*'.^
JAHRBÜCHER
FÜR NHTIONFILÖKONOMIE
UND STATISTIK
BEGRÜNDET VON FORTeESETZT VON
BRUNO HILDEBRHND JOHHNNES CONRHD
HERflUSeEGEBEN VON
Dr. LUDWIG ELSTER
WIRKL. GEH. 0BER-RE6IERUNGSRHT IN JENH
IN VERBINDUNG MIT
Dr. ED0. L0ENIN6 Dr. H. WHENTI0
PROF. IN HHLLE H. S.
PROF. IN HALLE H. S.
109. BHND
III. FOLGE 54. BHND
1917. II.
liv kty
3ENH
VERLAG VON GUSTAV FISCHER
1917
w
i/
Hb
5
T3S
Alle Rechte vorbeüalten
Inhalt des 54. Bandes, dritte Folge. (109. Bd.)
I. Abhandlungen.
Amonn, Alfred, Eugen von Philippovich (f 4. Juni 1917). S. 158.
Elsas, Fritz, Einige Grundfragen der Ernährungswirtschaft im Kriege. S. 423.
Elster, Karl, Zur Analyse des Geldproblems. S. 257.
EngliS, Karl, Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Gicnzerträge in der Kon-
sumwirtschaft. S. 385.
Pesl, Chr. D., Die Erbpacht (als Ansiedlungsform für Krieger), ö. 1.
Waentig, Heinrich, Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. S. 129,
513, 641.
Würzburger, Eugen, Ausblick auf unsere künftige Bevölkerungsentwicklung. 8. 544.
n. Nation alökonomische Gesetzgebung.
Ergäuzende Gesetze zum Deutschen Kriegssteuergesetz (1. G. zur Ergänzung des Kriegs-
steuergesetzes vom 17. XII. 1916. 2. G. über die Erhebung eines Zuschlags zur
Kriogssteuer vom 9. IV. 1917. 3. G. über Sicherung der Kriegssteuer vom 9. IV.
1917). S. 549.
Das Kohlensteuergesetz vom 8. April 1917. S. 678.
Müller, Johannes, Die durch den Krieg hervorgerufenen Gesetze, Verordnungen,
Bekanntmachungen usw., soweit sie im Reichsgeselzblatt veröffentlicht worden sind
(6. Fortsetzung). S. 164, 304.
III. Miszellen.
Breves, Dora, Frankreichs Boden produktion 1911 — 1916. S. 739.
V. Buday, Desider, Arbeitssystem und Gewinn bei den industriellen Betrieben in
den Vereinigten Staaten von Amerika. S. 335.
Eulenburg, Franz, Die Entwicklung der Warenpreise in England während des
Krieges. S. 457.
Feld, Wilhelm, Ein neuer Kurs der amerikanischen Trusipolitik? S. 213.
Fuchs, Carl Johannes, Die Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität
Tübingen von 1817—1917. S. 686.
Gnauck-Kühne, Elisabeth (f), Wohlfahrtspflege, Caritas und soziale Arbeit S. 77.
Guradze, Haus, Sterblichkeit der Säuglinge, Kleinkinder und der höheren Alter
in Deutschland von 1871—1910. S. 220.
— , — Die Brotpreise in Berlin in der ersten Hälfte des vierten Kriegsjahres 1917.
S. 730.
Hennig, R., Der Neubau des Donau- Main- Kanals und seine wirtschaftlichen Aus-
sichten. S. 203.
Herbst, Die reichsgcsetzlichcn Maßnahmen zur Sicherung der deutschen Volksernfih-
rung im Kriege (Fortsetzung). HI. S. 181. IV. S. 694.
Hofmann, Emil, Die Eierpreise in Mannheim. S. 69.
Jöhlinger, Otto, üebersicht über den Weltgetreidemarkt (vom 1. Februar bis
1. Juni 1917). S. 31.
— , — üebersicht über den Weltgetreidemarkt (vom 1. Juni bis 1. September 1917).
S. 441.
— , — Weltkrieg und Weltversorgung. S. 323.
Meyer, Edgar, Die Entwicklung der Vieh- und Fleischpreise und die Regelung
der Fleischversorgung in Deutschland während der ersten beiden Kriegsjahre (unter
besonderer Berücksichtigung der Berliner Verhältnisse). S. 583.
IV Inhalt.
Moob, Ferdinand, Dm französische Kolonialreich und der Handel Deuttfchland«
und Oesierreich-Ungams mit den franzötiischen Kolonien. S. 553.
Schnitze, Ernst, Die Zinkindustrie der Vereinigten Staaten im Kriege. 8. 50.
— , — Die Einwanderung in die Vereinigten Staaten unter dem Einfluß des Krieges.
S. 732.
Schwarz, Sobald, Volks mrtschaftliche Probleme der Schulreform. S. 338.
IV. Literatur.
a) Berichtie und Sammelreferat c.
V. Below, G., Der deutsche Staat des Mittelalters. (A.. Zycha.) S. 93.
Hoff mann, J. F., Die Getreidespeicher, bautechnische und maschinentechnische Ein-
richtung, wie Fördermaschinen, Lüfter und Luftwerk, Reinigungsmaschinen usw., sowie
Besprechung der Getreide- und AUestrockner. (W. Wygodzinski.) S. 354.
Die Literatur der Kriegsbeschädigtenfürsorge. (Herbst.) S. 481.
b) Bezensierte Schriften.
Bernstein, Eduard, Die Internationale der Arbeiterklasse und der europäische Kri^.
(Sonderabdruck aus dem „Archiv für Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik", Bd. 40,
Heft 2.) (H. Koppe.) S. 622.
Bernstein, Die militärische Kriegsbesehädigtentürsorge bei den Ersatztruppenteilen.
(Herbst.) S. 488.
Biesalski, Die Kriegskrüppelfürsorge (ein Aufklärungswort zum Trost und zur Mah-
nung). (Herbst.) S. 488.
Blind, Grundzüge der ärztlichen Kriegsbeschädigtenfürsorge. (Herbat.) S. 488.
Brück, W. F., Denkschrift über die Lage der österreichisch-ungarischen Baumwoll-
industrie. Herausgegeben vom Arbeitsausschuß der deutschen BaumwoUspinner-
verbändc. (Friedrich Hoff mann.) S. 612.
— , — Vorläufiger Bericht über die BaumwoUerzeuguug und -verbrauch der Türkei-
Hrsg. vom Arbeitsausschuß der Deutsehen Baum wollspinnerverbände. (Friedrich
Hoff mann.) S. 749.
Carthaus, Vilma, Zur Geschichte und Theorie der Grundstückskrisen in deutschen
Großstädten, mit besonderer Berücksichtigung von Groß-Berlin. (A. Nußbaum.)
S. 373.
Deumer, Kriegsinvaliden-Gesellschaften. (Herbst.) S. 487.
Einkaufsvereinigungen auf dem Lande. Mit Beiträgen von K. Grabein, E. Feldmann,
E. Köhler, K. Gaebel. (Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Untersuchungen über
Konsumvereine. Herausgegeben von H. Thiel und R. Wilbrandt. Bd. 151, 2. Teil.)
(Willy Krebs.) S. 756.
Eisfeld, Curt, Das niederländische Bankwesen. 2 Bde. (W. H. Edwards.) S. 233.
Endres, Franz Carl, Die Türkei. Bilder und Skizzen von Land und Volk. 2. un-
veränderte Aufl. (Friedrich Hoffmann.) S. 362.
Fereuczi, Emerich, Die erste Arbeitslosenzählung in Budapest und in 24 Nadi-
bargcmeinden am 22. März 1914. Im Auftrage des Magistrats der Haupt- und
Residenzstadt Budapest bearbeitet. (H. Koppe.) S. 619.
Flemming, Wie Kriegsbeschädigte und Unfallverletzte auch bei Verstümmelung ihr
Los verbessern können. (Herbst.) S. 488.
Flügge, C, Großstadtwohnungen und Kleinhaussiedlungen in ihrer Einwirkung auf
die Volksgesundheit. Eine kritische Erörterung für Aerzte, Verwaltungsbeamte und
Baumeister. Mit 8 Abbildungen. (W. Hanauer.) S. 240.
Gü rtler, Alfred, Unsere Handelsbilanz 1909—1913 in systematischer Warengruppie-
rung. Berechnet und mit einer Einleitung versehen. (A. Wirminghaus.) S. 615.
Herrmann, Judith, Die deutsche Frau in den akademischen Berufen. (Kaete
Winkelmann.) S. 630.
Jahrbuch des Zentral Verbandes deutscher Konsumvereine. 14. Jahrg., 1916. Hrsg. von
Heinrich Kaufmann. (Willy Krebs.) S. 119.
Jahresbericht des Zentral Verbandes deutscher Konsumvereine für 1915. Erstattet za
Händen des 13. ordentlicben Genossenschaftstages des Zentralverbandes deutscher
Konsumvereine am 19. und 20. Juni in Hannover von dem geseh&ftsführenden Vor-
Inhalt. V
Stande Heinrich Kaufmann, Dr. August Müller, Hugo Bästlein.
(Willy Krebs.) S. 119.
Karpinski, Zygmunt, Die Wechselkurse während des Weltkrieges von dessen Be-
ginn bis Ende 1915. (Otto Heyn.) S. 112.
Köhler, Die staatliche Kriegsinvalidenfürsorge. (Herbst.) S. 487.
Kriegsbeschädigtenfürsorge. Hrsg. von Kraus in Verbindung mit Kebentisch,
Back, Schlottcr. (Aus: Natur- und Geisteswelt.) (Herbst.) S. 487.
Kriegsfürsorge, Die, in Mannheim. Darstellung der Tätigkeit des Kriegsunterstützungs-
amtes und der Zentrale für Kriegsfürsorge von Kriegsbeginn bis zum Juli 1916.
In deren Auftrag herausgegeben und bearbeitet von Prof. Dr. S. P. Altmann,
Mannheim. (Herbst.) S. 634.
Kriegstaschenbuch. Ein Handlexikon über den Weltkrieg. Hrsg. von Ulrich
Steindorf f. (L. E.). S. 379.
Krusch, P., Die Versorgung Deutschlands mit metallischen Rohstoffen (Erzen und
Metallen). (Richard Passow.) S. 107.
— , — Gerichts- und Verwaltungsgeologie. Die Bedeutung der Geologie in der Recht-
sprechung und Verwaltung. Für Geologen, Bergleute und Ingenieure, Richter, Rechts-
anwälte und Verwaltungsbeamte, gerichtliche und Parteigutachter. (Richard
Passow.) S. 107.
Künssberg, Die Einarmfibel. (Herbst.) S. 488.
Kurth, Kriegsinvalidenfürsorge und Gewerkschaften. (Herbst.) S. 487.
Landfrage und Kriegswitwe. (Schriften des Arbeitsausschusses der Krieger witwen- und
-Waisenfürsorge, hrsgg. im Auftrage des Hauptausschusses, Heft 4.) (E. Kesten.)
S. 375.
Leipart, Kriegsinvaliden und Gewerkschaften. (Herbst.) S. 487.
Liefmann, Robert, Geld und Gold, ökonomische Theorie des Geldes. (Karl
Elster.) S. 257.
Liese, Kriegsbeschädigtenfürsorge. (Herbst.) S. 487.
Marcuse, Paul, Die Bankreform in den Vereinigten Staaten von Amerika. (Finanz-
wirtschaftliche Zeitfragen, hrsg. von G. v. Schanz und J. Wolf, Heft 18.) (Sven
Heiander.) S. 617.
Müller-Erzbach, Rudolf, Das Bergrecht Preußens und des weiteren Deutschlands.
Erste Hälfte. Mit 5 Textabbildungen. (H. Sehr ad er.) S. 226.
Nestriepke, S., Werben und Werden der freien Gewerkschaften. Geschichte und
System der gewerkschaftliehen Agitation. (H. Koppe.) S. 113.
Oberfohren, Ernst, Französische Bestrebungen zur Verdrängung des deutschen
Handels. (Kriegswirtschaftliche Untersuchungen aus dem Institut für Seeverkehr und
Weltwirtschaft an der Universität Kiel, hrsg. von Prof. B. Harms, 5. Heft)
(A. Wirminghaus.) S. 229.
Pothmann, Wilhelm, Der im Ruhrbergbau auf den Kopf der Belegschaft entfallende
Förderanteil und das Problem seiner wirtschaftlichen Steigerung. (Beiträge zur Lehre
von den industriellen Handels- und Verkehrsunternehmungen, hrsg. von R. Passow,
Heft 2.) (Herbig.) S. 365.
Produktion, Absatz, Preisbildung von Molkereierzeugnissen. Beiträge von Dr. jur. Eirik
Jahn, Molkereiinstruktor Hübner, Dr. A. Geiger und Dr. phil. Kurt Teichert.
(Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 140, Abteilung A, Hl. Teil.) (Alois
Dallmayr.) S. 608.
Ratschläge für die Berufswahl im Rechts-, Wirtschafts- und Verwaltungsleben. Hrsg.
von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der schles. Friedrich- Wilh.-
Universität. (Johannes Müller.) S. 506.
Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge. (Herbst.) S. 487.
V. Schrötter, Friedrich, Frh., Geschichte des neueren Münz- und Geldwesens im
Kurfürstentum Trier 1550—1794. (Seh wi nko wski.) S. 754.
V. Schw^erin, Claudius, Frhr., Deutsehe Rechtsgeschichte (mit Ausschluß der Ver-
fassungsgeschichte). (Grundriß der Geschichtswissenschaft, hrsg. von Aloys Meister,
Reihe II, Abteil. 5.) 2. veränderte Aufl. (Hans Seh reuer.) S. 224
Silberschmidt, W., Beteiligung und Teilhaberschaft. Ein Beitrag zum Rechte der
Gesellschaft. (Max Pappenheim.) S. 631.
Skalweit, B., Die englische Landwirtschaft, Entwicklung, Betrieb, Lage, mit Be-
rücksichtigung der volkswirtschaftlichen Bedeutung. (Berichte über Landwirtschaft,
hrsg. im Reichsamt des Innern, Heft 37.) (F. Beckmann.) S. 494.
VI Inhalt.
Stookcr, Gustav« Der gewerbsmäßige Güterhandel in «wei typicchen Amtobezirkei»
Badens. (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen, Heft 36.)
(W. Wygodzinski.) 8. 611.
V. Tyszka, Carl, Der Kouaument in der Kriegswirtschaft. (KriegswirtEchaftlich»
Zeitfragen, hrsg. von F. Eulenburg, Heft 5.) (J ohannes M üller.) 8. 105.
Urbanek, Oberschlesien heute und morgen. (Vereinsschriften des Vereins für Kom-
munalwirtschaft und Kommunalpolitik, hrsg. von Fr. Stein.) (Syrup.) S. 492.
Vogel, Rudolf, Das Abkommen des Verbandes schweizerischer Konsumvereine mit
der Großmetzgerei Bell-A.-G. in Basel. Ein Beitrag zur Genoesenschaftathcorie.
(Willy Krebs.) S. 243.
Vogel, Emanuel Hugo, Die Theorie des volkswirtschaftlichen Entwicklung; ] ro-
zesses und das Krisenproblem, Mit besonderer Berücksichtigung der englischen Wirt-
schaftsentwicklung bis zum Ausbruche des Weltkrieges im Jahr 1914. (Robert
Liefmann.) S. 743.
Wagner, Martin, Bauwirtschaft, Realkredit und Mieten in und nach dem Kriege.
(Finanz- und Volkswirtschaftliche Zeitfragen, hrfg. von v. Schanz und J. Wolf,
Heft 34.) (Walter Leiske.) 8. 760.
Waldecker, Ludwig, Reichseinheit und Reichsfinanzen. Nachdenkliche Kapitel für
Juristen und Nichtjuristen über ein Problem deutscher Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft. (Karl Elster.) S. 370.
Welker, Georg, Die Münchener Erhebung über den Leben^^mittelverbrauch im^
Februar 1915. Eine statistische Studie. Mit 3 färb. Tafeln. (Eulen bürg.) 8. 248-
Würtz, Der Wille siegt. (Herbst.) S. 488.
Zichy, Geza, Buch des Einarmigen. (Herbst.) S. 488.
Zimmermann, F. W. R., Die Finanzwirfcchaft des Deutschen Reichs und der
deutschen Bundesstaaten zu Kriegsausbruch 1914. (Alexander Elster.) S. 231.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des
Auslandes. S. 105. 224. 362. 492. 608. 739.
Die periodische Presse des Auslandes, s. 124. 252. 381. 507. 636. 762.
Die periodische Presse Deutschlands, s. 125. 253. 381. 509. 637. 763.
Volkswirtschaftliche Chronik. 1917. Mai : S. 301. Juni : 8. 373. Juli : S. 453.
August: S. 513. September: 8. 581,.
Oktober: 8. 669.
Chr. D. Pesl, Die Erbpacht.
I.
Die Erbpacht
(als Ansiedlungsform für Krieger).
Von
Dr. jur. et Dr. scient. polit. Chr. D. Pesl, Rechtsanwalt am Ober-
landesgericht München.
Der Weltkrieg hat uns nur zu bald gezeigt, daß wir während
des Krieges in der Versorgung mit Lebensmitteln fast ganz auf die
Erzeugnisse angewiesen sind, die wir selbst im Inlande zu ge-
winnen imstande sind. Wenn auch die alte Streitfrage „Schutzzoll
oder Freihandel" keineswegs gelöst ist und auch niemals ausschließ-
lich zugunsten des einen oder anderen gelöst werden kann, so wissen
wir jedenfalls jetzt durch die tatsächlichen Erfahrungen, daß wir
wohl nicht in der Lage gewesen wären, mit den Lebensmitteln
durchzuhalten, wenn nicht infolge des Schutzzolles, besonders auf
Getreide und den Produkten daraus, der Anbau ungeheurer Boden-
flächen mit Getreide sich noch gelohnt hätte. Aber mit Besorgnis
sah man schon seit vielen Jahren, daß immer mehr große Flächen,
die an sich für Getreidebau geeignet waren, aufgeforstet oder auf
andere Weise der Landwirtschaft entzogen wurden. Nicht selten
wurden durch Aufkauf zahlreicher Bauerngüter einzelne große Güter
gebildet, nicht immer zu dem Zwecke, diese rationell zu bewirt-
schaften, sondern um Jagdgebiete zu schaffen, oder, was häufiger
war, um durch den Besitz solcher ausgedehnter Güter zu besonderem
Ansehen und zu bestimmten Würden und Aemtern zu gelangen.
Die Fideikommißbildung machte in den letzten Jahrzehnten große
Fortschritte, und es ist zu erwarten, daß die durch Kriegslieferungen
und Kriegswucher neu entstandene und entstehende Plutokratie einen
Teil ihrer Gewinne in Grund und Boden anlegt; Anzeichen hierfür
sind schon vorhanden. Maßregeln gegen diese Erscheinungen hat
bisher nur Oesterreich ergriffen ^). Das klassische Beispiel, wohin die
Landwirtschaft gerät, wenn diese nicht durch entsprechende Zölle ge-
schützt wird und deshalb keine günstigen Erträgnisse mehr abwirft,
ist England; die Bauernwirtschaften sind dort fast ganz verschwunden
und überall entstanden große Güter, die in der Hauptsache dem
1) K. k. Verordnung vom 9. August 1915.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64)
2 Chr. D. Pesl,
Jagdsport dienen, und selbst die Viehzucht ist nicht in erster Reihe
darauf gegründet, die Bevölkerung mit Fleisch, Milch und sonstigen
Erzeugnissen der Viehzucht zu versorgen, sondern auch die Vieh-
zucht wird mehr als Sport betrieben, um besondere Rassetiere heran-
zuzüchten. England konnte sich den Luxus leisten, den für eine
gesunde Volkswirtschaft sonst unentbehrlichen Stand der Landwirte
verschwinden zu sehen, solange es durch seine „meerbeherrschende"
Flotte alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse billiger aus den Kolonien
beziehen konnte. Doch machten sich auch in England seit Jahren
Stimmen geltend, die die Wiedereinführung der eigenen Landwirt-
schaft in großem Umfange verlangten, um so mehr, je mehr die
Möglichkeit erwogen wurde, ob nicht England durch eine Blockade
in einem Kriegsfall mit der Zufuhr vom Auslande in ernste Schwierig-
keiten gelangen könnte. Heute wissen wir, daß England nur mehr
für ein paar Monate Lebensmittel hatte, als unser zweiter ver-
schärfter ünterseebootkampf einsetzte, und wir wissen, daß wir Eng-
land hätten aushungern und zum Waffenstrecken zwingen können,
wenn nicht das mit England verbrüderte Amerika uns in den Arm
gefallen wäre. Wir in Deutschland müssen auch in Zukunft mehr
als in Vergangenheit soweit als möglich von der fremden Einfuhr
an Lebensmitteln unabhängig werden. Selbst ein hoher Schutzzoll
auf Getreide belastet den Konsumenten nur wenig. Mit vollem
Rechte sagte König Ludwig von Bayern im Juni 1916 in einer
Rede: „Eine Lehre hat uns dieser große und schwere Krieg jeden-
falls gebracht, und das ist die, daß wir dafür sorgen müssen, daß
wir in Zukunft ohne Hilfe von auswärts uns in Deutschland allein
ernähren können. Das ist nur möglich, wenn die Landwirtschaft
gefördert wird, und die Landwirtschaft kann nur dadurch gefördert
werden, wenn sie auch in ruhigen Zeiten einen Ertrag bringt und
ihren Mann ernährt." Mehr als 3 Milliarden M. zahlten wir all-
jährlich an das Ausland für Nahrungs- und Futtermittel und sahen
die einheimische Landwirtschaft zurückgehen und oft in eine
schwierige Lage geraten. Das muß in Zukunft anders werden, und
tatsächlich beginnt man mit Maßnahmen, die Landwirtschaft wieder
zu heben und die Ansiedlungen auf dem Lande zu fördern. In
erster Linie denkt man hierbei an die Ansiedlung von Kriegern, die
aus dem Felde heimkehren; daneben aber gilt es, bereits bestehende
landwirtschaftliche Betriebe zu festigen und auch die Ansiedlung
von Nichtkriegern zu begünstigen. Ueber 5 Millionen Deutscher
wanderten seit 1820 aus Deutschland aus und zwar gerade die tüch-
tigsten und gesündesten, die in der Mehrzahl dem Deutschtum für
immer verloren gingen. Es gab Professoren, die als einfachstes
Mittel zur Beseitigung landwirtschaftlicher Not empfahlen, man solle
diese notleidende Bevölkerung auf Schiffe bringen und über das
Weltmeer schaffen, wo sie sich eine neue Existenz gründen könnten.
Dabei hatten und haben wir ungeheure Bodenflächen, die über-
haupt nicht oder nicht in intensiver Weise bewirtschaftet werden.
Selbstverständlich ist eine Urbarmachung von Oedländereien und die
Die Erbpacht. 3
Ansiedlung von einer großen Anzahl Personen ohne erhebliche
Reichs- oder Staatsmittel nicht möglich. Aber diese Aufwendungen
rentieren sich sehr bald, wie die Erfahrungen besonders in Preußen
zeigen, wo Ansiedlungen in Form der Rentengüter usw. seit Jahr-
zehnten erfolgen. Schließlich ist es nicht einmal notwendig, daß
diese sämtlichen Summen sich finanziell sehr gut rentieren, der
Hauptvorteil für den Staat liegt in der Erhaltung und Schaffung
eines tüchtigen, bodenständigen, gesunden und vor allem kinderreichen
Bauernstandes. Die bedeutendsten Sozialpolitiker fordern weitgehende
Ansiedlungen, da auch in Deutschland die Geburtenabnahme all-
mählich einen beängstigenden Grad annahm. Alle Mittel, die diesen
Rückgang aufhalten können, sind recht, und es besteht die Wahr-
scheinlichkeit, daß die Ansiedlung auf dem Lande diese Wirkung
einigermaßen haben wird.
In erster Reihe gilt es, den heimkehrenden Kriegern, die
sich auf dem Lande eine Heimstätte schaffen und sich der Land-
wirtschaft widmen wollen, die Möglichkeit hierzu zu gewähren. Eine
ziemlich große Anzahl von Vorschlägen, in welcher Weise solche
Ansiedlungen erfolgen könnten, sind schon gemacht worden, von
denen manche brauchbar erscheinen; es kann nicht überraschen, daß
bei Erörterung solcher Fragen und bei Vorschlägen häufig die Be-
geisterung die Sachkenntnis ersetzen muß und deshalb Vorschläge
gemacht werden, die nie und nimmer zu verwirklichende Utopien
sind, so z. B. wenn gefordert wird, den Ansiedlern solle der nötige
Grund und Boden oder die ganze Ansiedlungsstelle ganz oder
größtenteils auf Staatskosten geschenkt werden ; oder wenn verlangt
wird, man solle den jetzigen Grundeigentümern ihren Boden zwangs-
weise enteignen, um ihn den Ansiedlern zur Verfügung stellen zu
können. Solche und ähnliche Vorschläge gehen zum Teil von Per-
sonengruppen aus, die die gegenwärtige Zeit für die geeignetste
halten, um ihre Programme zu verwirklichen, wie der Bund der
Bodenreformer, der unter dem Namen „Hauptausschuß für Krieger-
heimstätten" eine Agitation in Hunderttausenden von Flugschriften
entfaltete und diese selbst in die Schützengräben schickte und da-
durch Hoffnungen erweckte, die unerfüllbar sind. So lebhaft wurde
die Agitation betrieben, daß sogar die zuständigste Stelle, der
preußische Landwirtschaftsminister Freiherr von Schorlemer, öffent-
lich diese Agitation aufs schärfste zurückweisen mußte mit der Er-
klärung, die Werbetätigkeit der Bodenreformer beruhe auf unhalt-
baren Grundlagen, die man nicht auf die Armee übergreifen lassen
dürfe. Inzwischen haben diese Bodenreformer ihre Forderungen
etwas geändert und gemildert. Man darf überzeugt sein, daß auch
die übrigen, die nicht dem Bunde der Bodenreformer angehören und
dessen Agitation verwerfen, nicht weniger das Beste ihres Vater-
landes wollen und nicht weniger für alles das, was unsere Soldaten
im Felde geleistet haben, mit aufrichtiger Dankbarkeit erfüllt sind;
wenn sie aber dabei auf dem Boden der Wirklichkeit bleiben und
das Mögliche anstreben, so werden sie schließlich mehr erreichen,
4 Chr. D. Pesl,
als jene, die zwar Unzufriedenheit säen, aber ihre sozialistischen
Pläne damit doch nicht durchsetzen können.
Es sind bereits eine Anzahl von Heimstätten-Gesetzent-
würfen entstanden und in den Landtagskammern besprochen worden ;
manche sind durchaus brauchbar; auch von privater Seite wurden
Entwürfe über Ansiedlungen ausgearbeitet, die gute Grundlagen ent-
halten, so z, B. ein Pachtsitz-Gesetzentwurf von dem bekannten
Hygieniker Geheimrat Prof. Dr. Max v. Gruber; diesen Entwurf
habe ich an anderer Stelle^) einer eingehenden kritischen Er-
örterung unterzogen. Auch Prof. Rauchberg-Prag 2) hat gute theo-
retische Ausführungen über Ansiedlungsfragen in einer kleinen
Schrift gemacht; den Heimstätten-Gesetzentwurf der Bodenreformer
hat Prof. Erman-Münster ^) in einer soeben erschienenen Broschüre
erläutert. Erschwert werden alle Vorschläge und- Erörterungen durch
den Umstand, daß wir heute noch nicht annähernd wissen, wie viele
Krieger sich ansiedeln wollen. Wenn schon von zwei Millionen ge-
sprochen wurde, so ist das reine Phantasie; an eine so große Zahl
ist gar nicht zu denken; wenn es ein- oder zweihunderttausend
sind, so würde dies schon alle ernsten Erwartungen übertreffen.
Die Entscheidung der Frage hängt davon ab, wie die deutsche Volks-
wirtschaft nach dem Kriege sich entwickeln wird. Nach dem für
uns siegreichen Kriege und ehrenvollen Frieden, der uns gute Grenz-
sicherungen und Entschädigungen bringen muß, werden die meisten
der heimkehrenden Krieger wieder ihrer früheren Beschäftigung
nachgehen; die es infolge Kränklichkeit oder Verwundungen nicht
können, werden andere leichtere Arbeit in den Städten suchen;
die vom Lande gekommenen Krieger werden wieder zur Landwirt-
schaft zurückkehren ; viele von diesen, die sonst in die Stadt gingen,
werden Bauernhöfe zu übernehmen haben, weil der Vater, der Bruder
im Felde fiel ; andere werden durch Heirat Bauernhöfe, deren männ-
liche Besitzer gefallen sind, erhalten. Freilich manche glauben,
daß die Landflucht nach dem Kriege stark zunehmen werde,
da die Industrie und der Handel viele neue Arbeitskräfte nötig
haben; aber wir wissen nicht, inwieweit es alsobald gelingt, unsere
alten Märkte wieder zurückzugewinnen; wenn wir auch glauben,
daß die Absatzverhältnisse bald wieder gut werden und wir danach
streben müssen, neue Märkte in der Welt zu erhalten, so dürfen
wir doch nicht übersehen, daß es immerhin geraume Zeit dauern
wird, bis wir wieder genügend Rohstoffe im Inlande haben werden,
und vor allem dürfen wir nicht vergessen, daß wir vor dem Kriege
etwa 800000 Arbeitslose hatten. Die Beweggründe, die bisher die
Landflucht veranlaßten, werden wohl auch in Zukunft im allge-
meinen bestehen bleiben, wenn auch viele, die jetzt draußen im
Felde sind, von einem eigenen Heim, von eigenem Grund und Boden
1) Ansiedlungsfragen, in Hirths Annalen des Deutschen Reiches, 1916, S. 522 ff.
2) Rauchberg-Prag, Kriegerheimstätten, Wien 1916.
3) Erman, Die Grundzüge zu einem Kriegerheimstättengesetz, Berlin 1916.
Die Erbpacht. 5
zum Betrieb von Landwirtschaft und Gärtnerei träumen. Wenn
also auch jetzt noch die ganze Ansiedlungsfrage hinsichtlich der
Zahl der Ansiedler und der Art der Ansiedlungen unbestimmt ist,
so dürfen wir doch nicht warten, sondern müssen schon jetzt alles
tun, um jedem, der sich auf dem Lande ansiedeln will, die Möglich-
keit hierzu zu gewähren.
Die wichtigste Frage hierbei ist: in welcher Weise sollen die
Krieger angesiedelt werden ? Eine einheitliche Antwort hierauf gibt
es nicht. Wer ein Gütchen zu freiem Eigentum erwerben will, dem
soll es ebensowenig verwehrt sein, wie dem, der nicht genügend
Kapital hat, die Möglichkeit geboten werden muß, wie ein Eigen-
tümer eine Ansiedlungsstelle zu bewirtschaften. Den Fall des Kaufes
zu freiem Eigentum können wir außer Betracht lassen; ein Mangel
an solchen Gütern wird nicht sein, da viele Güter ihre männlichen
Besitzer verloren haben und die Erben nicht in der Lage oder ge-
willt sind, das Gut selbst weiterzubewirtschaften. Für alle anderen
Ansiedlungen, bei welchen die Ansiedlung nur durch Zutun einer
öffentlichen Körperschaft, etwa des Reiches, der Einzelstaaten oder
Gemeinden, ermöglicht wird, müssen die Ansiedlungen in der Weise
erfolgen, daß sie dauernd ihren Zweck erfüllen. Es soll also vor
allem dafür gesorgt werden, daß die Ansiedlungsstelle in ihrem Be-
stand unverändert bleibt, und daß nicht der Ansiedler die Stelle bloß
zu dem Zwecke erwirbt, um sie mit Gewinn weiterzuveräußern.
Nun verlangen einige Schriftsteller allerdings auch den Verkauf einer
Ansiedlung zu Eigentum, aber verbunden mit einem Wiederkaufs-
rechte, so daß also die Stellenausgeber — Reich, Einzelstaaten oder
Gemeinden — jederzeit das Recht haben, die Stelle wieder zurück-
zukaufen, sobald der Ansiedler sich irgendeiner Vertragsverletzung
schuldig macht. Das Recht des Wiederkaufes kann für alle beliebigen
Vertragsverletzungen vereinbart werden, so z. B. für nicht recht-
zeitige Zinszahlung, für nicht ordnungsmäßige Instandhaltung der
Gebäude, für nicht zweckentsprechende Bewirtschaftung der Grund-
stücke, für den Fall des Verkaufes usw. usw. In der Praxis hat
besonders die Stadt Ulm bei den von ihr an Arbeiter, Handwerker
und niedere staatliche und gemeindliche Beamte verkauften Häusern
das Wiederkaufsrecht für eine sehr große Anzahl von Fällen ver-
einbart, so daß von einem Eigentum im wirtschaftlichen Sinne kaum
mehr die Rede sein kann, d. h. der Käufer eines solchen Hauses ist
nicht sicher davor, daß selbst bei geringfügigen Vertragsverletzungen
ihm gegenüber plötzlich das Wiederkaufsrecht ausgeübt wird. Man
kann das Wiederkaufsrecht trotzdem keineswegs allgemein verurteilen,
sondern es kommt ausschließlich auf die Fälle an, in welchen ein
solches Recht vorbehalten wird. Wenn die öffentlichen Köiper-
schaften sich zu dem Verkaufe von Grundstücken entschließen und
der Erwerber das Eigentum erwirbt, so bleibt den Verkäufern kein
anderer Weg, als sich das Recht des Wiederkaufes auszubedingen
für den Fall, daß der Erwerber Mißbrauch mit dem Grundstücke
treiben oder den Zweck vereiteln will, den die Verkäufer erreichen
ß Chr. D. Pesl,
wollten. Ich brauche kaum zu bemerken, daß die Vereinbarung eines
Wiederkaufsrechtes nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Verkäufer
nicht so verkauft hat wie ein privater Eigentümer, sondern zu
günstigeren Bedingungen. Wenn also eine Stadt auf eigene Kosten
Wohnhäuser baut und diese verkauft und sich für den Kaufpreis
einen niedrigeren Zins, als verkehrsüblich ist, zahlen läßt, oder wenn
dem Käufer eines städtischen Grundstückes Baudarlehen aus städti-
schen Kassen zu sehr niedrigem Zinsfuß gewährt wird, oder wenn
das Grundstück bzw. Haus zu den Selbstkosten oder billiger, oder
überhaupt unter dem Marktwerte verkauft wird, dann ist es durch-
aus gerechtfertigt, wenn die Stadt sich ein Wiederkaufsrecht vor-
behält; denn es soll nicht etwa der Käufer das ihm unter dem Markt-
werte von der Stadt verkaufte Haus teurer verkaufen können, damit
er den Gewinn einsteckt, auf den die Stadt aus sozialen Gründen
ihm gegenüber verzichtet hatte. Diese schlimme Erfahrung mußte
Freiburg i. B. machen, als es Kleinhäuser in großer Zahl baute und
an Arbeiter sehr billig ohne irgendeinen Vorbehalt verkaufte; nach
einigen Jahren hatten die Arbeiter ihre Häuser mit Gewinn weiter-
verkauft. — Was von den Häusern gilt, gilt ebenso von landwirt-
schaftlichen Gütern; wenn ein Staat oder das Reich solche schafft
und sie an Ansiedler zu günstigen Bedingungen gibt, so ist es durch-
aus begründet, wenn jene Körperschaften sich ein Wiederkaufsrecht
vorbehalten. Das tat und tut deshalb auch Preußen bei den von
ihm geschaffenen Rentengütern. § 3 des Art. 29 preuß. AG. z. BGB.
sagt: „das Wiederkaufsrecht beschränkt sich auf die Fälle, daß der
Eigentümer das Rentengut verkauft oder sich durch einen sonstigen
Vertrag zur Uebertragung des Eigentums verpflichtet oder daß das
Rentengut im Wege der Zwangsversteigerung veräußert wird; es
kann auch für die Fälle bestellt werden, daß der Eigentümer stirbt
oder eine im Rentengutsvertrage festgesetzte Verpflichtung nicht
erfüllt." Bisher wurde von dem Wiederkaufsrecht bei diesen Gütern
noch wenig Gebrauch gemacht.
Die Rentengüter haben sich im allgemeinen gut bewährt.
Unter Rentengüter versteht man Grundstücke, die zu Eigentum über-
tragen werden gegen Uebernahme einer festen Geldrente, deren Ab-
lösbarkeit von der Zustimmung beider Teile abhängig gemacht wird.
Regelmäßig ist es verboten, ein Rentengut zu zerteilen, denn es soll
in seinem Bestände erhalten bleiben. Die Entstehung der Renten-
güter erfolgt meist in der Weise, daß der Staat aus seinen eigenen
Grundflächen die zu einem Rentengut erforderlichen Grundstücke
abtrennt und die notwendigen Wohn- und Wirtschaftsgebäude er-
richtet, oder daß er zum gleichen Zwecke große Güter kauft und
diese in kleinere aufteilt, oder daß ein privater Eigentümer eines
kleinen Bauerngutes dieses in ein Rentengut umwandeln läßt. Diese
Ansiedlungen beruhen auf den Gesetzen vom 26. April 1886, 27. Juni
1890 und 7. Juli 1891. lieber Einzelheiten verweise ich auf die
genannten Ausführungen in den Annalen des Deutschen Reiches^).
1) Jahrg. 1916, S. 522 ff. u. 720 ff.
Die Erbpacht. 7
Zu bemerken ist noch, daß seit 1907 die Mindestgröße der Renten-
güter auf 12,50 ar herabgesetzt wurde, um die Ansiedlung von
Arbeitern zu' erleichtern; gerade bei diesen Rentengütern finden sich
strenge Verfügungsbeschränkungen, damit nicht die Eigenschaft und
der Zweck des Rentengutes als ländliche Arbeiterheimstätte durch
spekulative Ausbeutung beeinträchtigt werden kann.
Die Rentengutsgesetzgebung hatte ihren unmittelbaren Ursprung
in der preußischen Polenpolitik, nämlich die „Stärkung des deutschen
Elementes in den Provinzen Westpreußen und Posen"; der weitere
Zweck war die Erhaltung und Schaffung eines seßhaften Bauern-
standes. Im Laufe der Zeit wurde die Rentengutsgesetzgebung auch
auf andere preußische Provinzen allgemein ausgedehnt.
Wenn sich auch die Rentengutsgesetzgebung bewährt hat, so
war diese doch bloß ein Ersatz einer Rechtsform, die einst von
allergrößter Bedeutung war und die beseitigt wurde, ohne daß eine
innere Notwendigkeit hierzu bestand, nämlich das Rentengut bildete
den Ersatz des Erbpachtgutes. Der Zweck dieser Abhandlung
ist der, die Vorteile der Erbpacht darzulegen und dafür einzutreten,
die Erbpacht allgemein in unser Rechts- und Wirtschaftsleben wieder
einzuführen.
Die Erbpacht ist die dingliche Benutzungsform der Grund-
stücke, regelmäßig einer Einheit von Grundstücken, z. B. eines
Bauernhofes. Im ganzen Mittelalter spielte die langdauernde, meist
vererbliche Benutzung fremder Grundstücke die größte Rolle und
zwar nicht bloß in Deutschland, sondern fast in allen europäischen
Ländern, in denen heute noch mehr oder weniger große Ueberreste
von dem Rechte vorhanden sind. Die Erbpacht war nur eine der
verschiedenen Rechtsformen der Benutzung fremder Grundstücke,
andere waren die Erbzinsleihe, das Erbzinsrecht oder das Bauernlehn
usw. Im allgemeinen waren diese Rechte einander ziemlich ähnlich.
Ein wesentlicher Unterschied bestand jedoch zwischen der Erbpacht
im eigentlichen Sinne und den übrigen Erbzinsrechten, nämlich in
der Höhe der Vergütung, die der Berechtigte dem Eigentümer zu
zahlen hatte. Bei den Erbzinsgütern war die Abgabe regelmäßig
sehr gering und hatte nur den Zweck, kenntlich zu machen, daß die
Grundstücke einem anderen als dem tatsächlichen Besitzer gehörten ;
der Zins war also meist eine bloße Anerkennungsgebühr, wie wir
solche auch heute noch zu gleichen Zwecken haben, z. B. bei den
in Erbbaurecht errichteten öffentlichen Gebäuden auf staatlichem
oder gemeindlichem Boden. Dieser Erbzins war deshalb, weil er
keine Entschädigung für die Benutzung der Grundstücke war, häufig
auch gleich hoch bei allen von ein und demselben Eigentümer ver-
liehenen Gütern ohne Rücksicht auf die Größe und den Ertrag des
einzelnen Gutes. Bei der Erbpacht war der Zins ein wirklicher
Pachtzins entsprechend dem Werte des Ertrags der Güter, so wie
bei der heutigen Zeitpacht. Ferner war der Erbpächter ein freier
Vertragsgegner, selbst wenn er sich nicht bloß zur Zahlung von Geld
oder Feldfrüchten, sondern auch zu Hand- und Spanndiensten ver-
pflichtete und dadurch in eine gewisse Abhängigkeit zu dem Grund-
8 Chr. D. Pesl,
herrn geriet. Bei der Erbzinsleihe handelte es sich von vornherein
nicht um gleichberechtigte, freie Vertragschließende, sondern der
Grundherr war wirklich der Herr; er gab einen Hof oder einzelne
Grundstücke an abhängige Bauern oder auch oft sehr große Güter
für geleistete wichtige Dienste, wie bei den Lehen; aber auch hier
war der Lehensmann persönlich abhängig vom Herrn, selbst wenn
er bloß Kriegsdienste, Heeresfolge usw. leisten mußte. Auf die
Einzelheiten der Bodenleihen, die nach Ursprung und Inhalt sehr
mannigfaltig waren, gehe ich hier nicht näher ein, sondern bemerke
nur, daß im Laufe der Zeit die verschiedenen Formen sich immer
mehr verwischten, so daß es heute oft schwer oder sogar unmöglich
ist, zu entscheiden, ob ein Erbpacht- oder ein Erbzinsrecht bestand;
um so schwerer ist, weil, wie bereits hervorgehoben, auch bei der
Erbpacht häufig sich gewisse Abhängigkeitsverhältnisse herausgebildet
hatten. Freilich begann man besonders im Laufe des 19. Jahrhunderts
allenthalben die Hörigkeits- und Untertänigkeitsverhältnisse aufzu-
heben. Die auf den Gütern lastenden Reallasten, Erbzinsen, Erb-
pachtzinsen usw. wurden für ablösbar erklärt und die Höhe der Ab-
lösungsbeträge gesetzlich festgelegt. Die Erbpacht- und Erbzinsrechte
wurden für aufgehoben erklärt, meist ohne jegliche Entschädigung
an den Grundherrn, so daß die Berechtigten nunmehr das freie Eigen-
tum an den Gütern erhielten. So bestimmte § 2 Ziff. 2 und § 6
des preußischen Gesetzes, betreffend die Ablösung der Reallasten und
die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse, vom
2. März 1850:
„Ohne Entschädigung werden folgende Berechtigungen, soweit
sie noch bestehen, hiermit aufgehoben : das Obereigentum des
Guts- oder Grundherrn und des Erbzinsherrn; desgleichen das
Eigentumsrecht des Erbverpächters ; der Erbzinsmann und der Erb-
pächter erlangen mit dem Tage der Rechtskraft des gegenwärtigen
Gesetzes und lediglich auf Grund desselben das volle Eigentum.
Alle beständigen Abgaben und Leistungen, welche auf eigen-
tümlich oder bisher erbpachts- oder erbzinsweise besessenen Grund-
stücken oder Gerechtigkeiten haften (Reallasten), sind nach den
Vorschriften dieses Gesetzes ablösbar."
Dagegen hat sich in Mecklenburg und Schleswig-Holstein die Erbpacht
in größerem Umfange erhalten, ja seit 1867 begann man in Mecklenburg
die Neuregelung des Bauernstandes im Domanium und zwar durch
Verleihung der Bauernhöfe zu Erbpachtrecht an Stelle der bisherigen
Erbpacht und Zeitpacht, die für die Bauern rechtlich wenig vorteil-
haft waren. Die Bauern erhielten nun ein frei veräußerliches und
vererbliches, dingliches Nutzungsrecht, das ihnen fast ganz die Rechte
eines privatrechtlichen Eigentümers gewährt. Im Mecklenburg-
Schweriner Domanium, wo das Erbpachtrecht am wenigsten ein-
geschränkt ist, sollen die Erbpachtstellen regelmäßig selbständige
landwirtschaftliche Betriebe sein und bleiben und sie können nur
einer Person zustehen, außer im Falle der ungeteilten Miterben-
schaft. Der Erbpächter kann völlig frei seine Grundstücke bewirt-
Die Erbpacht. 9
Schäften und nutzen, nur darf er die Grundstücke weder aufteilen
noch mit anderen Grundstücken rechtlich oder wirtschaftlich ver-
einigen, außerdem muß er dafür sorgen, daß immer die notwendigen
Wohn- und Wirtschaftsgebäude vorhanden sind. Vor dem Jahre
1867 hatte der Erbpächter einen Kornzins in Geld zu bezahlen, der
nach je 20 Jahren nach den durchschnittlichen Kornpreisen neu fest-
gesetzt wurde. Bei der Neuregelung der Vererbpachtung wurde
dieser Zins durch ein Kapital ersetzt, das als Hypothek an erster
Stelle auf das Gut eingetragen und mit 4 v. H. verzinst werden
mußte. Der Erbpächter kann dieses Kapital nach halbjähriger Kün-
digung zurückzahlen, während der Gläubiger — das Finanzmini-
sterium, Abteilung für Domänen und Forsten — kein Kündigungs-
recht hat. Alle Steuern und sonstigen Abgaben hat selbstverständlich
ausschließlich der Erbpächter zu zahlen. Der Erbpächter kann das
Gut frei veräußern und vererben, jedoch hat das Finanzministerium
bei einem Verkaufe das Vorkaufsrecht und zwar auch zugunsten
Dritter, besonders zugunsten von Gemeinden. Das „Obereigentum"
zeigt sich auch noch dadurch, daß der Erwerber einer Erbpachtstelle
innerhalb dreier Monate seit dem Erwerbe und jeder Erbe innerhalb
dreier Monate nach der Erbschaftsteilung um Anerkennung des Erwerbes
bei dem Großherzoglichen Amte nachsuchen muß; die Anerkennung
wird dann gegen Zahlung von Abgaben erteilt. Die Grundherrschaft
hat kein Heimfallsrecht; ebensowenig kann der Erbpächter wegen
Mißwirtschaft vertrieben werden.
Folgende grundbriefliche Beschränkungen eines Erbpachtgrund-
stückes und seines Zubehörs sind nach mecklenburgischem Rechte
als zulässig anerkannt und wirken auch für und gegen jeden Dritten,
soweit die Erbpacht im Grundbuche eingetragen ist:
1) Die Untersagung oder Beschränkung der Belastung des Erbpacht-
rechtes mit Grunddienstbarkeiten, Reallasten und beschränkt
persönlichen Dienstbarkeiten;
2) die Untersagung der Belastung mit Hypotheken, Grundschulden
oder Rentenschulden über eine bestimmte Wertgrenze hinaus;
3) die Beschränkung der Veräußerung;
4) die Untersagung oder Beschränkung der Teilung der Grundstücke
oder getrennte Veräußerung bisher zusammen bewirtschafteter
Grundstücke;
5) die Untersagung oder Beschränkung der Vereinigung des Grund-
stückes mit einem anderen, sowie die Zuschreibung des Grund-
stückes zu einem anderen oder eines anderen Grundstückes zu
dem ersteren;
6) die Beschränkung des Erbpächters in Ansehung tatsächlicher
Verfügungen über das Grundstück oder das Zubehör, sowie seine
Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten hinsichtlich der
Bewirtschaftung.
Die Grundherrschaft kann diese Untersagungen und Beschränkungen
sich vorbehalten, sie muß es aber nicht; auf keinen Fall haben diese
irgendwie ungünstig gewirkt, im Gegenteil, man ist allgemein mit
10 Chr. D. Pesl,
diesen Erbpachtgütern zufrieden, und so wurden immer mehr solche
Güter geschaffen. Außer diesen größeren Erbpachtgütern gibt es
noch Büdnereien und Häuslereien, die ähnlich vom Gesetze geregelt
sind; Besonderheiten sind nicht zu erwähnen.
Während die Einführung von Rentengütern, wie wir sie für
Preußen kennen gelernt haben, in allen deutschen Staaten erlaubt ist,
hat die Landesgesetzgebung hinsichtlich der Erbpacht nur dort freie
Hand, wo bei Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches Erbpacht-
rechte noch bestanden haben. Nun ist es das Ueberraschende, daß
das Verbot der Erbpacht keine innere Berechtigung hat; im Gegen-
teil, man empfindet es immer mehr als einen großen Mangel, daß es
nach dem Bürgerlichen Rechte kein dingliches, veräußerliches und
vererbliches Pachtrecht mehr gibt. Um so überraschender ist diese
Tatsache, als die dingliche Benutzung eines fremden Grundstückes
zur Errichtung von Gebäuden, nämlich das Erbbaurecht, zu neuem
Leben erweckt wurde, obwohl gerade dieses Recht im Laufe der
Jahrhunderte fast ganz verschwunden war, und der Gesetzgeber bei
der Schaffung eines neuen Bürgerlichen Gesetzbuches nur die wenigen,
noch hier und da vorhandenen kümmerlichen Ueberreste der Super-
fizies regeln wollte. Die Motive^) sagen hinsichtlich des Erbbau-
rechtes zunächst, daß der mögliche Inhalt der Dienstbarkeiten dahin
begrenzt sei, daß die eingeräumte Benutzung der fremden Sache bei
Grunddienstbarkeiten für die Benutzung des herrschenden Grund-
stückes förderlich sein muß ; bei persönlichen Dienstbarkeiten, welche
nicht in dieser Weise inhaltlich bzw. der Dauer nach beschränkt sind,
würde es dazu führen, daß vererbliche und veräußerliche Benutzungs-
rechte begründet werden könnten, welche das Eigentum der belasteten
Sache auf die Dauer in weitem Umfange schwächen, ja erschöpfen,
und selbständige, dem Eigentum an Dauerhaftigkeit gleichkommende
Rechtsgüter und Verkehrsobjekte sind. Für die ausnahmsweise
Zulassung der Schaffung derartiger dauernder Gerechtigkeiten müsse
ein spezieller, in dem besonderen Zwecke einer gewissen Art der
Benutzung liegender Grund vorhanden sein ; der Entwurf finde einen
solchen Grund in dem Zwecke der Benutzung eines Grundstückes,
um auf demselben ein Bauwerk zu haben. Der Unternehmer einer
solchen Anlage müsse, wenn sein Unternehmen auf einer festen wirt-
schaftlichen Grundlage ruhen solle, einer langen, nicht durch den
Wegfall seiner Person begrenzten Dauer seines Rechtes gewiß sein;
für das Vorhandensein eines Bedürfnisses, die Begründung der Super-
fizies zuzulassen, spreche der Umstand, daß das geltende Recht die
Begründung von Rechten, welche dem Zwecke der römischen Super-
fizies dienen, zuläßt, und nur in Ansehung der juristischen Kon-
struktion Abweichungen stattfinden; die Abneigung der neueren
Gesetzgebungen gegen dauernde Belastung der Grundstücke habe auf
die Superfizies sich nicht erstreckt; wenigstens sei die Superfizies
von den die Entlastung des Grund und Bodens bezweckenden Ge-
1) Bd. III, S. 466.
Die Erbpacht. H
setzen nirgends ausdrücklich getroffen. — Das letztere ist zweifellos
richtig, aber die Ursache ist nur darin zu suchen, daß superfiziarische
Rechte bei uns in Deutschland nur ganz selten noch vorkamen; sie
beschränkten sich meist nur, wie in Sachsen, auf die dingliche Be-
nutzung eines Kellers und auf einige andere kleine Bauwerke; es
war kein Bedürfnis vorhanden, diese Rechte eigens aufzuheben. Und
doch hat die Superfizies in dem Erbbaurecht seit der Neuregelung
im Bürgerlichen Gesetzbuche eine ziemlich große Verbreitung ge-
funden ; viele Tausende von Wohn- und anderen Gebäuden sind be-
reits in Erbbaurecht gebaut, und es hat sich die Notwendigkeit ge-
zeigt, die wenigen Bestimmungen des BGB. über Erbbaurecht durch
ein besonderes Reichserbbaugesetz zu ergänzen oder zu ersetzen,
dessen Entwurf bereits fertiggestellt ist. Während also die Super-
fizies fast ganz verschwunden war, hatten die Erbpacht und ähn-
liche dingliche Nutzungsrechte an landwirtschaftlichem Boden im
19. Jahrhundert noch eine sehr große Verbreitung. So notwendig
und wünschenswert es war, alle Hörigkeits- und Untertänigkeits-
verhältnisse aufzuheben, so wenig notwendig und wünschenswert
war es, mit diesen Verhältnissen die dinglichen Benutzungsrechte
selbst zu beseitigen. Man machte fast überall zu gründliche Arbeit.
Als man in Oesterreich daran ging, ebenfalls das Erbbaurecht ein-
zuführen, was dann durch das Gesetz vom 26. April 1912 geschah,
da wäre beinahe das Gesetz gescheitert; denn Artikel 7 des öster-
reichischen Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 sagt: „Der
Untertänigkeits- und Hörigkeitsverband ist für immer aufgehoben.
Jede aus dem Titel des geteilten Eigentums auf Liegenschaften
haftende Schuldigkeit oder Leistung ist ablösbar, und es darf in Zu-
kunft keine Liegenschaft mit einer derartigen unablösbaren Leistung
belastet werden." Man erblickte in Oesterreich in dem Erbbaurechte
einen Fall des geteilten Eigentums, und so glaubte man, dieser Art. 7
stehe der Einführung des Erbbaurechtes im Wege; da man aber den
praktischen Wert des Erbbaurechtes erkannte, so vermied man eine
klare Definition des Erbbaurechtes, ja vermied sogar den Ausdruck
„Erb"baurecht, um nicht die Wiederkehr mittelalterlicher Zustände
aus der Teilung des Eigentums hervorzurufen, und nannte das Recht
einfach „Baurecht". — Dem Sozialpolitiker und Volkswirtschaftler
sind solche Gedankengänge befremdend; mit vollem Rechte, denn
wenn es sich zeigt, daß eine Einrichtung zum Vorteil der Volks-
wirtschaft ist, so sollte man nicht durch formelle Erwägungen ein
Gesetz nicht zustande kommen lassen. Gerade weil wir in anderen
Zeiten leben und unser ganzes Rechts- und Wirtschaftsleben mehr
als je auf sozialen Grundlagen aufgebaut ist, müssen alle nicht sach-
lichen Bedenken fallen. Und so besteht nicht der geringste Zweifel,
daß die Wiedereinführung der Erbpacht nur segensreich wirken würde;
wie sie in Mecklenburg und Schleswig-Holstein günstig wirkt, so
wird sie es auch in den anderen deutschen Staaten tun, besonders
in den Staaten mit Großgrundbesitz, in den Staaten, wo viele große
Domänen vorhanden sind. Gerade jetzt, wo es gilt, Krieger anzu-
12 Chr. D. Pesl,
siedeln, wird keine Ansiedlungsform sich für alle Teile so bewähren
wie die langdauernde Pacht, die ein eigentumsähnliches Recht schafft.
Im Folgenden sollen die Vorteile der Erbpacht kurz her-
vorgehoben werden:
Für den Grundeigentümer besteht der Hauptvorteil der Erbpacht
darin, daß er dauernd das Eigentum an den Grundstücken behält.
Das ist von besonderer Bedeutung von dem Eigentum der öffent-
lichen Körperschaften, namentlich des Reiches, der Einzelstaaten und
Gemeinden. Einzelne Staaten haben sehr große Domänen und ebenso
besitzen viele Gemeinden ausgedehnte Grundflächen. Es hat sich
gerade in neuerer Zeit immer mehr die Anschauung durchgesetzt,
diese großen öffentlich-rechtlichen Grundeigentümer sollten ihren
Grund und Boden nicht nur erhalten, sondern noch möglichst viel
dazu erwerben, um besser als in der Vergangenheit zur Lösung sozialer
Aufgaben beitragen zu können. Soweit Boden für die Bebauung in
Betracht kommt, also innerhalb eines Gemeindebezirks oder in der
Nähe davon, ist es von größter Bedeutung, wenn die Gemeinden
selbst viele Grundstücke besitzen, einmal um den eigenen Bedarf für
Errichtung von Schulen, Verwaltungsgebäuden usw. davon decken
zu können, ohne auf kostspielige Käufe angewiesen zu sein, sodann
um gegebenenfalls im Interesse von Minderbemittelten eine gesunde
Boden- und Wohnungspolitik treiben zu können. Wir wissen ja,
daß viele Gemeinden nur zu rasch zum Verkauf ihres Grundbesitzes
bereit waren und sich oft schon nach wenigen Jahren genötigt sahen,
denselben Boden wesentlich teuerer zurückzukaufen. Viele Gemeinden
besitzen kleinere und größere Grundstücksflächen, oft ganze Güter,
in solcher Entfernung von der Stadt, daß diese für die Stadterweite-
rung vielleicht niemals, wenigstens nicht in absehbarer Zeit in Be-
tracht kommen werden. Die Gemeinden pflegen solche Grundstücks-
flächen entweder brach liegen zu lassen, oder als Weideland zu
verpachten, seltener verpachten sie den Boden zu intensiverer land-
wirtschaftlicher oder gärtnerischer Benutzung; geschlossene Güter
bewirtschaften sie nicht selten in eigener Verwaltung, was freilich
regelmäßig für die Gemeinde sehr unvorteilhaft ist, da sich bei einer
Bewirtschaftung durch städtische Beamte und Angestellte der Betrieb
sehr teuer stellt, so daß von einer Rente keine Rede sein kann;
häufig müssen die Gemeinden noch jährlich erhebliche Beträge darauf-
zahlen. Hier würde eine langjährige Verpachtung überaus günstig
wirken. Wenn der Pächter weiß, daß er viele Jahrzehnte das Gut
wie ein Eigentümer bewirtschaften kann, dann wird er auch die
entsprechenden Aufwendungen auf die Grundstücke machen und
gerne bereit sein, einen angemessenen Pachtzins zu zahlen. Die Ge-
meinden scheuen lange Verträge wegen der Ungewißheit, ob sie nicht
doch über kurz oder lang die Grundstücke für bestimmte Zwecke
selbst benötigen; aber wenn solche Fälle im Vertrag berücksichtigt
sind und dem Pächter entsprechende Entschädigung zugesichert wird,
so würde sich jeder Pächter gerne auf die Bedingungen einlassen.
Die Erbpacht. 13
Aber nicht bloß für diese Grundeigentümer des öffentlichen
Rechtes kann sich die Vererbpachtung vorzüglich erweisen, sondern
auch für sonstige Großgrundeigentümer, insbesondere für Fideikommiß-
besitzer. Solange extensive Wirtschaft getrieben wird, ist die Ver-
pachtung großer Flächen in Zeitpacht nicht schwierig, da weder die
Ueberwachung lästig, noch die Gefahr, den Zins nicht zu erhalten,
groß ist. Wo aber der Boden intensiv bewirtschaftet wird, ist die
langdauernde Pacht vortrefflich. Ein großer Nachteil pflegt dadurch
zu entstehen, daß der Eigentümer häufig eine sehr ausgedehnte Fläche,
eine Domäne oder gar mehrere Einheiten zusammen an einen Pächter
verpachtet und von diesem den Pachtzins erhält, während es dem
Pächter überlassen bleibt, die Flächen in kleinere Wirtschaftseinheiten
zu teilen und diese an Unterpächter weiterzugeben. Bei diesem
System hat der Hauptpächter das größte Interesse, möglichst viel
über den Pachtzins, den er selbst zahlen muß, herauszubringen, so
daß die Unterpächter oft in einer gedrückten Lage sich befinden;
solche Systeme waren und sind heute noch besonders in Italien, Ru-
mänien und Irland vorhanden. Die Erbpacht würde eine glückliche
Lösung sein, denn sie ist die für kleinere und mittlere Landwirt-
schaftsbetriebe geeignetste Form der fremden Bodennutzung. Die
Einziehung des Zinses macht wenig Mühe und führt wegen der
langen Dauer der Verträge zu keiner Bedrückung der Pächter. Selbst-
verständlich dürfen Erbpachtgüter niemals Parzellenpachtung werden,
d. h. die Güter müssen mindestens so groß sein, daß das Gut einen
selbständigen landwirtschaftlichen Betrieb ermöglicht. Die Mindest-
größe wird je nach der Gegend, in welcher die Güter liegen, sehr
verschieden sein; sie werden im Osten Deutschlands erheblich größer
sein müssen als in Westdeutschland oder in einigen süddeutschen
Staaten, doch darf die Errichtung von kleinen Gütern, ähnlich den
preußischen Arbeiterrentengütern, nicht ausgeschlossen werden, eben-
sowenig die Errichtung von Gärtnereistellen, im Gegenteil, alle diese
sollen möglichst gefördert werden.
Es ist bekannt, daß viele Großgüter nicht so bewirtschaftet
werden, wie es sein könnte; je größer das Gut, desto teuerer wird
die Bewirtschaftung; denn der Gutsherr braucht einen oder mehrere
Direktoren und mehrere Unterbeamte; eine Vererbpachtung in
kleineren Gütern führt zur intensiven Bewirtschaftung; häufig fehlt
dem Grundeigentümer das Kapital, um die im Interesse der Bewirt-
schaftung notwendigen Meliorationen vorzunehmen; hat er das Gut
in Zeitpacht verpachtet, so pflegt auch der Pächter keine großen
Summen und Arbeiten in das Gut zu stecken, wenn er gewärtig sein
muß, über kurz oder lang abziehen zu müssen, ohne einen Ersatz für
die aufgewendeten Mühen und Gelder zu erhalten. Selbst wenn lange
Verträge geschlossen werden, ist der Pächter doch nicht sicher, vor-
zeitig gehen zu müssen. Denn ganz abgesehen davon, daß viele
Verträge die Bestimmung enthalten, bei einem Verkaufe des Gutes
könne der Pachtvertrag aufgehoben werden, hat im Falle der Zwangs-
14 Chr. D. Pesl,
Versteigerung des Gutes, oder wenn der Grundeigentümer in Konkurs
gerät, der Ersteher das Recht, dem Pächter zu kündigen. Ferner
kommt in Betracht, daß kein Vertrag auf länger als dreißig Jahre
geschlossen werden kann; selbst wenn ein längerer Vertrag ge-
schlossen wird, so hat trotzdem nach Ablauf von 30 Jahren jeder
Teil das Recht, ihn zu kündigen, was für den Eigentümer gerade so
unvorteilhaft sein kann wie für den Pächter. Die Erbpacht dagegen
kann auf viele Jahrzehnte, auf 100 und mehr Jahre geschlossen
werden, und wird weder durch eine Zwangsversteigerung der Grund-
stücke berührt, noch dadurch, daß über das Vermögen des Eigen-
tümers Konkurs eröffnet wird.
Der wichtigste und größte Vorteil der Erbpacht besteht darin,
daß es auch den minder kapitalkräftigen Personen ermöglicht
wird, ein landwirtschaftliches Gut zu erwerben, ohne einen Kaufpreis
zahlen zu müssen. Es bedarf keines Beweises, daß es leichter ist,
einen jährlichen Zins zu zahlen als das entsprechende Kapital. Die
Zinsen kann der Pächter leicht aus den Erträgnissen des Gutes be-
streiten. Nun könnte man einwenden, daß auch der Kapitalschwache
ein Gut kaufen könne, da regelmäßig nur eine mehr oder weniger
große Anzahlung zu bewirken ist, während der Rest des Kaufpreises
eine Reihe von Jahren als Hypothek auf dem Gute liegen bleibt;
und selbst wenn dann der Kaufpreis endlich bezahlt werden muß,
so pflege der Käufer sich von einer Kreditanstalt ein Darlehen geben
zu lassen, womit er den Verkäufer wegfertigt, und nun das Dar-
lehen, das hypothekarisch gesichert ist, zu verzinsen und, wenn es
es eine Tilgungshypothek ist, diese auch noch zu tilgen hat. Zu-
nächst ist es fraglich, ob der Erwerber eine Tilgungshypothek erhält
und sie überhaupt will; aber selbst wenn dies der Fall sein sollte,
so erhält er ein Darlehen nicht bis zu dem Betrage, um den ganzen
Kaufpreis damit zahlen zu können, sondern nur etwa in Höhe von
zwei Dritteilen; den häufig bedeutenden Rest muß er selbst auf-
bringen, und gerade daran scheitern die meisten Gutskäufe. Wenn
ein Gut z. B. 60000 M. kostet, so wird es dem Käufer wohl mög-
lich sein, ein Darlehen von etwa 40000 M. zu erhalten, aber die
restlichen 20000 M. muß er selbst bezahlen; gelingt es dem Käufer,
auch noch ein weiteres Darlehen zu erhalten, so muß er hierfür
wesentlich höhere Zinsen bezahlen, ohne daß das Darlehen so groß
sein wird, daß er den Rest des Kaufpreises ganz damit begleichen
könnte. Bei der Erbpacht hat er jährlich nur den Zins zu bezahlen,
ohne von einer Zinsfußänderung abhängig zu sein. Gelingt es dem
Käufer eines Gutes nicht, ein Tilgungsdarlehen zu erhalten, oder will
er kein solches, dann muß er mit oft stark veränderten Zinsen rechnen.
Die Hypothekdarlehen werden regelmäßig auf zehn Jahre gewährt;
nach Ablauf dieser Fri^t ist das Kapital zur Zahlung fällig; ent-
weder gelingt es dem Schuldner, den Zeitpunkt der Zurückzahlung
auf weitere zehn Jahre zu verlängern, oder er muß von jemand
anderen sich ein neues Darlehen geben lassen, um die fällige Hypothek
zurückzuzahlen, das neue Darlehen wird an Stelle der weggefertigten
Die Erbpacht. ][5
im Grundbuche eingetragen ; in beiden Fällen hat der Schuldner sehr
hohe Provisionen zu zahlen; ferner kann inzwischen der Zinsfuß
stark gestiegen sein; dazu kommen noch die erheblichen Kosten der
Verbriefung und der Eintragung in das Grundbuch. Diese Vorgänge
wiederholen sich alle zehn Jahre. Bei der Erbpacht bleibt der Zins
für die ganze Dauer der Erbpacht unverändert und kann eine sehr
geringe Leistung darstellen, wenn die Erträgnisse nachhaltig steigen,
die Produktionskosten und der Geldwert sinken ; wird aber der Erb-
pachtzins in etwa zehn- oder zwanzigjährigen Perioden neu fest-
gesetzt (siehe unten S. 19), dann ist die Lage des Erbpächters, selbst
wenn der Erbpachtzins erhöht werden sollte, doch immer noch
günstiger, als bei der Verschuldung mit Hypotheken; sind die Er-
trägnisse zurückgegangen, dann wird der Erbpachtzins ermäßigt,
während die Hypothekzinsen bleiben, ja auch steigen können, da
das Kreditwesen sich nach dem Geldmarkte des Landes richtet und
nicht nach der wirtschaftlichen Lage des einzelnen Kreditnehmers.
Wir haben im Laufe des letzten Jahrhunderts wiederholt gesehen,
daß mit dem Steigen der Getreidepreise der Preis landwirtschaft-
licher Güter sehr stieg, häufig höher, als dem Werte entsprach; der
Käufer rechnete mit einem weiteren Steigen der Getreidepreise; aber
plötzlich hörte das Steigen auf, und nicht selten sanken sie sehr stark;
die Folge war Unrentabilität der zu teuer gekauften Güter und als
weitere Folge die Zunahme der Zwangsversteigerungen. Der Erb-
pächter wird von diesen Veränderungen nicht berührt oder wenigstens
nicht zu seinem Nachteil.
So wichtig der Vorteil ist, daß auch der Kapitalschwache ein
Gut erwerben kann, so ist er vielleicht doch nicht der allein aus-
schlaggebende. Die Erbpacht soll ja gerade dort Anwendung finden,
wo Güter überhaupt nicht käuflich zu haben sind, also besonders
auf staatlichem und gemeindlichem Boden; Staat und Gemeinden
sollen ihren Boden nicht verkaufen außer in einzelnen Ausnahme-
fällen. Daß hier nur die Erbpacht als die beste Form der Bewirt-
schaftung in Betracht kommt, haben wir darzulegen versucht; nur
die Erbpacht gewährt auf lange Zeit, auf ein Jahrhundert oder länger
ein eigentumähnliches Recht. Je mehr Vertragsfreiheit gelassen wird,
desto besser wird sich die Erbpacht bewähren.
Im folgenden gebe ich zunächst den Entwurf eines Reichserb-
pachtgesetzes, und im Anschluß daran sollen die wichtigeren Be-
stimmungen kurz erörtert werden.
Grundzüge zu einem Entwurf eines Keichserbpachtgesetzes.
Art. 1. Grundstücke können in der "Weise belastet werden, daß demjenigen,
zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, das veräußerhche und vererbUche Recht
zusteht, die Grundstücke in Land-, !rorst- oder Gärtnereiwirtschaft zu benutzen
(Erbpachtrecht).
Art. 2. Das Erbpachtrecht kann auf nicht weniger als 30 Jahre bestellt
werden.
Art. 3. Die zur Bewirtschaftung der Grundstücke vorhandenen oder erst
in Ausübung des Erbpachtrechtes errichteten Wohn- und Wirtschaftsgebäude und
16 Chr. D. Pesl,
sonstige Anlagen gelten als unbewegliche Sachen und bilden Zubehör des Erb-
pachtrechtes. Das Eigentum an diesen Bauwerken und Anlagen steht während
der Dauer des Erbpachtrechtes dem Erbi)ächter zu.
Art. 4. Wird die Zahlung eines Erbpachtzinses vereinbart, so muß dessen
Höhe für die ganze Dauer der Erbpachtzeit im voraus festgesetzt worden ; diese
Festsetzung kann Veränderungen, auch Erhöhungen vorsehen.
Art. 5. Der Erbpachtvertrag bedarf der gerichtlichen oder notariellen Be-
urkundung und muß bestimmen:
1) Die Lage und Größe der Grundstücke.
2) Die Dauer des Erbpachtrechtes.
3) Die Gegenleistung des Erbpächters; insbesondere wenn ein Erbpachtzins
vereinbart wird, die Höhe desselben und die Zahlungsbestimmungen.
4) Die Verteilung der Pflichten hinsichtlich der öffentlichen Lasten und Ab-
gaben, der Instandsetzung und Versicherung der Gebäude, der Hagelver-
sicherung, des Wiederaufbaues der Gebäude im Falle der Zerstörung durch
Brand oder ein sonstiges Ereignis.
Diese Bestimmungen müssen in das Grundbuch eingetragen werden, in welchem
für das Erbpachtrecht stets ein besonderes Grundbuchblatt von Amts wegen an-
zulegen ist.
Art. 6. Der Aufnahme in den Erbpachtvertrag und der Eintragung in das
Grundbuch bedürfen Vereinbarungen:
1) Ueber Beschränkungen des Erbpächters in der Verwendung der Grund-
stücke und der Gebäude und über sonstige Verpflichtungen, welche von ihm
oder von dem Grundeigentümer außer den in Art. 5 Ziff. 3 und 4 genann-
ten, zu übernehmen sind.
2) Ueber die Folgen, welche den Erbpächter treffen, wenn er eine seiner Ver-
pflichtungen (Art. 5 Ziff. 3 und 4 ; Art. 6 Ziff. 1) nicht erfüllt, insbesondere
über auflösende Bedingungen.
3) Ueber eine Entschädigung des Erbpachtberechtigten im Falle der Beendi-
fung des Erbpachtrechtes.
Jeber Vorkaufsrechte.
Sonstige Vereinbarungen müssen in dem Erbpachtvertrage aufgenommen und in
das Grundbuch eingetragen werden, wenn sie für den Rechtsnachfolger wirksam
werden sollen.
Art. 7. Das Erbpachtrecht kann nur zur ersten Stelle ausschließenden
Ranges eingetragen werden. Wenn die belasteten Grundstücke zugunsten von
öffentlichen Lasten oder von sonstigen Ansprüchen, welche den eingetragenen
Rechten im Range vorgehen (ZVG. § 10), im Zwangs wege versteigert werden,
so bleibt das Erbpachtrecht ohne Anrechnung auf das Meistgebot bestehen.
Art. 8. Der Erbpachtzins ist eine Reallast im Sinne des § 1105 BGB. Der
Vorbehalt in Art. 115 EG. z. BGB. findet auf diese Reallast keine Anwendung.
Das Gleiche gilt von Reallasten, die auf Grund von Art. 5 Ziff. 4 oder von Art. 6
Ziff. 1 dieses Gesetzes eingetragen werden.
Art. 9. Der Erbpachtzins bleibt in der Zwangsversteigerung auch dann
bestehen, wenn er nicht in das geringste Gebot aufgenommen ist.
Art. 10. Wegen Verzuges in der Bezahlung des Erbpachtzinses kann das
Erlöschen des Erbpachtrechtes nur für den Fall vereinbart werden, daß der Zins
für mindestens zwei aufeinander folgende Jahre rückständig wird.
Art. 11. Erbpachtrechte können von öffentlichen Anstalten und von Kredit-
anstalten jeder Art, insbesondere von Hypothekenbanken und Versicherungsunter-
nehmungen auch dann beliehen werden, wenn Mündelsicherheit erforderlich ist,
jedoch nur
a) unter der Voraussetzung, daß der Hypothek (oder Gnindschuld) nichts
als der Erbpachtzins vorausgeht;
b) in der Form einer Tilgungshypothek, deren Tilgung plangemäß spätestens
mit dem vierten Fünftel der Erbpachtzeit abläuft;
c) wenn die Beleihung nicht zwei Drittel des nachhaltigen Ertragswertes der
Grundstücke übersteigt ;
d) im Falle des Vorganges von Erbpachtzins so, daß die nach dem Beleihungs-
werte zulässige Darlehenssumme um den Kapitalswert des Erbpachtzinses
gekürzt wird.
Die Erbpacht. 17
Art. 12. Bei Erlöschen des Erbpachtrechtes fallen die Bauwerke an den
Grundeigentümer. Mangels anderer Vereinbarung ist dem Erbpächter eine Ent-
schädigung in der Höhe von zwei Dritteilen des vorhandenen Bauwertes zu leisten.
Art. 13. Wenn dem Erbpächter bei Beendigung des Erbpachtrechtes nach
Gesetz oder Vertrag eine Entschädigung für die Bauwerke gebührt, erstrecken
sich die Pfandrechte und andere dingliche E-echte an dem Erbpachtrecht auf die
Entschädigung.
Art. 14. Hat der Eigentümer sich die Zustimmung zur Belastung des Erb-
pachtrechtes vorbehalten, so gehen mit der Beendigung des Hechtes die Belastungen
auf die Grundstücke über.
Art. 15. Die Inhaber von Fideikommissen, Stamm- und Lehengütern können
an ihren Grundstücken ohne Zustimmung ihrer Anwärter Erbpachtrechte be-
gründen.
Art. 16. Die zur Bestellung des Erbpachtrechtes nach § 873 BGB. erforder-
liche Einigung des Eigentümers und des Erwerbers muß bei gleichzeitiger An-
wesenheit beider Teile vor dem Grundbuchamte erklärt werden.
Art. 17. Für das Erbpachtrecht gelten die sich auf Grundstücke beziehen-
den Vorschriften. Die für den Erwerb des Eigentums und der Ansprüche aus
dem Eigentum geltenden Vorschriften finden auf das Erbpachtrecht entsprechende
Anwendung.
Das Erbpachtrecht kann nicht durch Verzicht aufgehoben werden.
Der Name Erbpachtrecht stammt davon her, daß das Pacht-
recht entweder von vorneherein als vererbliches Recht begründet,
oder im Laufe der Zeit von selbst vererblich wurde. Sehr häufig
pflegte nämlich im deutschen Mittelalter die Bodenleihe auf Lebens-
zeit des Berechtigten zu erfolgen; aber von selbst erschien es wün-
schenswert, die Leihe über den Tod des Beliehenen hinaus zu ge-
stalten, und so bildete sich allmählich die vererbliche Leihe; schon
bevor die Leihe als vererbliche begründet wurde, wurde regelmäßig
vom Grundherrn beim Tode des Beliehenen das heimgefallene Grund-
stück den Kindern des Verstorbenen verliehen. In späterer Zeit
finden sich nur ganz ausnahmsweise noch Leihen auf Zeit. Die
Folge war, daß im Laufe der Jahrhunderte vergessen wurde, wofür
das Grundstück mit der Verpflichtung von jährlichen und besonderen
Abgaben belastet war; die Besitzer wußten gar nicht mehr, daß ihren
Vorfahren, vielleicht vor vielen Jahrhunderten schon, der Boden
bloß geliehen war, und so kam es, daß schließlich die Abgaben-
leistungen als drückend oder vielmehr als lästig empfunden wurden
und die neueren Gesetzgebungen die Ablösbarkeit der Lasten aus-
sprachen, wodurch die Besitzer freie Eigentümer wurden. Was von
der gewöhnlichen Bodenleihe hier ausgeführt wurde, galt von jeder
Art von Bodenleihe, auch von der Erbpacht. Ein volkswirtschaft-
licher Schaden entstand durch diese Entwicklung nicht; im Gegen-
teil, würden die ursprünglichen Eigentumsrechte wiederhergestellt
worden sein, dann würde es in vielen Teilen Deutschlands nur äußerst
wenig Grundeigentümer, meist Großgrundeigentümer, gegeben haben,
und der kleinere und mittlere selbständige Bauernstand würde dort
fehlen. Mag die Tatsache, daß die bisherigen Besitzer nun Eigen-
tümer wurden, rechtlich als Konfiskation erscheinen, so wurde sie
nirgends als solche empfunden, da durch die ewige Vererblichkeit
der ursprüngliche Eigentümer in Wirklichkeit kein Eigentum mehr,
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 2
18 Chr. D. Pesl,
sondern nur einen jährlichen Zinsanspruch hatte; damit war er wohl
zufrieden, solange Boden in Ueberfluß vorhanden war. Wissen wir
doch, daß selbst Staaten in neuerer Zeit jedem ausgedehnte Boden-
flächen, insbesondere Wälder schenkten, wenn der Beschenkte sich
nur verpflichtete, die wenigen Pfennige Grundsteuer zu zahlen. Die
Staatsregierungen waren sogar dankbar, wenn jemand Grundstticke
als Geschenk annahm; so wurden z. B. in Bayern zu Ende des 18.
und zu Anfang des 19. Jahrhunderts große Wald- und Grundbesitzungen
im Bayerischen Walde verschenkt. In anderen europäischen Ländern,
wo auch die Bodenleihe, Erbpacht usw. bestanden, war die Entwick-
lung eine ganz andere; hier wurden die Grundstücke entweder auf
Lebenszeit des Berechtigten verliehen, oder aber regelmäßig auf
99 Jahre, wie in England. In Frankreich war ebenfalls die Ver-
leihung auf 99 Jahre beliebt, daneben noch die Verleihung auf „drei
Generationen". Nach Ablauf der Zeit erfolgte allerdings eine Neu-
verleihung, aber durch einen neuen Vertrag zu neuen Bedingungen;
hier konnte nicht vergessen werden, daß der Boden einen anderen
Eigentümer hatte. Der Vater, Sohn und Enkel waren sich dessen
dauernd bewußt, und bei der Leihe und Pacht auf 99 Jahre wußte
der Berechtigte von Jahr zu Jahr deutlicher, daß das Ende seines
Rechtes herannahe; um das zu vergessen, sind 99 Jahre zu kurz.
Heute ist es wohl vollkommen ausgeschlossen, daß ein privater Grund-
eigentümer seinen Boden in ewig vererblichem Rechte verpachten
würde. Nur die Aussicht, daß er den Boden nach einer Reihe von
Jahrzehnten wieder zur freien Verfügung zurückerhält, kann einen
Großgrundeigentümer auch heute bestimmen, seine Grundstücke in
Erbpacht zu geben; will man eine Höchstdauer gesetzlich festlegen,
so würde sich eine solche auf 100 Jahre empfehlen.
Dagegen wäre gegen die Festsetzung einer Mindestdauer
nichts einzuwenden; diese würde am besten 30 Jahre betragen; denn
bis zu 30 Jahren reicht die gewöhnliche Zeitpacht aus; wenn diese
auch kein dingliches Recht verleiht, so ist eine Pacht auf wenige
Jahre und selbst auf 2 — 3 Jahrzehnte doch zu kurz, um den Pächter
zu großen Aufwendungen auf das Pachtgut zu veranlassen. Außerdem
würde es unzweckmäßig sein, eine solche kurzdauernde Pacht als
Erbpacht in das Grundbuch einzutragen, die Beleihungsfähigkeit der
Pacht anzuerkennen usw. Ich habe deshalb im Entwürfe die Mindest-
dauer der Erbpacht auf 30 Jahre angesetzt, da ich kein Bedürfnis
sehe, eine kürzere Pacht dinglich, vererblich und veräußerlich zu
gestalten; dagegen ist es nicht notwendig, eine Höchstdauer gesetz-
lich festzusetzen, da niemand ein ewiges Erbpachtrecht begründen
wird, und selbst wenn er es täte, so würde volkswirtschaftlich kein
Nachteil darin zu erblicken sein. Auch bei dem Erbbaurechte ist
bisher noch keines über 100 Jahre geschaffen worden, abgesehen
von öffentlichen Gebäuden, die vielleicht Jahrhunderte bestehen
werden; bei diesen dauert das Erbbaurecht häufig so lange, als die
Gebäude ihren Zwecken dienen. Solche Fälle kommen bei der Erb-
pacht wohl nicht vor. — (Art. 2.)
Die Erbpacht. 19'
Schwieriger ist die Beantwortung der Frage nach der Bemessung
des Erbpachtzinses. Es gibt zunächst zwei Möglichkeiten; ent-
weder man setzt den Zins nach dem Ertragswerte des Gutes fest
und läßt den Zins während der ganzen Dauer der Erbpacht unver-
ändert, oder man setzt ihn nach gewissen Perioden immer von neuem
fest. Der Ertragswert von Grundstücken kann schon im Laufe von
wenigen Jahrzehnten sehr stark schwanken. Selbstverständlich kommt
bei der ersten Ansetzung des Zinses nur der Ertrag in Betracht,
den das Gut tatsächlich abwirft oder bei ordnungsgemäßer Bewirt-
schaftung für jeden Pächter abwerfen würde. Aber selbst eine
solche Festsetzung könnte zu großen Ungerechtigkeiten führen; denn
wir wissen, daß z. B. im 19. Jahrhundert die Getreidepreise durch
die große Einfuhr aus Amerika, Rußland und Rumänien ungeheuer
sanken, so daß Tausende von landwirtschaftlichen Betrieben un-
rentabel wurden; die Verschuldung wurde immer größer, und es be-
stand die Gefaly, daß der ganze Bauernstand vernichtet würde;
durch die Schutzzölle wurde eine teilweise Abhilfe geschaffen. Wie
sich die Getreidepreise in den nächsten Jahrzehnten gestalten, wissen
wir nicht, wohl aber dürfen wir annehmen, daß auf längere Zeit
die Preise hoch sein werden. Wir dürfen jedoch nicht übersehen,
daß der Erbpachtzins nicht übermäßig hoch sein wird, da von vorn-
herein mit Jahren schlechteren Ertrages gerechnet werden muß;
ferner ist zu beachten, daß auch dann nur die wirklichen Erträgnisse
zugrunde gelegt werden dürfen, nicht etwa der Marktwert des Gutes,
der viel höher sein kann. Es werden häufig Güter zu höheren
Preisen gekauft, als dem Ertrage entspricht, wenn mit dem Kaufe
besondere Zwecke verfolgt werden. Gerade jetzt während des Krieges
sind vielfach große Güter sehr im Preise gestiegen, da, wie bereits
erwähnt, manche der plötzlich durch Kriegslieferungen und auch
durch Wucher reich Gewordene einen Teil ihres Vermögens in
Grundbesitz anlegen wollen, selbst wenn die Rente geringer ist;
dafür ist diese Kapitalsanlage gesicherter als manche andere. Und
endlich ist zu berücksichtigen, daß es in der modernen Landwirt-
schaft leichter als früher möglich ist, zu intensiverer oder zu einer
anderen Bewirtschaftung der Grundstücke überzugehen, wenn die
bisherige weniger vorteilhaft geworden ist, so daß die Gefahr, einen
dauernd unveränderlichen Zins drückend zu empfinden, verhältnis-
mäßig gering ist. Die zukünftige Zollpolitik können wir hier außer
Betracht lassen. Es besteht schließlich auch die Wahrscheinlichkeit,
daß der Grundeigentümer eine Ermäßigung des Erbpachtzinses ein-
treten läßt, wenn allgemein infolge wirtschaftlicher oder politischer
Maßnahmen die Grundrente dauernd sinkt; denn in diesem Falle
würde der Eigentümer auch keinen anderen Pächter finden, der einen
höheren Erbpachtzins zahlte.
Der zweite Weg zur Festsetzung eines angemessenen Erbpacht-
zinses ist der, daß der Zins alle 10 oder 20 Jahre auf Grund der
durchschnittlichen Erträge oder vielmehr des während dieser Periode
geltenden durchschnittlichen Getreidepreises vereinbart wird. Man
2*
20 Chr. D. Pesl,
berechnet zunächst den Reinertrag der Grundstücke, den sie tat-
sächlich abwerfen oder bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung ab-
werfen könnten, setzt dann den Zins auf Grund dieses Reinertrages
fest und stellt fest, wieviel Getreide man dafür kaufen kann. Dieser
Geldzins bleibt nun eine Anzahl von Jahren unverändert. Hat sich
bis zur Neuregelung des Zinses der Getreidepreis geändert, so wird
der Geldzins entsprechend erhöht oder ermäßigt. Dabei ist es natür-
lich nicht notwendig, daß auf den Grundstücken überhaupt Getreide
gebaut wird. Der große Vorteil einer solchen Zinsregelung ist der,
daß der Pächter unabhängig wird von den Schwankungen des Geld-
wertes, mögen diese Veränderungen ihren Grund in dem Sinken des
Wertes der edlen Metalle oder in den Aenderungen im Geldwesen
haben. Sicher ist eine solche Zinsbestimmung die gerechteste, da
sie sich der jeweiligen wirklichen wirtschaftlichen Lage des Landes
anpaßt.
Ganz unzweckmäßig ist es jedoch, zu vereinbaren, daß der Zins
automatisch nach einer gewissen Zahl von Jahren steigt; eine solche
Regelung findet sich nicht selten bei dem Erbbaurecht; so ist z. B.
in den Bedingungen der Stadt Elberfeld für die Begründung eines
Erbbaurechtes auf einem städtischen Bauplatze bestimmt, daß der
Berechtigte während der ersten 10 Jahre einen Zins von 3V2 v. H., in
den zweiten 10 Jahren einen solchen von 4 v. H., in den nächsten
10 Jahren 4V2 v. H. und dann dauernd 5 v. H. von dem bei einem
öffentlichen Ausgebot erzielten Höchstgebote zu zahlen hat. Bei
einem landwirtschaftlichen Gute läßt sich nicht voraussehen, ob die
Erträgnisse nach Jahrzehnten noch den gleichen oder einen höheren
Wert haben als heute, da zu viele andere Momente mitwirken, wie
vor allem die ausländische Konkurrenz und die Schutzzollpolitik.
Noch weniger ist es zulässig, daß der Zins z. B. zunächst auf
10 Jahre festgesetzt und die Festsetzung des Zinses für die nächsten
Jahre einer freien Vereinbarung nach Ablauf der ersten 10 Jahre
vorbehalten wird.
Art. 4 des Entwurfes eines Erbpachtgesetzes bestimmt: „Wird
die Zahlung eines Erbpachtzinses vereinbart, so muß dessen Höhe für
die ganze Dauer der Erbpachtzeit im voraus festgesetzt werden;
diese Festsetzung kann Veränderungen, auch Erhöhungen vorsehen."
Damit ist gesagt, die Höhe des Zinses kann von vornherein in einer
bestimmten Geldsumme für die ganze Dauer des Erbpachtrechtes
festgesetzt werden, aber ebenso ist es gestattet, die Höhe nach dem
jeweiligen Getreidepreise oder nach anderen Merkmalen festzusetzen,
nur muß schon bei Begründung der Erbpacht im Vertrage festgelegt
werden, wie die Zinszahlung während der ganzen Dauer der Erb-
pacht erfolgen wird, damit der Erbpächter vor jeder späteren will-
kürlichen, einseitigen Zinserhöhung gesichert ist.
Um das Erbpachtverhältnis dauernd zur Kenntnis zu bringen,
ist es notwendig, daß der Zins nicht etwa durch eine Kapitalzahlung
abgelöst werden kann. Am besten ist es, den Erbpachtzins als eine
Real last in das Grundbuch einzutragen; da aber nicht in allen
Die Erbpacht. 21
deutschen Staaten Eeallasten gesetzlich zugelassen sind bzw. da die
rechtlichen Verhältnisse der Eeallasten sehr verschieden sind, so
müssen die betreffenden Gesetze geändert werden, wie das auch für
den Erbbauzins als Reallast mit Recht allgemein gefordert wird.
Es muß ausgesprochen werden, daß der Erbpachtzins eine Reallast
im Sinne des § 1105 BGB. ist; der Vorbehalt in Art. 115 des Ein-
führungsgesetzes zum BGB. darf auf diese Reallast keine Anwendung
finden (Art. 18). Ebenso muß der Erbpachtzins in der Zwangsver-
steigerung auch dann bestehen bleiben, wenn er nicht in das ge-
ringste Gebot aufgenommen ist (Art. 9). —
Bei der gewöhnlichen Zeitpacht gehören die zur Bewirtschaftung
notwendigen Wohn- und Wirtschaftsgebäude dem Grund-
eigentümer und bleiben sein Eigentum. In den Pachtverträgen wird
immer die Bestimmung aufgenommen, daß der Pächter verpflichtet
sei, die sämtlichen Gebäude dauernd in gutem Zustande zu erhalten ;
nicht selten wird auch vereinbart, daß den Pächter die gewöhnlichen
Ausbesserungen treffen, die großen dagegen den Eigentümer. Die
Erfahrung zeigt, daß der Pächter häufig mit der Vornahme der
kleinen Ausbesserungen so lange wartet, bis sie große geworden sind.
Aber selbst, wo genaue Verträge bis in das einzelnste die gegen-
seitigen Verpflichtungen zu den Ausbesserungen festlegen, sind die
Interessen des Eigentümers und des Pächters so verschieden, daß
spätestens bei Beendigung der Pacht Streitigkeiten und Prozesse
unvermeidlich sind. Selbst wenn der Pächter bei länger dauernden
Verträgen in den ersten Jahren die Gebäude in gutem Stand erhält,
später, je mehr die Pacht dem Ende zugeht, verschwindet meist die
Sorgfalt, da der Pächter weder kleine noch weniger große Summen
in die Gebäude hineinstecken will; denn er hat keinen Vorteil mehr
davon. Die Böden beginnen zu faulen, das Dach wird schadhaft,
die Mauern werden feucht, die Türen und Fenster bedürfen eines
neuen Anstrichs usw. Diese Schäden sind oft derart, daß sie auch
bei einer Besichtigung dem Auge leicht entgehen können, solange
in den Ställen das Vieh steht und in den Speichern und Scheunen
die Erntefrüchte lagern; jedem, der mit Pächtern zu tun hat, sind
diese Erscheinungen nur zu gut bekannt. Bei der Erbpacht, die
vielleicht 80 oder 100 Jahre dauert, ist es ohne weiteres klar, daß
mit Verträgen wenig geholfen ist, zumal der letzte Pächter von dem
ersten in der Person ganz verschieden ist, da das Erbpachtrecht nicht
bloß im Laufe der Zeit, sondern auch durch Verkauf öfter den Be-
sitzer gewechselt haben kann. Wer will nach 100 Jahren feststellen,
wie die Gebäude bei der Begründung der Erbpacht beschaffen waren ?
Aus diesen Schwierigkeiten gibt es bloß einen Ausweg : die Gebäude
müssen Eigentum des Erbpächters sein ohne Rücksicht darauf, wer
sie gebaut hat. Waren die Gebäude schon bei der Begründung der
Erbpacht auf den Grundstücken vorhanden, so müssen sie in das
Eigentum des Erbpächters übergehen und Zubehör des Erbpacht-
rechtes bilden; hat sie der Erbpächter in Ausübung seines Rechtes
gebaut, dann sind sie sowieso sein Eigentum, da das Erbpacht-
22 Chr. D. Pesl,
recht ein dingliches Recht ist, das vom Gesetze wie ein Grundstück
behandelt wird (Art. 3). Wegen der vielen juristischen Fragen, die
mit dieser Regelung verbunden sind, verweise ich auf meine Aus-
führungen über die Gebäude bei dem Erbbaurecht, wo die gleichen
Fragen auftreten (Annalen des Deutschen Reiches, Jahrg. 1915,
Heft 4, 5, S. 225 ff.).
Für die Gebäude, die der Erbpächter als Eigentum erhält, hat
er einen Kaufpreis zu zahlen, genau so wie jemand, der ein land-
wirtschaftliches Gut kauft; regelmäßig wird er eine Anzahlung
leisten und den Rest in jährlichen Raten, soweit es ihm nicht gelingt
oder er nicht gewillt ist, von einer Hypothekenbank, Versicherungs-
a,nstalt, Sparkasse oder einem anderen Kreditinstitut sich ein Dar-
lehen geben zu lassen, um mit diesem den Verkäufer zu befriedigen.
Bei der Erbpacht hat er nur den Kaufpreis für die Gebäude zu
zahlen, aber nichts für die Grundstücke, die ja dem bisherigen Eigen-
tümer verbleiben. Da aber wohl in den meisten Fällen die großen
öffentlichen Körperschaften die Eigentümer sein werden, die ihre
Grundstücke in Erbpacht geben, so dürfte sich die Kauffrage sehr
leicht lösen. Der Erbpächter kauft die vorhandenen Gebäude, ver-
zinst und tilgt den Kaufpreis allmählich; je nach dem Zinsfuß und
dem Tilgungssatze wird der ganze Kaufpreis in 50 — 70 Jahren ge-
tilgt sein ; verstärkte Tilgungen müssen natürlich erlaubt sein. Baut
der Erbpächter selbst Gebäude, so läßt er sich ein Darlehen geben,
das er ebenfalls verzinsen und tilgen muß. Auf die Kreditfrage
kommen wir im nächsten Abschnitt zurück. Da die Gebäude Eigen-
tum des Erbpächters sind, so kann er damit umgehen, wie er mag;
regelmäßig wird er sie im eigenen Interesse, gerade weil sie nun
sein Eigentum sind, dauernd in gutem Zustand erhalten. Dieses
Interesse wird aber noch wesentlich dadurch gesteigert, daß er bei
Beendigung der Erbpacht eine Entschädigung für die Gebäude
erhält, die mit dem Aufhören der Erbpacht Eigentum des Grund-
eigentümers werden. Die Entschädigung bestimmt sich ausschließ-
lich nach dem seinerzeitigen Bauwert, nicht nach dem etwaigen
Nutzungs- oder Ertragswert. Hat er die Gebäude vernachlässigt,
so wird er eine sehr geringe Entschädigung erhalten ; bilden sie über-
haupt nur mehr Abbruchsmaterial, so ist die Entschädigung gleich
Null; je besser er sie gehalten, desto größer wird die Entschädigung
sein. Am zweckmäßigsten ist es, dem Erbpächter volle Entschädi-
gung, für die Gebäude nach dem Bauwerte zuzuerkennen; nur für
den Fall, daß im Erbpachtvertrage über die Entschädigung nichts
bestimmt sein sollte, soll dem Erbpächter kraft Gesetzes eine Ent-
schädigung von mindestens zwei Dritteilen des Wertes gewährt
werden müssen (Art. 12).
Der Einwand, der Grundeigentümer würde zu sehr beschwert
werden, wenn er bei Beendigung der Erbpacht vielleicht sehr große
Entschädigungsbeträge für die in sein Eigentum übergehenden Gebäude
zahlen müßte, läßt sich nicht aufrechterhalten. Die Grundeigen-
tümer werden in den weitaus meisten Fällen die großen öffentlich-
Die Erbpacht. 23
rechtlichen Körperschaften sein, die wohl immer in der Lage sein
werden, selbst erhebliche Ablösungssummen zu zahlen; außerdem ist
zu berücksichtigen, daß alljährlich nur eine geringe Anzahl von Erb-
pachtrechten zum Erlöschen kommen entsprechend der Zahl der
seinerzeitigen Erbpachtbegründungen. In manchen, vielleicht den
meisten Fällen wird der Erbpachtvertrag zwischen dem Eigentümer
und dem Berechtigten erneuert; in anderen wird der neue Erbpächter
die Gebäude kaufen; in allen Fällen aber muß der neue Erbpächter
die Gebäude übernehmen und die Kaufsumme wie der frühere Erb-
pächter allmählich tilgen; manche werden einen größeren oder
kleineren Betrag gleich bar bezahlen; jedenfalls erhält der Grund-
eigentümer sofort mit der Neuvererbpachtung an Stelle der dem ab-
ziehenden Erbpächter gezahlten Entschädigungssumme die Zinsen
und Tilgungsquoten für die dem neuen Erbpächter verkauften Ge-
bäude. Denkbar wäre auch, daß der Grundeigentümer einen Teil
der vom Erbpächter erhaltenen Zinsen und Tilgungsquoten auf
Zinseszinsen anlegt, um mit dem Kapital die Gebäude abzulösen.
Die beste Lösung ist zweifellos, den Vertrag mit dem letzten Erb-
pächter zu erneuern; es dürfte zweckmäßig sein, diesem ein Vor-
recht, ähnlich dem Vorkaufsrecht, einzuräumen; dieses Recht kann
durch Vertrag gesichert werden, nur müßte es, um dingliche Wir-
kung zu erhalten, im Grundbuche eingetragen werden.
Da das Erbpachtrecht ein dingliches, veräußerliches und ver-
erbliches Recht ist, auf welches die sich auf Grundstücke beziehen-
den Vorschriften entsprechende Anwendung finden müssen, so kann
es auch mit Hypotheken, Grundschulden, Dienstbarkeiten, Real-
lasten usw. belastet werden (Art. 1). Soweit als Grundeigen-
tümer das Reich, die Einzelstaaten, die Gemeinden und andere öffent-
liche Körperschaften in Betracht kommen, wird die wichtigste Be-
leihung, nämlich die für die Errichtung von Gebäuden, keine
besonderen Schwierigkeiten machen; denn es liegt nahe, daß diese
Eigentümer in vielen Fällen nur dann Erbpächter finden, wenn sie
dafür Sorge tragen, daß auch der nicht besonders kapitalstarke Er-
werber einer Pachtstelle das nötige Darlehen aus einer öffentlichen
Kasse erhält, oder daß das Reich, die Staaten oder Gemeinden die
Bürgschaft für die dem Erbpächter gewährten Darlehen übernehmen.
Soweit es sich um Ansiedlung von Kriegern handelt, ist es wohl
selbstverständlich, daß diesen in jeder möglichen Weise Entgegen-
kommen gezeigt wird; in erster Reihe gilt das für die Krieger, die
durch den Kriegsdienst körperliche Schäden erlitten haben. Soweit
diese eine Invalidenrente beziehen, ist ihnen die Möglichkeit ge-
boten auf Grund des Kapitalsabfindungsgesetzes, einen Teil der
Rente in Kapital ausgezahlt zu erhalten; dieses Kapital werden sie
für den Erwerb der Stelle, Errichtung von Gebäuden usw. verwenden,
wenn auch hauptsächlich nur zur Bezahlung der Anzahlung; den
Rest werden sie zweckmäßiger auf Beschaffung von lebendem und
totem Inventar verwenden. Bei Ausgabe von Erbpachtstellen an
Nichtkrieger wird man unterscheiden müssen zwischen Minderbe-
24 Chr. D. Pesl,
mittelten und anderen ; für die ersteren muß ebenfalls die Darlehens-
beschaffung nach Möglichkeit erleichtert werden, da es im eigenen
Interesse des Reiches bzw. der Staaten ist, die Ansässigmachung
eines kräftigen Bauernstandes zu fördern. Die Darlehen müssen an
erster Stelle im Grundbuche eingetragen werden; nur der Erbpacht-
zins kann im Rang vorgehen. In Mecklenburg wurde vor der Neu-
regelung der Erbpacht vielfach geklagt, daß die Erbpachtgrundstücke
nur schwer einen gesunden Realkredit finden, weil der Besitzer
immer mehr oder weniger von der Grundherrschaft abhängig ist;
besonders sah man die Ursache der schwierigen Beleihung in dem
Erfordernis der grundherrlichen Zustimmung zu Verpfändungen und
Veräußerungen des Erbpachtrechtes. Zweifellos sind solche Be-
schränkungen ungünstig; sie sind aber auch nur dann gerechtfertigt,
wenn dem Erbpächter weitgehende Vergünstigungen vom Grund-
eigentümer zugestanden wurden, so daß man diesem einen dauernden
Einfluß auf das weitere Schicksal der in Erbpacht hingegebenen
Grundstücke zuerkennen muß. Solche Vergünstigungen können darin
bestehen, daß der Zins bei der Erbpacht niedriger ist als bei son-
stigen Pachtungen, oder daß der Eigentümer — eine öffentliche
Körperschaft — erst die Grundstücke erwirbt, um sie zu vererb-
pachten. In solchen Fällen ist es nur recht und billig, daß der
Eigentümer — Reich, Staat oder Gemeinde — dafür sorgt, daß die
Erbpachtgüter nicht überschuldet, zerteilt, an ungeeignete Personen
oder aus Spekulation verkauft werden. Ein privater Grundeigen-
tümer hat an sich regelmäßig kein Interesse an solchen Beschrän-
kungen, und es würde auch wohl kein Erbpächter sich finden, der
sich solchen unterwerfen würde. Wir haben also zwei verschiedene
Erbpachtgüter; die einen werden von öffentlichen Körperschaften
begründet, um bestimmte soziale Aufgaben zu lösen, z. B. Ansied-
lung von Kriegern ; und andere Güter, die an jedermann von privaten
Grundeigentümern und auch von den öffentlichen Körperschaften in
Erbpacht vergeben werden können, bei welchen dem Erbpächter
keine besonderen Vergünstigungen aus sozialen Beweggründen ge-
währt werden; bei diesen müssen selbstverständlich alle Beschrän-
kungen über die Verpfändungen und Veräußerungen wegfallen, genau
so wie diese Unterscheidungen sich praktisch bei dem Erbbaurecht
finden. Bei den freien Erbpachtgütern, wie ich diese ohne Be-
schränkungen nennen will, wird der Beleihung nichts im Wege
stehen, wenn auf dem Erbpachtrechte nichts anderes lastet als der
Erbpachtzins. Wie das Erbbaurecht sogar mündelsicher belastet
werden kann, so muß dies auch bei dem Erbpachtrechte geschehen
können, wenn nur gewisse Voraussetzungen erfüllt sind; diese sind
in dem Entwurf aufgezählt (Art. 11). Bei den nicht freien Erb-
pachtgütern muß der Grundeigentümer für die Gewährung notwen-
diger Darlehen sorgen; diese Forderung ist um so gerechtfertigter,
als diese Grundeigentümer soziale Aufgaben mit der Vererbpachtung
lösen wollen, und wenn sie sich solche dauernde Einflüsse auf das
Erbpachtrecht vorbehalten, so müssen sie auch die Darlehen selbst
Die Erbpacht. 25
beschaffen oder die Beschaffung durch [Jebernahme von Bürgschaften
ohne weiteres ermöglichen. Hervorzuheben ist noch, daß der Wert
des Erbpachtrechtes wesentlich erhöht ist durch die Gebäude, die nach
unserem Entwürfe dem Erbpächter gehören; der Wert hängt davon
ab, wie weit der Kaufpreis für die Gebäude bereits beglichen ist
und wie die Entschädigungsfrage für die mit der Beendigung der
Erbpacht in das Eigentum des Grundeigentümers übergehenden Ge-
bäude geregelt ist. Wenn dem Erbpächter eine solche Entschädigung
nach Gesetz oder Vertrag zusteht, so müssen sich etwaige noch auf
dem Erbpachtrechte ruhende Pfandrechte und andere dingliche Rechte
auf diese Entschädigung erstrecken (Art. 13).
Was von der Belastung mit Hypotheken gesagt ist, gilt auch
von der Belastung mit Grund- und Rentenschulden, lieber die
Belastung mit Dienstbarkeiten, Reallasten usw. ist nichts zu be-
merken.
Nicht selten wird in dem Erbpachtvertrage vereinbart werden,
daß das Erbpachtrecht aufgehoben werden kann, wenn der Erb-
pächter gewissen Verpflichtungen nicht oder nicht rechtzeitig nach-
kommt. Es ist zu wünschen, daß solche auflösende Bedingungen
nur in seltenen Fällen vereinbart werden ; denn es bedarf kaum eines
Beweises, daß die Gefahr des Erbpächters, wegen irgendeiner Ver-
tragsverletzung plötzlich von seinem Pachtgute vertrieben zu werden,
wenig empfehlend für ein Pachtrecht ist. Aber ganz wird man von
auflösenden Bedingungen nicht absehen können bei den Erbpacht-
gütern, mit deren Begründung besondere soziale Zwecke verfolgt
werden und bei welchen deshalb dem Erbpächter Vergünstigungen
eingeräumt wurden. So wird man eine Aufhebung des Erbpacht-
rechtes rechtfertigen können bei grober Mißwirtschaft, bei langem
Rückstande in der Zahlung des Erbpachtzinses (Art. 10), wenn der
Erbpächter nicht selbst das Erbpachtgut bewohnt und bewirtschaftet,
und in einigen anderen Fällen, die im einzelnen hier nicht aufge-
führt werden können. Nur für einen Fall wird man die Verein-
barung der Aufhebung des Erbpachtrechtes nicht entbehren können,
wenn nämlich rassehygienische •und bevölkerungspolitische Zwecke
mit der Ansiedlung verfolgt werden. Es kann sein, daß Erbpacht-
güter nur an Personen verliehen werden, die frei von bestimmten
Krankheiten und Mängeln sind und die innerhalb einer bestimmten
Anzahl von Jahren eine gewisse Anzahl von gesunden Kindern
haben. Auf diesen Bedingungen für die Vergebung von Erbpacht-
gütern beruht der Entwurf eines Pachtsitz-Gesetzentwurfes von
Geheimrat Prof. Max von Gruber (vgl. Annalen des Deutschen
Reiches, 1916, S. 536 ff.).
Um so weniger sind auflösende Bedingungen notwendig, als in
den meisten Fällen von Vertragszuwiderhandlungen die gewöhnlichen
Mittel, wie Klage und Zwangsvollstreckung, ausreichen werden, um
den Erbpächter zur Vertragserfüllung zu veranlassen; bei Zahlungs-
rückständen würde schlimmstenfalls Zwangsversteigerung des Erb-
pachtgutes erfolgen können. Mit der Beendigung des Erbpacht-
26 Chr. D. Pesl,
rechtes werden sämtliche Belastungen von selbst erlöschen; inwie-
weit den Gläubigern persönliche Ansprüche gegen die Erbpächter
dann noch zustehen, können wir hier außer acht lassen. Soweit
öffentliche Körperschaften Erbpachtgüter vergeben und auflösende
Bedingungen vereinbaren zur Sicherung der Zwecke, für welche sie
Erbpachtgüter schufen, ist es notwendig, daß der Grundeigentümer
die Belastungen, insbesondere die Hypotheken, die auf dem Erb-
pachtrechte ruhen, übernimmt, sobald diese zu Ende gehen; diese
Belastungen müssen auf die Grundstücke übergehen, die mit dem
Erbpachtrechte belastet waren. Dieser Uebergang kann um so weniger
Bedenken erregen, als bei diesen Erbpachtrechten die Belastung nur
mit Zustimmung des Grundstückeigentümers erfolgte. — Alle diese
Ausführungen gelten nicht für die Erbpachtgüter, die ein privater
Grundeigentümer geschaffen hat; denn dieser hat kein anderes In-
teresse, als rechtzeitig seinen Erbpachtzins zu erhalten ; und für den
Fall, daß der Zins für mindestens zwei aufeinander folgende Jahre
rückständig geworden ist, kann man dem privaten Grundeigentümer
das Recht der Aufhebung des Erbpachtrechtes zugestehen; aber
durchaus notwendig ist es nicht, da die gewöhnlichen Mittel unserer
Zivilprozeßordnung wohl ausreichen, den säumigen Schuldner zur
Erfüllung seiner Verpflichtung zu zwingen. Ein solches Erbpacht-
recht mit dieser auflösenden Bedingung ist nur schwer beleihungs-
fähig, da der Gläubiger die dingliche Sicherheit mit dem Erlöschen
des Erbpachtrechtes verliert. — Einen Ausweg würde bloß die Be-
stimmung bieten, daß bei jeder vorzeitigen Beendigung des Erb-
pachtrechtes die auf diesem lastenden Hypotheken, Grund- und
Rentenschulden kraft Gesetzes auf das Grundstück übergehen, an
welchem das Erbpachtrecht bestand. Gegen eine solche Bestimmung
wäre nichts einzuwenden.
Notwendig ist, daß das Gesetz ausdrücklich den Inhabern von
Fideikommissen, Stamm- und Lehengütern das Recht ge-
währt, an ihren Grundstücken Erbpachtrechte ohne Zustimmung
ihrer Anwärter zu begründen. Nach dem früheren gemeinen Rechte,
sowie nach landesrechtlichen Gesetzen sind Erbpachtrechte an solchen
Grundstücken und selbst länger dauernde Zeitverpachtungen verboten ;
als länger dauernde Verpachtungen galten solche auf zehn Jahre; auf
Lebenszeit des Pächters oder Verpächters; auf neun Jahre mit der
Vereinbarung, daß nach deren Ablauf der Vertrag weiterlaufen solle
auf eine Zeit, die über insgesamt zehn Jahre hinausgeht; ferner eine
Pachtung auf unbestimmte, in das Ermessen des Pächters oder Ver-
pächters gestellte Zeit ^). — Das preußische Edikt vom 9. Oktober 1807
bestimmte in § 5: „Jeder Grundeigentümer, auch der Lehens- und
Fideikommißbe'sitzer, ist ohne alle Einschränkung, jedoch mit Vor-
wissen der Landespolizeibehörde, befugt, nicht bloß einzelne Bauern-
1) Vgl. Knipschildt, Tractatus de fideic. famil. nob., Ulm 1654, cap. 11, n. 136
und n. 138; Molina, De Hispan. primog. orig. ac nat. libri, Col. 1588, p. 144, No. 29;
Kreittmayr, Anmerkung über den Codex Max. Bav. civ., 3. Teil, München 1764, cap. 10,
§ 23, n. 2.
Die Erbpacht. 27
höfe, Krüge, Mühlen und andere Pertinenzien, sondern auch das
Vorwerksland, ganz oder zum Teil und in beliebigen Teilen zu ver-
erbpachten, ohne daß dem Lehns-Obereigentümer, dem Fideikommiß-
und Lehensfolger und den ingrossierten Gläubigern aus irgendeinem
Grunde ein Widerspruch gestattet, wenn nur das Erbstands- oder
Einkaufsgeld zur Tilgung des zuerst ingrossierten Kapitals, oder bei
Lehnen und Fideikommissen, in etwaiger Ermangelung ingrossierter
Schulden, zu Lehn- oder Fideikommiß verwendet und in Rücksicht
auf die nicht abgelösten Realrechte der Hypothekengläubiger, von
der Landschaftlichen Kreditdirektion der Provinz oder von der
Landespolizeibehörde attestiert wird, daß die Vererbpachtung ihnen
unschädlich sei." Da jedoch später der Erbpachtzins für ablösbar
erklärt wurde und es möglich war, daß gegen den Willen der An-
wärter ein Grundfideikommiß in ein Geldfideikommiß verwandelt
würde, so wurde diese Bestimmung des Ediktes durch die Kabinets-
order vom 28. Juli 1842 aufgehoben^).
Das bayerische Edikt über Familienfideikommisse (Beilage VII
der Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818) sagt in § 48: „Der Fidei-
kommißbesitzer kann eigenmächtig das Fideikommiß mit einer neuen
bleibenden Bürde oder Dienstbarkeit nicht belegen, ebensowenig die
zum Fideikommisse gehörigen Güter durch Tausch, Verkauf, Ver-
gleich oder auf andere Weise veräußern. Verpachtungen, die auf
mehr als neun Jahre abgeschlossen sind, verbinden den Nachfolger
nicht."
So zeigt sich die Notwendigkeit einer entsprechenden Gesetzes-
bestimmung, wie sie in dem Entwürfe in Art. 13 enthalten ist.
In formeller Hinsicht ist noch folgendes zu dem Erbpachtrecht
zu bemerken. Da das Erbpachtrecht ein grundstückähnliches Recht
ist, so finden die Vorschriften über die Grundstücke entsprechende
Anwendung auf das Erbpachtrecht. Es muß im Grundbuche ein be-
sonderes Blatt erhalten, auf welchem alle Belastungen und sonstigen
dinglichen Rechte eingetragen werden (Art. 5, Abs. 2, und Art. 6).
Die zur Bestellung des Erbpachtrechtes nach § 873 BGB. erforder-
liche Einigung des Eigentümers und des Erwerbers muß wie bei dem
Kaufe eines Grundstücks bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile
vor dem Grundbuchamte bzw. vor dem Notar erklärt werden (Art. 15).
Wir gelangen also zu dem Ergebnisse, daß die Neueinführung
der Erbpacht wohl imstande sein kann, eine praktische Bedeutung
in unserem Wirtschaftsleben zu gewinnen. Es wäre jedoch verfehlt,
diese Bedeutung zu überschätzen ; aber sicher könnte es mit anderen
Ansiedlungsformen in regen Wettbewerb treten, besonders mit den
Rentengütern. Es ist auch nicht in Abrede zu stellen, daß sich
wiederholt der Mangel eines dinglichen Pachtrechts fühlbar gemacht hat
und ebensowenig läßt sich leugnen, daß Ansiedlungen auf den staat-
lichen und anderen Domänen schon in größerer Anzahl erfolgt wären,
wenn der Boden nicht hätte verkauft werden müssen. Nur ungern
1) Lewis, Das Becht der Familienfideikommisse, Berlin 1868, S. 225.
28 Chr. D. Pesl,
schreiten öffentliche Körperschaften zu einem Verkaufe ihres Grund
und Bodens, und wenn auch die Verkäufe unter Vorbehalt des Rück-
kaufs- oder bloß des Vorkaufsrechts geschehen, so sind es doch
immerhin Verkäufe, also Eigentumsübertragungen. Das Wiederkaufs-
recht ist eine sehr lästige Belastung und macht den Wert des
Gutes für den Erwerber mehr oder weniger illusorisch, je nachdem
der Käufer damit rechnen muß, daß von dem Wiederkaufsrecht Ge-
brauch gemacht wird. Bei dem Erbpachtrechte weiß der Erwerber
von vornherein, daß er kein Eigentum, sondern bloß ein dingliches
Recht an dem Boden hat. Ein Verkauf mit Wiederkaufsrecht ver-
bunden, und zwar mit einem Wiederkaufsrecht für alle Verkaufsfälle,
ist ein Scheineigentum, dessen Nachteile sich erst später deutlicher
geltend machen, sobald das Gut wertvoll geworden ist; denn regel-
mäßig ist der Verkäufer berechtigt, wenn er von seinem Wieder-
kaufsrechte Gebrauch macht, das Grundstück zu dem Preise zurück-
zukaufen, zu welchem er es seinerzeit verkauft hat (§ 497 BGB.).
Nicht selten ist außer dem Wiederkaufsrechte noch ein Vorkaufs-
recht ausbedungen, von dem der Verkäufer dann Gebrauch macht,
wenn der Käufer das Grundstück billiger weiterverkauft, als es ihn
gekostet hat oder als er bei Ausübung des Wiederkaufsrechts zahlen
müßte. Ist aber auch bloß das Wiederkaufsrecht vorbehalten, so
wird der Käufer wenig geneigt sein, Meliorationen vorzunehmen,
und namentlich wird er geringe Aufwendungen für die Gebäude
machen, geschweige denn Neu- und Umbauten vornehmen lassen,
wenn er höchstens den Preis für das Gut erhält, den er selbst seiner-
zeit bezahlt hat. Es besteht allerdings die Möglichkeit, den Wieder-
kaufspreis von vornherein so festzusetzen, daß der Wiederkäufer
wenigstens den Schätzungswert des Gutes zur Zeit der Geltend-
machung des Wiederkaufsrechts zahlen muß; aber praktisch geschieht
das höchst selten. Bei der Erbpacht hat der Erbpächter während
deren ganzen Dauer den gesamten Nutzen, den der Grund und Boden
abwirft; jede Verbesserung kommt ihm zugute; die einzige Gegen-
leistung des Erbpächters bildet die Zahlung des Erbpachtzinses, der
niemals ein Mittel sein kann, den Erbpächter von der Vornahme von
Verbesserungen abzuhalten; für die Gebäude erhält der Erbpächter
bei Beendigung Entschädigung, und zwar nach dem Werte, den die
Gebäude zu diesem Zeitpunkte haben; je besser er die Gebäude in-
stand hält, desto höher ist die Entschädigung; hat er Neubauten auf-
geführt, so erhält er für diese ebenso die Entschädigung wie für die
anderen Gebäude, die er bei Begründung der Erbpacht mitüber-
nommen oder aufgeführt hat. Die Erbpacht ist besonders für die
Ansiedler geeignet, die nicht sehr kapitalkräftig sind oder die sich
auf nichtverkäuflichem Boden ansiedeln wollen. Wer genügend
Kapital hat, wird wohl auch in Zukunft ein Gut zu Eigentum kaufen;
aber wir wissen auch, daß nicht selten unter den Pächtern großer
Güter sehr kapitalkräftige Leute sind. Diese wollen lieber ihr Ka-
pital zur Beschaffung von großem lebenden und toten Inventar ver-
wenden, als das Geld für den Kauf des Gutes selbst ausgeben; es
Die Erbpacht. 29
kommt nicht selten vor, daß Leute, die ein Gut kaufen, nicht vor-
wärtskommen, weil ihnen nach dem Kauf des Gutes das Geld zum
Kaufe von Pferden, Kühen usw. fehlt. Ein tüchtiger Pächterstand
ist durchaus vorteilhaft für die ganze Volkswirtschaft; außerdem ist
man in Deutschland überhaupt nicht gegen eine Pachtung von vorn-
herein abgeneigt wie in anderen Ländern, wo Pachtungen selten und
unbeliebt sind; so erklärte im ungarischen Abgeordnetenhause Graf
Tisza im Juni 1916 über die Kolonisation während und nach dem
Kriege, man müsse sich vor jeder Ueberstürzung hüten; in dieser
Beziehung müsse man, wenn man etwas Gutes erreichen wolle, sehr
spezifizieren; es gäbe keine größere Gefahr als die Durchführung
einer Lieblingsidee nach einer Schablone; man dürfe nicht vergessen,
was in der Seele des ungarischen Volkes wurzele: „Der Ungar will,
wenn er einen Besitz kauft, sein freier Herr sein. Beglücken wir
das Volk nicht mit Rentengütern und Pachtgütern, die eine ewige
Knechtschaft bedeuten." Man wird Graf Tisza ohne weiteres zu-
stimmen müssen für alle jene Länder, wo noch ungeheuere Boden-
flächen zur Verfügung stehen oder bei verhältnismäßig dünner Be-
völkerung leicht in kleinere Besitzungen aufgeteilt werden können,
wie es in Ungarn, in den deutschen Kolonien, den Vereinigten
Staaten von Nordamerika, in Kanada usw. der Fall ist. Wo noch
Boden in großer Menge vorhanden ist, da wird keine Erbpacht, kein
Rentengut noch irgendeine sonstige, nicht das volle freie Eigentum
gewährende Rechtsform für Ansiedlungen Erfolg haben. Deshalb
ist es eine verfehlte Bodenpolitik der Bodenreformer, wenn diese
immer dafür eintreten, in den deutschen Kolonien sollte niemand
Grund und Boden, am wenigsten aber Großgrundbesitz, zu freiem
Eigentum erwerben können und dürfen, sondern das Reich solle den
Boden nur zur Nutzung zur Verfügung stellen. Die Folge war, daß
sich die deutschen Auswanderer scheuten, in die deutschen Kolonien
zu gehen, wo sie nicht sicher waren, ob nicht solche sozialistische
Pläne einmal verwirklicht würden. In Deutschland haben wir keinen
unverteilten Boden mehr und selbst die staatlichen Domänen bilden
nur einen geringen Bruchteil des Gesamtbodens, und außerdem
werden auch diese Flächen land- oder forstwirtschaftlich rationell
genützt. Es ist zweckmäßiger, wenn Staaten und Gemeinden ihren
Boden behalten und ihn nur zu langjähriger Nutzung zur Verfügung
stellen. Selbst wenn durch Friedensschluß ehemals deutsche Gebiete
im Osten wieder zu Deutschland kommen, ist die Frage wohl zu er-
örtern, ob diese Grundstücke statt zu freiem Eigentum nicht besser
in Erbpacht Ansiedlern überlassen werden sollten; gerade in diesen
Gebieten müßte dafür gesorgt werden, daß der Boden nicht bloß zu
Spekulationszwecken erworben würde.
Milliarden zahlten wir jährlich an das Ausland für Getreide und
Futtermittel und brachten gleichzeitig die eigene Landwirtschaft in
eine schwierige Lage; diese Summen könnten wir in Zukunft zum
großen, wenn nicht größten Teile ersparen, wenn wir dafür sorgen, daß
der inländische Boden immer besser bewirtschaftet wird. Aber nicht
30 Chr. D. Pesl, Die Erbpacht.
bloß darum handelt es sich, sondern wir müssen auch danach trachten,
einen möglichst großen, starken Bauernstand zu schaffen, und das ist
nur möglich, wenn der Bildung von Großgütern, namentlich von
Fideikommissen, Einhalt getan wird. Wie ich schon eingangs er-
wähnte, ist die Gefahr groß, daß die durch Kriegslieferungen und
Kriegswucher plötzlich reich Gewordenen durch Kauf großer Güter
eine „gesellschaftlich höhere" Stufe als Besitzer von Rittergütern
mit tatsächlichen oder eingebildeten Vorrechten einnehmen wollen.
Es ist für ganz Deutschland unendlich besser und wichtiger, einen
möglichst bodenständigen, gesunden und namentlich kinderreichen
Bauernstand zu besitzen als eine Anzahl von Emporkömmlingen
(„Parvenüs") als Großgrundbesitzer, die den Boden nur zur Ausübung
von Jagd und anderem „feudalen" Sport verwenden. Deshalb müssen
wir die Ansiedelung von Leuten auf kleinen und mittleren Bauern-
gütern, auf Gärtnereistellen, auf Stellen zur Zucht von Schweinen,
Geflügel, Bienen usw. nach Möglichkeit fördern. Eines aber müßte
noch dazukommen: mehr Achtung vor dem Bauernstand. Es ist
leider in den Großstädten, auch in den gebildeten Kreisen, beliebt
geworden, mit einer gewissen Geringschätzung auf die ländliche Be-
völkerung herabzusehen und sich über deren alte Sitten und Gewohn-
heiten lustig zu machen. Diese Geringschätzung hat nicht selten
ihre Ursache in der völligen Verständnislosigkeit der Städter gegen-
über der Lebensweise und Arbeit auf dem Lande. Freilich Reich-
tümer kann die bäuerliche Bevölkerung im allgemeinen nicht er-
werben, da sind ihnen Kaufleute, besonders die aus östlichen Gegenden
nach Deutschland eingewanderten, bei weitem überlegen. Wenn der
Landwirt auch nur um einen Pfennig den Milchpreis für das Liter
erhöht, so erheben gerade die den größten Protest, die durch den
Zwischenhandel Hunderttausende und mehr „verdienen", wie wir es
während des jetzigen Krieges häufig genug beobachten konnten.
Deutschland ist infolge seiner geographischen Lage auf einen
großen Bauernstand angewiesen; schon innerhalb kurzer Zeit hätte
Deutschland die Waffen strecken müssen, wenn nicht die deutsche
Landwirtschaft das für die Ernährung notwendige Rückgrat gebildet
hätte; aber schon vor dem Kriege machte sich ein Rückgang in der
Landwirtschaft im Vergleich zu dem Anwachsen der Gesamtbevöl-
kerung bemerkbar. Wir müssen nicht bloß die vorhandene Land-
wirtschaft erhalten und pflegen, sondern sie vergrößern und zu
intensiverer Leistung bringen. Dann kann Deutschland, wenigstens
hinsichtlich seiner Ernährung, der Zukunft ziemlich ruhig entgegen-
sehen. Die Frage, ob durch den Friedensschluß neue große Boden-
flächen zum Deutschen Reiche kommen, habe ich außer Betracht
lassen müssen.
Miszellen. 31
Miszellen.
I.
TTebersicht über den Weltgetreidemarkt.
Vom 1. Februar bis 1. Juni 1917.
Von Otto Jöhlinger, Wilmersdorf.
Der Weltgetreidemarkt, der infolge der schlechten Ernte des Jahres
1916/17 ein starkes Mißverhältnis zwischen Verbrauch und Erzeugung
aufweist, hat durch die am 1. Februar 1917 erfolgte Erklärung des
verschärften Seekrieges mit einem Schlage ein völlig verändertea
Aussehen erhalten. Die Deckung des Bedarfes der europäischen Einfuhr-
länder, die ohnehin außerordentlich erschwert war, wird durch die Unter-
brechung und teilweise Verhinderung der Schiffahrt nunmehr ernstlich
gefährdet. Das Verkehrsproblem gewinnt jetzt eine Bedeutung wie nie
zuvor, und für die auf die Einfuhr angewiesenen Länder, wie England
und Frankreich, ist es jetzt mindestens ebenso wichtig, daß das Getreide
befördert werden kann, wie daß es überhaupt erzeugt wird.
Der Getreidemarkt der Welt zeigt also jetzt, verglichen mit den
Vormonaten, ein völlig verändertes Aussehen, namentlich da sich die
Versenkungsziffern ständig erhöhen, und insbesondere zahlreiche Getreide-
ladungen den Torpedierungen und Minen zum Opfer gefallen sind. Da
nun England sowohl als Frankreich in großem Umfange von der Einfuhr
von Getreide abhängen und jede versenkte Tonne Getreide die ohnehin
zur Verfügung stehende Menge weiter verkürzt, so hätte unter normalen
Umständen die Entwicklung der Verhältnisse sowohl auf dem Welt-
Frachtenmarkt als auch auf dem Welt - Getreidemarkt eine Steigerung
der Preise von Weizen, Eoggen, Hafer und dergleichen in England und
Frankreich hervorrufen müssen. Das war aber nur vorübergehend und
an wenigen Stellen der Fall. Eine ernsthafte Preissteigerung wurde
aber verhindert dadurch, daß nicht nur Frankreich, sondern auch Eng-
land Höchstpreise für Getreide einführten.
Wie in sehr vielen Fällen, so hat auch England bei der Fest-
setzung von Höchstpreisen für Getreide einfach das nachgeahmt, was
man in Deutschland kurz nach Kriegsbeginn vorgenommen hat. Denn
Deutschland war das erste Land, das in diesem Weltkrieg der Preis-
bewegung für Getreide gesetzliche Schranken auferlegte. Aus der Er-
fahrung hat aber Deutschland gelernt, und es hat sich gezeigt, daß
Höchstpreise für ein Produkt, dessen Erzeugung geringer ist als der
Bedarf, ein sehr rohes Mittel sind, daß sie einerseits die Produktion
einschränken und anderseits zu Umgehungen anreizen. Ohne schärfere
32 Miszellen.
Maßregeln, wie Beschlagnahme, Enteignung, Zentralisierung und der-
gleichen, läßt sich nichts erreichen, und hieraus hat Deutschland schon
am 26. Januar 1915 die Schlußfolgerung gezogen, indem es zur Ver-
staatlichung der Getreideversorgung überging.
Aus den Maßregeln Deutschlands hat aber die englische Regierung
nicht die notwendigen Lehren gezogen resp. ziehen wollen. Sie hätte
sich sagen müssen, daß man lediglich mit Höchstpreisen das gewünschte
Ziel nicht erreichen kann, daß man vielmehr schärfer zugreifen muß.
Dem manchesterlichen Sinn der jetzigen Machthaber in England wider-
strebten aber die staatssozialistischen Eingriffe Deutschlands ; sie glaubten,
sich zunächst mit den sogenannten kleinen Mitteln begnügen zu können.
Daß dies nicht möglich war, war für jeden nur einigermaßen mit den
Verhältnissen Vertrauten klar; denn es ist ein Unterschied, ob ein Land
wie Deutschland, das seinen Bedarf zu mehr als ^^ aus der eigenen
Erzeugung deckt, für einheimische Produkte Höchstpreise vorschreibt,
oder ob England, das zu Ys ^^^ ^^^ Einfuhr von Weizen angewiesen ist
und dem Auslande die Preise bezahlen muß, die verlangt werden, hierfür
Maximalsätze vorschreibt. Deutschland hätte es im Notfalle vielleicht
erzwingen können, daß das einheimische Getreide nicht höher verkauft
wurde, als zu den gesetzlichen Höchstpreisen. England kann aber seine
Getreidelieferanten nicht zwingen, ihm zu den von ihm bestimmten
Sätzen zu verkaufen, namentlich dann nicht, wenn diese Sätze erheblich
unter dem Weltmarktpreis stehen, und das war in der Tat der Fall.
Die englischen Höchstpreise für Getreide waren nicht nur erheblich
niedriger als die Preise, die kurz vorher bezahlt wurden, sondern sie
blieben auch während der Steigerung der amerikanischen Weizenpreise
um rund Ys hinter dem Weltmarktpreis zurück.
Während der Zeit, in der die Preise in Amerika so ungeheuer ge-
stiegen waren, hätte sich unter Berücksichtigung der Fracht und der
Versicherungsgebühren der englische Weizenpreis auf weit über 600 M.
stellen müssen. Der englische Höchstpreis für ausländisches Getreide
war aber nur rund 400 M. Wie angesichts dieses gewaltigen Preis-
unterschiedes eine Versorgung Englands mit ausländischem Getreide
noch möglich war, das muß später festgestellt werden. Die englische
Regierung hat bis jetzt nichts hierüber bekanntgegeben; aber man kann
mit Sicherheit annehmen, daß der Bezug von ausländischem Getreide
nach England nur dadurch ermöglicht wurde, daß die engliche Regierung
gewisse Zuschüsse zu der Einfuhr von Getreide leistete, sei es in Form
von Frachtnachlässen oder sonstigen Vergütungen. Wenn also in Eng-
land ausländisches Getreide mit 400 M. abgegeben wurde, so war das
anscheinend dadurch ermöglicht worden, daß die Regierung aus der
Staatskasse hierzu rund 200 M. für die Tonne beisteuerte. Hierdurch
würde freilich, selbst wenn man annimmt, daß die Einfuhr von Getreide
seit dem 1. Februar nach England abgenommen hat, eine sehr starke
Belastung der englischen Staatskasse bewirkt werden.
Während bisher England stets alle Einzelheiten der Versorgung,
der Zufuhren, der Vorräte und dergleichen bekanntgab, hat die britische
Regierung kurz nach Beginn des verschärften U-Boot-Krieges jede zahlen-
Miszellen. 33
mäßige Veröffentlichung am Getreidemarkt unterdrückt. Seit jener Zeit
fehlen nicht nur die Einfuhrzahlen für Getreide, die selbst in der amt-
lichen britischen Außenhandelsstatistik nicht veröffentlicht werden; es
fehlen auch die Angaben über die Höhe der Vorräte und schließlich
sogar die Ziffern der Verschiffungen aus den überseeischen Ländern.
England sucht, um jede Beunruhigung zu verhindern, sogar die Zahlen
des Exportes von Getreide aus Nordamerika, Argentinien und anderen
überseeischen Ländern zu unterdrücken, und nur auf Umwegen sind
derartige Ziffern nach hier gelangt, die freilich beweisen, wie recht
England mit seiner Maßregel getan hatte. Denn in der Tat haben die
Verschiffungszahlen von üebersee seit Beginn des verschärften U-Boot-
Krieges außerordentlich stark abgenonmien. Schon hieraus kann man
auf eine sehr starke Abnahme der englischen Versorgung schließen.
In der britischen Außenhandelsstatistik, die sonst meist sehr ausführlich
gehalten ist, fehlen, wie schon erwähnt, die zahlenmäßigen Angaben
über die Menge der Getreideeinfuhr vollständig. Man beschränkt sich
lediglich darauf, die Wertziffern anzugeben, wobei aber zu berück-
sichtigen ist, daß die Preise von Getreide jetzt ganz erheblich höher
stehen als im Vorjahre, so daß es unmöglich gemacht wird, ein rich-
tiges Bild von der englischen Versorgung zu gewinnen.
Wieviel England seit Beginn des verschärften U-Boot-Krieges an
Getreide eingeführt hat, ist nicht bekannt geworden. Es läßt sich auch
schätzungsweise nur schwer ermitteln, da die Verschiffungszahlen wich-
tiger Erzeugungsländer fehlen. In der Hauptsache kommt ja freilich
für die englische Einfuhr die nordamerikanische Union als
Lieferant in Betracht. Diese hat nun seit dem 1. Februar dieses Jahres
ganz erheblich weniger Getreide verladen als im Vorjahre, und so ist
denn die Annahme berechtigt, daß die britischen Importe in der Zeit
vom 1. Februar bis 1. Juni wahrscheinlich nur halb so groß gewesen
sind als in der gleichen Vorjahrszeit, vielleicht sogar noch kleiner. Da
nun aus der alten Ernte nicht mehr viel Getreide übrig gewesen ist und
die Vorräte von ausländischem Getreide in den Hafenplätzen, Mühlen
und dergleichen nur gering waren, so mehren sich die Ernährungs-
schwierigkeiten in England von Woche zu Woche. Es ist bemerkens-
wert, wie pessimistisch führende englische Zeitungen im Mai die
Lage beurteilt haben, wie das Wort „Hungersnot" regelmäßig in den
Zeitungsberichten wiederkehrt, wie immer von neuem von dem „Rande
des Abgrundes" gesprochen wird, an den England durch die U-Boot-
Gefahr gebracht worden ist. Nichts hätte näher gelegen, als die
Schwierigkeiten durch die Einführung des Brotkartensystems und der
sonstigen deutschen Maßregeln zu beschränken. Aber hiervon wollte
man in England zunächst nichts wissen, man glaubte es mit der
freiwilligen Rationierung erreichen zu können, wobei die Menge Brot
pro Kopf und Woche auf 1800 g bemessen wurde. Aber schon kurze
Zeit danach mußte von amtlicher Seite in England festgestellt werden,
daß der Verbrauch an Brotgetreide um 50 Proz. größer war als die
Vorräte erlaubten, und trotzdem die britische Regierung sich noch so
sehr sträubt, wird sie auf die Dauer an einschneidenden Maßnahmen
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 3
34 Miszellen.
nicht vorbeikommen, wird sie einsehen müssen, daß mit freiwilliger
Rationierung nichts zu erreichen ist.
Angesichts der Abnahme der Zufuhren und der hiermit zusammen-
hängenden drohenden Gefahr hat der englische Ministerpräsident, Lloyd
George, der ja in der Frage der Munitionserzeugung sicherlich eine
recht geschickte Hand gezeigt hat, ein großes Reformprogramm ent-
worfen, das darauf hinausläuft, die Selbstversorgung Englands zu ver-
bessern. Lloyd George will, daß England so viel Weizen wie nur mög-
lich im Lande selbst gewinnt, um sich dadurch von der Einfuhr etwas
mehr zu befreien.
Gelegentlich der Verleihung des Ehrenbürgerrechtes in der Londoner
City hielt Lloyd George eine Rede, in der er unter anderem erwähnte,
daß im laufenden Jahre in England 1 Mill. Acres neues Land zur
Bestellung gelangt seien, was 2 Mill. t weitere Nahrungsmittel bedeute.
Um sich ein Bild davon zu machen, was die Ziffer von 1 Mill. Acrea
bedeutet, seien nachstehend die Anbaufächen Englands in Weizen in
den letzten Jahren gegenübergestellt:
Weizenanbau Weizenemte
Acres Quarters
1916 2 053 000 7 569 000
1915 2 335 000 9 266 000
1914 I 905 000 7 815 000
1913 I 810 000 7100000
1912 1970000 7100000
Im Durchschnitt der letzten 10 Jahre stellte sich in England die
Weizenanbaufläche auf 1 907 000 Acres mit einem Ertrage von 7 587 000
Quarters. Gegenüber früheren Zeiten bedeutet das eine gewaltige Ab-
nahme sowohl des Areals als auch der Ernte. Denn z. B. im Jahre
1868 wies England bei einer Anbaufläche von 3 937 000 Acres eine
Weizenproduktion von 17 Mill. Quarters auf. Geht man davon aus,
es seien jetzt wirklich 1 Mill. Acres neu mit Weizen bestellt — was
ja praktisch gar nicht möglich ist — so würde England dadurch einen
Mehrertrag von höchstens 3 763 000 Quarters erzielen. Aber angesichts
der durch den Krieg geschaffenen schwierigen Verhältnisse ist an eine
so hohe Produktionsziffer überhaupt nicht zu denken. Nimmt man einen
Ertrag von, hoch gerechnet, 3 Mill. Acres an, so würde sich die Weizen-
ernte Englands — falls die 1 Mill. Acres überhaupt ganz mit Weizen
bestellt werden — auf rund 10 Mill. Quarters stellen. Was das heißt,
geht am besten daraus hervor, daß im Erntejahr 1915/16 nach Eng-
land aus dem Auslande 27 Mill. Quarters Weizen und in 1914/15
26,3 Mill. Quarters eingeführt worden sind.
Es stellte sich nämlich die Weizenversorgung in England:
Anbau
Ernte
Einfuhr
in Mill. Acres
in Mill. Quarters
in Mill. Quarters
1916
2,060
7,500
27,000
1915
2,362
9,200
26,300
1914
1,940
7,800
28,800
1913
1,810
7,100
29,670
1912
1,970
5,100
29,670
1911
1,961
8,000
26,200
Miszellen. 35
In der Zeit vom 1. August 1916 bis 1. Januar 1917 importierte Eng-
land an Weizen 9,8 Mill. Quarters. Das Defizit in der Zeit vom
1. Januar bis 20. Juli 1917 beträgt alsdann mindestens noch 16 — 17 Mill.
Quarters. Rechnet man die Mehrproduktion von 3 Mill. Quarters ab,
so fehlen immer noch 13 — 14 Mill. Quarters. Wie soll angesichts dieser
Fehlmenge ein Mehranbau von 1 Mill. Acres dem Britenvolke aus der
Verlegenheit helfen?
Zu dem Reformprogramm des Herrn Lloyd George gehört unter
anderem die Garantie von Mindestpreisen für einheimisches
Getreide. Um die Landwirte anzuspornen, möglichst viel Getreide
in England zu erzeugen und namentlich in den nächsten Jahren den
Anbau zu vermehren, hat Lloyd George sogenannte „Mindestpreise**
garantiert. Diese Mindestpreise betragen:
!ür das Jahr 1917
6o sh für den Quarter
„ die Jahre 1918/19
55 »» »» " "
„ „ „ 1920—1922
45 »» »» " »»
Diese Preise sind unter allen Umständen festgelegt. Selbst wenn die
Notierungen auf dem Weltmarkt erheblich sinken sollten, erhalten die
englischen Farmer von der englischen Regierung den festgesetzten Preis
ausgezahlt. Diese „ Mindestpreise*' sind zwar erheblich niedriger als
die in der ersten Hälfte des Jahres 1917 bezahlten; verglichen mit
den normalen Sätzen früherer Jahre stellen sie sich allerdings sehr
hoch. Es betrug nämlich der Jahresdurchschnitt für den Quarter:
sh
d
sh
d
1916
58
3
1911
31
9
1915
53
1910
31
8
1914
35
I
1909
36
II
1913
31
8
1908
32
2
1912
34
9
1907
30
7
Demnach stehen selbst die Preise des Jahres 1922 noch um rund
50 Proz. über dem Durchschnitt der bisherigen Friedenssätze. Herr
Lloyd George erhofft von diesen garantierten Preisen einen starken
Anreiz für die heimische Weizenerzeugung.
Die Preise, die in England jetzt angelegt werden, sind die höchsten,
die seit langer Zeit zur Notiz gelangten. Der Monatsdurchschnitt der
englischen Getreidepreise hat sich seit Kriegsausbruch, wie folgt, ent-
wickelt :
1914
1915
1916
1917
sh d
sh
d
sh
d
sh d
Januar
_ _
49
9
56
5
75 10
Februar
— —
55
0
57
8
76 3
März
— —
54
8
57
IG
79 2
AprU
— —
55
3
54
G
83 IG
Mai
— —
60
IG
55
2
77 II
Juni
— —
57
6
49
5
Juli
— —
52
3
48
9
— —
August
36 10
54
2
57
2
— —
September
37 6
43
7
59
4
— —
Oktober
37 I
46
4
60
7
— —
November
40 4
52
II
69
5
— —
Dezember
42 II
53
7
73
5
— —
8*
36 Miszellen.
Der unterschied gegenüber früheren Jahren ist danach ganz er-
heblich. Er würde zweifellos noch viel größer sein, wenn nicht die
englische Regierung durch Höchstpreise der Entwicklung der Verhält-
nisse einen künstlichen Damm entgegengesetzt hätte.
Schon zu Beginn des Jahres hat England einige der deutschen
Maßregeln nachgeahmt, so insbesondere die Vorschrift des schärferen
Ausmahlens von Weizen in Höhe von 76 Proz., sowie die Bestimmung,
daß Mehl aus Weizen gemischt werden muß mit Gerste, Mais, Hafer
oder Reis. Man glaubte hierdurch eine große Ersparnis vorzunehmen.
In Wirklichkeit handelt es sich, wie bei derartigen Streckungen stets,
nur um eine Verschiebung, d. h. das Quantum, das bei Weizen ge-
wonnen wird, muß an Gerste, Mais, Reis und dergleichen mehr zur
Einfuhr gelangen.
Der englische Höchstpreis für ausländisches Getreide, der am
30. Januar 1917 festgesetzt wurde, betrug für:
Northern Manitoba Nr. 1 82 sh Nr. 2 80 sh 6 Nr. 3 78 sh,
Für die übrigen Qualitäten wurden entsprechende Abstufungen vorge-
nommen. Am 30. März 1917 mußten sämtliche Preise um 1 sh erhöht
werden. Die Grundlage Northern I stellt sich auf 83 sh.
Eine sehr zweischneidige Maßnahme ergriff die englische Re-
gierung 2 Monate nach Beginn des verschärften Ü-Boot-Krieges, indem
sie angesichts der Steigerung der Preise am Inlandsmarkt Höchst-
sätze für englisches Getreide einführte. Der Preis für englisches
Getreide entwickelte sich nämlich, wie folgt:
sh d
sh
d
25.
November
70
8
2.
Dezember
71
3
23.
>»
74
8
30.
„
75
IG
10.
Februar
76
—
3. März
n
4
17. „
78
IG
31. ..
81
5
14. April
85
2
Dabei sei bemerkt, daß es sich hierbei um den Londoner Durchschnitts-
preis handelt, an den englischen Provinzmärkten wurden Sätze bis zu
92 sh angelegt. Infolgedessen entschloß sich der englische Nahrungs-
mittelkontrolleur am 17. April Höchstpreise für inländisches Getreide
vorzuschreiben und zwar für Weizen 78 sh für den Quarter, für Gerste
65 sh, für Hafer 55 sh. Sämtliche Preise standen beträchtlich unter
den Sätzen, die vorher angelegt wurden. Wie zu erwarten war, hatte
die Festsetzung der Höchstpreise zur Folge, daß die Ablieferungen der
englischen Landwirte kleiner wurden und daß es vielfach nur unter
Schwierigkeiten gelang, den Bedarf zu decken.
Gleichzeitig mit der Festlegung der Höchstpreise für inländisches
Getreide wurden die englischen Gerstenvorräte beschlagnahmt.
Die Welternte des Jahres 1916 blieb erheblich hinter dem Vor-
jahre zurück. Nach englischen Schätzungen, die freilich in diesem Jahr
keinen Anspruch auf Zuverlässigkeit machen können, wurden im Jahre
1916 geerntet:
Miszellen. 37
in Millionen Quarters
1916 1915 1914 1913 1912 1911
Weizen 441,56 551,59 460,16 500,02 484,55 444,56
Gerste 162,82 171,90 165,23 193, 09 181, 09 170,26
Mais 395>69 484,32 446,78 415,92 509,68 403,50
Hafer 429,08 503.ß7 453,78 504,41 510,41 416,46
Roggen 195,80 206,17 194,19 223,52 229,45 192,06
Zusammen 1624,95 1917,66 1720,14 1836,96 1915,18 1626,84
Freilich sind aus dem Vorjahre noch reichliche Bestände übrigge-
blieben, die das Defizit zu vermindern imstande wären. Andererseits
ist zu berücksichtigen, daß diesmal in der Statistik zahlreiche Mengen
enthalten sind, die für den Verbrauch auf dem Weltmarkt überhaupt
nicht oder nur zum Teil in Betracht kommen. In erster Eeihe gilt
das von russischen Beständen, die ja jetzt während des Krieges
nicht ausgeführt werden können. Ferner von den Vorräten in
Australien, wovon infolge des Mangels an Schiffsraum nur ein Teil
für die Entente verwandt werden kann. Ein anderer Teil bleibt bis
zum nächsten Jahre übrig, so daß also diesmal die Statistik einen ganz
anderen Maßstab verdient als bisher.
Die Teuerung auf dem Weltgetreidemarkt hängt zu einem sehr er-
heblichen Teil mit den hohen Frachten und den infolge des ver-
stärkten Risikos verteuerten Versicherungsraten zusammen. Tat-
sächlich haben denn auch jetzt a»if dem Weltmarkt die Frachtsätze eine
Höhe erreicht, wie sie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr zu
bemerken gewesen sind. Im Jahre 1916 stellte sich der höchste Satz
für Sendungen von Nordamerika nach England auf 20 sh gegen 2,7 sh
in 1913, von San Lorenzo nach England auf 184 sh gegen 18,6 sh in
Friedenszeiten. Von Indien stellten sich die Sätze auf 150 — 280 sh
gegenüber 18 — 25 sh in normalen Zeiten. Im Jahre 1917 sind die
Preise weiter gestiegen. Zwar hat die englische Regierung dort, wo
sie imstande dazu war, Höchstpreise fürFrachten vorgeschrieben.
Aber wie zu erwarten war, hat sie damit das Gegenteil von dem be-
wirkt, was sie erreichen wollte. Das Angebot von Frachtraum wurde
immer kleiner, und infolgedessen mußte die englische Regierung im
ersten Halbjahr 1917 die amtlichen Frachtsätze zweimal erhöhen.
Aber selbst zu diesen erhöhten Frachtraten war nicht genügend Schiffs-
raum zu haben. Auch heute noch spielt das Frachtenproblem eine aus-
schlaggebende Rolle auf dem Weltgetreidemarkt.
Wie gespannt die Verhältnisse auf dem Weltmarkt sind, erhellt am
besten die Tatsache, daß zwischen den Vereinigten Staaten und
Kanada die Zollmauer für Getreide aufgehoben worden ist. Es handelt
sich hierbei um einen alten Plan, der schon vor einigen Jahren die
Parlamente der beiden Länder beschäftigte. Schon seit langem er-
streben gewisse Kreise in Kanada die zollfreie Ausfuhr von Weizen nach
den Vereinigten Staaten. Angesichts der politischen Bedenken, die
dieser Beseitigung entgegenstanden, fiel aber damals der Plan ins
Wasser. Jetzt durch den Krieg bewirkt der Mangel an Frachtraum,
daß viel kanadisches Getreide über die Vereinigten Staaten zur Ausfuhr
38 Miszellen.
gelangt. Um diese zu erleichtern, hat man sich mit der Abschaffung
* der Zollgrenze einverstanden erklärt. Es handelt sich hierbei um ein
Vorkommnis von außerordentlicher Tragweite, und erst im Laufe der
Zeit wird man ermessen können, welche Folgen sich an dieses Zu-
geständnis knüpfen.
Eine außerordentlich interessante Entwicklung zeigte die Preis-
gestaltung in den Vereinigten Staaten von Amerika. Schon
in den ersten beiden Kriegsjahren war der Preisstand für Weizen an
der Börse von New York ungewöhnlichen Schwankungen unterworfen.
Bald stiegen die Preise zu ungeahnter Höhe, bald waren beträchtliche
Rückschläge zu bemerken. Im Durchschnitt der letzten Friedensjahre
schwankte in Chicago der Preis für Weizen zwischen 80 und 90 Cts.
für den Bushel. In Kreisen der Farmer war ein Preis von 100 Cts.
für den Bushel als das Erstrebenswerte bezeichnet worden, d. h. als
der Preis, bei dem die nordamerikanischen Farmer ein gutes Auskommen
haben würden. Dieser Satz ist aber in Friedenszeiten nur sehr selten
und meist nur auf kurze Zeit erreicht worden. Jetzt während des
Krieges haben sich die Verhältnisse so gestaltet, daß nur einmal,
nämlich im Jahre 1915, ganz vorübergehend der Preis unter 100 Cts.
sank, im übrigen aber stets höher war. Schon kurz nach Kriegsaus-
bruch schnellten die amerikanischen Weizenpreise auf über 160 Cts.
empor. In der ersten Hälfte des Jahres 1915 war ein Satz von an-
nähernd 170 Cts. erreicht. Alsdann trat unter dem Einfluß großer
Ernten ein Rückschlag auf annähernd 95 Cts. ein. Ende des Jahres
1915 war aber wieder ein Preis von 95 Cts. erreicht. Der hohe Stand
der Preise des Jahres 1915 wurde beträchtlich überholt durch die Ent-
wicklung der Preise im Jahre 1916. Im ersten Viertel wurde ein Kurs
von 130 Cts. überschritten. Nach vorübergehenden Schwankungen stellte
sich im letzten Viertel der Preis auf 190 Cts. Wiederum trat ein neuer
Rückschlag ein; aber bis zum Beginn des deutschen U-Boot-Krieges
stieg die Notierung wieder auf 190 Cts. Die Ankündigung der deutschen
Seekriegsfiihrung stürzte den amerikanischen Preis auf 160 Cts. Das
war aber nur vorübergehend; denn bald bewirkte die stürmische Nach-
frage seitens Englands und Frankreichs, daß die Preise immer weiter
stiegen. Im April war bereits ein Satz von über 240 Cts. erreicht.
Von da ab beginnt ein nur von kurzen Schwankungen unterbrochenes
weiteres Emporschnellen. Ende April beträgt der Preis 271 Cts., und
am 11. Mai wird mit 318 Cts. der höchste amerikanische Preis —
wenn man vom Jahre 1898 absieht — seit dem Bürgerkriege erreicht.
Fragt man nach den Ursachen dieser sensationellen Preisgestaltung
mit ihren Hungersnotsätzen, so ergibt sich, daß in der Hauptsache die
geringe Versorgung der Union maßgebend war. Die letzte amerikani-
sche Weizenernte war zwar an sich nicht so schlecht, daß sie Hungers-
notpreise gerechtfertigt hätte ; aber die Ansprüche der Ausfuhr und des
heimischen Bedarfes waren so groß, daß eine beängstigende Abnahme
der Vorräte eintrat. Die Vereinigten Staaten hatten wesentlich mehr
zur Ausfuhr gebracht, als statistisch zulässig war.
Miszellen. 39
Die Situation spitzte sich nun zu, als für die neue Ernte die Aus-
sichten immer schlechter wurden und namentlich die Winterschäden
«inen kaum dagewesenen Umfang annahmen. Fast ein Drittel der An-
baufläche mußte umgepflügt werden, die infolge des scharfen Winters
vernichtet war. Das war in der Tat ein schwerer Schlag für die
amerikanische Getreideerzeugung, und im ersten Saatenstandsbericht
des Jahres 1917 wurde der Durchschnittssaatenstand des Winter-
weizens auf nur 63,4 Proz. gegenüber 78,3 Proz. resp. 88,8 und 95,6 Proz.
in der gleichen Zeit der beiden Vorjahre beziffert. Die Anbaufläche
hatte eine ganz beträchtliche Abnahme erfahren und dabei zugleich
denn auch die Schätzung des Ertrages. Die amerikanischen Ernten
stellten sich in den letzten Jahren, wie folgt:
Winterweizen
Sommerweizen
Zusammen
1916
482
158
640
1915
6S5
356
lOII
1914
684
206
890
1913
523
239
762
Lange Zeit hat die amerikanische Regierung den Preistreibereien
an der Börse ruhig zugesehen. Ja, es verlautete sogar, daß sie selbst
als Käufer auf dem Terminmarkt aufgetreten sei, um sich den not-
wendigen Getreidebedarf für die Kriegführung zu sichern. Gerade das
Erscheinen der Regierung als Käuferin am Getreidemarkt gab den
Spekulanten eine gewisse Garantie dafür, daß keine einschneidenden
Maßnahmen wie: Verbot des Terminhandels und dergleichen geplant
würden. Dabei sei bemerkt, daß den englischen Händlern schon
seit dem Jahre 1916 jede Beteiligung am amerikanischen Getreide-
Termingeschäft verboten war, und daß durch den britischen Zensor
die Innehaltung dieses Verbots streng überwacht wurde. Den Engländern
war es also nicht möglich, von der Preissteigerung zu profitieren.
Anderenfalls würden wahrscheinlich beträchtliche Spekulationsgewinne
aus den Vereinigten Staaten nach England gewandert sein. So aber
blieb die Haussespekulation in der Hauptsache auf die Amerikaner be-
schränkt, sowie auf die wenigen anderen Interessenten in Frankreich,
Italien, Schweiz und dergleichen.
Die amerikanische Regierung hatte ursprünglich tatsächlich die
Absicht gehabt, nicht einzuschreiten, der Spekulation vielmehr freien
Lauf zu lassen. Aber die Verhältnisse waren stärker als der Wille der
Regierung. Man mußte einschreiten, wollte man die Verhältnisse sich
nicht gefährlich zuspitzen lassen, und in der Tat bedeutet ein Weizen-
preis von 318 Cts. eine Gefahr für die Vereinigten Staaten. Infolge-
dessen beschloß die Börsenleitung in den Vereinigten Staaten am 11. Mai,
weitere Notierungen für Mai-Lieferung einzustellen und sich nur auf
die Juli- Lieferung zu beschränken. Am 11. Mai wurde Weizen für
Juli-Lieferung mit 250 Cts., am 12. Mai mit 275 Cts. bezahlt, und seit
jener Zeit sehen wir unter Schwankungen ein ständiges Hinabgleiten,
bis am 29. Mai ein Preis von 203 Cts. erreicht ist. Am 31. Mai
senkte sich der Preis auf 194 Cts., und am 1. Juni betrug er wieder
40
Miszellen.
198 Cts. Man kann also sagen, daß die Aktion der amerikanischen
Börsenleitung insofern von Erfolg begleitet war, als vorübergehend eine
Senkung des Preises eingetreten ist. Freilich wurde diese zum Teil
noch dadurch gefördert, daß sich die Ernteaussichten in den Ver-
einigten Staaten etwas gebessert hatten, namentlich schien es, als ob
für das Sommergetreide eine größere Anbaufläche in Aussicht stand,
wodurch die Kalamitäten in der Versorgung der Vereinigten Staaten
gemildert werden konnten.
Seit Beginn des Erntejahres (1. Juli) hat die Nordamerikanische
Union bis zum 1. April 146 Mill. Bushel Weizen und Mehl gegen 187
resp. 270 Mill. in der gleichen Zeit der beiden Vorjahre zur Ausfuhr
gebracht. Interessant ist nun, wie sich in den einzelnen Monaten der
Export gestaltet:
1916/17
1915/16
1914/15
Bush.
Bush.
Bush.
Juli
10421 000
II 648919
30 173 618
August
15 215 000
20 438 628
27617655
September
17 984000
26 300 789
31435600
Oktober
15723000
23673225
25664458
November
18 915 000
19 143 366
25 896 525
Dezember
18 612 000
20 250 073
37 117 984
Januar
24 004 000
20 742 000
32 027 250
Februar
13 561 000
20 992 000
31428039
März
12 416000
23 964 000
28 184 560
Total 9 Monate 146 851 000 187 112 705 269545689
Aus diesen Ziffern ersieht man deutlich die Wirkung des ver-
schärften Seekrieges, denn seither sind die Exportziffern nur noch halb
so groß wie im Januar 1917.
Große Hoffnungen hatte man seit Beginn des Erntejahres auf die
südamerikanische Republik Argentinien gesetzt. Denn Argentinien
ist ein Land, das in normalen Zeiten erhebliche Mengen von Weizen
zur Ausfuhr bringt und namentlich zu einer Zeit Weizen dem Welt-
markt zuführt, in der die anderen Produktionsländer nichts mehr ab-
zugeben haben. Argentiniens Ernte findet im Dezember statt. Der
Hauptverschiffungszeitpunkt ist Februar/März, so daß die Ware in
der Hauptsache April/Mai in Europa eintrifft. Die Entwicklung der
Verhältnisse hat es mit sich gebracht, daß die Erntezahlen und damit
auch die Ausfuhrziffern des Landes immer mehr zurückgingen. Im Juli
1916 glaubte man aus Argentinien einen Ausfuhrüberschuß von 11 Mill.
Quarters erwarten zu dürfen. Ln November 1916 wurde die Ziffer
bereits auf 9 Mill. Quarters reduziert, und im Januar 1917 betrug sie
nur noch 7 Mill. Quarters. Aber auch diese Ziffer erwies sich als
viel zu hoch. Argentiniens Ernte stellte einen völligen Mißertrag dar,
so daß an eine Ausfuhr kaum gedacht werden konnte. Im Dezember
1916 wurde der Ertrag an Weizen auf 9,6 Mill. Quarters Weizen be-
ziffert gegen 21,5 Mill. Quarters im Vorjahre. Die revidierte Schätzung
vom März wies nur eine Zahl von 8,7 Mill. Quarters auf. In Wirk-
lichkeit dürfte der Ertrag noch wesentlich geringer ausgefallen sein;
Miszellen. 41
denn Argentinien mußte sich zu einem Verbot der Ausfuhr von Weizen
entschließen, mit Ausnahme eines Quantums von ganzen 100 000 t,
während in normalen Zeiten Argentinien eine Menge von 5 Mill. t ex-
portiert. Dabei ist interessant, daß England infolge seines Mangels an
Weizen von Argentinien ein Quantum von 200000 t erwarb, angeblich
mit der Verpflichtung, diese Menge an Argentinien noch im Laufe des
Jahres zurückzuliefern. Aber nicht nur bei Weizen, sondern auch bei
den übrigen Erzeugnissen blieben die Erträge ganz erheblich hinter dem
Vorjahre zurück. Die Haferernte wird auf 3,3 Mill. Quarters gegen
7,9 Mill. Quarters im Vorjahre geschätzt. Ein geradezu trostloses Bild
zeigt die Ernte in argentinischem Mais. Eine Schätzung, die im An-
fang März veröffentlicht wurde, gibt für die Maisernte folgendes Bild
im Vergleich mit den Vorjahren:
1917 1916 1915 1914
6,8 i8,8 39,4 30,5 Mill. Quarters
An eine auch nur einigermaßen nennenswerte Ausfuhr von Mais aus
den La Plata-Staaten ist unter diesen Umständen nicht zu denken.
üeber die Getreideproduktion in Rußland besteht keine völlige
Klarheit. Denn schon in Friedenszeiten war die Statistik in Rußland
stets mit besonderer Vorsicht aufzunehmen. Ganz besonders gilt das
aber jetzt während des Krieges, wo dieses Land tatsächlich immer
größere Erntestatistiken veröffentlicht, um im Auslande damit günstigen
Eindruck zu erwecken. Die Entwicklung der Verhältnisse hat aber ge-
zeigt, daß während des Krieges alle Schätzungen ganz erheblich über-
trieben waren, daß in Wirklichkeit viel weniger geerntet wurde, als auf
dem Papier stand. Die Schwierigkeiten, die sich hieraus ergaben, sind
denn auch im letzten halben Jahr deutlich in die Erscheinung getreten;
denn die russische Revolution hat ja ihren Ursprung zu einem
großen Teil in den Ernährungsschwierigkeiten im Innern des Landes.
An anderer Stelle wird gezeigt werden, daß der Mangel an Lebens-
mitteln nicht lediglich die Folge des Verkehrsproblems ist, sondern zu
einem großen Teil eine Folge der ständig zurückgehenden Erträge und
des infolge des Krieges verringerten Anbaues. Diese Verhältnisse scheinen
sich nun im dritten Kriegsjahre besonders zugespitzt zu haben.
Infolge der Revolution haben viele Bauern keinen Frühjahrsanbau
vorgenommen, so daß für das neue Erntejahr die Getreideproduktion
weiter erheblich zurückgehen wird. Rußland ist, was seine Ernährungs-
verhältnisse anbelangt, noch nicht am Ende seiner Schwierigkeiten an-
gekommen.
In Rußland hat man den privaten Getreidehandel so gut wie aus-
geschaltet. Die Beschaffung des Getreides für Heer und Zivilbevölkerung
ist besonderen Stellen übertragen, die entweder zum Höchstpreis ein-
kaufen oder zu einem Satz, der 15 Proz. unter dem Höchstsatze liegt,
Getreide requirieren. Ebenso wie in anderen Ländern hat man auch
in Rußland Ausmahlungsvorschriften beschlossen.
Die Provisorische Regierung hat in Rußland eine Reihe von Ver-
ordnungen zur Regelung der Getreideversorgung erlassen.
42 Miszellen.
Darunter befindet sich eine Bestimmung betreffend die Uebergabe des
Getreides an den Staat, wonach die Abteilung der Kornspeicher der
Russischen Staatsbank und die Kornspeicher der Eisenbahn in ihren Ge-
treidegeschäften dem russischen Ackerbauministerium unterstellt werden.
In Durchführung der schon früher erlassenen Vorschriften über das Ge-
treidemonopol hat die Provisorische Regierung eine Reihe von Höchst-
preisen festgesetzt, die je nach Qualität und Erzeugungsort verschieden sind.
Der Entwurf des Ackerbauministeriums bezüglich des russischen
Getreidemonopols ist in der „Nowoje Wremja" vom 21. März/3. April
1917 abgedruckt worden. Es heißt da unter anderem :
„Das gesamte Brotgetreide und Futterkorn der Ernte 1916/17 ge-
langt vom Tage der Berechnung an zur Verfügung des Staates und
kann nur mit Einwilligung der staatlichen Verpflegungsorgane veräußert
werden. Von der Enteignung ist die Menge Getreide befreit, die für
die Aussaat, für die Ernährung des Erzeugers, seiner Familie und der
in seiner Wirtschaft beschäftigten Personen, die von ihr Brot zur Nahrung
erhalten, sowie das Getreide, das für den wirtschaftlichen Bedarf not-
wendig ist.
Jeder Besitzer von Getreide, einschließlich des Verbrauchers, ist
verpflichtet, auf die erste Aufforderung des örtlichen Verpflegungsorgans
anzugeben: a) die Menge und den Aufbewahrungsort der bei ihm vor-
handenen Getreidevorräte, b) die Zahl der Personen, die für Rechnung
seiner Wirtschaft zu ernähren sind, und c) die Menge des in seiner
Wirtschaft vorhandenen Viehs, sowie die Zahl der Dessätinen Land, die
zu seiner Wirtschaft gehören. Der Zeitpunkt für die Abgabe solcher
Erklärungen wird von den örtlichen Verpflegungskomitees festgesetzt.
Das gesamte Getreide, mit Ausnahme des oben benannten, ist an
den festgesetzten Tagen an das örtliche Verpflegungsorgan oder dessen
Bevollmächtigten zu den festgesetzten Preisen abzugeben. Im Falle
der Verheimlichung von Getreidevorräten werden diese zugunsten des
Staates zum halben Preise enteignet.
Der Preis wird festgesetzt frei Eisenbahnstation bzw. frei Landungs-
stelle und wird dem Eigentümer bei der Ablieferung des Getreides an
die Station oder Landungsstelle ausgezahlt.
Der Staat ist verpflichtet, das gesamte der Enteignung unterliegende
Getreide zu bezahlen. Die Bezahlung wird durch eine besondere An-
weisung geregelt.
Bis zur Uebergabe des Getreides ist sein Besitzer verpflichtet, es
auf eigene Gefahr aufzubewahren. Ausnahmen werden von den örtlichen
Verpflegungskomitees zugelassen.
Die Verpfändung des Getreides ist verboten. Personen und An-
stalten, die das Getreide in Pfand genommen haben, sowie Personen
und Anstalten, die es vor der Veröffentlichung dieser Verordnung aufbe-
wahren, wie Banken, Elevatoren, Kornspeicher, Handelsspeicher u. dgl., sind
verpflichtet, die örtlichen Verpflegungskomitees davon zu benachrichtigen.
Bei Personen, welche die freiwillige Ablieferung des Getreides ver-
weigern, wird eine Beschlagnahme nach den Bestimmungen über Be-
schlagnahme vorgenommen."
Miszellen. 43
Ganz eigenartig liegen die Verhältnisse in Frankreich. Dort
hat sich der Anbau von Jahr zu Jahr erheblich verringert, was zu
einem Teil mit dem riesigen Etappengebiet zusammenhängt, das ja für
die Produktion Frankreichs stets eine sehr große Rolle gespielt hat.
Aber auch in dem übrigen Frankreich ist die Anbaufläche kleiner als
in den ersten Kriegsjahren. Es ist das darauf zurückzuführen, daß es
in Frankreich an Arbeitskräften und Gespannmaterial, sowie an Dünge-
mitteln, fehlt. Aus demselben Grunde kann auch der Boden nicht mehr
so sorgfältigt behandelt und bearbeitet werden wie in normalen Zeiten.
So kommt es, daß nicht nur die Anbaufläche sich ständig verringert,
sondern auch der Ertrag zurückgeht, während gleichzeitig das Einfuhr-
bedürfnis ständig eine Erhöhung erfährt. Im Jahre 1917 sind mit
Weizen in Frankreich 4,27 Mill. ha gegen 5,034 Mill. ha im Vorjahre
angebaut worden. Der Anbau von Roggen stellt sich auf 0,82 Mill. ha
gegen 0,92 Mill. ha, der von Hafer auf 0,65 Mill. ha gegen 0,68 Mill.
Hektar im Vorjahre.
In Friedenszeiten führt Frankreich in der Regel für 1 — 200 Mill.
frcs. Getreide ein. Im Jahre 1916 stellte sich der Import an Getreide
auf nahezu 1 Milliarde frcs. Für das laufende Jahr dürfte angesichts
der geringen Herbstaussaat und des Schadens, den die Winterkälte an-
gerichtet hat, die Einfuhr sich erheblich erhöhen.
Um die Schwierigkeiten Frankreichs etwas zu mildern, ist man
dazu übergegangen, den Landwirten eine Anbauprämie von 30 frcs. für
die Tonne Weizen zu versprechen. Diese Anbauprämie soll später noch
erhöht werden, und zwar ist dabei ausdrücklich betont worden, daß
man nicht den Anbau, sondern die Erzeugung prämiieren wolle. Die
Prämie wird nur bei Ablieferung der mehr erzeugten Menge gewährt.
Zur Begründung der Anbauprämie führte seinerzeit das „Journal offi-
€iel" aus:
„Im Jahre 1915 betrug die Anbaufläche rund 5 Mill. Hektar,
die 60 Mill. Doppelzentner erbrachten. Bei rationeller Verwendung
von Düngemitteln kann der Ertrag um 3 Doppelzentner auf den Hektar
gesteigert werden, d. h. um 15 Mill. Doppelzentner für das gesamte
Gebiet. Der normale Bedarf Frankreichs beträgt für Ernährungs-
zwecke 84 Mill. Doppelzentner, für Saatkorn 10 Mill. Doppelzentner.
Bei einer Steigerung der Produktion um 15 Mill. Doppelzentner werden
600 Mill. frcs. in Gold, die man dem Auslande zahlen muß, gespart."
Nach diesen Ausführungen wurde alsdann berechnet, daß der französische
Staat bei einer Ernte von 75 Mill. Doppelzentner eine Aufwendung von
225 Mill. frcs. infolge der Anbauprämie zu leisten habe, daß diesem
Betrag aber eine Ersparnis von 375 Mill. frcs. durch Fortfall der An-
käufe im Auslande gegenüberstehe.
Aehnlich wie in England hat man auch in Frankreich einschneidende
Maßnahmen ergriffen, so z. B. teilweise Beschlagnahme von Getreide,
Festsetzung von Höchstpreisen, Vorschrift der Ausmahlung bis zu 85 Proz.
u. dgl. Daneben ist ein Einheitsbrot vorgeschrieben, das einen Zusatz
von 15 Proz. Roggen oder Mais enthalten muß.
44 Miszellen.
Der Höchstpreis wurde am 7. April 1917 aufgehoben, und es wurde
den einzelnen Präfekten überlassen, lokale Höchstpreise einzuführen.
Im Durchschnitt stellt sich der Weizenpreis in Frankreich auf 400 free,
pro Tonne.
Trotzdem Frankreich die Preisbewegung begrenzt hat, sind die
französischen Sätze die höchsten seit 70 Jahren. Denn nach einer
Mitteilung des „Journal officiel" vom 29. April stellte sich der Preis
in Frankreich, verglichen mit früheren Jahren, wie folgt:
Weizen ' Hafer Gerste Mais Eoggen Buchweizen
1840
l8,40
13,72
12,71
13,27
14,79
11,68
1852
23,28
13,12
13,19
12,84
15,36
11,22
1862
30,60
l6,71
l6,18
18,21
l8,96
14,69
1882
27,69
18,35
17,27
18,02
17,65
15,87
1890
24,98
19,21
17,88
17,82
17,21
16,01
1900
19.08
17,66
16,59
15,45
14,42
17,34
1905
22,86
18,8 2
17,52
l8,81
l6,16
17,37
1910
25,36
19.20
17,85
20,40
17,83
19,31
1911
25,90
20,5 6
19,56
28,78
19,32
20,79
1912
27,79
21,28
19,65
24,01
21,07
22,44
Febr. 1917
33-
28 — 29
31 —
45 —
31,—
40,50
In Deutschland werden während des Krieges weder amtliche
Saatenstandsberichte noch Erntestatistiken veröffentlicht. Daher hat
man kein klares Bild darüber, wie sich die Situation gestaltet. In-
folge einer nicht befriedigenden Statistik in bezug auf die Ablieferung
von Brotgetreide sah sich nach langen Verhandlungen die Keichsregierung
genötigt, mit Beginn vom 16. April 1917 ab, eine Kürzung der Brotrate um
25 Proz. vorzunehmen. Als Ausgleich wurde eine vermehrte Fleisch-
ration gewährt, die zu ermäßigtem Preise an die Bevölkerung abgegeben
wurde. Die Ermäßigung wurde durch Zuschüsse der Regierung er-
möglicht. Es handelt sich hierbei um eine vorübergehende Einrichtung,
und man hat Grund zu der Annahme, daß im neuen Erntejahre die
bisherige Brotration wieder gewährt werden kann.
üeber die Ernteaussichten im Deutschen Reiche läßt sich bis
jetzt nur wenig Gutes berichten. Vor allem kann man sagen, daß der
Winter den Feldern nicht ungünstig gewesen ist. Während in Amerika
infolge des scharfen Frostes ein sehr erheblicher Teil der Anbaufläche
als vernichtet angesehen werden mußte, dürfte das in Deutschland nicht
der Fall gewesen sein. Die Auswinterung hat sich bei uns, soweit
man es beurteilen kann, in normalen Grenzen gehalten; ernsthafte
Schäden sind nicht bekannt geworden. Dagegen hört man vielfach, daß
der Frost für die Felder nicht unvorteilhaft gewesen ist; denn er hat
zunächst das Ungeziefer im Boden vernichtet. Einen weiteren Vorteil
des Frostes konstatiert der bekannte Zuckersachverständige F. 0. Licht
in Magdeburg, in der Zerkleinerung, Durchlüftung und damit einer
Steigerung der Ertragsfähigkeit schwerer Bodenarten. Diese Fest-
stellung wird von landwirtschaftlicher Seite bestätigt, und es wird aus-
drücklich darauf hingewiesen, daß der Boden für die Frühjahrsaussaat
gut vorbereitet gewesen ist. Die Anbaufläche dürfte im allgemeinen
der des Vorjahres entsprechen. Bei Zuckerrüben hat sich der dringend
erwünschte Mehranbau nicht durchführen lassen.
Miszellen. 45
Eecht interessant ist die Tatsache, daß in Deutschland die Getreide-
preise am niedrigsten in der ganzen Welt sind. Der Deutsche Land-
wirtschaftsrat hat nämlich bei Beginn des verschärften U-Boot-Krieges
einmal gegenübergestellt, wie sich die Preise in den einzelnen Ländern
stellen. Dabei ergab sich folgendes:
New York:
Hardwinter Nr. 2, neuer
M.
296,65
Northern I Duluth
325,95
Chicago :
Lieferungsware Mai
270,80
Juli
227,60
„ September
210,40
Buenos Aires :
255,*6
London :
Manitoba Nr. 1
398,20
Englischer Weizen
339,65
Paris:
Ankaufspreis für ausländ. Weizen ca
500 —
Höchstpreis für inländ. Weizen
267,30
M y, M Roggen
244 —
Eom:
Ankaufspreis für ausländ. Weizen ea
500 —
Höchstpreis für inländ. Weizen
291,60
Bern (Schweiz)
: Ankaufspreis für ausländ. Weizen
500,—
Abgabepreis im Inlande
405 —
Wien:
Höchstpreis für inländ. Weizen
315,^0
Roggen
290,50
Budapest :
Weizen
315,40
M „ M Roggen
257,30
Berlin :
Weizen
260,—
M M Roggen
220,—
Aus diesem Ueberblick geht hervor, daß der überseeische Weizen am
teuersten Frankreich, Italien und der Schweiz zu stehen kommt, mit
ca. 600 Lire oder Franks, das sind nach dem Friedenskurse 486 M.
für die Tonne, also rund 500 M. Der niedrigste Preis für inländischen
Weizen ist in Deutschland mit dem gesetzlichen Höchstpreis von 260 M.
gegenüber 267 M. in Frankreich, 292 M. in Italien, 290 M. in Oester-
reich und 315 M. in Ungarn. In der Schweiz zahlt der Staat in letzter
Zeit sogar für inländischen Weizen 500 frcs. oder 400 M. für die Tonne,
den er durch Vermittlung der landwirtschaftlichen Genossenschaften an-
zukaufen sucht. Das schweizerische Oberkriegskommissariat gibt den
ausländischen Weizen für 500 frcs. für den inländischen Konsum ab
und zahlt die Differenz von 80 — 100 frcs. aus der Staatskasse. Die
italienische Regierung geht noch weiter und verkauft den ausländischen
Weizen für den Höchstpreis des Inlandsweizens mit 292 M., zahlt also
gegen 200 M. für die Tonne aus eigener Tasche, was bei einem Be-
darf von 2 Mill. t ausländischen Weizens 400 Mill. M. betragen würde.
Deutschland hat auch den niedrigsten Höchstpreis für Roggen mit 220 M.
für die Tonne gegenüber 241 M. in Oesterreich, 244 M. in Frankreich
und 257 M. in Ungarn.
Zu den Ländern, die unter den Schwierigkeiten auf dem Welt-
markt besonders zu leiden haben, gehört die Schweiz. Dieses Land
muß in großem Umfange ausländisches Getreide importieren und hier-
für sehr hohe Weltmarktpreise anlegen. Die Sätze, die der Schweizer
Bundesrat bezahlt, erreichen oft die Höhe von 600 frcs. für die Tonne.
46 Miszellen.
Trotzdem war es dem Bundesrat möglich, teilweise unter dem Ein-
kaufspreis abzugeben, so daß die Bevölkerung in der Schweiz nicht die
vollen Sätze zu zahlen hatte, die im Auslande angelegt wurden. Die
Einführung einer Brotkarte hat sich aber bisher in der Schweiz als
nicht erforderlich erwiesen. Im Gegensatz hierzu hat Holland schon
seit längerer Zeit eine Brotkarte eingeführt, wobei das Quantum auf
400 g pro Kopf und Tag festgesetzt worden ist. Da aber in Holland
die Vorräte immer kleiner werden, hat man eine starke Herabsetzung
der Tagesration erwogen.
In Italien hat man, ebenso wie in Frankreich, mit einem be-
trächtlichen Defizit in der Versorgung zu rechnen. Das Land ist zu
einem großen Teil auf die Zufuhr aus Uebersee angewiesen. Ange-
sichts der Schwierigkeiten des Bezuges hat die italienische Regierung
einschneidende Maßregeln getroffen. Insbesondere besitzt sie ein Im-
portmonopol. Für den inländischen Absatz bestehen Höchstpreise,
wobei für inländisches Getreide noch eine Anbauprämie in Betracht
kommt.
Eine recht lehrreiche Darstellung der Lage gibt das Internationale
Landwirtschafts-Institut in Rom, das auch während des Krieges weiter-
arbeitet, ohne freilich über die Statistik der Zentralmächte zu ver-
fügen. Dieses Institut befaßte sich in einem Bericht mit der Frage,
ob die letzte Welternte zur Deckung des Bedarfes ausreicht. Nach
einigen statistischen Angaben, über deren Wert man freilich im Zweifel
sein kann, kommt das Institut zu folgendem Ergebnis bezüglich des
Weizens:
„Es wäre unnütz, sich verhehlen zu wollen, daß die Weizenernte
von 1916 und 1916—17 gegenüber der Ernte 1915 und 1915-16, frei
herausgesagt, schlecht war. Tatsächlich weist sie dieser gegenüber
einen Fehlbetrag von mehr als Y* ^^^- Gegen die fünfjährige Durch-
schnittsernte 1911 bis 1915 und 1911—12 bis 1915—16 ist sie gleich-
falls schlecht; denn sie bleibt hinter diesem Durchschnitt um V4 zurück.
Glücklicherweise ist von der letzten Handelskampagne ein beträcht-
licher üeberrest vorhanden. Wird der genügen, um den Fehlbetrag
auszufüllen? Diese Frage könnte bejaht werden, wenn der Handel
Rumäniens und Rußlands nicht gehemmt wäre. Da man ja aber
von der Ergänzung dieser beiden Länder absieht, wird die Lage er-
schwert, und auf die eigenen Hilfsmittel angewiesen, findet sich die
nördliche Erdhälfte mit 37 Mill. dz im Fehlbetrag, zu denen
noch die 26 Mill. dz hinzukommen, die gewöhnlich hauptsächlich aus
den tropischen Ländern ausgeführt werden. Um diesen Fehlbetrag
von 63 Mill. dz der nördlichen Erdhälfte auszufüllen, finden wir nur
50 Mill. dz in der südlichen Erdhälfte."
Nach einer Uebersicht über die Ernten in Roggen, Gerste,
Hafer und Mais wird festgestellt, daß die gesamte Welternte um
Ye hinter dem Durchschnitt früherer Jahre zurückbleibt. Alsdann
heißt es:
„Die Verbesserung, die die verhältnismäßig minder schlechte
Weizen- und Roggenernte Rumäniens und Rußlands bewirkt, macht
Miszellen. 47
den Fehlbetrag der Länder, deren Handel frei geblieben ist, noch
ausgesprochener, da man ja von der Ernte dieser beiden Länder
absehen muß. Wenn wir also die Gesamtsumme der fünf Getreidearten
feststellen, konstatieren wir einen Fehlbetrag von 36 Mill. dz, vermehrt
um den durchschnittlichen Einfuhrbedarf der tropischen Länder. Der
Ernst der Lage erscheint noch deutlicher, wenn man sich
erinnert, daß man den üeberrest von 218 Mill. dz aller Getreidearten,
der aus der vortrefflichen Ernte 1915 gelassen war, verbraucht
hat. Es ist demnach durchaus nicht staunenswert, daß die Regierungen
energische Maßnahmen zur Verbrauchs Verminderung ergriffen haben."
In Wirklichkeit sind die Schwierigkeiten der Versorgung der Ein-
fuhrländer wesentlich größer, als sich aus den nackten Zahlen ersehea
läßt; denn zwischen den Vorräten in üebersee und dem Bedarf West-
europas liegt, wie erwähnt, das Verkehrsproblem, dessen Lösung die
Voraussetzung der Versorgung Europas ist, ein Problem, dessen Be-
wältigung durch den verschärften Seekrieg ständig mehr erschwert wird.
Interessant ist die Organisation der Lebensmittelversorgung in der
Türkei. Auf Grund einer Unterredung mit dem Generaldirektor des
türkischen Ernährungsamtes , Kaiserlich deutschem Konsul Hugo
Meyer, habe ich in der Handelszeitung des „Berliner Tageblatt", Nr.
216 vom 29. April 1917 unter anderem folgende Angaben gemacht:
„In Friedenszeiten bezieht die Türkei regelmäßig große Mengen,
von Mehl aus dem Auslande. Die Türkei ist zwar ein Agrarstaat, der
unter Umständen selbst genügend Getreide hervorzubringen imstande
wäre, infolge der Kapitulationen war aber die türkische Regierung nicht
in der Lage, ihrer Mühlenindustrie ausreichenden Zollschutz zu ge-
währen, der im Hinblick auf die ungünstigeren Produktionsbedingungen
notwendig gewesen wäre. Infolgedessen ist die Mühlenindustrie in der
Türkei verkümmert, die Betriebe standen oft ein halbes Jahr lang aus
Mangel an Rohmaterialien völlig still. Während auf der einen Seite
Anatolien und Syrien beträchtliche Mengen von Getreide ausführten,
bezog Konstantinopel ständig Mehl aus Triest, Genua, Marseille, ja
sogar aus Hamburg. Unterstützt wurden die Mehlexporte nach der
Türkei durch die billigen Frachtsätze, die nach Konstantinopel bezahlt
wurden; denn zahlreiche Dampferlinien, die regelmäßig im Schwarzen.
Meer Getreide einluden, waren froh, auf der Hinreise Fracht zu er-
halten. So kam es, daß man von Hamburg bis Konstantinopel oft nur
6 M. Fracht für die Tonne Mehl zu zahlen hattte. Nur so ist es zu.
erklären, daß der russische Weizen aus Odessa an Konstantinopel vor-
über gefahren wurde bis nach Hamburg und dann auf demselben Wege
als Mehl nach Konstantinopel zurückgelangte; ein in der Tat unge-
sundes Verhältnis. Vor dem Kriege war aber die Türkei an der Er-
richtung einer eigenen Mühlenindustrie, wie schon erwähnt, durch dia
Kapitulationen verhindert, auch fehlte es an Transportwegen im Innern
von Kleinasien, um die ganze Produktion nach Abzug des heimischen
Bedarfes nach Könstantinopel oder anderen größeren Plätzen zu bringen.
Seit Beginn des Weltkrieges haben sich nun die Verhältnisse in der
Türkei zugespitzt. Durch den Eintritt in den Krieg hörten sowohl die
48 Miszellen.
Zufuhren aus Odessa als auch aus dem Mittelländischen Meere auf.
Infolgedessen war die Türkei auf das angewiesen, was Rumänien und
Bulgarien, sowie die Zentralmächte zu überlassen imstande waren. Die
Lage wurde aber direkt kritisch, als Rumänien in den Krieg eintrat,
und damit eine weitere Bezugsquelle zunächst einmal verstopft war.
In diesem Augenblicke wurde nach dem Muster der Reichsgetreidestelle
das „Kaiserlich Osmanische Ernähr ungsamt" errichtet. Am Tage der
rumänischen Kriegserklärung traf Konsul Meyer, nachdem er schon
vorher die Grundlagen für die Organisationen geschaffen hatte, in Kon-
stantinopel ein, wenige Stunden später war ein Gesetz veröffentlicht,
das alle Getreidebestände des Osmanischen Reiches beschlagnahmte.
Diese für orientalische Verhältnisse ungewöhnlich rasche Durchführung
war nur möglich gewesen dank dem energischen Eingreifen Talaat
Paschas, des jetzigen Großwesirs. Talaat erkannte mit der ihm
eigenen Klarheit die schwierige Lage und die Notwendigkeit der
schnellen Abhilfe. Infolgedessen ließ er sich — auch ein Zeichen der
Zeit — telefonisch die Zustimmung seiner türkischen Minister-
kollegen zu dem Beschlagnahmegesetz geben!
Hiermit war erst der Grund gelegt, es hieß alsdann langsam weiter-
bauen. Um die ungeheuren Schwierigkeiten, die sich der Durchführung
entgegenstellten, auch nur einigermaßen zu ermessen, muß man sich dar-
über im klaren sein, wie gewaltige Strecken Landes in Kleinasien für
die Beschlagnahme in Betracht kommen, und wie zerstreut die Pro-
duzenten wohnen. Der weitaus größte Teil mußte unter Zuhilfenahme
tierischer Kraft über Berge hinweg durch Täler und Schluchten zur
Anatolischen Eisenbahn und anderen Ablieferungsstationen gebracht
werden. Wenn man bedenkt, daß auf weite Strecken der Transport
nicht etwa mit Wagen oder Karren, sondern nur auf dem Rücken von
Eseln bewirkt werden konnte, so kann man sich ungefähr ein Bild von
den im Vergleich mit Deutschland ganz anders gearteten orientalischen
Verhältnissen machen. Um die Ladung eines einzigen 15 Tonnen- Wagens
Getreide zu transportieren, waren 300 Esel notwendig ! Durch derartige
Karawanen verteuerte sich das Getreide, das am Produktionsorte bereits
einen Höchstpreis von rund 400 M. für die Tonne erzielte, ganz er-
heblich. In Konstantinopel mußte für den beschlagnahmten Weizen
ein Preis von 600 M. bezahlt werden. Das ist beinahe so viel, wie
gegenwärtig auf dem Weltmarkt der Weizen kostet. Bezahlt doch die
Schweiz zurzeit über 530 M. für die Tonne für den Ankauf des ameri-
kanischen Weizens. Verglichen mit dem deutschen Höchstpreis von
260 M., stellt sich allerdings der türkische Preis hoch.
Trotzdem ist es dem türkischen Ernährungsamt gelungen, die Be-
völkerung relativ billig zu ernähren. Nach deutschem Muster hat man
in Konstantinopel und anderen türkischen Großstädten die Brotkarte
eingeführt. Jeder Einwohner erhält zu Beginn der Woche ein Heftchen,
das ihn zum Ankauf von Brot berechtigt, das aus 94 Proz. Weizenmehl
hergestellt ist. Der Verkaufspreis für dieses Brot ist 40 Pfg. für das
Kilo, also etwas weniger, als zurzeit Brot in Deutschland kostet. Er-
möglicht wird die billige Abgabe des aus teuerem Weizen hergestellten
Mis Zellen. ^9
Brotes dadurch, daß das türkische Ernährungsamt täglich 20 t Weizen
vermählen läßt, aus dem ein besonderes „Weißbrot" hergestellt wird.
Dieses wird zur brotmarkenfreien Abgabe an Hospitäler, Hotels u. dgl.
abgegeben, und zwar zu dem achtfachen Preise des gewöhnlichen
Brotes. Das Kilogramm kostet also 3,20 M. An diesem Brote erzielt
das türkische Ernährungsamt einen derartigen üeberschuß, daß es in
den Stand gesetzt wird, das andere Brot für die Bevölkerung zum mäßigen
Preise abzugeben.
Dank der nach deutschem Muster geschaffenen Einrichtung, die
durch Talaat Pascha ständig wirksam unterstützt wurde, ist es möglich
gewesen, auf jede Einfuhr so gut wie ganz zu verzichten und — ein
in der, türkischen Geschichte des letzten Jahrzehnts wohl kaum dage-
wesener Fall — die Türken aus ihrer eigenen landwirtschaftlichen Er-
zeugung zu ernähren. Damit ist der Beweis erbracht, daß die Türkei
ebensowenig auszuhungern ist wie Deutschland oder Oesterreich-Üngarn.
Die Bezahlung des Getreides erfolgt derart, daß die Dette Pub-
lique Ottomane von Deutschland Schatzanweisungen erhält, und gegen
diese Schatzanweisungen Noten ausgibt, die den Besitzern des Getreides
als Zahlungsmittel gegeben werden."
Für das neue Erntejahr sind gewisse Reformen geplant. Man will
namentlich die Steuereinnehmer auf dem Lande mit der Beschaffung
des erforderlichen Getreides betrauen, wodurch die Organisation eine
Vereinfachung und zugleich eine Erleichterung erfährt. Alles in allem
wird man aber an den bisherigen Grundsätzen festhalten, die sich durch-
aus bewährt haben, und die den Türken einen Einblick in Deutschlands
Organisationstalent mit seinen Erfolgen gegeben haben. (gTcI)
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54).
50 Miszellen.
II.
Die Zinkindustrie der Vereinigten Staaten im Kriege,
Von Dr. Ernst Schnitze.
Der Weltkrieg hat in die wirtschaftlichen Verhältnisse aller weißen
und der meisten farbigen Völker mit starker Faust eingegriffen. Die
Vereinigten Staaten wurden davon besonders merkwürdig berührt:
während des ersten Jahres, zumal während der ersten Monate, litten
sie nicht unerheblich; dann kehrte das wirtschaftliche Wohlbefinden
wieder, und schnell stieg man zu Eekordziffern empor, weil durch
die ungeheuren Kriegslieferungen der Fabriken des Ostens fabelhafte
Gewinne gemacht wurden. Allein dieser Aufschwung kam durchaus
nicht sämtlichen Gebieten des. nordamerikanischen Wirtschaftslebens
zugute: länger als ein Jahi* hindurch beschränkte er sich im wesent-
lichen auf einzelne Wirtschaftszweige.
Unter diesen steht vielleicht an erster Stelle der Metall-Berg"
bau. In der Tat haben die Vereinigten Staaten — was in Europa
unter der beständigen Erregung der Kriegsnachrichten nicht genügend
beachtet wurde, noch niemals in ihrer ganzen Geschichte einen
derartigen Preisaufstieg der Erträgnisse ihres Metall-Berg-
baus erlebt wie jetzt. Das will etwas heißen: denn sowohl
die Entdeckung des Goldes in Kalifornien, der die „Tage von 1849"
folgten, wie die Entdeckung des Goldes in Alaska und andere, kleinere
Booms stellen an sich in der Wirtschaftsgeschichte schon außergewöhn-
liche Erscheinungen dar. Gegenüber dem Rekord des Metall-Berg-
baus 1915 und 1916 aber schrumpften diese Erscheinungen zu wahr-
haften Zwerglein zusammen.
Der neue Boom ist jetzt vorbei. In seinen Wirkungen jedoch
ist er weithin spürbar. Vor allem wäre ohne ihn nicht möglich ge-
wesen, daß die Fabriken von Kiriegsgerät aller Art in der Union die
gewaltigen Mengen Zink und Blei, Kupfer, Quecksilber und Wolframit
erhielten, die sie brauchten. Die amerikanischen Bergwerke wurden
durch die fabelhaften Preise, die sie für ihre Ausbeute erzielten, zu einer
fieberhaften, beispiellosen Tätigkeit angestachelt.
Der Aufschwung begann auf dem Zinkmarkt. Unmittelbar vor
dem Kriege hatte dieser so darniedergelegen, wie seit der letzten großen
Wirtschaftskrisis nicht. Im Juli 1914 stellte sich der Preis für die Tonne
unreinen Zinks (Spelter) auf 4,75 Cents; seit 1908 war ein so
niedriger Preis nicht verzeichnet; die Besitzer der amerikanischen Zink-
bergwerke hatten schon immer nach einem Zollschutz gerufen, um sie
gegen den verderbenbringenden ausländischen Wettbewerb zu schützen,
obwohl die Vereinigten Staaten unter den zinkerzeugenden Ländern
Miszellen. 51
seit mehreren Jahren an der Spitze standen. Selbst 1908 blieb die
Union als zinkerzeugendes Land mit 183 040 t hinter Deutschland, das
es auf 213 460 t brachte, nur wenig zurück, um es schon im nächsten
Jahre zu überflügeln.
Die Zinkerzförderung der Welt schätzte man 1907 auf
2 561000 t im Werte von 176000000 M. Davchi entfiel auf Europa
ungefähr die Hälfte, und davon wiederum die Hälfte (698 400 t) auf
das Deutsche Reich, während von der auf die übrigen Weltteile ent-
fallenden zweiten Gesamthälfte wiederum die Hälfte (819100 t) auf
die Vereinigten Staaten zu technen war. Von der deutschen Zinkerz-
förderimg kamen beinahe Vi auf Oberschlesien, der Eest auf Rheinland-
Westfalen. 1905 war das letzte Jahr, da Deutschland (mit einer Zinkerz-
förderung von 731 300 t) an erster Stelle unter allen Zinkerz gewinnen-
den Ländern stand, während die Vereinigten Staaten damals erst
721 800 t /förderten — während schon im nächsten Jahre Deutschland
mit 704 600 t der nordamerikanischen Union (mit 821200 t) unterlag.
Die Zinkerzgewinnung betrag in^):
1907 1908 1909 1910 1911 1912
Deutsches Reich
698 400
706 400
723 600
718300
700000
643 600
Oesterreich
32000
31300
34000
346CO
32200
34700
Italien
ibo 500
152300
130 900
146 300
139 700
149800
Spanien
191 900
156 200
163 500
156 100
162 100
—
Frankreich
44000
52600
96900
50600
43800
—
Belgien
3500
2 100
I 200
I 400
800
I 200
Schweden
50900
40 100
43800
49500
51 200
50 100
Norwegen
400
2400
I 000
2 200
2 200
—
Großbritannien
20400
15500
10 100
II 500
17900
18000
Griechenland
30300
52800
71 800
66 000
37600
—
Vereinigte Staaten von
Amerika
819 100
760 600
932 600
516 700
607 200
730 400
Algier
71 000
94400
81 900
94400
80400
100 000
Tunis
22 800
26 500
24500
32500
27900
—
Unter den zinkerzgewinnenden Ländern befinden sich jedoch viele,
die sich mit dem Abbau begnügen, während sie die Verhüttung
zwecks Darstellung reinen Zinks anderen Ländern überlassen. So gilt
dies von Algerien, von Tunis, der Türkei, Griechenland, Japan, Mexiko
und Kanada. Alle diese Ländeo- und einige Teilgebiete anderer (bei-
spielsweise Sardinien) führen Zinkerz nur aus. Auch Spanien, das
früher wenigstens eine Zinkhütte besaß, hat diese eingehen lassen und
sendet alles Zinkerz ins Ausland. Aehnlich lagen die Dinge für
Australien, das jährlich nur wenige tausend Tonnen reinen Zinks ver-
hüttete, während es etwa 500000 t Zinkerz von großem Metall-
gehalt in seinen Broken Hill-Gruben gewann. Aus Oesterreich- Ungarn
pflegten etwa Vs der Zinkerzgewinnung ausgeführt, das letzte Drittel
in eigenen Hüttenbetrieben geschmolzen zu werden. Dagegen verhüttete
Rußland, dessen Zinkgewinnung freilich imerheblich war, die ge-
wonnenen Erze zum größten Teile selbst. Schweden imd Norwegen
verarbeiteten einen Teil ihrer Zinkerze auf elektrolytischem Wege unter
1) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Internationale Uebersichten,
63. Jahrg., Berlin (Puttkammer & Mühlbrecht) 1915, S. 35.
4*
52
Mis Zellen.
Benutzung der reichen Wasserkräfte ihres Landes, so daß sie jährlich
mehrere tausend Tonnen Rohzink gewannen; jedoch führten auch sie
den größten Teil der gewonnenen Erze aus.
Die Lage stellte sich mithin so dar, daß die hauptsächlichsten
Zinkverhüttungsländer (Deutschland, Belgien, Holland, Frank-
reich und England) in Europa in der Lage waren, außer den im
eigenen Boden abgebauten Zinkerzen auch solche zu ver-
hütten, die ihnen aus dem Aus lande zugeführt wurden. Wichtig
war dafür die Besitzfrage: das belgische und französische Ausland-
kapital kaufte vielfach spanische, italienische, algerische, tunesische
und andere Zinkerzgruben an, um der ungestörten Erzzufuhr sicher
zu sein. Dagegen hatten die Vereinigten Staaten dies nicht nötig, da sie
über genügende eigene Zinkerzlagerhütten verfügen.
Die Hüttengewinnung von Rohzink betrug in den wich-
tigsten Ländern, die hier sogleich nach der politischen Zerklüftung
des Weltkrieges getrennt seien ^):
1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915
1911 1912 1913
Metrische Tonnen
A. Mittelmächte:
Deutschland 220 lOO 227 700
Oesterreich-Üngarn 12600 13300
250 400
16900
271 100
19600
283 100
21 700
Zusammen 232 700
B. Zehnverband:
Großbritannien 59 400
Frankreich 50 000
Italien —
Rußland 7 900
Australien —
241 000
63 100
52600
8600
500
267 300
67000
57 100
9900
I 700
290 700
57000
64 300
8800
2 300
304 800
59100
64 100
7 600
3700
?
75000
55000
4000
So 000
33000
?
4500
Zusammen 117300
C. Neutrale Länder:
Belgien 167 100
Holland 19 600
Spanien 6 100
Norwegen —
124 800
1 72 600
21000
6500
135 700
195 100
22 700
7 100
6 700
132600
200 200
23900
7900
8 100
135 500
197700
24300
6900
9300
134 000
15000
3300
in 500
14000
4600
Zusammen 192 800
D. Vereinigte Staaten:
Vereinigte Staaten 240 400
210100
250600
231600
267500
240 100
314500
238 200
320300
18300
335900
18 600
460000
Gesamterzeugung 783 200 816500 902100 977 900 997 800 ? ?
Ln Zinkverbrauch standen mithin in den letzten Jahren zwar
nicht auf den Kopf der Bevölkerung, wohl aber in absoluten Ziffern
die Vereinigten Staaten an der Spitze, auf die Deutschland und alsdann
England folgten. Für die Steigej-ung der Ausfuhrmöglichkeit aus der
Union schien es günstig, daß die Rohzink-Verbrauchsziffern erst in den
letzten Jahren so hoch gestiegen wairen: noch 1906 hatte der Ver-
brauch nuj 200000 t betragen, 1900 sogar erst 100000 t, während
1) Die Zahlen, die ich dem Wirtschaftlichen Nachrichtendienst (Juni 1916) ent-
nehme, stimmen nicht ganz mit denen des Statistischen Jahrbuchs für das Deutsche
Reich, Internationale Uebersichten, 36. Jahrg., Berlin (Puttkammer & Mühlbrecht) 1915,
überein, doch sind die Abweichungen unerheblich.
Mi szellen.
53
er nun, unmittelbar vor dem Kriege, auf 313 000 t jährlich
stand. Der englische Eohzinkverbrauch war erst 1899 von den Ver-
einigten Staaten überflügelt worden und wuchs dann erheblich langsamer.
Hinter dem deutschen Verbrauch blieb er, wenn sich auch der Abstand
etwas verringerte, um jährlich 30000 — 40000 t zurück.
In der Zinkgewinnung standen mithin die Vereinigten Staa-
ten und Deutschland an der Spitze. Sie weehselten wiederholt
den Platz, so daß beispielsweise Deutschland 1911 die Spitze bildete,
die Vereinigten Staaten 1912. Einen beträchtlichen Anteil an der
Zinkgewinnung der Welt haben ferner Belgien, England, Spanien,
Italien und Algerien, doch stehen sie hinteo? Deutschland und der Nord-
amerikanischen Union zurück.
Füi" die Zinkversorgung der Welt spielten die Vereinigten
Staaten vor dem Kriege trotzdem noch keine entscheidende Rolle:
noch im Jahre 1913 lieferte Europa mit 674000 t mehr als Vs der
Welterzeugung. Für den Verbrauch lagen die Dinge so, daß sowohl
die Vereinigten Staaten nur kleine Teile der von ihnen erzeug?ten
Mengen ausführten, Deutschland schon mehr, während Belgien voa
seiner recht bedeutenden Erzeugung und Holland von seiner allerdings
sehr viel geringeren Produktion große Mengen an die europäischen
Verbrauchstaaten ausführten.
Am meisten bedurften der Zinkeinfuhr Großbritannien,
Oesterreich-Ungarn und Italien. Großbritannien führte 1913 die be-
trächtliche Menge von 147 000 t ein, verbrauchte insgesamt 194000 t
und stand damit nur um 37 000 t hinter dem Verbrauch des Deutschen
Reiches zurück. Die Zahlen lauten für die beiden Jahre vor dem Kriege i):
Kohzink-
1
[Jeberschuß der
Erzeugung über den
Erzeugung
Verbrauch
Verbrauch
1912
1913
1912
1913
1912
1913
Deutschland
271 064
283113
225800
232000
+
45264
+
51 "3
Hiervon ßheinl.-Westfal.
86619
92852
,
.
Schlesien
169 088
170 119
.
,
,
Belgien
200 198
197 703
77200
76400
+
122998
+
121 303
Holland (geschätzt)
23932
24323
4000
4000
+
19932
+
20323
Großbritannien
57231
59146
185 200
194600
127969
135454
Frankreich
1 . A
f 82000
81 000
}-
Spanien
1 72161
71023
<
\ 4700
5900
14539
—
15877
Oesterreich-Ungarn
Italien
1 19604
21707
j 46800
( 10700
40400
10900
I:
37896
—
29593
Rußland
8763
7610
27900
33300
19537
8 {28
—
25690
Norwegen
8128
9287
+
+
9287
Uebrige Länder (geschätzt)
—
—
19700
20900
—
19700
—
20900
Europa
661 081
673912
684000
699400
—
22919
—
25488
Vereinigte Staaten von
Amerika
314512
320 283
312900
313300
+
1612
+
6983
Australien
2 296
3724
+
2 296
+
3724
Erde
977 889
997919
996900
I 012 700
—
19011
—
14781
1) WeltwirtschafÜiches Archiv, Bd. 7, Heft 2, S. 323, Tabelle 50, Rohzink.
54
Miszellen.
Länder
Einfuhr
Aosfahr
Mehrausfuhr ( — )
Mehreinfuhr (-H)
1912
1913
1912
1913
1912
L 1913
Deutschland
Hiervon Rheinl.-Weatfal.
Schlesien
Belgien
HoUand (geschätzt)
Großbritannien^
Frankreich
Spanien
Oesterreich-Ungarn
Italien
Rußland
Norwegen
üebrige Länder
54838
16600
139500
} 38 893
} 49513
19 100
55964
20300
147 300
35172
44289
25700
100 234
139600
19900
11514
24277
II 578
105 107
141 600
20300
11818
19335
14740
— 45369
— 123000
— 19900
-f 127986
+ 14 616
+ 37 935
-f 19 100
— 49143
— 121 300
— 20300
+ 135482
+ 15837
+ 29549
+ 25700
Europa
Vereinigte Staaten von
Amerika
Australien
10 100
5500
II 700
12 500
— 1600
- 7000
England befand sich mithin bei Ausbruch des Krieges der
Notwendigkeit gegenüber, für Kriegsgerät aller Art (nicht nur für
Messinggegenstände) Zinkerz oder Eohzink in bedeutendem
Maße vom Auslande einführen zu müssen. Die Gewinnung
eigener Erze in Großbritannien war im Laufe des letzten Jahrzehnts
nicht unerheblich gefallen. Fast möchte man die Geschichte der
englischen Zinkgewinnung vergleichen mit den Umwälzungen
in der Herstellung von Farbstoffen: auf beiden Gebieten ging England
voran, um nach einiger Zeit die Führung an Deutschland abzutreten.
Das erste reine Zink war aus China und aus Indien nach Europa ge-
kommen; man nannte es Spiauter — eine Bezeichnung, die sich in
dem englischen Namen für Rohzink (spalter) bis heute erhalten hat,
während man mit dem Worte ,,zinc" in England das Walzzink benennt
Mannigfache Versuche brachten in England um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts den Erfolg, daß man das Zink metallisch darzustellen lernte^
während früher in Europa zwar (1550 durch Agricola) in dem Zinkstuhl
der Schmelzöfen in Goslar ein Metall erkannt worden war, das Agricola
Zink oder „Conterfey" nannte, ohne daß man jedoch wußte, daß es im
Galmei enthalten ist.
Nachdem in England die metallische Darstellung des Zinkes ge-
lungen war, brachte ein Deutscher, Johann Ruberg, das Geheimnis der
Zinkdestillation nach dem europäischen Festlande. 1798 errichtete er
in Wesollo in Oberschlesien die erste deutsche Zinkhütte. Um dieselbe
Zeit entstand eine andere in Döllach in Kärnten durch den Bergrat
Dillinger.
1805 gelang es den Engländern Hobson und Sylvester, die Grund-
lage des Verfahrens zu entdecken, durch das dem Zink die nötige Ge-
schmeidigkeit verliehen werden kann, während man bis dahin das re-
Miszellen. 55
duzierte Metall weder dehnen noch walzen oder hämmern, ja selbst kaum
biejgen konnte. Allein die neue Erfindung hatte noch nicht sogleich
die Folgen, die sich logisch aus ihr ergaben. Vielmehr dauerte es
noch eine ganze Zeit, bis man das Metall auch zu anderen Zwecken als
zur Legierung des Kupfers oder (in den physikalischen Laboratorien)
zur Erzeugung galvanischer Ströme verwendete. Erst nach Sammlung
weiterer Erfahrungen wurden gegen Ende der 40er Jahre die Zwecke,
zu denen man Zink benutzte, mannigfaltigere. Dann wuchs der Ver-
brauch schnell. Er betrug in England:
1831 I 400 englische Tonnen
1851 18000 „ „
1871 17500
Die gesamte europäische Zinkerzeugung wurde geschätzt
1860 auf 980000 MZ.
1870 „ 1352000 „
1880 „ 2092000 „
Beinahe die Hälfte der gesamten Zinkerzeugung entfiel schon
damals auf Deutschland, das beispielsweise 1881 gegenüber einer
Zinkerzeinfuhr von 191322 MZ. eine Zinkerzausfuhr von 127984
MZ. verzeichnete, während es gleichzeitig an Rohzink, Bruchzink,
gewalztem Zink, Zinkdraht und Zinkwaren nur 45 645 MZ. ein-
führte, dagegen 789 937 ausführte.
In der englischen Zinkhütten-Industrie wurden damals bereite
zum großen Teil fremde Erze verhüttet. So führte Großbritannien
im Jahre 1881 346000 MZ. Zinkerze ein, deren größter Teil
aus Griechenland, Italien und Algerien stammte. Die englische Zink-
erzeugung belief sich 1880 auf 220000 MZ. Ein- und Aus^
fuhr stellte sich in England 1881 aufi):
Einfahr
Rohzink 468000 MZ.
Zinkwaren 196 000 „
Ausfuhr
Eohzink 89 580 MZ.
Zinkwaren 40 820 „
Die Gewinnung eigener Zinkerze betrug in England 1902
nur noch 25000 t, 1912 war sie auf 18000 t gefaUen. Dagegen
stellte sich Englands Hüttengewinnung von Rohzink in letz-
terem Jahre auf 57000 t, sein Verbrauch an Rohzink sogar auf
185 200 t. Aus heimischen Erzen wurde also nur ein sehr kleiner
Teil des Verbrauchs gewonnen.
Ungünstig war jedoch vor allem, daß sich Englands technische
Rückständigkeit, die eich auf mancherlei Gebieten steirk fühlbar
macht, nicht zum wenigsten auf dem der Zinkgewinnung äußerte. Es
begnügte sich mit einer größeren Anzahl kleiner Zinkhütten, während
1) Dr. Karl v. Scherzer, Das wirtschaftliche Leben der Völker. Leipzig, Alphons
Dürr, 1885. S. 551 ff.
56
Miszellen.
auf dem europäischen Festland allmählich große Hütten entstanden
waren die mit technisch wesentlich vollkommeneren Methoden arbei-
teten. Die größten englischen Zinkhütten waren 1911 :
Vivian & Sons
English Crown Spelter Co.
Dillwyn <fe Co.
Pascoe Greenfild and Son
John Lysaght Co.
Gewinnung
7750 t
8295 »
7785 »
4825 „
3665 „
Beinahe die Hälfte des englischen Rohzinks wurde jedoch von
ganz kleinen Betrieben hergestellt.
Dagegen verhütteten in Deutschland beispielsweise
die Hohenlohe-Werke etwa
die Schlesischen Zinkhütten
Georg von Giesches Erben
die Aktien - Gesellschaft für Bergbau , Blei- und Zink-
fabrikation zu Stollberg und in Westfalen
die Rheinisch -Nassauische Bergwerks- und Hütten-Aktien-
Gesellschaft zu Stolberg im Rheinland
die Aktien-Gesellschaft für Zinkindustrie vorm. Wilhelm
Grillo in ObeAausen
35 000 t eigene Erze
35 000 t „
35 000 t „
25 000 t
12 000 t
II 000 t
Der Verbrauch von Rohzink stellte sich in den oben ge-
nannten Ländern in dem gleichen Jahre auf folgende Ziffern:
1909
A. Mittelmächte:
Deutschland 188 100
Oesterreich-Üngam 32 800
1910
184 500
33800
1911 1912 1913
Metrische Tonnen
219300 225800 232000
43 500 46 800 40 400
1914
?
?
1915
?
?
Zusammen 220900
B. Zehnverband:
Großbritannien 155 500
Frankreich 66 900
Italien 8 200
Bußland 18 400
218 300
177800
56300
8 100
24900
262 800
175700
82000
10 100
28 900
272 600
185 200
82000
10700
27900
272400
194600
81 000
10900
33300
?
185 100
74100
9300
?
153300
65 100
12800
?
Zusammen 249 000
C. Neutrale Länder:
Belgien 64 600
Niederlande, ge-
schätzt 4 000
Spanien 4 500
Uebrige Länder,
geschätzt 9 000
267 100
76500
4000
4 200
12400
296 700
73700
4000
4800
17 800
305 800
77200
4000
4700
19700
309 800 268500^]
76400 ?
4000 ?
5900 ?
20 900 ?
1 231 200 »)
?
?
?
?
Zusammen 82 100
D. Vereinigte Staaten:
Vereinigte Staaten 246900
97100
244500
100300
251600
105 600
312900
107 200
313300
?
273000
341500
Gesamtverbrauch 798900
827 000
911400
996900 1002700
?
?
1) Ohne Rußland.
Miszellen. 57
Großbritannien verbrauchte also 1913 135000 t Eohzink mehr
als es selbst erzeugte, während der gesamte für die Ausfuhr zur Ver-
fügung stehende Ueberschuß der Vereinigten Staaten und Austra-
liens zusammen weniger als 15000 t betrug.
Diese Tatsache wurde für die Gestaltung der Kriegsverhält-
nisse entscheidend. Wie beim Zucker, den Farbstoffen, vielen Arznei-
mitteln und Chemikalien äußerte sich die Abschneidung der Zink-
ausfuhr aus Deutschland und Belgien in einer gewaltigen Stei-
gerung des Preises in den übrigen Ländern, um nicht den im Kriege
kaum anwendbaren Ausdruck „auf dem Weltmarkt" zu gebrauchen.
England benötigte Zink in bedeutenden Mengen sowohl zur Her-
stellung von Munition wie auch für seine südafrikanischen Goldberg-
werke, deren Betrieb technisch zu sehr erheblichem Teil auf <üe Ver-
wendung von Zink aufgebaut ist.
Andererseits war die Lage für Deutschland insofern weniger
günstig, als die rohen Friedenszdf fern zeigen, als die Haupterzeugung
von Rohzink im Frieden für Europa zwar in Oberschlesien, West-
falen und Belgien erfolgte, in den beiden letzteren Gebieten jedoch in
ziemlich hohem Maße nicht durch Verhüttung eigener, sondern haupt-
sächlich aus Australien bezogener Zinkerze.
Für England entstand die Frage, woher es die etwa 70 Proz.
seines gewöhnlichen Zinkverbrauches, die es aus dem Ausland be-
zogen hatte, nebst der durch den Krieg mehr verlangten Menge nehmen
sollte. Was England im Frieden aus den Niederlanden bezogen hatte,
belief sich nur auf etwa 10000 t, während die Einfuhr aus Frankreich
etwa 6000 t betrug. Aus den Vereinigten Staaten bezog es im Frieden
nur etwa 5—8000 t.
Als England bei Kriegsbeginn gegen die deutsche Einfuhr den
Schlagbaum herabließ, sperrte es uns die etwa 50000 t, die wir ge-
wöhnlich ins Ausland sandten, während es sich selbst eines bedeutenden
Teiles seiner eigenen Zinkeinfuhr beraubte. Sogleich in den ersten 5
Kriegsmonaten erhielt es daher statt etwa 69000 t, die es im gleichen
Zeiträume des Vorjahres erhalten hatte, nur etwa 49000 t:
1913
1914
August
13 138 t
6174 t
September
14 904 t
13 534 t
Oktober
18 160 t
12428 t
November
12690 t
6432 t
Dezember
10733 t
10460 t
Woher stammte die Zinkeinfuhr der letzten 5 Monate 1914 nach
Großbritannien ? Man kann annehmen, daß der wirtschaftliche Güter-
austausch zwischen Deutschland imd England damals noch nicht ganz
durchschnitten war, da über neutrale Länder noch dieses und jenes,
befugt oder unbefugt, unter anderer Flagge hin und her ging. Allein
viel deutsches Zink wird England damals nicht mehr erhalten haben.
Dagegen stieg sofort die Zinköinfuhr aus den Vereinigten
Staaten gewaltig :
58
Miszellen.
1913
1914
August
September
Oktober
November
1-
3 449 t
19045 t
10259 t
12747 t
701 t 45 5CX) t
Dio Wertziffern der Zinkausfuhr der Vereinigten Staaten in allen
Ländern des Auslandes betrug:
1913 ganzes Jahr i 060 000 $
1914 „ „ 400000 „
1915 1. Halbjahr 21200000 „
Aus leicht ersichtlichen Gründen (Verkehrsnähe, technische Leistungs-
fähigkeit, scheinbare Neutralität) waren es die Vereinigten Staaten,
auf die der Blick Englands für die Versorgung mit Zink in erster
Eeihe fiel. Auch empfahlen sie sich dadurch, daß sie unter den Zink-
gewinnungsländern der Welt, die neutral geblieben waren oder auf
der Seite Englands kämpften, die hervorragendste Stellung einnahmen.
In den Vereinigten Staaten betrugen Erzeugung, Einfuhr, Ausfuhr und
Verbrauch von Rohzink :
1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915
Metrische Tonnen
Gewinnung von Eohzink 240 4C0 250600 267500 314500 320300 335900 460000
Einfuhr von Zink 8 800 i 800 600 10 100 5 500 800 800
Zusammen 249200 252400 268100 324600 325800 336700 460800
Ausfuhr von Zink und
Zinkblechen 2300 7900 16500 11700 12500 63700 119 300
Verbrauch etwa 246900 244500 251600 312900 313300 273000 341500
Nicht berücksichtigt sind dabei die Erzeugung von Zink aus
Altmaterial, Gekrätz und anderen Abfällen, sowie die Veränderungen
der Zinkvorräte auf den Hütten.
Die letzteren betrugen in den Vereinigten Staaten am Ende der
Jahre ^) rund
1909 ■ 1910 1911 1912 1913 1914 1915
t t t t t t t
10400 20900 7900 3900 36400 21300 13000
Vergleicht man die Ziffern der Zinkgewinnung und Zinkausfuhr
der Vereinigten Staaten im Jahre 1914 mit denen der letzten Friedens-
jahre, so weisen sie zwar eine Steigerung auf ein vielfaches auf, waren
jedoch nicht so unerheblich, daß England eine allzu g^roße Preis-
steigerung hätte befürchten müssen.
Allein diese Hoffnung trog. Sie hätte sich nur dann bewahrheitet,
wären noch andere kräftige Wettbewerber vorhanden gewesen. Eben
diese aber waren durch den Krieg ausgeschaltet. Der Zinkpreis
hatte in den Jahren vor dem Kriege durchschnittlich ab Sohiff London
betragen :
1) Nach dem „Engineering and Mining Journal" vom 1. April 1916.
Miszellen.
59
1906 1907 1908 1909 1910 1911
££££££
27 i/5 23 16/9 20 3/6 22 3/0 23 0/0 25 3/2
Ini Durchschnitt der letzten 5 Jah^e vor dem Kriege hatte die
Tonne Zink in London etwa 23 V^ £ gekostet. Bis zum Schluß des
Jahres 1914 ging er in die Höhe, so daß eo* Anfang Januar 1915
etwa 28V4 £ erreichte. Das war ein hoher Preis, der jedoch in Zeiten
der Hochkonjunktur schon im Frieden dagewesen war; so hatte man
im Januar 1906 bereits 29 Vs ^ bezahlt.
Allein auf 287* £ blieb der Zinkpreis nun nicht stehen. Viehnehr
nutzten die Vereinigten Staaten die Monopolstellung, die ihnen
durch den Krieg für die Zinklieferung nach England zuteil wurde, nach
Kräften aus. Ungemein erleichtert wurde ihnen dies, als England und
Frankreich, später auch andere Genossen der Entente, Munition in
Nordamerika bestellten. Je mehr man sich dort auf eigene Munitions-
herstellung einrichtete, desto schwieriger wurde nun die Versorgung
der Entente-Staaten mit Rohzink.
So kletterte denn der Zinkpreis in London in beispielloser
Art in wenigen Monaten folgendermaßen in die Höhe:
Ende Januar 1915 287^ £
Anfang Februar 1915 40
März 1915 43
„ Mai 1915 65
Ende Mai 1915 75
Anfang Juni 1915 97
Vor dem Kriege hatten die Preise für gewöhnliches Zink
in London betragen (die Tonne von 1016 Kilogramm) und zwar als
Durchschnittspreise :
1909
1910
1911
1912
£
22
23
25
26
sh d
3 —
1913
1914
dagegen 1915
durchschnittlich
£ sh d
22 14 3
22 8 5
66 13 4V.
Es kam den Vereinigten Staaten für die Steigerung des Zink-
preises nicht wenig zustatten, daß sie selbst nicht imstande waren,
die Vermehrung ihrer Zinkausfuhr nach Großbritannien, die die ersten
Kriegsmonate gebracht hatten, aufrechtzuerhalten. Vielmehr sank diese
Ausfuhr- im März 1915 bedeutend und hob sich erst im Herbst des-
selben Jahres wieder :
Brutto-Tonnen
Brutto-Tonnen
Juli 1914
140
März 1915
7249
August
3079
April
7894
September
17005
Mai
6817
Oktober
9 160
Juni
8455
November
II 381
Juli
701b
Dezember
16354
August
6869
Januar 1915
13570
September
9076
Februar
13394
Oktober
"375
Insgesamt
für die ersten 15
Kriegsmonate *)
148 694
1) „Economisf vom 4. März 1916. Der „Economist" entnahm diese Tabelle der
Zeitschrift „Iron Age".
50 Miszellen.
Dies geschah trotz der Steigerung der Rohzinkgewinnung
in den Vereinigten Staaten, die in folgenden Ziffern zum Aus-
druck kommt:
1914 1915
im 1. Vierteljahr 8i 900 9» 500
„ 2. „ 84200 HO 300
„ 3. „ 84100 121 500
„ 4. „ 35700 136700
Zusammen 335 900 460 000
Die Zinknot Englands war also keineswegs behoben. Viel-
mehr klagte der „Economist" vom 4. Mä.rz 1916: „Die Angelegenheit
des Zinks ist merkwürdig und wirft kein gutes Licht auf die wirtschaft-
liche Klugheit und das Denkvermögen des viel gerühmten Greneral-
stabs Lord Haidane 's." Zu Beginn des Krieges wurde ein Vorschlag,
in England Zinkschmelzwerke zu errichten, von der Regierung
verworfen. Man blieb also auf die Einfuhr angewiesen. Die hohen
Zinkpreiso schob man darauf, daß mehj* Zinkerz vorhanden sei als
die Möglichkeit, es zu schmelzen, so daß die Schmelzer selbst ihre Preise
bestimmten und der ganze Gewinn an sie fiele. Australien könne weit
mehr Zinkerz liefern, doch zahlten die amerikanischen Schmelzwerke —
zum Teil infolge der hohen Frachtsätze — so unzulängliche Preise für
australisches Zinkerz, daß die Bergwerke dort keinen Gewinn davon
hätten, daher auch nicht in vollem Umfang arbeiteten.
England hoffte, die günstige Gelegenheit benutzen zu können,
um Deutschland aus dem australischen ,, Zinkgeschäft" hinaus-
zuwerfen. Im Frieden hatte man in Deutschland und Belgien in
großem Maße australische (Broken Hill) Zinkerz verhüttet. Sogleich
nach Beginn des Krieges hob die englisch-australische Regierung diesen
Lieferungsvertrag auf. Auch für die Zeit nach dem Kriege wünscht
man sie durch eines der Handelskriegsgesetze für nichtig zu erklären.
Wie England sich mit der moralischen Seite der Sache abfindet, steht
auf besonderem Blatte. Hier sei nur auf die fühlbaren Schwierigkeiten
hingewiesen, die sich in England — sehr wider Erwarten — bei der
Verhüttung herausstellten. Der Fachmann weiß, daß in der Zinkver-
hüttung eine peinlich durchgebildete Technik, die auf langjähriger Er-
fahrung beruht, vielleicht noch sorgfältiger beobachtet werden muß,
als bei der Verhüttung anderer Metalle. Da man dies in England nicht
genügend in Betracht zog, so ergaben sich böse Mißerfolge, die auch
in der Zeit nach dem Kriege nicht ausbleiben werden — falls man ver-
sucht, das System dann noch fortzusetzen.
Pläne hat man in dieser Beziehung genug; von schneller oder
sachgemäßer Ausführung aber ist manchmal wenig zu spüren. Die
jüngsten Zinkschmelzwerke in England hatte man 8 Jahre
vor dem Kriege errichtet, während in der Zwischenzeit in Deutsch-
land und Belgien 6 neue Zinkhütten entstanden. Die arbeitsparenden
Methoden maschineller Förderung, die von der deutschen Zinkhütten-
Industrie verwendet wurden, hatte man in England noch zu Beginn des
Krieges nicht nachgeahmt. Für den Mangel an Beweglichkeit und Or-
Miszellen. 61
ganisation in England spricht es außerdem, daß während des ersten
Kriegs Jahres die Erzeugung der englischen Zinkhütten auf die Hälfte
der normalen Produktion vor dem Kriege sank. Für den
Hauptgrund hielt man den Mangel an Arbeitskräften infolge der Re-
krutierung. Indessen hätte das Kriegsamt oder das Ministerium oder
eine andere Regierungsstelle wohl dafür sorgen müssen, daß durch Ver-
besserungen der Betriebstechnik der schon bestehenden Werke oder
durch Anlage neuer, besser ausgestatteter Zinkhütten, wenn nicht die
ungeheuerlichen Preise, so doch der Mangel an Zink behoben wurde.
Man braucht das Zink vor allem für die Herstellung von Patronen-
hülsen.
Erst Mitte 1915 wurden in England bestimmte Pläne zur
Lösung der Zinkfrage bekannt, die sich schon Monate vorher zu einem
der schwersten Probleme der Munitionsfrage ausgewachsen hatte. Man
wollte, nötigenfalls unter Hinzuziehung belgischer und französischer
Interessenten, neue Zinkhütten in England errichten, die jährlich im«
Stande sein sollten, 100000 t Zinkerz zu verhütten und daraus 40000 t
Zink und eine Anzahl von Nebenprodukten zu erzeugen. Die Kosten
für die Anlage der Werke wurden auf 850000 £ veranschlagt, die
Zeit für ihre Fertigstellung auf ein Jahr. Doch hoffte man, die ersten
Zinklieferungen bereits 9 Monate nach Beginn des Baues zu erzielen.
Für die Zeit nach dem Kriege beruhten die Pläne auf der An-
nahme, daß die australischen Zinkgruben neue Verträge mit den eng^
lischen Hütten gern abschließen, und daß die Länder der britischen
Krone sich durch einen Ausfuhrzoll auf Rohzink die Vorherrschaft
Deutschlands auf dem Zinkmarkte vom Leibe halten möchten.
Vor dem Kriege
t
betrug die Zinkgewinnung der "Welt i ooo ooo
In den Vereinigten Staaten geschmolzen 350000
In Deutschland geschmolzen (jetzt für England abgeschnitten) 250 000
In Belgien geschmolzen (jetzt für England abgeschnitten) 150000
Nächst Amerika befanden sich also vor dem Kriege die größten
Schmelzwerke in Deutschland. Jährlich erzeugten sie etwa 250000 t,
wovon ein großer Teil ausgeführt ward; hinzutraten etwa 150000 t
aus Belgien. Der „Economißt" sprach den Verdacht aus: die deutschen
Zink werke hätten beträchtlich mehr erzeugt, als sie an die Regierung
und an Privatfirmen verkaufen konnten; auch behaupte man, daß
die Zinkvorräte in Deutschland und Belgien, die nach dem Kriege auf
den Markt geworfen werden würden, auf mehr als 150000 t gesfiegen
seien. Es sähe daher so aus, als wenn das Zink nach dem Kriege sehr
billig werden müßte.
Einstweilen war diese Hoffnung ein schwacher Trost. Denn auch
zu Beginn des Jahres 1916 stiegen die Preise in London weiter.
Sowohl für Zink wie für Kupfer, Blei und Eisen erreichten sie einen
überraschend hohen Stand i):
1) „Economist" vom 4. März 1916.
62
Miszellen.
Ende Februar 1916
Höchster Preis
seit Ausbruch
des Krieges
Höchster
Preis
1913
Niedrigster
Preis
£ sh d
£ sh d
£ sh d
£ sh d
Kupfer
Blei
Zink
Eisen
lOI
33 15 -
95— iio£
84/.6
io8
35
I20
98/.O
78
22
27
70/.6
62
15
20
48/.6
Im einzelnen stellen sich die Schwankungen der amerika-
nischen Zinkpreise in Liverpool in folgenden Ziffern dar, die
ich als kennzeichnend herausgreife ^) :
1914
£ sh d
8. Oktober
45
3. Juni
"5
22. „
40
10. „
125 nominell
17. Dezember
44
17. „
140 nominell
24. „
120
1915
8. Juli
100—130
4. Februar
54
5. August
85-115
25. „
63
2. September
95
22. Aprü
70
7. Oktober
80—90
29. „
75 10 —
4. November
90—100
27. Mai
88
9. Dezember
98 — 100
Ungemein lehrreich sind für die wilden Schwankungen am Londoner
Majkt auch die trefflichen Kurventabellen, die die Deutsche Bank,
als Manuskript gedruckt, herausgibt.
Dabei stellt Zink ein sogenanntes geringwertiges Metall
dar! Einen großen Teil seines Verbrauchs dankte es im Frieden gerade
der Tatsache, daß es billiger war als Kupfer imd Kupferlegierungen,
obwohl es für mancherlei Zwecke weniger brauchbar ist als dieses.
Noch niemals war es im Frieden auch nur annähernd dahin gekommen,
daß der Zinkpreis dem Kupferpreis nahe kam. Jetzt aber stellten sich
beide auf die gleiche ungeheure Höhe ! Zink hatte in dem ganzen
letzten Jalirzehnt kaum jemals einen Tonnenpreis von 30 £ erreicht,
Kupfer war wohl niemals billiger als zu 55 £ zu haben gewesen-.
Häufig war dagegen der Fall eingetreten, daß der Zinkpreis außer-
ordentlich weit herunter ging, wie Anfang der 90er Jahre, da er sich
auf 14 £ stellte, und wieder 1908, da er sich auf I8V2 ^ belief. Kurz
vor dem Kriege wurde es mit etwa 20 £ gehandelt. Jetzt erzielte
es den 5-fachen Preis! Trotz allem war es nicht einmal möghch,
wirklich bedeutende Mengen von Zink zu erhalten. Lauteten doch
die Berichte vom Londoner Magrkt dahin, daß fast immer Nachfrage
vorhanden war, selten abex Greschäfte abgeschlossen wurden.
Auch die Kabelnachrichten vom New Yorker Markte zeigten
das gleiche. In Friedenszeiten hatte dort ein P^eis von 6 Cents für das
Pfund schon als gut gegolten; häufig war er imter diesen Betrag ge-
sunken, zuweilen (wie im Februar 1902) auf 4 Cents. Anfang 1915,
als man in Amerika selbst zur Munitionsherstellung übergingt
1) „The Ironmongers", Metal Market Year-Book 1916, London S. 78.
Miszellen. 63
und die Zinkknappheit dadurch verschärfte, begann die Speku-
lation daraus Nutzen zu ziehen. Der Zinkpreis ging in Sprüngen um 1,
um 2, ja um 3 Cents gleichzeitig herauf. Noch im Januar 1915 betrug
er nicht mehr als 5 Cents — im Juni desselben Jahres war er auf
22 Cents gesprungen! Anfang Mai hörten die Zinknotierungen in New
York vorübergehend ganz auf, weil der gewünschte Stoff überhaupt
nicht mehi" zu haben war. Dann kehrte in den Kabelnachrichten von
der Metallbörse in New York einmal über das andere das Wort „nomi-
nell" wieder — das sichere Kennzeichen dafür, daß irgend welche An-
gebote nicht mehr gemacht wurden.
Es spielte sich offenbar hinter den Kulissen ein wilder
Kampf zwischen den amerikanischen und englischen Ver-
käufern ab. Waiirscheinlich läßt sich sogar annehmen, daß die Lonn
doner Notierungen nicht selten hinter den wirklich für greifbare
Waren bewilligten Preise noch zurückblieben.
Die größte Zinkausfuhrmenge hatten die Vereinigten
Staaten vor dem Klriege in dem Finanzjahre 1911/12 mit 8687 t ver*
zeichnet. 2 Jahre später war die Zinkaus^uhr auf 1783 t gesunken.
Dagegen betrug sie in den 12 Monaten November 1914 bis Oktober
1915 nicht weniger als 119450 t!
Auch m,uß angenommen werden, daß eine ungewöhnliche Menge
Zink ab Messing ausgeführt wurde. Dessen Ausfuhr aus der Union
betrug vom Januar bis Oktober 1915 24 635 t, während sie sich im
selben Zeitraum des Jahres 1913 auf 2413 und während der gleichen
Monate des Jahres 1914 auf 1731 t gestellt hatte. Die Ausfuhr während
der ersten 10 Monate 1915 war also lOmal größer als die derselben
Monate 1913 oder des ganzen Finanzjahres 1914, wo sie 2440 t be-
tragen hatte.
Was die gewaltige Nachfrage nach Zink für die amerikani-
schen Bergwerke bedeutete^ läßt sich schwer begreifen — selbst
wenn man die von ihnen eingeheimsten ungeheuerlichen Ertrags-
ziffern hört. Um ein Beispiel zu geben, hatte das Butte & Superior
Zinkbergwerk vor dem Jahre 1914 niemals Dividenden auf ihr Grund-
kapital von 2 700000 $ gezahlt — während es in den 2 ersten Bjriegs-
jahren mehr als 40000000 $ an ihie Aktionäre ausschüttete I
Dieser goldene Segen stellte sich für den amerikanischen Zink-
bergbau erst 1915 ein, zumal seit dem Frühjahr. Auch der Winter
191 4/1 5 war für die Aktien von Zinkbergwerken, ebenso wie für
die von Kupfer-, Blei- und Silber- Werken keineswegs erfreulich.
Es erscheint heute beinaihe wie ein Rätsel, daß sich während dieser
ersten KJriegsmonate der Bedarf an Kriegsmetall auf dem Welt-,
meirkte in den für die Ententestaaten offenen Ländern nicht schärfer be-
merkbar machte. Vielmehr herrschton im allgemeinen noch die Verhält-
nisse der letzten Jahre vor dem Kriege. Im Gebiete der Vereinigten
Staaten waren 1913 nur 8000 t unreinen Ziaks (Spiauter) aus ein-
heimischen Zinkerzen mehr gewonnen worden als 1912; die Gesamt-
ziffer betrug für 1913 337 252 t. Gregen Ende des Jahres war in ein-
64 Miszellen.
zelneu Gruben der Betrieb wegen ungenügender Rentabilität eingestellt
worden.
Zu der aus einheimischen Erzen gewonnenen Erzeugung kamen
weitere 9424 t aus eingeführtem Erze hinzu. Der Staat Missouri
stand auch in diesem Jahre mit 129018 t an der Spitze der Produktion.
An zweiter Stelle kam Colorado mit 58113, danach Montana mit
35 700 t.
Die Roherzeugung in Missouri wird auf 215 030 t veranschlagt,
die nach einem für den Joplin-Bezirk berechneten Durchschnittspreiae von
45 $ für die Tonne einen Gesamtwert von etwas mehr als 9,5 Mill. I
darstellten. Die Zinkgewinnung in Missouri ist seit 1908 auf mehr als
das Doppelte angewachsen. Hauptgewinnungsbezirk ist Jasper.
Einen bedeutenden Gewinn ließ sich Missouri dadurch entgehen,
daß es das gewonnene Rohzink selbst nur zum geringen Teile aus-
schmolz. Nur 2 Zinkschmelzereien waren dort vorhanden : eine in
St. Louis, eine andere in Nevada. Schon vor dem Kriege wies man
darauf hin, daß es gerade im Staate Missouri durch Ausnutzung seiner
Wasserkräfte möglich sein müsse, nicht nur das gesamte dort ge-
wonnene Zinkerz, sondern auch das der benachbarten Einzelstaaten
auszuschmelzen und damit 1 — 2 Mill. $ mehr zu verdienen. Andere
Grafschaften dieses für den Zinkbergbau wichtigsten Staates der Union,
aus denen ebenfalls Zink gewonnen wird, sind: Barton, Newton^
Mc Donald, Barry, Lawrence, Greene, Washington, Jefferson. St. Fran-
gois, Madison. 14 — 16 weitere Grafschaften sind von geringerer Be-
deutung.
Die Zinkschmelzhütten verteilten sich vor dem Kriege in der
Union hauptsächlich auf folgende Staatengruppen:
1911 1912
Staaten ^' ^^^^ ^' Hälfte 1. Hälfte 2. Hälfte
Rohzinkerzeugung in Tons zu 907 kg
Illinois 41255 41875 44224 44065
Kansas 5° 574 47^39 52485 4^376
Oklahoma 19 997 26318 36010 41584
Andere 28 370 30 298 33 777 38 109
Summe 140 196 146330 166496 172 134
Um diese Menge Erzzink zu erzeugen, vrurde 1912 a»n Rohzink
erschmolzen; aus inländischen Erzen 3<23 961 t (zu 907 kg), aus frem-
den Erzen 14 669 t, also zusammen 338 630 t i^ Werte von 46731000$
gegenüber 286 526 t i;m Werte von 32 663 964 $ im Vorjahr, wovon aus
inländischen Erzen 271621 t, aus fremden 14 905 t stammten.
Eingeführt wurden 1912 rund 70000 t Erz mit 31500 t Zink-
gehalt. Von den eingeführten Erzen stammten 92 Proz. aus Mexiko.
Ins Auslanl gingen 1913 nur 19 953 t inländischer Zinkerze im Werte
von 704 207 $.
1914 blieben die Ziffern ähnlich für die Vorräte bei den Schmelz-
werken. Zu Beginn des neuen Rechnungsjahres stellte sich Zinkerz in
der Rege' auf etwa 9000 t, bei einer Jahreserzeugung von mehr als
300 OOÖ t. Trat also scharfe Nachfrage ein, so mußten die Preise in die
Höhe schnellen und eine Vermehruns: des Abbaus anre^^n.
Miszellen. ß5
Dies geschah nun durch den Krieg. Niemals vorher haben die
Zinkgebiete der Staaten (Missouri, Oklahoma, New Jersey usw.)
einen solchen Ansturm und ein solches Gedeihen erlebt, und es ist
äußerst unwahrscheinlich, daß ihnen jemals wieder ein ähnliches zuteil
werden wird. In dem führenden Gebiet — der Grafschaft Joplin in
Missouri — wurden zahlreiche neue Zinkbergwerke eröffnet und alte,
die man stillgelegt hatte, als der Zinkpreis auf 5 Cents das Pfund ge-
sunken war, wieder in Betrieb gesetzt. Den übrigen Zinkgebieten ging
es ähinlich. Abfälle und Nebenprodukte, die man früher achtlos beiseite
warf, wurden sorgfältig durchgearbeitet, um möglichst viel Zink heraus-
zuziehen.
So sprang *die Zinkerzeugung in den Vereinigten Staaten in der
zweiten Hälfte von 1915 und der ersten von 1916 toll in die Höhe.
Das schon genannte Butte & S u p e r i o r -Bergwerk brachte es im
ersten Halbjahr 1916 auf eine Förderung von 90 Mill. Pfund, die ihm
monatlich einen Gewinn von 1 Mill. $ einbrachte. Eine andere Zink-
firma, die Interstate Callahan -Gesellschaft in Idaho, hatte es vor
wenigen Jahren erlebt, daß ihre Aktien auf 50 Cents heruntergingen,
und noch in den Jahren vor dem Kriege schloß sie mit einem Fehl-
betrag. 1915 aber stiegen ihre Aktien auf 27 $, und in etwa V* Jahren
zahlto sie 4 Mill. $ an Dividenden aus.
Noch ein Beispiel: die New Jersey Zink Company warf im
Laufe von I1/2 Jahren Dividenden von mehr als 15 Mili. $ aus. AehnHch
ging es der Caledonia Company.
Kann, das in Zukunft so bleiben? Ganz sicher nicht. Schon
sind die Zinkpreise wieder erheblich gefallen, nach dem Friedensschlüsse
werden sie noch weiter zurückgehen müssen.
Der Zinkpreis für das Pfund betrug in Nordamerika im
Juli 1914
4,75
Cents
Januar 1915
5
„
Juni 1915
27
»»
Dezember 1915
17
>i
September 1916
9
Dieser Rückgang dürfte sich fortsetzen, so daß die amerikanische Zink-
hütten-Industrie der Zukunft mit lebhafter Besorgnis entgegensieht.
Der Grund liegt in den unvermeidlichen Wirkungen, die der britische
Handelskrieg gegen Deutschland, ist er wirklich erfolgreich,
auch auf den amerikanischen Wettbewerb haben muß. Die
englische Regierung hat — unter Verletzung eines für unantastbar gel-
tenden Grundsatzes des Völkerrechts — die Verträge der australischen
Zinkbergwerke über die Lieferung ihrer Zink- Konzentrate nach Deutsch-
land aufgehoben, um imstande zu sein, im britischen Reiche selbst
Zinkschmelzhütten aufzubauen. Die Verbündeten sollen daran teilhaben.
So hofft die Entente sich von dem deutschen Wettbewerb unabhängig
zu machen. Gleichzeitig aber wird sie — falls ihre Pläne tatsächlich
von Erfolg gekrönt sind, was immerhin abzuwarten bleibt — auch
von den Vereinigten Staaten unabhängig. Was sollen diese dann mit
den außerordentlichen Erweiterungen ihrer Zinkhütten beginnen ? Seit
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 5
65 Miszellen.
Ausbruch des Krieges haben sich die amerikanischen Zink-
echmelzhütten beinahe verdoppelt. Nach dem Kriege treten
in den internationalen Wettbewerb die deutschen und belgischen Schmelz-
werke von neuem ein. Sicherlich wird also der Wettbewerb auf dem
internationalen Zinkmarkte nach Friedensschluß noch schärfer sein als
vorher. Die amerikanische Zinkindustrie muß sich daher, nachdem sie
in kurzem Zeitraum fabelhafte Gewinne durchlebt hat, darauf gefaßt
machen^ mit einem so namhaften Rückgang der Zinkpreise zu rechnen^
daß nur diejenige Firmen hoffen können, die dann ausbrechende Krisis
zu überstehen, die einen Teil ihrer Kriegsgewinne dazu benutzt haben ,^
bedeutende Rückstellungen zu machen oder Betriebsverbesserungen
durchzuführen, die öine Verbilligung des Verfahrens ermöglichen.
Freilich werden die amerikanischen Zinkhütten keinen Mangel
an Erzen leiden. Wenn ihre Leistungsfähigkeit sich dem ungeheuren
Bedarf zum Trotz auch während des Jahres 1916 nicht auf kaum
mehr als 650000 t gehoben hat (gegenüber 460000 t Rohzink 191&
und 335 900 t 1914), so war dies nur darauf zurückzuführen, daü
die Hüttenanlagen nicht mehr leisten konnten. Dagegen erfuhr die
Aufbereitungstechnik in 'Nordamerika durch das sogenannte Flo-
tations-Verfahren eine bedeutsame Verbesserung, so daß die Erz-
gewinnimg der Vereinigten Staaten dadurch und durch die Erschließung
neuer Lagerstätten eine außerordentliche Vermehrung erfuhr.
In wie geringem Maße die Vereinigten Staaten auf die Zu-
fuhr ausländischer Erze angewiesen sind, ergeben folgende
Zahlen 1): es wurden in der Union verhüttet
1913
1914
Metrische Tonnen
1915
inländische Erze
8oi 8oo
767 200
I 012 800
mexikanische Erze
i8 IOC
14900
44600
kanadische Erze
5500
9600
12 700
australische Erze
—
62000
sonstige Erze
—
—
8 400
Immerhin ist 'die Steigerung der Zinkerzeugung in den Vereinigten
Staaten sc bedeutend, daß die amerikanischen Gruben nicht genug Erz
lieferten, sondern daß die Einfuhr großer Mengen von Zinkerz, nament-
lich aud Australien, nötig war.
Nach dem ,,Economista d'Italia." betrug die Zinkgowinnung^
der Vereinigten Staaten:
englische Pfund
im Werte von
1913
15565324
955 667 $
1914
129694022
8540668 „
1915
251 348910
31556898 „
1916
512 732 281
59303928 „
In Tonnen stellte sich die Zinkerzeugung 1916 auf 658000 t, d. h.
gegenüber dem Vorjahre 170000 t mehr. Auf die einheimische Er-
zeugung entfielen von der Ziffer des Jahres 1916 553000 t im Werte
von 150 Mill. $, während aus eingeführtem Erz 105000 t im Werte von
1) „Engineering and Mining Journal" 1. April 1916.
Miszellen. 67
30 Mill S gewonnen wurden; zusammen also für 180 Mill. $ —
während die Zinkerzeugung des Jahres 1915 im Gesamtbetrage von
489 519 t nur einen Wert von 121400000 $ ergeben hatte. Die Wert-
steigerung (50 Proz.) fällt auch hier in die Augen.
Wie das „Wall Street Journal" vom 22. Februar 1917 angibt, ist
die Zinkausfuhr der Vereinigten Staaten zwischen 1913 und 1916
um 2600 Proz. gestiegen. Die Ziffern betragen:
Zinkausfuhr der Vereinigten Staaten:
t
Wert in $
1913
6 949
955 667
1914
57899
8 540000
1915
112 209
31 600000
1916
188 719
59 400 000
Für die zukünftige Lage des deutschen Zinkhütten-
Gewerbes werden wir ferner zu beachten haben, daß England
mit seinen Kolonien sich mit aller Gewalt bestrebt, Deutsch-
land aus seinem früheren Zinkgeschäft auszuschalten.
Deutschland förderte 1913 aus eigenem Boden 679 600 t Zinkerz,
deren Metallgehalt auf 250 300 t berechnet wurde, während es aus
dem Aufrlaiide rund 313 300 t einführte, wovon allein 165600 t aus
Australien stammten. Dieses lieferte also mehr als die Hälfte der von
deutschen Zinkhütten verarbeiteten ausländischen Erze. Dagegen war
die Ausfuhr deutscher Zinkerze unerheblich: sie betrug 1913 nur
44700 t, die hauptsächlich nach Oesterreich und Belgien gingen.
England ist nun bestrebt, uns die australischen Zinkerze
ganz abzuschneiden und gleichzeitig eine eigene Zinkhütten-Industrie im
Rahmen des britischen Reiches zu entwickeln. Mitte 1916 traf die
englische Regierung Abmachungen mit der australischen, wonach die
erstere in einem Zeitraum, der sich 10 Jahre nach dem Friedensschluß
erstrecken soll, jährlich 100000 t Zinkerz und 45000 t fertiges Zink
von Australien abnehmen wird. Da zur Gewinnimg der letzteren
112 500 t Erz erforderlich sein werden, so sind insgesamt jährlich
212 500 t australisches Zinkerz für England nötig. Darüber hinaus
hat Australien jedoch jährlich etwa 400000 t Erz zur Verfügung.
Diese hofft man in Frankreich und Belgien unterbringen zu können.
Zur Ausführung der nötigen Arbeiten gewährt die englische Regierung
der australischen einen Vorschuß von 500000 £. Es ist zu diesem
Zwecke eine Gesellschaft (in Tasmanien) mit dem Grundkapital von
1000000 £ gegründet worden. Bedauernd meinte die „Times", als
sie diese Mitteilungen brachte: trotz diesem großzügigen Plane werde
England damit noch nicht unabhängig von fremdem Zinkbedarf, so
daß die Abmachungen enttäuschten ; immerhin sei es nur angenehm,
daß nunmehr die Deutschen ihre Herrschaft über den australischen
Zinkerzmarkt verloren hätten.
Eine Kabelmeldung der „Financial News" vom 11. Januar 1917
aus Hobart (Tasmanien) besagte: die dort errichteten elektro-
ly tischen Zinkschmelzwerke hatten den Betrieb nunmehr begonnen;
die erste Zinklieferang soll im Juni fertig sein.
5*
68 Miszellen.
Schon 1916 hatte ein Zinkschmelzwerk in Trail (Britisch-Kolumbia)
seinen Betrieb aufgenommen. Vom März an, da es eröffnet wurde, bis
Ende Dezember erzeugte es 6 Millionen englißche Pfund Rohzink im
Werte von 1 Mill. $. Canada trat damit zum ersten Male in die Reibe
der zinkverhüttenden Länder ein.
Auf alle Fälle wird also nach dem Kriege ein scharfer
Wettbewerb auf dem internationalen Zinkmarkt, sowohl für
Zinkerz wie für verhüttetes Zink, einsetzen. Nur wird davon nicht
allein Deutschland, sondern auch die nordamerikanische Union betroffen.
Die Eigenversorgung Deutschlands mit Rohzink dürfte auch durch den
englisch-australischen Wirtschaftskrieg nicht in Frage gestellt werden,
da wir glücklicherweise unseren gesamten Zinkverbrauch aus inlän-
dischen Erzen decken können. (Q.c.)
Miszellen.
69
III.
Die Eierpreise in Mannheim.
Von Amtsrat Dr. Emil Hofmann,
Vorstand des städtischen Preisprüfungsamts und Dozent an der Sozialen Frauenschule,
Mannheim.
Zufolge der Getränk- und Viktualientaxe für den Monat Dezember
1795 kosteten damals in Mannheim 2 Eier 4 kr., d. s. 12 Pfg. Vom
Januar 1796 ab wurde indessen kein Preis mehr festgesetzt. Im Juli
1806 erhielt man für 4 kr. 4 Eier, im August desgleichen, im Sep-
tember für 8 kr. 7 Eier, im Oktober für 4 kr. 3 Eier, und im November
für 8 kr. 5 Eier; die Umrechnung ergibt folgende Eierpreise für je
10 Stück: im Juli und im August 1806 29 Pfg., im September 33 Pfg.,
im Oktober 39 Pfg. und im November 46 Pfg.
Vom Dezember 1809 ab bis März 1836 sind uns nun die Eier-
preise — abgesehen vom Februar 1814 und Januar 1828 — Monat für
Monat bekannt (siehe Tabelle I).
Tabe
lle
I. P
reis füi
10 Eier 1810 —
1836.
Jahres-
Jahr
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Juni
Juli
Aug.
Sept.
Okt.
Nov.
Dez.
durch-
schnitt
Pfg.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
m=
Pfg.
Jt
Pfg.
Pfg.
=a
Pfg.
Pfg.
Pfg.
1810
58
58
29
19
26
26
29
29
33
39
46
46
37
1811
58
39
29
26
26
29
29
29
29
39
39
46
35
1812
58
58
29
29
29
29
39
33
39
46
46
58
41
1813
77
46
29
29
29
29
33
33
39
46
58
77
44
1814
77
.
29
29
29
33
33
33
39
46
58
58
42
1815
^l
5^
29
29
29
33
33
33
33
46
46
58
40
1816
58
58
33
33
33
29
33
39
39
46
58
58
43
1817
58
58
39
33
39
58
58
46
46
58
58
77
52
1818
77
58
46
29
29
33
39
39
39
58
77
77
50
1819
77
5?
39
39
29
33
33
33
33
39
46
58
42
1820
58
46
29
29
29
29
26
26
33
33
39
39
35
1821
39
39
39
39
26
26
26
26
26
26
26
46
32
1822
46
33
23
23
21
21
23
23
23
33
33
58
30
1823
58
58
33
33
21
23
29
29
26
26
26
39
33
1824
^?
26
23
23
23
23
23
23
23
23
46
46
28
1825
46
33
23
23
19
19
19
19
21
29
39
46
28
1826
46
33
33
19
19
19
19
23
23
29
33
33
27
1827
33
46
26
21
16
16
19
19
19
33
46
46
28
1828
39
26
19
21
23
23
23
26
29
39
46
29
1829
46
46
29
21
19
21
23
23
29
33
39
58
32
1830
77
58
26
21
21
19
23
23
33
39
39
39
35
1831
39
39
23
23
21
23
26
29
29
29
39
46
31
1832
58
43
29
39
26
26
33
29
39
39
46
46
38
1833
46
36
33
29
29
26
58
26
39
39
39
46
37
1834
39
29
26
23
23
23
26
29
34
29
48
58
32
1835
48
43
29
26
23
25
29
29
39
39
46
58
36
1836
46
35
29
.
70 Mifzellen.
Und zwar erhielt man im Dezember 1809 für 8 kr. 4 Eier, d. h.
das Ei kostete 6 Pfg., und für 10 Eier mußten 58 Pfg. bezahlt werden.
Im Januar und Februar 1810 veränderte sich der Preis nicht. Alsdann
kam ein gewaltiger Preissturz; im März bekam man für 4 kr. 4 Eier;
10 Eier kosteten also nunmehr 29 Pfg., gegen 58 Pfg. in den drei vor-
hergehenden Monaten. Der April brachte eine abermalige bedeutende
Verbilligung ; für 6 kr. wurden 9 Eier verabreicht, so daß sich der
Preis für 10 Eier auf nur 19 Pfg. stellte. In den folgenden Monaten
ging die Bewegung wieder aufwärts; im Mai und Juni mußte man für
9 Eier je 8 kr. anlegen; im Juli und August erhielt man für 4 kr.
4 Eier, im September für 8 kr. 7 Eier, im Oktober 6, im November
und Dezember nur noch 5 Eier. Der Preis für 10 Eier betrug hier-
nach im Mai und Juni 26 Pfg-, im Juli und August 29 Pfg., im Sep-
tember 33 Pfg., im Oktober 39 Pfg., im November und Dezember
46 Pfg. Im Januar 1811 ging es abermals aufwärts: für 1 Ei
mußten 2 kr. bezahlt werden, und damit betrug der Preis für
10 Stück 58 Pfg., wie im Januar 1810. Gegen die Mitte des Jahres
wurden die Eier wiederum billiger, und gegen das Ende zog der Preis
wieder an.
Diese Bewegung wiederholte sich so ziemlich Jahr für Jahr. Auf-
fallende Abweichungen von dieser B-egel sind für die Monate Juni
und Juli des Teuerungsjahres 1817 und für den Juli 1833 fest-
zustellen.
Am billigsten waren die Eier im Mai und Juni 1827 ; damals er-
hielt man für 8 kr. 14 Eier, d. h. 10 Eier kosteten nur 16 Pfg. Das
Preismaximum betrug 77 Pfg. für 10 Eier und zwar wurde dies er-
reicht: im Januar 1813, im Dezember 1813, im Janur 1814, im De-
zember 1817, im Januar, November und Dezember 1818, im Januar
1819 und im Januar 1830.
Rechnet man für die einzelnen Monate der 25 Jahre 1811 — 1835
die Durchschnittspreise aus, so erhält man folgende Beihe:
Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. De«.
54 45 30 26 25 27 30 29 32 37 44 53
Am billigsten sind also die Eier jeweils in den Monaten April und
Mai, am teuersten zur Winterzeit, im Dezember und Januar.
Für die 40er Jahre sind uns keine Preise bekannt. Was das
sechste Jahrzehnt anlangt, so wissen wir nur, daß Ende des Jahres
1857 in Mannheim frische Eier das Stück zu 2 kr. — 6 Pfg. — an-
geboten worden sind.
Dagegen gibt uns vom Jahre 1866 ab bis zur Gegenwart eine
fortlaufende Statistik Auskunft über die Bewegung der Eierpreise. Für
die Jahre 1866 — 1898 verdanken wir die letzteren den für das Groß-
herzoglich Badische Statistische Landesamt in Karlsruhe angestellten
Ermittelungen ; zur Verfügung stehen uns indessen nur die Jahresdurch-
schnittspreise (siehe Tabelle II).
Miszellcn.
71
Tabelle IL Preis für 10 Eier 1866 — 1897.
Jahr
Pfennig
Jahr
Pfennig
Jahr
Pfennig
Jahr
Pfennig
1866
46
1874
60
1882
62
1890
70
1867
50
1875
60
1883
66
1891
63
1868
50
1876
65
1884
65
1892
76
1869
47
1877
62
1885
73
1893
67
1870
58
1878
60
1886
68
1894
64
1871
57
1879
60
1887
65
1895
63
1872
57
1880
62
1888
64
1896
60
1873
64
1881
61
1889
63
1897
60
Im Jahre 1898 hat das Statistische Amt der Stadt Mannheim die
Eier in seine Preisstatistik aufgenommen, so daß wir in der Lage sind,
von da an wieder Monat für Monat die Preisgestaltung zu verfolgen
(siehe Tabelle III).
Während bis zum Jahre 1913 schlechtweg der Preis für 10 Eier
festgestellt wurde, ermittelte man vom Januar 1914 an einmal den
Preis für Trinkeier, zum andern für Kisten-, bzw. Sied- oder Koch-
eier; den Preis für die letzteren haben wir jeweils in Klammern bei-
gefügt.
Für den Zeitraum 1866 — 1897 läßt sich nun folgendes sagen, wo-
bei wir von der Betrachtung der Jahresdurchschnittspreise zunächst
(siehe unten) absehen wollen.
Nach unseren weiteren Unterlagen wurden im Februar 1868 in
Mannheim frische Eier das Stück zu 2 kr. — 6 Pfg. — angeboten.
Im April 1869 konnte man 7 gute frische Eier um 8 kr. — 23 Pfg. —
beziehen und 100 Stück um 1 fl. 48 kr. — 3,08 M. Mitte Februar
1874 kosteten 100 frische große Eier 4 fl. 6 kr., d. h. 7,01 M.
Mitte November 1876 betrug der Preis für 10 Stück 60 Pfg.
Die im Jahre 1879 gegründete Eierhandlung Emanuel Strauß bot
Ende dieses Jahres Eier zu folgenden Preisen an:
1. Frische gute Siedeier.
Deutsche Eier Italienische Eier
M. M.
100 Stück
50 „
25 „
6,20 7,70
3,10 3,90
1,60 2,00
2. Kalkeier.
100 Stück
50 „
25 „
5,40 M. 1
2,7 0 „ > f rei ins Haus geliefert
1,40 „ 1
Ende April 1880 bot diese Eierhandlung italienische Ware an, und
zwar 100 Stück zu 5,60 M., 50 Stück zu 2,80 M., 25 Stück zu 1,40 M.,
frei ins Haus geliefert.
72 Miscellen.
Mitte Januar 1881 kosteten bei dieeem Spezialgeschäft:
Deutsche Eier Italienische Eier
M. M.
100 Stück 6,20 8,50
50 „ 3*10 4,t6
25 „ 1,60 2,15
Im Februar wurde der Preis für italienische Eier auf 7,90 M. für
100 Stück ermäßigt. Die weitere Preisgestaltung war folgende :
Deutsche Eier Italienische Eier
M. M.
5. März 1881 5,40 7,00
8. „ 1881 5,00 6,00
15. „ 1881 4,80 5,80
23. „ 1881 4,60 5,60
23. Oktober 1881 6,oo 8,20
29. Januar 1882 6,80 —
5. Februar 1882 6,20 —
7. November 1882 6,40 —
Im Oktober 1887 wurden deutsche Siedeier zu 5, 6 und 7 Pfg.
angeboten, Kocheier zu 6 Pfg. und italienische Siedeier zu 9 Pfg. das
Stück.
Am 4. März 1888 machte die Eierhandlung Strauß bekannt, daß
deutsche und italienische Eier wesentlich billiger geworden seien; in-
folgedessen würden die ersteren zu 5, 6, 6^/2 und 7 Pfg. das Stück
verkauft werden.
Mitte April 1888 war der Preis für 100 deutsche Eier 4,60 M. und
für 100 italienische Eier 5,60 M.
Anläßlich eines Wunsches der Marktkommission, die Wochenmarkt-
ordnung dahin abzuändern, daß nicht nur Kartoffeln und Bohnen, sondern
möglichst alle auf den Markt gebrachten Verbrauchsgegenstände nach
dem Gewicht verkauft werden sollten, wurde — Ende 1888 und An-
fang 1889 — die Frage behandelt, ob sich auch bezüglich der Eier
eine entsprechende Vorschrift empfehlen würde. Die Marktkommission
bejahte diese Frage. Das Großherzogliche Bezirksamt hatte aber Be-
denken. Die Anfrage bei anderen Städten ergab, daß in Berlin, München,
Frankfurt, Stuttgart usw. eine derartige Bestimmung nicht bestand.
Dagegen war in Osnabrück der Eierverkauf nach dem Gewichte
polizeilich verordnet; das Pfund Eier kostete damals 40 Pfg. und stieg
im Winter bis auf 60 Pfg. Die Ansichten in Mannheim waren sehr
geteilt ; der Stadtrat stimmte dem Antrag der Marktkommission zu ; das
Großherzogliche Bezirksamt hielt an seinem ablehnenden Standpunkt fest.
Anfang Juli 1890 kosteten 100 frische und gute Eier 4,80 und
5 M. Ende November wurden folgende Preise verlangt: italienische
Siedeier das Stück 8V2 und 9 Pfg., 100 Stück 8,20 M., 1000 Stück
81 M. ; bayerische Eier 100 Stück 6,20 M. ; ungarische Eier 100 Stück
6,10 M., 1000 Stück 60 M.; Kalkeier 100 Stück 5,60 M., 1000 Stück
55 M.
Nach diesen Einzelaufzeichnungen wollen wir nunmehr Tabelle III
betrachten.
Miszellen.
73
Tabelle IIL Preis für 10 Eier 1898 — 1917.
Jahres-
Jahr
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Juni
Juli
Aug.
Sept.
Okt.
Nov.
Dez.
durch-
schnitt
P/g.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
Pfg.
1898
6o
60
60
60
60
60
60
60
60
60
60
60
60
1899
6o
60
60
60
60
60
60
60
60
60
60
70
61
1900
70
60
60
60
60
60
60
60
60
60
60
60
61
1901
6o
60
60
60
60
60
60
60
60
60
60
60
60
1902
6o
60
60
60
60
60
60
60
60
60
60
75
61
1903
75
75
75
75
75
75
75
75
75
75
75
75
75
1904
75
75
75
75
75
75
75
70
70
70
70
70
73
1905
70
75
75
80
80
80
80
80
80
80
90
100
81
1906
100
100
ICX)
80
80
80
80
80
80
90
90
90
88
1907
90
90
80
80
80
80
80
80
80
80
80
80
82
1908
100
80
70
70
70
70
75
70
70
75
70
80
75
1909
75
90
80
73
73
70
70
70
71
71
75
86
75
1910
80
85
74
70
70
70
70
70
70
70
70
88
74
1911
80
85
78
70
70
70
70
70
70
75
80
80
75
1912
80
90
88
70
70
69
70
70
70
75
80
83
76
1913
80
79
73
70
70
70
70
70
71
73
70
78
73
1914
115
118
95
88
90
90
90
120
120
135
140
140
112
(85)
(90)
(70)
(67)
(68)
(68)
(70)
(88)
(90)
(98)
(100)
(118)
(84)
1915
140
140
140
130
130
150
170
170
180
190
190
280
168
(115)
(100)
(108)
(HO)
(115)
(128)
(135)
(135)
(152)
(170)
(180)
(206)
(138)
1916
230
218
203
210
215
218
213
210
210
248
260
260
225
(180)
(165)
(165)
(235)
(220)
(218)
(225)
(245)
(275)
(320)
(320)
(320)
(240)
1917
260
(320)
260
(320)
260
(320)
.
Hiernach kosteten im Januar des Jahres 1898 in Mannheim 10 Eier
60 Pfg. Eine Aenderung, und zwar eine Erhöhung um 10 Pfg., trat
dann erst im Dezember 1899 ein. Im Februar 1900 ging der Preis
auf seinen alten Stand zurück. Eine abermalige Heraufsetzung — dies-
mal um 15 Pfg. — erfolgte im Dezember 1902. Trotz mehrerer Schwan-
kungen in den späteren Monaten und Jahren ist die Tendenz des Eier-
preises weiterhin eine steigende.
Während der Monate Dezember 1905, Januar, Februar und März
1906 kostete das Ei durchschnittlich 10 Pfg. Einen Preis von über
10 Pfg. für das Stück finden wir in unserer Tabelle erstmals im
Januar 1914 ; 10 frische Trinkeier kosteten zu jener Zeit 1,15 M. ; für
10 Kisteneier betrug der Preis 85 Pfg.
Der Krieg nun brachte eine gewaltige Verteuerung der Eier mit
sich. Im Juli 1914 kosteten 10 Trinkeier 90 Pfg., im August aber
1,20 M. ; die Preissteigerung beträgt somit SSVs v. H. Im Oktober
erfolgte eine weitere Erhöhung um 15 Pfg. und im November eine
abermalige um 5 Pfg. Immerhin waren damals die Eier noch ver-
hältnismäj3ig billig; so wurden noch Ende Januar 1915 größte Koch-
eier zu 8 Pfg., größte frische italienische Kocheier zu 9 Pfg. und große
frische Siedeier zu 11 Pfg. das Stück in Mannheim angeboten. Im
Laufe des Jahres 1915 wurden aber die Eier um 100 Proz. teurer; im
Dezember mußten die Verbraucher für 1 Trinkei 28 Pfg., für 1 Sied-
74 Miszellen.
oder Kochei 20,6 Pfg. bezahlen. Im November verkaufte die bereits
mehrmals erwähnte Eierhandlung Strauß frische große bulgarische
Eier, 1 Stück 17 Pfg., 100 Stück 17 M., 1000 Stück 170 M. Anfang
Dezember mußte jedoch dieses Geschäft „wegen Warenmangels bis auf
weiteres geschlossen" werden ; die erste empfindliche Eierknappheit war
eingetreten. Um dieser einigermaßen zu steuern, gab das städtische
Lebensmittelamt aus seinen Beständen an Kühlhauseiern kurz vor den
Weihnachtsfeiertagen größere Mengen an die hiesigen Eierhändler ; diese
waren verpflichtet, nicht mehr als 3 Stück an jeden Käufer und zwar
nur an Mannheimer Verbraucher abzugeben und den Preis von 20 Pfg.
für das Stück nicht zu überschreiten.
Zur Verhütung und Bekämpfung von Preistreibereien hat übrigens
die städtische Preisprüfungsstelle für Marktwaren bereits in den letzten
Monaten des Jahres 1915 Richtpreise für Eier festgesetzt, die gegebenen-
falls nur mit Genehmigung des städtischen Preisprüfungsamts über-
schritten werden durften.
Das Jahr 1916 brachte gewaltige Verschiebungen. Nach der Ver-
ordnung des Stellvertreters des Reichskanzlers vom 18. April mußten
die aus dem Ausland eingeführten Eier an die Zentraleinkaufsgesell-
schaft m. b. H. in Berlin abgeliefert werden. Vom 18. Mai ab konnten
in Mannheim Eier nur noch gegen Marken gekauft werden; übrigens
war Baden der erste Staat, der die Eierkarte eingeführt hat. Zunächst
sollten in der Woche 3 Eier auf den Kopf verteilt werden; am 10. Sep-
tember wurde bestimmt, daß auf die Eierkarte in der Woche nur ein
Ei abgegeben werden darf. Vom 1. bis 21. Oktober durften für eine
Person höchstens zwei Eier abgegeben werden. Am 21. November 1916
trat die Kundenliste für Eier in Mannheim in Kraft. In der Zeit vom
18. Mai 1916 bis 17. März 1917 erhielt in Mannheim jede Person
25 Eier, d. h. während dieser 10 Monate kommen durchschnittlich auf
den Kopf und Monat 2,5 Eier.
Was nun die Eierpreise im Jahre 1916 anlangt, so gingen die-
selben in den ersten Monaten gegenüber dem letzten Monat des vorher-
gehenden Jahres zurück. Im Januar wurden Tausende von bulgarischen
Eiern um 18 Pfg. das Stück in den hiesigen Eierhandlungen verkauft.
Ferner gab das Lebensmittelamt wiederum Kühlhauseier an die
Geschäfte, die von den Verbrauchern höchstens 20 Pfg. verlangen
durften; um möglichst zu verhindern, daß die Eier zu einem höheren
Preise verkauft wurden, ließ das Lebensmittelamt die Eier mit einem
Stempel versehen ; der von der Preisprüfungsstelle für Marktwaren fest-
gelegte Richtpreis betrug nämlich zu jener Zeit 20 — 24 Pfg.
Die niedersten Preise hat der März aufzuweisen; so setzte die
Preisprüfungsstelle am 6. März für frisch gelegte Eier einen Richtpreis
von 20 Pfg. fest, für die übrigen Eier einen solchen von 15 — 17 Pfg.;
Ende Dezember 1915 war der Richtpreis für Eier 25 — 26 Pfg.
Die Eierhandlung Strauß bot Anfang März 1916 „gute, große, zum
Backen und Kochen geeignete" Kalkeier zum Preise von 16 Pfg. für
1 Stück, und von 15,50 M. für 100 Stück an.
Mis Zellen. 75
Am 23. März wurde erstmals für holländische Eier ein Richtpreis
von der Preisprüfungsstelle beschlossen, und zwar 22 Pfg. für das Stück.
Im April kosteten in Mannheim holländische Eier bis zu 24 Pfg.,
oldenburgische' bis zu 25, Anfang Mai dänische und schwedische eben-
falls bis zu 24 Pfg.
Anfang April kamen — für die minderbemittelte Bevölkerung —
in den städtischen Läden ungarische Eier zum Preise von 13 Pfg. das
Stück zum Verkauf; an jeden Käufer wurden höchstens 3 Eier ab-
gegeben.
Zu gleicher Zeit bot die Eierhandlung Strauß nochmals — aber
wohl zum letzten Male — „jedes Quantum" große Kalkeier zu 16 Pfg.,
frische Eier zu 20 und 22 Pfg., Holländer Eier zu 23 Pfg. und extra-
schwere Holländer Trinkeier zu 24 Pfg. an.
Im Mai 1916 kam ein Erlaß des Großh. Badischen Ministeriums.
Nach diesem durften die Kommunalverbände, um den Eierpreis auf einer
erträglichen Höhe zu halten, als Erzeugerpreis keinen höheren Preis als
18 Pfg. festsetzen. Dem Aufkäufer durfte für die von ihm aufgekauften
Eier bei der Ablieferung an den örtlichen Sammelstellen höchstens ein
um 1^/2 Pfg. höherer Preis bewilligt werden. Der Preis, zu welchem
der Inhaber der Sammelstelle an die Bedarfsgemeinden oder Bedarfs-
kommunalverbände die Eier abzugeben hatte, durfte den Erzeugerpreis
höchstens um 2 Pfg. übersteigen. Beim Verkauf an den Verbraucher
war zum Verkaufspreis der Sammelstelle des Ueberschußverbandes
höchstens ein Zuschlag von 1 Pfg. für das Ei zu gestatten, gleich-
gültig, ob der Vertrieb in eigener Verkaufsstelle der Gemeinde oder
des Kommunalverbandes oder durch den Kleinhandel erfolgte. Hier-
nach ergab sich ein höchster Aufschlag zwischen Erzeuger- und Ver-
braucherpreis für das Ei von 3 Pfg. oder ein Verbraucherhöchstpreis
von 21 Pfg.
Am 31. Mai setzte die Preisprüfungsstelle für ausländische Eier
einen Richtpreis von 22 Pfg. fest; erhöht wurde derselbe am 27. Juli
auf 24 Pfg., am 24. August auf 26 Pfg., am 21. September auf 32 Pfg.
Im Juli überwies das städtische Lebensmittelamt mehrere tausend
polnische Eier zum Preise von 35 Pfg. das Stück an hiesige Kon-
ditoreien, Wirtschaften usw.
Im Oktober wurde der Preis für inländische Eier um 5 Pfg. herauf-
gesetzt; der Verbraucherpreis stellte sich nunmehr auf 26 Pfg.; als
Erzeugerpreis wurden bis zu 22 Pfg. zugelassen.
Und schließlich, am 4. Februar 1917, setzte das Großh. Badische
Ministerium des Innern für Inlandseier Höchstpreise fest; die Bekannt-
machung ist heute noch in Kraft.
Hiernach darf im Großherzogtum Baden der Preis für ein Hühnerei
guter Beschaffenheit bei Verkauf durch den Geflügelhalter (Erzeuger-
preis) höchstens 22 Pfg. betragen. Dieser Höchstpreis gilt sowohl ab
landwirtschaftlichem Betrieb wie frei Sammelstelle. Beim Weiterverkauf
an den Verbraucher (Verbraucherpreis) darf der Preis höchstens 26 Pfg.
betragen; tatsächlich hat sich also der Preis durch die Höchstpreis-
76 Miszellen.
festsetzung nicht geändert, denn seit Oktober 1916 kostete das in-
ländische Ei in Mannheim 26 Fig.
Mit der gleichen Bekanntmachung wurden auch für Enten- und
Gänseeier Höchstpreise bekannt gegeben. Beim Verkauf durch den
Geflügelhalter beträgt der Preis für ein Entenei 30 Pfennig und für ein
Gansei 50 Pfg. Der Preis beim Weiterverkauf an den Verbraucher
darf den Erzeugerpreis um höchstens 4 Pfg. überschreiten; der Ver-
braucherhöchstpreis beträgt hiernach für ein Entenei 34, für ein Gansei
54 Pfg.
Damit sind wir bei der Gegenwart angelangt. Betrachten wir nun
noch kurz die Jahresdurchschnittspreise des Zeitraums 1810—1916.
Am billigsten waren die Eier in den 20er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts. Während man im Jahre 1826 für 10 Eier im Durch-
schnitt 26 Pfg. bezahlen mußte, kosteten im Jahre 1916 solche 2,25 M. ;
sonach wurden die Eier in Mannheim in den 90 Jahren 1826 — 1916
um 765 Proz. teurer. Vor 100 Jahren, also im Jahre 1816, stellte sich
der Durchschnittspreis auf 43 Pfg.; die Preissteigerung beträgt also
für den Zeitraum 1816—1916 423 Proz. Da im Juli 1914 10 Eier
90 Pfennig, im März 1917 aber 2,60 M. kosteten, so beträgt bis jetzt
während des Krieges die Preisheraufsetzung 189 Proz.
In Wirklichkeit ist indessen die Verteuerung der Eier noch größer ;
denn vielfach standen in den letzten Monaten nur ausländische Eier
zum Preise von 32 Pfg. das Stück zur Verfügung. Berücksichtigt man
dies, so waren im März 1917 die Eier um 722 Proz. teurer als vor
100 Jahren; seit dem letzten Friedensmonat ist eine Preissteigerung
um 357 Proz. eingetreten. (G. c.)
Miszellen. 77
IV.
Wohlfahrtspflege, Caritas und soziale Arbeit.
Zum 25-jährigeii Jubiläum der Zentralstelle für Volks-
wohlfahrt.
Von Elisabeth Gnauck-Kühne (f).
