  auch  im  Winter  als  Schwerarbeiter  behandelt  werden. 
Es  wäre  ganz  unbegreiflich,  Leuten,  die  schon  morgens  um  4  und  5  Uhr  im  Stall 
stehen,  und  gar  solchen,  die  in  harter  Winterkälte  draußen  Holz  fällen,  die  Wohl- 
tat der  Zusatzbrotmarke  zu  versagen.  Der  Bauernverband  hat  in  einer  weiteren 
Eingabe  die  Behörden  auf  die  schweren  Verluste  hingewiesen,  welche  der  jüngst 
durch  amtliche  Maßnahmen  verstärkte  Sturz  der  Viehpreise  der  Landwirtschaft 
zufügt.  Namentlich  wird  die  Lage  vieler  Kleinbauern  kritisch,  da  manche  im 
Frühjahr  teures  Magervieh  gekauft  haben  und  jetzt  die  fetten  Tiere  billiger,  als 
sie  mager  gekauft  worden  waren,  absetzen  müssen. 

Das  Volks  Wirtschaftsdepartement  in  der  Schweiz  hat  die  Ausfuhr  in- 
ländischer Weine  bis  auf  weiteres  verboten  und  wird  dieselbe  später  in  die 
Hand  des  Bundes  oder  doch  unter  seine  genaue  Aufsicht  stellen.  Dagegen  hat 
das  Departement  der  Forderung,  für  inländische  Weine  Höchstpreise  zu  erlassen, 
nicht  Folge  gegeben. 

In  der  Schweiz  verbleiben  dem  Erzeuger  von  Hafer  50  v.  H.,  nachdem 
für  das  Pferd  800  kg  verrechnet  worden  sind,  und  von  der  Gerste  60  v.  H. 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XL 


-    598    - 

der  Ernte,  doch  darf  der  liest  nicht  an  beliebige  Abnehmer  verkauft  werden^ 
wenn  der  Erzeuger  im  eigenen  Haushalt  oder  im  eigenen  Betrieb  dafür  keine 
Verwendung  hat,  so  ist  dieser  Rest  der  Gemeinde  zu  Händen  der  Inlandgetreide- 
stelle  zur  Verfügung  zu  halten.  Bei  dem  Erwerb  von  solchem  Hafer  und  solcher 
Gerste  werden  610  Ircs.  für  die  Tonne  Hafer  (=  494,10  M.)  und  630  frcs.  für  die 
Tonne  Gerste  (=  510,30  M.)  durch  die  Inlanasgetreidestelle  bezahlt  werden. 

In  Schweden  sagte  in  einer  gemeinsamen  Sitzung  des  Haushaltsausschusses 
mit  Vertretern  der  Lebensmittelämter  der  schwedische  Landwirtschaftsminister 
Dahlberg  über  die  Lage  der  Volksernährung,  man  müsse  mit  Sorgen  in 
die  Zukunft  sehen,  da  der  kommende  Winter  sicher  viel  schwerer  werde  als  der 
vorige ;  man  werde  den  Bedarf  an  Holz  und  Beleuchtungsmaterial  nicht  befriedigen 
können.  Der  Vorrat  an  Getreide  entspreche  50  Proz.  des  normalen  Verbrauches, 
der  an  Futtermitteln  nur  40  Proz.  Trotzdem  bestehe  Hoffnung,  daß  man  bei 
streng  durchgeführter  Einteilung  über  die  wichtigsten  Bedarfsartikel  verfügen 
werde.  Außerdem  müsse  man  wohl  für  Butter  und  Milch  Höchstpreise  einführen. 
Im  übrigen  forderte  der  Landwirtschaftsminister  aUe  Klassen  auf,  an  der  Ver- 
sorgung des  ganzen  Volkes  nach  Kräften  mitzuarbeiten,  da  sonst  das  schwere 
Werk  nicht  gelingen  könne. 

Nach  der  „Frederiksborg  Amtstiden  de"  vom  21.  September  ist  vom  24.  Sep- 
tember ab  in  Dänemark  die  Vermahlung  von  Grütze  jeder  Art  nur  mit 
Erlaubnis  des  Nahrungsmittelausschusses  gestattet.  Der  Höchstpreis  in  Gere 
für  1  kg  Gerstengrütze  wird,  wie  folgt,  festgesetzt  beim  Verkauf:  a)  vom  Müller 
an  einen  Großhändler,  b)  an  Kleinhändler  in  Posten  von  50  kg  und  darüber, 
c)  an  Kleinhändler  in  Posten  unter  50  kg,  d)  von  Kleinhändlern  an  Verbraucher 
von  2  kg  und  mehr,  e)  von  Kleinhändlern  an  Verbraucher  unter  2  kg. 


Art 

a 

b 

c 

d 

e 

feine 

36 

40 

41 

47 

48 

mittelfeine  und  grobe 

34 

38 

39 

45 

46 

gewalzte 

38 

43 

43 

50 

50 

„Smör  Tidende"  vom  21.  September  berichtet:  Die  dänische  Ausfuhr- 
menge an  Butter  geht  Woche  für  Woche  zurück,  und  man  kann  mit  Sicher- 
heit annehmen,  daß  zurzeit  weniger  als  die  Hälfte  der  Buttermenge,  die  unter 
gewöhnlichen  Verhältnissen  in  dieser  Zeit  des  Jahres  ausgeführt  zu  werden  pflegt, 
zur  Verschiffung  kommt.  Auf  dem  Lande  beabsichtigt  man  sogar,  den  Betrieb 
der  Meiereien  auf  jeden  zweiten  Tag  zu  beschränken,  teils  wegen  der  geringeren 
Milchmenge,  besonders  aber  auch,  um  Kohlen  und  Fuhrgeld  zu  sparen,  die,  wie 
alle  anderen  Dinge,  sich  bedeutend  verteuert  haben. 

Die  „World"  vom  4.  September  enthält  eine  überaus  ernste  Schilderung  der 
schwierigen  Lebensmittelversorgung  Englands.  Sie  schreibt:  „Selbst 
wenn  wir  einen  verhältnismäßig  schönen  September  bekommen,  ist  es  nicht  mög- 
lich, auf  mehr  als  die  halbe  Ernte  an  Weizen  zu  rechnen,  die  wir  erwartet  hatten. 
In  normalen  Jahren  sind  ungefähr  6  Mill.  Quarters  oder  nahezu  20  v.  H.  des 
ganzen  Betrages,  den  wir  brauchen,  im  Lande  gewachsener  Weizen.  Allerdings 
steigt  die  ganze  Ernte  des  Vereinigten  Königreichs  im  Durchschnitt  auf  etwa 
1  Million  höher;  aber  es  muß  dann  ein  wesentlicher  Abzug  gemacht  werden  für 
Getreide,  das  sich  nicht  zum  Mahlen  eignet,  oder  das  als  Saatgut  und  für  andere 
landwirtschaftliche  Zwecke  gebraucht  wird.  Trotz  aller  unserer  Anstrengungen 
ist  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  wir  dieses  Jahr  viel  mehr  als  3  Mül.  Quarters 
Weizen  für  den  menschlichen  Verbrauch  erzeugen  werden,  und  das  ist  gerade 
ein  Zehntel  der  Menge,  die  wir  benötigen.  In  derselben  Weise  werden  auch 
Gerste  und  Hafer  leiden."  An  anderer  Stelle  schreibt  die  „World":  ,.Wird  das 
Publikum  nicht  beizeiten  gewarnt,  so  könnten  wir  uns  in  einen  sehr  gefährlichen 
Zustand  von  ganz  unberechtigter  Sicherheit  einlullen.  Daß  die  Mängel  einer 
schlechten  Ernte  gutgemacht  werden  können  durch  die  Ankündigung,  daß 
Deutschland  argentinischen  Schiffen,  die  unter  ihrer  eigenen  Flagge 
segeln  und  Lebensmittel  führen,  freien  Durchlaß  (I?)  gewähren  will,  werden 
manche  bestreiten." 

Der  englische  „Economist"  vom  8.  September  bringt  einen  vom  Land- 
wirtschaf tsamt  herausgegebenen  Bericht  von  T.  H.  Middleton  über  die  mit  An- 


—    599    — 

bau  auf  umgebroclienem  Weideland  in  diesem  Jahre  in  England  und 
Wales  erzielten  Erfolge  und  erklärt  diese  für  ermutigend  und  bedeutungsvoll  in 
Anbetracht  der  für  1918  geplanten  Vermehrung  des  Ackerlandes  um  2  Mill. 
Acres.  Auf  seine  Umfrage  über  die  auf  neu  umgebrochenen  Boden  erzielten  Er- 
gebnisse erhielt  das  Amt  300  Berichte  aus  35  Grafschaften.  Erfolge  wurden  er- 
zielt mit  Hafer,  Weizen,  Gerste,  Erbsen,  Bohnen,  Kartoffeln,  Mangold  wurzeln, 
Senf,  Eüben,  Eaps  und  Leinsaat.  Auf  jeden  gemeldeten  Fehlschlag  kamen  4  Er- 
folge, und  das  ist  bei  der  mangelnden  Vertrautheit  vieler  Landwirte  mit  der  Auf- 
gabe und  bei  dem  Fehlen  gelernter  Arbeitskräfte,  ohne  die  man  sich  doch  be- 
helfen  mußte,  viel  zufriedenstellender,  als  zu  erwarten  war.  Wenn  die  Landwirte 
Middletons  ßatschläge  beachten,  sollten  die  Fehlschlage  nächstes  Jahr  weniger 
als  die  diesmaligen,  25  v.  H ,  ausmachen. 

Der  englische  „Economist"  vom  25.  August  schreibt:  „Ein  endgültiger 
Schritt  in  der  Richtung  billiger  Versorgung  mit  Oelkuchenviehf utter 
ist  durch  den  Ankauf  der  ganzen  ägyptischen  Ernte  an  Baumwollsaat  durch  die 
Regierung  getan.  Laut  Nachrichten  aus  Alexandria  wird  die  Saat  zu  etwas  unter 
9  £  die  Tonne  (fob)  für  die  Ausfuhr  verfügbar  sein,  und  zwar  vermutlich 
im  umfange  von  mindestens  300  000  t.  Das  würde  eine  beträchtliche  Menge  von 
Rohstoff  für  die  englischen  Oelmühlen  darstellen.  In  den  ersten  11  Monaten  des 
Getreidejahres,  das  am  31.  August  zu  Ende  geht,  sind  nur  272  000  t  Baumwoll- 
saat aus  allen  Ländern  eingeführt  worden,  gegen  363  000  t  1915, 16  und  447  000  t 
1914/15.  Man  darf  annehmen,  daß  sich  der  Beschaffung  des  nötigen  Schiffs- 
raums unüberwindliche  Hindernisse  nicht  entgegenstellen.  Der  Nahrungmittel- 
diktator rechnet  darauf,  den  Oelkuchen  3— 4  £  unter  dem  jetzigen  Tonnenpreise, 
der  löVa  ^  beträgt,  liefern  zu  können.  Die  auf  diese  Weise  beschafften  Futter- 
mengen werden  aber  nicht  ausreichen,  um  den  Ausfall  an  Leinsaatkuchen  wett- 
zumachen, der  notwendigerweise  andauern  muß,  solange  die  Ausfuhr  von  Lein- 
saat aus  Indien,  Argentinien  und  anderswo  durch  (fie  Euiappheit  des  Schiffs- 
raumes für  längere  Reisen  so  sehr  eingeengt  ist. 

Nach  den  „Times"  vom  18.  September  bemerkte  in  einer  vom  Verband  der 
Fleischhändler  einberufenen  Versammlung  ein  Teilnehmer:  Bisher  seien  in 
England  über  4000  Fleischereien  geschlossen  worden.  Eine  Firma, 
welche  1300  Geschäfte  betrieben  habe,  habe  495  schließen  müssen. 

In  der  zweiten  Nummer  des  Amtsblattes  des  englischen  Lebensmittel- 
amtes schreibt  Rhondda :  „Unsere  Mindestbedürfnisse  an  Lebensmitteln 
aus  den  Vereinigten  Staaten  und  Kanada  während  der  kommenden 
12  Monate  betragen  über  10  Mill.  t  im  Werte  von  250  Mill.  £,  ausschließlich  der 
Frachtkosten,  oder  3—4  Mill.  $  täglich.  In  der  Hauptsache  handelt  es  sich  dabei 
um  Getreide,  Schweineprodukte,  Zucker  und  Fleisch." 

Nach  der  vorläufigen  Schätzung  des  französischen  Land  Wirtschafts- 
ministers  wird  sich  die  französische  Getreideernte  auf  397a  ^^^-  2*^-  ^^' 
laufen,  was  nicht  einmal  der  Hälfte  einer  Durchschnittsernte  entspricht. 

Unter  dem  13.  September  hat  in  Frankreich  der  Verpflegungsminister 
angeordnet,  daß  die  Höchstpreise  für  Bohnen  der  Ernte  1917  beim  Ankauf 
beim  Erzeuger  nicht  übersteigen  dürfen :  140  frcs.  (==  113,40  M.)  für  weiße  Bohnen, 
160  frcs.  (=  129,60  M.)  für  Bohnen  bester  Qualität  für  den  Doppelzentner. 

Nach  den  Ausführungen  des  Versorgungsministers  Long  vom  "9.  September 
1917  müsse  man  in  Frankreich  für  1918  beim  Getreide  mit  einem  Ausfall 
von  50  Proz.  rechnen;  man  werde  einen  gemeinsamen  Einkaufsausschuß  der 
Alliierten  bilden,  um  einen  Wettbewerb  auf  dem  amerikanischen  Markte  zu  ver- 
hindern. Zur  Beschaffung  von  Schiffsraum  habe  ein  Erlaß  alle  für  Frankreich 
laufenden  französischen,  fdliierten  und  neutralen  Schiffe  für  den  Staat  gesichert 
und  Schiffahrtswege  und  Frachtsätze  bestimmt.  Da  strenge  Sparsamkeit  nötig 
sei,  werde  er  kräftig  gegen  jede  Vergeudung  vorgehen.  Die  Mißstände  bei  der 
Zuckerverteilung  wolle  er  abstellen:  er  schlage  vor,  die  monatliche  Kopf- 
menge von  750  auf  500  g  herabzusetzen.  Zu  den  Klagen  über  schlechtes  Brot 
erklärte  der  Minister,  die  Ausbeutelung  des  Getreides  sei  nicht  schuld  daran,  er 
werde  auf  Grund  der  Brotkarte,  die  Kindern  bis  zu  6  Jahren  300,  allen  übrigen 
500  g  und  den  Schwerarbeitern  eine  Zulage  von  200  g  sichere,  eine  genaue  Ver- 
brauchsaufnahme vornehmen  lassen ;  er  beabsichtige,  das  Brot  zu  verbesäern,  aber 

XL* 


—    6oo    — 

die  Kopf  menge  herabzusetzen.  Vom  15.  Oktober  an  sollten  die  beiden  fleisch- 
losen Tage  fortfallen. 

Carlo  öacchi  schreibt  in  einem  Aufsatz  im  „Sole"  (Italien)  vom  15.  Sep- 
tember, in  dem  er  die  inzwischen  eingeführte  ßrotrationierung  empfiehlt: 
„Schon  sind  fast  3  Monate  seit  der  neuen  Ernte  verflossen,  und  man  kann  an- 
nehmen, daß  bereits  15  Mill.  dz  davon  verbraucht  sind.  Wenn  bis  zum  1.  Ok- 
tober das  Brot  nicht  rationiert  wird  und  man  nicht  eine  Mischung  des  Weizens 
mit  einem  Drittel  Mais,  Reis  und  Kartoffeln  vornimmt,  so  werden  wir  uns  bei 
Winterschluß  in  schwerer  Bedrängnis  befinden." 

Nach  „Nowoje  Wremja"  vom  8  September  berichtet  Professor  Possnikow 
als  Vorsitzender  des  Hauptagrarausschusses  bei  der  Eröffnung  der  dritten  Tagung 
dieser  Behörde,  daß  die  Verschuldung  des  russischen  Grundbesitzes 
an  Hypothekenbanken  sich  auf  272  Milliarden  Rbl.  beläuft.  Der  Zinsendienst  er- 
fordert 120  Mill.  Rbl.  jährlich.  Davon  sind  bisher  aber  nur  20  Mill.  eingegangen, 
und  da  die  Staatskasse  für  diese  Zahlungen  haftet,  muß  sie  die  fehlenden  100 
Mill.  Rbl.  zuzahlen,  womit  ihr  eine  außerordentlich  schwere  Last  auferlegt  wird. 

Ein  Melbourner  Brief  vom  13.  Juli  im  „Economist"  vom  15.  September 
berichtet  über  eine  Rede  von  Hughes  im  australischen  Bundesparlament  vom 
12.  Juli,  worin  er  nach  Mitteilungen  über  den  Ankauf  der  neuen  Woll- 
schur durch  die  englische  Regierung,  die  sie  nach  Abnahme  wie  bisher  —  ohne 
Rücksicht  auf  die  Verschiffung  —  mit  90  v.  H.  bezahlt,  sehr  unerfreulichen  Auf- 
schluß über  die  Verschiffungsschwierigkeiten  im  aligemeinen  gab.  Von 
der  Schiffsraumknappheit  sprechend,  erwähnte  er,  daß  „eine  der  Vertragsbe- 
dingungen mit  der  englischen  Regierung  war,  daß  sie  jeden  Monat  600000  Busheis 
australischen  Weizen  befördern  sollte.  Während  des  Monats  Juni  aber  wurde 
nicht  ein  Bushel  australischen  Weizens  nach  England  verschifft".  Nicht  nur  ist 
eine  große  Menge  von  Weizen  in  Australien  verblieben,  ohne  verschifft  zu  werden, 
sondern  in  den  Kühlhäusern  hat  sich  auch  eine  große  Menge  von  Gefrierfleisch 
angehäuft;  sie  sind  „bis  zum  Rande  gefüllt",  so  daß  die  Viehzüchter  für  einige 
Zeit  ihre  Herden  auf  den  Beinen  halten  müssen.  Dazu  kommt  noch,  daß  die 
Aussichten  für  Butterverschiffungen  —  die  in  gewöhnlichen  Zeiten  mit 
den  Postdampfern  erfolgt,  entschieden  ungewiß  ist.  Zurzeit  sind  in  Australien 
Frachten  von  verschiedener  Art  angehäuft,  die  für  15  Dampfer  mit  Gefrierein- 
richtungen und  für  548  allgemeine  Frachtdarapfer  ausreichen  würde.  Hundert- 
tausende von  Ballen  Wolle  füllen  jetzt  die  Lager,  und  die  nächste  Schur  wird 
noch  mehr  Raum  beanspruchen.  Nächsten  Februar,  wenn  die  Ernte  eingebracht 
ist,  werden,  so  berechnet  man,  wenn  sich  nicht  eine  andere  Absatzmöglichkeit  ergibt, 
nicht  weniger  als  600  Mill.  Busheis  Weizen  einschließlich  der  aus  der  letzten  Ernte 
verbleibenden  Ueberschüsse  vorhanden  sein.  Auch  vom  finanziellen  Standpunkt  ist 
es  wahrscheinlich,  daß  die  Verschiffungsschwierigkeiten  bemerkbaren  Einfluß  haben 
werden,  und  das  trotz  der  durch  den  Wollankauf  gewährten  Erleichterung. 

„Yorkshire  Post"  vom  12.  September  schreibt:  „Man  drängt  darauf,  die 
australischen  Weizen  Verschiffungen  über  die  Vereinigten  Staaten  zu  leiten. 
Auch  wird  vorgeschlagen,  Stapelplätze  an  verschiedenen  Plätzen  einzurichten,  wo 
die  Fahrzeuge  mit  Sicherheit  ihre  Ladung  landen  können,  um  dann  wegen  weiterer 
Ladung  zurückzukehen.  Schnelle  bewaffnete  Dampfer  könnten  dann  das  Gre- 
treide  nach  den  europäischen  Bestimmungsorten  bringen.  Auf  diese  Weise  könnte 
die  Inanspruchnahme  einer  großen  Zahl  langsamerer  Dampfer  vermieden  werden, 
die  einem  Unterseebootangriff  leichter  zum  Opfer  fallen. 

Weltmarkt. 

Getreidepreise  in  Mark  für  1000  kg, 

für  amerikanische  Märkte  umgerechnet  nach  dem  Friedenskurs  1  $  =^  4,20  M., 

für  London  umgerechnet  nach  dem  Friedenskurs  1  £  =  20,50  M. 

29.  September     22.  September 
C« 
f.  1  J 
New  York; 


Cents 

f.  1  Bushel 

M. 

M. 

Weizen:  Hardwinter  Nr.  2 

228 

35».8o 

351,80 

Roggen  loko  Nr.  2 

— 

305,50 

Hafer  white  clipped 

— 

— 

161,50 

Mais  Nr.  2 

2l8 

360,45 

372,05 

6oi 


29.  September      22 

.  September 

Cents 

f.  1  Bushel 

M. 

M. 

Chicago :          Mais :  per  Dezember 

118V4 

196,35 

194,90 

,.        „   Mai 

"57* 

191,40 

190,15 

Hafer:  per  September 

61 

141,25 

136,90 

„          „     Dezember 

58V8 

134,55 

133,15 

Roggen :    loko 

293,55 

Minneapolis:  Weizen:  per  September 

— 

— 

334,80 

Winnipeg:           „           Manitoba  Nr.  1 

— 

— 

341,— 

Wöchentliche  englische  „Farmers'  Deliveries". 

Durchschnittspreise  für  inländischen  Weizen. 

London,  22.  September  1917.                         Diese  Woche 

Vorige  Woche 

sh 

M. 

sh 

M. 

70/.8 

317,15 

70/.0 

314,^5 

entsprechende  Wochen  in  den  Vorjahren : 

1916             59/.4 

266,25 

1915             43/.3 

194,10 

Buenos  Aires,  13.  September  1917. 

Diese  Woche 

Vorige  Woche 

Pesos                   M. 

Pesos 

M. 

für  100  kg     Friedenskurs 

für  100  kg 

Friedenskurs 

(1,78) 

Weizen               —                     — 

— 

— 

Mais                 8,85                 157,55 

9,85 

159,80 

Hafer               ö,05                107,70 

6,95 

123,70 

Sichtbare  Vorräte  in  den  Vereinigten  Staaten  und  Kanada, 

in  Tonnen             22./9.  1917       15./9.  1917       Zu-  bezw.  Abnahme  23./9.  1916 

Weizen  i.  d.  Ver.  St.             —                      —                             —  i  669  000 

in  Kanada             138  ooö              53000                   +  85000  303000 


Zusammen 


Mais 


46  000 


Bradstreets  Statistik  (in  1000  t) 
Naohweisl.  Vorrat  an  Weizen  in  den 
Vereinigten  Staaten  und  Kanada 
östl.  des  Felsengebirges 
Nachweisl.  Vorrat  an  Mais  in  den  Ver- 
einigten Staaten  und  Kanada  östl. 
des  Felsengebirges 


— 

— 

I  972000 

6000 

+  20000 

114  000 

15./9.  1917 

8.|9.  1917 

16./9.  1916 

509 


62 


45 


:;6 


2378 


68 


136 


Internationales  Landwirtschaftliches  Institut  in  Born. 
Schätzung  der  Ernte  1917.    Neue  Angaben. 


'^a';     ^- 

1916, 

Durchschnitt 
1911/15 

Weizen. 

Kanada 

Vereinigte 

Algier 

Staaten 

67813000             113,1 

68040000             158,1 

8087000             101,9 

Roggen. 

Proz. 

„ 

97,7   Proz. 
94,5      » 
94,5      „ 

Kanada 

I  066  Goo             144,9 
Gerste. 

,1 

180.3      „ 

Kanada 
Algier 

12  915  000             142,6 
7  230  000              92,3 

„ 

124,1      „ 

85,0     „ 

—    6o2  — 

^dz^  gegen  1916 
Hafer. 

Schottland  7189000  112,2  Proz. 

Irland  13534000  41,5      „ 

Kanada  61664000  113,9      „ 

Vereinigte  Staaten     222514000  122,4      „ 

Algier  2750000  144,2      „ 

Mais. 

Vereinigte  Staaten     825024000  125,7      „ 


Darchschnitt 
1911/15 

110,2  Proz. 

143,9      „ 
100,0      „ 

124,«      „ 


7,9 


G  e 

Samtproduktion. 

^^^J                 gegen  1916 

Durchschnitt 
1911/15 

Weizen. 

Spanien 
Frankreich 

Schottland 

Irland 

Schweiz 
Kanada 

.453268000             103,3  Proz. 

88,6  Proz 

Vereinigte 
Indien 

Staaten 

Japan 
Algier 

Spanien 
Irland 

Roggen. 

Schweiz 
Kanada 

y   22848000            110,7     „ 

126,8      „ 

Vereinigte 

Staaten  / 

Gerste. 

Dsgl.  und 
Schottland 
Japan 
Algier 

I101086000             102,4      „ 
Hafer. 

— 

Spanien 
Schweiz 
Kanada 

1289644000             119,9     „ 

118,1      „ 

Vereinigte 

Staaten  J 

Mais. 

Spanien 
Schweiz 
Kanada 

1831626000             125,3     „ 

"7,7     „ 

Vereinigte 

Staaten  ^ 

m.  Indastrie,  einschließlich  Bergbau  und  Bangewerbe 

Inhalt:  1)  Bergbau:  Geschäftslage  im  Kohlen-  und  Kalibergbau  während 
des  Monats  September. 

2)  Eisengewerbe,  Metalle  und  Maschinen:  Beschäftigungsgrad  im 
September. 

1.  Bergbau. 
Ueber  die  Geschäftslage  im   Kohlen-    und   Kalibergbau   be- 
richtet das  „Reichs- Arbeitsblatt"  : 


—    6o3    — 

Im  E-uhrkohlengebiet  war  die  Beschäftigung  im  Monat  Sep- 
tember ebenso  außerordentlich  lebhaft  wie  in  den  vorhergehenden 
Monaten.  Die  Absatzverhältnisse  waren  nicht  nur  die  gleichen  wie 
im  Vormonat,  sondern  zeigen  auch  dem  Vorjahr  gegenüber  denselben 
Stand.  Zeitweise  machte  sich  Wagenmangel  bemerkbar,  so  daß  ein 
Teil  der  Förderung  auf  Lager  genommen  werden  mußte.  Die  Steige- 
rung der  Löhne  hielt  weiter  an.  Die  Einlegung  von  Ueberschichten 
zur  Steigerung  der  Förderung  wurde  auch  im  Berichtsmonat  bei- 
behalten. 

Im  Aachener  Steinkohlengebiet  wird  der  Geschäftsgang 
als  unverändert  gut  gekennzeichnet.  Auch  dem  September  1916  gegen- 
über ist  die  Tätigkeit  gleich  lebhaft  geblieben. 

Die  oberschlesischen  Steinkohlengruben  erfreuen  sich 
ebenso  reger  Nachfrage  nach  Kohlen  wie  bisher.  Es  wird  angegeben, 
daß  eine  Steigerung  der  Verladung  infolge  Wagenmangels  nicht  zu 
verzeichnen  war,  doch  konnten  erhebliche  Vorräte  auf  Lager  gestürzt 
werden.  Im  Vergleich  zum  Vorjahr  wies  die  Beschäftigung  keine 
Aenderung  auf.  Lohnerhöhungen  haben  fortgesetzt  stattgefunden.  Es 
war  Ueberarbeit  in   größerem  Umfange  erforderlich. 

Der  niederschlesische  Steinkohlenbergbau  hielt  die 
gute  Beschäftigung  zum  mindesten  auf  derselben  Höhe  wie  im  Vormonat, 
obwohl  sich  auch  hier  Wagenmangel  fühlbar  machte.  Auch  hier  mußten 
Kohle  und  Koks  auf  Lager  genommen  werden.  Gegenüber  dem  Vor- 
jahr um  die  gleiche  Zeit  wird  die  Beschäftigung  als  noch  günstiger 
geschildert.     Ueberstundenarbeit  wurde  geleistet. 

Die  Zwickauer  und  Lugauer-Oelsnitzer  Steinkohlen- 
werke hatten  befriedigend  zu  tun.  Die  Geschäftslage  war  etwas 
besser  als  im  Vorjahr,  doch  dem  Vormonat  gegenüber  trat  eine  geringe 
Verschlechterung  hervor. 

Im  mitteldeutschen  Braunkohlengebiet  hielt  die  rege 
Beschäftigung  auch  im  Berichtsmonat  an.  Teilweise  war  die  Tätigkeit 
eine  außergewöhnlich  lebhafte,  und  nur  an  wenigen  Stellen  blieb  sie 
hinter  der  des  Vorjahres  zurück.  Einige  Werke  hatten  über  ungünstige 
Wagengestellung  zu  klagen.  Die  Löhne  haben  bei  einer  Anzahl  von 
Werken  wiederum  eine  Steigerung  erfahren.  Vielfach  war  Ueber- 
stundenarbeit erforderlich. 

Der  Niederlausitze r  Braunkohlenbergbau  erfuhr  keine 
wesentliche  Veränderung  weder  dem  Vormonat  noch  dem  Vorjahr  gegen- 
über. Die  Beschäftigung  wird  von  den  eingegangenen  Berichten  als  gut 
geschildert,  obwohl  der  Versand  infolge  Wagenmangels  schwächer  als 
im  August  war.  Es  wird  hervorgehoben,  daß  erhebliche  Mengen  auf 
Lager  genommen  worden  sind.  Ueberstundenarbeit  war  zum  Teil  auch 
hier  erforderlich. 

Die  Kaliindustrie  berichtet  teils  über  sehr  rege  Nachfrage, 
teils  wird  die  Beschäftigung  als  gering  und  im  Vergleich  zum  Vor- 
monat infolge  Wagenmangels  als  niedriger  bezeichnet.  Auch  gegen 
das  Vorjahr  wird  teilweise  ein  Rückgang  der  Tätigkeit  bekundet.  Es 
wird  hervorgehoben,    daß    die   seit  dem    1.  Juli  zu  gewährenden  Lohn- 


—    6o4    — 

erhöhungen,  die  zwischen  0,60  und  1  M.  für  die  Schicht  höher  sind 
als  die  Durchschnittslöhne  im  letzten  Vierteljahr  1916,  weiter  gezahlt 
worden  sind. 


2.  Eisengewerbe.  —  Metalle  und  Maschinen. 

Ueber  den  Beschäftigungsgrad  im  September  wird  dem  „Reichs- 
Arbeitsblatt"  berichtet : 

Für  den  Eisenerzbergbau  wird  aus  Westdeutschland  keinerlei 
Veränderung  gemeldet. 

Von  den  Eisenhütten  Westdeutschlands  wird  äußerst  starke 
Nachfrage  nach  Qualitätsgießereiroheisen  festgestellt.  Auch  aus  Mittel- 
deutschland wird  die  Lage  als  unverändert  gut  geschildert.  Ueber- 
arbeit  war  teilweise  notwendig. 

Die  Nachfrage  nach  Rohzink  blieb  nach  wie  vor  sehr  gut.  Lohn- 
erhöhungen sind  auch  im  Berichtsmonat  vorgenommen  worden.  E» 
wird  auch  hier  Ueberstundenarbeit  gemeldet. 

Die  Kupfer-  und  Messingwerke  hatten  unverändert  gut  zu 
tun.  Dem  September  1916  gegenüber  war  der  Geschäftsgang,  wie 
hervorgehoben  wird,  zum  Teil  günstiger. 

Die  Eisengießereien  Westdeutschlands  haben  im  September 
ebenso  gute  Beschäftigung  gehabt  wie  in  den  Vormonaten  und  im  Vor- 
jahr. Die  Löhne  bewegen  sich  in  steigender  Richtung.  Verschiedent- 
lich wird  Ueberstundenarbeit  gemeldet.  In  Nordwestdeutschland  wie 
in  Mitteldeutschland  ist  die  Geschäftslage  die  gleiche  wie  bisher.  Dem 
Vorjahr  gegenüber  wird  verschiedentlich  noch  eine  Steigerung  der  Tätig- 
keit festgestellt.  Aus  Sachsen  wird  teilweise  eine  Verbesserung  nicht 
nur  dem  Vorjahr,  sondern  auch  dem  Vormonat  gegenüber  gemeldet. 
Die  schlesischen  Eisengießereien  verzeichnen  nach  wie  vor  sehr  guten 
Geschäftsgang.  In  einzelnen  Fällen  haben  Lohnerhöhungen  stattge- 
funden ;  vielfach  war  Ueberstundenarbeit  erforderlich.  Für  Süddeutsch- 
land wird  gleichfalls  andauernd  gute  Beschäftigung  festgestellt. 

Die  Stahl-  und  Walzwerke  Westdeutschlands  waren  wie  in 
den  Vermonaten  aufs  angespannteste  beschäftigt.  Auch  aus  Schlesien 
wird  die  Tätigkeit  dem  Vorjahr  wie  dem  Vormonat  entsprechend  als 
sehr  gut  gekennzeichnet.  Es  wurde  mit  Nachtschichten  sowie  an  Sonn- 
tagen bzw.  mit  Ueberstunden  gearbeitet. 

Die  Blechwalzwerke  hatten  ebensogut  wie  im  Vormonat  und 
teilweise  besser  als  im  Vorjahr  um  die  gleiche  Zeit  zu  tun.  Insbe- 
sondere wird  die  Nachfrage  nach  Feinblechen  nach  wie  vor  als  stark 
gezeichnet. 

Auch  für  die  Emallierwerke  liegen  keine  Meldungen  über 
Aenderungen  der  guten  Beschäftigungsverhältnisse  vor. 

Die  Röhrenindustrie  wies  durchgängig  befriedigende  bzw. 
gute  Beschäftigung  auf.  Die  Verladung  übertraf,  wie  hervorgehoben 
wird,  teilweise  die  des  Vormonts.  Im  Vergleich  zum  September  1916 
ist  verschiedentlich  eine  Steigerung  der  Leistungen  zu  erkennen.  Die 
Löhne  sind  zum  Teil  weiter  erhöht  worden. 


—    6o5    — 

Die  Drahtfabriken  erfuhren  gleichfalls  im  allgemeinen  keine 
Veränderung   in   ihrer   zufriedenstellenden    bzw.  starken  Beschäftigung. 

Die  Beschäftigung  der  Kleineisenindustrie  entsprach  im 
ganzen  der  des  Vormonats.  Die  Tätigkeit  wird  als  sehr  gut  bezeichnet 
und  auch  dem  Vorjahr  gegenüber  ist  im  allgemeinen  eine  Veränderung 
nicht  hervorgetreten.  Verschiedentlich  mußten  Ueberstunden  und  Nacht- 
schichten eingelegt  werden. 

Aus  der  Blech-  und  Metallwarenindustrie  werden  keine 
Veränderungen  gemeldet.  Auch  hier  mußte  mit  Ueberstunden  ge- 
arbeitet werden.     Das  gleiche  gilt  für  die  Blech-  und  Metallspielwaren. 

Die  Maschinenbauanstalten  Nordwestdeutschlands  stellen 
für  September  ebenso  gute  Beschäftigung  wie  im  August  bzw.  wie  im 
September  des  vorigen  Jahres  fest.  Für  Mitteldeutschland  wird  gleich- 
falls nach  wie  vor  lebhafte,  Ueberstundenarbeit  erfordernde  Tätigkeit 
verzeichnet.  Verschiedentlich  haben  weitere  Lohnsteigerungen  statt- 
gefunden. Aus  Schlesien  wird  zum  Teil  besserer  Geschäftsgang  als 
im  Vorjahre  um  dieselbe  Zeit  gemeldet.  Die  süddeutschen  Maschinen- 
fabriken bekunden  denselben  lebhaften  Beschäftigungsstand  wie  im  August. 
Im  Vergleich  zum  Vorjahre  ist  eine  Steigerung  der  Tätigkeit  einge- 
treten. Es  wurde  mit  Doppelschichten  bzw.  mit  Ueberstunden  ge- 
arbeitet. 

Die  Lokomotivbauanstalten  weisen  ungefähr  die  gleiche 
Beschäftigung  wie  im  vorhergehenden  Monat  auf.  Dem  Vorjahr  gegen- 
über ist  verschiedentlich  eine  Verbesserung  hervorgetreten. 

Die  Betriebe,  die  landwirtschaftliche  Maschinen  herstellen,  waren 
auch  im  Berichtsmonat  gut  beschäftigt.  Die  Lage,  die  im  Vergleich 
zum  September  1916  keine  wesentliche  Veränderung  zeigt,  ist  teilweise 
günstiger  als  im  Vormonat.  Verschiedentlich  wird  aber  auch  dem 
September  1916  gegenüber  eine  bedeutende  Steigerung  des  Absatzes 
berichtet. 

Die  Dampfkesselfabriken  und  Armaturenwerkstätten 
Westdeutschlands  haben  andauernd  gut  zu  tun.  Auch  in  Mitteldeutsch- 
land hielt  sich  der  Geschäftsgang  auf  der  gleichen  Höhe  wie  im  Vor- 
monat. 

Für  den  Bau  von  Eisenkonstruktionen  und  Brücken 
hat  teils  keine  Veränderung,  teils  eine  Verbesserung  sowohl  dem  Vor- 
monat wie  dem  Vorjahre  gegenüber  stattgefunden.  Vereinzelt  wird 
aber  auch  ein  Nachlassen  der  Tätigkeit  festgestellt,  das  sich  nicht  nur 
dem  Vormonat,    sondern    auch  dem  Vorjahre  gegenüber  fühlbar  macht. 

Die  Maschinenfabriken  für  Hebezeuge  hatten  gut  bzw.  sehr 
gut  zu  tun.  Im  Vergleich  zum  September  1916  ist  vielfach  eine  Steige- 
rung des  Geschäftsganges  eingetreten.  Für  Drahseil-  und  Verladean- 
lagen wird  eine  Verbesserung  sowohl  im  Hinblick  auf  den  Vormonat 
als  auch  auf  das  Vorjahr  festgestellt. 

Für  die  Herstellung  von  Bergwerkmaschinen  war  ebenso 
gut  wie  im  Vormonat  zu  tun.  Dem  September  1916  gegenüber  wird 
zum  Teil  angegeben,  daß  eine  Verbesserung  eingetreten  ist.    Für  Auf- 


—    6o6    — 

bereitungsanlagen  wird  eine  Steigerung  dem  Vorjahr  gegenüber,  zum 
Teil  ausdrücklich  eine  wesentliche  Verbesserung  verzeichnet. 

Die  Gerbereimaschinenfabriken  waren  ebenso  lebhaft  wie 
im  August  und  im  September  vorigen  Jahres  beschäftigt. 

Die  Maschinenbauanstalten  für  Holzbearbeitungs-  und  Faß- 
maschinen  waren  im  ganzen  genügend  beschäftigt.  Dem  Vormonat 
gegenüber  ist  teilweise  eine  Abschwächung  festzustellen ;  doch  wird  der 
Geschäftsgang  dem  Vorjahr  gegenüber  als  besser  oder  aber  als  gleich 
befriedigend  geschildert. 

Von  Betrieben,  die  Maschinen  für  das  Nahrungsmittel- 
gewerbe herstellen,  wird  keine  Veränderung  der  Beschäftigungsver- 
hältnisse gemeldet.  Nur  was  die  Herstellung  von  Maschinen  und 
Apparate  für  die  Zuckerindustrie  anbelangt,  wird  eine  Verringerung 
der  Tätigkeit  angegeben.  Die  Kellereimaschinenfabriken  sind  in  un- 
vermindertem Maße  beschäftigt. 

Für  den  Schiffbau  machte  sich  nach  den  vorliegenden  Berichten 
keine  wesentliche  Verschiebung  der  Beschäftigungsverhältnisse  be- 
merkbar. 

Die  Eisenbahnwagenfabriken  arbeiten  ebenso  lebhaft  wie 
in  den  Vormonaten.  Dem  Vorjahr  gegenüber  ist  teilweise  eine  Steige- 
rung der  Beschäftigung  erreicht  worden.  Die  Fabriken  für  Kleinbahnen 
sind  nach  wie  vor  ausreichend  beschäftigt,  dem  Vorjahr  gegenüber  ist 
keine  wesentliche  Veränderung  eingetreten.  Es  sind  teilweise  weitere 
Lohnerhöhungen  bewilligt  worden. 

Für  den  Bau  von  Apparaten  zur  Sicherung  des  Zug- 
verkehrs macht  sich  eine  wesentliche  Veränderung  der  Geschäfts- 
lage nicht  bemerkbar. 

Der  Kraftwagenbau  meldet  ebenso  gute  Beschäftigung  wie  in  den 
Vormonaten. 

Die  optische  Industrie  und  Feinmechanik  erfreuten  sich  weiter- 
hin guten  Geschäftsganges.  Dem  Vorjahr  gegenüber  ist  eine  Steigerung 
unverkennbar. 

Für  den  Bau  von  Dynamomaschinen,  Akkumulatoren 
und  Transformatoren  liegen  im  Monat  September  die  Verhält- 
nisse im  allgemeinen  ebenso  wie  in  den  vorhergehenden  beiden 
Monaten.  Teilweise  wird  hervorgehoben,  daß  die  Beschäftigung  nicht 
nur  besser  als  im  Vorjahr  um  dieselbe  Zeit  ist,  sondern  daß  auch  im 
Vergleich  zum  Vormonat  die  Beschäftigung  im  Bau  elektrischer  Maschinen 
weiter  zugenommen  hat.  Der  Eingang  von  Bestellungen  auf  elektro- 
technische Meßinstrumente  entsprach  dem  des  August,  übertraf  aber 
den  des  September  1916  bedeutend.  Teilweise  mußte  mit  Wechsel- 
schichten bzw.  mit  Ueberstunden  gearbeitet  werden. 

Die  Schwachstromelektrotechnik  läßt  weder  eine  Ver- 
besserung noch  eine  Verschlechterung  der  Beschäftigung  erkennen.  Die 
Berichte  bezeichnen  den  lebhaften  Geschäftsgang  dem  Vorjahr  gegen- 
über als  stärker. 

Für  die  Herstellung  elektrischer  Beleuchtungsappa- 
rate wird  die  Lage  als  die  gleiche  wie  im  Vormonat  und  im  Vorjahr 
geschildert. 


—    6o7    — 

Bezüglich  der  Einrichtung  elektrischer  Licht-  und  Kraft- 
anlagen ist  gleichfalls  keine  wesentliche  Verschiebung  der  Verhält- 
nisse zu  vermerken.  Dem  Vorjahr  gegenüber  wird  vereinzelt  ein  Rück- 
gang gemeldet. 

Die  Kabelwerke  hatten  teils  ebenso  gut  wie  im  Vormonat,  teils 
besser  als  im  August  zu  tun.  Auch  dem  Vorjahr  gegenüber  wird  ver- 
schiedentlich eine  Steigerung  der  Tätigkeit  festgestellt.  Nur  ein  Be- 
richt meldet  eine  Abschwächung  dem  September  1916  gegenüber.  Ver- 
einzelt wird  angegeben,  daß  Lohnerhöhungen  gewährt  worden  sind. 

IV.  Handel  und  Verkehr, 

Inhalt:  Wirtschaftsabkommen  der  Schweiz  mit  Deutschland  und  den 
Entente- Staaten.  Wirtschaftsabkommen  Hollands  mit  Deutschland  und  den 
Entente-Staaten.  Skandinavische  Handelskonferenz.  Zolltarifrevision  in  Italien. 
Englisch-französisches  Handelsabkommen.  Anleihe  Chinas  in  Japan.  Außen- 
handel (Statistik)  Britisch-Süd-,  Ost-  und  Westafrikas,  der  Straits  Settlements 
und  verbündeten  Malayenstaaten,  der  Philippinen  und  Brasiliens.  Schiffahrt 
Hollands  (Rotterdams),  Norwegens  (Bergens)  und  Chinas. 

Ein  neues  Wirtschaftsabkommen  zwischen  dem  Deutschen 
Reiche  und  der  Schweiz  (vgl.  oben  S.  537 f.)  ist  am  4.  September 
1917  abgeschlossen  worden.  Das  schweizerische  Volkswirtschaftsdepar- 
tement machte  darüber  (nach  der  „Prankf.  Ztg."  vom  5.  September 
1917)  folgende  Mitteilungen: 

Das  Abkommen  läuft  bis  zum  30.  April  1918,  doch  hat  jeder  Teil  das 
Recht,  die  üebereinkunft  mit  zweimonatiger  Frist  auf  Monatsende  zu  kündigen. 
Die  wichtigste  Frage,  die  durch  dieses  Ueberein kommen  für  die  Schweiz  gelöst 
werden  mußte,  ist  die  Beschaffung  von  Kohle,  sowie  von  Eisen  und  Stahl.  Wie 
bereits  im  alten  Abkommen,  übernimmt  Deutschland  diu-ch  das  vorliegende  Ab- 
kommen keine  eigentliche  Verpflichtung,  Kohlen  und  Eisen  zu  liefern.  Es  er- 
teilt dazu  Ausfuhrbewilligung  für  200  000  t  Kohle  und  19  000  t  Eisen  und  Stahl 
pro  Monat  und  wird  in  dem  ernsten  Bestreben,  die  Schweiz  mit  Kohlen  und  Eisen 
zu  versorgen,  alles  unter  den  gegebenen  Verbältnissen  Mögliche  tun,  um  die 
Lieferer  zur  Lieferung  anzuhalten  und  den  Transport  zu  fördern. 

Der  Preis  für  die  200000  t  Kohlen  wird  bis  zum  30.  April  1918  auf  der 
Basis  von  90  frcs.  für  die  Tonne  ab  Saargrube  festgesetzt.  In  diesem  Preis  ist  die 
Kohlensteuer  inbegriffen.  Alle  etwaigen  neuen  Steuern,  Gebühren  oder  Abgaben 
fallen  zu  Lasten  des  Lieferanten.  Frachterhöhungen  für  die  Kohle  sind  nur  zu- 
lässig, insofern  sie  auch  für  den  internen  Verkehr  gelten.  Für  Eisen  und  Stahl 
sind  die  Preise  um  50  Proz.  erhöht  worden.  Die  alten  Abschlüsse  in  Stab-  und 
Formeisen  bleiben  mit  einem  Zuschlag  von  200  frcs.  für  die  Tonne  bestehen, 
jedoch  darf  der  Gesamtpreis  700  frcs.  für  die  Tonne  nicht  übersteigen,  und  zwar 
sowohl  für  alte  wie  für  neue  Abschlüsse. 

Die  Schweiz  gewährt  Deutschland  einen  Monatskredit,  der  bei  einer  Liefe- 
rung von  200000  t  Kohlen  20  Mill.  frcs.  beträgt,  und  über  dessen  Modalitäten 
ein  besonderes  Abkommen  besteht.  Bei  einer  Kohlenlieferung  bis  zu  74  000  t  ist 
ein  Kredit  nicht  zu  gewähren.  Erfolgt  eine  Lieferung  von  100000  t  Kohle,  so 
beträgt  die  Kreditsumme  4:\'^  Mill.  frcs.,  bei  150000  t  11,25  Mill.  frcs.,  um  dann 
bei  200  000  t  20  Mill.  frcs.  zu  erreichen.  Erfolgt  die  Kreditgewährung  nicht  in 
der  vorgesehenen  Weise,  so  kann  eine  Erhöhung  der  Kohlenpreise  eintreten.  Der 
Kredit  wird  durch  eine  schweizerische  Finanzorganisation  gewährt  gegen  in 
Schweizer  Francs  auszustellende  und  in  der  Schweiz  zu  zahlende  Dreimonats- 
wechsel, die  die  Girounterschrift  einer  erstklassigen  deutschen  Bank  zu  tragen 
haben.  Diese  Wechsel  werden  bis  zur  Rückzahlung  des  Kredits  immer  erneuert. 
Als  Sicherheit  werden  mit  dem  Rechte  der  Wiederverpfändung  erstklassige  deutsche 
Hypothekarpfandbriefe  hinterlegt.    Die  Rückzahlung  der  Kreditbeträge  erfolgt  in 


—    6o8    — 

neun  Monatsraten.  Die  erste  dieser  Raten  erfolgt  am  31.  Oktober  1920.  Wird 
jedoch  das  abgeschlossene  Abkommen  früher  gekündigt,  so  beginnt  die  Rück- 
zahlung der  Monatsraten  um  so  viel  Monate  früher,  als  an  dem  normalen  Ablauf 
des  Abkommens  fehlen. 

Wird  nach  Ablauf  des  heute  in  Frage  stehenden  Abkommens  (also  nach 
dem  30.  April  1918)  die  Versorgung  der  Schweiz  mit  Kohlen  durch  Deutschland 
nicht  fortgesetzt,  so  werden  die  vorstehenden  vereinbarten  Rückzahlungstermine 
um  12  Monate  früher  gelegt. 

In  der  Einfuhr  von  Eisen  tritt  insofern  eine  Aenderung  ein,  als  die  bis- 
herige schweizerische  Eisenzentrale  aufgehoben  und  in  eine  behördliche  Organi- 
sation umgewandelt  wird,  die  bestimmte  Befugnisse  für  die  Verteilung  und  Er- 
werbung von  Eisen  erhält. 

Abgesehen  von  Kohlen  und  Eisen  sieht  das  Abkommen  vor,  daß  beiderseits 
Ausfuhrbewilligungen  für  zu  vereinbarende  Austauschmengen  und  darüber  hinaus 
ohne  besondere  Gegenleistung  im  Rahmen  des  Möglichen  erteilt  werden.  Ge- 
wisse Kategorien  von  Waren  wurden,  unter  Festhaltung  des  soeben  erwähnten 
Grundsatzes  bestimmter  Mengen,  für  die  Ausfuhrbewilligung  in  Aussicht  «ge- 
nommen. Deutschland  soll  hauptsächlich  erhebliche  Mengen  von  Kunstdünger 
freüassen,  sowie  eine  gewisse  Menge  von  Zucker  als  Ersatz  dessen,  was  in  Schoko- 
lade, kondensierter  Milch,  Früchten  und  Konserven  aus  der  Schweiz  geliefert 
wird.  Ferner  sind  zur  Ausfuhr  aus  Deutschland  vorgesehen:  Sämereien,  Stroh, 
Benzin,  Zink  und  Zinkprodukte;  als  Schweizer  Lieferungen  sind  vorgesehen: 
gegenüber  den  vorjährigen,  erheblich  reduzierten  Lieferungen  an  Milchprodukten 
Ausfuhrbewilligung  für  ca.  10  000  Stück  Vieh,  das  Deutschland  jedoch  nicht  ver- 
pflichtet ist,  abzunehmen,  für  Ziegen,  ferner  die  Lieferung  bescheidener  Mengen 
von  Schokolade  und  Fruchtkonserven.  Ohne  Angabe  irgendeiner  Menge  ist  auf- 
geführt die  eventuelle  Lieferung  von  frischem  Obst,  Obstwein  und  ähnlichen  Er- 
zeugnissen, soweit  der  Schweizer  Bedarf  eine  Ausfuhr  ermöglicht. 

Schließlich  wurde  noch  vereinbart,  daß  die  Beurteilung  von  Gesuchen  für 
die  Ausfuhr  von  Waren  nach  den  Ententestaaten,  oder  durch  diese  nach  neu- 
tralen Ländern,  durch  die  Treuhandstelle  und  die  Ausfuhrkommission  II  in 
gleichem  Rahmen  und  in  gleicher  Ausdehnung  erfolgt,  wie  dies  hinsichtlich  der 
Gesuche  für  die  Ausfuhr  nach  den  Zentralmächten  oder  durch  diese  nach  den 
neutralen  Ländern  durch  die  S.  S.  S.  und  die  Ausfuhrkommission  I  geschieht. 
Endlich  wurde  den  durch  die  Schweiz  aufgestellten  Vorschriften  über  die  Aus- 
fuhr von  Kriegsmaterial  zugestimmt. 

In  bezug  auf  die  Durchfuhr  von  Waren,  die  aus  und  nach  der  Schweiz 
durch  Deutschland  gehen  sollten,  sowie  auch  in  Beziehung  auf  die  Einfuhr  von 
schweizerischen  Erzeugnissen  nach  Deutschland  (in  Betracht  kommen  hierbei 
hauptsächlich  Artikel  der  Luxusindustrie)  enthält  das  Abkommen  keine  Bestim- 
mungen. Es  bleibt  also  demnach  bei  dem  System,  wonach  Deutschland  sich 
vorbehalten  würde,  im  einzelnen  Fall  Einfuhr-  und  Durchfuhrbewilligungen  zu 
erteilen. 

Fast  gleichzeitig  sind  auch  die  Verhandlungen,  welche  die  Schweiz 
mit  den  Entente-Staaten  über  ein  neues  Wirtschaftsab- 
kommen geführt  hat,  zum  Abschluß  gebracht  worden.  Nach  einer 
Meldung  der  „Agence  Havas"  vom  5.  September  1917  wurde  ver- 
einbart, daß  die  Schweizer  Seidenindustrie  von  der  Entente  zwar  nach 
wie  vor  Webstoffe  erhält,  sich  aber  verpflichtet,  Deutschland  und 
Oesterreich-Ungarn  nichts  zukommen  zu  lassen,  was  für  militärische 
Zwecke  geeignet  wäre.  Außerdem  wurden  verschiedene  Punkte  genau 
festgesetzt  hinsichtlich  der  Mengen  und  Transiterleichterungen,  die  der 
Schweiz  für  die  Versorgung  des  Landes  schon  bewilligt  worden  waren, 
sowie  der  Bürgschaften.  Die  mit  den  Alliierten  getroffenen  Abkommen 
wurden  mit  der  Absicht  abgeschlossen,  die  bisher  von  den  Alliierten 
verfolgten  Regeln  in  Ueberein Stimmung  zu  bringen,  deren  Wirksamkeit 


—    6o9    — 

durch  kürzlich  eingegangene  Angaben  festgestellt  werden  konnte.  — 
In  dem  am  11.  September  1917  veröffentlichen  „Neutralitätsbericht" 
des  schweizerischen  Bundesrats  wurde  über  das  Verhältnis  der  Schweiz 
zur  Entente  folgendes  mitgeteilt: 

Der  Bundesrat  beabsichtige,  die  Zufuhr  der  Schweiz  an  Lebensmitteln  und 
Rohstoffen  durch  ein  Abkommen  zu  sichern.  Der  Bundesrat  habe  sich  bereit 
erklärt,  auch  gegenüber  den  Ententemächten  die  Eröffnung  eines  monatlichen, 
von  der  tatsächlichen  Warenzufuhr  abhängigen  Warenkredites  zur  Verbesserung 
der  Kursverhältnisse  in  Erwägung  zu  ziehen,  und  zwar  auf  einer  Grundlage  wie 
im  deutschen  Abkommen,  „Es  muß  jedoch  besonders  hervorgehoben  werden", 
so  heißt  es  im  Neutralitätsbericht,  „daß  die  Mittel  der  Schweiz  beschränkt  sind. 
Der  jetzige  Stand  unserer  Valuta  bietet  keinen  zuverlässigen  Gradmesser  für  unsere 
finanzielle  Leistungsfähigkeit.  Er  ist  darauf  zurückzuführen,  daß  wir  keine  ge- 
nügenden Quantitäten  an  Waren  zu  importieren  in  der  Lage  sind.  In  dem  Zeit- 
punkte, in  dem  diese  Verhältnisse  sich  ändern,  werden  sich  zweifellos  tiefgehende 
Wirkungen  in  Beziehung  auf  den  Stand  unserer  Währung  geltend  machen,  um 
so  mehr  als  damit  zu  rechnen  ist,  daß  überhaupt  um  die  Zeit  des  Friedensschlusses 
auch  aus  anderen  Gründen  erhebliche,  zurzeit  den  Banken  auf  kurze  Frist  an- 
vertraute Gelder  zurückgezogen  werden.  Deshalb  ist  eine  große  Zurückhaltung 
in  der  Gewährung  solcher  Anleihen  absolut  notwendig  und  im  vitalsten  Interesse 
des  Landes  gelegen.  Unsere  wirtschaftliche  Situation  wird  immer  ernster  und 
schlimmer.  Wir  verhehlen  uns  nicht,  daß  diese  Verhältnisse  noch  unerfreulicher 
werden  können.  Wie  aber  dann  unser  Wirtschaftsleben  aufrechterhalten  werden 
kann,  bleibt  eine  offene  Frage." 

Längere  Zeit  hat  Holland  versucht,  nach  dem  Beispiel  der 
Schweiz  mit  den  kriegführenden  Nachbarstaaten,  vor  allem  mit  Deutsch- 
land und  England,  wirtschaftliche  Vereinbarungen  zu 
treffen,  um  sich  mit  notwendigen  Bedarfsartikeln,  namentlich  Kohlen, 
zu  versehen.  Ueber  den  Stand  der  Verhandlungen  über  diese  Ab- 
machungen schrieb  der  Haager  Korrespondent  der  „Franfurter  Zeitung" 
am  11.  September  1917  folgendes: 

Obgleich  man  über  die  seit  Wochen  laufenden  Wirtschaftsverhandlungen 
zwischen  Deutschland  und  Holland  die  größte  Zurückhaltung  bewahrt,  läßt  sich 
doch  nicht  verkennen,  daß  sie  augenblicklich  schwierig  sind.  Finanzminister  Treub 
hat,  allerdings  im  Einverständnis  mit  Schweden  und  Spanien,  erklärt,  daß  Holland 
keine  höheren  Kredite  geben  werde,  wenigstens  so  lange  nicht,  bis  die  Nieder- 
ländische Exportzentrale  in  Wirkung  getreten  sei.  Diese  Exportzentrale  wird  be- 
kanntlich die  Gesamtausfuhr  und  -einfuhr  der  Niederlande  und  die  Regelung 
des  hiermit  verbundenen  Kreditwesens  in  die  Hand  nehmen.  Deutschland  kann 
aber  unmöglich  warten,  bis  die  Exportzentrale  so  weit  ist,  daß  sie  handeln  kann. 
Für  die  Gesundung  der  deutschen  Valuta  ist  die  Kreditgewährung  unumgäng- 
Hch  nötig.  Wir  wissen  nicht,  inwieweit  diese  Kreditfrage,  deren  Regelung  nicht  ver- 
schoben werden  kann,  mit  der  Frage  der  Kohlenlieferung  Deutschlands  an  Holland 
in  Zusammenhang  zu  bringen  ist.  Jedenfalls  legt  sich  Deutschland  die  größten 
Opfer  auf,  um  Holland  die  250000  Tonnen  Kohlen  liefern  zu  können,  die  in  Aus- 
sicht gestellt  worden  sind.  In  Holland  ist  es  ja  nicht  unbekannt,  daß  die  deutschen 
Gemeinden  und  Betriebe  selbst  die  größte  Sparsamkeit  üben  müssen,  damit  der 
Staat  Kohlen  an  Neutrale  abgeben  kann.  Dabei  bezahlt  Holland  für  die  deutsche 
Kohle  12,13  fl.  pro  Tonne  weniger  als  die  Schweiz  nach  dem  neuen  Abkommen. 
Ein  Entgegenkommen  Hollands  ist  also  durchaus  am  Platze,  ebenso  wie  es  eine 
gerechte  Forderung  Deutschlands  ist,  für  seine  Opfer  die  nötige  Entschädigung 
durch  Verbesserung  seiner  Valuta  zu  erhalten,  da  sonst  die  Opfer  überflüssig 
sind,  und  Deutschland  leicht  zu  der  Erwägung  gebracht  werden  könnte,  ob  es 
seine  Kohle  nicht  besser  für  sich  selbst  verwende. 

Wie  die  Blätter  melden,  werden  von  Holland  monatlich  350000  Tonnen 
Kohlen  statt  der  von  Deutschland  als  äußerstes  Maximum  zugestandenen  250000 
Tonnen  gefordert,  und  deutscherseits  war  man  geneigt,  holländische  Arbeiter  in 


—    6io    — 

den  deutschen  Kohlenbergwerken  zuzulassen,  und  die  durch  die  holländischen 
Arbeiter  geleistete  Förderung  den  Niederlanden  zugute  kommen  zu  lassen.  In 
Holland  ist  man  auf  diesen  Vorschlag  nicht  eingegangen,  und  es  scheint  sogar, 
daß  man  den  holländischen  Arbeitern  von  den  schlechten  Ernährungs Verhältnissen 
in  Deutschland  unter  der  Hand  übertrieben  pessimistische  Vorstellungen  machte. 
In  Holland  ist  aber  schon  unter  der  Wirkung  der  jetzigen  Einschränkung  der 
Lieferungen  eine  geradezu  katastrophale  Not  entstanden,  ganz  zu  schweigen  von 
der  außerordentlichen  Einschränkung  des  Eisenbahnverkehrs,  die  für  den  24.  Sep- 
tember angekündigt  ist.  Immer  mehr  Betriebe  werden  zum  Stillstand  gezwungen, 
und  die  Zahl  der  zum  Feiern  genötigten  Arbeiter  geht  in  die  Tausende;  die  Zahl 
wird  stets  und  ständig  wachsen.  Es  ist  also  genug  Arbeitermaterial  vorhanden, 
das  in  Deutschland  Kohlen  fördern  könnte,  um  auf  diese  Weise  ein  Fortführen 
der  Betriebe  in  Holland  zum  größten  Teil  möglich  zu  machen  und  gleichzeitig 
die  Not  der  Arbeiter  zu  lindern. 

Inzwischen  tauchen  in  den  niederländischen  Blättern  Berichte  auf,  in  denen 
darauf  angespielt  wird,  daß  ein  Kohlenabkommen  mit  England  im  Werden  sei. 
Wir  können  diesen  Berichten  keine  allzu  große  Bedeutung  beilegen.  An  die  Liefe- 
rung von  Bunkerkohle  an  die  niederländischen  Schiffe  hat  England  schon  vor 
Monaten  die  Bedingung  geknüpft,  daß  die  niederländischen  Schiffe,  um  Bunker- 
kohle zu  erhalten,  eine  bis  zwei  Eeisen  für  die  ßechnung  der  Entente  machen 
müßten.  Und  es  sei  an  eine  früher  gestellte  Bedingung  erinnert,  wonach  Eng- 
land ein  Drittel  des  Schiffsraumes  der  niederländischen  Schiffe  für  sich  in  An- 
spruch nahm.  Die  niederländische  Eegierung  konnte  begreiflicherweise  auf  solche 
harten  Bedingungen  nicht  eingehen.  Wir  wissen  aber  auch  nicht  recht,  wo  Eng- 
land den  Schiffsraum  hernehmen  soll,  um  Kohlen  an  die  Niederlande  zu  liefern, 
da  es  noch  nicht  einmal  den  nötigen  Schiffsraum  besitzt,  die  in  Holland  ge- 
kauften Kartoffeln  und  Heringe  abzuholen,  so  daß  diese  nötigen  Nahrungsmittel 
auf  Englands  ßechnung  verfaulen  mußten,  und  zwar  zu  einer  Zeit,  wo  in  Holland 
selbst  die  größte  Kartoffelnot  herrschte.  Auch  dürfte  es  mit  den  größten 
Schwierigkeiten  füi  England  verknüpft  sein,  überhaupt  an  die  Niederlande  Kohlen 
zu  liefern,  zumal  da  England  doch  in  erster  Linie  gegen  Italien  und  Frankreich 
Verpflichtungen  besitzt,  die  es  nicht  erfüllen  kann,  obgleich  in  diesen  Ländern 
die  Kohlenmengen  dringend  benötigt  werden.  Falls  aber  wirklich  Kohle  von 
England  in  Aussicht  gestellt  würde,  so  würde  den  Holländern  nichts  anderes 
übrig  bleiben,  als  Schiffe  nach  England  zu  entsenden  und  die  Kohle  selbst  ab- 
zuholen und  nach  Holland  zu  bringen.  Welch  ein  gefährliches  Unternehmen 
dies  ist,  wissen  die  Holländer  selbst,  da  England  nicht  zögert,  Schiffe  der  Neu- 
tralen je  nach  Belieben  und  Bedürfnis  zurückzuhalten  und  sie  für  sich  zu  ver- 
wenden. Die  letzten  Erklärungen  der  Vereinigten  Staaten,  wonach  dort  einfach 
der  neutrale  Schiffsraum  für  die  Zwecke  der  Entente  verwandt  wird,  dienen  nicht 
dazu,  die  Aussichten  der  Niederländer  in  dieser  Hinsicht  zu  verbessern. 

Nach  Mitteilungen  der  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und 
Landwirtschaft"  vom  22.  September  1917  hat  die  skandinavische 
Handelskonferenz  in  Stockholm  (vgl.  oben  S.  476)  folgende  Ent- 
schließungen  angenommen : 

1.  Im  Hinblick  auf  die  Schwierigkeiten  und  Gefahren,  welche  die  Zukunft 
für  die  drei  skandinavischen  Länder  auf  handelspolitischem  Gebiet  in  ihrem 
Schöße  bergen  kann,  ist  es  nach  der  Auffassung  der  Handelskonferenz  von 
größter  Bedeutung,  daß  die  Kegierungen  eine  Erhebung  zur  Feststellung  der  ver- 
schiedenen Möglichkeiten  für  die  Stärkung  der  Stellung  der  drei  Länder  durch 
eine  gegenseitige  handelspolitische  Annäherung  vornehmen  lassen.  Neben  einer 
Statistik  über  den  zwischen  skandinavischen  Handelsumsatz  von  der  Art,  wie  sie 
früher  ausgearbeitet  worden  ist,  und  deretwegen  Vorschläge  bereits  geäußert 
worden  sind,  muß  nach  der  Auffassung  der  Konferenz  eine  allseitige  und  ein- 
gehende Untersuchung  für  diesen  Zweck  in  einem  jeden  der  drei  Länder  nach 
einem  gemeinsamen  Plane  sobald  als  möglich  veranstaltet  werden.  Dabei  sind 
die  auf  den  verschiedenen  Gebieten  des  Erwerbslebens  vorhandenen  praktischen 
Fachkenntnisse   in   erster  Linie  in  Anspruch  zu   nehmen.     Von  dem  Ergebnis 


-    6ii     - 

dieser  Untersuchungen   muß  abhängen,  in  welcher  Form  weitere  Verhandlungen 
zwischen  den  drei  Ländern  aufgenommen  werden  sollen. 

2.  Die  Handeltreibenden  in  den  drei  skandinavischen  Ländern  schätzen  die 
Bedeutung  hoch,  welche  die  gemeinsame  nordische  Gesetzgebungsarbeit  gehabt 
hat,  und  sie  hegen  die  lebhafte  Hoffnung,  daß  diese  fortgesetzt  werden  wird. 

Die  Handelskonferenz  ist  der  Ansicht,  daß  Gesetze,  die  Bestimmungen 
handelsrechtlicher  Art  enthalten,  von  den  drei  Ländern  gemeinsam  ausgearbeitet 
werden  müssen,  soweit  dem  nicht  entscheidende  Hindernisse  entgegenstehen. 

Wegen  der  Stoffe,  die  besonders  geeignet  sind,  den  Gegenstand  einer  ge- 
meinsamen nordischen  Gesetzgebung  zu  bilden,  verweist  die  Konferenz  auf  die 
Aeußerungen,  die  bei  der  Erörterung  gefallen  sind,  und  sie  unterstreicht  die  bei 
früheren  Konferenzen  geäußerten  Wünsche  wegen  einer  gemeinsamen  nordischen 
Kevision  des  Seegesetzes.  Dabei  wird  besonders  die  Notwendigkeit  des  Erlasses 
von  zeitgemäßen  Bestimmungen  über  die  Haftung  für  Güter  während  der  Be- 
förderung hervorgehoben. 

3.  Die  Konferenz  hält  es  für  wünschenswert,  daß  die  Bestimmungen  in  der 
skandinavischen  Konzessions-  und  Verbotsgesetzgebung  über  die  Erwerbung  von 
Naturschätzen  durch  Ausländer,  die  ein  Hindernis  bilden  für  die  Herstellung  der 
vollen  Gegenseitigkeit  zwischen  den  Ländern,  in  möglichstem  Umfang  zu  be- 
seitigen sind. 

Die  Konferenz  hält  weiter  für  wünschenswert,  daß  große  skandinavische 
Unternehmungen,  bei  denen  die  Beschaffung  des  erforderlichen  Kapitals  im 
eigenen  Lande  Schwierigkeiten  begegnet,  in  größtmöglicher  Ausdehnung  in  den 
skandinavischen  Ländern  finanziert  werden.  Soweit  für  die  Ausführungen  solcher 
Unternehmungen  der  Erwerb  von  großem  Eigentum  oder  andere  Verfügung  über 

foße  Naturschätze  Voraussetzung  ist,  hält  die  Konferenz,  wenn  für  diesen  Zweck 
onzession  erforderlich  ist,  für  wünschenswert,  daß  die  Regierung  des  betreffenden 
Landes  bei  der  Prüfung  der  Konzessionsfrage  so  großes  Entgegenkommen  zeigt, 
wie  dies  mit  den  geltenden  Konzessionsbestimmungen  vereinbar  ist. 

4.  Die  skandinavische  Handelskonferenz  ist  der  Auffassung,  daß  die  Münz- 
konvention während  der  Vergangenheit  von  großem  Nutzen  für  die  drei  nordi- 
schen Länder  gewesen  ist.  Die  Konferenz  spricht  die  Hoffnung  aus,  daß  es  bei 
Wiedereintritt  mehr  normaler  Verhältnisse  möglich  werden  wird,  im  Interesse  des 
Austausches  und  des  Verkehrs  zwischen  den  nordischen  Ländern  auf  den  Ge- 
meinsamkeitsgedanken weiter  zu  bauen,  welche  die  skandinavische  Münzeinheit 
geschaffen  haben. 

Die  Beschlüsse  unter  1,  2  und  4  sind  einstimmig  gefaßt  worden. 

Wie  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirtschaft" 
mitgeteilt  wird,  hat  die  italienische  Regierung  die  erforderlichen 
Schritte  unternommen,  um  mit  Ablauf  dieses  Jahres  alle  zwischen  Italien 
und  anderen  Staaten  bestehenden  Handelsverträge  und  -abkommen 
zu  beendigen,  durch  die  italienische  Zollsätze  gebunden  sind.  Der 
italienische  Vertragstarif,  dem  die  verschiedenen  Verträge  und  Abkommen 
zugrunde  liegen,  wird  mithin  am  31.  Dezember  1917  wirkungslos  werden. 
Verträge,  die  lediglich  die  Meistbegünstigung  enthalten,  hat  die  italie- 
nische Regierung  nicht  gekündigt.  Einem  parlamentarischen  Ausschuß 
soll  die  Prüfung  des  neuen  Zolltarif  entwurfs  obliegen.  (Vgl.  oben 
S.  539.) 

Ueber  die  Beschlüsse,  die  der  Tarifausschuß  hinsichtlich  der  allgemeinen 
Grundsätze  als  Rahmen  für  den  neuen  Tarif  gefaßt  hat,  wird  noch  folgendes 
mitgeteilt : 

1.  Es  soll  ein  Doppeltarif  eingeführt  werden ;  der  eine  Tarif  mit  hohen  Zoll- 
sätzen soll  auf  alle  Länder  angewandt  werden,  die  Italien  keine  günstigen  Be- 
dingungen gewähren,  der  andere  mit  mehr  gemäßigten  Sätzen  soll  ganz  oder  teil- 
weise auf  Länder  Anwendung  finden,  von  denen  günstige  Bedingungen  erlangt 
worden  sind. 


—      6l2      — 

2.  Falls  im  Austausch  gegen  gleichwertige  Vorteile  eine  Vorzugsbehandlung 
zugunsten  von  Ländern  angenommen  wird,  mit  denen  es  erwünscht  ist,  in  engere 
Handelsbeziehungen  zu  treten,  soll  diese  Behandlung  nur  bestimmten  Waren  ge- 
währt werden,  an  denen  die  in  Frage  kommenden  Länder  ein  besonderes  Inte- 
resse haben. 

3.  Die  Zollbehandlung  in  den  italienischen  Kolonien  soll  durch  Sonderbe- 
stimmungen geregelt  werden. 

4.  In  den  Vorbemerkungen  des  neuen  Zolltarifs  soll  Vorsorge  getroffen 
werden  für  Fälle,  in  denen  italienische  Waren  stark  belastet  werden  oder  ihrer 
Einfuhr  in  das  fremde  Land  Hindernisse  in  den  Weg  gelegt  werden,  und  zwar 
sollen  in  solchen  Fällen  Waren  aus  diesem  Lande  einer  unterschiedlichen  Be- 
handlung in  Italien  unterworfen  werden. 

5.  Falls  festgestellt  wird,  daß  Waren  unter  Hinzurechnung  der  Zölle,  Be- 
förderungskosten usw.  in  Italien  zu  einem  niedrigeren  Preise  als  dem  regelrechten 
Preise  in  dem  Lande,  von  wo  sie  herkommen,  verkauft  werden,  und  daraus  er- 
sichtlich ist,  daß  sie  in  irgendeiner  Weise  bei  der  Ausfuhr  eine  Prämie  erhalten 
haben,  soll  die  Kegierung  ermächtigt  sein,  zu  den  gewöhnlichen  Zöllen  einen  Zu- 
schlagszoll zu  erheben  und  sonstige  geboten  erscheinende  Maßnahmen  zu  treffen, 
um  dem  künstlichen  Wettbewerb  zu  begegnen. 

6.  Die  unter  der  Bezeichnung  Zollrückvergütung  bestehende  Zollbegünsti- 
gung, ferner  die  Bestimmungen  über  Einfuhr  und  Ausfuhr  auf  Zeit  zum  Zwecke 
der  ße-  oder  Verarbeitung  von  Waren  im  Inland  oder  Ausland  sollen  als  für 
die  italienischen  Wirtschafts  Verhältnisse  von  Vorteil  aufrechterhalten  bleiben. 

Ueber  den  Abschluß  eines  englisch-französischen  Handels- 
abkommens wurde  in  der  „Frankfurter  Zeitung"  vom  11.  September 
1917  folgendes  berichtet: 

In  den  letzten  Wochen  haben  in  London  zwischen  den  Minister  Clementel, 
Bonar  Law,  Lord  Robert  Cecil  und  Lord  Derby  unter  Beteiligung  des  Präsidenten 
des  Board  of  Trade,  Sir  Robert  Stanley,  und  des  Lebensmittelkontrolleurs  Lord 
Rhondda  Beratungen  stattgefunden,  die  den  Abschluß  eines  Abkommens  zwischen 
der  englischen  und  der  französischen  Regierung  über  die  Handhabung  der  Ein- 
fuhrverbote beider  Länder  zur  Folge  hatten.  Durch  dieses  Abkommen  ge- 
stehen sich  England  und  Frankreich  nunmehr  gegenseitig  grundsätzlich  Einfuhr- 
freiheit zu.  Für  die  zum  Export  bestimmten  Waren  ist  jedoch  eine  Ausfuhrlizenz 
nachzusuchen  und  zwar  für  englische  Exportwaren  beim  französischen  Zollbüro 
in  London  und  für  die  französische  Ausfuhr  beim  entsprechenden  englischen 
Büro  in  Paris.  Es  sind  allerdings  beiderseits  mancherlei  Ausnahmen  vorgesehen. 
Zum  Beispiel  bleibt  in  England  die  Einfuhr  von  gewissen  Sorten  von  Schmuck- 
federn und  von  vergoldeten  Gegenständen,  deren  Vergoldung  den  Wert  von  4  Proz. 
übersteigt,  verboten.  Ferner  läßt  England  beispielsweise  die  Einfuhr  von  Holz, 
Steinen,  Schiefer,  Automobilen,  Roh.stoffen  für  Papierfabrikation,  landwirtschaft- 
lichen Maschinen  und  Holzbearbeitungsmaschinen  nur  nach  Maßgabe  des  vor- 
handenen Bedürfnisses  und  nach  Erteilung  einer  besonderen  Erlaubnis  zu.  Andere 
Waren,  wie  z.  B.  Spirituosen  und  baumwollene  Strumpfwaren  unterliegen  einer  Kon- 
tingentierung. Die  Erlaubnis  zur  Einfuhr  solcher  nur  unter  besonderem  Vorbehalt 
für  die  Einfuhr  zulässigen  Gegenstände  wird  vom  Londoner  Board  of  Trade  erteilt. 

Auch  Frankreich  sieht  seinerseits  Ausnahmen  vor.  So  bleibt  z.  B.  die  Ein- 
fuhr von  baumwollenen  und  wollenen  Geweben,  abgesehen  von  Stickereien,  Spitzen, 
Passementerien  und  Bändern,  kontingentiert.  Ebenso  die  Einfuhr  von  Jutegeweben, 
Seife,  Kerzen,  tierischen  und  pflanzlichen  Oelen  und  Fetten  usw.  Verboten  bleibt 
die  Einfuhr  von  Branntwein  und  Likören  nach  Frankreich,  sodann  auch  die 
Einfuhr  von  eigentlichem  Alkohol,  sofern  nicht  eine  der  Ausnahmen  vorliegt, 
die  im  Dekret  vom  22.  Dezember  1916  bestimmt  sind.  Einfuhrerlaubnis  für 
kontingentierte  Artikel  erteilt  in  Frankreich  der  Handelsminister.  Durch  das  er- 
wähnte Abkommen,  dessen  Wurzel  in  der  Hauptsache  die  Mißstimmung  franzö- 
sischer Handelskreise  über  englische  Einfuhrbeschränkungen  war,  wird  eine  ganze 
Reihe  bedeutsamer  Erleichterungen  geschaffen.  Zum  Beispiel  fallen  jetzt  die 
englischen  Einfuhrbeschränkungen  für  Wein,  Früchte,  Seiden-  und  Leinen  waren, 
Konfektion,  Lederartikel,  Handschuhe,  Modewaren,  die  meisten  Sorten  von  Schmuck- 
federn, künstliche  Blumen,  Parfümerien,  Musikinstrumente,  Grold waren  usw.  fort, 


—    6i3     — 

wogegen  alle  diese  Artikel  bisher  zur  Einfuhr  nach  England  nur  in  Mengen  von 
25 — 50  Proz.  der  vor  dem  Kriege  festgestellten  Importe  zugelassen  waren. 

Vor  kurzem  haben  die  Japaner  China  eine  Anleihe  im  Be- 
trage von  10  Mill.  Yen  gewährt,  der  trotz  der  verhältnismäßigen  Niedrig- 
keit des  Betrages  eine  hohe  Bedeutung  beigemessen  wird.  In  der 
„Frankfurter  Zeitung"  vom  14.  September  1917  wurde  hierüber  folgen- 
des geschrieben: 

Der  Pekinger  Korrespondent  der  „Times",  dessen  Bericht  über  diese  Ange- 
legenheit vorliegt,  teilt  mit,  daß  die  japanische  Geldhilfe  als  ein  Vorschuß  auf 
eine  noch  abzuschließende  zweite  Keorganisationsanleihe  des  Entente  -  Banken- 
konsortiums geplant  wird.  Er  stellt  aber  gleichzeitig  fest,  daß  tatsächlich  eine 
zweite  Reorganisationsanleihe  von  dem  Banken konsortium  nicht  geplant  wird.  Das 
Geschäft  wird  demnach  nur  der  Form  nach  als  ein  Vorschußgeschäft  auf  eine 
gemeinschaftliche  Anleihe  bezeichnet,  um  Japan,  das  ein  Mitglied  des  Bankkon- 
Bortiums  ist  und  als  solches  nicht  allein  vorgehen  durfte,  die  Möglichkeit  zu  geben, 
China  die  Geldhilfe  zu  gewähren,  welche  die  übrigen  Mitglieder  der  Ententegruppe 
zu  geben  nicht  imstande  sind.  Das  Eingeständnis  ihres  Unvermögens,  China  zu 
helfen,  wird  das  Ansehen  der  europäischen  Mitglieder  der  Gruppe  (England,  Frank- 
reich und  Rußland)  in  Ostasien  sicherlich  nicht  stärken.  Andererseits  zeigt  sich, 
wie  wenig  bereit  sie  sind,  für  China  ein  Opfer  zu  bringen,  und  wie  gering  die 
chinesische  Bundesgenossenschaft  von  der  Entente  eingeschätzt  wird. 

Der  englische  Korrespondent  nimmt  an,  daß  der  sogenannte  Vorschuß  zu 
den  gleichen  Bedingungen  gewährt  worden  sei,  wie  die  erste  ßeorganisationsan- 
leihe.  Ob  dies  in  vollem  Umfange  so  ist,  können  wir  einstweilen  mangels  eigener 
Nachrichten  nicht  beurteilen.  Wenn  aber  die  „Times^-Meldung  richtig  sein 
sollte,  dann  würde  Japan  um  den  Preis  von  nur  20  Mill.  M.  sehr  erhebliche 
politische  Vorteile  errungen  haben.  Durch  den  Artikel  17  des  ersten  Reorgani- 
eationsan  leihe  Vertrages  hat  sich  China  verpflichtet,  sechs  Monate  nach  der  letzten 
Ratenzahlung  des  Anleihebetrages  keine  Regierungsanleihe  von  anderer  Seite  auf- 
zunehmen. Wenn  dieser  Paragraph  für  das  gegenwärtige  japanische  Geschäft  zu 
Recht  besteht  —  und  das  wird  er  wohl,  zumal  da  es  als  ein  Vorschußgeschäft 
mit  Bezug  auf  eine  noch  abzuschließende  Anleihe  bezeichnet  wird  —  so  hätte 
Japan  Amerika,  das  sich  geweigert  hat,  dem  Konsortium  beizutreten,  den  Weg 
für  eine  selbständige  Anleihe  in  China  versperrt.  Japan  hätte  also  eine  politische 
Scheidewand  zwischen  China  und  Amerika  errichtet.  Und  dies  nicht  aUein.  Durch 
den  Anleihevertrag  von  1913  hatten  sich  die  Mitglieder  des  geldgebenden  Konsor- 
tiums sehr  erhebliche  Aufsichtsrechte  über  die  chinesischen  Finanzen  gesichert. 
Vor  allem  wurde  damals  die  einträgliche  Salz  Verwaltung  unter  internationale 
Kontrolle  mit  einem  Engländer  als  Chef  des  Verwaltungsdienstes  und  einem 
Deutschen  als  Vizechef  gestellt.  Die  Japaner  kamen  jedoch  zu  jener  Zeit  zu 
kurz,  und  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  sie  die  jetzt  durch  ihr  sogenanntes  Vor- 
ßchußgeschäft  geschaffene  Lage  benützen  werden,  sich  in  den  Vordergrund  zu 
drängen.  Die  Deutschen  sind  aus  den  chinesischen  Verwaltungsdiensten  entlassen 
worden,  und  wir  würden  nicht  erstaunt  sein,  wenn  wir  alsbald  vernehmen  würden, 
daß  an  die  Stelle  des  deutschen  Vizechefs,  der  auf  Grund  einer  Uebereinkunft 
mit  England  die  Anwartschaft  auf  den  ersten  Posten  dieser  Verwaltung  nach 
Ausscheiden  des  bejahrten  englischen  Chefs  hatte,  ein  japanischer  getreten  sein 
würde.  Uns  würde  das  weniger  betreffen  als  England,  denn  die  Tore,  die  sich 
für  uns  einstweilen  in  China  geschlossen  haben,  werden  sich  uns  nach  dem  Kriege 
von  selbst  wieder  öffnen.  Aber  England  wird  durch  das  Erstarken  des  japanischen 
Einflusses  in  China  dauernder  Schaden  zugefügt. 

In  dem  „W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst"  werden  folgende 
Mitteilungen  über  den  Außenhandel  fremder  Gebiete  veröffentlicht: 

Der  Einfluß  des  Krieges  hat  sich  in  Südafrika  in  gleicher  Weise 
bemerkbar  gemacht  wie  in  den  meisten  der  vom  Kriege  betroffenen 
Länder.      Nach    einem    Abfallen    der    Umsätze    in    den    ersten    beiden 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.   1917.  XLI 


—    6i4    — 

Kriegsjahren  hat  sich  der  Handel  1916  wieder  bedeutend  ge- 
steigert, 80  daß  nicht  nur  alle  alten  Bestände  vorteilhaft  verwertet, 
sondern  auch  alle  vorhandenen  Industrien  aufs  stärkste  beschäftigt 
werden  konnten.     Es  betrugen  (in  1000  £): 

1916  1915 

Einfuhr  4'  185  33  834 

Ausfuhr  (Gold  nicht  inbegriffen)        23  946  16  859 

Der  Aufschwung,  den  die  Ausfuhr  seit  1911  genommen  hat,  wird  am  deut- 
lichsten erkennbar,  wenn  die  Zahlen  für  Diamanten,  Straußfedern  (und  Gold) 
fortfallen.    Es  verbleiben  sodann  (in  1000  £): 

1916  1915  1914  1913  1912  1911 

15653  II  610  10025  II  456  10378  8734 
Der  Gesamtwert  der  eingeführten  Waren  übersteigt  für  1916  den  aller 
früheren  Jahre  trotz  der  schweren  Hindernisse,  die  sich  dem  Handel  1916  auf 
allen  Seiten  entgegenstellten.  Selbst  wenn  man  die  Preissteigerungen  in  den  Pro- 
duktion slän  dem  berücksichtigt,  so  bleibt  doch  die  starke  Zunahme  der  Einfuhr 
bemerkenswert.    Seit  Gründung  der   Union    (1910)   hat  die  Einfuhr  ständig  zu- 

fenommen  und  erreichte  1913  das  erste  Maximum.  Untersucht  man  die  einzelnen 
linf uhrzahlen,  so  ergibt  sich  das  erstaunliche  Resultat,  daß  Südafrika  in  den 
letzten  Jahren  hauptsächlich  infolge  des  Krieges  ein  nicht  zu  unterschätzendes 
Produktionsland   geworden   ist,   besonders   in   landwirtschaftlichen  Erzeugnissen. 

In  den  wichtigsten  ost-  und  westafrikanischen  Kolonien 
Englands  erreichte  der  Außenhandel  folgenden  Umfang  (in  1000 £) : 

1914/15    1915/16 
Ostafrikanisches    f  Einfuhr  1469         1708 

Protektorat        \  Ausfuhr  1005  im 

1914    1915    1916 
654 


Uganda  (Einfuhr  -  458 

Uganda  \  Ausfuhr  —  418 

Nigeria  /Einfuhr  6901  5016 

iNigeria  \  Ausfuhr  6610  5660 


482 


Goldküste 


/Einfuhr  3158         31 17         4882 

\  Ausfuhr  4470         5815         5576 

Der  Außenhandel  der  Straits  Settlements  (Malakka)  war 
in  den  letzten  beiden  Jahren  folgender  (in  1000  £): 

1915  1916 

Wareneinfuhr                                        49803  61855 
davon  aus : 

Großbritannien                                         4  263  5  ö2i 

Japan                                                           i  740  2  659 

Vereinigte  Staaten                                      830  i  3^7 

Europäischer  Kontinent                          i  4^5  i  603 

Warenausfuhr                                         46495  56934 

In  der  Einfuhr  sind  die  bedeutenden  Mengen  Zinn  und  Gummi  einge- 
schlossen, die  von  den  Malayen-Staaten  und  Niederländisch-Indien  über  die  Straits 
Settlements  ausgeführt  werden. 

Ueber  den  Außenhandel  der  föderierten  Malayen-Staaten 
wird  folgendes  berichtet  (Angaben  in  1000  £): 

1913  1914  1915  1916 

Einfuhr  10  081  8607  7157  8339 

Ausfuhr  17345  14402  18950  25731 

In  den  letzten  beiden  Fiskaljahren  (1.  Juli  bis  30.  Juni)  hatte  der 
Außenhandel  der  Philippinen  folgenden  Umfang  (Angaben  in 
Mill.  £): 


-    6i5    - 


1915/16 

1916/17 

Einfuhr 

9,1 

IO,4 

Ausfuhr 

12,0 

14,0 

An  der  Einfuhr  waren  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  mit  53  v.  H., 
an  der  Ausfuhr  mit  60  v.  H.  beteiligt. 

Ueber  den  Außenhandel  Brasiliens  in  den  Jahren  1915  und 
1916  (vgl.  oben  S.  334j  wird  folgendes  mitgeteilt: 


(in  Papierl 

[ontos) 

1915                  1916 

Einfuhr 

582  996           809  099 

Ausfuhr 
Ausfuhrüber 

I  022  634         I  107  508 

schuß 

439  638            298  409 

Der  Handel  Brasiliens  mit 

den   wichtigsten  Herkunfts- 

und  Bestimmungs- 

ländern  war  folgender: 

Herkun 

ftsländer   (in  1(XX)  £): 

Neutrale: 

1916 

1915 

Alliierte: 

1916 

1915 

Spanien 

469 

432 

Großbritannien  und 

Schweiz 

512 

318 

Kolonien 

8282 

6650 

Holland 

273 

207 

Kanada 

269 

246 

Dänemark 

229 

'32 

Neufundland 

691 

641 

Schweden 

526 

265 

Indien 

652 

561 

Norwegen 

411 

500 

Neuseeland 

6 

21 

Griechenland 

7 

3 

Frankreich 

2095 

1487 

Vereinigte  Staaten 

15850 

9651 

Italien 

1410 

1327 

Kuba 

4 

3 

Bußland 

16 

12 

Mexiko 

257 

'J? 

Portugal 

I  872 

1490 

Argentinien 

5<>75 

4786 

Japan 

23 

II 

Uruguay- 

601 

447 

Verschiedene 

47 

70 

Paraguay 

42 

67 

15363 

12516 

Chile 

12 

20 

Bolivien 

— 

— 

Peru 

4 

3 

Ecuador 

I 

Venezuela 

— 

— 

China 

54 
24926 

35 
17  013 

Bestimmungs 

länder  (in  ICXX)  £): 

Neutrale 

■tnio 

1915 

Alliierte: 

1916 

1915 

(bis  Ende  1916  neutral):  ^*'^" 

Großbritannien 

6478 

6571 

Spanien 

460 

323 

Aeeypten 

91 

264 

Holland 

1685 

3370 

Britisch  Südafrika 

441 

380 

Dänemark 

414 

I  221 

Kanada 

3 

I 

Schweden 

1532 

4776 

Frankreich 

8889 

6044 

Norwegen 

295 

1565 

Algier 

118 

137 

Griechenland 

5 

207 

Italien 

3401 

1663 

Vereinigte  Staaten 

25  828 

22  146 

Bußland 

— 

Kuba 

63 

36 

Portugal 

321 

508 

Argentinien 

3  354 

2675 

Bumänien 

Uruguay 

1471 

2 

914 

Japan 

— 

— 

Paraguay 

19742 

15568 

Chile 

152 

147 

Bolivien 

5 

I 

Peru 

I 

2 

China 

— 

— 

352Ö7 


37383 


XLI* 


-     6i6    — 

Ueber  die  Entwicklung  der  holländischen  Schiffahrt 
während  des  Weltkriegs  und  ihre  Aussichten  in  der  künftigen  Friedens- 
zeit  schrieb  (nach  dem  „W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst")  die 
Rotterdamer  Handelskammer  in  ihrem  Jahresbericht  über  1916  folgendes: 
„Der  Wohlstand  nicht  nur  der  kriegführenden  Länder,  sondern  auch 
der  Neutralen  wird  nach  dem  Kriege  ernstlich  geschädigt  sein.  Des- 
halb hat  auch  Holland  alle  Kräfte  einzusetzen,  um  den  künftigen  wirt- 
schaftlichen Anforderungen  gerecht  zu  werden.  Den  kriegführenden 
Nachbarn  Hollands  wird  es  nach  Friedensschluß  kaum  möglich  sein, 
einen  flotten  Handelsverkehr  sofort  wieder  aufzunehmen;  die  Nieder- 
lande dagegen  werden  leicht  Gelegenheit  finden,  ihren  ehemals  blühenden 
Kommissionshandel  wieder  aufleben  zu  lassen.  Sie  können  als  Ver- 
mittlungsstelle für  Finanz-  und  Warengeschäfte  zwischen  den  ver- 
feindeten Staaten  auftreten,  wenn  sie,  ihrer  Freihandelspolitik  getreu, 
den  umliegenden  Ländern,  die  wahrscheinlich  zum  Schutzzoll  als  wirk- 
samstem Kampfmittel  greifen  werden,  keinen  Anlaß  bieten,  den  hollän- 
dischen Markt  zu  meiden.  Zur  Neubelebung  des  eigenen  Warenhandels 
und  der  nationalen  Industrie  bietet  sich  den  Handelskammern  ein 
dankbares  Arbeitsfeld  z.  B.  mit  der  Schaffung  eines  Baumwollmarktes 
und  einer  Leder-  und  Häute -Börse,  zu  denen  die  Vorarbeiten  schon 
begonnen  haben.  Ein  Aufblühen  von  Handel  und  Industrie  ist  aber 
nicht  denkbar  ohne  eine  starke  niederländische  Handelsflotte,  und  gerade 
diese  wurde  in  den  letzten  Jahren  schwer  getroffen.  Im  Jahre  1916  ist 
die  Schiffahrt  noch  weiter  zurückgegangen;  die  Einklarierungen  betrugen  : 

im  Jahre  Schiffe  Raum  in  1000  cbm 

1916  2979  15  100 

1915  3644  19683 

1914  7  303  43  336 

1913  10  203  59  903 

Man  muß  schon  bis  1870  zurückgehen,  um  auf  eine  so  niedrige  Zahl  voh 
Schiffen  zu  stoßen:  Rotterdam  ist  also  in  seiner  Schiffahrt  um  ein  Vierteljahr- 
hundert zurückgeworfen  worden. 