Wenn der Krieg eine Lebenserschwerung ist, so ist er auch zu-
gleich eine Lebenserhöhung, denn er spannt alle Kräfte zur Betätigung
an. Wir erleben eine gesteigerte Tätigkeit auf allen Gebieten. Die
wirtschaftliche Gütererzeugung ruft nach Händen, die Munitionswerk-
stätten und chemischen Fabriken arbeiten fieberhaft, und daneben zeigt
eine stets anschwellende Literatur, wie Deutschland durch seine Geistes-
arbeiter denkt, und wie es in unserem Volke dichtet. Auch auf päda-
gogischem Gebiete herrscht reges Leben. Der Kampf um die Schule
ist unter der Losung Einheitsschule erneut ausgebrochen; die Frage
des weiblichen Dienstjahrs wird lebhaft erörtert. Zu den bemerkens-
wertesten Zeichen der Zeit gehört die Gründung sozialer Frauenschulen
in rascher Folge, nachdem eine längere Pause seit der Eröffnung der
alten sozialen Frauenschulen in Berlin, Hannover, Heidelberg und der
Frauenhochschule in Leipzig eingetreten war. Während des Krieges
eröffneten Köln (mit zwei Schulen) und Stettin den Reigen, Frank-
furt, Mannheim, München, Hamburg folgten, und Berlin eröffnete
seine vierte soziale Frauenschule. Die Stettiner und eine der köl-
nischen Anstalten sind städtisch. Die erstere hat den Namen Frauen-
dienstschule , die kölnische den Namen Wohlfahrtsschule erhalten.
Damit sind die Vorstände der Schulen in feinem Verständnis für die
Zeitforderungen der Entwicklung vorausgeeilt, denn die allgemeine
Frauendienstpflicht wird ernstlich erwogen, und die Wohlfahrtspflege
gewinnt zusehends an Bedeutung und allgemeiner Würdigung. Auch
Charlottenburg wird eine Wohlfahrtsschule eröffnen. Die Stadt Köln
hat außerdem in enger Verbindung mit ihrer Hochschule für kommunale
und soziale Verwaltung eine Frauenhochschule zur Ausbildung von
Sozialbeamtinnen für leitende Stellungen geschaffen. Noch nie ist die
Nachfrage nach sozial geschulten Arbeitskräften so groß gewesen wie
jetzt. Staat und Stadt wetteifern in der Einstellung weiblicher ge-
schulter Kräfte in ihren Anstalten für Wohlfahrtspflege oder Zentralen
für soziale Fürsorge. Die Zahl der angestellten Sozialbeamtinnen ist
so gewachsen, daß sie sich bereits in Vereinen zusammengeschlossen
und Stellenvermittlung organisiert haben. Dabei ist die Frage aufge-
worfen worden, ob auch unbesoldete Sozialarbeiterinnen dem Verein
78 Miizellen.
angehören können. Die Frage wurde verneint. Mit ihr war die Er-
örterung über den Charakter der unbesoldeten ehrenamtlichen Tätigkeit
gegeben. Die ehrenamtliche Tätigkeit setzte man mit Caritas gleich,
die besoldete mit sozialer Berufsarbeit ^). Mit dieser Erörterung ist
eine Frage neu aufgerollt, die in dem letzten Viertel des vorigen Jahr-
hunderts die sozialen Arbeiter lebhaft beschäftigte und auch jetzt wieder
sozial und karitativ arbeitende Kreise interessiert. Damals fragte man
kurz und klar: Caritas oder soziale Arbeit?
Die Zeitumstände, aus denen das Problem herausgewachsen war,
waren freilich andere. Das Jahr 1848 hatte ein Aufblitzen von Be-
strebungen gezeitigt, die dem Wohl des arbeitenden Volkes galten,
man wollte das Volk „organisieren". Auch in der Kirche fand das
Bestreben einen Wiederhall. Bischof von Ketteier hielt seine sozialen
Predigten, und Kolping gründete Gesellenvereine. Selbst die Frauen-
welt war von der Bewegung erfaßt; eine Luise Otto -Peters, die
Gründerin der deutschen Frauenbewegung, konnte dem sächsischen
Ministerium zurufen: „Vergeßt der Arbeiterinnen nicht!" Aber das
Interesse an Bestrebungen, die unmittelbar dem Volkswohl galten,
flaute in der breiten Oeffentlichkeit bald ab. Das Volk beruhigte sich,
und seine Freunde schwiegen bis zum Auftreten von Schulze-Delitzsch,
Lassalle und Marx. Eine längere Friedenszeit ließ politische Interessen
nicht in den Vordergrund treten. Der Sauerteig, der durch die neue
Auffassung vom Staate in die menschliche Gesellschaft geworfen war,
mußte sich erst allmählich durchsetzen und feste Formulierungen heraus-
bilden. So führten die sozialen und politischen Interessen ein krypto-
games Dasein, sie sanken gleichsam in das Unterbewußtsein der Nation ;
das geistige Leben wandte sich Bildungsfragen zu. Das Ideal der
Humanität wurde auf die Fahne geschrieben. Als den Weg zu diesem
Ziel betrachtete man Erziehung und Unterricht. Das französische
Schlagwort von der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wirkte in
anderer Tönung dabei mit. Die Brüderlichkeit, eine Gesinnung, sollte
durch Humanität in Tat umgesetzt, sollte Verbrüderung werden und
Gleichheit aus sich heraus bewirken. Freiheit verlangte man in Kirche
und Leben nach englischem Vorbild, und Einfluß auch besonders im
Wirtschaftsleben, das in immer steigendem Maße die öffentliche Auf-
merksamkeit beschäftigte. Der volkswirtschaftliche Kongreß wurde ein
Brennpunkt des öffentlichen Lebens und stellte die Bildungs- und
Humanitätsbestrebungen in Schatten. Englische Erfindungen wurden
in Deutschland angekauft, vervollkommnet und mit Eifer angewandt.
Industriezentren bildeten sich im Königreich Sachsen, in Rheinland-
Westfalen, die Kohlen- und Eisengewinnung beschäftigten das Ruhr-
und Saargebiet und Schlesien. Fabriken erstanden, Maschinen hielten
ihren Einzug. Jedermann konnte ungehindert produzieren; die Zunft-
schranken wurden durch die Gewerbefreiheit niedergelegt. Die Frei-
zügigkeit ließ die Städte anschwellen. So wollte es die manchesterliche
1) Vgl. Alice Salomon in Nr. 21 und die Antwort von E. v. Erdberg in Nr. 22
der „Concordia", 1916.
Miszellen. 79
Richtung im Wirtschaftsleben, und der politische Liberalismus verhalf
ihr zur Herrschaft. Die frei gewordenen Kräfte regten sich, die Frank-
reich auferlegte Kriegsentschädigung gab den letzten Anstoß, und ein
beispielloser Aufschwung setzte ein.
Aber bald zeigten sich bedenkliche Risse in dem Fundament des
stolzen Baues unseres Wirtschaftslebens. Die soziale Frage war da.
Sie zeitigte den Ruf nach Sozialreform, und in ihrem Dienste die so-
ziale Arbeit. Diese war eine neue Erscheinung. Bislang war auf
dem Gebiete der Nächstenhiife die Caritas, die dienende Nächstenliebe,
Alleinherrscherin gewesen. Die soziale Arbeit trat zu ihr in bewußten
Gegensatz.
Die Caritas, die irrationale, aus natürlichen Trieben allein nicht
zu erklärende Nächstenliebe, konnte auf eine ununterbrochene gewaltige
Ueberlieferung zurücksehen, die so alt ist wie die Religion.
Auch der rein natürliche Mensch, der Mensch als animale, kennt
Gemütstriebe, Gefühle, wie wir sie auch bei den Tieren beobachten,
und zwar in einem Grade, der zur Symbolisierung der aufopfernden
Mutterliebe in der Tiergestalt des Pelikan führen konnte. Mit Caritas
können wir diese Gefühle des Naturmenschen aber noch nicht bezeichnen,
es sind Instinkte, unbewußt und unfreiwillig auf den Zweck gerichtete
Triebe. Zur Caritas wurden sie erst durch die Religion erhoben.
Unter den Trieben des natürlichen Menschen war es nicht der Ge-
schlechts-, sondern der Mutterinstinkt, das weibliche Prinzip, das der
Einwirkung der Religion den Hebelpunkt bot. Der Mutterinstinkt ist
soziologisch das Primäre, der Urquell altruistischer Gefühle und damit
der Caritas. Der Mann will Befriedigung, die Mutter Hingebung.
Der Mann will das Geschlecht, das Weib aber das Kind. Der Mutter-
instinkt ließ das Weib Zuneigung für den Säugling empfinden, der sie
behinderte, belästigte. Mit Leichtigkeit hätte sie sich des hilflosen
Wesens entledigen können, statt dessen nahm sie alle Last willig und
geduldig auf sich. Zur Mütterlichkeit, zur Gesinnung wurde dieser Ur-
trieb der Mutterschaft freilich erst durch die Religion. Gratia supponat
naturam. Die Religion war es, die die Gemütstriebe des Menschen
aber nicht nur erklärte, sondern auch dimensional entwickelte. Instinkt
ist immer zeitlich und zwecklich abgegrenzt, Caritas wächst über natür-
liche Beziehungen hinaus. Die Instinkte teilt die menschliche Natur
mit den tierischen Lebewesen sowohl an Art wie an Stärke; ihre Be-
einflussung und Entwicklung durch die Religion kennt der Mensch allein.
In der ersteren Behauptung eine Entwürdigung der Menschennatur
sehen zu wollen, geht nicht an, denn wenn die Religion nichts Ver-
klärungswürdiges vorgefunden hätte, wie hätte der Mensch religiös
werden können ? Im Gegenteil, diese Ansicht führt den Schnitt zwischen
der Tier- und der Menschenwelt. Im Menschen fand die Religion An-
knüpfung an Potenzen, die wir als Seele bezeichnen, und die dem Tiere
fehlen. Diese Potenzen konnte sie zur Entfaltung bringen, und sie tat
es. Sie setzte das menschliche Bewußtsein zum Uebernatür liehen in
Beziehung und gab dem Triebleben Würde und erhöhten Wert. Die
gO Miszellen.
Nächstenliebe wurde ein Gebot von grundlegender Bedeutung und
großer Verheißung. Auch die heidnische Religion und das Judentum
entwickelten ein hohes Maß von Verwandtenliebe. Antigene setzt für
die Seelenruhe des gefallenen Bruders ihr Leben aufs Spiel, und die
Juden haben von jeher ein vorbildliches Familienleben und große Wohl-
tätigkeit gepflegt. Aber die weiteste Ausdehnung und größte Vertiefung
fand die Nächstenliebe in der christlichen Lehre, die insonderheit die
Liebe zu den Bedrängten empfahl, ja sogar die Feindesliebe verlangt.
Die Kirche lehrte, daß die leiblichen und geistlichen Werke der Barm-
herzigkeit Charakteristika der Christen seien, und daß aller religiöse
Glaube ohne Taten der Nächstenliebe wertlos sei. Liebeswärme durch-
drang das religiöse Leben im Mittelalter, und nicht nur in engen, aus-
erwählten, sondern in weiten Kreisen, so daß viele die Wonne des
Wohltuns empfanden und sich daran erquicken konnten. Der Bettler
war der Verursacher dieser inneren Freude und deshalb auch nicht die
fragwürdige Gestalt von heute, der der Kampf angesagt worden ist,
und deren gänzliche Beseitigung unser Stolz sein würde, er war viel-
mehr ein ergänzender Bestandteil der menschlichen Gemeinschaft. Al-
mosengeber- und -nehmer befanden sich wohl bei dieser Rollenverteilung:
das Almosengeben war eine religiöse Pflicht, deren Uebung keine Ueber-
hebung nahelegte; das Almosennehmen war erlaubt und mit keiner
Schande verknüpft. Die Bettler, Krüppel und Blinden gehörten zu den
Kirchtüren und Klosterhöfen wie der Lindenbaum zum Dorfbrunnen.
Für alles wußte die werktätige Nächstenliebe Rat, so daß Karl Bücher
sagen kann: „Die Anstalten, welche das Mittelalter geschaffen hat,
genügten doch Jahrhunderte lang dem Bedürfnisse der Zeit, von der
man mit Unrecht mehr verlangen würde, als ihre Mittel erlaubten."
Nun wäre es freilich unerklärlich, wie mittelalterliche Caritas eine
solche Glut und Fülle aufweisen könnte, wenn sie ein Pflichtgebot und
nichts weiter gewesen wäre. Pflicht ist ein fester, zuverlässiger, aber
karger Boden, auf dem sich Häuser bauen lassen, irrationale Liebes-
tätigkeit aber, dem ichbestimmten Menschen unfaßlich, sicher nicht ge-
deiht. Hier ist zu bedenken, wie stark die Ueberlieferung christlichen
Gemeinschaftslebens im Mittelalter noch war. Die Kirche hieß die
katholische, das heißt allen gemeinsame. Die zahlreichen Gottesdienste,
deren Besuch das Kirchengebot vorschrieb, pflegten das Gemeindeleben ;
Formen des Gemeinschaftslebens wurden gefunden, die in glücklicher
Weise die Schwierigkeiten jedes gemeinsamen Lebens überwanden und
bis auf die Gegenwart dauern. Das Bewußtsein der Zusammengehörig-
keit wurde beständig wach erhalten. Es lag im Geiste der Zeit, im
Bettler den armen Bruder zu sehen, dessen Bedürfnislosigkeit, weit
entfernt, ein Stein des Anstoßes zu sein, eher als Tugend empfunden
wurde. Der Arme von Assisi verlangte von seinen Jüngern freige-
wählte Armut, möglichste Bedürfnislosigkeit, wie er denn selbst sich
seines irdischen Besitzes entäußert hatte. Von unserem Zeitideal des
Luxus und unserem Arbeits- und Zahlenwahnsinn war jene Stimmung
allerdings weit entfernt, aber sie hat die Not ihrer Tage, wie Bücher
sagt, wirksam bekämpft.
Miszellen. gX
Wenn Bücher damit recht hat — und das hat er — so liegt die
Ursache freilich nicht allein in der unleugbaren Wärme und dem Um-
fang der Caritas, sondern wesentlich mit in den Zeitumständen und der
Beschaffenheit der menschlichen Gruppierung. Die deutsche Staats-
gewalt im Mittelalter war zwar weit entfernt von der Machtzentra-
lisation, wie wir sie kennen, aber die städtischen Gemeinden bildeten
starke Selbstverwaltungskörper, in denen die einzelnen Berufsstände
straff organisiert waren. Es sei nur erinnert an die Zünfte der Hand-
werker, die Gilden der Kaufleute. Die Stände standen fest, und das
Arbeitsverhältnis der Abhängigen, der Gesellen und Lehrlinge, der
zünftigen Arbeiterinnen und der Mägde, die dem Meister oder der
Meisterin beim Zurichten des Flachses und der Wolle und beim Spinnen
halfen, war gesetzlich festgelegt. Dazu kam, daß die Ansammlung von
Menschen nicht annähernd so groß war wie heute. Wenn wir eine
Stadt von 5000—20000 Einwohnern statistisch als Kleinstadt be-
zeichnen, so war im Mittelalter eine Stadt mit dieser Bevölkerungs-
zahl eine Großstadt. Deutschland wird von Ballod vor dem dreißig-
jährigen Kriege auf 20 Millionen Einwohner, nach ihm auf 8 bis
9 Millionen geschätzt.
So war und blieb das Elend übersehbar. Es waren nicht im
Arbeitsverhältnis liegende Schwierigkeiten ganzer Berufsstände, die es
zvL beheben galt, sondern immer Einzelschicksale, Varianten von selbst-
verschuldeter und unverschuldeter Not, für die durch Geldopfer in Form
von Stiftungen, Almosen, Unterstützungen, sowie durch Seelsorge ge-
sorgt werden konnte. Selbst für das Laster hatte man jahrhunderte-
lang duldsames Verständnis, bezeichnete beispielsweise die „fahrenden
Frauen" eher als „irrende, schwache, wandelbare wilde Weiber" denn
als lasterhafte und suchte sie durch Aufnahme in besonders für sie
errichtete Reuerinnenklöster auf den rechten Weg zurückzuführen.
Nicht als ob Berufskämpfe ganz unbekannt oder unmöglich gewesen
wären. Wir hören von den Gesellenkämpfen, aber sie blieben auf die
Beteiligten beschränkt und waren an Bedeutung und Tragweite mit
unseren Klassenkämpfen schon deshalb nicht zu vergleichen, weil sie
sich innerhalb ein und derselben Klasse abspielten. Die Caritas be-
sonders war auf wirtschaftliche oder soziale Kämpfe nicht eingestellt,
sie war dem Einzelschicksal geweiht.
Die Caritas, von übernatürlichen Quellen gespeist, überstand auch
den sittlichen Niedergang im 15. Jahrhundert und die furchtbare Zeit
des dreißigjährigen Krieges. Danach aber war die Entwicklung in der
katholischen und evangelischen Welt verschieden. In der katholischen
Kirche blieb die Caritas in Uebung. Sie erhielt neue, bis in die
Gegenwart fortwirkende Impulse namentlich aus Frankreich, wo Mitte
des vorigen Jahrhunderts die rührigen Vinzenzvereine gegründet wurden,
deren weibliche Seitenstücke die Elisabethvereine sind. Ueber die
Caritas ging das Zeitverständnis der französischen Katholiken freilich
nicht hinaus. Selbst wo sie später dem Gebot der Stunde gehorchen
und sich sozial betätigen wollten, schufen sie beispielsweise nicht
Standesvereine der Arbeiter und Arbeiterinnen, sondern „Patronagen",
Jahrb. f. Natioualök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). Q
g2 Miszellen.
d. h. Vereine, in denen vornehme Damen die erwerbstätigen Mädchen
„beschützten". Im Geburtsland des neuen Staatsbegriffs und der Neu-
ordnung der Gesellschaft blieb die Caritas auf den alten Gleisen, und
soziale Interessen wurden nur schüchtern von Einzelnen oder kleinen
Gruppen vertreten. In Deutschland dagegen nahmen die Katholiken
entschieden zur sozialen Frage Stellung und gingen bahnbrechend vor.
Der Verband „Arbeiterwohl" und der Volksverein wurden in München-
Gladbach gegründet.
In der Frühzeit der evangelischen Kirche kam die Caritas nicht
recht zu Wort. Als äußeren Grund für den Wegfall der reichen Stif-
tungen und Unterstützungen und des armenpflegerischen Gemeinde-
dienstes können wir die Verwüstungen anführen, die der furchtbare
Krieg über Deutschland gebracht hatte, und die Uebernahme pflege-
rischer Aufgaben durch die Pfarrfrau. Auf den Reichtum Deutsch-
lands im 15. Jahrhundert, der Aeneas Sylvius sagen läßt: „Cuperent
tam egregie Reges Scotorum quam mediocres Nurimbergae cives habitare",
war eine Armut gefolgt, wie sie das Reich noch nicht gesehen hatte.
Auch kostete der Kampf der evangelischen Kirche um ihren Bestand
und Ausbau viel Kraft. An inneren Gründen sprach das Bedürfnis
mit, sich von der alten Elirche zu unterscheiden und die eigene Lehre
scharf zu formulieren. So verneinte man mit Heftigkeit den Wert der
guten Werke, also auch der Caritas, um ausschließlich die Rechtfertigung
aus dem Glauben zu betonen. Dadurch wurde die Caritas ihrer
stärksten Triebfeder, der religiösen Inspiration, beraubt. Indem die
Reformation den Einzelnen auf sich stellte, die Vermittlung zwischen
Gott und Menschenseele ablehnte, löste sie naturgemäß das engste Band
zwischen dem Geistlichen und seiner Gemeinde, wie sie durch die
mindere Wertung guter Werke das Band zwischen den verschiedenen
Schichten der Gemeinde lockerte. Somit wurde an Stelle des Gemein-
schaftsgedankens und -empfindens, das bei den Pietisten und Herrn-
hutern pflegerische Zuflucht fand, der Individualismus gesetzt, der sich
sowohl in der Ethik als im Wirtschaftsleben bald fühlbar machte. Be-
sonders das letztere entwickelte sich mehr und mehr egozentrisch; die
letzten innerlich-sittlichen Hemmungen, wie einzelne Kirchengeboie
(z. B. das Verbot des Zinsnehmens bei Konsumtivkredit, die Heiligung
der Sonn- und Festtage) sie darstellten, waren beseitigt, das christ-
liche Gemeinschaftsbewußtsein geschwunden, der Einzelne auf sich ge-
stellt, das Wirtschaftsleben auf die Automatik von Angebot und Nach-
frage angewiesen. Die evangelische Kirche sah den Geist, den sie
gerufen, zum Herrn werden, aber sie nahm mutig den Kampf mit ihm
auf. Im 19. Jahrhundert treffen wir deutsche evangelische Christen,
die die Caritas neu erweckten. Neben ihnen begann die Innere Mission
ihr Werk. Aber auch die evangelische Kirche Deutschlands be-
schränkte sich nicht auf die Caritas, die alte christliche Liebestätigkeit
gegenüber dem Einzelschicksal, sondern nahm neue Gedanken auf, um
der Not der Zeit begegnen zu können. Der Kirchentag zu Halle er-
klärte die evangelische Kirche „für berechtigt und verpflichtet, an der
Lösung der sozialen Frage mitzuarbeiten". Geistliche traten mit Staats-
Miszellen. ^
Wissenschaftlern zum evangelisch -sozialen Kongreß und der freien
kirchlich-sozialen Konferenz zusammen. Vor diesen Vereinigungen, die
von geistlicher Seite ausgingen, war bereits der Verein für Sozialpolitik
entstanden, nach ihnen wurde die Gesellschaft für soziale Reform ge-
gründet. Die soziale Bahn war beschritten.
Es war hohe Zeit. Die Entwicklung hatte nicht stillgestanden.
Die Periode der industriellen Großunternehmungen und der sozialdemo-
kratischen Propaganda war angebrochen. Das Ideal der Humanität
hatte die gehegten Erwartungen nicht erfüllt. Statt der erhofften Ver-
brüderung war der Klassenhaß entbrannt und wurde von der Sozial-
demokratie geschickt geschürt. Statt der Gleichheit standen sich Unter-
nehmer und Arbeiter wie feindliche Welten gegenüber, und die ge-
rühmte Freiheit, Wohnort und Gewerbe zu wechseln und den Arbeits-
vertrag abzuschließen, hatte sich für die schnell anwachsende und in
den Städten sich zusammenballende Industriearbeiterschaft als ein Da-
naergeschenk erwiesen. Der kapitalkräftige Unternehmer und der Mann,
der nichts hatte wie seine Arbeitshände, waren nicht gleiche Vertrags-
komponenten. Die Not des vierten Standes trat grell zutage. Die
Atomisierung der Gesellschaft machte sich fühlbar, und die Frage, wie
der Auflösung neue Bindungen entgegenzusetzen wären, der Arbeiter-
stand in das Staatsganze wieder einzugliedern und ein neues Arbeits-
recht zu schaffen sei, beschäftigte hellsehende Männer in allen Kreisen
vom Thron bis in die Arbeiterschichten hinein. Die Sozialreform setzte
ein und errang aller Verkennung und Anfeindung zum Trotz die Arbeiter-
schutz- und V ersieh erungsgesetzgegung, die den Umsturz bekämpft,
unsere Arbeiterschaft vor Verkümmerung bewahrt und ihr wesentlich
geholfen hat, das zu werden, als was sie sich im Kriege gezeigt hat.
Soziale Arbeit wurde die Losung. Die Caritas trat in den Hinter-
grund. Soziale Arbeiter und Arbeiterinnen wiesen sie bewußt ab. Und
in der Tat, hier genügte die Caritas nicht. Die Einzelhilfe konnte
noch so vielen die Hand bieten, die ganze Schicht, den ganzen Berufs-
stand der Industriearbeiter umspannte sie nicht, und hätte sie es ge-
konnt, so wäre der Versuch einer Annäherung erfolglos gewesen ; denn
mit Stiftungen, Unterstützungen und Suppenküchen war dem Arbeiter
nicht geholfen. Er hätte die dargebotene Hand überhaupt nicht er-
griffen, sondern zurückgewiesen; denn das Standesbewußtsein war er-
wacht. Er wollte keine Wohltaten, keine Almosen, sondern sein staats-
bürgerliches Recht. Die Volksschule hatte ihn acht Jahre lang zum
Denken genötigt, das allgemeine gleiche Stimmrecht mit geheimer Wahl
hatte ihn politisch geweckt, nun verlangte er nach Rechtsschutz in
seinem Arbeitsverhältnis und Bewegungsfreiheit zur Selbsthilfe. Da
konnte nur das Gesetz helfen. Deshalb trachtete die Sozialreform nach
einem neuen sozialen Recht. Das lag der Caritas fern, die nur Liebe
und Aufopferung, nicht Kampf ums Recht auf ihre Fahne geschrieben
hatte und sich um Gewerbeordnung und Koalitionsfreiheit nicht kümmerte.
Freilich war auch soziale Arbeit Nächstenhilfe und wollte es sein, aber
sie verstand die Nächstenhilfe anders. Das Streben ging dahin, die
Arbeiter und Arbeiterinnen zur Selbsthilfe zu ertüchtigen. Hilf ihnen,
6*
34 Hiszellen.
sich selbst zu helfen, war das Stichwort. Und diese Selbsthilfe wollte
und sollte die Arbeiterschicht durch Organisation erreichen. Dazu
brauchte man wieder staatliche Erlaubnis und landete somit wieder
beim Streben nach Gesetzesrecht. Die Organisierung der Arbeiter und
Arbeiterinnen zu ermöglichen und zu unterstützen, das war anfangs
die Hauptaufgabe der sozialen Arbeit, Rechtsschutz ihr Ziel.
Die ganze Stimmung in den sozialreformerischen Kreisen lag der
Caritas nicht. Die charakteristische Aeußerung des Arbeiters, dem
Suppenmarken angeboten wurden : „Wir wollen eure Suppen nicht, gebt
uns unser Recht, dann werden wir Fleisch essen", war der guten Frau
mit dem Herzen voll Liebe und der Tasche voll Suppenmarken unbe-
greiflich, denn in ihrem Gemüt war noch die Vorstellung verankert,
daß Hilfsbedürftigkeit und Suppenmarken zusammengehören, und so
empfand sie das Standesbewußtsein der Arbeiterklassen und ihre Ab-
neigung gegen Almosen als Anmaßung, behandelte sie entsprechend und
wirkte eher aufreizend als versöhnend. Nicht als ob die gesegnete
karitative Tätigkeit stillgelegt worden wäre, sie stand nach wie vor
in aufopfernder Arbeit im Dienste der Notleidenden, Kranken und Ent-
gleisten und betonte ihre Berechtigung unter Hinweis auf das Wort
Jesu: „Arme habt ihr allzeit bei euch", nur die Zeitforderung und
Form der sozialen Arbeit wies sie ihrerseits ab. Der soziale Arbeiter
seinerseits betonte der Caritas gegenüber, daß letztere rein symptomatisch
verfahre und warte, bis das Geschwür zum Ausbruch komme, während
er dem ganzen Körper zur Gesundung verhelfen und verhüten wolle,
daß Geschwüre sich bilden ; verhüten aber sei besser als heilen. Femer
nahm die soziale Arbeit für sich eine größere Tragweite in Anspruch,
und man kann nur zustimmen, wenn ihre Vertreter ausführten, daß
durch einen einzigen Gesetzesparagraphen, der die Arbeitszeit kürzt
oder eine hygienische Maßnahme zur Verhütung von Gesundheitsschädi-
gungen in den Betrieben erzwingt, Millionen gefördert und üebel an
der Wurzel gepackt würden, deren Folgeerscheinungen die Caritas zu
bekämpfen haben würde. Darauf erwiderte dann die Caritas, daß diese
Folgeerscheinungen sich höchstens vermindern, aber nie ganz vermeiden
lassen würden, und daß sie deshalb unentbehrlich sei.
So verteidigten soziale Arbeiter und Caritasjünger ihr Tun und
ihre Grenzen. Die einen schrieben Rechtsschutz, die anderen Liebes-
dienst auf ihre Fahnen. Sie schienen sich zu fliehen, und ihre Tätig-
keit glich doch Trieben aus derselben Wurzel, die auseinander wachsen,
um eine um so vollere gemeinsame Krone zu bilden. Sie mußten sich
wiederfinden und fanden sich, und die Annäherung ging, wie wir sehen
werden, von der jüngeren Schwester, der sozialen Arbeit, aus, die der
Caritas, der Erstgeborenen, den Rang streitig gemacht hatte.
Die soziale Arbeit hatte Gesetzesschutz angestrebt. Das alte Recht
war teils aufgehoben, so die Zunftordnungen, teils genügte es nicht;
denn die Arbeitsverhältnisse in der Zeit der großen Unternehmungen
waren neu, neu waren auch die Lebensbedingungen des industriellen
Arbeiters, der frei war, zu arbeiten, wo er wollte, und zu verhungern,
wo er wollte. So mußte erst ein neues Arbeitsrecht gebildet werden.
Miszellen. g5
Diesem neuen Rechte mußten, wie jedem Gesetzesrecht, Sitte und
Brauch vorhergehen, die das Gesetz, in Stein gemeißelt, dann
schützen oder verdammen und unter Strafe stellen konnte, eine An-
schauung, die implicite schon in dem Tacituslobe Germaniens liegt, in
dem er Sitte und Gesetz einander gegenüberstellt: „plusque ibi boni
mores valent quam alibi bonae leges". Später hat es den Germanen
an Gesetzen nicht gefehlt. Zu den historischen Verdiensten der sozialen
Arbeit gehört es, neuer Sitte, neuem Brauch den Weg geebnet zu haben
trotz scharfer Anfeindung und Verkennung, ja Verfolgung von Seiten
aller derer, die die Zeitideen und die Aufwärtsbewegung des vierten
Standes verkannten uud mit äußeren Mitteln wähnten beseitigen zu
können, sei es durch Ausnahmegesetze, die doch nur ins Feuer schlugen
und Funken umhersprühen ließen, sei es durch die Versicherung, daß
sie als ultima ratio vor der Kanone nicht zurückschrecken würden.
Ein verkümmerter Arbeiterstand erschien dieser Richtung weniger be-
denklich, als ein selbstbewußter, leistungsfähiger nach der alten Meinung
(mutatis mutandis):
Rustica gens
Optima flens
Pessima ridens.
Auch dem ältesten Recht war Brauch und Sitte vorangegangen.
Die Forschungen über die Urgeschichte der Familie haben die An-
nahme bestätigt, daß die Menschen auch in vorhistorischer Zeit in
großen Gruppen zusammenlebten, eine Annahme, die einleuchtet, wenn
man die Härte des Kampfes ums Dasein in Urzeiten sich vergegen-
wärtigt. Es ist nun aber auch kein Naturvolk gefunden worden, in
dem die Gemeinschaft nicht feste, bestimmte Sitten und Gebräuche ge-
zeitigt hätte. Das Zusammenleben vieler ist ohne Normen, die die
Willkür eindämmen, einfach unmöglich. Zank, Streit, Tätlichkeiten,
Totschlag würden die Gemeinschaft aufgerieben haben. Der Stärkere
wird zwar in den Uranfängen menschlichen Zusammenlebens imstande
gewesen sein, seinen Willen durchzusetzen, zu herrschen, aber neben
diesem männlichen Prinzip, der verkörperten Kraft, wird das weibliche,
mütterliche Prinzip, die verkörperte Geduld, zur Geltung gekommen
sein, denn nur durch Rücksichtnahme auf das Kind, die verkörperte
Hilfsbedürftigkeit, konnte die Menschengruppe wachsen. Auch wenn
wir dies Prinzip nicht überschätzen -— Kindesaussetzung und -Ver-
treibung kennt die Sage und die Geschichte — so bleibt es doch sozio-
logisch interessant, daß Abraham, dem Vater, nicht der Mutter, die
Opferung Isaaks auferlegt wurde, und daß bei der Aussetzung des
Moses auf das Mitleid der ägyptischen Königstochter als natürlicher
Regung spekuliert wurde und zwar mit Erfolg. Wir lesen: „Als sie
das weinende Kind sah, fühlte sie Mitleid." Dieses Mitleid und seine
Betätigung mußte schon eine bekannte Regung und Erscheinung sein,
wenn die Mutter Mose es in Rechnung stellen konnte. Diese Sitte,
der hilfsbedürftigen Schwäche zu Hilfe zu kommen, brauchte nur von
der Religion verklärt und erweitert zu werden, um sich zur Caritas
zu erheben, diese Sitte aber, und darauf kommt es hier an, wurde
36 Miszellen.
auch Vorläuferin des Rechts. Das fünfte Gebot im Dekalog erhob die
Einschränkung des Gebrauchs der stärkeren Faust zum Gesetz und er-
kannte dem Schwachen das Recht auf sein Leben zu, ein Recht, das
in langer Entwicklung in unserem Familienrecht und im Strafrecht
vervollkommnete Fassung gefunden hat. Caritas und Recht, wie das
Beispiel zeigt, kommen aus derselben (religiösen) Wurzel. Die Caritas
erwuchs aus der religiösen Einwirkung auf natürliche Triebe ; die leben-
erhaltenden, fördernden, veredelnden Brauchsnormen, die dadurch ent-
standen, fanden im Recht ihren festen Boden, das Recht wurde der
klare Ausdruck der wohltätigen Sitten und zugleich ihr Beschützer und
dadurch selbst zur Caritas, zur Wohltat, eine Tatsache, die sich in
dem überkommenen Ausdruck Rechtswohltat widerspiegelt. Das natür-
lich-animalische Triebleben ist Instinkt und steht unter dem Zwang
der Triebe; das religiös bestimmte Gemütsleben steht unter innerer
seelischer Nötigung; das Recht ist Wille. Die Caritas bildet die Sitte
heraus, die dem Menschenleben Würde gibt und ihm Wegweiser zur
Sittlichkeit wird, das Recht schützt das Errungene. Auch in dieser
Beleuchtung tritt die enge Verwandtschaft von Caritas und Recht,
dem Ziel der sozialen Arbeit und damit der sozialen Arbeit selbst,
hervor. Was die sozialen Arbeiter und Arbeiterinnen antrieb, das war
die innere karitative Nötigung, unter deren Druck sie ihrer Ein-
sicht folgten, den neuen Geist weckten und neuem Brauch den Weg
bahnten, damit das neue, das soziale Recht entstehen konnte.
Wir sahen, beide, Caritas und soziale Arbeit, gehören dem Ur-
sprung nach zusammen, sie dienen aber auch demselben Endzweck:
dem Wohl der menschlichen Gesellschaft. Es wäre nicht zutreffend,
einwenden zu wollen, daß die sozialen Arbeiter nur der Aufwärts-
bewegung der unteren Klassen dienen wollten, also das Wohl des
Ganzen nicht im Auge gehabt hätten. Mit einem verkümmerten oder
unterdrückten Arbeiterstande wäre unser Reichsbau ein Koloß auf
tönernen Füßen geworden. Der ganze Organismus leidet, wenn ein
Glied erkrankt ist. Wer einem Gliede zur Gesundheit verhilft, dient
dem Ganzen, gleichviel ob wir durch Schutzzoll den Agrariern zu Hilfe
kommen, oder durch Gewerbeförderung und Genossenschaftswesen dem
Mittelstand oder durch Versicherung und Rechtsschutz dem industriellen
Arbeiter helfen. Deshalb hat die soziale Arbeit dem Ganzen gedient,
und diese Anerkennung ist ihr im Kriege endlich geworden. Anfangs
hatten Caritas und soziale Arbeit scharfe Grenzregulierungen vorge-
nommen, aber die Frontlinien bekamen mit der Zeit Einbuchtungen.
Dabei wurde das ursprüngliche Ziel an keiner Seite aus den Augen
verloren, sondern bis auf den heutigen Tag festgehalten. Die Vereins-
gesetzänderung, die Reform der Alters- und Hinterbliebenenversiche-
rung, der Ausbau des Arbeitsnachweises, Wohnungsreform und Bildung
von Heimarbeitsausschüssen beschäftigen die sozialen Arbeiter unaus-
gesetzt, ja die Entwicklung ihrer Arbeitsgebiete ist eine so reiche,
daß sie das Bedürfnis nach Unterscheidung fühlen und bereits von
sozialaufklärender, sozialhygienischer und sozialpädagogischer Arbeit
Miszellen. g7
sprechen. Auch die Arbeiterschaft als Berufsstand und als soziale
Schicht strebt nach Klarheit der Zielsetzung: die christlichen Gewerk-
schaften sind mit einem Programm an die Oeffentlichkeit getreten.
Auf der anderen Seite ist die Caritas eifrig am Werke. Auf ihrem
ursprünglichen Gebiete der Kranken- und Verwundetenpflege sammelt
sie Verdienste um Verdienste, die kein Wort genug anerkennen und
preisen kann. Aber bei allem Zielbewußtsein erweitern Caritas und
Sozialarbeit ihre Gebiete, insonderheit in der Gegenwart. Die Kranken-
pflegerinnen bekümmern sich beispielsweise um Beschäftigung und
Unterhaltung der Verwundeten, der Vaterländische Frauenverein über-
nimmt Beratungsstellen. Die Sozialarbeiter dagegen gehen gemeinsam
vor mit dem bekannten Verein „für Armenpflege und Wohltätigkeit",
der in seinem Namen sich zu derjenigen Uebung bekennt, die die
Sozialarbeiter abwiesen, und sie verbinden sich weiter aufs engste mit
dem Haupt- und dem Arbeitsausschuß der Kriegerwitwen- und Waisenfür-
sorge, der trotz programmatisch-theoretischer Trennung
unvermeidlich so weit in die Armenpflege hinübergreift, daß der Unter-
schied bisweilen nur in der Buchung unter einer anderen Kopfleiste
besteht. Der Berliner Arbeitsausschuß dieses Verbandes nimmt die
Geschäftsleitung des „Beichsverbandes für Kriegspatenschaften", eine
wesentlich karitative Gründung, in die Hand. Der Armen- und Waisen-
pfleger kommt umgekehrt von seiner Stellung aus zur „sozialen
Fürsorge", eine Bezeichnung, die vor dreißig Jahren als contradictio
in adjecto empfunden worden wäre, und in dieser Fürsorge benötigt
er wieder der karitativen Hilfe der Pflegerin, die Nachfragen anstellt
und mit milder Hand und verständnisvollem Wort tröstend, beratend
oder mahnend da einsetzt, wo der Gesetzesparagraph totes Papier wird.
Die Grenzen sind fließende geworden. Leicht ist es, die Krankenpflege
der Caritas, die Vereinsgesetzänderung der Sozialarbeit auf das Konto
zu setzen, schwieriger ist es schon, die Säuglingsfürsorge in Stadt und
Land, die Jugendpflege, Jugendfürsorge, Jugendgerichtshilfe program-
matisch aufzuteilen. Und wohin gehören die Schulspeisungen, die
Kinderhorte, die Wärmestuben, die Beschäftigungsvereine? Und ist
es karitative oder soziale Arbeit oder beides in fruchtbarer Vereinigung,
wenn der Vorsitzende des Caritasverbandes, Sitz Freiburg i. B., erwerbs-
tätige Mädchen im Ausland veranlaßte, ihre Ersparnisse stets um-
gehend nach Deutschland zu schicken, und ihnen bei Kriegsausbruch
auf diese Weise 150000 M. rettete? Wir sehen, die absolute Eintei-
lung: hie Liebesdienst! hie Sozialarbeit! läßt sich nur — wenn das
Bild erlaubt ist — für die Hauptforts der beiden Arbeitsgebiete fest-
halten. Zwischen ihnen liegen die weiten Flächen, in denen der Kampf
gegen chronische Uebel aus moralischen Fehlerquellen und gegen die
akuten Schwierigkeiten wirtschaftlich-sozialer Art gemeinsam geführt
wird, und das heißt so viel wie mit doppelter Kraft und in befruchten-
der Wechselwirkung geführt wird. Die Sozialarbeiter tragen das
soziale Moment in alle diese Tätigkeiten hinein, trachten aus allen
Kräften, die Empfangenden zur Selbsthilfe zu befähigen, sie tunlichst
gg Miszellen.
in der Schicht, der sie angehören, zu erhalten und sie vor Herabsinken
zu bewahren. Aber sie haben die Caritas schätzen gelernt, sie erleben
ihre Unentbehrlichkeit.
Als im vorigen Jahrhundert die Schwierigkeiten sich türmten, da
mußten die Reformer bei Recht und Gesetz Hilfe suchen, nun haben
wir Rechtsschutz, und nun sehen wir, daß dem unendlich vielgestaltigen
Leben gegenüber dem Gesetzesparagraphen in seiner steinernen Festig-
keit die Anpassungsmöglichkeit fehlt, die das bunte Leben fordert.
Vom Recht Elastizität verlangen, hieße seine Natur verkennen. Das
Recht ist gefrorene Caritas, und vom Eiszapfen verlangen wir nicht,
daß er weich sei. Aber weil das Recht unbiegsam ist und nicht ge-
bogen werden soll, deshalb bedarf es der Ergänzung, und deshalb ruft
die soziale Arbeit der Gegenwart wieder laut nach Caritas, der an-
passungsfähigen, ergänzenden, individualisierenden Caritas. Sie ist
Pfadfinderin der Menschheit gewesen und wird immer die Vorläuferin
guter Sitte und Wegweiser zur Sittlichkeit sein und bleiben, mit anderen
Worten, Bahnbrecherin eines kulturellen Fortschritts von innen heraus,
der sich nicht auf Kosten der unteren Klassen vollzieht, sondern auf
ihre Förderung Bedacht nimmt, der sozial orientiert ist. Eines aller-
dings muß die Caritas ernstlich erwägen. Will die karitative Tätigkeit
zur sozialen Berufsarbeit im Gleichgewicht bleiben, so muß sie wie diese
theoretische und praktische Ausbildung fordern. Der wohlmeinende
Dilettantismus muß abgetan sein.
Wenn nun Caritas und Sozialarbeit aus derselben Wurzel ent-
springen und nur auseinandergewachsen sind, um eine vollere gemein-
same Krone zu bilden, so bleibt noch der Hinweis übrig, daß diese
Krone in der Wohlfahrtspflege zu erblicken ist. In ihr sind Sozial-
arbeit und Caritas eine fruchtbare, theoretische und praktische Vereini-
gung eingegangen. Ohne die beiden Faktoren, auf denen sie ruht, in
ihrer Bedeutung im geringsten zu schmälern, erscheint sie als Einheit
von großer Zukunftsaussicht, denn ohne die Disziplin des Rechtsmaß-
stabes unterliegt pflegerische Tätigkeit leicht subjektiven Schwankungen,
und ohne Caritas endigt die Handhabung der Gesetzesvorschriften nur
zu leicht in bürokratischer Mechanik. Die Wage, mit Caritas und Sozial-
arbeit gefüllt, schwankt im Laufe der Entwicklung auf und nieder.
Gegenwärtig senkt sich die Schale der Caritas reich beladen, während
jahrzehntelang die soziale Arbeit das Schwergewicht hatte. Die Wohl-
fahrtspflege setzt beide Schalen ins Gleichgewicht.
Wohlfahrtspflege ist dem Ursprung nach karitativ: sie entspringt
aus der Teilnahme an anderen, aus innerer Nötigung, sie ist Betätigung
einsichtiger Nächstenliebe, sie tut nicht das, was Gesetzesparagraphen
erzwingen können, sondern gerade das, was der Paragraph nicht vor-
schreibt. In diesem Sinne ist sie „freiwillige Tätigkeit" genannt
worden i).
1) Stammler und v. Erdberg. Vgl. insbesondere des Letztgenannten Schrift „Die
Wohlfahrtspflege. Eine sozialwissensehaftliche Studie." Jena 1903.
Miszellen. g9
Diese Bezeiclinung steht möglicherweise in ursächlicher, jedenfalls
in wechselseitiger Beziehung zu der Verkehrsanschauung, daß nur die
„freiwillige" Arbeit Wohlfahrtspflege sei, die pflichtmäßig gebundene
falle nicht unter diesen Begriff, weil ihr das Hauptmerkmal, die Frei-
willigkeit, fehle. Den Ausdruck der pflichtmäßigen Gebundenheit er-
blickt man in der Besoldung, die die Anstellung und damit den Be-
rufsarbeiter charakterisiere. Nach dieser Auffassung ist Besoldung das
Kriterium der Berufsarbeit, Unentgeltlichkeit gleich Freiwilligkeit, gleich
Liebhaberarbeit. Daraus würde sich die Folgerung ergeben : Wenn
nur freiwillige, nicht durch Besoldung vertraglich gebundene Tätigkeit
Wohlfahrtspflege ist, so kann Wohlfahrtspflege nicht durch Berufsarbeiter
ausgeführt werden. Daraus würde sich weiter ergeben, daß der zur
Wohlfahrtspflege Geneigte nur die Wahl hätte, entweder als unbesoldeter
Freiwilliger ihr zu dienen oder als besoldeter Berufsarbeiter auf sie
zu verzichten.
Nach dieser Auffassung würde der eingangs erwähnte Beschluß
der Sozialbeamtinnen, keine unbesoldeten Personen als Mitglieder zuzu-
lassen, ein unlösbarer Widerspruch in sich sein, denn wenn die Vereins-
mitglieder Sozialarbeiterinnen sind, also der Wohlfahrtspflege dienen,
dann kann die Tätigkeit nur eine freiwillige sein, das heißt ohne Be-
soldung und Anstellung. Sind sie aber beamtet und besoldet, so ist
die Tätigkeit keine freiwillige mehr und folglich auch — nach dieser
Auffassung — keine Sozialarbeit mehr. Ja, es kann nach dieser De-
finition von Wohlfahrtspflege als freiwilliger Tätigkeit überhaupt keine
Sozial-Beamtinnen geben, so wenig wie es berittene Fußsoldaten gibt,
denn die Beamtin ist vertraglich gebunden, und der Wohlfahrtspfleger
(Sozialarbeiter) soll freiwillige Tätigkeit üben.
Diese Folgerungen lassen uns die in Rede stehende Definition
als nicht mehr so befriedigend erscheinen , wie sie es im Augen-
blick ihrer Entstehung zweifellos war. Damals war die sozialreforme-
rische Forderung des Gesetzesschutzes das Gebot der Stunde. Es galt,
der Sozialreform teils bahnbrechende Vorbilder zu schaffen, teils er-
gänzend zur Seite zu stehen. Das konnte damals nur in freiwilliger
Tätigkeit geschehen. So ergab sich der Gegensatz von selbst. Er war
der springende Punkt. Aber die Verhältnisse haben sich weiter ent-
wickelt. Die Sozialreform hat viel erreicht. Die Wohlfahrtspflege steht
auf festen Füßen. Die beiden Elemente, aus denen sie sich zusammen-
setzt, Sozialarbeit und Caritas, haben sich nach Art und Umfang ihrer
Tätigkeit besonders in den Kriegsjahren bedeutsam erweitert und stellen
hohe Anforderungen an ihre Vertreter. Symptomatische Beweise dafür
sind die Gründungen sozialer Bildungsanstalten und der Zusammen-
schluß der Sozialbeamtinnen. Während die wenig zahlreichen sozial
inspirierten Männer und Frauen vor dreißig Jahren zu ihrer Ausbildung
keine besonderen Wege hatten, sondern sich auf Bildungsgänge ange-
wiesen sahen, die für andere Zwecke eingerichtet worden waren, stehen
ihnen heute zweckentsprechende Veranstaltungen zur Verfügung. Die
Diener der Wohlfahrtspflege sind aus zufälligen Erscheinungen mit zu-
fälliger Vorbildung und zufälligen Verbindungen zu einer Schicht ge-
90 Miszellen.
lernter, zielbewußter Berufsarbeiter aus beiden Geschlechtern geworden,
und die Wohlfahrtspflege selbst ist ein organisches Gebilde geworden,
das heißt, ihre Tätigkeiten stehen untereinander in engstem lebendigem
Zusammenhange. Damit ist aber eine Einordnung der einzelnen Ge-
biete und ihrer Vertreter gegeben, die nicht die Freiwilligkeit, sondern
den geordneten Zusammenhang in den zielbewußten Berufsarbeiten als
charakteristisches Merkmal hervortreten läßt.
Wir überzeugen uns des weiteren, daß das Kriterium der Frei-
willigkeit nicht mehr voll befriedigt, wenn wir es am konkreten Falle
betrachten.
Der Fabrikherr, der den Forderungen der Gewerbeordnung genügt,
gehorcht dem Gesetz. Was er zum Arbeiter wohl darüber hinaus leistet,
das sind freiwillige Maßnahmen. Damit fällt die Mehrleistung
unter den Begriff der Wohlfahrtspflege. Ihr Wesen ist Ergänzung des
Gesetzes durch freiwillige Maßnahmen. Wenn nun die Maßnahmen
freiwillige sind, so ist damit aber nicht gesagt, daß auch die Tätigkeit
der Ausführenden unter diesen Begriff fällt. Im Gegenteil, mit dieser
Annahme verwickeln wir uns, wie wir sahen, in Widersprüche. Wenn
Staat oder Stadt eine Fürsorgerin anstellen, so ist das von selten der
Behörde eine freiwillige Maßnahme, ebenso wenn ein Gutsbesitzer oder
Fabrikherr den Kindern seiner Arbeiterschaft eine Bewahranstalt ein-
richtet; wenn er aber eine Kindergärtnerin dafür anstellt, so ist deren
Tätigkeit keine freiwillige, sondern eine, zu der sie sich privatrechtlich
verpflichtet hat, sogut wie die staatlich oder städtisch angestellte Sozial-
beamtin in ein öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis zu ihrer Behörde
getreten ist. Beide sind besoldete Berufsarbeiterinnen. Beide waren
in ihrem Entschlüsse frei, ihre Entschließung war eine freiwillige,
ihre Tätigkeit ist es aber nicht mehr. Hört diese deshalb auf, Wohl-
fahrtsarbeit zu sein? Man wird es nicht bedingungslos verneinen,
sondern etwa bemerken, daß der Begriff Wohlfahrtsarbeit von einem
anderen Kriterium als dem der Anstellung und Besoldung, d. h. der
rechtlichen Verpflichtung, abhängen müsse. Welches ist aber dieses
andere Kriterium? Wir kommen darauf, wenn wir uns vergegen-
wärtigen, daß, wie in jeder Tätigkeit, so auch in der Wohlfahrtsarbeit
Berufsethik, Technik und Einträglichkeit zu unterscheiden
sind. Die Berufsethik verlangt, daß die mit oder ohne Anstellung und
Besoldung einmal übernommene Arbeit für die vereinbarte Zeitdauer
gewissenhaft ausgeführt wird, daß die Arbeit dem entgegengebrachten
Vertrauen entspricht. Von dieser sittlichen Vorschrift ist keine Tätig-
keit, auf welchem Gebiete auch immer — mithin auch keine pflegerische —
ausgenommen, folglich auch nicht die Wohlfahrtspflege. Daß die Er-
füllung der moralischen Verpflichtung durch ein rechtliches Vertrags-
verhältnis unterstützt wird, leuchtet ein, ausschlaggebend ist es nicht,
denn die innere Bindung liegt nicht in der rechtlichen, sondern in der
sittlichen Sphäre. Ein besoldeter Berufsarbeiter kann mit sittlichem
Ernst seinen Dienst an der Volkswohlfahrt versehen, und ein unbe-
soldeter „Freiwilliger" kann ihn schnöde vernachlässigen und verlassen
— und umgekehrt. Wenn das Vertragsverhältnis die Wohlfahrtspflege
Miszellen. 9J[
in der rechten Gesinnung gefährdete, so müßte umgekehrt die Unge-
bundenheit sie verbürgen. Das wird niemand behaupten wollen. Die
„freiwillige" Wohlfahrtsarbeit steht im Gegenteil nicht in besonders
hohem Ansehen, die besoldete Berufsarbeit wird vorgezogen. Man hat
sie als zuverlässiger erkannt, denn nicht die Besoldung macht den
Mietling, sondern das innere Verhältnis zu ihr. Der sittliche Ernst,
die Stellung zur Berufsethik entscheidet. Sie ist das gesuchte Kriterium.
Der ethisch gerichtete Mensch gibt in dem Augenblicke der Berufs-
übernahme seinen freien Willen auf, ordnet ihn seiner Aufgabe unter.
In diesem Sinne gibt es mit oder ohne Kontrakt genau genommen keine
freiwillige Berufsarbeit. Man könnte vielleicht von freiwillig über-
nommener Tätigkeit sprechen, aber auch dieser Ausdruck wäre schief,
da schließlich jede Tätigkeit im bürgerlichen Leben eine freiwillig über-
nommene ist. Sklaven haben wir nicht mehr, und für die Zeit des
Militärverhältnisses scheidet der Mann aus dem bürgerlichen Leben aus.
Mißverständnisse sind sicherer vermieden, wenn wir die Freiwilligkeit
als Kriterium der Wohlfahrtspflege nur in den Maßnahmen, nicht
in der ausführenden Tätigkeit suchen wollten, denn eine pflegerische
Tätigkeit, die nicht dem Sittengesetz unterstände, gibt es nicht. Die
falsch verstandene, die sittliche Bindung übersehende „Freiwilligkeit"
in der Wohlfahrtspflege hat der unbesoldeten Arbeit den Stich ins Un-
zuverlässige gegeben, der ihr Ansehen stark beeinträchtigt, und zwar
bedauerlicherweise nicht ohne Grund. Dieser Umstand dürfte den Grund
zu dem Beschlüsse der Sozialbeamtinnen bilden, unbesoldete Personen
nicht zuzulassen. Scheidet der Begriff der Freiwilligkeit in der Er-
örterung der Tätigkeit, die wir Wohlfahrtspflege nennen, aus, tritt der
Hinweis auf die ethische Bindung an seinen Platz, so werden beide,
die besoldete und die ehrenamtliche Tätigkeit gewinnen. Für die letz-
tere fiele damit auch der Anreiz fort, die Freiwilligkeit als Berechtigung
für minderwertige technische Leistung zu gebrauchen, die Technik des
Berufs würde mehr Beachtung finden. Und dadurch kämen wir zu
einer schärferen Trennung von gelernter und ungelernter Tätigkeit in
der Wohlfahrtspflege, einer Trennung, die zur erhöhten Wertung der
Arbeitsleistung führt. Mit der zunehmenden Erleichterung der
Vorbildung und der wachsenden Einsicht in die Bedeutung und Trag-
weite der Wohlfahrtspflege werden wir dann mehr und mehr die un-
gelernte Arbeit ausscheiden und nur noch gelernte Berufsarbeiter kennen,
gleichviel ob Vertragspflichtige oder ehrenamtliche.
Wenn das karitative Element in der Wohlfahrtspflege neben ihrem
Ursprünge auch darin hervortritt, daß sie in der Durchführung frei-
williger Maßnahmen besteht, so unterscheidet sie sich anderseits von
der Caritas, indem sie als Norm nicht das zufällige, verschuldete oder
unverschuldete Menschenschicksal als Arbeitsobjekt ins Auge faßt,
sondern ihre Aufmerksamkeit auf die Not und Hilfsbedürftigkeit ganzer
Kategorieen richtet, die ohne Zutun der Betroffenen durch äußere Um-
stände herbeigeführt worden ist (Kriegshinterbliebenenfürsorge!). Indem
sie ratend, warnend, aufklärend die Hand ausstreckt, wirkt sie vor-
beugend. Dadurch gewinnt die Wohlfahrtspflege das charakteristische
92 Missellon.
Merkmal der Sozialarbeit, wie sie denn auch „soziale Besserung"
(Stammler) sich zum Ziel setzt, das heißt mit anderen Worten, sie will
sorgen, daß ganze Klassen der menschlichen Gesellschaft wohlfahren.
In der Wohlfahrtspflege sind Caritas und soziale Arbeit aber auch in
dem Sinne eng verwoben, daß die Wohlfahrtspflege guten Sitten und
Brauchsnormen den Weg gebahnt hat und weiter bahnt, und immer
wieder letzten Endes in Rechtsnormen ausmündet, denn Recht ist, wie
wir hörten, ja nur in Stein gemeißelte Sitte. Die Wohlfahrtspflege in
der Fabrik beispielsweise mußte erst gute Fabriksitten herausgebildet
haben, ehe die Gewerbeordnung ihre Berücksichtigung zur Gesetzes-
vorschrift erheben konnte. Gelingt es, den Entwurf zu einem Wohnungs-
gesetze in Preußen durchzubringen, so hat neben der Bodenreform die
Wohlfahrtspflege bahnbrechend mitgewirkt. Kommen wir zu einem
großen, umfassenden Jugendgesetz, so ist die Wohlfahrtspflege an der
Jugend wegweisend gewesen. Aber sobald das Gesetz da sein wird,
wird die Wohlfahrtspflege erneut in den Lücken einsetzen, die zwischen
den Gesetzesparagraphen liegen. So geht ihr Weg zwischen Caritas
und Rechtsschutz hin und her. Mit nimmermüden Händen webt sie
das Gewebe Volkswohlfahrt aus Caritas und sozialer Arbeit.
Wir können sagen: Wohlfahrtspflege ist besoldete oder ehrenamt-
liche Berufsarbeit zwecks Durchführung freiwilliger Maßnahmen zu so-
zialer Besserung, oder: Wohlfahrtspflege ist die organische Verbindung
von Caritas und sozialer Arbeit.
Literatur. 93
Literatur.
I.
G. V. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters.
l'.Ein Grundriß der deutschen Verfassungsgeschichte.
I. Band. Die allgemeinen Fragen. Leipzig (Quelle u. Meyer) 1914.
80. XX u. 387 SS.
Besprochen von A. Zycha-Prag.
Um ein schätzenswertes "Werk ist wenige Monate vor Ausbruch
des Krieges die deutsche Greschichtsschreibung durch v. Belows Buch
über den Staat reicher geworden. Weit über den Kreis der nächst-
berufenen Fachgenossen hinaus sichert ihm wissenschaftlichen Wider-
hall nicht minder die Gewähr seines Urhebers wie der Belang seines
Inhalts, der uns heute näher geht denn je. Gerne unterzieht sich der
Berichterstatter der erfreulichen Aufgabe, auch den Lesern dieser Zeit-
schrift die Bedeutung des Werkes vor Augen zu führen.
Wie der Untertitel verdeutlicht, fällt der Gegenstand in den Bereich
der Hauptfragen der deutschen Verfassungsgeschichte, deren vornehmstes
Problem er ausmacht. Verfassungs- und Rechtshistoriker sind es daher
in erster Eeihe, an die das Buch sich wendet, mit denen es sich aus-
einandersetzt. Die Fäden weiter bis zu den vielumstrittenen Theoremen
und Grundbegriffen der allgemeinen Staatslehre und des Staatsrechtes
fortzuspinnen, hat der Verfasser als Geschichtsschreiber sich nicht weiter
vorgesetzt, als die behandelten Fragen notwendig in sie ausmünden;
Zweck ist ihm, geschichtlichen Betrachtungsstoff unter bestimmten syste-
matischen Gesichtspunkten bereitzustellen. Im übrigen sind es die Nach-
bargebiete der Wirtschafts- und der politischen Geschichte, denen je
nach sachlichen Zusammenhängen Anteil zugedacht ist. Der Darstellung
im ganzen, überall durch tiefdringende Gedankenarbeit ausgezeichnet,
ist ein Zug der Liebe zur nationalen Vergangenheit, wohl auch ihrer
Verklärung eigen. Ihre Wertschätzung auf Grund guter geschichtlicher
Lehre auch denen zu vermitteln, die die Tagespolitik rückschauend auf
eine höhere Warte stellen wollen, hat dem Verf. wohl nicht zuletzt vor-
geschwebt.
V. Below stellt seiner Forschungsarbeit ein ganz bestimmtes Ziel.
Er will „den Nachweis für den staatlichen Charakter der deut-
schen Verfassung des Mittelalters" erbringen. Wir sollen unser
mittelalterliches, vielgescholtenes Gemeinwesen als Staat und nicht
als weniger verstehen lernen. Darum wird seine Eigenart aufge-
zeigt und als staatlich gegen jene verteidigt, die, zu sehr durch moderne
94 Literatur
Vorstellungen bestimmt, sein Bild gegensätzlich verzeichnet, ja gar
verzerrt haben.
Seitdem noch Kud. So hm, gegenüber Gierkeschen Grund-
anschauungen, den Gredanken der Staatlichkeit in seiner „Fränkischen
Reichs- und Gerichtsverfassung" (1871) auf das entschiedenste hervor-
gekehrt hatte (er wollte „von dem Gebiet der Gerichtsverfassung
aus den altdeutschen Staat als einen wirklichen Staat erweisen"),
ist bei den Rechtshistorikern das Interesse an der Problemstellung wohl
zurückgetreten. Es sind Staatsrechtler, Soziologen, politische Historiker,
die der Frage näher blieben. Eines läßt sich nicht leugnen, dessen wir
uns heute besser als vojdem bewußt sind: die begrenzte Möglichkeit einer
allseitigen Verständigung über das „staatliche "Gepräge des Mittelalters
infolge der begriffstheoretischen Schwierigkeiten. Gleichwohl braucht
nur auf die mannigfachen Unklarheiten hingewiesen zu werden, die
den immer wieder unter den Schlagwojten des Patrimonialstaates
und Feudalstaates vertretenen, geradezu die Staatslosigkeit ein-
schließenden Vorstellungen anhaften, um zumal nach den zwischen-
zeitigen Fortschritten der Einzelforschung die Nützlichkeit einer das
Mittelalter im ganzen umfassenden Behandlung des Problems zu be-
gründen. Dem Einwand, als könnte es sich um einen bloßen Wort-
streit handeln, begegnet der Verfasser. „Es ist die Einschätzung großer
Stücke mittelalterlicher Kultur, die hier zur Diskussion steht." Darum
meint er auch von einer „Rechtfertigung" unserer Vergangenheit sprechen
zu können, an der wir in der Tat, von welchem Parteistandpunkt aus
immer, als an der richtigen staatsrechtlichen und sohin historisch-
politischen Einwertung des deutschen MittelaJtei*s ebenso wie an der
allgemein kulturellen das größte Interesse haben. Uebrigens, nicht nur
%vie wir selbst uns die Frage zurechtlegen, geht uns an, auch fremdes
Urteil muß für uns von Werte sein, auch dafür müssen wir vorarbeiten.
Ich halte es nicht für überflüssig, darauf hinzuweisen, wie die magyari-
schen Historiker und Rechtshistoriker, freilich mehr noch durch außer-
deutsche Literatur beeinflußt, sich nicht genug tun können, ganz im
alten Fahrwasser segelnd, gegen den privatrechtlich- feudalen Gedanken
des Westens und vor allem des deutschen Westens den ,,öffentLichrecht-
lichen Geist" des ungarischen (magyarischen) Volkes auszuspielen und
die Verfassung Ungarns (des noch heute „feudalsten" Staatswesens
im westeuropäischen Bereich des romanisch-germanischen Völkertums!)
als durch wahrhaft staatliche Einrichtungen ausgezeichnet und darum
der nachbarlichen gegenüber wesensverschieden hinzustellen.
Zur Lösung der gestellten Aufgabe bedient sich v. B. des Mittels
der literarischen Kritik. Analytischer Scharfblick, verbunden mit um-
fassendem geschichtlichen Wissen und juristischem Geist, hat ihn seit
jeher darin zum Meister gemacht. So führt uns denn das neue Buch,
immer an die Tatsachengeschichte sich haltend, die historische Doktrin
mit Absicht beiseite lassend, unausgesetzt über Kampffelder der ge-
schichtlichen Forschung. Was wir vor uns haben, ist vor allem eine kri-
tische Literargeschichte, gewidmet dem wichtigsten staatsrechtlichen
Problem der älteren deutschen Verfassung.
Literatur. 95
Bis nun liegt nur der erste Band des Werkes vor, der die „allge-
meinen Fragen" zur Erörterung stellt. Für den zweiten kündigt der
Verfasser die ,,Einzelausführuiig" zu dem, was hier in großen Zügen>
geboten wird, an. Mit ihm dürfte die Darstellung zu den geschlossenen
Materien übergehen, während der 1. Band, wie die folgende Uebersicht
ergibt, keiner durch den Stoff gegebenen juristisch-systematischen Ord-
nung folgt, sondern in freier Gliederung sich den Einzelproblemen
anschließt.
Vorangestellt ist eine, verhältnismäßig ausführlich gehaltene, „Lite-
raturgeschichte ides Problems" S. 1 — 111. Die folgende Darstellung
gliedert der Verfasser in ein einleitendes Kapitel über die ,, Wirtschaft-
lichen Voraussetzungen der deutschen Verfassung des Mittelalters" (112
bis 128) und ein in 6 Paragraphen untergeteiltes Hauptkapitel, worin
der Eeihe nach vom Eeichsgebiet und seinen Teilen (129 — 139), vom
Herrscher ( — 159), vom König und der Reichspersönlichkeit ( — 190),.
vom Staatszweck ( — 207), dem Untertanen verband und der Natur der
staatlichen Herrschaft ( — 231), endlich, und zwar am ausführlichsten
von der Durchbrechung des Untertanenverbandes, dem Wesen und der
Entstehung des Feudalismus ( — 369) gehandelt wird. Eingeflochten
sind methodologische und universalgeschichtliche Erörterungen, von
denen jene über die juristische Betrachtung verfassungsgeschichtlicher
Verhältnisse (S. 108 ff.), über den Wert der vergleichenden Methode
(gegen deren Ueberschätzung, S. 333 ff.), auch über den Einfluß der
wirtschaftlichen Zustände auf die Verfassungsentwicklung (s. u.) hervor-
gehoben seien. Mahnungen wie die, daß ohne juristische Kenntnisse
und Schulung auch Wirtschaftsgeschichte nicht betrieben werden kann
('S. 84), verdienen laut verkündet zu werden.
Mein Bericht wendet sich zunächst den in der Grundfrage ge-
wonnenen Ergebnissen zu.
Was für den Verfasser den Hauptangriffspunkt bildet, ist die
privatrechtliche Auffassung des mittelalterlichen Verfassungs-
Systems. Jener Konstruktion des mittelalterlichen Staates, welche die
Beziehungen zur Allgemeinheit auf Beziehungen von Person zu Person
herabmindert, stellt er die auf die „öffentlich rechtlichen" Ele-
mente des mittelalterlichen Gemeinwesens gestützte Konstruktion ent-
gegen und zieht daraus die Folgerung, daß dem deutschen ^Mittelalter
ein wahrer Staat unzweifelhaft zuzusprechen sei.
Natürlich sind dem Verfasser die Einwendungen nicht unbekannt,
die sich gegen alles Argumentieren mit den Worten Staat und staat-
lich richten. Soweit zwar diese Einwendungen vom Standpunkte einer
außer juristischen Betrachtungsweise erhoben werden, können sie doch
nichts ausmachen gegen eine spezifisch juristische Beurteilung der hier
fraglichen Erscheinungen überhaupt. Denn Verfassungsgeschichte ist
ihrem Wesen nach Rechtsgeschichte, um das Vergehen von altem und
das Werden von neuem Recht handelt es sich (Gierke, Zeitschr. d. Sav.-
Stift. f. Rechtsgesoh., Bd. 28, S. 612). Aber freilich kann auch der Jurist
96 Literatur.
und gerade dieser nicht übersehen, daß es einen kanonisierten Begriff
des Staates nicht gibt, weil sich gemeingültige Wesensmerkmale dafür
nicht aufstellen lassen. Den aus modernen Verhältnissen abgeleiteten
Staatsbegriff nicht etwa allein gelten zu lassen — gerade daraus, daJJ
als Staat geleugnet wurde, was dem neuen Staats begriff in Wahrheit
oder vermeintlich widersprach, ist der Streit um den mittelalterlichen
Staat entbrannt — wird man einer die Fülle der Zeit umspannenden
Betrachtung wohl freistellen müssen. ,,Die Staatslehre muß es ver-
meiden", sagt R. Schmidt, „die charakteristischen Eigenschaften eines
Staates in ein einziges Merkmal oder in einige wenige Merkmale zu-
zusammenzudrängen, die dann als Maßstab auf die historischen Er-
scheinungen übertragen werden." So gelangt man dann allerdings zu
einem sehr weiten Staatsbegriff, der inhaltlich wenig aussagt. Der
Ton wird daher auf dem Worte Staat nicht ruhen können. Vielmehr
sind es bestimmte Elemente in der Ordnung des öffentlichen Lebens,
auf die es offenbar ankommt, deren Fehlen oder umgekehrt Vorhanden-
sein man behauptet und als Beweis für die NichtStaatlichkeit oder
PseudoStaatlichkeit ins Treffen geführt hat. Der ,, wahre" oder „wirk-
liche" Staat, der sich aus einer nach dieser Richtung überzeugenden
Gegen beweisführung ergibt, ist zwar kein juristisch greifbares Gebilde.
Wenn wir den Ausdruck gleichwohl gelten lassen, so deshalb, weil er
immerhin genügt, uns im Verhältnis zu heute auch einen Staat oder
mit anderen Worten eine Art der Staatlichkeit anzuzeigen, die unserer,
wennschon geläuterten, modernen Auffassung gegenüber nicht als wesens-
verschieden erscheint.
Indem nun v. B. eben jene entscheidenden Elemente klarzulegen
unternimmt, glaubt erdie einen als öffentlichrechtliche kennzeichnen
zu müssen, um der privatrechtlichen Auffassung am schärfsten entgegen-
zutreten. Der Ausgang von dieser Antithese ist aber doch nicht ohne
Bedenken und gerade für des Veirf assers Leitgedanken, wie ich glaube,
nicht ohne Gefahr. Denn öffentliches Recht und Privatrecht sind
juristische Grundbegriffe, die (so schwierig und bestritten auch die
Grenzziehung sein mag) als ausschließliche Kategorien das gesamte
objektive Recht umfassen. Stellt man, vras den einzelnen mit dem
Ganzen durch die Rechtsordnung staatlich verbindet, auf „öffentlich-
rechtliche" Beziehungen ab, so scheint das Dilemma unvermeidlich, ent-
weder ein öffentliches Recht zu erweisen und damit den Staat zu retten,
oder an dem öffentKchen Recht zu scheitern und damit auch den Staat
preiszugeben. Daß aber das mittelalterliche Recht in ein öffentliches
und privates geteilt werden könnte, werden die Rechtshistoriker nicht
wohl zugeben. Der Verfasser bemerkt im Zusammenhange seiner Aus-
führungen über den Gebrauch der Begriffe öffentlichrechtlich und privat-
rechtlich ,(S. 107 ff.) gewiß zutreffend, daß es sich darum handle,
die Verhältnisse der Vergangenheit, um sie schärfer beurteilen zu können,
an den Begriffen, die das Recht der Gegenwart aufstellt, zu messen.
Sowie man aber diesen Vergleichsmaßstab zur Anwendung bringt, stellt
sich immei" wieder die bei-ühmte Ungeschiedenheit des öffentlichen und
des privaten Rechts heraus. Es gibt wohl Einrichtungen, die wir auch
Literatur. 97
im heutigen Sinn als öffentlichrechtliche bezeichnen können, wie andere
als privatrechtlich, es gibt aber auch solche, die jeder Zuteilung wider-
streben, indem sie dem Betrachter ein doppeltes Gesicht zeigen. Gerade
diese aber sind es, die für unsere Frage die Hauptrolle spielen. Man
nehme als besonders einleuchtendes Beispiel das der Regalien, die einer-
seits als Regierungsrechte des jeweiligen Herrschers, andererseits als
nutzbare Berechtigungen gleich anderen subjektiven Rechten vermögens-
rechtlichen Inhalts aufgefaßt wurden. Wir kennen auch im heutigen
Staatsrecht noch „Regalien", sprechen aber lieber von „sogenannten"
Regalien. Darin drückt sich ein begrifflicher Gegensatz aus, der in-
zwischen eingetretene Wandel zur wahren öffentlichrechtlichen Hoheit.
Die Auffassung von einem subjektiven Vermögensrecht des Herrschers
oder des Staates (noch das Preuß. Allg. Landrecht sprach von den
niederen Regalien als Nutzungsrechten am „gemeinen Eigentum des
Staates", II 14 § 21 ff.) ist uns fremd geworden.
Um die Bahn für den mittelalterlichen Staat freizumachen, kehrt
sich V. B. gegen eine imgerechtfertigte Einschränkung des Staatsbe-
griffes. Tatsache sei es, daß unter dem Vorurteil der modernen Vor-
stellung die Würdigung der alten Verfassung zu kurz komme. Im
Verlaufe dieser Ausführungen (S. 164 ff.) lehnt er das Kriterium der
juristischen Persönlichkeit des Staates, deren Theorie auf W. E.
Albrecht zurückgeht, damit ab, daß diiese Theorie vom genossen-
schaftlichen Staate abgenommen sei, wie sich denn der Verfasser über-
haupt gegen die genossenschaftliche Staatstheorie wendet. Albrecht
hat in seiner bekannten Kritik des Maurenbrecherschen Staatsrechts
(1837) gegenüber der privatrechtlichen Auffassung die Scheidung zweier
Sphären, in welchen einerseits das Individuum, andererseits der Staat
Subjekt sei, vollzogen und, ohne auf das Reichsstaatsrecht einzugehen,
bemerkt, daß diese Scheidung jedenfalls auf die deutschen Territorien
der älteren Zeit keine Anwendung gefunden habe. Für ihn war die
Rechtspersönlichkeit von Verbänden herrschaftlicher Struktur unge-
achtet der Verbandseinheit keine Frage und die alten Hoheitsrechte eben
darum privatrechtiich, weil sie nur in der Person des Herrschers ihr
Subjekt zu haben schienen, v. Below hätte die Möglichkeit offen
lassen können (s. aber S. 205), auch dem älteren Staate Rechtspersön-
lichkeit zu geben (und darauf seine öffentlichen Rechte zu stützen),
nur nicht jene der genossenschaftlichen Auffassung, die ja übrigens
mit dem fremden Element des monarchischen Herrenrechtes auch ihrer-
seits bekanntlich kämpft. Eben der genossenschaftlichen Auffassung
wegen geht es seiner Meinung nach auch nicht an, den König; als Organ
zu bezeichnen. Jedenfalls liegen für die Zwecke eines Vergleiches der
älteren Verfassung mit ihrem Dualismus von rex und regnum und der
neuen die größten Schwierigkeiten in der mangelnden juristischen Be-
stimmtheit des Begriffes der juristischen Person. Nur wenn fest-
stünde, wo die juristische Person beginnt und wo sie endet, ließe sich
ein tertium comparationis ableiten oder leugnen. Unter diesen Umständen
verselbständigt sich die Bedeutung der Frage, wie weit bereits die
alte Vorstellung bis zur Abstraktion des Staates vorzudringen vermocht»
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 7
98 Literatur.
(fl. u.). — Erst an späterer Stelle (S. 302) kommt der Verfasser noch,
auf die Souveränitätsfrage; doch wird sie nur kurz berührt.
Im Ergebnis stimme ich mit v. B. überein, daß man vom mittel-
alterlichen Staate mehr preisgegeben hat, als gerechtfertigt werden kann.
Ala den Hauptvertreter der gegnerischen Auffassung bekämpft der
VerfaÄser C. L. v. Haller, der in seiner mehrbändigen „Restauration
der Staatswissenschaften oder Theorie des natürlich-geselligen Zustani*
der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt" (1816 — 1821)
die patrimoniale Staatsidee vertreten hat. Er ist der Erfinder des
Wortes Patrimonialstaat, dessen Charakteristikum die aus dem
Grundeigentum hergeleitete Eigentumsauffassimg der Herrscherrechte
bildet. Freilich, wie er, der Vertreter des „legitimistischen Naturrechts",
seinen patrimonialen Staat vor nun eben hundert Jahren, eifernd
gegen die „auf der falschen Idee delegierter Volksgewalt beruhenden
revolutionären Prinzipien", fast wie zur Abschreckung vor seinem poli-
tischen Bekenntnis in die rein private Interessensphäre der Herren im
Lande hineingezeichnet hat, so ist die Patrimonialtheorie mehr auf ge-
schichtlich interessierte Außenseiter von Einfluß gewesen als auf die
strenge Forschung, die vielmehr auf Eichhorns Schultern steht. Man
kann, wie v. B. selbst sagt, nicht im Hinblick auf die Aufnahme von
Hallers Theorie im Ganzen, vielmehr nur bestimmter Hallerscher Ge-
danken davon sprechen, daß die Patrimonialtheorie weiterlebte. Zudem
ist ihre Anwendbarkeit auf die deutsche Vorzeit außer Frage getreten;
den Taciteischen und den fränkischen Staat haben schon Roth imd
So hm gegen (gemilderte) patrimoniale Konstruktionsversuche sicher-
gestellt. Nur die Folgezeit kann in Betracht kommen. Für diese aber
schränkt v. B. wahre (genauer gesagt, im engeren Sinn) patrimoniale
Verfassungsgedanken auf die grundherrliche Gerichtsbarkeit und Polizei-
gewalt und etwa das Eigenkirchenrecht ein (S. 311 ff.). Vom Territorial-
staat wird hier nicht gesprochen.
Mehl' als der Patrimonialstaat bedarf vom Reichsstandpunkte aus
der Feudalstaat einer Ueberprüfung der Meinungen hinsichtlich
seiner staatlichen Natur. Verfasser setzt sich mit dem Begriff des Feu-
dalstaates aufs eingehendste im letzten Abschnitt des 1. Bandes („Wesen
und Entstehung des Feudalismus") auseinander und zergliedert Eigen^
Schäften und Ursprung bis ins einzelne. Viel gebraucht und viel miß-
braucht, hat das Wort Feudalstaat immerhin einen gewissen allge-
meinen Sinn gewonnen; man könne sagen, „daß über das, was den
Kern der Feudalverfassung ausmacht, weitgehende Uebereinstimmung^
herrscht". „In erster Linie denkt man beim Feudalismus an die Durch-
brechung des Reichsuntertanenverbandes"; es ist der „Unter^
tanenverlust, der dem Reich den feudalistischen Charakter bringt".
Zu dem, was den Kern der Feudalverfassung ausmacht, gesellt sich aber
„noch ein reicher Kranz anderer Erscheinungen . . . ihr gemeinsames
Wesen liegt in dem Uebergang der Hoheitsrechte oder öffent-
lichen Rechte an andere Hand ...in der Möglichkeit und dem
Umfang der Veräußerung von Hoheitsrechten." Mit Rücksicht auf die
über den eigentlichen Bereich des Lehen wesens hinausgehenden Er-
Literatur. 99
scheinungen will der Verfasser zwischen Lehenstaat und Feudal-
staat unterschieden wissen (S. 280 ff.)- Als die klassische Zeit des
Feudalstaates bezeichnet er die Zeit vom Ende des 12. Jahrhunderts
bis zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Als Erscheinungen, welche
die Ausbreitung des Feudalismus charakterisieren, nennt er die rasch zu-
nehmende Verpfändung des Reichsgutes, die Ausbreitung des Einungs-
wesens (das nach anderer Ansicht gerade umgekehrt das Feudalsystem
zu brechen bestimmt war), die wachsende Macht autonomer Stadt^
gemeinden, die Bedeutung örtlicher Bündnisse, das Aufkommen land-
ständischer Verfassungen, die „ständische Teilung des wirtschaftlichen
Daseins". „Neben allem behaupteten sich wichtige lehenrechtliche Ein-
richtungen. Aber die allgemein feudalistischen stehen im Vordergrund."
Es kommt nun darauf an, wie weit die Eigenart dieser Verhältnisse
die staatliche Ordnung untergraben oder gar aufgelöst hat. Den Aus-
gangspunkt bildet, daß mit der Zeit, wie der Verfasser es ausdrückt,
„die Rechte eines konzentrierten Staates auf andere Instanzen übergehen"
(S. 280). Die deutsche Verfassungsentwicklung stellt sich als ein Zer-
setzungsprozeß dar. Nur freilich hat diese Zersetzung eine Kehrseite,
sie hat zur deutschen Kleinstaaterei hinübergeführt: was vom Reichs-
standpunkt aus als staatliche Auflösung erscheint, ist staatlicher
Aufbau vom territorialen Gesichtspunkt aus. Wie die beiden Prozesse
ineinander gegriffen haben, ob der Staatsbegriff seine Kontinuität be-
wahrte oder zwischen der alten Staatlichkeit des Reiches und der neuen
der Territorien eine staatslose Leere liegt, das ist die Frage.
Sie setzt mit der Zeit der Hochgerichtsimmunitäten und des völligen
Durchgreifens des Lehenrechts ein. Gemeiniglich wird als Folge
der sich damit ausbreitenden Sonderverbände vor allem die Mediati-
sierung des Hauptteiles der Staatsbürger oder mit arideren Worten die
Auflösung des allgemeinen Untertanenverbandes hingestellt.
Demgegenüber bildet es eine Hauptthese v. Belows, daß der Untertanen-
verband, der durchaus nicht auf bloße privatrechtliche Beziehimgen re-
duziert werden kann, (S. 207 ff.), nicht aufgelöst, sondern nur durch-
brochen wurde. Seine Argumentation geht dahin (S. 231 — 242),
daß Untertanen vom Reich nur an solche Instanzen abgegeben wurden,
die Hoheitsrechte an sich brachten (wonach jene also nicht zu Privat-
untertanen wurden), daß jeder Deutsche doch immer einem Zwangs-
verband angehörte und daß auch die territoriale Neuordnimg der Dinge
den Reichsuntertanen verband nicht zu Fall zu bringen vermochte.
Schwieriger ist dem Verfasser bei jenen Ausführungen zu folgen,
welche die allgemeine Ursache des durch Immunität, Lehenwesen und
Einung herbeigeführten ,, Untertanenverlustes", den Uebergang von
Hoheitsrechten aus der Hand des Königs in fremde Hände zum
Gegenstande haben (S. 244 ff., 282 ff.). Er bekämpft die Vorstellung,
daß die Uebertragung auf Kosten des Staatsbegriffes ging, mit der
Begründung, daß die Veräußerung allein dem Hoheitsrecht noch nicht
seinen staatlichen Charakter raubte, daß dieser Charakter vielmehr an
dem veräußerten Rechte haften blieb. Die öffentlichen Gerichtsbezirke
wechselten zwar ihren Herrn, behaupteten aber ihre staatliche Art, sie
7*
100 Literatur.
gelangten an „Persönlichkeiten von staatlicher Qualität", die folgeweise
eine besondere Stellung erhielten, geadelt wurden und gehalten waren>
ihr Amt für öffentliche Zwecke auszuüben. Dasselbe gilt auch von
den Regalien, bei welchen trotz ihrer Behandlung als Privatrechte doch der
öffentliche Zweck nie ganz vergessen worden sei (S. 276). Wenn man
von der Vermischung von öffentlichem und privatem Recht wie ins-
besondere Gierke spreche, so reduziere sich dies auf nichts anderes als
die Veräußerung der Hoheitsrechte (S. 288 ff.).
Ueberdenkt man die Folgewirkungen der fraglichen Veräußerungen,
60 sind dreierlei Beziehungen zu unterscheiden: des Königs zu den
Fürsten, der Fürsten zu den Untertanen, der Untertanen zum König.
Daß in dem eigenen Recht der Fürsten auf Gericht und Regierung
ein patrimoniales Moment der Verfassung steckt (wogegen B. S. 252),
möchte ich nicht leugen. Ob aber hiendurch die Staatlichkeit im Wesen
berührt wird? Zum mindesten im Verhältnis nach unten nicht anders
als durch das eigene Recht des Herrschers in der alten wie in der modernen
Monarchie — wennschon man von einer Verstärkung der patrimonialen
Verfassungselemente im ganzen sprechen darf. Im Verhältnis nach
oben aber ist offenbar entscheidend, ob die Veräußerung der Hoheits-
rechto vom staatsrechtlichen Standpunkt aus gleichbedeutend war mit
einer Entäußerung, d. h. ob es richtig ist, daß das staatsrechtliche Band
zwischen König und Fürsten durch ein lehenrechtliches ersetzt, dem-
gemäß d£us Staatsrecht durch das Lehenrecht aufgezehrt wurde. Dem
ist aber doch keineswegs so. Man kann die Beweise dafür bei v. Below
finden (z. B. S. 234, 247, 249), sie vielleicht noch verstärken. Will man
für diese Zeit das Lehenrecht die „Form für das Staatsrecht" nennen
(wie letztlich Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht usw., 1916,
S. 41), so hat es doch seinen Inhalt dem Verhältnis nicht mehr als
zum Teile (dies freilich soll nicht verkannt werden) i) aufgedrängt.
Daß die neue Reichsunmittelbarkeit der Landesherren nicht mehr
dafselbe war wie das alte Untertanenverhältnis (Rosenthal, Hist. Z.,
Bd. ill5, S. 386), trifft wohl zu, widerstreitet aber nicht der Annahme, daß
die obersten Beziehungen der Reichsgewalt, soweit sie lehenrechtliche
waren — und das sind sie durchaus nicht überhaupt gewesen — zugleich
staatsrechtliche blieben, auch fernerhin unterworfen einem staatsrecht-
lichen Entwicklungsprozeß. Darum konnte ja das Lehensband sogar
zur Verstärkung des staatlichen Bandes verwendet werden (s. v. Below
S. 309). Nur wenn die beamteten Vasallen dem König die Hoheitsrechte
tatsächlich abgewonnen hätten, hiätte das Reich sein staatliches Wesen
geändert. Wir wissen aber, daß das Reich selbst im Verhältnis des
Königs zu den Mittelbaren eine gewisse Geo'ichts- 2), Regalien- und
1) Danach möchte ich allerdings nicht behaupten, daß die juristische Natur der
Gerichtsgewalt durch die lehenmäßige Uebertragung gar keine Beeinträchtigung er-
fahren habe, wie Fehr am unten angeführten Orte S. 192 bemerkt. Von dem ver-
änderten Amtsverhältnis läßt sich die Amtsgewalt nicht trennen. VgL Albrechts
erwähnte Rezension S. 1493.
2) Das Argument der königlichen Bannleihe an die mittelbaren Richter wäre
allerdings nach neuesten Untersuchungen wieder fraglich; vgl. v. Voltelini und
Literatur. 101
Gesetzgebungsgewalt, ja zur Zeit des gemeinen Pfennigs auch eine
Steuergewalt zu behaupten vermochte, somit die E-eichshoheitsrechte
gewissermaßen durch die Person der eigenberechtigten Träger ihres
Titels hindurchgingen. Nicht schon die fragliche Veräußerung als solche,
erst weitere Verzichte des Königtums haben aufgezehrt, was hier von
Reichsrechten noch vorhanden war, bis schließlich der König den
Fürsten allein, nicht mehr aber ihren Untertanen gegenüberstand, zudem
aber auch jenen gegenüber immer mehr auf vertraglich herkömmliche
Rechte eingeschränkt wurde. Die Uebergangs Verhältnisse dieser letzt-
mittelalterlichen Entwicklung für die Reichsstaatlichkeit auf eine
Formel zu bringen, ist ein bisher vergeblich unternommener Versuch.
Verfasser nimmt S. 325 eine besondere Kategorie des Bundesstaates an.
Wie stark jedenfalls der Reichsstaatsgedanke noch im 13. Jahrhundert
im persönlichen Rechtsbewußtsein verankert war und wie er gegen die
Selbstherrlichkeit der Untergewalten verteidigt wurde, beweist uns die
Lehre des Sachsenspeigels, der kürzlich eine eingehende Betrachtung von
Fehr gewidmet worden ist („Die Staatsauf fassng Eikes von Repgau",
Z. d. Sav.-St. f. Rechtsgesch., Germ. Abt., Bd. 37, S. 131 ff.). Die Meinung,
es habe schon seit der karolingischen Zeit an einer Staatsidee gefehlt,
ist augenscheinlich unhaltbar.
Im Rahmen der einschlägigen Erörterungen bekämpft der Verfasser
u. a. auch die Ansicht, daß die Ursache des Verfalles der Reichsgewalt
in der mangelnden Scheidung von privatem und öffentlichem Recht zu
suchen sei, und will vielmehr umgekehrt die Schwäche und Not des
Reiches als Ursache der „Veräußerung öffentlicher Rechte, d. h. der
relativen Ungeschiedenheit des privaten und öffentlichen Rechts" be-
trachtet wissen (S. 292). Was damit aufgezeigt bezw. erklärt wird, sind
die materiellen Ursachen der Rechtsbildung. Immerhin werden wir auch
nach einem formalen Prinzip forschen dürfen, das den Entwicklungs-
gang beherrscht hat. Ich finde es meinerseits weder in der Ungeschieden-
heit von Privat- und öffentlichem Recht oder der Verschmelzung
von Herrschaft und Dinglichkeit (Gierke), noch mit (Jellinek) in dem
Dualismus von Königsrecht und Volksrecht, der zur Entwicklung feu-
daler Gewalten keine genetische Beziehung hat, sondern in der eigen-
artigen Verbindung von Herrenrecht und Vertragsreoht^).
Heck in Bd. 36 und 37 der Z. d. Sav.-Stiftung f. Rechtsgesch. Heck kommt gleich-
wohl darauf hinaus, es sei damit „noch kein Anlaß gegeben, die Feudalisierung Deutsch-
lands vorzudatieren" (Bd. 37, S. 290).
1) Nicht die Veräußerung staatlicher Hoheitsrechte an sich, sondern ihre Ver-
äußerung an die Beamten des Staates hat der Verfassungsentwicklung ihre Richtung
gegeben. Staatsorgane haben, um mit Jellinek zu sprechen (AUg. Staatslehre, 3. Aufl.,
S. 560), Eigenpersönlichkeit erlangt. Zugrunde liegt eine vertragliche Selbstbindung des
Königs im Bereich seiner Befehlsgewalt, wodurch der Staat untergeordnete Gewalten
zur Doppelstellung von nebengeordneten emporhob, die nun als solche ein Recht auf
die Regierung in Anspruch nahmen. In dem Gedanken der Vereinbarkeit von
Unterordnung nach Herrenrecht und Gleichordnung nach Vertragsrecht finde
ich das gesuchte Prinzip. Es war nicht der Verfassung allein eigentümlich, vielmehr
auch der Grundherrschaft eigen, die wir zwar keineswegs im Sinne patrimonialer An-
schauung als den Keim des Staates betrachten wollen, die aber Analogien mit dem
102 Literatur.
lu Verbindung mit dem Hauptthema berührt der Verfasser mehr-
fach die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Er handelt hiervon
(nebenher sei auch auf die literaturgeschichtlichen Bemerkungen S. 75 ff.
aufmerksam gemacht) im besonderen im 4. Kapitel (S. 112 — 128) und
nochmals bei Erörterung der Ursachen des Feudalismus (S. 328 — 340).
Gerichtet sind diese Ausführungen einerseits gegen bestimmte wirt-
schaftsgeschichtliche Anschauungen, andererseits gegen eine Ableitung
der Verfassungsentwicklung aus wirtschaftlichen Zuständen überhaupt.
Er leugnet natürlich nicht etwa eine Wechselwirkung zwischen Wirt-
schaft und Recht; allein nirgends sei aus der Geschichte zu eirweisen,
daß eine bestimmte Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse mit
Notwendigkeit eine bestimmte Verfassung mit sich gebracht hätte. Im
besonderen wendet er sich gegen die extreme grundherrliche Theorie,
die lediglich Herren und Knechte kennt und auf der Grundlage einer
rechtlich-wirtschaftlichen Gebundenheit der Masse das Bild der Ver-
fassung aufrichtet. Droht zwar von der grundherrlichen Theorie der
Urzeit wenig Gefahr, so genießt sie doch weithin Anerkennung für
die fränkisch-deutsche Folgezeit. Die Grundanschauung v. Belows,
daß die geburtsständische Freiheit keineswegs im Meea:e der grund-
herrlichen Unfreiheit nahezu verschwunden sei und daß wirtschaftliche
Freiheit in viel weiterem Maße bestanden hat, als gemeiniglich ange-
nommen wird, hat ihre Bekräftigung durch das unmittelbar vorher er-
schienenf; Werk „Die Wirtschaftsentwicklung de? Karolingerzeit" von
Dopsch erfaliren, der die Züge einer grundherrlich ungebundenen
volkswirtschaftlichen Arbeit heirvorgekehrt und im Gegensatz zur Auf-
fassung von der geschlossenen Hauswirtschaft eine gewisse verkehrs-
wirtschaftliche Beweglichkeit schon für die jüngere fränkische Zeit dar-
getan hat. Man kann, wie mir scheint, aus v. Belows Bemerkungen
trotz seiner entschiedenen und wiederholten Ablehnung des Satzes von
den Herren und Knechten doch keine Ueberschätzung der ziffernmäßigen
Bedeutung des Freienstandes entnehmen. Mit um so größerem Rechte
Staate aufweist, sowohl hinsichtlich des herrschaftlichen Ursprungs wie der inneren Ein-
richtung. Im grundherrlichen Verbände aber machte es die Eigenart der rechtlichen
Struktur des Verhältnisses aus, daß sich mit Befeblsgewalt, ja ursprünglicher Herren-
willkür über die Masse der Leute einerseits die Selbstbindung durch vertragliche Zu-
sagen andererseits verband. Ein dezentralisierendes System fand da wie dort seinen
Ausdruck. Daß es grundherrschaftliche ßechtsanschauungen sind, die sich in den staat-
lichen Bereich fortgepflanzt haben, wird man nicht wohl bezweifeln, waren es doch
eben Grundherren, die den Staat beherrschten. Die Beschränkung des privaten Herrn
ergab sich, wie zum Teile wenigstens die „Unfreiheit" des mittelalterlichen Staates, von der
man spricht, aus gleichgearteter Bindung. Das Schwankende des ganzen Verhältnisses
aber, in dem bald Herr und Untertan, bald wieder Vertragsgegner einander gegenüber-
traten, war die Ursache, warum die StaatsgCAvalt, ohne sieh etwa auf der Vertrags-
grundlage überhaupt aufzubauen, einen Kompromißcharakter annahm und die Verfassung
ein „loses Gefüge" erhielt. — Einen Gegensatz zum Herrenrecht bedeutet das Vertrags-
recht nicht etwa alsPrivatrecht; auch im Vertragsrecht (wofür sich das Lehenrecht
in brauchbarster Gestalt darbot) schlummerte ungeschieden öffentliches Recht. Doch
begann allerdings die Scheidung mit der Zurückdrängung des Vertragsrechts in den
Territorien, und sie vollendete sich mit dem neuerlichen Siege des Herrenrechts in der
Fürstensouveränität ; Fürst bzw. Staat gaben seither die als unveräußerlich und unteilbar
betrachteten Hoheitsrechte nicht mehr aus der Hand.
Literatur. 103
jedenfalls betont er abermals, was gerade von ihm nachdrücklich und
folgerichtig seit langem vertreten worden ist, daß Unfreiheit der
Oeburt mit wirtschaftlicher Freiheit durchaus vereinbar war.
In der Tat steckt hierin eine Erkenntnis von größter Tragweite. Darauf
hinzuweisen, habe ich erst vor kurzem Gelegenheit genommen i). Vor
allem den Kleinwirtschaften der Unfreien, die trotz persönlicher Ge-
bundenheit und sachlicher Belastung auf Absatz und Lohn arbeiteten,
ist die Mobilisierung der agrarisch-hauswirtschaftlichen Verhältnisse
nach der Richtung der Verkehrswirtschaft zu verdanken. Sie sind es,
in denen wir die Hauptmasse der auf Grund der Vertragsfreiheit
tätigen Handwerker und Lohnarbeiter schon in der Frühzeit vor uns
haben. Bereits in diesen Zuständen wurzelt das dea' Stadt eigentümliche
System der Arbeits- und Verkehrsfreiheit.
Wenn eine Aufstellung des Verfassers vielleicht einer etwas anderen
Formulierung bedürfte, so wäre es der Satz, „daß wir das städtische
Handwerk nicht als Kind der Grundherrschaft auffassen dürfen". Man
könnte diese Worte auf die bloße Tatsache der Herkunft deuten und
damit in Abrede stellen, was für mich wenigstens — unbeschadet der
römischen Zusammenhänge, die v. Below beispielsweisie für Köln
betont — außer Zweifel steht, daß in der Tat die Masse der städtischen
Gewerbsleute aus dem Bereich der Grundherrschaft stammte. Richtig
hingegen erscheint jener Satz, soweit eo? besagt, daß es nicht etwa die
Grundherrschaft war, die ihre Leute sozusagen in der ho f rechtlichen
Verfassung für die städtische erzogen hätte. Die Ueberschätzung der
organisatorischen Bedeutung der Grundherrschaft muß auch nach dieser
Seite berichtigt werden.
Für die Frage der mittelalterlichen Staatlichkeit ergibt sich aber
aus dem Ganzen, daß „die freie Bewegung der wirtschaftlichen Ver-
hältnisse'' trotz des grundherrschaftlichen Zug*es der Volkswirtschaft
eine Sphäre staatlicher Einwiirkung offenließ, und somit zeigt sich
abermals, daß der Staat keineswegs unter der Verstrickung der privaten
Herrenverhältnisse verschwand.
Die Ursachen des Feudalismus untersuchend, kommt der Verfasser
auch auf die Bedeutung der Herrscherpersönlichkeit zu spreche^)
(S. 348 ff.) und damit auf die berühmte Frage der Kaiserpolitiik
des deutschen Mittelalters. Eingehend nimmt er zu dem Ficker-Sybel-
schen Streite Stellung, selbständig wird neuerlich das Für und
AVider abgewogen, um dem Mittelalter auch in dieser Frage gerecht
zu werden, die These Sjbels von der tadelswürdigen italienischen
Politik zwar im Grunde angenommen, aber doch nur mit „starken Ab-
strichen'*. V. Below bekennt sich dabei zu einem Dualismus der Be-
trachtung in dem Sinne, daß dem Staate seine Aufgabe zwar vor allem
im nationalen Zwecke gestellt ist, daß jedoch auch die für universale
Aufgaben geleistete staatliche Arbeit der Anerkennung bedarf.
1) Ueber den Anteil der Unfreiheit am Aufbau von Wirtschaft und Beoht, Prag
(Calve) 1915.
104 Literatur.
lu diese Betrachtung klingt der erste Band aus. Wir scheiden von
ihm mit dem Dank an den Verfasser für ein reiches Maß von Belehrung.
Als ein lehrhaftes Werk wird der „Deutsche Staat" seine Früchte tragen.
Eine neue Generation von Schülern wird mit Vorliebe gerade aus ihm,
wie ich meine, sich über jene Grundfragen der deutschen Verfassungs-
geechichte Rats erholen, die hier im Gewände der sich bekämpfenden
Theorien , klar und scharf — nur vereinzelt vielleicht mit einer Schärfe
der Kritik, die manche abgemildert wünschen mögen — vorgetragen
werden. Den Bechtshistorikern wird es zur realgeschichtlichen Ueber-
prüfung ihres Urteils wertvolle Dienste leisten, vor allem aber wird es
auf die rechtsgeschichtliche Auffassung der politisch gerichteten Ge-
schichtsschreibung, mag diese im übrigen des Verfassers vorwiegend
konservativen Standpunkt für historische Wertungen teilen oder nicht,
klärend und fördernd Einfluß nehmen.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 105
TTebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Oeschiclita der WiBsenschaffc. Encyklop&disclieB. Lehrbücher. Spesielle
theoretische ITntersnchiuig'en.
V. Tyszka, Carl, Der Konsument in der Kriegswirtschaft.
(Kriegswirtschaftliche Zeitfragen, hrsg. von F. Eulenburg, Heft 5.)
Tübingen (J. C. B. Mohr) 1916. 80. IV u. 56 SS. (Preis: M. 1,50.)
Verf. unterwirft die Lage des Konsumenten im Kriege einer Unter-
suchung von dessen Standpunkte aus und kommt auf Grund eingehenden
Zahlenmaterials zu dem Ergebnis, daß (S. 20) „der Konsument und
vornehmlich der mittellose großstädtische, schon vor dem Kriege das
Aschenputtel der wirtschaftspolitischen Gesetzgebung, . . . durch die im
Krieg geschaffene Konjunktur . . . völlig an die Wand gedrückt (wurde)."
Verf. gibt wohl zu, daß dies Ergebnis „einesteils" auf die „ungeheure
Schwierigkeit" der zu lösenden Aufgabe zurückzuführen sei, ein „nicht
geringer Teil" der Schuld wird aber auch „den Widerständen seitens
der Interessentenkreise" beigemessen, „die offen nnd noch viel mehr ver-
steckt alle zum Schutze des Konsumenten erlassenen Maßnahmen bitter
bekämpften« (S. 18).
Den Beweis für diese letztere Behauptung bleibt Verf. schuldig.
Er führt lediglich für die Verschlechterung der Lage des Konsumenten
während des Krieges zahlenmäßige Belege an, eine auch nur einigermaßen
tiefer gehende Untersuchung darüber, in welchem Umfange die einge-
tretene Verteuerung der Lebenshaltung etwa auf eine Erhöhung der
Produktionskosten und andere Ursachen zurückzuführen ist, findet
sich in dem Hefte nicht. Und doch sind der verteuernden Paktoren
viele, darunter eine ganze Reihe , deren Einfluß sich sogar zahlen-
mäßig wenigstens annähernd hätte darstellen lassen. Neben der vom
Verf. nur ganz oberflächlich erwähnten Puttermittelteuerung sei nur
an die Düngemittel- und Zugtierfrage erinnert, ferner an den Arbeiter-
mangel, der bei der Einberufung der gesamten kräftigeren männ-
lichen Bevölkerung für die Zurückgebliebenen eine außerordentlich
gesteigerte Arbeitslast zur Folge hat, die eine entsprechend höhere
Entlohnung beanspruchen darf, u. a. m. Auch darf nicht übersehen
werden, daß zurzeit in unserer Landwirtschaft in größtem Umfange
Raubbau getrieben wird, und daß es der Investierung großer Kapitalien
bedürfen wird, um die landwirtschaftlichen Betriebe wieder auf den
Stand zu bringen, den sie vor dem Kriege gehabt hatten.
Entweder mußte Verf. alle diese Fragen eingehend erörtern, oder
aber er mußte sich, wenn er lediglich die Lage des Konsumenten ohne
Beziehung zur Produktion hatte schildern wollen, den scharfen Angriff
auf die Produzentenkreise versagen. So gibt die Schrift der leider
106 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
immer mehr anwachsenden Verbitterung der städtischen Bevölkerung
gegen das Land nur neue Nahrung, ohne unsere Erkenntnis von den
Ursachen der Verhältnisse, die zu dieser — berechtigten oder unbe-
rechtigten — Verbitterung geführt haben, zu fördern.
Weimar. Johannes Müll er- Halle.
Harpf, Adolf, Die Grundlehren der Kriegswirtschaft und der Geburten ausfalL
Leipzig, Theodor Gerstenberg, vorm. Richard Sattlers Verlag, 1917. gr. 8. X— 136 SS.
M. 2,50.
Käppeli (Abt.-Chef), Dr. J., Die Lebensmittelversorgung der Schweiz. (Ein
Vortrag, geh. am 7. XII. 1916 im „Bürgerhaus" in Bern.) Bern, Ferd. Wyß, 1917.
8. 32 SS. M. 1.—.
Lief mann, Prof. Dr. B.ob., Grundsätze der Volkswirtschaftslehre. 1. Bd. Grund-
lagen der Wirtschaft. Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1917. Lex.-8. XXIV— 688 SS.
M. 16.—.
Reemtsen, Carl Heinr., Die Organisation der Lebensmittelversorgung im
Kriege. Ein Gesamtbild der kriegswirtschaftlichen Einrichtungen und der Absatzregelung
der Hauptlebensmittel. (Volkswirtschaftliche Zeitfragen. Vorträge und Abhandlungen,
hrsg. V. d. Volkswirtschaftl. Gesellschaft in Berlin, 38. Jahrg., Heft 6, Nr. 298.) Berlin,
Leonhard Simion Nachf., 1917. gr. 8. 47 SS. M. 1,20.
Higgs, Henry, National economy. An outline of public administration. London,
Macmillan. 8. 3/.6.
Peddie, J. Taylor, First principles of production and relation of science to
industry. London, Longmans. Cr. 8. 231 pp. 3/. 6.
Gobbi, Ulisse, Trattato di economia : il campo dell' economia, le operazioni
economiche elementari, la ricchezza, le domande e l'offerta. Puntata I — IL Milane,
Societk editrice libraria, 1916. 8. p. 1—256.
Mondolfo, prof . Rodolfo, Le mat^rialisme historique d'aprfes Frld^ric Engels.
Traduit de l'üniversit^ de Bologne. Traduit de l'italien avec l'autorisation de l'anteur,
par le docteur L. Jank§levitch. Paris, M Giard et E. BriSre, 1917. 8. VII— 427 pag.
fr. 12. — . (fitudes economiques et sociales, publikes avec le concours du College libre
des Sciences m^dicales, XIX.)
Prato, Giuseppe, Nazionalismo economico e rincaro del capitale. Roma,
Athenaeum (Cittä di Castello, soc. Leonardo da Vinci, 1916. 8. 31 p.
2. Oeschiclite und Darstellung- der wirtschaffcliclxen Kultur.
Es eher (Herrenh.-Mitgl.), Alfred, Trieft und seine Aufgaben im Rahmen der
österreichischen Volkswirtschaft. Wien, Manz, 1917. gr. 8. VIII— 112 SS. M. 1,30.
Jecht, Prof. Dr. Rieh., Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt Görlitz im
ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Im Auftrage des Görlitzer Magistrats bearbeitet.
Görlitz, Verlagsanstalt Görlitzer Nachrichten und Anzeiger, 1916. gr. 8. IV— 119 SS.
M. 1,25.
Müller (Arch.-Biblioth.), Dr. Gg. Herrn., 700 Jahre Dresden, 1216—1916.
Vortrag im Verein für die Geschichte Dresdens am 15. XL 1916. Dresden, Buch-
druckerei der Wilhelm und Bertha v. Baensch-Stiftung, 1917. gr. 8. 47 SS. mit 5 in
den Text gedr. Abbild. M. 1,75.
Schrepfer, Rud., Weltgeschichte von 1840—1916, mit besonderer Berücksich-
tigung der Weltmachtsentwicklung und der Weltmachtsgegensätze. Nürnberg, Carl
Kochs Verlagsbuchhandlung, 1917. gr. 8. VIII— 371 SS. M. 7,50.
Betham-Edwards, M., Twentieth Century France. Social. Intellectual, Ter-
ritorial. London, Chapman and H. 8. 237 pp. 10/.6.
Battisti, Cesare, II Trentino : cenni geografici, storici, economici, con un' appen-
dice per l'Alto Adige. Seconda edizione, accresciuta d'una biografia dell'autore, di
Luigi Filippo De Magigtris. Novaro, istituto geografico De Agostini, 1917. 8.
63 p., con ritratto e diciannove tavole. 1. 3. — .
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 107
3. Bevölkerungslelire und Bevölkerimg'spolitik. ▲uswandenuig'
und Kolonisation.
Bumm, Ernst, Ueber das deutsche Bevölkerungsproblem. Eede zum Antritt
des Rektorats der Kgl. Friedrich- Wilhelms-Universität in Berlin, gehalten in der Aula
am 15. X. 1916. Mit Anmerkungen u. 1 Tafel. Berlin, Aug. Hirschwald, 1917. gr. 8.
48 SS. M. 2.—.
Meyer, Prof. Dr. Hans, Gegenwart und Zukunft der deutschen Kolonien.
(Meereskunde. Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen Be-
deutung von Meer und Seewesen, Heft 119 u. 120, 10. Jahrg., Heft 11 u. 12.) Berlin,
E. S. Mittler & Sohn, 1916. 8. 79 SS. u. III SS. mit 1 Abbüd. u. 4 eingedr. Kurven.
Je M. 0,60.
Ostmann, Ekkehard, Schnelle Besiedlung unserer neuen Ostmarken. Berliu,
Deutsche Landbuchhdlg., 1916. gr. 8. III— 78 SS. M. 1,60.
Gillet, M. S., L'^glise et la famille. Population. Depopulation. Repopulation.
Paris, impr. Desclee, de Brouwer et Cie., 1917. 16. VII— 359 pag. fr. 4.—.
Haus er, prof. Henri, La guerre europeenne et le problfeme colonial. Paris,
Marc Imhaus et Ren6 Chapelot, 19l5. 8. 114 pag. fr. 1. — .
Harris, John H., Germany's lost colonial Empire and the essentials of re-
construction. London, Simpkin. Cr. 8. 94 pp. 1/. — .
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
K r u s c h , P., Die Versorgung Deutschlands mit metallischen Roh-
stoffen (Erzen und Metallen). Mit 97 Abbildungen im Text. Leipzig
(Veit & Co.) 1913. 80. XVI u. 260 SS. (Preis: M. 14.)
Derselbe, Gerichts- und Verwaltungsgeologie. Die Bedeutung
der Geologie in der Rechtsprechung und Verwaltung. Für Geologen,
Bergleute und Ingenieure, Richter, Rechtsanwälte und Verwaltungs-
beamte, gerichtliche und Parteigutachter. Mit 157 Textabbildungen.
Stuttgart (Ferdinand Enke) 1916. S^. XVII u. 636 SS.
Krusch gehört zu denjenigen Geologen, deren Arbeiten auch für
den Nationalökonomen von Interesse sind. Das gilt beispielsweise von
seinem wertvollen Werke „Die Untersuchung und Bewertung von Erz-
lagerstätten" (2. Aufl., Stuttgart 1911). Die vorliegende Schrift über
„Die Versorgung Deutschlands mit metallischen Rohstoffen", die mir
erst jetzt zur Besprechung zuging, hat mit jenem früheren Buche vieles
gemeinsam ; sie wendet sich aber nicht speziell an den Geologen, sondern
(sie ist aus Vorträgen in der Berliner Vereinigung für staatswissen-
schaftliche Fortbildung entstanden) an weitere Kreise. Nach einigen
allgemeinen Ausführungen über die Statistik, den Erz- und Metall -
handel, über Grundbegriffe der Lagerstättenlehre usw. gibt der Verf.
in 20 Kapiteln einen Ueberblick über die einzelnen Metalle und Erze,
wobei jedesmal 1) die Versorgung Deutschlands mit dem betreffenden
Rohstoff im allgemeinen, 2) die deutschen, 3) die wichtigsten ausländi-
schen Lagerstätten, und 4) die Marktverhältnisse und die Weltpro-
duktion, insbesondere unter reicher Heranziehung des statistischen Ma-
terials, behandelt werden. Unzureichend sind die Literaturangaben.
Die Schrift bietet einen guten Ueberblick über die Rohstoffver-
sorgung Deutschlands vor dem Kriege. Es wäre sehr erwünscht, wenn
wir später eine ähnliche Arbeit über die Versorgung Deutschlands
während des Krieges erhielten. Dabei müßten dann freilich neben den
108 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Erzen und Neumetallen auch die Altmetalle, die Haldenrückstände usw.
eingehend berücksichtigt werden.
Besonders willkommen geheißen werden muß die an zweiter Stelle ge-
nannte (ebenfalls aus Vorträgen in der Vereinigung für staatswirtschaft-
liche Fortbildung hervorgegangene) Schrift von Krusch, die sich, wie schon
der Titel ergibt, auch an ein weiteres Publikum wendet. Auf Grund
eines außerordentlich reichhaltigen Tatsachenmaterials, insbesondere auch
der Gutachten der Geologischen Landesanstalt in Berlin, legt der Verf.
darin dar, für wie zahlreiche Gebiete die Geologie von Bedeutung ist
und in welcher Weise der Geologe als Berater und Gutachter wichtige
Dienste zu leisten vermag. Eine Uebersicht über den reichen Inhalt
mag das des näheren illustrieren. Die beiden ersten Kapitel handeln
über Erschütterungen, Rutschungen und Senkungen bei ungünstigen
natürlichen Fundamenten, infolge der Auflösung von Schichten und bei
Schwimmsandbildungen, über Erdbeben, Bergschläge, Schlagwetter-
explosionen, plötzliche unterirdische Gasausbrüche und Kohlenstaub-
explosionen, sowie die dadurch und durch ähnliche Ereignisse hervor-
gerufenen Unglücksfälle. In weiteren Kapiteln werden erörtert: Fest-
stellung der Herkunft von Erzen und Gesteinen und der häufig vom
Ursprungsort hergeleiteten Handelsmarken, wirtschaftliche Schädigungen
der Aktionäre oder Erz- bzw. Gesteinsabnehmer durch Verkennen oder
Verheimlichen wichtiger lagerstättenkundlicher Faktoren, Täuschungen
bei dem Nachweis nutzbarer Mineralvorkommen, fahrlässige oder un-
verschuldete Fehlbohrungen auf nutzbare Lagerstätten und Wasser,
Auslegung von Privatbergbauregulativen, Verträgen zur Ausbeutung
nutzbarer Mineralien, Distriktsverleihungen usw., Schäden durch Wasser-
entziehung und Seespiegelsenkung, Immissionen. Ueberall sind Bei-
spiele aus der Praxis angeführt, die in besonderem Maße geeignet sind,
die Wichtigkeit der behandelten Probleme und die dabei in Betracht
kommenden Gesichtspunkte aufzuzeigen. Nach diesen an einzelne Vor-
kommnisse anknüpfenden Ausführungen werden dann noch ausführliche
geologische Erläuterungen zum preußischen Berggesetz, Wassergesetz,
Quellenschutzgesetz und Moorschutzgesetz gegeben. Besser als in der
erstgenannten Schrift steht es mit den Literaturnachweisen, doch hätte
hierauf an manchen Stellen, gerade unter dem Gesichtspunkt, daß das
Buch sich hauptsächlich an Nicht - Geologen wendet, noch etwas mehr
Sorgfalt verwendet werden können. Ebenso hätten manche geologische
und bergmännische Fachausdrücke noch mehr erklärt werden sollen.
Außerordentlich reichhaltig ist das Illustrationsmaterial.
Nach dem Gesagten ist dieses Buch von Krusch eine wert-
volle Bereicherung der Literatur; es erschließt vieles sonst nicht zu-
gängliches Material und wird der Praxis gute Dienste leisten. Nicht
nur Techniker, Juristen und Verwaltungsbeamte, sondern auch die
]^ationalökonomen werden viel Nutzen daraus zu ziehen vermögen.
Kiel. Richard Passow.
Andrä (Ritterg.-Bes., Geh.Oekon.-R.), G., Mittel zur Selbständigmachung der
deutschen Landwirtschaft. (Arbeiten aus dem Gebiete der sächs. Landwirtschaft. Hrsgg.
vom Landeskulturrat f. d. Kgr. Sachsen. Heft 3.) Dresden -A., Landeskulturrat f. das
Königr. Sachsen, 1917. gr. 8. 39 SS. M. 1,50.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 1Q9
Bergwerks-Inspektion, Die, in Oesterreieh. Berichte der k. k. Bergbehörden
über ihre Tätigkeit im Jahre 1911 bei Handhabung der Bergpolizei und Beaufsichtigung
der Bergarbeiterverhältnisse. 2. Teil: Bericht der Bergwerksinspektionsabteilung im
Ministerium f. öffentliche Arbeiten. Mitteilungen des ständigen Bergbaukomitees in Prag,
Wien und Krakau. Veröffentlicht vom k. u. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten.
Jahrg. 20, 1911. Wien, Manz, 1916. gr. 8. IV— 333 SS. m. Abbild, u. 20 Tab. M. 5,20.
Eichhorn, K., Nationale Selbstversorgung. Landwirtschaftliche Arbeitskräfte
und Kleinwirtschaft. Hildesheim, August Lax, 1917. gr. 8. 24 SS. M. 0,70.
Grundmann (Landestierzuchtdir., Reg.-R.), Dr. E., Die Ziegenzucht im König-
reich Sachsen, ihr Stand und die staatlichen Maßnahmen zu ihrer Förderung. (Arbeiten
aus dem Gebiete der sächs. Landwirtschaft, hrsg. vom Landeskulturrat für das König-
reich Sachsen, Heft 2.) Dresden -A., Landeskulturrat für das Königr. Sachsen, 1917.
gr. 8. VII— 152 SS. m. 10 Bildern (auf 5 Taf.). M. 2,70.
Heber, Dr. Arthur, Die Versorgung der Westmächte mit Brot- und Futter-
getreide in der zweiten Hälfte des Erntejahres 1916/17 (1. IL bis 31. VII. 1917).
Hamburg, Verlagsbuchhdlg. Brosehek u. Co., 1917. gr. 8. 8 SS. M. 0,75. (Ergänzter
S.-A. d. kriegswirtschaftl. Berichte aus dem Seminar f. Nationalökonomie und Kolonial-
politik, 1. Folge, 2. Teil, Abschn. 2, Anh.)
Krankheiten und Beschädigungen der Kulturpflanzen im Jahre 1912.
Zusammengestellt in der kaiserl. Biologischen Anstalt für Land- und Forstwirtschaft.
(Berichte über Landwirtschaft, hrsgg. im Eeichsamt des Innern, Heft 38.) Berlin, Paul
Parey, 1916. Lex.- 8. VIII— 354 SS. M. 3.—.
Landfrauenarbeit, Die, im Kriege. 22 Vorträge, gehalten auf dem mit Unter-
stützung des Herrn Landwirtschaftsministers, Sr. Exz. Herrn Dr. Frhr. v. Schorlemer-
Lieser veranstalteten 3. Kriegslehrgang für Frauen und Töchter vom Lande, landwirt-
schaftliche Haushaltungs- und Wanderlehrerinnen in der Zeit vom 8. — 12. I. 1917 zu
Berlin. Hrsgg. vom geschäftsführenden Ausschuß. Berlin, Deutsche Landbuchhdlg., 1917.
gr. 8. 192 SS. M. 2.—.
Germany's food: Can it last? Edited by Professor Paul Eltzbecher. London,
Hodder and Sons. 8. 256 pp. 2/.
Nourse, Edwin G., Agricultural economics. London, Camb. Univ. Press. 8.
12/.-.
Legge (La) sulla pesca e il regolamento generale suUa pesca fluviale e lacuale,
con note illustrative del prof. Feiice Supino (Societä agraria di Lombardia). Casale
Monferrato, tip. G. Lavagno, 1916. 16. 48 p.
Morandi, Emilio, La mano d'opera e le macchine agrarie: relazione.
Appendice: Studi intorno alla motocoltura, dell'ing. Paolo Ceresa-Costa. (Fede-
razione italiana dei consorzi agrari: i problemi agrari dopo la guerra, XLVI congresso
della societä degli agricoltori italiani; Koma; 3 — 6 marzo 1916.) Piacenza, tip. V. Porta,
1916. 8. 73 p.
5. Gewerbe und Industrie.
Kessler, Otto, Die Textilindustrie auf dem Balkan unter besonderer Berück-
sichtigung Bulgariens. (Balkanbücherei: Eine Sammlung wirtschaftlicher und kultur-
politischer Abhandlungen über die Balkanländer und Rumänien unter Mitarbeit in- und
ausländischer Fachgelehrter und Männer der praktischen Volkswirtschaft, hrsgg. von
Otto Kessler, Heft 1.) Berlin-Friedenau, Otto Kessler, 1917. 8. 62 SS. M. 1.—.
Matschoß, Prof. Conrad, Die Bedeutung der Persönlichkeit für die indu-
strielle Entwicklung. (Technische Abende, im Zentralinstitut für Erziehung und Unter-
richt, Heft 1.) Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1917. 8. 23 SS. M. 0,50.
Müller (Sekr.), Hermann, Die Organisationen der Lithographen, Steindrucker
und verwandten Berufe. (1. Bd.) 1. Allgemeine Gewerkschaftsgeschichte. 2. Unsere
Organisationen und Kämpfe bis zum Jahre 1891. Berlin, Buchhdlg. Vorwärts, Paul
Singer, 1917. gr. 8. XXXII— 674 SS. M. 15.—.
Muthesius (Geh. Reg.-R.), Dr. ing. Herrn., Handarbeit und Massenerzeugnis.
(Technische Abende, im Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht, Heft 4.) Berlin,
E. S. Mittler & Sohn, 1917. 8. 30 SS. M. 0,50.
Ried (Ing.), Max, Gegenwart und Zukunft der Elektrizitätswirtschaft in Deutsch-
land und Oesterreieh. Wien, Urban u. Schwarzenberg, 1917. gr. 8. 80 SS. M. 3. — .
110 Veberaicht über die neuesten Publikationen Deutechlanda und des AuBlandea.
Winnig, August, Der englische Wirtschaftskrieg und das werktätige Volk
Deutschlands. (Um Deutschlands Zukunft. Hrsgg. vom Bund deutscher Gelehrter und
KünsÜer. Heft 3.) Berlin, Reimar Hobbing, 1917. 8. 40 SS. M. 0,40.
Wilberg, Gustav, Die westfälische Anker- und Kettenindustrie und ihre Ent-
wicklung. Zusammengestellt und bearbeitet nach Angaben und Unterlagen. Bochum,
Gustav Wilberg, 1917. 8. 38 SS. M. 1.—.
Fyfe, Thomas Alexander, Employers and workmen under the munitions
of war acts, 1915—1916. 2nd. ed. London, Hodge and Co. 8. 269 pp. 10/.6.
Stone, Gilbert, Women war workers. With a foreword by Lady Jellicoe.
London, Harrap. 8. 3/.6.
Vesselitsky, V. de, The homeworker and the outlook. London, G. Bell.
Cr. 8. 132 pp. 2/.—.
Lanino, Pietro, La nuova Italia industriale. Vol. IL (Industrie meccaniche
ed elettromeccaniche, industrie tessili, pelli e pellami.) Koma, 1' Italiana (tip. de l'Idea
nazionale), 1916. 16. 251, LXXXVIII p. 1. 3,50.
Mondini, Salvatore, Industria enologica: produzione, commercio, regime do-
ganale. Roma, tip. Nazionale, Bertero, 1916. 8. 287 p.
Pazzini, Pazzino, L' allevamento ovino e Pindustria laniera in Italia e al-
l'estero. Verona, tip. G. Francchini, 1916. 8. 33 p.
Kortenhorst, L. G., Ondernemersvereenigingen (karteis, trusts, Syndikaten,
conventies). Praeadvies ter inleiding van de besprekingen der vergadering van de
Algem. R. K. werkgeversvereeniging, op 1 Maart 1917 te Utrecht. Leiden, Uitgevers-
vennootschap „Futura". 8. 128 blz. fl. 0,90.
6. Handel und Verkelir.
Barcza, Imre (Emerich), Bibliographie der mitteleuropäischen Zollunionsfrage.
Mit einem Vorwort von Dr. Alexdr. Matlekovits. (In ungarischer und deutscher Sprache.)
Budapest, Buchdruckerei der Pester Lloyd- Gesellschaft, 1917. gr. 8. 72 SS. M. 3,50.
Dörr (Handels- u. Fortbildgssch.-Dir.), Alexdr., Grundriß der Handelskunde
(Handelsbetriebslehre). Im Anschluß an die Pläne des Herrn Ministers für Handel und
Gewerbe für die preußischen kaufmännischen Fortbildungsschulen. Nebst Anhang: Ab-
riß der Staats- und Bürgerkunde. Mit einer Zonenkarte. 3. verm. u. verb. Aufl.
(Sammlung kaufmännischer Unterrichtsbüeher, begr. von weil. Dir. Dr. Ludwig Voigt,
fortgesetzt von Handels- und Fortbildungsschuldirektor Dörr.) VII— 138 SS. M. 1,60.
— und (Handels- u. Fortbildungsschuldirektor) Alfred Schneider, Handelskunde
mit Schriftverkehr. Nebst Abriß der Staats- und Bürgerkunde. Unter Zugrundelegung
der Pläne des Herrn Ministers für Handel und Gewerbe für die preußischen kauf-
männischen Fortbildungsschulen. 1. Teil: Unterstufe. Mit 1 Zonenkarte. IV — 71 SS.
M. 1.—. Leipzig, B. G. Teubner, 1917. 8.
Hartmann, Dr. Rieh., Das Reichs-Elektrizitätsmonopol. Ein Beitrag zur Frage
der staatlichen Elektrizitäts-Großwirtschaft. Unter Benutzung amtlichen Materials. Berlin,
Julius Springer, 1917. gr. 8. IV— 113 SS. M. 3,60.
Jaeger, Prof. Dr. Ernst, Die Geschäftsaufsicht neuer Ordnung. Abgeschlossen
am 1. V. 1917. Berlin, W. Moeser, 1917. gr. 8. 147 SS. M. 4,50.
Junk, Wilh., Die Zukunft des deutschen Buchhandels. Berlin, Verlag der
Deutschen Buchhändlergilde, 1917. 8. 45 SS. M. 1.—.
Müller (Ing.), Karl Herm., Die wirtschaftliche Bedeutung der Bagdadbahn.
Land und Leute der asiatischen Türkei. Hamburg, Boysen u. Maasch, 1917. gr. 8.
VIII— 128 SS. mit 2 (1 färb.) Karten. M. 3,50.
Reitzenbaum (Patentanw.), Selmar, und (Rechtsanw.) Dr. Alexdr. Leander,
Die Warenzeichenrechte der Zentralmächte Bulgarien, Deutschland, Oesterreich-Ungam,
Türkei. Hrsg. vom deutschen Balkan- Verein E. V. Berlin. Berlin, Haude u. Spener-
sche BuchhandL Max Paschke, 1917. gr. 8. VII— 216 SS. M. 9.—.
Schroedter, C, Die Heimsuchungen der Handelsschiffahrt durch den Krieg.
(Meereskunde. Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen
Bedeutung von Meer und Seewesen, 114. Heft, 10. Jg., 6. Heft.) Berlin, E. S. Mittler
u. Sohn, 1916. 8. 40 SS. M. 0,60.
Stolzmann (Sen.-Präs.). Dr. Rud., Konjunktur und Aufschwung nach dem
Kriege. Ein wirtschaftstheoretischer Beitrag. Berlin, Franz Vahlen, 1917. 8. 40 SS.
U. 1,50.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. W1
Stubmann, Dr. P., Gegenwart und Zukunft der Seeschiffahrt. (Meereskunde.
Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen Bedeutung von
Meer und Seewesen, 116. Heft, 10. Jg., 8. Heft.) Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1916.
S. 44 SS. M. 0,60.
Zollkompaß. Red. und hrsg. vom k. k. Handelsministerium. 12. Bd., S.Teil:
Dänemark. Der Zolltarif. Wien, Manz, 1917. Lex.-8. V— 271 SS. M. 7,20.
Dougnac, Jacques, Le nouveau tarif douanier am^ricain. 3 octobre 1913.
(Th^se.) Paris, A. Pedone, 1916. 8. 212 pag. (Üniversit6 de Paris, Facult§ de droit.)
Eff ort, (L') ^conomique de la France pendant deux ans et demi de guerre. (Bureau
d'ltudes d'information diplomatique.) Paris, Berger-Levrault. 8. fr. 1,50.
Farnet, Gabriel, Les relations douaniferes entre la France et la principaute
de Monaco. Paris, M. Giard et E. BriSre, 1917. 8. VIII— 304 pag.
Goudal (sous-intendant), ]l£tude sur la Situation economique. Decembre 1916 —
Janvier 1917. Melun, Impr. administrative, 1917. 8. 172 pag.
Table au g§n§ral du commerce et de la navigation. Ann^e 1914. Deuxiöme
volume: Navigation (Navigation internationale, Cabotage fran9ais et Effectif de la
marine marchande.) Paris, Imprimerie nationale, 1915. (15 mars 1917.) 4. 478 pag.
(Direction generale des douanes.)
Peddie, J. Taylor, On the relation of Imports to exports. 2nd ed., enlarged.
London, Longmans. Cr. 8. 172 pp. 3/.6.
Carnelutti, Francesco, Studi di diritto commerciale. Roma, Athenaeum
(Cittk di CasteUo, soc. Leonardo da Vinci), 1917. 8. 381 p. 1. 8.—.
Delfino, Camillo, La marina mercantile italiana: il suo passato e il suo
avvenire. Campobasso, casa ed. G. Colitti e figlio, 1917. 8. III — 147 p. 1. 3. — .
Feo (De), Luciano, La lotta economica del dopo guerra. Prefazione di
Giuseppe Canepa. Milano, fratelli Treves, 1917. 16. XII— 109 p. l. 1,50.
Landra, Angelo, Corso di storia del commercio. Parte I (Antichitk e medio
evo). Torino, ditta G. B. Paravia e C, 1916. 8. VII, 149 p. con due tavole. 1. 2,50.
Movimento della navigazione del regno d' Italia nell'anno 1915. Vol. I:
Tavole analitiche (Ministero delle finanze : direzione generale delle gabelle, ufficio trattati
e legislazione doganale). Koma, tip. Camera dei Deputati, di C. Colombo, 1916. 4.
VII— 524 p. 1. 4.—.
Navarrini, Umberto, Trattato teorico-pratico di diritto commerciale. VoL III
(Diritto delle obligazioni). Torino, fratelli Bocca (V. Bona), 1917. 8. XXIV— 669 p.
1. 20.—.
Problemi (Alcuni) economici, per una piü grande Italia. (Federazione com-
merciale e industriale italiana, Milano: convegno nazionale di Boma, 26 — 27 novembre
1916). Milano, tip. A. Cordani, 1916. 8. 81 p.
7. Finanzwesen.
Baumgartner. Dr. Oscar, Das schweizerische Finanzproblem. Die Zukunft
unserer Bahnen. 2 Aufsätze. Bern, Ferd. Wyß, 1917. 8. 71 SS. M. 1,60.
Dschavid-Bei (Fin.-M. ), Türkische Kriegsfinanz Wirtschaft. Budgetrede, ge-
halten in der türkischen Kammer am 3. III. 1917. Uebersetzt von Dr. Carl Anton
Schaefer (Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften, hrsg. von Ernst Jäckh,
Heft 94.) Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1917. gr. 8. 42 SS. M. 0,50.
K a ö j r e k (Finanzkonzip.), Franz, Die österreichische Fleischverzehrungssteuer.
Systematische Abhandlungen und praktische Bemerkungen zum Fleischsteuergesetze
samt Nachtrags Vorschriften, nebst dem Originalwortlaute der Administrativerlässe und
der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Prag, Fr. Rivnä6, 1917. gr. 8. XIV —
317 SS. mit 1 Tab. M. 5,50.
Norden (Chefred.), Artur, und (Verbandssynd.) Dr. Martin Friedlaender,
Das Kriegssteuergesetz (Kriegsgewinnsteuer). Nebst den Ausführungsbestimmungen und
den Gesetzen : Zuschlag zur Kriegssteuer und Sicherung für die kommende Kriegssteuer
vom 9. IV. 1917. 2. Aufl. Berlin, J. Guttentag, 1917. gr. 8. 282 SS. M. 6.—.
Ruziöka, Dr. Ernst, Das eherne Rentengesetz. Seine Rückwirkung auf In-
flation, Vermögensabgabe und den finanziellen Friedensschluß. Wien, Manz, 1917.
gr. 8. 128 SS. M. 3,30.
Schelhorn (Reg.-Assess., z. Z. Intend.-R.), Dr. Joh. Rud. v., Gesetz über
Kapitalabfindung an Stelle von Kriegsversorgung. (Kapitalabfindungsgesetz vom 3. VII.
112 Uebenicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
1916 mit dem Mannschaftsversorgungsgesetze, dem Militürhinterbliebenengesetze sowie
den preußischen, bayerischen und sächsischen Ansiedlungs- (und Rentengut8-)Gesetzen
erläutert. Ansbach, C. Brügel u. Sohn, 1917. 8. X— 273 88. M. 5,50.
Singer, Dr. Kurt, Wirkungen der Nahrungsmittel- und Frachtraumnot auf
Zahlungsbilanz und Finanzwesen der Westmächte. (Kriegswirtschaftliche Berichte aus
dem Seminar für Nationalökonomie und Kolonialpolitik, Hamburg, 1. Folge, 4. Teil,
1. Abschnitt.) Hamburg, Verlagsbuchhdlg. Broschek u. Co., 1917. gr. 8. 24 SS.
M. 1,50.
Brisset, C. E., L'impöt sur le revenu pour 1917/18. Paris, Garnier. 8. fr. 1. — .
Delahaye-Bougöre fils, C. Poisson, et J. Delahaye, La contribution extra-
ordinaire sur les b§n§fice9 de guerre. Les moyens et petits industriels et commerjants.
Paris, G. Roustan, 1917. 8. 112 pag. fr. 2.—.
Dodinot, Dr. Michel, Le contröle des finances publiques et les formes comp-
tables dans le budget de la guerre (thfese). Paris, Rousseau et Cie., 1916. 8. 180 pag.
Favre, J. E., Ce que tout le monde doit savoir des nouvelles lois et taxes
financiöres. Guide-manuel pratique et raisonn^. Impöt sur le revenu. Taxes sur les
valeurs mobiliöres. Impöt sur les b§n§fices de guerre. Autres impöts et surtaxes nou-
velles. Droits et courtages des Operations de bourse. Le chöque barr§ et ses avantages.
Titres perdus, vol§s ou d^truits. La liquidation des Operations k terme. Les assembl§es
d'actionnaires diff§r§es. Quantit§ d'autres renseignements avec textes l^gislatifs, com-
mentaires d§taill6s, calculs et baremes. Paris, impr. et libr. de la Biblioth&que finan-
cifere, 1917. 12. XVIII— 184 pag. fr. 1,50.
Jay, Paul, Impöts nouveaux. Impöts modifi^s ou supprim^s. Paris, impr. Lev^,
1917. 8. 200 pag. fr. 4.—.
Fieldhouse, Arthur, Income tax simplified. 3rd ed. London, Simpkin. 18.
77 pp. 1/.-.
Noyes, Alexander Dana, Financial chapters of the war. London, Macmillan.
Cr. 8. 266 pp. 5/.—.
Amoroso, Luigi, II costo della guerra. Roma, Athenaeum (Cittä di Castello,
soc. Leonardo da Vinci) 1916. 8. 24 p.
Calamia, Gaspare, Le finanze locali e le riforme piü urgenti. Girgenti, tip.
Montes, 1916. 4. 160 p. 1. 5.—.
Flora, Federico, Manuale della scienza delle finanze. Quinta edizione, rive-
duta ed ampliata. Livorno, R. Giusti, 1917. 8. XV, 869 p. 1. 8,50.
Lami, Ferdinando, Per l'av venire delle casse di risparmio. Firenze, tip.
Ramella e C, 1916. 8. 19 p.
Podda, Enrico, Le imposte dirette in Italia. Con appendice sulle imposte stra-
ordinarie in dipendenza dello stato di guerra. Milano, A. Vallardi. 8. 75 c.
Wet van den 19den December 1914 tot heffing eener inkomstenbelasting met
dartoe betrekkelijke bijlagen, bewerkt door A. J. M. Kuypers. Supplement II. 1. Fe-
bruari 1917. (Bijgewerkte verzameling Van Dillen en Middelkoop.) Amsterdam,
L. J. Veen. gr. 8. 39 blz. fl. 0,65. — Wet (De) op de oorlogswinstbelasting. (Syste-
matisch overzicht der wet en de ontwerpen tot wijziging, met den tekst der gewijzigde
artikelen en registers, door M. Oppenheimer.) 's Gravenhage , Uitgave Tijdschrift
Nijverheid en overheid. 8. fl. 1,25.
8. Geld-» Bank-p Kredit- und Versicherungswesexi.
Karpinski, Zygmunt, Die Wechselkurse während des Welt-
krieges von dessen Beginn bis Ende 1915. Posen (Gebr. Winiewicz)
1916. 80. 130 SS.
Dem Verf. ist der Versuch, die Bewegung der wichtigsten inter-
nationalen Wechselkurse während der ersten lYg Jahre des Weltkrieges
darzustellen und zu erklären, soweit das noch nicht vollständige Material
dies zuließ, in anerkennenswertem Maße gelungen. Wenn auch nicht
allen Ansichten zugestimmt werden kann, so finden sich doch eine ganze
Reihe von beachtenswerten Gesichtspunkten. In letzterer Beziehung
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutachlands und des Auslandes. 113
ist namentlich die starke Betonung des Umstandes hervorzuheben, daß
für die Gestaltung des Wechselkurses nur die fälligen Posten der
Zahlungsbilanz in Betracht kommen, was von vielen übersehen wird.
Als Grundlage für weitere Studien über die Wechselkursbewegungen
während des Krieges kann die Arbeit sowohl in ihrem darstellenden
äIs auch in ihrem kritischen Teile durchaus empfohlen werden.
Nürnberg. Dr. Otto Heyn.
Bachrach, Otto, Die deutsche Valuta im Kriege. Berlin, Leonhard Simion
Nachf., 1917. gr. 8. 56 SS. M. 1,50.
Fick, Dr. F., Versicherungsrechtliche Abhandlungen. 1. Bd.: Die bei der Aus-
legung des Versicherungsvertragsrechts maßgebenden Grundsätze, insbesondere nach
schweizerischem Recht. Zürich, Orell Füßli, 1917. gr. 8. 49 SS. M. 2,40.
Kahlo, Ernst, Vergleichende Zusammenstellung der Versicherungsbedingungen
und Prämiensätze (Einbd. : Prämien) der im Deutschen Reiche arbeitenden Lebensver-
sicherungsgesellschaften (VersicheruDg und ärztliche Untersuchung) 1917. 16. Jahrg.
Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1917. 8. V— 65 u. 60 SS. M. 1,50.
Salings Börsen-Jahrbuch, Kleines, für 1917/18. Ein Handbuch für Kapitalisten
und Effektenbesitzer. Bearbeitet von Dr. G. Tischert und John Weber. 6. Aufl. Berlin,
Verlag f. Börsen-Finanzliteratur, 1917. kl. 8. III, XIX, 666 SS. M. 7,20.
Schmidt -Essen, Dr. Alfred, Nationale Währungspolitik. Los von England!
(Bibliothek für Volks- und Weltwirtschaft. Hrsg.: Prof. Dr. Franz v. Mammen.
Heft 37.) Dresden, „Globus", Wissenschaftl. Verlagsanstalt, 1917. gr. 8. VIII— 63 SS.
M. 1,80.
Genet, Gervais, De Pimportance ^conomique, de l'organisation et du fonctionne-
ment en France des compagnies anonymes fran9aises d'assurances ä, primes fixes contre
l'incendie. l&tude §conomique, historique et juridique. Thfese pour le doctorat en droit.
Paris, E. de Boccard, 1917. 8. 299 pag.
Moreau. L&on, Le bilan des societ^s par actions. Le compte des r§sultats.
Interpretation et unification. Thfese pour le doctorat en droit. Paris, M. Giard et
E. Bri^re, 1916. 8. 246 pag.
Kemmerer, Edwin Walter, Modem currency reforms. London, Macmillan.
€r. 8. 10/.6.
Readings in money and banking. Selected and adapted by Charles Arthur
Phillips. London, Macmillan. 8. 9./ — .
Todd, John A., The mechanism of exchange. A handbook of currency,
banking, and trade in peace and in war. Oxford, Univ. Press. 8. 5/. — .
Angel o (D'), Pasquale, Trattato di tecnica bancaria. Seconda edizione intera-
mente riveduta e accresciuta. Milano, F. Vallardi, 1917. 8. XVI — 637 p. con sette
prospetti. 1. 14. — .
Assicurazione (L') obbligatoria contro gli infortuni sul lavoro agricolo
(Ministero per l'industria, il commercio e il lavoro: direzione generale del credito e
della previdenza.) Roma, tip. Nazionale, Bertero, 1916. 8. 453, 15 p. 1. 4,50.
9. Sosiale Fragre.
Nestriepke, S., Werben und Werden der freien Gewerkschaften.
Geschichte und System der gewerkschaftlichen Agitation. Ntirnberg
(Fränkische Verlagsanstalt). 1914. 80. 203 SS.
Die systematische Werbearbeit der freien Gewerkschaften wird in
diesem Buche in ihren verschiedenen Seiten — ihren wirtschaftlichen
und sozialen Voraussetzungen, ihrer geschichtlichen Entwicklung, ihren
mannigfaltigen Betätigungsformen und Betätigungsgebieten, ihren Me-
thoden und ihren Erfolgen — eingehend und in anziehender Schilde-
rung vor Augen geführt. Die Darstellung ist eine erzählende, durch-
aus undoktrinäre und auf das rein Sachliche gerichtete, von polemischen
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 8
114 Uebenicht über die neuesten Publikationen Deut«chlands und des Auslandes.
Tendenzen freie. Anderseits ist ihr Zweck, außer der Verbreitung ge-
nauerer Kenntnis von der Entwicklung der freigewerkschaftlichen Be-
wegung, durch die Hoffnung ausgedrückt: „daß daraus auch für den
agitatorisch Tätigen manche neue Anregung erwachse, daß die für die
Förderung der Bewegung wirkenden Kräfte durch sie beflügelt werden,
und so auch der Zukunft ein Dienst geleistet wird". In der Art der
Behandlung schließt sich der (nach den letzten Reichstags wählen von
der Demokratischen Vereinigung zur Sozialdemokratie übergetretene)
Verf. dem Gewerkschaftshistoriker Adolf Braun eng an, dessen Einfluß
auf das Zustandekommen und die Durchführung des Werkes er dankbar
gedenkt. (Vgl. namentlich Ad. Braun, Die Gewerkschaften, ihre Ent-
wicklung und Kämpfe, 1914, von mir besprochen im 49. Bd. III. F.
S. 409 f. dieser „Jahrbücher".)
Vorausgeschickt wird ein kurzer Abriß vom Wesen und Wirken
der treibenden Kräfte für die Begründung der ersten freien Gewerk-
schaften und von den wirtschaftlichen Voraussetzungen für deren Aus-
breitung. Ihre Entstehung aus dem Unterstützungswesen, wobei an
die alten, zum Teil noch als Unterstützungsvereine ein bescheidenes
Dasein fristenden Gesellenbrüderschaften angeknüpft werden konnte^
ihre allmähliche Umbildung zu gewerkschaftlichen Interessenverbänden
von wachsendem Eigencharakter, stark gefördert durch die an Zahl
und Heftigkeit zunehmenden Zusammenstöße zwischen Arbeitern und
Unternehmern, die natürlichen Folgeerscheinungen der wirtschaftlichen
Entfaltung, die Zwiespältigkeit der Entwicklung durch den politischen
Antagonismus ihrer ersten Begründer — Lassalleaner und Marxisten
— , die Mitwirkung der „Internationale" und die konkurrierenden Be-
strebungen der individualistisch-liberalen Hirsch-Dunckerschen Richtung,,
anderseits die förderliche Einwirkung der großbetrieblichen Entwick-
lung, der Konzentration der Unternehmungen und des Besitzes sowie
der Wirtschaftskrisen auf die Organisationstendenzen, und die sonstigen,
teils fördernden, teils hemmenden Faktoren wirtschaftlicher Natur
werden darin veranschaulicht und gewertet. Wie die so entstandenen
Gewerkschaften nun auf die Gewinnung neuer und die Festhaltung der
gewonnenen Mitglieder schon durch ihre gesamte funktionelle Betäti-
gung hinwirken, so daß kein Gebiet der letzteren solcher werbenden
Kraft entbehrt, wird weiterhin gezeigt. Außer den jeweils erzielten
Erfolgen in der Verbesserung der Lohn- und sonstigen Arbeitsbe-
dingungen wirken nach gleicher Richtung die Unterstützungen, die
Rechtsschutzgewährung, die gewerkschaftliche Statistik, die Veranstal-
tung von Ausstellungen, die sozialpolitische Agitation und die Wahl-
agitation für die Vertretungen in der Sozialversicherung und bei den
Gewerbegerichten, die Erziehungs- und Büdungsbestrebungen gegen-
über den eigenen Mitgliedern, der Kampf gegen den Alkohol und die
Leistungen einer tüchtigen Gewerkschaftsverwaltung.
Von besonderem Interesse ist die sich hieran anschließende Er-
örterung über die Bedeutung der politischen Arbeiterbewegung für
den Fortschritt der Gewerkschaftsbewegung. Wenn die freien
Gewerkschaften formell von ihren Mitgliedern kein Bekenntnis zur So-
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 1X5
zialdemokratie verlangen und bei ihrem berechtigten Selbstbewußtsein
auch nicht gerade eine Vorschule für diese Partei abgeben wollen, so
wird die darin äußerlich zum Ausdruck gebrachte politische Neutralität
so gut wie aufgehoben durch den vom Verf. sogleich angeschlossenen
Zusatz, daß sie es als ihre Pflicht betrachten, die Mitglieder zur po-
litischen Betätigung zu erziehen. Denn diese Betätigung kann nach
seiner eigenen Erklärung, „auch wenn jede eigentliche Agitation für
die Sozialdemokratie fehlt", bei „denkenden Arbeitern", d. h. gewerk-
schaftlich erzogenen, nur eine solche im Dienste der sozialdemokrati-
schen Partei sein. Wie man sieht, ist der Begriff der Neutralität schon
vor dem Kriege einer sehr verschiedenen Auslegung fähig gewesen.
Die daran angeschlossene Skizze der Behandlung dieses Problems inner-
halb der beiderseitigen Presse und auf den Partei- und Gewerkschafts-
kongressen bestätigt, daß Partei und Gewerkschaft eins sein wollen und
sollen in ihren letzten Zielen wie in ihren Motiven und in ihrer Welt-
anschauung, und daß sie sich als gemeinsame und einheitliche Aufgabe
setzen, den Klassenkampf auf zwei verschiedenen Gebieten, dem politi-
schen und dem wirtschaftlichen, zu propagieren und durch die näm-
lichen, dabei in zwei verschiedenen Rollen auftretenden Kämpfer und
Führer durchzukämpfen. .
Das Agitationsproblem selbst, der Kern der Darstellung, wird zu-
nächst gleichfalls von der entwicklungsgeschichtlichen Seite vorgeführt.
Aus rein empirischen Anfängen erwächst es mit der Zeit zur klarbe-
wußten Fragestellung und internen wie öffentlichen Erörterung der
Methodik und Systematik der Werbearbeit, um den Höhepunkt seiner
Behandlung in der Abfassung von Handbüchern für die Unterweisung
in der Agitationskunst zu erreichen. Auf dieser zeitgeschichtlichen
Unterlage gibt der Verf. ein interessantes Bild von den mannigfachen,
in der gewerkschaftlichen Praxis zur Anwendung gelangten und ge-
langenden Methoden der Gewinnung, Erhaltung und Erziehung von
Mitgliedern. Zahlreiche Abbildungen von Werbeschreiben, -aufrufen,
-plakaten und anderem Werbematerial sowie Wiedergabe von Zeitungs-
titeln und -ausschnitten unterstützen die textliche Darstellung und
weisen auch in sich selbst einen bemerkenswerten Entwicklungsgang,
zum Teil auch in künstlerischer Hinsicht auf.
Im Einzelnen wird zunächst die Organisation der Werbe-
arbeit behandelt. Ihre Träger sind auf den untersten Stufen die Mit-
glieder selbst, auf der obersten die als Zentralinstanz für die gesamte
freie Gewerkschaftsbewegung geschaffene Generalkommission. Da-
zwischen stehen die Vorstände und Leiter der örtlichen Zahl- und
Verwaltungsstellen, die Ortskartell-Leitungen und die Leitungen der
Industrieverbände und ihrer Sektionen. Diese dezentralisierte und doch
einheitliche Organisation, bei der den einzelnen Verbänden volle Selb-
ständigkeit der Propaganda und zugleich deren Hauptteil belassen ist,
daneben aber, besonders in der Form von „Agitationskommissionen",
unterstützende Instanzen geschaffen sind, an denen sie nicht allein be-
teiligt sind, hat sich vorzüglich bewährt. Die Generalkommission gibt
die allgemeinen Anregungen und erstreckt ihre Werbetätigkeit auf den
8*
116 Uebersicht über die neuesten Publikationen DeutschlancLs und des Auslandes.
aus mancherlei Gründen schwerer zu bearbeitenden Osten des Reiches.
Sehr beachtenswert ist dabei die Tatsache, daß infolge der der gewerk-
schaftlichen Agitation dort in besonderem Maße in den Weg gelegten
Schwierigkeiten die für die freien Gewerkschaften gewonnenen Arbeiter
nicht lange mehr im Osten zu bleiben, sondern nach Westen abzuwan-
dern pflegen, um außer besserer Arbeitsgelegenheit dort größere Freiheit
zu finden. Diese Förderung der Entvölkerung des Ostens durch die
gewerkschaftliche Werbearbeit fällt um so schwerer ins Gewicht, als
diese „die besten, die geschulten Kräfte" sind. Die Ortskartelle för-
dern namentlich durch ihre vielen und vielseitigen Einrichtungen und
Vorkehrungen dauernden und gelegentlichen Charakters (Arbeitersekre-
tariate, Auskunft- und Rechtsschutzbüros, Gewerkschaftshäuser, Her-
bergen, Bibliotheken, Veranstaltungen von Masseneingaben und -demon-
strationen usw.) die Werbearbeit außerordentlich. Eine besondere Recht-
fertigung läßt der Verf. den angestellten Agitatoren gegen den Vor-
wurf, daß sie „von den Arbeitergroschen leben", zuteil werden.
Weiterhin wird die Agitation durch Versammlungen geschildert,
wobei die eigentümliche Wirkung des Sozialistengesetzes bemerkens-
wert ist, das durch die Lahmlegung der Versammlungstätigkeit zur
Einrichtung von Werkstättenversammlungen nötigte, die mit der Zeit
ein viel wirksameres Agitationsmittel wurden und auch geblieben sind,
namentlich weil sie es ermöglichen, die Arbeiter bei ihren allereigensten
Interessen zu fassen. Wie die Vorarbeit für die Versammlungsagitation
und wie besonders die Kleinarbeit in ihr mit Geschick und Routine
betrieben wird, welche Anforderungen an die Persönlichkeit, insbeson-
dere an die Kräfte, die Ausdauer und an die spezifische Veranlagung
der Agitatoren für ihren schwierigen Beruf gestellt werden, wie diese
die besondere Kunst, die Arbeitermassen psychologisch richtig zu ver-
stehen und zu behandeln, erlernen und beherrschen müssen, diese aus
der Fülle der gesammelten Erfahrungen geschöpften Darlegungen sind
von besonderem Reiz. Bei der Darstellung der schriftlichen Agi-
tation bieten namentlich die auf die Gewerkschaftspresse sich er-
streckenden Textproben und bildlichen Veranschaulichungen eine gute
Orientierung. Als wichtigste Agitationsart wird jedoch die „von
Mund zu Mund" charakterisiert und in ihrem Wesen und Wirken
enthüllt. Die persönliche Aussprache zwischen Berufsgenossen über-
trifft an Wirksamkeit alle anderen Agitationsmittel. Freilich will sie
auch mit ganz besonderem Geschick, wobei wiederum die persönliche
Veranlagung die Hauptrolle spielt, betrieben sein, um dieses Lob voll
zu verdienen. Es wird gezeigt, wie diese Werbetätigkeit am erfolg-
reichsten an der Arbeitsstätte erfolgt, ohne daß dies jedoch Agitation
während der Arbeit treiben bedeuten muß. Die Pausen und die
Wege von und zu der Arbeitsstelle kommen dafür in Betracht. Takt
und Geschick müssen sich dabei in glücklicher Mischung vereinen,
Selbstbeherrschung und vorbildliches Beispiel spielen im Verein damit
eine Hauptrolle. In fast epischer Form wird daran anschließend die
Hausagitation behandelt — die mühevollste, billigste und wirk-
samste Methode — die womöglich noch , höhere Anforderungen indi-
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. ]^;[7
vidueller Art stellt, und scblieUlich die mit dem Wandern selbst zu-
rückgegangene, einst so bedeutende Wände ragitation.
Ihre größte Aufmerksamkeit und Kräfteentfaltung muß die Werbe-
arbeit aber, um das gewerkschaftliche Ziel der Umfassung möglichst
der gesamten Berufsarbeiterschaft zu erreichen, sowie weil sich hier
Schwierigkeiten von ganz besonderen Arten häufen, den Frauen und
den Jugendlichen zuwenden. Weil sie zumeist lohndrückend wirken
und zugleich eine Reservearmee von Streikbrechern bilden, müssen sie
in die Organisation hineingebracht werden, wenn sie nicht zu einer
großen, doppelten Gefahr für den Hauptteil der Arbeiterschaft werden
sollen. Daher der jetzt allgemeine Umschwung der Meinung in den
Gewerkschaften, die zuerst und lange Zeit in den Frauen nur die
Rivalen sah. Bei den Jugendlichen kommt dazu noch die Gefahr früh-
zeitigen Einfangens von Seiten konkurrierender Verbände, anderseits
der Vorteil, daß sie für die Unterstützungskassen regelmäßig weniger
kostspielig sind. Di6 besonderen Schwierigkeiten der Gewinnung beider
Kategorien werden aufgezeigt und gewertet. Je größer sie sind, um
so wertvoller sind die Erfolge auf diesen Gebieten, die ebenso wie die
zu ihrer Erzielung aufgewendeten, den besonderen Verhältnissen geschickt
angepaßten Mittel und Methoden dargelegt und erörtert werden. Heute
gibt es nur noch wenige Organisationen ohne weibliche Mitglieder, und
nur solche, in deren Berufen Frauenarbeit nicht oder nur wenig vor-
kommt. Anderseits sind vielfach weibliche Gewerkschaftsbeamte an-
gestellt. Ein Frauenkomitee betreibt seit 1904 als Zentralstelle die
Agitation unter den Arbeiterinnen, ein Arbeiterinnensekretariat ist ihm
angegliedert, Frauenagitationskommissionen wirken unter ihnen. Da-
neben sind u. a. wirkungsvoll : niedrigere Beitragsklassen für weibliche
Mitglieder, Wöchnerinnen-Unterstützung, Frauenversammlungen, Schu-
lungsabende für Frauen und eine Zeitschrift für Proletarierinnen. Noch
reichhaltiger und differenzierter sind die Werbemittel und -methoden
für die Gewinnung der Jugend, der man vor allem möglichst viel zu
bieten sucht, was ihren Interessen und Neigungen entgegenkommt.
Die dafür getroffenen Einrichtungen und Vorkehrungen, wie Jugend-
abteilungen, besoldete Jugendleiter, Versammlungen, Vorträge, Ausflüge,
Unterhaltungsabende für Jugendliche, die Zeitschrift „Arbeiterjugend",
besondere Werbeflugblätter, Jugendheime und -büchereien und vieles
andere bildet die Gesamtheit dieser nach Ueberzeugung des Verf. alier-
einträglichsten Kategorie von gewerkschaftlichen Aufwendungen. Das
ist durchaus begreiflich, da ja die Zukunft nach einem bekannten
Spruche dem gehört, der die Jugend für sich hat. Daher ist aber
auch, bei dem mehr als engen Zusammenhang zwischen Sozialdemokratie
und freien Gewerkschaften, die staatliche Einmischung in den Wett-
bewerb um die Seele der Jugend verständlich, gegen die der Verf.
sich mit der Prophezeiung wendet, daß sie den entgegengesetzten Er-
folg haben werde, die Jugend den freien Gewerkschaften in die Arme
zu treiben.
Das heikelste Spezialproblem des Themas bildet der Organi-
sationszwang. Der Verf. sucht in ruhiger, aber eindringlicher Dar-
118 üeberaicht über die nenesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
legung den Vorwurf des Terrorismus der freien Gewerkschaften gegen
Unorganisierte zu widerlegen. Er zitiert Agitationsanweisungen, die
jeden Zwang gegen Unorganisierte mißbilligen und vor ihm warnen,
und weist gegnerischerseits berichtete krasse Fälle von Terrorismus als
tatsächlich unbegründet nach. Sodann schildert er, wie der Arbeiter
durch Anwendung von in seinen Kreisen gebräuchlichen Redensarten,
<iie nicht buchstäblich genommen noch gar vom Standpunkte des ge-
bildeten Juristen aus gewertet werden dürften, wohl „eine kräftige
kameradschaftliche Mahnung" ausdrückt, ohne nach Lage des Falles
damit ernstliche Bedrohungen oder Ehrverletzungen auszusprechen.
Anderseits macht er geltend, daß in manchen Fällen und Situationen
es „mindestens zu verstehen" sei, wenn die Arbeiter sich weigerten,
mit Außenseitern zusammenzuarbeiten, ja, daß eine Aktion gegen solche
und die Forderung, sich anzuschließen oder die Ai-beitsstelle zu ver-
lassen, von ihrem Stolz und ihrer Selbstbehauptung geradezu verlangt
werden könne. Dies könne nicht unbillig sein, wenn man bedenke,
daß die Außenseiter alle von der Organisation erkämpften Vorteile mit-
genössen, ohne die Opfer und Lasten dafür mittragen zu wollen.
Außerdem verweist er nachdrücklich auf den viel stärkeren Organi-
sationszwang auf der Gegenseite.
Ein kurzer Ueberblick über Kosten und Erfolge, Ausbau und Be-
deutung der Agitation macht den Schluß. Das starke V^achstum der
freien Gewerkschaften unter dem Sozialistengesetz fällt dabei besonders
ins Auge. Die vom Verf. gewünschte Vervollkommnung der gewerk-
schaftlichen Agitation scheint ihm nur erreichbar durch beständige sorg-
fältige Berücksichtigung der ökonomischen und psychologischen Vor-
aussetzungen in der Arbeiterschaft, durch Anpassung der Methoden an
die jeweils gegebenen Bedingungen, kurz durch möglichste Individuali-
sierung der Werbearbeit, deren Schwierigkeiten in dem Maße schwinden
würden, wie die Lebensbedingungen breiter Arbeiterschichten sich durch
die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung annähern. Im übrigen müsse
die Agitation immer mehr Sache des Einzelnen und seiner dazu nötigen
geistigen Ausrüstung werden, und dürfe bei ihr kein kleinliches Feilschen
mit Mitteln und Kräften gelten. Sie mache sich stets bezahlt, wenn
sie gut sei, besonders auch dadurch, daß jede Agitation an sich einer
Bewegung Leben und Kraft verleihe.
Enthält das Buch auch keine Geheimnisse des Gewerkschaftslebens,
so vermag sein reicher Inhalt doch sehr gut das Verständnis für das
Werden und das Wesen der freien Gewerkschaften zu fördern. Den
Freunden und Anhängern der letzteren gibt es manches Neue zum
Lernen und Beherzigen, den Gegnern vieles zum Nachdenken und
Verstehen.
Marburg a. d. Lahn. H. Koppe.
Döring, Luise, Frauenbewegung und christliche Liebestätigkeit. Leipzig,
Quelle u. Meyer, 1917. 8. VII— 172 SS. M. 3,60.
Heinen, Anton, Jugendpflege als organisches Glied der Volkspflege. Eine
Sammlung von Aufsätzen zur ethischen Vertiefung der Jugendpflegearbeit. München-
Oladbach, Volks Vereins- Verlag, 1917. gr. 8. 80 SS. M. 1,20.
üebersicht über, die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. X19
Höfle (Verbandsdir.), Dr. Anton, Die Privatangestellten- und die Kriegsbe-
schädigten-Fürsorge. (Deutsche Kriegsschriften, Heft 23.) Bonn, A. Marcus u. E. Weber,
1917. gr. 8. 46 SS. M. 1,20.
Krebs (Verbands-Sekr.), Hans, Katechismus der deutschen Arbeiterbewegung
Oesterreichs. (Nach der Beschlagnahme, 2. Aufl.) Leipzig, G. Hedeler, 1917. gr. 8.
30 SS. M. 1.—.
Parvus, Die soziale Bilanz des Krieges. Berlin, Verlag für Sozial Wissenschaft,
1917. 8. 30 SS. M. 0,25.
Verhandlungsbericht über die Tagung für Kriegsbeschädigtenfürsorge in
Köln, 22. — 25. VIII. 1916. (Reichsausschuß der Kriegsbeschädigtenfürsorge. Sonder-
«chriften, Heft 1.) Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. Lex.-8. 204 SS. M. 5,50.
Vorwärts in der Wohnungsfrage! Wohnungsfrage und Krieg, von Prof. Dr.
C. J. Fuchs-Tübingen. — Wohnungsreform durch das Reich, von Dr. K. v. Mangoldt-
Berlin. Vorträge, gehalten auf der Gründungsversammlung des deutschen Wohnungs-
ausschusses in Berlin am 19. XI. 1916. Mit einem Anhang, enthaltend einen Bericht
über die Gründungsversammlung und 3 Anlagen. (Schriften des deutschen Wohnungs-
ausschusses, Heft 1.) Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. gr. 8. 38. SS. M. 1. — .
Hope for society (The), Essays on „Social reconstruction after the war", by
various writers. Edited by Miss Lucy Gardner. London, G. Bell and Co. Cr. 8.
236 pp. 3/.—.
10. OenoBsensch.aftsweseii.
Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Konsum-
vereine. 14. Jahrg., 1916. Hrsgg. von Heinrich Kaufmann.
Hamburg (Druck der Verlagsgesellschaft deutsch. Konsumvereine m.b.H.)
1916. I. Bd. XXVII u. 925 SS.; II. Bd. VII u. 950 SS. (Preis: M. 12.)
Jahresbericht des Zentralverbandes deutscher Kon-
sumvereine für 1915. Erstattet zu Händen des 13. ordentlichen
Genossenschaftstages des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine
am 19. und 20. Juni 1916 in Hannover von dem geschäftsführenden
Vorstande Heinrich Kaufmann, Dr. August Müller, Hugo
Bästlein. Hamburg (Verlagsgesellschaft deutscher Konsumvereine
m. b. H.) 1916. gr. S« XIII u. 774 SS. (Preis: M. 5.)
Der Jahresbericht ist vollständig auch im Jahrbuch wiedergegeben.
Er bringt zunächst eine eingehende, äußerst instruktive Darstellung
über die Maßnahmen zur Sicherung der Volksernährung im Kriege aus
der Feder des Vorstandsmitgliedes des Zentral verbau des Dr. August
Müller, der in den Vorstand des Kriegsernährungsamtes berufen
wurde. Von demselben Verfasser stammt der zweite Aufsatz über
die wirtschaftlichen Kämpfe der Genossenschaften, welcher in großen
Zügen auf Grund eines reichen Tatsachenmaterials den Kampf mit der
Teuerung, der Lebensmittelfälschung, dem Kriegswucher schildert, die
Bedeutung der Konsumvereine auf diesen Gebieten für die große Masse
des Volkes hervorhebt und mit Aussprüchen aus der gesamten Presse
belegt. Auch zu den Forderungen und Maßnahmen der Kleinhändler
und Rabattsparvereine nimmt der Aufsatz Stellung. Das 3. Kapitel
gibt eine Üebersicht über den Stand und die Entwicklung der großen
deutschen genossenschaftlichen Zentralverbände von 1900 — 1914.
Die folgenden Kapitel behandeln die deutsche Konsumvereins-
bewegung im Jahre 1915, insbesondere den Zentralverband selbst, seine
Entwicklung und seinen gegenwärtigen Stand unter besonderer Berück-
120 öebenicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
sichtigung der Hauptgruppen: KonsumgenosseDSchafteu, Arbeits- und
sonstige Genossenschaften, Großeinkaufsgesellschaft und Verlagsgesell-
schaft deutscher Konsumvereine, deren Geschäftsberichte ebenfalls der
Jahresbericht enthält. Ein mächtiges Tabellenwerk ergänzt den Text.
Zu Ende 1915 bestanden 2400 Konsumvereine gegen 2418 im
Vorjahre. Die Verminderung beruht nicht auf einem Rückgang der
Bewegung, sondern ist eine Folge der fortschreitenden Konzentration
und der Ausbildung von Bezirkskonsumvereinen. Der Gesamtmitglieder-
bestand der deutschen Konsumvereine wird auf 2,6 Mill. Ende 1915
veranschlagt, davon 1,85 Mill. im Zentralverband. Der Umsatz betrug
im Jahre 1915 742,5 Mill. M., davon 142,3 Mill. M. Eigenproduktion;
der Warenbestand 83,6 Mill. M., die zinsbar angelegten Kapitalien
86.2 Mill. M., der Grundbesitz 139,2 Mill. M., die Geschäftsguthaben
50.3 Mill., die Reserven 38,5 Mill. und die Spareinlagen 105 Mill. M.
Letztere waren im Berichtsjahr 1915 besonders stark gestiegen.
Der 1. Band des Jahrbuchs enthält außerdem noch den ausführ-
lichen stenographischen Verhandlungsbericht vom Genossenschaftstag in
Hannover. Der 2. Band ist, wie auch in früheren Jahrgängen, den
9 Revisionsverbänden des Zentralverbandes gewidmet.
Berlin-Steglitz. Willy Krebs.
11. Gesetzgebung', Staats- und Verwalttingsreclit. Staatsbürgerkunde.
Bratter, C. A., Die Staatenbildung in der nordamerikanischen Union. (Schriften
zur Zeit und Geschichte, 4. Bdchn.) Berlin, G. Grotesche Verlagsbuchhdlg., 1917. 8.
103 SS. mit eingedr. Karte. M. 1.—.
Bülow, Fürst V., Weg zur politischen Reife. (Um Deutschlands Zukunft. Hrsg.
vom Bund deutscher Gelehrten und Künstler. Heft 2.) Berlin, Reimar Hobbing, 1917.
8. 48 SS. M. 0,40.
Belehrungen, Staatsbürgerliche, in der Kriegszeit. Für Fach- und Fort-
bildungsschulen hrsg. vom Kgl. preußischen Landesgewerbeamt. 1. Bd. 2. Ausg. Berlin,
Carl Heymanns Verlag, 1916. 8. VIII— 282 SS. M. 3.—.
Coermann (Amtsger. -R.) , Wilh. , Die deutschen Nahrungsmittel-Gesetze, zu-
sammengestellt. Mit Beigabe einer Uebersicht über die einschlägige Literatur des ge-
samten Nahrungsmittelrechts. Gießen, Emil Roth, 1917. gr. 8. III— 73 SS. M. 2.—.
Dietz (Kriegsger.-R.), Heinr. , Militärrechtspflege im Kriege. Sammlung von
Gesetzen, von Verordnungen, amtlichen Erlassen, Verfügungen, Erläuterungen aus
1914—1917 und völkerrechÜiche Abkommen. Rastatt, K. u. H. Greiser, 1917. 12,5 X
16 cm. 255 SS. M. 5,80.
Feilsch (Abteilungschef, Wirkl. Geh. Adm.-R.), Dr., Ein deutsches Jugendgesetz.
Berlin, Ernst Siegfried Mittler u. Sohn, 1917. 8. VI— 72 SS. M. 1.—.
Fricke (Amtsger.-R.), J., Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom
5. XII. 1916. Stettin, M. Bauchwitz, 1917. 8. 44 SS. M. 1.—.
Güthe (Geh. Just.-R., vortr. Rat), Dr. Georg, und (Kammergerichts-R.) Dr.
Franz Schlegelberger, Kriegsbuch. Die Kriegsgesetze mit der amtlichen Be-
gründung und der gesamten Rechtsprechung und Rechtslehre. 4. Bd. (Jahrbuch des
deutschen Rechts. Begründet von Dr. Hugo Neumann. Hrsg. von Kammerger.-R. Dr.
Franz Schlegelberger und Reg.-R. Dr. Thdr. v. Olshausen. Sonderband.) Berlin, Franz
Vahlen, 1917. gr. 8. LI— 933 SS. M. 24.—.
Hoff mann (Wirkl. Geh. Ober-Reg.-R., vortr. Rat), Dr. F., Der vaterländische
Hilfsdienst. Gesetz vom 5. XII. 1916, nebst den Ausführungsbestimmungen, erläutert. 2.
und 3. verm. Aufl. Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. kl. 8. VII— 160 SS. u.
5 SS. M. 2.—.
Kinkel, Walter, Die Idee des Staats und die Idee der Menschheit. (Ver-
öffentlichiingen des Verbandes für internationale Verständigung, Heft 16.) Stuttgart,
W. Kohlhammer, 1917. 8. 32 SS. M. 0,75.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. \21
Kresse, Oskar, Deutsche Staatskunst nach dem Weltkriege. 2: Das Wahl-
recht der Zukunft. Berlin, Wilh. Eößler u. Co., 1917. 8. 32 SS. M. 0,50.
Magnus (Ger.- Assess.) , Dr. Albert, Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom
22. VII. 1913. unter Einarbeitung der Ausführungsbestimmungen des Bundesrats und
der Bundesstaaten Preußen, Bayern, Kgr. Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-
Lothringen, Mecklenburg-Schwerin, Hamburg und Bremen sowie unter Berücksichtigung
auch der übrigen Bundesstaaten erläutert. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1917.
gr. 8. 411 SS. M. 10.—.
Möndel, K. J., Deutschland auf dem Wege zur Demokratie? (Deutsche Zeit-
fragen, hrsg. von der Deutschen Vereinigung, 6. Heft. 1917.) gr. 8. VI — 144 SS.
M. 2.—.
Kabel in g (Geh. Reg.-E.), Dr. W., und (Reg.-ß.) A. Müller, Sozialversicherung
und vaterländischer Hilfsdienst. Verordnung des Bundesrats über Versicherung der im
vaterländischen Hilfsdienst Beschäftigten vom 24. II. 1917. Erläutert. Berlin, Carl
Heymanns Verlag, 1917. gr. 8. VIII— 159 SS. M. 5.—.
Schär er, Dr. Max, Die Natur des Kartellvertrages nach schweizerischem Recht.
(Abhandlungen zum schweizerischen Recht, hrsg. von Prof. Dr. Max Gmür, Heft 75.)
Bern, Stämpfli u. Cie, 1917. gr. 8. X— 161 SS. M. 4,50. (Berner jur. Disser-
tation.)
Schiffer (Oberverw.-Ger-R., M. d. R., Abg.), Eugen, und (Geh. Just.-R.,
Rechtsanw., M. d. R.) Joh. Junck, Der vaterländische Hilfsdienst. Erläuterungen
und Materialien zum Gesetze über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. XII. 1916.
Auf Veranlassung des Kriegsamts hrsg. Berlin, Otto Liebmann, 1917. kl. 8. VIII —
206 SS. M. 3.—.
Schöpfer (Mitgl. des Landesausschusses), Dr., Der staatliche ünterhaltungbeitrag
nach dem Gesetz vom 26. XII. 1912, den kaiserlichen Verordnungen, den Ministerial Ver-
ordnungen, den Ministerialerlassen und der Judikatur des k. k. Verwaltungsgeriehtshofs.
Innsbruck, Verlagsanstalt Tyrolia, 1917. 8. IV— 120 SS. M. 1,50.
Sontag (Landger.-R., zurzeit Kriegsger.-R.), Dr. Ernst, Gesetz betr. die Ver-
haftung und Aufenthaltsbeschränkung auf Grund des Kriegszustandes und des Belage-
rungszustandes vom 4. XII. 1916 und Gesetz über den Kriegszustand vom 4. XII. 1916,
sowie Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über den Kriegszustand vom 4. XII.
1916, für die Praxis erläutert (Schutzhaftgesetz). Berlin, Franz Vahlen, 1917. kl. 8.
111 SS. M. 2,40.
Starke (Rechtsanw.), Dr. Arthur, Lieferungsverträge unter Einwirkung des
Krieges nach deutschem und österreichischem Rechte. 2. völlig geänd. Aufl. Berlin,
Franz Vahlen, 1917. gr. 8. 108 SS. M. 2,80.
Wagner (Justiz-R.), Der Friede und die von uns besetzten Länder. Darstellung
ihres staatsrechlichen Verhältnisses zum Deutschen Reich. Oldenburg i. Gr., Gerhard
Stalling, 1917. 8. 16 SS. M. 0,40.
Wolzendorff, Prof. Kurt, Vom deutschen Staat und seinem Recht. Streif-
lichter zur allgemeinen Staatslehre. Leipzig, Veit u. Comp., 1917. gr. 8. III — 114 SS.
M. 4,20.
Dampierre, Jacques Marquis de, German imperialism and international
law. Based upon German authorities and the archives of the French govemment.
London, Constable 8. 285 pp. 10/.6.
Hogan, Albert, E., The government of the United Kingdom : Its colonies and
dependencies. 3rd ed., revised and enlarged. London, üniversity Tutorial Press. 8.
248 pp. 2/.6.
Laski, Harold J., Studies in the problem of sovereignty. New Haven, Yale
Univ. Press. 8. $ 2,50.
Woodburn, J. A., American republic [and its government. London, Put-
nam. 12/.6.
Berolzheimer, Fritz, Sistema de filosofia del diritto e delP economia : filo-
sofia dello Stato e principi della politica. Traduzionp italiana autorizzata, con note ed
introduzione del prof. Angelo D'Eufemia. Napoli, F. Sangiovanni e figlio, 1916.
8. 378 p. 1. 12.—.
Martino (Di), Domenico, La guerra e il diritto pubblico. Napoli, ditta
F. Casella fu G., di G. Casella, 1916. 8. 35 p. 1. 1.—.
122 üebenicht fiber die neaesten Publikationen Dentschlands und des Auslandes.
Trattato (Primo) completo di diritto amministrativo italiano, a cura del prof.
V. E. Orlando. Fase. 321—322 (principo del vol. II, parte III). Milano, Societk
editrice libraria (tip. Indipendenza), 1916. 8. p. 1 — 80. 1. 1. 11 fascicolo.
Zanobini, Guido, La pubblicazione delle leggi nel diritto italiano. Torino,
Unione tipografico-editrice, 1917. 8. 354 p. 1. 8.—.
12. Statistik.
Deutsches Beich.
Heidemann, Dr. Hugo, Bevölkerungszahl und berufliche Gliederung Münsters
i. Westf. am Ende des 17. Jahrhunderts. (Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung.
Hrsg. von Prof. Dr. Aloys Meister. N. F. 37., der ganzen Beihe 49. Heft.) Münster
(Westf.), Univ.-Buchhdlg. Franz Coppenrath, 1917. gr. 8. M. 1,80.
Mitteilungen, Medizinal-statistische, aus dem Kais. Gesundheitsamte. (Beihefte
zu den Veröffentlichungen des Kais. Gesundheitsamts.) 19. Bd. : Ergebnisse der Todes-
ursachenstatistik im Deutschen Beiche für das Jahr 1913, Fortsetzung von Bd. 18,
S. 1 — 148, und S. 1 — 490, die Ergebnisse der Todesursachenstatistik für das Jahr 1912
betreffend. Berichterst. : (Beg.-E.) Dr. E. Eoesle. Berlin, Julius Springer, 1917. Lex.-S.
XII, 157 u. 499 SS. M. 26.—.
Nachweisungen, Statistische, aus dem Gebiete der landwirtschaftlichen Ver-
waltung von Preußen. Bearbeitet im Kgl. preußischen Ministerium für Landwirtschaft,
Domänen und Forsten. Jahrg. 1915. Berlin, Paul Parey, 1917. Lex.-8. VII— 239 S8.
M. 3,60.
Zahn (Minist.-B.), Dr. Frdr., Stadt und Land, Bayern und das Reich in der
Kriegsernährungswirtschaft. München, J. Lindauersche Ünjv.-Buchhdlg. (Schöpping),
1917. 31,5X23,5 cm. 12 SS. u. Nachtr. 1 Bl. (S.-A. a. d. Zeitschrift d. K. bayer.
Statist. Landesamts, Jg. 1917.)
Oesterreich.
Mitteilungen des statistischen Landesamts des Königreichs Böhmen. Deutsehe
Ausgabe: Anbau- und Erntestatistik, sowie Statistik der wichtigsten Zweige der
landwirtschaftlichen Industrie im Königreich Böhmen für die Betriebsperiode 1913/14.
Mit einem Anhang über die Ergebnisse der Bienenzucht im Jahre 1914, dann über die
Bier- und Spiritusindustrie im Betriebsjahre 1912/13. (23. Bd., 2. Heft.) IV— 48 SS.
M. 1,20. — Statistik einiger Arten von Gemeindeuntemehmungen im Jahre 1910 und
1911 im Königreich Böhmen. (21. Bd., 2. Heft.) IV, 69 u. 87 SS. M. 4.—. —
Wanderbewegung, Die, der Bevölkerung des Königreichs Böhmen, dargestellt auf
Grund der bei der Volkszählung vom 31. XII. 1910 ermittelten Gebürtigkeits- und
Aufenthaltsdaten und die Saison auswanderung aus den Gemeinden Böhmens nach den
Erhebungen vom Jahre 1913. (24. Bd., 1. Heft.) IV, 132 u. 56 SS. mit 4 färb. Karten.
M. 4.—. Prag. J. G. Calve, 1916. Lex..8.
Bumänien. Landes- und wirtschaftsstatistische sowie topographische üeber-
sichten. Bearbeitet von der Direktion des k. k. österreichischen Handelsmuseums.
2. durchgeseh. u. ergänzte Aufl. Wien, L. W. Seidel u. Sohn, 1917. Lex.-8. VH—
737 SS. M. 12.—.
Frankreich.
Resultats statistiques du recensement gen§ral de la population effectn^ le 5 mars
1911. Tome l^r. Troisiöme partie: Population active. Paris, Impr. nationale 1916.
4., 183 pag. (Ministöre du travail et de la pr§voyance sociale. Statistique g§nferale de
la France.)
Statistique des pßches maritimes. Annge 1913. Paris, Impr. nationale, 1917.
8. 198 pag. (Ministöre des travaux publics, des transports et du ravitaillement, sous-
secr^tariat de la marine, Services des p6ehes maritimes, office des pdches.)
Italien.
Gini, Corrado, SuU'aumento di mortalitk determinato dalla guerra; nota di
metodologia statistica. Scansano, tip. degli Olmi, di C. Tessitori, 1916. 8. 10 p.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 123
Holland.
Statistiekwet 1916, en wet op het statistiekrecht 1916, met de daartoe be-
trekkelijke koninklijke besluiten en ministerieele resolutien, bewerkt door J. H. F.
Ciaessens. (Bijgewerkte verzameling Van Dillen en Middelkoop.) Amsterdam, L. J. Veen.
gr. 8. 123 blz. fl. 2,20.
13. VerscMedenes.
Bernstein (M. d. E.), Eduard, Die Aufgaben der Juden im Weltkriege.
Berlin, Erich Reiß, 1917. 8. 52 SS. M. 1,50.
Bis sing, Prof. Dr. Frdr. Wilhelm Frhr. v., Westliche Kriegsziele. (Kriegs-
und Friedensziele. Deutsche Flugschriften, Heft 2.) Weimar, Alexander Duncker,
1917. 8. 22 SS. M. 0,30.
CarriSre, Ludwig, Die Kriegsziele der kämpfenden Völker, zusammengestellt.
Berlin, Dietrich Reimer (Ernst Vohsen), 1917. gr. 8. XI— 169 SS. M. 2,80.
Delbrück, Clemens v., Reden 1906—1916. Berlin, Reimar Hobbing, 1917.
8. VIII— 447 SS. mit 1 Bildnis. M. 8.—.
Hesse-Wartegg, Ernst v.. Die Balkanstaaten und ihre Völker. Reisen, Be-
obachtungen und Erlebnisse. Regensburg, Friedrich Pustet, 1917. gr. 8. 290 SS. m.
33 Abb. (auf Taf.) M. 4,80.
Hoetzsch, Otto, Der Krieg und die große Politik. 1. Bd. Bis zum Anschluß
Bulgariens an die Zentralmächte. Leipzig, S. Hirzel, 1917. gr. 8. VI, 36, 401 SS.
M. 10.—.
Hof er, Dr. Cuno, Die Keime des großen Krieges. Zürich, Schultheß u. Co.,
1917. gr. 8. IV— 274 SS. M. 5.—.
Jaff§, Dr. Alfred, Kriegsziele. Berlin, Verlag der Europäischen Staats- und
Wirtschafts-Zeitung, 1917. 8. 91 SS. M. 1.—.
Neumann, Dr. Josef, Die Freiheit der Meere. Berlin, Reichsverlag Hermann
Kalkoff, 1917. gr. 8. 91 SS. mit 1 Abb. u. 3 eingedr. Karten. M. 1,80.
Ostwald, Dr. Paul, Englischer und deutscher Imperialismus ein Gegensatz.
(Volkswirtschaftliche Zeitfragen. Vorträge und Abhandlungen, hrsg. von der Volks-
wirtschaftlichen Gesellschaft in Berlin, 38. Jahrg., Heft 5, Nr. 297.) Berlin, Leonhard
Simion Nf., 1917. gr. 8. 30 SS. M. 1.—.
Rizoff (Gesandter), D., Bulgarien und Rußland. „Der bulgarische Verrat".
Deutschland und die Entente. Die russische Revolution. (Flugschriften des Berliner
Tageblatt, Heft 2.) Berlin, Kronen-Verlag, 1917. 8. 58 SS. M. 1.—.
Schäfer, Dietr., Bismarck. Ein Bild seines Lebens und Wirkens. Mit Text-
aeichnungen von Arthur Kampf. 2 Bde. Berlin, Reimar Hobbing, 1917. Lex.-8.
284 u. 244 SS. mit je 8 Bildnis-Taf. M. 25.—.
Schnitze- Hamburg, Dr. Ernst, Irland. Seine politische Knechtung und sein
Streben nach Selbstregierung. (Veröffentlichungen des AUgem. Vereins f. deutsche
Literatur, 39. Abt., 1. Bd.) Berlin-Wilmersdorf, Hermann Paetel, 1916. 8. XII—
406 SS. mit 8 Taf. M. 6.—.
Stegemanns, Herm., Geschichte des Krieges. 1. Bd. Stuttgart, Deutsche Ver-
lags-Anstalt, 1917. gr. 8. XVI— 444 SS. mit 5 färb. Kriegskarten. M. 11,50.
Triepel (Geh. Justiz-R.), Prof. Dr. Heinr., Die Freiheit der Meere und der
künftige Friedensschluß. Berlin, Julius Springer, 1917. 8. 41 SS. M. 1,20.
Zitelmann, Ernst, Das Schicksal Belgiens beim Friedenschluß. 3. erw. Aufl.
München, Duncker u. Humblot, 1917. gr. 8. 94 SS. M. 2.—.
Morton Fülle rton, W., Les grands problfemes de la politique mondiale. Pro-
blfemes of power. Traduit de l'anglais par B. Mayra. Nouvelle Edition revue et cor-
rig§e. Paris, Marc Imhaus et Ren§ Chapelot, 1916. 8. XVI— 424 pag. fr. 4.—.
Ho vre. Fr. De, Ph. D., German and English education. A comparative study.
London, Constable. Cr. 8. 108 pp. 2/.6.
Seymour, Charles, The diplomatic background of the war, 1870—1914.
London, Oxford Univ. Press. 8. 8/.6.
Wells, H. G., War and the future Italy, France, and Britain at war. London,
Cassell. 8. 297 pp. 6/.—.
I
124 ^ic periodische Presse des Auslandes.
Die periodische Fresse des Auslandes.
A. Frankreich.
Journal de la Sociale de Statistique de Paris. Ann^e 58, Avril 1917, No. 4:
L'AUemagne de demain (suite et fin), par M. A. Chervin. — Revenus et budgets d'aprfes-
guerre, par M. ßen§ Pupin. — etc. — Mai 1917, No. 5: Revenus priv§8 et revenu na-
tional, par Eugöne d'Eichthal. — Donnfees statistiques italiennes, par Daniel Bellet. —
fissai d'fevaluation de la richesse de l'Espagne, par Andr6 Barthe. — etc.
Journal des ificononiistes. 76' Ann§e, Avril 1917: L'industrie britannique
apr^s la guerre, par Sir Hugh Bell. — Les projets d'impöts en AUemagne, par Raffa-
lovich. — Notre marine marchande. Son pass^, son avenir, par Henry Lepeytre. —
Notes feconomiques italiennes, par L, P. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österreichischen
Handelsmuseums. Bd. 32, 1917, Nr. 18: Die k. k. Exportakademie in ihrem neuen
Gebäude, von (Direktor, k. k. Hofrat) A. Schmid. — Wirtschaftspolitische Uebersicht
(Ungarn, Deutschland, Serbien, England, Frankreich, Italien, Rußland). — Kriegs-
maßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich , Niederlande). — Ausdehnung der
Tätigkeit deutscher Banken nach Ostdeutschland. — etc. — Nr. 19 Die Wirkungen
des Krieges auf den türkischen Markt, von Gustav Herlt. — Wirtschaftspolitische Ueber-
sicht (Ungarn, Deutschland, Bulgarien, Schweiz, Polen, Rußland, England, Frankreich,
Italien.) — Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich, Deutschland, Rumänien).
— Die Wirtschaftslage Hamburgs. — Lederindustrie und Lederhandel im Königreich
Polen. — etc. — Nr. 20 : Der Außenhandel Rußlands im Kriege. — Wirtschaftspolitische
Uebersicht (Ungarn, Deutschland, Rumänien, Polen, Rußland, Türkei, England, Frank-
reich, Italien, Spanien, Vereinigte Staaten von Amerika). — Kriegsmaßnahmen und
Kriegswirkungen (Oesterreich, Deutschland). — Die erste niederländische Jahresmesse
in Utrecht. — Australiens Außenhandel im Jahre 1916. — Die Oelsaatenindustrie in
Deutschland. — Die Bergbauproduktion der Vereinigten Staaten. — etc. — Nr. 21: Der
Außenhandel Rußlands im Kriege (Forts.). — Wirtschaftspolitische Uebersicht (Ungarn,
Deutschland, Schweiz, Holland, England, Frankreich, Italien, Rußland, Türkei). —
Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oesterreich, Deutschland). — Die Frage der
Errichtung eines Reichshandelsamts in Deutschland. — etc. — No. 22 : Der Außen-
handel Rußlands im Kriege (Forts.). — Wirtschaftspolitische Uebersicht (Ungarn, Deutsch-
land, Schweiz, Polen, Rußland, England, Frankreich, Italien). — Anbahnung von Ge-
schäftsverbindungen mit Rußland nach dem Kriege. — etc.
Rundschau, Soziale. Hrsg. vom k. k. Arbeitsstatistischen Amt im Handels-
ministerium. Jahrg. 18, Jänner-Februar 1917, Heft 1/2: Sozialpolitische Vorschriften
(Gesetze, Verordnungen, Kundmachungen und Erlässe) in Oesterreich 1916. — Arbeiter-
schutz in industriellen Betrieben (Argentinien). — Schutz des Lebens und der Sicher-
heit der Arbeiter in industriellen Betrieben (Niederlande). — Wöchnerinnenschutz (Oester-
reich). — Neuorganisation der Fabrikinspektion in der Schweiz (Bundesratsbeschluß).
— Bestellung von Bergarbeiterkontrolleuren (Niederlande). — Staatliche und gemeind-
liche Unterstützung von Arbeitslosenkassen (Niederlande). — Abänderung der Arbeiter-
Krankenversicherung in Oesterreich (Kaiserl. Verordnungen). — Kranken- und Unfall-
versicherung von Angehörigen feindlicher Staaten im Deutschen Reich (Bundesrats-
bekanntmachung). — Stundung privatrechtlicher Geldforderungen (Oesterreich). — Schutz
der Mieter (Oesterreich). — Errichtung einer Wohnungskommission (Dänemark). — Die
Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Oesterreich im Jahre 1915. — Ergebnisse
der Arbeitsvermittlung in Oesterreich im November und Dezember 1916. — Die Arbeits-
losigkeit bei den Gewerkschaften in Oesterreich im September, Oktober, November und
Dezember 1916. — Wirtschaftsrechnungen und Lebensverhältnisse von Wiener Arbeiter-
familien in den Jahren 1912 — 1914. — Frauenarbeit im Deutschen Reiche während des
Krieges. — etc.
Volkswirt, Der österreichische. Jahrg. 9, 1917, Nr. 32: Die sechste öster-
reichische Kriegsanleihe, von W. F. — Die Sozialdemokratie und der Weltkrieg, von
Sigmund Kaff. — etc. — Nr. 33 : Staatssozialismus oder Staatskapitalismus, von W. F.
— Zur Theorie der Preistreiberei, von Dr. Rudolf Bienenfeld. — etc. — Nr. 34: Die
Die periodische Presse Deutschlands. J^25
individualistische Wirtschaftsordnung und der Krieg, von Dr. Otto Conrad. — Die Neu-
ordnung der allgemeinen Erwerbssteuer während der Kriegszeit. Erwiderung. Beplik
von Dr. L. M. — etc. — Nr. 35: Oesterreichs Geldbeschaffung im Krieg, von W. F.
— Die individualistische Wirtschaftsordnung und der Krieg (Schluß), von Dr. Otto
Conrad. — etc.
F. Italien.
Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. LIV, Marzo 1917, No. 3:
La diversa pressione tributaria del prestito e dell' imposta, di Benvenuto Griziotti. —
Libertä di commercio interno e di lavoro negli economisti piemontesi nel secolo XVIII,
di Eomolo ßota. — etc.
G. Holland.
Economist, De, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Jaarg. 66, Mei 1917,
No. 5 : De „oude gewoonten" (met betrekking tot de vererving van huis en hof) bij onze
Twentsche boeren, door Dr. Josephine van Androoy. — De coUectieve arbeidsovereen-
komst in het drukkersbedrijf, door D. van Blom. — Een nieuw werk van Oppenheimer,
door A. Spanjer. — Economische kroniek. — Handelskroniek : La Plata markt; Kussland ;
De scheepvaard na den oorlog, door A. Voogd. — etc.
H. Schweiz.
Bibliothöque Universelle et Revue Suisse. Tome LXXXVI, Mai 1917, No. 257:
Climat et civilisation, par Henry de Varigny. — La preuve d§cisive de la pr§m§dita-
tion allemande, par X. — etc.
Die periodische Fresse Deutschlands.
Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung. Bd. 5, 1917, Heft 3: Die Re-
form des preußischen Wahlrechts, von (Geh. Justizr.) Prof. Dr. Gerhard Anschütz. —
Plenges Ideen von 1914, von (Geh. -Rat) Prof. Dr. Ernst Troeltsch. — Die Beschränkung
der Frauenarbeit. Eine internationale Studie über den Stand des Arbeiterschutzes bei
Beginn des Weltkrieges, von Prof. Dr. Walter Schiff. — Das Recht auf Arbeit in der
heutigen Gesetzgebung, von (Assess.) Dr. Hans Maier. — etc.
Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsgg. im Königl. Preußischen Ministerium der
öffentlichen Arbeiten. Jahrg. 1917, Mai-Juni, Heft 3: 1882—1911. Dreißig Jahre
russischer Eisenbahnpolitik, von (Geh. Reg.-R.) Dr. Mertens. — Der gesetzliche Acht-
stunden - Arbeitstag des Zugpersonals der Vereinigten Staaten von Amerika, ein lohn-
technischer Begriff, von K. Rohling. — Die Betriebskosten der Eisenbahnen und ihre
Bedeutung für die Tarifbildung (Forts.), von Dr. Ahlberg und Dr. Norrmann. — Zu-
sammenlegung der holländischen Eisenbahnen (Staatseisenbahn - Betriebsgesellschaft,
Holländische Eisenbahn und Niederländische Zentralbahn), von Dr. rer. pol. Overmann.
— Die vereinigten preußischen und hessischen Staatseisenbahnen im Rechnungsjahr 1915.
— Die königlich sächsischen Staatseisenbahnen in den Jahren 1914 und 1915. — etc.
Archiv für exakte Wirtschaftsforschung (Thünen-Archiv). Bd. 8, 1917, Heft 3:
Werner Siemens, von Prof. Dr. Richard Ehrenberg. — Die Verwendung der Ersparnisse
in bäuerlichen Verhältnissen, von Prof. Dr. Ernst Laur. — Kleinbesitzer und Einlieger
des Kreises Grottkau (Schlesien), von (Reg.-Assess.) v. Moßner. — Wirtschaftsorganisation
und Wirtschaftsberatung in der Landwirtschaft, von (M. d. preuß. Herrenh.) Albrecht
Graf zu Stolberg- Wernigerode. — Die Bewegung der Bevölkerung im Deutschen Reich,
(1. AUgem. Teil), von R. Manschke. — Zur Bilanzpolitik einer verkehrspolitischen
Finanzierungsgeseilsehaft, von Dr. W. H. Edwards.
Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie. Bd. 10, April 1917, Heft 3:
Die spanischen Naturrechtslehrer des 16. und 17. Jahrhunderts, von (Geh. Justizrat)
Prof. Dr. Josef Kohler. — Die Rechtselemente, von (Prof. d. R.) Dr. Fritz Affolter. —
„Politik als Wissenschaft", von (Hochschulprof.) Dr. Fritz Stier-Somlo. — Gedanken
über Gerechtigkeit. Politische Betrachtungen eines Juristen (Schluß), von Prof. Dr.
J. W. Hedemann. — Das Recht der Gastschafts vertrage, von (Geh. Justizrat) Prof. Dr.
Max Pappenheim. — etc.
Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Bd. 43, 1917, Heft 3: Kriegs-
kostendeckung und Reichsfinanzreform, von Edgar Jaff§. — Gedanken über die Deckung
\26 ^® periodische Presse Deutschlands.
und Aufbringung der Kriegskosten, von Prof. Dr. Mombert. — Zur Entwicklung der
Lebensmittelpreise in der Kriegszeit, von Prof. Karl Pribram. — Städtische Wohnungs-
und Bodenfragen im Kriege, von (Landtagsabg.) Dr. Paul Hirsch. — Die Veränderung
in der Lebenshaltung städtischer Familien im Kriege, von Dr. Carl v. Tyszka. — Die
Grenzen der Organisation. — Die Arbeitsveruiittelung nach dem Kriege, von (Vors. der
Generalkomm, der deutschen Gewerkschaften) C. Legien. — Deutsch-österreich-ungarischer
Wirtschaftsbund (Schluß), von Dr. Gustav Stolper. — Die Finanz- und Wirtschaftslage
Frankreichs im Kriege, von Dr. Eugen Kaufmann. — Die Finanzierung des Krieges in
England während der letzten zehn Monate (Schluß), von Dr. L. Glier. — Literatur über
Krieg und Volkswirtschaft, II. Besprochen von Prof. Franz Eulenburg. — etc.
Archiv, Weltwirtschaftliches. Bd. 10, Mai 1917, Heft 1: Die Kriegswirtschafts-
rechnung und ihre Grenzen, von Dr. Otto Neurath. — Uebersee - Hypothekenbanken,
von (Archivar) Dr. Fritz Schulte. — Die französischen Eisenbahnen während des
Krieges. — „Unser Geldwesen nach dem Kriege", von Dr. Otto Heyn. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 17,
1917, Nr. 5: Das deutsche Handelsabkommen mit der Schweiz. — Englische Muster-
messe in London und Glasgow. — Deutsche Industrie und Handelsmöglichkeiten mit
und in Ungarn. — etc.
Bank, Die. Mai 1917, Heft 5: Die Besitzfestigung im städtischen Grundstücks-
wesen, von Alfred Lansburgh. — Der freie Makler an der Berliner Börse, von Ludwig
Eschwege. — Die Währungsfrage in Polen, von J. Bree. — Doppelbesteuerung und
Konzentration. — Exporthandelsbanken oder nationale Konzentration? — etc.
Bank-Archiv. Jahrg. 16, 1917, Nr. 16: Theorie und Praxis in der Währungs-
politik, von (Dir. der Hypothekenbank in Hamburg) Dr. Friedrich Bendixen. — Klein-
geldmangel, Kriegsnotgeld und Rechtsordnung, von (Geh. Ob.-Justizr., Vortr. Rat) Dr.
Thiesing. — etc. — Nr. 17: Die Bedeutung der neuen englischen Kriegsanleihen, von
Prof. Dr. C. Mollwo. — Zur Frage des deutsch-Österreich-ungarischen Wirtschafts-
bündnisses, von Dr. Eduard Rogh§. — Der Zinsfuß erststelliger Hypotheken vor dem
Kriege. — etc.
Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 24, 1917,
Nr. 10: Kriegsbeschädigte Offiziere im städtischen Dienste, von (Stadtrat) Rosenstock, —
Vorschläge für eine Reform des Abzahlungswesens, von Ilse Müller-Oestreich. — etc.
— Nr. 1 1 : Soziale Frauenschulen und andere Ausbildungsmöglichkeiten für soziale
Frauenberufe. Zusammengestellt von L. Godt. — Familien- oder Anstaltserziehung für
Kriegerwaisen?, von (Landesversicherungsrat) Hansen. — etc.
Export. Jahrg. 39, 1917, Nr. 22 — 25: Die Rede des Reichskanzlers vom 15. Mai
1917, von R. J. — Finnland 1917, von Dr. Richard Pohle. — Wichtige wirtschaftliche
Vorgänge in der Schweiz. — Die englischen Drohungen über den Krieg hinaus (IV),
von Dr. R. Jannasch. — Amerikanischer Bericht. — Wirtschaftliches über Südamerika.
— etc.
Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 50, 1917, Heft 5: Die Ermittelung der
in den Teerdämpfen enthaltenen pflanzenschädlichen Bestandteile und die Unterschei-
dung ihrer Wirkung von anderen akuten Rauchbeschädigungen der Pflanzen, von
R. Ewert. — Die Landwirtschaft Bulgariens in Gegenwart und Zukunft, von Arthur
Dix. — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 168, Juni 1917, Heft 3: Die Neuorientierung,
von Hans Delbrück. — Männer und Maßnahmen, von (Oberverwaltungsgerichtsrat) Dr.
Heinrich Lindenau. — Föderalismus und Demokratie, von (Rechtsanw.) Dr. Ernst
Wolff. — Die auswärtige Politik Amerikas im Spiegel ihrer Geschichte (Forts.), von
Dr. Emil Daniels. — Sibirisch-ostasiatische Probleme und die russische Revolution, von
Dr. Emil Daniels. — Versöhnungsfriede. Machtfriede. Deutscher Friede. Unser zu-
künftiges Verhältnis zu Rußland und Polen, von Hans Delbrück. — etc.
Kultur, Soziale. Jahrg. 37, Mai 1917, Heft 5: Kriegswucher von (Amts-
gerichtsrat) Riß. — Soziale Verhältnisse in der bulgarischen Landwirtschaft und ihre
Schäden, von Dr. W. K. Weiß-Bartenstein. — Der industrielle Zusammenschluß, von
(Hofrat) Prof. Dr. E. Schwiedland. — Ist nach dem Kriege Wohnungsnot zu befürchten ?
von Dr. Hubert Gürten. — Kriegsverordnungen 1915 und 1916, von (Landsgerichtarat)
Mengelkoch. — etc. —
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 23, Bd. 48, 1917, Heft 10: Die Darda-
nellen, von Hermanu Kranold. — Türkische Staatsverträge und indische Baumwollzölle,
Die periodische Presse Deutschlands. 127
von Max Schippel. — Der sogenannte Militarismus und die Sozialdemokratie, von
Hugo Poetzsch. — Die internationale Organisation der Genossenschaften, von August
EUinger. — Tendenzen der Frauenarbeit, von Edmund Fischer. — etc. — Heft 1 1 :
Die Aufgabe des Stockholmer Kongresses, von Heinrich Pens. — Deutsch-russische
Wirtschaftsbeziehungen in Vergangenheit und Zukunft, von Max Schippel. — Die
Türkei, Kußland und Europa, von Hermann Kranold. — Arbeiterausschüsse, von Friedrich
Kleeis. — etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 35, 1917, Nr. 1796: Entente-Finanzen. —
etc. — Nr. 1797: Englands passive Handelsbilanz; Die Kückwirkungen der amerika-
nischen "Wareneinfuhr nach England während des Krieges auf die Vereinigten Staaten.
— etc. — Nr. 1798: — Für die Wiederaufnahme der Tätigkeit der Zulassungsstellen.
— etc. — Nr. 1799 : Englische und französische Kriegsfinanzen. — etc.
Plutus. Jahrg. 14, 1917, Heft 21/22: Uebergangswirtschaft. — Dumping, von
Richard Oehring. — Französische Bankbilanzen, von Hermes. — etc. — Heft 23/24:
Diplomaten. — Uebergangswirtschaft (11), von G. B. — Zivilprozeß und Krieg, von
(Generalsekr.) Cahen. — etc.
Praxis, Soziale, und Archiv für Volks Wohlfahrt. Jahrg. 26, 1917, Nr. 33: Kriegs-
hilfskasse und Einigungsamt, von (Rechtsanw.) Dr. Steinitz. — Die Entwicklung der
Genossenschaften im Kriege. — Wirtschaftliche und soziale Kriegsziele der christlich-
nationalen Arbeiterbewegung. — Zentralverband für soziale Arbeit in Schweden. —
Ueber Fabrikschulen, von Dr. P. Martell. — etc. — Nr. 34: Die Lohnfrage im vater-
ländischen Hilfsdienst, von Hans Friedrich. — Das sozialpolitische Ergebnis des letzten
Abschnittes des Reichstags. — Der Verband der deutschen gemeinnützigen Rechtsaus-
kunftsstellen, von (Rat) Dr. H. Link. — etc. — Nr. 35 : Die Zukunft der internatio-
nalen Sozialpolitik. — Generalgouverneur v. Bissings soziale Arbeit in Belgien, von Fr.
Lembke. — Sozialpolitische Kriegssteuer, von Bodo Hoff. — Die Regelung des gewerb-
lichen Privatschulwesens in Preußen. — etc. — Nr. 36: Paragraph 153 der Reichsge-
werbeordnung. — Arbeiterfragen in der Uebergangswirtschaft. — Die Sozialpolitik in
Oesterreich. — Die Lohnbewegung in der deutschen Textilindustrie. — Die deutsche
Sozialversicherung im Jahre 1916, von (Stadtrat) H. von Frankenberg. — Die Arbeiter-
hochschule in Gent, von Dr. Paul Hirschfeld. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 6, Juni 1917, Nr. 6: Die deutsch-türkischen
Rechtsverträge, von Dr. v. Baligand. — Was ist unter Gegenständen des täglichen Be-
darfs zu verstehen?, von (Reichsgerichtsrat) Dr. Neukamp. — Währungspolitische
Fragen, von Dr. Franz Rademaker. — Vorschläge für die Vereinfachung der Verwal-
tung, von (Reg.-R.) Dr. Bartels. — Aushungerungskrieg, Belagerung, Blockade, von (Ober-
landesgerichtsrat) Dr. Nöldecke. — Kartelle und Kriegswucher, von (Rechtsanw.) Dr.
Bacherach. — Die rechtliche Natur der Kriegsbeschlagnahme, von (Oberreg.-R.) Dr.
Harimann. — etc.
Rundschau, Koloniale. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Kolonialpolitik.
Jahrg. 1917, März/April, Heft 3/4: Die Pariser Konferenz und der Handel nach dem
Kriege, von Prof. Dr. H. Grossmann. — Die deutschen Schulen in der Türkei und ihre
Aufgaben für die Zukunft, von W. Roß. — Spezial-Kulturen in Syrien und Palästina
(Schluß), von Davis Trietsch. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 6,
1917, Heft 6: Die Steuerkraft der Gemeinden Groß-Berlins und ihre Belastung durch
Gemeindesteuern im Rechnungsjahre 1911, von Prof. Dr. Oscar Tetzlaff. — Erdölaus-
beute der Welt (Schluß), von Dr. Heinrich Pudor. — etc.
Weltwirtschaft. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Weltverkehr. Jahrg. 7,
Mai/Juni 1917, Nr. 5/6 (Sondernummer: Die nordischen Staaten): Der europäische
Norden, von Dr. Paul Leutwein. — Schweden und das baltische Meer, von Wilhelm
Janssen. — Dänemark und Island in der Weltwirtschaft, von Christian Andr§. — Nor-
wegens wirtschaftliche Lage, von Erich Lilienthal. — Schwedens Schiffahrt bis Anfang
1917, von Dr. N. Hansen. — Die skandinavische Münzunion, von Dr. Paul Leutwein.
— Finnland. — Die Murmanbahn und ihre Bedeutung in künftigen Friedenszeiten, von
Dr. Richard Hennig. — Die ältesten Verkehrsbeziehungen zwischen Skandinavien und
dem Mittelmeergebiet mit besonderer Berücksichtigung des Düna-Dnjepr- Weges, von Dr.
Richard Winter. — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 13, 1917, Nr. 10: Dollar und Yen im
Kampfe um China, von Dr. Frhr. v. Mackay. — Die wirtschaftlichen Beziehungen der
128 ^i® periodische Presse Deutschlands.
Schweiz zu Deutschland und Frankreich. — Frankreichs Außenhandel im Jahre 1916.
— Die wirtschaftliche Lage Japans. — Deutsch-amerikanischer Wirtschaftsverband:
Vergangenheit und Zukunft deutsch-amerikanischer Wirtschaftsbeziehungen, von. A. G.
Goedel. — Die Verschuldung der Welt. — etc. — Nr. 11: Gegen ein Getreidemonopol,
von (Kommerzienrat) Moritz Bayerthal. — Die Handelspolitik nach dem Kriege, von
(Kommerzienrat) Lustig. — üebergangs Wirtschaft. — Deutsch-türkische Handelsbe-
ziehungen. — Mitteilungen des Deutsch- Amerikanischen Wirtschaftsverbandes: Die Ein-
wirkung des Krieges auf die Lebenshaltung in den Vereinigten Staaten. — Deutsche
und amerikanische Spielwarenindustrie. — Die amerikanische Automobilexportindustrie
1914—1916. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 35, 1917, Nr. 7: Die Befreiung der Nationen, von K.
Kautsky. — Wir und X-Land (Reinliche Unterscheidung II), von Ed. Bernstein. —
— etc. — Nr. 8 : Die Befreiung der Nationen (Forts.), von K. Kautsky. — Die Ab-
schaffung des Dreiklassenwahlrechts, von Adolf Braun. — etc. — Nr. 9 : Die Befreiung
der Nationen (Forts.), von K. Kautsky. — Zum Aufstieg der Begabten, von Therese
Schlesinger. — Das Prämiensystem, von S. Prüll. — etc. — Nr. 10: Friedrich Adler,
von K. Kautsky. — Oesterreichs Erneuerung, von O. Jenssen. — Die Befreiung der
Nationen (Forts.), von K. Kautsky. — Zur Frage der Agrarreform in Rußland, von
Karl Marchionini. — etc.
Zeitschrift des Kgl. Bayerischen Statistischen Landesamts. Jahrg. 49, 1917,
Nr. 1 und 2 : Deutsche Kriegssozialpolitik, von (Ministerialrat) Dr. Friedr. Zahn. —
Die Bayerische Landesprüfungsstelle. — Anbau, Ernte und Emteschäden im Jahre 1915.
— Die endgültigen Ergebnisse der Viehzählung vom 1. Dezember 1915. — Bewegung
der Bevölkerung im Jahre 1914. — Die gewerbsmäßige Stellenvermittlung in Bayern
im Jahre 1915. — Die unter Aufsicht des Kaiserl. Auf sich tsamts für Privatversicherung
stehenden bayerischen Sterbe-, Kranken- und Pensionskassen im Jahre 1914. — Die
üeberseeinteressen Bayerns, von Dr. Michael Horlacher. — Bayerns Warenverkehr über
die Landesgrenzen im Jahre 1913, von Max Giebeler. — Kriegsvolkszählung 1916. —
Die Unterstützung kinderreicher Familien in Frankreich nach dem Gesetz vom 14. Juli
1913, von Dr. Wolfgang Ritscher. — Die eingetragenen Genossenschaften in Bayern im
Jahre 1914. — Kriegsstellen und Kriegsstellengesellschaften für Nahrungsmittel Versorgung
in Bayern. — Die Lebensmittelversorgung im In- und Auslande, von Dr. Michael
Horlacher. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Jahrg. 72, 1916/17, Heft 4:
Englands Kriegserklärung und der Wirtschaftskrieg, von H. F. Crohn. — Aufklärung
und Polizeistaat. Ein Ausschnitt aus der Entwicklungsgeschichte der Grundsätze innerer
Verwaltung im modernen Staat, von Kurt Wolzendorff. — Ohne Steinkohle, von
Leopold Katscher. — Die Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika, von
H. Fehlinger. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 8, 1917, Heft 4 und 5: Die parla-
mentarische Kabinettsregierung (I), von W. Hasbach. — Die Mindestlohngesetzgebung
für Heimarbeiterinnen in Frankreich, von Dr. jur. et scient. pol. Chr. D. Pesl. —
Kinderzahl und Kindersterblichkeit (IL, Schluß), von Fr. Manschke. — Die wirtschaft-
liche Bedeutung Antwerpens (II., Schluß), von P. Arndt. — Auslandshochschule, Politik
als akademisches Lehrfach und Nationalökonomie, von L. Pohle. — Ein Beitrag zur fran-
zösischen Geistesgeschichte der letzten V/^ Jahrhunderte, von Dr. Ernst Schnitze. —
Die Preisbewegung einiger Welthandelswaren in den Jahren 1914 — 1916, von Dr. H.
Lotz. — Ueber Kriegsküchen, von Dr. P. Martell. — Ueber die sozialen Verhältnisse
in Japan, von H. Fehlinger. — Rumäniens Viehhaltung. — etc.
Zentralblatt, Deutsches Statistisches. Organ der Deutschen Statistischen Ge-
sellschaft und des Verbandes Deutscher Städte- Statistiker. Jahrg. 9, April-Mai 1917, Nr. 4:
Ausblicke auf eine deutsche Bildungsstatistik, von (Üniv.-Prof.) Dr. Ferdinand Schmid.
— Die Kartoffelerhebung im Deutschen Reich vom 1. März 1917 (I. Zur Erhebungs-
methode in Bayern), von (wissenschaftl. Hilfsarb. beim Statist. Amt in Nürnberg) Hans
Friedrich. — Bemerkenswerte Neuerungen der österreichischen Berufszählung 1910, von
W. Hecke. — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Heinrich Waentig, Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 129
IL
Die Grundfrage der belgischen Volkswirt-
schaft.
Von
Heinrich. Waentig, d. Z. Brüssel.
Der 15. November 1831, an dem die Gründungsurkunde des
neuen Königreiches von den Vertretern Belgiens und der fünf Signatar-
mächte zu London feierlich unterzeichnet wurde, ist zugleich der
Geburtstag einer national-belgischen Volkswirtschaft geworden, ob-
schon deren Grenzen endgültig erst im belgisch-holländischen Friedens-
traktate vom 19. April 1839 abgesteckt wurden. Zwar hatten die
österreichischen Niederlande des achtzehnten Jahrhunderts, die, das
Lütticher Becken ausgenommen, den größten Teil des heutigen
Belgiens umfaßten, bis zu einem gewissen Grade bereits ein abge-
schlossenes Wirtschaftsgebiet dargestellt und, soweit das die dem
Lande von außen her aufgezwungenen Schranken gestatten wollten,
eine einheitliche Gewerbepolitik betrieben, auch sogar gelegentliche
Anwandlungen handelspolitischer Expansion gezeigt. Die volle Ein-
heit aber hatte ihnen gefehlt.
Diese wird erst seit 1795 langsam erkämpft. Dörfer, Städte
und Provinzen werden von Frankreich politisch zusammengeschweißt
und erwachsen dabei allmählich auch wirtschaftlich zu einem größeren
Ganzen mit eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Strebungen, deren
zunächst dunkles, dann immer klareres Bewußtsein in den letzten
Jahren der holländischen Zeit offensichtlich erwacht. Aeußerlich
verselbständigt, innerlich verwandelt und neu beseelt, treten 1830 in
Gestalt der Volkswirtschaft des Königreiches Belgien die öster-
reichischen Niederlande wieder auf den Plan und versuchen eine
belgisch-nationale Volkswirtschaftspolitik einzuleiten, um die politische
Selbständigkeit des neugegründeten Staates in dem sicheren Boden
seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit zu verankern. Doch es zeigt
sich alsbald, daß man vor einer fast unlösbaren Aufgabe steht, weil
die Vergangenheit untilgbare Spuren in ihrem Wirtschaftskörper
zurückgelassen hat, weil Organe entstanden sind, deren Funktionen
ganz anders gearteten Existenzbedingungen entsprechen.
Dabei haben die verschiedenen Perioden, die Belgien seit dem
Beginn des achtzehnten Jahrhunderts durchlaufen, jede in ihrer Art,
Jahrb. f. Nationalok. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 9
130 Heinrich Waentig,
auf seine Gestaltung besonders eingewirkt. Nachdem Spanien das
unglückliche Land an den Rand des Verderbens geführt, bringt
Oesterreich seine Landwirtschaft zu neuer Blüte. Zugleich aber ent-
steht auf der Grundlage einer eigentümlichen Agrarverfassung in
den flandrischen Provinzen ein gewerblicher Hausfleiß, der, mit
wachsender Bevölkerung, als Exportindustrie entscheidende Bedeutung
gewinnt, und dessen Zerfall nach langem Gedeihen Hunderttausende
mit unheilbarem Siechtum bedroht. Seit 1795 dem französischen
Kaiserreiche angegliedert, durchlebt Belgien die entscheidenden Jahre
technischer Neubildung unter besonderen Umständen. Friedlich allein
inmitten einer Welt in Waffen, vor überlegenem Wettbewerbe ge-
schützt, wird es für einige Zeit die Werkstatt des westeuropäischen
Kontinentes. Treibhausartig wuchern seine Industrien empor, um
von 1814 ab in dem Bunde mit dem holländischen Handels- und
Kolonialstaate neue Märkte zu finden. In Berührung mit diesem
beginnt endlich auch sein Handelsgeist neu zu erwachen. Mit zauber-
hafter Schnelligkeit steigt Antwerpen empor und scheint dazu be-
stimmt, alle seine Konkurrenten in Schatten zu stellen. Glanzvolle
Aussichten eröffnen sich, um plötzlich in nichts zu zerfließen.
So tritt denn die belgische Volkswirtschaft gleichsam erblich
belastet in die Erscheinung. Ihr unleugbarer Wille zu sich selbst
bricht sich immer wieder an der unabweisbaren Erkenntnis, daß
einige ihrer wichtigsten Zweige nicht so sehr auf die Deckung des
nationalen Bedarfes, als auf fremde Bedürfnisse zugeschnitten oder
doch sonstwie auf fremde Hilfe angewiesen sind. Alte Erinnerungen
tauchen auf und beeinflussen den Politiker, wobei, je nach dem
Wechsel der innen- oder außenpolitischen Konstellation, diese oder
jene Möglichkeit in den Vordergrund tritt und das staatliche Handeln
richtunggebend bestimmt. Nur wer diese geschichtlich bedingten
wirtschaftlichen Zusammenhänge klaren Auges überblickt, wird über
die Politik des belgischen Staates ein gerechtes Urteil fällen. Sie
in großen Zügen zu beleuchten, ist die Aufgabe der folgenden Ab-
handlung.
I. Die YorgescMchte.
„La Belgique de la fin du 18® siecle", hat schon Jan Lewinski
betont, „n'etait pas encore arrivee au Stade d'une economic nationale
developpee; quoique formant sous la domination des Pays-Bas
autrichiens un seul territoire politique, eile se composait de differentes
parties, dont chacune avait sa vie economique propre" ^). Aber selbst
jene politische Einheit war fragwürdiger Natur. Die Provinzen, die
das burgundische Haus allmählich unter seinem Szepter vereinigt,
bildeten keinen einheitlichen Staatskörper. Lose zusammengefügt in
den Generalstaaten, die ihr Mandat ausschließlich von den Provinzial-
ständen empfingen, führten die einzelnen Provinzen ein rechtliches
1) Jan St. Lewinski, L'6volution industrielle de la Belgique, Bruxelles 1911,
S. 21.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. X31
Sonderdasein. Und wie jede Provinz, so hatte auch jede Stadt, ja
oft jedes Dorf seine besonderen politischen Einrichtungen. Das
öffentliche Leben war örtlich gebunden, die öffentliche Gewalt
tausendfältig zersplittert, die Rechtsprechung widerspruchsvoll^).
Eine wirkliche Zentralregierung fehlte. Diese eigenartige Verfassung
war es, an der sich alle Einheitsbestrebungen von Philipp IL bis
Josef IL gebrochen. Sie bestand im wesentlichen unerschüttert noch
am Ende des 18. Jahrhunderts. Der durch einen Statthalter ver-
tretene Kaiser war nicht etwa König der Niederlande, sondern
Herzog von Brabant, Limburg und Luxemburg, Markgraf von Ant-
werpen, Graf von Flandern, Hennegau und Namur, Herr in Mecheln
usw. und hatte, genau besehen, in seinem „Reiche" recht wenig zu
sagen.
Nicht anders stand es in wirtschaftlicher Hinsicht. Erst durch
jahrzehntelange Kriege verwüstet, die seinen Wohlstand unter-
gruben und den tatendurstigen Teil der Bevölkerung in die Fremde
vertrieben, dann durch diplomatische Kniffe eifersüchtiger Neben-
buhler erdrosselt, die den Ueberlebenden Licht und Luft raubten,
jede wirtschaftliche Wiedergeburt im Keime erstickten, war das einst
so blühende, gewerbefleißige und unternehmungslustige Land der
Verkümmerung anheimgefallen. Des Seehandels beraubt und ge-
zwungen, holländische und englische Schiffe unter gleichen Be-
dingungen wie die eigenen zuzulassen, erhielt es die fremdländischen
Erzeugnisse durch die Vermittlung seiner Nachbarn, ohne daß sich
seine Handelsflotte an den Frachtgewinnen hätte beteiligen können.
Gleichzeitig war seine Industrie einem von seinen Rivalen festge-
setzten Zolltarife preisgegeben, ohne daß es in der Macht seiner
Regierung gelegen hätte, diesem „seltsamen Mißbrauch einer ebenso
heimtückischen wie unmenschlichen Politik" ein Ende zu machen 2).
1) Das hing ebensosehr mit der verwickelten, vielfach auf ständischer Grundlage
ruhenden Gerichtsorganisation ohne rechten Instanzenzug, wie mit dem verwirrenden
Nebeneinander der ßechtsquellen zusammen. Vgl. dazu M. N. Briavoinne, De Pindustrie
en Belgique, causes de d§cadence et de prosp§rit§, Bruxelles 1839, Tome I,
S. 91 ff. „L'effrayante diversitfe de lois et coutumes", heißt es dort, „ne tendait que
trop k aggraver le mal et les dangers. Pour les villages, villes, bourgs, composant
aujourd'hui les deux provinces de Flandre, on a comptfe jusqu'ä trente-quatre coutumes
differentes."
2) Genaueres darüber bei Natalis Briavoinne, Memoire sur l'Mat de la population,
des fabriques, des manufactures et du commerce dans les provinces des Pays-Bas depuis
Albert et Isabelle jusqu'ä la fin du sifecle demier, in M^moires couronn^s par l'Acad^mie
Koyale des Sciences et des' Belles-Lettres de Bruxelles, Tome XIV, Premiere partie,
Bruxelles 1838, besonders S. 33 ff. Grundlegend war der Westfälische Friede (1648),
dessen Artikel 14 die von den holländischen Kommissaren seit 1633 erhobene Forderung
der Scheidesperre legalisierte. „L'Escaut", heißt es dort, „les canaux de Saz-Zwin et
autres bouches de mer seront tenues clos du c6t§ des fetats." Nicht minder wichtig war
Artikel 15: „Les navires et les denr§es entrant dans les havres de Flandre et ceux qui
en sortent, demeureront charg^s des m^mes impositions qui seront lev^es sur les denr§es
allant et venant au long de l'Escaut et autres canaux mentionnfes ä l'article prfecldent" ;
denn er lieferte, in Verbindung mit den Artikeln 8, 10 und 11, 16 und 17, die belgischen
Lande der überlegenen Konkurrenz der Holländer aus. Vorübergehende Versuche, diese
Zwangsjacke abzuschütteln, mißlangen, und der Barrierevertrag von 1715 erneuerte den
früheren Zustand. „Pour ce qui regarde le commerce", heißt es in seinem Artikel 26,
9*
X32 Heinrich Waentig,
So hatte sich denn sein Wirtschaftsleben allmählich zurtlck-
gebildet und wie vor alters, auf ländlicher Grundlage, einen rein
lokalen Charakter angenommen. Mit dem Versickern des allbe-
lebenden Handelsstromes war auch das Verkehrsinteresse geschwunden.
Jede Provinz, jede Stadt, jedes Dorf bildete eine Wirtschaftseinheit,
die sich, auf alte Vorrechte gestützt, eifersüchtig gegen alle anderen,
spießßürgerlich gegen das große Ganze abzuschließen suchte^).
Mochte Maria Theresias auf die Wiederbelebung der Gewerbe ge-
richtete Merkantilpolitik von einigem Erfolge gekrönt sein, an den
Grundfesten der bestehenden Wirtschaftsordnung hatte sie, konser-
vativen Geistes, nicht zu rütteln gewagt. Josefs II. von doktrinärem
Liberalismus getragene Reformversuche aber scheiterten, überstürzt
wie sie waren, an dem passiven Widerstände der örtlichen Mächte.
Trotzdem ist nach den Worten des Fürsten von Ligne die
zweite Hälfte der österreichischen Zeit für die Niederlande ein
„goldenes Zeitalter" gewesen. Waren sie in ihrer Entwicklung durch
einschneidende Vertragsbestimmungen gehemmt, die Handel und
Schiffahrt lähmten, Industrie und Gewerbe darniederhielten, Fesseln,
die sie um die Mitte des 18. Jahrhunderts wohl zu lockern, niemals
völlig abzustreifen verstanden, so erreichte die Landwirtschaft
gerade damals eine nie gekannte Blüte, welche die ungeteilte Bewunde-
rung aller Nationen erregte. „Le commerce et les manufactures sont
tombes dans les Pays-Bas Autrichiens", sagt ein englischer Beobachter,
„mais Pagriculture y a fait des progres. Le nombre des habitans a
diminue dans les villes, mais il a augmente dans la campagne et il
surpasse beaucoup celui qu'elle contenoit dans les anciens tems.
Meme dans Page d'or de ces Provinces, sous les Ducs de Bour-
gogne et les premiers princes de la maison d'Autriche, leur culture
et la Population de la campagne etoient bien inferieures ä la culture
et h la Population d'aujourd l'hui" ^).
„les droits continueront ä ^tre leves dans les Pays-Bas k l'lgard de la Grande-Bretagne
et des Provinces-Unies sur le m^me pied qu'on les löve ä präsent (d. h. nach dem un-
günstigen Tarif von 1680 nebst Zusätzen), sans qu'il puisse y ßtre fait aucun change-
ment, jusqu'ä ce que les trois puissances en conviennent, autrement que par un traite
de commerce ä faire le plus t6t qu'il se pourra; demeurant au reste le commerce entre
les Pays-Bas Autrichiens et les Provinces-Ünies sur le pied du traite de Münster". Ein
solcher Vertrag wurde natürlich nicht abgeschlossen. Anträge in dieser Richtung (1737)
begegneten tauben Ohren. Erst nach dem Frieden von Aachen (1748) gelang es der
österreichischen Regierung, das Land von dem Joche zu befreien. Die Scheidesperre
jedoch blieb aufrecht erhalten.
1) Ein Beispiel für viele: „On demandait pour Bruges, Ostende et Nieuport de
plus forts droits sur le poisson. De la part de Bruxelles et peut-^tre de Gand, on
s'opposait k ces droits. Puis au nom de Bruxelles et de Gand on voulait creuser ou
approfondir des canaux; mais on s'y opposait de la part de Bruges et d'Ostende, et
l'on tournait constamment dans ce cercle vicieux. Ces faits sont caract§ristiques. Ce
d^faut a §t& celui de toutes les ^poques en Belgique, mais il semble qu'au milien de
la d§tresse universelle, il se soit aggrav§. On defendait avec plus d'opiniätretß ce qui
restait de l'ancienne splendeur; chacun craignait de compromettre sa dernifere ressource."
Vgl. hierzu Briavoinne, Memoire sur l'etat de la population etc., S. 72 f.
2) Shaw, Essai sur les Pays-Bas Autrichiens, traduit de l'anglois, Londres 1788,
S. 81 ff. Aehnlich äußert sich ein Franzose: „Je ne connois pas de pays oü les terres
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 133
Und dieses Bild strotzender Fülle und lachenden Wohlstandes
tritt dem Reisenden auf dem Lande im ganzen Westen, im Hennegau
wie in Brabant, besonders aber in Flandern und dort wiederum vor-
nehmlich im Waeslande, zwischen Gent und Antwerpen entgegen, wo
auf kargem Boden unter dem Schutze der Freiheit, die dem Bauern
den vollen Ertrag seiner Arbeit sichert, durch Menschenhand ein
blühender Garten entstanden ist. Feldfrüchte aller Art werden dort
in kleinen und kleinsten Betrieben im Wechsel der Jahreszeiten
dem Erdreiche abgewonnen, und die Durchschnittsernten sind groß
genug, um trotz dichtester Bevölkerung eine erhebliche Ausfuhr zu
gestatten.
Unter diesen Erzeugnissen steht neben dem Getreide der Flachs
an erster Stelle, der vieler Orten in verschiedenen Spielarten gebaut, in
vollendeter Güte um Dendermonde und im Waeslande geerntet wird.
Gleichzeitig bildet er die Grundlage eines weitverzweigten Haus-
fleißes, der Leinenweberei und der Spitzenklöppelei. Ueber 1000
Webstühle werden in vielen Dörfern gezählt, und die Weber in
Flandern allein 1765 auf etwa 200000 geschätzt. In den Städten
zu Markte gebracht, gebleicht und hergerichtet, wird die Lein-
wand in großen Mengen vorwiegend nach Spanien und seinen Kolo-
nien exportiert. Gent, wo etwa drei Viertel des gesamten Produktions-
betrages umgesetzt werden, ist das Hauptzentrum dieses Ausfuhr-
handels. Aber auch andere Städte, wie Kortrijk und Brügge, Audena-
arde, Alost und Lokeren, haben daran teil. Immer größer wird die
Zahl der Haushalte, in denen das Leinengewerbe sich einnistet. In
80 Jahren, von 1720 ab gerechnet, soll sich seine Bedeutung allein
in Flandern verdreifacht haben. Dagegen scheint die Spitzenklöppelei
infolge der Veränderung in der Männerkleidung schon gegen Ende
des 18. Jahrhunderts stark zurückgegangen zu sein. Vorwiegend in
Brüssel, Mecheln und deren Umgebung zu Hause, wo die Zahl der
damit beschäftigten Frauen und Kinder in der besten Zeit etwa
100000 erreicht haben soll, dehnt sie sich im Westen bis Mons, im
soient mieux cülliv§es qua dans les Pays-Bas Autriehiens; c'est l'effet naturel que pro-
duit toujonrs l'fetat hturcnx du cultivateur. Le cultivateur des Pays-Bas Antrichiens
ne gimit pas comme en France, sons le joug de l'aibitraire de l'impöt, et ccmme en
Angleterre, sous le fardeau de l'impöt. Tous les habitans des villes des Pays-Bas vivent,
si ce n'est dans l'opulence, du moins dans la plus grande aisance ; mais cette aisance est
encore plus grande dans les campagnes que dans les Tilles; et dans les xilles comme dans les
campagnes, tout caractirise le bonheur dont jcuissent Icurs habitans. Cela n'est pas une
exageration, sur-tout pour les campagnes du Brabant; on peut hardimcnt assurer que
le peuple qui les habite est un peuple htureux." Vgl. Le voyageur dans les Pays-Bas
Autriehiens ou Lettres sur l'fetat actuel de ccs Payp, Tome I, Amsterdam 1792, S. 9 f.
Den gleichen Eindruck erhielt zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein deutscher Eeisender,
der das Wesen der belgischen „Industrie" in der „Vorzüglichkeit des dasigen Acker-
baus" erblickt und seiner Darstellung ein ganzes Buch widmet. Besonders bezeichnend
ist die Schilderung des Waeslandes mit seinen 24 Kirchspielen, das keine einzige Stadt,
dafür aber viele Dörfer enthält, die Städttn gleichen und unter denen St. Niklas und
Lokeren die wichtigsten sind. Vgl. R. J. Schwerz, Anleitung zur Kenntnis der belgi-
schen Landwirtschaft, 3 Bde., Halle 1807—1811, besonders Bd. 1, S. 13 ff.
I
J^34 -^ ® inrich Waentig,
Osten bis Sint-Truyden aus und liefert damals einen nicht uner-
heblichen Bruchteil der gesamten Ausfuhr i).
„Löwens Gewerbe sind zerfallen und Antwerpens Handel ist
verschwunden, aber die Felder Belgiens geben noch immer tausend-
fältige Frucht", so glaubte ein Zeitgenosse sein Urteil über die wirt-
schaftliche Lage der österreichischen Niederlande zusammenfassen
zu können ^). Wie einer jener Zwergbäume ostasiatischer Gartenkunst
durch äußeren Eingriff zu künstlicher Schwäche und Verkümmerung
verurteilt, führten sie ein friedliches Dasein, fern vom Strome der
Welt ohne Glanz und Größe, ganz in behaglicher Stille ohne Kummer
und Not. Immerhin zeigte sich, daß sich ihr Wirtschaftsleben ruck-
weise zu heben begann, sobald sie aus ihrer Isolierung herausgerissen
wurden. Das geschah erstmalig bald nach ihrer Loslösung von
Spanien durch die Gründung der Ostender Handelskompagnie, deren
Expansionsbestrebungen jedoch nach kurzer Blüte auf Hollands und
Englands Betreiben bereits 1732 wieder unterbunden wurden ^).
Noch viel tiefgreifender war die wirtschaftliche Rückwirkung
der weltpolitischen Konstellation, die durch den Abfall der Nord-
1) „La fabrique de lin en Flandre est la plus importante de la Province", sagt
Shaw. „Les manufactures de lin de ce pays, sup§rieures dans tous les genres ä Celles
des autres nations, occupent un grand nombre de mains. Gand et Courtrai sont fa-
meuses pour leurs toiles. Les blanchisseries de Gand qui sont dans la ville le long des
riviferes et des canaux qui Parosent et la coupent en une infinite d'iles, m^ritent et
attirent Pattention des voyageurs. Le Magistrat veille k la bont§ de cette fabrique dont
le produit passe dans les pays ^trangers, et fournit un article essentiel de commerce.
L'Espagne qui a eu si long-tems des relations avec cette partie des Pays-Bas, a tou-
jours besoin de Pindustrie de la Flandre; eile en tire des toiles de lin pour envoyer
dans ses colonies d*Am§rique. Le lin fin que produisent les Pays-Bas, fournit le fil
d§licat avec lequel on travaille ces dentelles si connues sous le nom de dentelles de
Malines et de Bruxelles. L'invention de cet art qui donne une occupation si agr&able
li Pindustrie des femmes, est due ä, ce pays: on a imit§ ailleurs les ouvrages de ce
genre, mais on n'a jamais pu les §galer." (Essai sur les Pays-Bas Autrichiens, S. 58.)
Ueber die Leinen- und Spitzenindustrie während der österreichischen Zeit vgl. auch
Briavoinne, Memoire sur Petat de la population usw., S. 132 ff. und 139 f. Nach
Vanderstraeten entfielen während der besten Zeit der österreichischen Periode allein auf
Leinengewerbe etwa fünf Sechstel der gesamten Manufakturenausfuhr, die im jährlichen
Durchschnitt auf 180 Mill. frcs. bemessen wird. Vgl. F. Vanderstraeten, De P^tat actuel
du royaume des Pays-Bas et des moyens de Pamiliorer, Tome II, Bruxelles 1820, S. 7.
2) Ueber die Lage der Gewerbe während der österreichischen Zeit, besonders auch
die Ansätze zu großindustrieller Entwicklung vgl. Armand Julin, Les grandes fabriques
en Belgique vers le milieu du XVIII. sifeole (1764), in Memoires couronnes et autres
m^tnoires publi§s par PAcademie royale des sciences, des lettres et des beaux arts de
Belgique, Tome LXIII, Bruxelles 1903/4. Daselbst S. 71 ff. der Versuch einer Statistik.
Neben der Eisen- und Wollindustrie spielt schon damals die keramische, sowie die Glas-,
Papier- und Lederindustrie eine gewisse Rolle.
3) Ihre Entstehung ist bis zu einem gewissen Grade auf zufällige Umstände zu-
rückzuführen. Ein Patent vom 19. Dezember 1722 gewährte ihr die üblichen Privi-
legien. Anfang 1724 eröffnete sie einen schwunghaften Handel mit China und Ben-
galen; auch Afrika sollte später in den Bereich ihrer Unternehmungen einbezogen
werden. Die günstige Rückwirkung auf die heimischen Gewerbe ließ nicht auf sich
warten. Grund genug, daß Holland und England, gestützt auf Artikel 5 des West-
fälischen Friedens, ihre Unterdrückung verlangten. Sie erreichten bereits 1727 die
grundsätzliche Zustimmung des Wiener Hofes, die dann durch den österreichisch-hol-
ländischen Vertrag vom 20. Februar 1732 besiegelt wurde.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 135
amerikanischen Union und den sich daran anschließenden Seekrieg
Englands gegen Frankreich, Spanien und Holland (1778—1783) ge-
schaffen wurde. Der alsbald einsetzende Kaperkrieg, der auch die
Kauffahrer der neutralen Staaten nicht schonte, veranlaßte diese
1780 zum Abschluß einer Liga bewaffneter Neutralität mit der Devise
„Le pavillon neutre couvre meme la marchandise ennemie", die,
England ausgenommen, von allen Kriegführenden grundsätzlich an-
erkannt und auch tatsächlich befolgt wurde. So waren denn Schiffe
unter russischer, preußischer, schwedischer und österreichischer
Flagge einigermaßen geschützt, englische, französische, spanische
und holländische aber feindlichen Angriffen preisgegeben. Für
die österreichischen Niederlande ergaben sich hieraus ganz besondere
Chancen.
Bisher ein verachtetes und gemißhandeltes Aschenbrödel unter
den Völkern, wird Belgien mit einem Schlage von allen am Kriege
irgendwie Beteiligten gleichmäßig umworben. Mitten zwischen die
Kämpfenden hineingestellt, ist es für kurze Zeit Freistatt und
Umschlagsplatz für ganz Westeuropa. Namentlich Ostendes Ueber-
see- und Durchfuhrhandel nimmt einen erstaunlichen Aufschwung,
der 1780 anhebt, 1781/82 seinen Höhepunkt erreicht, in seinen Aus-
läufern bis 1785 andauert, 1786 mit einer Krise endet. Sie ist um so
vernichtender, je weniger sich die Geschäftswelt eines Rückschlages
versehen zu müssen glaubt, und je weiter diesmal die Kreise sind,
die in der einen oder anderen Form daran teilhaben. Daß jener
Anstieg jedoch ein künstlicher und nicht so sehr heimischer Kraft-
entfaltung als der vorübergehenden Ausschaltung fremdländischen
Wettbewerbes zu danken ist, wird von schärfer Blickenden schon
vor dem Zusammenbruche richtig erkannt.
In einem vom 17. Februar 1783 datierten „Memoire sur les effets
de la paix, relativement au commerce des Etats de sa Majeste PEm-
pereur, et sur les combinaisonß auxquelles cet evenement pourroit
donner lieu" des Finanzrates Delplancq wird der trügerische Cha-
rakter der vermeintlichen Handelsblüte aufgedeckt, zugleich aber be-
gründet, warum auf absehbare Zeit für die Niederlande ein ent-
scheidender Wandel in dieser Hinsicht nicht zu erwarten ist. „Les
grands obstacles aux succes desires", heißt es dort, „me paroissent
consister en ce que la consommation de ces provinces-ci
n'est pas assez grande pour entretenir un commerce
suivi avec toutes lescontreesdel'Europe, dontlespro-
ductions seroient necessaires pour assortir des car-
gaisons complettes dans les ports de Flandre; et que ce
pais-cin'a pas assez d'objets d'exportation pour donner
un chargement aux navires; que les negocians de ce pais n'ont
pas assez de correspondences dans la plupart des contrees de PEurope;
que Petat de notre marine marchande ne va que trop vraisemblable-
ment retomber; le manque de navires et de marins nationnaux nuira
a Pextention des liaisons de negoce, tandis que reciproquement le d6-
faut d'un commerce assez considerable empechera Paugmentation de
136 Heinrich Waentig,
notre petite marine"^). Delplancq hatte damit die Grundfrage der
belgischen Volkswirtschaft angeschnitten. Er konnte nicht ahnen,
daß sie 10 Jahre später eine ganz neue Lösung erhalten sollte.
Die durch ein Edikt des Konventes vom 1. Oktober 1795 ver-
fügte, durch den Frieden von Campo-Formio (17. Oktober 1797) be-
stätigte Angliederung Belgiens an Frankreich, das sich unter Napoleon
vorübergehend zu einem westeuropäischen Staate auswuchs, war für
seine spätere Geschichte von entscheidender Bedeutung. Das ist auch
von belgischer Seite gebührend anerkannt worden. „La Belgique",
betont Baron de Gerlache, als Klerikaler ein unverdächtiger Zeuge,
„jadis morcelee en provinces, regle par une foule de coutumes et de
jurisdictions differentes, doit ä la France l'uniformite de ses lois,
de son administration, de ses tribunaux, et cette concentration des
pouvoirs Sans laquelle il n'y a ni unite ni force dans le gouvernement,
ni dans la nation ; eile lui doit le reveil des arts et des sciences, du
commerce et de Pindustrie, et l'ouverture de ses ports, enchaines de-
puis la paix de Westphalie. Si le joug de la conquete nous a paru
quelquefois rüde et nous a coüte assez eher, ces avantages sont ce-
pendant d'un tel prix qu'il est impossible de n'en pas tenir compte
dans une histoire impartiale" ^). Frankreich gab dem kleinen Nachbar-
lande politisch und wirtschaftlich die innere Einheit. Indem es je-
doch die im Entstehen begriffene belgische Volkswirtschaft in diesem
Anfangsstadium einer anderen einfügte, verhinderte es die harmonische
Ausbildung ihrer Funktionen, beförderte es die schon durch die Natur
begünstigte einseitige Entwicklung bestimmter Organe, die sich so
von Anbeginn als solche eines übernationalen Ganzen fühlen und be-
tätigen lernten.
Am 20. April 1792 hatte Ludwig XVI. im Auftrage der gesetz-
gebenden Versammlung Oesterreich den Krieg erklärt. Der Sieg bei
Jemappes (6. November 1792) öffnete Frankreich die Tore Belgiens.
Am 25. November desselben Jahres verfügte ein feierliches Dekret
des Generals Labourdonnaye im Namen der „Menschenrechte" die
Wiederöffnung der Scheide, deren Sperre mit dem Sinken der hollän-
dischen Macht schon während der letzten Jahrzehnte gelegentlich
durchbrochen worden war. Eine aus sieben Schiffen bestehende franzö-
sische Kriegsflotte, von der „Ariel" geführt, erschien an der Mündung
und wurde in Antwerpen begeistert empfangen. Dumouriez' Nieder-
lage bei Neerwinden (18. März 1793) stellte diese Errungenschaft
1) Vgl. H. van Houtte, Contribution h l'histoire commerciale des Etats de l'Em-
pereur Josef II (1780—1790), in Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte,
Bd. 8, 1900, S. 350 ff., bes. 356 ff. Danach war wohl ein Teil der Handelsblüte der
Jahre 1780 — 1785 belgischen Kaufleuten zuzuschreiben, die der hohe Frachtpreis während
des Seekrieges veranlaßte, Schiffe auszurüsten; der größere jedoch Fremden, die sich
vorübergehend in Ostende niederließen und ihre Namen den Untertanen der krieg-
führenden Mächte zur Verfügung stellten. Am Tage des Friedensschlusses mußte dieses
künstliche Gebäude in sich zusammenstürzen, wie es denn tatsächlich auch geschah.
2) Baron de Gerlache, Histoire du royaume des Pays-Bas depuis 1814 jusqu'li
1830, Bruxelles 1874, Tome I, S. 401.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. ;137
wieder in Frage, und erst die Eroberung Hollands durch Pichegru
und die Gründung der Batavischen Republik sicherten im Artikel 18
des Haager Vertrages vom 17. Mai 1795 die Freiheit der Scheide.
Am 18. April 1796 fuhr der schwedische Kauffahrer „Toscana", von
drei anderen gefolgt, ungehindert stromaufwärts.
Aber das Antwerpen jener Tage war nur ein dürftiges Schatten-
bild früherer Größe. Von der Außenwelt abgeschlossen, hatte es
sich auf sich selbst zurückgezogen, um in gewerblicher Arbeit und
lokalem Zwischenhandel einen Ersatz für Besseres zu suchen. So
hatte sich allmählich auch wieder ein gewisser Wohlstand heraus-
gebildet. Der großzügige Unternehmungsgeist aber, der sich in Ost-
ende geregt, schien hier für immer erloschen. „A Anvers, en 1792,
le port n'avait ni une marine qui lui appartint, ni un capitaine en
etat de conduire un bätiment ä la mer", erklärt Briavoinne. „Lors-
que la France en prit possession, ä la fin du XVIII^ siecle, port,
bassins, chantiers, pilotes, matelots, tout etait ä creer." Mochte sich
nun der zum Präfekten des Departement des Deux-Nethes ernannte
Marquis d'Herbouville auch bemühen, Antwerpen aus seiner Lethargie
zu erwecken, erst Napoleon führte den entscheidenden Umschwung
herbei.
Am 18. Juli 1803 hielt der Eroberer seinen Einzug. Mit ge-
nialem Scharfblick erfaßte er die Lage. „C'est ä Anvers, que doit
etre notre grand chantier. C'est lä seulement que devient possible
en peu d'annees la restauration de la marine frangaise", äußerte er
zu Decres. Unbekümmert um des Ministers finanzielle Einwendungen
faßte er seine Beschlüsse. Schlag auf Schlag folgten einander die
Dekrete, die Antwerpen zum Hauptkriegshafen seines Reiches er-
heben sollten. Becken und Werften entstanden mit unglaublicher
Schnelligkeit. Wirklich sind hier bis 1813 etwa 30 Kriegsschiffe vom
Stapel gelaufen. Volle 14 Linienschiffe und 3 Korvetten lagen noch
auf der Helling, als das Kaiserreich zusammenbrach, und das allein
in den Werften damals vorhandene Material wurde auf 300 Mill. frcs.
geschätzt.
Auch die Antwerpener Kaufleute, erst um ihre Handelsinteressen
bangend, stellten später ihre Bedenken gegen die Militarisierung
Antwerpens zurück und stifteten dem Kaiser aus Dankbarkeit eine
Fregatte. Im Grunde aber hatte sie ihr Instinkt doch nicht be-
trogen. Zeigte nämlich der Antwerpener Schiffsverkehr seit Er-
öffnung der Scheide einen ständigen Aufschwung, um 1804 und
1805 mit 2250, bzw. 2424 eingelaufenen Schiffen seinen vor-
läufigen Höhepunkt zu erreichen, so sank er seitdem unaufhaltsam,
1809 auf 254 Schiffe herab, um nur vorübergehend wieder, 1812 mit
1446 Schiffen, auf achtunggebietende Höhe emporzuklimmen. Aller-
dings zeigte Ostende ganz die gleiche Erscheinung. Denn die von
England über das französische Kaiserreich verhängte Blockade, die
von Napoleon aus Berlin am 21. November 1806 mit Erklärung der
Kontinentalsperre beantwortet wurde, lähmte Schiffahrt und Handel,
und die auf Grund sogenannter „Lizenzen" von einzelnen Spekulanten
138 Heinrich Waentig,
gemachten Zufallsgewinne konnten, trotz ihrer Höhe, den soliden
Kaufmann ftlr seine Verluste nicht wohl entschädigen^).
Aber dieselben Umstände, welche den Aufschwung des Handels
verhinderten, ließen die keimende Großindustrie um so üppiger
emporschießen. Hatten sich in den Niederlanden schon im Verlaufe
des 18. Jahrhunderts erste Ansätze zu einer Mechanisierung des
gewerblichen Arbeitsprozesses gezeigt'^), Zünfte und Innungen mit
ihren ausschließenden Privilegien, ihren traditionellen Arbeits-
methoden, wollten sie nicht zur Entfaltung kommen lassen. Maria
Theresias Versuche, jene Korporationen zu heben, die Josefs IL, sie
einzuschränken, hatten wohl ihr Gefüge zu erschüttern, nicht ihren
Einfluß zu beseitigen vermocht. Wie mit einem eisernen Besen
fegte jetzt die französische Revolution die überlebten Reste einer
auf dem Boden mittelalterlicher Stadtwirtschaft erwachsenen Orga-
nisation hinweg und eröffnete im Rahmen einer nach außen hin
schutzzöllnerisch abgeschlossenen Volkswirtschaft in deren Innerem
freie Bahn dem Tüchtigen, wobei Directoire, Consulat und Empire
in ihrer durch theoretische Ueberzeugungen geleiteten Politik, von
immer steigendem Haß gegen England beflügelt, über alle schwäch-
lichen Bedenken hinweggetragen wurden. Alles Erdenkliche wurde
versucht, um die heimische Industrie auf den höchsten Grad ihrer
Leistungsfähigkeit emporzuheben, und vor keinem Mittel zurück-
geschreckt, mochten seine Nebenwirkungen auch noch so bedenklich
erscheinen ^).
1) üeber die Entwicklung Antwerpens in der französischen Zeit vgl. besonders
Edouard Deiss, Anvers et la Belgique maritime, Paris 1899, S. 17 ff. Die dort auf S. 25
für die Jahre 1805, 1806 und 1807 wiedergegebene Antwerpener Einfuhrtabelle
spiegelt die Einwirkung der Seesperre ziemlich deutlich wieder. Sie ist, streng ge-
nommen, jedoch nicht charakteristisch, weil der entscheidende Rückgang des Schiffe-
verkehrs erst nach 1807 einsetzte. Hinsichtlich der im Text erwähnten Lizenzen be-
merkt Briavoinne: „Ainsi fut appel§ le droit que le gouvernement imperial donna aux
armateurs d'aller jusque dans les ports ennemis s'appro visionner de certaines mati^res
premiöres exotiques, ä charge d'exporter pour une somme 6gale de produits nationaux.
Ostende prit une part active ä, ce commerce d'exception; et les armateurs obtinrent jus-
qu'k 60, 80 Cent, et 1 fr. de frßt par demi kilog. de sucre, de caf6 ou d'^piceries qu'ils
import^rent; mais ces Operations n'eurent jamais rien de normal. Effectu§es au milieu
de chances, de variations de toute espfece, elles tenaient plutöt ä l'agiotage qu'au v§ri-
table commerce." (De l'industrie en Belgique, Tome I, S. 136).
2) Einzelheiten darüber bei M. N. Briavoinne, Sur les inventions et perfectionne-
ments dans Tindustrie, depuis la fin du 18* sifecle jusqu'ä nos jours, in den M^moires
couronn^s par l'Acad^mie Royale des Sciences et Belles-Lettres de Bruxelles, Tome XIII,
Bruxelles 1838, S. 23 f. und an vielen anderen Stellen. Danach reicht die Einführung
der Dampfmaschine im belgischen Kohlenbergbau (Pumpwerke) bis in die erste Hälfte
des 18. Jahrhunderts zurück. Als Kraftmaschine breitet sie sich erst seit 1803 weiter
au3. Anfänge des Eisenbahnwesens, und zwar zuerst in der Lütticher Metallindustrie,
lassen sich seit 1804 beobachten. 1798 erfolgt die Einführung der Spinnmaschine für
Baumwolle durch Li§vain Bauwens, für Wolle durch William Coequerill, 1806 für
Flachs durch J. B. Kruck, nachdem schon 1804 der mechanische Webstuhl in der
Baum Wollweberei Eingang gefunden hatte. Seit 1808 wird in Lüttich Stahl fabriziert,
seit 1809 die Zinkgewinnung aus heimischen Erzen (Galmei) in Angriff genommen.
3) Genaueres über diese höchst aktive Politik bei Briavoinne, De l'industrie en
Belgique, Tome I, S. 107 ff. Sie beschränkte sich keineswegs auf sollpolitische MaB-
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. ][39
Eine Verordnung der französischen Regierungskommissare vom
15. Dezember 1795 übertrug den französischen Generaltarif vom
15. März 1791, nebst allen seitdem erlassenen Ergänzungsbestim-
mungen, auf das belgische Nachbarland. Er gestattete die völlig
freie Einfuhr von Nahrungsmitteln (Getreide aller Art und Vieh)
und industriellen Rohstoffen (Holz, Roheisen und Kupfer, Baum-
wolle und Wolle, Flachs und Hanf, Steine und Baumaterialien), be-
legte eine Anzahl begehrter Halbfabrikate mit mäßigen Einfuhr-
zöllen, verbot dagegen die Einfuhr gewisser Fabrikate, besonders
der Textil- und Metallindustrie, und ließ eine Reihe zollpflichtiger
nur gegen den Nachweis zu, daß sie Ländern entstammten, mit
denen Frankreich nicht im Kriege lag, indem das Gesetz für eine
lange Liste von Artikeln die durch keinerlei Gegenbeweis zu ent-
kräftende Rechtsvermutung aufstellte, daß sie englischen Ursprungs
und deshalb verfemt seien. Der noch während der ersten Periode
der französischen Herrschaft blühende Schmuggelhandel wurde mit
Vernichtung der Ware, die Schmuggler selbst mit Galeerenstrafen
bedroht, so daß er, namentlich auch durch die gegen den Schiffs-
verkehr mit England gerichteten Maßnahmen, während des Kaiser-
reiches fast gänzlich ausgerottet wurde ^).
Mochten nun die im Verlaufe des beiderseits mit wachsender
Erbitterung geführten englisch-französischen Zweikampfes von Na-
poleon ergriffenen Maßregeln gelegentlich die Grenzen der öko-
nomischen Zweckmäßigkeit weit überschreiten, für Belgien, das vom
Kaiser bei feierlichen Gelegenheiten, so bei seinem berühmten Rund-
gange durch die Genter Fabriken, seinen Landsleuten als wirtschaft-
liches Musterland hingestellt wurde, waren die Zeiten der Kon-
tinentalsperre eine Periode höchsten industriellen Aufschwunges.
Das beweisen überzeugend die seit 1798 in regelmäßigen Abständen
veranstalteten Industrieausstellungen, auf denen vor allen anderen
belgische Namen glänzten.
Dennoch waren die dort erzielten Erfolge nicht allein der Tüch-
tigkeit belgischer Unternehmer zuzuschreiben. Während Frankreich
mit aller Welt, die Vereinigten Staaten und Skandinavien ausge-
nommen, gleichzeitig oder abwechselnd im Felde lag, erfreuten sich
die Niederlande von 1795 bis 1813 eines ununterbrochenen Friedens.
Während England, ihr gefährlichster Gegner, aus dem wirtschaft-
lichen Wettkampfe so gut wie ausgeschaltet war, bildeten sie das
nahmen. Auch das gewerbliche Unterriohtswesen wurde gefördert, und mit finanziellen
Unterstützungen und allerhand Auszeichnungen für verdiente Erfinder und Industriellen
nicht gespart.
1) Eine Zusammenstellung der hierfür in Betracht kommenden Gesetze bei
L. Jottrand, Des rapports politiques et commerciaux de la Belgique et de la France,
Bruxelles 1841, S. 21 ff. „Sont rfeputfes anglais", heißt es im Gesetz vom 10. brumaire
des Jahres V, „n'importe d'oü ila viennent, les velours, cotons, draps de laine, piqu§s,
bazins, nankins; toute espfece de bonneterie en coton, laine ou soie; toute quincaillerie
fine, coutellerie, tabletterie, ouvrages en fer, acier, §tain, cuivre, airain, fönte, töle et
autres m^taux; cuirs, voitures, sellerie, peaux travaill§es, verrerie, Sucres raffin^s en
pain ou en poudre".
2^40 Heinrich Waentig,
eigentliche Industriezentrum nicht Frankreichs, sondern des Belgien
und Holland, Spanien und Italien, sowie den größeren Teil Deutsch-
lands mitumfassenden französischen Kaiserreiches, dessen weiter
Markt und unermeßlicher Kriegsbedarf ihren Produkten schier un-
begrenzte Absatzmöglichkeiten bot. Niemals sollen in Belgien die
Nahrungsmittel billiger, die Rohstoffe reichlicher, die Löhne und Ge-
winne höher gewesen sein. Kein Wunder, daß seine Industrie auch
später sehnsüchtig an die goldenen Tage der französischen Herr-
schaft zurückdachte.
Wenn in fieberhafter Emsigkeit Flandern heimischen Flachs,
Verviers deutsche Wolle, Gent amerikanische Baumwolle verarbeitete,
Tournai seine Teppiche und Porzellane, Stavelot und Brügge ihr
Leder, Namur und Gembloux ihre Kurzwaren in Massen absetzten,
so begannen jetzt, durch die Heeresbedürfnisse gefördert, im Henne-
gau und in Lüttich auch Kohlenbergbau und Eisenindustrie schnell
emporzublühen. Selbst Antwerpen wurde von dem allgemeinen Strome
erfaßt. Zuckerraffinerien und Seidenwarenfabriken suchten auch
ihm seinen Anteil zu sichern. Nur Brüssel, seines Ranges als Ver-
waltungszentrum entkleidet, sank von seiner Höhe herab und mußte
sich mit dem kargen Ruhme begnügen, die Prunkkarosse zu Napoleons
Krönung zu liefern.
„L'industrie comme la guerre eut ses jours d'ivresse", so schilderte
Briavoinne später die Glanzzeit der französischen Herrschaft. „Les
richesses promptement acquises servirent de contrepoids aux lauriers
et aux grades promptement conquis. Tout le monde vecut des
lors dans un etat de fievre oü les fautes et les revers devinrent
infaillibles." Unausbleiblich in der Tat! Denn wenn der Kaiser zu-
nächst Wirtschaftspolitik um ihrer selbst willen getrieben hatte, so
ward sie ihm unter dem Drucke der Verhältnisse, je länger je mehr,
zum bloßen Mittel für militärische Zwecke. Mochten darunter vor-
nehmlich Handel und Landwirtschaft i) zu leiden haben, so bekam
allmählich auch sein Schoßkind, die Industrie, die Wirkung des
Systemwechsels zu spüren. Ihre Hochkonjunktur begann abzuflauen.
Absatzstockungen führten zu Arbeiterentlassungen, besonders in der
Genter Textilindustrie. Im Herbste 1813 erreichte diese Krise ihren
Höhepunkt. Sie fand zugleich mit der politischen ihre Lösung.
Napoleons Sturz und die Zertrümmerung seines Reiches be-
wirkten die Befreiung Belgiens vom französischen Joche. Sie ward
freudig begrüßt von der Masse der belgischen Bevölkerung, wie
diese früher die Angliederung an Frankreich beklagt hatte. Der
1) Diese letztere wegen des während der ganzen Zeit der französischen Herrschaft
bestehenden Getreideausfuhrverbotes. Die trotz des stets wachsenden Heeresbedarfes ver-
bleibenden Ueberschüsse führten zur Entstehung eines weitverzweigten Schmuggel-
handels, in den, wenigstens während der Zeit des Directoire und Consulat, allen ange-
drohten Strafen zum Trotz, zahlreiche Zollbeamten verwickelt waren. Vgl. dazu L. de
Lanzac de Laborie, La domination franjaise en Belgique, directoire, consulat, empire,
1795—1814, deux vols., Paris 1895, Tome I, S. 183, 359, 361; Tome II, S. 41, 43 ff.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. ]^41
Plan jedoch, die Niederlande mit den angrenzenden rheinischen Ge-
bieten unter dem Szepter des letzten österreichischen General-
gouverneurs, Erzherzog Karl, zu einem selbständigen Staate zu ver-
einigen, dessen Verwirklichung zugleich die Begründung einer
nationalbelgischen Volkswirtschaft bedeutet hätte, wurde bald wieder
aufgegeben. Ohne dabei im geringsten um seine Meinung befragt
zu werden, sah sich das Land von England im Pariser Frieden
vom 30. Mai 1814 als Entgelt für dessen zurückbehaltenen Kolonial-
besitz an Holland verschachert, Abmachungen, die durch die später
den Wiener Kongreßakten eingefügten acht Artikel des Londoner
Geheimvertrages vom 20. Juni bestätigt wurden.
Welche politischen Bedenken nun auch von Anbeginn gegen
diese Transaktion bestehen mochten ^), die in dem neuen Königreiche
der Vereinigten Niederlande zugleich ein Bollwerk gegen französische
Expansionsgelüste zu schaffen suchte, wirtschaftlich sollten die
belgischen Provinzen dabei auf ihre Kosten kommen. Denn es zeigte
sich bald, daß die dem Norden als bloßes „accroissement de terri-
toire" zugesprochenen südlichen Gebiete in der Volkswirtschaft des
Gesamtstaates die Führung zu übernehmen bestimmt waren. Schien
es zunächst auch, als wollte Holland unter englischem Schutze die
während des 17. und 18. Jahrhunderts geübte Politik der Ausbeutung
in veränderter Form wieder aufnehmen, die Kraft der Tatsachen
war mächtig genug, um der Vernunft im Kampfe gegen das Vor-
urteil zum Siege zu verhelfen. Daß es so schnell gelang, war nicht
zum mindesten das persönliche Verdienst König Wilhelms.
Was immer man gegen gewisse Charaktereigenschaften dieses
Fürsten einwenden mochte, dem am 1. August 1814 zunächst
die Regentschaft, dann die Krone des neuen Königreiches von
den Mächten übertragen wurde, sein überspanntes Selbstgefühl,
seine schrankenlose Herrschsucht, seine politische Kurzsichtigkeit,
Schwächen, die ihn, den früheren Soldaten, dazu verleiteten, inmitten
eines grunddemokratisch gesinnten Volkes ein persönliches Regiment,
einen „napoleonischen Staat mit konstitutioneller Fassade" aufzu-
richten, und ihn schließlich die größere Hälfte seines Reiches kosteten ;
das gelegentlich seines Regierungsantrittes feierlich abgelegte Ge-
löbnis: „Ackerbau, Handel und alle Arten von Gewerbe zu fördern",
hat er unverbrüchlich gehalten. Ja, es ist kein Zweifel, daß er in
seinem ehrgeizigen Bestreben, die Belgier zu einem Händlervolke
nach holländischem Muster zu erziehen, eher dazu neigte, die Be-
deutung der wirtschaftlichen Dinge für das Volkswohl zu über-
schätzen. Wie denn ein englischer Parlamentarier später von seiner
1) Politische, nicht wirtschaftliche Gegensätze waren es denn auch, die schließlich
1830 zum Bruche führten. Vgl. dazu: Hans Gehrig, Ueber Ursachen der belgischen
Revolution von 1830, in der Monatsschrift „Der Beifried", 1. Jahrg., S. 478 ff. Eine
zusammenfassende Darstellung der Geschichte des Königreichs der Vereinigten Nieder-
lande gibt, unter Berücksichtigung der früheren Literatur, Frans van Kalken in seiner
Histoire du royaume des Pays-Bas et de la r^volution beige de 1830, Bruxelles 1910.
Vgl. auch P. J. Block, Geschiedenis van het Nederlandsche Volk, VII. Deel, Leiden
1907, S. 287 ff., bes. 384 ff.
142 Heinrich Waentig,
Regierung sagen konnte, daß, wenn das Glück und das Wohlbefinden
einer Nation allein von den eifrigen Bemühungen des Souveräns um
die Handelsangelegenheiten abhinge, er unbestreitbar der populärste
Monarch von Europa, Belgien aber ebenso zufrieden hätte sein
können, wie es blühend gewesen^).
Doch auch dieses Ziel ward nur nach schweren Kämpfen er-
reicht. Die Industriekrise, die in den letzten Jahren der franzö-
sischen Herrschaft eingesetzt hatte, wurde durch die mit dem Zer-
fall des Kaiserreiches verbundene Einengung des heimischen Marktes,
durch die Aufhebung der Kontinentalsperre und den Erlaß eines
vom Generalkommissar der verbündeten Mächte redigierten durch-
aus freihändlerischen Zolltarifes verlängert und noch erheblich ver-
schärft. Unvermittelt ward die belgische Industrie dem überlegenen
Wettbewerb englischer Masseneinfuhr ausgeliefert, dem sie nicht im
entferntesten gewachsen war. Dazu trat in den Jahren 1816/17 eine
regelrechte Hungersnot. In Brüssel wurden die Bäckerläden ge-
plündert, in Gent fremdländische Waren verbrannt, wobei die Arbeiter
sich untereinander verpflichteten, nur noch heimische Stoffe zu tragen.
Schließlich nahm die Krankheit einen schleichenden Verlauf. Sie ergriff
allmählich die gesamte Volkswirtschaft und fand erst 1822 ihr Ende.
Schon 1814 waren Genter Baumwollspinner in Scharen nach Frank-
reich geflüchtet, um im Gehege der Schutzzollschranken Le Havre,
Tourcoing und Roubaix zur Blüte zu bringen; bald folgten die
Bleicher Westflanderns ihrem Beispiele. Selbst Kohlenbergbau und
Eisenindustrie stockten. So sah sich denn der König vor eine
gigantische Aufgabe gestellt, die er in großem Stile zu lösen suchte.
Waren Belgien und Holland nicht wirtschaftlich aufeinander
angewiesen wie die natürlichen Hälften eines größeren Ganzen, so
daß es nur der ordnenden Hand des Staatsmannes bedurfte, um sie
harmonisch aufeinander abzustimmen ? Es darf dahingestellt bleiben,
inwieweit Erwägungen dieser Art die Diplomaten bewegten, die sie
zu einem Einheitsstaate zusammenfügten. Den davon Betroffenen
waren sie geläufig. „En effet, qui eüt ete le politique habile qui
aurait pu croire ä la possibilite de trouver deux peuples, dont l'un
serait eminemment commergant et navigateur et l'autre eminemment
agriculteur et manufacturier, habitant deux pays limitrophes, de fagon
ä pouvoir les reunir sous un meme sceptre, et ouvrir par suite ä
leur Industrie mutuelle un debouche egalement avantageux, sans nuire
respectivement ? La combinaison que la politique n'eüt ose concevoir,
le hazard et les evenements, amenes par la guerre de la revolution
frangaise, Pont fait pour nous."
Diese Auffassung Vanderstraetens, der den König beschwor, was
die Natur gewollt, durch die Politik zu verwirklichen 2), ist später
1) Emerson Teunent, Notes d'un voyageur anglais sur la Belgiqoe, tradait de
l'anglais par P. M. Justin, 2 vols., Bruxelles 1841, Tome I, S. 192 f. Vgl. auch Victor
Fris, De regeering van Koning Willem I, in Vlaamsch Belgie sedert 1830, Bd. I,
Gent 1905, S. 85 ff., bes. S. 91 ff.
2) Vgl. F. Vanderstraeten, De l'gtat actuel du royaume des Pays-Bas et des moyens
de Pam§liorer, Bruxelles 1819 und 1820, Tome II, S. 2 ff .
Die Grandfrage der belgischen Volkswirtschaft. 143
auch von anderen noch häufig vertreten worden. Obschon sie die
psychologischen Hemmungen unterschätzte, die aus der geschicht-
lichen Entwicklung beider Völker erwuchsen ^), für einen nüchternen
Rechner vom Schlage Wilhelms I. schien sie überzeugende Kraft zu
haben. Dabei leitete ihn in erster Linie der Gedanke, den in Ver-
fall geratenen Handel, Hollands wichtigste Machtquelle, dadurch
neu zu beleben, daß er den alten Zwischenhandel nach englischem
Vorbild in einen auf die Erträge des nationalen Gewerbefleißes ge-
stützten Aktivhandel verwandelte. So mußte sich denn sein wirt-
schaftliches Interesse nach den südlichen Provinzen hinüberneigen,
und wie sehr er sie auch politisch zu vergewaltigen strebte, ökono-
misch hat er sie offensichtlich begünstigt.
Der Zolltarif vom 30. Oktober 1816 schuf eine neue Lage'-^). Kam
er dem im Süden immer stürmischer geäußerten Schutzverlangen von
Industrie und Landwirtschaft in weitem Umfange entgegen, so be-
friedigte er doch keineswegs alle ihre Wünsche, während der frei-
händlerisch gesinnte Norden sich erst recht über eine bewußte Ver-
nachlässigung seiner Bedürfnisse beklagte. Eine am 23. Januar 1820
eingesetzte Kommission von siebzehn Mitgliedern suchte die wider-
streitenden Interessen einigermaßen auszugleichen. Das grundlegende
Gesetz vom 12. Juli 1821 über Zölle und Akzisen und das daran
angeschlossene Zolltarifgesetz vom 26. August 1822 waren das Er-
gebnis ihrer Beratungen. Mochten auch gelegentlich der darüber
stattfindenden parlamentarischen Verhandlungen die Vertreter des
Südens den Norden des „Brudermordes" bezichtigen, im wesentlichen
gelang es, die streitenden Parteien miteinander auszusöhnen ; um so
mehr, als ein 1823 von französischer Seite unternommener Vorstoß
ohne Beeinträchtigung Hollands mit einer Erhöhung gewisser Zoll-
positionen (Textilien, Chemikalien, Glas, Porzellan und Branntwein)
1) Nicht etwa nur in ihrer kulturpolitischen Entwicklung, hinsichtlich deren sich
die trennenden Momente in ihrer vollen Kraft erst am Ende der holländischen Zeit
offenbarten, sondern namentlich auch in ihrer ökonomischen. Wie man darüber bel-
gischerseits dachte, hat kurz nach dem Bruche in klassischer Weise Nothomb formuliert.
„II eüt §t6 contraire aux intfer^ts de la r^publique de poss§der Anvers", bemerkt er im
Hinblick auf die durch den Westfälischen Frieden geschaffene Lage. „Elle ne demanda
pas cette ville, eile en exigea la ruine: l'Escaut fut ferm§ et le commerce des Indes
interdit aux Beiges. Voilä. donc la Hollande parvenue ä, se cr^er une existence aux
d§pens des provinces beiges; assise sur le Rhin, eile met une main sur l'Escaut et
l'autre sur la Meuse; eile s'^tend, si je puis m'exprimer ainsi, sur une partie de la
Belgique pour la tenir immobile sous eile et la paralysa dans toutes ses fonctions vitales.
La Hollande avait conquis une partie de notre sol et avait grev6 le reste de servitudes
de droit public ; la Belgique 6tait le fonds servant, la Hollande le fonds dominant ; il
existait une esp&ce de f§odalit6 de peuple h, peuple". (Nothomb, Essai historique et
politique sur la rfevolution beige, 4. 6dit., Bruxelles 1876, S. 62 ff.) Daß diese Auf-
fassung bei vielen Holländern auch während der Vereinigung mit Belgien noch lebendig
war, zeigte sich öfters. Am auffälligsten in dem am Widerstände des Königs ge-
scheiterten Versuche, für die von dem Meere nach Antwerpen hinauffahrenden Schiffe
einen ScheldezoU einzuführen ; ferner in einem unüberwindlichen Widerstände gegen die
Wiederaufnahme der Arbeiten an dem von Napoleon geplanten Rhein-Scheldekanal ; end-
lich in häufiger Umgehung der zugunsten des Südens eingeführten Schutzzollgesetz-
gebung usw.
2) Genaueres darüber bei Briavoinne, De l'industrie en Belgique, Tome I, S. 145 ff.-
244 Heinrich Waentig,
zugunsten Belgiens beantwortet werden konnte. So endete man
schließlich mit einem gemäßigten Schutzzollsystem, das der altbe-
rühmten Landwirtschaft wie der aufstrebenden Industrie die er-
forderliche Unterstützung gewährte, ohne doch die berechtigten
Interessen der Händlerkreise zu gefährden.
Vielleicht wäre dieser Politik kein voller Erfolg beschieden ge-
wesen, wenn die getroffenen Abwehrmaßregeln nicht rechtzeitig durch
positive ergänzt worden wären. Des Königs Bemühungen um die
systematische Hebung der vernachlässigten Volksbildung, die sich
gleichzeitig über alle Stufen und Arten des Unterrichtes erstreckten
und wirtschaftlich in der Errichtung eines „Conservatoire des arts
et metiers" in Brüssel ihre Krönung fanden; die Trockenlegung von
Mooren und die Urbarmachung von Haiden im Kempenlande und
Luxemburg; die Bereitstellung größerer Geldmittel aus den jährlichen
Zolleinnahmen bis zur Höhe von 1,3 Mill. fl. zur Subvention nicht
hinreichend geschützter Industrien; die pekuniäre Beteiligung der
Regierung an allerlei Unternehmungen, von denen man sich besondere
Fortschritte auf technischem Gebiete erwartete; die mit finanzieller
Beihilfe des Königs am 28. August 1822 erfolgte Gründung der
„Societe generale pour favoriser Pindustrie nationale" mit dem Sitz
in Brüssel, die, ein Bankunternehmen großen Stiles mit einem Kapital
von 50 Mill. fl. und als erstes seiner Art in Belgien mit dem Noten-
privileg ausgerüstet, durch Beleihung von Mobilien und Immobilien
die Entwicklung des Produktivkiedites im Lande fördern sollte^),
verdienen besonders erwähnt zu werden.
Wenn sich nun auch nicht alle Hoffnungen erfüllten, daß man
im wesentlichen doch auf dem rechten Wege war, bezeugten die
1820, 1825 und 1830 mit immer steigendem Erfolge in Gent,
Harlem und Brüssel veranstalteten Industrieausstellungen 2). Gewiß
waren dort auch manche der nördlichen Städte, Leiden und Harlem,
Utrecht und Deventer, mit gutem Erfolg vertreten ; der Schwerpunkt
der industriellen Entwicklung aber lag offenkundig in den gewerb-
lichen Zentren des Südens. Gent und Lüttich, Brüssel und Ant-
werpen schlugen alle ihre Konkurrenten. Darüber ließ weder die
Zahl der ausgestellten Objekte noch die Verteilung der gewährten
Auszeichnungen den geringsten Zweifel.
In der Zeit der französischen Herrschaft angebahnt, setzt sich
die Mechanisierung des gewerblichen Arbeitsprozesses jetzt siegreich
auf immer neuen Gebieten durch. Dies gilt namentlich von der
1) Allerdings gehört die Blüte dieses Unternehmens einer späteren Periode an.
Es wäre wohl schon bei seiner Entstehung gescheitert, wenn nicht der König fast das
ganze Risiko auf sich genommen hätte. Nicht nur übertrug er ihm Domanialbesitz im
Werte von 20 Mill. fl., sondern er sah sich auch gezwungen, von den zur Ausgabe ge-
brachten 32 000 Aktien zu 500 fl. 25 500 zu übernehmen, da vom Publikum nur 6500
gezeichnet wurden. Er gewährte ihm außerdem eine persönliche Zinsgarantie.
2) Genaueres darüber bei A. J. L. Baron van den Bogaerde de Ter-Brugge. Essai
sur l'importance du commerce, de la navigation et de Pindustrie dans les provinces
formant le royaume des Pwys-Bas, depuis les temps les plus reculfes jusqu'en 1830,
3 vols., La Haye et Bruxelles 1845, Tome III, S. 165 ff.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 145
Ausbreitung der Dampfmaschine, deren 1830 in ganz Belgien schon
428, davon in der Provinz Lüttich 171, in der Provinz Hennegau
118, in Verwendung stehen. Kohlenbergbau und Eisengewinnung,
letztere unter Verwendung des Kokes, nehmen einen sichtlichen
Aufschwung. Die Talbecken von Maas und Sambre beginnen sich
zu beleben, Charleroi der in seinem Boden schlummernden Kräfte sich
bewußt zu werden^). Mittelpunkte des Gewerbefleißes aber bleiben
auch in dieser Periode Gent und Lüttich, wo die Textilindustrie
eine bis dahin unbekannte Blüte erreicht und ganz neue Gewerbe-
zweige zur Entfaltung bringt.
Hatten schon Lievain Bauwens und William Cocquerill durch
Verwendung der Spinnmaschine und des mechanischen Webstuhles
bei Verarbeitung von Baumwolle und Wolle, später auch des Flachses,
den Anlaß zur Entstehung von Konstruktionswerkstätten bescheidenen
Umfanges gegeben, so entwickelten sich jetzt, in Anlehnung an die
Textilindustrie und deren stets wachsenden Bedarf an Arbeits- und
Kraftmaschinen, größere Maschinenfabriken. So gründete in Gent
1821 Huytens-Kerremans, in Verbindung mit dem Engländer Bell,
das Etablissement „Phoenix", das die belgische Baumwollindustrie,
später auch die der östlichen Länder, mit Maschinen versorgte,
während sich die von William Cocquerills Sohne John 1819 in
Seraing bei Lüttich eingerichtete Konstruktionswerkstätte mit Hilfe
der Regierung seit 1825 sogar zu einem kombinierten Unternehmen
ganz modernen Stiles auswuchs, das Kohlengruben und Hochöfen,
Eisengießereien und Maschinenfabriken in sich vereinigte und dem
Lande seine ersten Dampfschiffe lieferte.
Man begreift es also, daß Wilhelm I. schließlich der erklärte
Liebling der belgischen Industriellen ward; daß er im Mai 1829,
gelegentlich seines Besuches in Gent, dem „Manchester der Nieder-
lande", von der Presse als „der volkstümlichste und beste der Könige"
gefeiert, von der dortigen industriellen Gesellschaft als „Meister
und Schutzherr der Genter Industrie" durch Ueberreichung einer
Denkmünze ausgezeichnet wurde; daß die Städte Gent und Lüttich
sich Ende 1830, allen politischen Erwägungen zum Trotz, in ein-
drucksvollen Denkschriften an den „Congres national" wandten, um
sich gegen die leichtsinnige Lösung eines Bundes zu verwahren,
der sich für sie so segensreich erwiesen hatte ^). Wenn damals auch
Antwerpen nicht zögerte, sich diesen Protesten anzuschließen, so
fehlte es ihm nicht an guten Gründen.