Obige  Zahlen  lassen  sich,  wie  folgt,  zerlegen: 

1916  1915  1914  1913 

Schiffe    1000  cbm     Schiffe    1000  cbm     Schiffe    lüOO  cbm     Schiffe    1000  cbm 


Europa 

2264 

6719 

2902 

10254 

6426 

31347 

8944 

43256 

Asien 

56 

794 

74 

I  118 

143 

2132 

186 

2677 

Afrika 

30 

125 

38 

174 

183 

1466 

246 

2046 

Amerika 

629 

7461 

630 

8136 

544 

8333 

815 

"795 

Australien 

— 

— 

— 

7 

60 

12 

127 

Der  Schiffsverkehr  mit  Spanien,  Rußland,  Rumänien  und  einer  ganzeu 
Reihe  anderer  europäischer  Länder  hat  überhaupt  aufgehört;  auch  die  Afrika- 
fahrt ist  fast  ganz  eingestellt  worden.  Unter  den  europäischen  Ländern  spielten 
nur  noch  England,  Norwegen  und  Schweden  eine  Rolle,  was  sich  am  besten  zeigt, 
wenn  man  die  Ein  klarier  ungsziffern  der  aus  diesen  Ländern  gekommenen  Schiffe 
den  gesamten  Ankünften  aus  europäischen  Häfen  gegenüberstellt. 

1916  1915 

Ankünfte     1000  cbm       Ankünfte     1000  cbm 
aus  England  1663  5073  2246  ^  168 

„    Norwegen  116  446  232  1565 

„    Schweden 280 S^3 227 846 

2059  6082  2705  9  579 

Ganz  Europa  2264  6720  2902  10  «54 


—    6i7    — 

Die  drei  genannten  Länder  bestreiten  also  dem  Schiffsraum  nach  ungefähr 
die  Hälfte  des  Kotterdamer  Hafen  Verkehrs.  In  die  andere  Hälfte  teilen  sich  die 
großen  Getreidelieferanten,  Argentinien  und  die  Vereinigten  Staaten: 

1916  1915 

Ankünfte     1000  cbm  Ankünfte  1000  ebm 

Argentinien                              I2i  1017  135  1293 

Vereinigte  Staaten 492  6208 463 6457 

613  7225  598  7840 
Hierzu  kommen  noch: 

Niederländische  Kolonien        51  735  61  953 

Leicht  erklärlich  ist  es,  daß  unter  den  heutigen  Verhältnissen  der  Anteil 
der  niederländischen  Flagge  steigt;  1916  erfolgten  drei  Fünftel  der  Einklarie- 
ningen  unter  holländischer  und  nur  ein  Siebentel  unter  englischer  Flagge,  während 
diese  früher  obenan  stand.  Zugenommen  hat  ferner  die  belgische  Flagge,  infolge 
ihres  Anteils  an  der  Arbeit  der  ßelief-Kommission. 

Alle  Schwierigkeiten  des  Jahres  1915  traten  in  bezug  auf  Schiffahrt  in  ver- 
doppeltem Maße  1916  auf.  Allerdings  winkten  auf  der  einen  Seite  große  Ge- 
winne, auf  der  anderen  Seite  bedeuteten  aber  etwaige  Schiffsverluste  einen  un- 
ermeßlichen Schaden,  da  bei  der  ungeheuren  Wertsteigerung  der  Schiffe  die 
Kosten  für  Neubauten  kaum  aufzubringen  waren.  Das  Jahr  1916  stand  ganz 
unter  dem  Zeichen  der  Unfreiheit,  nicht  nur  der  See,  sondern  auch  der  ßetriebs- 
führung.  Von  dem  Augenblick  an,  da  die  Ernährung  von  Mensch  und  Tier 
durch  mangelhafte  Zufuhren  gefährdet  wurde,  sahen  sich  die  Kegierungen  viel- 
fach genötigt,  in  den  Keedereibetrieb  einzugreifen.  Die  Keedereien  wurden  da- 
durch gewissermaßen  zu  Staatsbetrieben;  denn  die  Regierung  bestimmte  die 
Fahrten  und  Frachtsätze.  In  Holland  griff  der  Staat  auf  zweierlei  Weise  ein: 
erstens,  indem  er  es  den  Eeedern  praktisch  unmöglich  machte,  ihre  Schiffe  zu 
veräußern,  zweitens  durch  das  „Schiffrequisitionsgesetz",  das  sämtliche  Besitzer 
von  Schiffen  über  400  t  vergewaltigte.  In  der  Praxis  bedeutete  das  Gesetz  die 
zwangsweise  Fortsetzung  der  1916  getroffenen  gütlichen  üebereinkunft  zwischen 
Eegierung  und  Eeedern,  um  die  Getreidezufuhren  zu  sichern,  über  deren  Ver- 
längerung sich  die  Parteien  nicht  einigen  konnten.  Auch  die  Schwierigkeiten, 
die  England  den  auf  englische  Bunkerxiohlen  angewiesenen  Schiffen  bereitete, 
dürfen  nicht  vergessen  werden,  die  nur  allzuhäufig  die  Eeeder  hinderten,  ihren 
Verpflichtungen  gegen  das  eigene  Land  nachzukommen." 

Wie  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirt- 
schaft" mitgeteilt  wird,  kann  die  Frachtschiffahrt  Bergens 
(Norwegen)  auf  ein  außerordentlich  erfolgreiches  Jahr  (1916)  zurück- 
blicken. 

Der  Eeinüberschuß  beträgt  für  die  Jahre  1910 — 1916,  wie  folgt:  1910  etwa 
4,5,  1911  etwa  7,2,  1912  etwa  12,4,  1913  etwa  15,0,  1914  etwa  10,0,  1915  etwa  47,7 
und  1916  etwa  104,0  Mill.  Kr. 

Darin  sind  nicht  mitinbegriffen  die  Einnahmen  der  Bergenske  Dampskibs- 
selskap  und  auch  nicht  die  Gewinne,  die  sich  aus  dem  Verkaufe  von  Schiffen 
ergeben  haben.  Diese  müssen  schätzungsweise  als  ganz  erheblich  veranschlagt 
werden. 

Die  Bergensche  Flotte  hatte  im  Jahre  1916  folgende  Abgänge  zu  ver- 
zeichnen : 


durch  Verkauf 

6 

Schiffe 

von 

1 1  405  Keg.-T. 

„       Seeschaden 

13 

>> 

)) 

10550           n 

„       Versenkung 

35 

n 

}y 

56310     „ 

„       Abbruch 

2 

}t 

112 

„       Verkauf   nach   anderen   nor- 

„           wegischen  Häfen 

70 

*> 

»1 

80  985           „ 

als  gute  Prise  erklärt 

I 

Schiff 

II 

I5IO 

zusammen     127  Schiffe  von  160972  Beg.-T. 


—    6i8    — 

Dagegen  sind  folgende  Schiffe  dem  Bestände  zugeführt  worden: 

durch  Neubauten  in  Norwegen            20  Schiffe  von       4  730  Eeg.-T. 
„       Neubauten  im  Ausland  14       ,,  „       27  672        „ 
„       Kauf  vom  Ausland                     33       „  „       81  305        „ 
„       Kauf  von   anderen   nor- 
wegischen Häfen   73       »  ..       87  590        „ 

zusammen     140  Schiffe  von  201  279  Reg.-T. 

Das  Ergebnis  bedeutet  eine  Vergrößerung  der  Flotte  um  13  Schiffe  von  eu- 
sammen  40  325  Reg.-T.,  die  zufolge  ßergens  ßörs  Aarbok  Anfang  dieses  Jahres 
aus  375  Dampfern  von  572  904  Reg.-T.  und  6  Segelschiffen  von  5622  Reg.-T. 
bestand. 

lieber  die  Schiffahrt  Chinas  während  der  letzten  beiden  Jahre 
veröffentlichen  die  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirt- 
schaft" nach  englischen  Quellen  folgenden  Bericht: 

Der  im  Jahre  1915  herrschende  Schiffsraummangel  machte  sich  während  des 
Jahres  1916  noch  weit  mehr  fühlbar.  Die  hauptsächlichsten  Gründe  dafür  waren 
die  Inanspruchnahme  von  Schiffen  durch  die  kriegführenden  Regierungen  und 
das  gänzliche  Fehlen  der  deutschen  Schiffahrt.  Die  Frachten  nach  allen  Rich- 
tungen waren  sehr  hoch,  die  Mindeststeigerung  für  Fracht  nach  Europa  stellte 
sich  auf  25  v.  H.  Einige  Linien  erhöhten  ihre  Frachten  noch  weit  mehr  und 
versteigerten  geradezu  ihren  Laderaum  an  den  Meistbietenden.  Gegen  1915  ergab 
sich  unter  Einrechnung  aller  chinesischen  Schiffe  eine  Gesamtabnahme  um 
2  642  904  t,  wovon  auf  die  fremde  Schiffahrt  1 881 004  und  auf  die  chinesische 
761  900  t  entfielen.  Britischer  Schiffsraum  war  um  1 835  000  und  russischer  um 
377  000  t  weniger  vorhanden.  Die  amerikanische,  niederländische,  norwegische 
und  portugiesische  Flagge  zeigten  geringe  Verluste,  während  die  japanische  um 
360000  t  stieg.  Die  dänische,  französische  und  schwedische  Flagge  zeigte  eine 
kleine  Zunahme.  Der  Dampferverkehr  zwischen  Itschang  und  Tschungking  ent- 
wickelte sich  so  günstig,  daß  noch  weitere  Schiffe  für  diesen  Verkehr  gebaut 
werden.  P.  Arndt. 

V.  Yersicherungswesen. 

Inhalt:  1)  Privat  Versicherung.  Deutschland.  Ergebnisse  der 
Rückversicherung  1916.  Ergebnisse  der  Hagelversicherung  1917.  Inkrafttreten 
der  Versicherungsordnung.  Ernste  Lage  der  Glas  Versicherung.  Neue  Verschmel- 
zungen. Ausland.  Feuer-  und  Hagelversicherung  Oesterreich-Ungarns  1917. 
Die  Privatversicherung  in  der  Schweiz.  Neue  Volks  Versicherung  in  der  Schweiz. 
Norwegische  Seeversicherung  1916.  Neue  Stundung  der  Versicherungszahlungen 
in  Frankreich.  Neue  Seeversicherungen  in  England.  Seeversicherung  in  Kanada. 
Zwangslebensversicherung  für  die  amerikanischen  Truppen.  StaatHche  Seekriegs- 
versicherung in  Japan. 

2)  Sozialversicherung.  Deutschland.  Kinderzulagen-  und  Hinter- 
bliebenenversicherung für  die  bayrischen  Staatsbeamten.  Ausland.  Das  neue 
ünfallversicherungsgesetz  in  Oesterreich.  Pensionsversicherung  für  Privatange- 
stellte in  Dänemark. 

1.  Privatversicherung. 

Ueber  die  Ergebnisse  der  deutschen  Rückversiche- 
rungsgesellschaften  im  Jahre  1916  berichtet  der  Wiener  „Natio- 
nalökonom". Danach  waren  gegenüber  dem  Vorjahr  49  Gesellschaften 
tätig,  deren  Geschäftsgang  in  allen  Zweigen  mit  Ausnahme  der  Unfall- 
rückversicherung wesentliche  Steigerung  erfahren  hat. 

Es  ist  dies  um  so  bedeutender,  nachdem  der  Weltverkehr  den  deutschen  An- 
stalten immer  mehr  sich  verschließt  und  die  Geschäftszunahme  wohl  haupt- 


~    619    — 

sächlich  auf  Mitteleuropa  sich  beschränken  dürfte.  Die  Ergebnisse  waren 
finanziell  weniger  günstig  als  im  Jahre  1915,  da  die  Schäden  sich  im  ganzen  und 
großen  prozentual  höher  stellten;  sie  erforderten  66,6  gegen  65,1  Proz.  Die  Zu- 
nahme der  Schäden  ist  in  erster  Linie  auf  die  Transportversicherung  zurückzu- 
führen, während  in  der  Feuerbranche  nahezu  der  gleiche  Prozentsatz  wie  1915 
verbraucht  wurde.  Wir  glauben  jedoch,  daß  in  Wirklichkeit  die  Gesamtschäden 
sich  günstiger  stellten,  als  unsere  Tabelle  ausweist,  da  sehr  bedeutende  Beträge 
als  Schadenreserven  beseitigt  wurden,  welche  wohl  weitaus  den  wirklichen  Bedarf 
hierfür  überschreiten  dürften. 

Der  Geschäftsbetrieb  brachte  einen  industriellen  Nutzen  von  6617  305  M. 
gegen  die  beiden  Vorjahre  8  763  365  M.  resp.  4  493  482  M.  Sieht  man  jedoch  die 
Kentabilität  der  einzelnen  Branchen  an,  so  zeigt  sich  eine  wesentliche  Besserung 
in  der  Feuerversicherung  in  den  zwei  letzten  Jahren.  Gegenüber  den  Nettoprämien- 
einnahmen  von  272  Mill.  für  eigene  Rechnung  beträgt  der  Nutzen  nicht  ganz 
2,9  Proz.,  was  einem  bescheidenen  Gewinstsatz  entspricht.  Außerdem  haben  die 
Gesellschaften  an  Zinsen  26  095  929  M.  eingenommen,  wovon  für  die  Lebens-  und 
ünfallreserven  15  472  964  M.  verbraucht  wurden,  während  10  622  965  M.  als  Ge- 
winn verbleiben.  Dagegen  ergab  sich  ein  Kursverlust  von  4146050  M.,  soweit 
derselbe  zur  Verrechnung  gelangte.  Angesichts  des  günstigen  Verlaufes  des 
Krieges  dürfte  später  ein  großer  Teil  der  Kursabschreibungen  hereingebracht 
werden. 

Die  Einnahmen  und  Ausgaben  verteilen  sich  1916  in  Tausenden  Mark: 

Feuer-     Transport-   ^°^^^^}; ,    Lebens-    ß,^"^^,^ 

Versicherungen 
Brutto-Prämien       265  250       57  837         20  489         93  23 2^)     52  805 
abßückv.-,,  106  117       34600  2457  13492        18096 

„  Res.-Zuwachs  9315         1633         +643         31882 220 

Netto-Prämien         149  817      21604  18675         47858       34489 

Davon  wurden  verwendet  für  eigene  Rechnung: 

Eig.  Schäden  95  477       18822  9206         36277       21783 

Ges.  Kosten  50074         3875  8402         10975       10935 

Präm.-Ueberschuß       4266         1092  1067  606         i  77i 

Die  Ergebnisse  sind  weniger  günstig  als  im  Vorjahre,  was  wohl  auf  die  Zu- 
nahme der  Schäden  zurückzuführen  ist.  So  erforderten  die  Feuerschäden 
netto  um  6,3  Mill.  mehr  gegen  das  Vorjahr,  während  die  Nettoprämien  um  zirka 
8  Mill.  mehr  betrugen.  Insgesamt  absorbierten  die  Schadenzahlungen  für  eigene 
Rechnung  im  Berichtsjahre  66,4  Proz.  der  Nettoprämien;  seit  1^5  waren  die 
Schadensätze  63,1,  65,6,  66,2,  70,3  68,2,  69,8,  69,7,  74.4,  73,8,  67,0,  68,3,  68,5,  68,1, 
72,4,  72,7,  72,0,  71,6,  69,6,  66,4,  68,2  66,5,  80,2,  66,8,  67,3,  67,4,  64,5,  67,6,  66,4, 
66,4,  67,6,  65,1  und  66,6  Proz. 

Die  Feuer-  und  Transportbranchen  partizipieren  in  ungleicher  Weise 
an  den  Schäden,  denn  es  erforderten  die  Schaden  Zahlungen  für  eigene  Rechnung, 
soweit  dies  zu  ermitteln  war,  in  Prozenten  der  Nettoprämien: 

1916     1915     1914     1911/15  1906/10     1901/5     1896/0     1887/95 

Feuervers.  63,7     63,0      68,9       67,6  69,9  70,4         71,6  69,7 

Transp.-V.  87,1      83,4       84,3        80,8  81,1  78,6        80,3  79,8 

Weit  mehr  als  die  Hälfte  der  ganzen  Prämieneinnahmen  entfallen  anf  die 
Feuerversicherung,  zu  welcher  auch  ein  Teil  der  Einnahmen  der  „Gemischten 
Branchen"  zu  rechnen  ist;  der  Gewinn  dieser  Branche  betrug,  soweit  konstatier- 
bar, 2,8  Proz.  der  Nettoprämien,  gegen  2,9  resp.  0,4  Proz.  in  beiden  Vorjahren. 
In  den  Jahren  1906  bis  1916  lieferte  die  Feuerversicherung  im  Durchschnitte 
1,5  Proz.  üeberschuß. 


1)  Dabei  Reservefondszinsen. 


—     620     — 

In  der  Tran sportbran che  war  die  Gewinstchance  mit  Ausnahme  der  drei 
letzten  Jahre  eine  viel  günstigere.  Das  Berichtsjahr  hat  der  Transportver- 
sicherung einen  Verlust  von  1092  468  M.  gebracht;  das  Ergebnis  wäre  weit  un- 
günstiger, wenn  nicht  die  geringen  Provisionen  in  der  Transportbranche  ein  aus- 
gleichender Faktor  wären.  Im  Jahre  1916,  wo  der  Schadensatz  für  die  Trans- 
portbranche um  23,5  Proz.  höher  als  in  der  Feuerbranche  war,  ergab  sich  für 
die  Feuerversicherung  2,8  Proz.  Gewinn,  während  die  Transportbranche  einen 
Verlust  von  5  Proz.  ausweist. 

Soweit  konstatierbar,  war  die  Verwendung  der  Nettoprämien  in 
beiden  Hauptbranchen  im  Jahresdurchschnitte: 

Feu  erversicherung  Transportversicherung 

1916     1915     1911/15     1891/10  1916     1915     1911/15     1891/10 

Schäden  63,7      63,0        67,6  70,5  87,1      83,4        80,8  79|9 

Kosten  33,5      33,.'>        31,4  29,1  17,9      i6,&        17,6  17,7 

Ueberschuß  2,8        3,5  0.0  0,4  — 5,0        0,1  1,6  2,4 

IOC        ICO         ICD  100  IOC       100  IOC  100 

Die  günstigere  Gestaltung,  welche  infolge  der  Prämienregulierungen  im  letzten 
Jahrzehnte  die  deutschen  Eück Versicherungsgesellschaften  erhofften,  ist  in  sehr 
beschränktem  Maße  eingetreten,  wie  die  folgenden  Zahlen  zeigen.  Der  gesamte 
industrielle  Ueberschuß  war  seit  1885  in  Prozentsätzen  der  Nettoprämien:  8,2, 
7,9,  6,0,  3,1,  4,9,  3,3  2,9  —1,9,  -2,8,  4,5,  2,0,  3,5,  3,1,  1,5,  —1,0,  -1,5,  —1,3,  1,4, 
3,6  0,94,0,  —9,0,  3,8,  2,6,  3,5,  4,3,  1,8,  2,5,  2,6,  1,7  3,4,  2,4  Proz. 

Die  finanziellen  Verhältnisse  der  deutschen  Rück  Versicherungsge- 
sellschaften sind  die  denkbar  besten.  Vom  Aktienkapital  per  234,8  sind  6OV0  Mill. 
bar  eingezahlt.  Außerdem  besitzen  die  Gesellschaften  für  135  Mill.  Vermögens- 
reserven, 521  Mill.  an  Prämien reserven,  118  MiU.  an  Schadenreserven.  Bei 
Prämien-  und  Schadenreserven  sind  gar  nicht  jene  Summen  einbezogen,  welche 
sich  auf  direkte  Versicherungsbranchen  beziehen. 

Von  den  Gesamtfonds  per  78OV3  ^^^-  entfallen  nicht  weniger  als  61,8  Mill. 
auf  Verrechnungen  mit  Versicherungsgesellschaften;  die  übrigen  Aktiven  sind 
pupülarsicher  angelegt. 

Ueber  die  voraussichtlichen  Geschäftsergebnisse  der 
deutschen  Hagelversicherungsgesellschaften  1917  be- 
richten die  Tageszeitungen,  daß  der  günstige  Schadenverlauf  der  vor- 
angegangenen Jahre  nicht  mehr  beobachtet  werden  konnte. 

Schon  die  Zahl  der  Frühschäden  nahm  in  einzelnen  Gebieten,  so  nament- 
lich in  der  Rheinprovinz,  einen  ganz  bedeutenden  Umfang  an.  Ausgedehnte 
Hagelwetter  mit  schweren  Schädigungen  brachte  auch  der  Monat  Juni.  Der 
Juli  verlief  bis  zum  letzten  Drittel  günstiger.  Von  da  ab  steigerte  sich  die  Ge- 
witterbildung ganz  erheblich,  und  namentlich  in  der  Zeit  von  Ende  Juli  bis  zum 
10.  August  wurden  den  Gesellschaften  schwere  Ernteschäden  gemeldet.  Diese 
Gewitterneigung  hielt  noch  über  den  ganzen  August  bis  in  den  September  hin- 
ein an.  Hauptsächlich  betroffen  wurden  die  Rheinprovinz  und  Westfalen,  femer 
die  Provinzen  Schlesien,  Pommern,  Brandenburg,  sowie  die  Großherzogtümer 
Mecklenburg.  Auch  in  einzelnen  Teilen  von  Ost-  und  Westpreußen  und  der 
Provinz  Sachsen  waren  schwere  Schäden  zu  verzeichnen.  Nach  einer  Mitteilung 
des  Verbandes  der  Deutschen  Hagelversicherungs-Aktiengesellschaften  können  in 
Anbetracht  der  Gesamtlage  des  Geschäfts  die  Ergebnisse  der  diesem  Verband  an- 
geschlossenen Gesellschaften  immerhin  als  befriedigend  bezeichnet  werden,  da  die 
erzielten  Ergebnisse  voraussichtlich  gestatten  werden,  die  Rücklagen  für  künftige 
Jahre  wiederum  zu  verstärken. 

Ueber  den  Ernst  der  Lage  in  der  deutschen  Glasver- 
sicherung ist  dem  „Versicherungsagent"  folgende  Darstellung  zu  ent- 
nehmen : 


—     621      — 

Der  Weltkrieg  mit  seinen  verderblichen  Folgen  für  die  gesamte  Volkswirt- 
schaft hat  auch  die  deutschen  Glas  Versicherungsgesellschaften  im  Laufe  der  drei 
Kriegsjahre  in  eine  Eeihe  schwieriger  Verhältnisse  gebracht.  Die  Zwangslagen, 
in  die  hierdurch  die  Glas  Versicherer  gerieten,  waren  jedoch  bis  heute,  trotz  aller 
augenblicklichen  Bedrohlichkeit,  nicht  so  einschnürender  Natur,  als  daß  sich  nicht 
immer  noch  wieder  Mittel  und  Wege  finden  ließen,  die  einen  gewissen  Ausgleich 
zum  Ziele  hatten.  So  führte  das  Ausbleiben  des  Neugeschäftes  seit  Kriegsbeginn 
—  in  der  Hauptsache  die  Folge  des  Darniederliegens  der  Bautätigkeit  und  des 
ständig  zunehmenden  Mangels  an  Außenpersonal  —  von  selbst  zu  einer  sorg- 
samen Pflege  und  Konsolidierung  des  alten  Bestandes,  die  mancherlei  Nutzen 
brachte.  Den  in  rascher  Aufeinanderfolge  sich  ablösenden,  über  jedes  Erwarten 
hinausgehenden  Preissteigerungen  des  bpiegelglases  und  der  Verteuerung  der 
Einsetzkosten  suchten  die  Gesellschaften  durch  vorsichtige  und  doch  nachhaltige 
Prämien  Steigerun  gen  einerseits  und  kluges  Entgegenkommen  ihren  Versicherten 
gegenüber  andererseits  geschickt  und  erfolgreich  zu  begegnen.  Die  Schaden ziff er, 
die  im  letzt  vergangenen  Kriegsjahre  insbesondere  auch  durch  die  zahlreichen 
Schaufenstereinbrüche  stark  angespannt  war,  konnte  durch  sorgfältigste  Risiken- 
auswahl auf  eine  immer  noch  erträgliche  Quote  heruntergedrückt  werden.  Stärkere 
Reservestellungen,  Beschränkung  der  Unkosten  auf  das  notwendigste  Maß  kenn- 
zeichneten in  den  Rechenschaftsberichten  das  eifrige  Bestreben  der  verantwort- 
lichen Stellen,  die  finanzielle  Lage  der  Unternehmungen  gesund  und  widerstands- 
fäühig  zu  erhalten. 

So  ergab  sich  bis  vor  kurzem  noch  ein  Bild  der  deutschen  Glasversicherung, 
das  —  wie  auch  die  Zahlen  unserer  üblichen  Tabelle  über  die  Geschäftsergebnisse 
der  deutschen  Glas  Versicherungsgesellschaften  im  Jahre  1916  darlegen  —  die 
Aussicht  auf  ein  erfolgreiches  Durchhalten  dieses  schwergeprüften  Versicherungs- 
zweiges bis  zu  besseren  Friedenszeiten  nicht  verkümmerte. 

Bis  vor  kurzem  noch  —  denn  seit  dem  25.  Juli  d.  Js.  ist  eine  Aenderung 
der  Verhältnisse  eingetreten,  die  zu  ernsten  Befürchtungen  für  die  Zukunft  An- 
laß geben  und  auch  die  unentwegten  Optimisten,  die  Gleichgültigen  und  die 
starrköpfigen  Besserwisser  zu  einer  Revision  ihrer  Anschauungen  führen  muß. 
An  diesem  Tage  nämlich  hat  sich  der  Verein  deutscher  Spiegelglasfabriken 
G.  m.  b.  H.  in  Köln  mit  einem  Rundschreiben  betr.  Lieferungsunmöglichkeit 
durch  verminderte  Kohlenzufuhr  an  die  Spiegelglaslagerhalter  gewendet,  in  dem 
es  u.  a.  heißt:  „Für  neue  Bestellungen,  selbst  wenn  es  sich  um  Lieferungen  der 
oben  erwähnten  dringenden  Art  handelt,  müssen  wir  uns  Annahme  von  Fall  zu 
Fall  vorbehalten,  insbesondere  zwecks  Prüfung  der  etwa  vorliegenden  besonderen 
Dringlichkeit." 

Aus  dem  Inhalt  dieses  Rundschreibens  geht  mit  krasser  Deutlichkeit  her- 
vor, daß  für  die  Glasversicherungsgesellschaften  in  bedrohlich  naher  Zeit  die  Un- 
möglichkeit eintreten  kann,  Ersatzscheiben  —  die  bis  jetzt,  wenn  auch  zu  fabel- 
haft hohen  Preisen,  so  doch  immerhin  noch  zu  haben  waren  —  überhaupt  zu 
beschaffen.  Was  wird  dann  ?  Wie  werden  sich  die  Versicherten  zu  den  Gesell- 
schaften stellen,  wenn  sie  sich  sagen  müssen,  daß  in  Schadenfällen  Naturalersatz 
von  den  letzteren  doch  nicht  zu  haben  ist?  Jeder  Einsichtige  muß  zugeben,  daß 
die  Glasversicherer  hier  zum  ersten  Male  im  Kriege  vor  einer  Situation  stehen, 
die  so  ernst,  so  bedeutungsvoll  für  die  Zukunft  ist,  daß  nur  ein  rasches,  tat- 
kräftiges Handeln  die  schlimmsten  Folgen  abzuwenden  vermag. 

Ueber  neue  Verschmelzungspläne  wird  berichtet.  Die 
Württembergsche  Feuerversicherungs- Aktiengesellschaft  in  Stuttgart 
übernimmt  die  „Lübecker  Feuerversicherungs- Gesellschaft  von  1826 
Aktiengesellschaft"  in  Lübeck.  Ferner  soll  die  Bremen-Hannoversche 
Lebensversicherungs- Aktiengesellschaft  „Freia"  in  Berlin  die  „Deutsch- 
land", Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft  in  Berlin,  in  sich  auf- 
nehmen. 

Das  diesjährige  österreichisch-ungarische  Feuerver- 
sicherungsgeschäft entwickelt  sich,  wie  der  Wiener  Börsen-  und 


—     622      — 

Handelsbericht  zu  melden  weiß,  wenn  man  es  den  Ergebnissen  des 
vergangenen  Jahres  gegenüberhält,  in  recht  ungünstiger  Weise,  und 
daran  ändert  auch  die  infolge  der  starken  Wert-  und  Preissteigerungen 
eingetretene  Vermehrung  der  Prämieneinnahmen  nichts,  da  von  allen 
Seiten  schwere  Brände  gemeldet  werden,  die  große  Schadenbeträge  zur 
Folge  hatten. 

Speziell  für  jene  inländischen  Gesellschaften,  die  wegen  ihrer  Rückver- 
sicherungsbeziehungen zu  deutschen  Gesellschaften  auch  mit  deutschen  Alimenten 
zu  rechnen  haben,  stellt  sich  die  Sache  noch  schlimmer,  da  auch  im  Deutschen 
Eeiche  zahlreiche  schwere  Brände  stattgefunden  haben.  —  Ist  so  das  Büd, 
welches  die  Feuerversicherung  im  laufenden  Jahre  bei  uns  zu  Lande  kennzeichnet 

—  wir  wiederholen  es :  im  Gegenhalte  zum  glänzenden  Vorjahre  —  kein  günstiges, 
so  läßt  sich  dagegen  über  den  Verlauf  des  heurigen  Hagelgeschäftes  nur  Erfreu- 
liches berichten.  Mit  Ausnahme  von  Oberösterreich  und  Salzburg  ist  das  Hagel- 
geschäft  in  allen  Kronländern  und  in  Ungarn  gut,  ja,  sehr  gut  verlaufen,  so  daß 
man  schon  heute,  da  mit  Rücksicht  auf  den  Stand  der  Ernteeinbringung  und 
auf  die  vorgeschrittene  Jahreszeit  kaum  noch  größere  Gefahren  drohen  und 
Schäden  zu  erwarten  sind,  dem  Jahre  1917,  was  die  Hagelversicherung  anbelangt, 
ein  sehr  befriedigendes  Zeugnis  ausstellen  kann. 

Gegen  das  Inkrafttreten  der  das  Recht  der  Privatversicherung 
regelnden  österreichischen  Versicherungsordnung  wendet 
sich  die  „Wiener  Spar-  und  Renten-Zeitung",  indem  sie  schreibt: 

Am  1.  Jänner  1918  soll  die  neue  Versicherungsordnung  in  Wirksamkeit 
treten.  Von  den  Anstalten  wird  ein  neuerlicher  Aufschub  dieses  Termins  ange- 
strebt. Es  bedarf  hiezu  nur  einer  neuen  Verordnung.  Für  das  große  Publikum 
selbst  ist  in  dieser,  mit  Ausnahme  der  Tran sportbran che,  versicherungsstillen  Zeit 

—  denn  die  Kriegsversicherungen  verschiedener  Art  gehen  ihren  Weg  außerhalb 
der  Verordnung  —  der  erwähnte  frühzeitige  Termin  nach  Ansicht  der  inter- 
essierten Kreise  praktisch  von  keinem  Interesse.  Die  Versicherungsnehmer  in 
der  Transportbranche  sind  fast  durchwegs  Kaufleute  und  Handeltreibende;  sie 
bedürfen  eines  erhöhten  Schutzes  an  sich  nicht.  Dagegen  bedeutet  für  die  Gre- 
sellschaften  dieser  Termin  eine  gegen  Friedenszeiten  sehr  beträchtliche  Mehraus- 
gabe an  Papier  und  Drucksorten,  abgesehen  davon,  daß  eine  übergroße  Men^e 
von  altem  Material  nutzlos  wird.  Als  Ausweg  wird  vorgeschlagen,  daß  der  Termin 
vom  1.  Jänner  1918  auf  den  1.  Jänner  desjenigen  Jahres  verschoben  würde,  das 
dem  Jahre  folgt,  in  dem  der  Friede  ratifiziert  wird,  mindestens  aber  auf  den 
1.  Jänner  1919. 

Mit  dem  kürzlich  veröffentlichten  Berichte  des  schweize- 
rischen Versicherungsamtes  über  den  Stand  der  privaten  Ver- 
sicherungsgesellschaften in  der  Schweiz  im  Jahre  1915  kommt  das 
dritte  Jahrzehnt  der  staatlichen  schweizerischen  Aufsichtstätigkeit  auf 
diesem  Gebiete  zum  Abschluß.  Die  gesetzlich  vorgeschriebene  jähr- 
liche Berichterstattung  über  diese  soll  in  erster  Linie  dem  versicherten 
Volke  Auskunft  über  den  Stand  der  Gesellschaften  geben,  denen  es 
sich  anvertraute  oder  anzuvertrauen  im  Begriffe  steht. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Zeitverhältnisse  verzichtet  der  Bericht  auf  eine  zu- 
sammenfassende Darstellung  der  bisherigen  Tätigkeit  des  Versicherungsamtes. 
Dagegen  werden  in  der  Einleitung  einige  interessante  allgemeine  Bemerkungen 
über  die  gegenwärtige  Lage  des  Versicherungswesens  gemacht,  die  durch  den 
Krieg  naturgemäß  vorwiegend  in  unerfreulichem  Sinne  beeinflußt  wurde.  Als 
Kennzeichen  der  Kriegszeit  ist  die  Tatsache  angeführt,  daß  im  Jahre  1915  weder 
der  Bestand  der  Gesellschaften  noch  die  Zahl  und  die  Art  der  von  ihnen  be- 
triebenen Zweige  sich  geändert  haben.  Von  den  105  Gesellschaften  sind  96  kon- 
zessioniert, und  9  haben  auf  die  Konzession  verzichtet.     Unter  den  96  konzessio- 


—    623    — 

nierten    befinden    sich    4   schweizerische  und  eine  englische  Rückversicherungs- 

fesellschaft.  Das  direkte  Geschäft  wird  mithin  von  91  Gesellschaften,  darunter 
5  schweizerischen,  betrieben.  Nicht  weniger  als  66  Unternehmungen  stammen 
vom  Auslande,  davon  33  aus  Deutschland  und  22  aus  Frankreich.  Ein  Beispiel 
internationaler  Gastlichkeit,  auf  das,  wie  der  Bericht  bemerkt,  in  diesen  Zeiten 
feindlicher  nationaler  Absperrung  wohl  hingewiesen  werden  darf.  Nachdem  auch 
die  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika,  die  bei  uns  mit  2  Gesellschaften 
vertreten  sind,  sich  im  Kriegszustande  befinden,  gehören  nunmehr  sämtliche  in 
der  Schweiz  arbeitende  ausländische  Gesellschaften  kriegführenden  Staaten  an, 
da  die  übrigen  neutral  gebliebenen  Länder  bei  uns  durch  keine  Versicherungs- 
gesellschaften vertreten  sind.  Die  Ausdehnung  des  Versicherungsgebietes  über 
die  Landesgrenzen  hinaus  gehört  aber  bei  manchen  Zweigen,  namentlich  bei  der 
Transportversicherung,  zu  den  technischen  Geschäftsbedingungen.  Für  den  Be- 
trieb der  Rückversicherung  vollends  ist  diese  Ausbreitung  unentbehrlich.  Nicht  in 
letzter  Linie  hängt,  wie  der  Bericht  betont,  die  Leistungsfähigkeit  des  Privatver- 
sicherungswesens  mit  der  Erhaltung  eines  Netzes  internationaler  Beziehungen  zu- 
sammen. Eine  schroffe  nationale  Einschränkung  würde  sich  daher  gegen  die 
eigene  Volkswirtschaft  richten.  Die  Einsicht  von  dieser  besonderen  Stellung  des 
Versicherungswesens  im  Wirtschaftsleben  scheine  wohl  auch  bei  der  ausnahms- 
weisen  Behandlung  mitgewirkt  zu  haben,  die  die  Vereinigten  Staaten  gegenüber 
dem  Geschäftsbetriebe  der  deutschen  Versicherungsgesellschaften  in  der  Union 
angeordnet  haben. 

Wichtig  für  das  schweizerische  Versicherungswesen  sind  insbesondere  auch 
zwei  ßundesratsbeschlüsse  aus  dem  Jahre  1915.  Der  eine,  vom  5.  März  datiert, 
verbot  die  Verwendung  von  ziffermäßigen  Nettokosten  auf  stellungjen  im  Anwerbe- 
betrieb, der  andere,  vom  5.  Oktober,  betraf  die  Kautionen  der  konzessionierten 
ausländischen  Lebensversicherungsgesellschaften.    Der  Bericht  bemerkt  hierzu: 

„Dem  zweiten  Beschluß,  der  die  kautionsmäßige  Sicherstellung  des  Deckungs- 
kapitals aller  laufenden  schweizerischen  Lebens  Versicherungsverträge  verlangte, 
wurde  von  den  meisten  Gesellschaften  mit  bemerkenswerter  Easchheit  Folge  ge- 
leistet. Es  darf  aber  nicht  übersehen  werden,  daß  dieser  Bundesratsbeschluß  in 
Kriegszeiten  erlassen  wurde,  daß  die  Schwierigkeiten  seiner  Durchführung  mit 
der  Zeit  sich  steigerten  und  daß  das  Entgegenkommen  der  Aufsichtsbehörde  in 
wachsendem  Maße  in  Anspruch  genommen  wurde.  Am  31.  Dezember  1916  waren 
von  sämtlichen  105  Gesellschaften  Kautionen  hinterlegt  im  Nennwerte  von 
219  364  985  frcs.  Darunter  befanden  sich  an  schweizerischen  Werten  54  524000 
frcs.,  mithin  annähernd  ein  Viertel  des  bisher  hinterlegten  Kautionsbestandes. 
Dieses  an  sich  unbefriedigende  Verhältnis  ist  unter  dem  Gesichtspunkt  der 
zahlreichen  Schwierigkeiten  zu  würdigen ,  die  die  andauernde  Kriegslage  ge- 
schaffen hat. 

Nicht  nur  die  unerhörten  Valutadifferenzen  zwischen  Goldwährungsländem 
und  die  weichenden  Kurse  der  zur  Hinterlegung  angebotenen  und  geeignet  er- 
scheinenden Papiere  fielen  in  Betracht  Eine  neue  Sorge  entstand  für  die  Be- 
hörden durch  den  rapiden  und  stetigen  Rückgang  der  Kaufkraft  des  Geldes  über- 
haupt. Die  Hinterlagen  entwerten  sich  gewissermaßen  im  Schranke.  Nicht  ihr 
Nennwert,  aber  ihre  Kaufkraft.  Denn  die  Versicherungsverträge  sind  überwiegend 
Geldlieferungsverträge.  Der  Versicherer  verpflichtet  sich,  dem  Anspruchsberech- 
tigten bei  Eintritt  des  versicherten  Ereignisses  eine  meist  zum  voraus  bestimmte 
Summe  Geldes  zu  bezahlen.  Mit  diesem  Gelde  ist  der  Anspruchsberechtigte  in  der 
Lage,  sich  auf  dem  Markte  die  benötigten  Waren  zu  kaufen.  In  diesem  Sinne 
kommt  es  mithin  nicht  bloß  darauf  an,  daß  dem  Empfänger  die  vereinbarte  Summe 
Geldes  vom  Versicherer  unverkürzt  ausbezahlt  wird,  sondern  darauf,  daß  er  mit 
dieser  Summe  die  beim  Vertragsabschluß  vorgesehene  Menge  von  Gebrauchswaren 
sich  tatsächlich  beschaffen  kann.  Die  fortschreitende  Geldentwertung  fälscht 
aber  alle  Zahlungsverträge  und  namentlich  die  langfristigen  Versicherungsver- 
träge. Der  versicherte  Gläubiger  wird  benachteiligt  zugunsten  des  Schuldners. 
Mag  die  Versicherungsgesellschaft  ihre  Verpflichtung  nowi  so  peinlich  genau  er- 
füllen, der  Empfänger  der  Versicherungssumme  sieht  sich  durch  die  Geldent- 
wertung, durch  die  allgemeine  Haussekonjunktur  um  den  Zweck  der  Versicherung 
zum  großen  Teil  betrogen,  wenn  die  Waren  Verteuerung  eine  so  gewaltige  ist  wie 


-—    624    — 

in  Kriegszeiten.  Sie  hat  für  die  Erfüllung  deß  Versicherungszweckes  dieselbe 
Wirkung,  wie  eine  partielle  Zahlungsunfähigkeit  des  Versicherers  bei  unverändert 
gebliebener  Kaufkraft  des  Geldes  haben  würde.  So  drängt  sich  uns  als  eine 
weitere  tiefgreifende  Kriegsfol^e  die  Notwendigkeit  einer  Währungsreform  auf. 
Diese  Keform  liegt  freilich  nicht  in  der  Aufgabe  des  Versicherungsamtes,  aber 
sie  liegt  im  besonderen  Interesse  der  Versicherten  und  im  wirtschaftlichen  Inter- 
esse des  gesamten  Volkes.  Darauf  hinzuweisen  möge  uns  an  dieser  Stelle  ge- 
stattet sein." 

Der  Verband  schweizerischer  Konsumvereine  beab- 
sichtigt, dem  Beispiel  der  deutschen  Konsumvereine  folgend,  eine  Vo  Iks  - 
Versicherungsanstalt  unter  der  gleichen  Firma  wie  die  ent- 
sprechende gleiche  Anstalt  in  Hamburg,  nämlich  Volksfürsorge,  zu  er- 
richten. 

Ueber  die  Gestaltung  der  norwegischen  Seeversiche- 
rung 1916  ist  der  „Oesterreichischen  Versicherungszeitung"  folgendes 
zu  entnehmen :  Die  norwegischen  See  Versicherungsgesellschaften  weisen 
im  Jahre  1916  in  ihren  Eechenschaftsberichten  eine  starke  Steigerung 
der  Prämieneinnahmen  aus.  Diese  Steigerung  ist  in  erster  Keihe  auf 
das  große  Kriegsgeschäft  zurückzuführen,  das  sie  alle  gemacht  haben, 
sodann  aber  auch  in  nicht  geringem  Grade  auf  die  starke  Wertsteige- 
rung der  Schiffe  bei  der  Kaskoversicherung.  Die  Prämieneinnahme 
der  Gesellschaften  beträgt  insgesamt  209  506  192  Kr.  brutto.  —  Die  reine 
Seeversicherung  war  im  vorigen  Jahre  recht  ertragreich,  dagegen  hat 
aber  die  See-Kriegsversicherung  durchschnittlich  infolge  des  verstärkten 
U-Bootkrieges  schlechte  Resultate  ergeben. 

Eine  abermalige  Stundung  der  Versicherungsver- 
träge in  Frankreich  wird  durch  das  Amtsblatt  der  französischen 
Republik  vom  31.  August  angekündigt.  Hier  findet  sich  neuerdings  ein 
Dekret,  durch  das  die  Stundung  der  vor  dem  4.  August  1914  abge- 
schlossenen Verträge  über  Versicherungen,  Kapitalisationen  und  Er- 
sparnisse vom  September  d.  J.  ab  um  weitere  90  Tage  verlängert  wird, 
unter  Ausdehnung  auf  die  vor  dem  1.  Dezember  1917  verfallenden 
Verträge.  Die  neue  Stundung  enthält  im  übrigen  die  gleichen  Be- 
stimmungen wie  die  letzte,  vom  15.  Mai  1917. 

Die  immer  stärker  fühlbar  werdenden  Wirkungen  des  U-Boot- 
krieges haben,  wie  die  „Kölnische  Zeitung"  berichtet,  die  englische 
Regierung  gezwungen,  ihre  staatliche  Versicherung  gegen 
Schiffsverluste  einer  einschneidenden  Umgestaltung  zu  unter- 
ziehen, die  am  19.  v.  M.  in  Kraft  getreten  ist. 

Bisher  versicherten  die  englichen  Reeder  ihre  Schiffe  gegen  Zahlung  be- 
stimmter Prämiensätze  bei  Gegenseitigkeitsgesellschaften.  Diese  nahmen  eine 
Rückversicherung  bis  zur  Höhe  von  80  Proz.  des  Wertes  bei  der  Regierung. 
Die  Beträge,  die  so  versichert  werden  konnten,  wurden  auf  den  Selbstkostenpreis 
der  Schiffe  abzüglich  der  Wertabschreibungen  zum  Satze  von  4  Proz.  jährlich  be- 
schränkt. Dazu  traten  später  jedoch  50  Proz.,  um  dem  Wertzusatz  Rechnung 
zu  tragen,  der  für  Schiffsraum  während  des  Krieges  eingetreten  war.  Da  die  so 
versicherten  Beträge  noch  erheblich  hinter  dem  Marktwert  zurückblieben,  über- 
nahmen die  Gegenseitigkeitsgesellschaften  noch  höhere  Versicherungssummen  auf 
eigene  Rechnung,  und  wenn  sich  dann  bei  Verlusten  die  Prämienzahlung  als 
unzureichend  für  die  Deckung  der  Schäden  erwies,  forderten  die  Gesellschaften 
von   den  Reedern  Nachschüsse  ein.    Diese  Bedingungen  sind   nun   dahin  abge- 


—    625    — 

ändert  worden,  daß  die  Regierung,  anstatt  wie  bisher  80  Proz.,  volle  100  Proz. 
des  Risikos  übernimmt.  Ebenso  übernimmt  sie  das  Wagnis  für  diejenigen  Summen, 
die  bisher  allein  von  den  Gegenseitigkeitsgesellschaften  getragen  wurden.  Zu  diesem 
Zweck  sind  die  Schiffe  in  drei  Klassen  eingeteilt  worden.  Die  erste  Klasse  um- 
faßt diejenigen  Fahrzeuge,  die  völlig  von  der  Regierung  beschlagnahmt  sind  und 
unmittelbar  im  Dienste  der  Regierung  beschäftigt  werden.    Zur  zweiten  Klasse 

tehören  die  für  die  bestimmten  Linienfahrten  beschlagnahmten  Schiffe,  und  zur 
ritten  freie  Schiffe,  deren  Zahl,  abgesehen  von  denjenigen,  die  im  Küstenhandel 
arbeiten,  verhältnismäßig  klein  ist.  Die  Besitzer  der  Schiffe  der  ersten  Klasse 
brauchen  keine  Kriegs  Versicherungsprämien  zn  zahlen,  und  im  Fall  des  völligen 
oder  teilweisen  Verlustes  ihrer  Schiffe  durch  Kriegsgefahr  trägt  die  Regierung 
den  Schaden.  Die  Reeder  sind  also  in  Zukunft  von  der  Verpflichtung,  Nach- 
schüsse an  die  Gegenseitigkeitgesellschaften  zu  zahlen,  befreit.  Die  Eigentümer 
von  Schiffen  der  zweiten  Klasse  fahren  nach  festen,  von  der  Regierung  geregelten 
Sätzen  und  zahlen  Prämien  nach  Sätzen,  die  von  dem  Handelsamt  festgesetzt 
werden.  Je  höher  sich  die  Prämie  für  sie  stellt,  um  so  kleiner  sind  die  Gewinne, 
die  dem  Staat  zufallen.  Im  Falle  von  Verlusten  haben  die  Eigentümer  solcher 
Schiffe  das  Recht,  entweder  die  nach  den  Versicherungsscheinen  versicherten 
Beträge  oder  den  unter  Mitwirkung  der  Regierung  festgestellten  Wert  zu  ver- 
langen. Die  Eigentümer  der  sogenannten  freien  Schiffe  haben  nur  Anspruch 
auf  die  nach  den  Versicherungsscheinen  versicherten  Beträge.  Die  Prämien  für 
diese  freien  Schiffe  werden  beträchtlich  höher  sein,  als  die  bisherigen  Sätze. 
Dabei  kommt  jedoch  in  Betracht,  daß  diese  Schiffe  auch  ganz  erheblich  höhere 
Frachten  als  diejenigen   der  anderen  beiden  Klassen  erzielen. 

Wie  die  Londoner  „Central  News"  melden,  wird  in  Kanada  nach 
dem  Muster  von  Lloyds  eine  große  See'versicherungsunter- 
n  eh  m  u  n  g  gegründet,  welche  ihr  Agentennetz  auf  die  ganze  Welt  aus- 
dehnen soll. 

New  Yorker  Meldungen  zufolge  hat  die  amerikanische  Finanz- 
verwaltung beschlossen,  die  obligatorische  Lebensver- 
sicherung für  die  Mannschaften  in  Heer  und  Flotte  einzuführen. 
Ein  Drittel  der  Prämiensätze  soll  der  Staat  für  den  einzelnen  Mann 
zuschießen.  Dem  amerikanischen  Staate  erwachsen  hierdurch  im  ersten 
Jahre  ca.  176  Mill.  $   an  Unkosten. 

Die  japanische  Regierung  beabsichtigt,  in  der  demnächst 
stattfindenden  außerordentlichen  Parlamentssitzung  einen  Gesetzent- 
wurf über  eine  staatliche  Seekriegsversicherung  einzu- 
bringen. 

Gegenwärtig  ist  noch  das  im  September  1915  eingeführte  Kriegsseeversiche- 
rungs-Bntschädigungsgesetz  in  Kraft.  Auf  Grund  dieses  Gesetzes  hat  die  japa- 
nische Regierung  es  übernommen,  80  Proz.  jedes  den  Versicherungsgesellschaften 
im  Rahmen  des  Gesetzes  zur  Last  fallenden  Schadens  zu  decken,  ohne  daß  hier- 
für irgendeine  Abgabe  an  die  Regierung  zu  entrichten  ist.  Zweck  dieser  An- 
ordnung war,  das  Land  vor  den  hohen  Seeversicherungsbeiträgen,  die  sonst  un- 
vermeidlich gewesen  wären,  zu  bewahren.  Doch  ahnte  die  Regierung  bei  der 
Veröffentlichung  des  Gesetzes  nicht  die  Größe  des  damit  verbundenen  Wagnisses; 
sie  vermutete  vielmehr,  daß  durch  ihren  Schritt  die  Versicherungsgesellschaften 
angefeuert  würden,  im  Interesse  des  auswärtigen  Handels  die  Seeversicherung 
weiter  auszudehnen.  Als  aber  eine  Reihe  japanischer  Schiffe  den  Deutschen  zum 
Opfer  gefallen  waren  und  die  japanische  Staatskasse  infolgedessen  beträchtliche 
Summen  hatte  zahlen  müssen,  sah  die  Regierung  ein,  daß  das  in  der  japanischen 
Presse  scharf  beurteilte  Verfahren  sich  nicht  bewährte.  Mitte  1916  tauchte  der 
Vorschlag  auf,  die  bisherigen  Bestimmungen  aufzuheben  und  ein  geschäftsmäßiges 
System,  u.  a.  auch  eine  staatliche  Rückversicherung  einzuführen.    Inzwischen  hat 


—    626    — 

die  Kegierung  Erhöhungen  der  Beiträge  für  die  Gesellschaften  vorgeschrieben 
und  neuerdings  die  Gewässer  des  Mittelländischen  Meeres  als  nicht  mehr  unter 
das  Entschädigungsgesetz  fallend  erklärt. 

2.  Sozialversicherung. 

Der  bayerische  Staat  beabsichtigt,  eine  Kinderzulagen- 
und  Hinterbliebenenversicherung  für  seine  Beamten  einzu- 
führen.    Hierüber  berichtet  die  „Münchener  Zeitung"  folgendes: 

Die  deutsche  ßevölkerungspolitik  ist  vor  eine  ernste  Aufgabe,  die  Bekämpfung 
des  Geburtenrückganges  in  der  deutschen  Beamtenschaft  gestellt.  Die  in  den 
letzten  Jahren  durchgeführten  Familien  Standserhebungen  der  großen  deutschen 
Verkehrsverwaltungen,  der  Reichspostverwaltung  uud  des  bayerischen  Verkehrs- 
ministeriums, ergaben,  daß  der  Geburtenstand  unter  den  deutschen  Beamten  er- 
schreckend niedrig  ist.  Auf  einen  verheirateten  Keichspostbeamten  treffen  durch- 
schnittlich nur  2  Kinder.  Frankreich  zählte  im  Jahre  1911  durchschnittlich 
2,79  Kinder  auf  eine  Familie  und  ist  eine  sterbende  Nation.  Die  Geburtenziffer 
der  Reichspostbeamten  ist  also  noch  tief  unter  die  französische  gesunken.  Sie 
haben  das  reine  Zweikindersystem,  das  nach  Prof.  Dr.  Max  v.  Gruber  innerhalb 
100  Jahren  ein  Volk  nahezu  um  zwei  Drittel  seiner  Menschen  beraubt  Fast 
ebenso  gering  wie  bei  den  Reichspostbeamten  ist  die  Fortpflanzung  bei  den  Be- 
amten und  Arbeitern  der  bayerischen  Verkehrsverwaltung.  Auf  einen  verheirateten 
höheren  Beamten  der  bayerischen  Staatseisenbahnverwaltung  treffen  1,9,  auf  einen 
mittleren  2,1  auf  einen  unteren  Beamten  3,4  und  einen  Arbeiter  2,6  Kinder;  auf 
einen  verheirateten  höheren  Beamten  der  bayerischen  Post  Verwaltung  treffen  2,1, 
auf  einen  mittleren  1,7,  auf  einen  unteren  2,8  und  auf  einen  Arbeiter  2,1  Kinder. 
Im  Durchschnitt  ist  die  Geburtenziffer  der  bayerischen  Verkehrsbeamten,  die 
2,33  beträgt,  etwas  höher  als  die  der  Reichspostbeamten.  Immerhin  gibt  auch  sie 
zu  den  ernstesten  Befürchtungen  Anlaß.  Bemerkenswert  ist,  daß  die  Ehehäufig- 
keit unter  den  bayerischen  Beamten,  wie  unter  den  Beamten  überhaupt  die  denkbar 
günstigste  ist.  Von  den  Reichspostbeamten  waren  im  Jahre  1912  80,7  v.  H.  ver- 
heiratet, während  von  den  bayerischen  Eißenbahnbeamten  sogar  95,94  v.  H.  und 
von  den  bayerischen  Postbeamten  91,08  die  Ehe  eingegangen  sind.  Der  Durch- 
schnitt der  Verheirateten  dagegen  beträgt  bei  der  männlichen  Reichsbevölkerung 
im  Alter  von  20  65  Jahren  nur  68,40  v.  H.  um  so  mehr  muß  bei  den  günstigen 
Ehestands  Verhältnissen  der  Beamten  ihre  auffallend  große  Kinderarmut  befremden 
und  zum  Nachdenken  anregen. 

Die  Ursachen  des  großen  Geburtenrückganges  bei  der  Beamtenschaft  liegen 
hauptsächlich  auf  wirtschaftlichem  und  sozialem  Gebiet.  Die  Beamtenschaft,  deren 
Geburtenziffer  unter  allen  deutschen  Bevölkerungsgruppen  die  niedrigste  ist,  ist 
auch  die  einzige  gesellschaftliche  Schicht,  die  seit  Jahren  in  einem  unaufhalt- 
samen wirtschaftlichen  und  sozialen  Niedergang  begriffen  ist.  Dr.  Ferdinand  Elz 
und  Dr.  Danneel  wiesen  bereits  vor  einigen  Jahren  nach  (Preußische  Jahrbücher, 
Bd.  132,  Heft  2;  „Jahrbuch  der  Bodenreform«,  Bd.  7,  S.  104),  daß  sich  die 
deutschen  Beamten  schon  seit  Jahrzehnten  auf  der  sozialen  Stufenleiter  unauf- 
hörlich nach  abwärts  bewegen,  und  daß  sie  heute  etwa  50—200  v.  H.  mehr  an 
Einkünften  beziehen  müßten,  wenn  sie  den  sozialen  Schichten  wieder  angehören 
wollten,  zu  denen  sie  sich  vor  60  Jahren  rechnen  durften.  Die  Ursachen  der 
erschreckend  großen  Kinderarmut  in  der  deutschen  Beamtenschaft  sind  den  Be- 
völkerungspolitikern wohl  bekannt.  Ihre  Vorschläge  zur  Heilung  des  Uebels  sind 
daher  hauptsächlich  darauf  gerichtet,  die  kinderreichen  Beamtenfamilien  wirt- 
schaftlich zu  kräftigen  und  durch  die  Gewährung  von  Vermögens  vorteilen  den 
Fortpflanzungswillen  anzuregen.  Die  Versuche,  die  Bezahlung  des  Beamten  nicht 
mehr  wie  bisher  nach  seinen  Leistungen,  sondern  nach  seinem  Familienstand, 
nach  Ehe  und  Kinderzahl  zu  bemessen,  stießen  aber  bei  den  Beamten  selbst  auf 
großen  Widerstand,  weil  sie  in  dieser  Verquickung  von  besoldungs-  und  bevöl- 
kerungspolitischen Grundsätzen  eine  Beeinträchtigung  ihrer  auf  eine  gerechte 
Besoldung  und  eine  moderne  Umgestaltung  des  Beamtenrechts  gerichteten  Be- 
strebungen erblicken. 


—    627    — 

Zu  den  bemerkenswerten  Versuchen,  die  Frage  auf  eine  beide  Teile  befrie- 
digende Weise  zu  lösen,  gehören  die  sozial-  und  bevölkerungspolitischen  Projekte 
der  bayerischen  Verkehrsverwaltung.  Sie  will  das  Ziel,  die  Geburtenziffer  unter 
den  Beamten  zu  heben  und  die  wirtschaftlichen  Voraussetzungen  zu  einer  stärkeren 
Fortpflanzung  zu  schaffen,  durch  das  Mittel  der  sozialen  Zwangsversicherung, 
die  Kinderzulagen  Versicherung,  erreichen.  Daneben  beabsichtigt  sie,  durch  die 
Eiinrichtung  einer  weiteren  Zwangs  Versicherung,  der  Witwenrentenversicherung 
und  der  freiwilligen  Kapitalversicherung  die  große  Notlage  der  Hinterbliebenen 
der  Beamten  zu  lindern.  Der  Gesetzentwurf  zu  den  Projekten,  die  die  gesamte 
bayerische  Beamtenschaft  umspannen,  soll  bereits  den  im  Herbst  dieses  Jahres 
zusammentretenden  bayerischen  Landtag  beschäftigen.  Es  ist  selbstverständlich, 
daß  die  Beamtenschaft  nicht  ohne  Einfluß  auf  die  Lösung  von  Fragen  sein  will, 
die  so  tief  in  ihre  wirtschaftlichen  und  sozialen  Verhältnisse  einschneiden.  Daher 
ist  in  ihr  das  lebhafteste  Bedürfnis  vorhanden,  über  die  geplanten  Zwangsver- 
sicherungen möglichst  bald  und  eingehend  unterrichtet  zu  werden  und  dadurch 
die  Unterlagen  zu  einem  abgeklärten  Urteil  über  die  Vorschläge  zu  gewinnen. 
Diese  Aufgabe  erfüllt  eine  soeben  im  Verlage  von  G.  J.  Manz,  A.-G.  München, 
erschienene  Schrift:  Die  Kinderzulagen-  und  Witwenrentenversicherung,  ein  sozial- 
und  bevölkerungspolitisches  Projekt  des  bayerischen  Staates  von  Karl  Kothmeier 
und  Karl  Heinrich. 

Die  Schrift  bringt  zum  erstenmal  eine  ausführliche  und  lückenlose  Dar- 
stellung der  Bestimmungen  der  Kinderzulagen-,  der  Witwenrenten-  und  der  Kapital- 
versicherung und  ist  daher  für  alle,  die  sich  über  das  von  der  Verkehrsverwaltung 
geplante  soziale  Versicherungswerk  in  allen  Einzelheiten  unterrichten  wollen, 
unentbehrlich.  In  dem  kritischen  Teile  der  Broschüre  ist  eine  Berechnung  der 
finanziellen  Wirkung  der  Projekte  auf  die  Einkommensverhältnisse  der  Beamten 
enthalten,  die  eine  ebenso  wertvolle  wie  zuverlässige  Grundlage  für  die  Beurteilung 
der  Vorschläge  bildet.  Die  Broschüre  berührt  außerdem  sdle  die  bevölkerungs- 
und  besoldungspolitischen  Fragen,  die  mit  den  geplanten  Versicherungen  zu- 
sammenhängen, gibt  erschöpfende  Aufklärung  über  den  Geburtenstand  in  Deutsch- 
land und  die  Ziele  der  deutschen  Bevölkerungspolitik,  bringt  die  amtlichen  stati- 
stischen Uebersichten  über  die  Familienstandserhebungen  in  der  deutschen  Be- 
amtenschaft und  legt  in  tiefgründigen  Schilderungen  die  wirtschaftlichen  und 
sozial-ethischen  Ursachen  der  großen  Eanderarmut  in  den  Kreisen  der  Festbesol- 
deten dar. 

Die   Broschüre,  die  in  einem  klaren,  volkstümlichen  Stile  geschrieben  ist, 

gibt  jedem,  den  das  Problem  fesselt,  einen  sicheren  Führer  durch  die  Wirrnisse 
er  Meinungen  an  die  Hand.  Sie  ist  um  1,50  Mk.  von  der  Witwen-  und  Waisen- 
kasse des  Bayerischen  Verkehrsbeamten-Vereins  München,  Marsstraße  5,  oder 
durch  den  Buchhandel,  vorm.  Verlag  G.  J.  Manz,  A.-G.  München,  zu  beziehen. 

Gegen  die  vorstehend  geschilderten  Pläne  wenden  sich  in  einer 
Denkschrift  die  in  Bayern  tätigen  privaten  Lebensversicherungsgesell- 
schaften. 

Die  Neuerungen  des  am  1.  Juli  1917  in  Kraft  getretenen 
österreichischen  Unfallversicherungsgesetzes  stellt  der 
„Wiener  Arbeitgeber"  in  ihren  wichtigsten  Teilen  zusammen : 

Die  Höchstgrenze  des  Jahresarbeits Verdienstes  wurde  von  2400.—  K.  auf 
3600.—  K.  erhöht.  Für  nichts  oder  wenig  verdienende  Lehrlinge  sind  statt 
höchstens  600.—  K.  nunmehr  höchstens  12U0.—  K.  und  mindestens  600.—  K. 
anzurechnen;  verdient  ein  Lehrling  selbst  mehr  als  1200.—  K.,  so  ist  sein  tat- 
sächlicher Arbeitsverdienst  anrechenbar.  Unfälle  bei  häuslichen  oder  anderen 
Verrichtungen,  welche  der  Arbeiter  über  Auftrag  des  Unternehmers  oder  eines 
Betriebs  vorgesetzten  während  der  versicherten  Beschäftigung  verrichtet,  sind  Be- 
triebsunfälle, ebenso  wie  die  Unfälle  auf  dem  Wege  von  der  Wohnung  zur  Arbeit 
und  umgekehrt.  Das  Rentenhöchstausmaß  für  gänzliche  Erwerbsunfähigkeit  wurde 
von  60  rroz.  auf  zwei  Drittel  des  Arbeitsverdienstes  erhöht;  bei  Hilflosigkeit  des 
Verletzten  kommt  die  ßente  dem  Arbeitsverdienste  gleich.  Der  Höchstbetrag  der 
Beerdigungskosten  wurde  von  50. —  K.  auf  100. —  K.  hinaufgesetzt.    Die  unehe- 


I      _    628    — 

liehen  Kinder  wurden  den  ehelichen  gleichgestellt  und  erhalten  daher  15  Fror, 
des  Arbeitsverdienstes  der  durch  den  üntall  getöteten  Mutter,  bzw.  des  Vaters. 
Die  Höchstgrenze  der  Hinterbliebenenrenten  wird  von  der  Hälfte  auf  zwei  Drittel 
des  Arbeitsverdienstes  des  bzw.  der  Getöteten  erhöht.  Geschwister  und  Enkel 
können  dann,  wenn  der  Verstorbene  wesentlich  zu  ihrem  Lebensunterhalte  bei- 
getragen hat,  eine  Eentenunterstützung  (20  Proz.  des  Arbeitsverdienstes)  bis  zum 
vollendeten  15.  Lebensjahre  erhalten,  die  ihnen  bei  gänzlicher  Erwerbsunfähigkeit 
noch  weiter  gebührt. 

Die  Versicherungsbeiträge  sind  zur  Gänze  von  den  Betriebsunternehmern 
zu  zahlen. 

Unter  Mitwirkung  der  großen  Vereinigungen  des  Handels,  der  In- 
dustrie und  der  Schiffahrt  ist  in  Dänemark  eine  Versicherungs- 
anstalt ins  Leben  gerufen  worden,  die  innerhalb  dieser  Gewerbe  den 
Angestellten  ßuhegehaltsversicherung  gewähren  will. 

Das  Unternehmen  ist  als  eine  Versorgungsmaßnahme  großen  Stils  gedacht. 
Neu  ist  an  ihm,  daß  hier  ohne  die  Mitwirkung  oder  das  Eingreifen  des  Staates 
zur  Lösung  einer  sozialen  Frage  in  ihrem  ganzen  Umfange,  nämlich  der  Sicher- 
ßtellung  der  arbeitsunfähigen  Privatangestellten,  auf  dem  Wege  der  Versicherung 
geschritten  wird.  Träger  der  Versicherung  wird  eine  Aktiengesellschaft,  die  am 
2.  Juli  1917  ihre  erste  Hauptversammlung  abgehalten  hat  und  den  Namen  „Pen- 
ßionsforsikringsanstalten"  führt.  Die  Einnahmen  dürfen,  so  weit  wie  möglich,  nur 
zugunsten  der  Versicherten  verwendet  werden.  Die  Verzinsung  des  Aktienkapitals 
ist  daher  auf  5  Proz.  beschränkt.  Die  Leitung  der  Anstalt  ist  ehrenamtlich,  und 
die  Werbearbeit  wird  ohne  Vertreter  und  ohne  Abschlußgebühr  vor  sich  gehen. 
Die  Versicherungen  werden  auf  jeden  einzelnen  Angestellten  abgeschlossen.  Wenn 
ein  Angestellter  eine  Stelle  aufgibt  und  in  den  Dienst  eines  neuen  Arbeitgebers 
tritt,  folgt  ihm  seine  Versicherung.  Alle  Gefahren,  gegen  die  eine  Ruhegehalts- 
versicherung Schutz  bieten  kann,  sollen  in  die  neue  Versicherung  eingeschlossen 
sein;  sie  bietet  daher  auch  Witwenrente  und  Kinderversorgung.  Das  Anrecht 
auf  Ruhegehalt  tritt  spätestens  mit  dem  65.  Lebensjahre  ein.  Falls  die  Ver- 
sicherung in  den  jungen  Jahren  des  Angestellten  abgeschlossen  wird,  ist  das 
Ruhegehalt  ganz  beträchtlich.  Der  Beitrag  für  die  Versicherung  beläuft  sich  auf 
10  Proz.  des  Jahresgehaltes  und  wird  teils  vom  Angestellten,  teils  vom  Arbeit- 
geber bezahlt.  —  Bekanntlich  bestehen  solche  privaten  Pensionsversicherungs- 
anstalten für  Angestellte  des  Handels  und  der  Industrie  bereits  in  anderen 
Ländern  seit  Jahren  und  erfüllen  ihre  Aufgabe  auf  vollkommen  befriedigende 
Weise. 

Yla.   deld,  Kredit,  Währung. 

Inhalt:  1.  Der  internationale  Geldmarkt  und  die  Entwick- 
lung in  den  wichtigeren  Ländern  während  des  Monats  September. 

2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung,  a)  Banken  im  In-  und 
Auslande,  b)  Kredit  wirtschaftl  iche  Maßnahmen  in  Deutschland  und 
den  besetzten  Gebieten  Belgiens,  Rußlands  und  Rumäniens,  Dänemark,  England, 
Oesterreich-Ungarn.  c)  Bargeldloser  Zahlungsverkehr  in  Deutschland, 
d)  Börsenwesen  in  Bulgarien  und  Ungarn,  e)  Währungs-  und  Noten- 
bankwesen in  Deutschland  und  den  besetzten  Gebieten  Rumäniens,  Bulgarien, 
Dänemark,  Britisch-Südafrika,  der  Türkei,  China,  Argentinien,  Mexiko,  Panama, 
Peru. 

3.  Statistik.  Uebersicht  über  den  Stand  der  hauptsächlichen 
Notenbanken  und  der  Bankzinssätze. 

1.  Der   internationale   Geldmarkt    und    die    Entwicklung 
in  den  wichtigeren  Ländern  während  des  Monats 

September. 
Die  Gestaltung    der  Verhältnisse    am    internationalen  Geld- 
ma r  k  t  wurde  während    des  Berichtsmonats    wieder  vorwiegend    durch 


—    629    — 

die  verschiedenartigen  Finanzoperationen  der  verbündeten  kriegführen- 
den Länder  untereinander  i)  und  mit  den  neutralen  bestimmt  ^).  Diese 
sowie  weitere  wirtschafts-  ^)  und  wäbrungspolitische  *)  Maßnahmen  blieben 
auf  die  Entwicklung  der  Wechselkurse  nicht  ohne  Einfluß.  Es 
zeigte  sich  dabei  im  Berichtsmonat  mit  besonderer  Deutlichkeit, 
wie  ungünstig  die  bestehenden  Hemmungen  des  internationalen  Zah- 
lungsausgleichs auf  die  Wechselkurse  selbst  der  finanziell  und  wirt- 
schaftlich kräftigsten  kriegführenden  und  neutralen  Länder  einwirken, 
bei  denen  von  einem  Sinken  des  Kredits  keine  Rede  sein  kann.  Die 
Devisen  der  führenden  Ententeländer  —  einschließlich  der  Verein. 
Staaten  —  erfahren  nämlich  während  des  Berichtsmonats  in  den  neu- 
tralen Ländern  fast  durchgängig  und  zum  Teil  recht  erhebliche  Ver- 
schlechterungen (z.  B.  stieg  das  Agio  der  schwedischen  Krone  gegen- 
über dem  Pfand  Sterling  von  27,7  Proz.  auf  36.1  Proz.,  dasjenige  des 
Peseta  in  Paris  von  28,6  Proz.  auf  35,2  Proz. ;  die  schwedische  Devise 
bedang  in  New  York  Anfang  Oktober  ein  Aufgeld  von  38,5  Proz.  gegen 
27,2  Ende  August).  Die  Entwertung  der  Lira  machte  weitere  Fort- 
schritte; geradezu  katastrophal  aber  war  der  Rückgang  des  Rubel- 
kurses   (in  London   stieg    der   Kurs   von  250   für    10  £  [Ende  August] 


1)  Seitens  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  wurden  den  Verbündeten  biß 
Juni  1918  weiter  monatlich  je  2,5  Milliarden  frs  Vorschüsse  zugesagt  („Petit  Parisien" 
V.  3.  Sept.).  —  Die  am  18.  Sept.  fällige  6  proz.  Londoner  Metropolitan  Water  Board 
Anleihe  wurde  auf  ein  weiteres  Jahr  gegen  7  Proz.  Diskont  verlängert  („The  Statist"  v. 
15.  Sept.)  —  Die  von  Morgan  übernommenen  150  Mill.  $  englischer  Schatzwechsel  (vgl. 
S.  557)  wurden  in  wöchentlichen  Beträgen  von  15  Mill.  $  aufgelegt.  Der  Diskont 
mußte  von  574  Proz.  auf  572  P^oz.  erhöht  werden  („The  Economist"  v.  22.  Sept. 
S.  413).  —  In  London  wurden  die  fällig  werdenden  2  Mill.  £  französischer  Schatz- 
wechsel auf  der  Basis  von  5^/^  Proz.  (im  Vorjahr  6V2  Proz.)  verlängert  und  russische 
und  italienische  Schatzwechsel  neu  untergebracht  („The  Statist"  v.  8.  u.  22.  Sept.).  — 
Ueber  die  von  Japan  an  Rußland  gewährte  Anleihe  vgl.  S.  557  Anm.  4  und  „The 
Statist"  V.  13.  Okt.  S.  612. 

2)  Anläßlich  des  zwischen  Deutschland  und  der  Schweiz  abgeschlossenen,  in  den 
ersten  Septembertagen  ratifizierten  Wirtschaftsabkommens  (vgl.  S.  557)  setzte  Frankreich 
am  29.  Sept.  ein  ähnliches  Kreditgeschäft  mit  der  Schweiz  durch,  das  für  Frankreich 
die  Einräumung  eines  monatlichen  Kredits  von  12,5  Mill.  frs  für  Oktober  bis  De- 
zember vorsieht  („National-Zeitung,  Basel"  v.  1.  Okt.).  —  Von  Deutschland  wurde  ein 
Abkommen  mit  Holland  vorbereitet,  nach  dem  Holland  gegen  Lieferung  von  Kohlen, 
Stahl  und  Eisen  Deutschland  Kredite  einräumt  („Frankft.  Ztg."  v.  7.  Okt.). 

3)  England  erließ  ein  Teilausfuhrverbot  gegenüber  Holland  und  den  skandina- 
vischen Ländern  und  sperrte  vom  29.  Sept.  den  telegraphischcn  Verkehr  mit  Holland. 
—  Die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  erweiterten  die  Ausfuhrverbote  gegenüber  den 
Neutralen  („L'ficon.  Europ."  v.  21.  Sept.  S.  189).  —  Frankreich  und  Italien  trafen  ein 
Handelsabkommen  („L'ßcon.  Europ."  v.  14.  Sept.  S.  170). 

4)  Schweden  setzte  einen  Finanzrat  ein,  um  unerwünschte  Kreditgewährungen  an 
das  Ausland  zu  unterbinden  („L'ficon.  Europ."  v.  28.  Sept.  S.  194)  und  erhöhte  den 
Bankdiskont  am  28.  Sept.  von  57^  Proz.  auf  6  Proz.  —  Japan  und  Mexiko  erließen 
Teilgoldausfuhrverbote  („Times"  v.  13.  Sept.).  —  Die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika, 
die  vom  10.  Sept.  ab  die  Goldausfuhr  nur  mit  besonderer  Erlaubnis  zugelassen  hatten 
(„Statist"  V.  15.  Sept.  S.  433\  verboten  die  Goldausfuhr  nach  Spanien  Ende  September 
vollständig  („La  Libert§"  v.  29.  Sept.).  Im  Reiseverkehr  wurde  die  Ausfuhr  von  Gold- 
münzen auf  200  $  beschränkt  („L'ficon.  Europ."  v.  5.  Okt.).  —  Die  Niederländische 
Bank  gab  abermals  einen  größeren  Goldbetrag  nach  der  Schweiz  („Der  Bund"  v. 
30.  Sept.).  —  Interessant  ist  eine  Bemerkung  im  „Statist"  vom  15.  Sept.  S.  434,  nach, 
der  auch  England  Goldexporte  verhindert  und  verboten  hat. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XLII 


—   630   — 

vorübergehend  bis  auf  476) ^).  Die  Bewegungen  der  deutschen  Wech- 
selkurse waren  nicht  einheitlich;  einer  mäßigen  Verschlechterung  der 
Kurse  in  Holland  und  den  nordischen  Ländern  stand  eine  weitere 
Besserung  der  Markkurse  in  der  Schweiz  gegenüber.  Die  Notierungen 
in  Berlin  wurden  der  Auslandsparität  angepaßt.  —  Die  bedeutende 
Steigerung  des  Silberpreises  2),  die  auf  den  wachsenden  Bedarf  für 
Münz-  und  Währungszwecke  bei  verminderter  Silberproduktion,  nicht 
zum  mindesten  aber  auch  auf  eine  großzügig  angelegte  Spekulation 
zurückzuführen  war,  rief  besonders  in  den  Ententeländern  wachsende 
Besorgnis  hervor  und  gab  Anlaß  zu  besonderen  Gegenmaßregeln  3),  da 
die  wirtschaftlichen  Beziehungen  zu  den  Silberwährungsländern  ernst- 
lich bedroht  erschienen. 

Obwohl  der  deutsche  Geldmarkt  in  den  letzten  Monaten  in 
stärkerem  Maße  durch  Gründungen  und  Kapitalerhöhungen  von  Aktien- 
gesellschaften und  Ges.  m.  b.  H.  in  Anspruch  genommen  worden  war  *), 
standen  ihm  für  die  vom  19.  September  bis  zum  18.  Oktober  zur  Zeich- 
nung aufgelegte  VII.  Kriegsanleihe  5)  reichliche  Mittel  zur  Verfügung. 
Für  die  überaus  günstige  Lage  des  deutschen  Geldmarktes  legte  be- 
sonders auch  die  weitere  Zunahme  des  Einlagenbestandes  bei  den  deut- 
schen Sparkassen  (Zunahme  im  September  150  Mill.  M  gegen  60  Mill.  M 
im  September  1916)  Zeugnis  ab. 

Der  Privatdiskontsatz  wurde  nach  wie  vor  mit  4^3  Proz. 
notiert;  doch  fanden  erstklassige  Wechsel  meist  unter  diesem  Säte 
Abnehmer.  Die  Zinsrate  für  tägliches  Geld  bewegte  sich  zwischen 
3^2  Proz.  und  41/2  Proz.  und  betrug  im  Monatsdurchschnitt  3,989  Proz. 
Der  Satz  für  ültimogeld  hielt  sich  auf  5  Proz.  und  darunter. 

Im  Status  der  Reichsbank  kamen  die  mit  der  Einzahlung  auf 
die  VII.  Kriegsanleihe  im  Zusammenhang  stehenden  Kapitalbewegungen 

1)  „The  Statist"  v.  15.  Sept.  vertritt  die  Ansicht,  daß  nicht  ein  Sinken  des  russi- 
schen Kredits,  sondern  eine  Panik  die  Schuld  trage;  der  russische  Kredit  werde  an  dem 
Diskontsatz  für  russische  Kreditwechsel  gemessen,  die  in  London  nach  wie  vor  zu 
4^7i6  P^'oz.,  d.  h.  nur  ^/jg  Proz.  höher  gehandelt  würden  als  englische  Regierungs- 
wechsel. 

2)  Der  Preis  stieg  in  London  gegen  Ende  des  Monats  bis  auf  55  d,  einen  Stand, 
wie  er  seit  März  1878  nicht  zu  verzeichnen  gewesen  war.  —  Der  höchste  in  New  York 
notierte  Kurs  des  Monats  war  lOSVg« 

3)  Die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  erließen  ein  Silberausfuhrverbot  („The 
Statist"  V.  15.  Sept.).  —  Japan  verbot  die  Ausfuhr  und  das  Einschmelzen  von  Silber- 
mÜDzen  („Frankft.  Ztg."  v.  16.  Sept.).  —  Indien  verbot  die  Silberausfuhr  und  ver- 
schärfte das  Silbereinfuhrverbot  („The  Times"  v.  5.  Sept.,  „Frankft.  Ztg."  v.  11.  Sept.) 
und  gab  kleine  Noten  zu  1  und  27^  Rupien  als  Ersatz  für  Silbermünzen  aus  (^gl. 
S.  501).  —  England  macht  die  Silberausfuhr  nach  Schweden,  Norwegen,  Dänemark  und 
Holland  von  der  besonderen  Genehmigung  des  Geheimen  Rates  abhängig  („Frankft. 
Ztg."  V.  10.  Okt.).  „The  Times"  schlugen  vor,  5  sh-Noten  auszugeben  und  die  hier- 
durch frei  werdenden  Silbermünzen  einzuschmelzen  („Voss.  Ztg."  v.  24.  Sept.). 

4)  In  den  ersten  drei  Vierteljahren  1917  allein  durch  Kapitalerhöhungen  mit 
381  Mill.  M  gegen  191  Mill.  M  in  der  gleichen  Zeit  des  Vorjahres  („Die  Bank", 
Oktober). 

5)  Wie  bei  der  VI.  Kriegsanleihe  wurden  5-proz.  Anleihen  und  4*/,-proz.  aus- 
losbare Schatzanweisungen  zu  98, — ,  5-proz.  Anleihen  (Schuldbucheintragun^en)  zu  97,80 
aufgelegt.  —  Vgl.  die  Anerkennung  der  deutschen  Emissionstechnik  und  Finanzpolitik 
im  „Alg.  Handelsblad"  v.  30.  Sept. 


—    631    — 

am  Monatsschluß  in  dem  auch  bei  den  früheren  Anleihen  beobachteten 
Torübergehenden  starken  Anschwellen  der  gesamten  Kapitalanlage  (auf 
15  801  Mill.  M)  und  der  fremden  Gelder  (auf  9541  Mill.  M)  zum  Aus- 
druck. Der  ZahluDgsmittelbedarf  blieb  infolge  der  Einbringung  der 
Ernte  und  der  Winterversorgung  der  Bevölkerung  andauernd  groß. 

Am  englischen  Geldmarkt,  der  nach  wie  vor  im  wesentlichen 
unter  der  Einwirkung  der  englischen  Kriegsfinanzierung  stand,  war 
ein  weiteres  Abströmen  amerikanischer  Gelder  zu  beobachten  („The 
Econ."  vom  22.  Sept.  S.  413).  Die  hierdurch  sowie  durch  die  Ent- 
wicklung der  Wechselkurse  und  des  Silberpreises  beeinflußte  unbe- 
friedigende Lage  des  Marktes,  ferner  die  Tatsache,  daß  auf  die  von 
den  Banken  anläßlich  der  III.  Kriegsanleihe  ^)  gewährten  Vorschüsse 
bisher  nur  ein  kleiner  Teil  zurückgezahlt  worden  war  (,,Bank.  Mag." 
Aug.  S.  116),  ließen  es  ratsam  erscheinen,  die  neue  Anleihe,  deren  Be- 
gebung man  ernstlich  in  der  Form  einer  Zwangsacleihe  in  Erwägung 
zog  („Bank.  Mag."  Sept.  S.  275,  „The  Econ."  v.  15.  Sept.,  „Ein.  News" 
V.  17.  Sept.),  erneut  hinauszuschieben  („The  Statist"  v.  22.  Sept.  S.  474). 
Da  aber  auch  gegen  die  weitere  Vermehrung  der  schwebenden  Schulden 
—  Anfang  Oktober  1170  Mill.  £  —  die  ernstesten  Bedenken  erhoben 
wurden,  griff  die  RegieruDg  zu  einer  Verlegenheitsmaßnahme,  indem 
sie  den  Absatz  mehrjähriger  Schatzscheine  durch  weitere  Anreizmittel 
zu  fördern  suchte:  der  Verkauf  der  5-proz.  Exchequer  Bonds  (vgl. 
S.  282)  wurde  mit  dem  29.  Sept.  ganz  eingestellt  und  dafür  die  Aus- 
gabe von  National  War  Bonds  ^)  beschlossen. 

Der  Privatdiskont  unterlag  nur  geringen  Schwackungen  und 
stellte  sich  im  Monatsdurchschnitt  mit  4,787  Proz.  etwas  höher  als  im 
Vormonat  (425/33  Proz.).  Der  Satz  für  tägliches  Geld  hielt  sich 
zwischen  S^/^  und  4^/^  Proz. 

Die  Ausweise  der  Bank  von  England  s),  die  „The  Economist" 
(v.  8.  Sept.  S.  347)  als  ein  Muster  offensichtlicher  Verschleierung  kenn- 
zeichnete, brachten  nur  unwesentliche  Veränderungen.  Bemerkenswert 
war    der    Rückgang    der    privaten    Sicherheiten    und    Guthaben.     Die 


1)  „Bankers'  Magazine"  (Sept.  S.  275)  bezeichnete  es  als  unbefriedigend,  daß 
der  Kurs  trotz  der  Einrichtung  des  sinking  fund  immer  noch  unter  dem  Ausgabe- 
kurs  steht. 

2)  Es  werden  drei  Arten  5-proz.,  einkommensteuerpfliohtige  —  für  Besitzer  im 
Auslande  einkommensteuerfreie  —  Bonds,  die  in  5,  7  und  10  Jahren  mit  einem  Auf- 
geld von  2  Proz.,  3  Proz.  und  5  Proz.  fällig  sind,  sowie  4-proz.  —  von  der  Einkommen- 
steuer, nicht  von  der  Ergänzungssteuer  befreite  —  nach  10  Jahren  rückzahlbare  Bonds 
vom  2.  Okt.  an  ausgegeben.  Bemerkenswert  ist  das  doppelte  Konversionsrecht.  Einmal 
ist  der  Umtausch  der  II.  Kriegsanleihe  sowie  der  5-  und  6-proz.  Exchequer  Bonds  aus 
dem  Jahre  1916  in  die  neuen  Bonds,  zum  anderen  der  Umtausch  der  neuen  National 
War  Bonds  in  Stücke  der  III.  Kriegsanleihe  vorgesehen  („The  Statist"  v.  29.  Sept.). 
Erbschaftssteuer,  Kriegsgewinnsteuer,  Munitionsabgabe  können  mit  National  War  Bon<]ü 
beglichen  werden.     Kleine  Abschnitte  zu  5  £  weiden  durch  die  Post  verkauft 

3)  Die  von  der  Vereinigung  britischer  Handelskammern  geforderte  Kommission 
zur  Prüfung  der  Erneuerung  des  Freibriefes  der  Bank  und  ihre  Ausgestaltung  zu  einer 
Weltwirtschaftsbank  wurde  eingesetzt  („Frankft.  Ztg."  15.  Sept.). 

XLn* 


—    632    — 

ständige  Zunahme  des  Umlaufs  an  currency  notes  —  er  stieg  um 
7,4  Mill.  £  auf  180,7  Mill.  £.  —  wurde  mit  Thesaurierungen  in  Zu- 
sammenhang gebracht  („The  Economist"  v.  22.  Sept.). 

In  Frankreich  stand  die  Frage  der  Ausgabe  der  neuen  Kriegs- 
anleihe nach  wie  vor  im  Vordergrunde  der  Erörterungen,  ohne  daß  die 
Regierung  zu  einer  Entscheidung  kam.  Um  die  angeblich  reichlich 
vorhandenen  flüssigen  Mittel  des  Marktes  nach  Möglichkeit  noch  weiter 
der  Kriegsfinanzierung  dienstbar  zu  machen,  wurden  die  Banken  auf- 
gefordert, den  Arbitrage  verkehr  einzuschränken  i)  („Journal  des  D^bats" 
V.  17.  Sept.).  Bemerkenswerterweise  mußte  das  Moratorium  für  Handels- 
wechsel usw.  wieder  um  drei  Monate  verlängert  werden. 

Die  unvermutet  starke  Steigerung  des  Notenumlaufs  der  Bank 
von  Frankreich  um  426  Mill.  frs  (im  September),  die  eine  plötz- 
liche weitere  Erhöhung  des  Notenkontingents  von  21  auf  24  Mil- 
liarden frs  erforderlich  machte  2),  war  eine  Folge  der  wiederum  erheb- 
lichen Inanspruchnahme  der  Bank  durch  den  Staat  und  die  Verbündeten 
(530  Mill.  frs)  [„Journal  des  Debats"  v.  24.  Sept.]  3). 

Auf  dem  österreichisch-ungarischen  G-eldmarkt  hielt 
die  große  Flüssigkeit  an  —  der  Satz  für  tägliches  Geld  stellte  sich 
auf  IY4  bis  IY2  Bi'oz.  —  und  begünstigte  die  weitere  Ausbreitung 
der  Effektenspekulation  an  den  Börsen.  Die  hiergegen  von  den  Banken 
getroffenen  Maßregeln*)  hatten  nicht  den  gewünschten  Erfolg,  so  daß 
die  Regierung  Vorbereitung  zu  weiteren  Maßnahmen  traf. 

Die  überaus  schwierige  Lage  des  russischen  Geldmarktes 
hat  sich  im  Berichtsmonat  weiter  verschlechtert^).  Der  Mißerfolg  der 
Freiheitsanleihe  ^)    zwang   die   Regierung,    zur   Deckung   der  riesenhaft 


1)  Der  Regierung  wurde  nahegelegt,  wieder  durch  indirekte  Anleihen  die  verfüg- 
baren Mittel  des  Marktes  dem  Staate  dienstbar  zu  machen  und  Privatgesellschaften  zu 
veranlassen,  mit  Anleihen  an  den  Geldmarkt  heranzutreten  und  den  Erlös  der  Regierung 
zur  Verfügung  zu  stellen  („Journal  des  Debats"  v.  24.  St-pt.).  —  „Le  Temps"  (v.  8.  Okt.) 
warf  der  Regierung  vor,  daß  sie  sich  nicht  darum  gekümmert  habe,  den  Anleihen  einen 
Markt  zu  schaffen,  auf  dem  sie  tatsächlich  auch  umgesetzt  werden  könnten. 

2)  „Le  Temps"  (v.  1.  Okt.)  schlug  die  Ausgabe  4proz.  4-jähriger  Bons  du  Trfeor 
im  Betrage  von  20  Milliarden  frs  mit  Zahlungsmitteleigenschaft  vor.  Gegen  diesen 
auch  an  maßgebenden  Stellen  ernsthaft  erwogenen  Plan  erhob  sich  starker  Wider- 
spruch. Ein  Aufsatz  der  „Information"  v.  17.  Okt.  mit  der  Ueberschrift  „Eine  große 
Illusion"  bezeichnete  die  Schaffung  eines  solchen  Mitteldinges  zwischen  Papiergeld  und 
staatlicher  Schuld versehreibung  als  wirkungslos  und  gefährlich. 

3)  Anläßlich  der  Erörterungen  über  die  Verläogerung  des  Bankprivilegs  findet 
man  in  den  französischen  Zeitungen  lange,  anscheinend  offiziöse  Besprechungen  über 
die  Bank  von  Frankreich  (vgl.  „tc.  Fran9."  v.  29.  Sept.  S.  395  ff.). 

4)  Die  Banken  ließen  wesentliche  Kreditbeschränkungen  eintreten  („Oest.  Volks- 
wirt" V.  22.  Sept.)  und  erhöhten  gemeinsam  mit  den  Bankiers  die  Provisionssätze  für 
den  Effektenverkehr  auf  das  Doppelte  („Neue  Zürcher  Ztg."  v.  16.  Sept.). 

5)  Vgl.  die  interessanten  Ausführungen  von  Prof.  A.  Bilimowitsch  im  „Kjewljanin" 
V.  21.  Sept.     (Vergleich  mit  der  ehemaligen  Assignatenwirtiichaft  Frankreichs.) 

6)  Am  11./24.  Sept.  stellte  sich  das  Ergebnis  auf  3900  Mill.  Ro;  hiervon  ent- 
fielen auf  die  Russische  Staatsbank  2550  Mill.  Ro,  auf  die  anderen  Banken  1350  MilL  Ro 
(„Agenee  R§publicaine"  v.  11.  Okt.). 


—    633    — 

wachsenden  Ausgaben  das  Notenemissionsrecht  der  Russischen 
Staatsbank  am  22.  Sept.  um  weitere  2  Milliarden  E-o  auf  14,5  Mil- 
liarden E,o  zu  erhöhen  („The  Economist"  v.  29.  Sept.  S.  450).  Im 
Ausweis  der  Staatsbank  vom  1./14.  August  findet  sich  zum  ersten  Male 
der  Posten  „Credit  pour  achats  de  marchandises  pour  les  besoins 
de  l'Etat". 

Die  Haltung  des  Geldmarktes  der  Vereinigten  Staaten 
von  Amerika  war  nicht  einheitlich.  Zeitweilig  war  das  Angebot 
Terfügbarer  Mittel  gering,  was  seinen  Grund  hauptsächlich  in  der  vor 
Ausgabe  der  IL  Kriegsanleihe  ^)  beobachteten  Zurückhaltung  der  Geld- 
geber und  in  der  Entwicklung  der  Verhältnisse  an  den  Effektenbörsen 
hatte.  Zur  Ueberwindung  der  Geldknappheit  bewilligten  die  Federal 
Reserve  -  Banken  umfangreiche  Diskontkredite  zu  niedrigen  Sätzen, 
während  die  New  Yorker  Banken  ihrerseits  Krediterleichterungen  trafen  2) 
und  die  Zurückziehungen  von  auswärtigen  Guthaben,  besonders  aus 
England,  fortgesetzt  wurden.  In  ernsten  Finanzkreisen  gewann  die  von 
uns  schon  oben  und  früher  (vgl.  S.  556)  vertretene  Ansicht  immer  mehr 
Boden,  daß  den  gewaltigen  geldlichen  Anforderungen  des  Krieges  auch 
die  große  finanzielle  und  wirtschaftliche  Kraft  der  Vereinigten  Staaten, 
die  vielleicht  die  größte  aller  Länder  ist,  nicht  unbegrenzt  entsprechen 
kann  („Comm.  and  Ein.  Chron."  v.  8.  Sept.,  S.  932;  vgl.  ferner  „Bank- 
Archiv"  V.  15.  Okt.,  S.  18).  Es  zeigte  sich  immer  deutlicher,  daß  die 
Vereinigten  Staaten  von  Amerika  im  wesentlichen  nur  auf  die  eigene 
Kraft  angewiesen  sind,  daß  die  Möglichkeit,  auf  andere  Länder  zurück- 
zugreifen, für  sie  nur  gering  ist.  Unter  diesen  Gesichtspunkten  ist 
auch  der  Vorschlag  zur  Errichtung  eines  Regierungsausschusses,  der 
über  neue  Emissionen  entscheiden  soll,  sowie  die  einschneidende  Maß- 
nahme des  schon  oben  erwähnten  Münzausfuhrverbotes  zu  verstehen, 
eine  Maßnahme,  die  allerdings  auf  der  anderen  Seite  die  Gefahr  in  sich 
trägt,  daß  die  durch  den  Krieg  erlangte  Stellung  eines  Zentralgeld- 
marktes der  Welt  wieder  verloren  geht  3)  („Comm.  and  Ein.  Chron."  v. 
15.  Sept.,  S.  1047).  —  Der  Satz  für  tägliches  Geld  bewegte  sich 
zwischen  2Y2  Rroz.  und  6  Proz.  und  machte  im  Monatsdurchschnitt 
4,461  Proz.  gegen  3,049  Proz.  im  Vormonat  aus. 


1)  Vom  2. — 27.  Oktober  soll  die  neue,  mit  4  Proz.  verzinsliche,  nach  15  Jahren 
lückzahlbare  Freiheitsanleihe  zu  Pari  aufgelegt  werden;  den  Besitzern  der  ersten 
Kriegsanleihe  wurde  da.«  Recht  des  Umtausches  in  die  neue  Anleihe  eingeräumt. 
Freiheit  von  Steuern  außer  Zuschlägen  zur  Einkommensteuer.  —  Nach  englischem 
Vorbild  wurden  außerdem  War  Saving  Certificates  ausgegeben  („The  Econ."  v.  8.  Sept., 
8.  357). 

2)  Die  New  Yorker  Banken  stellten  der  Effektenbörse  30  Mill.  $  für  1—4  Monate 
au  5^2 — 6  Proz.  zur  Verfügung,  wodurch  die  drohende  Geldknappheit  abgewendet  und 
der  neuen  Anleihe  ein  günstiger  Boden  bereitet  wurde  („Comm.  and  Fin.  Chron."  v. 
22.  Sept.,  S.  1137). 

3)  Seit  Beginn  des  Weltkrieges  betrug  der  Goldeinfuhrüberschuß  für  die  Ver- 
einigten Staaten  von  Amerika  rund  57»  Milliarden  frs;  seit  dem  6.  April  1917  wurden 
230  Mill.  frs  Gold  eingeführt,  aber  rund  l7a  Milliarden  frs  ausgeführt. 


634    — 


2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung. 

a)  Banken  im  In-  und  Auslande. 

Es  wurden  übernommen:  von  der  Dresdner  Bank,  Berlin,  (vgl. 
S.  194)  unter  Erhöhung  ihres  Kapitals  um  60  Mill.  M:  die  Märkische 
Bank,  Bochum,  und  die  Rheinisch- Westfälische  Disconto-Gesellschaft, 
Aachen;  —  von  der  Mitteldeutschen  Privat-Bank  A.-G.,  Magdeburg, 
(vgl.  S.  419):  die  Bankfirma  Oscar  Heubach,  Sonneberg  (Sachsen- 
Meiningen)  ;  —  von  der  Internationalen  Handelsbank,  Wien :  das  Bank- 
haus Alfred  Schwalb,  Karlsbad  (Böhmen). 

Filialen  eröffnen:  der  A.  Schaaffhausensche  Bankverein,  Köln, 
(vgl.  Chr.  1916,  S.  609)  in  Aachen,  Düren  und  Siegen;  —  die  Anglo- 
South  American  Bank  Ltd.,  London,  (vgl.  S.  560)  in  Comodors  Riva- 
davia  (Argentinien) ;  die  Colonial  Bank,  London,  (vgl.  S.  498)  in  Kana 
(Nigeria);  die  Banca  d'Italia,  Rom,  in  Mogadiscio  (Somaliland);  die 
Mercantile  Bank  of  the  Americas,  New  York,  (vgl.  S.  285)  in  Genua.  — 
Die  Deutsche  Bank,  Berlin,  (vgl.  S.  194)  beabsichtigt,  sobald  es  die 
Verhältnisse  gestatten,  in  Riga  eine  Geschäftsstelle  zu  errichten. 

Gegründet  wurden:  in  Genua  mit  2  Mill.  Lire  der  Banco  Italiano 
di  Sicurta;  —  in  Medan  (Niederländisch-Indien)  mit  2Y2  Mill.  hfl  eine 
neue  Hypothekenbank  (vgl.  S.  498);  —  in  Elverum  (Norwegen)  mit 
mindestens  1,  höchstens  2Y2  Mill.  Kr  Kapital  die  Elverums  Kredit- 
bank; —  in  Budapest  mit  50  Mill.  K  die  Ungarische  Landesbank 
durch  Verschmelzung  der  Budapester  Sparkassa-  und  Landespfandleib- 
anstalt  A.-G.,  Budapest,  und  der  Nationalen  Sparkasse  &  Zentralbank 
für  Handel  und  Industrie  A.-G.,  Budapest;  —  in  Nova  Goa  (Portugie- 
sisch-Indien)  mit  mindestens  V2)  höchstens  1  Mill.  Rupien  der  Banco 
da  ludia  Portugueza;  —  in  Stockholm  mit  mindestens  1,  höchstens 
3  Mill.  Kr  die  Svenska  Kredit  och  garantiförsäkrings  A.-B. ;  —  in  Basel 
zwecks  Finanzierung  der  Vorschüsse  für  die  deutschen  Kohlenlieferungen 
(vgl.  S.  557)  die  A.-G.  für  den  Schweizerischen  Außenhandel;  —  ia 
Mexiko  mit  1  Mill.  amerikan.  $  Kapital  die  Compania  Bancaria  Comer- 
cial  Mexicana. 

Die  tschechischen  Banken  haben  einen  Verband  tschechischer 
Bankpn  gebildet,  der  ein  Aktienkapital  von  rund  250  Mill.  K  und 
ein  Reservekapital  von  55  Mill.  K  vertritt. 

Die  Lloyds  Bank  of  France  Ltd.,  Paris,  geht  —  zum  Zweck  der 
Ausdehnung  ihres  Filialuetzes  über  ganz  Frankreich  —  eine  Interessen- 
gemeinschaft mit  der  National  and  Provincial  Bank  Ltd.,  London,  ein; 
sie  erhöht  ihr  Kapital  um  0,6  auf  1,2  Mill.  £  und  ändert  die  Firma 
in  Lloyds  Bank  (France)  and  National  Provincial  Bank 
Ltd.  ab. 

b)  Kreditwirtschaftliche  Maßnahmen. 

In  Deutschland  oder  in  den  besetzten  Gebieten  wurde» 
veröffentlicht:    1)    Bek.    des   RKzl.,    betr.    wirtschaftliche   Vergeltungs- 


-    635    — 

maßnahmen  gegen  Siam,  Liberia  und  China,  v.  12,  Sept.  (RGBl.  S.  831; 
vgl.  Chr.  S.  561);  2)  Bek.  des  RKzl.,  betr.  Zahlungen,  die  zum  Er- 
langen, Erhalten  oder  Verlängern  des  amerikanischen  Patent-,  Muster- 
oder Warenzeichenschutzes  für  Angehörige  des  Reichs,  der  verbündeten 
oder  der  neutralen  Staaten  erforderlich  sind,  v.  12.  Sept.  (RAnz.  v. 
12.  Sept.;  vgl.  Chr.  S.  561);  3)  V.  des  BR.  über  die  Geltendmachung 
von  Ansprüchen  von  Personen,  die  im  Ausland  ihren  Wohnsitz  haben, 
V.  20.  Sept.  (RGBl.  S.  854;  vgl.  Chr.  S.  420);  4)  V.  des  BR.,  betr.  die 
Fristen  des  Wechsel-  und  Scheckrechts  für  Elsaß-Lothringen,  v.  20.  Sept. 
(RGBl.  S.  854;  vgl.  Chr.  S.  420);  5)  Bek.  des  RKzl.,  betr.  Liquidation 
russischer  Unternehmungen,  v.  22.  Sept.  (RGBl.  S.  876);  6)  Bek.  des 
RKzl.  über  den  Annahmewert  der  Stücke  und  Schuldbuchforderungen 
der  7.  Kriegsanleihe  des  Deutschen  Reichs  sowie  der  Zwischenscheine 
für  solche  Kriegsanleihestücke  bei  der  Entrichtung  der  Kriegssteuer, 
V.  26.  Sept.  (RZBl.  S.  351;  vgl.  Chr.  S.  286);  7)  Vf.  des  preuß.  Finanz- 
min.,  betr.  Erhebung  von  Zinsbeträgen  bei  der  Kriegsabgabe,  v.  3.  Aug. 
(FMBl.  S.  311;  vgl.  Chr.  S.  562);  8)  dgl.,  betr.  die  Verzinsung  der 
Kriegssteuer,  v.  21.  Sept.  (FMBl.  S.  313);  9)  Vf.  der  preuß.  Min.  für 
Handel  und  Gewerbe,  des  Innern  und  der  Finanzen,  betr.  Bekannt- 
machung der  in  Verlust  geratenen  Inhaberpapiere,  v.  21.  Sept.  (HMBl. 
S.  309;  vgl.  Chr.  S.  420);  10)  Erl.  des  Kriegsmin.,  betr.  Ablieferung 
der  im  besetzten  Frankreich  geborgenen  Gelder  usw.  an  Zwangsver- 
walter, V.  26.  Sept.  (AVBl.  S.  474);  11)  Vf.  des  Staatssekr.  des  Reichs- 
Marine- Amts  V.  11.  Sept.  (MVBl.  S.  262),  des  preuß.  Finanzmin.  v.  13.  Sept. 
(FMBl.  S.  301),  des  Kriegsmin.  v.  17.  Sept.  (AVBl.  S.  453),  des  Reichs- 
Postamts  V.  20.  Sept.  (PostBl.  S.  353),  betr.  die  7.  deutsche  Kriegs- 
anleihe; 12)  Rede  des  Reichsbankpräsidenten  (vgl.  S.  196  u.  286)  am 
20.  Sept.  in  Frankfurt  a.  M.,  in  der  er  u.  a.  ausführte,  daß  die  Reichs- 
bank bereits  jetzt  jedem,  der  gezeichnete  Kriegsanleihe  verkaufen  müsse, 
Beträge  bis  zu  1000  M  zum  Emissionskurse  von  98  Proz.  abnehme, 
und  daß  sie  für  die  Kursregulierung  der  Reichsanleihe  nach  dem  Kriege 
eine  Aufnahmeaktion  in  ganz  großem  Stil  in  Gemeinschaft  mit  der  ge- 
samten deutschen  Bankwelt  in  Aussicht  genommen  habe  („Voss.  Ztg." 
V.  28.  Sept.);  13)  V.  des  GG.  in  Belgien,  betr.  Zahlungsverbot  gegen 
Siam,  Liberia  und  China  und  Vermögenssperre  gegen  Siam  und  China, 
V.  22.  Sept.  (BelgGVBl.  S.  4507);  14)  V.  des  GG.  in  Warschau,  betr. 
Verlängerung  der  Scheck-  und  Wechselfristen,  v.  19.  Sept.  (PolnVBl. 
S.  385;  vgl.  Chr.  S.  359);  15)  Ausführungsbestimmungen  des  Ver- 
waltungschefs beim  GGt.  Warschau  zur  V.  v.  18.  Juli  1917,  betr.  das 
Verbot  des  Handels  mit  Kriegsanleihen  feindlicher  Staaten  und  der 
Einfuhr  von  Wertpapieren  aus  dem  feindlichen  oder  neutralen  Auslande, 
V.  20.  Sept.  (PolnVBl.  S.  386;  vgl.  Chr.  S.  499);  16)  V.  des  Ob.Ost, 
betr.  Zahlungsverbot  gegen  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  v. 
10.  Sept.  (Ob.OstBVBl.  S.  691);  17)  V.  des  MG.  in  Rumänien  über  den 
Abbau  des  Moratoriums,  v.  15.  Juni  (RumVBl.  S.  119;  vgl.  Chr.  S.  197); 
18)  dgl.,  betr.  Verwaltung  der  rumänischen  Staatsmonopole,  v.  18.  Juni 
(RumVBl.  S.  113);  19)  dgl.,  betr.  den  Schutz  gewisser  Forderungen  bei 


-    636    - 

Auszahlungen  für  Erntelieferungen,  v.  5.  Juli  (RumVBl.  S.  150)  und 
V.  4.  Sept.  (RumVBl.  S.  201);  20)  dgl.,  betr.  Wechselstuben- Vorschrift, 
V.  24.  Juli  (Ver.-Bl.  der  Mil.-Verw.  in  Rum.,  S.  265);  21)  dgl.,  über 
die  Aenderung  des  Monopolgesetzes,  v.  27.  Aug.  (RumVBl.  8.  185); 
22)  V.  des  Oberbef.  in  Rumänien,  betr.  Enthebung  von  Gesellschaften 
von  der  Verpflichtung  zur  Vorlegung  und  Veröffentlichung  von  Bilanzen, 
V.  26.  Juni  (RumVBl.  S.  128) ;  23)  dgl.  über  die  Liquidation  britischer, 
französischer  und  belgischer  Unternehmungen,  v.  16.  Juli  (RumVBl. 
S.  147);  24)  dgl.  über  Genehmigungspflicht  neuer  und  Schließung  be- 
stehender Bankbetriebe,  v.  2.  Aug.  (RumVBl.  S.  164;  vgl.  Chr.  S.  360); 
25)  dgl.,  betr.  die  Ausübung  des  Gläubigerschutzes,  v.  17.  Sept. 
(RumVBl.  S.  219). 

In  Dänemark  wird  ein  neues  Aktiengesetz  erlassen,  nach  dem 
das  Mindestkapital  für  Aktiengesellschaften  5000  Kr,  für  Versicherungs- 
gesellschaften 50  000  Kr  betragen   muß. 

In  England  wird  ein  Handelsnachrichtenamt  (Department  for 
commercial  news)  als  Unterabteilung  des  Board  of  Trade   eingerichtet. 

In  Ungarn  erhalten  die  Minister  der  Finanzen,  des  Handels  und 
des  Innern  gemeinsam  das  Recht,  in-  und  ausländische  Unternehmungen, 
deren  Tätigkeit  gegen  das  Gesetz  der  öffentlichen  Ordnung  oder  die 
Interessen  des  Vaterlandes  verstößt,  unter  behördliche  Aufsicht  zu 
stellen  („Volksw.  Chronik  der  öst.-ung.  Monarchie"  9.  Heft  S.  325). 

c)  Bargeldloser  Zahlungsverkehr. 

Maßnahmen  ^n  Deutschland:  1)  Rundvf.  des  preuß.  Finanzmin. 
betr.  Reichsbankgiroverkehr  bei  den  staatlichen  Kassen,  v.  3.  Sept. 
(FMBl.  S.  298;  HMBl.  S.  316;  ZZBl.  S.  284);  2)  Erl.  des  Kriegsmin., 
betr.  Reichsbankgiroverkehr  bei  den  Heereskassen,  v.  25.  Sept.  (AVBl. 
S.  471) ;  3)  Allg.  Vf.  des  preuß.  Finanzmin.,  betr.  Postscheckverkehr 
bei  den  staatlichen  Kassen,  v.  14.  Sept.  (ZZBl.  S.  279 ;  vgl.  Chr.  S.  500); 
4)  Allg.  Vf.  des  preuß.  Justizmin.,  betr.  den  Postscheckverkehr  der 
Kassen  der  Justizverwaltung,  v.  15.  Sept.  (JMBl.  S.  308) ;  5)  dgl.  über 
den  bargeldlosen  Zahlungsverkehr  bei  der  Auszahlung  von  Dienstbe- 
zügen für  höhere  und  mittlere  Justizbeamte,  v.  8.  Sept.  (JMBl.  S.  307) ; 
6)  Vf.  des  Reichspostamts,  betr.  Angabe  des  Zahlungsempfängers  im 
Scheck,  V.  13.  Sept.  (PostBl.  S.  353). 

d)  Börsenwesen. 

In  Bulgarien  sind  in  Verbindung  mit  der  bevorstehenden  Er- 
öffnung der  Fondsbörse  in  Sofia  alle  Gemeinden,  Behörden,  Aktienge- 
sellschaften usw.  aufgefordert  worden,  die  Zulassung  ihrer  Wertpapiere 
zur  Kotierung  zu  beantragen  („Wirtschaftsztg.  der  Zentralmächte"  v. 
28.  Sept.). 

Ueber  die  zur  Einschränkung  der  Ueberspekulation  an  der  Buda- 
pester Börse  getroffenen  weiteren  Maßnahmen  vgl.  „Pester  Lloyd" 
V.  5.  und  8.  Sept.  (vgl.  Chr.  S.  500). 

e)  Währungs-  und  Notenbankwesen. 

Maßnahmen  in  Deutschland  oder  den  besetzten  Gebieten 
Rumäniens:    1)  Erl.    des    Kriegsmin.,    betr.   Einlösung   afrikanischer 


—    637      — 

Geldwerte,  v.  15.  Sept.  (AVBl.  S.  461);  2)  V.  des  Oberbef.  in  Rumänien 
über  beschädigte  Noten  der  Banca  Natiouala  a  Romaniei,  v.  2.  Aug. 
(RumVBl.  S.  163;  vgl.  Chr.  S.  363);  3)  dgl.  über  private  Einfuhr  von 
Zahlungsmitteln,  v.  2.  Aug.  (RumVBl.  S.   164). 

In  Bulgarien  werden  neue,  mit  3Y2  ^^^  ^^li  Proz.  verzinsliche 
Schatzscheine  ausgegeben,  die  jederzeit  als  gesetzliches 
Zahlungsmittel  bei  Entrichtung  von  Steuern  und  Gebühren  aller 
Art  angenommen  werden  („Der  Ungarische  Volkswirt  und  Orient-Bote" 
v.  5.  Sept.). 

Die  Dänische  Nationalbank  bleibt  von  der  Verpflichtung, 
Barrengold  zum  Preise  von  2480  Kr  abz.  V4  Proz.  Münzkosten  zu 
kaufen,  weiter  bis  Ende  Oktober  befreit,  hat  sich  jedoch  bereit  er- 
klärt, alles  Gold  zu  übernehmen,  das  ihr  zu  einem  vom  Kgl.  Bank- 
kommissionär bestimmten  Preise  angeboten  wird  (vgl.  S.  125). 

In  Britisch-Südafrika  v/urde  ein  Ausfuhrverbot  für  ge- 
münztes Gold  erlassen  („Wirtsch.  Nachrichtendienst"  v.  20.  Sept. 
S.  609). 

In  der  Türkei  wurden  alle  Wechsel-  und  Arbitragegeschäfte  so- 
wie Kontoberechnungen  und  Geldwechselgeschäfte  mit  dem  Ausland  — 
mit  Ausnahme  Deutschlands  und  Oesterreich-Ungarns  —  der  Genehmi- 
gung der  Zentraldevisenkommission  (vgl.  S.  52  und  200) 
unterworfen  („Nordd.  Allg.  Ztg."  v.  2.  Sept.  II.  Ausg.). 

China  soll  bereits  Ende  Juni  die  Gold-  und  Silberausfuhr 
von  einer  Regierungslizenz  abhängig  gemacht  haben  („Wirtschaftsdienst" 
V.  19.  Okt.  S.  774). 

Weitere  Einzelheiten  über  die  unter  der  Firma  Banco  de  la  Re- 
publica  zu  begründende  argentinische  Staatsbank  (vgl.  S.  564) 
finden  sich  u.  a.  in  der  „Zürcher  Post"  v.  29.  Aug.  und  im  „Wirt- 
schaftl.  Nachrichtendienst"  v.  22.  Sept.  S.  622. 

.'Die  geplante  mexikanische  Staatsbank  (vgl.  S.  501)  wird 
den  Namen  Banco  Unico  de  Emisioni  tragen  und  das  ausschließliche 
Recht  der  Banknotenausgabe  erhalten  („Times"  v.  11.  Aug.).  —  Nach 
einer  Meldung  der  „Financial  Times"  v.  1.  Okt.  nimmt  die  mexikanische 
Regierung  vom  1.  Okt.  ab  amerikanische  Wechsel,  Silber- 
münzen und  Schecks  bei  Bezahlung  von  Steuern  und  Abgaben 
nicht  mehr  an  und  gestattet  die  Ausfuhr  von  Gold  in  Barren  oder 
in  Form  von  Erzen  und  Konzentraten  nur  noch,  sofern  der  Gegenwert 
in  feinem  Gold  eingeführt  wird.  —  Ueber  mexikanische  Währungs- 
fragen vgl.  auch  ,,Frankf.  Ztg."  v.   14.  Sept.,  Abendausg. 

Wie  der  „Oesterr.  Volksw."  v.  15.  Sept.  S.  877  berichtet,  hat  die 
Republik  Panama  mit  den  Ver.  Staaten  ein  Abkommen  über  den 
Austausch  ihres  umlaufenden  Silbergeldes  gegen  amerikanische 
Banknoten  getroffen. 

Der  Senat  von  Peru  nahm  ein  Gesetz  über  die  Ausgabe  von 
500000  £  in  Papiergeld  zu  1  Sol  und  von  50000  £  in  Nickel- 
mtinzen  an  („Wirtschaft!.  Nachrichtendienst"  v.  13.  Okt.  S.  692). 


638  3.  Statistik, 

üeb  er  sieht  über  den  Stand  der  deutschen  und  einiger  ausländischen  Notenbanken 
sowie  des  Bankzinsfußes  an  den  wichtigeren  Börsenplätzen  im  September  1917 

Beträge  in  Millionen  Mark.         


Aktiva. 

Barvorrat:   a)  im  Inlands 
Gold  .     .     . 
Süber     .     . 


Metall 


Summe 
Sonstige  Geldsorten   .     . 
b)  im  Auslande 

Gold 


Gesamtsumme  d.  Barvorrats 


Deutsches  Reich 


Reichs- 
bank 


Privat- 
noten- 
banken 


Sunune 


Ausweis  vom 

15.  I    29.    I  15.  |29. 1    15.  |    29. 
September 


2404 
104 


2508 
720 


2404 
102 


2506 
987 


3228    3493 


106 


97 


2575 
759 


3334 


2573 
1017 


3590 


Bank  von 
Frankreich 

(nach  ..L'Eco- 

uomifete 

Francalg") 


Ausweis  V. 

13.  I    27. 

September 


2656 
210 


2866 


650 


4516 


2658 
211 


2869 


I  650 


4519 


Bank  von 

England 

(D;w:h  „The 

Statut") 


Ausweis  V. 

12.    I  26. 
September 


108 


126 


1108     II 26 


Ruasiadie 

Staatsbank^ 

(nach  Woifft 

DepMdien) 


Ausweis  V. 
14.  1  29. 
September 


2792 
280 


3072 


4987 


8059 


2797 
31S 


Üj 


Anlagen : 

Wechsel^)  .  .  . 
Lombard  .  .  . 
Effekten  .  .  . 
Sonstige  Anlagen 


10997  15  633 
IG  9 

^77\      159 
1461I  I  536 


118 
84 
18 
62 


108 
67 
26 

71 


11115 

94 

195 

1523 


15741 

76 

185 

I  607 


1967 
907 

179 
12  163 


1964 
897 
179 

12515 


Bank.  Dep. 

Gov.  See. : 
1180  I   1189 
OtherSec.: 
1883  I   1912 


656 

3583 

574 

30  811 


73« 
3647 


Summe   der  Anlagen 


12645 


17337 


282 


272   12927 


:"  Summe  der  Aktiva 


15873I20830  388  369 


17  609 


15  216 


15555 


3440 


3478 


35624 


16261 


21  199 


19732  20074 


4548  I   4604 


43  683       - 


Passiva. 

Grundkapital  .  . 
Reservefonds  .  . 
Notenumlauf  .  . 
Verbindlichkeiten : 


Täfflichf^"^^*^*^'^^®''      • 
•^f^^jg^^jOeffentl.  Guthaben 


180 

90 

9475 

^5504 


Summe 
Sonstige  Verbindlichkeiten 


180 

90 

10  204 

9541 


5504    9541 
624       815 


56 

15 
160 


56 
15 

158 

107 


236 

105 
9635 

5625 


236 

105 
10362 

9648 


155 

28 

16878 

2  163 
12 


107 
33 


5625 
660 


9648 


155 

28 

17005 

2389 
31 


298 

61 

828 

2479 
870 


2  175    2  420 
496       466 


3349 
12 


298 

61 

841 

2486 
905 


108 

II 

33259 

5361 
1865 


3391 
13 


7  226 
3079 


108 

II 

3431^ 

5673; 


Summe  der  Passiva 


15873  20830 


388 


369   16261 


21  19)  [9  732  20074 


4548 


4604 


43683 


Notenreserve  im  Sinne  des 
betreffenden  Bankgesetzes 


15 


91    — 


') 


2  562 


2434 


Ir 


66 


520 


Deckung : 

der  Noten  durch  den  ge- 
samten Barvorrat  .  .  . 
durch     den     inländischen 

Metallvorrat 

der  Noten  u.  sonstigen  täg- 
lich fälligen  Verbindlich- 
keiten durch  den  gesamten 

Barvorrat 

Bankzinsfuß 

während     des    Monats 
September 


in  Prozenten 


34,1 
26,5 

21,6 

in  Berlin 

5  — 


34,2 

68,8 

6i,s 

34,6 

34,6 

26,8 

26,6 

133,8 

133,8 

24,2 

24,6 

42,2 

42,8 

26,7 

24,8 

15,7 

15,6 

133,8 

133,8 

■  9,2 

17,7 

37,9 

36,8 

21,8 

17,9 

23,7 

23,3 

:i 

26,6 

19,9 

in  Wien 

5,~ 


in  Paris 

5,- 


in  London 
5,— 


St.  Petersbarj; 
6.— 


23, «i 

9,1 


in  in 

Amsterdam        New  York 

4V,       I     57*^ 


Wegen  Umrechnung  der  fremden  Valuten  usw.  vgl.  Chronik  1913,  S.  1038  unten. 


1)  Für  die  Reichsbank  die  gesamte  bankmäßige  Deckung,  d.  h.  Wechsel,  Schecks  und  diskontierte 
Schatzanweisungen.  2)  Für  die  Reichsbank  ist  die  Notensteuer  bis  auf  weiteres  aufgehoben  (Ges.  v.  4.  Aug. 
1914,  RGBl.  S.  327).  3)  Einschließlich  der  377  Mill.  M.  betragenden  Anlagen  des  Issue-Department. 
4)  Totalreserve.  5)  Verhältnis  der  Reserve  zu  den  Dei)Ositen  am  12.  September:  19,6  Proz.;  am  26.  Sep- 
tember 19,5  Proz.  6)  Die  in  diesen  Spalten  offen  gelassenen  Posten  ergeben  sich  nicht  aus  den  Wolffech^u 
Depeschen.     7)  Diskontrate   für   60  Tage. 


639 


VII.  Arbeiterverhältnisse. 

Inhalt:  Der  Arbeitsmarkt  im  September  1917.  Die  Arbeitslosenstatistik  der 
Arbeiter  verbände.  Die  Arbeitsnachweisstatistik.  Der  weibliche  Arbeitsmarkt.  Die 
Lage  des  Arbeitsmarktes  in  Berlin  und  in  der  Provinz  Brandenburg.  Die  Berg- 
arbeiterlöhne im  zweiten  Vierteljahr  1917.  Die  Fortführung  des  Heimarbeiter- 
gchutzes. 

Die  deutsche  Industrie  war  im  Monat  September  ebenso  wie  in 
den  Vormonaten  mit  Aufträgen  für  Heer  und  Marine  voll  beschäftigt. 
Einen  von  der  Mehrzahl  der  deutschen  Großindustrien  abweichenden 
Beschäftigungsgrad  weist  nach  wie  vor  das  Baugewerbe  auf.  Nach 
dem  Bericht  der  „Tonindustrie-Zeitung",  Berlin,  blieb  die  Bautätigkeit 
auch  im  September  in  den  Grenzen,  die  ihr  durch  den  Krieg  und  das 
Verbot  der  Neuherstellung  von  Privatbauten  gezogen  sind.  Es  werden 
nur  Bauten  für  dringende  Heeres-  oder  volkswirtschaftliche  Bauten 
ausgeführt;  Privatbautätigkeit  besteht  nur  in  der  Ausführung  der  not- 
wendigsten Ausbesserungs-  und  Abänderungsarbeiten  und  der  Wieder- 
aufrichtung von  durch  Brände  oder  Kriegsereignisse  zerstörten  Ge- 
bäuden. 

Nach  wie  vor  behauptet  sich  die  Arbeitslosenziffer  auf  dem 
niedrigen  Stand  der  beiden  Vormonate :  0,8  v.  H.  Nach  den  Fest- 
stellungen von  33  Arbeiterverbänden,  die  für  1029179  Mitglieder  be- 
richten, betrug  die  Arbeitslosenzahl  Ende  September  7875,  das  sind 
0,8  V.  H. 

Von  besonderer  Bedeutung  ist  der  Verlauf  der  Arbeitslosigkeit 
bei  den  sechs  größten  Verbänden  der  freien  Gewerkschaften.  Stellt 
man  für  diese  Verbände  die  Arbeitslosenziffern  seit  Ende  Juni  1917 
zusammen,  so  ergibt  sich  folgendes  Bild: 


Arbeitslosigkeit  v.  H.  der  vom 

Mitgliederzahl 
Ende  Sept. 

Bericht  erfaßten  Mitglieder 

Arbeiterverbände 

Ende 

Ende 

Ende 

Ende 

1917 

Sept. 

August 

Juli 

Juni 

1917 

Metallarbeiter 

360478 

0,1 

0,2 

0,1 

0,2 

Fabrikarbeiter 

102320 

0,2 

0,1 

0,1 

0,2 

Holzarbeiter 

88484 

0,5 

0,5 

0,6 

0,« 

Bauarbeiter 

82838 

0,1 

0,1 

0,1 

0,1 

Textilarbeiter 

72185 

4,8 

4,2 

4,3 

4,1 

Transportarbeiter 

61  670 

0,4 

0,2 

0,2 

0,2 

Nach  wie  vor  ist  die  Arbeitslosigkeit  bei  den  Textilarbeitern  ver- 
hältnismäßig hoch;  sie  bewegt  sich  noch  immer  über  4.  v.  H.  Bei 
den  anderen  Verbänden  ist  die  Arbeitslosenziffer  erheblich  unter  1  v.  H. 
gesunken. 

Im  einzelnen  ist  die  Arbeitslosigkeit  bei  den  männlichen  Personen 
erheblich  niedriger  als  bei  den  weiblichen.  Ende  September  kamen 
auf  100  männliche  Mitglieder  0,3  Arbeitslose,  bei    den  weiblichen  Mit- 


—    640 


gliedern  jedoch  2,3  Arbeitslose.  Nach  den  Zusammenstellungen  des 
„Reichs-Arbeitsblatts"  haben  besonders  folgende,  eine  größere  Zahl 
weiblicher  Mitglieder  (etwa  über  1000)  aufweisende  'Verbände  mit 
größerer  Arbeitslosigkeit  ihres  weiblichen  Bestandes  zu  kämpfen :  Hat- 
und  Filz  Warenarbeiter  (32,2  bei  den  weiblichen  gegen  0,9  v.  H.  bei 
den  männlichen),  Porzellanarbeiter  (5,7  gegen  0,5  v.  H.),  Buchbinder 
(2,0  gegen  0,5  v.  H.),  Brauerei-  und  Mühlenarbeiter  (0,4  gegen  0,1 
V.  H.),  Schuhmacher  (2,1  gegen  0,6  v.  H.),  Tabak-  und  Zigarrenarbeiter 
(2,3  gegen  0,7  v.  H.),  Lederarbeiter  (1,9  gegen  0,6  v.  H.),  Metall- 
arbeiter (0,3  gegen  0,1  v.  H.),  Fabrikarbeiter  (0,3  gegen  0,1  v.  H.) 
und  schließlich  Gemeinde-  und  Staatsarbeiter  (0,3  gegen  0,0  v.  H.). 

Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  läßt  für  das  männliche 
und  für  das  weibliche  Geschlecht  ein  allerdings  nur  ganz  unbedeuten- 
des Steigen  des  Andranges  der  Arbeitsuchenden  erkennen.  Im  Sep- 
tember kamen  auf  100  offene  Stellen  bei  den  männlichen  Personen 
50  Arbeitsuchende  gegen  49  im  Vormonat;  bei  den  weiblichen  Per- 
sonen stieg  die  Andrangsziffer  von  86  auf  87. 

Ueber  den  weiblichen  Arbeitsmarkt  im  besonderen  gibt 
die  folgende  Tabelle  Aufschluß: 


Zahl  der 

Auf  100  offene  Stellen  kames 

^VpihlipVip    RpfnfsiJirf.pn 

Vermitt- 

.... Arbeitsgesuche  im 

TT    dlk/XXVXlC>       XJ^X  U.XaCtX  WXl 

lungen  im 

Sept. 

Sept. 

August 

Sept.  1917 

1917 

1916 

1917 

Landwirtschaftliche  Arbeiterinnen 

3  155 

52 

64 

5« 

Metallarbeiterinnen 

18  122 

96 

127 

88 

Arbeiterinnen  in  der  chemischen  Industrie 

I  920 

6b 

76 

67 

Spinnstoffarbeiterinnen  (einschl.  Färberei-  und 

Appreturarbeiterinnen) 

3330 

311 

621 

268 

Buchbinderei-  u.  Kartonnagenarbeiterinnen  usw. 

I  213 

60 

135 

65 

Arbeiterinnen  in  der  Lederindustrie 

537 

83 

128 

81 

Tabakarbeiterinnen  usw. 

2  142 

95 

134 

89 

Schneiderinnen,  Putzmacherinnen  usw. 

7634 

118 

228 

III 

Büglerinnen,    Wäscherinnen    in    Wasch-    und 

Plättanstalten  usw. 

586 

66 

122 

89 

Buchdruckereiarbeiterinnen 

1234 

73 

109 

78 

Fabrikarbeiterinnen 

13926 

88 

162 

88 

Angestellte  im  Handelsgewerbe 

2133 

251 

343 

213 

Kellnerinnen,  Büfettfräulein 

6586 

120 

140 

109 

Hotelzimmermädchen,  Beschließerinnen 

542 

82 

242 

77 

Koch  personal  in  Gastwirtschaften 

647 

93 

127 

73 

Herd-  u.  Küchenmädchen   in  Gastwirtschaften 

2  718 

62 

88 

60 

Putz-,  Wasch-,  Lauffrauen,  Aufwärterinnen  usw. 

17517 

76 

103 

79 

Dienstboten,  Hauspersonal 

10283 

42 

87 

43 

Sonstige  Tagelöhnerinnen 

8484 

95 

IOC 

105 

Freie  Berufsarten 

738 

177 

218 

231 

Danach  hat  sich  vor  allem  bei  den  Spinnstoffarbeiterinnen  und  bei 
den  Angestellten  im  Handelsgewerbe  die  Andrangsziffer  stark  erhöht. 
Wie  allmonatlich  wird  die  Lage  des  Arbeitsmarktes  in 
Berlin  und  in  der  Provinz  Brandenburg  nach  dem  Bericht 
des  Verbandes   Märkischer   Arbeitsnachweise   (abgedruckt   im  „Reichs- 


—    641    — 

Arbeitsblatt",  Oktoberheft  1917,  S.  792  und  793)  dargelegt.  Danach 
kennzeichnete  sich  der  Arbeitsmarkt  im  September  durch  einen  allge- 
meinen leichten  Rückgang  in  den  Beschäftigungsverhältnissen  und 
brachte  insbesondere  in  der  Rilstungsindustrie  fast  überall  ein  gegen 
den  Vormonat  verstärktes  Abflauen  der  Aufträge. 

In  der  Landwirtschaft  herrschte  regere  Nachfrage  für  Hilfskräfte  zur 
Kartoffelernte,  wofür  genügendes  Angebot  vorhanden  war.  Im  übrigen  hielten 
sich  Aufträge  und  Angebot  in  mäßigen  Grenzen,  da  einerseits  sich  die  Arbeit- 
geber überall  mit  Gefangenen  behelfen  und  andererseits  landwirtschaftliche  Arbeit- 
nehmer nur  ganz  veremzelt  verfügbar  sind.  Verlangt  wurden  vielfach  Acker- 
knechte, die  aber  nicht  ausreichend  beschafft  werden  konnten,  und  Landmädchen, 
bei  denen  das  Angebot  gegen  die  Vormonate  fast  noch  geringer  war. 

Die  Preßkohlen  werke  und  Kohlengruben  zeigten  rege  Tätigkeit. 

In  der  Metallindustrie  trat  mit  wenigen  Ausnahmen  ein  Abflauen  der 
Beschäftigung  ein,  das  auf  die  Einschränkungen  vieler  Rüstungswerke  zurückzu- 
führen ist,  und  das  sich  hauptsächlich  in  einer  weniger  starken  Nachfrage  nach 
ungelernten  Arbeitern  äußerte.  An  Facharbeitern,  vor  allem  an  Mechanikern, 
Schmieden,  Klempnern  usw.  herrschte  wie  in  den  Vormonaten  großer  Mangel. 

Dem  Spinnstoffgewerbe  brachte  der  Berichtsmonat  keine  regere  Tätig- 
keit. In  Guben  war  die  Haarhutfertigung  befriedigend,  die  Wollhutfertigung  lag 
vöUig  darnieder. 

Für  die  Lederindustrie  und  die  Möbeltischlerei  war  der  Rohstoff- 
mangel im  Berichtsmonate  recht  fühlbar,  so  meldet  Kirchhain  einen  starken  Rück- 
gang für  die  Gerberei,  und  die  Möbeltischlerei  wies  nirgends  lebhaftere  Tätig- 
keit auf. 

Das  Nahrungsmittelgewerbe  hatte  durch  große  Auf  träge  von  Honig-, 
Konserven-  und  Marmeladefabriken  recht  gute  Beschäftigung,  die  erst  gegen  Ende 
des  Monats  abflaute.  Bäcker  waren  wegen  der  Zusammenlegung  kleinerer  Be- 
triebe etwas  reichlicher  verfügbar;  selbständigere  Kräfte  konnten  besonders  für 
die  Provinz  nur  in  den  wenigsten  Fällen  beschafft  werden. 

Das  Bekleidungsgewerbe  wies  Mangel  an  Schneidern  auf;  im  Reini- 

fungsgewerbe  stand  der  sehr  regen  Nachfrage  nach  Barbieren,  Frisierern  usw. 
ein  genügendes  Angebot  gegenüber. 

Im  Baugewerbe  ist  gegen  die  Vormonate  keine  Besserung  eingetreten. 
Facharbeiter,  wie  Zimmerer,  Maler,  Stukkateure  usw.,  waren  außerordentlich  knapp. 
Trotz  der  Einschränkung  der  Ofenfabriken  herrschte  großer  Mangel  an  Ofensetzern. 

In  der  Buchdruckerei  konnte  der  lebhaften  Nachfrage  nach  Arbeits- 
kräften nur  zum  Teil  entsprochen  werden. 

Im  Handelsgewerbe  waren  männliche  Kräfte  reichlicher  verfügbar,  da 
die  Aufträge  für  den  freien  Arbeitsmarkt  knapper  waren.  Das  erklärt  sich  einer- 
seits aus  der  Zusammenlegung  kleinerer  Betriebe  und  andererseits  aus  der  Tat- 
sache, daß  auf  Grund  des  Hilfsdienstgesetzes  in  vielen  Fällen  früher  nicht  be- 
rufstätige Kräfte  kaufmännische  Stellen  annehmen.  Der  Nachfrage  nach  leitenden 
kaufmännischen  Kräften,  erfahrenen  Buchhaltern  und  selbständigen  Einkäufern, 
besonders  im  Eisenfache,  konnte  nur  vereinzelt  entsprochen  werden. 

Das  im  Vormonate  durch  den  Schluß  der  Hauptgeschäftszeit  bedingte  Mehr- 
angebot an  Gast  wir  schaftspersonal  hat  sich  am  Ende  des  Monats  wieder 
ausgeglichen. 

Ungel ernte  Arbeiter  waren  durch  die  Einschränkung  der  Rüstungsbetriebe 
reichlicher  als  in  den  Vormonaten  verfügbar. 

;'  Die  Lage  des  Arbeitsmarktes  für  weibliche  Personen  ist  durch  die  Ein- 
schränkung der  Rüstungsbetriebe  stärker  beeinflußt  worden.  Der  Rückgang  der 
Aufträge  aus  den  meisten  Rüstungswerken  brachte  mit  Ausnahme  von  einzelnen 
größeren  Betrieben  in  der  Provinz  fast  überall  ein  Ueberangebot  von  Rüstungs- 
arbeiterinnen, die  zum  Teil  in  Aushilfsarbeit  im  Haushalt  usw.  untergebracht 
wurden.  Der  Nachfrage  nach  Pulverarbeiterinnen  aber  konnte  nicht  ausreichend 
entsprochen  werden.  Buchdruckhilf-arbeiterinnen,  vor  allem  Tiegeldruckerinnen, 
wurden  rege  verlangt,  der  Bedarf  konnte  nicht  vollständig  gedeckt  werden.    Die 


—    642    — 

Beschäftigungsverhältnisse  besonders  in  den  Marmeladefabriken  waren  sehr  gut, 
Ende  des  Monats  aber  setzte  ein  bemerkenswerter  Eückgang  ein.  Die  in  großer 
Zahl  vorliegenden  Aufträge  nach  weiblichen  Arbeitskräften  für  Botendienste,  dg 
Transportarbeiterinnen,  Hausdienerinnen  usw.,  konnten  wegen  Mangels  an  ge- 
eigneten Kräften  nur  zum  Teil  erfüllt  werden.  Der  Vierteljahrswechsel  brachte 
eine  gegen  die  Vormonate  bei  weitem  noch  gesteigerte  Nachfrage  nach  Dienst- 
personal, der  das  ganz  geringe  Angebot  keineswegs  entsprach.  Durch  den  starken 
Zustrom  der  mit  Halbjahrsschluß  fertig  ausgebildeten  kaufmännischen  Anfangs- 
kräfte  machte  sich  ein  Ueberangebot  weiblicher  kaufmännischer  Kräfte  fühlbar, 
und  zwar  handelte  es  sich  bei  dem  schon  in  früheren  Monaten  bestehenden  Ueber- 
schusse  nicht  nur  um  mangelhaft  ausgebildete,  sondern  auch  um  ältere,  erfahrene 
Kräfte. 

Eine  umfassende  amtliche  Lohnstatistik  besitzt  bekanntlich  Deutsch- 
land nicht;  es  werden  lediglich  von  Zeit  zu  Zeit  die  Bergarbeiter- 
löhne bekanntgegeben.  Im  folgenden  sind  für  die  eigentlichen 
Bergarbeiter  die  reinen  Löhne  auf  eine  Schicht  im  zweiten 
Vierteljahr  1917  den  entsprechenden  Löhnen  im  Jahresmittel  1916 
gegenübergestellt.     (Siehe  Tabelle  auf  S.  643.) 

Die  Gesetzgebung  zum  Schutz  der  Heimarbeiter  ist  neuer- 
dings um  ein  Stück  vorwärtsgekommen.  Durch  Verordnung  vom 
3.  Oktober  1917  wurde  bestimmt,  daß  die  §§  3  und  4  des  Hausarbeit- 
gesetzes vom  20.  Dezember  1911  mit  dem  1.  Januar  1918  in  Kraft 
treten. 

Die  beiden  Paragraphen  haben  folgenden  Wortlaut: 

„§  3.  In  denjenigen  Eäumen,  in  welchen  Arbeit  für  Hausarbeiter  ausgegeben 
oder  Arbeit  solcher  Personen  abgenommen  wird,  muß,  soweit  es  sich  nicht  um 
Werkstätten  der  im  §  1  Abs.  1  Satz  2  bezeichneten  Art  handelt,  den  HausarbeiterH 
durch  offene  Auslage  von  Lohn  Verzeichnissen  oder  Aushängen  von  Lohntafeln 
die  Möglichkeit  gegeben  sein,  sich  über  die  für  die  einzelnen  in  diesen  Käumea 
zur  Ausgabe  gelangenden  Arbeiten  jeweils  gezahlten  Löhne  zu  unterrichten.  Für 
das  Ausarbeiten  neuer  Muster  gilt  diese  Bestimmung  nicht. 

Der  Bundesrat  kann  zur  Ausführung  dieser  Bestimmung  nähere  Anordnung 
erlassen,  gegebenenfalls  für  einzelne  Bezirke.  Er  kann  für  bestimmte  Gewerbe- 
zweige oder  Betriebsarten  auf  Antrag  Beteiligter  Ausnahmen  gewähren. 

Der  Bundesrat  kann  vorschreiben,  daß,  soweit  das  Arbeitsentgelt  in  Preisen 
zum  Ausdruck  kommt,  die  Preise  gemäß  Abs.  1,  2  bekanntgegeben  werden. 

Die  Bestimmungen  des  Bundesrats  werden  durch  das  Reichs- Gesetzblatt  ver- 
öffentlicht und  dem  Reichstag  zur  Kenntnisnahme  vorgelegt. 

§  4.  Wer  Arbeit  für  Hausarbeiter  ausgibt,  ist,  soweit  nicht  die  Ausgabe  in 
Werkstätten  der  im  §  1  Abs.  1  Satz  2  bezeichneten  Art  stattfindet,  verpüichtet, 
hierbei  denjenigen,  welche  die  Arbeit  entgegennehmen,  auf  seine  Kosten  Lohn- 
bücher oder  Arbeitszettel  auszuhändigen,  welche  Art  und  Umfang  der  Arbeit  so- 
wie die  dafür  festgesetzten  Löhne  oder  Preise  enthalten.  Für  das  Ausarbeiten 
neuer  Muster  gilt  diese  Bestimmung  nicht. 

Für  die  einzelnen  Gewerbezweige,  Betriebsarten  oder  besondere  Gruppen  von 
Betrieben  oder  Hausarbeitern  kann  der  Bundesrat  auf  Antrag  Beteiligter  Aus- 
nahmen gewähren. 

Soweit  der  Bundesrat  auf  Grund  von  §  114  a  der  Gewerbeordnung  Lohn- 
bücher oder  Arbeitszettel  vorgeschrieben  hat,  gelten  die  Vorschriften  des  Abs.  1, 
2  nicht.« 

Die  Auslage  von  Lohnverzeichnissen  oder  das  Aushängen  von 
Lohntafeln  sowie  die  Aushändigung  von  Lohnbüchern  oder  Arbeits- 
zetteln stellen  alte  Forderungen  der  Sozialpolitiker  dar,  die  nunmehr 
verwirklicht  werden. 


643 


Dauer  einer  Schicht 

Unterirdisch  und  in  Tagebauen 

der  unterirdisch  und 

beschäftigte 

Bergarbeiter 

Art  und  Bezirk  des 

und  in  Tagebauen 

im  engeren  Sinne 

Bergbaues 

beschäftigten  Berg- 

(O.ß. =  Ober  bergamts  bezirk) 

arbeiter  im  engeren 
Sinne  II.  V.-J.  1917 

reiner 

Lohn  im 

II.  V.-J.  1917 

Jahresmittel  1916 

# 

Stunden 

M. 

M. 

1.  Preußen. 

a)  Steinkohlenbergbau : 

in  Oberschlesien 

8—12 

7,79 

6,6  6 

in  Niederschlesien 

8 

5,67 

4,85 

im  O.B.  Dortmund: 

a)  Nördliche  Reviere  ^ 

6—8 

IO,12 

8,39 

ß)  Südliche  Reviere  2) 

6-8 

9,6« 

7,92 

Summe  O.B.  Dortmund 

(a,  ß  und  Revier  Hamm) 

6—8 

lO  00 

8,26 

bei  Saarbrücken  (Staats werke) 

6—8 

8,16 

6,20 

bei  Aachen 

8,2 

8,03 

6,74 

am  linksseitigen  Niederrhein 

8 

9,61 

8,30 

b)  Braunkohlenbergbau : 

im  O.B.  Halle: 

1 

unterirdisch 

9,2 

6,19 

5,43 

in  Tagebauen 

11,4 

5,81 

5,14 

Summe 

10,5 

5,92 

5,23 

linksrheinischer 

12 

6,81 

6,09 

c)  Salzbergbau : 

im  O.B.  Halle 

7,7 

6,47 

5,70 

im  O.B.  Clausthal 

7,8 

6,54 

5,91 

d)  Erzbergbau: 

in  Mansfeld  (Kupferschiefer) 

8,1 

7,48 

6,02 

im  Oberharz 

8,6 

7,52 

6,85 

in  Siegen 

7,8 

8,14 

6,88 

in  Na^sau  und  Wetzlar 

8,1 

5»59 

4,83 

sonstiger  rechtsrheinischer 

7,6 

6,98 

5,99 

linksrheinischer 

8,1 

5,30 

4,58 

2.  Bayern 

, 

. 

5.77 

(Stein-  und  Pechkohlenbergbau) 

3.  Sachsen-Altenburg 

7,5-12 

6,92 

5.70 

(Braunkohlenbergbau) 

4.  Elsaß-Lothringen 

a)  Steinkohlenbergbau 

8 

8,06 

6,29 

b)  Eisenerzbergbau: 

1.  in  Bergwerken 

8,9 

10,45 

8.47 

2.  in  Tagebauen 

IO,6 

8,27 

6,86 

c)  Kalibergbau 

6  u.  8 

6,78 

5.44 

1)  Nördliche  Reviere:  Dortmund  II,  Dortmund  III,  Ost- Recklingshausen, 
West- Recklinghausen ,  Nord- Bochum,  Herne,  Gelsen ki rchen ,  Wattenscheid,  Essen  II, 
Essen  111,  Oberhausen,  Duisburg. 

2)  Südliche  Reviere:  Dortmund  I,  Witten,  Hattingen,  Süd-Bochum,  Essen  I, 
Werden. 


-    644    — 


VIII.  Finanzwesen. 

Inhalt:  7.  deutsche  Kriegsanleihe.  Die  Verteilung  der  besseren  Einkom- 
men auf  die  Bevölkerung  in  Preußen  1916,  Oesterreichischer  Staatshaushalt  für 
1917/18.  Der  dänische  Staatshaushalt  1918/19.  Nationalisierung  der  spanischen 
Staatsschuld.  Englische  Finanzen.  Französische  Kredite.  Rumäniens  Staats- 
schuld.    E-ußlands  ungünstige  Finanzlage.    Mexikos  Finanzlage. 

Die  siebente  Kriegsanleihe  Ist  fast  genau  nach  dem  Muster 
der  sechsten  ausgestattet.  Sie  besteht  aus  5-proz.  Schuldverschrei- 
bungen und  41/2-proz.  Schatzanweisungen,  die  zum  Preise  von  98  M. 
für  100  M.  Nennwert  in  der  Zeit  vom  19.  September  bis  zum 
18.  Oktober  zur  Zeichnung  aufgelegt  werden.  Für  Schuldbuchforde- 
rungen mit  Sperre  bis  zum  15.  Oktober  1918  ermäßigt  sich  der  Zeich- 
nungspreis auf  97,80  M.  für  100  M.  Nennwert.  Das  Reich  darf  die 
5-proz.  Schuldverschreibungen  frühestens  zum  1.  Oktober  1924  kündigen. 
Für  die  4Y2-proz.  Schatzanweisungen  ist  wieder  ein  Tilgungsplan  auf- 
gestellt, der  mit  dem  für  die  Schatzanweisungen  der  sechsten  Kriegs- 
anleihe vorgesehenen  übereinstimmt.  Nach  den  Einzelheiten  des  Til- 
gungsplanes muß  der  Inhaber  von  Schatzanweisungen  im  Falle  der 
Auslosung  seiner  Schatzanweisungen  mindestens  für  100  M.  Nennwert 
110  M.  erhalten.  Gleich  den  mit  der  sechsten  Kriegsanleihe  ausge- 
gebenen Scbatzanweisungen  werden  nämlich  die  Schatzanweisungen  der 
siebenten  Kriegsanleihe  nach  einem  festen  Plan  mit  einem  hohen  Auf- 
geld durch  zweimal  im  Jahre  stattfindende  Ziehungen  getilgt,  und  zwar 
gelangen  nicht  einzelne  Nummern,  sondern  immer  ganze  Gruppen  zur 
Auslosung.  Der  erste  Auslosungstermin  ist  der  1.  Juli  1918,  und  da 
der  Tilgungsplan  der  mit  der  sechsten  Kriegsanleihe  ausgegebenen 
Schatzanweisungen  auch  für  die  der  siebenten  Kriegsanleihe  gelten  soll, 
die  erste  Auslosung  der  früher  ausgegebenen  Schatzanweisungen  aber 
bereits  am  1.  Januar  1918  erfolgt,  so  wird  von  den  Schatzanweisungen 
der  siebenten  Kriegsanleihe  einmalig,  nämlich  am  1.  Juli  1918,  ein  ent- 
sprechend größerer  Betrag  ausgelost.  Die  Rückzahlung  der  gezogenen 
Gruppen  erfolgt  mit  110  Proz.,  so  daß  der  Eigentümer  im  Falle  der 
Auslosung  außer  der  hohen  Verzinsung  einen  Kursgewinn  von  12  Proz. 
(der  Zeichnungspreis  beträgt  98  Proz.)  erzielt.  In  späteren  Jahren  ist 
der  durch  die  Auslosung  entstehende  Gewinn  unter  Umständen  noch 
größer,  weil  das  Aufgeld  auf  15  und  20  Proz.  steigen  kann.  Das  Reich 
ist  nämlich  berechtigt  (nicht  verpflichtet),  am  1.  Juli  1927  oder  später 
alle  bis  dahin  nicht  ausgelosten  Schatzanweisungen  zur  Rückzahlung 
zum  Nennwert  zu  kündigen.  Die  Eigentümer  der  von  der  Kündigung 
betroffenen  Schatzanweisungen  haben  jedoch  dann  das  Recht,  statt  der 
Barzahlung  4-proz.,  mit  115  Proz.  auslosbare  Schatzanweisungen  zu 
fordern.  Sind  weitere  10  Jahre  nach  der  ersten  Kündigung  (wohl  zu 
unterscheiden  von  der  Auslosung)  vergangen,  so  kann  das  Reich  alle 
bis  auf  die  mit  115  Proz,  ausgelosten,  nunmehr  4  proz.  Schatzanwei- 
sungen zur  Rückzahlung  zum  Nennwert  bringen.  Aber  wiederum  hat 
der  Eigentümer    der  Schatzanweisungen    das  Recht,    statt    der  Barzah- 


-    645    - 

lang  die  Ausfolgung  von  Schatzanweisungen  zu  verlangen,  die  dann 
noch  3V2  Proz.  Zinsen  tragen  und  mit  120  Proz.  ausgelost  werden. 

Da  viele  Eigentümer  der  älteren  5-proz.  Schuldverschreibungen 
und  der  früher  ausgegebenen  5-proz.  Schatzanweisungen  den  Wunsch 
haben  werden,  ihren  Besitz  in  die  neuen  auslosbaren  Schatzanweisungen 
umzuwandeln,  so  ist  wieder,  wie  bei  der  sechsten  Kriegsanleihe,  ein 
von  leicht  erfüllbaren  Bedingungen  abhängiges  Umtauschrecht  geschaffen 
worden.  Die  Einzahlungen  auf  die  siebente  Kriegsanleihe  können  vom 
29.  September  ab  geleistet  werden;  Pflichtzahlungstermine  sind  der 
27.  Oktober,  der  24.  November,  der  9.  Januar  und  der  6.  Februar. 

Die  Bevölkerung  mit  besseren  Einkommen  in  Preu- 
fien  imSteuerjahr  1916.  Von  der  Gesamtbevölkerung  (den  Haus- 
haltungsvorständen und  Einzelwirtschaftern  nebst  Angehörigen  der 
ersteren)  entfallen  nach  der  „Stat.  Korr." 


auf  die  Einkommensgruppe  von  .  . 

.  M. 

im 

Jahre 

über  3000  bis  9500 

über  9500  bis 
30  500 

über  30  500  bis 
100  000 

Über  100  000 

überhaupt 

vom 
Tausend 

überhaupt 

vom 
Tausend 

überhaupt 

vom 
Tausend 

überhaupt 

vom 
Tausend 

1896 

942  274 

30,1 

158840 

5.1 

31490 

1,00 

5750 

0,18 

1900 

I  150016 

34.4 

200  706 

6,0 

41382 

1,24 

8678 

o,26 

1905 

1360925 

37,5 

227251 

6,3 

45  454 

1,25 

9019 

0,25 

1910 

I  959  199 

50.0 

277  190 

7,1 

56914 

1,45 

II  912 

0,30 

1911 

2083  563 

52,4 

289  864 

7,3 

59  573 

1,50 

'2543 

0,82 

1912 

2  168  780 

53,9 

303  990 

7,6 

63676 

1,58 

13350 

0,3S 

1913 

2  290  548 

56,2 

316968 

7,8 

66631 

1,64 

14179 

0,S5 

1914 

2410803 

58,5 

349661 

8,5 

73408 

1,78 

15432 

0,S7 

1915 

2  193740 

53,5     1    323027  1      7,9 

70349 

1,71 

14833 

0,3  6 

1916 

I  234  599 

54,4 

343  702 

8,4 

81  001 

1,97 

19824 

0,48 

Allen  vier  Einkommensgruppen  gemeinsam  ist  eine  erhebliche  Aufwärts- 
bewegung sowohl  der  Grundzahlen  wie  der  Verhältnisziffern,  die  im  Kriegsjahre 
1915  überall  eine  Unterbrechung  erlitten  hatte.  Im  Berichtsjahre  1916  ist  darauf 
allgemein  wieder  eine  Zunahme  eingetreten,  die  in  den  beiden  obersten  Einkom- 
mensgruppen von  über  30  500  M.  zu  dem  bislang  höchsten  Stande  geführt  hat; 
in  der  untersten  Gruppe  der  Einkommen  von  über  3000  bis  9500  M.  blieb  das 
Ergebnis  des  Berichtsjahres  hinter  dem  des  Höchststandsjahres  1914  (Friedens- 
stand) allein  noch  einigermaßen  beträchtlich  zurück. 

Im  Gesamtzeitraum  von  1896  bis  1916  war  die  Steigerung  in  der  nach  oben 
unbegrenzten  höchsten  Einkommensgruppe  von  über  100000  M.  am  stärksten; 
die  dieser  angehörende  Bevölkerungsschicht  hat  sich  nämlich  seit  1896  überhaupt 
schon  wesentlich  mehr  als  verdreifacht,  im  Verhältnis  zur  Gesamtbevölkerung 
sich  um  etwas  über  das  Anderthalbfache  vermehrt  Am  schwächsten  war  die  Zu- 
nahme in  der  Einkommensgruppe  von  über  9500  bis  30  500  M. ;  immerhin  hat 
auch  hier  seit  1896  die  Grundzahl  sich  verdoppelt  und  die  Verhältnisziffer  sich 
um  rund  zwei  Drittel  gehoben. 

Ungeachtet  des  verhältnismäßig  erheblichen  Anwachsens  der  Bevölkerungs- 
schicht mit  besseren  Einkommen  in  allen  vier  Untergruppen  machte  diese  selbst 
in  der  weitaus  am  stärksten  besetzten  untersten  Einkommensabstufung  von  über 
3000  bis  9500  M.  auch  im  günstigsten  Jahre  1914  erst  etwa  den  siebzehnten,  im 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XLIII 


-  646  — 

Berichtsjahre  den  achtzehnten  Teil  der  Gesamtbevölkerung  aus,  gegen  noch  nicht 
ein  Dreißigstel  im  Jahre  1896.  Die  Einkommen  über  9500  M.  finden  sich  nur 
bei  einem  geringfügigen,  im  Berichtsjahre  wenig  mehr  als  ein  Hundertstel  be- 
tragenden Bruchteile  der  Bevölkerung;  besonders  stark  tritt  trotz  seiner  verhält- 
nismäßig recht  bedeutenden  Zunahme  der  Bevölkerungsteil  mit  über  30500  M. 
Einkommen  zurück. 

Insbesondere  von  den  Haushaitun gs vorständen  und  Einzelwirtschaftern  hatten 


ein  Einkommen  von 


M. 


im 
Jahre 

über  3000  bis  9500 

über  9500  bis 
30  500 

über  30  500  bis 
100  000 

Über  100  000 

überhaupt 

vom 
Tausend 

überhaupt 

vom 
Tausend 

überhaupt 

vom 
Tausend 

überhaupt 

vom 
Tausend 

1896 
1900 
1905 
1910 
1911 
1912 
1913 
1914 
1915 
1916 

272819 
337  806 
413  2bi 

591334 
627  800 
658  801 
697  lOI 

741  559 
670207 
693  798 

23,8 
27,1 

30,5 
39,3 
40,7 
42,0 
43,5 
45,6 
42,3 
43,6 

47308 
60840 

70943 

89991 

94230 

99620 

104922 

116876 

107  426 

114843 

4,1 
4,9 
5,2 
6,0 
6,1 
6,3 

6,6 

7,2 
6,8 

7,2 

9265 
12580 

14374 
18535 

19430 
20999 
22239 

24551 
22962 
26602 

0,8 1 
1,01 

1,06 
1,23 
1,26 
1,34 
1,39 
1,51 
1,45 
1,67 

1699 
2652 
2859 
3893 
4138 
4456 
4747 
5215 
4976 
6685 

o,i6 
0,21 
0,21 

0,26 

0,27 

0,28 

o,so 

0,S2 
0,8 1 
0,42 

Am  stärksten  war  auch  hier  die  Zunahme  bei  der  Gruppe  der  Einkommen 
von  über  100  000  M.,  deren  Steuerpflichtigen  zahl  von  1896  bis  1916  bei  einer  Ver- 
mehrung um  293  V.  H.  sich  nahezu  vervierfacht,  im  Verhältnis  zur  Gesamtheit 
der  Haushaltungsvorstände  und  Einzelwirtschafter  sich  fast  verdreifacht  hat.  Die 
zweitgrößte  Steigerung  der  Steuerpflichtigen  zahl  findet  sich  in  demselben  Zeit- 
raum mit  187  V.  H.  bei  der  Einkommensgruppe  von  über  30  500  bis  100000  M. ; 
hier  ist  von  1896  bis  1916  noch  eine  Verdoppelung  der  Verhältnisziffern  einge- 
treten, während  dies  bei  den  übrigen  beiden  Ein  kommen  sgruppen  von  über  3CO0 
bis  9500  M.  mit  154  v.  H.  und  von  über  9500  bis  30  500  M.  mit  143  v.  H.  nur 
noch  bezüglich  der  Grundzahl,  aber  nicht  mehr  ganz  hinsichtlich  des  ziffern- 
mäßigen Anteils  der  Einkommensbezieher  an  der  Gesamtheit  der  Haushaltungs- 
vorstände und  Einzelwirtschafter  der  Fall  war. 

Auch  hier  ergibt  sich  ein  bemerkenswerter  Unterschied  zwischen  den  Ein- 
kommensgruppen von  über  3000  bis  30500  M.  und  denen  von  über  30  500  M., 
indem  bei  ersteren  die  Steuerpflichtigenzahl  des  Berichtsjahres  hinter  der  des  Jahres 
1914  (Friedensstand)  zurückbleibt,  bei  letzteren  dagegen  erheblich  darüber  hinaus- 
geht; man  wird  wohl  kaum  in  der  Annahme  fehlgehen,  daß  in  dieser  Vermehrung 
der  Zahl  der  höchsten  Einkommen  die  starke  Erhöhung  zahlreicher  Einkommen 
infolge  von  Kriegsgewinnen  ihren  Ausdruck  findet. 

Gleichwohl  erscheint  in  den  Einkommensgruppen  von  über  9500  M.  die 
Steuerpflichtigenzahl  im  Verhältnis  zur  Gesamtheit  der  Haushaltungsvorstände 
und  Einzelwirtschafter  überall  gering  und  nur  in  der  von  über  3000  bis  9500  M., 
also  etwa  bei  dem  oberen  Mittelstande,  mit  etwas  über  einem  Fünfundzwanzigstel 
einigermaßen  beträchtlich.  Naturgemäß  am  geringfügigsten  war  ungeachtet  der 
erwähnten,  sehr  erheblichen  Steigerung  der  Grundzahl  wie  der  Verhältnisziffer 
die  Häufigkeit  der  Bezieher  eines  Einkommens  von  über  100  000  M.,  so  daß  in- 
soweit von  einer  sozial  schädlichen  plutokratischen  Einkommensverteilung  nicht 
die  Rede  sein  kann. 

Gruppiert  man  auch  noch  die  in  obiger  üebersicht  aufgeführten  physischen 
Personen  mit  einem  Einkommen  von  über  100 000  M.  nach  Einkommensabstufungen 
so  entfielen 


647 


von  den  Haushaltungsvorständen 


auf  die  Einkommensgruppe  .       ^  ,  und  Einzelwirtschaftern 

von  -u    i.       X     vom  Hundert- 


über  100  000  bis    500  000  M. 


500  000    „  1000  000 


1  000  000  M. 


überhaupt  ^^^^^^ 

1896  1596  13,91 

1914  4869  29,95 

1915  4630  29,24 

1916  6195  38,93 
1896         76  0,66 

1914  255  1,57 

1915  263  1,66 

1916  356  2.»4 
1896         27  0,24 

1914  91  0,66 

1915  83  0,52 

1916  134  0,84 


Weitaus  der  größte  Teil  der  Personen  mit  Einkommen  von  über  100  000  M. 
entfiel  hiernach  auf  die  unterste  Gruppe  bis  zu  */,  Mill.  M.  Einkommen,  deren 
Steuerpflichtigenzahl  von  1896  bis  1916  überhaupt  'sich  nicht  ganz  vervierfacht, 
im  Verhältnis  zur  Gesamtheit  der  Haushaltungsvorstände  und  Einzelwirtschafter 
sich  annähernd  verdreifacht  hat.  Auch  die  Grundzahlen  und  Verhältnisziffern 
der  Personen  mit  Einkommen  von  über  Va  ^i^l-  M.  sind  im  Zeitraum  von  1896 
bis  1916  um  ein  Mehrfaches,  und  zwar  noch  stärker  als  die  der  Bezieher  eines 
Einkommens  von  über  100000  bis  500000  M.  gestiegen.  Bemerkenswert  war  die 
Entwicklung  bei  den  Einkommen  von  über  Vg  bis  1  Million  M.  insofern,  als  sie 
sich  —  abweichend  von  den  beiden  anderen  Gruppen  —  auch  im  Kriegsjahr  1915, 
offenbar  namentlich  durch  Zufluß  von  Steuerpflichtigen  aus  der  Einkommens- 
gruppe von  über  1  Mill.  M ,  vermehrt  haben.  Betrachtet  man  insbesondere  die 
Bewegung  von  1914  (Friedensstand)  bis  1916,  so  zeigt  sich,  daß  während  des 
Krieges  die  Zunahme  verhältnismäßig  am  stärksten  bei  den  Einkommen  von  über 
1  Million  M.  war,  deren  Zahl  in  dieser  Zeit  um  47,8  Proz.  gestiegen  ist,  während 
die  der  Steuerpflichtigen  mit  über  V2  bis  1  Million  M.  Einkommen  um  39,6  Proz., 
und  die  der  über  100  000  bis  Va  Mill.  M.  Einkommen  Beziehenden  um  27,2  Proz. 
zunahm.  Diese  Ziffern  lassen  einen  Rückschluß  auf  die  gewaltigen  Elriegsgewinne 
zu,  die  den  kapitalkräftigsten  physischen  Personen  zugefallen  sind.  Die  Steuer- 
pflichtigen mit  Millionen- Einkommen  bilden  aber  selbst  im  Berichtsjahr  mit  etwas 
mehr  als  8  auf  je  eine  Million  aller  Haushaltungsvorstände  und  Einzelwirtschafter 
nur  einen  winzigen  Bruchteil.  Während  das  höchste  Einkommen  der  physischen 
Personen  sich  im  Jahre  1896  erst  auf  7  460000  bis  7  465  000  M.  bezifferte,  betrug 
es  im  Jahre  1916  schon  29415  000  bis  29420000  M.,  also  fast  4mal  so  viel. 

Im  österreichischen  Abgeordnetenhaus  hat  der  Finanz- 
minister  Ende  September  den  Staatshaushaltsetat  für  1917/18 
eingebracht,  der  unter  Berücksichtigung  aller  außergewöhnlichen  Ver- 
hältnisse des  Krieges  die  gesamten  Staatsausgaben  mit  22  169  Mill.  £. 
veranschlagt,  davon  entfallen  5360  Mill.  auf  dauernde,  16  809  Mill.  auf 
vorübergehende  Aufgaben. 

Unter  den  dauernden  Ausgaben  erscheinen  die  Zinsen  aller  bisher  aufge- 
nommenen Kriegsschulden  mit  1702  Mill.,  unter  den  vorübergehenden,  ausschließlich 
durch  den  Krieg  verursachten  Ausgaben  als  Quotenbeiträge  Oesterreichs  für  die 
mobilisierte  bewaffnete  Macht  12  WO  Mill.,  für  Kriegsbeschädigte  und  Kriegs- 
flüchtlinge 33S  Mill.  Von  den  auf  4194  Mill.  veranschlagten  Staatseinnahmen 
sind  3890  Mill.  dauernde  Einnahmen,  der  Eest  von  304  Mill.  hauptsächlich  aus 
Kriegssteuern  erwachsende,  vorübergehende  Einnahmen.  Unter  den  dauernden 
Einnahmen  erscheinen  677  Mill.  aus  direkten  Steuern,  102  Mill.  aus  Zöllen, 
353  Mill.  aus  Verzehrungssteuern,  456  Mill.  aus  Gebühren,  649  Mill.  aus  Mono- 

XLIII* 


—    648   — 

polen,  1560  Mill.  aus  Staatsbetrieben.  Zur  AuHgleichung  des  Gesamtausfalles 
von  17  975  Mill.  nimmt  die  Regierung  eine  Kreditermächtigung  von  18000  Mill. 
in  Anspruch;  hierin  ist  die  in  dem  laufenden  ßudgetprovisorium  enthaltene 
Kreditermächtigung  von  6000  Mill.  einbegriffen.  Die  auf  Oesterreich  entfallenden 
reinen  Kriegsausgaoen  haben  betragen  in  den  ersten  3  Kriegsjahren  zusammen 
27  293  Mill.  K.,  für  das  laufende  4.  Kriegsjahr  werden  12  000  Mill.  angesprochen. 
Am  30.  Juni  1917  betrug  die  aus  allen  Kriegskreditmaßnahmen  entstandene 
Schuldsumme  41 257  Mill.,  davon  wurden  23  z29  Mill.  durch  Kriegsanleihen, 
18028  Mill.  durch  andere  Anleihemaßregeln,  und  zwar  8680  Mill.  durch  Darlehen 
von  der  Notenbank,  6943  Mill.  durch  Darlehen  von  österreichischen  Banken  und 
Sparkassen,  und  2405  Mill.  durch  Auslandsdarlehen  aufgebracht. 

Der  dänische  Staatshaushalt  für  das  Finanzjahr  vom  1 .  April 
1918  bis  31.  März  1919  weist  im  Voranschlag  an  Gesamteinnahmen 
192  725  395  Kr.,  an  Gesamtausgaben  130015  759  Kr.,  somit  eine  Mehr- 
einnahme von  63  119  636  Kr.  auf.  Da  aber  für  Verbrauch  und  Erwerb 
von  Vermögen  eine  Mehrausgabe  von  15  625  752  Kr.  aufgeführt  ist,  be- 
läuft sich  der  veranschlagte  Ueberschuß  auf  im  ganzen  nur  47  Yg  Mill.  Kx. 

Im  Vergleich  mit  dem  Finanzgesetz  für  das  gegenwärtige  Finanzjahr  ist 
auf  der  Einnahmeseite  eine  Mehreinnahme  von  30  Mill.  Kr.  eingestellt,  davon 
etwa  27  Mill.  Kr.  aus  Steuern  und  Abgaben  und  fast  2'/2  Mill.  Kr.  aus  Renten 
und  verschiedenen  Einnahmen,  Auf  der  Ausgabenseite  ist  eine  Mehrausgabe  von 
etwa  8  Mill.  Kr.  aufgeführt,  davon  6  Mill.  Kr.  für  Staatsschuld  Verzinsung  und 
2  Mill.  Kr.  für  den  Haushalt  des  Ministeriums  des  Innern,  während  die  Haus- 
halte für  die  anderen  Ministerien  ungefähr  mit  denen  des  gegenwärtigen  Finanz- 
jahres übereinstimmen.  Auf  Konto  Verbrauch  und  Erwerb  von  Vermögen  war 
die  Mehrausgabe  im  gegenwärtigen  Finanzjahre  mit  etwa  35 '/2  Mill.  Kr.  berechnet, 
auf  dem  vorliegenden  Voranschlage  dagegen  nur  mit  etwa'  15^2  MiU.  Kr.  In 
Uebereinstimmung  mit  früheren  Jahren  sind  die  Ausgaben  für  die  Sicherungs- 
mannschaften und  andere  Veranstaltungen,  die  den  Krieg  betreffen,  auf  dem 
Finanzgesetz  vorschlage  nicht  aufgeführt,  sondern  werden  im  Nachtragshaushalt 
aufgeführt.  Weiter  wurde  dem  Reichstage  der  Abschluß  des  Staatshaushalts  für 
das  Finanzjahr  vom  1.  April  1916  bis  31.  März  1917  vorgelegt,  der  ein  Defizit  von 
etwa  8,4  Mill.  Kr.  aufweist. 

Ferner  legten  der  Finanzminister  und  der  Minister  für  öffentliche  Arbeiten 
eine  Anzahl  neuer  Steuervorschläge  vor.  Der  Finanzminister  brachte  den 
Vorschlag  betreffend  eine  vorläufige  Erhöhung  der  Steuer  für  Zigarren,  Zigaretten 
und  Zigaretten tabak,  und  ebenso  eine  solche  betreffend  eine  Erhöhung  des  Tabak- 
zolls und  der  Abgaben  für  Tabaksbau  ein.  Das  finanzielle  Ergebnis  des  Gesetz- 
vorschlags wird  auf  7  432000  Kr.  veranschlagt.  Der  Finanzminister  legte  weiter 
den  Vorschlag,  betreffend  eine  Zusatzabgabe  für  Weine  gleich  beim  Einzel- 
preis für  die  betreffenden  Waren  beim  Verkauf  an  die  Verbraucher,  und  eine 
Gesetzesvorlage,  betreffend  eine  vorläufige  Erhöhung  und  Erweiterung  der  Bier- 
steuer vor.  Die  jetzt  geltende  Biersteuer  wird  von  950  Oere  auf  18  Kr.  pro 
Hektoliter  erhöht,  während  für  bisher  steuerfreie  Biersorten  eine  Steuer  von 
850  Oere  für  den  Hektoliter  eingeführt  wird.  Das  finanzielle  Ergebnis  wird  auf 
8,3  Mill.  Kr.  veranschlagt  und  die  Gültigkeit  sämtlicher  Vorschläge  bis  Ende  1918 
begrenzt.  —  Der  Finanzminister  legte  weiter  einen  Gesetzvorschlag,  betreffend 
einen  vorläufigen  Aufschlag  auf  die  Einkommen-  und  Vermögens- 
steuer vor.  Steuerpflichtige  Personen,  die  zu  einem  Einkommen  von  6040  Ki. 
und  darüber  veranschlagt  sind,  und  Personen,  die  zu  einem  Vermögen  von 
15000  Kr.  und  darüber  veranschlagt  sind,  erlegen  außer  der  gewöhnlichen  Ein- 
kommen- und  Vermögenssteuer  eine  besondere  Zusatzsteuer  an  den  Staat  mit 
0,90—4,50  Proz.  für  das  Einkommen  und  0,90—2,50  Proz.  für  das  Vermögen. 
Dänische  steuerpflichtige  Gesellschaften  und  Vereine,  deren  Einkommen  über 
4  Proz.  vom  Aktienkapital  ausmachte,  bezahlen  1—2  Proz.  von  demjenigen  Teile 
des  Einkommens,  der  4  Proz.  übersteigt.  Ausländische  steuerpflichtige  Gesell- 
schaften bezahlen  eine  Zusatzsteuer  von  3  Proz.    Das  Ergebnis  des  Vorschlage» 


—    649    — 

wird  auf  60  Mill.  Kr.  veranschlagt.  Der  Minister  legte  weiter  eine  Vorlage  vor 
betreffs  Ermächtigung  zur  Ausgabe  15-jähriger  5-proz.  Staatsschuldscheine  im 
Betrage  von  60  Mill.  Kr.  Fünf  dänische  Banken  übernahmen  den  Betrag  zum 
Kurse  von  99  Proz.  Der  Minister  für  öffentliche  Arbeiten  legte  eine  Gesetzes- 
vorlage, betreffend  die  Erhöhung  verschiedener  Portotaxen  vor.  Die 
durch  die  Erhöhung  bedingte  Mehreinnahme  ist  auf  870000  Kr.  veranschlagt. 
Der  gleiche  Minister  legte  eine  Vorlage  betreffs  Erhöhung  der  Staatsbahn- 
taxen für  die  Beförderung  von  Personen,  Gütern  und  lebenden  Tieren  um 
25  Proz.  vor.  Die  Einnahmensteigerung  durch  die  Taxenerhöhung  wird  auf 
12  Mill.  Kr.  jährlich  veranschlagt.  Beide  Gesetzesvorlagen  gelten  bis  zum  31.  De- 
zember 1918. 

Fast  die  Hälfte  der  spanischen  äußeren  Schuld,  schreibt 
Muguerza  im  „Diario  del  Comercio",  ist  bereits  nationalisiert.  Die  im 
Auslande  untergebrachte  Schuld  belief  sich  auf  etwa  1035  Mill.  Pesetas. 
Bis  zum  31.  Juli  d.  J.  sind  105  715  700  Pesetas  der  auswärtigen  Schuld 
in  inländische  Schuld  konvertiert  worden.  Ferner  sind  von  jener  Schuld 
weitere  365  821  000  Pesetas  in  Spanien  domiziliert  worden,  so  daß  ins- 
gesamt 471  536  700  Pesetas  nach  hier  zurückgebracht  worden  sind. 

Ueber  die  englischen  Finanzen  schreibt  in  der  englischen  Zei- 
tung „Common  Sense"  Lord  Leverhulme:  „Bei  einer  Kriegsschuld  von 
200  Milliarden  M.  würde  die  Verzinsung  und  Tilgung  jährlich  12  Mil- 
liarden M.  erfordern.  Diese  Summe  ist  dreimal  so  groß  wie  unser  ge- 
samtes Einkommen  (englisches)  vor  dem  Kriege.  Hierbei  sind  die 
Ausgaben  für  Heer,  Flotte,  Zivildienst  und  Pensionen  nicht  einbegriffen. 
Wenn  hierfür  nur  6  Milliarden  angesetzt  werden,  so  müßte  bei  einem 
Einkommen  von  2000  M.  im  Jahre  bereits  die  Hälfte,  also  1000  M. 
als  Steuer  erhoben  werden,  während  die  Steigerung  der  Steuer  so  weit 
geht,  daß  bei  200000  M.  Einkommen  180000  M.,  also  neun  Zehntel, 
erhoben  werden  müßten."  Es  kommt  hinzu,  daß  England  einen  großen 
Teil  dieser  unerhörten  Schulden  während  des  Krieges  im  Ausland  ge- 
macht hat.  Ganz  abgesehen  von  den  kleinen  Gläubigern,  wie  Japan, 
Indien,  Kanada  und  Norwegen,  hat  England  allein  in  Amerika  bis 
jetzt  10  Milliarden  M.  geliehen,  wobei  die  Privatkredite,  deren  Schätzung 
ganz  unmöglich  ist,  noch  gar  nicht  mitgerechnet  sind. 

Laut  „Temps"  betragen  die  französischen  Kredite  für  das 
letzte  Vierteljahr  1917  für  das  allgemeine  Budget  11203  000000  frcs., 
wozu  945Y2  Mill.  für  Nebenbudgets  kommen.  Die  Erhöhung  der  Kredite 
gegenüber  dem  vorhergehenden  Vierteljahr  beträgt  1  Milliarde  330  Mill., 
wovon  855  Mill.  auf  rein  militärische  Ausgaben,  475  Mill.  auf  die 
Zivil  Verwaltung  und  die  Schuldenverwaltung  entfallen.  Das  Kriegs- 
ministerium allein  erhöhte  seine  Ausgaben  um  680  Mill.,  das  Munitions- 
ministerium um  70  Mill ,  das  Marineministerium  um  157  Mill.  Die 
Gesamtkredite  vom  1.  August  1914  an  betragen  mit  diesen  Krediten 
bis  31.  Dezember  1917  102  Milliarden  642038  907  frcs.  Der  monat- 
liche Durchschnitt  für  Ausgaben  stieg  von  1318000000  in  den  ersten 
fünf  Kriegsmonaten  auf  3306  000000  im  Jahre  1917.  Der  Finanz- 
minister  fügt  hinzu,  es  sei  möglich,  daß  er  noch  vor  dem  3.  Dezember 
vom  Parlamente  neue  Kredite  zur  Bestreitung  unvorhergesehener  Aus- 
gaben verlangen  müsse. 


—    650    — 

Der  rumänische  Politiker  Professor  Stere  veröffentlicht  eine  Zu- 
sammenstellung der  Staatsschuld  Rumäniens,  die  sich  nach  aus- 
führlicher Berechnung  bei  Friedensschluß  auf  mindestens  10  Milliarden 
belaufen   wird,   während  sie  1913  nur  ungefähr  IY2  Milliarden  betrug. 

Stere  stellt  dem  das  Nationalvermögen  Rumäniens  gegenüber,  das  er  auf  höch- 
stens 10  Milliarden  einschätzt.  Die  Verzinsung  von  Staatsschuld  plus  Staatsbudget 
in  früherer  Höhe,  die  nach  dem  Kriege  mehr  als  1  Milliarde  betragen  wird,  wird 
eine  außerordentliche  Belastung  der  rumänischen  Bevölkerung  darstellen.  Stere 
fährt  dann  wörtlich  fort :  „Die  einfache  Tatsache,  daß  auf  jedes  Familienoberhaupt 
allein  für  Staatsbedürfnisse  eine  durchschnittliche  Jahreslast  von  1000  Lei  fallen 
wird,  zeigt  das  Furchtbare  dieser  Lage.  Woher  sollen  wir  die  Beträge  nehmen 
für  andere  Bedürfnisse,  für  die  Kreis-  und  Kommunalverwaltung,  besonders  für 
die  Ernährung  und  Erhaltung  der  Bevölkerung?  Hat  man  doch  ausgerechnet, 
daß  vor  dem  Kriege  das  Einkommen  der  bäuerlichen  Familien  Rumäniens  in 
guten  Jahren  kaum  500  Lei  jährlich  betrug.  Die  Bilanz  ist  in  der  Tat  vernichtend." 
„Voss.  Ztg.«  V.  6.  Sept.) 

Ueber  Rußlands  Finanzlage  liegen  verschiedene  Nachrichten 
Tor,  die  ein  recht  ungünstiges  Bild  geben  : 

Nach  einer  Meldung  des  „Temps"  aus  Petersburg  gab  der  Leiter  des  Finanz- 
ministeriums, Professor  Bernatzky,  auf  dem  Kongreß  der  kleineren  und  mittleren 
Industrien  Rußlands  bekannt,  daß  der  Staatshaushalt  für  1916  einen  Ausfall  von 
15  Milliarden  Rbl.  erwarten  lasse.  Der  Ausfall  sei  für  Rußland  wenig  be- 
deutend; denn  wenn  die  gesamte  Einwohnerschaft  des  Landes  mit  der  durch  die 
ernste  Lage  bedingten  Energie  und  Gewissenhaftigkeit  arbeite,  könne  der  Ausfall 
der  12  bis  15  Milliarden  leicht  gedeckt  werden.  Das  Unglück  für  Rußland  sei. 
daß  14  Milliarden  Rbl.  Banknoten  auf  den  Markt  geworfen  worden  seien  und 
dieses  Geld  keinen  materiellen  Wert  darstelle,  aus  dem  die  Bevölkerung  Nutzen 
ziehen  könnte.  Es  sei  unbedingt  notwendig,  mit  dem  Höchstmaß  aller  Kräfte  zu 
arbeiten.  Rußland  sei  für  das  sozialistische  Regime  noch  nicht  reif,  nur  ein  kapi- 
talistisches wirtschaftliches  System  könne  es  retten.  Die  Regierung  werde  die 
indirekten  Steuern  erhöhen,  weil  es  in  Rußland  nicht  genügend  reiche  Leute 
gebe,  um  die  Staatskassen  zu  füllen.  Finanzminister  Nekrasow  erklärte,  daß  das 
gewöhnliche  Budget  für  1917  5  Milliarden  Rbl.  und  das  für  1918  773  Milliarden 
betragen  werde.  Die  militärischen  Ausgaben  sollten  durch  Anleihen  und  die 
gewöhnlichen  durch  Steuern  und  Zollerträgnisse  gedeckt  werden.  Die  indirekten 
Steuern  würden  merklich  erhöht  und  gewisse  Erzeugnisse,  wie  Streichhölzer  und 
Zucker,  vom  Staate  monopolisiert  werden. 

In  der  „Oeuvre"  vom  5.  September  schreibt  Charles  Omessa:  In  der  russi- 
schen Reichsdruckerei  sind  Tag  und  Nacht  8000  Arbeiter  mit  der  Herstellung 
von  Papiergeld  beschäftigt  und  stellen  täglich  mehr  als  60  MiU.  Rbl.  her. 
Sie  werden  ausgezeichnet  bezahlt;  dafür  kostet  aber  auch  den  Staat  jede  Rubel - 
note  genau  58  Kopeken,  also  mehr  als  die  Hälfte  ihres  Nennwertes.  Die  Rubel- 
fabrikation gedeiht  dabei,  denn  während  1914  der  Betrag  der  umlaufenden  Noten 
sich  auf  1633  MiU.  belief,  betrug  er  am  1.  Januar  1915  3030  Mill.,  am  1.  Januar 
1916  5662  und  am  1.  Januar  1917  9097  Mill.  Dann  brach  die  Revolution  aus 
und  riß  alle  Dämme  nieder:  am  1.  März  erreichte  der  Umlauf  9450,  am  15.  Mai 
11  765  und  am  1.  Juli  nahezu  14  Milliarden,  d.  h.  also,  er  steigerte  sich  in  drei 
Jahren  um  das  Achtfache !  Von  dem  Auswege,  sich  durch  Steuererhebungen  neue 
Mittel  zu  verschaffen,  hat  die  provisorische  Regierung  keinen  Gebrauch  gemacht. 
Der  Versuch  wäre  auch  aussichtslos  gewesen,  da  schon  die  bestehenden  Steuern 
schlecht  oder  gar  nicht  eingehen.  Mit  gewaltigem  Aufwand  von  Reklame  ist  eine 
Anleihe,  die  sogenannte  „Freiheitsanleihe",  in  Szene  gesetzt  worden,  die  zugleich 
die  Kassen  der  Regierung  füllen  und  der  Bevölkerung  Gelegenheit  geben  sollte, 
ihre  Sympathien  für  die  Republik  zu  beweisen,  aber  sie  hat  wenig  Erfolg  gehabt, 
besonders  die  Arbeiterklasse  und  der  wohlhabende  Bürgerstand  haben  sich  zu- 
rückgehalten. So  hat  die  Anleihe  mit  Mühe  und  Not  3  Milliarden  Rbl.  ge- 
bracht,   was  kümmerlich  ist  für  ein  Land,   dem  augenblicklich  keine  Einnahmen 


-    651    - 

zur  Verfiügung  stehen,  das  aber  eine  tägliche  Ausgabe  von  nahezu  70  Mill.,  dar- 
unter 60  für  das  Heer,  bestreiten  soll.  Kußlands  Staatsschuld,  die  sich  1914 
auf  9  Milliarden  Ebl.  belief,  beziffert  sich  jetzt  schon  auf  mehr  als  40  Milliarden 
und  wird  am  1.  August  1918  55  Milliarden  erreichen.  Der  Schuldendienst  allein 
wird  2V,  Milliarden  verschlingen,  gegen  400  Mill.  vor  dem  Kriege. 

Nach  amtlichen  Angaben  erreichten  die  Zeichnungen  auf  die  Freiheitsanleihe 
bis  zum  30.  Juli  2836  Mill.  Kbl.  Ein  Bankenkonsortium  wird  demnächst  750 
Mill.  Kbl.  4V2-proz.  Eisenbahnanleihe  zu  817,  auflegen,  deren  Erlös  für  17  Bahn- 

fesellschaften  bestimmt  ist.  Infolge  der  großen  Geldbedürfnisse  des  Staates  hat 
ie  Regierung  ihre  ablehnende  Haltung  gegen  eine  Losanleihe  aufgegeben  und 
einen  Sonderausschuß  zur  Prüfung  dieser  Frage  ernannt.  Es  ist  beabsichtigt, 
eine  unverzinsliche  Anleihe  von  2  bis  3  Milliarden  in  kleinen  Abschnitten  vor 
Zusammentritt  der  konstituierenden  Versammlung  auszugeben.  Die  5-proz. 
russische  Anleihe,  die  gegen  Ende  August  noch  72  Proz.  notierte,  erreichte  heute 
den  Tiefkurs  von  67.  Laut  „Aftenposten"  wird  ein  Mitglied  der  russischen  Re- 
gierung demnächst  in  Christiania  erwartet,  das  die  Aufgabe  hat,  einen  Teil  der 
russischen  „Freiheitsanleihe"  in  Norwegen  unterzubringen. 

Ueber  Mexikos  Finanzlage  erklärte  der  mexikanische  Ge- 
sandte in  Paris  einem  Mitarbeiter  der  „Information": 

Es  soll  eine  Anleihe  von  300  Mill.  $  aufgenommen  werden,  wozu  das  mexi- 
kanische Parlament  bereits  seine  Zustimmung  gegeben  hat.  Mit  den  amerikanischen 
Banken  ist  wahrscheinlich  vorher  verhandelt  worden.  100  Mill.  sollen  zur  Be- 
zahlung verfallener  Staatsanleihezinsen  benutzt  werden.  Der  Rest  soll  dringenden 
Bedürfnissen  dienen.  Die  Frage,  ob  die  Zinsen  auf  alle  Anleihen,  einschließlich 
der  6-proz.  Schatzscheine  Huertas,  die  meist  in  Frankreich  untergebracht  sind, 
gleichmäßig  bezahlt  werden,  ist  noch  nicht  geklärt.  Bisher  haben  alle  Regierungen, 
die  auf  Huerta  folgten,  erklärt,  daß  seine  Anleihen  nicht  rechtskräftig  seien. 
Eine  Verständigung  ist  jedoch  möglich,  doch  muß  das  mexikanische  Parlament, 
das  im  September  zusammentreten  wird,  seine  Zustimmung  erteilen 


IX.  Kleingewerbe,  einschließlich  Mittelstandsbewegung. 

Inhalt:  1)  Die  Tagung  des  18.  Deutschen  Handwerks-  und  Gewerbe- 
kammertages in  Hannover  am  24.  und  25.  September  1917.  2)  Die  Tagung  des 
Haupt  verbau  des  deutscher  gewerblicher  Genossenschaften,  ebenfalls  zu  Hannover 
am  22.  und  23.  September  1917.  3)  Gewerbliche  Privatschulen  und  Privatunter- 
richt. 4)  Ein  wichtiger  Antrag  im  Hauptausschuß  des  Reichstags  im  Interesse 
des  Mittelstandes.  5)  Fürsorge  für  Kriegsinvalide.  6)  Richtlinien,  betreffend  den 
Wiederaufbau  des  Handwerks. 

Der  Deutsche  Handwerks-  und  Gewerbekammertag  hat 
seine  18.  Tagung  in  diesem  Jahre  am  24.  und  25.  September  zu  Hannover 
abgehalten.  Die  Tagung  war  sehr  reich  beschickt.  Alle  Handwerks- 
und Gewerbekammern  waren  vertreten,  und  zahlreiche  Vertreter  von 
den  Regierungen  der  Bundesstaaten,  von  Behörden  und  großen  be- 
freundeten Organisationen  nahmen  als  Ehrengäste  an  den  Verhand- 
lungen teil. 