Wie gesagt, war des Königs Industriepolitik nur der wichtigste
Teil eines größeren Programmes, das in letzter Linie die Wiederauf-
1) In der Provinz Hennegau ist die tägliche Förderung an Kohle von 23 491 Meter-
zentnern im Jahre 1820 auf 49 094 Meterzentner im Jahre 1828 gestiegen. Forderte die
Gewinnung von 1000 Meterzentnern 1820 die 24-stündige Arbeit von 92 Arbeitern und
19 Pferden, so sind dazu 1828 nur noch 40 Arbeiter und 3 Pferde erforderlich. Ent-
scheidend für den Fortschritt ist die Verwendung der Dampfmaschine.
2) Wörtlich abgedruckt von Baron van den Bogaerde de Ter- Brügge, a. a. O.
S. 282 ff.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. M). 10
]^46 Heinrich Waentig,
richtung der von England vernichteten holländischen Handels-
herrschaft zum Ziele hatte. Zahlreiche Maßnahmen, wie der plan-
mäßige Ausbau des Netzes der Land- und Binnenwasserstraßen (Gent-
Terneuzen, Pommeroeul-Antoing usw.), die Beförderung von Schiffbau
und Fischerei durch Gewährung von Prämien, die Begründung von
Schiffahrtschulen in Antwerpen und Ostende, die unterschiedliche
Behandlung fremdländischer Schiffe durch Erhebung von Zuschlags-
zöllen und erhöhten Tonnengeldern, ihre Ausschließung von der
niederländischen Küstenschiffahrt und der Benutzung der Binnenge-
wässer, die zollpolitische Begünstigung gewisser Kolonialwaren
(Kaffee, Zucker, Tabak) gegenüber anderen mit Verbrauchsabgaben
belegten usw., sie alle bezeugen, wie sehr seine Erreichung dem
fürstlichen Staatsmanne am Herzen lag. Schon am 15. Juli 1818
wurde eine Handels- und Schiffahrtsgesellschaft konzessioniert mit
dem Zwecke, Schiffe für den ^indischen Handel auszurüsten. Doch
wurde sie später durch die am 29. März 1824, als Seitenstück zur
Brüsseler „Societe generale", mit dem Sitz im Haag gegründete
„Nederlandsche Handelsmaatschappij" völlig in Schatten gestellt.
Auch diese scheint eine ureigenste Schöpfung des Königs gewesen
zu sein, der sich mit 4 Mill. fl. an ihrem Aktienkapital (37 Mill. fl.)
beteiligte, auch die persönliche Garantie für dessen 4V2-proz. Ver-
zinsung übernahm. Diesmal aber war schon die bloße Gründung
ein Erfolg. Wurde doch die vom Publikum geforderte Summe um
das Doppelte überzeichnet. Statutengemäß war der neuen Gesell-
schaft die Aufgabe gestellt, Handel, Schiffahrt und Schiffbau, mittel-
bar aber auch Industrie, Bergbau und Landwirtschaft dadurch zu
fördern, daß sie deren Absatz durch Eröffnung neuer Märkte er-
weiterte und sich an Unternehmungen beteiligte, die geeignet
schienen, den Verbrauch ihrer Erzeugnisse zu vermehren. Im be-
sonderen sollte sie den Verkehr zwischen dem Mutterlande und
den Kolonien entwickeln, in dem sie, möglichst unter Ausschluß
aller fremdländischen Produkte, diejenigen der heimischen Industrie
nach den überseeischen Besitzungen ausführte und dafür deren Er-
zeugnisse dem nationalen Konsum zur Verfügung stellte. Dazu
sollte sie sich nur niederländischer Fahrzeuge mit niederländischer
Bemannung bedienen und den Bau der für den Fernverkehr ge-
eigneten Schiffe dadurch begünstigen, daß sie sich den Reedern gegen-
über verpflichtete, die einmal gecharterten Fahrzeuge zu einem ent-
sprechenden Satze für mehrere Reisen zu verwenden.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die „Nederlandsche Handels-
maatschappij" ihre Aufgabe glänzend gelöst hat, wennschon der Auf-
schwung des Handels mit Java im vollen Umfange erst um 1830
einsetzte^). Daß jedoch auch diese wesentlich vom holländischen
Interesse diktierte Politik schließlich zu Belgiens Heile ausschlug,
1) Er trat besonders ein, nachdem es gelungen war, in Java der inneren Un-
ruhen Herr zu werden und in den dortigen Pflanzungen ein besseres Kultursystem ein-
zuführen, ein besonderes Verdienst des niederländischen Generalgouvemeurs van den
Bosch. Vgl. dazu Baron van den Bogaerde de Ter-Brugge, a. a. O. S. 70 ff.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft.
147
bezeugt die Handels- und Schiffahrtsstatistik jener Tage ^). Zugleich
gestattet sie einen Rückschluß auf den inneren Bau der nieder-
ländischen Volkswirtschaft und auf ihre Stellung im Kreise der
übrigen, wie sie sich gegen das Ende der holländischen Periode als
gemeinsames Produkt von Natur und Menschenwerk herausgebil-
det hatte.
Die Bevölkerung des Königreiches der Vereinigten
Niederlande um die Mitte der zwanziger Jahre
des 19. Jahrhunderts.
Von 100 Ein-
Steuerliche ^
Provinzen^),
nach der Bevölke-
Größe
in ha
Bevölke-
Bevölke-
rung
wohnern leben
Belastung
pro Kopf der
rungsdichte geordnet
rung
pro 100 ha
in
auf dem
Bevölkerung
Städten
Lande
in Gulden
Ostflandern
298 370
658 003
211
13,6
86,4
8,79
Westflandern
317422
542 009
171
16,5
83,5
7,83
Nord-Holland
229 200
380 725
i66
65,2
34,8
21,60
Süd-Brabant
307 733
469 257
156
27,2
72,8
11,72
Süd-Holland
277 830
413425
149
48,1
51,9
19,21
Hennegau
377 390
515 180
137
11,1
88,9
8,47
Antwerpen
282 293
325 147
115
33J
66,3
IO,89
Lüttich
282 593
315000
III
20,5
79,5
8,58
Utrecht
127617
III 240
87
43,0
57,0
15,33
Seeland
158036
122 821
78
27,7
72,3
14,38
Friesland
260732
189656
73
22,5
77,5
15,60
Groningen
205 059
146 990
72
24,1
75,9
11,00
Limbu rg
455316
307 177
67
17,1
82,9
6,7 6
Nord-Brabant
484 896
324071
67
10,5
89,5
7,28
Namur
345 610
180711
52
11,9
88,1
8,06
Geldern
517098
269 926
52
18,6
81,4
8,46
Overijssel
329961
153458
47
20,5
79,5
8,13
Luxemburg
626343
274812
44
3,6
96,4
4,69
Drenthe
223 852
49715
22
13,7
86,3
6,96
Niederlande
6 107 351
5 749 323
94
23,6
76,4
10,68
Von ungefähr gleicher Größe (Belgien 3,1 Mill. ha, Holland
2,8 Mill. ha), besonders wenn man berücksichtigt, daß die dem
Süden zugerechneten Provinzen Limburg und Luxemburg nach er-
folgter Trennung erheblich beschnitten wurden, erweist sich Belgien
1) Nach Tweede Verzameling van Staten, uitgegeven door de Commissie voor de
Statistiek, 's Gravenhage, 1829 ; Antoine Warin, Influenae du commerce sur la prosp§rit6
du royaume des Pays-Bas, Bruxelles 1827 ; J. A. Drieling, Bijdragen tot een vergelijkend
overzigt van Nederlands zeevaart en handel, 's Gravenhage en Amsterdam 1829; Baron
van den Bogaerde de Ter-Brugge, Essai sur l'importance du commerce etc., Tome III»
2) Die das spätere Königreich Belgien bildenden Provinzen sind gesperrt gedruckt«
Zu bemerken ist, daß der östliche Teil der Provinz Limburg später Holland überwiesen,
der östliche Teil der Provinz Luxemburg staatlich verselbständigt wurde.
3) Die Ziffern geben den Durchschnitt der Jahre 1823/24 und 1825. Die zu-
grunde gelegten Steuern sind Grundsteuer, Personalsteuer, Patentabgaben, ßegister-
steuem einschließlich der Erbschaftssteuer und Akzisen. Sie erbrachten mehr als ®/^j
der gesamten öffentlichen Einnahmen.
10*
J^^g Heinrich Waentig,
als die bei weitem voiksreichere Hälfte (3,5 Mill. gegenüber 2,2 Mili.
Menschen). Aber diese viel dichtere Bevölkerung ist im Gegensatze
zu der des Nordens weniger in den Städten zusammengedrängt, als
auf dem Lande verstreut, was noch viel stärker hervortreten würde,
wenn nicht auch jener einige ausgesprochen ländliche Gebiete um-
schlösse. Ja, gerade die dichtest bevölkerten Gebiete der südlichen
Niederlande, Ost- und Westflandern, die Sitze des alteingessenen
Leinengewerbes und der aufstrebenden Baumwollindustrie, mehr
noch der Hennegau und selbst Lüttich, die neu entstandenen in-
dustriellen Entwicklungszentren, sind durchaus ländlichen Charakters
(86,4 und 83,5 bzw. 88,9 und 79,5 Proz. ländlicher Bevölkerung).
Nur Antwerpen und Süd-Brabant bleiben unter dem Durchschnitt
(66,3 und 72,8 Proz. ländlicher Bevölkerung). Wogegen die dichtest
bevölkerten Provinzen des Nordens, Nord-Holland, Süd-Holland und
Utrecht, auch den höchsten Prozentsatz städtischer Bevölkerung (65,2,
48,1 und 43,0 Proz.) aufweisen.
Dafür ist Holland, soweit man hierauf aus der steuerlichen
Leistungsfähigkeit der Bevölkerung schließen darf, die bei weitem
reichere Hälfte des Königreiches. Nord-Holland, Süd-Holland und
Utrecht, die dichtest bevölkerten Provinzen mehr städtischen Cha-
rakters, denen sich östlich und westlich, am Meere vorgelagert,
Friesland und Seeland, mehr ländlicher Natur, anschließen, über-
ragen mit 21,60, 19,21, 15,33, 15,60 und 14,38 fl. pro Kopf der
Bevölkerung den Landesdurchschnitt (10,68 fl.) nicht unerheblich.
Unter den belgischen Provinzen gilt dies eben noch von Süd-Brabant
und Antwerpen (11,72 und 10,89 fl.). Ostflandern, auch Lüttich und
Hennegau, die ausgesprochen ländlichen neueren Industriegebiete,
bleiben darunter. Ein Beweis dafür, daß der wirtschaftliche Schwer-
punkt des Landes an den um die Mündungen von Rhein, Maas und
Scheide gruppierten nördlichen Bezirken zu suchen ist, der erst
jüngst in die industrielle Entwicklung eingetretene äußerste Süden
des Königreiches aber als Reichstumsquelle noch eine vergleichs-
weise unbedeutende Rolle spielt.
Hierüber läßt auch die Gestaltung des Außenhandels keinen
Zweifel, dessen allgemeine Tendenz aus der nachstehenden Tabelle
zu ersehen ist.
Niederländischer Spezialhandel in Gulden, ausschließ-
lich der Edelmetalle.
Im Jahre
Einfuhr
Ausfuhr
1824
1825
1826
1827
129787950
122675932
145638352
153638132
84612025
97 549 507
92 669 720
95 856 793
Danach wäre der niederländische Spezialhandel, Einfuhr und
Ausfuhr zusammengenommen, in der Zeit von 1824 bis 1827 um ein
volles Sechstel gewachsen. Er zeigt einen durchschnittlichen Ein-
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 149
fuhrüberschuß von 45263080 fl., dem für die gleiche Zeit ein
durchschnittlicher Einfuhrüberschuß an Edelmetallen in Höhe von
119 771 fl. gegenübersteht. Ein Vergleich des niederländischen mit dem
gleichzeitigen englischen Spezialhandel ergibt das Verhältnis von
21,05 : 100, mit dem französischen von 32,02 : 100. Da sich nun
gleichzeitig die Bevölkerung der Niederlande zur englischen wie
27,02 : 100, zur französischen wie 18,07 : 100 verhielt, so bliebe der
niederländische Handel an Intensität hinter dem englischen zwar
etwas zurück, was nach Drielings Ansicht teilweise auf gewisse Un-
genauigkeiten der englischen Statistik zurückzuführen ist, überragte
den französischen aber um ein bedeutendes.
Die Handelsbilanz ist eine passive. Der Einfuhrüberschuß be-
läuft sich 1827 auf 57,8 Mill. fl. oder 37,6 Proz., eine ungeheure
Summe. Wie er entsteht, ergibt sich aus nachfolgender Tabelle:
Niederländischer Spezialhandel 1827 in Gulden.
Einfuhr Ausfuhr
I. Land\^irtschaf tliche Erzeugnisse
1) Vieh und Viehzuchterzeugnisse
2) Molkereierzeugnisse
3) Getreide
4) Sämereien und Erdfrüchte
5) Holz und Baumfrüchte
6) Andere, einschließlich Hanf und Flachs
7 591 486
"7 477
10479 298
4701 850
6 102 544
7289471
9031757
14306156
3079310
2 808 189
2 743 920
12683823
Summe
3b 282 I2b
44653 »55
II. Fischereierträge
I 670 047
I 427 547
[II. unbearbeitete Metalle und Mineralien
5515811
5616575
I V. Gewerbliche Erzeugnisse
1) Sogenannte Manufakturen (Textilerzeugnisse) 22 329 164 16 235 837
2) Andere Industrieerzeugnisse 8911258 15934402
Summe 31240422 32170239
V. Sogenannte Kaufwaren (insbesondere Kolonialwaren) 78929726 11989277
Gesamtsumme 153 638 132 95 856 7^
Edelmetalle 1455 5*5 418202
Schon ein flüchtiger Blick auf die vorstehende Tabelle beweist,
daß der passive Charakter der niederländischen Handelsbilanz im
wesentlichen auf eine einzige Warengruppe zurückzuführen ist,
welche die volle Hälfte der Einfuhr, doch nur ein Achtel der Aus-
fuhr auf sich vereinigt, die sogenannten „Kauf waren". Es handelt
sich dabei vorwiegend um Kolonialprodukte, unter denen Kaffee
(23,8 Mill. fl.) und Zucker (16,6 Mill. fl.), daneben Tabak, Tee, Indigo,
Reis, Kakao und Gewürze, endlich auch Wein, mit Millionen-
beträgen vertreten sind. Da sie jedoch offenbar zum allergrößten
Teile den niederländischen Kolonien entstammen und die in Waren-
form bezahlten Zinsen der in Plantagen und im überseeischen Handel
angelegten Kapitalien darstellen, so dürfen daraus ungünstige Schlüsse
150 Heinrich Waentig,
auf die allgemeine Handelslage nicht gezogen werden. Wie denn auch
die Zahlungsbilanz nicht nur im Jahre 1827, sondern auch im Durch-
schnitt der Jahre 1824—1827, eine positive gewesen zu sein scheint
(Edelmetallmehreinfuhr von 1,0 bez. 0,1 Mill. fl.).
Diese Warengruppe abgerechnet, ist die niederländische Han-
delsbilanz mit 9,2 Mill. fl. Ausfuhrüberschuß eine ausgesprochen
aktive. Sie verdankt dies in erster Linie wiederum einem einzigen
Posten, der etwa die Hälfte des Restes der gesamten Ein- und
Ausfuhr (36,3 bzw. 44,7 Mill. fl.) in sich umfaßt, den landwirt-
schaftlichen Erzeugnissen. Bestimmend sind unter ihnen die Molkerei-
produkte, die bei verschwindender Einfuhr einen sehr erheblichen
Ausfuhrüberschuß (14,2 Mill. fl.) aufweisen, während die sehr be-
deutende Mehrausfuhr von lebendem Vieh durch eine Mehreinfuhr
von Wolle und Häuten für industrielle Zwecke einigermaßen aus-
geglichen wird. Der beträchtliche Getreideeinfuhrüberschuß des
Jahres 1827 ist eine durch die außergewöhnliche Marktlage bedingte
vorübergehende Erscheinung. Er betrug im Jahre zuvor, bei etwas
größerer Ausfuhr (4,8 Mill. fl.), nur 0,2 Mill. fl., daher man sagen
kann, daß in normalen Jahren die Niederlande hinsichtlich' ihres Ge-
treidebedarfs vom Auslande unabhängig sind. Bemerkenswert ist
die Mehreinfuhr von Sämereien (Raps- und Leinsaat) und Erd-
früchten, sowie von Holz (Bauholz) und Baumfrüchten, während die
bedeutende Mehrausfuhr der sechsten Untergruppe in erster Linie
auf den steigenden Export des Flachses (8,1 Mill. fl.) zurückzu-
führen ist, dem nur eine verschwindende Einfuhr, jedoch eine
nicht unerhebliche Mehreinfuhr von Hanf (1,2 Mill. fl.) gegenüber-
steht. Beweis genug, daß das niederländische Leinengewerbe die
heimischen Rohstoffe bei weitem nicht völlig zu verarbeiten ver-
mag.
Bei den Fischereierträgen halten sich Ein- und Ausfuhr etwa
die Wage. Gleiches gilt von der Gruppe der unbearbeiteten Metalle
und Mineralien. Hervorzuheben ist, daß die Niederlande ihren
Kohlenbedarf ganz aus eigenen Mitteln decken, ja sogar einen
erheblichen Betrag (3,8 Mill. fl.) ausführen können. Dagegen haben
Eisen und Stahl, Kupfer und Blei eine Mehreinfuhr, nur das Zink
eine Mehrausfuhr aufzuweisen. Es handelt sich dabei aber um ver-
hältnismäßig geringe Beträge.
Höchst bemerkenswert ist die Bilanz der gewerblichen Erzeug-
nisse. Reicht deren Bewegung zahlenmäßig auch nicht an die der
landwirtschaftlichen heran, so spiegelt sich in ihr immerhin die
handelspolitische Bedeutung der niederländischen Industrie über-
zeugend wieder. Auffallend ist der Einfuhrüberschuß in Textilien.
Er ist namentlich in einer bedeutenden Mehreinfuhr von Manufak-
turen in Wolle und Halbwolle (7,3 Mill. fl.) sowie Baumwolle
(3,9 Mill. fl.) begründet, hinter der die Mehrausfuhr von Manufak-
turen in Flachs und Hanf (3,8 Mill. fl.), sowie von Tuchen und
Kaschmir (3,8 Mill. fl.) zurücksteht. Dafür zeigt die zweite Unter-
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. ][51
gruppe der Industrieerzeugnisse eine bedeutende Mehrausfuhr, groß
genug, um die Unterbilanz der Textilien mehr als auszugleichen.
Zuckerraffinerien, Tabakfabriken, Gerbereien, Branntweinbrennereien,
Oelpressen, Papiermühlen, chemische Fabriken und die verschiedenen
Zweige der Kleineisen-Industrie wirken in dieser Richtung zu-
sammen. Ihre Ausfuhr ist so erheblich, daß sie die Mehreinfuhr
anderer Industrieerzeugnisse, wie Porzellan und Fayence, Bücher
und Drucke, Uhren und Instrumente, Glas und Lederarbeiten, Gold-,
Silber- und Kupferwaren, Kleider und Modeartikel, wettmacht.
Auch der Durchfuhrhandel hat sich kräftig entwickelt, obwohl es
nicht möglich ist, seinen Gesamtbetrag festzustellen, da die Statistik
die einzelnen Posten teils nach dem Geldwerte, teils nach Maß-,
Mengen- und Gewichtseinheiten verzeichnet. Abermals stehen die
„Kauf waren", und zwar Salpeter, Pott- und Perlasche, Rohbaumwolle
und Federn, Kaffee und Zucker, Wein und Olivenöl, an erster Stelle.
Unter den landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind Häute und unge-
mahlene Lohe, unter den unbearbeiteten Metallen und Mineralien un-
gemahlener Tuffstein und Rohschwefel, Kupfer und Zinn, Schmiede-
und Stabeisen hervorzuheben. Von den Textilien kommen namentlich
Baumwoll- und Leinengarne in Frage; von den übrigen Industrie-
erzeugnissen allerhand Metallwaren, Zucker und Schwefel in raffi-
niertem Zustande, Modeartikel und ähnliches.
Ueber die zwischen den Niederlanden und den übrigen Staaten
im einzelnen damals bestehenden Handelsbeziehungen gibt die Handels-
statistik jener Zeit keine Auskunft. Gewisse Andeutungen hierüber
liefert die Schiffahrtstatistik. Sie zeigt zunächst, wie dies aus der
nachstehenden Tabelle zu ersehen ist, daß der internationale Verkehr
des Königreiches in dem ersten Jahrzehnt seines Bestehens eine
sinkende Tendenz aufwies, sich jedoch von 1824 ab schnell wieder
zu heben begann. Es betrug nämlich die Zahl der Schiffe, die in
die niederländische Häfen
1 Jahre
einliefen
ausliefen
1818
7739
7886
1819
7032
6469
1820
6830
6459
1821
5636
6287
1822
6169
6027
1823
unbekannt
unbekannt
1824
5566
5716
1825
6143
6015
1826
6467
6484
1827
6741
6793
1828
7484
7599
Ein noch genaueres Bild der während der Periode des Wieder-
aufstieges eingetretenen Entwicklung enthüllt die folgende Uebersicht.
Auch in ihr kommt der passive Charakter der niederländischen
Handelsbilanz zum Ausdruck, insofern die Zahl und mehr noch
der Tonnengehalt der in Ballast ausgelaufenen Schiffe Zahl und
152
Heinrich Waentig,
Tonnengehalt der in Ballast eingelaufenen um ein Mehrfaches über-
trifft.
Eingelaufen :
Im
Geladene
Schiffe:
Eigene :
Fremde:
Schiffe in
Ballast:
Gesamtsumme:
Jahre
An-
zahl
t
An-
zahl
t
An-
zahl
t
An-
zahl
t
An-
zahl
t
1824
1825
1826
1827
1828
4661
4763
5449
5813
6453
456 493
454 874
559 337
634012
723 439
2262
2397
2657
2648
2840
214588
221 219
251284
255 142
284061
2399
2366
2792
3165
3613
241 905
233655
308053
378870
439378
905
1380
1018
928
103 1
71244
"5143
78710
62905
68613
5566
6143
6467
6741
7484
527 737
570017
638 047
696917
792052
Ausgelaufen
Im
Geladene
Schiffe:
Eigene :
Fremde:
Schiffe in
Ballast:
Gesamtsumme:
Jahre
An-
zahl
t
An-
zahl
t
An-
zahl
t
An-
zahl
t
An-
zahl
t
1824
1825
1826
1827
1828
4551
4428
3997
4444
4628
502 032
489 475
442 021
459 589
480 802
2330
2108
1765
1726
1807
255 522
241 333
193 414
171 945
186 104
2221
2320
2232
2718
2821
246510
248 142
248 607
287 644
294 698
1165
1617
2487
2349
2971
48061
70 109
197 960
239 942
315 108
5716
6045
6484
6793
7599
550093
559 584
639981
699531
795910
Da im Durchschnitt der Jahre 1824 — 1827 Gesamtzahl und
-tonnengehalt der in niederländischen und englischen Häfen ein- und
ausgelaufenen Schiffe sich wie 25,1, bzw. 19,1 : 100 verhielten, so
würde der englische den niederländischen Schiffsverkehr um das
Vier- bzw. Fünffache übertreffen. Eine Ueberlegenheit, die auch in dem
Anteil, den 1827 eigene und fremde Schiffe nach Zahl und Tonnen-
gehalt am Verkehre hatten (Niederlande 43,6:56,4 bzw. 42,7:57,3,
England 67,6 : 32,4 bzw. 72,4 : 27,6), und in dem Durchschnittstonnen-
gehalt der verkehrenden Schiffe (Niederlande 102,06 t, England
128,06 t) hervortritt. Immerhin scheinen die Niederlande unter den
schiffahrttreibenden Nationen an zweiter Stelle zu stehen. Zwar ver-
hält sich Gesamtahl und -tonnengehalt der in niederländischen und
französischen Häfen ein- und ausgelaufenen Schiffe im Durchschnitt
der Jahre 1825/26 wie 78,6 bzw. 91,1:100, doch ist in Frankreich
das Verhältnis der eigenen und fremden Schiffe nach Zahl und
Tonnengehalt ungünstiger als in den Niederlanden (37,09 : 62,01 bzw.
35,0 : 65,0) , auch der Durchschnittstonnengehalt der verkehrenden
Schiffe erheblich geringer (83,07). Endlich ist zu bedenken, daß
die niederländische Schiffahrt gerade seit 1825 große Fortschritte
machte, so daß sie Ende der zwanziger Jahre auch nach Zahl und
Tonnengehalt die französische übertroffen haben dürfte.
Einen gewissen Einblick in die Richtung des niederländischen
Schiffsverkehrs und damit zugleich der überseeischen Handelsbe-
ziehungen gewährt die nachfolgende Tabelle:
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft.
153
In niederländische Häfen 1828 ein- und ausgelaufene
Schiffe.
Eingelaufen
Ausgelaufen
Von, bzw. nach:
Beladen
in Ballast
Beladen
in Ballast
Schiffe
t
Schiffe
t
Schiffe
t
Schiffe
t
England
1225
119 252
871
61658
2288
205 467
138
18473
Hannover, Mecklenburg,
Hamburg, Bremen, Lübeck
1068
54496
85
2753
699
36919
512
18 912
Dänemark
487
25663
143
8046
93
6353
Schweden und Norwegen
984
140 193
6
241
477
76737
420
58802
Deutsche Ostseehäfen ohne
Lübeck
903
91486
—
—
166
17531
353
48097
Kußland
697
101631
' —
—
141
20029
92
13907
Frankreich
419
43828
52
2992
252
20761
112
14 226
Spanien
54
5887
2
n
51
4501
3
854
Portugal
65
6062
9
320
68
6 096
32
6437
Mittelmeerhäfen
67
10095
—
22
2605
8
I 503
Ostindien, Kap und China
96
35649
—
—
74
26620
I
389
Niederländisch- Westindien
n
20256
—
—
80
20306
2
508
Britisch- Westindien (soweit
früher holländisch)
14
4063
—
—
14
4138
—
—
Mittel- und Südamerika
132
25485
—
—
59
II 554
7
1699
Vereinigte Staaten von
Nordamerika
162
38933
2
139
73
16665
20
5 744
Auffallend ist auch hier wiederum die Ueberzahl der in Ballast
ausgelaufenen Schiffe, auf die schon früher hingewiesen wurde. Sie
würde noch größer sein, wenn die in Ballast „auf Aventur", d. h.
mit unbestimmtem Reiseziel, ausgelaufenen, deren Zahl 1828 1145
zu 111 308 t, also ein reichliches Drittel der Gesamtzahl, ausmachte,
in diese Tabelle hätten aufgenommen werden können. Dadurch
würde auch die bei einzelnen Ländern zu beobachtende Differenz
zwischen der Gesamtzahl der ein- und der ausgelaufenen Schiffe nahe-
zu ausgeglichen sein.
Im einzelnen steht für den niederländischen Schiffsverkehr
England an erster Stelle. Das Uebergewicht namentlich der beladen
ausgelaufenen Schiffe deutet auf eine günstige Handelsbilanz gegen-
über diesem Lande hin. Es erklärt sich namentlich aus der schon
erwähnten gewaltigen Ausfuhr von Molkereiprodukten. Ihm zu-
nächst folgen die skandinavischen Länder, dann Hannover, Mecklen-
burg und die Hansestädte. Bei beiden Gruppen überragt die Zahl
der beladen eingelaufenen Schiffe die der beladen ausgelaufenen um
ein Bedeutendes. Die Handelsbilanz scheint passiv zu sein; jeden-
falls beanspruchen die von dort eingeführten Waren einen verhält-
nismäßig größeren Schiffsraum. Dies tritt noch stärker im Ver-
kehr mit den deutschen Ostseehäfen und Rußland hervor, wie denn
die Ostsee auch das Hauptgebiet für die Fahrten „auf Aventur" ist.
Allerdings ist zu bemerken, daß die für den Ostseeverkehr des
Jahres 1828 ausgewiesene Eingangsziffer wegen der durch die augen-
blickliche Marktlage bedingten hohen Getreideeinfuhr die normale
154 Heinrich Waentig,
etwa um die Hälfte übersteigt. Viel geringer ist der Seeverkehr
mit Frankreich; wohl, weil sich der Güteraustausch größeren Teiles
zu Lande vollzieht. Erstaunlich ist der Rückgang der spanischen
Fahrt, die in früheren Zeiten eine so große Rolle spielte. In Por-
tugal und den Mittelmeerhäfen bereitet die englische Konkurrenz
unüberwindliche Hindernisse. Um so günstiger hat sich unter dem
Einfluß der „Nederlandschen Handelsmaatschappij" der Verkehr mit
Ostindien und dem fernen Osten, Westindien, Mittel- und Süd-
amerika gestaltet. Er ist im schnellen Fortschreiten begriffen.
Eher das Gegenteil gilt von den Beziehungen zu den Vereinigten
Staaten von Nordamerika. Der Handel mit ihnen zeigt sinkende
Tendenz und wird überdies fast ausschließlich von fremdländischen
Schiffen besorgt.
Begreiflich, daß Schiffbau und Reederei in den Niederlanden
dem plötzlichen Aufschwung des überseeischen Handels kaum zu
folgen vermögen. Immerhin hat sich in der Zeit vom 31. Dezember
1826 bis zum 31. Dezember 1829 die Zahl der im Dienst befind-
lichen Kauffahrer von 1176 mit 74117 t auf 1346 mit 89210 t
erhöht. Dabei sind 1827 und 1828 im ganzen 168 neue Fahrzeuge
mit 13957 t allein vom heimischen Schiffbau dem Handel zur Ver-
fügung gestellt worden.
Als Mittelpunkte des überseeischen Verkehres erscheinen die
Hafenstädte Amsterdam und Rotterdam, Antwerpen und Ostende.
Noch immer hat, wie sich aus der folgenden Uebersicht ergibt,
Amsterdam die Führung:
Im Jahre 1829 ausgelaufene Schiffe.
Beladen
In Ballast
Zahl
t
Zahl
t
Amsterdam
I220
143 365
699
80937
Rotterdam
io6o
107 403
225
30470
Antwerpen
519
70452 .
354
78837
Ostende
405
35481
59
4407
Doch ist sein Stern im Sinken. Neben ihm, es mehr und mehr ver-
drängend, steigt Rotterdam empor; und hinter diesem, in weiterem Ab-
stand, aber mit „verblüffender Schnelligkeit", Antwerpen ^), während
1) Der Artikel 14 des Pariser Friedens vom 30. Mai 1814 erklärte \Antwerpen
zum Handelshafen. Alle Befestigungen wurden geschleift, was irgendwie militärischen
Zwecken dienen mochte, vernichtet, Kriegsschiffe und Kriegsmaterial unter den Ver-
bündeten und Frankreich geteilt. Das Prinzip der Freiheit der Scheide blieb faktisch
unangetastet, wurde aber vorläufig von Holland grundsätzlich nicht anerkannt. Die
Aufhebung der Kontinentalsperre ließ die Zahl der in Antwerpen einlaufenden Schiffe
zunächst mächtig anschwellen. Sie soll 1815 etwa 3000, 1816 sogar 3694 betragen
haben, schrumpfte dann aber auf 999 im Jahre 1817, 1818 sogar auf 585 zusammen.
Erst Mitte der zwanziger Jahre setzte eine neue Aufwärtsbewegung ein. Die Zahl der
in Antwerpen eingelaufenen Schiffe ward 1826—1829 auf 858, 761, 911 und 929 be-
ziffert, abzüglich der von Holland durch die Binnengewässer eintreffenden, während es
zweifelhaft ist, ob Gleiches von den Ziffern der Jahre 1817 und 1818 gesagt werden
kann. In diese Epoche fällt auch der Beginn der Dampfschiffahrt auf der Scheide.
Der erste regelmäßige Dienst wurde zwischen Antwerpen und Botterdam eingerichtet.
Die Gruudfrage der belgischen Volkswirtschaft.
155
Ostende sich zu einem vorwiegend dem Nahverkehr (England) dienen-
den Hafenplatz entwickelt hat.
Dabei hat sich zwischen den drei großen Welthäfen auch be-
reits eine Art Arbeitsteilung herausgebildet. Während die Einfuhr
von Amsterdam ihr Gepräge durch Getreide, Garne und Gewebe,
Kupfer und Blei, Teer und Tran, Sämereien und Tee empfängt,
Rotterdam sich durch Steinkohlen, Eisen und Eisenwaren, Zinn und
Messing, Kreide und Keramik, gedruckte Baumwollstoffe, Rosinen,
Gewürze und Tabak auszeichnet, stehen in Antwerpen Häute und
Baumwolle, Pott- und Perlasche, Seife und Rohsalz, Färb- und
Süßholz, Kaffee, Kakao, Zucker, Reis und Pfeffer, Wein und
Olivenöl an erster Stelle. Wie sehr es der Scheidestadt gelungen
ist, in kürzester Frist den Umsatz in einigen der wichtigsten Kolonial-
waren an sich zu reißen, beleuchtet die nachstehende Tabelle. Tee
und Tabak ausgenommen, beherrscht sie den Markt.
W a r e n e i n
fuh
r in Amsterdam, R
werpen im J ahre
otterdam
L830.
und Ant-
Kaffee
Zucker
1
Tabak Reis
Baum-
wolle
Tee
Pfeffer
Ballen
Faß
Faß
Kisten
Pack
Faß
Faß
Ballen
Ballen
Kisten
Ballen
Amsterdam
Rotterdam
Antwerpen
137 905
96543
338374
2224
496
1409
23603
4907
I 961
14 981
4719
28894
26 113
14567
47080
12 270
"035
2777
7667
7019
23319
13759
8 500
41 771
12320
10 051
21950
13 851
5819
842
"55
10
8652
Kein Wunder, daß, trotz der Mangelhaftigkeit der zwischen
Rhein und Scheide bestehenden Verbindungen, viele unter den führen-
den Handelsfirmen Amsterdams und Rotterdams, der eingetretenen
Verschiebung im Geschäftsverkehre folgend, Filialen in Antwerpen
errichten, wenn sie es nicht gar vorziehen, den Hauptsitz ihres
Unternehmens dorthin zu verlegen.
So erscheint denn nach 15-jährigem Bestehen das Königreich
der Vereinigten Niederlande, bei all seinen politischen Schwächen
und Widersprüchen, wirtschaftlich doch als ein kraftvolles und aus-
geglichenes Gebilde, das, nachdem es gewisse innere Spannungen
überwunden, sich anschicken darf, selbst dem seegewaltigen England
die Spitze zu bieten. Mit Nahrungsmitteln und industriellen Roh-
stoffen so reichlich versorgt, daß es die ihm etwa fehlenden im Aus-
tausch dafür erwerben kann, ohne einen irgendwie erheblichen Teil
des Ertrages seiner gewerblichen Arbeit darauf verwenden zu müssen,
erfreut es sich einer um so größeren Unabhängigkeit, als auch die
Produkte der Tropen ihm größtenteils ohne fremde Vermittlung aus
eigenen Quellen zufließen. Als Durchfuhrland beherrscht es den ge-
samten Verkehr mit dem Rheine.
Und innerhalb dieser in sich selbst ruhenden Volkswirtschaft
scheint mehr und mehr Belgien die Führung anheimzufallen. Ist es dem
156 Heinrich Waentig,
Nachbarlande landwirtschaftlich zum mindesten ebenbürtig, gewerblich
ganz offenbar überlegen, so neigt auch des Handels Schwergewicht
sich langsam auf seine Seite. Gilt dies schon jetzt von gewissen
Kolonialprodukten, deren Vertrieb Jahrhunderte lang Hollands Mono-
pol gewesen, so eröffnet ihm sein industrieller Aufschwung für die
Zukunft unabsehbare Möglichkeiten. Mit seinem Hafen Antwerpen
erwacht auch Brüssel, die Hauptstadt, zu neuem Glänze als Klein-
Paris, in dessen Mauern das steigende Luxusbedürfnis des ganzen
Landes stets bereite Nahrung findet.
Es entzieht sich unserer Kenntnis, welche wohl niemals ausge-
sprochenen Motive letzten Grundes britische Staatsmänner bewegten,
als sie bei der Liquidation der Napoleonischen Konkursmasse der
zwischen Holland und Belgien zu schließenden Vernunftehe ihren
Segen erteilten. Sollte sie dabei auch der geheime Gedanke geleitet
haben, das seit Mitte des 18. Jahrhunderts niedergehende Holland
dadurch in handelspolitischer Ohnmacht zu erhalten, daß sie es mit
dem nicht minder geschwächten Belgien zu einer kontinentalen
Mittelmacht verquickten und so von weltpolitischen Zielen dauernd
ablenkten, so hätte sie ihr sonst untrüglicher Instinkt für kommende
Dinge diesmal getäuscht. Als dann die belgische Industrie, durch
holländische Pflege entwickelt, der handelspolitischen Expansion des
von ihr geschaffenen Reiches eine ungeahnte Stoßkraft zu verleihen
begann, mußte die englische Diplomatie auf seine Zersetzung hin-
arbeiten. Auch in ihren kühnsten Träumen aber durfte sie nicht
erwarten, daß — Belgier, von Franzosen geleitet, selber den Ast ab-
sägen würden, auf dem sie saßen, um damit, ohne es zu ahnen, Groß-
Britanniens ureigenste Geschäfte zu verrichten.
Dennoch geschah das Unwahrscheinliche. Und daß es möglich
wurde, verdankten die Belgier nicht zum mindesten ihren damaligen
Mitbürgern. „Nous devons beaucoup ä notre reunion ä la Hollande;
pourquoi ne pas en convenir ?" hat später einer ihrer Historiker er-
klärt. „C'est-elle qui nous a rendu Fadministration de nos interets
locaux; c'est-elle qui nous a inities au mecanisme de la vie con-
stitutionelle qui nous etait demeuree ä peu pres inconnue sous le
regime frangais. Enfin, c'est pendant nos demeles avec la Hollande
que nous avons commence ä nous connaitre, ä nous compter, ä nous
associer pour nous defendre; ä n'avoir plus qu'un corps et une äme,
et que les anciennes divisions qui separaient jadis nos provinces en
differentes nations, brabangonne, flamande, wallone, ont disparu pour
faire place ä Punion beige de 1830" ^).
Erst in den allerletzten Jahren der holländischen Zeit war dieses
ausgesprochen „belgische" Einheitsbewußtsein im Gegensatze zu
Holland entstanden. Nachdem sich der König schon längst die
Klerikalen (Kirche und Schule!) entfremdet, hatte er es schließlich
in unbegreiflicher Torheit auch mit den Liberalen (Verwaltung und
1) Baron de Gerlache, Histoire du royaume des Pays-Bas depuis 1814 jusqu'ä 1830,
Tome I, S. 402.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. ^57
Presse!) verdorben, die ihn gestützt. Gleichmäßig verfolgt, hatten
sich beide wider den gemeinsamen Gegner verschworen, waren seit
1828 ein Schutz- und Trutzbündnis eingegangen und hatten auch die
politisch noch völlig uninteressierten breiten Massen auf ihre Seite
zu ziehen verstanden. Nur die Bourgeoisie von Antwerpen und
Gent, St. Nikolas und Dendermonde blieb auch nach dem Ausbruch
des offenen Konfliktes „oranjistisch" gesinnt.
Da jedoch die ganze Bewegung zunächst eine rein reflektorische
war, nur die Befreiung vom holländischen Joche, nicht die Ver-
selbständigung Belgiens verfolgte, würde man sich bei vernünftigem
Entgegenkommen später wohl mit der zuerst von De Potter ver-
langten, dann von der revolutionären „Commission consultative" ein-
hellig geforderten Trennung in Gesetzgebung, Verwaltung und Finanz-
gebarung unter der alten Dynastie begnügt haben. Der für beide
Länder so wichtige wirtschaftliche Zusammenhang wäre dann er-
halten geblieben. Solches aber konnte nimmer in englischem Interesse
liegen.
Darum ist es ebenso sehr der politischen Kurzsichtigkeit König
Wilhelms zuzuschreiben wie der diplomatischen Meisterschaft eng-
lischer Staatskunst, die französische Habgier weise zu nutzen wußte,
um ihr im entscheidenden Augenblicke in den Arm zu fallen, wenn
die Ereignisse mit elementarer Wucht über jenes nächste Ziel hinaus-
rollten. Mit Recht erschien ihr nach kurzem Zögern die ökono-
mische Expansion des von den Ostmächten gestützten Zwillingsstaates
gefährlicher als die politische Ambition des isolierten Frankreichs.
Daß es ihr schließlich, ohne doch seine Interessen zu schädigen,
sogar gelang, dem belgischen Volke aus einem ganzen Bukett von
Königen, das vom Herzog von Nemours bis zum Papste alle nur
erdenklichen Schattierungen enthielt, den englandfreundlichen Herzog
Leopold von Sachsen-Koburg als den ihr genehmsten Kandidaten in
die Hände zu spielen, krönte ihr Werk. Und man darf sich nicht
wundern, daß der neue Staat, nur politisch von den Belgiern ge-
wollt, wirtschaftlich alle Eigenschaften zeigte, wie sie sich die Briten
nur wünschen konnten.
(Der Schluß folgt in einem der nächsten Hefte.)
]^58 Alfred Amonn
IIL
Eugen von Philippovich
(t 4. Juni 1917).
Von
Alfred Amonn.
Mit Eugen von P h i 1 i p p o v i c h ist wieder einer der wenigen
deutschen Nationalökonomen von Weltruf ins Grab gesunken —
nachdem ihm einige Jahre früher Eugen von Böhm-Bawerk
vorangegangen und nun rasch Gustav von Schmoller nachge-
folgt ist. Sie drei bildeten in der Verschiedenheit ihrer Geistes-
und Forschungsrichtungen — jeder für sich auf seinem Gebiete eine
repräsentative Persönlichkeit und ein Sammelpunkt — eine Trias,
die in seltener Weise die Vielseitigkeit des deutschen nationalöko-
nomischen Wissenschaftsbetriebes veranschaulicht. Sie stellten ins-
besondere dem Ausland gegenüber in ihrer Vereinigung die deutsche
nationalökonomische Wissenschaft der jüngsten Vergangenheit dar,
und jeder von ihnen hinterläßt der Nachwelt ein Werk, aus dem die
Jüngeren noch lange Anregung, Belehrung und Fortbildung schöpfen
werden.
Philippovich war kein Begründer einerneuen, die Aufmerk-
samkeit der ganzen Welt herausfordernden Theorie wie Böhm-
Bawerk, noch ein Streiter für neue wissenschaftliche Ziele oder
ein Verkünder früher unerhörter wirtschafts- (sozial-)politischer Ideen
wie Seh moller. Seine Stellung war eine, von den lauten Interessen
des Tages aus betrachtet viel bescheidenere, weniger auffallende, in
der gesamten Fachwelt aber nicht minder anerkannte, unbestrittene
und feste. Er war kein Bahnbrecher im Sinne des Begründens oder
Verkündens neuer theoretischer Gedanken oder praktisch-politischer
Grundsätze, sondern ein allseitig Aufnehmender, Zusammenfassender,
Verarbeitender und Vereiniger. Er nahm in gleicher Weise, mit der
gleichen Bereitwilligkeit und dem gleichen Interesse in sich auf die
theoretischen Grundlagen, die die sogenannte österreichische Schule
kurz vor seinem Auftreten geschaffen, wie die Summe von geschicht-
licher Erfahrung, die die gleichzeitig tätige jüngere historische Schule
ans Licht gefördert und gesammelt, verband beides zu einem ein-
heitlichen Gesamtbau, erfüllte diesen mit dem Geiste der modernen
sozialpolitischen Strömung und schuf so etwas relativ Neues, Eigen-
artiges und Bedeutsames, das ebensoviel von seinem eigenen subjek-
Eugen von Philippovich. 159
tiven wie von dem objektiven Geist der zeitgenössischen national-
ökonomischen Wissenschaft widerspiegelt.
Dies ist sein Haupt- und Lebenswerk, der „Grundriß der
politischen Oekonomie" (verlegt bei J. C. B. Mohr, Tübingen),
der in zwei Bänden und drei Teilen die gesamten Tatsachen und
Probleme unseres Wissensgebietes in anschaulichster Weise zur Dar-
stellung bringt und nach allen Seiten hin sorgfältig durchdachte und
überlegte Lösungen für alle brennenden Fragen des wirtschaftspoli-
tischen Zeitinteresses bietet. Daß diese Lösungen nicht weltbe-
wegender und nicht absoluter, voraussetzungsloser Natur sind, kann
ihren Wert nicht schmälern, sondern begründet ihn vom wissen-
schaftlichen Standpunkt aus erst. Sie sind das Ergebnis reicher Er-
fahrung, historischen Weitblickes und reiflichster Ueberlegung.
Die Erfahrung aber lehrt, daß alles Bestehende in der ver-
schiedensten Weise bedingt ist und die Abänderung einer dieser Be-
dingungen je nach der Gesamtheit der anderen die verschiedensten
Wirkungen haben kann. Die Behinderung des Großbetriebs und
die Begünstigung des Kleinbetriebs z. B. hat ganz verschiedene Folgen
auf dem Gebiet der gewerblichen und auf dem der landwirtschaft-
lichen Produktion und ganz verschiedene Wirkungen sogar in jedem
einzelnen Zweige des Gewerbes und der Landwirtschaft. Ein und
dieselbe Maßregel kann dort ertragsteigernd, arbeitsparend, einkommen-
erhöhend, hier produktionshindernd, arbeitverschwendend, proletari-
sierend wirken. Nichts gilt in gleicher Weise für alle Fälle und
ebenso nichts für alle Orte und alle Zeiten.
Die Geschichte wieder zeigt, daß auch die wirtschaft-
liche Entwicklung wie die der Natur stetig vor sich geht, daß
auch hier der Leibnizsche Satz „Natura non facit saltus" gilt. Da-
her sind umstürzende Lehren auch allemal unfruchtbare
Lehren, wenn auch die Ansichten, wofür die Gegenwart reif sei,
mehr oder minder weit gehen können. Philippovich war eben-
so abgeneigt dem laissez faire, laissez aller des traditionellen, heute
wohl endgültig hinter uns liegenden wirtschaftspolitischen Liberalis-
mus wie dem in sich selbst widerspruchsvollen revolutionären Ge-
haben des Marxistischen Sozialismus. Beiden im Grunde nur nega-
tiven Ideen und Kräften gegenüber vertrat er den realpolitischen
Gedanken einer umfassenden, positiv aufbauenden und umbauenden
Sozialreform. Stein auf Stein soll in unserer Wirtschaftsordnung
allmählich umgelegt und so eine neue, bessere an ihre Stelle gesetzt
werden. Nicht weit ausholendes Pläneschmieden und Projektemachen
bringt uns vorwärts, sondern nur unverweiltes Handeln und Tätig-
sein in all den tausend kleinen Dingen, die zusammen die große
soziale Frage ausmachen. Unablässige, unermüdliche sozialpolitische
Kleinarbeit aller im öffentlichen Leben Tätigen soll allmählich jenen
Umbau herbeiführen, der allen Schichten und Klassen der Bevölkerung,
insbesondere auch den Arbeitern ein solches Minimum von Lebens-
genuß bietet, das sie mit der bestehenden Ordnung versöhnt und
ihnen eine gewisse Befriedigung im Dasein gewährt.
\QQ Alfred Amonn,
Dieser Anschauung gemäß hat Philippovich auch eine Un-
menge von praktischer Arbeit bei Vorbereitung wirtschaftspoli-
tischer Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsmaßnahmen und in
der Beratung der hierfür maßgebenden Organe geleistet, die neben
seiner Lehrtätigkeit seine geistige und physische Kraft in einer sie
vielleicht zu schwer belastenden Weise in Anspruch genommen hat.
Es sei nur hingewiesen auf seine intensive Mitarbeit bei der Vor-
bereitung der österreichischen Sozialversicherung, an seine verdienst-
volle Tätigkeit im Arbeitsbeirat und Industrierat des k. k. Handels-
ministeriumS; an seinen Eifer als Präsident der österreichischen
Arbeiterschutzgesellschaft. Auch an den entsprechenden internatio-
nalen Kongressen und Veranstaltungen nahm er regen und hervor-
ragenden Anteil und wurde auf ihnen mit Vorliebe mit dem Prä-
sidium oder mit einem Referat betraut.
Er gehörte ferner durch lange Jahre hindurch dem Ausschuß
des Vereins für Sozialpolitik an und wirkte auch an dieser
Stelle in vorbildlich unermüdlicher Weise als Vorbereiter und Or-
ganisator wissenschaftlicher Kollektivarbeiten, bis in den letzten
Jahren das plötzliche Nachlassen seiner Arbeitskraft ihn zwang, sich
von allen außerhalb seiner Lehrtätigkeit liegenden Bemühungen zu-
rückzuziehen und auf die Ausübung seines Lehramtes allein zu be-
schränken.
Diesem war schon immer trotz der Vielseitigkeit seiner Arbeit
und seines Interesses sein Hauptaugenmerk zugewendet, und nirgends
kam seine Persönlichkeit zu prägnanterem Ausdruck als in seinen
Universitätsvorlesungen. Mit Bewunderung lauschte Jahr für Jahr
ein großer Kreis von Schülern den formvollendenten Vorträgen, in
denen er in überraschend anschaulicher Weise, überall ausgehend von
jedermann geläufigen Tatsachen, scheinbaren und wirklichen Unge-
reimtheiten und Widersprüchen des wirtschaftlichen Alltags, die
wissenschaftlichen Probleme entwickelte, die sich daran knüpfen,
und schrittweise ihre Erklärung vorbereitete und ihre Lösung gab.
Und nicht selten widerhallte es darin in einem gedämpften und doch
deutlich vernehmbaren Unterton von dem allen Lebensgenuß vielfach
überragenden Leid und der Sorge, die das Wirtschaftsgetriebe und
die Gesellschaftsordnung Millionen von Mitmenschen alltäglich auf-
iastet.
Denn Philippovich war kein rein beschauender und theore-
tisierender Gelehrter. Ein tiefes Verständnis für die praktischen
Fragen und Aufgaben des Lebens, ein warmes Mitgefühl für das
Los der vom Schicksal Enterbten und Gezeichneten, eine selten aus-
geprägte soziale Gesinnung machte ihn in seinem Denken und Tun
auch zum Politiker. Doch fand er hier in dem vom nationalen
Hader zerrissenen, von konfessionellen und kulturellen Gegensätzen
gespaltenen, von einer rein juristisch geschulten, interessierten und
orientierten Bürokratenkaste beherrschten Oesterreich kein richtiges
Feld für politische Betätigung. Seine Berufung ins Herrenhaus war
mehr eine Anerkennung und Ehrung als die Zuweisung eines poli-
Eagen von Philippe vich. \ßX
tischen Wirkungskreises. Die Verständnislosigkeit, mit der seine
Ideen und Vorschläge dort aufgenommen wurden, mußte ihn eher
verbittern und abschrecken, als in seinem Eifer fördern und anregen.
Der Grundzug seines Charakters war unbeirrbare Rechtschaffen-
heit und Offenheit, heißes Bemühen um Sachlichkeit und Objektivi-
tät des Urteils gerade in jenen Angelegenheiten und Fragen, in denen
die Wärme des Gefühls die Stimme des Verstandes oft um ihre
Geltung zu bringen droht, tiefer Ernst in allen wissenschaftlichen
und praktischen Dingen, denen sein Interesse zugewandt war. Wie
als Lehrer die seiner Schüler, so erwarb er sich auch die bedingungs-
lose Achtung aller, die es mit ihm als Menschen zu tun hatten. Er
förderte auch eifrig alle, die ihm Objektivitität, Ernst und sachliche
Tüchtigkeit zu versprechen schienen, und wies alle, die er im Ver-
dachte der Oberflächlichkeit, Vorschnelligkeit und bloßen Gesinnungs-
tüchtigkeit hatte, unerbittlich zurück.
Philippovichs äußeres Lebensschicksal war wenig bewegt.
Er habilitierte sich (1884) in Wien und wurde ein Jahr später als
a. 0. Professor nach Freiburg i./Br. berufen, betätigte sich bereits
zur damaligen Zeit politisch als Abgeordneter im badischen Landtage.
Er wurde in Freiburg o. Professor (1888) und kam wenige Jahre
später (1893) in derselben Eigenschaft an die Universität Wien zu-
rück. Hier wirkte er bis kurz vor seinem allzu frühen Ende mit
ganz geringen Unterbrechungen, die einmal durch eine Studienreise
nach Amerika und in letzter Zeit durch eine schleichende Krank-
heit verursacht wurden, als akademischer Lehrer, als wissenschaft-
licher Praktiker und als Politiker. Er war kurze Zeit Abgeordneter
des niederösterreichischen Landtages und seit 1907 Mitglied des
österreichischen Herrenhauses.
Seine literarische Hinterlassenschaft besteht außer in dem großen,
bereits in II Auflagen verbreiteten „Grundriß der poli-
tischen Oekonomie", in einem vor kurzem in zweiter Auflage
erschienenen, ins Englische übersetzten Werk über „die Bank von
England im Dienst der Finanz Verwaltung desStaates",
in kleineren finanzwissenschaftlichen Arbeiten über den „Staats-
haushalt" und „die direkten Steuern des Großherzog-
tums Baden", einer Studie über die „Wiener Wohnungsver-
hältnis s e", einer außerordentlich anregenden Schrift über die „E n t -
Wicklung der wirtschaftspolitischen Ideen im 19.
Jahrhundert", fernereiner langen Reihe von Referaten und Auf-
sätzen über Steuerwesen, Bankpolitik, Auswanderung, Handwerker-
frage, Hausindustrie, Wohnungsfrage, Bodenentschuldung und ver-
schiedene andere Gegenstände der Volkswirtschaftspolitik und der
Finanzwissenschaft. Seine Hauptstärke bestand im allseitigen Durch-
denken und Durchleuchten eines konkreten wirtschaftspolititschen
Problems, im klaren Erfassen und Hervorheben des Wesentlichen
der Zielsetzung und der Mittelbestimmung, in der entschiedenen
Trennung des Durchführbaren und Erreichbaren von allem bloß ge-
danklich Konstruierten und Utopischen.
Jahrb. f. Nationalök, u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 1 1
I
\Q2 Alfred Amonn,
Daß ein Werk wie der „Grundriß" nicht in allen seinen
Teilen und Partien gleichwertig ist, sondern in einzelnen auch er-
hebliche Mängel und Schwächen aufweist, ist — bei dem fast erdrücken-
den Umfang des darin behandelten Stoffes und dem heutigen noch
sehr unvollkommenen Stande der nationalökonomischen Wissenschaft
überhaupt — nicht weiter verwunderlich. Er ist heute jedenfalls die
einzige einheitliche, wissenschaftlich streng durchgearbeitete syste-
matische Gesamtdarstellung aller wichtigen theoretischen wie poli-
tischen Probleme unserer Wissenschaft. Daß er auch einem weiten
Bedürfnis nach einem solchem Werke entgegenkommt, zeigt die
außerordentliche stets steigende Verbreitung, die er seit zwanzig Jahren
ununterbrochen erfahren hat. Es wird schwer sein, dieses Werk im
Geiste, in dem es gehalten ist, fortzuführen, noch schwerer, es einmal,
wenn die Zeit wieder weiter fortgeschritten sein wird, durch ein
neues gleichwertiges zu ersetzen.
Unersetzlich wird heute und auf lange Zeit hinaus auch seine
Persönlichkeit als Lehrer, wie als praktisch interessierter und arbei-
tender Gelehrter sein. Philippovich war nicht, wie Böhm-
Bawerk und Seh moller, der Führer einer eigenen Richtung und
Schule der Wissenschaft. Dazu war sein Interesse wie seine Arbeit
zu vielseitig und mannigfaltig. Er hatte die Gabe, der besonderen
Individualität und Geistesrichtung seiner Schüler in weitem Um-
fange entgegenzukommen und wurde so hauptsächlich ein Anreger
zu Arbeiten auf den verschiedensten Gebieten und in der verschie^
densten Richtung. Nicht bestimmte Ansichten, bestimmte Problem-
stellungen oder eine bestimmte Arbeitsweise oder Methode werden
daher in ihnen fortleben — und sich, wie es bei allen Richtungen
und Schulen der Fall ist, allmählich überleben — , sondern der Geist
echter und ernster Wissenschaftlichkeit, strenger Selbstzucht und
Selbstbeurteilung, der unerläßlich ist auf jedem Arbeitsgebiete, in
jeder Frage und bei jeder wissenschaftlichen Aufgabe, wenn die
Forschung nicht heillos verflachen und das Feld der Erkenntnis ver-
öden und zum bloßen Tummelplatz unfruchtbarer Spekulationen oder
zusammenhangloser Tatsachenkärrnerei werden soll.
Eben dieses „über den Schulen Stehn" und diese Vielseitigkeit
seines wissenschaftlichen Interesses und seiner theoretischen wie
praktischen Betätigung gab Philippovich die eigen- und einzig-
artige Stellung, die er in der deutschen Fachgelehrtenwelt einnahm.
Sein erstes Hervortreten in der wissenschaftlichen Oeffentlichkeit
fiel in die Zeit des Menger-Schmoller Streites. Seiner ganzen geistigen
Veranlagung ebenso wie seiner wissenschaftlichen Ausbildung und
akademischen Laufbahn nach war er berufen, in diesem Zwist eine
wertvolle, ausgleichende und vermittelnde Rolle zu spielen. Dies
tritt schon in seiner in Freiburg anläßlich der Uebernahme des
akademischen Lehramtes gehaltenen Antrittsrede „Ueber Aufgabe und
Methode der politischen Oekonomie" deutlich hervor. Selbst her-
vorgegangen aus der österreichischen Schule gab ihm die achtjährige
Lehrtätigkeit in Freiburg Gelegenheit, die damals in Deutschland
Eugen von Philippovich. IQS
vorherrschende historische Richtung näher kennen zu lernen und
deren Methode und Ergebnisse in sich aufzunehmen. Zugleich
brachte ihn diese Zeit in engste persönliche Verbindung mit den
reichsdeutschen Fachgelehrtenkreisen. Es muß ihm als besonderes
Verdienst angerechnet werden, daß er auch später nach seiner Rück-
kehr nach Oesterreich die Beziehungen zwischen den österreichischen
und reichsdeutschen Nationalökonomen fortdauernd eifrig pflegte (ins-
besondere als tätiges Mitglied des Vereins für Sozialpolitik) und sie
immer enger zu knüpfen und freundschaftlicher und fruchtbringender
zu gestalten mit Erfolg bemüht war. Diesem seinem Bemühen ist
es auch hauptsächlich zuzuschreiben, wenn die durch den Menger-
Schmoller Streit aufgerissene Kluft zwischen den reichsdeutschen
und österreichischen Nationalökonomen bald wieder überbrückt wurde
und der dadurch entstandene Gegensatz seither erheblich an Schärfe
verloren und mehr und mehr einer sich gegenseitig unterstützenden
und ergänzenden gemeinsamen Arbeit Platz gemacht hat.
11*
Xß^ NationalökoDomische Gesetzgebung.
Nationalökonomisclie Gesetzgebung.
Die durch den Krieg hervorgerufenen Gesetze, Ver-
ordnungen, Bekanntmachungen usw., soweit sie im
Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden sind.
(6. Fortsetzung.)
[Die Monate August bis November 1916 umfassend^).]
Von Dr. Johannes Müll er- Halle, Weimar.
Vorbemerkung: Die gegen die vier Vormonate kaum geringere
Zahl der Verordnungen hat auch diesmal eine sehr knappe Zusammen-
fassung des Inhalts der einzelnen Verordnungen nötig gemacht. Dies
bezieht sich namentlich auf die zahlreichen kleinen Abänderungsverord-
nungen, die sich im Laufe der Zeit zur Behebung kleiner Lücken der
großen grundlegenden Verordnungen als notwendig erwiesen haben.
Wieder kann also die Uebersicht nur einen Ueberblick über den Stoff
der Gesetzgebung, nicht aber eine Wiedergabe aller Einzelheiten bringen.
Im übrigen sei auch an dieser Stelle auf das eingangs der ersten Ueber-
sicht Gesagte verwiesen.
Die sechs bisher veröffentlichten Uebersichten sind erschienen in
Bd. 49, S. 52—76 (von Kriegsausbruch bis Ende November 1914), Bd.
50, S. 44—68 (Dezember 1914 bis März 1915), Bd. 50, S. 313—335
(April bis Juli 1915), Bd. 51, S. 349—375 (August bis November 1915),
Bd. 52, S. 215—238 (Dezember 1915 bis März 1916), Bd. 53, S. 65—80
und 183—211 (April bis Juli 1916).
Bekanntmachung über die Verpflichtung der Kommunal-
verbände und der Kartoffelerzeuger zur Sicherstellung
und Abgabe von Kartoffeln. Vom 2. August 1916 (RGBl.
S. 875 ff.). Auf Grund der Bekanntmachung vom 26. Juni 1916 (E-Gßl.
S. 590).
Zur Durchführung der Verordnung vom 26. Juni 1916 (vgl. Bd. 53, S. 197)
werden die Landes- bzw. Provinzialkartoffelstellen verpflichtet, bestimmte Mengen
Kartoffeln sicherzusteUen. Diese Kartoffelmengen sind für den Verbrauch der
Zuschußverbände berechnet, doch können die Kommunalverbände außerdem auch
den eigenen Bedarf sicherstellen. Die Kartoffelerzeuger dürfen in Höhe der bei
hnen sichergestellten Mengen über ihre Kartoffel verrate nicht verfügen. (Vgl.
die Bekanntmachung vom 15. April 1916, Bd. 53, S. 71, und die daselbst auf-
geführten weiteren Bekanntmachungen , ferner die Bekanntmachungen vom
14. September 1916, unten S. 179, 23. September 1916, unten Forts., 14. Oktober
1916, unten Forts., 24. Oktober 1916, unten Forts., 26. Oktober 1916, unten
Forts., 16. November 1916, unten Forts.)
1) Die zweite Hälfte dieser uebersicht wird im nächsten Heft erscheinen ; auf sie
wird im Folgenden mit dem Vermerk : „unten Forts." verwiesen werden.
Nationalökonomische Gesetzgebung. Xßb
BekanntmachuDg über Gummisauger. Vom 3. August 1916
(EGBl. S. 879). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327), mit AusführuEgsbestimmungen vom gleichen Tage (RGBl. 8. 880 f.).
Eingeführte Gummisauger sind an die „Handelsgesellschaft Deutscher Apo-
theker" abzuliefern.
Bekanntmachung zum Schutze eiserner Gedenkstücke der
Reichsbank. Vom 3. August ]916 (RGBl. S. 883 ff.). Auf Grund
des Ges. vom 4. Augnst 1914 (RGBl. S. 327.)
Eiserne Gedenkstücke, die den Einlieferern von Goldsachen verliehen werden,
dürfen nicht vervielfältigt oder nachgebildet werden; sie dürfen auf keine Weise
in den Verkehr gebracht, auch nicht über sie rechtsgeschäftlich verfügt werden.
Bekanntmachung über die Bestellung eines Reichskom-
missars für Uebergangswirtschaft. Vom 3. August 1916
(RGBl. S. 885 f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Zur Erleichterung des Uebergangs von der Kriegswirtschaft in die Friedens-
wirtschaft wird ein Reichskommissar bestellt ; seine Sorge wird insbesondere die
Regelung der Einfuhr der Waren und ihre Verteilung nach näherer Anweisung
des Reichskanzlers sein. Er sowohl wie sein Beirat werden vom Reichskanzler
ernannt. Der Beirat ist über grundsätzliche Fragen zu hören.
Bekanntmachung über Weintrester und Traubenkerne.
Vom 3. August 1916 (RGBl. S. 887 ff.). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327), mit Ausführungsbestimmungen vom
21. September 1916 (RGBl. S. 1073 ff.).
Alle (auch eingeführten) Weintrester und Traubenkerne dürfen nur an den
Ejriegsausschuß für Ersatzfutter oder an die von ihm bezeichnete Stelle abge-
setzt werden; sie müssen dem Kriegsausschuß auf Verlangen überlassen werden.
Letzterer hat angemessene, nach oben durch bestimmte Höchstpreise begrenzte
Uebernahmepreise zu zahlen. Er hat dafür zu sorgen, daß die Traubenkerne auf
Oel verarbeitet werden, welches dem Kriegsausschul für pflanzliche und tierische
Oele und Fette zur Verfügung zu stellen ist. Die anfallenden Futtermittel gelten
als Kraftfuttermittel. Die gewerbsmäßige Herstellung von Branntwein aus Wein-
trestern bedarf der Genehmigung des Kriegsausschusses für Ersatzfutter. (Vgl.
wegen Futtermitteln Bekanntmachung vom 28. Juni 1915, Bd. 50, S. 327, die
Zusammenstellung in Bd. 51, S. 373 f., Bekanntmachung vom 19. Dezember 1916,.
Bd. 52, S. 218, und Bekanntmachung vom 1. Mai 1916, Bd. 53, S. 75, sowie die
daselbst aufgeführten weiteren Bekanntmachungen ; ferner Bekanntmachung vom
5. August 1916, unten S. 166, und vor allem Bekanntmachung vom 5. Oktober
1916, unten Forts.) Vgl. wegen weiterer Verordnungen über Fette und Oele die
Bekanntmachung vom 13. April 1916, Bd. 53, S. 69 f., und die daselbst aufge-
führten weiteren Bekanntmachungen, ferner die Bekanntmachung vom 5. August
1916, unten S. 166, 5. September 1916, unten S. 176, drei Bekanntmachungen vom
7. September 1916, unten 8. 1761, 14. September 1916, unten S. 179, zwei Be-
kanntmachungen vom 3. Oktober 1916, unten Forts., die Bekanntmachung vom
5. Oktober 1916, unten Forts., 7. Oktober 1916, unten Forts., 27. Oktober 1916,
unten Forts., 17. November 1916, unten Forts.
Verordnung über die Vornahme einer allgemeinen Be-
standsaufnahme der wichtigsten Lebensmittel. Vom
3. August 1916 (RGBl. S. 891 ff.). Auf Grund der Bekanntmachung
vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Am 1. September 1916 soll eine allgemeine Bestandsaufnahme stattfinden, die
sich bei den Haushaltungen mit weniger als 30 Angehörigen auf Fleischdauerwaren
und Eier, bei größeren Haushaltungen, Anstalten u. ä. m., Kommunalverbänden
156 Nationalökonomiitohe Gesetzgebung.
u. ä. m, Gewerbe- und Handelsbetrieben aller Art auf alle wichtigeren Lebens-
mittel und Seife erstrecken soll. Diese sind namentlich aufgeführt, doch können
die Landeszentralbehörden die Erhebung auch auf andere Gegenstände ausdehnen.
Verordnung über die Verarbeitung von Obst. Vom 5. August
1916 (RGBl. S. 911 ff.). Auf Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai
1916 (RGBl. S. 401).
a) Die Reichsstelle für Gemüse und Obst kann Bestimmungen über die ge-
werbsmäßige Verarbeitung von Obst zu Obstkonserven, Obstwein und Obstbrannt-
wein erlassen.
b) Obstkonserven und Obstwein dürfen nur mit Genehmigung besonderer
Kjriegsgesellschaften abgesetzt werden.
c) Verträge über den Erwerb von Aepfeln, Pflaumen und Zwetschen zur
Herstellung von Obstkonserven und Verträge über den Erwerb von Aepfeln und
Birnen zur Herstellung von Obstwein bedürfen der Genehmigung der gleichen
Gesellschaften. Dies gilt auch für bereits abgeschlossene Verträge, in die die
Klriegsgesellschaft eintreten kann. (Vgl. wegen Obst insbesondere Bekanntmachung
vom 11. November 1915, Bd. 51, 8. 370, 6. Januar 1916, Bd. 52, S. 221 f.,
24. Februar 1916, Bd. 52, 8. 230, 18. Mai 1916, Bd. 53, 8. 78, 15. Juli 1916,
Bd. 53, 8. 204, 29. August 1916, unten 8. 174, 13. September 1916, unten 8. 178.)
Verordnung über die Verarbeitung von Gemüse. Vom
5. August 1916 (RGBl. S. 914 ff.). Auf Grund der Bekanntmachung
vom 22. Mai J916 (RGBl. S. 401).
a) Die Reichsstelle für Gemüse und Obst kann Bestimmungen über die ge-
werbsmäßige Verarbeitung von Gemüse zu Gemüsekonserven, Sauerkraut und
Dörrgemüse erlassen.
b) Die genannten Gegenstände dürfen nur mit Genehmigung bestimmter
Kriegsgesellschaften abgesetzt werden.
c) Verträge über den Erwerb von Weißkohl zur Herstellung von Sauerkraut,
von Weißkohl, Rotkohl, Wirsingkohl, Mohrrüben und Karotten, nach Bekannt-
machung vom 25. August 1916 auch von Kohlrüben und Grünkohl, zur Her-
stellung von Dörrgemüse bedürfen der Genehmigung der gleichen Gesellschaften.
Dies gut auch für bereits abgeschlossene Verträge, in die die KriegsgeseUschaft
eintreten kann. (Vgl. wegen Gemüse insbesondere Bekanntmachung vom 11. No-
vember 1915, Bd. 51, 8. 370, 4. Dezember 1915, Bd. 52, 8. 216, 25. Januar 1916,
Bd. 52, 8. 225, 24. Februar 1916, Bd. 52, 8. 230, 8. Aprü 1916, Bd. 53, 8. 68,
18. Mai 1916, Bd. 53, 8. 78, 15. Juli 1916, Bd. 53, 8. 204, 25. August 1916 —
vgl. oben — , 13. September 1916, unten 8. 178, 21. Oktober 1916, unten Forts.)
Bekanntmachung zur Aenderung der Bekanntmach ungüber
die Einfuhr von Käse vom 11. März 1916 (RGBl. S. 15 9).
Vom 5. August 1916 (RGBl. S. 917). Auf Grund der Bekanntmachung
vom 13. Januar 1916 (RGBl. S. 31).
Die genannte Bekanntmachung (vgl. Bd. 52, 8. 233 f.) erhält eine unwesent-
liche Aenderung. (Vgl. wegen Käse insbesondere Bekanntmachung vom 13. Januar
1916, Bd. 52, 8. 222, 11. März 1916, Bd. 52, 8. 2331, 25. Aprü 1916, Bd. 53,
8. 74, 16. Juli 1916, Bd. 53, 8. 204, 16. August 1916, unten 8. 168, 20. Oktober
1916, unten Forts.)
Bekanntmachung der Uebergangsvorschriften zur Ver-
ordnung über Speisefette vom 20. Juli 1916 (RGBL S. 755).
Vom 5. August 1916 (RGBl. S. 917 f.). Auf Grund der genannten
Bekanntmachung (vgl. Bd. 53, S. 205).
Es handelt sich um unwesentliche Uebergangsbestimmungen. (Vgl. im übrigen
Bekanntmachung vom 3. August 1916, oben 8. 165.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 167
Bekanntmachung über r r ü h k ä u f e von Tabak. Vom 7. August
1916 (RGBl. S. 919). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327). — Aufgehoben durch Bekanntmachung vom 10. Ok-
tober 1916, vgl. unten Forts.
Kaufverträge über Rohtabak inländischer Ernte aus dem Erntejahr 1916 sind
nichtig, solche nach dem 10. August 1916 sogar strafbar. (Vgl. die Bekannt-
machung vom 19. und 20. April 1916, Bd. 53, S. 73, Gesetz vom 12. Juni 1916,
Bd. 53, S. 189 f., die drei nächsten Bekanntmachungen, ferner Bekanntmachung
vom 18. August 1916, unten S. 169, und vor allem Bekanntmachung vom
10. Oktober 1916, unten Forts.)
Bekanntmachung über Rohtabak. Vom 7. August 1916 (RGBl.
S. 920). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
— Aufgehoben durch Bekanntmachung vom 10. Oktober
1916, vgl. unten Forts.
Der Abschluß von Kaufverträgen über Rohtabak, sowie die Veräußerung
und der Erwerb von Rohtabak sind, auch soweit es sich um die Erfüllung bereits
feschlossener Verträge handelt, verboten. (Vgl. die vorige Bekanntmachung und
ie daselbst aufgeführten weiteren, insbesondere die folgende Bekanntmachung.)
Bekanntmachung betr. Ausnahmen von der Bekannt-
machung über Rohtabak. Vom 7. August 1916 (RGBl. S. 921).
Auf Grund der vorigen Bekanntmachung. — Aufgehoben durch
Bekanntmachung vom 10. Oktober 1916, vgl. unten Forts.
Die Rohtabakausfuhr-Prüfungsstelle in Bremen kann in bestimmten Fällen
Ausnahmen von der vorhergehenden Bekanntmachung zulassen.
Bekanntmachung wegen Einfuhr von Tabak. Vom 7. August
1916 (RGBl. S. 921 f.). Auf Grund der Bekanntmachung vom 25. Februar
1916 (RGBl. S. 111).
Zur Stärkung unserer Valuta wird die Einfuhr von Tabak und Tabakerzeug-
nissen, mit Ausnahme von orientalischem Tabak, verboten. (Vgl. hierzu die Be-
kanntmachung vom 18. August 1916, unten 8. 169, ferner vom 25. Februar 1916,
Bd. 52, S. 230; wegen Tabak im übrigen die Bekanntmachung vom 7. August
1916, oben S. 167.)
Bekanntmachung über Aenderung der Preise für Kraft-
futtermittel. Vom 5. August 1916 (RGBl. S. 923). Auf Grund
verschiedener Bekanntmachungen.
Es tritt neben einigen weniger wesentlichen Aenderungen eine Erhöhung des
schon durch Bekanntmachung vom 26. März 1916 erstmalig erhöhten Höchst-
preises für Tierkörpermehl ein. (Vgl. oben Bekanntmachung vom 3. August 1916
und die daselbst aufgeführten weiteren Bekanntmachungen.)
Bekanntmachung zur Durchführung der Verordnung über
Gerste. Vom 5. August 1916 (RGBl. S. 924).
Als die nach der Verordnung vom 6. Juli 1916 (vgl. Bd. 53, S. 200 f.) „zu-
ständige Stelle" wird die Reichsfuttermittelstelle (nach Bekanntmachung vom
13. September 1916 die „Reichs- Gersten-Ges. m. b. H.") bestimmt.
Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit
Web-, Wirk- und Strickwaren für die bürgerliche Be-
völkerung. Vom 7. August 1916 (RGBl. S. 924). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 10. Juni 1916 (RGBl. S. 463), — Aufgehoben
durch Bekanntmachung vom 31. Oktober 1916 (vgl. unten
Forts.).
\ßQ NationalökoDomisehe Gesetzgebung.
Die in der Bekanntmachung vom 10. Juni 1916 (vgl. Bd. 53, 8. 188 f.) ent-
haltene Bestimmung, daß Woll- und Baumwollstoffe bis zu Längen von 2 Metern
nicht unter die Verkehrsregelung fallen sollen, wird gestrichen. (Vgl. die weiteren
Bekanntmachungen vom 21. August 1916, unten 8. 169, 9. 8eptember 1916, untea
8. 177, 31. Oktober 1916, unten Forts.)
Bekanntmachung tiber den Absatz vonKarpfen undSchleien.
Vom 8. August 1916 (RGBl. S. 925 f.). Auf Grund der Bekanntmachung
vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Karpfen und Schleien dürfen mit bestimmten Ausnahmen nur noch mit
Genehmigung der „Kriegsgesellschaft für Teichfisch Verwertung m. b. H." abgesetzt
werdeu. Auf den mit Genehmigung der Kriegsgesellschaft erfolgenden Absatz
finden die Höchstpreise vom 1. Mai 1916 (vgl. Bd. 53, S. 74 f.) keine Anwendung.
(Vgl. ferner Bekanntmachung vom 9. September 1916, unten 8. 177, und 28. No-
vember 1916, unten Forts.)
Verordnung über Eier. Vom 12. August 1916 (RGBl. S. 927 ff.).
Auf Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
I. Verteilungsstellen. Für jeden Bundesstaat oder für mehrere Bundes-
staaten gemeinsam ist eine Landesverteilungsstelle für Eier zu errichten; für das
Reichsgebiet wird eine ßeichsverteilungsstelle (nach Bekanntmachung vom 21. No-
vember 1916 mit der Bezeichnung „Reichsverteilungsstelle für Nährmittel und
Eier", da ihr auch die Verteilung einer Reihe von Nährmitteln übertragen
worden ist) errichtet (geschehen durch Bekanntmachung vom 25. August 1916,
v^l. unten S. 173). Die Landes Verteilungsstellen, die Behörden sind, haben für
die Verteilung der in ihrem Gebiete erzeugten oder ihnen überwiesenen Eier und
die Regelung ihres Verbrauchs zu sorgen ; gegebenenfalls sind Ueberschüsse nach
den Weisungen der Reichs verteilungssteile abzuliefern.
U. Verkehrs- und Verbrauchsregelung. Eierhändler u. ä. m. be-
dürfen zur Ausübung ihres Gewerbes der Erlaubnis der zuständigen Verteilungs-
stellen; Aehnliches gilt für Handel- und Gewerbetreibende, die für Zwecke ihres
Handels- oder Gewerbebetriebs Eier haltbar machen oder Eierkonserven herstellen.
— Die Kommunal verbau de haben den Verkehr mit und den Verbrauch von Eiern
in ihrem Bezirke zu regeln; sie können insbesondere Eierkarten einführen; Ge-
meinden mit mehr als 10 000 Einwohnern können die Uebertragung der Regelung
verlangen. Auf Selbstversorger findet die Verbrauchsregelung keine Anwendung.
— Post- und Eisenbahnsendungen von Eiern sind deutlich Ss Eiersendungen zu
kennzeichnen und sind nur zugelassenen Händlern oder gegen besondere Be-
scheinigung gestattet.
lU. Schlußbestimmungen. Die Landeszentralbehörden erlassen die Aus-
führungsbestimmungen ; sie können weiterhin Anordnungen über den Eierverkauf
durch die Geflügelhalter, den Aufkauf und die gewerbsmäßige Abgabe von Eiern
treffen.
Vgl. wegen Eiern Bekanntmachung vom 18. April 1916 (Bd. 53, 8. 72) und
die daselbst aufgeführten Bekanntmachungen, ferner die weiteren Bekannt-
machungen vom 18. August 1916 (unten S. 171), 31. August 1916 (unten S. 175)
und 21. August 1916 (unten S. 169).
Bekanntmachung zur Aenderung der Bekanntmachung
über die Einfuhr von Käse vom 11. März 1916 in der
Fassung der Bekanntmachung vom 5, August 1916. Vom
16. August 1916 (RGBl. S. 934). Auf Grund der Bekanntmachung vom
13. Januar 1916 (RGBl. S. 31).
Die Landeszentralbehörden können einschränkende Bestimmungen für den
Grenzyerkehr treffen. (Vgl. Bekanntmachung vom 5. August 1916, Bd. 53, 8. 166,
und die daselbst aufgeführten weiteren Bekanntmachungen, ferner die beiden Be-
kanntmachungen vom 21. August, unten S. 169 und S. 170, und vom 23. August
1916, unten S. 171.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 169'
BekanntmachuDg betr. Aenderung der Bekaunt machung
über Fleischversorgung vom 27. März 1916 (RGBl. S. 19 9)
Vom 17. August 1916 (EGBl. S. 935). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (EGBl. S. 327).
Neben den Kommunalverbänden und Landeszentralbehörden (vgl. Inhalts-
angabe in Bd. 52, S. 237, Abschnitt II, Absatz 3, Satz 2) kann auch der Eeichs-
kanzler die Verbrauchsregelun^ von Fleisch und Fleischwaren vornehmen, ebenso
von Landeszentralbehörden errichtete LandesfleischsteUen. (Vgl. Bekanntmachung
vom 27. März 1916, Bd. 52, S. 237, und die daselbst aufgeiührten weiteren Be-
kanntmachungen, ferner die Verordnung vom 21. August 1916, unten S. 170.)
Bekanntmachung wegen Einfuhr von Tabaklauge. Vom
18. August 1916 (RGBl. S. 937). Auf Grund der Bekanntmachung
vom 25. Februar 1916 (RGBl. S. 111).
Tabaklauge unterliegt nicht dem durch Bekanntmachung vom 7. August 1916
(vgl. oben 8. 167) festgesetzten Einfuhrverbote.
Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit
Web-, Wirk- und Strickwaren für die bürgerliche Be-
völkerung. Vom 21. August 1916 (RGBl. S. 938). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 10. Juni 1916 (RGBl. S. 463). — Aufgehoben
durch Bekanntmachung vom 31. Oktober 1916 (vgl. unten
Forts.).
Die Reichsbekleidungsstelle kann auch für die von der Verkehrsregelung
im allgemeinen ausgeschlossenen Gegenstände (vgl. Bekanntmachung vom 10. Juni
1916 und 13. Juli 1916, Bd. 53, S. 189, 7. August 1916, oben S. 167 f.) die Ver-
pflichtung zur Aufstellung von Inventuren aufstellen und Bestandserhebungen
anordnen.
Bekanntmachung über die Aenderung der Ausführungs-
bestimmungen zur Verordnung des Bundesrats über die
Einfuhr von Eiern vom 18. April 1916. Vom 21. August 1916
(RGBl. S. 938). Auf Grund der Bekanntmachung vom 18. April 1916
(RGBl. S. 299).
Die Landeszentralbehörden können Beschränkungen für den Grenzverkehr
anordnen. (Vgl. Bekanntmachung vom 18. April 1916, Bd. 53, S, 72, und
12. August 1916, oben S. 168, sowie die weiteren dort aufgeführten Bekannt-
machungen, ferner Bekanntmachung vom 16. August 1916, oben S. 168.)
Bekanntmachung zur Durchführung der Verordnung übei
Hafer. Vom 19. August 1916 (RGBl. S. 939). Auf Grund der Be-
kanntmachung vom 6. Juli 1916 (RGBl. S. 811).
Es darf in der Zeit vom 1. September bis 30. November 1916 verfüttert werden :
an jeden Einhufer 4 Zentner (nach Bekanntmachung vom 5. September 1916:
bis 31. Dezember 57;j Zentner), an jeden Zuchtbullen (unter bestimmten Voraus-
setzungen) und an jeden in landwirtschaftlichen Betrieben tätigen Arbeitsochsen
2V4 Zentner (nach Bekanntmachung vom 5. September 1916: bis 31. Dezember
3 Zentner). (Vgl. die früheren entsprechenden Bekanntmachungen vom 13. Fe-
bruar 1915, Bd. 50, S. 59, 9. September 1915, ßd. 51, S. 354 f. u. 355, und 17. Januar
1916, Bd. 52, S. 223, die späteren Bekanntmachungen vom 5. September 1916
— vorstehend eingearbeitet — , 25. August 1916, unten S. 173, 15. September 1916,
unten Forts., 25. September 1916, unten Forts.; wegen Hafer im allgemeinen
vgl. Bekanntmachung vom 6. Juli 1916, Bd. 53, S. 201.)
170 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung über die Aenderung der Ausführungs-
bestimmungen zur Verordnung des Bundesrats über die
Einfuhr von Vieh und Fleisch, sowie Fleischwaren vom
22. März 1916. Vom 21. August 1916 (RGBl. S. 940). Auf Grund
der Bekanntmachung vom 18. März 1916 (RGBl. S. 175).
Die Landeszentralbehörden können Beschränkungen für den Grenzverkehr
anordnen. (Vgl. Bekanntmachung vom 22. März 1916, Bd. 52, 8. 235, femer vom
16. August 1916, oben 8. 168.)
Verordnung über die Regelung des Fleischverbrauches.
Vom 21. August 1916 (RGBl. S. 941 ff.). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Die Verordnung gilt für das Muskelfleisch von Rindvieh, 8chafen, 8chweinen,
Rot-, Dam-, Schwarz- und Rehwild, sowie für Hühner, ferner für Speck und
Rohfett, Eingeweide von Rindvieh, Schafen und Schweinen, endlich für zu-
bereitetes Fleisch letzterer drei Arten von Vieh und zubereitetes Wildbret, Wurst,
Fleischkonserven und sonstige Dauerwaren aller Art. Die Landeszentralbehörden
können auch den Verbrauch sonstiger Fleischsorten regeln, ohne daß aber da-
durch die festgesetzte Höchstverbrauchsmenge (vgl. unten) erhöht werden darf.
Die Verbrauchsregelung selbst erfolgt durch die Kommunal verbände';
jedoch können Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern die Uebertragung der
Verbrauchsregelung verlangen. Die Regelung kann jedoch auch von den Landes-
zentralbehörden für größere Bezirke in die Hand genommen werden. Oberster Gnmd-
satz der Verbrauchsregelung ist, daß Fleisch und Fleischwaren nur gegen Fleisch-
karten abgegeben bzw. bezogen werden dürfen. Dies gilt insbesondere auch für
Gasthäuser usw. ; nur die Selbstversorger machen für ihren Haushalt und ihre Wirt-
schaftsangehörigen eine Ausnahme (vgl. nächsten Absatz). Die Fleischkarte
gilt im ganzen Reich; die näheren Bestimmungen über ihre Ausgestaltung sowie
über die Höchstmengen Fleisch, die auf sie abgegeben werden dürfen, erläßt das
Kriegsernährungsamt (vgl. folgende Bekanntmachung). Steht in einem Kom-
munalverbande zu wenig Fleisch zur Verfügung, als daß an alle Fleischkarten-
inhaber die Höchstmenge verabfolgt werden kann, so ist die Geltung der einzelnen
Fleischkartenabschnitte entsprechend herabzusetzen. Kinder bis zu 6 Jahren er-
halten nur halbe Fleischmengen. — Die Schlächtereien, Gastwirtschaften usw.
müssen in geeigneter Weise überwacht werden.
Die Verbrauchsregelung erstreckt sich (mit Ausnahme der Fleischkarte selbst,
vgl. oben) auch auf die Selbstversorger; als Selbstversorger gilt, wer durch
Hausschlachtung oder Ausübung der Jagd Fleisch und Fleischwaren zum Verbrauch
im eigenen Haushalt gewinnt. Mehrere Personen, die gemeinsam Schweine für sich
mästen, werden ebenfalls als Selbstversorger angesehen; das gleiche ist der Fall
mit Krankenhäusern u. ä. m., die Schweine zur Versorgung der von ihnen zu
verköstigenden Personen mästen, endlich mit gewerblichen Betrieben, die Schweine
ausschließlich zur Versorgung ihrer Angestellten und Arbeiter mästen. Haus-
schlachtungen von Schweinen und Rindvieh (außer Kälbern bis zu 6 Wochen) be-
dürfen der Genehmigung; diese hat zur Voraussetzung, daß der Selbstversorger
das betreffende Tier mindestens 6 Wochen in seiner Wirtschaft gehalten hat;
auch dürfen durch Hausschlachtungen keine unverhältnismäßig großen Vorräte
angehäuft werden. — Die Hausschlachtungen von Kälbern bis zu 6 Wochen, von
Schafen und Hühnern sind ebenso wie die Verwendung von Wildbret anzeige-
pflichtig. Die Verwendung des durch Hausschlachtung oder durch Ausübung
der Jagd gewonnenen Fleisches erfolgt unter Zugrundelegung der Höchstyer-
brauchsmenge ; jedoch wird das durch Hausschlachtungen gewonnene Fleisch
von Rindvieh, Schafen und Schweinen nur mit ^ß, das Fleisch des ersten inner-
halb eines Jahres geschlachteten Schweines sogar nur mit Vo des Schlachtgewichts
angerechnet; für Wildbret und Hühner gelten die allgemeinen Bestimmungen
vgl folgende Bekanntmachung).
Nationalökonomische Gesetzgebung. 171
Für Notschlachtungen gelten besondere Bestimmungen. Die Aus-
führungsbestimmungen zur gesamten Verordnung werden von den Landeszentral-
behörden erlassen,
(Vgl. die frühere Verordnung vom 27. März 1916, Bd. 52, S. 237, die dort
aufgeführten Verordnungen, die Bekanntmachung vom 17. August 1916, oben
S. 169, sowie vor allem die folgende Bekanntmachung.)
Bekanntmachung über die Ausgestaltung der Eleischkarte
und die Festsetzung der Verbrauchsböchstmenge an
Fleisch und Fle isch waren. Vom 21. August 1916 (RGBl.
S. 945 ff.). Auf Grund der vorstehenden Bekanntmachung.
Jede Fleischkarte für Erwachsene (Vollkarte) enthält an der Stammkarte für
insgesamt 4 Wochen 40 Abschnitte, also je 10 für eine Woche, Kinderkarten die
Hälfte; jeder Abschnitt erhält den Aufdruck: „7io Anteil". Die Höchstverbrauchs-
menge für Kopf und Woche wird festgesetzt auf 250 g Fleisch von Kindvieh,
Schafen und Schweinen mit Knochen, oder 200 g Fleisch dieser Tiere ohne
Knochen, Schinken, Dauerwurst, Zunge, Speck, Kohfett oder 500 g Wildbret,
Frischwurst, Eingeweide, Fleischkonserven einschließlich des Dosengewichts. Hüh-
ner sind mit einem Durchschnittsgewicht von 400 g, junge Hähne bis zu ^/^ Jahr
mit 200 g anzurechnen. (Vgl. die vorige Bekanntmachung.)
Bekanntmachung betr. die Verlängerung der Prioritäts-
fristen in Norwegen. Vom 18. August 1916 (RGBl. S. 949).
Die in der Bekanntmachung vom 7. Mai 1915 (v^l. Bd. 50, S. 316) genannten
Prioritätsfristen werden, soweit sie nicht am 29. Juli 1914 abgelaufen waren, in
Norwegen für Patente bis zum 31. Dezember 1916 verlängert. (Vgl. Bekannt-
inachung vom 8. April 1916, Bd. 53, S. 68, und die daselbst aufgeführten weiteren
Bekanntmachungen, sowie Bekanntmachung vom 8. September 1916, unten S. 177.)
Bekanntmachung über die Aenderung der Ausführungs-
bestimmungen über die Einfuhr von Salzheringen usw.
vom 5. April 1916. Vom 23. August 1916 (RGBl. S. 949f.). Auf
Grund verschiedener Bekanntmachungen.
Die Landeszentralbehörden können Beschränkungen für den Grenzverkehr
mit Salzheringen, Salzfischen, Klippfischen und Fischrogen anordnen. (Vgl. Be-
kanntmachungen vom 4. und 5. April 1916, Bd. 53, S. 65 f. und S. 66, ferner Be-
kanntmachung vom 16 August 1916, oben S. 168, und die dort aufgeführten
weiteren Bekanntmachungen, ferner Bekanntmachung vom 30. September 1916,
unten Forts., 20. Oktober 1916, unten Forts.)
Ausführungsbestimmungen zur Verordnung des
Bundesrats über die Einfuhr von Futtermitteln, Hilfs-
stoffen und Kunstdünger. Vom 22. August 1916 (RGBl. S. 950).
Auf Grund der Bekanntmachung vom 28. Januar 1916 (RGBl. S. 67).
Es handelt sich um eine unwesentliche Aenderung über den Zeitpunkt des
Eigentumsüberganges eingeführter, von einer Zentralstefle übernommener Waren.
(Vgl. Bekanntmachung vom 28. Januar 1916, Bd. 52, S. 226, ferner Bekannt-
machung vom 18. Juni 1916, Bd. 53, S. 191, 11. September 1916, unten S. 178,
1. November 1916, unten Forts., 10. November 1916, unten Forts, auch vom
5. Oktober 1916, unten Forts.)
Ausführungsbestimmungen zur Verordnung des Bun-
desrats vom 18. April 1916 über die Einfuhr von Eiern.
Vom 18. August 1916 (RGBl. S. 951).
Die Verordnung vom 18. April 1916 (vgl. Bd. 53, S. 72) findet auch auf
die Einfuhr von Eiern aus den besetzten Gebieten Anwendung. (Vgl. wegen
Eiern Bekanntmachung vom 12. August 1916, oben S. 168.)
272 NationalökonomLsche Geitetzgebung.
Bekanntmachung über Druckpapier. Vom 22. August 1916
(RGBl. S. 961 f.) Auf Grund der Bekanntmachung vom 18. April 1916
(RGBl. S. 306).
Im September 1916 (nach Bekanntmachung vom 30. September 1916 auch
im Oktober, nach Bekanntmachung vom 31. Oktober 1916 auch im November
und Dezember 1916) darf maschinen glattes, holzhaltiges Papier zur Hälfte der
Menge bezogen werden, wie sie durch Bekanntmachung vom 20. Juni 1916 (vgl.
Bd. 53, 8. 72, bei der Inhaltsangabe der Bekanntmachung vom 18. April 1916)
für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August 1916 festgesetzt worden war. Vgl. wegen
früherer Bekanntmachungen über Druckpapier die Bekanntmachung vom 18. April
1916 a. a. O., spätere sind erlassen am 30. September 1916 — vorstehend ein-
gearbeitet — , 5. Oktober 1916, unten Forts., 18. Oktober 1916, unten Forts.,
31. Oktober 1916 — vorstehend eingearbeitet. — Vgl. auch Bekanntmachung vom
30. November 1916, unten Forts.
Bekanntmachung über die Anmeldung von Wertpapieren.
Vom 23. August 1916 (RGBl. S. 952 f.). Mit Ausführungsbestimmungen
vom gleichen Tage (RGBl. S. 953 ff.). Auf Grund des Ges. vom 4.
August 1914 (RGBl. 8. 327).
Anmeldepflichtig sind:
a) alle im Auslande befindlichen Wertpapiere, soweit sie im Inlande wohnenden
oder dauernd sich aufhaltenden oder ihren Sitz habenden Personen gehören;
b) ausländische Wertpapiere, soweit sie sich im Inlande befinden.
Die ursprünglich bis zum 31. Oktober 1916 angesetzte Anmeldefrist ist durch
Bekanntmachung vom 28. Oktober 1916 bis zum 15. November verlängert worden.
Bekanntmachung über die Regelung der Wildpreise. Vom
24. August 1916 (RGBl. S. 959 f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Die Bekanntmachung tritt an die Stelle der Bekanntmachung vom 28. Ok-
tober 1915 (vgl. Bd. 51, S. 366], hält jedoch die wichtigsten Bestimmungen dieser
Verordnung aufrecht. Die Innaltsangabe a. a. O. hat also im wesentlichen auch
für die vorliegende Bekanntmachung Geltung. (Vgl. Bekanntmachung vom
17. September 1916, unten Forts.)
Bekanntmachung betr. die TJeberwachung und zwangs-
weise Verwaltung ausländischer Unternehmungen. Vom
24. August 1916 (RGBl. S. 961). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
a) Zwangsvollstreckungen, Arreste, einstweüige Verfügungen und Konkurs-
anträge gegen überwachte oder zwangsweise verwaltete ausländische Unter-
nehmungen bedürfen der Genehmigung der Landeszentralbehörde.
b) Die gemäß den Zahlungsverboten gegen feindliche Staaten (vgl. Bekannt-
machung vom 14. Mai 1916, Bd. 53, S. 77 und 14. Oktober 1915, Bd. 51, S. 363)
ausgesprochene Stundung von Forderungen feindlicher Staatsangehöriger findet
auf die unter a) genannten Unternehmungen keine Anwendung.
(Vgl. Bekanntmachung vom 14. Mai 1916, Bd. 53, S. 77 und 28. August
1916, unten S. 173.)
Bekanntmachung über die äußere Kennzeichnung von
Waren. Vom 25. August 1916 (RGBl. S. 962). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 18. Mai 1916 (RGBl. S. 380).
Die Bekanntmachung vom 18. Mai 1916 (vgl. Bd. 53, S. 78) findet auch auf
Pudding- und Backpulver Anwendung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. ]^73
Bestimmungen über die Errichtung, die Zusammensetzung
und das Verfahren der Preisstelle für metallische Pro-
dukte in Berlin. Vom 26. August 1916 (RGBl. S. 963 ff.). Auf
Grund der Bekanntmachung vom 31. Juli 1916 (RGBl. S. 868).
Es handelt sich um formelle Bestimmungen betr. die Preisstelle, die über Strei-
tigkeiten aus der Bekanntmachung vom 31. Juli 1916 (vgl. Bd. 53, S. 210) ent-
scheiden soll.
Bekanntmachung über den Einkauf von Kohlrüben und
Grünkohl. Vom 25. August 1916 (RGBl. S. 967). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 402).
Der Inhalt der Bekanntmachung ist in die Inhaltsangabe der Bekannt-
machung vom 5. August 1916 (vgl. oben S. 166) eingearbeitet.
Bekanntmachung zur Durchführung der Verordnung über
Hafer aus der Ernte 1916. Vom 25. August 1916 (RGBl. S. 968).
Als die nach der Verordnung vom 6. Juli 1916 (vgl. Bd. 53, S. 201) „zu-
ständige Stelle" wird die Reichsfuttermittelstelle bestimmt.
Bekanntmachung betr. Ergänzung der Ausführungsbe-
stimmungen zurVerordnung über den Verkehr mit Seife,
Seifenpulver und anderen fetthaltigen Waschmitteln
vom 21. Juli 1916 (RGBl. S. 7 66). Vom 28. August 1916 (RGBl.
S. 970). Auf Grund der Bekanntmachung vom 18. April 1916 (RGBl.
S. 307).
Auch Schiffskesselreiniger sollen bis zu zwei Seifenzusatzkarten erhalten
können. (Vgl. Bekanntmachung vom 21. Juli 1916, Bd. 53, S. 206.)
Bekanntmachung über die Errichtung einer Reichsver-
teilungsstelle für Eier. Vom 25. August 1916 (RGBl. S. 970).
Auf Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 402).
Der Inhalt der Bekanntmachung ist in die Inhaltsangabe der Bekannt-
machung vom 12. August 1916 (vgl. oben S. 168) eingearbeitet.
Bekanntmachung betr. Zahlungsverbot usw. gegen Ru-
mänien. Vom 28. August 1916 (RGBl. S. 971 f.). Auf Grund ver-
schiedener Verordnungen.
Die Vorschriften der Bekanntmachung vom 30. September 1914 betr.
Zahlungsverbot gegen England (vgl. Bd. 49, S. 67) und der Bekanntmachung
vom 7. Oktober 1915 betr. Anmeldung des Vermögens feindlicher Staatsangehöriger
(vgl. Bd. 51, S. 360) finden auf Rumänien Anwendung. (Vgl. Bekanntmachung
vom 14. Mai 1916 — Bd. 53, S. 77 — und 24. August 1916 — vgl. oben S. 172,
Inhaltsangabe, Ziffer b) — , ferner Bekanntmachung vom 28. September 1916,
unten Forts.)
Bekanntmachung betr. Ausführungsbestimmungen zu den
Bekanntmachungen über die Höchstpreise fürPetroleum
und die Verteilung der Petroleumbestände vom 8. Juli
1915 (RGBl. S. 420), vom 21. Oktober 1915 (RGBl. S. 683),
vom 1. Mai 1916 (RGBl. S. 350) und vom 23. Juli 1916
(RGBl. S. 77 9). Vom 28. August 1916 (RGBl. S. 972). Auf Grund
der genannten Bekanntmachungen. — Durch Bekanntmachung
vom 9. September 1916, vgl. unten S. 178, wieder außer
Kraft gesetzt.
]^74 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Petroleum darf zu Leuchtzwecken bis auf weiteres nicht mehr abgesetzt
werden. (Vgl wegen früherer Maßnahmen die in der Ueberschrift genannten
Bekanntmachungen: Bd. 50, S. 329; Bd. 51, B. 364; Bd. 53, 8. 75 und S. 206 f.)
Bekanntmachung über Höchstpreise für Zwetschen. Vom
29. August 1916 (RGBl. S. 973 f.). Auf Grund der Bekanntmachung
vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Der Höchstpreis für Hauszwetschen (Bauernpflaumenj wird für Verkäufe
durch den Erzeuger auf 10 M. für den Zentner, für den Kleinhandel auf 25 Pf.
für das Pfund festgesetzt. Die zuständigen Behörden können Hauszwetschen
für bestimmte Personen beschlagnahmen. (Vgl. Bekanntmachung vom 5. August
1916, oben S. 166.)
Verordnung über die Nachprüfung der Erntevor-
schätzungen im Jahre 1916. Vom 27. August 1916 (RGBl.
S. 975 ff.). Auf Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl.
S. 401).
In der Zeit vom 20. September bis 5. Oktober hat eine Nachprüfung der
femäß Verordnung vom 21. Juni 1916 (vgl. Bd. 53, S. 193) vorgenommenen
Irntevorschätzungen stattzufinden, jedoch nur für Weizen (auch Spelz, Einkorn
usw.), Roggen, Gerste und Hafer. Vgl. auch Verordnung vom 31. August 1916,
unten S. 175.
Bekanntmachung zur Durchführung der Verordnung über
Hülsenfrüchte vom 29. Juni 1916 (RGBl. S. 846). Vom
30. August 1916 (RGBl. S. 981 f.). Auf Grund der genannten Be-
kanntmachung.
Die Bewirtschaftung der Hülsenfrüchte wird in Abänderung der Bekannt-
machung vom 25. Juli 1916 (vgl. Bd. 53, S. 208) der Reichs- Hülsenfruchtstelle
G. m. b. H. (nach Bekanntmachung vom 25. Juli 1916 war die Reichs - Hülsen-
fruchtstelle eine Abteilung der Zentral-Einkaufsgesellschaft) übertragen. Weiterhin
werden die den Besitzern von Hülsenfrüchten zu belassenden Mengen festgesetzt;
ferner werden neben den in der Bekanntmachung vom 29. Juni 1916 — vgl.
Bd. 53, S. 198 f. — veröffentlichten Höchstpreisen Preise für gute, handelsübliche
Durchschnitts wäre erlassen; die Bekanntmachung enthält endlich noch eine
Reihe weniger wesentlicher Bestimmungen.
Bekanntmachung betr. Aenderung des § 25 des Gesetzes
über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 187 3 (RGBl. S. 129).
Vom 30. August 1916 (RGBl. S. 983 f.). Auf Grund des Gesetzes vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Es handelt sich um Bestimmungen über die Ueberlassung von Pferden an
die Militärbehörde. (Vgl. hierzu die folgende Bekanntmachung ; frühere Bekannt-
machungen betr. Kriegsleistungen sind ergangen am 24. August 1914, Bd. 49,
5. 63 f., und 24. Mai 1915, Bd. 50, S. 319.)
Bekanntmachung betr. Festsetzung des Zuschlags zu den
Friedenspreisen der zum Kriegsdienst ausgehobenen
Pferde. Vom 30. August 1916 (RGBl. S. 984). Auf Grund der vor-
stehenden Bekanntmachung.
Der Zuschlag wird auf 50 v. H. festgesetzt. (Vgl. vorstehende Bekannt-
machung.)
Bekanntmachung über die Bestätigung von Schecks durch
die Reichsbank. Vom 31. August 1916 (RGBl. S. 985 f.). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Nationalökonomische Gesetzgebung. |^75
Versieht die Reichsbank einen auf sie gezogenen Scheck mit einem Be-
stätigungsvermerke, so wird sie hierdurch dem Inhaber zur Einlösung verpflichtet ,-
sie haftet für die Einlösung auch dem Aussteller und den Indossanten; sie ist
zur Erteilung des Vermerkes jedoch nur nach vorheriger Deckung befugt.
Bekanntmachung betr. Aenderung der Verordnungen über
die Regelung des Absatzes von Erzeugnissen der Kar-
toff eltrocknerei und der Kartoffelstärkefabrikation.
Vom 31. August 1916 (RGBl. S. 986 ff.). Auf Grund des Ges. vom
4. Augnst 1914 (RGBl. S. 327).
Die Bekanntmachung ändert die früheren Bekanntmachungen (insbesondere
Bekanntm. vom 16. September 1915, Inhaltsangabe Bd. 51, S. 356, und Bd. 50,
5. 62 f.) in zahlreichen, jedoch meist nicht wesentlichen Punkten ab. (Vgl. wegen
früherer Verordnungen die Bekanntmachung vom 15. April 1916 in Bd. 53, S. 71,
Inhaltsangabe Ziffer b.) Die Bekanntmachung vom 16. September 1915 ist in
ihrer Neufassung am 2z. September 1916 — vgl. unten Forts. — veröffentlicht.
Bekanntmachung über Ernteschätzungen. Vom 31. August
1916 (RGBl. S. 989 f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914
(RGBl. S. 327).
Die nach Bekanntmachung vom 21. Juni 1916 (vgl. Bd. 53, S. 193) für die
Zeit vom 1. — 25. September 1916 angeordnete Erntevorschätzung für Kartoffeln
und Rüben wird auf die Zeit vom 20. September bis 5. Oktober 1916 verschoben.
Gleichzeitig ist eine Ernteschätzung für Hülsenfrüchte vorzunehmen. (Vgl. auch
Bekanntmachung vom 27. August 1916, oben S. 174.)
Verordnung über das Inkrafttreten der Verordnung über
Eier. Vom 31. August 1916 (RGBl. S. 991). Auf Grund der Be-
kanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Das Inkrafttreten einer Reihe von Bestimmungen wird vom 1. September
auf den 18. September 1916 verschoben. (Vgl. Verordnung vom 12. August 1916,
oben S. 168.)
Bekanntmachung betr. Ausnahme von dem Verbote von
Mitteilungen über Preise von Wertpapieren usw. Vom
29. August 1916 (RGBl. S. 993). Auf Grund der Bekanntmachung
vom 25. Februar 1916 (RGBl. S. 111).
Mitteilungen von Personen usw., die gewerbsmäßig Bankiergeschäfte betreiben,
an ihre Kunden über Verkaufspreise, die für ausländische Wertpapiere auf Grund
ausländischer Kursnotierungen im Inland zu erzielen sind, sind zulässig. (Vgl.
Bekanntmachung vom 22. Januar 1916, Bd. 52, S. 225.)
Bekanntmachung über dasAußerkrafttreten derBekannt-
machung betr. den Handel mit Mehl, vom 2 7. Juli 1915
(RGBl. S. 47 7). Vom 4. September 1916 (RGBl. S. 995). Auf Grund
der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 402).
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor. (Vgl.
Bd. ,50, S. 334; vgl. wegen Mehl im übrigen die Bekanntmachung vom 29. Juni.
1916 Bd. 53, S. 198 f.)
Bekanntmachung betr. den Uebergang der Geschäfte der
Reichsprüfungsstelle für Lebensmittelpreise auf das
Kriegsernährungsamt. Vom 1. September 1916 (RGBl. S. 997).
Auf Grund des Ges. vom 4. Aug. 1914 (RGBl. S. 327).
176 Nationalökonomische Gesetzgebttojii:.
Die Reichs-Preisprüfungsstelle (vgl. Bd. 51, 8. 358) wird aufgehoben. Ihre
Aufgaben und Befugnisse gehen auf das Kriegsernährungsamt über. (Vgl. Be-
kanntmachung vom 22. Mai 1916, Bd. 53, S. 79.)
Bekanntmachung zur Durchführung der Verordnung über
Hafer. Vom 5. September 1916 (RGBl. S. 997 f.).
Der Inhalt der Bekanntmachung ist in die Inhaltsangabe der Bekannt-
machung vom 19. August 1916 (vgl. oben S. 169) eingearbeitet.
Bekanntmachung von Uebergangsvorschriften zur Ver-
ordnung über Speisefette vom 20. Juli 1916 (RGBl. S. 755).
Vom 6. September 1916 (RGBl. S. 998). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 20. Juli 1916 (RGBl. S. 755).
Es wird das Verhältnis von Zentral - Einkaufsgesellschaft bzw. Landes-
Verteilungsstelle, für die die Butter früher beschlagnahmt war, und den Kom-
munalverbänden als den neuen Berechtigten für die Zeit bis zum 15. Oktober 1916,
durch weitere Bekanntmachung vom 3. Oktober 1916 für die Zeit nach dem
15. Oktober 1916, geregelt. (Vgl. die Verordnung vom 20. Juli 1916, Bd. 53, S. 205,
sowie wegen Fetten und Oelen die Bekanntmachung vom 13. April 1916, Bd. 53,
S. 205, sowie die daselbst aufgeführten weiteren Bekanntmachungen, ferner die
Bekanntmachung vom 3. August 1916, oben S. 165, und die daselbst aufgeführten
weiteren Bekanntmachungen.)
Bekanntmachung über die Einfuhr von Walnüssen und
Haselnüssen. Vom 7. September 1916 (RGBl. S. 999f.). Mit Aus-
führungsbestimmungen vom gleichen Tage (RGBl. S. 1000 f.). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Eingeführte Walnüsse und Haselnüsse müssen an den Kriegsausschuß für
pflanzliche und tierische Oele und Fette abgeliefert werden, der einen ange-
messenen Uebernahmepreis zu zahlen hat. (Vgl. Bekanntmachung vom 3. August
1916, oben S. 165, und die daselbst angeführten weiteren Bekanntmachungen.)
Bekanntmachung über den Verkehr mit Harz. Vom 7. Sep-
tember 1916 (RGBL S. 1002 f.) Mit Ausführungsbestimmungen vom
gleichen Tage (RGBl. S. 1003 ff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
a) Rohharz jeder Art, das sich zur Herstellung von Kolophonium eignet,
sowie Kolophonium selbst sind dem Kriegsausschuß für pflanzliche und tierische
Fette und Oele anzubieten und auf Verlangen abzuliefern.
b) Die unter a) genannten Gegenstände sowie Harz jeder Herkunft und
Harzprodukte, die aus dem Auslande eingeführt werden, sind an den Kriegs-
ausschuß abzuliefern.
c) Der Reichskanzler kann den Verkehr mit Harz und Harzprodukten
regeln; er hat hier unter anderem bestimmt, daß die gewerbliche Verarbeitung
von ßohharz der unter a) genannten Art nur mit Zustimmung des Kriegsaus-
schusses erfolgen darf. Die Bekanntmachung vom 9. März 1916 (Bd. 52, S. 233)
tritt außer Kraft.
d) Es wird für den 10. September 1916 eine Anzeige der unter a) genannten
Gegenstände angeordnet.
(Vgl. Bekanntmachung vom 3. August 1916, oben S. 165, und die daselbst auf-
geführten weiteren Bekanntmachungen.)
Bekanntmachung zur Ergänzung der Verordnung über die
Einfuhr von pflanzlichen und tierischen Oelen und
Fetten sowie Seifen vom 4. März 1916 (RGBl. S. 148).
Nationalökonomische Gesetzgebung. 177
Vom 7. September 1916 (RGBl. S. 1006). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Als tierische Fette im Sinne der Bekanntmachung vom 4. März 1916 (vgl.
ßd. 52, S. 233) soll auch Speck von Fischen und Seesäugetieren gelten. (Wegen
weiterer Bekanntmachungen über Fette vgl. die Bekanntmachung vom 3. August
1916, oben S. 165.)
Bekanntmachung betr. die Verlängerung der Prioritäts-
fristen in Dänemark. Vom 8. September 1916 (RGBl. S. 1007).
Die in der Bekanntmachung vom 7. Mai 1915 (vgl. Bd. 50, S. 316) ge-
nannten Prioritäts fristen werden in Dänemark weiter bis zum 1. Januar 1917
verlängert. (Vgl. Bekanntmachung vom 8. April 1916, Bd. 53, S. 68, und die
daselbst aufgeführten Bekanntmachungen, sowie Bekanntmachung vom 18. August
1916, oben S. 171.)
Verordnung über die Vorausverwendung von Malz in den
Bierbrauereien. Vom 8. September 1916 (RGBl. S. 1007f.). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Im September 1916 darf ein Drittel der für das IV. Vierteljahr zugeteilten
Malzmenge vorausverwendet werden. (Vgl. Bekanntmachung vom 4. Mai 1916,
Bd. 53, S. 75 f., und die daselbst aufgeführten weiteren Bekanntmachungen, ins-
besondere Bekanntmachung vom 18. Mai 1916, Bd. 53, S. 78.)
Bekanntmachung über die Preise für Teichfische. Vom
9. September 1916 (RGBl. S. 1008). Auf Grund der Bekanntmachung
vom 1. Mai 1916 (RGBl. S. 347).
Es handelt sich um eine weniger wesentliche Vorschrift. (Vgl. im übrigen
Bekanntmachung vom 8. August 1916, oben S. 168.)
Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit
Web-, Wirk- und Strickwaren für die bürgerliche Be-
völkerung. Vom 9. September 1916 (RGBl. S. 1009). Auf Grund
der Bekanntmachung vom 10. Juni 1916 (RGBl. S. 463). — Auf-
gehoben durch Bekanntmachung vom 31. Oktober 1916,
unten Forts.
Von der Regelung nicht betroffen sollen weiterhin alle Spielwaren aus
den genannten Waren sein, soweit die dazu erforderlichen StoÖe bereits am
2. September 1916 zugeschnitten waren. (Vgl. Bekanntmachung vom 10. Juni
1915, Bd. 53, S. 188, weiterhin Bekanntmachung vom 7. August 1916, oben 8. 167 f.,
und die daselbst aufgeführten weiteren Bekanntmachungen.)
Bekanntmachung über Höchstpreise für Gerstengraupen
(Rollgerste) und Gerstengrütze. Vom 9. September 1916
(RGBl. S. 1010 f.). Auf Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916
(RGBl. S. 401).
Es wird ein Erzeugerhöchstpreis von 49,20 M. für 100 kg, ein Eleinhandels-
höchstpreis von 30 Pf. für das Pfund festgesetzt.
Bekanntmachung betr. Ausführungsbestimmungen zu den
Bekanntmachungen über Höchstpreise für Petroleum
und die Verteilung der Petroleumbestände vom 8. Juli
1915 (RGBl. S. 420), vom 21. Oktober 1915 (RGBl. S. 683)
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 12
178 Nationalökonomiache Gesetzgebung.
und vom 1. Mai 1916 (RGBl. S. 350). Vom 9. September 1916
(RGBl. S. 1011). Auf Grund der genannten Bekanntmachungen.
Die Bekanntmachung vom 28. August 1916 (vgl. oben 8. 173 f ) wird wieder
aufgehoben.
Bekanntmachung über Ausdehnung der Verordnung betr.
die Einfuhr von Futtermitteln, Hilfsstoffen und Kunst-
dünger, vom 28. Januar 1916 (RGBl. S. 67), und der dazu
erlassenen Ausführungsbestimmungen vom 31. Januar
1916 (RGBl. S. 71). Vom 11. September 1916 (RGBl. S. 1013).
Auf Grund der genannten Bekanntmachungen.
Die genannten (vgl. ßd. 52, S, 226) Bekanntmachungen werden auf eine
Reihe von Seetieren (Garneelen u. a.) ausgedehnt. (Vgl. auch Bekanntmachung
vom 24. Mai 1916, Bd. 53, S. 80, 22. August 1916, oben 8. 171, 1. November
1916, unten Forts., 10. November 1916, unten Forts.)
Bekanntmachung über die Einfuhr von Gemüse und Obst.
Vom 13. September 1916 (RGBl. S. lOlöff.). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Die Einfuhr von Gemüse und Obst ist gegenüber der Reichsstelle für Gemüse
und Obst anzeigepflichtig. Die eingeführten Mengen dürfen nur durch sie oder
mit ihrer Genehmigung in den Verkehr gebracht werden ; auf ihr Verlangen muß
das eingeführte Obst oder Gemüse an sie verkauft werden ; in letzterem Falle setzt
sie den Uebernahmepreis endgültig fest. (Vgl. wegen Gemüse Bekanntmachung
vom 5. August 1916, oben S. 166, wegen Obst Bekanntmachung vom 5. August
1916, oben S. 166.) In Kraft getreten ist die Bekanntmachung nach Bekannt-
machung vom 20. September 1916 am 27. September 1916.
Bekanntmachung betr. Aenderung der Bekanntmachung
über die Sicherstellung von Kriegsbedarf vom 24. Juni
1915 (RGBl. S. 357). Vom 14. September 1916 (RGBl. S. 1019f.)
Es handelt sich um Entschädigungsfragen und formelle Vorschriften. (Vgl.
Bekanntmachung vom 24. Juni 1915, Bd. 50, S. 323, 9. Oktober 1915, Bd. 51,
8. 361, 25. November 1915, ßd. 51, 8. 372, endhch die folgende Bekannt-
machung.
Bekanntmachung betr. Aenderung der Anordnung für das
Verfahren vor dem Reichsschiedsgerichte für Kriegs-
bedarf vom 22. Juli 1915 (RGBl. S. 469). Vom 14. September
1916 (RGBl. S. 1021 f.).
Die Bekanntmachung enthält lediglich formelles Recht. Vgl. Bekanntmachung
vom 22. Juli 1915 (ßd. 50, S. 334).
Bekanntmachung betr. Aenderung der Verordnung über
Preisbeschränkungen bei Verkäufen von Web-, Wirk-
ijnd Strickwaren vom 30. März 1916 (RGBl. S. 214.) Vom
14. September 1916 (RGBl. S. 1022). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Es handelt sich um eine weniger wesentliche Vorschrift. (Vgl. Bekannt-
machung vom 30. März 1916, ßd. 52, 8. 238.) Hierzu ist eine Ergänzungsver-
ordnung, betr. Ausführungs Vorschriften vom gleichen Tage (RGBl. 8. 1023), er-
gangen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 17 9
Bekanntmachung über d*)n Verkehr mit Leim. Vom 14. Sep-
tember 1916 (RGBl. S. 1023 f.). Mit Ausführungsbestimmungen vom
gleichen Tage (RGBl. S. 1024 f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Durch die Hauptverordnung wird der Reichskanzler ermächtigt, den Ver-
kehr mit Leim zu regeln. In den Ausführungsbestimmungen hat er eine laufende
Anzeigepflicht für Hersteller und Besitzer von Leim gegenüber dem Kriegsaus-
schusse für Ersatzfutter festgesetzt. (Vgl. auch Bekanntmachung vom 24. Februar
1916, Bd. 52, S. 230.)
Verordnung über Bucheckern. Vom 14. September 1916
(RGBl. S. 1027 ff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Gesammelte Bucheckern sind mit bestimmten Ausnahmen an den Kriegs-
ausschuß für pflanzliche und tierische Oele und Fette abzuliefern; über die ge-
sammelten Mengen ist ihm am 1. November und 1. Dezember 1916 Anzeige
zu erstatten ; er hat sie gegen einen angemessenen Uebernahmepreis abzunehmen
und weiterhin für die Verarbeitung der übernommenen Bucheckern zu sorgen
und das gewonnene Oel nach den Weisungen des Reichskanzlers abzugeben.
Die Verfütterung von Bucheckern ist verboten. Es können auch Personen, die
nicht forstnutzungsberechtigt sind, von der zuständigen Behörde zur Sammlung
ermächtigt werden. Die Bekanntmachung vom 14. Oktober 1915 (vgl. Bd. 51,
S. 362) wird aufgehoben. (Vgl. auch Bekanntmachung vom 3. August 1916,
oben S. 166.)
Verordnung über Buchweizen und Hirse. Vom 14. September
1916 (RGBl. S. 1031). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914
(RGBl. S. 327).
Die Verordnung vom 29. Juni 1916 (vgl. Bd. 53, S. 199) erfährt einige Ab-
änderungen, deren wichtigste die ist, daß die Herstellung von Nahrungsmitteln
aus Buchweizen und Hirse nur gegen Mahlkarte stattfinden darf. (Vgl. Bekannt-
machung vom 16. September 1916, unten Forts.)
Bekanntmachung betr. Saatkartoffeln. Vom 14. September
1916 (RGBl. S. 10311). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914
(RGBl. S. 327). — Aufgehoben durch Bekanntmachung vom
16. November 1916, vgl. unten Forts.
Die Ausfuhr von Saatkartoffeln aus einem Kommunalverbande bedarf seiner
Genehmigung. Für Saatkaitoffeln gelten bis zum 15. Mai 1917 die Höchstpreise
vom 13. Juli 1916 (vgl. Bd. 53, S. 203) nicht. Vgl. im übrigen wegen Kartoffeln
die Bekanntmachung vom 2. August 1916 (oben ö. 164).
Verordnung über den Verkehr mit Zucker im Betriebs-
jahr 1916/17. Vom 14. September 1916 (RGBl. S. 1032 ff.). Mit
Ausführungsverordnungen vom 27. September 1916 (RGBl. S. 1085 ff.)
und vom 29. September 1916 (betr. Inkrafttreten einiger Vorschriften,
RGBl. S. 1093). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
I. Reichszuckerstelle. Die Versorgung der Bevölkerung mit Zucker
liegt der „Reichszuckerstelle** ob. Ihr gehört zur Verteilung des Rohzuckers eine
besondere Abteilung als „Verteilungsstefle für Rohzucker" an.
IL Aufbringung des Zuckers. Zuckerrüben dürfen nicht verfüttert
werden; der Reichskanzler bestimmt, ob und in welchen Mengen Zuckerrüben zu
12*
1^0 Natioaalökoaomiflohe Qesetzgebang.
andereo Zwecken als zur Verarbeitung auf Zucker verwendet werden dürfen (für
die Branntweinbereitung vgl. Bekanntmachung vom 23. März 1916 — Bd. 52,
8. 236; doch darf die Erlaubnis zur Verwendung von Zuckerrüben zur Brannt-
weinherstellung nur im Einvernehmen mit der Reichszuckerstelle erteilt werden).
Zuckerrüben dürfen nur an rüben verarbeitende Fabriken abgesetzt werden. Der
im ßetriebsjahre 1916/17 hergestellte Rohzucker ist an die Verbrauchszucker-
fabriken nach bestimmtem, auf Grund der Vorjahre berechneten Schlüssel und
in bestimmten Raten zu verteilen. Es werden für ihn bestimmte Preise fest-
gesetzt. Die Verbrauchszuckerfabriken sind verpflichtet, den ihnen zugewiesenen
Rohzucker abzunehmen, zu bezahlen und auf Verbrauchszucker zu verarbeiten;
die Reichszuckerstelle kann nähere Bestimmungen über die Verarbeitung treffen.
Die Höchstpreise für gemahlenen Melis sollen beim Verkaufe durch Verbrauchs-
zuckerfabriken auf der Grundlage von 26 M. für 50 kg ab Magdeburg fest-
gesetzt werden. Für rein landwirtschaftliche Weißzuckerfabriken und andere
Sondergruppen von Fabriken werden Sonderregelungen getroffen. Die Hersteller
von Verbrauchszucker dürfen diesen nur gegen Bezugsschein oder nach Weisung
der Reichszuckerstelle abgeben ; sie müssen ihren Zucker an die angegebenen Ab-
nehmer abliefern. Der Reichskanzler kann Kleinhandelshöchstpreise oder Höchst-
grenzen für sie festsetzen; macht er von dieser Befugnis keinen Gebrauch, so
haben die Kommunal verbände Kleinhandelshöchstpreise festzusetzen.
III. Verbrauch von Zucker. Der Reichskanzler bestimmt die Grund-
sätze für die Bemessung des Zucker Verbrauchs der bürgerlichen Bevölkerung ; die
Reichszuckerstelle überweist über diese Mengen den Kommunalverbänden Bezugs-
scheine. Die Kommunalverbände können den Zucker selbst beziehen oder die
Bezugsscheine an den Handel weitergeben. Sie haben den Zuckerverbrauch in
ihrem Bezirke zu regeln und können insbesondere Zuckerkarten einführen; die
Regelung kann auch von ihnen den Gemeinden übertragen werden; Gemeinden
mit mehr als 10000 Einwohnern können die üebertragung verlangen. Der Bedarf
der Apotheken, Gasthäuser, Bäckereien und Konditoreien u. ä. m. wird durch
Sonderzuweisungen gedeckt, während er bisher aus dem allgemeinen Bedarfs-
anteil gedeckt werden mußte; für den Zuckerverbrauch des Süßigkeitsgewerbes,
der Schokoladenindustrie u. ä. m. werden Sonderregelungen getroffen ; die Ver-
wendungsverbote, wie sie durch die bisherigen Bekanntmachungen (vgl. Bekannt-
machung vom 13. Mai 1916, Bd. 53, S. 77, 24. Juni 1916, Bd. 53, S. 195, 12. JuU
1916, Bd. 53, S. 204) erlassen worden sind, werden im wesentlichen (nicht
ganz unverändert!) übernommen und die früheren Bekanntmachungen auf-
gehoben. Zu anderen Zwecken als zur Herstellung von Nahrungs-, Genuß-
und Heilmitteln darf Zucker nur mit Genehmigung der Reichszuckerstelle ver-
wendet werden.
IV. Einfuhr und Durchfuhr von Zucker. Eingeführte Zucker-
rüben, ebenso Rohzucker und Verbrauchszucker müssen an die Zentral-Einkaufs-
gesellschaft geliefert werden, und dürfen nur durch sie oder mit ihrer Ge-
nehmigung in den Verkehr gebracht werden. Es muß ein angemessener üeber-
nahmepreis gezahlt werden. Die Durchfuhr der genannten Gegenstände ist
verboten.
V. Schlußbestimmungen. Die Reichszuckerstelle kann bestimmte Ge-
bühren erheben, unzuverlässige Betriebe können geschlossen werden u. ä. m.
Die Bekanntmachungen vom 8. Februar 1915 (Bd. 50, S. 57), vom 27. Mai / 15. Juli
1915 (Bd. 50, S. 319 331), 3. Februar 1916 (Bd. 52, S. 227) werden aufgehoben.
(Vgl. wegen Zucker Bekanntmachung vom 10. April 1916, Bd. 53, S. 68,
und die daselbst aufgeführten Bekanntmachungen.) (G.C.>
(Fortsetzung folgt.)
Miszellen. ^81
Miszellen.
V.
Dielreichsgesetzlichen Maßnahmen zur Sicherung
der deutschen Volksernährung im Kriege.
Von Dr. Herbst-Halle.
(Forteetzung.)
III.
Kartoffeln.
(Ende Juli 1914 bis Ende Juli 1917.)
Inhalt: Die einheitliche Anwendung der kriegswirttcbaftlicheu Grunds-ätzc ist
trotz der entgegenstehenden natürlichen und technischen Schwierigkeiten auch in der
Kartoffelversorgung erforderlich. — Die ersten IMaßnabmen sind nur Höchstpreisfest-
setzungen. — Die Regelung des Verkehrs mit Kartoffeln vcm 12. April 1915. — Die
Reichsstelle für Kartoffelver^orgung. — Nur ausgleichende Maßnahmen. — Zuschläge
bei den Höchstpreisen für die Erzeuger. — Die neue Veisorgungsregelung vom 9. Oktober
1915. — Die Reichskartoffelstelle. — Rieht- bzw. Grundpreise, keine Höchstpreise. —
Neue Bestimmungen über die Speisekartoffelversorgung im Fiübjahr und Sommer 1916 vom
7. Februar 1916. — Weitere wichtige Verkehrs- und Veibrauchsvorschriften. — Kartoffel-
karten. — Die Regelung der Kartoffelversorgung für das Erntejahr 1916. — Die Verpflich-
tung der Kommunalverbände und Kartoffelerzeuger zur Sicht rstellung und Abgabe von
Kartoffeln an die Vermittlungsstellen nach einem bestimmten Plan. — Festsetzung der
täglichen Verbrauchsmenge. — Verfütterungsverbote. — Weitere Neuregelung der Kar-
toffelversorgung am 1. Dezember 1916. — Herabsetzung der taglichen Veil)rai)chf-menge.
— Die Kartoffelversorgung im Wirtschaftsjahr 1917/18. — Die Kartoffelhöchstpreise. —
Regelung des Verkehrs mit Erzeugnissen der Kartoffeltrockne) ei , Karloffelstäjkefabri-
kation und der Kartoffelbrennerei. — Ergänzende Maßnahmen : Erntevorverkaufsverbot,
Verfütterungsverbot, Saatkartoffeln. — Kartoffelvorratsaufnabmen, Ernttflächeneihcbungen
und -Schätzungen. — Zahlenangaben über die deutschen Kartoffelernten. — Die Vei Wen-
dung von Kartoffeln und Kartoffelerzeugnissen bei der Brotbereitung. — Kritik der
reichsgesetzlichen Kartoffelversorgung.
Während die reichsgesetzlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der
Brotgetreide- und Mehlvorräte im Kriege sich im allgemeinen bewährt
haben, sind hinsichtlich der Kartoflelversorgung Bestimmungen
erlassen worden, die praktisch wenig wirkungsvoll blieben und besonders
anfangs nach jeder Richtung hin versagten, da sie in keiner Weise den
allgemeinen und speziellen kriegswirtschaftlichen Grundsätzen entsprachen.
Erst die im Laufe der Zeit gewonnenen Erfahrungen lösten auch auf
diesem Gebiete Verbesserungen aus, so daß sich die Kartoffelversorgung
für das Reich im dritten Kriegsjahr wenigstens einigermaßen leidlich ge-
staltet. Es darf natürlich von vornherein nicht verkannt werden, daß
es gerade bei der Kartoffel mit am schwierigsten ist, die geeigneten
Ig2 Missellen.
Maßnahmen zu ihrer Sicherstellung, Aufbewahrung und Verteilung zu
finden und zu treffen, ungleich schwieriger und umständlicher als beim
Brotgetreide und Mehl. Die Kartoffel ist eines der am schwierigsten
zu behandelnden Nahrungsmittel. Von allen Bodenerzeugnissen, die der
menschlichen Ernährung dienen, muß die Kartoffel mit der größten
Sorgfalt behandelt werden, während für Brotgetreide und Mehl wesentlich
leichtere und einfachere Vorkehrungen genügen. Und das gilt auch für
die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen auf diesen beiden Gebieten der
Nahrungsmittelvor- und -fürsorge. Hier wie dort gelten die einschlägigen
Grundsätze der Kriegswirtschaft. Handelt es sich für dieses oder für
jenes Nahrungsmittel um die Frage der zweckmäßigen gleichmäßigen
Versorgung der Bevölkerung und um eine durchgreifende, umfassende
Verkehrs- und Verbrauchsregelung, so müssen die anerkannten, nunmehr
durch die Erfahrung belegten Forderungen der modernen Lebensmittel-
politik im Kriege, der wie dieser in seiner wirtschaftlichen Eigenart
einzig dasteht, restlos zur Anwendung kommen, und wie bei der Brot-
getreide- und Mehlregelung das Ineinandergreifen von Beschlagnahme,
Höchstpreisfestsetzung und Kontingentierung die sichere Durchführung
der Versorgung gewährleistet hat und überhaupt auch auf jedem anderen
Gebiete von Nahrungsmittelregelung im Kriege die gleichzeitige Durch-
führung dieser wichtigsten kriegswirtschaftlichen Maßnahmen zum brauch-
baren Ergebnis führt und schon verschiedentlich geführt hat, so gilt das
insbesondere ebenfalls gerade für die Kartoffeln, trotz der vielen natür-
lichen und technischen Schwierigkeiten, die hier entgegenstehen. Aber
ganz davon abgesehen, hängt auch die Lösung des Problems der Kar-
toffelversorgung von der richtigen und gleichzeitigen Anwendung der
genannten grundlegenden Faktoren ab. Und das ist bei den ersten
reichsgesetzlichen Maßnahmen auf diesem Gebiete nicht erkannt und
bei den späteren erst nach und nach durchgeführt worden, wie wir aus
ihrer zeitlichen Darstellung in den folgenden Abschnitten ersehen werden.
Im ersten Kriegshalbjahr 1914 ergingen nur Höchstpreis-
bestimmungen, die in der Bekanntmachung über die Höchstpreise
für Speisekartoffeln vom 23. November 1914 (RGBl. S. 483) zum Aus-
druck kamen. Der staatliche Eingriff in die Kartoffelversorgung be-
gann also nicht mit schärferen Maßnahmen, wie gänzlicher oder teil-
weiser Beschlagnahme und einschneidenden Verkehrs- und Verbrauchs-
beschränkungen mit gleichzeitiger Preisfestsetzung, wie es beim Brot-
getreide durchgeführt worden ist und was den Forderungen der modernen
Kriegswirtschaft in der Nahrungsmittelfürsorge entspricht, sondern ver-
suchte, die Kartoffelfrage vorläufig auf Grund theoretischer Erwägungen
zu regeln, und blieb dabei auch noch längere Zeit, als schon längst die
praktischen und bewährten Erfahrungsgrundsätze mit dem Brotgetreide,
Mehl und Brot vorlagen. Erst wesentlich später, im April 1915 wurde,
wie wir noch sehen werden, die Kartoffelversorgung etwas beser ge-
regelt, wenn auch die eigentlichen durchgreifenden Maßnahmen auf
diesem Gebiete nach noch weiterem Zeitablauf erfolgten. Zunächst sind
jedoch die Bestimmungen der genannten Bekanntmachung von Interesse.
Es sind 4 lokale Höchstpreisgruppen mit Unterscheidung der Kartoffeln
Miszellen. 183
nach den Sorten Daher, Imperator, Magnum honum, Up to date einer-
seits und allen anderen Sorten andererseits festgesetzt, in denen sich
die Preise für die Tonne inländischer Speisekartoffeln beim Verkaufe
durch den Erzeuger zwischen 50 und 61 M. bewegen. Die Höchstpreise
gelten also nur für die Erzeuger, nicht für den Groß- und Kleinhandel.
Die vier Preisgebiete umfassen die Hauptanbaugegenden in Ost-, Nord-,
Mittel- und Süddeutschland. Die Höchstpreise gelten für gute gesunde
Speisekartoffeln von 3,4 cm Mindestgröße bei sortenreiner Lieferung,
nicht für Saat- oder Salatkartoffeln. Allein aus der ganzen Fassung
dieser Höchstpreisbestimmungen, zu denen die amtliche Begründung aus-
führt, daß die an sich schwierige Unterscheidung der Sorten handels-
üblich bekannt und genügend gesichert, die Trennung nach den 4 Preis-
gebieten durch die Produktions- und Verfrachtungskosten bedingt sein
dürfte, geht die Neigung zur ausgesprochenen theoretischen als prak-
tischen Behandlung der Kartoffelfrage in den ersten 8 Kriegsmonaten
hervor. Weitere Maßnahmen ergingen in dieser Zeit zur Sicherstellung
des neben dem Brote wichtigsten Nahrungsmittels im Kriege, wie dem
gegenwärtigen, der Speisekartoffel, nicht — abgesehen von einer Herauf-
setzung der Höchstpreissätze auf 85 — 96 M. durch die Bekanntmachung
vom 15. Februar 1915 (RGBl. S. 95), welche die erste Höchstpreis-
verordnung für die Kartoffeln außer Kraft setzte (mit einer unwesent-
lichen Aenderung vom 31. März 1915 — RGBl. S. 202); sie trat am
26. August 1915 (RGBl. S. 524) außer Wirksamkeit — und die ein-
tretenden Verhältnisse zeigten deutlich, wie unpraktisch sich der ein-
seitige Erlaß von Höchstpreisen für die Kartoffeln ohne weitere kriegs-
wirtschaftliche Grundmaßnahmen gerade in dieser Beziehung erwiesen hat.
Dem ungünstigen Ergebnis der Kartoffelaufnahme vom 15. März
1915, das allgemein überraschte und beängstigte — man nahm viel-
leicht auch nicht ganz mit Unrecht an, daß, da die Verfütterungsver-
bote zur Sicherstellung der Brotgetreidevorräte nicht auch für die Speise-
kartoffeln erlassen waren, die schnelle Abnahme der Kartoffelvorräte
auf übermäßige Verwendung zu Futterzwecken zurückzuführen sei,
was andererseits die im nächsten Teil zu besprechende verderbliche
Massenabschlachtung der Schweine zur Folge hatte — dürfte der Er-
laß der Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Kartoffeln
vom 12. April 1915 (RGBl. S. 217) zu danken sein, durch welche die
Kartoffelversorgung wenigstens etwas mehr Grundlage erhielt als bisher,
wenn auch ihre Bestimmungen noch nicht die Erfüllung der kriegswirt-
schaftlichen Hauptforderungen für die Kartoffelversorgung im Kriege
brachten. Diese Bekanntmachung schuf zunächst die Reichsstelle
für Kartoffelversorgung, eine Behörde, die dem Reichskanzler
unterstellt ist. Diese Reichsstelle hat mit Hilfe der Kommunalver-
bände für die Verteilung von Kartoffelvorräten zur Ernährung der Be-
völkerung im Reichsgebiet zu sorgen und dabei in erster Linie den
Bedarf der minderbemittelten Bevölkerung zu berücksichtigen. Zu diesem
Zweck müssen größere Kartoffelmengen rechtzeitig aus dem Verkehr
gezogen und festgelegt werden. Die Reichsverteilungsstelle bestimmt
erforderlichenfalls die Kartoffelmengen, die aus einem Kommunalverband
284 Miszellen.
an sie oder andere Kommunalverbände, in denen nicht genügende
Kartoffelmengen vorhanden sind, abzugeben sind. Die Kommunalver-
bände haben die erforderlichen Vorkehrungen — Sicherstellung, Ver-
teilung an Kleinhändler und Verbraucher, Ausfuhrverbote und andere —
selbst zu treffen, was bis Mitte Mai 1915 in den meisten Städten ge-
schehen ist.
So versuchte die Reichsregierung zu dieser Zeit die Kartoffelver-
sorgung, die Regelung des Verkehrs mit einem besonders im jetzigen
Kriege für die Volksernährung, namentlich die Massenvereorgung der
unteren Schichten, überaus wichtigen Nahrungsmittel auf dem Wege
des Ausgleiches durchzuführen und begnügte sich neben den Höchst-
preisfestsetzungen nur mit einem teilweisen staatlichen Eingriff ohne
Verbrauchsregelung und Verfügungsbeschränkung und ließ, was hierbei
vielleicht am wenigsten zweckmäßig erscheinen durfte, den freien Handel
daneben bestehen, was sich in jeder Beziehung später sehr gerächt hat,
denn einmal konnte der freie Handel den Bedarfsstellen Kartoffeln zu
billigeren Preisen liefern als das Reich, weil die Reichsstelle, welche
die Höchstpreise überschreiten durfte, ein üeberangebot durch zu hohe
Preise am Markte veranlaßte, und weiter verleidete die mangelnde Ver-
brauchsregelung die Bevölkerung geradezu zur Verschwendung im Ge-
brauch von Kartoffeln.
Der Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Kartoffeln
vom 12. April 1915 folgte am 15. April 1915 eine Bekanntmachung
über Ausnahmen von den Höchstpreisen für Speisekartoffeln gemäß den
Bestimmungen der Bekanntmachungen vom 15. Februar und 31. März
1915 (RGBl. S. 226), die anordnet, daß beim Verkauf inländischer
Speisekartoffeln aus der Ernte 1914 durch den Produzenten an das
Reich, einen Bundesstaat oder Elsaß-Lothringen, insbesondere an die
Heeresverwaltungen oder die Marineverwaltung, an die Reichsstelle für
Kartoffelversorgung oder an einen Kommunalverband außer dem Höchst-
preis eine Gebühr für Aufbewahrung, geeignete Behandlung, Ent-
schädigung für Schwund und Risiko gezahlt werden darf, die bei der
Abnahme der Kartoffeln beim Produzenten zwischen 20. und 30. April
2 M., 1. bis 9. Mai 3 M., 10. bis 19. Mai 4 M., 20. bis 31. Mai 5 M.,
1. bis 9. Juni 6 M., 10. bis 19. Juni 7 M., nach dem 19. Juni 8 M.
für den Doppelzentner betragen darf. Außerdem dürfen die genannten
Käufer eine Kommissionsgebühr bis zur Höhe von 40 Pfg. für den
Doppelzentner für alle mit der Abwicklung zusammenhängenden Ge-
schäfte einschließlich der Verladung auf der nächsten Bahnstation ge-
währen.
Am 9. Oktober 1915 wurden weitere grundlegende Bestimmungen
für die Kartoffelversorgung erlassen (Bekanntmachung über die Kartoffel-
versorgung vom 9. Oktober 1915, RGBl. S. 647, mit einer unwesent-
lichen Abänderung vom 27. Januar 1916, RGBl. S. 66). Es wurde
eine Reichskartoffelstelle nach dem Vorbild der Reichsgetreide-
etelle mit einer mit behördlicher Autorität ausgestatteten Verwaltungs-
abteilung und einer kaufmännisch geleiteten Geschäftsabteilung als Ge-
sellschaft mit beschränkter Haftung ins Leben gerufen. Daneben be-
Miszellen. 185
stand zuächst die Reichsstelle für Kartoffelversorgung anscheinend weiter,
denn der üebergang ihrer Aufgaben und Befugnisse in die Reichskartoffel-
stelle ist erst in der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 angeordnet worden
(RGBl. S. 407). Die Vorschriften über die Beschaffung der Kartoffeln
wurden in Anlehnung an die Bekanntmachung vom 12. April 1915 er-
weitert und insbesondere zum Zwecke der Sicherstellung der zum Ausgleich
abzugebenden Kartoffelmengen alle Erzeuger mit mehr als 10 ha =
40 Morgen Kartoffelanbaufläche verpflichtet, 10 vom Hundert ihrer ge-
samten Kartoffelernte bis zum 29. Februar 1916 zur Verfügung des
Kommunalverbandes zu halten, also eine beschränkte Enteignung von
Kartoffelvorräten, die jedoch fast zu einer allgemeinen wurde, da die
Bekanntmachung über die Abänderung der Bekanntmachung über die
Kartoffelversorgung vom 9. Oktober 1915 vom 28. Oktober 1915
(RGBl. S. 710) die 10 ha auf 1 ha = 4 Morgen herabsetzte. Die
Enteignungspreise dürfen die in dieser Bekanntmachung gleich mitfest-
gesetzten Grundpreise nicht überschreiten. Diese betragen für die Tonne
inländischer Speisekartoffeln aus der Ernte 1915 beim Verkauf durch
den Kartoffelerzeuger in den vier bekannten Anbaugebieten 55, 57, 59
und 61 M. Hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit Kartoffeln
werden den Kommunalverbänden, wie es auch schon die Bekannt-
machung vom 12. April 1915 vorsah, die notwendigen Maßnahmen
übertragen.
In der neuen Versorgungsregelung für die Kartoffeln für das Ernte-
jahr 1915 wurde also von einer durchgreifenden staatlichen Organisation
wiederum Abstand genommen, keine Verbrauchsbeschränkung vorge-
nommen und dem freien Handel das Feld abermals zum größten Teile
überlassen. Die Erfahrungen im Frühjahr und Sommer 1915 hatten
also nicht dazu geführt, wesentliche, grundlegende Veränderungen in
der Kartoffelversorgung für das neue Erntejahr vorzunehmen. Die teil-
weise Enteignung der Vorräte der Erzeuger mit mehr als 10 ha, später
1 ha Anbaufläche mit 10 vom Hundert der Kartoffelernte erscheint nur
als eine Art staatlicher Hilfsstellung für den Fall, daß der freie Handel
versagen sollte, denn aus der, wie es in der über die Kartoffelver-
sorgung im Kriege vorliegenden amtlichen Bearbeitung i) heißt, ver-
strickten, d. i. die dem freien Verfügungsrecht des Eigentümers ent-
zogene 10-proz. Menge, hatte die Reichskartoffelstelle etwa trotz des
freien Handels angemeldete Fehlmengen der Kommunalverbände frei-
händig zu beschaffen, oder, falls dies nicht möglich war, im Wege der
ümlegung durch Ausgabe von Bezugsscheinen, wie es die Bekannt-
machung vom 9. Oktober bestimmte, aufzubringen. Die Reichskartoffel-
stelle sollte erst im Notfall eingreifen und war auch dann noch dadurch
beschränkt, daß sie ihrerseits Abschlüsse nur vermitteln durfte, da ihr
jedes Risikogeschäft gesetzlich untersagt war, und das außerdem nur
zu den außerordentlich niedrigen gesetzlichen Richtpreisen — Höchst-
preise waren ja nicht festgesetzt — von 55, 57, 59 und 61 M. pro
1) Beiträge zur Kriegswirtschaft, herausgegeben von der volkswirtschaftlichen Ab-
teilung des Kriegsernährungsamts, Heft 2, Die Kartoffel in der Kriegswirtschaft, S. 35
186 Miszelleo.
Tonne bzw. 2,75, 2,85, 2,95 und 3,05 pro Zentner in den vier Preis-
gebieten. Diese viel zu niedrig angesetzten Preise trugen überdies auch
sehr wesentlich mit dazu bei, die Kartoffelversorgung beträchtlich in
Frage zu stellen. In Anbetracht des herrschenden Futtermangels, ins-
besondere an Kraftfutter, waren die Futtermittelpreise ganz erheblich
gestiegen, so daß die Kartoffel mit ihrem geringen Richtpreise von
2,75 M. für den Zentner das bei weitem billigste Futtermittel darstellte.
Eine Verfütterung allergrößten Stils auf dem Lande sowohl wie in den
Städten mußte den Speisekartoffelmarkt leeren. Fehlende Fütterungs-
verbote, mangelnde Verbrauchsregelung und andere Fehler, welche die
Versorgungsregelung vom 9. Oktober 1915 in sich trug, wie die er-
wähnte Bearbeitung (a. a. 0. S. 36 — 38) näher ausführt, gestalteten die
Kartoffelversorgung so schwierig, daß es vielleicht kaum gelungen wäre,
sie durch den Winter durchzubringen, wenn man sich nicht in letzter
Stunde zur Einführung von Schnelligkeitsprämien verstanden hätte,
um schnellste Anlieferung von Kartoffeln an besonders an Kartoffel-
mangel leidende Kommunalverbände bewirken zu können, worunter
allerdings wieder das System der Kartoffelhöchst- bzw. -richtpreise litt.
Da sich die in der Bekanntmachung vom 9. Oktober 1915 ge-
gegebenen Bestimmungen zur Kartoffelversorgung wenig bewährten und
die in diesem Zusammenhange angewendeten Maßnahmen nicht aus-
reichten, mußten bald neue Verordnungen erlassen werden, welche die
Bekanntmachung über die Speisekartoffelversorgung im Frühjahr und
Sommer 1916 vom 7. Februar 1916 (RGBl. S. 86) brachte. Sie setzte
die Abschnitte über die Beschaffung der Kartoffeln und die Ver-
sorgung der Bevölkerung der Bekanntmachung vom 9. Oktober 1915
mit dem Beginne des 15. März 1916 außer Kraft und bestinmite zur
Versorgungs- und Verbrauchsregelung der Kartoffeln in Verbindung mit
der Bekanntmachung über die Errichtung von Preisprüfungsstellen und
die Versorgungsregelung vom 25. September und 4. November 1915
besondere Maßnahmen für die Kommunalverbände zur Beschaffung der
für die Ernährung der Bevölkerung mit Speisekartoffeln erforderlichen
Mengen, soweit der Bedarf nicht aus den in ihren Bezirken verfügbaren
Vorräten gedeckt werden kann, erließ Vorschriften über die Lieferung
von Kartoffeln durch die Ueberschußverbände an die Reichskartoffel-
stelle oder die Bedarfs verbände und übertrug den Landeszentralbehörden
und den Kommunalverbänden die Regelung der Versorgung für ihre
Bezirke; woraufhin allenthalben die Einführung von Kartoffelkarten
zur Rationierung des Kartoffelverbrauchs ähnlich wie beim Brot und
Mehl erfolgte; die Kartoffelkarten haben nur lokale Geltung; Landes-
oder Reichskartoffelkarten oder Reichsreisekartoffelkarten gibt es
nicht. Nach den Uebergangsbestimmungen mußten die Kommunal-
verbände, soweit es zur Versorgung der Bevölkerung für die Zeit bis
zum 15. März 1916 erforderlich war, die Kartoffel verrate, die sich in
ihrem Bezirk im Gewahrsam von Händlern befanden, übernehmen und
in laufende Verträge, die von diesen über Lieferung von Kartoffeln ab-
geschlossen und vor dem 15. März 1916 zu erfüllen waren, eintreten,
außer wenn es sich um Verträge mit den Heeresverwaltungen oder der
Miszellen. 187
Marineverwaltung handelte. Eine zweite, ebenfalls am 7. Februar 1916
(RGBl. S. 85) erlassene Bekanntmachung bestimmt, daß Kartoffeln, die
aus dem Auslande eingeführt werden, an die Reiehskartoffelstelle zu
liefern sind. Und am 26. Februar 1916 werden auf Grund des § 4
Abs. 2 der Bekanntmachung vom 7. Februar 1916 die Kartoffelerzeuger
verpflichtet (RGBl. S. 123), auf Erfordern alle Vorräte abzugeben, die
zur Fortführung ihrer Wirtschaft bis zur nächsten Ernte nicht erforder-
lich sind. Im Falle der Enteignung werden ihnen bestimmte Mengen
für die Angehörigen ihrer Wirtschaft und zwar pro Kopf und Tag
1^/2 Pfd. sowie das unentbehrliche Saatgut belassen. Diese Abgabe-
vorschriften wurden in der Bekanntmachung vom 31. März 1916 (RGBl.
S. 223) wesentlich verschärft dergestalt, daß nunmehr ohne Rücksicht
auf den Wirtschaftsbedarf 4 Doppelzentner für ein Hektar der Kar-
toffelanbaufläche des Erntejahres 1915 von einem jeden Kartoffelerzeuger
auf Erfordern abzugeben sind. Davon abgesehen werden ihnen jedoch
auch weiterhin belassen die für ihre Wirtschaftsangehörigen, das Vieh, das
Saatgut, die mit Rücksicht auf den Heeresbedarf an Spiritus zur Ab-
brennung des zugewiesenen Durchschnittbrandes erforderlichen Kar-
toffeln und die Kartoffelmengen zur Erzeugung von Kartoffeltrocknungs-
erzeugnissen, soweit diese an die Trockenkartoffelverwertungsgesellschaft
abzuliefern sind. Endlich wurde am 19. Juni 1916 (RGBl. S. 532)
zu dieser Bekanntmachung abändernd die Tageskopfmenge der den
Erzeugern für ihre Wirtschaftsangehörigen freigegebenen Kartoffeln bis
31. Juli 1916 auf 1 Pfd. herabgesetzt, nur für Schwerarbeiter verblieb
es beim Satze von l^g Pfd.-
Für das neue Erntejahr 1916 wurden die Bestimmungen zur Rege-
lung der Kartoffelversorgung in der Bekanntmachung vom 26. Juni
1916i(RGBl. S. 590) für den Zeitraum vom 16. August 1916 bis
15. August 1917 zusammengefaßt, deren Vorschriften sich im großen
und ganzen auf die schon in der Bekanntmachung vom 7. Februar 1916
ausgesprochenen Grundsätze stützen. Den Kommunalverbänden bleibt
die Versorgungs-, Lieferungs- und Abnahmeverpflichtung. Wichtig
gegenüber den frühereren Versorgungsregelungen ist, daß nunmehr auch
die Heeres- und Marineverwaltungen, die Trockenkartoffelverwertungs-
gesellschaft nebst den ihr angeschlossenen Trocknereien und Stärke-
fabriken und die Reichsbranntweinstelle ihren Bedarf an Kartoffeln bei
der Reichskartoffelstelle anzumelden haben, wodurch diese über die für
Industrie-, Trocknungs- und Brennereizwecke erforderlichen Kartoffel-
mengen somit auch unterrichtet wird, um auch diese Punkte bei den
zu treffenden Maßnahmen zu berücksichtigen und in den Verteilungs-
plan miteinstellen zu können. Im übrigen sind die weiteren Bestim-
mungen den früheren entsprechend angepaßt worden. Neu ist die den
Landeszentralbehörden aufgelegte Verpflichtung, für ihre Bezirke Ver-
mittlungsstellen als Landes- bzw. Provinzialkartoffelstellen einzurichten,
deren Aufgabe es ist, nach den Anweisungen der Reichskartoffelstelle
die Durchführung der den üeberschußverbänden aufgegebenen Liefe-
rungen zu überwachen, namentlich auch inbezug auf Anwendung des
gesetzlichen Zwangsmittels, der Enteignung, die Bedarfsanmeldungen
Igg MiszellcD.
nachzuprüfen und für einen sachgemäßen Ausgleich von üeberschuß und
Fehlbetrag innerhalb ihres Bezirks zu sorgen. So ist die neue Kar-
toffelversorgung neben der zentralen Organisation auf eine breite De-
zentralisation gestellt worden und damit ein schwerer Nachteil des
früheren Systems behoben worden, indem die Reichskartoffelstelle mit
den Kommunalverbänden nicht mehr direkt zu verkehren braucht,
sondern sich höchst zweckmäßig die Landes- bzw. Provinzialkartoffel-
stellen zwischen beide einschieben. Ein möglichst sorgsames Einmieten
oder Einlagern der Kartoffelvorräte wurde den Kommunalverbänden
nach näheren Bestimmungen der Landeszentralbehörden besonders ans
Herz gelegt.
Nach § 5 dieser Bekanntmachung vom 26. Juni 1916 kann der
Reichskanzler Grundsätze über die Verpflichtung der Kommunalver-
bände und der Kartoffelerzeuger zur Sicherstellung und Abgabe von
Kartoffeln aufstellen. Demzufolge gibt die Bekanntmachung über die
Verpflichtung der Kommunalverbände und der Kartoffelerzeuger zur
SicherstelluDg und Abgabe von Kartoffeln vom 2. August 1916 (RGBl.
S. 875) den Verteilungsplan für die Kartoffelmengen, welche die Vermitt-
lungsstellen in den Kommunalverbänden ihres Bezirks zur Deckung des
für die Ernährung der Bevölkerung vom 16. August 1916 bis 15. August
1917 erforderlichen Bedarfs an Kartoffeln in den Kommunalverbänden
und Bezirken, die diesen Bedarf nicht aus den bei ihnen verfügbaren
Vorräten decken könnnen, sicherzustellen haben. Danach entfällt die
größte Menge auf die Provinzialkartoffelstelle Posen mit 43 378 982 Ztr.,
die zweitgrößte auf die Provinzialkartoffelstelle Potsdam mit 37 959111
Ztr., auf die thüringische Landeskartoffelstelle in Weimar kommen nur
3 550 726 Ztr., die kleinsten Anteile haben die Bezirkskartoffelstelle in
Sigmaringen mit 162 249 Ztr. und die schaumburg-lippische Vermitt-
lungsstelle mit nur 78 659 Ztr.
Eine weitere Ausführung zur Bekanntmachung vom 26. Juni 1916
bringt auf Grund ihres § 2 — Versorgungsregelung — die Bekannt-
machung über Kartoffeln vom 14. Oktober 1916 (RGBl. S. 1165), welche
die Verbrauchsmenge pro Kopf und Tag für die Bevölkerung durch-
schnittlich auf IY2 Pfund Kartoffeln festsetzt: Der Kartoffelerzeuger
darf auf den Tag und Kopf bis IV2 Pfund Kartoffeln seiner Ernte für
sich und für jeden Angehörigen seiner Wirtschaft verwenden, während
im übrigen der Tageskopfsatz auf höchstens 1 Pfund Kartoffeln mit
der Maßgabe festgesetzt wird, daß der Schwerarbeiter eine tägliche
Zulage bis 1 Pfund Kartoffeln erhält. Weiter bestimmte die Bekannt-
machung vom 14. Oktober 1916, daß Kartoffeln, Kartoffelstärke, Kar-
toffelstärkemehl sowie Erzeugnisse der Kartoffeltrocknerei nicht ver-
füttert werden dürfen, doch können Kartoffeln, die als Speise- oder
Fabrikkartoffeln nicht verwendbar sind, an Schweine und an Federvieh,
und, soweit die Verfütterung an Schweine und an Federvieh nicht mög-
lich ist, auch an andere Tiere verfüttert werden. Auch ist verboten,
Kartoffeln einzusäuern und die an die Trockenkartoffelverwertungsgesell-
schaft in Berlin abzuliefernden Mengen zu vergällen oder mit anderen
Gegenständen zu vermengen sowie bis auf weiteres ebenfalls der Hände
Misz eilen. 189
und Verkehr mit Saatkartoff ein, deren Lief er ungs vertrage, soweit die
Lieferung nicht bis zum 20. Oktober 1916 erfolgt ist, als aufgehoben
gelten.
Die Bekanntmachung über Kartoffeln vom 1. Dezember 1916
(RGBl. S. 1314) regelte die Versorgung der Bevölkerung mit Speise-
kartoffeln in der Weise, daß der Kartoffelerzeuger bis zum 31. De-
zember 1916 und vom 1. März bis zum 20. Juli 1917 auf den Tag
und Kopf bis l^Jg Pfund Kartoffeln, in der Zeit vom 1. Januar bis
28. Februar 1917 bis 1 Pfund Kartoffeln seiner Ernte für sich und für
jeden Angehörigen seiner Wirtschaft verwenden darf. Im übrigen wird
der Tageskopfsatz bis zum 31. Dezember 1916 auf höchstens 1 Pfund
Kartoffeln, vom 1. Januar bis zum 20. Juli 1917 auf höchstens ^/^ Pfund
Kartoffeln mit der Maßgabe festgesetzt, daß der Schwerarbeiter eine
tägliche Zulage bis 1 Pfund, vom 1. Januar 1917 ab eine tägliche Zu-
lage bis IVi Pfund Kartoffeln erhält. Zur Deckung des für die Er-
nährung der Bevölkerung bis zum 20. Juli 1917 erforderlichen Bedarfs
an Kartoffeln in den Kommunalverbänden und Bezirken, die diesen Be-
darf nicht aus den bei ihnen verfügbaren Vorräten decken können,
haben die Vermittlungsstellen die ihnen von der ßeichskartoffelstelle
aufgegebenen Mengen in den Kommunalverbänden ihres Bezirkes sicher-
zustellen. Die Vermittlungsstellen haben zur Durchführung der Sicher-
5tellung die ihnen auferlegten Mengen auf die Kommunalverbände ihres
Bezirkes nach Anweisung der Reichskartoffelstelle zu verteilen. Soweit
auf Grund der Sicherstellung nach der Vorschrift der Bekanntmachung
vom 2. August 1916, welche übrigens nebst der Bekanntmachung vom
14. Oktober 1916 durch die Bekanntmachung vom 1. Dezember 1916
außer Kraft gesetzt wird, auf Anfordern der Reichskartoffelstelle Kar-
toffeln geliefert sind, werden diese nach näherer Anweisung der Reichs-
kartoffelstelle auf die sicherzustellende Menge angerechnet. Die Kom-
munalverbände haben die ihnen zur Sicherstellung aufgegebenen
Kartoffelmengen auf die Gemeinde bezirke unterzuverteilen. In den
•Gemeinden erfolgt die ünterverteilung auf die Kartoffelerzeuger durch
den Gemeindevorstand. Die Kommunal verbände können bei den Kar-
toffelerzeugern auch diejenigen Mengen sicherstellen, die zur Deckung
des eigenen Bedarfs des Kommunalverbandes erforderlich sind. Soweit
die wichtigsten für die Kartoffelversorgung 1916/17 maßgebenden und
grundlegenden reichsgesetzlichen Bestimmungen, die noch eine wichtige
Abänderung erfuhren durch die Bekanntmachung vom 7. Februar 1917
(RGBl. S. 104), welche den Grundsatz aufstellte, daß der Kartoffel-
erzeuger bis zum 20. Juli 1917 auf den Tag und Kopf nur noch
1 Pfund Kartoffeln seiner Ernte für sich und für jeden Angehörigen
seiner Wirtschaft verwenden darf. Im übrigen wird der Tageskopfsatz
bis zum 20. Juli 1917 sogar auf höchstens ^4 Pfund Kartoffeln fest-
gesetzt, sowohl für die Bevölkerung im allgemeinen, wie es übrigens
schon bestand, als auch für die Schwerarbeiter, denen nunmehr eine
tägliche Zulage von auch nur ^/^ Pfund gewährt wurde. Die Vor-
schriften über den Ersatz eines Teiles der Kartoffelmengen durch Kohl-
rüben, worauf wir noch zu sprechen kommen werden, bleiben durch die
290 Minzellen.
Bekanntmachung vom 7. Februar 1917 unberührt. Im übrigen wieder-
holt diese Bekanntmachung auch noch das Verfütterungsverbot für Kar-
toffeln mit den schon bekannten und erwähnten Ausnahmen. Endlich
werden am 24. März 1917 noch weitere Aenderungen vorgenommen
(RGBl. S. 278): Jeder Kartoffelerzeuger hat auf Erfordern alle Kar-
toffeln abzugeben, die zur Fortführung seiner Wirtschaft nicht erforderlich
sind. Zu belassen sind ihm 1) für jeden Angehörigen seiner Wirt-
schaft, einschließlich des Gesindes sowie der Naturalberechtigten, ins-
besondere Altenteiler und Arbeiter, soweit sie kraft ihrer Berechtigung
als Lohn Kartoffeln zu beanspruchen haben, für die Zeit vom 1. April
1917 bis zur neuen Ernte 90 Pfd., 2) zur Aussaat 20 dz für das
Hektar der im Erntejahr 1916 mit Kartoffeln bestellten Anbaufläche,
wenn sein Bedarf für das Erntejahr 1917 nicht geringer und die Ver-
wendung zu Saatzwecken sichergestellt ist. Jeder Kartoffelerzeuger,
der im Erntejahr 1916 mehr als ^/^ Hektar mit Kartoffeln bestellt ge-
habt hat, hat ohne Rücksicht auf die Mengen, die ihm nach der vor-
stehenden Vorschrift zu belassen sein würden, 4 dz für das Hektar seiner
Anbaufläche abzugeben. Die Reichskartoffelstelle kann Ausnahmen zu-
lassen. Das Eigentum an Kartoffeln, zu deren Abgabe der Erzeuger
verpflichtet ist, kann durch Anordnung der unteren Verwaltungsbehörde
auf den Kommunalverband oder die von der unteren Verwaltungsbehörde
bezeichnete Person übertragen werden. Die Anordnung kann an den
einzelnen Besitzer oder an alle Besitzer des Bezirks oder eines Teiles
des Bezirks gerichtet werden. Im ersteren Falle geht das Eigentum
über, sobald die Anordnung dem Besitzer zugeht, im letzteren Falle mit
dem Ablauf des Tages nach Ausgabe des amtlichen Blattes, in dem die
Anordnung bekanntgegeben wird. Die untere Verwaltungsbehörde kann
die Kartoffelerzeuger zur Aussonderung der abzuliefernden Mengen auf-
fordern und, wenn sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, die Aus-
sonderung auf ihre Kosten vornehmen lassen. Für die enteigneten
Vorräte ist ein üebernahmepreis zu zahlen, der unter Berücksichtigung
des Höchstpreises sowie der Güte und Verwertbarkeit der Vorräte fest-
gesetzt wird. Der hiernach festzusetzende üebernahmepreis ist um
30 M. für die Tonne zu kürzen. Der Betrag, um den der üebernahme-
preis gekürzt wird, fließt dem Kommunalverband zu, aus dessen Bezirk
die enteignete Menge in Anspruch genommen wird. Streitigkeiten
hieraus entscheidet endgültig die höhere Verwaltungsbehörde des Be-
zirks, in dem sich die Kartoffeln zur Zeit befinden. Damit ist
der Kreis der für die Kartolfelversorgung des laufenden Jahres bis zur
neuen Ernte von der Reichsregierung erlassenen Verkehrs- und Ver-
brauchsvorschriften geschlossen.
Die Kartoffelversorgung für das Erntejahr 1917 berücksichtigte
in weitem umfange die Erfahrungen der beiden Vorjahre und legte ins-
besondere Gewicht auf die Verbrauchsregelung und die Verteilung neben
der Verfügungsbeschränkung, welche in den Verordnungen des Jahres
1916 auf neuer Grundlage aufgebaut wurden. Das Nebeneinanderwirken
des freien Handels und der staatlichen Zwangslieferung hatte bekannt-
lich im Vorjahre zum Versagen der Kartoffelversorgung geführt. Durch
Miszellen. 191
das System der Zwangsumlage und der Abnahmepflicht wurde dagegen
1916 der freie Handel ausgeschlossen, wenn das auch nach außen hin
vielleicht nicht vollständig in die Erscheinung trat, denn die Kommunal-
verbände bedienten sich bei der Durchführung ihrer Lieferungsauflage,
der Abnahme und Abgabe der Kartoffeln vielfach der Erfahrungen
sachverständiger Kartoffelhändler im Rahmen der Zwangslieferung und
-abnähme, um die erforderlichen Maßnahmen desto zweckmäßiger und
sicherer durchzuführen.
Für das neueWirtschaftsjahr 1917/18 gibt die Verordnung
über die Kartoffelversorgung im Wirtschaftsjahr 1917/18 vom 28. Juni
1917 (RGBl. S. 569) die Hauptgrundzüge. Diese Bundesrats Verordnung
ist vorläufig nur der Rahmen, innerhalb dessen von den zuständigen
Stellen — Kriegsernährungsamt, Reichskartoffelstelle und Landeszentral-
behörden — noch nähere Ausführungsbestimmungen getroffen werden
sollen. Die Regelung der Kartoffelversorgung bezieht sich auf die Zeit
vom 16. August 1917 bis 15. September 1918, also auf eine Zeit von
13 Monaten.
Es ist auch für das neue Erntejahr das System der Zwangslieferung^
beibehalten worden. Bei den Beratungen mit den Sachverständigen aller
Berufsgrupen ist, von ganz geringen Ausnahmen abgesehen, durchweg
erklärt worden, daß man an diesem System sowohl für Früh- wie für
Winterkartoffeln festhalten müsse, da der freie Handel im System der
Höchstpreise unter den gegenwärtigen Verhältnissen für eine ausreichende
Versorgung aller Schichten der Bevölkerung keine Gewähr bieten könne»
In der Regelung der Kartoffelversorgung sind gegenüber dem Vor-
jahre verschiedene Verbesserungen vorgenommen worden. Es sind ins-
besondere verschärfte Kontrollen eingeführt, die auf der einen Seite die
Versorgung der Verbraucher wirksamer als bisher sichern, auf der an-
deren aber auch die üeberlastungen der Erzeuger in einzelnen Be-
zirken infolge zu hoher Ertragsschätzung vermeiden sollen. Die Organi-
sation ist die gleiche wie bei der vorjährigen Versorgung. Die
Bewirtschaftung der Kartoffel wird unter der Aufsicht des Präsidenten
des Kriegsernährungsamtes von der Reichskartoffelstelle geleitet. Bei
ihr haben die Heeresverwaltungen und die Marineverwaltung den Bedarf
zu bestimmten Zeitpunkten anzumelden. Sie setzt den Bedarf der
Kommunalverbände, der Reichsbranntweinstelle und der Trockenkartoffel-
Verwertungsgesellschaft fest. Der Reichskartoffelstelle unterstellt sind
sogenannte, von den einzelnen Landeszentralbehörden errichtete Vermitt-
lungsstellen (Landeskartoffelstellen , Provinzialkartoffelstellen). Unter
diesen stehen alsdann die Kommunalverbände, das sind in der Regel
die Land- und Stadtkreise mit ihren Gemeinden.
Die wichtigsten Organe bei der tatsächlichen Ausführung der Kar-
toffelversorgung sind die Kommunalverbände. Sie haben Pflichten nach
einer zweifachen Richtung hin zu erfüllen, einmal gegenüber ihrer ein-
gesessenen versorgungsberechtigten Bevölkerung und dann — wenn sie
Ueberschußgebiete sind und als solche mehr Kartoffeln erzeugen, als
ihrer eigenen Bevölkerung zustehen — auch gegenüber solchen Ver-
bänden, denen als Bedarfsbezirken Kartoffeln fehlen. Gegenüber ihreox
192 Miscellen.
eingesesseaen Verbrauchern sind sie verpflichtet, die zu dereo Ernährung
erforderlichen Mengen an Kartoffeln zu beschaffen, soweit der Bedarf
nicht aus den im eigenen Bezirk verfügbaren Vorräten gedeckt werden
kann, und die Versorgung der Bevölkerung zu regeln. Für die Be-
schaffung der Kartoffeln wird die Beschäftigung durchweg sachver-
ständiger, dem Handel angehörender Personen als Kommissionäre vor-
geschrieben und dabei bestimmt werden, daß solche Kommissionäre in
jedem Kreise in genügender Zahl eingestellt werden müssen. Die Kom-
munalverbände haben die beschafften Mengen, soweit sie sie nicht als-
bald an die Verbraucher verteilen, sorgfältig einzumieten oder einzu-
lagern. Beim Einmieten und Einlagern und bei den sonst zur Erhaltung
der Kartoffeln nötigen Maßnahmen sind Sachverständige zuzuziehen.
Die Kommunalverbände können zu diesem Zwecke in ihrem Bezirke
Plätze für das Einmieten und Räume für das Einlagern gegen eine an-
gemessene Entschädigung in Anspruch nehmen. Ist ein Kommunalver-
band Ueberschußgebiet, erzeugt er also mehr, als er für seine Bevölke-
rung braucht, so ist er verpflichtet, die auf ihn entfallende Menge nach
den Weisungen der vorgesetzten Stelle an einen bestimmten Bedarfs-
verband abzuliefern. Der Kommunalverband hat die festgesetzten
Mengen auf die Gemeinden oder unmittelbar auf die landwirtschaft-
lichen Betriebe umzulegen. Wie bei Getreide und Hülsenfrüchten nach
der neuen ßeichsgetreideordnung vom 21. Juni 1917, so ist auch hier die
Wirtschaftskarte vorgesehen. Zu ihrer Führung ist der Kommunal-
verband verpflichtet. Er kann außerdem von jeder Gemeinde noch be-
sonders die Führung von Wirtschaftskarten für den Gemeindebezirk
verlangen. Da in die Wirtschaftskarte für jeden einzelnen landwirt-
schaftlichen Betrieb die geernteten Mengen und die einzelnen Abliefe-
rungen eingetragen werden, so läßt sich daraus jederzeit der noch auf-
zuweisende Sollbestand ermitteln. So dient die Wirtschaftskarte der
Kontrolle des einzelnen Betriebes. Die Gesamtheit der Wirtschafts-
karten stellt somit eine Bestandsbuchführung aller im Reiche vorhandenen
Kartoffelvorräte bei den Erzeugern dar. Sie gewährt einen guten üeber-
blick über die Vorräte und gibt eine Handhabe dafür, die abzuliefernden
Kartoffelmengen auf die einzelnen Gemeinden und die einzelnen Betriebe
gerechter und gleichmäßiger zu verteilen, als das bisher möglich war.
Zweckmäßig wird es sein, wenn — was nicht vorgeschrieben ist — sich
auch jeder Landwirt für seinen Betrieb eine Wirtschaftskarte anlegt, aus
der er jederzeit ersehen kann, wie er mit seinen Vorräten steht. Die Haf-
tung für die vollständige und rechtzeitige Lieferung trägt stets der
Kommunalverband. Kommt er seiner Lieferungspflicht nicht rechtzeitig
nach, so kann die Reichskartoffelstelle die Mengen, die innerhalb seines
Bezirks verbraucht werden dürfen, herabsetzen. Auf ihren Antrag kann
auch die Reichsgetreidestelle in solchen Fällen die Lieferung von Ge-
treide und Hülsenfrüchten einschränken oder gar einstellen. Wenn
einen Kommunalverband eine solche Verwaltungsstrafe trifft, so wird er
gerechterweise die bei ihm vorgenommene Kürzung auf solche Gemeinden
oder unmittelbar auf solche Betriebe verteilen, die ihre Lieferungspflicht
«chuldhaft nicht erfüllt haben.
Miszellen. 193
Gegenüber der Reichskartoffelstelle bleibt aber immer der Kom-
jnunalverband für die Erfüllung der Lieferungspflicht verantwortlich.
Der Kommunalverband seinerseits macht die Gemeinden haftbar; diese
halten sich an die einzelnen Betriebe. Letzteren gegenüber haben die
Gemeinden das weitere Recht, innerhalb ihrer Verteilungsbefugnis auch
die Lieferung anderer Bedarfsgegenstände einzuschränken oder einzu-
stellen.
Die den Erzeugern auferlegten Pflichten sind folgende. Sie haben
die Kartoffeln sachgemäß zu ernten und die zu ihrer Erhaltung und
Pflege erforderlichen Handlungen vorzunehmen. Sie dürfen die Kartoffeln
in Höhe der bei ihnen für die Allgemeinheit sichergestellten Mengen
nicht verbrauchen oder beiseite schaffen. Die Verwaltungsbehörde kann
die Erzeuger zur Aussonderung der zu liefernden Mengen aus den übrigen
Beständen auffordern und, wenn sie dieser Aufforderung nicht nach-
kommen, die Aussonderung auf deren Kosten vornehmen lassen. Inner-
halb einer von der Verwaltungsbehörde zu setzenden Frist sind die
Kartoffeln abzuliefern. Ist die Lieferung innerhalb dieser Frist nicht
erfolgt, so ist der dem Erzeuger zu zahlende Uebernahmepreis um 3 M.
für den Zentner zu kürzen.
Die Kartoffeln werden, wo sie sich auch befinden, einer steten
Beaufsichtigung unterliegen. Die Beamten der Polizei und die von der
Reichskartoffelstelle, den Vermittlungsstellen, den Kommunalverbänden
oder der Polizeibehörde beauftragten Personen sind befugt, in Räume,
in denen Kartoffeln gelagert, feilgehalten oder verarbeitet werden, so-
wie in Räume, in denen Vieh gehalten oder gefüttert wird, einzutreten
und in diesen Besichtigungen vorzunehmen. Die Besitzer der Räume
oder die von ihnen bestellten Betriebsleiter und Aufsichtspersonen haben
alsdann auf Ersuchen Auskunft über die vorhandenen Vorräte, ihre Her-
kunft und die Art ihrer Verwendung zu erteilen.
So ist durch umfassende Kontrollen, und, wenn es sein muß, auch
durch Strafen die vollständige und rechtzeitige Kartoffellieferung der
üeberschußgebiete an die Bedarfsverbände sichergestellt worden. Das
Gemeinsamkeitsgefühl, das gerade auch in Landgemeinden recht stark
ausgeprägt ist, wird die Anwendung der angedrohten Zwangsmaßnahmen
nur in vereinzelten Fällen notwendig werden lassen.
Diese neue Regelung der Kartoffelversorgung wird durch spätere
Ausführungsbestimmungen der zuständigen Stellen erweitert und ergänzt
werden. Diese können erst im August und September ergehen, wenn
die Kartoffelanbauflächen feststehen und die Aussicht für die kommende
Herbstkartoffelernte sich einigermaßen übersehen läßt. Aufrechterhalten
bleibt bis auf weiteres die jetzige Bestimmung, wonach das Verfüttern
von Kartoffeln verboten ist. Inwieweit dieses strenge Verfütterungs-
verbot im kommenden Herbst etwas gemildert werden kann, und wie
die einzelnen Rationen und Lieferungsbedingungen im einzelnen festzu-
setzen sind, läßt sich erst entscheiden, wenn das Ergebnis der Herbst-
kartoffelernte vollständig zu übersehen ist.
Den gleichen geringen Erfolg, welchen die ganze Kartoffelversor-
gung in den ersten beiden Kriegsjahren an sich zeitigte, hatte auch
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 1 3
194 Miszellen.
die Kartoff elhöchstpreispolitik, die sich, abgesehen von den
früheren Höchstpreisbestimmungen, auf der Bekanntmachung über die
Kartoffelpreise vom 28. Oktober 1915 (RGBl. S. 711) aufbaut. Danach
ist der Reichskanzler ermächtigt, nach Preisgebieten getrennt, für Kar-
toffeln Höchstpreise festzusetzen, die beim Verkauf im Großhandel
durch den Kartoffelerzeuger nicht überschritten werden dürfen. Ge-
meinden mit mehr als 10000 Einwohnern sind verpflichtet, andere
Gemeinden sowie Kommunalverbände sind berechtigt und auf An-
ordnung der Landeszentralbehörden verpflichtet, Höchstpreise für den
Kleinhandel mit Kartoffeln unter Berücksichtigung der besonderen
örtlichen Verhältnisse festzusetzen. Auf Grund dieser Vorschriften
wurde dann sogleich die Bekanntmachung über die Festsetzung
der Höchstpreise für Kartoffeln und die Preisstellung für den Weiter-
verkauf vom 28. Oktober 1915 (RGBl. S. 709) erlassen. Die Be-
stimmungen des § 10 der Bekanntmachung vom 9. Oktober 1915 über die
Grundpreise der Kartoffeln wurden beibehalten, und die früheren Sätze
55, 57, 59 und 61 M. für die vier Preisgebiete galten nunmehr als
gesetzliche Höchstpreise im Großhandel, während für den Kleinhandels-
höchstpreis bestimmt wurde, daß er den Erzeugerhöchstpreis desjenigen
Preisgebiets, in welches die Kartoffeln zum Verbrauche geschafft werden,
um nicht mehr als insgesamt 1,30 M. für 50 kg übersteigen dürfe.
Die Bekanntmachung über die Regelung der Kartoffelpreise wurde un-
wesentlich abgeändert am 11. November 1915 (RGBl. S. 760) und am
29. November 1915 (RGBl. S. 787), wodurch insbesondere die Ein-
schränkungen der gesetzlichen Befugnisse zum Erlaß von Höchstpreisen
gegenüber den Kartoffelerzeugern betroffen wurden. In diesem Zu-
sammenhange gewinnt auch die Bekanntmachung betreffend Einwirkung
von Höchstpreisen auf laufende Verträge vom 11. November 1915 (RGBl.
S. 758) Bedeutung hinsichtlich der Kartoffelpreise gemäß der Bekannt-
machung vom 28. Oktober 1915, wonach Verträge über Lieferung von
Kartoffeln, die zu höheren Preisen als den gesetzlich festgesetzten
Höchstpreisen abgeschlossen sind, mit dem Inkrafttreten derselben als
zum Höchstpreis abgeschlossen gelten, soweit die Lieferung zu diesem
Zeitpunkt noch nicht erfolgt ist. Die Höchstpreisbestimmungen des
28. Oktober 1915 galten, abgesehen von dem abändernden Zusatz der
Bekanntmachung vom 27. Januar 1916 (RGBl.. S. 66), daß die Heeres-
verwaltungen und die Marineverwaltung, die Reichskartoffelstelle und
die von dieser ermächtigten Stellen und Personen an die Höchstpreise
nicht gebunden sind, bis Mitte März 1916. Sie wurden mit dem Ab-
lauf des 14. März 1916 außer Kraft gesetzt durch die neue Bekannt-
machung vom 2. März 1916 (RGBl. S. 140), welche entsprechende
Kartoffelhöchstpreise von 90, 92, 94 und 96 M. festsetzte und daneben
bestimmte, daß beginnend mit dem 15. April 1916 die Preise sich am
15. jedes Monats, letztmalig am 15. Juni, um 5 M. für die Tonne er-
höhen. Durch diesen automatischen Zuschlag stellten sich die Preise
am 15. April auf 95, 97, 99 und 101 M., am 15. Mai auf 100, 102,
104 und 106 M., am 15. Juni auf 105, 107, 109 und 111 M. für die
Tonne im Großhandel. Bei der Festsetzung der Kleinhandelshöchst-
M i s z e 1 1 e n. 195
preise werden die Gemeinden keiner Beschränkung unterworfen. Es
haben daher die Kommunalverbände vielfach, ohne Ansehung des sich
aus den Festsetzungen für den Großhandel ergebenden Zentnerpreises des
zweiten Preisgebietes, um ein Beispiel zu nennen, gemäß der automatischen
Steigerung pro Zentner 4,60, 4,85, 5,10 und 5,35 M., den Pfundpreis auf
5 — 10 Pfg. stellenweise festgesetzt. Hinsichtlich der Frühkartoffeln
bestinomte die Bekanntmachung vom 2. März 1916, daß ihre Höchst-
preise nicht für Frühkartoffeln aus der Ernte 1916 gelten. Der Preis
für den Doppelzentner inländischer Frühkartoffeln wird besonders be-
stimmt dahingehend, daß er beim Verkauf durch den Erzeuger 20 M.
nicht übersteigen darf. Als Frühkartoffeln gelten Kartoffeln, die vor
dem 15. August 1916 geerntet werden. Die Gemeinden sind zur Fest-
setzung von Kleinhandelshöchstpreisen für Frühkartoffeln berechtigt,
aber nicht verpflichtet. Auch für Kartoffeln, die laut ortspolizeilicher
Bescheinigung in Mistbeeten oder ähnlichen Vorrichtungen gezogen sind
und vor dem 15. Juni 1916 geerntet und verkauft werden, gelten die
Höchstpreise der Bekanntmachung vom 2. März 1916 nicht (RGBl.
S. 322). Mit dem Ablauf des 31. Juli 1916 traten dann die Höchst-
preise des 2. März außer Kraft durch die Bekanntmachung vom 13. Juli
1916 (RGBl. S. 696), die folgende Höchstpreise für Kartoffeln aus
der Ernte 1916 beim Verkaufe durch den Kartoffelerzeuger für die
Tonne festsetzte (maßgebend ist der zu der vereinbarten Lieferungs-
zeit geltende Höchstpreis) :
1.— 10. August 1916
11.— 20.
i8o M.
i6o „
21.— 31.
I.-IO. September 1916
11.— 20.
HO „
I20 „
IOC „
21.— 30.
1. Oktober 1916 bis 15.
Februar
1917
90 „
80 „
16. Februar 1917 „ 15.
August
1917
100 „
In weit schärferer Weise, als es bei der Getreidehöchstpreispolitik
der Fall war, hat die Kartoffelhöchstpreispolitik eine öffentliche Kritik
herausgefordert. Tages-, wissenschaftliche und Fachpresse haben dem
Gegenstand jedenfalls große Aufmerksamkeit geschenkt. Auch in den
über die Ernährungsfrage im Kriege erschienenen Monographien ist das
Problem der Kartoffelversorgung mit besonderer Berücksichtigung der
Kartoffelpreise eingehend behandelt worden, und gerade die verschie-
denen Höchstpreisfestsetzungen sind dabei immer vor allem ausführlich
besprochen und fast überall einstimmig getadelt worden i), was auch
sogar die oben erwähnte amtliche Bearbeitung ausspricht 2).
Neben den Verordnungen zur Regelung der Kartoffelversorgung im
engeren Sinne erging noch eine Reihe von Bekanntmachungen, welche
verschiedene Maßnahmen anordneten, um die Kartoffelvorräte ihrem
Hauptzweck, der menschlichen Ernährung, weiterhin im ausgedehntesten
1) Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung (Verlag Neue Deutsche Bücherei in
München) vom 11. März 1916, S. 39.
2) Beiträge zur Kriegswirtschaft, a. a. O. S. 44.
13*
■[96 Miszellen.
Maße sicherzustellen. Im Jahre 1915 waren solche Maßnahmen noch
nicht getroffen worden ; der Aufbau des Systems der Kartoffelversorgung
bei der längeren Dauer des Krieges bedingte jedoch auch in dieser Be-
ziehung weitergehende Schritte und gebot schärfere Bestimmungen nicht
nur zur Sicherstellung und für den Verbrauch der Kartoffelvorräte,
sondern auch vorsorgende Maßnahmen für die Kartoffel ernte und die
Verfütterung von Kartoffeln. Das Verbot des Vorverkaufs der Ernte
des Jahres 1916 wurde in der Bekanntmachung vom 21. Juni 1916
(RGBl. S. 545) ausgesprochen. Die Bekanntmachung vom 15. April 1916
(RGBl. S. 284) regelt das Verfüttern der Kartoffeln, wonach Kartoffel-
besitzer bis zum 15. Mai 1916 verfüttern dürfen an Pferde höchstens
10 Pfund, Zugkühe 5 Pfund, Zugochsen 7 Pfund, Schweine 2 Pfund
täglich, oder statt dessen an Erzeugnissen der Kartoffeltrocknerei je
ein Viertel davon, wenn diese Tiere schon früher mit Kartoffeln oder
Erzeugnissen der Kartoffeltrocknerei gefüttert worden sind. Am 15. Mai
1916 (RGBl. S. 377) wurden diese Bestimmungen dahin abgeändert, daß
bis zum 15. August 1916 Kartoffelbesitzer an ihr Vieh insgesamt nicht
mehr Kartoffeln verfüttern durften, als auf ihren Schweinebestand bis
zu diesem Tage nach dem Satze von höchstens 2 Pfund Kartoffeln für
den Tag und das Schwein entfällt. Und am 8. Juni 1916 (RGBl. S. 446)
wurden weitere einschränkende Bestimmungen dazu erlassen bzw. folgende
Abänderungen verfügt: Vom 10. Juni 1916 ab dürfen Kartoffeln nicht
mehr verfüttert werden. Der Kommunalverband regelt die Zulassung
von Ausnahmen, die aber nur bewilligt werden dürfen für Kartoffeln,
welche sich nachweislich zur menschlichen Ernährung nicht eignen.
Viehbesitzer dürfen bis 15. August 1916 an ihr Vieh nur noch Erzeug-
nisse der Kartoffeltrocknerei nach bestimmten, in der Bekanntmachung
vorgeschriebenen Sätzen verfüttern. Und endlich bestimmt die Bekannt-
machung vom 23. September 1916 (RGBl. S. 1075): Kartoffeln und Er-
zeugnisse der Kartoffeltrocknerei dürfen nur an Schweine und Federvieh
verfüttert werden. Kartoffelerzeuger dürfen Kartoffeln, die als Speise-
kartoffeln oder als Fabrikkartoffeln nicht verwendbar sind, mit Genehmi-
gung ihres Kommunalverbandes auch an andere Tiere ihrer Wirtschaft
als an Schweine und Federvieh verfüttern, soweit die Verfütterung an
diese nicht möglich ist. Kartoffelstärke und Kartoffelstärkemehl dürfen
nicht verfüttert werden. Nach der Kartoffelverordnung für 1917/18
kann das Verfüttern von Kartoffeln und Erzeugnissen der Kartoffel-
trocknerei oder -Stärkefabrikation beschränkt oder verboten werden
(§ 13 Abs. 1). Die Verfütterungsverbote für Kartoffeln sind somit in
Anlehnung an die übrigen zu ihrer Sicherstellung, Verfngungs- und Ver-
brauchsbeschränkung erlassenen Bestimmungen ebenfalls immer schärfer
und strenger geworden.
Die Bestimmungen über Saatkartoffeln enthält die Bekanntmachung
vom 6. Januar 1916 (RGBl. S. 5) mit der Vorschrift, daß die Kartoffel-
höchstpreise nicht für Saatkartoffeln gelten, und Anordnungen über die
Zulassung zum Handel von Saatkartoffeln und die Buchführung über
solche Geschäftsabschlüsse die Bekanntmachung vom 14. September 1916
(RGBl. S. 1031) mit der entsprechenden Höchstpreisvorschrift und der
■^Misz eilen. ]^97
AnordnuDg, daß die Ausfuhr von Saatkartoffeln aus einem Kommunal-
verband in einen anderen der Genehmigung des Kommunalverbandes
bedürfe sowie die Bekanntmachung vom 16. November 1916 (RGBl.
S. 1281) gleichfalls mit den entsprechenden Anordnungen und der neuen
Vorschrift, daß Saatkartoffeln aus der Ernte 1916 nur durch die Ver-
mittlung von landwirtschaftlichen Berufsvertretungen abgesetzt werden
dürfen und auch diese den Absatz von Saatkartoffeln nach außerhalb
ihres Bezirkes wieder nur an solche vermitteln dürfen. Vom 26. Mai
1917 ab durften sie den Absatz von Saatkartoffeln nach außerhalb ihres
Bezirks nicht mehr vermitteln und nach dem 31. Mai 1917 durften
Saatkartoffeln aus dem Bezirke einer dieser Stellen in den Bezirk einer
anderen nicht mehr geliefert werden (Verordnung über Saatkartoffeln
vom 24. Mai 1917 — RGBl. S. 434).
Die wirtschaftliche Kriegsnotgesetzgebung erstreckt sich alles in
allem aber nicht nur auf die Maßnahmen zur Sicherung der Kartoffeln
an sich in ihrer unmittelbaren Verwendung zur menschlichen Ernährung,
sondern hat auch zahlreiche Anordnungen für den Verkehr mit Er-
zeugnissen der Kartoffeltrocknerei und Kartoffelstärke-
fabrikation sowie die Kartoffelbrennerei getroffen, um von
diesen Erzeugnissen geeignete Stoffe ebenfalls der menschlichen Er-
nährung zuzuführen oder der Verfütterung dienstbar zu machen. So
wurde bereits in der Bekanntmachung vom 5. November 1914 (RGBl.
S. 471) der Absatz von Erzeugnissen der Kartoffeltrocknerei unter Zu-
hilfenahme einer zu diesem Zwecke errichteten Trockenverwertungsgesell-
schaft in Berlin geregelt, am 11. Dezember 1914 (RGBl. S. 505) kamen die
Höchstpreise für die Kartoffelflocken, -Schnitzel, -stärke und das -walz-
mehl beim Verkaufe durch den Trockner sowie für alle weiteren Ver-
käufe, und am 22. Dezember 1914 wurde die Verwendung von Kartoffel-
mehl zur Herstellung von Seife verboten (RGBl. S. 547). Die Bekannt-
machung über die Höchstpreise für Erzeugnisse der Kartoffeltrocknerei
vom 11. Dezember 1914 wurde im Laufe des Jahres 1915 mehrfach
abgeändert, so am 11. Januar (RGBl. S. 15), 25. Februar (RGBl. S. 116),
15. April (RGBL S. 225), 16. September (RGBl. S. 588); die Bekannt-
machung vom 25. Februar brachte eine erhebliche Heraufsetzung der
Preise, nämlich für Kartoffelflocken von 23,50 M. auf 35, — M., Kar-
toffelschnitzel von 22,25 M. auf 33,75 M., Kartoffelwalzmehl von 27,50 M.
auf 39, — M. und für Kartoffelstärke und Kartoffelstärkemehl von
29,80 M. auf 48, — M. pro dz; entsprechende Preiserhöhungen ebenfalls
für alle weiteren Verkäufe nach dieser Bekanntmachung, die eine unwesent-
liche Abänderung am 24. Februar 1916 erhielt (RGBl. S. 118). Am
16. September 1915 wurden die Preise wieder auf 28,90 M. bzw. 27,65 M.
bzw. 32,90 M. bzw. 40, — M. erniedrigt. Den Absatz von Erzeugnissen
der Kartoffeltrocknerei und Kartoffelstärkefabrikation regelt bis 30. Sep-
tember 1915 die Bekanntmachung vom 25. Februar 1915 (RGBl. S. 118),
bis 30. September 1916 die vom 16. September 1915 (RGBl. S. 585)
mit ergänzenden Bestimmungen zur ersten. Während bisher nur Kar-
toffelschnitzel und -krümel, Kartoffelflocken und Kartoffelwalzmehl der
Regelung unterlagen, dehnte sie die Bekanntmachung vom 1. November
X98 Miszellen.
191Ö (RGBl. S. 722) noch aus auf Kartoffelflockengrieß, Kartoffel-
schnitzelmehl, -brot, Kartoffelscheiben, Kartoffelbrocken und Kartoffel-
flockenkleie. Eine unwesentliche Abänderung allgemeiner Natur erging
am 25. November 1915 (RGBl. S. 778) und am 24. Februar 1916 (RGBl.
S. 119). Die Bekanntmachung vom 17. März 1916 (RGBl. S. 173)
dehnte die Vorschriften auf alle Erzeugnisse aus, die entstehen, wenn
frischen Kartoffeln, allein oder in Mischungen mit anderen Stoffen, der
größere Teil ihres natürlichen Wassergehalts entzogen wird. Die bis-
herige Befreiung der Trockner von der Lieferungspflicht von Erzeug-
nissen und Beständen, die für den eigenen Wirtschaftsbetrieb erforderlich
sind, wurde am 15. April 1916 (RGBl. S. 286) aufgehoben. Kartoffeln,
Erzeugnisse der Kartoffeltrocknerei, Kartoffelstärke oder Kartoffelstärke-
mehl durften früher zur Herstellung gewerblicher Erzeugnisse nach § 11
der Bekanntmachung vom 16. September 1915 nur mit Einwilligung der
Trockenkartoffel- Verwertungsgesellschaft verwendet werden. Diese Ein-
schränkung fiel vpm 26. Juni 1916 ab weg (RGBl. S. 592). Weitere Ab-
änderungen kamen am 31. August 1916 (RGBl. S. 986) : Die Lieferungs-
pflicht der Trockner blieb fortan auf die gesamten Erzeugnisse und
Bestände ausgedehnt, der am 26. Juni 1916 weggefallene § 11 wurde
wieder eingefügt. Die neue Fassung der Verordnung über die Regelung des
Absatzes von Erzeugnissen der Kartoffeltrocknerei und der Kartoffel-
stärkefabrikation vom 31. August 1916 wurde am 22. September 1916
bekannt gemacht (RGBl. S. 1069). Neue Höchstpreise setzte die Be-
kanntmachung vom 29. Februar 1916 (RGBl. S. 135) fest:
Erzeugnisse
Preisgebiet
pro dz I
II
III
IV
artoffelflocken 36,80 M.
schnitze! 35,55 „
„ walzmehl, einschl.
Zuschlag f. d. Sichtung 42,80 „
artoffelstärke und Kar-
37,30 M.
36,05 „
43,30 „
37,80 M.
36,5i „
43,80 .,
38,30 M.
37,05 „
44,30 „
toffelstärkemehl 49,30 „
49,80 „
50,30 „
50,80 „
Abänderungen erfolgten am 5. November 1916 (RGBl. S. 1261) für
die Höchstpreise des Kartoffelwalzmehls, die erhöht wurden auf 49,30 M.
bzw. 49,80 M. bzw. 50,30 M. bzw. 50,80 M. üeber die Ablieferung
von Erzeugnissen der Kartoffeltrocknerei an die Trockenkartoffelver-
wertungsgesellschaft handeln §§ 4 und 5 der schon in anderem Zu-
sanmienhange angeführten Bekanntmachung über das Verfüttern von
Kartoffeln vom 15. April 1916 (RGBl. S. 284). Endlich ist zu er-
wähnen, daß auch ein Verbot des Vorverkaufs von Erzeugnissen der
Kartoffeltrocknerei aus der inländischen Ernte 1915 erlassen worden
ist — Bekanntmachung vom 7. Juli 1915, RGBl. S. 419 — , das aber
am 11. Oktober 1915 — RGBl. S. 669 — wieder aufgehoben worden ist.
Im Jahre 1916 und 1917 ist ein solches Verbot nicht erfolgt. Hinsichtlich
der Verarbeitung der Kartoffeln in den Brennereien ist unterm 17. Juni
1915 (RGBl. S. 343) bestimmt worden, daß Brennereien jeder Art bis
einschließlich 15. August 1915 Kartoffeln verarbeiten dürfen, ohne daß
ihnen hieraus für die künftige steuerliche Behandlung Nachteile ent-
Miszellen. 199
stehen. Die Bekanntmachung über die Lohnverarbeitung von Kartoffeln
in kleineren Brennereien vom 8. Juli 1915 (RGBl. S. 424) befreite
Brennereien, denen eine Ermäßigung der Verbrauchsabgabe oder Betriebs-
auflage zugestanden war, von den bestimmten Nachzahlungen, wenn der
über die erforderlichen Erklärungen hinaus gewonnene Branntwein im
Lohnbetriebe für die Reichstelie für Kartoffelversorgung aus Kartoffeln
hergestellt worden ist. Die Bekanntmachung vom 16. September 1915
(RGBl. S. 594) gestattet allen Brennereien, die bisher Getreide ver-
arbeitet haben, im Betriebsjahr 1915/16 Kartoffeln, auch wenn sie diese
nicht selbst gewonnen haben, zur Branntweinbereitung zu verwenden,
ohne daß hieraus ihre Brennereiklasse geändert wird oder ihnen für die
künftige steuerliche Beh&ndlung ein Nachteil entsteht. Weitere Er-
leichterungen brachte dem Brennereibetrieb die Bekanntmachung vom
31. Mai 1916 (RGBl. S. 435), indem bei landwirtschaftlichen Brennereien,
die Kartoffeln oder Mais verarbeiten, von der vorgesehenen Erhöhung
der Betriebsauflage abgesehen wurde; für das Betriebsjahr 1916/17 gilt
entsprechend die Bekanntmachung vom 2. November 1916 (RGBl.
S. 1245) über die Regelung der Verbrauchsabgabenermäßigungen und
mit Vorschriften über den Durchschnittsbrand. Den Kreis dieser Ver-
ordnungen schließt die wichtige Bekanntmachung vom 26. Oktober 1916
(RGBl. S. 1198) und 22. März 1917 (RGBl. S. 259), welche die Ver-
arbeitung von Kartoffeln auf Branntwein in Kleinbrennereien verbietet,
üeber die zahlreichen Kartoffelvorratsaufnahmen, die
seitens der Reichsregierung angeordnet worden sind, die Erntevor-
schätzungen und die Ernteflächenerhebungen, welche auch die Kartoffeln
miterfaßten, ist schon im ersten Teil berichtet worden (vgl. diese „Jahr-
bücher" 53. Bd. S. 90, 91). Eine neue Kartoffelvorratszählung ist durch
Bekanntmachung vom 2. Februar 1917 (RGBl. S. 94) für den 1. März
1917 angeordnet worden. Nach § 13 Abs. 2 der Kartoffelverordnung
für das Erntejahr 1917/18 kann das Kriegsernährungsamt jederzeit die
Vornahme von Kartoffelerhebungen bestimmen.
In diesem Zusammenhange sind auch einige Zahlenangaben
über die deutschen Kartoffelernten von Interesse.
Während in den 5 Jahren von 1888 bis 1892 rund 28 Millionen t
(560 Mill. Ztr.) Kartoffeln in Deutschland geerntet wurden, haben uns
die Ernten 1912 und 1913 je über 50 Mill. t (1000 Mill. Ztr.) Kar-
toffeln gebracht; eine normale Mittelernte war vor dem Kriege 40 bis
421/2 Mill. t (800—850 Mill. Ztr.). Diese Mengen wurden auf der
Fläche von 3,3 Mill. ha erzielt, während 1888 auch schon über 3 Mill. ha
für den Kartoffelbau verwendet wurden, so daß der Ertrag des Hektars
von 185 Ztr. auf 260—270 Ztr. gestiegen war, die Fläche aber nur
von 11,7 auf 12,7 v. H. der gesamten Ackerfläche. Bei einer Mittelernte
standen also unter Zugrundelegung von 67 Millionen Menschen in Deutsch-
land auf den Kopf der Bevölkerung mehr als 12,5 Ztr. Kartoffeln im
Jahre zur Verfügung für Speisezwecke, Viehernährung und gewerbliche
Verwertung. Dem Ertrag von 260 — 270 Ztr. auf das Hektar in Deutsch-
land standen vor dem Kriege gegenüber: in Italien 112 Ztr., in Frank-
reich 140 Ztr., in Rußland 148 Ztr., in Oesterreich 204 Ztr.; nur Eng-
200 Miszellen.
land konnte einen gleichen Ertrag erreichen wie Deutschland, hat aber eine
80 geringe Anbaufläche, daß es nicht annähernd erzeugen kann, was es
zur Ernährung seiner Bewohner an Kartoffeln braucht, und sowohl aus
Deutschland und Holland, wie aus Dänemark und Schweden bedeutende
Mengen für seinen Bedarf einführen muß. Wenn man in Rechnung
stellt, daß gute Erntejahre schon Durchschnittserträge von 300 und sogar
317 Ztr. aufs Hektar ergeben hatten, und daß gute Wirtschaften in
Deutschland die Erträge auf 600 Ztr. gesteigert hatten, so ersieht man,
wie weit die Möglichkeit einer Steigerung der gesamten Kartoffelerträge
noch vor uns steht, und von welcher Bedeutung der Kartoffelbau für
die Frage ist, ob es Deutschland gelingen kann, die Erzeugung der
Lebensmittel mit der steigenden Bevölkerungszahl weiter zu steigern^
so daß wir auch in künftigen Kriegen vor allen üeberraschungen ge-
schützt sein werden.
Was die bisherige Verwendung der deutschen Kartoffelernte an-
langt, so war der Bruchteil der Kartoffelernte gering, der vor dem
Kriege für die menschliche Ernährung verwandt wurde. Bei einer
Durchschnittsernte von 40— 42V2 Mill. t (800—900 Mill. Ztr.) wurde die
Hauptmenge, 300 — 400 Mill. Ztr., als Viehfutter verwandt; auf die mensch-
liche Ernährung kamen 285 Mill. Ztr.; für Saatgut waren 130 Mill. Ztr.
in Rechnung zu setzen, der nächstkleinere Posten, 80—90 Mill. Ztr.,
ging überhaupt verloren, da die Kartoffel wegen ihres Wassergehaltes
trotz aller Kenntnisse über Aufbewahrungs verfahren sehr empfindlich
ist; es ist überhaupt schwer, den Verlust innerhalb der Grenze von
10 V. H. zu halten. Für die Alkoholgewinnung dienten 50 Mill. Ztr.,
der Stärkeerzeugung wurden 32 Mill. Ztr. zugeführt; der Rest, 16 Mill.
Ztr., wanderte in die Trocknereien. In Friedenszeiten betrug also der
jährliche Kartoffelverbrauch etwas über 4 Ztr. auf den Kopf der Be-
völkerung, ein sehr reichliches Pfund täglich, während das Vieh, nament-
lich die Schweine, bedeutend mehr verbrauchte. Bereits vor dem Kriege
hatte man die Verluste dadurch herabzumindern versucht, daß man
Kartoffeln trocknete oder zu Flocken oder Mehl verarbeitete. Der
Krieg hat diese Bestrebungen sehr gefördert; auf Anraten von Land-
wirten hat die Regierung bei Beginn des Krieges tatkräftig einge-
griffen, und dadurch sind in wenigen Monaten aus den vorher be-
stehenden 500 Trockeneinrichtungen weit über 800 geworden, die weit
mehr Kartoffeln hätten verarbeiten können, als man ihnen überhaupt
zuweisen konnte. In den kommenden Friedenszeiten werden diese An-
stalten eine zweckmäßige, ausgleichende Wirkung entfalten.
Eine große Bedeutung hat die Verwendung von Kartoffeln
und Kartoffelerzeugnissen bei der Brotbereitung erlangt,
was im zweiten Teil dieser Arbeit ausführlich dargelegt worden ist
(vgl. diese „Jahrbücher« 53. Bd. S. 737 fg).
Die Kartoffelversorgung basiert im Gegensatz zur Regelung des
Verkehrs mit Brotgetreide, Mehl und Brot auf einer Fülle von Maß-
nahmen mit einer Folge vieler, dauernd sich abändernder, aufhebender^
oft sich widersprechender Verordnungen, die erst im dritten Kriegsjahr
eine einheitliche Gestalt annahmen, wodurch die ganze Kartoffelver-
Miszellen. 201
sorgung reichlich spät auf die längst erwartete und allgemein geforderte
breite und feste Grundlage gestellt wurde , uni vor allem die Wir-
kungen einer so schlechten Kartoffelernte einigermaßen ausgleichen zu
können, wie sie Deutschland seit Jahrzehnten nicht gehabt hat und die
ausgerechnet zu einer so unpassenden und schweren Zeit kommen mußte
wie der gegenwärtigen. Es ist bekannt, daß Deutschland mit seiner
Kartoffelerzeugung weitaus an der Spitze aller Länder steht. Im Durch-
schnitt der letzten Jahrzehnte wurden 45 — 50 Mill. t Kartoffeln pro Jahr
geerntet, 1915 sogar 54 Mill. t. Unter diesen Umständen hatte das
Kriegsernährungsamt allein schon in Anbetracht der großen Schwierig"
keiten der ganzen Kartoffelversorgung an sich und überhaupt ein
weiteres erschwertes Arbeiten, um den Verbrauch der Kartoffeln für
die Bevölkerung möglichst zweckmäßig und durchgreifend zu regeln.
Die kriegswirtschaftlichen Forderungen gleichzeitiger staatlicher Be^
schlagnahme , öffentlicher Bewirtschaftung und einheitlicher Preisfest-
setzung können beim Brotgetreide eher und man möchte fast sagen
geradezu selbstverständlich zur Anwendung kommen, als bei der Kartoffel,
die eben die gleichmäßige Behandlung und vor allem die längere Auf-
bewahrung weit weniger verträgt als das Brotgetreide. Das ist neben
der schlechten Ernte des Jahres 1916 die zweite große Schwierigkeit
für die einheitliche Kartoffelversorgung für das ganze Reich. Unter
diesem Gesichtswinkel muß die Frage immer betrachtet werden, und
dann erklärt sich auch die im zweiten und dritten Kriegsjahr wenig
glückliche und erfolgreiche Politik in der Kartoffelversorgung, wenn
sie auch dadurch nicht gerade im vollen Umfange entschuldigt werden
kann, denn hinsichtlich der Kartoffelversorgung hätte im ersten und
zweiten Kriegsjahr manches zweifellos besser und zweckmäßiger, vor
allem einheitlicher, fester und bestimmter angeordnet bzw. geregelt
werden können. Erst das Mißlingen der Kartoffelernte 1916 brachte
die weitestgehenden Eingriffe in die Landwirtschaft und ihre Betriebe,
die Kartoffeln verwenden, und machte die allgemeine Herabsetzung der
Kopfquote erforderlich. Die schärfsten Maßnahmen wurden hinsichtlich
der Ablieferung und der Verfütterung der Kartoffeln angeordnet. Keine
zur menschlichen Ernährung geeignete Kartoffel darf mehr verfüttert
werden. Die Trocknung der Kartoffeln ist starken Beschränkungen unter-
worfen worden, die KartotTelbrennerei ist auf das Mindestmaß zurück-
geführt. Den Brennereien wird nur die unbedingt notwendige Menge
Kartoffeln zur Spiritusbereitung für Munitionszwecke zugewiesen. Kar-
toffelschnaps darf für die Bevölkerung ebensowenig hergestellt werden
wie Kornschnaps. So ist trotz der schlechten Kartoffelernte durch
die im dritten Kriegsjahre getroffenen energischen reichsgesetzlichen
Maßnahmen zur Sicherung der Kartoffelversorgung auch auf diesem
wichtigen Teilgebiet der Kriegsvolksernährung, (denn die Kartoffel bietet
besonders im gegenwärtigen Kriege neben dem Brot das Hauptnahrungs-
mittel der Masse unserer Bevölkerung, wie sie ja überhaupt auch schon
früher in der Ernährung immer schon eine große Rolle gespielt hat), das
Durchhalten bis zur neuen Ernte gewährleistet, zumal ein im Vorjahre
nicht benutztes Aushilfsmittel für Kartoffeln in der Kohlrübe gefunden
M i 8 z e 1 1 e II.
worden ist, deren Ernte besser ist als die der Kartoffeln. Daß natür-
lich die mangelhafte Kartoffelernte wieder große Schwierigkeiten auf
anderen Gebieten der Lebensmittelversorgung, besonders beim Fleisch
auslöst, ist erklärlich und sei hier nur angedeutet, da an anderer Stelle
darauf zurückzukommen sein wird. Jedenfalls ist aber durch die letzten
reichsgesetzlichen Maßnahmen zur Kartoffelversorgung hierfür noch er-
reicht worden, was erreicht werden mußte und schon früher oft in
öffentlicher Kritik in der Tages- und landwirtschaftlichen Fachpresse
und in den wissenschaftlichen Zeitschriften sowie eigenen Schriften über
die Nahrungsmittelversorgung bzw. Kartoffelfrage gefordert worden ist,
wobei man vielfach besonders auf die zu niedrige und zu oft wechselnde
Preisfestsetzung für die Kartoffeln hingewiesen hat. Die Hauptsache
ist und bleibt aber, daß es gelingt, mit den vorhandenen Mengen bis
zur neuen Ernte, die hoffentlich besser ausfallen wird, auszukommen,
wenn auch die Kopfquote erheblich verringert werden muß. Es sind
auch schon Maßnahmen getroffen, um einen zeitigen und umfangreichen Ver-
brauch von Frühkartoffeln zu ermöglichen. So darf alles in allem nicht daran
gezweifelt werden, daß auch die Kartoffel Versorgung im vierten Kriegs-
jahre trotz aller großen ihr entgegenstehenden Schwierigkeiten dank der
umsichtigen Kriegswirtschaft des Reiches sich noch in den Rahmen
der ganzen übrigen, sonst mit bestem Erfolge durchgeführten Lebens-
mittelregelung eingliedern und den Massen der Bevölkerung ein überaus
wichtiges Nahrungsmittel in möglichst angemessener Menge zuführen
wird. (G c.)
(Fortsetzung folgt.)
Miszellen. 203
VI.
Der Neubau des Donau-Main-Kanals und seine wirt-
schaftlichen Aussichten.
Von Dr. R. Hennig, d. Z. Libau.
Drei Kanalpläne, die bis heute nicht verwirklicht worden sind,
heben sich zurzeit ah dringliche Aufgaben im Ausbau des deutschen
Wasserstraßennetzes vor allen andren ab, da der Krieg ihre sehr hohe
wirtschaftliche und militärische Bedeutung in denkbar überzeugendster
Weise dargetan hat: das Schlußstück des Mittellandkanals, der Donau-
Oder- Kanal und der Donau-Main- Kanal in Größenverhältnissen, die den
heutigen Anforderungen zu genügen imstande sind. Alle drei Wasser-
straßen sind, jede in ihrer Art, während des Krieges schmerzlich genug
entbehrt worden: die Wasserstraße zwischen Hannover und Magde-
burg (Mittellandkanal) als höchst willkommene Entlastung der über-
bürdeten Eisenbahnen in den Güterbeförderungen zwischen Ost und West
und die beiden Verbindungen zwischen der Donau imd den norddeutschen
Strömen als Vermittler der Güterabfuhr und Munitionszufuhr in den
Balkanländern und auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz. Die Er-
kenntnis dessen, was sie der Kriegführung hätten sein können und was
sie dem mitteleuropäischen Wirtschaftsbündnis in Zukunft sein werden,
zumal in bezug auf Ausschaltung jeder Abhängigkeit vom Seeverkehr,
diese Erkenntnis wird nach beendetem Krieg kräftig genug dazu bei-
tragen, jene drei wichtigsten Wasserstraßenverbindungen und mit ihnen
wohl noch manche andere ins Leben zu rufen.
Die zweifellos besten Aussichten bestehen zurzeit für die Herstellung
eines neuen Donau-Main-Kanals. Die großzügige Erweiterung des alten
Donau-Main- Kanals, des in seinen Größen Verhältnissen seit Jahrzehnten
völlig veralteten bayrischen Ludwig- Kanals zwischen Kelheim und Bam-
berg, ist ja eine Aufgabe, deren Durchführung in Bayern seit länger
als einem Viertel Jahrhundert mit aller Energie angestrebt wird, wobei
der jetzige König Ludwig III. einer der erfolgreichsten und eifrigsten
Rufer im Streit war. Die Verhandlungen im bayrischen Parlament
am 16. Februar und 27. März d. J. haben bewiesen, daß der Kanal-
gedanke jetzt überall im Volke festen Fuß srefaßt hat, denn die Aus-
führung des ehedem so hart umkämpften Planes ist im Unterhaus
einstimmig und im Oberhaus mit allen gegen eine Stimme beschlossen
worden.
Damit öffnet sich die Aussicht auf die zeitgemäße Verwirklichung
einer Kanalidee, die wir rundweg als die älteste, an deutschen Boden
204 Miszellen.
überhaupt anknüpfende bezeichnen dürfen. Wandelt doch damit das
heutige Bayern auf Spuren, die schon auf Karl den Großen zurück-
gehen, und es ist bemerkenswert in mehr als einer Hinsicht, daß nicht
nur die entscheidende Anregung zur Schaffung des Kanals heute wie
im 8. Jahrhundert das militärische Interesse gab, sondern daß überdies
auch der Weg, den die künftige Main-Donau-Großschiffahrt einschlagen
wird, aller Voraussicht nach ziemlich genau denselben Einschnitten im
Gelände folgt, die Karls des Großen Ingenieure für ihre im Jahre 792
in Angriff genommene, aber nicht vollendete „fossa Carolina" ausgewählt
haben. Lange betrachtete man die Ueberlieferung von dem Karolin-
gischen Donau-Rhein-Kanal als eine Volkssage, aber man weiß ietzt,
daß in der Nähe eines Dörfchens, das den bezeichnenden Namen Graben
führt, bei der mittelfränkischen Eisenbahnstation Grönhart (zwischen
Treuchtlingen und Weißenburg) alte Ueberreste des Kanalbetts und auch
noch ein größerer Weiher bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben
sind. Zudem hat man erkannt, daß die Haupt-Literaturquelle, die uns
die Kunde von dem alten Kanalbau Kaiser Karls überliefert hat und
deren Zuverlässigkeit man zu Unrecht lange bezweifelte, die „Annales
Laurissenses", eine Art von amtlichem Charakter tragen und «üeselbe
Zuverlässigkeit besitzen, wie die Chronik des Einhard, des berühmten
Historiographen der Karolingischen Zeit, der übrigens aller Wahrschein-
lichkeit nach auch der oberste Bauleiter bei der Schaffung der fossa
Carolina gewesen ist. Die genannten Annalen berichten vom
Jahre 793 1):
„Von einigen, die sich darüber unterrichtet zu haben behaupteten,
wurde er (der Kaiser) zu der Ueberzeugung gebracht, daß man mit Hilfe
eines zwischen den Flüssen Rezat (Eadantia) und Altmühl (Alomona)
anzulegenden schiffbaren Grabens leicht von der Donau in den Rhein
müsse fahren können, da der eine von jenen Flüssen zur Donau, der
andere zum Main fließt. Daher brach er sogleich mit seinem ganzen
Gefolge zu deni betreffenden Orte auf, versammelte eine große Menge
von Menschen um sich und verwandte den ganzen Herbst auf die
Arbeit. Zwischen den genannten Flüssen wurde ein Graben von 2000
Schritt Länge und 300 Fuß Breite angelegt, jedoch vergeblich. Denn
infolge unaufhörlicher Regengüsse und der durch zu viel Feuchtigkeit
naturgemäß unvollkommenen Beschaffenheit des sumpfigen Erdreichs
konnte das in Angriff genommene Werk nicht vollendet werden ; was
nämlich bei Tage von den Arbeitern geschaffen worden war, stürzte
des Nachts durch Zusammensinken des Bodens wieder ein."
Erst in den letzten Jahren ist durch den Münchener Oberlehrer
Dr. Friedr. Beck der sichere und endgültige Beweis erbracht worden-),
daß jener erste Main-Donau-Kanalplan und früheste deutsche Kanalbau,
den man vielfach als Legende anzusprechen geneigt war, tatsächlich
der Geschichte angehören und im Gelände noch heute erkennbar sind.
1) Pertz, Monumenta Germaniae, SS. I, p. 179, Hannover 1826.
2) Fr. Beck, Der Karlsgraben, Nürnberg 1911.
Miszellen. 205
Auch der Grund zu jenem Unternehmen Kaiser Karls, der zunächst
nicht recht einleuchtend war, da wirtschaftliche Notwendigkeiten natur-
gemäß im 8. Jahrhundert auf deutschem Boden Wasserstraßen nicht
erforderlich machten, ist durch Beck klargestellt worden. Der Kanal
sollte einmal den persönlichen Bedürfnissen des Kaisers dienen, der
bei seinen sehr ausgedehnten Reisen durch das ganze Reich (Karl
der Große durchreiste in jedem Jahr seiner 45-jährigen Regierung
nach Einhards genauen Angaben durchschnittlich nicht weniger als
etwa 1760 km !) oft genug zwischen Rhein und Donau hin und her
fuhr und bei seiner Vorliebe für die Fahrten zu Wasser das Fehlen
eines schiffbaren TJebergangs unliebsam empfand, dann aber sollte er
auch den geplanten Feldzug gegen die Avaren (796) und die hierfür
nötigen Heerestransporte wirksam vorbereiten helfen.
Wenn es kulturgeschichtlich keinen geringen Reiz hat, festzustellen,
daß dieselben Gesichtspunkte, die heute dem neuen Donau-Main- Kanal
zum endgültigen Siege verhelfen werden, schon vor 1125 Jahren
wirksam waren, so hatte in den 20er und 30er Jahren des vorigen
Jahrhunderts, im Zeitalter der Kleinstaaterei und des Partikularismus,
in dem der „Ludwigskanal" zwischen Main und Donau ins Leben
gerufen wurde, das militärische Bedürfnis keinerlei Bedeutung für die
Durchführung des Kanalgedankens. Vielmehr wurde der Gedanke, der,
wie v. Schanz gezeigt hat, bereits im Jahre 1801 von französischer
Seite ^) empfohlen worden, ja schon im Jahre 1656 wiederaufgelebt
war^), damals weniger aus militärischen Gründen befürwortet, die zwar
vielleicht neben anderen den in Verkehrsfragen so ungemein scharfsich-
tigen Napoleon I. veranlaßten, sich mit dem Kanal zu beschäftigen und
sogar sich Pläne dafür ausarbeiten zu lassen 3), sondern er wurde fast
ausschließlich aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten heraus erwogen und
gefördert*). Ja, diese Gesichtspunkte litten sogar an einer erheblichen
Ueberspannung und ergaben eine völlig schiefe Auffassung der tat-
sächlichen Verhältnisse. Man wurde durch den Gedanken der geogra-
phisch kürzesten Wasserstraße zwischen der Nordsee und dem Schwarzen
Meer hypnotisiert und huldigte dem heute naiv scheinenden Glauben,
daß der Durchgangsverkehr vom Atlantischen Ozean zur Levante, ja,
gar nach Indien s) sich über den Donau-Main- Kanal abspielen und
zu einer teilweisen Verödung der Straße von Gibraltar führen werde.
Selbst ein so scharfblickender Geist wie Goethe war von diesem Wahn
befangen und verfiel der allgemeinen, grenzenlosen Ueberschätzung des
1) Marquis Dessoles im „Moniteur" vom 30. Januar 1801: Note du g^n^ral
D . . . aur un canal, qui joindrait le Rhin au Danube.
2) Georg Schrott er, Ein Donau-Main-Kanalprojekt vom Jahre 1656, in der
Zeitsehr. für Handelswissenschaft, August 1913, Beilage, S. 74.
3) Soden, Der Maximilianskanal, über die Vereinigung der Donau mit dem Main
und Rhein, Nürnberg 1822.
4) Mich. Georg Regnet, Einige Fingerzeige zur Beförderung des großen Pro-
jektes, die Donau mit dem Rhein zu vereinigen, Nürnberg 1801.
5) V. Hallberg, Ueber den Rhein-Donaukanal und den alten Handelsweg nach
Indien, Augsburg 1831.
206 Miszellen.
Donau-Main-Kanals, den er in seinem berühmten Gespräch mit Ecker-
mann vom 21. Februar 1827 mit dem künftigen Suez- und mittel-
amerikanischen Kanal auf eine Stufe stellte und dessen Verwirklichung
ihm so bedeutsam erschien, daß er sich wünschte, noch 50 Jahre länger
zu leben, um jene drei großen Kanalpläne noch ausgeführt zu sehen.
Der Donau-Main-Kanal war unter den genannten drei Verkehrs-
wegen der erste, dem die Ausführung beschieden war, und es dauerte
nicht 50 Jahre, sondern noch nicht IV2 Jahrzehnte nach Goethes Tode,
bis der Bau vollendet war. Aber die Wsisserstraße, die nach 9- jähriger
Bauzeit im Jahre 1845 dem Betrieb übergeben wurde, eben deor
bayrische Ludwigskanal zwischen Bamberg, Nürnberg und Kelheim,
rechtfertigte nicht nur die auf sie gesetzten hochfliegenden Hoffnungen
in keiner Weise, sondern war von vornherein in so dürftigen Dimen-
sionen gehalten, daß sie vom ersten Tage ihres Bestehens an veraltet
war. Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus ! Bemerkenswerterweise hat
der Erbauer selbst die vorhandenen Mängel schon frühzeitig betont^) —
Selbst aber wenn der Kanal in denkbar beträchtlichsten Größen Verhält-
nissen angelegt worden wäre, so hätte er dennoch niemals den über-
spannten Anforderungen und Erwartungen entsprechen und mit der
Straße von Gibraltar in Wettbewerb treten können. Ein einziger Mann
erkannte dies sogleich und sprach es aus, lange bevor der Bau in Angriff
genommen wurde, der größte Volkswirt seiner Zeit, Friedrich List,
aber man hörte nicht auf die Stimme dieses Propheten, dessen wunder-
bar scharfe Voraussicht kommender wirtschaftlicher Notwendigkeiten
wir gerade in unserem Zeitalter von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr be-
wundern lernen. List goß nämlich schon 1829 klares Wasser in den
Wein der Kanalbegeisterung, als er äußerte 2) : „Verbindung der Nordsee
mit dem Schwarzen Meer klingt groß, aber es steckt wenig dahinter.
Die Nordsee ist mit dem Schwarzen Meere längst durch einen natür-
lichen Kanal verbunden, der zwar um Europa herumführt, aber Schiffe
von SOO t trägt". Derselbe „natürliche Kanal", die Straße von Gibraltar
trägt in unseren Tagen nicht nur Schiffe von 300 t, sondern ebensogut
Fahrzeuge von 15 000 und mehr t, ohne daß Erweiterungsbauten und
Mehrkosten erforderlich wären. Der Ludwigskanal hingegen hat noch
immer die mehr als bescheidenen Abmessungen, die sein geistiger Vater,
der Oberbaurat v. Pechmann, ihm verliehen hatte und die man schon vor
70 Jahren als unzureichend empfand. Das Ergebnis, das man mit einem
Kostenaufwand von fast 30 Mill. M. gewonnen hatte, war ein nur
1,6 m tiefer, I71/2 m breiter Kanal mit 11 m Sohlenweite und nicht
weniger als 88 Schleusen. Der heutige Chronist des Ludwigskanals,
Georg V Schanz, fällte über die verfehlte Anlage das strenge Urteil'):
,,Man hatte nicht genügend den Pulsschlag der neuen Zeit gefühlt, man
hatte die Bedeutung der stürmisch hereinbrechenden neuen Verkehrs-
mittel verkannt. Was 50 oder 100 Jahre früher reichen Segen gespendet
1) V. Pechmann, Der Ludwigskanal, kurze Geschichte seines Baues und seiner
noch bestehenden Mängel, München 1854.
2) Nachtrag zum 1. Heft der Mitteilungen aus Nordamerika, Hamburg 1829.
3) Q. V. Schanz, Der Donau-Mainkanal und seine Schicksale, Bamberg 1894.
Mis Zellen. 207
und Bayerns wirtschaftliche Entwicklung sehr beschleunigt hätte, das
hatte nur einen begrenzten Wert und wurde eine recht kostspielige
Sache".
Anfangs wies der Kanal zwar einen immerhin stattlichen Verkehr
und Reineinnahmen bis zu 96 205 Gulden i) im Jahre auf, aber schon
seit den 50er Jahren entzogen die neuentstehenden Eisenbahnen dem
unscheinbaren Kanal mehr und mehr die Lebensmöglichkeit. Wie
sehr nun gar der Ludwigskanal hinter den Ansprüchen unserer Zeit
zurücksteht, die mindestens das 400 t-Schiff, neuerdings in steigendem
Umfang sogar das 600 t-Schiff als Normaltyp der Schiffahrt auf Flüssen
und Kanälen ersten Ranges betrachtet, das zeigt der Umstand, daß auf
der alten Donau-Main-Wasserstraße wegen der viel zu kleinen Schleusen
nur Fahrzeuge bis zu 127 t verkehren können. Der Kanal, von dem
einst Deutschland gehofft hatte, daß er den Durchgangsverkehr von
der Nordsee zum Orient an sich ziehen werde, war vor 10 Jahren fast
ausgestorben. Im Jahre 1910 betrug der gesamte Güterumschlags-
verkehr in seinen Häfen nur 27 000 t. Allerdings ist zu bemerken, daß
während des Krieges der Verkehr einen kräftigen Aufschwung nahm,
denn in einer Zeit, wo der Seeverkehr für die Mittelmächte untejv
bimden war und die Eisenbahnen als völlig überlastet bettrachtet werden
mußten, war auch die dürftigste Wasserstraße, die Norddeutschland
mit Oesterreich, Ungarn und Bulgarien verband; als willkommen zu
bezeichnen. Dazu kam, daß schon in den letzten Jahren vor dem Kriege
dem Kanal in bescheidenem Umfang neues Leben dadurch eingeflößt
worden war, daß eine Nürnberger Firma auf Veranlassung der Nürn-
berger Handelskammeo" flachgehende Motorschiffe auf dem Kanal ver-
kehren ließ. Diese Fahrzeuge von nur l^/^ m Tiefgang, 4^/2 m Breite
und 31/2 m Länge, die eine Ladefähigkeit von 100 t hatten und durch
Rohölmotoren von 40 PS angetrieben vnirden, verschafften dem Lud-
wigskanal seit dem Sommer 1911, wo sie zum erstenmal in Betrieb
genommen wurden, eine etwas zunehmende Bedeutung, wie die nach-
folgend« Tabelle der Leistungen der genannten Motorschiffe beweist:
Jahr Zahl der Motorschiffe Geförderte Gütermenge (in Tonnen)
1911 1 3 274
1912 3 10940
1913 5 (und 2 Schleppkähne) 23399
1914 5 " 2 „ 31 129
Immerhin war mit so bescheidenen Mitteln nur eine dürftige Ent-
lastung der Eisenbahnen möglich, denn um nur 10000 t Getreide von
den Balkanländern nach Westdeutschland zu bringen, wären bereits
rund 100 Fahrten der genannten Schiffe erforderlich gewesen. Unter
den obwaltenden Umständen aber war im Kriege auch diese geringe
Hilfe ini Transportwesen willkommen.
Freilich erkannte man nun auch, welche schwere Unterlassungs-
sünde damit begangen worden war, daß man dem Drängen des
baj'rischen Kanalvereins und seiner Wortführer, unter denen neben
dem König Ludwig IIL vor allem v. Schanz, S. Günther, ZoepfP),
1) Denkschrift über den Ludwigs-Donau-Mainkanal, Bamberg 1867.
2) Gottfr. Zoepfl, Bayerische Schiffahrtsprojekte, Nürnberg 1902.
208 Miszellen.
und S t e 1 1 e r *) zu nennen sind, nicht frülier nachgegegeben hatte.
Welchen unendlichen wirtschaftlichen Segen hätte im Kriege ein Main-
Donau-Großschiffahrtsweg gestiftet, wie er in den letzten Jahren des
Friedens in verschiedenen Entwürfen ausgearbeitet worden war, eine
Wasserstraße, die mindestens 650 t-Schiffen den Uebergang zwischen
dem Rhein und der Donau ermöglicht hätte ! — Freilich war es nicht
Bayerns Schuld, daß das deutsche Volk im Kriege diese bedeutungs-
volle Kanalverbindung entbehren mußte. Bayern war machtlos, so-
lange nicht die an die Landesgrenzen heranführenden Wasserstraßen
der mittleren Donau und des unteren Mainlaufs für große Schiffe fahr-
bar gemacht waren. Hierzu besteht aber erst gegenwärtig Aussicht.
Die auf Grund des deutschen Schiffahrtabgaben-Gesetzes vom 24. De-
zember 1911 vorgenommene Schiff barmachung des Mains über Frank-
furt hinau3 bis zur bayrischen Grenze bei Aschaffenburg, deren Fertig-
stellung unter Heranziehung einer bedeutenden Zahl von Kriegsge-
fangenen beschleunigt worden ist, wird erst im Sommer oder Herbst
dieses Jahres vollendet sein. Andererseits entsprach bisher auch die
Schiffbarkeit der Donau wenig idealen Zuständen, und vor dem Zeit-
punkt, da die Erneuerung des Donau-Main- Kanals in greifbare Nähe
rückte, hatte Bayern keine rechte Veranlassung, die oberhalb Regens-
burgs nur für kleinere Fahrzeuge benutzbare Donau auch für größere
Schiffe fahrbar zu machen. Diese Aufgabe zusammen mit der Regu-
lierung des bayrischen Mainlaufs müßte zusammen mit der Schaffung
des neuen Ludwigkanals in Angriff genommen werden, womit aller-
dings die Größe der zu bewältigenden Aufgabe erheblich wächst.
Das Verhalten der bayrischen Parlamente zeigt jedoch, daß man fest
entschlossen ist, die Erreichung des Zieles nunmehr anzustreben. An-
gesichts des sehr großen Interesses, das das Reich in wirtschaftlicher
und militärischer Hinsicht an der Verwirklichung der Pläne hat, ist
wohl mit Sicherheit auf eine Geneigtheit der Reichsregierung zu
schließen, dem bayrischen Bundesstaat in der Frage der Kostendeckung
hilfreich die Hand zu bieten.
Die Gesamtkosten, die für die erforderlichen Fluß- und KanaL
arbeiten auf bayrischem Boden aufzubringen wären, sind im Voran-
schlag auf 650 Mill. M. berechnet worden. Da aber die endgültige
Ausführung noch nicht feststeht, kann diese Summe nur als An-
näherungswert angesehen werden. — Die Anpassung der bayrischen
Donau an die Zwecke der Großschiffahrt auf der Strecke von der
Reichsgrenze bei Passau bis zur Mündung des Kanals bei Kelheim
oder Steppberg wird auf 150 Mill. M. veranschlagt. Die Hauptarbeit
wird dabei die Beseitigung des Haupthindernisses für die Schiffahrt,
des Kachlet, eines Felsriegels bei Vilshofen, machen. Im bayrischen
Staatshaushalt für 1916/17 sind für die Regulierungsarbeiten in der
Donau 485 000 M. ausgeworfen worden 2). — Ein Großschiffahrtsweg
auf dem bayrischen Main von der Grenze bei Achaffenburg bis nach
1) Gustav Steller, Der wirtschafiliche Wert einer bayerischen Großschiffahrts-
straßo, Nürnberg 1908.
2) Josef Bleyer, Großschiffahrtsweg Donau- Main-Rhein, S. 19, Regensburg 1916.
Miszellen. 209
Bamberg dürfte etwa 170 Mill. M. Kosten verursachen. Sehr ver-
lockend wäre es, wenn die bekannten, großen Mainschleifen durch
Kanäle abgeschnitten würden, und in der Tat liegt auch ein diesbe-
zügliches Projekt vor. Ein von Gebhardt ausgearbeiteter Vorschlagt)
will von Nürnberg aus einen Kanal nicht nordwärts nach Bamberg,
sondern nordwestwärts nach Wertheim am Neckar führen und damit
eine bedeutende Abkürzung der Entfernungen erzielen. Andererseits
wünscht Gebhardt den Kanal von Nürnberg aus nicht im Zuge des
alten nach Kelheim verlaufen, sondern ihn den Anschluß an die Naab
gewinnen und bei Steppberg münden zu lassen. Dieser Verlauf , der bereits
1828 von Stolz 2) empfohlen, war [worauf Zoepfl schon 7 Jahre vor Geb-
hardt die Aufmerksamkeit lenkte ^)] würde den Vorteil einer leichteren Spei-
sung des Kanals haben und überdies das Erzgebiet der Oberpfalz und den
Bayrischen Wald erschließen, überdies auch die Möglichkeit gewähren,
dem Kanal südwärts über die Donau hinweg eine Verlängerung zum
Anschluß der Städte München und Augsburg zu geben. Dieser letztere
Teil des Gebhardtschen Planes hat ganz besonders viel Verlockendes
an sich und dürfte noch ernstester Erwägung wert sein. Dagegen
hat man den ersteren Vorschlag einer Abkürzung der Mainschleifen nach
eingehender Prüfung, trotz der Befürwortung durch Gebhardt und
Faber*) und trotz der gebotenen, beachtenswerten Vorzüge, in der
nunmehrigen Regierungsvorlage fallen lassen, weil man den kürzeren
Weg nicht erkaufen wollte mit einer Führung des Kanals durch ein
industriell ziemlich totes Gelände und zudem mit einer Ausschaltung
der alten Mainstädte Würzburg, Schweinfurt, Kitzingen und Bamberg
von dem neuen Großschiffahrtsweg.
Es wird daher wohl bei einer Mainkanalisierung bis nach Bamberg
hinauf und einem von dort südwärts nach Nürnberg parallel zur Eegnitz
laufenden Kanal sein Bewenden haben. Die Frage, ob der neue Kanal
von Nürnberg aus dem bisherigen Ludwigskanal in der Richtung auf
Kelheim oder dem Gebhardtschen Vorschlag in der Richtung auf Stepp-
berg und München folgen wird, ist dagegen bis jetzt noch nicht geklärt
worden Die letztere Führung würde um so mehr Interesse verdienen, wenn
auch der in neuerer Zeit so viel erörterte, übrigens in der Grundidee
schon bis aufs Jahr 1807 und 1825 zurückgehende^) Plan eines
Donau-Bodensee-Kanals zur Ausführung gelangen sollte. Die Entschei-
dung dürfte kaum noch lange auf sich warten lassen. Die Kosten
der Erneuerung des Main-Donau- Kanals selbst sind auf 330 Mill. M.
veranschlagt worden.
Zi. den Kosten der Flußregulierungen und des Kanalbaus, die,
wie gesagt, insgesatnt 650 Mill. M. beanspruchen dürften, sind €ui
1) Th. Gebhardt, Ein Alternativprojekt einer Main-Donauwasserstraße mit An-
schluß der Städte München und Augsburg, Berlin-Groß-Lichterfelde 1909.
2) Stolz, Entwurf eines Systems schiffbarer Kanäle in Bayern, München 1828.
3) G. Zoepfl, a. a. O. S. 82/83.
4) Eduard Faber, Die Großschiffahrtswege in Bayern als notwendige Teile des
deutschen Wasserstraßennetzes, Nürnberg 1912. ;
5) Graf Portia, Eine Wasserstraße von München nach Tirol und dem Bodensee . .,
München 1807.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 14
210 Miszcllcn.
lauft'üdeii Ausgaben noch ungefähr 32 Mill. M. für Verzinsung und
einschließlich der Amortisationsquote über 34 Mill. M. zu rechnen.
Bei einem Verkehr von 10 Mill. t im Jahre würde die Rentabilität
der Anlage gesichert sein. Die Hoffnung, daß der Kanal, der neuerdings
nur rund 30 000 t jährlichen Verkehr aufwies, wenige Jahre nach seiner
Eröffnung eine so bedeutende Gütermenge befördern wird, erscheint
kühn, aber nicht unbegründet. Sollte in der Tat der sehr einleuchtende
Gedanke sich durchsetzen, den Kanal als gemischt-wirtschaftliches Unter-
nehmen ins Leben zu rufen und neben dem bayrischen Staat und dem
Deutschen Reich allerlei Städte, Korporationen usw. zur finanziellen
Beteiligung heranzuziehen und somit am wirtschaftlichen Gedeihen
der Wasserstraße zu interessieren, so erscheint die Erwartung vollauf
berechtigt, daß eine neue europäische Verkehrsstraße erster Ordnung
in dem Kanal erstehen wird. Gründliche wirtschaftliche Erwägungen
lassen die pekuniäre Seite des Problems in durchaus günstigem Lichte
erscheinen ^).
Man darf ohne weiteres vermuten, daß der Donauverkehr, dem
ehedem verhältnismäßig nur geringe Bedeutung zukam, künftig auch
in Friedenszeiten erheblich zunehmen wird. Die bisher beträchtliche
Ueberlegenheit des Seeweges über die Donauverbindung zwischen den
Balkanländern und Deutschland wird in Zukunft stark zusammen-
schrumpfen. Einmal werden die im Kriege so ungeheuer stark in die
Höhe getriebenen Seefrachten infolge des katastrophalen Mangels an
Schiffsraum noch auf lange Zeit um ein Mehrfaches höher als vor
dem Kriege sein, so daß die Vorgabe der viel billigeren Fracht den
Seeweg kaum noch vor dem Binnenschiffahrtsweg bevorzugt scheinen läßt.
Dann aber ist auch etwa in den letzten 6 Jahren durch systematische
Verbesserung der Donau-Fahrstraße in Oesterreich und Ungarn er-
freulich viel geschehen. Zur Zeit niedrigen Wasserstandes, wie er
insbesondere im Jahre 1911 herrschte, war die Donau für Schiffe
von mehi als 1^/2 m Tiefgang nicht fahrbar. Heute sind die Untiefen
80 ausgiebig beseitigt, daß bei jedem Wasserstand Fahrzeuge von 2 m
Tiefgang verkehren können. Mit der wachsenden Größe der Schiffe
erniedrigt sich aber erfahrungsgemäß der Einheitspreis der Fracht.
Dazu kommt, daß heute, wo die verbündeten Zentralmächte Herren
des gesamten Donaulaufs von der Quelle bis Braila sind und wo sie
somit ein lebhaftes Interesse daran haben, den eroberten Strom wirt-
schaftlich nutzbar zu machen, keine Sorge mehr, wie ehedem, zu be-
stehen braucht, daß einer reichlichen Talfracht eine ungenügende Berg-
fracht gegenübersteht. Eine vollwertige Donau und ein nach Nord-
deutschland hinüberführendes, großzügiges Kanalnetz hätte z. B. die
ebenso wichtige wie technisch schwierige Getreideausfuhr aus Ru-
mänien 2) im Jahre 1917 ganz außerordentlich erleichtert und ver-
billigt. Die Nutzbarmachung der Donau im größtmöglichen Umfang
1) P. K. Zahn, Donau-Main-Rhein-Großschiffahrtsweg, Nürnberg 1917.
2) Anton Schwendemann, Die Lösung des Verkehrsproblems der rumä-
nischen Getreideausfuhr während des Krieges, in „Weltwirtschaft", Juli/Augustheft
1917, S. 182.
Miszellen. 211
ißt ja natürlich auch unter den verschiedenen Verhältnissen während
des Krieges nicht aus dem Auge verloren worden. Der beste Beweis
hierfür liegt in der im Sommer 1916 dem Verkehr übergebenen Schlepp-
bahn am serbischen Ufer des Eisernen Tores i), die der Schiffahrt sehr
wesentliche Zeitersparnisse ermöglicht.
Da£' die Donau künftig ungleich besser als frühe«* mit dem
Seeweg wird konkurrieren können, wodurch auch die Aussichten des künf-
tigen neuen Donau-Main- Kanals erheblich günstiger werden, geht unter
Berücksichtigung der vorstehend aufgezählten Umstände aus einer Be-
rechnung V. Kvassays^) hervor. Für eine Schiffsladung von 650 t
Kohlen, die auf der Donau von Eegensburg nach Galatz zu befördern
war, mußten vor dem Kiriege 15,70 M. je Tonne bezahlt werden,
für eine gleich große Getreideladung auf dem umgekehrten Wege je
27,80 M. Demgegenüber stellte sich die Fracht auf dem Seewege
für eine von Galatz nach Hamburg zu befördernde Getreideladung auf
Bur 12 M für die Tonne. Noch lehrreicher ist eine Betrachtung E,ose-
meyers^) über die Gestaltung der Frachten zwischen Köln und
Giurgiu-Eustschuk unter Zugrundelegung der Friedens-Frachtsätze und
unter Voraussetzung der noch fehlenden verbesserten Binnenwasserwege:
stromab stromauf
Flußweg Seeweg Flußweg Seeweg
Dauer in Tagen i6 32 24 33
Fracht je Tonne 8 M. 14 M. 9,5 M. 14 M.
Zu ähnlichen Ergebnissen führt eine Betrachtung von Zoepfl*): So
lang^ die Kanäle zwischen den Donauländern und Norddeutschland
nicht vorhanden sind, bestehe eine natürliche „Anziehungskraft" den
Seehäfen, die z. B. bewirke, daß die Beförderung eines Doppelzentners
Mehl von Budapest nach England über Fiume sich rund 30 Kreuzer
teurer als über das Schwarze Meer stelle oder daß in Galatz für die
Herbeischaffung englischer Kohle im Frieden nur 8 — 9, für diejenige
oberschlesischer dagegen 2OV2 M. Fracht bezahlt werden mußte. Der
Bau der Kanäle von der Donau zum Rhein, zur Elbe und Oder aber
würde ,,die so notwendige wirtschaftliche Konzentration Mitteleuropas
verwirklichen", ähnlich wie die Fortführung der Oderkanalisierung bis
Kosel daselbst den Umschlagsverkehr auf die österreichischen Bahnen
im Lauf von 25 Jahren von 10000 t auf 31/2 Mill. t gesteigert habe,
also um das 350-fache !
Zurzeit ist der Seeweg wegen der Sperrung der Dardanellen über-
kaupt nicht benutzbar. Da aber alle Frachtsätze heute 10- bis 20mal so
hoch wie vor dem Kriege sind, würde gegenwärtig zweifellos die See-
fracht mehrfach so hoch wie die Flußfracht sein, obwohl natürlich auch
1) Emil Taubes, Die Donau- Schleppbahn am Eisernen Tor, in der Balkan-
Revue, Juniheft 1916, S. 167.
2) Eugen v. Kvassay, Die Schiffahrt auf der ungarischen Donau, Stutt-
gart 1916.
3) J. Rosemeyer, Seeschiffahrt und Donau-Rheinweg, in: Die Donau, 1. Jahrg.,
Heft 6, Regensburg 1916.
4) G. Zoepfl, Mitteleuropa als Verkehrsproblem, in der Wochenausgabe des
Berl. Tageblattes vom 7. März 1916, S. 12.
14*
212 MisBcllen.
die letztere eine beträchtliche Steigerung gegenüber der Zeit vor 1914
erfahren hat. War docli z. B. die Getreide f rächt von den kanadischen
Osthäfen nach England, die vor dein Kriege ungefähr ebenso hoch wie
die Fracht Galatz-Hamburg war, nämlich 12^/2 M. für die Tonne, gegen
Mitte April 1917 auf rund I66V2 M. gestiegen, die Keisfracht aus
Birma nach England entsprechend von rund 17 M. auf 500 M. im
Juni 1917 ! Je mehr der deutsche Tauchbootkrieg unter dem
Weltschiff räum aufräumt, um so bestimmter ist zu erwarten,
daß nach dem Kriege ein Rückgang der riesenhaft gestiegenen
See-Frachtsätzse nur sehr langsam erfolgen wird. Wie sich freilich
die Verhältnisse auf dem Seefrachten-Markt bis zu dem Zeit-
punkt gestalten werden, wo günstigstenfalls der neue Donau-Main-
Kanal fertiggestellt sein kann, ist unter keinen Umständen vorauszu-
sehen. Immerhin wird die Wettbewerbsfähigkeit des Donau we^s gegen-
über früheren Jahren sicherlich ganz erheblich gesteigert sein, und die
letzten Vorbereitungen zum Bau des Kanals können daher unter
günstigsten wirtschaftlichen Zukunftsaussichten in Angriff genonlmen
werden. Der neue Main-Donau-Kanal wird jedenfalls eines der vor-
nehmsten Mittel sein, um die verkehrspolitische Forderung zu ver-
wirklichen, die Heiderich in seiner schönen Donau-Schrift^) auf-
gestellt hat und die allgemeine BilUgung finden muß:
„Den naturgegebenen Verkehrsweg Mitteleuropas nach dem Süd-
osten zui- vollen Leistungsfähigkeit zu bringen, ist ein unerläßliches
Gebot unserer nach dem Orient hin gerichteten Wirtschafts- und
Kulturpolitik."
1) Franz Heiderich, Die Donau als Verkehrsstraße, Wien-Leipzig 1916.
(gTc:
Miszellen. 213
Vll.
Ein neuer Kurs der amerikanischen Trustpolitik?
Von Dr. Wilhelm Feld, z. Z. im besetzten Gebiet.
Der Beschluß des amerikanischen Kongresses, welcher die Federal
Trade Commission einsetzte, sah als eine ihrer Aufgaben vor, von
Zeit zu Zeit Untersuchungen anzustellen über die Handelsbedingungen
in und mit fremden Ländern, wo Vereinigungen und Kartellierungen
oder andere Veranstaltungen bestehen, die den auswärtigen Handel der
Vereinigten Staaten beeinflussen. Die Kommission wurde gleichzeitig
ermächtigt, auf Grund ihrer Studien dem Kongresse bestimmte Vor-
schläge für praktische Maßnahmen zu unterbreiten i). Der praktische
Wert solcher Untersuchungen ist durch den Krieg natürlich stark er-
höht worden; und in Erwägung der mit dem Frieden zu erwartenden
großen Umwälzungen in der Gestaltung des Welthandels sowie des dann
einsetzenden äußerst erbitterten Wirtschaftskampfes der Nationen hat
sich die Kommission mit besonderer Dringlichkeit daran gemacht, einen
Ueberblick zu gewinnen über die Hindernisse, welche bisher der amerika-
nischen Produktion auf dem Weltmarkt sich entgegenstellten, um dem
Kongresse gesetzgeberische Maßnahmen vorschlagen zu können, die es
der Union ermöglichen sollen, ihre bisherige Weltmarktstellung in dem
verstärkten internationalen Wettbewerb nach dem Kriege zum mindesten
aufrechtzuerhalten. Die Kommission hat ihre Arbeiten so beschleunigt,
daß sie bereits Ende Juni 1916 dem Kongreß einen umfangreichen und
gründlichen Bericht vorlegen konnte, der in zwei Bänden von zu-
sammen fast 1000 Seiten erschienen ist 2).
Die Bedeutung dieser Veröffentlichung ergibt sich schon aus der
Art, wie die Kommission in echt amerikanischer Großzügigkeit das
Material beschaffte. Einmal wurde die internationale Fachliteratur in
ausgiebigem Maße herangezogen (darunter einige 250 Zeitschriften, die
einschlägigen wissenschaftlichen Abhandlungen und die Berichte der
verschiedensten Behörden, Interessenvertretungen, Kartelle usw. der
wichtigeren Industrieländer der Welt). Außerdem wurden aber auch
umfassende eigene Erhebungen durchgeführt: Man wandte sich an die
Konsularvertretungen der Vereinigten Staaten in den verschiedenen
Ländern, veranstaltete öffentliche Einvernahmen (public hearings) von
Ausfuhrinteressenten in 17 Städten der Union während des Sommers
1) U S. Stats., Vol. 38, Pt. I, eh. 311, sec. 6 h.
2) Federal Trade Commission, Report on Cooperation in american ezport trade.
In two parts. Part I: Summary and report; Part II: Exhibits. June 30, 1916.
Washington (Government Printing Office) 1916. 387 + 597 pp.
214 Miszellen.
1915; man versandte Fragebogen an über 25 000 Personen und Firmen,
von denen fast 20 000 wenigstens eine kürzere Antwort gaben, während
außerdem 10 000 ein ausführliches Formular ausfüllten. Und schließ-
lich wurden zahlreiche Unternehmungen von den Berichterstattern der
Kommission (field agents) im In- und Ausland persönlich besucht und
um Auskunft gebeten. Zuerst waren sogar Studienreisen in die wich-
tigsten europäischen Staaten und in die anderen Erdteile beabsichtigt ge-
wesen. Aber die ließen sich wegen der gestörten allgemeinen Lage
nicht durchführen, außer nach Südamerika, welchem Gebiete als dem
für die amerikanische Ausfuhr wichtigsten man überhaupt ganz be-
sondere Aufmerksamkeit gewidmet hat.
Die Wiedergabe des umfangreichen Materials dieser eigenen Er-
hebungen füllt den zweiten Band des genannten Report. Seine Ver-
arbeitung ist als Bericht der Kommission im ersten Band enthalten.
Die Untersuchungen haben begreiflicherweise nicht die gesamten Be-
dingungen des Außenhandels der verschiedenen Länder miteinander
vergleichen können; sie lassen die allgemeinen Unterschiede in den
natürlichen und sozialen Produktionsbedingungen außer Betracht und
beschränken sich in der Hauptsache auf die unmittelbaren behördlichen
und privaten Maßnahmen zur Förderung der Ausfuhr. Dabei berück-
sichtigen sie neben der eigentlichen export Cooperation auch die
Förderung, welche der auswärtige Handel durch günstige Organisationen
im Verkehrswesen, sowie im Bank- und Kreditgeschäft erfährt. Diese
Fragen werden, teilweise mit sehr ins einzelne gehender Ausführlich-
keit, je für die verschiedenen Länder behandelt, wobei in erster Reihe
Südamerika, England und Deutschland berücksichtigt sind.
Den größten Teil nimmt die Darstellung der ausländischen Kartelle
ein, und zwar für die folgenden Industriegruppen: Eisen und Stahl;
Textil; Elektrizität; chemische Industrie; Kohle und einige andere
Rohstoffe. Fünf übersichtliche Diagramme veranschaulichen die weit-
verzweigten Beziehungen wichtiger Finanzkonzerne, nämlich der:
Deutschen Bank,
A. E. G.,
Metallgesellschaft (Merton),
Cambrian Goal Combine,
Royal Dutch-Shell Petroleum Combination.
Die Materialsammlung des zweiten Bandes wird fast zur .Hälfte
(250 SS.) ausgefüllt von den Konsularberichten. Unter ihnen steht an
erster Stelle derjenige des Generalkonsuls Julius G. Lay in Berlin
(88 SS.). Er läßt an Ausführlichkeit alle anderen weit zurück. Am
nächsten kommen ihm in bezug auf den Umfang die Berichte über Frank-
reich, Kanada und China (je 20 — 25 SS.). — Die Verhandlungen der
Public Hearings sind im Auszug wiedergegeben (80 SS.). — Die Er-
gebnisse der schriftlichen Rundfragen sind auf 100 Seiten verarbeitet
und bestehen großenteils aus wörtlicher Wiedergabe der eingelaufenen
Antworten, die in systematischer Ordnung übersichtlich zusammen-
gestellt sind. — 60 Seiten hat man dem Abdruck ausländischer Kartell-
verträge und Konventionen gewidmet, die sich auf Preis- und Ausfuhr-
Miszellen. 215
Vereinbarungen beziehen. — Den Schluß bilden ausführliche Listen
(80 SS.), die in der Hauptsache Herr William J. Clark von der General
Electric Co. zusammengestellt hat, einmal über die Beziehungen der
großen deutschen Finanzinstitute untereinander (in ihren Aufsichtsräten,
Direktorien usw.) und sodann über Investitionen englischen Kapitals
in Auslandsunternehmungen.
Eine Besprechung oder Wertung des reichen Tatsachenstoffes ist
hier nicht beabsichtigt. Ich möchte lediglich die Leser auf den Bericht
aufmerksam machen, der unter den jetzigen Verhältnissen wohl nicht
in zahlreiche deutsche Hände gelangen wird. Und ich beschränke mich
darauf, die wichtigsten Ergebnisse anzudeuten, zu denen die Kommission
gelangte. Sie glaubt festgestellt zu haben, daß in den meisten fremden
Staaten Kartelle, Konventionen u. dgl. von Fabrikanten und Händlern
häufiger sind als in der Union, weil hier die Regierung im Interesse
des verbrauchenden Publikums jene combinations verboten hat, die
den Handel beschränken. In Deutschland seien Fabrikanten- und Händler-
vereinigungen die Regel; nicht ganz so häufig seien sie in England;
in Belgien und Oesterreich-Ungarn sei vor dem Kriege ähnlich wie in
Deutschland fast die gesamte Industrie in Syndikaten usw. organisiert
gewesen. In geringerem Grade beständen ähnliche Verhältnisse in
Italien, der Schweiz, Holland, Schweden, Rußland und Japan. Uner-
achtet mancher Unterschiede der Gesetzgebung sei in all diesen Ländern
die Kartellierung rechtlich durchaus unbeschränkt oder doch erheblich
weniger gebunden als in den Vereinigten Staaten. Ja, in Deutschland,
Italien, Japan und einigen anderen Ländern werden jene Zusammen-
schlüsse noch gefördert von der Regierung, welche bisweilen sogar
deren Mitglied ist. Demgegenüber fällt es praktisch kaum ins Gewicht,
daß die englischen Kolonien eine der amerikanischen ähnliche Gesetz-
gebung haben, weil sie nicht in erheblichem Maße als Konkurrenten
der Union auftreten.
Der größte Teil des amerikanischen Ausfuhrhandels vollzog sich
im Verkehr mit Europa. Und hier müssen die amerikanischen Unter-
nehmungen oft einzeln in Wettbewerb treten gegen die geschlossenen
Vereinigungen fremder Konkurrenten und sie müssen im eigenen Lande
oft einzeln verkaufen an die Kartelle der ausländischen Einkäufer
(speziell Rohprodukte). Die gleichen Nachteile hat Amerika im Wett-
bewerbe mit den europäischen Fabrikanten auf dem Markte dritter
Länder, z: B. wenn die Amerikaner in Südamerika den Deutschen und
Engländern gegenüberstehen. Auch hier muß der isolierte amerikanische
Exporteur gegen die vereinigte Macht der fremden Fabrikanten in ver-
schiedenen wichtigen Handelszweigen ankämpfen: In Europa werden
oft besondere Kartelle und Syndikate eigens für das Ausfuhrgeschäft
gegründet. Sie vereinigen eine solche Machtfülle, daß sie getrost lang-
wierige und kostspielige Kampagnen durchzuhalten vermögen zur Er-
oberung des fremden Marktes, und sie können den Abnehmern sehr
günstige Bedingungen machen. Ueberdies haben die wichtigsten euro-
päischen Handolsvölker einen deutlichen Vorsprung vor den Vereinigten
Staaten in ihrer entwickelten Schiffahrt, ihren besseren Ueberseebanken
215 Miscellen.
und Kreditorganisationen und in ihren größeren Kapitalinvestitionen
in weniger entwickelten Einfuhrländern. Und vor allem ist es ihnen
gelungen, diese verschiedenen Institutionen mit ihren industriellen
Kartellierungen in höchst wirkungsvolle Zusammenarbeit zu bringen
und dadurch den Ausfuhrhandel aufs kräftigste zu fördern. Demgegen-
über ist der amerikanische Exporteur in Abhängigkeit von fremden
Schiffahrtsgesellschaften und fremden Finanzinstituten.
Nun gibt der Kommissionsbericht zwar zu, daß längst nicht der
ganze amerikanische Außenhandel von erheblichen Absatzschwierigkeiten
bedroht ist. Zwei Drittel der normalen Ausfuhr besteht in Nahrungs-
mitteln und Rohstoffen für den Industriebedarf, die stets ihren Absatz
finden. Und auch die Erzeuger von Spezialitäten der gewerblichen
Produktion haben nur wenig unter ausländischer Konkurrenz zu leiden.
Sie können zudem besser jeder für sich vereinzelt sich einen Absatz-
markt schaffen. Ernsthafte Schwierigkeiten bestehen fast nur für die
Stapelindustrien, die gegen einen alt eingeführten ausländischen Wett-
bewerb anzukämpfen haben und in diesem Kampf nur durch Beharr-
lichkeit und Aufwendung großer Mittel Erfolge erzielen können. Dies
ist aber besonders den mittleren und kleineren Unternehmungen in ihrer
Vereinzelung nicht möglich. Es ist doppelt unmöglich, weil ihnen die
mächtigen Organisationen der fremden Länder gegenüberstehen. Deren
Vorsprung auszugleichen, bleibe nichts anderes übrig als mit gleichen
Waffen zu kämpfen und auch in der Union den Außenhandel durch ge-
meinsames Vorgehen der Exporteure u. ä. zu begünstigen.
„It is among American manufacturers of staples, therefore, par-
ticularly the smaller concerns, that Cooperation for export business is
especially needed. It will permit them to create organizations which
can compete on more nearly equal terms with the organizations of
their foreign rivals. They can afford, then, to advertise, to study
foreign demands and customs, to make demonstrations, to open branches,
warehouses, and stores abroad, to collect credit information and to
extend credit, to employ skilled salesmen familiär with foreign markets,
a,nd to maintain a direct representation of their own which will be
firmly established and effective in the markets to be covered. The ex-
pense of such promotion will not be excessive when shared by a number
of participants. . . .
In domestic business, competition, independence, and the play of
individual forces is the settled policy of this country. The law re-
quires that this shall be the condition of business here. Abroad, the
legal conditions are different. In many countries combination is per-
mitted and in some is even encouraged. What is equality of opportunity
ioT manufacturers within this country, therefore, become inequality and
disadvantage for them when they undertake to export to other countries" i).
In Verfolg dieses Gedankenganges gelangt dann die Kommission
zu dem konkreten Vorschlag, für die Zwecke des Exportgeschäftes das
Verbot der Verabredungen und Kartellierungen aufzuheben: „to allow
1) Part I, S. 375.
Misz eilen. 217
American firms to cooperate for export and to permit the use of certain
methods abroad which are legal in foreign countries but are not per-
mitted in the United States".
Der Vorschlag bedeutet nun aber eine einschneidende Abänderung
der bisherigen Antitrust-Gesetzgebung. Und er muß deshalb mit schärfstem
Widerspruch in den breiten Massen des Volkes rechnen. Bekanntlich
ist in den Vereinigten Staaten der Kampf gegen die Trusts, Kartelle und
Syndikate sehr volkstümlich und er spielt ja auch in den politischen
Parteien bei den Präsidentenwahlen usw. eine wichtige Rolle. Von
vielen Seiten wird lebhaft eine schärfere Anwendung der bestehenden
Vorschpften gegen die combinations verlangt. Und auch der Ver-
such, diesen lediglich für den Ausfuhrhandel das Leben leichter zu
machen, kann kaum auf Popularität rechnen, weil man nicht ohne Grund
entgegenhält, daß die Ausfuhrkartelle ihre Machtstellung nur zu bald
ausnutzen würden sowohl gegen die Verbraucher auf dem heimischen
Markte wie gegen die außerhalb der Konventionen stehenden, konkur-
rierenden Landsleute auf den fremden Märkten. Namentlich würden
sich die Folgen des berüchtigten dumping geltend machen, indem die
Kartelle die Inlandspreise hinauftrieben, um im Ausland recht billig
verkaufen zu können.
Der Kommissionsbericht kann denn auch nicht umhin, sich mit
diesen schwer wiegenden Einwänden auseinanderzusetzen. Aber die ober-
flächliche Art, wie er das tut, wirkt auf den kritischen Leser nicht
überzeugend : „It is no part of the proposal of the Commission to suffer
export combinations to be used as a blind to cover attempts to restrain
trade at home. The legislation must be framed so that any such at-
tempt shall remain subject to the füll rigors of the antitrust laws."
Auch die Gefahr des dumping ins Ausland zu Schleuderpreisen
auf Kosten hoher Inlandpreise erledigt die Kommission mit einem Hin-
weis auf die entgegenstehenden gesetzlichen Bestimmungen. Die Be-
weisführung ist so bezeichnend, daß ich sie ausführlicher wiedergebe:
Deutschland biete wohl das hervorragendste Beispiel eines Landes jener
Politik der Schleuderpreise. Dort sei aber auch die Kartellierung auf
dem heimischen Markte frei erlaubt, und dadurch das Hinauftreiben
der Inlandpreise erleichtert, welches seinerseits wieder es vor allem
jenen Kartellen ermögliche, so sehr billig ins Ausland zu verkaufen.
„The fact that the law of this country prohibits such combinations in
the home market not only safeguards against artificially maintained
prices at home, but also gives substantial economic guaranties that
American export prices will not, in general, be lower than American
domestic prices. Where the domestic prices are kept on a competitive
basis there is little margin left to enable the exporter to seil goods
abroad at lower prices."
Die Kommission vertröstet also einfach darauf, daß die Gesetze
jene unerwünschten Wirkungen verbieten, und fragt nicht weiter, in-
wieweit diese Verbote sich auch praktisch durchsetzen lassen. Und
dies wäre doch gerade bei der Antitrust-Gesetzgebung, von der so viele
Vorschriften nur auf dem Papiere stehen, in erster Linie zu berück-
218 Miszellen.
sichtigen gewesen. — Dabei muß der Bericht selbst zugeben: „one of
the most common Statements made about export trade — that of other
countries as well as that of the United States — is to the effect that
large producers or combinations of producers frequently seil cheaper to
foreign than to their home customers. In any consideration of tariff
Problems, this is an important matter" (S. 377).
Und wie groß die praktische Bedeutung dieser Exportpolitik schon
bisher gerade in den Vereinigten Staaten ist, zeigen die seit einer Reihe
von Jahren eingeführten „Dumping-Klauseln" der britischen Kolonien i),
die ausdrücklich gegen die Schleuderpreise amerikanischer Trusts
erlassen worden sind.
In diesem Zusammenhange möchte ich eine Zwischenfrage auf-
werfen: Falls es in der Tat gelingen sollte, das dumping wirksam zu
bekämpfen, wäre damit nicht ein sehr wichtiges Mittel zur Förderung
der amerikanischen Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkte unter-
bunden? Beruht doch der Erfolg der europäischen Ausfuhvereinigungen
zu großem Teile auf eben diesem dumping, d. h. auf dem Umstände,
daß die Kartelle durch die künstliche Preissteigerung auf ihren Inlands-
märkten einen Gewinnüberschuß erzielen, der es ihnen ermöglicht, Aus-
fuhrprämien zu gewähren, bzw. unmittelbar ins Ausland erheblich billiger
als daheim zu verkaufen. —
Daß die Kommission mit der skizzierten Begründung ihres Vor-
schlags keine ernstlichen Erfolge erzielen werde, mag sie selbst gefühlt
haben. Sie versuchte deshalb, dem Vorschlage durch eine vorsichtige
Formulierung eine scheinbar harmlose Wendung zu geben. Sie tat so,
als ob im Grunde die cooperative export Organization schon
nach dem bisherigen Wortlaute der Antitrust-Gesetze nicht eigentlich
verboten sei: Es beständen lediglich Zweifel an der Gesetzlichkeit
solcher Zusammenschlüsse. Und diese Unsicherheit der Rechtslage
habe bisher die Bildung von export combinations hintangehalten.
Die Geschäftsleute wollten ihre Gelder nicht in solchen zweifelhaften
Unternehmungen gefährden. Die Kommission glaubt aber nicht, daß
der Kongreß durch die Antitrust-Gesetzgebung beabsichtigte, die Ameri-
kaner zu verhindern, sich für den Ausfuhrhandel zusammenzuschließen
zu dem Zwecke, in wirksamer Weise mit den Exporteuren fremder
Länder zu konkurrieren, soweit solche Verabredungen nicht den Handel
innerhalb der Vereinigten Staaten beschränken und sich nicht gegen
amerikanische Mitbewerber richten, die außer jenen Verabredungen
stehen.
„The Commission, therefore, respectfully recommenda
that Congress enact declaratory and permissive legis-
lation to remove the present doubt as to the law and to
establish clearly the legality of such Cooperation."
Diese scheinheilige Aufmachung läuft also darauf hinaus, den Vor-
schlag als eine recht harmlose authentische Gesetzes interpretation
erscheinen zu lassen. In Wirklichkeit bedeutet er aber eine tief ein-
1) Vgl. hierüber meinen an anderer Stelle erscheinenden ausführlicheren Aufsatz.
Miszellen. 219
schneidende Gesetzes änderung, deren unbeabsichtigte (oder gar be-
absichtigte ?) Nebenwirkungen sich zunächst noch gar nicht übersehen
lassen und möglicherweise zu einer grundsätzlichen Umkehr der bis-
herigen Trustbekämpfung führen mögen. — Man mag einwenden, daß
bisher schon die Richter oft machtlos waren gegenüber den tatsäch-
lichen Verhältnissen. Dies trifft gewiß für die Riesentrusts zu, die sich
so einzurichten wissen, daß sie rechtlich nicht mehr als verbotener
Trust erscheinen und durch irgendein Hintertürchen auch der schärfsten
Gesetzesauslegung entwischen würden, bei der üblichen laxeren richter-
lichen Praxis aber erst recht unbehelligt gedeihen. Anders liegt es
aber bei den loseren Kartellierungen, Konventionen und Vereinbarungen
zwischen den weniger mächtigen Industriellen und Händlern. Diese
sind in ihrer Bewegungsfreiheit, ja in ihrer Existenzmöglichkeit sehr
gehemmt. Daß ihnen gegenüber die Antitrust-Gesetze von erheblicher Be-
deutung sind, zeigt ja schon die Tatsache der hier besprochenen Kom-
missionsvorschläge, die doch nicht gemacht worden wären, wenn nicht
wichtige materielle Interessen dahinter steckten.
Will man übrigens zu einer rechten Beurteilung dieser Bestrebungen
gelangen, so hat man zu beachten, daß sie der grundsätzlich strengen
Freihandelspolitik der demokratischen Partei entspringen, und zur Förde-
rung der amerikanischen Ausfuhrindustrien dienen sollen als Ersatz der
schutzzöllnerischen Forderungen der Republikaner, denen die jetzt am
Ruder befindlichen Demokraten natürlich aus Grundsatz nicht nach-
geben dürfen. Uebrigens ist es wohl nicht ohne Bedeutung, daß die
Agitation zugunsten der Export combinations gerade kurz vor der
Präsidentenwahl die Oeffentlichkeit ziemlich beschäftigte. Die Federal
Trade Commission wurde seinerzeit von der demokratischen Mehrheit
lies Parlaments ins Leben gerufen. Und die im Vorstehenden ge-
schilderte Aenderung der Trustpolitik hat von Anfang an in der Ab-
sicht der leitenden Staatsmänner gelegen. Auch der Präsident Wilson
hat sich verschiedentlich dafür eingesetzt.
Ungefähr gleichzeitig mit dem Erscheinen des hier besprochenen
Berichtes wurden dessen Vorschläge über die Zulassung der Ausfuhr-
kartelle als Gesetzentwurf im Parlament eingebracht. Die „Webb-Bill"
gelangte im Repräsentantenhause schon im September 1916 mit ent-
scheidender Mehrheit zur Annahme. Im Senat dagegen traf sie auf
Schwierigkeiten; es gelang einer Opposition, zum mindesten die Ent-
scheidung zu verzögern. Ob diese inzwischen erfolgte, habe ich bei
der neuerdings so empfindlichen Unterbrechung der überseeischen Ver-
bindungen nicht erfahren können.
220 Miszellen.
VIII.
Sterblichkeit der Säuglinge, Kleinkinder und der
höheren Alter in Deutschland von 1871—1910.
Von Dr. Hans Guradze, Berlin.
In meiner im Frühjahr 1916 erschienenen Broschüre „Statistik des
Kleinkinderalters" (Stuttgart, Enke) habe ich natürlich auch die Frage
berührt, ob die besonders seit 1900 zweifellos stattgehabte Abnahme
der Säuglingssterblichkeit auch eine solche — eventuell dem Grade nach
gleiche — der Kleinkinder und der höheren Alter im Gefolge hatte
und hat.
Zu dieser Frage liegen für das Deutsche Reich in dem von
Johannes Rahts mustergültig bearbeiteten Band 240 der Statistik des
Deutschen Reiches, betitelt „Die Volkszählung im Deutchen Reiche am
1, Dezember 1910", bedeutsame Ziffern vor.
Die folgende Tabelle ist ein Auszug aus den deutschen Sterbe-
tafeln der 4 Jahrzehnte 1871—1880, 1881—1890, 1891—1900, 1901 bis
1910, jeweils nach dem Geschlecht getrennt. Sie gibt für die einzeln
aufgeführten Jahresalter 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 15, 20, 25,
30, 35, 40, 45, 50, 55, 60, 65, 70, 75, 80, 85, 90 die jeweilige Lebens-
erwartung an, d. h. die Anzahl der Jahre, die der im betreffenden
Alter Stehende voraussichtlich noch zu durchleben hat, so daß diese
berechnete Lebenserwartung -\- dem Alter die mittlere Lebensdauer
anzeigt.
Es würde zu weit führen, hier eine genaue Erklärung des Be-
griffes „mittlere Lebensdauer" zu geben, ich begnüge mich daher, auf
jden ausgezeichneten Abschnitt „Lebensdauer" von v. Bortkiewicz im
„Handwörterbuch der Staatswissenschaften" (3. Aufl., Bd. VI, Jena
[Gustav Fischer] 1910, S. 422 ff.) hinzuweisen.
Diese Zahlen sind äußerst lehrreich. Die Zunahme der Lebens-
erwartung in den 40 Jahren von 1871 — 1910 fällt in dauernder Ab-
nahme bei den Männlichen von 9,24 Jahren der die Geburt üeberlebenden
Miszellen.
221
Deutsches Beich. Lebenserwartung. (Lebenserwartung
-j- Alter = mittlere Lebensdauer.)
(Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 240, S. 107*.)
Alter
Männliches Geschlecht
Weibliches Geschlecht
in
Jahren
1871 bis
1881 bis
1891 bis
1901 bis
1871 bis
1881 bis
1891 bis
1901 bis
1880
1890
1900
1910
1880
1890
1900
1910
0
35,58
37,17
40,56
44,82
38,45
40,25
43,97
48,33
1
46,52
47,92
51,85
55,12
48,06
49,67
53,78
57»20
2
48,72
50,15
53,67
56,39
50,30
51,91
55,59
58,47
3
49,38
50,79
53,89
56,24
50,98
52,58
55,81
58,33
4
49,5 3
50,93
53,70
55,77
51,14
52,73
55,62
57,87
5
49,89
50,76
53,27
55,15
51,01
52,58
55,22
57,27
6
49,03
50,37
52,70
54,44
50,67
52,22
54,66
56,57
7
48,54
49,85
52,03
53,67
50,18
51,72
54,01
55,82
8
47,93
49,22
51,28
52,86
49,5 9
51,12
53,29
55,08
«
47,25
48,52
50,49
52,02
48,91
50,44
52,52
54,20
10
46,51
47,75
49,66
51,16
48,18
49,69
51,71
53,3«
15
42,38
43,54
45,31
46,71
44,15
45,63
47,47
49,00
20
38,45
39,52
41,23
42,56
40,19
41,62
43,37
44,84
25
34,96
35,83
37,88
38,59
36,53
37,81
39,43
40,84
30
31,41
32,11
33,46
34,5 5
33,07
34,21
35,62
36,94
35
27,88
28,49
29,59
30,53
29,68
30,69
31,87
33,04
40
24,16
25.03
25,89
26,64
26,32
27,16
28,14
29,16
45
21,16
21,67
22,37
22,94
22,84
23,57
24,37
25,2i
50
17,98
l8,41
19,00
19,43
19,29
19,89
20, 5 8
21,85
55
14,96
15,32
15,81
l6,16
15,88
l6,38
l6,96
17,64
60
12,11
12,43
12,82
13,14
12,71
13,14
13,60
I4,1T
65
9,55
9,82
10,12
10,40
9,96
IO,29
IO,62
11,0»
70
7,34
7,51
7,78
7,99
7,60
7,84
8,10
8,4i
75
5,51
5.60
5,80
5,97
5,66
5,87
6,07
6,30
80
4,10
4.11
4,23
4.38
4,22
4,37
4,48
4,6»
85
3,06
2,99
3,05
3,18
3,14
3,26
3.32
3,4«
90
2,34
2,20
2,23
2,35
2,37
2,49
2,52
2,5»
Vergleicht man das letzte betrachtete Jahrzehnt: 1901—1910 mit
dem ersten: 1871 — 1880, so erhält man folgende Uebersicht der Zu-
nahme der Lebenserwartung für die einzelnen Altersjahre :
Alter
in
Jahren
Zunahme der Lebens-
Alter
in
Zunahme der Lebens-
erwartung von 1871/80
erwartung von 1871/80
bis 1901/10 in Jahren
Jahren
bis 1901/10 in Jahren
m.
w.
m.
W.
0
9,24
9,88
30
3,14
3,8T
1
8,60
9,14
35
2,65
3,36
2
7,67
8,17
40
2,48
2,84
3
6,86
7,35
45
1,78
2,41
4
6,24
6,7 3
50
1,45
2,0«
5
5,76
6,26
55
1,20
1,76
6
5,41
5,90
60
1,03
1,46
7
5,13
5,64
65
0,85
1,1»
8
4.93
5,44
70
0,66
0,8S
9
4,77
5,29
75
0,4 6
0,64
10
4,65
5,17
80
0,«8
0,4J
15
4,33
4,85
85
0,1a
0,2»
20
4,11
4,65
90
0,01
0,2«
25
3,63
4.31
222 Miszellen.
biß auf 0,01 Jahre der üeberneunzigjährigen, bei den Weiblichen ent-
sprechend von 9,88 Jahren auf 0,22 Jahre, üeber 5 Jahre beträgt sie
bis zum 7. Altersjahre der Männlichen, also etwas über die Grenze des
Kleinkindalters, hingegen bis zum 10. der Weiblichen. Wir haben alsa
allen Grund, schon im Interesse der Wehrkraft, vor allem für die
männlichen Säuglinge und Kleinkinder zu sorgen. Deren Sterblichkeit
ist, wie auch bereits die erste Aufstellung zeigt, stets größer als die
der weiblichen, denn größere Sterblichkeit und kleinere Lebenserwartung
kommen auf das gleiche heraus. Die am Schlüsse der eiogangs er-
wähnten Broschüre ausgesprochene Behauptung, der Rückgang der Sterb-
lichkeit der Kleinkinder (Alter 1 — 6 Jahre) darf uns nicht zu der An-
nahme verleiten, daß für diese Altersklasse die Fürsorge genügend aus-
gebaut ist, bestätigt sich mithin. Die Schäden des Kleinkinderalters,
wie ebenfalls a. a. 0. hervorgehoben wurde, führen im Gegensatz zur
Säuglingszeit nicht immer unmittelbar zum Tode, sondern schwächen
oder greifen den Organismus in einer Weise an, die oft das Ableben
erst später zur Folge hat, auch nach Erreichung des Erwachsenseins.
Diese geringe Abnahme der Sterblichkeit der Erwachsenen ist natür-
lich wirtschaftlich ein womöglich größerer Nachteil, als die immerhin
noch große Säuglingssterblichkeit. Fast möchte man versucht sein, zu
wünschen, es wäre lieber umgekehrt : geringere Abnahme der Sterblichkeit
der Säuglinge, Kleinkinder und einiger weiterer Alter bis zum Er-
wachsensein, dafür aber stärkere Abnahme der Sterblichkeit der Er-
wachsenen. Aber so kraß darf man eben nicht schließen. Immerhin
muß die Fürsorge für die Erwachsenen, namentlich während des Krieges
und nach ihm, weiter ausgedehnt und ausgebaut werden, was am besten
wohl durch zweckmäßige Ausgestaltung der verschiedenen Versicherungs-
zweige (Familienversicherung) geschieht. Die bisher aufgeführten Ziffern
bilden so gewissermaßen eine Erweiterung zu den von mir a. a. 0. ge-
machten Ausführungen: die Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit ist
bedeutend stärker gesunken, als die Sterblichkeit der höheren Alter.
Betrachtet man nicht, wie wir es bisher getan haben, die Zunahme
der Lebenserwartung für die ganzen 40 Jahre, sondern von Jahrzehnt
zu Jahrzehnt, so erhält man nachstehende Uebersicht. Sie führt uns
zu dem bedeutsamen Ergebnis, daß zwar bei den Säuglingen (erste
Zeile) das Maximum der Zunahme in die letzte Jahrzehntenperiode von
1891/1900—1901/10 fällt, hingegen dies bei allen folgenden Alters-
stufen bei den Männern bis zum 65., bei den Frauen aber nur bis zum
35. Jahre von der vorangehenden Periode 1881/90-1891/1900 gilt.
In den höheren Altern werden die Ziffern oft zu klein und daher von-
einander zu wenig verschieden, um schlußzulassend zu sein. Wir müssen
also gerade jetzt doppelt und dreifach dafür sorgen, daß auch nach
dem Säuglingsalter die Sterblichkeit namentlich der Männer mehr ab-
nimmt, als in der Periode 1891/1900 bis 1901/1910. Sonst könnten
die großen Errungenschaften der vorangehenden Zeit leicht wieder
gänzlich verloren gehen; etwas sind sie es bei den Männern leider
schon, wie dargetan wurde.
Mi
11(
szeiien
22a
Alter
in
Männliches Geschlecht
Weibliches Geschlecht
Zunahme der Lebenserwartung in Jahren von
Jahren
1871/80 bis
1881/90 bis
1891/1900 bis
1871/80 bis
1881/90 bis
1891/1900 bi»
1881/90
1891/1900
1901/10
1881/90
1891/1900
1901/10
0
1,59
3,39
4,26
1,80
3,72
4,36
1
I,4Ö
3,93
327
1,61
4,11
3,42
2
1,43
3,52
2,72
1,61
3,68
2,88
3
1,41
3,10
2,35
1,60
3,23
2,52
4
1,40
2,77
2,07
1,5 9
2,89
2,25
5
1,37
2,51
1,88
1,57
2,64
2,05
6
1,34
2,33
1,74
1,55
2,44
1,91
7
1,31
2,18
1,64
1,54
2,2 9
1,81
8
1,29
2,06
1,58
1,53
2,17
1,74
9
1,27
1,97
1,53
1,53
2,08
1,68
10
1,24
1,91
1,50
1,51
2,02
1,64
15
1,16
1,77
1,40
1,48
1,84
1,53
20
1,07
1,71
1,33
1,43
1,75
I,4V
25
0,87
1,55
J,21
1,28
1,62
1,41
30
0,70
1,35
1,09
1,14
1,41
1,3*
35
0,6 1
1,10
0,94
1,01
1,18
1,17
40
0,87
0,86
0,T5
0,8 4
0,98
1,0»
45
0,51
0,7©
0,57
0,73
0,80
0,88
50
0,43
0,59
0,43
0,60
0,6 9
0,77
55
0,36
0,49
0,35
0,50
0,58
0,68
60
0,32
0,39
0,82
0,4 8
0,4 ö
0,57
65
0,27
0,30
0,2 8
0,33
0,33
0,47
70
0,17
0,25
0,23
0,24
0,26
0,3S
75
0,09
0,20
0,17
0,21
0,20
0,23
80
0,01
0,12
0,15
0,15
0,11
0,17
85
— 0,07
o,oe
0,13
0,12
0,06
0,08
90
— 0,14
0,03
0,12
0,12
0,03
0,üZ
224 Uebeniicht über die neuesten Publikationen Dentschlands und de« Aualande«.
TTebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. OeBohichte der Wissensohaft. Encyklop&disches. Lelirbftclier. Spesielle
theoretisolie Untersuchuiig-en.
Abderhalden, Prof. Dr. Emil, Die Grundlagen unserer Emährnng mit be-
sonderer Berücksichtigung der Jetztzeit. Berlin, Julius Springer, 1917. 8. VII— 144 S8.
mit 2 Textfig. M. 2,80.
Conrad, Prof. Dr. J., Leitfaden zum Studium der Nationalökonomie. 7, erg.
Aufl., bearb. v. Prof. Dr. A. Hesse. Jena, Gustav Fischer, 1917. Lex.-8. VII— 114 SS.
M. 2,80.
Damaschke, Adolf, Friedrich List, ein Prophet und Märtyrer deutscher Welt-
wirtschaft. Jena, Gustav Fischer, 1917. gr. 8. 46 SS. M. 0,60.
Lederer, Dr. Emil, Die volkswirtschaftlichen Seminare an den Hochschulen
Deutschlands und Oesterreich - Ungarns. Berichte über ihre Tätigkeit, gesammelt.
I. Sommer-Semester 1916. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1917. gr. 8. IV— 91 SS. M. 3.—.
Neurath, Otto, Die Wirtschaftsordnung der Zukunft und die Wirtschafts-
wissenschaften. Berlin, Verlag f. Fachliteratur, 1917. gr. 8. 34 SS. M. 1,50.
Skalweit, Prof. Dr. August, u. (Stadtr.) Dr. Hans Krüger, Die Nahrungs-
mittelwirtschaft großer Städte im Kriege. (Beiträge z. Kriegswirtschaft. Hrsg. v. d.
volkswirtschaftl. Abt. d. Kriegsernähruugsamts. Heft 7/8.) Berlin, Eeimar Hobbing, 1917.
8. 75 SS. Je M. 0,60.
Wolf (Geh.R.), Prof. Dr. Julius, Nahrungsspielraum und Menschenzahl. Ein
Blick in die Zukunft. Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. Lex.-8. 37 SS. M. 1,40.
2. Oesckichte und Darstellung der wirtscliaftliclxen Kultur.
Frhr. v. Schwerin, Claudius, Deutsche Rechtsgeschichte (mit
Ausschluß der Verfassungsgeschichte). (Grundriß der Geschichtswissen-
schaft, hrsg. von Aloys Meister, Reihe II, Abteil. 5.) 2. veränderte Aufl.
Leipzig, Berlin (B. G. Teubner) 1915. [Abgeschlossen 1914. Erschienen
1917.] 80. VI u. 199 SS. (Preis: M. 3,20.)
Infolge einer besonderen Systematik des Gesamtplans des „Grund-
risses" bietet diese ,, Deutsche Rechtsgeschichte" bloß die Geschichte
der Rechtsquellen, des Privatrechts, des Straf- und Prozeßrechts. Die
Verfassungsgeschichte ist als besondere, nichtjuristische, „historische"
Disziplin von vornherein ausgeschieden. Schon durch diese Einteilung
ist die Einheit des historischen Flusses der Rechtsgeschichte, insbe-
sondere einer Deutschen Rechtsgeschichte zerrissen. Mehr als bei den
Römern fließen bei uns Privatrecht und öffentliches Recht zu einem
einheitlichen Rechtsbegriff ineinander. Das Grundeigentum zweigt sich
vor unseren Augen erst aus dem öffentlichen Rechte ab, ohne jemals
— abgesehen vielleicht von Aspirationen der Nachrezeption in unserer
Manchesterperiode — den organischen Zusammenhang mit dem öffent-
lichen Recht zu verlieren. Die Grundherrschaft ist eine Einheit von
privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Befugnissen. Die Staats-
gewalt ist mit patriarchalem Geist erfüllt; sie ist grundsätzlich Munt.
Das Lehen ist öffentlich- und privatrechtlich zugleich. Im Strafrecht
— auch abgesehen vom Privatstrafrecht im engsten Sinn — ist die
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 225
Pehde private Angelegenheit der Sippe. Der Prozeß ist zum guten
Teil auf dem privatrechtlichen Element der Verträge aufgebaut.
Für die Interessenten der „Jahrbücher" kommt von dem Gebotenen
wohl hauptsächlich das Privatrecht in Betracht. Die Zerreißung der
Gesamtmaterie der Deutschen Rechtsgeschichte hat v. Schwerin wohl
dazu geführt, das Deutsche Privatrecht, das mit dem öffentlichen Recht
so sehr verwachsen ist, nicht in seinem einheitlichen Verlauf zu schildern,
sondern nach dem üblichen System der deutschen Dogmatik unter die
begrifflichen Rubriken zu verteilen: Rechtsinhaber und Rechtsgegen-
stand, Entstehung, Arten und Durchsetzung der Privatrechtsverhältnisse,
Sachenrecht, Obligationenrecht, Familienrecht, Erbrecht, — denen dann
(wohl nicht einwandfrei) das Zeichen- und Urheberrecht koordiniert wird.
Das ist eigentlich keine Rechtsgeschichte, sondern etwa das, was wir
unter dem dogmatischen Begriff des „Deutschen Privatrechts" verstehen.
Diese Einteilung, so sehr sie vom historischen Standpunkt manches
gegen sich haben mag, ermöglicht allerdings, die einzelnen Rechts-
institute schematisch in ihrem ganzen Verlauf zu überblicken. Sie er-
leichtert also ein schnelleres Nachschlagen, freilich auf Kosten eines
organischen Eindringens.
Der Schwerpunkt der Darstellung ruht auf der fränkischen Zeit
und dem Mittelalter (im Sinne der Rechtshistoriker). Doch leitet der
Verf., soweit tunlich, den Blick durch die Rezeptionszeit bis in die
Gegenwart, unter Verweisungen auf die deutschen Schwesterrechte.
Das Recht der vorfränkischen Zeit bietet den Ausgangspunkt. Mit
Recht betont v. Schwerin hier noch besonders scharf den Standpunkt,
daß die Ergründung des altgermanischen Rechts durchaus nicht als
„Sport" anzusehen sei. Wer wirklich rechtsgeschichtlich, und nicht
bloß historisch-antiquarisch gearbeitet hat, wer ein juristisches Problem
sachlich zu ergründen gerungen hat, weiß, wie alle unsere Fragen, wenn
man sie wirklich in der Tiefe fassen, und nicht bloß für eine bestimmte
Periode beschreiben will, immer wieder die Forschung auf das Recht
der Urzeit zurückweisen. Für den Altertumsforscher mag es ja Ge-
schmackssache sein, ob ihn die eine oder die andere Periode mehr an-
zieht. Aber für den Juristen, der dem juristischen Problem nachgeht,
ist diese Keimforschung unerläßliche Grundlage für eine wirklich or-
ganische Erkenntnis des historisch lebendigen Rechts. Sonst wird die
Rechtsgeschichte zum platten Positivismus herabgewürdigt. So hat sich
ja auch die moderne Naturforschung eingestellt.
Wer sich über die wirklichen Lebensverhältnisse informieren will,
der weiß heute, daß er nicht zu dem „Naturrecht" oder zu den „reinen
Formen des römischen Rechts" greifen dürfe. Von dem trostlosen
römischen Familienrecht ganz zu schweigen — wer kann sich unsere
Güterwirtschaft, Volkswirtschaft ohne unser deutsches Grundstücks-
und Fahrnisrecht, und auch nicht zuletzt ohne unser deutsches Schuld-
recht vorstellen ? Man frage sich nur einmal, ob es möglich wäre, die
schwindelnde Ausdehnung und dabei die Sicherheit unserer Kredit-
wirtschaft mit den Kategorien des römischen Rechts aufzubauen! Und
immer mehr regen sich die Probleme des Erbrechts. Die wollen wir
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 15
226 Ueberaicht über die neuesten Publikationen Deutechlands und des Auslandes.
doch wahrhaftig lieber empirisch, auf Grundlage unserer eigenen Wirk-
lichkeit und nach unserem deutschen Rechtsempfinden lösen, und nicht
„gekettet an das alte Buch"! In der energischen, knappen Zusammen-
fassung V. Schwerins findet auch der Volkswirt einen trefflichen Aus-
gangspunkt. Durch reichliche, und zwar — was ich bei einem Grundriß
als besonders wertvoll hervorheben möchte — durch die ganze Dar-
stellung hindurch fortlaufende Literaturnachweise wird es auch dem
von anderswoher Kommenden leicht, rasch den Stand der Frage zu
überblicken und die ihn interessierenden Punkte weiter zu verfolgen.
Auf Einzelheiten ist hier nicht einzugehen. Daß die Arbeit solid ist^
braucht bei v. Schwerin nicht erst gesagt zu werden.
Bonn a. Rh. HansSch reuer.
Antonoff, Prof. V., Bulgarien vom Beginn seines staatlichen Bestehens bis auf
unsere Tage (679 — 1917). Eine knappe Darstellung der geschichtlichen Entwicklung
des bulgarischen Volkes und dessen politischer Bedeutung. Berlin, Georg Stilke, 1917.
32 X 25 cm. 75 SS. mit 39 (7 färb.) Abbild. (Taf.) u. 4 (färb.) histor. Karten (u. 1 färb.
Taf.). M. 6.—.
Below, Georg v.. Mittelalterliche Stadtwirtschaft und gegenwärtige Kri^s-
wirtschaft. (Kriegswirtschaftliche Zeitfragen, in Verbindung mit Proff. Drs. Ferd. Schmid
u. Wilh. Stieda hrsg. v. Prof. Dr. Franz Eulenburg, Heft 10.) Tübingen, J. C. B. Mohr,
1917. gr. 8. III— 53 SS. M. 1,50.
Dub, Dr. Moritz, Oesterreich- Ungarns Volkswirtschaft im Weltkriege. (Finanz-
und volkswirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. von Reichsr. Prof. Dr. Georg v. Schanz u.
Geh. Reg.-R. Prof. Dr. Julius Wolf. Heft 36.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. Lex.-8.
80 SS. M. 3.—.
Wasilewski, Leon, Die Ostprovinzen des alten Polenreichs (Lithauen und
Weißruthenien — Die Landschaft Chelm — Ost-Galizien — Die ükraina.) Wien,
Gerold & Co., 1917. 8. 364 SS. mit 3 färb. Karten u. 1 DeckbL M. 13.—.
3. Bevölkemng'slelire und BevölkerungTspolitik. ▲uswanderung' p^.
und Kolonisation.
Hitze (M. d. R.), Prof. D. Dr. Franz, Geburtenrückgang und Sozialreform.
(Ehe und Volksvermehrung, No. 3.) München - Gladbach, Volksvereins - Verlag, 1917.
gr. 8. VII— 244 SS. M. 4,50.
Hupfeld (Dir.), Fr., Das deutsche Kolonialreich der Zukunft. (Meereskunde.
Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen Bedeutung von
Meer und Seewesen, hrsg. vom Institut für Meereskunde an der Universität Berlin,
Heft 122, Jahrg. 11, Heft 2.) Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1917. 8. 35 SS. mit eingedr.
Kurven. M. 0,60.
Kirstein (Priv. -Doz.), Dr. Fr., Der Geburtenrückgang, die Zukunftsfrage
Deutschlands. Marburg, N. G. Elwertsche Verlagsbuchhandlung, 1917. 8. 30 SS. m.
2 Taf. M. 0,50.
Schönebaum, Dr. Herb., Die Besiedlung des Altenburger Ostkreises. (Bei-
träge zur Kultur und Universalgeschichte, begr. von Karl Lamprecht, fortges. von Walter
Goetz, Heft 39, N. F. Heft 4.) Leipzig, R. Voigtländers Verlag, 1917. gr. 8. XIH—
108 SS. m. 2 Taf. u. 1 Karte. M. 4,80.
4. Berg-bau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Müller-Erzbach, Rudolf, Das Bergrecht Preußens und dea
weiteren Deutschlands. Erste Hälfte. Mit 5 TextabbilduDgen. Stutt-
gart (F. Enke) 1916. 8». VIII u. 302 SS. (Preis: M. 10,—.)
In dem vorliegenden Werk bietet der Verf. den ersten Teil einer
planmäßigen Bearbeitung des preußisch-deutschen Bergrechts, enthaltend :
A. Die Geschichte des deutschen Bergbaus; B. Die Geschichte der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutscklands und des Auslandes. 227
Haupteinriclitungen des Bergrechts und seiner Quellen ; C. Das geltende
Eecht. Von dem Abschnitt C enthält das Buch folgende Unterteile:
I. Das Bergwerkseigentum, II. Das Bergwerkseigentum und das Ge-
winnungsrecht an den dem Staate vorbehaltenen Mineralien, III. Das
Bergnachbarrecht, IV. Der Bergbautreibende als Unternehmer. Die
noch folgenden Kapitel: das Verhältnis des Bergbaus zum Grund-
eigentum, das Bergpolizeirecht, das Knappschaftswesen, bleiben der
zweiten Hälfte des Werkes vorbehalten.
Die Bedeutung des Buches liegt weniger in seinen rechtstheo-
retischen Erörterungen als in der Darstellung der Geschichte des Berg-
baus und der bergrechtlichen Einrichtungen, sowie in der Behandlung
der Zusammenhänge des Bergrechts mit dem allgemeinen Wirtschafts-
leben. Beides ist dem Verf. gleich gut gelungen. Schon das ein-
leitende Kapitel „Zur Einführung", das in kurzen knappen Sätzen
das Wesen des Bergbaus und seine kulturelle Bedeutung schildert,
kann man geradezu als klassisch bezeichnen. Die dann auf S. 5 — 37
folgende Geschichte des deutschen Bergbaus, die man in anderen berg-
rechtlichen Lehrbüchern in der Regel vermißt, bietet die Grundlage
für den Abschnitt B, Die Geschichte der Haupteinrichtungen des Berg-
rechts und seiner Quellen. Hier hat der Verf. unter sorgfältiger Be-
nutzung des reichlich vorhandenen Materials und der schon existierenden
Einzeldarstellungen eine deutsche Bergrechtsgeschichte geschrieben, wie
sie bisher nicht vorhanden war. Im letzten Kapitel dieses Abschnittes
ist die Entwicklung des Bergrechts in den deutschen Schutzgebieten
und damit die Anpassung deutscher Bergrechtsgrundsätze an über-
seeische Verhältnisse geschildert.
Auch in dem Abschnitt C, Das geltende Recht, greift der Verf.
immer wieder auf die geschichtliche Entwicklung der einzelnen Ein-
richtungen zurück und macht die Darstellung dadurch verständlicher
namentlich für solche, die sich zum erstenmal mit dem Bergrecht
beschäftigen und sich von manchen Einrichtungen fremdartig ange-
mutet fühlen. In dieser Hinsicht sei namentlich auf die Kapitel über
Mutung und Feldesstreckung, über Erbstollen und Hilfsbau, über die
Gewerkschaft und ihre Geschichte verwiesen.
Etwas ausführlicher hätte wohl das letzte Kapitel des Buches
„Ueber Kartelle und Syndikate" mit Rücksicht auf die große Bedeutung
dieser Verbände ausfallen können.
Nicht ganz zutreffend ist auf S. 141 und 142 das Verhältnis
zwischen Staatsbergbau und Privatbergbau geschildert. Der preußische
Staatsbergbau hat sich im Konkurrenzkampf mit dem Privatbergbau
auch auf dem Gebiet der kaufmännischen Einrichtungen modernisiert.
Und im Staatsbergbau können sich, ebenso wie im Privatbergbau, die
Leiter der Unternehmungen für ihre Ideen einsetzen und ihre Per-
sönlichkeit und ihre Kräfte entwickeln. Andererseits kann eine so
große Staatsverwaltung, wie die preußische, Betriebsleiter, die in ge-
schäftlichen Dingen keine glückliche Hand haben, von solchen Posten
entfernen und anderweitig beschäftigen. Sie ist nicht an sie als Be-
triebsleiter gebunden.
16*
228 üeberatoht fiber die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Im übrigen soll man aber der kaufmännischen Gescbäftsgewandt-
keit keine übertriebene Bedeutung beimessen und die „bewährte
Tradition, in deren Geleise der beamtete Direktor sich leicht zurück-
gedrängt sieht", nicht gar zu sehr herabsetzen. Der Bergbautreibende
muß nicht „vor allem Geschäftsmann sein", wie der Verf. behauptet,
sondern er muß „auch" Geschäftsmann sein. Und die Tradition spielt
gerade im Bergbau eine ganz hervorragende Rolle, was ja auch der
Verf. selbst dadurch anerkennt, daß er sich der Geschichte des Berg-
baus und der bergrechtlichen Einrichtungen mit ganz besonderer Liebe
und feinem Verständnis gewidmet hat. Wenn die Rentabilität der
fiskalischen Bergwerksunternehmungen hier und da zu wünschen übrig
läßt, so hat man die Ursache hiervon wohl in der Hauptsache in an-
deren Umständen zu suchen. Uebrigens ist es nicht unmöglich, daß
die Erwerbung sämtlicher Aktien der Bergwerksgesellschaft Hibemia
durch den preußischen Staat die Frage einer Aenderung der fiskalischen
Bergwerksverwaltungen ins Rollen bringt. *"
Halle a. S. H. Seh r ad er, Bergrat.
Bekanntmachungen über den Ernteverkehr nebst den anderweitigen Ge-
setzen und Verordnungen wirtschaftlicher Natur aus den Jahren 1915 — 17. 13. Nach-
trag (u. Gratisbeigabe): Vom 13. III. 1917 bis 30. IV. 1917. (Gratisbeigabe: Ver-
zeichnis der ergänzten, geänderten und aufgehobenen Bekanntmachungen usw. Vom
28. VI. 1915 bis 13. III. 1917. 48 SS.) Berlin, Klemens Beuschel, 1917. gr. 8.
VII- 183 SS. M. 3,30.
Eberts (Geh. Reg.-R., Fischereivereins- Vors.), Zusammenstellung der im Reg.-Bez.
Cassel geltenden, die Fischerei betreffenden gesetzlichen Bestimmungen. Kassel, Friedr.
Scheel, 1917. kl. 8. III— 147 SS. M. 1,50.
Ehrenberg, Prof. Dr. Paul, Ratschläge zum Durchhalten für unseren Zucker-
rübenbau. Berlin, Paul Parey, 1917. 8. 63 SS. M. 2.—.
Großmann, Prof. Dr. H., (Reichskommiss., Rittmstr.) Bueb u. (Reg.-Assess.)
W. V. Flügge, Düngemittel im Kriege. (Beiträge zur Kriegswirtschaft, hrsg. von der
volkswirtsch. Abt. des Kriegsernährungsamts, Heft 15.) Berlin, Reimar Hobbing, 1917.
8. 52 SS. M. 0,60.
Herwegen, Dr. ing. L., Die zweckmäßigste Streckung von Tagebaufeldem «ur
Erzielung höchster Wirtschaftlichkeit und einfacher Betriebs Verhältnisse. Halle a. 8.,
Wilhelm Knapp, 1916. Lex.-8. 111—48 SS. mit 64 in den Text gedr. Abbild. M. 4,50.
Kronacher (Tierzucht- Inst.-Dir.), Prof. C, Der Wiederaufbau der deutschen
Pferdezucht nach dem Kriege. Berlin, Paul Parey, 1917. gr. 8. 99 SS. M. 2,50.
Hunzinger (derzeit Oekon.-Dir., Wirtschaftsr.), Dr. Adolf, Organisation im
landwirtschaftliehen Großbetriebe. Betriebstechnische Erlebnisse, Gedanken und Unter-
suchungen. Jena, Gustav Fischer, 1917. gr. 8. V— 194 SS. mit 2 Einlage-Tab. M. 6.—.
(S.-A, a. d. Archiv f. exakte Wirtschaftsforschung, Bd. 8.)
Schulenburg, Roh. v. der, Vollblut und Rennsport. Die Grundlagen unserer
Landespferdezucht. Eine gemeinverständliche Abhandlung. Köln, Alfred Bourseaux,
1917. 8. 32 SS. M. 1.—.
S emmier (Geh. Reg.-R.), Prof. Dr. F. W., Die deutsche Landwirtschaft während
des Krieges und ihre Zukunft. Arbeitsziele nach Friedensschluß. Breslau, Preuß &
Jünger, 1917. gr. 8. 178 SS. M. 3.—.
Warmbold, Dr. Herm., Futtergetreide im Kriege. (Beiträge zur Kriegswirt-
schaft, hrsg. von der volkswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsemährungsamts, Heft 4.)
Berlin, Reimar Hobbing, 1917. 8. 44 S. M. 0,60.
Wygodzinski, Prof. Dr. Willy, Produktionszwang und Produktionsförderung
in der Landwirtschaft. (Beiträge zur Kriegswirtschaft, hrsg. von der Volkswirtschaft!.
Abteilung des Kriegsernährungsamts, Heft 5.) Berlin, Reimar Hobbing, 1917. 8.
42 SS. M. 0,60.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 229
Zuntz (Geh. Keg.-E.), Prof. Dr. N., Gesichtspunkte zur Anpassung des Land-
wirts an die Kriegslage. Vortrag, gehalten am 23. II. 1917 im Lehrgang für praktische
Landwirte und Verwaltungsbeamte an der Kgl. Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin.
Berlin, Paul Parey, 1917. 8. 27 SS. M. 0,80.
C16anthe, Position critique de notre production. Solution efficace. La force
par les revients. Paris, Chaix, 1917. 4. 54 pag. et graphiques.
5. Gewerbe und Industrie.
Friedländer (Doz.), Prof. Dr. P., Fortschritte der Teerfarbenfabrikation und
verwandter Industriezweige. An der Hand der systematisch geordneten und mit kri-
tischen Bemerkungen versehenen deutschen ßeichspatente dargestellt. 12. Teil, 1914 — 1916.
Berlin, Julius Springer, 1917. Lex.-8. VIII— 986 SS. M. 72.—.
Hünlich, Eich., Die Textilindustrie und der Krieg. Berlin, Paul Adler, 1917.
8. 23 SS. M. 1,20.
Oberhummer, Ernst, Die Baumwollindustrie Oesterreich - Ungarns. (Wirt-
schaftsgeographische Karten und Abhandlungen zur Wirtsfhaftskunde von Oesterreich-
Ungarn. Hrsg. mit Subvention des k. k. Handelsministeriums von Prof. Dr. Franz
Heiderich. Heft 14.) Wien, Ed. Hölzeis Verlag, 1917. Lex.-8. 62 SS. mit 1 färb.
Karte. M. 6.—.
Sachs, Prof. Dr. Arthur, Die Grundlagen der schlesischen Montanindustrie.
Kattowitz, Gebrüder Böhm, 1917. gr. 8. 20 SS. mit 4 Textfig. u. 1 (färb.) geolog.
Karte. M. 2.—.
Spies, Georg, Die rumänische Petroleum-Industrie und ihre Bedeutung in der
Weltwirtschaft. Zwei Vorträge, gehalten in Bukarest am 9. a. 13. III. 1917. (Bukarester
Vorträge, Heft 1.) Bukarest, König Carol-Verlag, 1917. 8. 64 SS. M. 0,80.
Wallichs, Prof. A., Die Psychologie des Arbeiters in seiner Stellung im indu-
striellen Arbeitsprozeß. (Technische Abende im Zentralinstitut für Erziehung und Unter-
richt, Heft 3.) Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1917. 8. 31 SS. M. 0,50.
Wilbrand's, Dr. F., Lehre von den landwirtschaftlichen Gewerben. 7. Aufl.,
hrsg. V. (Landwirtschaftssch. - Prof.) Dr. H. Siats. Hildesheim, August Lax, 1917. 8.
VII— 79 SS. mit 32 in den Text gedr. Abbild. M. 2.—.
Zoelly, Dr. Charles, Die rechtliche Behandlung der Kartelle in der Schweiz.
(Zürcher Beiträge zur Rechtswissenschaft, hrsg. v. Proff. Aug. Egger, Ernst Hafter,
Max Huber u. Hans Eeichel, No. 64.) Aarau, H. E. Sauerländer & Co., 1917. gr. 8.
V— 209 SS. M. 3.—.
Eothschild, H. de, et Prof. Porcher, L'industrie des lais concentr§s et la
fraude. Paris, Doin. 8. fr. 1,50.
Atkinson, Henry, A rational wages system. Some notes on the method of
paying the worker a reward for efficiency in addition to wages. London, Bell. 8. 1/. — .
Cherington, Paul Terry, The wool industry. Chicago, Shaw Co. 8. $ 2,50.
6. Handel und Verkehr.
Oberfohren, Ernst, Französische Bestrebungen zur "Verdrängung
des deutschen Handels. (Kriegswirtschaftliche Untersuchungen aus dem
Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universität Kiel,
herausgeg. von Prof. B. Harms, 5. Heft.) Jena (Gustav Eischer) 1916.
80. IV u. 60 SS. (Preis: M. 1,60.)
Deutschland hat dahin gestrebt, die ganze Welt wirtschaftlich zu
unterjochen, und wollte mit dem von ihm vom Zaune gebrochenen Krieg
seine Gegner auch militärisch niederzwingen. Deshalb muß nach dem
zweifellos sicheren Sieg der Entente Deutschland wirtschaftlich so ge-
schwächt werden, daß seine stete Bedrohung der friedlichen Kultur für
immer ein Ende hat. Dies bei unseren Feinden immer wiederkehrende
Leitmotiv ist auch die Ursache der französischen Bestrebungen zur
230 ücbersloht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Verdrängung des deutschen Handels, über die uns der Verf. obiger
Schrift in klarer und übersichtlicher Weise unterrichtet, soweit sie
während des ersten Kriegsjahres bereits in mannigfachen Verbands-
grttndungen und Organisationen, praktischen Maßnahmen und Vorschlägen
zutage getreten sind. Da sich die Anzeige der Schrift leider stark
verzögert hat, so sei gleich hier eingeschaltet, daß das Material in dem
vom Kieler Institut herausgegebenen „Kriegswirtschaftlichen Nach-
richten" inzwischen fortlaufend ergänzt worden ist. Jene Bestrebungen
richten sich teils auf den französischen Inlandsmarkt und zeigen hier
auch dem Deutschen selbst in überraschender Weise, wie sehr es der
„teutonischen Invasion" gelungen ist, sich den französischen Markt zu
erobern. Zum anderen Teile richten sich die Bestrebungen auf die
Verdrängung des deutschen Handels auf dem Weltmarkte. Da wird
dann den französischen Industriellen und Kaufleuten vor allem die
Nachahmung der so verpönten deutschen Geschäftsmethoden empfohlen :
die wirksame Bearbeitung der ausländischen Kundschaft durch Hand-
lungsreisende, bessere Berücksichtigung des fremden Geschmacks, billigere
Preise, Gewährung langfristiger Kredite, Organisation des Exports mit
Hilfe der Banken, Musterausstellungen usw. An Maßnahmen auf all-
gemein wirtschaftlichem Gebiete werden in Betracht gezogen: die Ent-
wicklung der Handelsschiffahrt, der Ausbau der französischen Häfen,
eine Aenderung der Handelspolitik im Sinne der Ausschaltung Deutsch-
lands und seiner Verbündeten vom Genüsse der Meistbegünstigung und
dergleichen. Der Verf. zeigt, welche Erfolge man sich von diesen Be-
strebungen gegenüber den französischen Kolonien, den mit Frankreich
verbündeten sowie den neutralen Ländern verspricht, immer unter
Hinweis auf die bisherigen deutschen Erfolge, die, wie man hofft, von
den Franzosen bei der angeblich zweifellosen Ueberlegenheit ihrer In-
dustrie mehr oder weniger leicht ausgeschaltet werden können, wenn
nur der ernstliche Wille vorhanden, und das Ausland erst von den
zahlreichen unlauteren Mitteln der Deutschen überzeugt worden ist.
Die vom Verf. am Ende seiner im November 1915 abgeschlossenen
Untersuchung erwähnte Idee einer „entente economique" unserer Feinde
auch nach dem Kriege hat bekanntlich inzwischen in den Beschlüssen
der Pariser Wirtschaftskonferenz vom 14. — 16. Juni 1916 ihre Ver-
wirklichung gefunden. Die zur dauernden Bekämpfung des Außen-
handels Deutschlands und seiner Verbündeten dort beschlossenen Maß-
nahmen und Richtlinien verdienen zweifellos ernsthafte Beachtung, ohne
daß wir Ursache hätten, uns vor ihnen zu fürchten. Abgesehen von
den in unserer eigenen Volkswirtschaft ruhenden Machtmitteln, haben
sie den militärischen Sieg unserer Feinde zur Voraussetzung. Wie
wir zuversichtlich hoffen, daß diese Erwartung zunichte wird, so ist
vielleicht auch die weitere Hoffnung noch nicht ganz aufzugeben,
daß der heute noch wirksame sinnlose Gedanke der wirtschaftlichen
und militärischen Eroberungssucht Deutschlands über kurz oder lang
einer verständigeren Einsicht weichen wird. Indessen wird deutscher-
seits auf jeden Fall mit gewaltigen Anstrengungen unserer Gegner zur
Verdrängung des deutschen Handels zu rechnen sein. Alle Einzel-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 231
beraühungen nach dieser Richtung verdienen volle Beachtung nicht nur
seitens unserer wirtschaftlichen Kreise selbst, sondern auch seitens
unserer Reichsregierung, die sich nach dem Kriege in ganz anderem
Maße als bisher die Unterstützung der deutschen wirtschaftlichen Aus-
landsinteressen angelegen sein lassen muß.
Cöln. A. Wirminghaus.
B r a n d t - Düsseldorf , Dr., Wirtschaftsfragen im zweiten Kriegsjahre. Vortrag,
gehalten in der 47. Hauptversammlung des Vereins deutscher Eisengießereien zu Düssel-
dorf am 5. VIII. 1916. München, ß. Oldenbourg, 1917. gr. 8. 72 SS. M. 1,60.
Dyes, Dr. Wilh. A., Die Kriegsfolgezeit und deren wirtschaftliche Organisation.
(Dringliche Wirtschaftsfragen, Heft 7.) Leipzig, Veit & Comp., 1917. gr. 8. 80 SS.
M. 1,50.
Herkner, Prof. Dr. H., Die Zukunft des deutschen Außenhandels. (Meeres-
kunde. Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen Bedeutung
von Meer und Seewesen, hrsg. vom Institut für Meereskunde an der Universität Berlin,
Heft 123, Jahrg. 11, Heft 3.) Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1917. 8. 23 SS. M. 0,60.
Mannstaedt, Prof. Dr. Heinrich, Hochkonjunktur und Krieg. Jena, Gustav
Fischer, 1917. gr. 8. 46 SS. M. 1.—.
Schrameier (Geh. Adm.-R.), Dr., Die deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen.
(Meereskunde. Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen
Bedeutung von Meer und Seewesen. Hrsg. vom Institut für Meereskunde an der Uni-
versität Berlin. Heft 124, 11. Jahrg. Heft 4.) Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1917.
8. 31 SS. mit Abb. M. 0,60.
Skalweit, Prof. Dr. August, Die Viehhandelsverbände in der deutschen
Kriegswirtschaft. (Beiträge zur Kriegswirtschaft. Hrsg. von der volkswirtschaftlichen
Abteilung des Kriegsernährungsamts. Heft 10.) Berlin, Reimar Hobbing, 1917. 8.
44 SS. M. 0,60.
h' Wallroth, Dr. Erich, Die Grundlagen des Ostseehandels und seine Zukunft.
-(Meereskunde. Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen Be-
deutung von Meer und Seewesen. Hrsg. vom Institut für Meereskunde an der Uni-
versität Berlin. Heft 126, 11. Jahrg. Heft 6.) Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1917. 8.
39 SS. M. 0,60.
Wurst, Oskar, und Herm. Leiter, Drs., Die Handels- und Gewerbekammem
Oesterreich-Ungarns sowie die Institute für fachliche Ausbildung. (Wirtschaftsgeo-
graphische Karten und Abhandlungen zur Wirtschaftskunde von Oesterreich-Ungam.
Hrsg. mit Subvention des k. k. Handelsministeriums von Prof. Dr. Franz Heiderich.
1. Heft.) Wien, Ed. Hölzel, 1917. Lex.-8. 34 SS. mit 1 färb. Karte. M. 4.—.
Norm an d, Gilles, La guerre, le commerce fran9ais et les consommateurs.
Pr^face de Marc Rfeville. Paris, Perrin. 8. fr. 3,50.
Rouquette, Louis, L'organisation de notre marine marchande et notre ex-
pansion gconomique. Paris, Marc Imhaus et Ren6 Ohapelot, 1917. Petit en-8. 170 pag.
fr. 2,50.
Hodges, H. B., Economic conditions, 1815 and 1914. London, Allen and Unwin.
8. 2/.6.
7. Finanswesen.
Zimmermann, F. W. R, Die Finanz Wirtschaft des Deutschen
Eeichs und der deutschen Bundesstaaten zu Kriegsausbruch 1914.
Berlin und Leipzig (G-. J. Göschensche Verlagsbuchhandlung) 1916.
80. 237 SS. Preis: 7 M.
F. W. R. Zimmermann hat in der Finanzwissenschaft einen guten
Namen. Sein neues Buch zeugt wiederum von der Sorgfalt und Zu-
verlässigkeit, mit der er an wissenschaftliche Arbeiten herangeht, und
von der Umsicht, mit der hier alles Wissenschaftliche und Tatsächliche
232 üeberaicht über die nenesten Pnblikationen Deutschlands und des Auslandes.
an der richtigen Stelle dargestellt wird. Wir haben hier ein Buch vor
uns, das in übersichtlicher Anordnung (und auch geschickter tjrpo-.
graphischer Aufmachuog) einen vollkommenen Ueberblick über die
Finanzwirtschaft des Deutschen Reichs und der einzelnen Bundesstaaten
gibt und insofern in der Tat einem oft empfundenen Bedürfnis ent-
gegenkommt. Die gegebenen Ziffern benihen auf amtlichen Unter-
lagen; daß hierfür der Stand der Finanzwirtschaft beim Ausbruch des
großen Krieges gewählt ist, ist für die Brauchbarkeit des Buches jetzt
und auch in der nächsten Zukunft ohne Zweifel wichtig. Ganz be-
sonders interessant sind die synoptischen Zusammenstellungen am
Schlüsse des Buches ; wir haben dort die Verhältnisse der Bundes-
staaten übersichtlich vor Augen, sowohl für den Staatsbedarf im ganzen
wie für die einzelnen Verwaltungszweige, femer auch für die einzelnen
Einnahmegattungen, die Steuerbelastung und die Staatsschulden. Ein
gutgearbeitetes kurzes Sachregister beschließt das mit vielem Fleiß und
großer Sachkenntnis geschriebene Buch.
Berlin-Friedenau. Alexander Elster.
Bartsch v. Sigsfeld, Dr., Die Kosten der deutschen Justiz in Zivil- und
Strafsachen, ihre Fehler und deren Beseitigung. (Finanz- und volkswirtschaftliche Zeit-
fragen. Hrsg. von Reichr. Prof. Dr. Georg v. Schanz und Geh. Reg.-R. Prof. Dr.
Julius Wolf. Heft 35.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. Lex.-8. 53 SS. M. 2.—.
Engel (Fin.-Min. a. D., Wirkl. Geh. R.), Dr. August Frhr. v., Betrachtungen
über den staatsfinanziellen Wiederaufbau Oesterrelchs. (Flugschriften für Oesterreich-
üngams Erwachen. Hrsg.: Robert Strache. Literar. Leitung: Ferd. Grüner. Heft 23
und 24.) Warnsdorf, Ed. Straches Verlag, 1917. gr. 8. 53 SS. M. 0,80.
Fechner, Karl, Die Hinterbliebenen- und Kriegsbeschädigten-Fürsorge in
Kriegs- und Friedenszeiten, sowie das Besoldungs- und Pensionswesen. Bd. 10. Berlin-
Wilmersdorf, Fechners Gesetzgebungs-Bibliothek, 1917. 16. IV— 156 SS. M. 3,75.
Fellner, Frdr. v., Das Volkseinkommen Oesterrelchs und Ungarns. Wien,
Manz, 1917. Lex.-8. 145 SS. M. 5,20.
Fuistlng (Wirkl. Geh. Oberreg.-R., Oberverwaltungsger.-Sen.-Präs.), B., Die
preußischen direkten Steuern. 1. Bd. Kommentar zum Einkommensteuergesetz. Nach
dem Tode des Verf. bearbeitet von (Wirkl. Geh. Oberreg.-R., Oberverwaltungsger.-Sen.-Präs.)
Dr. Strutz 8. veränd. u. verm. Aufl. Erg.-Heft: Gesetz betr. die Ergänzung des Ein-
kommensteuergesetzes vom 30. XII. 1916 nebst Ausführungsbestimmungen. Berlin, Carl
Heymanns Verlag, 1917. gr. 8. IV— 74 SS. M. 2.—.
Gauß (Wirkl. Geh. R.), F. G., Die Gebäudesteuer in Preußen nach dem Gesetze
vom 21. V. 1861 und den später ergangenen abändernden Gesetzen nebst Ausführungs-
bestimmungen, mit ausführlichem Sachregister. Unter Benutzung amtlicher Quellen
hrsg. Neubearbeitet von (Geh. Oberflnanz-R., vortr. Rat) A. Maske. 4. Aufl. Berlin,
R. V. Deckers Verlag (G. Schenck), 1917. gr. 8. VII— 964 SS. M. 38.—.
Jaff6, Prof. Dr. Edgar, Kriegskostendeckung und Reichsfinanzreform. Tübingen,
J. C. B. Mohr, 1917. gr. 8. 32 SS. M. 0,75. (S.-A. aus dem Archiv für Sozial-
Wissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 43.)
Koppe (Rechtsanw., Synd.), Dr. Fritz, und Dr. Paul Varnhagen, Gesetz
betr. die Abänderung des Warenumsatzstempels vom 30. V. 1917. Für den praktischen
Gebrauch erläutert. Mit ausführlichen Anmerkungen, unter Berücksichtigung des Zu-
sammenhangs mit dem Hauptgesetze, und Sachregister. Berlin, Industrieverlag Spaeth
und Linde, 1917. kl. 8. 38 SS. M. 1.—.
Mrozek (Oberverwaltungsger.-R.), Alfons, Besitzsteuergesetz, nebst den Aus-
führungsbestimmungen des Bundesrats und den preußischen Ausführungsvorschriften,
Ausführlicher Kommentar. (Guttentagsche Sammlung deutscher Reichsgesetze. Teitaus-
gabe mit Anmerkungen. Nr. 126.) Berlin, J. Guttentag, 1917. kl. 8. XVI — 410 SS.
M. 6.—.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 233^
Nickerl v. ßagenfeld, Emil, Grundsteuerreform. Kurze gemeinverständ-
liche Vorschläge im Geiste der neuen Gesellschaftsauffassung. Graz, ülr. Mosers Buch-
u. Kunsthdlg., 1917. gr. 8. 36 SS. M. 1.—.
Stier-Somlo, Prof. Dr. Fritz, Gesetz über Sicherung der Kriegssteuer vom
9. IV. 1917 und Gesetz über die Erhebung eines Zuschlags zur Kriegsteuer vom 9. IV.
1917, erläutert. Gleichzeitig 3. ergänzte Aufl. des Gesetzes über vorbereitende Maßnahmen
zur Besteuerung der Kriegsgewinne vom 24. XII. 1915, nebst den Ausführungsbestim«
mungen. Berlin, Franz Vahlen, 1917. kl. 8. 152 SS. M. 2,80.
Studier (Sektionschef), Rud., Das Rechnungs- und Kassenwesen der schweize-
rischen Postverwaltung. Eine Darstellung. Zürich, Orell Füßli, 1917. gr. 8. V— 100 SS.
M. 4.—.
Tetzlaff, Dr. Oskar, Die Steuern und Schulden der Städte und großen Land-
gemeinden Preußens im Rechnungsjahre 1913 und ihre Zuschläge zu den staatlich ver-
anlagten direkten Steuern im Rechnungsjahre 1914. Im amtlichen Auftrage bearbeitet..
Berlin, Verlag des Kgl. Statistischen Landesamts, 1916. 32 X '^3 cm. 180 SS. M. 4.—.
(S.-A. aus der Zeitschrift des Kgl. Preuß. Statist. Landesamis, 1916.)
Dalloz, Les impöts nouveaux. Impöt sur le revenu. Contribution sur le»
b^nfefices de guerre. Taxes nouvelles. Textes sans commentaires. Paris, libr. Dalloz^
1917. 16. 132 pag. fr. 2,50.
Lachapelle, Georges, Nos finances pendant la guerre. La gestion de»
finances publiques. Les socifet^s de credit. La bourse de Paris. La banque de France^
Paris, Armand Colin, 1915. 16. VI— 306 pag. fr. 3,50.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicliernngswesen.
Eisfeld, Curt, Das niederländische Bankwesen. Haag (M. Nijhoff)
1916. 80. 2 Bde.; I. Teil: VIII u. 303 SS.; II. Teil: YII u. 95 SS.
(Preis: fl. 6,50.)
Ein größeres Werk über das niederländische Bankwesen kann aus
wirtschaftshistorischen und wirtschaftspolitischen Gründen auf ein all-
seitiges Interesse rechnen. Wenn diese beiden Gesichtspunkte möglichst
vollständig in der vorliegenden Schrift zur Geltung gekommen wären^
würde uns eine monumentale, deskriptive, archivalische und statistische
Leistung vorliegen. Der Verf. hat aber bei der Anlage seiner Arbeit
darauf verzichtet, umfassend vorzugehen, indem er sich mit der Be-
handlung der privat- und volkswirtschaftlichen Entwicklung der zahl-
reichen holländischen Banktypen in den letzten 50 Jahren begnügte.
Aus einer möglichen großzügigen entwicklungsgeschichtlichen Darstellung
ist durch Selbstbeschränkung — denn viele Einzelbemerkungen weisen
auf ausgedehnte wirtschaftshistorische Kenntnisse des Verf. hin — eine
außerordentlich fleißige und gründliche, aber doch ab und an unbe-
friedigende Darstellung des holländischen Bankwesens entstanden. Das
unbefriedigende Gefühl, das jeden einigermaßen sachkundigen Leser nach
der Lektüre der Schrift beschleichen wird, rührt von der Einseitigkeit
der Darstellungsmethode her, von der Vernachlässigung wirtschafts-
historischer Gesichtspunkte auf einem klassischen Boden der wirtschafts-
geschichtlichen Entwicklung, wie es die Niederlande sind. Holland^
holländisches Wesen und holländische Einrichtungen sind nur aus der
holländischen Staats- und Kulturgeschichte zu erklären. Seine Gegen-
wart steht in einem stärkeren Maße, als dieselbe irgendeines anderen
europäischen Volkes, im verpflichtenden Banne seiner großen Ver-
234 üeberaioht über die neaesten Publikationen Deatschlands und des Ansiandee
gangenheit ^). Wie sich damals im 17. Jahrhundert die Stände und Be-
rufe gegliedert haben, wie sich damals das Verhältnis der einzelnen
Faktoren in der Volkswirtschaft herausgebildet hat, das ist dort heute
noch von ausschlaggebender Bedeutung.
Läßt man aber die obige methodologische Ausstellung außer Be-
tracht, so ist der Aufbau und die glänzende statistische Darstellung
(zusammengefaßt in Teil II) als gut gelungen zu bezeichnen. Als Aus-
gangspunkt wählt der Verf. einige, leider eben viel zu kurz ausgefallene
Ausführungen über die Entwicklung des holländischen Bankwesens. Im
folgenden ersten Kapitel behandelt er dann dessen rechtliche, wirt-
schaftliche und politische Grundlagen. Seine sorgfältige und klare, aber
doch nicht langwierige Darstellung der rechtlichen Bestimmungen von
wirtschaftlicher Bedeutung — wie das Wechsel- und Aktiengesell-
schaftsrecht — sind in der vorliegenden Fassung wertvolle Beiträge
zu der gegenwärtig stark in Aufnahme kommenden E-echtsvergleichung.
Die wirtschaftlichen Grundlagen sind im wesentlichen der Bevölke-
rungs-, Betriebs-, Handels- und Börsenstatistik entnommen. Die Kritik
des Verf. an der holländischen Außenhandelsstatistik erscheint mir teil-
weise unberechtigt, da diese Statistik in Holland und Deutschland ganz
andere Aufgaben zu erfüllen hat. Holland, als typisches Zwischen-
handelsgebiet, ist im Interesse der Beobachtung seines National-
einkommens auf eine Feststellung möglichst aller durch hol-
ländische Hände gehenden Gütermengen angewiesen. Deutsch-
land ist infolge seiner Handelsvertrags- und Schutzzollpolitik dagegen
viel mehr an Ursprung und Verwendung der Außenhandels-
objekte interessiert. In der Behandlung der politischen Verhältnisse
der Gegenwart und der derzeitigen Parteigrundsätze vermißt man einen
umfassenden historischen Rückblick. Derselbe hätte zum Ausdruck
gebracht, daß die auf religiösen Grundsätzen fußenden „klerikalen"
Parteien keineswegs mit ähnlichen politischen Parteien, etwa in Belgien
oder Oesterreich, gleichgesetzt werden können. Aus der doppelten
Wurzel des niederländischen Gemeinschaftslebens, aus der übrigens die
beiden großen Kriegshandlungen dieses kleinen Volkes gegen Spanien
und England hervorgegangen sind, seinem intensiven kirchlichen Leben
und seinen expansiven Handelsbestrebungen mußte sich in der Politik
ein Dualismus und in breiten Volksschichten bei vielen aktuellen Fragen
ein Konflikt der ethischen Pflichten mit den Geboten eines amoralischen
Utilitarismus ergeben. Es muß bestritten werden, daß die führenden
Parteien (Antirevolutionäre, Liberale Unie und Katholiken) Opportu-
nismus getrieben haben, vielmehr ist ihre Stellungnahme zu bestimmten
Fragen unter dem Gesichtspunkte dieser Zweiheit im politischen und
wirtschaftlichen Leben eine logische Reaktion gegen gefährliche Ueber-
treibungen der jeweiligen Gegenpartei. So lag es durchaus in der
Entwicklungslinie der klerikalen Partei seit Anfang dieses Jahrhunderts,
energisch für die sozialen Versicherungen einzutreten, wo die liberalen
Parteien und ihre finanziellen Hintermänner (besonders in der Rotter-
damsche Bankvereeniging) an eine möglichst umfassende und be-
1) Vgl. Edwards, Holland und Deutschland in den Deutschen Stimmen, Nr. 5, 1917.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 235
schleunigte Industrialisierung des Landes arbeiteten. Sollte eine Ver-
änderung der Grundlagen der nationalen Volkswirtschaft vor sich
gehen, dann war es eine selbstverständliche Aufgabe der „christlichen"
Parteien, dem neu entstehenden Arbeiterstande ethisch und sozial be-
friedigende Lebensbedingungen zu sichern. Dies trifft auch cum grano
Balis bezüglich der Stellungnahme der Parteien zu den Bankgesetzen zu.
Das zweite Kapitel ist einer Darstellung der Arbeitsteilung im
allgemeinen Bankgewerbe gewidmet. Es behandelt die Klassifikation
der Bankunternehmungen, die alle Zweige des Bankgeschäftes treiben
dürfen, und gelangt dabei zur Unterscheidung von Großbanken und
ihren Gruppen, unabhängigen Mittel- und Kleinbanken und den Bankiers.
In den einzelnen Abschnitten werden die jeweils wichtigsten oder
charakteristischsten Unternehmungen dieser Kategorien in ihrer Ent-
wicklung, wenn möglich seit ihrer Gründung, beschrieben. Es werden
4 Großbanken mit zahlreichen Filialen oder der Firma nach selb-
ständigen, aber von der Hauptbank abhängigen Zweigbanken, 106
Mittel- und Kleinbanken, sowie 71 bedeutendere Bankiers auf-
geführt. Zur Kennzeichnung, was für holländische Verhältnisse als
Großbank zu gelten hat, seien die folgenden summarischen Angaben für
diese Banken, bezogen auf das Geschäftsjahr 1911, hier angeführt
(S. 270 der Eisfeldschen Schrift) in Millionen Gulden und mit gleichen
Ziffern des Schweizer Bankvereins verglichen:
Kapital 53»?; Reserven 15,8; Depositen 49,3 ; Bilanzsumme 299,1
Schweizer Bankverein, in Mill.
Gulden umgerechnet, 3ö»0 ; „ ii,7; » 88,1; „ 257,8
Bis in die neueste Zeit hinein konnte jedenfalls von einem mittel-
europäischen Großbankbetrieb also nicht die Rede sein. Erst in den
letzten Jahren (1912 — 14) und vor allen Dingen jetzt während des
Krieges breitet sich das Geschäft der größeren Aktienbanken sehr rasch
aus. Die unabhängigen Mittel- und Kleinbanken, die gleichfalls als
Aktien- oder Kommanditgesellschaften gegründet sind, wiesen Ende 1911
ÄU8 in Millionen Gulden, soweit Angaben zugänglich waren :
Kapital (emittiert) 31,9; Reserven 2,6; Bilanzsumme 74,9.
Ueber die Bankiers sind ähnliche Angaben nicht zu ermitteln.
Wie v. Tienkoven^) richtig ausführt, beherrschen gemeinhin
drei Faktoren in der folgenden Reihenfolge das Bankwesen: Industrie,
Handel, Börse. So ist es in Deutschland und in Frankreich. In
Holland ist die Reihenfolge aber umgekehrt, nämlich: Börse, Handel,
Industrie.
Das Vorwiegen der aus Effektenumsätzen herrührenden Bankge-
schäfte ist auf die Erfahrung zurückzuführen, daß die besitzenden Klassen
in ihrem persönlichem Lebensaufwand sehr sparsam, dagegen in der An-
lage ihres Vermögens und vor allem des ersparten Einkom-
menüberschusses stark spekulativ veranlagt sind. Diese Züge im
holländischen Wesen, die nur historich zu erklären sind*), haben in
1) Nederland in den aanvang der XXe Eeuw, S. 832.
2) Es sei in diesem Zusammenhange nur an die Tulpen-, Kaffee- und Zucker-
spekulationen erinnert. Neuerdings spielen Kautschuk- und Petroleumaktien eine ähn-
liche Bolle.
236 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des A.uslandes.
mehrfacher Hinsicht auf die Gestaltung des Bankbetriebes eingewirkt.
Die Sparsamkeit, die so weit geht, daß in gut bürgerlichen Familien
heute noch ein vollständiger Verbrauch der Einnahmen, auch wenn sie
nur aus festverzinslichen Staatspapieren stammen, als Verschwendung
und Leichtsinn gebrandmarkt wird, läßt den kleinen Mann nach einer
ihm lukrativ und sicher erscheinenden Anlage seines „sauer ersparten"
Geldes suchen, während der Kapitalist nach exotischen oder unsicheren,
aber hochverzinslichen europäischen und amerikanischen An-
lagewerten verlangt. So wandern die eigentlichsten Sparkassen- und Ge-
nossenschaftskunden in Holland zum Notar und Händler, die beide im
Umkreise ihrer Wirksamkeit Darlehen vermitteln, während der Kauf-
mann, größere Landwirt, Industrielle und Rentner zwar zur Bank geht,
dort aber nicht etwa seine augenblicklich nicht benötigten Barmittel in
Depot gibt oder als Unterlage seiner bargeldlosen Zahlungen verwendet,
sondern damit entweder Effekten kauft oder das Geld durch seine
Bank an der Börse als Leihgeld in der in Holland üblichen Form der
Prolongation begibt. Das holländische Spar- und Spekulationsbedürfnis
weist die Banken also geradezu darauf hin, zur Befriedigung des An-
lagebedürfnisses und zur Erweiterung der spekulativen Umsätze mit
fremden Geldern Effekten zu produzieren, d. h. Emissionen fremder
Werte zu erleichtern oder zu einheimischen Emissionen möglichst leb-
haft anzureizen. Die verhältnismäßig depositenarmen Großbanken werden
auf diesem Wege immer mehr in die ßolle von Finanzierungsgesell-
schaften gedrängt, und die kleineren Banken und Bankiers sinken immer
mehr zu Kommissionären oder Vertriebsstellen zweifelhafter Effekten-
gattungen herab, wenn sie es nicht vorziehen sollten, in erster Linie
durch das reine Bankgeschäft oder durch Uebernahme von Agenturen
von Versicherungsgesellschaften und Hypothekenbanken eine einwand-
freiere Existenz zu fristen.
In den nächsten beiden Kapiteln werden die Spezialbanken, die
einen beschränkten oder nur ihnen eigentümlichen Geschäftskreis haben,
getrennt nach solchen, die entweder prinzipiell Betriebskredit oder
Anlagekredit gewähren, unterschieden. Zu der ersten Kategorie rechnet
der Verf. außer der Notenbank — die weiter unten behandelt werden
wird — die Kassiers, Kreditvereine, landwirtschaftliche Darlehnskassen,
Mittelstandsbanken, Kolonialbanken und Auslandsbanken. Zur zweiten
Kategorie gehören die In- und Auslandshypothekenbanken, Schiffs-
hypothekenbanken, Kommunalkreditinstitute, Vorschußbanken und Banken
für belastete Werte. Nach dieser summarischen Uebersicht, die einige
in Deutschland noch nicht vertretene Typen enthält, ist die Arbeits-
teilung im holländischen Bankwesen nicht nur, wie wir oben sahen,
nach der Zahl der Betriebe, sondern auch bezüglich ihrer qualifizierten
Leistung weit fortgeschritten. Auch in diesen Abschnitten bespricht
der Verf. die Mittel, Geschäftszwecke und Ergebnisse der wichtigsten
Unternehmungen jeder Gattung. Die spezifisch niederländischen Typen,
die Schiffshypothekenbanken und die Banken für belastete Werte, die
beide in Deutschland umfangreiche Betätigungsfelder gefunden haben,
werden eingehender gewürdigt. In diesen Kapiteln kommen zwei sehr
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 237
wichtige Zweige des holländischen Bankgeschäftes — vermutlich, wie
aus einer Andeutung im Vorwort hervorgeht, aus Mangel an dem Verf.
zugänglichen Vorarbeiten — , die Kassiers und die Kolonialbanken, nicht
genug nach ihrem heutigen Gewichte zur Geltung. Beide Typen sind
in die Gegenwart hineinragende und sich mitErfog behauptende
Zeugen der wirtschaftlichen und kolonialpolitischen
Vergangenheit der Niederlande.
Die Kassiers waren ursprünglich berufsmäßige Geldaufbewahrer,
die gegen mäßige Vergütung für ihre Kunden aus deren ständig vor-
rätig zu haltenden Guthaben Zahlungen zu leisten hatten. Da sich
im alten Amsterdam die Mehrzahl der Zahlungen durch Kassiers voll-
zog, konnten dieselben lange vor der Errichtung des Londoner Clearing-
house ein Abrechnungssystem einführen. Zu ihnen gehörte auch die
berühmte Amsterdamsche Wisselbank, die infolge unrechtmäßiger Ge-
schäfte seit Ende des 18. Jahrhunderts ihrem Ende entgegenging.
Soweit ist die Darstellung des Verf. zutreffend und vollständig. Wo er
-aber (S. 153/154) den Uebergang zur Gegenwart und zu den zurzeit
vorherrschenden Instituten, die sich Kassiers nennen, herzustellen sucht,
fehlt ihm einiges historische und psychologische Material.
Infolge der in Holland seit mehreren Jahrhunderten eingebürgerten
Sitte, daß der einfache Bürger und Rentner durch eine Mittelsperson
(Privatbankier qder Effektenkommissionär) für seine Rechnung spe-
kulieren läßt, bzw. vom letzteren dazu angehalten wird, entstand bei
allen den Personen die aus religiösen Grundsätzen Gegner von Wetten
und Spekulationen waren, eine Abneigung, die laufenden Geldgeschäfte
(Zahlungen, Wechselgeschäfte, Wechselinkassi) von dem damals in der
Hauptsache aus Privatpersonen bestehenden Bankiersstande verrichten
zu lassen. In diese Lücke ist der Kassiersstand eingetreten. Noch
heute sind viele Kunden der drei großen Kassiersunternehmungen
solche Industrielle und Gewerbetreibende, die ein ausgeprägtes Miß-
trauen gegen die, wie es heißt: „doch immer spekulierenden Banken
und Bankiers" hegen. Das heute noch in weiten Kreisen bestehende
Vertrauensverhältnis zum Kassier kommt vor allem in dem hohen Be-
trage der allein von den drei großen Aktienunternehmungen empfangenen
Depositen zum Ausdruck. Gelang es doch diesen drei Unternehmungen
im Jahre 1911 über 40 Mill. fl. Depositen gegenüber den rund 50 Mill.
der 4 Großbanken heranzuziehen. Besonders deutlich tritt die Ver-
trauensstellung dieser Unternehmungen zutage, wenn man berücksichtigt,
daß sich bei ihnen das Aktienkapital zu den Depositen wie 3 : 8, da-
gegen bei den Banken wie etwa 1 : 0,94 verhält. Heutzutage erledigen
die Amsterdamer Kassiers nicht nur den gesamten dortigen Zahlungs-
verkehr — zu etwa 2/3 in Zahlungsanweisungen auf Kassiers —
sondern sie besorgen für die Banken und Kommissionäre die aus den
Börsenumsätzen hervorgehenden Effektenlieferungen. Für zwei von den
oben erwähnten drei Aktiengesellschaften ist die Umsatzsumme fest-
zustellen. Sie stieg von 1907 bis 1910 von insgesamt 2158 auf 2928
Mill. fl. In derselben Zeit nahm die Umsatzsumme der rührigsten
Großbank, der Rotterdamsche Bank, nur von 746 auf 924 Mill. fl. zu.
238 Uebersicht fiber die neuesten Pnblikationen Deutschlands nnd des Auslandes.
Angesichts dieser Zahlen ist die einleitende Bemerkung i) des Verf.:
„Inwieweit er (der Kassier) heute noch eine große Rolle spielt, ist eine
andere Frage" nicht recht verständlich.
Noch befremdlicher ist die Behandlung einiger Gesichtspunkte im
Abschnitt Kolonialbanken. Wenn der Verf. mit Recht die nieder-
ländische Notenbank eingehend behandelte und angesichts der engen
volkswirtschaftlichen Wechselwirkung von Holland und Niederländisch-
indien glaubte auf eine Behandlung der drei indischen Banken nicht
verzichten zn dürfen, so wäre eine Einbeziehung der indischen Noten-
bank, und zwar als solche, dagegen nicht nur bezüglich ihrer Amster-
damer Geschäfte, sehr erwünscht gewesen. Der Status der drei großen
.indischen Banken, der sich in vieler Hinsicht von dem Status der
rein niederländischen Großbanken unterscheidet, ist an der Hand einer
Darstellung der Bankpolitik der indischen Notenbank viel leichter zu
verstehen. Die Javasche Bank hat sich, im Gegensatz zu der vielfach
von England beeinflußten Politik der Niederländischen Bank, von der
Politik der Reichsbank maßgeblich beeinflussen lassen. Es wäre von
großem Interesse gewesen, zu erfahren, in welchem Umfang dieser Ein-
fluß auf die allgemeine Anwendbarkeit der deutschen Grundsätze oder
auf ihre geschickte Modifikation in diesem besonderen Falle zurück-
zuführen ist. Die von der Javaschen Bank ausgehende größere Beweg-
lichkeit im niederländisch-indischen Bankwesen spiegelt sich in einem
Vergleich der wichtigsten Angaben von drei Kolonialgroßbanken mit
drei Großbanken 2) in Niederland, bezogen auf das Jahr 1911, wider. Es
betrugen jeweils in Millionen Gulden :
Indien Kapital 67,4 Depositen 61,9')
Niederlande „ 39,7 „ 43,9
Wenn man berücksichtigt, daß die drei niederländisch-indischen Groß-
banken erhebliche Geschäfte in Niederland machen und von dort einen
großen Teil ihrer Depositen heranziehen, wird ihre Bedeutung für die
gesamte niederländische Volkswirtschaft — die ohne Indien nicht lebens-
fähig ist — klar ersichtlich. Auch für diesen Abschnitt der Dar-
stellung ist der Verzicht auf eine wirtschaftshistorische Behandlung
lebhaft zu bedauern. Wie es in den letzten 4 Jahrzehnten einigen
genialen Bankleitern (v. d. Berg, Vissering und de Marez Oyens) ge-
lungen ist, den sich völlig anarchisch betätigenden niederländischen
Unternehmungsgeist nicht zum wenigsten durch die Entwicklung der
indischen Großbanken vorwiegend auf Niederländisch-Indien einzu-
stellen, gehört zu den reizvollsten Abschnitten der modernen Bank-
geschichte. Er lehrt, wie eine geschickte Anknüpfung an eine große
Vergangenheit auch in einer beschränkteren Gegenwart belebend wirken
kann.
Im Schlußabschnitt behandelt der Verf. noch einmal zusammen-
fassend einige Probleme des Bankwesens. Das Stocken des Pfandbrief-
absatzes wird mit Recht den allgemeinen Verhältnissen auf dem euro-
päischen Geldmarkte zur Last gelegt, während die Depositenarmut dei^
1) S. 150 der Schrift.
2) Labouchere Oyens & Co. nnd Incassobank sind ansgeschieden.
3) Niederland und Indien.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 239
niederländisclien Banken auf die spezifisch holländischen Anlagesitten
(Prolongationen an der Börse oder Effektenankäufe) zurückgeführt
wird. Auch die bis jetzt von uns noch nicht berührte Notenbankfrage
wird in dem Sinne beleuchtet, daß die Niederländische Bank andauernd
bis zum Kriege wirtschaftlichen Einfluß einbüßte. Die Tatsache ist an
sich richtig. Ein Studium der Geschichte der Javaschen Bank hätte
aber eine befriedigende und zwingende Erklärung nahegelegt. Wie
der Verf. ausführt, rührte die Machtlosigkeit der Notenbank im wesent-
lichen von zwei Faktoren her, nämlich von einem im Verhältnis zur
Metalldeckung zu schnell gestiegenen Notenumläufe und einem zu
kleinen Wechselbestand. Beide Umstände erschweren es der Bank, in
einem vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus erwünschten Umfange
die Gestaltung des Geldmarktes und des Börsenverkehrs zu beein-
flussen. Der erste Faktor wurde vor dem Kriege — wie zurzeit in
Deutschland — durch Propagierung des Scheck- und Giroverkehrs zu
beseitigen gesucht. Diese Versuche waren bei der konservativen Ver-
anlagung des Niederländers nicht besonders aussichtsreich. Der Welt-
krieg mit seinen allseitigen Valutaverschiebungen hat diese Frage aber
endgültig für Holland gelöst. Es ist der Notenbank durch eine ge-
schickte Devisenpolitik gelungen, einen Goldbestand während der Kriegs-
jahre anzusammeln, der annähernd den ganzen heute in Holland wie
in allen anderen Ländern über den normalen Bedarf hinaus gesteigerten
Notenumlauf deckt. Der Anteil des Wechselportefeuilles an den An-
lagen des werbenden Kapitals der Bank wird stets geringer bleiben,
als bei anderen Notenbanken, da Holland weniger originale Um-
sätze in Waren tätigt, als die meisten anderen Länder. Hollands Ge-
schäfte hängen auf das innigste mit der Vermittlung und dem Zwischen-
handel zusammen, so daß der Zahlungsverkehr mit Holland sich viel-
fach auf die Ueberweisung der von holländischen Händlern verdienten
Kommissionen oder der von niederländischen Transportanstalten bean-
spruchten Frachten beschränkt, während der viel beträchtlichere Waren-
wechsel zwischen den nichtholländischen Parteien den Waren-
umsatz ausgleicht. Jetzt, wo im Kriege der holländische Kaufmann
aus politischen Gründen (Umgehung des Verbotes des Handels mit dem
Feinde) als Eigenhändler auftreten mußte, belebte sich der holländische
Wechselverkehr. Niederländisch-Indien mit seinem starken origi-
nalen Ein- und Ausfuhrbedürfnis liefert für seine Banken dagegen
ganz andere Zahlen. So betrug im Jahre 1913 der Wechselbestand
der größten indischen Bank schon allein etwa die Hälfte des durch-
schnittlichen Wechselbestandes der Nederlandsche Bank. Ob sich
nach dem Kriege wieder der „status quo ante" eines sehr niedrigen
Wechselbestandes der Notenbank herausbilden wird, hängt wohl von dem
Schicksal des „Wirtschaftskrieges nach dem Kriege" ab. Entsteht
nach dem Friedensschluß ein derartiger Zustand, so dürften sich manche
notwendigen Handelsbeziehungen zwischen derzeit feindlichen Ländern
nur durch die eigenhändlerische Vermittlung neutraler Kaufleute
wieder anknüpfen lassen.
Diese weltwirtschaftlichen Gesichtspunkte erfordern daher über
Hollands Grenzen hinaus Aufmerksamkeit für die sich in Niederland
240 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutachlands und des Auslandes.
gleichfalls vollziehende Bankenkonzentration und für die Richtung der
Entwicklung der Banken, d. h. nach deutschem oder englischem Vorbilde.
Die Bankenkonzentration vollzieht sich bisher in Holland nur im
Kreise derjenigen Unternehmungen, die durch ihre geschäftliche Orientie-
rung (großes Effektengeschäft, ausgedehnte Emissionstätigkeit, viele
industrielle Beziehungen durch Aufsichtsratsstellen) auf eine den
deutschen Großbanken ähnliche Entwicklung angewiesen sind. Ihnen
wird von Seiten der Privatbanken und Bankiers der Provinz hart-
näckiger Widerstand entgegengesetzt. Der Kampf hat in einem für
die kleineren Betriebe recht günstigen Kompromiß im Konditionen-
kartell seinen nur vorläufigen Abschluß gefunden. Da die Konzen-
tration der Großbanken vor dem Kriege einige Fortschritte gemacht
hatte, neigt der Verf. zur Ansicht, daß sich die Entwicklung im hollän-
dischen Bankwesen in der Richtung der Nachbildung deutscher Ver-
hältnisse vollziehen wird. So wünschenswert jede solche sachliche Er-
leichterung einer wirtschaftlichen Annäherung der beiden stammver-
wandten Nachbarländer auch wäre, muß gerade auf dem Gebiete des
Bankwesens vor falschen Zukunftshpffnungen gewarnt werden. Es
werden gerade die Großbanken durch ihre offensiven Bestrebungen
gegen die Bankiers und Kleinbanken einen noch auszutragenden Ent-
scheidungskampf über die Gestaltung des holländischen Bankwesens
herbeiführen. Dabei werden sich voraussichtlich die drei großen
Kassiersaktiengesellschaften — die heute schon dem englischen Bank-
typus erheblich nahekommen — als Vertreter und Vorkämpfer einer
englischen Entwicklung zur Geltung bringen.
Hoffentlich tragen diese Zeilen dazu bei, für die gediegene Schrift
und ihren bedeutungsvollen Gegenstand reges Interesse hervorzurufen.
Insbesondere wäre es zu begrüßen, wenn die notwendigen Erweite-
rungen, die hier angeregt wurden, in einer Neubearbeitung oder Neu-
auflage berücksichtigt werden könnten.
Göttingen. W. H. Edwards.
Autech (Bankbeamter), Hans, Lehrbuch zur Selbstvorbereitung für die Bank-
prüfung. Wien, Moritz Perles, 1916. gr. 8. 243 SS. M. 6.—.
Schrötter, Frdr. Frhr. v., Geschichte des neueren Münz- und Geldwesens im
Kurfürstentum Trier 1550—1794. Mit einer Kartenskizze des Kurfürstentums Trier.
Berlin, Paul Parey, 1917. gr. 8. VIII— 244 SS. M. 15.—.
9. Soziale Frage.
Flügge, C, Großstadtwohnungen und Kleinhaussiedlungen in
ihrer Einwirkung auf die Volksgesundheit. Eine kritische Erörterung
für Aerzte, Verwaltungsbeamte und Baumeister. Mit 8 Abbildungen.
Jena (G. Fischer) 1916. 80. VI u. 160 SS. (Preis: M. 4,—.)
Flügge hat hier eine Fülle von Material verarbeitet, um die Frage
nach Bedeutung der Mietskasernen auf der einen Seite, der Kleinhaus-
wohnungen auf der anderen Seite für die Gesundheit zu klären. Mit
kritischer Schärfe geht er den zahlreichen unbewiesenen Behauptungen
zu Leibe, die gerade bei der Behandlung der Wohnungsfrage sich ein-
gebürgert haben. Die hygienische Wirkung der Wohnweise überhaupt
üebersicht über die neuesten Publikationen Dentschlands nnd des Auslandes. 241
sucht Flügge zunächst auf statistischem Wege und zwar aus dem Ver-
gleich der Sterblichkeitsziffern in Stadt und Land und durch lokal-
statistische Untersuchungen in derselben Stadt zu beweisen. Wie nicht
anders zu erwarten, lassen sich hier deutliche Wohnungseinflüsse nicht
erkennen, da ja die Wohnung nur einer von den Faktoren bildet, die
die Sterblichkeitsziffer bedingen, und isoliert sich die Wirkung der
Wohnung ja nicht darstellen läßt. Dagegen weisen Erhebungen über
Militärtauglichkeit und über die Schülerkonstitution darauf hin, daß auf
dem Lande hygienisch günstigere Verhältnisse vorliegen als in der
Stadt. Soweit hier Wohnungseinflüsse mitwirken, scheint nach Flügge
nicht sowohl der Zustand im Innern der Einzelwohnung und die Wohn-
dichtigkeit, die auch auf dem Lande oft sehr schlecht sind, als viel-
mehr die Entbehrung des Aufenthaltes im Freien durch die
Konglomeration in großen Häuserkomplexen, die Besiedelungs-
dichtigkeit, in Betracht zu kommen.
Da die Statistik hier im Stiche läßt, so sucht Flügge nun auf
einem anderen aussichtsvolleren Wege die Frage zu lösen, wie sich die
für das Einzelindividuum als wichtig erkannten Lebensbedingungen
einerseits im großstädtischen Mietshaus, andererseits in Kleinhaus bei
weiträumiger Bebauung verhalten, und ob sich daraus Folgerungen für
die hygienische üeberlegenheit der einen oder anderen Bauweise ziehen
lassen. Er prüft hier die hygienischen, die physiologischen und die
pathologischen Wirkungen der einzelnen Wohnungsfaktoren; es ergibt
sich dabei, daß die Luftbeschaffenheit und Lüftung der Wohnungen,
die Beleuchtung und die Wohndichtigkeit bei einem Vergleich zwischen
Miet- und Kleinhäusern ganz zurücktreten hinter dem wichtigsten unter-
scheidenden Moment: in der Stadt dauernder Aufenthalt in
engen Räumen und fast völlige Entbehrung des Freien, auf dem
Lande täglich längerer Aufenthalt und Körperarbeit in bewegter freier
Luft. Die Besiedlungsdichte und das Wohnen in den hohen Stock-
werkshäusern, das den Großstädtern reichlichen Aufenthalt im Freien
unmöglich macht, ist daher als hauptsächlichste Ursache für die Ver-
schlechterung ihrer Konstitution anzusehen und hauptsächlichste Auf-
gabe der Wohnungsreform. Sie muß Schutz gegen die aus der Be-
siedlungsdichte entstehenden Gesundheitsschädigungen gewähren. Bei
Stadterweiterungen und neuen Siedlungen müssen daher nach Flügge
Häuser gefordert werden, die nicht mehr als 2, höchstens ausnahms-
weise 3 Wohngeschosse haben. Hohe Häuser finden ihren zweck-
mäßigsten Platz an den großen Verkehrsstraßen, die wie bisher in einer
Breite von 20 — 30 m und mehr anzulegen sind. Zwischen den Ver-
kehrsstraßen ist dagegen ein System von Wohnstraßen vorzusehen, die
nur 5 — 9 m Breite haben und an denen die Häuser höchstens 8
oder 10 m Höhe haben. Der Gartenstadtidee muß vom hygienischen
Standpunkt eine gewisse Üeberlegenheit über andere Siedlungspläne
zuerkannt werden. Ermöglicht das Kleinhaus ein leichtes Heraus-
gelangen der Bewohner aus dem Hause, so muß des weiteren dafür ge-
sorgt werden, daß den Bewohnern in der Nähe des Hauses Aufenthalt
und Gelegenheit für Körperbewegungen im Freien gewährt wird. Dies
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 16
242 Ueberaioht über die nenesten Publikationen Deutochlands und des Auslandes.
kann geschehen mit Hilfe der sogenannten Grünflächen oder Frei-
flächen, in denen Gelegenheit zu 8pielen, zur Uebung von Sport und
Körperpflege für die Jugendlichen gegeben sein muß. In bebauten
Wohnvierteln Maßnahmen zur Gesundung der Wohnungsverhältnisse zu
treffen, ist naturgemäß schwieriger. Eine gewisse Selbstregulierung
bildet die Citybildung, außerdem müßten manche Keller- und Hof-
wohnungen beseitigt werden, ferner einige der reichlich vorhandenen
Schmuckplätze in Erholungs- oder Spielplätze umgewandelt werden.
Flügge räumt in dieser bemerkenswerten Arbeit mit vielen einge-
wurzelten Vorurteilen auf. Es ist eine im besten Sinne sozial-hygienische
Studie, und sie zeigt, daß der Vorwurf unberechtigt ist, der so oft
unseren Fachygienikern gemacht wird, daß sie zu viel Bakteriologen
seien, sich aber zu wenig um das praktische soziale Leben kümmern.
Allerdings Mietskasernen werden sich niemals aus den Großstädten
verdrängen lassen; daß sie aber unter besonderen Kautelen doch ein
gesundes Wohnen ermöglichen, beweist u. a. das Beispiel der Stadt
Frankfurt a. M.
Frankfurt a. M. W. Hanauer.
Bauer (Arbeitsamts-Dir.), Prof. Dr. Stephan, Sozialpolitik im Kriege und nach
Friedensschluß. (Schweizerische Vereinigung zur Förderung des internationalen Arbeiter-
schutzes, Heft 42.) Zürich, Buchhdlg. des Schweiz. Grütlivereins, 1917. gr. 8. 28 SS.
M. 0,80.
Behr-Pinnow (Kabinetsr. a. D.), Dr. v., Planmäßige Säuglingsfürsorge und
ihre Durchführung. 2. Aufl. Potsdam, Stiftungsverlag, 1917. 8. 24 SS. M. 0,40.
Damaschke, Adolf, Die Bodenreform. Grundsätzliches und Geschichtliches
«ur Erkenntnis und üeberwindung der sozialen Not. Jena, Gustav Fischer, 1917. 8.
XVI- 500 SS. M. 3,50.
Kaufmann (Reichs versicherungsamts- Präs.), Dr. Paul, "Was dankt das kämpfende
Deutschland seiner sozialen Fürsorge? Berlin, Franz Vahlen, 1917. 8. 24. SS.
M. 0,50.
Kühn (Pfr.), Lic. Dr. Victor, Die Kirche und die soziale Frage der Zukunft.
Leipzig, Arwed Strauch, 1917. 8. 36 SS. M. 0,50.
Schwerin -Obersteinbach, Dr. v., Heimstätten, eine Lösung der Arbeiterfürsorge
auf dem Lande. Berlin, Deutsche Warte, 1916. kl. 8. 19 SS. M. 0,50.
Tugendreich, Dr. Gustav, Der Ausbau der Kleinkinderfürsorge. — Feld,
Dr. Wilh. , Statistische Erhebungen über die soziale Lage von Kindern. (Fortschritte
des Kinderschutzes und der Jugendfürsorge. Vierteljahrshefte des Archivs deutscher
Berufsvormünder, hrsg. von Prof. Dr. J. Klumker. 2. Jahrg. Heft 2.) Berlin, Julius
Springer, 1917. gr. 8. 31 SS. M. 1.—.
ümbreit, Paul, Die deutschen Gewerkschaften im Weltkriege. (Sozial wissen-
schaftliche Bibliothek, 1. Bd.) Berlin, Verlag für Sozialwissenschaft, 1917. 8. 123 SS.
M. 1,50.
Weiskirchner (Bürgermstr.), Dr. Rieh., Städtische Wohnungspolitik. (Flug-
schriften für Oesterreich-Üngams Erwachen. Hrsg.: Rob. Strache. Literar. Leitung:
Ferd. Grüner. Heft 21 u. 22.) Wamsdorf, Ed. Straches Vertag, 1917 gr. 8. 44 SS.
M. 0,80.
Zwang und Freiheit in der Jugendpflege. Verhandlungen der 9. Konferenz
der Zentralstelle für Volkswohlfahrt in Berlin am 16. und 17. XL 1916. (Schriften
der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. 13. Heft der neuen Folge der Schriften der
Zentralstelle für Arbeiter- Wohlfahrtseinrichtungen.) Berlin, Carl Heymanns Verlag,
1917. gr. 8. Vm— 185 SS. M. 5.—.
Williams, W.S., The Problem ofthe unemployed, Boston, Badger. 8. $ 1/.— .
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 243
10. OenossenscliaftBweseii.
Vogel, ßudolf, Das Abkommen des Verbandes schweizerischer
Konsumvereine mit der Großmetzgerei Bell-A.-G. in Basel. Ein Bei-
trag zur Genossenschaftstheorie. Jena (Gust. Fischer) 1917. 8^. IV u.
94 SS. (Preis: M. 2,80.)
Kurz vor dem Kriege, im Januar 1914, war der Verband schweize-
rischer Konsumvereine in Basel in ein enges Verhältnis mit der Groß-
schlächterei und Wurstfabrik Bell-A.-G. in Basel getreten, derart, daß
er sich mit einer bedeutenden Anzahl Aktien am Aktienkapital der
Bell-A.-G. beteiligte und zugunsten der letzteren auf die Errichtung
eigener genossenschaftlicher Anstalten verzichtete, während die Bell-A.-G.
sich verpflichtete, eine rationelle, im Interesse der Konsumenten liegende
Eleischversorgung durchzuführen, und ferner alle Einrichtungen des
Verbandes, die den Betrieb der Bell-A.-G. zu fördern geeignet sind,
zu benutzen. Der Verband schweizerischer Konsumvereine ist der do-
minierende Konsumgenossenschaftsverband der Schweiz; er übt zugleich
die Tätigkeit einer Großeinkaufsgesellschaft aus, besitzt verschiedene
Eigenproduktionsbetriebe (Kaffeerösterei, Maismühle, Kochfettsiederei,
Schuhfabrik, Druckerei, Baubüro u. a.), außerdem hat er Zweckgenossen-
schaften gegründet, eine Art Zentralgenossenschaften der Konsumver-
eine, woran sich auch der Verband als Mitglied beteiligt (Versiche-
rungsanstalt, Mühlengenossenschaft [mit der größten Mühle der Schweiz],
Milcheinkaufsgenossenschaft). Gut iVs Million Konsumenten, etwa ein
Drittel der Schweizer Gesamtbevölkerung, stehen hinter dem Verband.
Der Verband vertritt im allgemeinen denselben Standpunkt wie der
Zentralverband deutscher Konsumvereine und ist demnach eine genossen-
schaftliche, ausgesprochen antikapitalistische Unternehmung, die eine
Neuordnung unseres Wirtschaftslebens unter Ausschaltung des Profits
erstrebt. Demgegenüber stellte die Großmetzgerei Bell-A.-G. ein rein
kapitalistisches Unternehmen dar, das auf Vermehrung des Gewinnes
durch Erlangung einer Monopolstellung hinarbeitete. Durch den Zu-
sammenschluß mehrerer kleiner Fleischereien entstanden, um der Kon-
kurrenz des Allgemeinen Konsumvereins Basel wirksamer entgegen-
zutreten, hatte sie allmählich in vielen Teilen der Schweiz durch Aufkauf
der selbständigen Metzgereien einen trustähnlichen Charakter angenommen
mit der Tendenz, ein schweizerisches Fleischmonopol zu erlangen.
Der Zusammenschluß zwischen diesen beiden ungleichartigen, in
ihren Grundsätzen völlig entgegengesetzte Richtungen vertretenden
Unternehmungen, einer konsumgenossenschaftlichen Großeinkaufsgesell-
schaft und einer trustähnlichen hochkapitalistischen Aktiengesellschaft,
stellt einen völlig neuen Fall ohne jeden Vorgang in der Geschichte
der modernen Konzentrationsbewegung dar und hat naturgemäß lebhaftes
Aufsehen erregt. Die Kritik des Abkommens in der Oeffentlichkeit
war außerordentlich scharf; man warf dem Verband eine schwere Ver-
letzung des genossenschaftlichen Prinzips vor, der Satz von der Ueber-
windung des Kapitalismus durch ein profitloses Genossenschaftssystem
würde von ihm nicht mehr ernst genommen. Bisher habe der Verband
16*
244 Ueberaicht über die neuesten Publikationen Deutschlands and des Auslandee.
schweizerischer Konsumvereine die genossenschaftliche Wirtschaftsform,
stets als etwas der kapitalistischen als diametral Entgegengesetztes und
als die höhere Stufe hingestellt, welche an die Stelle der auf Profit
und Ausbeutung der Konsumenten ausgehenden Privatunternehmung
treten müsse. Eine gründliche volkswirtschafts - theoretische Unter-
suchung, aber auch die schärfste Verurteilung erfuhr das Abkommen
durch den früheren Sekretär des Verbandes, Dr. Hans Müller, zur-
zeit Privatdozent an der Universität Zürich i), welcher von kapitalistischer
Entartung des Verbandes sprach. Der Verband, der den Profithandel
beseitigen wolle, sei selbst zum Profitmacher geworden, denn eine
kapitalistisch organisierte Unternehmung könne ihrem inneren Wesen
nach gar nichts anderes als nach Profit streben. Die Methode der
Durchdringung des Großkapitalismus mit genossenschaftlichem Kapital
sei und bleibe daher ungenossenschaftlich. Nur die Volkswirtschaft in
ihrer Gesamtheit ließe sich genossenschaftlich durchdringen und zwar
dadurch, daß an Stelle kapitalistischer Unternehmungen genossenschaft-
liche Anstalten träten. Die einzelne kapitalistische Unternehmung an
sich sei dagegen nicht reformfähig im Sinne genossenschaftlicher Grund-
sätze. Denn wer sich an kapitalistischen Erwerbsgesellschaften be-
teilige, müsse auch den Profit wollen, könne kapitalistische Grundsätze
nicht ablehnen oder verwerfen. „Wer logisch denken kann, muß ohne
weiteres zugeben, daß eine Interessengemeinschaft eines konsumgenossen-
schaftlichen Verbandes mit einer großkapitalistischen Aktiengesellschaft
eine Absurdität ist." Müller ging sogar so weit, der Verbandsleitung
die bona fides abzusprechen. Sie bezwecke nichts anderes, als ein echt
kapitalistisches Geschäft zu machen, Geld zu verdienen. „Die stolze
Zentralorganisation der schweizerischen Konsumvereine schnappt lüstern
nach einigen Brocken Profit, die vom Tische eines kapitalistischen
Wurstmachers für sie abfallen."
Auch Stimmen der Oeffentlichkeit, die für das Abkommen eintraten,
fanden den Schritt dennoch bedenklich. In der reichsdeutschen Konsum-
genossenschaftspresse war die Ansicht geteilt. Der Zentralverband
(Hamburg) konnte sich zu einer unbedingten Befürwortung nicht ent-
schließen, und der Reichsverband (Cöln) äußerte sich ganz abfällig über
das Vorgehen, unter welchem die Reinheit des Genossenschaftsgedankens
in jeder Beziehung leide.
Der Verband schweizerischer Konsumvereine begründete und ver-
teidigte in seiner Zeitschrift sein Vorgehen damit, daß die Frage der
Fleischversorgung infolge der trustartigen Entwicklung der Bell-A.-G.
eine brennende geworden sei, und daß man bei der Wahl einer rein
genossenschaftlichen und einer genossenschaftlich-kapitalistischen Lösung
der Frage zur letzteren als der zunächst erreichbaren geschritten sei.
Man dürfe eine wichtige volkswirtschaftliche Aufgabe nicht ungelöst
lassen, weil sie im Augenblick zur Lösung auf rein genossenschaft-
lichem Wege noch nicht reif sei. Eine Verletzung genossenschaftlicher
Grundsätze liege nicht vor. Der Zweck des Abkommens sei ein Durch-
gangsstadium zur Erreichung des genossenschaftlichen Ideals. Der
1) Dr. Hans Müller, Konsumgenossenschaftliche Entgleisungen, Zürich 1915.
üebeieicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 245
Verband habe sich durch weiteren Aktienerwerb bereits die Majorität
gesichert und werde allmählich das Unternehmen ganz in seinen Besitz
bringen.
Im ersten Teil seiner Schrift versetzt uns Vogel durch eine knappe,
aber sprechende Auswahl mitten in den Prinzipienstreit, um dann im
zweiten Teil seinerseits das Abkommen vom Standpunkte der Genossen-
schaftstheorie zu untersuchen. Er definiert die Genossenschaft als eine
auf dem Prinzip der Solidarität, profitloser "Wirtschaft und demokra-
tischer Rechtsgleichheit aufgebaute Unternehmung von nicht ge-
schlossener Mitgliederzahl. Er betrachtet den Genossenschaftsgedanken
als ein Mittelding zwischen Individualismus und Sozialismus und möchte
dafür den Ausdruck „Solidarismus" oder noch besser „Kooperatismus"
anwenden, jedenfalls sei es bei der grundsätzlichen Erhaltung der
Selbständigkeit und des Privateigentums der Individuen ganz verkehrt,
von „Genossenschaftssozialismus" zu sprechen. Er wendet sich ferner
gegen die besondere Betonung des Personalcharakters der Genossen-
schaft gegenüber der angeblich unpersönlichen der kapitalistischen Unter-
nehmung. Stets bestimme die Person, der Kapitalbesitzer, den Cha-
rakter des Kapitals, und danach sei Kapital in der Hand einer Privat-
person, einer Genossenschaft oder des sozialistischen Zukunftsstaates
dreierlei Verschiedenes und zu unterscheiden zwischen Privat-, Solidar-
und Sozialkapital. Technisch bleibt freilich das Kapital dasselbe, daher
auch privatkapitalistische, genossenschaftliche und sozialistische ßiesen-
unternehmungen technisch völlig gleich sind ; allen gemeinsam sind Kapi-
tal, Ueberschüsse, Ueberschußverteilung, Eigenvermögen usw. Aber diese
technischen Faktoren erleiden eine Wesensänderung durch die ethischen
und wirtschaftlichen Prinzipien der Kapitalbesitzer, je nachdem sich
diese zu einem profitkapitalistischen oder profitersparenden Wirtschafts-
system zusammengetan haben. Die Beteiligung einer Genossenschaft
mit Kapital an einem profitkapitalistischen Unternehmen ist daher mit
der Genossenschaftstheorie der profit ersparen den Wirtschaftsordnung
unvereinbar, wenn sie, d. h. ihre Genossen, den ihr aus dem Unter-
nehmen nach Maßgabe ihrer Kapitalbeteiligung zufließenden Profit (Di-
vidende) nicht aus ihrer Inanspruchnahme des Betriebes, d. h. durch
entsprechenden Anteil am Umsatz selbst erzeugt, also eliminiert, son-
dern auf Kosten Dritter Gewinne macht. Aber selbst, wo letzteres
der Fall ist, ist eine Kapitalbeteiligung an einem profitkapitalisti-
schen Unternehmen vom Standpunkte der allgemeinen Genossenschafts-
theorie nicht immer als unbedingt ungenossenschaftlich zu verwerfen,
wenn nämlich die Verbindung nur eingegangen wurde, um den Geschäfts-
betrieb kennen zu lernen und für einen eigenen genossenschaftlichen
Betrieb Erfahrungen zu sammeln. Der Zweck ist dann ja die Ver-
wirklichung des höchsten genossenschaftlichen Ideals, der Eigenbetrieb!
Solange indessen dieses Ideal nicht erreichbar erscheint, ist größtmög-
lichste Annäherung durch genossenschaftliche Beeinflussung profit-
kapitalistischer Betriebe zu erstreben, wie die Eliminierung des Profits,
Beschränkung der Dividende, und vor allem die Majorisieiung der Ge-
sellschafterversammlung durch stärkste Kapitalbeteiligung. Eine solche
Vergenossenschaftlichung ist um so stärker, je fester die Verbindung
246 Uebersicht über die neuesten Publikationen DeutschlandB und des Aas%ndes.
gestaltet wird und je mehr sich die Glieder beider Richtungen er-
gänzen. Der Verzicht des Verbandes schweizerischer Konsumvereine
auf einen genossenschaftlichen Eigenbetrieb und die Verpflichtung der
Bell-A.-G., die bestehenden genossenschaftlichen Einrichtungen des Ver-
bandes schweizerischer Konsumvereine zu benutzen, ergänzen daher den
Vertrag als etwas vom Standpunkt der Genossenschaftstheorie Selbst-
verständliches. Wohl scheinen diese drei Hauptbestimmungen des Ver-
trages, jede für sich genommen, gegen die Genossenschaftstheorie zu
verstoßen, sie bieten daher auch scheinbar Angriffspunkte. In ihrem
ursächlichen Zusammenhang gemeinsam gewürdigt, verletzen sie unter
Beachtung gewisser Grundsätze nicht nur nicht den Genossenschafts-
gedanken, sondern bedeuten vielmehr einen neuen gangbaren Weg zur
Annäherung an das genossenschaftliche Ideal, ja sie bilden, da letzteres
unerreichbar erscheint, nach Vogels Ansicht nicht ein Durchgangs-,
sondern sogar ein Dauerstadium.
Diese Gedankengänge werden von Vogel im einzelnen verfolgt
und ausführlich erörtert, womit die Schrift einen beachtenswerten Bei-
trag zur Genossenschaftstheorie bietet.
Berlin-Steglitz. Willy Krebs.
Zeiß, Max, Die deutschen Genossenschaften, Gilden, Brüderschaften, Zünfte und
ähnliche Verbände. Von ihren Anfängen bis zur neueren Zeit. Görlitz, Max Zeiß,
1916. 8. 48 SS. M. 1.—.
11. Qesetzgfebaug, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatabflrgerkiuide.
Anschütz (Geh. Justizr.), Prof. Dr. Gerh. , Zukunftsprobleme deutscher Staats-
kunst. Rede am 22. I. 1915. (Deutsche Reden in schwerer Zeit. Hrsg. von der
Zentralstelle für Volks wohl fahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner
Hochschullehrern, Nr. 35.) Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. 8. 28 SS. M. 0,50.
— Die preußische Wahlreform. Berlin, Julius Springer, 1917. 8. 35 SS. M. 1.—.
Blume, Wilh. V., Ueber deutsehe Selbstverwaltung. (Rede des Rektors der Uni-
versität Tübingen am Geburtstag des Königs 1917.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1917.
Lex.-8. 29 SS. M. 1.—.
Calker, Prof. Dr. Wilh. van. Das Problem der Meeresfreiheit und die deutsche
Völkerrechtspolitik. Vortrag, gehalten am 2. HI. 1917. Jena, Gustav Fischer, 1917.
gr. 8. VIII— 34 SS. M. 1,20.
Frisch, Prof. Dr. Hans v., Monroedoktrin und Weltpolitik der Vereinigten
Staaten von Nordamerika. Wien, Alfred Holder, 1917. gr. 8. 47 SS. M. 1,60.
Gebser (Konsist.-R.), Dr. F., Verwaltungsordaung für das kirchliche Vermögen
in den östlichen Provinzen der preußischen Landeskirche. Erläutert. 2. Aufl. (Carl
Heymanns Taschengesetzsammlung, Nr. 61.) Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917.
kl. 8. Vm— 463 SS. M. 3.—.
Heuß-Knapp, Elly, Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre für Frauen.
Leipzig, R. Voigtländers Verlag, 1917. 8. IX— 205 SS. M. 2.—.
Kalk off (Gen.-Sekr.), Herm., Nationalliberale Parlamentarier 1867—1917 des
Reichstages und der Einzellandtage. Beiträge zur Parteigeschichte, hrsg. aus Anlaß des
50- jährigen Bestehens der nationalliberalen Partei Deutschlands. Berlin, Schriften ver-
triebssteile der nationaUiberalen Partei, 1917. 8. XI— 484 SS. 24 Bildtaf. M. 5.—.
Klarner (Konkursverw.-Sachverständ.), Arthur, Die Geschäftsaufsicht und der
Zwangsvergleich zur Abwendung des Konkurses. Nach der Verordnung vom 14. XII.
1916, betr. „Bekanntmachung über die Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Konkurses".
Leitfaden zur praktischen Unterweisung des Schuldners, des Aufsichtsführenden und
des Gläubigers. Leipzig, C. Herm. Serbe, 1917. 8. 184 SS. M. 3.—.
Kohl er (Geh. Just.-R.), Prof. Dr. Josef, Internationales Strafrecht. Stuttgart,
Ferdinand Enke, 1917. Lex.-8. XII— 276 SS. M. 13.—.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 247
Krieck, Ernst, Die deutsche Staatsidee. Ihre Geburt aus den Erziehungs-
nnd Entwicklungsgedanken. (Politische Bibliothek, Bd. 17.) Jena, Eugen Diederichs
Verlag, 1917. 8. 224 SS. M. 5.—.
Lehmann (Oberlandesger.-R.), Dr. Heinr. , Wucher und Wucherbekämpfung
im Krieg und Frieden. Leipzig, A. Deichertsche Verlagsbuchh. Werner Scholl, 1917.
gr. 8. 68 SS. M. 1.—.
Metzger (weiland Priv.-Doz.), Dr. Wilh. , Gesellschaft, Recht und Staat in der
Ethik des deutschen Idealismus. Mit einer Einleitung: Prolegomena zu einer Theorie
und Geschichte der sozialen Werte. Aus dem Nachlaß hrsg. von Prof. Dr. Ernst Berg-
mann. Heidelberg, Carl Winters Üniv.-Buchhdlg., 1917. gr. 8. VIII— 345 SS. M. 9.—.
Mintz (Patentanw.), Maximilian, Die Kriegsgesetze über den gewerblichen
Rechtsschutz im In- und Auslande. Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. gr. 8.
VIII -331 SS. M. 10.—.
Recht, Das, der Organisation im neuen Deutschland. Im Auftrage des Vor-
standes der Gesellschaft für soziale Reform hrsg. vom Unterausschuß für Arbeitsrecht.
II. Das Koalitionsrecht und die strafrechtlichen Neben- und Polizeigesetze. V — 52 SS.
M. 0,80. — III. Das Koalitionsrecht und das Gesinde- und Landarbeiterrecht. V —
41 SS. M. 0,60. (Schriften der Gesellschaft für soziale Reform. Hrsg. von dem Vor-
stande. Heft 57 u. 58, Bd. 7, Heft 2. u. 3.) Jena, Gustav Fischer, 1917. 8.
Rechte und Pflichten der Stadtverordneten in den einzelnen Bundesstaaten.
{Vereinsschriften des Vereins für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik. Hrsg. von
Gen.-Sekr. Erwin Stein. Heft 9 — 11.) Berlin-Friedenau, Deutscher Kommunal- Verlag,
1917. gr. 8. 293 SS. M. 6,75.
Reform, Zur, des preußischen Wahlrechts. Reden, auf dem Erörterungs-
abend der Freien vaterländischen Vereinigung gehalten von (Oberverw.-Ger.-R.) Dr. Dam-
me, (Landr. a. D., M. d. L.) v. Dewitz, (Arbeitersekr., M. d. R., M. d. L.) Giesberts,
(Oberverw.-Ger.-Sen.-Präs., Wirkl. Geh. Oberreg.-R.) Dr. Genzmer, (Oberverw-Ger.-R.)
Hiersemenzel , Dr. v. Schwabach u. a. Berlin, Otto Liebmann, 1917. 8. 55 SS.
M. 0,40.
Schiffer (M. d. R. Abg., Oberverw.-Ger.-R.), Eugen, Der Verfassungsausschuß
und seine Arbeit. Berlin, Schriftenvertriebsstelle der nationalliberalen Partei Deutsch-
lands, 1917. gr. 8. 15 SS. M. 0,50.
Seidel (Nationair., Priv.-Doz.), Rob. , Sozialdemokratie und staatsbürgerliche Er-
ziehung oder Staatsbürger, Weltbürger und Mensch. Geschichtlich, systematisch, kritisch.
Zürich, Buchhdlg. des Schweiz. Grütlivereins, 1917. 8. XV— 175 SS. M. 2,50.
Strupp, Dr. Karl, Die Neutralisation und die Neutralität Belgiens. Ein ür-
kundenbuch mit einer historisch-völkerrechtlichen Einleitung. (Perthes* Schriften zum
Weltkrieg, Heft 13.) Gotha, Friedrich Andreas Perthes, 1917. XIX— 188 SS. M. 5.—.
Treuge, Margar. , Einführung in die Bürgerkunde. Ein Leitfaden für Frauen-
schulen. 3. AufL Leipzig, B. G. Teubner, 1917. 8. VI— 144 SS. M. 2,20.
Triepel (Geh. Just.-R.), Prof. Dr. Heinr., Die Reichsaufsicht. Untersuchungen
zum Staatsrecht des Deutschen Reiches. Berlin, Julius Springer, 1917. gr. 8. XX —
734 SS. M. 24.—.
Wach, D. Dr. Adolf , Staatsmoral und Politik. Zwei Reden. Leipzig, S. Hirzel,
1917. 8. 51 SS. M. 1.—.
Wertheimer (Rechtsanw., Just.-R.), Dr. Ludwig, Das Vertrags- Kriegsrecht
des In- und Auslandes. Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. gr. 8. 76 SS. M. 2,40.
Zorn (Geh. Just.-R., Herrenh.-MitgU, Prof. Dr. Philipp, Die staatsrechtliche
Stellung des herzoglichen Hauses Croy. Berlin, J. Guttentag, 1917. gr. 8. 60 SS.
M. 2.—.
Zschaler, Dr. Erich, Boykott, Sperre, Aussperrung, Streik, Ausstand, Verruf, im
Lichte des geltenden Rechts. Borna, Robert Noske, 1917. gr. 8. X— 112 SS. M. 2,25.
Ffelix, Dr. Maurice, Les municipalit§s pendant la guerre. Paris, Berger-
Levrault, 1917, 8. 32 pag. fr. 1,50. (Extrait de la „Revue g6n§rale d'administration".)
Morgand, L§on, Laloi municipale. Commentaire de la loi de 5 Avril 1884
sur Porganisation et les attributions des conseils municipaux. 2 vols. Paris, Berger-
Levrault. 8. 25 fr.
Young, Jeremiah Simeon, The state and government. Chicago, Mc Clury.
8. 50 c.
248 üeberaidit über die neuesten Pablikationen Deutschlands und des Auslandes.
12. Statistik.
Deutsches Beich.
Welker, Georg, Die Mtinchener Erhebung über den Lebens-
mittelverbrauch im Februar 1915. Eine statistische Studie. Mit S
farbigen Tafeln. München, Berlin u. Leipzig (J. Schweitzers Verlag
[Artur Sellier]) 1916. gr. S». 201 SS. (Preis: M. 14.)
Die Untersuchung stützt sich auf eine im Februar 1915 vorge-
nommene besondere Befragung Münchener Haushaltungen nach dem
Lebensmittelverbrauch. Es sollten unmittelbar Resultate für die Ver-
teilung der Lebensmittel in München daraus gewonnen werden. Man
begnügte sich mit der Erfassung von 12 Nahrungsmitteln, deren
wöchentlichen Verbrauch man für 4 Wochen erfragte. Es handelt sich
dabei um die sogenannte E-epräsentativmethode, indem man nach be-
stimmten Gesichtspunkten 5000 Haushaltungen erfaßte. Ueber ^^ der
Zählkarten gaben brauchbare Resultate. Das Material kann als hin-
reichend typisch gelten, wie Stichproben nach der Besetzung der
Haushaltungsklassen ergeben, bei denen eine gute Uebereinstimmung
zwischen dem Durchschnitt und den ausgewählten Fällen sich heraus-
stellte. Der Verf. bearbeitet nun das Material mit aller Akribie und
glaubt es auch benutzen zu dürfen, um allgemeine Schlußfolgerungen
daraus ziehen und wichtige gesetzmäßige Beziehungen zwischen Lebens-
mitteln und bestimmten Faktoren aufdecken zu können. Nicht weniger
als 196 Tabellen und 3 Kurventafeln werden mit aller Ausführlichkeit
mitgeteilt. Das methodologisch geschulte und gewissenhafte Arbeiten
des Verfassers ist anzuerkennen. Nicht in gleichem Maße wird aber das
ganze Unternehmen selbst nach Umfang und Ausgestaltung unsere
Billigung finden. Im Gegenteil ist es zu wünschen, daß ähnliche Unter-
suchungen künftig in weit bescheidenerem Maße veröffentlicht werden
— Tabellen, in denen die Leerstellen und die Striche überwiegen, wie
es seitenweise in dieser Schrift vorkommt, haben gar keinen Wert. Die
Unmenge der mitgeteilten Zahlen hätte sich zweckmäßiger kondensiert
zusammenfassen lassen. Denn das Resultat ist, wie es nach dem be-
scheidenen Material zu erwarten war, mehr als dürftig. Es soll keinen
Augenblick verkannt werden, daß die Bearbeitung besondere Schwierig-
keiten bereitete. Schon der Versuch, eine innerlich zweckmäßige
Gruppierung der Berufe vorzunehmen, mußte aufgegeben werden: die
Fragen waren wirklich so äußerlich gehalten, daß sich damit nicht viel
anfangen ließ.
Der Verf. untersucht zunächst den Verbrauch von Lebensmitteln
nach dem Beruf, indem er das Schema der deutschen Berufs- und
Gewerbezählung zugrunde legt. Das ist aber für eine solche Frage-
stellung gänzlich ungeeignet. Unterschiede des Verbrauches danach
herauszuarbeiten, ob jemand in der Glas- oder in der Holz-, in der
Bekleidungsindustrie oder im Baugewerbe beschäftigt ist, scheint mir
ein ganz aussichtsloses Beginnen, solange man nicht das Geschlecht des
anwesenden Haushaltungsvorstandes, nicht einmal sein Alter und sein
Einkommen kennt. Dabei kann doch einfach nichts herauskommen^
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 249
ebensowenig wie bei anderen Untersuchungen der Art. Dazu kommt,
daß die einzelnen Gewerbegruppen ganz verschieden besetzt sind, sich
nach Alter, Familienzusammensetzung und Einkommen innerlich
gänzlich unterscheiden. Den Einfluß des Berufes kann man nur dann
herausarbeiten, wenn die übrigen Momente in den einzelnen Gruppen
annähernd gleich sind. Das ist nun hier aber nicht der Eall und damit
ist das Vorgehen auch methodologisch falsch. Die Zweckwidrigkeit der
ganzen Einteilung ersieht man z. B. daraus, daß C XXII (Verkehrs-
gewerbe) im Grunde sich deckt mit E2 (Beamte verschiedener Art).
Denn jene umfaßt das ganze Post-, Telegraphen- und Eisenbahnpersonal,
das einen Teil der Beamtenschaft darstellt. Mithin sind alle Zusammen-
fassungen von Abteilung C direkt irreführend, da sie ganz heterogene
Elemente enthalten. Und ähnlich ist es mit Abteilung B, die als
„Selbständige" gleicherweise Industrielle, Handwerker und Heimarbeiter
umfaßt.
Unter den Haushaltungen machen die Beamten (C XXII und E 2)
fast die Hälfte aller untersuchten Eamilien aus, was dem Münchener
Durchschnitt gewiß nicht entspricht. Es läßt sich a priori erwarten,
daß kein irgendwie erkennbarer Zusammenhang zwischen dieser Art
der Berufserfassung und dem Lebensmittelverbrauch besteht. Vielmehr
sind die Einkommens Verhältnisse von ausschlaggebender Bedeutung
für Quantum und Qualität der Lebenshaltung. Da jene dem Verf. aber
nicht bekannt waren, so mußte eine Untersuchung nach dein Beruf von
vornherein scheitern. Einige Ueberlegungen hätten von selbst dazu
führen müssen, was nun als Ergebnis langwieriger Untersuchungen und
vielseitiger Tabellen erscheint. So lautet denn das Resultat (S. 21), daß
„auch nach Ausscheidung von anderen Haushaltungsmitgliedern der
Verbrauch noch keineswegs durch den Beruf gekennzeichnet erscheint"!
Die Teilung der Tabellen nach den Gewerbegruppen, die so außer-
ordentlich unnützen Platz in Anspruch nehmen, halte ich darum im
Prinzip für verfehlt.
Bedeutsamer ist die Teilung nach der Stellung im Beruf, ob Selb-
ständiger, Angestellter oder Arbeiter, weil sich mit dieser Stellung
einmal eine bestimmte Einkommenshöhe verbindet, andererseits der
Stellung auch ein gewisser sozialer Anschauungskreis entspricht.
Ebenso ist der Verbrauch nach der Größe der Haushaltungen wichtig
und kann von entscheidender Bedeutung werden. Das Ergebnis, daß
die Kopfquote des Verbrauches sinkt mit steigender Kopfzahl der Fa-
milie, war freilich längst bekannt (vgl. meinen Aufsatz: „Der Einfluß
der Lebensmittelpreise auf die Haushaltungen" in Weyls Handbuch der
Hygiene, III). Andererseits ist der Satz, daß die Kopfverbrauchsquote
in Haushaltungen mit Kindern im allgemeinen kleiner sei, als in kinder-
losen Haushaltungen, in dieser Form hoffentlich niemals ausgesprochen
worden : es ist also auch zwecklos, ihn zu bekämpfen. Denn die selbst-
verständliche Voraussetzung, um den Einfluß der Kinderzahl zu erfassen,
ist immer das gleiche Einkommen. Da dieses aber dem Verf.
gänzlich unbekannt war, so ließ sich mit Hilfe des Mtinchener Materials
jener Satz weder beweisen noch widerlegen. Ebensowenig halte ich es
250 l^eberaicht über die neuesten Pablikationen Deutechlands und des Aaslandes.
für angebracht, auf Grund des vorhandenen Materials den Kalorienwert
zu berechnen. Denn dem Verf. war für die Münchener Lebensmittel
im Kriege auch ihr Kalorien wert völlig unbekannt. Er dürfte sich
gegenüber dem Friedensgehalt wesentlich verändert haben. Mit dem
Königschen Schema scheint mir darum bei diesem Material nichts an-
zufangen zu sein. Dagegen hat der Verf. die viel näher liegende Be-
trachtung einer Gegenüberstellung von animalischen und vegetabilischen
Lebensmitteln unterlassen, sie hätte einige Einblicke gegenüber dem
Friedensverbrauch gezeigt, für den in München die Conradschen Unter-
suchungen vorlagen.
Aus methodologischen Gründen bin ich etwas ausführlicher auf die
Arbeit eingegangen. Es haben sich gegen das äußerst mühsame und sehr
exakte Vorgehen des Verfassers gerade in den entscheidenden Punkten
die allerschwersten Bedenken geltend gemacht. Ich möchte darum
wünschen, daß man künftig nicht mehr mit so unzulänglichem Material
so weit ausschauende Veröffentlichungen unternimmt. Mir scheint das
Mannheimer Vorgehen, das mit kleinen Mitteln sich bescheidet, aber
in diesem Umfange sehr beachtenswerte Resultate zeitigt, weit mehr
vorzuziehen zu sein als das Münchener, das die Untersuchung als „bahn-
brechend" kennzeichnet. Das ist sie in keiner Weise. Das schließt
nicht aus, daß sie in bescheidenem Umfange recht lehrreich ist.
Man erhält manchen Einblick in die Ernährung im Kriege, z. B. den
Satz, daß die niederen sozialen Gruppen besser lebten als die
höheren (soll wohl heißen, als die mittleren?), oder über den Einfluß
der sozialen Stellung des Haushaltungsvorstandes und manches andere.
Nur eben für weitausblickende Resultate war die ganze Veranlagung
nach dem Material nicht geeignet.
Aachen. Eulenburg.
Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Hrsg. von der Großherzog-
lich hessischen Zentralstelle für die Landesstatistik. Schriftleitung : (Reg.-R.) L. Knöppel :
Mitteilungen aus der Forst- und Kameralverwaltung für das Wirtschaftsjahr 1914. Be-
arbeitet im Großherzoglichen Ministerium der Finanzen, Abteilung für Forst- und
Kameralverwaltung (Bd. 64, Heft 5). 45 SS. M. 1.—. — üebersicht der Geschäfte
der ordentlichen und freiwilligen Gerichtsbarkeit während des Geschäftsjahres 1915.
(Bd. 64, Heft 6) 41 SS. M.— . Darmstadt, Buehh. des Großh. Hessischen Staatsver-
lags, 1916.
Beiträge zur Wohnungsfrage während des Krieges. I. Bautätigkeit und Woh-
nungsmarkt in deutschen Städten im Jahre 1916. II. Leerwohnungszählungen während
des Krieges in größeren Gebieten. III. Die deutschen Baugenossenschaften 1915.
IV. Die Berufsgenossenschaften und der Realkredit. Bearbeitet im Kais, statistischen
Amte, Abteilung für Arbeiterstatistik (Reichs- Arbeitsblatt, 14. Sonderheft). Berlin, Carl
Heymanns Verlag, 1917. 30,5X21,5 cm. 89 SS. M. 1,80.
Statistik der preußischen Einkommensteuer- Veranlagung für das Steuerjahr
1916. Im Auftrage des Herrn Finanzministers bearbeitet vom Kgl. preußischen stati-
stischen Landesamt 1916. 33X24 cm. III, XXXIII, 122 SS. M. 5.—. — Statistik,
Preußische. (Amtliches Quellenwerk.) Hrsg. in zwanglosen Heften im Kgl. preußischen
statistischen Landesamt in Berlin. Heft 248 u. 252. — Ergebnisse, Die endgültigen,
der Vieh- und Obstbaumzählung vom 1. XII. 1913 und die Viehzählungen vom 1. XH.
1914 u. 1915 im preußischen Staate, sowie in den Fürstentümern Waldeck und Pyrmont,
(Heft 252.) 1916. IV— 116 SS. M. 3,20. — Statistik der Landwirtschaft (Anbau,
Saatenstand, Ernte und Wasserschäden) im preußischen Staate für das Jahr 1914 nebst
üebereicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 251
den Ergebnissen in den Fürstentümern Waldeck und Pyrmont. (Heft 248.) 1917. IV,
LXI, 35 SS. M. 2,80. Berlin, Verlag des Königl. Statist. Landesamts.
Schweiz.
Jahresübersicht, Statistische, über die Bevölkerungsbewegung im Kanton
Basel-Stadt 1912. N. F. 2. Jahrg. 43. Bericht über die Zivilstandsbewegung, die Todes-
ursachen und die ansteckenden Krankheiten im Kanton Basel-Stadt. 1912. Bearbeitet
vom statistischen Amte in Verbindung mit dem Gesundheitsamt. Basel, C. F. Lendorf f,
1916. Lex.-S. VIII— 70 SS. mit 1 eingedr. Plan. M. 3,50.
Stastik, Landwirtschaftliche, des Kantons Bern für das Jahr 1914 u. 1915.
(Mitteilungen des kantonalen [bernischen] statistischen Bureaus, Jahrg. 1916, 2. Lfg.)
Bern, A. Francke, vorm. Schmid u. Francke, 1917. gr. 8. 135 SS. M. 1,50.
Statistik, Schweizerische. 205. Lfg.: Die Bewegung der Bevölkerung in der
Schweiz im Jahre 1915. Hrsg. vom statistischen Bureau des schweizerischen Finanz-
departements. Bern, A. Francke, vorm. Schmid u. Francke, 1917. Lex.-8. 55 SS.
M. 2.—.
Statistique de la Suisse. Par le bureau de statistique du d§partement suisse
des finances. 204* livr. : Resultats statistiques du reeensement f^dferal de la population
du 1. XII. 1910. 2 vol. B^partition de la population d'apr&s le sexe, l'^tat civil et
l'äge. Confession et diff^rence d'äge des 6poux vivant ensemble. Bern, A. Francke,
vorm. Schmid u. Francke, 1917. Lex.-8. 71—462 SS. M. 10.—.
Frankreich.
Chemins de fer de l'fitat. Documents statistiques concernant les transports
g^nferaux et les recettes du trafic pendant l'exercice 1915. Paris, Imprimerie nationale,
1916. In.4. 313 pag.
Statistique g§n§rale de la France. Reeensement des Industries et professions.
Nomenclature des Industries et professions 31 mars 1917. Paris, Imprimerie natio-
nale, 1917. 4. k 2 col. 64 pag.
13. VerschiedexieB.
Bedeutung, Die, Polens für Rußland. Wien, Gerold u. Co., 1917. gr. 8.
84 SS. M. 3,50.
Chamberlain, Houston Stewart, Demokratie und Freiheit. München,
Hugo Bruckmann, 1917. 8. 83 SS. M. 1,50.
Gaudig (Dir., Oberschulr.), Dr. H., Die Schule im Dienste der werdenden Per-
sönlichkeit. 2 Bde. Leipzig, Quelle u. Meyer, 1917. 8. XII, 414 u. III— 315 SS.
M. 12.—.
Gierke (Geh. Just.-R.), Prof. Dr. Otto v., Unsere Friedensziele. Berlin, Julius
Springer, 1917. 8. 79 SS. M. 1,60.
Grün, Oskar, Die Grundlagen der deutschen Volkskraft. Bern, Akadem.
Buchhdl. von Max Drechsel. 1917. 8. 92 SS. M. 1,80.
Hochstetter, Franz, Mehr Land! Berlin, „Politik", Verlagsanstalt u. Buch-
druckerei, 1917. gr. 8. 118 SS. M. 2,50.
Kerlen, Kurt, Flandern und Deutschland. Die Flamen und Wir. Mit einem
Sprach- Stammbaum und einer Sprachenkarte. Arnsberg, J. Stahl, 1917. gr. 8. 91 SS.
M. 1,50.
Lea, Homer, Des britischen Reiches Schicksalsstunde. Mahn wort eines Angel-
sachsen. Aus dem Englischen und mit einer Einführung von Graf E. Reventlow.
2. Aufl. Berlin, E. 8. Mittler u. Sohn, 1917. 8. L— 281 SS. M. 6.—.
Lemme (Geh. Kirchenr.), Prof. D.Ludwig, Der geistige Neubau unseres Volks-
lebens nach dem Kriege. Gütersloh, C. Bertelsmann, 1917. gr. 8. 92 SS. M. 2. — .
Naumann, Frdr. , Was wird aus Polen? Berlin, Georg Reimer, 1917. gr. 8.
V— 57 SS. M. 1.—.
Szterinyi (Wirkl. Geh. Rat, Staatssekr. a. D., M. d. R.), Joseph, Ungarn und
Deutschland. Jena. Gustav Fischer, 1917. Lex.-8. VII— 170 SS. M. 4.—.
Blondel, prof. Georges, La guerre europeenne et la doctrine pangermaniste.
€• Edition. Paris, Marc Imhaus et Ren6 Chapelot. Petit in-8. 136 pag. fr. 1. — .
252 ^*® periodische Presse des Auslandes.
Cbapuisat, £douard, La guerre europfecnne et le röle de la Snisee. Paris,
Marc Imhau« et Renfe Chspelot. Petit in-8. 112 pag. fr. l.~.
Lanessan, J. L. de, Les empires germaniques et la politique de la foice. lotro-
duction & la guerre de 1914. Paris, Ffelix Alcan, 1915. 16. X— 491 pag. fr. 3,50.
After-war problems. By the Earl of Cromer, Vietount Haldace, Ihe Bishop
of Exeter, Prof. Alfred Marshall and others. Ed. by William Baibutt Daweon. London,
Allen and Unwin. 8. 7/.6.
Sie periodische Fresse des Auslandes.
A. Frankreich.
Journal de la SocifetI de Statistique de Paris. 48* Annle, Juin 1917, No. 6t
La langue celtique dans les lies Britanniques, par Paul Meuriot. — Donn^es statistique«
d'ensemble sur les chemins de fer des fitats-ünis, par Daniel Bellet. — Chronique de
dimographie: Les aveugles et sourds-muets en France en 1911; Recensement de la t&-
publique argentine en 1914; Mouvement de la population en Angleterre en 1916, par
Michel Bubcr. — Chronique des questions ouvriferes et des assurances sur la vie, par
Maurice Bellom. — etc.
Journal des ficonomistes. 76* Ann§e, Mai 1917: La formation politique des
]fitats-Unis, par Yves Guyot. — Les finances publiques en Grand-Bretagne, par W. M. J.
"Williams. — Un inventaire des ressources des colonies britanniques, par Arthur Baffa-
lovich. — Les nouvelles lois sur le credit aux petites entreprises, par Maurice De\ra-
vrin. — La Eeichsbank en 1916, par A. Eaffalovich. — Les chemins de fer fran^ais
en 1916, par Georges de Nouvion. — etc.
B. England.
Century, The Nineteenlh and after. April 1917, No. 482: Food and labour:
L Food prices and food supply, by Dr. Arthur Shadwell. IL Suggestions for doubling
the home production of food, by Lord Blyth. III. How to find two millions war workers,
by J. Ellis Barker. — Morality and Germans war aims, by Charles Waldstein. — Sea-
power, the aimed neutralities and President Wil&on, by Francis Piggott. — etc.
Review, The Contemporary. May 1917, No. 617: America then and now: re-
collections of Lincoln, by Agnes Macdonell, — The report of the agricultural policy
subcommiltee of the reconstruction committee, by F. D. Acland. — Ulster Bome Eule:
a proposal, by Alfred Perceval Graves. — Parliament during the war, by Thomas Lough. —
The prospect in Poland (I), by O. de L. — etc.
Review, The National. May 1917. The torpedo a dawn, by L. Ccpe Comfoid.
— What the farmers say, by Miss Frances Pitt. — etc.
C. Oesterreich-Üngarn.'
Bandeismuseum, Das. Brsg. von der Direktion des k. k. österreichischen
Bandeismuseums. Bd. 32, 1917, Nr. 23: Der Außenhandel Rußlands im Kriege (Schluß).
— Wirtschaftspolitische Uebersicht (Ungarn, Deutschland, Bulgarien, Türkei, Schweiz,
Frankreich, Italien, Rußland). — Die Steigerung der Seefrachten im Jahre 1916. — etc.
— No. 24: Die Aussichten des österreichischen Bandeis mit der Türkei nach Friedens-
schluß, von Gustav Berit. — Wirtschaitspolitische Uebersicht (Ungam, Deutschland,
Polen, Serbien, England, Frankreich, Italien, Rußland, Türkei, Vereinigte Staaten von
Amerika). — Die Butterausfuhr Dänemarks. — etc. — No. 25: Wirtschaftspolitische
Uebersicht (Ungarn, Deutschland, Rumänien, Türkei, Rußland, Frankreich, Italien). —
Das Papiergeschäft in Deutschland. — Schweizerische Maschinenindustrie. — Die Ver-
kehrskrise in Rußland. — etc. — Nr. 26: Wirtschaftspolitische Uebersicht (Ungarn,
Deutschland, Polen, Rumänien, Serbien, Bulgarien, Türkei, Rußland, England, Frank-
reich, Italien, Vereinigte Staaten von Amerika). — Die Wirtschaftslage in Argentinien.
— Die Lage der elektrotechnischen Industrie in der Schweiz. — Die Baumwollernte in
Mittelasien. — Die Ausgestaltung der Wasserstraßen in Deutschland. — etc.
Rundschau, Soziale. Brsg. vom k. k. Arbeitsstatistischen Amt im Bandeis-
ministerium. Jahrg. 18, März — Mai 1917: Aufrechterhaltung gewerblicher Betriebe im
Interesse des Beeresbedarfs in Oesterreich. — Regelung der Lohn- und Arbeitsverhält-
Die periodische Presse Deutschlands. 25ä
nisse in den Betrieben der Kriegsindu3trie (Oesterreich). — Beschränkung der Kinder-
und Jagendliclienarbeit (Vereinigte Staaten von Amerika). — Staatliche Arbeitslosen-
fürsorge (Schweiz). — Arbeiter- und Angestelltenversicherung der im vaterländischen
Hilfsdienst Beschäftigten (Deutscdes Reich). — Kommission und Generalkommissariat
für Kriegs- und üebergangswirtschaft in Oesterreich. — Bestellung von Ernäbrungs-
inspektoren (Oesterreich). — Versorgung der Bevölkerung mit Bedarfsgegenständen
(Oesterreich). — Gewerkschaften in Dänemark 1913 — 1915. — Arbeitskonflikte in Däne-
mark 1915. — Einigungswesen in Schweden 1912 — 1915. — Ergebnisse der Arbeits-
vermittlung in Oesterreicli im Jänner und Februar 1917. — Die Arbeitslosigkeit bei
den Gewerkschaften im November und Dezember 1916, Jänner und Februar 1917. —
Arbeitslosigkeit unter den orgaaisierten Arbeitern Dänemarks 1914—1916. — Die Qe-
werbeinspektion in Oesterreich im Jahre 1915. — Nahrungs- und Geauümittelverbrauch
in Wiener Arbeiterfamilien. — Lebensbaltung städtischer Familien während des Krieges
im Deutschen Reiche. — Frauenarbeit in Eogland während des Krieges. — Stand der
Invaliden-, Kranken-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung im Deutschen Reich am
31. Dezember 1916. — etc.
Volkswirt, Der österreichische. Jahrg. 9, 1917, Nr. 37: Die neue Kohlen-
steuer im Deutschen Reiche, von Dr. Emanuel Hugo Vogel. — etc. — Nr. 38: Die
neae Kohlensteuer im Deutsehen Reiche (Forts.), von Dr. Emanuel Hugo Vogel. — Das
Schlagwort der Getreidemehrproduktion, von Julius Flamm. — etc. — Nr. 39: Krieg
und Geldlehre. III. Das Problem des Eodes, von Walther Federn. — Die neue Kohlen-
steuer im Deutschen Reiche (Schluß), von Dr. Emanuel Hugo Vogel. — etc.
F. Italien.
Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. LIV, Aprile 1917, No. 4:
II mereato monetario e la guerra, di X. — SuU'evasione neue trasmissioni gratuite
mobiliari. Nuove rioerche suUa ripartizione regionale della ricchezza privata italiana
(continuazione), di Aldo Contento. — etc. — Maggie 1917, No. 5: La dlversa pressione
tributaria del prestito e dell'imposta (continuazione), di Benvenuto Griziotti. — Pro-
duzione e consumo durante la guerra in Sardegna, di Marcello Vinelli. — etc.!
[G. Holland.
Economist, De, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Jaarg. 66, Juni 1917,
No. 6: Voorziening in de crisis — uitgaven in Nederland, door G. M. Boissevain. — De
„oude gewoonten" (met betrekking tot de vererving van huis en hof) bij onze Twentsche
boeren (IV), door Dr. Josephine van Androoy. — De kamers van koophandel als ad-
viseerende Colleges, door W. Elink Schuurmann. — Economische kroniek. — etc.
H. Schweiz.'iJ
Bibliothöque Universelle et Revue Suisse. Tome LXXXVI, Juia 1917, No. 258 :
Europe et Europe centrale, par L. P. Hobhouse. — Le Slesvig danois de 1864—1916,
par Th. C. Buyse. — etc.
Die periodische Fresse Deutschlands.
Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsg. im Königl. Preußischen Ministerium der
öffentlichen Arbeiten. Jahrg. 1917, Juli- August, Heft 4: Die internationalen gewerk-
schaftlichen Beziehungen der Eisenbahner, von K. Rohling. — Die Handelskammer zu
Hamburg. — Die ünterelbische Eisenbahn, ein Beitrag zur Geschichte des Eisenbahn-
wesens, von (Eisenbahn-Obersekr.) O. Schewe. — 1882 — 1911. Dreißig Jahre russischer
Eisenbahnpolitik (Forts.), von (Geh. Reg.-R.) Dr. Mertens. — Erweiterung und Vervoll-
ständigung des preußischen Staatseisenbahnnetzes im Jahre 1917. — Die Eisenbahnen
des Deutschen Reichs 1913—1915. — etc.
Archiv für innere Kolonisation. Bd. 9, Jahrg. 1916/17, Mai, Heft 8:
Die Enteignung von Grundstücken zu Siedlungszwecken, von (Geh. Reg.-R.) A. Rasch.
— Die Tätigkeit der Kgl. Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen im Jahre
1918. — Zur Frage der Form und des Trägers der Kleinsiedlung, von (Geh. Reg.-R.)
254 ^® periodische Presse Deutschlands.
Hartinius. — Kapitalabfindangsgesetz und Ansiedlung (Ansführungsanweisungen der
Landeszentralbehörden zum Kapitalabfindungsgesetz). — Verwendung von Kammer- und
Klosterländereien für das Kleinsiedlungswesen im Herzogtum Braunschweig. — etc.
Archiv, Weltwirtschaftliches. Bd. 10, Juni 1917, Heft 2: Probleme des Geld-
Wesens. Eine Erwiderung auf Liefmanns Geld und Gold, von Dr. Otto Heyn. — Ruß-
lands Drang zu den Meeren. Ein historischer Rückblick, von Prof. Dr. A. Brückner.
— Die Baumwollkrisis in den Vereinigten Staaten von Amerika 1914/15, von Dr. rer.
publ. O. Wingen. — Rußlands Kampfgesetze gegen den Aktienbesitz feindlicher Aus-
länder, von A. V. Vogel. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 17,
Juni 1917, Nr. 6: Förderung der polnischen Volkswirtschaft. — Schutz des Groß-
grundbesitzes. — Die Verantwortlichkeit der Handelsangestellten für die Zolldeklaration,
von (Zollverwalter) G. Gschwender. — etc.
Bank, Die. Juni 1917, Heft 6: Die Besitzbefestigung im städtischen Grundstücks-
wesen (Schluß), von Alfred Lansburgh. — Kommunalsozialismus, von Dr. Felix Pinner.
— Das Finanzwesen und die Wirtschaftslage Frankreichs im Weltkriege, von (Geh.
Reg.-R.) Dr. Seidel. — Die holländischen Schiffshypothekenbanken. — Konkursstatistik.
— Steuerbelastung einst und jetzt. — Bayern und der Weltmarkt. — Krieg und Ge-
meindesteuern. — etc.
Bank-Archiv. Jahrg. 16, 1917, Nr. 18: Schiffspfandrecht und Schiffskredit,
von (Rechtsanw.) Dr. Goldschmidt. — Das Geld als Wert- und Preismaß, von Dr. Otto
Heyn. — etc. — Nr. 19: Zur Frage der Wiedereröffnung des amtlichen Börsenver-
kehrs, von Barthold Arons. — Der Verband deutscher öffentlich-rechtlicher Kredit-
anstalten, von (Verbandsdirektor, Oberfinanzrat) Stein. — etc.
Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Jahrg. 13,
April-Juli 1917, Nr. 1 — 4: Das kodifizierte bulgarische bürgerliche Recht, von (Kgl.
Bulgar. Legationsrat a. D.) Dr. Milan St. Schischmanow. — Zur Förderung der Aus-
landsstudien in Deutschland, von Heinich Dove. — Staats- und Wirtschaftsleben in
Ungarn, mit besonderer Berücksichtigung der herrschenden Geistesströmungen. Vortrag,
gehalten von Dr. Valerius von Smialowski f (fr. Obergespan und Reichstagsabg.) am
8. November 1916. — Die wirtschaftliche Bedeutung der Presse des In- und Auslandes.
Vortrag von (Doz. der Handelshochschule Berlin) Dr. Albert Haas, gehalten am 4. März
1917. — Die wirtschaftliche Bedeutung Irlands. Vortrag von Dr. Georges Chatterton-
Hill, gehalten am 31. März 1917. — etc.
Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 24, 1917,
Nr. 12: Neuere Literatur zum Geburtenrückgang, von (Stabsarzt a. D.) Dr. M. Christian.
— Die Volks Wohlfahrtspflege der deutschen Invalidenversicherung im Jahre 1916.
— etc. — Nr. 13: Die Notlage der zweitstelligen Hypotheken und die Wege zur Ab-
hilfe. — Der Kriegsbeschädigte in der Landwirtschaft, von Dr. Haeseler. — etc.
Export. Jahrg. 39, 1917, Nr. 26— 29: Wetterwende in Ostasien, von Dr. Frhr.
v. Mackay. — Die englischen Drohungen über den Krieg hinaus (Forts.), von Dr. R.
Jannasch. — Die Ergänzung der verlorengehenden Schiffstonnage. — Das Ergebnis der
Leipziger Frühjahrs-Mustermesse. — Der Abbruch der deutsch-chinesischen Beziehungen.
— etc.
Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 51, 1917, Heft 1: Die Strafbarkeit des
Kontraktbruchs landwirtschaftlicher Arbeiter, von Dr. jur. et rer. pol. Rudolf Breit-
haupt. — 58-jährige Wirtschaftsergebnisse eines mecklenburgischen Pachtgutes und die
sich aus ihnen ergebende privat- und volkswirtschaftliche Bedeutung des intensiven
Landwirtschaftsbetriebes in Krieg und Frieden, von stud. agr. H. Hoppenrath. — Land-
wirtschaftliche Friedens- und Kriegslöhne in der Provinz Posen, von Herbert Dalsky.
— etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 169, Juli 1917, Heft 1: Kali und die wirt-
schaftspolitisehen Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten, von
(Bergassess.) Dr. F. Friedensburg. — Die auswärtige Politik Amerikas im Spiegel ihrer
Geschichte (Schluß), von Dr. Emil Daniels. — Die Frage nach dem Kriegsziel, von
Emil Zimmermann. — Die Friedensaussichten und Rußland; Der Zwischenfall Grimm-
Hoffmann ; Japan ; Innere Politik, von Hans Delbrück. — etc.
Kartell -Rundschau. Jahrg. 14, 1916, Heft 10—12: Die Bedeutung der in-
dustriellen Organisation für die Entwicklung des amerikanischen Ausfuhrhandels. Streif-
lichter aus dem „Report on Cooperation in American export trade" vom 30. Juni 1916,
Die periodische Presse Deutschlands. 255
von Dr. S. Tschierschky. — Geltendmachung von Kartellansprüchen nach Auflösung
des Kartells, von (Justizrat) Dr. Fuld. — etc.
Kultur, Soziale. Jahrg. 37, Juni 1917, Heft 6: Vom Staaten- zum Völker-
hündnis ! Gedanken über die Pflege der deutsch-bulgarischen Freundschaft, von Dr^
G. Kunzer. — Stellung und Aufgaben konfessioneller Arbeitervereine im Eahmen der
christlich-nationalen Arbeiterbewegung, von Dr. Otto Müller. — Züchtigungsrecht und
Züchtigungspflicht, von (Amtsrichter) Dr. Albert Hellwig. — Krieg und Inflation, von
Dr. A. Schmidt. — etc.
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 23, 1917, Heft 12: Die gewerkschaftliche
Internationale und ihre Zukunftsaufgabe, von Paul Müller. — Wasserwirtschaft und
Verkehrsmittel in der Türkei, von Hermann Kranold. — Die Frauenarbeit und die
Arbeiterklasse, von Hugo Poetzsch. — etc. — Heft 13 : Englands asiatische Politik,
von Dr. Ludwig Quessel. — Russische Revolutionsstatistik, von Leo Rosenberg. — Die
Juden in Polen und Palästina, von Hermann Kranold. — Die Stellung der Gewerk-^
Schäften zur Frauen beruf sarbeit, von Robert Schmidt. — etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 35, 1917, Nr. 1800: Rußlands wirtschaft-
liche Zukunft und Deutschland. — Die Konzentration im Bankwesen. — etc. —
Nr. 1801: Russische Finanznöte. — Die Darlehnskassen des Reiches in 1916. — Da»
Hypothekengeschäft der Versicherungsgesellschaften. — etc. — Nr. 1802 : Valutaschwan-
kungen — Goldpolitik. — etc. — Nr. 1803: Krieg und Finanzen. — etc.
Plutus. Jahrg. 14, 1917, Heft 25/26: Aufsichtsräte — Risikoprämien und
Wuchergewinn, von (Rektor der Handelshochschule Berlin), Prof. Dr. Friedrich Schär.
— üebergangswirtschaft (III), von G. B. — etc. — Heft 27/28: Schmoller. — üeber-
gangswirtschaft (IV), von G. B. — etc.
Praxis, Soziale, und Archiv für Volkswohlfahrt. Jahrg. 26, 1917, Nr. 38: Die
Einkommensverschiebungen im und durch den Krieg (I), von Prof. Dr. P. Mombert. —
Errichtung eines Fachministeriums für Volksgesundheit und soziale Fürsorge in Oester-
reich, von Prof. Dr. Leo Wittmayer. — Der deutsche Arbeiter und die Kolonien —
Arbeiterauschüsse und Hilfsdienstgesetz, von (Vors. des Verbandes der Deutschen Ge-
werkvereine) Gustav Hartmann. — etc. — Nr. 39 : Kleine sozialpolitische Anfragen, von
Prof. Dr. E. Francke. — Die Einkommensverschiebungen im und durch den Krieg^
(II, Schluß), von Prof. Dr. P. Mombert. — Gustav v. Schmoller f. — Der 14. Ge-
nossenschaftstag des Zentralverbandes Deutscher Konsumvereine. — etc. — Nr. 40:
Krankenheime, von (Arzt) Dr. Moltrecht. — Gewerkschaftliche Kriegsgedanken. — Aus
der Praxis des Hilfsdienstgesetzes, von (Rechtsanw.) Dr. A. Osterrieth. — etc. — Nr. 41 :
Koalitionsrecht und Erpressungsparagraphen. — Die Obst- und Gemüseversorgung der
Städte. — Massen und Führer im Deutschen Metallarbeiter verband. — Die kriegsamt-
liche Organisierung des Arbeitsnachweiswesens. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 6, Juli 1917, Nr. 7: Büroverbesserung, von
(Bürgermstr.) H. Weißenbom. — Die Volkswirtschaft im Hochschulunterricht, von Prof.
Dr. Wygodzinski. — Zur Rechtfertigung und Ausbaumöglichkeit der Erbschaftssteuer,
von (Reg.-R.) Ludwig Bück. — Ein deutsches Getreidemonopol?, von (Synd.) Dr. Sieg-
fried Lindemann. — Zur Vereinfachung und Ersparung richterlicher Tätigkeit, von
(Landger.-R.) E. Dosenheimer. — Friedensgerichte — eine Gefahr für die Rechtspflege,
von (Justizrat) Dr. Köttgen. — etc.
Rundschau, Masius', Blätter für Versicherungswissenschaft. Jahrg. 29, 1917,
Heft 5: Bemerkungen zum Sachverständigen- Verfahren in der Feuerversicherung (II),
von V. Haselberg. — Kriegsanleihe- Versicherung. — etc.
Viertel Jahrs Schrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Bd. 14, 1917^
Heft 2 u. 3: Zur neuesten Literatur über die Wirtschafts- und Rechtsgeschichte der
deutschen Salinen (Forts.), von Adolf Zycha. — Die Ministerialentheorie der Schöffen-
baren (eine kritische Studie), von Ph. Heck. — Geschichtsphilosophie, von Hermann
Jordan. — Randglossen zur Geschichte der Handelsgesellschaften, von S. van Brackel.
— Basler Handelsgesellschaften im 15. Jahrhundert und ihre Formen, von (Oberlandes-
gerichtsrat) Dr. V. Silberschmidt. — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 13, 1917, Nr. 12: üeber das Sparen
nach dem Kriege, von P. Mombert. — Krieg und Wirtschaft, von Dr. Leo Blum. —
Die Finanzen der Kriegführenden. — Deutsch- Amerikanischer Wirtschaftsverband: Der
Welthandel im Jahre 1916. Eine amerikanische Betrachtung; Außenhandel der Ver-
einigten Staaten in den Jahren 1914/16; Die Nahrungsmittelaussichten für die Welt.
256 Die periodische Presse Deutschlands.
— etc. — Nr. 13: Ein Deutsches Kriegsmuseum — eine Gemeinschaftsaufgabe der
nationalen Erwerbsstände von (Syndikus) Prof. Dr. Hermann Lehmann. — Hypotheken-
Terlän<erang nach dem Kriege, von Dr. rer. pol. Fritz Terhalle. — Die wirtschaftlichen
Nachwirkungen des Kriege». — Mitteilungen des Deutsch -Amerikanischen Wirtsehafts-
verbandes: Zur Frage der Exportförderungsorganisationen; Die Seeversicherung in den
Vereinigten Staaten 1915. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 35, 1917, Nr. 11: Die Befreiung der Nationen (Forts.),
von K. Kautsky. — Schule und Leben, von Hugo Jacobi. — Die Frauenarbeit in der
Metallindustrie während des Krieges, von Luise Zietz. — etc. — Nr. 12: Der Staat und
die Staatsnotwendigkeiten (Reinliche Unterscheidung III), von Ed. Bernstein. — Die Be-
freiung der Nationen (Schluß), von K. Kautsky. — Vom Altersaufbau der Lohnarbeiter-
Schaft, von Wilhelm Diiwell. — Kriegsziele, von K. K. — etc. — Nr. 13: Oesterreich
und Serbien, von K. Kautsky. — Masse und Idee, von Max Adler. — etc. — Nr. 14 :
Oesterreich und Serbien (Forts.), von K. Kautsky. — Gleiches Recht dem unehelichen
Kinde!, von Friedrich Kleeis. — etc. — Nr. 15: Die inneren Gegensätze der russischen
Revolution, von A. Stein. — Oesterreich und Serbien (Forts.), von K. Kautsky. — Ar-
beiterferien, von S. Priill. — etc.
Zeitschrift des K. Bayerischen Statistischen Landesamts. Jahrg. 49, 1917,
Nr. 3: Der Stand der Kriegsernährung in Bayern. Rede des K. Bayer. Staatsmin. des
Innern Dr. v. Brettreich, gehalten in einer Versammlung in München am 3. Mai 1917.
— Maßnahmen gegen die üeberteuerung und die Bekämpfung des Kriegswuchers, von
<Reg.-Asse3S.) Friedrich Merz. — Preise in Bayern vom Oktober 1916 bis April 1917.
— Stadt und Land, Bayern und das Reich in der Kriegsemährungswirtschaft, von
(Ministerialrat) Dr. Friedrich Zahn. — Die Bayerische Landesvermittlungsstelle für den
Verkehr mit Brotgetreide und Mehl im zweiten und dritten Kriegsjahr, von (Bezirks-
amtsassess.) Dr. Joseph Haselberger. — Lebensmittelteuerung und kriegswirtschaftliche
Maßnahmen im neutralen und verbündeten Ausland, von Dr. Wolfgang Ritscher. —
Statistik der bayerischen Knappschaftsvereine im Jahre 1915, bearbeitet vom Kgl. Ober-
bergamt München. — Zur Lage des Arbeitsmarkts in Bayern im Jahre 1916, von Max
Giebeler. — Der Kaliverbrauch in Bayern seit 1890. — Die „Kriegsarbeitsstelle Niebe-
lungensäle" in München, von Anna Wack. — Mehl- und Brotpreise der bayerischen Kom-
munal verbände im Erntejahr 1915/16, von (Bezirksamtsassess.) Dr. Haselberger. — etc.
Zeitschrift des Kgl. preußischen statistischen Landesamts. Inhaltsverzeichnis
für die 1861 — 1912 erschienenen 52 Jahrgänge, nach Stichwörtern des Inhalts, Ländern und
Verfassern geordnet. Hrsg. vom (Präs. des Kgl. preuß. statist. Landesamts i. V. Ober-
reg.-R.) Prof. Dr. F. Kühnert.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft. Bd. 17, Juli 1917,
Heft 4: Soll die Sonderorganisation der Angestellten Versicherung beibehalten werden?,
von (Geh. Reg.-R.) Dr. jur. Georg Zacher. — „Teilnahme an Kriegsereignissen'* in der
Lebensversicherung, von Dr. jur. K. Kirchmann. — Die Bemessung der Abfindungswerte
in der Lebensversicherung. Eine kritische Studie, von (Priv.-Doz.) Dr. phil. Albrectit
Patzig. — Schutzmaßnahmen gegen Feuers- und Explosionsgefahr im Kriege, von (Baurat)
Wendt. — Die Gefahrziffern und der Gefahrtarif in der deutschen Reichsversicherungs-
ordnung, von (Hofrat) W. Küttner. — etc.
Zeitschrift für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik. Jahrg. 7, 1917,
Nr. 11/12: Aufgaben der Landkreise und Gemeinden auf dem Gebiete des Siedlungs-
wesens, von (Landrat) Laer. — Die Kriegshinterbliebenen-Ansprüche der Kommunal-
beamten in Preußen, von (Oberlandesgerichtsr.) A. Freymuth. — Die Gemeindeabteilung
in dir Reichsdeutschen Waffenbrüderlichen Vereinigung, ihre Arbeit und ihre Ziele, von
Dr. Leiske. — etc.
Zeutralblatt, Deutsches Statistisches. Organ der Deutschen Statistischen Ge-
sellschaft und des Verbandes Deutscher Städtestatistiker. Jahrg. 9, Juni 1917, Nr. 5: Die
Zukunft der amtlichen Statistik, von Prof. Dr. Karl Pribram. — Die Sprachenstatistik,
von Engen Würzburger. — Zur Nachprüfung der Getreide-, Mehl- und Hülsenfrüchte-
Erhebung vom 15. Februar 1917. Wünsche und Vorschläge, von (wiasenschaftl. HQfsarb.
beim Statist. Amt in Nürnberg) Hans Friedrich. — etc.
Frommannsche Buohdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Karl Elster, Zur Analyse des Geldproblems. 257
IV.
Zur Analyse des (jeldproblems.
Von
Regierungsrat Karl Elster.
Wenn nicht alle Zeichen trügen, so ist für die theoretische Na-
tionalökonomie der Tag der Götterdämmerung angebrochen, imd
sind es die Sturmglocken des Weltkrieges, die ihn einläuten.
Dogmen, die als ewige Wahrheiten fest geg;ründet schienen, ge-
raten in das Schwanken des Zweifels. In seinen Grundfesten er-
schüttert, wankt der ganze Bau.
Daß die Erfahrungen des Weltkrieges in mannigfachster Hin-
sicht die praktische Wirtschaftspolitik beeinflussen und
nach vielfach neuen Richtungen hin bestimmen werden, steht wohl
heute schon fest und kann nicht befremden. Aber schon heute
läßt sich auch erkennen, daß darüber hinaus gewisse Erscheinungen
unserer kriegswirtschaftlich en Verhältnisse zwingenden Anlaß bieten,
auch so manche Lehre der theoretischen Volkswirtschafts-
wissenschaft nachzuprüfen und ihre Vereinbarkeit mit den-
jenigen Erscheinungen zu untersuchen, denen wir als Tatsachen
gegenüberstehen. Was ist Wahrheit? Die Frage des Pontius
Pilatus wird heute auch gegenüber solchen Lehren und Begriffen
gestellt, die man bereits der Diskussion entrückt glaubte.
Insonderheit ist es die Frage nach dem Wesen des Geldes,
die seit Beginn des Krieges in steigendem Maße zum wissenschaft-
lichen Meinungsstreit geführt hat. Gewiß: dieser Meinungsstreit
ist älter als der Weltkrieg und nicht aus ihm entstanden. Zweifellos
aber hat der Weltkrieg ihn neu belebt und ihn vertieft. Und
indem er ihn vertiefte, ließ er ihn zugleich auf solche Gebiete
übergreifen, die er in seiner früheren Lokalisierung noch un-
berührt gelassen hatte. Nicht zuletzt ihr Zusammenhang mit der
Geldlehre ist es, der die Lehren vom Werte und vom Preise, der
schließlich den letzten Begriff: Was ist Wirtschaft? wieder in
Zweifel gerückt und zum Gegenstande erneuter Diskussionen ge-
macht hat^.
Die ungeheure Bedeutung, die einer Klärung der Frage nach
dem Wesen des Geldes zukommen müßte, kann gar nicht über-
schätzt werden. Nicht nur die Währungspolitik, unsere gesamte
1) So insbesondere neuerlich: Robert Liefmaun, Geld und Gold, ökonomische
Theorie des Geldes. Stuttgart u. Berlin (Deutsche Verlagsanstalt) 1916. 8". 241 SS.
(Preis M. 4.)
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 17
258 KatI Elster,
Finanzpolitik, und über ihren Rahmen hinaus unsere Wirtschafts-
politik überhaupt, müßte durch die Lösung dieser Fra^e eine neue
Unterlage gewinnen; eine Unterlage von einer Festigkeit, die es
ihr ermöglichen müßte, mit einer heute unbekannten Souveränität
ein Geschehen zu meistern, dessen Gesetze sie begreift.
Welchen Ausgang der siegreiche Krieg Deutschlands und seiner
Verbündeten gegen die Welt im einzelnen nehmen mag, steht dahin.
Eines aber steht fest: er wird die deutsche Volkswirtschaft vor
Aufgaben von bisher nicht gekannter und ungeahnter Größe stellen.
Und diesen Aufgaben wird die deutsche Volkswirtschaft in desto
höherem Maße gewachsen sein, desto vollkommener sie eben die
Gesetze d-urchschaut, nach denen das wirtschaftliche Geschehen
seinen ewigen Gang nimmt. Sie wird diese Gesetze nicht zu
bestimmen, nicht zu ändern vermögen. Doch wird sie in der
Lage sein, sich ihnen anzupassen, wie ein erfahrener Schiffer, dem
das Wetter dient, auch wenn er es nicht zu bestimmen vermag.
Jedes wuchtige Tun verlangt standfesten Grund. Aöc \loi iro5
oxü), xal TY]v Y'^v XLVTJoü). VolkswirtschaftUch zutreffende Erkennt-
nis ist die Voraussetzung volkswirtschaftlich wirksamer Politik.
Es ist im verkennbar, daß die volkswirtschaftliche Bedeutung
der heute im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Erörterung stehen-
den Fragen in steigendem Maße auch in weitexen Kreisen be-
griffen wird. Und so ist es verständlich, wenn in den Meinungs-
streit sich mehr und mehr auch Stimmen derer mischen, die der
zünftigen Nationalökonomie sonst fernstanden. Dies ist ein erfreu-
liches Zeichen. Und wenn nicht alle, die sich berufen fühlen, Aus-
erwählte sind, denen das Glück beschieden ist, das Werk zu fördern,
so sollte doch der Nationalökonom vom Fach sich bei der Zurück-
weisung solcher Versuche tunlichst einer gewissen Zurückhaltung
befleißigen. Nicht in xe, aber in modo. Auch der Irrtum fördert,
indem er zur Widerlegung Anlaß gibt. So ist es gewiß nur be-
dauerlich, wenn Diehl (Unser Geldwesen nach dem Kriege, in
diesen „Jahrbüchern", IIL F. 'Bd. 52, S. 741) mit überlegener
Geste die seiner metallistischen Auffassung zuwiderlaufenden Publi-
kationen mit dem Bemerken beiseite schiebt, daß sie die gründ-
liche und durchgearbeitete Theorie in ihrer Mehrzahl vermissen
ließen. Mag sein, daß dem so ist. Doch ist wohl kaum je bisher
die gründliche und durchgearb'eitete Theorie als Muttqr praktisch
wertvoller wirtschaftlicher Maßnahmen aufgetreten, so daß sie die
Begründung praktischer Vorschläge allein sich vorbehalten dürfte.
Es liegt allzuviel Wahrheit in dem Satze Liefmanns i): „Wenn
eine praktische Geldpolitik getrieben wurde, ist die ökonomische
Theorie ihr nachgehinkt, und hat sie nachträglich zu begründen
rersucht."
Es kann nicht meine Aufgabe sein, im Rahmen dieses Auf-
satzes eine Wirtschaftstheorie aufzubauen, die von einer neuen
1) Geld und Gold, S. 11.
Zur Analyse des Geldproblems. 259
Theorie des Geldes gekrönt würde. Ich meine, dieser Bau ist im
Werke. Als völliger Neubau beginnt auch er mit dem Abbruch
des alten Gebäudes. Hierbei Kärrnerdienste zu tun und vielleicht
einige neue Steine herzuzutragen, soll mir genügen. Ob es gelungen
ist, muß die Zukunft weisen.
Die vordem unbeschränkte Herrschaft des Metallismus im
Reiche der theoretischen Nationalökonomie war schon vor dem
Kriege auf das schwerste erschüttert. Doch hatte sich die Gegner-
schaft der Nominalisten im wesentlichen auf das akademische
Schlachtfeld beschränkt, hatte insbesondere ihr erfolgreichster
Kämpe stets betont, daß er in seiner Lehre analysierende, nicht pro-
grammatische Nationalökonomie vertrete i). Die praktische Geld-
politik, insbesondere die Goldwährung wurde nicht, oder doch so
gut wie gar nicht, bekämpft. Als unzutreffend bestritten wurde
nur die Art ihrer theoretischen Begründung.
So blieb der Metallismus eine Macht. Und wenn die Gold-
w^ährungspolitik der am Welthandel führend beteiligten Staaten
auch wohl nicht auf seinen Lehren beruhte, sie entsprach
doch — von gelegentlichen, als „Schönheitsfehler" freundlich gedul-
deten Abweichungen abgesehen — diesen Lehren. Und die doppelte
Tatsache, daß die praktischen Ergebnisse dieser Politik zu ernst-
haften Bedenken keinen Anlaß boten, insbesondere auch im Lager
der Nominalisten durchaus anerkannt wurden, daß andererseits aber
unter der Herrschaft solcher Geldverfassungen, die der Metallist
schon aus Gründen der Theorie verwirft, sich wiederholt höchst
unerfreuliche, selbst katastrophale Erscheinungen gezeigt hatten,
stützte in der Folge auch die metallistische Theorie. An ihren
Früchten sollt Ihr sie erkennen.
Seit Ausbruch des Krieges hat nunmehr der Nominalismus
den Kampf auch auf das Gebiet der praktischen Währungspolitik
übertragen. Heute treiben seine Vertreter wohl ausnahmslos pro-
grammatische Nationalökonomie, mögen sie nun (so insbesondere
Heyn) der Beibehaltung der Goldkern Währung nach Friedens-
schluß das Wort reden, mögen sie — in ihrer Mehrzahl — dar-
über hinaus die Lösung der Geldverfassung von ihrer historischen
metallischen Basis verlangen. Stützen sie ihre Forderungen auf
die ErfaJirungen, die während des Krieges nach Suspension der bis-
herigen Goldwährung gemacht wurden und noch gemacht werden,
so führen doch die Metallisten in gleicher Weise die Lehren des
Krieges für ihre Auffassung in das Feld, indem sie gewisse unbe-
stritten bestehende Mißstände — so im innerstaatlichen Leben
die Teuerungserscheinungen, im zwischenstaatlichen Verkehr die
Entwertung der Valuta — wenigstens zum Teil auf die — durch
die Verhältnisse allerdings erzwungene — Abkehr von bewährten
währungspolitischen Grundsätzen zurückführen.
1) Vgl. insbesondere Knapp, üeber die Theorien des Geldwesens, in Schmollers
Jahrbuch, 33. Jahrg., Heft 2, S. 1 ff.
17*
260 Karl Elster,
Jetzt rächt sich eine Unterlassungssünde der Nominalisten.
Sie hatten sich im wesentlichen darauf beschränkt, die realen
Erscheinungen des Geldverkehrs zu beobachten und sie auf Grund
dieser Beobachtungen deduktiv zutreffend zu schildern. Ihr Werk
war ein Torso geblieben. Alle die Tatsachen, auf die sie eindring-
lich und häufig mit überlegener Ironie hinzuweisen vermochten,
mußten die Lehre erschüttern, daß die Funktionen des Geldes
in der Volkswirtschaft durch seinen metallischen Gehalt oder doch
durch seine organische Verknüpfung mit Metallbeständen bedingt
seien. Doch unterblieb zunächst eine ökonomische Begründung 'der
Vorgänge, die die Metallisten erklären zu können glaubten, auf
anderem Wege. Dem iNominalismus war es noch nicht gelungen,
der staatlichen Theorie des Geldes eine ökonomische Theorie von
gleicher Schärfe und Schlagkraft an die Seite zu stellen. Nicht
zuletzt die Nominalisten selbst haben diese Schwäche ihrer Stellung
zutreffend erkannt, wie denn einer ihrer am weitesten fortge-
schrittenen Vertreter dieses unumwunden zugestanden hat^). Die
hier noch klaffende Lücke auszufüllen, den metallistischen Wahn
auch theoretisch durch eine ökonomische Theorie des Geldes zu er-
ledigen, hat sich neuerlich Liefmann in seinem bereits erwähnten
Werke: Geld und Gold, ökonomische Theorie des Geldes, zum
Ziele gesetzt. Er untersucht ab ovo die Grundlagen des Geldwesens
und zieht aus diesen Untersuchungen die praktischen Folgerungen
in einer Kritik unserer Geldpolitik seit Ausbruch des Krieges
und in einer Programmatik für die Friedenswirtschaft der Zukunft.
Die eminente Bedeutung, die eine ökonomische Widerlegung
des Metallismus haben müßte, bedarf an dieser Stelle nicht einmal
der Andeutung. Zwar glaut)t Liefmann selbst nicht, daß eine
einzige Schrift, wie die seine, ein solches durchschlagendes Er-
gebnis zu haben vermöchte. Irrtümer sind zähe, und nur lang-
sam geht die Wahrheit Uhren Weg. Aber als ein Fortschritt von
heute noch nicht übersehbarer Tragweite muß schon allein der Ver-
such Liefmanns anerkannt werden. Und wenn ich nicht glaube,
daß alle seine Theorien die Prüfung bestehen werden, so bin ich
um so fester überzeugt, daß sein Werk vornehmlich geeignet ist,
einen neuen Kristallisationspunkt für die Erörterung der Geld-
lehre abzugeben.
Liefmann erkennt zutreffend, daß die metallistische Geldlehre
ihre Hauptstütze darin findet, daß ihre Dogmen mit den herrschen-
den Lehren vom Werte und vom Preise zu einem in sich schlüssigen
System vereinigt sind. Auf der anderen Seite vermag aber auch er
sich der Erkenntnis nicht zu verschließen, daß doch eben derMetaUis-
mus — ungeachtet der heroischen Anstrengungen seiner Vertreter,
ihn zu retten — durch die Macht der Tatsachen tagtäglich wider-
legt wird. Und so ist es nur konsequent und bedeutet meines Erachtens
1) Bendixen, Geld und Kapital, S. 14: „Möge sich bald ein Theoretiker finden,
der Knapps Werk durch eine systematische »wirtschaftliche Theorie des Geldes' er-
gänzt."
Zur Analyse des Geldproblems. 261
eine erlösende Tat, wenn er es unternimmt, die aus der klassischen
Nationalökonomie übernommenen grundlegenden Begriffe ent-
schlossen unter die Lupe des Zweifels zu rücken. Widerspricht die
metallistische Lehre der täglichen Erfahrung, mißlingt anderer-
seits ihre theoretische Widerlegung, sofern diese die bisherigen
Ausgangspunkte der Volkswirtschaftslehre auch als ihre eigenen
beibehält, so ist der Rückschluß nahezu unabweislich, daß der
Fehler, der heute bei der Geldlehre zutage tritt, nicht ein
Spezifikum dieser Geldlehre ist, sondern daß er tiefer liegt. Und
dies ist die Auffassung Liefmanns.
Liefmann erblickt einen Grundfehler der bisherigen ökonomi-
schen Theorien darin, daß sie den Begriff der Wirtschaft „ma-
terialistisch" auffaßten. Diesen bisherigen, von ihm bekämpften
Theorien stellt er seine Wirtschaftsauffassung als die „psychische
Auffassung" gegenüber. Indem er behauptet, daß die herrschende
Theorie, die er die „technisch-materialistisch-quantitative" tauft,
das Wirtschaften mit Produktion, mit „Sachgüterbeschaffung" ver-
wechsele, definiert er das Wirtschaften, als etwas „Psychisches", als
„eine besondere Art von Erwägungen", nämlich ein Vergleichen von
Lust- und Unlustgefühlen. Aber „nicht jedes Vergleichen von
Lust- utid Unlustgefühlen" soll Wirtschaften sein, denn ein solches
„komme bei allen menschlichen Handlungen vor". Von „Wirt-
schaften" sprächen wir nur, wenn „mehrere erstrebte Lustgefühle,
Genüsse, mit den zu ihrer Erlangung aufzuwendenden Unlustge-
fühlen, Opfern verglichen werden und der Mensch vor die Frage
gestellt ist, in welchem Umfange und bis zu welchem Grade er
die Aufwendung von Unlustgefühlen, von Opfern, für die ver-
schiedenen erstrebten Lustgefühle vornehmen und fortsetzen will,
um ein möglichst großes Maß, ein Maximum von Genuß zu er-
reichen". „Die aus diesem Bestreben hervorgehenden Erwägun-
gen" (!), „die also zweckmäßigstes Disponieren über die aufzuwen-
denden Opfer zur Erlangung eines Maximums von Genuß zum
Inhalt haben, nennen wir Wirtschaften" i).
Vielleicht Liefmann, wir nicht. Wer sich stark genug fühlt,
einer ganzen umfassenden Wissenschaft neue Fundamente zu setzen,
muß damit rechnen, daß seine Worte auf die Goldwage gelegt
werden. Eine falsche Definition an der Spitze einer neuen Na-
tionalökonomie ist unerträglich, selbst wenn — was vorerst offen-
bleiben mag — richtige Empfindungen durch sie hindurchklingen.
Und Liefmanns Definition ~ so wie er sie an dieser Stelle gibt —
ist schlechterdings falsch.
Indem Liefmann den Inhalt des „Wirtschaftens" in der Psyche
sucht, die Wirtschaft als einen Inbegriff von Erwägungen definiert,
vergißt er eben doch das Wichtigste, daß diese Erwägungen zum
äußeren körperlichen Ausdruck, zur Betätigung gelangen müssen, daß
1) Geld und Gold, S. 27.
262 Karl Elster,
Wirtschaften vor allem Handeln ist. Wer erstrebte Lustgefühle mit
Unlustgefühlen vergleicht, wirtschaftet damit noch nicht, ebenso-
wenig wie jemand dadurch schon wirtschaftet, daß er „vor die
Erage gestellt wird", in welchem Umfange er zur Erreichung von
Genüssen Opfer aufwenden will. Würde die menschliche Wirt-
schaft sich auf Liefmannsche Vergleichserwägungen beschränkt
haben, so wäre die Menschheit, die dann vor allem das Unlust-
gefühl des Hungers kennen gelernt hätte, heute längst ausge-
storben, und damit allerdings auch die Frage nach dem Wesen
des Geldes für unseren Planeten gegenstandslos geworden.
Doch selbst wenn man unterstellen wollte, daß der vorstehend
hervorgehobene Mangel der Definition nur ein lapsus calami sei,
daß Liefmann den psychischen Vorgang einer Vergleichung von
Lust- und Unlustgefühlen nicht als den vollen Inhalt des Wirt-
schaftens, sondern nur als den inneren Vorgang der wirtschaftlichen
Ueberlegung angesehen wissen will, deren Ergänzung durch die
dieser Ueberlegung entsprechende äußerlich wirkende Handlung
schließlich selbstverständlich sei, so wäre meines Dafürhaltens doch
auch mit dieser Annahme für die wissenschaftliche Brauchbarkeit
seiner Definition noch nicht eben viel gewonnen. Liefmann selbst be-
tont, daß noch nicht Jedes Vergleichen von Lust- und Unlustgefühlen
Wirtschaft sei, ein solches vielmehr bei allen menschlichen Hand-
lungen vorkomme oder, wie ich es lieber ausdrücken möchte,
die Erwägung ist, auf der jede mens*chliche Handlung beruht.
Darum gibt er in der zitierten Definition eine vermeintliche Ein-
schränkung, die aber doch meiner Auffassung nach in keiner
Weise hinreicht, um aus dem Kreise dieser allgemeinen Vergleichs-
erwägungen diejenigen herauszusondern, die speziell wirtschaftliche
Erwägungen (nach meinen Ausführungen aber auch dann noch
nicht Wirtschaften) wären. Trotz aufrichtigen Bemühens will es
mir nicht gelingen, irgendeine menschliche Tätigkeit — sei es
eine einzelne Handlung, sei es eine fortgesetzte oder gar plan-
mäßige Betätigung — ausfindig zu machen, die nicht auf die
psychische Voraussetzung zurückzuführen wäre, daß das diese Tä-
tigkeit übende Individuum sich von ihr Lusterfolge verspräche,
die gegenüber den mit dieser Tätigkeit etwa verbundenen Unlust-
gefühlen überwögen. Statt vieler Beispiele ein einziges: Ich be-
kämpfe meine Müdigkeit und stehe nachts um i/gS Uhr auf,
um die Schönheit eines Sonnenaufganges andächtig zu genießen.
Der Seelenkampf, den ich in diesem Falle um ^/gS Uhr in meinem
Bette auskämpfe, ist er Wirtschaft? Nach Liefmanns Definition
wohl zweifellos, denn ich vergleiche mehrere erstrebte Lustgefühle,
Genüsse, — das Wohlbehagen einer völligen Befriedigung meines
noch nicht gestillten Ruhebedürfnisses und den Genuß der Morgen-
röte und des Schweigens im Walde — mit den zu ihrer Er-
langung aufzuwendenden Unlustgefühlen, Opfern — dem Opfer
meiner Nachtruhe oder dem Verzicht auf einen lang ersehnten
Naturgenuß — bin also vor die Frage gestellt, ob ich ein Maximum
Zur Analyse des Geldproblems. 263
von Genuß dadurch erreiche, daß ich auf die Erquickuag des
Schlafes verzichte, um mich an dem genußreichen Spaziergange
zu erfreuen, oder ob ich auf diesen Genuß verzichte, um wohl-
tuender Ruhe zu pflegen. Nein : ich vermag mich nicht zu der
Annahme durchzuringen, daß diese Vorgänge in meinem Innen-
leben „Wirtschaften" seien, ebensowenig wie ich zu glauben ver-
mag, daß das äußere Ergebnis meiner Vergleichserwägungen, der
Morgenspaziergang, einen wirtschaftlichen Vorgang bedeute.
"Die vorstehende Kritik des „psychischen Wirtschaftsbegriffes"
hat Liefmanns Ausführungen ausschließlich in derjenigen
Fassung zum Gegenstande, in der sie in „Geld und
Gold" enthalten sind. Diese Ausführungen halte ich nach
zwei Richtungen hin für verfehlt. Indem sie das Wirtschaften
als „etwas Psychisches", als eine „Art von Erwägungen" definieren,
zwingen sie zu dem Schlüsse, daß Wirtschaften etwas Physisches,
einen Inbegriff von Handlungen, nicht bedeute. Darin glaube ich
— wie ausgeführt — den ersten Fehler erblicken zu sollen. Und
weiterhin glaube ich durch das von mir gewählte Beispiel nach-
gewiesen zu haben, daß die Liefmannschen Vergleichserwägungen
die allgemeine psychische Voraussetzung jeder mensch-
lichen Tätigkeit, nicht nur die besondere psychische
Voraussetzung der als „Wirtschaft" bezeichneten
menschlichen Tätigkeit sind. In der Verkennung dieser Tat-
sache ist meines Dafürhaltens der zweite Fehler des hier erörterten
Wirtschaftsbegriffes enthalten.
Halte ich hiernach meine Kritik für schlüssig — nämlich in
ihrer Beschränkung auf die allein ihr zugrunde liegende Darstellung
Liefmanns in „Geld und Gold" — so halte ich sie für berechtigt
und notwendig, auch wenn sie gegenüber dem Begriffe der „Wirt-
schaft", wie ihn Liefmann an anderer Stelle — so vornehmlich in
seinen „Grundsätzen der Volkswirtschaftslehre" (deren Erscheinen
er in „Geld und Gold" in Aussicht stellt, und deren erster Band
inzwischen — 1917 — erschienen ist) — entwickelt, zweifellos
anders würde ausfallen müssen. Aber: so gewiß anerkannt werden
soll, daß Liefmann im Rahmen des hier behandelten Buches nicht
wohl seinen Wirtschaftsbegriff erschöpfend zu behandeln vermochte,
so gewiß muß doch verlangt werden, daß eine aus technischen
Gründen gekürzte Darstellung eine richtige Darstellung bleibt. Es
würde m. D. nicht zulässig sein, eine falsche Darstellung mit der
Begründung, daß sie nur kurz hätte ausfallen dürfen, gegenüber
einer Kritik, die ihr allein gegenüber nicht widerlegt werden könnte,
aufrechtzuerhalten. Immerhin aber möchte ich den ausdrück-
lichen Hinweis darauf nicht unterlassen, daß in Liefmanns „Grund-
sätzen der Volkswirtschaftslehre" umfangreiche Ausführungen ent-
halten sindi), die sich mit denen meiner Kritik inhaltlich in
weitem Maße durchaus vereinigen lassen, wenn ich auch meiner-
1) Ich möchte dieserhalb auf die Ausführungen S. 67 in Verbindung mit S. 362
und diejenigen auf S. 288 ff. besonders hinweisen.
264 ^*''^ Elster,
seits im Rahmen dieses Aufsatzes darauf verzichten muß, sie einer
eingehenden Erörterung zu unterziehen.
Liefmann rügt, daß die bisherige „technisch-materialistisch-
quantitative" Auffassung der Wirtschaft das Wirtschaften mit
Produktion mit „Sachgüterbeschaffung'* verwechsele i). Ich vermag
nicht zuzugeben, daß die bisherige Nationalökonomie den zwischen
„Produktion und Wirtschaft" bestehenden Unterschied als solchen
nicht anerkannt habe. So definiert insbesondere Philippovich
(Grundriß der politischen Oekonomie, Bd. 1, S. 134)-) die
Produktion als einen zunächst technischen Vorgang, der
allerdings regelmäßig mit einer wirtschaftlichen Erwägung
verknüpft sei. „Jede Produktion erfordert einen Aufwand von
Sachgütern oder wenigstens von Arbeit, Kosten, die nur dann
hingegeben werden, wenn das als Ergebnis zu erwartende
Produit für die Wirtschaft der Menschen höhere Bedeutung ge-
winnt, als den geopferten Sachgütern und dem Unterlassen der Ar-
beitsmühe zukam. Der Wert des Produktes muß größer sein als
der Wert der aufgewandten Kosten. Das wirtschaftliche Moment
der Produktion liegt dann darin, daß die Produktion so eingerichtet
wird, daß dieser Erfolg erreicht wird. Während demnach technisch
die Produktion dann vollkommen ist, wenn das Produkt seiner
Beschaffenheit und. seinen Eigenschaften nach dem ins Auge ge-
faßten Zwecke entspricht, ist sie es wirtschaftlich erst dann,
wenn der dem Produkte zugesprochene Wert höher ist, als der
Wert der Kosten."
Wenn diese Sätze Philippovichs, der hier nur als Vertreter
der herrschenden Auffassung aufgeführt sein soll, meines Darfürhal-
tens ausreichen, um den Vorwurf, Wirtschaft und Produktion würde
miteinander „verwechselt", zu widerlegen, so zeigen sie doch an-
dererseits den Grundfehler der bisherigen Betrachtungsweise, den
Liefmann durchaus zutreffend empfindet, wenn er ihn meines
Erachtens auch nicht mit hinreichender Deutlichkeit in seinem
Wesen erkennt, oder doch nicht hinreichend eindeutig zum Aus-
druck bringt, den Grundfehler nämlich, daß Elemente
des inneren psychischen Geschehens in das ihnen ab-
solut wesensfremde Reich der äußeren körperlichen
Vorgänge übertragen werden. Psychische Begriffe (hier
etwa Mühe, Wert) werden objektiviert und als Eigenschaften den
Dingen der Außenwelt, mit denen sie gar nichts gemein haben,
oktroyiert. Insofern ist die bisherige Wirtschaftsauffassung in der
Tat „materialistische" Nationalökonomie, als sie rein psychische
Fakta, die durch äußere Vorgänge ausgelöst werden oder ein
äußeres Handeln bestimmen mögen, in den Objekten der Außen-
welt gewissermaßen vereigenschaftet wähnt.
Es ist gewiß ein prekäres Unterfangen, einen Denker von
Liefmanns starker Originalität darüber aufklären zu wollen, worin
1) Vgl. Geld und Gold, S. 29.
2) Zitiert ist nach der 11. Auflage; (Tübingen, J. C. B. Mohr, 1916).
Zur Analyse des Geldproblems. 265
sich seine Betrachtungsweise von der von ihm bekämpften in
Wahrheit unterscheidet. Und dennoch glaube ich, diesen Versuch
wagen zu sollen, weil ich der Ueb'erzeugung bin, da-ß nur eine ent-
schiedene Klarstellung nach dieser Richtung hin die genetische
Erklärung für gewisse Fehlschlüsse Liefmanns gibt, wie ich sie
hinsichtlich der von ihm hier vertretenen Definition der Wirtschaft
glaube nachgewiesen zu haben. Liefmann empfindet das Fehlerhafte
jenes Verfahrens, das die ewige Grenzscheide zwischen psychischem und
physischem Sein im Denken überschreitet, und damit den Urgrund
zu begrifflichen Fehlbildungen gegeben hat, deren Inkongruenz mit
dem, was ist, wir heute zu erkennen glauben. Er stellt zutreffend
fest, daß die Objektivierung psychischer Vorgänge es ist, die uns
daran hindert, manche realen Erscheinungen der Volkswirtschaft
in ihrem wirklichen Sein und Wesen zu begreifen. Und aus der
Erkenntnis heraus, daß es vergebliche Liebesmühe bleibt, den psychi-
schen Emolumenten des wirtschaftlichen Geschehens auch in dessen
äußeren Ausdrucksformen nachzuspüren, kommt er zu der Auf-
fassung, daß Wirtschaften überhaupt ein — zu Unrecht im äußeren
Geschehen gesuchter — fein psychischer Vorgang sei, und versteigt
sich schließlich zu dem Satze, da£ Wirtschaften überhaupt „keine
Beziehung des Menschen zu den Gegenständen der äußeren Natur"
bedeute 1). Dem ist nun gewiß nicht so. Alles Wirtschaften ist
Handeln, ist Einwirken auf die Umwelt, auf die Gegenstände der
äußeren Natur. Bestimmt aber wird nach Art und Umfang dieses
äußere Tun durch innere Erwägungen. Und so ist es nicht ver-
fehlt, den Begriff des Wirtschaft^ens selbst aus einem — wenn
auch psychisch bestimmten — so doch äußeren Vorgange herzu-
leiten, wohl aber, äußere Ausdrücke der maßgebenden psychischen
Faktoren in den Objekten der Wirtschaft zu suchen.
Dies mag hier genügen. Die weitere Erörterung wird noch
Anlaß bieten, auf diese Ausführungen im einzelnen zurückzu-
greifen. Nur das eine sei ausdrücklich betont, daß nämlich die
Untersuchungen Liefmanns meines Erachtens kaum hoch genug
bewertet werden können als der — durch die gegenwärtigen Ver-
hältnisse nahezu zwingend gebotene — Versuch einer Nachprüfung
all der Begriffe, mit denen die Nationalökonomie als mit gegebenen
Größen zu rechnen sich gewöhnt hatte, die aber doch einer Ein-
ordnung mancher tatsächlichen Erscheinungen in das von ihnen
beherrschte System den sprödesten Widerstand entgegensetzen.
Im Anschluß an Liefmann und bei Berücksichtigung aller
vorstehend geltend gemachten Einwendungen glaube ich den Begriff
des „Wirtschaf tens*', wie folgt, entwickeln zu dürfen: Wirtschaften
ist Handeln, und zwar unter der Gesamtheit aller menschlichen
Handlungen diejenige Gruppe, die auf die Beschaffung von Mitteln
zur Bedürfnisbefriedigung gerichtet ist. Veranlaßt wird dieses
Handeln durch den gleichen psychischen Motoren, der ausnahmslos
1) Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, S. 67 u. 644.
266 Karl Elster,
jedes menschliche Handeln bestimmt, durch das Streben nach größt-
möglicher Lust, und insofern also bestimmt durch Erwägungen,
die ein Vergleichen von Lust- und Unlustgefühlen, als der vorausge-
setzten Folgen der Handlung, zum Inhalte haben. So unterscheidet
sich das „Wirtschaften" vom Begriff der menschlichen Handlung
schlechthin nicht durch einen spezifisch wirtschaftlichen Zweck
(denn jede Handlung bezweckt Lustgefühle), nicht durch spezifisch
wirtschaftliche Erwägungen (denn jede Erwägung, die zur Hand-
lung führt, ist der von Liefmann richtig dargestellte Vergleicli),
überhaupt durch kein psychisches Moment. Wohl aber unter-
scheidet sich die wirtschaftliche Handlung von jeder anderen durch
ihren Inhalt, indem sie nämlich die (zum Lustgefühl führende)
Befriedigungshandlung nicht selbst unmittelbar darstellt, sondern
mittelbar vorbereitet, indem sie nie das psychische Endziel umgreift,
sondern vor dessen Erreichung (als eigener Begriff) endet. Alles
menschliche Handeln ist »entweder Bedürfnisbefriedigung oder deren
Vorbereitung, und der Unterschied der als „Wirtschaften" bezeich-
neten Handlungen von den übrigen liegt nur in ihrer Entfernung
von dem endgültigen Ziel. Sobald das Mittel, das zur Bedürfnisbe-
friedigung dienen soll, der freien Verfügbarkeit für diesen Zweck
zugeführt ist, hört es auf, Objekt des Wirtschaftens zu sein. Hieraus
ergibt sich die Definition: Wirtschaften bedeutet: Mittel
zur unmittelbaren Bedarfsbefriedigung beschaffen.
In diesen Worten ist der Inhalt des Begriffes restlos erschöpft.
Halte ich hiernach die von Liefmann aufgestellte Definition
der Wirtschaft für verfehlt, so glaube ich desungeachtet, seinen
Untersuchungen über die psychischen Vorgänge, die den wirt-
schaftlichen Willen bestimmen, einen hohen Wert zusprechen zu
sollen. Die Erkenntnis, da£ der Kostenbegriff ein psychi-
scher ist, indem .„Kosten" nichts anderes sind als ün-
lustgefühle, denen das wirtschaftende Individuum sich be-
wußt aussetzt^), um stärker begehrte Lustgefühle zu
erzielen, daß es demgemäß für sie ebensowenig wie
für die Bedürfnisse und den Nutzen (den Liefmann als
den „erlangten Genuß" gegenüber dem Bedürfnis, als „dem er-
strebten Genuß", definiert) einen Ausdruck, das heißt einen
objektiv bestimmbaren Ausdruck geben kann, ist meines Dafür-
haltens von grundlegender Bedeutung. Und demgemäß dürfen die
Bedenken, die auch hier seinen Definitionen gegenüber erhoben
werden müssen, in der weiteren Erörterung unberücksichtigt bleiben,
weil die in diesen Definitionen doch wohl enthaltenen Fehler die
meines Erachtens entscheidende Tatsache, die Subjektivität der
hier erörterten Begriffe, in keiner Weise verdunkeln. Darum sei
nur an dieser Stelle bemerkt, daß ich den Satz Liefmanns ,jNutzen
ist ein erlangter Genuß" für eine reine Scheindefinition halte, der
ich mit gleicher Berechtigung die ebenso wertlose Feststellung
1) Lief mann sagt (Geld und Gold, S. 28): „die man verwendet"; aber Gefühle ver-
wendet man nicht, wie ich denn überhaupt eine schärfere sprachliche Durcharbeitung
seiner psychologischen Erörterungen für durchaus erwünscht halten möchte.
Zur Analyse des Geldproblems. 267
„Genuß ist erlangter Nutzen" entgegenzusetzen vermöchte. Lust-
und Unlustgefühle sind dasjenige, was den Inhalt des Ich, des
Individuums ausmacht, und wie sie selbst als das Ursprüngliche
nicht der Definition, sondern höchstens der tautologischen Um-
schreibung fähig sind, so gilt das Gleiche vom Genüsse als dem
Lustgefühl, dem Bedürfnis, als der Umschreibung der Tatsache,
daJ3 die Unlust dem Ich wesenswidrig ist, vom Nutzen als der
jeweiligen Behebung eines Bedürfnisses. Uns muß die Tatsache
genügen, daß alle diese Begriffe einen rein psychischen Inhalt
haben; einer weiteren Definition sind sie selbst nicht mehr
ZiUgän glich.
Ausgehend von dem subjektiv^en Nutzen- und Kos,teiibegriff,
findet Liefmann das „eigentliche wirtschaftliche Grundproblem"
in der Gegenüberstellung der Arbeitsmühe als Kosten einerseits,
des erstrebten Nutzens andererseits. Und indem er darauf hinweist,
daß dem Gossenschen Gesetze entsprechend die Empfindung des
Nutzens mit wachsender Befriedigung des Bedürfnisses an Stärke
abnimmt, daß dagegen bei der Arbeitsmühe als Kosten jede fol-
gende Aufwendung höher geschätzt, d. h. stärker als Unlust emp-
funden wird, präzisiert er dieses wirtschaftliche Grundproblem, wie
folgt: „Das wirtschaftliche Grundproblem ist also, wie auf an.
sich unbegrenzte, aber an Stärke mit wachsender Befriedigung
abnehmende Bedürfnisse Aufwendungen, Kosten verteilt werden,
deren Umfang nicht von vornherein gegeben ist, sondern die mit
wachsenden Aufwendungen stärker als Unlustgefühle empfunden
werden, und zwar mit dem Ziel einer möglichst großen Bedarfsbe-
friedigung. Dies ist, wie nochmals betont sei, auch das Problem,
das dem ganzen Tausch verkehr zugrunde liegt" i).
Gilt dies für diejenigen Kosten, die m Arbeitsmühe bestehen,
so nicht in gleicher Weise für die Opfer von Sachgütern bezw.
Geld. „Hier wird jede Einheit gleichgeschätzt, und zwar nach
dem Nutzen, den man opfert, den man also nicht mehr erzielt,
und das ist der, den man sich mit einer weiteren verfügbaren Ein-
heit verschaffen könnte" i). Und hiernach stellt Liefmann fest, daß
der Mensch dann wirtschaftlich handele (!), „wenn er seine
Kosten so verteilt, daß der Ueberschuß von Nutzen über die
Kosten, den er mit der letzte auf jede Bedürfnisart noch zu ver-
wendenden Kosteneinheit erzielt, bei allen Bedürfnisarten gleich
groß ist"i).
Auf diesem Wege gelangt Lief mann zu seinem Begriff des „Er-
trages", den er als „Ueberschuß von Nutzen über die Kosten",
also — wie diese beiden selbst — als etwas Psychisches fest-
gestellt wissen will.
Wie ich mich außerstande sehe, Liefmanns Definition der
Wirtschaft als zutreffend anzuerkennen, so gewiß ich anerkennen
möchte, daß er die psychischen Handlungsemolumente, die das
1) Geld und Gold, S. 29.
268 Karl Elster,
Wirtschaften bestimmen, zutreffend erklärt, so vermag ich mich
mit seinem Ertragsbegriffe ebensowenig zu befreunden. Zu-
nächst möchte ich bestreiten, daß es einen „Ueberschuß von Nutzen
über die Kosten" als etwas Selbständiges neben diesen beiden
überhaupt gibt. Gewiß: das Streben auf ein Maximum von Genuß
bestimmt mein Handeln in jedem einzelnen Akt. Keine Handlung
werde ich vornehmen, wenn ich mir nicht eine Verschiebung meines
Zustandes nach der Lustseite hin von ihr verspreche, keine, so-
lange mir eine andere eine stärkere Verschiebung nach dieser
Richtung hin in Aussicht stellt. Aber „Ueberschuß"? Dies ist
ein Begriff aus der Zahlenwe.lt. Er gehört ausschließlich in das
Reich der Arithmetik. Liefmann selbst erkennt ja an, daß dieser
Ueberschuß zahlenmäßig nicht festzustellen sei^). Ein Ueber-
schuß aber, der sich begrifflich (nicht tiur technisch) in
Zahlen nicht ausdrücken läßt, ist eine contradictio in adjecto.
Doch dies nur nebenbei. Gewiß steht fest, daß von verschie-
denen Zuständen (die etwa als Resiultanten divergierender Lust-
und Unlustgefühle gedacht werden mögen, beileibe aber keine Re-
sultanten sind) jeweilig einer stärker als der andere als Lust
empfunden wird. Ist nun wirklich ein solcher Zustand vergleichs-
weise höherer Lust, insoweit er die Folge der auf seine Erzielung
gerichteten Handlungen ist, ein „Ertrag"? Es heißt doch die
Sprache vergewaltigen, will man dieses im Ernst behaupten. Wohl
wäre es denkbar, daß die Sprache für den planmäßig herbeige-
führten gefühlsmäßigen Unterschied zwsichen zwei psychischen Zu-
ständen einen Ausdruck schafft. In unserer Sprache dürfte es
an einem solchen Ausdruck jedenfalls fehlen^ und ist „Ertrag"
ein äußeres Ergebnis, kein psychischer Begriff. Es ist
schlechterdings nicht angängig, feststehenden Begriffen im In-
teresse eines Systems einen beliebig neuen Inhalt zu geben 2). So-
lange Liefmann mir nicht nachweist, daß meine Annahme falsch
ist, die Menschen lebten von dem, was wir Ertrag ihrer Wirtschaft
nennen, oder aber er beweist, daß psychische Begriffe Nährwert
haben, glaube ich, ihm die Gefolgschaft versagen zu müssen.
Hier sehen wir die logische Konsequenz einer falschen Voraus-
setzung, nämlich eben des psychischen Wirtschaftsbegriffes. Ertrag
ist ein Ergebnis des Wirtschaftens. Weil dieses selbst etwas Psychi-
sches sein soll, muß auch der Ertrag — jedem Sprachgebrauche
zum Hohne — ein psychisches Etwas sein. Ich sehe im Wirtschaften
ein äußeres Geschehen, brauche daher also keine Bedenken zu
hegen, auch seinem Ergebnis, dem Ertrage, objektivem Dasein zuzu-
erkennen. Erträge sind Mittel der Bedarfsbefriedigung, die aus
den zu ihrer Beschaffung vorgenommenen Handlungen resultieren.
Jener psychische Tatbestand aber, den Liefmann — zwiefach ver-
fehlt — als einen „Ueberschuß" und als „Ertrag" bezeichnet, ist
1) Geld und Gold, S. 29.
2) Daß diese Ausführungen zu denen über die „Substitution des Grundes" (cf. unten
S. 288) nur scheinbar im Gegensatze stehen, dürfte der Begründung nicht bedürfen.
Zur Analyse des Geldproblems. 269
das Ergebnis der Bedarf sbefriedigung. Wirtschaft — Ertrag —
Befriedigungshandlung — Genuß (Lust, Nutzen).
Und doch halte ich auch hier wieder die psychologischen
Feststellungen Liefmanns insoweit für unbedingt zutreffend, als
er ausführt, daß das wirtschaftende Individuum nach dem jeweilig
größten Nutzen strebt, der seinerseits das Gesamtergebnis der nach
den entgegengesetzten Richtungen tendierenden Lust- und Unlust-
gefühle ist, daß also der Entschluß zu jeder wirtschaftlichen Hand-
lung nicht nur durch die Aussicht auf die aus ihr zu erwartendje
Lustwirkung, sondern durch diese bei gleichzeitiger Berücksich-
tigung der etwa mit ihr verbundenen Unlustempfindungen bestimmt
wird. Und ich halte es für unwiderleglich, daß die Gesamtheit der
Kostenaufwendungen in der Weise verteilt wird, daß das Ergebnis
(das heißt aber nicht ihr ,, Nutzenüberschuß" oder gar ihr „Ertrag",
sondern schlechthin ihr Nutzen als Gesamtwirkung), das mit der
letzten für jede Bedürfnisart aufgewendeten Kosteneinheit erzielt
wird, bei diesen allen gleich stark als Lust empfunden wird. Den
Lusteffekt, der durch die für jede Bedürfnisart aufgewendete letzte
Kosteneinheit noch erzielt wird, nennt Lief mann den „Grenz-
ertrag", das Prinzip, das die Kosten Verteilung auf die einzelnen
Bedürfnisarten regelt, nennt er „das Gesetz des Ausgleichs
der Grenzerträge".
Dieses Prinzip, für das ich im folgenden die Bezeichnung
„Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge" beibehalte, beherrscht
als Organisationsprinzip den gesamten Tausch verkehr, „die Volks-
wirtschaft". Liefmann führt aus, daß mit der Entwicklung des
Tauschverkehrs sich die wirtschaftliche Tätigkeit in zwei Teile
spalte — die letzten Endes dann ein Ganzes bilden, und zwar
zusammengefaßt in der subjektiven Einheit des wirtschaftenden
Individuums — in die „Erwerbswirtschaften" und die „Konsum-
wirtschaften". Er formuliert diesen Gegensatz wörtlich, wie folgt:
„Im Tausch verkehr wird jeder tätig, wendet Kosten auf zunächst für
die Befriedigung des Bedarfes anderer .... wenn er erwartet, daß
auch er sich im Wege des Tausches seine Bedürfnisse befriedigen
kajin. . . . Dadurch zerfällt die wirtschaftliche Tätigkeit in . . .
Erwerbswirtschaft und Konsumwirtschaft. Der Wirtschafter er-
strebt zunächst in seiner Erwerbstätigkeit einen möglichst hohen
Geldertrag und verwendet ihn dann in seiner Konsumwirtschaft
als Kosten nach dem Gesetze des Ausgleichs der Grenzerträge" i).
Und weiter : , Jn der Erwerbswirtschaft sind . . . Nutzen und
Kosten Geldsummen ; Kosten sind Geldsummen und an
Stelle der Bedarfsbefriedigung tritt als Nutzen ebenfalls eine Geld-
summe. Als Ziel einer solchen Erwerbswirtschaft, die aber nach
unserer psychischen Auffassung immer nur eine Teilwirtschaft,
ein Teil der eigentlichen, erst in der Konsumwirtschaft abschließen-
den wirtschaftlichen Erwägungen ist, erscheint dann nicht mehr
1) Geld und Gold, S. 30.
270 Karl Elster,
Bedarfsbefriedigung, Nutzenüberschuß, Konsumertrag, sondern ein
Geldreinertrag. Man darf aber nie vergessen, daß dieser in der
dahinter stehenden Konsumwirtschaft dem erstrebten Nutzen
psychisch gegenübergestellt wird'^i).
Nachdem ich meine Einwendungen gegen Liefmanns Termino-
logie bereits eing\ehend zur Geltung g-ebracht habe, bedarf es
in diesem Zusammenhange nur noch einer Bemerkung: Liefmann
führt aus, daß derjenige, der „im Tausch verkehr tätig wird", zu-
nächst Kosten für die Befriedigung des Bedarfes anderer aufwendet,
und daß hierdurch die wirtschaftliche Tätigkeit in zwei Teile,
die „erwerbswirtschaftliche" und die „konsumwirtschaftliche" ge-
spalten werde. Ich halte dieses für uneing'eschränkt richtig. Zu
dieser Spaltung führt der Tauschverkehr. Wenn Lief mann aber
bereits im folgenden Satze das Ziel der Erwerbswirtschaft in
einem Geldertrage erblicken will, so zwingt er zu der Frage:
Ist denn die von ihm festgestellte Spaltung der Wirtschaft erst
eine Erscheinung der Geldwirtschaft? Seine weiteren Aus-
führungen legen diese Annahme nahe, und doch ist sie meines
Erachtens unvereinbar mit der von ihm gegebenen Unterscheidung
der Erwerbs- und Konsumwirtschaft, für die es eines Geld Ver-
kehrs noch nicht, eines Tauschverkehrs aber gewiß bedarf.
Hier liegt meinem Epfinden nach eine Unklarheit, die denn
auch nicht ohne nachteiligen Einfluß auf seine weiteren Deduk-
tionen zu bleiben vermag 2). Der nachstehenden Darstellung habe
ich geglaubt als Auffassung Liefmanns die Feststellung zugrunde
legen zu sollen, daJ3 die trotz ihrer höheren Einheit im wirt-
schaftenden Subjekt bestehende Spaltung der Wirtschaft in Er-
werbs- und Konsumwirtschaft entstanden und durchgebildet sei
mit der Entwicklung des Tauschverkehrs. Da Wirtschaften
„Mittel zur Bedarfsbefriedigung beschaffen" heißt, ist vor Durch-
bildung des Tauschverkehrs naturgemäß kein wirtschaftlicher Akt
denkbar, dessen Ergebnis — als ein zum Tausche bestimmtes Gut —
zu einer Bedarfsbefriedigung nur auf dem Wege über fremde Wirt-
schaftssphären führt.
Der Tauschverkehr ist es, der die Spaltung der Wirtschaft in
die beiden Zweige „Erwerbswirtschaft" und „Konsumwirtschaft" be-
wirkt. Und wenn in der noch ungeteilten Wirtschaft (vor der
Entstehung des Tauschverkehrs) jede Kostenaufwendung (um bei
Liefmanns Terminologie zu bleiben) dem „Gesetze des Ausgleichs
der Grenzerträge" folgt, und damit ihre jeweilige Begrenzung
gegeben ist, so ergabt sich nunmehr für Liefmann die Frage, wie
und wodurch sich nach erfolgter Trennung von „Konsum- und Er-
werbswirtschaft" die Kostenaufwendungen bestimmen, „da sie ja
hier nicht mehr für die eigene Bedarfsbefriedigung erfolgen und
daher nicht direkt dem erstrebten Nutzen gegenübergestellt wer-
den können" 3).
1) Geld und Gold, S. 30, 31.
2) Vgl. hierzu weiter unten S. 277.
3) Geld und Gold, S. 31.
Zur Analyse des Geldproblems. 271
Ich hege Zweifel, ob Liefmann hier das Problem in seinem
Kerne erfaßt hat. Indem die Erwerbswirtschaft hinter dem Kosten-
gute bereits das Genußgut erblickt, ist meines Erachtens an sich
die Voraussetzung für den Vergleich von Unlust und Lust durchaus
gegeben, und besteht meines Dafürhaltens keinerlei Anlaß, in der
Frage, bis zu welchem Ende Aufwendungen für Kostengüter vor-
genommen werden mögen, ein besonderes Problem zu suchen. Diese
Aufwendungen werden so lange vorgenommen, als sie durch den
von dem erstrebten Genußgute erwarteten Nutzen nach dem
Grenzausgleichsgesetze gerechtfertigt werden. Auch die Aufwen-
dungen in der Erwerbswirtschaft werden dem durch sie erstrebten
Nutzen „direkt gegenübergestellt". Dies bleibt Tatsache, auch wenn
dieser Nutzen nicht von der Verwendung des Gutes zur unmittel-
baren Bedarfsbefriedigung (nicht von seiner Verwendung als Genuß-
gut), sondern von seiner Verwendung zur mittelbaren Bedarfsbe-
friedigung im Wege des Tausches (von seiner Verwendung als
Kostengut) erwartet wird.
Nicht die Frage: wodurch bestimmen sich die Kosten im
Tauschverkehr? ist (wie Lief mann behauptet) das Grundproblem
des Preises, sondern eine andere Frage : die Frage nämlich, worauf
es zurückzuführen ist, daß verschiedene Güter, die sämtlich Kosten
(Unlustempfindungen) verursacht haben, sämtlich als Mittel der
Bedarfsbefriedigung Nutzen (Lustgefühle) bringen, sich erfahrungs-
gemäß in bestimmten festen Verhältnissen austauschen,
obwohl weder ihre Kosten (als psychische Zustände verschiedener
Subjekte), noch ihr Nutzen (der gleichfalls einen rein subjektiv-
individualistischen Inhalt hat) kommensurabel sind. Ein Gut (G)
ist unter Kosten hergestellt worden, die als k bezeichnet werden
mögen, es kann in gleicher objektiver Form immer wieder herge-
stellt werden — aber imm^er wieder mit nur anderen Kosten (k 1,
k 2 usw. bis k x). Dasselbe Gut G schafft als Genußgut einem
Abnehmer (Erwerber) einen Nutzen (n), wie es denn ebensogut
unter anderen Umständen diesem selben oder irgendeinem anderen
Erwerber einen Nutzen n 1 (oder n 2 usw. bis n x) zu bereiten
vermöchte. Der Veräußerer dieses Gutes hat für seine Hingabe
ein anderes Gut (für ihn ein Genußgut) G 2 erhalten. Auch dieses
hat seinem Veräußerer Kosten verursacht, die mit x bezeichnet
werden mögen, kann beliebig unter Kosten (x 1, x 2 usw. bis x x)
reproduziert werden, hat seinem Erwerber einen Nutzen v bereitet»
und hätte zweifellos es vermocht, diesem selben oder auch einem
anderen Erwerber auch einen Nutzen v 1, (v 2, v x) zu bereiten.
Daß dieser Tauschakt G gegen G 1 zustande kommen konnte,
beweist zweierlei, nämlich:
1) daß jeder Erwerber zur Zeit des Tausches sich von dem
Gebrauch des erworbenen Gutes einen stärkeren Genuß ver-
sprach, als von dem des veräußerten, und
2) daß keiner der Tauschenden sich von einer anderen tausch-
weisen Verwendung seines Gutes einen noch höheren Lust-
272 K*"^^ Elster,
erfolg versprach, als von der Verwendung in dem tatsächlich
erfolgten Tausche.
Dieser Tauschakt beweist aber nichts
1) bezüglich des Verhältnisses der auf beide Güter verwendeten
Kosten,
2) bezüglich des Verhältnisses der durch ihren Genuß herbei-
geführten (oder von ihrem Genüsse erwarteten) Nutzeffekte.
Auf den hinlänglich widerlegten Wahn, daß „Güter von
gleichem Werte sich gegeneinander eintauschen", brauche ich nicht
einzugehen. Nur folgendes Ergebnis sei festgestellt:
1) Der Vorgang dieses Tausches erklärt sich ohne die Annahme
irgendwelcher Beziehungen zwischen k und x über die er
nichts beweist.
2) Der Vorgang dieses Tausches ist in gleicher Weise unab-
hängig von irgendwelchen Beziehungen zwischen n und v.
3) k ist so wenig durch %, n so weni^ durch v ausdrückbar
(sei es als ein Vielfaches, sei es als ein Teil, sei es als ein
Mehr (4-) oder ein Weniger ( — ), wie es angängig ist, die
Neuralgien, an denen eine Person leidet, zu der Gicht oder
den Zahnschmerzen einer anderen in irgendeine vergleichende
Beziehung zu setzen.
So weit die Ergebnisse, wenn der Tauschakt G und G 1 in
wirtschaftlicher Isolierung betrachtet wird. Fügt man ihn ein
in den Eahmen des umfassenderen wirtschaftlichen Vorganges, von
dem er ein Teil ist, so läßt sich noch ein weiteres Ergebnis ge-
winnen :
Daß nämlich weder G noch G 1 von ihren Herstellern zu
Tauschzwecken beschafft worden wären, wenn nicht ihre Kosten —
k und % — als Unlustempfindungen geringer empfunden wären,
als der von ihrer Aufwendung erwartete Genuß — v und n —
stark empfunden wird. Mit anderen Worten: k ist kleiner als n,
% ist kleiner als v, wobei ich indessen besonders betonen möchte,
daß der Ausdruck „kleiner*' hier nur zur Illustration eines Ver-
hältnisses gebraucht werden soll, das exakt auszudrücken der
Sprache jedes Mittel fehlt. Denn „groß" und „klein" sind (trotz
ihres gelegentlichen Gebrauches in übertragenem Sinne) Begriffe
aus der Körperwelt, und daß es entsprechend eindeutige Ausdrücke
für dieVergleichung von Gefühlsstärken nicht gibt, ist nur die Folge
der Tatsache, daß Gefühle exakter Messung und damit der Ver-
gleichung unzugänglich sind. Es ist dies die gleiche Tatsache,
die mich zwingt, den Liefmannschen „Ertrag" als „Ueberschuß"
abzulehnen und der Bezeichnung „Ueberschuß" in diesen Zu-
sammenhängen höchstens als einer Analogie (hier nicht aus
der Körperwelt, sondern aus der Zahlenwelt) Berechtigung
zuzuerkennen. Es gibt keinen „Ueberschuß", der nicht das
Ergebnis eines Subtraktionsexempels wäre. Liefmanns „Ertrag"
als Eealität anerkennen, hieße die Realität der Gleichungen v — k
= e (Ertrag) und n— x = s (Ertrag) anerkennen. Diese Gleichungen
Zur Analyse des Geldproblems. 273
aufstellen heißt aber meines Dafürhaltens ihre Unmöglichkeit
klarstellen.
Diese Untersuchungen beweisen meines Erachtens unwider-
leglich :
1) daß die Begriffe „Nutzen" und „Kosten" zwar voll ausreichen,
um die Tatsache, daß Tauschhandlungen vorkommen, zu er-
klären ;
2) daß aber diese beiden Begriffe uns nichts darüber zu sagen
vermögen, warum sich regelmäßige (feste) Tauschverhältnisse
zwischen den Gütern entwickeln konnten, wie dieses doch
tatsächlich der Fall ist, das heißt wie Preise entstehen.
Wenn Liefmann dieses Problem, wie folgt, faßt: „Wodurch
bestimmen sich die Kosten im Tauschverkehr?", stellt er damit
bereits die Frage nach der Höhe der Preise, obwohl
die Vorfrage, worauf die Existenz von Preisen als
irgendwie und durch irgend etwas gesetzmäßig bestimmter
Wirtschaftserscheinungen beruht, zunächst der Beantwor-
tung harrt. Die Frage, wie sich solche regelmäßigen Aus-
tauschverhältnisse zwischen den Gütern bilden können, worauf
ihre Existenz zurückzuführen ist, da „Nutzen" und „Kosten"
allein sie nicht erklären, das ist die Frage, die an die Spitze
der Preistheorie zu stellen ist.
Liefmann behauptet, daß es eine „wirkliche Preistheorie" bis-
her nicht gegeben habe. Darin stimme ich ihm bei. Er glaubt
aber seinerseits eine solche zu geben. Hierin glaube ich ihm wider-
sprechen zu müssen. Auch er gibt keine. Doch bevor ich mich
mit ihm dieserhalb auseinandersetze, kann ich es nicht umgehen,
seine Preistheorie in der Fassung, wie er sie in „Geld und Gold"i)
aufstellt, hier wörtlich wiederzugeben. Liefmann sagt:
„Dieses Problem: Wodurch bestimmen sich die Kosten im
Tauschverkehr? ist das Problem des Preises, das Hauptproblem
der ganzen ökonomischen Theorie, von dem die bisherige Wirt-
schaftstheorie aber gar keine Ahnung hatte, weil sie das Angebot
als gegeben annahm. Daher ist nichts so berechtigt wie meine Be-
hauptung, daß es eine wirkliche Preistheorie bisher überhaupt
noch nicht gegeben habe. Man lese nur, was bisher über das Ver-'
hältnis von Preis und Kosten gelehrt wurde. Immer wurde be-
hauptet, daß der Preis durch die Kosten bestimmt werde, auch die
sogenannte subjektive Wertlehre ist darüber nicht hinausgekommen.
Aber es ist gerade das Problem, wie und in welchem Umfange
Kosten auf die Beschaffung dieses oder jenes Gutes verwendet
werden. Diese Kosten nennt man im Tauschverkehr das Angebot,
und das Angebot, also das Maß der Kostenaufwendung zu erklären, ist
die erste Aufgabe der Preistheorie. Und zwar ist es zu erklären gegen-
über Bedürfnissen, hier Nachfrage genannt, die ebensowenig wie die
Bedürfnisse in der einzelnen Konsumwirtschaft als festgegebene
1) S. 31 ff.
Jahrb f Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 18
274 ^'^''^ Elster,
Größen anzusehen sind, sondern die an sich unendlich sind, aber
mit wachsender Befriedigung an Stärke abnehmen. Dieses Problem,
wie es nicht gegebenen, unendlich mannigfaltigen Bedürfnissen
gegenüber im Tauschverkehr zu Kostenaufwendungen, zu einem
Angebot kommt, und wie sich daraufhin die Preise bilden,
mußte der bisherigen Wirtschaftstheorie als absolut unlösbar er-
scheinen. Man beachte nur, wie die vielgerühmte sogenannte Preis-
theorie der Oesterreicher Angebot und Nachfrage einfach als quan-
titativ und zahlenmäßig gegebene Größen annimmt. Unser
Problem, das wirklich dem Tauschverkehr zugrunde liegt, ist nur
lösbar mit dem Ertragsgedanken, den freilich noch neuestens
Theoretiker für ganz überflüssig erklärten. In Wirklichkeit aber
ist er, wie auch jede Beobachtung schon zeigt, die Richtschnur für
alles wirtschaftliche Handeln. Ein gewisses Minimum von Geld-
ertrag nämlioh, das ich tauschwirtschaftlichen Grenzertrag nenne,
bestimmt die Kosten, die eine Erwerbswirtschaft auf die Dauer
höchstens noch auf das Angebot eines Gutes oder einer Leistung
aufwenden kann, und bestimmt damit den Preis dieses Gutes. Das
gilt für alle im Tauschverkehr angebotenen Güter und Leistungen.
So lange wenden sich also Erwerbstätige mit ihrer Arbeitskraft
oder ihrem Kapital einem Erwerbszweige zu, als sie in demselben
noch mindestens den tauschwirtschaftlichen Grenzertrag zu er-
zielen erwarten. Durch das Ertragstreben aller Erwerbstätigen
vollzieht sich also auch hier ein Ausgleich der Grenzerträge, bezw.
es besteht eine Tendenz zum Ausgleich, der allerdings zur völligen
Durchsetzung im heutigen Wirtschaftsleben gewisse Hindernisse im
Wege stehen. Alle Erwerbstätigen mit geringeren Kosten erzielen
über den Grenzertrag hinausgehende Erträge. Der Grenzertrag
wird dann, wie alle Erwerbserträge, in der Konsumwirtschaft Ein-
kommen und dort als Kosten geschätzt, muß also so hoch sein,
um angesichts der bisherigen Preise den Beziehern die dem Kultur-
zustande entsprec]iende Lebenshaltung zu ermöglichen. Dadurch
und durch die Möglichkeit, Kosten entweder auf dieses oder
auf jenes anzubietende Gut zu verwenden, hängen alle Preise zu-
siammen. Auch das war der bisherigen Theorie, die den Preis eines
Gutes aus dem Angebot von und der Nachfrage nach diesem Gut
selbst allein erklären wollte, völlig unbekannt geblieben. Nennt
man die Anbieter, die gerade no€h jenes Ertragsminimum, den
tauschwirtschaftlichen Grenzertrag erzielen, die Grenzanbieter, ihre
Kosten für jede Güterart die Grenzkosten, so ist jeder Preis zu-
sammengesetzt aus Grenzkosten plus tauschwirtschaftlichem Grenz-
ertrag, wobei der letztere die in der ganzen Volkswirtschaft ge-
gebene Größe ist, die überall die Kosten ;bestimmt und, wie gesagt
selbst eine Komponente aller Preise aller Genußgüter ist."
So weit 'Liefmann. Ich stimme — wie erwähnt — in der
Auffassung mit ihm überein, daß es eine „wirkliche Preistheorie"
noch nicht gebe. An der Spitze der heutigen Preistheorien steht
der Satz: „Der Preis ist die Menge von Gütern, die man im
Zur Analyse des Geldproblems. 275
Tauschverkehr für ein Gut erhält." [Philippovich, Grundriß der
politischen Oekonomie, Bd. 1, S. 254 1).] Und ebenso im Hand-
wörterbuch der Staatswissenschaften 2) (Artikel: Preis): „Die
Menge von Gütern, die man im Tausche für ein Gut empfängt,
nennt man dessen Preis."
Es lohnt sich, diese Definitiouien, die man schon mit Kücksicht
auf die Stellen, wo sie Aufnahme gefunden haben, als klassisch be-
zeichnen dürfte, eingehend zu untersuchen, anstatt — sie aus-
wendig zu lernen.
Der Preis ist „eine Menge von Gütern", die man für „ein
Gut" erhält. Ist es — wie diese Definition uns glauben machen
könnte — ein essentiale des Preises, daß er eine Mehrzahl von
Gütern ausmachte, denen „das Gut" als körperliche Einheit gegen-
überstünde? Wohl kaum. Drei Beispiele seien gestattet: A
empfängt für einen Zugochsen eine Kuh oder zwei Ziegen. Sind
zwei Ziegen „ein Preis", nicht aber eine Kuh? Die Frage stellen
heißt sie beantworten. Die Mehrzahl ist so wenig das essentiale des
Preises, wie etwa die Einzahl „ein Gut" in der Definition einen
Gegensatz zu einer Mehrzahl bedeuten soll. Ein drittes Beispiel
wäre: A empfängt für zwei Ziegen einen Zugochsen. Hier dürfte
ich folgerichtig sagen: Preis ist das Gut, das man im Tausch ver-
kehr für eine Menge von Gütern erhält. Dies feststellen, heißt nicht
Worte spalten. Es ist unzulässig, in einer Definition verschiedene
Ausdrucksmittel zu verwenden, wenn man nicht auch etwas Ver-
schiedenes mit ihnen ausdrücken will. Und warum geschieht es?
Es klingt hart, ist nichtsdestoweniger aber zutreffend: aus einer
ihrer selbst nicht recht bewußten Verlegenheit heraus. Der „Preis"
ist ja nicht schlechthin „ein Gut". Unterschied muJ3 sein, und
so scheut man sich, zweimal „ein Gut" oder zweimal „eine Menge
von Gütern" oder zweimal alternativ „ein Gut oder eine Menge von
Gütern" einander gegenüberzustellen. Entschließt man sich aber,
dieses zu tun, so bleibt (als einfachste der drei möglichen Fassungen)
der Satz : Preis ist das Gut, das man im Tausch verkehr für ein
Gut empfängt. Sachlich ist noch nichts geändert, aber eine ter-
minologische Zweideutigkeit ist eskamotiert. Jetzt zeigt sich ohne
weiteres, worin das essentiale des Preises als eines vom allgemeinen
Begriffe „Gut" geschiedenen Sonderbegriffes nach dieser Definition
allein bestehen kann. Darin nämlich, daß er empfangen wird. Alsp :
Von zwei gegeneinander ausgetauschten Gütern ist dasjenige
„Preis", das empfangen, dasjenige nicht, das hingegeben wird.
Mit anderen Worten : der Begriff des „Preises" wäre von dem des
Gutes schlechthin (bzw. von dem der Ware?) dadurch geschieden,
daß ein Gut „Preis" ist, insoweit dier Wille des Tauschenden auf
seinen Erwerb gerichtet ist, nicht aber Sioweit er auf seine Hingabe
geht? Das wäre ja an sich denkbar, aber so ist es nun einmal nicht.
1) 11. Auflage.
2) 3. Auflage.
18*
276 ^^i*^ Elster,
Diese Definition des Preises, die den Ausgangspunkt der
ganzen Preislehre bildet, ist ein fundamentaler Fehlgriff. Dies
lehrt die Sprache, die den „Preis" so gut entrichtet und gezahlt
wie empfangen werden läßt, dies lehrt vor allem aber der Satz, der
bei Philippovich der Definition des Preises unmittelbar folgt : „Da,
wo ein allgemeines Tanschgut, Geld, gebraucht wird, wird unter
Preis die Menge von Geldeinheiten verstanden, die im Tauschver-
kehr für ein Gut gegeben (!) wird^i). Für den Begriff des Preises
ist es also doch gleichgültig, ob er gezahlt (gegeben) oder
empfangen wird! Wäre es ein essen tiale des Preises, daß
er empfangen wird, so wäre es unmöglich den Geldpreis, der
als Unterbegriff des Preises vor allem eben doch Preis ist, als eine
für ein Gut gegebene Geldmenge zu definieren. Liegt also der
Unterschied des „Preises*' von dem Gut, für das er entrichtet oder
empfangen wird, auch nicht in der subjektiven Betrachtungsweise,
mit der die tauschenden Subjekte speziell dem einen der getauschten
Güter gegenüberstehen, begründet, so dürfte die hier kritisierte
Definition auch lauten : Preis ist ein Gut, das im Tausch verkehr
gegen ein anderes Gut gegeben oder empfangen wird. Oder: Preis
ist Gut, und Gut ist Preis. Wie singen die Hexen im Macbeth?
„Fair is foul, and foul is fair.''
Die Frage, wie diese Definition des Preises zu entstehen ver-
mochte, ist unschwer zu beantworten. Zu der Zeit, als sie entstand,
gab es Preise, und zwar Geldpreise, da es eine Geldwirtschaft gab.
Und da man in der Geldwirtschaft nur eine I^ortbildungsform der
ursprünglichen Tauschwirtschaft — und dies mit Recht — er-
blickte, glaubte man den „Preis" als einen Begriff der Tauschwirt-
schaft schlechthin ansehen zu sollen, dessen spezielle Erscheinungs-
form in der Geldwirtschaft der Geldpreis sei. Und hierin liegt der
Irrtum begründet. Der Preis ist erst ein Begriff aus
der Geldwirtschaft, besteht erst, weil und solange diese be-
steht und ist aus dem primitiven Vorgange des Warentausches so
wenig zu gewinnen, wie der Begriff des Geldes aus ihm sich ge-
winnen läßt. Es gibt keinen Begriff des Preises, der nicht den
des Geldes zur notwendigen Voraussetzung hätte. Preis eines
Gutes (oder einer Leistung) ist die in Geld gewährte
(oder empfangene) Gegenleistung, wobei der Begriff des Geldes
nur in seiner allgemeinsten und ursprünglichen Bedeutung (in der
des allgemeinen Tauschvermittlers) zu verstehen ist. Keine Geld-
wirtschaft — kein Geld — kein Preis. Der Geldpreis ist nicht
eine spezielle Form des Preises, sondern jeder Preis ist begrifflich
Geldpreis. Und wenn in der Sprache des täglichen Lebens ge-
legentlich auch eine Gegenleistung, die nicht in Geld ausgedrüdct
ist, einmal als Preis bezeichnet wird, so ist diese Tatsache kein
Beweis gegen die Richtigkeit meiner Feststellung, da die Verwen-
dung von bestimmten Ausdrücken in abgeleiteter oder übertragener
1) Grandriß der politischen Oekonomie, S. 254.
Zur Analyse des Geldproblems. 277
Bedeutung sprachlich durchaus zulässig und alles andere, als selten
ist, ohne daß es deshalb angängig wäre, den Inhalt eines Begriffes
aus einer derartigen Verwendung des ihn deckenden Wortes her-
zuleiten.
In dieser Auffassung begegne ich mich insofern mit Liefmann,
als auch er in dem allgemeinen Gebrauch eines Tausch-
mittels die notwendige Voraussetzung für die Ent-
stehung von Preisen erblickt i). Ich stelle dies um so lieber
fest, als ich im übrigen zwischen seinen und meinen Ausführungen
einen fundamentalen Gegensatz glaube konstatieren zu müssen.
Denn die Frage, in der Liefmann das Problem des Preises erblickt :
Wodurch bestimmen sich die Kosten im Tauschve^rkehr? ergibt sich
für ihn aus der Tatsache, daß die im Tauschverkehre Tätigen
ihre Kosten zunächst für die Befriedigung des Bedarfes anderer
aufwenden, sie ihre Kosten also — wie er annimmt, ich es be-
streite — nicht direkt dem erstrebten Nutzen entgegenzustellen
vermögen. So findet er das Problem in einer Tatsache, die dem
Tauschverkehr schlechthin, nicht nur dem Geldverkehr eigentümlich
wäre, will dieses Problem aber lösen, indem er seinem Lösungsver-
suche das Bestehen eines Geldverkehrs stillschweigend als Voraus-
setzung zugrunde legt. Hier rächt sich also der Mangel an Klar-
heit bei Formulierung seines Ausgangspunktes, auf den ich bereits
(S. 270) hingewiesen habe, die Verwischung der Begriffe Tauschwirt-
schaft und Geldwirtschaft, die doch nicht schlechthin gleichbe-
deutend sind. Lief mann sagt: der Tauschverkehr stellt uns
vor ein neues Problem, dieses Problem ist das des Preises; aber
er setzt bei seinem Lösungsversuch einen Geldverkehr voraus,
von dessen Bestehen sein Problem selbst unabhängig ist. Dem-,
gegenüber vermag ich in der Frage, wie sich im Tauschverkehr die
Kosten bestimmen, noch kein besonderes Problem zu entdecken 2).
Für mich liegt das Problem in der Frage, wie sich regelmäßige,
feste Austauschverhältnisse zwischen den Gütern zu entwickeln ver-
mögen, da die Begriffe „Nutzen" und „Kosten" dieser Güter
allein sie noch nicht erklären. Ich behaupte aber nicht, daß
dieses Problem ein Problem des Tauschverkehrs schlechthin ist,
werde vielmehr nachzuweisen suchen, daß Preise im nationalöko-
nomischen Sinne erst mit dem Geldverkehr und durch ihn sich
entwickelt haben. Wenn ich daher das Preisproblem mit dem Geld-
problem verknüpfe — indem ich behaupte, daß es erst mit dem
Gelde entstanden und darum auch nur aus dem Gelde zu erklären
ist — so suche ich die Lösung des Problems auf dem gleichen
Boden, auf dem es meiner Auffassung nach auch erwachsen ist.
Anders, und darum meines Erachtens verfehlt, Liefmann. Er
faßt das Problem als ein durch den Tauschverkehr schlechthin
1) Vgl. Geld und Gold, S. 92: „Sobald ein Tauschmittel so allgemein gebraucht
wird, daß es zu Preisen führt, "
2) Vgl. oben S. 270.
278 Karl EUter,
gegebenes und sucht die Erklärung in Elementen des Geld Ver-
kehrs, die dem ursprünglichen Tausch verkehr noch fremd sind.
Liefmanns Preistheorie setzt sich aus der Frage: „Wodurch
bestimmen sich die Kosten im Tausch verkehr?" und jener Antwort
zusammen, die ich mit Rücksicht auf die Bedeutung, die Lief mann
selbst diesen Ausführungen beimißt, wörtlich i) hier wiedergegeben
habe. Mein Bedenken, daß Fragestellung und Antwort eine Un-
stimmigkeit enthalten, indem sie von verschiedenen Voraussetzun-
gen (Tauschverkehr — Geldverkehr) ausgehen, habe ich hervor-
gehoben. Des weiteren bin ich der Ansicht, daß die Antwort, auch
losgelöst von der Frage, unschlüssig ist. Liefmann trägt als „wirk-
liche Preistheorie" vor, was folgt:
1) Ein gewisses Minimum von Geldertrag (der „Grenzertrag")
bestimmt die Kosten eines Gutes und damit den Preis. Kurz
gesagt: der Grenz ertrag bestimmt den Preis.
2) Der Grenzertrag, der dann wie alle Erwerbserträge in
der Konsumwirtschaft Einkommen wird, „muß so hoch sein, um-)
angesichts der bisherigen Preise den Beziehern die dem Kulturzu-
stande entsprechende Lebenshaltung zu ermöglichen." Ich kann
diesen Satz durchdenken, wie ich will, und komme immer wieder
zu dem Ergebnis : Die Preise bestimmen den Grenzertrag.
Der Grenzertrag bestimmt die Preise, und die Preise bestimmen
den Grenzertrag. Oder: die Preise sind es, die die Preise be-
stimmen. Das ist also die uns bisher versagt gebliebene „wirk-
liche Preistheorie"? Sie will mich nicht so recht befriedigen und
erinnert lebhaft an die bekannte Feststellung des Onkel Bräsig,
daß die Armut von der Powerteh herkomme.
Die hier zerlegten Sätze Liefmanns sind nun gewiß durchaus
nicht wertlos. Ich halte sie in sich für richtig, insow^eit sie 'den
Zusammenhang aller Preise untereinander und ihren
Zusammenhang mit den Einkommen ausdrücken. Aber sie
setzen den Begriff des Preises, den eine Preistheorie zunächst
zu geben hat, als gegeben voraus und erklären die Entstehung
von Preisen aus anderen Preisen. Und so dünkt mich Liefmanns
Ergebnis: Jeder Preis ist zusammengesetzt aus Grenzkosten plus
tauschwirtschaftlichem Grenzertrag, denn doch nicht der Gewinn für
die Wissenschaft zu sein, für den es Liefmann selbst in an sich
begreiflicher Vaterfreude auszugeben geneigt ist.
Den von Liefmann aufgestellten Satz, daß der Preis gleich den
Grenzkosten plus dem tauschwirtschaftlichen Grenzertrage sei,
greift Otto Heyn in seinem Aufsatze „Probleme des Geldwesens" 3)
an. Er will wohl zugeben, daß „im großen und ganzen der tausch-
wirtschaftliche Grenzertrag maßgebend sei für die weiteste Grenze
1) S. 273, 274.
2) Soll heißen: so hoch sein, daß er . . . ermöglichte. Oder: hoch genug, um
zu ermöglichen.
3) Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 10, Heft 2, S. 161 ff.
Zur Analyse des Geldproblems. 279
des Angebots"!) und „daß der Preis durch die Konkurrenz vielfach
tatsächlich auf ein solches Niveau herabgedrückt wird''^), erklärt
es aber für unrichtig, daß „der Preis sich immer auf dieses
Niveau stellt*' i). Es liegt außerhalb des Rahmens dieses Auf-
satzes, dieser Streitfrage des näheren nachzugehen, und so möchte
ich mich auf die Bemerkung beschränken, daß meines Dafürhaltens
Heyn den Liefmannschen Satz in etwas mißverstanden hat. Ich
glaube nicht annehmen zu sollen^ daß Liefmann mehr sa^en will,
als daß die Preise die Tendenz haben, sich auf dem durch Grenz-
kosten und Grenzertrag gebildeten Niveau zu halten. Er will
wohl kaum bestreiten, daß Konstellationen eintreten können, die
bestimmte Preise über dieses Niveau zeitweise erheben. Aber auch
Heyn wird nicht bestreiten wollen, daß derartige Preissteigerungen
in d er Folge wieder auf eine Vermehrung des Angebotes, und damit
auf eine Preissenkung hinwirken müssen. Wenn Heyn aber aus
seiner Kritik die Folgerung zieht, daß es „geraten sei, zu der älteren
Lehre von Angebot und Nachfrage zurückzukehren" 2)^ so dürfte
dieser Vorschlag zur Güte doch wohl bedenklich stimmen. Wie ich
die Ausführungen Liefmanns glaube verstehen zu dürfen, will er die
„Lehre von Angebot und Nachfrage" nicht sowohl ersetzen,
als ergänzen und vertiefen, indem er gegenüber dem Dogma:
Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis ; die ergänzende Frage
aufwirft: Welche Umstände bestimmen denn nun Angebot und
Nachfrage, die die bisherige Theorie als gegebene Größen nahm?
Und selbst wenn er diese Frage unzutreffend beantwortet hätte,
was — wie ich glaube — durchaus nicht der Fall ist, so würde
es alsdann nur gelten, die richtige Antwort zu geben, anstatt
— wie Heyn dies will — auf die Beantwortung der Frage kurzer-
hand zu verzichten.
Ich habe behauptet: Nutzen und Kosten als psychische Be-
griffe erklären den Tausch, geben uns aber noch nicht den Schlüssel
für die Entstehung von Preisen. Denn die Preise bedeuten eine Pro-
portion zwischen den Gütern des Tauschverkehrs. Proportionen
aber, die begrifflich Zahlenausdrücke sind, können nicht bestimmt
werden durch Faktoren, die des zahlenmäßigen Ausdrucks unfähig,
der quantitativen Erfassung nicht zugänglich sind. Ich habe ver-
sucht, diese Behauptung durch die Analyse eines isolierten Tausches
zu beweisen.
Ich habe des weiteren behauptet, daß Preise erst in und mit
einer Geldwirtschaft entstanden seien, vorausgesetzt, daß der Be-
griff „Geld" ganz allgemein gefaßt werde. (In und mit der
Geldwurtschaf t, nicht aus ihr oder durch sie; denn ich
halte — wie sich des weiteren ergeben wird — diese beiden Er-
scheinungen und noch eine dritte (das Einkommen) als notwendig
parallell miteinander, nicht als auseinander entstanden.)
1) S. 166.
2) S. 167.
280 K*'l Elster,
Einen Beweis für diese weitere Behauptung habe ich nicht ange-
treten, vielmehr nur den vorbereitenden Nachweis unternommen, daß
angesichts eines isolierten Tauschaktes (ein Zugochse wird gegen
eine Milchkuh eingetauscht) eine Leistung nicht wohl der anderen
als „Preis" begrifflich gegenübergestellt werden könne, daß aber,
wenn dem so ist, die herrschende Definition des Preises verfehlt
sei. Ich will nunmehr den Versuch machen, den Beweis, den ich
bisher noch schuldig geblieben bin, zu führen. Als Ausgangspunkt
meiner Deduktion nehme ich auch dieses Mal die herrschende Lehre
in der Fassung, wie ich sie bei Philippovichi) vorfinde. Dort
steht, was folgt:
„Haben wir auf Seite der Käufer
die Wertschätzungen 10 987654321
auf Seite der Verkäufer 123456789 10,
so werden nur die ersten 5 Paare zum Tausch kommen, und der
Preis wird sich höher als 5, aber niedriger als 6 stellen.**
Das Beispiel ist lehrreich: Zunächst bringt es den Preis,
der eine in Zahlen ausgedrückte Größe ist (höher als 5,
niedriger als 6) in unmittelbare organische Beziehung
zu „Wertschätzungen", die gleichfalls in Zahlen aus-
gedrückt werden. Nun will ich dem nicht widersprechen,
daß man — aber immer nur für ein bestimmtes Subjekt — eine
Skala der Wertschätzungen aufstellen und zur Bezeichnung ihrer
Reihenfolge Zahlen nehmen mag. Dann aber darf man zweierlei
nicht außer acht lassen :
Einmal, daß diese Zahlen nicht mehr bedeuten, als die Dar-
stellung einer Reihenfolge d. h. 10 > 9, 9 > 8 usf., daß aber
jede sonstwie geartete arithmetische Operation, zu der die Zahl
so leicht verführt, widersinnig ist. (So etwa der Schluß 2x5 = 10,
2 + 6 = 8, was ja gewiß arithmetisch richtig ist, aber verfehlt ist,
sobald — wie hier — die Zahlen nur eine ganz beschränkte Be-
deutung haben 2).
Und zweitens, daß man zwar solche Skalen für beliebig
viele Personen aufstellen kann, daß aber alsdann diese Zahlen Be-
deutung nur innerhalb jeder einzelnen Reihe haben, wohingegen
keinerlei Beziehung zwischen den Zahlen, auch den gleichen Zahlen
(8 = 8, 5 = 5) der verschiedenen Reihen angenommen werden darf.
Diese zweite Tatsache, daß 5 in der ersten Reihe imd 5 in
der zweiten Reihe nicht nur nicht gleich, sondern schlechthin in-
kommensurabel sind, wird in dem hier erörterten Beispiel einfach
ignoriert.
Ich halte zunächst an der Annahme fest, daß diese Zahlen
wirklich „Wertschätzungen" ausdrücken. Dann also stellt sich der
1) Grundriß der politischen Oekonomie (11. Auflage), Bd. 1, S. 259.
2) Gefühlsstärken durch Zahlengrößen versinnbildlichen, ist vernünftige Analogie.
Man mag schließlich sagen : Meine Kopfschmerzen heute sind halb so stark wie gestern,
aber Unfug wäre eine arithmetische Gleichung, in der die heutigen Kopfschmerzen
w&hrend des ganzen Tages den gestrigen während des halben Tages gleichgesetzt würden.
Zur Analyse des Geldproblems. 281
Preis zwischen die „Wertschätzung" 5 und die „Wertschätzung" 6,
wobei 5 ein Empfindungsausmaß bei A, 6 ein solches bei B vor-
stellt. Mich dünkt, dieses Ergebnis ist absurd genug, um das
Vorhandensein eines logischen Fehlers in dem erörterten Beispiel
zu beweisen.
Dieser logische Eehler liegt in der zahlenmäßigen Gleichstellung
einmal der Wertschätzungen verschiedener Subjekte, vor allem aber
der „Wertschätzungen" (als psychischer Zustände) mit dem Preise
(der — mag er sein was er will — jedenfalls kein psychischer
Zustand ist). Das Beispiel führt nämlich alsbald zu richtigen Er-
gebnissen, sobald man annimmt, daß die Zahlenreihen nicht „Wert-
schätzungen", also psychische Zustände versinnbildlichen,
sondern zahlenmäßig bestimmte Güterquanten ausdrücken,
die die Nachfrager für den Erwerb des Gutes zu geben bereit sind
und für die die Anbieter dieses Gut abgeben wollen. (Nur neben-
bei sei bemerkt, daß Philippovich hier nicht von Nachfragern und
Anbietern spricht, sondern Käufer und Verkäufer einander gegen-
überstellt, d. h. Begriffe, die erst mit der Geldwirtschaft existent
werden. Ich will aus dieser Terminologie keine weiteren Fol-
gerungen ziehen, doch scheint sie mir für den engen Zusammen-
hang des Geld- und Preisbegriffes, der meiner Auffeissung nach ein
notwendiger, weil begrifflicher ist, recht charakteristisch zu sein.)
Setzt man die Zahlen 10 bis 1 und 1 bis 10 als Güter- (Geld-)
Quanten, so ist das Ergebnis des Beispieles durchaus schlüssig.
Dann bedeuten die Zahlen nicht nur das Darstellungsmittel für
differenzierte Gefühlsstärken, sondern wirkliche Zahlen; dann ist
die 5 in beiden Reihen das gleiche; ist die 10 = 2x5 = 8 + 2. Und
dann ist ein Preis, der zwischen 5 und 6 steht, etwas durchaus
Reales, ein meßbares Güterquantum.
Man sage nicht, daß dieses, und nur dieses, in dem Beispiel
gemeint sein könne, und daß die Folgerungen, die ich aus der
ersten (dem Wortlaute durchaus genügenden) Auslegung gezogen
habe, Sophistik oder Scholastik sei. Diesem Vorwurfe würde die
Interpretation begegnen, die Philippovich selbst dem Ausdruck
„Wertschätzung" gibti): „dieser Ausdruck 2) setzt sich aber sowohl
auf Seiten der Käufer wie auf Seiten der Verkäufer aus zwei Kom-
ponenten zusammen: aus der Wertschätzung der Ware und aus
der Wertschätzung des Preisgutes, des Geldes." Also: ein Geld-
quantum bedeutet er nicht.
Aus dieser doppelten Analyse des Beispieles ergeben sich zwei
Folgerungen, deren Bedeutung ich für schwerwiegend halte:
1) Wären nämlich die Zahlen wirklich der exakte Ausdruck
von „Wertschätzungen" in gleicher Weise, wie sie ein exakter Aus-
druck des Preises sind, so ergäbe sich der Preis unmittelbar aus
der „Wertschätzung", wäre er als Proportion psychischer Zustände
1) a. a. O. S. 260.
2) nämlich: „Wertschätzung".
282 Karl Elster,
erklärt. Da aber diese Zahlen tatsächlich nicht „Wertschätzungen",
sondern Güterquanten sind, ist der organische Zusammenhang, an
den das Beispiel uns glauben machen könnte, unterbrochen.
2) Um zum Preisbegriff zu gelangen, bedarf man des Quan-
tentausches, das heißt: eine gesetzmäßige Preisbildung setzt
eine Mehrheit von Tauschakten (bzw. Tauschangeboten) voraus,
bei denen auf der einen Seite Quanten des gleichen Gutes ange-
boten, auf der anderen Seite verlangt werden. Nun wird man zuzu-
geben g eneigt sein, daß eine Verkehrskonstellation, bei der auf der
einen Seite immer wieder Quantitäten des gleichen Gutes verlangt
werden, das Begehren also vor allem auf möglichst große Quanten,
gegenüber denen die stofflichen Eigenschaften zurücktreten, ge-
richtet ist, das Charakteristikum der Geldwirtschaft ist. Denn die
Sonderstellung des als Geld fungierenden Gutes unter den Wirt-
schaftsgütern liegt ja vornehmlich darin begründet, daß es als
Quantum, und nur als Quantum, begehrt wird, daß die stoff-
lichen Eigenschaften (die als die Voraussetzung einer Eig-
nung zur speziellen Bedarfsbefriedigung die Nachfrage nacli den
Waren bestimmen) beim Gel de hinter dem Quantum völlig zurück-
treten. Von einer Preisbildung kann erst gesprochen werden, wenn
den individuellen Waren — Ochse, Kuh, Ziege, Beil — auf
der anderen Seite Quanten desselben Gutes gegenüberstehen.
Dann aber sind wir bereits berechtigt, dieses Gut als „Geld"
(im ursprünglichen Sinne) anzusprechen.
Dieses Ergebnis bietet Veranlassung, noch einmal auf die klassi-
scjhe Preisdefinition zurückzukommen. Diese definiert ja den Preis
als Quantum, als Gütermenge. Daß es mit dieser Definition
allein nicht getan ist, glaube ich nachgewiesen zu haben. Und
doch beweist sie ein (freilich mehr instinktiv) richtiges Gefühl
für den Preisbegriff, ein richtiges Gefühl dafür, daß es im reinen
Individualtausch einen Preis nicht gibt. Denn der Preis ist ein
Quantitätsbegriff, nur daß nicht jedes Quantum eines beliebigen
Gutes „Preis" ist, sondern nur ein Quantum desjenigen Gutes,
das vornehmlich als Quantum begehrt wird, d. h. des Geldes.
Ich fasse meine Ergebnisse, wie folgt, zusammen:
1) Der Preis (im konkreten Sinne) ist die in Geld ausge-
drückte Gegenleistung für eine (individuell bestimmte) Leistung.
2) Preise (im abstrakten Sinne) sind die in Geld ausgedrückten
Austauschverhältnisse der Güter.
3) Preise sind hiernach begrifflich Quantitätsverhältnisse,
Zahlenverhältnisse.
4) Nutzen und Kosten sind quantitativ, zahlenmäßig nicht
auszudrücken ; somit kann der Preis als quantitativer, zahlenmäßiger
Begriff we^der ein Ausdruck des Nutzens noch der Kosten sein.
5) Das abstrakte Preisproblem begreift die Frage, worauf es
zurückzuführen ist, daJ3 sich die' wirtschaftlichen Güter nach
zahlenmäßigen Verhältnissen unter den Wirtschaftssubjekten aus-
tauschen, obwohl ihre letzten Beziehungen zu diesen Subjekten
Zur Analyse des Geldproblems. 283
(Nutzen und Kosten) zahlenmäßig nicht ausgedrückt zu werden
vermögen. Mit anderen Worten: die abstrakte Preistheorie hätte
die Antinomie aufzulösen, die darin begründet liegt, daß jede ein-
zelne wirtschaftliche Handlung durch Nutzen und Kosten bestimmt
und erklärt wird, daß aber — obwohl diese beiden Emolumente des
wirtschaftlichen Geschehens in Zahlen nicht faJßbar und inkommen-
surabel sind — dennoch die wirtschaftliche Gemeinschaft sich zu
zahlenmäßig faßbaren Beziehungen zwischen den wirtschaftenden
Subjekten in ihrem Verhältnis zu den Objekten der Wirtschaft zu
entwickeln vermochte.
6) Für die konkrete Preistheorie ist die Tatsache, daß der
Güteraustausch überhaupt in zahlenmäßigen Proportionen vor sich
geht, nicht mehr Problem, sondern die gegebene Voraussetzung.
Nicht wie der Preis als Zahlenbegriff an sich entstanden ist, son-
dern in welcher Höhe sich die Preiszahlen in den einzelnen mög-
lichen Fällen stellen werden, ist ihr Problem. Sie sucht die Ge-
setze, die die Höhe dieser Zahlen maßgeblich bestimmen.
Ich muß den Fortgang meiner eigenen Betrachtungen hier
unterbrechen, um noch einmal auf Liefmanns „Preistheorie" zurück-
zukommen. Trotz aller Einwendungen gegen die herrschende Preis-
theorie, die ich glaubte zur Geltung bringen zu sollen, gelange doch
auch ich zu dem Ergebnisse, da3 die „Preise" (im abstrakten
Sinne) die (in Geld ausgedrückten) Austauschverhältnisse
zwischen den Gütern sind. Nach Liefmanns Preistheorie ist
dieses Ergebnis falsch, ist es „ein Irrtum, der von den MetaJlisten
und Nominalisten in gleicher Weise geteilt wird"i), ein Irrtum,
„auf dem die ganze heutige Wirtschaftstheorie beruht" i). „Wenn
ein Paar Stiefel, ein Lehrbuch der Nationalökonomie und eine Eeise
nach Berlin je 20 "M. kosten, so bedeutet das keinerlei Austausch-
verhältnisse zwischen jenen drei „Gütern". Unter den Tausenden,
die nach Berlin fahren oder sich ein Paar Stiefel kaufen, und
unter den Hunderten, die sich das Lehrbuch der Nationalökonomie
kaufen, ist vielleicht kein einziger, der das eine gegen das andene
geben würde." Aus diesem Satze, dessen Wahrheit ich nicht be-
streite, kann meines Dafürhaltens nur ges'chlossen werden, daß der
gleiche Preis dreier Güter nicht der objektive Ausdruck gleichen
Nutzens, daß der Preis überhaupt kein Ausdruck des Nutzens
ist. Und diese Feststellung mag der Vollständigkeit halber nochmals
dahin ergänzt werden, daß auch die Kosten den Preis nicht er-
klären. Die Kosten der Herstellung (usw.) nicht, wie ich
bereits ausgeführt habe; ab'er auch die Kosten der Beschaffung
nicht, denn sie sind erst die Folge der Tatsache, daß der Preis
schon da ist. Der Preis bestimmt sie, nicht sie bestimmen den
Preis. Daß drei Güter den gleichen Preis haben, bedeutet aber,
daß ihre Beschaffung für jedes einzelne Individuum das
gleiche Kostenausmaß involviert (für jedes von mehreren aller-
1) Geld und Gold, S. 100,
2g4 Karl Elster,
(lings ein verschiedenes), und ferner, daß diese Güter aus jedem
Einkommen mit der gleichen Einkommensquote beschafft wertlen
können. Und wenn von zwei Gütern das eine 20 M. kostet, das
andere 10 M., so sagt dieses Verhältnis zwar nichts mehr über das
Kostenausmaß aus, wohl aber besagt es, daß aus jedem Einkommen
das eine Gut zweimal so oft beschafft werden kann, als das andere.
Und diese Tatsache, daß alle Güter zu den Einkommen in einem
durch die Preise bestimmten Verhältnisse stehen, kann meines Da-
fürhaltens — ohne daß der Sprache oder Logik Gewalt geschähe —
als ein „Verhältnis" zwischen diesen Gütern selbst bezeichnet
werden. Und da dieses „Verhältnis zwischen den Gütern*' nur
im Tauachverkehr und durch ihn existent wird, und weiter nur
unter der Voraussetzung, daß dieser Tauschverkehr sich bereits
in den Formen eines Geldverkehrs abspielt, darum nenne ich es
das „in Geld ausgedrückte Austauschverhältnis der Güter", und
darum halte ich diese Bezeichnung für unanfechtbar.
Ich muß zu meinem aufrichtigen Bedauern feststellen, daß
es mir trotz angestrengten Bemühens überhaupt nicht gelingen will,
aus den Ausführungen Liefmanns über die „Austauschverhältnisse"
zu entnehmen, was er nun eigentlich für richtig hält, und was
für falsch. Auf Seite 100 schreibt er wörtlich: „Die ganze Vor-
stellung, daß das Geld ein Austauschverhältnis zwischen den Gütern
ausdrücke, ist verkehrt, ist nur eine Folge der hergebrachten Ver-
wechslung von Wirtschaft und Technik. Das Wesen des Geldes
besteht gerade darin, daß es als allgemeines Tauschmittel zu „Aus-
tauschverhältnissen" zwischen sich und den Gütern führt, d. h.
zu Preisen, die aber kein Austauschverhältnis zwischen den Gütern
selbst sind, usw." Dieser Satz ist eindeutig. Er kann nur dahin
verstanden werden, daß es „Austauschverhältnisse" zwischen dem
Gelde und den Gütern gebe, und daß diese Austauschverhältnisse
eben die Preise seien. Oder nicht? Denn zwei Absätze weiter
verkündet 'Liefmann mit der gleichen Sicherheit: „Auf Grund
unserer ganzen Wirtschaftstheorie erkennen wir, daß auch die Vor-
stellung eines Austauschverhältnisses zwischen dem Geld und den
Gütern irrig ist, auf dem logischen Irrtum beruht, von dem die
ganze bisherige Wirtschaftswissenschaft als „Güterlehre" erfüllt
ist." Wer hat nun recht? Liefmann oder Liefmann? Und wenn
er im folgenden Satze behauptet : „Es gibt in der Wirtschaftswissen-
schaft überhaupt keine Beziehungen zwischen den Dingen, son-
dern nur Beziehungen der Dinge zu den Menschen", so werde ich
mich wohl hüten, diesen Satz zu diskutieren, da ich mich noch zu
gut erinnere, bei Liefmann gelesen zuhaben, daß „Wirtschaften über-
haupt keine Beziehung des Menschen zu den Gegenständen der
äußeren Natur bedeute" i). Wirtschaften bedeutet keine Beziehung
des Menschen zu den Dingen, aber in der Wirtschaftswissenschaft
gibt es nur Beziehungen der Dinge zu den Menschen. Mein Scharf-
1) Vgl. Anm. 1 zu S. 265.
Zur Analyse des Geldproblems. 285
sinn reicht nicht aus, um aus diesen Antinomien die wahre Mei-
nung Liefmanns zu ergründen, und darum glaube ich diese Er-
örterungen abbrechen zu dürfen, um wieder zu meinen eigenen
Darstellungen zurückzukehren.
Das abstrakte Preisproblem wird deutlich, wenn man die ur-
sprüngliche Wirtschaft dem modernen Wirtschaftsverkehr gegen-
überstellt und die für beide charakteristischen Unterschiede her-
vorhebt :
Die ursprüngliche Wirtschaft beginnt und vollendet ihren Lauf
in einer abgeschlossenen Wirtschaftssphäre. Ein Ineinandergreifen
dieser Wirtschaftssphären findet nicht statt. Die Begriffe „Er-
werbswirtschaft" und „Konsumwirtschaft'' sind noch gegönstands-
los. Alle Wirtschaft ist Produktion.
Der Tausch ist die Wurzel der modernen Wirtschaft. Er ist
der erste Wirtschaftsakt, der nicht Produktion ist, der nicht
„schaffen" bedeutet, sondern nur „beschaffen". Er schlägt die
Brücke zwischen den Wirtschaftssphären. Und indem er zur wieder-
kehrenden, zur regelmäßigen Erscheinung wird, führt er zu einer
Produktion für den Tausch, d. h. zu wirtschaftlichen Akten,
die nur unter der Voraussetzung von Verkehrsbeziehungen zwischen
den verschiedenen Wirtschaftssphären vorgenommen werden, zu
erwerbswirtschaftlichen Akten, deren Objekte solche der Konsum-
wirtschaft in einer fremden Wirtschaftssphäre werden.
Die moderne Wirtschaft beruht auf dem beständigen Inein-
andergreifen aller Wirtschaftssphären. Die Spaltung der Wirtschaft
in „Erwerbswirtschaft" und „Konsumwirtschaft" ist durchgeführt.
Alle Erwerbswirtschaft hat nur ein Ziel: „Einkommen". Alle
Konsumwirtschaft, deren Ziel die individuellen Bedarfsgüter sind,
nur ein Mittel: „Einkommen". Das „Einkommen" ist es, das
innerhalb der einzelnen Wirtschaftssphären die Ver-
bindung zwischen der Erwerbs- und der Konsumwirtschaft bildet.
Zwischen den verschiedenen Wirtschaftssphären sind
es die „Preise", die die Verbindung herstellen. Denn die Preise,
die aus den Einkommen der Konsumwirtschaften gezahlt werden,
bilden die Einkommen fremder Erwerbswirtschaften. Hieraus
erhellt zugleich die untrennbare funktionelle Be-
ziehung zwischen den Einkommen und den Preisen.
In der ursprünglichen Wirtschaft ist jede Wirtschaftssphäre
auf sich selbst gestellt. Eine Verteilung der aus verschiedenen
Wirtschaftssphären stammenden Güter auf die verschiedenen Wirt-
schaftssphären kommt nicht in Frage. Alles Wirtschaften ist
Produktion. Einkommen und Preise sind ungeborene Begriffe.
In der modernen Wirtschaft bedarf der Produktionsprozeß der Er-
gänzung durch den Prozeß der Güterverteilung. Diese Verteilung,
die Wirtschaften ist, aber nicht Produzieren ist, zu bewirken, ist
die kombinierte Funktion der Einkommen und der Preise. Sie sind
das der modernen Wirtschaft eigentümliche Mittel, die ihr im Ver-
296 ^*>^l Elster,
gleich mit der ursprünglichen Wirtschaft eigentümliche Aufgabe,
die Produktenverteilung, durchzuführen. Nun ist Verteilen eine
rein arithmetische Funktion. Jede Verteilung erfolgt zahlenmäßig
und nur zahlenmäßig. So kann der kombinierte Verteilungs-
schlüssel, den die Einkommen und die Preise abgeben, nur ein rein
zahlenmäßiger sein, und die begriffliche Wesenheit der Einkommen
und der Preise kann nur die sein, daß sie Verhältniszahlen sind.
Das von mir auf anderem Wege bereits gewonnene Ergebnis, daß
„Preise begrifflich Zahlenverhältnisse" seien, wird durch diese
Ueberlegung bestätigt, die gleichzeitig also zu dem Ergebnisse führt,
daß auch die Einkommen Zahlenverhältnisse und nur Zahlenver-
hältnisse sind.
Das Ziel jedes einzelnen wirtschaftlichen Aktes ist der Nutzen.
Er und sein Widerspiel, die Kosten, erklären uns den ursprünglichen
Wirtschaftsprozeß. Innerhalb der modernen Wirtschaft wird ein
mächtiger Komplex wirtschaftlicher Handlungen, der Verteilungs-
prozeß, von der Zahl beherrscht. In Zahlen kann weder der Nutzen
noch können die Kosten zum Ausdrucke gelangen ; denn sie sind
nicht meßbar und nicht kommensurabel. Wie dieser Vertei-
lungsprozeß sich einzuordnen vermochte in das von
Nutzen und Kosten bestimmte Geschehen: das ist das
Problem der Wirtschaft. Was ich als das abstrakte Preis-
problem bezeichnet habe, ist nur eine Seite dieses Problems, wie das
Problem des Einkommens auch nur eine seiner Erscheinungs-
formen ist.
Eine höhere Einheit, die die Begriffe Nutzen und Kosten
und die die Zahlen — die sämtlich für uns letzte und endgültige
Begriffe sind — noch wieder zusammengreift, ist menschlichem Er-
messen nicht mehr faßbar. So steht das Problem der Wirtschaft
jenseits der Grenzen, die menschlichem Forschen gesteckt sind.
Dieses begreifen, heißt das Problem lösen, wie denn auch die
mathematische Wissenschaft die Aufgabe als gelöst ansieht, deren
Unlösbarkeit sie bewiesen hat.
Uns mag die Feststellung genügen, daß Nutzen und Kosten
als wirtschaftliche Grundbegriffe die Vorgänge des wirtschaft-
lichen Verteilungsverkehrs, den die Zahl beherrscht, nicht erklären.
Ich glaube, daß schon diese Erkenntnis ein Fortschritt ist, der uns
dem Ziele, einem Begreifen des Geldproblemes, nähert. Denn sie
zwingt bei Betrachtung der Erscheinungen des Geld Verkehrs zu
deren Loslösung von den „psychischen' Wirtschaftsfaktoren'' und
macht den Streit um den „Wert" des Geldes, der den Brennpunkt
des Streites um das Geld überhaupt bildet, gegenstandslos.
Das Ergebnis meiner Betrachtungen fasse ich dahin zusammen,
daß die Preise und die Einkommen nichts anderes sind als die
Verhältniszahlen, nach denen der Produktenverteilungsprozeß in
der modernen Volkswirtschaf t vor sich geht. Steht nun weiter fest —
und diese Feststellung dürfte nicht zu bestreiten sein — daß die
Zur Analyse des Geldproblems. 287
Einkommen und die Preise in „Geld" ausgedrückt werden, so
halte ich den Schluß für zwingend:
Auch das Geld kann nur ein reiner Zahlenbegriff sein, da
Zahlenverhältnisse (Einkommen und Preise) eines weiteren Aus-
druckes als dessen in Zahlen (eben in Geld) nicht mehr fähig
sind. Danach wäre das „Geld" zu bestimmen als die
rechnerische Einheit, die der Produkten Verteilung in
der modernen Wirtschaft zugrunde liegt, als der Ge-
neralnenner des Produktenverteilungsverkehrs.
Ich habe einleitend bemerkt, daß ich es mir nicht zur Aufgabe
machen kann, eine ökonomische Theorie des Geldes aufzustellen und
zu begründen. Diese Betrachtungen erheben nicht den Anspruch
darauf, ein geschlossenes System darzustellen. Bausteine sollen sie
sein, und wenn sie als solche der Arbeit anderer dienen, so ist das
Ziel erreicht, das ich mir glaubte stecken zu dürfen.
So muß ich davon absehen, die Folgerungen aus meiner Auf-
fassung vom Wesen des Geldes nach allen Richtungsmöglichkeiten
hin zu ziehen. Nur andeutungsweise möchte ich noch bemerken,
was folgt:
Wie das Geld die Ausdrucksform der Einkommen und der
Preise ist, so ist es auch eine Form, die Vermögen auszudrücken.
Und so könnte ich mir vorstellen, daß die Tatsache, daß die Ver-
mögen doch keinen Falles bloß-e Zahlenbegriffe sind, zu dem Ein-
wände Veranlassung geben könnte, daß dann ihr Ausdruck, das
Geld, ebenfalls nicht eine bloße Zahl zu sein vermöchte. Ich möchte
wenigstens andeuten, wie dieser Einwand zu widerlegen ist: Sach-
liche Vermögensobjekte lassen sich in Geld nur auf dem Umwege
über ihre präsumptiven Preise ausdrücken. Somit ist ihr Ausdruck
in Geld ein Preisausdruck. Guthaben aber (und entsprechend
ihr Widerspiel, die Verbindlichkeiten), die allerdings unmittelbar in
Geld ausgedrückt werden, sind ihrerseits selbst nur zahlenmäßige
Erscheinungen im Produktenverteilungsprozeß. Um diesen Satz zu
beweisen und gleichzeitig die Zusammenhänge aufzudecken, die
zwischen diesen Erscheinungen auf der einen Seite, den Einkommen
und den Preisen auf der anderen Seite bestehen, bedürfte es einer
Analyse des Kredites, die außerhalb des Rahmens dieses Aufsatzes
liegt. Hier mag der Hinweis darauf genügen, daß die Wesensver-
schiedenheit zwischen dem Sachvermögen und dem Forderungsver-
mögen wohl nie verkannt ist, daß sie — um nur em Beispiel zu
nennen — bei jeder Vermögensstatistik berücksichtigt wird, und
daß sie kurz dahin gefaßt werden darf, daß das eine (das Sachver-
mögen) aus den realen Objekten des Güterverteilungs-
prozesses besteht, das andere (das Forderungsvermögen) ein
funktioneller Faktor der Güterverteilung ist — nicht
anderes als die Einkommen und die Preise, mit denen es in seinen
hier nicht erörterten funktionellen Beziehungen letzten Endes inner-
lich zusammenhängt.
Und noch eine letzte Bemerkung ist in diesem Zusammenhange
unerläßlich :
2gg Karl Elster,
Es ist schon wiederholt mit Recht bemerkt worden — und auch
Liefmann weist darauf hin i) — daß die Vielheit der über das Wesen
des Geldes vertretenen Lehrmeinungen nicht zuletzt darauf zurück-
zuführen ist, daß die einander widerstreitenden Theoretiker völlig
voneinander verschiedene Forschungsobjekte als „Geld" bezeichnet
und zum Gegenstande ihrer Untersuchungen gemacht haben, so
daß alsdann die Verschiedenheit ihrer Ergebnisse und Folgerungen
sich aus der Verschiedenheit der Voraussetzungen ohne weiteres
und mit Notwendigkeit ergibt. Und so ist es gewiß, daß der aus
meinen Untersuchungen sich ergebende Geldbegriff a limine und mit
durchaus schlüssiger Begründung von jedem abgelehnt werden wird,
der unter Hinweis auf den Sprachgebrauch die Geldzeichen —
sei es sämtliche, sei es nur gewisse (von den „Surrogaten*' geschie-
dene) Gruppen unter ihnen — mit dem Begriffe „Geld" selbst
identifiziert. Denn Geldstücke und Geldscheine sind Begriffe aus
der Körperwelt, keinen Falles reine Zahlenbegriffe, nach der hier
aufgestellten Definition also kein Geld. Ich scheue mich nicht,
diese Folgerung ausdrücklich zu ziehen, daß die Geldmünzen aller
Art, die Banknoten und die Kassenscheine kein „Geld" sind, daß
sie nur „Geldzeichen" sind.
In seinem Buche „Von kommenden Dingen" weist Walter
Rathenau auf eine Erscheinung hin, die er die „Substitution des
Grundes" nennt. Sie besteht darin, daß Einrichtungen häufig im
Namen und den Attributen gleich bleiben, trotzdem ihr Inhalt im
Laufe der Entwicklung ein völlig anderer geworden ist. Dies
„rührt daher, daß die Zahl der Einrichtungsformen begrenzt ist,
daß die Trägheit und Oekonomik des Geistes sich gern vorhandener
Formeln bedient, und daß die Stetigkeit des zeitlichen Fortschreitens
den Augenblick schwer erkennen läßt, in welchem die Wahl eines
neuen Begriffs und Namens, das Abstreifen abgestorbener Organis-
men und das Einsetzen neuer Betrachtungsweisen am Platze
wäre" 2).
Der Güterverkehr hat sich seit seinem Bestehen als des Mittels
seiner technischen Durchführung körperlicher Gegenstände bedient;
ursprünglich bestimmter für seine Zwecke stofflich besonders ge-
eigneter Waren, späterhin der besonders für diesen Zweck ge-
schaffenen Gebilde, der Münzen und Scheine. Die Sprache nennt
sie Geld. (Muschelgeld, Viehgeld, Münzgeld, Papiergeld usf.)
Während aber in früheren Wirtschaftsepochen diese technischen
Mittel des Güterverteilungsverkehres einen jeden Verkehrsakt aus-
nahmslos vermittelten, ist die Entwicklung — teils automatisch, teils
bewußt bestimmt durch Maßnahmeoi staatlicher G^ldpolitik —
in der Richtung auf ihre fortschreitende Verdrängung weiter ge-
gangen. Nur ein immer geringer werdender Bruchteil der Umsätze
im Güterverteilungsverkehr geht heute noch unter Zuhilfenahme
1) Geld und Gold, S. 93.
2) a. a. O. S, 73.
Zur Analyse des Geldproblems. 289
körperlichen Geldes vor sich. Seine völlige Ausschaltung — ob sie
jemals eintreten wird, kann völlig offen bleiben — ist nur eine
Frage der Verkehrstechnik. Jedenfalls aber erkennen wir auch
diejenigen Umsätze, die ohne Inanspruchnahme von Geldzeichen
vor sich gehen, als solche des Geldverkehrs an, und auch solche
Leistungen, die nicht durch Uebergabe von Geldstücken getätigt,
die nur im Wege der Verrechnung bewirkt werden, nennen wir
Geldleistungen.
Beim Gelde ist die „Substitution des Grundes*' am Werke ge-
wesen. Die bei der Erörterung des Geldproblems vorherrschende
geschichtliche Betrachtungsweise^ der dieses Phänomen nur zu
leicht entgeht, hat sie übersehen. Liefmann hat sie in voller Schärfe
erkannt. Ich zitiere ihn wörtlich i):
„Dieses Rechnungsmittel 2), in welchem also die Konsumwirt-
schaften ihre Kosten und die Erwerbswirtschaften Nutzen und
Kosten veranschlagen, in welchem beim Tauschverkehr die Preise
ausgedrückt werden, in denen die Einkommen stecken, die dann
wieder Grundlage für den Konsum werden: dieses ßechnungs-
mittel ist also etwas ganz anderes, als das Geld im eigentlichen
Sinne. Und doch benutzt der Sprachgebrauch dieses Wort schon
unendlich oft in diesem übertragenen Sinne, in dem an die staat-
lichen Zahlungsmittel nicht im geringsten gedacht wird. Wegen
dieser Vieldeutigkeit des Begriffes Geld ist auch die Geldtheorie
von der metallistischen Auffassung noch nicht losgekommen. Hätte
man für die abstrakte Eechnungseinheit im Tauschverkehr, wie
sie z. B. bei allen Bankgeschäften zugrunde liegt, wo das bare
Geld eine verschwindende Rolle spielt, ein besonderes Wort, so
hätte man wohl schon längst das Wesen des Geldes richtiger er-
kannt und wahrscheinlich auch die meisten Irrtümer der ökonomi-
schen Theorie, die ja fast alle mit dem Gelde zusammenhängen,
vermieden." Und weiter: „Wollte man für die Tatsache, daß
eine abstrakte Rechnungseinheit heute alle Umsätze vermittelt und
in der Einzelwirtschaft als Kosten bewertet wird, einen besonderen
Ausdruck, so könnte man diese Rechnungseinheit vielleicht als
„Nenner" in übertragener Bedeutung bezeichnen."
Nun ist es gewiß das freie Recht eines jeden, der sich berufen
fühlt, das körperliche Geld ausschließlich zum Objekt seiner For-
schung zu wählen, seine Funktionen zu analysieren, und aus dieser
Analyse seine Folgerungen zu ziehen. Nur muß man verlangen,
daß ein solches Tun sich der Grenzen seines Bereiches bewußt
bleibt, daß eine solche Theorie des Geldes anerkennt, daß ihr For-
schungsobjekt, das sie Geld nennen mag, in unserem Wirtschafts-
leben aus der Rolle verdrängt ist, die ihm in abgelebten Zeiten zu-
kam. Mag sie Geschichte treiben, sie soll die Hände lassen von
der Politik. Es ist ein Uebergriff, wenn sie es unternimmt, ihre
1) Geld und Gold, S. 93.
2) nämlich: das Geld.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 19
290 Karl Elster,
Forschungsergebnisse in eine währungspoiitische Programmatik um-
zumünzen. Es ist verdienstlich und steht dem Historiker wohl an,
den politischen Belangen der Mark Brandenburg unter Otto dem
Faulen nachzuspüren und die Möglichkeiten, die sich ihrer Durch«
Setzung bieten mochten, zu prüfen und zu erörtern. Wir werden
es aber wohl ablehnen müssen, die Richtlinien unserer heutigen
Politik nach diesen Ergebnissen zu orientieren.
Liefmann — so habe ich bereits bemerkt — hat in der Ent-
wicklung des Geldwesens die Erscheinung klar erkannt, dieRathenau
die „Substitution des Grundes" nennt. Doch hat er mit Recht
darauf verzichtet, das Geld, wie er es erkannt hat; hinter dem
Worte „Nenner" zu verstecken und seinem Buche etwa den Titel
„Geld und Nenner" als Rätselwort mit auf den Weg zu geben.
Und so glaube auch ich für den Begriff, der sich aus meinen
Untersuchungen ergibt, den Namen „Geld" in Anspruch nehmien,
nicht minder aber, aus diesem Geldbegriffe, der nicht in die Leichen-
kammer der gestorbenen historischen Begriffe gehört, sondern lebt
und wirkt, praktische Folgerungen ziehen zu dürfen.
Das Geld ist Zahl. Solange es seine Funktionen nur in körper-
licher Einkleidung zu versehen vermochte, konn^iß es angängig sein,
seine Körperlichkeit — mochte sie noch so sehr ein bloßes acciden-
tale sein — als seine allgemeine (nicht gelegentliche) Eigenschaft
in die Begriffsbestimmung aufzunehmen. Wer dieses heute tut,
verkennt sein Wesen, oder wird den Funktionen nicht gerecht,
die es in unserem Wirtschaftsleben erfüllt.
Meine Betrachtungen haben mich zu Liefmann zurückgeführt.
Liefmann ist zu seinem Geldbegriffe gelangt, indem er seinen Aus-
gang von der Tauschwirtschaft genommen hat. Doch hat er seine
Untersuchungen nicht auf deren Erscheinungen beschränkt. In-
dem er es als die Aufgabe der ökonomischen Theorie erkennt, die
„tauschwirtschaftlichen Erscheinungen auf die Bedarfsempfindungen
aer Einzelwirtschaften zurückzuführen"^), und auch beim Gelde
nicht nur die „soziale" Tauschvermittlungsfunktion, sondern „seine
Funktion innerhalb der Einzelwirtschafteai festzustellen, es sozu-
sagen auch individualistisch zu definieren" i), geht er dieser „inner-
wirtschaftlichen Funktion"!) des Geldes in den Konsumwirtschaften
und in den Erwerbswirtschaften nach, und sein Geldbegriff — wie
er sich in den von mir zitierten 2) Worten Liefmanns darstellt —
ist das Ergebnis dieser Untersuchungen.
Ich habe den Geldbegriff aus den Einkommen und den Preisen
gewonnen und das Geld als die zahlenmäßige Einheit bestimmt,
auf die diese beiden Zahlenbegriffe als auf ihren Generalnenner
zurückzuführen sind. Insofern sind meine Untersuchungen bisher
auf die soziale Vermittlungsfunktion des Geldes beschränkt ge-
1) Geld nnd Gold, S. 69.
2) Vgl. oben S. 289.
Zur Analyse des Geldproblems. 291
blieben, und bedürfen sie der Ergänzung auf dem von Liefmann
bezeichneten Wege. Erst wenn diese Ergänzung, die den Gegen-
stand der nachfolgenden Ausführungen bilden soll, vorgenommen
ist, sind die Voraussetzungen gegeben, die einen Vergleich meiner
Ergebnisse mit den von Liefmann gewonnenen möglich machen.
Ich habe bereits bemerkt, daß eine jede wirtschaftliche Hand-
lung von dem wirtschaftenden Subjekte nur unter der Voraussetzung
vorgenommen wird, daß sie eine Verschiebung seines derzeitigen
Zustandes nach der Lustseite hin erwarten läßt, und weiter, daß
von mehreren aus diesem Gesichtspunkte heraus möglichen Hand-
lungen immer die^jenige vorgenommen werden wird, die dieses er-
strebte Ziel in stärkstem Maße in Aussicht stellt. Hierbei bleibt zu
berücksichtigen, daß derartige wirtschaftliche Akte regelmäßig
einen Nutzen nur unter Aufwendung von Kosten ermöglichen,
so daß nicht nur die Aussicht auf diesen Nutzen, sondern diese
Aussicht bei Berücksichtigung der Kosten die einzelne Handlung
bestimmt. Das wirtschaftende Subjekt stellt den erwarteten Nutzen
den mit seiner Erzielung verknüpften Kosten vergleichend gegen-
über xind nimmt dann diejenige Handlung vor, die in ihrem aus
Lust und Unlust resultierenden Ergebnis die stärkste Verschiebung
des Gesamtzustandes nach der Lustseite hin bedeutet. (Liefmann
spricht in diesem Sinne von dem „Ertrage" der wirtschaftlichen
Handlung, ein Ausdruck der durch seine Kürze und Anschaulich-
keit besticht, den ich aber mit Kücksicht auf seine Inkongruenz
mit dem Sprachgebrauch, vor allem aber deswegen v-ermeiden
möchte, weil er die Subtraktion der Kosten vom Nutzen — also
etwas Unmögliches — zur begrifflichen Voraussetzung hätte».) Diese
Vorbemerkung muß ich dem nun folgenden Versuche, eine Analyse
der Konsumwirtschaft vorzunehmen, vorausschicken:
Ziel der Konsumwirtschaft ist di-e Beschaffung der der
unmittelbaren Bedarfsbefriedigung dienenden Güter. Das Mittel
ihrer Beschaffung ist das Einkommen. Der Inhalt der konsumwirt-
schaftlichen Tätigkeit besteht in der Verteilung d,es verfügbaren
Einkommens auf die wirtschaftlichen Güter als Mittel der Bedarfs-
befriedigung nach dem von Lief mann als „Gesetz des Ausgleiches
der G;renzerträge*' richtig erkannte», weniger glücklich benannten
Prinzip, und demzufolge in der Hingabe von Einkommensteilen
als Preisen der begehrten Güter.
Ich spreche von der „Hingabe" von Einkommensteüen, möchte
indessen den Hinweis darauf nicht unterlassen, daß diese Hingabe
nicht eine körperliche Uebergabe ausdrücken soll. Denn das Ein-
kommen als Zahlenbegriff ist, eben dieses Begriffes wegen, der
körperlichen Hingabe nicht iähig (eine Tatsache, die natürlich die
Hingabe von Geldzeichen nicht ausschließt). Hingabe bedeutet
hier so viel wie den Verzicht auf seine sonstige Nutzung. Die
Kosten (als Unlustgefühl) eines jedeoi konsumwirtschaftlichen Aktes
ergeben sich hiernach aus dem (diesen wirtschaftlichen Akt allein
ermöglichenden) Verzicht auf eineo anderen und damit auf den
19*
292 Karl Elster,
Lusterfolg dieses anderen, (wie denn die Kosten in der Konsum-
wirtschaft ihrem Wesen nach nichts anderes sind, als Verzicht auf
nicht erreichbaren Nutzen). In diesem Sintte glaube ich den
Satz Liefmanns verstehen zu dürfen : „Das Geld wird in der Kon-
sumwirtschaft . . . geschätzt nach dem mit einer weiteren Einheit
zu erzielejiden Nutzen" i). Und in diösem Sinne ist seiner Fest-
stellung zuzustimmen, daß „das Geld nach der Größe dee Ein-
kommens geschätzt" 1) werde, eine Tatsache, die bereits vor ihm
Otto von Zwiedineck in seinem Aufsatze „Die Einkommensge-
staltung als Geldwertbestimmungsgrund" 2), der m. D. zu dem
Besten gehört, das über das Geldproblem geschrieben wurde, des
näheren erörtert hat.
So einleuchtend diese Beziehung des Einkommens zu den
Kosten der Konsumwirtschaft ist, indem — bei sonst gleichen Ver-
hältnissen — mit steigendem Einkommen die Kosten geringer
werden, so daß eine Konsumwirtschaft ohne Kosten jeden-
falls theoretisch durchaus denkbar ist, so bedarf die bisher ge-
troffene Feststellung doch der Ergänzung. Und diese Ergänzung
wäre dahin zu treffen, daß diese Einkommen — wie sie ihre „so-
ziale" Funktion nur in Verbindung mit den Preisen auszuüben ver-
mögen — ihre innerwirtschaftliche Bedeutung für die Kostenge-
staltung in der Konsumwirtschaft auch nur im Zusammenwirken
mit den Preisen gewinnen. Die nachfolgende Ueberlegung wird
diese Behauptung bestätigten: Ein wirtschaftendes Subjekt ver-
schafft sich für einen bestimmten Geldbetrag, 10 Mark, ein Genuß-
gut. Seine Kosten ergeben sich als die Unlustempfindung, die
aus dem Verzicht auf ein anderes Genußgut resultiert, das es sich
mit einem weiteren Geldbetrage von gleicher Höhe, den sein Ein-
kommen aber nicht mehr umgreift, verschaffen könnte und würde.
Ist es hiernach gewiß zutreffend, daß die Kosten eines konsum-
wirtschaftlichen Aktes desto geringer sind, je hölier das Einkommen
sich stellt, so ist der weitere Rückschluß ebenso unabweislioh,
daß diese Kosten, wie durch die Höhe des Einkommens, so durch
die des durchschnittlichen Preisniveaus bestimmt werden. Je höher
dieses Preisniveau sich stellt, desto schneller ist das Einkommen
durch die gezahlten Preise erschöpft, so daß also em hohes Preis-
niveau — in der gleichen Weise, wie ein niedriges Einkommen
— die Kosten der Konsumwirtschaft erhöht. Ein Beispiel sei hier
gestattet: Ein wirtschaftendes Individuum A hat ein Einkommen
von 6000 M. Es verbraucht für seine „Exist'enzbedürfnisse"
3000 M., für seine „Anstandsbedürfnisse" 2000 M. und gibt den
Rest von 1000 M. für „Luxusbedürfnisse" aus. Dasselbe Indi-
viduum wirtschaftet unter anderen Verhältnissen — es haben sich
alle Preise genau verdoppelt — mit 12000 M. Einkommen. Es
bedarf keines weiteren Wortes der Ausführung, daß es mit gleichem
1) Geld und Gold, S. 72.
2) Schmollers Jahrbuch, 33. Jahrgang, S. 131 ff.
Zur Analyse des Geldproblems. 293
„Nutzen" und gleichen „Kosten" wirtschaften wird, trotzdem &ein
Einkommen und alle Preise sich verdoppelt haben.
Diese Tatsache, die selbstverständlich ist, beweist : Einkommen
und Preise, die immer nur in kombinierter Funktion in unserem
Wirtschaftsleben sich auswirken, sind reine Verhältniszahlen,
nach denen sich die Beteiligung der wirtschaftenden Individuen an
den Marktprodukten regelt. Alle Verhältniszahlen sind ihrem
Wesen nach Brüche, haben ihren Zähler und ihren Nenner. Als
gemeinsamer Nenner steht die Geldeinheit unter den Preiszahlen
und den Einkommenszalilen. Das wirtschaftende Individuum wirt-
schaftet in der Weise, daß es seine Bedürfnisse nach dem von mir
sattsam klargestellten Prinzip so lange befriedigt, bis seine Be-
teiligungsmöglichkeit erlischt. Es rechnet auf der Grundlage der
Nutzen- und Kostenvergleichung (die der Untergrund jeder Hand-
lung ist), indem es die in seinem Einkommen enthaltenen Betei-
ligungsziffern auf die in den Preisen enthaltenen Verhältniszahlen
mit Hilfe ihres gemeinsamen Generalnenners, der Geldeinheit (des
Geldes) verteilt. Je höher dieses Einkommen in seinem Verhältnis
zum Preisniveau ist, desto geringer sind die Kosten der Konsum-
wirtschaft. Und diese Tatsache erklärt es, daß die Zahlung des
gleichen Preises aus einem relativ hohen Einkommen in gerin-
gerem Maße Kosten bedeutet, als we'nn sie aus einem niedrigeren
Einkommen bewirkt wird; was dann in der Terminologie der
herrschenden Theorie so ausgedrückt werden mag, daß „der Geld-
wert" bei steigendem Einkommen sinkt.
Zwiedinecks bereits erwähnter Aufsatz umgreift allerdings
noch ein weiteres, von dem hier erörterten völlig verschiedenes
Problem, nämlich den Einfluß der Einkommensgestaltung
auf die Gestaltung der Preise. Hier ist indessen nicht der
Zusammenhang für eine Untersuchung dieser Beziehungen ge-
geben, und so mag die Bemerkung genügen, daß das jeweilige
Preisniveau vornehmlich durch die jeweilige Gestaltung der Ein-
kommen bedingt ist.
Was bedeutet nun nach allem Gesagten die „innerwirtschaftliche
Funktion" des Geldes in der Konsumwirtschaft? Nichts anderes,
als was eine Zahl eben nur bedeuten kann: das G^ld ist auch
hier eine Rechnungsgröße. Es ist — wie Liefmann treffend aus-
führt — kein Ausdruck des Nutzens i), und kein Ausdruck der
Kosten 2). Es ist aber recht eigentlich auch kein Kostengut^),
indem die Möglichkeit, von einer Anzahl Gütern eines zu be-
schaffen, nicht wohl selbst ein Gut ist. Doch kann die Vertiefung
dieser Frage um so eher unterbleiben, als die wirtschaftliche Be-
deutung eines in Geld ausgedrückten Einkommensteiles in der Tat
nach dem gleichen Gesetze geschätzt wird, nach dem sich die
Schätzung der Kostengüter bestimmt. Das wirtschaftende Subjekt
1) Geld und Gold, S. 76.
2) Ebenda S. 72.
3) Ebenda S. 71.
294 Karl EUter,
verteilt ein (gegebenes) Einkommen auf (erfahrungsgemäß bekannte)
Preise mit Hilfe ihres gemeinschaftlichen Generalnenners Geld,
und zwar in der Art, von der es den größten (aus den erworbenen
Genußgütern resultierenden) Nutzen und entsprechend die ge-
ringsten Kosten (als Verzicht auf nicht mehr erreichbare Genüsse)
erwartet. So ist das Geld auch hier abstrakte Rechnungseinheit,
und nur eine solche, und diese Stellung des Geldes in der Konsum-
wirtschaft gibt keinen Anlaß, die bereits gewonnene Definition
des Geldes nach irgendeiner Richtung hin — insbesondere nicht
durch Aufnahme einer (nicht existenten) B^eziehung zwischen ihm
und dem Nutzen- und Kostenmoment in der Konsumwirtschaft —
zu ergänzen.