Als  ersten  Punkt  der  Tagesordnung  erstattete  der  Generalsekretär 
des  Deutschen  Handwerks-  und  Gewerbekammertages,  Dr.  Meusch, 
einen  Jahresrückblick,  in  dem  er  all  die  wichtigen  Organisationsfragen 
des  Handwerks,  die  namentlich  durch  den  Krieg  erzeugt  worden  waren, 
streifte  und  darlegte,  welche  prinzipielle  Stellung  das  Handwerk  in 
dieser  Frage  einzunehmen  habe.  Er  betonte,  daß  in  seinem  festen 
Glauben  an  die  Zukunft  des  deutschen  Handwerks   ihn   nichts  beirren 


—    652    — 

könne.     Er   machte   bezüglich    dieses   Punktes    folgende   Ausführungen^ 
die  an  dieser  Stelle  wiedergegeben  werden  sollen : 

„Ich  habe  ja  schon  wiederholt  von  dieser  Stelle  aus  darauf  hingewiesen,  daß 
die  pessimistische  Auffassung  von  der  Lage  des  Handwerks,  die  wir  insbesondere 
der  alten  nationalökonomiscnen  Theorie  verdanken,  durch  die  tatsächliche  Ent- 
wicklung der  letzten  Jahrzehnte  zur  Genüge  widerlegt  worden  ist.  Gewiß,  diese 
EntwicUung  hat  die  Schichtung  des  Handwerks  nach  Berufsarten  verändert, 
aber  dem  Abgang  abständig  gewordener  Glieder  hat  stets  ein  Zugang  neuer 
lebenskräftiger  Berufszweige  entsprochen,  der  beweist,  daß  der  Organismus  des 
Handwerks  ein  gesunder  ist.  Gewiß  hat  die  schwere  Krankheit  des  Krieges  die 
Funktionen  dieses  Organismus  geschwächt  und  erschüttert,  aber  wie  eine  glück- 
lich überstandene  Krankheit  aut  einen  gesunden  Körper  regenerierend  einwirkt 
und  neue  kraftvolle  Entwicklung  nach  sich  zieht,  so  wird  auch  der  gesunde 
Körper  des  Handwerks  zu  neuer  Kraft  nach  dem  Kriege  sich  entfalten  —  wenn 
nicht  der  Arzt  der  öffentlichen  Gewalt  durch  falsche  Behandlung  diese  Entwick- 
lung gewaltsam  hemmt.  Ein  Berufsstand,  der  trotz  aller  Einwirkungen  der 
Kriegszeit,  nicht  zuletzt  trotz  der  wirtschaftlichen  Gewaltkuren  dieser  Zeit,  eich 
als  Ganzes  so  kräftig  behauptet  hat,  der  wird  sich  auch  in  der  kommenden  Wirt- 
schaft nicht  verdrängen  lassen.  Also,  meine  Herren,  die  eigene  Lebenskraft  dürfte 
das  Handwerk  zur  Genüge  bewiesen  haben;  hieraus  darf  es  die  Berechtigung 
herleiten  zu  der  Forderung  an  den  Staat,  daß  ihm  dieser  beim  Wiederaufbau  der 
durch  den  Krieg  geschädigten  Existenzen  hüfreiche  Hand  leistet.  Nicht  minder 
berechtigt  ist  die  weitere  Forderung,  daß  der  Staat  bei  einer  von  ihm  etwa 
zwangsläufig  zu  regelnden  Wirtschaft  dem  Handwerk  im  Verhältnis  zu  den 
anderen  gütererzeugenden  Berufsständen  die  nötige  Berücksichtigung  zuteil 
werden  läßt." 

Im  Anschluß  an  den  Jahresrückblick,  in  dem  auch  die  Friedenn- 
resolution  des  Reichstags  gestreift  worden  war,  wurden  vom  Kammer- 
tage drei  markige  Telegramme  an  S.  M.  den  Deutschen  Kaiser,  an 
den  Generalfeldmarschall  v.  Hindenburg  und  an  den  Reichskanzler 
Dr.  Michaelis  gesandt,  auf  die  warm  anerkennende  Telegramme  als 
Antwort  bei  dem  Kammertage  wieder  eingegangen  sind. 

Die  wichtigsten  Verhandlungspunkte  bezogen  sich  auf  die  Durch- 
führung des  Hilfsdienstgesetzes  und  zwar  die  Zusammenlegung  von 
Handwerksbetrieben  und  auf  die  Rohstoffversorgung  des  Handwerks 
während  der  Uebergangswirtschaft. 

Zum  1.  Punkte  referierte  der  Reichstagsabgeordnete  Malermeister 
Irl  in  sehr  eingehenden  interessanten  Darlegungen.  Er  legte  im 
Namen  des  Ausschusses  nachfolgende  Entschließung  zur  Beschlußfassung 
vor,  die  nach  kurzer  Aussprache  einstimmig  zur  Annahme  gelangte. 
Die  Entschließung  lautete : 

„1)  Das  deutsche  Handwerk  ist  durch  die  zur  Ersparung  von  Materialien 
und  Arbeitskräften  beabsichtigten  Maßnahmen  des  Kriegsamtes,  welche  auf  die 
weitgehende  Zusammenlegung  der  gewerblichen  Betriebe  hinzielen,  aufs  tiefste 
beunruhigt.  Es  befürchtet,  daß  diese  Maßnahmen  dem  Drängen  einflußreicher 
Vertreter  der  Forderung  nach  betriebsorganisatorischen  Umgestaltungen  unseres 
Wirtschaftslebens  entgegenkommen,  die  eine  dauernde  Verminderung  der  kleinen 
und  mittleren  Betriebe  beabsichtigen. 

Der  18.  Deutsche  Handwerks-  und  Gewerbekammertag  zu  Hannover  betont 
mit  Nachdruck  die  volkswirtschaftliche  und  soziale  Bedeutung  der  Erhaltung  der 
selbständigen  Betriebe  des  Mittelstandes  und  stellt  fest,  daß  die  fortschreitende 
Entwicklung  des  deutschen  Handwerks  die  weitestgehende  Ausnutzung  von 
Arbeits-  und  Betriebskraft  immer  mehr  gewährleistet.    Er  weist  darauf  hin,  daß 


—    653    — 

das  Handwerk  freiwillig  zum  genossenschaftlichen  Zusammenschlüsse  seiner  Kräfte 
übergegangen  ist  und  diesen  mit  allem  Eifer  zu  fördern  bestrebt  ist. 

2)  Der  Deutsche  Handwerks-  und  Gewerbekammertag  gibt  daher  zu  der  be- 
Torstehenden  Zusammenlegung  gewerblicher  Betriebe  auf  Grund  des  Hilfsdienst- 
gesetzes folgende  Erklärung  ab: 

1.  Die  Zusammenlegung  ist  nur  als  eine  vorübergehende  durch  den  Krieg  be- 
dingte Maßnahme  einzuführen.  Eine  dauernde  Einschränkung  der  »Selb- 
ständigkeit der  handwerklichen  Betriebsform  wird  unter  allen  Umständen 
abgelehnt. 

2.  Der  Deutsche  Handwerks-  und  Gewerbekammertag  und  die  Handwerks-  und 
Gewerbekammern  sind  bei  der  Feststellung  der  für  die  Zusammenlegung 
zu  beobachtenden  Grundsätze  bzw.  bei  der  Zusammenlegung  selbst  un- 
bedingt in  ausreichendem  Maße  zu  beteiligen.  Zu  diesem  Zwecke  sollen 
in  die  ständigen  Ausschüsse  sowohl  beim  Kriegsamt  wie  bei  den  einzelnen 
Kriegsamtssteflen  in  ausreichender  Zahl  Vertreter  des  Deutschen  Hand- 
werks- und  Gewerbekammertages  bzw.  der  Handwerks-  und  Gewerbe- 
kammern herangezogen  werden. 

3.  Die  Zusammenlegung  der  Handwerksbetriebe  darf  nur  auf  dem  Wege  der 
Selbstverwaltung  erfolgen,  um  eine  angemessene  Entschädigung  der  stillge- 
legten Betriebe  und  ihre  Wiederaufnahme  zu  sichern. 

4.  Sobald  die  Möglichkeit  hierzu  vorhanden  ist,  sind  die  stillgelegten  Betriebe 
durch  Zuweisung  von  Eohstoffen  und  Betriebskraft  und  Bereitstellung  von 

'  Hilfskräften  wieder  in  Tätigkeit  zu  setzen." 

Ueber  die  Rohstoffversorgung  des  Handwerks  während  der  Ueber- 
gangswirtschaft  referierte  ein  Vertreter  der  Handwerkskammer  Co  In, 
Herr  Direktor  Esser.  Er  beleuchtete  in  sehr  ausführlichen  Dar- 
legungen die  schwierigen  Aufgaben,  die  seitens  des  deutschen  Hand- 
werks in  dieser  Frage  gelöst  werden  müßten,  und  schlug  nachfolgende 
Entschließung  zur  Annahme  vor,  die  ebenfalls  die  Zustimmung  des 
Kammertages  fand.     Dieselbe  lautete: 

„1)  Der  Deutsche  Handwerks-  und  Gewerbekammertag  erkennt  mit  Befrie- 
digung an,  daß  seinem  Wunsche,  betreffend  angemessene  Vertretung  des  Hand- 
werks im  Beirate  für  üebergangs Wirtschaft,  entsprochen  worden  ist;  er  erwartet, 
daß  zur  Bearbeitung  der  fachlichen  Fragen  in  den  vom  Reichsamte  des  Innern 
beabsichtigten  Unterausschüssen  Vertreter  der  Innungsverbände  herangezogen 
werden. 

2)  Dem  Handwerk  ist  während  der  üebergangszeit  von  allen  staatlich  be- 
wirtschafteten Rohstoffen  ein  bestimmter  Anteil  zu  sichern. 

Der  auf  das  Handwerk  entfallende  Anteil  soll  unter  Mitwirkung  der  Hand- 
werks- und  Gewerbekammern  baldigst  ermittelt  werden. 

3J  Zur  Verteilung  des  auf  das  Handwerk  entfallenden  Anteils  an  Rohstoffen 
sind  die  gesetzlichen  und  wirtschaftlichen  Organisationen  des  Handwerks  heran- 
zuziehen. 

Die  Verdingungsstellen  und  wirtschaftlichen  Abteilungen  der  Handwerks- 
kammern sind  zu  Bezirkslieferungs verbänden,  d.  h.  bezirksweisen  Vereinigungen 
der  bestehenden  genossenschaftlichen  und  sonstigen  rechts-  und  geschäftsfähigen 
Rohstoff-  und  Lieferungsvereinigungen  umzubauen.  Diesen  Bezirkslieferungsver- 
bänden sind  die  auf  die  Handwerker  des  Kammerbezirks  entfallenden  Rohstoffe 
von  der  Reichsstelle  zuzuweisen;  sie  haben  ihrerseits  vorbehaltlich  einer  weiteren 
centralen  Zusammenfassung  in  Anlehnung  an  die  beruflichen  Fachgruppen  des 
Handwerks  bei  der  Verteilung  dieser  Rohstoffe  alle  darauf  Anspruch  machenden 
Handwerker  zu  berücksichtigen. 

4)  Die  Finanzierung  der  Rohstoffversorgung  ist  von  den  Bezirksverbänden 
und  den  in  ihnen  vereinigten  Organisationen  unter  restloser  Beachtung  des  Grund- 
satzes der  Barzahlung  durchzuführen.  An  Stelle  des  Warenkredits  muß  durch 
Inanspruchnahme  der  Kreditgenossenschaften  der  Geldkredit  treten. 


—    654     ~ 

5)  Der  Ausbau  der  Organisationen  des  Handwerks  zur  genossenschaftlichen 
Rohstoffversorgung  ist  mit  allem  Nachdruck  zu  fordern. 

6)  Der  vorgelegte  Arbeitsplan  wird  grundsätzlich  genehmigt.  Der  Deutsche 
Handwerks-  und  Gewerbekammertag  richtet  an  die  Handwerts-  und  Gewerbe- 
kammern und  alle  Organisationen  des  Handwerks  das  dringende  Ersuchen,  an 
der  Durchführung  dieses  Planes  mit  aller  Kraft  mitzuarbeiten." 

Dieser  Entschließung  war  ein  Arbeitsplan  für  die  Versorgung  des 
Handwerks  mit  Rohstoffen  während  der  Uebergangszeit  angefügt.  Dieser 
Arbeitsplan,  der  im  Vorwege  im  allgemeinen  die  Zustimmung  des 
Reichskommissars  für  die  Uebergangswirtschaft ,  des  Herrn  Sena- 
tor Sthamer,  gefunden  hat,  ist  keineswegs  ein  feststehender;  er  soll 
nur  ungefähr  dem  Handwerk  zeigen,  wie  eventuell  die  praktische  Durch- 
führung der  Rohstoff beschaffung  in  der  Uebergangswirtschaft  sich  ge- 
stalten läßt.  Der  Plan  soll  mehr  den  Zweck  haben,  alle  Handwerks- 
organisationen darauf  hinzuweisen,  sich  mit  diesen  wichtigen  Problemen 
für  die  Zukunft  des  Handwerks  in  der  Uebergangswirtschaft  zu  be- 
schäftigen, damit  aus  allen  diesen  Anregungen  in  ganz  Deutschland 
Vorschläge  erwachsen,  die  später  bei  der  Durchführung  berücksichtigt 
werden  können.     Der  Arbeitsplan  hatte  folgenden  Wortlaut: 

„Arbeitsplan    für    die    Versorgung    des    Handwerks    mit 
Rohstoffen  während  der  Uebergangszeit. 

A.  Organisation. 

1)  Die  in  den  Beirat  des  Reichskommissars  für  Uebergangswirtschaft  be- 
rufenen Vertreter  des  Handwerks  und  der  gewerblichen  Genossenschaften  bilden 
einen  Arbeitsausschuß,  der  als  Zentralstelle  für  alle  die  Versorgung  des  Hand- 
werks mit  Rohstoffen  in  der  Uebergangszeit  betreffenden  Angelegenheiten  gelten  soll. 

Den  Vorsitz  führt  der  Deutsche  Handwerks-  und  Gewerbekammertag,  der 
zur  Bearbeitung  dieser  Frage  eine  besondere  Abteilung  einrichtet. 

2)  Als  Unterabteilung  dieser  Zentralstelle  sind  im  allgemeinen  die  Hand- 
werkskammern zu  betrachten,  die  unter  ihrer  Leitung  und  für  ihren  Bezirk  be- 
sondere Rohstoff- Versorgungsausschüsse  in  rechtspersönlicher  Form  bilden.  Wo 
es  zweckmäßig  erscheint,  können  auch  mehrere  Handwerkskammern  gemeinsam 
die  Aufgaben  übernehmen.  Die  Bezirkslieferungsverbände,  zu  welchen  die  Ver- 
dingungsstellen  und  wirtschaftlichen  Abteilungen  der  Handwerkskammern  um- 
zubauen  sind,   sind  geeignet,   als  Rohstoff- Versorgungsausschüsse  zu  gelten. 

In  die  Rohstoff- Versorgungsausschüsse  sind  Vertreter  der  im  Bezirk  vor- 
handenen Innungs-  und  Genossen  Schafts  verbände  sowie  der  einzelnen  Fach- 
innungen, Gewerbevereine  und  Handwerkergenossenschaften  zu  berufen,  falls  die- 
selben noch  nicht  angeschlossen  sind. 

Die  Organisationen  des  Handwerks  müssen  in  weitestgehendem  Maße  zur 
Mitwirkung  herangezogen  werden. 

B.  Aufgaben. 

I.     Grundsätzliches. 

1.    Feststellung  des  Bedarfes. 

Bei  der  großen  Knappheit  an  Rohstoffen,  mit  der  auch  in  der  Uebergangs- 
zeit zu  rechnen  sein  wird,  ist  der  Bedarfsfeststellung  der  regelmäßige  Friedens- 
verbrauch zugrunde  zu  legen.  Etwaige  besondere  Umstände,  die  in  den  Friedens- 
wirtschaftsjahren zufällig  einen  außergewöhnlich  großen  Verbrauch  an  Roh- 
stoffen begründet  haben,  sind  bei  der  Berechnung  auszuscheiden.  Maßgebend 
muß  die  Tatsache  sein,  daß  während  der  Uebergangszeit  zunächst  die  dringendsten 
Instandsetzungsarbeiten  und  nur  die  allernot wendigsten  Neuherstellungen  in 
Betracht  kommen  können.  Aus  all  diesen  Gründen  muß  die  Bedarf sfeststellung 
mit  aller  Sorgfalt  erfolgen. 


-    655    - 

2.  Verteilung  und  Vermittlung  der  Rohstoffe. 

Im  allgemeinen  muß  der  Grundsatz  maßgebend  sein,  daß  niemand  in  der 
Wahl  seiner  Bezugsquelle  beschränkt  oder  behindert  werden  darf.  Den  vor 
dem  Kriege    geltenden  Verhältnissen  ist  nach  Möglichkeit  Eechnung  zu  tragen. 

Wo  die  Rohstoff  Vermittlung  an  Handwerker  vom  Fabrikanten  oder  Groß- 
händler ohne  Zwischenglied  erfolgte,  muß  das  auch  in  Zukunft  möglich  gemacht 
werden.  Die  Zentralstellen  der  ßohstoffgenossenschaften  des  Handwerks  sind 
hierbei  unter  allen  Umständen  als  Großhändler  anzuerkennen.  Alle  Beschränkungen 
im  Verkehr  der  Fabrikanten  oder  Großhändler  mit  Genossenschaftszentralen  oder 
Einzelgenossenschaften  müssen  aufgehoben  werden.  Es  darf  kein  Unterschied 
gemacht  werden,  ob  die  Genossenschaften  schon  vor  dem  Kriege  bestanden  haben 
oder  erst  während  des  Krieges  gegründet  sind,  oder  ob  es  sich  um  Lieferungs- 
genossenschaften handelt,  die  zu  Einkaufsgenossenschaften  ausgebaut  wurden. 
Wenn  keinem  Handwerker  verwehrt  oder  erschwert  werden  darf,  vom  Händler 
zu  kaufen,  so  muß  andererseits  jedem  Handwerker  freistehen,  sich  zur  Beschaffung 
der  Rohstoffe  einer  Genossenschaft  anzuschließen. 

3.  Preisbildung. 

Für  die  Rohstoffe  müssen  in  allen  Stufen  ihrer  Vermittlung  und  Verwertung 
Preise  festgesetzt  werden.  Die  Gründe  hiefür  sind  so  einleuchtend,  daß  sie 
im  einzelnen  nicht  ausgeführt  zu  werden  brauchen.  Andererseits  sind  die 
Zuschläge  zu  den  Grundpreisen  derart  zu  bemessen,  daß  sowohl  den  Ver- 
mittlern als  auch  den  Verarbeitern  der  Rohstoffe  ein  ausreichender  Verdienst 
bleibt. 

4.  Zahlung. 

Eine  der  wichtigsten  Errungenschaften  des  Krieges  auf  wirtschaftlichem 
Gebiet  ist  der  Zwang  zur  Barzahlung.  Das  Handwerk  sollte  im  eigensten 
Interesse  diesen  Grundsatz  mit  in  die  Friedenswirtschaft  herübernehmen.  Der 
Zwang,  die  Rohstoffe  vorher  bar  zu  zahlen,  wird  die  Genossenschaften  stärken 
und  aus  dem  Handel  die  ungeeigneten  Elemente  herausdrängen.  Den  wirtschaft- 
lich schwachen  Handwerkern,  insbesondere  den  Kriegsteilnehmern,  ist  durch 
die  Hilfskassen  und  die  Genossenschaften  zu  helfen.  Insbesondere  sind  die  Kre- 
ditgenossenschaften berufen,  zur  Barzahlung  der  Rohstoffe  die  erforderlichen  Vor- 
schüsse zu  leisten. 

II.  Tatsächliches. 

1.  Feststellung  des  Bedarfs. 

1)  Die  vorhandenen  Rohstoffe  sind  auf  Industrie  und  Handwerk  nach 
einem  bestimmten,  dem  ordentlichen  Bedarf  beider  Gruppen  entsprechenden  Ver- 
hältnisse zu  verteilen. 

2)  Die  Bedarfsfeststellung  für  das  Handwerk  ist  Aufgabe  der  Handwerks- 
kammern bzw.  der  von  diesen  zu  bildenden  Rohstoffversorgungsausschüsse.  Zu 
diesem  Zwecke  ist  zunächst  von  allen  Kammern  eine  Liste  der  Betriebe,  die  bei 
der  Rohstoffversorgung  aus  dem  Anteile  des  Handwerks  berücksichtigt  werden 
müssen,  aufzustellen.  Handwerker,  die  sowohl  zur  Handwerkskammer  als  auch 
zur  Handelskammer  gehören,  müssen  sich  entscheiden,  ob  sie  vom  Handwerk 
oder  von  der  Industrie  versorgt  werden  wollen.  Im  letzteren  Falle  scheiden  sie 
für  die  Rohstoffversorgung  durch  das  Handwerk  aus. 

An  alle  in  der  Liste  verzeichneten  Betriebe  ist  ein  Fragebogen  zu  versenden, 
der  den  durchschnittlichen  Jahresverbrauch  an  Rohstoffen  vor  dem  Kriege,  die 
Zahl  der  Arbeiter  und  die  benutzte  Betriebskraft  nachweist.  Die  Richtigkeit  der 
gemachten  Angaben  ist  eidesstattlich  zu  versichern. 

3)  Zur  vollständigen  Erfassung  des  gesamten  Bedarfs  sind  je  nach  den 
örtlichen  Verhältnissen  außer  den  Innungen  und  Gewerbevereinen  entweder  die 
Beauftragten  der  Kammern  oder  die  Ortsbehörden,  Krankenkassen  usw  zur  Mit- 
arbeit bei  Aufstellung  der  Listen  und  Verteilung  und  Ausfüllung  der  Fragebogen 
heranzuziehen.  Die  örtlichen  Helfer  sammeln  die  Fragebogen  und  prüfen  die 
Angaben  auf  ihre  Richtigkeit  und  Vollständigkeit.  Etwaige  Ausstellungen  sind 
auf  dem  Fragebogen  zu  vermerken. 

Die  gesamten  Eingänge  sind  an  die  Rohstoffversorgungsausschüsse  der  Hand- 
werkskammern weiterzugeben   und  dort  zu  sichten     In   Zweifelsfällen   sind  die 


-    656    - 

betr.  Betriebsinhaber  zu  einer  Berichtigung  ihrer  Angaben  aufzufordern.  Der 
als  maßgebend  anerkannte  Bedarf  ist  dem  Anmeldenden  zu  bestätigen. 

Die  Ergebnisse  der  Fragebogen  müssen  alsdann  nach  den  beim  Reichs- 
kommissariat  für  üebergangswirtschaft  bestehenden  Warenabteilungen,  nach  den 
einzelnen  Rohstoffen  gesondert,  zusammengestellt  werden. 

4)  Die  auf  diese  Weise  bezirksweise  gewonnenen  Ermittlungen  sind  an  die  Zen- 
tralstelle beim  Kammertage  weiterzugeben,  welche  dieselben  wiederum  zusammen- 
stellt und  dann  als  Gesamtbedarf  des  Handwerks  dem  Reichskommissariat  an- 
meldet. 

2.  Verteilung  und  Vermittlung  der  Rohstoffe. 

1)  Die  Rohstoffe  dürfen  nur  gegen  Bezugsscheine  abgegeben  werden.  Die 
Rohstoffversorgungsau sschüsse  stellen  solche  den  Betriebsinhabern  ihres  Bezirk« 
für  den  anerkannten  Bedarf  eines  bestimmten  Versorgungszeitraumes,  etwa  3  Mo- 
nate, aus. 

2)  Die  Betriebsinhaber  müssen  sich  erklären,  bei  welcher  Genossenschaft 
oder  welchem  Händler  sie  ihren  Bedarf  an  Rohstoffen  mindestens  für  den  Zeit- 
raum von  3  Monaten  decken  wollen,  und  sich  dort  unter  Vorlage  ihrer  Bezugs- 
scheine in  die  Kundenliste  eintragen  lassen.  Hierbei  ist  gestattet,  daß  ein  Be- 
zieher für  verschiedene  von  ihm  gebrauchte  Rohstoffe  auch  verschiedene  Bezug«- 
quellen  wählt. 

Die  Genossenschaften  bzw.  Händler  haben  auf  Grund  der  von  ihnen  ab- 
zustempelnden Bezugsscheine  in  den  Listen  die  Mengen  zu  vermerken,  auf  welche 
der  Besteller  Anspruch  hat. 

Die  Kundenlisten  sind  in  bestimmten  Zwischenräumen  an  die  Rohstoff  Ver- 
sorgungsausschüsse der  Handwerkskammern  weiterzugeben,  welche  die  erforder- 
lichen Rohstoffmengen  bei  den  Verteiiungsstellen  anmelden. 

Als  solche  kommen  je  nach  der  Lage  der  Verhältnisse  entweder  die  Zentral- 
stellen der  Genossenschaften  oder  die  Großhändler  bzw.  deren  Vereinigungen  oder 
die  Reichsbewirtschaftungsstellen  in  Betracht. 

3)  Die  Zentralstelle  für  Rohstoffversorgung  beim  Kammertage  muß  bei  der 
Verteilung  der  Rohstoffmengen  mitwirken,  damit  die  von  den  Rohstoffversorgungs- 
ausschüssen der  Handwerkskammern  angeforderten  Mengen  auch  im  richtigen 
Verhältnis  zu  den  verfügbaren  Vorräten  den  Genossenschaften  bzw.  Händlern 
zugewiesen  werden. 

3.  Preisbildung. 

1)  Für  die  einzelnen  Rohstoffe  sind  durch  die  Reichsbewirtschaftungsstellen 
unter  Mitwirkung  von  Vortretern  des  Handels,  der  Industrie  des  Handwerks 
Grundpreise  festzusetzen.  Zu  diesen  kommen  bestimmte  Aufschläge  für  Groß- 
händler und  Zentralgenossenschaften  und  weitere  Aufschläge  für  Händler  und 
Genossenschaften . 

2)  Die  festgesetzten  Aufschläge  sind  als  Höchstzuschläge  zu  betrachten.  E» 
ist  den  einzelnen  Zwischenstufen  gestattet,  sich  mit  geringeren  als  den  zulässige» 
Zuschlägen  zu  begnügen. 

4.  Zahlung. 

1)  Die  Rohstoffe  werden  von  den  Reichsbewirtschaftungsstellen  an  Groß- 
händler und  Zentralgenossenschaften,  von  diesen  an  Händler  und  Grenossen- 
schaften  nur  gegen  Barzahlung  oder  Sicherheitsleistung  abgegeben. 

2)  Den  Genossenschaften  wird  dringend  empfohlen,  auch  ihrerseits  den  Bar- 
zahlungszwang restlos  durchzuführen. 

3)  Die  Kreditgenossenschaften  sollen  in  Verbindung  mit  den  Kriegshilfs- 
kassen und  ähnlichen  Einrichtungen  den  Handwerkern  die  Mittel  zur  Beschaf- 
fung der  Rohstoffe  unter  möglichst  günstigen  Bedingungen  an  die  Hand  geben.* 

Als  4.  Punkt  der  Tagesordnung  wurde  die  wichtige  Frage  der 
Heranziehung  des  gewerblichen  Nachwuchses  im  Handwerk  behandelt 
und  dabei  auch  als  besonderes  Thema  die  Berufsberatung  und  Lehr- 
stellen Vermittlung  zur  Besprechung  gestellt.  Ueber  die  Heranziehung 
des  gewerblichen  Nachwuchses  im  Handwerk  referierten  die  Hand- 
werkskammern Mannheim  und  Eeutlingen  und  über  die  Frage  der  Be- 


-    657    - 

rufsberatuDg  und  Lehrstellenvermittlung  die  Gewerbekammer  zu  Ham- 
burg. Beide  vorgelegten  Entschließungen  gelangten  zur  Annahme.  Die 
Entschließungen  über  die  Heranziehung  des  gewerblichen  Nachwuchses 
im  Handwerk  lauten:^ 

A.  Heranziehung  des  gewerblichen  Nachwuchses  im  Handwerk. 

„1.  Die  Fürsorge  für  einen  geeigneten,  an  Zahl  ausreichenden  Nachwuchs  im 
Handwerk  bildet  besonders  bei  der  bevorstehenden  Ueberleitung  von  der  Kriegs- 
in  die  Friedenswirtschaft  einen  wesentlichen  Bestandteil  für  die  Gewerbeförderung. 

2.  In  erster  Linie  haben  seine  berufenen  Vertretungen,  die  Handwerks-  und 
Gewerbekammern,  die  pflichtgemäße  Aufgabe,  aUe  hierzu  geeigneten  Maßnahmen 
zu  ergreifen  und  zu  unterstützen. 

3.  Als  solche  kommen  in  Betracht: 

a)  Die  planmäßige  Aufklärung  der  zur  Schulentlassung  kommenden  Jugend, 
sich  nicht  eines  augenblicklichen,  oft  nur  vermeintlichen  Vorteils  wegen  ohne 
Rücksicht  auf  ihr  späteres  Fortkommen  ungelernten  und  solchen  Berufen  zuzu- 
wenden, die  erfahrungsgemäß  schon  an  Ueberfüllung  leiden. 

b)  Die  Schaffung  von  Einrichtungen  und  Veranstaltungen,  die  geeignet  sind, 
die  öffentliche  Meinung  zugunsten  des  Handwerks  zu  beeinflussen,  z.  B.  Abhal- 
tung von  Ausstellungen  und  Prämiierung  gut  ausgeführter  Gesellen-  und  Lehrlings- 
arbeiten, die  Bereitstellung  von  staatlichen  Mitteln  zur  Gewährung  von  Unter- 
stützungen an  Lehrlinge,  die  Gründung  von  Lehrlingsversicherungen  und,  damit 
im  Zusammenhang,  Herbeiführung  einer  durchgreifenden  Neuregelung  einer  den 
veränderten  wirtschafthchen  Verhältnissen  entsprechenden  Entlohnung  der  Lehr- 
linge." 

Die  Entschließungen  über  die  Berufsberatung  und  Lehrstellenver- 
mittlung lauten: 

„1.  Die  Pflege  der  Berufsberatung  und  Berufs  Vermittlung  für  die  Jugend- 
lichen beiderlei  Geschlechts  ist  im  Interesse  der  Jugendlichen  als  auch  besonders 
im  Interesse  unserer  Volkswirtschaft  dringend  geboten,  damit  der  Tüchtigste 
immer  an  die  für  ihn  passendste  Stelle  gesetzt  wird.  Ziel  der  Beratung  ist  die 
Einordnung  der  Jugendlichen  in  den  Beruf  je  nach  Eignung  und  Neigung  unter 
dem  Gesichtspunkte  nutzbarster  Verwertung  im  Dienste  der  Volksarbeit.  Außer 
Volksschuljugend,  die  in  erster  Linie  zu  beraten  ist,  sind  auch  Schüler  und 
Schülerinnen  höherer  Lehranstalten,  sowie  ältere  Personen  mitzuberaten. 

2.  Die  Berufsberatung  und  Lehrstellenvermittlung  ist  nicht  von  den  einzelnen 
dabei  interessierten  Kreisen  gesondert  zu  pflegen,  sondern  diese  Frage  wird  am 
besten  gelöst  durch  Zentralstellen  oder  Ausschüsse  für  einzelne  Bezirke  bzw.  Ge- 
meinden, bei  denen  Vertreter  von  Handwerk,  Handel  und  Industrie,  sowie  der 
öffentlichen  Behörden  und  der  beteUigten  Interessenten  zu  gemeinsamer  Ar- 
beit vereinigt  sind  und  bei  denen  dem  Handwerk,  da  es  an  erster  Stelle  dabei 
interessiert  ist,  durch  seine  Handwerkskammern,  Innungen  und  gewerblichen 
Vereine  ein  hervorragender  Einfluß  und  eine  weitgehende  Mitarbeit  eingeräumt 
werden  muß.  Die  Geschäfte  dieser  Zentralstellen  sind  von  erfahrenen,  für  diese 
Arbeit  besonders  ausgebildeten  männlichen  oder  weibhchen  Berufsberatern  zu 
führen. 

3.  Neben  diesen  örtlichen  Zentralstellen  ist  eine  weitere  Zusammenfassung 
der  einzelnen  Lehrstellen  zentralen  eventuell  in  Anlehnung  an  die  bestehenden 
Provinzial-  und  Landesverbände  der  öffentlichen  und  gemeinnützigen  Arbeitsnach- 
weise herbeizuführen,  da  auf  diese  Weise  der  notwendige  zwischenörtliche  Aus- 
gleich geregelt  und  die  Verbindung  mit  dem  allgemeinen  Arbeitsmarkt  hergestellt 
werden  kann. 

4.  Die  Unterbringung  der  Lehrlinge  wird  durch  Schaffung  besonderer  Lehr- 
lingsheime, in  denen  diese  zu  günstigen  Bedingungen  Unterkunft  und  Ver- 
pflegung finden,  erleichtert  werden.  Diese  Lehrhngsheime  haben  in  innigem  Zu- 
sammenhang mit  den  örtlichen  Zentralstellen  zu  stehen. 


—    658    — 

5.  Alle  Zentralen  haben  in  gewissen  Zeiträumen  auf  einheitlichem  Formular 
über  ihre  Tätigkeit,  sowie  über  die  Berufswahl  der  Jugendlichen  an  eine  Reichs- 
zentrale (Kaiserliches  Statistisches  Amt)  zu  berichten. 

6.  Da  die  Aufgaben,  die  die  Berufsberatung  und  Lehrstellenvermittlung  er- 
füllen sollen,  im  allgemeinen  sozialen  Interesse  und  ganz  besonders  im  Interesse 
unserer  Volkswirtschaft  liegen,  ist  es  eine  dringende  Pflicht  des  Staates  und  der 
Kommunen,  öffentliche  Mittel  in  angemessener  Höhe  für  diese  Zwecke  zur  Ver- 
fügung zu  stellen,  damit  bei  der  Dringlichkeit  der  Aufgaben  überall  in  Deutsch- 
land an  die  Lösung  dieser  Frage  mit  aller  Energie  herangegangen  werden  kann." 

Den  Schluß  der  Verhandlungen  bildete  die  wichtige  sozialpolitische 
Frage  der  Fürsorgeversicherung  für  das  selbständige  Handwerk.  Nach 
einem  Referat  der  Gewerbekammer  Hamburg  und  des  als  versicherungs- 
technischen Beirat  hinzugezogenen  Professors  Dr.  Brück  aus  Ham- 
burg beschloß  der  Kammertag  zu  dieser  Frage  folgendes : 

„Der  18.  Deutsche  Handwerks-  und  Gewerbekammertag  woUe  angesichts 
der  Tatsache,  daß  sich  das  Bedürfnis  nach  einer  ausreichenden  Fürsorge  in  Krank- 
heits-  und  Sterbefällen  zugunsten  der  selbständigen  Handwerker  und  Gewerbe- 
treibenden nach  dem  Kriege  noch  fühlbarer  als  vorher  machen  dürfte,  beschlielien : 

1,  Unter  Hinzuziehung  der  Kammern,  der  Innungs-,  Handwerker-  und  Ge- 
werbevereinsverbände wird  für  das  Gebiet  des  Deutschen  Reiches  eine  Reihe 
großer,  leistungsfähiger,  auf  Gegenseitigkeit  beruhender  Krankenkassen  durch  Aus- 
bau bestehender  und  Errichtung  neuer  Versicherungseinrichtungen  geschaffen. 
Die  Versicherungseinrichtungen  sollen  unter  Wahrung  ihrer  Selbständigkeit  und 
ihrer  örtlichen  Eigentümlichkeiten  möglichst  nach  einheitlichen  Grundsätzen  ge- 
mäß der  Mustersatzung  des  Deutschen  Handwerks-  und  Gewerbekammertages 
Krankenversicherung  möglichst  im  Umfange  der  Regelleistungen  der  Reichsversiche- 
rungsordnung gewähren,  wobei  insbesondere  die  Krankenpflege  als  hauptsäch- 
lichste Leistung  in  den  Vordergrund  zu  stellen  ist. 

2.  Um  eine  möglichst  große  Einheitlichkeit  in  der  Geschäftsführung  dieser 
Krankenkassen  zu  gewährleisten,  soll  ein  »Verband  der  Krankenkassen  für  selb- 
ständige Handwerker  und  Gewerbetreibende*  nach  der  Verbandssatzung  errichtet 
werden.  Der  ,Veiband'  wird  dem  Deutschen  Handwerks-  und  Gewerbekammer- 
tag angegliedert,  der  auch  seine  Geschäftsführung  besorgt.  Die  alljährliche  Haupt- 
versammlung des  Verbandes  soll  tunlichst  gleichzeitig  mit  der  des  Kammertages 
abgehalten  werden." 

Vor  dem  Deutschen  Handwerks-  und  Gewerbekammertag  hatte  der 
1 3.  De utsche  gewerbliche  Genossenschaftstag  ebenfalls  in 
Hannover  seine  Verhandlungen  gepflogen.  Dem  eigentlichen  Genossen- 
schaftstag, der  am  23.  September  stattfand,  gingen  am  Tage  vorher 
Sitzungen  des  Sonderausschusses  für  Handwerkergenossenschaften  und  des 
Sonderausschusses  für  Kreditwesen  voraus.  In  dem  Sonderausschuß  für 
Hand  Werksgenossenschaften  behandelte  Herr  Direktor  Korthaus  den 
neuesten  Stand  der  Maßnahmen  zur  Versorgung  des  Handwerks  mit 
Rohstoffen.  Im  Sonderausschuß  für  Kreditwesen  wurden  die  Pflichten 
der  Verwaltungsorgane  einer  Genossenschaft  durch  Herrn  Direktor 
Esser-Euskirchen,  und  zweitens  die  Kreditgenossenschaften  und 
öffentlichen  Sparkassen  durch  Herrn  Direktor  Heuer  in  eingehenden 
Referaten  beleuchtet.  Auf  dem  Genossenschaftstag  selbst  erstattete 
Herr  Direktor  Korthaus  den  Geschäftsbericht,  aus  dem  hervorging, 
daß  unter  dem  Druck  des  Krieges  die  Genossenschaftsbewegung  im 
Handwerk  bedeutende  Fortschritte  gemacht  hatte,  daß  namentlich 
Lieferungsgenossenschaften  in  großer  Zahl,  ca.  800,  im  Deutschen 
Keiche  ins  Leben  getreten  sind. 


~    659    — 

Zwei  wichtige  Fragen  wurden  auf  dem  Genossenschaftstage  be- 
sprochen, erstens  die  Pflichten  und  Aufgaben  der  Genossenschaften 
gegenüber  den  heimkehrenden  Kriegsteilnehmern;  der  Referent  war 
Herr  Esser-Euskirchen.  Die  zweite  Frage  war  die  Versorgung 
des  Handwerks  mit  Rohstoffen  während  der  Uebergangswirtschaft  und 
die  Geld  wir  tschaft  des  Handwerks  nach  dem  Kriege;  Referent:  Herr 
Reichstagsabgeordneter  Malermeister  Irl-Erding. 

Der  Deutsche  Handwerks-  und  Gewerbekammertag  hatte  sich  be- 
reits mehrfach  bemüht,  eine  staatliche  Kontrolle  der  privaten  gewerb- 
lichen Schulen  durchzusetzen.  Gerade  im  Kriege  haben  sich  die  Schäden 
der  vielen  unzulänglichen  Privatschulen  ganz  besonders  gezeigt.  Das 
hat  bewirkt,  daß  der  Bundesrat  mit  energischen  Maßnahmen  durch 
seine  Bekanntmachung  über  den  kaufmännischen  und 
gewerblichen  Privatunterricht  vom  2.  August  1917  vorge- 
gangen ist: 

Der  Bundesrat  hat  auf  Grund  des  §  3  des  Gesetzes  über  die  Ermächtigung^ 
des  Bundesrats  zu  wirtschaftlichen  Maßnahmen  usw.  vom  4.  August  1914  (RGBL 
8.  327)  folgende  Verordnung  erlassen: 

§  1.  Wer  eine  private  Fortbildungs-  oder  Fachschule  betreiben  oder  leiten 
will,  in  der  Unterricht  in  gewerblichen  oder  kaufmännischen  Fächern  erteilt  werden 
«oll,  oder  wer  in  einer  solchen  Schule  unterrichten  will,  bedarf  dazu  der  Erlaubnis 
der  von  der  Landeszentralbehörde  bestimmten  Behörde. 

Wer  in  gewerblichen  oder  kaufmännischen  Fächern  Privatunterricht  erteilen 
will,  bedarf  dieser  Erlaubnis,  wenn  den  Umständen  nach  anzunehmen  ist,  daß  dar 
Unterricht  gewerbsmäßig  an  Personen  erteilt  werden  soll,  die  ihre  Kenntnisse  als 
gewerbliche  oder  kaufmännische  Angestellte  verwerten  wollen. 

Welcher  Unterricht  als  Unterricht  in  gewerblichen  oder  kaufmännischen 
Fächern  anzusehen  ist,  bestimmt  in  Zweifelsfällen  die  Landeszentralbehörde  end- 
gültig. Sie  kann  die  Bestimmungen  dieser  Verordnung  auf  andere  Unterrichts- 
fächer ausdehnen. 

§  2.    Die  Erlaubnis  ist  zu  versagen,  wenn 

1)  Tatsachen  vorliegen,  welche  die  ünzuverlässigkeit  des  Nachsuchenden  in 
sittlicher  Hinsicht  dartun, 

2)  der  Nachsuchende  die  zur  Leitung  der  Schule  oder  zur  ErteUung  des 
Unterrichts  erforderliche  Befähigung  nicht  nachzuweisen  vermag, 

3)  der  Nachsuchende  den  Besitz  der  zum  einwandfreien  Betriebe  der  Schule 
erforderlichen  Mittel  oder  Räumlichkeiten    nicht  nachzuweisen   vermag. 

Die  Erlaubnis  kann  versagt  werden,  wenn  kein  Bedürfnis  für  die  Unterrichts- 
erteilung besteht. 

§  3.  Die  Erlaubnis  kann  unter  Bedingungen  und  auf  Widerruf  erteilt  werden. 
Ais  Bedingung  kann  insbesondere  die  Unterlassung  des  gleichzeitigen  Betriebs 
des  Gewerbes  eines  Stellen  Vermittlers  auferlegt  werden.  Die  Erlaubnis  gilt  nur 
für  den  Nachsuchenden  und  nur  für  den  bestimmt  zu  bezeichnenden  Ort  oder 
Bezirk.  Sollen  mehrere  Fach-  oder  Fortbildungsschulen  betrieben  werden,  so  ist 
für  jede  von  ihnen  eine  besondere  Erlaubnis  erforderlich. 

§  4.  Die  Erlaubnis  ist  zurückzunehmen,  wenn  sich  aus  Handlungen  oder 
Unterlassungen  des  Inhabers  der  Erlaubnis  dessen  Ünzuverlässigkeit  in  bezug  auf 
den  Betrieb  oder  die  Leitung  der  Schule  oder  die  UnterrichtserteUung  oder  in 
bezug  auf  seine  persönlichen  Verhältnisse  ergibt,  ferner  auch  dann,  wenn  der  In- 
haber den  Besitz  der  zum  einwandfreien  Betriebe  der  Schule  erforderlichen  Mittel 
oder  Räumlichkeiten  nicht  mehr  nachzuweisen  vermag. 

Wird  die  Erlaubnis  zurückgenommen,  so  ist  innerhalb  der  von  der  Behörde 
zu  bestimmenden  Frist  die  Schule  zu  schheßen  oder  die  Leitung  der  Schule  oder 
die  UnterrichtserteUung  einzustellen. 


-    66o    — 

§  5.  Inwieweit  der  Bescheid,  durch  den  die  Erlaubnis  versagt  oder  unter 
Bedingungen  erteilt  oder  zurückgenommen  wird,  durch  Eechtsmittel  angefochten 
werden  kann,  bestimmt  die  Landeszentralbehörde. 

§  6.  Wer.  ohne  im  Besitz  einer  nach  Landesrecht  etwa  erteilten  Erlaubni» 
zu  sein,  nach  aera  31.  Dezember  1917  eine  vor  dem  Inkrafttreten  dieser  Verord- 
nung errichtete  Schule  der  im  §  1  Abs.  1  bezeichneten  Art  weiter  betreiben  oder 
die  vorher  übernommene  Leitung  einer  solchen  Schule  oder  eine  vorher  begonnene, 
unter  §  1  fallende  Unterrichterteilung  fortsetzen  will,  bedarf  dazu  der  Erlaubnis 
der  von  der  Landeszentralbehörde  bestimmten  Behörde  (§  1  Abs.  1).  Für  diese 
Erlaubnis  gelten  die  §§  2—5  entsprechend. 

Sofern  nicht  bereits  nach  Landesrecht  die  Versagung  der  Erlaubnis  wege« 
mangelnden  Bedürfnisses  vorgesehen  ist,  ist  die  Versagung  der  Erlaubnis  aus 
diesem  Grunde  nur  zulässig,  wenn  die  Schule  nach  dem  1.  Januar  1916  errichtet 
oder  die  Unterrichterteilung  nach  diesem  Zeitpunkt  aufgenommen  ist. 

Wird  die  Erlaubnis  versagt,  so  ist  innerhalb  der  von  der  Behörde  zu  be- 
stimmenden Frist  die  Schule  zu  schließen  oder  die  Leitung  der  Schule  oder  die 
Unterrichterteilung  einzustellen. 

§  7.  Die  Landeszentralbehörde  erläßt  die  zur  Ausführung  erforderlichen  Be- 
stimmungen.    Weitergehende  landesrechtliche  Beschränkungen   bleiben   zulässig. 

§  8.  Mit  Gefängnis  bis  zu  sechs  Monaten  und  mit  Gddstrafe  bis  zu  zehn- 
tausend Mark  oder  mit  einer  dieser  Strafen  wird  bestraft, 

1)  wer  ohne  die  erforderliche  Erlaubnis  eine  private  Fortbildungs-  oder 
Fachschule  betreibt  oder  die  Leitung  einer  solchen  Schule  oder  die 
Unterrichtserteilung  in  gewerblichen  oder  kaufmännischen  Fächern  be- 
ginnt oder  fortsetzt, 

2)  wer  den  nach  §  3  auferlegten  Bedingungen  oder  den  landesrechtlichen 
Bestimmungen  über  die  Unterrichterteilung  in  gewerblichen  oder  kauf- 
männischen Fächern  zuwiderhandelt. 

Hierdurch  wird  die  Befugnis  zur  Festsetzung  von  Zwangsstrafen  im  Ver- 
waltungswege nicht  berührt. 

§  9.  Diese  Verordnung  tritt  mit  dem  Tage  der  Verkündung  in  Kraft.  Der 
Reichskanzler  bestimmt  den  Zeitpunkt  des  Außerkrafttretens, 

Zu  dieser  Verordnung  sind  von  dem  preußischen  Minister  für 
Handel  und  Gewerbe  die  folgenden  Ausführungsbestimmungen 
ergangen : 

Die  Bekanntmachung  bezweckt,  eine  wirksame  Bekämpfung  der  Mißstände 
im  gewerblichen  und  kaufmännischen  Privatunterrichtswesen  durch  Einführung 
einheitlicher  Bestimmungen  für  das  Reichsgebiet  zu  ermöglichen.  Sie  beschränkt 
sich  auf  die  Aufstellung  der  zur  Erreichung  des  Zweckes  unerläßlichen  Grund- 
sätze, während  die  Ausfühiung  und  weitere  Ausgestaltung  dieser  Grundsätze  den 
Einzelstaaten  überlassen  bleibt  (§  7  a.  a.  O.).  Die  Grundsätze  stimmen  in  ihren 
Hauptzügen  mit  dem  für  Preußen  geltenden  Rechtszustand  überein.  Die  wesent- 
lichen Abweichungen  sind  folgende: 

1)  Der  Genehmigungspflicht  unterliegen  alle  Unterrichtsveranstaltungeu 
(Privatschulen  und  gewerbsmäßiger  Privatunterricht  der  in  Rede  stehenden 
Art)  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  die  Schüler  und  Schülerinnen  als  schutz- 
bedürftig im  Sinne  der  Ziffer  3  der  Bestimmungen  vom  1.  Mai  d.  Ja. 
(HMBl.  S.  159)  anzusehen  sind  oder  nicht. 

2)  Als  Bedingung  für  die  Erteilung  der  Erlaubnis  kann  die  Unterlassung 
des  gleichzeitigen  Betriebs  eines  Stellen  Vermittlers  auferlegt  werden  (§  1 
der  Bekanntmachung). 

Zur  Ausführung  wird  auf  Grund  des  §  7  der  Bekanntmachung  folgendes 
angeordnet: 

1)  Die  Bestimmungen  der  Runderlasse  vom  15.  Februar  1908  (HMBl.  8.  67) 
und  vom  1.  Mai  d.  J.  (HMl.  S.  159)  bleiben  in  Kraft,  soweit  sie  nicht  durch  die 
Bekanntmachung  selbst  oder  die  nachfolgende  Ausführungsanweisung  abge- 
ändert sind. 


—    66i     — 

2)  Zu  §  1:  Als  Unterricht  in  gewerblichen  und  kaufmännischen  Fächern  ist 
jeder  Unterricht  anzusehen,  welcher  die  Ausbildung  zu  einem  gewerblichen  und 
kaufmännischen  Berufe  zum  Zwecke  hat  [vgl.  auch  Ministerialerlaß  vom.  11.  No- 
vember 1905  (HMßl.  S.  355)].  Ob  dieser  Zweck  verfolgt  wird,  ergibt  sich  in  der 
Regel  aus  dem  Gesamtcharakter  der  Veranstaltungen.  Daneben  kann  ein  Ver- 
gleich der  Lehrpläne  und  Lehrgegenstände  mit  denen  der  öffentlichen  gewerb- 
lichen und  kaufmännischen  Schulen  Anhaltspunkte  für  die  Beurteilung  der  Frage 
bieten.     Zweifel  werden  hiernach  in  der  Eegel  nicht  obwalten.     Sollten   solche 

tleichwohl  in  Einzelfällen  bestehen,  so  ist  mir  als  der  für  das  gewerbliche  und 
auf  männische  Unterrichtswesen  zuständigen  Landeszentralbehörde  zu  berichten, 
damit  gegebenenfalls  in  Gemeinschaft  mit  den  übrigen  an  der  Unterrichts  Verwal- 
tung beteiligten  Ressorts  entschieden  werden  kann. 

Gemäß  Ziffer  28  des  Eunderlasses  vom  1.  Mai  1915  haben  die  Schulunter- 
nehmer die  Zulassung  der  Lehrer,  die  sie  an  ihren  Privatschulen  beschäftigen 
wollen,  bei  der  Schulaufsichtsbehörde  zu  beantragen.  Im  Falle  der  stets  nur  auf 
Widerruf  zulässigen  Erteilung  der  Erlaubnis  ist  von  der  Schulaufsichtsbehörde 
den  Lehrern  Abschrift  der  Verfügung  zuzufertigen,  soweit  sie  davon  betroffen 
werden.  Die  Abschrift  gilt  für  die  Lehrer  als  Erlaubnis  im  Sinne  des  §  1  Abs.  1 
der  Bekanntmachung.  Für  den  einzelnen  Lehrer  hat  die  Erlaubnis  immer  nur 
auf  1  Jahr  Gültigkeit.  Es  ist  aber  nichts  dagegen  einzuwenden,  daß  sie  für  solche 
Lehrer,  die  für  einen  längeren  Zeitraum  als  ein  Jahr  von  dem  Schulunternehmer 
angenommen  und  an  der  Schule  ausschließlich  (nicht  nur  nebenamtlich)  beschäftigt 
sind,  stillschweigend  von  Jahr  zu  Jahr  verlängert  wird,  sofern  nicht  die  Schul- 
aufsichtsbehörde zu  einer  erneuten  Prüfung  der  Voraussetzungen  für  die  Erteilung 
der  Erlaubnis  Anlaß  nehmen  oder  von  dem  Widerrufe  Gebrauch  machen  will 

3)  Zu  §  5:  Als  Rechtsmittel  findet  die  Beschwerde  im  Aufsichtswege  statt. 

4)  Zu  §  6:  Dieser  Paragraph  erhält  Uebergangsbestimmungen. 

Hinsichtlich  des  Absatzes  1  fällt  ins  Gewicht,  daß  nach  §  7  Satz  2  weiter- 
gehende landesrechtliche  Beschränkungen  zulässig  bleiben.  Demzufolge  ist  der 
Fortsetzung  von  Unterrichtsveranstaltungen  (Privatschulen,  Privatunterricht),  zu 
denen  die  nach  Landesrecht  erforderliche  Erlaubnis  nicht  erteilt  worden  ist,  auch 
nach  dem  Inkrafttreten  der  Bekanntmachung,  nötigenfalls,  wie  bisher,  an  der  Hand 
der  durch  §  132  des  Landesverwaltungsgesetzes  vom  30.  Juli  1883  gegebenen 
Zwangsbefugnisse  entgegenzutreten.  Vom  1.  Januar  1918  ab  kommt  neben  der 
Anwendung  von  Zwangsstrafen  im  Verwaltungswege  auch  noch  die  Herbeiführung 
des  gerichtlichen  Strafverfahrens  in  Frage. 

Der  Absatz  2  enthält  für  Preußen  keine  Neuerung,  da  die  Versagung  der 
Erlaubnis  wegen  mangelnden  Bedürfnisses  bereits  landesrechtlich  vorgesehen  ist. 

5)  Zu  §  8 :  In  der  Regel  wird  sich  empfehlen,  daß  die  zuständigen  Behörden 
in  erster  Linie  auf  Grund  des  §  132  des  Landes  Verwaltungsgesetzes  vorgehen.  Die 
Verfügungen  sind,  ungeachtet  der  Einlegung  von  Rechtsmitteln,  nach  §  53  des 
Landesverwaltungsgesetzes  zur  Ausführung  zu  bringen,  wenn  die  Ausführung 
ohne  Nachteil  für  das  Gemeinwesen  nicht  ausgesetzt  bleiben  kann,  vorbehaltlich 
jedoch  der  Bestimmung  im  §  133  Abs.  3  dieses  Gesetzes.  In  geeigneten  Fällen 
ist  ein  entsprechender  Hinweis  in  die  Verfügungen  aufzunehmen.  Das  gericht- 
liche Strafverfahren  wird  durch  die  Festsetzung  von  Zwangsstrafen  im  Verwal- 
tungswege nicht  berührt. 

Es  ist  zu  hoffen,  daß  auch  die  anderen  Bundesstaaten  im  Anschluß 
an  die  Bundesratsverordnung  mit  energischen  Ausführungsverordnungen 
vorgehen,  um  dem  alten  Krebsschaden,  der  im  Privatschulwesen  leider 
immer  noch  blüht,  den  Garaus  zu  machen. 

Im  Hauptausschuß  des  Eeichstages  ist  folgender  wichtige  Antrag 
eingebracht  worden : 

„Die  Kommission  wolle  beschließen:  der  Reichstag  wolle  beschließen,  den 
Herrn  Reichskanzler  zu  ersuchen,  baldigst  Maßnahmen  zu  treffen,  durch  welche 

1)  ausreichende  Hilfeleistung  des  Reiches  für  die  zwangsweise  geschlossenen 
Betriebe  des  gewerblichen  Mittelstandes  vorgesehen  wird,  wobei  insbesondere  für 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  VolksvirtBcb.  Chronik.  1917.  XLIV 


—    662    — 

Erleichterung  der  Wiedereröffnung  dieser  Betriebe  nach  Beendigung  des  Krieges 
Sorge  zu  tragen  ist; 

2)  eine  umfassende  Kreditorganisation  für  den  Wiederaufbau  des  gewerb- 
lichen Mittelstandes  geschaffen  wird." 

Hoffentlich  haben  diese  Bestrebungen  im  Reichstag  guten  Erfolg. 
Schließlich   ist   noch   zu    erwähnen    ein   wichtiger   Ministerialerlaß, 
betreffend  Fürsorge  für  Kriegsinvalide: 

Der  Minister  für  Handel  und  Gewerbe  und  der  Minister  des  Innern  habem 
unter  dem  6.  Juli  1917  an  die  Regierungspräsidenten  und  den  Polizeipräsidenten 
in  Berlin  folgenden  Erlaß  veröffentlicht: 

Es  liegt  Anlaß  vor,  unter  Zurückgreifen  auf  die  in  dem  gemeinschaftlichen 
Erlasse  der  sämtlichen  Herren  Fachminster  vom  29.  August  1916  (HMßl.  8.  341) 
zu  III,  vorletzter  Absatz,  gemachten  Ausführungen  wiederholt  darauf  hinzuweisen, 
welche  Gefahren  für  die  ordnungsmäßige  Zurückführung  der  Kriegsinvaliden  in 
das  Erwerbsleben  in  der  äußerlichen  BeurteUung  liegen,  die  ihren  Bedürfnissen 
seitens  des  Publikums,  aber  auch  seitens  der  Behörden  entgegengebracht  wird. 
Dem  Invaliden  wird  nicht  genützt,  wenn  ihm  zu  einem  besonders  leichten  Er- 
werbe verholfen  wird,  trotzdem  er  nach  seiner  körperlichen  Beschaffenheit  zu 
ernsterer  Tätigkeit  in  der  Lage  wäre,  und  die  Oeffentlichkeit  leidet  Schaden 
darunter,  wenn  die  AVbeitsposten  falsch  verteilt  werden,  und  infolgedessen  die 
wertvolleren  unbesetzt  bleiben,  während  bei  den  leichteren  ein  Wettbewerb  ent- 
steht, unter  dem  naturgemäß  die  Schwerverletzten  am  meisten  leiden  müssen. 
Die  schädliche  Entwicklung  wird  naturgemäß  gefördert  durch  die  Länge  des 
Krieges  und  die  Vermehrung  der  Zahl  der  Invaliden.  Um  so  mehr  ist  es  Pflicht, 
ihr  durch  Aufklärung  des  Publikums  und  durch  verständige  Handhabung  der 
gesetzlichen  Bestimmungen  Einhalt  zu  tun.  Eine  leichte  und  mühelose  Betäti- 
gung, wie  sie  beispielsweise  in  dem  ambulanten  Vertriebe  von  Ansichtspostkarten 
oder  sonstigen  wirtschaftlich  minderwertigen  Gegenständen  besteht,  vnirde  an  Be- 
liebtheit verlieren,  wenn  sie  der  Einträglichkeit  entbehrt,  die  ihr  nur  durch  die 
unverständliche  Haltung  des  Publikums  zuteil  wird.  An  manchen  Orten,  ins- 
besondere in  größeren  Städten,  tritt  der  Kriegsinvalide  als  An  Sichtspostkarten - 
händler  geradezu  an  die  Stelle  des  aus  den  letzten  Kriegen  bekannten  Drehorgel- 
spielers; vielfach  sind  es  auch  nervenkranke  Kriegsbeschädigte,  die,  zum  TeU  noch 
mit  militärischen  Bekleidungsstücken  versehen,  dadurch  auf  der  Straße  und  in 
Wirtshäusern  Aufsehen  erregen  und  eine  gewisse  Beunruhigung  in  weitere  Volks- 
schichten tragen. 

Gelingt  es,  das  Publikum  über  die  richtigen  Gesichtspunkte  dahin  aufzu- 
klären, daß  das  Entgegenkommen  gegen  solche  Gewerbetreibende  vielfach  nur 
einem  falschen  Mitleid  entspringt  und  weder  dem  Vorteil  des  Invaliden,  in  dem 
jede  Neigung  zur  soliden  Arbeit  getötet  und  das  Interesse  an  der  Besserung  seines 
Gesundheitszustandes  zurückgedrängt  wird,  noch  dem  der  Allgemeinheit  dient, 
dann  wird  der  Zugang  zu  solchen  Beschäftigungen  auch  nachlassen.  Wo  deren 
Ausübung  an  eine  behördliche  Genehmigung  geknüpft  ist,  müssen  die  Behörden 
sich  von  gleichen  Erwägungen  leiten  lassen  und  ihnen  insoweit  Rechnung  tragen, 
als  sie  für  die  Bewertung  der  gesetzlichen  Ablehnungsgründe  oder  den  Ausfall  einer 
in  das  Ermessen  gestellten  Entscheidung  von  Bedeutung  sind. 

In  jedem  Falle  wird  den  Genehmigungsbehörden  empfohlen,  zwecks  ab- 
schließender Beurteilung  des  FaUes  mit  den  Fürsorgestellen,  gegebenenfalls  auch 
mit  den  früheren  militärischen  Dienststellen  in  Verbindung  zu  treten. 

Der  aus  den  Vertretern  des  Handwerks  im  Beirat  für  üebergangs- 
wirtschaft  bestehende,  am  Deutschen  Handwerks-  und  Gewerbekammer- 
tag bestätigte  Ausschuß  des  Handwerks  für  die  Uebergangs Wirtschaft, 
hat  in  seiner  Sitzung  vom  9.  Oktober  in  Berlin  die  von  den  Herren 
Justizrat  Dr.  Crüger  (Allgemeiner  Verband  der  auf  Selbsthilfe  be- 
ruhenden Erwerbs-  und  Wirtschaftsgenossenschaften)  und  Direktor  Kort- 
haus    (Hauptverband    deutscher    gewerblicher    Genossenschaften)     aus- 


-    663    - 

gearbeiteten  E, i c h 1 1  i n i e n  für  den  Wiederaufbau  des  kriegs- 
bescbädigten  Handwerks  beraten  und  folgendes  beschlossen: 

„1)  Der  Wiederaufbau  des  Mittelstandes  ist  eine  Staatsnotwendigkeit.  Dem- 
gemäß ist  es  eine  selbstverständliche  Pflicht  des  Eeiches,  den  durch  den  Krieg 
geschädigten  Handwerkern,  Gewerbetreibenden  und  sonstigen  Angehörigen  des 
Mittelstandes  zu  helfen,  und  zwar  denen,  die  im  Felde  standen,  wie  auch  denen, 
die  in  der  Heimat  verblieben,  aber  durch  die  wirtschaftlichen  Begleiterscheinungen 
des  Krieges  geschädigt  sind. 

2)  Die  Hufe  des  Staates  darf  nicht  zu  einem  Almosen  werden,  auch  müssen 
die  schädlichen  Nebenwirkungen  reiner  Unterstützungen  vermieden  werden.  Es 
ist  daher  von  größter  Bedeutung,  die  richtige  Form  und  Verwendung  zu  finden. 

3)  Was  insbesondere  den  Wiederaufbau  des  Handwerks  betrifft,  so  steht  in 
erster  Linie  seine  Kohstoff Versorgung.  Es  ist  daher  zu  fordern,  daß  den  durch 
den  Ejrieg  geschädigten  Handwerkern  ein  angemessener  Teil  der  zur  Verfügung 
»tehenden  Rohstoffe  zugewiesen  und  ihnen  deren  Anschaffung  ermöglicht  wird. 
Hierzu  ist  erforderlich,  den  Handwerkern  den  nötigen  Kredit  zu  verschaffen. 
Dies  wird  am  zweckmäßigsten  in  der  Form  geschehen,  daß  unter  Bürgschaft  des 
Eeichs  den  Handwerkern  ein  Kredit  bei  ihrer  Kreditgenossenschaft  eröffnet  wird, 
wobei  die  Kreditgenossenschaft  einen  näher  festzustellenden  Anteü  am  Risiko  zu 
übernehmen  hat. 

lieber  die  Uebernahme  der  Bürgschaft  entscheiden  Ausschüsse,  die  für  poli- 
tische Bezirke  von  ausreichender  Größe  aus  den  zuständigen  Behörden,  den  wirt- 
schaftlichen und  beruflichen  Vertretungen  des  Handwerks  und  Gewerbes,  ins- 
besondere der  Kreditgenossenschaften  und  der  freien  Berufe,  gebildet  werden.  Der 
Kreditnehmer  hat  sich  unter  Bezeichnung  der  ihm  genehmen  Kreditgenossen- 
schaft entweder  unmittelbar  oder  durch  Vermittlung  dieser  Kreditgenossenschaft 
an  den  Ausschuß  zu  wenden.  Der  Vorsitzende  des  Ausschusses  ernennt  einen 
Berichterstatter,  der  mit  tunlichster  Beschleunigung  die  nötigen  Erkundigungen 
einzuziehen  hat,  sofern  dies  nicht  schon  seitens  der  Kreditgenossenschaft  ge- 
schehen ist.  Ein  Mitbericht  wird  immer  von  dem  Vertreter  derjenigen  Kredit- 
genossenschaften erstattet,  bei  der  der  Kredit  in  Anspruch  genommen  werden  soll. 

Um  eine  leichte  Kontrolle  der  einzelnen  Kreditnehmer  beim  Ausschuß  und 
eine  Kontrolle  der  gesamten  Wirtschaftsverpflichtungen  zu  ermöglichen  und  eine 
Inanspruchnahme  von  Kredit  bei  verschiedenen  Stellen  zu  verhindern,  ist  beim 
Ausschuß  über  die  Bürgschaften  eine  Liste  zu  führen,  in  die  das  Datum,  die 
Höhe,  die  Art  des  Kredits  der  Kreditgeber  und  bei  späterer  Erhöhung,  Ver- 
minderung oder  Tilgung  des  Kredits  diese  Tatsachen  eingetragen  werden.  Der 
Kreditgeber  hat  bei  besonderen  Vorkommnissen  sofort,  sonst  zu  einem  bestimmten 
Zeitpunkt  im  Geschäftsjahr  über  den  Stand  des  Kontos  und  sonstige  bemerkens- 
werte Vorfälle  dem  Ausschuß  Bericht  zu  erstatten  und  das  Erlöschen  des  Kredits 
oder  den  Uebergang  des  Hilfskredits  an  den  gewöhnlichen  Betriebskredit  dem 
Ausschuß  anzuzeigen. 

Lehnt  die  Kreditgenossenschaft  die  Gewährung  des  Kredits  ab,  oder  besteht 
keine  Kreditgenossenschaft,  die  geeignet  ist,  die  Aufgabe  zu  übernehmen,  so  hat 
der  Ausschuß  das  Kreditgesuch  der  Stelle  zu  überweisen,  der  die  Fürsorge  für 
die  aus  dem  Kriege  heimkehrenden  Gewerbetreibenden  obliegt,  die  nach  den  zu- 
treffenden Bestimmungen  das  Kreditgesuch  behandelt.  In  diesen  Bestimmungen 
ist  insbesondere  auch  die  Verteilung  des  Risikos  zu  ordnen. 

Niemand  hat  einen  Anspruch  auf  Kredit. 

Die  Kreditgewähr  an  die  Zugehörigen  der  freien  Berufe  erfolgt  in  analoger 
Weise,  insoweit  es  sich  um  Sicherstellung  und  die  Verteilung  des  Risikos  handelt. 
Die  Verwendung  des  Kredits  ist  von  Fall  zu  Fall  zu  regeln. 

4)  Mit  der  Beschaffung  von  Rohstoffen  muß  für  den  Wiederaufbau  des  ge- 
werblichen Mittelstandes  die  Beschaffung  von  Arbeit  Hand  in  Hand  gdien.  Diese 
wird  der  Handwerker  bei  den  Lieferungsgenossenschaften  finden.  Wenn  es  auch 
nach  dem  Kriege  voraussichtlich  nicht  an  Arbeit  fehlen  wird,  so  ist  doch  auch 
hierbei  die  Mithilfe  des  Staates  und  der  Selbstverwaltungskörper  nicht  zu  ent- 
behren. Sie  wird  in  Uebertragung  öffentlicher  Aufträge  durch  Vermittlung  der 
Lieferungsgenossenschaften  geschehen . 

XLIV* 


—    664    — 

5)  Die  Fürsorgemaßnahmen  für  die  aus  dem  Felde  heimkehrenden  Hand- 
werker und  Gewerbetreibenden  sind  heranzuziehen.  Dabei  ist  es  unbedingt  er- 
forderlich, daß  diese  Maßnahmen  frei  vom  Bürokratismus  und  im  Einvernehmen 
mit  den  beruflichen  und  wirtschaftlichen  Organisationen  des  Handwerks  durch- 
geführt werden. 

Der  Ausschuß  legt  diese  ßichtlinien  dem  Hauptausschuß  des  Reichstage» 
und  dem  Ausschuß  für  Handel  und  Gewerbe  des  Reichstags  mit  der  Bitte  um 
Annahme  und  Durchführung  vor." 

X.  Soziale  Hygiene. 

Inhalt:  Die  Frage  der  Schaffung  eines  Gesundheitsministeriums  für  das 
Deutsche  Reich.  Die  Anträge  auf  Gewährung  von  Heilverfahren.  Verwendung 
von  Kriegsteilnehmern  im  preußischen  Gewerbeaufsichtsdienst.  Einstellung  von 
Fabrikpflegerinnen.  Arbeitshygienische  Fragen  im  Bäcker-  und  Malergewerbe. 
Rundschreiben  des  Reichskanzlers  über  Handhabung  der  Schutzbestimmungen 
für  Arbeiterinnen  und  jugendliche  Arbeiter.    Norwegisches  Enthai tsamkeitegesetz. 

Die  Schaffung  eines  Gesundheitsministeriums  für 
Oesterreich  und  Ungarn,  wie  sie  in  dem  Erlaß  des  Kaisers  von  Oester- 
reich  vorgesehen  ist,  läßt  auch  für  Deutschland  ähnliche  Wünsche  wieder 
lebendig  werden.  Man  beklagt  hier,  daß  der  Arzt  noch  viel  zu  wenig 
in  der  sanitären  Verwaltung  Sitz  und  Stimme,  geschweige  denn  die 
Leitung  hat,  und  man  benutzt  die  Umgestaltung  des  Reichsamtes  des 
Innern,  um  diese  Wünsche  wieder  zur  Geltung  zu  bringen.  So  wurde 
jüngst  in  der  „Voss.  Ztg."  geschrieben :  „Bisher  war  der  Arzt  nur 
der  Berater  des  Verwaltungsbeamten,  und  viele  von  medizinischer  Seite 
für  unbedingt  erforderlich  erachtete  Maßnahmen  unterblieben  oder 
wurden  sehr  erheblich  verzögert,  weil  die  Entscheidung  über  die  Aus- 
führung ärztlicher  Dinge  nicht  in  der  Hand  des  Arztes,  sondern  in  der 
des  Verwaltungsbeamten  lag.  Alle  wichtigen  Fragen  der  Seuchenge- 
setzgebung, des  ärztlichen  Prüfungswesens,  des  Hebammenwesens,  des 
Apotheken  Wesens  usw.  unterstehen  dem  Reichsamt  des  Innern,  in  dem 
sich  —  man  glaubt  es  kaum  —  kein  einziger  Mediziner  befindet."  Ein 
besonderes  Reichsamt  für  das  Gesundheitswesen  zu  schaffen,  wird  von 
Grotjahn  („Berl.  Tagebl."  20.  Juni)  ganz  besonders  auch  unter  dem 
Gesichtspunkt  befürwortet,  daß  die  Sozialversicherung  dabei  der  Ge- 
sundheitspflege näher  angegliedert  werde  und  beide  davon  Vorteil 
haben  sollen.  Er  spricht  also  einem  „Reichsstaatsekretariat  für  Gesund- 
heitspflege und  soziales  Versicherungswesen"  das  Wort  und  meint,  es 
würden  dann  für  die  Zusammenfassung  das  Reichsgesundheitsamt,  das 
Reichsversicherungsamt,  die  Reichsversicherungsanstalt  für  Angestellte, 
das  Aufsichtsamt  für  Privatversicherung,  das  Bundesamt  für  das  Heimat- 
wesen und  das  Reichskommissariat  für  das  Auswanderungswesen  in 
Frage  kommen.  „Das  Verbindende  liegt  darin,  daß  es  sich  um  Be- 
hörden handelt,  deren  Betätigung  den  Menschen  selbst  zum  Mittelpunkt 
hat,  also  das  physische  Substrat  unserer  Nation,  das  durch  die  Ver- 
luste des  Krieges  und  das  Einsetzen  des  Geburtenrückganges  keines- 
wegs mehr  als  so  ungefährdet  angesehen  werden  kann  wie  noch  vor  wenigen 
Jahrzenten.  Einige  dieser  Aemter  könnten,  wie  die  im  Keim  verfehlte 
Reichsversicherungsanstalt  für  Angestellte,  bei  dieser  Gelegenheit  ganz 


-    665    - 

-verschwinden,  während  andere,  wie  etwa  das  Bundesamt  für  Heimat- 
wesen, durch  Angliederung  der  Siedelungsgeschäfte,  zu  erweitern  wären. 
Den  größten  Nutzen  von  dem  neuen  Staatssekretariat  würden  Reichs - 
gesundheitsamt  und  Reichs  versieh  erungsamt  haben,  weil  sie  beide  ihre 
Eigenart  beibehalten  und  doch  sich  gegenseitig  mehr  als  bisher  be- 
fruchten und  vor  Reichstag  und  Bundesrat  sich  weitaus  kräftiger  zur 
Geltung  zu  bringen  vermöchten  als  bisher.  Es  würde  mit  einem  Schlage 
der  jetzt  von  sozialhygienischer  Seite  so  stark  empfundene  Uebelstand 
fortfallen,  daß  im  Gesundheitsamt  des  Reiches  zu  sehr  Theorie  und 
Wissenschaft  ohne  Fühlung  mit  der  Verwaltung  getrieben  wird,  im 
Reichsversicherungsamt  dagegen  häufig  der  gute  Wille  und  die  Mög- 
lichkeit eines  großzügigen  sozialhygienischen  Wirkens  zu  einem  dem 
Stande  der  hygienischen  Wissenschaft  nicht  entsprechenden  kostspieligen 
Experimentieren  führt." 

Die  große  Zunahme  der  Anträge  auf  Gewährung  von  Heil- 
verfahren im  Rahmen  der  Angestellten  Versicherung  (1915:  15079, 
1916:  24  184  Anträge)  läßt  es  notwendig  erscheinen,  daß  die  Kranken- 
beobachtung ausgedehnt  und  daher  mehr  Krankenbeobachtungsstellen 
eingerichtet  werden.  Dadurch  soll  ernstlich  verhindert  werden,  daß 
Eälle  Aufnahme  finden,  die  schon  zu  weit  vorgeschritten  sind,  als  daß 
das  Heilverfahren  noch  Erfolg  haben  könnte ;  weiter  aber  genügte  die 
einmalige  ärztliche  Untersuchung  nicht  für  die  Feststellung  der  Art 
der  Erkrankung  und  der  zu  gewährenden  Heilbehandlung,  so  daß  auch 
für  solche  Fälle  die  Krankenbeobachtungsstellen  nützliche  Dinste  leisten 
sollen.  Zumeist  sind  Krankenhäuser  oder  Universitätskliniken  die  ge- 
eigneten Beobachtungsstellen.  Im  Jahre  1916  wurden  insgesamt  2391 
Beobachtungen  verfügt,  von  denen  196  nicht  angetreten  wurden  und 
159  am  31.  Dezember  noch  nicht  abgeschlossen  waren.  Auf  Grund 
der  Beobachtungsergebnisse  der  übrigen  2036  Fälle  wurde  1466  An- 
trägen auf  Heilverfahren  stattgegeben;  235  Fälle  wurden  als  unnötig, 
250  als  aussichtslos  abgelehnt,  14  zurückgenommen  und  71  anderweitig 
erledigt. 

Auf  dem  Gebiet  der  Gewerbehygiene  und  des  Arbeiter- 
schutzes ist  zunächst  die  vom  preußischen  Ministerium  für  Handel 
und  Gewerbe  verfügte  Erleichterung  der  Verwendung  von  Kriegs- 
teilnehmern im  preußischen  Gewerbeaufsichtsdienst  her- 
vorzuheben. Dabei  wird  die  praktische  Vorbildung  stärker  berück- 
sichtigt, auch  wenn  der  vorgeschriebene  Ausbildungsgang  nicht  einge- 
halten ist;  das  gilt  namentlich  für  kriegsbeschädigte  Seeoffiziere,  für 
Kriegsteilnehmer,  die  die  Diplomprüfung  als  Hütteningenieur  oder 
Maschineningenieur  bestanden  haben,  für  Chemiker,  die  die  Vorprüfung 
als  Nahrungsmittelchemiker  oder  die  Diplomprüfung  als  Chemiker  oder 
die  Doktorpromotion  bestanden  haben;  alle  diese  können  zur  Vorbe- 
reitung für  den  Gewerbeaufsichtsrat  zugelassen  werden. 

Weiter  erfreut  sich  die  Einstellung  von  Fabrikpflegerinnem 
neuerdings  besonderer  Förderung.  Lehrgänge  zur  Ausbildung  sozial- 
geschulter Frauen  für  diese  Posten  sind  bisher  in  Berlin,  Düsseldorf, 
Magdeburg,    Leipzig,    Frankfurt    a/M.,    München,   Hannover    abgehalten 


—    666    — 

worden  rmd  zunächst  geplant  für  Mannhein,  Königsberg  und  Köln, 
Das  Waffen-  und  Munitionsbeschaffungsamt  (Wumba)  hat  den  weiteren 
Ausbau  der  Einstellung  von  Fabrikpflegerinnen  für  seinen  Bereich  durch 
folgende  Verfügung  festgelegt:  „1.  In  allen  Instituten  und  Depots,  in 
denen  Arbeiterinnen  beschäftigt  werden,  ist  je  eine  Fabrik pf legerin 
umgehend  einzustellen,  bei  Dienststellen  mit  sehr  vielen  Arbeiterinnen 
mehrere  Fabrikpflegerinnen.  2.  Die  Einstellung  hat  unter  Mitwirkung 
der  Frauenarbeitsstelle  der  betr.  Kriegsamtstelle  zu  erfolgen.  3.  Ist 
die  Zahl  der  weiblichen  Arbeitskräfte  eines  Instituts  oder  Depots  8<i 
gering,  daß  die  Arbeitskraft  einer  Fabrikpflegerin  nicht  voll  ausgenutzt 
werden  würde,  so  darf  von  einer  Einstellung  nur  abgesehen  werden, 
wenn  auch  die  Frauenarbeitsstelle  eine  solche  nicht  für  erforderlich 
hält.  Die  Wahrnehmung  der  Fürsorge  für  diese  weiblichen  Arbeits- 
kräfte erfolgt  dann  durch  eine  andere  am  Ort  tätige  Fabrikpflegerin. 
Ist  dies  nicht  möglich,  so  ist  die  Einrichtung  von  Sprechstunden  mit 
der  Fürsorgevermittlungsstelle  der  betr.  Kriegsamtstelle  zu  verein- 
baren. 4.  Bei  den  großen  Instituten  und  Depots  sind  außerdem  sofort 
von  den  daselbst  eingestellten  oder  einzustellenden  Fabrikpflegerinnen 
geeignete  weibliche  Hilfskräfte  anzulernen.  Diese  Hilfskräfte  sind  wie 
xluf Seherinnen  zu  bezahlen  und  unterstehen  der  Fabrikpflegerin." 

Was  arbeitshygienische  Fragen  in  einzelnen  Gewerbezweigea 
betrifft,  so  hat  die  im  August  in  Kopenhagen  abgehaltene  internationale  Kon- 
ferenz der  Vertreter  der  Bäcker  und  Konditoren  einen  Aufruf  an  die  Or- 
ganisationen der  Bäcker  und  Konditoren  aller  Länder  gerichtet,  jetzt  überall  eine 
energische  Bewegung  zur  Beseitigung  der  Nachtarbeit  zu  entfalten.  Falls  die 
Arbeitgeber  den  Arbeitern  für  die  Nachtarbeit  höhere  Bezahlimg  als  für  die  Tag- 
arbeit anbieten,  so  sei  auch  dagegen  mit  aller  Schärfe  seitens  der  Organisationem 
Torzugehen,  weil  dadurch  die  Arbeiter  vom  Kampfe  gegen  die  Nachtarbeit  ab- 
gehalten werden  sollen.  Die  „Soziale  Praxis"  fragt  in  diesem  Zusammenhang, 
wo  die  gesetzliche  Regelung  der  Arbeit  in  Bäckereien  in  Deutschland  bleibe,  da 
sie  bestimmt  wisse,  daß  ein  von  den  zuständigen  preußischen  Stellen  ausgearbeiteter 
Gesetzentwurf  seit  längerer  Zeit  vorliegt,  in  welchem  ein  allgemeines  verbot  der 
Nachtarbeit  ausgesprochen  werde.  —  lieber  den  Gesundheitsschutz  im  Maler - 
gewer be  äußert  sich  das  „Jahrbuch"  des  Verbandes  der  Maler,  Lackierer  usw.  für 
1916  dahin,  daß  infolge  des  Gebrauchs  von  Ersatzstoffen  die  Gesundheitsgefähr- 
dung vielfach  noch  stärker  geworden  sei;  da  während  des  Krieges  namenthch 
auf  Werften  und  in  Flugzeugbetrieben  derartige  schwere  Erkrankungen  beobachtet 
worden  sind,  hat  der  Malerverband  an  das  Kaiserliche  Gesundheitsamt  eine  Ein- 
gabe gerichtet,  die  ein  Verbot  der  als  besonders  schädlich  erkannten  Stoffe  fordert 
oder,  falls  dies  nicht  möglich  sei,  eine  allgemeine  Vorschrift  einer  Eeihe  von 
Schutzmaßregeln,  nämlich  genügende  Zufuhr  von  frischer  Luft;  Wechselschichtem 
von  höchstens  15  Minuten  Dauer;  Erledigung  bestimmter  Arbeiten  in  der  heißen 
Jahreszeit  in  Nachtschichten;  genügende  Bereitstellung  von  Reinigungsmitteln, 
namentlich  Seife;  Aufsicht  durch  besonders  sachverständige  Fachleute.  Der 
Malerverband  hatte  sich  mit  seinen  Beschwerden  auch  an  die  hamburgische  Ge- 
werbeaufsicht und  das  Hamburger  Medizinalamt  gewandt.  Die  Gewerbeaufsicht 
hat  dann  auch  nach  chemischer  Untersuchung  der  als  besonders  gefährhch  an- 
zusehenden Stoffe  auf  Grund  der  §§  120  d  und  120  e  der  Gewerbeordnung  eine 
Reihe  von  Verordnungen  zum  Schutze  der  Arbeiter  erlassen,  die  sich  vor  allem 
auf  gute  Durchlüftung  des  Arbeitsraums  und  fachmännische  ständige  Aufsicht 
beziehen;  die  Arbeiter  sollen  mindestens  alle  halbe  Stunde  abgelöst  werden  und 
dürfen   nach   der   Ablösung  nur  im  Freien  beschäftigt  werden.     Bei  einer  ein- 

fehenden  Besichtigung  und  anschließenden  Aussprache,  die  im  Anschluß  an  die 
lingabe   des   Malerverbandes   mit  Vertretern   des  Reichsamtes   des   Innern,    des 


—    667    — 

Reichs-Gesundheitsamtes  und  des  Reichs-Marineamtes  in  Hamburg  stattfand, 
wurde  zugesagt,  die  von  der  hamburgischen  Gewerbeaufsicht  getroffenen  Schutz- 
maßnahmen im  ganzen  Reichsgebiet  für  alle  gleichartigen  Betriebe  durchzu- 
führen. 

Weitgehende  Bedeutung  für  die  gesamte  Industrie  hat  ein 
Rundschreiben  des  Reichskanzlers  an  die  Bundesre- 
gierungen betr.  Handhabung  der  Schutzbestimmungen  für  Arbei- 
terinnen und  jugendliche  Arbeiter,  vom  24.  August: 

Das  sehr  ausführliche  Rundschreiben  geht  davon  aus,  daß  die  infolge  eines 
früheren  Kanzlerrundschreibens  eingegangenen  ZusammenstelluDgen  eine  Be- 
rechtigung der  Klagen  über  zurzeit  unzureichenden  Schutz  der  Arbeiterinnen  und 
Jugendlichen  erkennen  lassen,  da  von  den  zuständigen  Behörden  so  weitgehende 
Ausnahmen  von  den  gesetzlichen  Bestimmungen  zugelassen  worden  sind,  daß 
dies  fast  ihrer  Aufhebung  gleichkommt.  Nachtarbeit  und  besondere  Länge  der 
Arbeitszeit  stehen  da  in  erster  Linie;  nicht  selten  sei  eine  regelmäßige  tägliche 
Beschäftigung  der  Arbeiterinnen  und  Jugendlichen  bis  zu  15  Stunden  zugelassen, 
für  die  Nachtarbeit  von  Arbeiterinnen  überwiegend  eine  solche  von  12  Stunden. 
Eine  solche  aber  soll  in  der  Regel,  und  eine  gar  24-8tündige  Wechselschicht 
schlechterdings  ausgeschlossen  werden.  Auch  daß  manche  Bewilligungen  ohne 
jede  zeitliche  Begrenzung  oder  „für  die  Dauer  des  Krieges"  erteilt  worden  sind, 
obwohl  doch  niemand  die  Entwicklung  des  Arbeitsmarktes  vorhersehen  könne, 
wird  vom  Kanzler,  namentlich  da  es  sich  um  sehr  zahlreiche  und  weitgehende 
Ausnahmen  handelt,  als  Anlaß  zu  ernsten  Bedenken  bezeichnet,  denn  es  stehe 
zu  befürchten,  daß  durch  die  übermäßig  lange  Arbeitszeit  und  die  Nachtarbeit 
sowohl  die  Gesundheit  der  Arbeiterinnen  und  Jugendlichen  Schaden  leide,  als 
auch  ihre  Leistungsfähigkeit  bedenklich  zurückgehe.  Wie  der  Kanzler  den  Mittel- 
weg beschritten  zu  sehen  wünscht,  da  ein  Mittelweg  nach  Lage  der  Verhältnisse 
wohl  gegangen  werden  muß,  ergibt  sich  aus  den  wesentlichen  Sätzen  seines  Rund- 
schreibens: Daß  allerdings  Arbeiterinnen  und  Jugendliche  die  Plätze  der  männ- 
lichen Arbeiter  einnehmen  müssen,  das  sollte  jedoch,  heißt  es  wörtlich  weiter, 
„unter  allen  Umständen  nur  so  weit  gehen,  als  es  zur  Herstellung  der  für  dsis 
Heer  und  die  Bevölkerung  unentbehrlichen  Waren  unbedingt  notwendig  ist.  Das 
Gleiche  wie  für  die  Nachtarbeit  gilt  auch  für  die  sonstigen  Ausnahmen,  besonders 
für  die  Ueberarbeit  der  Arbeiterinnen  und  jugendlichen  Arbeiter.  Diese  darf 
auch  nur  so  weit  zugelassen  werden,  als  es  für  das  öffentliche  Wohl  notwendig 
erscheint.  Die  zuständigen  Stellen  werden  daher  bei  der  Bewilligung  von  jeder 
Ausnahme  sorgfältig  prüfen  müssen,  wie  weit  diese  Voraussetzungen  zutreffen. 
In  dieser  Beziehung  bestanden  aber,  wie  ich  anerkenne,  bisher  gewisse  Schwierig- 
keiten, denn  es  handelt  sich  dabei  hauptsächlich  um  die  Herstellung  von  Heeres- 
bedarf, dessen  Lieferung  von  den  vergebenden  Stellen  in  der  Regel  als  eilig  bi'- 
zeichnet  worden  ist.  In  solchen  Fällen  blieb  den  zuständigen  Behörden  nur 
übrig,  die  Ueberarbeit  und  Nachtarbeit  in  dem  Umfang  zu  genehmigen,  wie  sie 
beantragt  wurde,  da  eine  Ablehnung  des  Antrags  kaum  in  Frage  kommen  konnte. 
Auf  meine  Anregung  hat  daher  jetzt  das  Kriegsamt  die  Kriegsamtsstellen  an- 
gewiesen, auch  ihrerseits  dahin  zu  wirken,  daß  die  Ueberarbeit  und  Nachtarbeit 
von  Frauen  und  jugendlichen  Arbeitern  möglichst  eingeschränkt  wird  und  daß 
die  Anträge  von  Unternehmern  um  Bewilligung  von  Ueberarbeit  und  Nachtarbeit 
nur  dann  befürwortet  werden,  wenn  wichtige  Kriegsaufgaben  sich  ohne  diese 
Ueberarbeit  und  Nachtarbeit  nicht  erreichen  lassen."  Weitere  Ausnahmen  sollen 
mithin  nur  nach  erneuter  Prüfung  der  Sachlage  und  immer  nur  für  eine  be- 
stimmte Zeit  widerruflich  bewilligt  werden,  und  es  soll  bei  der  Genehmigung  stets 
möglichst  genau  die  zugelassene  Art  der  Beschäftigung,  Anfang  und  Ende  der 
Pausen,  Mindestruhezeit  usw.  festgelegt  werden.  Bei  Genehmigung  von  Nacht- 
arbeit und  Ueberarbeit  soll  grundsätzlich  vorgeschrieben  werden,  daß  dazu 
schwache  und  kränkliche  Personen,  schwangere  und  stillende  Frauen  sowie  Ar- 
beiterinnen unter  18  Jahren  nicht  herangezogen  werden  dürfen  und  daß  die  Be- 
stimmungen des  §  137  Abs.  6  der  Gewerbeordnung  (betr.  Nichtbeschättigung  der 
Wöchnerinnen    während   8  Wochen)   unter   allen   Umständen   in   Kraft   bleiben. 


—    668    — 

Endlich  können  die  Genehmigungen  auch  davon  abhängig  gemacht  worden,  daß 
für  die  Arbeiter,  und  besonders  tür  die  Arbeiterinnen  ausreichende  und  gut  ein- 
gerichtete Umkleideräume,  ßpeiseräume,  Aborte,  Krippen  und  andere  Wohlfahrts- 
einrichtungen  eingerichtet  oder  die  vorhandenen  besser  ausgestaltet  werden. 

Besondere  Hervorhebung  verdient  das  norwegische  Gesetz 
vom  26.  Juli  1916  betr.  pflichtmäßige  Enthaltung  vom  Genuß 
geistiger  Getränke  in  gewissen  Stellungen. 

Der  grundlegende  §  1  lautet:  „Wer  Dienst  tut:  a)  als  Militärperson  bei  einer 
aufgestellten  militärischen  Abteilung,  Unterabteilung  und  Truppenkommando  so- 
wie auf  einem  Kriegsschiff,  b)  bei  einer  Betriebsabteilung  der  Eisenbahnen  zum 
allgemeinen  Gebrauch,  c)  als  Wagenführer  bei  Straßenbahnen  zum  allgemeinen 
Gebrauch,  d)  als  Führer  von  Motorwagen,  die  regelmäßig  Personen  gegen  Be- 
zahlung befördern,  darf  während  der  Dienstzeit  keine  alkoholhaltigen  Getränke 
genießen.  Zu  den  erwähnten  Getränken  wird  jedoch  in  diesem  Gesetz  Bier  mit 
mit  weniger  als  27^  Gewichtsprozent  Alkohol  nicht  gerechnet."  §§  2  und  3  be- 
zeichnen näher,  was  unter  Militärperson  und  unter  Dienstzeit  zu  verstehen  ist, 
§§  4  und  5  geben  noch  Sonderbestimmungen  für  das  Militär,  §  6  nennt  die  Be- 
strafung (Geldstrafe,  im  Wiederholungsfalle  Gefängnis),  §  7  die  Bestrafung  der 
Wirte,  die  bei  der  üebertretung  des  Verbots  mitwirken,  §  8  die  Möglichkeit,  das 
Gesetz  auf  Schiffsbesatzungen  auszudehnen. 


-    669    — 


Volkswirtscliaftliclie  Chronik. 

Oktober  1917. 

I.  Produktion  im  allgemeinen. 

Inhalt:    Beschäftigungsgrad  im  Oktober. 

Das  „Reichs-Arbeitsblatt"  kennzeichnet  den  Beschäftigungsgrad  im 
Monat  Oktober,  wie  folgt:  „Das  Bild,  das  die  deutsche  Wiitschaft  im 
39.  Kriegstnonat  bietet,  zeigt  keine  wesentlichen  anderen  Züge  als  bisher. 
Die  angespannte  Tätigkeit  der  Hauptgevverbezweige  verrät  die  gleiche 
Kraft,  die  diese  Industrien  seit  Monaten  in  unvermiudertem  Maße  ent- 
falten. Gegen  das  Vorjahr  sind  vielfach  noch  weitere  Steigerungen  der 
Leistung  erreicht  worden. 

Im  Bergbau  und  Hüttenbetrieb  ist  die  Beschäftigung  nach  wie  vor 
äußerst  lebhaft.  Für  die  Eisen-  und  Metallindustrie  wie  für  den  Ma- 
schinen- und  Apparatebau  gestalteten  sich  die  Beschäftigungsverhältnisse 
gleichfalls  nicht  wesentlich  anders  als  im  Vormonat.  Dem  Vorjahr 
gegenüber  sind  in  diesen  beiden  großen  Gewerbezweigen  teilweise  aber- 
mals Steigerungen  der  Leistungen  erzielt  worden.  Für  die  elektrische 
Industrie  macht  sich  verschiedentlich  eine  Verbesserung  nicht  nur  gegen 
Oktober  1916,  sondern  auch  gegen  den  Vormonat  bemerkbar.  In  der 
chemischen  Industrie  hielt  sich  der  in  den  Vormonaten  erreichte  Ge- 
schäftsgang auch  im  Berichtsmonat  aufrecht.  Auch  hier  ist  im  Ver- 
gleich zum  Vorjahr  um  die  gleiche  Zeit  verschiedentlich  eine  Verbesse- 
rung der  Lage  unverkennbar.  Im  Spinnstoff-  und  Bekleidungsgewerbe, 
ebenso  in  der  Holzindustrie  herrschten  im  großen  und  ganzen  die 
gleichen  Bedingungen  wie  bisher.  Auf  dem  Baumarkt  ist  die  Ent- 
wickelung  der  Verhältnisse  im  allgemeinen  dieselbe  gewesen  wie  im 
September. 