So bleibt noch die Aufgabe, die „innerwirtschaftliche Funktion"
des Geldes in der Erwerbswirtschaft zu bestimmen: Ziel der
Erwerbswirtschaft ist Einkommen, (das dann in der hinter
einer jeden Erwerbswirtschaft stehenden Konsumwirtschaft seine
Verwendung als Mittel zur Beschaffung der Genußgüter findet).
Das Mittel der Erwerbswirtschaft ist entweder Arbeitsmühe oder
Geldsummen oder beide mit- und nebeneinander. Diese drei Fälle
sind z;u analysieren :
Der erste Fall ist der, daß das Einkommen ausschließlich aus
der auf seine Erziel ung gerichteten Arbeitsmühe resultiert. Inner
halb dieser umfassenden Gruppe bilden alle diejenigen Wirtschaften
eine Untergruppe, deren Trägern ein bestimmter, festumrissener
Wirkungskreis obliegt, für dessen Wahrnehmung sie ein festes
»Einkommen beziehen. Es ist die Gruppe der Fe&tbesoldeten. Hier
kann von einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit nur mit einer ge-
wissen Einschränkung gesprochen werden i), indem das Ausmaß der
persönlichen Arbeit auf die Höhe des (unabänderlichen) Einkom-
mens ohne Einfluß bleibt, die Kosten dieser Wirtschaft (als die Ar-
beitsmühe desjenigen Pensums, dessen dauernde Nichtleistung den
Verlust der Stelle nach sich ziehen würde) feststehen und damit
der arbiträren Festsetzung durch das wirtschaftende Subjekt ent-
zogen sind, wie auf der anderen Seite der zu erzielende Nutzen
eine feste Größe bildet. Die einzige wirtschaftliche Ueberlegung,
die hier der Berufstästigkeit zugrunde liegt, ist die, ob der Nutzen
(Einkommen) bei Berücksichtigung der Kosten (Arbeitsmühe) einen
günstigeren Status nach der Lustseite hin bedeutet, als der Status
nach Fortfall beider ausmachen würde ; wobei denn der hier vorge-
nommenen Nutzen- und Kostenvergleichung die Arbeitsmühe einer-
seits, der Nutzen der aus dem festen Einkommen erfahrungs-
mäßig zu beschaffenden Genußgüter andererseits zugrunde liegt.
So spielt auch hier das Geld in d"em psychischen Vorgange der
Nutzen- und Kostenvergleichung selbst keinerlei Rolle. Es ist
wiederum nur Rechnungseinheit, indem die Unterlagen dieses
1) Nämlich nur unter Hinblick auf die gesamte einheitliche Berufstätigkeit, nicht
die einzelne Berufshandlung.
Zur Analyse des Geldproblems, 295
psychischen Vergleichprozesses durch eine rein rechnerische Mani-
pulation (die Verteilung des Einkommens auf die Preist) gewonnen
werden.
In der zweiten Untergruppe dieser Erwerbs wir tschaften, in
denen also eine Erhöhung der Kosten (Steigerung der Arbeits-
leistung) zur Erhöhung des Einkommens führt, ist der innere
Vorgang insofern ein komplizierterer, als an Stelle der Alter-
native: bestimmte Kosten und bestimmter Nutzen, oder aber:
keine Kosten, kein Nutzen, eine unbegrenzte Zahl von Even-
tualitäten entsprechend den vielfachen Möglichkeiten des Kosten-
ausmaßes steht. Aber wenn auch demzufolge der psychische Nutzen-
und Kostenvergleich anstatt zweier Möglichkeiten eine unbegrenzte
Zahl von Möglichkeiten zu umfassen hat, und dementsprechend
die Beschaffung der Vergleichs unterlagen eine unbegrenzte Anzahl
rechnerischer Vorarbeiten bedingt: daß der Geldbegriff in diesen
Wirtschaften keine andere Bolle spielt, als in den bereits erörterten
Fällen, bedarf der Ausführung nicht.
Der zweite Hauptfall innerhalb der Erwerbswirtschaften ist
der, daß das Einkommen nicht aus der Arbeitsmühe, sondern aus
dem Gelde selbst — aus seiner „Anlage" gewonnen wird. Im
B ahmen dieser Betrachtung ist die Frage^, worauf letzten Ende«
der Kapitalzins beruhen mag, von keiner Bedeutung. Die Tat-
sache, daß er besteht, ist hier zugrunde zu legen, und nur die
inneren Vorgänge sind zu ermitteln,^ die die Anlage des Kapitals
bestimmen. Ich nehme ein Beispiel: A hat ein Kapital von
100000 M., das er in vier verschiedenen Anlagen unterbringen
kann, deren erste 5000 M., zweite 4000 M., dritte 3000 M.,
vierte 2000 M. jäJirliches Einkommen gewährFeistet. Er wählt die
erste Anlagemöglichkeit. In Fällen dieser Art spricht Liefmann
von einer „quantitativen Nutzen- und Kostenvergleichung in Geld-
summen" i) und erblickt die Funktion des Geldes in dieser Art
von Erwerbswirtschaften darin, daß es „Nutzen- und Kostensubsti-
tut"2) sei. Ich halte dieses Ergebnis, wenn nicht für falsch, so
doch für durchaus irreführend. In dem von mir als Beispiel gOr
setzten Falle findet eine Nutzen- und Kosten vergleichung nicht mehr
statt, weil es keines Vergleiches mehr bedarf, wenn sein Ergebnis
feststeht. Man mißt und wägt keinen Gegenstand, dessen Größe
und Gewicht man kennt. Hier ersetzt die Erfahrung die Notwen-
digkeit der Prüfung. Daß ein höheres Einkommen bei sonst
gleichen Verhältnissen ein Mehr von Nutzen gegenüber einem
geringeren Einkommen bedeutet, das weiß der Wirtschafter; hierzu
bedarf er keiner Feststellung.
Doch kommt im wirtschaftlichen Leben der hier gesetzte Fall
regelmäßig nicht vor. Denn die Begel bleibt, daß den verschie-
denen Einkommen verschiedene' Kosten gegenüberstehen. In dem
1) Geld und Gold, S. 81.
2) Ebenda S, 82.
296 J^*''^ Elster,
von mir gewählten Beispiele, in dem ich das Einkommen als „ge-
währleistet" bezeichnet habe, sind die Kosten gleich. Sie bestehen
in dem Verzicht auf die sofortige Verwendung des „Geldes" zur Be-
schaffung von Genußgütern. Regelmäßig ab^r bestehen die Kosten
einer Geldanlage nicht nur in diesem Verzicht, sondern in ihm und
der in verschieden hohem Maße bestehenden Möglichkeit eines
Kapitalverlustes, so daß dem zu erwartenden Nutzen Kosten in
verschiedener Höhe gegenüberstehen. Das Ergebnis dieses Ver-
gleiches, bei dem Nutzen der erfahrungsgemäß feststehende Be-
friedig ungsgräd aus dem Einkommen, Kosten die derzeitige Ein-
schränkungsnotwendigkeit in Verbindung mit dem Risiko eines
dauernden Vermögensverlustes bedeutet, bestimmt die Selektion der
Anlage. Dieser Vergleich aber ist alles andere eher, als nur eine
„quantitative Nutzen- und Kostenvergleichung in Geldsummen".
Indessen, worauf allein es hier ankommt: auch hier spielt das
Geld seine Rolle nur bei Errechnung der Vergleichsunter lagen, nicht
mehr in dem Nutzen- und Kostenvergleichsprozesse. Denn a.uch
hier ist der Geldhegriff aus der Psyche ausgeschaltet, bevor die
Nutzen- und Kostenvergleichung ihren Anfang nimmt.
Nach allem kann die Erörterung des dritten Falles, daß nämlich
das Einkommen aus Arbeitsmühe verbunden mit Geldaufwendungen
entspringt, auf den Hinweis beschränkt bleiben, daß auch hier die
Stellung des Geldes in den wirtschaftlichen Erwägungen die gleiche
ist, nämlich daß sie ausgespielt ist, ehe daß der Vergleich des
Nutzens und der Kosten vor sich geht.
Ich fasse hiernach mein Ergebnis dahin zusammen, daß auch
in der Erwerbswirtschaft das Geld nur als rechnerische Größe
fungiert, und daß es insonderheit mit dem Nutzen und den Kosten
nichts zu tun hat, indem diese erst dann zu psychischen Faktoreoi
werden, wenn unter jenes Rechenexempel, mittels dessen die in dem
Einkommen enthaltenen Geldbeträge auf die Preise verteilt werden,
der Schlußstrich gezogen ist.
Ich glaube darauf verzichten zu dürfen, die Abweichungen
meiner Ergebnisse von jenen, zu denen Liefmann gelangt, zu unter-
streichen; denn sie sind meines Erachtens geringfügig im Ver-
gleiche zu dem, was diese Ergebnisse eint. Als das Wesentliche
in Liefmanns Geldbegriffe will mir die Auffassung erscheinen,
daß das Geld „Rechnungsmittel" i), daß es also Zahl ist, daß es
als Erscheinung des modernen Wirtschaftslebens etwas Abstraktes
ist, daß es „sachlich nicht definiert werden kann" 2). (Wobei
ich die Bedeutung dieses Satzes dahin fasse, daß es nicht ein sach-
licher, stofflicher Gegenstand ist.) Und wenn ich den Satz Lief-
manns, daß in diesem Rechnungsmittel „die Konsumwirtschaften
ihre Kosten und die Erwerbswirtschaften Nutzen und Kosten
veranschlagen"!), lieber missen möchte, weil er mir schief oder
doch in bedenklicher Weise irreführend erscheinen.' will, so sind
doch meine Bedenken in dieser Hinsicht mehr gegen die Formu-
1) Geld und Gold, S. 92.
2) Ebenda S. 94.
Zur Analyse des Geldproblems. 297
lierung des Ergebnisses gerichtet, als gegen das Ergebnis selbst,
da ja Lief mann wenigstens ausdrücklich betont, daß das Geld jeden-
falls ein Ausdruck dieser psychischen Begriffe nicht sein kann
und nicht ist.
Ich habe bereits einmal darauf hinweisen müssen i), daß Lief-
manns DarsteUungsweise an Mängeln in der Terminologie krankt,
die vielleicht den wissenschaftlichen Wert seiner Ausführungen
nicht unmittelbar beeinträchtigen, ,die aber zweifellos das Verständ-
nis außerordentlich erschweren müssen, indem sie zu scheinbaren
Widersprüchen führen, die erst der Auflösung durch den Leser
bedürfen. Es ist besonders auch wieder sein fünftes Kapitel
„Das Wesen des Geldes", das in dieser Hinsicht zu berechtigten
Beanstandungen Anlaß bietet. Ich würde lieber darauf verzichten,
auf diese Unebenheiten des näheren einzugehen, kann es aber leider
nicht unterlassen, da in diesem Kapitel eine Reihe von Sätzen und
Wendungen enthalten ist, die man meiner Peststellung, daß Lief-
mann unter „Geld" die abstrakte Rechnungseinheit verstünde, ent-
gegenzuhalten vermöchte. So sagt Liefmann auf Seite 85: „Ist
es denn wirklich das Geld, das in dieser Weise Kosteneinheit der
Konsumwirtschaft ist? Es sind doch ganz offenbar die nur in Geld
ausgedrückten Einkommen. Sind aber — so muß man weiter
fragen — die Einkommen heute wirklich Geld? Ist nicht ein
großer Teil, ja vielleicht der größte Teil aller Einkommen nur „in
Geld" verrechnet, erscheint nur als Guthaben bei den Banken, nie-
mals aber oder doch nur zu einem Teile wirklich in der Geldform?
Und wenn das richtig ist, wie kommt man denn dazu, den staat-
lichen Zahlungsmitteln eine so ungeheure Bedeutung zuzuschreiben,
zu behaupten, daß die Kaufkraft des Geldes einerseits durch das
Gold (Metallismus), andrerseits durch den Staat (Chartalismus)
bestimmt werde, während in Wahrheit der größte Teil der Ein-
kommen niemals die Form staatlicher Zahlungsmittel annimmt, son-
dern eine rein rechnungsmäßige Größe ist?" Dieser Satz ist nur
verständlich, wenn „Geld" in dem Sinne von „Geldzeichen" (wie
ich sage, von Zahlungsmittel, wie Liefmann meines Erachtens nicht
recht korrekt sich ausdrückt) zu verstehen ist. Dasselbe gilt von
den folgenden Sätzen, die sich auf Seite 86 finden: „Es ist also
gar nicht wahr, daß die Einkammen Geldsummen sind. Ein großer
Teil der Einkommen ist niemals Geld gewesen. Es sind nur Rech-
nungssummen in der Geldeinheit, Verfügungsmöglichkeit über For-
derungen, die auf die auch dem Gelde zugrunde liegende Rech-
nungseinheit lauten." Auch hier steht der Terminus „Geld" im
Sinne des körperlichen Geldes. Und auf Seite 87 ist sogar expres-
sis verbis gesagt: „Die Wirtschafter rechnen nicht in Geld, son-
dern sie rechnen mit ihrem Einkommen, das in einer nicht in Geld
bestehenden abstrakten Rechnungseinheit ausgedrückt ist." Also:
die Rechnungseinheit ist nicht Geld. Auf derselben Seite aber stellt
dann Liefmann den Gegensatz zwischen seiner Gr^ldtheorie und den
1) Anm. 1 zu S. 266.
298 ^'^^^ Elster,
bisherigen dahin fest, daß bisher noch kein Schriftsteller unter dem
Gelde „etwas anderes als die realen Zahlungsmittel verstanden"
habe, was er, Liefmann, also tut und als sein „ausschließliches gei-
stiges Eigentum" in Anspruch nimmt. Er schreibt dann auf
Seite 89, daß man in den weitaus meisten Fällen, in denen man von
Geld spricht, nicht im geringsten an die realen Zahlungsmittel
dächte, bemerkt im weiteren Verlaufe der Darstellung, daß „Geld
in unserem Sinne" die „abstrakte Rechnungseinheit" sei (Seite 90),
dalß sich allmählich die allgemeine Benutzung der abstrakten Rech-
nungseinheit als Geld entwickelt" habe (ebenda), arbeitet dann
(wenige Zeilen weiter) wieder mit den Begriffen „Rechnungseinheit"
und „Geldeinheit", die er als gleichbedeutend gebraucht, und stellt
die letztere dem Gelde als etwas, was „eine sehr viel größere Rolle
spiele", also doch als etwas anderes gegenüber. Und nachdem er in
den (von mir bereits zitierten) Ausführungen zutreffend festge-
stellt hat, daß der Sprachgebrauch das Wort „Geld" in doppeltem
Sinne gebraucht, krönt er den Wirrwarr mit den Sätzen : „Doch da
wir den Sprachgebrauch nicht ändern können, müssen wir eben d-en
Tatbestand klar im Auge behalten, daß er mit Geld zwar sehr ver-
schiedene Dinge bezeichnet, von denen die abstrakte Rechnungsein-
heit die ungleich wichtigere, aber eben wegen ihrer Abstraktheit
noch gar nicht genügend beachtet ist. Diese „abstrakte" Auffassung
des Geldes ist .ein Ergebnis unserer ganzen psychischen Wirtschafts-
theorie, die auch auf das Geld anzuwenden ist und gerade auch in
diesem Punkte der hergebrachten quantitativ-materialistischen Wirt-
schaf tsaüffassung vollkommen entgegengesetzt ist. Welche Schlüsse
daraus für die Spezialfragen der Geldlehre zu ziehen sind, das soll
in den folgenden Kapiteln, wenn auch nicht erschöpfend, erörtert
werden. In diesem Kapitel bringen wir noch einige allgemeine
Eragen zur Sprache, zunächst die nach dem Begriff und der De-
finition des Geldes." (Seite 94). Hier also ist das Geld die abstrakte
Rechnungseinheit, wie denn auch auf Seite 95 der „ökonomische
Begriff Geld" als „allgemeine Rechnungseinheit" präzisiert und
gegenüber den von Helfferich und Moll aufgestellten Definitionen
hervorgehoben wird, daß in dem Sinne, der „das eigentliche Wesen
der Erscheinung berührt", Geld keine Objekte sind.
Ich glaubte — wie gesagt — diese Kritik nicht unterdrücken
zu dürfen. Ihr Zweck ist nur der, festzustellen, daß Lief-
manns Geld doch etwas Abstraktes ist, auch wenn aus seinen
eigenen Worten sich scheinbar genug Beweise für das Gegenteil
führen lassen. Ist dieser Zweck erreicht, so bin ich befriedigt, und
verzichte gerne auf Vorschläge dafür, wie sich die meines Erachtens
wissenschaftlich so wertvollen Ausführungen Liefmanns in einer
eindeiutigen und korrekten Terminologie hätten bringen lassen i).
1) Meine Auffassung, daß Liefmanns Terminologie seinen Ergebnissen im Liclite
steht, glaube ich auch durch die bereits an anderer Stelle (vgl oben S. 278) erwähnte
Kritik Heyns bestätigt zu finden. Ich kann hier der Frage nicht näher treten, möchte
aber doch der Annahme Ausdruck geben, daß die Kritik, die Heyn dem Liefmannschen
Zur Analyse des Geldproblems. 299
Nach dieser unerläßlichen Abschweifung greife ich auf das
Ergebnis zurück, zu dem Liefma,nn gelangt, und zu dem mich meine
eigenen Betra,chtungen — trotz zahlreicher Abweichungen von den
Liefmannschen Voraussetzungen und auf einem vielfach anderen
Wege — geführt haben, zu dem Ergebnis nämlich, daß das Geld ab-
strakte Rechnungseinheit ist, daß es — wie ich es am ehesten
glaube eindeutig ausdrücken zu sollen — der Generalnenner in
dem Produktenverteilungsproz esse des modernen Wirt-
schaftslebens ist.
Biesen Produktenverteilungsprozeß beherrscht die Zahl. Die
Gesamtheit aller Produkte wird nach einem zahlenmäßigen System.,
dessen Schlüssel die Einkommen und die Preise in ihrer kombi-
nierten Funktion ausmachen, unter die wirtschaftenden Subjekte
verteilt.
Wie ein solches System zur Entstehung zu gelangen vermochte,
wie es möglich war, daß ein rein zahlenmäßig sich abspielender
Verteilungsprozeß sich einzuordnen vermochte in das von Nutzen
und Kosten diktierte Geschehen, stehe dahin. Dies ist das Problem
der Wirtschaft. Und das Problem der Wirtschaft gehört zu jenen
Fragen, denen gegenüber sich der forschende Geist mit der nega-
tiven Erkenntnis begnügen muß, daß sie jenseits der Grenzsteine
wohnen, die der positiven Erkenntnis gesteckt sind. Wir müssen
uns auf die Feststellung beschränken, daß dieser Verteilungsprozeß
tatsächlich vor sich geht.
Aus dieser Erkenntnis vom Wesen des Geldes als einer ab-
strakten Zahl ergibt sich der Standpunkt, den wir dem Phänomen
des körperlichen Geldes, den Geldzeichen gegenüber einzunehmen
haben, mit logischer Gewißheit. Diese Geldzeichen sind und können
nur sein : ein rein technisches Hilfsmittel, dessen der Geld verkehr
sich zu seiner Durchführung bedient, ein rein technisches Hilfs-
mittel, das theoretisch — unbeschadet des Fortganges dieses
Geldverkehrs — durchaus entbehrt werden könnte, das prak-
tisch in wachsendem Maße durch andere technische Hilfsmittel
verdrängt wird. Da ihre Funktion (im Gegensatze zu der ma-
teriellen der Einkommen, der Preise, des abstrakten Geldes) eine
rein technisch-formale ist, bedürfen die Geldzeichen zur Ausübung
dieser Funktion keiner weiteren Qualitäten, als der einen und ein-
zigen, daß sie die Geldeinheiten (die sie darstellen, die sie aber
nicht sind) eindeutig bezeichnen. Ob sie zweckmäßig aus Metall
hergestellt werden, ob aus Papier, oder aus welchem Stoff e es immer
sei, ist einzig und allein eine Frage der Technik. Die materielle
Funktion des Geldes wird von den stofflichen Eigenschaften der
Satze, daß nicht das Geld, sondern die Einkommen die Güter kaufen, zuteil werden läßt,
anders hätte ausfallen müssen, wenn Liefmann eindeutig diesen Satz dahin präzisiert
hätte, daß nicht der Besitz von Geldzeichen es ist, sondern die in abstrakten Rech-
nungseinheiten ausgedrückte Kaufkraft (die sich vornehmlich, wenn auch nicht allein,
aus den Einkommen ergibt), die die Nachfrage gegenüber dem in Preisen ausgedrückten
Angebote stellt.
300 Karl Elster,
Geldzeichen nicht berührt, wie denn die Resultate einer Rechen-
aufgabe nicht davon abhängen, ob sie mit Hilfe metallener oder höl-
zerner, roter oder weißer Kugeln auf der Rechenmaschine,
gelöst wird.
Damit ist die Stellung zum Metallismus gegeben. Wer im
Gelde die abstrakte Rechnungseinheit erkannt hat, wird die For-
derung „stofflich vollwertigen Geldes'' nicht weiter diskutieren.
Vom „Gelde" „Stoffwert" verlangen, heißt von den Zahlen die stoff-
lichen Eigenschaften der Dinge fordern, die mit Hilfe dieser Zahlen
verteilt werden sollen. Das Postulat des „Substanzwertes", über
das die Welt der Tatsachen längst zur Tagesordnung übergegangen
ist, wird durch die Erkenntnis der abstrakten Natur des Gelder
auch theoretisch überwunden.
Damit ergibt sich aber auch die ablehnende Stellung gegen-
über jenem Nominalismus, wie ihn vor allem Heyn vertritt, wenn
er einen „Wert des Geldes" aus einem „Werte" der Geldzeichen
konstruiert, den er aus Nutzen und Seltenheit (Kostspieligkeit; her-
zuleiten sich bemüht 1). Seine Lehre, die im Lager des Metallismus
immerhin ein gewisses Wohlwollen genießt 2) (denn sie ist Geist von
seinem Geiste), ist genau so, wie der Metallismus es ist, mit der Er-
kenntnis der abstraüten Natur des Geldes nicht zu vereinen.
Damit verliert der Streit um den „Wert des Geldes" Sinn und
Zweck. Denn die individuelle Schätzung der Geldeinheit, die aus
der Subjektivität der einzelnen Wirtschafter entspringt und die
vornehmlich durch die Höhe der Einkommen und das allgemeine
Preisniveau bestimmt wird, hat mit dem umstrittenen „Geldwerte"
nichts gemein. Es gibt keinen „Wert des Geldes", denn Zahlen
haben keinen Wert,^ und es ist endlich an der Zeit, diesen Begriff,
der genug der Irrtümer und Fehlschlüsse veranlaßt hat, endgültig
zu begraben.
Damit erledigt sich die Streitfrage um das „Vertrauen", das
das „Geld" genießen muß. Trotz Heyn hat Liefmann recht:
Das „Geld" bedarf eines besonderen Vertrauens nicht. „Geld
nehmen" — wenn der Begriff „Geld" richtig erfaßt ist — be-
deutet nichts weiter als „teilnehmen am Geldverkehr", d. i. am
modernen Wirtschaftsverkehr. Diese Teilnahme ist aber nicht ein
Akt des Vertrauens, sie ist eine Selbstverständlichkeit, mag immer-
hin die Möglichkeit bestehen, daß irgendein sonderbarer Schwär-
mer sich 'mit den lieben Seinen zu einer geschlossenen Hauswirt-
schaft zurückfindet und nur gelegentlich ein Ziegenlamm gegen ein
Quantum Pfeifentabak tauscht. Gewiß: „Geldzeichen nehmen"
kann Sache des Vertrauens sein, insonderheit wenn deren mehrere
Arten die Möglichkeit der Wahl belassen. Dann aber richten sich
Vertrauen oder Mißtrauen nicht gegen das Geld, sondern gegen das
1) Vgl. unter anderem Otto Heyn, Zur Verteidigung der Chartaltheorie des Geldes,
diese „Jahrbücher", III. F. Bd. 51, S. 776 ff.
2) Vgl. Karl Diehl, Unser Geldwesen nach dem Kriege diese „Jahrbücher", III. F.
Bd. 52, S. 721 ff.
Zur Analyse des Geldproblems. 301
Zeichen, indem das Verhältnis des Geldzeichens zu der Gleldeinheit,
auf die es laatet, in Zweifel gerückt und etwa besorgt wird, daß
das verdächtige Geldzeichen überhaupt kein solches sei, oder doch
es nicht bleiben werde. Die Notwendigkeit eines /solchen Vertrauens
wird niemand bestreiten. Das Postulat einer Nennwertbeständig-
keit der Geldzeichen gehört aber ebensowenig in die Geldtheorie,
wie etwa die Forderung einer Unterdrückung der Falschmünzerei.
Und wird etwa das Mißtrauen, das einem Geldzeichen als solchem
entgegengebracht wird, zurückgestellt mit Kücksicht auf seine stoff-
lichen Qualitäten, dann — findet kein Akt des Geldverkehres statt,
sondern ein Warenaustausch, den die Geldtheorie ablehnen muß
zu erörtern.
Aus der Erkenntnis der abstrakten Natur des Geldes ergibt
sich schließlich die Stellung zu Knapp. Ihm danken wir es vor-
nehmlich, daß er die Inkongruenz zwischen metallistischem Denken
und wirklichem Sein in sieghafter Weise nachgewiesen und damit
den Anstoß gegeben hat, an das Geldproblem unter völlig neuen
Voraussetzungen heranzutreten. Daß darüber hinaus die staatliche
Theorie des Geldes das ökonomische Geldproblem nicht -zu lösen ver-
mochte, sei ihren Kritikern zugestanden. Es ist nun einmal das
Schicksal aller Theorien, daß sie die Lösung der Probleme nicht zu
bringen pflegen, mit denen sie sich nicht befassen.
Knapp hat den Nachweis geführt, daß das heutige Geld seine
Funktionen nicht mehr vermöge seiner stofflichen Quali-
täten versieht. Ich finde durch meine Betrachtungen diese Er-
kenntnis bestätigt und dahin ergänzt, daß das Geld diese Funk-
tionen vermöge seines Wesens als Rechnungseinheit, als Zahl,
wahrnimmt.
In seiner Auseinandersetzung mit Knapp sagt Liefmann, daß
der ,, abstrakten Rechnungseinheit" Geld gegenüber das gerade
Gegenteil der Knappschen Auffassung richtig i) sei. „Daß aus dem
Gelde eine solche abstrakte Rechnungseinheit wird, das kann nicht
vom Staate geschaffen werden. Sie ist kein „Geschöpf der Rechts-
ordnung" . . ."!). Ich glaube nicht, daß Lief mann mit dieser Kritik
Knapp irgendwie gerecht wird. Das „Geld", das nach Knapps
Ausspruch ein „Geschöpf der Rechtsordnung" ist, ist überhaupt
keine abstrakte Rechnungseinheit, sondern ist das „chartale Zah-
lungsmittel", das erst zur Entstehung gelangen kann, „wenn der
Begriff einer Werteinheit (Mark, Frank, Rubel, Pfund Sterling)
sich bereits gebildet hat" 2). Im Rahmen des Knappschen Systems
ist die Werteinheit" derjenige Begriff, der dem Begriffe des
Geldes in Liefmanns System und meinem Geldbegriffe entspricht.
Daß diese„Werteinheit" aber ein Geschöpf der Rechtsordnung
sei, behauptet Knapp nicht. Im Gegenteil: er betont, daß das Vor-
handensein dieses Begriffes die notwendige Voraussetzung dafür ist,
1) Geld und Gold, S. 96.
2) Knapp im Handwörterbuch der Staatswissenschaften (3. Aufl.), Art. : Geldtheorie,
staatliche (IV. Bd., S. 610).
302 *^*'^ Elster,
(laß der Staat bezw. die Rechtsordnung „chartale Zahlungsmittel"
(die allein Knapp „Geld" nennt) überhaupt schaffen kann. Der
Satz: „Das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung" ist — in
diesem Sinne begriffen — durchaus richtig. Denn die „chartaien
2^hluiigsmitter* (die ich als „Geldzeichen" benannt und dem
„Gelde" als einen besonderen Begriff gegenübergestellt habe,
während Knapp sie als „Geld" bezeichnet und der „Werteinheit"
gegenüberstellt) sind tatsächlich ein GetSchöpf der Rechtsordnung.
Denn diese — und nur diese — ist es, die das Verhältnis des
chartaien Zahlungsmittels (des Geldz-eichens) zur „Werteinheit"
(zur abstrakten Rechnungseinheit, dem Gelde) nicht deklaratorisch,
sondern konstitutiv bestimmt, während die von Knapp bekämpfte
metallistische Doktrin dier Werteinheit aus dem Geldstoffe glaubte
herleiten zu sollen.
Die Theorien, die im Gelde eine abstrakte Rechnungseinheit
erkennen, stehen somit meines Dafürhaltens in keinem Gegensatze
zur staatlichen Theorie. Aber sie ergänzen sie, indem sie als ihr
Forschungsobjekt eben jenen Begriff behandeln, den Knapp seinen
Erörterungen als gegeben zugrunde legt, den Begriff der historisch
entstandenen „Werteinheit", den Begriff der „abstrakten Rech-
nungseinheit", des Geldes im Sinne der modernen Wirtschafts-
ordnung.
Ich bin am Ende meiner Betrachtungen. Insbesondere ist es
nicht meine Absicht, programmatische Folgerungen aus meinen Er-
gebnissen zu ziehen. Hierfür reicht der theoretische Unterbau, den
diese Arbeit gibt, noch nicht aus. Für eine Folgerung mag er ge-
nügen, für diejenige nämlich, daß wir für den innerwirtschaft-
lichen Geldverkehr einer Goldwährung überhaupt
nicht, für den zwischenstaatlichen Wirtschaftsver-
kehr einer Goldwährung mit Goldumlauf nicht bedür-
fen, und daß daher den Opfern, die die Wiedereinfüh-
rung und Beibehaltung der deutschen Währung, wie
sie bis zum Ausbruche des Krieges bestand, erfordern
müßte, keinerlei Gewinn gegenüberstehen würde. Ob
es darüber hinaus angängig sein könnte, die deutsche Währung, und
weiterhin die staatlichen Währungen allgemein, von der Beziehung
zum Golde überhaupt zu lösen, stehe dahin. Es ist dies eine Frage,
für deren Beantwortung es noch einer weiteren theoretischen Unter-
suchung bedürfte. Denn im zwischenstaatlichen Wirtschaftsver-
kehr versieht das Gold eine Funktion, die innerhalb der einzelnen
Volkswirtschaft überhaupt nicht in Frage kommt. Es setzt die ver-
schiedenen Währungen in eine feste gegenseitige Beziehung. Daß
es dieses zu tun vermag, ist nun gewiß nicht die Folge irgendeiner
besonderen stofflichen Eigenschaft des Goldes. Es ist lediglich die
Wirkung der währungsgesetzlichen Bestimmungen, durch die ein
Doppeltes erreicht wird: einmal, daß "der Goldpreis in allen Gold-
währungsländern ein für allemal feststeht (nicht weil Gold ein
„wertbeständiges" Gut ist, sondern weil der Preis künstlich stabi-
Zur Analyse des Geldproblems. 303
lisiert ist), und zweitens, daß in allen Goldwährungsländern die
]SI achfrage nach Gold unbeschränkt ist^).
Nun ist meines Dafürhaltens zweierlei gewiß: einmal, daß ein
zwischenstaatlicher Wirtschaftsverkehr möglich ist, auch ohne daß
die Währungen der miteinander verkehrenden Länder in einer der-
artig festen Beziehung zueinander stehen, und zweitens, daß eine
solche Beziehung — sollte sie zweckmäßig sein — auch auf an-
derem Wege als durch die Goldwährung sich schaffen ließe. Aber:
der Unterschied bleibt: In der geschlossenen Volkswirtschaft übt
heute das „vollwertige" Geld, das Gold, eine besondere Funktion
überhaupt nicht aus, im zwischenstaatlichen Verkehr aber ist ihm
eine solche zu eigen. Diese Funktion des Goldes ist keine
Geldfunktion, sondern eine völlig wesensandere. Und
wenn es daher durchaus gerechtfertigt ist, von ihr zu abstrahieren,
sofern es nur gilt das Wesen des Geldes zu bestimmen, so
ist doch ihre Berücksichtigung geboten bei der Entschließung über
währungspolitische Maßnahmen, deren Zweck über den einer Rege-
lung des innerstaatlichen Geldverkehrs in mehrfacher Richtung hin-
ausgeht. Die Währungspolitik ist nicht nur Geldpolitik. Als
Goldpolitik greift sie in die allgemeine Handelspolitik hinüber,
und muß sie die Richtlinien für ihre Betätigung noch auf anderem
Boden suchen, als auf demjenigen, der für „die Theorie des Geldes"
das Forschungsgebiet abgibt.
1) Denn die skandinavischen Reiche und Argentinien haben während der Geltung-
dauer der von ihnen erlassenen gegen eine übermäßige Goldeinfuhr gerichteten Bestim-
mungen aufgehört, Goldwährungsländer in dem Sinne, wie sie es bis dahin waren,
304 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
IL
Die durch den Krieg hervorgerufenen Gesetze, Ver-
ordnungen, Bekanntmachungen usw., soweit sie im
Beichsgesetzblatt veröffentlicht worden sind.
(6. Fortsetzung.)
(Die Monate August bis November 1916 umfassend.)
Von Dr. Johannes Müll er- Halle, Weimar.
(Foi-tsetzung und Schluß.)
Bekanntmachung zur Durchführung der Verordnung über
Gerste vom 6. Juli 1916 (RGBl. S. 800). Vom 13. September
1916 (RGBl. S. 1043).
Als für die Durchführung der Verordnung vom 6. Juli 1916 (vgl. Bd. 53,
S. 200 f.) zuständige Stelle wird die „Reichs-GerstenffeseUschaft" m. b. h! (vgl. .Be-
kanntmachung vom 5. August 1916, oben S. 167) bestimmt.
Bekanntmachung über weitere Regelung des Branntwein-
verkehrs. Vom 14. September 1916 (RGBl. S. 1043). Auf Grund
des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die Verordnung vom 16. Dezember 1915 (vgl. Bd. 52, S. 218) mit der durch
Bekanntmachung vom 15. April 1916 getroffenen Aenderung gut auch für das
ßetriebsjahr 1916/17 (vgl. Bekanntmachung vom 15. April 1916, Bd. 53, S. 70).
Weitere Bekanntmachungen sind erlassen am 12. Oktober 1916 (vgl. unten S. 312),
23. Oktober 1916 (unten S. 314), 24. Oktober 1916 (unten 8. 315), 26. Oktober 1916
(unten S. 315), 2. November 1916 (unten S. 318).
Bekanntmachung über die Verfütterungvon Hafer an Zug-
kühe und Ziegenböcke. Vom 15. September 1916 (RGBl. S. 1045 f.).
Auf Grund der Bekanntmachung vom 6. Juli 1916 (RGBl. S. 811).
An jede Zugkuh (insgesamt an höchstens 2 in jedem landwirtschaftUchen
Betrieb) darf in der Zeit bis zum 30. November 1916, an jeden zur Zucht ver-
wandten Ziegenbock darf in der Zeit bis 31. Dezember 1916 je 1 Zentner Hafer,
aber nur aus eigenen Vorräten, verfüttert werden. (Vgl. Bekimntmachung vom
19. August 1916, oben S. 169, und 25. September 1916, unten S. 306.)
Bekanntmachung über die Festsetzung der Preise für
Wild. Vom 17. September 1916 (RGBl. S. 1046 ff.). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 24. August 1916 (RGBl. S. 959).
Es werden Großhandelspreise sowie Höchstgrenzen für die Kleinhandels-
höchstpreise festgesetzt. (Vgl. die frühere Bekanntmachung vom 30. Dezember
1915, Bd. 52, S. 220, und Bekanntm. vom 24. August 1916, oben S, 172.)
Verordnung betr. Abänderung der Verordnung über
Höchstpreise für Hafer vom 24, Juli 1916 (RGBl. S. 826).
Kationalökonomische Gesetzgebung. 305
Vom 18. September 1916 (RGBl. S. 1048). Auf Orund der Bekannt-
machung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Für bis zum 30. September 1916 gelieferten inländischen Hafer beträgt der
Höchstpreis 300 M. für die Tonne, später 280 M. (vgl. Bekanntmachung vom
24. Juli 1916, Bd. 53, S. 208); für Heereslieferungen gilt der Preis von 300 M.
unter gewissen Umständen gemäß Bekanntmachung vom 26. Oktober 1916 auch
noch länger.
Verordnung betr. Abänderung der Verordnung über
Höchstpreise für Gerste vom 24. Juli 1916 (RGBl. S. 824).
Vom 18. September 1916 (RGBl. S. 1049). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Für bis zum 31. August 1916 gelieferte inländische Gerste beträgt der
Höchstpreis 300 M. für die Tonne, später 280 M. (Vgl. Bekanntmachung vom
24. Juli 1916, Bd. 53, S. 207.)
Bekanntmachung zur Durchführung der Verordnung über
Buchweizen und Hirse vom 29. Juni 1916 (RGBl. S. 625).
Vom 16. September 1916 (RGBl. S. 1049 ff.). Auf Grund der Bekannt-
machungen vom 29. Juni und 14. September 1916 (RGBl. S. 625 u. 1031).
Die Bewirtschaftung von Buchweizen und Hirse wird der Reichs - Hülsen-
fruchtstelle G. m. b. H. (vgl. Bekanntmachung vom 25. Juli 1916, Bd. 53, 8. 208)
übertragen; ferner werden für die Bewertung des Buchweizens innerhalb der
Höchstpreisgrenzen Richtlinien, weiterhin Uebernahmepreise für Buchweizen-
erzeugnisse festgesetzt. Der Ankauf von Buchweizen soll durch Bezugsscheine
geregelt werden u. a. m. (Vgl. Bekanntmachungen vom 29. Juni 1916, Bd. 53,
S. 199, 25. Juli 1916, Bd. 53, S. 208, 14. September 1916, oben S. 179.)
Bekanntmachung betr. das Verfahren zur Feststellung
von Kriegsschäden im Reichsgebiete. Vom 19. September
1916 (RGBl. S. 1053 ff.).
Es handelt sich um formelle Ausführungsvorschriften zum Gesetz vom 3. Juli
1916 (vgl. Bd. 53, S. 201 f).
Bekanntmachung über den Fang von Krammetsvögeln.
Vom 21. September 1916 (RGBl. S. 1068). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Fang von Krammetsvögeln kann unter bestimmten Bedingungen ge-
stattet werden.
Bekanntmachung der neuen Fassung der Verordnung
über die Regelung des Absatzes von Erzeugnissen der
Kartoffeltrocknerei und der Kartoffelstärkefabrikation.
Vom 22. September 1916 (RGBl. S. 1069 ff.).
Die Bekanntmachung vom 16. September 1915 (vgl. Bd. 51, S. 356) wird in
der sich aus den Abänderungen vom 25. November 1915 (vgl. Bd. 51, S. 372),
24. Februar 1916 (vgl. Bd. 52, S. 230), und 31. August 1916 (vgl. oben S. 175)
ergebenden Neufassung veröffentHcht. (Vgl. auch Bekanntmachung vom 2. August
1916, oben S. 164.)
Bekanntmachung über das Inkrafttreten der Bekannt-
machung über die Einfuhr von Gemüse und Obst vom
13. September 1916. Vom 20. September 1916 (RGBl. S. 1072).
Die genannte Bekanntmachung (vgl. oben S. 178) tritt am 27. September 1916
in Kraft.
Jahrb. f. NationalSk. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 20
306 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung über die Verfütterung von Kartoffeln.
Vom 23. September 1916 (RGBl. S. 1075 f.). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 26. Juni 1916 (RGBl. S. 590).
Kartoffeln und Erzeugnisse der Kartoffeltrocknerei dürfen im allgemeinen
nur an Schweine und Federvieh verfüttert werden; Kartoffelstärke und Kartx)ffel-
Btärkemehl dürfen überhaupt nicht verfüttert werden. (Vgl. wegen früherer Ver-
fütterungs verböte Bekanntmachung vom 15. April 1916, Bd. 53, S. 71; wegen
Kartoffeln die gleiche Bekanntmachung und Bekanntmachung vom 2. August,
oben S. 164, wegen Erzeugnissen der Kartoffeltrocknerei Bekanntmachung vom
22. September 1916, oben S. 305 und 29. Februar 1916, Bd. 52, 8. 231.)
Bekanntmachung über die Gewährung einer außerordent-
lichen Haferzulage während der Herbstfeldbestellung.
Vom 26. September 1916 (RGBl. S. 1076). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 6. Juli 1916 (RGBl. S. 811).
An Stelle bisher verfütterter Kartoffeln kann eine Haferzulage gewährt
werden. Die Zulage beträgt für schwere Arbeitspferde 3 Pfund täglich (insgesamt
IV, Ztr.), für Arbeitsochsen 17, Pfund (\ Ztr.), für Zugkühe (höchstens 2 in
jedem Betrieb) V/^ Pfund {^/^ Ztr.). — Vgl. Bekanntmachung vom 19. August 1916^
oben S. 169, und 15. September 1916, oben S. 304.
Bekanntmachung über Preisbeschränkungen bei Ver-
käufen von Schuhwaren. Vom 28. September 1916 (RGBl.
S. 1077 ff.) Mit Ausführungsbestimmungen vom gleichen Tage (RGBl.
S. lOSOff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Schuhwaren dürfen zu keinem höheren Preise verkauft werden, als dem, der sich
aus den Gesamtgestehungskosten zuzüglich eines angemessenen Gewinnes ergibt.
(Vgl. die entsprechende Bekanntmachung für die Web- usw. Waren vom 30. März
1916, Bd. 52, S. 238.) Schuhwaren dürfen vom Großhändler nur an IQeinhändler,
von letzteren nur an Verbraucher abgesetzt werden. Auf den Schuhwaren oder
einem Begleitschein müssen Name des Herstellers, Klein Verkaufspreis u. ä. m. an-
gebracht sein. Der Käufer von Schuhwaren kann, faUs er den Preis für zu hoch
hält, ein Schiedsgericht anrufen, über das eingehende Ausführungsbestimmungen
(RGBl. S. 1080 ff.) erlassen sind. Auch wird eine Gutachterkommission vom
Reichskanzler ernannt, die allgemeine Richtsätze für die Bestimmung der Ver-
kaufspreise festzusetzen hat. Endlich werden Veranstaltungen, die eine besondere
Beschleunigung des Verkaufs von Schuhwaren bezwecken (vgl. wegen der gleichen
Bestimmung für die Web- usw. Waren die Bekanntmacnung vom 25. Februar
1916, Bd. 52 S., 231), verboten. (Vgl. wegen Schuhwaren die früheren Bekannt-
machungen vom 14. Juni 1916, Bd. 53, S. 191, 21./22. Juni 1916, Bd. 53, S. 192
und 19. Oktober 1916, unten S. 313.)
Bekanntmachung zur Ergänzung der Bekanntmachung
über die Bereitung von Backware. Vom 28. September 1916
(RGBl. S. 1084). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
8. 327).
Es handelt sich um weniger wesentliche Vorschriften (vgl. Bekanntmachung
vom 26. Mai 1916, Bd. 53, S. 80).
Bekanntmachung über Druckpapier. Vom 30. September 1916
(RGBl. S. 1097). Auf Grund der Bekanntmachung vom 18. April 1916
(RGBl. S. 306).
Der Inhalt ist bereits in die Inhaltsangabe der Bekanntmachung vom
22. August 1916 (vgl. oben S. 172) eingearbeitet.
Bekanntmachung über Versicherungspflicht von Ange-
stellten für Beschäftigungen während des Krieges. Vom.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 307
30. September 1916 (RGBl. S. 10971). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Personen, die vor dem Kriege keine versicherungspflichtige Tätigkeit aus-
geübt haben und dies voraussichtlich auch nach dem Kriege nicht wieder tun
werden, sind hinsichtlich einer nur für Kriegsdauer angenommenen an sich ver-
sicherungspflichtigen Beschäftigung nicht versicherungspflichtig im Sinne der An-
gestelltenversicherung, falls sie nicht binnen einer bestimmten Frist ihren ent-
fegenstehenden Willen erklären. Sind jedoch Beiträge entrichtet worden, so dürfen
ie Leistungen der Angestelltenversicherung keinesfalls verweigert werden. Die
Verordnung hat einen Vorläufer in der Bekanntmachung vom 4. Mai 1916 [RGBl.
5. 364*)]. Vgl. wegen sonstiger Bekanntmachungen betr. die Angestelltenver-
eicherung die Bekanntmachung vom 11. Mai 1916 (Bd. 53, S. 77).
If Bekanntmachung betr. zwangsweise Verwaltung rumä-
nischer Unternehmungen. Vom 28. September 1916 (RGBl.
S. 1099). Auf Grund der Bekanntmachung vom 26. November 1914
(RGBl. S. 487).
Die Bekanntmachung vom 26. November 1914 (vgl. Bd. 49, S. 75 f.) in der
Fassung der Bekanntmachung vom 10. Februar 1916 (vgl. Bd. 52, S. 228) findet
auf Rumänien Anwendung. (Vgl. Bd. 52, S. 228 und Bekanntmachung vom
14. Mai 1916, Bd. 53, S. 77; ebenso Bekanntmachung vom 28. August 1916,
oben S. 173.) 1^^;
^ Bekanntmachung über die Bewirtschaftung von Milch und
den Verkehr mit Milch. Vom 3. Oktober 1916 (RGBl. S. llOOff.).
Auf Grund der Verordnung vom 20. Juli 1916 (RGBl. S. 755).
Die Bewirtschaftung von Milch wird der Reichsfettstelle und den Landes-
fettsteilen übertragen. Die Kommunal verbände haben unverzüglich die Einrich-
tungen zu einer geregelten Verteilung der in ihrem Bezirk gewonnenen und in
ihn eingeführten Milch zu treffen. Die Regelung kann den Gemeinden übertragen
werden, Gemeinden mit über 10000 Einwohnern können die Uebertragung verlangen.
Es haben nach Maßgabe der Vorräte einen Anspruch auf Milch die Vollmilch-
versorgungsberechtigten, das sind Kinder bis zu 6 Jahren, Kranke, stillende
Frauen und Schwangere in den drei letzten Monaten vor der Entbindung. Die
Reichsstelle für Speisefette trifft nähere Bestimmungen über die zu gewämrenden
Mengen. Nächst den Versorgungsberechtigten haben Blinder im 7.— 14. Lebens-
jahre ein Vorrecht auf Milchzuweisung (Vollmilchvorzugsberechtigte).
Die Verteilung der verfügbaren Milch an die genannten Bevölkerungsgruppen ist
Aufgabe der Kommunal verbände. Die Müchmengen, die nach den Sätzen der
Reichsstelle für die Versorgung der VoUmilchversorgungsberechtigten nötig sind,
bleiben anrechnungsfrei, alle darüber hinaus dem Kommunalverbande zur Ver-
fügung stehende Milch wird ihm auf sein Speisefettkontingent angerechnet, und
zwar jeder Liter mit 28 g Fett. Den Selbstversorgern ist ihr Bedarf zu belassen.
Zur Sicherung der Milchversorgung können die zuständigen Stellen die Liefe-
rung von Milch an bestimmte Stellen anordnen. Gemeinden mit mehr als 10 000
Einwohnern sind verpflichtet, kleinere Gemeinden und Kommunalverbände be-
rechtigt. Klein handelshöchstpreise für Voll- und Magermilch festzusetzen.
Die bisherigen Verwendungsverbote für Milch und Sahne (vgl. Bekannt-
machung vom 2. September 1915, Bd. 51, S. 354, und 16./29. Dezember 1915,
Bd. 52, S. 217) weraen in die vorliegende Bekanntmachung hinübergenommen
und noch wesentlich verschärft. Die genannten Bekanntmachungen ebenso wie
die vom 4. und 11. November 1915 (vgl. Bd. 51, S. 367 und 370) werden auf-
gehoben.
Bekanntmachung zur Ergänzung der Bekanntmachung
von TJebergangsvorschrif ten vom 5. September 1916
1) In der Uebersicht nicht aufgeführt, weil nicht Kriegsverordnung.
20-'J
308 Nationalökonomische Gesetzgebung.
(RGBl. S. 998) zur Verordnung über Speisefette vom
20. Juli 1916 (RGBl. S. 755). Vom S.Oktober 1916 (RGBl.
S. 1107). Auf Grund der genannten Bekanntmachung.
Der Inhalt der Bekanntmachung ist in die Inhaltsangabe der Bekannt-
machung vom 5. September 1916 (vgl. oben ö. 176) eingearbeitet.
Verordnung über Futtermittel. Vom 5. Oktober 1916 (RGBl.
S. 1108 ff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die Vorschriften der Verordnung gelten für alle Futtermittel tierischen oder
pflanzlichen Ursprungs, soweit nicht der Verkehr mit ihnen anderweitig geregelt
ist (z. B. für Hafer, Gerste, zuckerhaltige Futtermittel u. a. m., vgl. letzten Ab-
satz der Uebersicht). Da gleichzeitig die Bekanntmachung vom 28. Juni 1916
betr. KJraftfuttermittel nebst ihren gesamten Nachtragsbekanntmachungen außer
Kraft gesetzt wird, gut sie vor allem für die bisher als Kraftfuttermittel bezeich-
neten Futtermittel. Ausgeschlossen sind von der Geltung der Verordnung weiterhin
ausdrücklich: Grünfutter, Futterrüben, Pferdemöhren, Heu, Häcksel, Stroh); ein-
geschlossen sind Hilfsstoffe, wie Torfstreu u. ä. m. und Mischfuttermittel, in
denen ein dieser Verordnung unterliegendes Futtermittel enthalten ist.
Oberster Grundsatz ist, daß Futtermittel nur durch die Bezugs Vereinigung
der deutschen Landwirte abgesetzt werden dürfen. Bestimmte Ausnahmen sind
vorgesehen. Besitzer von Futtermitteln haben ihre Vorräte zu Beginn jedes Viertel-
jahres der Bezugsvereinigung anzuzeigen und sie ihr auf Verlangen käuflich zu
überlassen. Letztere muß umgekehrt angebotene Mengen übernehmen, widrigen-
falls sie frei werden. Die Bezugsvereinigung hat einen angemessenen, durch die
geltenden Höchstpreisbestimmungen (vgl. oben S. 167) nach oben begrenzten Ueber-
nahmepreis zu zahlen. Sie hat die übernommenen Futtermittel an die Landes-
futtermittelstellen, die Kommunalverbände oder besondere vom Reichskanzler be-
stimmte Stellen abzuliefern ; der Reichskanzler kann bestimmen, inwieweit die Futter-
mittel zur menschlichen Ernährung zu verwenden sind. Die genannten Verteilungs-
stellen haben für den Weiterverkauf Preise und sonstige Bedingungen festzulegen.
Die Bekanntmachungen über den Verkehr mit Kraftfuttermitteln (vgl. die
Zusammenstellungen in Bd. 51, S. 373, Bd. 52, S. 218, Bd. 53, S. 75 und Bd. 53,
S. 75) treten im wesentlichen außer Kraft.
Futtermittel, für die die vorstehende Bekanntmachung ausdrücklich gilt,
sind unter anderem in folgenden Bekanntmachungen aufgeführt:
28. Juni 1915 (RGBl. S. 399 ff.): Mais, Ackerbohnen, Lupinen, Wicken,
Kleie mit Ausnahme von Roggen- und Weizenkleie, Abfälle der Stärke-
fabrikation, Oelkuchen, Oelmehle, tierische Produkte und Abfälle u. a. m.,
19. August 1915 (RGBl. S. 503) : Kartoffelpülpe, nasse Bier- und Getreide-
treber,
13. September 1915 (RGBl. S. 584) : durch Aufschließung von Stroh oder
Holz gewonnene Futtermittel,
8. November 1915 (RGBl. S. 747): Eicheln und Roßkastanien,
19. Dezember 1915 (RGBl. S. 831) : für menschliche Ernährung ungeeignete
Hülsenfrüchte, Buchweizenabfälle u. a. m.,
24. März 1916 (RGBl. S. 193): Kakaoschalen, nasse Hefe u. a. m.
Wichtige, nicht unter vorstehende Verordnung fallende Futtermittel sind
unter anderem:
Gerste, Bekanntmachung vom 6. Juli 1916, Bd. 53, S. 200 f, mit Nachtrags-
bekanntmachungen vom 5. August und 13. September 1916, oben S. 167.
Grünfutter.
Häcksel, Bekanntmachung vom 8. November 1915, Bd. 51, S. 369.
Hafer, Bekanntmachung vom 6. Juli 1916, Bd. 53, S. 201, mit mehreren
Nachtragsbekanntmachungen vom 19. August, oben S. 169, vor allem
vom 25. August 1916, oben S. 173.
Kartoffeln, Bekanntmachung vom 23. September 1916, oben S. 306.
Kleie (inländische Weizen- und Roggenkleie), Bekanntmachung vom 28. Juni
1915 betr. Verkehr mit Brotgetreide und Mehl, Bd. 50, S. 323 f.
Zuckerhaltige Futtermittel, vgl. folgende Bekanntmachung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 309
Verordnung über zuckerhaltige Futtermittel. Vom 5. Ok-
tober 1916 (RGBl. 8. 1114 ff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Die der Verordnung unterliegenden Futtermittel werden ausdrücklich aufge-
führt. Sie dürfen mit bestimmten Ausnahmen (vor allem Zulassung der Rück-
lieferung von bestimmten Mengen Schnitzeln durch die Zuckerfabriken an die
rübenliefernden Landwirte) nur durch die Bezugsvereinigung der deutschen Land-
wirte abgesetzt werden, Besitzer von zuckerhaltigen Futtermitteln haben ihre
Vorräte zu Beginn jedes Vierteljahres der Bezugsvereinigung anzuzeigen ; Zucker-
fabriken haben zu den gleichen Zeitpunkten anzuzeigen, welche Mengen Melasse
und Schnitzel sie voraussichtlich im laufenden Vierteljahr herstellen werden. Die
Vorräte müssen der Bezugsvereinigung auf Verlangen käuflich überlassen werden ;
Zuckerfabriken haben ihre Schnitzel auf Verlangen zu trocknen. Umgekehrt muß
die Bezugsvereinigung angebotene Vorräte übernehmen, widrigenfalls sie frei
werden. Sie hat einen angemessenen, durch Höchstpreise (vgl. die folgende Be-
kanntmachung) nach oben begrenzten üebernahmepreis zu zahlen und hat die
übernommenen Futtermittel an die Landesfuttermittelstellen, die Kommunal ver-
bände oder besondere, vom Reichskanzler bestimmte Stellen abzuliefern. Diese
Verteilungsstellen haben für den Weiterverkauf Preise und sonstige Bedingungen
festzulegen. Melasse darf mit bestimmten Ausnahmen nur mit Zustimmung der
Bezugsvereinigung verarbeitet werden.
(Vgl. die folgende und die vorhergehende Bekanntmachung; wegen früherer
Verordnungen die Bekanntmachungen vom 25. September 1915, Bd. 51, S. 358 f.)
BekanntmachuDg über diePreise für zuckerhaltige Futter-
mittel. Vom 5. Oktober 1916 (RGBl. S. 1120 f.). Auf Grund der
vorstehenden Bekanntmachung.
Es werden Höchstpreise festgesetzt, über die die Bezugsvereinigung der
deutschen Landwirte bei der Bezahlung der übernommenen Vorräte nicht hinaus-
gehen darf (vgl. vorige Bekanntmachung.)
Bekanntmachung über den Verkehr mit Cumaronharz.
Vom 5. Oktober 1916 (RGBl. S. 1123 ff.). Mit Ausführuugsbestim-
mungen vom gleichen Tage (RGBl. S. 1125 ff.). Auf Grund des Ges.
vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Erzeugtes Cumaronharz darf nur durch den Kriegsausschuß für pflanzliche
und tierische Oele und Fette abgesetzt werden und muß auf Verlangen an ihn
abgeliefert werden. Der Kriegsausschuß hat angemessene, durch Höchstpreise be-
grenzte Uebernahmepreise zu zahlen. Nötigenfalls kann eine Beschränkung der
rzeugung von Cumaronharz vorgenommen werden. (Vgl. wegen Fetten und Oden
Bekanntmachung vom 3. August 1916, oben S. 165.)
Bekanntmachung zur Ergänzung der Bekanntmachung
über den Verkehr mit Knochen, Rinderfüßen und Horn-
schläuchen vom 13. April 1916 (RGBl. S. 2 7 6). Vom 5. Oktober
1916 (RGBl. S. 1128 f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914
(RGBl. S. 327) sowie
Bekanntmachung zur Ergänzung der Bekanntmachung
über Ausdehnung der Vorschri f ten der Verordnung über
den Verkehr mit Knochen, Rinderfüßen und Horn-
schläuchen vom 2 5. Mai 1916 (RGBl. S. 409). Vom 5. Ok-
tober 1916 (RGBl. S. 1129 f.). Auf Grund der vorstehenden Bekannt-
machung.
Durch die beiden Bekanntmachungen werden die Oele und Fette betr. Be-
stimmungen der Bekanntmachung vom 13. April 1916 (vgl. Bd. 53, S. 69 f.) aus-
gedehnt auf Oel- und Fettsäuren, Klärschlammfette, alle in Abdeckereien und
310 Nationalökonomisobe Gesetzgebung.
im Extraktionsverfahren gewonnenen Oele, endlich Tran- und Wollfett. (Vgl.
Bekanntmachung vom 3. August 1916, oben 8. 165.)
Bekanntmachung über den Verkehr mit fettlosen Wasch-
und Reinigungsmitteln. Vom 5. Oktober 1916 (RGBl. S. 1130).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327). Mit Aus-
ftihrungsbestimmungen vom gleichen Tage (RGBl. S. 1131 f.)
Fettlose Wasch- und Reinigungsmittel, für die übrigens auch die Bezeich-
nung Seife (allein oder in einer Wortverbindung) nicht verwendet werden darf,
dürfen nur in bestimmten Stückformen oder Packungen in den Verkehr ge-
bracht werden; das Stück oder die Packung muß Name des Herstellers, Klem-
verkaufspreis und die Bezeichnung „Tonwaschmittel" oder „Tonpul ver" tragen;
es werden bestimmte Höchstpreise festgesetzt.
Bekanntmachung über die Geltendmachung von Ansprüchen
von Personen, die im Ausland ihren V^ohnsitz haben.
Vom 5. Oktober 1916 (RGBl. S. 1132). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die oben genannten Personen (vgl. jedoch Bekanntmachung vom 20. Aprü
1915, Bd. 50, S. 314, und vom 25. Juni 1915, Bd. 50, S. 323) können vermögens-
rechtliche Ansprüche bis zum 31. Januar 1917 nicht geltend machen; bei bereits
rechtshängigen Ansprüchen ruht das Verfahren bis zum gleichen Zeitpunkt (vgl.
wegen früherer Bekanntmachungen die Bekanntmachung vom 13. April 1916,
Bd. 53, S. 69).
Bekanntmachung betr. die Fristen des Wechsel- und
Scheckrechts für Elsaß-Lothringen. Vom 5. Oktober 1916
(RGBl. S. 1133). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
5. 327).
Die Fristen des Wechsel- und Scheckrechts werden für Elsaß-Lothringen
bis zum 31. Januar 1917 verlängert. (Vgl. wegen der bisherigen Bekanntmachungen
die Bekanntmachung vom 13. April 1916, Bd. 53, S. 69.)
Bekanntmachung über die Einfuhr von Fischen und von
Zubereitungen von Fischen. Vom 30. September 1916 (RGBl.
S. 1135). Auf Grund der Bekanntmachung vom 17. Januar/4. April 1916
(RGBl. S. 45/234).
Alle Fische (außer frischen Fischen, vgl. wegen dieser Bekanntmachung
vom 13. November 1916, unten S. 319) und Fischzubereitungen sind bei der Ein-
fuhr an die Zentral-Einkaufs-Gesellschaft zu liefern. (Die Verordnungen vom
5. Aprü 1916 — vgl. Bd. 53, S. 66 — 18. Juni 1916 — Bd. 53, S. 191 — und
23. August 1916 — vgl. oben S. 171 — finden entsprechende Anwendung.)
Bekanntmachung über Druckpapier. Vom 5. Oktober 1916
(RGBl. S. 1136). Auf Grund der Bekanntmachung vom 18. April 1916
(RGBl. S. 306).
Es handelt sich um eine weniger wichtige Vorschrift betr. Freiexemplare.
(Vgl. wegen Druckpapier die Bekanntmachung vom 22. August 1916, oben S. 172,
und 18. Aprü 1916, Bd. 53, S. 72.)
Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der
Bierbrauereien sowie den Malzhandel. Vom 7. Oktober 1916
(RGBl. S. 1137 ff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Li Aufhebung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1916 (vgl. Bd. 52, 8.226 f.)
wird bestimmt, daß Bierbrauereien vom 1. Oktober 1916 ab in jedem Viertel-
jahre nur noch 48 v. H. der Malzmenge zur Herstellung von Bier verwenden
Nationalökonomische Gesetzgebung. 311
dürfen, die sie in dem entsprechenden Kalendervierteljahre der Jahre 1912 und
1913 verwendet haben; jedoch wird eine mindestens zulässige Verbrauchsmenge
ebenso wie ein höherer Prozentsatz für kleinere Brauereien festgesetzt. Das so
zulässige Malzkontingent wird von der zuständigen Steuerbehörde festge-
setzt, üebertragungen von Ersparnissen eines Vierteljahres auf die folgenden
Vierteljahre sowie Üebertragungen von Malzkontingenten von ein^r Brauerei auf
eine andere, letztere unter bestimmten Bedingungen, sind zulässig, ßierlieferungs-
bzw. Bierbezugsverträge werden zeitlichen Beschränkungen unterworfen.
Betriebe mit Malz- oder Gerstenkontingent dürfen Malz oder Gerste nur
veräußern, wenn sie gleichzeitig den entsprechenden Teil ihres Kontingents über-
tragen. Die Mälzereien haben das gesamte aus der Gerste hergestellte Malz an
den Betrieb abzuliefern, aus dessen Kontingent die verarbeitete Gerste herrührt,
Die Bekanntmachungen vom 15. Februar 1915 (vgl. Bd. 50, S. 60), 31. Januar
1916 (Bd. 52, S. 226 f.), 16. März 1916 (Bd. 52, S. 234 f.) und 4. Mai 1916 (Bd. 53,
8. 75 r.) werden aufgehoben. — Vgl. wegen Malz im übrigen Bekanntmachung
vom 4. Mai 1916 (Bd. 53, 8. 75 f.).
Bekanntmachung über Lieferung von Heu für das Heer.
Vom 7. Oktober 1916 (RGBl. S. 1141 ff.) Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Bis zum 31. Juli 1917 müssen insgesamt 1 Mill. Tonnen Heu für das Heer
abgeliefert sein; die Unterverteüung auf die Bundesstaaten ist Sache des Reichs-
kanzlers. Für den Ankauf des Heus durch die Lieferungsverbände (vgl. § 17 des
Ges. vom 13. Juni 1873) oder Gemeinden werden Höchstpreise festgesetzt. (Vgl.
die früheren Bekanntmachungen vom 28. Januar 1916 — Bd. 52, S. 231 — und
11. Mai 1916 —Bd. 53, S. 76.)
Verordnung über Höchstpreise für Aepfel. Vom 7. Oktober
1916 (RGBl. S. 1143 f.). Auf Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai
1916 (RGBl. S. 401).
Es werden Erzeugerhöchstpreise von 7,50 M. für den Zentner geschüttelte
und Falläpfel, und 12 M. für 'gepflückte Aepfel festgesetzt. Die Kleinhandels-
höchstpreise sind je 5 M. höher. Die Höchstpreise gelten nicht für Tafeläpfel.
Es kann zwangsweise Uebertragung des Eigentums an Aepfeln durch die zu-
ständigen Behörden stattfinden. (Vgl. wegen Obst Bekanntmachung vom 5. August
1916, oben 8. 166.)
Bekanntmachung betr. Erleichterungen auf dem Gebiete
des Patent- und Warenzeichenrechts in ausländischen
Staaten. Vom 5. Oktober 1916 (RGBl. S. 1144).
Die Bekanntmachung führt neben den in früheren Bekanntmachungen (vgl.
Bd. 50, 8. 317, und Bd. 51 8. 359) aufgeführten Staaten noch einen weiteren, <fie
Niederlande, an, in dem den Deutschen die in der Bekanntmachung vom 10. Sep-
tember 1914 (vgl. Bd. 49, 8. 65 — vgl. auch Bekanntmachung vom 31. März
1915, Bd. 50, S. 68 und 13. April 1916, Bd. 53, 8. 70) erwähnten Erleichterungen
gewährt werden, auf dessen Angehörige diese Erleichterungen also auch von
deutscher Seite Platz greifen.
Bekanntmachung über Rohtabak. Vom 10. Oktober 1916 (RGBl.
5. ] 145 ff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
— Mit Ausführungsbestimmungen vom gleichen Tage (RGBl. S. 1149 ff.),
vom 27. Oktober 1916 (RGBl. S. 1200ff.) und 21. November 1916
(RGBl. S. 1288).
Vorhandene Vorräte an Rohtabak werden für die „Deutsche Tabakhandels-
gesellschaft von 1916 m. b. H.", die aus einer Inlands- und einer AuslandsabteUung
besteht, beschlagnahmt; ebenso ist später geernteter inländischer Tabak mit der
Trennung vom Boden, ausländische Tabakrippen usw., die bei der Bearbeitung an-
fallen, nut der Abtrennung für die Gesellschaft beschlagnahmt; bestimmte Aus-
312 Nationalökonomische Gesetzgebung.
nahmen sind voreesehen. Der beschlagnahmte Tabak ist der Gesellschaft auf
Verlangen käuflich zu überlassen. Angemessene, durch Richtpreise näher um-
grenzte Uebernahmepreise müssen gezahlt werden. Die Gesellschaft überwacht
die Weiterverarbeitung und den Weiterverkauf des Rohtabaks, wobei insbesondere
zahlreiche Preisvorschriften erlassen werden, und ferner der Ankauf von Roh-
tabak der Ernte 1916 zur Vergärung und der Handel mit gegorenem Tabak
eingehend geregelt werden. Der Bedarf der Verarbeiter und Klein Verkäufer wird
auf Grund der Geschäftsergebnisse des ersten Halbjahres 1916 bemessen. Die
Bekanntmachung gilt nicht für orientalische Tabake. (Vgl. die folgende Bekannt-
machung, sowie Bekanntmachung vom 7. August 1916 oben S. 167.)
Bekanntmachung betr. das Außerkrafttreten von Verord-
nungen und Bekanntmachungen. Voni 10. Oktober 1916
(RGBl. S. 1152).
Die Bekanntmachungen vom 7. August 1916 über Tabak (vgl. oben S. 167)
sowie zwei weitere nur im Reich sanzeiger veröffentlichte Bekanntmachungen
treten außer Kraft.
Bekanntmachung betr. Aenderung der Postordnung vom
20. März 1900. Vom 9. Oktober 1916 (RGBl. S. 1153 f.).
Die Bekanntmachung enthält die mit Rücksicht auf die Bekanntmachung
vom 5. Oktober 1916 (vgl. oben S. 310.) nötige Aenderung der postalischen Vor-
schriften.
Bekanntmachung über die Abänderung der Preise für
Knochenmehl. Vom 12. Oktober 1916 (RGBl. S. 1155f.). Auf
Grund der Bekanntmachung vom 11. Januar 1916 (RGBl. S. 13).
Die durch Bekanntmachung vom 11. Januar 1916 (vgl. Bd. 52, S. 222) für
Knochenmehl festgesetzten Höchstpreise werden abgeändert. Vgl. auch Bekannt-
machung vom 24. Oktober 1916, unten S. 315.
Bekanntmachung über die äußere Kennzeichnung von
Waren. Vom 11. Oktober 1916 (RGBl. S. 1156 f.). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 18. Mai 1916 (RGBl. S. 380).
Die in der Bekanntmachung vom 18. Mai 1916 (vgl. Bd. 53, S. 78) vor-
gesehenen Anordnungen betr. äußere Kennzeichnung werden auch für Soda,
Seife und sonstige Waschmittel in Packungen erlassen.
Bekanntmachung über Erleichterungen im Brennerei-
betrieb und Branntwein verkehr und Regelung der Be-
triebsauflagevergütungen für das Betriebs jähr 1916/17.
Vom 12. Oktober 1916 (RGBl. S. 1159 ff.). Auf Grund des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Es werden für die Brennereien, insbesondere landwirtschaftliche, eine Reihe
Erleichterungen vorgesehen, deren Aufführung im einzelnen hier zu weit führen
würde ; auch werden die Betriebsauflagevergütungen neu festgesetzt (vgl. hierüber
Bekanntmachung vom 7. Oktober 1915, Bd. 51, S. 360 f., im übrigen Bekannt-
machung vom 14. September 1916, oben S. 304).
Bekanntmachung betr. Zollerleichterungen für V^aren aus
den besetzten feindlichen Gebieten. Vom 12. Oktober 1916
(RGBl. S. 1162). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
5. 327).
Es handelt sich im wesentlichen um Obst, Nüsse, verschiedene zubereitete
Gemüse und andere Nahrungsmittel, endlich Soda, die bis auf weiteres zollfrei
bleiben sollen. (Vgl. wegen der friiheren Bekanntmachungen die Bekanntmachung
vom 6. Januax 1916, Bd. 52, S. 221.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 313
Bekanntmachung über die Durchfuhr von kondensierter
Milch und von Milchpulver. Vom 13. Oktober 1916 (RGBl.
S. 1163). Auf Grund der Bekanntmachung vom 18. April 1916 (RGBl.
S. 302).
Die Durchfuhr der genannten Gegenstände mit Ausnahme derjenigen
schweizer Herkunft wird verboten. (Vgl. Bekanntmachung vom 18. Aprü 1916,
Bd. 53, S. 72.)
Bekanntmachung über Kartoffeln. Vom 14. Oktober 1916
(RGBl. S. 1165 f.). Auf Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai
1916 (RGBl. S. 401).
In Ergänzung der Verordnung vom 26. Juni 1916 (vgl. Bd. 53, S. 197) wird
der Tagesverbrauch festgesetzt auf höchstens IV2 Pfund für Kartoffelerzeuger und
höchstens 1 Pfund für die übrige Bevölkerung; Schwerarbeiter sollen bis zu
2 Pfund erhalten. Kartoffelstärke, Kartoffelstärkemehl und Erzeugnisse der Kar-
toffeltrocknerei dürfen nicht verfüttert werden, frische Kartoffeln nur, soweit sie
nicht als Speise- oder Fabrikkartoffeln Verwendung finden können, jedoch im
allgemeinen nur an Schweine und Federvieh. Der Handel mit Saatkartoffeln
wird bis auf weiteres verboten. (Vgl. wegen Kartoffeln die Bekanntmachung vom
15. Aprü 1916, Bd. 53, S. 71, und 2. August 1916, oben S. 164.)
Gesetz über die Verlängerung der Legislaturperiode
des Reichstags. Vom 16. Oktober 1916 (RGBl. S. 1169).
Die Legislaturperiode wird um 1 Jahr verlängert. (Vgl. auch folgende Be-
kanntmachung).
Gesetz betr. den Landtag für Elsaß-Lothringen. Vom
16. Oktober 1916 (RGBl. S. 1170).
Die Mitgliedschaft der Mitglieder der ersten Kammer sowie die Wahlperiode
der zweiten Kammer des Landtags werden um ein Jahr verlängert.
Bekanntmachung betr. die Reichsstelle für Druckpapier.
Vom 18. Oktober 1916 (RGBl. S. 11711). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 18. April 1916 (RGBl. S. 306).
Für maschinenglattes, holzhaltiges, für Tageszeitungen bestimmtes Druck-
papier sollen die von der Reichsstelle für Druckpapier festgesetzten Preise maß-
gebend sein. (Vgl. Bekanntmachung vom 22. August 1916, oben S. 72, und
18. Aprü 1916, Bd. 53, S. 72.)
Bekanntmachung betr. Aenderung der Verordnung über
untaugliches Schuhwerk vom 2 1. Juni 1916 (RGBl.
S. 541). Vom 19. Oktober 1916 (RGBl. S. 1172). Auf Grund des
Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Es handelt sich um eine Aenderung der Uebergangsvorschriften der ge-
nannten Bekanntmachung (vgl. Bd. 53, S. 192, Bekanntmachung vom 28. Sep-
tember 1916, oben S. 306, und nächste Bekanntmachung).
Bekanntmachung betr. Ausführungsbestimmungen zu der
Verordnung über untaugliches Schuhwerk vom 21. Juni
1916 (RGBl. S. 541). Vom 19. Oktober 1916 (RGBl. S. 1173).
Es handelt sich um kleine Aenderungen der Ausführungsbestimmungen zur
genannten Bekanntmachung, (vgl. vorige Bekanntmachung).
Bekanntmachung über Festsetzung von Grundpreisen für
verdorbene Speisefette und die Preisstellung für den
Weiterverkauf im Großhandel. Vom 20. Oktober 1916 (RGBl.
314 Nationalökonomisohe Gesetzgebung.
S. 1174). Auf Grund der Bekanntmachung vom 20. Juli 1916 (RGBl.
S. 755).
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor. (Vgl.
Bekanntmachung vom 3. August 1916 und ;die daselbst aufgeführten weiteren
Bekanntmachungen — oben 8. 165 — ).
Verordnung betr. Abänderung der Verordnung über Käse
vom 13. Januar 1916 (RGBl. S. 31). Vom 20. Oktober 1916
{RGBl. S. 1175 ff.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327.)
Die durch Bekanntmachung vom 13. Januar 1916 festgesetzten Höchstpreise
werden etwas erhöht, auch erfährt die Verordnung einige sonstige kleinere Ab-
änderungen. (Vgl. Bekanntmachungen vom 13. Januar 1916, Bd. 52, 8. 222,
25. April 1916, Bd. 53, 8. 74, 11. Mai 1916, Bd. 53, 8. 76 f, und folgende Be-
kanntmachung.)
Bekanntmachung der neuen Fassung der Verordnung über
Käse. Vom 20. Oktober 1916 (RGBl. S. 1179 ff.). Auf Grnnd der
vorstehenden Bekanntmachung.
Die Bekanntmachung vom 13. Januar 1916 (vgl. Bd. 52, 8. 222) wird wegen
der zahlreichen, inzwischen ergangenen Abänderungen (vgl. Bekanntmachung
vom 18. März 1916, Bd. 52, 8. 235, 11. Mai 1916, Bd. 53, 8. 76 f., und vorstehende
Bekanntmachung) in ihrer neuen Fassung veröffentlicht '(Vgl. Bekanntmachung
vom 5. August 1916, oben 8. 166.)
Bekanntmachung über die Durchfuhr von Fischen und von
Zubereitungen von Fischen. Vom 20. Oktober 1916 (RGBl.
S 1185). Auf Grund verschiedener Bekanntmachungen.
Die Durchfuhr der genannten Gregenstände wird verboten. (Vgl. Bekannt-
machung vom 23. August 1916, oben 8. 171.)
Verordnung über den Absatz von Weißkohl. Vom 21. Ok-
tober 1916 (RGBl. S. 11871). Auf Grund der Bekanntmachung vom
22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Die Reichsstelle für Gemüse und Obst kann für bestimmte, örtlich abge-
grenzte Gebiete bestimmen, daß Weißkohl nur mit ihrer Genehmigung abgesetzt
werden darf. Bestimmte Ausnahmen werden zugelassen. Macht die KeicJ^stelle
von ihrer Befugnis Gebrauch, so haben die Besitzer von Weißkohl diesen der
Reichsstelle auf Verlangen gegen einen angemessenen üebernahmepreis käuflich
zu überlassen. (Vgl. wegen Gemüse im übrigen die Bekanntmachung vom
5. August 1916, oben 8 166.)
Bekanntmachung über die Anmeldung der Bestände von
Kornbranntwein. Vom 23. Oktober 1916 (RGBl. S. 1189 f.). Auf
Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Der Inhalt der Bekanntmachung geht aus der Ueberschrift hervor. — Vgl.
in übrigen Bekanntmachung vom 14. 8eptember 1916, oben 8. 304.
Bekanntmachung betr. Auf heb ung des § 1 derVerordnung
über die Höchstpreise für Wolle und Wollwaren vom
22. Dezember 1914 (RGBl. S. 545). Vom 23. Oktober 1916
(RGBl. S. 1190). Auf Grund der genannten Bekanntmachung.
Die Höchstpreise für Rohwolle werden aufgehoben; die Höchstpreise für
gewaschene WoUe und die sonstigen durch die Bekanntmachung vom 22. Dezember
1914 (vgl. Bd. 50, 8. 50) festgesetzten Höchstpreise behalten weiter ihre Geltung.
Bekanntmachung über die Regelung des Betriebs in Kar-
toffeln verarbeitenden Brennereien im Betriebs jähre
Nationalökonomische Gesetzgebung. 315
1916/17. Vom 24. Oktober 1916 (RGBl. S. 1191 f.). Auf Grund
der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Die Besitzer von Kartoffeln verarbeitenden Brennereien sind zu Erstattung
einer Reihe von Anzeigen über Umfang und sonstige Verhältnisse ihrer Brennereien
verpflichtet; wer die Anzeige nicht rechtzeitig erstattet oder seinen Betrieb nicht
spätestens am 15. November 1916 eröffnet, darf im Betriebsjahr 1916/17 Kartoffeln
nicht auf Branntwein verarbeiten (vgl. die weitere Bekanntmachung vom 26. Ok-
tober 1916, unten S. 315, im übrigen wegen Kartoffeln Bekanntmachung vom
2. August 1916, oben S. 164, wegen Brennereien die Bekanntmachung vom
14. September 1916, oben S. 304).
Bekanntmachung über Mischungen von Knochenmehl und
Kali. Vom 24. Oktober 1916 (RGBl. S. 1192). Auf Grund der Be-
kanntmachung vom 11. Januar 1916 (RGBl. S. 13).
Es handelt sich um eine weniger wesentliche Vorschrift. (Vgl. Bekannt-
machung vom 11. Januar 1916, Bd. 52, S. 222, 11. Mai 1916, Bd 53, S. 76,
und 12. Oktober 1916, oben S. 312.)
Bekanntmachung betr. die Ergänzung der Eisenbahn-Bau-
und Betriebsordnung vom 4. November 1904. Vom 23. Ok-
tober 1916 (RGBl. S. 1193).
Das Reichseisenbahnamt kann auch für das ganze Gebiet einer Eisenbahn-
verwaltung Ausnahmen von den Vorschriften der Eisenbahnbau- und -betriebs-
ordnung gestatten, die bisher nur für einzelne Bahnstrecken, Züge u. s. w. zu-
lässig waren.
Bekanntmachung über Aenderung der Bekanntmachung
über die Einfuhr von Kaffee aus dem Ausland vom
6. April 1916 (RGBl. S. 2 45). Vom 26. Oktober 1916 (RGBl.
S. 11931), und
Bekanntmachung über die Aenderung der Bekanntmachung
über die Einfuhr von Tee aus dem Ausland vom 6. April
1916 (RGBl. S. 250). Vom 26. Oktober 1916 (RGBl. S. 1194).—
Beide Bekanntmachungen auf Grund der Bekanntmachungen vom
11. November 1915/4. April 1916 (RGBl. S. 750/233).
Es handelt sich um eine Vorschrift betr. den Zeitpunkt des Eigentumsüber-
ganges von eingeführten, vom Kriegsausschuß übernommenen Waren. (Vgl. Bd. 53,
S. 67.)
Bekanntmachung über den Verkehr mit Schwefel. Vom
27. Oktober 1916 (RGBl. S. 1195). Mit Ausführungsbestimmungen
vom gleichen Tage (RGBl. S. 1196 f.). Auf Grund j-des Ges. vom
4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Hersteller von Schwefel haben den hergestellten Schwefel an die Kjiegs-
chemikahen- Aktiengesellschaft gegen angemessene, nach oben durch Höchstpreisbe-
stimmungen begrenzte Uebernahmepreise abzuliefern. (Vgl. auch die Bekannt-
machung vom 13. November 1915, Bd. 51, S. 371 und 28. Oktober 1916, unten
5. 317.)
Bekanntmachung über Verarbeitung von Kartoffeln auf
Branntwein in Kleinbrennereien. Vom 26. Oktober 1916
(RGBl. S. 1198). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Die Verarbeitung von Kartoffeln auf Branntwein in Kleinbrennereien wird
bis auf weiteres verboten. (Vgl. Bekanntmachung vom 24. Oktober 1916, oben
S. 315, im übrigen wegen Kartoffeln Bekanntmachung vom 2. August 1916, oben
S. 164, wegen Branntwein Bek. vom 14. September 1916. oben S. 304.)
316 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verordnung über die Verjährungsfristen. Vom 26. Oktober
1916 (ßGBl. S. 1198). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914
(RGBl. S. 327).
Die in den §§ 196, 197 BGB. bezeichneten Ansprüche, das sind vor
allem die Ansprüche des täglichen Lebens (vgl. Bekanntmachung vom 22. Dezember
1914 _ Bd. 50, 8. 50 — und 4. November 1915 — Bd. 51, 8. 368) sowie eine
Eeihe von seerechtlichen Ansprüchen (vgl. Bekanntmachung vom 9. Dezember
1915 — Bd. 52, 8. 216), deren Verjährung bereits durch die genannten Bekannt-
machungen gehemmt war, sollen nicht vor dem 8chlu8se des jSires 1917 verjähren.
Bekanntmachung betr. Abänderung der Verordnung über
Höchstpreise für Hafer vom 24. Juli 1916 (RGBl. S.826).
Vom 26. Oktober 1916 (RGBl. S. 1199). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Der Inhalt der Bekanntmachung ist in die Inhaltsangabe der Bekannt-
machung vom 18. September 1916 (vgl. oben 8. 304 f.) eingearbeitet.
Verordnung über Höchstpreise für Rüben. Vom 26. Ok-
tober 1916 (RGBl. S. 12041). Auf Grund der Bekanntmachung vom
22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Für die verschiedenen Arten von Rüben einschl. Kohlrüben und Möhren
werden Erzeugerhöchstpreise festgesetzt; die Landeszentralbehörden können für
Karotten jedoch höhere Höchstpreise festsetzen. Allgemein können sie oder die
von ihnen beauftragten Behörden höhere Höchstpreise für Verkäufe unmittelbar
vom Erzeuger an den Verbraucher festsetzen ; sie setzen endlich die Großhandels-
und Kleinhandelshöchstpreise fest. Die vom Reichskanzler bestimmten Stellen sind
an keine der Höchstpreisfestsetzungen gebunden. Die Kommunalverbände können
Ausfuhrverbote oder -beschränkungen erlassen.
Bekanntmachung zur Aenderung der Ausführungsbe-
stimmungen zur Verordnung des Bundesrats vom 4. März
1916 über die Einfuhr von pflanzlichen und tierischen
Oelen und Eetten sowie Seifen vom 8. März 1916 (RGBl.
S. 151). Vom 27. Oktober 1916 (RGBl. S. 1207). Auf Grund der
genannten Verordnung, und
Bekanntmachung zur Aenderung der Ausführungsbe-
stimmungen über die Einfuhr von Margarine aus dem
Ausland vom 12. Januar 1916 (RGBl. S. 26). Vom 27. Ok-
tober 1916 (RGBl. S. 1208). Auf Grund der genannten Bekannt-
machung.
Es handelt sich um Vorschriften betr. den Zeitpunkt des Eigentumsüber-
fanges von eingeführten, vom Kriegsausschuß übernommenen Waren. (Vgl. ße-
anntmachung vom 4. März 1916, Bd. 52, 8. 233. und 12. Januar 1916, Bd. 52, 8. 222.
im übrigen wegen Fetten Bekanntmachung vom 3. August 1916, oben 8. 165.)
Bekanntmachung betr. die Anmeldung von Wertpapieren.
Vom 28. Oktober 1916 (RGBl. S. 1209). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 23. August 1916 (RGBl. S. 952).
Der Inhalt der Bekanntmachung ist in die Inhaltsangabe der Bekannt-
machung vom 23. August 1916 (vgl. oben 8. 172) eingearbeitet.
Bekanntmachung betr. Höchstpreise für Schwefelsäure
und Oleum. Vom 28. Oktober 1916 (RGBl. S. 1210ff.). Auf Grund
der Bekanntmachung vom 13. November 1916 (RGBl. S. 761).
Nationalökonomische Gesetzgebung, 317
Der Inhalt der BekanntmachuDg geht aus der üeberschrift hervor. Die
frühere Bekanntmachung vom 8. April 1916 (vgl. ßd. 53, S. 68) wird aufge-
hoben. — Vgl. auch Bekanntmachung vom 13. November 1915, Bd. 52, S. 371
und vom 27. Oktober 1916, oben S. 315.
Bekanntmachung über Bezugsscheine — Bekanntmachung
über die Regelung des Verkehrs mit Web-, Wirk- und
Strickwaren für die bürgerliche Bevölkerung vom
10. Juni 1916 (RGBl. S. 463). Vom 31. Oktober 1916 (RGBl.
S. 1218 ff.). Auf Grund der genannten Bekanntmachung.
Die Bekanntmachung betr. die von der Verkehrsregelung ausgenommenen
Gegenstände vom 10. Juni 1916 (Bd. 53, S. 189) nebst ihren Zusatzbekannt-
machungen vom 13. Juli 1916 (vgl. daselbst), 7. August 1916, 21. August 1916
und 9. September 1916 (vgl. oben S. 167 f., 169 und 177) werden aufgehoben. Die
Freiliste erhält eine grundsätzliche Umgestaltung, indem Stoffe, Wäsche und
Garderoben über gewissen Preislagen auch bezugsscheinpflichtig werden. Die
sonstigen, in der Freiliste vom 10. Juni sowie den Nachträgen (vgl oben) aufge-
führten Gegenstände verbleiben im wesentlichen in der Freiliste, jedoch werden
zahlreiche kleine verschärfende Abänderungen vorgenommen.
Neben der als „Verzeichnis A" bezeichneten Freiliste wird noch ein „Ver-
zeichnis B" aufgestellt, das Oberkleidungsstücke enthält, für die Bezugsscheine ohne
Prüfung der Notwendigkeit der Anschaffung erteilt werden können, wenn der
Antragsteller nachweist, daß er bestimmten Annahmestellen ein entsprechendes
gleichartiges, von ihm getragenes, noch gebrauchsfähiges Oberkleidungsstück über-
lassen hat. Die Liste enthält nur Oberkleidungsstücke über bestimmten, aber gegen
die Freiliste vom 10. Juni wesentlich erhöhten Preislagen. Bei teureren Stoffen
und Wäschestücken ist also endgültig von jeder Vorzugsstellung abgesehen worden.
Für Schneider, Schneiderinnen und Wandergewerbetreibende werden Sonder-
bestimmungen erlassen.
Bekanntmachung über Druckpapier. Vom 31. Oktober 1916
(RGBl. S. 1225). Auf Grund der Bekanntmachung vom 18. April 1916
(RGBL S. 306).
Der Inhalt der Bekanntmachung ist in die Inhaltsangabe der Bekannt-
machung vom 22. August 1916 (vgl. oben S. 172) eingearbeitet.
Bekanntmachung über Ausdehnung der Verordnung, betr.
die Einfuhr von Futtermitteln, Hilfsstoffen und Kunst-
dünger, vom 28. Januar 1916 (RGBl. S. 67) und der dazu
erlassenen Ausführungsbestimmungen vom 31. Januar
1916 (RGBl. S. 71). Vom 1. November 1916 (RGBl. S. 1227).
Auf Grund der genannten Bekanntmachung.
Die Bestimmungen der genannten Bekanntmachung werden auf Schilf,
Schilfmehl und Schilfhäcksel ausgedehnt. (Vgl. Bekanntmachung vom 22. August
1916, oben S. 171, und die daselbst aufgeführten weiteren Bekanntmachungen,
insbesondere Bekanntmachung vom 11. September, oben S. 178, und 10. November
1916, unten S. 320.)
Gesetz betr. die Feststellung eines zweiten Nachtrags
zum Reichshaushaltsetat für das Rechnungsjahr 1916.
Vom 30. Oktober 1916 (RGBl. S. 1229 f.).
Es werden zu den bisher bewilligten 52 Milliarden M. (je 5 am 4. August
und 3. Dezember 1914, je 10 am 22. März, 31. August und 24. Dezember 1915,
und 12 am 9. Juni 1916) weitere 12 Milliarden M. an Kriegskrediten bewilligt.
Bekanntmachung über die Vornahme einer Volkszählung
am 1. Dezember 1916. Vom 2. November 1916 (RGBl. S. 1233ff.).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
313 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Für die am 1. Dezember 1915 ausgefallene soll am 1. Dezember 1916 eine
Volkszählung vorgenommen werden.
Bekanntmachung über einen Höchstpreis für Weizengrieß.
Vom 2. November 1916 (RGBl. S. 1241). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Es wird ein Kleinhandelshöchstpreis von 56 Pfg. für das Kilogramm fest-
gesetzt.
Verordnung über Höchstpreise für Hafernährmittel.
Vom 2. November 1916 (RGBl. S. 1242 f.). Auf Grund der Bekannt-
machung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Es werden Hersteller- und Kleinhandelshöchstpreise für Haferflocken, -grütze
und -mehl (44 Pfg. für das Pfund lose Ware, für Paketware etwas mehr) festgesetzt.
Bekanntmachung über die Ueberwachung des Verkehrs
mit Seemuscheln. Vom 2. November 1916 (RGBl. S. 1243 f.). Auf
Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Es wird eine Ueberwachungsstelle für Seemuscheln errichtet, der die ueber-
wachung des Fanges und des Handels mit Seemuscheln sowie der Herstellung
von Seemuschelkonserven obliegt. Insbesondere bedarf ihrer Erlaubnis, wer See-
muscheln im Großhandel von Fischern kauft und wer Seemuschelkonserven her-
stellt. Die Ueberwachungsstelle kann für die genannten Waren Preise festsetzen
und kann auch den Fang und den Verkauf von Seemuscheln sowie die Her-
stellung von Seemuschelkonserven regeln, beschränken oder untersagen u. a. m. Die
Strafbestimmungen sind durch Bekanntmachung vom 26. November 1916 geändert.
Bekanntmachung über die Regelung der Verbrauchsab-
gabenermäßigungen und weitere Erleichterungen im
Brennereibetrieb im Betriebs jähr 1916/17. Vom 2. No-
vember 1916 (RGBl. S. 1245 f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August
1914 (RGBl. S. 327).
Es werden Bestimmungen betr. Verbrauchsabgabenermäßigungen , Ueber-
tragung des Durchschnittsbrandes erlassen, endlich Erleichterungen für Brennereien
vorgesehen, die bisher Kornbranntwein herstellten und zur Verarbeitung anderer
Stoffe übergehen. (Vgl wegen weiterer Bekanntmachungen auf diesem Gebiete die
Bekanntmachung vom 14. September 1916, oben S. 304.)
Bekanntmachung betr. Krankenversicherung von Aus-
ländern während des Krieges. Vom 2. November 1916 (RGBL
S. 1247). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Feindliche Staatsangehörige, die durch Anordnung deutscher Behörden in
ihrer persönlichen Freiheit beschränkt, und deshalb als unfreie Personen nicht
kranken versicherungspflichtig oder -versicherungsberechtigt sind, werden den Vor-
schriften der Reichsversicherungsordnung über die Krankenversicherung unterstellt.
(Vgl. wegen Kjankenversicherung Bekanntmachung vom 23. April 1915, Bd. 50,
S. 315 f., 14. Juni 1916, Bd. 53, S. 190, und 16. November 1916, unten S. 320.)
Bekanntmachung über die Vornahme einer Viehzählung
am 1. Dezember 1916. Vom 4. November 1916 (RGBl. S. 1249 ff.).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die sogenannte kleine Viehzählung soll sich auf Pferde, Rindvieh, Schafe,
Schweine, Ziegen und Federvieh erstrecken. (Vgl. wegen früherer Viehzählungen
die Bekanntmachung vÖRn 15. November 1915, Bd. 51, S. 371, und 23. März 1916,
Bd. 52, S. 236.)
Verordnung über Höchstpreise für Zwiebeln. Vom 4. No-
vember 1916 (RGBl. S. 1257 ff.). Auf Grund der Bekanntmachung vom
22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Nationalökonomische Gesetzgebung. 319
Es werden für Zwiebeln Erzeuger- und Kleinhandelshöchstpreise festgesetzt,
die von Monat zu Monat entsprechend dem wachsenden Schwund usw. ansteigen.
Das Eigentum an Zwiebeln kann durch die zuständigen Behörden auf andere
Personen übertragen werden. (Vgl. die früheren Bekanntmachungen vom 4. De-
zember 1915, Bd. 52, S. 215 f., und 25. Januar 1916, Bd. 52, S. 225, sowie vom
8. April 1916, Bd. 53, S. 68.)
Bekanntmachang über anderweiteFestsetzung derHöchst-
preise für Erzeugnisse der Kar tof f eltrocknerei und der
Kartoffelstärkefabrikation. Vom 5. November 1916 (RGBL
S. 1261 f.). Auf Grund der Verordnung vom 16. September 1915/24. Fe-
bruar 1916 (RGBl. S. 588/118).
Die durch Bekanntmachung vom 29. Februar 1916 — vgl. Bd. 52, S. 231 —
für Kartoffelwalzmehl festgesetzten Höchstpreise erfahren eine Erhöhung.
Bekanntmachung über die Einfuhr von frischen Fischen.
Vom 13. November 1916 (RGBl. S. 1265 ff.).
Die Einfuhr von frischen Fischen muß der Zentral-Einkaufsgesellschaft an-
gezeigt werden; die eingeführten Fische dürfen nur durch sie oder mit ihrer Ge-
nehmigung in den Verkehr gebracht werden; auf Verlangen sind die Fische an
die Zentral-Einkaufsgesellschaft gegen einen von dieser festgesetzten Uebernahme-
preis abzuliefern. Die Durchfulu: frischer Fische wird verboten. (Vgl. wegen der
Einfuhr von Fischen Bekanntmachung vom 5. April 1916, Bd. 53, S. 66, und 30. Sep-
tember 1916 oben S. 310, ferner Bekanntmachung vom 28. November 1916, unten
S. 322.)
Gesetz über die Festsetzung von Kursen der zum
Börsenhandel zugelassenen Wertpapiere. Vom 9. November
1916 (RGBl. S. 1269).
Der Bundesrat kann für die Veranlagung der Besitzsteuer (Gesetz vom
3. Juli 1913) und der Kriegssteuer (Gesetz vom 21. Juni 1916, Bd. 53, 8. 193 ff.)
die Kurse der zum Börsenhandel zugelassenen Wertpapiere auf den 31. Dezember
1916 festsetzen. Der Reichskanzler ist ermächtigt, die Kurse vorläufig festzusetzen.
Etwa hiervon abweichende endgültige Festsetzungen müssen bis spätestens 15. Ja-
nuar 1917 bekannt gemacht werden.
Bekanntmachung über Kunsthonig. Vom 14. November 1916
(RGBl. S. 1271 ff.) Auf Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai 191&
(RGBl. S. 401).
Kunsthonig darf nur in fester Form hergestellt und in den Verkehr ge-
bracht werden; es werden Hersteller-, Großhandels- und Elleinhandelshöchst-
preise festgesetzt. Das Eigentum an Kunsthonig kann durch Anordnung der
zuständigen Behörde auf andere Personen übertragen werden. Eingeführter Kunst-
honig (ebenso wie andere zuckerhaltige Brotaufstrichmittel) muß an die Zentral-
Einkaufsgesellschaft geliefert werden; seine Durchfuhr ist verboten. (Vgl. Be-
kanntmachung vom 11. November 1915, Bd. 51, S. 370.)
Bekanntmachung über Befreiungen vom Warenumsatz-
stempel. Vom 14. November 1916 (RGBl. S. 1274). Auf Grund
des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327.)
Der Warenumsatzstempel (vgl. Gesetz vom 26. Juni 1916 — Bd. 53,
S. 199) wird mit bestimmten Ausnahmen nicht erhoben bei Warenlieferungen von
Bundesstaaten, Gemeinden usw., die während der Dauer der Kriegswirtschaft zur
Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln bewirkt werden; die gleiche Be-
freiung kann unter bestimmten Voraussetzungen Lebensmittelversorgungsgesell-
schaften fBezirkszentralen) gewährt werden. — Bei Bezahlung von Goldsachen
und Kostoarkeiten durch die zur Verstärkung des Goldschatzes der Reichs-
bank eingerichteten Goldankaufsstellen wird keine Abgabe erhoben.
320 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung über Ausdehnung der Verordnung betr.
die Einfuhr von Futtermitteln, Hilfsstoffen und Kunst-
dünger vom 2 8. Januar 1916 (RGBl. S. 6 7) und der dazu
erlassenen Ausführungsbestimmungen vom 31. Januar
1916 (RGBl. S. 71). Vom 10. November 1916 (RGBl. S. 1276).
Auf Grund der genannten Bekanntmachung.
Die genannte Bekanntmachung wird auf Obsttrester ausgedehnt. (Vgl.
wegen weiterer ähnlicher Bekanntmachungen die Bekanntmachung vom 22. August
1916, oben S. 171.)
Verordnung über den Handel mit Sämereien. Vom 15. No-
vember 1916 (RGBl. S. 12771). Auf Grund der Bekanntmachung vom
22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Der Handel mit Klee-, Gras-, Futterrüben- und Futterkräutersamen ist nur
gegen besondere Erlaubnis gestattet.
Bekanntmachung über Erhaltung von Anwartschaften aus
der Krankenversicherung. Vom 16. November 1916 (RGBl.
S. 1279). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Es handelt sich um Ausführungsvorschriften minder wesentlicher Natur, die
die Erhaltung von Anwartschaften erleichtern sollen. (Vgl. Bekanntmachung vom
2. November 1916, oben S. 318.)
Verordnung über Saatkartoffeln. Vom 16. November 1916
(RGBl. S. 1281 f.). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
S. 327).
Saatkartoffeln dürfen nur durch die Vermittlung bestimmter Stellen (insbe-
sondere Landwirtschaftskammern) abgesetzt werden; dies gilt nicht für den Ab-
satz von Landwirt zu Landwirt innerhalb desselben Kommunal Verbandes; die
Ausfuhr aus einem Kommunal verband ist an dessen Genehmigung geknüpft.
Die Höchstpreise vom 13. Juli 1916 — vgl. Bd. 53, S. 203 — haben bis zum
15. Mai 1917 für Saatkartoffeln keine Giftigkeit. Die Bekanntmachung vom
14. September 1916 — vgl. oben S. 179 — wird aufgehoben.
Bekanntmachung zur Ergänzung der Bekanntmachung
über Ausdehnung der Vorschriften der Ver ord nüng über
den Verkehr mit Knochen, Rinderfüßen und Horn-
schläuchen vom 25. Mai/5. Oktober 1916 (RGBl. S. 409/
112 9). Vom 17. November 1916 (RGBl. S. 1283). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 13. April/5. Oktober 1916 (RGBl. S. 276/1129).
Es wird ein Höchstpreis für Abdeckereifett festgesetzt. (Vgl. wegen Fetten
Bekanntmachung vom 3. August 1916, oben S. 165.)
Bekanntmachung zur Aenderung der Bekanntmachung
über die Einfuhr von Kakao vom 3. März 1916 (RGBl.
S. 145). Vom 20. November 1916 (RGBl. S. 1285). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 11. November 1915 (RGBl. S. 750).
Es handelt sich um eine unwesentliche Aenderung über den Zeitpunkt des
Eigentumsüberganges eingeführter, von der Kriegskakaogesellschaft übernommener
Waren. (Vgl. Bekanntmachung vom 3. März 1916, Bd. 52, S. 232, und 29. Mai
1916, Bd. 53, S. 184.)
Bekanntmachung über die Reichsverteilungsstelle für
Eier. Vom 21. November 1916 (RGBl. S. 1286). Auf Grund der
Bekanntmachung vom 25. August 1916 (RGBl. S. 970).
Nationalökonomische Gesetzgebung. 321
Der Inhalt der Bekanntmachung ist in die Inhaltsangabe der Bekannt-
machung vom 12. August 1916 (vgl. oben S. 168) eingearbeitet.
Bekanntmachung betr. den Betrieb der Anlagen der Groß-
eisenindustrie. Vom 23. November 1916 fRGBl. S. 1287).
Die Bekanntmachung schiebt das Inkrafttreten der Vorschriften einer Be-
kanntmachung vom 4. Mai 1914 (RGBl. S. 118) betr. Arbeitszeiten und Ruhe-
pausen der Arbeiter in Anlagen der Großeisenindustrie vom 1. Dezember 1916
(vgl. hierzu Bekanntmachung vom 21. Oktober 1914, Bd. 49, S. 69, und 29. Ok-
tober 1915, Bd. 51, S. 367) auf den 1. Dezember 1917 hinaus.
Bekanntmachung zur Aenderung der Verordnung über
den Verkehr mit Stroh und Häcksel vom 8. November
1915 (RGBl. S. 743). Vom 23. November 1916 (RGBl. S. 1288f.).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Die Bekanntmachung vom 8. November 1915 — vgl. Bd. 51, S. 369 — wird
auf das Stroh von Lupinen, ferner Zucker- und Runkelrübensamenstroh ausge-
dehnt. Die durch diese Bekanntmachung festgesetzten Höchstpreise erfaliren eme
Abänderung und Ergänzung, (Vgl. ferner Bekanntmachungen vom 12. Februar
1916, Bd. 52, S. 228 f., 28. Aprü 1916, Bd. 53, S. 74, 11. Mai 1916, Bd. 53,
S. 76, 17. Juni 1916, Bd. 53, S. 191.)
Bekanntmachung betr. wirtschaftliche Vergeltungsmaß-
regeln gegen Italien. Vom 24. November 1916 (RGBl. S. 1289f.).
Auf Grund verschiedener Bekanntmachungen.
Die Bekanntmachung betr. Zahlungsverbot gegen England vom 30. Sep-
ember 1914 — vgl. Bd. 49, S. 67 — , die Bekanntmachung vom 7. Oktober 1915
betr. Anmeldung des im Inland befindlichen Vermögens von Angehörigen feind-
licher Staaten — vgl. Bd. 51, S. 360 — und die Bekanntmachung betr. zwangs-
weise Verwaltung französischer Unternehmungen vom 26. November 1914/10. Fe-
bruar 1916 — vgl. Bd. 49, S. 75 f., und Bd. 52, S. 228 — finden mit gewissen
Einschränkungen auf Italien Anwendung. (Vgl. aber auch Bekanntmachung vom
24. August 1916, oben S. 172.)
Bekanntmachung über die Verwendung von Chlorzinn zur
Beschwerung von Seidenwaren. Vom 23. November 1916
(RGBl. S. 1291 f.). — Mit Ausführungsbestimmungen vom gleichen Tage
(RGBl. S. 12921). Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl.
& 327).
Die Verwendung von Chlorzinn zur Beschwerung von Seidenwaren wird
Beschränkungen bezüglich des Gewichts des zur Verwendung gelangenden Zinns
unterworfen. Die Einfuhr höher beschwerter Seiden waren wird verboten.
Bekanntmachung über Zement. Vom 24. November 1916 (RGBl.
S. 1294). Auf Grund der Bekanntmachung vom 29. Juni 1916 (RGBl.
S. 633).
Lieferungsverträge über Zement, durch welche eine Lieferungspflicht über
den 30. Juni 1917 hinaus beOTÜndet wird, dürfen vor dem 1. Juni 1917 nicht
abgeschlossen werden. (Vgl. Bekanntmachung vom 29. Juni 1916, Bd. 53, S. 199,
Ziffer a der Inhaltsangabe!)
Bekanntmachung betr. die Prägung von Einpfennigstücken
aus Aluminium. Vom 23. November 1916 (RGBl. S. 1301). Auf
Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Der Reichskanzler darf außerhalb der im Münzgesetz für die Prägung von
Kupfermünzen festgesetzten Grenze Einpfennigstücke aus Aluminium im Betrage
bis zu 2 Millionen M. ausprägen lassen. (Vgl. Bekanntmachung vom 22. De-
zember 1915, Bd. 52, S. 220, und 11. Mai 1916, Bd. 53, S. 77 f.)
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat, Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 21
322 NfttionalökonomiBche Gesetzgebung.
Bekanntmachung zur Aenderung des § 7 der Bekannt-
machung über die Ueberwachung des Verkehrs mit See-
muscheln vom 2. November 1916. Vom 26. November 1916
(RGBl. S. 1302). Auf Grund der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916
(RGBl. S. 401).
Die Strafbestimmungen der genannten Bekanntmachung (vgl. oben 8. 318)
werden geändert.
Bekanntmachung über die Beaufsichtigung der Fischver-
s orgung. Vom 28. November 1916 (RGBl. S. 1303 f.). Auf Grund
der Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401).
Der Reichskanzler ernennt einen Reichskommissar für Fischversorgung, der
Bestimmungen über die Preise und den Absatz von Fischen und Fiscnzuoerei-
tungen erlassen kann. Unter anderem ist er befugt, Fischer, Händler und Her-
stelkr von Fischzubereitungen zwangsweise zu Verbänden zu vereinigen. Als
Fische im Sinne der Verordnung gelten auch Krebse, Hummern, Krabben und
Austern. (Vgl. Bekanntmachungen vom 5. April 1916, Bd. 53, S. 66, 13. November
1916, oben S. 319, 8. August 1916, oben S. 168.)
Bekanntmachung über Beschaffung von Papierholz für
Zeitungsdruckpapier. Vom 30. November 1916 (RGBl. S. 1305ff.).
Auf Grund des Ges. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327).
Zur Durchführung der Beschaffung von Papierholz für Zeitimgsdruckpapier
wird eine Reichsstelle für Papierholz G. m. b. H. begründet. Sie erhält einen
Aufsichtsrat, der aus behördlichen Vertretern und Vertretern der Fachkreise zu-
sammengesetzt ist. Die nötigen Mengen Holz für den Bedarf bis zum 31. Ok-
tober 1917 müssen alsbald gesichert werden, und zwar werden sie vom Reichs-
kanzler auf die einzelnen Bundesstaaten umgelegt. Jedoch können die Bundes-
staaten statt der Holzlieferung eine entsprechende Zahlung an die Reichsstelle
leisten. Das Reich leistet die entsprechende Zahlung für eine Holzmenge in
Höhe der Hälfte der insgesamt sicherzustellenden Menge. Die Reichsstelle
hat das angebotene Holz abzunehmen und angemessene üebernahmepreise zu
zahlen. Die Besitzer von Zellstoffabriken usw. haben der Reichsstelle bestimmte
Anzeigen zu erstatten. Die Reichstelle kann anordnen, daß ohne ihre Greneh-
migung Besitzer von Zellstoffabriken usw. an ihren angezeigten Beständen keine
Veränderung vornehmen dürfen ; die Fabriken usw. haben das ihr von der Reichs-
stelle zugewiesene Papierholz abzunehmen, zu bezahlen, zu verarbeiten und die
hergestellten Erzeugnisse an die ihnen angegebenen Stellen abzuliefern. Der
Reichskanzler kann Preise für Zellstoff, Holzschliff imd Zeitungsdruckpapier fest-
setzen. (Vgl. Bekanntmachung vom 18. April 1916, vgl. Bd. 53, S. 72, und
22. August 1916, oben S. 172.)
Bekanntmachung über phosphorhaltige Mineralien und
Gesteine. Vom 30. November 1916 (RGBl. S. 1321 f.). Auf Grund
des Ges. vom 4. August 1916 (RGBl. S. 327).
Einer vom Reichskanzler bezeichneten Stelle obliegt die Förderung der Ver-
sorgung des deutschen Wirtschaftslebens mit Phosphor; sie ist zu diesem Zwecke
befugt, auf fremden Grundstücken phosphorhaltige Mineralien und Gesteine auf-
zusuchen und zu gewinnen, sowie die zur Aufbereitung erforderlichen Anlagen
zu errichten und zu betreiben ; ferner kann sie die Ueberlassung bestehender An-
lagen zur Aufsuchung usw. der genannten Gegenstände zum Betrieb auf eigene
Rechnung verlangen. Den Interessenten wird eine Entschädigung gewährt.
Der Reichskanzler kann ferner den Verkehr mit Phosphor und mit phos-
phorhaltigen Rohstoffen und Erzeugnissen regeln. (Vgl. wegen Höchstpreisen für
phosphorhaltige Düngemittel die Bekanntmachung vom 11. Januar 1916, Bd. 52,
S. 222, 5. Juni 1916, Bd. 53, S. 185, und 4. Juli 1916, Bd. 53, S. 200.)
Miszellen. 323
Miszellen.
IX.
Weltkrieg und Weltversorgung.
Von Otto Jöhlinger.
Kurze Zeit nach Ausbruch des jetzigen gewaltigen Ringens hat ein
verdienter österreichischer General die neue Form des Kampfes dahin
charakterisiert, daß er einen modernen Krieg als ein technisches
Problem bezeichnete. Diese Kennzeichnung ist durchaus zutreffend,
soweit die militärisch-strategische Seite in Betracht kommt. Deutsch-
land würde ohne die gewaltige technische üeberlegenheit in dem jetzigen
Bingen gegen eine Welt von Feinden, trotz aller Tapferkeit der Soldaten,
trotz der methodischen Schulung unseres Offizierkorps und trotz unserer
glänzenden Strategen nicht die gewaltigen Erfolge erzielt haben, die wir
aufzuweisen haben, wenn nicht zugleich die deutsche Technik einen
Sieg über die Feinde errungen hätte. Von den Geschützen der Firma
Friedrich Krupp bis zu den feinen Präzisionsmaschinen der U-Boote, von
den lenkbaren Luftschiffen bis zu den Errungenschaften der chemisch-
technischen Industrie zeigt sich eine üeberlegenheit gegenüber den
feindlichen Leistungen, die in ganz beträchtlichem Umfang uns den
Sieg ermöglicht hat. Neben die Erfolge unserer ruhmreichen Strategen
treten die glänzenden Leistungen unserer Industriellen, unserer Erfinder,
Ingenieure und Chemiker.
Aber die Definition, daß der Krieg ein technisches Problem ist,
erschöpft nicht alle die Aufgaben, die jetzt im Kriege zu erfüllen sind ;
denn man darf nicht vergessen, daß wir ja nicht nur einen militärisch-
politischen Krieg gegen unsere Gegner zu führen haben, sondern daß
neben diesem noch eine für uns neue Form der Kriegsführung, der
Wirtschafts kämpf, einherläuft. Früher wurden die Schlachten nur
auf den Feldern, in den Festungen und zur See ausgefochten. Heute
ist jeder Gewerbezweig, jede Werkstatt, ja sogar der Acker der krieg-
führenden Länder in den Kampf mithineingezogen. Hat man doch
kürzlich mit Becht gesagt, daß jetzt sogar die Küche einen Teil des
Schützengrabens bildet. Die Bedeutung dieses Wirtschaftskampfes darf
man nicht unterschätzen ; ihn siegreich zu beenden, ist genau so wichtig,
wie der Sieg im militärischen Kampfe. Was würde es uns nützen,
wenn wir militärisch Sieger bleiben, wirtschaftlich aber so geschwächt
werden, daß wir zum Frieden gezwungen sind? Daher heißt es für
uns, unsere Waffen im Wirtschaftskampfe genau so scharf zu halten,
wie unsere militärischen Abwehrmittel. Freilich kann es sich nach
21*
324 Miszellen.
der ganzen Lage der Verhältnisse für Deutschland in dem jetzigen Wirt-
schaftskriege nicht um eine Offensive, sondern um eine Verteidigung
handeln, d. h. die Kampfmittel unserer Gegner durch unsere Leistungs-
fähigkeit, erhöhte Arbeitskraft und durch industrielle Tätigkeit soweit
wie möglich auszugleichen. Auch hier kommt die deutsche Erfindung,
die deutsche chemisch-technische Industrie in weitem Umfange dem
deutschen Bedürfnis entgegen. Es braucht ja nur an die Herstellung
des künstlichen Salpeters, die Verwendung der Nebenprodukte bei der
Gasherstellung, Manganersatz u. dgl. erinnert zu werden. Auch hier
kann man ohne Ueberhebung von einer Ueberlegenheit der deutschen
Industrie gegenüber der in feindlichen Ländern sprechen.
Im Gegensatz zu dem militärischen Krieg stellt aber der Wirt-
schaftskrieg kein technisches Problem im reinen Sinne des Wortes dar.
Denn hier handelt es sich nicht allein darum, welche Nation über die
besseren technischen Methoden verfügt. Hier kommen vielmehr zwei
Gesichtspunkte in Betracht, die als technisch nicht anzusehen sind.
Die Erfahrungen des letzten Jahres haben uns nämlich gelehrt, daß
der Wirtschaftskampf zwei Probleme gezeitigt hat, die auf die ganze
Kriegsführung von außerordentlich einschneidender Bedeutung sein können.
Es sind das: das Verkehrsproblem und das Arbeiterproblem.
Das Verkehrs-Problem hat im jetzigen Kriege und zwar je
länger der Krieg dauert, eine Bedeutung erlangt, wie nie zuvor. Ja
man kann sogar sagen, daß die Möglichkeit der Beförderung der Güter
heute in bezug auf Wichtigkeit der Erzeugung gleichkommt. Was
nützt es, wenn Australien heute einen Ernte-Ueberschuß von 20 Mill.
Quarters hat, während in England ein Mangel an Getreide entsteht?
In Friedenszeiten hätte hier der Verkehr ausgleichend gewirkt, indem
er die Ware von dem Orte der Erzeugung zum Orte des Verbrauchs
überführte. Heute ist das anders. Das Verkehrsproblem tritt als ein
Faktor auf, der in dem Güterumlauf einschneidende Veränderungen
hervorruft. Heute kann ein Verbrauchsland nicht ohne weiteres sich
die Güter heranholen, selbst wenn sie auf dem Weltmarkt im Ueber-
fluß vorhanden sind. Es muß sich vielmehr danach richten, ob die
Verkehrsmittel ihm die Heranschaffung der Güter, die notwendig zur
Durchhaltung sind, gestatten. Erwägungen dieser Art gelten sowohl
für den Inlands verkehr, als auch für den Welt verkehr. Sie er-
strecken sich nicht nur auf die großen überseeischen Dampfer, die von
Indien, Australien und Argentinien nach England fahren, sondern auch
auf den Eisenbahnverkehr und sogar auf die Beförderungsmöglichkeit
innerhalb einer einzigen Stadt. Nichts charakterisiert in dieser Hin-
sicht die durch den Krieg völlig veränderten Verhältnisse so anschau-
lich, wie ein Vorkommnis, das sich kürzlich in Berlin ereignete. Eine
große Berliner Fabrik besitzt in einem anderen Stadtteil Berlins ein
Kohlenlager. Infolge des Mangels an Gespannen und Fuhrwerken sind
die Kosten für die Beförderung der Kohlen innerhalb Berlins so sehr
gestiegen, daß es für die betreffende Fabrik billiger ist, sich Kohlen
per Bahn von Oberschlesien kommen zu lassen, als sie vom Berliner
Lager nach der Fabrik in Berlin zu befördern. Aehnliche Transport-
Miszellen. 325
verschiebuDgen dürften durch den Krieg in erheblichem Umfang auch
an anderen Stellen zu bemerken sein.
Betrachtet man zunächst einmal den Inlandsverkehr und hier-
bei an erster Stelle den Eisenbahnversand, so ergibt sich, daß hier
durch den Krieg ganz gewaltige Veränderungen hervorgerufen worden
sind. Die Eisenbahnen sind heute nicht mehr imstande, alle Güter-
angebote in der Weise zu befördern, wie in Friedenszeiten, ja es mußte
zeitweise direkt eine Sperre der Annahme von Gütern verhängt werden,
um zunächst einmal die übernommenen Transporte ausführen zu können.
Verhältnismäßig am günstigsten stellt sich hierbei die Lage der Mittel-
mächte, trotzdem auch bei uns der Eisenbahnpark sehr großen Ver-
ringerungen ausgesetzt ist. Günstig für uns ist die zentrale Lage, die
es uns ermöglicht, den ganzen Eisenbahnverkehr Deutschlands und
Oesterreich-Üngarns zusammenzufassen, die Güterwagen nach Bedarf
so zu verteilen, wie es erforderlich ist, wenngleich die Vereinheitlichung
der Leitung noch nicht so weit gediehen ist, wie es im Interesse der
Verhältnisse angebracht erscheint. Wenn man sich aber vergegenwärtigt,
was die deutsche Eisenbahnverwaltung während des Krieges zu be-
wältigen hat, dann muß man sagen, daß sie trotz aller Schwierigkeiten,
trotz aller Hemmnisse und Verkehrseinschränkungen das Problem recht
gut gelöst hat. Um die Leistungen unserer Eisenbahn zu erfassen, muß
man sich vor Augen halten, daß jetzt ein Raumgebiet befahren wird,
welches das deutsche Mutterland um eine Fläche vergrößert, die an
Umfang Groß- Britannien und Irland übertrifft. Denn unser Eisenbahn-
verkehr beschränkt sich nicht wie in Friedenszeiten allein auf das
Reichsgebiet, er umfaßt ja noch die riesigen Etappen von Belgien,
Nordfrankreich, Kurland, Polen, Serbien, Montenegro und Rumänien.
Infolge dieser Ausdehnung und im Zusammenhang mit dem Bahnver-
kehr nach Bulgarien und der Türkei sind die während des Krieges ge-
leisteten Tonnen-Kilometer — trotzdem der Binnenhandel vielfach nicht
so groß ist wie ehedem — ganz wesentlich höher als sonst. Was
jetzt an Stückgutverkehr und Wagenladungen gegenüber normalen
Zeiten fehlt, wird mehr als reichlich ausgeglichen durch die weiten
Transporte von Militär, sowie militärischen Gütern, die auf größeren
Strecken fahren als in Friedenszeiten die Güter des Handels. Man
vergegenwärtige sich nur einmal, welche Wege die Produktionsstoffe
von Munition zu durchlaufen haben. Die Kohle kommt aus dem rhei-
nisch-westfälischen Revier, das Eisenerz aus dem Siegerland, es wird
verhüttet im Kohlenrevier. Alsdann müssen die Sendungen von Kohle
und Eisen nach Berlin gelangen. . Dort werden sie zu Granaten ver-
arbeitet; sie kommen alsdann zur Füllanstalt, um schließlich nach Ga-
lizien oder Kurland versandt zu werden. Bis eine Granate abgefeuert
ist, sind viele Tonnen-Kilometer Wegstrecke für Rohstoffe und Halb-
fabrikate zurückgelegt, wobei zu berücksichtigen ist, daß heute an
einem Tage oft mehr Granaten abgeschossen werden als während des
ganzen Krieges 1870/71. Zeichnet man sich einmal die Wege, die die
Rohstoffe und das Halbfabrikat von Munition und sonstigen Kriegs-
material in Deutschland zu durchlaufen haben, dann findet man ein
326 Ml8«ellen.
buntes Gewirr von Linien, die die Landkarte mit einem engmaschigen
Netz bedecken. Gerade aus diesem Grunde gewinnt die Zusammenlegung
der Industrien, die jetzt in einigen Gewerbezweigen i Leder, Textil etc.)
vorgenommen wird, immer größere Bedeutung, da sie den Eisenbahn-
verkehr durch Konzentration der Erzeugung entlastet.
Ein weiteres Moment, das das Verkehrsproblem von Grund aus
umgestaltet, ist der fehlende Seeverkehr. In Friedenszeiten kamen
auf dem Seewege regelmäßig große Mengen unserer Einfuhr an. Ja
in den weitaus meisten Erzeugnissen überwog die Ankunft der Güter
zur See den Import zu Lande. Das gleiche gilt auch vom Export. Im
Gesamtaußenhandel Deutschlands übersteigt der Seeverkehr sehr stark
den Landverkehr. Kaum ist in Friedenszeiten aus Rumänien Korn per
Bahn bezogen worden. Der Import von rumänischem Getreide vollzog
sich derart, daß die Ware in Rumänien ins Schiff verladen, durch die
Dardanellen oder das Mittelländische Meer über Gibraltar nach einem
deutschen oder holländischen Seehafen versandt wurde. Trotz dieses
großen Umweges um Südeuropa herum stellte sich der Bezug immer
noch erheblich billiger, als der Versand per Bahn. Der jetzige Krieg
hat nun den Seeverkehr in der Nordsee so gut wie lahmgelegt, und in-
folgedessen müssen alle Güter, die sonst per Schiff nach Deutsch-
land gelangten, bei der Einfuhr nach Deutschland per Bahn verladen
werden. Dadurch werden gewaltige Anforderungen an unseren Wagen-
park gestellt. Aber nicht nur das. Zahllose Güter, die früher aus
dem Auslande per Schiff in das Herz Deutschlands gelangten, müssen
jetzt durch eigene Erzeugung ersetzt und mit der Bahn herangeholt
werden. Ein Beispiel hierfür ist die englische Kohle. In
Friedenszeiten wurden große Mengen englicher Kohle auf dem Schiffs
wege nach Hamburg und von da nach Berlin versandt. Jetzt muß
die Berliner Industrie aus Westfalen und Oberschlesien Kohlen be-
ziehen, wodurch die Kohlenversendungen der Bahn gegen früher einen
ganz erheblich größeren Umfang angenommen haben. Aehnlich ist es
mit Getreide. Der Westen Deutschlands bezog sein Getreide auf dem
Seewege über Holland und Belgien aus dem Auslande. Heute muß
Westdeutschland seinen Roggen und Weizen per Bahn von Ostpreußen
nach Düsseldorf beziehen, wodurch neue Eisenbahntransporte notwendig
werden. Hierbei rächt sich freilich, daß man seinerzeit das deutsche
Kanalsystem nicht ausgebaut hat, da hierdurch, wie ja auch der
Eisenbahnminister Breitenbach kürzlich im Landtage zugab, die Eisen-
bahn eine sehr erhebliche Entlastung erfahren hätte. Kurz und gut,
die Verhältnisse sind für Deutschland von Grund auf verändert, was
man unbedingt berücksichtigen muß, wenn man ein Urteil über unsere
Verkehrspolitik und deren Ergebnisse fällen will.
Prüft man alle die erwähnten Verhältnisse, dann wird man zugeben,
daß angesichts der außerordentlichen Inanspruchnahme unseres Eisen-
bahnparks das Verkehrsproblem bei uns zufriedenstellend gelöst ist.
Das schließt nicht aus, daß, je länger der Krieg dauert, die Schwierig-
keiten auf diesem Gebiet auch für uns immer größer werden müssen
und daß, wie ja die Kohlenversorgung im letzten Winter gezeigt hat,
Miszellen. 327
es für uns von steigender Bedeutung ist, die Wünsche der Verbraucher
nach Bewältigung des Verkehrs in den wichtigsten Gütern zu befriedigen.
Je länger der Krieg dauert, um so mehr nützen sich unsere Betriebs-
materialien, unsere Maschinen und Lokomotiven ab, und um so schwerer
ist es, für Ersatz zu sorgen oder notwendige Reparaturen vorzunehmen.
Wir sind vielmehr darauf angewiesen, das Vorhandene so weit wie
möglich auszunützen, und daß diese Ausnützung auf Kosten des Mate-
rials erfolgt, bedarf keiner Erwähnung. Für die kommende Kriegszeit
muß man daher das Verkehrsproblem mit in den Vordergrund unserer
Kriegswirtschaftspolitik stellen, und ebenso wie man den Luxusbedarf
von dem notwendigen Bedarf während des Krieges unterschieden hat,
muß man bei Versendungen zwischen Luxusversand und not-
wendigem Versand unterscheiden. Es wird vielleicht erforderlich
sein, gewisse Güter zu klassifizieren, wie z. B. Getreide, Mehl, Kohlen
und Kriegsmaterial in die erste Klasse, andere Güter, die leichter
entbehrlich sind, in die zweite Klasse, wieder andere, wie Wein, in
eine untere Klasse zu setzen und nach dieser Art der Einteilung
die Beförderung der Güter zu bewirken. Es genügt für uns nicht, daß
wir produzieren. Wir müssen auch in den Stand gesetzt werden, unsere
Produkte so zu verteilen und vor allem zu befördern, daß nirgends ein
Mangel entsteht, und das wird eine der wichtigsten Aufgaben für die
kommenden Monate sein.
Macht nun, wie wir gesehen haben, die Lösung des Verkehrsproblems
schon bei uns trotz unserer zentralen Lage und der straffen Organisation
große Schwierigkeiten, so sind die Hemmnisse bei unseren Gegnern
ganz wesentlich größer; denn unsere Gegner können nicht, so wie die
Zentralmächte, ihren Wagenpark vereinigen und einen eventuellen Mangel
auf der einen Seite durch üeberfluß auf der anderen Seite ausgleichen.
Wenn in Ostengland Wagen übrig sind, so wird dadurch die Kalami-
tät in Südrußland nicht im mindesten verbessert, und ein Waggonmangel
in Frankreich kann durch englische Waggons ebensowenig ausge-
glichen werden. Besonders stark treten nun die Schwierigkeiten des
Verkehrsproblems in Frankreich und Rußland in Erscheinung.
Die französische Kohlenkrise ist zu einem ganz erheblichen Teil nicht
nur die Folge des Mangels an Kohlen, sondern die Folge des Waggon-
mangels. Dadurch, daß Frankreich nicht über genügend Waggons ver-
fügt (ein nicht kleiner Prozentsatz ist seinerzeit den deutschen Truppen
in die Hände gefallen), ist es nicht in der Lage, die Güter aus den
Hafenplätzen nach dem Innern abzutransportieren. Daher entstehen
die großen Güterstauungen in Marseille und anderen Häfen, die übrigens
auch in Liverpool, Manchester und Hüll eingetreten sind.
Daß die russische Hungersnot zu einem großen Teil eine Folge
der Transportkrise ist, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Denn in
keinem europäischen Lande ist der Wagenpark, umgerechnet auf die
Größe des Landes, so klein, ist das Eisenbahnnetz so wenig dicht wie
in Rußland. Zwar scheinen die Beurteiler der russischen Verhältnisse,
die behaupten, daß Rußland schon seit Jahren ganz erheblich weniger
Getreide erzeugt, als man gemeinhin angenommen hat, recht zu haben.
328 MiBzellen.
Denn die großen Getreideexporte Rußlande in Friedenszeiten waren nur
dadurch möglich, daß man dem Bauer im Innern Rußlands das Getreide
fortgenommen hat und ihn hungern ließ, um so nach außen hin mit
einer schönen Handelsbilanz prunken zu können. Die „Konkurrenz des
Hungers" trat hier besonders in Erscheinung. Im Innern Rußlands
wurde gehungert, um durch eine Ausfuhr von Brot die Zinsen der ge-
waltigen Schuldenlast zu zahlen. Nichtsdestoweniger ist die Getreide-
erzeugung Rußlands immer noch so groß, daß eine Hungersnot unter
normalen Verhältnissen in dem Maße nicht hätte eintreten können. Der
Krieg, der ja nicht nur der „Vater aller Dinge", sondern auch der
Prüfstein der Wirtschaftsverhältnisse ist, hat nun gezeigt, daß das
russische Eisenbahnsystem den Verhältnissen absolut nicht gewachsen
ist. Ganz abgesehen davon, daß es unmöglich ist, Getreide von Odessa
nach Petersburg mit der Bahn zu versenden, ist der Schienenstrang so
überlastet, daß die notwendigen Nahrungsmittelversendungen selbst auf
kurzen Strecken nicht vorgenommen werden konnten. Nur so erklärt
es sich, daß nach russischen Pressemeldungen die Russen Güterzüge in
die Luft gesprengt haben, um die Geleise frei zu bekommen, daß in
Sibirien Getreide verfaulte, während in Petersburg und Moskau Hunger-
unruhen entstanden. Mögen auch die Getreidemengen, die in Rußland
zur Verfügung stehen, nicht so groß sein, wie man gemeinhin ange-
nommen hat, sie würden bei planmäßiger Organisation und bei günstig
gestalteten Verkehrsverhältnissen genügt haben, um ein Land wie das
Russische Reich vor Hungersnot zu bewahren. Da das aber nicht
möglich war, so hat hier das Verkehrsproblem mit den Grund zu den
jetzigen katastrophalen Umwälzungen gelegt.
Wie schon erwähnt, beschränkt sich aber das Verkehrsproblem
nicht nur auf den Landverkehr. Das gleiche, was für den Binnen-
verkehr gesagt wurde, gilt auch für den Seetransport. Ja man
kann sogar sagen, daß die Verhältnisse, die in der Seeschiffahrt jetzt
herrschen, von ausschlaggebender Bedeutung für den Krieg sein können,
namentlich dann, wenn es unserem Hauptgegner England nicht gelingt,
das Problem der Transportierung der Güter von den Erzeugungsstätten
nach dem Inselreiche zu lösen. Infolge des Fehlens der deutschen und
österreichischen Flotte ist die Welthandelsflotte ganz erheblich reduziert
worden. Dieser Bestand wird noch verringert durch sehr umfangreiche
Versenkungen von Handelsdampfern, die ihrem Tonnengehalt nach bereits
jetzt die Größe der deutschen Flotte in Friedenszeiten übertreffen. Hinzu
kommt, daß England eine sehr große Zahl von Schiffen (zeitweise bis
über 40 Proz.) in den Dienst der Admiralität gestellt hat und dadurch der
Beförderung von Lebensmitteln entzog. Die großen überseeischen Ex-
peditionen, wie z. B. die Dardanellen-Expedition, Saloniki, Arabien, das
Vorgehen in Kleinasien, die Sicherung des Suez-Kanals stellten gewaltige
Anforderungen an den britischen Schiffspark. So kommt es, daß heute
die Raummenge, die England für seinen Bezug aus Uebersee zur Ver-
fügung steht, nur einen Bruchteil dessen beträgt, was in Friedenszeiten
das Weltmeer befährt. Rein äußerlich kommt das zum Ausdruck in
dem gewaltigen Anschwellen der Frachtsätze. Kostet doch gegenwärtig
I
Miszellen. 329.
eine Sendung Weizen von Argentinien nach Europa rund 150 M. Fracht
für die Tonne, während in Friedenszeiten der Satz 10 — 12 M. war, ja
der Frachtsatz für Mais ist heute sogar höher als der Preis für Mais
überhaupt. Infolge dieser Verschiebungen spielt jetzt die Seefracht-
rate eine ganz andere Rolle. Sonst machte die Fracht in der Regel
I-IY2 Proz. des Preises aus, augenblicklich beträgt sie 30 Proz., oft
sogar 50 Proz., bei Mais sogar über 100 Proz. des Preises. Die Fracht
ist ein Kalkulationsfaktor geworden, wie man ihn früher nicht ge-
kannt hat.
Aber wie im Kriege das Preisproblem hinter das Vorratsproblem
zurücktritt, so tritt der Frachtsatz in bezug auf Wichtigkeit zurück
hinter die Tonnage. Es kommt für England weniger darauf an, ob die
Weizenfracht 100 M., 150 M. oder 200 M. beträgt, viel wichtiger ist
für Großbritannien, ob es überhaupt gelingt, Weizen oder Mais heran-
zuschaffen. Gerade in diesem Punkte tritt das Verkehrsproblem in
ein kritisches Stadium, und die Weiterführung des Krieges kann
für England dadurch unmöglich gemacht werden, daß die Lösung des
Frachtenproblems scheitert. Gelingt es England nicht, so viel Schiffe
frei zu bekommen, um nur den notwendigsten Bedarf zu decken, dann
ist es außerstande, den Krieg fortzusetzen. Dabei gestalten sich für
England die Verhältnisse besonders schwierig, weil in den Bezugsländern
Englands eine einschneidende Verschiebung eingetreten ist. Rußland
kommt als Lieferant nicht in Betracht. Nordamerika kann nicht ge-
nügend liefern, Argentinien hat ein Ausfuhrverbot erlassen. Es ver-
bleiben für die Versorgung in der Hauptsache Australien und Indien.
Beide Produktionsgebiete sind aber von Großbritannien so weit entfernt,
daß sie mit ihrer vollen Erzeugung für die Versorgung Großbritanniens
gar nicht in Anrechnung gebracht werden können. Um Weizen von
Australien nach England zu befördern, sind 6mal so viel Dampfer not-
wendig, wie für das gleiche Quantum von Nordamerika nach England.
England wäre also auch ohne äußere Beeinträchtigung nicht in der Lage
gewesen, das Verkehrsproblem zu lösen. Auf diese komplizierten Ver-
hältnisse wirkt nun der U-Boot-Krieg ein, und man muß sagen, daß,
rein wirtschaftlich betrachtet, die Verhältnisse noch nie so günstig ge-
wesen sind wie diesmal. England befindet sich in einer außergewöhn-
lichen Zwangslage, und der Mangel an Schiffsraum bewirkt, daß heute
jede versenkte Registertonne mindestens die vierfache Wirkung ausübt
wie in Friedenszeiten. Gelingt es, woran wir nicht zweifeln, die Er-
folge des U-Boot-Krieges auf der bisherigen Höhe zu halten, dann wird
England in solche Schwierigkeiten gebracht, wie sie noch nie zu be-
obachten waren. Gerade hier sehen wir, welche Rolle das Transport-
problem spielt. Auf der einen Seite finden wir in Australien und
Indien große Vorräte, auf der anderen Seite ein Mutterland, das unter
starkem Mangel zu leiden hat, weil es nicht in der Lage ist, das Ver-
kehrsproblem in genügender Weise zu bewältigen.
Sieht man nun aus Vorstehendem, von wie gewaltiger Wirkung
das Verkehrswesen im Kriege ist, so kann das gleiche auch von dem
zweiten Faktor gesagt werden, und das ist das Arbeiterproblem.
330 Miszellen.
Früher hieß es, daß ein Krieg nicht sehr lange dauern könne, weil da-
durch eine Arbeitslosigkeit entstände und diese die Massen zu einer
gewaltsanaen Herbeiführung des Friedens zwingen würde. Wie ganz
anders ist es gekommen! An keiner Stelle der Welt ist Arbeitslosig-
keit, überall ertönt der Ruf nach Arbeitskräften. In Deutschland hat
man das Zivildienst-Gesetz eingeführt, das jede Hand, die zu arbeiten
imstande ist, zur Arbeit heranziehen kann. England besitzt schon längst
ein Zwangsgesetz für Arbeiter; in Frankreich wird man bald ähnliche
Verordnungen erlassen müssen. Die Ursache dieser völligen Verände-
rung liegt klar zutage. Sie ist zunächst darauf zurückzuführen, daß der
jetzige Weltkrieg Heere gezeitigt hat, die so groß sind, wie vielleicht die-
jenigen in allen Kriegen, die die Weltgeschichte kennt, zusammen. Vor
einiger Zeit hat eine englische Zeitschrift die gesamte, unter den Waffen
stehende Mannschaft der kriegführenden Staaten auf 50 Mill. Menschen
geschätzt. Vielleicht ist sogar auch diese Ziffer noch zu niedrig ge-
griffen. Zieht man 50 Millionen Menschen aus ihren Werkstätten, Fa-
briken, Schreibstuben heraus, dann entsteht eine Lücke, für die eine
„Reservearmee" nicht vorhanden ist. Denn von diesen 50 Millionen
Menschen übt der weitaus größte Teil — abgesehen von Schülern, Stu-
denten und dergleichen — eine produktive Tätigkeit aus. Ersatzkräfte
sind kaum vorhanden; denn wenn auch durch den Krieg gewisse In-
dustrien zum Stillliegen gekommen sind, so ist deren Zahl doch er-
heblich geringer als die Zahl der Industrien, an die der Krieg erhöhte
Anforderungen stellt. Darüber hinaus hat die „Mobilisierung der Dreh-
bank" so zahllose Arbeitshände an sich gerissen, daß von einer Arbeits-
losigkeit keine Rede mehr sein kann. Aber nicht nur die Zahl der
Arbeitskräfte, die hinter der Front tätig sind — man denke nur
an die Heranziehung der Frauen — sondern auch die Arbeitsinten-
sität aller Arbeiter, einschließlich der geistigen, ist heute ein Viel-
faches von dem, was im Frieden geleistet wird. So sehen wir, daß der
Arbeitsprozeß von Grund auf eine Veränderung erfahren hat. Derartige
Umwälzungen können nun niemals ohne Rückwirkung auf andere Teile
sein, und so sehen wir denn als leidenden Teil dieser hochgespannten
Tätigkeit allenthalben die Landwirtschaft. Die wenigen freien
Kräfte, die zum Ersatz vorhanden waren, strömen der Munitionsindustrie
und den großstädtischen Betrieben, Straßenbahn, Eisenbahn, Post und
dergleichen zu. Die Landwirtschaft hat demgegenüber einen verhältnis-
mäßig geringen Zustrom erfahren, und das gilt nicht nur für Deutsch-
land, sondern für die ganze Weltwirtschaft. Die Frauen und erwachsenen
Familienmitglieder der Landwirte waren auch in Friedenszeiten schon
in der Landwirtschaft tätig. Hier kommt also rein zahlenmäßig eine
erhebliche Steigerung der verfügbaren Kräfte kaum zum Ausdruck. Ge-
stiegen sind hier nur die Arbeitsleistungen des Einzelnen. Infolgedessen
gewinnt das Arbeiterproblem in der Landwirtschaft eine Bedeutung,
welche die in Friedenszeiten ganz erheblich übersteigt. Auch schon
im Frieden hat sich der Leutemangel in der Landwirtschaft infolge der
Abwanderung nach den Großstädten stets unangenehm bemerkbar ge-
macht. Jetzt im Kriege ist das aber in sehr gesteigertem Maße der
Miszellen. 331
Fall. Zwar stellen sich hier die Verhältnisse bei den Zentral-
mächten günstiger als bei unseren Gegnern, weil wir eine hochent-
wickelte Landwirtschaft haben, die zu einem erheblichen Teil schon in
Friedenszeiten sich die Fortschritte der Technik zu eigen gemacht
hat (Dampfpflug, Motorpflug, Dreschmaschine u. dgl.) Hinzu kommt,
daß uns 1^ Millionen Kriegsgefangene zur Verfügung stehen, die in
nicht geringem Maße in der Landwirtschaft Verwendung finden.
Freilich leistet in der Regel ein Kriegsgefangener nicht das gleiche
Arbeitsquantum, wie der deutsche Arbeiter, vielfach sogar nur ein
Drittel. Immerhin bedeutet die Heranziehung der Kriegsgefangenen
eine Entlastung. Aber dem steht gegenüber, daß die Landwirtschaft
nicht nur unter dem Mangel an menschlichen Arbeitskräften leidet,
sondern auch unter dem Mangel an Hilfsmaterialien. Es fehlen ihr die
Gespanne, die Pferde und andere Zugtiere. Es fehlen ferner Fuhrwerke
und sonstige Hilfsmittel, und das muß sich jetzt bei den veränderten
Verhältnissen besonders bemerkbar machen.
Wieviel empfindlicher trifft aber das Arbeiterproblem unsere Gegner!
England hat schon seit Jahrzehnten die Landwirtschaft gegenüber der
Industrie systematisch vernachlässigt, und das Verlorene läßt sich eben-
sowenig im Handumdrehen wieder einholen, wie man Armeen aus der
Erde stampfen kann. Wenn man auch in England jetzt zu allen mög-
lichen Hilfsmitteln seine Zuflucht nimmt (Feldbestellung bei Nacht mit
Acetylenbeleuchtung, Aufhebung der Feiertage für die Landwirtschaft),
so wird es doch nicht möglich sein, die landwirtschaftliche Erzeugung
auch nur annähernd auf eine solche Höhe zu bringen, wie sie vor 50
Jahren gewesen ist. Die Anbaufläche Englands ist heute ganz erheblich
kleiner, als sie zur Zeit der Blüte der englischen Landwirtschaft war,
die Ernten ganz wesentlich kleiner.
In gleicher Weise wie in England macht sich das Problem der
Arbeiterbeschaffung in Frankreich bemerkbar. Das ist ja auch nicht
weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, daß in keinem kriegführenden
Staat der Prozentsatz der ausgehobenen Mannschaften so groß ist wie
gerade dort. Gewiß ist die französische Armee absolut kleiner als
die deutsche; aber die französische Bevölkerung ist schon im Frieden
um ca. 30 Millionen weniger als die unserige. Hinzu kommt, daß
Frankreich deshalb erhöhte Anstrengungen machen muß, weil die frucht-
barsten Gebiete des Landes von den Deutschen besetzt sind, wodurch
die Erzeugung in Frankreich ohnehin stark zurückgeht. Alle Hilfs-
mittel, wie Anbauprämien und dergleichen, haben es nicht vermocht, in
den nicht besetzten Gebieten Frankreichs die Erzeugung auf der alten
Höhe zu halten. Die Produktion geht mit jedem Kriegsjahr weiter
zurück, so daß auch hier im Laufe der Zeit eine Katastrophe unaus-
bleiblich ist.
Wie in Rußland die Verhältnisse liegen, ist bekannt. Trotzdem
Rußland über erheblich mehr Menschen verfügt als die Zentralmächte
zusammen, macht sich hier die Mobilisierung der russischen Armee viel
fühlbarer, als bei uns. Denn in einem rein agrarischen Lande, wie es
Rußland darstellt, kann unmöglich die Mobilisierung von ca. 8 Proz.
332 Miszellen.
der Bevölkerung ohne schwere Erschütterungen der Volkswirtschaft
vor sich gehen. Das ist um so weniger möglich, weil angesichts
des Mangels an Maschinen die Arbeitskräfte des einzelnen Mannes
eine ganz andere Rolle spielen als bei uns. In Rußland sind die
Fortschritte der Landwirtschaftstechnik, die in Deutschland schon
seit Jahren vertraut sind, völlig unbekannt. Hier kennt man nicht den
Motorpflug, die Dampfmaschine und dergleichen. Deshalb fehlen in
Rußland viel mehr Produktionsfaktoren als bei uns. Hinzu kommt ein
Moment, das lediglich eine Folge des russischen Wirtschaftsdilettan-
tismus ist, der in diesem Kriege besonders kraß in die Erscheinung
tritt: Geleitet von einem blinden Haß gegen alles, was deutsch heißt
oder deutscher Abstammung ist, hat Rußland während des Krieges in
immer weiterem Umfange Deutsche von ihrem Besitze vertrieben. Es
hat deutsche Aktionäre enteignet, deutsche Unternehmungen aufgelöst.
Es hat ferner auch die zahlreichen deutschen Kolonisten, die seit Jahr-
hunderten im Innern und im Süden Rußlands ansässig waren, von den
Ländereien verjagt und ihren Besitz sequestriert. Nun waren gerade
die deutschen Kolonisten nicht nur die arbeitsamsten, sondern auch die
erfolgreichsten Landwirte in Rußland. Man schlachtete also
die Henne, die die goldenen Eier legte. Die Folgen blieben denn
auch nicht aus. Kaum waren die Deutschen von ihrem Besitze ver-
trieben, da zeigte es sich, daß in vielen Gouvernements die Anbaufläche
um 50 Proz. hinter der normalen Ziffer zurückblieb. Man hatte keine
Ersatzkräfte für die vertriebenen Deutschen, denn die im Lande zurück-
gebliebene russische Bevölkerung war nicht imstande, das Land zu be-
stellen, das ehedem den Deutschen gehört hatte. Infolgedessen rief
man nach kurzer Zeit einen großen Teil der vertriebenen Kolonisten
zurück und verpachtete ihnen den früheren Besitz zur Bestellung weiter.
Aber der Fehler war einmal gemacht, die Anbaufläche blieb weit hinter
den früheren Jahren zurück.
Schon in Friedenszeiten verdient die russische Erntestatistik das
größte Mißtrauen. Es hat sich gezeigt, daß alle Angaben, sowohl über
Anbau, wie auch über Erträge, völlig falsch waren. Das ist ja, wenn
man die Grundlage der russischen Statistik kennt, kein Wunder. Jetzt
während des Krieges zeigt es sich nun, daß die ohnehin unzuverlässigen
Produktionsziffern eine ständig sinkende Tendenz zeigen, daß die Er-
träge viel stärker gefallen sind, als die Anbaufläche abgenommen hat.
Auch das muß sich mit jedem weiteren Kriegswinter vergrößern. Denn
Rußland ist nicht imstande, während seine Millionenheere an der Grenze
stehen, das Arbeiterproblem zu lösen.
Nun würden in der Tatsache, daß bei den kriegführenden Ländern
in Europa die Anbaufläche und damit die Erträge ständig zurückgehen,
an sich die kritischen Verhältnisse des Weltgetreidemarktes noch nicht
eine genügende Begründung finden. Denn die gesamten kriegführenden
Länder produzieren einschließlich Rußlands nur einen Teil der gesamten
Welternte. Alle anderen Länder zusammen bringen viel mehr Getreide
hervor. Denn die Weltgetreideernte in Weizen schwankt im Durch-
schnitt zwischen 460 und 450 Mill. Quarters, wovon ganz Europa
Miszellen. 333
250 — 280 Mill. Quarters erzeugt. Unter normalen Verhältnissen würde
also die nicht-europäische Welt in der Lage sein, das Defizit in der
Getreideversorgung der Alliierten auszugleichen, namentlich da ja die
Zentralmächte mit ihren Ansprüchen ausgeschaltet sind. Die Entwick-
lung der Verhältnisse hat es aber mit sich gebracht, daß der Welt-
krieg sich in den entlegensten Gegenden empfindlich fühlbar macht.
Denn der jetzige Krieg ist ja kein gewöhnlicher Landkrieg, wie es
beispielsweise der deutsch-französische Krieg oder der Krimkrieg ge-
wesen ist, sondern er ist ein Kampf, in den wirtschaftlich die fernsten
Gebiete der Welt hereingezogen werden. Selbst Länder, die weder
direkt noch indirekt mit dem Kriege im Zusammenhang stehen, werden
durch ihn erheblich getroffen.
Besonders betroffen wird nun von diesen Verhältnissen Amerika,
und zwar gilt das sowohl für Kanada und die Vereinigten Staaten, als
auch für Argentinien. Diese Gebiete bringen in Friedenszeiten sehr
erhebliche Weizenmengen hervor. Fast ein Drittel der Welterzeugung
entfällt auf diese Produktionsgebiete. Während des Krieges ist nun
die Erzeugung in diesen Ländern sehr gesunken, und das ist nicht etwa
nur die Folge einer ungünstigen Witterung, die während des Krieges
allenthalben zu beobachten war, sondern es ist in erster Reihe dem
Arbeiterproblem zuzuschreiben.
Zunächst machen sich in den Vereinigten Staaten von Amerika
dieselben Erscheinungen bemerkbar wie in Deutschland, d. h. die
Abwanderung von der Landwirtschaft zur „Drehbank". Die ßiesen-
gewinne, welche die amerikanische Munitionsindustrie bisher erzielte,
setzte sie in den Stand, anormale Löhne zu zahlen und damit er-
höhte Mengen von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft herauszu-
ziehen. Das muß sich um so mehr fühlbar machen, als gleichzeitig
die fremden Arbeiter ausgeblieben sind. Denn in der Landwirtschaft
der überseeischen Neuländer, vor allem in Nord- und Südamerika, spielt
die internationale Sachsengängerei eine sehr gewaltige Rolle
als Produktionsfaktor. In Friedenszeiten wandern regelmäßig zahllose
Arbeiter nach Amerika aus, um dort Feldarbeiten, Aussaat und Ernte
vorzunehmen. Während dieser Zeit erzielen sie so hohe Löhne (in
Friedenszeiten oft 600 M. pro Monat), daß sie davon nicht nur die
Ueberfahrt und den Lebensunterhalt bestreiten können, sondern auch
ihre Familien ernähren. Für diese internationale Sachsengängerei sind
namentlich die italienischen und osteuropäischen Arbeiter von erheb-
licher Bedeutung. Infolge des Krieges sind aber die Auswanderer-
ziffern, namentlich aus Italien, stark gefallen, und damit fehlt es
Amerika an dem notwendigen Arbeitermaterial zur Bestellung der Felder.
Die Folge davon ist, daß in Amerika die Anbaufläche zurückgegangen
ist, daß die Felder nicht mit der Sorgfalt bestellt werden können, wie
es notwendig ist, und daß dadurch die Erträge andauernd sinken. Das
tritt ganz deutlich in Argentinien in die Erscheinung. Dort ist die
Anbaufläche von Mais im Jahre 1916 von 4,2 Mill. ha auf 4 Mill. ha
und im Jahre 1917 auf 3,6 Mill. ha gefallen, wovon nur 1,9 Mill. ha
abgeerntet werden konnten. Aehnlich gestaltet sich die Anbaufläche
1334 Mis Zellen.
von Weizen. Auch hier ist eine so starke Abnahme eingetreten, daß
der Ernteertrag auf 2,1 Mill. t gesunken ist gegen 4,7 Mill. t in
1914/15. Das hat bewirkt, daß Argentinien, auf dessen Ausfuhr die
Alliierten eine so große Hoffnung gesetzt hatten, sogar ein Aus-
fuhrverbot für Weizen erlassen mußte, so daß es für das laufende
Jahr aus der Reihe der getreideliefernden Länder ausscheidet.
Nach den Feststellungen des Internationalen Landwirtschafts-Insti-
tutes in Rom erntete die südliche Halbkugel der Welt im laufenden
Jahre insgesamt nur 61 Mill. dz Weizen gegen 97 Mill. dz im Vor-
jahre! Auch hier muß von Jahr zu Jahr eine Verschlechterung ein-
treten, da der Mangel an Arbeitskräften immer fühlbarer wird. Hinzu
kommt, daß der Mangel an Düngemitteln, wobei das Kali, für das
Deutschland ein Monopol besitzt, eine Rolle spielt, ebenfalls ungünstig
auf die Produktion einwirkt. Denn Kali ist für viele landwirtschaft-
liche Erzeugnisse, namentlich für Baumwolle, ein sehr wichtiges Dünge-
mittel, dessen Fehlen auf die Produktion von großem Einfluß ist. In
Friedenszeiten bezogen die Vereinigten Staaten beträchtliche Mengen
von deutschem Kali. Jetzt, während des Krieges kann von einer
nennenswerten Kaliausfuhr keine Rede mehr sein. Die Vereinigten
Staaten importierten nämlich in den letzten Jahren an reinem Kali :
1911 2518587 da
1912 2330866 „
1913 2482948 „
1914 2623728 „
1915 53 740 „
Im Jahre 1916 dürfte so gut wie nichts nach den Vereinigten Staaten
gegangen sein. Das Fehlen des deutschen Kalis im Verein mit dem
Mangel an Arbeitskräften bewirkt, daß mit jedem weiteren Kriegsjahr
die Ernteerträge ständig sinken müssen. Gerade jetzt, wo es an
Arbeitskräften mangelt, ist aber eine besonders gute Düngung der Felder
unbedingt erforderlich. Da das indes nicht möglich ist, hat der Mangel
an Arbeitskräften viel empfindlichere Folgen als in Friedenzeiten. Die
Felder können nicht mit der Sorgfalt bearbeitet werden wie sonst, und
so gewinnt denn das Arbeitsproblem jetzt im Kriege eine außerordent-
liche Bedeutung. Die hierdurch hervorgerufene ständige Verringerung
der Erzeugung erleichtert uns unseren Kampf gegen unsere Gegner
ganz erheblich, sie verschärft die Wirkungen unseres Ü-Boot-Krieges
in ungeahnter Weise.
So sehen wir, daß das Verkehrsproblem und das Arbeiterproblem
ausschlaggebende Faktoren geworden sind, daß sie beide über unsere
Gegner das heraufbeschwören, was diese uns zugedacht hatten: die
Erzwingung des Friedens durch Hunger. (G C-)
Miszellen. 335
X.
Arbeitssystem und Gewinn bei den industriellen Be-
trieben in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Von Prof. Desider v. Buday.
Die Entwicklung" der industriellen Unternehmungen wäo-e der
handgreiflichste Beweis für das Platzgreifen des Großgewerbes gegen-
über dem Kleingewerbe und somit natürlicherweise zugleich ein Be-
weis der Konzentration der groi3en industriellen Unternehmungen, die
zur Kollektivierung- führen dürfte. Jedoch finden wir auch in der Litera-
tur weder eine zusammenfassende Statistik, noch das Bestreben, die
statistischen Angaben zielbewußt und einheitlich zu ordnen.
Nur für Deutschland ist es mir gelungen, die früheren Angaben
mit den neuesten zu ergänzen. Dort haben im Jahre 1882 im Klein-
betrieb (1 — 5 Arbeiter) 4,3 Millionen Arbeiter gearbeitet. Diese An-
zahl hat sich im Jahre 1907 nur auf 5,3 MilKonen erhoben.
Im Mittelbetrieb (10 — 50 Arbeiter) hat sich die Anzahl der Arbeiter
während dieser Zeit von 1,3 Millionen zu 3,6 Millionen emporgeschwun-
gen, im Großbetrieb hingegen, wo mehr als 50 Arbeiter beschäftigt
werden, ist der Arbeiterbestand von 1,6 Millionen auf 5,4 Millionen
gestiegen.
Somit beschäftigte der Kleinbetrieb im Jahre 1882 mehr als die
Hälfte der Industriearbeiter und im Jahre 1907 nur ein Drittel der-
selben. Der Arbeiterbestand des Großbetriebs ist von einem Fünftel
des gesamten Arbeiterbestandes auf ein Drittel desselben gestiegen.
In Frankreich wird ungefähr die Hälfte der Arbeiterschaft im
Großbetrieb beschäftigt.
Dels lehrreichste Vergleichsmaterial habe ich im Statistischen Jahr-
buch der Vereinigten Staaten vorgefunden. Daselbst sind die Anzahl der
Industrieanlagen, der gezahlte Arbeitslohn, das benutzte Rohmaterial
und der Wert der Erzeugnisse von ältester Zeit her nach Jahrzehnten
nachgewiesen.
Diese Statistik, im großen umgearbeitet, gewährt uns einen ge-
nauen Einblick in die riesenhafte industrielle Entwicklung, welche
die Vereinigten Staaten aufweisen.
Die Anzahl der Industrieanlagen i^ Jahre 1850 belief sich
auf 123000. Diese Zahl verdoppelte sich bis zum Jahre 1870 und
336 Miscellen.
stieg aufs Dreifache bis 1890. In den neunziger Jahren tritt der wirt-
schaftliche Aufschwung Europas ein; die Anzahl der Industrieanlagen
in Amerika nimmt stark ab. Später nimmt das Gewerbe wieder einen
Aufschwung, aber infolge der Konzentration der Industrieanlagen imd
des Platzgreifens der Großindustrie erreicht es den Bestand von 1890
nicht.
Demgegenüber beträgt die Anzahl der beschäftigten Ar-
beiter im Jahre 1850 kaum eine Million, nach 20 Jahren 2 Millionen,
nach weiteren 20 Jahren 4,2 Millionen. In dem letzten Jahrzehnte
des verflossenen Jahrhunderts, obgleich dieses Jahrzehnt für Europa
günstig gewesen, steigt die Anzahl der beschäftigten Arbeiter nur bis
4,7 Millionen.
Infolge der im Beginn des neuen Jahrhunderts eingetretenen un-
günstigeren europäischen Wirtschaft erhob sich die Arbeiterzahl in
den Vereinigten Staaten im Jahre 1910 bereits auf 6,6 Millionen.
Der Wert der Erzeugnisse betrug nach den übersichtlichen
Angaben in den Vereinigten Staaten im Jahre 1850 eine Milliarde Dollar,
im Jahre 1890 9,3 Milliarden im Jahre 1900 11,4 Milliarden, im Jahre
1910 20,7 Milliarden.
Die Erzeugungskosten und der Wert des Rohmaterials verhielten
sich zum erzeugten Wert fast immer beinahe so, daß die ersteren
50 — 60 Proz. des letzteren betrugen. Ueberdies beliefen sich die Arbeite-
löhne im Jahre 1850 auf 0,2 Milliarden Dollar, dann erhoben sie sich
stufenweise bis auf 3,4 Milliarden Dollar.
Der Reingewinn der Produktion bezifferte sich nach Rechnungen,
die leicht angestellt werden können, auf 25 Proz. im Jahre 1850, nach
20 Jahren auf 40 Proz., dann schwankt derselbe von 1890 bis heute
zwischen 30 — 33 Proz.
Der Brutto wert, den ein Arbeiter jährlich erzeugt, steigt von 1000
Dollar stufenmäßig auf 3000 Dollar während der letzten 60 Jahre.
Der durchschnittliche Jahres verdienst eines Arbeiters hingegen erhob
sich von 250 nur auf 500 Dollar.
Bei einem ständigen Reinnutzen von 30 — 33 Proz. verdoppelte
sich also der Lohn der Arbeiter, die einen dreifachen Wert erzeugen.
Daß der Reingewinn dessenungeachtet nicht größer ist, findet seine
Erklärung in der enormen Preiserhöhung des Materials. Daß er trotz-
dem nicht geringer ist, läßt sich durch den gesteigerten Wert der Erzeug-
nisse und die besseren Arbeitsmethoden erklären.
Das Arbeitssystem hält somit die Umsetzung der Erzeugungskosten
und die Verdoppelung des Arbeitslohnes aus. Der Arbeiter hingegen
genießt keiner solchen Lohnerhöhung, die er auf Grund seiner Mehr-
produktion, die eine dreifache ist, beanspruchen dürfte. Dieser Unter-
schied wird vom teuerer gewordenen Rohmaterial aufgezehrt, weil sioh
die Industrieleiter mit einem geringeren Nutzen als vorher nicht be-
gnügen woUen.
Es nimmt also nicht der Erzeugungsgewinn zu, sondern es halten
bloß die Maschinen und das bessere Arbeitsverfahren den Industrie*
Miszellen. 337
kapitalismus, der nebst dem teueren Rohmaterial doppelte Löhne zahlt,
im Gleichgewicht.
Dieses Arbeitseystem wird noch manche Lohnerhöhungen ertragen,
ohne den Erzeugungsgewinn zu beeinträchtigen. Der Arbeiter aber wird
noch einen kleineren Quotienten des Produktionswertes genießen trotz
aller Lohnerhöhung. Das Maschinensystem bringt demnach dem Ar-
beiter in bezug auf den Produktionswert gar keinen Nutzen. Auch dem
Kapitalisten gewährt es keinen Nutzen, es genügt bloß, seinen Gewinns-
anteil aufrechtzuerhalten.
Leider gibt es keine andere systematische Zusammenstellung, wie
diejenige der Vereinigten Staaten von Amerika. Darum mußte ich
mich darauf beschränken, die Folgerungen aus dieser Statistik zu ziehen.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd 54). 22
338 MiBzellen.
XL
Volkswirtschaftliche Probleme der Schulreform.
Von Dr. Sebald Schwarz, Direktor der Oberrealachule zum Dom in Lübeck.
Als Schulreform bezeichnen wir die Entwicklung unseres Schul-
wesens (und insonderheit unseres höheren), wie sie sich durch staatliche
Maßnahmen, in Absätzen von 10 bis 20 Jahren, auszudrücken pflegt.
Diese Maßnahmen gehen vor allem in zwei Richtungen : die Bestim-
mungen über den Unterricht, insonderheit den Anteil der verschiedenen
Lehrfächer an ihm und ihre Methoden, verändern sich, und die Organi-
sation des ganzen Schulwesens wird allmählich umgestaltet.
Die Erörterung der Probleme, die sich in dieser Entwicklung er-
geben, liegt fast ganz in den Händen der Schulmänner; daher versteht
es sich, daß sie durchweg von pädagogischen Gesichtspunkten aus er-
folgt. Die Schule hat aber, durch das, was sie kostet, und durch das,
was sie leistet, auch eine große Bedeutung für die Wirtschaft unseres
Volkes; ist sie doch heutzutage fast durchweg eine öffentliche Ein-
richtung, und ist doch ihre Arbeit eine wesentliche Grundlage des
Wohlstandes für den Einzelnen wie für das Ganze. Es ist also wohl
berechtigt, die Probleme der Schulreform auch von volkswirtschaftlichen
Gesichtspunkten zu untersuchen.
Dabei kommen auch die Fragen des Unterrichts im engeren
Sinne in Betracht. Es ist eine wirtschaftliche Frage, ob wir auf unseren
Schulen Französisch und Englisch treiben, ob wir — was ja neuerlich
verlangt wird — , auch für Russisch, Spanisch, Italienisch, ja Türkisch
Gelegenheit schaffen; es ist auch ein Unterschied dabei, ob wir nur ein
paar notdürftige Grundkenntnisse geben, wie sie der Unterricht im Fran-
zösischen im alten Gymnasium bietet, oder ob wir in unseren Schülern
eine breite Grundlage in den neuen Sprachen legen ; gerade für die wirt-
schaftliche Ausnutzung unseres Sprachunterrichts ist es ferner von Be-
deutung, daß die Zahl derer, die diese lebenden Sprachen ernsthaft ge-
lernt haben, groß ist ; denn dann entsteht erst ein gewisser Drang dahin,
diese Kenntnisse nun auch als Ingenieur, Kaufmann, Unternehmer im
Ausland zu verwenden; viel von der weltwirtschaftlichen Ausdehnung
des deutschen Volkes beruht darauf, daß die Kräfte für die Arbeit im
Ausland einmal da sind und sich nun ein Feld für ihre Auswirkung
suchen. Aehnlich steht es mit der Physik, der Chemie: wenn viel
Interesse dafür schon in der Schulzeit geweckt wird, so ist damit eine
Richtung für die Lebensarbeit gegeben. Unmittelbaren wirtschaftlichen
Nutzen ergeben auch das Rechnen, die Mathematik, die heute so er-
freulich aufblühende Handfertigkeit; nicht viel anders ist es, wenn wir
Miszellen. 339
in einem guten Unterricht in der Erdkunde dafür sorgen, daß alle unsere
zukünftigen Führer des Volkes die Grundlagen dafür mitbringen, ihre
Zeit, die Zeit des Weltverkehrs und der Weltwirtschaft, zu verstehn.
Aber auch weniger unmittelbar wirkende Entscheidungen über den
Inhalt des Schulunterrichts haben ihre volkswirtschaftliche Bedeutung.
Wenn es wirklich wahr ist, daß nichts eine so vortreffliche Schule des
Denkens bietet, nichts die Fähigkeit zu wissenschaftlicher, ja zu jeder
Arbeit so gut entwickelt, wie die ausgiebige Beschäftigung mit den
alten Sprachen, so ist die Erhaltung unseres Gymnasiums nicht nur für
die deutsche Kultur, sondern auch für eine gesunde Volkswirtschaft
notwendig; und wer, mit mir, diese Wahrheit bezweifelt, wird die andere
um so schärfer betonen: es kommt nicht so sehr darauf an, was wir
lernen, sondern wie wir es lernen: darauf, daß der Unterricht, was auch
sein Gegenstand sei, im Schüler lebendige Kräfte entwickele, Lust und
Fähigkeit zur Arbeit. Jedenfalls kann man in diesem Sinne jeder, auch
der weltfernsten und idealsten Arbeit der Schule, ihr volkswirtschaft-
liches Gesicht abgewinnen.
Aber diese Probleme des Unterrichts sind mannigfach und ver-
schlungen; es würde zu weit führen, sich hier in sie zu vertiefen; es
sei genug, darauf hinzuweisen, daß sie auch eine wirtschaftliche Seite
haben. Mehr unmittelbar hierher gehören dagegen die Fragen der
Organisation des Schulwesens.
Bei ihrer Erörterung können wir das wirtschaftliche Interesse des
Einzelnen von dem der Gesamtheit, des Staates oder der Gemeinde etwa,
trennen; oder die Frage stellen: was kostet diese oder jene Einrichtung,
was bringt sie ein? Auszugehen ist von der grundlegenden Tatsache,
daß der Staat ein Unterrichtsmonopol hat; nur wenige Privatschulen,
Pressen, Internate, Landerziehungsheime und andere verwandte Schul-
einrichtungen für Schüler, die aus diesem oder jenem Grunde die ge-
wöhnliche Schullaufbahn nicht machen können, bestehn als Ausnahmen
neben der öffentlichen Schule ; weder im Interesse des Erwerbs, noch in
dem mehr idealer Mächte, wie der Kirchen, der Parteien, der Stände
oder pädagogischer Ideen, kann sich ein Privatunterricht von irgend-
welcher Bedeutung halten. Errungen hat der Staat diese Monopol-
stellung dadurch, daß er seine Arbeit zum halben Kostenpreis abgibt;
dadurch entzieht er der Privatschule einerseits fast alle brauchbaren
Lehrer, andererseits alle Schüler, die nicht aus besonderen Gründen die
hohen Kosten dafür zahlen können oder müssen. Dabei haben die Ge-
meinden dem Staat im engeren Sinne zwei Aufgaben abgenommen:
einmal die allgemeine Volksschule, ferner seit etwa 50 Jahren, wenigstens
in Norddeutschland, fast die ganze Weiterentwicklung des höheren Schul-
wesens; so kommt es, daß die Realgymnasien zum großen Teil, die
Oberrealschulen und Realschulen fast ganz, und ebenso die höheren
Mädchenschulen von den Städten unterhalten werden. Auf beiden Ge-
bieten greift der Staat aber wieder mit Beihilfen ein, wo die Gemeinde
nicht leistungsfähig ist.
Aus dieser Zusammenfassung des Unterrichtswesens in der Hand
von Staat und Gemeinde ergibt sich dann von selbst der Charakter,
22*
340 Miszellen.
den seine Organisation trägt : die Einheitlichkeit. Sie wird schon
gefordert und gefördert durch die Entwicklung, die im 19. Jahrhundert
der Verkehr erfahren hat; in der Zeit der Eisenbahnen, des Hin- und
Herwanderns der Menschen wie der Gedanken kann auch die Schul-
politik nur „in Ländern denken". Ist der Betrieb aber nun in einer
Hand, so wird sie erst recht immer suchen, in möglichst wenig Formen,
in gleichartigen Schulen ihre Verpflichtungen zu erfüllen: nicht zum
wenigsten auch, weil dies wirtschaftlich das Günstigste ist.
Im Gegensatz zu dieser Tendenz der Schulverwaltung nach Ein-
heitlichkeit stehn nun die Forderungen der Schulmänner; sie streben
nach Mannigfaltigkeit.
Es wäre einseitig, zu sagen, daß Mannigfaltigkeit das eigentliche
Ziel aller Kultur sei; auch die seelische Entwicklung des Volkes, der
Menschheit geht abwechselnd den Weg der Ausbreitung und der Zu-
sammenfassung; aber zurzeit wird gerade wegen jener ausgleichenden
Neigung, die das Jahrhundert des Verkehrs beherrscht, die Erziehung
mit Becht alles das betonen, was die Geister und die Seelen der
Menschen voneinander unterscheidet.
Solcher Unterscheidungen treten in den Problemen des Schulwesens
heute drei hervor: die der Geschlechter, die der Anlagen und die des
Stoffes, in dem wir unterrichten, durch den wir erziehen.
Im Vordergrund der Erörterung steht das Problem des Stoffes.
Er verändert sich in allen Zeiten allmählich; das 19. Jahrhundert
brachte einen Wechsel, der stark in die Organisation unseres ganzen
Schulwesens eingriff. Die Kenntnis des Lateinischen nämlich, die bis
dahin eine notwendige Vorbedingung aller höheren Bildung war, verlor
diesen Wert; dafür wurden naturwissenschaftliche Kenntnisse als allge-
mein notwendig erkannt. Nun ließ zwar eine natürliche Reaktion uns
bald der alten Kräfte wieder bewußt werden, ließ uns sehn wie tief unsere
Gegenwart in der Welt der Römer und Griechen gegründet ist, und ver-
suchte als Neuhumanismus das Gymnasium mit neuem Leben zu erfüllen,
sein ungemindertes Daseinsrecht zu erweisen; aber doch konnte die alte
Gelehrtenschule ihre Stellung als einzige Stätte höherer Bildung nicht
erhalten. Während sie selbst durch das Eindringen der neuen Bildungs-
stoffe innerlich zersetzt wurde, entstanden neben ihr erst das Real-
gymnasium mit wenig Latein, dann die lateinlose Oberrealschule; ge-
blieben ist nur allen dreien, daß die Kenntnis fremder Sprachen tat-
sächlich noch das unterscheidende Merkmal aller höheren Schulbildung
ist. Im Rahmen unseres Berechtigungswesens führte das zu einem
Kampf der drei Schularten, der im Jahre 1900 dahin entschieden wurde,
daß sie alle als gleichwertig anerkannt werden.
Dieser großgedachte Schulfriede ergab schultechnische Schwierig-
keiten ; zwar nicht, wenn die Schüler ins praktische Leben übertreten, aber
auf den Universitäten, wo es für die Professoren allerdings lästig ist, daß
sie nicht mehr mit einer Vorbildung rechnen können. Viel einschneiden-
der sind die volkswirtschaftlichen Bedenken, die er hervorruft. Das ge-
ringste von ihnen ist, daß gelegentlich zwei mäßig gefüllte, höhere Schulen
nebeneinander stehn, etwa ein staatliches Gymnasium und eine städtische
Miszellen. 341
Realanetalt; die Fälle sind selten, und wenn die Kosten gar zu hoch
werden, läßt man wohl die eine Anstalt eingehen. Bedenklich dagegen
ist, daß der ganze Gedanke, drei Arten von höheren Schulen sich neben-
einander entfalten zu lassen, nur in größeren Städten ausführbar ist;
die Kleinstadt muß sich für eine entscheiden, die Mittelstadt vielleicht
für zwei. Das bedeutet aber für einen sehr großen Teil der höheren
Schüler in Deutschland, daß sie keine Wahl haben ; besonders schwierig
wird die Lage für die Eltern, und deren Zahl ist nicht gering, die mit
Versetzungen nach anderen Orten rechnen müssen, und dabei von einem
System ins andere geraten können ; viele Jungen werden in ihrem Fort-
kommen, die Eltern, durch die Kosten für Privatstunden oder längeren
Schulbesuch, in ihrem Auskommen geschädigt. Der pädagogischen
Forderung nach Mannigfaltigkeit stellt sich also die
volkswirtschaftliche nach Einheit entgegen. Tatsächlich
erreichte dieser Schulfriede die Erhaltung des Gymnasiums, das sonst
wohl verloren gewesen wäre, und zwar gerade in vielen älteren Klein-
städten, in denen es einmal vorhanden war; indem es aber — auch
nach den Aufstellungen seiner Freunde — nur für die bestimmt ist, die
es zu Ende gehn und studieren wollen, dagegen weniger geeignet für
den höheren Gewerbe- und Handelsstand, tritt ein weiterer volkswirt-
schaftlicher Schaden dadurch ein, daß in zahlreichen Städten diese
wichtigen und breit entwickelten Berufsstände nicht die richtige Vor-
bildung finden. Bei Neugründungen dagegen überwogen die Real-
anstalten; auch die Mittelform des Realgymnasiums, die von vielen
Schulmännern als charakterlose Kompromißschule verworfen wurde, blieb
aus praktischen Gründen stark verbreitet.
Eine zweite Ursache, welche die Schulmänner nach Mannigfaltigkeit
der Schulen streben läßt, sind die Unterschiede in Anlage und
Absicht der einzelnen Schüler.
Die Schulmänner selbst empfinden wohl am stärksten den Abstand
im Grad der Begabung ; jeder will seine Schüler möglichst weit fördern
und möchte daher die Schwerfälligen, die Unbegabten fernhalten ; sie
wünschen also besondere Schulen für diese. Ferner hat die große
Mehrzahl der Eltern weder die Absicht noch die Mittel, ihre Kinder
bis zur Reifeprüfung, d. h. bis zum 20. Jahr auf der Schule zu erhalten ;
sie sollen eine weitergehende Schulbildung als auf der Volksschule ge-
winnen, aber mit 15, 16 Jahren ins Leben treten; das Schulziel, das
sich für diese Gruppe herausgebildet hat, ist die Berechtigung zum
einjährig-freiwilligen Dienst, mit all den weiteren Ansprüchen beim
Eintritt in amtliche Laufbahnen und Vorteilen beim Ergreifen bürgerlicher
Berufe, die damit verbunden sind. Ein Teil dieser Schüler pflegt mit
jenen vorhin genannten Unbegabten identisch zu sein; freilich lange
nicht alle, wie man es nach manchen Aeußerungen ungeduldiger Lehrer
glauben sollte; jedenfalls machen sie es erwünscht, daß im Laufe der
Schule ein gewisser Abschnitt vorliege, der ihnen eine Art von Ab-
schluß ihres Schulunterrichts gibt. Besonders lästig erscheinen sie auf
dem Gymnasium, wo wirklich die Früchte der Ausbildung in den alten
Sprachen erst in den letzten Jahren gewonnen werden. Wieder wünscht
342 Miszellen.
der Schulmann besondere Schulen für die, welche nicht bis zur Reife-
prüfung gehen wollen; zur weiteren Begründung dieser Forderung be-
ruft er sich auch auf die Schüler, die auf allen möglichen Stufen, von
Sexta bis Unterprima, aus wirtschaftlichen Gründen oder aus Mangel
an Fleiß oder Begabung, abfallen, eine Begründung, die wohl mehr aus
dem Gefühl als aus einer klaren Einsicht in das Wesen einer Schul-
laufbahn stammt.
Aber nicht nur dem Grade nach sind die Begabungen der Schüler
und die Lebensstellung, der sie zustreben, verschieden, sondern auch
nach ihrer Art. Der grübelnde Forscher, der vielgewandte Kaufmann,
der tatkräftige Offizier, der geschickte Ingenieur, der kluge und da-
bei willensstarke Lehrer, der fromme Geistliche und der strenge Richter,
der Arzt, der Rechtsanwalt, der Verwaltungsbeamte .... bedürfen sie
nicht alle einer verschiedenen Ausbildung? Müssen nicht wenigstens ge-
lehrte und praktische Berufe schon früh darin geschieden werden? Und
können Jungen mit künstlerischen Anlagen denselben Weg gehen, wie
die mit der Gabe leichter Abstraktion ? Phantasten und Grübler, solche,
die handelnd aus sich herausgehn, und solche, die sinnend die Welt in
sich wollen lebendig werden lassen?
Wenigstens in gewisse Gruppen will der Schulmann sie trennen ; die
Entwicklung des Realgymnasiums, dann der Realschule und Oberreal-
schule, neuerlich der Mittelschule zwischen der höheren Schule und der
Volksschule, sollten nicht nur den Bedürfnissen einer neuen Zeit, sondern
auch denen der oben geschilderten Verschiedenheiten dienen.
Ganz steckengeblieben sind bei diesen Bestrebungen die Versuche,
für gewisse Berufe eine eigene Vorbildung zu schaffen, wie die älteren
Gewerbeschulen, die Landwirtschaftsschulen und die Handelsrealschulen ;
aber auch bei den allgemeinen Schulen, die größeren Gruppen von Be-
rufen dienen sollen, ist die Absicht nicht erreicht, weil jede neue Schul-
art, im Glauben an ihren Wert und unter dem Druck der ausgeführten
wirtschaftlichen Notwendigkeiten, nach Gleichberechtigung und deshalb
nach Gleichartigkeit mit der alten strebte. Das lateinische Realgymna-
sium wurde zuerst dem Gymnasium gleichgestellt; die Realschule, die
die „Schnuraspiranten" aufnehmen sollte, erhielt ihren Oberbau und
entwickelte sich zur Parallelanstalt; die Mittelschule, die den weiteren
Unterschied aufweist, daß ihre Lehrer nicht auf der Universität vor-
gebildet sind, sondern Volksschullehrer mit einer gewissen Fortbildung,
wollen denselben Weg gehen und sich an die Stelle der Realschule setzen.
Auch in der Frage nach Art und Ziel der Schüler sind die volkswirt-
schaftlichen Interressen stärker gewesen als die pädagogischen. Einer-
seits kann man eben nicht von vornherein sagen, welche Schulart für
das Kind geeignet ist und wie weit es darin wird kommen können;
die Eltern verlangen also mit Recht eine möglichst späte Entscheidung
über diese Fragen. Andererseits ist auch hier die Organisation, wie
die Schulmänner sie forderten, nur in großen Städten möglich ; in den
kleinen muß man vielen Bedürfnissen mit einer Schule genügen.
Diese Bedürfnisse der kleinen Städte haben aber eine
volkswirtschaftliche Bedeutung, die viel tiefer geht, als die Frage der
Miszellen. 343
Mark und Pfennige, die eine Schule kostet. Eine der dringendsten Not-
wendigkeiten für unser Volksleben ist die Gesundheit des platten Landes.
Dazu gehört aber, daß in den Mittelpunkten der ländlichen Bezirke,
den kleinen Städten, das Leben lebenswert bleibt; daß nicht nur die
Umgegend möglichst viel Bedürfnisse dort befriedigen kann, sondern
daß auch tüchtige Beamte und Geschäftsleute in ihnen leben mögen.
Ein wesentliches Mittel dafür sind aber Schuleinrichtungen, die ihren
Kindern erlauben, möglichst lange im Hause zu bleiben, auch wenn sie
im Leben weiterkommen wollen. Es sind wertvolle Kräfte, die dem
Vaterland gewonnen werden und erhalten bleiben, wenn wir in möglichst
viel kleinen Städten höhere Schulen haben, und wenn sie möglichst
vielen Zwecken dienen können.
Von demselben Gesichtspunkt ist endlich das dritte Problem in
der Organisation unseres höheren Schulwesens zu betrachten, die Unter-
scheidung der Geschlechter.
Auch hier sprechen pädagogische Gründe für Trennung. Mädchen
und Jungen entwickeln sich nicht im gleichen Zeitmaß; die Art ihrer
Anlagen ist verschieden, und ebenso das Leben, auf das sie sich vor-
bereiten; selbst heute noch, wo die Frau in vielen Berufen neben den
Mann tritt. Aber das Interesse der kleinen Stadt und mit ihr des
platten Landes fordert gebieterisch, daß sie wenigstens dort zusammen
unterrichtet werden können; es gibt genug Städte, die wohl eine ge-
meinsame höhere Schule für beide Geschlechter unterhalten können,
aber keine Realschule etwa neben einer höheren Töchterschule.
Wie kann nun die pädagogische Forderung der
Mannigfaltigkeit mit der volkswirtschaftlichen der
Einheitlichkeit versöhnt werden? Berechtigt sind beide.
Ein verfrühter Versuch, eine einzige Form der höheren Schule
von Sexta bis Oberprima zu schaffen, die Hornemannsche Einheits-
schule, ist nicht über die Entwicklungsstufe der Broschüren und eines
Vereins zu seiner Förderung hinausgelangt. Viel erfolgreicher war der
Gedanke Ostendorfs, einen gemeinsamen Unterbau von Sexta bis Quarta
zu schaffen, die Reformschule, in der Französisch die erste Fremd-
sprache ist, Latein auf der Gymnasial- und Realgymnasialseite in Unter-
tertia einsetzt; vor allem zunächst in Westdeutschland ist dieser volks-
wirtschaftlich sehr gesunde Plan verwirklicht worden, während sich
der Osten lange und, ebenso wie die Hauptstadt, zum Teil bis heute
zurückhaltender gezeigt haben. Von den Sextanern Preußens besucht
zurzeit die größere Hälfte Schulen des Reformsystems, zu dem alle
Realschulen und Oberrealschulen gehören. Die Neugründungen, wenigstens
in kleinen Städten, sind fast alle auf Französisch aufgebaut; in Süd-
deutschland gewinnt diese Einrichtung etwas langsamer Boden.
Der Gedanke, Knaben und Mädchen gemeinsam zu unterrichten,
ist in Baden, Hessen, Württemberg, Oldenburg und einigen weiteren
Kleinstaaten in starkem Maße verwirklicht; andere wieder, die ihrer
Struktur nach ganz" besonders darauf angewiesen wären, wie z. B.
Mecklenburg mit seinen vielen kleinen Landstädten, verhalten sich so-
wohl gegen die Reformschule wie gegen die gemeinsame höhere Schule
344 Miszellen.
für beide Geschlechter ablehnend ; in Preußen hat man seltsamerweise
für die Mittelschule den gemeinsamen Unterricht dort, wo nur eine
Schule möglich ist, zugelassen, während er in den höheren Schulen
nicht erlaubt ist ; genauer : während höhere Knabenschulen keine Mädchen
aufnehmen dürfen, sind Knaben in den unteren Klassen der höheren
Mädchenschulen zugelassen.
Von geringer Bedeutung geblieben ist ein anderer Weg, die Gymnasien
kleiner Städte verschiedenen Begabungen und Lebenszielen dienstbar zu
machen: der Ersatzunterricht, der auf der Grundlage des Lateinischen
in Untertertia, also auf der Mittelstufe, einsetzt, indem für einige Schüler
statt des Griechischen Englisch eingeführt und die Mathematik verstärkt
wird ; im übrigen haben beide Abteilungen gemeinsamen Unterricht. Diese
Einrichtung will vor allem dem Gymnasium die breite Basis der kleinen
Landstädte erhalten, die durch das Reformsystem und die Anerkennung
der Realanstalten bedroht wird. Die entsprechende Einrichtung des
lateinischen Ersatzunterrichts an Realschulen kommt nur vereinzelt vor.
Setzen die bisher geschilderten Versuche, die volkswirtschaftlich
notwendige Einheitlichkeit mit der pädagogisch erwünschten Mannich-
faltigkeit zu versöhnen, auf der Unter- und Mittelstufe ein, so sind auf
der Oberstufe Versuche in diesem Sinne nur ganz vereinzelt gemacht.
In Baden, Hessen, Württemberg, Oldenburg geht die Möglichkeit, beide
Geschlechter zusammen zu unterrichten, bis in die Oberklassen; in
Lübeck und Bremen tritt sie, weil die Stadt groß genug ist, sie unten
zu trennen, erst von Untersekunda ab ein. In Preußen hat man stellenweise,
in Sachsen in größerem Maßstab in den drei Oberklassen eine Gabelung
vorgenommen, nach der die Schüler die Wahl haben, in einigen Fächern
etwas mehr, in anderen etwas weniger Stunden zu haben. In dasselbe
Gebiet fallen die Studientage, an denen auf einigen Schulen, wie Pforta,
dem Goethegymnasium in Frankfurt a. M., die Primaner sich mit selbst-
gewählten Arbeiten beschäftigen dürfen; es sind aber mehr pädago-
gische Interessen, wie die Ueberleitung zur freien Arbeit auf der Uni-
versität, die hierdurch gefördert werden sollen, als daß die Einrichtung
den wirtschaftlichen Bedürfnissen des einzelnen oder der Gesamtheit
dienen will. Vor allem von dem Gesichtspunkt aus, daß die Kleinstadt
und mit ihr das platte Land als bedeutsames Glied des Volkskörpers
gepflegt werden muß, ist es aber wichtig, daß die Möglichkeit, auch
bis in die oberen Klassen hinein die Kinder zu Hause zu behalten,
recht verbreitet ist; damit wird der Ausbau der höheren Schulen
gerade an diesen Orten erwünscht, und der Weg dazu ist eben, daß man
sie dort möglichst vielen Zwecken dienstbar macht; in ihnen sollte
man vereinigen, in den großen Städten kann und soll
man trennen. In dieser Richtung wirkt auch eine Einrichtung, wie
sie meines Wissens nur in Hessen und Lübeck besteht: hier sind die
Lehrerseminare so eingerichtet, daß die Abiturienten der höheren Schulen
in ihre erste Klasse aufgenommen werden und nach einem Jahr die
Lehrerprüfung bestehen können.
Ein hier noch nicht erörtertes Problem der Schulreform ist das,
welches als Aufstieg der Begabten unter dem Kampfruf: Freie Bahn
Miszellen. 345
dem Tüchtigen! zurzeit wohl den breitesten Raum in der Presse und
in der pädagogischen Literatur einnimmt. Wiederum geht die Richtung
auf Vereinheitlichung; in einer „Einheitsschule" sollen alle Kinder,
ohne Unterschied des Standes oder des Ortes mindestens drei, möglichst
fünf, sechs, ja acht Jahre den gleichen Unterricht haben oder wenigstens
bei allmählicher Trennung nach ihrer Begabung dieselbe Schule be-
suchen; die höhere Schule soll nicht, wie heute, vom vierten Schuljahr
ab neben der Volksschule stehen, sondern sich auf ihr aufbauen.
Die radikale Durchführung dieses Gedankens würde sehr tief in
unser ganzes Schulwesen und zwar nicht nur in seine Organisation,
sondern in den Inhalt des Unterrichtes eingreifen, viel tiefer als die
bisher hier behandelten Maßnahmen; an seine Prüfung wird man daher
nur mit viel Nüchternheit und Besonnenheit herangehen dürfen.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Einheitsschule wird heute
sicherlich überschätzt; allgemeine politische Richtungen wie die be-
sonderen Belange des Volksschullehrerstandes haben zurzeit dieses ein-
zelne Problem der Schulreform mehr in den Vordergrund geschoben, als
ihm an sich zukommt. Gewiß fordert eine gesunde Volkswirtschaft,
daß immer neue Kräfte des Volkslebens für die leitenden Stellen frei-
gemacht und — was ebenso wichtig ist — die ungeeigneten davon
ferngehalten werden ; gewiß kann auch die Einrichtung des Schulwesens
dazu helfen; es ist aber sehr fraglich, ob sie in unserer jetzigen Form
so sehr den Aufstieg hemmt, ob die Einheitsschule ihn so sehr fördern
würde, wie eine rührige Agitation es darstellt. Die Hindernisse
liegen viel mehr auf einem anderen Gebiet : unsere sozialen Zustände ver-
langen von dem, der in die führenden Kreise des Volkes gelangen will,
große Aufwendungen weit über die eigentliche Schulzeit hinaus, und
ferner das, was der Volksmund als Kinderstube bezeichnet; daran wird
auch die einheitlich aufgebaute unentgeltliche Schule bis zur Uni-
versität hinauf nicht viel ändern. Auf der anderen Seite legt diese Ein-
heitsschule, in der der Lehrer immer wieder durch Versetzung und Ab-
weisung bestimmt, wer aufsteigen darf, eine so ungeheure Macht in
das Urteil eines Mannes und die Anschauungen eines Standes, daß
mindestens ebenso viel Begabte im Aufstieg gehemmt würden, weil sie
nicht in das Schema der Schule hineinpassen, wie jetzt nicht entdeckt
oder nicht entwickelt werden; einzelne Maßregeln, nach den besonderen
Möglichkeiten des Ortes und der einzelnen Berufe, um die es sich handelt,
verschieden, werden mehr erreichen und weniger zerstören. Als eine
solche Maßregel wird jetzt in Berlin ein Begabtengymnasium und eine
gleiche Oberrealschule eingerichtet, in die auserlesene Schüler aus der
Volksschule aufgenommen werden. Besser wäre es doch wohl, die jungen
Leute nach einem üeberleitungskursus von einem Jahr auf verschiedene
höhere Schulen zu verteilen. Die Stellung als offizell Begabter ist nicht
ohne Gefahr, und die gesellschaftliche wie wissenschaftliche Bildung
wird in der Umgebung einer gewöhnlichen höheren Schule besser
wachsen. In den kleinen Städten ist überhaupt kein anderer Weg
möglich, wenn man nicht Internate für Begabte gründen will. Jeden-
falls ist auch vom Standpunkt der Volkswirtschaft aus der Aufstieg
346 Miszellen.
der Begabten ein Problem, mit dem die kommende Schulreform sich
beschäftigen muß.
Diese Schulreform ist auf dem Wege ; mag sie nun wieder von
Preußen aus auf ganz Deutschland wirken oder von vornherein als
Reichsschulreform versucht werden. Bei den bisherigen Schulreformen
sind die wirtschaftlichen Momente zwar im Unterbewußtsein von Einfluß
gewesen, aber sie werden verständiger zur Geltung kommen, wenn
sie ebenso bewußt ausgesprochen und vertreten werden, wie die päd-
agogischen; die Mannigfaltigkeit des Unterrichts verlangt eine freie
und elastische Form, die sie auf den verschiedensten Böden gedeihen
läßt. Neben den verschiedenen Schulen, die in großen Städten bestehn
bleiben und sich weiterentwickeln können, müssen Gebilde geschaffen
werden, die möglichst vielen Bedürfnissen innerhalb einer Schule
gerecht werden; und überall muß die Möglichkeit des Einpassens ge-
währleistet sein, wie sie die wirtschaftlichen Lebensbedingungen unserer
verkehrslustigen Zeit fordern.
Den Weg hierzu weisen wird die Erkenntnis, daß all die „histo-
risch gewordenen Schularten" ein Gemeinsames haben, einen Kern, der
überall vorhanden sein muß. Es ist das eine gewisse Ausbildung in
der Muttersprache, der Geschichte und der Erdkunde, der Religions-
lehre, den mathematischen und den Naturwissenschaften, dem Zeichnen;
anderes, diese oder jene fremde Sprache, weitergehende Beschäftigung
mit den Kernfächern ist nicht für alle Schüler gleich erwünscht und
ist dementsprechend im Unterricht anzugliedern ; auch Bedürfnisse, die
nur an einzelnen Orten bestehen, oder Dinge, die hier oder dort ein
einzelner Lehrer vielleicht besonders bieten kann, gehören dahin. Die
Einheitlichkeit der Schulen braucht also nur in einem Teil der Stunden-
zahl vorhanden zu sein; die Anforderungen, wie sie sich in Prüfungs-
ordnungen und Berechtigungen aussprechen, sind zunächst auf diesen
Kern zu beschränken; weiterhin mögen sie noch allgemeine Bestim-
mungen enthalten: soundso viel Stunden auf diesem oder jenem Gebiet.
Ein Teil der Unterrichtszeit wäre ganz frei von allen Vorschriften dieser
Art zu lassen.
In diesem Rahmen könnte sich, z. B. in einer größeren Stadt, die
vielerlei Schularten vertragen kann, sehr wohl ein Gymnasium strengster
Observanz erhalten oder wieder entwickeln, indem es alles, was an
freier Zeit da ist, den alten Sprachen zuwendete; ebenso eine Ober-
realschule, in der die fremden Sprachen noch mehr als heute hinter
den „Realien" zurückbleiben. In ihm könnten andererseits sich in
kleinen Städten Schulen ausbauen, die im Sinne der vorhin entwickelten
wirtschaftlichen Notwendigkeiten die Mannigfaltigkeit innerhalb der
Schule böten. Auch in der Darbietung des Stoffes wäre dann eine
freiere Gestaltung, als wir sie heute haben, denkbar; zum durch-
gehenden Unterricht könnten Kurse, Vortrags- und Uebungsreihen treten.
Ebenso ließe es sich in solchen Formen einrichten, daß innerhalb der-
selben Schule der eine mehr, der andere weniger lernte, je nach seinem
Können; man könnte ferner in gewissen Fächern die Schüler ver^
schieden schnell, je nach ihren Leistungen, aufsteigen lassen. Endlich
Mis Zellen.
347
wäre bei solchen Einrichtungen auch für den Aufstieg der Begabten
ein Weg zu finden, der mehr leistete, als das abstrakte Schema der
Einheitsschule. Manches lernen ließe sich auf diesem Gebiet wohl von
dem System, wie es sich im Schulwesen von USAmerika auf dem
Boden des englischen Prüfungswesens entwickelt hat, ohne daß wir
die deutsche Gründlichkeit aufzugeben brauchten. Ansätze dazu in
Deutschland sind der oben genannte Ersatzunterricht in Englisch und
Mathematik in einigen preußischen Gymnasien oder der entsprechende
im Latein an wenigen Realschulen, ferner die Handelsrealschulklassen,
die in Bayern bei jeder Oberrealschule vorhanden sein sollen; auch
die preußische Mittelschule, die in ihren Leistungen zwischen Volks-
schule und höherer Schule stehen soll, im Alter ihrer Schüler parallel
zu beiden, hat die zweite Fremdsprache, meist Englisch, nur für einen
Teil ihrer Schüler.
Und so würde eine freiere Organisation, als sie die „drei historisch
gewordenen gleichberechtigten Arten höherer Schulen" bieten, nicht
nur den volkswirtschaftlichen Forderungen von einer Schulreform ent-
gegenkommen; sie würde es schließlich auch dem Schulmanne leichter
machen, seine pädagogischen Ideale zu verwirklichen.
Zur Begründung des soeben Ausgeführten mögen noch einige stati-
stische Angaben dienen.
Für die statistische Erfassung der jetzigen Organisation des höheren
Unterrichts geht man am einfachsten von Preußen aus: hier ist das
Material am sichersten zugänglich und liegen von einer einzigen Regie-
rung kontrollierte Zustände vor. Aus Kuntzes Kalender lassen sich
hier für Mai 1916 folgende Listen aufstellen, wobei Anstalten in
der Entwicklung oder Umbildung in ihrem zukünftigen Zustand ge-
rechnet sind.
I. Städte mit mehr als zwei Schulen.
3 4 5 6 7 8 IG 13 17
17 8 5 3 3 I 3 I I
Orte mit zwei Schulen.
Zahl der Schulen
Zahl der Städte
IL
42
I
G
+
RG
G +
ORS
RG
+
ORS
G
+
RS
RG
+
RS
ORS
+
PG
G +
RG +
ORS
RG-f
ORS +
PG
G-f RG
-l-RS
G +
Ers.+
ORS
G-I-Ers.
+ RS
Ostpreußen
Westpreußen
Brandenburg
Pommern
Posen
Schlesien
Sachsen
Schleswig-Holstein
Hannover
Westfalen
Hessen-Nassau
Rheinland
I
2
I
2
2
6
4
I
2
2
I
I
2
I
2
I
2
I
I
I
I
I
I
I
I
I
2
1
4
I
I
—
Zusammen : 56
4
21
4
6
I
I
6
I
9
2
I
348
Miszellen.
III. Orte mit einer Schule.
G
G +
0R8
RG G
RG
G +
RPG
PG
RPG
G
PG RG ; 1:
G
RG
ORS
PG
RPG
RS
+
+ : +
+
+
+
mit
mit : mit
ni
RG
ORSi RS
RS
RS
RS
Erg.
Ers.
Ers.
En.
i
Ostpreußen
3
I
3
3
I
4
2
I
Westpreußen
I
—
I
3
2
I
—
—
—
I
—
—
—
b
3
—
—
—
Brandenburg
8
9
I
—
8
3
I
—
I
2
9
—
I
3
4
—
—
—
I
Pommern
7
—
—
3
4
I
I
—
2
I
—
—
—
4
—
—
—
—
Posen
8
—
—
I
I
4
—
—
—
3
—
—
—
—
3
—
—
—
—
Schlesien
13
7
I
I
2
I
—
—
—
I
—
—
—
—
6
I
—
—
—
Sachsen
II
4
2
—
I
2
—
—
I
I
I
—
—
—
2
—
—
—
I
Schleswig-Holstein
I
3
—
—
5
I
I
—
I
5
—
—
—
4
—
—
—
—
Hannover
3
6
I
—
2
2
3
I
—
3
—
—
—
8
—
—
—
I
Westfalen
9
6
I
2
4
3
2
I
—
—
9
—
—
10
—
I
I
—
Hessen -Nassau
4
—
2
—
I
I
—
—
—
2
2
2
—
I
2
I
—
—
I
Rheinland
18
16
2
I
4
9
I
I
I
2
8
3
—
2
8 ; 6
—
—
—
Zusammen 394
88
51
T3
6
32
39
"
5
3
18
39
5
T
6
59
"
I
I
5
G = Gymnasium, RG = Realgymnasium, ORS = Oberrealschule, PG = Pro-
gymnasium , RPG = Realprogymnasium , RS = Realschule , Ers. = Ersatzunterricht
von Untertertia bis Untersekunda.
Für unsere Betrachtung zerlegten sich die preußischen Städte mit
höheren Schulen in drei Gruppen:
1) 43 Orte mit mehr als zwei Schulen = 257 Schulen = 34 Proz.
2) 56 Orte mit zwei Schulen = 112 Schulen = 15 Proz.
3) 394 Orte mit einer Schule = 394 Schulen = 51 Proz.
Es sind hierbei die politischen Gemeinden zugrunde gelegt, d. h.
viele Vororte der größeren Städte erscheinen in Gruppe 2 und 3; die
Entfernungen berechtigen dazu, und was an Unrichtigkeit dabei ent-
steht, wird dadurch ausgeglichen, daß in großen Städten selbst die
Wege so weit sind, daß die 4 Berliner Oberrealschulen nur für einen
Teil der Einwohner wirklich bequem liegen. Abgesehen ist auch von
der Schülerzahl; es kommt ebensosehr darauf an, zwischen wieviel
Orten die Schüler ohne Schaden wechseln können, als wie viele Schüler
das betrifft, und Fragen, wie z. B. nach der Zahl der Schüler, die Vor-
teil vom Reformsystem haben, lassen sich nur durch eine sehr ein-
gehende Durcharbeitung der Jahresberichte gewinnen. Es genüge da-
her zu dieser Frage die Bemerkung, daß wir uns die Schulen in den
größeren und mittleren Städten als meist stark besucht vorstellen müssen,
daß dagegen wirklich kleine Schulen von 100—150 Schülern am ehesten
in den 394 kleinen Schulstädten vorkommen. Von geringem Wert wäre
endlich eine Anordnung nach der Einwohnerzahl der Städte ; der Besuch
der Schulen hängt dazu viel zu sehr von der Zusammensetzung der
Bevölkerung und der Art der Umgebung ab ; so schwankt die Verhältnis-
zahl der Schüler, die eine höhere Schule besuchen, von 3,64 Proz. aller
Schüler im Fabrikvorort Lichtenberg bis 36,46 Proz. in der Rentnerstadt
Potsdam. Unter dem Druck des Berechtigungswesens ist die Zahl der
Orte mit höheren Schulen in Preußen mit zusammen 493 nicht gering;
immerhin würden sie sich um eine nicht unbedeutende Zahl erhöhen
lassen, wenn der gemeinsame Unterricht der Geschlechter gestattet würde.
Mi sz eilen. 349
Zurzeit wird diese Lücke ausgefüllt teils durch Mittelschulen, die seit
dem neuen Mittelschullehrplan von 1910 in steigendem Maße gegründet
werden, teils durch sogenannte höhere Knabenschulen oder Rektorat-
schulen, die gewöhnlich bis zur Untertertia oder Obertertia führen und
die neuerdings der Aufsicht einer benachbarten höheren Schule unter-
stellt sind; die ersteren gehören mit französischem Anfangsunterricht
fast immer, die zweiten jetzt wohl meist dem Reformsystem an; ihre
Lehrer sind teils Volksschullehrer, die sich weiter fortgebildet haben, teils
akademisch gebildete Lehrer, die aus ihrer regelmäßigen Laufbahn her-
ausgeraten sind, oder Kandidaten, die dort ein vorläufiges Unterkommen
gefunden haben. Art und Wert dieser Schulen sind sehr verschieden ;
einige sind nur gehobene Klassen an einer Volksschule, andere sind
zu großen Anstalten mit 6 bis 9 Klassen in zwei- und dreifachem Zuge
entwickelt. Sie nehmen vielfach Knaben und Mädchen auf. Die Mittel-
schulen sind an sich gedacht als eine Anstalt zwischen Volksschule und
höherer Schule, mehr der Vorbereitung auf praktische Berufe und mittlere
Laufbahnen dienend; sie treten, in kleinen Orten vor allem, aber auch
als Ersatz der höheren Schule ein, wobei sie gewöhnlich etwas langsamer
fortschreiten und ihre Schüler erst ein Jahr später für die entsprechende
Klasse der höheren Schule reif machen. Die Zahl der Städtchen mit
einem Unterricht über die Volksschule hinaus wird durch sie in Preußen
um 246 vermehrt, gegen 394 Orte mit einer höheren Schule ; sie sind also
ein wesentlicher Faktor für die hier behandelten Verhältnisse. Der Zahl
nach am stärksten entwickelt sind sie in Westfalen mit 79 gegen 49
Orte mit nur einer, am schwächsten im Rheinland mit 27 gegen 81 Orte
mit nur einer höheren Schule. Wie weit sie wirklich ein ausreichender
Ersatz für die höheren Schulen sind, hängt sehr von ihrer Leitung ab und
ihren Lehrern. Da diese Schulen — ebenso wie die 185 Knabenmittel-
schulen in Städten, die höhere Schulen haben — nicht dem Provinzial-
schulkollegium unterstehn (neuerdings sind Mittelschulen vereinzelt dem
Provinzialschulkollegium zugewiesen worden), sondern wie die Volks-
schulen der Regierung, so ist die ganze Einrichtung nicht einheitlich mit
der der höheren Schulen durchgeführt; man könnte sogar oft von einer
gewissen Konkurrenz sprechen. Für noch kleinere Bezirke kommt dazu
dann die Vorbereitung durch Hauslehrer und Dorfgeistliche, die meist
bis zur Beendigung der Unterstufe, also bis Quarta, reicht; diese trägt
in stärkerem Maße gymnasialen Charakter.
Von den Orten mit eigentlichen höheren Schulen bieten die 42 Städte
mit mehr als zwei Schulen ihren Kindern, insoweit sie nicht durch Um-
zug in andere Verhältnisse kommen, fast durchweg alle drei Möglich-
keiten, die zurzeit bestehen; es fehlen nur in 5 von ihnen die Ober-
klassen der lateinlosen Realschule, in einer die Form des Realgym-
nasiums.
Oberklassen wenigstens einer Art haben die 56 Städte mit zwei
Schulen alle ; von den 394 mit nur einer Schule finden wir sie in 293 ;
etwa 25 Proz. führen also nur bis zur Einjährigenberechtigung.
Was die Schularten angeht, so findet sich nur eine Möglichkeit
einer Vollanstalt in 9 Städten mit zwei Schulen, und zwar 7 G., 1 RG.,
250 MiBzellen.
1 OBS., sowie in 274 Städten mit einer Schule, und zwar: 170 G.,
91 RG., 13 ORS.
Zwei Möglichkeiten bieten 41 Städte mit zwei Schulen, und zwar
36 G., 18 RG., 27 ORS., sowie 19 Städte mit nur einer Schule, näm-
lich 16 G., 14 RG., 8 ORS.
Alle drei Möglichkeiten bieten von den Städten mit einer Schule
keine, von denen mit zwei Schulen 6.
Der Typus des Gymnasiums überwiegt also stark, vor allem in
den kleinen Städten.
Eine viel größere Zahl von Schülern und eine wirtschaftlich weniger
leistungsfähige Schicht von Eltern ist daran interessiert, daß sie in
ihrem Wohnort wenigstens bis zur Untersekunda, zum Einjährigenrecht,
die Möglichkeit der Ausbildung und des glatten Fortkommens bei einem
Umzug findet ; ihre Interessen gehen teils dahin, daß nur irgendwie die
Möglichkeit höheren Unterrichts da ist, teils aber auch insbesondere
dahin, daß der Ort eine Realschulbildung bietet, die mit der Unter-
sekunda abgeschlossen ist.
Die ausgebildeteste Form dafür ist, daß neben der Vollanstalt eine
zweite, eigene Anstalt steht; meist neben dem Gymnasium oder Real-
gymnasium eine lateinlose Realschule; diese findet sich in 29 von den
56 Städten mit zwei Schulen, in 49 von den 293 mit nur einer Vollanstalt.
Billiger durchzuführen ist der S. 344 geschilderte Ersatzunterricht, der
nach dem Durchlaufen der Quarta in Parallelkursen mit Englisch und
Mathematik eine zweite Mittelstufe auf lateinischer Grundlage, also eine
Art Realprogymnasium, schafft; wir finden ihn in nur 3 von den 56
Städten mit zwei Schulen, in 72 von den 394 mit nur einer Schule.
Natürlicher wäre der Weg, der auf der breiteren Grundlage der Real-
schule eine gymnasiale Abteilung abzweigt für die wenigen, die später
ein Gymnasium besuchen wollen; es sind aber nur 5 Fälle, die ihn
zeigen.
Diese 5 Fälle gehören eigentlich schon zu dem Reformschulsystem,
das bis Quarta alle Schüler mit Französisch vereinigt, sie dann in eine
Realschulabteilung mit Englisch und mehr Mathematik und eine Realgym-
nasialabteilung mit Latein von Untertertia, Englisch von Untersekunda
ab, oder dafür eine Gymnasialabteilung mit Griechisch von Untersekunda
an trennt; der Unterschied ist, daß die eigentliche Reformschule nicht
nur Ersatzunterricht in einzelnen Fächern, sondern parallel laufende
ganze Klassen hat. Wenn sie wirklich allgemein durchgeführt wäre,
würde sie die Eltern wenigstens bis zum 12. Lebensjahre ihrer Söhne
der Frage entheben, welcher Weg für sie der geeignetste ist oder welche
Schulart sie bei einer Versetzung vorfinden mögen ; wie die Dinge jetzt
liegen, zeigt die folgende Uebersicht:
^ Nur Nur lateinische Beide Möglich-
^"® Reformsystem Grundlage keiten
I. mit mehr als 2 Schulen — — 43
II. mit 2 Schulen 5 4 47
III. mit 1 Schule 144 225 24
Zusammen 149 229 114
Miszellen. 351
Bedenkt man, daß es auch in den Städten, die beide Möglichkeiten
bieten, vom Zufall abhängt, in welches System der Schüler gerät, so
ergibt sich, wie unbefriedigend dieser Zustand ist; nur in 23 Proz. der
Städte kann der Vater wählen; in 30 Proz. muß er sich für das Reform-
system, in 47 Proz. für den lateinischen Unterbau entscheiden.
Wünschenswert ist das Reformsystem vor allem für die kleinen
Städte, wo die Eltern nur mit einer Schule rechnen können; am ver-
breitetsten ist es aber gerade in den größeren; es erscheint dort bei
53 Proz. aller Schulen, während nur 41 Proz. lateinischen Unterbau
haben, 6 Proz. an einer Anstalt Unterklassen beider Art vereinigen; in
den kleinen Städten bestehen dagegen nur 37 Proz. Reformschulen,
57 Proz. mit lateinischem Unterbau, 6 Proz. mit beiden Möglichkeiten.
Eine Besonderheit, der Versuch, Reformschulen auf der Grundlage
des Englischen zu errichten, ist bei zwei Anstalten stecken geblieben;
ebenso hat sich von den zwei Arten, in denen man zunächst die Reihen-
folge der fremden Sprachen in den Reformanstalten versucht hat, die
ältere, das Altonaer System, gegen das jüngere Frankfurter System
nicht halten können.
Die Ungleichheit zwischen den Orten verschiedener Größe zeigt
sich auch, wenn man die Schulen in solche gymnasialen, realgymnasialen
und realen Charakters trennt, und bei kombinierten Anstalten jeden Teil
für sich zählt ; die Schulen mit Ersatzunterricht auf lateinischer Grund-
lage sind dabei als Realprogymnasien erfaßt worden. Die Gymnasien
sind in allen drei Größenklassen mit 37 — 38 Proz. gleichmäßig ver-
treten ; die realgymnasialen überwiegen in der Gruppe der kleinsten mit
42 Proz., lateinlose sind dort in 22 Proz. ; in den Städten mit 2 Schulen
sind dagegen 41 Proz. realen Charakters, in den großen 38 Proz. Das
Realgymnasium ist als Mittelform trotz aller pädagogischen Bedenken
besonders beliebt, wo nur eine Schule besteht.
Sehr ungleich ist auch die Entwicklung, die die Organisation der
höheren Schule in den einzelnen Landesteilen genommen hat. So haben,
um die Extreme zu nennen, in Schlesien 72 Proz., in Schleswig-Holstein
24 Proz. den lateinischen Unterbau. In Posen tragen von den Anstalten
in Städten mit nur einer Schule 55 Proz., in Sachsen 53 Proz. gymna-
sialen Charakter, in Schleswig-Holstein nur 21 Proz.; die realgymna-
sialen Schulen sind in derselben Gruppe von Orten in Brandenburg mit
55 Proz., Westpreußen mit 50 Proz., Westfalen mit 48 Proz. am stärksten
vertreten, am schwächsten mit 19 Proz. in Posen; die meisten latein-
losen Schulen hat Schleswig-Holstein mit 49 Proz., die wenigsten Schle-
sien mit 8 Proz., Westpreußen mit 9 Proz.
Die Ursache der Unterschiede zwischen den Provinzen liegt keines-
wegs nur in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen; so weit stehen in
dieser Hinsicht z. B. Schleswig-Holstein und Schlesien nicht voneinander
ab. Oefter sehlagen sich wohl die Ansichten der Provinzialschulräte
in den Schulformen nieder, die in ihrem Bereich durch Gründung oder
Umwandlung entstehen; darauf ist es wohl zurückzuführen, wenn z. B.
die Angliederung von Ersatzunterricht in Westpreußen in 9 von 21
Städten, in dem verwandten Ostpreußen nur in 3 von 18 vorkommt, in
352 M i 8 z e 1 1 e n.
Brandenburg nur in 5 von 51, in Westfalen wieder in 12 von 46. In
Berlin selbst gehören — wenn man die 15 Realschulen abzieht, die mit
dem Anfang der fremden Sprachen in Quarta ein eigenes System bilden —
dem Reformunterricht nur 5 Schulen an, 23 haben lateinischen Unterbau;
dagegen sind von den Schulen in seinen Vororten 37 auf dem Reform-
system aufgebaut, 23 auf lateinischer Grundlage, 3 geben beide Möglich-
keiten. Bei dem Hin und Her zwischen der Stadt und den Vororten
ein unerfreulicher Zustand! Auch die Verteilung der Konfessionen ist
nicht ohne Bedeutung; in vorwiegend katholischen Gebieten scheint eine
Vorliebe für das Gymnasium unverkennbar; so in Westfalen, Rheinland,
Schlesien. Endlich sind die älteren Schulen unter dem Zwang der Ge-
wohnheit viel häufiger gymnasialen Charakters oder haben wenigstens
lateinischen Unterbau, sind die Neugründungen viel öfter dem Reform-
system angehörig.
So kreuzen sich in der Form der Organisation die verschiedensten
Interessen und einmal bestehende Zustände; vom volkswirtschaftlichen
Standpunkte am erwünschtesten wäre ein Ausgleich im Sinne des Refom-
systems auf der unteren Stufe, eine Differenzierung, sei es durch parallele
Schulen oder durch Ersatzunterricht, nach oben hin.
Die Verhältnisse außerhalb Preußens sollen hier nur aus-
zugsweise umrissen werden. Die kleinen norddeutschen Staaten — abge-
sehen von den 3 Hansestädten — stehen in der Reformschulfrage ähnlich
wie Preußen ; sie haben 46 Proz. Reformschulen, 44 Proz. auf lateinischer
Grundlage, in 10 Proz. ihrer Schulen beide Möglichkeiten nebeneinander.
Auffällig ist, daß Mecklenburg, das man wohl als das Land der kleinen
Landstädte bezeichnen darf, so wenig von dieser Bewegung ergriffen ist;
hier gehören 64 Proz. dem lateinischen Unterbau an, 27 Proz. sind
Reformanstalten, und zwar fast durchweg Realschulen. Im Gegensatz
dazu stehen die 3 Hansestädte mit 77 Proz. Schülern des Reformsystems,
20 Proz. auf lateinischer Grundlage, 3 Proz. für beide Wege an einer
Schule. Wieder fehlt der Reformunterbau gerade da, wo er am nötigsten
wäre, in den kleinen Städten. Vor allem ist Hamburg bemerkenswert, das
die Oberrealschule so stark entwickelt hat, wie es nirgends sonst der
Fall ist; Berlin hat 4 Oberrealschulen gegen 23 Gymnasien und Real-
gymnasien, Hamburg 5 Oberrealschulen und nur 5 Lateinschulen; die
Gymnasien sind in den Hansestädten nur 18 Proz. aller Anstalten. Das
Königreich Sachsen weicht nicht erheblich von Preußen ab; es hat
weniger Realgymnasien, mehr Realschulen, und findet einen Ausgleich
gern durch Ersatzunterricht. In Süddeutschland sind Hessen und Baden
dem Reformsystem sehr geneigt, mit 60 und 67 Proz. seiner Schulen;
das beruht darauf, daß sie die lateinlose Schule (bis zur Oberprima
hinauf) stark bevorzugen, von denen sie 62 Proz. und 65 Proz. haben
gegen 29 Proz. in Preußen; realgymnasiale Schulen haben sie mit 7 und
21 Proz. besonders wenig, gegen 34 Proz. in Preußen.
Bayern hat den Gedanken der Reformschule als des gemeinsamen
Unterbaues für alle Arten von höheren Schulen bisher überhaupt abge-
lehnt; die 42 Proz. Schulen dieser Art sind bis auf eine alles Real-
schulen und Oberrealschulen : der lateinische Unterbau ist mit 56 Proz.
Miszelleu. 353
stark entwickelt, und es führt schon von Sexta ab keine Brücke von
einer Schulart zur anderen. Dieselbe scharfe Trennung ist auch in der
Auswahl unter den drei vorhandenen Schularten gewählt. Die Mittel-
form des Realgymnasiums kommt mit 2 Proz. der Anstalten kaum vor,
das Gymnasium ist mit 56 Proz. aller Schulen stärker als in irgend-
einer preußischen Provinz entwickelt. Die pädagogische Anschauung,
daß der Schüler entweder den einen oder den anderen Weg zu gehen
habe, von Anfang an und mit einer gewissen Einseitigkeit, die sich
auch in der Ausgestaltung der Lehrpläne zeigt, hat alle wirtschaftlichen
Erwägungen zurückgedrängt; auch der Ersatzunterricht ist selten, da-
gegen findet man verhältnismäßig oft, auch in kleineren Orten, eine
Realschule neben dem Gymnasium. Der Ursachen werden verschiedene
sein ; in dem stark katholischen Lande mag die Vorliebe, die die Kirche
für das Gymnasium zeigt, eine Rolle spielen; es kommt hinzu, daß die
Städte, im Gegensatz zu Preußen, nur in verschwindendem Maße Träger
des höheren Schulwesens sind, daß also der einheitliche Wille der Re-
gierung ohne störende Einflüsse vorwaltet; Bayern zeigt auch sonst seit
den Tagen des Rheinbundes eine stärkere Bürokratie als vielleicht irgend
ein Bundesstaat. In Elsaß-Lothringen ist die Organisation des höheren
Schulwesens ähnliche Wege gegangen wie in Bayern. In Württemberg
dagegen nimmt das Reformsystem seit einiger Zeit stark zu; nur
34 Proz. aller Schulen bieten nur lateinischen unterbau, die Gymnasien
sind nur 25 Proz. aller Schulen, die Realgymnasien sind mit 30 Proz.
nicht schlecht entwickelt. Ganz besonders hat Württemberg dann für
die kleinen Städte gesorgt durch seine Lateinschulen und Realschulen
ohne Oberklassen, die meist nur eine oder 2, manchmal auch 3, 4, 5
Klassen haben, von 10 — 100 Schülern besucht werden, meist nur von
1 — 2 Lehrern unterrichtet werden. Das kleine Land besitzt solcher
Schulen 99, von denen 33 Proz. Lateinschulen, 57 Proz. Realschulen,
10 Proz. gemischt sind. Diese Schulen sind wohl den Rektorschulen in
Preußen zu vergleichen, sind aber viel stärker verbreitet ; diese 99 Orte
stehen gegenüber 28 Städtchen mit einer höheren Schule, während dies
Verhältnis in Preußen 246 : 394 ist, selbst in Westfalen nur 79 : 49. In
der Verwaltung und ganzen Anlage erscheinen sie aber mehr als Anfangs-
klassen einer höheren Schule, während die preußischen Mittelschulen
gleichzeitig zwischen höherer Schule und Volksschule stehen und sich
zu einem Unter- und Mittelbau der höheren Schule aus dem Ressort
der Volksschule heraus zu entwickeln streben. Eine gute Uebersicht
gibt eine soeben von der Kgl. Ministerialabteilung für Unterricht
herausgegebene Karte der höheren Schulen Württembergs.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 23
354 Literatur.
Literatur.
IL
Hoffmann, J. F., Die Getreidespeicher,
bautechnisclie und maschinenteclinisclie Einrichtung, wie Förder-
maschinen, Lüfter und Luftwerk, Beinigungsmaschinen usw., sowie
iBesprechung der Getreide- und Allestrockner.
Berlin (Paul Parey) 1916. XVIII u. 829 SS. Mit 732 Textabbildungen.
(Preis 48 M.)
Besprochen von W. Wygodzinski (Bonn).
Die Frage der Getreidelagerung war schon vor dem Kriege von
wachsender Bedeutung. Es handelte sich dabei einmal darum, eine
technisch und ökonomisch einwandfreie Form der Lagerung zu finden,
die eine sichere und zugleich billige Aufbewahrung dieses wichtigen
Massengutes gestattete; das wurde in dem gleichen Maße dringender,
als der Getreidehandel immer riesigere Mengen an sich zog und auf-
stapelte, ehe sie den Mühlen zur Verarbeitung gegeben wurden. Des-
gleichen müssen auch die Mühlen und die Brauereien für sachgemäße
Aufbewahrung ihrer Rohstoffe besorgt sein. Die Getreidespeicher wurden
aber auch Gegenstand lebhaftesten volkswirtschaftlichen Interesses. Der
amerikanische G^treidehandel stützte sich auf sie; in Deutschland
und später auch in den Vereinigten Staaten versuchten umgekehrt die
Produzenten, mit ihrer Hilfe den Handel „auszuschalten" (vgl. hierzu
meinen Artikel „Kornspeicher" im Handwörterbuch der Staats Wissen-
schaften 3. Aufl. VI. Bd. S. 175 fg.). Nunmehr tritt noch etwas Drittes
hinzu, nämlich die durch den Kjrieg entstandene Notwendigkeit einer
Vorratspolitik zur Sicherung gegen künftige Versuche von Aushunge-
rungspolitik. Damit ist die Frage der Getreidespeicher zugleich zu einer
nationalpolitischen ersten Ranges geworden. So kommt jetzt ein Werk
besonders willkommen, das, auf langjähriger Beschäftigung mit dem
Gegenstand beruhend, ihn nach der technischen Seite hin in größter
Ausführlichkeit musterhaft darstellt. Es ist dies die obengenannte Arbeit
von Dr. J. F. Hoffmann.
Der Verfasser beginnt seine Betrachtungen mit einer Geschichte
der Getreideaufspeicherung. Diese, nicht auf den Quellen, son-
dern auf abgeleiteter Literatur beruhend, verzichtet auf die systema-
tische Durchfühungr der Entwicklung, gibt vielmehr Typen aus ver-
schiedenen Ländern und Zeiten, mit gelegentlichen kritischen Bemer-
Literatur. 355
kungen vom Standpunkte der modernen Technik aus. Ee sind dabei
zwei ^oße Gruppen zu scheiden, nämlich die unterirdische imd die ober-
irdische Getreideaufbewahrung; bei ersterer wieder kommen Erdgruben
vor (Silos), wie sie das Altertum, aber auch die neuere Zeit kannte.
So wissen wir von Erdsilos, welche die Mansfelder Bergbaugewerk-
schaft im Jahre 1849 anlegte 1). Es handelt sich dabei einmal um
die Aufbewahrung- während des Ernte Jahres, weiter aber um Auf-
speicherung für Notjahre ; eine Zusammenfassung der Typen nach dieser
Richtung wäre für Laien lehrreich gewesen. Endlich gibt Hoffmann
in diesem Abschnitt eine kurze Skizze der Entwicklung der Vorläufer
der neueren Speichersysteme. Wir sehen dabei insbesondere, daß der
Streit, ob der Haltbarkeit des Getreides besser durch völligen Luftab-
schluß oder durch ständige Durchlüftung gedient sei, zum mindesten
schon anderthalb Jahrhunderte alt ist. Bereits 1768 konstruierte der
Festungsbaumeister Dinglinger für Hamburg einen Kornspeicher, der,
dem dortigen feuchten Klima Rechnung tragend, eine ständige Durch-
lüftung mit einfachsten Mitteln gestattete und, wie es scheint, gute Er-
folge aufwies. Andere Systeme folgten, auch solche für Schutt- und
Silotrichteranwendung. Negativ ist ihnen allen das Fehlen umfang-
reicherer mechanischer Einrichtungen zur Bewegung des Getreides ge-
meinsam, die das charakteristische Kennzeichen der modernen Getreide-
speicher sind.
Nach dieser historischen Skizze behandelt Hoffmann die gegen-
wärtigen Speichersysteme und Bauten. Einige Bemerkungen
über die ästhetische Wirkung der Speicherbauten werden vorausge-
schickt, wobei insbesondere mit Recht auf die ausdrucksvolle Linien-
führung moderner Silospeicher hingewiesen wird. Die eigentlichen Bau-
künstler, die sich anderer Nutzbauten bereits mit großem Erfolg ange-
nommen haben, wie z. B. Peter Behrens, scheinen diese dankbare Auf-
gabe noch nicht entdeckt zu haben. Entscheidend für die Wahl der
LagerungS' und Förderformen muß natürlich Zweckmäßigkeit und
Wirtschaftlichkeit der Anlage sein. Die technische Entwicklung war
in den letzten Jahren eine sehr starke, doch scheint sie sich dem- Be-'
harrungszustand zu nähern.
Die einfachste, mit dem geringsten Kostenaufwand herzustellende
Speicherform ist der Bodenspeicher, in dem das Getreide in einem oder
auch mehreren Stockwerken auf der Bodenfläche lagert. Das so lagernde
Gretreide erfordert aber außerordentlich viel Handarbeit, deren Verringe-
rung zuerst in Nordamerika wegen der Knappheit der Arbeitskräfte
sich notwendig machte. Die Lösung fand sich im Silo, dem Schacht,,
in Verbindung mit Becher- und Schöpfwerken. Eine UebergangsforiÄ
bilden die besonders für landwirtschaftliche Lagerhäuser vielfach ver-
wendeten Trichterböden, bei welchen mehrere kleinere Siloschächte über-
einander stehen, so daß auch hier die Handarbeit bei der Beförderung»
und Umarbeitung des Getreides im wesentlichen fortfällt. Als üeber-
1) Diese Anlage ist Hoffmann entgangen. Vgl. Schadeberg, Die Silos, 2. Aus-
gabe, Halle 1854.
23*
356 Literatur.
gangsform kann man auch die Rieselspeicher betrachten, bei denen man
das Getreide mit Hilfe von Schiebern von einem Boden auf den nächsten
herabiieseln läßt und damit entlüftet. Endlich hat die Technik die
alten Bodenspeicher wieder zu Ehren gebracht, indem sie die Förderung
des Geti-eides durch neue mechanische Vorrichtungen ermöglichte. Die
eine ist das Luftwerk, d. h. die Förderung des Getreides durch Saug-
oder Druckluft. Die zweite Methode dient dem Umstechen des lagern-
den Getreides durch fahrbare Wender, die ähnlich wie auf den Brauerei-
darren das Getreide fassen und rückwärts in die Luft werfen. Neben
den älteren Formen der Boden- und Silolagerung kommt nunmehr auch
noch die Kastenlagerung in Betracht, bei der die Lagerböden durch
feste oder bewegliche Wände in Abteilungen getrennt werden, in welchen
kleinere Getreideposten gesondert aufbewahrt werden können. Die Kasten-
lagerung ist jetzt dadurch konkurrenzfähig geworden, daß das Luft-
werk die sonst viel Arbeit kostende Entleerung leicht macht. Diese
Lagerformen lassen sich mannigfach kombinieren. Die Wahl des Lager-
systems im einzelnen hängt von den verschiedensten Bedingungen ab.
Die Anlagekosten sind bei den Bodenspeichern am niedrigsten; dann
folgen der Reihe nach Silospeicher, Kastenspeicher, Trichterspeioher und
als letzte Rieselspeioher. Die Ausnutzungsmöglichkeit ist beim Boden-
speicher am geringsten (ein Drittel oder gar ein Viertel des Raumin-
halts), beim Silospeicher am größten (fast vollständig), so daß bei
teueren Grundpreisen, wie in Großstädten, die Silos am zweckmäßigsten
scheinen. Die klimatischen Bedingungen sind jedoch in Deutschland einer
hohen Aufspeicherung nicht günstig ; die Erhaltung der Keimfähigkeit, die
Vermeidung von Schimmelbildung und Selbsterwärmung wird bei sonst
gleichen Umständen vielmehr am leichtesten bei flacher Bodenjagerung
erreicht. Bezüglich der Wahl der Fördermittel handelt es sich vor
allem um den Kampf zwischen Bändern und Becherwerken auf der
einen, Luftwerk auf der anderen Seite. Die Vorzüge des Luftwerks
liegen auf der Seite einer außerordentlichen Arbeitsersparung, seiner
großen Anpassungsfähigkeit an alle räumlichen Bedingungen und der
gleichzeitigen Reinigung und Entstaubimg des Materials. Nachteile
sind die Kosten, die allerdings durch die Technik ständig herunterge-
drückt werden, und die bisher jedoch nicht einwandfrei naehge-
wiesene Abnutzung des Getreides während des Passierens, die der Keim-
fähigkeit schaden soll. Hoffmann glaubt, daß man letztere Gefahr
durch eine Verringerung der Luftgeschwindigkeit verhindern könne.
Selbstverständlich kommt es auch darauf an, welchem Zwecke der
Speicher dienen soll. Die Handelsspeicher liegen meist an Wasser-
läufen. Da hier der Boden in der Regel feucht ist, muß bei der An-
lage und insbesondere bei der Fundierung darauf Rücksicht genommen
werden, daß bei Silospeichern der G^treidedruck ganz außerordentlich
groß, schon bei 25 m Höhe der Silos 400 Zentner pro 1 qm ist.
Gefährliche Schiefstellungen und Zusammenstürze, von denen das Buch
anschauliche Bilder gibt, waren schon mehrfach die Folge einer nicht
genügenden Berücksichtigung dieser Tatsache. Ho ff mann gibt nun-
mehr ausführliche, durch zahlreiche Abbildungen und schematische Dsu:-
Literatur. 357
Stellungen unterstützte Schilderungen der verschiedenen Speicherformen,
die überwiegend technisch orientiert sind. Der gewöhnliche Boden-
speicher, der sich namentlich auf dem Lande findet, ist oft von ein-
fachster Bauart, wegen seiner schlechten Ausnutzbarkeit und des
Mangels an Luft und Licht nicht selten recht imökonomisch. Ein mo-
derner Bodenspeicher ist beispielsweise der Teltowkanalspeicher am
Tempelhofei Hafen in Groß-Berlin, der 21000 qm Bodenfläche ent-
hält; die Beförderung des Getreides wie auch das Umstechen und
Wiegen geschieht natürlich maschinell, mittels Becherwerken und Bän-
dern. Die Rieselspeicher sind zuerst durch den Mühlenbesitzer
Friedrich Schutt in Berlin konstruiert worden, der das kostspielige und
dabei unwirksame Umstechen des Getreides von Hand durch eine
zweckmäßigere und billigere Einrichtung ersetzen wollte. Das Rieseln,
das der Durchlüftung des Getreides dient, ist außerordentlich arbeit-
sparend. Nach H. kann, wenn in einem nach dem Rieselsystem ge-
bauten Proviantamtspeicher jeweilig der zweite Boden belegt ist, eine
Getreidemenge von 1000 t in 15 Minuten gründlich gelüftet werden,
während ein Arbeiter vielleicht 21/2 t in der Stunde schafft. Die
Kastenspeicher haben hauptsächlich Bedeutung für kaufmännische
Betriebe, in denen sich das Bedürfnis geltend macht, eine große Anzahl
einzelner Getreideposten gesondert aufzubewahren. Gewöhnlich werden
sie so eingerichtet, daß sie durch Herausnahme der Zwischenwände in
Bodenspeicher umgewandelt werden können. Um den Hauptfehler der
Kästen, nämlich den Handarbeitsaufwand zur Beseitigung der seitlich
liegenden Getreidereste, auszuschalten, bildet man den Boden in Trichter-
form aus. So entstehen die Trichter kästen, die sich von den eigent-
lichen Siloschächten dadurch unterscheiden, daß mehrere übereinander
liegen und durch ein Fallrohrsystem miteinander verbunden sind. Je
kleiner die Behälter, um so größer sind die Anlagekosten.
Da« bei weitem größte Interesse widmet Hoffmann den Silo-
speichern. Er schickt einige Bemerkungen über den Geschäftsbetrieb
und die wirtschaftlichen Verhältnisse des nordamerikanischen Silospeicher-
wesens voraus, die nichts Neues enthalten. Hervorgehoben sei nur die
Mitteilung, daß zurzeit die größte Anlage für Getreidespeicherung auf
der Erde von der Grand Trunk Elevator Co. in Fort William, Ontario,
Canada, gebaut wird; nach vollständigem Ausbau wird rund 1 Million t
Getreide darin gelagert werden können. Um so mehr interessieren die
technischen Mitteilungen. Die Silolagerung ist unzweifelhaft die Ideal-
form der Lagerung; wenn sie trotzdem in Deutschland noch keine unbe-
dingte Anerkennung gefunden hat, so liegt dies an den bösen Erfahrungen,
die man vielfach mit dem Getreide während der Lagerzeit gemacht hat.
Das Muffigwerden, die Selbsterwärmung und Verschimmelung des Ma-
terials waren von jeher die schlimmen Begleiterscheinungen bei der
Silolagerung. Diese Mißstände wurden durch das Eisensilo noch ver-
stärkt, welches den Stoffwechselprodukten des feuchten Getreides jeden
Ausweg versperrte und zuweilen sogar ein völliges Zusammenwachsen
und Verfilzen des Getreides verursachte. In Nordamerika bildete zunächst
Holz das Baumaterial. Es wurde in verschwenderischer Weise verwendet.
358 Literatur.
indem man die Sohachtwände durch Uebereinanderlegen von Brettern
herstellte, die in ausgiebigster Weise miteinander vernagelt wurden. Dies
System der Lattenna^lung besaß den Vorzug einer ungewöhnlichen
Widerstandsfähigkeit gegen das Durchbrechen von Getreide. Als aber
die Waldverwüstung eine immer größer werdende Holzarmut verur-
sachte, waren die amerikanischen Ingenieure zur Umschau nach anderem
Material gezwungen. Zunächst verwendete man das aus Deutschland
eingeführte Rundeisensilo, das jedoch die Schimmelung, Keimung und
während der kalten Winter- und Frühjahrsmonate sogar das Gefrieren
des Getreides begünstigte. Die Ursache lag, wie erwähnt, in der Undurch-
lässigkeit des Eisens für Stoff Wechselprodukte, und so begann man, wäh-
rend Europa resigniert auf den Silobau verzichtete, in Amerika wiederum
neues Material zu suchen. Versuche, gemauerte Siloschächte mit besonders
geformten Hohlsteinen einzuführen, hatten keinen umfassenden Erfolg.
Dagegen wendete man sich um die Jahrhundertwende dem Eisenbeton-
bau zu und erreichte damit, nach Ueberwindung der Kinderkrankheiten»
das gewünschte Ziel. Auch in Deutschland hat man jetzt die Abneigung
gegen die Silolagerung überwunden und wendet das Eisenbetonsilo an.
Bei der Konstruktion der Silozellen ist die Festigkeit auf der einen
Seite, der möglichst geringe Kostenaufwand auf der anderen Seite maß-
gebend. Man hat Untersuchungen über den seitlichen Getreidedruck,
über das Einlaufen des Getreides in den Siloschacht (infolge der Kiesel-
säure, die sich in der Schale des Korns anhäuft, wirkt die Oberfläche
wie eine Feile und frißt eventuell jede Wand, ob Holz, Eisen odejr
Stein, in kurzer Zeit an) und über den Bodendruck des Getreides ange-
stellt, wobei auch die Elastizität des Korns eine Rolle spielt. Diesen
allgemeinen Ausführungen folgt nun eine wiederum mit zahlreichen
Abbildungen versehene Einzeldarstellung der verschiedenen Silospeicher-
typen, die ein äußerst eindrucksvolles Bild von der technischen Ausge-
staltung dieses wichti,gsten Hilfsmittels des modernen Getreidehandels
geben.
Der zweite Hauptteil des Werkes ist dem Maschinenapparat
der Speicher gewidmet. Mit der Entwicklung des Lagerwesens steht
die Entwicklung der Fördermittel im engsten Zusammenhange. Das
wichtigste: Fördermittel für Getreide war bisher und wird es vielleicht
auch bleiben das Becherwerk oder der Elevator, nach dem nicht'
selten die Getreidespeicher selbst benannt werden. Sie sind so konstruiert,
daß über 2 in angemessener Entfernung voneinander befindlichen
Scheiben ein endloser Baumwoll- oder Ledergurt läuft, an dem die
mehrere Liter fassenden Eisen- oder Stahlbecher befestigt sind, deren
Breite etwas geringer als die der Gurte ist. An Stelle der Gurte werden
auch Ketten verwendet. Zur Vermeidung der Staubbelästigung sind die
beiden Becherstränge in Holz- oder Eisenröhren eingeschlossen. Be-
sonders wichtig sind die Spannvorrichtungen der Bechergurte, die den
ungestörten Betrieb garantieren. Die Leistungen der Becherwerke sind
sehr beträchtlich; eine von H. angeführte Tabelle verzeichnet je nach
der Größe solche von 8 bis 80 Tonnenstunden. Besondere Schwierig-
keiten bieten die Schiffsbecherwerke wesren des wechselnden Wasser-
Literatur. 359
Standes, so werden die Schwankungen des Wasserstandes des Rheins
bei Düsseldorf auf 8 m angegeben. Zur Uebemahme des Getreides aus
Schiffen in Leichter oder nach wechselnden üferstellen hat man schwim-
mende Becherwerke gebaut, wobei der Antrieb gewöhnlich durch einen
Oelmotor im Schwimmkörper erfolgt. Zum weiteren Transport dient
das Förderband, das übrigens jetzt auch für die Förderung von Kohlen,
Erzen und allen anderen möglichen Stoffen verwendet wird. Es sind
breite Bänder ohne Ende, über Rollen laufend, die das aufgeschüttete
Gut mit sich führen und es mit Hilfe eines Abwurfwagens oder Ab-
streichbrettes an einer bestimmten Stelle abwerfen können. Die Band-
geschwindigkeit beträgt für Getreide gewöhnlich 2 — 3 m in der Sekunde :
die Leistung beträgt für eine durchschnittliche Gurtbreite von 500 mm
rund 45 Tonnenstunden. Gut bewährt haben sich auch die zuerst von
Eugen Kreiß in Hamburg konstruierten Förderrinnen, bei denen das
Getreide durch schräges Aufwärtsstoßen der Trogunterlagen vorwärts
bewegt wird; dagegen wird den früher vi,el benutzten Förder-
schnecken nunmehr leichte Verstopfung, hoher Kraftverbrauch und
geringer mechanischer Wirkungsgrad zugeschrieben. Für Sackgetreide
sind Speicherwinden noch vielfach im Gebrauch, wobei jetzt regel-
mäßig der elektrische dem hydraulichen Antrieb vorgezogen wird. Für
die Aufladung von losem Gretreide aus Schiffen haben sich mehr und
mehr Selbstgreifer (in Verbindung mit Drehkranen) eingeführt, die
um 1/3 billiger arbeiten als ein Becherwerk, zugleich auch weit bequemer
zu bedienen sind. Die ortsfesten Fördervorrichtungen sind natürlich auf
einen bestimmten Wirkungsbereich beschränkt. Da in der Praxis häufig
das Bedürfnis auftritt, an wechselnden Stellen des Speichers oder am
Kai Getreide lose oder in Säcken za fördern, ist die Beschaffung be-
weglicher Fördervorrichtungen erforderlich; diese haben aller-
dings den Nachteil, für ihre Bewegungsbahn viel Raum zu beanspruchen.
Fahrbare Becherwerke finden besonders in Nordamerika auf dem Felde
Verwendung, wo sie das ausgedroschene Getreide sofort auf das Fuhr^
werk oder in die Eisenbahnwagen befördern; als Antrieb wird Göpel-
werk oder Lokomobile benutzt. Auch in Deutschland sind solche An-
lagen schon ausgeführt worden. Große Bedeutung gewinnen die fahr-
baren Sackstapelmaschinen, da sie die schwerste Arbeit, das Hochheben
von Säcken, übernehmen. Die weitere Arbeit des Einspeicherns von
losem Getreide wird mit Hilfe von Fallvorrichtungen vorgenommen.
Das Getreide kommt zunächst in einen Schüttrumpf, der es von allzu groben
Verunreinigungen befreit, und dann in die automatische Wage. Durch
Becherwerke in die Höhe gehoben, muß es nun bei Silospeichern auf
die einzelnen Zellen verteilt werden. Bei langen Speichern werden hierzu
Bänder, bei kürzeren Verteilungssysteme angewendet, wobei sehr in-
geniöse Vorrichtungen (wie der von Luther konstruierte Pendelrohrver-
teiler) benutzt werden. Einfacher sind die festen Fallrohre, die ihrer-
seits wiedei mit Verteilern verbunden sein können. Um bei Bodenlagerung
das Getreide gleichmäßig über den Boden zu verteilen, werden Streu-
kegel angewendet. Endlich dient den Zwecken der Beförderung losen
Getreides noch die Winderzeugung, die gleichzeitig oder haupt-
360 Literatur.
sächlich zur Entlüftung und Säuberung des Getreides verwendet wird.
Der erste, der solche Anlagen ausführte, war der Ingenieur Fred. E.
Dnckam, Betriebsleiter der Millwall Docks in London; doch hat auch
G. Luther den Gedanken zeitig ausgesprochen. Der Kraftverbrauch ist
allerdings weit höher als beim Becherwerk, hat aber gegenüber den
sonstigen Vorzügen keine überragende Bedeutung. Beim Saugluft-
werk wird ein mit einer arbeitenden Luftpumpe in Verbindung stehen-
des Eohrstück in das Getreide hineingedrückt, dieses wird dann in das
Rohr hineingerissen und darin weiter befördert. Durch das Leitungsrohr
gelangt das Getreide, mit der Luft vermischt, in den Speicher und in
den gewöhnlich dicht unter dem Dache eingebauten Abnehmer. Dieser
besteht aus einem trichterförmigen Behälter, in dem sich die Geschwin-
digkeit der Luft erheblich vermindert, so daß das Getreide nach dem
Verlassen des Rohres herabsinkt. Es wird dann unter Absaugen der
Luft durch eine Schleuse nach unten ausgeschüttet. Druckluftwerke
werden nur für kleinere Anlagen, etwa bis zu 5 Tonnenstunden Förder-
leistung, verwendet. Auch schwimmende Luftwerke sind gebaut worden ;
die ersten schwimmenden pneumatischen Getreideheber wurden Ende
des 19. Jahrhunderts an den Norddeutschen Lloyd und die Hamburg-
Amerika-Linie geliefert. Die Heber vermögen in der Stunde 200 — 250 1
Getreide auszuladen. So kann z. B. ein Dampfer mit 8000 t G^treide-
ladung, an dem 4 Heber arbeiten, einschließlich aller Verzögerungen
in 10 Stunden entleert und gewogen werden, eine ganz enorme Arbeit-
ersparnis. Der Getreideheber eignet sich vermöge seiner geschmeidigen
Konstruktion auch ganz besonders zur Entladung von Schiffen mit ver-
schiedenen Getreideposten; Dampfer mit Ladungen aus dem Schwarzen
Meer haben nicht selten 40 — 50 Teilladungen.
Das Getreide wird im Speicher nicht nur bewegt, sondern auch
gereinigt, getrennt und eventuell geschrotet. Auch dafür ist
eine umfangreiche Apparatur vorhanden. Eine Trennung nach der Größe
wird durch Siebvorrichtungen bewirkt, nach dem spezifischen Gewicht
(Getreide und Spreu, Stroh, leere Aehren usw.) durch Windfege, nach
dem Verhalten gegen Magnetismus (Eisenteilchen) durch Magneten usw.
Die Aufgabe, dasGetreide zu säubern, beispielsweise die Verunreinigungen
in der Furche oder die Keime des gedarrten Malzes zu entfernen, haben
die Putzmaschinen, das sind hauptsächlich Entgranner, Schläger- und
Bürstmaschinen. Aehnlichen Zwecken dient die Waschmaschine, die
zugleich auch die letzte Entfernung von Fremdkörpern vornimmt.
Steine von der Größe und Form des Getreidekorns werden mit Sicher-
heit nur durch den Waschprozeß entfernt. Entstäuber, die den Staub
als gefährlichen Feind des Speicher- und Müllereibetriebes entfernen,
und Sackausklopfer machen den Schluß. Wäge- und Feuer-
schutzvorrichtungen vervollständigen die Maschinerie des Speichers.
Die Tatsache, daß feuchtes Getreide eher Schädigungen im Speicher
ausgesetzt ist als trockenes, sowie die neue Forderung einer ausgedehnten
Vorratswirtschaft machen die Frage der Getreidetrocknung, deren
der letzte Teil des Buches gewidmet ist, besonders wichtig. Das Getreide-
korn besitzt eine schwer durchlässige Schale, die Wasser nur langsam
Literatur. 361
durchpassieren läßt. Setzt man nun frisches Getreide, das sich in gela-
tineartiger Beschaffenheit befindet, hohen Temperaturen aus, dann bildet
sich im Inneren des Korns ein hoher Dampfdruck, welcher im Verein
mit den stets vorhandenen Säuren oder sauren Salzen die Eiweißbe-
standteile, d. h. die für die Back- und Keimfähigkeit wichtigen Stoffe
aufschließt, wodurch ihre kostbaren Eigenschaften leiden oder auch
ganz verloren gehen. Auch schädigende Zerreißungen im Zellgewebe
sind wahrscheinlich, wenn der Austritt des Walsers durch hohe Tem-
peraturen erzwungen wird. Demgemäß darf die Temperatur bei der
Trocknung nur allmählich e:esteigert werden, was denn auch zur Folge
hat, daß die Trocknung langsam vor sich gehen muß. Hoffmann er-
klärt auf Grund seiner Beobachtungen, daß beim Backgetreide eine
Wasserentziehung von 5 Proz. mindestens eine Stunde, bei Braugerste
mit ihrer wenig durchlässigen Schale wenigstens zwei Stunden benötige.
Daraus zieht er die wirtschaftlich äußerst wichtige Folgerung, daß es
nicht möglich ist, kleine Trockner für große Leistungen zu bauen. Die
einzelnen Trocknungssysteme werden nunmehr einer sehr eingehenden
Besprechung unterzogen, wobei die Trocknung mit heißer Luft zwar
für die teuerste, aber auch beste Form erklärt wird. Gerade auf dem
Gebiete des Trocknungswesens, das — wenigstens in Deutschland —
noch jung ist, sind zahlreiche technische Fragen erst zu klären.
Das Buch Hoffmanns ist das eines Spezialisten, ganz überwiegend
technisch orientiert. Landwirte, Baumeister, Maschinenkonstrukteure,
Kaufleute, Brauereien werden am meisten daraus lernen. Aber auch der
Nationalökonom wird sich in die spröde Materie vertiefen müssen.
Wenn nach der Meinung Hoffmanns der Getreideschwund in Deutsch-
land alljährlich 10 — 20 Millionen Doppelzentner Trockensubstanz be-
trägt, die sich durch die Einrichtung der Speicher größtenteils erhalten
ließen, so ist dies für die kommenden Zeiten der Materialsparsamkeit
ein Wink, der nicht unbeachtet bleiben darf.
362 Uebenicht über die neuesten Pablikationen DeatschUnda und des Auslandes.
ITebersicht ftber die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Oeiohiohte d«r Wisienschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spesielle
theoretieohe Untersuchung'eii.
Herkner, Prof. Dr. Heinr., Die Reform der Staats wissenschaftlichen Studien,
mit besonderer Rücksichtnahme auf die Kriegserfahrungen. Vortrag, gehalten in der
Gehe-Stiftung zu Dresden am 31. III. 1917. (Vorträge der Gehe-Stiftung, Bd. 8, Heft 6.)
Leipzig, B. G. Teubner, 1917. gr. 8. 27 SS. M. 0,80.
Untersuchungen über Preisbildung. Abt. C: Kosten der Lebenshaltung.
Hrsg. von Franz Eulenburg. 1. Teil. Untersuchungen über die Lebenskosten in der
Sl^hweiz. Mit Beiträgen von E. Ackermann, P. Groß, W. Kaufmann, Jacob Lorenz u.
A. Menze. Im Auftrage des Vereins für Sozialpolitik hrsg. von Prof. Stephan Bauer.
(Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 146, I. Teil.) München, Duncker & Hum-
blot, 1917. 8. XXIII— 303 SS. mit Fig. M. 8.—.
Bellet, Daniel, L'alimentation de la France et les ressources coloniales ou
^trangferes. Paris, F^lix Alcan, 1917. 16. 259 pag. fr. 3,50.
Pi e rs on , N. G., Trait§ d'^conomie politique. 2 vols. Paris, M. Giard et E. BriÖre.
8. fr. 25.—.
Gibbs, Winifred Stuart, The minimum cost of living. A study of families
of limited income in New York City. New York, Macmillan. 8. $ 1.—.
Graziani, Augusto, Istituzioni di economia politica. Terza edizione, intera-
mente riveduta ed accresciuta. Torino, Fratelli Bocca (Recanati, R. Simboli), 1917. 8.
X, 959 p. 1. 25.—.
Pareto, Vilfredo, I sistemi socialisti. Vol. I. Milano, Istituto editoriale
italiano, 1917. 32. 262 p.
Polak, Siegfried, Een kennismaking met de leer der economische vrijheid,
het socialisme en het staatssocialisme. Groningen, P. Noordhoff. gr. 8. 101 blz. fl. 0,75.
2. Geschichte und Darstellung- der wirtschaftlichen Kultur.
Endres, Franz Carl, Die Türkei. Bilder und Skizzen von
Land und Volk. 2. unveränderte Aufl. München (C. H. Becksche
Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck) 1916. S^. X u. 301 SS. (Preis:
M. 5.—.)
Das Buch soll nach der Angabe des Verfassers dazu beitragen,
die Kenntnis über die Türkei so zu erweitern und zu vertiefen, daß sie
zu einer Erkenntnis des türkischen Orients führe; nur durch nüchtern
das Für und Wider abwägende Betrachtung könne man zu solcher Er-
kenntnis gelangen. Wie weit der Verf. dieser selbstgestellten Aufgabe
im allgemeinen gerecht wird, soll nicht untersucht werden. Hier kommt
lediglich das IV. Buch in Betracht, das unter dem Gesamttitel „Volks-
wirtschaftliches" nach einer allgemeinen Vorbesprechung über Be-
völkerungsdichte Landwirtschaft, türkische Finanzfragen, Handel und
Zölle, Industrie abhandelt. Die Reihenfolge der genannten Kapitel
mutet etwas sonderlich an; aber die Arbeit will kein wissenschaftliches
Buch sein, sondern nur „Bilder und Skizzen von Land und Volk" geben.
Wenn das nicht vergessen wird, wird man auch die Auswahl der für
die volkswirtschaftliche Darlegung benutzten Literatur, soweit man sie
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 368
zu erkennen vermag, nicht allzusehr kritisieren dürfen, um so weniger,
als der Verf. bei der Bereisung weiter Gebiete des Landes durch eigene
Anschauung sich über die aus den benutzten Quellen geschöpften An-
sichten selbständig unterrichten konnte. Diese Selbständigkeit des
Urteils, das unter Berücksichtigung der historischen Bedingtheit aller
wirtschaftlichen Verhältnisse kühl abwägt, zeichnet das Buch unter den
vielen literarischen Erzeugnissen über den Orient aus; die Lebendig-
keit und Frische der Darstellung, die vielleicht gelegentlich etwas
zu stark die Person des Verfs. und seinen individuellen Geschmack in
den Vordergrund rückt, erhöht die Lesbarkeit.
Der Versuch, durch eine Reihe von Skizzen, die nur etwas mehr
als 50 Seiten umfassen, einen Einblick in die türkische Volkswirt-
schaft geben zu wollen, ist allein deshalb durchführbar, weil die
Türkei als Wirtschaftsgebilde im Innern noch verhältnismäßig unkom-
pliziert ist und sich in ihren Beziehungen zum Ausland vor dem Kriege
über die Stufe eines noch unentwickelten Rohstofflieferungsgebietes
nicht weit erhob. Erheblich schwieriger ist die Aufgabe, die Türkei
als staatliches, insbesondere staatlich-finanzielles Gebilde zu erfassen;
denn sowohl sind die Verhältnisse im Innern weniger einfach als auch
die Beziehungen zum Ausland seit der tief eingreifenden Finanzkontrolle
fremder Mächte äußerst kompliziert. In den Hauptlinien kann der
Versuch des Verf., die Probleme skizzenhaft zu umreißen, als wohlge-
lungen bezeichnet werden. lieber alle wesentlichen Fragen wird der
Leser unterrichtet. Er erfährt ihre Entstehung und ihre Bedeutung
für das Ganze, und er hört etwas von den Mitteln zu ihrer Lösung.
Daß sich dabei hier und da Widerspruch erheben wird, kann bei der
Unerforschtheit vieler Dinge nicht wundernehmen. So wird sicherlich
zugegeben werden müssen, daß zahlreiche Mineralien sich im Boden
der Türkei vorfinden (S. 257); wie weit sie jedoch in abbauwürdigen
Mengen und vor allem in solchen Mengen, daß sie bei der Rohstoff-
belieferung der Welt eine nennenswerte Bedeutung erlangen, vorhanden
sind, ist bei dem Mangel jeglicher systematischen geologischen Aufnahme
noch ungewiß. Ferner läßt sich wohl nicht so einfach, wie der Verf. es
mit Trietsch (S. 247) tut, behaupten, daß „schon die Türkei einschließlich
Aegyptens das deutsche und österreichische Wirtschaftswesen fast bis
zur Geschlossenheit zu ergänzen" in der Lage sei. Die Tabellen, die
(S. 249) über den deutsch-türkischen Warenverkehr angeführt werden,
geben in ihrer Absolutheit kein Maß für den Umfang dieses Umsatzes,
sondern lassen erst durch den Vergleich mit dem Gesamtgüterbedarf
Deutschlands und Oesterreichs eine richtige Beurteilung zu. Weiter
vermittelt die von Kaerger aus dem Jahre 1892 stammende Angabe
über die Ertragfähigkeit des Bodens (S. 222) kein zutreffendes Bild,
da sie anscheinend nur vorwiegend gut angebauten Boden berücksichtigt.
Wenigstens gibt im Durchschnitt keines einzigen Landesteiles die amt-
liche Agrarstatistik von 1329 (1913/4), die wohl kaum eine Unterschätzung
vorgenommen hat, weder für Weizen noch für Gerste ein derartig hohes
Verhältnis zwischen Aussaat und Ernte an. Dasselbe gilt in bezug
auf den Mais (S. 224). Es soll nicht bestritten werden, daß Kaerger
364 Uebereicht über die neaesten Pablikationen Deutschlands und des Auslandes.
und andere Autoren auf einzelnen Gütern bei dem Vorhandensein der
denkbar günstigsten Wachstumsverhältnisse die angeführten Resultate
feststellen konnten. Indessen sind für die Einschätzung der landwirt-
schaftlichen Leistungsfähigkeit eines ganzen großen Landes solche Fest-
stellungen nicht nur wertlos, sondern gefährlich.
Jene von dem Verf. gemachten, aber bei dem ihm zur Verfügung
stehenden Material kaum zu vermeidenden Fehler tragen unbeabsichtigt
zu einer starken Ueberschätzung der in nächster Zeit möglichen Wirt-
schaftsbeziehungen zwischen Mitteleuropa und der Türkei bei. Wenn
dann die kalten Tatsachen den überspannten Erwartungen nicht ent-
sprechen, kann zum Schaden aller leicht eine Enttäuschung Platz greifen.
Das zu verhindern, muß indessen die Aufgabe aller an einer engeren
Wirtschaftsbeziehung zwischen den Mittelmächten und der Türkei
Arbeitenden sein.
Arnautköj bei Konstantinopel. Friedrich Hoffmann.
(g:c:)
Bornhak (Geh. Ju8t.-ß.), Prof. Dr. Conrad, Belgiens Vergangenheit und Zu-
kunft. Berlin, Verlag des „Grenzboten", 1917. gr. 8. 39 SS. M. 1,25.
Brentano, Lujo, Die byzantinische Volkswirtschaft. Ein Kapitel aus Vor-
lesungen über Wirtschaftsgeschichte. München, Duncker & Humblot, 1917. gr. 8. 50 SS.
M. 1,20. (S.-Abdr. aus Schmollers Jahrbuch, 41. Jahrg.)
Friedensburg, Walter, Geschichte der Universität Wittenberg. Halle a. S.,
Max Niemeyer, 1917. gr. 8. XI— 645 SS. mit 3 Taf. M. 30.—.
Hasenclever, Adolf, Geschichte Aegyptens im 19. Jahrhundert. 1798 — 1914.
Halle a. S., iMax Niemeyer, 1917. gr. 8. XV— 497 SS. mit 1 Karte. M. 15.—.
Luck, Walter, Die Priegnitz, ihre Besitzverhältnisse vom 12. — 15. Jahrhundert.
(Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg.) München,
Duncker & Humblot, 1917. gr. 8. XIX— 280 SS. M. 9.—.
Mosl6 (Kons.), A., Japan und seine Stellung in der Weltpolitik. (Meereskunde.
Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen Bedeutung von
Meer und Seewesen. Hrsg. vom Institut für Meereskunde an der Universität Berlin,
Heft 129, Jahrg. 11, Heft 9.) Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1917. 8. 40 SS. mit
5 Abbild. M. 0,60.
Pantenius, Th. H., Geschichte Bußlands von der Entstehung des rassischen
Reiches bis zur Zeit vor dem Weltkriege. 2. verm. Aufl. Leipzig, ß. Voigtländers
Verlag, 1917. gr. 8. XV— 421 SS. mit 1 Karte. M. 7,50.
Simson, Dr. Paul, Geschichte der Stadt Danzig. In 4 Bdn. 6. Lief. Bd. II, 2.
Danzig, A. W. Kasemann, 1917. Lex.-8. S. 193—384. M. 4.—.
Elliot, L. E., Brazil to day and to morrow. New York, Macmillan. 8. $ 2,25.
Taft, W. Howard, and Viscount James Bryce, Washington, the nation's
capital. Washington, D. C, Nat. Geogr. Soc. 8. $ 1,50.
Barbagallo, Corrado, II materialismo storico. MUano, Federazione italiana
delle biblioteche popolari. Varese, tip. coop. Varesina, 1917. 16. 129 p.
Mehring, Franz, Storia della democrazia sociale tedesca. Prefazione di Gus-
tave Sacerdote. Milano, libr. ed. Avanti, 1917. 8. 2 voll. XVII, 592; 605 p.
1. 15,--.
3. BcTÖlkenmgglehra und Bevölkertingspolitik. Auiwanderaag
und Kolonisatioii.
Siemens, Herrn. Werner, Die biologischen Grundlagen der BAssenhygiene
und die Bevölkerungspolitik. Für Gebildete aller Berufe. München, J. F. Lehmanna
Verlag, 1917. 8. 80 SS. und 8 Abbild. M. 1,80.
Weyhmann (wiss. Hilfsarb.), Horst, Unsere Südsee. Ein unentbehrlicher Be-
standteil der deutschen Volkswirtschaft. Mit einem Geleitwort von (Museumsdir.) Prof.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 365
Dr. G. Thileniua. Berlin, Dietrich Reimer (Ernst Vohsen), 1917. gr. 8. 66 SS. mit
20 Abbild, auf 16 Taf. M. 0,75.
Nicola, Giovanni Battista, L' emigrazione degli analfabeti e ranimaameri-
cana. Roma, tip. Unione ed., 1917. 8. 14 p.
LoPresti, Domenico, Codice della emigrazione. Roma, Tip. Cartiere cen-
trali. 8. 1. 7.—.
4. Berg'bau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Pothmann, Wilhelm, Der im Rubrbergbau auf den Kopf der
Belegschaft entfallende Förderanteil und das Problem seiner wirtschaft-
lichen Steigerung. (Beiträge zur Lehre von den industriellen, Handels-
und Verkehrsunternehmungen, hrsgg. von R. Passow, Heft 2.) Jena
(Gust. Fischer) 1916. S«. 74 SS. (Preis: M. 2.)
Nach einigen begrifflichen und methodischen Erörterungen vergleicht
Pothmann die Förderanteile von 1888 — 1911 in Dortmund, Oberschlesien
und Saarbrücken, findet aber wegen der mannigfachen formellen und
sachlichen Verschiedenheiten der Statistiken nur einen Faktor sicher
erkennbar, nämlich den überwältigenden Einfluß großer Flözmächtig-
keiten. Auch bei Beschränkung auf einen zeitlichen Vergleich des
Förderanteils im Kuhrrevier kann Pothmann die fallende Tendenz des
Förderanteils nicht zahlenmäßig erklären; er muß sich mit einer Auf-
zählung der steigernd und senkend wirkenden Gründe begnügen.
Eine Gruppierung der Ziffern nach Bergrevieren ergibt zwar
einen gewissen Zusammenhang zwischen der Förderanteilshöhe und dem
geologischen Aufbau der einzelnen Reviere (Verhältnis der Gebirgs-
mächtigkeit zu abbauwürdiger Kohle, Verteilung der Kohle über den
Horizont, Mächtigkeit der Flöze, Tektonik), aber es wirken doch andere
Gründe (Umfang der Nebenbetriebe, Größe der Betriebe, Intensität der
Entwickelung) so stark verwischend ein, daß P. folgert: Die Revier-
einheit isoliert die Bestimmungsgründe noch in unzijreichender Weise.
Sein Urteil über die geologischen Einflüsse auf den Förder-
anteil zusammenfassend, erkennt P. eine ungünstige Tendenz für die
zukünftige Entwicklung des Ruhrbergbaus: Zunehmendes Deckgebirge,
infolgedessen mehr Ausrichtung, erhöhte Schlagwetter- und Kohlenstaub-
gefahr, Zunahme der Temperatur und der Druckerscheinungen, dadurch
Anwachsen der Zahl der für die Sicherheit tätigen Arbeiter und Ver-
schärfung der Bekämpfungsmaßnahmen. Diese den Förderanteil senkenden
Wirkungen können durch den sich immer mehr verlangsamenden Prozeß
des Ersatzes menschlicher Arbeit durch die Maschine nicht wettgemacht
werden.
Da der Vergleich der Bergrevierzahlen kein genügend scharfes
Bild ergeben hatte, wählt Pothmann als besser isolierende Einheiten
die Betriebe. Er gruppiert sie nach zwei für die Höhe des Förder-
anteils wesentlichen Gesichtspunkten: Betriebsgröße (Höhe der Jahres-
förderung) und geologischen Verhältnissen (a. Mager-, b. Fett-, c. Gas-
und Gasflammenkohlenbetriebe). Der Einfluß der Zugehörigkeit zu
diesen 3 geologischen Gruppen liegt nicht nur in dem verschiedenen
Kohlenreichtum und gewinnungstechnischen Verhalten, sondern auch in
366 Uebenicht über die neuesten Publikationen Deutechlands und dee Auülandes.
der Art der diesen Gruppen eigenen Nebenbetriebe: Die Fettkohlen-
betriebe haben Kokerei und Nebenproduktengewinnung, die Magerkohlen-
betriebe brikettieren, die jüngeren Horizonte haben keine Veredelungs-
betriebe größeren Umfangs. Nach Ausscheidung der Abnormitäten
kommt Pothmann zu folgendem Ergebnis: „Die Betriebsgröße besitzt
für den Förderanteil bis zu einer gewissen Grenze steigernde Wirkung.
Die Grenze scheint bei Magerkohlenbetrieben bei etwa Yg Mill. t, bei
Fettkohlenbetrieben bei etwa 1 Mill. t und bei Gasflamm - Gaskohlen-
betrieben etwa 100000 t tiefer zu liegen." Auf Grund dieser Fest-
stellung lehnt Pothmann die von Uhde angenommene Beziehung
zwischen Förderanteil und Organisationsform (Aktiengesellschaft
oder Gewerkschaft) ab. Der Einfluß der Organisationsform sei nur
scheinbar ; tatsächlich handelt es sich um eine Abhängigkeit des Förder-
anteils von dem geologischen Horizont und der ihm eigenen Betriebs-
größe, die nur deshalb als eine Abhängigkeit von der Organisationsform
erscheine, weil die Aktiengesellschaft in den oben erwähnten Klassen
a. und c. eine außerordentlich überwiegende Stellung einnehme.
Wenn Pothmann bei der Ansicht Uhdes eine verständliche Er-
klärung aus der Eigenart der Organisationsform heraus vermißt, so mag
darauf hingewiesen werden, daß auch die Pothmannsche Ansicht an
Ueberzeugungskraft gewonnen hätte, wenn die inneren Gründe der
nachgewiesenen Abhängigkeit eingehender erörtert worden wären.
Den Einfluß der Absatzmöglichkeit auf den Förderanteil
untersucht Pothmann an Hand der Feierschichten- und Wagenmangel-
statistik. Sein Versuch, bezüglich der Feierschichten einen Unterschied
zwischen reinen und Hüttenzechen zu finden, bleibt ergebnislos. Auch
hinsichtlich des Wagenmangels verzichtet er auf eine Zerlegung der
Gesamtziffer und erwähnt nur, daß die am Rande des Reviers gelegenen
Zechen und die durch Privatanschluß mit ihrer Hütte verbundenen
Zechen sich günstiger stehen.
An letzter Stelle erörtert Pothmann den Einfluß des Arbeiters
selbst auf den Förderanteil. Trotz eingehender Würdigung der viel-
fachen hier — steigernd und senkend — mitwirkenden Faktoren kann
P. die Abhängigkeit nicht „exakt", nicht zahlenmäßig nachweisen. Er
erhofft jedoch ein solches Ergebnis wenigstens in einem Punkte von einer
von ihm in Aussicht genommenen Gruppierung der Betriebe nach dem
Prozentsatz zugezogener bergfremder Arbeiter.
Außer dieser erst in Aussicht gestellten zahlenmäßigen Feststellung
hat Pothmann, wie er selbst betont, nur den geologischen Horizont
und die Betriebsgröße als Faktoren für die Höhe des Förderanteils
„exakt" festgestellt. Ein weiteres Eindringen in den Förderanteil auf
exaktem Wege scheint ihm kaum durchführbar. Er stellt deshalb ohne
zahlenmäßige Bewertung nebeneinander als steigernde Faktoren: Ver-
besserung der geologischen Verhältnisse, der maschinellen Hilfsmittel,
der Abbauniethoden und Vergrößerung der Betriebe; als senkende
Faktoren : den geringer werdenden Anteil der eigentlichen Gewinnungs-
arbeiter an der Gesamtbelegschaft, eine Minderung der Absatzmöglich-
keit und ein aus verschiedenen Gründen sich ergebendes Sinken des
vom Arbeiter hergegebenen Leistungsaufwandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 3^7
Der zweite Teil der Aufgabe, die Pothmann sich gestellt hatte,
war das Suchen nach Mitteln, durch die der Förderanteil so ge-
steigert werden kann, daß dadurch die vorauszusehende Steigerung
der Unkosten auf den Kopf wettgemacht wird. Die auf geologischer
Grundlage beruhenden Bestimmungsgründe des Förderanteils (Abbau-
methoden und Mittel der Gefahrenbekämpfung) bieten wenig Aussicht
auf eine Steigerung des Förderanteils. Eine gewisse Steigerungsmög-
lichkeit liegt bei manchen Zechen noch in der Entwicklung zu einer
günstigeren Betriebsgröße. Auf maschinellem Gebiet sieht P.
die Möglichkeit zu einer wenn auch nicht großen Steigerung des Förder-
anteils bei der Schrämmaschine, bei der mechanischen Abbauförderung
und bei der Schachtförderung, wenn es gelingt, diese zum Prinzip des
kontinuierlichen Betriebes heraufzuentwickeln.
Zur Bekämpfung des Wagenmangels sind nur die vielfach ge-
äußerten Wünsche der Industrie zu wiederholen.
Die Möglichkeit, den Förderanteil durch einen größeren Leistungs-
aufwand des Arbeiters zu erhöhen, bespricht Pothmann an Hand
der von Taylor aufgestellten Grundsätze: Das Prinzip der Arbeiter-
auslese ist angesichts des Arbeitermangels undurchführbar. Die weit-
gehende Arbeitsteilung wird hinsichtlichtlich der Arbeiter wegen der
Natur der bergmännischen Arbeit ebenfalls für undurchführbar gehalten,
dagegen verspricht sich P. von einer Aufteilung der Obliegenheiten
des Keviersteigers nach Fachgesichtspunkten eine Verbesserung des
Aufsichtsdienstes und besonders auch eine zuverlässigere Regelung der
Gedingefrage und ein besseres Einlernen der von anderen Zechen
kommenden Leute. Der von Taylor angestrebte objektive Einblick in
den Arbeitsprozeß erscheint Pothmann im Bergbau nicht möglich, das
Taylorsystem im wesentlichen für Bergbauverhältnisse nicht anwendbar.
Aufsicht und Lohnpolitik müssen wie bisher die Mittel sein, um den
Leistungsaufwand der Arbeiter zu heben.
Das Schluß ergebnis ist : „Insgesamt müssen die Aussichten für eine
Steigerung des Förderanteils als recht bescheiden bezeichnet werden."
Die positiven Feststellungen der Pothmannschen Abhandlung geben
im allgemeinen zu Einwendungen keinen Anlaß. Dagegen erscheinen
zwei negative Feststellungen Pothmanns zu pessimistisch. Wenn (S. 51)
eine „exakte" Feststellung der Bestimmungsgründe des Förderanteils
mit Ausnahme der Betriebsgröße, der geologischen Verhältnisse und
des Zuzugs bergfremder Arbeiter für kaum durchführbar erklärt wird,
und wenn (S. 71 und 72) die Gewinnung eines objektiven Einblicks in
den bergmännischen Arbeitsprozeß auf Taylorschem Wege für unmöglich
gehalten wird, so erscheint dieser Verzicht verfrüht. P. ging vom
Bergbaubezirk zum Bergrevier und schließlich zum Betrieb über, und
erst seine kleinste Untersuchungseinheit, der Betrieb, ergab brauchbare
„exakte" Ergebnisse. Es liegt nahe, daß eine weitere Verkleinerung
der Untersuchungseinheit auch weitere exakte Ergebnisse zeitigt. Die
Betriebsstatistik der einzelnen Bergwerke gibt die Möglichkeit, die
Steigerabteilungen, die Flöze, ja sogar die einzelnen Betriebspunkte
als Vergleichseinheit zu wählen. Die praktische Verwendung der Be-
triebsstatistik besteht ja vielfach in einem solchen Vergleichen in der
368 Ueberaicht über die neaeeten Pablikationen Deutschlands und des AusUndes.
Absicht, den Förderanteil, wo or nicht hoch genug erscheint, zu steigern.
In den Betriebsstatistiken ist also ein reiches Zahlenmaterial für ex-
akte Forschung enthalten; und dieses Material auszudehnen, zu ver-
tiefen und zu verfeinern, dazu gibt gerade Taylor mancherlei Anregung,
wenn auch sein System als Ganzes auf den Bergbau nicht übertragen
werden kann. Es ist zu hoffen, daß in weiteren Abhandlungen über
diese Frage auch die der Oeffentlichkeit im allgemeinen nicht zugäng-
lichen Betriebsstatistiken herangezogen werden. Sie können nicht ent-
behrt werden, wenn man auf dem Wege weiterkommen will, auf dem
die vorsichtigen und sachlichen Ausführungen von Pothmann einen er-
freulichen Fortschritt bedeuten.
d. Zt. Berlin. Her big.
Di ekel (Ger.-R. a. D.), Prof. Dr. Karl, Deutsches und preußisches Forstzivil-
recht, mit Berücksichtigung der übrigen deutschen Landesrechte und einiger öffentlich-
rechtlicher Fragen, wie Waffehgebrauchsrecht, Forst- und Jagdschutz, Stempelsteuer.
2. völlig umgearb. u. verm. Aufl. Berlin, Franz Vahlen, 1917. gr.8. XXVIII— 1173 SS.
mit 1 Bildnis. M. 28.—,
Guttenberg (Hofr.), Prof. Dr. Adolf Ritter v., Grundriß der Forst verwaltungs-
lehre. Wien, Franz Deuticke, 1917. gr. 8. VIII— 165 SS. M. 5.—
Jüptner v, Jonstorff (Hofr.), Prof. Hans Frhr. v., Das Eisenhüttenwesen.
Eine Uebersicht seiner Entwicklung sowie seiner kulturellen und wirtschaftlichen Be-
deutung. 2. Aufl., verm. durch das Kapitel: Der Weltkrieg und das Eisenhüttenwesen.
Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft, 1917. gr. 8. XII— 246 SS. mit 127 Abbild.
M. 7,50.
Mosdorfer (Ing.), B., Bauernstand und Staat. Eeformvorschläge zur wirtschaft-
lichen Hebung des Bauernstandes. 2. ergänzte Aufl. Mit einem Geleitwort von Peter
Rosegger. Graz, Leuschner & Lubenskys Universitätsbuchhdlg., 1917. gr. 8. 80 SS.
M. 2,50.
Offermann (Dir.), Dr. Heinrich, Das nord westdeutsche Erdölvorkommen.
Chemisch — physikalisch — geologisch. Braunschweig, Fried r. Vieweg & Sohn, 1917.
gr. 8. IV— 58 SS. M. 4.—.
Pols, (Ob. -Ing.) Ant., Das Erdgas, seine Erschließung und wirtschaftliche Be-
deutung. Unter besonderer Berücksichtigung des ungarischen Erdgas -Vorkommens.
Berlin, Verlag für Fachliteratur, 1917. Lex.-8. III— 92 SS. mit Abbild, und 1 eingedr.
Karte. M. 5.—.
Schindler (Hofr.), Prof. F., Der Wirtschaftsdünger und seine Behandlung im
Hinblick auf die Forderungen der Zeit. (Mitteilungen der deutschen Landwirtschafts-
gesellschaft für Oesterreich, Veröffentlichung Nr. 5.) Wien, Wilhelm Frick, 1917. gr.8.
19 SS. M. 2.—.
Treptow (Geh. Bergr.), Prof. Emil, Grundzüge der Bergbaukunde, einschließlich
Aufbereitung und Brikettieren. 5. verm. u. vollst, umgearb. Aufl. 1. Bd. Bergbau-
kunde. Wien, Waldheim -Eberle A.-G., 1917. Lex.-8. X— 579 SS. mit 846 in den
Text gedr. Abbild. M. 12.—.
Wirz, Dr. J., Die Getreideproduktion und Brotversorgung der Schweiz. 2. erw.
Aufl. Zürich, Orell Füßli, 1917. gr. 8. 163 SS. mit 43 S. Abbild. M. 6.—.
Magnani, Luigi, I problemi agrari della nuova Italia. Bologna, Stabilimenti
poligrafici riuniti, 1917. 16. 47 p.
Rivista del servizio minerario nel 1915 (Ministero d'agricoltura : ispettorato
delle miniere). Roma, tip. Nazionale, Bertero, 1917. 8. 16, CLXXXI, 216 p. 1. 4.—.
Reigersberg Versluys, J. C. van. De Nederlandsch-Indische mijnbouw-
politiek en de vooruitzichten der benzine - markt, 's Gravenhage, Mart. Nijhoff. 8.
43 en 4 blz. fl. 0,50.
5. G-ewerbe und Industrie.
Gaebel, Dr. Käthe, und (Mag.-R.) v. Schulz, Die Heimarbeit im Kriege.
Hrsg. von der Gesellschaft für soziade Reform, dem Verbände deutscher Gewerbe- und
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 369
Kaufmannsgerichte und dem Zentralverein für das "Wohl der arbeitenden Klassen.
Berlin, Franz Vahlen, 1917. gr. 8. III— 210 SS. M. 3,60.
Lutter (Geh. ßeg.-R.), R., Kriegsvorschriften auf dem Gebiete des gewerblichen
Beehtsschutzes. Zusammengestellt und mit Erläuterungen verfaßt. Berlin, J. Guttentag,
1917. 8. S. 3—64. M. 2.—.
Osel (Wirkl. Rat, M. d. L.), Heinr., Zur Entwicklung von Bayerns Industrie
und Handel. Diessen, Jos. C. Huber, 1917. gr. 8. 95 SS. M. 1,60.
Ritter, Dr. Erich, Die öffentliche Elektrizitätsversorgung in Deutschland.
Berlin, Haude u. Spenersche Buchhdlg., Max Paschke, 1917. gr. 8. VIII— 158 SS.
M. 6.—.
Weyls Handbuch der Hygiene. (In 8 Bdn.) Hrsg. von (Geh. Med.-R.) Prof.
Dr. A. Gärtner. 2. Aufl. (Bearb. von Kreisarzt Dr. Louis Ascher . . .) Lief. 24, Bd. VII:
Gewerbehj-^giene. Bearb. von Agn. Bluhm . . . Allgemeiner Teil, Abt. 4: Allgemeine
Unfallverhütung in gewerblichen Betrieben, von (Sen.-Präs., G«h. Reg.-R.) Prof. Dr. ing.
Konrad Hartmann. Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1917. Lex.-8. III u. S. 425 — 675
mit 439 Abbild, im Text. M. 10,25.
Arnou, Gh., Les Industries de la conservation des fruits. La Pomme. Oon-
sid^ration et 6tude de ce fruit. Vannes, impr. Lafolye fr&res. Grand in -8. 76 pag.
avec fig.
Fleury, R. de, La production industrielle intensive. Paris, Dunod. 8. fr. 3. — .
Matignon, Jacques, L'influence de la protection legale des inventeurs sur le
d^veloppement de Pindustrie. Th&se pour le doctorat en droit. Paris, Rousseau et Cie.
8. 185 pag.
„C 1 a r i t y." Our future. Some urgent economic, social, and industrial problems. To
which is appended a special section on the wooUen industry. London, Murby & Co.
8. 221 pp. 7/.—.
Fleming, A. P. M., Industrial ressarch in the United States of America. (Science
and industry series No. 1.) London, Stationery Office. Cr. 8. 68 pp. 1/. — .
Lauck, W.Jett, and Edg. Sydenstricker, Conditions of labor in American
Industries. A summarization of the results of recent investigations. New York, Funk
and Wagnalls. 8. $ 1,75.
Claudi, Claudio, L'industria in Italia dopo la guerra: conferenza. Forll,
soc. tip. Commerciale, 1917. 16. 21 p.
Lanino, Pietro, Conferenza sul tema, Le nostre Industrie nazionali prima della
guerra, durante la guerra, dopo la guerra, tenuta il 10 novembre 1916. Bologna, coop.
tip. Mareggiani, 1917. 8. 34 p.
— La nuova Italia industriale. Vol. III. 1. 3,50. — Vol. IV (allegati al vol. III,
indici generali). Roma, soc. ed. Italiana, 1917. 16. CXXX p. 1. 2,50.
Nobili Massuero, Ferdinando, L'industria italiana dell' armamento navale
in economia di guerra. Roma, Athenaeum (Cittä di Castello, soc. Leonardo da Vinci),
1917. 8. 28 p.
6. Handel nnd Verkehr.
Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. von (Sektionschef a. D.) Dr. Frhr.
V. Roll. In Verbindung mit zahlreichen Eisenbahnfachmännern. Redaktionsausschuß:
(Hofr.) Blaschek. An den Redaktionsarbeiten beteiligt: (Ob.-Ing.) Obermayer, (Staats-
bahnrat) PoUak, (Bahnkommiss.) Dr. Grünthal. 2. vollst, umgearb. Aufl. 71. — 75. Lfg.
(8. Bd., S. 1—240). Mit zahlr. Textabb. und Taf. Wien, Urban u. Schwarzenberg,
1917. Lex.-8. Je M. 1,60.
Heinrich Ferdinand, Erzherzog, Die Wasserstraße Mitteleuropas. 2. AufL
Wien, Franz Deuticke, 1917. gr. 8. 23 SS. mit 1 färb. Karte. M. 1,60.
Findeisens Leitfaden der Handelswissenschaft. Im Sinne einer Handelsbetriebs-
lehre bearbeitet von (Handelshochschul-Prof.) Dr. H. Großmann. 15. Aufl., 2. Aufl.
der Neubearbeitung. (Gehlens handelswissenschaftliohe Lehrbücher.) Leipzig, Dr. Max
Gehlen, 1917. 8. 153 SS. mit Abb.
Fischl (Gen.-Sekr.), Dr. Frdr., Fragen der Uebergangswirtschaft. Zwei Vor-
träge, gehalten im Prager Handelsgremium am 29. V. und am 5. VI. 1917. Leipzig,
Schulwissenschaftl. Verlag A. Haase, 1917. gr. 8. 37 SS. M. 1,70.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 24
370 Uebenicht fiber die neuesten Publikationen Deutachlandfl und des Auslandes.
Freundlich, Emmy, Unser täglich Brot. Eine Einführung in die Fragen der
Zoll- und Handelspolitik. Wien, Hugo Heller u. Co., 1917. gr. 8. 59 SS. M. 1,50.
Hennig, Dr. Rieh., Grundzüge einer militärischen Verkehrspolitik unter Be-
rücksichtigung der Erfahrungen des Weltkrieges. (Verkehrswissenschaftliche Abhand-
lungen. Auf Veranlassung des Kaiserl. Automobilklubs hrsg. von Geh. Reg.-R. Prof.
Dr. Gottfr. Zoepfl, Staatsanw. Dr. Carl Falck und Hauptm. Dr. Walter Kes. Heft 3.)
Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. gr. 8. VII— 100 SS. M. 3.—.
Hufnagl (Zentralgüterdir.), Leop., Handbuch der kaufmännischen Holzver-
wertung und des Holzhandels. Für Waldbesitzer, Forstwirte, Holzindustrielle und Holz-
händler. 4. umgearb. und vermehrte Aufl. Berlin, Paul Parey, 1917. gr. 8. VIII —
412 SS. mit 28 Textabb. M. 15.—.
Schulze, Frdr. , Die ersten deutschen Eisenbahnen Nümberg-Fürth und Leipzig-
Dresden. 2. verm. Aufl. (Voigtländers Quellenbücher, Bd. 1.). Leipzig, E. Voigtländers
Verlag, 1917. kl. 8. 68 SS. mit 19 Abb. M. 0,80.
Seligmann, Otto, Die künftigen Handelsbeziehungen zwischen Bußland und
Skandinavien. (Unter Benutzung skandinavischer Quellen.) (Hamburgische Forschungen.
Wirtschaftliche und politische Studien aus hanseatischem Interessengebiet, hrsg. von
Dir. Prof. Dr. Karl Rathgen und Geh. Reg.-R. Gen.-Sekr. Dr. Franz Stuhlmann. Heft 2.)
Braunschweig, Georg Westermann, 1917. gr. 8. 36 SS. M. 1. — .
Staatseisenbahnen, Die Großherzoglich oldenburgischen. Ein Rückblick auf
die ersten 50 Jahre ihres Bestehens, 1867 — 1917. Oldenburg i. Gr., Gerh. Stalling,
1917. gr. 8. 195 SS. mit Abb. M. 5.—.
Adam, Henri Georges, La propri§t§ commerciale. Sa defense. Th^e pour
le doctorat ^conomique. Montpellier, Firmin et Montane, 1914. 8. 191 pag.
Boret, Victor, La bataille Sconomique de demain. Paris, Payot. 8. fr. 1. — .
Hungerford, E., The railroad problem. Chicago, Mc Clure, 8. $ 1,50.
Lucas, Sir Charles P., The beginnings of English overseas enterprise. A pre-
lude to the Empire. Oxford, Clarendon Press. 8. 6/.6.
Scott, W. R., Economic problems of peace after war. Cambridge, Univ. Press.
8. 4/.6.
Marini, Ciro, II commercio delle pelli e 1' industria dal cuoio durante la guerra.
(Camera di commercio e industria di Genova.) Genova, soc. tip. Ligure, E. Oliveri e C,
1917. 4. 55 p.
Prato, Giuseppe, II programma economico-politico della Mitteleuropa, negli
scrittori italiani prima del 1848. Torino, fratelli Bocca (V. Bona), 1917. 8. 32 p.
Sacerdote, Cesare, La guerra e la crisi del carbone in Italia; tesi di laurea
(r. Istituto superiore di studi commerciali di Torino.) Torino, fratelli Bocca (Recanati,
R. Simboli), 1917. 8. 122 p. 1. 3.—.
Scolari, Luca, La riforma della tarifa e dei trattati di commercio. (Camera
di commercio e industria di Verona.) Verona, tip. G. Franchini, 1916. 8. 13 p.
Valenti, Ghino, L' agricoltura e la politica commerciale dell' Italia : intro-
duzione generale alle monografie agrarie. (Comitato nazionale per le tariffe doganale
e per i trattati di commercio: ufficio tecnico per 1' agricoltura e le Industrie agrarie.)
Roma, tip. Nazionale, Bertero, 1917. 8. 168 p.
7. Finanswesen.
Waldecker, Ludwig, Eeichseinheit und Reichsfinanzen. Nach-
denkliche Kapitel für Juristen und Nichtjuristen über ein Problem
deutscher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Tübingen (J. C. B.
Mohr) 1916. 8^ IV u. 205 SS. (Preis: B M.).
Waldecker will sein Buch nicht als politische Schrift angesehen
wissen. Er will die Fragen, die er erörtert, nicht als Politiker be-
handeln, der er nicht sei, sondern nur als Deutscher und als Vertreter
der Wissenschaft, für den es kein anderes Gesetz gebe, als das zu
sagen, was er für richtig erkannt habe. Ob der Politiker einem
anderen als diesem — recht einseitig für den Vertreter der Wissen-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 371
Schaft vindizierten — wohl selbstverständlichen Gesetze zu folgen hat,
mag billig bezweifelt werden. Ebenso aber glaube ich bezweifeln zu
dürfen, daß es Waldecker wirklich gelungen ist, ein unpolitisches Buch
zu schreiben. Das Buch ist politisch, sogar in gewissem Umfange
polemisch. Die Vorbemerkung, die der Verf. seiner Schrift voraus-
schickt, zwingt zu dieser Feststellung, die allerdings einen Vorwurf
nicht bedeuten kann. Denn es dürfte kaum möglich sein, die Fragen,
die Waldeckers Buch zum Gegenstand hat, unpolitisch zu behandeln.
Was zweckmäßig zu geschehen hat, um einen bestehenden Finanz-
bedarf zu decken, ist nun einmal nichts anderes als eine Frage der
Finanzpolitik.
Bei Waldecker stellt sich die Geschichte des Reiches als eine
Geschichte der Reichsfinanzen dar. Die Entwicklung des Reichsge-
dankens, die in den Tagen der Mobilmachung so herzerhebend in die
Erscheinung trat, findet im Lichte seiner Betrachtungsweise nicht
einen Ausdruck, sondern schlechterdings ihren Inhalt in der
Geschichte der Reichsfinanzen. Und so bedeuten ihm denn die Ten-
denzen, die in den Reichsfinanzgesetzen ihren Niederschlag gefunden
haben, die Vorläufer dessen, was er die „Idee von 1914" nennt.
Wenn andere den „unitarischen" Gedanken in der Reichsverfassung
etwa im Ausbau der Wehrmacht zu Lande und zur See, im Ueber-
gange zur Kolonial- und Weltpolitik, in der Begründung und Durch-
führung unserer Sozialpolitik sich verwirklichen sehen, so findet Wal-
decker ihn in der Frankensteinschen Klausel, nicht minder aber auch
in ihrem späteren Abbau. Seiner Auffassung nach sind die Schulden
des Reiches das feste Band, das vornehmlich die Gliedstaaten in der
höheren Einheit des Reiches zusammenhält. Und so dürften seine Be-
trachtungen zur Reichsfinanzgeschichte — eine eigentliche Reichsfinanz-
geschichte will Waldecker nicht geben, und gibt er nicht — so lesens-
wert sie zweifellos sind, den „nachdenklichen" Leser vielfach recht
fremdartig berühren. Man denkt unwillkürlich an Mephistos Wort von
dem, der, befangen in der Spekulation, die Augen vor der Wirklichkeit
verschließt.
Die Frage, wie es gelingen könnte, den Finanzbedarf des Reiches
nach Friedensschluß zu decken, erörtert Waldecker im dritten Ab-
schnitte seines Buches. Hier führt ihn die Ueberzeugung, daß die
Rücksicht auf die finanzielle Selbständigkeit der Gliedstaaten die In-
anspruchnahme der direkten Steuern durch das Reich ebensogut wie
die Ueberspannung der Matrikularbeiträge verbietet, zu dem Vorschlage
einer umfassenden Monopolwirtschaft, in die er den Tabak, Gas und
Elektrizität, Petroleum, Kali, Zement, Stein- und Braunkohlen, Getreide,
Butter, Fleisch, Bier, Post und Telegraphie, Stickstoff, Zündhölzer
u. a. m. einbeziehen will. Der aus diesen Monopolen herauszuwirt-
schaftende Mehrertrag wird auf mindestens 2050 Mill., bei einer noch
angängigen Erhöhung der Spannung auf einen noch wesentlich höheren
Betrag errechnet. Immerhin bleibt auch das auf diesem Wege äußersten
Falles zu erzielende Aufkommen hinter dem Mehrbedarf, den Waldecker
(jedenfalls zu gering) mit 4 Milliarden jährlich annimmt, um 600 bis
24*
372 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
1000 Mill. zurück. Waldecker sucht daher, da eine „Verstärkung der
Einnahmeseite unseres Budgets" nicht zum Ziele führt, die Lösung des
Problems auf der Ausgabeseite, und zwar in einer „Herabsetzung der
persönlichen Staats- und Verbandsausgaben". Zu diesem Endziel will er
in weitem Umfange die Beruf sbeamten — die „Staatsrentner" — durch
Staatsdienstpflichtige ersetzt wissen, die nach Maßgabe ihrer Kenntnisse
und Fähigkeiten zu verwenden wären. Es wäre dieses eine Entwick-
lung, die nach Waldecker im Sinne der Fortbildung unseres in der
Daseinsform des „Anstaltstaates" stecken gebliebenen Staatswesens zu
der höheren Stufe des „Genossenschaftsstaates" läge, die nichts anderes
bedeute, als was vor 100 Jahren von Stein, Hardenberg, Scharnhorst
und Boyen erstrebt worden sei, und was als Ziel der kommenden
„Neuorientierung" der Bewegung im August 1914 vorgeschwebt habe.
Es ist nicht möglich, im Rahmen dieser Besprechung auf Wal-
deckers Vorschläge des näheren kritisch einzugehen. Nur darauf sei
kurz hingewiesen, daß Waldecker als „Gegengewicht gegen die in der
größeren speziellen Sachkunde und Routine liegende sachliche Ueber-
legenheit des Berufsbeamten dem Dienstpflichtigen den der Verant-
wortlichkeit der von ihm verwalteten Stelle entsprechenden Rang, Titel
und Stellung eingeräumt" wissen will, „womit die in dem gegen-
wärtigen System bedingte persönliche Ueberlegenheit des Berufsbeamten
mit ihren unerfreulichen Folgeerscheinungen ausgemerzt würde". Also:
Rang und Titel an Stelle der fehlenden Sachkunde. Einen Kommentar
glaube ich mir sparen zu d^rfen.
Halte ich so das Ergebnis der Waldeckerschen Untersuchungen
im wesentlichen für negativ, so legt es um so mehr die Erwägung
nahe, ob der Kampf um eine wirklich ausreichende Kriegsentschädigung
heute überhaupt noch etwas anderes bedeutet, als schlechthin der
Kampf um Deutschlands wirtschaftliche und finanzielle Daseinsmög-
lichkeit.
Waldecker hat den Juristen und Nichtjuristen, die seine nach-
denklichen Kapitel lesen sollen, ihre Aufgabe nicht eben leicht ge-
macht. Die Schwierigkeiten, die das Buch dem Leser entgegenstellt,
liegen allerdings nicht sowohl in seinem Inhalt begründet als in der
Form. Die Umständlichkeiten des Satzbaues, die selbst das gelegent-
liche Vorkominen grammatischer Fehler begreiflich erscheinen lassen,
die Bevorzugung gerade solcher Fremdwörter, die ihrem begrifflichen
Lihalte nach alles eher als eindeutig sind — hingewiesen sei nur auf
den „materialistisch-mechanistischen, kapitalistisch-militärischen Aufbau
der Staatsorganisation" — erschweren das Verständnis. Und wenn
nicht selten die stark abstrakte Darstellung unvermittelt in Triviali-
täten verfällt, so können solche Stilwidrigkeiten nur eine verstimmende
Wirkung zurücklassen.
Liegnitz. Karl Elster.
Ditz (Steuersupernumerar), und (Akt.) P. Mommertz, Die Staats- und Ge-
meinde-Besteuerung der Offiziere und Militärbeamten unter besonderer Berücksichti-
gung der Gemeindesteuerpflicht auf Grund des Aufenthalts und des Gesetzes betr. Er-
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 373
gänzung des Einkommensteuergesetzes vom 30. XII. 1916, nebst Steuertarif. Köln,
J. G. Schmitzsche Buch- und Kunsthandlg., 1917. 8. 24 SS. M. 0,60.
Föhrenbach, Dr. Otto, Die deutschen Reichsfinanzen vor, während und nach
dem Weltkriege. Freiburg i. B., J. Bielefelds Verlag, 1917. 8. 46 SS. M. 0,50.
Kohlensteuerges etz vom 8. IV. 1917 nebst Ausführungsbestimmungen. Hrsg.
im Reichsschatzamt. Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. gr. 8. 94 SS. M. 1,35.
Lotz, Prof. Dr. "Walt her, Finanzwissenschaft. 5. Lfg. (Schluß). Tübingen,
J. C. ß. Mohr, 1917. Lex.-8. XVI und S. 641—839. M. 6.—.
Maschek (Minist.-Sekr.), Dr. Josef, Die Gebühren und Abgaben (Steuern) im
Eisenbahnverkehr (Gebühren von Personenfahrkarten, von Anweisungen (Legitimationen)
zu freien und ermäßigten Fahrten, von Frachturkunden; Frachtsteuer; Fahrkarten-
steuer, Gepäcksteuer und Kriegszuschlag). Zusammenstellung der in Oesterreich gelten-
den gesetzlichen und Durchführungsbestimmungen nebst Begründung. Mit einem An-
hang, enthaltend das ungarische und das deutsche Gesetz über Eisenbahnverkehrsabgaben.
(Handausgabe der österreichischen Gesetze und Verordnungen, Heft 45.) Wien, k. k.
Hof- u. Staatsdruckerei, 1917. kl. 8. VIII— 158 SS. M. 5.—.
Schreiber, Heinrich, und Emil v. Hof mannsthal, Drs., Das Aktien-
nominale. Eine aktien- und steuerrechtliche Studie. Wien, Manz, 1917. 8. VI — 26 SS.
M. 1.—.
Husson, L§on, Les Services industriels de l'fitat et leurs mithodes financi^res.
Th^e pour le doctorat en droit. Paris, M. Giard et E. Brifere, 1916. 8. 153 pag.
L^autey, L. A., et A. Leseurre, La taxation des blnefices de guerre et
l'unification des bilans. Comment payer ä, l'f)tat sa part dans les b§nefices de guerre?
Vannes, impr. Lafolye fröres. 8. 210 pag. (Biblioth^ue des sciences comptables et
economiques.)
Willoughby, W. Franklin, and others, The System of financial adminis-
tration of Great Britain. A report. Introduced by A. Laurence Lowell. New York,
Appleton. 8. $ 2,75.
Caramazza, Filippo, Tassa di famiglia e riforma tributaria. Brescia,
A. Delai. 8. 1. 5.—.
Imposta sui sopra-profitti di guerra: commento al testo unico 19 novembre 1916,
ed al d. m. 15 gennaio 1916, con note ai provvedimenti suUa distribuzione dei divi-
dendi e suUa industria marittima in rapporto all' imposta, [a cura di] Antonio Lia.
Seconda edizione rifalta. Napoli, casa ed. E. Pietroccola succ. P. A. Molina, 1917. 16.
271 p. 1. 3.—.
Magni, Ettore, Finanza e vittoria: cronache economiche e finanziarie degli
stati belligerenti e neutrali; Introduzione positiva ad uno studio teoretico. Roma, tip.
coop. Sociale, 1917. 8. XII, 705 p. 1. 10.—.
Relazione dell' amministrazione delle ferrovie esercitate dallo Stato per l'anno
finanziario 1915 — 1916. (Ferrovie dello Stato: direzione generale.) Roma, tip. Na-
zionale, Bertero, 1917. 4. XI, 361 p. con undici tavole.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und VersioherimgsweBeii.
Carthaus, Vilma, Zur Geschichte und Theorie der Grund-
stückskrisen in deutschen Großstädten, mit besonderer Berücksichtigung
von Groß-Berlin. Jena (Gustav Fischer) 1917. S». VI u. 237 SS.
(Preis: M. 6,—.)
Die vorliegende Schrift ist eine recht tüchtige Doktorarbeit. Die
akademische Herkunft und Absicht drückt sich in dem umständlichen
Titel und einer Eeihe theoretisierender Abschweifungen und Zugaben
aus, im Kern aber wird lediglich eine Geschichte des Groß-Berliner
Liegenschafts- (Grundstücks-, Hypotheken- und Bau-)Marktes für die
Jahre 1902 — 1914 geboten; die vorangehenden Jahre von der Gründer-
zeit an werden mehr nach Art einer Einleitung kurz skizziert. Inner-
halb des Abschnittes von 1902 — 1914 unterscheidet die Verf. die Jahre
374 Uebersioht fiber die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der Hochkonjunktur 1902 — 1906, die der schwankenden Konjunktur
1907 1910 und die der Krisen und Depressionen 1911 bis zum Kriege.
Die letzten Jahre werden am eingehendsten behandelt. Die Verf. hat ein
umfangreiches verstreutes Material mit großem Fleiß und Geschick ver-
arbeitet; man wird bei den künftigen Erörterungen über die Krisis des
Groß-Berliner Grundstücksmarktes auf die Untersuchungen der Verf.
vielfach zurückgreifen müssen. Hervorzuheben sind ihre Ausführungen
über den Einfluß, den in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts die
Konkurrenz der Beleihungsinstitute auf die Entwicklung der Ver-
schuldungsverhältnisse ausgeübt hat (S, 31 ff.). Die Verknüpfung des
Terraingewerbes mit den Großbanken wird in interessanter Weise klar-
gestellt (S. 55), vor allem aber werden naturgemäß die Praktiken der
Terraingesellschaften an charakteristischen Beispielen gezeigt. Der aus
einem einzigen ungeheuren Irrtum, nämlich der Annahme eines un-
begrenzten Steigens der Bodenwerte, erwachsene Kunstbau des Groß-
Berliner Bodengewerbes wird — diese Ueberzeugung drängt sich beim
Lesen der Schrift wieder recht deutlich auf — in der Wirtschafts-
geschichte allezeit als abschreckendes Beispiel genannt werden.
Nachdem die Verf. anhangsweise noch einen kurzen Ueberblick über
die Entwicklung des Münchner und Dresdner Grundstücksmarktes ge-
geben hat, sucht sie im zweiten Teil der Schrift die Ursachen der
Krisis und ihre einzelnen Schwankungen aufzuklären und zu den vor-
geschlagenen Abhilf smaßn ahmen kritisch Stellung zu nehmen. Dieser
Teil, der auch äußerlich nur etwa den vierten Teil der Schrift aus-
macht, steht in seinem Werte hinter dem ersten weit zurück. Die
Verf. erweist sich als getreue Schülerin Eberstadts , dessen vielfach
und nicht ohne Grund angegriffene Auffassungen vorbehaltslos wieder-
gegeben werden. Diesem Teil der Schrift fehlt daher das selbständige
wissenschaftliche Interesse. Auch die Literaturbenutzung ist unvoll-
ständig, was um so mehr zu bedauern ist, als der Verf. offenbar die
eigene praktische Erfahrung fehlt. Nur so ist es zu erklären, daß ihr
eine der wichtigsten Ursachen der Hypothekennot, nämlich die Ver-
gewaltigung der nachstelligen Hypotheken gläubiger durch die vor-
gehenden Hypothekare im Falle der Zwangsversteigerung, völlig ent-
gangen ist. (Die Bemerkungen der Verf. auf S. 197 treffen die Sache
nicht.) Was die allgemeineren Gründe der Krisis anlangt, so schätzt
auch die Verf. nach meinem Dafürhalten den Einfluß der politischen
Ereignisse auf den Grundstücksmarkt bei weitem nicht hoch genug ein.
Die langfristigen Unternehmungen dieses Gebietes mußten durch die
wachsende politische Unsicherheit am meisten getroffen werden, und
durch die Kursbewegungen der Hypothekenpfandbriefe übertrugen sich
die Schwankungen der politischen Lage mit großer Schnelligkeit auf
das Grundstücksgeschäft. Es ist geradezu auffällig, wie parallel die
Kurven der äußeren Politik und des Groß-Berliner Grundstücksmarktes
verlaufen. Wenn dies für andere Städte, wie z. B. München und
Dresden, nicht in gleicher Weise gilt, so erklärt sich dies leicht aus
dem viel innigeren Zusammenhang, in dem die Entwicklung Groß-
Berlins mit den politischen Schicksalen des Deutschen Reichs steht.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 375
Kückt man aber diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund, so wird
sich auch die gesamte Beurteilung der Krisis verschieben.
Berlin. A. Nußbaum.
Assekuranz-Compaß. Internationales Jahrbuch für Versicherungswesen,
1893 gegründet und hrsg. von (Bankkontroll.) Gustav J. Wischnitowsky. 25. Jahrg.,
1917. 2 Bde. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1917. 8. XII, 734 und XIII,
568 SS. M. 22.—.
Becker, P., Ein Staats-Kredit-Monopol. Magdeburg, Peter Becker, 1917. 8.
30 SS. M. 0,60.
Knapowski, Dr. Roch., Die Disproportionalität der objektiven Kapitalrertei-
lung in ihrer Anwendung auf die englischen Wirtschaftskonjunkturen. Posen, Gebr.
Winiewicz, 1917. gr. 8. VII, 144 SS. mit 3 Tab. M. 5.—.
Man es, Prof. Dr. Alfred, Kriegs- und Friedensrüstung der deutschen Ver-
sicherung. (Bibliothek für Volks- und Weltwirtschaft. Hrsg.: Prof. Dr. Franz
V. Mammen. Heft 41.) Dresden, „Globus" Wissenschaftl. Verlagsanstalt, 1917. gr. 8.
VIII— 74 SS. M. 1,80.
Salings Böraen- Papiere. 2. (finanzieller) Teil. Salings Börsen -Jahrbuch für
1917/18. Ein Handbuch für Bankiers und Kapitalisten. Bearbeitet von Ernst Heine-
mann, Dr. Georg Tischert, John Weber. 41. Aufl. Berlin, Verlag für Börsen- und
Finanzliteratur, 1917. 8. LXXIV— 2328 SS. M. 27.—.
Schmidt, Prof. Dr. F., Der bargeldlose Zahlungsverkehr in Deutschland und
seine Förderung. Leipzig, B. G. Teubner, 1917. gr. 8. VIII— 186 SS. M. 6.—.
Tripier, Roger, fitude sur l'assurance contre le vol. Thfese pour le doctorat
(sciences juridiques). Paris, libr. de la Soci6t§ du „Recueil Sirey", 1916. 8. VH —
288 pag.
Wilmer, Albert, Un cartel commercial. L'assurance incendie. Thöse pour
le doctorat en droit. Dijon, impr. bourguignonne J. Bernigaud. 8. 247 pag.
Gamba, Mario, Studi sul credito fondiario (L'ordinamento del credito fon-
diario fuori d' Italia ; Vicende e risultati del credito fondiario in Italia) : note ed appunti.
Cittä di Castello, tip. Unione arti grafiche, 1916. 8. 26 p.
Vissering, G., Het vraagstuk van de geldruimte in Nederland en de goud-
politiek van de Nederlandsche bank. Met bijlage: Nederlandsch Oost-Indie en de
gold-exchange-standaard. (Instituut voor economische geschriften, No. 1.) Rotterdam,
Nijgh en van Ditmar's Uitgeversmaatschappij. gr. 8. 75 blz. fl. 1,50.
9. SoEiale Fragte.
Landfrage und Kriegswitwe. (Schriften des Arbeitsaus-
schusses der Kriegerwitwen- und -Waisenfürsorge, hrsgg. im Auftrage
des Hauptausschusses, Heft 4.) Berlin (Carl Heymann) 1917. 8». VIII
u. 87 SS. (Preis: M. 1,20.)
„Landfrage und Kriegswitwe" ist das vierte Heft der Schriften
des Arbeitsausschusses der Kriegerwitwen- und -Waisenfürsorge be-
titelt. Es enthält eine Anzahl kurzer, beachtenswerter Aufsätze, die sich
alle mit der Möglichkeit der Verpflanzung von Kriegerhinterliliebenen
aufs Land und der Verhinderung einer Abwanderung der bisher auf
dem Lande Ansässigen befassen.
Durchgängig scheinen die Wohnungsverhältnisse für das vor-
liegende Problem die Hauptschwierigkeit zu bieten. Die zu Witwen
gewordenen Ehefrauen von ländlichen Arbeitern, Instleuten u. dgl.
werden nach Kriegsende ihre bisherige Wohnung räumen müssen, um
männlichen Arbeitskräften mit deren Familien Platz zu machen. Miet-
wohnungen sind fast nirgends vorhanden, so ist schon allein hierdurch
ein Grund zur Abwanderung nach einem größeren Ort gegeben, wozu
376 üeberaicht über die neuesten Publikationen Deutachlanda und dea Auslandes.
noch die den Frauen meist recht groß erscheinende Bargeldrente einen
Anreiz bietet, die ihnen ein städtisches Leben zu ermöglichen scheint.
Ebenso finden sich keine Wohnungen, um einer Kriegerswitwe die
Rückkehr aufs Land, woher sie etwa stammt, zu ermöglichen. Hier
muß von Seiten der Behörden, der Vereine und der Gutsherrschaften
für Abhilfe gesorgt werden.
Wie von allen Mitarbeitern der kleinen Schrift, besonders von Pro-
fessor Sohnrey, Friedrich Lembke, Freiin Julie v. Dalwigk und anderen
immer wieder betont wird, darf unbedingt nicht wahllos jeder Städterin
zugeredet werden, aufs Land zu ziehen; vielmehr sollen in der Regel
nur solche Frauen dem Lande wieder zugeführt werden, die von dort
stammen, bei ihrer Neuansiedlung Anschluß durch Verwandte finden
und ihre in der Jugend gewonnenen Kenntnisse in Gartenbau, Klein-
viehzucht usw. nicht vergessen und sich ihre Liebe zur Natur bewahrt
haben, kurz, die besonders zur Ansiedlung geeignet erscheinen; und
zwar soll dabei, wie Gertrud Dyhrenfurth des näheren ausführt, ganz
individuell verfahren werden. Den Neuangesiedelten soll nach ihr, wie
auch den verwitweten Kleinbäuerinnen ein besonderer Pfleger mit Rat
und Tat zur Seite stehen. Geeignete Pfleger zu bestellen, wird eine
Hauptaufgabe der Kriegerhinterbliebenenfürsorge sein.
Interessant sind auch die Ausführungen von Dr. Käthe Gaebel,
welche die Frage beleuchtet, wie weit es den Kriegerwitwen möglich
sein wird, sich durch Heimarbeit einen Nebenverdienst zu verschaffen,
wie auch die Berichte über die Beobachtungen, welche in verschiedenen
Gegenden über den Aufenhaltswechsel der Kriegshinterbliebenen ge-
macht sind. Die Angaben der Wohnungsinspektorin für die Landge-
meinden des Kreises Worms, Dr. Marie Kröhne, über die dortige
Kriegshinterbliebenenfürsorge möchten wir auch besonders hervorheben.
Die Schrift beschäftigt sich ferner mit der Möglichkeit einer festen
Ansiedlnng durch die Kapitalabfindung und gibt im Anhang das Ka-
pitalabfindungsgesetz vom 3. Juli 1916, die vom Arbeitsausschuß ver-
sandten Rundschreiben mit Fragebogen und Richtlinien, usw. Sie gibt,
trotz ihrer Knappheit, eine Fülle von Anregungen und Aufklärungen
und verdient deshalb allgemeinste Beachtung.
Nürnberg. E. Kesten.
Arbeitsnachweise, Die öffentlichen, in Deutschland und der deutsche Arbeits-
markt unter besonderer Berücksichtigung des ersten Kriegsjahres. Jahresbericht des
Verbandes deutscher Arbeitsnachweise 1912/13 — 1914/15. Anhang; Bibliographie der
Arbeitsvermittlung. (Schriften des Verbandes deutscher Arbeitsnachweise, Nr. 13.)
Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. gr. 8. X— 267 SS. M. 8.—.
Blaum (Dir.) Dr., Die Uebergangsfürsorge vom Krieg zum Frieden. Vorschläge.
(Schriften des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit, Heft 106.) München,
Duncker u. Humblot, 1917. gr. 8. VII— 52 SS. M. 1,60.
Friedeberg (Amtsger.-R.), Dr. E., und S. Wronsky, Handbuch der Kriegs-
fürsorge im Deutschen Beich. Hrsg. von der Zentrale für private Fürsorge in Berlin.
Die wichtigsten Bestimmungen und Einrichtungen auf dem Gebiete der Kriegsfürsorge,
nebst einem Anhang: Die Kriegsfürsorge in Groß- Berlin. Berlin, Franz Vahlen, 1917.
gr. 8. VIII— 310 SS. M. 3,60.
Fuchs, Carl Job., Die Wohnungsfrage vor und nach dem Kriege. Aufsätze
und Vorträge zur Wohnungsfrage. Neue Folge. München, Duncker u. Humblot, 1917.
gr. 8. VII— 235 SS. M. 4.—.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 377
Kriegsfürsorge und Kriegswirtschaft.' Arbeiten der ersten Kriegs-
Volksakademie des rhein-mainischen Verbandes für Volksbildung, Diez a. d. Lahn, im
Oktober 1916. Frankfurt a. M., Englert & Schlosser, 1917. Lex.-8. VIII— 424 SS.
M. 5.—.
Laer, (Landr.) v., Neu - Deutschland. 1. Teil. Weltkrieg und Sozialpolitik.
Berlin, Deutsche Landbuchhdlg., 1917. gr. 8. 72 SS. M. 1.—.
Podmaniczky, Dr. Baron T. v., Aktuelles zur Alkoholfrage. Nach einem am
11. XII. 1916 gehaltenen Vortrag. Budapest, Ferdinand Pfeifer, 1917. kl. 8. 20 SS.
M. 1,50.
Probleme der Kriegshinterbliebenenfürsorge. (Schriften des Arbeitsausschusses
der Kriegerwitwen- und -Waisenfürsorge, hrsg. im Auftrage des Hauptausschusses , in
Verbindung mit der Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen,
Heft 6.) Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. gr. 8. VIII— 119 SS. M. 1,30.
Wehe, K., Die staatliche Arbeiterfürsorge bei uns und bei unseren Feinden.
Ein Wort zum Nachdenken. Stuttgart, Carl Grüninger, 1917. 8. 52 SS. M. 0,75.
Wisgrill (Oberleutn.), Dr. Frdr., Sozialreform. Wien, L. W. Seidel & Sohn,
1917. gr. 8. 48 SS. mit 1 Tab. M. 0,80.
Jacquelin, prof. Ren§, Le droit social et la r§paration des dommages en r§-
gions envahies. Apparition et port^e du droit social. Nature et contenu du droit social.
Moyen et resultat du droit social. Motif justicatif du droit social. Les int^r^ts finan-
ciers de l'fitat et les int^rets des sinistres en face du droit social. Conclusion. Paris,
libr. de la Soci§t§ du „Recueil Sirey", 1917. 6. 155 pag. fr. 3.—.
Manier, Raymond, Les assurances sociales en Angleterre et leur application.
The national Health insurance acts 1911 — 1913. Thfese pour le doctorat en droit. Paris,
Marchai et Godde, 1914. 8. 195 pag.
Quirinus, Andr§-Ignace, L'avenir social. Bruxelles, „Veritas", 1916.
17 X 13- 64 pag. fr. 0,95.
Bosanquet, Bernard, Social and international ideals. London, Macmillan.
8. 6/.—.
Brend, William A., Health and the state. London, Constable. Royal 8.
365 pp. 10/.6.
10. Oenossenschaftswesen.
Meyer (Ger.-Assess., Verbandssekr.), Dr. E. H., Genossenschaften und Kriegs-
statistik. Statistische Erhebungen bei den Genossenschaften des allgemeinen Verbandes
der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften e. V.
(Genossenschaftliche Zeit- und Streitfragen. Begr. von Ludwig Parisius und Dr. Hans
Crüger, fortgef. von Dr. Hans Crüger, Heft 15.) Berlin. J. Guttentag, 1917. gr. 8.
100 SS. mit graph. Darstellungen. M. 4. — .
Abisso, Angelo, I consorzi amministrativi per opere pubbliche. Torino, Unione
tip. ed Torinese. 4. 1. 10. — .
11. Oetetig'ebuiig', Staats- nnd Verwaltnngtrecht. StaatsbtLrgerkunde.
Grüner (Wirkl. Geh.-Rat, Präs. a. D.), Dr. Ernst, Die Neugestaltung des
preußischen Wahlrechts. Berlin, Franz Vahlen, 1917. gr. 8. 84 SS. M. 2,40.
Handbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart in Monographien. Unter
Mitwirkung von vielen Gelehrten des In- und Auslandes begr. von weil. Prof. (M. d. R.)
Dr. Heinr. v. Marquardsen und weil. Prof. Dr. Max v. Seydel, hrsg. von weil. Prof. Dr.
Georg Jellinek und Prof. Dr. Rob. Piloty. Einleitungsbd. IX. Abt. 5. Lief. (Schluß).
Tübingen, J. C. B. Mohr, 1917. Lex.-8. XVI u. S. 641—839. M. 6.—.
Hatschek, Prof. Dr. Julius, Die Staatsauffassung der Engländer. Vortrag,
gehalten in der Gehe-Stiftung zu Dresden am 15. I. 1917. (Vorträge der Gehe-Stiftung
zu Dresden, Bd. 8, Heft 5.) Leipzig, B. G. Teubner, 1917. gr. 8. 29 SS. M. 0,80.
Kohlenberger (Schriftl.), Julius, Der Konkursabwendungsvergleich. Ein
Vorschlag zu einer deutschen Vergleichsordnung auf Grund der Rechtsentwieklung in
Deutschland und in außerdeutschen Staaten, unter besonderer Berücksichtigung der
österreichischen Ausgleichsordnung vom 10. XII. 1914 und der Bekanntmachung des
Bundesrats vom 14. XII. 1916. München, J. Schweitzer Sortiment (Artur Sellier), 1917.
8. 174 SS. M. 5.—. (Erlanger juristische Dissertation von 1917.)
378 Uebenicht über die neuesten Pablikationen Deutschlands und des Auslandes.
Jacobi, Prof. Dr. Erwin, Der Rechtsbestand der deutschen Bundesstaaten.
Leipzig, Felix Meiner, 1917. gr. 8. III— 112 SS. M. 5.—.
Kresse, Oskar, Deutsche Staatskunst nach dem Weltkriege. 2. Daa Wahlrecht
der Zukunft. 2. unveränd. Abdr. Berlin, Wilhelm Eossler & Co., 1917. 8. 32 88.
M. 0,50.
Kriegsgesetze und Verordnungen zur Reichsversicherungsordnung vom
19. VII. 1911. Sammlung von Reichsgesetzen und Bekanntmachungen, betr. die durch
den Krieg bedingten Aenderungen und Ergänzungen der Reichsversicherungsordnung
vom 4. VIII. 1914 bis 2. VI. 1917 einschl. Mit Sachreg. Berlin, Carl Heymanns
Verlag, 1917. 8. IV— 62 SS. M. 1.—. ^
Lorenz, Dr. Ludwig, Die Staatsformen der Großmächte und der Weltkrieg.
Leipzig, Theodor Weicher, 1917. 8. IV— 64 SS. M. 1,20.
Marschall (Oberamtsricht.), Ignaz, und (Rechtsrat) Rieh. Ehrhardt, Das
bayerische Fürsorge- Erziehungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. VIII.
1915. Handausgabe mit Berücksichtigung der Rechtsprechung. München, Katholischer
Caritas- Verband, 1917. kl. 8. XVI— 122 SS. M. 1,80.
Reform, Die, des deutschen Beamtentums. Hrsg. von Dr. Adolf GrabowskL
(Das neue Deutschland, 1. Erg.-Heft.) Gotha, Friedrich Andreas Perthes, 1917. Lex.-8.
VII— 127 SS. M. 3.—.
Somlo, Prof. Felix, Juristische Grundlehre. Leipzig, Felix Meiner, 1917.
gr. 8. IX— 556 SS. M. 24.—.
Stier-Somlo, Prof. Dr. Fritz, Die Freiheit der Meere und das Völkerrecht.
Leipzig, Veit & Comp., 1917. gr. 8. V— 170 SS. M. 3,50.
Stölzle (Rechtsanw.) , Dr. Hans, Der deutsche Rechtsfriede? Ein Beitrag
zur Frage des Güteverfahrens. München, J. Schweitzers Verlag (Arthur Sellier), 1917.
gr. 8. 64 SS. M. 2.—.
Volkmann, Ludwig, Das Generalgouvernement Belgien. Zwei Jahre deutscher
Arbeit. Auf Grund amtlicher Quellen zusammengestellt. Leipzig, E. A. Seemann, 1917.
gr. 8. 118 SS. mit 100 Abbild. M. 3.—.
Zweigert (Landricht.), Erich, Die Bundesrats Verordnung über die Geschäfts-
aufsicht zur Abwendung des Konkurses vom 14. XII. 1916. Berlin, Franz Vahlen, 1917.
kl. 8. 194 SS. M. 3.—.
Belevsky, A., et B. Voronoff, Les organisations publiques russes et leur röle
pendant la guerre. Paris, Hachette. 8. fr. 3,50.
Boissean de Mellanville, Paul, La centralisation de l'etat civil. These
pour le doctorat en droit. Troyes, impr. Gustave Fremont, 1915. 8. 115 pag.
Guy, Marc, La d§centralisation administrative. Hier — aujourd'hui — demain.
Th^e pour le doctorat (sciences politiques et §conomiques). Paris, Driay-Cahen, 1916.
8. 162 pag.
Massen, Henri, La llgislation de guerre. Paris, Van Oest et Cie. 8. fr. 3,50.
Singer (avocat), Gas ton, La d^centralisation administrative dans les communes
sous les assemblfees Constituante et legislative. Thöse pour le doctorat en droit (sciences
politiques et §conomiques). Lille, M. Robbe et O. Marquart. 8. 211 pag.
Nicotra, Giovanni, II fenomeno della guerra e le leggi economiche. Campo-
bassa, Colitti e figlio. 8. 1. 1. — .
Bruyne, J. A. de, en N. Japikse, Staatkundige geschied enis van Nederland
in onzen tijd. Leiden, A. W. Sijthoff's Uitgeversmaatschappij. Deel IV, 1872—1883,
door J. A. de Bruyne. Roy.-8. 8 en 514 blz. met 1 tab. fl. 3.—.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Nesemann (Reg.- u. Med.-R. a. D., Geh. Med.-R.), Dr., Die Infektionskrankheiten
in Berlin während der Jahre 1904—1913. Statistik, Epidemiologie und Bekämpfung.
(Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung. Im Auftrage Sr. Exz.
des Herrn Ministers des Innern hrsg. von der Medizinalabteilung des Ministeriums.
Schriftleiter: Wirkl. Geh. Obermed.-Rat Prof. Dr. Dietrich. Bd. 7, Heft 1.) Berlin,
Veriagsbuchhdlg. von Richard Schoetz, 1917. gr. 8. 126 SS. mit 8 Taf. M. 5.—.
Uebcrsicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 379
Statistik des Deutschen Reichs. Bearb. im Kaiserl. Statistischen Amte, 1917,
Bd. 262: Streiks und Aussperrungen im Jahre 1916. Berlin, Puttkammer & Mühl-
brecht, 1917. XXV— 25 SS. M. 1.—.)
Oeste rreich.
Spezi alortsrepertorium der österreichischen Länder. Bearb. auf Grund der
Volkszählung vom 31. XII. 1910. Hrsg. von der k. k. statistischen Zentralkommission.
4: Steiermark. Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei, 1917. Lex.-8. XII— 239 SS.
M. 15.—.
Frankreich.
Evaluation de la production, d'apr&s les renseignements foumis par les chambres
de commerce (1910) et les statistiques administratives (1912). Premi&re partie : Resultats
par dfepartement. Paris, Imprimerie nationale, 1917. 4. II — 745 pag.
Statistique agricole annuelle 1915. Paris, Berger-Levrault, 1917. 8. 417 pag.
fr. 2,50. (Ministöre de l'agriculture. Directiou de l'agriculture. Office de renseigne-
ments agrieoles.)
Statistique des naufrages et autres accidents de mer pour l'ann^e 1910.
Paris, Chapelot et Cie, 1917. (18 avril 1917.) 8. 132 pag. (Minist&re de la marine.
Etablissement des invalides de la marine.)
Schweiz.
Statistik, Schweizerische — Statistique de la Suisse. Hrsg. vom statistischen
Bureau des schweizerischen Finanzdepartements. 206. Lfg.: Jahrbuch, Statistisches.
Hrsg. vom statistischen Bureau des schweizerischen Finanzdepartements. — Annuaire
statistique de la Suisse. Publik par le bureau de statistique du departement suisse des
finances. 25. Jahrg., 1916. Bern, A. Francke, vorm. Schmid & Francke, 1917. Lex.-8.
288 SS. M. 4.—.
Italien.
Annuario statistico 1916 delle societä cooperative esistenti in Italia, escluse quelle
che hanno per scopo principale l'esercizio del credito (Lega nazionale delle cooperative
italiane). Como, tip. coop. Comense, A. Bari, 1917. 8. XXIII, 1439, 32 p. 1. 11.—.
Holland
Maandsstatistiek van de in- en uitvoer en van het entrepotverkeer der meest
belangrijke handelsartikelen. üitgeg. door het Central bureau voor de statistiek, 1917.
Afl. Jan.-Maart. 's Gravenhage, Boekhandel vrhn. Gebr. Belinfante. roy. 8. Per jrg.
(12 nrs.) fl. 7,20 ; afz. nrs. ä fl. 0,60.
Schröder, J. C, Aard en methode der statistiek. Amsterdam, Scheltema en
Hoekema's boekhandel, K. Groesbeek en Paul Nijhoff. gr. 8. 67 blz. fl. 1,25.
13. Verschiedenes.
Kriegstaschenbuch. Ein Handlexikon über den Weltkrieg.
Hrsg. von Ulrich Steindorf f. Mit 5 Karten. Leipzig u. Berlin
(B. G. Teubner) 1916. 8». VI u. 346 SS. (Preis: geb. M. 3,50.)
Durch die Herausgabe dieses „Kriegstaschenbuches" in alphabeti-
scher Anordnung hat sich die Teubnersche Verlagsbuchhandlung in
hohem Maße verdient gemacht. Das Bedürfnis nach einem rasche,
kurze und zuverlässige Auskunft bietenden Nachschlagewerk über alle
Kriegsereignisse und Kriegsmaßnahmen wird, wie das Vorwort mit
Recht hervorhebt, um so dringender empfunden, je länger der Krieg
dauert, und je mehr er nahezu alle Gebiete des Lebens in seinen Be-
reich zieht. So beschränkt sich denn auch das Taschenbuch keineswegs
auf die Vorgänge auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen, auf die
eigentlichen Kriegshandlungen, sondern berücksichtigt gleichfalls, was
380 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutechlands und des Auslandes.
hier besonders interessiert, die politischen und wirtschaftlichen Ge-
schehnisse und Maßnahmen, letztere mit all ihren Begleiterscheinungen
auf dem Gebiete des Handels, der VolksemähruDg, der Kriegsmaterial-
beschaffung, der Rohstoffversorgung der Industrie etc. etc. Soweit ich
insbesondere die zahlreichen wirtschaftlichen Beiträge nachprüfen konnte,
habe ich sie durchweg als gut orientierend und als durchaus zuverlässig
befunden. Mit Rücksicht auf die Fülle des verarbeiteten Materials wird
man dem Herausgeber und seinen Mitarbeitern für die große Mühe und
Sorgfalt bei der Herstellung des Werkes nur aufrichtig dankbar sein
können.
Ein Uebelstand ist allerdings mit dem Taschenbuch schon heute
verbunden, daß nämlich seine Angaben bei den gewaltigen Verände-
rungen, die der Krieg tagtäglich im Gefolge hat, bereits vielfach ver-
altet sind, und daß man verschiedentlich vergeblich nach Aufschluß
sucht. Daran aber sind weder der Herausgeber noch der Verleger
schuld. Das „Kriegstaschenbuch" ist Anfang Juni 1916 abgeschlossen,
und ein Erweiterungsband ist für die Zeit nach Beendigung des Krieges
in Aussicht genommen. Es wäre sehr zu wünschen, wenn dieser Er-
weiterungsband, oder noch besser : eine völlig neue, bis auf die jüngste
Zeit ergänzte Ausgabe des ganzen Werkes sobald wie möglich er-
scheinen könnte. L. E.
Brandenburg, Prof. Erich, 50 Jahre nationalliberale Partei, 1867—1917.
Berlin, Schriftenvertriebsstelle der Nationalliberalen Partei Deutschlands, 1917. gr. 8.
32 SS. M. 0,75.
Brie, Prof. Dr. Frdr., Britischer Imperialismus. (Meereskunde. Sammlung volks-
tümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen Bedeutung von Meer- und Seewesen.
Hrsg. vom Institut für Meereskunde an der Universität Berlin. Heft 127, 11. Jahrg.,
Heft 7.) Berlin, E. S. Mittler u. Sohn., 1917. 8. 36 SS. M. 0,60.
Chatterton-Hill, Dr. Georges, Moloch England!! Was Deutschland im
Falle eines englischen Sieges zu erwarten hätte. Irlands Schicksal als Warnung für
Deutschland. Dresden, „Das größere Deutschland", 1917. 8. 56 SS. M. 1.—.
Helfferich, Dr. Karl, Reden und Aufsätze aus dem Kriege. Berlin, Georg
Stilke, 1917. gr. 8. 344 SS. mit 1 Bildnis. M. 5.—.
Kriegs- und Friedensprobleme, Oesterreichische. Besprochen von (Hof r.)
A. Frankfurter, (Reg.-R.) W. Hecke, (Geh. R.) V. Mataja, (Hofr.) A. v. Schromm, Dr.
R. Ziegler. Wien, Volkswirtschaftl. Verlag Alexander Dom, 1917. 8. IV— 147 SS.
M. 1,50.
Man es, Prof. Dr. Alfred, Englands Seeherrschaft im Wanken. Ein Vortrag
nach tausend Tagen Weltkrieg. (Deutsehe Kriegsschriften, Heft 24.) Bonn, A. Marcus
u. E. Weber, 1917. gr. 8. 77 SS. M. 2.—.
Michaelis, Dr. Paul, Kurland und Litauen in deutscher Hand. Berlin-
Steglitz, Fritz Würtz, 1917. 8. 198 SS. mit 8 färb. Vollbildern und 24 BUdseiten.
M. 4.—.
Michel (Rittmstr. a. D.), Oskar, Handbuch deutscher Zeitungen 1917. Bearbeitet
im Kriegspresseamt. Berlin, Otto Eisner VerlagsgeselLschaft, 1917. gr. 8. LXIV —
440 SS. mit 1 Kartenskizze. M. 7.—.
Oberhummer, Eugen, Die Türken und das osmanische Reich. Leipzig,
B. G. Teubner, 1917. gr. 8. IV— 115 SS. M. 3.— .
Posse, Ernst, Ueber Wesen und Aufgabe der Presse. Ein Beitrag zur Reform
der Presse und des Preßgesetzes. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1917. 8. 56 SS. M. 1.—.
Rohrbach, Dr. Paul, und Axel Schmidt, Die russische Revolution. (Die
russische Gefahr. Beiträge und Urkunden zur Zeitgeschichte. Hrsg. von Dr. Paul
Rohrbach. Heft 7.) Stuttgart, J. Engelhorns Nachf., 1917. gr. 8. 96 SS. M. 1,50.
Die periodische Presse des Auslandes und Deutschlands. 3^]^
Steinmann - Bucher, Arnold, Englands Niedergang. Berlin, Leonhard
Simion Nachf., 1917. gr. 8. V— 270 SS. M. 5.—.
Viallate, prof. Achille, Les fitats-ünis d'Am§rique et le conflit europ^en.
Paris, F§lix Alcan, 1917. X— 243 pag.
Die periodische Fresse des Auslandes.
A. Frankreich.
Journal des j&conomistes. 76' Annfee, Juin 1917: Le regime des fabrications
de guerre, par Yves Guyot. — üne Evaluation allemande de la richesse publique de
l'Allemagne, par P. Ronce. — ün inventaire des ressources des colonies britanniques
(deuxifeme article), par A. ßaifalovich. — Mouvement scientifique et industriel, par
Daniel Bellet. — La majoration des tarifs de chemins de fer, par Yves Guyot. —
B. England.
Century, The Nineteenth and after. June 1917, No. 484: Italia, Austria and
Europe, by Enrico Corradini. — Monarchy and „democracy", by Walter Sichel. — War
finance; the fifth war budget, by J. A. R. Marriott. — etc.
C. Oesterreich-Üngarn,
Volkswirt, Der österreichische. Jahrg. 9, 1917, Nr. 41: Der Weg zum neuen
Oesterreich, von Dr. J. St. — Voraussetzungen der Preisbestimmung landwirtschaft-
licher Produkte, von Dr. Rudolf Bienenfeld. — etc. — Nr. 42: Oesterreich-Üngarns
Zahlungsbilanz vor dem Kriege, von W. F. — Der gerechte Preis, von Dr. Victor
Heller. — etc. — Nr. 43 : Oesterreich-Üngarns Zahlungsbilanz vor dem Kriege (Forts.),
von W. F. — Die Sozialversicherung, von Prof. Dr. A. Tauber. — etc.
G. Holland.
Economist, De, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Jaarg. 66, Juli 1917,
Nr. 7 : üitvoerrechten voor Indie ? door D. van Blom. — De officieele loonstatistiek en
hare uitkomsten, door E. W. van Dam van Isselt. — Eenige beschouwingen naar aan-
leiding van Minister Treub's monopolie-plannen, door A. W. Wichers. — Economische
kroniek. — etc.
H. Schweiz.
Bibliothöque Universelle et Revue Suisse. Tome LXXXVII, Juillet 1917,
No. 259: La libertfe des mers, par J. Holland Rose. — Les felfements primordiaux de
l'industrie. Charbon et fer, par M. Aubert. — Le Slesvig danois de 1864 — 1916
(seconde partie), par Th. C. Buyse. — etc.
Die periodische Fresse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs. Jahrg. 50, 1917, Nr. 1 — 4: Kriegsrecht und
Gewerberecht. Eine Studie, von (Staatsminister a. D.) Dr. v. Landmann. — Inanspruch-
nahme von Kriegsbedarf im feindlichen Ausland. Ein Rechtsgutachten von (Univ.-Prof.)
Dr. Karl Neumeyer. — Währung, Zins und Lohn, von Dr. Th. Christen. — Neue
Richtlinien der deutschen Außenhandelspolitik, von Arthur Dix. — Die Berechtigung
des Staatssozialismus in der Lebensmittelversorgung während und nach der Kriegszeit, von
Kuno Waltemath. — Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst, von (Magistrats-
rat) Dr. Adolf Konrad. — Des Rechtes Fürsorge für den Krieger, von (Geh. Reg.-R.)
Johannes. — Militärische Versorgung der Hinterbliebenen von gefallenen Beamten, von
(Ministerialrat) Dr. M. Reindl. — Die Versicherung ausländischer Arbeiter während des
3g2 ^® periodiiiche Presse Deutschlands.
Krieges, von (Reg.-Assess.) Dr. v. Schelhom. — Volkswirtschaftliche FriedensnistuDg,
von Dr. Heinz Potthoff. — Der Papierverbrauch der deutschen Tagespresse, von Dr. rer.
publ. Hermann F. Geiler. — Die Kursschwankungen der italienischen Rente. Beitrag
zur Finanz- und Wirtschaftsgeschichte Italiens 1861 — 1913, von Karl Seiffert, — Zur
Bevölkerungsfrage, von R. Mansch ke. — Neuregelung der Finanz Verhältnisse in den
Niederlanden, von (Oberreg.- R.) Wiesinger. — etc.
Archiv, Allgemeines Statistisches. Bd. 10, 1916/17, Heft 1/2: Statbtik und
Soziologie, von Prof. Dr. Ferdinand Schmid. — Deutsche Kriegs-Sozialpolitik, von
(Ministerialrat) Prof. Dr. Friedr. Zahn. — Statistik und Meteorologie. Eine methodo-
logische Betrachtung, von Dr. Richard Lenz. — Ueber das Wesen, die Aufgaben und
die Ziele der mathematischen Statistik, von Dr. Friedrich Böhm. — Alkoholstatistik
und Alkoholkriminalität, mit besonderer Berücksichtigung Bayerns. Georg v. Mayr zum
goldenen Doktorjubiläum in Verehrung gewidmet von Dr. Mich. Hoolacher. — Die Be-
völkerungsentwicklung der Stadt Berlin, von Dr. P. Martell. — Ueber die Weiter-
bildung der Gemeindestatistik, von (Stadtrat) Prof. Dr. Heinrich Bleicher. — Das Ver-
fahren in der letzten Schätzung des Bodenwertes in Frankreich, von Hans L. Rudioff. —
Eine Schätzung des bulgarischen Volksvermögens, von Arthur Dix. — Hauptergebnisse
der Industriezählung in den Vereinigten Staaten von Amerika von 1914, von Dr. Wolf-
gang Ritscher. — Die deutschen Kirchenbücher und ihre Verwertung für die Geschichte
der Staats Wissenschaften, von Dr. Georg Sigwart. — Schweden, von Dr. Fritz Burg-
dörfer. — Die Bewegung der Bevölkerung in den süd- und osteuropäischen Staaten,
von R. Manschke. — etc.
Archiv für Wirtschaftsforschung im Oriente. Jahrg. 2, 1917, Heft 1: Zur Frage
der Neubesiedelung syrischer Ruinenstätten, von Prof. Littmann. — Wirtschaftliches
aus dem westlichen Kleinasien, von Prof. Philippson. — Die türkische Währungspolitik,
von Dr. Schaefer. — Industrie und Handwerk in Konstantinopel, von Honig. — Zur
nordsyrischen Seidenindustrie, von Dr. Schulman. — etc.
Archiv, Weltwirtschaftliches. Bd. 10, Juli 1917, Heft 3: Zur Entwickelungs-
geschichte der außerpolitischen Beziehungen zwischen England und den Vereinigten
Staaten von Amerika, von Prof. Dr. J. Hashagen. — Die BaumwoUkrisis in den Ver-
einigten Staaten von Amerika 1914/15 (Schluß), von Dr. rer. publ. O. Wingen, — Die
Industrialisierung Niederländisch-Indiens nach japanischem Vorbild, von (Ing.) Dr. rer.
publ. Ernst Arthur Heber. — Der Auslandsdeutsehe und der Krieg, von (Geh. Reg.-R.)
Neuberg. — Die Donaustraße, von Prof. Dr. Oscar Kende. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 17,
1917, Nr. 7: Die neutürkischen Wirtschaftsgesetze, von G. Grschwender. — Der Abbau
des rumänischen Moratoriums, von Dr. N. Hansen. — Uebergangswirtschaft und
Handelsverträge. — Die Gefahren eines Wirtschaftskrieges für Belgien. — etc.
Bank, Die. Juli 1917, Heft 7: Das gute und das schlechte Geld, von Alfred
Lansburgh. — Börsenzulassung im Kriege, von Ludwig Eschwege. — Das Finanzwesen
und die Wirtschaftslage Frankreichs im Weltkriege (Schluß), von (Geh.Reg.-R.) Dr. Seidel.
— Die Komödie der Exportbanken. — Wechselkurs-Regulierung und Spekulation. —
Aktienausfuhr. — etc.
Bank-Archiv. Jahrg. 16, 1917, Nr. 20: Die Entwicklung der deutschen Be-
steuerung als Richtlinie für die demnächstige Erweiterung derselben, von (Kammerpräs.)
Dr. F. W. R. Zimmermann. — Die satzungsmäßige Befugnis des Aufsichtsrats zur Fest-
setzung von Abschreibungen und Rücklagen, von Prof. Dr. Flechtheim. — Provinz-
abrechnungsstellen im Scheckverkehr, von Prof. Dr. Schmidt. — etc. — Nr. 21: Die
Entwicklung der deutschen Besteuerung als Richtlinie für die demnächstige Erweiterung
derselben (II), von (Kammerpräs.) Dr. F. W. R. Zimmermann. — Provinzabrechnungs-
stellen im Scheckverkehr, von Dr. jur. et phil. Hans Lessing. — etc.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 8, 1917, Nr. 7 (Schulfragen): Zur Frage
des organischen Ausbaues der Volksschule und des Aufstiegs der begabten Volksschüler,
von (Stadtverordn.) Dr. Ernst Esch. — Wie unsere Volksschule auf der bisherigen
Grundlage verbessert und vervollkommnet werden kann, von (Geh. Just.-R., M. d. R. u. A.)
Wilh. Marx. — Praktische Arbeit für die Schulreform (zum Programm des Sozialen
Schulausschusses), von (Lehrer) Otto Kley. — etc.
Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 24, 1917,
Nr. 14: Erhebung über den Kleinwohnungsmarkt während des Krieges und nach
Friedensschluß und die Vorbereitungen zur Vermeidung einer Klein Wohnungsnot seitens
Die periodische Presse Deutschlands. 383
der Baugenossenschaften. Bearbeitet von Dr. G. Albrecht. — Die Besteuerung des
Nahverkehrs und das großstädtische Siedlungswesen. — etc. — Nr. 15: Die militärische
Versorgung der Kriegsteilnehmer und ihrer Hinterbliebenen. — Erhebung über den
Kleinwohnungsmarkt während des Krieges und nach Friedensschluß und die Vorberei-
tungen zur Vermeidung einer Kleinwohnungsnot seitens der Baugenossenschaften (Forts.),
von Dr. G. Albrecht. — etc.
Export. Jahrg. 39, 1917, Nr. 30 — 33: Verständigungsfrieden, Parlamentarisierung,
von Dr. R. Jannasch. — Gustav v. Schmoller f, von Georg Stamper. — Die englischen
Drohungen über den Krieg hinaus (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Ernteaussichten für
1917. — Dollar und Weltpolitik, von Dr. Frhr. v. Mackay. — Los von der industriellen
Abhängigkeit (Vorschläge von einem Amerikaner für Amerikaner). — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 169, August 1917, Heft 2: Oeffentliche Meinung
und auswärtige Politik, von Hermann Witte. — Der österreichisch-ungarische Ausgleich
von 1867 (I), von Dr. Heinrich Friedjung. — Die Neuorientierung nach außen, von
Emil Zimmermann. — Die Revolutionierung Englands durch Lloyd George, von Dr.
Emil Daniels. — Der Kanzlerwechsel; Die Friedensresolution; Lloyd Georges Antwort;
von Hans Delbrück. — etc.
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 23, Bd. 48, 1917, Heft 14: Demokratisches
Wahlrecht, aber was weiter?, von Heinrich Pens. — Das parlamentarische Regierungs-
system für Deutschland, von Dr. Ludwig Quessel. — Meistbegünstigungsfragen, von
Max Schippel. — Die Emanzipation der Juden in Rußland, von Leo Rosenberg. —
Die Frauenarbeit im Baugewerbe, von August Winnig — etc. — Heft 15: Die aus-
wärtige Politik und der deutsche Parlamentarismus, von Dr. Ludwig Quessel. — Zu
Bethmann-HoUwegs Rücktritt, von Heinrich Pens. — Internationale Arbeiterfragen und
Handelspolitik, von Max Schippel. — Mehr Schutz der Arbeiterin !, von Friedrich Kleeis.
— etc.
Oekonomist, Der deutsche. Jahrg. 35, 1917, Nr. 1804: Die europäischen
Notenbanken 1914 — 1916. — Uebersee - Hypothekenbanken. — Staatliche Kreditanstalt
des Herzogtums Oldenburg. — etc. — Nr. 1805: Der Wiederaufbau der deutschen
Handelsflotte. — etc. — Nr. 1806 : Das russische Finanzelend. — Höchstbetragshypotheken.
— etc. — Nr. 1807 : Drei Jahre deutsche und englische Kriegsfinanzen. — etc. —
Nr. 1808 : Zur Finanz- und Wirtschaftslage unserer Gegner beim Beginn des 4. Kriegs-
jahres. — etc.
Plutus. Jahrg. 14, 1917, Heft 29/30: Uebergangswirtschaft (V), von G. B. —
Das Nationalitätenprinzip, von Myson. — etc. — Heft 31/32 : Wiederinkraftsetzung von
Versicherungen der Kriegsteilnehmer, von Prof. Dr. Brück. — Italiens Kriegsleiden (I).
— Uebergangswirtschaft (VI), von G. B. — etc.
Praxis, Soziale, und Archiv für Volks Wohlfahrt. Jahrg. 26, 1917, Nr. 42 : Freie
Bahn für die soziale Reform !, von Prof. Dr. E. Francke. — Die Heimarbeit im Kriege.
— Die Regelung der Kohlenfrage. — Die Schaffung von Wohlfahrtsämtern. — etc. —
Nr. 43: Ein Arbeitstarifgesetz, von (Rechtsanw.) Dr. Hugo Heinemann. — Die Ent-
wicklung der öffentlichen Speisung in Deutschland während des Krieges. — Bergarbeiter-
streiks in Oberschlesien und ihre Beilegung. — Wohnungsfrage und Bevölkerungspolitik.
— etc.. — Nr. 44: Gustav Schmoller und die Sozialreform, von Prof. Dr. E. Francke.
— In das vierte Kriegsjahr. — Schutz der Frauenarbeit in der Kriegsindustrie — Eine
Lohnbewegung im Holzgewerbe. — Das ünterstützungswesen der Arbeiterverbände in
der Kriegszeit, von (Arbeitersekretär) Fr. Kleeis. — etc. — Nr. 45 : Die Dienstverhinde-
rung durch Krankheit und Unglücksfälle nach österreichischem und deutschem Recht.
Ein Beitrag zur sozialrechtlichen Annäherung Deutschlands und Oesterreichs, von (Ob.-
Landesger.-R.) Dr. Siegmund Grünberg. — Kredithilfe der Gewerbetreibenden und Kauf-
leute nach dem Kriege in Ungarn, von Eugen Lendvai. — Der Wechsel in den Reichs-
ämtern und preußischen Ministerien. — Zur Neugestaltung des kaufmännischen Lehr-
lingswesens, von (Synd.) Dr. Mohr. — etc.
Rundschau, Koloniale. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Kolonialpolitik. Jahrg.
1917, Mai/Juni, Heft 5/6: Die frühere und zukünftige Stellung Rußlands in der Welt-
wirtschaft, von Dr. Ludwig Quessel. — Zum Auswanderungsproblem der Deutschrussen,
von Dr. Eugen Meiler. — Das türkische Reich, von H. Fehlinger. — etc.
Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im
Deutschen Reich. Jahrg. 41, 1917, Heft 2: Die heutige deutsche Judenfrage, von
Gustav Schmoller. — Die byzantinische Volkswirtschaft. Ein Kapitel aus Vorlesungen
334 ^'^^ periodische Presse Deutschlands.
über Wirtschaftsgeschichte, von Lujo Brentano. — Die Goldpolitik der Bank von
Schweden während des Krieges, von Albert Hahn. — Der Hausbesitz, von Hans Crüger.
— Der Nährwert des deutschen Volkskonsums, von R. E. May. — Die Regelung
des Bedarfs an Lebensmitteln im Kriege, von Wilhelm Tils. — Neue Wege der Be-
völkerungapolitik (I), von R. Oldenberg. — Die deutsche Landarbeiterfrage vor und nach
dem Kriege (II), von Eberhard Rieger. — Zur Wahlreform in Preußen, von Ernst Holtz.
— Eheliche Fruchtbarkeit und Beruf. Eine Ergänzung, von Wilhelm Feld. — Frank-
reichs Wirtschaft im März 1917. Ein Augenblicksbild, von Kurt Grober. — Neuere
Urteile über die Staatliche Theorie des Geldes, von Alfred Schmidt. — Gemeindebetriebe.
Bücher , Meinungen , Entwicklungen , von Otto Most. — Der englische Staat und der
deutsche Staat, von Gustav Schmoller. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 7, 1917,
Heft 7 : Die Bevölkerung mit höherem Einkommen in Preußen. — Die leerstehenden
Wohnungen in Breslau am 1. Dezember 1916. Mitteilung des Statistischen Amts der
Stadt Breslau. — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 13, 1917, Nr. 14: Valutapolitik im
Kriege, von H. O. Schultz. — Die Bedeutung der Juden für die deutsch -türkische
Wirtschaftspolitik, von (Kgl. Seminarlehrer) Heuer. — Wie werden die Kriegsausgaben
gedeckt? — Dezimalwährung in England nach dem Kriege? — Das Reichsgericht über
den Kettenhandel. — etc. — Deutsch -Amerikanischer Wirtschaftsverband : Außenhandel
der Vereinigten Staaten 1914 — 1916; Mexiko als Rohstofflieferant. — Nr. 15/16: Die
Abbürdung der Kriegskosten durch das Reich, von Dr. Werner Schmidt. — Krieg und
Wirtschaft, von Dr. Leo Blum. — etc. — Mitteilungen des Deutsch- Amerikanischen Wirt-
schaftsverbandes: Aufhebung deutscher Versicherungstätigkeit in Nordamerika. Die
deutsche Schiffahrt nach dem Kriege. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 35, 1917, Bd. 2, Nr. 16: Ein Gedenktag des wissen-
schaftlichen Sozialismus, von O. Jenssen. — Oesterreich und Serbien (Forts.), von
K. Kautsky. — Die inneren Gegensätze der russischen Revolution (Schluß), von A. Stein.
— Gustav Schmoller, von Adolf Braun. — etc. — No. 17 : Allerhand Imperative, von
August Erdmann. — Oesterreich und Serbien (Schluß), von K. Kautsky. — Kriegs-
kosten und Staatsmonopole, von Franz Gottlieb. — Die Entwicklung der Mittel des
Güterverkehrs in Deutschland und der Außenhandel. — Nr. 18: Die Welt nach dem
großen Tag, von Ed. Bernstein. — Staatssozialismus oder Staatskapitalismus?, von Otto
Jenssen. — Allerhand Imperative (Schluß), von August Erdmann. — etc. — Nr. 19:
Belgien, von K. Kautsky. — Staatssozialismus oder Staatskapitalismus? (Schluß), von
Otto Jenssen. — Der Gesetzentwurf über die Herstellung der deutschen Handelsflotte,
von Joseph Herzfeld. — Die Ursachen des Geburtenrückgangs vor dem Kriege, von
August Freudenthal. — etc.
Zeitschrift für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik. Jahrg. 7, 1917,
Nr. 13/14: Die Neuregelung der Elektrizitätsversorgung der Provinz Brandenburg, von
(Reg.-Assess.) Dr. Cl. Heiß. — Der Einfluß des Krieges auf die Finanzverhältnisse der
Landkreise des Regierungsbezirks Arnsberg, von (Reg.-Rat) Dr. Bergenthal. — Stadt-
verordnetenwahlen, von (Bürgermeister a. D.) Quehl. — Die Gemeindefinanzen nach
dem Krieg. Eine Entgegnung, von Fritz Johannes Vogt. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 8, 1917, Heft 6 u. 7: Die Gliederung
der deutschen Gewerbegeschichte nach sozialen Gesichtspunkten (Ij, von Prof. Dr. Carl
Koehne. — Die parlamentarische Kabinettsregierung (II), von W. Hasbach. — Die Ent-
wicklung der englischen Schiffsgrößen, von Dr. Ernst Schnitze. — Bevölkerung und
Volkswirtschaft Rußlands, von H. Fehlinger. — Die Zinsengutschriften bei den Spar-
kassen, von (Landesbankrat a. D.) H. Reuseh. — Kriegspatenschaft und Kriegspaten-
versicherung, von Dr. P. Martell. — Teuerung in den Vereinigten Staaten, von Dr.
Ernst Schnitze. — Die Betriebsergebnisse der Eisenbahnen in den Vereinigten Staaten
für das Fiskaljahr 1916, von Dr. Ernst Sehultze. — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
KarlEngliS, Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge etc. 385
V.
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches
der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft.
Von
Prof. Dr. Karl Englis, Brunn.
I. Einleitung»
Im folgenden soll die Kritik eines Abschnittes der bekannten
Lief mannschen Lehre, und zwar des wichtigsten Abschnittes der-
selben, der Grenzertragslehre in der Konsum Wirtschaft,
unternommen werden. Das Wirtschaften innerhalb der Konsum-
wirtschaft bildet den Ausgangspunkt und die Grundlage für Lief-
manns ganze Theorie, nach welcher das regelnde Prinzip der
Konsumwirtschaft auch den ganzen Tauschverkehr beherrscht.
Die diesbezügliche Lehre von Liefmann läßt sich kurz zusammen-
fassen, wie folgt: Vom Wirtschaften „sprechen wir...., wenn
mehrere erstrebte Lustgefühle, Genüsse, mit den zu ihrer Er-
langung aufzuwendenden Unlustgefühlen, Opfern verglichen werden,
und der Mensch vor die Frage gestellt ist, in welchem Um-
fange und bis zu welchem Grade er die Aufwendung von Unlustge-
fühlen, von Opfern für die verschiedenen erstrebten Lustgefühle
oder Genüsse vornehmen und fortsetzen will, um ein möglichst
großes Maß, ein Maximum von Genuß zu erreichen". „Die aus diesem
Bestreben hervorgehenden Erwägungen .... nennen wir Wirt-
schaften" ^). „Diese durch die Befriedigung der Bedarfsempfindungen
bewirkten Lustgfühle sind Nutzen." „Für die Empfindung der Lust-
gefühle, des Nutzens, gilt nun, daß sie mit wachsender Befriedigung des
Bedürfnisses an Stärke abnimmt" (das sogenannte zweite Gossensche
Gesetz) '-*). Die Unlustgefühle, Opfer, welche bei den wirtschaftlichen
Erwägungen dem Nutzen gegenübergestellt werden, sind Kosten.
1) Das Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträg;e in diesen „Jahrbüchern",
III. Folge Bd. 53, S. 3. In diesem Aufsatz ist die ganze Lehre Liefmanns ge-
drängt in ihrer neuesten Form dargestellt. Wir werden daher im folgenden unserer
Kritik hauptsächlich diese Abhandlung Liefmanns zugrunde legen. Seine „Grund-
sätze der Volkswirtschaftslehre" waren zur Zeit der Abfassung dieser Abhandlung noch,
nicht erschienen.
2) A. a. O. S. 4.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 25
386 ^»'1 EngliS,
Kosten sind: Arbeitsmühe und Opfer an Sachgütern, wozu auch die
Aufwendung einer Geldmenge gerechnet werden kann ^). Bei der
Arbeitsmühe wird jede folgende Aufwendung, z. B. jede folgende
Arbeitsstunde, höher geschätzt, stärker als Unlustgefühl empfunden.
Bei dem Opfer an Sachgütern oder einer Geldmenge, wo man von
einem Vorrat ausgeht, wird jede Einheit gleichgeschätzt und zwar
nach dem Nutzen, den man opfert, und das ist der, den man sich
mit einer weiteren verfügbaren Einheit verschaffen könnte. Den
Ueberschuß von Nutzen über die Kosten nennen wir Ertragt). „Der
Wirtschafter strebt nicht absolut nach größtem Nutzen, sondern
nach größtem Nutzen, verglichen mit den Kosten, und diese sind in
dem primären Falle der Arbeitsmühe nicht von vornherein gegeben,
sondern nehmen mit wachsenden Aufwendungen an Stärke zu.
Gleichzeitig nehmen die erzielten Nutzen an Stärke ab, und der
Wirtschafter muß also, wenn seine Aufwendung von Kosten be-
schränkt ist, jede Kosteneinheit so aufwenden, daß er mit ihr ein
Maximum von noch erreichbarem Nutzen erzielt. Die Gesamtheit
der Kostenaufwendungen aber muß er so verteilen, daß der Nutz-
überschuß oder Ertrag, den er mit der letzten, auf jede Bedürfnisart
aufzuwendenden Kosteneinheit erzielt, bei allen gleich groß ist.
Diesen mit der letzten Kosteneinheit bei jeder Bedürfnisart zu er-
zielenden Ertrag . . . nennen wir den Grenzertrag und jenes Prinzip
der zweckmäßigsten Verteilung der Kosten auf die verschiedenen
Bedürfnisse nennen wir das Gesetz des Ausgleichs der Grenz-
erträge" 3).
Das sind die wichtigsten Thesen der Lief mann sehen Lehre
bezüglich der Konsumwirtschaft.
II. Die Geldverwendung in der Konsnmwirtscliaft.
Zur Begründung und Veranschaulichung seines Gesetzes des
Ausgleiches der Grenzerträge bei der Geldverwendung in der Kon-
sumwirtschaft führt Lief mann das folgende Beispiel an*):
Der Konsument hat nur dreierlei Bedürfnisse und zwar bedarf
er 5 Stück des Gutes A, 3 Stück des Gutes B und 5 Stück des
Gutes C zu seiner vollkommenen Zufriedenheit. Nach dem zweiten
Gossenschen Gesetz verschafft mir jedes folgende Gut derselben
Gattung fortschreitend weniger Nutzen, weil das Leid des unbefrie-
digten Bedürfnisses des ersten Gutes intensiver ist, als wenn das
Bedürfnis des folgenden Gutes unbefriedigt bliebe ; es ist daher auch
1) A. a. o. s. 3.
2) A. a. O. S. 4.
3) A a. O. S. 5.
4) Das a. a. O. S. 25 angeführte Beispiel wird hier entsprechend erläutert wieder-
gegeben, weil dieses Beispiel, aus dem Kontext herausgerissen, nicht genau verstanden
werden könnte. Ein ganz analoges Beispiel (mit anderen Zahlen) hat Liefmann
auch in seinem Artikel : „Die Entstehung des Preises aus subjektiven Wertschätzungen"
(Arch. für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 34, 1912, S. 30) angeführt, das auch
zur Erläuterung herangezogen werden kann.
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Eonsnmwirtschaf t. 387
das beim Empfang des ersten Gutes empfundene Lustgefühl höher
als beim Empfang des zweiten. Dieses Leid, bzw. Lustgefühl läßt
sich absolut nicht messen, es ist auch nicht notwendig; wir brauchen
nur die Lust- und Unlustgefühle untereinander zu vergleichen, was
jeder Wirtschafter macht. Nur zu diesem Zwecke wird das Lust-
und Unlustgefühl ziffermäßig veranschaulicht; sage ich z. B., daß
der Nutzen des ersten Gutes A 10 ist, so ist damit nur so viel
gesagt, daß es mir ein Lustgefühl von 10 Intensitäten (deren jede
absolut unmeßbar ist) verursacht, bzw. daß mir durch Nichtbefrie-
digung des betreffenden Bedürfnisses ein Unlustgefühl von 10 In-
tensitäten erwachsen würde. Sage ich nun, daß mir das erste Gut A
einen Nutzen von 10, das erste Gut C einen Nutzen von 5 gibt,
so weiß ich zwar über die absolute Höhe des Nutzens in beiden
Fällen nichts, ich weiß aber, daß der Nutzen vom ersten A doppelt
so hoch ist wie jener vom ersten C, und das genügt.
Danach werden wir den subjektiven Nutzen der einzelnen Güter
mit folgenden Intensitäten annehmen:
Das Gu
t
A
B
C
1. Stück
lO
8
5
2. „
8
4
4
3. „
6
2
3
4. „
4
O
2
5. „
2
—
I
6. „
O
—
O
Diese Güter sind beliebig auf dem Markte zu haben und zwar
jedes Gut A und B um 2 M. pro Stück, das Gut C um 1 M. pro
Stück. Den Nutzen der einzelnen Güter kann ich mir durch Hin-
gabe von Geld, Markstücken verschaffen, was ein technischer Vor-
gang ist; weil mir aber die Hingabe jeder Mark auch ein Unlust-
gefühl verursacht, so erkaufe ich mir den Nutzen jedes einzelnen
Gutes durch ein Unlustgefühl, also durch Kosten. Das bei der Hin-
gabe einer Mark empfundene Unlustgefühl setzen wir gleich einer Un-
lustintensität; das 5. Gut C erspart mir z. B. ein Leid von einer
Intensität (bzw. verursacht mir ein so intensives Lustgefühl), die
Hingabe einer Mark verursacht mir hingegen ein Leid von einer
Intensität ^).
„Wenn jetzt der Wirtschafter z. B. 16 Mark zur Verfügung hat,
so braucht er nicht mit C 1 zu beginnen, das ihm im Verhältnis
zu den Kosten den größten Nutzen, also den größten Ertrag liefert,
dann zu A 1, dann zu C 2 überzugehen, also immer zu wechseln,
sondern er sieht alsbald, daß er sich von A 4, von B 2 und von C
1) „Wir setzen also eine Mark . . . . = 1, d. h. wir würden sie gerade noch zur
Befriedigung eines Bedürfnisses aufwenden, das in der Skala unserer Bedürfoisempfin-
dungen die Stärke 1 aufweist." (Die Entstehung des Preises etc.) Ich zitiere diesen
Passus wörtlich, weil es für meine weiteren kritischen Ausführungen wichtig ist, daß
die Einheit der Intensität des Unlustgefühles ebenso groß ist, wie die Einheit der Inten-
sitäten, in welchen der Nutzen ausgedrückt wurde.
26*
388 ^^»^1 EnglU,
auch 4 Stück, oder sagen wir Pfund beschaffen kann'* ^). Nach
Lief mann muß man bei allen Kaufeventualitäten zunächst den
Ertrag berechnen. Soweit das Geld reicht, werden Käufe, die dea
größten Ertrag aufweisen, realisiert.
Gegen diese Argumentation habe ich mehrere Einwände:
a) Zunächst fehlt Liefmann darin, daß er sowohl die Bedürf-
nisse (nach Art und Intensität), Preise der entsprechenden Güter,
die verfügbare Geldmenge, als auch die Wertschätzung einer
Mark willkürlich setzen zu dürfen glaubt. Die Wert-
schätzung einer Mark im Liefmannschen Sinne ^) wird durch die drei
ersteren vorausgesetzten Momente (Bedürfnisse, Preise und Geld-
menge) gerade so bestimmt, wie der dritte Winkel im Dreieck durch
die zwei anderen. Lief mann sagt doch selbst^): „Bei dem Opfer
, . . einer Geldmenge als Kosten geht man von einem vorhandenen
Vorrat aus. Hier wird jede Einheit gleichgeschätzt, und zwar nach
dem Nutzen, den man opfert, den man also nicht mehr erzielt,
und das ist der, den man sich mit einer weiteren verfügbaren Ein-
heit verschaffen könnte." Um daher die Wertschätzung einer Geld-
einheit zu konstatieren, muß man danach zumindest das unge-
deckte Bedürfnis kennen. Das setzt aber voraus, daß man
sowohl die gedeckten Bedürfnisse, die Preise der entsprechenden
Güter und den Geldvorrat kennt, um in der Reihe der nach Größe
des Ertrages zur Deckung gelangenden Bedürfnisse jenen Punkt zu
konstatieren, wo der Geldvorrat erschöpft ist, und welches daher
das erste ungedeckte Bedürfnis ist^). Bei gegebenen Bedürfnissen
(nach Art und Intensität) und Preisen kann man weiter nur ent-
weder die Wertschätzung einer Mark oder den Geld-
vorrat willkürlich setzen, nie aber beides zugleich, wie es
Lief mann tut, der, nachdem die Bedürfnisse, Preise und eine Wert-
schätzung einer Mark als gegeben angenommen wurden, sagt: „Wenn
jetzt der Wirtschafter z. B. 16 Mark zur Verfügung hat". Kennt
man bei gegebenen Bedürfnissen und Preisen die Wertschätzung
einer Mark, so kann auch die verfügbare Geldmenge bestimmt werden,
und umgekehrt — bei gegebenen Bedürfnissen und Preisen, aus der
Geldmenge die Wertschätzung der Geldeinheit. In dem oben an-
geführten Beispiel wählt aber zufällig Liefmann die verfügbare Geld-
menge so glücklich, daß sich aus dem Fehler nicht unmittelbar
falsche Konsequenzen ergeben. Dagegen war er nicht so glücklich
an einem anderen Orte, wo er ganz das analoge Beispiel anführt^).
Dort werden folgende Bedürfnisse nach Art und Intensität gesetzt:
1) A. a. o. s. 26.
2) Also die Intensität des Unlustgefühles, das ich bei der Hingabe einer Mark im
Kauffalle empfinde.
3) A. a. O. S. 4.
4) Ob übrigens diese Wertsehätzung richtig formuliert ist, wird noch später er-
örtert werden.
5) Die Entstehung des Preises aus subjektiven Wertschätzungen. Arch. für Sozial-
wissenschaft und Sozialpolitik, 1912, S. 30.
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Eonsnmwirtschaft. 389
A
B
C
1. Stück
lO
8
5
2. „
9
7
4
3. „
7
5
2
4.
6
3
I
5. „
4
I
o
6. „
2
o
7. „
I
8. „
o
Ein Stück A kostet auf dem Markte 8, ein Stück B 3, ein
Stück C 1 M. Die Wertschätzung einer Mark wird auch mit einer
Intensität angenommen. „Hat jetzt der Wirtschafter ... 12 Mark
zur Verfügung, wie wird er sie verwenden?" Lief mann kommt
nach seinem Gesetze zu dem Schluß, daß der Wirtschafter vom Gut A
kein Stück, sondern 3 Stück B und 3 Stück C kaufen wird. Da
wird man schon auf den ersten Blick stutzig, wieso es möglich ist,
daß das Wirtschaftssubjekt bereit ist, für das erste Gut A höchstens
10 M. zu geben, weil es ihm einen Genuß verschafft, welcher das
Opfer von nahezu 10 M. aufwiege, aber — trotzdem das Stück A
nur 8 M. kostet, dennoch keines kauft. Entweder ist die Wert-
schätzung richtig, und dann wird er notgedrungen das erste Gut A
kaufen, oder er wird es nicht kaufen. Dann wurde aber die Wert-
schätzung einer Mark unrichtig im Hinblick auf den Geldvorrat
angenommen. Man kann eben — bei gegebenen Bedürfnissen und
Preisen — beides: Geldvorrat und Wertschätzung der Geldeinheit
nicht willkürlich setzen. Lief mann hat daher dieses Beispiel in
seiner neuen, dieser Kritik zugrunde gelegten Arbeit zwar ziffer-
mäßig geändert und dadurch auch den eben erwähnten Widerspruch
beseitigt, aber prinzipiell nicht gebessert, denn nach wie vor
glaubt er — bei gegebenen Bedürfnissen und Preisen —
sowohl die Geldmenge als auch die Wertschätzung der
Geldeinheit frei setzen zu dürfen.
b) Nun trifft dieses Bedenken vor allem die Anschaulichkeit
des Beispieles, weil ich Liefmann einen solchen Fehler nicht zu-
muten kann, aber Liefmann ist durch die von ihm gewählte Verein-
fachung auf einen anderen Irrweg geraten. Man kann nämlich den
erwähnten Fehler nicht einfach dadurch beseitigen, daß man der
freigesetzten Wertschätzung einer Mark den richtigen ihr ent-
sprechenden Geldvorrat an die Seite stellt. Wir verfolgen doch
den Gedankengang des Wirtschaftssubjektes, für welches sich —
bei gegebenen Bedürfnissen und Preisen — nicht der Geld-
vorrat aus der Wertschätzung einer Mark — sondern
aus dem Geldvorrat eben die Wertschätzung der
Geldeinheit ergibt. Im nachhinein kann man zwar aus den
Bedürfnissen, Preisen und der Wertschätzung einer Mark auch
den Geldvorrat theoretisch konstatieren^), aber der Wirtschafter
1) Dazu wäre es notwendig, alle Käufe zusammenzustellen, bei denen die sub-
jektiven Nutzen die subjektiven Kosten überwiegen. Der für alle diese Käufe zu-
sammen gezahlte Preis würde die verfügbare Geldmenge darstellen.
390 K»'l EngliS,
kennt nie die Wertschätzung einer Mark, ohne zuerst den Geld-
vorrat zu kennen. Wollen wir daher das Vorgehen des Wirt-
schafters verfolgen, so dürfen wir neben Preisen und Be-
dürfnissen nur den Geldvorrat als gegeben voraus-
setzen. Die sich daraus ergebende Wertschätzung der Geldeinheit
muß erst gesucht werden. Um sie zu konstatieren, muß man
aber, wie schon gezeigt wurde, die Reihe der zur Realisierung ge-
langenden Käufe kennen, denn die Wertschätzung wird — selbst
nach Lief mann — durch das erste ungedeckte Bedürfnis bestimmt
Liefmann braucht aber doch die Intensität dieser
Wertschätzung im vorhinein, um den subjektiven Er-
trag der einzelnen Käufe und dessen Größe zu kon-
struieren, denn nach der Größe des subjektiven Ertrages der
einzelnen Käufe wird die Reihe der zu realisierenden (durch das
verfügbare Geld gedeckten) Käufe bestimmt. Darin liegt der Wider-
spruch. Liefmann braucht zur Feststellung der reali-
sierbaren Käufe etwas, was erst nach dieser Fest-
stellung ermittelt werden kann. Er glaubt wenigstens, daß
er es braucht; er braucht es indessen gar nicht. Denn würde er es
tatsächlich brauchen, so könnte er bei unrichtiger Annahme der Wert-
schätzung einer Mark doch nicht die realisierbaren Käufe richtig
feststellen. Nehmen wir z. B. sein älteres Beispiel aus dem Jahre
1912. Die Wertschätzung einer Mark wird hier mit einer Intensität
angenommen, bei einem Geldvorrat von 12 M. und den dort voraus-
gesetzten Bedürfnissen und Preisen. Lief mann erkennt richtig,
daß das Wirtschaftssubjekt kein Gut A, sondern von Gut B und C
je 3 Stück kaufen wird^). Das nächste Gut, welches nach Lief-
mann zum Kauf gelangen würde, wenn der Wirtschafter mehr Geld
hätte, wäre das erste Stück von A, welches einen Nutzen von 10
liefert, aber 8 kostet. Nach diesem Bedürfnis muß nach L i e f m a n n
die Wertschätzung der Geldeinheit beurteilt werden, und zwar nach
dem auf die Geldeinheit entfallenden Nutzen. Dieser Nutzen beträgt
also pro Einheit ^% = IV4. Bei gegebenen Bedürfnissen, Preisen
und Geldvorrat ergibt sich hier nach Liefmann selbst die Wert-
schätzung einer Mark mit IV4 Intensität. Wie konnte er sie mit 1
annehmen? Hat er aber die Wertschätzung einer Mark unrichtig
angenommen, wie konnte er zu einem richtigen Ergebnis gelangen ?
Dafür kann nur eine Erläuterung sein : Bei gegebenen Bedürf-
nissen, Preisen und Geldmenge kann man die zu reali-
sierenden Käufe ohne die Kenntnis der Wertschätzung
der Geldeinheit bestimmen. Das soll nachgewiesen werden.
c) Zunächst muß aber noch ein anderer Fehler in Lief man ns
Gedankengang hervorgehoben werden, und zwar die inkonse-
quente Anwendung des Ertragsbegriffes und seine
Verwechslung mit anderen Begriffen. Liefmann de-
finiert wiederholt den fundamentalen Begriff seiner Lehre als
1) Richtig ist es aus einem anderen Grande, als Liefmann angibt nnd meint.
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 391
Ueberschuß von Nutzen über die Kosten. Wohlverstanden:
es ist der subjektive Ertrag, gerade so wie Nutzen und Kosten hier
subjektiv (Lust- und Unlustgefühle) gemeint sind. Dagegen wäre
von seinem subjektivistischen Standpunkt nichts einzuwenden, wenn
nur Lief mann diesen Begriff konsequent gebrauchen würde. Aber
das tut er eben in den angeführten Beispielen gar nicht. Ich habe
eben (S. 387) seine folgenden Worte wörlich wiedergegeben: „Wenn
jetzt der Wirtschafter z. B. 16 Mark zur Verfügung hat, so braucht
er nicht mit C 1 zu beginnen, das ihm im Verhältnis zu den
Kosten den größten Nutzen, also den größten Ertrag
liefert." Der Ueberschuß von Nutzen über die Kosten und der
Nutzen im Verhältnis zu den Kosten ist doch nicht dasselbe, wie
gleich gezeigt werden soll. A. a. O. S. 21 sagt Lief mann: „Er
wird also zuerst sich C 1 beschaffen, das ihm einen Nutzen von
Stärke 5 bringt, ihm aber nur Kosten von Höhe 1 verursacht. Sein
Ertrag ist also 5 pro Einheit." Oder auf Seite 22: „. . . das Ver-
hältnis von Nutzen und Kosten ist daher bei A 1 wie 10:3, der
Ertrag also, der Ueberschuß von Nutzen über die Kosten = 37^ pro
Kosteneinheit" u. s. f. Man würde doch annehmen, daß — wenn die
Kosten 3 und der Nutzen 10 ist — der Ueberschuß von Nutzen
über die Kosten 7 und pro Einheit der Kosten Vs = 2V3 beträgt
Hier sind augenscheinlich zwei verschiedene Begriffe vermengt und
zwar der Ertrag und der relative Nutzen. Man muß unter-
scheiden: den absoluten Nutzen, die absoluten Kosten und
den absoluten Ertrag (z. B. Nutzen 10, Kosten 3, Ertrag 7) und
den relativen, das ist den auf eine bestimmte Einheit bezogenen
Nutzen bzw. Ertrag, und die relativen Kosten. Fragt man
z. B. nach dem auf eine Kosteneinheit entfallenden Nutzen, so er-
hält man den relativen Nutzen (^Vs)? fragt man nach dem auf eine
Kosteneinheit entfallenden Ertrag, so erhält man den relativen Er-
trag (Vs)- Um den relativen Nutzen oder Ertrag zu erhalten, brauche
ich nicht immer den absoluten Nutzen oder Ertrag (Lustgefühl) auf
gleichartige Kosteneinheit (die des geopferten Unlustgefühles)
zu beziehen. Besteht z. B. das Opfer in Arbeitsmühe, so sind die
subjektiven Kosten der Arbeitsmühe in jeder folgenden Stunde höher.
Sagen wir z. B. in der ersten Arbeitsstunde gleich 1, in der zweiten
gleich 2, in der dritten gleich 3 Intensitäten u. s. f. Habe ich mir
in zwei Arbeitsstunden einen Nutzen von 10 verschafft, so kann ich
diesen Nutzen entweder mit der gleichartigen Kosteneinheit
oder mit derArbeitsstunde in Beziehung setzen. Diesen Nutzen
von 10 habe ich durch zwei Arbeitsstunden, aber mit subjektiven
Kosten von : 3 erhalten. Der relative Nutzen beträgt daher ^% = 5
pro Stunde und ^% = 3V3 pro Kosteneinheit. Dasselbe gilt vom
Ertrag und bei Geldkosten. Kaufe ich ein Gut mit Nutzen von 10
um 2 M., so habe ich subjektiv — wenn ich die Hingabe einer
Mark als ein Unlustgefühl von 2 Intensitäten empfinde — 4 geopfert.
Der absolute subjektive Ertrag ist daher 10-4 = 6. Den Ertrag
kann ich entweder zur Zahl der gezahlten Geldeinheiten (2) oder zu
392 Ka'l Engliß,
jener der subjektiven Kosteneinheiten in Beziehung setzen; danach
beträgt im gegebenen Falle der relative Ertrag pro Preiseinheit % = 3
und pro Kosteneinheit % = IVg. Es muß daher stets sowohl beim
relativen Nutzen wie beim relativen Ertrag auch die Einheit
der Relativität angegeben werden. Wir werden sehen, daß
Liefmann gerade auch in der Einheit der Relativität
fehlt, vorderhand springt uns aber in die Augen, daß das Verhältnis
von Nutzen zu den Kosten, bzw. der Nutzen im Verhältnis zu den
Kosten etwas vom Ertrag, als dem Ueberschuß vom Nutzen über
die Kosten Wesensverschiedenes ist. Tatsächlich fragt hier also
Liefmann — nämlich bei der Feststellung der zur Realisierung
gelangenden Käufe — nicht nach dem Ertrag, sondern nach dem
relativen Nutzen. Man glaube nicht etwa, daß Lief mann
den Ertrag als Ueberschuß von Nutzen über die Kosten nur ganz
allgemein andeutete und unter Ertrag tatsächlich das Verhältnis des
Nutzens zu den Kosten verstehe. Denn man beachte z. B. folgende
Worte: „Geschieht das, so muß, theoretisch scharf formuliert, der
Grenzertrag bei allen Bedürfnissen gleich, also überall fast = 0
sein. Ganz = 0 wird er auch dann nicht sein, sonst
würde ja jeder Antrieb, die letzte Arbeitsmühe auf
sich zu nehmen, fehlen"^). Das ist auch ganz richtig, daß der
Mensch gar keinen Antrieb zum Opfer hat, wenn der Ertrag = 0
ist. Was muß aber gleich 0 sein ? Das Verhältnis von Nutzen und
Kosten etwa? Ist ein Nutzen z. B. 3 und die Kosten auch 3, so
hat der Mensch gar keinen Antrieb, den Wirtschaftsakt vorzunehmen,
obwohl das Verhältnis von Nutzen zu den Kosten % = 1 ist.
Gleich 0 ist hier der wahre Ertrag, der Ueberschuß von Nutzen über
die Kosten. Hier versteht daher Liefmann unter Ertrag
etwas ganz anderes, als bei der Feststellung der zu
realisierenden Käufe. Lief mann verwechselt daher zwei ver-
schiedene Begriffe, und zwar den Ertrag und den relativen Nutzen *).
Von Wichtigkeit ist aber, daß Lief mann hier, wo er bei gegebenen
Bedürfnissen, Preisen und Geldvorrat die Geldverwendung auf die
verschiedenen Bedürfnisse untersucht, die Reihe der zu realisierenden
Käufe gar nicht nach dem Ertrage, sondern nach dem
relativen Nutzen bildet. Da er nun auf dieser Grundlage zu
einem richtigen Ergebnis kommt, so muß es eben ohne den Ertrags-
begriff möglich sein. Damit ist schon teilweise erklärt, daß man
zur Bestimmung der erwähnten Geldaufwendung die Wertschätzung
der Geldeinheit nicht zu kennen braucht.
d) Welcher Art relativer Nutzen ist es nun, welchen L i e f m a n n
seiner Kauf reihe zugrunde legt? Er meint, es ist der auf eine
1) A. a. o. S. 29.
2) Beziehungsweise hat für zwei verschiedene Begriffe die nämliche Bezeichnung^
was in der Folge irreführend sein maß. Kann man den auf eine technische Ein-
heit (Geldeinheit, Arbeitsstunde) bezogenen relativen Nutzen auch Ertrag nennen ? Eben
dieser Nutzen aber ist — wie gezeigt werden soll — in der Konsumwirtschaft ent-
scheidend.
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsumwirtschaft. 393
Kosteneinheit im subjektiven Sinne bezogene Nutzen
(Nutzen im Verhältnis zu den subjektiven Kosten). In dem neueren
Beispiel scheint es tatsächlich so zu sein, aber nur deshalb, weil
Lief mann das Opfer einer Mark gleich einer Intensität gesetzt
und den Geldvorrat zufällig so gewählt hat, daß hier tatsächlich die
Wertschätzung eine Mark gleich 1 ist, wie der folgenden Berechnung
entnommen werden kann:
KauffaU
Absoluter
Kosten
Kelativer
Nach dem
jeweiligen Kauf
Nutzen
Nutzen
verbleibt
vom Geldvorrat
AI
lO
2
5
14
C 1
5
I
5
13
A2
8
2
4
II
B 1
8
2
4
9
C2
4
I
4
8
A3
6
2
3
6
C3
3
I
3
5
A4
4
2
2
3
B2
4
2
2
I
C4
2
I
2
0
BS
2
2
I
A5
2
2
I
C5
I
I
I
Die unter „Kosten" angeführten Zahlen bedeuten gleichzeitig
den Preis in Geldeinheiten und die subjektiven Kosten in Unlust-
gefühlseinheiten, weil dies angenommen wurde. Die Reihe der Käufe
ist nach dem relativen Nutzen pro Kosteneinheit (aber gleichzeitig
pro Preiseinheit) gebildet. Die Wertschätzung der Geldeinheit ist
nach Lief mann jenem Nutzen gleich, den man opfert, und das ist
der, „den man sich mit einer weiteren verfügbaren Einheit ver-
schaffen könnte"^). Im gegebenen Falle könnte man sich für eine
weiter verfügbare Geldeinheit tatsächlich nur den relativen Nutzen
von 1 verschaffen. Was wäre aber, wenn Liefmann, nachdem er
die Bedürfnisse, Preise und die Wertschätzung einer Mark ange-
nommen hatte, z. B. dem Wirtschafter nur 10 M. zur Verfügung
gegeben hätte ? Sein Gedankengang wäre ganz der nämliche geblieben,
nur daß er nach Kauf von A 3 hätte sagen müssen , daß das Geld
für weitere Käufe erschöpft ist. Da wäre aber der mit einer weiter
verfügbaren Geldeinheit zu beschaffende Nutzen, also die Wert-
schätzung einer Mark gleich 3, denn für die 11. Mark könnte das Gut
C 3 gekauft werden, das 1 Mark kostet und einen Nutzen von
3 abgibt. In diesem Falle wäre also die Annahme, daß die Wert-
schätzung einer Mark gleich 1 ist, ganz unrichtig, weil sie tatsäch-
lich dreimal so hoch ist, und dennoch hätte sich der ganze Gedanken-
gang und die Reihe der zum Kauf gelangenden Güter nicht geändert.
Wie ist das möglich? Das ist deshalb möglich, weil die Relativität
des Nutzens tatsächlich nicht auf die Kosteneinheit, die
doch Liefmann im vorhinein gar nicht kennen kann, sondern
auf die Preiseinheit bezogen wurde. Da nun Liefmann
1) A. a. O. S. 4.
394 Karl EngliS,
das subjektive Opfer einer Mark gleich einer Intensität gesetzt hat,
repräsentiert der Preis ebensoviel Geldeinheiten wie die subjektiven
Kosten Gefühlsintensitäten, so daß es in diesem Falle ziffermäßig
auf eins herauskommt, ob man den Nutzen auf Preiseinheiten oder
auf Kosteneinheiten im subjektiven Sinne bezieht. Daher sein Irr-
tum, daß er den relativen Nutzen zu den subjektiven Kosten in Be-
ziehung setzt. In der Tat beurteilt er den relativen Nutzen
nicht nach Kosten-, sondern nach Preiseinheiten, weil
er, wie gesagt, die subjektiven Kosten einer Mark im vorhinein
gar nicht kennt, bzw. in dem alten Beispiel vom Jahre 1912
unrichtig annimmt. Der auf unrichtige Kosteneinheiten berechnete
relative Nutzen könnte doch zu keiner richtigen Kaufreihe führen,
während doch die Lief mann sehe Kauf reihe richtig ist.
Zu demselben Ergebnis gelangt man aber auf Grund einer sehr
einfachen Erwägung. Der Wirtschafter, der seine Bedürfnisse und
die Marktpreise kennt, wird mit seinem Geldvorrat den größtmög-
lichen Nutzen vom Markte davonzutragen bestrebt sein. Das erzielt
er dann, wenn er für jede Geldeinheit den größten subjektiven
Nutzen kauft. Er muß sich daher für alle in Betracht kommenden
Käufe den für jede einzelne Geldeinheit erzielbaren subjektiven
Nutzen vergegenwärtigen. Er muß also für jeden Kauf den auf
eine Geldeinheit entfallenden subjektiven Nutzen, also den
relativen auf die Preiseinheit entfallenden Nutzen
kennen. So entsteht ihm für die möglichen Käufe der gebrauch-
ten Güter eine Reihe, in welcher jeder folgende Kauf im Verhältnis
zum Preis einen kleineren relativen Nutzen aufweist als der voran-
gehende. Davon wird der Wirtschafter die relativ nützlichsten Käufe
realisieren, soweit das Geld reicht ^). (Vergleiche hierzu die Ueber-
sicht auf S. 393, wo nun unter Kosten der Preis zu verstehen ist.)
Damit ist voll nachgewiesen, daß Lief mann zur Feststellung
der Geldverwendung in der Konsum Wirtschaft die subjektive
Wertschätzung der Geldeinheit gar nicht zu kennen
brauchte; kann und muß man aber die Geldverwendung in der
Konsumwirtschaft ohne die Wertschätzung der Geldeinheit erklären,
so kann man dies auch ohne den Ertragsbegriff, denn
ohne die Kenntnis der subjektiven Kosten läßt sich auch der sub-
jektive Ertrag nicht ermitteln.
e) Die Wertschätzung der Geldeinheit, die doch für
Lief mann zur Beurteilung der subjektiven Kosten beim Kauf eine
eminente Rolle spielen sollte, bleibt in seiner Lehre auffallend ver-
1) Ein ganz analoger Fall wäre da, wenn der Wirtschafter berechtigt wäre, vom
Markte Güter beliebiger Auswahl, aber beschränkt auf ein bestimmtes Gesamtgewicht,
davonzutragen, beziehungsweise, wenn er statt Geld Anweisungen auf Gewichtsein-
heiten der Güter zur Verfügung hätte. Er würde bestrebt sein, das verfügbare Gewicht
für sich am besten auszunützen, also im minimalen Gewicht den größten Nutzen
für sich auszuwählen. Seine Gewichtsanweisungen würde er daher so ausnützen, daß
ihm jede Gewichtseinheit den größten Nutzen einbringe. Der relative Nutzen würde
hier auf die Gewichtseinheit bezogen werden. Analog verfährt man z. B. beim Reise-
gepäck mit Baumeinheiten u. a. m.
Das Lief mannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 395
nachlässigt. Lief mann sagt zwar einmal, wie schon zitiert wurde,
daß die Geldeinheit nach dem Nutzen geschätzt wird, den man
sich mit einer weiteren verfügbaren Einheit verschaffen könnte.
Aber dieser Satz wird weiter gar nicht begründet und bei der Er-
klärung der Geldaufwendung überhaupt nicht verwendet. Hier setzt,
wie gesagt, Lief mann diese Wertschätzung als gegeben voraus.
Dieser Wertschätzung der Geldeinheit soll daher hier ein wenig Auf-
merksamkeit gewidmet werden.
Die Geldschätzung der Geldeinheit bei Lief mann ist etwas
vom subjektiven Werte der österreichischen Schule Verschiedenes
und doch mit demselben sehr Verwandtes. Lief mann braucht die
Wertschätzung der Geldeinheit, um die subjektiven Kosten beim
Kauf und damit auch den subjektiven Ertrag zu ermitteln, indem
er diese subjektiven Kosten dem durch das gekaufte Gut bewirkten
subjektiven Nutzen gegenüberstellt. In der subjektiven Wertlehre
findet Liefmann keine Befriedigung. Nach dieser Lehre ist der
Wert „die Bedeutung, welche ein Gut oder ein Gutkomplex für die
Wirtschaftszwecke eines Subjektes besitzt" ^). „Die Größe des Wertes
eines Gutes bemißt sich nach der Wichtigkeit desjenigen konkreten
Bedürfnisses oder Teilbedürfnisses, welches unter den durch den
verfügbaren Gesamtvorrat an Gütern solcher Art bedeckten Bedürf-
nissen das mindest wichtige ist." „Der Wert eines Gutes bestimmt
sich nach der Größe seines Grenznutzens" ^). Der Wert eines Gutes
wird ausnahmsweise durch das Arbeitsleid bestimmt, wenn durch
dasselbe ein Ersatzgut beschaffen werden kann und das Arbeitsleid
geringer ist als der Grenznutzen ^). Beim Tausch müssen „die emp-
fangenen Güter einen größeren subjektiven Wert besitzen als die
hingegebenen". „Ein Tausch ist ökonomisch möglich nur zwischen
Personen, die Ware und Preis abweichend, ja entgegengesetzt
schätzen" 4).
Diese Lehre lehnt Lief mann ab. Ihr Grundfehler sei, daß sie
vom Bewußtsein der Abhängigkeit von einem Gute infolge beschränk-
ter Verfügbarkeit ausgehe, anstatt den absoluten Nutzen zu betrachten.
Nach dieser Lehre wird jede Teilquantität aus dem Vorrat nach der
letzten Teilquantität gewertet. Ich kann aber sagen: Wenn ich
mehrere Aepfel habe, so schätze ich den ersten, den. ich verzehre,
am höchsten, den zweiten schon geringer etc. Aber auch : Von einer
gegebenen Menge Aepfel schätze ich den ersten, den ich esse, am
geringsten, weil andere zur Verfügung sind, und wenn unbeschränkt
viele, gar nicht. Aber dies ist dann keine Nutzen-, sondern eine
Kostenschätzung. Für die Kostengüter gilt in der Tat der Satz,
daß der Wert der einzelnen Teilquantitäten sich nach der letzten
Teilquantität richtet. In der Tat kann man alle Güter, auch die
1) Böhm-Bawerk, Positive Theorie des Kapitales, Innsbruck 1912, 3. Aufl., 2. Halbbd.,
S. 223.
2) Böhm-Bawerk, a. a. O. S. 246, 247.
3) Böhm-Bawerk, a. a. O. S. 301.
4) Böhm-Bawerk, a. a. O. S. 358.
396 Karl EngliS,
Genußgüter als Kostengüter auffassen. Aber man muß in der öko-
nomischen Theorie zunächst von den Bedarfsempfindungen, von den
Genüssen ausgehen. Der Wertbegriff ist eine willkürliche künst-
liche Konstruktion, „. . . unsere Theorie braucht den Wertbegriff in
irgendeiner Form, der bei den bisherigen Lehren, insbesondere auch
der österreichischen, den Grundbegriff bildet, überhaupt nicht, sie
erklärt alle tauschwirtschaftlichen Erscheinungen und daher auch die
Preisbildung nur mit den beiden Fundamentalbegriffen Nutzen und
Kosten, bzw. ihrer Differenz dem Ertrag" i).
Lief mann hat richtig erkannt, daß durch die österreichische
Wertlehre der Tausch nicht zu erklären ist, aber seine Begründung
reicht nicht zu. Dies werden wir nachweisen 2).
Gemeinsam ist der Lief mann sehen Theorie und der öster-
reichischen Wertlehre der subjektivistischeAusgangspunkt.
Die äußeren Erscheinungen werden in das subjektive Bewußtsein
der Wirtschaftenden projiziert und die ihnen folgenden angenehmen
und unangenehmen Empfindungen verfolgt und gemessen. Bei der
Liefmannschen Theorie ist es ganz offenkundig. Aber auch bei der
österreichischen Wertlehre ist es der Fall. Denn ihre Begriffe:
Wohlfahrt des Individuums, Wichtigkeit der Bedürfnisse, Grenz-
nutzen, Arbeitsleid etc. entspringen derselben psychologischen Grund-
lage wie Liefmanns Nutzen, Kosten und Ertrag. Um sich den
subjektiven Wert zu vergegenwärtigen muß man sich stets den Weg-
fall des Gutes vorstellen, damit das minimale Leid konstatiert werden
könne, das ich dadurch erleiden muß ; es ist entweder das Leid eines
unbefriedigten Bedürfnisses (Grenznutzen) oder das Arbeitsleid für das
Ersatzgut. Der subjektive Wert des Gutes ist dieses ersparte Leid ^).
Das Postulat der subjektiven Wohlfahrt, also das. Streben nach Ver-
minderung der Unlustgefühle, bezw. nach Vermehrung der Lustgefühle
bildet für beide Lehren den Ausgangspunkt. Dieses subjektive Wohl-
fahrtsempfinden wird durch äußere Erscheinungen tangiert, günstig
1) Die Entstehung des Preises etc. a. a. O. S. 11, 21, 22 u. passim; das Gesetz
des Ausgleiches der Grenzerträge a. a. O. S. 2 usf.
2) Das Wertkapitel ist in der nationalökonomischen Theorie noch lange nicht ab-
geschlossen. Die diesbezüglichen Meinungsverschiedenheiten — wie überhaupt in der
Wirtschaftswissenschaft — kommen davon , daß es an einer nationalökonomischen Er-
kenntnislehre mangelt. Es fehlt die Antwort auf die Frage : wie muß ich Erscheinungen,
Objekte und Veränderungen betrachten, um sie als wirtschaftlich zu sehen ? Diese Frage
geht jener nach dem Objekte der Wirtschaftswissenschaft voraus, weil alles, was ich
durch eine bestimmte Anschauungsart sehen kann, Objekt der Wissenschaft ist. Dieses
Problem habe ich zum Gegenstand einer Studie gemacht: Nästin närodohospoddfskfe
noetiky" (Abriß einer nationalökonomischen Erkenntnislehre) im „Sbornik vßd prävnich
a stätnich" 1917. Dadurch werden viele wirtschaftswissenschaftlichen Begriffe und somit
auch der Wertbegriff eine neue Beleuchtung finden. Ich kann mich aber in diesem
Aufsatz auf diese prinzipiellen Fragen nicht einlassen , möchte aber betonen , daß mir
gerade das Studium der wirtschaftswissenschaftlichen Noetik Anhaltspunkte zu der vor-
liegenden Kritik geboten hat.
3) So definiert den subjektiven Wert als erspartes Leid Dr. Lövenstein: Kritika
hlediska Böhm-Bawerkova v subjektivnim hodnoceni (Kritik der Stellung des Arbeits-
leides in der subjektiven Wertlehre Böhm-Bawerks) im „Sbornik v^d prävnich a stätnich",
Prag 1916.
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsumwirtschaft. 397
oder ungünstig, mehr oder weniger. Den Grad dieser Ein-
wirkung zu konstatieren, das ist Aufgabe der sub-
jektiven Wertung. Das ist die gemeinsame Wurzel der Lief-
mann sehen und der österreichischen Lehre.
Nun hat man aber bisher übersehen, daß man nicht nur Ob-
jekte (Güter), sondern auch Geschehnisse (Veränderungen, Hand-
lungen) wertet, ja daß diese letztere Wertung die primäre
ist. Bei jeder vorzunehmenden Handlung vergegenwärtigt man
sich, ob, in welcher Richtung und in welchem Grade dieselbe auf
unser Wohlfahrtsgefühl einwirken wird. Aber nicht nur bei vor-
zunehmenden Handlungen, sondern auch bei allen anderen Gescheh-
nissen (Veränderungen) wird der Mensch deren günstiger und un-
günstiger Einwirkung auf seine subjektive Wohlfahrt gewahr. Danach
unterscheidet er nützliche, gewollte Veränderungen (Geschehnisse)
mit günstiger Einwirkung auf seine Wohlfahrt, und schädliche, nicht
gewollte Veränderungen mit solcher ungünstiger Einwirkung. In der
Regel wirkt ein und dasselbe Ereignis in einer Hinsicht positiv, in
anderer Hinsicht negativ auf die subjektive Wohlfahrt, ist gleich-
zeitig schädlich und nützlich. Der Nutzen wie der Schaden wird
vom Subjekt nach Richtung und Grad erkannt, also gewertet und
gegenseitig abgewogen. Die Resultante entscheidet darüber, ob das
Ereignis gewollt oder nicht gewollt wird. Und diese Wertung
der Veränderungen (Ereignisse, Handlungen) hat Lief mann
unbewußt im Auge, wenn er vom Nutzen, Kosten und Ertrag spricht.
Die Wertung der Objekte ist sekundär. Auch hier wird
die Einwirkung des Objektes (Gutes) auf die subjektive Wohlfahrt
nach Richtung und Grad erkannt. Aber die Objekte können
auf unsere Wohlfahrt nur derart einwirken, daß sie in
irgendeinem kausalen Prozeß (Veränderung, Geschehnis,
Handlung), der seines überwiegenden subjektiven Nutzens halber ge-
wollt wird, mitwirken. Den diesem Prozeß entspringen-
den Nutzen projizieren wir dann gedanklich in das
Objekt und rechnen ihm Nützlichkeit, unter Umstän-
den Schädlichkeit zu. Diese subjektive Nützlichkeit der Ob-
jekte nach ihrem Grad festzustellen sucht die subjektive Wertlehre
der Oesterreicher. Dies trachtet diese Lehre aber nur für einen
besonderen Fall zu konstatieren, nämlich für Güter, die ich
habe. Da man sich jedoch des Wertes eines Objektes nur bei Ver-
änderungen bewußt werden kann, so muß ich mir bei Gütern, die
ich habe, stets deren Wegfall hinzudenken. Tatsächlich werte ich
dann eine Veränderung, den Verlust des Objektes und das aus dem-
selben entspringende Leid und definiere dann den subjektiven Wert
des Objektes allgemein als Leid, wie Lövenstein, also negativ,
oder ich denke mir noch wieder das Objekt hinzu und werte den
Gewinn des verlorenen Gutes, werte den subjektiven Nutzen dieser
Veränderung und somit auch das Objekt positiv. Die öster-
reichische Schule hat ihr Problem für diesen speziellen
Fall der Veränderung, nämlich den des Verlustes rieh-
398 KarlEnglii,
tig gelöst bis auf das, daß bei der Wertung einer Geldeinheit
aus dem Vorrat das mindestwichtige Bedürfnis nicht nach der ab-
soluten Wichtigkeit (Intensität des unbefriedigten Bedürfnisses),
sondern nach dem relativen Nutzen im obigen Sinne beurteilt werden
muß. Denn es handelt sich um das mindestwichtige gedeckte Be-
dürfnis. Die Deckung der Bedürfnisse durch das Geld erfolgt aber,
wie gezeigt wurde, nach dem relativen Nutzen. Bei anderen Gütern
ist es einerlei, ob ich die Wichtigkeit des Bedürfnisses nach dem
relativen Nutzen der Deckung (hier des Verbrauches) oder nach der
absoluten Intensität des unbefriedigten Bedürfnisses beurteile, wie
wohl ohne weitere Erklärung einleuchtet. Es bleibt ein Verdienst
Liefmanns, daß er — soviel ich übersehe — als erster darauf
hingewiesen hat, daß man in diesem Falle die Wichtigkeitsreihe
nicht nach der absoluten Intensität des Bedürfnisses beurteilen kann.
Aber die österreichische Wertlehre irrt, wenn sie
glaubt, durch den für einen besonderen Veränderungs-
fall, nämlich für den Verlustfall richtig konstatierten
Wert, alle wirtschaftlichen Veränderungen, nament-
lich auch den Tausch erklären zu können. Das hat Lief-
mann ganz richtig gesehen und hervorgehoben, wenn auch nicht
begründet. Böhm-Bawerk meint, wie gesagt, daß beim Tausch die
empfangenen Güter einen größeren subjektiven Wert haben müssen
als die hingegebenen. Die Differenz zwischen dem subjektiven Wert
des empfangenen und des hingegebenen Gutes wäre daher das Motiv
des Tausches. Was ist der subjektive Wert des empfangenen Gutes ?
Dazu muß ich mir zunächst vorstellen, daß ich das Gut habe und
nachträglich verliere; ich werte daher das Gut in einem anderen
Zustande, als es sich tatsächlich befindet. Dann ist der
subjektive Wert gegeben durch das minimale ersparte Leid; das ist
entweder das Leid des entsprechenden Bedürfnisses, dem das Gut
dient, oder das Leid jenes minderwichtigen Bedürfnisses, dessen
Deckung (Gut) ich für das Ersatzgut opfere, oder endlich das
Arbeitsleid des Ersatzgutes, wenn es das minimale ist. In beiden
letzteren Fällen ist der subjektive Wert geringer als das
Leid des unbefriedigten Bedürfnisses, dem das empfangene
Gut dienen soll. Kaufe ich nicht, so erleide ich aber das ganze
Unlustgefühl dieses Bedürfnisses, also mehr, als wenn
ich das besessene Gut verliere. Die eine Komponente des
Tauschmotivs kann daher, braucht aber mit dem subjektiven Wert
nicht identisch zu sein. Aber auch die andere Komponente deckt
sich nicht mit dem subjektiven Wert, und zwar eben bei dem wich-
tigsten Fall, dem Geldkauf, wie wir gleich nachweisen wollen.
Lief mann selbst gerät in einen Widerspruch, wenn er an einer
Stelle behauptet, daß für die Kostengüter die Wertformel nach dem
Grenznutzen gilt ^), und andernorts sagt, daß beim Opfer einer Geld-
menge sich die Wertschätzung der Geldeinheit nach dem für eine
1) Die Entstehung der Preise usw., a. a. O. S. 22.
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 399
weitere verfügbare Geldeinheit zu verschaffenden Nutzen richtet i)I
Nach dieser letzteren Behauptung richtet sich die Wertschätzung
der Geldeinheit nach dem ersten ungedeckten, nach der
Grenznutzenlehre dagegen nach dem letzten gedeckten Be-
dürfnis. Der richtige Gedankengang ist der folgende:
Der Tausch und Kauf ist eine vom Wirtschaftssubjekt gewollte
(sc. äußere) Veränderung. Der Handelnde bringt sich vor der Hand-
lung zum Bewußtsein, welchen Einfluß diese Veränderung auf sein
Wohlfahrtsempfinden ausüben wird, also welche innere Veränderung
jener äußeren (Lief mann würde sagen: technischen) folgen wird.
Ist diese innere Veränderung eine überwiegend günstige, so wird
auch die äußere Veränderung gewollt und unternommen. Diese innere
Gefühlsverschiebung erkennt das Wirtschaftssubjekt nur dann, wenn
es den Gefühlszustand vor dem Tausch mit dem vorgestellten Zu-
stand nach dem Tausch vergleicht. Der Zustand nach dem Tausch
muß ihm lieber sein als jener vor demselben, sonst würde er nicht
tauschen. Da die Lustempfindungen der Bedarfsbefriedigung nichts
anderes sind als die Kehrseite der ünlustempfindungen der unbe-
friedigten Bedürfnisse, so kann man jede Bedarfsbefriedigung als
eine Verminderung der Unlustgefühle behandeln 2). Die durch die
äußere Veränderung bewirkte innere Verschiebung der Unlustgefühle
erkenne ich daher, wenn ich den Zustand meiner Unlustge-
fühle vor und nach dem Kauf vergleiche. Das Weitere
soll zunächst durch Beispiel veranschaulicht werden.
Das Wirtschaftssubjekt hat 5 Bedürfnisse A bis E, denen ent-
sprechende Güter gegenüberstehen. Die absolute Intensität dieser
Bedürfnisse sei: 10, 8, 6, 5, 2. Der Preis der Güter A, B und C
ist je 3 und jener der Güter D und E je 2 Geldeinheiten. Zur Be-
friedigung aller dieser Bedürfnisse würde das Wirtschaftssubjekt
13 Geldeinheiten brauchen, es hat aber nur 8. Wie wird es sein
Geld verwenden?
Nach dem relativen Nutzen pro Geldeinheit —
^ „,, Absolute T> . . m^ Relativer Nachdem je-
Eauffall T . .^... , Preis in Geld- vr » weiligen Kauf
/T> j~ ± ' \ Intensität des . , ., Nutzen pro ti •i.x
(Bedürfnis) Bedürfnisses "°^"*«^ Geldeinheit ^^^^ ^^^* ^^
Geldvorrat
A lo 3 3V, 5
B 8 3 2»/3 2
D 5 2 2^ o
C 6 3 2
E 2 2 I
Das Subjekt wird die Güter A, B und D kaufen. Welches ist
das Motiv des Kaufes des Gutes A ? Um dies festzustellen, muß ich
1) Das Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge, a. a. O. S. 4.
2) Ich habe ein Bedürfnis, z. B. des Apfels ; erhalte ich keinen, so bleibt mir das
Unlustgefühl dieses Bedürfnisses. Erhalte ich ihn, so verschwindet dieses Unlustgefühl.
Dieser Wandel wird als ein angenehmes Gefühl empfunden. Das Lustgefühl aus dem
erhaltenen Apfel ist dem Unlustgefühl des unbefriedigten Bedürfoisses adäquat. Die
innere Verschiebung kann ich daher entweder positiv mit dem Lustgefühl oder negativ
mit der Verminderung des ünlustgefühles messen.
400 ^*'*^ EngliS,
den Wohlfahrtszustand des Subjektes für zwei verschiedene Fälle
erwägen: einmal für den Fall, daß ich das Gut A nicht kaufe, und
dann für den Fall, daß ich es kaufe. Kaufe ich das A nicht, so
bleibt mir das Bedürfnis A mit seiner vollen Intensität 10 unbe-
friedigt; die Bedürfnisse B und D sind gedeckt und vermehren
nicht mein Leid. Für die 3 Geldeinheiten, für die ich das A kaufen
konnte, kann ich jetzt das Gut C gewinnen und empfinde daher
nur das Bedürfnis E mit 2 Intensitäten als unbefriedigt. Mein
Wohlfahrtszustand weist daher ein Gesamtunlustgefühl von A + E,
also von 10 + 2 = 12 Intensitäten auf. Entschließe ich mich zum
Kauf A, so fällt dieses Bedürfnis weg; die Bedürfnisse B und D
sind nach wie vor gedeckt, aber für die Bedürfnisse C und E bleibt
kein Geld mehr übrig, deren Unlustintensität ich voll zu tragen
habe. Nach dem Kaufe A weist mein Wohlfahrtszustand ein Ge-
samtunlustgefühl von C + E, also von 6 + 2 = 8 Intensitäten auf.
Der Wohlfahrtszustand nach dem Kaufe ist um 4 Intensitäten gün-
stiger, bedeutet daher für mich eine Verminderung der Unlust-
gefühle, ist nützlich. Der Tausch läßt das Bedürfnis E unverändert,
bewirkt nur eine Verschiebung zwischen A und C, wie sich aus
der Differenz der Unlustempfindungen ohne und nach dem Kauf A
ergibt :
ohne den Kauf A A + E oder lo + 2=12
nach dem Kauf A C + E „ 6 + 2=8
Differenz A — C oder 10 — 6 = 4
A — C ist das Motiv des Kaufes. Was ist das A? Das A
ist die absolute Intensität des Bedürfnisses jenes
Gutes, das ich kaufen will und dessen Kaufmotiv ich
suche. Was ist das C? Das C ist die absolute Intensität
jenes relativ nützlichsten Gutes, das ich bei meinem
Geldvorrat nicht mehr kauf e, aber kaufen könnte und kaufen
würde, wenn das Bedürfnis A wegfiele, oder wenn ich um so
viel Geld mehr hätte, als das Gut A kostet. Die Inten-
sität des Bedürfnisses A und der subjektive Wert des Gutes A ist
nicht identisch; der subjektive Wert kann zwar nicht größer, wohl
aber oft kleiner sein und zwar immer dann, wenn das subjektive
Opfer für das Ersatzgut kleiner ist. Das erkennt auch Lief mann
ganz richtig, wenn er von dem Nutzen beim Tausche spricht. Denn
sein Nutzen ist im gegebenen Falle nichts anderes als
die Negierung des Bedürfnisses A. Die absolute Intensität
dieses Nutzens entspricht der absoluten Intensität des korrekten
Bedürfnisses. Diese nützliche Veränderung des Tausches
rechnet nun Liefmann dem gekauften Gute als Nutzen
zu. Das ist die eine Komponente des Tauschmotives. Aber auch
die andere Komponente ist nicht durch den subjektiven Wert des
gezahlten Geldes gegeben, denn der subjektive Wert des Geldes ist
doch durch dessen Grenznutzen, also durch das noch gedeckte
Bedürfnis bestimmt, während doch eben gezeigt wurde, daß die
andere Komponente des Tauschmotives durch das ungedeckte
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsumwirtschaf t. 401
Bedürfnis bestimmt ist. Auch dieser Unterschied schien Lief-
mann vorgeschwebt zu haben, denn er definiert die Geldkosten-
einheit mit dem Nutzen, den man opfert, den man also nicht mehr
erzielt, und das ist der, den man sich mit einer weiteren
verfügbaren Einheit verschaffen könnte. Er hat recht,
wenn er die ungünstige innere Verschiebung infolge des Tausches
nicht in dem letzten durch das Geld gedeckten Be-
dürfnis (wie die österreichische Schule), sondern in dem ersten
ungedeckten Bedürfnis sucht. Aber seine Formulierung ist
nicht ganz genau. Sein Fehler soll an dem folgenden, dem früheren
analogen Beispiel veranschaulicht werden.
T» ,~ , . Absolute Intensität des -r» • j t» i i.« xt x
Bedurnis Bedürfnisses (absoluter ^'^'\^^ Relativer Nutzen
(^'^*) Nutzen des Gutes) ^'^^^^ P"^« Preiseinheit
A 20 5 4
B 9 3 3
__c 5 2 !!/?____
D 2 12
E 7 4 1%
F 3 2 1V2
G 2 21
Hat der Wirtschafter 10 M., so kauft er die Güter A bis C.
Welches ist das Motiv des Kaufes A? Die Differenz zwischen der
Intensität des Bedürfnisses A und der Intensität der nicht gedeckten
für den Preis des Gutes A zu beschaffenden Bedürfnisse. Also
A — (D + E). Kauft der Wirtschafter kein A, so kann er D + E
kaufen. Der relative Nutzen, den er hierbei erzielen würde, wäre
2 -f- 7
pro Einheit — ^ — = IVs? während der Nutzen „einer weiteren ver-
fügbaren Einheit" 2 wäre. Wäre Lief mann s Annahme richtig, so
wäre der absolute Ertrag des Kaufes A gegeben durch die Formel:
20 — 5 X 2 = 10, während doch sein subjektiver Profit darin besteht,
daß er um den Preis des Gutes A (5 Geldeinheiten) nicht D -f- E
kauft mit 9 Nutzeinheiten, sondern das A mit 20 Einheiten. Der
geopferte Nutzen macht hier nur 9, der absolute Ertrag im Lief-
mannschen Sinne daher 11, nicht 10. Beim Nutzen 20 und Preis 5
kann aber der Ertrag 11 nur dann betragen, wenn die Geldeinheit
mit IV5 geschätzt wird (20 — 5- IVs-^ 20 — ^=20-9 = 11). Die
Wertschätzung der Geldeinheit richtet sich daher nicht nach dem
Nutzen, den man sich mit einer weiteren verfügbaren Einheit ver-
schaffen könnte, sondern nach dem relativen Nutzen einer
weiter verfügbaren so großen Geldmenge, wie der
Preis des gekauften Gutes ist^). Weil aber mit jeder weiteren
Geldmenge abstufend nur ein geringerer Nutzen zu erzielen ist, so
1) Denn ich habe in dem eben angeführten Beispiel nicht die Möglichkeit, anstatt
des Gutes A 5mal das Gut D zu kaufen, sondern ich muß die Güter D und E
kaufen.
Jahrb. f NationalSk. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 26
402 Karl Engliß,
ergibt sich daraus die sehr wichtige Konsequenz, daß die Wert-
schätzung des Geldes als Kosten bei allen Käufen
nicht gleich ist, und bei Zahlung größerer Beträge ge-
ringer ist als bei kleineren Beträgen (also bei Zahlung
von 100 M. z. B. nicht hundertmal höher ist als bei Zahlung einer
Mark), während Liefmann annimmt, daß jede Geldkosten-
einheit gleich geschätzt wird. Ich sage in der Regel, weil
es dabei auf die Abstufung der Intensität und der Preise der nicht
mehr gedeckten Bedürfnisse ankommt. Diese Konsequenz ist aber
nur für die Lief man nsche Ertragslehre von Bedeutung.
Alle obigen Ausführungen waren erforderlich, um einerseits den
Irrtum der österreichischen Wertlehre aufzuzeigen,
daß der subjektive für den Fall des Verlustes kon-
struierte Wert ein zur Erklärung des Kaufes durch-
aus ungeeignetes Instrument ist, und andererseits um die
Liefmannsche Lehre in das richtige Licht zu stellen.
Aber zu denselben Schlüssen kann man auch auf einem sehr ein-
fachen Wege kommen.
Bei gegebenen Bedürfnissen, Preisen und Geldvorat, verwende
ich das Geld nach dem relativen Nutzen der Preiseinheit. So er-
halte ich eine Reihe von Bedürfnissen, die angesichts der bestehenden
Preise einen fortschreitend kleineren relativen Nutzen pro Preisein-
heit abgeben. Davon decke ich die relativ nützlichsten Bedürfnisse,
bzw. Kauffälle, soweit der Geldvorrat reicht. Bei jedem einzelnen
dieser Käufe bringe ich mir zum Bewußtsein, wenn ich den Kauf-
preis zahle, was ich sonst für das Geld haben könnte,
wenn ich den betreffenden Kauf nicht eingehe. Ich könnte dann
die relativ wichtigsten, aber ungedeckten Bedürfnisse
decken, die zusammen so viel Geld erfordern, als der
betreffende Kaufpreis ausmacht. Ich entscheide mich für
jenen Kauf, der mir für denselben Preis einen größeren (absoluten
und, da der Preis gleich ist, auch relativen) Nutzen abgibt. Ich
vergleiche daher den Nutzen des in Betracht kommenden Kaufes
mit den Nutzen jener Käufe, die ich eingehen würde, wenn mein
Geldvorrat um den Preis des ersteren Kaufes größer wäre. Man
kann die Sache negativ auffassen und sagen, daß das Kauf motiv
durch die Intensität des Bedürfnisses des gekauften
Gutes und die Intensität jener Bedürfnisse gegeben
ist, die dann befriedigt werden könnten, wenn sich
der Geldvorrat um den Kaufpreis vergrößerte.
Anders liegt die Sache beim Opfer von Sachgütern. Die
Reihe der Bedürfnisse, denen ein Vorrat an Sachgütern derselben
Art dienen kann, ist durch die natürliche Brauchbarkeit dieser
Güter determiniert. Können diese Güter einer größeren Anzahl von
Bedürfnissen dienen, als der Vorrat decken kann, so findet wieder
die relativ nützlichste Verwendung statt. Der subjektive Wert ist
hier durch jenes Bedürfnis bestimmt, welches den geringsten noch
gedeckten Nutzen aufweist. Es ist einerlei, ob das Gut verloren
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 403
oder im Tausch abgegeben wird; durch den Abgang des Gutes
wird immer nur die durch die Beschaffenheit der be-
treff enden Sachgüter bestimmte Bedürfnisreihe tan-
giert, und stets geht mir derNutzen der hingegebenen
oder verlorenen Güter verloren. Ein Beispiel zur Illustrie-
rung: Ich habe einen Vorrat des Gutes A und zwar 10 Guteinheiten.
Dieses Gut könnte verschiedenen Bedürfnissen nach seiner Beschaffen-
heit dienen, z. B. den Bedürfnissen AI, A 2, A 3 bis A 7. Diese
Bedürfnisse sind verschieden nach ihrer Gesamtintensität sowie auch
danach, wieviel Gütermengen sie in Anspruch nehmen, z. B.:
Absolute Gesamtintensität ^ . , . Relativer Nutzen
Bedürfnis (absoluter Nutzen der Be- ^... • i -x der
^ ü • j' \ an Gutereinheiten ^... ,
fnedigung) Guterverwendung
AI 10 2 5
A 2 4 I 4
A3 9 3 3
A4 8 4 2
Ä5 9 5 ^s
A6 3 2 iV,
A7 I II
Die 10 Gütermengen des Gutes A werden also den Bedürfnissen
A 1 bis A 4 gewidmet.
Außerdem habe ich ein offenes Bedürfnis B mit einer absoluten
Intensität von 10. Das Gut B ist im Tausche für 4 Gütereinheiten
des Gutes A erhältlich. Ich werde den Tausch eingehen, weil ich
mit den letzten 4 Stück A, die dem Bedürfnis A 4 dienen, bei dieser
Verwendung nur 8 Nutzeneinheiten, also 2 pro Gütereinheit erziele,
während ich für dieselben 4 Stück A im Tauschwege den Nutzen B
von 10 Intensitäten erhalten kann, also ^''/^ = 2V2 pro Gütereinheit.
Was ist hier das Tauschmotiv? B — A4I A4 ist aber der subjektive
Wert von 4 Stück des Gutes A (von eventuellem kleineren Ar-
beitsleid sehen wir ab).
Die Wertschätzung des Sachgutes als Kosten war
hier durch das gedeckte, beim Geld als Kosten durch das
ungedeckte Bedürfnis bestimmt. Das kommt davon, daß
beim Kauf das gekaufte wie das ungekaufte Gut (bzw. Bedürfnis)
in derselben Reihe der relativen Nützlichkeit standen,
so daß die Hingabe des Geldes beim Kauf nur eine Verschiebung
in derselben Reihe zur Folge hatte, während hier eine Ver-
schiebung zwischen zwei verschiedenen Reihen A und
B (man könnte auch das Bedürfnis mehrerer Güter voraussetzen)
platzgreift. Gerade wie beim Geld könnte man auch hier nachweisen,
daß die Wertschätzung der Gütereinheit als Kosten wieder nicht
durch die nächstverfügbare Gütereinheit, bzw. den durch
dieselbe erhältlichen Nutzen, sondern durch den relativen Nutzen
aller im Tausch hingegebenen Güter gegeben ist. Daraus
ergibt sich die weitere wichtige Konsequenz, daß diese Wert-
schätzung mit der Menge der im Tausch hinzugebenden
26*
404 ^^1*^ Englifi,
Gütereinheiten steigt, denn sukzessiv müssen diese Güter-
einheiten relativ nützlicheren Verwendungsmöglichkeiten entzogen
werden. Die subjektive Wertschätzung des Opfers an Sachgütern
aus dem Vorrat ist daher nicht immer gleich, wie Lief mann an-
nimmt.
f) Die Liefmannsche Wertschätzung der Geld- und Sachgüter-
kosteneinheit erscheint uns in dieser Beleuchtung als eine mindestens
so feine Konstruktion, wie der subjektive Wert der österreichischen
Wertlehre.v Lief mann braucht diese Konstruktion, um die Höhe
des subjektiven Ertrages beim Tausch und Kauf zu ermitteln und
somit zu dem Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge bei der Geld-
verwendung in der Konsumwirtschaft zu gelangen. Nun haben wir
gesehen, daß die diesbezüglichen Thesen Liefmanns in mancher
Hinsicht einer Korrektur bedürfen. So haben wir nachgewiesen, daß
sich die Reihe der sukzessiv vorzunehmenden Käufe nicht nach
dem Ertrag, sondern nach dem relativen, auf die Preis-
einheit bezogenen Nutzen richtet, genauer, daß das Wirt-
schaftssubjekt nicht den Ertrag, sondern lediglich den erwähnten
relativen Nutzen bei seiner Geldverwendung im Auge hat. Es kann
aber immerhin möglich sein, daß — wenn es auch vom Wirtschafter
nicht respektiert wird — sich dennoch im nachhinein theoretisch
nachweisen läßt, daß die Reihe des Ertrages, wenigstens des relativen
Ertrages, mit jener des relativen Nutzens parallel geht, bzw. sich aus
der letzteren ableiten läßt. Selbst das wäre genügend zur Begründung
des Gesetzes des Grenzertragausgleiches. Wir müssen daher vor
allem untersuchen, was sich aus der Reihe des relativen Nutzens
der Kosteneinheit für den relativen Ertrag ableiten läßt. Der Er-
trag ist die Differenz zwischen Nutzen und Kosten. N(utzen) —
K(osten) = E(rtrag). Wenn Lief mann vom Ertrag bei der Geld-
verwendung in der Konsumwirtschaft spricht, so meint er, wie ge-
zeigt wurde, den relativen, aber nicht auf Preiseinheit, sondern den
auf Kosteneinheit (subjektive Kosten) bezogenen Nutzen. Dieser
N
relative Nutzen ist durch die Formel ^ gegeben. Der relative Er-
N — K
trag wäre — ^^ — . Da hier der relative Nutzen aus denselben Kom-
ponenten gebildet ist, wie der relative Ertrag, so muß die Kauf-
reihe des absteigenden relativen Nutzens der Kosten-
einheit mit jener des relativen Ertrages zusammen-
fallen. Der relative Nutzen und der relative Ertrag ist hier aber
stets auf die subjektive Kosteneinheit bezogen. Nun haben wir aber
wieder nachgewiesen, daß die Käufe in der Konsumwirtschaft zwar
nach dem relativen Nutzen, aber bezogen nicht auf die Einheit
der subjektiven Kosten, sondern auf die Preiseinheit (also
technische Geldeinheit 1), erfolgen 0, und es fragt sich nun, ob die
1) Daß der relative Ertrag auf die Preiseinheit nicht bezogen werden kann, liegt
auf der Hand. Den technlscheu Preis kann man dem subjektiven Nutzen nicht als
Kosten gegenüberstellen.
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 405
nach diesem Prinzip gebildete Kaufreihe mit jener zusammenfällt,
die nach dem relativen Nutzen (bzw. Ertrag), bezogen auf die Kosten-
einheit, gebildet ist. Wenn die Güter und Geldeinheiten
als Opfer alle gleich geschätzt würden, so wäre es der
N
Fall, weil zwar eine Reihe nach der Formel ^. — r-^ und die an-
' P(reis)
N
dere nach der Formel ^ gebildet wäre, aber zwischen dem ziffer-
mäßigen Ausdruck von Preis und subjektiven Kosten eine ständige
Relation bestünde. Würde man z. B. die Geldeinheit mit x subjek-
tiven Intensitäten schätzen, so könnte die zweite Formel auch
N
:pi- lauten, wobei das x ein unveränderlicher Koeffizient ist. Der
Px '
relative Nutzen würde dann bezogen, auf die Kosteneinheit, xmal
kleiner oder größer erscheinen, als wenn der Nutzen auf die Preis-
einheit bezogen wäre, dies ■ jedoch bei allen Gliedern der Kauf-
reihe, so daß die Sukzession der Reihe die nämliche bliebe, ganz
einerlei, ob der relative Nutzen auf die Preiseinheit oder auf die
Kosteneinheit bezogen wird. Dann könnte man sagen, daß der Wirt-
schafter zwar nach dem relativen auf die Preiseinheit bezogenen
Nutzen vorgehe, daß aber sein Vorgang ein Ergebnis aufweist, in
welchem mit dem relativen auf Preiseinheit bezogenen Nutzen
der auf Kosteneinheit bezogene Nutzen (und Ertrag) parallel geht.
Indes haben wir aber weiter nachgewiesen, daß bei gegebenem
Vorrat die Wertschätzung aller beim Kauf und Tausch
geopferten Geld- und Sachgütereinheiten nicht gleich
ist, sondern daß diese Wer tschätzung der Einheit mit
der Menge der auf einmal geopferten Einheiten beim
Geld (in der Regel) sinkt und bei Sachgütern (in der
Regel) steigt. Dann braucht aber die Kaufreihe nach dem rela-
tiven auf die Preiseinheit bezogenen Nutzen mit jener nach dem
relativen auf die Kosteneinheit bezogenen Nutzen nicht zusammen-
zufallen, wie das folgende Beispiel zeigt:
Bedürfnis Absolute Intensität des Bedürfnisses p . . Relativer Nutzen pro
(Gut) (absoluter Nutzen des Gutes) *®^^ Einheit des Preises
A 50 5 10
B 180 20 9
C 80 10 8
E 6 10 0,6
F 0,26 5 0,05
Der Wirtschafter, der 35 Geldeinheiten zur Verfügung hat, wird
die Güter A, B, C kaufen. Der Nutzen des Gutes A ist 50, die
Kosten sind im Sinne Liefmanns der Nutzen, der geopfert wird.
Würde der Wirtschafter A nicht kaufen, so könnte er D kaufen
und damit um denselben Preis einen Nutzen von 5 erzielen, für eine
Geldeinheit daher 5:5 = 1. Die Wertschätzung der Geldeinheit
beim Kauf ist gleich einer Nutzenintensität. Er kauft aber beim
Gut A 50 Nutzenintensitäten um 5 Kosteneinheiten, daher 10 Nutzen-
406 K»«*! EngliR,
Intensitäten pro Kosteneinheit im subjektiven Sinne. Kauft er B
nicht, so kann er D, E und F kaufen, und erzielt dabei um den-
selben Preis (20) einen Nutzen von 11,25, daher pro Geldeinheit
' Kauft er das Gut B, so gewinnt er einen Nutzen von 180
für 20 • elf^ Kosten, also für 11,25 geopferte Nutzenintensitäten, daher
20
11^5
20
16 pro Einheit der Kosten. Analog könnte man für den Kauf C
berechnen, daß hier der Nutzen pro Kosteneinheit 15 beträgt ^). Der
relative Nutzen der Käufe A, B, C zeigt daher eine andere Reihen-
folge, wenn er pro Preiseinheit, als wenn er pro Kosteneinheit be-
rechnet wird, nämlich:
Relativer Nutzen Relativer Ertrag pro Einheit
pro Preiseinheit pro Einheit der subjekt. Kosten der subjektiven Kosten
A lo 10 9
B 9 i6 15
C 8 15 14
Hier geht die Reihe des relativen Nutzens der Preiseinheit und
der Kosteinheit ganz auffallend auseinander. Man kann also nicht
sagen, daß — wenn der Wirtschafter auch wissentlich
nur nach dem relativen Nutzen der Preiseinheit vor-
geht — er tatsächlich dennoch, wenn auch unwissentlich,
den relativen Nutzen und infolgedessen den mit dem-
selben parallel gehenden relativen Ertrag derKosten-
einheitverfolge. Dann sind aber alle weiteren Schlüsse,
welche aufderletzterenAnnahme bauen, nicht haltbar,
namentlich auch das Gesetz des Ausgleiches der Grenz-
erträge. Ob und inwiefern etwa ein analoges Gesetz über den
relativen Nutzen der Preiseinheit besteht, bleibe vorderhand dahin-
gestellt. Sieht man aber auch diesen Ausführungen genauer zu, so
überzeugt man sich bald davon, daß auch Lief mann eigentlich,
wenn auch unbewußt, nicht einmal mit dem relativen Nutzen der
Kosteneinheit, sondern tatsächlich mit dem relativen Nutzen
der Preiseinheit operiert. Denn was ist seine Wertschätzung
der Geldeinheit als Kosten ? Das ist der für eine weiter verfügbare
Geldeinheit zu erzielende Nutzen I
Machen wir nun eine Ertragsrechnung : Der für eine weiter ver-
fügbare Geldeinheit erhältliche Nutzen sei Nn. Es handelt sich um
den Kauf des Gutes A, das einen Nutzen Na verspricht, und um
P(reis) auf dem Markte zu haben ist. Dann ist der Ertrag des
rr i! A ^ r ' ^ T- xT T> Nn , Ea Na Nn
Kaufes A nach Lief mann: Ea = Na — P*^ oder-p- = -p f"-
Aus der Lief mannsc hen Ertragsformel läßt sich daher
1) Aehnlich könnte man auch den relativen Ertrag der Kosteneinheit berechnen,
z. B. beim Gut A: Nutzen = 50; Kosten = öX^ = 5; Ertrag 50—5 = 45; re-
45
lativer Ertrag der Kosteneinheit: — = 9 etc.
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 407
unmittelbar der relative Ertrag der Preiseinheit ab-
leiten und in Größen ausdrücken, die nichts anderes
sind als relativer Nutzen zweier Käufe, bezogen auf
die Preiseinheit.
Nun fehlt aber Liefmann, wie oben nachgewiesen wurde,
darin, daß er die Wertschätzung nach dem relativen Nutzen einer
weiter verfügbaren Geldeinheit bemißt; richtig sollte er die Wert-
schätzung nach dem relativen Nutzen bestimmen, der für den weiter
verfügbaren Preis des Grutes A, also für P-Geldeinheiten zu haben
wäre. Dieser Nutzen sei : Np. Dann zeigt sich: Ea == Na p-^,
oder Ea = Na — Np. Diese Formel bestätigt die obige Behauptung
über das Kaufmotiv. Der relative Nutzen der Kosteneinheit wäre:
Na Na
oder ^^. Der relative Ertrag pro Kosteneinheit imLiefmann-
p Np — Np
^' p
N^a— N^D N"a
sehen Sinne wäre: ^^-^ = ^^^ 1^). Alle diese Formeln
p Np Np ^
^' p
lassen sich, wie ersichtlich, auf zwei Nutzgrößen
zurückführen. Die Gesetze der Geldanwendung in der Konsum-
wirtschaft lassen sich also ohne den Kostenertragsbegriff
finden. Der Liefmannsche Kosten- und Ertragsbegriff erweist
sich dabei als eine künstliche Konstruktion und künst-
liche Anwendung des relativen Nutzens der Preis-
einheit.
Es ist übrigens fraglich, ob man bei einem Kauf von einem
Ertrag im Lief mann sehen Sinne überhaupt reden sollte. Habe
ich bei gegebenen Bedürfnissen und Preisen einen Geldvorrat, so
liegt der Fall nicht anders, als wenn ich die Ermächtigung hätte,
vom Markt beliebige Waren davonzutragen, deren Gesamtpreis nicht
höher ist als eine bestimmte Anzahl von Geldeinheiten. Aus den
unerschöpflichen Warenarten werde ich wählen, ohne über-
haupt etwas hinzugeben. Woher die Ermächtigung ist, kommt
nicht in Betracht, weil wir auch beim Geldvorrat nicht danach ge-
fragt haben. Es kann auch eine schenkungsweise Ermächtigung sein.
Sagt mir nun jemand: Ich schenke dir von zwei konkreten Sachen
eine, und ich wähle eine, kann man da von Kosten und Ertrag
sprechen, oder gar sagen, daß der Nutzen des nicht gewählten Gutes
Kosten, und jener des gewählten Gutes Nutzen, deren Differenz dann
den Ertrag darstellt ? Aber bei der Geldanwendung in der Konsum-
wirtschaft liegt der Fall ganz gleich. Darüber jedoch noch später.
g) Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge
bei der Geldverwendung in der Konsumwirtschaft hat den Zweck,
die Nachfrage nach Gütern verschiedener Gattung zu
1) Hierzu vergleiche das letzte Beispiel (S. 406), wo der relative Ertrag der
Kosteneinheit stets um 1 kleiner erscheint als der relative Nutzen der Kosteneinheit.
408 Ka^l EngliS,
erklären. Der Grenzertrag ist der mit der letzten auf jede Be-
dürfnisart aufgewendeten Kosteneinheit erzielte Nutzentiberschuß,
also Ertrag. Dieser Grenzertrag gleicht sich bei allen Bedürfnis-
arten aus.
Nun haben wir oben nachgewiesen, daß die Geldverwendung in
der Konsum Wirtschaft nicht nach dem Ertrag, auch nicht
nach dem relativen Nutzen oder Ertrag der Kosten-
einheit, sondern nach dem relativen Nutzen der Preis-
einheit erfolgt. Die in diesem Sinne relativ nützlichsten Käufe
werden realisiert, soweit der Geldvorrat reicht. Die mit einem
weiteren Geldvorrat realisierbaren Käufe wären schon relativ minder
nützlich. In beiden Teilen dieser Kaufreihe, in dem durch das Geld
gedeckten wie in dem nicht mehr gedeckten, finden wir Bedürfnisse»
die ganz befriedigt werden oder ganz unbefriedigt bleiben, sowie
auch dieselben Bedürfnisarten, die teilweise befriedigt werden, teil-
weise ungedeckt sind. Wir müssen wohl zwischen Bedürfnissen
unterscheiden, die durch ein einziges Gut, das unteilbar ist, voll be-
friedigt werden, und solchen, die auch eine teilweise und sukzessive
Befriedigung gestatten. Diese letzteren können, je nach dem relativen
Nutzen der sukzessiv gekauften Gütereinheiten, in beiden Teilen der
Kaufreihe erscheinen ; ihre Befriedigung wird abgebrochen, wenn die
weitere Gütereinheit einen geringeren relativen Nutzen aufweist, als
der letzte gedeckte Kauf. Der relative Nutzen der Preiseinheit des
letztgedeckten Kaufes bildet eine Grenze. Kein gedeckterKauf
kann einen geringeren relativen Nutzen als diesen
aufweisen, kein ungedecktes Bedürfnis kann einen
größeren relativen Nutzen versprechen. Sofern die Be-
dürfnisse eine sukzessive Befriedigung gestatten, so werden alle bis zu
dieser Grenze befriedigt, und die relativen Nutzen, die sie über diese
Grenze hinaus versprechen, können zwar verschieden, aber nicht
größer sein, als der letztgedeckte Nutzen der Preiseinheit. Nennen
wir den relativen, beim letztgedeckten Kauf erzielten Nutzen pro
* Geldeinheit, den relativen Mindestnutzen der Preisein-
heit ^), so können wir analog wie Liefmann von dem Gesetz
des Ausgleiches des relativen Mindestnutzens der
Preiseinheit sprechen. Diesen relativen Mindestnutzen der Preis-
einheit hat wahrhaft der Wirtschafter im Auge, wenn er die ver-
schiedenen Käufe vornimmt. Bei jedem Kauf vergegenwärtigt er
sich nicht etwa die ganze Kaufreihe, sondern nur das, was er kauft,
und was er sonst für dasselbe Geld kaufen könnte. Dazu muß er
aber notwendig die durch das Geld gedeckte Reihe der relativen
Nutzen kennen; er braucht sie aber nicht bei jedem Kauf zu kon-
struieren. Er weiß erfahrungsgemäß bei regelmäßigen Einkünften,
welche wichtigsten Bedürfnisse er durch dieselben zu decken hat, so-
mit auch die Grenze der Geldanwendung. Wenn man aber z. B. in
ein ganz fremdes Land mit unbekannten Preisverhältnissen käme,
1) Zum Unterschied von dem Grenznutzen der subjektiven Wertlehre,
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 409
SO müßte man — um mit einem Geldvorrat durch eine bestimmte
Zeit auszubauen — einen Entwurf der Kaufreihe nach dem relativen
Nutzen machen.
Die Erklärung der Geldverwendung in der Konsumwirtschaft
durch den relativen Nutzen der Preiseinheit ist, abgesehen von ihrer
Richtigkeit, auch viel einfacher. Die künstliche Konstruktion des
Ertrages der Kosteneinheit ist hingegen entbehrlich und nicht ein-
wandfrei.
h) Zusammenfassend kann man also sagen:
Lief mann sieht richtig, daß der subjektive Wert kein ge-
eignetes Instrument ist, die Geldverwendung in der Konsumwirt-
schaft und überhaupt den Kauf zu erklären. Es bleibt ferner sein
Verdienst, daß er nachgewiesen hat, daß die Bedürfnisse nicht nach
ihrer absoluten Wichtigkeit befriedigt werden, wodurch auch die
subjektive Wertlehre eine Korrektur erfährt. In der Erklärung der
Geldverwendung in der Konsumwirtschaft kommt er der Wahrheit
außerordentlich nahe. Er wählt zu dieser Erklärung ein gleich künst-
liches Instrument, wie es der subjektive Wert ist, nämlich den re-
lativen Ertrag der Kosteneinheit. Dabei verfällt er in einen me-
thodischen Irrtum; er verwechselt den relativen Nutzen mit dem
Ertrag, er definiert die Wertschätzung der Geldeinheit nicht ganz
richtig, er hält sich aber in seinen Beispielen nicht einmal an diese
Definition. So bestätigen zwar seine Beispiele die von ihm aufge-
stellten Lehrsätze, die sich aber nach Aufdeckung des Irrtums in der
Lief mann sehen Form nicht halten lassen. Die Geldverwendung
in der Konsumwirtschaft läßt sich richtig und viel einfacher durch
den relativen Nutzen der Preiseinheit erklären. An Stelle des Aus-
gleiches der Grenzerträge tritt das Gesetz des Ausgleiches der re-
lativen Mindestnutzen der Preiseinheit. In der Tat lassen sich auch
die komplizierten Lief mann sehen Formeln aus dem relativen Nutzen
der Preiseinheit erklären. Der Kern der Lief mann sehen Lehre
bleibt richtig und wahr, ihre Formulierung und methodische Be-
gründung ist nicht stichhaltig, sie muß vereinfacht und verbessert
werden.
m. Die Yerwendung der Arlbeitsmühe in der Konsumwirtsehaft.
Lief mann veranschaulicht und begründet seine diesbezüg-
lichen Lehrsätze durch das folgende Beispiel:
„Für die 3 Bedürfnisse wollen wir also pro Einheit folgende
abnehmende Nutzenskala aufstellen:
10 8 5
844
6 2 3
4 I 2
201
o o
410 Karl EngliS,
„Diese Bedarfsempfindungen oder Nutzenschätzungen sollen nun
befriedigt werden können in der Weise, daß A und B je zwei
Arbeitsstunden pro Einheit erfordert, C aber eine Arbeitsstunde.
Wir sagten erfordert und nicht kostet, denn zwei Arbeitsstunden,
bzw. eine Arbeitsstunde sind nicht die Kosten im wirtschaftlichen
Sinne . . . ." „ . . . . Für die wirtschaftliche Aufgabe, die aber
nicht in der Herstellung des Gutes besteht, wie die bisherige
Theorie es auffaßt, sondern in der Vergleichung der Erträge, sind
nicht zwei Arbeitsstunden die Kosten, sondern die Schätzung von
zwei Arbeitsstunden, die Bewertung der damit verbundenen Unlust-
gefühle. Diese sind aber hinsichtlich ihrer Stärke nicht absolut ge-
geben, sondern sind schwankend und haben nur das Charakteristische,
daß sie mit weiterer Aufwendung an Stärke zunehmen . . ."
„Um diese verschiedene Schätzung der Kosteneinheit hervortreten
zu lassen, wollen wir annehmen, daß der Wirtschafter die erste
Stunde Arbeit am niedrigsten, nämlich = 1 schätzt, jede folgende
Arbeitsstunde um 1 höher. Es sind also die Kosten der ersten
Arbeitsstunde = 1, die Kosten der zwei ersten Arbeitsstunden = 3
(nämlich 1 + 2), die Kosten von drei Arbeitsstunden = 6 (nämlich
1 + 2-1-3), von vier Arbeitsstunden = 10 usw. . . ."
„Wenn wir nun die Kosten, also wiederum nicht die Arbeits-
stunden, sondern ihre Schätzung, den Nutzenschätzungen gegenüber-
stellen, so kommen wir zur Frage: Wie wird der wirtschaftliche
Mensch handeln? Er wird, wie wir wissen, den zu erzielenden
Nutzen mit in den Kauf zu nehmenden Kosten vergleichen und
seine Tätigkeit da beginnen, wo das Verhältnis beider, der Ertrag,
am günstigsten ist."
„Er wird also zuerst sich C 1 schaffen, das ihm einen Nutzen
von Stärke 5 bringt, ihm aber nur Kosten von Höhe 1 verursacht.
Sein Ertrag ist also 5 pro Einheit .... Könnte der Wirtschafter
nicht geradeso gut oder sogar richtiger A 1 herstellen, das er doch
doppelt so hoch wie C 1 schätzt und das nur zwei Stunden Arbeit
erfordert ? Ja, wenn der Wirtschafter die zweite Stunde Arbeit nur
geradeso als Unlustgefühl bewertete wie die erste, hätte er zwischen
A 1 und C 1 die Wahl. Denn A 1 schätzt er 10, es kostete ihm
dann 2, sein Ertrag wäre also auch wiederum 5 pro Kosteneinheit.
Aber er empfindet eben die zweite Arbeitsstunde schon stärker als
Unlustgefühl als die erste, doppelt so stark, nämlich = 2, die beiden
ersten Arbeitsstunden erzeugen ihm also ein Unlustgefühl = 3, und das
Verhältnis von Nutzen und Kosten ist daher bei A 1 wie 10 : 3, der
Ertrag also, der Ueberschuß von Nutzen über die Kosten = 3V8 pro
Kosteneinheit ..."
„Wenn der Wirtschafter sich also zuerst mit Aufwand einer
Arbeitsstunde und den Kosten von 1 einen Nutzen von 5 verschafft
hat, während er bei A 1 zwar einen Nutzen von 10, aber mit Kosten
von 3 erzielt hätte, wie setzt er nun seine Tätigkeit fort? Worauf
verwendet er die zweite und eventuell die dritte Arbeitsstunde, die
er jede für sich = 2 bzw. 3, zusammen also = 5 schätzt?
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 411
Bei C 2 beträgt der zu erzielende Nutzen 4, die Kosten sind
2, der Nutzen beträgt also = 2 pro Kosteneinheit.
Bei A 1 beträgt der zu erzielende Nutzen 10, die Kosten 5, der
Nutzen ist also auch = 2 pro Kosteneinheit.
Er könnte also sowohl C 2 als A 1 mit gleichem Ertrage an
2. Stelle herstellen. Vielleicht würde er C 2 vorziehen, das ihm ja
schon nach einer weiteren Stunde einen Nutzen gewährt, während
er bei A 1 ihn erst nach zwei Stunden erhält. Aber er wird finden,
daß, wenn er sich an 2. Stelle A 1 schafft, er in der vierten Stunde
überhaupt kein Gut mehr hat, das ihm die Kosten, die mit der vierten
Arbeitsstunde verbunden sind, deckt. Stellt er sich aber in der zweiten
Stunde C 1 her, so kann er in der dritten und vierten immer noch wirt-
schaftlicherweise sich A 1 beschaffen. Der Nutzen von A 1 ist
nämlich 10, die Kosten der Herstellung sind in der dritten und vierten
Arbeitsstunde 3 + 4—7, der Nutzen pro Kosteneinheit, der Ertrag,
also = 1%. Damit ist aber dann die wirtschaftliche Tätigkeit be-
endet. Denn jede folgende Arbeitsstunde würde dem Wirtschafter
bei keinem der 3 Güter mehr einen die Kosten übersteigenden Nutzen
liefern. ..." ^).
Daß hier Lief mann wieder den relativen Nutzen der
Kosteneinheit (im subjektiven Sinne) mit dem Ertrag ver-
wechselt, braucht wohl nicht mehr auseinandergesetzt zu werden.
Für die Verwendung der Arbeitsmühe ist hier wieder für Liefmann
nicht der Ertrag, sondern der relative Nutzen, be-
zogen auf die Einheit der subjektiven Kosten, maßgebend.
Wenn wir uns vorderhand ganz auf den Standpunkt Liefmanns
stellen, daß man bei jedem Akt das günstigste Verhältnis von Nutzen
zu den Kosten anstrebt, so gilt dieser Satz offenbar nicht bloß
für die einzelne Arbeitsanwendung, sondern auch für
die gesamte Arbeitsanwendung; das Wirtschaftssubjekt will
auch bei seiner ganzen Arbeitsanwendung das möglichst günstigste
Verhältnis vom Gesamtnutzen zu den Gesamtkosten erreichen. Das
Ergebnis, zu welchem Liefmann gelangt, entspricht
aber diesem Postulate nicht. Liefmann glaubt, daß das
Wirtschaftssubjekt dieses günstigste Verhältnis des Gesamtnutzens
zu den Gesamtkosten dann erzielt, wenn es seine Arbeit zur Her-
stellung der Güter Gl, C 2 und A 1 verwendet. Ist es wahr?
Wollen wir es nachrechnen.
Herstellung Absoluter Arbeits- Subjektive Absoluter , °^ subiektiven
des Gutes Nutzen stunden Kosten Ertrag ^^ ^ KoetMi
C 1 5 erste 14 5
C 2 4 zweite 22 2
AI 10 dritte u. vierte 7 3 i,28
Zusammen 19 4 10 9 1,9
Demgegenüber wollen wir annehmen, daß das Wirtschaftssubjekt
kein C 2, sondern nur C 1 und A 1 herstellt. Dann ergibt sich :
1) Das Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge, S. 20 ff.
412 Ka'^ BngliS,
, . r, 1 . 1 . .1 1 . Verhältnis des Nutzens
Herstellung Absoluter Arbeits- Subjektive Absoluter ^^ ^^^ subjektiven
des Gutes Nutzen stunden Kosten Ertrag Kosten
C 1 5 erste i 4 5
AI 10 zweite u. dritte 5 5 2
Zusammen 15 3 69 2,5
Der absolute Ertrag, also die positive Verschiebung der Lust-
und Unlustgefühle ist in beiden Fällen gleich groß (9 Intensitäten).
Aber der absolute Ertrag ist nicht entscheidend, sondern das Ver-
hältnis von Nutzen zu den Kosten (mit welchem auch das Verhältnis
des Ertrages zu den Kosten parallel geht). Nun zeigt sich, daß bei
der ersten Eventualität ein Nutzen von 19 mit Kosten von 10 er-
kauft wurde. Das Verhältnis von Nutzen zu den Kosten ist da-
her 19:10; der relative Nutzen der Kosteneinheit ist also 1,9. Bei
der zweiten Eventualität ist der absolute Nutzen nur 15, aber die
Kosten sind verhältnismäßig noch geringer, nämlich 6 ; darum ergibt
sich ein Verhältnis des Nutzens zu den Kosten : 15 : 6, daher ist der
relative Nutzen der Kosteneinheit 2,5, also bedeutend höher als im
ersteren Falle. Es kann keine Frage sein, daß das Wirt-
schaftssubjekt nicht den Lief mannsche n, sondern den
anderen Weg einschlagen würde. Denn das Schlußer-
gebnis, der wahre Ertrag, der Ueberschuß des Nutzens
über die Kosten, die positive Verschiebung der Lust-
und Unlustgefühle ist in beiden Fällen gleich groß,
nämlich 9. Dieses Ergebnis wurde aber im ersteren
Falle für 10, im zweiten Falle nur für 6 Kostenein-
heiten erreicht. Der Liefmannsche Gedankengang kann also
nicht richtig sein, wo ist der Fehler?
Zunächst möchte ich unter Anlehnung an Liefmann meine
eigene Erklärung für die Verwendung der Arbeitsmühe geben und
zwar vor allem, um den Zusammenhang mit der Geldverwendung
aufrechtzuerhalten, für den besonderen Fall, daß der Wirtschafter
seine Arbeitsmühe nicht zur unmittelbaren Güterherstellung, sondern
zum Geldverdienst verwendet. Wie der Wirtschafter sein verdientes
Geld verwenden wird, haben wir oben erkannt. Mit der Zunahme
des Geldes kann ihm jede folgende Mark einen relativ geringeren
Nutzen abwerfen. Die Zunahme des Geldes wird proportioneil
mit seiner technischen Leistung (nach Zeit oder Güterquantität)
erfolgen. Die fortgesetzte Arbeit verursacht ihm aber ein progressiv
steigendes Arbeitsleid (subjektive Kosten). Solange der relative Nutzen
jeder fortlaufend verdienten Mark das Arbeisleid der ihr ent-
sprechenden Arbeitsleistung überwiegt, wird der Wirtschafter seine
Arbeit fortsetzen, bis sich der relative Nutzen der letztverdienten
Mark und das Arbeitsleid der letzten Arbeitsleistung, die dem Ver-
dienst der letzten Mark entspricht, begegnen, bis sich also die Linie
des sinkenden relativen Nutzens der (technischen) Geldeinheit und
die Linie des steigenden Leides der (technischen) Arbeitseinheit
schneiden. Der Wirtschafter hat z. B. folgende Bedürfnisse:
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsumwirtschaft. 413
A
B
C
30
52
16
25
32
12
15
28
8
6
12
2
Das Gut A kostet auf dem Markt 3, das Gut B und C je 4 Mark.
Der Wirtschafter hat die Möglichkeit, für jede Arbeitsstunde 1
M. zu verdienen. Die erste Arbeitsstunde verursacht ihm ein
Leid von einer Intensität, die einer Nutzenintensität entspricht, die
zweite Arbeitsstunde 2, die dritte 3 Leidesintensitäten und so fort.
Wie lange wird er arbeiten?
Die fortlaufend verdienten Geldeinheiten können ihm folgende
relative Nutzen, nach Größe geordnet, abgeben:
Bl AI A2 B2 B3 A3 Gl C2 B4 C3 A4 C4
13 lo SVg 8 7 5 4 3 3 2 2 V«
Vergleicht man damit die technischen und
subjektiven Kosten, so
ergibt sich:
Geld-
Abao Relativer Geld- Die wie-
, ' Nutzen kosten vielte
v„f!L der Geld- (Arbeits- Arbeits-
JNuizen einheit stunden) stunde
Subjek- Subjektive
tive Kosten
ver-
wendung
Kosten pro Arbeits-
absolut stunde
Bl
52 13 4 1.— 4.
10 2V,
AI
30 10 3 5.-7.
18 6
A2
25 8V3 3 8.— 10.
27 9
Der Wirtschafter wird 7 M. verdienen, also 7 Stunden arbeiten;
für weitere Arbeitsstunden ist ihm der Nutzen, den ihm das Geld
verspricht, zu gering, um ihm das schon hohe Arbeitsleid aufzu-
wiegen.
Kann es anders sein, wenn der Wirtschafter direkt für sich pro-
duziert? Es ist doch einerlei, ob ich 2 Stunden an einem Produkt
arbeite, das 2 Stunden Arbeit kostet, oder für 2 Stunden Arbeit so
viel Geld verdiene, daß ich mir hierfür das Gut kaufen kann. In
der Tat geht der Wirtschafter, der für sich unmittelbar die Güter
herstellt, geradeso vor, wie derjenige, der Geld verdient. Seine wirt-
schaftliche Erwägung ist die folgende: Ich möchte mit den geringsten
subjektiven Kosten den größten subjektiven Nutzen erkaufen. Jede
Arbeitsstunde kann mir nicht den gleichen Nutzen einbringen, jede
Arbeitsstunde verursacht mir auch nicht die gleichen subjektiven
Kosten. Welchen Gütern ich auch meine Arbeit zuwende, so steht
doch fest, daß jede folgende Arbeitsstunde mehr Müheaufwendung,
subjektive Kosten, bedeutet. In den Arbeitsstunden, die ich auf-
wenden werde, will ich den größtmöglichsten Nutzen erzielen. Das
kann ich nur so bewirken, daß ich mir die erforderlichen Arbeits-
effekte vergegenwärtige, und erwäge, welchen Nutzen mir jede Ar-
beitsstunde, verschiedenen Zwecken gewidmet, abwirft. Ich werde
eine bestimmte Stundenanzahl arbeiten, die ich im vorhinein nicht
kenne, aber in dieser Anzahl der Arbeitsstunden will ich den größt-
möglichsten Nutzen anhäufen; das kann ich nur so, daß ich unter
414 Karl EngliS,
der verfügbaren (vorderhand noch unbekannten) Anzahl der Arbeits-
stunden Zwecke mit dem relativ größten Nutzen pro Arbeitsstunde
subsumiere; wie groß die Anzahl der Arbeitsstunden sein wird,
darüber entscheidet das Arbeitsleid. Denn ich werde keine Stunde
arbeiten, die mir nicht einen größeren subjektiven Nutzen liefert,
als sie mir Arbeitsleid verursacht. Ich werde daher die relativ
nützlichsten Güter (relativ pro Arbeitsstunde) der
Reihe nach herstellen und die Arbeit so lange fort-
setzen, bis der relative Nutzen der (technischen) Ar-
beitseinheit von dem Arbeitsleid, also den subjektiven
Kosten der (technischen) Arbeitseinheit aufgewogen
wird.
Um nun auf das Lief mann sehe Beispiel zurückzukommen:
Aus demselben ergibt sich die folgende Reihe des relativen Nutzens
der einzelnen Güter, bezogen auf die technische Arbeitseinheit.
etc.
Cl
AI
C2
A2
Bl
Absoluter Nutzen
5
lO
4
8
8
Arbeitsstunden
I
2
I
2
2
Relativer Nutzen pro
Arbeitsstunde
5
5
4
4
4
Arbeitsleid
I
5
4
II
15
Arbeitsleid pro Stunde
I
2%
4
5V,
7V,
Bei diesem Gedankengang kann der Wirtschafter in keinem
Zweifel sein, ob er A 1 oder C 2 herstellen soll, wie er es nach
Lief mann ist, oder gar sich zur Herstellung von A 1, 01 und 0 2
entschließen, zu welchem unrichtigen Ergebnis, wie nachgewiesen
wurde. Lief mann gelangt. Unser Gedankengang führt zu dem von
Lief mann postulierten Ergebnis, nämlich zu dem günstigsten
Verhältnis von Nutzen zu den Kosten, ein Beweis,
daß dieser Gedankengang richtig ist. Worin fehlt nun
Liefmann? Ist etwa nicht sein Lehrsatz richtig, daß der Wirt-
schafter sowohl bei einzelner als auch bei seiner gesamten Arbeits-
verwendung das günstigste Verhältnis von Nutzen zu den subjektiven
Kosten sucht? Im Gegenteil I Unser Gedankengang bestä-
tigt das Liefmannsche Prinzip der Arbeitsanwendung
voll. Aber zur Feststellung dieses günstigsten Ver-
hältnisses bedarf der Wirtschafter (wie der Theoretiker)
die technische Arbeitseinheit, auf die von einer Seite
der Nutzen des Arbeitsproduktes und von anderer Seite
die Kosten des Arbeitsleides bezogen werden. Dieses
unerläßliche Hilfsglied hat Lief mann vernachlässigt. Bei der An-
wendung der Arbeitsmühe in der Konsumwirtschaft behält daher
Lief mann mit seinem Ertragsgedanken und folglich auch mit
seinem Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge voll recht, nur
seine methodische Begründung bedarf einer Korrektur.
Aber noch in einer anderen Beziehung sind die diesbezüglichen
Ausführungen Liefmanns von Interesse und Wichtigkeit. Ich
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 415
brauche 3 Güter A, B und C, deren erstes einen Nutzen von 10,
das zweite einen Nutzen von 9 und das dritte einen Nutzen von TVg
verspricht. Alle Güter erfordern je 2 Stunden Arbeit. Das Arbeits-
leid der ersten Arbeitsstunde ist gleich 1, und steigt mit jeder
folgenden Arbeitsstunde um eine Intensität. In diesem Falle ist es
ganz offenbar, daß ich zuerst das Gut A und dann das Gut B her-
stellen werde, die zusammen 4 Stunden, daher Kosten von 10 Inten-
sitäten beanspruchen, und daß ich das Gut C nicht mehr herstellen
werde, weil die 5. und 6. Arbeitsstunde subjektive Kosten von 11
verursachen, aber einen Nutzen von nur 7V2 einbringen würden.
Darum handelt es sich aber nicht. Was sind jedoch die sub-
jektiven Kosten des Gutes A? Die drei Arbeitsintensitäten!
Warum aber nicht auch der geopferte Nutzen des Gutes
C, der für die 2 Stunden Arbeit und die damit verbundenen sub-
jektiven Kosten erzielt werden konnte, wenn der Wirtschafter auf
das Gut A verzichtete, und der daher geradeso geopfert wurde, wie
bei der Geldverwendung der höchste ungedeckte Nutzen? Derselbe
logische Grund, der den „geopferten Nutzen" im letzteren Falle als
Kosten erscheinen ließ, müßte ihn auch im ersteren Falle als Kosten
erscheinen lassen. Denn man stelle sich nur vor, daß der Wirt-
schafter die Güter nicht unmittelbar herstellt, sondern kauft, daß er
das Geld verdient und zwar pro Stunde eine Geldeinheit, und daß
die Güter je 2 Geldeinheiten kosten. Der Wirtschafter wird nur
4 Stunden arbeiten, weil ihm der weitere Verdienst keinen das
Arbeitsleid überwiegenden Nutzen verspricht. Die ersten 2 Stunden
hat er für das Gut A ^), und die anderen 2 Stunden für das Gut B
gearbeitet. Was sind die Kosten des Gutes A? Das Leid der
3 Arbeitsstunden (3 Intensitäten) oder der geopferte Nutzen des
Gutes C (7 V2 Intensitäten)? Um die Frage richtig zu beantworten,
muß man die gesamten gekauften Güter, den gesamten Geldverdienst
und die gesamte Arbeitsleistung ins Auge fassen. Was ist hier
Nutzen und was Kosten? Nutzen sind die durch die Güter be-
wirkten Lustgefühle, Kosten ist das Arbeitsleid. Das Geld ist nur
das technische Zwischenglied. Wenn auch die Hingabe des Geldes
als Kosten aufgefaßt würde, so würden sich die Kosten mehr als ver-
doppeln'^). Außerdem erscheint als Kosten bei allen Käufen fast
immer derselbe ungedeckte Höchstnutzen. Daraus ergibt sich,
daß man bei der reinen Geldverwendung (ohne Rück-
sichtnahme auf das Arbeitsleid) überhaupt von keinen
subjektiven Kosten und daher auch von keinem sub-
jektiven Ertrag reden kann. Es handelt sich nur um eine
Auswahl der relativ nützlichsten Güter. Es ist richtig,
daß das Motiv des Kaufes A in dem auf Seite 400 angeführten Bei-
spiel durch die Differenz des Nutzens der Güter A und C gegeben
1) Wäre er z. B. nach 2 Stunden verhindert worden, weiter zu arbeiten, so hätte
«r für die verdienten 2 M. das Gut A gekauft.
2) Im Hinblick darauf, daß das Arbeitsleid der Arbeitseinheit höchstens so groß
sein kann, wie der relative Nutzen des der Arbeitseinheit entsprechenden Lohnes.
416 Karl EngliS,
ist, aber der Nutzen des Gutes C repräsentiert keine Kosten. Habe
ich das verdiente Geld in der Tasche, so habe ich keine subjektiven
Kosten, ob ich schon das Gut A oder das Gut C kaufe. Wenn ich
also frage: Warum kaufe ich das Gut A und nicht C?, so lautet die
Antwort : Weil der Nutzen A größer ist, (und beide kann ich nicht
kaufen). ,
Diese Erwägung erhärtet aber noch unsere frtlhere Behauptung,
daß in der Konsumwirtschaft das Geld nicht nach dem Er-
trage, und auch nicht nach dem relativen Nutzen der
Kosteneinheit, sondern nach dem relativen Nutzen der
Preiseinheit verwendet wird, und daß sich hierbei bei ver-
schiedenen Bedürfnissen nicht das Gesetz des Ausgleiches
der Grenzerträge, sondern das Geeetz des Ausgleiches
der relativen Mindestnutzen der Preiseinheit geltend
macht. Dagegen behält Lief mann bei der Verwendung der
Arbeitsmühe recht, nur seine methodische Begründung und Termino-
logie (relativer Nutzen-Ertrag) bedarf einer Ergänzung.
IV. Schlußbetrachtung.
Wenn ich im Vorangehenden einen Teil der Lief mann sehen
Lehre einer so ausführlichen Kritik unterzogen habe, so liegt darin
gewiß der Ausdruck meiner hohen Wertung der Lief man nschen
Gedanken und der Ergebnisse seiner ausgezeichneten Beobachtung.
Seine Lehre bedarf aber noch einer methodischen Ausbauung, sie
verdient sie aber auch. Lief mann nimmt überhaupt in der wirt-
schaftswissenschaftlichen Theorie eine eigene Stellung ein, er be-
deutet eine Richtung. Diese seine Stellung habe ich in einer all-
gemeinen erkenntnistheoretischen Studie ^) charakterisiert. Seine
Lehre ist rein psychisch; er nennt sie auch so. Nach Lief-
mann ist die wirtschaftliche Tätigkeit durch wirtschaftliche
Erwägungen erschöpft; die Produktion der Güter ist nach Lief-
m an n keine wirtschaftliche Tätigkeit, sondern Technik ^). Ich stimme
zwar dieser Ansicht nicht zu, aber wenn ein so ausgezeichneter
Beobachter wie Lief mann etwas derartiges behauptet, so muß es
gewiß einen Grund haben.
Der Grund liegt darin, daß man in der üblichen Betrachtungs-
weise, solange man sich nämlich die Produktion einfach als etwas
Existentes, Wirkliches vorstellt, nichts anderes sehen
kann als einen durch Ursache und Wirkung beherrschten
Naturprozeß, namentlich nichts spezifisch Wirschaft-
liches, von der Naturerscheinung Verschiedenes. Das
erkenntnistheoretische Problem ist daher: Wie muß ich eine em-
pirische Erscheinung betrachten, wenn mir dieselbe (Objekt, Ge-
1) Nästin noetiky närodohospodäfskfe (Abriß der volkswirtschaftlichen Erkenntnis-
lehre) im „Sbornik v^d prävnich a stätuich" (Zeitschrift für Rechts- und Staatawissen-
schaften), Prag 1917.
2) A. a. O. S. 3 u. passim.
Das Liefmanüsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 417
schehnis) als wirtschaftlich erscheinen soll? Die Betrachtungsweise,
in welcher ich mir die Objekte bloß als seiende, existierende vor-
stelle, kann es nicht sein, denn in dieser Betrachtungsweise kann
ich zu der Erkenntnis von Gut oder Uebel, nützlich oder schädlich,
aber auch von sittlich und unsittlich etc. nicht gelangen. Die Denk-
weise dieser Art von Betrachtung ist die folgende : Im Wege meiner
Sinne bewirkt in mir die Außenwelt Empfindungen. Ich frage: Was
wirkt auf mich ein? Die gefundene Ursache sehe ich als „wirkend"
und „wirklich" an. Frage weiter: Warum wirkt, oder, was gleich-
bedeutend ist, warum ist das, was wirkt ? Damit suche ich die zeit-
lich vorangehende causa efficiens. Nie kann ich in dieser — wie
ersichtlich naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise — zu einem
Zweck gelangen oder etwas gut oder übel finden. Ganz anders muß
ich die Dinge betrachten, wenn sie mir z. B. nützlich oder schädlich
erscheinen sollen. Durch keine Sinneswahrnehmung kann es erfolgen,
durch welche ich die Gegenstände nur rot, feucht, schwarz, hart etc.
finde. (Diese Eigenschaften nenne ich die inhärenten)^).
Die Vorstellung der Nützlichkeit entsteht nun aber derart, daß
ich das Objekt zu einem bestimmten Wollen in Be-
ziehung setze. Wäre der Mensch jeden Willens (den Erkenntnis-
willen ausgenommen) bar, so könnte er alle inhärenten Eigenschaften
erkennen und alle Naturwissenschaften treiben, aber zu den Begriffen
von nützlich und schädlich etc. würde er nie gelangen. Um zu diesen
letzteren Qualitäten, die wir zum Unterschied zu den inhärenten
Eigenschaften „Beziehungsqualitäten" nennen wollen, zu ge-
langen, darf man sich die Dinge nicht etwa nur als exi-
stent, sondern als gewollt oder nicht gewollt vor-
stellen. Dadurch entsteht aber eine von der naturwissenschaft-
lichen wesensverschiedene Betrachtungsweise, die mit der ersteren
nicht konfundiert werden darf. Auch in dieser Betrachtungsweise
gibt es ein Warum? Hat man aber früher gefragt: Warum wirkt (ist)
das, was wirkt (ist), so muß man hier fragen: Warum wird das
gewollt, was gewollt wird? Darauf lautet die Antwort: Das
A wird gewollt, weil ein B gewollt wird (das naturursächlich aus
dem A hervorgeht). Das gewollte B (also die natürliche Folge in
der Vorstellungsweise des rein existenten A und B) erweist sich so-
dann als Zweck (causa finalis), das gewollte A als Mittel. Jeden
gewollten Inhalt wollen wir als Postulat bezeichnen. Geradeso
wie der Vorstellungsweise des Seienden Ursache und
Wirkung, so ziemt der Vorstellungsweise des Ge-
wollten Mittel und Zweck.
Als Mittel oder Zweck erscheint uns ein Objekt nur, wenn wir
es als g e w 0 1 1 1 anschauen. DieFinalität ist also nicht ein-
1) Damit soll nicht etwa gesagt sein, daß sie dem Gegenstand innewohnen, weil
diese Eigens<^haften doch dadurch entstehen, daß der Mensch seine Empfindungen dem
Gegenstand als vermeintlicher Ursache zurechnet. Der Mensch sucht aber die Eigen-
schaften im Objekt.
Jahrb. f. Natioaalök, u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 27
418 Kä'^ EngliS,
fach die umgekehrte Kausalität*). Das, was ich ändern
muß, wenn ich zwei durch natürliche Kausalität verbundene Er-
scheinungen als Mittel und Zweck sehen will, ist die Betrachtungs-
weise; ich darf mir die Erscheinungen nicht als existente,
sondern als gewollte vorstellen*-^). Die logische Zusammengehörig-
keit der teleologischen Kausalität und der ihr entsprechenden Be-
trachtungsweise ist von grundlegender Wichtigkeit und neu^). Setze
ich die Warum-Fragestellung in der Betrachtungsweise des Gewollten
fort, so erhalte ich eine Kette, in welcher sich das Wollen von B mit
jenem von C etc. bis N erklärt. Warum wird N gewollt ? Ich weiß
es nicht, ich will es einfach. Warum wird aber überhaupt gewollt ?
In diesem Momente frage ich nicht mehr nach dem In-
halte des Wollens, sondern nach dem Wollen an sich
und betrachte das Wollen als ein wirkliches, existen-
tes Geschehnis und frage nach seiner naturgesetzmä-
ßigen Ursache. Mit dem Wechsel der Betrachtungsweise bin ich
in die Naturwissenschaft übergesprungen.
Ein ähnlicher Uebergang, wie von der Betrachtungsweise des
Seienden zu jener des Gewollten, besteht noch weiter zwischen der
letzteren und dem Sollen. Der als gesollt gedachte Inhalt
ist Gegenstand der normativen Wissenschaften. Die
normative Betrachtungsweise wurde von Kelsen unter Anlehnung
an Simmel grundlegend ausgebaut^). Jeder als gesollt gedachte
Inhalt ist eine Norm. Auch an die Normen knüpft man ein Warum an.
Warum soll A sein ? Weil ein B sein soll etc. bis weil ein N sein soll.
Das aber, was die Normen bei dieser Fragestellung verbindet, ist
weder die naturgesetzmäßige Aufeinanderfolge (causa efficiens), noch
der Wille (causa finalis), sondern lediglich die logische Geltung
(causa cognoscendi, Erkenntnisgrund). Fragt man bei der obersten
Norm (N), warum soll N sein, so kann ich keinen weiteren als ge-
1) Wie allgemein angenommen wird. So z. B. Wundt, Logik, 3. Aufl. I, S. 361.
2) Ein Beispiel wird es veranschaulichen. Wollen wir z. B. fragen, warum die
Giraffe einen langen Hals hat. Antwortet man: „Damit sie das Laub hoher Bäume
erreichen könne", so fassen wir den Hals als Mittel und das Erreichen als Zweck auf.
Dies setzt aber notgedrungen voraus, daß der lange Hals der Giraffe deshalb gegeben,
also von jemandem (Gott, Vorsehung) gewollt wurde, weil auch gewollt wurde, daß sie
das Laub hoher Bäume erreiche. Setzen wir das nicht voraus, so müssen wir uns den
langen Hals einfach als existent vorstellen: dann aber können wir nur nach der natür-
lichen Ursache, die die Länge des Halses bewirkt hat, fragen. Das tun die Natur-
wissenschaften, die die Natur ohne Gott zu erklären trachten.
3) Stammler (Wirtschaft und Recht, 1906) hat wohl empfunden, daß die Finalität
nicht nur eine umgekehrte Kausalität ist, es ist ihm aber entgangen, daß es der Wechel
der Betrachtungsweise ist, der die nämlichen Erscheinungen einmal als Ursache und
Wirkung und das andere Mal als Zweck und Mittel erscheinen läßt, und wodurch diese
zwei Betrachtungsweisen gekennzeichnet sind. Daß sein Gegensatz von „bewirkt" und
„zu bewirkend" den Gegensatz von Finalität und Kausalität nicht determiniert, hat
Kelsen gezeigt (Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Wien 1911, S. 58 ff.). Kelsen
selbst steht auf dem Standpunkt von Wundt.
4) Als Kelsens Vorgänger in der böhmischen Literatur ist Franz Weyr zu be-
zeichnen.
Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge in der Konsum Wirtschaft. 419
sollt gedachten Inhalt angeben. Es soll einfach sein, und ich weiß
nicht warum. Warum soll aber überhaupt etwas sein?
Weil es von jemandem gewollt wird. In dem Momente
aber wird derselbe Inhalt, der früher als gesollt vor-
gestellt wurde und eine Norm war, weiter als gewollt
vorgestellt und zu einem Postulat. Kelsen selbst stellt der
normativen die kausale, bzw. explikative Betrachtungsweise des
Seienden gegenüber, während doch eben nachgewiesen wurde, daß
es wesensverschieden ist, ob ich mir die Erscheinungen als bloß
seiend oder als gewollt vorstelle. Es besteht daher nicht ein Dualis-
mus der Betrachtungsweisen der empirischen Wissenschaften, sondern
ein Trialismus derselben.
Jede empirische Wissenschaft muß sich zunächst vergegenwär-
tigen, in welcher dieser elementaren Betrachtungsweisen sie ihre
Erkenntnisse gewinnen kann. So auch die Wirtschaftswissenschaft,
die sich bisher die Frage nach der Betrachtungsweise stets ganz
anders formuliert hat^), muß sich, sind die obigen Ausführungen
richtig, zunächst zum Bewußtsein bringen, ob sie die Erscheinung
bloß als existierend oder als gewollt oder als etwas, was sein soll,
betrachten muß, um sie als wirtschaftlich zu erkennen. Denn gleich-
zeitig kann eine und dieselbe Wissenschaft nicht mit
verschiedenen Betrachtungsweisen operieren. Erblickt
doch auch z. B. die Rechtstheorie ihren Fortschritt darin, daß
sie sich in einer ihr entsprechenden Betrachtungsweise etabliert und
sich von fremdartigen, wie man zu sagen pflegt: soziologischen Ele-
menten, also von Erkenntnissen läutert, die in der normativen Be-
trachtungsweise nicht zu gewinnen sind (Kelsen, Weyr). Desgleichen
die Naturwissenschaften, welche die teleologische Anschauung
ablehnen. Welche Betrachtungsweise ist also der Wirt-
schaftswissenschaft eigentümlich? Augenscheinlich nicht
die normative, denn die Wirtschaftserscheinungen sind nicht Pflicht-
erscheinungen 2); aber auch nicht die naturwissenschaftliche Be-
trachtungsweise, weil sie die Objekte weder schädlich noch nütz-
lich erscheinen läßt. Faßt man die wirtschaftlichen Hauptbegriffe
ins Auge, so erkennt man bald, daß dieselben zur Voraussetzung
haben, daß man sich die Erscheinungen als gewollt vor-
stellen muß. Wie gelangt man zum Begriff von Nutzen und
Schaden? Es sind doch Veränderungen mit Plus- und Minus-
richtung auf einer Linie. Was setzt diese Linie und den Ausgangs-
punkt für die Beurteilung der positiven und negativen Richtung der
1) So hat man den Subjektivismus, Objektivismus, den historischen Materialismus,
die soziale Betrachtungsweise als die allgemeinen Betrachtungsweisen der Wirtschafts-
wissenschaft bezeichnet.
2) Merkwürdigerweise spricht Sombart von der Möglichkeit einer normativen
Konstruktion der Wirtschaftstheorie und, was noch unerklärlicher ist, daß nur bei dieser
Konstruktion iu der Wirtschafstheorie für den Wertbrgriff Baum wäre (Die Elemente
des Wirtschaftslebens, Arch. f. Sozial Wissenschaft u. Sozialpolitik, Bd. 37, S. 3).
27*
420 Karl EngliS,
Veränderung? Nichts anderes als der menchliche Wille.
Nutzen und Schaden sind gewollte, bzw. nicht gewollte Veränderungen.
Warum sind sie gewollt oder nicht gewollt? Weil et-
was anderes, was sich als naturgesetzmäßige Folge
dieser Veränderungen erweist, gewollt oder nicht ge-
wollt wird. Vom Nutzen und Schaden kann man nur
vom Standpunkt eines bestimmten Zweckes reden.
Kosten sind ein als Mittel gewollter Schaden. Was sind die
Güter anderes als in bestimmter Art gewollte Objekte?
Daraus schließen wir, daß wir zu wirtschaftlichen Erkenntnissen nur
dann gelangen können, wenn wir uns die Erscheinungen als
gewollt und zwar speziell als in bestimmter Art ge-
wollt vorstellen^) 2). Werden vielleicht auch heute als wirt-
schaftswissenschaftliche solche Erkenntnisse tradiert, die dieser Denk-
form fremd sind, so muß von ihnen die Wirtschaftstheorie geläutert
werden. Nach dieser Auffassung kann dieser Fortschritt der Wirt-
schaftstheorie nur darin bestehen, daß sie sich dessen bewußt wird,
was sie von den Naturwissenschaften unterscheidet, sie muß sich ihre
Erscheinungen als in bestimmter Art gewollte vorstellen und mit der
teleologischen Kausalität arbeiten. Tatsächlich polarisiert sich die Wirt-
schaftstheorie in diesen Richtungen ; zunächst zu und gegen die Natur-
wissenschaften. Eine naturwissenschaftliche Wirtschaftstheorie will
z. B. Oppenheimer begründen^). Die entgegengesetzte Richtung
verlegt tatsächlich ihren Schwerpunkt in den Willen und die Fi-
nalität. Die Finalität wird namentlich von Stammler, Stolz-
mann und anderen betont. Die bestimmte Willensrichtung, die nach
meiner Auffassung die Betrachtungsweise der wirtschaftlichen Er-
scheinungen begründet, macht Lief mann in der Tat zum Ausgangs-
punkt und Grundlage seiner Wirtschaftstheorie. Denn die Bedarfs-
empfindungen sind nichts anderes als Willensempfindungen.
Bedürfen heißt etwas als Mittel zum Zweck wollen. Je
nach der Beschaffenheit dieses Zweckes richtet sich auch das Be-
dürfnis. Der Zweck ist stets ein Postulat. Ein Postulat kann ent-
weder einen Gefühlszustand zum Gegenstande haben (z. B.Zu-
friedenheit) und ist rein subjektiv, weil objektiv nicht definier-
bar. Alle anderen Postulate sind objektiv. Danach sind
auch die Bedürfnisse subjektiv oder objektiv. Sage ich
dem Kinde: Du brauchst mehr ein Buch als ein Spielzeug, so setze
1) Damit ist nicht gesagt, daß die nämlichen Erscheinungen nicht auch anders,
z. B. naturwissenschaftlich betrachtet werden können. So ist z. B. der historische
Materialismus eine naturwissenschaftliche Auffassung der Wirtschaftsphänomene. Töricht
wäre es aber, die in einer Betrachtungsweise gewonnenen Phänomene mit jener der
anderen bekämpfen zu wollen.
2) Ich will daher nicht etwa ein neues Objekt der Wirtschaftstheorie konstruieren,
kann aber Ammon (Objekt und Grundbegriffe der Nationalök.) nicht beipflichten, wenn
er eine logische Form des nationalökonomischen Objektes sucht, das alle beutigen als
■wirtschaftswissenschaftlich geltenden Erkenntnisse umfassen würde.
3) Dennoch definiert er die Güter als Zwischenziele!
Das Lief mannsche Gesetz des Ausgleiches der Greozerträge in der Konsumwirtschaft. 421
ich ein objektives Erziehungspostulat voraus. Ist dieses gewollt als
Zweck, so muß z. B. als Mittel eher ein Buch als ein Spielzeug ge-
wollt werden. Ein solches Bedürfnis ist objektiv. Subjektiv be-
dürf en heißt etwas als Mittel z. B. zur eigenen Zufriedenheit wollen.
Desgleichen kann man von subjektiven und objektiven Nutzen, Schaden
und Kosten sprechen. In der Subjektivität und Objekti-
vität des Postulates ist überhaupt der richtige Gegen -
satz zwischen Subjektivismus und Objektivismus der
Wirtschaftswissenschaft begründet, welcher Gegensatz
sich auch bei der der Denkweise des Gewolltwerdens entsprechenden
Wertung geltend macht. Halten wir nun daran fest, daß die
Wirtschaftswissenschaft ihre Erscheinungen als gewollt betrachtet,
so ist damit ihre Betrachtungsweise noch nicht determiniert, denn
„gewollt" und „wirtschaftlich" ist nicht dasselbe. Man muß
vielmehr noch jenes spezielle Merkmal suchen, welches,
zum allgemeinen Wollen hinzutretend, die speziell
wirtschaftliche Betrachtungsweise begründet, mit an-
deren Worten, in welcher Art gewollt uns die Erschei-
nungen sich als wirtschaftlich darbieten, oder, was gleich-
bedeutend ist: Welches ist das oberste wirtschaftliche
Postulat, von welchem aus wirtschaftlicher Schaden, Nutzen, Er-
trag, wirtschaftliche Kosten, Güter etc. gesehen werden können ? Ist
es ein objektives oder ein subjektives Postulat, und welches
ist sein Inhalt? Liefmanns Theorie ist eine subjektive,
denn jenes bestimmte Wollen, das ihm die Erscheinungen wirtschaft-
lich erscheinen läßt, faßt er rein subjektiv auf; der Inhalt dieses
WoUens ist ein Gefühlszustand, das Maximum der Lust- und das
Minimum der Unlustgefühle. Diese Formulierung des subjektiven
wirtschaftlichen Postulates ist zweifellos richtig ^). Als subjektiv
wirtschaftlich erscheint dann alles, was vom Stand-
punkte dieses Postulates gewollt wird: also Objekte
(Güter) und Geschehnisse (Veränderungen). Somit ist
auch die Güterproduktion wirtschaftliche Erschei-
nung, wenn ich sie nämlich nicht bloß als etwas Existentes, als
einen Naturprozeß, sondern als vom Standpunkte des wirtschaftlichen
Postulates gewollt vorstelle. Lief mann empfand nun offenbar,
daß die äußeren Objekte und deren Veränderungen, an und für sich
und bloß als existent betrachtet, nie wirtschaftlich erscheinen können,
desgleichen nicht nützlich oder schädlich, sondern daß es erst ge-
wisse psychische ihnen folgende Veränderungen sind, die sie zu
wirtschaftlichen, nützlichen und schädlichen machen, und verlegt
daher begreiflicherweise seine Aufmerksamkeit auf
diese psychischen Vorgänge. Er sieht aber in diesen
1) Damit ist aber noch nicht gesagt, daß es kein objektives wirtschaftliches
Postulat gibt. Auf diese Frage, sowie auf die noetische Begründung des subjektiven
wirtschaftlichen Postulates wollen wir aber hier nicht weiter eingehen, weil dies mit
der Liefmannschen Lehre nicht mehr zusammenhängt.
422 KarlEnglifi, Das Liefmannsche Gesetz des Ausgleiches der Grenzerträge etc.
psychischen Verschiebungen nicht eine Betrachtungs-
weise, ein Betrachtungsglas der äußeren Vorgänge, sondern das
Wirtschaften selbst. Das ist vom oberwähnten Standpunkt
aus nicht richtig. Er nennt daher treffend seine Theorie eine psy-
chische, ich glaube aber, daß sie zwar zu einer rein subjektiven,
aber nicht psychischen werden muß. Wenn Lief mann schließ-
lich seine Theorie auch eine realistische nennt, so ist eine wahre
Eigenkritik darin enthalten. Beim Studium seiner Arbeiten hatte ich
stets den Eindruck, daß Lief mann die Ergebnisse, zu welchen er
gelangt, früher intuitiv erkannte und erst nachher für dieselben eine
Begründung suchte, denn anders wäre es nicht möglich gewesen,
daß ein irrtümlicher Gedandengang zu einem richtigen Ergebnis
führte, was sich doch auch bei der vorangehenden Teilkritik wieder-
holt gezeigt hat.
Fritz Elsas, Einige Grundfragen der Ernährungs Wirtschaft im Kriege. 423
VI.
Einige Grundfragen der Ernährungswirt-
schaft im Kriege.
Von
Dr. Fritz Elsas, Vorstand des städt. Lebensmittelamts Stuttgart.
Die letzten zwei Jahrzehnte vor Ausbruch des Krieges hatten
die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Wirtschaftskörpem
der ganzen Welt aufs engste ineinander verknüpft. Gerade in dieser
innigen Verbindung schien weiten Kreisen die sicherste Gewähr
zur Aufrechterhaltung des Friedens zu liegen.
Eines der reizvollsten wirtschaftlichen Geheimnisse verbirgt sich
von jeher hinter der Organisation des zwischenstaatlichen Güter-
austausches. Dem Einzelnen in den letzten Zusammenhängen unbe-
kannt, wirken alle wirtschaftlichen Kräfte zusammen, um die natür-
lichen und wirtschaftsgeographischen Verhältnisse bei der Deckung
des Bedarfes auszugleichen und Angebot und Nachfrage miteinander
in mehr oder weniger restlose Uebereinstimmung zu bringen. Diesen
Ausgleich über die Schranken des Einzelstaates hinaus vorzunehmen
und durchzuführen, war in der Friedenswirtschaft Aufgabe des
Handels in jeglicher Form und seiner Organe, wie ja gerade die
Ausnützung der verschiedenen Verwertungsmöglichkeiten den wesent-
lichen Inhalt jeglicher Handelsbetätigung bildet. Kamen auch trotz
der Höhe der Entwicklung, die diese Organisation sich im Laufe
der Jahre geschaffen hatte, Schwankungen in der angebotenen Menge
und im Preis vor, bildeten sich auch durch Zusammentreffen ungünstig
wirkender Umstände Krankheitserscheinungen, die in Wirtschafts-
krisen ihren Ausdruck fanden, so war doch, was für den Gang und
die Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft ausschlaggebend blieb,
im großen und ganzen ein einwandfreies Arbeiten erreicht. Hieraus
erklärt es sich auch, daß bis zum Krieg die Organisation der
Ernährung des Einzelhaushalts oder der Gesamtheit der in
einem Staat vereinigten Einzelhaushalte nur da zu großen gemein-
samen Fragen emporwuchs, wo die Interessen aller oder einer Mehr-
heit von Volksgenossen zusammenfielen. Dies war im Frieden all-
gemein lediglich bei den heißumstrittenen Fragen des landwirtschaft-
lichen Zollschutzes der Fall, wo die — im Krieg besonders stark
ausgebildete — Scheidung in Verbraucher und Erzeuger tiefe Gegen-
424 Fritz Elsas,
Sätze hervorzurufen pflegte. Die Versorgung der einzelnen Haushaltung
mit den zur Deckung ihres Bedarfs erforderlichen Lebensmitteln war
jedoch durchaus nach Ort, Zeit, Art, Menge und Preis der benötigten
Waren Angelegenheit der einzelnen Haushaltung, abhängig von ihrer
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Geschicklichkeit. Wesent-
lich ist hiernach für die Friedenswirtschaft die Beschaffung
und Verteilungder Waren durch den Handel, dessen Tätig-
keit keine beengenden Schranken gezogen sind, die freie Ein-
deckungsmöglichkeit der gesamten Volkswirtschaft
und die freie Eindeckungsmöglichkeitjedes einzelnen
Glieds nach seinen eigenen privatwirtschaf tlichea
Kräften.
Die Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft hatte zwar
seit 1878, dem Jahre des Umschwungs der Bismarckschen Wirtschafts-
politik, einen ganz außerordentlichen Aufschwung genommen. Aber
selbst die intensivste Bewirtschaftung vermochte den durch die außer-
ordentliche Bevölkerungszunahme gewaltig gestiegenen Nahrungs-
und Futtermittelbedarf um so weniger zu befriedigen, als — zu-
sammenhängend mit dem Anwachsen der Bevölkerungsdichtigkeit
und der Verfeinerung der Lebensführung überhaupt — auch das
Nahrungsbedürfnis der Menschen formell starke Wandlungen
durchgemacht hat. Ein sehr erheblicher Teil des Inlandsbedarfs
konnte daher nicht aus eigener Erzeugung gedeckt werden ; trotz der
steigenden Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft mußten in zuneh-
mendem Maße die durch den Handel aus fremden Ländern be-
schafften Warenmengen den Nahrungs- nnd Futlerbedarf
Deutschlands mitdecken.
Als sich England zur Teilnahme am Krieg der europäischen
Festlandsstaaten entschloß, war es von der ersten Stunde an gewillt,
neben dem Krieg auf den Schlachtfeldern mit allen Mitteln den
Wirtschaftskrieg zu führen. Seine Bemühungen waren im
ersten Kriegsjahr darauf abgestellt, die überseeische Zufuhr
abzuschneiden. Auch da beschränkte es sich zunächst auf die für die
Lebenshaltung Deutschlands besonders wichtigen Waren: Getreide,
Fett und Futtermittel. Erst im Herbst des Jahres 1915 leise be-
ginnend, arbeitete Englands Wirtschaftspolitik seit dem Frühjahr
1916 mit der ganzen Planmäßigkeit, die dem Engländer eigentüm-
lich ist, daraufhin, den Markt der Neutralen anAuslands-
waren und einheimischen Erzeugnissen für Deutsch-
land abzusperren und die verhältnismäßig bescheidenen Ein-
fuhrmöglichkeiten aus den neutralen Staaten Europas durch politischen
Druck immer mehr zu unterbinden. Deutschlands Verbündete : Oester-
reich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei waren teilweise überhaupt
nicht in der Lage, irgendwelche Lebens- und Futtermittelmengen
an Deutschland abzugeben, teilweise waren die organisatorischen und
verkehrstechnischen Voraussetzungen nicht derartig, daß irgendeine
nennenswerte Abgabe herbeigeführt werden konnte. Im wesentlichen
war daher Deutschland, nachdem die aus der Weltwirtschaft stammen-
Einige Grundfragen der Ernährungswirtschaft im Kriege. 425
den, zu Beginn des Krieges im Inland vorhandenen Vorräte aufge-
braucht, Italien und Rumänien in die Reihe seiner Feinde überge-
treten waren, auf seine eigene Inlandserzeugung angewiesen. Auf-
gabe deutscher Ernährungspolitik wurde es daher,
alle die Lücken, die durch das .ausbleibender fremden
Zufuhr und aus dem mit längerer Dauer des Krieges
wegen Mangels an Saatgut, Düngemitteln, Arbeitskräften, Verkehrs-
mitteln zu erwartenden Produktionsrückgang entstehen
mußten, auszugleichen.
Jede organisatorische Tätigkeit ist an Schranken
gebunden, die in den Verhältnissen begründet sind.
Grundtatsachen lassen sich nicht aus der Welt schaffen, wenn auch
im einzelnen Fall durch ihr Vorhandensein Wünsche und Pläne
schwer beeinträchtigt oder unmöglich gemacht werden. Solcherlei
Grundtatsachen, die die Organisation der Volksernährung
entscheidend beherrschen, gibt es zwei:
Im landwirtschaftlichen Betrieb, dessen Leistungs-
fähigkeit an sich schon durch natürliche Voraussetzungen selbst
unter den besten Arbeitsverhältnissen infolge der Beschaffenheit
des Bodens und der Witterung begrenzt ist, ist jedes Gut, das
erzeugt wird, gleichzeitig Konsumgut und Produk-
tionsmittel; jedes landwirtschaftliche Erzeugnis ist ein Gut, das
für den Verbrauch im allgemeinen zur Deckung des Nahrungsbedarfs
geeignet ist und gleichzeitig wiederum, als Produktionsmittel, als
Mittel zur Erzeugung anderer Erzeugnisse, im landwirtschaftlichen
Betrieb selbst Verwendung finden kann. Brotgetreide ist das aller-
wichtigste Gut, die Grundlage der Ernährung für die Bevölkerung,
gleichzeitig aber ist es als Futtermittel oder als Saatgut ein außer-
ordentlich wichtiges Produktionsmittel für die Landwirtschaft. Selbst
die hochwertigsten Erzeugnisse der Landwirtschaft, die zunächst
nicht mehr für den eigentlichen landwirtschaftlichen Betrieb ver-
wendungsfähig erscheinen, sind nicht ausschließlich menschliches
Verbrauchsgut. So spielt Milch nicht nur als Nahrungsmittel für
den Menschen, insbesondere für die Sicherung der Kinder- und Kranken-
ernährung, sondern gleichzeitig, besonders bei dem Mangel an Kraft-
futtermitteln, bei der Schweine- und Jungviehaufzucht eine außer-
ordentliche Rolle. Am stärksten zeigt sich dieses Doppelwesen der
landwirtschaftlichen Erzeugnisse bei der Viehhaltung: sie ist Pro-
duktionsmittel als Spannkraft, Düngerlieferant, Milch-, Butter- und
Käselieferant; sie ist Verbrauchsgut als Schlachtvieh. Zwischen
Stand der Schweinehaltung und Ergebnis der Kartoffelernte bestehen
engste Zusammenhänge. So ist der landwirtschaftliche Be-
trieb ein Produktionsorganismus, indem letzten Endes
alle Vorgänge organisch miteinander verbunden sind.
Dieser Zusammenhang des Erzeugungsvorganges innerhalb der
Landwirtschaft mit der Art der Verwertung des Erzeugnisses im
landwirtschaftlichen Betrieb selbst ist eine entscheidende Tat-
sache, mit der die kriegswirtschaftliche Organisation unter allen
426 Fritz Elsas,
Umständen rechnen muß. Alle Wünsche und alle Pläne, mögen sie
im einzelnen noch so gut und noch so berechtigt sein, müssen da-
mit rechnen. In diesem Zusammenhang liegt aber auch der S c h 1 ü s s ei
für alle Fragen, die Klärung und Lösung bei der Durchführung
der kriegswirtschaftlichen Organisation heischen; hierin allein liegt
der Ausgangspunkt, der es ermöglicht, Entscheidungen darüber
zu treffen, was dem landwirtschaftlichen Betrieb für die Aufrecht-
erhaltung seiner Erzeugung unbedingt an den einzelnen Erzeugnissen
erforderlich ist, was entbehrt werden kann, welche Preise
für die Lief erungen, die dem Markt zugeführt werden,
zu bezahlen sind, in welchem Verhältnis die Preise der einzelnen
Erzeugnisse untereinander stehen müssen, um die Produktion nach
dieser oder jener Seite zu fördern oder abzuschwächen. Erst für die
Preisfestsetzung des vierten Kriegswirtschaftsjahres 1917/18 wurden
diese Zusammenhänge des landwirtschaftlichen Betriebs restlos erkannt
und als Ausgangspunkt genommen. Die mangelnde Einsicht in diese
Zusammenhänge ist es in erster Linie gewesen, die zu den häufig
schweren und verfehlten Eingriffen in die Landwirtschaft und zu
unrichtigen Verhältniszahlen bei der Bewertung landwirtschaftlicher
Erzeugnisse geführt hat. Nicht selten hat es sich bitter gerächt,
daß die Erkenntnis der Produktionszusammenhänge im landwirtschaft-
lichen Betrieb unter Alltagsforderungen und Alltagswün-
schen verloren ging und häufig aus der Not eines Augenblicks
geborene Eingriffe in den landwirtschaftlichen Produktionsprozeß
erforderlich wurden, die zwar der augenblicklichen Not ein Ende
bereitet haben, aber eine Schädigung des Produktionsgangs auf kurze
oder längere Zeit zur Folge hatten. Wenn es auch möglich ist,
zwangsweise Fabrikbetriebe umzustellen, ja selbst wenn es möglich
ist, technische Schulungen der Menschen in verhältnismäßig kurzer
Zeit von Grund aus umzuwandeln, so bleibt es ein Ding der Un-
möglichkeit, den landwirtschaftlichen Betrieb in kurzer Zeit in
einzelnen Teilen seiner Produktionsverhältnisse so umzugestalten,
daß ein vollständiger Wandel eintritt und Wege geschaffen werden,
die den natürlichen Voraussetzungen widersprechen.
Von ebenso großer Bedeutung wie die inneren Zusammen-
hänge des landwirtschaftlichen Betriebs sind wirtschaftsgeo-
graphische Tatsachen. Das deutsche Wirtschaftsgebiet zerfällt
in große Erzeugungs- und große Bedarfsgebiete. Weite
Strecken in Ostpreußen, Westpreußen, Posen, Pommern, Mecklenburg,
Oldenburg, in Süddeutschland Bayern und Teile Württembergs sind
rein landwirtschaftliche Erzeugungsgebiete. Auf der anderen Seite
haben das Vorkommen natürlicher Bodenschätze und die Entwick-
lung besonderer Teile der Industrie Zusammenballungen ge-
waltiger Menschenmassen geschaffen. So entstanden reine
Verbrauchsgebiete wie Groß-Berlin, die Industriereviere in West-
falen, Eheinland, der Saar, Oberschlesien und Sachsen. Verhältnis-
mäßig klein ist der Teil, in dem landwirtschaftliche Anbaugebiete
Einige Grundfragen der Ernährangswirtschaft im Kriege. 427
durchsetzt sind von industriellen Verbrauchsgebieten, wie in Mittel-
deutschland, Württemberg und Baden.
Auch die landwirtschaftlichen Anbaugebiete weisen
alsErgebnis jahrhundertlanger Entwicklung tiefgrei-
fende Unterschiede auf. Im Norden und Osten überwiegt
Großgrundbesitz, in Hannover Großbauerntum, in Bayern ein
starkes bodenständiges Mittelbauerntum, im übrigen Süddeutsch-
land Kleinwirtschaft bis herunter zur Zwergwirtschaft. Der Größe
des Betriebs entsprechend ist die Form der Bewirtschaftung des
Bodens. Wo Großgrundbesitz, ist im wesentlichen extensiver Ge-
treidebau, wo Klein- und Mittelbauerntum ansässig, findet sich
Viehwirtschaft und Verarbeitung von deren Erzeugnissen besonders
stark verbreitet. Art und Größe des Betriebs sind daneben auch
bestimmend für die soziologische und psychologische Stellung
der landwirtschaftlichen Bevölkerung: im Osten und Norden ist
der in den Händen verhältnismäßig Weniger befindliche Groß-,
grundbesitz aufs stärkste auf die Zufuhr landwirtschaftlicher
Arbeitskräfte angewiesen, im Süden und Südwesten ist der Eigen-
besitz des Landwirts im weitesten Umfang verbunden mit Bewirt-
schaftung des gesamten Betriebs durch Angehörige des eigenen Haus-
halts; im Norden und Osten ist der Großbetrieb mit allen techni-
schen Mitteln der Großwirtschaft ausgestattet, schon im Frieden
auf die Marktbelieferung eingestellt; im Süden und Südwesten finden
sich einfachere Betriebsformen, aber stärkerer genossenschaftlicher
Zusammenschluß, um den Klein- und Mittelbetrieben die Vorteile
der gemeinsamen Marktbelieferung zu verschaffen ; beim Großgrund-
besitz liegen für den Einzelnen schwer übersichtliche Verhältnisse,
vielfach eine Bürokratisierung der Wirtschaftsweise und der Wirt-
schaftsführung vor, beim Klein- und Mittelbauerntum einfache Ver-
hältnisse, die der Nachbar leicht überschaut und kennt, aber auch
stärkerer Hang zur Beibehaltung alter Wirtschaftsweise.
Diese wirtschaftsgeographischen Tatsachen sind für die Ver-
sorgung der Verbrauchsgebiete von außerordentlichem Einfluß. Da,
wo Verbrauchs- und Landwirtschaftsgebiete wechselseitig miteinander
gemischt sind, wie vielfach im Süden, wo dem Landwirt die Einsicht
möglich ist in die Anforderungen, die an den Industriearbeiter ge-
stellt werden, und der Industriearbeiter selbst den Zusammenhang
mit der Landwirtschaft nicht verloren hat, werden die Ernährungs-
verhältnisse sich leichter gestalten. Anders da, wo die großen
Menschenanhäufungen sind, wie in Berlin und in den großen In-
dustrierevieren. Die Belieferung aus benachbarter ländlicher Um-
gebung vermag nur einen kleinen Bruchteil des Bedarfs zu decken.
Weiter abgelegene Erzeugungsgebiete müssen zur Versorgung heran-
gezogen werden, die Lieferungsverbindungen werden unpersönlich,
zum rein sachlichen Geschäft.
Innere Gesetzmäßigkeit des landwirtschaftlichen
Betriebs und wirtschaftsgeographische Verhältnisse
428 Fritz Elsas,
sind die Grenzpunkte, innerhalb deren Organisation s^
möglichkei ten offenstanden. Die Frage, die von dem Augen-
blick an zu lösen war, als man erkannte, daß ohne Organisation die
Ernährung der Bevölkerung nicht sichergestellt werden konnte, war:
Auf welche Weise kann der Fehlbetrag zwischen un-
bedingt erforderlichem Nahrungs- und Futtermittel-
bedarf und tatsächlich zur Verfügung stehenden Nah-
rungs- und Futtermittelmengen gedeckt werden?
Am Ende des dritten Kriegsjahres ist es leicht, zu dieser Stellung
des Problems zu gelangen. Aber als der Krieg ausbrach, war man
in weitesten Kreisen vollständig erfüllt von weltwirtschaftlichen
Vorstellungen, und niemand vermochte den Gang nie erlebter und
ungeahnter Dinge auch nur einigermaßen zu übersehen. So waren
die ersten wirtschaftlichen Maßnahmen bei der Ernährungspolitik
durchaus primitiver Art. Der unerwartet rasch und heftig einsetzende
Zwang, den von Tag zu Tag größer werdenden Bedarf der Millionen-
heere, wie sie erstmals eben auch durch diesen Krieg geschaffen
wurden, zu decken, verschob im Jahre 1914 zunächst die Ernährungs-
frage einseitig auf das Gebiet der Preisfrage. Die Deckung des Bedarfs
zu jedem Preis war vor allen Dingen das Losungswort, das von dem
neu auftretenden Großverbraucher, wie es die Heeresverwaltung ist,
ausging, den freien Markt und dessen Preisbildung aufs stärkste
und für die Dauer der gesamten Kriegswirtschaft entscheidend be-
einflußte. Dazu kam, daß die Versuche, die im Jahre 1914 zur
Lösung des Preisproblems von selten der Verwaltung unternommen
wurden, vielfach dilettantisch und ohne Kenntnis der inneren Zu-
sammenhänge des Wirtschaftslebens, der Handelstechnik und der
engen Verflechtung aller landwirtschaftlichen Betriebsvorgänge ge-
macht wurden, — Fehler, die wesentlich dazu beigetragen haben, daß
die Ernährungspolitik nachher sich auf das andere Extrem stürzte,
und die Frage der Produktionssteigerung ebenso einseitig wie vor-
her die Preisfrage in den Vordergrund stellte. Entscheidend für diese
Schwankungen in der Wirtschaftspolitik war vor allem auch die in
weitesten militärischen Kreisen herrschende Ueberzeugung, man werde
einen verhältnismäßig kurzen Feldzug zu führen haben; mit einem
mehrjährigen Krieg wurde nur in einem kleinen Kreise gerechnet;
sonst wären zweifellos die Wirtschaftsmaßnahmen von Anfang an
anders eingeleitet worden.
So bestand im Jahre 1914, von einzelnen Höchstpreisen für be-
stimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse abgesehen, die Friedensor-
ganisation bei der Lebensmittelversorgung uneingeschränkt fort. Dem
freien Spiel der Kräfte war im allgemeinen die Deckung des Bedarfs
überlassen, tiefeinschneidende Eingriffe kamen nicht vor, bis sich
mit dem beginnenden Herbst des Jahres 1914 in wachsendem Maße
aus allen Kreisen, namentlich aber aus den Kreisen der Verbraucher
und des legitimen Handels, warnende Stimmen erhoben. Am lautesten
tönten die Warnungen hinsichtlich der mangelnden Organisation der
Versorgung mit Brotgetreide und Mehl. Hier lagen die Verhältnisse
Einige Grundfragen der Ernährungswirtschaft im Kriege. 429
am klarsten zutage, danach den offenkundigen Ausweisen der Handels-
und Produktionsstatistik ohne erhebliche Einschränkung des Ver-
brauchs Deutschland nimmermehr seinen Bedarf selbst decken konnte.
Ende 1914 und im Januar 1915 wurde bei der Organi-
sation der Versorgung mit Brotgetreide die Grund-
lage der gesamten deutschen Kriegsernährungswirt-
schaft geschaffen.
Nachdem dieser erste organisatorische Versuch, den Verkehr
mit Brotgetreide vom Rohstoff an bis zum Verbraucher behördlicher
Regelung zu unterstellen, glänzend gelungen war, gingen seit Sommer
1915 nacheinander die wichtigsten Lebensmittel in die öffentliche
Bewirtschaftung über. Die Zahl der Reichsstellen, Landesstellen
und örtlicher Verteilungsstellen, die mit dem Aufkauf, der Bearbeitung
und Verteilung organisatorisch, kaufmännisch und verwaltungstech-
nisch beschäftigt wurden, wuchs im Laufe des Krieges sehr an. Viel-
leicht war die Gefahr einmal nahe, daß die Organisation den Zweck,
der mit ihr erreicht werden sollte, töte und lediglich als Selbstzweck
erschien. Schon vor dem Krieg war in Deutschland die Berufung
auf Organisation und Organisationsfähigkeit zu einer nicht unbe-
deutenden Gefahr geworden. Organisation und Organisation ist
zweierlei, und wenn man immer nur organisiert, besteht die Gefahr,
daß der Gegenstand, der zu organisieren ist, in den Hintergrund
tritt und Organisation zum Selbstzweck wird. Es darf daher zu
keiner Stunde übersehen werden, daß selbst die glänzendste Leistung,
die die deutsche Organisationskunst auf dem Gebiet der Volks-
ernährung im Krieg vollbracht hat, Ende 1914 und zu Anfang des
Jahres 1915 in wenigen Wochen das größte Getreidehandelsgeschäft
der Welt aufzubauen und in einem Jahr Getreide für mehrere Milliarden
Mark vom Landwirt über den Müller durch Vermittlung der Kommunal-
verbände an den Verbraucher abzusetzen, daß diese glänzendste
Leistung eine technische Leistung war, und das Ausschlag-
gebende dahinter die Idee blieb, durch die Regelung des Ver-
brauchs den Fehlbetrag an Brotgetreide in Deutschland zu
decken.
Nicht immer blieb diese Idee bei den getroffenen Maßnahmen
leitend. Ja, es hat bis in das Frühjahr 1916 gedauert, bis das Reich
zur „Organisierung der Organisation" kam, und der Versuch ge-
macht wurde, den ungeheuer schwerfällig gewordenen Aufbau der
kriegswirtschaftlichen Ernährungseinrichtungen, der insbesondere noch
durch den außerordentlich schwerfälligen Apparat der bundesstaat-
lichen Verwaltungsorganisation überreich belastet wurde, durch Zu-
sammenfassung der Leitung zu krönen. Erst mit der Schaffung des
Kriegsernährungsamts wurde die Staats- und verwaltungs-
rechtliche Grundlage gegeben, von der aus ein einheitlicher
Wirtschaftsplan unter einheitlicher Leitung ge-
schaffen werden konnte.
Alle Fragen der Kriegsernährung hängen letzten Endes zusammen
mit der gesamten militärischen und politischen Lage. Diese sind
430 Fritz Elsas,
es, die auch sehr häufig es notwendig machten, Pläne, die gehegt
wurden, unausgeführt zu lassen und Entscheidungen zu treffen, die
für den Außenstehenden unerwartet erscheinen müssen. Je länger
der Krieg dauerte, desto stärker kamen in der kriegswirtschaftlichen
Organisation diese Zusammenhänge zum Durchbruch, zuerst und am
deutlichsten vielleicht in der Organisation der Wareneinfuhr
aus dem Ausland.
Als im Jahr 1914 feststand, daß der Krieg weitergehe, führte
die Erwägung, daß dann die Lebensmittelversorgung zu erheblichen
Schwierigkeiten Anlaß geben könnte, dazu, daß in Fühlungnahme
mit dem Reichsamt des Innern und führenden Bundesstaaten eine
Organisation geschaffen wurde, die der Förderung der Einfuhr von
Lebensmitteln aus dem Ausland zu dienen bestimmt war. Daneben
blieb zunächst der freie Handel in vollem Umfang tätig, so daß die
neugegründete „ Reichs-Einkauf sgesellschaft m. b. H." lange Zeit im
Verborgenen blühte. Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen unserer
Feinde, insbesondere Englands, veränderten weiterhin die Lage auf
dem Auslandsmarkte völlig. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 1915
ist der Wareneinkauf im Ausland nicht mehr eine Sache der persön-
lichen Geschicklichkeit der Leiter, sondern ausschließlich das Er-
gebnis der jeweiligen diplomatischen Kämpfe, haupt-
sächlich zwischen den Vertretern Deutschlands und Englands, um
die Wirtschaftsseele der betreffenden Neutralen, und die Auswirkung
des wirtschaftlichen Druckes, den beide Großmächte auf den Neutralen
auszuüben vermögen. Die Gründe, die zur Zentralisierung von Ein-
kauf und Einfuhr der wichtigsten Massennahrungsmittel führten,
ergaben sich aus den Verhältnissen der gesamten deutschen
Kriegswirtschaft. Die zunehmende Lebensmittelknappheit in
Deutschland vergrößerte die Nachfrage in den benachbarten neutralen
Staaten unverhältnismäßig. Die zahlreichen, von behördlichen Stellen,
von Gemeinden und Gemeindeverbänden, vom freien Handel und
einzelnen industriellen Unternehmungen aus Deutschland und be-
sonders auch aus Oesterreich-Ungarn entsandten Aufkäufer, die zum
Teil über keinerlei Sachkenntnis verfügten, überboten sich gegen-
seitig in der sinnlosesten Weise und beunruhigten die neutralen
Märkte. Die Preise fast aller für die Einfuhr wichtigen Nahrungs-
mittel stiegen infolgedessen ins Ungemessene. Das Ansehen des
Reichs litt durch diesen Zustand außerordentlich. Die ungehemmten
Preisanerbietungen riefen sowohl bei den Gegnern als auch im neu-
tralen Ausland falsche Vorstellungen über die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse und die Widerstandskraft Deutschlands hervor. Schwere
finanzielle und wirtschaftliche Schäden waren die Folge sowohl für
Deutschland, das zugunsten ausländischer Spekulanten unangemessen
hohe Preise bezahlen mußte, als auch für die neutralen Staaten, denen
die Lebensmittel für den Bedarf der einheimischen Bevölkerung so
verteuert wurden, daß die Stimmung der breiten Massen vielfach
aus diesem Grund sich gegen Deutschland wandte. Die Fortsetzung
und Verschärfung dieser Zustände war geeignet, die deutsche Volks-
Einige Grundfragen der Em ährungs Wirtschaft im Kriege. 431
Wirtschaft in die schwersten Gefahren zu führen. Den Wünschen
und Forderungen der neutralen Regierungen entsprechend, die sonst in
die Zwangslage versetzt worden wären, ihren heimischen Markt durch
durchgreifende Ausfuhrverbote vor der Ausplünderung zu schützen,
wurde nach und nach die Zentralisierung von Einkauf und Einfuhr der
sämtlichen wichtigen Nahrungs- und Futtermittel durchgeführt. Da-
durch wurde gleichzeitig erreicht, daß die sämtlichen eingeführten
Waren in der öffentlichen Hand vereinigt wurden. Die Zufuhr
konnte entsprechend den Bedürfnissen Deutschlands und Oesterreich-
Ungarns verteilt werden; es wurde ermöglicht, den auf Deutschland
entfallenden Anteil den einzelnen Bedarfsgemeinden unter Berück-
sichtigung ihrer Verhältnisse in zweckmäßiger und gerechter Weise
zuzuführen.
Freilich blieb diese Organisation der Einfuhr im Inland und
Ausland nicht ohne schärfsten Widerspruch. Für die Be-
urteilung der Organisation, die als notwendige Folge der gesamten
kriegswirtschaftlichen Verhältnisse im In- und Ausland entstehen
mußte, ist der Erfolg entscheidend. Zur Beurteilung ist vor allen
Dingen die Feststellung notwendig, ob von derZentral-Ein-
kauf sgesellschaf t nach der Zentralisierung der Ein-
fuhr mindestens die gleicheWarenmenge nach Deutsch-
land eingeführt wurde, wie vor der Zentralisierung
durch den freien Handel.
Soweit festgestellt werden kann, war es dem freien Handel ge-
lungen, im ersten Kriegsjahr die Einfuhr wichtiger Lebensmittel
gegenüber der Friedenseinfuhr aus den betreffenden Staatsgebieten
erheblich zu steigern, allerdings unter ganz außerordentlichen Preis-
opfern, die für die Preisentwicklung der Inlandserzeugnisse von —
im einzelnen ist das schwer nachzuweisen — vielfach verhängnis-
vollen Rückwirkungen begleitet waren. Mitteilungen aus der Presse
und im Reichstag lassen erkennen, daß die Zentral-Einkaufsgesell-
schaft die Einfuhrmengen des freien Handels nicht nur erreicht,
sondern fast durchweg zunächst zu steigern vermocht
hat. In erster Linie widmete auch sie ihre Aufmerksamkeit bei
ihrer Einkaufspolitik der restlosen Erfassung sämtlicher für die
Deckung des inländischen Bedarfs in Frage kommenden Mengen auf
dem Auslandsmarkt. Erst in zweiter Linie wurde berücksichtigt,
eine angemessene Senkung der Preise oder wenigstens die Verhinderung
weiterer Preissteigerungen zu erreichen. Durch die Zentralisation
der Einfuhr, die durch die Zentralisation der Ausfuhrbewilligungen,
Maßnahmen der Valutapolitik u. a. unterstützt wurde, sind der deut-
schen Volkswirtschaft und den deutschen Verbrauchern Hunderte
von Millionen erspart worden. Andererseits hat die Zentralisation
den freien Handel vielfach aufs schärfste geschädigt, so
daß es nicht verwunderlich ist, daß aus den Kreisen des ausgeschalte-
ten Handels, dem die Zusammenhänge der Kriegswirtschaftspolitik
nicht ohne weiteres verständlich sind, zahlreiche Beschwerden gegen
diese Politik erhoben werden, und immer aufs neue der Versuch
432 Fritz Elsas,
gemacht wird, die Zentralisierung zu durchbrechen. Unterstützt wird
der einheimische Handel in diesen Bestrebungen durch zahlreiche
ausländische Interessenten, denen durch die Zentralisierungs-
politik die leichten Verdienstmöglichkeiten der ersten Kriegszeit be-
schränkt wurden. Die vielfach angeführte, lediglich einen Geschäfts-
trick darstellende Behauptung dieser ausländischen Händler, die das
Interesse daran haben, auch in Deutschland die Zentralisierung mög-
lichst in Mißruf zu bringen und sie zu untergraben, man wolle an
die Zentral-Einkaufsgesellschaft nicht liefern, sondern werde im Falle
der Ablehnung eines Angebots die Waren an das feindliche Ausland
liefern, darf an der Richtigkeit des eingeschlagenen Wegs keinen
Zweifel aufkommen lassen. Entscheidend zur Beurteilung ist, daß
der Einkauf im Ausland längst nicht mehr eine kauf-
männische Angelegenheit darstellt, sondern zum diploma-
tischen Vertrag geworden ist. In festen, mit juristischem
Scharfsinn ausgeklügelten Verträgen haben sich England und Deutsch-
land bestimmte Anteile an den landwirtschaftlichen Erzeugnissen
und den Fischfängen als eine Pflichtlieferung oder in Form eines
Kauf rechts gesichert. Der Pflichtlieferung an England steht ein
Ausfuhrrecht nach anderen Ländern, d. h. nach Deutschland und
Oesterreich-Ungarn gegenüber, das beispielsweise bei Fischen für den
holländischen Fang auf 20 Proz., auf nur 15 Proz. in Norwegen fest-
gesetzt ist. Und daß die Wirtschaftspolitik zum engsten Bestand-
teil der gesamten Kriegsmaßnahmen geworden ist, geht aus der an
sich wenig beachteten, aber im Grunde genommen äußerst wichtigen
und bemerkenswerten Tatsache hervor, daß England selbst nach der
monatelangen Durchführung des uneingeschränkten Unterseeboots-
kriegs nach wie vor Käufer seines Pflichtanteils ist, auch wenn die
Ware gar nicht nach England gebracht werden kann, und sie eher
aus Mangel an Verpackungsmaterial und Verkehrsmitteln in den
neutralen Staaten zugrunde -geht.
Alle Kriegsernährungsmaßnahmen stehen im engsten inneren
Zusammenhang. Die Organisation der Einfuhr in Form der Zentrali-
sierung wäre nicht möglich gewesen, wenn sie nicht durch den
Ausbau der innerdeutschen kriegswirtschaftlichen
Maßnahmen getragen worden wäre.
In dem Augenblick, in dem feststand, daß Deutschland bei der
Versorgung seiner Bevölkerung im wesentlichen auf sich selbst an-
gewiesen sei, war die Grundlage der friedenswirtschaftlichen Organi-
sation hinfällig; denn nun handelte es sich nicht mehr um Beschaffung
von Warenmengen aus unerschöpflich fließenden Quellen, sondern
um Vorratswirtschaft mit beschränkt zur Verfügung
stehenden Hilfsmitteln. Der Handel freilich stand dieser
Umwälzung lange ohne Verständnis gegenüber. Ihm ist tiefinnerst
in seinem Wesen eingeboren, aus einer Verknappung der Warenvor-
räte privatwirtschaftlichen Vorteil zu ziehen und bei sinkendem
Angebot und steigender Nachfrage steigende Preise zu erhalten.
Mit diesen Grundsätzen war in der Kriegswirtschaft nicht weiter-
Einige Grandfragen der Ernährungswirtschaft im Kriege. 433
zukommen, denn in demselben Augenblick, als die Volkswirtschaft
zur Erhaltung und Erneuerung ihrer Kräfte lediglich auf sich selbst
gestellt wurde, die nationale Selbstversorgung einsetzte,
wuchs die Deckung des Lebensbedarfs der einzelnen
Haushaltung heraus aus dem ihr im Frieden eigenen
Bannkreis, wurde zu einer öffentlichen Angelegenheit
und tratüber indendurch den Krieg gewaltig gewach-
senen Auf gabenkreis des Staates. In demselben Augenblick,
in dem der Krieg nicht lediglich auf den Schlachtfeldern von den
kämpfenden Heeren ausgefochten wurde, sondern Volk gegen Volk,
Heimat gegen Heimat und Acker gegen Acker zu kämpfen begannen, in
diesem Augenblick wuchs dem deutschen Staat eine Aufgabe zu, wie sie
größer, verantwortungsreicher und schwieriger noch nie ein Staats-
wesen zu lösen gehabt hat. Es konnte nicht Aufgabe des Staates
sein, dafür zu sorgen, daß nur derjenige Teil seiner Bevölkerung
sich den zum Lebensunterhalt erforderlichen Nahrungsbedarf ver-
schaffen konnte, der dank seiner Einkommensverhältnisse hierzu in
der Lage war; wollte der Staat siegreich durch die schweren Kämpfe
hindurchschreiten, so mußte er mit der ganzen Wucht seiner Macht-
fülle dafür Sorge tragen und sich dafür einsetzen, daß der Gesamt-
heit seiner Volksgenossen das Mindestmaß dessen,
was zur Befriedigung des Lebensbedarfs erforderlich
ist, zu erschwinglichen und erträglichen Preisen
sichergestellt wurde.
Nicht vom Anfang der Kriegswirtschaft an stand dieses Ziel
mit der klaren Deutlichkeit vor Augen, mit der es sich im Laufe
der Monate herausgearbeitet hat. Nicht alle Maßnahmen, die ge-
troffen wurden, trugen diesem Ziele Rechnung. Aber von Monat
zu Monat, ja von Woche zu Woche wurde mit allen Mitteln dar-
auf hingearbeitet, dieses Ziel zu erreichen. Die Wege, die einge-
schlagen wurden, blieben nicht frei von Mißgriffen und Fehlern,
aber trotz aller Anfechtungen und Angriffe und Mängel, die im
einzelnen noch bestehen, erwies sich der eingeschlagene Weg
als der allein mögliche.
Freilich mußte, und auch hierzu bedurfte es monatelanger Arbeit,
die gesamte Wirtschaftsorganisation umgestellt werden.
Da, wo die Friedenswirtschaft ausschließlich unter privatwirtschaft-
lichen Gesichtspunkten gearbeitet hatte, wo Wareneindeckung und
Warenbelieferung durch Händler und Genossenschaften unter Aus-
nützung der Marktlage erfolgt war, stehen heute als ordnende Ge-
walt Gesetzesbestimmungen, hinter denen als Träger des Gedankens
die Notwendigkeit steht, Vorratswirtschaft nach allen Seiten zu
treiben. Man hatte zunächst der irrigen Ansicht — insbesondere
auch in Kreisen der Verbraucher — gehuldigt, dies Ziel mehr oder
weniger vollständig durch Festsetzung von Höchstpreisen zu er-
reichen. Dabei zäumte man leider das Pferd am Schwanz auf und
erreichte zwar vielfach, daß örtliche Höchstpreise, die auch den
weniger bemittelten Verbrauchern die Einkaufsmöglichheit sicherten,
Jahrb. f Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 28
434 Fritz Elsas,
geschaffen wurden, gleichzeitig aber die Ware vom Markt verschwand.
Gerade in diesen Monaten fehlte bei den maßgebenden Stellen die
Kenntnis der Wirtschaftstechnik und die Rücksichtnahme auf
die Zusammenhänge der landwirtschaftlichen Erzeugung. Auf gut
Glück wurden diejenigen Warengruppen herausgegriffen, die gerade
in den Tagesforderungen am lautesten Gegenstand der öffentlichen
Erörerung waren, und erst die kriegswirtschaftliche Erkenntnis und
Erfahrung, die der alles umwälzende Krieg selbst schuf, führte zu
planmäßigerem Vorgehen.
Das Ergebnis dieser kriegswirtschaftlichen Entwicklung kann
dahin zusammengefaßt werden, daß an die Stelle des freien Marktes und
der freien Eindeckung und des Absatzes durch Handel und dessen Or-
ganisationen die öffentliche Bewirtschaftung und die Ver-
teilung der bewirtschafteten Waren in gleicher Weise an
die Verbraucher getreten ist. Der freie Markt wurde ersetzt
durch gemeinwirtschaftliche Maßnahmen, an die Stelle
des Kaufmanns trat der Beamte, Ernährungsfürsorge wurde einge-
gliedert in den neu geschaffenen behördlichen Organismus.
Alle Maßnahmen, die zur Durchführung dieses Grundgedankens
erforderlich wurden, zerfallen in rechtliche und verwaltungs-
technische. Die rechtlichen Grundlagen, meist beruhend auf dem be-
rühmt gewordenen § 3 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundes-
rats zu wirtschaftlichen Maßnahmen vom 4. August 1914, erfassen
je nach dem behandelten Gegenstand die Einzelstadien der landwirt-
schaftlichen Erzeugung. Sie dienen der Sicherstellung der Erzeugung,
der Beschaffung des Saatguts, der Düngemittel, geben den Verwaltungs-
behörden die Möglichkeit, brachliegende Grundstücke zwangsweise
der Bebauung zuzuführen, treffen Verfügung über das Ernteergebnis,
sichern die Grundpreise, die der landwirtschaftliche Erzeuger erhält,
treffen Bestimmung über Art der Ablieferung, Bewirtschaftung, Ver-
wendung des Erzeugnisses als Saatgut, Futtermittel oder zu Zwecken
der Weiterverarbeitung, regeln die Belieferung der Fabriken, der
Mühlen — kurz und gut, suchen den ständigen Wechsel der Wirt-
schaftsvorgänge, deren Abbild täglich sich ändernde Gestaltungen
aufweist, möglichst vollständig zu erfassen; sie sind gesichert
durch Strafbestimmungen, durch Schaffung weitestgehender Be-
schlagnahme- und Enteignungsrechte und werden ergänzt durch
unter dem angewachsenen Einfluß der Verbraucher geschaffene Be-
stimmungen, die die Ueberwachung der behördlich vorgeschriebenen
Preise und vielfach auch der Beschaffenheit der Verteilungswaren
bezwecken.
Schuf somit die Gesetzgebung ein — wie es in der Natur der
Sache liegt — mit dem Wechsel der gesetzgeberisch erfaßten Waren
formell in Einzelheiten verschiedenes Werk, so wurden dem Behörden-
apparat, der mit der Durchführung dieses neuen Kriegsernährungs-
rechts beauftragt wurde, noch wesentlich schwierigere Aufgaben zu-
gewiesen. Auch hier waren tastende, oft erfolglose Versuche not-
wendig. Nicht auf den ersten Streich gelangen vielfach Maßnahmen
Einige Grundfragen der Emährungswirtschaft im Kriege. 435
der Verwaltungsbehörden. Die Grundlage, die die Verwaltungsbe-
hörden zur Durchführung ihrer Aufgaben benötigten, war genaueste
Kenntnis der in jedem einzelnen Augenblick verfügbaren Mengen.
Diese Kenntnis fehlte vielfach. Die statistischen Vorarbeiten,
die zur Verfügung standen, waren großenteils veraltet; die Grund-
lagen der preußischen Landwirtschaftsstatistik sind beispielweise
— aus Ersparnisgründen — seit 50 Jahren nicht erneuert gewesen;
die zur ordnungsgemäßen Durchführung statistischer Erhebungen er-
forderlichen Beamten, Einrichtungen, Unterorgane fehlten, sie mußten
erst und nur sehr lückenhaft ebenfalls im Krieg neu geschaffen
werden. Das Beamtenpersonal, das überhaupt zur Verfügung stand,
war wesentlich geschwächt durch die Abgabe leistungsfähiger Kräfte
zum Kriegsdienst. Die noch verbleibenden Beamten waren über-
wiegend, der Ausbildung der Juristen und Verwaltungs-
beamten auf der Hochschule entsprechend, wirtschaftlich ungenügend
vorgebildet, besondere Kenntnisse in einzelnen wirtschaftstechnischen
Organisationsfragen waren nicht vorhanden. Die Abneigung gegen
die Zuziehung von Vertretern des Handels als sachverständige Be-
rater war auf Grund vielfacher Erfahrungen, die dabei gemacht
werden mußten, weit verbreitet. So ist es erklärlich, daß erst langsam
— und für die betroffenen Verbraucher- und Landwirtschaftskreise
oft viel zu langsam -- Verwaltungsmaßnahmen in harten Kämpfen
geschaffen wurden, die bei ausreichender kriegswirtschaftlicher Vor-
bereitung leichter, und ohne besondere Schwierigkeiten und Stockungen
zu verursachen, hätten durchgeführt werden können.
Aber trotzdem ging es. Die Hemmungen, die im Wesen
des Behördenapparats liegen und bei der Regelung wirtschaftlicher
Fragen, die ständig im Fluß sind, selbst von einer leitenden Zentral-
stelle aus kaum übersehbar sind, wurden überwunden. Als Ergebnis
all der tausendfachen Erörterungen im Parlament und Presse, in
Versammlungen und Eingaben, in Denkschriften und Vorschlägen
steht heute am Ende des dritten Kriegswirtschaftsjahrs die deutsche
Ernährungsorganisation in ihren Grundzügen fertig da. Nicht ohne
Fehler, nicht ohne vielfach der Verbesserungen und des Ausbaus
bedürftig zu sein, aber doch von dem Erfolg begleitet, daß
es bisher gelang, der breiten Masse der Bevölkerung
mit zwar gestiegenen, aber durch mannigfache Maß-
nahmen sozial- und finanzpolitischer Art erleichterten
Preisen eine zwar in den großen Verbrauchsgebieten
knappe, aber immerhin ausreichende Ernährung zu
gewährleisten.
An der Spitze der im Krieg geschaffenen Einrichtungen steht
das Kriegsernährungsamt. Ihm unterstellt sind die wichtigsten
Reichszentralbehörden, denen die Festlegung der Grundzüge für das
betreffende Ernährungsgebiet sowohl hinsichtlich der Verwaltung
als auch der Geschäftsführung übertragen sind. Die Mehrzahl der
Reichsstellen ist geteilt in Verwaltungsabteilungen und in Geschäfts-
abteilungen, die meistens die Form der Gesellschaft mit beschränkter
28*
436 Fritz Elsas,
Haftung aufweisen, und in denen als Leiter vielfach erfahrene
Kaufleute — aus dem betreffenden Warenzweig entnommen — tätig
sind. Alle grundlegenden wirtschaftlichen Maßnahmen gehen nun-
mehr vom Reich aus, und lassen vielfach den einzelnen Bundesstaaten
nur knappe Bewegungsfreiheit, um ihren besonderen Verhältnissen
Rechnung zu tragen. Die zentrale Bewirtschaftung, lediglich von
der Reichshauptstadt aus und häufig durch deren örtliche Eindrücke
beeinflußt, gewährt nicht immer die Möglichkeit, auf wirtschafts-
geographische Verhältnisse und die betriebstechnischen Formen, wie
sie in den einzelnen Bundesstaaten vorliegen, die erforderliche Rück-
sicht zu nehmen. Als wichtigstes Bindeglied zwischen den zen-
tralen Spitzen und den unteren Verwaltungsbehörden stehen die in
den einzelnen Bundesstaaten geschaffenen Landeszentralbehör-
den. In deren Zuständigkeit fallen, soweit die Reichsgesetzgebung
freien Spielraum zuläßt, die Maßnahmen, die zur Anpassung an die
einzelstaatlichen Verhältnisse erforderlich sind, und vor allem die
Beaufsichtigung der unteren Verwaltungsbehörden und die Mit-
wirkung bei der Erfassung der landwirtschaftlichen Erzeugung. Als
letztes und der öffentlichen Kritik am meisten ausgesetztes Glied
bilden die unteren Verwaltungsbehörden, Kommunalverbände,
und, soweit sie nicht mit diesen zusammenfallen, wie in den Groß-
städten, diesen nachgeordnet, die Gemeinden den Abschluß.
Auf den untersten Schultern ruht die stärkste Be-
lastung. Hier treffen die von den Zentralbehörden kommenden
Fäden der kriegswirtschaftlichen Maßnahmen zusammen in der
unmittelbaren Berührung mit den Erzeuger- und Ver-
braucherkreisen. Infolgedessen werden gerade die untersten
Stellen der eigentliche Mittelpunkt der gesamten Organisation so-
wohl bei der Erfassung der bewirtschafteten Waren als auch bei
der Verteilung. Und während die Reichs- und Landeszentralbehörden
mit den von ihnen bewirtschafteten Waren überhaupt nicht in Be-
rührung kommen, haben die unteren Verwaltungsbehörden sowohl
bei der Erfassung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse als auch
insbesondere bei der Warenverteilung damit unmittelbare Berührung.
So ist es gekommen, daß selbst die kleinsten Gemeinden zum Kaufmann
und Lebensmittelhändler wurden. Je größer aber die zu versorgende
Bevölkerung eines Kommunalverbandes ist, desto größer ist der
Warenumsatz, der sich in den Großstädten auf viele Hunderte von
Millionen beläuft, zu deren Erledigung ein Heer von Angestellten
neu aufgestellt werden mußte.
Sowohl zur Erfassung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse als
auch zur Beschaffung und zum Vertrieb der Verteilungswaren fehlte,
von geringen Ausnahmen abgesehen, den Gemeinden und Kommunal-
verbänden vor dem Krieg jegliche Einrichtung^). Die Kriegsnot-
1) Vgl. Elsas, Die Lebensmittelversorgung einer Großstadt im Kriege. Stutt-
gart 1917.
Einige Grundfragen der ErnährungSMrirtsehaft im Kriege. 437
wendigkeit versetzte sie in den Zwang, sich einem Arbeitsgebiet zu-
zuwenden, dem weitaus die überwiegende Mehrzahl der Gemeinden
vorher fremd gegenübergestanden hatte. Bei dem Aufgabenkreis, der
hier zu lösen war, tauchten ebenfalls vollständig neue Fragen auf:
Art der Warenbeschaffung durch die Gemeinden und Kommunal-
verbände, wobei sich als besonders interessante und wichtige Neu-
schöpfung die Form der Gesellschaft mit beschränkter
Haftung in zahlreichen gemeindlichen und provin-
ziellen Lebensmittelversorgungsgesellschaften durch-
gesetzt hat^); Organisation der Waren-Unterverteilung hinsichtlich
Zeit, Ort, Form der Warenabgabe, Sicherung der gleichmäßigen Be-
zugsrechte aller Versorgungsberechtigten, Beteiligung des örtlichen
Groß- und Kleinhandels an der Waren-Unterverteilung, gleichmäßige
Versorgung sämtlicher Verkaufsstellen zur ordnungsgemäßen Be-
lieferung der Käufer, Aufhebung der Gewerbefreiheit durch Ein-
führung des Konzessionszwangs, Beschränkung der Gewerbefreiheit
durch das System der Kundenliste oder des Bestellverfahrens, Ueber-
wachung der amtlich vorgeschriebenen Verkaufspreise, Schutz der
Verbraucher vor Preisüberforderungen und Schutz der Gesamtheit
vor den Gefahren des wilden Handels, Erfassung der landwirtschaft-
lichen Erzeugung teils unter Zuhilfenahme preispolitischer Maß-
nahmen, teils durch Ablieferungszwang. Und während den Reichs-
und Landeszentralbehörden, denen allein infolge der statistischen
Organisation der Ueberblick über die Gesamtheit der zur Verteilung
zur Verfügung stehenden Lebensmittel zu Gebote steht, die großen
grundlegenden und entscheidenden Organisationsfragen zur Erledigung
zustehen, haben die unteren Verwaltungsbehörden, Gemeinden und
Kommunalverbände die unendlich mannigfaltige und vielseitige Klein-
arbeit, von deren pflichtgetreuer Erfüllung der Erfolg der zentral-
instanzlichen Anordnungen abhängt, durchzuführen. So ist im Laufe der
Kriegswirtschaft das System der Zentralbewirtschaftung notwendiger-
weise immer mehr ausgebaut und ergänzt worden durch eine De-
zentralisierung bei der Durchführung. Dabei hat sich
gezeigt, je sorgfältiger unter Anpassung an die je-
weils örtlich gegebenen Verhältnisse die Dezentrali-
sierung sowohl bei derErfassung als auch bei der Ver-
teilung vorgenommen wird, desto größer ist der Er-
folg; denn immer wieder trat zutage, daß das W irtschaf sieben
sich zwar in seinen Grundzügen in klare juristische
Formeln fassen läßt, bei der Anwendung der Grundzüge und
deren Uebertragung auf die tatsächlichen Verhältnisse der Erfolg
jedoch ein um so größerer ist, je mehr an Hand der Grundzüge dem
freien Ermessen der unteren Verwaltungsbehörden
noch Kaum zur Betätigung bleibt. Je beweglicher und an-
1) Vgl. Elsas, Gemeindliche und provinzielle Lebensmittelyersorgungsgesellschaften.
Tübingen 1917.
438 Fritz Elsas,
passungsfähiger die Organisation ist, desto geringer sind
die Reibungsflächen, die sich bei bürokratischer Organisation des
Wirtschaftsiebens notwendigerweise ergeben müssen.
Gerade bei diesen letzten Gedankengängen pflegen die Gegner
der kriegswirtschaftlichen Organisation einzusetzen. Es ist klar,
daß, wenn eine Organisation in die Lebensgewohnheiten jedes Ein-
zelnen so tief eingreift, wie es die Kriegsernährungsmaßnahmen tun
müssen, um ihren Zweck zu erfüllen, an sich jeder Einzelne
zum Gegner wird. Die Landwirte beklagen sich darüber,
daß ihnen die Verfügungsfreiheit über ihre Erzeugnisse entzogen
wird, beklagen sich über den Ablieferungszwang und beklagen sich,
daß die Erzeugnisse ihrer Betriebe, die sie nur unter Anwendung der
größten Anstrengung, unter Hergabe ihrer äußersten Kräfte und
letzter Ausnützung ihrer gesamten Betriebsmittel herstellen können,
infolge der behördlichen Preispolitik keinen Ausgleich für die auf-
gewendete Mühe und Arbeit erhalten. Nicht minder heftig sind
die Klagen der Verbraucher. Sie sind verschieden je nach der
sozialen Lage, den Einkommensverhältnissen. Die Minderbe-
mittelten, die breite Masse der Bevölkerung, klagt über die
Teuerung und über die einseitige Preispolitik der Regierung zu-
gunsten der Landwirtschaft. Die Kreise, deren Einkommen schon
vor dem Krieg und im Krieg größer gewesen sind, klagen darüber,
daß durch die öffentliche Bewirtschaftung und die gleichmäßige
Verteilung der Waren ihnen die Möglichkeit genommen sei, auf
rechtmäßige Weise sich die Warenmengen zu verschaffen, die sie
sich zu verschaffen in der Lage wären. Die Preispolitik der Be-
hörden habe dazu geführt, daß die Ware vom Markt verschwinde,
während dann, wenn höhere Preise bezahlt würden, ein genügend
großes Angebot mit Sicherheit vorhanden sei. Die Händler endlich
führen Klage darüber, daß an ihre Stelle und ihre Sachkenntnis un-
fähige Bürokratie getreten sei. deren Organisationsgeschick es ledig-
lich erreicht habe, daß die Ware vom Markt verschwinde oder in
wesentlich verschlechterter Form zu erheblich gestiegenen Preisen
zugeführt werde.
Allen diesen Klagen gemeinsam ist, daß sie von mehr oder
weniger starkem Mißtrauen gegen die Behörden und die
gesamte kriegswirtschaftliche Organisation erfüllt sind. Der Land-
wirt ist mißtrauisch, weil er die maßgebenden Stellen der einseitigen
Begünstigung der Verbraucher beschuldigt ; der Verbraucher ist miß-
trauisch, weil er der Regierung die einseitige Vertretung agrarischer
Interessen mit Recht vorwerfen zu können glaubt; die Händler sind
mißtrauisch, weil ihre wirtschaftliche Grundlage vollständig verändert
wurde und sie aus freien, selbständigen Wirtschaftsindividuen in
mehr oder weniger offener Form Kommissionäre oder Angestellte
der Behörden wurden. Aber auch untereinander besteht zwischen
den drei großen Wirtschaftsgruppen tiefgehendes Mißtrauen. Der
Landwirt wirft dem Händler, soweit er sich noch betätigen kann,
Einige Grundfragen der Ernährungswirtsehaft im Kriege. 439
vor, sein Dazwischentreten verteure unnötig die Waren; derselbe
Vorwurf wird dem Händler vom Verbraucher gemacht. Am tiefsten
aber ist das Mißtrauen zwischen Landwirt und Verbraucher selbst
geworden, weil der Landwirt glaubt, jeder städtische Verbraucher sei
wohl in der Lage, die von ihm als notwendig erachteten Preise an-
zulegen, und der städtische Verbraucher mißgönne ihm lediglich den
ihm gebührenden gerechten Anteil an der Kriegskonjunktur. Der
städtische Verbraucher aber übersieht die ungeheuren Schwierigkeiten,
unter der die Landwirtschaft zu arbeiten hat, und wenn die Waren-
versorgung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu irgendeinem
Zeitpunkt in Stockung geriet, witterte er stets absichtliche Zurück-
haltung auf Seiten der Landwirtschaft, um hierdurch den Markt zu
entblößen und höhere Preise zu erzielen. Zu besonders lebhaften
Klagen führt bei ihm die Tatsache, daß dem Landwirt größere Lebens-
mittelmengen zur Verfügung stehen, als ihm, der in seiner breiten
Masse lediglich auf die gleichmäßig rationierten Waren angewiesen sei.
Woher kommt das außerordentliche gegenseitigeMißtrauen
und die dadurch entstandene Verstimmung der Bevölkerungskreise
untereinander und das Mißtrauen gegen die behördliche Kriegswirt-
schaft? Dem Einzelnen fehlte schon im Frieden zu-
meist die Kenntnis des Zusammenhangs aller wirt-
schaftlichen Vorgänge. Er hatte aber auch aus Gründen
praktischer Notwendigkeit an sich kaum Veranlassung, sich mit
diesen Zusammenhängen zu befassen ; wenn die Versorgung ordnungs-
gemäß arbeitete, war er zufrieden. Der Landwirt wollte selbstver-
ständlich für seine Erzeugnisse möglichst gute Preise, die Verbraucher
arbeiteten vor allen Dingen durch genossenschaftlichen Zusammen-
schluß darauf hin, die Waren möglichst billig zu erhalten ; den Aus-
gleich vermochte im großen und ganzen der Handel mittels des
freien Angebots aus dem Weltmarkt herbeizuführen. Mit dem Weg-
fall dieser Ausgleichmöglichkeit durch die Verhältnisse des Kriegs
kam ein eisernes Muß zur Herrschaft. Jeder mußte sich
Eingriffe in seine persönliche Freiheit und in seine
persönlichen Lebensgewohnheiten gefallen lassen, aber
ieder fühlt sich dadurch in heiligen Menschenrechten
getroffen und wandte seinen Unwillen jeweils dem zu,
dem die Schuld nach seiner Kenntnis der Verhältnisse
zukam. Die Unkenntnis der Zusammenhänge und der
staatlichen Notwendigkeit der getroffenen Maß-
nahmen ist es ausschließlich, die zu dieser gegen-
seitigen Mißstimmung geführt hat. Wer in der Klein-
arbeit des Alltags drin steht, weiß, von welcher Opferbereit-
schaft und von welchem Verständnis die Bevölkerung er-
füllt ist, sobald ihr die Gründe und Notwendigkeit der
getroffenen Maßnahmen klargelegt werden.
Was die Bevölkerung verlangt und mit Recht verlangen kann,
ist offene Wahrheit und keine Schönfärberei. Je klarer die Verhält-
440 Fritz Elsas, Einige Grundfragen de^ Emährungswirtschaft im Kriege.
nisse dargelegt werden, desto leichter und desto williger findet sich
die Bevölkerung in die getroffenen Maßnahmen. Die Sicherung der
Kriegsernährung ist ein verwaltungstechnisches Problem
allerersten Rangs, sie ist aber auch gleichzeitig eine volks-
psychologische Aufgabe, wie sie in dieser Größe noch keinem
Staat gestellt war. Daß nur der Staat allein sie lösen kann, geht
daraus hervor, daß auch in den feindlichen und neutralen Ländern,
wo das Verhältnis zwischen Individuum und Staat anders ist als in
Deutschland, nur der Staat so viel Macht, Kraft, Leben und Gerech-
tigkeit in sich trägt, um diejenigen Maßnahmen und Vorkehrungen
zu treffen, die zur Sicherung und Erhaltung seiner Bevölkerung not-
wendig sind.
(Abgeschlossen Juni 1917.) (g. c.)
Miszellen. ^ 441
Miszellen.
XII.
TTebersicht über den Weltgetreidemaxkt.
Vom 1. Juni bis 1. September 1917.
Von Otto Jöhlinger, z. Zt. im Heeresdienst.
In dem vorigen Bericht über den Weltgetreidemarkt (oben S. 31 fg.)
war gesagt worden, daß England für ausländisches Getreide Höchst-
preise eingeführt habe und daß diese Höchstpreise weit hinter den
Weltmarktsätzen zurückbleiben. Dabei wurde wörtlich ausgeführt:
„Wenn also in England ausländisches Getreide mit 400, — M. ab-
gegeben wurde, so war das anscheinend dadurch möglich geworden,
daß die Regierung aus der Staatskasse rund 200, — M. pro Tonne bei-
steuerte."
Die Richtigkeit dieser Vermutung ist in der Zwischenzeit bestätigt
worden. Zum erstenmal seit Beginn des verschärften U- Bootkrieges
ist von englischer Seite offen zugegeben worden , daß die Regierung
einen Teil der Kosten der Weizeneinfuhr aus eigener Tasche deckt.
Am 26. Juli 1917 fand nämlich im englischen Oberhause eine Debatte
über die Lebensmittelversorgung statt, wobei der englische Lebens-
mittelkontrolleur, Lord Rhondda, nähere Angaben über die Getreide-
versorgung machte. Er wies zunächst darauf hin, daß eine Verminde-
rung der hohen Getreidepreise, die außerordentlich drückend auf die
unteren Volksschichten wirkten, nicht herbeigeführt werden könne ; denn
England sei für seine Versorgung mit Nahrungsmitteln völlig von neu-
tralen Ländern abhängig. Würde man niedrige Höchstpreise festsetzen,
so laufe man Gefahr, die Zufuhren ganz abzuschneiden. Alsdann gab
er ausdrücklich zu, daß die englische Regierung, indem sie den einge-
führten Weizen billiger verkaufe, als sie ihn auf dem Weltmarkt kaufen
muß, erhebliche finanzielle Opfer bringe, wobei er wörtlich sagte: „Es
handelt sich um eine Politik, welche nur durch die Umstände, in denen
wir uns befinden , gerechtfertigt werden kann und durch die Unmög-
lichkeit, auf anderem Wege den Preis des Brotes, des hauptsächlichsten
Nahrungsmittels der Armen, zu verringern. Vier Fünftel unserer Weizen-
vorräte kommen von Uebersee, und ohne diese Versorgung müßten wir
verhungern. Wir selbst sind nicht in der Lage, den Preis, welchen
der auswärtige Produzent verlangt, zn bestimmen." Dieses Eingeständ-
nis ist höchst bemerkenswert. Es wird das zugegeben, was man
bisher nur vermuten konnte, nämlich daß die verhältnismäßig billigen
442 Mis Zellen.
Höchstpreise England außerordentlich teuer zu stehen kommen. Je
länger der Krieg dauert, und je mehr die Preise auf dem Weltmarkt
steigen, um so mehr muß England für die Weizenversorguug aus der
Staatskasse zuschießen. Nur so kann es sich den Luxus leisten, Brot-
preise aufzuweisen, die unter der Weltmarktparität stehen.
Auf dem Weltgetreidemarkt ist im Laufe des Jahres eine erheb-
liche Verteuerung eingetreten. Während beispielsweise Weizen ftlr
Septemberlieferung in Chicago Anfang Januar nur rund 139 Cts. kostete,
wurde Mitte August ein Preis von 215 Cts. bezahlt, nachdem bereits
ein höherer Satz inzwischen vorübergehend erreicht worden war. Dieser
Steigerung haben die englischen Preise keine Rechnung getragen ; denn
seit Februar ist keine wesentliche Preisveränderung mehr in England
vorgenommen worden, und dies trotzdem sowohl die Versicherungs-
gebühren als auch die Frachten auf dem Weltmarkt bedeutend teurer
geworden sind.
Wenn auch äußerlich die Not Englands in bezug auf Getreide noch
nicht allzu deutlich in Erscheinung tritt, so läßt sich doch schon klar
erkennen, daß der Unterseebootkrieg das Land in erhebliche Verlegen-
heiten bringt. Die ständigen Klagen über die schlechte Beschaffenheit
des englischen Brotes beweisen deutlich, wo zunächst die Wirkung zu
verspüren ist. Da es an Weizen fehlt , hat man die verschiedensten
Arten von Ersatzmitteln gesucht. Man mengt Reis und andere Frucht-
arten unter das Brot, was zur Folge hat, daß sowohl die Haltbarkeit
als auch die Verdaulichkeit des Brotes außerordentlich leiden. Sicher-
lich hat England größere Vorräte von Reis im Lande gehabt, die nun-
mehr aufgezehrt werden. Dadurch ist die sonst unvermeidlich gewesene
Weizenkrise noch etwas hinausgeschoben worden. Es handelt sich aber
hierbei nur um ein Hilfsmittel von vorübergehender Wirkung;
denn je mehr die Versenkungen von Weizendampfern zunehmen, um
so mehr müssen die Bezugsschwierigkeiten sich steigern. Schon jetzt
erkennt man deutlich die Wirkung des zunehmenden Frachtraummangels,
da eine Reihe von Gütern, die zum Leben unbedingt notwendig sind,
nicht mehr nach England eingeführt werden dürfen. Bemerkenswert
ist in dieser Hinsicht , daß sowohl die Einfuhr von Fleisch als auch
von Viehfuttermitteln unterdrückt worden ist, um Schiffsraum für Brot-
getreide zu ersparen. Bei Bekanntgabe dieser Maßnahme wurde aus-
drücklich darauf hingewiesen, daß England jetzt zum erstenmal ge-
zwungen sei , die Armee mit einheimischem Fleisch zu ernähren.
Der Ackerbauminister Prothero erklärte dabei, es handle sich hierbei
nicht um eine freiwillige, sondern um eine erzwungene Maßnahme. Der
bedeutende Kriegsbedarf und die deutschen U-Boote hätten den Eng-
land zur Verfügung stehenden Schiffsraum so verkleinert, daß nichts
für die Einfuhr von Viehfutter übrigbleibe. Deshalb müßten die eng-
lischen Landwirte das Fleisch für die Bevölkerung beschaffen, auch
wenn sie hierbei einen pekuniären Schaden erlitten.
Im übrigen hat der U-Bootkrieg auch eine grundlegende Aenderung
der Gesetzgebung in England notwendig gemacht, vor allem durch den
Erlaß des Nahrungsmittelgesetzes, das im August die Billigung des
M i s z e 1 1 e n. 443
Parlamentes fand, rreilich waren die Ansichten über den Wert des
Kornerzeugungsgesetzes sehr geteilt, und es hat nicht an ebenso
scharfen wie berechtigten Kritiken des Gesetzes gefehlt. Das englische
Kornerzeugungsgesetz garantiert den Landwirten bis zum Jahre 1922
bestimmte Mindestpreise und zwar für Weizen nicht unter 45 sh und
für Hafer nicht unter 24 sh. Dadurch sollen die Landwirte angeregt
werden, ihre Anbaufläche zu steigern. Es soll ihnen das Risiko eines
Preissturzes abgenommen werden. Eine solche Garantie bedeutet in
der Tat für England einen außerordentlich weitgehenden Schritt und
zugleich eine Verpflichtung für die Regierung, die von nicht absehbaren
Polgen begleitet sein kann. Pallen die Weltmarktpreise unter die fest-
gesetzten Mindestpreise, dann erhalten die Landwirte von der Regierung
entsprechende Vergütungen. Nun hat man in England vorgeschlagen,
daß man die Vergütung nicht für die ganze Ernte gewähren solle,
sondern nur für die Mehrerzeugung; denn es kann sein, daß mancher
Landwirt gar nicht mehr Getreide anbaut als in den letzten Jahren und
daß er trotzdem der Garantiesumme teilhaftig wird. Auf die Bedenk-
lichkeit dieser Maßregel wies die Zeitschrift „New Statesman" hin, in-
dem sie wörtlich schrieb :
„Nun gab es im Vereinigten Königreich vor dem Kriege etwa
19 Millionen acres bestellbaren Landes, von denen fast 6 Millionen
mit Weizen und Hafer bebaut waren. Die Regierung hofft, daß weitere
3 Millionen jetzt umgepflügt werden, und in Anbetracht des Frucht-
wechsels darf man annehmen, daß etwa ein Drittel davon, also eine Million
acres Weizen und Hafer tragen würde. Erfüllt sich diese Hoffnung,
so werden aus den 6 Millionen acres sieben. Der Gesetzentwurf schlägt
vor, daß um der einen Million mehr willen der Steuerzahler auch den
vorhandenen sechs die Garantie geben soll."
Die Berechtigung dieser Beanstandungen läßt sich nicht bestreiten.
Der Landwirtschaftsminister betonte demgegenüber aber, daß es not-
wendig sei, bevor man die Erzeugung vermehre, zunächst einmal sie
aufrechtzuerhalten. Das sei nicht möglich, wenn man den Landwirten
nicht eine bestimmte Sicherheit gewähre.
Fallen auf dem Weltmarkt die Preise bis zum Jahre 1922, so
würde in der Tat die Uebernahme der Garantie für die englische Staats-
kasse eine weitere erhebliche Belastung bedeuten, und die Schwierig-
keiten der Lage kommen deutlich in der „Morningpost" vom 25. Juli
zum Ausdruck, wo es heißt:
„Während Deutschland durch seine Produktiouspolitik in der Lage
ist, durchzuhalten, muß England jetzt den Amerikanern eingestehen,
am Ende seiner Hilfsquellen angelangt zu sein, und sieht sich genötigt,
diesem hochschutzzöllnerischen Lande die Uebernahme der Kriegs-
finanzierung zu überlassen. Diese Lage ist demütigend."
Die neue Getreideernte Englands wird einer besonderen Gesetz-
gebung unterworfen , über die die „Times" vom 3. August folgende
Mitteilungen brachten :
„Die Verordnung hat den Zweck, Spekulationsgeschäfte in
der diesjährigen Getreide- und Kartoffelernte zu verhindern, da
444 Miszellen.
derartige Geschäfte störend auf die Maßnahmen zur Preisüberwachung
und richtigen Verteilung der Ernte einwirken könnten. Der alleinige
Zweck der Kontrollmaßnahmen ist, die richtige Verteilung der Ernte
an Hand der gewöhnlichen Handelskanäle sicherzustellen, und gleich-
zeitig dafür zu sorgen, daß jede Spekulation und jeder unnötige Zwischen-
handel unmöglich gemacht wird. Das Kontrollsystem und die Preise
wurden bereits von den Landwirtschaftsbehörden Englands, Schottlands
und Irlands genehmigt.
Geschäfte in Saatgetreide sind ohne jede BeschränkuDg hinsicht-
lich Menge und Preis gestattet. Man beabsichtigt, allen Weizen, Roggen
und Gerste für die menschliche Ernährung und die Aussaat zu reservieren.
Der nicht für Mahlzwecke benötigte Hafer steht als Viehfutter zur Ver-
fügung. Für Gerste, Hafer, Weizen und Roggen werden Höchstpreise
festgesetzt, die nur für Getreide von guter Beschaffenheit gelten. Der
Höchstpreis für Weizen und Roggen schwankt zwischen 70 sh für den
Quarter bei Beginn der Saison und 74 sh für den Quarter nach dem
1. Juni nächsten Jahres. Der Durchschnittspreis beträgt also 72 sh
für den Quarter von 480 englischen Gewichtspfunden. Dieser Preis
entspricht 75 sh 6 d für den Quarter von 504 Pfd., dem anerkannten
Handelsgewicht. In gleicher Weise wird der Preis für Hafer mit dem
Vorrücken der Saison von 41 sh auf 45 sh steigen. Der Durchschnitts-
preis ist also 43 sh für den Quarter von 312 Pfd. und entspricht 46 sh 8 d
für das Handelsgewicht eines Quarters von 336 englischen Gewichts-
pfunden. Die Hafermüller dürfen über den Haferhöchstpreis hinaus
einen Zuschlag von 3 sh für den Quarter von 336 Pfd. zahlen , was
sie in den Stand setzt, sich die besten Sorten zu beschaffen. Bei Gerste
beträgt der Höchstpreis während der ganzen Saison 56 sh für den
Quarter von 400 englischen Gewichspfunden und entspricht 62 sh 9 d
für den Quarter von 448 Pfund , dem Handelsgewicht. Malzhändler
und andere konzessionierte Käufer — aber nicht Müller — dürfen bis
zu 68 sh für den Quarter von 448 Pfd. für die Gerste, zu deren An-
kauf sie Erlaubnis haben (falls solche vorhanden ist), zahlen.
Um den Handel in Abfällen ausgesiebter W^are und Ausschußge-
treide, die sich für menschliche Nahrung nicht eignen, zu höheren Preisen
als dem Höchstpreise für gesundes Getreide zu verhindern und jede
Versuchung zu beseitigen, Getreide schadhaft werden zu lassen, beträgt
der Höchstpreis, zu welchem für menschliche Nahrung ungeeigneter
Weizen, Roggen und Gerste verkauft werden dürfen, für den Quarter
7 sh weniger, als der jeweils gültige Höchstpreis für gesundes Getreide.
Der Preis, zu welchem importiertes Getreide an die Müller
verkauft wird, soll von Zeit zu Zeit mit den gültigen Höchstpreisen
für gesundes einheimisches Getreide abgestimmt werden. Dadurch wird
dem Landwirt für gesundes und gutes Getreide ein bereitwilliger Markt
gesichert, während er gleichzeitig verhindert wird, Höchstpreise für
minderwertige Beschaffenheit zu erzielen. Die Müller sollen nach
Möglichkeit ermuntert werden, Weizen, Roggen und Gerste direkt von
den Landwirten zu beziehen, aber wo zwecks Sicherstellung gerechter
Verteilung die Dienste eines Kaufmannes nötig sind, dürfen die Extra-
liiszellen. 445
kosten keinesfalls einen Shilling für den Quarter übersteigen, und so-
lange reichliche Vorräte vorhanden sind, rechtfet Lord Rhondda damit,
daß der Wettbewerb diesen Höchstsatz auf 6 sh für den Quarter er-
mäßigen wird.
Käufer, die nicht Müller sind, dürfen, wenn sie durch einen als
solchen anerkannten Vermittler kaufen, einen Mehrpreis von nicht über
2 sh für den Quarter über den Erzeugerhöchstpreis hinaus zahlen. Aber
auch in diesem Falle wird der Wettbewerb den Höchstpreis ermäßigen,
solange reichliche Vorräte vorhanden sind. Ein derartiger
Mehrpreis ist aber nötig, um die Zufuhr von Hafer nach Industrie-
mittelpunkten zu sichern, wo im gewöhnlichen Geschäftsgang der Hafer
sowohl durch die Hände eines ländlichen Kaufmannes wie eines Groß-
händlers gehen würde. Bei Geschäften von nicht über 15 Sack wird
eine weitere Preiserhöhung gestattet, und bei solchen unter einem Sack
gibt es keinerlei Preisbeschränkung. Es ist ungesetzlich, Getreide
anders als nach Gewicht zu verkaufen, auch gelten die Preise für
Nettokassazahlung, zahlbar innerhalb 7 Tagen nach vollendeter Ab-
lieferung. Der Erzeuger hat seine eigenen Säcke zur Verfügung zu
stellen oder für die Miete der Säcke bis zur Ablieferung des Getreides
aufzukommen. Die Ablieferung geschieht durch den Erzeuger, ent-
weder nach der nächsten Bahnstation, oder, nach seiner Wahl, nach
dem Grundstück des Käufers. Alle Frachten, Transportkosten, Träger-
und Fuhrlöhne vom Ort aus, an dem die Anlieferung seitens des Er-
zeugers stattfindet, sind vom Käufer zu zahlen, ebenso die Kosten der
Sackmiete (falls solche zu entrichten ist) von der Zeit der Ablieferung
ab. Der Preis der Abfälle in den Mühlen ist der gleiche wie der
Preis von Weizen."