Die  Nachweisungen  der  Krankenkassen  lassen  für  die 
am  1.  November  dieses  Jahres  in  Beschäftigung  stehenden  Mitglieder 
dem  1.  Oktober  gegenüber  insgesamt  eine  Zunahme  um  55  709  oder 
um  0,67  V.  H.  im  Vergleich  zu  einer  geringeren  Zunahme  der  Be- 
schäfrigtenzahl  am  1.  Oktober  (um  0,19  v.  H.)  erkennen.  Diese  Gesamt- 
zunahme gegen  den  Vormonat  geht  nicht  wie  das  vorige  Mal  a»if  eine 
Steigerung  allein  der  weiblichen  Beschäftigten  zurück,  es  hat  vielmehr 
neben  der  Zunahme  um  34  430  Frauen  und  Mädchen  oder  um  0,81  v.  H. 
auch  eine  Erhöhung  der  männlichen  Beschäftigtenzahl  um  21  273  oder 
um  0,53  V.  H.  stattgefunden.  Ebenso  ist  die  am  1.  November  hervor- 
tretende Entwicklung  im  Vergleich  zum  Vorjahr  etwas  günstiger.  Im. 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.   1917.  XLV 


muß   wieder   beiück- 
in   den   Ergebnissen 


—     670     — 

Vorjahr  hatte  die  männliche  Beschäftigung  keine  Zunahme  aufzuweisen, 
vielmehr  war  eine  Abnahme  um  0,39  v.  H.  festzustellen.  Auf  dem 
weiblichen  Arbeitsmarkt  war  allerdings  eine  etwas  höhere  Zunahme 
(4-l,G9  V.  H.)  als  in  diesem  Jahre  zu  verzeichnen.  Bei  der  Beurteilung 
der  Bewegung  der  männlichen  Beschäftigtenzahl 
Bichti«;t  werden,  daß  die  Kriegsgefangenenarbeit 
der  Krankenkassenstatistik  nicht  enthalten  ibt. 

Die  Zusammenstellung  für  die  Betriebskrankenkassenmit- 
glieder, die  einen  Vergleich  mit  dem  Vormonat  gestattet,  läßt  er- 
kennen, daß  die  männliche  Beschäftigung  im  Nahrungsmittelgewerbe 
(wegen  der  Zuckerkampagne)  in  starkem  Maße,  ferner  in  der  elektrischen 
und  chemischen  Industrie,  in  der  Metallindustrie,  im  Baugewerbe,  in 
der  Holzindustrie  und  im  Spinnstoffgewerbe  zugenommen  hat,  und  daft 
eine  Abnahme  nur  in  der  Land-  und  Forstwirtschaft  wie  im  Bekleidungs- 
gewerbe hervorgetreten  ist.  Für  die  weibliche  Beschäftigung  macht 
flieh  gleichfalls  nur  in  diesen  beiden  Grewerbezweigen  eine  Verminderung 
bemerkbar,  im  übrigen  steht  auch  hier  das  Nahrungsmittelgewerbe  an 
der  ersten  Stelle,  obwohl  die  Zunahme  sich  bei  weitem  nicht  so  hoch 
stellte  wie  bei  den  Männern.  Es  folgen  dann  die  chemische  Industrie, 
das  Baugewerbe  und  die  Metall-  und  Maschinenindustrie. 


Zahl  der 
berichten- 
den Kassen 

Pflichtmi 

itglieder 

Zu 

-  oder  Abnahme 

Qewerbe 

abzüglich  der  arbeits- 
unfähigen Kranken 

gegen  den  Vormonat 
in  Prozent 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

Land-    und    Forstwirtschaft, 

Gärtnerei 

74 

8338 

6719 

— 

1,07 

—   2,8» 

Metall-,  Maschinenindustrie 

700 

571419 

206  488 

+ 

1,56 

+    2,15 

,           .     (rfchlesicn 
^«^«°^°\Rheinl.-Westf. 

54 

42986 

17257 

+ 

1,11 

+   0,8f 

239 

249  711 

89155 

+ 

1,99 

+  4." 

Elektrische  Industrie 

26 

36639 

61  721 

+ 

2,68 

+  1,6« 

Chemische  Industrie. 

105 

72487 

49551 

+ 

2,50 

+   4.54 

Spinnstoffgewerhe 

782 

53952 

128089 

4- 

0,.S6 

4-  1,5» 

Schlesien 

59 

7081 

17587 

+ 

0,33 

+    2,81 

j„^««  i„     Rheinl.-Westf. 
davon  in     ^^^    g^^^^^^^ 

176 

10624 

17086 

— 

0,44 

+    1,01 

248 

14050 

39273 

+ 

1,21 

+    0,6 1 

Kls.-Loihringen 

37 

1  908 

5666 

— 

1,24 

—  0,8« 

Holz-  nnd  Schnitzwaren 

86 

8535 

3830 

+ 

0,8  2 

+    0,9g 

Nahrungs-  und  Genußmittel 

267 

31  110 

40740 

+ 

25,22 

+    6,04 

Bekleidung 

82 

4  973 

II  048 

— 

3,10 

—    1,99 

Baugewerbe 

174 

48518 

7  375 

+ 

1,42 

+    2,99 

Wird  die  Zu-  und  Abnahme  der  Mitglieder  nach  Oberversicherungs- 
ämtern betrachtet,  so  findet  man  bei  Betrachtung  der  Grundzahlen  bei 
den  männlichen  Mitgliedern  eine  größere  Zunahme  in:  Groß-Berlin, 
Wiesbaden  und  Düsseldorf.  Eine  größere  Abnahme  der  männlichen 
Mitglieder  ist  nirgends  vorhanden. 

An  weiblichen  Mitgliedern  weisen  größere  Zunahmen  auf:  Königs- 
berg. Groß-Berlin,  Stettin,  Posen,  Breslau,  Merseburg,  Schleswig,  Dort- 
mund, Kassel,  Wiesbaden,  Düsseldorf,  Köln  a.  Eh.,  Trier,  Bayreuth, 
Dresden- N.,  Leipzig,  Stuttgart  mit  Neckaikreis,  Karlsruhe,  Mannheim 
und  Hamburg. 


-    671    - 

Eine  größere  Abnahme  bei  den  weiblichen  Mitgliedern  zeigt  sich 
in  Potsdam,  Stralsund,  Oppeln  und  München. 

Von  den  berichtenden  Unternehmungen  gaben  356  den 
Stand  ihrer  Arbeiterschaft  im  Berichtsmonat  auf  374  619  Arbeiter  an. 
Neben  der  Beschäftigtenzahl  im  Berichtsmonat  gaben  321  Unternehmungen 
auch  die  Zahl  der  im  Vormonat  beschäftigten  Arbeiter  an.  Hier  waren 
am  letzten  Tage  des  Berichtsmonats  insgesamt  334  448  gegen  329  287 
Arbeiter  am  Schlüsse  des  Vormonats  tätig.  Es  ist  also  im  Berichts- 
monat dem  Vormonat  gegenüber  eine  Zunahme  der  Beschäftigten  um 
5161  oder  1,57  v.  H.  eingetreten.  Die  Steigerung  gegen  den  Vormonat 
geht  in  der  Hauptsache  auf  eine  Mehrbeschäftigung  von  Männern  zurück. 

An  der  Erhöhung  der  Beschäftigtenzahl  sind  in  erster  Linie  Eisen- 
und  Metallindustrie,  chemische  Industrie  und  Maschinenbau  beteiligt. 
Im  Bergbau  und  Hüttenbetrieb  wie  im  Spinnstoffgevverbe  ist  die  Anzahl 
der  Beschäftigten  nur  unbedeutend  höher  als  im  Vormonat.  Eine  Ab- 
nahme macht  sich  nur  im  Nahrungsmittelgewerbe,  in  der  Glasindustrie 
und  in  den  sonstigen  Grewerben  bemerkbar,  doch  ist  die  Verminderung 
der  Anzahl  kaum  nennenswert. 

352  der  berichtenden  Unternehmungen  teilten  neben  der  Beschäf- 
tigtenzahl im  Berichtsmonat  auch  den  Stand  der  Arbeiterschaft  im 
gleichen  Monat  des  Vorjahrs  mit.  In  diesen  352  Unternehmungen  waren 
im  Berichtsmonat  373  620  Arbeiter  gegenüber  311916  im  Oktober 
1916  tätig.  Es  ist  also  gegenüber  dem  Vorjahr  eine  Zunahme  der 
Arbeiterzahl  um  61  704  oder  um  19,78  v.  H.  eingetreten.  Diese  starke 
Zunahme  geht  auf  das  männliche  Geschlecht  in  doppelt  so  hohem  Maße 
wie  auf  das  weibliche  zurück. 

Eine  Verminderung  der  Beschäftigtenzahl  ist  im  Bekleidungs- 
gewerbe wie  in  der  Glas-  und  Porzellanindustrie  und  im  Nahrungs- 
mittelgewerbe hervorzuheben,  daneben  auch  in  der  Papierindustrie.  In 
den  übiigen  Gevveibezweigen  macht  sich  eine  Steigerung  der  Be- 
schäftigtenzahl im  Verhältnis  zum  Vorjahr  bemerkbar.  Sie  ist  besonders 
groß  in  der  chemischen  Industrie,  im  Maschinenbau,  im  Bergbau  und 
Hüttenbetrieb  und  in  der  Eisen-  und  Metaliindustrie,  wie  in  der  elek- 
trischen Industrie.  In  diesen  zuletzt  genannten  5  Gewerbegruppen  ist 
nicht  nur  eine  Zunahme  der  weiblichen  Beschäftigten,  sondern  auch 
der  männlichen  festzustellen.  In  der  chemischen  Industrie,  im  Ma- 
schinenbau und  im  Bergbau  wie  im  Hüttenbetiieb  ist  die  Steigerung 
der  männlichen  Arbeiterzahl  wesentlich   höher   als   die   der  weiblichen. 

Nachstehend  geben  wir  die  Veränderungen  in  den  einzelnen  Ge- 
werben, vergleichbar  mit  dem  Vormonate,  tabellarisch  s.  S.  672  wieder. 

Nach  den  Feststellungen  von  32  Fachverbänden,  die  für  1029  943 
Mitglieder  über  Arbeitslosigkeit  berichteten,  betrug  die  Arbeits- 
losenzahl Ende  Oktober  7277.  Es  sind  das  0,7  v.  H.  Da  Ende  Juli 
bis  September  1917  die  Arboitslosenziffer  0,8  v.  H.  betrug,  so  zeigt 
sich  den  Vormonaten  gegenüber  noch  eine  Verminderung  der  bereits 
sehr  geringen  Arbeitslosigkeit.  Im  Vergleich  zum  Oktober  der  drei 
voihergehenden  Jahre  ist  eine  wesentliche  Abnahme  der  Arbeitslosig- 
keit zu  erkennen;  denn  im  Oktober  1916  stellte  sich  die  Arbeitslosen- 

XLV* 


672    — 


© 

Beschäftiete  am 

Za«  oder  Abnahme 

Ä 
n 

letzten  Tu 

ge  des 

Gewerbegruppen 

u 

Oktober 

insgesamt 

mönnl.  |  weibU 

insgesamt 

mäunl. 

Anzahl 

V.  H. 

Anzahl 

Bergbau  und   Hüttenbetrieb 

20 

53067 

45608 

+ 

193 

+   0,87 

+ 

, 

+   19» 

Ei^cn-  und  Metallindustrie 

52 

75814 

53  i'O 

+ 

2045 

+    2  77 

+ 

1422 

+  623 

InduHtrie  der  Miiücliinen 

»3 

103  or5 

83416 

+ 

975'+    0.9Ö 

+ 

1009 

-    34 

Elektrische  Industrie 

14 

12687 

5572 

+ 

08  +    0,64 

+ 

201 

-  133 

Chemische  Industrie 

3S 

63  108 

49138 

+ 

14 10  4-    2,62 

+ 

894 

+  7i6 

Spinnstoffgewerbe 

16 

9049 

2472 

+ 

188  +    2.12 

+ 

27 

+   161 

Holzindustrie 

8 

825 

616 

+ 

3  +    0,36 

— 

4 

+       7 

Niihriings-  und  Oenußmittel 

19 

3098 

1894 

73  -   2,30 

+ 

28 

—  101 

Bekleidungsgewerbe 

16 

1779 

566 

+ 

47+    2,71 

+ 

14 

+     33 

Glas  und   Porzellan 

8 

2632 

1311 

— 

16 —   0,60 

— 

27 

+     II 

Papierindustrie,   Buchdruck 

39 

6344 

413-' 

+ 

181  +    2,94 

+ 

93 

-f-     88 

Soustliff  Gtiwerbe  (<?inschlicßlich 

Baustoffe  und  Schiffahrt) 

II 

3030 

1883 

— 

60  —    1,94 

+ 

253 

-  313 

bumme 

321 

334448 

251  718 

+ 

5161 

1+    I," 

+ 

391 1 

+  1250 

Ziffer  auf  2,0,   im   Oktober    1915   auf   2,5  v.  H.  und  im  Oktober  1914 
auf  10,9  V.  H. 

Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise  läßt  im  Berichtsmonat 
fiir  das  männliche  wie  für  das  weibliche  Geschlecht  ein  Steigen  dea 
Andranges  der  Arbeitsuchenden  erkennen.  Für  das  weibliche  Ge- 
schlecht ist  diese  Zunahme  eine  wesentlich  beträchtlichere  als  für  die 
]\länner.  Im  Oktober  kamen  auf  100  offene  Stellen  bei  den  männ- 
lichen Personen  54  Arbeitsuchende  (gegenüber  50  im  Vormonat);  beim 
weiblichen  Geschlecht  stieg  die  Andrangsziffer  von  87  auf  98.  An- 
gebot und  Nachfrage  deckten  sich  also  auf  dem  weiblichen  Arbeits- 
markt nahezu." 


II.  Landwirtschaft  und  verwandte  Gewerbe. 

Inhalt:  Lage  der  landwirtschaftlichen  Produktion:  Oesterreich:  Heu- 
und  Strohpreis;  Krauterzeugun^;  Zuckerpreis.  Ungarn:  Schweinehaltung;  Milch- 
verwendung. Schweiz:  Getreidebewirtschaftung.  Schweden:  Kind  Viehbe- 
stand, Norwegen:  Brotgetreide.  England:  Saaten-  und  Erntestand;  Butter- 
markt. Frankreich:  Ernte;  Zuckereinfuhr.  Italien:  Ernte.  Finnland: 
Ernteertrag.  Südafrika:  Mais  nach  England.  Vereinigte  Staaten:  Meierei- 
erzengnisse.  Oesterreich :  Geireidepreise.  Ungarn:  Kartoffelernte.  Türkei: 
Landwirtschaftliche  Produktion.  Schweiz:  Brotkarte;  Getreideeinfuhr;  Schlacht- 
viehversorgung; Motorpflu?;  Höchstpreise  für  Fleisch.  Schweden:  Anbauflächen; 
Höchstpreise  tür  Kartoffeln.  Dänemark:  Schlachtschwcine.  England:  Brot- 
und  Mehlpreise;  Getreidepreise;  Getreidevorräte;  staatlicher  Beitrag  zur  Herab- 
setzung des  Brotpreises.  Frankreich:  Landarbeiten;  Brotversorguiig;  Schiffs- 
raum. Italien:  Brot  Versorgung.  Griechenland:  Korinthenernte.  Rußland: 
Papiergeld.  Vereinigte  Staaten:  Weizen-  und  Mehlhandel.  Kanada: 
Mangel  an  Arbeitskräften;  Weizenernte.  Oesterreich;  Kartoffel  Versorgung; 
Richtpreise  für  Sauerkraut.  Ungarn:  Spiritusbrennerei;  Weinstatistik. 
Schweiz:  Einfuhr  von  Weizen  und  Mais;  Verkaufspreise  für  Speisekarkoffein; 
Pferde  für  landwirtschaftliche  Arbeiten.  Norwegen:  Einfuhr  von  Korn. 
Dänemark:  Fettverteilung.  Niederlande:  Einfuhr  aus  den  Verein  igte  a 
Staaten.     Frankreich:    Lebensmittelbeschaffuug.     Südafrika:   Wolle   für 


—    673    — 

England.  K an  ad a:  Höchstpreise  für  Weizen.  Australien:  Lagerung  von 
Weizen.  Weltmarkt:  Getreide.  Vereinigte  Staaten  und  Kanada: 
Bichlbare  Vorräte. 

üeber  die  Lage  der  lan  d  wirtschaftlichen  Produktion 
soll  nachstehend  eine  Eeihe  von  lylitteiluiigen  ans  den  wöchentlich  vom 
Deutschen  Landwiitschaftsiate  veiöifeEtlichten  Berichten  aus  dem  Aus- 
lände hier  zusammergestellt  werden,  80  heißt  es  unter  dem  9.  Ok- 
tober 1917: 

Eine  Verordnung  des  Amtes  für  Volksernährung  in  Oesterreich 
▼om  29.  September  erhöht  die  Uebernahmspreise  für  Heu  und  Stroh  in  einem 
umfange,  der  den  ungünstigen  Erniecrtrügnissen  entspricht.  Die  neuen  Leber- 
nahmepreise  sind  folgende:  für  100  kg  Heu  aller  Art  23  K.  =  19.55  M.  (bisher 
17  K.),  für  Schaubstroh  13  K.  =  11,05  M.  (bisher  10  K.),  für  sonstiges  Stroh  von 
Getreide,  Erbsen  und  Wicken  11  K.  =  9,35  M.  (bisher  8  K.),  für  Stroh  von  Bohnen, 
Pferdebohnen,  Linsen,  Lupinen,  Peluschken,  Mohn,  Baps,  Rübsen,  Reis  xmd 
Mais  7  K.=:5,95  M.  (bisher  6  K.). 

In  Oesterreich  wird  durch  eine  Verordnung  des  Amtes  für  Volkser- 
nährung am  25.  September  die  gesamte  Frisch  krauternte  der  Gebiete,  die  für  die 
Krauterzeugung  am  meisten  in  Betracht  kommen,  beschlagnahmt,  soweit  dies 
nicht,  wie  z.  B.  in  Steiermark,  bereits  geschehen  ist.  Wird  Kraut  in  Haus-  oder 
Schrebergärten  gebaut,  oder  vom  Erzenger  zur  Deckung  des  eigenen  Bedarfes 
verwendet,  oder  im  eigenen  Haushalte  zu  Sauerkraut  verarbeitet,  so  ist  es  von 
der  Beschlagnahme  ausgenommen.  DcFgleichen  erstreckt  sich  die  Beschlagnahme 
nicht  auf  die  Anbau-  und  Lief erungsbet läge,  die  vom  Amte  für  Volksernährung 
genehmigt  oder  bei  der  Gemüse-  und  Obstversorgungsstelle  vorschriftsmäßig  an- 

femeldet  sind.  Gleichzeitig  wurden  für  ganz  Oesterreich  als  Höchstpreis  für 
rischkraut  45  K.  =  38,25  M.  für  100  kg  festgesetzt,  wobei  der  politischen  Landes- 
gemeinde das  Recht  eingeräumt  wurde,  für  ihr  Verwaltungsgebiet  einen  niedrigeren 
Höchstpreis  zu  bestimmen.  Ferner  wurde  von  Sendungen  für  Frischkraut  über- 
haupt, die  mit  Eisenbahn  oder  Dampfschiff  erfolgen,  der  Transportscheinzwang 
eingeführt. 

In  Oesterreich  hat  das  Amt  für  Volksernährung  die  neuen  Preise  für 
Koh-  und  Verbrauchszucker,  wie  folgt,  festgesetzt:  der  neue  Rohzuckeepreis  be- 
trägt 57,50  K.  =  48,88  M.,  ist  somit  um  2  K.  höher  als  der  ursprünglich  im 
Februar  für  Rohzucker  der  neuen  Betriebsperiode  bestimmte  Preis  und  insgesamt 
um  16  Heller  höher  als  der  bisher  in  Geltung  gestandene  Preis.  Der  Grundpreis 
für  Verbrauchszucker,  prima  Großbrote,  wurde  mit  130  K.  =  110,50  M.  gegen 
100  K.  im  abgelaufenen  Betriebsjahre  festgesetzt.  Dieser  Preis  bleibt  bis  zum 
1.  Oktober  1918  unverändert  in  Geltung.  Für  den  Monat  Oktober  haben  im 
Großhandel  und  im  Kleinverkauf  die  bisherigen  Zuckerpreise  unverändert  Geltung. 
Die  Neufestsetzung  der  erhöhten  Zuckerpreise  für  den  Großhandel  und  Klein  ver- 
kauf wird  mit  Wirksamkeit  iür  den  1.  November  1917  erfolgen,  wobei  dann  auch 
die  Erhöhung  der  Eisen bahnfiachttarife  zur  Geltung  kommen  wird. 

In  Ungarn  darf  nach  einer  Regierungsverordnung  jedermann  für  den 
Hausgebrauch  ohne  vorherige  behördliche  Bewilligung  höchstens  2  Schweine 
mästen.  Darüber  hinaus  darf  man  für  den  Haus-  bez.  Wirtschafttbedarf  in  der 
eigenen  Haushaltung  bzw.  Wirtschaft,  oder  in  einer  fremden  Mastanstalt,  aber 
auf  eigene  Rechnung,  nur  so  viele  Schweine  mästen,  als  man  für  die  im  Haushalt 
oder  in  der  Wirtschaft  Versorgung  genießenden  Personen  oder  Arbeiter  an  Speck 
oder  Fett  unter  Berücksichtigung  der  strengsten  Sparsamkeit  braucht.  Wie  viele 
Schweine  jemand  hiernach  mästen  darf,  steJit  die  Lokalbthörde  ie^t.  In  einer  den 
Haus-  und  Wirtschaftsbedarf  übersteigenden  Zahl  dürfen  Schweine  nur  mit  be- 
hördlicher Erlaubnis  und  unter  Benutzung  der  Hälfte  des  Ueberschusses  der 
unter  Sperre  genommenen  Maisernte  gemästet  werden.  Die  für  deu  öffentlichen 
Bedarf  bestimmten  Schweine  dürfen  pro  Stück  höchstens  mit  5  dz  Getreide  ge- 
mästet werden.  Ferner  dürfen  lebende  Schweine  unter  einem  Gewicht  von  50  kg 
für  den  öffentlichen  Bedarf  nicht  gemästet  werden. 


-    674    — 

In  ÜDgarn  verbietet  eine  Regierungsverordnung,  daß  Vollmilch  oder 
abgerahmte  Kuhmilch  für  irgendwelche  Zwecke  tierischer  Futterung  verwendet 
werden. 

Durch  Verfügung  des  schweizerischen  Militärdepartements  vom  25.  Sep- 
tember 1917  hat  der  Nachweis  eines  alifälligen  Minderertrages  pro  Are  des  von 
den  Getreideerzeugern  herauszugebenden  Getreides  der  Ernte  1917  für  jede 
politische  Gemeinde  in  jedem  Falle  durch  die  Vermittlung  der  Gemeindebehörde 
erbracht  zu  werden.  Letztere  hat  die  Verantwortung  für  eine  richtige  Durch- 
führung der  Kontrolle.  Sie  bestellt  zu  diesem  Zwecke  eine  dreigliederige  Kom- 
mission („Aufsichtskommission"),  deren  Mitglieder  in  der  betreffenden  Gemeinde 
wohnen  und  genügend  qualifiziert  sein  müssen.  Jeder  Getreideerzeuger,  der  einen 
allfälligen  Minderertrag  nachweisen  will,  hat  der  Gemeindebehörde  seines  Wohn- 
nitzes  das  genaue  Datum  des  Dreschbeginnes  sowie  der  Dreschdauer  mitzuteilen. 
Das  Dreschen  selbst  wird  von  der  Autsichtskommission  überwacht;  letztere  ist 
berechtigt,  jegliche  Vorkehrungen  zu  treffen,  welche  diese  Kontrolltätigkeit  als 
notwendig  erscheinen  läßt.  Sofort  nach  Beendigung  des  Dreschens  schreitet  die 
Auf  Sichtskommission  zur  Feststellung  des  Dreschergebnisses.  Sofern  das  Dreschen 
längere  Zeit  in  Anspruch  nimmt,  kann  sie  den  Getreideertrag  in  mehreren  Malen 
feststellen.  Das  gereinigte  Getreide  muß  gewogen  werden.  Beim  Brotgetreide 
darf  nur  der  Ausputz,  der  nicht  zur  Brotmehlbeieitung  geeignet  ist,  nicht  mitge- 
wogen werden.  Bei  der  Wägung  müssen  mindestens  ein  Mitglied  der  Aufsichts- 
kommission sowie  auch  der  Erzeuger  Oiler  ein  von  ihm  bezeichneter  Stellvertreter 
anwesend  sein.  Nach  Feststellung  des  Druschergebnisses  teilt  die  Aufsichtskom- 
mission den  Befund  der  Gemeindebehörde  schriftlich  mit.  Letztere  leitet  den 
Bericht,  der  eingehend  die  besonderen  Verhältnisse,  auf  die  der  Minderertrag  zu- 
rückzuführen ist  (ungünstige  Boden-  oder  klimatische  Verhältnisse,  tierische  oder 
pflanzliche  Schädlinge,  technische  Fehler  beim  Anbau,  Hagelschlag  usw.),  zn 
schildern  hat,  zur  Begutachtung  und  eventuell  Berücksichtigung  an  die  Inland- 
getreidestelle weiter.  Die  Entscheidung  der  Inlandgetreidestelle,  in  wichtigen 
F'ällen  diejenige  des  Militärdepartements,  ist  endgültig.  Diese  Verfügung,  welche 
am  1.  Oktober  1917  in  Kraft  getreten  ist,  wird  durch  die  Kantone  den  Gemeiden 
zugestellt.  Es  wird  ausdrücklich  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  Mitteilung 
eines  Minderertrages  auf  den  Erhebungsbogen  vorläufig  keine  Gültigkeit  hat.  Der 
Min  «ierertrajisn  ach  weis  hat  in  jedem  Falle  zur  Erlangung  der  Gültigkeit  nach  den 
oben  angegebenen  Vorschriften  zu  erfolgen. 

In  der  Schweiz  werden  diejenigen  Landwirte,  welche  bisher  Hafer  und 
Gerste  zur  menschlichen  Ernährung  verwendet  haben  und  es  auch 
künftig  tun  wollen,  ersucht,  dies  bis  zum  20.  Oktober  1917  der  Brotkartenstelle 
ihres  Kantons  mitzuteilen.  Die  Anmeldung  soll  enthalten:  1)  den  Namen  des 
Erzeugers;  2)  die  Anbaufläche  und  den  Gesamtertrag  der  in  Betracht  kommenden 
Getreideart;  3)  die  Zahl  der  Personen  (Kopfzahl  der  Familie),  welche  für  die  Er- 
nährung in  Betracht  fallen :  4)  Art  der  Verwendung  des  Getreid.  s  (Brotbereitung, 
Bereitung  von  Mues  usw);  5)  die  Mitteilung,  daß  Hafer  und  Gerste  bis  heute  be- 
reits auf  diese  Weise  zur  menschlichen  Ernährung  verwendet  worden  sind.  An- 
baufläche, Gesamtertrag  und  Art  der  Verwendung  des  Getreides  sind  für  beide 
Getreidearten  getrennt  anzugeben.  Die  Anmeldungen  der  Getreideerzeuger  werden 
von  der  kantonalen  Brot  karten  st  eile  sofort  an  die  Inlandgetreidestelle  in  Bern 
weitcrgeleitet,  welche  entscheiden  wird,  inwieweit  dem  Wunsche  der  Erzeuger  ent- 
sprochen werden  kann.  Die  Entscheide  werden  den  Brotkarten  stellen  zuhanden 
der  Erzeuger  mitgeteilt  werden. 

Am  10.  Oktober  1917  wird  in  allen  Gemeinden  des  Kantons  Bern  (Schweiz) 
eine  Bestandsaufnahme  der  Mehlvorräte  durchgeführt.  Den  Mühlen, 
Mehlhandlungen,  Bäckereien  usw.  wird  von  den  Gemeindebehörden  ein  vom  Lebena- 
mittelamt  übermitteltes  Formular  „Erklärung«  am  9.  Oktober  zugestellc.  Eis  ist 
von  den  Inhabern  der  Betriebe  für  den  10.  Oktober  auszufüllen  und  wird  durch 
die  Organe  der  Gemeinden  am  11.  Oktober  abgeholt.  Alle  übrigen  Person^en,  die 
sich  im  Besitz  von  Mehl  Vorräten  befinden,  haben  diese  am  10.  Oktober  1917  durch 
eingeschriebenen  Brief  oder  durch  persönlich  abgegebene,  eigenhändig  unter- 
schriebene Mitteilung  der  Ortspolizeibehörde  anzugeben.  Anzeigepflichtig  sind 
alle  Personen,   deren  Vorrat  an  Mehl  10  kg  auf  den  Kopf  der  Haushaltung  od« 


—    675    — 

insgesamt  50  kg  übersteigt.  Die  vorhandenen  Mengen  sind  in  Kilogramm  anzu- 
geben. 

„Svenska  Dagblad"  vom  22.  September  berichtet  aus  Schweden:  Es  sind 
wichtige  Anordnungen  getroffen  worden,  um  die  infolge  Futtermangels  notwendige 
erhebliche  Verminderung  des  ßindviehbestandes  zu  regeln.  Die  Land- 
wirtschaftskamraern  haben  eich  zum  großen  Teil  für  sofortige  Schlachtung  aus- 
gesprochen ;  nur  in  einigen  Gegenden  mit  vorteilhaften  Futterverhältnissen  glaubt 
man  noch  etwas  warten  zu  können.  Für  5000  Tiere  aus  dem  östlichen  und  süd- 
östlichen Schweden  ist  die  Ausfuhrerlaubnis  erteilt  worden,  ebenso  für  eine  weitere 
Anzahl,  die  aus  anderen  Bezirken  entnommen  werden  soll.  Die  Zahlungsfrage 
ist  so  geordnet  worden,  daß  die  Schlächtereien  die  wirtschaftliche  Abrechnung  zu 
besorgen  haben.  Die  Eigentümer  erhalten  also  sofort  Zahlung  für  Fleisch,  Häute 
und  Abfälle.  Betreffs  der  Ausfuhrfrage  hat  der  Volkshaunhaltsausschuß  mit  einem 
finnischen  Aulkäufer  sich  in  Verbindung  gesetzt  und  die  nötigen  Abmachungen 
wegen  Lieferung  gepökelten  Rindfleisches  getroffen. 

Wie  „Aftenposten"  (Christiania)  vom  22.  September  meldet,  wurde  die  neue 
Getreideordnung,  durch  die  der  Verkauf  von  norwegischem  Brotge- 
treide an  andere  Käufer  als  an  den  Staat  verboten  wird,  im  Staatsrat  ang&- 
nommen.  Gleichzeitig  wurde  der  persönliche  Verbrauch  der  Bauern  auf  ein  be- 
stimmtes Maß  beschränkt.  Die  Verfütterung  von  ungedroschenem  Getreide  und 
ungedroschenen  Erbsen  wurde  verboten.  Für  den  Verkauf  von  Hafer  an  andere 
Käufer  als  an  den  Staat  wurde  ein  Höchstpreis  von  43  Oere  für  1  kg  =  0,48  M. 
festgesetzt.  Der  Staat  bezahlt  vom  1.  Oktober  1917  ab  für  1  kg  Weizen  und 
Roggen  60  Oere  =  0,68  M.,  Gerste  50  Oere  =  0,56  M.,  Hafer  45  Oere  =  0,51  M. 

Dem  „Economist"  vom  15.  September  zufolge  haben  die  Ernteberichterstatter 
des  Landwirtschaftsamts  über  den  Saaten-  und  Erntestand  in  England 
am  1.  September  folgendes  gemeldet:  Die  Getreideernte  hat  im  ganzen  Lande 
im  August  begonnen;  die  Hauptmasse  ist  wahrscheinlich  geschnitten,  aber  in  den 
meisien  Gegenden  noch  verhältnismäßig  wenig  eingefahren.  Aus  vielen  Gre- 
genden wird  das  Keimen  des  Getreides  gemeldet.  Der  starke  Wind  hat  viel 
Körner,  namentlich  bei  Hafer  und  Gerste,  herausgeschlagen,  so  daß  die  Ertrags- 
aussichten nicht  so  gut  wie  vor  einem  Monat  sind;  auch  die  Güte  hat  all- 
gemein gelitten.  Keine  der  Getreidearten  erreicht  den  Durchschnitt;  mit  Gerste 
steht  es  im  allgemeinen  noch  am  besten,  mit  Hafer  am  schlechtesten.  In  den 
östlichen  Grafschaften  sind  die  Aussichten  am  schlimmsten.  Die  Bohnenernte 
ist  sehr  schwach,  die  Erbsenernte  besser,  aber  beträchtlich  unter  dem  Durchschnitt. 
Kartoffeln  sind  überall  über  den  Durchschnitt,  besonders  in  den  östlichen  Graf- 
schaften, wenn  auch  nicht  so  gut,  wie  sie  vor  einem  Monat  versprachen.  Sie  haben 
etwas  durch  die  Nässe  gelitten;  die  Kartoffelkrankheit  scheint  im  Südwesten  vor- 
zuherrschen.  ßüben  geben  im  Westen  und  Süden  Durchnittserträge  oder  mehr, 
aber  im  ganzen  Osten  von  Essex  bis  Nordhumberland  weit  unter  Normal,  so  daß 
die  Gesamtaussichten  den  Durchschnitt  nicht  erreichen.  Mangoldwurzeln  ver- 
sprechen im  allgemeinen  gute  Ernte.  Die  Stürme  haben  im  ganzen  Lande  viel 
Obst  heruntergeschlagen,  dennoch  ist  die  Menge  der  Aepfel,  Birnen  und  Pflaumen 
noch  groß  Hopfen  hat  unter  Wind  und  Sonnenmangel  gelitten,  verspricht  aber 
eine  Durchschnittsernte.  Auf  Weiden  ist  das  Gras  den  Monat  über  gut  gewachsen, 
doch  ist  es  im  allgemeinen  von  mäßiger  Beschaffenheit.  Deshalb  hat  sich  die 
Viehzucht  in  diesem  Monat  nur  mäßig  entwickelt.  Arbeitskräfte  sind  noch  knapp, 
doch  war  der  Mangel  im  August  nicht  so  fühlbar  wie  in  den  letzten  Monaten 
vorher,  da  Soldaten,  Frauen  und  Schuljungen  halfen.  Die  Säuberung  der  Rüben - 
felder  ist  aber  sehr  vernachlässigt,  und  bei  der  Erntearbeit  wird,  sowie  schönas 
Wetter  eintritt,  der  Mangel  sehr  ernstlich  fühlbar  werden,  besonders  der  Mangel 
erfahrener  Mäher. 

Eine  englische  Zeitung  schreibt  über  den  Buttermarkt  in  Manchester: 
Die  Aufsicht  über  den  Butterhandel  hat  bewirkt,  daß  wir  überhaupt  keine  Butter 
bekommen  können.  Die  irischen  Produzenten  sehen  natürlich  nicht  ein,  warum 
flie  ihre  beste  Butter  zu  206  sh  verkaufen  sollen,  während  die  Dänen  300  sh  er- 
halten. 

Lyoner  Blätter  melden  aus  Paris:  Die  Kammer  erörterte  verschiedene  In- 
terpellationen über  die  Verproviantierung  Frankreichs.    Dubois  bestritt 


—    676    — 

die  Richtigkeit  der  von  dem  Verproviantierungsminister  aDgegebenen  Zahlen  über 
den  Getreidebedarf,  der  in  Wirklichkeit  viel  größer  sei.  Das  jetzjge  Brot  gebe 
Anlaß  zu  großer  VerBchleuderung ;  es  wäre  bestjtr,  die  Eation  aut  400  g  gute« 
Brot  herabzu-elzen  als  500  g  schlechtes  abzugeben.  Der  Verproviantierungsminister 
gab  zu,  daß  in  Paris  das  Brot  besonders  schlecht  sei,  er  werde  nunmehr  ein- 
heitlich die  Ausbeutung  des  Mehles  in  ganz  Frankreich  veranlassen  und  nötigen- 
falls die  Mühlen  in  Staatsbetrieb  übernehmen.  Der  Ackerbauminister  wurde  er- 
sucht, anstatt  4  MiJl.  dz  Saatgetreide  mindestens  8  Mill.  zur  Verfügung  zu  stellen. 

In  Frau  kr  eich  verlangte  der  Abgeordnete  Boret  vom  Verpflegungsminif^ter, 
daß  er  die  Lage  genau  schildere  und  sage,  wie  er  durchzuhalten  beabsichtige.  35  Mill. 
dz  seien  das  Ergebnis  der  heurigen  Ernte,  während  der  Verbrauch  90  Mill.  be- 
trage. Die  Vorratskammern  seien  leer.  Die  Käufer  belagerten  die  Ackerbauer, 
um  Korn,  Haler  und  Weizen  zu  bekommen.  Die  Ackerbauern  seien  infolge  der 
Beschlagnahme  sehr  entmutigt.  Man  müsse  ihnen  Arbeiter,  Maschinen  undSaatr- 
korn  geben,  inzwischen  aber  die  fehlenden  55  Mill.  dz  einlühren  und  weitere  Ein- 
schränkungen ins  Auge  fassen.  Koggen,  Gerste,  Mais,  Buchweizen  und  Hafer 
wiesen  ein  ungeheures  Defizit  auf,  man  habe  deswegen  eine  große  Anzahl  Pferde 
schlachten  müssen,  und  nunmehr  verlangten  die  Ackerbauer  neue  Pferde  zu 
Landarbeiten.  Zwischen  dem  Verprovianlierungs-  und  dem  Kriegsministerium 
bestehe  kein  Zusammenhang.  Die  Kegelung  der  Seetransporte  sei  ungenügend 
Es  komme  nicht  auf  die  Ausgaben  an.  Man  müsse  die  Veiproviantierung  sicher- 
stellen und  eine  Klassierung  aller  Lebensmittel  je  nach  ihrer  Notwendigkeit  durch- 
führen; denn  man  besitze  nur  7  Mill.  dz  Ersatz.  Das  jetzige  Brot  sei  schlecht 
und  ungesund.  Es  könne  nicht  beibehalten  werden.  Die  Brotkarte  werde  eine 
Verschleuderung  nur  begünstigen.  Das  einzige  Mittel  zur  Besserung  der  Lage 
sei  die  Freilassung  der  Ackerbauer  durch  die  Heeresleitung. 

Laut  „L'Information"  vom  28.  September  betrugen  die  Ergebnisse  der  Ernte 
in  Frankreich:  Weizen  39V,  Mill.  dz,  Gemenge  900000  dz,  Koggen  7  Mill.  dz, 
Gerste  7  Mill.  dz,  Hafer  45  Mill.  dz.    Die  Weizenernte  ist  noch  nicht  halb  so 

groß  wie  die  eines  normalen  Jahres,  aber  um  5  Mill.  größer  als  die  Schätzungen 
es  Ministeriums  für  Lebensmittelversorgung  vor  3  Monaten.  Abzüglich  der 
8  Mill.  dz,  die  für  die  Aussaat  erfoiderlich  sind,  bleiben  noch  32  Mill.  dz  für  die 
Ernährung.  Zur  Bekämpfung  der  Schwierigkeiten,  die  sich  aus  der  Geringfügig- 
keit der  Ernte  ergeben,  ist  die  Einführung  der  Brotkarte  geplant.  Außerdem 
sollte  man  auf  die  Einfuhr  der  notwendigen  Mengen  Getreide  oder  Mehl  bedacht 
sein;  der  bisher  zugewiesene  Schiffsraum  deckt  den  Bedarf  nur  zur  Hälfte.  Ferner 
sollte  man  weitere  Leute  zur  Feldbestellung  zur  Verfügung  stellen ;  die  bisher  für 
die  Aussaat  angewiesenen  250000  Männer  genügen  nicht,  um  Frankreich  im 
nächsten  Jahre  von  ausländischer  Hilfe  unabhängig  zu  machen. 

„Le  jQurnal"  meldet  aus  Washington  vom  26.  September:  Andr6  Tardieu 
hat  mit  Hoover  ein  Abkommen  über  die  Lieferung  von  100000  t  Zucker  nach 
Frankreich  getroffen.  Hoover  hat  die  Ausfuhrerlaubnis  erteilt  und  gleich- 
zeitig das  amerikanische  Volk  aufgefordert,  mit  Zucker  zu  sparen,  damit  dessen 
Sendung  nach  Frankreich  möglich  wäre. 

Das  italienische  Landwirtschaftsministerium  gibt  folgende  Zahlen  über 
die  diesjährige  Ernte  bekannt:  W^eizen  38  Mill.  dz,  gegenüber  48  Mill.  dz  im 
Durchschijittsjahre;  Mais  23  Mill.  dz  gegenüber  26  Mill.;  Eoggen  und  Gerste  zu- 
sammen 2  Mill.  650000  dz  gegenüber  3  Mill.  450000  dz;  Keis  3  300000  dz,  un- 
gefähr wie  1916;  Bohnen  3  600000  dz  gegenüber  4  600000  dz.  Für  Kartoffeln 
und  Erbsen  wird  die  diesjährige  Ernte  beträchtlich  unter  einer  Mittelernte  aus- 
fallen, die  16  Mill.  dz  Kartoffeln,  l'/,  Mill.  dz  Erbsen  beträgt.  Während  in 
einigen  Provinzen  Oberitaliens  die  Ernte  beiden*  Erzeugnisse  das  Mittel  übersteigt, 
war  sie  in  Mittelitalien  spärlich,  in  Süditalien  noch  geringer. 

Die  finnische  Landwirtschaftsverwaltung  veröffentlicht  laut  ,Djelo  Naroda* 
vom  19.  September  folgenden  Ernteertrag: 

„  ,     ^  Reinertrag 

Rohertrag         ^b.ßgii,^  Saatgut 

Rosrgen  15650000  12  993  75° 

Gerste  5081250  3  3^3  750 

Weizen         33 ^  250 293  75° 

insgesamt    21062500  16651250 


^  677  - 

Zieht  man  die  Mahlverluste  in  Betracht,  so  verbleiben  15  231  200  Pud.  Augen- 
blicklich erhält  in  Finnland  jede  Person  einschließlich  Graupen  200  g  täglich, 
ßelbst  bei  diesem  sparhamen  Brot  verbrauch  werden  die  Vorräte  bis  zum  neuen 
Jahre  nicht  reichen,  und  zwar  fehlen  lOMill.  Pud.  Zur  Deckung  dieses  Ausfalles 
ichloß  man  einen  Vertrag  mit  Rußland,  das  sich  zur  Lieferung  von  4  Mill.  Pud 
verpflichtete;  andererseits  versprach  auch  Amerika  mit  einer  gewissen  Menge  Ge- 
treide auszuhelfen.  Aber  auch  damit  wird  es  nicht  gelingen,  den  Fehlbetrag  zu 
decken.  Finnlands  Hoffnungen  sind  auf  die  russische  Hilfe  begründet;  gehen 
sie  nicht  in  Erfüllung,  so  ist  Finnland  vom  Hunger  bedroht. 

„O  Secolo"  (Lissabon)  vom  16.  September  teilt  mit:  Während  des  abge- 
laufenen Jahres  führte  die  südafrikanische  Union  143400  t  Mais  nach 
England  aus,  davon  10802  t  über  Lourenyo  Marques. 

„Empire  Review"  vom  September  1917  schreibt;  Die  Meiereierzeugnisse 
der  Provinz  Manitoba  erbrachten  nach  einem  Bericht  des  Ackerbauam.tes 
im  Jahre  1916  eine  Gesamteinnahme  von  4  482  288  Dollar.  Das  bedeutet  gegen 
1915  eine  Zunahme  von  16'/,  v.  H.  Diese  erklärt  sich  teils  durch  die  höheren 
Preise,  teils  durch  die  gesteigerte  Erzeugung.  Die  Eahmbuttererzeugung  ergab 
für  das  Jahr  1916  insgesamt  6  574  510  Plund,  d.  h.  13  v.  H.  mehr  als  1915.  Käse 
zeigte  eine  Erzeugungszunahme  von  über  21  v.  H.,  eine  Preissteigerung  von  20  v.  H. 

Berlin,  16,  Oktober  1917. 

Nach  einer  Verordnung  des  Amtes  für  Volksernährung  in  Oesterreich 
vom 2.  Oktober  werden  dieUebernahmepreise,  welche  von  der  Kriegsgetreide- 
verkehrsanstalt  für  den  Doppelzentner  zu  zahlen  sind,  folgendermaßen  bestimmt: 
Mais  38  K.  (=  32,30  M  ),  Hirse  40  K.  (=  34  M.),  Buchweizen  40  K.  (=  34  M.), 
ßpeiseerbsen  80  K.  (=  68  M.),  Speisebohnen  (Fisolen)  80  K.  (=  68  M.),  Linsen 
120  K.  (=  102  M.),  Pferdebohnen  60  K.  (=  51  M.).  kultivierte  Winterwicke  100  K. 
(=r  85  M.),  kultivierte  Sommerwicke  51  K.  (=  43,35  M.),  gesammelte  Unkraut- 
wicke (nicht  in  den  Mühlen  gewonnen)  35  K.  (=  29,75  M.),  Hintergetreide  35  K. 
(=  29,75  M.),  Maisspindeln  (abgerebelte  Maiskolben)  15  K.  (=  12.75  M.),  Pe- 
luschken 70  K.  (=  59,50  M.),  Lupinen  70  K.  (=  59,50  M.).  Die  Preise  gelten 
auch  hinsichtlich  jener  Mengen  der  angeführten  Frucht-  und  Futtergattungen 
aus  der  Ernte  1917,  die  vor  Inkrafttreten  der  Verordnung  bereits  abgeliefert 
wurden. 

In  Ungarn  kann  nach  einer  Entscheidung  des  Präsidenten  des  Landes- 
Volksernährungsamtes  der  Erzeuger  von  seiner  Kartoffelernte  zurückbehalten: 
1.  zu  Zwecken  seines  Hausbedarfs:  a)  für  erwachsene  Familienmitglieder,  die 
Bchwere  Arbeit  verrichten,  sowie  für  andere,  ebenfalls  schwere  Arbeit  venichtende 
Personen,  die  er  zu  versehen  hat,  für  die  ganze  Saison  120  kg  für  die  Person; 
bj  für  andere  mit  Kartoffeln  zu  versehende  Personen  für  die  ganze  Saison  ICO  kg 
für  die  Person;  2.  zu  Zwecken  seines  Wirtschaftsbedarfs:  a)  als  Saatgut  9  dz 
pro  Katastraljoch  (1  Katastraljoch  =  43,16  a),  b)  zu  Futterzwecken  dürfen 
Kartoffeln  nicht  zurückbehalten  werden,  c)  für  landwirtschaftliche  Arbeiter  auf 
höchstens  3  Monate  13  kg  monatlich,  d)  für  landwirtschaftlich  Bedienstete  die 
vertragsmäßig  ausbedungene  Menge,  die  jedoch  die  festgesetzte  Kopfmenge  im 
allgemeinen  nicht  übersteigen  darf.  Verbraucher  oder  solche  Erzeuger,  deren 
Ernte  den  Hausbedarf  nicht  deckt,  können  ausschließlich  für  den  Hausgebrauch 
folgende  Kartoffelmengen  beschaffen:  1.  für  Familienmitglieder,  die  schwere 
körperliche  Arbeit  verrichten,  sowie  für  andere,  ebenfalls  schwere  Arbeit  ver- 
richtende Personen,  die  sie  zu  versorgen  haben,  für  die  ganze  Saison  120  kg  für 
die  Person,  2.  für  andere  Personen,  die  sie  mit  Kartoffeln  zu  versorgen  haben, 
für  die  Saison  100  kg  für  die  Person. 

Nach  dem  „Hilal"  vom  19.,  20.  und  21.  September  beansprucht  die  Ver- 
mehrung der  landwirtschaftlichen  Gütererzeugung  in  der  Türkei 
eine  besonders  große  Bedeutung.  Die  Methoden  haben  sich  außerordentlich  ge- 
bessert. Es  sind  24  000  Pflüge  mit  mehreren  Pflugscharen,  1C6  Grasmähmaschinen, 
500  Mähmaschinen,  47  mechanische  Erntemaschinen,  9  Dampfpflüge  und  4  Zentri- 
fugalpumpen bestellt  und  angekommen.  Außerdem  sind  10  Zentrifugalpumpen, 
10  fahrbare  Schmieden,  10  auseinandernehmbare  Häuser  für  Arbeiter,  40  Dampf- 
pflüge, ferner  Motore  und  zahlreiche  Pflüge  bestellt  worden.  Die  Einführung 
des  Gesetzes  über  landwirtschaftliche  Dienstpflicht  hat  ausgezeichnete  Ergebnisse 


—    678    — 

gehabt.    E»  konnten  8  Mill.  Kilogramm  Saatgetreide  verteilt  und  eine  Fläche  fon 
40  Mili.  Dönüm  beHtellt  werden. 

Unter  der  Bpitzmarke  „Was  die  Brotmarke  vermag"  lesen  wir  in  der 
»Neuen  Züricher  Zeitung":  Die  Brotkarte  hat  es  an  den  Tag  gebracht,  daß  die 
gute  Stadt  Zürich  viel  reicher  an  Volk  ist.  als  die  Bureaus  errechnet  hatten. 
Man  spricht  von  einigen  tausend  Personen,  die  um  die  jüng.ste  Monatswende  aii- 

fesichts  des  drohenden  Brotman^els  plötzlich  sich  der  Anmeldepflicht  erinnert 
ätten.  In  Bern  hieß  es  gar,  die  stadtzürcherische  Bevölkerung  sei  in  diesen 
Tagen  um  20  000  Seelen  gewachsen !  Fama  mag  da  wohl  ein  bißchen  stark  über- 
treiben. Auch  in  Bern  sind  es  sehr  viele  gewcKen,  die  erst  durch  die  Brotkarten 
aus  ihren  Schlupfwinkeln  gelockt  wurden. 

In  der  Hauptversammlung  der  Neuen  Helvetischen  Gesellschaft  wurde 
von  einem  Sachverständigen  die  Mitteilung  gemacht,  daß  auf  Januar  oder  Fe- 
bruar eine  Herabsetzung  der  Brotmenge  auf  100  g  nötig  werde,  falls  nicht 
vorher  die  Einfuhr  wiedereinsetzen  könne.  Diese  —  rein  theoretische  —  Mit- 
teilung trifft  nicht  weit  neben  das  Ziel,  eben  für  den  Fall,  daß  der  Schweiz 
die  Einfuhr  aus  Amerika  verschlossen  bleibt.  Sie  wurde  aber  von  einigen  Blättern 
in  der  Form  weitergegeben,  als  ob  man  heute  schon  tatsächlich  eine  solche  Herab- 
setzung in  Aussicht  genommen  hätte.  Das  ist  nun  vollständig  unzutreffend. 
Die  Schweiz  hat  vorläufig  keinen  Grund,  den  guten  Willen  Amerikas  ihr  gegen- 
über in  Zweifel  zu  ziehen.  Jm  Gegenteil  hofft  man  sehr,  daß  die  Einfuhr  aus 
Amerika  vom  15.  November  ab  wieder  aufgenommen  werden  kann.  Damit  würde 
die  Theorie  von  den  100  g  Brot  dahinfallen.  Gegenwärtig  sind  sämtliche  Weizen- 
bestellungen allerdings  längst  realisiert,  angeblich  lagern  nur  1500  Wagenladungen 
für  schweizerische  Rechnung  in  Cette.  Eechnet  man  einen  Tagestransport  nach 
der  Schweiz  von  100  Wagenladungen,  so  wäre  die  Weizeneinfuhr  also  in  15  Tagen 
vollständig  beendigt. 

Die  eidgenössische  Anstalt  für  Schlachtvieh  Versorgung  in  der 
Schweiz  beabsichtigt,  im  Laufe  des  Herbstes  und  Vorwinters  etwa  10000  Stück 
Großvieh  abzuschlachten,  um  eine  Rücklage  für  nächstes  Frühjahr  anzulegen. 
Mit  der  Abschlachtung  derjenigen  Viehmengen,  die  besonders  für  die  vom  Armee- 
kriegskommissariat zu  schaffenden  Gefrierfleischrücklagen  bestimmt  sind,  ist  be- 
reits vor  ca.  4  Wochen  im  Schlachthof  zu  Bern  begonnen  worden.  Bis  jetzt 
konnten  etwa  1000  Stück  Großvieh  geschlachtet  werden.  Die  eidgenössische  An- 
stalt für  Schlachtviehversorgung  nimmt  ihre  im  Auftrag  des  schweizerischen 
Volks  Wirtschaftsdepartements  vorgesehenen  Schlachtungen  in  den  Anlagen  von 
Bell  in  Basel  vor.  Gleichzeitig  mit  der  Schaffung  von  Gefrierfleisch  Vorräten 
setzt  auch  die  Herstellung  von  Fleischkonserven  ein. 

In  der  Schweiz  ist  auf  dem  Waffenplatz  Kloten-Bulach  ein  zwölfpferdiger 
Motorpflug  an  der  Arbeit.  Zu  den  bisherigen  150  Jucharten  Ackerland  sollen 
nochmals  so  viel  umgeackert  werden  (1  Juchart  36  a)  Für  die  Bebauung  des 
riesigen  Geländes  sind  38  Hilfsdienstpflichtige  und  eine  große  Anzahl  Pferde  in 
Dienst  gestellt. 

Der  Regierungsrat  des  Kau  ton  s  Bern  in  der  Schweiz  hat  folgende 
Höchstpreise  für  Fleisch  von  Großvieh  und  Kälbern  festgesetzt:  1.  Fleisch 
von  Großvieh  (Ochsen,  Stiere,  Kühe,  Rinder),  a)  In  Ortschaften  mit  5000  und 
mehr  Einwohnern:  1.  Der  Höchstpreis  für  Fleisch  I.  Qualität  kann  um  10  Rp. 
d.  h.  auf  3,70  frcs.  =-  3,00  M.  erhöht  werden.  2.  Der  Höchstpreis  iür  die  ein- 
zelnen Stücke  (Kategorien),  sofern  nicht  zum  Einheitspreis  verkauft  wird,  betragt 
für  Hals,  dünne  Lempen,  Schenkel  und  Brustkern  spitz  3,50  frcs.  =-  2,85  M 
per  1  kg:  für  auserlesene  Stücke,  wie  Eckstück,  Spalenschüfeli  und  Geleedeckel 
3,80  frcs.  =--  3,10  M.,  für  alle  übrigen  Stücke  3,70  frcs.  =  3,00  M.  per  1  kg;  für 
Nierstücke  und  Filet  werden  keine  Höchstpreise  festgesetzt,  b)  In  Ortschaften 
mit  weniger  als  5000  Einwohnern:  1.  Der  Höchstpreis  für  Fleisch  I.  Qualität 
beträgt  3,60  frcs.  --  2,90  M.  per  1  kg ;  2.  der  Höchstpreis  für  die  einzelnen  Stücke 
(Kategorien),  sofern  das  Fleisch  nicht  zum  Einheitspreise  verkauft  wird,  beträgt 
für  Hals,  dünnen  Lempen,  Schenkel  und  Brustkernspitz  3,40  frcs.  =  2,75  M. 
per  1  kg,  auserlesene  Stücke,  wie  Eckstück,  Spalenschüfeli  und  Geleedeckel 
3,70  frcs.  =  3,00  M.,  für  alle  übrigen  Stücke  3,60  frcs.  =  2,90  M.  per  1  kg. 
3.  Auf  begründetes  Gesuch  hin  kann  der  Regierungsrat  Gemeinden  gestatten,  den 


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Höchstpreis  bis  zu  20  Rp.  zu  ermäßigen.  II.  Fleisch  von  Kälbern.  In  allen 
Ortschaften:  1.  Bis  zum  15.  Oktober  für  Kalbfleisch  I.  Qualität  4,10  frcs.  =^ 
3,30  M.  per  1  kg,  für  Kalbfleisch  II.  Qualität  3,50  frcs  =  2,85  M.  per  1  kg.  Der 
Höchstpreis  für  die  einzelnen  Stücke  (Kategorien),  sofern  nicht  zum  Einheitspreis 
^erkauft  wird,  beträgt  bis  15.  Oktober  für  Ragout  (geschnitten)  I.  Qualität  3,80  frcs. 
--  3,10  M.,  II.  Qualität  3,20  frcs.  --=  2,60  M.,  nach  dem  15.  Oktober  jede  Qualität 
3,10  frcs.  -r^  2,50  per  1  kg;  für  Brust  und  Hals  bis  zum  15.  Oktober  I.  Qualität 
4,00  frcs.  =  3,25  M.,  II.  Qualität  3,40  frcs.  =  2,75  M.,  nach  dem  15.  Oktober 
jede  Qualität  3,40  frcs.  =  2,75  M.  per  1  kg;  für  Spalen  und  Laffen  bis  15.  Ok- 
tober I.  Qualität  4,20  frcs.  =  3,40  M.,  II.  Qualität  3,60  frcs.  =-  2,90  M.,  nach 
dem  15.  Oktober  jede  Qualität  3,60  frcs.  =  2,90  M.  per  1  kg;  für  Stotzen,  Carr6 
ttnd  Nierbraten  bis  zum  15.  Oktober  I.  Qualität  4,40  frcs.  =  3  55  M.,  II.  Qualität 
3,80  frcs.  =  3,10  M.,  nach  dem  15.  Oktober  jede  Qualität  3,80  frcs.  =  3,10  M. 
per  1  kg.  HL  Allgeraeines.  1.  Die  festgesetzten  Preise  beziehen  sich  auf  Fleisch 
mit  der  üblichen  Knochen  zugäbe.  Diese  darf  in  keinem  Falle  25  Proz.  des  Ge- 
samtgewichts von  Fleisch  und  Knochen  überschreiten.  2.  Für  Fleisch  ohne 
Knochen  darf  auf  dem  festgesetzten  Preis  ein  Zuschlag  bis  auf  30  Proz.  gemacht 
werden.  3.  Die  Metzger  und  die  anderen  Fleischverkäufer  haben  in  ihren  Ver- 
kaufslokalen und  Fleischständen  das  zum  Verkauf  bestimmte  Fleisch  unter  An- 
gabe der  Preise  und  Qualitäten  bekanntzugeben.  4.  Der  Verkauf  von  Kalb- 
fleisch ist  nur  an  Dienstagen  und  Samstagen  gestattet.  Der  Regierungsrat  ist 
befugt,  an  Stelle  des  Dienstags  einen  anderen  Wochentag  zu  bestimmen.  Die 
Gemeindebehörden  sind  ermächtigt,  die  Abgabe  von  Kalbfleisch  an  Spitäler, 
Krankenhäuser  und  ähnliche  Einrichtungen  auch  an  anderen  Wochentagen  zu 
gestatten. 

„Svenska  Dagbladet"  vom  27.  September  berichtet:  „Aus  dem  vorläufigen 
Ergebnis  der  Anbauflächenerhebung  in  Schweden  geht  hervor,  daß  die 
mit  Herbstweizen  bebaute  Fläche  um  23,1  v.  H.  zurückgegangen  ist;  als  Ursache 
wird  das  ungünstige  Wetter  des  vorigen  Herbstes  angegeben.  Die  Herbstroggen- 
fläche ist  um  9,1  V.  H.  zurückgegangen,  meist  infolge  Wiederumpflügens  von 
Roggenfeldern,  die  unter  dem  Wetter  gelitten  hatten.  Der  Anbau  von  Frühjahrs- 
weizen und  -roggen  ist  hauptsächlich  infolge  Maßnahmen  der  Staatsregierung 
um  95,5  und  152  v.  H.  gestiegen.  Die  Anbaufläche  von  Gerste,  Hafer  und 
Mischkorn  ist  um  228  v.  H.,  19  v.  H.  und  12  v.  H.  größer  geworden.  Abge- 
sehen von  den  Maßnahmen  des  Staates  wird  als  Ursache  das  Bestreben  der  Land- 
wirte angegeben,  die  Futtermittel  zu  vermehren.  Die  Fläche  für  Erbsen  und 
Wicken  hat  um  23,7  und  178,5  v.  H.  zugenommen.  Die  Kartoffelanbaufläche 
hat  sich  nur  um  3,7  v.  H.  erhöht.  Der  Rückgang  der  Rübenanbaufläche  beträgt 
15,9  v.  H.,  die  Vergrößerung  der  Futterrüben  fläche  16,9  v.  H. ;  in  Heu  ist  der 
Anbau  um  13,4  v.  H.  zurückgegangen,  während  Weiden  und  Grünfutteranbau 
^^m  14,7  und  47,4  v.  H.  zugenommen  haben. 

Die  neuen  Höchstpreise  füs  Kartoffeln  in  Schweden  sind,  wie 
.Svenska  Dagbladet"  vom  29.  September  meldet,  von  der  Regierung  nach  dem 
Vorschlag  des  Volkshaushaltausschusses  festgesetzt.  Beim  Einkauf  direkt  vom 
Landwirt  ist  der  Höchstpreis  zurzeit  auf  8.50  Kr.  für  1  dz  (=  4,80  M.  für  den 
Zentner),  auf  9.50  Kr.  für  1  dz  (=  5,35  M.  für  den  Zentner)  ab  1.  Dezember 
und  auf  10,50  Kr.  für  1  dz  (^  5,90  M.  für  den  Zentner)  ab  1.  April  festgesetzt 
worden.  Der  Gewinn  der  Großhändler  ist  auf  2  Kr.  für  100  kg  oder  1,35  Kr.  für 
1  hl  begrenzt  worden.  Für  den  Kleinhandel  sind  zwei  Preise  festgesetzt  worden, 
und  zwar  8,  S'/a  und  9  Oere  das  Liter  beim  Verkauf  von  höchstens  5  1  und  7, 
8  und  8'/?  Oere  das  Liter  bei  größeren  Mengen. 

In  der  Generalversammlung  der  „Maribo",  Genossenschaf ts- Seh  weine - 
Schlächterei  (Dänemark),  am  8.  September  äußerte  sich  der  Vorsitzende 
L.  Smedegaard  laut  „Smörtidende"  vom  28.  September,  wie  folgt:  „Der  große 
Preissturz  im  Juli  war  der  UeberfüUung  des  englischen  Speckmarktes  zuzu- 
schreiben, da  der  Speck  der  Schlachtungen  aller  dänischen  Schlächtereien  von 
6  Wochen  eingelagert  werden  mußte.  Der  Grund  war  die  deutsche  Blockade- 
erklärung an  England  im  Februar  dieses  Jahres.  Nach  etwa  2  Monaten  durfte 
wieder  Speck  aus  Dänemark  verschifft  werden  (!).  Die  Verschiffuner  begann  mit 
kleinen  Mengen;    aber  nach  einigen  Wochen   mußten  wir  alles,  was  wir  an  alt- 


~  680 


saJzeDem  Speck  auf  Lager  hatten,  verschiffen,  eo  daß  der  engliFcbe  Markt  plötz- 
lich mit  dänibchem  Spick  überfüllt  wurde,  wodurch  der  crolie  Preis^iurz  eintrat 
Ferner  trug  dazu  der  UmBlund  bei,  daß  der  tptck  in  Bchr  gcbJecht<ni  Zustande 
auf  den   Markt   kam,   weil  die  Hitze  groß  war  und  die  englischen  Eisenbahn- 

geßcllHchaften  nicht  imstande  waren    die  großen  Mengen  Speck  schnell  genug  von 
en  Hafenstädten  abzutransportieren. 

Die  seit  dem  15,  September  gültigen  englischen  Bestimmungen  über 
Brot  und  Mehl  enthalten  folgende  Grundlinien :  Es  werden  Verbraucherhöchst- 
preise  für  Brot  und  Mehl  festgesetzt.  Mehlhändler,  wie  auch  Getreidemühlen 
werden  unter  Aufsicht  gestellt.  Inhaber  von  Handelsvoiräten  an  Mthl  und  Ge- 
treide zu  höheren  Einstandspreisen,  als  den  jetzt  in  Kraft  tretenden,  werden  ent- 
sprechend entschädigt.  Der  Vtrbraucheihöchstpreis  lür  Brot  ist  9  d  für  den 
Laib  von  4  engl.  Pfund  (=  0,21  M.  für  das  deutsche  Pfund)  und  für  Mehl  50  ßh 
für  den  Sack  von  280  Ibs  (=  127  kg)  ausschließlich  Sack  (=  403,55  M.  für  die 
Tonne).  Das  in  England  hergestellte  Mehl  wird  an  die  Mehlhändler  zu  44/3  für 
280  Ibs  ab  Mühle  abgegeben,  wodurch  dem  Zwischenhandel  —  nach  Berückßich- 
tigung  der  Fracht  —  ein  Nutzen  zugestanden  wird.  Eingeführtes  Mehl  kann  Je 
nach  Güte  zu  höheren  Preisen  abgegeben  werden. 

Die  seit  dem  17.  September  in  England  gültigen  ermäßigten  Verkaufa- 
preise  der  Royal- Commission  sind  die  folgenden  (sie  verstehen  sich  cif  London 
oder  Liverpool  und  zwar  für  amerikanische  und  canadische  Herkunft  mit  aus- 
geliefertem Gewicht;  zu  diesen  Preisen  wird  verkauft,  if  and  when  they  are 
offering) : 


Weizen: 

für  480  Ibs 

M.  für  die  Tonne 

Nr.  1  Northern  Manitoba 

75/6 

355.80 

>>     ^          >»               j> 

74/- 

348,75 

»;       3              „                     „ 

72/- 

339,30 

„     4  Manitoba  commercial 

69/6 

327,55 

„     4          „         spedal 

68/— 

320,45 

„     5          „          commercial 

67/- 

315.75 

„     5          „         special 

65/6 

308,70 

„6          ,,          commercial 

63/- 

296,90 

„6          .,          special 

62/- 

292,20 

„     1  Northern  Duluth 

73/6 

346,40 

„     2 

121- 

339,30 

„1          „         Chicago 

73/- 

344,— 

„     1          „         Seaboard 

72/6 

341,65 

„     2  Hardwinter  atlantic 

74/- 

348,75 

„     2            „           Montana 

75/- 

353,45 

„     2            „           Gulf 

53/6 

346,40 

„     2  Eed  Western   Winter 

72/6 

34 '.65 

„     2     „     Winter  open 

72/- 

339,30 

„     2      ,,     Western  Winter  steamer  Grade 

71/6 

336,95 

„     2     „     Winter  sfeamer  Grade 

71/— 

334,60 

Half  Walla  half  Blue  stem 

75/- 

353,45 

Eed  and  withe  Walla 

74/6 

351,10 

Blne  stem 

75/6 

355,80 

Milling  blue  stem 

7t/6 

360,50 

^ustralian 

77/6 

365.25 

Choice  white  Bombay 

79/- 

372,30 

„          „       Karachi 

78/- 

367,60 

Nr.  2  Caleutta 

78/- 

367,60 

Soft  red  Delhi 

77/6 

365.25 

„       „     Karachi 

77/6 

365.25 

Baril  or  Baruso,  617,  Ibs  at  discharge 

74/9 

352.25 

>»      >j         »         62        „     „          „ 

75/- 

353.45 

»»        J>             >y            63           „       ,,              „ 

75/6 

355,80 

Rosario                   62 

75/6 

355.80 

-    68i 


Mais: 

für  480  Ibs 

M.  für  die  Tonn 

White  South  African 

74/- 

348,75 

other  white 

71/- 

354.60 

other 

68/- 

320,45 

Gerste: 

für  448  Ibs 

Home  (kiln-dried) 

69/- 

348,05 

Imported 

65/6 
für  400  Ibs 

330,»5 

Nr.  4  Canada  westem 

48/3 

272,85 

Reis: 

per  ton 

Specials 

£  10/-/- 

383,45 

Two  Stars 

„  20/-/- 
für  480  Ibs 

403.56 

Boggen 

70/- 
für  280  Ibs 

Maismehl 

65/- 

524,55 

Hafermehl 

90/- 
für  112  Ibs 

726,30 

Haferflocken 

36/- 
für  504  Ibs 

726,30 

Linsen  (large) 

175/- 

785.45 

„       (small) 

150/- 

(>n,^i 

Bohnen: 

für  2240  Ibs 

Banis^oon 

£42/10— 

857.50 

Diiifucu 

.»  58/-/- 

1170,16 

Coloured 

M  3«/'5/- 

781,90 

Mailagaskar  batter 

1.  58/-/- 

1170,15 

Chinese  horse 

»    2'/-/- 

423,70 

Hafer: 

für  320  Ibs 

Nr.  2  American  White  Clipped  36  Ibs 

59/- 

4'7,io 

1»     2          „              „ 

11        39    „ 

50/6 

420,60 

Erbsen: 

für  2240  Ibs 

Japanese 

£6ö/-/- 
für  504  Ibs 

1331,66 

Withe  Indian 

£  130/-/- 
für  2240  Ibs 

1166,95 

Chinese  white 

£  26/10/— 

534.«o 

Morocco  chick  (Sieve  Nr. 

29) 

58/-/- 

1170,15 

tt            ft          }f         II 

28 

54/ro/- 

I09q,«5 

»>            1»          1»         II 

27 

50/5'- 

1013.90 

»Lloyd's  List"  vom  27.  September  meldet:  „Die  Getreidevorräte  Eng- 
lands nehmen  in  einer  bisher  nicht  dajijevvesenen  Weise  zu.  Zu  deren  Unter- 
bringung werden  Teelagerhäuser,  deren  Inhalt  sich  stark  vermindert  hat,  ver- 
Trendct;  ferner  einige  neu  hergestellte  Anlagen  für  die  Lagerung  von  Gefrier- 
fleisch. Auch  werden  Schuppen  in  den  Surrey  Commercial  Docks,  die  gewöhnlich 
für  die  Unterbringung  von  Holz  benutzt  wurden,  für  die  Getreidelagerung  her- 
gerichtet. 

Laut  „Times"  vom  4.  Oktober  hat  der  englische  Staat  eine  Last  von 
40  Mill.  £  (=  820  Mill.  M.)  auf  sich  genommen,  um  den  ßrotpreis  herab- 
zusetzen. 

„Express  de  TOuest"  vom  3.  Oktober  schreibt:  Um  die  Ernte  zu  retten, 
hätten  in  Frankreich  die  Landarbeiten  aufs  höchste  gesteigert  werden 
müssen,  aber  wegen  Mangel  an  Arbeitskräften  ist  ihre  Durchführung  unmöglich 
gemacht  worden.  Heutzutage  weili  jeder,  daß  die  Broternte  kaum  die  Hälfte 
des  jährlichen  Bedarfs  decken  wird.  In  manchen  Gegenden  ist  sie  noch 
schlechter  ausgefallen.  Hauptsächlich  in  einigen  mirtelfran/.ösischen  Departements 
ßind  die  Erwartungen  schwer  enttäuscht  worden.  Obwohl  die  Feldarbeiten  keine 
besonderen  technischen  Vorkenntnisse  verlangen,  ist  doch  eine  gewisse  Vor- 
übung notwendig,    zu  der   nicht    jeder  imstaude    ist.     Die  Hauptursache    des 


—    682    — 

Uebels  ißt  darin  zu  suchen,  daß  die  Fabriken  die  Arbeiter  durch  hohe  Lohne 
anlocken.  In  einem  gewöhnlichen  Bauernhof  verdienen  die  Angestellten  wähtend 
der  Erntearbeiten  4—5  frcs  und  freie  Verpflegung.  Soll  man  sich  da  wundern, 
daß  sie  in  hellen  Scharen  das  Land  verlassen,  wenn  sie  in  den  Fabriken  10-15  frcs. 
verdienen  können?  Und  diesem  üebel  ist  scheinbar  nicht  abzuhelfen.  Die  ein- 
zige, oft  betoute  Möglichkeit  wäre,  die  fehlenden  Feldarbeiter  durch  deutsche 
Kriegsgefangene  zu  ersetzen.  Viele  darunter  sind  Landwirte,  sie  verstehen  die 
Arbeit  und  können  außerordentliche  Dienste  leisten.  Leider  verschließen  sich  die 
Behörden  unbegreiflicherweise  dieser  Tatsache.  Der  Straßenbau,  die  Eisenbahnen 
u.  a  haben  Kriegsgefangene  zugewiesen  bekommen,  der  Ackerbau  allein  soll  ohne 
sie  auskommen.  Und  doch  stellt  der  Ackerbau  nicht  nur  die  Zukunft  des  Landes 
dar,  sondern  seine  hauptsächlichste,  um  nicht  zu  sagen  einzige  Lebensmöglichkeit. 
Ein  Kornfeld  ist  gegenwärtig  so  viel  wert  wie  eine  Munitionsfabrik. 

„Vom  15.  Oktober  ab",  so  schreibt  der  Abgeordnete  Maveras  im  „Journal 
du  Peuple"  vom  26.  September,  „werden  wir  in  Frankreich  die  Brotkarte 
haben.  An  wem  ist  es  jetzt,  darüber  zu  lachen?  Nicht  mehr  au  uns;  wir  haben 
das  Lachen  verlernt!  Und  doch  wie  sehr  haben  wir  gelacht!  Mit  den  Scherzen, 
die  die  Einführung  der  Brotkarte  „bei  den  Andern"  hervorgerufen  hat,  könnte 
man  Bände  füllen.  Wir  sollen  1  Pfund  Brot  täglich  für  jede  erwachsene  Person 
erhalten.  Aber  was  für  eine  Sorte  Brot  wird  man  uns  geben?!  Darüber  hat 
man  uns  noch  nichts  gesagt,  und  doch  haben  wir  allen  Grund,  diese  Frage  mit 
größtem  Nachdruck  zu  steilen.  Jedermann  weiß,  daß  man  nur  Paris  zu  verlassen 
braucht,  um  eßbares,  bisweilen  sogar  vortreffliches  Brot  zu  erhalten.  Auch  dieses 
Brot  wird  freilich  aus  zu  85  v.  H.  ausgemahlenem  Korn  gebacken,  ist  aber  sorgsam 
behandelt,  gut  gebacken  und  leicht  verdaulich.  Das  Pariser  Brot  dagegen  ist  die 
ärgste  Schweinerei,  die  es  gibt." 

Der  französische  Minister  für  Lebensmittelversorgung,  Long,  setzte  in 
seiner  Beantwortung  der  verschiedenen  Interpellationen  über  die  Verpflegungs- 
fragen auseinander,  was  er  getan  habe,  um  den  für  die  Versorgung  des  Lande« 
notwendigen  Schiffsraum  zu  vergrößern.  Er  sagte:  Auf  Grund  der  gegen- 
wärtig Frankreich  zur  Verfügung  stehenden  Mengen  würde  die  Brotration  jedes 
Franzosen  150- 200  g  betragen.  Ich  habe  Maßnahmen  ergriffen,  um  sie  auf  250  g 
zu  bringen,  werde  mich  aber  mit  einer  solchen  Hationierung  nicht  begnügen, 
sondern  alles  tun,  um  die  Lage  zu  verbessern,  solange  die  Bundesgenossen  nicht 
dem  gleichen  Verpflegungs-  und  Einschränkungsmaßstab  unterworfen  sind.  Es 
finden  Unterhandlungen  statt,  um  alle  Beförderungs-  und  Verpflegungsmittel  zu 
vereinigen  und  vor  allen  anderen  Bedürfnissen  England,  Frankreich  und  Italien 
das  tägliche  Brot  zu  sichern.  An  den  86  Mill.  Zentnern  Verbrauch  fehlen  noch 
20  Millionen. 

Der  „Neuen  Züricher  Zeitung"  vom  4.  Oktober  wird  aus  Rom  unter  dem 
29.  September  folgendes  über  die  Schwierigkeiten  in  der  Brotversorgung  ge- 
schrieben: Die  Getreideernte  beginnt  in  Sizilien  bereits  Anfang  Juni  und  im 
Verlauf  des  Juli  ist  sie  in  ganz  Italien  beendigt.  Der  Lebensmitteldiktator  Ca» 
nepa  entschließt  sich,  im  September  die  Rationierung  des  Brotes  durch  Einführung 
des  Kartensystems  obligatorisch  zu  machen.  Als  Datum  für  das  Inkrafttreten 
der  neuen  Bestimmung  wird  der  11.  Oktober  festgesetzt,  dabei  den  einzelnen  Ge- 
meinden möglichst  freie  Hand  gelassen.  Dementsprechend  hat  der  römische 
Stadtrat  beschlossen,  am  1.  November  die  Karte  einzuführen.  Auch  ein  nrar 
oberflächlicher  Kenner  der  hiesigen  Verhältnisse  weiß  genau,  daß  dieser  Termin 
mindestens  zweimal  verlängert  werden  wird  und  daß  wir  mit  größter  Wahrschein- 
lichkeit am  Sylvesterabend  so  viel  Brot  essen  werden,  als  in  den  Bäckereien  zu 
kaufen  sein  wird.  Es  wären  sofortige  energische  Sparmaßregeln  unbedingt  not- 
wendig, wollte  man  für  das  Frühjahr  einer  ernsten  Lage  vorbeugen.  Hat  doch 
nach  offiziellen  optimistischen  Daten  die  diesjährige  Getreideernte  nur  38  Mill.  dz 
(Vorjahr  48  Mill)  ergeben,  während  der  Verbrauch  im  Vorjahre  62,1  Mill.  betrug, 
wozu  ferner  noch  6  Mill.  dz  für  die  Aussaat  zu  berechnen  sind.  Es  ergibt  sicn 
also  eine  Fehlmenge  von  30  Mill.  dz.  Im  Rom  ist  dieses  Frühjahr  in  Rücksicht 
auf  die  bevorstehende  Rationierung  eine  neue  Volkszählung  vorgenommen  worden. 
Aber  die  Arbeit  der  Gemeindebehörden  wird  außerdem  noch  dadurch  schwieriger, 
daß  für  die  wohlhabenderen  und  für  die  ärmeren  Klassen  verschiedene  Rationen, 


-    683    - 


die  eine  zu  200-250,  die  andere  zu  400  g  angesetzt  werden  sollen.  Die  Ab- 
grenzung dieser  zwei  Kategorien,  so  sehr  sie  den  Grundsätzen  der  Gerechtigkeit 
entspricht  (da  die  Rolle  des  Brotes  auf  dem  Tische  des  lieichen  eine  weit  unter- 
geordnetere ist  als  auf  dem  des  Armen),  ist  praktisch  äußerst  schwierig  und  kann 
Anlaß  zu  allen  möglichen  Mißbräuchen  bieten.  Um  ja  nicht  das  deutsche  Bei- 
spiel der  individuellen  Brotkarte  nachahmen  zu  müssen,  hat  man  geglaubt,  in 
Rom  mit  dem  Vorschlag  des  „Familienbons"  eine  ganz  originelle  Lösung  zu  finden. 
Der  „Economist"  vom  22.  September  gibt  die  diesjährige  griechische 
Korinthen  ernte  auf  130000—135  000  t  an;  sie  betrug  (in  t): 

1916  88000  1914  145000 

1915  125  800  1913  161 000 


Die  Ausfuhr  betrug  (in  t): 

nach    dem    Vereinigten    Königreich    und 

Neuseeland 
nach  den  Vereinigten  Staaten  und  Kanada 
sonst 


1914/15       1915/16       1916/17 


71  300 
13  600 
20  100 


70000 

12  700 
17  300 


45700 
4  600 
2  700 


insgesamt     105000       100000         53000 

Die  nachstehende  Tabelle,  die  wir  dem  „Kiewljanin"  vom  21.  September 
entnehmen,  veranschaulicht  die  russische  Papiergeldausgabe  (in  Millionen 
Rubel)  und  das  Schwanken  des  Rubelkurses  auf  dem  Londoner  Markt  (in  v.  H. 
dea  Nominalwertes) : 

Gesamtaus£;abe 

von  Papierrubeln 

I  ^33,3 

3  030,3 

5622,1 

9097,4 

9  949,6 

"457,1 

14  125.* 

14  960,4 


Gleichzeitig  mit  dem  Kursfall  steigen  die  Preise  in  Rußland  in  schwindel- 
erregender Weise,  was  zum  großen  Teil  durch  die  ständige  Vermehrung  der 
Banknotenausgabe  bedingt  wird.  Wie  stark  der  Wert  des  Rubels  in  Rußland 
selbst  gefallen  ist,  läßt  sich  aus  Mangel  an  statistischen  Angaben  über  die  Waren- 
preise im  angezogenen  Zeitraum  nicht  sagen.  Vieles  spricht  aber  dafür,  daß  die 
Rubelentwertung  im  Inland  stärker  fortgeschritten  ist  als  in  London,  da  die 
Preise  um  mehr  als  das  Vierfache  gestiegen  sind.  Um  ein  konkretes  Bild  der 
Entwicklung  eines  solchen  Papiersystems  zu  geben,  bringt  die  Zeitung  eine  Tabelle 
der  Assignaten  der  großen  französischen  Revolution: 

Ausgabe  von  Assignaten     Kurs  des  franc 


16. 

7. 

1914 

1. 

1915 

1. 

1916 

1. 

1917 

3. 

„ 

5. 

jj 

8. 

>• 

23! 

8. 

„ 

29. 

8. 

„ 

31. 

8. 

>» 

Diatsausgabe 

(      Rubelkurs 

254.0 

99,8 

«•5,9 

82,» 

289,6 

58,6 

425.« 

57,8 

753,7 

54,4 

889,7 

54,0 

"75,0 

41,7 

— 

35,4 

— 

26,1 

— 

29,1 

in  Mill.  fres. 

V.  H. 

Septbr.  1789 

— 

98 

1.     1.  1790 

— 

96 

1.     1.  1791 

— 

94 

1.     6.  1791 

912,0 

85 

22.     9.  1792 

I  972,0' 

71 

1.     1.  1793 

2825,9 

5« 

1.     5.  1794 

5  89«,5 

34 

1.     1.  1795 

7228,8 

18 

1.     4.  1795 

8326,9 

10,7 

1.  10.  17!>5 

17879,3 

1,4 

1.     1.  1796 

27  5^5,« 

0,5 

7.     9.  1796 

45  878,8 

— 

—    684    — 

Der  Preis  für  1  Pfd.  Brot  stieg  auf  50  frcs.,  für  1  Pfd.  Fleisch  auf  130  frcs.  ein 
Paar  Schuhe  auf  1500  frcs.,  der  Tagelohn  auf  120—350  frcs. 

Die  ameriicanische  „rood-controll-Bill«  enthält  die  folgenden  Bestim- 
mungen: „Um  jegliche  Spekulation  in  Weizen  und  Mehl  auszuschalten,  müssen 
alle  Elevatorenbesitzer  und  alle  Mühlen  mit  einer  Leistungsfähigkeit  von  mehr 
als  100  Barrels  täglich  eine  Handelserlaubnis  erlangen,  welche  von  der  Re- 
gierung unter  folgenden  Bedingungen  erteilt  wird:  Nur  die  üblir'hen  Sätze  für 
Lagerung  und  Mahllohn  dürfen  in  Anrechnung  gebracht  werden;  Weizen  darf 
niemals  länger  als  30  Tage  ohne  Bewilligung  des  Nahrungsmittelkontrolleurs  ge- 
lagert werden.  Auskünfte  über  Wareneingänge  und  -ausgänge  müssen  der  Re- 
gierung regelmäßig  eingereicht  werden.  Diee»e  Bestimmungen  treten  am  1.  Sep- 
tember in  Kraft." 

Der  „Labour  Leader"  vom  6.  September  berichtet:  „In  Kanada  ist  der 
Mangel  an  Arbeitskräften  so  groÖ,  daÜ  die  Getreideernte  in  den  westlichen 
Provinzen  durch  das  Fehlen  von  Erntearbeitern  gefährdet  ist.  Auf  einer  Zu- 
sammenkunft von  Vertretern  der  Bundesregierung  und  der  Einzel.staaten,  sowie 
der  drei  großen  Eisenbahngesellschatten  in  Winnipeg  wurde  festgestellt,  daft 
31000  Arbeiter  aus  Ost-Kanada  nötig  sein  würden,  um  die  glänzende  Ernte  dea 
Westens  zu  retten." 

„Morning  Post"  vom  23.  September  meldet:  „Eine  vorläufige  Einschätzung 
der  kanadischen  Weizenernte  ergibt  auf  Grund  amtlicher  Ermittelungen 
insgesamt  etwas  über  249  MdL  Busheis.  Dies  ist,  verglichen  mit  dem  letzten 
Jahr,  ein  Zuwachs  von  etwas  mehr  als  8  v.  H.  Das  Ergebnis  beträgt  16,63  Busheis 
pro  Acre,  verglichen  mit  17  Busheis  im  letzten  Jahr  und  29  Bu-.hels  im  Jahre 
1915.  Von  der  Hafer-,  Reis-  und  Gerstenernte  wird  eine  wesentliche  Steigerung 
erwartet. 

Berlin,  23.  Oktober  1917.^ 

Nach  einer  Mitteilung,  die  Minister  G.  M.  Höfer  in  der  Kommission  für 
Kriegswirtschaft  in  Oesterreich  machte,  wurde  bei  Aufstellung  des  Kartoffel- 
versorgungsplanes die  diesjährige  Kartoffelernte  mit  70—80  Mill.  dz  an- 
genommen. Diese  Annahme  ist  nicht  allzu  optimistisch,  da  die  letzte  bekannt- 
lich sehr  schlechte  Kartoffelernte  50  Mill.  dz  ergab  und  eine  normale  Ernte  ca. 
130  Mill.  dz  beträgt.  Von  dieser  Ernte  sind  26  Mill.  Menschen  (9  Mill.  Selbst- 
versorger und  17  Mill.  NichtSelbstversorger)  zu  versorgen.  Für  die  Niehtselbst- 
versorger  rechnete  man  17  Mill.  dz,  für  Heer,  Industrie  und  andere  kleinere  Be- 
dürfnisse weitere  3  Mill.  dz,  zusammen  somit  20  Mill.  dz  oder  25-30  Proz.  der 
Ernte.  Vom  Reste  ist  das  Saatgut  sicherzustellen,  15  —20  Proz.  der  Ernte  (ca. 
12  -14  Mill.  dz)  sind  als  Sehwuud  abzurechnen,  ebenso  die  angebrochenen  Kar- 
toffeln, welche  verfüttert  werden,  und  ein  Teil  der  Ernte  (kleine  Selbstversorger, 
Schrebergärten  usw.)  ist  nicht  erfaßbar.  Dies  alles  und  die  Sonderverhältnisse 
Galiziens  berücksichtigt,  kommt  G.  M.  Höfer  zu  dem  Schlüsse,  daß  dem  Land- 
wirte ca.  1 — 1,5  dz  pro  Kopf  und  Jahr  (ca.  9,5—13,5  Mill.  dz)  freibleiben.  Das 
Kontingent  von  20  Mill.  dz  wurde  auf  die  Ueberschußgebiete  Böhmen,  Mähren, 
Schlesien  und  Galizien  aufgeteilt.  In  diesem  Kontingent  sind  die  durch  Verträge 
sichergestellten  Kartoffeln  enthalten.  Das  Kontingent  wurde  so  aufgeteilt,  daß 
nach  Abzu'^  des  eigenen  Bedarfes  frei  werdende  üeberschüsse  zur  Versorgung  der 
passiven  Gebiete  abgegeben  werden.  Außerordentlich  schwierig  sei  die  Transport- 
frage. Ina  Einvernehmen  mit  den  militärischen  Behörden  wurde  ein  genauer 
Transportplan  aufgestellt,  der  dahin  zielt,  daß  zwei  Drittel  der  Ernte  vor  dem 
Winter  in  die  Verbrauchsorte  gebracht,  ein  Drittel  gesichert  aufbewahrt  werde. 
Wie  die  einzelnen  Verbraiichsorte  die  Kartoffeln  aufbewahren,  ob  sie  sie  in  größeren 
Partien  an  die  Verbraucher  abg<»ben  oder  einmieten,  bleibe  den  betreffenden  Ver- 
vs^altungskörpern  überlassen.  Was  die  Ration  betrifft,  ergebe  sich,  wenn  man 
100  kg  pro  Kopf  und  Jahr  berechnet,  bei  einem  Kartoffeljahr  von  9  Monaten 
eine  Quote  von  etwas  mehr  als  2  kg  pro  Kopf  und  Woche.  Hierbei  werde  man 
die  S  !h\verarbeiter  höher  rationieren  müssen.  E-»  wäre  ai>er  verfehlt,  von  Haus 
aus  eine  bestimmte  Ration  für  jede  W.>che  vorzuschreiben.  Die  ßation  werde 
sich  von  selbst  nach  den  jeweils  verfügbaren  Mengen  regeln. 


-    685    - 

Die  österreichische  Zentralpreisprüfungskommission  hat  mit  ßeschlutt 
?om  3.  Oktober  für  Sauerkraut  nachstehende  Richtpreise  festgesetzt:  Er- 
zeugerpreis (Uebernahmepreis  der  Gemüse-  und  Obstveraorgungsstelle)  einschließ- 
lich Zustellung  in  den  Betriebsort  bzw.  zur  Bahnstation,  ohne  Geschirr:  für 
Sauerkraut  inländischer  Herkunft  122,60  K.  =  104,20  M.  und  für  Sauerkraut  aus- 
ländischer Herkunft  148,25  K.=  126.-  M.  pro  1  dz. 

Das  ungarische  Amtsblatt  veröffentlichte  am  4.  Oktober  eine  Verordnung 
des  Finanzministers,  wonach  die  unter  die  Verzehrungssteuer  fallenden  Spiritus - 
brennereien  in  dem  Erzeugungsjahr  1917  18  Weizen,  Halbfrucht,  Hirse  und 
Hafer  nicht  zu  Spiritus  verarbeiten  dürfen.  Roggen  und  Gerste  dürfen  nur  jeue 
Spiritusbrennereien  zu  Spiritus  verarbeiten,  welche  auch  Preßhefe  erzeugen.  Jene 
Brennereien,  die  1916/17  keine  Preßhefe  erzeugt  haben,  dürfen  eine  solche  auch 
1917/18  nicht  erzeugen.  Die  Verordnung  führt  sodann  im  einzelen  an,  welche 
Men^^e  der  übrigen  zur  Spirituserzeugung  geeigneten  Produkte  die  Spiritusbren- 
nereien hierzu  verwenden  dürfen. 

Das  K.  ungarische  Finanzministerium  hat  die  Aufnahme  der  bei  den 
Weinproduzenten  und  Weinhändlern  vorhandenen  Weinvorräte  einschließlich 
der  diesjährigen  Ernte  durch  Finanzorgane  angeordnet.  Von  zuständiger  Stelle 
wurde  erklärt,  daß  die  Regierung  bei  der  Aufnahme  der  Vorräte  weder  von  der 
Absicht  der  Beschlagnahme  des  Weines  noch  der  Festsetzung  von  Weinhöchst- 
preisen geleitet  wurde,  sondern  daß  diese  Maßnahme  ausschließlich  zu  dem  Zwecke 
erfolge,  die  nach  Befriedigung  des  inländischen  Bedarfes  für  die  Ausfuhr  zur 
Verfügung  bleibende  Menge  festzustellen. 

Wie  unterm  29.  September  berichtet  wird,  betrug  in  den  ersten  7  Monaten 
des  lautenden  Jahres  die  der  Schweiz  seitens  der  Entente  garantierte,  aber  nicht 
gelieferte  Menge  an  Weizen  und  Mais  9500  Waggonladungen.  Die  hier- 
durch stark  verkürzte  Einfuhr  von  Brotstoffen  war  gänzlich  unzureichend  und  die 
Vorräte  konnten  nur  durch  Heranführung  von  Getreide,  das  in  französischen 
Häfen  für  die  Eidgenossenschaft  lagert,  ergänzt  werden.  Infolge  dieser  Knapp- 
heit an  Brotstoffen  ist  die  tägliche  Brotmenge  auf  250  kg  für  den  Kopf  festge- 
setzt worden. 

Die  Zentralstelle  für  Kartoffel  Versorgung  in  der  Schweiz  hat  vom  1.  Ok- 
tober ab  ihre  Verkaufspreise  für  100  kg  erlesene  Speisekartoffeln  von 
15  frcs.  auf  14,50  frcs.  ab  Verladestation  ermäßigt.  In  diesem  Preise  sind  die 
Kosten  für  den  Ankauf  und  die  Verladung  der  Ware  inbegriffen.  Die  Aufkäufer, 
welche  entsprechend  Art.  3  der  Verfügung  des  schweizerischen  Volkswirtschafts- 
departements vom  3.  September  ermächtigt  sind,  die  von  ihnen  gelieferten  Kar- 
toffeln direkt  zu  berechnen,  sind  gehalten,  den  Preis  von  14,50  frcs.  ebenfalls 
nicht  zu  überschreiten.  Das  Angebot  an  schöner  Ware  ist  so  groß,  daß  die 
Zentralstelle  in  der  Lage  ist,  alle  eingehenden  Aufträge  in  kurzer  Frist  auszu- 
führen, in  den  nächsten  Wochen  wird  die  Zentralstelle  über  einen  Posten  deutscher 
Kartoffeln  verfügen.  Der  Verkaufspreis  für  diese  Ware  wird  sich  voraussichtlich 
etwas  niedriger  stellen.  Die  gesamte  Bevölkerung  wird  ausreichend  mit  Speise- 
kartoffeln versorgt  werden  können.  Deshalb  ist  das  Gebaren  einzelner  Verbraucher, 
welche  große  Mengen  einzudecken  haben  und  nun  entgegen  den  Bestimmungen 
der  erwähnten  Verfügung  den  Versuch  machen,  im  Lande  herum  Kartoffeln  zu 
hohen  Preisen  aufzukaufen,  unbegreiflich  und  muß  geahndet  werden. 