Sehr eigenartig gestaltet sich die Preisentwicklung am amerika-
nischen Getreidemarkt. Seit Mitte Mai hatte die amerikanische
Regierung eingegriffen und die Notierungen der Preise für den laufenden
Monat an den Produktenbörsen verboten. Der letzte Kurs für Weizen
pro Mailieferung wurde am 11. Mai mit 318 Cts. für den Bsh. notiert,
während zu Beginn des Jahres die Preise nur auf 185 Cts. standen.
Die letzte Loco-Notiz in New York erfolgte am 8. Mai mit 320 Cts.
gegenüber 195. Cts zu Beginn des Jahres. Während nun die Kurse
für Mai nicht mehr notiert werden konnten, sind die späteren Termine,
also Juli und September, mit kurzen Unterbrechungen weiter zur An-
schreibung gelangt. Zuerst war in der Tat ein Erfolg der amerikani-
schen Regierung festzustellen, d. h. die Preise für Juli-Lieferungen
senkten sich ganz erheblich ; aber kurz darauf war wieder ein Ansteigen
festzustellen. Schon am 4. Juni betrug die Notiz für Juli-Lieferung
215 Cts. Der Preis schnellte bis Ende Juli auf 260 Cts. empor.
September-Lieferung erfuhr zunächst ebenfalls eine Abbröcklung. Der
Kurs sank bis auf 195 Cts. In der Folgezeit schwankte er zwischen
215 und 222 Cts., während er in der gleichen Vorjahrszeit nur rund 143
Cts. betragen hatte. Ende Juli tauchte dann plötzlich wieder einmal eine
Loco-Notiz auf, die zwischen 285 und 255 Cts. schwankte. Hier war also
gegenüber dem Höchststande eine beträchtliche Ermäßigung eingetreten.
446 Miszellen.
Immerhin stellte sich diese Loco-Notiz über den Preis des Vorjahres
von 157 Cts.
Der Saatenstandsbericht des amerikanischen Ackerbaubüros
stellt für den 1. August d. J. eine nicht unbeträchtliche Verschlechte-
rung der Begutachtungsziffer von Frühjahrsweizen gegenüber dem Vor-
monat fest. Die Taxe lautet jetzt auf 68,7 Proz., während im Vormonat
die Ziffer 83,6 betrug. Es ist also ein Rückgang von 15,1 Proz. ein-
getreten. Verglichen mit dem Vorjahre, stellt sich allerdings die jetzige
Begutachtungsziffer noch etwas höher; denn in der gleichen Vorjahrs-
zeit war der Stand 63,4 Proz. Am 1. August 1915 lautete dagegen
die Begutachtungsziffer auf 93,4 Proz. Im Zusammenhang mit dieser
Verschlechterung steht ein Rückgang der Taxe des Erträgnisses. Im
vorigen Monat war die Schätzung der Frühjahrsweizenernte 276 Mill. Bsh.
sie wird nunmehr auf 236 Mill. Bsh. reduziert. Für Winterweizen ist
jetzt die Angabe des Ertrages etwas höher als im Vormonat, nämlich
417 Mill. Bsh. gegen 402 Mill. Bsh. im Vormonat, 481 Mill. im Vor-
jahr und 655 Mill. in 1915. Zählt man Sommerweizen und Winter-
weizen zusammen, so ergibt sich eine Weizenernte von 653 Mill. Bsh.,
d. h. die gesamte Ernte Amerikas ist in diesem Jahr kleiner als bei-
spielsweise im Jahre 1914 und 1915 Winterweizen und Sommerweizen
zusammen betrugen! Die amerikanische Ernte stellte sich nämlich in
den letzten Jahren auf:
Jahr
Winterweizen
Sommerweizen
Zusammen
1917
417
236
653 Mill.
Bsh.
1916
482
158
640 „
ji
1915
655
356
lOII
1914
685
201
886 „
^,
1913
523
240
763 »
„
1912
400
330
730 „
»»
Daraus ergibt sich, daß die diesjährige Ernte im Vergleich mit dem
Durchschnitt früherer Jahre recht klein ausgefallen ist. Man hat be-
rechnet, daß in der Regel der heimische Bedarf in den Vereinigten
Staaten 550 Mill. Bsh. beträgt. Hierzu kommt noch ein Erfordernis
für Saat in Höhe von 50 Mill. Bsh., so daß, wenn die jetzige Ernte
richtig geschätzt ist, statistisch nur eine Menge von 53 Mill. Bsh. für
die Ausfuhr übrigbleiben würde. Hierzu kommen die Vorräte aus der
alten Ernte, die aber diesmal nur einen Bruchteil des Vorjahres aus-
machen. Sowohl bei den Farmern als auch bei den Händlern in
Amerika liegen jetzt wesentlich kleinere Mengen an Getreide, als in
der gleichen Zeit des Vorjahres. Betrugen doch nach der amtlichen
Ermittlung die Hafervorräte der amerikanischen Farmer am 1. August
d. J. nur 47,7 gegen 113,3 Mill. Bsh. in der gleichen Vorjahrszeit.
Der Stand des Maises, auf den man in Amerika in diesem Jahre
so große Hoffnungen gesetzt hat, hat sich im Laufe des Juli etwa»
verschlechtert. Die Begutachtungsziffer lautet auf 78,8 gegen 81,1 Proz.
im Vormonat resp. 75,3 Proz. im Vorjahre. Trotz dieser Ermäßigung
der Begutachtungsziffer ist aber die Ertragsschätzung diesmal höher^
Miszellen.
447
eine ErscheinuDg, die man in den letzten Jahren in Amerika häufig
beobachten konnte, für die indes seitens der amerikanischen Behörden
eine Erklärung bis jetzt nicht gegeben wurde. Die Maisernte wird
nämlich auf 3191 Mill. Bsh. geschätzt gegen 3124 Mill. Bsh. im Vor-
monat und 2589 Mill. Bsh. im Vorjahre.
Da das Ernteergebnis an Weizen diesmal erheblich hinter den ge-
waltigen Ansprüchen der Entente zurückbleibt, hat sich die amerikanische
Regierung zu einem Reformprogramm großen Stils entschlossen.
Hierüber wird aus Washington folgendes gemeldet :
Die Regierung gibt den sofort in Kraft tretenden Kriegsackerbau-
wirtschaftsplan bekannt. Der Plan empfiehlt eine Vermehrung der
Anbaufläche , die unter den günstigsten Verhältnissen genügt zur Er-
zeugung von 1250 Mill. Bsh. Weizen und 83 Mill. Bsh. Roggen. Die
Anbaufläche für Sommerweizen kann nicht bestimmt werden , soll
aber der von 1917 entsprechen und unter den besten Verhältnissen
350 Mill. Bsh. ergeben. Die beträchtlich vermehrte Weizenerzeugung
werde unbedingt notwendig sein , um einem ernsten Mangel an Brot-
stoffen vorzubeugen, falls die gegenwärtige Getreideernte durch einen
frühen Frost beschädigt werden sollte.
Vergleicht man dieses Reform programm mit dem Projekt des Herrn
Lloyd George , so muß man in der Tat sagen , daß es sich bei dem
amerikanischen Plan um ein gewaltiges Unternehmen handelt. Lloyd
George ist zufrieden, wenn im Jahre 1918 die gesamte Anbaufläche
Englands — also Brotgetreide und Futtergetreide zusammen — um
3 Mill. Acres zunimmt. Herr Wilson verlangt eine Vermehrung von
nicht weniger als 20 Mill. Acres nur für Winterweizen ! Eine Anbau-
fläche von 47,3 Mill. Acres, wie sie jetzt geplant ist, hat Amerika noch
nie aufzuweisen gehabt. Es betrug nämlich bisher die Anbaufläche
für Winterweizen :
Jahr
Aussaat
Ausgewintert
Abgeernt.
Ernte in
Acker
Proz.
Acker
Acker
Bsh.
1917
40 090 GOO
32,7
12437000
27 653 000
366 000 000
1916
39 203 000
11,4
4 236 000
34 829 000
481 744000
1915
42012000
2,7
I 094 000
40 453 000
655 045000
1914
37 128000
3,1
I 119000
36 008 000
684 990 000
1913
32 387 000
4,5
I 449 000
3 1 699 000
523561 000
1912
32 215000
20,1
6 469 000
26571 000
399qi9 000
1911
32 648 000
10,7
3 118000
29 162000
430656000
1910
3! 656000
13,7
4 439 000
27 329 000
434142000
1909
29 301 000
7,5
2 163 000
27 017 000
417 781 000
1908
3 1 069 000
4,«
1 318000
30 349 000
437908000
1907
3 1 665 000
11,2
3 533 000
28 132000
409442 000
1906
31 341 000
5,6
I 718000
29 600 000
492 888 000
1905
31 155000
4,6
I 432 000
29 864 000
428 465 000
1904
32016000
15,4
4 932 000
26 866 000
332935000
In den vorangegangenen Jahren war die Anbaufläche stets wesentlich
kleiner. In Zukunft soll das Areal von 27 auf 47 Mill. Acres erhöht
448
Miszellen.
werden, und hiervon erwartet Amerika eine Verdoppelung des Ertrages.
Statt der diesmaligen 417 Mill. Bsh. sollen 880 Mill. Bsb. geerntet
werden ; bei Sommerweizen erwartet man statt 236 Mill. Bsh. 350 Mill.
Bsh. Mit einer Gesamtmenge von nicht weniger als 1,2 Milliarden Bsh.
Weizen hofft man allen Schwierigkeiten, die sich der Versorgung der
Entente entgegenstellen können, zu begegnen. Dem Programm soll eine
gewisse Großzügigkeit nicht abgestritten werden ; ob es freilich so durch-
geführt werden kann , wie es beabsichtigt ist , ist eine offene Frage.
In England haben sich in diesem Jahre bei der geplanten Vermehrung
der Anbaufläche sehr ernste Hemmnisse gezeigt. Dort ist das Acker-
land trotz aller Anstrengungen nur ganz unwesentlich, nämlich um
300000 Acres vermehrt worden. Die Ursache für diese geringe Aus-
dehnung lag in dem Mangel an Arbeitern , Gespannen , Saatgut usw.
Man kann bestimmt damit rechnen, daß auch Amerika unter ähnlichen
Schwierigkeiten zu leiden haben wird. Auch dort macht sich während
des Krieges ein starker Arbeitermangel bemerkbar. Er ist zunächst
darauf zurückzuführen, daß die landwirtschaftlichen Arbeiter Amerikas
in großem Umfange zur Industrie abgewandert sind , wo sie höhere
Löhne erhalten als in der Landwirtschaft. Hinzu kommt, daß die
Einwanderung, die in Friedenszeiten erheblich zur Bewältigung der
Landarbeiten beitrug, während des Krieges auf ungefähr ein Drittel
gesunken ist. Gerade hieraus erklärt sich ja auch, daß in Amerika
seit dem Jahre 1915 die Anbaufläche des Winterweizens so stark zu-
rückgegangen ist. Der Ausfall an Erntearbeitern macht sich sowohl
quantitativ als auch qualitativ bemerkbar. Die Felder können ohne
Schwierigkeiten nicht in dem früheren Umfange bestellt werden, und
darüber hinaus kann der Boden nicht mit der Sorgfalt bearbeitet werden,
wie es gerade jetzt, namentlich bei dem Mangel an Dünger, unbedingt
notwendig ist. Es ist dies eine Erscheinung, die nicht nur in Nord-
amerika, sondern auch in Südamerika festzustellen ist. Nach den Er-
fahrungen , die man während des Krieges gemacht hat , muß ernstlich
bezweifelt werden, ob Amerika imstande ist, eine so starke Ausdehnung
der Anbaufläche vorzunehmen, wie jetzt geplant ist.
Der Eintritt Amerikas in den Weltkrieg ist von selten der Alliier-
ten mit sehr großen Hoffnungen begrüßt worden. Ist doch Amerika
dasjenige Land, das imstande ist, den Vierverband nicht nur durch
Geld, sondern auch in erheblichem Umfang durch Lebensmittel zu unter-
stützen. Freilich hat man gerade die Hoffnungen auf die Zuschüsse
von Lebensmitteln anscheinend etwas zu hoch geschraubt. Denn in
diesem Jahre werden die Vereinigten Staaten kaum imstande sein, das
Defizit in den Ländern des Vierverbandes wirklich auszugleichen, da
sie nicht über genügende Getreidemengen verfügen. Im übrigen dürfte
aber auch die Hoffnung auf das amerikanische Getreide tiügerisch
werden; denn es hat sich bisher immer noch gezeigt, daß, wenn ein
Land in den Krieg eintritt, seine Getreideerzeugung zurückgeht. Das
ist eine ganz naturgemäße Erscheinung, weil im Augenblick des Ein-
tritts in den Krieg die Arbeitskräfte in völlig anderer Weise in An-
spruch genommen werden, als in einem neutralen Lande. Das hat klar
Miszellen. 449
der Sekretär des Ackerbaudepartements der Vereinigten Staaten in
dem amerikanischen Finanzblatt „Chronicle" zum Ausdruck gebracht.
Dieser vertrat die Ansicht, daß die ganze Welt am Vorabend einer
wirtschaftlichen Erschöpfung steht, und die Mittel der Vereinigten
Staaten, so groß sie an sich auch seien, stellten doch nur einen Tropfen
Wasser dar. Der Welt drohe eine Hungersnot, da seit 3 Jahren
Millionen Menschen der Produktion entzogen wären und gleichzeitig
mehr verbrauchten als sonst. Alsdann führt er wörtlich aus:
„Jetzt wollen die Vereinigten Staaten, ein bisher neutrales Land,
Krieg führen. Um ein Heer zu schaffen, müssen sie der Produktion
Millionen von Männern, die bei der Arbeit fehlen werden, entziehen.
Wenn wir eine gute Ernte bekommen, wird es an Arbeitern fehlen,
um sie einzubringen, denn diese Arbeiter sind dann mit anderen Ar-
beiten beschäftigt, die so hohe Löhne, wie sie die Landwirtschaft nie-
mals zahlen kann, ergeben. Wir wiederholen, daß die Welt von wirt-
schaftlicher Erschöpfung und Hungersnot bedroht ist. Die russische
Revolution ist mehr ein Protest gegen die Hungersnot als gegen Zaris-
mus und Autokratie. Angesichts der Gefahr der wirtschaftlichen Er-
schöpfung, die der ganzen Welt droht , ist es schwer zu glauben , daß
der Krieg noch lange dauern wird. Deshalb mag der Eintritt der Ver-
einigten Staaten in den Krieg, indem er die Bedingungen, die zur wirt-
schaftlichen Erschöpfung führen , verstärkt , die Abkürzung der Dauer
des Krieges zur Folge haben! Was die Frage angeht, ob unsere Teil-
nahme am Kriege unseren Freunden zum Vorteil gereichen oder ob sie,
im Gegenteil, ihnen den Hals zuschnüren wird, darauf kann nur die
Zukunft antworten."
In der Tat, die Bedenken sind durchaus zutreffend , und es wäre
verfehlt, wenn man von Amerika allzuviel Unterstützung in der jetzigen
Lebensmittelkrisis erwarten würde.
Unter den landwirtschaftlichen Erzeugnissen der Vereinigten Staaten
von Amerika steht, was den Umfang der Produktion anlangt, der Mais
an erster Stelle. Denn an Mais erntet Amerika jährlich mehr als an
allen anderen Getreidearten zusammen. Während beispielsweise die
Weizenernte zwischen 700 und 800 Mill. Bsh. schwankt, erzeugt Amerika
an Mais zwischen 2700 — 3000 Mill. Bsh. Die amerikanische Maisernte
ist so groß , daß sie drei Viertel der ganzen Maiserzeugung der Welt
ausmacht. Alle anderen Länder zusammen bringen nur 25 Proz. her-
vor Trotz dieses gewaltigen Umfanges ist aber die Ausfuhr von Mais
aus Nordamerika sowohl absolut als auch relativ nur klein , sie bleibt
beträchtlich hinter dem Weizenexport zurück, obgleich die amerikanische
Weizenernte noch nicht ein Drittel der Maisproduktion des Landes
klarstellt. Denn von der Maisernte werden 1 Proz., höchstens 2 Proz.
ausgeführt, während der ganze Rest im Lande selbst verbraucht wird.
Die Erklärung für diese eigenartigen Verhältnisse ist in der großen
Rolle zu suchen, die der Mais in der amerikanischen Viehzucht spielt.
Die Viehhaltung der Union ist zum weitaus größten Teil auf der Ver-
fütterung mit Mais aufgebaut. Es gilt dies sowohl für die Stallfütterung
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 29
450 Miszellen.
als auch für die Weide. Man hat berechnet, daß beinahe 82 Proz. der
Erzeugung von Mais in der Landwirtschaft selbst verwendet, also nicht
an die Märkte abgeliefert werden. Hiervon entfallen nur 0,8 Proz. auf
die Aussaat, während für die Schweinemast rund 26,8 Proz., für die
Pferdefütterung 27 Proz. verbraucht werden. Das Milchvieh einschließ-
lich der Kälber erhält weitere 18 Proz. Der Rest wird zu anderen
Zwecken in der Landwirtschaft benutzt. Nach den Städten werden
einschließlich der zu Exportzwecken verwendeten Mengen in normalen
Zeiten nur 18 Proz. der Ernte gebracht. Davon verbraucht die Müllerei
(Maismehl, Grieß u. dgl.) 9 Proz., die Städteindustrie 1,5 Proz. und die
übrigen Gewerbezweige (Destillation, Spirituserzeugung usw.) 1,3 Proz.
In den Städten selbst werden ungefähr 4,4 Proz. verfüttert, ausgeführt
werden durchschnittlich 1,7 Proz. Man sieht aus dieser Zusammen-
stellung, daß selbst bei großen Ernten Amerika als Ausfuhrland von
Mais nur in verhältnismäßig geringem Umfange in Betracht kommt.
Das zu wissen, ist diesmal besonders wichtig, da angeblich im laufen-
den Jahre die nordamerikanische Union eine besonders große Ernte an
Mais haben soll, worauf man seitens Englands weitgehende Hoffnungen
setzt. Gewiß besteht die Möglichkeit, daß Nordamerika jetzt seine Aus-
fuhrquote an Mais etwas erhöht. Es wäre aber verfehlt, wollte man
annehmen, daß nunmehr Amerika durch seine Maislieferungen den be-
stehenden Getreidemangel auf dem Weltmarkt erheblich zu mildern
imstande wäre. Denn einerseits ist im Kriege dfer einheimische Ver-
brauch an Mais im Zusammenhang mit dem Aufschwung der amerika-
nischen Fleisch- und Fettindustrie weiter gestiegen, und andererseits
zwingt die kleine Weizenernte viele Farmer, noch mehr Mais in der
eigenen Wirtschaft zu verwenden als bisher.
Regelmäßige Frachtnotierungen erfolgen jetzt nicht mehr.
England bemüht sich vielmehr, die Angaben über die Frachtsätze auf
dem Weltmarkt geheimzuhalten. Nur hin und wieder sickert einmal
die eine oder andere Angabe durch. So wurde Ende Juni bekannt^
daß beispielsweise für Verladungen von spanischen Südfrüchten nach
England 19 sh für die Kiste verlangt wurden, während beispielsweise
im November 1916 der Frachtsatz 4V2 his 5 sh war. Aehnliche Sätze
sollen für Kartoffeln und Tomaten bezahlt worden sein. Eine weitere
Verteuerung erfahren die Auslandsbezüge dadurch, daß die Hafenarbeiter
erhebliche Lohnsteigerungen durchgesetzt haben.
Recht trübe sind die Aussichten für die französische Getreide-
ernte. Der „ifcconomiste Fran^ais" vom 19. Mai gibt eine Uebersicht
über die französische Ernte, wobei folgendes ausgeführt wird:
„In den Jahren 1911 — 1915 hatte Frankreich eine durchschnitt-
liche Weizenproduktion von 80,6 Mill. dz, während der Ueberschuß
der Einfuhr über die ^usfuhr durchschnittlich 15,6 Mill. dz betrug.
Seit 1912 ist die französische Weizenproduktion dauernd zurückge-
gangen; sie betrug im Jahre 1912 91 Mill. dz, 1913 87 Mill. dz, 1914
77 Mill. dz, 1915 60,6 Mill. dz und 1916 58,4 Mill. dz. Der ein-
heimische Verbrauch wurde in normalen Zeiten auf 86 — 87 Mill. dz.
Miszellen.
451
geschätzt; da für die Aussaat durchschnittlich 9,3 Mill. dz erforderlich
sind, so ergibt sich ein jährlicher Gesamtbedarf von etwa 96 Mill. dz.
Nach der Mitteilung des Abgeordneten Maurice Long in der Kammer-
sitzung vom 7. III. dieses Jahres wurden vom 8. I. 1916 bis zum
1. III. 1917 22 Mill. dz Weizen eingeführt. Da die vorjährige Ernte
nur 58 Mill. dz betrug, so ergibt sich für die Zeit vom 1. III. bis zur
diesjährigen Ernte, unter der Voraussetzung, daß das erforderliche
Saatgut im voraus bereitgestellt war, ein Fehlbetrag von 16 Mill. dz,
der durch weitere Einfuhr und Verbrauchsbeschränkungen ausgeglichen
werden muß."
Die Hauptsorgen Frankreichs sind auf das nächste Jahr gerichtet;
denn der U-Boot-Krieg macht sich auch in Frankreich ganz empfindlich
fühlbar, da er nicht nur die Frachten und Versicherungsprämien in die
Höhe treibt, sondern auch den Bezug noch mehr einschränkt, als es
bisher der Fall war. Dabei verringert sich der Kreis der Lieferanten,
die für Frankreich in Betracht kommen, immer mehr, namentlich da
auch aus seinen nordafrikanischen Kolonien nur geringe Zuschüsse zu
erwarten sind. Die einzige Hoffnung, die man hat, sind die Ver-
bündeten, also vor allem die englischen Kolonien. Inwieweit von
diesen ein Zuschuß zu erhalten ist, muß die Zukunft lehren.
Wie sehr die Anbaufläche in Frankreich in diesem Jahr zurück-
gegangen ist, zeigt eine Statistik, die folgende Vergleiche anstellt:
Weizen.
Winter-
weizen
Frühjahrs-
weizen
Zusammen
ha
ha
ha
1917
1916
1915
1914 ,
1913
3819450
5 042 870
5509812
6 246 540
6332130
388 080
162 750
213316
246 790
213830
4 207 530
5 205 620
5723128
6 493 330
6 545 960
Mengkorn
Roggen
ha
ha
1917 84485
1916 loi 205
1915 104084
1914 118 950
1913 125 640
809 735
925 600
I 039810
I 178610
I 192 400
Gerat
e.
Winter-
gerste
Frühjahrs-
gerste
Zusammen
ha
ha
ha
1917
1916
1915
1914
1913
99875
102 800
149725
139 510
151 370
496 830
483 485
521 692
592 490
604 210
596 705
586 285
671 417
732000
755 580
29*
452 Mißzellen.
hafer
j: ruujituiB-
hafer
Zusammen
ha
ha
ha
593 950
694 730
774 577
838 340
834 100
2 OII 120
2350030
2 601 002
3 141 080
3 164400
2 605 070
3 044 760
3 375 579
3979420
3 998 500
Hafer
Winter
1917
1916
1915
1914
1913
In Frankreich wurden Mitte Juli Höchstpreise für Getreide
eingeführt und dabei u. a. folgende Vorschriften erlassen:
Artikel 1. Mit Veröffentlichung des Dekrets werden mit Geltung bis zum
15. VII. 1919 für die Ernten der Jahre 1917 und 1918 folgende Höchstpreise für
den Doppelzentner Getreide festgesetzt: Weizen 50 frcs., Gerste, Mais, Roggen,
Buchweizen, Hafer 42 frcs., und zwar für gute Qualität bei Anlieferung an der
Mühle, am Bahnhof oder im Verschiffungshafen, sofern bei der Ernte eine Be-
fltandsan meidung vorlag.
Artikel 2. Nichtangemeldete Vorräte werden bei gleicher Qualität mit einem
Abschlag von 7 frcs. vom Höchstpreis requiriert.
Artikel 3. Der Höchstpreis für Kleie wird pro 100 kg auf 30 frcs. festgesetzt.
Artikel 6. Der Mehlpreis wird in den Departements einzeln festgesetzt, darf
jedoch nicht denjenigen, der sich bei einer Ausmahlung von 85 v. H. ergäbe,
übersteigen.
Artikel 7. Eine Erhöhung des Brotpreises um 5 cts. pro 1 kg ist nach Ein-
führung des neuen Mehlpreises zulässig.
Artikel 8. Wo die Festsetzung des Mehlpreises eine weitergehende Er-
höhung des Brotpreises erforderlich macht, wird der über den gesetzlichen Mehr-
preis hinausgehende Betrag den Bäckern durch das Verpflegungsministerium
vergütet.
Artikel 9. Innerhalb 40 Tagen nach Abschluß der Ernte hat der Erzeuger
seinen Ernteertrag zu melden.
Artit:el 10. Dies geschieht mit Hilfe eines Erntebuches, dessen Führung
obligatorisch ist. Für Fehlschätzung wird bis zu 20 v. H Nachsicht geübt.
Artikel 11. Der erzielte Körnerertrag ist entsprechend dem fortschreitenden
Drusch einzutragen.
Artikel 12. Jede unregelmäßige Führung des Erntebuches hat die Un-
gültigkeitserklärung der Anzeige zur Folge.
Artikel 13. Jeder Verkaufsabschluß ist im Erntebuch zu verzeichnen und
muß die Unterschrift der Annahmekommission oder des Händlers tragen.
Große Schwierigkeiten hat die Versorgung Italiens mit Brot-
getreide gemacht. Eine Berechnung des „Giornale d'Italia" vom 31. Mai
stellt einen Nettoertrag aller landwirtschaftlichen Erzeugnisse von 75
Mill. dz fest (einschließlich Bohnen, Kartoffeln und Kastanien). Dem
steht ein Verbrauch von rund 90 Mill. dz gegenüber, so daß ein Defizit
von 15 Mill. dz entsteht. Durch stärkere Ausmahlung hofft man
5 Mill. dz zu gewinnen, so daß das Defizit 10 Mill. dz ergeben würde.
Dieses aber erhöht sich durch den Mehrverbrauch des Heeres. Es
bleibt also eine beträchtliche Fehlmenge, selbst wenn man berücksich-
tigt, daß ein Teil durch andere Lebensmittel ausgeglichen werden kann.
Aber auch die großen Südfruchternten Italiens werden das Land nicht
von einer Einfuhr aus dem Auslande befreien.
Miszellen. 453
Eine interessante Meldung enthält die „Nowoje Wremja" vom
S.Juli dieses Jahres : Ende 1916 hatten die englische und französische
Regierung das Recht verlangt, die für sie notwendige Menge Weizen
in der Schiffahrtsperiode 1917 aus Rußland auszuführen gegen die
Verpflichtung, die regelmäßige Beförderung der für Rußland bestimmten
Einfuhrgüter zu gewährleisten. Die Verhandlungen führten im Januar
1917 zu einem Uebereinkommen, das in seinen Hauptpunkten die
Wünsche Englands und Frankreichs erfüllte. Jetzt haben die Ver-
bündeten Rußlands, nachdem sie von den Schwierigkeiten der russischen
Getreideversorgung erfahren haben, für nötig gefunden, Rußland von
der Verpflichtung zur Lieferung der vollen Getreide-
menge nach England und Frankreich zu befreien, haben aber
andererseits ihre Verpflichtung zur Versorgung Rußlands mit Kriegs-
material aufrechterhalten, das heißt, sie versprechen, mit der Ver-
sorgung Rußlands, soweit ihnen das möglich ist, im Rahmen der früheren
Verträge fortzufahren, und sich mit der Menge Weizen zu begnügen,
die die russische Regierung ihnen freiwillig zur Verfügung stellen kann.
Daraufhin hat das russische Auswärtige Amt den Regierungen Eng-
lands und Frankreichs durch deren Botschaften seinen verbindlichsten
Dank für diese Aufmerksamkeit der Verbündeten übermittelt, die
zweifellos zur Befestigung des bestehenden Bündnisverhältnisses bei-
tragen werde.
Unter großen Schwierigkeiten hat Holland zu leiden. Dieses
Land ist auf die Zufuhr von Uebersee, namentlich aus Amerika, an-
wiesen. Nun liegen in Nordamerika zahlreiche holländische Dampfer,
um amerikanisches Getreide einzuladen, müssen aber zunächst ver-
gebens warten. Die amerikanische Regierung weigert sich nämlich,
die Schiffe mit Weizen herauszulassen, da angeblich die Ausfuhr nach
Holland Deutschland zugute kommt. Durch die amerikanische Gesetz-
gebung soll nämlich verhindert werden, daß Länder, die an Deutsch-
land angrenzen, aus Amerika Lebensmittel beziehen, und aus diesem
Grunde werden den holländischen Weizenzügen ernstliche Schwierig-
keiten in den Weg gelegt. Holland hat nur bis Ende des Jahres
Getreide vorrätig. Gegenwärtig schweben Verhandlungen mit der
amerikanischen Regierung, um eine Milderung der Bestimmungen zu
bewirken. Wie sehr die Verhältnisse in Holland eine Verteuerung
hervorgerufen haben, ergibt sich daraus, daß Ende Juli Weizen mit
588 fl. bezahlt wurde, während der Preis in der gleichen Vorjahrszeit
nur 368 fl. betrug. Mais kostet 400 fl. gegen 265 fl. pro Last. Wie
stark Holland unter den Schwierigkeiten auf dem Weltgetreidemarkt
zu leiden hat, ergibt sich aus der Einfuhrstatistik. Seit Beginn des
Jahres wurden an Weizen bis Ende Juli 281 458 t eingeführt gegen
412150 t in der gleichen Vorjahrszeit. Bei Roggen betrug die Zufuhr
8465 t (16 641), bei Mais 172 075 t (285 490). Außerdem wurden für
Belgien eingeführt : Weizen 243 923 t (444 611), Mais 12 335 t (46 697).
Auch Schweden hat unter den Verhältnissen des Weltmarktes
sehr zu leiden, und infolgedessen hat sich die Regierung zu einer ein-
i
454 Mi stellen.
gehenden Regelung des Verbrauchs an Brotkorn entschlossen. Sämt-
licher Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mischkom, Wicken, Erbsen,
Bohnen und Zuckerrüben der Ernte 1917 werden beschlagnahmt; aus-
genommen hiervon sind in Privathaushaltungen 3 kg Erbsen und Bohnen
für jedes Mitglied.
Die beschlagnahmte Ernte soll spätestens am 5. Oktober und die
älteren Vorräte am 5. September deklariert werden. Das Getreide soll
vor dem 1. Februar sorgfältig gedroschen und gereinigt werden.
Die Kommission hat das Recht, die beschlagnahmten Waren auf-
zukaufen, und nur sie ist berechtigt, von den genannten Getreidearten
oder Hülsenfrüchten anders als gegen Anforderungsschein, Karten oder
Abschnitte zu verkaufen. Das gleiche gilt für alle daraus hergestellten
Erzeugnisse, wie Kleie, Mehl, Grütze, Brot usw. Die Vermahlung oder
die Verarbeitung zu Grütze von Weizen, Roggen und Gerste darf nur
gegen besondere, von der Kommission ausgestellte Vermahlungskarten
erfolgen.
Das Recht zur Selbstversorgung ist beibehalten worden, aber nur
für Landwirte, Die Größe der Rationen kann mit Rücksicht darauf,
daß eine zuverlässige Berechnung der Ernte noch nicht möglich ist,
nicht festgesetzt werden, ebensowenig wieviel von der beschlag-
nahmten Ernte dem Eigentümer zur Viehfütterung überlassen werden
kann. Um in der laufenden Fütterung keine Unterbrechung ein-
treten zu lassen, werden die alten Vorräte erst am 1. September be-
schlagnahmt.
Der Begründung des Landwirtschaftsministeriums sind nachstehende
Angaben entnommen: Der Staat muß nach Abzug des erforderlichen
Saatkorns die gesamte Weizen-, Roggen- und Gerstenernte beschlag-
nahmen. In welchem Umfange Eingriffe in die Hafer- und Mischkorn-
ernte notwendig sind, läßt sich noch nicht beurteilen. Es ist aber zu
hoffen, daß der größte Teil dieser Ernte, die leider erheblich unter
Durchschnitt bleiben wird, dem Vieh vorbehalten werden kann. Jeden-
falls sind aber die Futtermittel besonders knapp. Auch bei Verwen-
dung aller möglichen Arten von Ersatzfutter würde es unmöglich sein,
den gegenwärtigen Viehbestand aufrechtzuerhalten.
Die Vorschriften sollen noch durch besondere Maßnahmen über
den Futtermittelhandel ergänzt werden. Mit Rücksicht darauf, daß der
Landwirtschaft die erforderlichen Arbeitskräfte möglichst erhalten werden
müssen, ist den Bauern das Recht zuerkannt worden, den in ihren
Diensten stehenden Arbeitern bis zu 300 kg Hafer oder Mischkorn als
Naturalien zuzuwenden.
Aus Argentinien liegt folgender Bericht des „Buenos Aires
Herald" vor: Entsprechend dem großen Verlust bei der Weizenernte,
der nur wenig mehr als 100000 t für Exportzwecke freiläßt, droht
ein ähnliches Verhältnis bei der Maisernte einzutreten. Die Sach-
verständigen des Ackerbaudepartements haben ihrer Auffassung Aus-
druck gegeben, daß infolge der Trockenheit und des Auftretens von
Miszellen. 455
Heuschrecken der Ernteertrag sich noch weit beträchtlicher unter einem
normalen halten wird. Nach offizieller Schätzung sind insgesamt
3 629 570 ha mit Mais bestellt worden. Von dieser Fläche ist der
Ertrag von 1 328 100 ha vollständig verloren. Während der Ertrag
der Ernte auf den Hektar sich unter normalen Verhältnissen auf 1500
bis 2000 kg stellt, haben in diesem Jahre nur wenige begünstigte
Stellen einen solchen Ertrag aufzuweisen. Nach offiziellen Schätzungen
beziffert sich der Ertrag per Hektar in Kilogramm auf 600 für Buenos
Aires, 500 für Santa Fe, 500 für Cordoba, 800 für Entre Rios und
1500 für andere Gegenden. Wahrscheinlich ist mit einem Gesamt-
ertrage von 1 523 000 t zu rechnen, d. h. er ist geringer als irgend-
ein Ernteergebnis in den vorhergehenden Jahren mit Ausnahme von
1910/11, wo 703 000 t geerntet wurden. Der heimische Verbrauch von
Mais wird auf 1 680 700 t im Durchschnitt für das Jahr gerechnet, so
daß die gegenwärtige Ernte auf Grund der bisherigen Schätzungen
kaum für das Land ausreichen wird. Von der vorjährigen Ernte ist
noch ein kleiner Ueberschuß vorhanden.
Während in Europa, namentlich bei den Alliierten, ein starker
Mangel an Getreide herrscht, weiß Australien nicht, wo es seinen
Ueberschuß unterbringen soll. Dieses Land erstickt förmlich in seiner
großen Erzeugung. Wird doch gemeldet, daß in Australien derartig
viel Getreide lagert, daß es bereits den Ratten und Mäusen zum Opfer
fällt. Da an eine Verschiffung vorläufig nicht zu denken ist, hat man
den Plan gefaßt, zunächst Lagerhäuser zu bauen, um das Getreide für
spätere Zeiten aufzustapeln, wobei freilich zu beachten ist, daG hier-
durch ein großer Gewichtsverlust, ganz abgesehen von der wahrschein-
lichen Qualitätsverminderung, zu erwarten ist. Nach englischen An-
gaben lagern in Australien 41/2 Mill. t Getreide über den Bedarf, die
auf Verschiffung warten. Diese Menge würde ausreichen, um Englands
Weizenbedarf für mindestens 6 Monate zu decken. Da man aber nicht
imstande ist, direkte Verladungen nach England vorzunehmen, so plant
man jetzt, Holzschiffe zu bauen und das Getreide in diesen Holzschiffen
zunächst nach Südafrika zu verladen. Dort soll eine Umladung nach
England erfolgen, ein Plan, der schon wegen der ungeheueren Kosten
unausführbar ist. Darüber hinaus dürfte auch eine Weiterverladun
von Südafrika nach England deshalb kaum möglich sein, weil Südsr
afrika selbst unter sehr großen Lebensmittelschwierigkeiten zu leiden-
hat und froh sein wird, wenn es zur Deckung seines eigenen Bedarfs
Getreide aus Australien erhält. An ein Weitersenden nach England
wird nach Lage der Verhältnisse kaum zu denken sein. Gerade die
Tatsache, daß England mit sehr erheblichen Lebensmittelschwierigkeiten
zu kämpfen hat, während in Australien der Ueberschuß kaum geborgen
werden kann, zeigt die völlige Desorganisation des Weltgetreidemarktes
infolge der Frachtraumknappheit.
Der letzte amtliche Bericht über den Ertrag der indischen
Ernte gibt eine Ziffer von 47 Mill. Quarters an. Im Vergleich mit
den Vorjahren stellt sich diese Ziffer, wie folgt:
466
Mi
iBzellen.
Ertrag in Mill. Quarters
Export
1916/17
•
47,41
?
1916/16
39,7 5
3,42
1914/15
47.98
2,91
1913/14
39,00
3,21
1912/13
45,80
5,59
1911/12
45,80
7,59
Der diesmalige Ertrag stellt sich höher als der Durchschnitt der letzten
10 Jahre, sofern die Ernteziffern den tatsächlichen Verhältnissen ent-
sprechen sollten. Infolgedessen setzt man diesmal große Hoffnungen
auf die indische Ausfuhr, die im Durchschnitt der letzten Jahre
4,55 Mill. Quarters betrug. Ob aber die Ausfuhr tatsächlich größer
sein wird als im letzten Jahrzehnt, ist mehr als zweifelhaft; denn
gerade in Indien macht sich der Schiffsraummangel ganz besonders
bemerkbar. Schon im letzten Erntejahr mußten große Mengen indischen
Weizens zurückbleiben, da es an Frach träum fehlte.
Miszellen. 457
XIII.
Die Entwicklung der Warenpreise in England
während des Krieges.
Von Franz Eulenburg.
Mit 1 Kurve.
Eine Darstellung der Preise im Kriege stößt auf eine doppelte
Schwierigkeit. Einmal ist die Internationalität fortgefallen, und Welt-
marktpreise existieren nicht mehr. Vielmehr steht jedes Land unter
besonderen Bedingungen und besonderen Verhältnissen, die einzeln
verfolgt werden müssen. Auch hat die Stetigkeit der Preise, die sonst
für die moderne Entwicklung charakteristisch ist, gänzlich aufgehört.
Einzelne Momente zum Teil unwirtschaftlicher Art gewinnen überragende
Bedeutung. Sodann sind überhaupt die Preisnotierungen im Kriege weit
lückenhafter geworden, vor allem über andere Waren als Lebensmittel
hält es schwer, ein Urteil zu gewinnen. Man wird sich mehr noch als
sonst mit Teilbildern begnügen müssen. Das beste Material liegt
immer noch für England vor. Der „Economist" setzt seine seit langem
gegebene monatliche Berichterstattung über die Preise auch in dieser
Zeit fort. Wir beginnen darum unsere Untersuchungen mit England
und erstrecken sie auf die Zeit von Kriegsbeginn bis Ende 1916 —
also auf die Zeit, wo der verschärfte U-Bootkrieg noch nicht in Er-
scheinung treten konnte. Die Fortsetzung dieser Untersuchung wird
für das nächste Jahr vorbehalten, wenn sich die Entwicklung durch
den U-Bootkrieg im Zusammenhacg übersehen läßt.
Im „Economist" finden sich monatlich die bekannten Indexziffern,
d. i. eine Reihe systematisch zusammengefaßter Uebersichten aus
einzelnen Notierungen, wenigstens was die Eogrospreise anbetrifft.
Weniger unterrichtet sind wir über den Kleinhandel und die Kosten
der Lebenshaltung. In der Uebersicht des „Economist" sind nur
wenige Nahrungsmittel des Großhandels erfaßt, die bei weitem kein
zutreffendes Bild der Preisgestaltung im Haushalte gewähren, so
daß wir ergänzender Mitteilungen bedürfen. Auch dafür sind An-
halte vorhanden. Es handelt sich bei den Indexziffern des „Econo-
mist" um 44 Waren, die in fünf Gruppen zusammengefaßt werden:
I. Zerealien und Fleisch (10). II. Andere Nahrungsmittel und Kolonial-
waren (6). III. Webstoffe (10). IV. Bergbauprodukte (8). V. Ver-
schiedenes (10). Ausgangspunkt für die Berechnungen des „Economist"
bilden die Durchschnittspreise der Jahre 1901/05. Die Methode der
Meßziffern ist lange gehandhabt worden. Die Einwendungen liegen
auf der Hand: die im Verhältnis zur Fülle des Warenmarktes sehr
468
M i s z e 1 1 e n.
geringe Auswahl der Waren, die Beschränkung auf die Engrospreise,
das Fehlen eines Gewichtes für die einzelnen Werte. Trotz dieser an
sich wohl berechtigten Einwände geben uns die Ziffern einen Einblick
in die Gesamttendenz der Preisbewegung am englischen Markt, der
kaum ersetzbar ist. Die Tendenz dieser Bewegung geht aus ihnen
deutlich genug hervor. Vgl. Tabelle 1 und die Kurve.
I. Eng
lische
Meßzif f eri
l.
Datum
Zerealien
und
Fleisch
Kolonial-
waren
Spinn-
stoffe
Bergbau-
produkte
Ver-
schiedenes
Total
Generid-
index
Durchschnitt 1901 — 1905
500
300
500
400
500
2200
100
I. Quartal 1913
594
358
641
529
595
—
123
II. Quartal
580
346
624
522
598
—
121
III. Quartal
583
359
871
523
578
—
123
IV. Quartal
563
355
642
491
572
—
119
Ende Januar 1914
562
356
626
502
572
119
„ April
560
346
634
482
562
—
118
„ Juni
566
345
616
472
551
2549
116
„ Juli
579
352
616
464
553
2565
117
„ August
641
369
626
474
588
2698
123
„ September
646
405
612
472
645
2780
126
„ Oktober
656
400
560
458
657
2732
124
„ November
683
408
512
473
684
2760
126
„ Dezember
714
414
509
476
686
2800
127
„ Januar 1915
786
413
535
521
748
3003
137
„ Februar
845
411
552
562
761
3131
142
„ März
840
427
597
644
797
3305
150
,, April
847
440
594
630
816
3327
151
.. Mai
893
437
583
600
814
3327
151
„ Juni
818
428
601
624
779
3250
148
f, Juli
839
441
603
625
774
3281
149
„ August
841
439
628
611
77^
3296
150
„ September
810
471
667
620
770
3336
152
„ Oktober
834
444
681
632
781
3371
153
„ November
872
444
691
668
826
3500
159
„ Dezember
897
446
731
712
849
3634
16S
„ Januar 1916
9^7
465
783
762
885
3840
175
„ Februar
983
521
806
802
898
4008
182
„ März
950
503
797
851
913
4013
182
» April
971
511
795
895
1019
4190
191
„ Mai
1024
529
805
942
1019
4319
196
„ Juni
989
520
794
895
1015
4213
192
„ Juli
961
525
797
881
1040
4204
191
„ August
1000
532
882
873
1086
4372
199
„ September
1018
536
937
859
1073
4423
201
„ Oktober
1124
543
991
851
1087
4596
209
„ November
1178
558
109 1
850
1102
4779
217
„ Dezember
1294
553
1125
824
1112
4908
223
„ Januar 1917
1310
560
1137
826
1120
4953
226
Miszellcn.
459
c
1
fJllliliidJlllll iiii
Juni
Juli
September
Oktober-
November.
Oazembar.
1500
Enqlische Messziffern.
Kolonialwaren
Spinnprodukte
Bergbauprodukte
Verschiedenes
u*>n
1400
1350
»300
1250
1
'
1200
^
1150
'
M
1100
7
^
/:::
1050
.^
1000
1
i
/
&50
/\
<J
^ \
/
#
900
/
.^
1 /
ji
A
t
850
/
\
}
/
T--^
"r
'>- -
800
/\
n
-—■
,\
/
\
/
f
~7
/
/e
■n
rof.
iVte
750
/
/
>
-
.—
-^
_.y
>
l
!
700
^
/ •
650
/
/.
/
"
:
600
-/
5^
/
»V
\
,.
-
.■^^
/
550
j
"'
;^^ö
SOO
\
/
^N
^ /"
N,-
Vkö
sk
»\^^
450
-
■»,
,-'
—
,'
/
\
f
AOO
/
'•'
^^
350
^''
/
Die Steigerung in den zweieinhalb Jahren bis Dezember 1916 be-
trug danach 2388 Punkte, das sind 93 Proz. Allerdings ist diese Zu-
nahme keine gleichmäßige. Anfangs ging die Steigerung recht langsam
vor sich, in dem ersten Halbjahr nur um T^/g Proz. Seit dem Dezember
1914 wurde das Tempo ein wesentlich beschleunigteres, so daß am Ende
des ersten Kriegsjahres die Erhöhung des Preisniveaus 30 Proz. betrug.
Seitdem ist aber die Steigerung noch eine wesentlich größere ge-
worden; sie machte Anfang Dezember bereits 90 Proz. aus, und allem
Anschein nach wird diese Erhöhung durch den verschärften Ü-Boot-
krieg progressiv zunehmen.
Dabei wird es nötig sein, die einzelnen Gruppen besonders zu
betrachten. Denn auch hier ist die Steigerung keine gleichmäßige.
450 Miszellen.
Wir geben dafür die folgende Zusammenstellung. Es betrug die Zu-
nahme :
Juli 1914 Jan. 1915 Juli 1915 Jan. 1916 Juli 1916 Juli 1914
bis bis bis bis bis bis
Jan. 1915 Juli 1915 Jan. 1916 Juli 1916 Jan. 1917 Jan. 1917
I. Zerealien uud
Fleisch + 3^ +7 + I3 + » +3^ »26
IL Kolonialwaren +17 +7 +5 +^3 +7 59
III. Webstoffe — 15 +13 +30 +2 +43 »5
IV. Bergbauprodukte +12 +20 +22 +16 — 7 78
V. Verschiedenes +35 +3 + H +18 +8 103
Gesamtheit +17 +9 + I7 +9 + »8 97
Das gesamte Preisniveau hat sich also ungefähr verdoppelt. Am
wenigsten sind noch die Preise für Kolonialwaren gestiegen, zu denen
Tee, Zucker, Kaffee, Butter gehören; ihre Preissteigerung beträgt un-
gefähr Ys- Wesentlich mehr haben schon die Bergbauprodukte (Kohle,
Kupfer, Zinn, Roheisen) und die Spinnstoffe, also Baumwolle. Jute, Seide,
Hanf, Wolle, angezogen, nämlich je um ungefähr ^g. Die Preise für
verschiedene Rohstoffe der Industrie, denen Leder, Kautschuk, Palmöl,
Talg zuzurechnen sind, haben sich mehr als verdoppelt. Am meisten aber
haben sich die Nahrungsmittel, Zerealien und Fleisch, verteuert, nämlich
um Y4 gegenüber dem Anfangspreise. Ueber das verschiedene Tempo der
Preissteigerungen gibt die obige kleine Uebersicht hinreichende Aus-
kunft. Danach war das erste und dann das letzte Halbjahr die Zeit
der größten Teuerung. Bei den Spinnstoffen ging der Preis im ersten
Halbjahr sogar zurück; dasselbe zeigt sich bei den Bergbauprodukten
im letzten halben Jahr. Sonst ist aber gerade in der letzten Zeit
unserer Berichterstattung die Steigerung besonders groß gewesen, ob-
wohl der verschärfte U-Bootkrieg noch nicht eingesetzt hatte, der diese
Tendenz noch wesentlich verschärfte. — Wir wenden uns nunmehr
der Behandlung der einzelnen Gruppen zu.
I. Nahrungsmittel.
a) Die erste Gruppe ist die der Lebensmittel. Es gehören
nach der englischen Statistik dazu : Weizen, Weizenmehl, Gerste, Hafer,
Kartoffeln, Rindfleisch, Hammelfleisch, Reis. Soweit es möglich ist,
wie bei Weizen und Fleisch, handelt es sich dabei um englische
Waren, während für die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung selbst
gerade eingeführte Waren überwiegen und deren Preise von den ein-
heimischen stark abweichen. Insofern ist die Auswahl der Waren
nicht glücklich und in manchen Beziehungen irreführend, wenn man
nicht Einzelheiten betrachtet. Das Preisniveau für diese 10 Waren
war nach zwei Kriegsjahren um 2/3 höher als zu Beginn, dann aller-
dings bis Anfang Januar 1917 schon um 5/^. Die Hauptsteigerung
fällt also an den Schluß des Vorjahres. Es wurde Mai 1915 ein erstes
Maximum erreicht, um hernach wieder herabzugehen. Seit dem März
des neuen Jahres tritt dann eine ganz energische Preissteigerung ein,
die nach einiger Ermäßigung einstweilen im November ihre absolute
Höhe erreichte. Dabei haben wir es zum Teil nur mit Engrospreisen
Miszellen. 461
ZU tun, die noch keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Lebens-
haltung zulassen, da ja zwischen Groß- und Kleinhandelspreisen sich
noch mehrere Zwischenglieder einschieben und eine große Menge sehr
wichtiger Lebensmittel fehlen.
Am wichtigsten ist offenbar der englische Weizenpreis. Die
Berechnung des „Economist" legt immer den englischen Weizen zu-
grunde; der ist jedoch viel weniger charakteristisch als der fremde,
da auch bei gutem Ernteausfall 7* ^©s Bedarfes vom Auslande ge-
deckt werden muß. Wir werden uns darum für die nährere Unter-
suchung in der Hauptsache an den ausländischen halten. Der Preis
für amerikanischen Weizen (d. i. kanadischen Manitoba) bewegt sich
in einer ausgesprochenen Kurve auf dem Londoner Markt. Er
steigt von 1 £ 16 sh 9 d, d. s. etwa 169 M. für die Tonne, im
Juli 1914 zunächst sehr stark an, um im Mai 1915 mit 3 £ 13 sh
(b= 333 M. die Tonne) das erste Maximum und eine V^erteuerung um
100 Proz. zu erfahren. Dann sinkt er bis zum Juli wieder auf 2 £
18 sh herab, um bald von neuem die aufsteigende Bewegung durch-
zumachen bis zum März 1916. Neues Herabsinken bis zum Juli und
von da an wiederum Aufsteigen in der zweiten Hälfte des Jahres, das
einstweilen im November gipfelt. Am Ende des zweiten Kriegsjahres
ist der ausländische Weizenpreis um 47 Proz. höher als zu Anfang
und steht auf 248 M. die Tonne, also etwas unter dem Berliner Preis
mit 260 M., während der Roggen bei uns nur 220 M. beträgt. Im
Dezember 1916 notiert der Preis für die Tonne bereits 373 M., steht
also um 113 = 43 Proz. über den deutschen und 120 Proz. über den
zu Beginn des Krieges. Das bezieht sich auf amerikanischen Weizen.
Der englische Weizen hat nicht ganz dieselbe Verteuerung er-
fahren : stand er von vornherein niedriger (1 £ 14 sh 3 d im Juli
1914), so betrug auch sein Maximum nicht ganz so viel (nur 3 £
11 d im Juli 1915), und nach zwei Kriegsjahren stellt er sich auf
2 £ 6 sh 3 d, also um Vs höher als zu Beginn des Krieges. Bis
Ende des Jahres 1916 war er freilich ebenfalls wieder auf 3 £ 11 sh
5 d gestiegen, hatte sich also auch um mehr als das Doppelte verteuert.
Die Spannung zwischen amerikanischem und englischem Weizen ist von
21/2 auf 7V2 sh gestiegen. Für die englische Ernährung spielt aber das
amerikanische Produkt die Hauptrolle, weil gerade unter dem Kriege
sich die Bezugsländer geändert haben. Wir werden uns also vor-
wiegend an diese zu halten haben. Bei der Wichtigkeit des eng-
lischen Weizenpreises für die gesamten Lebensverhältnisse versuchen
wir auf die Ursachen der Steigerung näher einzugehen. Zwei Gruppen
von Momenten können in Betracht kommen: Ernteausfall und
effektives Angebot auf dereinen, Verkehrsmomente auf der
anderen Seite.
Wir betrachten zunächst die zweite Reihe: ist der englische Wei-
zenpreis entscheidend von den Frachtverhältnissen beeinflußt,
wie eine auch in wissenschaftlichen Kreisen weitverbreitete Meinung
annimmt? Dazu gehörte: Menge des vorhandenen Schiffsraumes, die
Höhe der Versicherungsprämien und Frachtraten sowie der Arbeiter-
462
Miszellen.
löhne. Die Verknappung des Schiffsraumes kam vor allem schon
durch die Verwendung eines großen Teiles der englischen Handels-
marine zu Kriegszwecken zustande: es sind etwa ^j^ des Schiffsraumes
für Truppen-, Munitions- und Provianttransporte der englischen Regie-
rung gechartert worden. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, daß
durch die Unterbindung des Weltverkehrs und eines großen Teils des
internationalen Handels umgekehrt Schiffsraum sowohl von den englischen
Reedereien als auch den Neutralen frei geworden ist. Es sind femer
durch die Notwendigkeit des Lagerns die Speichermieten, durch die
Einberufung zum Heere die Löhne ganz bedeutend gestiegen. Das ver-
teuert im englischen Hafen abermals den Wert der Einfuhr. Dazu
kommt nun aber der Fortfall der ganzen deutschen Tonnage, die eine
nicht unerhebliche Rolle im Weltverkehr spielt; endlich natürlich die
Schiffsverluste der englischen und neutralen Marine durch Minen,
Torpedierungen infolge des Unterseebootkringes. Der Umfang dieser
Verluste wird bis Ende 1916 von englischer Seite auf 2 Mill t, etwa
Yg des ganzen Schiffsraumes angegeben, wozu freilich auf der anderen
Seite der neue Schiffsbau während des Krieges selbst hinzutritt. Die
Minderung des effektiven Schiffsraumes und die Verteuerung der
Frachtspesen sind also bedeutend genug. Manche Kreise waren infolge-
dessen geneigt, diesem letzteren Umstände das Hauptgewicht für die
Steigerung der englischen Weizenpreise beizumessen, auch bevor der
U-Bootkrieg eintrat.
Die Verknappung an Schiffsraum, sei es, daß sie aus anderweitiger
Verwendung, sei es, daß sie aus den Schiffsverlusten herstammt, muß
sich in den Schiffsraten zeigen, ebenso wie die zunehmende Gefahr
von Minen und Unterseeboten in der Steigerung der Versicherungs-
prämien zutage tritt. Hier wird nur eine parallele Darlegung der
Weizenpreise und Frachtraten Aufschluß zu geben vermögen. Wir
geben dafür nach der Preisberichtsstelle des Deutschen Landwirtschafts-
rates die folgende Uebersicht (1 Quarter = 217 kg):
Preise für
Getreidefracbt
Anteil der
amerikanischen
New York-
Differenz
Fracht am
Weizen pro Tonne
Liverpool
Preis in Proz.
Juli 1914
170.8O
7.86
162,95
4,6
September
202,60
12,55
190,05
6.i
November
23800
l8,80
219 20
7.«
Januar 1915
295.I8
26,66
268,5s
9,0
März
306,30
37.65
268,66
12,5
Mai
313*0
37.65
275.75
12,0
Juli
267,28
32 96
23433
I2,S
September
234*6
43-90
190,66
18.T
November
26474
62,76
201,99
23,7
Januar 1916
309.1a
65,86
24327
21,5
März
300,4a
72.15
225.95
24,8
Mai
300,40
59.60
24240
19,8
Juli
26628
46,60
227,98
H.4
September
381,70
53,80
328,40
14,2
November
402,95
43.90
359.0s
10,9
Mis Zellen. 453
Die Frachten sind allerdings kolossal gestiegen: anfangs um das
Doppelte, dann bald um das Sechsfache, ja zeitweise um das Zehn-
fache; dabei beschränken wir uns auf die amerikanische Trasse, da es
sich in der Hauptsache um amerikanischen Weizen handelt. Betrug
vor dem Kriege der Anteil der Fracht am Preise 5 Proz., so stieg er
im März 1916 auf nicht weniger als 24; im allgemeinen schwankte er
zwischen 10 und 20 Proz. des Getreidepreises. Zweifellos haben also
die Frachtraten miteingewirkt auf die Höhe der Weizenpreise. Aber
die Hauptsache machten sie doch unter keinen Umständen aus. Wir
finden auch keineswegs einen Parallelismus zwischen den beiden
Preisen. Bei den sehr hohen Frachtsätzen im November 1915 war
der Weizenpreis in London durchaus nicht entsprechend hoch. Umge-
kehrt hatte auch eine Erniedrigung der Frachtsätze im März und
Mai 1915 keineswegs schon eine Erniedrigung der Weizenpreise zur
Folge. Seit März 1916 waren die Frachten wieder in Sinken, der
Weizenpreis stieg! Der Zusammenhang der beiden Reihen, das lehrt
die genauere unbefangene Betrachtung, ist nur ein sehr loser. Un-
möglich hängt in erster Linie oder auch nur hervorragend der Londoner
Weizenpreis vom Frachtpreise ab. Aber auch die anderen Faktoren
der Handelsvermittlung : Versicherungsprämien, Trägerlöhne in den eng-
lischen Häfen, Lagergelder für Speicher, Speditionsgebühren, vermögen
noch nicht die starken Schwankungen und die Steigerung der Weizen-
preise zu erklären. Man braucht den Eiüfluß des mangelnden Schiffs-
raumes vor dem Eintreten des U-Bootkrieges durchaus nicht zu leugnen
und kann doch zugeben, daß er wenigstens in den ersten beiden Kriegs-
jahren den Weizenpreis nicht entscheidend beeinflußt und seine Preis-
steigerung nicht herbeigeführt hat.
Vielmehr spielen die anderen Faktoren die Hauptrolle. Das sind
die Verhältnisse des effektiven Angebotes und der Welternte. Zunächst
betrug die Welternte für Weizen in Millionen Quarter:
1912
1913
1914
1915
1916
Europa
251,4
281,9
236,9
262,1
253,9
Vereinigte Staaten
91,0
95,4
111,4
126.0
76,6
übrige Länder
120,2
127.3
97,3
159.6
114,2
Welternte
462,6
494,6
445,6
547,8
496,6
Man sieht, daß das erste Kriegsjahr 1914 gegen das vorangehende
Jahr eine Mindererzeugung von 9 Proz. aufweist. Mithin war eine
Steigerung der Weizenpreise auch ohne den Krieg jedenfalls für dieses
Jahr zu erwarten. Nur die Vereinigten Staaten hatten eine große
Ernte, da auch Kanada, Indien, Argentinien schlecht abschnitten. Die
Union konnte bei dem verminderten Angebot mithin den Preis ziemlich
allein bestimmen. Und sie hat es getan, da Rußland und Rumänien
ganz ausfielen und die argentinische Ernte erst verspätet hereinkam,
mithin für den Wettbewerb ebenfalls nicht in Betracht kam. Die Be-
wegung der englischen Preise spiegelt also im ersten Kriegsjahr deut-
lich das Ergebnis der Welternte wieder. Das Jahr 1915 brachte
nun aber in Europa eine Steigerung der Erträge, vor allem auch in Eng-
land selbst. Allerdings konnte die russische Ernte wiederum nicht in
4ß4 Miszellen.
Betracht kommen, da durch die Sperrung der Dardanellen eine Ausfuhr
nicht möglich war. Aber auch die außereuropäischen Länder hatten her-
vorragend gute Ergebnisse. Vor allem Kanada und die Union hatten zu-
sammen 174 Mill. Quarters gegen 132 im Jahre zuvor. Es war tatsächlich
eine Rekordernte im Weizen. Die Folge war seit dem Sommer 1916
ein Sinken des Weizenpreises, seitdem die amerikanische Ernte herein-
kommen konnte. Auch vermochte die Union nicht mehr allein den
Preis zu diktieren, sondern mußte auf Australien und Kanada, Indien
und Argentinien Rücksicht nehmen. Dabei erfolgte die Einfuhr nach
England fast zur Hälfte aus den Vereinigten Staaten, während es sonst
nur etwa ^/g war. In der ersten Hälfte 1916 kam daher die neue
Mehreinfuhr zum größten Teil aus der Union, die ihren Betrag fast
verdoppelte, sodann aus Kanada, das wieder mit einem Drittel be-
teiligt war. So wird erst aus der Beachtung des Weltmarktes ftlr
Weizen die Kurve der englischen Preise verständlich. Ebenso aber
auch, daß nun neuerdings die Kurve wieder in die Höhe gehen mußte,
nachdem die alten Vorräte sich dem Ende näherten und die neuen
Ernteschätzungen bekannt wurden.
Denn das neue Erntejahr 1916 zeige zwar für den euro-
päischen Kontinent leidlich befriedigende Ergebnisse, die Ernte ist nur
wenig kleiner als im Vorjahre, aber größer als 1914. Durch die
Sperrung der Dardanellen kam jedoch der Hauptlieferant Rußland
wiederum nicht in Betracht. Die außereuropäischen Länder dagegen,
vor allem die Union und Kanada, zeigten erhebliche Mindererträgnisse
und blieben in ihrer Gesamtheit gegen das Vorjahr um ein volles
Drittel zurück, erreichten also noch nicht einmal das schlechte Ergeb-
nis des ersten Kriegsjahres. Allerdings bestanden nun in einigen außer-
europäischen Exportländern ganz erhebliche Ueberschüsse von der voran-
gehenden Ernte. Man schätzte sie auf 35 Mill. Quarter, die in der
Union, Kanada, Argentinien, Australien zur Verfügung standen. Der
vorjährige Ausfuhrüberschuß der Weizenexportländer wird auf
40 Mill. Quarter berechnet, wobei wir Rußland und Rumänien in Abzug
bringen. Nun werden aber die Einfuhrbedürfnisse der europäischen
und außereuropäischen Länder außer Deutschland und Oesterreich-Ungarn
auf 67 Mill. Quarter geschätzt. Eine Versorgung wäre an sich wohl mög-
lich gewesen, wenn auch der Ueberschuß nicht groß war. Aber es ist
gänzlich ausgeschlossen, daß bei dem so verringerten Ernteergebnis Farmer
und Landwirte wirklich die ganzen vorhandenen Vorräte zur Ausfuhr
freigaben. Sie mußten vielmehr zurückhalten, um das eigene Land zu
versorgen und gegen eine eventuelle neue Fehlernte geschützt zu sein.
Erfahrungsgemäß wird im Jahre der Mißernte der vorangehende Ueber-
schuß niemals ausgeführt. So mußte also die Verproviantierung Eng-
lands auf Schwierigkeiten stoßen, die wiederum ein Folge der Welt-
ernte waren. Jedenfalls ergab sich die Notwendigkeit des Steigens des
Weizenpreises in London, da die Dardanellen nicht geöffnet wurden.
Die Verknappung des Schiffsraumes und die Erhöhung der Frachtraten
trugen zu der Steigerung zwar bei, machten aber keineswegs die Haupt-
sache aus. Vielmehr sind es die Schwankungen des effektiven An-
gebotes, die wesentlich den Preis bestimmen. Gerade weil die Ueber-
Miszellen. 465
Schüsse des Vorjahres in stärkerem Maße herangezogen werden mußten,
erhielten die Exportländer die Möglichkeit, die Preise in die Höhe zu
treiben, zumal der Schiffsraum sich so verknappt hatte. Zudem
stammten die Zufuhren aus Kanada, Argentinien, Australien, für die
also der Transport ungünstig liegt. Dem Ausfall der Welternte ent-
sprach im ganzen die Einfuhr nach England. In der ersten Hälfte des
Jahres 1915 waren 7,5, im ganzen Jahre 14,6 Proz. weni ger Weizen
eingeführt als im Jahre zuvor, und zwar der Menge nach, während
der Wert trotzdem natürlich zugenommen hat. In der ersten Hälfte
1916 betrug dagegen die Einfuhr V3 mehr als im ersten Kriegsjahr
und übertraf sogar beträchtlich die normale Einfuhrmenge. Das war
die Folge der überaus reichen Weizenernte und zum Teil wohl auch
der Besorgnis, unter allen Umständen sich eindecken zu müssen.
Dagegen hat die zweite Hälfte des neuen Jahres sowie die erste
von 1917 wieder eine Abnahme der Einfuhr gezeitigt. Denn England
befindet sich in der Notwendigkeit, unter allen Umständen etwa 3|^
seines Bedarfes einführen zu müssen , auch wenn die eigene Ernte
gut ist 1). Um die Lebensmittelversorgung sicherzustellen und die
Weizenpreise nicht durch Preistreibereien weiter steigen zu lassen, hat
dann die englische Regierung im September 1915 den ganzen Getreide-
handel selbst in die Hand genommen. Es handelt sich um die Beschaf-
fung hinreichender Vorräte für das laufende Jahr bei einem Weizenpreis
von 70 sh für den Quarter, das sind 330 M. die Tonne, also 70 mehr
als in Berlin 2).
b) Betrachten wir die Preisbewegung für die übrigen Nahrungs-
mittel, so geht der Mehlpreis dem Weizen ziemlich parallel. Die
Steigerung in den zwei Kriegsjahren betrug 62 Proz. und erhöhte
sich bis Ende 1916 auf mehr als das Doppelte, bleibt also hinter dem
Weizen etwas zurück. Es hatte im Mai 1915 und März — April 1916 ein
Maximum mit einer Zunahme von je 90 Proz. erfahren. Der Weizenmehl-
preis stand im London am 20. November 1915 auf 37,75 M. für den Doppel-
zentner, in Berlin auf 36,75. Die Steigerung für Haushaltmehl betrug nach
dem „Economist" von Januar 1914 bis Mai 1916 schon 107 Proz.
1) Es betrug in Millionen Quarter Weizen
zur Ver-
fügung
einheimische
Ernte
Einfuhr
1913/14
34.0
7,1
26,9
1914/15
33,8
7,8
26,0
1915/16
35,8
9.2
26,«
2) Von der Einfuhr stammte in
Prozent
1910/14
1915
1916
Rußland
11,6
0,8
—
Vereinigte I
Staaten
25,0
49,4
63,0
Argentinien
11,9
11,9
4,0
Indien
15,6
13.6
4,9
Australien
11,1
0,8
3,9
Kanada
21,8
23,«
24,1
Dabei betrug die Einfuhr an Weizen und Weizenmehl umgerechnet nach Tonnen
(nach den „Berichten des Deutschen Landwirtschafirats") 1910/14: 60,5 Mill., 1915:
52,4, 1916: 57,9. Diese Ausfuhr erklärt hinreichend den englischen Weizenpreis.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 30
466
Miszellen.
n.
N
ahrung
smi
tt
ej
_P
reise
in
E
Dgl
and.
Mani
Engl. Korn (Gaz. Av.)
Engl.
Zucker,
west-
Kaffee
Santo»
Butter,
toba-
Weize
Mehl
Kar-
toffel
in-
discher
Tee
da-
° Weizen
Gerste
Hafer
nifeche
perq
' perqr
perqr
perqr
•280 Ibs
per ton
per
cwt
perlb»
per cwt
per cwt
£
sh|(i
9 1
sh
14
JL
£
8h
J_
£|8h
d
1
8h
d
£ "
sh
dj
sh
d
d
1
8h
d^
£
sh
d
JTuli 1914
1
16.
4
4
6'
^
7^
9
i^
6'
_
11
3
^h
2
77
9
6
1
^
August
2
5<
3 l
«4
9
5
2
0
19
I
10
0
3
15
0
II
9
H
2
11
0
12
6
September
I
io(
3 l
i6
5
10
b
3
0
17
0
3
15
0
17
6
H
2
II
0
7
0
Oktober
2
5<
3 I
«7
1
9
I
2
9
Ib
0
3
7
6
18
3
H
2
1 1
0
0
0
November
2
9*
^ l
i8
8
8
6
3
7
Ib
6
3
10
0
18
3
H
2
II
0
15
0
Dezember
2
9<
3 2
2
2
iO
2
5
9
18
b
4
0
0
18
3
H
2
II
0
8
0
Januar 1915
2
U.
^ ^
4
4
5
i<>
^
^
2
i
6»
3
77
6
14
7
H
2
12
e
72
ö
Februar
3
3<
3 2
13
3
13
7
10
3
2
10
0
4
»5
0
'5
0
H
2
12
6
4
0
März
3
I (
3 2
•5
1 1
14
6
II
8
2
II
0
5
0
0
15
0
H
2
12
6
19
0
Aprü
3
7'
) 2
»4
6
II
9
10
b
2
II
0
4
17
b
15
9
9i
2
12
6
0
0
Mai
3
13 <
^ 3
o
5
13
3
12
4
2
14
0
4
7
6
ib
6
9i
2
12
6
10
0
Juni
3
6<
^ 3
I
9
15
4
12
5
2
12
0
4
'5
0
16
0
H
2
12
6
Ib
0
Juli
2
18
^ 2
9
5
15
3
11
i
2
4
0
4
(y
0
7^
Ö
8i
2
2
6
12
0
August
2
i9<
3 2
'5
4
15
7
II
5
2
5
0
4
12
6
18
9
H
2
2
6
8
12
0
September
3
o
3 2
5
3
18
II
6
10
2
4
0
4
2
6
«9
0
H
2
3
0
8
9
0
Oktober
3
o<
3 2
3
5
2
0
4
6
5
2
3
0
3
17
b
22
0
8|
2
4
0
10
0
0
November
3
I <
? 2
II
6
2
7
3
10
4
2
b
0
4
10
0
23
6
H
2
9
9
8
2
0
Dezember
3
I (
3 2
13
7
2
8
10
II
2
7
0
5
0
0
27
9
7!
2
6
6
9
I
0
Januar 1916
3
7
y 2
15
8
^
7
8
11
5
^
i^»
0
.5
0
0
2*
^
7|
2
6
0
7
76'
0
Februar
3
II
i 2
i8
3
2
12
5
12
4
2
13
0
4
12
6
31
3
7i
2
^
0
7
17
0
März
3
12
J 2
«9
4
2
15
7
13
4
2
14
0
4
»5
0
44
6
7i
2
8
0
9
0
0
Aprü
3
6
J 2
II
8
2
13
7
10
I
2
10
0
5
0
0
41
10^
7i
2
12
6
8
15
0
Mai
2
•3
9 2
15
7
2
13
I
I i
10
2
8
0
8
10
0
—
H
2
15
0
8
10
0
Juni
2
»3
9 2
•3
3
2
•3
9
'3
3
2
7
0
10
0
0
_
—
<^i
2
.8
b
8
U
0
Juli
2
7^,
9 ^
6
3
2
9
i
i^»
10
^
i^
0
24
10
0
U
m
^1
i?
18
tf
8
13
0
August
3
5
) 2
»5
1
2
6
I
12
9
2
12
0
5
0
0
41
loi
9i
2
16
0
9
5
0
September
3
II (
3 2
19
4
2
8
5
10
5
2
Ib
0
5
15
0
41
lOi
9i
2
16
0
9
«7
0
Oktober
3
i6
J 2
•9
2
2
•4
5
10
9
2
•7
0
b
15
0
41
loi
9i
2
13
0
10
II
0
November
4
1
3 3
6
7
2
ib
2
H
0
3
0
0
12
10
0
41
io|
9i
2
«3
0
10
16
0
Dezember
3
19
3 3
II
5
3
3
2
1
4
2
19
0
II
10
0
41
loi
lOf
2
12
6
II
0
0
Januar 1917
4
lü
y 3
i5
/(y
5
7
5
2
7
4
2
19
0
72
0
0
41
m
11
2
i2
6
lü
18
0
Gerste ist vor allem seit dem Herbst 1915 teurer geworden, wo
sie zum ersten Male den Preis von 2 £ für den Quarter überstieg;
seitdem hat er wieder etwas nachgelassen, um in der zweiten Hälfte
1916 von neuem beträchtlich anzuziehen. Die Steigerung des Gersten-
preises bis zum Dezember 1916 betrug nicht weniger als 140 Proz., wo-
gegen das andere Futtermittel, Hafer, im Preise nur wenig gestiegen ist.
Es hängt mit dem günstigen Ernteausfall gerade in diesen Futtermitteln
zusammen. Hafer und Gerste stammen zu 60 bzw. 76 Proz. aus Eng-
land selbst, Weizen nur zu 26, so daß bz. der Futtermittel eine ziem-
liche Unabhängigkeit vom Ausland besteht. Dabei laufen Gerste und
Hafer meist in entgegengesetzter Richtung wie Weizen. Eine gute Ernte
in jenen Futtermitteln pflegt eine schlechte Getreideernte im Gefolge zu
laben, und umgekehrt. So trat 1915 wegen des von uns dargestellten
Miszellen. 46lf
guten Ausfalls der Weizenernte eine wesentliche Minderung an Futter-
mitteln, vor allem an Gerste ein, zumal ja Eußland und Rumänien ganz aus-
fielen, Kanada einen Minderertrag gab. Indien, das dafür in die Bresche
sprang, konnte doch keinen vollen Ersatz für den Ausfall Rußlands
bieten. So war das Ergebnis eine Mindereinfuhr von Gerste um fast
den vierten Teil. Das neue Jahr 1916 brachte dafür aber eine starke
Mehreinfuhr, die fast eice Verdoppelung gegenüber dem Vorjahre be-
deutet. Vor allem die Union, aber auch Indien und Kanada verstärkten
wesentlich den Gerstenimport, diktierten dann freilich auch den Preis.
Darum konnte trotz der wesentlich gestiegenen Erachtraten der Gersten-
preis wiederum sinken. Auch hier war also in beiden Jahren der
Ernteausfall von entschiedener Bedeutung.
Ganz kolossal stellt sich die Verteuerung der Kartoffeln im
Großhandel. Schon im Januar 1916 waren sie auf 5 £ die Tonne ge-
stiegen, statt 3 £ 10 sh zu Beginn des Krieges. Seit dem April sind
die Preise jedoch geradezu märchenhaft in die Höhe gegangen, bis
zum Juli 1916 auf nicht weniger als 12 £. Dann sanken sie etwas,
stellten sich aber mit Ende des Jahres auf 11 £. Der Großbezugspreis
der Kartoffel hat sich in England während des Krieges mithin vervier-
facht. England ist hierin auf Eigenerzeugung angewiesen ; daher
ist die einheimische Ernte von maßgebendem Einfluß. Aber auch der
Preis für Reis, dessen Zufuhr doch wegen der fehlenden Nachfrage
Deutschlands größer sein müßte, ist wesentlich teurer geworden; in
den zwei Kriegsjahren um nicht weniger als 128 Proz. , hat sich
also mehr als verdoppelt. Andererseits war Kaffee im Preise sogar
zurückgegangen, nachdem er vorübergehend im Sommer 1915 teurer ge-
worden war. Er stellte sich auch Ende 1916 nicht wesentlich höher als
zu Kriegsbeginn. Hier hat offenbar die fehlende Nachfrage Deutschlands
und Oesterreich-Ungarns und die Notwendigkeit der brasilianischen
Regierung, den Kaffee abzusetzen, preisdrückend gewirkt. Die Kaffee-
zufuhren sind in dem letzten Jahre größer als jemals zuvor. Wichtiger
als Kaffee ist für England der Tee. Seine Verteuerung ist erheblich.
Eine mittlere Qualität ist von 6V8 das Pfund mit einigen Schwankungen
auf lO^I^ d also um ^5 teurer geworden. Endlich Zucker. Durch
den Ausfall der deutschen und russischen Zuckerzufuhr mußte England
Rohrzucker einführen, und die englische Regierung hat gerade in diesem
Punkte durch Aufkaufen von Vorräten sich rechtzeitig eingedeckt.
Allerdings ist dadurch der Zuckerpreis nun sehr gestiegen. Rübenzucker
kostete im Juli, 1914 9 sh 41/2 d der Zentner, Rohrzucker, der als Ersatz
eintreten mußte dann schon nach einem Jahre ]6sb, und ist dann im
Dezember 1916 auf mehr als das Dreieinhalbfache des Anfangspreises
gestiegen.
Vegetabilische Nahrungsmittel und Kolonialprodukte verhalten sich
also in ihren Steigerungen nicht gleich. Kartoffeln und Zucker sind
am teuersten geworden, dann Reis und Gerste, am wenigsten Kaffee
und Tee, von denen ersterer sogar zeitweise billiger wurde. Weizen,
dessen Erhöhung für englische Verhältnisse außerordentlich ist, steht
mit 120 Proz. etwa in der Mitte.
30*
468
Hiszellen.
VoD den tierischen Nahrungsmitteln interessiert zunächst das
englische Fleisch. Hier sind die niederen Qualitäten des Rindfleisches
starken Schwankungen ausgesetzt. Doch bedeutet das Jahr 1916 hierin
eine wesentliche Verteuerung, die wohl auf der Verknappung der Futter-
mittel, vor allem in Australien, sodann aber in England selbst zurück-
zuführen ist. Anfangs war der Rindfleischpreis kaum merklich in die
Höhe gegangen. Das hielt sich so bis etwa April 1915, dann aber
setzt eine sehr starke Aufwärtsbewegung ein, die im Juni 1916 ihren
Höhepunkt erreichte ; von da an ließ er wieder etwas nach. Im ganzen
betrug die Steigerung in den beiden Kriegsjahren über die Hälfte des
Anfangspreises, der der besseren Sorten ist fast ebenso hoch gestiegen.
Dagegen hat Hammel fleisch weit weniger im Preise angezogen. Von
6sh 8d im Juli 1914 mit einem nur langsamen Steigen auf 9 sh 2 d
nach zwei Jahren. Das ist um 37 Proz , so daß nach diesen Angaben
Hammel- und gutes Rindfleisch fast gleich hoch standen. So ist also
der Preis für tierische Nahrungsmittel in England weniger gestiegen,
als der für vegetabilische, wenigstens soweit das englische Fleisch
selbst in Betracht kommt (s. weiter unten) ^).
c) Um ein Bild der wirklichen Preissteigerung Englands zu ge-
winnen, kommt es aber weit mehr auf die Kleinhandelspreise
des täglichen Konsums an. Es sind auch in England wiederholt Unter-
suchungen über die Höhe der Preissteigerung im privaten Haushalt
und über deren Ursachen veranstaltet worden. Das englische Handels-
amt hat dafür eigene Berechnungen aufgestellt, die wir hier wieder-
geben. Es betrug demnach die Zunahme der Kleinhandelspreise gegen
den Juli 1914 in Prozent (nach der Labour Gazette):
Bis April 1915 Bis Jan. 1916 Bis Juni 1916 Bis Jan. 1917
Oefrorenes Rindfleisch,
Rippenstück
30
47
81
88
„dünne Stücke"
45
63
100
lOI
Englisches Hammelfleisch,
Keule
14
28
54
54
Oefrorenes Hammelfleisch,
Keule
26
63
84
122
Schinken
14
31
38
56
Mehl
43
49
57
88
Brot
35
42
51
73
Tee
24
48
50
51
Zucker
70
7
155
170
Margarine
5
32
18
25
Käse
23
29
53
75
Milch
7
32
33
57
Frische Butter
14
32
71
Eier
34
105
27
»75
Kartoffeln
4
5
58
122
Eische
60
97
86
131
Durchschnitt
31
42
61
81
1) Es betrug die gesamte Einfuhr an Fleisch waren 1915 noch 25,3 Mill. cwt
(= 50,8 kg), 1916 nur 23,3; dem Werte nach 86, 2Mill. £ biw. 93,4: oder Abnahme
der Einfuhrmenge bei steigendem Werte. — Im ganzen wird Fleisch zu 90 Proz. ein-
geführt, in London freilich das Doppelte!
Miszellen. 469
Es zeigt sich also, daß der Durchschnitt der englischen Kleinhandels-
preise bis zum April 1915 um ein knappes Drittel, bis zum Juni 1916
aber um mehr als 60 Proz., bis Ende des Jahres auf 87 Proz. gestiegen
war. Dabei ist anzunehmen, daß in Wirklichkeit die Kleinhandelspreise
noch mehr angezogen haben. Denn wir haben weitere Angaben des
englischen Handelsministeriums , die mit diesen Berechnungen nicht
übereinstimmen und wesentlich höhere Beträge zeigen. Es ist darum
bedenklich, die englischen Ermittlungen etwa mit den viel genaueren
preußisch- deutschen auf eine Stufe zu stellen , da erstere zu günstig
abschneiden würden. Am meisten hat Zucker im Preise angezogen, von
dessen normaler Einfuhr aus Deutschland und Rußland England ganz
abgeschnitten und dafür auf indisch-kubanische Bohrzucker angewiesen
ist. Der ist aber an sich schon teurer und sein Preis hat wegen der
Frachtraten noch mehr zugenommen.
Beim Fleisch ist vor allem charakteristisch, daß das eingeführte
billigere Gefrierfleisch wesentlich mehr gestiegen ist als das gute eng-
lische. Es ist zum Teil wohl auf die verteuerten Frachtkosten zurück-
zuführen, in der Hauptsache aber wohl darauf, daß die guten eng-
lischen Qualitäten eine geringere Nachfrage finden, als die minder-
wertigen eingeführten. Das zeigt sich auch an den verschiedenen Arten
derselben Fleischgattung : allenthalben sind die minderen Sorten (dünne
Stücke und Brust) mehr im Preise gestiegen als die besseren Sorten
(Rippenstück und Keule). Wir haben dasselbe auch in Deutschland
bei Fleisch und Fisch gefunden. Ich berechne eine durchschnittliche
Verteuerung des englischen Fleisches um 82 Proz., und zwar
Englisches Kippenstück
Dünne Stücke
Gekühltes Rindfleisch, Rippenstück
„ „ dünne Seiten
Englisches Hammelfleisch, Keule
„ „ Brust
Gefrorenes ,, Keule
„ „ Brust
Zum Teil kommen hier, wie im
wurde, die starken Anforderungen (
durch dessen Nachfrage werden die Preise in die Höhe getrieben. In
der Hauptsache ist es aber wohl die Gestaltung der Einfuhr, die auch
hier die Preise bestimmt. Denn sie hatte wesentlich nachgelassen.
Januar bis Juni 1914 wird an Gefrierfleisch eingeführt für 8,2 Mill. cwts.,
1915 aber nur für 6,5 und 1916 gar nur für 5,0 Mill. Die zweite
Hälfte des Jahres 1916 hat diese Minderung nicht eingebracht. Die
Fleischeinfuhr aus Australien litt infolge der dortigen Dürre, die aus
Südamerika unter dem verminderten Schiffsraum. Es trat also eine
Fleischknappheit beim Mehrbedarf des Heeres ein, die die Steigerung
hinreichend erklärt.
Sehr wesentlich verteuert haben sich auch die Fische, um 130 Proz.,
was bei der großen Bedeutung des Fischgenusses im privaten englischen
Haushalt sehr stark ins Gewicht fällt. Die Ursachen liegen hier vor
bis Jan. 1916 bis Dez. 1916
35
64
45
84
47
85
43
lOI
28
59
41
84
42
86
63
122
englischen
Unterhause anerkannt
les Heeres
sehr
in Betracht, und
470 Miszellen.
allein im Rückgang des englischen Fischfanges, der wegen der Minen
und Unterseebote im Kriegsgebiete wesentlich eingeschränkt werden
mußte. Das macht sich natürlich sehr bemerkbar und wirkt dann
offenbar auf die Nachfrage nach anderen, vor allem tierischen Nahrungs-
mitteln zurück.
Von den sonstigen tierischen Nahrungsmitteln sind Butter und Käse
um etwa 74» Margarine nur um Y^ teurer geworden, Milch um etwas
über die Hälfte, Eier dagegen um fast das Dreifache. England ist in
der Butterversorgung ganz auf das Ausland angewiesen, die teils aus
Dänemark, Sibirien, ja auch Australien stammt. Der Preis für dänische
Butter ist im Großhandel von 6 £ 1 sh auf 11 £ procwt. (= 50,8 kg)
gestiegen. Das Kilogramm dänische Butter kostete im Dezember also im
Großbezug 4,90 M., im Kleinhandel 5,20 M. Die ungeheure JSteigerung
der Eierpreise erklärt sich aus der Verknappung an Futtermitteln.
Die Preise für Schinken und Magerspeck bleiben hinter der Steigerung
für Fleisch wesentlich zurück. Mehl und Brot sind um drei Viertel
teurer geworden. Der englische Brotpreis ist örtlich nicht gleich. Zu
Beginn des Krieges kostete das englische 4-Pfundbrot (18 g) 48 Pf.,
(5^4 d). Nach zwei Kriegsjahren war es in London auf Sy^ d, d. s.
81 Pf. gestiegen, wobei sich gleichzeitig das faktische Gewicht ver-
mindert hat, indem man nur die äußere Nennung beibehielt. November
1916 betrug der Preis schon 88 Pf. Das bedeutet also eine Verteue-
rung um 83 Proz. gegen eine solche in Deutschland um 50 Proz. Es
ist heute das deutsche Mischbrot billiger als das englische Weizen-
brot. Kartoffeln sind allerdings um mehr als das Doppelte ge-
stiegen, spielen aber im englischen Haushalte eine wesentlich kleinere
Rolle als in Deutschland.
Es ist nicht möglich, für die Zeit des Krieges die gewonnenen
Indexziffern einzusetzen, um die Höhe der Belastung des englischen
Haushaltes kennen zu lernen. Doch entnehmen wir einer Unter-
suchung der Woman Operative Guild die folgende Uebersicht: Eine
Familie mit 7 Kindern, deren Vater im Kriege dient, verausgabte:
Vor dem Kriege
im Kriege
Wochenlohn 36 sh
Wochenlohn 41 sh
7 Pfd.
Fleisch
4 sh 8 d
3
Pfd.
Fleisch
3 sh — d
4
Zucker
I „ — „
2
Zucker
I „ — „
3V, »
Speck
' >t
,,
2
Speck
2 „ 4 m
3V, „
Käse
2 „ 4
M
I
Käse
I „ 2 .,
50
Kartoffeln i „ loV,
20
Kartoffeln
2 „ 9 M
37, „
Mehl
— „ 5
,
l'/4
Mehl
— „ 5 m
56 „
Brot
5 » 3
,
84
Brot
14 M -- M
12 Quart
Milch
3 » —
>
7 Quart
Milch
2 M V, M
127 Pfd.
I £ - „ 10V2 <
1
1127,
Pfd.
I £ 6 sh 8V, d
Die Quantität hat sich etwas, die Qualität wesentlich verschlechtert,
die Ausgaben sind trotzdem um ^s gestiegen. Von Seiten des
nationalen Arbeiterausschusses werden die Kosten für den Lebens-
unterhalt einer normalen Arbeiterfamilie geschätzt: Juli 1914 auf
25 sh, 1915 auf 33 sh 9 d, 1916 auf 41 sh 3 d, also eine Steigerung
Miszellen.
471
von 65 Proz. und ein Sinken der Kaufkraft des Pfundes auf 12 sh
1 d. Aber es wird zugleich auch betont, daß die Teuerung die ver-
schiedenen Schichten ganz verschieden trifft. Bei gleicher Lebens-
haltung ist die Preissteigerung für eine Arbeiterfamilie 83 v. H., für
eine solche des Mittelstandes 68 und für eine wohlhabende Familie
nur 58. Betrachten wir schließlich die übrigen Ausgaben, so wird
nach englischen Ermittlungen in Städten über 50000 Einwohner für
die einzelnen Posten folgende Verteuerung gegen den Juli 1914 in
Prozent angegeben:
Nahrung Kleidung Heizung, Licht Verschiedenes im ganzen
Juli 1915
35
25
20
10
25
September
H
30
25
10
30
Dezember
46
35
30
15
35
März 1916
51
50
30
15
40
Juli
65
57
II.
40
Textilstoffe.
32
50
Unter den Textilstoffen werden wir Rohstoffe und Fabrikate
unterscheiden müssen. Die Preisbewegung der letzteren braucht nicht
durchaus mit der ersteren parallel zu gehen, da hier noch andere Fak-
toren, vor allem die Höhe der Arbeitslöhne mitsprechen, sodann der
Umfang der Produktion, sowie Absatz bzw. Ausfuhr englischer Er-
zeugnisse. Zunächst finden wir für die Gesamtheit der hier vereinigten
10 Waren des Großhandels ein allgemeines Herabgehen des Preis-
niveaus. Diese Gruppe besteht nach der Aufstellung des „Economist"
aus Baumwolle und Baumwollgarn, Wolle, Seide, Flachs, Hanf, Jute
und Wollstoffen. Ihr Preisniveau sinkt bis zum Dezember um etwa
20 Proz., steigt dann wieder an und erreicht erst etwa nach einem
Jahre die Höhe des Ausgangspreises. Seit Dezember 1915 geht es
dann aber rapid in die Höhe. Jedoch erst im dritten Kriegsjahre,
also seit August 1916, beträgt die Steigerung 40 Proz. und bis zum
Schlüsse des Jahres ist die Gesamtheit der Waren um mehr als
vier Fünftel teurer geworden. Wir können sagen, daß auf dem Gebiete
der Textilstoffe erst im dritten Jahre der Krieg sich im Preise bemerk-
bar gemacht hat. Woran liegt das?
Baum-
wolle
Jute
Seide
Hanf
Kolonial-
wolle
sh
d
Pfd.
, sh
sh
d
Pfd.
sh
sh d
Juli 1914
53
56
15
II
4V,
27
IG
2 V.
Dezember
48
15
IG
4V/.
25
—
I iiV.
März 1915
95
20
—
19
V,
26
—
I IG
Juli
22
21
15
9
4V,
41
—
2 IV*
Dezember
55
26
IG
12
9
44
—
2 37.
März 1916
75
34
IG
14
3
57
—
2 8
Juli
8
3
28
IG
15
—
53
IG
2 II V,
Dezember
10
64
42
v,
14
6
60
—
4 47,
Wir nehmen zunächst die Baumwolle. Es war von vornherein
zu erwarten, daß ihr Preis auf dem Weltmarkt sinken würde. Denn
472 Hiflcellen.
zwei so starke Abnehmer, wie Deutschland und Oesterreich- Ungarn,
die zusammen für etwa jährlich 800 Mill. M. Baumwolle kauften, fielen
ganz fort. Die englische Produktion selbst aber wurde wegen der
verminderten Ausfuhr und wegen der Einberufung eines Teiles der
Arbeiter wesentlich eingeschränkt. Dazu kam im ersten Kriegsjahr
eine an sich reichliche Ernte in den Vereinigten Staaten. Die Folge
dieser Umstände war auch alsbald ein wesentliches Herabgehen des
Baumwollpreises. Er sank bis zum September 1914 um nicht weniger
als auf Yg des Anfangspreises. Und auch noch während des ganzen
Jahres 1915 hat er trotz eines allmählichen Heraufgehens den alten
Standpunkt nicht wieder ganz erreicht. Es ist deutlich, daß die
amerikanischen Baumwollfarmer stark in Mitleidenschaft gezogen werden.
Betrug der Ausfall des Exportes nach Deutschland doch allein Ys ^i^
liarde M. ; die Ausfuhr ging im ersten Jahre sofort um 27 Proz.
zurück 1). Der Baumwollpreis stand in den Vereinigten Staaten niemals
so niedrig wie damals: Middling American fiel in London und Man-
chester von 7,73 d auf 4,48 herab. Die englische Textilindustrie und
die englischen Verbraucher haben zunächst Nutzen davon gehabt. Im
Dezember 1915 trat eine Aenderung ein, indem zunächst der Anfangs-
preis überholt wurde. Das war wohl mit eine Folge des verminderten
Frachtraumes und der verteuerten Frachtsätze, die diese Steigerung
hervorriefen.
Aber erst im September 1916 ist dann die Verteuerung wesent-
lich höher geworden und betrug bis Ende des Jahres etwa ein Drittel
des Friedenspreises. Der Grund ist einmal der Ausfall der Baumwoll-
ernte in den Vereinigten Staaten, die teils wegen der Witterungsverhält-
nisse, teils wegen der Verminderung der Anbaufläche, teils wegen des
Ausbleibens der italienischen und slavischen Wanderarbeiter einen so
erheblichen Minderertrag ergab. Anfang November 1916 notierte infolge-
dessen Middling Uplands den Eekordpreis von 19,15 cts. — es ist der
höchste Preis, der in den letzten 32 Jahren in der Union bemerkt
wurde. Außer der ungünstigen Erntemenge hat aber außerdem der
steigende eigene Baumwollbedarf der Vereinigten Staaten wesentlich zu
der Verteuerung mitbeigetragen. Er ist durch den Krieg erheblich ge-
stärkt worden und stieg von 5,8 Mill. Ballen 1913/14 auf 7,3 in 1915/16;
die Ausfuhr von Explosivstoffen für Kriegszwecke mag ein übriges getan
haben. Entsprechend diesen amerikanischen Verhältnissen betrug die Zu-
fuhr nach England im Jahre 1914 nur 18,6 centals (= 100 Pfd.), 1915
aber 26,5 um dann 1916 bis zum September wiederum auf 15,2 centals
(gegen 21,4 in 1915) herabzugehen.
Offenbar ist es also der Ausfall der amerikanischen Baumwollernte
auf der einen, die Menge der Zufuhr auf der anderen Seite, die den
Londoner Baumwollpreis bestimmten. Die starke Zufuhr und das starke
Angebot bei verminderter Nachfrage im ersten Jahre hatten die Er-
niedrigung der Preise, das verminderte Angebot und die erhöhten
Frachtsätze hatten das erneute Steigen zur Folge.
1) Vgl. Eulenburg, in Weltwirtschaftliches Archiv, VI. Bd. (1915), S. 177.
Miszellen. 473
Nächst der Baumwolle ist die Wolle von größter Wichtigkeit.
Auch ihr Preis war im ersten Jahre zurückgegangen und erreichte den
alten Stand erst im Januar 1915, wenigstens soweit Kapwolle in
Betracht kommt. Dann aber tritt im Laufe des Jahres eine Steigerung
um 30 Proz. ein; sie setzt sich im nächsten Jahre fort und macht im
Oktober bereits das Doppelte des Anfangspreises aus. Also auch hier
eine ähnliche Bewegung wie bei der Baumwolle. Die Ursachen sind
ebenfalls ähnliche: im Anfange das Nachlassen der Nachfrage nach
Wolle auf dem englischen Wollmarkte, vor allem durch den Ausfall
von Deutschlands und Oesterreich-Ungarns Nachfrage, aber auch ge-
ringerer Eigenbedarf in England wegen der verminderten Ausfuhr und
der notwendigen Einschränkung der eigenen Produktion. Trotzdem
war die Zufuhr von Wolle im Jahre 1915 der Menge nach größer als
im Jahre zuvor: 926,7 Mill. Ibs. gegen 712,6, also eine Zunnahme um
fast ein Drittel. Diese Verhältnisse erklären die Preissenkung der
Wolle zur Genüge. Hierin trat nun seit 1916 eine wesentliche Aen-
derung ein. In den ersten neun Monaten, wo mir die Berichte vorlagen,
betrug die Einfuhr nur noch 527 Mill. Pfd. gegen 829 im Jahre zuvor,
also eine Mindereinfuhr um mehr als ein Drittel. Und zwar sind vor
allem Australien und Neuseeland daran beteiligt, die normalerweise
die Hauptmasse stellen. Die Preissteigerung ist demnach eine sehr
große: bis Ende des Jahres um 120 Proz. gegen den Kriegsbeginn.
Es ist einmal der schlechte Ausfall der Futtermittelernte in den Kolonial-
ländern, der zu einer teilweisen Vernichtung des Schafbestandes führte,
sodann die Verminderung der Arbeiterzahl, und endlich die so wesent-
lich erschwerten Transportverhältnisse, die sich darin gleicherweise be-
merkbar machten, das Angebot verminderten und den Umschwung in
den Preisen herbeigeführt haben. Bei gleicher Nachfrage wäre wohl
auch ohne den Krieg ein Anziehen der Wollpreise erfolgt, zumal ohne-
dies sich die letzten Jahre durch ein Verknappen der Kolonialwolle
bemerkbar machten.
Die Preise für Rohseide sind 1914/15 ebenfalls heruntergegangen
und erst seit dem Januar 1916 wiederum gestiegen, um im Oktober
eine Zunahme um fast die Hälfte zu erfahren. Die Verteurung in dem
ganzen Zeitraum der 2Y2 Jahre betrug aber nur ein Viertel. Wiederum
ist die Zufuhr seit den letzten Jahren, nachdem sie 1915 noch größer
als vordem gewesen war, vor allem aus China erheblich zurückgegangen ;
das Angebot gestaltete sich wesentlich knapper, zumal auch Frankreich
weniger ausführen konnte. Für Hanf tritt die Steigerung schon 1915
sehr erheblich ein und setzt sich dann weiter fort, so daß sich sein
Preis nach 2^/2 Kriegsjahren auf 130 Proz. höher als im Anfang stellt.
Offenbar ist der Bedarf nach Hanf zu militärischen und maritimen
Zwecken sehr gestiegen, und obwohl die Einfuhr teilweise sogar eine
Zunahme erfuhr, nahm der Preis steigende Tendenz an. Hier ging ab-
weichend von Baumwolle und Wolle die Preissteigerung also offenbar
von der Nachfrageseite aus. Die Entwicklung des Jute preises weicht
endlich nicht unerheblich von der der übrigen Waren ab. Der Preis
macht große Schwankungen durch, steigt zum Teil beträchtlich über den
474 Misaellen.
Anfangspreis, sinkt aber auch teilweise darunter. Ende des Jahres ist
Jute nicht unerheblich billiger als zu Beginn des Krieges. Sie ge-
hört zu den Spinnstoffen, die im ganzen am wenigsten gestiegen sind.
Der Grund liegt wohl daran, daß die Nachfrage der Zentralmächte
ganz ausfiel. Der Bedarf nach den Produkten ist in diesen Ländern
aber an sich größer als in England. Die Ausfuhr von Jute und Jute-
waren nahm darum erheblich ab, da England hierin wesentlich für
den Export arbeitet; daraus erklärt sich die geringe Preissteigerung.
Von den Fertigprodukten findet sich der Preis filr Baumwollgarn
und der von Schirting angegeben. Das Jahr 1915 zeigt ein erheb-
liches Nachlassen der Ausfahr englischer Baumwollprodukte. Dem
Werte nach war sie um 16,7 Proz. gefallen, um dann 1916 dem Werte
nach wieder zuzunehmen, wenn auch die Menge abermals einen Rück-
gang aufweist. Entsprechend der Preisbewegung des Rohstoffes ist
der Preis für Baumwollgarn seit Ausbruch des Krieges von 10 d
das Pfund bis auf 6"^/^ gefallen; er hat erst im Oktober 1915 wiederum
die alte Höhe erreicht, um dann im neuen Jahre entsprechend der
Aufwärtsbewegung des Rohstoffes im Oktober bis zu 14^4, das sind
42 Proz., emporzusteigen. Die Fabrikate sind also nicht ganz in dem
Maße der Rohprodukte in die Höhe gegangen, sondern dahinter zurück-
geblieben — eine Erscheinung, die uns auch sonst noch öfter begegnen
wird und mit der modernen Fabrikationstechnik zusammenhängt. Anders
ist die Preisgestaltung der Wollfabrikate. Das Pfund kostete bis
zu Beginn des Krieges I4V2 d und hielt sich mit nicht sehr großen
Abweichungen auf dieser Höhe. Aber seit dem Januar 1916 befindet
sie sich in dauernder Aufwärtsbewegung und hat im Oktober den Wert
von 22 d erreicht, also eine Zunahme von 50 Proz. Das Fabrikat ist
wesentlich hinter der Verteuerung der Rohstoffe zurtickgeblieben. Man
darf diese Preisgestaltung für die Textilfabrikate wohl auf den anfäng-
lich starken Rückgang des Exportes zurückführen^). Danach zeigte
1915 der Menge nach eine Abnahme um etwa ein Viertel, im Jahre
1916, wenigstens in den ersten neun Monaten, dagegen eine Zunahme um
mehr als ein Drittel gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Es ist wohl besonders die Besetzung der Textilgebiete Frankreichs, die
England zugute gekommen ist, dessen Ausfuhr quantitativ stark belebt
hat und entsprechend die Preise in die Höhe trieb. England hat also
direkt von der Besetzung der französischen Gebiete Vorteile gehabt.
Im ganzen bleiben die Preissteigerungen der Spinnstoffe hinter
dem des allgemeinen Preisniveaus zurück. Im ersten halben Jahr
beobachten wir sogar eine Abnahme und erst in der zweiten Hälfte
1915 eine wesentliche Preiszunahme, die auf verschiedene Ursachen
zurückzuführen ist — zumeist in dem Ernteausfall und der Zufuhrmenge,
zum Teil aber auch in der Nachfrage begründet ist. Bis zum Ende
1916 betrug die Preissteigerung etwa fünf Sechstel. Die englische Textil-
industrie hat durch den Krieg zweifellos eine wesentliche Störung er-
fahren, der jedenfalls keine entsprechende Steigerung der Fabrikaten-
1) In MiUionen Ibs. 1914: 2G6, 1915: 202.
Miszellftn. 475
preise bei verminderter Produktenmenge gegenüberstand. Allerdings
ist auch hier durch die Heereslieferungen für England selbst wie auch
für die Bundesgenossen, besonders Frankreich, dessen Textilgebiete ja
zumeist in deutschen Händen sich befinden, ein teilweiser Ersatz ein-
getreten. Dazu kam, daß die Zentralmächte als Lieferanten von Textil-
produkten für die nordischen Staaten wie auf dem Balkan ganz aus-
fielen, so daß England auch hier den Gewinn einheimsen und manchen
anderen Ausfall decken konnte. Diese Aenderung zeigt sich allerdings
erst seit 1916. Betrachten wir die Ausfuhrziffern des ersten Jahres,
so betrugen sie dem Werte nach in Millionen Pfund:
Baumwolle
103,2
85,9
Wolle
31,5
32,9
Seide
1,9
I»7
andere Stoffe
12,9
11,7
149,6 132,2
also eine Minderausfuhr um llProz. die bei der Baumwolle 17 Proz. aus-
macht. Kein Zweifel, daß bei der starken Steigerung der Eohstoffpreise
dieses Ergebnis für die englische Industrie im ersten Jahre sehr ungünstig
zu beurteilen ist. Es konnte darum als ein Ergebnis der Untersuchung
für das erste Jahr bemerkt werden i): „Der Vorteil, den England
dank seiner Monopolstellung als Hauptverbraucher textiler Rohstoffe
erfährt, wird durch die Verminderung seiner Ausfuhr von Garn und
Tüchern mehr als aufgehoben. Diese Minderung betrug im ersten
Kriegsjahr allein 32 Mill. Pfd. und in den vier Monaten des neuen
Jahres auch bereits 23 Mill. Pfd." Hier ist nun im Jahre 1916 ein
wesentlicher Umschwung eingetreten. Die Ausfuhr zu steigendem
Preise, vor allem für Eechnuug der Verbündeten, aber auch der Neu-
tralen und der Kolonien, nahm wiederum sehr erheblich zu, so wohl dem
Gewichte wie dem Werte nach. Allerdings haben nun wohl die Frachten
und Versicherungskosten einen Teil des Mehrwertes der Ausfuhr
wieder verschlungen, deren genaue Feststellung einstweilen noch nicht
möglich ist.
III. Bergbauprodukte.
Die nächste Gruppe bilden die Bergbauprodukte, zu denen
Steinkohle, Eisen, Stahl, Kupfer, Zinn, Salpeter gehören. Sie waren
allenthalben seit 1912 infolge der niedergehenden Konjunktur billiger
geworden und standen vor Kriegsausbruch niedriger als zuvor. Die
sinkende Bewegung setzt sich zunächst auch nach Kriegsbeginn weiter
fort. Die Preise gingen im ersten halben Jahre erheblich zurück,
nahmen dann 1915 aufsteigende Tendenz an. Die rapide Steigerung
trat jedoch erst im Dezember ein; das Maximum von 418 Punkten,
d. s. 102 Proz., ist im Mai erreicht worden. Seitdem ist ein kleines
Nachlassen eingetreten, so daß im Dezember 1916 das Preisniveau um
90 Proz. über dem Anfang stand.
1) Eulenburg, a. a. O. S. 178.
476
MiBzellen.
Kohle
Kupfer
Zinn
Roheisen
£ 8h
d
£
sh d
£
8h
d
£
8h d
Juli 1914
— 14
6
6i
16 6
145
—
2
II 3
Dezember
— 13
3
55
— —
146
10
—
2
II 6
März 1915
I 7
6
64
15 -
171
5
—
3
7 3
Juli
— 17
3
79
2 6
170
^5
—
3
7 0
September
— 17
3
67
12 6
154
10
—
3
5 3
Dezember
— i8
3
78
10 —
168
10
—
3
12 3
März 1916
— i8
3
108
7 —
186
10
—
4
2 6
Juli
— i8
3
103
10 —
173
0
—
4
7 6
Dezember
— 19
o
138
15
175
7
6
4
7 6
Unter den Rohstoffen ist es vor allem einer, der im Preise sehr
stark angezogen hat, das ist Kupfer. Zwar bemerken wir auch hier
anfänglich ein Sinken, hervorgerufen offenbar durch den völligen Aus-
fall der Zentralmächte als Nachfragende. Deutschlands Bedarf an Kupfer
ist größer als der von Frankreich und England zusammen und nimmt
von der gesamten Weltproduktion etwa den vierten Teil auf. Bei den
starken Schwankungen des Kupferpreises auch in Friedenszeiten gewann
die Baissepartei darum einstweilen sogleich die Oberhand und drückte
den Preis von neuem herab. Aber bereits bei Beginn des zweiten
Kriegsjahres stand er höher als im Anfang und hat sich dann vor
allem seit dem Februar 1916 ganz enorm verteuert so daß Ende 1916
der Preis 100 Proz. höher war als zu Kriegsbeginn. Natürlich war
die Nachfrage nach Kupfer zu militärischen Zwecken selbst kolossal
gestiegen, während die Einfuhr im ganzen Jahr 1915 wesentlich nach-
ließ. So konnte eine um 47 Proz. verminderte Einfuhr dem Werte
nach nur um 3 Proz. gegen das Vorjahr zurückbleiben. Hier hat
zweifellos der Unterseebootkrieg und die Versenkung dieser so höchst
wichtigen Bannware stark zur Verminderung mitgewirkt. Dazu kommt
aber, daß die Vereinigten Staaten in der Gewinnung von Kupfer fast
ein Monopol innehaben. Andererseits unterlag der Preis für englisches
Zinn starken Schwankungen, die keine deutliche Tendenz enthielten.
Er stieg im Grunde erst wieder seit Beginn des Jahres 1916 und er-
reichte im April mit 202 £ die Tonne ein Maximum von 42 Proz., um
dann zu Ende des dritten Kriegsjahres um 25 Proz. höher zu stehen
als im Anfang. England bezieht ja das Zinn vor allem aus der eigenen
Kolonie Straits Settlements, einen kleineren Teil im eigenen Lande.
Hier mögen spekulative Momente stark auf die Schwankungen ein-
gewirkt haben.
Eigentümlich ist die Bewegung der Kohlenpreise. Da England
fremder Kohlen nicht bedarf, so sind es die inneren Verhältnisse und
sodann aber die Nachfrage des Auslandes, die den Preis bestimmen.
Der Preis für Yorkshire- Steinkohlen hielt sich auffallend konstant und
zeigt nur eine sehr langsame Aufwärtsbewegung : nach zwei Jahren ist
sie nur um 4 sh, d. s. 25 Proz. die Tonne, teurer geworden. Wenn
auch wohl die Nachfrage für den einheimischen Industriebedarf nach-
gelassen hatte, so war doch der Kriegsbedarf jedenfalls größer ge-
worden; andererseits hatten aber auch die Gestehungskosten durch
Erhöhung der Löhne wesentlich zugenommen. Sodann ist die Beleg-
Miszellen. 477
Schaft infolge der Einberufung erheblich kleiner geworden. Dadurch
ist denn eine teilweise Kohlenknappheit eingetreten, so daß die Preise
wieder anziehen mußten. Ende 1916 stellte sich die Tonne um 5 sh
höher als zu Beginn. — Ganz anders steht es nun aber mit der
Schiffskohle. Hier ist die Nachfrage seitens der englischen Marine
selbst kolossal gestiegen, ebenso durch den Ausfall der deutschen
Kohlenausfuhr der Bedarf der Neutralen und der der anderen krieg-
führenden Staaten selbst. Dazu kommt die Unsicherheit der Schiffahrten
und die massenhafte Versenkung von Schiffsraum. Kostete die Tonne
New Gastier Schiffskohle im Jahre 1914 noch 14sh 6 d, so war sie im
Jahre darauf nach anfänglichem Hinabgehen bereits auf 21 sh 6d ge-
stiegen. Am Ende des zweiten Kriegsjahres betrug der Preis 55 sh,
das ist eine Steigerung von 160 Proz. Wenn er auch seitdem freilich
wieder nachgelassen hat, so stand er doch aber im Oktober 1916 immer
noch auf 44Vj sh, also auf mehr als das Doppelte. Es spiegelt sich hier
wohl am deutlichsten die Folge des Unterseebootkrieges und der
kolossalen Aufwendungen, die die überseeischen Schiffahrtsunter-
nehmungen an England stellen. Die Kohlenförderung ging von 287
Mill. t in 1913 auf 253 Mill. t in 1915 zurück; die Ausfuhr von
73 Mill. auf 40. Der Ausfall der Kohlenarbeiter durch Einberufungen
betrug 14 Proz. Aus diesen Momenten erklärt sich hinreichend die
Steigerung der Kohlenpreise i).
Dagegen hat nun der Preis für Roheisen wie für Stahl eine
starke Aufwärtsbewegung durchgemacht. Roheisen ist von 51 sh 3 d die
Tonne nach zweieinhalb Kriegsjahren auf 87 sh 6 d und Stahl sogar von 6 £
auf 1 1 £ 5 in demselben Zeitraum gestiegen, ersteres also um 70 Proz.,
letzterer gar um 84. Einmal sind die Gestehungskosten allenhalben
teurer geworden : Rohmaterial, Arbeitslöhne, Betriebseinschränkung
wirken nach der gleichen Seite. Es sind die Erze schon ab Grube
im Preise gestiegen, Eisenerze z. B. von 20 sh 6 d bei Beginn auf 32 sh
im Oktober 1915. Andererseits ist der Bedarf für Kriegsgeräte ein
besonders dringender und starker. Vor allem aber fehlt ganz die Ein-
fuhr deutschen Roheisens, auf die sonst ein beträchtlicher Teil der
englischen Stahlindustrie angewiesen ist. Die Bezüge aus den Ver-
einigten Staaten, die dafür einen teilweisen Ersatz boten, stehen selbst
wesentlich höher, da diese eine Monopolstellung erhielten. In den ersten
neun Monaten 1916 machte die Einfuhr an Eisen und Stahl nur etwa
^/g der vorjährigen Einfuhr aus, während deren Wert sich um 9 Proz.
höher stellte. Die Militär Verwaltung mußte unter allen Umständen die
Kriegspreise bezahlen.
IT. Yerschiedene Rohstoffe.
Endlich bleibt noch eine weitere Reihe von industriellen Roh-
stoffen übrig, zu denen vor allem Kautschuk, Holz, Petroleum, Oel,
Talg und Leder gehören. Das Preisniveau dieser Waren ist relativ
1) Wirtschaftlicher Nachrichtendienst, Nr. 241, vom 20. November 1916.
478 Miszellen.
am meisten gestiegen und hat sich seit Beginn des Krieges durch-
schnittlich verdoppelt. Die Steigerung setzt gleich von Anfang an
lebhaftest ein und bleibt ununterbrochen wirksam. Ein Rückgang ist
in der ganzen Zeit nicht zu vermerken gewesen.
Kautschuk
Palmöl
Talg
Leder
Indigo
8h
d
sh d
sh d
sh d
sh d
Juli 1914
2
IG
32 —
I
IG 9
2 2
3 3
Dezember
2
8V,
34 5
I
IG 6
2 3
13 6
März 1915
2
47*
33 —
I
19 —
2 6
14 3
Juli
2
6V,
31 —
I
12 3
2 7V.
13 6
Dezember
3
2^8
40 -
2
8 6
2 5
14 —
März 1916
3
47*
47 —
2
7 6
2 7
14 9
Juli
2
8
40 —
2
6 —
2 4V,
14 9
Dezember
2
I2V,
2
IG 6
Betrachten wir wiederum die Einzelheiten, so hielt sich zunächst
der Kautschuk anfangs trotz der so erheblich gestiegenen Nach-
frage bis Ende 1915 ungefähr auf der gleichen Höhe von 2 sh 6 d
das Pfund. Der Grund war offenbar das völlige Ausfallen des sonst
sehr bedeutenden Bedarfs der Zentralmächte. Deutschlands Nach-
frage nach Kautschuk ist größer als die von Frankreich und England
zusammen. Dadurch mußte sich der Weltmarktpreis zuerst zugunsten
Englands entwickeln. Die Einfuhr war dabei 1915 größer als im
Jahre zuvor und auch in dem folgenden Jahre vor dem U-Bootkrieg nur
wenig geringer als vordem. Es ist also deutlich, daß in diesem für die
moderne Kriegführung so wichtigen Rohstoffe England tatsächlich den
Vorteil der Blockade sich zu eigen machen konnte. Im neuen Jahre
ist zwar der Preis vorübergehend beträchtlich in die Höhe gegangen,
aber im ganzen beträgt doch die Steigerung nur etwa 12 Proz. gegen
den Anfang. Anders verhält sich das Leder, dessen Preis ein sehr
gleichmäßiges Anwachsen zeigt und nur wenig Schwankungen durch-
gemacht hat. Die Verteuerung nach 2 Kriegsjahren beträgt 51 Proz.
und hängt mit der stark verminderten Einfuhr der letzten Monate
zusammen. Außerdem fällt die starke deutsche Einfuhr von Leder-
waren fort, so daß England auf sich selbst angewiesen ist.
Weiter interessiert uns noch die Preissteigerung von Talg und
Oel. Ersterer ist ebenfalls erst in letzter Zeit, seit 1915, teurer ge-
worden, nachdem er sich bis dahin auf annähernd gleicher Höhe ge-
halten hatte. Dann aber geht die Aufwärtsbewegung rapid vor sich
und beträgt bis zum September 1916 mehr als 60 Proz. Ein Blick
auf die Einfuhrziffern erklärt hinreichend diese Erscheinung. Während
1915 die Einfuhr aller Arten Talg, vor allem aus Australien und Neu-
seeland sich noch ebenso hoch stellte wie im Jahre zuvor, hat sich
in den neun Monaten des neuen Jahres die Zufuhr um die Hälfte ver-
mindert. Es erklärt sich also aus den so wesentlich geänderten An-
gebotsverhältnissen, daß auch der Preis für Talg so stark anziehen
mußte. Dabei ist der Bedarf vor allem an Schmiermitteln für Ge-
schütze, für Schiffe und Automobile enorm gestiegen. Es kann frei-
Miszellen. 479
lieh zweifelhaft sein, worin diese Verminderung dieses Angebotes selbst
wiederum begründet ist. Die Verknappung an Schiffsraum hat jeden-
falls erheblich beigetragen. Andererseits aber muß wohl das Ergebnis
der Viehzucht wegen Futtermangels und aus anderen Gründen (Leute-
not) so unbefriedigend ausgefallen sein, daß eine so überaus große
Verminderung der australischen Einfuhr im Gegensatz zur neusee-
ländischen daraus erklärlich wird. Auch der Preis für Palmöl, der
sich vordem auf etwa gleicher Höhe hielt, zeigt erst im neuen Jahre
ein sehr starkes Anziehen. Er stand zeitweise um 60 Proz. höher,
ist seitdem allerdings wieder zurückgegangen. Da die Einfuhr hier
kein wesentliches Nachlassen aufwies, Kokosnußöl zum Teil sogar in
weit größeren Mengen nach England eingeführt wurde, so muß das
Anziehen wohl in der Ausgestaltung des Bedarfes liegen.
Auch das kolossale Steigen der Preise für Indigo erklärt sich
daraus. England befindet sich ja in der Notlage, auf Einfuhr deutscher
Fabrikate angewiesen zu sein. Da diese ganz fortfiel, mußte der
natürliche Indigo wiederum einen Ersatz geben. So stieg dessen Preis
von 3 sh 3 d bei Beginn des Krieges zunächst auf das Doppelte
(August), dann auf das Vierfache, Ende des Jahres auf 14 sh 9 d,
d. i. um 350 Proz. höher zu stehen. Hier macht sich also die Ab-
sehneidung Deutschlands einmal in umgekehrtem Maße geltend.
Es ist leider nicht möglich, für alle die hier angeführten Waren
Vergleiche mit den deutschen Preisen vorzunehmen. Denn wir er-
halten vom Auslande weder Oele noch Talg, weder Kautschuk noch
Baumwolle, weder Kupfer noch Wolle, sondern sind in der Haupt-
sache auf alte Vorräte und auf die beschlagnahmten Bestände in den
besetzten Gebieten angewiesen. Die Waren werden zur Verfügung
der vielen Rohstoff gesellschaften gestellt und der Preis amtlich notiert
zu Taxen, die einen Vergleich nicht zulassen. Es fehlt bei uns eben
praktisch die Marktpreisbildung, die in England noch besteht. Dabei
ist es charakteristisch, daß für die englischen Bergbauprodukte die
bedeutsamste Preissteigerung auf das Jahr 1916, für die verschiedenen
Rohstoffe aber auf das Jahr 1915 entfällt. Wir haben bei den ein-
zelnen Waren gesehen, wie sich Angebot und Nachfrage im einzelnen
gestalten. Zusammenfassend können wir etwa sagen: England hatte
anfangs in nicht wenigen Produkten von der Abschneidung der Zen-
tralmächte einen Vorteil durch Niederhaltung der Warenpreise. Das
Angebot kam dem Inselreich vielfach zugute. Die Preise zogen nur
langsam und nicht sehr erheblich an. Bei der Mehrzahl der Waren
aber erlangten nun sehr bald durch die Unterbindung des Weltver-
kehrs gewisse Länder eine Monopolstellung (vor allem die Vereinigten
Staaten bezüglich der Nahrungsmittel), die sie weidlich ausgenutzt
haben. Dazu kam die ungünstige Gestaltung mancher Ernteverhältnisse,
die beim Fortfall des freien Verkehrs zu keinem Ausgleich führen
konnten. Des ferneren wirkte die Verteuerung der meisten Ge-
stehungskosten, vor allem der Arbeitslöhne in England selbst wie den
Kolonien infolge Arbeitermangel verteuernd ein. Weiter haben auch
480 Miszellen.
für bestimmte Waren, wie Fette und Oele, Eisen und Stahl, außer dem
verminderten Angebot auch die veränderten und erhöhten Nachfragen
preissteigernd gewirkt. Endlich aber hat die Verknappung von Schiffs-
raum und die Frachtverteuerung einen Teil des Angebotes durch
Torpedierung und Minen direkt vernichtet und die Möglichkeit der
Einfuhr überhaupt beeinträchtigt. Das Ergebnis ist, daß England
allenthalben eine enorme Verteuerung aller Waren zeigt und daß
das Preisniveau nach 2^/^ Jahren der Kriegsführung um 97 Proz.
höher steht als im Anfang. Bei der Konnexität aller Preise be-
deutet das, daß die Kaufkraft des Geldes in England um so viel ge-
sunken ist. Auch England erlebt durch den Krieg eine Preisrevolution
stärkster Art. Das neue Jahr 1917 hat dann weiter sehr bedeutsame
Folgen für England gezeitigt, die später zu untersuchen sein werden.
(öc:)
Literatur. 431
Literatur.
III.
Die Literatur der Kriegsbeschädigtenfürsorge.
Von Dr. Herbst, Halle.
Es ist geradezu erstaunlich, bei dem Wesen des Deutschen aber
auch verständlich und in Anbetracht unserer fortgeschrittenen und aus-
gesprochenen wissenschaftlichen Entwicklung eigentlich erklärlich, welche
starke Belebung der große Krieg um die nationale und wirtschaftliche
Zukunft Deutschlands auf die Literatur der verschiedenen Wissens-
gebiete ausgeübt hat. Aber auch eine Reihe ganz neuer Literatur-
zweige ist geschaffen, die ihre Entstehung teils mehr, teils weniger
besonderen praktischen eigenartigen, bisher unbekannten und früher
nie geahnten Kriegsmaßnahmen verdanken. Von den wichtigen kriegs-
wirtschaftlichen Betrachtungen, die in der deutschen wissenschaft-
lichen Nationalökonomie bisher recht vernachlässigt worden sind, hat
sich das meiste Interesse wohl der Frage der Volksernährung,
die durch den verschärften Wirtschaftskrieg an Bedeutung immer mehr
gewonnen hat, und der Fürsorge für die Kriegsbeschädigten
mit Rücksicht auf die ungeheuren volkswirtschaftlichen Forderungen
dieses so überaus wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Problems zu-
gewandt. Hier wie dort wurden die vielseitigen, praktischen Maßnahmen,
die auf diesen beiden Gebieten einsetzten, zweckmäßig vorbereitet, unter-
stützt und angeregt sowie nicht unwesentlich gefördert durch eine ein-
gehende wissenschaftliche, literarische Aussprache, die in
jeder erdenklichen Form geboten wurde. So hat sich auch eine eigene
Literatur der Kriegsbeschädigtenfürsorge herausgebildet,
die über den doch noch verhältnismäßig ganz neuen Gegenstand eine
vielseitige Fülle des einschlägigen Materials enthält, das der späteren
wissenschaftlichen Forschung zweifellos wertvolle Dienste leisten wird.
Ein abschließendes Urteil kann über diesen neuesten Literaturzweig
noch nicht gut gebildet werden, da sich die ganze Frage selbst noch
viel zu sehr im Entwicklungsstadium befindet, wenn auch die Praxis
der Kriegsbeschädigtenfürsorge durch die Länge ihrer Betätigung, die
mit der Dauer des Krieges nun schon über drei volle Jahre umfaßt,
bereits die gehörigen Erfahrungen besitzt und recht gute Erfolge ge-
zeitigt hat. So viel steht aber heute schon fest, daß das bisher auf
diesem Gebiete praktisch und wissenschaftlich-literarisch Geleistete zum
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd 54). 31
432 Literatur.
weitaus größten Teile recht beachtenswert ist. Diese Feststellung allein
genügt jedoch noch nicht, und an der Hand von Uebereichten und Zu-
sammenstellungen kann erst die materielle Schlußfolgerung gezogen
werden. Es ist daher schon an sich die Notwendigkeit gegeben, auch
im Entwicklungsstadium bestimmte üebersichten in dieser Beziehung zu
bieten, von dem großen aktuellen Interesse für den Gegenstand noch gar-
nicht zu reden. Da das große Gebiet der Kriegsbeschädigtenfürsorge aber
zu einem endgültigen Abschluß noch nicht gelangt ist und erklärlicher-
weise auch gar nicht gelangt sein kann, sind die gebotenen Üebersichten
niemals vollständig und können in der Hauptsache nur informatorischen
Zwecken dienen und gewissermaßen als zeitliche Materialsammlungen
angesehen werden, die so gut wie möglich erschöpfend zu sein versuchen,
andererseits für die späteren wissenschaftlichen Forschurgen aber nicht
ganz unbrauchbar sein werden und trotz der im Charakter der Zeit
liegenden, schnell fortschreitenden Entwicklung der Materie selbst einen
gewissen Gegenwartswert besitzen. Unter diesem Gesichtspunkt ist
auch die vorliegende üebersicht entstanden, die sich mit der Literatur
der Kriegsbeschädigtenfürsorge beschäftigt und einen Ueber-
blick der bezeichneten Art mit den betonten Einschränkungen zu bieten
bestrebt ist, was auch für die bisherigen gleichen, aber wenigen Versuche
gelten dürfte, von denen hervorgehoben sind Horion, Literatur zur
Kriegsbeschädigtenfürsorge im Preußischen Verwaltungsblatt (36. Jahrg.,
1915, Nr. 48, S. 779), Heiß, Die Kriegsbeschädigtenfürsorge (Soziale
Praxis, 25. Jahrg., 1915/16, Nr. 7), Hirsch, der in den Annalen für
soziale Politik und Gesetzgebung (4. Bd., 5.-6. Heft, 1916, S. 673) in
einem Aufsatz über die kommunalpolitische Kriegsliteratur
auch der Literatur der Kriegsbeschädigtenfürsorge, aber nur in sehr
beschränktem Maße, gedenkt. Etwas ausführlicher haben w i r den
Gegenstand darzustellen versucht, einmal in der Zeitschrift für
Sozialwissenschaft (1915, Nr. 7, S. 482) und dann in der Kriegs-
beschädigtenfürsorge (1. Jahrg., 1916, Nr. 4 und Nr. 8, S. 382 ff.).
Gerade in letzterer konnte die üebersicht in weiterer Form und größerer
Ausführlichkeit gegeben werden. Dort wurde damit gleichzeitig ein
weiterer Zweck erfüllt, indem der erwähnte Aufsatz gewissermaßen die
Einleitung bildete zu einer Reihe von Besprechungen über wichtige Neu-
erscheinungen auf dem Gebiete der Kriegsbeschädigtenfürsorge, deren
Literatur vornehmlich an Monographien sehr reich ist. üeberhaupt bringen
verschiedene wissenschaftliche Zeitschriften in dankenswerter Weise fort-
laufend auch solche Besprechungen, was sehr nützlich ist und die Bedeu-
tung dieses neuesten Literaturzweiges zeigt. In diesen „Jahrbüchern"
ist dieser Entwicklung entsprechend ihrer Wichtigkeit ebenfalls Rech-
nung getragen worden. Eine verdienstvolle neuere üebersicht über die
Zeitschriften der Kriegsbeschädigtenfürsorge bietet Kunstmann in
den „Deutschen Blättern für Kriegsverletzte" (Nr. 15 vom 16. März 1917).
Die literarische Betätigung auf dem Gebiete der Kriegsbeschädigten-
fürsorge ist in verschiedener Form erfolgt. Historisch betrachtet,
ist die Tagespresse hierin vorangegangen. Fast gleichzeitig ent-
standen die Monographien, die jetzt, wie schon erwähnt, in be-
Literatur. 4g3
trächtlicher Zahl vorliegen. Dann wandten ihr die wissenschaft-
liehen Zeitschriften ihr Interesse zu. Schließlich zeitigte die
praktische Entwicklung der Kriegsbeschädigtenfürsorge kleinere und
größere Sammel Schriften sowie amtliche und halbamtliche
Drucksachen. Endlich entstand auch eine eigene Fachpresse
der Kriegsbeschädigtenfürsorge, die einmal die Blätter
größerer Fürsorgeorganisationen (Hauptorganisationen) und
die Lazarettzeitungen und dann einige gute, zum Teil wissen-
schaftlich gehaltene besondere Zeitschriften der Kriegsbeschä-
digtenfürsorge umfaßt.
Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, eine Bibliographie der
Kriegsbeschädigtenfürsorge zu bieten. Das ist letzten Endes zurzeit
auch noch gar nicht möglich, denn die Schwierigkeit der Material-
sammlung sind auf einem Gebiete, das sich praktisch noch in voller
Entwicklung befindet, gar nicht abzusehen. Auch Demant weist in
seiner Zusammenstellung der Zeitschriften für Kriegsverletztenfürsorge
im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel (1916, Nr. 294)
darauf hin, daß die Aufzählung nicht vollständig sein könne. Begnrgen
wir uns daher neben einer allgemeinen einführenden üebersicht mit einer
geeigneten Auswahl aus der Fülle des Materials, dessen kritische Be-
handlung hier auch nur soweit erfolgen soll, als es der Zusammenhang
und der Vergleich der Quellen erfordert, da es in dieser Beziehung
ebenfalls noch nicht leicht ist, zu einem festen abschließenden Urteil
zu gelangen.
Auf die einzelnen Hauptgruppen, welche die Arbeiten dieser neueren
Spezialliteratur des Krieges umfassen, besonders einzugehen ist hier
nicht nötig. Es genügen darüber kurze Hinweise.
Ungeheuer ist die Fülle des Materials, und meist auch eines ganz
brauchbaren, das die Tagespresse enthält. Es ist wohl nicht zu
viel gesagt, wenn behauptet wird, daß in fast jeder Tageszeitung hin
und wieder Beiträge zur Kriegsbeschädigtenfrage gebracht werden ; bis
vor etwa einem Jahre auch noch öfter als gegenwärtig; früher Ausfüh-
rungen mehr allgemeiner Natur, jetzt spezieller uoter besonderer Berück-
sichtigung maßgebender Einzelfragen wie des Berufswechsels , der
Arbeitsvermittlung, der Berufsausbildung, Berufsumschulung und der
An iedlung u. a. Besonders sind es hier aber die großen führenden
Tageszeitungen , die der Kriegsbeschädigtenfürsorge ihr Interesse zu-
wandten; dort finden sich zahlreiche gute Aufsätze darüber. Zu er-
wähnen sind vor allem der Tag, das Berliner Tageblatt, die Täg-
liche Rundschau, die Frankfurter Zeitung, die Kölnische
Zeitung, sowie eine Reihe illustrierter Wochenschriften, wie die
Illustrierte Zeitung, die Woche, die Gartenlaube, das
Daheim, wo den Ausführungen meist eine Reihe interessanter bild-
licher Darstellungen beigegeben ist.
Nicht unerwähnt bleiben darf hier auch die Vereinspresse,
die ebenfalls Fragen der Kriegsbeschädigtenfürsorge in zahlreichen
größeren und kleineren Aufsätzen erörtert. Es braucht nur hingewiesen
zu werden auf den Arbeitgeber, die Deutsche Arbeitgebe r-
31*
484 Literatur.
Zeitung, das Co rrespondenzblatt der General- Commis-
sion der Gewerkschaften Deutschlands und das Kom-
munalblatt für Ehrenbeamte.
Die Fachpresse der Kriegsbeschädigten fü reo rge ver-
fügt über eine Reihe eigener Zeitschriften, die seit Mitte 1915 bzw.
kurz danach erscheinen : der Arbeitsnachweis für Kriegs-
invalide und heimkehrende Soldaten (Verlag Verwertungsge-
sellschaft, Wesel am Rhein), die Fürsorge für Kriegsteilnehmer
(Göttingen - Berlin) , Deutsche Blätter für Kriegsverletzte
(Verlag Vogel u. Vogel in Leipzig) mit der veränderten Bezeichnung Der
Kriegsbeschädigte seit 5. Mai 1917 als Organ des neuen Ver-
bandes wirtschaftlicher Vereinigungen Kriegsbeschä-
digter für das Deutsche Reich, Monatsblätter für In-
validen- und Krüppelhilfe zu der bekannten Zeitschrift für
Krüppelfürsorge, die Kriegsbeschädigtenfürsorge, Monats-
zeitschrift für die Gesamtinteressen der Kriegsbeschädigten (Berlin), seit
Juni 1916 das amtliche Organ des Reichsausschusses der Kriegsbe-
schädigtenfürsorge, der daneben noch Sonderschriften heraus-
gibt, Fürsorge für Kriegsbeschädigte und Kriegsteil-
nehmer (Herausgeber: Potthoff, Düsseldorf, und Falkenberg, Berlin,
im Verlag Heß, Stuttgart), die Kriegshilfe (Verlagsanstalt Vollmer
in Münster) und dann die Schrift „Zur Fürsorge der Kriegs-
beschädigten", deren Nummern als Kriegsnummern der Blätter für
technischen Unterricht an Handelsschulen in Elberfeld seit Anfang März
1916 herausgegeben werden, Heimund Scholle (seit Juli 1916). Die
Deutsche Soldatenzeitung ist die Vereinsschrift der Vater-
landsspende zur Gewährung von Erholungskursen für
deutsche Kriegsbeschädigte und schließlich ist der Arbeits-
markt für Krieger (Verlag Kriegsauskunftei, Berlin) zu erwähnen.
Während Heim und Scholle das Zentralblatt für das ganze deutsche
Siedlungswesen, insbesondere die Ansetzung der Kriegsbeschädigten
bildet, gelten die Mitteilungen der schlesischen Landge-
sellschaft (Breslau) und Der Osten (Charlottenburg), die seit August
1916 erscheinen, nur für die schlesischen und östlichen Siedlungs-
angelegenheiten.
Daneben bestehen noch die Lazarettzeitungen mit Stellen-
anzeiger für Kriegsbeschädigte in Lübeck, Frankfurt a. M., Ham-
burg, Bonn, Aachen, Altena sowie die Deutsche Lazarett-
zeitung mit lokalen Beilagen für einige west- und süddeutsche Städte
nebst der Hessischen, Schleßwig-Holsteinschen, Scnle-
sischen und Westpreußischen Lazarettzeitung und die
Blätter einiger Hauptfürsorgeorganisationen: Sachsen
(Heimatdank), Rheinprovinz (Die Kriegsbeschädigtenfür-
sorge in der Rheinprovinz), Provinz Brandenburg (Vom Krieg
zur Friedensarbeit), Provinz Ostpreußen (Zeitschrift für die
Kriegsbeschädigtenfürsorge i n Ostpreußen), Provinz Sach-
sen (Amtliche Mitteilungen der Kriegsbeschädigtenf ür-
fiorge für die Provinz Sachsen, deren Inhalt allerdings für den
Literatur. 485
Dienstgebrauch bestimmt ist) , Baden und Württemberg (Badischep
bzw. Württembergischer Stellenanzeiger für Kriegsbe-
schädigte), Westfalen (Kriegsbeschädigtenfürsorge in der
Provinz Westfalen), Elsaß-Lothringen (Na ehr ich ten der Lan-
desfürs orge statt e für Kriegsinvaliden in Elsaß-Loth-
ringen), Pommern (Mitteilungen des Ausschusses für die
Kriegsbeschädigtenfürsorge in Pommern), Posen (desgl.
in der Provinz Posen), Schlesien (dosgl.) und Nachrichten für
die Kriegsbeschädigten und ihre Fürsorge, welche die
Kriegsbeschädigtenfürsorgestelle des stellv. Generalkommandos 21. und
16. A.-K. in Saarbrücken herausgibt. Auch der Akademische Hilfs-
bund hat seine eigenen Mitteilungen und der Deutsche Hilfs-
bund für kriegsverletzte Offiziere läßt seit Ende Oktober 1915
die Wohlfahrtsrundschau regelmäßig als Beilage zu den Sonntags-
nummern der Täglichen Rundschau erscheinen, die seit Anfang
Juni 1916 durch die reichhaltigere Wochenschrift D e u t s c h e r Hilfs-
bund ersetzt wird.
Von den amtlichen Drucksachen sind besonders die für die
Bestrebungen der Kriegsbeschädigtenfürsorge eintretenden Erlasse des
Preußischen Kriegsministeriums und der anderen Ministerien,
auch in den Einzelstaaten, sowie der sonstigen Zivil- und Militärbehörden
von Bedeutung. Wertvolles Material enthalten die Leitsätze der
Landes- und Ortsausschüsse sowie alle sonstigen in dieser Bezie-
hung in Betracht kommenden Schriftstücke amtlichen oder halbamtlichen
Charakters, deren es unzählige gibt. Endlich muß auf die „An-
stellungs-Nachrichten" hingewiesen werden, die vom Preußischen
Kriegsministerium herausgegeben werden und ab Nr. 12 des 41. Jahr-
gangs (1915) laufen, sie erscheinen wöchentlich, neuerdings sogar zwei-
mal in der Woche, und eingehende und wichtige „Mitteilungen aus der
Berufsfürsorge für Kriegsbeschädigte" enthalten, in denen zahlreiche
praktische und organisatorische Fragen von fachmännischer Seite er-
örtert werden, und, was besonders wertvoll ist, die meisten ministeriellen
Erlasse über die Kriegsbeschädigtenfürsorge abgedruckt sind. Nach der
kriegsministeriellen Verfügung vom 1. Mai 1915 sind die zur Entlassung
kommenden Kriegsbeschädigten auf die „Anstellungs-Nachrichten" hin-
zuweisen. Vom 1. September 1916 ab werden die amtlichen Mitteilungen
in besonderen, nach Bedarf erscheinenden Heften den „Anstellungs-
Nachrichten" beigefügt, von denen sie neuerdings getrennt erscheinen,
was ganz zweckmäßig ist.
Die beiden anderen Hauptgruppen können an dieser Stelle jedoch
etwas ausführlicher behandelt werden, zumal sie besonders diejenigen
Arbeiten enthalten, die in erster Linie für die wissenschaftliche Ver-
wertung des Materials geeignet sind. Es ist jedenfalls von Interesse,
in diesem Zusammenhange auch mit darauf hinzuweisen, in welcher
Weise auf beiden Gebieten die Entwicklung vor sich gegangen ist und
welche Personenkreise sich in der Kriegsbeschädigtenfürsorge
wissenschaftlich-literarisch besonders betätigt haben. Zu Beginn des
Krieges waren es in der Hauptsache die Aerzte, welche sich, was
486
Literata r.
erklärlich ist, mit dem Gegenstand beschäftigten und ihn eingehend in
der Tagespresse erörterten. Dann widmete aber auch sofort der
Volkswirt dieser Frage sein allzu berechtigtes Interesse, und
nach einiger Zeit schlössen sich die Juristen an, um die Rechts-
grundlagen der staatlichen Kriegsbeschädigtenfürsorge, die bekannt-
lich im Mannschaf ts-Versorgungsgesetz vom 31. Mai 1906 gegebem
und neuerdings durch den Erlaß des Kapitalabfindungsgesetzes vom
3. Juli 1916 weiter ausgebaut worden sind, zu besprechen. Die fort-
schreitende Entwicklung löste eine besondere technische Kriegs-
beschädigtenfürsorge aus, auf deren Gebiet die Fachleute das
Wort nahmen, und aus den Kreisen der Landwirtschaft und der Be-
wegung für die innere Kolonisation fand sich eine ganze Reihe Be-
arbeiter einer weiteren Spezialfrage der Kriegsbeschädigtenfürsorge, der
Ansiedlung der Kriegsbeschädigten.
Eine neue Gruppe bilden die sogenannten Aufklärungs-
schriften, Ratgeber, Wegweiser oder wie sie sonst noch be-
zeichnet werden, die schon in großer Zahl vorliegen und sich sozusagen
wie der Sand am Meere vermehren. Sie wollen in der Hauptsache
die verwundeten Kriegsteilnehmer über ihre Versorgungsansprüche auf-
klären und unterrichten. Die Lazarette werden von ihnen geradezu
überschwemmt. Die Mehrzahl davon ist ungeeignet und führt die
Kriegsbeschädigten vielfach auf falsche Wege. Nur solche Schriften
dieser Art sind zu empfehlen, die amtliche oder halbamtliche Ausgaben
der Behörden und Fürsorgeorganisationen sind.
Die Monographien unternahmen anfangs den Versuch, das ganze
Gebiet der volkswirtschaftlichen Kriegsbeschädigtenfürsorge mit mehr
oder weniger Erfolg zusammenfassend zu behandeln, spezialisierten sich
im Laufe der Zeit aber mehr und mehr, um schließlich gegenwärtig
die Erörterung wichtiger Einzelfragen vorzuziehen. Das gilt auch für
die Beiträge, welche Tagespresse und wissenschaftliche Blätter zur Frage
der Kriegsbeschädigtenfürsorge geliefert haben. Hier wie in den Mono-
graphien neigt man immer mehr dazu, die Aufmerksamkeit weniger auf
erschöpfende Darstellungen des Problems im ganzen zu lenken, was
schon darum erklärlich ist, da die Kriegsbeschädigtenfürsorge sich noch
in stetem Flusse einer fortgesetzten Entwicklung befindet und ein überaus
reiches, aber auch sehr verstreutes Material besitzt. Allein diese tech-
nischen Schwierigkeiten sind dazu angetan, von umfassenden Bearbei-
tungen des ganzen Stoffes vorläufig abzusehen. Die bisher erschienenen
Monographien beschäftigen sich deshalb in der Hauptsache mit einzelnen,
besonders wichtigen Problemstellungen, wie der Berufsberatung, der
Ausbildung der Kriegsbeschädigten als Berufsaus- oder Berufsumbildung,
Arbeitsvermittlung, Ansiedlung, Krüppelhilfe, worüber besonders in letzter
Zeit zum Teil ganz beachtenswerte Schriften mit zahlreichen instruktiven
Abbildungen erschienen sind, über Lehrgänge für Berufsberater und
Berufsbildner für Kriegsbeschädigte, die Rentenfrage u. a. m.
Von den neueren Einzelschriften der Kriegsbeschädigten-
fürsorge, die einen Üeberblick über das ganze Gebiet zu geben ver-
suchen, ist vielleicht die staatliche Kriegsinvalidenfürsorge
Literatur. 4g7
von Köhler (Georg Thieme, Leipzig 1916) am ersten zu beachten,
wenn es auch nicht gerade ersichtlich ist, warum sie ausgerechnet „die
staatliche Kriegsinvalidenfürsorge" firmiert, da sie sonst in dankens-
werter Weise alle Gebiete der bürgerlichen oder, wie man sie auch
sonst noch nennt, sozialen bzw. volkswirtschaftlichen Kriegsbeschädigten-
fürsorge gleich ausführlich behandelt, was bei einer so neuen Materie,
wie die Kriegsbeschädigtenfürsorge nun einmal noch ist, nicht immer
ganz leicht ist. Darum weist die Literatur der Kriegsbeschädigten-
fürsorge auch noch nicht sehr viele Arbeiten auf, die Anspruch auf eine
zusammenfassende Darstellung des Stoffes erheben können. Trotzdem
versucht man aber auch in Schriften spezieller Natur über ein Teil-
gebiet der Kriegsbeschädigtenfürsorge dem Hauptinhalt einen allgemeinen
üeberblick über die ganze Kriegsbeschädigtenfürsorge vorauszuschicken,
was freilich in den meisten Fällen bisher nicht immer recht glückte,
denn bei der Schwierigkeit zusammenfassender Darstellungen auf dem
sich noch im Stadium der Entwicklung befindenden Gebiete der Kriegs-
beschädigtenfürsorge fallen diese manchmal nichts weniger als lückenlos
aus. So bietet die Praktische Kriegsinvalidenfürsorge von
Scholl (E. Mühlthaler, München 1916) in dieser Beziehung kaum das
Wesentliche, verbreitet sich aber desto eingehender über bestimmte lo-
kale Kriegsbeschädigtenfürsorge - Einrichtungen (München). Auch hier
besagt der Titel der Schrift etwas anderes, als man erwartet. Das
Gleiche tritt uns noch bei der Silber st ein sehen Sammelschrift ent-
gegen, was auch schon an anderer Stelle betont worden ist (Preußisches
Verwaltungsblatt, 37. Jahrg., 1916, Nr. 22, S. 349, und Zeitschrift für
Sozialwissenschaft, 7. Jahrg., 1916, Nr. 4, S. 279).
In diesem Zusammenhange ist noch hinzuweisen auf Leipart,
„Kriegsinvaliden und Gewerkschaften" (Verlag der General-
kommission der Gewerkschaften Deutschlands, Berlin 1915), der neben
ausführlicher Erörterung aller in Betracht kommenden allgemeinen Fragen
wichtige Ausführungen über Interessen, Aufgaben und Mitarbeit der
Gewerkschaften bei der neuen deutschen Kriegsbeschädigtenfürsorge
bietet, desgleichen Kurth in seiner Kriegsinvalidenfürsorge
und Gewerkschaften als Niederschrift (Birk & Co., München 1916)
eines in der Versammlung des Gewerkschaftsvereins München am 4. April
1916 gehaltenen Vortrags und Deumer, „Kriegsinvaliden-Ge-
sellschaften" (Duncker & Humblot, München 1915), der die wirt-
schaftliche Versorgung der Kriegsinvaliden auf gewerblichem und in-
dustriellem Gebiet mit Hilfe besonderer Organisationen, der Kriegs-
invaliden - Gesellschaften , durchzuführen vorschlägt. Endlich ist die
Kriegsbeschädigtenfürsorge von Liese (Schöningh, Pader-
born 1916) zu erwähnen, die einen brauchbaren üeberblick über das
ganze Gebiet der Kriegsbeschädigtenfürsorge bietet, was wohl auch für
die neueste, im August 1917 in der bekannten Sammlung „Aus Natur
und Geisteswelt" erschienenen Schrift über „Kriegsbeschädigtenfürsorge",
herausgegeben von Kraus in Verbindung mit Rebentisch, Back,
Schlotter gilt, die in einem einleitenden Abschnitt die Organisation
der Kriegsbeschädigtenfürsorge im Deutschen Reiche einschließlich der
^gg Literatur.
Rentenverhältnisso behandelt und ausführliche an praktischen Anregungen
reiche Darstellungen der Heilfürsorge für Kriegsbeschädigte , der Be-
rufungsberatung, Arbeits- und Erwerbsfürsorge, der Lazarettbeschäfti-
gung, des Unterrichts und der Berufsschulung der Kriegsbeschädigten
bietet. Die Grundzüge der ärztlichen Kriegs beschädigten-
fürsorge behandelt Blind (Konegen, Leipzig 1916) und über die
militärische Kriegsbeschädigtenfürsorge bei den Ersatz-
truppenteilen berichtet Bernstein (Vossische Buchhandlung,
Berlin 1917).
Eine besondere Gruppe der Monographien bilden die technischen
Schriften, die mitunter auch als Sammelschriften ausgegeben werden,
wie es bei dem neueren Werk von Kr als. Die Verwendungsmöglich-
keiten der Kriegsbeschädigten (Verlag Krais, Stuttgart 1916, 455 SS.,
350 Abbildungen), der Fall ist, zu dem die Schrift „Verwendungsmög-
lichkeiten der Kriegsbeschädigten in den Industrien des Bezirks der
Handelskammer für die Kreise Lörrach und Waldshut (Sitz in Schopfheim)",
Verlag der Oberbad. Verlags- und Handelsdruckerei in Lörrach, wichtige
lokale Ergänzungen bietet, deren entsprechende Bearbeitung für andere
große Industriebezirke sich vielleicht auch empfehlen dürfte. In diesen
Schriften werden die Ergebnisse und Erfolge der neuen durch den großen
Krieg auch so sehr belebten Prothesentechnik und der Herstellung der
künstlichen Glieder und Gliederersatzstücke unter Beigabe von instruktiven
Abbildungen, was sehr wesentlich ist, gezeigt und dargestellt, wie Ver-
stümmelte diese anwenden, als ob es ihre eigenen gesundenGlieder wären,
oder sich sonst mit allerlei Vorrichtungen und besonderen Fertigkeiten be-
helfen, worin es viele mit der Zeit ganz erstaunlich weit gebracht haben.
Das erfährt man einmal durch das bekannte Buch des Einarmigen
von Geza Zichy (Stuttgart 1915), Die Einarmfibel von Künßberg
(Karlsruhe 1915), Die Kriegskrüppelfürsorge (ein Aufklärungs-
wort zum Trost und zur Mahnung) von Biesalski (Verlag Voß, Leip-
zig 1915), von Würtz, „Der Wille siegt" (Eisner, Berlin 1915),
und von Flemming, Wie Kriegsbeschädigte und Unfall-
verletzte auch bei Verstümmelung ihr Los verbessern
können.
Von den Einzelschriften über Kriegsbeschädigtenfürsorge gibt es
schon so viele, daß eine Bibliographie darüber nicht ohne weiteres
aufgestellt werden könnte, denn es sind auch zahlreiche kleinere und
kleinste Einzelschriften entstanden, die allgemein gar nicht so recht be-
kannt geworden sein dürften. In dieser Hinsicht liegt einerseits ein
Nachteil für die bibliographische Erfassung, andererseits aber ein ge-
wisser Vorteil für die materielle Kritik, die gerade auf dem jüngsten
wissenschaftlichen Gebiet einer aus der Praxis entstandenen literarischen
Betätigung nicht fehlen darf, denn alle diese einzelnen kleinen Schriften,
die mit Vorliebe teils die Rentenfrage, die Berufsberatung, die Ansied-
lung der Kriegsbeschädigten, teils sogar auch die wichtigen Organisa-
tionsfragen behandeln, sind mitunter recht wertlos, daß es sich erübrigt,
darauf einzugehen und man sich, zumal wenn es sich nur um einen in-
formatorischen Ueberblick handelt wie hier, mit der Darstellung einiger
weniger und beachtenswerter Schriften begnügen kann.
Literatur. 489
Die wissenschaftlichen Zeitschriften erwerben sich ein
großes Verdienst, wenn sie der wissenschaftlich-literarischen Behandlung
der Frage der Kriegsbeschädigtenfürsorge möglichst Raum gewähren,
und erleichtern dadurch zweckmäßig die späteren Forschungen auf diesem
Gebiete. Sie eignen sich aber am besten zur guten Materialsammlung,
soweit es sich um das wissenschaftliche Moment hierbei handelt und
solange die eigenen wissenschaftlichen Zeitschriften der Kriegsbeschä-
digtenfürsorge, von denen es, streng genommen, gegenwärtig nur eine
gibt, dazu schwerlich ausreichen. Es haben daher auch schon einige
bekannte wissenschaftliche Zeitschriften der Entwicklung in der be-
tonten Weise Rechnung getragen. Und zwar ist das auf verschiedene
Art geschehen, nämlich einmal in Form fortlaufender Berichterstattung
und dann durch Aufnahme größerer Abhandlungen über die Kriegs-
beschädigtenfürsorge sowie schließlich in Bücherbesprechungen oder -an-
zeigen der neueren Erscheinungen der Kriegsbeschädigtenfürsorge.
Zur ersten Gruppe gehören der Arbeitsnachweis in Deutsch-
land und die Soziale Praxis, beide bringen außerdem bisweilen
auch längere Abhandlungen. In welcher ausführlichen Weise diese
Blätter fortlaufend über die neuesten Ergebnisse der praktischen Kriegs-
beschädigtenfürsorge-Arbeit, was von besonders hohem Werte ist, und
alle sonstigen in diesem Zusammenhang wichtigen Fragen berichten, kann
aus einer Zusammenstellung ersehen werden, die unsere Zeitschriften-
rundschau in der Krieg sbeschädigtenfürsorge (1. Jahrg.,
Nr. 8, S. 382 ff.) bietet. Beide Zeitschriften werden jedenfalls der
späteren wissenschaftlichen Forschung auf diesem Gebiete als brauch-
bare Quellennachweise gute Dienste leisten, da sie das Problem nicht
nur von einem wissenschaftlichen, sondern auch vom praktischen Stand-
punkt aus behandelt haben, wie es daneben nur noch im Reichs-
arbeitsblatt der Fall ist, das bis jetzt folgende Arbeiten über
Kriegsbeschädigtenfürsorge gebracht hat : Die Fürsorge für Kriegsbe-
schädigte (13. Jahrg., 1915, Nr. 4, S. 320), Zusammenstellungen der für
die soziale Kriegsinvalidenfürsorge geschaffenen Einrichtungen (13. Jahrg.,
1915, Nr. 10, S. 842), Die Ansiedlung der Kriegsbeschädigten (s. Nr. 4
der Zeitschrift „Die Kriegsbeschädigtenfürsorge" S. 151) (13. Jahrg.,
1915, Nr. 11, S. 924 [927]), Kriegsbeschädigtenfürsorge (14. Jahrg.,
1916, Nr. 1, S. 60), Kriegsbeschädigtenfürsorge, II. Die soziale Kriegs-
beschädigtenfürsorge (14. Jahrg., 1916, Nr. 3, S. 231).
Die anderen wissenschaftlichen Zeitschriften, die hier in Frage
kommen, veröffentlichen größere selbständige Arbeiten über Kriegsbe-
schädigtenfürsorge, von denen beachtenswert sind : Die Mitteilungen
der Zentralstelle des Deutschen Städtetages (Bd. 5, Nr. 7/8,
Mai/August 1915, S. 188 ff.) über die Städte im Dienste der
Kriegsbeschädigtenfürsorge. Die Annalen für soziale
Politik und Gesetzgebung (Bd. 4, 1915, Heft 3/4, S. 217 ff.),
in denen Kraus über den gegenwärtigen Stand und die
nächsten Aufgaben der Kriegsinvalidenfürsorge berichtet,
wie Heiß in dem Aufsatz Kriegsinvalidenfürsorge im Jahr-
buchfür Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft,
im Deutschen Reich, herausgegeben von Schmoller, 40. Jahrg.,
490 Literatur.
1. Heft, S. 297. Die Zeitschrift für Sozia Iwis sens chaft
schenkt der Kriegsbeschädigtenfrage ebenfalls Beachtung (1915, Nr. 5,
S. 401, und Nr. 7, S. 482; 1916, Nr. 11, S. 744; 1917, Nr. 2/3, S. 163).
Das Archiv für innere Kolonisation behandelt in einem Sonder-
heft (Bd. 7, Heft 8/9, Mai/Juni 1915) die Ansiedlungsfrage, was
auch in den späteren Heften der Fall ist, so z. B. 11/12, August/Sep-
tember 1915, Bd. 8, Heft 1/2, Oktober/November 1915, Heft 5/6,
Februar/März 1916, Bd. 9, Heft 5/6, Februar/März 1917, Heft 7, April
1917. Die Korrespondenz für Kriegs w ohlfahrtspf lege, die
von der Zentralstelle für Volkswohlfahrl in Berlin neben der
Concordia, die auch viele Beiträge zur Kriegsbeschädigtenfrage bringt,
herausgegeben wird, enthält in den 16 Nummern des 1. Jahrgangs (1915)
und in den späteren zahlreiche wertvolle Beiträge zu unserem Thema,
über das dort außerdem fortlaufend im Abschnitt „Kriegs Wohlfahrts-
pflege" berichtet wird. Auch die juristischen Zeitschriften
schenken der Frage der Kriegsbeschädigtenfürsorge Beachtung, so Ge-
setz und Recht in Heft 12 des 16. Jahrgangs (S. 274), in Heft 4
des 17. Jahrgangs (S. 73) und in Heft 27 des gleichen Jahrgangs (S. 625),
die Deutsche Juristenzeitung in Heft 21/22 des 20. Jahrgangs
(S. 1091) und in Heft 17/18 des 21. Jahrgangs (S. 893), Das Recht
in Nr. 13/14 des 19. Jahrgangs (S. 365), die Annalen des Deutschen
Reichs (1915, Nr. 7, S. 449), Recht und Wirtschaft, 1915,
Oktoberheft.
In diesen „Jahrbüchern" ist die Kriegsbeschädigtenfürsorge
gleichfalls wiederholt behandelt. So zunächst in dem Aufsatz von
Syrup, Die Fürsorge für kriegs verletzte gewerbliche
Arbeiter im 50. Bde. der HL F. S. 339 fg. üeber die Mit-
wirkung der Träger der deutschen Sozialversicherung
bei der Kriegsbeschädigtenfürsorge werden in dem gleichen
Bande S. 521 beachtenswerte Mitteilungen gemacht. Eine zusammen-
fassende, ausführliche Darstellung des ganzen Gebiets der praktischen
Kriegsbeschädigtenfürsorge in wissenschaftlicher Beleuchtung, soweit
das in dieser und jener Beziehung bei der fortschreitenden Ent-
wicklung der Frage überhaupt möglich ist, versucht unsere Arbeit
(ni. F. 51. Bd. S. 104 ff.), in der besonders eingehend die Organi-
sation der Kriegsbeschädigtenfürsorge im Deutschen
Reiche dargestellt ist, im Gegensatz zu einigen anderen Abhand-
lungen, die nach ihrem Titel wohl darauf schließen lassen, inhaltlich sich
jedoch nur kurz damit befassen, so Kraus in den Annalen für
soziale Politik und Gesetzgebung (s. oben), üeber die be-
ruflichen Aussichten der Kriegsbeschädigten handelt end-
lich Zehrfeld im 53. Bd. der III. Folge S. 223 fg.
In der vorletzten Augustwoche 1916 fand in Köln eine große
Tagung für Kriegsbeschädigtenfürsorge statt, die sich zu
einer eindrucksvollen Kundgebung gestaltete. Den Verhandlungsbericht
enthält Heft 1 der Sonderschriften des Reichsausschusses der Kriegs-
beschädigtenfürsorge. Der Veranstaltung war eine besondere Ausstellung
für Kriegsfürsorge beigegeben, auf der Werkstätten, Anstalten und sonstige
Literatur. 491
Einrichtungen gezeigt wurden, die in der Kriegsbeschädigtenfürsorge
Vorbildliches leisten. Dabei war auch, wie schon früher bei ähnlichen
Gelegenheiten, einmal zu der Tagung der Deutschen Vereinigung für
Krüppelfürsorge in Berlin im Februar 1916 und auf der Sonderaus-
stellung von Ersatzgliedern und Arbeitshilfen für Kriegsbeschädigte und
Unfallverletzte in Charlottenburg vom Februar bis Mai 1916, eine be-
sondere Abteilung für die Literatur der Kriegsbeschädig-
tenfürsorge eingerichtet, die eine ungeheure Fülle der einschlägigen
Arbeiten aufwies, was auch bei der Heimatdank-Ausstellung
für Kriegsbeschädigtenfürsorge vom 11. August bis 8. Sep-
tember 1917 in Leipzig der Fall war. Das alles zeigt, daß auf
diesem Gebiete jüngster, durch den großen Daseinskampf des deutschen
Volkes ausgelöster sozialer und wirtschaftlicher Hilfs- und Fürsorge-
tätigkeit modernster Art in kurzer Zeit ein umfangreicher literarischer
Stoff für die wissenschaftliche Behandlung des Gegenstandes bereitge-
stellt ist, so daß man wohl mit Sicherheit annehmen darf, daß nach
dem Kriege die Frage der Kriegsbeschädigtenfürsorge einen wichtigen
Teil der Lehre der zukünftigen Kriegssozialpolitik, einer neuen akademi-
schen Disziplin der Kriegswirtschaftslehre, bilden wird, deren wichtige
Grundlage auf der schon jetzt gut entwickelten und mit der fortschreiten-
den Praxis der Kriegsbeschädigtenfürsorge noch sehr entwicklungsfähigen
Literatur der Kriegsbeschädigtenfürsorge beruht.
492 Uebenicht über die nencsten Publikationen Deutschlands und de« Auslandes.
TTebersicht ftber die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. OescMclite der WiBsenschaft. Eucyklop&disches. Lelirbücher. Spexielle
theoretische Untersuchung'eu.
Conrad, Dr. Otto, Die individualistische Wirtschaftsordnung und der Krieg.
Berlin, Verlag f. Fachliteratur, 1917. 8. 28 SS. M. 1,50.
Hüb euer, Dr. Erh., Die Wurzeln unserer Kraft. (Volkswirtschaftliche Zeit-
fragen. Vorträge und Abhandlungen, hrsg. von der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft
in Berlin. Nr. 299, 39. Jg., 1. Heft.) Berlin, Leonhard Simion Nf., 1917. gr. 8.
30 SS. M. 1.—.
Renner, Karl, Marxismus, Krieg und Internationale. Kritische Studien über
offene Probleme des wissenschaftlichen und des praktischen Sozialismus in und nach
dem Weltkrieg. (Internationale Bibliothek, Bd. 59.) Stuttgart, J. H. W. Dietz Nachf.,
1917. 8. XII— 384 SS. M. 4.—.
Kleene, G. A., Profit and wages: A study in the distribution of income. Lon-
don, Macmillan. Cr. 8. 5/. — .
Walling, W. English, and Harry Wellington Laidler, State socialism,
pro and con. Official documents and other authoritative selections — showing the world-
wide replacement of private by governmental industry before and during the war,
with a chapter on municipal socialism by Evans Clark. New York, Holt. 8. 44 +
649 pp. $ 2.—.
Diepenhorst, P. A., Grondbeginselen der economic. Utrecht, G. J. A. Ruys.
8. 6 en 228 blz. fl. 2,40.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Urbanek, Oberschlesien heute und morgen. (Vereinsschriften
des Vereins für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik, hrsg.
von Tr. Stein.) Berlin-Eriedenau (Kommunal- Verlag) 1916. 8^. 55 SS.
(Preis: M. 1,50.)
Unter obigem Titel bespricht Dr. Urbanek, Amts- und Gemeinde-
vorsteher in Beuthen-RoBberg, wirtschaftliche, kommunale und kulturelle
Verhältnisse Oberschlesiens.
Im ersten Teil „Die gefesselte Natur" behandelt der Verf. die
Leistungen der oberschlesischen Industrie und die ihr entgegenstehenden
Hemmungen, um daran einen Ausblick in die Zukunft zu knüpfen. Auf
einzelne Unstimmigkeiten in diesen Ausführungen einzugehen, dürfte
sich erübrigen, doch erscheint die Feststellung geboten, daß die Schwierig-
keiten, die sich dem industriellen Aufschwung Oberschlesiens entgegen-
stellen und den Industriellen große Sorgen bereiten, vom Verf. offen-
bar unterschätzt werden.
Im zweiten Abschnitt werden die Mängel der kommunalen Orga-
nisation Oberschlesiens, insbesondere „die künstliche Konservierung" der
Gutsbezirke behandelt. Die vielen mitgeteilten Tatsachen werden
sicherlich dem Kommunalpolitiker zu denken geben. Die Gesundung
erblickt Urbanek in einer großzügigen Eingemeindung. „Die Einge-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 493
meindung müßte die Gutsbezirke aus dem industriellen Oberschlesien
samt und sonders austilgen." Der Wert der Schrift würde gewonnen
haben, wenn der Verf. die der geforderten Eingemeindung ent-
gegenstehenden vielen Schwierigkeiten und die Mittel und Wege ihrer
Ueberwindung etwas näher erörtert hätte.
Im Schlußteil „Die ringende Kultur" fordert der Verf. (neben
schattigen Wegen für Fußwanderer abseits der Landstraßen und neben der
Pflege der schönen Künste) einen weitsichtigen Wirtschaftsplan für
die Besiedelung und ackerbauliche Nebenbeschäftigung der industriellen
Bevölkerung. Hier wäre eine Würdigung dessen am Platze gewesen,
was die oberschlesische Industrie im Laufe des letzten Jahrzehntes
auf diesem Gebiete bereits Großes geschaffen hat. Die neuzeitige Bau-
weise des Arbeitshauses hat in Oberschlesien verhältnismäßig spät, dann
aber mit großer Kraft eingesetzt. Viele Kolonien in ländlicher Bau-
weise sind Sehenswürdigkeiten geworden. Der Sinn für Garten und
Ackerbau ist bei dem aus bäuerlicher Herkunft stammenden Oberschlesier
nie eingeschlafen und ist von der Industrie in richtiger Würdigung ge-
pflegt worden. Von 25 Werken wurden beispielweise 4564 ha Garten-
und Ackerland an etwa 100000 verheiratete Arbeiter abgegeben.
Eine vertiefte Behandlung des Inhaltes gegenüber der phantasie-
reichen äußeren Form würde den Wert der Schrift erhöht haben.
Stettin. Dr. Syrup.
Doeberl, M., Bayern und Deutsehland im 19. Jahrhundert. Festrede, gehalten
in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften zur Feier des 158. Stiftungs-
tages am 14. IXE. 1917. Nebst einem Anhang: Ausgewählte Aktenstücke zur Geschichte
Bayerns und Deutschlands im 19. Jahrhundert. München, G. Franzscher Verlag, Jos.
Koth, 1917. Lex.-8.
Ischirkoff, Prof. Dr. A., Bulgarien, Land und Leute, 2. Teil. (Bevölkerung,
Volkswirtschaft, Siedlungsverhältnisse), mit 24 Taf. und einer (färb.) Eisenbahnkarte.
(Bulgarische Bibliothek, hrsg. von Prof. Dr. Gustav Weigand. Ehrenausschuß: Proff.
Drs. Kassner- Berlin, Üebersberger-Wien, v. Asböih- Budapest. Red. -Ausschuß in Sofia:
Prof. Dr. Ischirkoff, Prof. Molloff, Minist.- Dir. Herbst, Andrej Protitsch. Nr. 2.)
Leipzig, Dr. Iwan Pariapanoff, 1917. 8. VII— 128 SS. M. 1,50.
Schumacher (Geh. Reg.-R.), Prof. Dr. Herrn., Belgiens Stellung in der Welt-
wirtschaft. (Zwischen Krieg und Frieden. Eine Sammlung von Schriften über die
politi.«chen und wirtschaftlichen Frngen, die im künftigen Frieden zu lösen sind. Red.:
Dr. Georg Hirzel. Nr. 41.) Leipzig, S. Hirzel, 1917. 8. 58 SS. M. 1,50.
Steiner, Wladimir, Die Volkswirtschaft der Königreiche Kroatien und Sla-
vonien vom Standpunkt der Landwirtschaft. Agram, Mirko Breyer, 1917. gr. 8.
102 SS. M. 3.—.
Westrußland in seiner Bedeutung für die Entwicklung Mitteleuropas. Mit
einer Einleitung von Max Sering. Leipzig, B. G. Teubner, 1917. gr. 8. XXXII— 296 SS.
M. 4,80.
Zivi er, Dr. E., Polen. (Perthes' kleine Völker- und Länderkunde zum Gebrauch
im praktischen Leben, Bd. 4.) Gotha, Friedrich Andreas Perthes, 1917. 8. XIII—
302 SS. mit 1 Karte. M. 6.—.
Bernard, Fran9ois, Le Maroc feconomique et agricole. Montpellier, Coulet
et fils. 8. fr. 4.—.
Ogg, Frederic Austin, Economic development of modern Europe. New York,
Macmillan. 8. 16 + 657 pp. $ 2,50.
Reeves, Francis, ß., Russia then and now, 1892 — 1917. New York, Patnam.
8. $ 1,50.
494 rJebersioht fiber die neuesten Publikationen Dentechlands und des Auslandes.
Soholefield, Guy Hardy, New Zealand in evolution, industrial, economic
and political ; with an introduction by Pember Reeves. New York, Scribner. 8. 24 +
363 pp. I 1.75.
Tryon, Kolla Milton, Household manufactures in the United States, 1640 —
1860; a study in industrial history. Chicago, Univ. of Chicago. 12. 12+413 pp,
(207, P- bibl.). I 2.—.
Fraracci, Pasquale, II Belgio economico di ieri e di domani, e i suoi rap-
porti con 1' Italia, con prefazione di Luigi Luzzatti. Campobasso, casa ed. G. Colitti
e figlio, 1917. 8. XV, 170 p. 1. 3.—.
Treub, M. W. F., De economi«che toekomst van Nederland. Haarlem, H. D.
Tjeenk Willink en Zoon. gr. 8. 8 en 208 blz. fl. 2,50.
3. Bevölkemngslehre nnd Bevölkerang'spolitik. Answanderangr
und Kolonisation.
Ligocki (Ing.), Julius, Sechs Millionen verloren I 100 Jahre deutscher Aus-
wanderung nach Uebersee 1815 — 1914. Mit einer farbigen graphisch-statistischen Tafel.
Berlin, Simon Schroppsche Land karten band lg., 1917. gr. 8. 24 SS. M. 1. — .
St ratz, Prof. Dr. C. H., Volkszunahme und Wehrmacht im Deutschen Reich.
Eine naturwissenschaftliche Betrachtung. Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. gr. 8.
52 SS. mit 7 Abbild. M. 2.—.
Couget (avocat), Bertrand, Les colonies allemandes avant et pendant la guerre
1914—1917. Thöse pour le doctorat en droit. Toulouse, V. RiviÖre, 1917. 8. 174 pag.
et cartes.
Root, Elihu, The military and colonial policy of the United States. Collected
and edited by Robert Bacon and James Brown Scott. London, Oxford Univ. Press.
8. 8/.6.
Borsi, Umberto, Studi di diritto coloniale: concetto di colonia, classificazione
delle colonie. Torino, fratelli Bocca, 1917. 8. 62 p.
4. Bergban. Land- und Forstwirtschaft. Fiscliereiwesen.
Skalweit, B., Die englische Landwirtschaft, Entwicklung, Be-
trieb, Lage, mit Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Bedeutung.
Mit 3 Kartenbeilagen. (Berichte über Landwirtschaft, hrsg. im Reichs-
amt des Innern, Heft 37.) Berlin (P. Parey) 1915. S^. VII u. 535 SS.
(Preis: 4,80 M.)
Aus zwei Gründen erscheint die umfassende Untersuchung Skal-
weits über die englische Landwirtschaft sehr willkommen. Immer
wieder ist bei dem Streit über die deutsche Wirtschaftspolitik, um die
Stellung der deutschen Landwirtschaft im System des Schutzzolles, auf
die englische Landwirtschaft und ihre Verschiebungen unter dem Frei-
handelssystem hingewiesen worden. Englands Landwirtschaft ist immer
wieder als Wegweiser und Schulbeispiel für die Entwicklung der
agraren Produktion unter Freihandel oder Zoll aufgestellt worden. Da-
bei gingen nun aber die Urteile über die tatsächliche Entwicklung
jenseits des Kanals weit auseinander: über die Weidewirtschaft, den
Weizenbau, die berühmten Wildreservate, endlich über die Gesamtlage
der englischen Landwirtschaft von heute. Und sie mußten auseinander-
klaffen, weil jeder nur einem Teil der englischen Bodenbetriebe, einem
Wirtschaftszweig nachfojschte. Skalweit gibt hier eine zusammen-
fassende Darstellung, die alle volkswirtschaftlichen Organisationen und
zugleich alle privaten Betriebseigentümlichkeiten der englischen Land-
wirtschaft klärt. Er gibt das Gesamtbild der agraren Berufs-
gruppe möglichst vollständig, aber ohne nun diese oder jene Ver-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 495
Schiebung in der Organisation unter ein politisches Problem zu bringen.
Die politische Problemstellung, auch soweit sie bereits der Geschichte
angehört, ist mit Absicht gänzlich unterdrückt. Das gibt der Unter-
suchung den Stempel der Sachlichkeit und ruhiger, abwägender Forschung.
Ohne eigene Nutzanwendung für das, was noch kommen soll, wird sie
doch das Material für manche politische Untersuchung als ergiebige
Fundgrube liefern müssen.
Der zweite Vorzug des Buches liegt in der Verbindung der land-
wirtschaftlich-technischen mit den rein volkswirtschaftlichen Fragen.
Im ersten Teil werden die „Vorbedingungen für den Betrieb der Land-
wirtschaft" erörtert — so nennt der Techniker, dem der Betrieb doch
nun einmal das Maß der Dinge ist, die volkswirtschaftliche Organi-
sation der agraren Produktion: die Besitzverteilung mit den Arbeiter-
verhältnissen , der Absatz der Erzeugnisse und die Preisverhältnisse,
das Vereins- und ünterrichtswesen, die innere Kolonisation. Der zweite
Teil über „den landwirtschaftlichen Betrieb" bringt die Erörterung der
technischen Betriebsformen : der Betriebseinrichtungen, des Ackerbaues
und der Viehzucht. Vielleicht ist dieser zweite Teil etwas liebevoller
behandelt und breiter ausgefallen, als der erste volkswirtschaftliche
Teil; aber die Trennung beider Probleme, der technischen und der volks-
wirtschaftlichen Seite, ist so durchgeführt, wie ich sie als mustergültig
für einen Nationalökonomen hinstellen möchte. Und beide Stücke sind
gleich gut gelungen. Die meisten Techniker, die sich an ähnliche
volkswirtschaftliche Probleme heranwagen, zählen uns eine Fülle kleinster,
betriebsmäßiger gesehener Dinge auf, so daß das volkswirtschaftliche
Ergebnis der Untersuchung hernach als ein Trümmerhaufen technischen
Kleinkrames daliegt. Oder die Nationalökonomen schütteln die Urteile
über agrare Verschiebungen und agrare Forderungen nur so aus dem
Aermel, ohne die Elemente der Technik zu kennen; das ist noch das
Häufigere ; und was dabei herauskommt, klingt wie die Frage der Prin-
zessin des ancien regime: „wenn das Volk kein Brot hat, warum ißt es
dann keinen Kuchen?" — Ueber die Ergebnisse beider Teile äußert
sich Skalweit dann in seinem Schlußwort: Lage der englischen Land-
wirtschaft.
Seit den 70er Jahren hat sich in England die Betriebsweise und
die Organisation der Produktion umgestaltet; und zwar sind die beiden
Triebkräfte für die Verschiebung der ausländische Wettbewerb
und der Mangel an" Arbeitern. Die Entwicklung geht vom Acker-
land zur Weide, zur extensiven Wirtschaft auf dem noch unter dem
Pflug gehaltenen Ackerland und zur stärkeren Betonung der Viehzucht.
— Die englische Statistik teilt die Fläche in vier Gruppen ein: Kultur-
fläche, geringe Weiden , Wald und unbenutzte Fläche. Diese gesamte
Kulturfläche, einschließlich der besseren Weiden, betrug in den 7('er
Jahren 19,0 Mill. ha, stieg in den 90er Jahren auf 19,5 Will, ha und
sank 1912 wieder auf den Stand der 70er Jahre; ein Teil des Kultur-
landes mag in städtische Bezirke verwandelt sein, aber der größte Teil
ist in geringen Weiden „proletarisiert", deren Fläche in England im
engeren Sinne um 64000 ha seit 1900 stieg. Diese „geringen Weiden •*
496 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutachlands und des Auslandes.
dagegen haben sich in England und Wales verbreitert, nämlich von
1140000 ha 1892 auf 1537000 ha 1912, in Schottland verringert von
3 755 000 ha auf 3 557 000 ha im gleichen Zeitraum. Beides ist ein
wirtschaftlicher Rückschritt; in England verwandelt sich die Kultur-
fläche in Weide, in Schottland die geringe Weide, die bisher der Schaf-
zucht gedient hat, in Wildreservate, die der landwirtschaftlichen Be-
nutzung vollständig entzogen werden. Diesen „Wildreservaten" —
einem vielberüchtigten Schlagwort aus der Kammer der Zollenthusiasten
— geht Skalweit implicite auch nach ; es sind das meist Gebiete im
hohen Schottland, die ehemals, noch im vorigen Jahrhundert von Klein-
pächtern bewohnt wurden und teilweise Kulturfläche waren; beim Vor-
rücken der extensiven Wirtschaft wurden sie zu Dauerhuden für die ab-
gehärteten Hochlandschaften; das Schaf verdrängte damals den Klein-
pächter. Heute wird das Schafland zum Wildreservat, das Schaf weicht
dem Rothirsch und dem Moorhuhn. Meines Erachtens hängt das übrigens
weniger mit der Schafzucht, sondern mit der Entwicklung der Jagdpachten
zusammen. Jene Schafhude wird nach dem Umfange des Auftriebes be-
zahlt, das macht 25 Pf. bis 1 M. pro Hektar Hude. Nun aber kosten
mittlere Rotwildreviere, auch ohne Bestand an Moorhühnern, bereits
pro Hektar 1 — 1,50 M. Pacht, dank der plutokratischen Einkommens-
bildungen nicht nur in englischen, auch in deutschen Industriegegenden.
— Innerhalb der Kulturfläche ist von 1871 bis 1910 das Ackerland
von 5,55 auf 4,28 Mill. ha heruntergegangen, dagegen das Grasland
von 4,14 auf 5,64 Mill. ha gestiegen; während früher insgesamt 57 Proz.
der Fläche Ackerland und 43 Proz. Grasland waren, liegt heute das
Schwergewicht auf der Weide : 57 Proz. Wiesen und Weiden, 43 Proz.
Ackerland. Das Tempo der Umwandlung war am stärksten von der
Mitte der 70er bis zur Mitte der 90er Jahre, in der Zeit des Hoch-
drucks des internationalen Getreides; rund 800000 ha wurden in diesen
20 Jahren in Grasland verwandelt; und zwar nicht in einer systema-
tischen Weidewirtschaft, sondern man überließ die Schläge einer natür-
lichen Berasung. Diese Verschiebung ist seit 1900 langsamer geworden,
schluckt aber jährlich noch 25 000 ha Ackerland. Verf. weist hübsch
nach, wie nicht allein der internationale Preisfall in Korn diese Ver-
wandlung besorgt, sondern ebenso sehr der Mangel an Arbeits-
kräften. Die Landflucht treibt dort die Jugend vom Lande; deshalb
ist das Betriebssystem auf Ersparnis an menschlicher Arbeit einge-
stellt. Das Grasland verlangt wenig Arbeit, auf dem noch übrigen
Grasland wird extensiver gewirtschaftet, nur die sichersten und ertrag-
reichsten Böden, „die der Bearbeitung keine besonderen Schwierig-
keiten entgegensetzen", bleiben als Acker liegen. Die einzelnen Halm-
früchte wurden von dem Rückgang verschieden erfaßt ; es betrug die
Anbaufläche in 1000 ha:
für Weizen
Gerste
Hafei
1871/05
1901,05
1906/10
1493
679
717
1053
820
760
1714
1702
1677
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 497
Der Weizen hat unter dem Druck Argentiniens und Nordamerikas die
Hälfte der Fläche verloren; die Gerste hat sich nur um 28 Proz. ver-
ringert, dank eines fehlenden Weltmarktes für Gerste und dank ihrer
Qualität als Braugerste. Der Hafer hat seine Stellung einigermaßen
als Pferdefutter behauptet.
Wie bei den Halmfrüchten der internationale Preisfall, so be-
schneidet bei den Hackfrüchten der Arbeitermangel die Anbaufläche.
Der Arbeiter ist sehr schwer zur üebernahme von Akkordarbeit zu
bewegen, da er schon im Zeitlohn sehr gut gestellt ist und seinen
deutschen Kollegen übertrifft; der Hackfruchtbau liebt jedoch die
Akkordarbeit. Die Anbaufläche der Hackfrüchte sank von 1871 bis 1910
von 1855 000 ha auf 1515 000 ha, insbesondere die Kartoffel von
610000 ha auf 471000 ha und die Kohlrübe von 1002 000 ha auf
749000 ha. Dagegen haben die Kleeschläge an Ausdehnung gewonnen
und bleiben auch länger liegen; sie erfordern eben keine besondere
Arbeit.
Der Viehbestand zeigt einen leisen Aufschwung, der jedoch kaum
jene Extensivirung des Ackerbaus kompensiert. Es wurden in 1000 Stück
gezählt :
Pferde Kinder Schafe Schweine
1876—1880 1904 9864 31906 3506
1896—1900 2051 II 179 31052 3874
1906—1910 2095 II 718 30712 3742
Der Schweinebestand ist trotz der reichen Weidewirtschaft unverändert
geblieben; die Schafe haben 7 Proz. der Zahl verloren; die Zunahme
beim Rindvieh entfällt auf das Milchvieh, das von 3 724000 Stück 1876
auf 4 333 000 Stück 1910 stieg; die übrigen Kategorien haben nur
wenig zugenommen. So ist denn die Ergiebigkeit der englischen Land-
wirtschaft bedeutend zurückgegangen. Die Ernährung der Menschen
wird immer mehr auf die überseeische Einfuhr, immer weniger auf den
heimischen Boden eingestellt. An Brotgetreide deckt die Heimat noch
20 Proz. des Bedarfs; an Fleisch lieferte sie in den 60er Jahren noch
90 Proz., heute noch 50 Proz. des Bedarfs; und die heimische Ver-
sorgung mit Butter ist auf 30 Proz., mit Käse auf 18 Proz., mit Eiern
auf 33 Proz. gesunken. Middleton berechnet die Ernährungskraft
der Bodeneinheit von 1912 und kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen:
100 Acres (40,5 ha) Ackerland bringen in Deutschland pro Jahr:
33 Tonnen Getreide, 55 Tonnen Kartoffeln, 41/2 t Fleisch, 28 t Milch
2^4 t Zucker; dagegen in England: 15 t Getreide, 11 t Kartoffeln,
4 t Fleisch, 1772* Milch, keinen Zucker; da Deutschland den Anbau
von Kartoffeln und ähnlichen Erzeugnissen bevorzuge, so ernähre die
Fläche von 40,5 ha rund 30 — 35 Menschen mehr als in England.
Skalweit meint: „Der Uebergang vom Ackerbau zur Weidewirtschaft
und Viehzucht, wie er sich in den letzten Jahrzehnten des vergangenen
Jahrhunderts in England vollzogen hat, wäre bei den klimatischen Ver-
hältnissen des Landes an sich nicht ungünstig zu nennen , wenn an
Stelle eines arbeitsextensiven Ackerbaues, wie er in den 60er Jahren
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 32
498 UeberBioht über die neuesten Publikationen Deutachlands und de« Aualandea.
geherrscht hatte, entsprechend kapitalintensive Viehzucht getreten wäre.
Dies ist aber nicht der Fall gewesen. Der Viehstand hat sich zwar
vermehrt, aber nicht so stark, wie man bei der Zunahme der Weide-
flachen und des Futterbaues hätte erwarten können."
Der landwirtschaftliche Betrieb ist da, wo er sich hat halten können,
spezialisiert worden. Er ist nicht mehr ein organisches Ganzes, der,
wie in Deutschland, alle Betriebszweige gleichmäßig pflegt; sondern er
pflegt einzelne Produkte und läßt die Ergiebigkeit anderer Zweige auf
Kosten dieses Produktes unter ihre natürliche Leistungsfähigkeit sinken.
Der Erfolg der englischen Landwirtschaft ist nicht die Masse, sondern
die Rasse und Qualität des Viehes. Die Züchtungskunst steht in Eng-
land am höchsten ; die Heranziehung leistungsfähiger Rassen steht dort
heute noch den anderen Ländern Europas voran ; besonders in der Früh-
reife der Masttiere kann der kontinentale Viehstapel, abgesehen vom
niederländischen, mit dem englischen kaum Schritt halten. Das eng-
lische Herdbuchwesen hat auch bei uns bahnbrechend gewirkt; in der
Lieferung erstklassiger Zuchttiere hat England auch heute noch auf
dem Kontinent das Monopol und das Vertrauen, abgesehen nur von der
Zucht schwerer Pferde und einiger Schweinerassen. — Ebenso drängt
der Mangel an menschlicher Arbeitskraft zur Betonung der Maschine;
die landwirtschaftliche Maschine ist dort stark verbreitet in allen Arten
und greift auf kleine Betriebe weit hinunter. Die Not ist seit den
70er Jahren eine gute Lehrmeisterin gewesen. Der Bindemäher steht
der Seitenablage, im Gegensatz zu Deutschland, voran, und Elevatoren,
die Getreide und Heu in Diemen heben, kennen wir noch kaum. Da-
gegen reicht der englische Verbrauch an Kunstdünger mit 50 Pfd.
pro Hektar und Jahr längst nicht an den deutschen heran. Hier wirkt
eben der Kornzoll, der den Geldertrag steigert und das Gesetz vom
abnehmenden Bodenertrag hinausschiebt, ganz entscheidend mit.
Der Arbeitermangel ist heute wohl die größte Schwierigkeit^
mit der der Farmer zu kämpfen hat; nicht allein die Großstädte,
besonders die Kolonien ziehen einen Teil der ländlichen Arbeiter an
sich; ihre Zahl ist in den 70er Jahren um die Hälfte gesunken, und
die Abwanderung zehrt heute an dem Mindestbestand, den jeder Be-
trieb im ordnungsmäßigen Gange erfordert. Und wenn der Farmer den
Betrieb auch immer mehr arbeitsextensiv gestaltet (Weideland, Ver-
zicht auf Hackkultur, Maschinen), so wandern immer noch drei- bis
viermal so viel Arbeiter ab, als er an Arbeitskraft durch jene Betriebs-
neuerungen ersparen kann. In Deutschland entfallen auf 100 ha Kultur-
fläche an ständigen Arbeitern und Familienangehörigen 20 Kräfte, an
bezahlten Arbeitern 9, in England nur 9,7, bzw. 5,6 Kräfte. Das langt
aber nicht mehr für die notwendigste Bewirtschaftung; eine durch-
greifende Bearbeitung des Ackers fällt aus, die Hackarbeit bleibt be-
schränkt, Unkrautvertilgung, Dränage, Kompostbereitung hört auf. Dabei
hat sich die soziale Stellung des Landarbeiters in England viel-
fach gehoben. Die Dienstdauer ist kürzer als in Deutschland, deshalb
die Arbeit unregelmäßiger; abgesehen von unverheiratetem Gesinde,
das sich jährlich verpflichtet, überwiegen die wochenweisen Verab-
üebersioht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 499
reduDgen; die Mietmärkte, „Hiring Fairs", haben nur noch in Schott-
land sich behaupten können. Die Löhne sind durchweg, auch gemessen
an deutschen Verhältnissen, sehr hoch, namentlich in der Nähe der
Industriebezirke. Jahresverdienste von über 1000 M. sind an der Tages-
ordnung. Allerdings ist der Arbeiter trotz guten Nominallohnes bei
regelmäßiger Arbeit in der Wohnung und in den Naturalbezügen
sehr herabgedrückt. Er ist wie der Industriearbeiter auf Geldlohn
gestellt; obwohl er Landarbeiter ist, muß er Lebensmittel kaufen, und
das kompensiert den Gewinn der hohen Nominallöhne. Mit dem Sinken
der Preise für Lebensmittel hat sich sein Einkommen erhöht; alles in
allem nähert er sich im Geldlohn dem Industriearbeiter, ohne aber die
Natural Verpflegung des Landarbeiters zu beziehen. Dazu kommt dann
noch eine Abneigung gegen das Landleben bei der Jugend ; es erscheint
„öde und einförmig, schmutzig und anstrengend und gewährt zu wenig
Ruhepausen". Der erwachsene junge Mann sieht auf dem Lande keinen
rechten Aufstieg. Der Farmer zahlt nur den normalen Lohn für Fleißige
und Faule, in der Industrie differenziert sich der Lohn nach Leistung.
Und das Ende ist eine recht bedenkliche Landflucht; nach dem Be-
richt des Handelsamtes wanderten 1910 rund 24000 landwirtschaftlich
Erwerbstätige aus, während die natürliche Zunahme der landwirtschaft-
lichen Bevölkerung nur auf 30000 geschätzt wird.
Weit mehr als die Arbeiter ist von dem Niedergang der agraren
Produktivität die zw^eite Berufsschicht, der pachtende Farmer, be-
troffen worden. Nach Middleton werden in Deutschland 93 Proz. , in
England nur 11 Proz. des Landes vom Eigentümer bewirtschaftet;
Skalweit gibt das in Deutschland verpachtete Land auf 16 Proz. an;
mit der englischen Zahl deckt er sich. Außer den Herrenhöfen (Home
Farm), die großen Latifundienbesitzern als Lebensmittelquelle für den
Haushalt dienen, finden sich Betriebe mit Eigenbewirtschaftung nur
ausnahmsweise vor. Dieses Pachtsystem hatte seinen Vorzug in der
Zeit der Krisis der 70er Jahre; damals konnte der Farmer einen Teil
des Preissturzes auf den Grundherrn abwälzen ; doch ist diese Ab-
wälzung nur teilweise gelungen ; einen großen Anteil mußte der Farmer
selbst übernehmen : die Pachtsätze sind nicht mit den Kornpreisen
parallel gesunken. Dazu kommen noch die steigenden Löhne, die 30 bis
40 Proz. der gesamten Ausgaben ausmachen. Um seinen Betrieb zu
bilanzieren, spart der Farmer heute allgemein an den übrigen Betriebs-
kosten ; er legt keine Meliorationen an , spart an Düngung und allen
anderen Verbesserungen. Das Pachtsystem kann bei großem Lati-
fundienbesitz seinen Vorteil haben, wenn ein kapitalstarker Pächter
aufzieht und dem Boden mehr Kapital und Arbeit zuwendet als der
mit Hypotheken belastete Grundherr. Diesen Vorteil hat das Pacht-
system in England eingebüßt; „wer so viel Kapital besitzt, um eine
mittlere Farm pachten zu können, legt es in gewerblichen Unternehmungen
an, wo sich das Geld schneller verzinst". Deshalb sinkt die Zahl der
landwirtschaftlich Erwerbstätigen absolut und relativ. Landwirtschaft-
lich erwerbstätig waren von allen Männern über 10 Jahren; 1881
— 18,8 Proz., 1891 — 16,2 Proz., 1901 — 13,6 Proz., 1911 — 10,7 Proz.,
32*
500 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutechlands und des A-oslandes.
oder absolut gesehen, hat sich die Zahl der Männer von 2 224000 1891
auf 1842000 1911 gesenkt. In dem Jahrzehnt von 1871 bis 1881 haben
die selbständigen Farmer rund 10 Proz. des Bestandes oder 23 OCX)
Stellen aufgegeben.
Die letzte Gruppe der Leidtragenden sind die Grundherren,
auf welche die Arbeiter in höheren Löhnen, die Farmer in gesunkenen
Pachtsätzen die Entwicklung weiter wälzen. Von 1871 bis 1908 sind die
Pachten in England gefallen, und zwar während der Krisis der 70er
Jahre um rund 20 — 30 Proz., in den Krongrafschaften mit schwerem
Boden sogar um 50 Proz. Erst seit 1908 tritt eine geringe Erhöhung
der Pachten ein. Immerhin haben die Grandherren seit 1875 rund
30 Proz. der Pachten verloren. Diese Roheinnahme wird aber bei der
Nettoberechnung noch um 25 — 50 Proz. geschmälert; denn die Steuern
auf den Grundbesitz (Erbschaftssteuer!) sind gestiegen; gerade der
Latifundienbesitzer wird in der englischen Steuer stark herangezogen.
So weicht denn die frühere Landaristokratie immer mehr einer neuen
Geldaristokratie, „welche die schönsten Herrensitze als Landaufenthalt,
aus Sportrücksichten und der gesellschaftlichen Vorteile wiegen erwirbt".
Viele Grundbesitzer haben die Güter unter dem Druck neuer Gesetze
verkauft; meist werden sie aus gesellschaftlichen Gründen, weniger
zum rationellen Betrieb wieder aufgekauft. Nur eine Gruppe kann ihren
Besitz erhalten und verbessern: wer einen hübschen Fundus an
industriellen oder kolonialen Aktien, sowie an Bergwerks- und Eisen-
bahnanteilen besitzt. Dann muß er seine Dividenden aber in den Boden
stecken. — Das Resultat ist die allgemeine Flucht vom Lande, es flieht
alles vom Schäfer bis zum Landlord. Nur der ganz Reiche, in dünner,
schmaler Oberschicht, und eine Masse mäßig begüterter Farmer bleibt
zurück. Die Bewegung der inneren Kolonisation ist noch jung und
die Regierung noch ungeschult in der Handhabung. Die rigorosen Ge-
setze zur Zerschlagung des Bodens haben auch noch keinen Erfolg ge-
habt. Auch das Genossenschaftswesen wird gestützt. Aber alle Ver-
suche sind noch zaghaft; es würde eine schwere Arbeit sein, wollte
man diesen amputierten Arm der englischen Volkswirtschaft wieder
zum Anheilen bringen wollen.
In dem großen Abschnitt des Buches über den ,, landwirtschaft-
lichen Betrieb" fällt das Kapitel über die Viehzucht als gut gelungene
Monographie auf; es ist beinahe ein Nachschlagewerk der en^^lischen
Viehzucht geworden, dessen Bedeutung nicht allein in der Fülle des
beigetragenen Materials, sondern in einer Feinheit der Beobachtung
und Sachkunde liegt, mit der Verf. dem inneren Leben im englischen
Betriebe nachgeht.
Cöln a. Rh. F. Beckmann.
Bekanntmachungen über den Ernteverkehr nebst den anderweitigen Gesetzen
und Verordnungen wirtschaftlicher Natur aus den Jahren 1915/17. 14. Nachtrag: Vom
1. V. 1917 bis 30. VI. 1917. Berlin, Klemens Beuschel, 1917. VII— 208 SS. M. 3,60.
Delius (Geh. Just.-R., Kammerger.-R.j, Dr. H., Die Landesfischereiordnung vom
19. III. 1917 und die Bezirksfischereiordnungen. Erg.-Heft zu Delius, Fischereigesete
vom 11. V. 1916. (Carl Heymanns Taschengesetzsammlung, Nr. 86, Nachtrag.) Berlin,
€arl Heymanns Verlag, 1917. kl. 8. IV— 140 SS. M. 2.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 501
Mammen, Prof. Dr. Franz v., und (Hofr.) Riedel, Die Kriegsnutzung des
Waldes. Eine Anleitung zur Mobilmachung des deutschen Waldes. (Bibliothek für
Volks- und Weltwirtschaft. Hrsg.: Prof. Dr. Franz v. Mammen. Heft 42.) Dresden,
„Globus", Wisdenschaftl. Verlagsanstalt, 1917. 8. 31 SS. M. 1.—.
Müller-Erzbach, Prof. Dr. Rud., Das Bergrecht Preußens und des weiteren
Deutschlands. 2. Hälfte. Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. Lex. -8. XII u. S. 303—603
M. 12.—.
Müller (Baur.), Prof. Frdr., Das Wasserwesen an der schleswig-holsteinischen
Nordseeküste. Im Auftrage des Kgl. preußischen Ministeriums der öffentlichen Arbeiten
bearbeitet. 1. Teil: Die Halligen. 2 Bde. mit 199 Abb. im Text und 23 (zum Teil
färb.) Tafeln in besonderer (Halbleinwand-) Mappe. Berlin, Dietrich Reimer (Ernst
Vohsen), 1917. Lex.-8. XXV, 377 u. XIX, 428 SS. M. 66.—.
Oppenheimer (Rechtsanw.), Dr. Arthur, Die Reiehsgetreidegesetzgebung für
die Ernte 1917. Auf Veranlassung der Reichsgetreidestelle bearbeitet. Berlin, Franz
Vahlen, 1917. kl. 8. 194 SS. M. 2.—.
Skal weit, Prof. Dr. August, und Dr. Walter Kl aas, Das Schwein in der
Kriegsemährungswirtschaft. (Beiträge zur Kriegswirtschaft. Hrsg. von der volkswirt-
schaftlichen Abteilung des Kriegsernährungsamts. Heft 20 u. 21.) Berlin, Reimar
Hobbing, 1917. 8. 80 SS. M. 1,20.
Vieh und Fleisch in der deutschen Kriegswirtschaft. Von (Stadtr.) Dr. Hans
Krüger, (Oberamtstierarzt) Dr. Mayer, (Tierzuchtinsp.) Dr. Niklas, (Geh. Reg.-R.) Prof.
Dr. V. Ostertag, (Geh. Reg.-R.) v. Schlichen und (Oberamtm.) Scholl. (Beiträge zur
Kriegswirtschaft. Hrsg. von der volkswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsemährungs-
amts. Heft 17—19.) Berlin, Reimar Hobbing, 1917. 8. 133 SS. M. 1,80.
Ziese (Just.-R.), Dr., Das preußische Fischereigesetz vom 11. V. 1916 nebst den
dazu erlassenen Bestimmungen der Verwaltungsbehörden. Textausgabe mit kurzen An-
merkungen und Sachregister. Schleswig, Julius Bergas Verlag, 1917. gr. 8. VI —
100 SS. M. 1,50.
Foster, SirC. deNeve, The Clements of mining and quarrying. 3rd ed.
London, Griffin and Co. 8. 341 pp. 7/.6.
Gehrs, J. H., Productive agriculture. New York, Macmillan. 12. 13 -f 436 pp.
$ 1.-.
Hughes, Herbert, W., A text book of coal-mining, for the use of coUiery
managers and others. 6th ed. London, Griffin and Co. 8. 578 pp. 24/. — .
Jackson, T. C, The agricultural holding acts, 1908 — 1914. With introduction
and explanatory notes and forms. Also the board of agriculture and fisheries rules and
forms of 1909, together with a manual of tenant right valuation. 3rd ed., revised and
enlarged. London, Sweet and Maxwell. Cr. 8. XVI — 356 pp. 6/.6.
Johnson, Joseph, Food production in France in time of war. London,
Maunsel and Co. Cr. 8. 32 pp. 6/.—.
Larson, Carl W., Milk production, cost accounts, principles, methods. London,
Oxford Univ. Press. 8. 3/.6.
Prothero, Rowland E., English farming, past and present. 2nd ed. London,
Longmaus. 8. 519 pp. 7/.6.
Radford, George, Agricultural co-operation and Organisation. 2nd ed., revised.
London, Hodder and Sons. 8. 154 pp. 3/.6.
Savory, A. H., The nakedness of the land. The agricultural problem and its
Solution. Oxford, Blackwell. 8. 1/.6.
Somerville, W., British forestry, past and present. London, Oxford Univ.
Press. Royal 8. 6 d.
5. Gewerbe und Industrie.
Metallhüttenbetriebe. Die Vorgänge und Erzeugnisse der Metallhütten-
betriebe vom Standpunkt der neuesten Forschungsergebnisse. 2. Bd.: Borchers (Geh.
Reg.-R.), Prof. Dr. ing.: Nickel. Mit 98 Abbild, im Text (u. auf Taf.). Zugleich 2. Aufl.
von „Elektrometallurgie des Nickels". Halle, Wilhelm Knapp, 1917. 8. VI— 209 SS.
M. 15.—.
Duplessix, E., La renaissance industrielle en France et les lois sur les soci§t§s.
Paris, Rousseau. 8. fr. 2,50.
502 üebersicht über die neuestea Publikationen Deutschlands und des Auslandes
George, Fernand, La rönovation de l'industrie chimique franjaise. Produits
chimiqucs et pharmaceutiques. Paris, Albin-Michel. Grandin-8. 499 pag. avec gra-
phiques. fr. 15. — .
Grandmougin, Eugöne, L'essor des industries chimiques en France. Bes-
sources et avenir de ces industries. Industries chimiques ^trangöres. Paris, Dunod et
Pinat. 8. fr. 16.—.
Crammond, Edgar, The British shipping industry. London, Constable. Cr. 8.
67 pp. 1/.-.
Glazebrook, Sir Richard, T., Science and industry. The place of Cam-
bridge in any scheme for their combination. Cambridge, üniv. Press. 8. 1/.6.
Van Kleeck, Mary, A seasonal industry; a study of the millinery trade ia
New York. New York, Russell Sage Foundation. 12. 10 -f 276 pp. $ 1,50.
Stabilizing industrial employment. Philadelphia, The Academy. 8. 71 -|-
246 pp. $ 1.—.
Weeks, Lyman Horace, A history of paper-manufacturing in the United
States, 1690—1916. New York, Lockwood Trade Journal Co., 1916. 8. 15 + 352 pp.
$ 3.—.
Women war workers. Edited by Gilbert Stone, with a foreword by Lady Jel-
licoe. London, Harrap. Cr. 8. 320 pp. 3/.6.
Belluzzo, Giuseppe, Le sf orzo industriale dell' Italia in guerra. Roma,
soc. ed. ritaliana, 1917. 16. 15 p.
Pothius, L. J., Arbeiders-weekloonen in een aantal bedrijven en vakken te
Amsterdam. Amsterdam, Boekhandel en uitgevers-maatschappij „Ontwikkeling". gr. 8.
22 blz. fl. 0,40.
6. Handel und Verkehr.
Glatz, Frdr., Die Gefährdung von Oesterreichs Brotstoffversorgung durch das
geplante Einfuhrscheinsystem. Vortrag, gehalten in der Plenarversammlung des Zentral-
verbandes österreichischer Getreidehändler am 16. V. 1917. Wien, Wilhelm Frick,
1917. gr. 8. 82 SS. M. 3.—.
Hirsch, Prof. Dr. Julius, und (Staatsanw.) Dr. Carl Falck, Der Ketten-
handel als Kriegserscheinung. 2. erw. Aufl. (Beiträge zur Kriegswirtschaft, hrsg.
von der volkswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsernährungsamts, Sonderheft.) Berlin,
Reimar Hobbing, 1917. 8. 115 SS. M. 1,20.
Merk (Priv.-Doz.), Dr. W., Zur Bekämpfung des Lebensmittelschleichverkehre.
Heidelberg, Adolf Emmerling u. Sohn Nachf., 1917. 8. 47 SS. M. 1,20.
Pertmann, Dr. J., Die Zollunionsidee und ihre Wandlungen im Rahmen der
wirtschaftspolitischen Ideen und der Wirtschaftspolitik des 19. Jahrhunderts bis zur
Gegenwart. (Probleme der Weltwirtschaft. Schriften des Kgl. Instituts für Seeverkehr
und Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Kaiser Wilhelms-Stiftung, hrsg. von Prof.
Dr. Bernhard Harms, No. 27.) Jena, Gustav Fischer, 1917. Lex.-8. XVII— 132 SS.
M. 5.—.
Rosemeyer, Josef, Der beste Weg zur Sicherung und Ausdehnung unseres
Welthandels. Berlin, Haude u. Spenersche Buchhdlg. Max Paschke, 1917. gr 8.
44 SS. M. 2.—.
Wirtschaftsbeziehungen, Unsere, zu Oesterreich-Ungarn. Bericht der
Handelskammer Frankfurt a. Main (abgeschlossen im Dezember 1916). Frankfurt a. M.,
Karl Scheller, 1917. gr. 8. 79 SS. M. 2,50.
Witte k (Wirkl. Geh. Rat., Minister a. D., Mitgl. d. Herrenh. u. Reichsrats),
Dr. Heinrich Ritter v., Die mitteleuropäischen Wirtschaftsfragen. (Flugschriften f ür
Oesterreich- Ungarns Erwachen. Hrsg.: Rob. Strache; literar. Leitg. : Ferd. Grüner.
Heft 26.) Warnsdorf, Ed. Strache, 1917. gr. 8. 32 SS. M. 0,80.
Lough, W. H., Business finance; a practical study of financial management ia
private business concerns. New York, Ronald Press. 8. 14 -|- 631 pp. $ 3. — .
Dounini, Vincenzo, Sguardo alla vita economica degli stati belligeranÜ e
1' Italia. Firenze, tip. Nuovo Giornale, 1917. 8. 27 p.
Landry, Adolphe, La politique ^conomique internationale aprös la guerre.
Bologna, N. Zanichelli (Milano, tip. Rebeschini, di Turati e C), 1917. 8. 12 p.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 503
Movimento commerciale del regno d'Italia nell' anno 1915. Parte I: tavole
riassuntive, tavole analitiche (Ministero delle finanze: direzione generale delle gabelle,
ufficio trattati e legislazione doganale). Borna, tip. Nazionale, Bertero, 1917. 4. XV,
546 p.
Movimento della navigazione del regno d'Italia nell' anno 1915. Vol. 2. Roma,
tip. Camera dei Deputat!. 4. 1. 4. — .
7. Finanzwesen.
Eheberg (Geh. Rat), Prof. Karl Thdr. v., Die Kriegsfinanzen: Kriegskosten,
Kriegsschulden, Kriegssteuern. 2. Aufl. Leipzig, A. Deichertsche Verlagsbuchh. Werner
Scholl, 1917. gr. 8. VIII— 216 SS. M. 5.—.
Glaser (Rechtsanw.), Dr. Fritz, Das Besitzsteuergesetz vom 3. VII. 1913 Inder
Fassung von § 39 des Kriegssteuergesetzes vom 21. VI. 1916 nebst den Ausführungs-
bestimmungen des Bundesrats und der kgl. sächs. Vollziehungsvorschriften. Erläutert.
(Juristische Handbibliothek. Hrsg. : Oberlandesger.-Sen.-Präs. Geh. Rat Max Hallbauer
und Minist.-Dir. Geh. Rat Dr. Walter Scheicher. Bd. 444.) Leipzig, Roßbergsche Ver-
lagsbuchhdlg. Arthur Roßberg, 1917. kl. 8. XI— 319 SS. M. 7.—.
Mollat (Handelsk.-Synd.), Georg, Einführung in das Kriegssteuergesetz vom
21. VI. 1916. Eine gemeinverständliche Darstellung seiner wichtigsten Bestimmungen.
(Veröffentlichung der Handelskammer zu Siegen.) Siegen, Koglersche Buchhdlg.
G. Müller, 1917. gr. 8. IV— 42 SS. M. 1.—.
Raum er (Landr. a. D.), Hans v., und (Reg.-R.) Dr. Ewald Moll, Reichs-
Kohlensteuergesetz vom 8. IV. 1917 nebst den Ausführungsbestimmungen des Bundes-
rats vom 12. VII. 1917 und der hierzu ergangenen allgemeinen Verfügung des preußischem
Finanzministers sowie der Verordnung des kgl. sächs. Finanzministeriums. Erläutert.
Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. 8. VIII— 188 SS. M. 8.—.
Röder, Dr., Gesetz über die Besteuerung des Personen- und Güterverkehrs vom
8. IV. 1917 nebst Ausführungsbestimmungen des Bundesrats vom 5. VII. 1917. Nach
amtlichen Materialien und Erlassen der Ministerien für den praktischen Gebrauch er-
läutert und mit ausführlichem Sachregister versehen. Berlin, Industrieverlag Spaeth u.
Linde, 1917. kl. 8. 144 SS. M. 3.—.
Roschnik (Fin.-R.), Dr. Rud., Die Österreichischen Stempel- und Gebührenvor-
schriften. Im Auftrage des k. k. Finanzministeriums nach dem gegenwärtigen Stande
zusammengestellt. Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei, 1917. gr. 8. XXII— 1100 SS.
M. 8.—.
Zedermann (Assess.), Dr. Felix, und (Assist.) Dr. Jos. Morenhoven,
Kohlensteuergesetz vom 8. IV. 1917 nebst den Ausführungsbestimmungen des Bundes-
rats vom 12. VII. 1917, erläutert. Mit einem Anhang, enthaltend die während des
Krieges erlassenen Vorschriften über Kohle, statistisches Material usw. Berlin, In-
dustrieverlag Spaeth u. Linde, 1917. kl. 8. 239 SS. M. 4,50.
Pons, Justin, Les finances fran9aises. Aprös la guerre. Paris, Soci6t§ fran-
9aise d'impr. et de libr., 1916. 16. 31 pag.
Engl and 's financial supremacy. A translation. From the „Frankfurter Zeitung".
London, Macmillan. Cr. 8, 106 pp. 3/.6.
Pigou, Arth. Cecil, The economy and finance of the war; being a discussiom
of the real costs of the war and the way in which they sould be met. New York,
Dutton. 12. 96 pp. 60 c.
Griziotti, Benvenuto, La diversa pressione tributaria del prestito e dell'im-
posta. Roma, Athenaeum (Cittä di Castello, soc. Leonardo da Vinci), 1917. 8. 57 p.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versichernngswesen.
Bauer (KreiskassenkontroU.), Frdr., Die Postscheckordnung für das Königreich
Bayern vom 7. VI. 1914. Mit Ausführungsvorschriften für den Postüberweisungs- und
Scheckverkehr bei den Aemtern und Kassen der kgl. bayerischen Finanzverwaltung;
bei den Stellen und Behörden der inneren Verwaltung, sowie für Kultus und Unterricht,
ferner bei den Gerichten und Strafanstalten. (2. Aufl. v. J. Stelzer, Der Postüber-
weisungs- und Scheckverkehr.) (Schweitzers Handausgaben mit Erläuterungen.) München,
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier), 1917. 8. VIII— 115 SS. M. 3,80.
504 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Handbuch der deutschen Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Ein Hand-
und Nachsch Ingebuch für Bankiers, Industrielle, Kapitalisten, Behörden und Aus-
kunfteien. Hrsg. und unter Berücksichtigung der neuesten Gründungen bearbeitet von
(Archiv.) C. Greulich und F. Voullifeme. Jahrg. 1917. (Einbd.: 1917—18.) Berlin,
Brandussche Verlagsbuchhdlg. gr. 8. III, 980 u. 307 88. M. 30.—.
Lansburgh, Alfred, Zur Systematik der Preisbildung an der Effektenbörse.
(Finanz- und volkswirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. von ßeichsr. Prof. Dr. Georg
T. Schanz und Geh. Eeg.-R. Prof. Dr. Julius Wolf. Heft 38.) Stuttgart, Ferdinand
Enke, 1917. Lex.-8. 48 SS. M. 1,80.
Makai (Dir.- Stellvertreter), Dr. Ernst, Währungsstudien mit besonderer Bück-
sicht auf Oesterreich-Ungarn. (Finanz- und volkswirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. von
ßeichsr. Prof. Dr. Georg v. Schanz und Geh. Reg.-R. Prof. Dr. Julius Wolf. Heft 37.)
Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. Lex.-8. 77 SS. mit 3 Kurven. M. 3.—.
Somary, Dr. Felix, Währungs-Probleme Oesterreich-Ungams. Vortrag, ge-
halten in der 244. Plenarversammlung am 17. IV. 1917. Wien, Carl Fromme, 1917.
8. 23 SS. M. 0,85. (S.-A. a. d. Jahrbuch Österreich. Volkswirte, 1917.)
Charpenay, G., Du röle industriel des banques en France. Avant et apr^ la
gnerre. Conference faite k la chambre de commerce de Grenoble, le 31 janvier 1917.
Grenoble, AUier frferes, 1917. 8.
Anderson, B. Mc Alcester, The value of money. New York, Macmillan.
12. 28 + 610 pp. $ 2,25.
Gebhardt, W. T., Principles of Insurance. Vol. I.Life. Vol. 2. Fire. London,
Macmillan. Cr. 8. Fach 6/.6.
Manning, J. Hilton, A Century of American savings banks. 2 vols. New York,
Bück and Co. 8. $ 20.—.
Morton, Davis Wa., Banking and bank accounting; an advanced set on the
individual business practice plan, Chicago, Lyons and Carnahan. 8. 112. pp. ^ 2,40.
Withers, Hartley, Stocks and shares. New ed. London, Smith, Eider. Cr. 8.
382 pp. 3/.6.
9. Soziale Frage.
Bozi (Eicht.), Dr. Alfred, Soziale ßechtseinrichtungen in Bielefeld. (Schriften
der Deutschen Gesellschaft für soziales Recht. In Gemeinschaft mit Justizrat Georg
Bamberger . . . hrsg. von Handelshoehschul-Prof., Landesrat a. D. Dr. B. Schmittmann.
Heft 2.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. Lex.-8. 32 SS. M. 1.—.
Moszkowska, Dr. Natalie, Arbeiterkassen an den privaten Berg- und Hütten-
werken im Königreich Polen. Ein Beitrag zur Geschichte der Wohlfahrtseinrichtungen
der Arbeitgeber. Stuttgart, J. H. W. Dietz, 1917. 8. 212 SS. M. 2,50.
Cole, G. H. D. , and R. Page Arnot, Trade unionism on the railways. Ito
history and problems. London, Fabian Research Department. 8. 2/.6.
Webb, Sidney, The restoration of trade Union conditions. London, Nisbet.
Cr. 8. 109 pp. 1/.—.
Woodbury, Rob. Morse, Social insurance; an economic analysis. New York,
Holt. 12. 171 pp. $ 1,25. (Cornell studies in history and economics.)
10. Oenossenscliaftswesen.
Baur, Dr. Hans, Der Genossenschaftsanteil bei den kapitalistisch organisierten
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossensehaften der Schweiz, mit Berücksichtigung der
deutschen gesetzlichen Regelung. (Abhandlungen zum schweizerischen Recht, hrsg. von
Prof. Dr. Max Gmür, Heft 79.) Bern, Stämpfli u. Cie., 1917. gr. 8. IX— 113 SS.
M. 4,50. (Berner juristische Dissertation.)
Meyenschein, Adam, Raiffeisen und das deutsche Dorf. Gesammelte Auf-
sätze und Vorträge. Im Auftrage des hessischen Verbandes ländlicher Genossenschaften
hrsg. von Jobs. Fenner. Berlin, Deutsche Landbuchhdlg. G. m. b. H., 1917. gr. 8.
XIV— 286 SS. mit 3 Abb. u. 1 Bildnis. M. 4.—.
Wiechula (Ing.), A., Die Kleinfarm als Wirtschafts-, Erwerbs- und Krieger-
heimstätte. Ratschläge und Beispiele zur Anlage von Kleinfarmen und genossenschaft-
licher Einrichtung der Siedelungen, mit Abbildungen. 2. Aufl. Leipzig, Otto Giller,
1917. 8. XXIil— 119 SS. M. 1,80.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 5Q5
11. Gesetzgebung*, Staats- nud Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde.
Bender, Peter, Das Wahlrecht des Weltkrieges. Ein Vorschlag, der die Per-
sönlichkeit und die Frauenfrage berücksichtigt oder auch das Wahlrecht der Familie
Darmstadt, Falken- Verlag, 1917. gr. 8. V— 44 SS. M. 1,50.
Cahn (Rechtsanw., Just.-R.), Dr. Hugo, Gesehäftsaufsicht und Zwangsvergleich
Bekanntmachung über die Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Konkurses vom 14. XII
1916. Erläutert. (Schweitzers Handausgaben mit Erläuterungen.) München, J. Schweitzer
Verlag, 1917. 8. XIX-357 SS. M. 10.—.
Fi seh b ach (Landricht.), Dr. O. G,, Das Staatskirchenrecht Elsaß-Lothringens
1. Bd. I. Teil: Gemeinsamer Teil für alle Kulte. II. Teil: Katholischer Kultus
Straßburg, Karl J. Trübner, 1917. 8. XII— 353 SS. M. 8.—.
Flötgen (Fortbildungs- u. Gewerbesch.-Dir.), Chr., Staatsbürgerkunde in Stich
Worten, unter besonderer Berücksichtigung der Ursachen und Wirkungen, Erfolge und
Ziele des Weltkrieges. Anhang: Deutschland. 33 Taf. Zahlen und Bilder zu Deutsch
lands Weltmachtstellung im Frieden und Krieg. Langensalza, Julius Beltz, 1917. 8
98 SS. M. 1.—.
Foerster, Prof. Dr. Fr. W., und Alexander v. Gleichen- Russwurm,
Das Reichs-Jugendwehr-Gesetz, unter Mitarbeit von Dr. L. Nelson. Leipzig, Verlag
Naturwissenschaften G. m. b. H., 1917. gr. 8. 87 SS. M. 1,80.
Freymuth (Oberlandesger.-R.), A,, Die G. m. b. H. in der Rechtsprechung der
deutschen Gerichte von 1911 — 1916. Nach den amtlichen Sammlungen und aus Quellen
bearbeitet. Köln, Centrale für Gesellschaften m. b. H. Dr. O. Schmidt, 1917. gr. 8.
XLVI— 503 SS. M. 14.—.
Handbuch des kommunalen Verfassungs- und Verwaltungsrechts in Preußen.
Unter Mitwirkung von (Geh. Reg.-R.) Baath . . . hrsg. und mitbearbeitet von (Abt.-Dir.)
Prof. Dr. Fritz Stier-Somlo. 9. Lfg. Oldenburg i. Gr., Gerhard Stalling Verlag, 1917.
Lex.-8. 1. Bd. S. 1—160. M. 5.—.
Herrmann (Rechtsanw.), Max, Die Ausführungsbestimmungen zum preußischen
Wassergesetze vom 7. IV. 1913 (enthaltend sämtliche königl. Verordnungen und Erlasse
sowie ministeriellen Anweisungen, Verfügungen und Erlasse). Anhang zu Herrmann :
Preußisches Wassergesetz. Breslau, Wilh. Gottl. Korn, 1917. gr. 8. 139 SS. M. 3.—.
Hippel (Geh. Just.-R), Prof. Dr. R. v., Ueber Recht und Krieg. Rektoratsrede,
gehalten am 20. VI. 1917. (Zwischen Krieg und Frieden. Eine Sammlung von
Schriften über die politischen und wirtschaftlichen Fragen, die im künftigen Frieden zu
lösen sind. Red. : Dr. Georg HirzeL Nr. 40 ) Leipzig, S. Hirzel, 1917. 8. 32 SS. M. 0,80.
Höfer (Rechtsanw.), Wilh., Die Bestimmungen des preußischen Wassergesetzes
vom 7. IV. 1913 über den Gemeingebrauch an Wasserläufen. Göttingen, Vandenhoeck
«. Ruprecht, 1917. 8. VIII— 84 SS. M. 1,40.
Huth, Th. , Selbstreform des Reichstags. Ein Beitrag zur politischen Neu-
orientierung. Leipzig, Friedrich Schneider, 1917. 8. 16 SS. M. 0,50.
Leonhard, Rud. , Bemerkungen zum Reichsjugend wehrgesetz. Charlottenburg,
Heinz Barger Verlag, 1917. 8. 29 SS. M. 1,50.
Löhr (z. Z. Festun gsgarn.- Pf r.) , D. Dr. Joseph, Das preußische allgemeine
Landrecht und die katholischen Kirchengesellschaften. (Görres-Gesellschaft zur Pflege
der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Veröffentlichungen der Sektion für
Rechts- und Sozialwissenschaft. Im Auftrage des Vorstandes hrsg. von Proff. Drs
Konrad Beyerle, Emil GöUer, Godehard Josef Ebers. Heft 31.) Paderborn, Ferdinand
Schöningh, 1917. gr. 8. X— 152 SS. M. 6.—.
Nippold, Otfried, Die Gestaltung des Völkerrechts nach dem Weltkriege.
Zürich, Orell Füßli, 1917. gr. 8. VI— 285 SS. M. 10.—.
Overbeck, Prof. Dr. Alfred Frhr. v.. Die Kapitulationen des osmanischen Reiches.
(Zeitschrift für Völkerrecht, hrsg. von Proff. Drs. Josef Kohler und Max Fleischmann.
Beigabe zu Bd. 10, Heft 3.) Breslau, J. ü. Kerns Verlag, 1917. 8. 34 SS. M. 0,80.
Schlieben (Reichskons. a. D.), Dr. H., Die deutsche Diplomatie. Wie sie ist,
wie sie sein sollte. Zürich, Orell Füßli, 1917. 8. 44 SS. M. 1.—.
Schwab, Dr. Gustav, Die rechtliche Stellung der israelitischen Religionsgemein-
schaft in Württemberg. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1917. gr. 8. VII— 109 SS. M. 3,50.
Steinlein, Dr. Andreas, Die Form der Kriegserklärung. Eine völkerrecht-
liche Untersuchung. München, J. Schweitzers Verlag (Arthur Sellier), 1917. gr. 8.
144 SS. M. 3,60.
506 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Zolger, Dr. Ivan Ritter v., Der Hofstaat des Hauses Oesterreich. (Wiener
staatswissenschaftliche Studien, hrsg. von Edm. Bernatzik und Eugen v. Philippovich.
Bd. 14.) Wien, Franz Deuticke, 1917. gr. 8. XX— 422 SS. M. 22.—.
Brucy, Jean, Les trait^s et la r^glementation du droit de la guerre. Thfese
pour le doctorat en droit. Paris, A. Pedone, 1917. 8. 244 pag.
Alexander, Marg. C, The development of the power of the State executive;
with special reference to the State of New York. Northampton, Mass., Smith. ColL f.
148—233 pp. (3 p. bibl.) 50 c.
Hinsdale, Burke Aaron, The American government, national and State.
New York, American Book Co. 12. 8 + 493 pp. (4 p. bibl.) $ 1,25.
Magruder, Fk. Abbott, American government; with a consideration of the
Problems of democracy. Boston, Allyn and Bacon. 12. 14 + 455 + 18 p. $ 1,25.
May, Sir Thomas E., A treatise on the law, privileges, proceedings, and usage
of Parliament. 12th ed. Edited by Lonsdale Webster. London, Butterworth. Royal 8.
XLIII— 906 pp. 52/.6.
Herniga, A., De crisis van het volkenrecht. Harlem, H. D. Tjeenk Willink an
Zoon. gr. 8. 36 blz. fl. 0,50.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Mitteilungen, Statistische, über das höhere Unterrichts wesen im Eönigreick
Preußen. (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen. Hrsg. in
dem Ministerium der geistlichen und Unterriehts-Angelegenheiten. Heft 33, 1916.)
Berlin, J. G. Cotta, 1917. gr. 8. 107 SS. M. 2,80.
Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl. Statistischen Amte. Bd. 281.
1. Teil: Verkehr und Wasserstände der deutschen Binnenwasserstraßen im Jahre
1914. Bearb. im Kaiserl. Statistischen Amte. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht,
1916. 32X35,5 cm. VIII— 286 SS. M. 5.— .)
Schweiz.
Bericht betreffend die Hauptergebnisse der vom kantonalen statistischen Burea«
im Auftrage der Landwirtschaftsdirektion vorgenommenen Ermittlungen über die Schlacht-
vieh- und Fleischpreise in 24 größeren Ortschaften und Städten der Schweiz und
speziell in der Stadt Bern pro 1916. Bern, A. Francke, vorm. Schmid u. Francke,
1917. 8. 20 SS. mit 5 Tab. M. 0,70.
Frankreich.
Statistiques du commerce des colonies fran§aises pour l'ann^e 1914. Publifee«
sous l'administration de M. Gaston Doumergue, ministre des colonies. Tome 1''. Statisti-
ques gen§rales. Colonies d'Afrique. Melun, impr. administrative. Paris, bureau de
vente des publications coloniales officielles, 1916. 8. 1240 pag. fr. 12, — . (Office colonial,
ministfere des colonies.)
Statist ique p6nitentiaire pour l'ann^e 1914. Expos§ ggneral de la Situation,
des Services et des divers Etablissements, prEsentE k M. le garde des sceaux, ministre
de la justice, par M. C. Just, directeur de l'administration p§nitentiaire. Melun, im-
primerie administrative, 1916. 8. 430 pag. (Ministfere de la justice.)
Italien.
Annuario statistico italiano. Serie II, vol. V, anno 1915. (Direzione generale
della statistica e del lavoro.) Roma, tip. Nazionale, Bertero, 1916. 8. XU, 435 p.
1. 4.—.
13. Verschiedenes.
Ratschläge für die Berufswahl im Rechts-, Wirt-
schafts- und Verwaltungsleben. Hrsg. von der Rechts-
und Staatswissenschaftlichen Fakultät der schles. Friedrich- Wilh.-Uni-
versität. Tübingen (J. C. B. Mohr) 1916. S». 83 SS. (Preis: M. 1.)
Das Heftchen gibt in gedrängter Form eine größere Anzahl von
Vorträgen wieder, die auf einem Berufsberatungskursus im Juli 1916
Die periodische Presse des Auslandes. 5Q7
gehalten worden sind. Besondere Berücksichtigung haben hierbei kriegs-
verletzte Offiziere und Akademiker gefunden. Die in dem Heftchen
niedergelegten Ratschläge können durchweg als den tatsächlichen Ver-
hältnissen entsprechend angesehen werden, insbesondere darin, daß sie
vor übertriebenen Hoffnungen warnen. Die Schrift sei daher allen Rat-
suchenden empfohlen.
Weimar. Johannes Müller-Halle.
Below, Prof. Dr. Georg v., Krieg- und Friedensfragen. (Bibliothek für Volks-
und Weltwirtschaft. Hrsg. : Prof. Dr. Franz v. Mammen. Heft 43.) Dresden, „Globus"
Wissenschaftl. Verlagsanstalt, 1917. gr. 8. VII— 132 SS. M. 2,50.
Book, Fredrik, Deutschland und Polen. Berechtigte üebersetzung aus dem
Schwedischen von Frdr. Stieve. München, Hugo Bruckmann, 1917. gr. 8. 132 SS.
M. 2.—.
Borstel, Fr. v., Die deutsche Auslandsschule und die Vorbildung ihrer Lehrer.
Eine Zukunftsfrage für die Stellung des Deutschtums in der Welt. Im Auftrage des
üniversitätsausschusses der Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und
Erziehungs Wesens in Hamburg. Hamburg, C. Boysen, 1917. gr. 8. 53 SS. M. 1,30.
Emin Efendi, Dr. M ehe med, Nationalitätsprinzip und Bevölkerungsaustausch.
Eine Studie für den Friedensschluß. Dresden, Richard A. Giesecke, 1917. 8. 56 SS.
M. 0,80.
H an seh, Prof. Dr. Felix, An der Schwelle des größeren Reichs. Deutsche
Kriegsziele in politisch-geograpischer Begründung, den Wollenden unter seinen deutschen
Mitbürgern dargelegt. München, J. Lehmanns Verlag, 1917. Lex. -8. IX — 234 SS. mit
6 Karten im Text. M. 5.—.
Penck, Prof. Dr. Albr., U.-S.-Amerika. Gedanken und Erinnerungen eines
Austauschprofessors. Stuttgart, J. Engelhorns Nachf., 1917. kl. 8. 158 SS. M. 1. — .
Slavicus. Oesterreich- Ungarn und die südslavische Frage. Bern, Ferd. Wyss,
1917. 8. 31 SS. M. 0,75.
Stutzer (Geh. Stud.-R.), Emil, Die deutschen Großstädte einst und jetzt. Mit
6 Einzelschilderungen; Berlin, Hamburg, München, Köln, Dresden, Leipzig. Braun-
schweig, Georg Westermann, 1917. Lex.-8. XV— 283 SS. mit 42 Abb. (auf Taf.) und
1 Karte. M. 7,50.
Jabotinsky, Vladimir, Turkey and the war. London, T. F. Unwin. Cr. 8.
264 pp. 6/.—.
Hammer, S. C, William the Second, as seen in contemporary documents and
judged on evidence of bis own Speeches. London, Heinemann. Cr. 8. 272 pp. 5/. — .
Headlam, J. W., The German chancellor and the outbreak of war. London,
T. F. Unwin. 8. 127 pp. 3/.6.
Marcosson, Isaac F., The war after the war. London, J. Lane. Cr. 8.
272 pp. 5/.—.
Radziwill, Princess Catherine (Catherine Kolb-Dan vil), Germanf
under three emperors. London, Cassell. 8. 16/. — .
Seldes, Gilbert Vivian, The United States and the war. London, Allen
and Unwin. Cr.8. 148 pp. 2/.6.
Die periodische Fresse des Auslandes.
A. Frankreich.
Journal de la Societ§ de Statistique de Paris. 58* Ann§e, Juillet 1917, No. 7:
Travaux statistiques relatifs au service des retraites des agents de la compagnie des
chemins de fer de l'Ouest, par L. Courtray. — La douane et la guerre (2* communi-
cation), par L. J. Magnan. — Quelques pricisions sur le calcul des revenus, par Ren^
Pupin. — Chemins de fer chinois d'aujourd'hui et de demain, par Daniel Bellet. — La
composition du Landtag prussien, par Paul Meuriot. — etc.
508 ^® periodische Presse des Auslandes.
Journal des Äconomistes. 76* Annfee, Juillet 1917: Le monopole de l'alcool,
par Yves Guyot. — Les finances de la Grande-Bretagne pendant la guerre, par W. M. J.
Williams. — Discussion sur l'inflation, par A. Raffalovieh. — Le dfeveloppement fecono-
mique et la richesse de la Roumanie, par Daniel Bellet. — Jurisprudence financi^re et
oommerciale, par J. Tchernoff. — etc.
B. England.
Century, The Nineteenth, and after. July 1917, No. 485: An Irish settlement?
Is it wise to establish Home ßule before the end of the war? by Prof. A. V. Dicey. —
Industrial Organisation and Empire, by George Markgill. — Sea-power and the armed
neutralities (II), by Francis Piggott. — The health of the nation and the national In-
surance act, by William A. Brend. — etc.
Review, The Contemporary. July 1917, No. 619: The reform bill and the new
era, by Aneurn Williams. — State purchase of the liqaor trade, I, by A. Hamilton
Baynes ; II, by H. G. Chancellor. — „Empire resources development" and Britain's war
debt, by John H. Harris. — etc. — August 1917, No. 620: America in the war, by
S. K. Ratcliffe. — England and Italy, by Mrs. Humphy Ward. — The new spirit in
Austria, by H. N. Brailsford. — etc.
Review, The Fortnightly. May 1917: The future frontiers of Turkey, by Thomas
H. Holdich. — America at war, by James Davenport Whelpley. — Germania contra
mundum, by Fabricius. — War budgets, by J. E. Allen. — Our land laws after the
war, by W. S. Haldane. — The Empire and its resources, by J. Saxon Mills. — The
Position of women : I. The past, the present and the future, by the Countess of Warwick ;
II. Women and the next general election, by Lady Francis Balfour. — etc. — June
1917: The father of German statecraft, by Politicus. — The war and women's suffrage,
by Mrs. Bailey. — Agrarian reform in Ireland, by John McGrath. — etc. — July 1917:
Russia and the peaee danger, by Dr. E. J. Dillon. — The question of Alsace-Lorraine,
by Ernest Lavisse and Christian Peister. — The revival of the Arab nation, by Sidney
Low. — etc.
Review, The National. June 1917: On leagues to enfarce pcace, by Senator
Cabot Lodge. — Sidelights on the Russian revolution, by Lady Sybil Grey. — etc. —
July 1917: South America and the war, by Lady Grogan. — German efforts and aims
in Spain, by H. Hamilton Fyfe. — The American indictment of Hohenzollemism (Pre-
sident Wilson's declarations). — Women and the overseas Empire after the war, by
Madeleine Aiston. — etc.
C. Oesterreich-Üngarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österreichischen
Handelsmuseums. Bd. 32, 1917, Nr. 27: Wirtschaftspolitische Uebersicht (Ungarn,
Deutschland, Bulgarien, Türkei, Holland, England, Frankreich, Rußland). — Der Roh-
seidenhandel im Jahre 1916. — Die Lage der deutschen Leinenindustrie. — Die Genfer
Uhren- und Bijouterieindustrie. — etc. — Nr. 28: Wirtschaftspolitische Uebersicht
(Ungarn, Deutschland, Bulgarien, Türkei, Schweiz, Rußland, Frankreich, Italien). —
Der internationale Metallmarkt im Jahre 1916. — Die Lage der Schiffahrt in Däne-
mark. — etc. — Nr. 29 : Wirtschaftspolitische Uebersicht (Ungarn, Deutschland, Serbien,
Polen, Türkei, Schweiz, England, Frankreich, Italien, Rußland, Vereinigte Staaten von
Amerika). — Die Handelslage in Japan. — etc. — Nr. 30 : Wirtschaftspolitische Ueber-
sicht (Ungarn, Deutschland, Polen, Bulgarien, Schweiz, England, Frankreich, Italien,
Rußland). — Internationale Zuckerproduktion. — Internationale Wollproduktion. —
Die holländische Schiffahrt im Jahre 1916. — etc. — Nr. 31; Wirtschaftspolitische
Uebersicht (Ungarn, Deutschland, Polen, Bulgarien, Schweiz, England, Frankreich, Italien,
Rußland). — Die „British Trade Corporation". — Die chemische Industrie in Frank-
reich. — etc. — Nr. 32: Wirtsehaftspolitische Uebersicht (Ungarn, Deutschland, Polen,
Schweiz, Holland, England, Frankreich, Italien, Rußland). — Schwedische Eisenerz-
förderung. — etc. — Nr. 33: Wirtschaftspolitische Uebersicht (Ungarn, Deutschland,
Serbien, Rumänien, Türkei, Schweden, England, Frankreich, Italien, Rußland). — Die
gewerbliche Betriebszählung in Deutschland. — Die schwedische Holzmasse- und Papier-
industrie. — Japans Baumwollindustrie. — etc. — Nr. 34 : Exportorganisationsversuche
während des Krieges, von Dr. Alfred Schwoner. — Wirtschaftspolitische Uebersicht
(Ungarn, Deutschland, Bulgarien, Türkei, Schweiz, Frankreich, Rußland). — etc. —
Die periodische Presse Deutschlands. 509
Nr. 35: Exportorganisationsversuche während des Krieges (Forts.), von Dr. Alfred
Schwoner. — Wirtschaftspolitidche Uebersicht (Ungarn, Deutschland, Bulgarien, Serbien,
Schweiz, Frankreich, England, Italien, Rußland). — Der Außenhandel Schwedens im
Kriege. — Die landwirtschaftliche Maschineuindustrie in Rußland. — Russische Zucker-
industrie. — etc.
Volkswirt, Der österreichische. Jahrg. 9, 1917, Nr. 46: Krieg und Geldlehre
(V, Quantitätstheorie), von Walther Federn. — Die direkte Gesellschaf isbesteuerung in
Oesterreich (Schluß), von A. L. — etc. — Nr. 47 : Die Notwendigkeit der Reform des
österreichischen Gewerberechtes infolge des Krieges, von Dr. Emil Heller. — Die Kriegs-
ko^ten und die Geldentwertung, von Dr. Alfred Schwoner. — etc. — Nr. 48: Krieg
und Geldlehre (VI. Liefmanns Preis- und Geldtheorie), von Walter Federn. — Die Not-
wendigkeit der Reform des österreichischen Gewerberechts infolge des Krieges (Forts ),
von Dr. Emil Heller. — etc. — Nr. 49: Die Erneuerung des ßankprivilegiums, von
W. F. — Die Notwendigkeit der Reform des österreichischen Gewerberechts infolge des
Krieges (Schluß), von Dr. Emil Heller. — etc.
F. Italien.
Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. IV, Giugno 1917, No. 6:
II mercato monetario e la guerra (Continuazione), di X. — La colonia Dalmata, di
M. A. Todorovic. — etc.
G. Holland.
Gids, De socialistische Maandschrift der Sociaaldemocratische arbeiderspartij.
Jaarg. I, Oktober 1916, Nr. 10: Vrouwenkiesrecht (II), door W. M ausholt- And reae. —
Enkele gegevens omtrent de Duitsche vakbeweging in oorloestijd, door S. J. Pothuis. —
De invloed van den oorlog op het bedrijfsleven in Frankrijk, door S. R. de Miranda. —
etc. — November, Nr. 11: Vrouwenkiesrecht (Slot), door Mansholt-Andreae. — Ont-
wikkeling en organisatie der jonge arbeiders, door P. Voogd. — etc. — December, Nr. 12:
Het ontwerp ziektewet Treub, door L. Heijermans. — Kunst en machine, door Albert
Hahn. — Een nieuw panacee tegen de werkloosheid, door Andr. Sternhdm. Jaarg. II,
Januari 1917, Nr. 1: De maatschappijleer, door R. Kuyper. — Coliectief arbeidscontract
en verplicht lidmaatschap, door S. J. Pothuis. — Het koninkrijk Polen, door J. Wei-
ders. — etc. — Februari, Nr. 2 : De werkloosheidsverzekering op nieuwe banen, door
J. van den Tempel. — De levensmiddelenpohtiek in de middeleeuwen, door Dr. J. G.
van Dillen. — De wet op den burgcrlijken dienstplicht in den Duitschen rijksdag, door
F. van der Goes. — etc.
Die periodische Fresse Deutschlands.
Archiv für innere Kolonisation. Bd. 9, Jahrg. 1916/17, Juni, Heft 9: Weitere
Maßnahmen Sachsens zur Förderung der Kriegeransiedlung, von (Reg.- Baum.) Dr. Krusch-
witz. — Siedlungsfrage und französischer Grundbesitz in Elsaß- Lothringen. — Moor-
kultivierung und -besiedlung, von Prof. Dr. J. Teichmüller. — lieber Kriegeransiedlung
vergangener Zeiten. — «tc. — Juli- August, Heft 10/11: (Die Siedlung in Ungarn.):
Die innere Kolonisation in Ungarn, von Dr. Jenö v. Czettler. — Glossen zum ungarischen
Kolonisationsgesetzentwurf. — Siedlungsarbeit in Siebenbürgen, von M. Krammel. — etc.
Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie. Bd. 10, Juli 1917, Heft 4:
Eigentum und Normgewalt, von (Geh. Justizr., ord. Prof.) Dr. Josef Kohler. — Versuch
einer Rechtsenergetik (I), von (Gerich taass.) Erich Warschauer. — Legalität und Moralität,
von (Landrichter) Dr. Ernst Weigelin. — Deutscher Rechtsfriede, von (Oberlandesger.- R.)
Dr. Silberschmidt. — Die Vollstreckungsurkunde als Verkehrsmittel (I), von (Geh.
Justizr., ord. Prof.) Dr. Josef Kohler. — Die Verbesserung der Rechtsstellung der Un-
ehelichen im österreichischen novellierten Bürgerlichen Gesetzbuch und ihr weiterer
Ausbau, von (Oberlandesger.-R.) Franz Janisch. — etc.
Archiv, Weltwirtschaftliches. Bd. 10, 1917, Heft 4: Zur Ideengeschichte des
englischen Imperialismus, von Prof. Dr. J. Hashagen. — Die Grundlajfen der land-
wirtschaftlichen Produktion in Indien. Aus dem Nachlaß von Dr. Wilhelm Gerekens,
bearb. von Dr. Johannes Pfitzner. — Vom Gefrierfleisch- Weltmarkt, von Prof. Dr. Alfred
Manes. — Bulgariens Staatsfinanzen, von Dr. W. K. Weiß- Bartenstein. — etc.
510 ^® periodische Presse Deutschlands.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 17,
1917, Nr. 8: Deutsche Schuldner liquidierter feindesländischer Firmen. — Die Teilung
des Reichsamts des Innern. — Zum Zahlungsverkehr mit dem Auslande. — etc.
Bank, Die. August 1917, Heft 8: Das gute und das schlechte Geld (III), von
Alfred Lansburgh. — Wohnungs-Höcihstpreise, von Ludwig Eschwege. — Bankdepositen
mnd Kapitalrentensteuer, von G. Hübner. — Die Nutzbarmachung der ausländischen
Wertpapiere. — Kreditgenossenschaft und Stadtbank. — Kleingeldnot. — Gegen die
Borgwirtschaft. — etc.
Bank- Archiv. Jahrg. 16, 1917, Nr. 22: Die Nichtigkeit der gegen Kriegs-
verordnungen verstoßenden ßechtsgeschäfte und der gutgläubige Dritte, von (Ober-
landesger.-R., Priv.-Doz.) Dr. W. Silberschmidt. — Die Entwicklung der deutschen Be-
steuerung als Richtlinie für die demnächstige Erweiterung derselben (III), von (Kammer-
präs.) Dr. F. W. R. Zimmermann. — etc. — Nr. 23 : Die Nichtigkeit der gegen Kriegs-
verordnungen verstoßenden Rechtsgeschäfte und der gutgläubige Dritte (Schluß), von
(Oberlandesger.-R.) Dr. W. Silberschmidt. — Das Gesetz über die Gewerkschaftafähigkeit
von Kalibergwerken in Hannover, von Dr. Ernst Fleck. — Die Versteuerung aus-
ländischer Wertpapiere nach ihrer Aushändigung im Inlande, von Max Fürst. — Ge-
bäudewertsteigerung durch den Krieg und Feuerversicherung. — etc.
Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 24, 1917,
Nr. 16 : Dreißig Jahre sozialer Fürsorge im Bergischen Lande, von Dr. H. Albrecht. —
Der Wohnungsmarkt in deutschen Städten vor und nach dem Kriege. — Des deutschen
Volkes Wille zum Leben, von (Stabsarzt a. D.) Dr. Christian. — Sechs Jahre Wohl-
tätigkeitszentrale der Berliner Kaufmannschaft, von Gertrud Israel. — Zur Frage der
Mietssteigerungen. — etc. — Nr. 17: Erhebung über den Kleinwohnungsmarkt während
des Krieges und nach Friedensschluß und die Vorbereitungen zur Vermeidung einer
Klein Wohnungsnot seitens der Baugenossenschaften (Forts.), von Dr. G. Albrecht. — etc.
Export. Jahrg. 19, 1917, Nr. 34 — 37: Die englischen Drohungen über den Krieg
hinaus (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Die Leipziger Mustermesse. — Die skandi-
navische Handels weit und Wirtschaftslage. — Neue Inangriffnahme der Kohlenreichtümer
Spitzbergens. — etc.
Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 51, 1917, Heft 2: üeber die Landwirt-
schaft des Kreises Cleve, von Dr. Hubert Görtz. — Ueber die Entstehungsweise salpeter-
und salpetrigsaurer Salze in Moorböden (Mitteilungen aus dem bakteriologischen Labo-
ratorium der Moor- Versuchsstation in Bremen), von Dr. Th. Arnd.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 169, September 1917, Heft 3: Internationale jüdi-
sche Beziehungen (I), von Dr. jur. Wolfgang Heinze. — Der Kampf zwischen Gymnasium
und Oberrealschule im Lichte der modernen Kultur, von (Oberlehrer) Dr. P. Wust. —
Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867 (Schluß), von Dr. Heinrich Friedjung.
— Kriegsliteratur, von Dr. Emil Daniels. — Die englische Wahl reform, von Dr. Emil
Daniels. — Der Ministerwechsel in Preußen und im Reiche; Kriegs- und Friedens-
parteien in der Welt; Reichskanzler und Reichstag; Die Papstnote, von Hans Del-
brück. — etc.
Kultur, Soziale. Jahrg. 57, Juli 1917, Heft 7: Geburten problem und Sozial-
reform, von Dr. Paul Beusch. — Der Krieg als Erzieher zur Wirtschaftlichkeit, von
(Ing.) Schulz-Mehrin. — Dr. Gustav Ruhland, ein konservativer Wirtschaftspolitiker (I),
von (M. d. R.) Dr. Eugen Jaeger. — Neue Aufgaben für das gewerbliche ünterrichts-
wesen, von Dr. H. Pudor. — Ueber den Stand der lideikommisse in Preußen, von
A. R. Erlbeck. — Die neuen nordischen Gesetze zum Schutze der Unehelichen, von
Henriette Herzfelder. — etc. — August 1917. Heft 8: Dringliche haudwerk^politische
Aufgaben nach dem Kriege, von Dr. Alfred Schappacher. — Verhältnis der Angestellten-
versicherung zur Reichsversicherungsordnung, von (Gerichtsassess.) Dr. Marcour. — Das
Geld und die Geld Wirtschaft, von (Hofrat) Prof. Dr. Schwiedland. — Dr. Gustav Ruh-
land, ein konservativer Wirtschaftspolitik er (II), von (M. d. R.) Dr. Eugen Jaeger. —
Ein deutsches Jugendgesetz, von Albert Hellwig. — Die Zukunft der deutschen chemi-
schen Industrie, von Dr. Hans Rost. — Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Papiers,
von A. R. Erlbeck. — Frauenüberschuß und Männersterblichkeit, von Dr. Matthias
Vaerting. — Zur Bekämpfung des Geburtenrückgangs in Kriegs- und Friedenszeiten,
von (Staatsanw.) A. Zeiler. — etc.
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 23, 1917, Heft 16: Das Grundgesetz des
wirtschaftlichen Wiederaufbaues, von Dr. August Müller. — Sir Harry Johnston and
Die periodische Presse Deutschlands. bW
die deutsche Kolonial- und Weltpolitik, von Max Schippel. — Deutschland und die
Fremd Völker Rußlands, von Hermann Kranold. — Berufsarbeit und politisches Interesse
der Frau, von Marie Juchacz. — etc. — Heft 17: Das Selbstbestimmungsrecht der
Nationen, von Hermann Kranold. — Lloyd George, Kerensky und der Frieden, von
Dr. Ludwig Quessel. — Die Kolonieen in der Handelspolitik, von Max SchippeL —
Sozialpolitischer Neubau und Ausbau, von Rudolf Wissell. — Emanzipation und Zu-
kunft des Ostjudentums, von Leo Rosenberg. — etc. — Heft 18: Die nationale Leistung
des Parlamentarismus, von Dr. Ludwig Quessel. — Deutsch-türkische Wirtschafts-
beziehungen, von Hermann Kranold. — Frauenerwerbsarbeit und Textilindustrie, von
Martha Hoppe. — Der Kampf um den Arbeitsnachweis, von Hermann Mattutat. — etc.
Oekonomist, Der deutsche. Jahrg. 35, 1917, Nr. 1809: Zur Finanz- und
Wirtschaftslage unserer Gegner beim Beginn des 4. Kriegsjahres (Schluß). — Bewegung
der Sicherungs- und reinen Hypotheken in Preußen in den Rechnungsjahren 1913 und
1914. — etc. — Nr. 1810: Die deutschen Banken im Jahre 1916 (I), von Dr. jur.
Willy Baecker. — Die Wiederaufnahme der Tätigkeit der Zulassungsstelle. — etc. —
Nr. 1811: Valutasorgen unserer Gegner. — Die deutschen Banken im Jahre 1916 (II),
von Dr. jur. Willy Baecker. — Der Schutz der zweiten Hypotheken. — etc. —
Nr. 1812: Neue Entente- Anleihen. — Die deutschen Banken im Jahre 1916 (III), von
Dr. jur. Willy Baecker. — Kriegsanleihe- Versicherung. — Gebäudewersteigerung durch
den Krieg und Feuerversicherung. — etc.
Plutus. Jahrg. 14, 1917, Heft 33/34: Wiederaufbau der Ausfuhr, von P. R.
Singer. — Uebergangswirtschaft (VII), von G. B. — Der Abschluß des Credit Lyonnais,
von Hermes. — Italiens Kriegsleiden (Schluß). — etc. — Heft 35/36 : Kohle. — Ueber-
gangswirtschaft (VIII), von G. B. — etc. — Heft 37/38: Friedenszwang. — Ueber-
gangswirtschaft (IX), von G. B. — etc.
Praxis, Soziale, und Archiv für Volkswohlfahrt. Jahrg. 16, 1917, Nr. 46: Zur
Frage der Vereinheitlichung der Angestellten Versicherung mit der Arbeiterversicherung,
von Else Lüders. — Der englische Hilfsdienst, von Dr. Käthe Gaebel. — Politik und
Arbeitsrecht, von Dr. Bodo Hoff. — etc. — Nr. 47: Das sozialpolitische Ergebnis der
Kriegstagung des österreichischen Reichsrates, von (Sektionsrat) Dr. Max Lederer. — Der
englische Hilfsdienst (Schluß), von Dr. Käthe Gaebel. — Bevölkerungspolitik und
Sozial reform. — Zur Zuständigkeit des Schlichtungsausschusses des Hilfsdienstgesetzes,
von (Magistratsrat) v. Schulz. — etc. — Nr. 48: Psychologische Berufsberatung, von
Dr. Otto Lipman. — Das französische Hilfsdienstgesetz. — Der Arbeitsausschuß der
Krieger Witwen- und Waisenfürsorge. - Lohnstatistisches, von (Arbeitersekretär) F. Kleeis.
— etc. — Nr. 49 : Arbeitsnachweise und Zentralauskunftsstellen, von (Leiter der Kauf-
männischen Stellenvermittlung des Verbandes Deutscher Handlungsgehilfen) Gustav
Schneider. — Dat< Ergebnis der Getreideernte 1917. — Arbeitsunterbrechungen im Bau-
gewerbe, von (stellv. Vors. des Deutschen Bauarbeiterverbandes) August Winnig. —
Die christlichen Gewerkschaften 1916. — Die Bodenpolitik einer Festungsstadt im Kriege,
von (Stadtrat und Kämmerer) Dr. Evert. — etc. — Nr. 50: Freier Arbeitsvertrag oder
militärischer Arbeitszwang? — Bildung von Industrie-Räten in England. — Kriegs-
arbeit der Frauen in Bayern. — Die Streikhetze. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 6, August/September 1917, Nr. 8/9: Das bar-
geldlose Ziihlen, von (Dir. der Hypothekenbank in Hamburg) Dr. Friedrich Bendixen.
— Fach- Hochschul- Kurse, von (Justizr.) Dr. Ludwig Wertheimer. — Das Fiasko
ies Kriegswirtsehaf isstraf rechts, von (Rechtsanw.) Dr. Ludwig Bendix. — I>digen-
steuer?, von (Kammergerichtsrat) Dr. Gustav Kaiser. — Ausgleichsverfahren nach dem
Kriege. Ein Vorschlag für die Uebergangswirtschaft, von (Rechtsanw.) Dr. Pardo. —
Die Rechtsnot des Kaufmanns, von Dr. Theodor Trumpler. — Das Völkerrecht im und
nach dem Kriege, von (Geh. Reg.-Rat) J. Neuberg. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 7, August
1917, Heft 8: Die Leistung der deutschen Eisenbahnen im Krieg und im Frieden. —
Die Prodiiktionsfähigkeit unserer Landwirtschaft al« Folge unserer Schutzzollpolitik. —
Zur Frage der durchgehenden Arbeitszeit, von A. Wenzler. — etc.
V i ertetjahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl.
Statist. Amte. 26. Jahrg. 1917, Heft 1 : Anordnungen für die Reichsstatistik aus dem
Jahre 1916. — Zur Statistik der Preise [A. Großhandelspreise wichtiger Waren an
deutschen Plätzen. — Durchschnittspreise für die Monate des Jahres 1916 und für die
20 Jahre 1897—1916. — Verhältniszahlen für die Jahre 1907—1916. — B. Amtlich
5X2 ^® periodische Presse Dentschlands.
(von Reichs-, Staats- bzw. Kommunalbehörden) festgesetzte Höchstpreise für wichtige
Lebens- und Verpflegungsmittel im Deutschen Reiche im Januar 1917. — C. Preise für
Schlachtvieh : 1. Richtpreise im Deutschen Reich nach den Angaben der Reichs-
Fleischstelle nach dem Stande Ende 1916. 2. Viehpreise im Auslande nach Monaten
und für die Jahre 1911 — 1916. — D. Viehpreise im Auslande im vierten Vierteljahre
1912 — 1916. Anhang: a) Großhandelspreise wichtiger Waren in London für die ein-
zelnen Monate der 6 Jahre 1911—1916, b) Jahresdurchschnittspreise für 1886—1916.]
— Streiks und Aussperrungen. Vorläufige Uebersieht. 4. Vierteljahr 1916. — Wein-
mosternte 1916. — Bestands- und Kapitaländerungen der deutschen Aktiengesellschaften
(einschließlich der Kommanditgesellschaften auf Aktien) 1916. — Bestands- und Kapital-
änderungen der deutschen Gesellschaften m. b. H. 1916. — Konkursstatistik 4. Viertel-
jahr 1916. (Vorläufige Mitteilung.) — Bodenseefischerei im Jahre 1916. — Zur
deutschen Justizstatistik 1915. — Ergänzungs-Heft zu 1916, II: Die Geschäfta-
ergebnisse der deutschen Aktiengesellschaften im Jahre 1914/15. Bearbeitet im KaiserL
Statist. Amte. — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 13, 1917, Nr. 17: Rechtsnot, von
(Oberverw.-Gerichtsrat, M. d. R. u. M. d. A.) Schiffer. — Der Zusammenhang zwischen
Valutarückgang und Teuerung, von (Rechtsanw. u. Doz.) Dr. jur. et phil. Dalberg. —
Die Konzentration der großen Banken in Holland. — etc. — Deutsch-Amerikanischer
Wirtschaftsverband; Kriegswirtschaftliche Maßnahmen der Vereinigten Staaten; Das
deutsche Zahlungsverbot gegen die Vereinigten Staaten; Amerikanische Finanz Wirtschaft;
Aenderungen des amerikanischen Bankgesetzeä. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 35, 1917, Nr. 20: Belgien, von K. Kautsky. — Die
kurländische Frage, von Alexander Lipschütz. — Ketzereien zur Frage der industriellen
Nachtarbeit, von H. Schneider. — Die Entwicklung der Mittel des Güterverkehrs in
Deutschland und der Außenhandel (Schluß). — etc. — Nr. 21 : Belgien (Forts.), von
K. Kautsky. — Politik auf den Zufall, von Ed. Bernstein. — Die Preisrevolution
während des Krieges in der neutralen Schweiz, von Adolf Braun. — etc. — Nr. 22 :
Stockholm, von K. Kautsky. — Der Krieg in biologischer Betrachtung, von Dr. S.
Drucker. — Die Demokratisierung des Gemeindewahlrechts, von Richard Schiller. —
Krieg und Zwangserziehung, von Hugo Schotte. — etc. — Nr. 23: Belgien (Forts.),
von K. Kautsky. — Die Ideen von 1914, von Max Adler. — Zu den Ketzereien zur
Frage der industriellen Nachtarbeit, von Rud. Wissel. — etc. — Nr. 24: Belgien
(Schluß), von K. Kautsky. — Pausenlose Arbeitszeit, von Adolf Braun. — Entwick-
lungstendenzen in der Jugendbewegung der Internationale, von Karl Heinz. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft. Bd. 17, September 1917,
Heft 5: Die private Unfallversicherung Kriegsbeschädigter, von Prof. Dr. med. Hans
Liniger. — Ueber die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Gefahr im Versicherungs-
recht, von Prof. Dr. jur. Wilhelm Kisch. — Die Krankenversicherung erwerbstätiger
Kinder, namentlich im Kriege, von Dr. phil. Edith Oske. — Die Grundlagen der
"Witwenversicherung, von (Mathem. u. Revisor) Rudolf Schönwiese. — Gründe und
Gegengründe einer Sonderversicherung der Angestellten, von (Privatdoz.) Dr. jur. Walter
Kaskel. — etc.
Zeitschrift für Kommunalwirtschaft und KommuuHlpolitik. Jahrg. 7, 1917,
Nr. 15/16: Die Tätigkeit mittlerer und kleinerer Gemeinden auf dem Gebiet der Lebens-
mittelversorgung, von (rechtsk. Bürgermeister) Dr. Herm. Stenger. — Die besonderen
Aufgaben der Stadtverordneten in der städtischen Finanzverwaltung, von (Stadtsekr.)
Gerling. — Fleischversorgung und Kreisschlächterei, von (Bürgermstr.) Dr. Tremöhlen.
— etc.
Zentralblatt, Deutsches Statistisches. Organ der Deutschen Statistischen Ge-
sellschaft und des Verban.les Deutscher Städtestati^tiker. Jahrg. 9, Juli/ August 1917,
Nr. 6: Die dreifache Funktion der Statistik, von (Kreisamtmann a. D.) Dr. Emil Wolff.
— Der statistische Begriff der Wohn- und Siedlungsdichte, von Dr. O. Kürten. — Die
amtliche Statistik an der schweizerischen Landesausstellung 1914 in Bern, von (Vor-
steher des kantonalen Statist. Bureaus) Dr. C. Mühlemann. — Städtische Sprachorgane.
Zur Ausgestaltung der statistischen Monatsberichte, von Dr. Wilhelm Feld. — etc.
Frommannsche Buohdruckerei (Hermann Fohle) in Jena.
Heinrich Waentig, Die Grandfrage der belgischen Volkswirtschaft. 513
VII.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirt-
schaft').
Von
Heinrich Waentig, d. Z. Brüssel.
n. Das Problem.
Wahrlich, politische, nicht wirtschaftliche. Gründe sind es ge-
wesen, die den Belgiern auf die Dauer das Zusammenwohnen mit
den Holländern in ihrem geräumigen und wohl ausgestatteten Hause
unmöglich machten. Ja, es bedeutete, worüber man sich im Feuer
des Gefechtes belgischerseits kaum völlig klar geworden, der poli-
tische Bruch mit dem Nachbar eine schwere wirtschaftliche Schädi-
gung gerade der südlichen Provinzen. Das um so mehr, als die
Blüte, deren sich die Volkswirtschaft des Königreiches der Ver-
einigten Niederlande in den letzten Jahren vor Ausbruch der Revolu-
tion zu erfreuen gehabt, zu einem Teile auf künstlichen Ursachen
beruhte. Insofern war sie das Ergebnis einer klugen Politik, die
sich der natürlichen Entwicklungsbedingungen für die Erreichung
ihrer besonderen Zwecke, namentlich der schon im Interesse der Ver-
schmelzung mit dem holländischen gebotenen Emanzipation des
belgischen Volkes von der noch ungebrochenen Herrschaft des Adels
und der Geistlichkeit, geschickt zu bedienen wußte 2).
1) S. oben S. 129 fg.
2) Ein Streiflicht auf jene von König Wilhelm verfolgte Politik wirft eine Aeuße-
rung Charles Durand's: „Soumise par ses traditions, par ses usages, et par l'fetat peu
avanc6 de ses lumi^res, au double joug des nobles et des prßtres, la Helgique avait con-
serv6 dans ses mceurs cette ob§issance passive pour le clerg6 qui avait toujours form§
ses habitudes morales, et ce profond respect pour les gentilshommes qui ne permettait
pas au paysan de considerer comme son 6gal devant la loi le noble presque toujours
grand propri^taire. Assujetti par caractfere au seigneur et au cur6 alors m^me que les
lois et la civilisation avaient tout fait pour Pen d§tacher, le Beige ne pouvait 6tre
soustrait ä cette double influenee que par deux moyens destin^s ä le mettre au niveau
des deux elasses qui l'opprimaient. Par les lumi^res et l'instruction, on pouvait d§rober
les esprits Si la servitude clericale; par le commerce et l'industrie on pou-
vait Clever les fortunes bourgeoises au m^me rang que les fortunes
aristocratiques; et ces encouragemens §taient les seuls dignes d'un Roi qui voulait
se mettre en harmonie avec les progrfes du sifecle. Ce fut donc sur Teducation publique
et sur Pindustrie que Guillaume fonda l'emancipation materielle et morale de son
peuple qui pourtant ne comprit d'abord ni ses vues, ni ses bienfaits." (Dix jours de
campügne ou la Hollande en 1831, Amsterdam 1832, p. 87.) Gegen die wirtschaftliche
Hebung der Massen hatten die in ihrer einseitigen Vorherrschaft bedrohten Mächte wohl
nicht allzuviel einzuwend'^n ; um so mehr gegen die für sie viel gefährlicheren Reformen
auf dem Gebiete der Volksbildung.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd 54). 33
514 Heinrich Waentig,
An industriellen Arbeitskräften war in dem übervölkerten Lande
von Anbeginn kein Mangel gewesen. Die fortschreitende Proletari-
sierung der Landbevölkerung, die, im Westen schon frühzeitig be-
gonnen, sich mit dem allmählichen Dahinschwinden der Almenden
und Waldbestände nach Osten zu fortpflanzte, lieferte sie in über-
reichem Maße. Um so geringer war die Menge der in Belgien selbst
für die geplante Industrialisierung verfügbaren Kapitalien.
Von dem sprichwörtlichen Reichtum der alten Gewerbe- und
Handelsstädte des ausgehenden Mittelalters war unter der spanischen
Herrschaft so gut wie nichts mehr übriggeblieben. Was sich in
der österreichischen Periode etwa neu davon angesammelt, ging
während der französischen Revolution wieder verloren. Eine zur
Erhebung der Belgien damals auferlegten Kriegskontribution von
80 Mill. frcs. auf Befehl der französischen Republik 1794 veran-
staltete Einkommensstatistik lehrte überzeugend, daß nicht etwa das
Bürgertum, sondern überwiegend Adel und Geistlichkeit die Träger
des wirtschaftlichen Wohlstandes waren ^). Und wenn die kurze ge-
werbliche Blüte der Kaiserzeit die Vermögensbildung in bürgerlichen
Kreisen begünstigte, die darauf folgende Wirtschaftskrise dürfte den
größeren Teil des Erworbenen wieder hinweggerafft haben.
Jedenfalls hat bei dem Wiederaufbau des belgischen Wirtschafts-
lebens holländisches Kapital eine entscheidende Rolle gespielt. Schon
der früher geschilderte erstaunliche Aufschwung Antwerpens wäre
ohne die pekuniäre Mitwirkung holländischer Kaufherren und Reeder
in so kurzer Zeit völlig unmöglich gewesen. In welch hohem Grade
sich König Wilhelm persönlich an allerhand neu gegründeten Unter-
nehmungen (Societe Generale, Nederlandsche Handelsmaatschappij,
Cockerillwerke in Seraing) mit seinem Vermögen beteiligte, wurde
bereits angedeutet. Noch wichtiger aber war für die allgemeine Ent-
wicklung, daß einem Teile der aufstrebenden Großindustrie auch aus
Staatsmitteln nach und nach sehr erhebliche Summen vorgestreckt
wurden, deren mit 3 Proz. zu verzinsender Gesamtbetrag sich 1830
auf etwa 10460000 frcs. belaufen haben soll 2).
1) Genaueres darüber bei Jan St. Lewinski, L'lvolution industrielle de la Belgique,
Bruxelles 1911, p. 105 ff. Das oben Gesagte galt nicht nur für Brüssel, sondern auch
für die Handelsstädte Antwerpen und Gent. In Brüssel ergab die genannte Erhebung als
Gesamteinkommen von: Geistlichkeit 960 000 fl., Adel 3 888 000 fl., Kaufleute 1 099000 fl.
Die sieben größten Abteien und Klöster, der Herzog von Arenherg, der Graf von M§rode
und der Herzog von Beaufort verfügten zusammen über ein Vermögen, das ebenso groß
war, wie das aller Kaufleute der Hauptstadt. In Gent verteilte sich die der Stadt auf-
erlegte Kontribution von 7 Mill. frcs. folgendermaßen: Geistlichkeit 4410 000 frcs.,
Adel 2 360 000 frcs.. Kaufleute 230 000 frcs.; in Antwerpen: Geistlichkeit 1311000 fl.,
Adel 1032 000 fl., Kaufkute 541000 fl. Auch die reichsten Bürger Antwerpens hatten
nicht mehr als höchstens 7 000 fl. zu erlegen, einige Adlige bis zu 30000 fl.
2) Vgl. dazu Charles White, Revolution beige de 1830, traduit de l'anglais
sous les yeux de l'auteur par Miss Mary Corr, Bruxelles 1836, Tome I, p. 126 ff.
Das vorgestreckte Kapital sollte ratenweise zwischen 1830 und 1850 zurückgezahlt
werden. Das war zur Zeit des Ausbruches der Revolution nur mit 856 592 frcs. ge-
schehen. Von der den Coekerill werken vorgeschossenen Summe in Höhe von 2 523 000 frcs.
vraren bis dahin sogar nur 12 500 frcs. abgezahlt worden.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 515
Wenn also in den letzten Jahren der holländischen Zeit fast tag-
täglich neue Unternehmungen gegründet, neue Fabrikgebäude aufge-
richtet wurden, so konnten die damit verbundenen Geschäftsopera-
tionen doch nur zu oft ohne staatliche Hilfe weder begonnen noch
fortgesetzt werden. Und zu dieser finanziellen Abhängigkeit eines
Teiles der belgischen Industriellen gesellte sich für einen noch viel
größeren eine andere. Ihre durch allerhand Mittel geförderte Produk-
tion stand schon längst in keinem Verhältnis mehr zum wirklichen
Landesbedarf. Weder die Kohlengruben des Hennegau und der unteren
Maas oder die Eisenminen und Hüttenwerke Luxemburgs, die Lüt-
ticher Waffenfabriken, die Messerschmieden von Namur oder die
Papiermühlen von Huy, noch die Tuche von Verviers oder die Genter
Baumwollstoffe, die Linnen von Courtrai, die Teppiche von Tournai
oder die Brüsseler Spitzen fanden ihren vollen Absatz in der engeren
Heimat. Frankreich, Holland und Deutschland, die Levante, Amerika
und Indien teilten sich in den Ueberfluß. Ohne die Mithilfe der
„Handelsmaatschappij", die ihre Waren oft mit Verlust übernahm
und deren Ausfuhr vermittelte, hätten viele Unternehmer ihren Be-
trieb einstellen und ein Drittel ihrer Arbeiter entlassen müssen.
Geradezu wie eine Probe auf das Exempel mußte die Wirtschafts-
krise erscheinen, die als natürliche Folge der revolutionären Wirren
Belgien seit 1880 heimsuchte. Daß Brüssel, der politische Mittel-
punkt der ganzen Aufstandsbewegung, der Schauplatz mehrtägiger,
blutiger Straßenkämpfe und immer erneuter innerer Unruhen, vor-
wiegend davon ergriffen wurde, ist selbstverständlich. Schon in
den ersten Tagen stockte dort jede Geschäftstätigkeit. Das Geld
zirkulierte nicht mehr, der Kredit setzte aus. Und da die
Arbeit ruhte, den ärmeren Klassen daher ihr Unterhalt fehlte, stieg
das Elend mit reißender Schnelligkeit. Zwar erbot sich die Regent-
schaft, in der Umgebung der Stadt Notstandsarbeiten zu veranstalten;
aber die Handwerker, an eine sitzende Lebensweise gewöhnt, weigerten
sich, sie zu verrichten; und die es taten, ergaben sich dem Trünke.
Später, als die Entscheidung sich immer länger hinzog, lebte der
Verkehr allmählich wieder auf. Aber die in den Läden aufgestellten
Waren ermangelten der Leuchtkraft und Frische. Man kaufte nur
das Notwendigste. Zwangsanleihen und Kontributionen lasteten auf
der Einwohnerschaft, deren Leiden durch die fortgesetzten militäri-
schen Einquartierungen noch erhöht wurden ^).
1) White, a. a. O. T. 1, p. 379 f. ; T. 2. p. 297 ff.; p. 301 ff. Bezeichnend ist
folgende Schilderung dieses Autenzeugen, der als Sekretär des englischen Bevollmächtigten
Ponsonby die ganze Revolution in Brüssel miterlebte: „Lcs rues §taient tristes et dfeeries;
les promenades publiques et les lieux ordinairement fr^quentls ^taient abandounes ou
anira^s par quelques groupes de politiques gesticulaots. Les classes les plus riches sem-
blaient avoir abaudonn§ la ville, pour la livrer aux pauvres qui, par centaines, sp^ciale-
ment les femmes, meitaient les passants ä coniribution. Les hötels des nobles §taient
ferm^s, et des affiehes, placfees sur chaque porte, annonfaient qu'ils 6taient vides ou k
louer. Les fiacres traversaient 5a et lä les rues, mais on ne voyait plus une seule voi-
ture de maltre. L'herbe commenjait ä croitre dans les places publiques, au centre des-
quelles on voyait des axbres de la libert§, d'une triste v^gltation, surmontls de chapeaux
33*
516 Heinrich Waentig,
Aber auch aus den wichtigsten Provinzstädten kamen recht be-
unruhigende Nachrichten, besonders aus Antwerpen. Am 27. Oktober
von den Holländern in Brand geschossen, durchlebte es schwere Tage.
Mochte die von König Wilhelm als Kriegsmaßregel verhängte Scheide-
sperre auch bereits im Januar des folgenden Jahres wieder aufge-
hoben werden, die allgemeine Unsicherheit lähmte jeden Unternehmungs-
geist. Die früher aus Holland zugewanderten Reeder und Kaufleute
verließen das ungastliche Land, ihre Kapitalien und Schiffe mit sich
von dannen nehmend. Aber auch belgische Firmen scheinen damals
die Flinte ins Korn geworfen und sich an diesem Auszuge beteiligt zu
haben. „Vor 1830", erklärte später der Experte de Cock in der
Handels- und Gewerbeenquete von 1840, „konnte die belgische Handels-
flotte es mit der Mehrzahl derer der anderen Länder aufnehmen.
Als die Trennung von Holland uns dann der Kolonien beraubte,
mußten die meisten belgischen Schiffe mit hohem Tonnengehalt aus-
wandern. So hat unser Haus 9 Schiffe fortgesandt; 13 sind ihm ver-
blieben. Alle Reeder haben nur Schiffe in diesem Verhältnis be-
halten" 1).
et de banniferes en lambeaux, §l§vant leur t^te flßtrie." Brüssels Lage war um so
schlimmer, als es schon damals ein ausgesprochenes Luxuszentrum war. Wie später m
Beginn des Weltkrieges, machten sich auch beim Ausbruch der revolutionären Wirren
viele der reichen Leute, in erster Linie der Adel, schleunigst aus dem Staube, zogen
sich auf ihre Schlösser zurück oder flüchteten ins Ausland und überließen die ärmeren
Mitbürger ihrem Schicksal. Das war um so seltsamer, als der belgische Adel, mit
wenigen Ausnahmen, oranjistisch gesinnt war, also den König und seine Regierung
hätten verteidigen müssen. „L'aristocratie beige", berichtete White, „dont la portion la
plus riebe, ä peu d'exception pr^s, appartient au parti orangiste, fut de tout temps
remarquabie par ses habitudes d'^conomie, par son amour de l'argent, par le peu de
propension qu'elle a pour cette hospitalit§ franche et g§n§reuse qui caract^rise l'aristo-
cratie de Paris, de Londres et des autres capitales. Plus occup^s d'augmenter leur
fortune, que de contribuer au plaisir de leurs egaux ou It la prosp§rit6 de leurs inf&-
rieurs, ils montraient une Economic presque parcimonieuse et ce n'fetait que rarement
qu'on voyait r§gner chez eux le luxe et la profusion . . . La r^volution fournit
k cette classe un admirable prfetexte pour se livrer k ses habitudes
naturelles d'§conomie; en cons^quence, eile produisit le double r^sultat d'aug-
menter leur fortune, tout en ajoutant k la misfere et au m^contentement des classes in-
f§rieures et aux embarras des autorit^s loeales par la diminution des demandes de travail
et du produit des octrois municipaux, dont une partie 6tait consacr§e au soulagement
des pauvres. Pour mieux remplir ses vues, la plus grande partie de
l'aristocratie se transporta dans les pays §trangers, ou se renferma
dans ses chäteaux, tan dis que ceux qui ren trai ent dans la capitale, te-
nant leurs portesferm6es,habitantuncoin de leurs h6tels,renvoyaient
leurs §quipages et la plus grande partie de leurs domestiques, et
bornaient leur d^pense au strict n^cessaire."
1) Situation commerciale et industrielle de la Belgique. Enqußte parlementaire
Institute en 1840, Premiere partie, p. 426. Von anderer Seite wird berichtet, daß 1830
etwa 30 bis 35 Fregatten zu 500 bis 1200 t Antwerpen verlassen und nach Holland
übergesiedelt seien. Vgl. Discussion de la loi des droits differentiels du 21 juillet
1844, Bruxelles 1844, p. 471. Baron van den Bogaerde gibt eine Liste der während
der Revolution von Antwerpen nach den Nordprovinzen abgewanderten Schiffe. Danach
wären 19 Reedereien mit 50 Schiffen zu 24 730 t, angeblich etwa drei Viertel der da-
maligen belgischen Handelsmarine, daran beteiligt gewesen. Die in Antwerpen verbleiben-
den Schiffe waren klein; denn sie maßen zusammen nur 7112 t. Vgl. dazu A. J. L
Baron van den Bogaerde de Ter-Brugge, Essai sur l'importance da commerce, de 1
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 5]^7
Auch in Gent und Tournai, Namur und Lüttich stockten Handel
und Wandel. Bergwerke, Hochöfen und Fabriken feierten oder
schafften nur mit halber Kraft. Cockerill sah sich gezwungen,
Hunderte seiner Arbeiter zu entlassen. Und soweit die Stellenlosen
nicht im Heeresdienst oder in der Landwirtschaft unterkamen, fielen
sie samt ihren Familien der öffentlichen Armenpflege zur Last.
Ueberall in den Städten das gleiche trostlose Bild. Nur auf dem
Lande schien man nichts von den wirtschaftlichen Rückwirkungen
der Revolution zu verspüren. Der Wirbelsturm, der einen Thron
über den Haufen geworfen, der Bürgerkrieg, der Gewerbe und Handel
in ihren Grundfesten erschüttert, ließ die reichen und fruchtbaren
Ebenen Belgiens mit ihren Saaten und Herden unberührt. Ja, Bauern
und Grundbesitzer, die wohl am meisten klagten, gediehen allein in
der allgemeinen Misere, wenn sie nicht gerade ihre früheren Haupt-
einkünfte aus den jetzt eingestellten Lieferungen (Holz und Holz-
kohle) an die Bergwerke und Eisenhütten von Namur, Lüttich und
Luxemburg bezogen hatten. „Tout etait calme, riche et, en apparence,
prospere. Un air d'abondance et de bonheur regnait partout" ^).
„Will man nur einen Embryo von Staat bestehen lassen, ohne
Freiheit der Scheide, ohne Französisch-Flandern, ohne Luxemburg
und ohne das Land um Maestricht, wie in aller Welt sollen wir leben
können ?" schrieb Charles Rogier im Dezember 1830 an seinen Bruder
Firmin. Und ähnliche Bedenken wurden bei den Verhandlungen
des in Brüssel tagenden Nationalkongresses und in Denkschriften
der Kaufmannskreise von Lüttich und Gent geäußert, in denen man
ziemlich unverblümt die Erhaltung des Bundes mit Holland forderte.
Eröffnete nun der Londoner Präliminarvertrag der XVIII Artikel
(16. Juni 1831) Belgien auch keinerlei Aussichten auf westliche Ge-
bietserweiterungen, so schien ihm darin doch der unverkürzte Besitz
von ganz Limburg und Luxemburg einigermaßen gesichert.
Die plötzliche Wiedereröffnung der Feindseligkeiten durch Hol-
land zerstörte jedoch diese Hoffnung. Nur durch englich-französische
Hilfe vor einer vernichtenden Niederlage bewahrt, sah man sich ge-
nötigt, in die weit ungünstigeren Bedingungen des Friedensvertrages
navigation et de l'industrie dans les provinces formant le royaume des Pays-Bas,
depnis les temps les plus reciil§s jusqu'ä 1830, La Haye et Bruxelles 1845, Tome III,
p. 161 ff.