Das  Lebensmittelamt  der  Stadt  Bern  wird  demnächst  an  die  Familien  mit 
bescheidenem  Einkommen  eine  größere  Menge  schöner  Kartoffeln  zum  Preise  von 
13  frcs.  für  100  kg  abgeben.  An  eine  Familie  werden  vorläufig  durchschnittlich 
50  kg  pro  Kopf  verabfolgt.  Diese  Menge  darf  nur  im  eigenen  Haushalte  Ver- 
wendung finden;  jeder  Handel  oder  jede  mißbräuchliche  Verwendung  dieser  Kar- 
toffeln ist  verboten. 

Das  schweizerische  Militärdepartement  teilt  mit,  daß  den  Gesuchen  um 
Abgabe  von  Pferden  aus  den  Pferdedepots  für  die  Ausführung  von  land- 
wirtschaftlichen Herbstarbeiten,  soweit  irgend  möglich,  entsprochen  wird, 
und  es  wird  zu  diesem  Zwecke  der  Pferdebestand  der  Depots  durch  Einzug  von 
freiwillig  gestellten  Pferden  nach  Müglichkeit  erhöht.  Die  Gemeinden  haben  Ge- 
suche um  Abgabe  von  Pferden  an  die  Landwirtschaftsdirektion  ihres  Kantons  zu 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkawirtach.  Chronik.  i917.  XL  VI 


_    686    — 

richten.  Die  Kantone  haben  für  die  Wartung  der  Pferde  Hilfsdienstpflichtige 
aufzubieten  (einen  Mann  auf  zwei  Pferde).  Daneben  stellen  die  Pferdedepots  das 
notwendige  Aufsichtspersonai.  Die  Geschirre  sind  vom  Mieter  zu  beschaften.  Die 
Pferdemieter  zahlen  2,50  frcs.  Pferdemietgeld  und  haben  für  Verpflegung  und 
Unterkunft  von  Mann  und  Pferd  aufzukommen  (Sonn-  und  Feiertage  mitgerechnet). 
Die  Mannschaften  einschließlich  der  Hilfsdienstpflichtigen  werden  zu  Lasten  der 
Pferdedepots  besoldet.  Die  Transportkosten  gehen  zu  Lasten  der  Pferdedepots. 
Für  Transporte  bis  zu  20  km  darf  die  Eisenbann  nicht  benutzt  werden.  Die  aus- 
gemieteten Pferde  dürfen  nicht  über  ihre  Kräfte  angestrengt  werden ;  sie  werden 
jede  Woche  von  einem  Beauftragten  des  Pferdedepots  besichtigt.     Ungenügend 

fefütterte,  schlecht  gepflegte  oder  überanstrengte  Pferde  werden  unverzüglich  ins 
)epot  zurückgenommen. 

In  Norwegen  bestimmt  ein  königlicher  Erlaß,  daß  der  Staat  bis  auf 
weiteres  das  Alleinrecht  für  die  Einfuhr  von  Korn,  Grütze,  Bohnen,  Erbsen 
und  Linsen  besitzt.  Von  den  sofort  in  Kraft  tretenden  Bestimmungen  sind  ßeis 
und  Kartoffelmehl  ausgenommen. 

In  Dänemark  haben  am  18.  Oktober  die  Verhandlungen  über  die  Rege- 
lung der  Fettverteilung  begonnen.  Es  gilt  als  sicher,  daß  sowohl  für 
Butter,  wie  auch  für  Fett  Karten  eingeführt  werden,  auf  Grund  deren  angeblich 
jeder  Person  wöchentlich  250  g  Butter  und  250  g  Fett  zustehen  sollen.  Auch 
für  Schweinefleischwaren  ist  demnächst  die  Einführung  des  Kartensystems  zn 
erwarten. 

Die  „Central  News"  melden  aus  Washington,  daß  die  Niederländische 
Regierung  den  Vereinigten  Staaten  vorgeschlagen  haben  soll,  400000  t  nieder- 
ländischen Schiffsraums  außerhalb  der  Kriegszone  zu  verwenden  unter  der  Be- 
dingung, daß  die  Vereinigten  Staaten  bestimmte  Rohstoffe  an  die 
Niederlande  liefern.  Die  betreffenden  Schiffe  befinden  sich  in  amerikanischen 
Häfen. 

In  Frankreich  hat  der  Minister  für  Leben Fmittel Versorgung  Long  in 
der  Kammer  einen  Gesetzentwurf  auf  Gewährung  eines  Zusatzkredits  von  845  Mill. 
frcs.  eingebracht,  um  den  Ankauf  von  Getreide,  Mehl  und  sonstigen 
notwendigen  Lebensmitteln  zu  ermöglichen. 

„Financial  Times"  vom  15.  Oktober  bringen  folgendes  Reutertelegramm  aus 
East  London:  Der  Kongreß  des  landwirtschaftlichen  Verbandes  vom  Kap  nahm 
das  Angebot  der  Reichsregierung,  die  gesamte  südafrikanische  Woll- 
schur zu  erwerben,  au. 

Wie  „Scotsman"  vom  10.  Oktober  aus  Kanada  berichtet,  äußerte  sich  der 
Landwirtschaftsminister  Saskatchewans  folgendermaßen:  „Der  durch  das  Land- 
wirtschattsamt für  dieses  Jahr  festgesetzte  Höchstpreis  von  2,21  $  für  den 
Bushel  Weizen  (=  341,—  M.  für  die  Tonne)  ist  angemessen,  doch  sollte  nicht 
jedes  Jahr  ein  neuer  Höchstpreis  festgesetzt  werden.  Es  handelt  sich  jetzt 
nicht  um  den  Gewinn  der  Landwirte,  sondern  darum,  die  Welt, 
wenn  auch  mit  teuren  Lebensmitteln,  zu  versehen.  Ich  ziehe  den 
Grundsatz  Großbritanniens  vor,  für  eine  gewisse  Reihe  von 
Jahren  einen  Mindestpreis  festzusetzen;  dies  führt  zur  Vergröße- 
rung derErzeugung  und  gibt  der  Welt  das,  was  sie  braucht,  näm- 
lich Weizen." 

Das  Blatt  gibt  alsdann  folgende  vergleichende  Ziffern:  „Im  Jahre  1871 
wurden  in  Kanada  von  noch  nicht  2  Mill.  bestellten  Acres  fast  17  Mill.  Busheis 
Weizen  geerntet.  Die  Riesenernte  von  1915  brachte  426  746  000  Busheis,  die  von 
1916  nur  220  Mill.  1917  sind  in  Saskatchewan  allein  S'/.,  Mill.  Acres  mit  Weizen 
bestellt,  in  ganz  Kanada  15  Mill.  Acres.  Die  Haferernte  ergab  1871  42  500000 
Busheis,  1915  523  684  000  Busheis.  Gerste  brachte  1871  11500000  ßushels,  1915 
60699  000  Busheis.  Während  die  Heuernte  1871  unter  4  Mill.  t  blieb,  brachte 
das  Jahr  1916  fast  15  Mill.  t.  Der  Gesamtwert  der  kanadischen  Feldfrüchte  ist 
von  195  Mill.  $  im  Jahre  1901  auf  841  Mill.  $  im  Jahre  1915  gestiegen." 

„Liverpool  Post  and  Mercury"  vom  16.  Oktober  meldet  aus  London :  Nach 
einem  aus  Australien  eingegangenen  Bericht  wird  die  australische  Regierung 
-mit  einem  Kostenaufwand  von  2858  333  £  Getreidesilos  errichten,  weil  kein 


—    687    — 

ToDDenraum  für  die  ßeförderuDg  beschafft  werden  kann.  In  Australien  sind  jetzt 
3'/,  Mill.  t  Weizen  vorhanden,  die  meist  von  der  britischen  Regierung  angekauft 
worden  sind,  aber  von  der  australischen  Regierung  bis  Ende  des  Jahres  gelagert 
werden  müssen.  Im  nächsten  Februar  wird  der  australische  Weizen vorrat  5  bis 
6  Mill.  t  im  Werte  von  50  Mill.  £  betragen.  Ein  WeizenlagerungsausschuÜ  ist 
geschaffen  worden.  Die  australische  Regierung  wird  den  Einzeistaaten  gegen 
Zinsen  das  Geld  zur  Errichtung  von  lOOü  Silos  von  je  50000  ßushels  (=  1361 1) 
Fassungsvermögen  vorschießen.  Diese  werden  etwa  50  Mill.  ßushels,  V3  einer 
normalen  Ernte,  aufnehmen  können.  Zur  Tilgung  der  durch  die  Errichtung  der 
Silos  aufgenommenen  Schuld,  für  die  10  Jahre  vorgesehen  sind,  wird  ein  monat- 
licnes  Lagergeld  von  V«  d  für  das  ßushel  erhoben.  Da  aber  dieses  Lagergeld  auf 
die  gesamte  Ernte  verrechnet  wird,  von  der  nur  Vs  eingespeichert  wird,  so  ver- 
teuert sich  das  ßushel  nur  um  704  Penny. 

Ueber    den    Weltmarkt    bringt    der    deutsche   Landwirtschaftsrat     vom 
30.  Oktober  1917  folgenden  Bericht: 


Weltmarkt. 

Getreidepreise  in  Mark  für  1000  kg, 

für  amerikanische  Märkte  umgerechnet  nach  dem  Friedenskurs  1  $  =^  4,20  M., 

für  London  umgeiechnet  nach  dem  Friedenskurs  1  £  =  20,50  M. 

27.  Oktober       20.  Oktober 
Cents 
f.  1  Bushel         M.  M. 


New  York:    Weizen:  Herd winter  und  Red- 

winter 
Chicago:  Mais:  für  Dezember 

„        „    Januar 
M        ,1   Mai 
Hafer:  für  September 
„  „     Dezember 

Minneapolis:  Weizen: 
Winnipeg:  „  Manitoba  Nr.  1 


228 
ii8«/8 

"67« 

112 

58V4 

597. 
217 
221 


35».8o 
195,75 
192,— 
185,20 

139,85 

334.80 
341,— 


351,80 
189,35 

180,4  6 
134,85 


New  York 


Koggen  loko 
Hafer        „ 
Mais 


334,80 
341,— 

22.  Oktober       17.  Oktober 
191  294,70         293,15 

67*/i         i5*>.55         156,«5 
206  34O,«0        335,65 


Wöchentliche  englische  „Farmers'  Deliveries". 
Durchfechnittspreiae  für  iuläudisehen   Weizen. 


London,  20.  Oktober  1917. 


«atsprechende  Wochen  in  den  Vorjahren 

1916 
1915 

Buenos  Aires,  11.  Oktober  1917. 


Diese  Woche 


sh 
70/.8 


60/.  9 
48/.2 


M. 

317,20 


272,65 

2l6,20 


Vorige  Woche 

sh  M. 

70/.0  318,6» 


Pesos 
für  100  kg 


Weizen 

Mais 

Hafer 


Diese  Woche 
M. 
für  die  Tonne 
(Frieden.skurs 
1,78) 
IO,80  192,25 

7,95  141,50 

5,05  89.»o 


Vorige  Woche 


Pesos 
für  100  kg 


8,10 
5,40 


M. 
fnr  die  Tonne 
(Fricdcuskars) 


144,20 
96,10 

XLVl* 


-    688    — 


Sichtbare  Vorräte  in  den  Vereinigten  Staaten  und  Kanada, 

in  Tonnen            21./10.  1917  13./10.   1917      Zu-  bezw.  Abnahm»»      14./10.  191« 

Weisen  i.  d.  Ver.  St.        264000  261000                  +3000                 1734000 

in  Kanada 397  QQO  194000    -f   203000  444000 

Zusammen         bbi  000  455000                   -{-  20b  000                  2178000 

Mais                                        41000  39000                   -f       2000                     113  000 

Brad8treet8  Statistik  (in  1000  t)  ^^^J^^                    ^^^^J^                   J^^^^^ 

Na'hweisl.  Vorrat  an  Weizen  in  den 
Vereinigten    Staaten     und    Kanada 

östl.  des  Felsengebirges  1048                        103 1                         292b 

Nachweisl.  Vorrat  an  Mais  in  den  Ver- 
einigten  Staaten   und  Kanada   östl. 

des  Felsengebirges  52                           42                           156 


HI.  Industrie,  einschließlich  Bergban  nnd  Baugewerbe. 

Inhalt:  1)  Bergbau:  Geschäftslage  im  Kohlen- und  Kalibergbau  während 
des  Monats  Oktober. 

2)  Eisengewerbe,  Metalle  und  Maschinen:  Beschäftigungsgrad  im 
Oktober. 

1.  Bergbau. 

üeber  die  Geschäftslage  im  Kohlen-  und  Kalibergbau  berichtet 
das  „Reichs-Arbeitöblatt" : 

Aus  dem  Ruhrkohlengebiet  wird  für  Oktober  die  Geschäfts- 
lage als  nach  wie  vor  gut  und  sehr  gut  bezeichnet.  Dem  Vorjahr 
gegenüber  ist  keine  Veränderung  festzustellen.  Teilweise  wurde  der 
Absatz  an  Kohlen  und  Koks  durch  Wagenmangel  beeinträchtigt.  Die 
Steigerung  der  Löhne  hielt  weiter  an.  Ueberschichten  wurden  auch 
im  Berichtsmonat  verfahren,  wenn  auch  zum  Teil  in  geringerem  Maße 
als  in  den  Vormonaten. 

Die  Aachener  Steinkohlenwerke  waren  ebensogut  wie  im 
September  und  im  Vorjahr  beschäftigt.  Auch  hier  wird  andauerndes 
Steigen  der  Löhne  gemeldet. 

Im  Saarbezirk  nahm  die  Förderung  dem  Vormonat  gegenüber 
etwas  zu.     Auch  hier  wird  Wagenmangel  gemeldet. 

Die  oberschlesischen  Öteinkohlengruben  waren  ebenso 
rege  wie  in  den  Vormonaten  tätig.  Ein  Teil  der  Förderung  wurde 
wegen  Wagenmangels  zur  Halde  gefahren.  Ueberarbeit  war  auch  im 
Oktober  erforderlich.    Es  haben  weitere  Lohnerhöhungen  stattgefunden. 

Die  dem  Plessischen  Knappschaftsverein  angehörenden 
Kohlenbergwerke  hatten  im  dritten  Vierteljahr  1917  bei  einem  Bestand 
von  4579  Mann  einen  Abgang  von  404  und  einen  Zugang  von  684, 
Im  vorhergehenden  Vierteljahr  betrug  der  Bestand  4299  Mann  und  im 
dritten  Vierteljahr  des  Vorjahres  4191. 

Der  niederschlesischeSteinkohlenbergbau  hatte  ebenso 
befriedigend  wie  im  Vorjahr  zu  tun.  Auch  hier  machte  sich  Wagen- 
mangel geltend  und  nötigte  die  Gruben,  erhebliche  Mengen  an  Kohlen 


—    689    — 

und  Koks  zu  stürzen.  Eine  weitere  wesentliche  Erhöhung  der  Löhne 
der  Bergleute  ist,  wie  aus  der  Berichterstattung  ersichtlich  wird,  im 
Berichtsmonat  vorgenommen  worden. 

Die  Zwickauer  und  Lugau-Oelsnitzer  Steinkohlen- 
werke kennzeichnen  den  Geschäftsgang  als  befriedigend.  Dem  Vor- 
monat wie  dem  Vorjahr  gegenüber  ist  eine  geringe  Verbesserung  her- 
vorgetreten. 

Aus  Süddeutschland  wird  die  Steinkohlengewinnung  als  gut 
und  dem  September  d.  J.  wie  dem  Oktober  1916  gegenüber  als  un- 
verändert geschildert.  Es  haben  Lohnaufbesserungen  stattgefunden. 
Teilweise  wurde  mit  Ueberstunden  gearbeitet. 

Der  mitteldeutscheBraunkohlenbergbau  hatte  im  ganzen 
dieselbe  rege  Nachfrage  wie  bisher.  Im  allgemeinen  wird  über  Wagen- 
mangel geklagt.  Es  mußte  Stapelung  großer  Brikettmengen  erfolgen. 
Verschiedentlich  wird  eine  Verbesserung  gegen  den  September  ge- 
meldet und  dies  teils  auf  den  Beginn  der  Kampagnearbeiten  der  Zucker- 
fabriken, teils  auf  bessere  Wagengestellung  zurückgeführt.  Verschiedent- 
lich wird  Ueberstunden  arbeit  gemeldet.  Die  Löhne  bzw.  Teuerungs- 
zulagen sind  erhöht  worden. 

Die  Niederlausitzer  Braunkohlenwerke  haben  eine 
wesentliche  Veränderung  ihrer  guten  Beschäftigung  gegen  den  Vormonat 
wie  gegen  das  Vorjahr  nicht  erfahren.  Der  Versand  fiel  zum  Teil 
wesentlich  höher  als  im  Vormonat  und  im  Vorjahr  aus,  weil  die  Wagen- 
gestellung im  Berichtsmonat  eine  geregeltere  war.  Ueberstunden  arbeit 
war  wie  bisher  erforderlich.  Vereinzelt  wird  angegeben,  daß  am  1.  Ok- 
tober eine  allgemeine  Lohnerhöhung  statthatte. 

Die  Kaliindustrie  berichtet  teils  über  unvermindert  guten 
Auftragseingang,  teils  wird  der  Absatz  gegen  den  Vormonat  als  ge- 
ringer bezeichnet,  und  zwar  wird  als  Grund  dafür  schlechte  Wagen- 
gestellung angeführt. 

2.    Eisengewerbe.  —  Metalle  und  Maschinen. 

Dem  „Reichs- Arbeitsblatt"  entnehmen  wir : 

Für  die  Abfuhr  des  geförderten  Eisensteins  machte  sich  Wagen- 
mangel hindernd  bemerkbar. 

Die  Roheisenerzeugung  hielt  sich  im  ganzen  auf  der  gleichen 
Höhe  wie  in  den  Vormonaten. 

Die  Zinkhütten  melden  auch  für  Oktober  gute  Beschäftigung. 
Im  Vergleich  zum  Vorjahr  ist  keine  Veränderung  zu  verzeichnen. 
Ueberstunden  arbeit  war,  wie  hervorgehoben  wird,  erforderlich. 

Die  Kupfer-  und  Messingwerke  stellen  dem  Vormonat 
gegenüber  dieselbe  gute  Tätigkeit  fest,  während  sie  im  Vergleich  zum 
Oktober  1916  eine  Steigerung  des  Geschäftsganges  melden. 

Die  Eisengießereien  Westdeutschlands  waren  im  Oktober 
ebensogut  wie  im  Vormonat  und  im  Vorjahr  beschäftigt.  Die  Tätigkeit 
verzeichnet  zum  Teil  noch  eine  Verbesserung  gegen  den  Oktober  1916. 
Bs    wird    wiederum    Ueberstundenarbeit  gemeldet.     Auch  in  Nordwest- 


—    ögo    — 

deutschland  ist  der  Geschäftsgang  teils  unverändert,  teils  dem  Vorjahr 
gegenüber  etwas  gesteigert.  Aus  Mitteldeutschland  wird  vereinzelt 
eine  Verbesserung  auch  gegen  den  Vormonat  festgestellt.  Ueberstunden- 
arbeit  war  auch  hier  erforderlich.  Tür  Schlesien  ist  die  Lage  dieselbe 
wie  im  Vormonat  geblieben.  Im  Vergleich  zum  Vorjahre  war  ver- 
schiedentlich besser  zu  tun.  Die  süddeutschen  Eisengießereien  sind 
nach  wie  vor  gut  beschäftigt. 

Die  Stahl-  und  Walzwerke  West-,  Mitteldeutsch- 
lands und  Sachsens  hatten  im  Berichtsmonat  wiederum  dieselbe 
gute  Beschäftigung  wie  im  September.  Der  Abruf  ist  nach  wie  vor 
stark.  Vereinzelt  wird  nicht  nur  gegenüber  dem  Vorjahr,  sondern  auch 
im  Vergleich  zum  September  dieses  Jahres  eine  Verstärkung  der  Arbeit 
gemeldet.  Es  wird  verschiedentlich  Ueberstundenarbeit  verzeichnet. 
Lohnerhöhungen  sind  teilweise  auch  in  dieser  Industrie  neu  gewährt 
worden.  In  den  schlesischen  Werken  hat  eine  Aenderung  der  guten 
und  sehr  guten  Tätigkeit  im  allgemeinen  nicht  stattgefunden,  doch  wird 
auch  hier  verschiedentlich  eine  Verbesserung  der  Beschäftigung  gegen- 
über dem  Vormonat  wie  gegen  das  Vorjahr  hervorgehoben. 

Die  Blechwalzwerke  hatten  nach  wie  vor  gut  zu  tun.  Für 
Feinbleche  wird  die  Nachfrage  als  sehr  stark  geschildert. 

Die  Emaillierwerke  schildern  den  Geschäftsgang  als  gut.  Teils 
war  die  Tätigkeit  ebenso  stark  wie  im  Oktober  1916,  teils  fand  noch 
eine  Steigerung  statt.  Ueberschichtenarbeit  wird  auch  aus  dieser  In- 
dustrie gemeldet. 

Die  Röhrenindustrie  erfreute  sich  unverändert  befriedigender 
bzw.  guter  Lage.  Zum  Teil  wird  die  Verbindung  dem  Vormonat  gegen- 
über als  stärker  gekennzeichnet  und  die  Lage  gegen  das  Vorjahr  als 
besser  geschildert. 

Die  Nickelwerke  hatten  ebenso  reichlich  zu  tun  wie  im  Sep- 
tember. Auch  gegenüber  dem  Vorjahr  war  die  Beschäftigung  die 
gleiche,     üeberarbeit  war  in  vereinzelten  Fällen  erforderlich. 

Die  Drahtindustrie  ist  wie  im  Vormonat  befriedigend,  teil- 
weise sehr  gut  beschäftigt. 

In  der  Kleineisenindustrie  wich  die  Gestaltung  der  Beschäf- 
tigungsverhältnisse von  dem  Vormonat  nicht  ab.  Es  wird  vereinzelt 
angegeben,  daß  Ueberstunden  geleistet  wurden. 

Für  die  Eisenmöbelfabriken  war  die  Lage  die  gleiche  wie 
im   September.     Gegen  Oktober  1916   ist  eine  Steigerung   eingetreten. 

Die  Blech-  und  Metallwarenbetriebe  bekunden  keinerlei 
wesentliche  Verschiebung  der  Arbeitsverhältnisse.  Zum  Teil  wird  gegen- 
über dem  Vorjahr  eine  Verbesserung  bekundet.  Das  gleiche  gilt  für 
die  Blech-  und  Metallspielwarenindustrie. 

Aus  der  Edelmedallindustrie  wird  für  die  Silberwarenfabri- 
kation der  Geschäftsgang  als  gut  und  im  Vergleich  zum  Vorjahr  als 
besser  gekennzeichnet.  Auch  der  Gold-  und  Silberwarengroßhandel 
gibt  an,  daß  die  Nachfrage  nach  wie  vor  groß  ist  und  das  Geschäft 
sieb  viel  lebhafter  als  im  Vorjahr  gestaltet. 


—    691    — 

Die  Maschinenbauanstalten  West-  und  Nordwest- 
deutschlands waren  im  Oktober  ebenso  zufriedenstellend  wie  im 
September  beschäftigt.  Im  Vergleich  zum  entsprechenden  Monat  des 
Vorjahrs  ließ  sich  teilweise  eine  kleine  Verbesserung  feststellen.  Füi- 
Mitteldeutschland  ist  keine  Veränderung  weder  im  Vergleich  zum  Vor- 
jahr noch  zum  Vormonat  hervorgetreten.  In  Schlesien  macht  sich  da- 
gegen eine  Besserung  der  guten  Geschäftslage  gegen  September  d.  J. 
wie  gegen  Oktober  1916  bemerkbar.  Es  wurde  wie  bisher  mit  Nacht- 
schichten und  Sonntags  gearbeitet.  Die  süddeutschen  Maschinenbau- 
anstalten kennzeichnen  ihren  Geschäftsgang  im  Vergleich  zum  Vormonat 
als  unverändert  lebhaft,  betonen  aber,  daß  sich  dem  Vorjahr  gegenüber 
eine  Steigerung  der  Tätigkeit  geltend  gemacht  hat.  Die  Löhne  sind 
teilweise  weiter  erhöht  worden.  Auch  aus  Süddeutschland  wird  über 
Leistung  von  Nachtschichten  und  Ueberstunden  berichtet. 

Für  den  Bau  von  Dampfmaschinen  und  Lokomotiven 
erhielt  sich  die  Tätigkeit  in  derselben  Stärke  wie  im  Vormonat  auf- 
recht. Gegenüber  dem  Vorjahr  wird  teilweise  eine  Verbesserung  der 
Lage  festgestellt.  Die  Aufwärtsbewegung  der  Löhne  hielt  weiterhin 
an.     Es  wurde  mit  Doppelschichten  und  Ueberstunden  gearbeitet. 

Die  Betriebe,  die  Lokomobilen  und  landwirtschaftliche 
Maschinen  herstellen,  erfreuten  sich  ebenso  guten  Geschäftsganges 
wie  im  Vormonat  und  im  Vorjahr.  Teilweise  hat  gegenüber  dem 
September  eine  Verbesserung  stattgefunden.  Von  mehreren  Berichten 
wird  auch  betont,  daß  die  Lage  bedeutend  besser  als  im  Vorjahr  war. 
Abermalige  Erhöhungen  der  Lohnsätze  sind  verschiedentlich  erfolgt. 

Die  Dampfkesselfabriken  und  Armaturen  Werkstätten 
Westdeutschlands  hatten  ebenso  lebhaft  wie  im  September  zu  tun. 
Teils  ist  dem  Vorjahr  gegenüber  eine  Verbesserung,  teils  eine  Ab- 
schwächung  hervorgetreten;  im  allgemeinen  ist  aber  auch  gegenüber 
dem  Oktober  1916  die  Lage  unverändert.  Verschiedentlich  wird  Ueber- 
stundenarbeit  erwähnt.  In  Mitteldeutschland  hielt  sich  die  Beschäfti- 
gung auf  derselben  befriedigenden  Höhe  wie  bisher.  Lohnerhöhungen 
haben  nach  einzelnen  Berichten  stattgefunden. 

Die  Maschinenfabriken  für  Heizungsanlagen  und  Strahlappa- 
rate hatten  nach  wie  vor  normal  zu  tun.  Dem  Vorjahr  gegenüber  ist  eine 
Abweichung  nicht  festzustellen.  Für  Verbrennungsmotoren  war  die 
Geschäftslage  ebensogut   wie  im  Vormonat  und  besser  als  im. Vorjahr. 

Von  den  Werkzeugmaschinenfabriken  wird  gleichbleibend 
gute  Tätigkeit  angegeben.  Vereinzelt  ist  gegenüber  dem  Vorjahr  eine 
Steigerung  der  Leistung  zu  verzeichnen.  Erhöhungen  der  Löhne  haben 
vielfach  stattgefunden. 

Die  Beschäftigung  der  Werke  für  Brückenbau  und  Eisen- 
konstruktionen  gestaltete  sich  ebensogut  wie  im  Vormonat  und 
wenig  verändert  gegen  den  Oktober  1916.  Nur  ganz  vereinzelt  wird 
entweder  dem  Vormonat  oder  dem  Vorjahr  gegenüber  eine  Abschwächung, 
andererseits  wurde  aber  auch  eine  Steigerung  festgestellt. 

Die  Maschinenbauanstalten  für  Hebezeuge  kennzeichnen  die 
Geschäftslage  als  zufriedenstellend  bzw.  gut.    Im  allgemeinen  ist  weder 


—    692    — 

dem  Vormonat  noch  dem  Oktober  1916  gegenüber  eine  Verschiebung 
der  Beschäftigungsverhältnisse  eingetreten.  Teilweise  wird  aber  eine 
weitere  Verbesserung  gegenüber  dem  Vorjahr  gemeldet.  Eine  Steigerung 
macht  sich  insbesondere  für  Drahtseil- Verladeanlagen  dem  Vorjahr  gegen- 
über geltend. 

Der  ßergwerksmaschinenbau  hielt  die  Beschäftigung  auf 
der  gleichen  Höhe  wie  im  Vormonat.  Dem  Vorjahr  gegenüber  hat 
teilweise  noch  eine  Verbesserung  stattgefundeu.  Die  Löhne  sind  weiter- 
hin gestiegen.  Die  für  Kohlenaufbereitungsanlagen  schon  im  Vormonat 
sich  bemerkbar  machende  Verstärkung  des  Geschäftsganges  dem  Vor- 
jahr gegenüber  hat  auch  im  Berichtsmonat  angehalten. 

Der  Schiffbau  verzeichnet  keinerlei  wesentliche  Aenderung  des 
Geschäftsganges. 

Die  Eisenbahnwagenbauanstalten  erfreuten  sich  andauernd 
guter  Beschäftigung.  Gegen  Oktober  1916  ist  eine  Verbesserung  fest- 
zustellen, die  von  einzelnen  Berichten  als  wesentlich  gekennzeichnet 
wird.  Wie  in  den  Vormonaten  wurde  auch  im  Oktober  mit  Ueber- 
stunden  gearbeitet. 

Für  den  Bau  von  Dynamomaschinen,  Elektromotoren. 
Transformatoren  usw.  stellte  sich  die  Lage  im  Oktober  ebenso 
befriedigend  wie  im  Vormonat.  Teilweise  ist  eine  Verbesserung  in 
der  Herstellung  elektrischer  Maschinen  dem  September  gegenüber  un- 
verkennbar. Für  elektrische  Meßinstrumente  machte  sich  eine  wesent- 
liche Steigerung  gegenüber  dem  Vorjahr  bemerkbar.  Es  mußte,  wie 
verschiedentlich  hervorgehoben  wird,  mit  Nachtschichten  und  Ueber- 
stunden  gearbeitet  werden. 

Die  Verfertigung  elektro-  medizinischer  Apparate 
erfreute  sich  ebenso  guter  Tätigkeit  wie  im  Vormonat.  Auch  hier  wird 
der  Geschäftsgang  dem  Oktober  1916  gegenüber  als  besser  gekenn- 
zeichnet. 

Die  Schwachstromelektrotechnik  wies  gegen  das  Vorjahr 
ebenfalls  eine  Verbesserung  auf. 

Die  Starkstromelektrotechnik  meldet  gegenüber  dem  Vor- 
monat und  Vorjahr  eine  teilweise  Verbesserung.  Für  Einrichtung  von 
Anlagen  und  Schaltwandbau  ist  eine  Verschiebung  der  Beschäftigungs- 
verhältnisse gegenüber  dem  Vormonat  nicht  eingetreten. 

Die  Kabelwerke  hatten  ebensogut  wie  im  Vormonat  und  im 
Vorjahr  zu  tun.  Es  wurde  zum  Teil  mit  Nachtschichten  gearbeitet. 
Auch  hier  ist  dem  Vorjahr  gegenüber  verschiedentlich  eine  Steigerung 
festzustellen. 

IV.  Handel  und  Verkehr. 

Inhalt;  Deutsch-holländisches  Wirtschaftsabkommen.  Französisch-schweize- 
lischea  Wirtschaftsabkommen.  Handelspolitik  Schwedens.  Handelspolitik  Norr 
wegens.  Dänischer  Zolltarif.  Englischer  Handelsnachrichtendienst.  Englisch- 
msttischer  Handelsvertrag.     Wirtschaftspolitische  Abmachungen   der  Vereinigteu 


—    693    — 

Staaten  von  Amerika  mit  Japan.  Außenhandel  (Statistik)  der  Vereinigten  Staaten 
Ton  Amerika  und  Chiles.  Handelsschiffahrt  Norwegens  und  der  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika.  Norditalienisches  Wasserstraßennetz.  Verkehr  im  Suez- 
kanal.   Verstaatlichung  der  griechischen  Eisenbahnen. 

Das  deutsch-holländische  Wirtschaftsabkommen 
(vgl.  oben  S.  609  f.)  ist  nach  längeren  Verhandlungen  am  6.  Oktober 
1917  zustande  gekommen.  Die  wichtigsten  deutschen  Forderungen,  die 
aich  auf  den  Kohlenpreis  und  die  Kieditierung  bezogen,  sind  ange- 
nommen worden.  Der  Haager  Korrespondent  der  „Frankfurter  Zeitung" 
berichtete  hierüber  am  6.  Oktober  1917  folgendes: 

„Holland  erhält  monatlich  250000  Tonnen  Kohlen  von  Deutschland,  und 
kann  sich  die  ihm  noch  fehlenden  Kohlen  von  England  beschaffen.  Die  nieder- 
ländischen Schiffe,  die  die  Kohlen  von  England  holen,  werden  von  den  deutschen 
Tauchbooten  geschont  werden.  Allerdings  werden  die  niederländischen  Schiffe 
mit  Ballast  nach  England  fahren.  Deutschland  gestattet  ferner  die  Ausfuhr 
von  Stahl  und  Eisen  nach  Holland,  soweit  diese  beiden  Güter  für  den  Schiffs- 
bau und  zahlreiche  Industriezweige  absolut  notwendig  sind.  Es  ist  bedauerlich, 
daß  die  Verhandlungen,  die  bereits  seit  dem  4.  Juli  dauerten,  so  lange  verschleppt 
worden  sind,  und  daß  namentlich  die  Erklärung  des  Ministers  Treub  im  Parla- 
ment, daß,  solange  er  Minister  sei,  höhere  Kredite  nicht  gegeben  würden,  die 
Verhandlungen  aufs  äußerste  gefährdete.  Durch  diese  Haltung  wurden  die  Kohlen- 
lieferungen nach  Holland  in  den  letzten  Wochen  äußerst  erschwert,  und  bei  dem 
ohnedies  schon  so  außerordentlich  schweren  Mangel  an  Kohle  in  Holland  ist 
dieser  Ausfall  direkt  bedenklich  zu  nennen.  Mit  dem  Abschluß  des  Kohlen- 
abkommens ist  einer  äußerst  peinlichen  Lage,  die  durch  die  Haltung  Treubs  her- 
vorgerufen worden  war,  ein  Ende  gemacht." 

Ueber  den  Abschluß  eines  französisch-schweizerischen 
Wirtschaftsabkommens  (vgl.  oben  S.  608 f.)  berichtete  der  Berner 
Korrespondent  der  „Frankfurter  Zeitung"  am  1.  Oktober  1917  folgendes: 

Zwischen  der  Schweiz  und  Frankreich  ist  auf  die  Dauer  von  drei  Monaten 
(Oktober  bis  Dezember)  ein  Abkommen  getroffen  worden,  nach  dem  eine  Gruppe 
von  schweizerischen  Banken  mit  Einwilligung  des  Bundesrats  einer  Gruppe  fran- 
zösischer Banken  einen  Kredit  von  monatlich  1272  Alill.  frcs.  eröffnet,  der  gegen 
Hinterlegung  von  Werttiteln  und  durch  Diskontierung  von  Tratten,  die  von  erst- 
klassigen französischen  Firmen  ausgestellt  sein  müssen,  benutzt  werden  kann. 
Der  Kredit  wird  auf  die  Dauer  von  18  Monaten  erteilt.  Frankreich  macht  da- 
gegen der  Schweiz  auf  wirtschaftlichem  Gebiet  gewisse  Zugeständnisse.  Es  läßt 
ein  bestimmtes  Waren  kontin  gen  t  auf  dem  Gebiete  der  Luxusindustrie  sowie  von 
Schokolade  zur  Einfuhr  zu  und  erteilt  Ausfuhrbewilligungen  für  gewisse  Waren- 

auantitäten,  an  denen  die  Schweiz  ein  besonderes  Interesse  hat.  Außerdem  soll 
ie  Anfuhr  der  der  Schweiz  gehörenden,  in  Cette  liegenden  Waren  durch  Ein- 
schaltung eines  weiteren  Eisenbahnzuges  erleichtert  werden.  Schließlich  ver- 
pflichtet sich  die  französische  Regierung  noch,  den  Export  in  Frankreich  liegender 
Waren  zu  gestatten,  die  schweizerischen  Interessenten  gehören  und  die  dort  durch 
indirekte  Konnossemente  (auf  Frankreich  lautend)  angekommen  sind.  Die  beiden 
Regierungen  sehen  vor,  daß  über  ein  auf  längere  Zeit  zu  treffendes  Abkommen 
zwischen  der  Schweiz  und  den  alliierten  Regierungen  demnächst  Verhandlungen 
aufzunehmen  sind. 

Ueber  die  Grundsätze  der  Handelspolitik  Schwedens  in 
der  Kriegszeit  wurde  in  dem  „W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst" 
folgendes  mitgeteilt: 

pAffärsvärlden*  vom  31.  10.  1917  veröffentlicht  folgende  Ausführungen,  die 
angesichts  des  schwedischen  Regierungswechsels  von   besonderem  Interesse  sein 


—    694    — 

dürften:  „Das  Wirtschaftsleben  der  kleinen  neutralen  Staaten  beruht  auf  eine» 
lebhaften  Warenaustausch  mit  den  Großmächten,  und  das  schließt  die  Gefahr  in 
sich,  daß  sie  nach  und  nach  ganz  in  der  wirtschaftlichen  Interessensphäre  einer 
einzelnen  Macht  aufgehen.  Schweden  gegenüber  werden  besonders  seitens  der 
Zentralmächte,  die  Eisenerz,  Quaiitätsstahi,  Holz  usw.  im  Austausch  für  Kohie, 
Kali,  verschiedene  chemische  Produkte  u.  a.  zu  beziehen  wünschen,  zu  diesem 
Zweck  Annäherungen  gemacht  Auf  eine  enge  Verbindung  mit  Deutschland 
darf  Schweden  aber  ebensowenig  wie  auf  eine  solche  mit  der  Entente  eingehen 
Es  muß,  um  seine  Selbständigkeit  zu  wahren,  den  Einfuhrbedarf  möglichst  ein 
schränken  und  die  bisher  eingeführten  Waren  im  Inland  herzustellen  suchen 
Durch  die  Verwertung  der  Wasserfälle,  den  Ausbau  der  Eisen-  und  chemischen 
Industrie  ist  man  bereits  auf  gutem  Wege  hierzu.  Da  Baumwolle,  Gele  und 
andere  wichtige  Einfuhrartikel  nur  aus  den  Ententeländern  zu  beschaffen  sind, 
wäre  ein  Eingehen  in  die  Interessensphäre  der  Zentralmächte  geradezu  verderblich 
für  Schweden.  Vor  allem  muß  man  sich  mit  Kußland,  das  während  des  Kriege« 
Schweden  von  allen  kriegführenden  Mächten  am  wenigsten  Schwierigkeiten  be- 
reitet hat,  gut  zu  stellen  suchen.  Es  bildet  ein  aufnahmefähiges  Gebiet  für 
schwedische  Erzeugnisse,  und  man  kann  von  dort  Lebens-  und  Futtermittel,  so- 
wie die  bedeutendsten  industriellen  Rohstoffe  erhalten.  Auch  ein  gutes  Einver- 
ständnis mit  Holland  und  den  südamerikanischen  Staaten  ist  mit  Rücksicht  auf 
die  Kolonialwaren  Versorgung  wünschenswert." 

Derselben  Quelle  sind  die  folgenden  Ausführungen  über  die 
Handelspolitik  Norwegens  unter  dem  Druck  der  Kriegsereig- 
nisse zu  entnehmen: 

Durch  eine  offizielle  Note  aus  Washington  wird,  was  man  in  Handelskreisen 
längst  als  wahrscheinlich  annahm,  bestätigt,  daß  die  Vereinigten  Staaten  als  Be- 
dingung für  weitere  Lieferungen  nach  Skandinavien  vollständige  Einstellung  der 
Ausfuhr  nach  Deutschland  fordern.  Dies  veranlaßte  „Norges  Hand,  og  Sjöf.  T.* 
vom  23.  10.  1917,  über  die  Frage:  Kann  Norwegen  die  Forderungen  der  Ver- 
einigten Staaten  erfüllen?  zu  folgenden  Auslassungen,  die  um  so  bemerkenswerter 
sind,  als  diese  Zeitung  bisher  für  ein  Verbot  gegen  die  Ausfuhr  von  Nickel  u.  i. 
nach  Deutschland  eintrat:  „Ohne  weiteres  auf  die  amerikanischen  Forderungen 
einzugehen,  würde  mit  bedeutenden  formellen  Schwierigkeiten  verbunden  sein,  da 
die  bestehenden  Handelsabkommen  Ausfuhr  nach  beiden  kriegführenden  Gruppen 
voraussetzen.  Eine  Einstellung  der  Handelsbeziehungen  zu  einer  von  beiden  be- 
deutet, wie  die  Vereinigten  Staaten  selbst  vor  ihrem  Eingreifen  in  den  Krieg  er- 
klärten, einen  Neutralitätsbruch;  sie  ist  als  ausgeschlossen  anzusehen.  Um  der 
drohenden  Arbeitslosigkeit  und  Hungersnot  zu  begegnen,  muß  das  Kompensations 
System  eingeführt  werden.  Die  Regierung  muß  die  staatlichen  Handelsabkommen 
kündigen  und  ein  allgemeines  Ausfuhrverbot  erlassen  Als  Bedingung  für  die 
Ausfuhr  aus  Norwegen  muß  sie  von  Fall  zu  Fall  Kompensation  in  Getreide,  Fett, 
Oel  usw.  fordern.  Die  norwegischen  Waren  werden  jedem  der  Kriegführenden 
zum  Tagespreise  und  gegen  Kompensation  zugängig  sein;  dies  ist  vollkommen 
neutral,  und  die  Vereinigten  Staaten  können  sich  darüber  nicht  beklagen.  Sollte 
Deutschland  Getreide  für  Nickel  und  Fett  für  Mineralien  liefern,  so  würde  die« 
die  Aushungerungspolitik  ja  nur  unterstützen." 

Wie  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirt- 
schaft" (vom  3.  November  1917)  mitgeteilt  wird,  hat  die  dänische 
Regierung  dem  Reichstag  einen  Gesetzentwurf  vorgelegt,  wonach  die 
Revision  des  Zolltarifs  und  mehrerer  anderer  Gesetze  nicht  vor  dem 
Ausgang  des  Jahres  1919  dem  Reichstag  vorgelegt  zu  werden  braucht. 
Durch  das  Gesetz  vom  15.  Dezember  1916  war  diese  Revision  bis  zum 
Ende  des  Jahres  1918  verschoben.  Die  weitere  Verschiebung  ist  in 
derselben  Weise  wie  früher  mit  den  zurzeit  in  Europa  bestehenden 
außergewöhnlichen  Verhältnissen  begründet. 


—    ^95     — 

Die  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirtschaft"  (vom 
27.  Oktober  1917)  enthalten  ausführliche  Mitteilungen  über  die  Neu- 
gestaltung des  englischen  Handelsnachrichtendienstes. 

Die  zu  dieser  Frage  von  dem  britischen  Handelsamt  und  dem  Auswärtigen 
Amte  gemeinsam  abgefaßte  Denkschrift,  die  als  Parlamentsdrucksache  heraus- 
gegeben und  von  dem  Kriegskabinett  gutgeheißen  ist,  hat  nach  dem  Board  of 
Trade  Journal  folgenden  Inhalt: 

1.  Zweifellos  werden  nach  dem  Kriege  die  Anfoiderungen  an  die  Regierung 
wegen  Sammlung  und  Verbreitung  von  Nachrichten  zugunsten  des  britischen 
Handels  viel  größer  sem  als  früher.  Sowohl  das  Handelsamt  wie  auch  das  Aus- 
wärtige Amt  haben  schon  seit  längerer  Zeit  Pläne  erwogen,  wie  die  innerhalb 
ihrer  Zuständigkeit  bestehenden  Einrichtungen  für  den  Handelsnachrichtendienst 
am  besten  auszugestalten  und  zu  verbessern  sind.  Das  Handelsamt  hat  bereits 
die  Zustimmung  des  Schatzamts  erhalten  für  eine  weitgehende  Ausdehnung  des 
Departements  für  den  Handelsnachrichtendienst  (Department  of  Commercial  In- 
teliigence)  und  für  eine  weitere  Entwicklung  des  Systems  der  Handelskommissare 
innerhalb  des  Reichs,  das  ursprünglich  von  dem  gegenwärtigen  Premierminister 
in  seiner  früheren  Eigenschaft  als  Präsident  des  Handelsarats  eingerichtet  war. 
Das  Auswärtige  Amt  hat  gleichfalls  Pläne  für  eine  Verstärkung  und  Vermehrung 
der  Handelsattaches  und  Konsulate  und  für  ihre  größere  Nutzbarmachung  für 
den  britischen  Handel  ausgearbeitet. 

2.  Schwierigkeiten  haben  sich  indes  ergeben  bei  der  Festlegung  und  Ab- 
grenzung der  Verantwortlichkeiten  des  Auswärtigen  Amtes  und  des  Handelsamts 
m  bezug  auf  Sammlung  und  Verbreitung  der  von  den  Handelsattaches  und  den 
Konsuln  in  fremden  Ländern  eingehenden  Handelsnachrichten.  Nach  dem  bis- 
herigen Verfahren  ist  das  beim  Handelsamte  bestehende  Departement  für  Nach- 
richtendienst der  Mittelpunkt  für  die  Sammlung  und  Weiterleitung  der  Handels- 
nachrichten gewesen,  gleichviel  ob  diese  von  den  Handelskommissaren  und 
Handelskorrespondenten  innerhalb  des  Reichs  oder  von  den  diplomatischen  und 
Konsularbeamten  in  fremden  Ländern  kamen.  Letztere  unterstehen  indes  der 
Verwaltung  und  Aufsicht  des  Auswärtigen  Amtes,  und  aus  der  darin  liegenden 
Zweiteilung  der  Leitung  sind  Unzuträglichkeiten  entstanden.  Um  eine  Lösung 
dieser  Schwierigkeiten  h3rbeizuführen,  wurde  im  Januar  1917  von  dem  Staats- 
sekretär für  auswärtige  Angelegenheiten  und  dem  Präsidenten  des  Handelsamts 
ein  Ausschuß  eingesetzt,  dem  neben  V^ertretern  des  Auswärtigen  Amtes  und  des 
Handelsamts  der  Präsident  des  Bundes  der  britischen  Industrien  und  der  Vor- 
sitzende der  Vereinigung  der  britischen  Handelskammern  angehörten.  Der  Aus- 
schuß konnte  indes  zu  keiner  einheitlichen  Stellungnahme  kommen. 

3.  Dem  Ausschuß  haben  zwei  Hauptfragen  vorgelegen.  Die  erste  war  die, 
ob  das  Auswärtige  Amt  oder  das  Handeisamt  den  auswärtigen  Handelsnachrichten- 
dienst, der  von  den  Handelsattaches  besorgt  wird,  beaufsichtigen  soll.  Ueber 
diesen  ersten  Punkt  waren  alle  Ausschußmitglieder  im  wesentlichen  der  gleichen 
Ansicht,  daß  die  Aufsicht  über  die  Handelsattaches  dem  Auswärtigen  Amte  ver- 
bleiben müßte,  das  in  enger  Fühlungnahme  mit  dem  Handelsamt  in  bezug  auf 
Anweisungen  und  Ernennungen  vorgehen  solle,  und  daß  sowohl  dieser  Dienst 
wie  auch  der  Konsulardienst  ausgestaltet  und  vervollkommnet  werden  müßte.  Um 
letzteren  Vorschlag  möglichst  ohne  Zeitverlust  zu  verwirklichen,  ist  ein  neuer 
Ausschuß  von  dem  Auswärtigen  Amte  eingesetzt  worden,  in  welchem  das  Schatz- 
amt und  das  Handelsamt  wie  auch  Vertreter  der  Vereinigung  der  britischen 
Handelskammern  und  des  Bundes  der  britischen  Industrie  vertreten  waren ;  dieser 
sollte  darüber  beraten,  welche  Veränderungen  bei  der  Neuordnung  der  Stellen 
und  in  bezug  auf  Besoldung  der  Handelsattaches  und  Konsularbeamten  ange- 
bracht wären;  diese  Arbeiten  haben  bereits  wesentliche  Fortschritte  gemacht. 
Falls  das  Schatzamt  die  vorgeschlagenen  Maßnahmen  billigt,  wird  sofort  ein 
zweiter  Ausschuß  die  Auswahl  des  erforderlichen  Personals  vornehmen. 

4.  Die  zweite  Frage  war  die,  ob  die  Arbeit  des  Zusammenstellens  und  Ver- 
breitens  der  Handelsnachrichten  aus  dem  Ausland  unter  die  Handelsinteressenten 
-im   liande  weiter   von   dem   Departement   für   Nachrichtendienst    des    Handels- 


—  696  — 

amtB  besorgt  oder  durch  ein  bei  dem  Auswärtigen  Amte  neu  zu  errichtendes 
Departement  ausgeführt  werden  soll.  Ueber  diesen  zweiten  Punkt  kam  der  Aus- 
Hchuß  zu  keiner  einheitlichen  Auffassung.  Der  Vorsitzende  und  der  Vertreter  des 
Handelsamts  sprachen  sich  zugunsten  des  früheren  Verfahrens  aus,  während  die 
Mehrheit  des  Ausschusses  den  Plan  begünstigte,  die  Tätigkeit  dem  Auswärtigen 
Amte  zu  übertragen. 

5.  Die  Gesamtfrage  ist  sodann  von  den  beiden  beteiligten  Departements 
siuf  Grund  der  Ausschußberichte  weiter  erwogen  worden,  und  der  in  nachstehen- 
dem entworfene  Plan  ist  in  vollkommener  Einheitlichkeit  zwischen  dem  Prä- 
sidenten des  Handelsamts  und  dem  Staatssekretär  für  auswärtige  Angelegenheiten 
ausgearbeitet  und  von  dem  Kriegskabinett  gebilligt  worden. 

6.  Es  wird  ein  vergrößertes  Handelsnachrichtendepartement  in  einem  um- 
fang geschaffen,  der  hinreichend  ist,  um  den  begründeten  Ansprüchen  des 
f)ritischen  Handels  nach  dem  Kriege  gerecht  zu  werden.  Die  parlamentarische 
Aufsicht  über  das  Departement  wird  von  einem  neuen  Parlaraentssekretär  aus- 
geübt werden,  der  sowohl  die  Stellung  eines  Hilfsparlamentssekretärs  beim  Handels- 
amte wie  auch  diejenige  eines  Hilfsparlamentsuntersekretäis  für  auswärtige  An- 
gelegenheiten einnehmen  wird.  Dieser  Parlamentssekretär  wird  dem  Präsidenten 
des  Handelsamts  für  alle  in  die  Zuständigkeit  dieses  Departements  fallenden  An- 
gelegenheiten und  dem  Staatssekretär  für  auswärtige  Angelegenheiten  für  alle  deu 
Auslandsdienst  betreffenden  Angelegenheiten  verantwortlich  sein.  Unter  den  den 
auswärtigen  Dienst  angehenden  Angelegenheiten  werden  alle  Fragen  verstanden, 
die  sich  auf  die  Leitung  und  Einrichtung  des  Handelsattache-  und  Konsular- 
dienstes  und  die  Handelstätigkeit  der  Beamten  dieser  Dienstzweige  und  des 
diplomatischen  Dienstes,  soweit  diese  Angelegenheiten  nicht  von  den  Konsulats- 
oder anderen  Departements  des  Auswärtigen  Amtes  behandelt  werden,  beziehen, 
ferner  rechnen  dazu  die  Angelegenheiten,  die  das  etwa  zeitweilig  dem  Departe- 
ment zugeteilte  Personal  des  Auswärtigen  Amtes  und  der  vorstehenden  Dienst- 
zweige betreffen,  und  endlich  solche  aus  der  Tätigkeit  des  Departements  ent- 
stehende Angelegenheiten,  die  Fragen  der  auswärtigen  Politik  betreffen.  Alle 
Weisungen  an  die  Handelsattaches  oder  anderen  diplomatischen  oder  Konsular- 
beamten werden  im  Namen  des  Staatssekretärs  für  auswärtige  Angelegenheiten 
erlassen.    Für  alle  anderen  Angelegenheiten  ist  das  Handelsamt  zuständig. 

7.  Das  Handelsnachrichtendepartement  wird  etwa  das  bestehende  Departe- 
ment für  den  Nachrichtendienst  des  Handelsamts  und  das  Departement  für  den 
auswärtigen  Handel  bei  dem  Auswärtigen  Amte  umfassen  und  von  dem  Stabe 
und  den  Akten  des  Kriegshandelsnachrichten-  und  des  Statistischen  Departements 
so  viel  übernehmen,  wie  verfügbar  und  nötig  ist. 

8.  Der  amtliche  Leiter  des  Departements  wird  ein  gemeinsam  von  dem 
Präsidenten  des  Handelsamts  und  dem  Staatssekretär  für  auswärtige  Angelegen- 
heiten ernannter  Beamter  sein,  der  unter  dem  neuen  Parlamentssekretär  tätig  ist. 
Die  Ernennung  und  Beaufsichtigung  der  Handelskommissare  im  lieiche  wird  wie 
zuvor  dem  Handelsamt  und  die  Ernennung  und  Beaufsichtigung  der  Handels- 
attaches und  der  KoDsularbeamten  dem  Auswärtigen  Amte  verbleiben;  aber  die 
Tätigkeit  des  neuen  Departements  wird  alle  mit  dem  Handelsnachrichtendienst 
zusammenhängenden  Gegenstände  umfassen  und,  soweit  es  für  diesen  Zweck  er- 
forderlich ist,  wird  es  den  überseeischen  Beamten  Weisungen  erteilen  und  die  er- 
forderlichen Maßnahmen  treffen,  um  sie  in  enger  Berührung  mit  den  Handels- 
kreisen  im  Lande  zu  halten. 

9.  Es  wird  ein  ständiger  Austausch  des  Stabes  zwischen  dem  Departement 
und  sowohl  dem  Auswärtigen  Amte  wie  auch  dem  Handelsamte  stattlinden,  so 
daß  die  Mitglieder  dieses  Departements  mit  allen  Zweigen  des  Dienstes  voll- 
kommen bekannt  werden.    Den   Diplomaten  und  Konsulu  wird  Gelegenheit  ge- 

feben  werden,  zur  Ausbildung  eine  Zeitlang  in  dem  Departement  zu  arbeiten, 
-etzteres  wird  auch  aus  dem  Handelsattache-  und  Konsulardienste,  ferner  auch 
aus  Leuten,  die  in  Auslandsgeschäften  erfahren  sind,  Personal  heranziehen.  In 
gleicher  Weise  werden  Beamte,  die  als  Handelskommissare  Dienst  tun,  in  dem 
Departement  ausgebildet  und  ihm  zeitweilig  zugeteilt  werden. 


—    697    ~ 

10.  Das  Departement  wird  von  einem  beratenden  Ausschuß  von  Geschäfts- 
Jeuten  unterstützt  werden,  und  es  wird  gehofft,  daÖ  sich  die  Bildung  eines  Unter- 
ausschusses aus  diesem  Ausschuß  wird  ermöglichen  lassen,  der  in  häutiger 
Tagung  dem  Departement  in  seinen  laufenden  Geschäften  beratend  zur  Seite 
stehen  wird. 

11.  Man  glaubt,  daß  diese  Vorschläge  eine  zufriedenstellende  Lösung  einer 
Frage  ermöglichen,  die  seit  einigen  Jahren  von  den  Handeis-  und  Gewerbekreisen 
der  Aufmerksamkeit  der  Regierung  dringend  empfohlen  worden  ist.  Die  Ein- 
wendungen dieser  Kreise  haben  sich  besonders  gegen  die  Zweiteilung  des  bestehen- 
den Systems  gerichtet,  unter  welchem  die  Leitung  des  Handelsattache-  und  Kon- 
sulardienstes  bei  dem  Auswärtigen  Amte  lag,  die  Nutzbarmachung  der  Ergebnisse 
dieses  Dienstes  aber  dem  Handelsamt  oblag.  Nach  dem  neuen  Plan  wird  die 
Leitung  der  Handelstätigkeit  des  auswärtigen  Dienstes  und  die  Verbreitung  der 
von  ihm  beschafften  Nachrichten  in  der  Hand  eines  einzigen  Departements  liegen, 
und  da  dasselbe  Departement  aucn  den  Dienst  der  Handelskommissare  innerhalb 
des  Reichs  leitet,  so  wird  eine  einheitliche  Politik  hinsichtlich  des  gesamten  Ueber- 
seehandels  gesichert  sein. 

Die  „London  Gazette"  meldet,  daß  die  russische  Regierung  am 
24.  Oktober  1917  den  englisch-russischen  Handelsvertrag 
vom  12.  Januar  1859  zum  24.  Oktober  1918  mit  der  Begründung  ge- 
kündigt habe,  daß  die  wirtschaftlichen  Verbältnisse,  die  durch  den 
Krieg  entstanden  seien,  es  nötig  machten,  eine  Nachprüfung  der  be- 
stehenden Handelsverträge  in  Betracht  zu  ziehen.  Die  russische  Re- 
gierung sei  bereit,  ein  Uebereinkommen  mit  England  zu  treffen,  um 
Unzuträglichkeiten  während  der  Uebergangszeit  zu  vermeiden. 

In  den  letzten  Monaten  haben  zwischen  den  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika  und  Japan  Verhandlungen  über  die  poli- 
tische und  wirtschaftliche  St:^ilung  der  beiden  Staaten  in  Ost- 
asien und  auf  der  pazifischen  Inselwelt  stattgefunden,  lieber 
das  Verhältnis  der  beiden  Länder  zueinander  wurde  am  3.  Oktober 
1917  in  der  „Frankfurter  Zeitung"  folgendes  geschrieben: 

Die  Entsendung  der  Mission  Ishiis  nach  Amerika  wurde  unmittelbar  durch 
Wilsons  Note  an  China  vom  7.  Juni,  die  von  der  japanischen  Oeffentlichkeit  als 
grober  Verstoß  gegen  Japans  angebliche  Rechte  in  Ostasien  aufgefaßt  wurde, 
veranlaßt  und  ferner  auch,  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  durch  die  Nachrichten, 
daß  Amerika  wichtige  Konzessionen  auf  Russisch-Sachalin  und  Ostsibirien  er- 
worben habe.  Es  ist  bestritten  worden,  daß  es  die  Aufgabe  Ishiis  gewesen  «sei, 
über  die  diplomatische  Seite  der  chinesischen  und  russischen  Frage  mit  den 
Leitern  der  amerikanischen  Republik  zu  verhandeln;  man  hat  sogar  in  Washington 
in  halbamtlicher  Form  erklärt,  daß  sich  die  Unterhändler  nur  mit  aktuellen 
Kriegsfragen  befassen  und  alle  Erörterungen  über  die  hohe  Politik  und  Friedens- 
probleme zurückstellen  würden.  Die  japanischen  Blätter  vom  Juli  und  August 
zeugen  jedoch  vom  Gegenteil.  Es  ist  sicherlich  über  die  Beziehungen  Japans  und 
Amerikas  zu  China  und  Rußland  und  somit  über  die  Vormachtfrage  in 
Ostasien  gesprochen  und  entschieden  worden,  und  obgleich  die  Besprechungen 
über  diese  grundlegenden  Probleme  geheim  bleiben  sollen,  damit  die  Oeffentlich- 
keit nicht  durch  freie  Kritik  verderbe,  was  die  Diplomaten  vereinbart  haben,  so 
kann  der  Beobachter  doch  erkennen,  worin  diese  grundsätzliche  Einigung  besteht. 
Was  das  gegenwärtige  Verhältnis  Japans  und  Amerikas  in  den  Beziehungen  zu 
Russisch-Asien  anbetrifft,  so  zeigt  die  Vereinbarung  bezüglich  der  Hilfeleistungen 
an  Rußland  im  Kriege,  auf  die  im  folgenden  eingegangen  werden  wird,  daß  die 
Vereinigten  Staaten  Japans  besondere  Machtstellung  in  Asien  anerkennen,  und 
hinsichtlich  der  chinesischen  Frage  hat  eiue  mit  den  politisrhon  Besprechungen 
Igeichlaufende ,   dem  Anschein   nach    rein   akademische,  in    Wirklichkeit  jedoch 


—  698  -- 

praktisch  bedeutungsvolle  Erörterung  amerikanischer  und  japanischer,  amtlich 
beeintlußter  Organe  über  die  Auslegung  der  Monroedoktrin  erkennen  lassen,  daß 
die  amerikanische  Regierung  sich  bereit  erklärt  hat,  Japans  sogenannte  Monroe- 
doktrin in  Orftasien  unter  der  Bedingung  anzuerkennen,  daß  die  japanische  Ee- 
gierung  mit  dieser  Doktrin  keine  l^olitik  territorialer  Erwerbungen  und  wirt- 
schaftlicher Ausschließung  verknüpfe.  Einzelheiten  wird  man  sich  wohl  gehütet 
haben,  festzulegen,  schon  um  nicht  der  zukünftigen  Praxis  die  Möglichkeit  zu 
nehmen,  die  vereinbarten  Grundsätze  nach  eigenem  Belieben  und  je  nach  d« 
Gunst  der  Umstände  zu  deuten. 

Der  öffentliche  Teil  der  Verhandlungen  betraf  Japans  Hilfeleistungen  im 
gegenwärtigen  Kriege  an  die  Alliierten.  Die  französische  Presse  hat  aus  den 
Washingtoner  Besprechungen  die  Hoftnung  geschöpft,  daß  Japan  Truppen  nach 
dem  Kriegsschauplatze  entsenden  werde,  und  zwar  redete  sie  zuerst  mit  hyste- 
rischer Hartnäckigkeit  von  einem  japanischen  Eingreifen  an  der  russischen  Front 
Als  ihr  klar  gemacht  wurde,  daß  einerseits  Kußland  dies  nicht  wünsche,  und  daß 
es  andererseits  der  bestdisziplinierten  Armee  unmöglich  sein  werde,  auf  dem  grund- 
losen Boden  der  russischen  Organisation  zu  kämpfen,  forderte  sie  die  Entsendung 
japanischer  Truppen  nach  Mesopotamien  und  Mazedonien.  Nun  wünschen,  ganz 
abgesehen  davon,  daß  für  Japan  als  asiatische  Macht  nur  Gesichtspunkte  asia- 
tischer Politik  maßgebend  sein  können,  die  Engländer  gar  nicht  die  Entsendung 
japanischer  Truppen,  weil  sie  bereits  wiederholt  erfahren  haben,  daß  jeder  japa- 
nische Liebesdienst  teure  Opfer  kostet,  und  man  hat,  nach  so  viel  Hoffnungen, 
Mühe  gehabt,  der  französischen  Oeffentlichkeit  auseinanderzusetzen,  daß  von  der 
Entsendung  großer  japanischer  Armeen  überhaupt  nicht  die  Rede  sein  könne,  da 
Japan  nach  Aufstellung  eigener  Heere  nicht  mehr  imstande  sein  werde,  seiner 
Hauptaufgabe,  nämlich  der  Versorgung  der  Alliierten,  gerecht  zu  werden.  Mit 
dem  Problem  einer  aktiven  militärischen  Hilfe  Japans  haben  sich  die  Unter- 
händler in  Washington  wohl  kaum  viel  abgegeben.  Desto  mehr  aber  mit  der 
Versorgungsfrage.  Die  Einigung,  die  in  dieser  erreicht  worden  zusein  scheint, 
daß  nämlich  die  Verantwortung  für  die  Lieferung  an  die  europäische  Westfront 
von  Amerika  und  an  die  Ostfront  von  Japan  übernommen  wird,  macht  den  Ein- 
druck einer  durchaus  logischen  Arbeitsscheidung.  Darum  handelt  es  sich  jedoch 
weniger  als  um  eine  Interessen  Scheidung,  bei  der  nicht  praktische  und  militärische 
Gesichtspunkte,  sondern  politische  Motive  maßgebend  sind.  Amerika  hat  Japan 
die  Führung  bei  der  Versorgung  Rußlands  zui-rkannt.  Die  ganze  Versorgung 
des  riesigen  russischen  Kriegsapparats  zu  übernehmen,  ist  es  indessen  nicht  im- 
stande; deshalb  wird  nach  wie  vor  mit  amerikanischen  Lieferungen  gerechnet, 
doch  müssen  solche  Lieferungen  der  Vereinigten  Staaten  im  Einverständnis  mit 
Japan  erfolficn.  Das  sieht  mehr  nach  Politik  als  nach  geschäftlicher  Zweckmäßig- 
keit aus.  Wenn  man  andererseits  hört,  daß  Amerika  das  finanzielle  Risiko  nicht 
allein  für  seine  eigenen  Lieferungen  an  Rußland,  sondern  auch  für  diejenigen 
Japans  tragen  soll,  so  muß  man  zugeben,  daß  die  japanischen  Unterhändler  bei 
der  Behandlung  der  Frage  sowohl  kluge  Politiker,  wie  auch  recht  gerissene  Ge- 
schäftsleute gewesen  sind,  daß  sie  es  verstanden  haben,  ihre  politischen  Wünsche 
mit  geschäftlicher  Vorsicht  zu  versöhnen. 

Mancherlei  Wünsche  auf  einem  anderen  kriegswirtschaftlichen  Gebiet  haben 
die  japanischen  und  amerikanischen  Unterhändler  versuchen  müssen,  in  Einklang 
zu  bringen.  Die  Amerikaner  und  die  Alliierten  der  Entente  wünschen,  die  in  den 
letzten  Monaten  ungeheuer  emporgewachsene  japanische  Schiff  bauindustrie 
auszunützen,  um  die  großen  Löcher,  die  der  U- Bootkrieg  in  den  Schiffsbestand 
der  Welt  reißt,  nach  Möglichkeit  verstopfen  zu  können.  Die  Japaner  sind  natür- 
lich als  Inselvolk  gern  bereit,  sich  eine  mächtige  Handelsflotte  zu  bauen;  doch 
verspürt  das  amtliche  Japan,  trotz  dem  riesigen  Gewinn,  den  Einzelne  dadurch 
erzielen  können,  geringe  Neigung,  die  Erzeugnisse  seiner  Schiffbauindustrie  an 
andere  Länder  zu  verkaufen.  Andererseits  sind  die  japanischen  Schiffbauer  auf 
den  Bezug  von  ausländischem  Eisen  und  Stahl  angewiesen,  und  diese  Rohstoffe 
erwarten  sie,  da  das  unentwickelte  China  noch  nicht  genütj^ende  Mengen  liefern 
kann,  in  erster  Linie  von  Amerika.  Die  amerikanische  Regierung  ist  deshalb 
ersucht  worden,  ihr  Ausfuhrverbot  für  Eisen  und  Stahl  gegenüber  Japan  aufzu- 


—    699    — 

heben,  und  sie  ist  auch  gewillt  gewesen,  den  diesbezüglichen  Wünschen  der  Ja- 
paner entgegenzukommen,  weil  durch  vermehrte  Einkäufe  .lapans  in  den  Ver- 
einigten Staaten  die  Bilanz  des  japanisch -amerikanischen  Handels  für  Amerika 
verbessert  und  dadurch  dem  bedrohlichen  Goldabtluß  nach  dem  Inselreich  ge- 
steuert werden  kann.  Die  japanische  Handelsflotte  hat  schon  bisher  der  Entente 
und  Amerika  große  Dienste  geleistet  Man  möchte  sich  nun  ihre  Dienste  in  noch 
größerem  Umfang  sichern  und  wünscht  vor  allen  Dingen,  daß  sie  gewisse  Fahrten 
auf  dem  Atlantischen  Ozean  unabhängig  von  den  eigentlichen  Handelsbedürfnissen 
Japans  übernehme.  Der  Japaner  denkt  jedoch  natürlich  in  erster  Linie  an  sich 
selbst  und  an  das  "Wohl  seines  Landes.  Die  Einfuhrverbote  in  den  Entente- 
Jändern,  namentlich  in  England,  haben  der  japanischen  Industrie  geschadet,  und 
in  japanischen  Interessentenkreisen  ist  schon  der  Vorschlag  ernstlich  erwogen 
worden,  die  japanischen  Schiffe  von  denjenigen  Japan— Europa- Fahrten  zurück- 
zuziehen, die  auf  der  Hinreise  nicht  in  hinreichender  Weise  für  die  japanische 
Industrie  ausgenutzt  werden  können.  Um  so  weniger  neigt  Japan  dazu,  seine 
Schiffe  für  Zwecke  herzugeben,  die  mit  den  eigentlichen  Landesinteressen  nichts 
zu  tun  haben.  Immerhin  haben  die  japanischen  Unterhändler  in  dieser  Hinsicht 
EJntgegen kommen  zeigen  müssen,  um  die  gewünschten  Mengen  von  Eisen  und 
Stahl  zu  erhalten;  aber  wenn  man  liest,  daß  auf  Grund  der  jetzt  getroffenen 
üebereinkunft  die  japanische  Handelsflotte  den  Transport  der  amerikanischen 
Lieferungen  nach  Rußland  auf  dem  Stillen  Ozean  übernehmen  wird,  so  versteht 
man,  daß  Ishii  und  die  anderen  Mitglieder  seiner  Mission  auch  hier  verstanden 
haben,  geschäftliches  Entgegenkommen  mit  politischen  Rücksichten  in  Ueberein- 
stimmung  zu  bringen:  der  Hauptbestand  der  japanischen  Handelsflotte  wird  nun 
auf  dem  Stillen  Ozean  und  für  Fahrten  zwischen  Japan  und  Europa  festgelegt 
sein,  und  wenn  mehr  Schiffe  auf  dem  Atlantischen  Ozean  gebraucht  werden 
sollten,  dann  mag  in  erster  Linie  Amerika  seine  Schiffe  von  dem  Stillen  Ozean 
aurückziehen.  Noch  im  Frühjahr  dieses  Jahres  hatten  leitende  Persönlichkeiten 
des  amerikanischen  Schiffahrtsamts  erklärt,  der  japanischen  Handelsflagge  die 
Herrschaft  auf  dem  Pazifik  streitig  machen  zu  wollen.  Daran  dürfte  einstweilen 
wohl  nicht  mehr  zu  denken  sein. 

Im  ganzen  kann  man  von  dem  Ergebnis  der  japanisch-amerikanischen  Ver- 
handlungen sagen,  daß  die  Japaner  dabei  recht  gut  abgeschnitten  haben.  Es  ist 
Japans  bisherige  Kriegspolitik  gewesen,  die  Schwäche  und  die  Schwierigkeiten 
seiner  Verbündeten  und  Freunde  in  der  Gegenwart  nach  Möglichkeit  auszunutzen, 
und  mit  seinen  Hilfsdiensten  glänzende  wirtschaftliche  und  politische  Geschäfte 
zu  machen.  Die  Japaner  haben  es  dabei  meisterlich  verstanden,  obwohl  die 
Kriegskonjunktur  launisch  und  wechselvoll  ist,  die  sich  bietenden  Vorteile  wirt- 
schaftlicher und  politischer  Natur  mit  zielbewußter  Kontinuität  aufeinander  auf- 
zubauen, aber  es  fehlt  dem  Gebäude  die  sichere  Grundlage.  Der  Japaner  ist 
Meister  in  der  Kunst  des  Kleinen.  Er  vermag  aus  vielen  kleinen  Einzelheiten 
ein  wundersames  harmonisches  Kunstwerk  zu  machen.  Aber  es  fehlt  ihm  meist 
der  Zug  ins  Große.  Die  japanische  Diplomatie  hat  es  bisher  versäumt,  den 
großen  Zug  zu  tun,  der  dem  Gebäude  errungener  Vorteile  allein  die  zuverlässige 
Grundlage  verschaffen  kann.  Sie  verschiebt  ihn  bis  zu  den  Friedensverhand- 
lungen und  rechnet  wohl  damit,  daß  dann  die  Konjunktur  Japans  ebenso  günstig 
sein  werde  wie  bisher.  Sie  tut  dies,  obwohl  Japan  allem  Anschein  nach  am  Tisch 
der  Frieder. sunterhändler  wenig  Freude  finden  wird. 

Ueber  den  Außenhandel  der  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika  (vgl.  oben  S.  331  ff.)  in  den  letzten  beiden  Fiskaljahren 
(1.  Juli  bis  30,  Juni)  wurde  in  dem  „V^.  N.  D.  Deutscher  üebersee- 
^ienst"  folgendes  mitgeteilt: 

/•     wii    «N  Fiskaljahre 

(in  MiU.  I)  1916/17  1915/16 

Einfuhr  2659,4  2197,9 

Ausfuhr  62Q3,8 43H»5 

Ausfuhrüberschuß  3t>34,4  2135,6 


—    700    — 

Die  Einfuhr  aus  Europa  Dahm  stets  die  erste  Stelle  ein,  wurde  aber  im  ver- 
gangenen Jahr  durch  die  LInfuhr  aus  Kanada,  Mexiko  und  Mittelamerika  über- 
holt. Erstere  betrug  im  Fiskaljahr  1916/17  610,5  Mill.  $  oder  23  Proz.  gegen 
47V,  Proz.  in  1914;  letztere  dagegen  766,1  Mill.  $  oder  28"/,  Proz.  der  Gesamt- 
einfuhr gegen  22'/,  Proz.  in  1914.  Die  Einfuhr  aus  Südamerika  hat,  verglichen 
mit  1914,  um  fast  143  Proz.,  die  aus  Asien  um  114  Proz.  und  die  aus  Afrika 
sogar  um  213  Proz.  zugenommen.  Die  wichtigsten  Herkunfts-  bzw.  Bestimmungs- 
länder waren  folgende: 


davon 


Fiskaljahre 

(in  Mill.  $) 

1916/17 

1915/16 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Europa 

6lO,5 

4325,4 

616,3 

2999,8 

Noidamerikanisehe  Länder 

766,1 

1164,5 

59 ',9 

733.* 

Südsimerika 

542,2 

259,6 

391,6 

180.2 

Asien 

6.5,« 

380,3 

437.2 

278,6 

Afrika 

60,0 

52,7 

64.8 

43.6 

Ozeanien 

65,3 

111,3 

96,2 

98,8 

Europa: 

Großbritannien 

307,7 

2047,5 

308,4 

1526,7 

Frankieich 

108,1 

1011,5 

102.1 

628,9 

Europ.  Rußland 

5.* 

428,3 

3.6 

178,7 

Italien 

46,4 

360,5 

57.4 

269,2 

Belgien 

1,0 

37.8 

1,5 

21,8 

Deutschland 

1,6 

2,« 

13,» 

0,8 

Oesterreich- Ungarn 

0,2 

— 

I,* 

0,1 

Spanion 

36.9 

77,0 

27.9 

52,8 

^Niederlande 

31,8 

109,5 

38,5 

97.5 

Dänemark 

? 

56,7 

? 

559 

Norwegen 

7,1 

82,0 

6,9 

53,6 

Schweden 

23,6 

45,1 

11,8 

52,0 

Griechenland 

? 

20,9 

? 

3M 

Schwfciz 

20,3 

9 

21,8 

? 

Amerika: 

Kanada 

320,9 

787,5 

204,0 

468,8 

Mexiko 

112,1 

78,7 

97,7 

47,9 

Kuba 

253,* 

178,9 

229,0 

127,2 

Zentral -Amerika 

? 

52,7 

? 

41,7 

Argentinien 

152,6 

82,4 

112,5 

66,4 

Brasilien 

151,6 

56,8 

132,7 

40,8 

Chile 

"3,8 

44,6 

64,2 

24.« 

Asien: 

China 

105,9 

37,8 

71,7 

25.1 

Ostindien 

217,6 

37,1 

177.4 

24,7 

Japan 

208,1 

130,5 

147.« 

74.5 

Asiat.  Rußland 

? 

130,8 

? 

131.1 

Ozeanien: 

Australien  und  Neuseeland 

18,9 

82,0 

64,6 

74,0 

Philippinen 

42,4 

27,5 

28,2 

23,4 

Afrika: 

Aegypten 

29,7 

? 

33,8 

? 

Brit.  Besitzungen 

f 

32,7 

f 

28,4 

1916/17 

1915/16 

1914/15 

1913/14 

335 

252 

224 

248 

346 

310 

286 

228 

I102 

944 

575 

633 

465 

359 

237 

3'9 

369 

315 

336 

449 

i6 

17 

16 

17 

734 

596 

455 

293 

737 

536 

510 

793 

1190 

663 

356 

374 

2935 

1996 

807 

725 

98 

100 

8( 

7 

b2ib 

4272 

271Ö 

2330 

63 

öl 

52 

35 

—    701    — 

Die  Hauptwarengruppen  waren  folgende  (in  Mill.  $): 

Einfuhr: 
Nahrungsmittel,  unverarbeitet 
Nahrungsmittel,    ganz   oder  teil- 
weise verarbeitet 
Gewerbliche  Rohstoffe 
Halbfabrikate 
Fertigfabrikate 
Verschiedenes 

2033  2197  1674  »894 

Ausfuhr: 
Nahrungsmittel,  unverarbeitet  522  381  507  138 

Nahrungsmittel,    ganz  oder  teil- 
weise verarbeitet 
Gewerbliche  Rohstoffe 
Balbfabiikate 
Fertigfabiikate 
Verschiedenes 

Wiederausfuhr 

~t>279  4333  2768  2365 

Im  Handelsteil  der  „Frankfurter  Zeitung"  (vom  4.  September  1917) 
wurden  aus  der  amerikanischen  Außenhandelsstatistik  folgende  bezeich- 
nende Tatsachen  besonders  hervorgehoben : 

„Die  Ausfuhr  hat  eine  Höhe  erreicht,  welche  die  kühnsten  Träume  über- 
trifft. Sie  ist  um  fast  2  Milliarden  höher  als  die  Rekordausfuhr  von  1915/16. 
Die  Einfuhr  hat  sich  zwar  auch  gesteigert,  aber  nur  um  461  Mill.  $.  Während 
des  ersten  Kriegsjahres  blieben  die  monatlichen  Ausfuhrziffern  stets  unter  300 
Mill.  $,  im  September  1915  aber  wurde  diese  Ziffer  überschritten,  und  bis  Januar 
1917  wurde  der  Höchstbetrag  mit  613  Mill.  erreicht.  Es  ist  unnötig  zu  sagen, 
da(i  die  heutigen  Verbündeten  den  größten  Teil  dieser  Ausfuhr  erhielten  und  daß 
die  größten  St».igerungen  auf  Kriegsbedarf  oder  für  dessen  Herstellung  erforder- 
liche Rohstoffe  entfallen.  So  steigerte  sich  der  Betrag  von  Eisen,  Stahl  und 
deren  Produkten  von  545  auf  1010  Mill.  $,  Messing  und  dessen  Produkte  von 
133  auf  362  Mill.,  Kupfer  und  Kupferprodukte  von  149  auf  249  Mill.  Rohbaum- 
wolle zeigt  eine  Wertsteigerung  von  336  auf  515  Mill.,  obwohl  die  Quantität  nur 
in  geringer  Zunahme  war.  Ganz  wichtig  ist  die  Zunahme  in  der  Ausfuhr  von 
Sprengstoffen  seit  Kriegsbeginn,  die  vorher  nur  ganz  unbedeutend  war.  In  1913/14 
betrug  sie  nur  6V4  Mill.  $,  1914  15  erreichte  sie  bereits  41'/,  Mill.,  1915,16  sprang 
sie  auf  467  Mill.  und  in  den  11  Monaten  1916,17  kam  sie  auf  757  Mill.  Die  Ver- 
schiffung von  Schießpulver  allein,  für  dessen  Herstellung  900  Ballen  Baumwolle 
oder  Baumwollfaser  erforderlich  waren,  erreichte  ein  Gewicht  von  375  Mill.  engl  Pfd. 
Bei  verschiedenen  Artikeln  war  der  Geldwert  höher  als  vorher  trotz  geringerer 
Mengen.  Für  Zucker  war  der  Betrag  nur  wenig  geringer,  obwohl  der  Versand 
bedeutend  zurückgegangen  ist.  Die  Pferdeausfuhr  war  weniger  stark  als  in  den 
beiden  Vorjahren,  wo  sie  so  umfangreich  war,  daß  im  abgelaufenen  Jahr  weniger 
Tiere  aufzutreiben  waren.  Dagegen  war  die  Ausfuhr  von  Mauleseln  in  erheblicher 
Zunahme.  Die  Ausfuhr  von  Automobilen  blieb  sehr  bedeutend,  wenn  auch  ge- 
ringer als  im  Vorjahr.  Die  Ausfuhr  nach  England  betrug  2  Milliarden,  zeigt  also 
eine  Zunahme  von  einer  halben  Milliarde.  Sehr  erheblich  war  auch  die  Zunahme 
des  Versandes  nach  Frankreich,  ferner  nach  Rußland  und  Kanada.  Aber  auch 
die  Ausfuhr  nach  Südamerika  und  den  anderen  Weltteilen  weist  starke  Steige- 
rungen auf.  Sowohl  bei  der  Ausfuhr  wie  bei  der  Einfuhr  haben  die  Preissteige- 
rungen eine  sehr  erhebliche  Rolle  in  der  Wertzunahme  gespielt.  Man  kann  sa^en, 
daß  die  Einfuhrmengen  im  allgemeinen  die  gleichen  geblieben  sind  wie  im  Vor- 
Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XL VII 


—     702    — 

jähr.    Die  Goldeinfuhr  hat  fast  ohne  Unterbrechung  jeden  Monat  die  Ausfuhr  über 
schritten.    Von  52,71  Mill.  |  im  Juli  stieg  der  Einfuhrüberschuß  auf  130,64  MiU. 
im  Dezember,  wo  er  seinen  Höhepunkt  erreichte.     Von  der  Gesamteinfuhr  von 
977  Mill.  kamen  900  Mill.  für  englische  Rechnung  aus  Kanada  und  50  Mill.  direkt 
aus  London.    Von  der  Ausfuhr  von  291  Mill.  gingen  u.  a.  ca.  25  Mifl.  nach  West 
indien,  45  Mill.  nach  Spanien,   10  Mill.  nach  Kanada,  58  Mill.  nach  Südamerika 
und  82  Mill.  nach  Japan.     1914/15  betrug  das  Einfuhrplus  nur  25,34  Mill.    Seit 
KriegsauHbruch  hat  sich  somit  der  Goldbestand  der  Vereinigten  Staaten  um  1114 
Mill.  $  erhöht.    Von  der  Silberausfuhr  von  78  Mill.  gingen  50  MUl.  nach  Eng- 
land, von  der  Silbereinfuhr  von  35  Mill.  kamen  15  Mill.  aus  Mexiko.     Der  Gesamt 
ausfuhr  von  43'/,  Mill.  in  1916/17  steht  eine  solche  von  257^  und  21'/^  Mill.  in 
den  beiden  Vorjahren  gegenüber.    Von  dem  Ueberschuß  der  Waren-  und  Silber 
ausfuhr  von   zusammen  3678  Mill.  $  sind   nur  685  Mill.  durch  Goldeinfuhr  au«- 
geglichen  worden ;  der  Kest  von  3  Milliarden  mußte  durch  Effektenverkäufe^  An 
leihen  und  Kredite  gedeckt  werden." 

Wie  in  den  „Nachrichten  für  Handel,  Industrie  und  Landwirt- 
schaft" (vom  27.  Oktober  1917)  mitgeteilt  wird,  beziffert  sich  der  Gesamt- 
wert des  Außenhandels  Chiles  im  Jahre  1916  auf  736  Mill.  Pesos 
Gold  gegenüber   481  Mill.   im  Vorjahre.     Von  diesen  entfielen   auf  die 

1915  1916 

Einfuhr  153,2  Mill.  Pesos  2J2,5  Mill.  Pesos 

Ausfuhr  327,5      „         „  513,6      „ 

In  einem  Bericht  des  deutschen  Generalkonsulats  in  Kristiania 
(mitgeteilt  in  den  „Nachrichten  ftir  Handel,  Industrie  und  Landwirt- 
schaft") finden  sich  folgende  Angaben  über  die  Handelsflotte 
Norwegens: 

Die  norwegische  Handelsflotte  umfaßte: 

Ende  1912  1913  1914  1915  1916 

Dampfschiffe  1973  2052I 

Motorschiffe  153  209/         ^'  ^'  ^ 

Segelschhiffe  i  106  i  019  947  870  787 

Zusammen  Fahrzeuge  3  232  3  290  3  325  3  397  3  428^ 

Damprschiffstonnen- 

gehalt 
Motorschiffstonnen- 
gehalt 
Segelschiffstonnen- 
gehalt 632989  606593        561462  520534         450038 
Gesamttonnengchalt       i  718606       I7b7  4i5     i  784471        1829335      1815  493 
Der  Nettotonnengehalt  weist  danach  die  folgenden  Veränderungen  auf: 

1913  1914  1915  1916 

Anzahl  der  Fahrzeuge     +  5^+  35+  72+  31 

Netto- Reg.-Tonnen  -j-   48799   +    17066  -f   44  8^4  -f    13842 

Der  Dampf-  und  Motorschiffsraum  hat  ziemlich  gleichmäßig  von  Jahr  t%. 
Jahr  zugenommen,  der  Segelschiffsraum  dagegen  nahm  ständig  ab,  besonders  stark 
Ton  1915  auf  1916.  Der  größte  Teil  der  Schiffsabgänge  in  den  Jahren  1915  und 
1916  entfällt  auf  Kriegsverluste. 

Nach  dem  „Journal  of  Commerce"  teilt  der  „W.  N.  D.  Deutscher 
Ueberseedienst"  folgendes  über  die  Schiffahrt  der  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika  mit: 

Die  Gesamttonnage  der  im  Außenhandel  klarierten  Schiffe  betrug  im  Fiskal- 
jahr 1916  17  52  Mill.  t  gegen  52,4  Mill.  t  in  1915/16,  davon  amerikanische  Schiffe 
19,1  Mill.  t  gegen  17.9  Mill.  t  i.  V  Der  Handel  unter  amerikanischer  Flagge 
Jiat  mit  allen  Weltteilen,  ausschließlich  Australien,  zugenommen. 


223  009      I  308  801      I  365  455 


703    — 


1916/17 

1915/16 

(in  1000  Br.-Reg.-T.) 

amerikanische       ausländische 

amerikanische 

ausländische 

Flagge 

Flagge 

Flagge 

Flagge 

Nach  Europa: 

Großbritannien 

667 

7972 

605 

7700 

Frankreich 

372 

3476 

184 

3  453 

Italien 

228 

2  III 

135 

3  445 

Dänemark 

65 

500 

62 

507 

Nirderlande 

33 

1259 

10 

1356 

Schweden 

31 

281 

52 

412 

Spanien 

28 

524 

II 

547 

Europäisches  Rußland 

12 

203 

24 

198 

Griechenland 

5 

166 

6 

346 

Norwegen 

0,* 

520 

— 

563 

Uebriges  Europa 

36 

402 

46 

265 

I  477,4 

17  414 

1135 

18792 

Nach  Amerika: 

Kanada 

9673 

8677 

10  155 

8  109 

Westindien 

2980 

1765 

2125 

2082 

Zentialamerika 

I  182 

381 

1370 

365 

Mexiko 

2138 

362 

I  580 

499 

Südamerika 

115s 

I  617 

945 

I  7b2 

Uebriges  Amerika 

161 

376 

224 

441 

17289 

13178 

16399 

13258 

Nach  Asien: 

China 

84 

340 

47 

407 

Japan 

42 

525 

13 

378 

Ostindien 

10 

157 

20 

135 

Uebriges  Asien 

10 

4.8 

5» 

sei 

146 

1440 

131 

1489 

Nach  Australien 

144 

454 

158 

5..6 

Nach  Afrika 

89 

438 

79 

386 

Ueber  den  Ausbau  des  oorditalienischen  Wasserstraßen- 
netzes wurde  in  dem  „W.  N.  D.  Deutscher  Ueberseedienst"  (vom 
13.  Oktober  1917)  folgendes  mitgeteilt: 

Die  im  Bau  befindliche  Schiffahrtsstraße  Mailand  — Venedig  wird  das 
Zentrum  des  künftigen  norditalienischen  Wasserstraßen netzes  bilden.  Es  münden 
dorthin  mehrere  kleinere  Kanäle,  die  die  norditalienischen  Städte  mit  der  Haupt- 
wasserstraße verbinden.  Mailand  wird  ieinen  großen  und  modernen  Binnenhafen 
erhalten.  Auch  in  Pavia,  das  am  linken  Ufer  des  Tessin  liegt,  wird  man  einen 
Hafen  bauen,  der  den  vorläufigen  Endpunkt  eines  Kanals  von  hier  über  Casale 
nach  Turin  bildet.  „Semaphore  de  Marseille"  vom  25.  Sept.  1917  schreibt,  daß 
später  noch  weitere  Kanäle  von  Pavia  aus  führen  sollen,  die  die  Städte  und  Flüsse 
des  Nordens  mit  den  Apenninen,  dem  Po-Tal  und  den  Häfen  von  Genua  und 
Savona  verbinden  werden.  Piacenza,  am  rechten  Ufer  des  Po,  ein  verkehrs- 
reicher Eisenbahnknotenpunkt,  erhält  einen  Umschlaghafen,  da  von  hier  west- 
wärts (Pavia,  Casale,  Turin)  und  nordwestwärts  (Mailand)  nur  Schiffe  bis  zu  600  t 
verkehren  können.  Cremona,  Modena  und  Brescia  werden  durch  Wasserstraßen 
mit  dem  Po  verbunden,  ebenso  Mantua  durch  den  Mincio.  Ueber  diese  letztge- 
nannte Stadt  wird  später  eine  Verbindung  mit  dem  Gardasee  hergestellt.  Ferrara, 
4  km  vom  Po  entfernt,  wird  durch  einen  Kanal,  der  bei  Pontelagoscuro  in  den 
Po  mündet,  mit  diesem  verbunden.  Endlich  soll  der  neue  Industriehafen  von 
Venedig,  mit  dem  ein  vollständig  neuer  Stadtteil  entstehen  wird,  allen  Anforde- 
rungen der  Neuzeit  entsprechen. 

Im  Handelsteii  der  „Frankfurter  Zeitung"  (vom  12.  September  1917) 
wurden  über  den  Verkehr  im  Suezkanal  während  der  Kriegszeit 
folgende  Angaben  veröffentlicht: 

XL  VII* 


—     704    — 

Die  Erträgnisse  der  öuezkanalgesellschaft  haben  eich,  wie  bekannt,  während 
des  Krieges  immer  mehr  verschlechtert  In  den  letzten  Jahren  vor  dem  Kriege 
war  eine  Dividende  von  jeweils  165  fres.  gezahlt  worden.  Für  1914  und  1915 
konnten  nur  noch  je  120  frcs.  pro  A-ktie  verteilt  werden,  und  für  das  Geschäfts- 
jahr 1916  vermochte  die  Gesellschaft,  wie  wir  seinerzeit  meldeten,  nicht  mehr 
als  90  frcs.  pro  Aktie  auszuschütten.  Die  Verringerung  der  Einnahmen  ist  zum 
überwiegenden  Teile  auf  die  Folgen  des  ü- Bootkrieges  zurückzuführen,  der  den 
Schiffsraum  der  Welthandelsflotte  beträchtlich  vermindert,  die  Verwendbarkeit  der 
Dampfer  aus  Gründen  der  Verkehrssicherheit  eingeschränkt  und  viele  Verände- 
rungen in  der  Fahrtrichtung  verursacht  hat.  In  ihrem  Jahresbericht  erwähnt  die 
Verwaltung  der  Kanalgesellschaft,  daß  sie  zur  Sicherung  des  Seeverkehrs  in  den 
der  Straße  von  Suez  benachbarten  Gewässern  Beistand  geleistet  hat.  üeber  die 
Art  dieser  Beihilfe  macht  sie  keine  näheren  Angaben,  behält  sich  aber  genauere 
Aufklärung  hierüber  für  später  vor.  Die  Tonnage,  die  den  Kanal  durchfahren 
hat,  betrug  1916  nur  noch  12  325000  Reg.-Tons  gegen  15  246000  t  im  Jahre  1915, 
19  409000  t  im  Jahre  1914  und  20034000  t  im  Jahre  1913.  Der  Rückgang  gegen 
die  Verkehrsziffer  von  1913  beträgt  somit  38  Proz.  Wenn  man  berücksichtigt, 
daß  die  in  staatlichem  Dienste  fahrenden  Schiffe  sich  seit  1915  wesentlich  ver- 
mehrt haben,  so  erscheint  der  Rückgang,  den  die  private  Schiffahrt  im  Kanal  er- 
fahren hat,  um  so  stärker.  Der  Verkehr  staatlicher  Schiffe  im  Kanal  bezifferte 
sich  nämlich  1916  bereits  auf  3  694000  t,  wogegen  er  in  Friedenszeiten  alljährlich 
nur  ungefähr  300000  t  ausmachte.  Um  die  Verringerung  der  Tonnage  auszu- 
gleichen, hat  die  Gesellschaft  zur  Erhöhung  der  Abgaben  schreiten  müssen. 
Während  sie  zwischen  1903  und  1912  fünfmal  Herabsetzungen  der  Kanal- 
abgaben eintreten  ließ,  durch  welche  die  Gebühren  nach  und  nach  von  9  frcs. 
auf  6,25  frcs.  pro  Tonne  ermäßigt  wurden,  mußten  am  1.  April  1916  und  am 
5.  Oktober  1916  Aufschläge  von  je  0,50  frc.  Platz  greifen.  Im  laufenden  Jahre 
sind  bereits  zwei  weitere  Erhöhungen  gefolgt,  und  zwar  am  1.  Januar  um  0,50 
und  am  1.  Juli  um  0,75  frc.  Hierdurch  wurde  der  Rückgang  der  Bruttoein- 
nahmen teilweise  ausgeglichen ;  denn  die  beiden  Gebührenerhöhungen  des  Jahres 
1916  hatten  bereits  eine  zusätzliche  Einnahme  von  5  923000  frcs.  zur  Folge.  Die 
Verwaltung  ist  der  Ansicht,  daß  die  nächste  Zukunft  bezüglich  des  Kanalverkehrs 
ungewiß  bleibt;  aber  sie  sieht  der  Zeit  nach  dem  Friedensschlüsse  mit  Vertrauen 
entgegen.  Ohne  Zweifel  kann  die  erste  Periode  nach  dem  Eintritt  des  Friedens 
nicht  sofort  Verkehrsziffern  bringen,  wie  man  sie  vor  Ausbruch  der  Feindselig- 
keiten gewohnt  war;  aber  die  inzwischen  festgesetzten  erhöhten  Gebühren  werden 
auch  in  Zukunft  eine  gute  Rentabilität  ermöglichen.  Bekanntlich  haben  die 
wiederholten  Erhöhungen  der  Abgaben  in  englischen  Schiffahrtskreisen  energischen 
Widerspruch  erfahren,  und  sie  haben  auch  nicht  verhindern  können,  daß  in  der 
ersten  Hälfte  des  laufenden  Jahres  ein  weiterer  nicht  unbeträchtlicher  Rückgang 
der  Einnahmen  erfolgt  ist. 

Wie  im  Handelsteil  der  „Frankfurter  Zeitung"  vom  9.  Oktober  1917 
mitgeteilt  wird,  ist  der  griechischen  Kammer  ein  Gesetzentwurf  über 
die  Vereinigung  und  Verstaatlichung  der  griechischen  Eisen- 
bahnlinien zugegangen.  Es  handelt  sich  um  folgende  Linien:  die 
Larissabahn,  deren  Ankauf  schon  im  Jahre  1914  durchgesetzt 
wurde,  wobei  die  bisherige  Gesellschaft  aber  noch  beibehalten  wurde; 
die  Anschlußbahn  von  der  alten  griechischen  Grenze  bis  Salonik, 
die  im  vorigen  Jahre  fertiggestellt  wurde  (auf  Staatskosten  erbaut); 
die  mazedonischen  Bahnen,  die,  obwohl  sie  hauptsächlich  deutschen 
und  österreichischen  Kapitalisten  gehören,  bei  der  griechischen  Mobil- 
machung 1915  von  der  griechischen  Regierung  eigenmächtig  in  eigene 
Verwaltung  genommen  wurden,  während  die  Frage  der  Entschädigung 
der  Eigentümer  der  Bahnen  der  Zukunft  anheimgestellt  wurde;  die 
thessalischen   Bahnen    (Volo— Tnkkala  und  Volo — Laiissa).     Hin- 


—    705    — 

sichtlich  der  Peloponnesbahn  ist  noch  kein  endgültiger  Beschluß 
gefaßt  worden,  solange  die  Klärung  der  wenig  günstigen  Finanzlage 
dieser  Gesellschaft  noch  nicht  erfolgt  ist.  P.  Arndt. 

V.  Versicherungswesen. 

Inhalt:  1.  Privatversicherung.  DeutBchlaud:  Geächäftsbericht 
des  Kaiserlichen  Aufsichtsamts  für  1916.  Ergebnisse  der  deutschen  Privatver- 
Hicherung  1916.  Die  Transportversicherung  1916.  Abänderung  des  Aufsichts- 
gesetzes  betr.  Hypotheken  Versicherung.  Kreditversicherungs- Neugründung.  Ge- 
plante Verstaatlichung  der  Viehversicherung.  Loslösung  der  deutschen  Versiche- 
rung von  den  Londoner  Lloyds.  Gefährdung  der  deutschen  Versicherung  in 
Amerika.  —  Ausland;  Bericht  des  schweizerischen  Versicherungsamtes.  Die 
Valutafrage  in  der  schweizerischen  Versicherung.  Maßregeln  der  japanischen 
Seekriegs  Versicherung  gegen  England. 

2.  Sozialversicherung.  Deutschland:  Verjährung  der  Beitrags- 
rückstände in  der  Angestellten  Versicherung.  —  Ausland:  Lohnklasseneinreihung 
in  der  österreichischen  Krankenversicherung.  Ein  Ministerium  für  soziale  Für- 
sorge in  Oesterreich.    Erweiterung  der  russischen  Krankenversicherung. 

1.   Privatveraicherung. 

Der  Bericht  des  Kaiserlichen  Aufsichtsamts  für  1916  zeigt,  wie 
dem  .,B.  B.-C."  zu  entnehmen  ist,  das  unverkennbare  Gepräge  des  noch. 
immer  über  die  Welt  wütenden  Krieges.  Die  Bruttoprämien- 
ein nähme  des  vom  Amte  beaufsichtigten  Versicherungsgeschäftes  aus 
dem  Jahre  1915  zeigt  ein  Fallen  der  Schlußsumme  um  rund  7OV2  Mill.  M. 
Während  in  der  Lebensversicherung  die  Prämie  um  rund  42,8  Mill.  M., 
in  der  Unfall-  und  Haftpflichtversicherung  um  rund  27,3  Mill.  M.,  in  der 
Hagelversicherung  um  rund  5,1  Mill.  M.,  in  der  Viehversicherung  um 
rund  800000  M.  und  bei  den  sonstigen  Versicherungszweigen  um  rund 
2,4  Mill.  M.  gefallen  ist,  weist  die  Feuerversicherung  einen  Zuwachs 
von  rund  7,8  Mill,  M.  auf. 

[n  der  großen  Lebensversicherung,  abgesehen  von  der  Kranken-  und 
Invalidenversicherung,  betrug  der  Versicherungsbesiand  Ende  1916  13813  Mill.  M. 
Versicherungssumme  und  30  Mili.  M.  Jahresrente,  wobei  die  steigenden  Renten 
nicht  eingerechnet  sind.  In  der  Unfall-  und  Haftpflichtversicherung 
hat  sich  die  Prämieneinnahme  der  deutschen  Unternehmungen  wiederum  ver- 
mindert, und  zwar  in  der  Unfallversicherung  um  2  252000  M.  und  in  der  Haft- 
pflichtversicherung um  728000  M.  Die  Prämieneinnahme  der  ausländischen 
Unternehmungen  hat  wieder  zugenommen,  in  der  Unfallversicherung  um  138000  M. 
und  in  der  Haftpflichtversicherung  um  187  000  M.  Die  gesamte  Prämieneinnahme 
in  der  Unfallversicherung  betrug  gegen  35  Mill.  M.,  in  der  Haftpflichtversiche- 
rung 48,052  Mill.  M.  In  der  Viehversicherung  betrug  die  Gesamt  Versiche- 
rungssumme in  1916  über  475  Mill.  M.  gegen  303'/,  Mill.  M.  im  Vorjahre.  Die 
Gesaratprämieneinnahme  belief  sich  auf  2658000  M.  In  der  Hagelversicherung 
betrug  die  gesamte  Versicherungssumme  1051488000  M.  gegen  1033  793  000  AI. 
i.  V.  Die  Prämien  beliefen  sich  auf  11912000  M.,  die  Schadenszahlung  auf 
4885000  M.  In  der  Feuerversicherung  betrug  die  Versicherungssumme  des 
deutschen  Geschäfts  üoer  152  Milliarden  M.,  im  ausländischen  Geschäft  über 
177.,  Milliarden  M.  gegen  ca.  145  Milliarden  M  des  deutschen  Geschäfts  i.  V. 
und  17,3  Milliarden  M.  des  ausländischen  Geschäftes  i.  V.  Die  Bruttoprämien- 
einnahmen  beliefen  sich  insgesamt  bei  den  deutschen  Unternehmungen  auf  über 
317  Mill,  M.  und  bei  den  au.sländischen  Unternehmungen  auf  über  12'/,  Mill.  M. 
Die  Bruttoschäden,  einschließlich  Schaden ret^erve,  aber  ohne  Ermittlungskosten. 
144' .,  Mill.  M.  des  deutschen  Geschäfts  und  5817  000  M.  bei  den  ausländischen 
Unternehmungen.     In  der  Mietverlust-,  Betriebsverlust-  und  Zuckerpreisdifferenz- 


—    7o6    — 

Versicherung  betrugen  die  versicherten  Summen  im  Berichtsjahr  328560281  M. 

fegen  243841212  M.  i.  V.;  die  Bruttopräraien    1254  219  M,  die  Bruttoschäden 
löOOO   M.     In    den    sonstigen    Zweigen    der    Schaden  Versicherung 
stellen  sich  die  Resultate  folgendermaßen: 


.  _           ... 

BcMtHiid   tCnde 

Iül6 

Bet«tHDd  Ende 

lUIÖ 

Deutüche 

Aubländ. 

Deatiwhe 

Ausländ. 

Unternehmunsren 

Unterneh- 
mungen 
(Deutschet« 

Unternehmungen 

üntemelj 

mungen 

(Deutschem 

Deufc<ches 

Ausländ. 

Deutsches     Ausländ. 

Geschäft 

Geschäft 

Geschäft) 

(ieschäft      Gewhfift 

Geschäft) 

1000  M. 

Starmschädenversicherung 

224  676 

_ 

_ 

224  520 

_ 

_ 

Was8erleitungi<schä(lenversicherung 

6  2qi  461 

293  049 

18378 

6  109  499 

273  723 

IS  i68 

Einbruchsdiebstahl  Versicherung 

18888358 

2  544  686 

843  839 

18  106^69 

2774094 

81625? 

GlasversicheruDg 

337  742 

3' 939 

959 

335  046 

30942 

909 

KautionsveisieheruDg 

187  739 

34685 

35503 

158882 

19428 

59  762 

Kreditversicherung 

3  955 

797 

3839 

71: 

— 

Maschinen  Versicherung 

485  449 

38656 

9 

374  109 

41005 

V 

Wertgegenständeversicherung 

6807 

— 

— 

6395 

— 

Baulastversicherung 

7057 

— 

— 

6478 

— 

— 

Stellenlosen  Versicherung 

27342 

— 

— 

24902 

— 

— 

Verunt  reu  ungs  Versicherung 

27  20b 

1005 

— 

18355 

493 

— 

Hypothekenversicherung 

9082 

— 

— 

9070 

— 

— 

Die  Prämieneinnahmen  der  deutschen  und  ausländischen  Unternehmungen 
betrugen  in  der  Sturmschäden-  179  000,  Bruttoschäden  79000,  Wasserleitungs- 
schäden- 3  305000,  Bruttoschäden  1225000,  Einbruchsdiebstahl-  18  7100000, 
Bruttoschäden  7  300000,  Glas-  10233  000,  Bruttoschäden  6  955000,  Kautions- 
1376000,  Bruttoschäden  821000,  Kredit-  363  000,  Bruttoschäden  276000,  Ma- 
schinen- 1138000,  Bruttoschäden  821000,  Wertgegenstände-  26000,  Brutto 
schaden  9000,  Veruntreuungs- 241  000,  Bruttoschäden  48  000,  Hypothekenversiche- 
rung 51000,  Bruttoschäden  182000  M. 

Die    Prämieneinnahmen     der     deutschen    Rückversicherungsimter- 
nehmungen  stellten  sich  folgendermaßen: 


Zahlungen 

Betriebszweig 

Prämien 

Betrozessions- 

aus  Versicherungs- Fällen 

abzügl.  Bistorni 

Prämien 

für  eigene  Bfchnung 

einschl.  Begulier.- Kosten 

M. 

M. 

M. 

Lebens- 

63  148  607 

14  009  605 

19328612 

ünfall-  und  Haftpflicht- 

24771230 

4362352 

9500344 

Transport- 

139357  »60 

76  567   303 

37011  028 

Feuer- 

297  088  443 

125870941 

98  247  258 

Einbruchdiebstahl- 

5252272 

752   740 

1242838 

Sonstige  Versicherungen 

14  202  726 

99»  705 

7  426  982 

Ueber  die  Einwirkung  des  Krieges  läßt  sich  das  Amt  folgender- 
maßen aus: 

Die  wirtschaftliche  Lage,  insbesondere  die  Leistungsfähigkeit  der  be- 
aufsichtigten Unternehmungen,  hat  im  Jahre  1916  und  im  Jahre  1917  bis  zum 
Abschlüsse  des  Berichtes  im  großen  und  ganzen  das  gleiche  erfreuliche  Bild  wie 
im  Vorjahre  gezeigt  (Ver.A.  f.  P.  1916,  S.  59);  eine  Erschütterung  auf  dem  Gre- 
biete  des  Versicherungswesens,  soweit  es  der  Aufsicht  des  Amtes  unterstand,  ist 
in  keiner  Weise  bemerkbar  gewesen,  wenn  auch  der  Eingang  an  Hypotheken- 
zinsen einen  weiteren  kleinen  Kückgang  aufzuweisen  hatte,  und  obwohl  die  Be- 
triebsschwierigkeiten   durch    weitergreifende    Einziehung    von    Angestellten    zum 


-    707    — 

Kriegsdienst  oder  Hilfsdienst  sich  nicht  unwesentlich  gesteigert  haben.  Aber  die 
Sicherheit  der  Vermögensanlage  und  die  Zahlungsfähigkeit  der  deutschen  Gte- 
«ellschaften  ist  nach  wie  vor  unangetastet  geblieben.  Ein  Anlaß  zu  Befürchtungen 
für  die  Zukunft  ist  um  so  weniger  gegeben,  als  im  Berichtsjahre  deutlich  eine 
Abschwächung  der  nachteiligen  Wirkung  des  Krieges  auf  die  Versicherungsunter- 
nehmungen sich  bemerkbar  gemacht  hat.  Namentlich  hat  sich  der  Rückgang  im 
Versicherungsbestande  bei  der  großen  Lebensversicherung  erheblich  vermindert; 
bei  der  Volks  Versicherung  hat  sich  eine  Rein  zunähme  gezeigt.  Abgesehen  von 
der  Unfall-  und  Haftpflichtversicherung,  bei  denen  der  Rückgang  an  Beitrags - 
einnahmen  erheblich  geringer  als  im  Vorjahre  war,  ist  bei  den  übrigen  Versiche- 
rungszweigen sogar  ein  nicht  unwesentliches  Anwachsen  der  Versicherungssummen 
festzustellen.    Auch  die  Gewinnbeträge  zeigen  eine  Vermehrung. 

Infolge  der  vermehrten  Einziehung  von  Angestellten  sind  auch  Mehrausgabeu 
durch  die  Erhöhung  der  Beihilfe  an  eingezogene  Angestellten  und  deren  Familien 
eingetreten.  Zusammen  mit  dem  Ergebnisse  der  6.  Kriegsanleihe  haben  die  be- 
aufsichtigten Versicherungsunternehmungen  nicht  weniger  als  2  310289000  M. 
gezeichnet,  davon  auf  eigene  Rechnung  1306  292  000  M. 

In  seinem  Bericht  für  1914  hat  das  Amt  auf  die  Gefährlichkeit  und  Un- 
übersehbarkeit des  Kriegsrisikos  hingewiesen  und  ausgeführt,  daß  es  sich  bei  der 
Aufsichtsführung  jeden  Zwanges  hinsichtlich  der  nachträglichen  Uebernahrae  und 
hinsichtlich  der  Betragssumme  enthalten  hat.  Das  Amt  glaube  dafür  sorgen  zu 
sollen,  daß  Härten  für  die  Kriegsteilnehmer  möglichst  beseitigt  würden.  Solche 
Härten  würden  dann  entstehen  können,  wenn  die  Wiederherstellung  der  Versiche- 
rung bei  der  erneuten  Prüfung  von  sehr  strengen  Voraussetzungen  abhängig  ge- 
macht wird,  insbesondere  hinsichtlich  des  Nachweises  vollkommener  günstiger 
Gesundheit  des  Versicherten.  Auf  Anfrage  haben  diejenigen  Gesellschaften,  mit 
welchen  das  Amt  verhandelt  hat,  sich  bereit  erklärt,  den  Versicherten  weit  ent- 
gegenzukommen . 

Der  Geschäftsbetrieb  bei  den  deutschen  Zweigniederlassungen  eng- 
lischer und  französischer  Lebensversicherungsgesellschaften  bot 
in  den  letzten  12  Monaten  im  wesentlichen  dasselbe  Bild  wie  in  den  beiden  ersten 
Kriegsjahren.  Die  fälligen  Ansprüche  der  deutschen  Versicherten  konnten  auch 
im  Berichtsjahre  dank  dem  guten  Willen  der  inländischen  Gesellschafts  Vertreter 
und  der  tatkräftigen  Mithilfe  der  amtlich  bestellten  Aufsichtspersonen  im  allge- 
meinen voll  befriedigt  werden.  Wie  in  den  Vorjahren  wurden  die  hierfür  er- 
forderlichen Mittel  aus  den  regelmäßigen  Geschäftseinnahmen  durch  die  In- 
anspruchnahme der  Ueberdeckung  der  Prämienreserve,  durch  die  teilweise  Freigabe 
der  Kautionen  bestritten,  hier  und  da  auch  im  Wege  der  Beschaffung  namhafter 
Kredite  anfgebracht.  Im  Verlaufe  des  Krieges  sind  Unfall  Versicherungsgesell- 
schaften dazu  übergegangen,  Versicherungen  gegen  Unfall,  die  durch  Luftfahr- 
zeuge verursacht  sind,  zu  gewähren.  Auch  sonst  enthält  der  Bericht  noch  zahl- 
reiche anregende  und  lehrreiche  Notizen,  namhafte  Urteile  aus  der  Judikatur  des 
höchsten  Gerichtshofes,  wertvolle  Bemerkungen  zu  einzelnen  Vorschriften  des 
VAG.  und  VVG.,  und  schließlich  einen  Anhang  mit  Tafeln  über  den  Bestand 
und  die  hauptsächlichsten  Betriebsereignisse  des  Berichtsjahres. 

Die  deutschen  Privatversicherungsgesellschafteii 
haben  nach  dem  „Nationalökonom"  1916  folgende  Ergebnisse  aufzu- 
weisen : 

Der  Geschäftsumfang  der  deutschen  Pri vatversicherungsgesell - 
«chaften  hat  im  Jahre  1916  zwar  eine  Verringerung  erfahren,  die 
jedoch  keineswegs  jene  Ausdehnung  annahm,  wie  nach  Ausbruch  des 
Krieges  zu  erwarten  war.  In  finanzieller  Beziehung  waren  die  Ergeb- 
nisse günstig,  und  es  gibt  wenige  wirtschaftliche  Gebilde,  die  so  große 
Öeldreservoirs  sind,  wie  die  Versicherungsgesellschaften.  Ende  1916 
hatten  deren  Aktiven  die  Höhe  von  9019  Mill.  M.  erreicht,  gegen 
8695  Mill.  Ende  1915;  die  Steigerung  betrug  demnach  innerhalb  dieses 


^o8      — 


Jahres  323  Mill.  Die  einzelnen  Versicherungsbranchen  sind  bei  dieser 
großen  Kapitalsansammlung  sehr  ungleich  beteiligt,  wie  folgende  Auf- 
stellung zeigt;  es  betrugen  in  Mark: 


Vermögens- 

Gewinn- 
reserven der 
Versicherten 

Gesellschaften 

Aktienkapital 
Bareinschuß 

reserven 
und  Gewinn- 
vortrag 

Prämien 
reseryen 

49  Lebensvers. 

47438186 

150  32 1364 

613  051  794 

568629097« 

57  Feuervers. 

60979480 

165  123  777 

49»9457 

144790720 

48  Transport vers. 

31  720201 

45913224 

— 

46552265 

49  Rüikvers. 

35328520 

88829021 

— 

522629173 

33  ITnfallvers. 

4  223  300 

12535740 

1 1  169  999 

137953385 

18  Hagel vers. 

9313300 

50963495 

— 

4  488  204 

25  "Viehvers. 

250000 

7231857 

I  070 

2559440 

23  Glasvei-s. 

I  048  650 

I  939  276 

125  685 

8322678 

52  Einbruohvers. 

— 

5992 

145  807 

II  996479 

30  VVasserleitungssch.-Vers. 

— 

— 

— 

2  132  207 

7  sonstige  Vers. 

— 

—  • 

— 

1768472 

Summen  1916 

190  30 1637 

522  863  746 

629413812 

6  569  484  001 

1915 

186  115  365 

491  S45029 

608351953 

6252663723 

1910 

164627600 

364  227  263 

431  141  596 

473996280c 

1900 

132502567 

196867090 

171  880363 

2  378  251  891 

„         1886 

98  645  555 

103  933  075 

59916  125 

746  940  226 

Die  Aktionare  haben 
außerdem  haften  sie  für 
müssen.      Von    den 
wurden  210599  320 


190  Mill.  M.  an  Aktienkapital  bar  eingelegt. 

23,7  Mill.,  die  sie  im  Bedarfsfälle  nachzahlen 
angesammelten  Gewinnanteilen  der  Versicherten 
M.  im  Jahre  1916  ins  Verdienen  gebracht. 


Die   Kapitalsanlagen   setzten 
folgendermaßen  zusammen  in  Mark: 


sich    Ende    1916    hauptsächlicii 


Bankeinlagen, 

Grundbesitz 

Gesellschaften 

Kassa-  und 
Zinsvorträge 

abzüglich 
Belastung 

Wertpapiere 

Hypotheken 

Lebensvers. 

6060755 

"5  933  529 

561  806412 

5363155482 

Feuervers. 

20239556 

31570572 

231  279607 

192878775 

Tronsportvers. 

40093444 

19289385 

79  464  369 

58  710246 

Rückvers. 

34964921 

4579291 

206  409  857 

166  370  561 

ünfallvers. 

i8  198  106 

2439716 

132  247  178 

61  640204 

Hagelvers. 

5594845 

1054759 

53  80;  105 

3  106  631 

Vichvers. 

I  786158 

176086 

6447154 

913057 

Glasvers. 

4031245 

552  790 

3123743 

7241538 

Einbruchvers. 

II  269554 

4  508  558 

— 

Wasserleitung8sch.-Vers. 

I  030  780 

— 

1367  341 

— 

Sonstige  Vers. 

1374 '56 

— 

1772927 

— 

Summen  1916 

144643520 

175596038 

i  282  234  251 

5854046494 

1915 

105484577 

174782336 

I  O39988482 

5  777  075  796 

19  0 

169185  186 

134053042 

450022  103 

4623373205 

1900 

71  747096 

86  188371 

257795012 

2375492667 

1886 

46  949  448 

37  904  490 

141  255  074 

755  042  73 ^ 

—    709    — 

'  Seit  1900  haben  sich  die  Fonds  ujn  b^j^  Milliarden  M.  vergrößert, 
davon  entfallen  auf  die  Hypothekardarleben  allein  3479  Mill.,  also 
70  Proz.  aller  Neuanlagen.  Zu  den  hier  verzeichneten  Anlagen  kommen 
noch  523737081  M.  Wechsel  der  Aktionäre,  543127315  M.  Policen- 
darlehen, der  Rest  von  495  Mill.  besteht  aus  Lombard-  und  Eskompte- 
anlagen,  ferner  aus  Verrechnungsposten  mit  Agenten,  Rückversicherern 
und  diversen  Debitoren. 

Die  hauptsächlichsten  Einnahme-  und  Ausgabeposten  waren 
1916  in  Tausenden  Mark: 


Prämien  und  Gebühren 

Schaden- 
zahl für 

Prämien- 

Prämien- 

reserve- 

über- 

Gesellschaften 

Brutto 

für  eigene 
Rechnung 

eigene 
Rechnung 

Zuwachs 

schüsse 

in  Tausenden  Mark 

Lebensvers. 

716003 

687  IQ7 

483  962 

15289 

120942 

Feuerversicherungsges. 

319824 

160716 

65492 

8994 

25136 

Transportvers. 

307  279 

142085 

105477 

8539 

585 

Rückvers. 

489^13 

3«4  85o 

181  566 

4240b 

6601 

Unfall  vers. 

82894 

64652 

28665 

2380 

8136 

Hagelvers. 

58345 

56716 

42258 

190 

6488 

Viehvers. 

20613 

18614 

12871 

842 

1643 

Glasvers. 

10438 

9563 

6078 

277 

142 

Einbr.-Diebst.-Vers. 

17786 

12  178 

4342 

717 

2525 

Wasserleitungssch.-Vers. 

3304 

2818 

905 

55 

769 

Sonstige  Vers.-Branchen 

4787 

1970 

1054 

184 

211 

Summen  1916 

2  030  886 

I  471  359 

932  670 

79873 

173  178 

1915 

I  887  092 

140J014 

927  540 

50931 

159  170 

1910 

1653552 

I  260  196 

692  594 

293  202 

144093 

1900 

919090 

704  440 

393  906 

172  175 

67  131 

1886 

328834 

269  864 

160348 

64338 

37822 

Diese  Ziffern  geben  ein  Bild  der  Prosperität  der  Anstalten, 
welche  von  Jahr  zu  Jahr  das  Geschäft  bedeutend  erweitern.  Außer 
dem  Geschäftsüberschusse  nahmen  die  Anstalten  noch  136  823080  M. 
an  Zinsen  ein,  nach  Abzug  von  193  Mill.  M.  Piämienreservezinsen  bei 
den  Lebensversicherungsgesellschaften,  während  13  571982  M.  Kurs- 
verlust eintrat.  Von  dem  Ueberschusse  erhalten  die  Versicherten, 
welche  mit  Gewinnanteil  versichert  sind,  210599320  M. 

Der  Krieg  hat  auf  die  Ergebnisse  der  Transportversiche- 
rung, wie  gleichfalls  dem  „Nationalökonom"  zu  entnehmen  ist,  natur- 
gemäß eine  bedeutende  Wirkung  ausgeübt;  doch  zeigt  sich  eine  er- 
hebliche Besserung  gegen  die  Vorjahre  1914  und  1915,  die  eine  Ver- 
minderung der  Prämieneinnahmen  von  31  resp.  14  Mill.  M.  ausweisen. 
Der  Geschäftsumfarg  für  1916  hat  sich  gehoben,  wie  die  Prämienein- 
nahme zeigt,  die  nicht  weniger  als  82 Y2  Mül-  zugenommen  hat.  Wenn 
man  bedenkt,  daß  seit  Ausbruch  des  Krieges  die  deutschen  Versicherungs- 
gesellschaften von  einem  großen  Teile  des  Weltverkehrs  abgeschlossen 
sind,  das  Geschäft  ab  deutschen  und  österreichischen  Häfen  auf  ein  Mini- 
mum reduziert  ist,  so  erscheint  der  Geschäftsumfang  für  1916  außer- 
ordentlich groß. 


—    -jio    — 

Das  finanzielle  Kesultat  war  günstiger  als  im  Vorjahre,  steht  aber  noch 
immer  gegen  die  früheren  Jahre  zurück,  was  mit  der  Zunahme  der  Behadenzah- 
lungen  zusammenhängt.  Allerdings  war  es  günstiger  als  im  Jahre  1914,  das  mit 
einem  industriellen  Verluste  von  1 166094  M.,  und  1915,  das  mit  einem  Gewinne 
von  69  371  M.  abschloß.  Im  Berichtsjahre  haben  von  48  Gesellschaften  nicht 
weniger  als  19  Gesellschaften  zusammen  2078497  M.  Geschäftsverluste  erlitten, 
während  29  Gesellschaften  2  663  665  M.  ins  Verdienen  brachten.  Netto  resultierte 
ein  Geschäftsgewinn  von  585168  gegen  P9  371  M.,  resp.  gegen  einen  Verlust  von 
1 166094  M.  im  Jahre  1914.  Der  Nettogewinn  aus  den  Prämien  betrug  0,4  Pro«. 
der  Nettoprämien  gegen  0,06,  —  0,94,  4,1,  4,1,  3,25,  3,6,  3,8,  1,2,  in  den  7  Vor- 
jahren 1915-1908.  Es  dürfte  wohl  wenige  Industrien  geben,  die  auch  in  günstigsten 
Jahren  so  geringen  Nutzen  erzielen,  der  nur  entsprechen  kann,  weil  der  Geschäft»- 
uragang  ein  sehr  bedeutender,  der  zu  verzinsende  Bareinschuß  der  Aktionäre  ver- 
hältnismäßig gering  ist. 

Die  Prämieneinnahme  erreichte  307  279  225  M.  gegen  223 195  914  M.  resp. 
242  725  460  M.  in  beiden  Vorjahren.  An  die  Rückversicherer  wurden  165 194  158  M. 
abgegeben,  dagegen  den  Prämienreserven  8  539  315  M.  zugeschrieben.  Es  ver- 
blieben demnach  zur  eigenen  Verwendung  im  laufenden  Jahre  133  545  752  M. 
Im  letzten  Jahrzehnt  hat  die  Nettoprämieneinnahme  der  deutschen  Transportver- 
sicherungsgesellschaften  um  54073411  M.  zugenommen. 

Die  Schadenzahlungen  erforderten  nach  Abzug  der  Leistungen  der  Rückver- 
sicherer 105  476  615  M.  gegen  92  250097  M.  im  Vorjahre;  in  Prozenten  der  Netto- 
prämien 78,9  gegen  78,9  Proz.  Nicht  weniger  als  23  Gesellschaften  verbrauchten 
mehr  als  80  Proz.,  2  mehr  als  100  Proz.  der  Nettoprämieneinnahme  für  Schaden- 
zahlungen. Im  Laufe  der  Jahre  1888  bis  1916  erforderten  die  Schadenzahlungen 
71,3,  73,8,  7-^7,  76,2,  71,5,  74,2,  73,8,  78,1  77,8,  75,4,  75,5  77,1,  77,4  76,  76,5,  75,1, 
71,7,  72,3,  72,3,  72,8,  78,5,  79,0,  75,3,  75,5,  75,9,  75,4,  80,2,  78,9  und  79,0  Proz , 
1914,  1915  und  1916  zeigen  den  stärksten  Schadenersatz. 

Für  Spesen,  Provisionen  und  Steuern  wurden  27  483  969  M.  =  20,6  Proz.  der 
Nettopräraieneinnahmen  verausgabt.  In  Wirklichkeit  sind  die  Spesen  etwas  höher, 
da  mehrere  Gesellschaften  ihre  Prämieneinnahmen,  um  die  Provision  gekürzt,  in 
Rechnung  stellen. 

Zu  dem  üeberschusse  aus  dem  Geschäfte  per  585  168  M.  kommen  die  Ein- 
nahmen an  Zinsen  mit  7  817  490  M ,  wogegen  die  Abschreibungen  an  Wertpapieren 
966  774  M.  erforderten,  so  daß  der  ganze  Reingewinn  7  435000  M.  betrug. 

Die  Garantiefonds  der  Gesellschaften  erreichten  Ende  1916  den  Betrag  von 
415,6  MUl.  M.  und  setzten  sich  aus  folgenden  Positionen  zusammen,  in  Mark: 

Ende  1916  Ende  1915  Ende  1914 

Bareinsch.  der  Aktionäre         65  253  237  63  975  540  65  775  540 

Kapitalsreserven  *)                    124  936  829  120  176  462  117  105  149 

Transp.-Prämienreserven           46552265  37  344  747  37  255  335 

23^742331  221496749  220136024 

Dazu  Wechs.  d.  Aktion.         178  870  721  175508448  179709Q48 


415613052       397005197       399845972?? 

Außerdem  waren  bei  30  Gesellschaften,  welche  noch  andere  Branchen  be- 
treiben, für  dieselben  an  Prämienreserven  ca.  1250  Mill.  M.  vorhanden. 

48  Ges.  48  Ges.  47  Ges.  46  Ges. 

1916  1915  1914               1913 

Einnahmen  und  Ausgaben  in  den  Jahren  1913 — 1916  in  Tausenden  Mark: 

Prämieneinnahmen             307  279  223  195  242  725  273  734 

ab  Rüekvers.-Präm.        165194  107735  122383  I39  4»S 

„    Reservezuwachs            8539  —»395  —3  74^             43'3 

Verbl.  Nettoprämien           »33  S46  116855  124088  130006 

1)  Inklusive  Gewinnvortrag. 


—    711     — 

48  Ges.  48  Ges.  47  Ges.  46  Ges. 


ivon  wurden  verwendet 
Eigene  Schadenzahl. 
Kost.,  Prov.,  Steuern 

1916 
für: 
105  477 
27484 

1915 

92250 
24536 

1914 

99451 
25803 

1913 

98026 
26606 

üeberseh.  a.  d.  Präm. 

Zinsen 

Kursdifferenzen 

7817 
-967 

69 
6797 

—1775 

—  I  i6b 
5628 
—  179 

5  374 

5299 

—  1304 

Totalübersehüsse 

7  435 

5091 

4283 

9369 

Zur  Annahme  gelangt  ist  ein  Gesetzentwurf  zur  Ergänzung  des 
Gesetzes  über  die  Privatversicherungsunternehmungen,  der  einem  von 
führenden  Verbänden  des  Baugewerbes  und  des  Hausbesitzes  geäußerten 
Wunsche,  bei  ihren  Bemühungen  um  Förderung  und  Gesundung  des 
Grnndkredits  nicht  unter  die  dem  Gesetz  über  die  privaten  Versiche- 
rungsunternehmungen vom  12.  Mai  1901  geordnete  Aufsicht  zu  kommen, 
dahin  Rechnung  bringt,  daß  der  von  diesen  Verbänden  geplante  Hypo- 
thekenschutz nicht  als  Geschäft  angesehen  werden  soll. 
Demgemäß  besagt  der  einzige  Paragraph  des  Gesetzentwurfes,  daß  als 
Versicherungsunternehmungen  nicht  gelten  sollen  Unternehmungen,  die 
der  Förderung  des  Grundkredits  durch  Uebernahme  des  H3'potheken- 
schutzes  dienen,  insbesondere  in  der  Weise,  daß  sie  gegen  ein  von 
dem  Hypothekenschuldner  zu  entrichtendes  Entgelt  sich  für  die  ihm 
obliegenden  Leistungen  verbürgen  oder  Vorschüsse  auf  die  Leistungen 
zahlen. 

Unter  der  Firma  Hermes,  Kreditversicherungsbank  A.-G. 
wurde  in  Berlin  eine  Versicherungsaktienbank  gegründet,  mit  dem 
Zweck  der  Versicherung  von  Krediten  und  der  Uebernahme  von  Garan- 
tien aller  Art,  ferner  des  Betriebs  der  Kautions-  und  der  Verun- 
treuungsversicherung. 

Die  neue  Bank  beabsichtigt,  sich  der  Pflege  der  Kreditversicherung  in  allen 
ihren  Zweigen  (Pauschalversicherung,  Versicherung  von  Einzelkrediten,  Kautions- 
Versicherung,  Hypothekenversicherung  usw.)  zu  widmen;  sie  wird  in  enger  Rück- 
versicherungsverbindung und  Interessengemeinschaft  mit  der  Münchener  Rück- 
versicherungsgesellschaft, dem  Globus  in  Hamburg  und  dem  Kompaö  in  Wien 
arbeiten.  Mit  der  Gründung  dieser  ersten  deutschen  Spezialgesellschaft  für  Kredit- 
versicherung wird  beabsichtigt,  aus  dem  engen  Rahmen,  in  dem  die  Kreditver- 
sicherung in  Deutschland  sich  bisher  bewegte,  herauszutreten;  die  Gesellschaft 
hofft  insbesondere,  der  Förderung  unserer  Kreditwirtschaft  in  der  Uebergangszeit 
gute  und  erfolgreiche  Dienste  leisten  zu  können. 

Durch  die  Tageszeitungen  machen  Nachrichten  die  Runde,  daß 
eine  Verstaatlichung  der  Viehversicherung  insofern  in 
Aussicht  steht,  als  Preußen  die  Schlachtviehversicherung  unter  Beseiti- 
gung der  auf  diesem  Gebiete  vorhandenen  privaten  Viehversicherungs- 
unternehmungen verschiedenster  Art  und  unter  Verwendung  der  Ueber- 
schüshe  der  Viehhandelsverbände  verstaatlichen  will.  Auch  in  Bayern 
und  Thüringen  ist  man  nach  den  gleichen  Meldungen  auf  demselben 
Weg,  und  es  wird  damit  gerechnet,  daß  die  übrigen  Staaten  bald 
folgen. 

Ueber  die  Loslösung  der  deutschen  Versicherung  von 
Lloyds  in  London  heißt  es  in  mehreren  Blättern:    Die  energischen 


—     712     — 

Beätrebuugen  der  deutschen  Kaufleute  und  Reeder,  sich  ein  iüi*  alle- 
mal von  der  früheren  Bevormundung  auf  dem  Gebiete  der  Versiche- 
rung loszulösen,  siud  soeben  einen  bedeutsamen  Schritt  vorwärts  ge- 
kommen. Unter  Beteiligung  hanseatischer  und  süddeutscher  Groß- 
handelbfirmen  ist  die  „Albis"  Versicherungs- Aktiengesellschaft  in  Ham- 
burg mit  einem  Kapital  von  vorläufig  5  Mill.  M.  ins  Leben  gerufen 
worden. 

Dieses  Unternehmen  ist  dazu  berufen,  mit  dem  britischen  VerBicheriuigs- 
monopol,  wie  es  besonders  durch  das  Versicherungsinstitut  von  Lloyds  in  Lon- 
don verkörpert  wurde,  endgültig  zu  brechen.  Die  Zeiten,  in  denen  den  gerissenen 
englischen  Versicherungsgesellschaften  ungeheuere  Summen  durch  den  in  An- 
spruch genommenen  deutschen  Kückvei sicher ungsmarkt  zuilossen,  gehören  damit 
der  Vergangenheit  an.  Das  junge  Unternehmen  soll  sich  vornehmlich  mit  der 
Transportversicherung  beschäftigen,  es  soll  zur  Kräftigung  des  deutschen  Ver- 
Hicherungsmarktes  dienen  und  jede  Auslandshilfe  in  Zukuntt  entbehrlich  machen. 
Bisher  waren  die  Maßnahmen,  die  die  hanseatischen  Kaufmann skreise  zum  Zwecke 
der  Befreiung  von  der  engli:>chen  Bevormundung  ergriffen  haben,  nur  theoretischer 
Natur.  Freilich  muß  dem  zur  Aufklärung  gegründeten  Versicherungswissen schaft- 
üchen  Verein  in  Hamburg  nachgerühmt  werden,  daß  er  alle  Hebel  in  Bewegung 
gesetzt  hat,  um  die  Ausgestaltung  der  deutschen  Transport-  und  Transportrück- 
versicherung  in  die  Wege  zu  leiten,  indem  er  wiederholt  auf  den  unbedingt  not- 
wendigen Ausbau  der  deutschen  Transportversicherung  hinwies,  damit  sie  in  Zu- 
kunft den  Wettbewerb  mit  jeder  ausländischen,  insbesondere  englischen  Gesell- 
schaft aufnehmen  kann.  Durch  die  Gründung  der  „Albis"  sind  die  theoretischen 
Vorschläge  in  die  Tat  umgesetzt  worden,  und  somit  darf  man  wohl  dieses  Unter- 
nehmen als  den  Auftakt  zu  weiteren  Schritten  auf  dem  deutschen  Versicherungs - 
markte  ansehen.  Als  einen  solchen  muß  wohl  auch  die  im  Entstehen  begriffene 
Hamburger  „Seegilde",  ein  Verein,  der  den  deutschen  Versicherungsmarkt  von 
den  Londoner  Policen  gänzlich  unabhängig  machen  will,  angespiochen  werden. 

Ueber  die  Gefährdung  des  Geschäfts  der  deutschen 
VersicherungsgesellschafteninAmerika  wird  der  „Frankf. 
Ztg."  aus  Versicherungskreisen  geschrieben: 

Nachdem  nach  einer  ersten  Proklamation  des  Präsidenten  Wilson  vom 
6.  April  1917  den  deutschen  Versicherungs-  und  ßückversicherungsgesellschaften 
in  den  Vereinigten  Staaten  die  Fortsetzung  ihres  Geschäftes  während  des  Kri^s 
gestattet  war,  folgte  am  13.  Juli  d.  J.  eine  zweite,  welche  die  Beteiligung  am 
Transport-  und  Kriegsversicherungsgeschäft  diesen  Gesellschaften  untersagte.  Wie 
aus  den  jüngst  eingetroffenen  amerikanischen  führenden  Versicherungszeitungeii 
hervorgeht,  ist  im  Kongreß  ein  Gesetz  über  den  „Handel  mit  dem  Feind"  in  Be- 
ratung, nach  dessen  ursprünglicher  Fassung  die  deutschen  Versicherungs-  und 
Kück Versicherungsgesellschaften  als  feindliche  Unternehmungen  gelten  sohen,  mit 
welchen  Geschätte  abzuschließen  jedem  Bürger  des  Landes  verboten  ist.  Zu  dem 
Gesetz  ist  ein  Anhang  in  Vorschlag  gebracht,  wonach  die  Versicherungsgesell- 
schaften eine  Ausnahme  bilden  sollen,  während  Transaktionen  mit  anderen  deut- 
schen Konzernen  verboten  werden.  Es  soll  also  offenbar  nach  englischem  Muster 
das  deutsche  Versicherungsgeschäft  in  Amerika  lahmgelegt  werden,  ein  Bestreben, 
das  die  englischen  und  amerikanischen  Versicherungszeitungen  nach  Kräften  zu 
fördern  suchen.  So  finden  wir  in  der  englischen  Versicherungszeitung  »The 
Policy  Holder"  den  Abdruck  eines  Artikels  der  New  Yorker  Best's  Insurance 
News  über  die  letzte  Verfügung  des  Präsidenten  vom  Juli,  in  dem  ausgeführt 
wird,  daß  diese  Verfügung  der  ßegierung  eine  verspätete  Anerkennung  der  Gre- 
fahr  darstelle,  die  in  der  bisher  geübten  Politik,  den  deutschen  Gesellschaften  da^ 
Weiterarbeiten  zu  gestatten,  gelegen  habe.  Die  Regierung  sei  aber  auf  halbem 
Wege  stehen  geblieben,  denn  die  bisherige  Proklamation  Wilsons  beziehe  sich  nur 
auf  Kriegs-  und  Transportrisiken.  Unbeachtet  sei  aber  bibher  geblieben, 'daß  die 
Direktoren  und  Angestellten  der  in  Amerika  arbeitenden  deutschen  Feuer  versiehe- 


—    713 


rungsgesellschaften  Einblick  in  die  detaillierten  Pläne  und  Kenntnis  anderer  hoch  - 
bedeutender  Informationen  über  Anlagen  erhalten,  in  denen  Kriegsmaterial  aller 
Art  sich  befinde,  ebenso  über  Docks,  Warenhäuser  usw.,  deren  Kenntnis  sich  für 
den  Feind  als  von  ebenso  großem  Wert  wie  für  Amerika  zum  Schaden  erweisen 
könnte.  Die  einfachste  Geschäftsklugkeit  erforderte,  daß  die  ßegierung  jetzt  das 
tue,  was  sie  bereits  bei  Ausbruch  des  Krieges  hätte  tun  sollen,  nämlich  auf  das 
Geschäft  und  den  Vermögensbestand  aller  deutschen  Versicherungs-  und  Kück- 
versicherungsgeselischafteu  Beschlag  zu  legen.  Die  New  Yorker  Jiest's  Insurance 
News  haben  weiter  an  sämtliche  amerikanische  Versicherungsgesellschalten  eine 
Bückfrage  erlassen,  um  festzustellen,  welche  amerikanischen  Gesellschatten  Rück- 
versicherungsverträge mit  deutschen,  österreichischen  und  bulgarischen  Gesell- 
schaften in  Amerika  laufen  haben.  Aus  den  Antworten,  die  zum  Teil  abgedruckt 
sind,  geht  hervor,  daß  diejenigen  amerikanischen  Versicherungsgesellschaften,  die 
nicht  bereits  ihre  Verbindung  mit  deutschen  Gesellschaften  abgebrochen  haben, 
ernstlich  in  Erwägung  ziehen,  dies  in  kürzester  Zeit  zu  tun,  wobei  vou  den  Ge- 
sellschaften die  Anschauung  vertreten  wird,  daß  es  unter  den  gegenwärtigen  Ver- 
hältnissen für  eine  amerikauische  Gesellschaft  nicht  möglich  sei,  ihr  Geschäft  mit 
feindlichen  Gesellschaften  fortzusetzen.  Unter  solchen,  durch  hetzerische  Zeitungs- 
artikel erweckten  Anschauungen  ist  leider  zu  befürchten,  daß  das  deutsche  Ver- 
sicherungsgeschäft in  den  Vereinigten  Staaten  an  die  feindliche  Konkurrenz  ver- 
loren gehen  wird,  wie  denn  auch  schon  eine  Anzahl  amerikanischer  Versiche- 
rungsgesellschaften ihre  Rückversicherungsverträge  mit  deutschen  Gesellschaften 
aus  eigener  Initiative  aufgehoben  haben.  Es  ist  wohl  angebracht,  dem  gegenüber 
auf  die  in  Deutschland  arbeitenden  amerikanischen  Lebensversicherungsgesell- 
schaften zu  verweisen,  denen  es  gestattet  ist,  noch  weiter  ungestört  ihre  Geschäfte 
zu  betreiben.  Was  speziell  das  Kückversicherungsgeschäft  in  den  Vereinigten 
Staaten  anbelangt,  so  hat  es  in  den  letzten  fünf  Jahren  einen  großen  Auf- 
schwung genommen,  an  dem  vornehmlich  die  deutschen  Gesellschalten  beteiligt 
sind.  Die  Prämieneinnahme  betrug  z.  B.  1916  55  Mill.  $  gegen  35  Mill.  1912. 
Die  Totalrückversicherungsprämie  beläuft  sich  in  den  letzten  fünf  Jahren  auf 
216  Mill.  $.  Aus  diesen  Ziffern  geht  hervor,  daß  die  deutschen  Gesellschaften 
durch  die  jetzigen  feindlichen  Machinationen  in  ihrem  aufgebauten  Geschäfts- 
bestand in  den  Vereinigten  Staaten  jedenfalls  empfindlich  geschädigt  werden 
können.  Es  wird  sich  jedenfalls  empfehlen,  die  im  Gang  befindliche  Schädigung 
der  deutschen  Versicherungsinteressen  in  Amerika  scharf  im  Auge  zu  behalten, 
üeber  den  Umfang  dieser  Interessen  bietet  die  nachstehende  Zusammenstellung 
einen  Anhalt, 

Direkt  arbeitende  Feuer-  und  Transportversicherungs- 
Gesellschaften. 


Aaohcn  und  M  unebener  Feuer 
Allianz  Vers.-A.-G. 
Hamburg- Bremer  Feuer 
Mannheimer  Vers. 
Nordfleutsche  Vers. 
Preußische  National 


Ncito-Surplus 
einschließlich 
Depotk:tpital 

per 
31.  Dez.  1916 


I 

I  474000 
437  000 
604  000 
1332000 
1212  oco 
I  202  000 


Abge- 

sehlo'sene 

Netioprämien 

pro  1916 


Unverdiente 
Prämie  auf 

noch   laufende 
Versiche- 
runuen  am 

31.  Dez.  1916 


I 

I  105  000 

gqooo 

I  164000 

3  46s  000 

650000*) 
I  427000 


I  223000 
14000 

I  124000 
576000 
891  000 

I  394000 


Der  im  30.  Jahrgang  soeben  erschienene  Bericht  des  schwei- 
erischen    Versicherungsamtes    für    1Ü15    bietet   (so   heißt    es 


1)  Nur  Feaerprämien,   die  Qesellsohaft  verzeichnete  aach    1  719  000  $  Transpori- 
prämien. 


—    714    — 

in  der  „Frnkf.  Ztg.'*),  wenn  er  auch  eine  erheblich  zurückliegende  Zeit- 
spanne umfaßt,  in  seinen  Au>sfühjungen  doch  wieder  weitgehendes  In- 
teresse und  bildet  in  seinen  zahlreichen  statistischen  Zusammenstellungen 
eine  Fundgrube  wertvoller  Anhaltspunkte  auf  dem  versicherungstech- 
nischen  Gebiete. 

Die  Beantwortung  der  Frage,  wie  die  VerBicherungsgesellschaften  den  tie£- 

f;reifenden  Wirkungen  des  Krieges  begegnen,  wie  sie  den  vermehrten  An- 
orderungen  aller  Art  gewachsen  sein  werden  und  welchen  Einfluß  die  Zerstörung 
der  Güter  auf  das  Vermögen  der  Gesellschaften  haben  dürfte,  müsse  noch  zu 
rückgestellt  werden.  Es  könne  nur  erklärt  werden,  daß  die  Gesellschaften  biß 
zur  Stunde,  soweit  dem  Versicherungsamt  bekannt  ist,  ihre  Verpflichtungen  er- 
füllt haben.  In  der  Schweiz  treffen  sich  29  schweizerische,  33  deutsche,  22  fran- 
zösische, 6  englische  und  je  2  österreischich-ungarische,  italienische  und  amerika- 
nische Gesellschaften  im  Wettbewerb.  Unter  96  konzessionierten  Gesellschaften, 
zu  denen  noch  9  mit  Verzicht  auf  die  KoLzession  treten,  sind  also  y.^  auslän- 
dische. Das  Versicherungsamt  habe  sich  trotz  des  erbitterten  Krieges  die  Ueber- 
zeugung  bewahrt,  daß  gerade  das  internationale  Versicherungswesen 
nach  dem  Kriege  durch  die  Wiederherstellung  internationaler  Beziehungen  am 
raschesten  gekräftigt  und  gefördert  wird.  Die  gesamte  schweizerische  Prämien- 
ein nähme  stellte  sich  1915  auf  109,05  Mill.  frcs.  gegen  107,88  im  Jahr  vorher 
Davon  entfallen  58,55  frcs.  oder  2,48  Mill.  weniger  auf  die  Lebensversicherung, 
25,38  Mill.  frcs  oder  4,14  Mill.  weniger  auf  die  Unfallversicherung  und  14,23  Mill.  frcs 
oder  0,49  Mill.  weniger  auf  die  Feuerversicherung,  während  die  Transportversiche- 
rung eine  weitere  Steigerung  um  nicht  weniger  als  8,40  Mill.  frcs.  auf  14,46  Mill 
aufweist.  An  Kapitalversicherungen  kamen  1915  in  der  Schweiz  66,30  Mill.  frcs.  neu 
hinzu  gegen  86,77  Mill.  frcs.  1914  und  126,44  Mill.  frcs.  1913.  Man  muß  schon 
bis  19ü2  zurückgehen,  um  auf  einen  etwa  ähnlich  niedrigen  Zugang  (damals 
63,40  Mill.)  zu  stoßen.  Da  dem  verminderten  Zugang  ein  verstärkter  Abgang  von 
80,85  (i.  V.  74)  Mill.  frcs.  gegenübersteht,  so  ergibt  sich  diesmal  eine  Verminde- 
rung aes  Bestandes  von  14,56  Mill.  frcs.,  wobei  die  schweizerischen  Gesellschaften 
einen  Zuwachs  von  11,09,  die  ausländichen  einen  Abgang  von  25,65  Mill.  free 
zu  verzeichnen  haben.  Während  der  Gesamtbestand  an  Kapital  Versicherungen 
Ende  1914  noch  1286,31  Mill.  frcs.  betrug,  ist  er  Ende  1915  auf  1271,75  Mill.  frcs 
oder  um  1,1  Proz.  zurückgegangen.  Dagegen  verzeichnet  die  Zahl  der  Policen 
noch  einen  kleinen  Zuwachs  von  678  Stück  oder  0,2  Proz.,  nämlich  von  300319 
auf  300997.  Der  Bericht  betont  die  zahlreichen  Schwierigkeiten,  welche  die  an- 
dauernde Kriegslage  mit  sich  bringe. 

„Die  Valutafragen",  so  heißt  es  an  gleicher  Stelle,  „haben  auch  die 
schweizerischen  Versicherungsunternehmungen,  die,  soweit  sie  außerhalb  der 
Schweiz  arbeiten,  ständig  erhebliche  Bestände  ausländischer  Effekten  zu  unter- 
halten genötigt  sind  und  teilweise  beträchtlichen  Barverkehr  mit  dem  Auslande 
haben,  vor  neue  Verhältnisse  gestellt.  Es  entstand  die  Frage,  wie  die  recht  um- 
fangreichen, durch  den  Rückgang  der  ausländischen  Zahlungsmittel  entstandenen 
Minderwerte  bilanzmäßig  zu  behandeln  seien.  Die  privaten  schweizerischen  Ver- 
sicherungsunternehmungen, die  in  einem  Verbände  organisiert  sind,  wandten 
sich  zur  Klarstellung  an  das  eidgenössische  Versicherungsamt  in  Bern.  Dessen 
Bescheid  ging  dahin,  daß  die  in  Betracht  kommenden  Anlagen,  da  es  sich  um 
lana:fristige  Investitionen  handle  (meist  für  Depotzwecke),  nicht  zu  den  jeweiligen 
Tageskursen  in  die  Bilanz  aufgenommen  zu  werden  brauchen,  daß  aber  in  den 
Fällen,  in  denen  die  Bilanzierung  unter  dem  eben  erwähnten  Gesichtspunkte  er- 
folge, die  Stellung  „angemessener"  Kücklagen  zu  empfehlen  sei.  Auf  Grund  diese» 
Bescheides  begnügten  sich  zunächst  fast  alle  Versicherungsunternehmungen  mit 
der  Stellung  von  gewissen  Reserven,  die  natürlich  —  dem  Sinne  des  Bescheides  des 
Vesicherungsamtes  entsprechend  —  das  entstandene  Valutarisiko  nicht  völlig  aus 
glichen.  Allmählich  trat  indessen  ein  Wandel  in  der  Behandlung  der  Bilanz- 
frage ein.  Eine  steigende  Zahl  von  Versicherungsunternehmungen  bucht  das 
Kisiko  jetzt  voll  und  direkt  ab,  wird  also,  wenn  die  Valuten  sich  eines  Ta^es 
erholen,  für  entsprechend  stille  Rücklagen  vorgesorgt  haben.    Diese  vorsichtige 


-    715    - 

OcBchäftspolitik  wurde  durch  die  Prämienpolitik  ermöglicht,  die,  soweit  Kriegs- 
prämien in  Frage  kommen,  den  Versicherern  schon  bisher  Verdienstmöglichkeiten 
ließ  und  die  auch  noch  jetzt  unter  den  wesentlich  verschlechterten  ISchadenverhält- 
nissen  gewisser  Branchen,  einen  gewissen  Ausgleich  bietet." 

Die  japanische  Seeversicherung  erbebt  für  Fahrten  von  Japan  nach 
London  und  Liverpool  einen  Satz  von  2  £  6  sh,  während  die  erheblich  kürzeren 
Strecken  von  Japan  nach  Südafrika  3  £  14  sh,  nach  Ceylon  und  den  Meerengen- 
häfen 4  £  10  sh  und  nach  China  sogar  4  £  12  sh  berechnet  werden.  Je  kürzer 
die  Strecke,  desto  höher  die  Versicherung.  Dadurch  soll  erreicht  werden,  daß 
die  japanischen  Reeder  ihre  Schiffe  aus  anderen  Fahrten  wegnehmen,  um  sie 
zwischen  Japan  und  England  laufen  zu  lassen.  Die  bedeutsamste  Bestimmung 
ist  aber,  daß,  während  bisher  engliche  und  japanische  Schiffe  gleichmäßig  be- 
handelt wurden,  die  nene  Seeversicherung  für  Ladungen  nach  englischen  Häfen 
nur  gewährt  wird,  wenn  die  Beförderung  in  japanischen  Schilfen  erfolgt.  Die  ge- 
samte Versicherung  wird  vom  japanischen  Staat  garantiert. 

Japans  Vorstoß  gegen  die  engliche  Schilf ahrt  durch  die  Bestimmungen  der 
neuen  japanischen  Seeversicherung  kommt  völlig  überraschend.  Das  ganze  ja- 
panische Unternehmen  ist  ersichtlich  darauf  angelegt,  die  Schiffahrt  zwischen 
England  und  Ostasien  auf  Kosten  Englands  in  möglichst  weitem  Umfange  den 
japanischen  Reedereien  zuzuwenden. 

2.  Sozialversicherung. 

Um  im  Interesse  der  Angestelltenversicherung  und  besonders  auch 
im  Interesse  der  Versicherten  selbst  die  Nachteile  einer  Verjährung 
während  des  Krieges  zu  beheben,  hat  der  Bundesrat  verordnet,  daß 
die  für  die  Verjährung  des  Anspruchs  auf  Beitragsrückstände 
im  §  228  Abs,  1  des  Versicherungsgesetzes  für  Angestellte  be- 
stimmte Frist  nicht  vor  dem  Schluß  des  Kalenderjahres  abläuft,  das 
dem  Jahre  folgt,  in  welchem  der  gegenwärtige  Krieg  beendet  ist.  Dies 
soll  jedoch  nicht  für  solche  Ansprüche  auf  Rückstände  gelten,  welche 
am  Tage  des  Inkrafttretens  dieser  Verordnung  bereits  verjährt  sind. 
Die  Verordnung  hat  insbesondere  für  die  V^ ersicherten  mit  Rücksicht 
auf  den  §  54  des  Versicherungsgesetzas  für  Angestellte  Bedeutung, 
wonach  die  Höhe  des  Ruhegeldes  von  der  Zahl  der  entrichteten  Bei- 
träge abhängt. 

Die  österreichische  Krankenversicherung  (§  14  Ver- 
ordnung vom  1.  Jänner  1917,  die  nun  in  ein  Gesetz  verwandelt  wird) 
sieht  die  Einführung  des  Lohnklassen  Systems  vor.  Bisher 
ist  es  aber  nur  bei  veihältnismäßig  wenigen  Krankenkassen  durchge- 
führt worden.  Da  jedoch  das  Bedürfnis  nach  Anpassung  der  Ver- 
sicherungsleistungen an  die  Löhne  unter  den  gegenwärtigen  Verhält- 
nissen immer  dringender  wird,  beabsichtigt  das  Ministerium  des  Innern, 
die  Einführung  des  Lohuklassensystems  möglichst  zu  beschleunigen 
und   hierfür   als   äußersten  Termin  den  1.  Jänner  1918  zu   bestimmen. 

Die  österreichische  Regierung  hat  dem  Abgeordnetenhaus 
einen  Gesetzentwurf  vorgelegt,  mit  dem  anläßlich  der  Errichtung 
eines  Ministeriums  für  soziale  Fürsorge  gesetzliche  Bestim- 
mungen tiber  den  Wirkungskreis  einzelner  Ministerien  abgeändert 
werden  sollen. 

Das  bis  jetzt  ausschließlich  für  den  Bereich  der  Fabrik-  und  Berg- 
werkindustrie  geltende   russische   Krankenversicherungsge- 


—    7i6    — 

setz  ist  neuerdings  von  der  Provisorischen  Regierung,  nach  einem 
Entwurf  des  Arbeitsministeriums,  außerordentlich  erweiteit  worden.  Es 
gilt  nunmehr  für  die  gesamte  Fabrikindustrie,  für  Berg-  und  Hütten.- 
werke,  dann  für  das  gesamte  Handwerk,  die  Eisenbahnen,  die  Binnen- 
schiffahrt, die  Straßenbahnen,  das  Baugewerbe  usw.,  indessen  nur  insofern, 
als  eine  Mindestzahl  von  fünf  Arbeitern  beschäftigt  wird.  Gleichzeitig 
ist  der  ganze  Aufbau  der  Versicherung  in  demokratischer  Richtung  ver- 
vollständigt worden.  Die  Verwaltung  der  Kassen  übergeht  gänzlich 
in  die  Hände  der  Arbeiter.  Das  frühere  Verbot  der  Ausdehnung  der 
Kassen  durch  Zusammenschluß  oder  Einbeziehung  neuer  Betriebe  (die 
russischen  Krankenkassen  sind  Betriebskassen)  fällt  fort,  so  daß  es  den 
Kassen  freisteht,  sich  zu  Berufs-  und  Ortskassen  zu  entwickeln.  Den 
Unternehmern  wurden  größere  Lasten  auferlegt,  so  z.  B.  fallen  die 
Kosten  der  ärztlichen  Hilfe  zu  ihren  Lasten.  Dadurch  wird  es  den 
Kassen  möglich  gemacht,  größere  Unterstützungen  auszuzahlen,  sowie  im 
allgemeinen  ihre  gemeinnützigen  Einrichtungen  auszubauen.  Die  Kranken- 
unterstützungen sollen  dabei  auf  die  Höhe  der  Hälfte  bis  zu  zwei  Drittel 
des  regulären  Lohnes  des  erkrankten  Mitgliedes  gebracht  werden  können. 

Via.  Geld,  Kredit,  Währung. 

Inhalt:  1.  Der  internationale  Geldmarkt  und  die  Entwick- 
lung in  den  wichtigeren  Ländern  während  des  Monats  Oktober. 

2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung,  a)  Banken  im  In-  und 
Auslande,  b)  Kreditwirtschaftliche  Maßnahmen  in  Deutschland  und 
den  besetzten  Gebieten  Rußlands  und  Rumäniens*,  Frankreich,  Griechenland, 
Oesterreich- Ungarn ,  Spanien,  c)  Bargeldloser  Zahlungsverkehr  in 
Deutschland,  den  Niederlanden,  Schweden,  d)  Börsenwesen  in  Deutschland, 
Italien,  Kanada,  e)  Währungs-  und  Noten bankwesen  in  Deutschland, 
Dänemark,  den  Niederlanden,  der  Schweiz,  der  Türkei,  Japan,  Mexiko. 

3.  Statistik.  Uebersicht  über  den  Stand  der  hauptsächlichen 
Notenbanken  und  der  Bankzinssätze. 

1.  Der  internationale  Geldmarkt  und  die  Entwicklung  in 
den  wichtigeren  Ländern   während   des  Monats  Oktober. 

Die  Entwicklung  auf  dem  internationalen  Geldmark t  zeigte 
während  des  Monats  Oktober  keine  wesentliche  Veränderung  ^j  2)  Sj  gegen- 

1)  Eaarland  mußte  zur  Rückzahlung  fälliger  Schatzweohsel  9  Mill.  hfl.  nach 
Holland  ausführen  („Prankf.  Ztg."  v.  21.  Okt.).  —  Kanadische  Banken  trafen  mit  dem 
Frderal  Reserve  Board  ein  üebereinkommen  wegen  Verschiffung  geringer  Goldbeträge  zur 
Regulierung  des  Wechselkurses  („The  Economist"  v.  3.  Nov.).  —  Holland  mußte  aber- 
mals Gold  nach  der  Schweiz  senden  („L'ficon.  Europ."  v.  26.  Okt.).  —  Der  in  Indien 
aulbewahrte  Teil  der  indischen  Goldreserve,  der  vor  ein  paar  Jahren  11*/,  Mill.  £  über- 
stieg und  1915  noeh  4'/,  Mill.  £  betrug,  ist  jetzt  aufgezthrt,  während  die  indische  Reserve 
in  England  auf  fast  27 '^  Mill.  £  gestiegen  ist  („Seotsman"  v.  13.  Okt.).  —  Die  un- 
günstige Entwicklung  des  $  in  den  nordischen  Ländern  wurde  durch  Verkäufe  amerika- 
nischer Wertpapiere  8<itens  dieser  Länder  no»h  verstärkt  („L'ficun.  Europ."  v.  26.  Okt.). 

2)  In  London  wurden  abermals  italienische  Schatzwechsel  aufgelegt  („The  Econo- 
mist" V.  13.  Okt.).  —  England  brachte  in  Holland  neue  dreijährige  Schatzwechsel 
unter  („Nieuwe  Rotterdamsche  Courant"  v.  31.  Okt.).  —  Japan  gab  an  Rußland  weitere 
50  Mill.  Yen  (vgl.  S.  557,  Anra.  4). 

3)  Die  starke  Ueherwertung  der  schwedischen  Kr  gegenüber  der  dänischen  Kr  (bis 
zu  20  Proz.,  vgl.  „Frankf.  Ztg."  v.  25.  Okt.)  veranlaßte  das  schwedische  Handelskolle- 


—    717    — 

über  dem  Vormonat.  Unter  der  Einwirkung  der  den  Handelsverkehr  be- 
schränkenden Maßnahmen^)  der  Ententeländer  setzte  sich  die  Entwertung 
ihrer  Wechselkurse  fort;  z.  B.  stieg  das  Disagio  des  Pfund  wechseis 
im  Berichtsmonat  in  Amsterdam  von  6,8  Proz.  auf  12,5  Proz.,  in  Stock- 
holm von  28,7  auf  44,9  Proz.,  in  der  Schweiz  von  11,9  auf  15,2  Proz. 
Da  England,  Frankreich  und  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  be- 
strebt waren,  untereinander  das  bisherige  Wertverhältnis  ihrer  Währungen 
aufrechtzuerhalten  ^),  erfuhren  auch  die  Dollar-  und  Frankenkurse  in 
den  neutralen  Ländern  entsprechende  Entwertungen  (vgl.  „Börsen"  v. 
26.  Okt.).  Die  Wechselkurse  der  Mittelmächte 3)  zeigten  gleichfalls  eine 
rückläufige  Bewegung,  die  aber  gegen  Ende  des  Monats  unter  der  Ein- 
wirkung der  Kreditgeschäfte  mit  den  Neutralen  —  auch  das  holländisch- 
deutsche gelangte  zum  Abschluß  —  und  angesichts  der  militärischen 
und  politischen  Eifolge  (Offensive  gegen  Italien,  Verhandlungen  mit 
Rußland)  zum  Stillstand  kam.  —  Die  gegen  die  starke  Steigerung  des 
Silberpreises  unternommenen  Maßregeln*)  (vgl.  S.  630)  hatten  in 
Gemeinschaft  mit  dem  Nachlassen  der  Nachfrage  nach  Silber  besonders 
Seiten  Chinas  zur  Folge,  daß  der  Preis  von  seinem  Höchststand  (55  d 
gegen  Ende  September)  bis  auf  41^8  d  zurückging.  Am  Monatsschluß 
wurde  er  wieder  mit  46  d  notiert. 

Für  die  fortdauernd  günstige  Verfassung  des  deutschen  Geld- 
marktes erbrachte  das  Zeichnungs-  und  Einzahlungsergebnis  der 
7.  Kriegsanleihe  5)  einen  neuen  Beweis.  Ohne  Berücksichtigung  der  Kon- 
versionen früherer  Anleihen  wurden  —  nach  den  vorläufigen  Ziffern  — 
durch  5  213  373  Einzelzeichnungen  12  457,9  Mill.  M  aufgebracht.  Die 
Einzahlungen  vollzogen  sich  noch  schneller  und  stärker ^   und  die  Dar- 

gium,  hierüber  eine  Untersuchung  anzustellen  („National  Tidende"  v.  13.  Nov.)«  —  Die 
norvregiächen  Banken  kamen  überein,  schwedische  Valuta  nur  für  den  Import  zum 
Zwecke  des  eigenen  Verbrauchs  abzugeben  („Wirtsch.  Nachrichtendienst"  v.  14.  Nov.). 
Nachdem  schwedische  Banken  sich  geweigert  haben,  dänisches  Gold  zum  vollen  Kurse 
in  Zahlung  zu  nehmen,  gaben  die  Kopenhagener  Großbanken  den  Währungshandel  mit 
Schweden  auf  („Handel  und  Industrie"  v.  17.  Nov.). 

1)  Die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  forderten  von  den  an  Deutschland 
grenzenden  neutralen  Staaten,  die  Ausfuhr  nach  Deutschland  vollkommen  einzustellen 
(„Norges  Hand,  og  Sj.  of  T."  v.  23.  Okt.). 

2)  Von  diesen  Staaten  wurde  eine  Comraission  de  Change  eingesetzt,  um  die 
Wechselkurse  zu  kontrollieren  und  sie  gegen  Spekulationen  zu  schützen  („L'j^con.  Europ." 
y.  26.  Okt.). 

3)  Zur  strafferen  Durchführung  der  Devisenordnung  knüpfte  die  deutsche  Reichs- 
bank die  Genehmigung  zum  Verfügen  über  die  durch  Wertpapierverkäufe  au»  Oesterrcich- 
Ungarn  geschaffenen  Markguthsiben  an  die  Bedingung,  daU  der  Markcrlös  des  Verkäufers 
eutwedcr  zur  Deckung  einer  Schuldverbindliohkeit  in  Deut.<(chlan<l  verwnndt  oder  auf 
ein  b  i  einer  ersten  deutschen  Bank  oder  Bankfirma  bis  12  Monate  nach  Friedensschluß 
gesperrtes  Konto  eingezahlt  wird   („Frankf.  Ztg."  v.  12.  Okt.). 

4)  In  Italien  werden  d'e  silbernen  Scheidemünzen  zu  V»»  ^  ""^  2  Lire  eingezogen. 
Der  Besitz  von  mehr  als  10  Lire  solcher  nicht  mehr  umlaufsfähiger  Scheidcuiünzcn  ist 
mit  Strafe  bedroht.  („Gazotta  üffiziale"  v.  24.  Sept.)  —  Das  amerikanische  Schatzamt 
überließ  Mexiko  15  Mill.  $  Gold  unter  der  Bedingung,  daß  Mexiko  sein  Ausfuhrverbot 
für  Silber  aufhöbe  („Frankf.  Ztg."  v.  26.  Okt.). 

5)  Vgl.  hierzu  die  Au>führungen  des  Reichsbankpräsidenten  in  der  Zentralnussehuß- 
flitzuog  V.  30.  Oktober,  des  Staatssekretärs  des  Ruichsschatzamtes  in  der  Reichstags- 
sitzung vom   1.  Dezember. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.  Volkswirtsch ..Chronik.  1017.  XLVIII 


-    7l8    - 

lehnskassen  brauchten  in  noch  geringerem  Umfange  in  Anspruch  ge- 
nommen zu  werden  als  bei  den  vorhergegangenen  Anleihen.  Am  31. 
Oktober,  dem  auf  den  ersten  Pflichteinzahiungstermin  folgenden  Aus- 
weistage der  Reichsbank,  waren  bereits  10  470  Mill.  M,  ==  84  Proz., 
voll  gezahlt,  und  hierzu  hatten  die  Darlehnskassen  nur  135  Mill.  M, 
=  1,3  Proz.  der  bisherigen  Vollzahlung,  an  Darlehen  erteilen  müssen. 
Der  Privatdiskontsatz  hielt  sich  wie  in  den  Vormonaten  un- 
verändert auf  4%  Proz.  Der  Satz  für  tägliches  Geld  erfuhr  im 
Zusammenhang  mit  den  Einzahlungen  auf  die  7.  Kriegsanleihe  vorüber- 
gehend eine  geringfügige  Steigerung.  Er  betrug  im  Monatsdurchschnitt 
4,135  Proz.   gegen    3,989  Proz.    im  September.     Ultimogeld   bedang 

Im  Status  der  Reichsbank  war  gegenüber  dem  Stande  von 
Ende  September  im  Zusammenhang  mit  den  Einzahlungen  auf  die 
Kriegsanleihe  eine  wesentliche  Entlastung  sowohl  der  Anlage  (auf 
11  866  Mill.  M)  als  auch  der  fremden  Gelder  (auf  5686  Mill.  M)  zu 
beobachten.  Der  Zahlungsmittelbedarf  blieb  groß;  an  Banknoten  mußten 
im  Berichtsmonat  195  Mill.  M,  an  Darlehnskassenscheinen  178  Mill.  M 
neu  in  Verkehr  gegeben  werden. 

Der  englische  Geldmarkt  zeigte  sich  im  Berichtsmonat  — 
nach  dem  Termin  —  vielfach  flüssig,  wurde  aber  nach  wie  vor  voll- 
kommen durch  die  Kriegsfinanzierung  in  Anspruch  genommen  i).  Neben 
der  ungünstigen  Entwicklung  der  Wechselkurse  (vgl.  oben)  rief  der 
trotz  aller  Propaganda  2)  unbefriedigende  Absatz  der  neuen  National 
V^ar  Bonds')  Beunruhigung  hervor  (vgl.  „Financial  Times"  und  „West- 
minster  Gazette"  v.  6.  Nov.).  Angesichts  der  bedeutenden  Vorschüsse 
der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika*)  wurden  wiederum  Befürch- 
tungen wegen  zu  großer  finanzieller  Abhängigkeit  laut^).  Trotz  der 
starken  Heranziehung  der  Dominions  zur  Deckung   der  Kriegskosten  ^i 

1)  Im  3.  Quartal  konnten  englischen  Gemeinden  sowie  englischen  und  auslän- 
dischen Eisenbahngesellschaften  keine  Kapitalien  zur  Verfügung  gestellt  werden  („The 
Econ."  V.  6.  Okt.  S.  491). 

2)  Wie  Sir  Robert  Kindersley,  der  Vorsitzende  der  für  Werbearbeit  besonders 
begründeten  Kriegssparausscbnsse,  ausführte,  sollen  u.  a.  in  den  nächsten  zwei  bis  drei 
Monaten  l'/,  Millionen  persönliche  Zeichnungsaufforderungen  an  die  Dividendenempfänger 
gesandt  werden  („Fin.  News"  v.  17.  Nov.). 

3)  Die  Wochenergebnisse  stellten  sich  bis  einschließlich  3.  Nov.  anstatt  der  er- 
warteten 30  Mill.  £  („The  Ecod."  vom  13.  Okt.)  auf  6,2,  7,8,  20,5,  17,8  und  12,3 
Mill.  £.  —  Nach  Berechnungen  des  englischen  &tatisiikers  Leppington  wurden  Ende 
1916  auf  668  Mill.  £  der  an  der  Londoner  Börse  g«han<ielten  Wertpapiere  (darunter 
auf  300  Mill.  £  amerikanischer)  weder  Zinsen  noch  Dividenden  gezahlt  („Börsen" 
V.  26.  Okt.). 

4)  Bis  Anfang  November  wurden  an  Vorschüssen  1860  Mill.  $  bewilligt. 

5)  „The  Econ."  (v.  27.  Okt.  S.  687)  forderte,  daß  die  im  Ausland  aufgebrachten 
Kredite  in  der  Woche  8  Mill.  £  nicht  übersteigen  sollten. 

6)  Indien  hat  von  der  englisehen  Kriegssehuld  66  Mill.  £  übernommen  („The 
Statist"  V.  3.  Nov.).  Außerdem  wurden  in  Indien  6-,  9-  und  12-monatige  Schatz- 
wechsel ausgegeben.  Bis  Anfang  September  wurden  von  Kanada  dem  Mutlerlande  in 
bar  und  in  Wertpapieren   insgesamt   443  Mill.  $    gewährt   („Frankf.  Ztg."  v.  18.  Okt.). 

.  Neuseeland   legte   eine   47j-proz.   steuerfreie  innere  Kriegsanleihe  über  12  MUl.  £  aal 
(„The  Econ."  v.  12.  Okt.),  desgleichen  Kanada  seine  vierte. 


-     719    — 

Wieben  die  Schwierigkeiten  des  Geld-  und  Kapitalmarktes  groß  („The 
Statist",  „The  Econ."  v.  3.  Nov.,  „Manch.  Guardian"  v.  31.  Okt.).  Zu 
ihrer  Lösung  wurde  einmal  die  Erhebuug  einer  beträchtlichen  Kapital- 
abgabe ^),  zum  andern  von  neuem  die  Ausgabe  einer  Prämien-  oder 
einer  Zwangsanleihe  in  Vorschlag  gebracht  ^j. 

Der  Privatdiskont  hielt  sich  auf  4t^^l^2  "°^  "^^Vie  I*roz.,  er 
betrug  im  Monatsdurchschnitt  4,682  Proz.  gegen  4,787  Proz.  im  Vor- 
monat. Der  Satz  für  tägliches  Geld  unterlag  nur  geringen 
Schwankungen  und  ging  im  Monatsdurchschnitt  mit  3,972  Proz.  gegen- 
über dem  September  (3,984  Proz.)  um  eine  Kleinigkeit  zurück. 

Die  in  den  Ausweisen  der  Bank  von  England  sich  zeigenden 
zum  Teil  beträchtlichen  Verschiebungen  blieben  auch  für  die  eng- 
lische Finanzpresse  schwer  verständlich  3).  Der  Barvorrat  nahm  um 
fast  1  MiU.  £,  der  Notenumlauf  um  1,2  Mill.  £  zu.  —  Der  Umlauf  an 
Currency    notes*)    stieg   weiter   von   180,7  Mill.  auf  187,2  Mill.  £. 

Am  französischen  Geldmarkt  wurden  die  vorhandenen  Mittel 
in  erster  Linie  den  Bedürfnissen  der  Regierung  vorbehalten,  die  in 
einzelnen  Fällen  ihre  Zustimmung  zur  Befriedigung  ausländischen 
Kreditbedarfs  versagte  („Petit  Bleu"  v.  24.  Okt.).  Die  lebhaften  Er- 
örterungen über  die  Ausgabe  der  III.  Kriegsanleihe  nahmen  ihren 
Fortgang,  bis  die  Regierung  gegen  Ende  des  Monats  mit  ihrem  An- 
leiheplan hervortrat.  Die  Bedingungen  S)  der  in  erster  Linie  zur  Kon- 
version der  außerordentlich  hohen  schwebenden  Schuld  bestimmten  An- 
leihe kennzeichnen  die  Lage  des  französischen  Geldmarktes  und  die 
Zurückhaltung  der  Kapitalisten. 

Die  Bank  von  Frankreich,  deren  Privileg  nach  längeren 
Verhandlungen  um  25  Jahre  verlängert  wurde  („Journal  des  Debats" 
V.  28.  Okt.)  hatte  weitere  erhebliche  Ansprüche  zu  befriedigen.  Die 
Vorschüsse  an  die  Regierung  stiegen  um  500  Mill.  Frs  und  machten 
die  Erhöhung  der  Vorschußgrenze  um  3  Milliarden  Frs  von  12  auf  15 
Milliarden  Frs  notwendig  (vgl.  L'Ec.  Europ.  v.  12.  Okt.  S.  283);  den 
Verbündeten  mußten  145  Mill.  Frs  neu  bewilligt  werden.     Der  Noten- 


1)  Vgl.  die  Ausführungen  in  „Daily  News"  und  „The  Nation",  welch  letztere  die 
Erhebung  einer  Kapitalabgabe  von  2  Milliarden  £  für  das  laufende  Etatsjahr  befür- 
wortete (s.  „Frankf.  Zig."  v.   19.  Okt.). 

2)  Vgl.  „Daily  Graphic"  v.  22.  Okt.  —  Bonar  Law  kündigte  die  Bildung  eines 
Parlamentsausschusses,  der  sich  mit  dieser  Frage  befassen  soll,  an  (vgl.  „Financial 
Times"  v.  6.  Nov.  und  „Manch.  Guardian"  v.  26.  Okt.). 

3)  „The  Econ."  (v.  13.  Okt.  S.  521)  nennt  den  Ausweis  eine  Geheimschrift,  die 
einige  noch  zu  entziffern  versuchen. 

4)  B«zt;iohnend  ist  eine  Bekanntmachung  des  Schatzamts,  die  sich  gegen  die  Ver- 
breitung von  Gerüchten  wendet,  durch  die  djis  Vertrauen  in  Bank-  und  Currency  Notes 
untergraben  wird  (vgl.  „Voss.  Ztg."  v.  26.  Okt.).  Auf  eine  Anfrage  im  ParlHment,  ob 
«ur  Einschränkung  der  Preissteigerung  neue  Currency  notes  nur  als  Ersatz  für  zurück- 
gezogenes Papiergeld  ausgegeben  werden  sollen,  antwortete  Bonar  Law  ablehnend  („Fin. 
Times"  v.  25.  Okt.). 

5)  4- proz.  steuerfreie,  in  den  nächsten  25  Jahren  vor  jeder  Konversion  geschützte 
Bentenanleihe  zum  Kurse  von  68,60;  Zeichnungsfrist  26.  Nov.  bis  16.  Dez.;  mit 
Bilfe  eines  —  nach  engli>chem  Muster  —  zu  bildenden  Entwertungsfonda  sollen  Kurs- 
rückgänge verhindert  werden. 

XLVin* 


—      720      — 

Umlauf  erfuhr  eine  Steigerung  um  mehr  als  1  Milliarde  Frs^).  —  Die 
NotenemisHionsgrenze  der  Bank  von  Algier,  die  bereits  im  September 
um  50  Mi  IL  Frs  auf  600  Mill.  Frs  erhöbt  worden  war,  mußte  erneut 
um  50  Mill.  Frs  hinaufgesetzt  werden  („L'ic.  Europ.  v.  19.  Okt. 
8.  249).  — 

Ein  Zeichen  für  die  befriedigende  Verfassung  des  österreichisch- 
ungarischen Geldmarktes  war  die  weitere  Zunahme  der  Ein- 
lagen bei  Banken  und  Sparkassen  2).  Die  Geldsätze  erfuhren  sowohl 
in  Wien  als  auch  in  Budapest  eine  kleine  Steigerung,  wodurch  die 
Ausbreitung  der  Spekulation  8)  an  den  Börsen  aber  nicht  gehindert 
wurde.  Der  Notenumlauf  der  Oester reichisch-Ungarischen 
Bank  belief  sich  nach  einer  Erklärung  des  ungarischen  Minister- 
präsidenten auf  15,6  Milliarden  K  („Wirtschaftszeitung  der  Zentral- 
mächte" V.  26.  Okt.);  Mitte  Juli  1917  soll  er  12  Müliarden  be- 
tragen haben. 

Auf  dem  russisch  en  Geldmarkt  blieben  die  Verhältnisse  nach 
wie  vor  ungeklärt.  Das  Notenemissionsrecht  der  Russisch  en  Staats- 
bank wurde  am  16.  Oktober  abermals  um  2  auf  I6V2  Milliarden  Ro 
erhöht  („Nowoje  Wremja"  v.  16.  Okt.).  Der  Entwertung  des  Rubels 
im  Auslande  konnte  durch  die  Finanzoperationen  der  Regierung  *)  nicht 
Einhalt  geboten  werden. 

Die  Lage  am  Geldmarkt  der  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika  w^urde  ausschlaggebend  beeinflußt  durch  die  teils  geleisteten, 
teils  vorbereiteten  Einzahlungen  auf  die  II.  Kriegsanleihe,  die,  durch 
besondere  Maßnahmen  begünstigt  ^j,  dank  einer  riesigen  Propaganda 
(vgl.    ,,Le   Temps"    v.   4.    Okt.)   ein   Zeichnungsergebnis    von    4,6   Mil- 


1)  Der  Streit  um  die  vorgeschlagenen  4-proz.  4-jäbrigen  Bons  mit  Zahlungsmittel- 
eigenschaft setzte  sich  fort.  Neben  Langbiis,  Chambry;  Bonnel,  Citroen,  Duclos  vertrat 
der  frühere  Unterstaatssekretär  Maurice  Ajum  die  Ansicht,  daß  durch  solche  Bons  die 
Noten  der  Bank  von  Frankn-ich  entwertet  wüiden ;  er  predigte  die  Vermehrung  des 
Papiergeldes,  der  unverzinslichen  Staalsubligationen  („La  Victoire  ficonomique"  ▼. 
6.  Okt). 

2)  Z.  B.  stiegen  im  Oktober  die  Einlagen  bei  der  österreichischen  Postsparkasse 
um  3,8  Mill.  K,  bei  der  ersten  ö>terreichischen  Sparkasse  um  5,3  Mill.  K. 

3)  Vgl.  die  Ausführungen  Wekerles  im  Abgeordnetenhaus  über  die  Ausschreitungen 
der  Spekuliition  („Voss.  Zg."  v.  26.  Okt.). 

4)  In  Finnland  wurde  eine  6-proz.  Valutaanleihe  über  125  Mill.  FM  auf  5  Monate 
abgeschlossen  („Nowoje  Wremja"  v.  6.  Okt.);  die  Vereinigten  Staaten  gewährten  Ruß- 
land einen  weiteren  Vorschuß  von  50  Mil.  $,  wodurch  die  gesamten  Vorschü.»se  auf 
325  Mill.  $  angestiegen  sind  f„Le  Temps"  v.  22.  Okt.).  Japan  überließ  weitere 
50  Mill.  Yen,  und  die  vorjährige  Anb-ihe  über  14  Mill.  Yen  wurde  um  ein  neues  Jahr 
verlängert  („Russkoje  Wolga"  v.   10.  Okt.). 

5)  Wie  aus  London  gemeldet  wurde,  sollen  die  beschlngnahmten  deutschen  Gut- 
haben von  mehr  als  200  Mill.  $  in  Kriegsanleihe  angelegt  worden  sein  („BcrL 
Tageblatt"  v  1.  Nov.).  Die  Begebung  von  wöchentlich  15  Mill.  $  englischer  Schatz- 
wech^el  (vgl.  S.  557  und  629)  unterblieb  während  der  Zeichnungsfrist  („Frankf.  Ztg." 
V.  2C.  Okt.).  —  Einige  der  Federal  Reserve-Banken  (unter  ihnen  Nrw  York)  bcmaßi^n 
den  Zinsfuß,  zu  dem  sie  Regierung«<sicherheiten  rediskontieren,  auf  3'/»  Pioz.,  um  die 
B.inkcn  und  Tiustgesel Schäften  in  die  Lage  zu  setzen,  den  ZeichL.crn  der  IL  Anleihe 
Geld  zu  dem  Satze  von  4  Proz.  zur  Verfügung  zu  steilen  („The  Chronide"  v.  6.  Okt. 
S.  1344). 


—    721    — 

liarden  $  bei  9,4  Millionen  Einzelzeichnungen  erzielte  ^).  Der  mit  der 
Anleiheauflegung  im  Zusammenhang  stehende  Rückgang  verfügbarer 
Kapitalien  trug  zu  einer  weiteren  Verflauung  an  der  Börse  und  zur 
Erhöhung  des  allgemeinen  Zinsniveaus  bei  ^).  Bemerkenswert  sind 
die  Bemühungen,  das  amerikanische  Banksystem  für  die  steigenden 
Anforderungen  des  Krieges  geeigneter  zu  gestalten  ^).  Der  Federal 
Reserve  Board  richtete  an  Mitgliederbanken  und  Nichtmitglieder  das 
Ersuchen,  Goldmünzen  und  Goldzertifikate  aus  dem  Verkehr  zu  ziehen 
(vgl.  „Wirtschaftsdienst"  v.  12  Okt.),  während  Präsident  Wilson  alle 
Staats-  und  Trustbanken  dringend  ermahnte,  sich  den  Federal  Eeserve- 
Banken*)  anzuschließen  (vgl.  „The  Statist"  v.  20.  Okt.  S.  639).  — 
Daß  der  Satz  für  tägliches  Geld  sich  im  Monatsdurchschnitt  mit 
3,845  Proz.  gegenüber  dem  Vormonat  (4,461  Proz.)  günstiger  stellte, 
hatte  seinen  Grund  darin,  daß  von  den  Banken  die  für  Zwecke  der 
späteren  Einzahlungen  auf  die  Kriegsanleihe  benötigten  Gelder  kurz- 
fristig ausgeliehen  wurden. 

2.  Weitere  Vorgänge  und  Gesetzgebung. 

a)  Banken  im  In-  und  Auslande. 

Es  wurden  übernommen:  von  der  Dresdner  Bank,  Berlin,  (vgl. 
S.  634):  die  Aschaffen  burger  Volksbank  Aktiengesellschaft,  Aschaffen- 
burg; —  von  der  Bank  für  Handel  und  Industrie,  Berlin,  (vgl.  S.  560): 
die  Bankfirmen  Siegfried  Simon,  Köln,  und  Bernstein  &  Fränkel, 
München;  —  von  der  Bayerischen  Handelsbank,  München,  (vgl.  S.  560): 
das  Bankhaus  Eleischmann  &  Theobald,  Aschaffenburg,  und  eine  Kom- 
iuanditbeteiligung  an  dem  Bankgeschäft  Karl  Blatner,  Neuötting,  mit 
Filiale  in  Altötting;  —  von  der  Bayerischen  Vereinsbank,  München, 
(vgl.  S.  560):  die  Bankfirma  S.  Weinmayer,  Mainburg,  und  eine  Kom- 

1)  Da  auf  die  den  aufgelegten  Betrag  von  3  Milliarden  $  übersteigenden  Zeich- 
nungen nur  50  Proz.  zugeteilt  werden  sollen,  stellte  sich  das  Ergebnis  auf  3808  Mill.  $. 
— ■  Daß  auch  dieser  Betrag  noch  nicht  fest  untergebracht  wurde,  kann  man  aus  dem 
Sinken  des  Kurses  unter  den  Emissionskurs  schließen  („Frankf.  Ztg."  v.  24.  Nov.). 

2)  Während  vorher  die  bis  zum  Eingang  der  Anleihebeträge  ausgegebenen  Certi- 
ticates  of  indebtedness  in  Beträgen  von  300  Mill.  $  zu  3V2  Pfoz.  untergebracht  werden 
konnten,  mußten  Ende  September  400  Mill.  $  zu  4  Proz.  aufgelegt  werden  („The  Econ." 
T.  27.  Okt.  S.  695). 

3)  Angesichts  der  erwarteten  starken  Inanspruchnahme  der  Föderal  Reserve-Banken 
für  die  II.  Kriegsanleihe  befürwortete  man,  djiß  Handelswechsel  nur  noch  mit  vier- 
monatiger  (bisher  sechsmonatiger)  Laufzeit  ausgestellt  werden  dürfen  („Comm.  and  Fin. 
Chronicie"  v.  13.  Okt.  S.  1462),  und  daß  amerikanische  und  ausländische  Regiernogs- 
obligationen  als  Deckung  für  die  von  den  Federal  Reserve- Banken  ausgegebenen  Noten 
zugelassen  werden.  —  Zur  Verhütung  von  Geldkrisen  wurde  gefordert,  daß  den  Federal 
Reserve- Banken  auch  die  Lombardierung  von  börsengängigen  Wertpapieren  ermöglicht 
wird  („The  Statist'*  v.  6.  Okt.  S.  556).  —  Vgl.  den  Aufsatz  von  Cassel  in  „Svenska 
Dagbl."  V.  1.  Okt.,  der  die  finanzielle  Leistungsfähigkeit  der  Vereinigten  Staaten  ziem- 
lich pessimistisch  bespricht. 

4)  In  einem  Rundschreiben  wird  den  Banken  des  New  Yorker  Federal  Reserve- 
Distrikts  zur  Pflicht  gemacht,  Gold  nur  zur  Bezahlung  von  Importen  auszuführen  („The 
Statist"  V.  27.  Okt.  S.  687).  —  Durch  ein  von  Wilson  am  6.  Oktober  gezeichnetes  Ge- 
set»  wurden  die  Nationalbanken  zur  Ausgabe  kleiner  Noten  ermächtigt. 


—     722      — 

manditbeteiligung  an  dem  Bankhaus  Gebrüder  Haas,  Rothenburg  o.  T., 
mit  Filiale  in  Uffenheim ;  —  von  der  Deutschen  Effekten-  und  Wechsel- 
bank, Frankfurt  a.  M.,  (vgl.  Chr.  1916  S.  498):  die  Bankfirma  J.  Maggi- 
Minoprio,  Frankfurt  a.  M.;  —  von  dem  A.  Schaaffhausenschen  Bankverein, 
Köln,  (vgl.  S.  634):  das  Bankhaus  J.  Kippenberger,  Siegen;  —  von 
der  Thüringischen  Landesbank  A.-G.,  Weimar:  die  Saalfelder  Filiale 
des  Pößnecker  Bankvereins,  e.  G.  m.  b.  H.,  Pößneck;  —  von  der  London 
County  and  Weatminster  Bank  Ltd,  London,  (vgl.  S.  119):  die  Ulster 
Bank  Ltd,  Belfast;  —  von  der  Banca  Italiana  di  Sconto,  Mailand, 
(vgl.  S.  285):  die  Banca  Veneta  di  Deposit!  e  Conti  Correnti,  Venedig; 

—  von  der  Petersburger  Disconto-Bank,  Petersburg,  (vgl.  Chr.  1916 
S.  523):  das  Bankhaus  Djschamgarowti  fr^res,  Moskau;  —  von  der 
Svenska  Emissions  Aktb.,  Stockholm:  die  Finans  Aktb. ;  —  von  der  Aktb. 
Svenska  Landsmännens  Bank,  Stockholm,  (vgl.  Chr.  1916  S.  827):  die 
Aktb.  Blekinge  Bank;  —  von  dem  Schweizer  Bankverein,  Basel:  die 
Banque  de  Nyon  c.  d.  Baup  &  Co.,  Nyon-Neudt  (Waadt),  mit  Filialen 
in  Morges.  Rolle  und  Vallorbe. 

Zweiganstalten  eröffnen:  die  Deutsche  Bank,  Berlin,  (vgl. 
S.  149)  in  Bukarest;  —  die  Dresdner  Bank,  Berlin,  (s.  oben)  in 
Bukarest  (nach  Friedensschluß);  —  die  Bank  für  Handel  und  Industrie, 
Berlin,  (s.  oben)  in  Cuxhaven;  —  der  Bankverein  für  Schleswig- Holstein 
A.-G.,  Neumünster,  in  Wandsbeck;  —  die  Mitteldeutsche  Privat-Bank 
A.-G.,  Magdeburg,  (vgl.  S.  634)  in  Lauscha  und  Neuhaus  in  Thüringen ; 

—  die  Süddeutsche  Disconto- Gesellschaft  A.-G.,  Mannheim,  in  Baden- 
Baden,  Bruchsal,  Durlach,  Freiburg  i.  Br.,  Heidelberg,  Karlsruhe,  Lahr, 
Landau,  Pforzheim,  Pirmasens  und  Worms ;  —  die  Thüringische  Landes- 
bank A.-G.,  Weimar,"  (s.  oben)  in  Rudolstadt;  —  die  London  County 
and  Westminster  Bank  Ltd,  London,  (vgl.  S.  119)  in  Bordeaux  und 
Marseille;  —  die  National  Bank  of  South  Africa  Ltd,  Pretoria,  (vgl. 
Chr.  1916  S.  889)  in  Tabora  (Deutsch-Ostafrika);  —  die  Banque  Nationale 
de  Gröce,  Athen,  in  Chios,  Cozanis,  Mytilene  und  Samos ;  —  der  Banco 
di  Napoli,  Neapel,  in  Chicago;  —  die  Holländisch-Südamerikanische 
Bank,  Amsterdam,  (vgl.  S.  560)  in  Bahia,  Belle  Horizonte  und  Santo 
(sämtlich  in  Brasilien) ;  —  die  Russisch- Französische  Bank,  Petersburg, 
(vgl.  Chr.  1916  S.  358)  in  Paris;  -—  der  Banco  de  Bilbao,  Bilbao,  in 
London;  —  die  American  Express  Company,  New  York,  in  Buenos 
Aires,  Hongkong,  Manila,  Shanghai  und  Yokohama;  —  die  Mercantile 
Bank  of  the  Americas,  New  York,  (vgl.  S.  634)  in  Caracas  (Venezuela)^ 
und  Maracaibo  (Venezuela);  —  die  Bank  of  Montreal,  Montreal,  in 
London. 

Gegründet  wurden:  in  Berlin  mit  1  Mill.  M  die  Hypotheken - 
schutzbank  für  Brandenburg  und  Groß-Berlin  und  in  Essen  mit  1  Mill.  M 
die  Rheinisch- Westfälische  Hypothekenschutzbank  (vgl.  S.  49);  —  in 
Berlin  mit  6  Mill.  M  die  Hermes  Kreditversicherungsbank  A.-G.;  — 
in  Lublin  die  Polnische  Landesbank;  —  in  Rom  mit  1  Mill.  Lire  die 
Banca  Regionale;  —  in  Groningen  mit  3  Mill.  hfl  die  Koloniale  Kultuur- 
eii  Handelsbank ;  —  im  Haag  mit   1  Mill.  hfl  die  Indochinesische  Bank ; 


-     723     - 

—  in  Rotterdam  mit  1  Mill.  hfl  die  N.  V.  Zuid-Nederlandsche  Scheeps- 
hypothekenbank ;  —  in  Tiel  mit  1  Mill.  hfl  die  N.  V.  Industrie-  en. 
Landbouwbank;  —  in  Svolvaer  (Norwegen)  mit  mindestens  1,  höchstens 
1,5  Mill.  Kr  die  Bank  für  das  Lofotengebiet ;  —  in  Borlänge  (Schweden) 
mit  1  Mill.  Kr  die  Aktb.  Oefre  Västerdalensbank ;  —  in  Malmö  mit 
mindestens  6,  höchstens  18  Mill.  Kr  die  Sydsvenska  Emissions  Aktb. 
(Südschwedische  Emissionsgesellschaft) ;  —  in  Stockholm  mit  3  Mill.  Kr 
unter  Uebernahme  der  Aktb.  Stockholms  Folkbank,  der  Gerell's  bankir 
och  växelaffär  und  der  Osborn  Klings  Bank  die  Affärsbanken ,  mit 
16  Mill.  Kr  die  Aktb.  Köpmannabanken  (Kaufmannsbanken  A.-G)  und 
mit  mindestens  0,5,  höchstens  1,5  Mill.  Kr  die  Svenska  förvaltnings- 
kassans  förlagsbolag ;  —  in  Uesküb  mit  3  Mill.  Lewa  die  Skopska 
Torgowska  Banka  (Uesküber  Handelsbank);  —  in  Barranquilla  (Ko- 
lumbien) mit  0,5  Mill.  Goldpesos  der  Banco  Dugaud  mit  Filiale  in 
Santa  Marta;  —  in  Villa  E-ica  (Paraguay)  die  Agencia  Industrial  y 
Comercial  del  Paraguay;  —  in  San  Salvador  der  Credito  Agricola 
Salvadoreno;  —  in  Tokio  die  Tokio  Furukawa  Ginko. 

Die  Galizische  Städtische  Kriegskreditanstalt  (vgl. 
Chr.  1916  S.  609)  verlegt  ihren  Sitz  von  Krakau  nach  Lemberg. 

Wie  der  „Oest.  Volksw."  v.  6.  Okt.  meldet,  prüft  das  japa- 
nische Finanzministerium  die  Lage  der  kleinen  Banken  und  hebt 
schlecht  fundierte  auf. 

b)   Kreditwirtschaftliche  Maßnahmen. 

In  Deutschland  oder  in  den  besetzten  Gebieten  wurden 
veröffentlicht:  1)  Bek.  des  RKzl,  betr.  die  Postprotestaufträge  mit 
Wechseln  und  Schecken,  die  in  Elsaß-Lothringen  zahlbar  sind,  v.  4.  Okt. 
(RGBl.  S.  890;  vgl.  Chr.  S.  635);  2)  Allerhöchster  Erl.  über  ilte  Er- 
richtung des  Reichswirtschaftsamts  (zu  dessen  Bereich  u.  a.  Bank-  und 
Börsen wesen  gehört),  v.  21.  Okt.  (RGBl.  S.  963);  3)  Gesetz  zur  Er- 
gänzung des  Gesetzes  über  die  privaten  Versicherungsunternehmurgen 
(betrifft  Hypothekenschutzbanken :  vgl.  unter  a),  v.  24.  Okt.  (RGBl, 
S.  973) ;  4)  Bek.  der  Reichsschuldenverwaltung  über  die  gemeinschaft- 
liche ünterverschlußnahme  eingelöster  Reichsschuldurkunden,  v.  5.  Okt. 
(RAnz.  V.  10.  Okt.);  5)  Vf.  des  preuß.  Finanzmin.,  betr.  die  Verzinsung 
der  Kriegssteuer,  v.  26.  Sept.  (FMBl.  S.  323;  vgl.  Chr.  S.  635); 
6)  dgl.,  betr.  die  Begleichung  der  Kriegssteuer  durch  Kriegsanleihe - 
stücke,  V.  2.  Okt.  (FMBl.  S.  324;  vgl.  Chr.  S.  635);  7)  dgl.  über  die 
Versteuerung  der  Schuldverschreibungen  gemischter  Hypothekenbanken, 
V.  8.  Okt.  (FMBl.  S.  326);  8)  Allg.  Vf.  des  preuß.  Justizmin.  wegen 
der  Veräußerung  gepfändeter  Wertpapiere,  die  einen  Marktpreis  haben, 
V.  13.  Okt.  (JMBl.  S.  334):  9)  Aufforderung  an  die  Besitzer  ausländischer 
Wertpapiere,  die  sie  mit  dem  Vermerk  „unversteuert"  angemeldet 
haben,  zur  Nachentrichtung  des  Stempels  („Nordd.  Allg.  Ztg."  v.  25.  Okt. 
Nr.  295  II.  Ausg. ;  Druckfehlerberichtigung  ebenda  Nr.  309  v.  3.  Nov. ; 
vgl.  Chr.  S.  121);  10)  V.  des  GG.  in  Warschau  über  die  Vorrechte 
der  zum  Wiederaufbau  zu  gewährenden  staatlichen  Darlehen,  v.  24.  Okt. 


—    724    — 

(PolnVBl.  S.  433);  11)  V.  der  MV.  in  Rumänien,  betr.  siebente 
Kriegsanleihe,  v.  10.  Okt.  (Ver.Bl.  der  Mil.-Verw.  in  Rum.  S.  388): 
12)  V.  des  MG.  in  Rumänien,  betr.  Berichtigung  der  Wechselstuben- 
vorschrift, V.  16.  Okt.  (ebenda  S.  390;  vgl.  Chr.  S.  636). 

In  Frankreich  wurde  1)  von  der  Chambre  des  Deputes  am 
18.  Okt.  ein  Gesetz  angenommen,  durch  das  der  gesetzliche  Zinsfuß 
auf  5  Proz.,  bei  Handelsgeschäften  auf  6  Proz.  festgesetzt  wird  („L'^^con. 
Europ."  V.  26.  Okt.),  2)  der  Kammer  ein  Gesetzentwurf  vorgelegt, 
durch  den  die  Regierung  aus  steuerfiskalischen  Gründen  das  Recht  er- 
halten soll,  die  privaten  Stahlfächer  bei  den  Banken  zu  kontrollieren 
(„Financial  Times"  v.   17.  Okt.). 

Die  griechische  Regierung  hat  die  Sequestrierung  des  feind- 
lichen Eigentums  angeordnet  und  den  feindlichen  Staatsangehörigen 
jeden  Geschäftsbetrieb  in  Griechenland  untersagt  („Deutsche  Levanteztg." 
Nr.  25,   S.  788). 

In  Oesterreich -Ungarn  wurden  veröffentlicht:  1)  V.  des 
österr.  Handelsmin.  im  Einvernehmen  mit  den  beteiligten  Ministern 
über  die  Errichtung  einer  Schutzstelle  für  österreichische  Vermögen  im 
Auslande,  v.  10.  Okt.  (OestRGBl.  S.  1119);  2)  V.  des  österr.  Finanzmin. 
über  die  Gewährung  von  Gebührenbefreiungen  zur  Förderung  der  Zeich- 
nung der  7.  österreichischen  Kriegsanleihe,  v.  31.  Okt.  (OestRGBl.  S.  1177); 

3)  V.  des  österr.  Gesamtmin.  über  die  Anmeldung  und  Sperre  des  in 
Oesterreich  befindlichen  Vermögens  feindlicher  Staatsangehöriger  und 
die  Anmeldung  des  im  feindlichen  Auslande  befindlichen  Vermögens 
österreichischer   Staatsangehöriger,    v.   31.   Okt.    (OestRGBl.    S.    1211): 

4)  V.  der  kroatischen  Regierung  über  die  Zwangsliquidation  von  Geld- 
instituten im  Konkursverfahren  durch  die  ungarische  Geldinstituts- 
zentrafe  („Oest.  Volksw."  v.  20.  Okt.,  S.  45). 

In  Spanien  wird  durch  Kgl.  Dekret  v.  16.  Juli  den  in  Spanien 
Handel  treibenden  Gesellschaften  gestattet,  ihre  Schuldverschreibungen, 
deren  Zinsen  in  ausländischer  Münze  zahlbar  sind,  in  das  Handels-  und 
Eigentumsregister  zur  Konvertierung  eintragen  zu  lassen,  damit  die 
Zinsen  künftig  ausschließlich  in  Pesetas  im  Lande  beglichen  werden 
können. 

c)   Bargeldloser  Zahlungsverkehr. 

Maßnahmen  in  Deutschland:  1)  Vf.  des  Staatssekr.  des  Reichs- 
marineamts,  betr.  Postüberweisungs-  und  Scheckverkehr,  v.  24.  Okt. 
(MVBl.  S.  308);  2)  dgl.,  betr.  Reichsbankgiroverkehr  bei  den  Marine- 
kassen, v.  25.  Okt.  (MVBl.  S.  310);  3)  Vf.  des  preuß.  Eisenbahnmin. 
über  die  bargeldlose  Verrechnung  von  Pflichteinzahlungen  auf  Geschäfts- 
anteile, von  Mitgliederbeiträgen  und  Mieten  für  Rechnung  der  Bau- 
genossenschaften bei  Gehalts-  und  Lohnzahlungen  („Nordd.  AUg.  Ztg.'* 
V.  16.  Okt.  L  Ausg.  u.  V.  20.  Okt.  L  Ausg.). 

In  den  Niederlanden  wurden  durch  Kgl.  Beschluß  v.  1.  Okt. 
die  Best,  für  den  Postscheck-  und  Giroverkehr  veröffentlicht  („Nieuwe 
Courant«  v.  24.  Okt.;  vgl.  Chr.  S.  199). 


-    725    - 

In  Schweden  wird  von  einer  Kommission  die  Erage  der  Ein- 
itihruDg   des    Postscheckverkehrs    geprüft    („Frankf.  Ztg."   v.   19.  Okt.). 

d)  Börsenwesen. 

In  Deutschland  wird  durch  Gesetz  v.  31.  Okt.  (RGBl.  8.  1013) 
zur  Aenderung  des  Reichsstempelgesetzes  v.  3.  Juli  1913 
der  Bundesrat  ermächtigt,  bei  Kauf-  und  sonstigen  Anschaffungsge- 
schäften von  Waren  (Tarifnummer  4  b)  für  einzelne  Gattungen  Be- 
freiungen und  Ermäßigungen  von  der  Stempelabgabe  zuzulassen.  — 
üeber  die  Beantwortung  der  Anfrage  des  M.  d.  E,.  Dr.  Werner  über  die 
Börsenspekulation  in  Berlin  durch  den  Stellv.  des  RKzl.  vgl. 
Reichstagsdrucksache  Nr.  1094.  —  Den  Zulassungssteilen  des 
Börsen  in  München  und  Augsburg  wird  vom  bayer.  Min.  der 
Aeußern   die    Wiederaufnahme    ihrer  Tätigkeit   gestattet   (vgl.   S.  563). 

Die  italienischen  Börsen  wurden  am  1.  Okt.  für  den  Kasse- 
verkehr unter  Festsetzung  von  Mindestkursen  wieder  eröffnet  (vgl.  auch 
„Oest.  Volksvv."  v.  15.  Sept.  u.  3.  Nov.  sowie  „Voss.  Ztg."  v.  14.  Sept., 
21.  Sept.  u.  3.  Okt.). 

An  den  kanadischen  Börsen  in  Toronto  und  Montreal 
wurden  Mindestkurse  festgesetzt  („Frankf.  Ztg."  v.  12.  Nov.  u.  „Voss. 
Ztg.«  V.  6.  u.  13.  Nov.). 

e)  Währungs-  und  Notenbankwesen. 

In  Deutschland  wird  durch  Erl.  des  Kriegsmin.  v.  16.  Okt.  das 
Wertverhältnis  für  1  rumänischen  Silberlei  von  66  auf  80  Pf  erhöht 
(AVBl.  S.  525). 

In  Dänemark  wird  durch  Bek.  des  Justizmin.  v.  3.  Okt.  der 
Höchstbetrag  an  gemünztem  Gold  oder  Silber,  den  Reisende  ins  Aus- 
land mitführen  dürfen,  von  200  auf  50  Kr,  davon  an  Silber  allein 
höchstens  10  Kr,  herabgesetzt  („Nachr.  f.  Handel,  Ind.  u.  Landw."  v. 
10.  Okt.). 

Im  „Nederlandschen  Staatscourant"  Nr.  252  v.  27.  Okt.  wird 
eine  Kgl.  V.  v.  22.  Okt.  1917  über  die  Abänderung  der  V.  v.  22.  April 
1916,  betr.  die  Ausgabe  von  Silberbons,  veröffentlicht  („Nachr.  f.  Handel, 
Ind.  u.  Landw."  v,  1.  Dez.). 

Die  Schweiz  setzt  auf  Grund  eines  Bundesratsbeschlusses  v. 
23.  Okt.  2  Mill.  Stück  zu  Zehnrappen  und  3  Mill.  Stück  zu  Fünfrappen 
aus  Messing  in  Umlauf  („Deutsches  Handels- Archiv"  Novemberheft 
S.   1058). 

Die  Türkei  hat  zur  Verminderung  des  Papiergeldumlaufs  ein 
neues  Finanzabkommen  mit  Deutschland  getroffen  („Frankf.  Ztg."  v. 
15.  Okt.  u.  „Wirtschaftsdienst"  v.  2.  Nov.). 

In  Japan  werden  zur  Behebung  des  Kleingeldmangels  30  Milh  Yen 
kleine  Noten  in  Verkehr  gesetzt  („Financial  Times"  v.  25.  Okt.). 

lieber  Währungsverhältnisse  in  Mexiko  vgl.  ., Wirtschaftsdienst" 
V.  28.  Sept.,  S.  694  ff. 


726  8.  Statistik. 

Uebersicht  über  den  Stand  der  deutschen  und  einiger  ausländischen  Notenbankea 
sowie  des  Bankzinsfußes  an  den  wichtigeren  Börsenplätzen  im  Oktober  1917 

Beträfe  in  Millionen  Mark. 


Aktifa. 

Barvorrat:   a)  im  Inlande 

Samme 
Sonstige  Geldsorten    .     . 
b)  im  Auslände 
Gold 


Gesamtsumme  d.  Barvorrati 


Anlagen  : 
Wechsel*) 
Lombard 
Effekten 


Sonstige  Anlagen 


Summe   der  Anlagen 


Summe  der  Aktiva 


Deutsches  Reich 


Reichs- 
bank 


Privat- 
noten- 
banken 


Summe 


Ausweis  vom 

15.  I    31.    I  15.  131.!    15.  I    31. 

Oktober 


2404 


2405 
114 


2507    2519 
ioo6i    1026 


35n|  3  545 


12005 

13 

138 

1553 


13709 


"737 

13 

116 


109 


648I  72 


13  514  280 


17222  i7o;9|  ^89 


103 


122 

n 
23 

62 


2574 
1048 


3622 


12117 

84 

163 


2  586 
1 062 


3648 


II 859 

90 

139 


f625|  I  710 


284  1 13989  13798 


^87  |i76iiii74*^ 


Bank  von 

Frankreich 

mach  ..L'Eco- 

Domikte 

Francais") 


Ausweis  V. 

18.  1     2. 

Okt.  I  Nov. 


2  6631  2  665 
208 1      205 


2  8711  2870 


I  650    I  650 


4521I  4520 


2061 

922 

179 

') 

12915 


16077 


2  123 
922 
179 

^) 
13005 


16  229 


20  5  )8|20  749 


Bank  von 
England 

(uach  „Tue 
SUtibt") 


Ausweis  V. 

17.    I  31. 

Oktober 


Ru.-Muche 
Staatsbank^ 

(DMh    Wolfil 


Ausweis  V 
14.     t    29 
Oktober  n.  fei. 


2800 
336 


'44     "44      3«3ö 


[44  I  1144 


Bank.  Dep. 
Gov.  See. : 
1210I   1206 

Other  See. : 
2051  I    1896 


3638 


4782 


3479 


4623 


4986 


8122 


819 
3824 


32  465 137  7H 


279Ä 
385 


J  \%\ 


4980 
8169 


981 
3674 


Passira. 

Grundkapital 

Heservefonds 

Notenumlauf 

Verbindlichkeiten : 

Täglicb/^"J*'f  ^^*^f  ^    • 

ffiliff  I  Q^ffg»<^^'  Guthaben 

'  Summe 

Sonstige  Verbindlichkeiten 


180       180 

90         90 

10296110400 

}5943    5686 


5943 
713 


568b 
703 


Summe  der  Passiva 


56 

15 

157 

127 


56 

15 

158 

125 


236 

105 

10453 

6070 


125     6070 
33       747 


236 

105 

[0558 

581 


155 
28 

7561 

2355 
29 


581. 
736 


2384 
470 


7222I17050   389    ^87  [17611   17  44^^  ?0  508  20749    4782      462^ 


155 
28 

7835 

2  202 
32 


298 

61 

850 

2699 
872 


298 
61 

866 

2501 
895 


108 
II 

37346 

5422 
454 


2234 
497 


35: 


3396 

2 


5876 


108 

11 

3966t 

5444 
44* 


5887 


Deckung : 

der  Noten  durch  den  ge- 
samten Barvorrat  .  .  . 
durch     den     inländischen 

Metallvorrat 

4er  Noten  u.  sonstigen  täg- 
lich fälligen  Verbindlich- 
keiten durch  den  gesamten 

Barvorrat 

BaakBinsfnß 

während     des    Monats 
Oktober 


in 

Frozen ten 

34,1 

34.1 

69,2 

65,4 

34,6 

34,6 

25,7 

25,4 

I34»6 

132,1 

21,7 

24,4 

24.2 

42,6 

42,6 

24,e 

24,;, 

16,8 

16,1 

»34,6 

132,1 

8.4 

21,6 

22,0 

38,4 

36,5 

21,9 

22,3 

22,7 

22,6 

25,9 

26,9 

18,. 

in  Berlin     in  Wien 

5,—     I      5,— 


in  Paris 

5,- 


in  London  I    g^^  pimbarg 


5,- 


6,- 


in 

AmstniUm 

47, 


20> 

8.0 


in 
New  Toft 


Wegen  Umrechnung  der  fremden  Valuten  usw.  vgl.  Chronik  1913,  S.  1038|unten. 


1)  Für  die  Reichsbank  die  gesamte  bankmäßige  Deckung,  d.  h.  Wechsel,  Seheck«  und  diskontierte 
«üchatzan Weisungen.  2)  Einschließlich  der  Vorschüsse  an  den  Staat.  3)  Einschließlich  der  377  Mill.  M. 
betragenden  Anlagen  des  Issue- Department.  4)  Totalreserve  am  17.  Oktober:  670  Mill.  M,  am  31.  Oktober: 
«56  Mill.  M.  Verhältnis  der  Reserve  zu  den  Depositen  18,8  Proz. ;  19,3  Proz.  5)  Die  in  diesen  Spalte* 
«ffen  gelassenen  Posten  ergeben  sich  nicht  ans  den  Wolffechen  Depeschen.  6)  Auf  8.  638  muß  ee  statt  5'/« 
gleichfalls  4  heißen. 


—    727    — 


VIL  Arbeiterverhältnisse. 

Inhalt:  Der  Arbeitsmarkt  im  Oktober  1917.  Die  Arbeitslosenstatistik  der 
Arbeiterverbände.  Die  Statistik  der  Arbeitsnachweise.  Der  weibliche  Arbeitsmarkt 
Die  Berichte  der  Arbeitsnachweisverbände.  Der  Arbeitsmarkt  in  Berlin  und  in 
der  Provinz  Brandenburg.  Die  Leitsätze  der  fortschrittlichen  Volkspartei  zu 
einem  Arbeitskammergesetz. 

Auch  im  Monat  Oktober  war  die  deutsche  Kriegsindustrie  voll  be- 
schäftigt; alle  sich  anbietenden  Arbeitskräfte  wurden  aufgenommen. 
Die  Bautätigkeit  beschränkte  sich  nach  wie  vor  auf  die  Errichtung 
oder  Fertigstellung  von  Bauten,  die  Zwecken  der  Landesverteidigung 
and  Volksernährung  dienen.  Große  Steinkohlenzechen  führten  be- 
deutende Neu-  und  Erweiterungsbauten  aus. 

Den  richtigen  Gradmesser  für  die  Lage  des  Arbeitsmarktes  bilden 
iijich  wie  vor  die  Arbeitslosenziffern,  die  aus  den  Angaben  der 
Arbeiter  verbände  über  ihre  arbeitslosen  Mitglieder  berechnet 
werden.  Nach  den  Feststellungen  von  32  Arbeiterverbänden,  die  für 
:i  029  943  Mitglieder  berichteten,  betrug  die  Arbeitslosenzahl  Ende 
Oktober  7277  oder  0,7  v.  H.  Ende  Juli  bis  Ende  September  1917 
hatte  die  Arbeitslosenziffer  0,8  v.  H.  betragen;  der  Oktober  brachte 
demnach  eine  weitere  Verringerung  der  an  sich  schon  niedrigen  Ar- 
beitslosenziffer. 

Um  einen  näheren  Einblick  in  die  Arbeitslosigkeit  zu  erhalten, 
«eien  die  Ziffern  für  die  6  größten  Arbeiterverbände  seit  Ende  Juli  1917 
wiedergegeben : 


Arbeitslosigkeit  v.  H.  der  vom 

Mitgliederzahl 
Ende  Oktober 

Bericht  erfaßten  Mitglieder 

Arbeiterverbände 

Ende 

Ende 

Ende 

Ende 

1917 

Okt. 

Sept. 

August 

Juli 

1917 

Metallarbeiter 

372454 

0,2 

0,1 

0,2 

0,1 

Fabrikarbeiter 

104  342 

0,1 

0,2 

0,1 

0,1 

Holzarbeiter 

89532 

0,5 

0,5 

0,5 

0,6 

Bauarbeiter 

82611 

0,2 

0,1 

0,1 

0,1 

Textilarbeiter 

72975 

4,6 

4,3 

4,2 

4,3 

Transportarbeiter 

62603 

0,2 

0,4 

0,2 

0,2 

Die  Textilindustrie  nimmt  infolge  der  Arbeitseinschränkung  und  Still- 
iegung der  Betriebe  wie  in  den  früheren  Monaten  eine  Sonderstellung 
«in.  In  der  Metallindustrie  und  im  Baugewerbe  trat  eine  geringe  Zu- 
nahme der  an  sich  außerordentlich  niedrigen  Arbeitslosenziffer  ein. 

Einen  etwas  anderen  Ausblick  eröffnet  jedoch  die  Statistik  der 
Arbeitsnachweise.  Danach  läßt  sich  für  das  männliche  und  ins- 
besondere für  das  weibliche  Geschlecht  ein  Steigen  des  Andranges  der 
Arbeitsuchenden  erkennen.  Im  Oktober  kamen  auf  100  offene  Stellen 
bei  den  männlichen  Personen  54  Arbeitsuchende  gegen  50  im  September. 
Beim  weiblichen   Geschlecht    stieg   die  Andrangsziffer   von    87  auf  98; 


-    728    -        , 

es  deckten  sich  also  auf  dem  weiblichen  Arbeitsmarkt  nahezu  Angebot 
und  Nachfrage. 

Die  ungünstigere  Gestaltung  des  weiblichen  Arbeitsmarktes 
geht  auch  aus  der  folgenden  Zusammenstellung  hervor,  welche  ftfcr 
wichtige  weibliche  Berufsarten  die  Zahl  der  Arbeitsgesuche,  bezogen 
auf  100  offene  Stellen,  für  die  Monate  September  und  Oktober  19J7 
sowie  Oktober  1916  wiedergibt. 


.                   -_           . 

Zahl  der 

Auf  100  offene  Stellen  kamen 

Weibliche  Berufsarten 

Vermitt- 

....  ArbeiLsgesuehe  im 

lungen  im 

Oktober 

Oktober 

Sept 

Okt.    1917 

1917 

1916 

1917 

T/andwirtschaftliche  Arbeiterinnen 

3  597 

55 

73 

S2 

Metallarbeiterinnen 

19  179 

112 

129 

96 

Arbeiterinnen  in  der  ebemiscben  Industrie 

2125 

90 

34 

66 

Spinnstoffarbeiterinnen  (einschl.  Färberei-  und 

Appreturarbeiterinnen) 

3243 

290 

634 

3" 

Buchbinderei-  u.  Kartonnagenarbeiterinnen  usw. 

1407 

89 

121 

60 

Arbeiterinnen  in  der  Lederindustrie 

1090 

92 

119 

83 

Tabakarbeiterinnen  usw. 

2  107 

83 

128 

95 

Schneiderinnen,  Putzmacherinnen  usw. 

9149 

120 

215 

118 

Büglerinnen,    Wäscherinnen    in    Wasch-    und 

Plättanstalten  usw. 

640 

76 

121 

bo 

Buchdruckereiarbeiterinnen 

901 

74 

106 

73 

Fabrikarbeiterinnen 

13960 

104 

135 

88 

Angestellte  im  Handelsgewerbe 

2332 

293 

304 

251 

Kellnerinnen,  Büfettfräulein 

5156 

129 

169 

I20 

Hotelzimmermädchcn,  Beschließerinnen 

461 

105 

231 

82 

Kochpei-sonal  in  Gastwirtschaften 

629 

HO 

192 

93 

Herd-  u.  Küchenmädchen   in  Gastwirtschaften 

3041 

71 

87 

62 

Putz-,  Wasch-,  Lauffrauen,  Auf  Wärterinnen  usw. 

18646 

81 

102 

76 

Dienstboten,  Hauspersonal 

9316 

47 

87 

42 

Sonstige  Tagelöhnerinnen 

10757 

105 

HO 

95 

Freie  Berufsarten 

790 

181 

200 

VT 

Es  ergibt  sich  aus  der  Uebersicht,  daß  bei  fast  sämtlichen  aufge- 
führten Beruföarten  die  Andrangsziffer  zugenommen  hat;  die  Zunahme 
war  im  besonderen  beim  Handelsgewerbe  recht  bedeutend. 

Die  eben  gekennzeichnete  Lage  des  Arbeitsmarktes  geht  auch  ans 
einer  Reihe  von  Berichten  der  Arbeitsnachweisverbände  her- 
vor, die  monatlich  dem  „Reichs- Arbeitsblatt"  übermittelt  werden.  Diese 
Berichte  lassen  für  Schlesien,  Posen,  wie  Hannover,  Braunschweig, 
Oldenburg  und  Bremen  wesentliche  Veränderungen  der  Lage  des  Ar- 
beitsmarktes nicht  erkennen.  In  Westfalen  änderte  sich  der  männliche 
Arbeitsmarkt  nicht  eiheblich,  während  die  Nachfrage  nach  weiblichen 
Arbeitskräften  nachließ.  Im  Königreich  Sachsen  ging  die  Vermittlung 
zurück.  In  Schleswig-Holstein  nahm  die  Zahl  der  Arbeitsuchenden  wie 
der  Stellenbesetzungen  gegen  den  Vormonat  zu.  In  Thüringen  ver- 
besserte sich  die  Lage  des  Arbeitsmarktes.  Im  Rheinland  gestaltete 
sich  die  Vermittlungstätigkeit  für  die  männlichen  Arbeitskräfte  lebhafter 
als  im  Vormonat,  doch  zeigte  sich  eine  Abnahme  sowohl  des  Angebots 


-     729    — 

als  auch  der  Nachfrage  auf  dem  weiblichen  Arbeitsmarkte.  Für  Hessen 
und  Hessen-Nassau  trat  eine  merkliche  Zunahme  der  männlichen  Stellen- 
suchenden hervor,  während  sich  die  weiblichen  Arbeitskräfte  an  Zahl 
verringerten.  Auch  in  Württemberg  und  Baden  nahm  die  Zahl  der 
Arbeitsuchenden  weiterhin  zu. 

Die  Gründe  für  die  ungünstigere  Gestaltung  insbesondere  der 
Lage  auf  dem  weiblichen  Arbeitsmarkt  gehen  reclft  deutlich 
aus  dem  Bericht  des  Verbandes  „Märkischer  Arbeitsnachweise"  über 
die  Lage  in  Berlin  und  in  der  Provinz  Brandenburg  hervor. 
Dieser  Bericht  wird  im  folgenden,  wie  allmonatlich,  nach  dem  „Reichs- 
Arbeitsblatt"  (Novemberheft  1917,  S.  864  und  865)  wiedergegeben. 

Danach  zeigte  gegenüber  dem  Monat  September  die  Lage  des 
Arbeitsmarktes  für  Oktober  im  allgemeinen  einen  weiteren  Rückgang, 
der  den  Arbeitsmarkt  für  männliche  Personen  wegen  des  seit  langem 
bestehenden  Mangels  an  männlichen  Arbeitskräften  nicht  wesentlich 
belastet  hat,  der  sich  aber  auf  dem  Arbeitsmarkt  für  weibliche  Personen 
rocht  erheblich  fühlbar  machte.  Den  Hauptanteil  an  der  Verringerung 
der  Aufträge  trifft  die  Rüstungsindustrie,  die  ihre  Betriebe  durch  Za- 
sammenlegung  von  Schichten  und  Einschiebung  von  Feierschichten  zum 
Teil  wesentlich  eingeschränkt  hat. 

In  dcrLandwirtschaft  glichen  sich  Angebot  und  Nachfrage  annähernd  aus. 
Die  Vermittlungstätigkeit  der  öffentlichen  Arbeitsnachweise  war  für  landwirt- 
schaftliche Kräfte  nicht  besonders  rege,  weil  durch  die  Erntekommandos,  die 
Jungmannen  und  die  Gefangenen  die  Nachfrage  zum  größten  Teil  gedeckt  war. 
Das  Ende  der  Kartoffelernte  brachte  am  Schlüsse  des  Monats  eine  Erleichte- 
rung der  Lage  für  die  Landwirtschaft.  Verheiratete  Deputanten  wurden  vielfach 
verlangt,  waren  aber  nur  im  geringen  Maße  verfügbar.  Die  Nachfrage  nach 
Landmädchen  überstieg  bei  weitem  das  Anstehet.  Die  Aufträge  nach  Gärtnern 
konnten  wegen  Mangels  an  Bewerbern  nur  ganz  vereinzelt  erfüllt  werden. 

Der  Bergbau  hatte  regen  Bedarf  an  Arbeitskräften.  Die  Braunkohlen- 
gruben und  Preßkohlenwerke  zeigten  recht  gute  Beschäftigungsverhältnisse. 

Die  Metallindustrie  brachte  einen  zum  Teil  bedeutenden  Rückgang  der 
Beschäftigung.  Facharbeiter  waren  auch  weiter  sehr  gesucht  und  knapp.  Die 
Einstellung  von  ungelernten  Arbeitern  stockte  aber  vielfach. 

Die  chemische  Industrie  hatte  befriedij?ende  Beschäftigungsverhältniase 
besonders  für  Farbstoffwerke  und  aus  der  chemisch-pharmazeutischen  Industrien. 
Es  lagen  Aufiräge  vor  für  Arbeiter,  die  besonders  mit  Fässern  umgehen  können; 
diese  Kräfte  waren  nur  vereinzelt  verfügbar. 

Das  Spinnstoffgewerbe  war  wegen  Mangels  an  Rohstoffen  verhältnis- 
mäßig ruhig. 

In  der  Lederindustrie  macht  sich  der  Mangel  an  Leder  in  dem  Rück- 
gang der  Betriebe  geltend.  Gerbereien  haben  ihre  Arbeit  zum  Teil  wesentlich 
verringert.  Trotz  der  Einschränkung  in  der  Schuhmacherei  wurden  Schuhmacher 
sehr  rege  verlangt. 

Das  Nahrungsmittelgewerbe  hatte  im  Anfang  des  Monats  geringen 
Bedarf  an  Arbeitskräften,  brachte  aber  am  Schlüsse  des  Monats  durch  die  ein- 
setzende Kohlverarbeitung  größere  Aufträge.  Das  Angebot  von  Bäckern  und 
Fleischern  entsprach  im  allgemeinen  der  Nachfrage. 

Das  Baugewerbe  zeigte  gegen  den  Vormonat  keine  Veränderung.  Fach- 
arbeiter, besonders  Zimmerer,  waren  auch  hier  sehr  knapp;  die  allgemeine  Lage 
aber  ist  ruhig     In  Veiten  lag  die  Ofenherstellung  völlig  danieder 

Für  das  Buchdruckgewerbe  lag  großer  Bedarf  vor;  auch  hier  fehlte 
es  in  der  Hauptsache  an  Facharbeitern. 


-     730    — 

Im  Handelsgewerbe  machte  sich  weiter  ein  Ueberschuö  an  Bewerbern 
geltend,  da  eine  groUe  Anzahl  Uilfsdienstpfiicbtiger,  die  früher  keiner  Bescbäfti- 
gung  nachgingen,  auf  den  freien  Arbeitsmarkt  gekommen  sind;  anderenjcibi 
fehlten  offene  feteilen,  da  die  Betriebe  ihr  Tersonal  möglichst  einschränken. 

Ungelernte  Arbeiter  waren  reichlicher  als  in  den  Vormonaten  verfüg- 
bar, weil  der  Bedarf  der  Rüstungswerke  zurückgegangen  ist.  Das  Angebot  von 
jueendiichen  Arbeitern  zwischen  14  und  17  Jahren  überstieg  fast  überall  die 
Nachfrage. 

Die  Lage  des  Arbeitsmarkts  für  weibliche  Personen  kennzeichnet  Bich. 
durch  einen  bedeutenden  Rückgang  der  offenen  Stellen,  vor  allem  bei  den  Rüstungs- 
werken. Auch  die  Pulverfabriken  Groß-Berlins  und  der  Provinz  Brandenburg 
hatten  gegen  die  Vormonate  viel  geringeren  Bedarf.  Aus  dem  Rheinland  da- 
gegen lagen  einige  größere  Aufträge  nach  Pulverarbeiterinnen  vor,  die  Erledigung 
fanden.  Die  Nachfrage  nach  Buchdruckhilfsarbeiterinnen  hielt  an;  es  war  aber 
ein  entsprechendes  Angebot  von  inzwischen  ausgebildeten  Arbeitskräften  vorhanden. 
In  der  Nahrungsmittelindustrie  wurden  mit  Schluß  des  Monats  die  Beschäftigungs- 
verhältnisse  wieder  besser.  Der  Mangel  an  Dienstpersonal  blieb  bestehen;  durch 
das  Fehlen  von  Fabrikarbeit  und  das  Ende  der  Kartoffelernte  machte  sich  zum 
Schlüsse  des  Monats  eine  geringe  Steigerung  des  Angebots  bemerkbar. 

Auf  dem  kaufmännischen  Arbeitsmarkt  überwog  das  Angebot  Ton 
Personal  die  Nachfrage,  was  aus  den  oft  bedeutenden  Einschränkungen  vieler 
Betriebe  zu  erklären  ist. 

Wie  der  Reichskanzler  in  seiner  Rede  am  29.  November  mitteilte, 
wird  dem  Reichstag  bei  seinem  nächsten  Zusammentreten  der  Entwurf 
zu  einem  Gesetz,  betreffend  die  Errichtung  von  Arbeitskammern, 
vorgelegt  werden,  das  an  die  Arbeiten  der  Reichtagskommission  von 
1910  angeknüpft  wird.  Ebenso  wird  ein  Gesetzentwurf  vorbereitet,  welcher 
diejenigen  Beschränkungen  der  Koalitionsfreiheit,  die  sich  aus  dem 
§  153  der  Reichsgewerbeordnung  ergeben,  beseitigen  soll.  Auch  dieser 
Gesetzentwurf  wird  nach  der  Mitteilung  des  Reichskanzlers  dem  Reichn- 
tag  bei  seinem  nächsten  Zusammentreten  zugehen. 

Im  Zusammenhang  mit  dem  geplanten  Arbeitskammergesetz  seien 
im  folgenden  L  eitsätze  wiedergegeben,  welche  der  soziale  Ausschuß 
der  fortschrittlichen  Volkspartei  nach  Beratung  mit  Ver- 
tretern der  Angestellten  und  Arbeiter  entworfen  hat.  Die  Leitsätze 
haben  folgenden  Inhalt: 

A.  Charakter  der  Arbeitskammern. 

1.  Zur  Erfüllung  der  in  den  nachstehenden  Leitsätzen  vorgezeich- 
neten Aufgaben  und  der  darin  gesteckten  Ziele  wird  für  den  räum- 
liehen  Bereich  eines  oder  mehrerer  Verwaltungsbezirke  eine  Arbeits - 
kammer  errichtet. 

2  In  die  Arbeitskammer  wählen  Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer 
die  gleiche  Anzahl  von  Vertretern,  der  Vorsitz  der  Kammer  liegt  in 
neutralen  Händen. 

3.  Zur  Erfüllung  derjenigen  Aufgaben,  welche  im  alleinigen  Inter- 
esse der  Arbeitnehmer  liegen,  treten  die  Vertreter  der  Arbeitnehmer 
allein  zusammen. 

4.  Die  Arbeitskammer  erledigt  ihre  Arbeiten  in  selbständigen  Ab- 
teilungen für  gewerbliche  Arbeiter,  für  kaufmännische  Angestellte  und 


—    731    - 

für  technische  und  sonstige  Angestellte.  Diejenigen  Arbeitskammern, 
in  deren  räumlichem  Bereich  eine  Verwaltungsdirektion  von  Staats- 
b ahnen  ihren  Sitz  hat,  umfassen  noch  eine  Abteilung  für  8taats- 
arbeiter  in  gemeinnötigen  Verkehrsbetrieben.  Nach  Bedarf 
bilden  die  Arbeitskammern  Nachausschüsse. 

B.  Aufgaben  der  Arbeitskammern. 

5.  Die  Arbeitskammern  stellen  die  öffentlich-rechtliche  Standesver- 
tretung der  deutschen  Arbeitnehmer  dar.  Daraus  erwachsen  folgende 
Aufgaben  und  Befugnisse : 

a)  Sie  stellen  selbständige  Erhebungen  über  die  sozialen  und 
wirtschaftlichen  Verhältnisse  der  Arbeitnehmer  an; 

b)  sie  erstatten  Gutachten  für  Staats-  und  Gemeindebehörden 
sowie  für  öffentliche  Körperschaften.  Sie  ernennen  Sachverständige 
und  bestimmen  Vertreter  von  Arbeitnehmern  in  öffentlichen  Einrich- 
tungen ; 

c)  sie  können  innerhalb  ihres  Wirkungsbereiches  selbständig  An- 
träge an  Behörden,  Kommunal  verbände  und  die  gesetzgebenden  Körper- 
schaften des  Reiches  und  der  Bundesstaaten  stellen ; 

d)  sie  wiiken  beim  beruflichen  Ausbildungswesen  mit. 

6.  Die  Arbeitskammern  werden  an  der  Ausführung  der  sozialpoli- 
tischen Gesetze  beteiligt,  und  zwar: 

a)  Sie  erlassen  die    örtlichen  Ausführungsvorschriften; 

b)  sie  üben  die  Aufsicht  über  die  Ausführung  der  entsprechen- 
den Gesetze  und  Vorschriften   aus. 

7.  Die  Arbeitskammern  dienen  der  Förderung  des  sozialen 
Friedens: 

a)  Sie  haben  das  gegenseitige  soziale  Verständnis  bei  Arbeitgeber 
und  Arbeitnehmer  zu  wecken  und  zu  pflegen  ; 

b)  sie  sind  Träger  des  Schlichtungs-  und  Einigungs- 
wesens. Zu  diesem  Zwecke  sind  in  das  Aibeitskammergesetz  Be- 
stimmungen über  die  Betriebsausschüsse  der  Arbeitnehmer,  über 
Schlichtungsstellen  im  Bereiche  und  unter  Aufsicht  der  Arbeitskammern 
einzubeziehen ; 

c)  sie  haben  das  Recht  der  Mitwirkung  beim  Abschluß  von  Tarif- 
verträgen und  bei  der  Feststellung  von  Nornialarbeitsverträgen; 

d)  sie  wirken  mit  bei  der  Regelung  des  Arbeitsnachweises  und 
üben  insbesondere  auf  diesem  Gebiet  die  Aufsicht  aus. 

8.  Die  Ai  beitskammern   haben  Wohlfahrtsmaßnahmen    zu   treffen : 

a)  Sie  haben  Veranstaltungen  und  Maßnahmen  zur  Hebung  der 
wirtschaftlichen  Lage  und  allgemeinen  Wohlfahrt  der  Arbeitnehmer 
zu  veranlassen  und  nötigenfalls  selbst  auszuführen; 

b)  sie  sind  berechtigt,  an  solchen  Veranstaltungen  sowohl  in  der 
Verwaltung  als  auch  in  der  Aufsicht  darüber  mitzuwirken. 

Dem  Ausschuß  wurde  der  Auftrag  erteilt,  auf  Grund  dieser  Leit- 
sätze einen  Gesetzentwurf  auszuarbeiten. 


?32 


YIII.  Finanzwesen. 

Inhalt:  Ergebnisse  der  7.  deutschen  Kriegsanleihe.  Einnahmen  der  deutschen 
Eisenbahnen.  Oesterreichische  und  ungarische  7.  Kriegsanleihe.  Neue  Börsen- 
Steuer  in  Oesterreich.  Die  Kriegskosten  der  Entente  und  ihre  Deckung.  Die 
englischen  Finanzen.  Frankreichs  neue  „Anleihe"  und  Finanzlage.  Kußland» 
bedenkliche  Finanzlage.  Italienische  ötaatseinnahmen.  Holländische  Finanzen. 
Finanzlage  Argentiniens. 

Die  siebente  deutsche  Kriegsanleihe  ist  wiederum  zu 
einem  großen  Siege  deutscher  Arbeit  und  Wirtschaftskraft  geworden. 
Das  Ergebnis  lautet  —  ohne  Umtausch  und  ohne  Feldzeichnungen  — 
auf  rund  12458  Mill.  M.  Der  Reicbsbankpräsident  faßte  den  Umfang 
und  die  Bedeutung  dieses  Ergebnisses  in  einer  Rede  vor  dem  Zentral- 
ausschuß der  Reichsbank  folgendermaßen  zusammen: 

Die  fast  26  Milliarden,  die  das  deutsche  Volk  damit  in  diesem  einen  Jahre 
aufgebracht,  und  die  annähernd  73  Milliarden,  die  es  in  den  drei  Jahren  des 
Krieges  gezeichnet  hat,  sind  ein  Zeichen  sieghafter  Kraft  und  sieghafter  Ent- 
schlossenheit, an  dem  keine  Deutungskunst  zu  rütteln  vermag.  Es  ist,  als  ob  die 
deutsche  Wirtschaftskraft  und  Zuversicht  nur  wüchse,  je  länger  der  Krieg  sie 
auf  die  Probe  stellt. 

Auch  diese  Anleihe  ist  wieder  eine  Anleihe  des  ganzen  Volkes  geworden. 
Bei  allen  Gruppen  der  Vermittlungsstellen  weisen  die  Zeichnungen  das  gleiche 
günstige  Ergebnis  auf,  und  es  ist  besonders  erfreulich,  daß  gerade  die  Sparkassen, 
Kreditgenossenschaften  und  Lebensversicherungsgesellschatten  bis  auf  wenige 
Millionen  sogar  ihre  Zeichnungserfolge  bei  der  6.  Anleihe  erreicht  haben.  Es 
sind  gezeichnet  worden:  bei  der  ßeichsbank  751857  500  M.  (bei  der  6.  Anleihe: 
625  Mill.),  bei  den  Banken  und  Bankiers  6  946  418  200  M.  (7545  Mill ),  bei  den 
Sparkassen  3  199  934  500  M  (minus  3  Mill.  M.  gegen  die  6.),  bei  den  Kreditge- 
nossenschaften 1 093  426  300  M.  (minus  10  Mill.  M.  gegen  die  6.),  bei  den  Lebens- 
versicherungsgesellschaften 383335  200  M.  (minus  3  Mill.  M.  gegen  die  6.)  und 
bei  den  Postanstalten  83469  500  M.  (minus  33  Mill.). 

An  5-proz.  Anleihe  sind  gezeichnet  worden  11157  310000  M. ,  davon 
2  501870  900  M.  an  Schuldbucheintragungen,  an  472-proz.  Schatzanweisungen 
1300631200  M.,  an  älteren  Kriegsanleihen  zum  Umtäusch  in  4'/,-proz.  Schatz- 
anweisungen angemeldet  115  364  800  M.  Die  Statistik  über  die  Zeichnungs- 
gruppen und  die  Zahl  der  Zeichner  ist  noch  nicht  fertiggestellt 

.  .  .  Für  die  Stärke  der  deutschen  wirtschaftlichen  Kraft  und  die  gute  Ver- 
fassung unseres  Geldmarktes  zeugt  besonders  eindringlich,  daß  die  Einzahlungen 
auf  die  Anleihe  sich  ohne  jede  Störung  des  Geldmarktes  und  noch  schneller  voll- 
ziehen als  bei  irgendeiner  der  früheren  Anleihen.  Am  27.  d.  M.,  dem  ersten 
Pflichtzahlungstage,  bis  zu  dem  30  Proz.  der  Zeichnungen  gezahlt  werden  sollten, 
waren  von  den  fast  12'/,  Milliarden  Zeichnungen  bereits  volle  10  Milliarden,  d.  h. 
80.27  Proz.  —  gegen  76,43  Proz.  am  ersten  Pflichtzai.lungstage  der  6".  Anleihe  — 
tatsächlich  eingezahlt,  und  der  29.  d.  M.  hat  die  Einzahlungen  um  weitere  250  MilL 
auf  82,28  Proz.  erhöht.  Auch  die  Darlehnskassen  werden  für  die  Kriegsanleihen 
immer  weniger  in  Anspruch  genommen;  auf  die  bis  zum  23.  Oktober  auf  die 
7.  Kriegsanleihe  tatsächlich  eingezahlten  9220  Mill.  kommen  nur  46,7  Mill.  dafür 
entnommene  Darlehen,  d.  h  nur  rund  '/»  Proz.;  auf  die  bis  zu  dem  genannten 
Tage  auf  alle  sieben  Kriegsanleihen  eingezahlten  9558,7  Mill.  nur  905,6  Mill.  M. 
Kriegsanleihedarlehen,  d.  h.  nur  noch  1.3  Proz.  gegen  2,4  Proz.  am  23.  Oktober 
1916  bei  damals  45  Milliarden  Einzahlungen. 

Weitere  Vergleiche  stellte  der  „Berl.  Börsen-Courier"  an.  Er  gab 
folgende  Zusammenstellung: 


— 

733    - 

- 

• 

I. 

II. 

III. 

IV. 

V. 

VI. 

VII. 

Aüsgabezeit 

Sept.  14 

Febr.  15 

Sept.  15 

März  16 

Sept.  16 

März  17 

Sept.  17 

Zinsfuß 

5^ 

5^ 

5  8 

5^".4V2^ 

5S«.4V,^ 

5^"  «.47,^ 

5?u.4Va 

Kors  für  Schatzanweis. 

97,50  § 

98,50  f 

95,00  ^ 

95,00  ^- 

98,00^ 

98,00^ 

Anleihen 

97,50  „ 

98,50,, 

99,00  % 

98,50  „ 

98,00  „ 

98,00  „ 

98,00  „ 

(Schuldbuch) 

97,30  „ 

98,30  „ 

98,80  „ 

98,30  „ 

97,80  „ 

97,80  „ 

97,80  „ 

Tatsächl.  Verzinsung  für 

Schatzanweisungen 

5,13,, 

5,08,, 

— 

4,74,, 

4,74  „ 

4,60  „ 

4,«o„ 

+    Einlösungsgewinn 

5,63,, 

5,31,, 

— 

5,45— ,05^ 

5,51— ,07^ 

") 

") 

Anleihen 

5,13,, 

5,08  „ 

5,05  „ 

5,07^ 

5,10^ 

5,10  „ 

5,10,, 

+    Einlösungsgewinn 

5,38,, 

5.23,, 

5,16,, 

5,2'!  „ 

5,35  „ 

5,37,, 

5,39,, 

Ergebnis  (in  Mill.  M.) 

Schatzanweisungen 

1340 

775 

— 

1572 

1073 

1364 

I  301 

Schuldbuch 

II99 

1675 

2175 

2028 

2180 

2575 

2502 

Freie  Stücke 

1922 

6610 

9985 

7167 

7398 

9183 

8655 

Summe 

4461^) 

9060 1) 

12  160 

10768 

10699 

131228; 

1  12458 

Durch  die  einmütige  Beteiligung  aller  Bevölkerungsschichten  ist  auch  die 
7.  Kriegsanleihe  wiederum  zu  einer  Volksanleihe  geworden.  Dies  tritt  deutlich 
zutage,  wenn  man  die  Zahl  der  Zeichnungen  nach  der  Höhe  der  gezeichneten 
Beträge  zusammenstellt. 


Es  sind  insgesamt  eingegangen 

Stückzahl  der 
Zeichnungen 

über  insgesamt 
M. 

Zeichnungen 

bis             200   M. 

3233472 

208  038  060 

on          300  M. 

500    „ 

693  729 

294  840  691 

600   „ 

1000    „ 

586623 

530796198 

1  100   „ 

2  000    „ 

264871 

461  217  350 

„         2  100   „ 

5  000    „ 

233  542 

867  567  880 

„         5  100   „ 

10  000    „ 

100  781 

817  813  460 

„       10  100   „ 

20  000   „ 

42732 

697  429  400 

„       20  100   „ 

50  000    „ 

33914 

I  188878400 

„       50  100   „ 

„        100  000    „ 

12  169 

I  023  848  100 

„     100  100   „ 

„        500  000    „ 

9145 

2  092  039  782 

„     500100  „ 

„     1000  000    „ 

1363 

I  129854946 

i 

iber  1  000  000    „ 

I  032 

3  145  616933 

5213373 

12  457  941  200 

Einer  Untersuchung,  die  Geh.  Justizrat  Prof.  Dr.  Rießer  in  einer  der  letzten 
Nummern  des  „Bank- Archiv"  veröffentlichte,  seien  noch  folgende  Ausführungen 
entnommen  : 

„Die  Stückzahl  der  kleinsten  Zeichnungen  von  100  bis  200  M.  beträgt  bei 
der  7.  Kriegsanleihe  3  233  472  Stück.  Sie  hat  sich  also  gegenüber  der  6.  Buiegs- 
anleihe,  wo  sie  3  844  834  Stück  betrug,  um  611  362  Stück  vermindert.  Der  Betrag 
dieser  Zeichnungen  stellt  sich  auf  208038060  M.,  hat  sich  also  gegenüber  dem 
Betrage  der  entsprechenden  Zeichnungen  auf  die  6.  Kriegsanleihe  in  Höhe  von 
286  458074  M.  um  78  420014  M.  vermindert. 

Durch  die  Stückzahl  dieser  kleinsten  Zeichnungen  wird  jedoch  die  ent- 
sprechende Stückzahl  bei  der  5.  Kriegsanleihe  von  1794  084  Stück  um  1439388 
Stück  und  durch  die  gezeichneten  Beträge  der  entsprechende  Betrag  bei  der 
5.  Kriegsanleihe  von  154  301633  M.  um  53  736  427  M,  übertroffen. 

Betrachtet  man  nicht  die  kleinsten  Zeichnungen  von  1(X)  bis  2(X)  M.,  sondern 
die  Gesamtzahl  der  sogenannten  kleinen  Zeichnungen  von  1(X)  bis  2000  M.  (ein- 
schließlich), welche  in  der  amtlichen  Statistik  4  Klassen  darstellen,  so  haben  diese 


1)  Außerdem  Feldzeichnungen. 

2)  Infolge  des  stark  schwankenden  Einlösungsgewinnes  nicht  berechnet. 

3)  Ohne  Berücksichtigung  der  umgetauschten  Beträge. 

Jahrb.  f.  Nationalök.  u.  Stat.,  Volkswirtsch.  Chronik.  1917.  XLIX 


—    734    — 

Zeichnungen  bei  der  7.  Kriegsanleihe  ergeben:  a)  eine  Stückzahl  von  4  778  695 
Stück  gegenüber  einer  solchen  bei  der  o.  Kriegsanleihe  von  6  204  844  und  einer 
solchen  von  3  382  468  Stück  bei  der  5.  Kriegsanleihe;  b)  einen  Zeichnuogsbetrag 
von  1 494  892  299  M.  gegenüber  einer  solchen  von  2  226  401  990  M.  bei  der  6.  und 
von  1519  561195  M.  bei  der  5.  Kriegsanleihe. 

Das  will  sagen:  Es  ist  bei  den  kleinen  Zeichnungen  von  100-2000  M.,  die 
schon  in  den  sogenannten  Mittelstand  hineinreichen,  eine  Verminderung  von 
rund  l'/g  Milliarden  M.  eingetreten,  wovon  fast  die  Hälfte  auf  die  Zeichnungen 
von  100—200  M.,  also  auf  die  kleinen  Sparer,  entfällt.  Wie  sich  das  Ergebnis 
der  sogenannten  kleinen  Zeichnungen  bei  der  7.  Kriegsanleihe  auf  Stadt  und 
Land  verteilt,  wäre  aus  wirtschaftspolitischen  Gründen  sehr  wichtig,  festzustellen, 
läßt  sich  aber  aus  der  vorliegenden  amtlichen  Statistik  nicht  erkennen.  Es  kommt 
übrigens,  worauf  ich  schon  früher  hinwies,  in  Betracht,  daß  auch  das  Land  viel- 
fach bei  städtischen  Instituten  (Sparkassen,  Kreditgenossenschaften,  Bankinstituten 
usw,)  gezeichnet  haben  dürfte,  daß  also  eine  völlig  zuverlässige  Statistik  in  dieser 
Frage  kaum  herzustellen  wäre. 

Die  Verminderung  der  sogenannten  kleinen  Zeichnungen  von  100—2000  M. 
einschl,  auf  die  7,  Kriegsanleihe  setzt  sich  auch  bei  den  (in  der  amtlichen  Sta- 
tistik zwei  Klassen  umfassenden)  Zeichnungen  von  2100-10  000  M.  fort.  Hier 
beträgt  die  Stückzahl  der  Zeichnungen  334  323  Stück,  und  der  Zeichnungsbetrag 
1  685  381  340  M.,  hat  sich  also  gleichfalls  gegenüber  den  in  jenen  Klassen  bei  der 
6.  Kriegsanleihe  gezeichneten  443  276  Stück  und  den  hier  erzielten  Zeichnungs- 
beträgen von  2158108  604  M.  vermindert,  und  zwar  um  108  953  Stück  oder  um 
rund  IVj  Milliarden  M. 

Eine  Verminderung  (aber  eine  bei  jeder  Klasse  abnehmende  Verminderung) 
weisen  auch  noch  die  Zeichnungsklassen  10  100— 20  000  M.,  20  100-50000  M.  und 
50  100  100  000  M  auf,  während  bei  der  Klasse  100 100-500  000  M.  die  Verminde- 
rung der  Stückzahl  und  des  Zeichnungsbetrages  gegenüber  der  6.  Kriegsanleihe 
wieder  stärker  ist. 

Dagegen  überragen  die  Stückzahlen  der  Klasse  500100—1000  000  M,  mit 
1363  (gegen  1184)  Stück  um  rund  15  Proz.,  und  die  Zeichnungsbeträge  mit 
1 129  854  946  (gegen  961  701  549)  M.  um  rund  17,5  Proz.  und  die  folgenden  Klassen 
über  1000000  M.  sowohl  hinsichtlich  der  Stückzahl  wie  hinsichtlich  der  gezeich- 
neten Beträge  um  je  rund  34  Proz.  die  Ergebnisse  der  entsprechenden  Zeichnungen 
auf  die  6.  Kriegsanleihe,  Diese  Klassen  haben  also,  obwohl  alle  sonstigen  vorher- 
gehenden Klassen  gegenüber  der  6.  Kriegsanleihe  zurückgeblieben  sind,  das  Ge- 
samtergebnis in  seiner  glänzenden  Höhe  sehr  erheblich  beeinflußt." 

Ueber    die    Einnahmen    der    deutschen   Bahnen    berichtete 

die   „Norddeutsche  AUjj^emeine  Zeiton^" : 

Der  Personenverkehr  der  deutschen  Staatsbahnen  hatte  in  den  letzten 
12  Friedensmonaten  (August  1913  bis  Juli  1914)  die  höchsten  bis  dahin  erzielten 
Einnahmen  gebracht.  Im  ersten  Kriegsjahre  (August  1914  bis  Juli  1915)  blieb 
demgegenüber  die  Einnahme  um  32,1  Proz.,  im  zweiten  Kriegsjahre  um  21  Proz. 
zurück;  dagegen  hat  sie  in  dem  jetzt  abgelaufenen  dritten  Kriegsjahre  jenes  hohe 
Friedensergebnis  nicht  nur  wieder  erreicht,  sondern  noch  um  5,3  Proz.  über- 
schritten und  einen  Betrag  von  1061  Mill.  M.  erbracht.  Der  Güterverkehr, 
der  im  ersten  Kriegsjahre  gegen  das  auch  hier  einen  Höchststand  zeigende  letzte 
Friedensjahr  um  16,3  Proz.  zurückgegangen  war,  holte  das  Friedensergebnis  be- 
reits im  zweiten  Kriegsjahre  wieder  ein,  um  es  im  dritten  Kriegsjahr  mit  2404  Mill.  M. 
um  8  Proz.  zu  überschreiten.  In  diesen  Zahlen  sind  die  Einnahmen  aus  dem 
Militärverkehr  mitenthalten;  sie  betragen  aber  im  Durchschnitt  der  drei  Kriegs- 
jahre nur  ein  Achtel  der  Gesamteinnahmen.  Welche  Bedeutung  der  fortschreitenden 
Entwicklung  des  Eisenbahnverkehrs  in  diesem  Kriege  beizulegen  ist,  zeigen  be- 
sonders auch  die  Einnahmen  des  August  1917.  In  diesem  Monat  hat  der  Per- 
sonenverkehr gegenüber  Aujust  1916  um  30,6  Proz.,  gegenüber  August  1913  —  dem 
letzten,  zum  Vergleich  heranzuziehenden  Friedensmonate  —  um  14.1  Proz.,  der 
Güterverkehr  gegenüber  1916  um  11,6  Proz,,  gegenüber  1913  um  19,1  Proz,  zu- 
genommen. Das  sind  gewaltige  Zahlen,  die  für  die  ungeschwächte  Kraft  unseres 
wirtschaftlichen  Lebens  ein  vollgültiges  Zeugnis  ablegen. 


—    735    — 

Oesterreich  und  Ungarn  rüsten  zur  siebenten  Kriegs- 
anleihe; Oesterreichs  erste  6  Kriegsanleihen  erbrachten  23 V4  Mil- 
liarden K.,  die  Ungarns  11  Milliarden  K.,  die  6.  österreichische 
5189  Mill.  K.  und  übertraf  damit  alle  früheren.  Die  7.  Anleihe  wird 
als  b'^/2-ipToz.  amortisable  Anleihe  zu  92Y2  Proz.,  und  b^j^-^TOz.  bis  1926 
laufende  Schatzscheinanleihe  zu  dA^j^Vvoz.  aufgelegt;  Ungarn  emittiert 
je  eine  6-  und  5Y2-proz.  ewige  Rente.  —  Eine  neue  österreichische 
Börsensteuer  wurde  durch  Regierungsvorlage  eingebracht: 

Die  Regierungsvorlage  setzt  als  Steuereinheit  nicht  den  „Schluß",  sondern 
den  Betrag  von  1000  K.  des  faktischen  Geldumsatzes  fest.  Für  jede  Steuereinheit 
beträgt  die  Steuer  bei  Geschäften  mit  Dividenden  papieren  und  Prämienschuldver- 
schreibungen mit  Ausnahmen  der  Titres  der  österreichischen  Staatsprämienanleihen 
40  h,  d.  i.  ^/,o  Promille;  bei  Geschäften  mit  österreichischen  Staatsschuldver- 
ßchreibungen  einschließlich  der  vom  österreichischen  Staate  zur  Selbstzahlung 
übernommenen  Schuldverschreibungen  (mit  Ausnahme  der  österreichischen 
Kriegsanleihen,  denen  auch  weiterhin  die  Befreiung  von  der  Effektenumsatzsteuer 
zusteht)  5  h,  d.  i.  V^p  Promille;  bei  sonstigen  Geschäften  10  h,  d.  i.  V^^.  PromUle. 
Die  neue  österreichische  Börsensteuer  soll  also  bei  Aktien  höher  sein  als  die 
deutsche  Steuer,  die  7io  Promille  beträgt,  bei  Anlagepapieren  niedriger  als  die 
deutsche  Steuer,  die  "^j^^  Promille  ausmacht.  Die  Regierung  erwartet  als  Wirkung 
der  neuen  Börsensteuer  rund  8  Millionen  jährlich,  also  etwa  das  Vierfache  des 
bisherigen  Steueraufkommens.  Skeptischer  ist  die  Regierung  und  zwar  mit  gutem 
Grund  hinsichtlich  des  Einflusses  der  neuen  Steuer  auf  die  Regelung  des  Börsen- 
verkehrs, Nach  der  Haltung,  die  das  österreichische  Abgeordnetenhaus  in  allen 
Fragen,  welche  das  mobile  Kapital  und  speziell  die  Börse  betreffen,  einzunehmen 
pflegt,  ist  jedenfalls  damit  zu  rechnen,  daß  von  dieser  Seite  eine  wesentliche  Er- 
höhung der  Steuersätze,  wie  sie  die  Regierung  vorschlägt,  beantragt  werden  wird. 
Nach  der  Fassung  des  Regierungsentwurfes  soll  die  neue  ßörsensteuer  bereits  am 
1.  Dezember  d.  J.  in  Kraft  treten. 

Mit  den  Kriegskosten  derEntente  und  derenDeckung 
beschäftigt  sich  im  „Bank-Archiv"  (15.  Oktober  1917)  Wirkl.  Geh. 
Oberfinanzrat  Schwarz,  dessen  Ergebnis  hier  kurz  mitgeteilt  sei: 

Die  Kriegsausgaben  des  Vierverbandes,  die  bis  Ende  1916  177  Milliarden  M. 
betrugen,  haben  sich  im  ersten  Halbjahr  1917  weiter  um  67  auf  244  Milliarden  M. 
gesteigert  und  werden  sich  bis  Ende  1917  auf  nicht  weniger  als  310—320  Mil- 
liarden M.  vermehren.  Obgleich  in  das  erste  Halbjahr  1917  drei  große  innere 
langfristige  Anleihen  fielen  (die  englfsche  „Siegesanleihe",  die  russische  „Freiheits- 
anleihe"  und  die  4.  italienische  Kriegsanleihe),  waren  Ende  1917  nur  41  Proz. 
aller  Kriegskosten  des  Vierverbandes  langfristig  gedeckt,  in  England  39  Proz., 
in  Frankreich  und  Italien  31  Proz.,  in  Eußland  29  Proz.  gegen  75—80  Proz  in 
Deutschland.  Wenn,  wie  es  den  Anschein  hat,  im  Laufe  dieses  Jahres  keine 
weiteren  langfristigen  Anleihen  in  den  Vierverbandsstaaten  zustande  kommen,  so 
werden  Ende  1917  nur  einige  20  Proz  Kriegskosten  langfristig  gedeckt  sein.  Ende 
Juli  betrugen  die  schwebenden  Schulden  der  Entente  bereits  144  Milliarden  M. 
(59  Proz.  der  Kriegskosten),  davon  waren  nicht  weniger  als  44  Milliarden  M. 
(18  Proz.)  Noten  und  Papiergeld.  Heute,  Anfang  Oktober,  hat  sich  die  Schuld 
bereits  auf  mindestens  170  Milliarden  M.  erhöht  und  wird  Ende  des  Jahres  vor- 
aussichtlich auf  200  Milliarden  M.  angewachsen  sein.  Welche  Aufgabe,  diese 
Summen  hinterher  zu  konsolidieren!  Natürlich  hat  auch  die  Golddeckung  in 
den  Notenbanken  weiter  abgenommen.  Sie  ist  seit  Ende  Dezember  1916  in 
Frankreich  von  20  Proz.  auf  15,3  Proz.  (4.  Oktober),  in  Rußland  von  17  auf 
7,7  Proz.  (5.  Oktober),  in  Italien  von  23  auf  18  Proz.  (Ende  Juni)  gesunken.  Von 
besonderem  Interesse  ist  die  starke  Zunahme  der  Heranziehung  des  Auslandes 
zur  Deckung  der  Kriegskosten.  Ende  Juni  1917  machten  die  Auslandsanleihen 
bereits  15  —  16  Proz.  der  gesamten  Kriegskosten  des  Vierverbandes  aus.  In  den 
kommenden  Monaten  muß  das  Ausland  den  Allüerten  nicht  weniger  als  30  Proz. 

XLIX* 


—    736    — 

der  Kriegskosten  in  der  einen  oder  anderen  Form  zur  Verfügung  stellen.  Nament- 
lich wird  die  englische  Kriegsfinanzierung  immer  mehr  vom  Ausland,  vor  allem 
von  den  Vereinigten  Staaten  abhängig.  Aus  eigener  Kapitalkraft  kann  England 
heute  nur  noch  einige  50—60  Proz ,  Frankreich  nur  noch  die  Hälfte,  Italien  nur 
noch  einige  40  Proz.,  Rußland  sogar  nur  noch  einige  20  Proz.  seiner  Kriegskosten 
decken.  Ailes  andere  muß  das  Ausland  und  die  Notenpresse  beschaffen,  welche 
letztere  in  Rußland  heute  bereits  über  60  Proz.,  in  Italien  fast  30  Proz.,  in 
Frankreich  fast  20  Proz.  der  Kriegskosten  decken  hilft. 

Der  Zuschuß  der  Vereinigten  Staaten  deckt  mit  rund  2  Milliarden  M.  pro 
Monat  von  insgesamt  11  —  12  Milliarden  M.  Monatskosten  immerhin  nur  wenig 
mehr  als  den  6.  Teil  derselben,  kann  also  auf  die  Dauer  den  finanziellen  Zu- 
sammenbruch der  Entente  nicht  aufhalten.  Die  Reden  der  feindlichen  Finanz- 
chefs lauten  denn  auch  immer  sorgenvoller,  die  drohende  wirtschaftliche  Abhängig- 
keit von  Amerika  bedrückt  namentlich  die  Kontinentalmächte  schwer. 

Nach  ZeituDgsmeldungen  ist  für  England  auch  schon  wieder  ein 
neuer  Kredit  von  500  Mill.  £  genehmigt  worden  (womit  die  Gesamt- 
kredite seit  Kriegsbeginn  dort  auf  5792  Mill.  £  steigen),  und  es  wurde 
England  ferner  in  Nordamerika  ein  neuer  Kredit  von  435  Mill.  $  ein- 
geräumt. In  Frankreich  nahmen  Senat  und  Kammer  ein  neues  An- 
leihegesetz  an.     Darüber  weiter  unten  Näheres. 

Ueber  die  englischen  Finanzen  und  den  neu  angenommenen 
Kriegskredit  äußerte  sich  der  Schatzkanzler  Bonar  Law  bei  Ein- 
bringung dieser  Vorlage  dahin : 

Von  Beginn  des  Finanzjahres  bis  zum  29.  Oktober  habe  die  durchschnitt- 
liche Tagesausgabe  6  648  000  £'  betragen,  womit  der  Budget  voran  schlag  um 
1 237  000  überschritten  worden  sei.  Die  Mehrausgaben  betragen  bei  Armee 
und  Flotte  590000,  bei  verschiedenen  Dienstzweigen  306  000,  bei  den  Vor- 
schüssen an  die  Verbündeten  und  die  Dominions  341000.  Er  freue  sich,  daß 
sich  ihm  eine  Gelegenheit  biete,  zu  erklären,  wie  hoch  nicht  nur  England, 
sondern  alle  verbündeten  Regierungen  die  sehr  vornehme  Weise  zu  schätzen 
Veranlassung  hatten,  in  der  die  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  ihre  finan- 
zielle Unterstützung  bei  den  Einkäufen  in  diesem  Lande  geliehen  habe.  Es  war 
ein  offenes  Geheimnis,  daß,  bis  Amerika  in  den  Krieg  trat,  die  Methode  der 
Finanzierung  unserer  dortigen  Einkäufe  und  die  Frage  des  Wechselkurses  nicht 
nur  ernste,  sondern  fast  unlösbare  Aufgaben  waren.  Die  Gesamtmehrausgabe 
beträgt  für  das  halbe  Kriegsjahr  43*'  Mill.  £,  das  sind  239  000  täglich.  Die 
Frage  der  Aufbringung  von  mehr  Geld  durch  Besteuerung  sei  geprüft,  aber  ver- 
neinend beantwortet  worden.  Fast  die  ganze  Mehrausgabe  entfalle  auf  das  Kriegs- 
amt, nämlich  39  Mill.,  während  sich  die  restlichen  4'/2  Mill.  Marine  und  Muni- 
tionsamt fast  gleichzeitig  teilten.  Die  Staatsschuld  bei  Ausbruch  des  Bj-ieges 
habe  645  Mill.  £  betragen,  und  die  Kriegsschuld  belaufe  sich  demnach  tatsäch- 
lich auf  3000  Mill.  £.  —  Wenn  Bonar  Law  weiter  zu  zeigen  versuchte,  daß  die 
vom  deutschen  Reichstag  bewilligten  Kredite  nicht  die  Vorschüsse  an  die  Ver- 
bündeten enthielten  und  Deutschlands  Kriegsfinanzen  daher  ungünstiger  aussähen 
als  die  Englands,  so  hat  Bonar  Law  tatsächlich  Unrichtiges  behauptet,  um  das 
Bild  durch  Fälschung  den  Engländern  angenehm  zu  machen. 

Mit  dem  30.  September  ist  die  erste  Hälfte  des  Fiskaljahres  zu 
Ende  gegangen.  Der  „Economist"  macht  darauf  aufmerksam,  daß  die 
Ausgaben  seit  dem  1.  April  1309  Mill.  £  betragen  haben,  während 
die  Hälfte  des  Voranschlages  nur  1146  Mill.  £  ausmacht,  er  ist  somit 
um  16,3  Mill,  £  überschritten  worden.  Die  Steuern  haben  in  der 
gleichen  Zeit  254^/2  Mill.  £  erbracht,  das  Defizit  erreicht  somit 
10547j  Mill.  £.  Gedeckt  wurde  es  durch  248  Mill.  Schatzbonds,  Kriegs- 
sparscheine  und   Kriegsanleihen,   478   Mill.   Schatzwechsel    und    kurze 


—    737    — 

Vorschüsse  und  durch  324  Mill.  andere  (d.  h.  ausländische)  Schulden ; 
die  letzteren  machen  also  nahezu  ein  Drittel  der  Anleihen  aus. 

Im  Gegensatz  zu  Frankreich  aber  wagt  sich  England  auch  jetzt 
noch  nicht  an  eine  neue  Kriegsanleihe  heran,  es  behilft  sich  vielmehr 
mit  der  Ausgabe  einer  neuen  Art  von  5-proz.  Schatzbonds,  soge- 
nannten national  war  bonds,  die  je  nach  "Wahl  des  Inhabers  im 
Jahre  1922  zu  102,  im  Jahre  1924  zu  103  und  im  Jahre  1927  zu 
105  Proz.  rückzahlbar  sind ;  an  Zinsen  bringen  sie  ö^/g  Proz.  Sie  lösen 
den  im  April  geschaffenen  Typus  der  5-proz.  Schatzbonds  ab;  er 
hat  nicht  den  Hoffnungen,  welche  die  Regierung  auf  ihn  setzte,  ent- 
sprochen. Der  „Statist"  klagt,  daß  von  diesen  Bonds  nur  durchschnitt- 
lich 3Y2  Mill.  £  die  Woche  abgesetzt  wurden,  während  die  Kriegsaus- 
gaben die  Staatseinnahmen  um  30  und  40  Mill.  £  die  Woche  über- 
steigen. Alles  in  allem  sind  von  jenen  5-proz.  Schatzbonds  in  den 
verflossenen  6  Monaten  nicht  mehr  als  84,15  Mill.  £  oder  1683  Mill. 
M.  abgesetzt  worden. 

Frankreich  hat  ein  neues  Anleihegesetz  angenommen,  das 
die  Bedingungen  der  dritten  französischen  Kriegsanleihe 
festlegt.  In  der  Budgetkommission  der  Kammer  und  des  Senates 
machte  Finanzminister  Klotz  Ende  Oktober  Mitteilungen  über  den  neuen 
Anleiheplan.  Die  Geldflüssigkeit  erlaube  die  Umwandlung  eines  Teiles 
der  schwebenden  in  eine  feste  Schuld.  Der  Betrag  der  Anleihe  werde 
10  Milliarden  und  der  Zinsfuß  4  Proz.  betragen.  Sie  solle  die  gleichen 
Vorrechte  und  Vergünstigungen  wie  die  ewigen  Renten  genießen.  Die 
Form  der  neuen  Rente  weiche  von  der  der  bisherigen  ab ;  in  der  Fest- 
setzung eines  von  Pari  entfernteren  Zeichnungspreises  sei  die  Gewähr 
für  eine  spätere  höhere  Bewertung  zu  erblicken.  Die  Schaffung  eines 
Tilgungsfonds  durch  monatliche  Ueberweisung  von  30  Mill.  sei  vorge- 
sehen. Die  Zeichnungen  in  Bons  und  Obligationen  der  nationalen 
Verteidigung,  in  3Y2-proz.  amortisabler  Rente  und  in  Kupons  der 
3-proz.  nationalen  Verteidigung,  ferner  Zeichnungen,  die  einen  bestimm- 
ten, noch  festzusetzenden  Betrag  nicht  überschritten,  sollen  nicht  kündbar 
sein.  Die  5-proz.  Rente  werde  zum  Preise  von  Sl'^j^  Proz.  in  Zahlung 
genommen.     Ein  Dekret  werde  den  Zeichnungspreis  noch  festsetzen. 

Dieses  Projekt  des  Finanzministers  hat  aber  in  Kammer  und  Senat 
so  außerordentliche  Abänderungen  erfahren,  daß  Fritz  Zutrauen  in  der 
„Voss.  Ztg."  schrieb: 

,Die  vorliegenden  neuen  Meldungen  weichen  von  dem  Inhalt  der  vor  einigen 
Tagen  bekanntgegebenen  Havasdepesche  so  außerordentlich  stark  ab,  daß  der 
Anleiheplan  des  Finanzministers  Klotz  ein  ganz  anderes  Gepräge  erhält.     Um  es 

§leich  vorwegzunehmen:  es  handelt  sich  bei  vorliegendem  Projekt  gar  nicht  um 
ie  Aufnahme  einer  neuen  Anleihe  großen  Stils,  sondern  im  wesentlichen  nur 
um  eine  Konsolidierungsoperation  der  schwebenden  Schuld. 

In  der  Tat  unterscheidet  der  Anleiheplan  zwischen  „souscriptions  röductibles" 
imd  .souscriptions  irr^ductibles".    Zu  den  ersteren,  den  reduzierbaren  Zeichnungen, 

fehören  die  Zeichnungen  in  barem  Gelde,  während  alle  in  Bons  und  Obligationen 
er  Nationalen  Verteidigung  erfolgenden  Subskriptionen  voll  zugeteilt  werden 
sollen.  Berechtigt  dieser  Umstand  allein  schon  dazu,  diese  „Kriegsanleihe"  im 
wesentlichen  als  eine  Konsolidierungsoperation  für  die  schwebende  Schuld  zu  be- 
zeichnen, 60  gewinnt  diese  Auffassung  neue  Nahrung,  wenn  man  die  Bestimmungen 


—    73»    — 

für  die  Barzeichnungen  prüft,  auf  die  es  doch  sonst  bei  Anleihen  hauptsächlich^ 
um  nicht  zu  sagen:  allein  ankommt.  In  Wirklichkeit  sind  die  Barzeichnungen 
auf  diejenige  Summe  limitiert  worden,  welche  die  Zeichnungen  in  Werten  der 
Nationalen  Verteidigung  bis  zu  dem  Anleihebetrage  von  10  Milliarden  ergänzt. 
In  dem  Falle,  wo  diese  Art  von  Zeichnungen  8  Milliarden  oder  darüber  erreicht 
—  eine  Möglichkeit,  die  sich  bei  einem  Umlauf  von  22  Milliarden  an  Bons  und 
Obligationen  der  Nationalen  Verteidigung  leicht  ergeben  kann,  ja  voraussichtlich 
ergeben  wird  — ,  ist  der  Betrag  der  Barzeichnungen  auf  höchstens  2  Milliarden 
begrenzt.* 

Mitte  Oktober  hat,  wie  dem  „Berliner  Börs.-Cour."  gemeldet  wird^ 
der  Finanzminister  durch  Rundschreiben  allen  seinen  Kollegen 
empfohlen,  in  ihren  Verwaltungen  größtmöglichste  Sparsamkeit 
walten  zu  lassen.  Wenn  man  die  jüngste  Kreditforderung  betrachtet, 
so  scheint  allerdings  Sparsamkeit  sehr  nötig,  denn  für  das  4.  Quartal 
des  laufenden  Jahres  ist  zum  erstenmal  eine  elfstellige  Ziffer  nötig  ge- 
wesen, und  von  9874  Mill.  im  3.  Quartal  ist  man  gleich  auf  11  246  Mill. 
angelangt,  so  daß  nunmehr  der  Monatsdurchschnitt  3360  gegen  2743, 
und  für  die  eigentlichen  Kriegsausgaben  2369  gegen  1989  Mill.  frcs. 
ist.  Von  den  nunmehr  auf  IO2Y2  Milliarden  angewachsenen  Krediten 
waren  bis  Ende  Juli  d.  J.  nur  12,84  Milliarden  durch  Steuern  und 
21 V2  Milliarden  durch  die  zwei  Kriegsanleihen  gedeckt,  der  ganze  Rest 
ist  durch  mehr  oder  weniger  kurz  befristete  Anleihen  und  Vorschüsse, 
teilweise  überhaupt  noch  nicht  beschafft.  Vollständige  Angaben  hierüber 
liegen  nicht  vor  und,  soweit  Ziffern  gegeben  sind,  reichen  sie  nur  bis 
Ende  Juli.  Die  drückendsten  Schulden  sind  nach  der  eigenen  Erklärung 
des  Finanzministers  die  auswärtigen,  die  Ende  Juli  I3V2  Milliarden 
ausmachten  und  die  durchschnittlich  um  eine  Milliarde  monatlich  steigen, 
so  daß  für  Ende  des  Jahres  mit  20  Milliarden  zu  rechnen  wäre.  Von 
obiger  Summe  dürften  3  Milliarden  von  den  Vereinigten  Staaten,  47^ 
Milliarden  durch  die  amerikanischen  Banken  und  6^4  Milliarden  in 
England  und  in  neutralen  Ländern  geliehen  sein. 

Ueber  die  finanziellen  Lasten,  die  natürlich  von  Quartal  zu  Quartal  stark 
anwachsen,  geben  uns  die  bewilligten  Kredite  Aufschluß.  Der  Schuldendienst 
erfordert  für  das  4.  Quartal  1522  Mill.  frcs.,  nämlich  147  Mill.  für  die  3-proz.  Rente, 
334  Mill.  für  die  5-proz.  Rente,  928  Mill.  für  die  auf  Verfall  oder  durch  jährliche 
Zahlungen  abzutragende  Verschuldung  und  112  Mill.  für  Lebensrenten  und  Ruhe- 
gehälter. Unter  den  928  Mül.  der  vorletzten  Kategorie  befinden  sich  655'/,  Mül. 
für  die  schwebende  Schuld,  35 V2  Mül.  für  die  tilgbare  Rente,  36 '/j  Mill.  für  die 
englisch-französische  Anleihe,  55  Mül.  für  die  Verzinsung  der  im  Ausland  ge- 
machten kurzfristigen  Operationen  und  SO*/,  Mill.  für  die  Verzinsung  der  der 
amerikanischen  Regierung  gegen  ihre  Vorschüsse  behändigten  Obligationen.  — 
Der  erheblichste  Kredit  wird  natürlich  vom  Kriegsministerium  verlangt,  er  beträgt 
5013 V2  Mill.  ohne  die  66,67  Mill.  für  die  Operationen  in  Marokko;  das  Munitions- 
ministerium verlangte  3155V2  Mül.  ohne  die  569  Mül.  für  Pulver  und  Salpeter^ 
die  Marine  begnügt  sich  mit  546  Mül. 

Außerordentlich  bedenklich  erscheint  die  Finanzlage  Rußlands» 
In  der  „Voss.  Ztg."  berichtete  M.  Th.  Behrmann  aus  zuverlässiger 
Quelle,  „daß  die  russische  Regierung  gegenwärtig  im  Durchschnitt  1^/^ 
Milliarden  Rbl.  monatlich  in  Kassenscheinen  ausgebe.  Seit  dem  Re- 
volutionsausbruch berechnet,  werde  sich  diese  Zettelausgabe  bis  ultimo 
1917  auf  rund  lOMilliarden  stellen,  während  unter  dem  alten  Re- 


—    739    — 

gime  die  gleiche  Summe  für  alle  drei  Kriegs  jähre  zusammen 
an  Zetteln  ausgegeben  worden  sei.  Die  unmittelbaren  Kriegsausgaben, 
die  anfänglich  14  Mill.  Rbl.  täglich  betrugen,  beanspruchen  jetzt  über 
65  Mill.  pro  Tag."  In  ähnlichem  Maße  seien  die  Verwaltungs- 
ausgaben gestiegen.  Die  Verwaltung  kleinerer  Städte  koste  gegen- 
wärtig der  Regierung  genau  so  viel  täglich  wie  noch  1913  für  das 
ganze  Jahr. 

Nach  „Berl.  Börs.-Cour."  zeichnet  eine  Mitteilung  aus  dem  russischen 
Finanzministerium  die  Lage  des  Staatsschatzes  folgendermaßen : 

Für  die  drei  Jahrgänge  1914,  1915  und  1916  ergaben  die  ordentlichen  Ein- 
nahmen 10567  Mill.  Rbl.,  die  Gesamtausgaben  erreichten  36  380  Mill.,  wovon 
27  188  Mill.  Kriegskosten,  der  Ausfall  beträgt  somit  26  Milliarden.  Die  Kriegs- 
ausgaben des  lautenden  Jahres  bis  zum  1.  September  waren  14  265  Mill.,  so  daß 
sich  die  gesamten  Kriegskosten  auf  nahe  an  41 '/.^  Milliarden  stellen.  Trotz  aller 
Bemühungen,  die  ordentlichen  Einnahmen  zu  vermehren,  könne  man  die  stetig 
zunehmenden  Ausgaben  nur  durch  innere  und  äußere  Anleihen  decken.  Auf 
letzterem  Wege  habe  man  seither  8062  Mill.  Rbl.  beschafft,  wovon  6750  Mill.  in 
London.  In  der  Moskauer  Konferenz  hat  der  Finanzminister  Nekrassof  eine 
unumwundene  Darlegung  der  trostlosen  Finanzlage  gegeben.  Er  beziffert  den 
Fehlbetrag  bis  Ende  d.  J.  auf  15  Milliarden  Rbl.  Man  könne  aber  hierfür  nicht 
allein  das  alte  Regime  verantwortlich  machen,  sondern  müsse  eingestehen,  daß 
keine  Zaren-Regierung  in  irgendeiner  Periode  der  Geschichte  Rußlands  das  Geld 
80  verschwendet  habe  wie  das  Rußland  der  Revolution.  Während  der  Revolutions- 
monate vom  1.  April  bis  zum  16.  Juli  1917  seien  832  Mill.  Rbl.  Banknoten  ge- 
druckt worden,  während  man  in  den  Kriegsmonaten  von  1914  nur  219  Mill.,  in 
1915  223  Mill.,  in  1916  290  Mill.  und  für  die  ersten  zwei  Monate  1917  23  Mill., 
insgesamt  also  755  Mill.  Rbl.  ausgegeben  habe  Diese  Verschleuderung  der  öffent- 
lichen Gelder  gehe  über  die  Kräfte  Rußlands  hinaus.  Was  das  Budget  anbelange, 
so  zeige  das  ordentliche  Budget  der  vier  letzten  Jahre  einen  Ueberschuß  von 
1779  Mill.  Rbl.,  aber  im  außerordentlichen  ständen  den  49  Milliarden  Ausgaben 
nur  35  Milliarden  Einnahmen  gegenüber.  Man  müsse  durchaus  Ersparnisse  machen, 
an  der  Front  und  hinter  derselben,  wo  die  Ansprüche  mitunter  noch  erheblicher 
seien.  So  z.  B.  habe  die  Kommission  für  die  Unterstützung  der  Soldaten familien 
eine  Mehrforderung  gemacht,  die  die  betr.  Ausgabe  von  3  auf  11  Milliarden  ver- 
mehren muß.  Eine  andere  bittere  Wahrheit  sei,  daß  die  Revolutionsregierung 
dem  Staatsschatze  viel  teurer  zu  stehen  komme  als  das  frühere  Regime.  Die 
kürzlich  geschaffenen  Lebensmittelkomitees  werden  500  Mill.  Rbl.  jährlich  kosten, 
die  landwirtschaftlichen  Komitees  140  Mill.  Die  Lohnsteigerungen  bedrohen 
gleichfalls  die  Staatsfinanzen,  allein  in  den  Putiloffwerken  machen  sie  jährlich 
90  Mill.  Rbl.  aus. 

Die  Steuern  gehen  immer  schwieriger  ein,  im  Verhältnis  zu  1916  ist  der  Aus- 
fall auf  die  Grundsteuer  32  Proz.,  auf  die  Mietssteuer  43  Proz.,  auf  die  Kriegs- 
steuer 29  Proz.,  auf  die  Erbschaftssteuer  16  Proz.  Alle  ertragfähigen  Einkommen 
sind  schon  außerordentlich  besteuert,  man  kann  aus  der  besitzenden  Kllasse  nicht 
mehr  herausholen. 

Die  italienischen  Staatseinnahmen  ergeben  (nach  der 
„Voss.  Ztg.")  im  Monat  Juni  eine  Zunahme  von  1246  Mill.  Lire.  Die 
Staatsschuld  bezifferte  sich  Ende  Juni  auf  18  307  Mill.  Lire,  nicht  inbe- 
griffen 3107  Mill.  Lire  Noten  und  1300  Mill.  Lire  Schatzwechsel.  Ein  Re- 
gierungsdekret erhöhte  den  Kredit  des  Kriegsministeriums  um  400  Mill. 
Lire. 

lieber  die  holländischen  Finanzen  meldet  die  „Frankf.  Ztg." 
nach  einem  Haager  Telegramm: 

Minister  Treub  hat  der  Zweiten  Kammer  einen  Gesetzentwurf  eingereicht 
zur  Annahme  einer   Anleihe    von  500  Mill.  fl.    zu  472  Broz.    Die  Rückzahlung 


—     740     - 

soll  über  40  Jahre  verteilt  werden.  Falls  die  freiwilligen  Zeichnungen  weniger 
als  400  Mill.  betragen,  wira  eine  Zwangsanleihe  vorgeschlagen,  ähnfich  wie  bei 
den  früheren  Anleihen.  Bis  6.  Oktober  betrug  die  schwebende  Schuld  265  Mill. 
fl.,  die  beinahe  ganz  konvertiert  werden  soll.  Es  sind  noch  verschiedene  Einkünfte 
zu  erwarten,  aus  denen  die  schwebende  Schuld  ebenfalls  konvertiert  werden 
könnte.  Demgegenüber  stehen  abernOch  bedeutende  Beträge  für  die  Kriegsaus- 
gaben.  Der  Minister  schätzt  diese  auf  etwa  30  Mill.  fl.  pro  Monat,  so  daß  von 
Oktober  1917  bis  Mal  1918  noch  210  Mill.  nötig  werden.  Am  1.  Mai  werden  die 
Gesamtkriegsausgaben  1  Milliarde  fl.  betragen.  Hiervon  soll  ein  Betrag  von 
781  Mill.  gedeckt  werden,  523  Mill.  aus  den  früheren  drei  Anleihen,  140  Mill.  aus 
der  Kriegsgewinnsteuer  und  120  Mill.  aus  der  Verteidigungssteuer.  Bleibt  also 
ein  Betrag  von  220  Mill.  ungedeckt,  wozu  noch  ein  Defizit  des  laufenden  Dienstes 
in  der  Höhe  von  16  Mill.  kommt.  Außerdem  will  der  Minister  zur  Konvertierung 
des  noch  ausstehenden  Betrages  die  Anleihe  von  1914  übernehmen.  Dieser  Be- 
trag beläuft  sich  auf  247 '/a  Mill.,  iind  der  Minister  beabsichtigt,  ihn  in  Schuld- 
scheine der  neuen  Anleihe  zu  konvertieren.  Den  Zeichnern  soll  ein  Genuß  von 
7,  Proz.  des  Nominalkapitals  der  konvertierten  Obligationen  garantiert  werden. 

„Nieuwe  Rotterdamsche  Courant"  vom  30.  September  schildert  in 
seinem  wöchentlichen  Börsenbericht  die  augenblickliche  Finanzlage 
Amerikas  in  nicht  allzu  rosigen  Farben  und  betont,  daß  das  kapital- 
kräftige Amerika  augenblicklich  nicht  über  unerschöpfliche  Geldmittel 
verfügt.  Dies  ist,  so  schreibt  das  Blatt,  vor  allem  für  Argentinien 
ein  Strich  durch  die  Rechnung,  das  gerade  jetzt  finanzielle  Unterstützung 
braucht.  Schon  hatten  Kammer  und  Senat  den  Bruch  mit  Deutsch- 
land beschlossen,  wodurch  die  guten  Aussichten  auf  eine  Anleihe  in 
den  Vereinigten  Staaten  gestiegen  wären.  Da  aber  diese  Aussichten 
jetzt  sehr  schlecht  sind,  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  man  in  Ar- 
gentinien den  Bruch  mit  Deutschland  lieber  rückgängig  machen  würde. 
Denn  auch  in  England  wird  man  jetzt  keine  Anleihe  unterbringen 
können,  und  zwar  um  so  weniger,  als  eine  dort  1915  untergebrachte 
6-proz.  Anleihe  von  5  Mill.  £  derart  ungünstig  aufgenommen  wurde, 
daß  nicht  weniger  als  88  v,  H.  vom  Garantiesyndikat  übernommen 
iverden  mußten. 


HB  Jahirbücrier  filr 
5  Nationalökonomie 

J35  und  Statistik 

Bd. 109 


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