1) White a. a. O. Tome II, p. 292 f., 301. „La vente des produits de ragricul-
ture se faisait mieux que les ann§es prfec§dentes. En consequence, le prix de grains,
du b^tail et des fourrages, ainsi que de la main d'oeuTre, augmenta consid§rablement ;
de Sorte que le producteur s'en richissait, tandis que le consomma-
teur seul souffrait. C'est un fait notoire, que teile 6tait ramfelioration de la condi-
tion des fermiers, teile fetait la quantitfe des demandes et, par une heureuse coincidence,
Celle des produits, que plusieurs propri§taires qui, depuis deux ou trois ans, n'avaient
pas touchS le montant de leurs fermages, re5urent tout d'un coup tout Tarri^rfe qui
leur ^tait du; en sorte qu'ä mesure que le commerce et la fabrique souffraient, la
Taleur des biens-fonds augmentait ; car ceux qui, dans d'autres circonstances, eussent
plac^ leurs capitaux dans des sp^culations commereiales, les employaient de prfef§rence
ä des achats de terres." Also genau dieselben Zustände wie später zur Zeit des Welt-
krieges.
^Jg Heinrich Waentig,
der XXIV Artikel (14. Oktober 1831) zu willigen. Man verlor den
östlichen Teil von Limburg und Luxemburg, übernahm die Hälfte
der gemeinsamen öffentlichen Schuld und erklärte sich grundsätzlich
auch mit der Erhebung eines Scheldezolles durch Holland einver-
standen, wofür man die freie Benutzung der Rhein und Scheide
verknüpfenden Binnengewässer garantiert erhielt. Dagegen war von
einer Aufrechterhaltung der bisherigen Handelsbeziehungen zu den
holländischen Kolonien, auf dem gleichen Fuße wie früher, keine
Rede mehr.
Sonderbarerweise weigerte sich Holland, diese Vorschläge anzu-
nehmen. Mit Waffengewalt mußten im Dezember 1832 seine Land-
und Seestreitkräfte von Frankreich und England aus Antwerpen
hinausgeworfen werden. Hoffte etwa König Wilhelm seine Gegner
durch wirtschaftliche Isolierung schließlich doch noch mürbe zu
machen, als er in der auf der Basis des Status quo abgeschlossenen
und durch die belgisch-holländische Uebereinkunft vom 18. Novem-
ber 1833 bekräftigten Londoner Konvention vom 21. Mai 1833 ver-
sprach, sie wenigstens nicht mehr militärisch anzugreifen, ja, ihnen
sogar, unter gewissen Kautelen, die Benutzung der Maas auf hollän-
dischem Gebiete zu gestatten ? Jedenfalls herrschte seitdem zwischen
beiden Ländern ein Waffenstillstand. Erst der Londoner Friedens-
traktat vom 19. April 1839, ergänzt durch den die mancherlei Einzel-
heiten regelnden belgisch-holländischen Vertrag vom 5. November
1842, machte ihm ein Ende^).
In Belgien, wo man sich bereits in die neuen Verhältnisse ein-
zuleben begonnen, bedeutete sein Abschluß eine arge Enttäuschung 2).
Aber was half es, daß man sich erregte, daß Gendebien sein be-
rühmtes „Nein, dreimalhundertachtzigtausend Mal nein! Für drei-
malhundertachtzigtausend Belgier, die Ihr der Furcht opfert!" in
die Debatte schleuderte? Mit 58 gegen 42 Stimmen wurde der
schmerzliche Verzicht schließlich von der Kammer ausgesprochen.
Fühlte man doch, daß man zu Ende kommen müsse.
1) Damals saß König Wilhelm I. bereits nicht mehr auf dem holländischen Throne.
Mehr und mehr war er auch in seinem Heimatlande sehr unpopulär geworden, hatte
am 7. Oktober 1840 der Krone entsagt, eine belgische Katholikin, die Gräfin d'Oultre-
mont, geheiratet und sich, im Besitz eines ungeheuren Vermögens, nach Berlin zurück-
gezogen, wo er schon am 12. Dezember 1843 verstarb.
2) Schwere Bedenken gegen die Abtretung des östlichen Teiles der Provinz Lim-
burg an Holland wurden vereinzelt auch deutscherseits erhoben. So beispielsweise von
dem damals an der Universität Löwen tätigen Professors B. A. Arendt in seinem Buche
„Die Interessen Deutschlands an der belgischen Frage" (gleichzeitig französisch unter dem
Titel „Des interßts de FAllemagne dans la question beige avec des documenta sur l'^tat
et l'importance de l'industrie et des chemins de fer en Belgique" erschienen), Brüssel
und Leipzig 1839. Der Verfasser betont darin, Deutschland dürfe in seinem eigensten
Interesse nicht gestatten, daß die Grenze zwischen beiden Ländern durch Abtretung des
Limburger Gebietes an Holland auf wenige Kilometer Länge eingeengt werde, da Bel-
gien dadurch gezwungen werde, sich in Frankreichs Arme zu werfen. Wenn hier der
französische Einfluß maßgebend sei, obschon ein großer Teil der Nation die Annäherung
an Deutschland vorziehe, so liege die Schuld an diesem. Denn es habe alles getan und
tue es noch, um sich Belgien zu entfremden. (A. a. O. S. 43 ff.)
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 519
Um ein wirtschaftlich wichtiges Gebiet (Holz und Eisen), eine
blühende Handelsstadt (Maestri cht) und rund 336000 Einwohner
ärmer ^), mit einer jährlichen Rente von 5 Mill. fl. holländischer Wäh-
rung beschwert, zu der sich noch die durch Gesetz vom 5. Juni 1839
freiwillig übernommene Verpflichtung gesellte, die Holland zuge-
billigten Scheidezölle zur Entlastung der Schiffahrt aus staatlichen
Mitteln zu erlegen, ging Belgien aus seinem Ringen um politische
Freiheit hervor. Doch mit jenem unzerstörbaren Selbstvertrauen,
das dieses kleine Volk vor allen anderen auszeichnet, hatte es bereits
den Kampf um seine wirtschaftliche Existenz aufgenommen.
Diese Periode politischer Festigung und ökonomischer Selbstbe-
sinnung, die mit der Ablösung der Scheidezölle und Belgiens Ueber-
gang zum Freihandel ihren Abschluß findet, fällt fast genau mit
der Regierungszeit seines ersten Königs, Leopold I. von Sachsen-
Coburg (1831 — 1865), zusammen. Deutscher Prinz von Geblüt, doch
russischer Offizier während der Freiheitskriege; durch seine Heirat
mit der früh verstorbenen Prinzessin Charlotte von Wales naturali-
sierter Brite und gefühlsmäßig englischem Leben zugeneigt, durch
seinen längeren Aufenthalt in Paris und später als Schwiegersohn
Louis-Philippe's auch mit französischem Wesen wohlvertraut; gern
gelitten an allen Höfen Europas und mit manchem ihrer führenden
Staatsmänner eng befreundet ^), war er, im Gegensatz zum beschränkten
Holländertum seines Vorgängers, ein europäisch eingestellter Geist
der seinem Lande gerade dadurch die wichtigsten Dienste geleistet
hat. Wie er von sich sagen konnte, daß er „Europa und die Masken,
die es regieren", besser kenne als die Minister des Königs von
Frankreich, war er befähigt, das belgische Staatsschiff sicherer als
irgendein anderer durch die Klippen zu steuern, die es während
seiner Regierung mehr als einmal ernstlich bedrohten.
Einfach in seinen Bedürfnissen, doch vielseitig in seiner Bildung,
schnell in der Auffassung, doch gründlich im Urteil, Menschen-
kenner, ohne Menschen Verächter zu sein, ein geschickter Unter-
händler und auch in wirtschaftlichen Dingen wohlbeschlagen, ohne
krämerhaft in ihnen aufzugehen, hat er den Beweis erbracht, daß
auch ein streng konstitutionell regierender Fürst bestimmenden Ein-
fluß auf die Abwicklung der Staatsgeschäfte gewinnen kann. Nach
Tradition und Lebensführung erhaben über die triviale Bürgerweis-
heit seines Schwiegervaters, der, auf Guizot gestützt, Franzosen des
neunzehnten Jahrhunderts nach der Maxime „Ils ont beau faire, ils
1) Die Ziffer läßt sich nicht exakt bestimmen, doch handelt es sich etwa um Vis
der früheren Bevölkerung. Der Flächenverlust betrug 3268 qkm, d. i. etwa Vio ^^
ursprünglichen Gebietes.
2) Das gilt namentlich von Thiers, dessen Briefwechsel mit dem Könige kürzlich
veröffentlicht worden ist. Vgl. Lettres de Leopold I, roi des Beiges, ä Adolphe Thiers
(1836 — 1864), publikes avec un avertissemeht et des notes par M. de Lanzac de Laborie,
in der Pariser Halbmonatsschrift „Le Correspondant" vom 10. Dez. 1916, S. 830 ff.,
vom 25. Dez.. 1916, S. 1078 ff. und vom 10. Jan. 1917, S. 101 ff.
520 Heinrich Waentig,
ne m'empecheront pas de mener mon fiacre" regieren zu können
glaubte und — darüber zugrunde ging, hatte er eine hohe Mei-
nung von seiner Aufgabe, an der ihn nicht zum mindesten ihre
Schwierigkeit gereizt hatte, und war ehrlich bestrebt, die freiwillig
übernommenen Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, ohne sich doch
von den ihm gewährten Rechten auch nur ein Titelchen rauben zu
lassen. So hat er denn oft das Zünglein an der Wage gebildet und
namentlich in den Fragen der Diplomatie den Ausschlag gegeben ^).
Entscheidend freilich war er nicht; am wenigsten bei diesem
Volke, das sich soeben erst mit schweren Opfern seine politische
Unabhängigkeit errungen hatte und auf alle Fälle fest enschlossen
war, sich selbst zu regieren. Daß es dieses erst lernen mußte, war
seinen wirtschaftlichen Interessen nicht gerade förderlich, zumal es,
wenigstens in der ersten Zeit, an überragenden Persönlichkeiten mit
eigenen Ideen fehlte. Auch die Revolution hat solche Männer nicht
zutage gefördert. Aus Masseninstinkten geboren, denen Einzelne
Worte verliehen, wurde ihr Ziel von den Massen erkämpft und
mit ihrem Blute erkauft. Die zum geringeren Teil dem katholischen
Adel, zum größeren dem liberalen Kleinbürgertum entstammenden
geistigen Führer der Bewegung haben gerade in den kritischen Tagen
vielfach eine wenig rühmliche Rolle gespielt. Mit ihren „größeren
Zwecken" sind sie dann gewachsen, und es ist zu verwundern, wie
verblüffend schnell dies geschah, wovon Charles Rogier ein typisches
Beispiel ist. Doch begegnet man auch später unter den Berufs-
politikern keinem wirtschaftlich schöpferischen Geiste^).
1) Nur einmal, im Frühjahr 1857, scheint er ernstlich geschwankt zu haben, ob
es ihm nicht gestattet sei, aus seiner konstitutionellen Rolle herauszutreten, da er die
von ihm beschworene Verfassung von der Gegenseite verletzt glaubte. Damals sollen
im Ministerrate die folgenden Worte gefallen sein: „C'est la mort du regime parlemen-
taire. Vous comprenez cela, Messieurs, vous comprenez qu'aujourd'hui, 28 mai, on a
cl6tur§ le regime parlementaire, on a violfe la Constitution ; oui, on a viol§ la Constitu-
tion. J'ai tenu mon serment depuis vingt-six ans; on vient de m'en d^gager. Qu'on
ne l'oublie pas . . ." Der Konflikt endete schließlich mit einem Kompromiß, indem die
Regierung den der Opposition mißliebigen Gesetzentwurf freiwillig zurückzog. Genaueres
darüber bei Theodore Juste, Leopold I et Leopold II, rois des Beiges, leur vie et leur
rfegne, ßruxelles 1878, p. 291 ff. Vgl. hierzu auch Guizot, La Belgique et le roi Leo-
pold en 1857, in der Revue des deux Mondes, 27. Annee, 2. P§riode, Tome X,
1857, p. 481 ff. lieber den König im allgemeinen vgl. Ch. Faider, Leopold I et la
royaut§ beige, in- Bulletins de l'Academie royale des sciences, des lettres et des beaux-
art8 de Belgique, 35. Ann^e, 2. S§rie, Tome XXI, 1866, p. 457 ff., und Ch. Woestc, Le
roi Leopold I, 9a. politique, in der Revue g&nirale, 5. ann^e, BruxeUes 1869, p. 394 ff.
2) Amüsant ist eine Schilderung, die der englische Parlamentarier Emerson Ten-
ncnt 1840 von einem Besuche bei dem damaligen Minister des Innern, Liedts, entwirft.
Er findet ihn „dans une suite d'appartements trös ^llgants et bien sup^rieurs ä ccux
qu'occupent nos ministres dans Downing-Street", erhält aber weder von ihm, noch von
Rogier einen günstigen Eindruck. Und doch hat letzterer, aus kleinsten Verhältni^en
hervorgegangen, sich allmählich zu einem durchaus beachtenswerten Staatsmann ent-
wickelt, der in der Zeit von 1832 — 1868 der Reihe nach Minister des Innern, der
öffentlichen Arbeiten, des öffentlichen Unterrichts und der schönen Künste, stellver-
tretender Kriegsminister und Minister der auswärtigen Angelegenheiten gewesen is» und
in der politischen Geschichte seines Landes einen guten Namen hinterlassen hat. (Vgl.
Emerson Tennent, Notes d'un voyageur anglais sur la Belgique, traduit de l'anglais par
P. M. Justin, BruxeUes 1841, Tome I, p. 178 ff.) Eine wenig schmeichelhafte Schilde-
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 521
Fehlte es so in den ersten Jahrzehnten unstreitig an führenden
Persönlichkeiten, so wäre die klare Orientierung der politischen
Parteien um so wichtiger gewesen. Leider waren auch sie erst in
der Bildung begriffen. Als „de Peau benite en ebullition" hatten die
Lästermäuler der Pariser Salons die belgische Revolution verspottet.
Ein großer Irrtum ! Denn ohne die Mitwirkung der liberalen Presse
und ihrer Gönner, der Advokaten, wäre sie wohl nie zustande ge-
kommen. Gerade die Einigkeit beider Richtungen hatte ihr unwider-
stehliche Stoßkraft verliehen. Wohlgemerkt, Einigkeit in der Ne-
gation des Bestehenden, wennschon ohne rechte Klarheit über das,
was man beiderseits an dessen Stelle setzen wollte ^). Erst das unaus-
weichliche Ringen mit den Fragen des praktischen Lebens führte
hierin allmählich einen Wandel herbei.
Die ,,Union", die sich im gemeinsamen Kampfe gegen Holland
herausgebildet, blieb zunächst noch bestehen. Neutrale Beamten-
ministerien, ohne klaren politischen Charakter, führten die Staats-
geschäfte, die ihren wesentlichen Inhalt durch die alles andere be-
herrschenden Fragen der Diplomatie erhielten. Die Stellungnahme
zu ihnen bedingte dann auch die Gruppenbildung im Kongreß und
später in den Parlamenten. Ob man die zur Festigung des neuen
Staates ergriffenen Maßnahmen der Regierung unterstützen oder be-
kämpfen wollte, war das Entscheidende für die Spaltung in „Ge-
mäßigte" und „Radikale".
Leidlich lebensfähig, solange die von außen drohende Gefahr
nicht endgültig beschworen war, begann der unnatürliche Bund seit
1839 innerlich zu zerfallen. Damit gleichzeitig verschwanden all-
mählich auch die oranjistischen Gruppen, die, ohne größeren Einfluß
auf den Gang der Ereignisse, da und dort im Lande ihr Dasein ge-
fristet und gelegentlich wohl auch den öffentlichen Frieden gestört
hatten. Erstmalig im Jahre 1833, bei der Erörterung des staat-
lichen Volksschulunterrichts leise angedeutet, erfuhr der latente
Gegensatz zwischen „Liberalen" und „Katholiken" in den folgenden
rang von den führenden Männern der Revolution entwirft Durand in seinem oben er-
wähnten Buche Dix jours de campagne, p. 46 ff. Die Darstellung ist tendenziös, läßt
aber keinen Zweifel darüber, daß es sich, mit wenigen Ausnahmen, um ziemlich un-
bedeutende Menschen handelt.
1) Das galt auch in politischer Hinsicht, namentlich von den Liberalen, während
die Wünsche der klerikalen Elemente naturgemäß auf die Wiederherstellung ilirer durch
hundertjährige Tradition gefestigten Machtstellung gerichtet waren. „£n Belgique comme
en France", so schildert Wilmotte den politischen Geisteszustand der 30er Jahre, „il y
a autant de lib§ralismes que d'hommes sup^rieurs ou, du moins, pensant par eux-mSmes.
II y a, par exemple, ä, Paris, le liberalisme de Benjamin Constant, qui est une forme
tr&s relev§e de l'^goisme social; il y a le libferalisme de classe, celui de M. Guizot et
de plusieurs de ses amis, pour qui la bourgeoisie devait etre tout pour tous, sinon tout
pour elle-meme; il y a encore le lib§ralisme de theorie ä la ßoyer Collard et le lib§-
ralisme de sentiment h, la fagon de Lamartine. £t de m^me, en Belgique, Charles Ro-
gier, Gendebien, Devaux. Lebeau, Van de Weyer Itaient loin de s'accorder sur toutcs
les questions. Et voilä pourquoi ils savaient bien ce qu'ils ne voulaient
pas, mais ils gtaient plus embarrass§s d'exprimer et de r^aliser ce
qu'ils voulaient." (Vgl. Maurice Wilmotte, La Belgique morale et politique
(1830—1900), Bruxelles 1902, p. 34.)
522 Heinrich Waentig,
Wahlkämpfen eine immer schärfere Ausprägung, um, mit dem Weg-
fall des äußeren Druckes, seit 1840 klar hervorzutreten.
Der gutgemeinte Versuch, das Land von da ab durch Koalitions-
ministerien regieren zu lassen, die sich zu etwa gleichen Teilen aus
hervorragenden Vertretern beider Parteien zusammensetzten, erwies sich
nach kurzer Probe völlig undurchführbar. Im Parlamente gezwungen,
sich im wesentlichen auf eine klerikale Majorität zu stützen, ander-
seits in der Politik ihrer heterogenen Zusammensetzung Rechnung
zu tragen, scheiterten die einander schnell ablösenden Ministerien
sämtlich an inneren Konflikten i). Ein Systemwechsel schien darum
unvermeidlich. Er wurde 1846 durch die Berufung des rein klerikalen
Kabinetts de Theux vollzogen. Schon aber waren seine Tage ge-
zählt. Bis in die Mitte der 40er Jahre in der Minderheit, gewannen
die Liberalen dauernd an Boden. Die Wahlen des Jahres 1847
endeten mit ihrem Siege. Mit kurzen Unterbrechungen führten sie
während der nächsten Jahrzehnte die Staatsgeschäfte. Ein Ministe-
rium Rogier eröffnete den Reigen.
Verfassungspolitisch von entscheidender Bedeutung, hat die Ver-
schärfung der Parteigegensätze wirtschaftspolitisch nur eine unter-
geordnete Rolle gespielt. Ganz belanglos freilich war sie keineswegs.
Nicht, daß die miteinander ringenden Mächtegruppen von Anbeginn
über ein klar umrissenes Wirtschaftsprogramm verfügt hätten; die
klerikale Majorität etwa grundsätzlich für Schutzzölle, die Liberalen
einseitig für den Freihandel eingetreten wären. Daß man sich zu-
nächst schutzzöUnerisch orientieren müsse, ward bei der allgemeinen
Wirtschaftslage von keiner Seite bestritten; wohl aber gingen die
Meinungen über das Maß des zu gewährenden Schutzes und die
dabei anzuwendenden Mittel auseinander.
Gleich mißtrauisch gegenüber dem „kalvinistischen" Holland,
dem „jakobinischen" Frankreich und dem „protestantischen" Preußen,
waren die Klerikalen bestrebt, das katholische Land auch ökonomisch
isoliert zu erhalten. Daß es sich selbst genüge, war ihr Ideal, sollte
es dabei auch materiell zu leiden haben. Mit geheimem Unbehagen
beobachteten sie daher alle Versuche, die Handelsbeziehungen zwischen
Belgien und den angrenzenden Gebieten inniger zu gestalten. Gerade
in dieser Richtung aber bewegten sich die Wünsche der Liberalen,
1) Eine kurze Darstellung dieser Verfassungskämpfe gibt fimile Banning in seiner
Abhandlung „Histoire parlementaire depuis 1830" (Patria Belgica, Encyclop§die Natio-
nale, herausgegeben von Eugene van Bemmel, Bruxelles 1873, Tome II, p. 473 ff., be-
sonders p. 484 ff.). Ein besonders krasser Konfliktsfall war der im folgenden mitge-
teilte: „M. Nothomb fit d'^loquents appels ä la concorde; mais Tanarchie penfetrait
dans le ministfere lui-mßme. Lorsque, voulant faire droit ä un grief legitime de ses
adversaires, il proposa de confier au gouvemement la nomination des membres du jury
universitaire, la chambre assista ä, un etrange spectacle: M. Deehamps combattit,
comme d§put6, et fit ^chouerune mesure importante §manee de l'ini-
tiative du ehef du cabinet; puis il alla reprendre sa place au banc
minist^riel. Cet incident annonjait la fin du syst&me; la dfeunion qui paralysait
le pouvoir, se produisait d'ailleurs quotidiennement dans le parlement sur une large
Schelle" (p. 488).
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 523
mochten sie nun im industriellen Interesse die zollpolitische An-
gliederung an Frankreich fordern, oder im kommerziellen die Be-
günstigung des deutschen Durchfuhrhandels befürworten. Daß sie
dann mit dem Siege des Freihandelsgedankens seit Mitte der 40er
Jahre zu dessen Herolden wurden, lag in der Natur der Dinge.
Je weniger man sich nun in der ersten Zeit bei der Festlegung
von Richtlinien für die nationale Wirtschaftspolitik von prinzipiellen
Erwägungen leiten ließ, um so größer war der Einfluß gewisser
Stimmungsmomente. Eine Sonderstellung unter den Nachbarn
Belgiens nahm Frankreich ein, das, ein Meisterstreich der englischen
Diplomatie, seit dem 9. August 1832 durch die junge, schöne und
liebenswürdige Königin Louise-Marie von Orleans im Lande vertreten
war 1). Hatten alte Kulturbeziehungen einen günstigen Boden für jeder-
lei Annäherungsversuche geschaffen, so wirkte die Erinnerung an die
Zeit der napoleonischen Herrschaft in der gleichen Richtung. Naiv
verwechselte man die Chancen, die das Kaiserreich der belgischen
Industrie geboten, mit den Aussichten, die sich ihr im Falle einer
wirtschaftlichen Angliederung an das Königreich eröffnen würden.
Unvergessen blieben dem französischen Volke ferner die Dienste,
die es als Lehrmeister und Schutzherr der belgischen Freiheit durch
seine Verbannten und Sendlinge vor, durch seine Generäle und Diplo-
maten während, durch seine Offiziere und Beamten nach der Re-
volution geleistet hatte ^). Talleyrand's zynische Versuche, das Mündel-
kind an England zu verraten, waren wohl nur den wenigsten bekannt
geworden. Trotzdem schienen unter den belgischen Frankophilen die
auf eine politische Annexion an Frankreich hinarbeitenden Elemente
vom Schlage Gendebien's bei weitem in der Minderzahl, während
man in wirtschaftlicher Hinsicht aus guten Gründen bis an die
äußerste Grenze des durch die politische Selbsterhaltung Gebotenen
zu gehen bereit war.
Kühler betrachtete man von Anbeginn den östlichen Nachbar,
obschon man mit dem Rheine und den süddeutschen Städten bis in
die ferne Vergangenheit zurückreichende Handelsbeziehungen unter-
halten hatte, die namentlich in der holländischen Zeit wieder auf-
1) Die Heirat war ein Werk Lord Palmerston's und wurde von ihm bereits im
Januar 1831 mit dem belgischen Bevollmächtigten Van de Weyer vertraulich erörtert,
als es sich darum handelte, die Kandidatur des Herzogs von Nemours durch die des
Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg zu ersetzen, Louis- Philippe zu versöhnen und die
frankophile Partei in Belgien zu beschwichtigen. Alle diese Zwecke wurden tatsächlich
erreicht.
2) Allerdings diente gleichzeitig gerade das Einströmen zahlreicher Franzosen
nach Belgien zur Ernüchterung, da sie sich in den ihnen eingeräumten einträglichen
Stellen der Militär- und Zivilverwaltung oder der Privatindustrie oft nicht bewährten.
Auch verwandelte das dadurch hervorgerufene Gefühl der inneren Abhängigkeit von
Frankreich die freundschaftlichen Gefühle, die man ihm gegenüber gehegt, vielfach in
ihr Gegenteil. Damals entstand der Ausdruck „Fransquillon", angewandt auf in Belgien
lebende Franzosen, die sich im Privatleben oder im öffentlichen Dienst auf Kosten des
Landes zu bereichem suchten. Er wurde dann später auch auf franzosenfreundliche
Belgier, besonders flämische Abtrünnlinge, ausgedehnt. Vgl. B. A. Arendt, Belgische
Zustände. Mainz 1837, S. 84 ff.
524 Heinrich Waentig,
gelebt waren. In der Tat hatte Preußen während der belgischen
Revolution im Vereine mit Oesterreich und Rußland eine wenig
glückliche Rolle gespielt, Holland im Kampfe gegen den Abtrtinn-
ling mit Waffengewalt unterstützen wollen und sich, als diese unter
englisch-französischem Schutze unvermeidlich geworden, an der Be-
gründung des neuen Königreiches nur widerwillig beteiligt. Auch
Presse und Wissenschaft, beide mit Blindheit geschlagen, wüteten
gegen den belgischen Umsturz und vertieften den Gegensatz zu
dem jungen Staate, den sie als wirtschaftlichen Bundesgenossen
gegen das anmaßliche Holland hätten willkommen heißen sollen ^).
Der am 1. Januar 1834 ins Leben tretende preußisch-deutsche Zoll-
verein schuf eine neue Lage. Blieben ihm auch die außer der
Rheinprovinz Belgien nächstgelegenen deutschen Gebiete, Hannover
und Oldenburg, und die für den Seeverkehr wichtigen Handelsstädte
vorläufig noch fern, so bildeten seine 18 Staaten mit 23 Mill. Ein-
wohnern doch ein geschlossenes Wirtschaftsgebiet, groß genug, um
als Markt dem französischen die Wage zu halten. Darüber war
man sich belgischerseits im klaren. Deutsche Schriftsteller, die seit
Ende der dreißiger Jahre aus eigener Anschauung über die inner-
belgischen Zustände berichteten, namentlich auch auf die Bedeutung
des flämischen Stammes verwiesen, wirkten vermittelnd*^). Nicht
1) Jedenfalls war die preußische Diplomatie jener Tage schlecht beraten. Wie
später gelegentlich die deutsche (Japan !), ließ sie sich in der belgischen Frage von
persönlichen Gefühlen und politischen Velleitäten, anstatt von einer nüchternen Erwägung
der Tatsachen leiten und verstand es nicht, sich mit guter Manier in das Unvermeid-
liche zu finden, worin ihr die englische unendlich überlegen war. Auch diese hatte
zunächst nur eine Verwaltungstrennung gutgeheißen, dann aber rasch die entscheidende
Schwenkung vollzogen und der neuen Lage ihre beste Seite abzugewinnen gewußt.
Tatsächlich hätte sich Preußen noch viel eher darein schicken können, da die etwaigen
politischen Nachteile der eingetretenen Entwicklung durch die damit verbundenen wirt-
schaftlichen Vorteile mehr als aufgewogen wurden. Wie für England, bedeutete auch
für Deutschland die Spaltung eine wirtschaftliche Schwächung beider Hälften und
brachte ihm überdies den unschätzbaren Gewinn, Antwerpen jetzt gegen Rotterdam aus-
spielen zu können, wie sich bald zeigen sollte. Erbitternd wirkte in Belgien nament-
lich Professor F. H. Ungewitters Geschichte der Niederlande von dem Zeitpunkte ihrer
Entstehung bis auf die neueste Zeit und ausführliche Schilderung der belgischen Revo-
lution von ihrem Ausbruche bis zum Ende des Jahres 1831, 2 Bände, Leipzig 1832.
„En Allemagne", bemerkt Nothomb in der Vorrede der zweiten Auflage seines
grundlegenden Buches über die belgische Revolution, „des hommes graves sont
descendus dans l'arfene. M. le professeur Ungewitter a recueilli en deux volumes in
octavo tout ce que la presse opposante a hasard6 depuis 1830 et il n'a pas craint
d'attacher son nom k cette informe production." Allerdings fehlte es auch nicht an
Versuchen, der belgischen Revolution sachlich gerecht zu werden. Erwähnt sei die
Broschüre „Noch ein Wort über die holländisch-belgische Frage" (Hamburg 1832), die
von Nothomb dem Freiherrn Karl August v. Wangenheim zugeschrieben und als die
unbedingt bemerkenswerteste Schrift bezeichnet wird, die in Deutschland während der
Revolution zugunsten Belgiens veröffentlicht worden sei. (Vgl. Nothomb, Essai histori-
que et politique sur la r^volution beige, 4e Edition, Bruxelles 1876, Tome I, p. 41
u. 46.) Sie ist in der Tat vortrefflich.
2) Zu erwähnen sind in dieser Hinsicht namentlich W. A. Arendt, Belgische Zu-
stände, Mainz 1837; Johann Wilhelm Löbell, Reisebriefe aus Belgien mit einigen
Studien zur Politik, Geschichte und Kunst, Berlin 1837; W. A. Arendt, Die Interessen
Deutschlands an der belgischen Frage, Brüssel und Leipzig 1839. Die Disktusion
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 525
Zügellosigkeit und Ränkesucht, sondern „das seit Jahrhunderten in
den Belgiern lebendige Bedürfnis nach unabhängiger Nationalität,
nach selbständigem Bestehen" bezeichneten sie übereinstimmend als
das treibende Motiv der belgischen Revolution.
Nicht mit leidenschaftlicher Feindseligkeit, wie Holland, wohl
aber mit nüchterner Skepsis stand man wirtschaftlich, schon aus
geschichtlichen Gründen, Großbritannien gegenüber, obwohl
man politisch von ihm in den Sattel gehoben worden war und in dieser
Hinsicht auch weiter auf seine Unterstützung glaubte rechnen zu
können. Aber man kannte die Danaer und fürchtete sie, auch wenn
sie mit vollen Händen kamen. So gab man sich denn von Anfang
an keiner Täuschung darüber hin, daß sich das englische Kabinett
bei seiner Stellungnahme zur belgischen Revolution wesentlich auch
von wirtschaftlichen Erwägungen hatte leiten lassen ^) ; und dieses
Mißtrauen verstärkte sich, je tiefer man sich in die Winkelzüge
der britischen Handelspolitik versenkte. Daß die ökonomische Ent-
wicklung beider Länder als Export-Industriestaaten sich in der
gleichen Richtung bewegen, ihre Handelsinteressen also vielfach
miteinander in Konflikt geraten mußten ; daß England als überlegene
Seemacht, unter rücksichtsloser Aufrechterhaltung seines Schutzzoll-
systemes, seine schwächeren Konkurrenten durch Schiffahrtsverträge
auf Gegenseitigkeit zu betören suchte und unter dem äußeren Scheine
wurde noch lebhafter, als der Abschluß eines belgisch-deutschen Handels- und Scbiff-
fahrtsvertrages in greifbare Nähe rückte. Vgl. dazu Fr. Heeren, Zusammenstellung
technisch-statistischer Bemerkungen über die Industrie des Königreiches Belgien und
die letztjährige Gewerbeausstellung in Brüssel, gesammelt auf einer im Auftrage des
königlich hannoverschen Ministeriums des Handels und der Finanzen im Herbst 1841
gemachten Reise in Belgien, Hannover 1842; Gustav Höfken, Belgien in seinen Ver-
hältnissen zu Frankreich und Deutschland mit Bezug auf die Frage der Unterschei-
dungszölle für den Zollverein, Stuttgart und Tübingen 1845; Ignaz Kuranda, Belgien
seit seiner Revolution, Leipzig 1846; Gustav Höfken, Flämisch Belgien, Bremen 1847;
Adolf Helfferich, Belgien in politischer, kirchlicher, pädagogischer und artistischer Be-
ziehung, Pforzheim 1848, usw.
1) Das wurde mit besonderer Rücksichtslosigkeit in seiner Streitschrift von Durand
ausgesprochen. „L'Angleterre", bemerkt er, „dont la politique a toujours 6te de ne
Jamals s'associer li un Systeme g§n§ral, mais de se contenter de stipuler ses int§r6ts
propres tantöt avec une puissance qu'elle combattait la veille, tantöt avec une autre
qu'elle doit abandonner le lendemain, l'Angleterre exploita ^ sa manifere les troublcs
des Pays-Bas. Jalouse de la Belgique qui produisait trop, et qui commenyait ä prendre
rang parmi les premiöres nations manufacturi^res du monde, la Grande- Bretagne r§solut
de terminer cette r^volution k son avantage, et de placer son lieutenant en Belgique
pour gouverner ce pays, afin de le d§tourner ä tout prix de la glorieuse carriöre dans
laquelle il entrait avec tant d'§clat." (Dix jours de campagne, p. 70 i.) Gegen diese
Unterstellung sucht White (Revolution beige de 1830, Tome I, p. 135 ff.) seine Regierung
in Schutz zu nehmen, indem er betont, ein Land von der wirtschaftlichen Ueberlegen-
heit und den unerschöpflichen Hilfsquellen Großbritanniens habe das Königreich der
Vereinigten Niederlande als Konkurrenten unter keinen Umständen zu fürchten gehabt;
doch habe das englische Kabinett kriegerische Verwicklungen unbedingt vermeiden
wollen und seine Politik danach eingerichtet. Das mag bis zu einem gewissen Grade
zutreffen. Doch steht außer Zweifel, daß der belgisch-holländische Zwillingsstaat
für Großbritanniens Kolonial- und Handelsinteressen eine ernste Gefahr hätte werden
können. Vor allem hätte sich im Falle seiner Erhaltung wohl Afrikas Zukunft ganz
anders gestaltet.
526 Heinrich Waentig,
einer Gleichgewichtspolitik im Grunde doch nur einen Handelskrieg
betrieb, wurde von maßgebender Seite offen ausgesprochen. „Pensez-
vous, Messieurs", fragte einer der Abgeordneten am 13. März 1834
in der Debatte über das Staatsbahngrundgesetz ironisch, „que
l'Angleterre ait soutenu notre revolution pour d'au-
tres motifs, que pour ses propres interets? Ce serait
nourrir une etrange deception. L'independance, la li*
berte des autres peuples ne lui valent pas une obole
quand eile n'espere pas en profiter. Quand les revolutions
lui presentent un cote favorable ä ses interets materiels, alors eile
fait etalage de principe de liberte et d'independance nationale. Vous
connaissez les faits qui se sont passes sous vos yeux depuis quarante
ans. Interrogez ses dernieres guerres sur le continent, les revolu-
tions des colonies de PAmerique meridionale, de la Grece, du Portu-
gal, d'Espagne, de Pologne et la votre, et vous serez satures de con-
viction" ^).
Das waren die handelspolitischen Faktoren, mit denen man zu
rechnen hatte. Daß es von vornherein mit Glück geschehen wäre,
wird keiner behaupten wollen. „Un depute ne peut pas voter
par pieces detachees", erklärte in der Kammersitzung vom 14. Mai
1839 der Abgeordnete de Foere. „II doit avoir des principes qui
reglent sa conduite parlementaire. Malheureusement c'est
par parties isolees et incoherentes que le ministere a
jusqu'ä present procede. Jamais aucun Systeme com-
mercial n'a ete offertäla discussion. II en resulte non
seulement des anomalies choquantes dans notre politique commerciale;
mais cet etat continuel d'hesitation et d'absence de fixite jette l'in-
dustrie, le commerce et la navigation du pays dans la plus de-
plorable incertitude. Ils ignorent, s'il faut avancer ou reculer" ^).
In der Tat, ganz von verfassungspolitischen Fragen beherrscht, ließ
man sich wirtschaftlich von Fall zu Fall durch den Wechsel der
Bedürfnisse treiben, ohne grundsätzlich dazu Stellung zu nehmen.
Die Folge hiervon war ein planloses Durcheinander sich kreuzender
Maßnahmen, deren Prinzip zu entdecken, niemand imstande ge-
wesen wäre.
Aus der Hinterlassenschaft des Königreichs der Vereinigten
Niederlande hatte Belgien ein gemäßigtes Schutzzollsystem über-
nommen^). Unter dem Einfluß der Krise begannen Landwirtschaft
1) Moniteur Beige vom 13. März 1834. Vgl. auch Discussion de la loi des droits
diffirentiels du 21 juillet 1844, Premiere partie, p. 53, 109 ff.
2) Moniteur Beige vom 15. Mai 1839.
3) Maßgebend waren noch immer die früher erwähnten Gesetze vom 12. Juli 1821
und vom 26. August 1822. Artikel 2 des erstgenannten Gesetzes verfügte: „L'eleva-
tion du droit sera fix6e de maniöre que, d'une part, eile ne puisse avoir des cons§-
quencea fächeuses pour la prosp§rit§ du commerce ou präsenter le danger de devenir
un trop grand appät ä lafraude; et que, de l'autre part, eile puisse off rir la protection
n^cessaire ä l'industrie nationale contre la concurrence §trang6re. Le maximum des
droits tant sur l*entr§e que sur la sortie pourra etre port§ pour des objets qui se ratta-
ohent d'une mani^re imm^diate aux produits de Tindustrie indlg^ne ä 6^/q et pour
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 527
und Gewerbe um die Wette dagegen Sturm zu laufen. Ein Gesetz
vom 16. Dezember 1831, das zunächst die Metallindustrie bedachte,
erwies sich als bloße Abschlagszahlung. Ackerbau und Textil-
industrie verlangten und erhielten ihr Teil durch das Gesetz vom
31. Juli 1834, das den Kornproduzenten eine gleitende Zollskala
nach Maßgabe der wechselnden Preisgestaltung, dem Leinengewerbe
auf das Zehnfache erhöhte feste Tarifsätze gewährte.
Während man so, halb ohne es zu wollen, mit vollen Segeln
einem autonomen Hochschutzzollsystem entgegensteuerte, begann man
seit 1831, wie es hieß aus „Dankbarkeit", die Einfuhr französischer
Kohlen zu erleichtern und die seit 1823 geltenden Kampfzölle auf
französische Weine und Spirituosen, Irden- und Glaswaren, Woll-
stoffe und Modeartikel wieder abzubauen, womit man 1838 glück-
lich zu Ende kam. Das bedeutete eine auffällige Schwenkung nach
Westen, die durch eine wichtige währungspolitische Maßregel noch
unterstrichen wurde. Gewiß war das Geldsystem, wie man es bei
Begründung des neuen Staates vorgefunden hatte, auf die Dauer
nicht haltbar. Zirkulierten doch im Lande frei nebeneinander außer
den holländischen Münzen auch solche der österreichischen Nieder-
lande, Münzen von Lüttich und Luxemburg und französische Gold-
und Silbermünzen. Daß man sich bei der Neuordnung der Dinge
für die französische Frankenwährung entschied, ja durch Gesetz vom
5. Juni 1832 auch den französischen Gold- und Silbermünzen in den
staatlichen Kassen Zwangskurs verlieh, mochte überwiegend sach-
liche Gründe haben. Immerhin fehlte diesem entscheidenden Schritte
nicht ein gewisser politischer Beigeschmack.
Wie um diese Maßnahmen dann wieder auszugleichen, versuchte
man anderseits den deutschen Durchfuhrhandel zu heben. Hier waren
Antwerpener Handels- und Schiffahrtskreise die treibenden Kräfte,
die den von Holland beherrschten Rhein mit persönlicher Unter-
stützung des Königs durch einen „Rhein von Eisen" zu ersetzen
trachteten. Das Staatsbahn grundgesetz vom 1. Mai 1834 näherte sie
der Erfüllung ihrer Wünsche. Ein Eisenbahnsystem mit Mecheln
als Zentrum und Ausstrahlungen in der Richtung auf Aachen, Ant-
werpen, Ostende und die französische Grenze sollte ganz Belgien
dem Verkehr erschließen, das Transitgesetz vom 18. Juni 1836 dessen
Entfaltung begünstigen. Aeußerlich betrachtet eine Neuerung all-
gemeiner Art, war das Projekt, darüber ließ seine geschichtliche Ent-
wicklung keinen Zweifel, im wesentlichen doch auf Deutschland zu-
tous autres objets k 3°|o, sauf, pour les uns ou les antres, les exceptions ä l'^gard
desquelles une prohibition d'entr^e ou de sortie, ou un droit plus 6lev&, seraient jug^s
indispensables." Diese Maximalgrenze war jedoch nicht völlig eingehalten worden. Für
die Einfuhr hatte man im allgemeinen den Industrieprodukten, seltener auch den Roh-
stoffen, Wertzölle von 10 bis 20 Proz., den ersteren in Ausnahmefällen bis zu 40 Proz.,
zugebilligt und war gegenüber einzelnen französischen Waren selbst bis zum Einfuhr-
verbot gegangen. Dagegen war die Ausfuhr von Rohstoffen und Industneprodukten nur
in wenigen Fällen eingeschränkt oder gar verboten worden ; im allgemeinen halte man sie
nicht behindert. Genaueres darüber bei Briavoinne, De Pindustrie en Belgique, Tome II,
p. 21 ff.
528 Heinrich Waentig,
geschnitten. Handelte es sich doch, wie einer der Abgeordneten im
Parlamente offen bekannte, um nichts Geringeres als darum, „Deutsch-
land zwei neue Häfen, zwei belgischen Häfen Deutschland zu ver-
leihen" 0.
Kann man sich angesichts dieser Zwiespältigkeit noch darüber
wundern, daß die belgische Regierung, industrielle Interessen im
Westen, kommerzielle im Osten verfolgend, seit 1833 mit Frankreich
und Preußen gleichzeitig verhandelte, ohne sich, wie es scheint,
darüber klar zu werden, daß bei der internationalen wirtschafts-
politischen Konstellation die hüben und drüben gesteckten Ziele ein-
ander ausschlössen; daß ein zollpolitisch an Frankreich angeschlos-
senes Belgien nicht auf die Unterstützung des deutschen Zollvereins,
ein dessen Schiffahrts- und Handelsinteressen dienendes nicht auf
diejenige Frankreichs rechnen konnte? Auch dem Blindesten mußte
es klar werden, daß man in diesem Stile nicht weiterwirtschaften
konnte, ohne die vitalen Interessen des Landes ernstlich zu gefährden.
Schon gelegentlich der Beratungen über das Staatsbahn-Grund-
gesetz vom 1. Mai 1834 war es dieserhalb in der Kammer zu erregten
Auseinandersetzungen gekommen. „De l'aveu des partisans du chemin
de fer", hatte einer der Abgeordneten erklärt, ,.il a particuliere-
ment pour but le transit des marchandises etrangeres ; ce serait donc
des depenses que vous feriez pour ouvrir une communication, non
pour l'ecoulement de vos propres produits agricoles et manufactures,
mais, en grande partie, pour faciliter le transit des produits etran-
gers. II m'est prouve, et c'est ma conviction intime, que les depenses
excederont de beaucoup les revenus, sans faire entrer en ligne de
compte une grande perturbation que vous jetterez dans une foule
d'industries et d'existences, et sans compter encore une terrain im-
mense que vous enleverez ä Pagriculture, et par consequent ä vos
propres produits; et pourquoi? pour faciliter l'ecoulement des pro-
duits etrangers" I Aber gerade dieses letztere Moment hatte ein
1) So der Abgeordnete Devaux in der Debatte über das Staatsbahngmndgeseti
(Moniteur Beige vom 17. März 1834). Genaueres über die geschichtliche Entwick-
lung des interessanten Projektes, das in seiner ersten Gestalt nur den Bau einer Bahn
zwischen Antwerpen, Maas und Rhein über Maastricht vorsah, in meinem Aufsatx
„Antwerpen -Köln", in der Monatsschrift „Der Belfried", 1. Jahrgang, 1916/17, S. 366 £f.
Dort auch zahlreiche Literaturangaben. Entscheidend war der Wunsch, unabhängig vom
Willen Hollands, eine direkte Verbindung zwischen Antwerpen und dem Rheine her-
zustellen. „II est vrai", heißt es zusammenfassend in einer Denkschrift der Com-
mission sup§rieure d'Industrie et de Commerce „Sur l'utilit§ et l'urgence d'un chemin
de fer d'Anvers ä la Prusse" vom Jahre 1833 mit Bezug auf Belgien, „que le droit
de navigation de la Meuse et des eaux interm§diaires de l'Escaut au Rhin est stipulfe
en safaveur; mais eile ne peutgu^re esp^rer l'exercice de ce droit, sans
entraves, que si cette navigation nelui est pas indispensable; eile
sera d'ailleurs grev^e de p6ages considgrables. La Belgique s'exposerait
ä s'effacer du rang des nations commergantes , si eile n'employait les ressources de
l'art pour r§tablir les avantages de sa position ; il lui faut une voie §conomi-
que et Interieure de Communications sur l'Allemagne, ind^pendante
de toute volonte ötrang&re. La route en fer seule peut satisfaire k ce besoin,
puisqu'un canal dans cette direction serait impraticable, en §vitant le territoire hollan-
dais." (Moniteur Beige vom 15. März 1833.)
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 529
anderer Redner, neben der Herabsetzung der Produktionskosten bel-
gischer Ausfuhrgüter, als die unerläßliche Vorbedingung für die Er-
weiterung ihres Absatzes bezeichnet. „Le seul moyen d'ecouler
avantageusement nos propres produits", bemerkte er im Anschluß
an eine düstere Schilderung der durch den Abfall von Holland ent-
standenen wirtschaftlichen Schädigungen, „est celui de creer dans
nos ports des entrepots de toutes les productions de la terre, d'attirer
vers la Belgique le grand commerce d'echange de toutes especes de
marchandises, de maniere que les navires qui se rendent
dans nos ports, puissent etre certains de vendre
avantageusement leurs cargaisons, et de rencontreren
echange un chargement complet, compose en partie de
marchandises etrangeres et en partie de marchandises
indigenes, convenables pour le pays auquel le navire
est destine"^).
Mit erneuter Wucht platzten die Geister 1839 aufeinander.
Ausgangspunkt der Erörterungen waren diesmal Petitionen der
Handelskammern Ostende und Antwerpen, beide gegen den Re-
gierungsentwurf gerichtet, doch mit verschiedenen Zielen. Dieser
hatte die Uebernahme der an Holland abzuführenden Scheldezölle
auf die Staatskasse in Aussicht genommen, mit alleiniger Ausnahme
der von holländischen Schiffen zu entrichtenden Beträge. Während nun
Ostende diese Vergünstigung auf die belgischen Handelsschiffe be-
schränkt wissen wollte, verlangte Antwerpen ihre Ausdehnung gleich-
mäßig auf alle Nationen. Nur durch die Bevorzugung der nationalen
Marine könne Belgiens wirtschaftliche Unabhängigkeit wirksam ge^
sichert werden; damit folge man zugleich dem Beispiel anderer
Handelsvölker, betonte die eine. Da die Gewährung eines solchen
Monopoles eine Verteuerung der Frachten für die belgische Industrie
bedeute, ihr also den Kampf mit dem Auslande erschwere, sei es in
Belgiens besonderem Falle zu verwerfen, erwiderte die andere.
„Prive de Pelement indispensable ä son existence, l'exportation, eile
ne pourrait que languir, quelle que füt d'ailleurs la protection qu'on
lui accordät pour lui imprimer une activite factice" ^).
Beide Parteien fanden im Hause Unterstützung. Ihren Höhe-
punkt aber erreichte die Debatte in der großen Rede des Abgeord-
neten Dechamps. Klarheit sei über die Grundprinzipien der belgi-
schen Handelspolitik zu schaffen; wählen müsse man zwischen
Freihandel und Differentialsystem. Bei der Entscheidung hierüber
nun sei von der Tatsache auszugehen, daß bisher so gut wie über-
haupt kein direkter Handel zwischen Belgien und den meisten an-
deren Ländern bestehe; vielmehr vollziehe sich der Verkehr zwischen
ihm und seinen Lieferanten und Kunden größtenteils durch die Ver-
mittlung anderer, besonders Englands, das als Konkurrent am Vertriebe
belgischer Erzeugnisse keinerlei Interesse habe. Unter diesem Gesichts-
1) Moniteur Beige vom 13. und 16. März 1834.
2) Moniteur Beige vom lO./U. und 14. Mai l839.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 34
590 Heinrich Waentig,
punkte sei denn auch die Wiederanknüpfung der belgisch-holländi-
schen Handelsbeziehungen eher als eine Gefahr zu betrachten, da
ihre Erneuerung für den Nachbar die Wiederherstellung des Systems
von 1822, ohne seine Nachteile, bedeute. „Pour que notre commerce
d'6changes devienne actif", schloß der Redner seine Ausführungen,
„il faut que des relations directes soient etablies avec
les pays qui consomment nos produits sans les pro-
duire eux-memes, et qui nous fournissent les matiöres
premieres et les objets de consommation que nous ne
possedons pas. Mais consentir ä acheter en Angleterre les pro-
duits americains dont vous avez besoin, n'est-ce pas evidemment
consentir a ne jamais vendre ä PAmeriques vos propres produits"^)?
Dechamps' Vorschlag, die staatliche Rückerstattung der Scheide-
zölle nur belgischen und denjenigen fremdländischen Schiffen zu
gewähren, die direkt aus ihrer Heimat und ohne Fahrtunterbrechung
(sans rompre Charge) in belgische Häfen einliefen, wurde abgelehnt.
„En 1648, la fermeture de PEscaut fut un cadeau que la tyran-
nie fit ä laliberte; craignons, Messieurs, qu'ä cote de ce sar-
casme, Phistoire n'inscrive dans ses annales, qu'en 1830 la quasi-
fermeture du fleuve fut un cadeau que l'ignorance des
Beiges fit ä l'intelligence des Hollandais": diese be-
rühmten Worte, mit denen der Abgeordnete Liedts die bedingungs-
lose Freiheit der Scheide verteidigte'-^), trugen schließlich den Sieg
davon. Es war ein Pyrrhussieg, wie sich bald zeigen sollte.
In der Tat mußte die handelspolitische Lage Belgiens, wie sie
sich im Jahre 1840, nach der endgültigen Abtrennung der verloren-
gegangenen Gebietsteile, dem nüchternen Beobachter darstellte,
schwere Bedenken erregen. Mochten die von einzelnen Abgeordneten
in der Kammer gemachten Mitteilungen auch auf ihre agitatorische
Wirkung zugeschnitten sein, daß sie im wesentlichen den Tatsachen
entsprachen, darüber ließ die amtliche Handels- und Schiffahrts-
statistik kaum einen Zweifel^).
1) Moniteur Beige vom 15. Mai 1839. „Le coton, le stiere, les laines, l'indigo
que nous fourni-^sent Londres et Liverpool", führte der Redner aus, „n'amönent que
trös peu d'§ehanges avec ces ports anglais. Vous le coneevez, Messieurs, la Belgique
6tant en concurrence de mömes produits avec P Angleterre, fabri-
quant l'ane et l'autre ä peu pr^s les m^mes choses, 11 sera toujours
trös difficile que les arrivages du sucre et du coton de Liverpool
nous fournissent le moyen et l'occasion d'op^rer des Behanges. II
est tout simple que ces navires qui nous am^nent le sucre et le coton ne forment
dans nos ports aucune cargaison de retour, parce que, je le r^pöte, la Belgique fetant
en concurrence de produits similaires avec 1* Angleterre, eile n'a h. lui envoyer que des
lins, des os, et des 6corces, qui constituent notre seul commerce d'§changes avec eile:
Behanges insignifiants, dans lesquels n'entre aucune de nos principales Industries."
2) Moniteur Beige vom 16. Mai 1839.
3) Vgl. Tableau gfen^ral du commerce de la Belgique avec les pays fetrangers
pendant l'annge 1840, Bruxelles 1842. Der umfangreiche Band enthält auch ent-
sprechende Angaben über die vorhergehenden 5 Jahre. Sein Tabeüenmaterial liegt den
kritisch auswählenden üebersichten des Textes zugrunde.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft.
531
Wie wenig sich gegen Ende der 30er Jahre das belgische Wirt-
schaftsleben beruhigt hatte, bezeugen die Schwankungen im Außen-
handel.
Belgischer Generalhandel in Millionen Frank.
1835
Einfuhr: 172,7
Ausfuhr: 138,0
Durchfuhr: 22,7
1836
187,2
144,8
20,7
1837
200,4
129,6
25,7
1838
201,2
156,9
36,7
1839
179,3
137,9
37,2
1840
205,6
139.6
43,9
Die Lage des Jahres 1840 spiegelt die folgende Tabelle wider:
Belgischer Spezialhandel im Jahre 1840 nach
Warengruppen^) in Frank.
Einfuhr
Ausfuhr
absolut
in Proz.
absolut
in Proz.
Nahrungs- und
Genußmittel :
überseeische
einheimische
Naturstoffe
Abfälle
Halbfabrikate
Fabrikate
63 439 872
20 145 242
48687 276
3 405 780
15536016
54396676
30,9
9-8
23,7
1,7
7,5
26,4
774862
22218 183
30058712
701 352
9675982
76 199690
0,6
15,9
21,6
0,6
6,8
54.6
Summe
Edelmetalle
205610862
1254 219
100,0
139628 781
239 165
100,0
Die Handelsbilanz ist eine passive, sie zeigt ein Defizit von
65,98 Mill. frcs. oder 32,1 Proz. der gesamten Einfuhr. Dieses be-
ruht in erster Linie auf einem starken Import an Kolonialwaren,
von denen ein kleiner Bruchteil in der Ausfuhr wiedererscheint,
tatsächlich also dem Transit zuzurechnen wäre. Jedoch auch bei Aus-
schaltung jenes Postens bliebe eine Differenz bestehen, da die Mehr-
einfuhr an Naturstoffen, Abfällen und Halbfabrikaten durch die Mehr-
ausfuhr an einheimischen Nahrungs- und Genußmitteln, sowie Fabri-
katen, welch letztere mehr als die Hälfte der gesamten Ausfuhr
umfassen, keineswegs ausgeglichen wird. Man versteht also, wie
lästig Belgien die seine Grenzen auf allen Seiten umgebenden Schutz-
zollschranken empfinden mußte, zumal es schon damals in erheblichem
Grade auf die Einfuhr industrieller Roh- und Hilfsstoffe ange-
wiesen war.
1) Die Abgrenzung der Warengruppen weicht von der später gebräuchlichen ab.
Die französischen Ausdrücke lauten : Denrees ezotiques et indig^nes. Es handelt «ich
im wesentlichen um Niihiungs- und Genußmittel, tropische und subtropiMhe, sowie
solche der gemäßigten Zone, einschließlich der Getränke, aber auch des zu Nahrungs-
zwecken verwendbaren Viehes und des Viehfutters; matiSres naturelles: Rohstoffe vege-
tabilischer, animalischer, sowie mineralischer Natur, jedoch einschließlich des Zugviehes
usw. ; d^chets de fabrication, de combustion et de Vegetation im Sinne von für pro-
duktive Zwecke weiter verwendbaren Abfällen; mati^res apprSt^es: Halbfabrikate; ma-
iiferes fabriqufees: Fabrikate.
34*
532
Heinrich Waentig,
Unter den Einfuhrposten sind dem Werte nach an erster Stelle
zu nennen: Kaffee (12,9 Proz.), Rohzucker (8,7 Proz.), Baumwolle
(7,5 Proz.), Wolle (5,7 Proz.), Wollgewebe (5,5 Proz.), Getreide
(5,3 Proz.), Rohtabak (3,6 Proz.), Rohsalz (3,2 Proz.), Oelfrüchte
(3,1 Proz.), Seidengewebe (3,1 Proz.), Weine (2,6 Proz.), Baumwoll-
gewebe (2,4 Proz.), Bauholz (1,6 Proz.), Oelkuchen (1,4 Proz.), Reis
(1,1 Proz.), Oele für industrielle Zwecke (1,1 Proz.) usw.; unter den
Ausfuhrposten: Leinwand (18,2 Proz.), raffinierter Zucker (11,2 Proz.),
Tuche (9,6 Proz.), Steinkohle (8,4 Proz.), Flachs (7,0 Proz.), Baum-
wollgewebe (5,3 Proz.), Glaswaren (3,2 Proz.), Maschinen (2,9 Proz.),
Vieh (2,4 Proz.), Zink (2,2 Proz.), Pferde (2,1 Proz.), Nägel (1,9 Proz.),
Leinengarne (1,6 Proz.), Waffen (1,5 Proz.), Gußeisen (1,1 Proz.),
Spitzen und Tülle (1,1 Proz.) usw.
Ueber die Handelsbeziehungen Belgiens zu den einzelnen Län-
dern unterrichtet die nachstehende üebersicht, wozu einleitungsweise
bemerkt werden mag, daß, mit Ausnahme der durch die eingetretene
Gebietserweiterung bedingten Veränderung in der Stellung Hollands
als Ausfuhrland, die verhältnismäßige Bedeutung der darin ge-
nannten Länder während der letzten 5 Jahre keine wesentliche Ver-
schiebung erfahren hat. Dies gilt namentlich auch von England und
Frankreich, den wichtigsten Ein- und Ausfuhrländern.
Belgischer Spezialhandel im Jahre 1840 nach Ländern
in Millionen Frank.
Einfuhr
Länder
England einschl. von Gibraltar, Malta
und den jonischen Inseln
Holland
Frankreich
Vereinigte Staaten
Preußen (Zollverein)
Kuba und Portorico
Brasilien
Kußland
Haiti
Schweden und Norwegen
Hanse- Städte
Spanien
Italien
Dänemark
Portugal
Rio de la Plata
Hannover und Oldenburg
Oesterreich einschl. von Lombardo-
Venezien
Java und Sumatra
Mexiko
Mecklenburg- Schwerin
Andere Länder
absolut
43. 6 ö
40,1 6
39.89
20,19
19,12
10,97
7 79
744
4,90
2,05
1,56
1,44
1,21
1,17
1,16
OJ7
0,76
0,50
in Proz.
21,2
19,5
19,4
9,8
9,3
5,1
3,8
3,6
2,4
1,0
0,8
0,7
0,6
0,6
0,6
0,4
0,4
0,5
Ausfuhr
absolut in Proc.
11,8
29,79
54.86
1,95
17,90
2,28
1,04
0,S2
0,01
0,79
12,01
0,07
0,97
0,22
0,S7
1,15
0,70
0,6 2
7,»
2I,t
39,»
1,4
12,9
0,8
0,2
o,%
0,6
8.«
0,9
O,«
0,1
0,0
0,1
o,i
0,4
0,48
0,2
0,72
0.»
0,06
0,0
1,76
1,5
0,02
0,0
0,1 6
0,1
0,S2
0,2
0,98
1.5
Summe 205,61
100,
Auffallend ist zunächst, daß der einst so
verkehr mit Italien und der Levante, Spanien
139,68 100,—
wichtige Handels-
und Portugal und
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft.
533
erst recht mit Oesterreich jede Bedeutung verloren hat. Unter den
Einfuhrländern steht England an erster Stelle (21,2 Proz.), dem
Holland (19,5 Proz,) und Frankreich (19,4 Proz.) in kurzem Ab-
stände folgen. Etwa in gleicher Stärke schließen sich die Ver-
einigten Staaten (9,8 Proz.) und der preußisch-deutsche Zollverein
(9,3 Proz.) ihnen an. Nahezu vier Fünftel der gesamten Einfuhr
entfallen auf diese Länder. Von den übrigen kommen nur noch ge-
wisse überseeische Gebiete, wie Kuba und Portorico, Brasilien und
Haiti, endlich noch Rußland, in Betracht. Unter den Ausfuhrländern
führt Frankreich (39,3 Proz.) ; in weitem Abstände erst folgt Holland
(21,3 Proz.) ; fast zwei Drittel des gesamten Exportes sind auf sie
vereinigt. Wenn Preußen (12,9 Proz.) und die Hansestädte (8,6 Proz.)
zusammen an Hollands Bedeutung heranreichen, so steht dafür Eng-
land (7,9 Proz.) weit hinter ihnen allen zurück.
Kein Zweifel, daß Belgiens handelspolitische Lage wesentlich
durch seine Beziehungen zu England, Holland, Frankreich
und Deutschland bestimmt wird. Und zwar verteilen sich diese
Länder auf zwei verschiedene Gruppen. Der einen, von England und
Holland gebildeten, gegenüber hat es eine passive Handelsbilanz (32,57
bzw. 10,37 Mill. frcs. d. i. 74,6 bzw. 25,8 Proz. Einfuhrüberschuß);
der anderen, von Frankreich und Deutschland (preußisch-deutscher
Zollverein, Hansestädte, Hannover und Oldenburg, Mecklenburg-
Schwerin) gebildeten, gegenüber eine aktive (14,97 bzw. 9,30 Mill.
frcs. d. i. 27,5 bzw. 30,2 Proz. Ausfuhrüberschuß) aufzuweisen. Und
dieser Gegensatz vertieft sich noch, wenn man ferner den inneren
Aufbau des zwischen Belgien und jedem einzelnen von ihnen be-
wegten Warenstromes ins Auge faßt.
Belgischer Spezi alhandel im Jahre 1840 nach Waren-
gruppen in Prozent.
England
Holland
Frankreich
Deutschland
Einfuhr
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr
Nahrun gs- u.
Genußmittel :
überseeische
31,2
1,1
35;8
1,0
18,0
0,2
2,9
0,7
einheimische
o,5
11,0
30,0
7,7
5,4
8.2
15,8
37,8
Naturstoffe
15,1
68,3
11,7
8.0
15.6
35,0
44,1
2,5
Abfälle
1,0
2,9
2,6
0,0
0,7
0,6
I,*
0,0
Halbfabrikate
7.5
2,2
8,1
8,6
3,7
9,0
6,1
3,9
Fabrikate
44,7
14,6
11,7
74,7
56,7
47,0
29,7
55,1
Summe
IOO,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
Mit Waren im Betrage von 43,65 Mill. frcs. stellt England über
Vö der gesamten belgischen Einfuhr. Daß diese sich fast zur Hälfte
aus Fabrikaten (Woll- und Baumwollstoffen, Maschinen usw.), da-
neben vorwiegend aus Kolonialwaren (Rohzucker, Kaffee, Indigo,
Reis, Tabak) zusammensetzt, während die spärliche Ausfuhr von
11,08 Mill. frcs. zu 54,5 Proz. aus Flachs, ferner aus Gerberlohe,
534 Heinrich Waentig,
Butter usw. besteht, ist bezeichnend. Dagegen empfängt Belgien
von Holland zu zwei Dritteln Nahrungs-und Genußmittel (Kolonial-
waren, Getreide, Vieh), um dafür zu drei Vierteln Fabrikate (Ge-
webe aller Art, Eisen- und Glaswaren) zu liefern, so daß sich, Ton
der Tatsache des Einfuhrüberschusses abgesehen, die vor dem Bruche
bestehende Art der volkswirtschaftlichen Arbeitsteilung in der Haupt-
sache erhalten haben dürfte.
Vollkommene Aequivalenz des beiderseitigen Austausches seiner
Art nach scheint zwischen Belgien und Frankreich zu bestehen,
insofern sie sich Nahrungsmittel und Rohstoffe wie Halbfabrikate und
Fabrikate in fast genau dem gleichen Verhältnis überlassen, wobei
Belgien, wenigstens der Statistik nach, noch einen erheblichen Aus-
fuhrüberschuß zu buchen hat^). Doch ist die französische Einfuhr
viel mannigfaltiger (Weine und Spirituosen, Gewebe aller Art, Mode-
artikel, Kurzwaren) geartet, die belgische Ausfuhr im wesentlichen
auf einige wenige Artikel (Leinwand zu 34,6 Proz., Steinkohle.
Flachs, Vieh, Zink) konzentriert. Im Verkehr mit Deutsch-
land überwiegen in der Einfuhr die Rohstoffe (Wolle zu 35,6
Proz., Oelfrüchte, Bauholz), in der Ausfuhr die Fabrikate (Tuche zu
47,3 Proz., Leinwand, Maschinen, Waffen). Beide dürften sich, ohne
den Verkehr mit den Hansestädten (Einfuhr 1,56 Mill. frcs., Aus-
fuhr 12,01 Mill. frcs., darunter raffinierter Zucker zu 74,0 Proz.),
etwa die Wage halten.
Eine im Vergleich zu späteren Zeiten ziemlich geringfügige
Rolle spielt 1840, allerdings mit steigender Tendenz (43,87 Mill. frcs.
im Jahre 1840 gegenüber 22,67 Mill. frcs. im Jahre 1835), der
Transithandel, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß nicht uner-
hebliche Beträge des Spezialhandels (Kolonialwaren und Rohstoffe,
wie Wolle, Baumwolle, Bauholz), streng genommen, auf ihn zu ver-
rechnen wären. Sein innerer Aufbau erhellt aus der nachstehenden
üebersicht :
Belgischer Transithandel im Jahre 1840
nach Warengruppen in Frank.
Absolut In Proz.
Nahrungs- u. Genußmittel :
überseeische 2421635 5,5
einheimische 3 484 718 7,9
Naturstoffe 27 231 445 62,1
Abfälle 420746 1,0
Halbfabrikate i 554 152 3,5
Fabrikate 8756350 20,0
43 869 046 100,0
Es handelt sich also dabei überwiegend, nämlich zu zwei Dritteln,
um Rohstoffe (Wolle 24,2 Proz., Rohhäute 16,1 Proz., Oelfrüchte
1) Allerdings wurde von sachverständiger Seite behauptet, daß dies nur scheinbar
der Fall sei. Ein großer Teil der belgischen Ausfuhr nach Frankreich sei tatsächlich
Durchfuhrgut. Jene bestehe überwiegend aus Rohstoffen und Nahrungsmitteln. Vgl.
dazu Varlet, Des rapports commerciaux entre la Belgique et la France (Eztrait de la
Kevue des deux Mondes, Edition beige, März 1843), p. 20 ff.
Die Grandfrage der belgischen Volkswirtschaft. 535
11,0 Proz. USW.), demnächst um Fabrikate (Baumwoll-, WoU- und
Seidengewebe 5,7 Proz., Leinengarne 1,5 Proz. usw.), wogegen die
Kolonialwaren mit zusammen 5,5 Proz. auffallend zurücktreten,
üeber die an diesem Durchfuhrhandel vornehmlich beteiligten Länder
unterrichtet die folgende Tabelle:
Belgischer Transithandel imJahrel840 nach Ländern
in Millionen Frank.
Länder
Von
absolut
in Proz.
Nach
absolut
in ProK.
England
11,26
25,6
1,71
3,9
Holland
8,98
20,5
7,68
17,8
Frankreich
4,7 7
IO,9
23,75
54,1
Argentinien
4,62
io,s
0,08
o,i
Deutschland
4,48
IO,l
9,87
21,1
Rußland
3,*6
7,9
0,12
0,8
Vereinigte Staaten
2,43
5,6
o,ii
0,2
Brasilien
1,46
^,s
0,80
0,7
Andere Länder
2,56
5,9
1,05
2,4
Summe 43,87 100,0 43,87 100,0
An erster Stelle als Einfuhrland steht wiederum England mit
Vi des gesamten Transits; es folgen Holland mit Vs? Frankreich und
Deutschland mit je reichlich Vio- Von den überseeischen Ländern
hat in dieser Hinsicht nur Argentinien einige Bedeutung. Ueber
die Hälfte der gesamten Durchfuhr (54,1 Proz.) ist für Frankreich
bestimmt, ein reichliches Fünftel für Deutschland, etwas weniger
für Holland. Alle anderen Bestimmungsländer, auch England, sind
kaum erwähnenswert.
Wichtig für die Technik der gesamten Warenbewegung ist die
Tatsache, daß, einschließlich der an Freilager abgegebenen und ihnen
entnommenen Beträge^), 1840 in Millionen Frank die folgenden
Warenmengen ein- und ausgeführt wurden:
Ueber Land sowie auf g Zusammen
Kanälen und Flüssen
absolut in Proz. absolut in Proz. absolut in Proz.
Einfuhr 99,88 40,5 146,58 59,5 246,41 100
Ausfuhr 134,39 73,2 49,11 26,8 183,50 100
und zwar:
Eigenhandel 96,25 69,2 43,88 31,8 139,68 ^00
Durchfuhrhandel 38,14 86,9 5,78 13,1 43,87 100
Es ergibt sich hieraus, daß die gesamte im Außenhandel be-
wegte Warenmasse, die allerdings nur dem Werte, nicht der Menge
nach, bekannt ist, vornehmlich (59,5 Proz.) zur See eingeführt, da-
gegen überwiegend (73,2 Proz.) zu Lande ausgeführt wurde. Ab-
solut war dieses Mißverhältnis noch viel größer, da die aus-
geführte Warensumme ganz erheblich hinter der eingeführten zu-
rückstand. Gerade in der Transitausfuhr trat jener Gegensatz
1) Bestand der Freilager am 1. Januar 1840 19,01 Hill, fros., am 31. Dezember
1840 15,93 MiU. frcs.
536
Heinrich Waentig,
(86,9 bez. 13,1 Proz.) besonders zutage. Sie trug also unendlich wenig
dazu bei, die Schiffahrt mit Rückfrachten zu versehen ^).
Auch in der belgischen Schiffsbewegung kommt die ungeklärte
Wirtschaftslage zum Ausdruck. Es betrugen nämlich die in belgische
Häfen ein- und ausgelaufenen Schiffe:
Im Jahre
Anzahl
Tonnengehalt
1835
3689
428 105
1836
3693
467 741
\
1837
4019
578214
1838
4521
669 769
1839
3662
471697
1840
3564
473406
Der Stand des Jahres
1840 ist
aus der nachstehenden
Tabelle
zu ersehen:
Eingelaufen
Ausgelaufen
In Anzahl
Tonnen-
gehalt
Ladung
in Tonnen
Anzahl
Tonnen-
gehalt i
Ladung
n Tonnen
Antwerpen 1 158
177 315
171 507
1153
179485
26 261
Ostende 387
41947
36989
366
39414
4 459
Zelzaete 147
15 312
15227
143
14543
3532
Nieuport 105
2695
2478
105
2695
537
1797
237 269 226 201
767
236 137
34789
Die überragende Stellung Antwerpens steht außer Frage. Seine
Schiffsbewegung ist größer als die aller anderen Häfen zusammen-
genommen. Auch hat es sich, wie die folgenden Ziffern erweisen -),
von den Erschütterungen der Revolutionszeit einigermaßen erholt,
ohne freilich seine alte Bedeutung wieder zu erreichen.
Wareneinfuhr in Antwerpen in den Jahren 1829 bis
1831 und 1839 bis 1841.
Jahre
Kaffee
Zucker
Tabak Beis
Baum-
wolle
Pott-
asche
Häute
Faß
Ballen
Faß
Kisten
Pack
Faß
Ballen
F.B
BaUen
Ballen
Faß
Stück
1829
1830
1831
1839
1840
1841
5366
1402
201
386 060
355 189
133 173
239334
266 136
232 000
3569
i960
1522
1956
1050
570
68014
27370
19563
43964
77385
56350
83367
48605
20682
52839
21 670
45350
1600
2777
3398
4027
8439
9355
1639
2078
249
2012
10062
10034
18799
23287
2546
8820
10330
6 100
98766
41788
7942
61933
27800
31 100
54005
21347
7492
25 261
52759
41740
15299
8711
7118
16336
12440
II 645
401882
335 435
220 100
206743
296 228
711 806
1) Nach einer von der Handelskammer Lüttich angestellten Berechnung entHelen
im jährlichen Durchschnitt (1831 — 1840) von der Gesamtleistung der Seeschiffahrt in
Belgien (abzüglich der Ballastschiffe) auf die belgische Handelsmarine 22V« Proz., das
ist 23^/g Proz. des Wertes der über Land und auf Kanälen und Flüssen beförderten
Waren. Bei Hinzuziehung des Transits ergebe sich für die Periode 1835 — 1840, daß
durch die belgische Handelsmarine 217« Proz., durch Binnenschiffahrt und Fuhrwerk
78V4 Proz. der gesamten im Handel bewegten Gütermenge transportiert worden seien.
Vgl. Situation commerciale et industrielle de la Belgique, Enquete parlementaire in-
8titut§e en 1840, Deuxiöme partie, p. 269.
2) Le Moniteur commercial, Tome VI, 1842, p. 115.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft.
537
Jedenfalls leidet es in noch höherem Grade als die kleineren
Häfen, Ostende ausgenommen, an dem allgemeinen Uebel. Während
nämlich die eingelaufenen Schiffe ihren Tonnengehalt nahezu völlig
auszunutzen vermögen, ist dies für die auslaufenden im Landesdurch-
schnitt, wie auch in Antwerpen, nur für etwa ein Siebentel, in
Ostende sogar nur für ein Neuntel des verfügbaren Schiffsraumes
der Fall. Und zwar tritt diese Erscheinung, wie die folgende Ueber-
sicht beweist, bei den fremdländischen Schiffen eher noch stärker
als bei den belgischen hervor.
Schiffsbewegung der belgischen Häfen im Jahre 1840.
Beladen '
eingelaufen
ausgelaufen
belgische
fremde
Summe
belgische
fremde
Summe
Zahl
Tonnengehalt
447
6i 041
1329
174404
1776
235 445
320
42804
568
56059
888
98863
In Ballast
eingelaufen
ausgelaufen
belgische
fremde
Summe
belgische
fremde
Summe
Zahl
Tonnengehalt
5
312
16
1512
21
1824
"5
20045
764
117229
879
137 274
Diese Beobachtung findet in den folgenden Ziffern ihre Be-
stätigung. Mit 24,6 Proz. an der Zahl der ausgelaufenen Schiffe,
mit 26,6 Proz. an ihrem Tonnengehalte beteiligt, vereinigen die
belgischen nahezu die Hälfte ihrer gesamten Ladung auf sich.
Schiffsbewegung der belgischen Häfen im Jahre 1840
nach Flaggen in Prozent.
Eingelaufen
Ausgelaufen
Anzahl
Tonnen-
Ladung
Anzahl
Tonnen-
Ladung
gehalt
in Tonnen
gehalt
in Tonnen
Belgien
25,1
25,9
24,8
24,6
26,«
47.8
England
21,4
14.6
13,2
22,2
14,8
18,2
Hannover u. Oldenburg
14,9
7,9
8,2
14,6
11,3
Skandinavien
9.3
14,0
14,6
9.2
13,8
3.4
Dänemark
6,5
3,7 .
3,9
6,5
2,2
Vereinigte Staaten
5,4
13,8
14.1
5,6
13,8
3,6
M ecklenburg-Sch werin
5,1
7,7
8,1
5,2
1,0
Frankreich
3,3
1,9
2,0
3,2
3,8
Preußen
2,9
4,9
4,9
2,7
0,9
Holland
2,8
1,8
1,9
2,8
2,0
Hansestädte
1,3
1,4
1,4
1,8
2,2
Andere Länder
2,0
2,7
2.9
2,2
3,6
Summe
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
538
Heinrich Wacntig,
Es zeigt sich also ferner, daß Belgiens Handelsmarine im Jahre
1840 ein Viertel des gesamten Verkehres in seinen Häfen bewältigte
und weder an Zahl noch an Tonnengehalt von irgendeiner anderen
Flagge übertroffen wurde ^). Am nächsten stand ihm in beiderlei
Hinsicht England, demnächst an Zahl Hannover und Oldenburg, an
Tonnengehalt Skandinavien und die amerikanische Union. Zu-
sammengenommen aber überragte die deutsche Schiffahrt an Zahl
(24,2 Proz.) wie an Tonnengehalt (21,9 Proz.) alle anderen außer der
belgischen, obwohl die knyphausenschen, papenburgischen und rostocki-
schen Schiffe, die einige Jahre zuvor an den belgischen Küsten noch
ihr Wesen getrieben hatten, mittlerweile verschwunden waren, die
hanseatischen noch kaum in Frage kamen.
Ueber die Bedeutung dieses Schiffsverkehrs für die Pflege
überseeischer Handelsbeziehungen unterrichtet endlich die folgende
Tabelle:
Schiffsbewegung der belgischen Häfen im Jahre 1840
nach Herkunft und Bestimmung in Prozent.
Eingelaufen von:
Ausgelaufen nach:
Anzahl
Tonnen-
Ladung in
Anzahl
Tonnen-
Ladung in
Gehalt
Tonnen
Gehalt
-
Tonnen
England
33,8
26,0
23,5
38,6
29,2
50.«
Deutschland
I5>7
12,1
12,4
13,0
10,0
fO,6
Skandinavien und Dä-
nemark
13,4
10,8
11,4
7,0
8,6
3,6
Kußland
IO,4
15=0
15,7
1,6
0,2
1,0
Frankreich
6,9
4,8
4,8
3,9
2,7
5,9
Vereinigte Staaten
5,2
12,8
13,4
2,1
6,8
3,6
Mittelamerika
4,5
7,7
8,1
2,2
3,4
5,4
Südamerika
3,0
4,0
4,4
1,4
2,3
2,7
Holland
2,8
1,8
1,6
1,0
0,5
0,6
Spanien und Portugal
2,1
1,9
1,9
3,6
6,0
0,8
Italien
1,2
1,4
1,2
0,3
0,5
0,9
Afrika
0,5
0,5
0,4
0,2
0,1
0,4
Levante
0,3
0,6
0,6
0,6
1,0
2.7
Oesterreich mit Lom-
bardo-Venezien
0,2
0,5
0,6
0,2
0,2
0,6
Ostasien
0,1
0,1
0,1
0,3
0,9
Auf Aventur
—
24.S
28,2
0,1
Summe
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
Wie zu erwarten, überragt der belgisch-englische Verkehr jeden
anderen. Der nächststarke deutsche, auch der skandinavische und
1) Die wesentlich der Küstenschiffahrt dienende belgische Handelsmarine umfaßte
am 31. Dezember 1841 im ganzen 171 Schiffe mit einem Gesamttonnengehalt von
28 000 t, so daß im Durchschnitt auf ein Schiff 168,9 t entfielen. Das größte Schiff
dieser Flotte, der der belgischen Regierung gehörige Dampfer Britisch Queen mit 2255 t
war aus technischen Gründen unverwendbar. Die gleichzeitige holländische Handels-
flotte umfaßte 1135 Schiffe, wovon 397 für den Femverkehr, 756 für die Küstenschiff-
fahrt bestimmt waren. Vgl. Le Moniteur commercial, Tome VI, 1842, p. 50 ff.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 539
russische, stehen weit hinter ihm zurück. Die Geringfügigkeit des
französischen und holländischen dürfte sich großenteils aus der Be-
nutzung der Binnenwasserstraßen erklären. Namentlich aber spiegelt
sich in den obigen Ziffern deutlich der allseits beklagte „indirekte"
Charakter der von Belgien mit den überseeischen Gebieten unter-
haltenen Austauschbeziehungen. Während nämlich z. B. unter den
1840 eingelaufenen Schiffen nach Zahl, Tonnengehalt und Frachten-
menge wenigstens die den amerikanischen Häfen entstammenden
einigermaßen vertreten sind (12,7, 24,5, 25,9 Proz.), schrumpft dieser
Verkehr in der umgekehrten Richtung verhältnismäßig auf etwa
die Hälfte (5,7, 15,5, 11,7 Proz.) zusammen. Tatsächlich noch viel
mehr, da die Gesamtladung der ausgelaufenen Schiffe absolut weit
hinter derjenigen der eingelaufenen zurückbleibt. Nicht weniger als
die volle Hälfte der gesamten Rückfracht geht nach England; daß
auch die deutsche stärker vertreten ist, liegt an den Hansestädten,
die allein 16,3 Proz. davon absorbieren. Nicht minder bezeichnend
ist endlich der Anteil (24,3 bzw. 28,3 Proz.) der „auf Aventur", d. h.
ohne bestimmtes Reiseziel, und auch fast ohne jede Ladung in See
gegangenen Schiffe.
Lückenhaft und verbesserungsbedürftig wie diese Ziffern sein
mögen, geben sie im großen und ganzen doch ein anschauliches Bild
von dem Wesen belgischen Wirtschaftslebens, wie es sich nach zehn-
jährigem Bestehen des neu gegründeten Staates allmählich heraus-
gebildet hatte. An die Stelle der in sich ausgeglichenen und kraft-
vollen Volkswirtschaft des Königreiches der Vereinigten Niederlande,
die auch dem stärksten Gegner im internationalen Wettkampfe die
Spitze bieten durfte, war ein zwar lebendiges, aber im Grunde doch
schwächliches und in mancherlei Hinsicht höchst abhängiges Gebilde
getreten, das im wesentlichen auf den guten Willen seiner Nach-
barn angewiesen war. Aus einem ebenbürtigen Verbündeten des
kapitalkräftigen und seegewaltigen Hollands war Belgien eine
Art Anhängsel des ihm industriell wie kommerziell gleich über-
legenen Englands geworden, dessen politische Gönnerschaft in öko-
nomische Bevormundung, wenn nicht gar Ausbeutung, auszuarten
drohte.
So etwa mußte sich dem aufmerksamen Leser dieser Handels-
und Schiffahrtsstatistik Belgiens wirtschaftspolitische Lage darstellen.
Daß die Zahl der Eingeweihten sehr groß gewesen wäre, darf man
bezweifeln; denn das vom Ministerium des Innern 1842 herausge-
gebene große Tabellenwerk ist durch die amtliche Stelle weder ana-
lytisch, noch kritisch verarbeitet worden. Um so wirkungs-
voller ward die praktische Politik von privater Seite vorbereitet.
Briavoinne's im Jahre 1839 veröffentlichtes zweibändiges Werk
„De l'industrie en Belgique, causes de decadence et de pro-
sperite, sa Situation actuelle", das auf historisch-statistischer
Grundlage Ursprung, Wesen und Aussichten der belgischen In-
540 Heinrich Waeniig,
dustrie beleuchtete, konnte als Wegweiser bei allen weiteren Studien
dienen ^).
Drei Ursachenkomplexe bestimmen danach Belgiens Wirtschafts-
lage: seine geschichtliche Vergangenheit, die technische Umwälzung
der letzten fünfzig Jahre, die durch die staatliche Wirtschaftspolitik
geschaffenen Institutionen. Diesen letzteren nun ist der ganze zweite
Band des Werkes gewidmet, woraus sich schon ergibt, daß der Ver-
fasser von einer bloßen Negation solcher Einrichtungen, von deren
Abbau zur Entfesselung des freien Spieles der wirtschaftlichen
Einzelkräfte nach dem Rezepte der britischen Schule, nichts wissen
wollte. Ueberhaupt schicke sich nicht eines für alle, und gleiches nicht
für alle Zeiten. „Ceux qui voudraient soumettre en ce moment", er-
klärt er kategorisch, „toutes les nations indistinctement ä un regime
uniforme, soit de liberte, soit de restriction, auraient contre eux Pex-
perience qui nous enseigne ä marcher dans cette voie avec prudence,
avec reserve, en commengant par observer les besoins varies des lieux
et des temps".
„Que chaque societe politique, petite ou grande, soit maitresse
chez eile et libre d'adopter le Systeme qui lui parait le
plus conforme aux interets et aux voeux du plus grand
nombre": dies das Prinzip, das aller Wirtschaftspolitik, somit auch
der belgischen, zugrunde zu legen sei. Frei allerdings sei Belgien
jahrhundertelang nicht gewesen; ja, es trage noch heute an den
Lasten seines Mißgeschickes. „La Belgique demembree, amoindrie
de siecle en siecle, de guerre en guerre, n'est plus aujourd'hui qu'une
puissance de troisieme ordre, tandis que PAngleterre, sa rivale, marche
au Premier rang. Elle est donc jusqu'ä un certain point dans la
dependance de voisins qui la protegent; eile n'est pas
toujours maitresse de diriger sa politique commer-
ciale, comme il convient ä ses interets." Vielleicht noch
wichtiger sei ein zweiter Punkt : „Une autre consequence des desastres,
1) Marie Natalis Briavoinne, geboren den 9. September 1799 in Paris, gestorben
den 12. September 1869 in Ixelles, Franzose, Advokat in Paris, wanderte wenige Tage
vor Ausbruch der Revolution in Belgien ein, gründete im Oktober 1830 die Zeitung
„L'Emancipation", später „L'ficlair", und war einer der ersten von denen, die sich in
Belgien um die Verbreitung wohlfeiler Volkszeitungen, wie „L'^ficho de Bruxelles" und
„Le Peuple" bemühten. Von Beruf Journalist, hat er sich als Nationalökonom nament-
lich durch Veröffentlichung einer am 8. Mai 1837 von der Brüsseler Acad^mie des
Sciences et Beiles lettres gekrönten Preisschrift „Sur les inventions et perfectionnements
dans Pindustrie depuis la fin du XVIIP siecle jusqu'ä nos jours" (Bruxelles 1838), einer
am 7. Mai 1840 gekrönten zweiten Preissehrift „Sur l'fetat de la population, des fabri-
ques, des manufactures et du commerce dans les provinces des Pays-Bas depuis Albert
et Isabelle jusqu'ä la fin du siecle demier" (Bruxelles 1838), endlich des im Text er-
wähnten grundlegenden Werkes über die belgische Industrie (Bruxelles 1839) hervor-
getan. Diesen Leistungen hatte er wohl auch seine Ernennung zum Sekretär der am
25. Februar 1840 eingesetzten Kommission zur Untersuchung der Lage des Leinen-
gewerbes zu verdanken. Von da ab hat er sich nur noch journalistisch betätigt. Seine
Bedeutung als Nationalökonom soll demnächst in einer besonderen Studie von mir
gewürdigt werden. Er ist als einer der Vorläufer der „historischen" Schule zu be-
trachten. Zu den Ausführungen des Textes vgl. De l'industrie en Belgique, Tome II,
p. 15 ff., 537 ff.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 541
que deux siecles de revers ont fait peser sur ce pays, a ete de
reduire de plus en plus l'etendue de son marche Inte-
rieur. Or, c'est celui auquel il faut attacher le plus
de prix. L'industrie beige approvisionne quatre millions ä peine,
et pour beaucoup de produits eile partage cet approvisionnement
avec ses voisins, sans retrouver ailleurs une egale compensation.
Aussi Pimportance de ses etablissements se trouve-t-elle souvent
limitee par celle de son marche."
Trotzdem habe sich die belgische Industrie erstaunlich ent-
wickelt. „Pour tout ce qui est Industrie manufacturiere, la Belgique
dispute le terrain pied ä pied ä ses voisins; mais des qu'ils'agit
des branches de travail qui concourent au commerce
exterieur, soninferioritecommence. La marine marchande
est presque nulle, la construction de ses navires est dispendieuse; eile
n'a qu'un commerce de peche insignifiant; eile ne compose qu'avec
peine des equipages. Si, nonobstant toutes ces entraves, eile parvient
encore ä entretenir des relations importantes avec ses voisins, c'est
qu'elle trafique par terre plus que par mer."
Hierin einen Wandel herbeizuführen, sei sicher eine der wich-
tigsten Aufgaben der nationalen Wirtschaftspolilik. Einig über die
Ziele, gingen die Ansichten der Beteiligten über die anzuwendenden
Mittel diametral auseinander. In der Stellungnahme Antwerpens
auf der einen, Ostendes auf der anderen Seite trete dies augenfällig
zutage. Die belgische Regierung nun scheine eine mittlere Linie
einhalten zu wollen. Sie zeige das Bestreben, den Außenhandel zu
entwickeln, zugleich aber ein gemäßigtes Schutzsystem auszugestalten,
das sich auf Schiffahrt und Handel, Gewerbe und Landwirtschaft
gleichmäßig erstrecken, namentlich aber den direkten Verkehr mit
den überseeischen Ländern begünstigen müsse.
Eben deshalb könne es aber auch nicht in Belgiens Interesse
liegen, Handels- und Schiffahrtsverträge auf Gegenseitigkeit mit
allen Staaten ohne Ausnahme abzuschließen. Nach dem Grade ihrer
Leistungsfähigkeit sei sorgfältig zu unterscheiden. „Le principe
qui veut que la protection envisagee d'une maniere generale est
necessaire pour retablir une inegalite momentanee dans
les conditions de travail entre les peuples", sei auch auf
diese diplomatischen Abmachungen anzuwenden, was keineswegs der
erwiesenen Tatsache widerspreche, „que toute legislation de
douane constitue un etat transitoire, destine ä faire dis-
paraitre, entre les nations qui produisent, les inegalites momentanees
de travail, ä eloigner Poppression, le monopole, ä faciliter ä un mot
le perfectionnement du savoir industriel" ')•
Briavoinne's Ansichten, aus gründlichster Kenntnis der belgischen
Volkswirtschaft entwickelt und unter Heranziehung eines umfassen-
1) Dieser Begriff ist grundlegend für Briavoinnes Wirtschaftsthecrie. Er versteht
darunter „un amour du travail savamment dirig6 vers tout ce que la nature ou le
hasard vient mettre ä la port^e des hommes". (De l'industrie en Belgique, Tome II, p. 5.)
542 Heinrich Waentig,
den Vergleichsmaterials aus dem Wirtschaftsleben anderer Völker
überzeugend vorgetragen, scheinen einen bestimmenden Einfluß
auf Beamtenschaft^) wie Parlament ausgeübt zu haben. Jedenfalls
verstärkten sie allenthalben den Wunsch, aus dem mißlichen Zu-
stande unklaren Schwankens herauszukommen. Ein in der Kammer-
sitzung vom 19. Februar 1840 durch den Abgeordneten de Foere
gestellter Antrag auf Einsetzung einer parlamentarischen Enquete-
kommission zur Klärung der Lage wurde nach leidenschaftlicher
Debatte am 18. Mai desselben Jahres angenommen. Sie erhielt den
Auftrag, den gegenwärtigen Stand des belgischen Außenhandels in
seinen Beziehungen zu Industrie und Landwirtschaft zu unter-
suchen, festzustellen, ob die geltende Gesetzgebung versage, und be-
jahenden Falles dem Parlamente die Grundzüge eines Handels- und
Schiffahrtssystemes vorzulegen, das im Interesse der Nation etwa
einzuführen wäre. Sie eröffnete ihre Tätigkeit bereits am 20. Juni.
Besondere Erhebungen des Ministeriums des Innern liefen nebenher ^).
Die leitenden Gesichtspunkte des der Kammer am 22. Dezember
1841 erstatteten Enqueteberichtes ^) waren die folgenden: Belgiens
Außenhandel in seinen Beziehungen zur heimischen Industrie leide
an einer empfindlichen Depression. Dieses vornehmlich aus zwei
Gründen. Einmal, weil die europäischen Staaten sich seiner Ent-
wicklung durch ihr Schutzsystem widersetzten. Da in dieser Hin-
sicht auf absehbare Zeit kaum eine Aenderung zu erwarten sei,
könne auch der Abschluß von Handels- und Schiffahrtsverträgen
mit ihnen keinerlei Besserung bringen. Vielmehr müsse Belgien
ihrem Beispiele folgen. Ein Schiffahrtsvertrag auf Gegenseitigkeit,
der die Schiffe beider Nationen den nationalen assimiliere, könne
mit den Vereinigten Staaten abgeschlossen werden; jedoch nur,
soweit es sich um die wechselseitige Einfuhr von Erzeugnissen der
eigenen Landwirtschaft und Industrie der Beteiligten handele.
Der zweite Grund sei, daß es Belgien bisher nicht gelungen,
regelmäßige und unmittelbare Austauschbeziehunzen zu den über-
seeischen Ländern herzustellen. In diesem wichtigen Punkte treffe
jedoch es selber die meiste Schuld. Naiverweise habe es sich dazu
herbeigelassen, die überseeischen Produkte, deren es bedurfte, statt
an ihren Ursprungsorten, in den europäischen Umschlagshäfen zu er-
werben, obwohl es dort auf den Absatz seiner eigenen Erzeugnisse nicht
habe rechnen können. Nicht genug damit, habe es fremden Nationen
1) Bezeichnend ist in dieser Hinsicht eine anonyme Broschüre, betitelt „Du com-
merce maritime et de l'^tablissement du Systeme des droits diff^rentiels en Belgique",
Bruxelles 1842, die Louis-Charles-Fortun6 Varlet, damals Chef de la division du
commerce au Ministöre de l'int^rieur, zugeschrieben wird
2) Vgl. Situation commerciale et industrielle de la Belgique, Enquete parlemen-
taire institu^e en 1840, 2 vols. Discussion de la loi des droits diff^rentiels du 21 juillet
1844, d'apr^ le Moniteur Beige, Bruxelles 1844.
3) Discussion de la loi des droits diff^rentiels, p. 41 ff. Dieser Bericht
betraf ausschließlich die Lage von Schiffahrt und Außenhandel. Ein zweiter Enquöte-
bericht über die Lage der Industrie wurde der Kammer am 23. Februar 1844 vorgelegt
(a. a. O. p. 277 ff.).
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 543
gestattet, jene Produkte, mit verschwindenden Ausnahmen (Tee und
Zucker), fast unter den gleichen Bedingungen in belgischen Häfen
einzuführen, wie der heimische Handel, und ihnen damit die Mög-
lichkeit geboten, im Austausch für die Belgien gelieferten Waren
ihre eigenen Erzeugnisse in überseeischen Ländern abzusetzen. Beides
mit dem verderblichen Erfolge, daß die steigende Nachfrage Belgiens
nach überseeischen Gütern in erster Linie seinen Konkurrenten zu-
gute kam, der belgische Handel immer mehr zu einem bloßen Kom-
missionshandel herabsank, das Absatzgebiet belgischer Industrie-
produkte sich auch in den überseeischen Ländern immer mehr
einengte.
Das neue Wirtschaftsprogramm nun müsse vornehmlich auf die
Förderung des belgischen Industrieexportes zugeschnitten sein, der
am meisten durch die sichere Aussicht auf gewinnreiche Rück-
frachten begünstigt werde. Dazu sei es nötig, direkte Handelsbe-
beziehungen mit den überseeischen Produktionsgebieten, den beiden
Indien, Zentralasien und China, Afrika und Südamerika, anzu-
knüpfen und umgekehrt die Einfuhr ihrer Erzeugnisse durch die
Vermittlung der europäischen Umschlagshäfen oder der fremdlän-
dischen Schiffahrt in belgischen Häfen mit Hilfe eines Systemes
von Unterscheidungszöllen zu verhindern oder doch zu erschweren.
Dagegen sei das Transitgut von jeder differenziellen Behandlung,
welcher Art immer, zu befreien.
Die Enquetekommission hatte ihre praktischen Anregungen in
einem Gesetzentwurf niedergelegt, die Regierung ihrerseits einen
zweiten ausgearbeitet, die meistbeteiligte Handelskammer von Ant-
werpen einen dritten beigesteuert. Sie bildeten die Unterlagen der
parlamentarischen Verhandlungen, die Ende April 1844 zunächst mit
geheimen Sitzungen begannen, Anfang Mai öffentlich fortgesetzt
wurden und sich bis Mitte Juni hinzogen. Das Gesetz über die
Unterscheidungszölle war das Ergebnis der langwierigen Beratungen.
Am 11. Juni mit 43 gegen 25 Stimmen von der Kammer, am 18. Juli
mit 28 gegen 5 Stimmen vom Senate angenommen, wurde es am
21. Juli 1844 vom Könige vollzogen. Niemals ist eine große wirt-
schaftspolitische Aktion gründlicher vorbereitet, leidenschaftlicher
diskutiert worden, niemals eine in ihren Ergebnissen wirkungsloser
verpufft.
(Schluß folgt.)
544 Eugen Wfirebnrger,
VIII.
Ausblick auf unsere künftige Bevölkerungs-
entwicklung.
Von
Eugen Würzburger.
Der Abschnitt der deutschen Bevölkerungsgeschichte, der durck
scharfen Rückgang der Geburtenziffer auf der einen, der Kinder-
sterblichkeit auf der anderen Seite gekennzeichnet wird, liegt hinter
uns. Im letzten Drittel der etwa IV2 Jahrzehnte, die er umfaßte,
hat die erstgenannte von den beiden Erscheinungen, der Geburten-
rückgang, steigendes Aufsehen erregt und bewirkt, daß die Ge-
burtenfrage heute zu denjenigen gehört, an denen keiner vorüber-
gehen zu dürfen glaubt, der in Dingen des nationalen Wohls ur-
teilen will.
Ueber diese bevölkerungsstatistischen Tatsachen und über ihre
zum Teil recht fragwürdige Behandlung in der nicht fachstatistischen
Literatur habe ich meine Auffassung, die ich hier nicht wiederholen
möchte, insbesondere in „Schmollers Jahrbuch", Oktober 1914, in der
„Sozialen Praxis" vom 24. Februar 1916 und in Besprechungen be-
völkerungsstatistischer Schriften im „Deutschen Statistischen Zentral-
blatt" niedergelegt.
Der Krieg hat in die Bevölkerungsverhältnisse tief eingegriffen
und eine neue Periode in der Geschichte der deutschen Bevölke-
rungsentwicklung eingeleitet. Auch darin kommt den Bewegungen
der Geburtenziffer, nicht minder als denjenigen der Sterbefälle, ent-
scheidende Bedeutung zu. Aber der Geburten aus fall während des
Krieges hat mit dem Geburtenrückgang aus der Zeit von 1900 bis
1914 weder ursächlich noch in der Form, wie er sich statistisch
darstellt, etwas gemein. Er ist eine der drei Formen, in denen der
Krieg auf unsere Bevölkerungszusammensetzung bis jetzt erkennbar
wirkt oder wirken wird, und über die das Folgende einen kurzen
Ueberblick zu geben versucht.
Den ersten und schmerzlichsten, aber nicht größten Bevölke-
rungsverlust verursachen die unmittelbaren Kriegstodesfälle auf dem
Schlachtfeld und infolge von Wunden und Erkrankungen. Die
„SeLskabet for Social Forsken of Krigens Feiger'^ in Kopenhagen
schätzt sie in ihrem „Bulletin Nr. 2" für das Deutsche Reich auf
Ausblick auf uusere künftige Bevölkerungsentwicklung. 545
die Zeit bis 1. Juli 1916 auf Grund der Verlustlisten und gewisser
Annahmen auf 771 308. Diese Todesfälle verteilen sich in der Haupt-
sache auf 15 bis 20 der erwerbs- und zeugungskräftigsten Alters-
klassen und stören das Gleichgewicht der Geschlechter, das bis da-
hin innerhalb dieser Altersklassen annähernd bestanden hatte. Nach
dem Kriege werden aber die Lücken in diesen Altersklassen in ab-
sehbarer Zeit, vorausgesetzt, daß der Friede inzwischen nicht aber-
mals gestört werde, sofort sich in dem Maße zu schließen anfangen,
als die vom Kriege nicht berührten jungen Altersklassen nachrücken,
so daß z. B. die Klasse der 18— 23-jährigen jungen Leute nach Ab-
lauf von 5 Jahren, die der 23 — 28-jährigen nach 10 Jahren, die der
28— 33-jährigen nach 15 Jahren wieder vollzählig wie vorher sein
wird. Alsdann wird aber diese selbsttätige Ergänzung eine Unter-
brechung infolge des nachstehend zu nennenden Umstandes erfahren.
Die zweite Art des Bevölkerungsverlustes besteht in dem Aus-
fall an Geburten, den die Trennung von Ehepaaren während der
Dauer des Krieges verursacht. Dieser Verlust wird zweifellos an
zahlenmäßiger Bedeutung die durch Kriegssterbefälle weit über-
ragen, wie es ja auch im Kriege von 1870/71 der Fall gewesen.
Er steht im unmittelbaren Verhältnis zur Zahl der Verheirateten unter
den mobilen Truppen und mußte, da der Anteil der Verheirateten
an der Gesamtzahl der Truppen infolge der im allgemeinen späteren
Einberufung der älteren Dienstpflichtigen zum Heere im Laufe des
Krieges ständig, und zwar bis auf etwa Vs oder sogar ^is, gewachsen
sein dürfte, notwendig ebenfalls andauernd größer werden. Die
Klagen über alle möglichen anderen eingebildeten Ursachen der an-
dauernden Verminderung der Geburtenzahl während der bisherigen
Kriegsjahre entbehren der sachlichen Begründung. In Sachsen z. B.
verhält sich die Zahl der Geburten in dem letzten durch den Krieg nicht
beeinflußten Vierteljahr Januar-März 1915 zu der des Vierteljahrs
April-Juni 1917 wie 7 zu 3. Die Zahl der in ihrem Haushalt an-
wesenden Ehemänner aus den hauptsächlich für die Zeugung in Be-
tracht kommenden Altersklassen hat sich aber in der entsprechenden
Zeit, d. h. vom Beginn des Krieges bis zum Herbst 1916, mindestens
im nämlichen, wahrscheinlich aber in erheblich stärkerem Maße ver-
mindert.
Es besteht kein Grund, daran zu zweifeln, daß die auf solche
Weise gestörte eheliche Fruchtbarkeit wieder einsetzen wird, sobald
die Demobilisierung die Ehemänner in die Heimat zurückgeführt
haben wird. Eine gewisse Minderung infolge von im Felde erwor-
benen Krankheiten und Verstümmelungen wird gewiß nicht aus-
bleiben; doch ist wohl ihre Bedeutung im Verhältnis zur Gesamt-
zahl der wiederherzustellenden ehelichen Gemeinschaften nicht so
hoch zu schätzen, wie es ohne positive Unterlagen vorauszusagen
üblich geworden ist.
Der Geburtenausfall, der sich auf den Zeitraum von Anfang
Mai 1915 bis ^4 Jahre nach der Rückkehr unserer Feldgrauen er-
strecken wird, muß sich mit Notwendigkeit auf die ganze Dauer
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 35
546 Eugen Würzburger,
des Lebens der dieser Zeit entstammenden Generation in der Be-
völkerungszusammensetzung Deutschlands fühlbar machen. Im Jahre
1871 haben die 7 Kriegsmonate einen Geburtenausfali von über
150 000 bewirkt, der gänzlich in die Geburtsjahrklasse 1871 fiel
und bei dieser noch in der Volkszählung von 1910 dadurch zum
Ausdruck kam, daß die betreffende Altersklasse bei beiden Ge-
schlechtern an Zahl gegenüber der folgenden merklich zurückblieb
(siehe die graphische Darstellung in Bd. 240 der „Statistik des
Deutschen Reiches").
Die — bis jetzt — drei vom Weltkrieg betroffenen Geburts-
jahrklassen werden insgesamt einen mehr als 15mal stärkeren Aus-
fall zeigen als der vom Krieg von 1870/71 hervorgerufene; durch
den ganzen Verlauf des Lebens dieser Jahresklassen, also durch mehr
als ein halbes Jahrhundert hindurch, entsprechend ihrem jeweiligen
Alter fortschreitend, wird sich überall das Fehlen von einem Drittel
oder mehr des gewohnten Nachwuchses scharf fühlbar machen; erst
beim Schulbesuch, dann beim Eintritt ins erwerbstätige Leben und
bei den Männern in den Heeresdienst, endlich bei den den Personen
reiferen Alters vorbehaltenen Beschäftigungen und Stellungen. So
wird in 20 — 30 Jahren unter allerdings nur 3 Jahrgängen der er-
werbstätigen Klassen eine Lücke ähnlich der jetzt durch die Kriegs-
opfer bewirkten entstehen, aber dann bei beiden Geschlechtern.
Da es sich dabei um Dinge handelt, die sich mit annähernder
Sicherheit lange vorausberechnen lassen, so liegt hier einer der
Punkte vor, in denen eine vorsorgende Bevölkerungspolitik von
sicherer Grundlage aus eingreifen kann und muß. Auch sonstige
Verwaltungsmaßregeln können dadurch nahegelegt werden; man denke
beispielsweise an die Möglichkeit von Ersparnissen im Schulwesen
im Hinblick auf die zu erwartenden Jahre mit so stark geminderter
Schülerzahl. Es wird eine der nächsten Aufgaben der amtlichen
Statistik nach dem Kriege sein, auf Grund der Geburtenzahlen der
Kriegsjahre die nötigen Unterlagen zu schaffen.
In dritter Linie steht das Ausbleiben der Nachkommenschaft,
die die Opfer des Krieges nach demselben noch zu erwarten ge-
habt hätten. Hierbei ist einerseits an die Kinder bestehender und
durch den Kriegstod des Ehemanns gelöster Ehen zu denken, anderer-
seits an diejenigen, die aus den zu erwartenden Ehen der gefallenen
Ledigen hervorgegangen sein würden.
Während die beiden erstgenannten Verluste die einmalige
Schwächung bestimmter Jahresklassen bedeuten und sofort zahlen-
mäßig festgestellt werden können, gehört der dritte noch ganz der
Zukunft an; er ist in seiner Größe unbestimmbar und wird eine
Reihe von kommenden Geburtsjahrgängen treffen, die der Dauer der
Zeugungsfähigkeit der Opfer des Krieges gleichkommt, also 20
bis 35.
Ob sich die Hoffnung erfüllen wird, daß, ähnlich wie bald nach
den Befreiungskriegen und dann wieder in den Jahren 1872 bis
1876, auch nach dem Weltkrieg einige hunderttausend Ehen in jüngeren
Ausblick auf unsere künftige Bevölkerungsentwicklung. 547
Jahren eingegangen werden, als es dem üblichen Heiratsalter ent-
spricht? Denn so erklärt sich die Geburtenhochflut nach den ge-
nannten früheren Kriegen, und nicht, wie man vielfach zu glauben
scheint, durch einen besonderen Eifer der bereits vorhandenen Ehe-
paare, dem Vaterlande seine Verluste an Menschenleben möglichst
rasch zu ersetzen. Bevölkerungsstatistisch kann eine Wiederholung
jener Erscheinung nicht als ausgeschlossen bezeichnet werden; denn
wie damals dürften diejenigen Altersklassen des männlichen Ge-
schlechts, die zur Kriegszeit nahe am, aber noch nicht im militä-
rischen Alter standen, schneller als sonst in eine das Heiraten er-
möglichende wirtschaftliche Lage kommen, weil der Krieg in die
ihnen unmittelbar vorausgehenden Altersklassen furchtbare Lücken
gerissen hat. Eheschließung in jüngeren Jahren bedeutet aber nicht
nur früheren Eintritt, sondern nach dem Ergebnis der hierzu (aller-
dings hauptsächlich aus dem Ausland) vorliegenden statistischen
Untersuchungen auch eine vermehrte Zahl der aus diesen Ehen zu
erwartenden Geburten. So würden auf die besonders geschwächten
wieder besonders starke Geburtsjahrgänge folgen, — wenn und so-
fern eben das so zu erhoffende (aber keineswegs bestimmt zu er-
wartende) Mehr an jungen Ehen und demzufolge an Geburten nicht
durch den hier als dritte Verlustquelle bezeichneten künftigen Minder-
ertrag an Geburten aus den zahlenmäßig gering gewordenen älteren
Ehen aufgehoben wird.
Zur Förderung der beschleunigten Eheschließung jüngerer Män-
ner und zugleich als Abhilfe gegen die drohende Ehelosigkeit der
Mädchen, die nach ihrem Alter für Heiraten mit den durch den
Krieg geschwächten Männer-Jahrgängen in Betracht kämen, hat man
von ärztlicher Seite eine Aenderung der Bestimmungen des Bürger-
lichen Gesetzbuches über das Heiratsalter, als welches jetzt für
Männer das vollendete 20., für Frauen das 16. Lebensjahr gilt, in
der Weise empfohlen, daß das Verhältnis etwa umgekehrt wird.
Eine solche Reform wird von biologischen Gesichtspunkten als emp-
fehlenswert bezeichnet, und in demographischer Beziehung dürfte
von ihr mit einiger Sicherheit eine Vermehrung der Heiraten zu er-
warten sein. Die wirtschaftliche Seite der Frage zu erörtern, scheint
müßig angesichts der völligen Unmöglichkeit eines sicheren Aus-
blicks auf die Entwicklung unserer Volkswirtschaft nach dem Kriege.
So muß denn der Vorschlag trotz seiner Eigenartigkeit einer ernsten
Erwägung wert erachtet werden.
Das sind also die Wandlungen unserer Bevölkerungsverhältnisse,
die uns der Krieg gebracht hat und noch bringen wird; fassen wir
sie nochmals kurz zusammen:
1) Unmittelbare Kriegsverluste, die fast ausschließlich das männ-
liche Geschlecht und ganz hervorragend die zurzeit im kräftigsten
Alter stehenden Jahresklasseu treffen, die erst mit deren Hinauf-
rücken in höhere Altersklassen durch die nachrückenden, soweit sie
vor dem Krieg geboren sind, ersetzt werden.
35*
548 Eugen Würzburger, Ausblick auf unsere künftige Bevölkerungsentwicklung.
2) Der Geburtenausfall während der Kriegsjahre durch Einzie-
hung Verheirateter zum Heeresdienst, ein Ausfall, der durch die
ganze Lebenszeit der Geburtsjahrklasse 1915 usw. hindurch bei beiden
Geschlechtern in gleichem Maße fühlbar bleiben wird.
3) Der Geburtenausfall nach dem Kriege durch Nichtwieder-
verheiratung von Witwen der im Kriege gefallenen Ehemänner und
durch Ledigbleiben von Mädchen, deren Heiratsmöglichkeit durch
die Kriegstodesfälle unverheirateter junger Männer vermindert wor-
den ist.
Unsere Hoffnungen auf Heilung der Wunden, die der Krieg
unserer Bevölkerung schlägt, gründen sich daher einesteils auf das
allmähliche Einrücken der intakten männlichen Geburtsjahrklassen
1901 bis 1914 in die Reihen der Erwerbstätigen, anderenteils auf
künftige vermehrte Eheschließungen jüngerer Leute.
Die vor dem Kriege als normal angesehene Zusammensetzung
der Bevölkerung nach Alter und Geschlecht aber kann erst nach
Jahrzehnten wieder erreicht werden. (g- c.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 549
Nationalökonomisclie Gesetzgebung.
111.
Ergänzende Gesetze zum Deutschen Kriegssteuer-
gesetz.
(1. Gesetz zur Ergänzung des Kriegssteuergesetzes vom 17. Dezember
1916. — 2. Gesetz über die Erhebung eines Zuschlags zur Kriegssteuer
vom 9. April 1917. — 3. Gesetz über Sicherung der Kriegssteuer vom
9. April 1917.)
Das Kriegssteuergesetz vom 21. Juni 1916 ist im 52. Bande der
III. Folge S. 50 ff. dieser „Jahrbücher" abgedruckt und damals von
G. Strutz kurz gewürdigt worden. Inzwischen hat das Gesetz mehrere
Zusätze und Ergänzungen erfahren, auf die der Vollständigkeit halber
hinzuweisen sein dürfte.
Zunächst kommt das Gesetz zur Ergänzung des Kriegssteuer-
gesetzes vom 17. Dezember 1916 (cf. unten S. 551) in Betracht, das
auf einer Initiative des Reichstages beruht und in der Fassung, in der
es vom Abg. Dr. Zehnter beantragt worden ist, Annahme gefunden
hat. Es handelt sich lediglich darum, daß bei Feststellung des Ver-
mögensstandes am Ende des Veranlagungszeitraumes noch nicht fällige
Ansprüche aus während des Veranlagungszeitraumes eingegangenen
Lebens-, Kapital- und E-entenversicherungen mit der vollen Summe der
eingezahlten Prämien oder Kapitalbeiträge anzusetzen sind, falls die
jährliche Prämienzahlung den Betrag von 1000 M. oder die einmalige
Kapitalzahlung den Betrag von 3000 M. übersteigt.
An zweiter Stelle ist dann vor allem das Gesetz über die Er-
hebung eines Zuschlags zur Kriegssteuer vom 9. April 1917 (cf. unten
S. 561) zu nennen. Die Erhebung eines Zuschlags ist durch die lange
Dauer des Krieges und durch die immer mehr anwachsenden Kriegs-
lasten des Reiches erforderlich geworden. Die Gesamtbelastung der
außerordentlichen Kriegsabgabe werde, so wird in der Begründung aus-
geführt, durch den Zuschlag zwar verschärft, sei aber volkswirtschaft-
lich noch erträglich. Auch sei es ein Vorzug, daß die Erhebung des
Zuschlags, dessen Festsetzung in der Regel gleichzeitig mit der Ver-
anlagung der außerordentlichen Kriegsabgabe erfolgen könne, keine be-
sonderen Veranlagungs- und Erhebungsschwierigkeiten verursache.
Diese Zuschlagserhebung stellt unter allen Umständen einen außer-
gewöhnlichen Vorgang dar. Eine Steuer, die eben beschlossen und
durchgeführt wird, erfährt in ihrem grundlegenden Tarif, ehe sie noch
veranlagt und erhoben ist, eine durchgreifende Aenderung. Die Ver-
schärfung des Tarifs geht aus den nachfolgenden Uebersichten hervor:
560
Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die Abgabe nach § 9 Nr. 1 des Kriegssteuergesetzes
beträgt:
bei einem
ohne Zuschlag
einschließlich des Zuschlags
Vennögens-
sawacbse von
vom Hundert
vom Hundert
M.
M.
des Zuwachses
M.
des Zuwachses
lOOOO
500
5,0
600
6,0
15000
I 000
6,6
I 200
8,0
20000
I 500
7,5
I 800
9,0
25 000
2 250
9,0
2700
10,8
30000
3000
10,0
3600
12,0
35000
4000
11,4
4800
13,7
40000
5000
12,5
6000
15,0
45000
6000
13,3
7 200
i6,ü
50000
7000
14,0
8400
16,8
60GOO
9500
15,8
II 400
19.0
70000
12000
17,1
14400
20,6
80000
14500
18,1
17400
21,8
90000
17000
18,8
20400
22,7
100 000
19500
19,5
23400
23,4
1 20 000
25500
21,2
30600
25,5
140000
31500
22,5
37800
27,0
160 000
37500
23,4
45000
28,1
180000
43500
24,2
52 200
29,0
200 000
49500
24,7
59400
29,7
250 000
67000
26,8
80400
32,2
300 000
84500
28,1
loi 400
33,8
400 000
119 500
29,9
143 400
35,8
500 000
159500
3M
191 400
38,5
booooo
199 500
33,.^
239 400
39,9
700 000
239 500
34,2
287 400
41,1
800 000
284 500
35,5
341 400
42,7
900 000
329500
36,6
395400
43,9
I 000 000
374 500
37,4
449 400
44,9
I 500 000
624500
41,6
749400
49,9
2 000 000
874 500
43,7
I 049 400
52,5
3 000 000
I 374 500
45,8
I 649 400
55,0
4 000 000
1874500
46,8
2 249 400
56,2
5 000 000
2 374 500
47,5
2 849 400
57,0
Die Abgabe nach § 9 Nr. 2 des Kriegssteuergesetzes
beträgt unter Zugrundelegung eines Anfangs Vermögens
(Vermögensstandes am 31. Dezember 1913) von 100000 M.
bei einem Endvermögen
ohne Zuschlag
einschließlich des Zuschlag
(Vermögensstand am
31. Dezember 1916) von
vom Tausend des
vom Tausend de^
M.
M.
ganzen Vermögens
M.
ganzen Vermögens
100 000
100
1
120
1,2
99000
90
0,909
108
1,091
98000
80
0,817
96
0,979
97000
70
0,722
84
0,866
96000
60
0,684
72
0,750
95000
50
0,5 2 7
60
0,631
94000
40
0,425
48
0,511
93000
30
0,3 2 S
36
0,887
92000
20
0,2 17
24
0,2 61
91 000
10
0,109
12
0,182
90000
—
—
—
—
Nationalökonomische Gesetzgebung. 551
Auch der Verwendungszweck ist ein anderer geworden. Während
die ursprüngliche Kriegssteuer zur Abbürdung der Schuldenlast, zur
Tilgung des Kapitals bestimmt war, soll der Zuschlag der Balanzierung
des laufenden Etats dienen.
Auf Grund einer Anregung aus der Mitte des ßeichstages ist in
Absatz 2 des § 1 der Gedanke der Berücksichtigung des Familien-
standes — zum erstenmal im Reiche — in das Gesetz aufgenommen.
Daß dieses „Kinderprivileg" von nennenswerter Bedeutung sein wird,
darf wohl bezweifelt werden.
Es wird unverzüglich notwendig sein, ein neues Kriegssteuergesetz
zu schaffen. Die ersten erforderlichen Maßnahmen hierzu werden in
dem Sicherungsgesetz vom 9. April 1917 (cf. unten S. 552) getroffen.
1.
Gesetz zur Ergänzung des Kriegssteuergesetzee. Vom 17. De-
zember 1916. (KGBl. S. 1407.)
Einziger Paragraph. Dem § 6 des Kriegssteuergesetzes vom 21. Juni 1916
(RGBl. S. 561) werden folgende Absätze 2 und 3 beigefügt:
Ferner sind noch nicht fällige Ansprüche aus während des Veranlagungs-
zeitraums eingegangenen Lebens-, Kapital- und Rentenversicherungen mit der
vollen Summe der eingezahlten Prämien oder Kapitalbeiträge anzusetzen, falls die
jährliche Prämienzahlung den Betrag von eintausend Mark oder die einmalige
Kapitalzahlung den Betrag von dreitausend Mark übersteigt.
Der vor dem 31. Dezember 1916 auf die Abgabe vorausbezahlte Betrag (§ 31)
tritt dem auf 31. Dezember 1916 festgestellten Vermögen hinzu.
2.
Gesetz über die Erhebung eines Zuschlags zur Kriegssteuer.
Vom 9. April 1917. (RGBl. S. 349.)
§ 1. Zu der auf Grund des Kriegssteuergesetzes vom ^ — ^ r TqTß
(RGBl. S 561 und 1407) geschuldeten außerordentlichen Kriegsabgabe wird zugunsten
des Reichs ein Zuschlag in Höhe von 20 vom Hundert ihres Betrags erhoben.
Sofern das Gesamtvermögen des Steuerpflichtigen nach dem Stande vom
31. Dezember 1916 einhunderttausend Mark nicht übersteigt, ermäßigt sich auf
Antrag des Steuerpflichtigen der Zuschlag
bei Steuerpflichtigen mit mehr als 2 Kindern unter 18 Jahren auf 15
vom Hundert,
mit mehr als 3 Kindern unter 18 Jahren auf 10 vom Hundert,
mit mehr als 4 Kindern unter 18 Jahren auf 5 vom Hundert
und wird bei Steuerpflichtigen mit mehr als 5 Kindern unter 18 Jahren nicht er-
hoben. Dem Antrag ist nur stattzugeben, wenn er binnen einem Monat nach
Zustellung des Steuerbescheids (§ 2, Satz 1) oder der nachträglichen Mitteilung
(§ 2, Satz 2) gestellt wh-d.
§ 2. Die Festsetzung des Zuschlags erfolgt durch den Steuerbescheid (§ 29
des Kriegssteuergesetzes). Ist ein Steuerbescheid ohne gleichzeitige Festsetzung
des Zuschlags erteUt worden, so erfolgt die Festsetzung des Zuschlags durch eine
nachträgliche Mitteilung des Besitzsteueramts an den Steuerpflichtigen,
§ 3. Wird die Kriegsabgabe im Rechtsmittel-, Berichtigungs-, Neu- oder
Nachveranlagungsverfahren anderweit veranlagt, oder wird die Kriegsabgabe aus
Büligkeitsgründen ermäßigt oder erlassen, sq ist auch der Zuschlag entsprechend
anderweit festzusetzen oder zu erlassen.
§ 4. Gegen die Festsetzung des Zuschlags steht dem Steuerpflichtigen nach
näherer Bestimmung der obersten Landesfinanzbehörde nur die Anrufung der
übergeordneten Verwaltungsbehörden offen.
§ 5. Der Zuschlag wird mit der Abgabe zu den gleichen Fristen und Teil-
beträgen erhoben.
552 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die Vorschriften in § 25, § 31, Abs. 3—5, und § 32 des Kriegsst^iuergesetees^
gelten auch für die Entrichtung des Zuschlags.
§ 6. Machen steuerpflichtige Einzelpersonen oder Gesellschaften glaubhaft,
daß das Jahr, das auf den vom Kriegssteuergesetz erfaßten Zeitraum folgt, zu
einer Vermögensminderung oder einem Mindergewinn in Höhe von mindestens
einem Fünftel des steuerpflichtigen Vermögenszuwachses oder Mehrgewinns ge-
führt hat oder führen wird, so ist auf ihren Antrag der Zuschlag bis auf weitere
gesetzliche Eegelung ohne Sicherheitsleistung zu stunden. Die bezahlte Kriegs-
abgabe sowie etwaige im neuen Jahre gemachte Zuwendungen zu kirchlichen,
mildtätigen oder gemeinnützigen Zwecken sind hierbei nicht zu berücksichtigen.
Die Vorschrift im Abs. 1 findet keine Anwendung, wenn der Steuerpflichtige
seinen Wohnsitz oder Aufenthalt ins Ausland verlegt hat.
§ 7. Als Abgabe im Sinne von §§ 10, 11, § 28 Abs. 2, §§ 33, 34, 37 des
Kriegssteuergesetzes gilt die Abgabe einschließlich des Zuschlags,
Von dem Gesamtaufkommen an Kriegsabgabe und Zuschlag gilt ein Sechstel
als Aufkommen aus dem Zuschlag.
§ 8. Die Erhebung eines Zuschlags zur Kriegssteuer sowie die Sonderbe-
steuerung des Vermögenszuwachses, Mehreinkommens und Mehrgewinns für einen
von der Kriegssteuer erfaßten Zeitraum durch die Bundesstaaten oder Gemeinden
(Gemeinde verbände) ist unzulässig.
§ 9. Dieses Gesetz tritt am Tage seiner Verkündung in Kraft.
3.
Gesetz über Sicherung der Kriegssteuer. Vom 9. April 1917.
(ßGBl. S. 351.)
§ 1. Die nach dem Kriegssteuergesetze vom 21. Juni 1916 (KGBl. S. 561)
steuerpflichtigen Einzelpersonen haben vor einer Verlegung ihres Wohnsitzes oder
Aufenthalts in das Ausland auf Verlangen der Steuerbehörde Sicherheit für eine
künftige Kriegssteuer zu leisten. Die oberste Landesfinanzbehörde oder die von
ihr bezeichnete Behörde bestimmt den Betrag der Sicherheit. Dieser Betrag kann
nach den für die Einziehung öffentlicher Abgaben geltenden Vorschriften beige-
trieben werden.
Die Vorschriften in Abs. 1 gelten auch, wenn Tatsachen vorliegen, welche
die Annahme rechtfertigen, daß ein Steuerpflichtiger auf andere Weise, insbe-
sondere durch Verbringung von Vermögen ins Ausland, die Beitreibung der
künftigen Kriegssteuer gefährdet.
Verweigert ein sich im Ausland aufhaltender Steuerpflichtiger die Sicherheits-
leistung, so kann sein im Inland befindliches Vermögen mit Beschlag belegt werden.
§ 2. Die in den §§ 13, 20, 23 des Kriegssteuergesetzes vom 21. Juni 1916
bezeichneten Gesellschaften und juristischen Personen haben in eine neu zu bil-
dende Kriegssteuerrücklage sechzig vom Hundert des in dem weiteren Kriegsge-
schäftsjahr erzielten Mehrgewinns einzustellen.
Als weiteres Kriegsgeschäftsjahr gilt das auf die Kriegsgeschäftsjahre im
Sinne des § 15 des Kriegssteuergesetzes folgende Geschäftsjahr.
Für die Berechnung des Mehrgewinns finden die Vorschriften im § 14
Abs. 1 und 2, §§ 16, 17, 18, 20, 23, 24 des Kriegssteuergesetzes Anwendung.
Hat der Eeichskanzler mit Zustimmung des Bundesrats gemäß § 24 oder
der Bundesrat gemäß § 36 des Kriegssteuergesetzes Anordnungen getroffen oder
eine anderweite Berechnung des Mehrgewinns bewilligt, so gelten die Grundlagen
dieser Berechnung auch für das neue Kriegsgeschäftsjahr.
§ 3. Die Befreiung von der Verpflichtung zur Bildung einer Sonderrück-
lage gemäß § 7 des Gesetzes über vorbereitende Maßnahmen zur Besteuerung der
Kriegsgewinne vom 24. Dezember 1915 (RGBl. S. 837) erstreckt sich auch auf
das neue Kriegsgeschäftsjahr.
§ 4. Die Vorschriften im § 6 Abs. 2, § 8 Abs. 1 bis 3 und Abs. 5, § 9 des
Gesetzes über vorbereitende Maßnahmen zur Besteuerung der Kriegsgewinne vom
24. Dezember 1915 gelten entsprechend auch für die neue Kriegssteuerrücklage.
J> 5. Der Bundesrat ist ermächtigt, Ausführungsbestimmungen zu erlassen und
erhandlungen mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark zu bedrohen.
§ 6. Dieses Gesetz tritt am Tage seiner Verkündung in Kraft.
Miszellen.
555
Miszellen.
XIV.
Das französische Kolonialreicli und der Handel
Deutschlands und Oesterreich-TTngarns mit den fran-
zösischen Kolonien.
Von Ferdinand Moos.
Das französische Kolonialreich umschließt die folgenden Gebiete
Quadratmeilen
Asien :
Indien
Indo-China:
Annam
Kambodscha
Oochinchina
Tonking
Laos
Kwang-Chow-Wan
Zeit der Erwerbung
durch Frankreich
Jahre :
1683—1750
1883
1863
1862
1883
1893
1898
200
boooo
65000
22000
46 000
100 000
325
Volkszahl
273000
6000000
I 500000
3 000000
6 000 000
600000
189000
Gesamtfläche in
Asien :
293 525
17562000
In Afrika un
d im Ii
idischen Ozean :
Algier
1830—1847
185000
5231850
Sahara
1872—1890
760000
nicht angegeben
Tunis
1881
51 000
2 000000
In West-Afri
ika:
Senegal
1626
74000
I 800000
Obersenegal und
Niger
1880
I 580000
4000000
Guinea
1848
107000
2 500000
Elfenbeinküste
1842
129000
2 000 000
Dahomey
1863—1894
40000
I 000000
Aequatorial-
Afrika
(Kongo):
Gabun
1839 1
376000
Mittel- Kongo
1882
700 000
259000
Ubangi-Tschad
1885—1899
3015000
Madagaskar
1885—1896
j j
Nossi-be- Island
1840
228 000
2664000
Sainte Marie
1750 J
Komoren
1843—1886
760
82000
Somali-Küste
1862—1884
12000
50000
ߧunion
1643
965
173 315
St. Paul 1
Amsterdam j
1892
•n
unbewohnt
Kerguelen
1893
1400 j
Gesamtfläche :
3 «69 147
25 151 165
554 Miszellen.
Zeit der Erwerbung
durch Frankreich
In Amerika: Jahre:
Quadratmeilen
VolkBzahl
Guiana 1626
Guadeloupe 1634
Martinique 1635
St. Pierre und Miquelon 1635
51000
619
380
93
30000
182 112
182 024
6500
Gesamtfläche :
52092
400636
Ozeanien:
Neu-Kaledonien 1854—1887
Ozeanien 1841—1881
7500
I 641
72000
34300
Gesamtfläche :
9 141
106300
Gesamtfläche des französischen
Kolonialreiches :
4 223 905
Quadratmeilen
42947 lOI
Volkszahl
Die französischen Kolonien haben im Laufe der Jahre verschiedene
Regierungsmaximen über sich ergehen lassen. Bis ins neunzehnte Jahr-
hundert wechselte der Grundsatz, der sich durch die Worte „absolute
Herrschaft Frankreichs" ausdrücken läßt, mit jenem der „Anpassung".
Letzteres Prinzip hat die lebhafteste Anfechtung erfahren, weil es außer
in Kanada und Lousiana nur wenige Weiße gab. Es wurde der Grund-
satz stärkster Zentralisation durchgeführt. Man erblickte die Bedeutung
der Kolonien in ihrem Handelswert. Unter der dritten Republik er-
setzte man das Prinzip der „Anpassung" durch jenes der „Anfügung"
(association). Dem System der Selbstverwaltung steht Frankreich ab-
lehnend gegenüber, obgleich in der Praxis Konzessionen gemacht wurden.
Einige Kolonien wählen Vertreter in die französische Kammer in Paris.
In Algier gelten theoretisch alle französischen Gesetze. In allen Ko-
lonien haben Europäer dieselben Rechte wie in Frankreich. Tunis hat
seine eigenen Gesetze und bewahrt seine Nationalität. Algier schickt
3 Senatoren und 3 Deputierte nach Paris, Martinique, Guadeloupe,
Reunion je einen Senator und 2 Deputierte, Französisch-Indien
einen Senator und einen Deputierten, Guiana, Senegal, Cochinchina
je einen Deputierten. Alle Bewohner der Kolonien, auch Neger, sind
französische Bürger. Dasselbe gilt von Französisch-Indien. Im Senegal-
gebiet sind alle Bewohner Wähler. In Cochinchina und Guiana sind
die Eingeborenen nicht französische Bürger. Die Bewohner von Tahiti
sind französische Bürger, wählen aber nicht nach Paris.
Das Gesetz vom 20. März 1890 stellt alle Kolonien, ausgenommen
Algier und Tunis, unter das Kolonialministerium. Für Madagaskar
trifft das Gesetz vom 11. Dezember 1895 dieselbe Verfügung. Die
Kolonialarmee untersteht seit 1900 dem Kriegsministerium.
Der Kolonialminister hat zur Seite, gemäß dem Dekret vom Jahr
1883, den Kolonialrat. Dazu gehören die Senatoren und Deputierten
der Kolonien und die Delegaten, die in anderen Kolonien gewählt sind.
Das Kolonialministerium setzt die Einfuhrzölle fest für alle Kolonien,
die nicht dem französischen Zolltarif unterstehen; dieser Tarif gilt je-
doch für alle Kolonien, ausgenommen West-Afrika und Kongo.
Miszellen. 555
Das Budget der Kolonien wird durch den Generalrat einer jeden
Kolonie aufgestellt. Kolonien, welche keinen Generalrat haben, er-
halten ihr Budget vom Kolonialminister bestätigt. Jede Kolonie und
jedes Protektorat, auch Algier, haben eigenes Budget, selbstverständlich
auch Tunis.
Das Gesetz vom Jahr 1900 überträgt alle lokalen Ausgaben den
Kolonien. — Die Militärausgaben werden von Frankreich
getragen, dessen Regierung auch Zuschüsse an die Kolonien ge-
währt.
In allen Kolonien ist die Rechtsprechung von der Exekutive ge-
trennt. Die Kolonien unterscheiden sich im folgenden Sinn :
1) Kolonien mit weitgehender Selbstregierung;
2) Kolonien mit autokratischer Regierung.
Zu den letzteren zählen die Protektorate und einige Kolonien, wo
die einheimische Regierung unter französischer Aufsicht steht.
In die erste Klasse gehören : Reunion, Eranzösisch-Indien, Senegal,
Oochinchina, Neu-Kaledonien.
An der Spitze steht ein Gouverneur mit einem Generalsekretär.
Demselben zur Seite steht ein geheimer Rat, dessen Mitglieder zum
Teil vom Gouverneur ernannt sind ; ferner ein Generalrat, welcher das
Budget und die lokalen Angelegenheiten behandelt. Die Mitglieder
des Generalrats werden von allen Bürgern der Kolonien und solchen
Ansässigen, welche Freiheit (franchise) besitzen, gewählt. — In Oochin-
china ist der Generalrat durch einen anders organisierten Rat ersetzt.
In der zweiten Klasse der Kolonien ist der Gouverneur nur dem
Kolonialminister in Paris verantwortlich; ihm zur Seite steht ein Rat,
der aus zum Teil nichtoffiziellen Mitgliedern zusammengesetzt ist.
Indo-China, West- Afrika, Kongo, Madagaskar stehen unter General-
gouverneuren, welchen ein Dekret des Präsidenten der Republik be-
deutende Vollmacht erteilt hat. — In West-Afrika stehen unter dem
General gouverneur stellvertretende Gouverneure. Das Budget wird,
vom Gouverneur, unter Beistand des Rates, aufgestellt.
In Indo-China hat der Generalgouverneur unter sich den stellver-
tretenden Gouverneur, sowie die Residenten bei den Königen von
Kambodscha, Annam, Tonking.
Für ganz Indo-China besteht ein Rat, in welchem europäische
Kaufleute und die Eingeborenen vertreten sind. In Cochinchina gibt
es einen geheimen Rat, und in den Protektoraten besteht ein Rat von
anderer Organisation. — Alle Generalgouverneure haben zur Seite
einen Finanzkontrolleur, der, gemäß dem Dekret vom März 1907, mit
der Regierung in Paris direkt korrespondiert.
Die Ausgaben Frankreichs für die Kolonien sind beständig
gewachsen. Sie betrugen:
1885 45 MiU. frcs.
1905 IOC „ „
Drei Vierteile von diesen Ausgaben sind Militär-
ausgaben. Dazu kommen Subventionen für Eisenbahnen, Wegebauten,
556 Miszellen.
Strafanstalten usw. Die Sträflingsarbeit in Guiana und Neu-Kaledonien
liefert den Ertrag an den französischen Staat.
Die Ausgaben Frankreichs für Algier werden nicht offiziell be-
richtet; sie wurden 1905 auf 45 — 50 Mill. frcs. geschätzt.
In Tunis zahlt Frankreich nur die Militärausgaben. Sonst hat
Tunis ein selbständiges Budget, ebenso wie Algier.
Von 1884—1904 wurden 450—500 Mill. frcs. Kolonialanleihen
von der französischen Regierung autorisiert; ausgenommen Algier und
Tunis.
Das französische Kapital in den Kolonien und in Algier und Tunis
wurde im Jahre 1905 auf 550 — 600 Mill. frcs. geschätzt.
In Tunis wurde im Jahr 1884 die Verwaltung durch den franzö-
sischen Regenten neu organisiert, nachdem im Jahre zuvor England
das französische Protektorat anerkannt und seine Konsularjurisdiktion
aufgegeben hatte. Im folgenden Jahr, 1885, verzichtete England auch
auf seine diplomatische Vertretung beim Bey von Tunis. Italien er-
kannte das französische Protekorat 1896 an.
Die Verhältnisse in Marokko werden hier als bekannt vorausge-
setzt. Ihre Erörterung würde einen Raum beanspruchen, der über den
Rahmen dieses Aufsatzes hinausgeht.
Der Handel Deutschlands und Oesterreich - Ungarns mit den fran-
zösischen Kolonien betrug:
Einfuhr in die Kolonien:
1907 12 625000 frcs.
1913 22 144000 „
Ausfuhr aus den Kolonien nach Deutschland und Oesterreich-Ungam :
1907 17 450298 frcs.
1912 48374000 „
Als „Kolonien" bezeichnet man in Frankreich nicht auch Marokko^
Algier und Tunis. Marokko und Tunis unterstehen dem Auswärtigen
Amt, und Algier hat seine besondere Verwaltung. Daher sind in den
obigen Zahlen die Ein- und Ausfuhren nach Marokko, Tunis und Algier
nicht eingerechnet.
In Marokko betrug der Handel der beiden Mächte:
Einfuhr dorthin:
1907
13000000 frcs.
in Tunis:
1912
31000000 „
in Algier:
1904
1913
1904
1913
4045 716 frcs.
14997900 „
13 183 000 frcs.
31000000 „
Diese Entwicklung ist wesentlich begünstigt worden durch die
deutsche Schiffahrt, das Bedürfnis der deutschen Industrie an Roh-
material und zum Teil durch die Zollgesetzgebung in den Kolonien.
Die deutschen Kolonien liefern nur einen kleinen Teil der Erforder-
nisse an Rohmaterial usw. des Reiches, und unter der Ausfuhr Deutsch-
Mi s Zellen. 557
lands, rund 22 Milliarden, treten die deutschen Kolonien als Käufer
mit kaum mehr als 115 Millionen auf.
Auf der Berliner Konferenz, die am 15. November 1884 begann,
gelangte man zu dem Vertrag vom 26. Februar 1885, durch welchen
allen Mächten Handelsfreiheit in den Kolonien zugestanden wurde.
Die Abmachungen bezogen sich insbesondere auf das Kongobecken.
Eine andere Berliner Konferenz führte am 2. Juli 1890 zu dem Ab-
kommen, wonach Frankreich und Belgien berechtigt wurden, im Kongo-
becken Zölle bis zu 10 Proz. ad valorem zu erheben. In den Ver-
handlungen auf der Berliner Konferenz hatte Fürst Bismarck die Ansicht
vertreten, daß die deutsche Kolonisation vorwiegend kommerziellen
Charakter tragen solle ^).
Im Verlauf der Entwicklung verstärkte Frankreich seine Unter-
nehmungen in Marokko, und die folgenden Ereignisse führten zu der
internationalen Konferenz in Algesiras, wo am 7. April 1906 unter den
Mächten ein Vertrag abgeschlossen wurde. Nachdem sich in Casablanca
Zwischenfälle zugetragen hatten, kamen Frankreich und Deutschland
am 9. Februar 1909 zu einem Abkommen. Deutschland erklärte darin,
in Marokko nur wirtschaftliche Interessen zu verfolgen und die be-
sonderen Interessen Frankreichs anzuerkennen. Frankreich verpflichtete
sich, Deutschland und die anderen Nationen wirtschaftlich auf dem Fuß
der Gleichberechtigung zu behandeln und die Interessen des deutschen
Handels und der deutschen Industrie nicht zu behindern. Es wurde
weiterhin vereinbart, daß die deutsche und die französische Regierung
bestrebt sein würden, ihre Staatsangehörigen, soweit als tunlich, in ge-
meinsam betriebenen Unternehmungen zu vereinigen.
In der folgenden Zeit entstanden in Marokko Wirren, da sich ein
Teil der führenden Persönlichkeiten Marokkos und die Stämme dem
europäischen Eindringen widersetzten. Am 21. Mai 1911 zogen die
Franzosen in Fez ein. Da Grund vorlag zu der Annahme, daß die
Franzosen ihre Schutzherrschaft über Marokko errichteten, machte dieser
Vorgang Eindruck. Im Hafen von Agadir erschien das deutsche Ka-
nonenboot „Panther".
Die diplomatischen Erörterungen führten am 4. November 1911 zu
einer Konvention zwischen Deutschland und Frankreich, welche die
französische Kammer am 13. Februar 1912 guthieß. Deutschland er-
kannte das französische Protektorat in Marokko an, und Frankreich
trat einen Teil seiner Besitzungen am Kongo an Deutschland ab.
Der französisch - englische Vertrag vom Jahre 1904 hat die wirt-
schaftliche Gleichberechtigung der Mächte für eine Dauer von 30 Jahren
festgelegt.
Im Akt von Algesiras und in dem deutsch-französischen Abkommen
wurde diese Gleichberechtigung aufs neue ausgesprochen.
Die Entwicklung des Handels führte zu dem wirtschaftlichen Ueber-
gewicht Deutschlands in Marokko sowohl gegenüber Frankreich als
England. Der französische Handel mit Marokko betrug 1912 in den
1) „L'expansion coloniale au Congo fran9ais", par F. Rouget, Paris 1912.
558
Miszellen.
Hafen 65 500000 frcs. und, unter Hinzurechnung des Landhandels Ma-
rokkos mit Algier, 100 Mill. frcs. — Die Ausfuhren aus den Häfen
Marokkos nach Deutschland waren 1912 bedeutender als die Aus-
fuhren Marokkos nach Frankreich und nach England. Namentlich in
den südlichen Häfen blühte der deutsche Handel.
Vor 1914 betrug der Gesamthandel 1455 000 000 frcs., wovon
685 549 596 frcs. auf die Einfuhr der Kolonien entfallen, ausgenommen
Algier, Tunis und Marokko.
Frankreichs Anteil an den Einfuhren seiner Kolonien betrug rund
271 Mill. frcs., während 24 818 000 frcs. auf Deutschland und Oester-
reich-Ungarn entfielen ^).
Der Anteil Deutschlands und Oesterreichs betrug:
Einfuhr in die Kolonien
Jahre Deutschland
frcs.
1907 12 169000
1908 12 5 18 000
1909 12 597 000
1910 14849000
1911 18757000
1912 13 973 000
(Algier, Tunis,
Oesterreich-
Ungam
frcs.
106000
185 000
490 GOO
I 174000
1 726000
2 09 1 000
Marokko nicht
Deutsche
Kolonien
frcs.
350000
229 000
5 1 6 000
351 000
2 622 000
8 754 000
berücksichtigt) :
Zusammen
frcs.
12 625 000
12932000
13 603 000
16374000
23 105 000
24818 000
Im Jahre vor dem Ausbruch des Krieges stiegen die Einfuhren
aus Deutschland auf 22 144 000 frcs. Die folgende Tabelle gibt den
Anteil der einzelnen Kolonien an :
1913.
Kolonien
Deutschland
Oesterreich-
Ungarn
Deutsche
Kolonien
Zusammen
frcs.
frcs.
frcs.
frcs.
West-Afrika
8 538 000
166000
I 368 000
10072 000
Aequatorial- Afrika
I 837 000
—
I 624 000
3 46 1 000
Madagaskar
1 067 000
19 600
138 000
1 224000
Somali-Küste
I 002 000
I 981 000
—
2 983 000
Indien
46000
—
—
46000
Indochina
3 836 000
175000
—
4011 000
Guyana
8000
4000
—
12000
Neu-Kaledonien
104 000
—
—
104000
Australien
231 000
—
—
231 000
Zusammen
16669000
2 345 000
3 130000
22 144000
Die vorstehenden Zahlen bekunden eine Abnahme von 2 674 000 frcs.
gegenüber dem Jahre 1912, welches mit 24 818 000 frcs. auftrat*). —
Diese Abnahme bezieht sich jedoch nur auf West-Afiika. Sie hatte
ihre Ursachen in einer Abnahme der Kaufkraft der einheimischen Be-
völkerung in Guinea, au der Elfenbeinküste und in den Landschaften
des oberen Senegal und Niger infolge der Kautschukkrisis und in der
Trockenheit in Dahomey, welche die Ernte von Palmkernen beein-
trächtigt hatte.
1) M. Dumoulin im „Bulletin de FOffice colonial'
2) Bulletin de l'Office colonial.
September-Oktober 1914.
Miszellen. 559
In den anderen Kolonien war die Einfuhr aus Deutschland
in starker Zunahme, wie die folgende Tabelle zeigt:
1912 1913 Zunahme Abnahme
frcs. frca. fres. frcs.
West- Afrika i6 150000 10072000 — 6078000
Aequatorial- Afrika 3 711 000 3461000 — 250000
Madagaskar 294000 i 224000 239 000 —
Somali-Küste 2431000 2983000 552000 —
Indien 4 000 46 000 42 000 —
Guyana 9000 12000 3000 —
Ozeanien 182 000 231 000 49000 —
Neu-Kaledonien 83000 104000 21000 —
Indochina i 307 000 3 01 1 000 2 704 000 —
Zusammen 3 6bo 000 6 334 000
Abnahme 2 674 000
In Algier, Tunis und Marokko hat die Einfuhr aus Deutschland
und Oesterreich- Ungarn beständig und bedeutend zugenommen. Im
Jahre 1904 betrug der Anteil dieser beiden Länder an der Einfuhr
11 093 902 frcs.; im Jahre 1913 betrug derselbe 51 246 728 frcs.; inner-
halb 10 Jahren eine Zunahme von 40 Mill. frcs.
Aus Algier liegen die folgenden Mitteilungen vor:
Im Jahre 1913 betrug im Spezialhandel die Einfuhr 667 305 000 frcs.
aus Frankreich 550 359 000 „
aus dem Ausland und den französischen
Kolonien 116 946 000 „
aus Deutschland 7470000 „
aus Oesterreich- Ungarn 5 052 000 „
Es wird darauf hingewiesen, daß sich unter der Einfuhr aus
Frankreich viele Transitgüter befinden, die zum Teil aus Deutschland
kommen.
Im Jahre 1912 fand eine Enquete statt, geleitet von M. Sayous.
Dieser gab den Wert dieser Transitgüter, die durch Fiankreich nach
Algier kamen, abgesehen von Petroleum und anderen Oelen, auf 10 bis
15 Mill frcs. an; 2 — 3Proz. der Einfuhr aus Frankreich. Unter diesen
Gütern kommen als aus dem Ausland stammend in Betracht: Ackerbau-
maschinen, Maschinengeräte, Nähmaschinen aus Deutschland; Gewebe,
Kleider, Stickerei, Wäsche aus Deutschland ; Glaswaren, Fayences und
Porzellan aus Deutschland und Oesterreich ; Schmucksachen aus Deutsch-
land usw.
Die Einfuhr Algiers aus Deutschland in den Jahren 1902 — 1913
wird, wie folgt berichtet:
1902 I 415 000 frcs. 1908 2308000 frcs.
1903 1402000 „ 1909 2252000
1904 1566000 „ 1910 4401000
1905 1930000 „ 1911 4880000
1906 2215000 „ 1912 5897000
1907 2452000 „ 1913 7470000
Diese Einfuhr erreichte im Jahre 1913 ihren Höhepunkt. Die
wichtigsten Artikel waren:
560
Miszellen.
Kohle
I 74'ooo
frcs.
Chemische Produkte
I 062000
Maschinen
908000
Kautschuk- und Guttapercha-Fabrikate
606000
Kartoffeln, getrocknete Gemüse usw.
416000
Metallfabrikate
398000
Jabak in Blättern und fabriziert
380000
Töpferei, Glas und Kristall
364000
Unter den minder wichtigen Artikeln, die aus Deutschland ein-
geführt wurden, erschienen:
Papier usw. 178000 frcs.
Düngemittel 140000 „
Schmuckimitationen 124000 „
Eiechöle, Game, Fleischwaren, Häute, Baumwollgewebe usw.
Die Kohlen- usw. Einfuhr aus Deutschland nach Algier betrug
1913 64009 t und stellt 12,2 Proz. der Einfuhr an Brennmaterial dar.
Frankreich schickte nur 6823 t.
An Chemikalien schickte Deutschland 1913 44 830 Quintaux.
Frankreich schickte an Chemikalien in demselben Jahr 108761
Quintaux.
An der Einfuhr von Maschinen usw. ist Deutschland mit 7261
Quintaux beteiligt, darunter Maschinen für Mühlen usw.; Frankreich
schickte 105045 Quintaux.
Kautschuk- und Guttaperchaapparate 351 Quintaux aus Deutsch-
land; aus Frankreich 3534. — Metallfabrikate aus Deutschland 2828;
aus Frankreich 169 249 Quintaux. — Töpferei, Glas, Kristall aus
Deutschland 1373; aus Frankreich 17 646 Quintaux. — Papier usw.
aus Deutschland 508; aus Frankreich 8673 Quintaux. — Düngemittel
aus Deutschland 13 979; aus Frankreich 15 685 Quintaux. — Schmuck-
imitationen aus Deutschland 7; aus Frankreich 52 Quintaux. — Oele
aus Deutschland 34; aus Frankreich 199 Quintaux.
Die Einfuhr Algiers aus Oesterreich hat ebenfalls bedeutend
zugenommen. Dieselbe betrug:
1902
2076000 frcs. 1908
2 548 000 frcs.
1903
2661000 „ 1909
1737000 „
1904
2760000 „ 1910
2 805 000 „
1905
2391000 „ 1911
3563000 „
1906
2681000 „ 1912
4019000 „
1907
2 597 000 „ 1913
5052000 „
Jtellt
80 Proz. und Tabak in Blättern 6 Proz. dieser Ein
Holz
fuhr dar.
Die Einfuhr von Holz aus Oesterreich zeigt folgende Entwicklung :
1911 2 640000 frcs.
1912 3039000 „
1913 4047000 „
Im Jahre 1913 erreichte die Holzeinfuhr Algiers den Wert von
18056 000 frcs.
Tunis hat aus Deutschland und Oesterreich-Üngarn eingeführt:
aus Deutschland 1904 i 278 800 frcs. 1913 3 209 146 frcs.
„ Oesterreich 1904 i 358 446 „ 1913 2 542 906 „
Mi
szellen.
5(
Einfuhren aus:
Jahre Deutschland
Oesterreich-Üngam
Zusammen
frcs.
frcs.
frcs.
1904
I 278 800
I 358 446
2 637 246
1905
I 591 296
I 688 437
3279733
1906
I ^3 477
1255024
2 898 501
1907
2 053 784
I 599 402
3653186
1908
3503871
1672 153
5236024
1909
3 415 173
I 222 123
4637296
1910
2 260 959
1419690
3 680 664
19L1
2891 503
I 583 2n
4474714
1912
3 405 853
2154838
5560691
1913
3 209 146
2 542 996
5 752 142
Die wichtigsten
dieser Einfuhren waren:
aus Deutschland
aus Oesterreich-Üngam
frcs.
frcs.
Chemische Produkte
168 069
12545
Töpferei, Glas, Kristall
169 279
70075
Gewebe
195 3'9
54847
Wäsche, Kleider und Konfektion
9 180
16 150
Papier usw.
155 184
13407
Echte und falsche Schmucksachen 201 486
96336
Uhren
42460
Mas^chinen und Geräte
807 010
16852
Metallfabrikate
586 234
17496
Möbel und Fabrikate aus Holz
27732
99496
Musikinstrumente
28046
Fahrräder
32589
—
Bürstenwaren usw
200792
10 719
Nahrungsmittel
25450
137024
Zeichenutensilien
274 269
40495
Die Zunahme der Einfuhren aus Deutschland und Oesterreich-
Ungarn ist zum Teil die Folge der wirtschaftlichen Erschließung von
Tunis: Straßenbau, Hafenanlagen, Bergbau, elektrische Industrieanlagen,
Anwendung europäischer Maschinen in der Landwirtschaft und die
Ausdehnung der europäischen Kolonisation.
Die Einfuhr aus Deutschland von Maschinen und Geräten ist in
den obigen 10 Jahren von 72 939 auf 807000 frcs. gestiegen; Metall-
fabrikate von 193 951 auf 560 670 frcs.
Die Zunahme ist erfolgt, trotzdem der Zolltarif in Tunis der nicht
aus Frankreich kommenden Einfuhr ungünstig ist. Die französischen
Maschinen und Geräte sind zollfrei. Die Einfuhr dieser Aitikel aus
anderen Ländern ist dem französischen Minimaltarif unterworfen.
Diese Nachteile haben die deutschen Kaufleute ausgeglichen durch
zweckentsprechende Organisation. Die Verpackung ist stets gut. Der
Kredit läuft 6, 9 und selbst 12 Monate, und in manchen Fällen wird
für Bruch garantiert. Die Preislisten sind in Franken ausgestellt, und
oft erfolgt ein Diskont von 45 — 80 Proz. gegenüber den Katalogpreisen.
In manchen Fällen wird die Ware dem Besteller zollfrei geliefert.
Die gewöhnlichen Zahlungsbedingungen sind 30 — 60 Tage oder 5 Proz,
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 36
562 Miszellen.
Diskont oder bei längerer Frist gegen Tratte nach Lieferung der Ware.
Prolongationen sind nicht selten.
Marokko berichtet eine bedeutende Zunahme der Einfuhr aus
Deutschland und Oesterreich-Ungarn.
1904 1913
Die Gesamteinfuhr Marokkos betrug 54 000 000 frcs. 23 1 249 665 frcs.
Davon entfielen auf:
Deutsehland 2839000 „ 18 216 656 „
oder 5,20 Proz. oder 7,89 Proz.
Oesterreich-Ungarn i 394 566 frcs. 5 643 102 frcs.
oder 2,56 Proz.
Frankreich 20 549 592 frcs. 129 294 552 „
oder 37,70 Proz.
Die folgende Aufstellung gibt das Nähere der Einfuhr Marokkos an :
Jahre aus Deutschland aus Oesterreich Zusammen
frcs. frcs. frcs.
1904 2 839 090 I 394 566 4 233 656
1905 2817845 475^27 3293472
1906 2613 123 484804 3097927
1907 1927250 351092 2278342
1908 2833976 998473 3832449
1909 5096841 2 226 191 7323032
1910 7144653 1706149 8850802
1911 7860940 3 115 126 10476066
1912 13209496 3 957 754 17 167 250
1913 18 249 656 5 643 102 23 892 798
Die französischen Statistiker behaupten, daß die obigen Zahlen
nicht den ganzen Anteil Deutschlands darstellen, da deutsche Waren
im Transithandel nach Marokko gelangen.
Die wichtigsten Einfuhren aus Deutschland nach Marokko sind :
1913
frcs.
frcs.
Zucker
1904
151 937
5351639
Bier
1907
39756
464 407
Alkohol
1912
105 384
454602
Eisen und Stahl
1907
145677
292472
Chemikalien
1907
17386
97589
Farben
1907
14283
142337
Seife
1908
11475
59065
Porzellan und Fayences
1907
35 799
150836
Glas und Kristall
1907
102 715
487 480
"Wollene Gewebe usw.
1907
255553
2293287
Uhren
1909
12955
130346
Maschinen und Geräte
1908
53 120
536650
Eisen- und Stahlfabrikate 1907
130 609
I 151 365
Verschiedenes
1908
19554
155200
Die starke Zunahme der Einfuhr von Eisen und Stahl entfallt auf
die rege Bautätigkeit in Casablanca und Rabat. — Für Uhren, Wecker,
Spieluhren usw. scheint Deutschland das Monopol erlangt zu haben,
ebenso für Hämmer, Feilen und ähnliche Gerätschaften, auch für Spiel-
sachen; auch Tee, Kaffee, Pfeffer kommen vielfach über Deutschland. Die
deutsche Einfuhr von Tee nach Marokko hat bedeutend zugenommen:
dargestellt :
Mi
iszellen.
1907
134067 fres.
1912
1404212 „
nfuhren Marokkos au£
! Oesterreich-Ungarn
werden
1913
fres.
fres.
Alkohol
1910
21505
74192
Kerzen
1908
348
49846
Porzellan
1907
2944
40482
Glas und Kristall
1908
20228
99027
Wollgewebe
1907
49272
742 588
Uhren
1909
I 782
33050
Eisen- und Stahlfabrikate
1907
3083
i7i5<>o
563
Die Einfuhren der unter dem Kolonialministerium
stellenden Kolonien (also ausschließlich von Algier, Tunis und Ma-
rokko) aus Deutschland und Oesterreich-Ungarn zeigen beständige Zu-
nahme, namentlich in Dahomey und Gabun.
Die Einfuhren der Kolonien in West- Afrika aus Deutsch-
land bestanden namentlich in:
Geweben, Alkohol, Zucker, Kurzwaren, Fabrikate aus Eisen oder
Stahl, Seifen und Parfümerien, Glaswaren.
Diese Einfuhr aus Deutschland nahm beständig zu :
1907
1912
Wert
Wert
fres.
fres.
Gewebe
I 601 000
4 638 000
Glas
352000
389 oco
Metallarbeiten
957000
I 228 000
Nahrungsmittel ans
Mehl
73000
2 084 000
Chemikalien
86000
197000
Zucker
412000
981 000
Die Gesamteinfuhr in Dahomey betrug 41 760 000 fres., davon ent-
fallen 19 500 000 fres. auf Deutschlanb, also 46 Proz.
In Guinea haben die Einfuhren aus Frankreich sich um ein
Drittel vermehrt. Die Einfuhren aus Deutschland haben sich verdoppelt^).
In Senegal und in Hoch-Senegal-Niger waren die Ein-
fuhren aus Deutschland niemals bedeutend. Sie betrugen:
1912 2 598 809 fres.
1913 I 997 891 „
Das ist nur ein bescheidener Teil der Gesamteinfuhr von:
1912 67 859 907 fres.
1913 88 070 795 „
Viele der aus Deutschland eingeführten Güter sind Transitgüter,
wie z. B. sterilisierte Milch, die aus der Schweiz und aus Skandinavien
kommt; der Wert dieser Einfuhr betrug 1913: 98 791 fres. Die Holz-
streichhölzer kommen zum größten Teil aus Schweden und Norwegen,
1913: 64 792 fres. Ferner kommen hier in Betracht:
1) Bulletin de TOffice colonial, September-Oktober 1914.
36*
564 Miscellen.
Petroleum 1913 12425 frcs.
Tabak in Blättern 1913 64792 „
Die tatsächlich aus Deutschland stammenden Artikel im Senegal-
gebiet wurden im Jahre 1913 mit 1 450 000 frcs. bewertet. Darunter
befinden sich:
Getränke aller Art für 457 662 frc».
Gewebe für 522 39J „
Metallfabrikate für 154446 „
Glas und Kristall für 69451 „
Gewebe aus gefärbtem Baumwollgarn 167 418 „
Andere gedruckte Gewebe 49 327 „
Billige Tuehwaren 86 747 „
Decken aus Baumwolle und ähnliche
Artikel rund 72 000 „
Unter den Artikeln aus Metall aus Deutschland befinden sich Haus-
haltungsgeräte, Farben, Wichse usw., wovon 1913 für rund 43 000 frcs.
nach dem Senegal gelangten; Emailleartikel 27 610; Nähmaschinen
23 300; Messerwaren 15 996 frcs. usw. Glaswaren 1913: 57 899 frcs.
Diese Artikel kamen zum größten Teil auf den Dampfern der Woer-
mann-Linie an.
Die aus Oesterreich-Ungarn an den Senegal gelangten Güter
betrugen 1913 nur 60 000 frcs. Wert, meistens Glasartikel, Kopfbe-
deckungen, falsche Edelsteine. Der deutsche Verkehr nach dem Hoch-
Senegal ist von derselben Art.
Die Einfuhr in Guinea betrug 1912: 19 413 212 fres., davon
aus Deutschland 1232 931 „
,; Flankreich 7 753 424 »
Die folgende Aufstellung i) gibt Auskunft über die Art der Ein-
fuhren :
19
112
1913
aus Frankreich
aus
Deutschland aus
Frankreich
aus Deutschland
frcs.
frcs.
frcs.
frcs.
Glaswaren
37201
92885
32370
114 502
Gewebe
21 103
54087
17 039
99960
Streichhölzer
6400
16709
27 590
Eiseines Gerät
31892
19687
18983
32973
Die Einfuhr
an der
Elfenbeinküst
e zeigte
im
Jahre 1913
eine Abnahme^):
aus Frankreich um 9 Proz.
„ England „ 2 „
dagegen zeigte die Einfuhr aus Deutschland eine Zunahme von 6 Proz.
Bei den Einfuhren aus Deutschland kommen namentlich in Be-
tracht: Mehl, Industriehölzer, Brennmaterial und Steine, Metalle, Glas,
Kristall und Gewebe. In diesen Artikeln hat die Einfuhr aus Deutsch-
land in 10 Jahren um 80 Proz. zugenommen 2).
Auch aus Oesterreich-Ungarn ist die Einfuhr gestiegen:
1904 1913
Glas 7611 frcs. 158 620 frcs.
Arbeiten aus Kupfer 1070 „ 15 261 „
1) Bulletin de l'OffIce colonial, Oktober 1914.
2) Rapport der Regierung der Kolonie an den Senator Harry Berenger, Präsident
der „Commission consultative colonial". 1914.
Misz eilen.
565
Der deutsche Verkehr mit Dahomey zeigt eioe bedeutende Zunahme.
Zum Teil hängt dies zusammen mit der Bedeutung Hamburgs als Haupt-
markt für Palmkerne, das wichtigste Produkt der Kolonie.
Die Einfuhren an der Elfenbeinküste:
1904
1911
Gesamteinfuhr aus Deutschland
Gesamteinfuhr auf
5 Deutschland
frcs.
frcs.
frcs.
frcs.
TierischeProdukte
und Abfälle
441 270
15967
595 786
54 375
Mehl
82q 119
II 562
I 430 563
281 748
Kolonialwaren
422 222
5741
743 735
40060
Holz
329686
88 245
227 638
182 295
Getränke
2 101 432
399919
1 739971
273 768
Min er. Brennstoff,
Marmorsteine
376 780
27515
806 002
52936
Metalle
337 258
55551
835 999
24545
Verschiedene
Kompositionen
328 369
65658
807 131
156970
Glas, Kristall
234354
30058
279 497
124458
Gewebe
2 766 180
206 HO
6844041
749 733
Metallarbeiten
4476268
246 549
3 286 793
944 264
Holzarbeiten
427 695
81707
410576
155 088
Verschiedene Fa-
brikate
456 606
58 920
755 906
127 891
Gesamteinfuhr
einschl. der oben
nicht genannten
Artikel
15583382
I 610 152
20 566 940 ;
J 232 980
Anteil der \!;^;;,^^f^ 46 Proz.
Einfuhr aus i England 38 „
35 Proz."
43 ,,
^'"'"'"^^ ^"' ) Deutschland 10 „
16 „
1912
1913
Gesamteinfuhr aus
} Deutschland
Gesamteinfuhr aus
1 Deutschland
frcs.
frcs.
frcs.
frcs.
TierischeProdukte
und Abfälle
528 089
69966
600263
88683
Mehl
1454057
287 490
I 801 629
444845
Kolonialwaren
638670
57601
724 704
38373
Holz
193 395
57879
195 180
125592
Getränke
1554388
276012
I 528 012
248 132
Miner. Brennstoff,
Marmorsteine
599 357
62349
740357
106 117
Metalle
427 485
21 580
850 003
352 528
Verschiedene
Kompositionen
704013
118 432
638 074
114 356
Glas, Kristall
186 802
64666
200410
68766
Gewebe
5 293 202
576795
4 839 488
465 147
Metallarbeiten
2546513
408 534
2 344 008
506 825
Holzarbeiten
571982
90631
473 687
132339
Verschiedene Fa-
brikate
941 891
125485
I 297 336
116 677
einschl. der oben
nicht genannten
Artikel i
7534048
2 332 764
18154499 :
5 923 430
Anteil der l?;;;«j;^X^ 37 Proz.
Einfuhr aus f ^"8^°^ ^ t^ "
j Deutschland 13 „
37 Proz
36 „
16 „
556 Miszellen.
Die Einfuhren aus Deutschland sind durch die Einrichtungen der
Schiffahrt wesentlich begünstigt worden. Zwischen Porto-Novo und
den Hochseeschiffen, welche auf hohem Meer vor Lagos aus- und ein-
laden, verkehrt eine Flottille kleiner Schiffe von 200 — 300 t. Die Vor-
teile, welche diese Einrichtung bot, gaben dem dortigen Verkehr den
Vorzug vor dem der Werft von Cotonou und setzten den Haupthafen,
sowie die französische Schiffahrt in Nachteil. Unter den deutschem
Waren sind Parfümerien zu nennen, Zucker, Limonade, Streichhölzer
und Holz aus Schweden, Tabak und Mehl aus Amerika, Jutesäcke auB
dem Orient. Der deutsche Handel legt große Sorgfalt auf die Ver-
packung i). Die Einfuhren betrugen 1913 zusammen 15 152404 frcs.,
davon kamen
aus Frankreich 3 448 652 frcs.
„ Deutschland 2316475 „
Die wichtigsten Einfuhren aus Deutschland nach D a h o m e j
in den Jahren 1912 und 1913:
1912
1913
frcs.
frcs.
Tierische Abfälle
25786
32719
Mehl
124 730
54428
Kolonialwaren
245 354
321969
Holz
32272
43422
Getränke
835 507
546 963
Metalle
47204
43048
Chemikalien
70360
41 546
Farben
20087
37277
Verschiedene Kompositionen
105 128
96547
Glas und Kristall
70937
74192
Garn
80 191
67742
Gewebe
383 220
374 198
Metallarbeiten
233713
170673
Waffen und Munition
17 142
22308
Arbeiten aus Holz
144033
77A77
Arbeiten aus verschiedenem Material
199 951
183 858
Ueber Aequatorial-Af
rika liegt folgender
Bericht
vor:
Die Einfuhren aus Deutschland, Belgien und
Holland
betrugen
1913 rund 4 Mill. frcs.
Einfuhren nach Aequatorial-Afrika 1913
aus
aus
aus
Zusammeu
Deutschland Belgien
Holland
frcs.
frcs.
frcs.
frcs.
Fleischkonserven, Fett, Milch, Butter
77000
105000
40000
222000
Fisch konserven
64000
39000
2 500
105500
Mehl
65 000
57000
4500
126500
Kolonialwaren
50000
70000
31000
151000
Getränke
160000
75000
28000
263000
Metallarbeiten und Metalle
342 000
285000
59000
686000
Gewebe
500000
I 450 000
72000
2022000
Parfümerien und Seife
55000
34000
8000
97000
Die Gesamteinfuhr Aequa
ttorial-
Afrikas betrug rund 21 Mill.
frcs., davon kommen für 1400000 frcs.
aus Deutschland.
1) Bulletin de l'Office colonial, September 1914.
Miszellen. 557
Die Einfuhren in Indochina kommen zum größten Teil aus
Frankreich. Die Einfuhr aus Deutschland stützt sich auf den
Transitverkehr in Singapore und Hongkong.
Die wichtigsten Einfuhrartikel aus Deutschland nach Indochina^):
1907
1912
frcs.
frcs.
Tierische Produkte und Abfälle
6000
10 000
Mehl
18000
95000
Getränke
90000
42000
Chemikalien
27000
22000
Farben
96000
27000
Glas und Kristall
6000
22 000
Gewebe
188000
167000
Papier
66000
84000
Spielzeug
—
1 10 000
Aus Hongkong kamen 1912 für 676000 frcs. Chemikalien. Zu der obigen
Einfuhr von Farben gehören noch für 195000 gefärbte Artikel und für
283000 frcs. Farbstoffe aus Hongkong, die jedoch von Hamburg
kommen. — Zu der obigen Einfuhr von Spielzeug sind noch für
164 000 frcs. aus Hongkong zu rechnen, da diese Waren aus Deutsch-
land stammen.
Die Niederlagen in den Freihäfen von Hongkong und in Singapore
begünstigen die Einfuhr von Artikeln asiatischen Aussehens, die in
Deutschland und England hergestellt sind.
Die Einfuhr aus Deutschland ist 5mal größer als die aus China.
Nach der chinesischen Seehafenstatistik überwiegt der deutsche Handel
erheblich den französischen. Die Zahl der Handelshäuser beider
Nationalitäten in China betrug nach obiger Statistik 2)
im Jahre 1911 112 französische Finnen 258 deutsche Firmen
„ „ 1912 107 „ „ 276
Nach einem amtlichen Bericht aus Siam bestehen dort ähnliche
Yerhältnisse. 50 Proz. der Schiffe im Hafen von Bangkok führen die
deutsche Flagge. Die Mehrzahl gehört dem Norddeutschen Lloyd,
welcher mit Erfolg mit der japanischen Linie Nippon Yushen Kaisha
und einer chinesisch-siamesischen Linie konkurriert. — Die französische
Flagge ist nur durch den kleinen Flußdampfer „Donnai" von 400 t und
ein kleines Küstenschiff vertreten.
Im Jahre 1911/12 betrug die Einfuhr nach Siam:
aus Deutschland 4 782 000 Ticaux
„ Frankreich i 714000 „
(Der Wert des Tical ist auf 1,90 frc. festgesetzt.)
Die wichtigsten Einfuhrartikel aus Deutschland sind: Kurzwaren,
Kleider, bearbeitetes Kupfer, Papier, Wolle, Lampen, Glas und Kristall,
Hanffabrikate. — Die Einfuhr des letzten Artikels aus Deutschland
ist von 8000 Ticaux im Jahre 1910 auf 55 000 Ticaux in 1911/12
gestiegen s).
1) Bulletin de l'Office colonial, September 1914.
2) Statistik der chinesischen Verwaltung der Zölle.
3) Bulletin de l'Office colonial, September 1914.
558 Miszellen.
Mehr und mehr bemächtigt sich die deutsche Schiffahrt des HaudelB
zwischen Hongkong und den Häfen Indochinas. Der Handel in
Ann am ist fast ganz in deutschen Händen i).
In den Kolonien des Pazifischen Ozeans bestehen die
französischen Kolonien aus dem Archipel (Ozeanien), Neu-Kaledonien
und, mit beschränkter Souveränität, den Neuen Hebriden. Für den
deutschen Handel ist der Archipel am wichtigsten.
Die Einfuhr aus Deutschland nach Tahiti ist trotz der Zoll- und
Transportschwierigkeiten beständig gestiegen; sie betrug 1913: 2,55 Proz.
der Einfuhren. Die wichtigsten Einfuhren aus Deutschland sind:
1913
1913
frcs.
frc».
Zigarren und Zigaretten
6573
Industriemaschinen
81339
Leinöl
7704
Fahrräder
2893
Bier
6446
Akkordions und Harmonikas
6979
Farben
32008
Im Jahre 1913 hat die französische „Phosphat- Gesellschaft Ozeaniens*'
einen großen Teil ihrer Maschinen in Deutschland gekauft.
Die Bergbauindustrie in Neu-Kaledonien hat im Jahre 1913
für 104000 frcs. Betriebsmaterial in Deutschland angekauft.
In Amerika besitzt Frankreich die Reste seines ehemaligen mäch-
tigen Kolonialreiches: die Antillen: Martinique, Guadeloupe, Guiana,
ferner Saint- Pierre und Miquelon. Die Einfuhr aus Deutschland ist,
nach einem Bericht der französischen Handelskammer in Fort-de-France,
bedeutend 2) j namentlich für Kristallwaren und Porzellan. Vieles
davon kommt über Paris: Maschinen und Geräte zur Faßfabrikation,
Kautschukpräparate für Apotheken, Lederwaren, Eiskübel, Bänder,
Wurstkonserven (aus Frankfurt a. M.).
Streichhölzer aus Oesterreich stellen sich um 5 — 6 frcs. per Kiste
billiger als andere.
Seit dem Krieg mangelt es in den Kolonien an deutschen Ein-
fuhren aus Staßfurt.
Einfuhren :
aus dem Ausland
aus Frankreich
Zusammen
1910
kg
780 607
kg
10070
kg
790677
1911
1912
1913
404333
I 209 963
906 356
I 000
405 333
I 209 963
906 356
Es ist wahrscheinlich, daß viele der über Frankreich eingeführten
Artikel aus Deutschland stammen. Die Kali einfuhr (sulf ate de potasse)
wird, wie folgt, berichtet:
Total
1 290 607
942 333
I 448 963
I 188356
1) Berieht des Zolldirektors vom Jahre 1912.
2) Revue des Colonies et des Questions coloniales, 1914, 4. Heft.
Jahre
in reinem Zustand
Gemischt
1910
kg
780 607
kg
510000
1911
1912
1913
405 333
1209963
906 356
537000
239000
282000
Misz eilen. 569
Die Industrie in den Kolonien kann diese Artikel nicht entbehren.
Die deutschen Einfuhren nach Guiana sind nicht bedeutend. Sie
kommen gewöhnlich nicht durch deutsche Häuser, sondern durch deren
Kommissionäre in Frankreich, welche Filialen in Guiana haben. Die
in Betracht kommenden Artikel sind namentlich: Schuhwaren, Glas,
verziertes Porzellan, Akkordeons, Holzmöbel, Papier, Filzwaren, Gewebe,
Hutwaren, Hausgeräte.
Die Bevölkerung auf den Inseln Saint-Pierre und Miquelon
besteht zum großen Teil aus Fischern. Im Jahre 1913 hat Deutsch-
land dort für 1455 frcs. eingeführt: Zigarren, getrocknetes Gemüse,
Nahrungsmittel, Hausgeräte, Töpfereien usw.
Madagaskar bildet den Stützpunkt für den Handel der Somali-
Küste und Abessinien. Der deutsche Handel hat sich dort be-
ständig entwickelt:
Einfuhren aus Deutschland Gesamteinfuhr
1910 536383 frcs. 33436922 frcs.
1911 731737 „ 44763892 „
1912 847326 „ 150034848 „
1913 I 666 884 „ 46 747 456 „
1912
1913
frcs.
frcs.
Tierische Produkte und Abfälle
12596
10 137
Fischereiprodukte
I 014
1237
Mehl
3213
996
Kolonialwaren
17 170
53005
Oel usw.
3 577
5053
Holz
29908
5894
Verschiedene Abfälle
2987
3495
Getränke
76 263
70788
Mineralische Brennstoffe
16 215
II 291
Metalle
75531
162 509
Chemikalien
II 136
8457
Farben
5896
8335
Verschiedene Kompositionen
5269
35498
Töpfereien
45360
36815
Glas und KristaU
7460
II 054
Garn
4169
8 886
Gewebe
33645
35681
Papier usw.
27681
27083
Felle
3895
3546
Metallarbeiten
371554
411 149
Möbel
21088
35 775
Holzarbeiten
3127
5828
Musikinstrumente
13 651
51937
Verschiedene Fabrikate
52272
59814
Zusammen
847 326
I 066 884
Nach einem Bericht des Gouverneurs der Insel Madagaskar i), Ge-
neral Garbit, werden die deutschen Waren zum Teil wegen ihres billigen
Preises von den Einheimischen bevorzugt.
1) Berieht der Union coloniale an die Commission consultatlve, veröffentlicht 1914
Ton A. Challamel.
570
Miszellen.
Auf R6union sind die Einfuhren aus Deutschland in der Zu-
nahme begriffen, namentlich für Akkordeons, Harmonikas und Näh-
maschinen.
Einfuhr der wichtigsten deutschen Artikel an der Somali-Küste:
Bier
Alkohol
Stangeneisen
Eisenblech
Parfümerien , nicht aus Al-
kohol
Glasperlen und anderes Glas
Trinkgefäße aus Glas
Baumwollgewebe
Gebleichte Gewebe
Baumwolldecken
Nähmaschinen
Eiserne Geräte
Stahlgeräte
Gewöhnliche Messerwaren
Schlosserwaren
Eiserne Haushaltgeräte
Kriegswaffen
Blanke Waffen
Kriegspatronen
Streichhölzer aus Holz
1911
Menge Wert
frcs.
13857
2695
8371
17685
12525
6500
78400
850
30 200
21875
21 900
II 485
24340
8025
26 198
loi 450
6 600
loi 964
10 280
kg
19794
16 669
28 808
7 957
12385
12769
30722
HO
19893
7246
28574
6698
6248
8075
57637
4030
1030
40946
5 140
1912
Menge Wert
kg
14245
19337
30882
6 113
4 357
9150
13874
740
14605
27 107
7558
36075
4855
12596
29471
3 347
3682
30800
97698
frca.
9970
29005
9263
2445
12469
II 290
10365
2 600
49950
46305
13670
23949
19 167
13506
24485
83675
13295
'j'] 000
35030
1913
Menge Wert
kg
23320
17709
37320
30095
2532
4505
5596
23278
270
21561
10 891
69046
7894
5512
10 921
26913
5830
1953
87938
34960
frcs.
16326
26563
" 195
12038
7860
3830
4 757
67300
700
42 205
29 800
41525
II 365
26489
13955
27 692
145 750
"575
219845
43700
An der Somali-Küste ist die Einfuhr aus Deutschland in der Zu-
nahme begriffen.
Die Einfuhren aus Oesterreich-Ungarn an der Somali-Küste sind
von 600000 frcs. im Jahre 1910 auf mehr als 14000000 frcs. im
Jahre 1913 gestiegen.
Im Hinblick auf die Zukunft (die Möglichkeiten nach dem Kriege)
tritt heute in Prankreich die Ansicht auf, daß Mittel gefunden werden
sollen, um das Ausland, worunter in erster Reihe Deutsch-
land gemeint ist, zu verhindern, die Rohmaterialien für
seine Industrie aus den französischen Kolonien zu holen.
Um ein Beispiel anzuführen, so spricht der frühere Generalgouverneur
Merlin in dieser Verbindung von dem Holz in den Wäldern von
Aequatorial- Afrika. Nach ihm beträgt die Einfuhr von Holz nach
Deutschland aus Aequatorial - Afrika 134000 t unter einer Gesamt-
ausfuhr von 150000 t. Der Gesamtwert dieser Holzausfuhr be-
trage 8 319 000 frcs., wovon 6 365 000 frcs. auf Deutschland entfallen.
Der Unterschied zwischen dem Gewicht und dem Wert erkläre sich
durch den relativ niedrigen Preis des Okoume im Vergleich zu dem
Preise von Ebenholz und Akajou. Auch das nach Holland gehende
Okoume im Wert von rund 4 Mill. frcs. sei größtenteils für Deutsch-
land bestimmt. Unter der oben erwähnten Holzausfuhr nach Deutsch-
land befanden sich 90000 t Okoume. — Merlin empfiehlt, daß die
französische Tabakregie dieses Holz zur Herstellung von Zigarrenkiste»
Miszellen. 571
verwende. In Deutschland diene es demselben Zweck sowie der Fa-
brikation von Möbeln. — Frankreichs Bedarf an Okoume betrug 1913
15 000 t. Auch England beziehe viel von diesem Holz, namentlich aus
Gabun. — In dem erwähnten Bericht wird empfohlen, die schon heute
wichtigen Märkte für die genannten Holzarten in Havre und Bordeaux
auszudehnen.
Von der HäuteausfuhrAequatorial-Afrikas, welche 1913
1000 t (rohe Ochsenhäute) betrug, hat Guinea 400 t nach Hamburg
geschickt. Die Ausfuhr von Madagaskar betrug 1913: 8 032 698 kg
zum Werte von 14 819 862 frcs. Davon gingen nach Deutschland
2244000 kg im Werte von 3 925 000 frcs.
Aus Marokko hat General Lyautey berichtet: Seitdem wir im
Jahre 1907 die Chaouia besetzten, haben die Ausfuhren nach Deutsch-
land Jahr für Jahr zugenommen. 1912 nach einer Reihe guter Ernten
sind dieselben auf 17 500 000 frcs. aus den Häfen des Protektorats ge-
stiegen. Viele der nach Hamburg ausgeführten Artikel (Häute, Mandeln
usw.) sind zur Wiederausfuhr nach Italien, der Schweiz, Rußland usw.
bestimmt.
Die Ausfuhr der vom Ministerium der Kolonien abhängigen
französischen Kolonien betrug 1913: 765 140000 frcs., wovon 48 374 000
frcs. auf Deutschland und Oesterreich-Ungarn entfielen. Näheres findet
sich in der folgenden Aufstellung:
1907 1 913
Deutsche
Kolonien
Deutschland
Deutsche
Kolonien
Deutschland
Ocsterreich
Ungarn
aus frcs.
frcs.
frcs.
frcs.
frcs.
Senegal —
2 039 670
■ —
7 155 000
—
Guinea —
3 019 625
—
3 718000
—
Elfenbein-Küste —
332 632
—
2 871 000
—
Dahomey n 573
I 667 160
148000
10 155000
—
^^^"" 1 641b
Kongo / ^
1976 158 1
34000
34000
3 628 000
232 000
—
Madagaskar —
4 973 599
—
10 064 000
96000
Somali- Küste —
—
—
5254000
138000
Indochina —
2 985 302
—
4415000
—
Ozeanien —
82563
—
58000
—
Neu-Kaledonien —
280000
—
374 coo
—
Zusammen 17 989
i7 35<>309
50298
216000
47924000
234000
174
48374000
Die Ausfuhren aus ;
Pran zösisch-Nor daf rika : Algier
•, Tunis
Marokko, betrugen nach:
1907
191S
\
Deutschland
1 Oesterreich-
Ungarn
Deutsch.«... Oes^^^ch-
frcs.
frcs.
frcs.
frcs.
Algier 1 1 458 000
3773000
13
666 000 1
J 791 000
Tunis 2 423 691
610 564
7 207 098 :
i 038 660
Marokko 5 208 783
5782
8
673415
60 128
572 Missellen.
Die Regierung von Algier (Office de PAlgörie) hat im Jahre 1914
einen Bericht über den Handel Deutschlands und Oesterreich- Ungarns
in Algier veröffentlicht.
Danach hat die Ausfuhr Deutschlands aus Algier, die
im Jahre 1902 3 774 000 frcs. und 1903 4 460 000 frcs. betrug, seit
1904 schnellen Aufschwung genommen und sich bis zum Jahr 1912
verdoppelt.
1904 6378000 frcs. 1909 8505000 frc«.
1905 8216000 „ 1910 10593000 „
1906 9593000 „ 1911 10070000 „
1907 II 458000 „ 1912 12778000 „
1908 8 286 000 „
Im Jahre 1913 betrug die Ausfuhr Algiers nach Deutsch-
land 13 666 000 frcs. Die wichtigsten Artikel sind:
Phosphat 3 240 000 frcs.
Zinkerz 2412000 „
Häute, roh 2 296 090 „
Fasern i 740 000 „
Kork, roh i 246 000
Eisenerz i 126000
Dazu kommen:
Gel und Essenzen 238 080 „
Wein und Liköre 165000 „
Tafelobst, WoU abfalle, bearbeiteter Kork, Medizinalartikel, Tabak in
Blättern und bearbeitet, Kupfererz, Gedärme, trocken und gesalzen,
Kleie, Alfa usw. Zu erwähnen ist, daß Deutschland, ausgenommen im
Jahre 1913, wo die Ernte in Algier schlecht war, Gerste bezieht: 1912
86 192 Quintaux im Wert von 1 917 000 frcs.
Die Ausfuhren Algiers nach Oesterreich- Ungarn betrugen :
1902 I 867 000 frcs. 1908 4 339 000 frcs.
1903 I 831 000 „ 1909 3691000 „
1904 2 479 000 „ 1910 3 705 000 „
1905 3 303 000 „ 1911 3 947 000 „
1906 4017000 „ 1912 5299000 ,,
1907 3 771 000 „ 1913 5 791 000 „
Im Jahre 1913 befanden sich unter diesen Ausfuhrartikeln: Tafelfrüchte
1536 000 frcs., darunter 230 485 frcs. Feigen und 6532 frcs. Datteln.
Andere Artikel sind:
Fasern 1
[ 272000
frcs.
Eisenerz
882 Ol 0
»
Kork, roh
646000
}i
Getrocknete Feigen
zur Destillation
413000
))
Phosphate
336 000
}i
Kork, bearbeitet
276000
jj
Häute, roh
103000
;>
Wolle, Medizinalpflanzen, Gerste usw. gelangen ebenfalls nach
Oesterreich-Ungam.
Die Ausfuhr von Tunis nach Deutschland und Oester-
reich-Ungarn hat sich von 1904 bis 1913 bedeutend entwickelt, wie
die folgende Aufstellung zeigt:
M
iszellen.
Deutschland
Oesterreich-Üngarn
Zusammen
frcs.
frcs.
frcs.
1904
I 028 901
379 569
I 407 470
1905
I 483 628
428607
I 912 235
1906
I 638 665
183 725
I 822 390
1907
2423691
610564
3034255
1908
2 363 849
506 601
2870450
1909
2 626 684
I 185 230
3811914
1910
2628 163
799 268
3427431
1911
3232589
I 058 960
4391549
1912
4 860 637
I 642 658
5 503 295
1913
7 207 098
2 038 660
9 245 758
573
Der französische General-Resident in Tunis, M. Alapetite, hat einen
«ingehenden Bericht erstattet, welcher viel Beachtung bei den franzö-
sischen Handelskammern gefunden hat. Als Hauptausfuhrartikel führt
der Bericht an:
1904 1913 1911
frcs. frcs. frcs.
Blei-Erze 38 400 654 075 (2 806 838)
Zink-Erz — 494 700
Häute, roh, hielten sich in dieser Periode auf rund 300000 frcs.
Schwämme — 104 500
Kork, roh: 190924 frcs. im Jahre 1910 522999
Dieselben Artikel gehen nach Oesterreich- Ungarn.
Die Ausfuhr von Alfa nach Deutschland ist unbedeutend; sie be-
trug 1910 nur 9344 frcs.
Das deutsche Kapital tritt in Tunis vielfach in der Form
von Beteiligungen oder Kommanditen auf. Die deutschen Versicherungs-
gesellschaften sind zahlreich; in der Stadt Tunis gibt es ihrer zehn.
Der Bericht empfiehlt, daß Frankreich seine Einfuhr von Kork aus
Tunis (durchschnittliche Gesamtausfuhr 50000 Quintaux) fördere, in-
dem es diesen Artikel zollfrei hereinlasse. Die Erze (durchschnittliche
Ausfuhr jährlich:
Eisenerz 367 000 t
Bleierz 42 000 t
Zinkerz 34000 t)
sollten in Tunis bearbeitet werden ; heute gibt es dort nur eine einzige
Schmelzerei, an welcher deutsches Kapital hervorragend beteiligt ist.
Die Phosphatindustrie sollte entwickelt werden. Heute gibt es nur
eine Fabrik. Alfa (durchschnittliche Ausfuhr jährlich 48000 t) sollte
in Tunis in Papiermasse verarbeitet werden. Auch die Hotelindustrie
und die Reiseagenturen erforderten Aufmerksamkeit.
Die Ausfuhr von Marokko nach Deutschland betrug:
1902 I 099 899 frcs.
1913 9567963 .,
Die französischen Berichte nennen als Ursache der schnellen Ent-
wicklung: Die Frachten nach Hamburg sind niedriger als nach Mar-
seille und die deutschen Freihäfen ; weiterhin die enge Verbindung der
deutschen Handelshäuser mit den einheimischen Geschäftsleuten.
Die wichtigsten Artikel, die zur Ausfuhr nach Deutschland
gelangen, sind:
574 Ifiszellen.
1907 1913 Gesamtausfuhr 1913
kg kg kg
Wachs 449562 502685 656742
Wolle 902 459 99 298 935 226
Häute, roh — 7 157 4148208
Mehlsorten 238 013 58925 534 575
Olivenöl — 19» 125 585850
Früchte und Samen i 225315 3 226710 8 194 132
Arznei- Artikel 306489 334 439 i 120245
Die Ausfuhr Marokkos nach Prankreich betrug in Pro-
zenten der Gesamtausfuhr:
1902 17,28 Proz.
1906 4500 „
bis 1912 30—40 „
1913 49,17 „
Die Ausfuhr nach Deutschland in Prozenten der Gesamt-
ausfuhr :
1904 10, 6 7 Proz.
1912 22,08 „
1913 i8,63 „
Die Schwankungen in dieser Zeit waren mitunter bedeutend. 1906
war der deutsche Anteil auf 13,88 gefallen, um 1907 auf 24,2 Proz.
zu steigen.
Ein Bericht des französischen Ministeriums für die Kolonien aus
dem Jahre 1915 gibt die Ausfuhren der von diesem Ministerium ab-
hängigen Kolonien (ausschließlich von Algier, Tunis, Marokko) in
der Hauptsache, wie folgt, an:
Rohe Ochsenhäute, Perlmutter, Wachs, Elefantenzähne. Arachides,
Kautschuk, Vanille, Reis, Kopra, Raphia, Gerbstoff, Kaffee. Graphit^
Zink-Erz, Nickel-Erz, Palmkerne, Mais, Baumwolle, Kap-Bohnen.
Der Bericht betont, daß außerdem noch viele andere Artikel, die
im Transit andere Bestimmungen haben, nach Deutschland gehen.
Die Ausfuhr von rohen Ochsenhäuten nach Deutschland:
1907 1913
aus:
kg
frcs.
kg
frcs.
Guinea
151 000
243 000
395 000
692 000
Idadagaskar
I 265 000
I 701 000
2 244 000
3 925 000
Indochina
5 000
4000
70000
175000
Somali- Küste
—
—
I 996 000
2 994 000
Ausfuhr von
Perlmu
tter nach Deutschland:
1907
1913
aus:
kg
frcs.
kg
frcs.
Ozeanien
14000
23000
3000
6000
Indochina
—
—
156000
31 000
Ausfuhr von
Elefant
enzähnen
nach Deutschland :
1907
1913
aus:
kg
frcs.
kg
frcs.
Senegal
149
2 200
—
Guinea
146
I 460
1869
29900
Kongo
61
I 100
4283
99 (.00
Dahomey
5
75
16
256
Gabun
158
3700
Miszellen. 575
Ausfuhr von Wachs nach Deutschland:
1907 1913
ans:
kg
frcs.
kg
frcs.
Madagaskar
180000
453 000
288000
846000
Tndochina
—
—
3000
10 000
Guinea
2 600
6000
18000
14000
Somali-Küste
—
—
318000
910000
Ä.ußfuhr von
G
uano
nach Deutschland:
1913
aus :
kg
frcs.
Madagaskar
12422000
I
248 000
Madagaskar führte im Jahre 1913 260000 kg Guano im Werte
von 39 000 frcs. nach Frankreich aus.
Ausfuhr von Kautschuk nach Deutschland:
1907 1913
aus : kg frcs.
Elfenbeinküste 29 000 133 000
Guinea 229 000 2 058 000
MUtle^rer Kongo} ^ 000 15000
Madagaskar 291 000 i 545 000
Senegal 151 000 853000
Ausfuhr von Arachides nach Deutschland:
1907
aus : kg frcs.
Senegal 4 000 000 800 000
Ausfuhr von Vanille nach Deutschland:
1907
aus: kg frcs.
Madagaskar 1577 28000
Ozeanien i 9^9 9600
Auf Madagaskar dehnen sich die Vanillepflanzungen von Jahr
au Jahr aus.
Ausfuhr von B>afia aus Madagaskar:
1907 1913
nach: kg frcs. kg frcs.
Deutschland 1240000 554000 1824000 1044000
Oesterreich — — 156000 94000
Die Ausfuhr von Rafia nach Deutschland ist von 554 000 frcs.
im Jahre 1907 auf 1257000 frcs. im Jahre 1912 und 1044000 frcs.
im Jahre 1913 gestiegen.
Ausfuhr von Gerbstoffen nach Deutschland :
1907 1913
ans: kg frcs. kg frcs.
Madagaskar 7698000 552000 20681955 1367000
Diese Ausfuhr ist neu und hat erst 1906 begonnen. Deutschland
nimmt den ersten Platz dabei ein. Frankreich hat im Jahre 1913
für 95 000 frcs. eingeführt.
kg
frcs.
49000
195000
222 000
I 482 000
10 000
65000
18000
135000
127 000
585 000
20000
and:
1913
109 000
kg
frcs.
640 000
1913
6380000
kg
frcs.
6418
252 000
1554
32000
576 Missellen.
Ausfuhr von Palmkernen nach Deutschland:
1907 1913
aus: kg frcs. kg frcs.
Senegal i 43© 725 332 391 1 635 000 654 000
Elfenbeinküste 965000 162000 5069000 1830000
Dahomey 5173000 i 311 000 24022000 9196000
Guinea 3385000 677000 4313000 1464000
Gabun 16 000 4 000 93 000 30 000
In der Zukunft werden diese Ausfuhren noch erheblich zunehmen.
Ausfuhr von Palmöl nach Deutschland:
1907
1913
aus : kg frcs.
Dahomey 276 OOO 123 ooo
Elfenbeinküste 19000 7000
kg
265 000
185 000
frcs.
130000
93000
Ausfuhr von Mais nach Deutschland:
1907
aus : kg frcs.
Dahomey 4416000 220000
1913
kg
8500000
frcs.
680000
Nach Frankreich wurde zum erstenmal im Jahre 1907 Mais, ge-
schickt und zwar für Rechnung der französischen Gesellschaft „Char-
geurs r^unis*'.
Ausfuhr von Baumwolle nach Deutschland:
1907
1913
aus:
kg
frcs.
kg
frcs.
Dahomey
Ozeanien
3800
21 800
7 800
24000
83000
12 000
104000
19000
Die Ausfuhr nach Deutschland soll bedeutender sein, als diese
Zahlen anzeigen ; viel soll über die Landesgrenze unter anderem nach
Togo gelangen.
Ausfuhr von Kap-Bohnen nach Deutschland:
1907 1913
aus: kg frcs. kg Ircs.
Madagaskar — — 159 000 65 000
Ausfuhr von Graphit nach Deutschland:
1907 1913
aus: kg frcs. kg frcs.
Madagaskar — — 300 000 132 000
Ausfuhr von Zinkerz- Calamine nach Deutschland:
1907 1913
aus: kg frcs. kg frcs.
Indochina — — 930000 121 000
Im Jahre 1913 wurden aus Indochina 12 500000 kg Zinkerz im
Werte von 1 634000 frcs. nach Belgien geschickt. Der französische
Bericht deutet an, daß ein Teil davon für Deutschland bestimmt sei.
Miszellen. 577
Ausfuhr von Nickelerz nach Deutschland:
1907 1913
aus: kg frcs. kg frcs.
Neii-Kaledonien 8017000 280000 12566000 374000
Ueber den Handel mit Nutzholz hat sich die französische Kom-
mission für die Handelsflotte einen Bericht von M. Gratien Candace
erstatten lassen, worin dargelegt wird ; Der Handel mit Holz in Fran-
zösisch-Aequatorial-Afrika entwickelt sich schnell. Die Ausfuhr aus
Gabun betrug
1898 500000 frcs.
1913 8319239 „
Gewicht 150688 t. Die Bedeutung des Artikels läßt sich daran er-
messen, daß die Gesamtausfuhr betrug
1912 28935 218 frcs.
1913 36 487 988 „
Weitaus das meiste davon geht nach Deutschland, dessen Anteil, wie
folgt, dargestellt wird: 1913 67167 t, im Wert von 3520175 frcs.
oder 45 Proz. der Gesamtausfuhr.
Im Jahre 1913 erreichte die Gesamtausfuhr 150688 t, im Wert
von 8319 239 frcs., und verteilte sich auf die folgenden Länder:
t Wert frcs.
Deutschland 67167 3 S 20 175
England 29517 2020180
Frankreich 22018 i 512049
Holland 26877 l 242031
Vereinigte Staaten 3 359 16 800
Spanien 1 648 8 000
In Frankreich wurden schon einige Jahre vor dem Krieg An-
strengungen gemacht, um den Anteil des französischen Handels mit
den Kolonien zu steigern. Am 29. September 1914 wurde zu diesem
Zweck die „Commission consultative coloniale" errichtet. An den Be-
ratungen dieser Versammlung nahmen teil die Präsidenten der Handels-
kammern in Paris, Bordeaux, Marseille, Nantes, Lyon, Dünkirchen,
Havre. In derselben Richtung arbeiteten das „Office national du com-
merce exterieur", „Office colonial*', „Office de l'Algerie", ,, Office de la
Tunisie" und ,, Office du Maroc".
Das ,, Office coloniaP' wurde im Mai 1887 errichtet als Nachrichten-
stelle, angeschlossen an die permanente Ausstellung der Kolonien, die
seit dem Jahr 1855 besteht. Das Dekret vom 14. März 1899 dehnte
die Aufgabe des „Office colonial" aus. Seit 1904 veröffentlicht das-
selbe ein „Bulletin" und unterhält ein Handelsmuseum. Als Vorbild
der Organisation hat das Imperial-Institut in London gedient.
Das „Office de l'Algörie" ist 1902 geschaffen worden mit dem
Programm: Kolonisation, Auslandhandel, Ausstellung. Es veröffentlicht
regelmäßig ein „Bulletin*' und eine Preisliste der in Paris, Lyon, Mar-
seille, London und Hamburg gehandelten Waren, die Ein- und Ausfuhr-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 37
578 Mifzellen.
Statistik, die Verkehrsstatistik der Häfen von Algier, Oran, Mosta-
ganem, Bougie, Philippeville und Bone.
Das „Office de la Tunisie" wurde 1905 errichtet als eine Ab-
teilung der Regentschaft. Dasselbe veröffentlicht alle zur Förderung
des Handels notwendigen Mitteilungen und unterhält eine Ausstellung
von Mustern; das „Bulletin" erscheint regelmäßig.
„Office du Maroc". Dasselbe wurde 1914 errichtet. Es unterhält
ein Handelsmuseum, sammelt alle Nachrichten und erteilt alle dem
Handel nützlichen Mitteilungen, veranstaltet gelegentlich Ausstellungen
(in Lyon und Casablanca).
Eifrige Tätigkeit zur Förderung des Handels mit den Kolonien
entwickeln die neu errichteten, aus privater Initiative (mit Unterstützung
der Handelskammern, der Gemeinderäte) hervorgegangenen Kolonial-
Institute, errichtet seit 1900 in Marseille, Bordeaux und Nancy. Als
Vorbilder dienen das Kolonial-Institut in London und das Belgische
Kolonial-Institut, das von König Leopold von Belgien in den Gärten
von Tervueren errichtete Kolonial- Museum, das Kolonial-Museum in
Haarlem, das Kolonial-Institut in Amsterdam, die Institute in Hamburg
und Berlin.
Das Institut in Marseille wurde von dem kürzlich verstorbenen
Dr. Ed. Heckel geleitet, der auch einen Kolonialgarten anlegte. Es ist
hervorgegangen aus dem Kolonial-Museum. Die Verwaltung besteht
aus 27 Mitgliedern. Die Lehrtätigkeit an dem Institut erstreckt sich
auf alle Fächer des Handels, der Industrie und des Bankwesens. Die
von Zeit zu Zeit stattfindenden Ausstellungen von Kolonialartikeln
haben immer großes Interesse gefunden. Es erscheint eine Monats-
schrift: „L'Expansion coloniale". Dem Handel werden alle wünschens-
werten Nachrichten zuteil.
Das Kolonial-Institut in Bordeaux besteht seit 1901 und wird von
dem Prof. ßeille geleitet. Das Institut arbeitet in derselben Art wie
jenes in Marseille.
Die Angelegenheiten der Schiffslinien und Schiffsfrachten
werden in den französischen Kolonialkreisen eifrig erörtert. Die maß-
gebenden Gesichtspunkte finden sich in einem Bericht, welchen M. F.
du Vivier de Street an die ,,Commission consultative coloniale'' er-
stattet hat. Darin wird auf die Vorteile, welche Deutschland und
England auf diesem Gebiet besitzen, hingewiesen.
Ein Bericht des Unterstaatssekretärs für die Handelsflotte, M. Nail,
erwähnt den bei Kriegsbeginn sich entwickelnden Zustand:
Beim Ausbruch des Krieges war die Verbindung zwischen Frankreich
und den Kolonien lahmgelegt. Nachdem jedoch der Staat das Kriegs-
risiko übernommen, Kohlen und Schiffsausrüstung zur Verfügung ge-
stellt hatte, wurde der regelmäßige Dienst nach und nach wieder auf-
genommen. Die Schiffahrt zwischen Frankreich, Algier, Tunis, Tripoli-
tanien und Marokko wurde anfänglich ganz von der Truppenbeförde-
rung nach Frankreich in Anspruch genommen. Im September 1914
wurde der Verkehr mit Algier durch eine Linie über Bougie verbessert.
Miszellen. 579
Im Mai 1915 wurden besondere Fahrten für die Beförderung von Ge-
müsen nach Marseille eingerichtet. Die Ueberlastung des Hafens von
Ronen und der Umstand, daß ein großer Teil der Schiffe der Linien:
Societö navale de l'Ouest, der Affreteurs reunis, Delmas freres usw.
requiriert wurden, erwies sich als hinderlich. Erst langsam besserten
sich die Zustände. Der Verkehr mit Marokko wird hauptsächlich
unterhalten von Marseille durch die Compagnie Paquet und von Nantes
und Bordeaux durch die Compagnie Generale transatlantique.
Nach West- und Aequatorial-Aafrika fahren die Linien der Eeeder
von Bordeaux, der Compagnie Fraissinet, Compagnie Cyprien Fahre,
Compagnie Chargeurs Eeunis. Die Chargeurs Reunis hatten vor dem
Krieg 18 Dampfer und 12 Lastdampfer. Heute fährt nur 1 Dampfer
alle 2 Monate und 1 Lastschiff einmal in 2 Monaten. Die Fahrten
sollen jedoch verdoppelt werden. — Der Hafen von Dakar wird, wenn
auch weniger regelmäßig als vor dem Krieg, auf den Fahrten von
Frankreich nach Südamerika angelaufen. Die wichtigsten Gesell-
schaften sind: Soci^tö generale des Transports maritimes k vapeur,
Compagnie des Chargeurs reunis und Compagnie de Navigation sud-
atlantique.
Madagaskar, La Reunion, Comoren, Djibouti: Die Compagnie des
Messageries maritimes fährt alle 14 Tage von Marseille. Um die Aus-
fuhr von Madagaskar zu erleichtern, sind einige Dampfer durch große
Lastschiffe ersetzt worden. — Ein Teil der Schiffe der Compagnie
Havraise und Peninsulaire ist requiriert worden. — Nach Djibouti
fahren die Dampfer, die von Indochina und Madagaskar kommen.
Djibouti beklagt sich, daß diese Dampfer überlastet sind. Es soUen
in Djibouti bedeutende Waren angesammelt sein.
Indochina : Der Dienst wird versehen von der Compagnie des Mes-
sageries maritimes. Außerdem fährt die Compagnie des Chargeurs
reunis jeden Monat einmal nach Cochinchina und Tonkin. Von un-
vermeidlichen Störungen abgesehen, fahren die Messageries maritimes
regelmäßig nach Saigon. Die französische Regierung hält streng darauf,
daß die Fahrten innegehalten werden. Nach Indien fahren die Schiffe
zwischen Colombo und Kalkutta.
Neu-Kaledonien, Neue Hebriden, Tahiti: Die Fahrten, welche die
Messageries maritimes ehemals alle 28 Tage nach Australien und Neu-
Kaledonien machten, sind wegen mangelnder Rentabilität eingestellt. Es
besteht jedoch der Dienst von Sydney nach Numea und den Neuen
Hebriden. Im Februar und Mai 1915 ging je ein Frachtdampfer nach
Australien und Neu-Kaledonien. — Mit Tahiti besteht ein unregel-
mäßiger Dampferdienst seitens der Compagnie navale de l'Oc^anie, die
auch nach Neu-Kaledonien fährt. Englische Schiffe von Colombo und
Singapore sind autorisiert, den Verkehr mit Neu-Kaledonien und den
Hebriden zu versehen.
Antillen und Französisch-Guiana : Der Dienst von und nach Frank-
reich wird versehen durch die Compagnie Generale transatlantique von
Saint-Nazaire nach Colon, von Bordeaux nach Colon, von Fort-de-France
37*
580
Miseellen.
nach Cayenne. Dieselbe Gesellschaft unterhält zahlreiche Frachtfahrten
zur BeförderuDg von Zucker, Rum, Kaffee und Kakao.
Vor dem Krieg wurde der Dienst nach den Antillen durch die
österreichische Gesellschaft „Austro-Americana" ver-
sehen. Seit Dezember 1914 ist die französische Society generale des
Transports maritimes k vapeur an ihre Stelle getreten.
Die Schiffahrt unter deutscher und österreichisch-
ungarischer Flagge nach und von den französischen Kolonien
1907—1912.
1907
1912
Zahl der Schiffe
t
Zahl der Schiffe
t
Senegal
185
176000
223
410000
Guinea
210
397000
203
473000
Elfenbeinküste
395
545000
207
491000
Dahomey
323
380000
465
671000
Gabun
79
149000
158
402000
Somaliküste
26
48000
86
242 000
Madagasl£:ar
217
158000
624
472000
R§union
2
2 000
—
—
Indien
2
6000
16
47000
Indocbina
535
682 000
521
637000
Martinique
60
105 000
25
55000
Guadeloupe
76
136000
25
58000
Zusammen 2110
2 784000
2553
3958000
1907
1912
SnV„-«o /deutsche
1978
2435
(j '■■■■*•
(österreichische
132
I
18
2II0
2553
Schiffahrt zwischen Frankreich, dem Ausland, den
Kolonien und den Fischerei-Plätzen (Segelschiffe und Dampfer).
Ankunft
in Ladung
t
7431069
23273431
Schiffe
in Ballast
t
150305
448002
zusammen
t
7581374
23721 433
unter franz. Flagge
unter ausländ. Flagge
Gesamt-Tonnenzahl
30 704 500
598 307
Abfahrt
31302807
in Ladung
t
6827145
16463234
Schiffe
in Ballast
t
936374
7 24^215
zusammen
t
7 763 119
23 70 . 449
unter franz. Flagge
unter ausländ. Flagge
Gesamt-Tonnenzahl
23290379
8 182589
31472968
Das französische Parlament berät über verschiedene Maßnahmen
zur Förderung der Handelsflotte. Das Gesetz soll spätestens 12 Mo-
nate nach dem künftigen Friedensschluß erlassen werden. 100 Mill. frcs.
sollen für Subsi dien in verschiedenen Formen angewiesen werden.
Miszellen. 581
Die französische Zollgesetzgebung in den Kolonien steht zur
Erörterung. Dieselbe hat in dem langen Zeitraum von 1760 — 1860
von einem Pol zum anderen geschwankt. Näheres darüber findet sich
in dem „Traite de Legislation coloniale*' von Paul Dislere.
Das Gesetz vom 11. Januar 1892 ist grundlegend für den heutigen
Zustand. Es ist in der Hauptsache nach den Vorschlägen von Jules
Terry erlassen.
Die Kolonien sind in zwei Gruppen eingeteilt : den für Frankreich
geltenden Zolltarifen sind unterworfen: Guadeloupe, Martinique, Guiana,
Reunion, Indochina (Cochinchina, Cambodge, Annam, Tonkin), Gabun,
Neu-Kaledonien, Comoren, Madagaskar (Gesetz vom 16. April 1897).
Der Minimal- und der Generaltarif werden angewandt je nach
dem Vertrag mit dem betreffenden Ausland. Für Nahrungsmittel usw.
sind Ausnahmen zugelassen.
Für die Ausfuhren nach Frankreich bestehen besondere Vorteile
für einige Artikel, namentlich für Zucker, Melassen, Kolonialwaren.
Andere Produkte werden zollfrei in Depot zugelassen.
Die zweite Gruppe besteht aus den verschiedenen Kolonien in
Afrika und ist besonderen Tarifen unterworfen. Die Ausfuhren nach
Frankreich unterstehen dem Minimaltarif, ausgenommen die zollfreien
oder begünstigten Artikel, wie bei der ersten Gruppe.
Der Verkehr zwischen den Kolonien ist keinem Zoll unterworfen
(Gesetz vom 11. Januar 1892), ausgenommen die Produkte aus Fran-
zösisch-lndien und die in Depot zollfrei zugelassenen Garne und Gewebe
(Gesetz vom 19. April 1904, Dekret vom 17. Februar 1906). Für die
Neuen Hebriden und einige anderen Kolonien bestehen besondere Vor-
schriften.
Die Wirkung der neuen Zollgesetzgebung in den Kolonien wurde
von dem Berichterstatter der Zollkommission im Senat, M. Jean Morel,
als günstig bezeichnet; von 1895 — 1910 ist der Generalhandel der
Kolonien, Eingang und Ausgang, von 475 auf 1224 Mill. frcs. ge-
stiegen. Die Ausfuhren Frankreichs sind von 345 Millionen im Jahre
1896 auf 798 Millionen im Jahre 1911 gestiegen. Die Handelskammer
in Nancy bemerkt in einem Bericht: Von 1907 bis 1911 ist die
durchschnittliche Ausfuhr der Kolonien nach Frankreich auf jährlich
333 914000 frcs. gestiegen. Die Ausfuhr Frankreichs nach den Ko-
lonien hat sich auf 210275 000 frcs. gehoben.
Der Berichterstatter der Kommission, M. Carriöre, spricht sich für
die Aufrechterhaltung des Gesetzes vom 11. Januar 1892 aus. Er fügt
hinzu , daß der Artikel 9 der englisch-französischen Kon-
vention vom 14. Juni 1898 die Aktion der französischen Re-
gierung im Nigerbecken behindere.
Das Gesetz vom 5. August 1913 hat einige Aenderungen eingeführt.
Dieselben sind jedoch nicht von großer Bedeutung.
Algier gehört unter zollpolitischem Gesichtspunkt zu Frankreich,
gemäß dem Gesetz vom 17. Juli 1867. Einige Produkte werden in
Frankreich zollfrei zum Transit zugelassen; darauf bezieht sich zum
Teil das Finanzgesetz vom 10. April 1910.
5g2 Miszellen.
In Tunis wird die Zollgesetzgebung durch drei Dekrete vom
2. Mai 1898 geregelt. Im Prinzip besteht ein Zoll ad valorem von
8 Proz., aber viele französische Produkte sind zollfrei. Die Erzeugnisse
von Tunis genießen bei der Einfuhr in Frankreich gewisse Vorteile,
gemäß dem Gesetz vom 19. Juli 1890. Produkte der französischen
Kolonien werden wie Auslandsprodukte behandelt.
In Marokko gelten für die Zollgesetzgebung die Abmachungen
der Konferenz von Madrid von 1880, der Konferenz von Algesiras, und
bis zum Kriege galt die deutsch- französische Konvention vom 4. No-
vember 1911. Die Zölle betrugen 5 — 10 Proz.; frei in Depot gingen
Phosphate und Dungmittel. Für die Ausfuhr bestanden Gewichtszölle,
ausgenommen Butter, Holzkohle, gewisse Nahrungsmittel, amerikanische
Holzfabrikate, welche 10 Proz. ad valorem, Bananen, Getränke, Töpfe-
reien, welche 5 Proz. zahlten. Der Verkehr an der algerischen Grenze
wird durch besondere Verfügungen geregelt.
Miszellen. 5g3
XV.
Die Entwicklung der Vieh- und Pleischpreise und
die Kegelung der Fleischversorgung in Deutschland
während der ersten beiden Kriegsjahre (unter be-
sonderer Berücksichtigung der Berliner Verhältnisse).
Von Dr. Edgar Meyer, volkswirtschaftlicher Dezernent am Magistrat Berlin. _,
Infolge einer glänzenden Ernte für Getreide und Futtermittel war
im Jahre 1914 kurz vor Kriegsausbruch der Viehbestand in Deutschland
außerordentlich günstig. Die Schweinezählung vom 1. Juli 1914 ergab
einen Bestand von 25,3 Mill. Stück, zeitigte mithin ein gegenüber dem
Vorjahr um 3,5 Mill. Stück höheres Ergebnis,
Dem hohen Bestand entsprachen — nach dem Gesetz von Angebot
und Nachfrage — die Viehpreise. So betrug z. B. der Preis für voll-
fleischige Schweine im Lebendgewicht von 100 bis 120 kg in den
deuschen Städten im Juli 1914 etwa 20 — 30 Proz. und noch weniger
als im gleichen Monat des Jahres 1913. Um nur einige Städte nam-
haft zu machen:
Durchschnittliche Schweinepreise
für 100 kg in Mark
a
) Schlachtgewicht
b) Lebendgewicht
Berlin
1913
149,7
Berlin 119,8
,,
1914
I08,9
87,2
Köln
1913
155,1
Köln 122,7
„
1914
io8,9
85,9
Münchei
3 1913
146,6
Danzig 113,2
>>
1914
117,4
83,3
Nicht minder günstig war die Lage auf dem sonstigen Viehmarkt. Seit
Anfang des Jahres 1914 belief sich der ßinderauftrieb auf dem Berliner
Viehmarkt an den Sonnabend-Markttagen auf meist über 4000 Stück.
Der Preis der Ochsen c betrug im Januar durchschnittlich 47,90 M. für
50 kg und war bis zum Juni des Jahres sogar bis auf etwa 44,88 M.
heruntergesunken. Im Augenblick des Kriegsbeginns waren also Auf-
trieb und Preise durchaus zufriedenstellend. Kurz nach Kriegsausbruch
verbesserte sich die Lage noch und zwar durch Verstärkung des An-
gebots. Infolge von Notverkäufen der Züchter nahmen nämlich die
Abschlachtungen nach Ausbruch des Krieges erheblich zu; vor allem
konnte man diese Beobachtung auf dem Schweinemarkt machen.
Die Zunahme der Abschlachtungen hätte einen noch weiteren Preis-
rückgang herbeigeführt, wenn sich nicht zu gleicher Zeit noch stärker
5^4 Miszellen.
ale das Angebot die Nachfrage nach Fleisch, in erster Linie nach
Schweinefleisch, zur Herstellung von Dauerwaren und Konserven für
Heereszwecke gesteigert hätte. Diese zweite Componente des Preises
gab den Ausschlag. Die unmittelbare Folge war eine langsame Preis-
erhöhung für Vieh und Fleisch. Einen bedeutenden Nachdruck auf
diese Bewegung übte die Bundesratsverordnung vom 11. September 1914
aus, wodurch den Landeszentralbehörden die Ermächtigung zur Ein-
führung von Beschränkungen der Schweineschlachtungen für 3 Monate
gegeben wurde. Von der Ermächtigung machten die Bayrische, Badische
und Württembergische bald Gebrauch.
Innerhalb dieses Zeitraums war auch das Schlachten von Kälbern
unter 50 kg Lebendgewicht und von Kühen bis zu 7 Jahren verboten.
Nach Ablauf der 3 Monate trat an die Stelle des Verbots die Ermächti-
gung an die Zentralbehörden zu seiner Wiedereinführung.
So wurde auch der andere Hebel der beiden Arme, Angebot und
Nachfrage, in Bewegung gesetzt und half, die Preisanschwellung zu be-
schleunigen. Das Angebot an Vieh nahm infolge der Einschränkung
der Schlachtungen immer mehr ab. Der preußische Landwirtschafts-
minister mußte in der Budgetkommission am 9. Juni zugeben, daß die
Steigerung der Viehpreise im Jahre 1914 nicht zum geringsten auf das
häufig kritisierte Schlachtverbot vom 17. September 1915 (Bayern)
zurückzuführen sei^).
Die Nachfrage wurde bald erheblich durch die ungeheuren Be-
stellungen der Heeresverwaltung gesteigert. Der Bedarf an Fleischkon-
serven für die Verpflegung des Heeres entzog dem Fleischmarkt ge-
waltige Mengen. Die unmittelbare Folge mußte ein vermindertes An-
gebot an Fleisch bei gesteigerter Nachfrage und somit eine erhebliche
Preissteigerung sein.
Mit der Verarbeitung von frischem Fleisch zu Dauerware in einem
bisher nie dagewesenen Umfang war ein für die Vieh- und Fleischpreise
auch späterhin äußerst wichtiger Faktor entstanden. Vielleicht machte
sich seine Wirkung auf die Preisbildung um so mehr geltend, weil er
80 plötzlich in die Erscheinung trat. Die bestehenden Fleischkonserven-
fabriken waren bald voll beschäftigt; neue schössen wie Pilze aus der
Erde hervor. Die Aufträge der Heeresverwaltung schienen fast jedem
die Aussicht auf Absatz zu eröffnen.
Wenn wir die wirtschaftliche Bedeutung dieses Faktors in aller Kürze
beleuchten wollen, so muß zunächst zugegeben werden, daß die Kon-
servierung von Fleisch vom Standpunkt vorsorglicher Wirtschaftspolitik
unbedingt erforderlich ist. Die Heeresverwaltung mußte sich für mehrere
Monate bis zum Frühjahr 1915, bis zum Weidegang des Viehs, ihren
Fleischbedarf sichern. Die rechtzeitige Versorgung des Heeres in diesem
Augenblick war unbedingt geboten.
Auf der einen Seite ist also die Verarbeitung von Fleisch zu Dauer-
ware ein Gebot der Notwendigkeit, um für die Zeit einer Viehknapp-
1) Bericht der Budgetkommission Drucksache, Nr. 759 a des Hauses der Abgeord-
neten, 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/1915 S. 94.
Miszellen. 585
heit eine Reserve zu haben. Auf der anderen Seite stehen jedoch eine
Reihe Nachteile, namentlich wenn der Zeitpunkt und umfang der Kon-
servierung „unzweckmäßig" sind. Vor allem hatte sie auch eine all-
gemeine Preiserhöhung des Fleisches zur Folge. Jede Verarbeitung von
Fleischmassen zu Dauerwaren stellt überhaupt eine durch hohe Löhne,
Verpackung, Zusatzmaterial und Lagerung stark verteuerte Gebrauchsform
des Fleisches dar. Hinzukommt, daß die Konservierung im Jahre 1914
häufig überhastig vorgenommen wurde. Die Folge war eine schnelle Ver-
derblichkeit der Ware und somit ein Verlust an Nährwerten. Sodann aber
entstand mit den neuen Fleischkonservenfabriken ein Stand von speku-
lativen Händlern, welcher sich zwischen Fabrikanten und Verbraucher
in mehrfacher Gruppierung einschaltete und eine weitere Verteuerung
hervorrief. Jedenfalls müssen diese Nachteile beachtet werden, wenn
man ein richtiges Bild von der volkswirtschaftlichen Bedeutung der
Herstellung der Fleischkonserven in so umfangreichem Maße haben will.
Die übermäßige Herstellung der Fleischkonserven im Jahre 1914
mit unreellem Material (Konserven aus Grütze, aus vielem Wasser mit
geringem Fleischzusatz) hatte eine geradezu als ungesund zu bezeichnende
Preisbildung zur Folge. üebermäßige Mengen an frischem Fleisch
wurden plötzlich dem Markte entzogen. Seine volle Wirkung zeigte
dieser Faktor erst später; jedoch machte er sich schon jetzt bemerkbar,
indem er zweifelsohne bereits im Spätherbst 1914 eine stark preis-
erhöhende Tendenz für Fleisch wachrief.
Wenn wir nach dieser allgemeinen Betrachtung unser Thema wieder
aufnehmen, so beobachten wir zunächst sogar eine Begünstigung der
Herstellung von Fleischkonserven seitens der Regierung. —
Im Herbst 1914 machte sich der für die gesamte spätere Preis-
bildung des Viehs ausschlaggebende Faktor bereits stark geltend, die
wachsende Knappheit bzw. Teuerung der Futtermittel.
Bekanntlich ist Deutschland, von Hafer abgesehen, auf die Einfuhr
sämtlicher Futtermittel aus dem Ausland angewiesen, um ein Bild von
der Passivität dieses Postens in der Handelsbilanz zu geben, seien die
Mehreinfuhrziffern der 6 wichtigsten Arten Futtermittel im Durchschnitt
der Jahre 1912/13 angeführt:
Gerste
2,94
Hill, t
385
MiU.
M.
Mais
1,03
i> >>
123
j>
«>
Kleie
1,51
» »
158
n
,,
Oelkuchen
0,53
)f )f
82
JJ
t)
Oelfrüchte
1,43
95
)i
»
Treber, KeisabfäUe,
Malz-
—
keime, Sciilempe
0,43
7,87
MiU. t
48
,,
>>
891
Mül.
M.
Mithin führen wir fast den 3. Teil der erforderlichen Futtermittel aus
dem Ausland ein. Bezüglich des Hafers muß bemerkt werden, daß zwar
die Ernte des ersten Kriegsjahres als befriedigend zu bezeichnen war,
auf der anderen Seite aber sich, verglichen mit den Friedensjahren, ein
erheblicher Mehrbedarf geltend machte. So nur ist es zu erklären, daß
selbst der Vorrat an Hafer, dessen Ernte im Jahre 1914 wesentlich
5g() Miszellen.
größer war als in den Jahren 1910 und 1911, infolge der starken Be-
teiligung der Rinder und Schweine an dem Haferverbrauch bis zum An-
fang Dezember 1914 auf die Hälfte zusammengeschmolzen war. Diese
Feststellung wurde durch die Bestandsaufnahme vom 1. Dezember 1914 ge-
macht. Die Heeresverwaltung verlangte die Sicherstellung von 1^2 Mill. t
Hafer zur Deckung ihres Bedarfs bis zur nächsten Ernte.
Das Ergebnis der Getreidebestandsaufnahme vom 1. Dezember 1914
war ein unerwartet ungünstiges. Die Gesamt - Brotgetreideernte war
offenbar überschätzt worden. Auf der anderen Seite war der Verbrauch
für die Viehfütterung ein gewaltiger gewesen. Der größte Teil der
fehlenden vorhergenannten Futtermittel hatte zwecks Aufrechterhaltung
des Viehbestandes durch Brotgetreide ersetzt werden müssen. Am
1. Februar 1915 waren infolgedessen nur noch 4V2 Mill. t Brotgetreide
vorhanden. Dringende Abhilfe war geboten, um die Versorgung der
Bevölkerung bis zur neuen Ernte sicherzustellen. Zur Erreichung dieses
Zieles waren zwei Maßnahmen erforderlich:
1) Die Einschränkung des menschlichen Verbrauchs an Brotgetreide ;
2) Die Einschränkung bzw. das Verbot der Verfütterung von Brot-
getreide.
Zur Einschränkung des Verbrauchs an Brotgetreide für die mensch-
liche Ernährung wurde eine Rationierung in Form der Einführung der
Brotkarte vorgenommen.
Um Brotgetreide nicht verfüttern zu müssen, wurden massenhafte
Schlachtungen vorgenommen. Wir befinden uns in der ersten Periode
der Massenschlachtungen des Jahres 1915, hervorgerufen durch
das ungünstige Ergebnis der Getreidebestandsaufnahme vom 1. De-
zember 1914. An diesem Tage hatte auch eine Viehbestandsaufnahme
stattgefunden. Der Schweinebestand belief sich auf 25,33 Millionen
Stück. Der erste Schritt der Regierung zur Verringerung des Vieh-
bestandes geschah durch die Bundesratsverordnungen vom 25. Januar
und 25. Februar 1915, die Verordnungen über den zwangsweisen An-
kauf von Schweinen und ihre Verarbeitung zu Dauerwaren für Ge-
meinden über 5000 Einwohner i). Die Massenschlachtungen waren eine
zweischneidige Maßnahme : Sie steuerten zwar der Gefahr der Erhaltung
des Viehs. Dies geschah jedoch auf Kosten der menschlichen Ernährung.
Außerdem konnten die Massenschlachtungen die Viehpreise steigern und
den Nachwuchs gefährden. Diese gefahrvollen Folgeerscheinungen sind
tatsächlich beide eingetreten. Offenbar machten sich manche Züchter
die Notlage zunutze. So kam es, daß die Viehpreise ungesund empor-
schnellten.
Im Februar 1915 betrugen die Schweinepreise bereits fast das
Doppelte der Preise vom Juli 1914.
1) Die BRV. vom 25. Februar 1915 ist eine Ergänzung zu der BRV. vom
25. Januar 1915; in ihr wurden die Marktpreise für die einzelnen preußischen Pro-
vinzen festgelegt, welche bei der „üebernahme" der Schweine durch die Gemeinde be-
rücksichtigt werden sollten.
Miszellen.
Preise für 100
kg
in M.
Schlachtgewicht
Lebendgewicht
Juli 1914
Febr. 1915
Juli 1914
Febr. 1915
Berlin
108,9
206,1
87.2
164,8
Breslau
"3,6
203,4
88,9
159,3
Köln
108,9
201,1
85.9
160,9
Frankfurt
115.6
200,1
93,9
160,0
Kiel
104,3
202,4
82,8
164,0
587
Der Stellvertreter des Reichskanzlers kennzeichnete die Lage wie
folgt: „Die Preise hielten sich dauernd auf einer Höhe, die auch bei
wohlwollendster Berücksichtigung der schwierigen Lage der Landwirt-
schaft sowie der Preissteigerung und Knappheit der Futtermittel die
Gestehungskosten erheblich überschritten" i).
Diese überaus gefährliche Steigerung veranlaßte die Reichsregierung
zum Eingreifen. Es gab zwei Wege: Entweder ein direktes Eingreifen
der Regierung durch Festsetzung von Höchstpreisen oder ein Hinwirken
auf ein Eingreifen der unteren Verwaltungsorgane in erhöhtem Maße.
Von dem Betreten des ersteren Weges nahm die Regierung vorläufig
noch Abstand. Sie wandte sich an die Kommunen: Sie gestaltete
lediglich die Enteignung von Schweinen zugunsten der Gemeinden und
der Zentral-Einkaufsgesellschaft wirksamer durch Festlegung von Ueber-
nahmepreisen. Diese „Richtpreise", wie sie der Bundesrat selbst be-
zeichnete, sollten den größeren Landwirten und Bauern einen durchaus
angemessenen Gewinn gewährleisten, immerhin aber den finanziellen
Schwierigkeiten der Gemeinden Rechnung tragen und einer übermäßigen
Verteuerung der Fleischnahrung für die Bevölkerung vorbeugen. Die
preußischen Ausführungsbestimmungen zu dieser Verordnung schwächten
jedoch ihre Wirkung fast ganz ab, indem den Schweinehaltern weite
Zugeständnisse bezüglich der Enteignung gemacht wurden. Die Ent-
eignungsanträge konnten in sehr zahlreichen, genau festgelegten Fällen
abgelehnt werden. Die Maßnahme der Regierung war daher nicht
von dem gewünschten Erfolg begleitet.
Auch die zweite nachteilige Folge der Verordnung vom 25. Januar
trat ein: Der Nachwuchs wurde gefährdet. — Mit dem Monat April 1915
setzte eine zweite Periode von Massenschlachtungen ein. Ver-
anlassung war das ungünstige Ergebnis der Kartoffelbestandsaufnahme
vom 15. März 1915. Die „Professorenschlachtungen" sind in späterer
Zeit Gegenstand eines umfangreichen wissenschaftlichen Streites ge-
worden. Vergegenwärtigen wir uns die Sachlage : Die Bestandsaufnahme
ergab 10,5 Mill. t Kartoffeln. Der monatliche Verbrauch der Bevölke-
rung mag mit 1 Mill. t in Ansatz gebracht werden. Für die Aussaat
mögen 7 Mill. t erforderlich gewesen sein. Demnach hätte die für den
Verbrauch verfügbare Kartoffelmenge, vom 15. März gerechnet, nur noch
für 3^2 Monate, d. h. bis Ende Juni reichen können. Wären die Zahlen
richtig gewesen, so hätten wir also am 1. Juli 1915 keine Kartoffeln
mehr gehabt.
1) Vgl. Denkschrift über wirtschaftliche Maßnahmen, II. Nachtrag, Reichstags-
drucksache, Nr. 44, S. 58.
588 Miszellen.
Die Zahlen veranlaßten sofort energische Maßnahmen zur Streckung
der Kartoffel Vorräte: 1) Die Einschränkung der Aussaat; 2) die Ein-
schränkung der Verfütterung. Waren diese äußerst eingreifenden Maß-
nahmen in dem vorgenommenen Umfange nötig ? Mußte doch da-
mit gerechnet werden, daß die Massenabschlachtungon als unmittelbare
Folge eine große Fleischknappheit, namentlich für den Winter, hervor-
riefen ! Theoretisch war die Berechnung einwandsfrei aufgebaut - aber
sie beruhte auf einer falschen Grundlage. Denn die auf Grund der Be-
rechnungen getroffenen Maßnahmen, die Einschränkung in der Aussaat
und die Einschränkung der Verfütterung an das Vieh, hätten es nie er-
möglicht, daß am 15. Mai 1915 nach erfolgter Aussaat noch S'/g Mill. t
Kartoffeln vorrätig gewesen wären. Selbst wenn man mutmaßt, daß bei
der Aussaat 1 Mill. t und durch Einschränkung der Verfütterung eine
weitere Million t, also insgesamt 2 Mill. t, gespart worden sind, so
könnten diese Umstände den am 15. Mai ermittelten Bestand von
372 Mill. t nicht erklären. Die Aufnahme vom März des Jahres muß
ein weitaus zu niedriges Ergebnis gehabt haben. Welche Fehler, vom
statistischen Standpunkt betrachtet, bei der Aufnahme gemacht worden
sind, hat Professor Silbergleit in seiner Broschüre „Die Aus-
hungerungsgefahr" 1) dargelegt. Offenbar sind die Angaben über den
Inhalt der Mieten unrichtig gewesen ; sie müssen hinter der Wirklichkeit
erheblich zurückgeblieben sein. Die Beantwortung der Frage, ob die
Angaben über den Inhalt der Mieten beabsichtigt oder unbeabsichtigt
unzutreffend gewesen sind oder auf eine Verabsäumung der Bestands-
anzeige zurückzuführen sind, ist für diese Untersuchung unwesentlich.
Sollte der Bauer nicht wissen, wieviel Kartoffeln er in seinen Mieten
eingelagert hat! Mag auch die Rechtfertigung des Bauern, die Halt-
barkeit der Kartoffeln in den Mieten sei eine ungewöhnlich günstige
gewesen, zutreffen, ein so ungeheuerlicher Mehrbestand ist auf diese
Weise nicht zu erklären. Schwerwiegender scheinen die anderen oben
erwähnten Faktoren mitgewirkt zu haben.
Die wirtschaftspolitische Folge des falschen Ergebnisses waren
weitere Massen Schlachtungen 2). Die Viehzwischenzählung vom
15. März hatte einen Bestand von 17,86 Mill. Schweinen ergeben, wovon
12,36 Mill. unter V2 Jahr, 3,92 Mill. im Alter von V2— 1 Jahr, 1,58 Mill.
über 1 Jahr alt waren. Die Abnahme seit dem 1. Dezember 1914 be-
trug demnach nicht weniger als 7,47 Mill. Stück. Vom 15. März bis
15. April 1915 wurden weitere l^/s Mill. Stück geschlachtet, so daß
sich der Bestand am 15. April auf I6V2 Mill. Stück belief. Die Gefahr
der Verfütterung der zur menschlichen Ernährung geeigneten Kartoffeln
wurde als erheblich herabgemindert angesehen, so daß der Zweck der
Bundesratsverordnungen vom 25. Januar und 25. Februar ds. Js. erfüllt
zu sein schien. Hinzu kam, daß dem verhältnismäßig geringen Bestand
an vollgemästeten schlachtreifen Schweinen eine Menge Dauerwaren in
1) Silbergleit, Die Aushungerungsgefahr? Sammlung „Deutsche Kraft", hrsg.
von Leo Colze, Heft 4, Berlin-Leipzig- Wien, Arthur Collignon, 1915.
2) 3. Periode der Massenscblaehtungen.
Miszellen. 589
den Privathaushalten und bei der Zentral-Einkaufsgesellschaft gegen-
überstanden; außerdem waren die Aussichten auf eine bessere Fütterungs-
möglichkeit gegeben. Infolge der Oeffnung der Mieten mußten bei dem
Fortschritt der Jahreszeit mehr Abfallkartoffeln zur Verfütterung ver-
fügbar sein; die geringere Ausmahlung des Getreides gestattete die
Verwendung größerer Mengen an Kleie zur Mästung. Außerdem war
zu erwarten, daß infolge des Weideganges des Rindviehs größere Mengen
von Magermilch, Buttermilch usw. den Schweinen gegeben werden
konnten. Infolgedessen schienen die Massenschlachtungen den ge-
wünschten Erfolg gehabt zu haben. Die Bundesratsverordnungen vom
25. Januar und 25. Februar konnten am 6. Mai 1915 aufgehoben
werden. Die Regierung glaubte, daß hierdurch auch der inzwischen
unhaltbar gewordenen Preissteigerung Einhalt geboten werden würde.
Die Fleischpreise hatten im April „eine für weite Kreise der städtischen
Bevölkerung immer unerschwinglichere Höhe erreicht". Die erwartete
Folge trat jedoch nicht ein. Im Gegenteil: Die Besitzer von Schweinen
waren nach der Aufhebung der beiden Verordnungen in der Preis-
stellung gar nicht mehr beschränkt und verkauften das Vieh häufig
zu Preisen, welche sie selbst für angemessen erachteten.
Die gleiche Wirkung auf die Preise mußte der Umstand haben,
daß die Futtermittel reichlicher zur Verfügung standen, da jetzt der
Anreiz des Verkaufs nicht vollaus gemästeter Schweine schwand. Im
Monat Mai waren daher infolge des erheblich verringerten Angebots
Preissteigerungen um 40 — 60 M. für den Doppelzentner Schlachtgewicht
zu beobachten. Die Mehrzahl der Viehmärkte notierte doppelt so hohe
Preise als zu Beginn des Jahres. Wiederum wurde die Regierung vor
die Frage der Festsetzung von Höchstpreisen gestellt. Sie hielt jedoch
den Augenblick hierfür abermals noch nicht für gekommen. „Höchst-
preisen für Schlachtvieh stand das Bedenken gegenüber, daß sie bei
der Knappheit und den gestiegenen Preisen vieler Futtermittel zu einer
Einschränkung der notwendigen weiteren Vermehrung der Viehbestände
hätten Anlaß geben und so im weiteren Verlauf eine für die Ernährung
des Heeres und der Zivilbevölkerung gleich bedenkliche Fettknappheit
hätten verursachen können" i). Bei der Ablehnung der Festsetzung von
Viehhöchstpreisen seitens der Regierung erübrigte sich die Beratung
über Fleischhöchstpreise eigentlich von selbst. „Bevor der Ent-
schluß zu so einschneidenden Maßnahmen gefaßt werden konnte,
empfahl es sich daher, abzuwarten, ob nicht die infolge reichlicherer
Aufzucht zu erwartende stärkere Beschickung der Märkte im Herbst
und im Winter von selbst ein Nachlassen der hohen Preise be-
wirken würde" ^).
Die Reichsregierung entschloß sich, zunächst die weitere Ent-
wicklung abzuwarten. Die steigende Knappheit auf dem Markte
sollte dadurch behoben werden, daß die Gemeinden ihre Vorräte an
1) Denkschrift über wirtschaftliche Maßnahmen, V. Nachtrag, Reichstagsdruck-
sache, S. 50.
2) wie 1).
590 Miszellcn.
Dauerwaren und Gefrierfleisch zum Verkauf brachten. 'Den Dauer»
waren wurde besondere Aufmerksamkeit zugewendet. Da die Regierung
eine Beschränkung der Wurstherstellung infolge der geringeren Zufuhj^
von Därmen befürchtete, erleichterte sie die Vorschriften zum Schlacht-
vieh- und Fleischbeschaugesetz über die Behandlung der Därme bei
der Feststellung der Tuberkulose ; ferner gab sie unter bestimmten Be-
dingungen Schlund, Magen und Darm zur Verarbeitung frei.
Diese Maßnahmen verdienen um so mehr angeführt zu werden, als
etwa Y2 Jahr später gerade gegenteilige — zur Einschränkung der
Wurstherstellung — notwendig werden sollten.
Was war die Folge dieser Abwartungspolitik? Die Preise schnellten
willkürlich empor. Anfang Januar notierten Schweine c am Berliner
Viehmarkt 65 M. für den Zentner Lebendgewicht, Anfang März 84 M.,
Anfang Mai 112 M., Anfang Juni 129 M., Anfang September 146 M.
und Ende Oktober sogar 150 M. Die entsprechenden Kleinhandels-
preise für Fleisch betrugen 103 M., 116 M., 158 M., 197 M. und
198 M.
Die Teuerung war bisher nur für Schweinefleisch eingetreten. Die
Rindfleischpreise waren, wie aus der beifolgenden Tabelle 1 ersichtlich
ist, nur ganz unerheblich gestiegen. Die Preissteigerung fürSchweine-
fleisch im Kleinhandel hatte vom September 1914 bis September 1915
gegen 100 Proz. betragen. Auffällig war, daß der Viehpreis und der Groß-
handelspreis beim Schwein stärker gestiegen waren als der Kleinhandels-
preis. Der Preis der Schweine c war vom Juli 1914 bis September
1915 um 234,8 Proz., der Großhandelspreis in der gleichen Zeit um
215,7 Proz., der Kleinhandelspreis jedoch nur um 97,0 Proz. ge-
stiegen. Die Spannung zwischen Großhandels- und Kleinhandelspreis
hatte demnach erheblich abgenommen, während sie zwischen Viehpreis
und Großhandelspreis eine Steigerung aufzuweisen hatte.
Die Ursache für diese Erscheinung dürfte in der Organisation des
Fleischhandels zu suchen sein. Der Ladenschlächter hatte unter der
Konkurrenz offenbar mehr zu leiden als der Zwischenhändler (Groß-
schlächter, Kommissionär, Viehgroßhändler). Der Großhändler konnte
auf die Preisbildung durch Verabredung mit anderen Großhändlern
weit bestimmender einwirken als der Ladenschlächter. Eine alte Er-
fahrung lehrt, daß steigende Preise zur Vergrößerung des Gewinnes
reizen, zumal der Zwischenhändler prozentuale Zuschläge zu erheben
pflegt.
Ist diese Steigerung der Schweinepreise gerechtfertigt? Die Ant-
wort muß nach der theoretischen Nationalökonomie unbedingt eine ver-
neinende sein. „Der Preis ist in dem System der freien Konkurrenz-
wirtschaft ein Produkt von Angebot und Nachfrage", so lautet das alte
nationalökonomische Gesetz. Untersuchen wir jedoch in unserem speziellen
Falle die beiden Seilen dss Verhältnisses, auf der einen Seite das An-
gebot an Schweinen, auf der anderen den Preis, so müssen wir eine
auch unter Berücksichtigung des Gossenschen Gesetzes der alten Theorie
widerstreitende Beobachtung machen. Wir haben die Auftriebszahlen
Tabelle 1. Durchschnittspreise für Vieh und Fleisch 591
in der Zeit vom Juli 1914 bis September 1916,
zusammengestellt nach den Berichten der städtischen Vieh- und
Schlachthofsdirektion zu Berlin ^).
Preise für 50 kg in Mark.
Durchschnitts-
C3 <»
2'E
Durchschnitts-
2 'S
Durchschnitts-
ii
Durchschnitts-
C9 «B
2 ©
^
A
0 p.
«
Ul
0 ^
«
ii
ü S,
•
,;,
0 £.
u o
'S t-
3i2
Or Ol
P
'S 'O
p
P
'S u
•73 :S
P -^
»o «
^ «
cä n
X 0
U 0
et 2
a CO
^ p
^ ü
S w
ec 00
w fl
i* "P
cö w
* '^
M p
Monat
a
j: .2
ca cj
-Sl
^-5
ca u
^E
.^ 03
'O u
ä2
■si
.£ es
äl
ja .^
P 9
%^
.2 ^
2 P,
Schw
•S P,
eine-
1«
.2|
PnO
2 >=^ -s ^
Ochsen-
M P
p
.2^
2 p. -s Ä
0 5
Kalb-
N P
tß'Z
p
.2 3
2 Ph 'S a
0 3
Hammel-
N P
1«
flei
3Ch
P "O
fleiseh
p -o
ce p
fleisch
i-g
fleisch
P 'V
03 P
Rücken
<&»
n
Keule
^^
I
Keule
^^
I
Keule
AP
1
2
3
4
5 J
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
1914
ili
43,61
54,50
100
45,60
44,2 5
69,54
lOI
3146
55,34
93,38
102
8,67
42.35
82,37
102
19,68
agust
48,33
61,79
104
42,21
47,60
74-70
106
3',30
47,17
95,44
.09
13,66
42,30
85,06
III
25 94
ptember
48,45
61,27
99
37,73
46,70
72,23
104
31.77
4422
85.58
100
14,42
40,90
84,52
105
20,4 8
j tober
55,17
70,33
94
23,67
44,30
7335
103
29,65
53,62
82,69
99
16,31
40,83
78,00
99
21,00
jvember
56,19
71,13
93
22,87
45,00
76,34
103
26,66
55,25
91,38
99
7,62
43,67
75,08
98
22,92
jzember
58,82
75,14
94
18,86
48,83
82,06
104
21,94
58,19
98,04
100
1,96
46,63
76,36
99
22,64
1915
nuar
67,39
83,90
104
20,10
50,00
79,56
105
2544
59.84
102,86
100
—2,86
49.30
87.66
105
17,34
bruar
82,38
95.11
III
15 89
49,19
77,50
106
28.50
54,32
91 05
lOI
9,95
50,17
86,25
106
19.7«
ärz
86,39
102,04
117
14,96
5'. 38
79,60
105
25,40
62,28
96,24
103
6,76
5280
91,60
109
17,40
jril
99,01
IIO,38
131
20, 6 2
55,63
8l,42
112
30,58
67,44
109,13
108
— 1,13
52,38
96.71
118
21,39
ai
117,25
130 26
167
36,74
59,50
87,83
126
38,17
84,06
12646
128
1,54
60,00
108,27
133
24,7s
ni
124,11
150,24
192
4I,76| 64,63
96,73
134
37,27
81.00
130,18
•38
7,82
59,13
II902
144
24.98
li
122 22
'45 80
183
37,20
64,70
100,33
139
38,67
68,17
115,83
138
22,17
61, 60
122 83
145
22,17
igust
•35,63
I60,b6
189
28,34
64,00
102,02
139
36.98
7488
I2b,66
144
17,34
63 88
126,00
148
22,00
ptember
146,00
172 08
197
24,92
61, 63
102,95
142
39,05
91,60
142,23
151
8,77
63 75
128,00
154
26,00
stober
146,62
174,46
•95
20,54
63,00
104,27
146
41,73
93,78
152,98
150
-2,98
58,70
126,96
152
25,04
jvember
'13,13
142,92
160
17,08
68,13
108, 06
147
48,94
90,07
142 50
151
8,50
64,50
12858
152
23,4«
Bzember
109,38
126,96
140
»3,04
76,60
122,41
160
37,59
102,32
158,75
164
5,26
67,80
135,19
164
28,81
1916
nuar
110,00
125,50
140
14 50
78,63
141. 80
182
40,20
114,88
182,20
194
11,80
83,00
169,20
193
23,8#
äbruar
110,00
125,60
144
l8,50
98,13
166,40
198131,60
126,44
198,90
199
0,10
90,60
181, 60
210
28,4»
ärz
180
.
.
212,04
252
39,96
.
227,41
223
-4.41
.
221,86
256
34.1»
pril
2CO
.
.
282
159,19
.
309
126,67
309
.
ai
')
200
.
262
.
262
,
.
.
276
.
mi
'-')
200
.
262
,
.
226
.
.
,
273
ili
200
*
298
.
.
240
.
.
.
275
-
iignst
200
•
3<o
.
.
240
.
.
267
.
ptember
200
.
293
.
.
236
.
.
272
•
1) Die Ziffern sind in den monatlichen Preiszusammenstellungen des Statistischen
Amtes der Stadt Berlin veröffentlicht. Der Direktor des Amtes, Prof. Dr. Silbergleit,
hat das Material in liebenswürdigster Weise dem "Verfasser zur Verfügung gestellt.
2) Die Viehpreise und Großhandelspreise sind für 50 kg in Mark, die Klein-
handelspreij<e für ^/j kg in Pfennigen angegeben.
3) Nach der Festsetzung der jeweiligen S tallhöchstpreise sind die Viehpreise nicht
eingesetzt, da die vorher verzeichneten Preise M a r k t höchstpreise sind und sich sonst
ein schief«8 Bild ergäbe.
4) Die höchste Notiz für
Schweinefleisch im Großhandel war:
Rindfleisch
Kalbfleisch
Hammelfleisch
Kleinhandel
Großhandel
Kleinhandel
Großhandel
Kleinhandel
Großhandel
Kleinhandel
9. Oktobe
r 1915
177,50 M. pro 50 kg
16. „
1915
198,— .. M 50 „
11. April
1916
250,— „ „ 50 ..
8. „
1916
320,— „ „ 50 „
11. „
1916
260, — „ „ 50 „
30. „
1916
450,— .. .. 50 „
11. „
1916
240, — „ „ 50 „
26. „
1916
400, — „ „ 50 „
592 Misz eilen.
für Schweine dem Preis gegenüberzustellen. Um nur einige Beispiele
herauszugreifen :
I. Am 1. Aug. 1914 betrag der Auftrieb 16233 Stück
„ 1. „ 1914 „ „ Preis 47,— M. für 50 kg Lebendgewicht
„ 31. Juli 1915 „ „ Auftrieb 6251 Stück
„ 31. „ 1915 „ „ Preis 127,50 M. für 50 kg Lebendgewicht
d. h. während das Angebot um etwa 61 Proz. zurückgegangen war, war
der Preis um 171 Proz. gestiegen.
II. Am 24. Okt. 1914 betrug der Auftrieb 14 456 Stück
„ 24. „ 1914 „ „ Preis 55, — M. für 50 kg Lebendgewicht
„ 23. „ 1915 „ „ Auftrieb 10775 Stück
„ 23, „ 1915 „ „ Preis 141, — M. für 50 kg Lebendgewicht
d. h. bei einem Rückgang des Auftriebs um 25 Proz. ist eine Preis-
steigerung von annähernd 156 Proz. festzustellen '). Das theoretische
Verhältnis beider Seiten ist durchbrochen. Cum grano salis wird man
sagen dürfen: Die Preise waren in geometrischer Reihe gestiegen,
während die Auftriebszahlen in arithmetischer Reihe abgenommen hatten.
Es mag hierbei ausdrücklich betont werden, daß wir uns in einem Zu-
stand der freien d. h. durch kein Gesetz eingeschränkten Preisbildung
befinden. Die vorher genannten Beispiele besagen nichts anderes, als
daß die Preise ungerechtfertigterweise gestiegen sind, daß ein
starker Konjunkturgewinn seitens der Züchter gemacht worden ist.
Absolut genommen, waren die Auftriebszahlen bis Anfang Herbst
1915 nicht unbefriedigend.
Mit dem Ausgang des Monats Oktober 1915 schließt die erste
Periode der Preisentwicklung, die Periode des freien Spiels von Angebot
und Nachfrage. Die Preise hatten eine Höhe erreicht, welche einem
großen Teil der Bevölkerung den Genuß von frischem Schweinefleisch
unmöglich machte. Die Preise mußten abgebaut werden. Dies sollte
durch die Bundesratsverordnung vom 4. November 1915 bewirkt werden.
Während bei Getreide und Kartoffeln die Höchstpreise ab Ver-
ladestation des Verkäufers festgesetzt waren, wurden sie bei
Schweinen für die Viehmärkte von 37 Großstädten festgelegt.
In den Höchstpreisen waren also die Transportkosten ab Verladestation
bis zum Viehmarkt, die Kosten für Versicherung und -der Händlergewinn
enthalten. Außerdem war der Gewichtsverlust während des Transportes
eingerechnet.
Die Preisfestsetzung erfolgte für den Verkauf am nächst-
gelegenen Viehmarkt, abgestuft nach Gewichtsklassen
und differenziert nach den örtlichen Verhältnissen 2), Die
Staffelung der Preise und die Progression bei steigendem Lebendgewicht
sollten einen Anreiz zur Aufzucht von fetten Schweinen ausüben. Be-
merkenswert ist jedoch die Tatsache, daß die Staffelung bei weitem höher
war als jemals in Friedenszeiten. Während z. B. im Oktober 1915 Schweine
1) Vgl. Tab. 2.
2) In der Verordnung vom 4. November 1915 waren 5 Gewichtsklassen unter-
schieden.
Tab. 2. Auftriebszahlen und Preise für Schweine und
Kinder in den Jahren 1914—1916
(nach den Berichten der Vieh- und Schlachthofsdirektion zu Berlin). 593
8chweine |
Rinder
Auftrieb |
Preise |
Auftrieb \
Preise
Datum des
1914 1915
1916
hl
1914
1915
1916
1914
1915
1916
1914
1915
1916
Markttages
H'
II.
II2
1^.
|fc«
ll.
§
t> ««-3
Sf2 "1
ä?2 «
E,'- «1
m
% »'S
fjl
1
2
3
4 5 1
6
7
8
9
10
11
12
13
8.*) 3. Jan.
7062
13356
59.-
67,50
HO,—
2616
4'03
50,—
53»—
81,—
M.»)14. „
.5748
19859
5341
53,BO
64.-
110,—
455
2107
3119
S. 17. „
13213
17058
4304
51-
65,-
HO,—
4753
5173
7099
48^-
48.50
80
)
M. 28. „
1058s
22637
5112
49.60
71,—
HO,—
405
1040
2706
S. 31. „
10185
20283 3780]
52,50
72,—
IIO,-
4'59
2922
6427
45.50
49 —
78
,60
M. 11. Febr.
18778
20782
3985
49>50
83,-
iio,-
400
819
3533
S. 14. „
13664
15382
3537
48-
82,-
HO,—
4016
3121
6745
46,-
49.—
89
;60
M. 25. „
17773
16424
1096
48,-
85.-
-')
160
513
2345
S. 28. „
12539
14949
1484
48,50
86,—
4376
3475
5527
45,60
49—
III
,60
M. 11. März
15109
21691
1139
48,50
84.-
231
810
2322
S. 14. „
13836
16233
1484
47.50
83,-
3948
4368
4511
47,—
50,—
')
M. 25. „
16088
20783
2584
47,-
89,-
211
1192
407
S. 28. „
i35b8
22540
2832
45.-
89.-
3638
4470
1387
45,-
53.60
M. 8. April
21478
'3169
3087
47,50
93-
250
485
160
•
8. 11. „
7926
16774
60 1
4650
97,-
2449
3550
744
46,50
56,60
M. 22. „
19379
18969
339
43-
104,50
148
1295
308
.
.
8. 25. „
13248 17216
42,-
104,50
4397
4897
44,50
55.60
M. 6. Mai
17954 13036
43.50
113.50
241
562
^
8. 9. „
10973 13085
46,-
116,50
2679
3349
43,*-
57.—
M. 20. „
17741 11702
43-
119,-
306
1132
8. 23. „
12842 5028
44,50
132,50
4206
2987
44,—
61,50
M. 3. Juni
14529 7893
45,50
127,50
50c
699
•
.
8. 6. „
13881 7467
44,-
129,-
4148
3659
47,60
65-
M. 17. „
14577 5451
42,50
129,—
372
1011
.
8. 20. „
12492 5260
44,-
119,-
3539
4588
44,—
64,60
M. 1. Juli
18649 8880
41,50
120,—
9C
lOlI
.
8. 4. „
10864I 6435
42,-
119,—
2832
4106
44,—
64.-
M. 15. „
^78751 8331
42,-
124,-
457
1423
8. 18. „
10732I 5648
43 —
126,50
3304
4283
43.-
66,-
M. 29. „
15986, 6592
45,50
127,50
364
1259
8. 1. Aug.
16233 6251
47,-
127 50
3161
4473
47,—
62,60
M. 12. „
8706 8101
55,-
131,-
854
^II77
.
8. 15. „
9426 7864
5150
140,—
•45'
4956
54,50
63,60
M. 26. „
10494 8234
51.6O
141,50
912
1054
8. 29. „
20159 6813
43 —
150,-
2246
)4i64
46,50
64,"-
M. 9. 8ept.
25826 8020
43,-
146,-
248c
) 1409
8. 12. „
10569^ 7701
43,—
146,-
3641
6536
45,—
62,-
M. 23. „
16542 7889
51.-
150,—
836
> 1802
8. 26. „
15674' 6651
51,60
147 50
259«
6579
43,60
59.60
M. 7. Okt.
18387' 9476
55.-
147,60
i9f.3
1914
8. 10. „
15 158 8708
57,50
150,—
4557
6864
43.60
62,-
M. 21. „
18974 11559
55-
141,—
173'
2420
.
8. 24. „
14456 10775
55,-
141,-
389t
'8153
43,-
64,-
M. 4. Nov.
20361 11615
56,-
144.—
180C
) 2236
S. 7. „
18381 11483
55.-
110, —
5455
8629
45,-
65,50
DL«) 17. „
20570^ 3854
59,-
105-
3901
1696
8. 21. „
24862, 4523
54.60
IIO,—
5334
^81.4
45.'-
70,50
M. 2. Dez.
'6819 7531
58,50
105-
2444
^3^57
.
8. 5. „
16422 5393
57,50
I lO, —
427(
)8io5
48,-
72,60
M. 16. „
21666 6826
59 —
105,-
206^
^3'67
.
8. 19. „
23699 6821
60 50
IIO,—
515/
'8425
49.60
77 —
M. 30. „
18925
6435
62.-
110,-
209c
)!8655
1) S =Sonnabend. 2) M. = Mittwoch 3) Di. = Dienstag. 4) Vorspalte = Spalte 1. 6) Vom
29 Februar 1916 — 3 Tage des Datums der Vorspalte. 6) üurcih BRV vom 14. Februar 1816
wurden Höchstpreise ab Stall festgesetzt. 7) Durch Bek. vom 8. bzw. 11 März 1916 setzte
der Brandenburg-Berliner Viehhandelsverband Höchstpreise für Riader ab StaU fest.
Jahrb. f. Nationalök. u, Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54j.
38
gg^ Mifl Zellen.
im Lebendgewicht von 200 — 240 Pfd. mit 147, — M. für den Zentner und
Schweine im Lebendgewicht von 160 — 200 Pfd. mit 138, — M. für den
Zentner notiert waren und die Spannung demnach 9, — M. betrug, belief
sie sich nach der Verordnung vom 4. November auf 10, — M. ^). Die
Preise der Verordnung bedeuten demnach eine Verschiebung gegenüber
der früheren Preisbildung, namentlich infolge der außergewöhnlich
hohen Spannung zwischen den einzelnen Gewichtsklassen. Für den
Berliner Viehmarkt wurde das Schwein im Gewicht von 80 — 100 kg
mit 100, — M. für 50 kg Lebendgewicht festgesetzt. Die Grundpreise
an den Viehmärkten der Versorgungsgebiete für Berlin waren natur-
gemäß niedriger. Es mußte eine Spannung zur Bestreitung der Trans-
portkosten und des Gewichtsverlustes während des Transportes bleiben.
Als Hauptversorgungsgebiete für Berlin kommen namentlich die östlichen
Provinzen Ostpreußen und Westpreußen sowie Posen in Betracht. Für
sie war der Grundpreis mit 90, — M. festgesetzt. Die oberschlesischen
Städte werden aus der Provinz versorgt; infolgedessen war der Preis
in Gleiwitz ebenso hoch festgelegt wie in Berlin. Schleswig-Holstein
liefert Vieh nach dem westlichen Deutschland. Daher entsprach einem
Höchstpreis von 95, — M. in Kiel ein Höchstpreis von 102 — 105 M.
im Rheinland. Die Preisfestsetzungen bedeuteten einen plötzlichen
überaus großen Preisabschlag. Am 3. November 1915 waren Schweine
in Berlin noch mit 144, — M. notiert. Nach der Bundesratsverordnung
vom 4. November betrug der Höchstpreis 110, — M. Der Preisabschlag
von rund 23 Proz. war zu groß, um eine günstige Wirkung auf die
Versorgung der Bevölkerung mit Schweinefleisch auszuüben. Es trat
im Gegenteil eine äußerst nachteilige Folge ein: der Auftrieb an
Schweinen stockte fast an sämtlichen Viehmärkten Deutschlands. Während
z. B. nach dem amtlichen Marktbericht der Auftrieb in Berlin am
3. November noch 11615 Schweine betrug, waren am 10. November
nur 8174 und am 13. November sogar nur 2528 Stück notiert. Die
Preise waren reguliert, aber es fehlte die Ware.
Man darf einem Satz der Interessenten die Berechtigung nicht ab-
sprechen: Niedrige Preise — sie zu schaffen, war ja der Zweck der
Bundesratsverordnung vom 4. November 1915 — bringen der Bevölke-
rung nur Vorteile, wenn der Gewerbetreibende zu diesen Preisen die
Versorgung durchführen kann, d. h. wenn sie hoch genug sind, um ihm
neben der Erstattung der Erwerbskosten und Spesen einen handelsüb-
lichen Nutzen zu lassen. Auf den konkreten Fall übertragen: Der
Zweck der Höchstpreisverordnung vom 4. November war nur dann er-
reicht, wenn der Händler zu den festgesetzten Preisen Schweine nach
den Verbrauchszentren brachte und sie dort verkaufte. Dies wurde
jedoch durch die Verordnung nicht erreicht. Die Zufuhr beispielsweise
nach dem Berliner Markt war, wie die angeführten Auftriebszahlen
zeigen, seit dem Inkrafttreten der Verordnung vollkommen unzureichend ;
an anderen Verbrauchszentren bot sich das gleiche Bild.
1) Der Höchstpreis für Schweine im Lebendgewicht von 160 — 200 Pfd. betrug
100,— M., der für Schweine im Lebendgewicht von 200—240 Pfd. 110,— M. für 50 kg
Lebendgewicht.
Miszellen. 595
In der Verordnung waren lediglich die Marktpreise geregelt. Die
Folge war ein Kampf zwischen Züchter und Händler um den Preis:
der Züchter forderte vielfach den Höchstpreis ab Stall; teilweise gingen
die PreisforderuDgen sogar über die Höchstpreise hinaus.
Der Viehhändler und Großschlächter waren in ihren Forderungen
an keine gesetzliche Preisschranke gebun^len. Da der Höchstpreis ledig-
lich für lebende Schweine Geltung hatte, bot sich in dem Verkauf ge-
schlachteter Schweine eine günstige Gelegenheit zur Umgehung des
Höchstpreises. Ein weiteres öfters angewendetes Mittel hierfür bestand
in der Verwiegung eines Tieres einer höheren Gewichtsklasse mit solchen
einer geringeren Gewichtsklasse zur Erzielung eines höheren Durch-
schnittsgewichtes. In solchen Fällen wurde nämlich für sämtliche ge-
wogene Tiere der Preis für das auf diese Weise erhöhte Gewicht be-
rechnet.
An den „Umgehungen" des Gesetzes beteiligte sich in vielen Fällen
auch der Kleinhändler. Durch die Verordnung war der Kleinhandels-
höchstpreis für frisches (rohes) Schweinefleisch in Berlin mit 1,40 M.
für Y2 ^S ^^^ ^^^ Preis für frisches (rohes) Schweinefett mit 1,80 M.
für i/g kg nach oben begrenzt. Nach Inkrafttreten der Verordnung war
jedoch in Berlin frisches Schweinefleisch kaum erhältlich. Das wenige
nach Berlin kommende Schweinefleisch wurde größtenteils zu Dauerware
und Wurst verarbeitet und hierfür Preise gefordert, welche mit den ge-
setzlichen Viehpreisen in keinen Einklang gebracht werden konnten.
Diesem Mißstand wurde durch die Ausführungsbestimmungen ^) zu
der Verordnung abgeholfen. Durch sie wurde bestimmt, daß die Ge-
meinden Höchstpreise für Dauerwaren festsetzten. Gesetzlich vorläufig
nicht geregelt blieben die Wurstpreise. Infolgedessen bemühte sich der
Ladenschlächter, möglichst viel Schweinefleisch zu Wurst zu verarbeiten.
Der Ladenschlächter bewilligte dem Großschlächter den geforderten
Preis, auch wenn er unverhältnismäßig hoch war, um Ware überhaupt
zu erhalten. Bei der Knappheit an Ware mußte er so handeln, um
seine Existenz zu sichern. Der Existenzkampf zwang die Ladenschlächter,
sich in ihren Preisangeboten gegenseitig zu überbieten. Der Konkurrenz-
kampf führte also zu einer Preiserhöhung.
Erst nach einigen Wochen schritten einzelne Gemeinden zur Fest-
setzung von Wursthöchstpreisen 2). Von einer einheitlichen Festsetzung
von Wursthöchstpreisen für das ganze Reich glaubte die Regierung bei
der Verschiedenheit des Geschmackes und des Verbrauches in den ein-
zelnen Provinzen Abstand nehmen zu müssen.
1) Die preußische Ausführungsanweisting datiert vom 11. November 1915.
2) Von der Höchstpreisfestsetzung für Wurst wurden in Berlin Delikateßwürste
ausgenommen. Diese Maßregel wurde vor allem getroffen, um die Zufuhr der von einer
weiten Schicht der Bevölkerung verlangten feineren Wurstsorten nicht zu unterbinden.
Jedoch war mit dieser Maßnuhme gleit hzeitig eine nachteilige Folge verknüpft: die
einfacheren Wurstsorlen waren kaum noch erbaltlich; es gab meist nur noch „Delikateß-
wurst". Trotz dieser nachteiligen Folge verdient unseres Erachtens die Ausnahme-
bestimmung begrüßt zu werden, da durch sie wenigstens überhaupt Ware dem Markte
erhalten blieb.
38*
596 Mis Zellen.
Der erste Eingriff des Gesetzgebers in das freie Spiel von Ange-
bot und Nachfrage durch die Festsetzung der Höchstpreise in der Ver-
ordnung vom 4. November 1915 hatte seinen Zweck nicht erreicht. Die
Verbrauchszentren waren seit Inkrafttreten der Verordnung fast ganz
von Ware entblößt. Wir haben hier einen schlagenden Beweis für die
Richtigkeit der Forderung verschiedener Wirtschaftspolitiker, mit der
Höchstpreisfestsetzung müsse die Beschlagnahme Hand in Hand gehen ;
die Höchstpreisfestsetzung allein sei nie wirksam. Der Staatssekretär
Dr. Delbrück gab in seiner Programmrede im Reichstage selbst zu:
„Die Entwicklung hat bewiesen, daß Höchstpreise niemals ein hin-
reichendes Mittel sind, um die Bevölkerung nicht nur preiswert, sondern
auch ausreichend zu ernähren. Strikt durchgeführte Höchstpreise regu-
lieren höchstens die Preise, nicht aber den Markt, den sie dagegen
öfter deroutieren."
Noch waren Rinder, Schafe und Hammel in genügender Zahl am
Markte; aber das Durchschnittsschlachtgewicht war ein außerordentlich
niedriges. Der Mangel an Futtermitteln machte sich immer mehr geltend.
Fettes Vieh kam nicht zur Schlachtung. Eine wesentliche Erleichterung
bot die Oeffnung des Donauweges für den Bezug von Futtermitteln aus
den Balkanländern.
Eine Besserung in der Versorgung der Großstädte mit Schweine-
fleisch trat auch durch die Befreiung der ausländischen Schweine von
der Höchstpreisfestsetzung (durch die Bundesratsverordnung vom 29. No-
vember 1915) ein. Auch diese Maßnahme vermochte jedoch nicht, den
Verbrauchszentren genügend Schweinefleisch zuzuführen.
Die Regierung betrat nunmehr einen zweifelsohne weitaus ge-
eigneteren Weg für die Fleischversorgung, als es die Festsetzung von
Höchstpreisen gewesen war. Sie hatte die gewaltige Aufgabe zu lösen,
die Preise abzubauen, ohne gleichzeitig einen Rückgang im Auftrieb
hervorzurufen. Der neueingeschlagene Weg bedeutete allerdings eine
erhebliche Belastung des Staatssäckels. Er bestand in der üebernahme
des „Produktionsmittels" auf den Staat. Der Staat stellte nämlich den
Viehzüchtern Futtermittel zur Verfügung gegen üebernahme der Ver-
pflichtung, nach Ablauf der normalen Mästungsperiode von etwa 3
Monaten Fettschweine im Lebendgewicht von 2 Ztr. abzuliefern. Und
zwar sollte die Lieferung in erster Linie an bestimmte Kommunal-
verbände mit überwiegender Industriebevölkerung erfolgen. In Preußen
sollten 500000 Schweine mit rumänischen und bulgarischen Futtermitteln,
welche der Staat unter dem Selbstkostenpreis abgeben sollte, gemästet
und in den Monaten Februar bis Mai 1916 abgeliefert werden. Dies
System bedeutete eine wesentliche Vervollkommung der Höchstpreise;
es hatte einen stark sozialistischen Einschlag. Seine Wirkung konnte
sich frühstens im April 1916 zeigen. Wie an dieser Stelle bereits vorweg
bemerkt werden darf, erwiesen sich die Mästungsverträge im weiteren
Verlaufe des Krieges als eine zweckmäßige Maßnahme, wenn auch zunächst,
selbst im Frühjahr 1916 noch, die erhoffte Wirkung in keiner Weise
eintrat. Der Abschluß derartiger Mästungsverträge bedeutet die Konzen-
tration größerer Mengen an Vieh in einer Hand zur Verfügung von Behörden.
Miszellen. 597
Die MästuDgsverträge schalten den Zwischenhandel aus. Der Bauer liefert
unter Zuhilfenahme seiner Viehverwertungsgenossenschaft direkt an
den Ladenschlächter.
Zunächst trat in den Versorgungsverhältnissen des mittleren Deutsch-
lands mit Fleisch eine Besserung nicht ein, im Gegenteil: die Zufuhr
an Schweinen und Rindern ging weiter zurück. Die Rinderpreise stiegen
weiter.
Der Durchschnittspreis der Ochsen c, welcher sich im März d. J.
noch um 50 M. herum bewegt hatte und im Oktober bereits auf 63 M.
für 50 kg lebend gestiegen war, betrug Ende Dezember 1915 schon
80 M. Unbedingt mußte dieser Preistreiberei Einhalt geboten werden.
Von der Festsetzung von Rinderhöchstpreisen nahm die Regierung noch
Abstand. Sie sah als Hauptursache der Preistreiberei die Machen-
schaften eines illegitimen Zwischenhandels an. Sie nahm also einen
Grundgedanken wieder auf, welcher bei den Mästungsverträgen wesent-
lich mitgespielt hatte; sie wollte den illegitimen Zwischenhandel aus-
schalten. Im Januur 1916 tauchte der Gedanke einer Syndizierung des
gesamten Viehandeis auf und wurde erstmalig im preußischen Abge-
ordetenhause eingehend beraten. Es wurde erwogen, die Händler in
provinzialen Verbänden zusammenzuschließen, um so die nichtgewerb-
lichen Aufkäufer vom Viehhandel fernzuhalten. Tatsächlich hatte der
illegitime Zwischenhandel mitunter zu der Eigentümlichkeit geführt, daß
Vieh aus den viehreichen Gegenden ausgeführt und anderes dorthin ge-
bracht wurde. In die neu zu gründenden Viehhandelsverbände sollten auch
Konsumentenvertreter gewählt werden. Jeder Landwirt sollte ver-
pflichtet sein, sich bei jedem Verkauf von Schlachtvieh und bei jedem
Viehverkauf an Händler die Ausweiskarte zu einem Viehhandelsverband
zeigen zu lassen. Der Gedanke der Viehhandelsverbände wurde zunächst
in den süddeutschen Staaten in die Tat umgesetzt.
Mit dieser Maßnahme war ein dritter Versuch gemacht worden,
die Preistreibereien zu unterbinden. Vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt
aus betrachtet, liegt die Hauptbedeutung dieser Maßnahme in dem Ein-
griff der Regierung in die Organisation des Viehhandels.
Zunächst brachte jedoch auch diese Maßnahme nicht die erhoffte
Besserung. Die Festsetzung von Viehmarkthöchstpreisen für Schweine
hatte, wie ausgeführt, ebenfalls ihren Zweck nicht erreicht. Die wenigen
nach Berlin kommenden Schweine wurden zu Wurst verarbeitet, da der
Fleischer hierdurch trotz der Festsetzung von Wursthöchstpreisen einen
weitaus höheren Gewinn erzielte als beim Verkauf von frischem Fleisch.
Es fehlten bisher jegliche Bestimmungen, um diesem Mißstand, der nichts
anderes als eine Umgehung der Fleischhöchstpreise darstellt, zu steuern.
Abhilfe sollte die Verordnung vom 31. Januar 1916 bringen, wodurch
die Verarbeitung von höchstens einem Drittel des Schweines zu Wurst
gestattet wurde i). Bei der Schwierigkeit der Nachprüfung war jedoch
die Umgehung dieses Gesetzes in vielen Fällen nicht zu verhindern.
1) Nach § 7 der Verordnung waren die Gemeinden verpflichtet zu bestimmen,
wieviel mindestens vom Schlachtgewicht des Schweines oder welche Teile bei gewerb-
lichen Schlachtungen frisch verkauft werden mußten. Demzufolge bestimmte der Berliner
Mittwoch
2. Febr. 16
Rinder
Kälber
Schafe
Schweine
2341
1484
1530
3782
Mittwoch
Sonnabend
9. Febr. 16
12. Febr. 16
3533
6745
2184
1180
885
8186
3985
3537
5gg Miszellen.
Eine Besserung der Versorgung der Bevölkerung mit frischem
Schweinefleisch wurde durch die Verordnung nicht erreicht. Die Auf-
triebszahlen am Berliner Viehmarkt blieben, wie die Tabelle zeigt, äußerst
niedrig. Sie beliefen sich auf:
Sonnabend
5. Febr. 16
5849
864
9255
4134
Die Interessenten führten die niedrigen Auftriebszahlen auf die über-
mäßig hohen Forderungen der Viehzüchter zurück. Sie verlangten als
alleiniges Heilmittel die Festsetzung von Viehhöchstpreisen ab Stall.
Diesem Wunsche trug die Regierung in der Verordnung vom 14. Februar
1916 Rechnung. Die wesentlichsten Neuerungen gegenüber der Ver-
ordnung vom 4. November 1914 waren: die Festsetzung von
Erzeugerhöchstpreisen abStall, die Festlegung eines
Höchstverdienstsatzes für den Großhandel und die Ver-
pflichtung der Gemeinden zur Festsetzung von Sorten-
höchstpreisen im Kleinhandel. In der Novemberver-
ordnung des Vorjahres war der Kleinhandelspreis für sämtliche Sorten
Schweinefleisch einheitlich nach oben begrenzt. Die Verordnung
vom 14. Februar 1916 bedeutete eine allgemeine Heraufsetzung der
Preise. Wurden doch die Stallhöchstpreise etwa in derselben Höhe
festgesetzt wie die Höchstpreise für den Viehmarkt in der Verordnung
vom 4. November 1915 ! Infolgedessen erhöhten sich die letzteren Preise
in der Verordnung vom 14. Februar durch die Transportkosten, den
Gewichtsverlust und den Händlergewinn. In der Verordnung wurden
9 Gewichtsklassen und außerdem 3 Stufen bei den Sauen unterschieden.
— Beide Höchstpreisverordnungen verzeichnen eine Staffelung und Pro-
gression bei höherem Lebendgewicht in einer Höhe, wie sie in der
Wertbemessung des freien Handels früher nie stattgefunden hat. Grund
der Staffelung war das Bestreben der Regierung, den Züchtern einen
Anreiz zur Mästung zu geben. Wie groß der Unterschied in der Staffelung
war, geht aus einem Vergleich der Preise für die Monate Oktober 1915,
November 1915 und Februar 1916 hervor. Es betrug der Preis für
fjf , Schweine im Lebendgewicht von
im Monat 200—240 Pfd. 160—200 Pfd.
Okt. 1915 147 M. für 50 kg 138 M. für 50 kg
Nov. 1915 HO „ „ 50 „ ICD „ „ 50 „
Febr. 1916 132 „ „ 50 „ 11 1 „ „ 50 „
Demnach betrug die Spannung zwischen beiden Klassen im Februar
1916 über das Doppelte der Spannung im Oktober des Vorjahres.
Trotz der Erhöhung der Schweinepreise um etwa 10 Proz. trat
keine Besserung in den Auftriebszahlen ein. Im Gegenteil, diese gingen
Magistrat durch Bekanntmachung vom 2. Februar 1916, daß nur die Backen, der halbe
Bauch, ein Schinken, der Kopf und */, des Bückenfettes «u Wurst oder Dauerware ver-
arbeitet werden durften.
Miszellen. 599
weiter zurück. Während in der ersten Hälfte des Februar 1916 der
Auftrieb auf dem Berliner Viehmarkt sich etwa auf 3600 Stück Schweine
an einem Markttag belief, sank die Zahl am 19. Februar auf 645 Stück
herab und hielt sich in der ersten Hälfte März weiter unter 1800.
Der Wunsch der Händler war erfüllt, ohne daß hierdurch die Ver-
sorgungs- und Preisverhältnisse günstiger geworden waren. Die „Deutsche
Tageszeitung" schilderte die Lage, wie folgt: „Das hauptsächlich für
die Ernährung in Betracht kommende Vieh, das Schwein, fehlte fast ganz.
Die Fleischbegierde der Bevölkerung stürzte sich auf das Rind, sein
Preis schnellte in die Höhe, und das Rückgrat der deutschen Bauern-
wirtschaft kommt in Gefahr. In dem Wahne, die Kartoffeln vor den
Sqhweinen retten zu müssen, hat man diese preisgegeben, die Folge
ist, daß wir jetzt die Rinder vor den Menschen retten müssen."
Vergegenwärtigen wir uns die Auftriebszahlen! Der Auftrieb an
Rindern, welcher sich im Monat Dezember 1915 auf durchschnittlich
6000 Stück an einem Markttage belaufen hatte, war in dem Monat
Januar 1916 auf die Hälfte zurückgegangen. Im Monat Februar wurden
die Verhältnisse noch schlechter. Am 2. Februar sind auf dem Berliner
Viehmarkt 2341 Stück, am 5. Februar 5849 Stück, am 16. Februar
aber nur noch 2057 Stück und am 19. Februar 3179 Stück Rinder
notiert.
Nicht viel günstiger war die Lage auf dem Schafmarkt. Während
im August 1915 in der Woche noch 11000—13 000 Stück auf den
Berliner Markt kamen, belief sich der Auftrieb in den Monaten No-
vember, Dezember und Januar 1916 durchschnittlich nur noch auf
8500-9000 Stück.
Der Markt für Kälber wies eine geringere Abnahme auf. Es wurden
notiert am:
4. August 1915
2564 Kälber
1. September
2206 „
6. Oktober
2072
6. November
2061
1. Dezember
2065
5. Januar 1916
1802
Die Abnahme des Auftriebs war von einer erheblichen Steigerung der
Preise begleitet, wie sie aus der Tabelle 1 ersichtlich ist. Der Preis
der Ochsen c, welcher sich in den Sommermonaten des Jahres 1915
noch auf etwa 64 M. belaufen hatte, war im Dezember 1915 bereite
auf 76 M., dementsprechend der Großhandelspreis von 100 auf 123 M.
und der Kleinhandelspreis von 139 auf 160 M. für 50 kg gestiegen.
Für Kälber, welche im Juli 1915 mit 68 M. gehandelt worden waren,
wurden im Dezember 1915 bereits 102 M. für den Zentner bezahlt.
Die entsprechenden Zahlen für die Schafpreise waren 62 und 68 M.
Bei der Preisentwicklung ist wieder das Mißverhältnis zwischen Auf-
triebszahlen und Preisen zu beobachten: Während der Rinderauftrieb
am 6. November 1915 bei einem Preise von 65,50 M. für den Zentner
(bei Ochsen c) 8629 Stück betrug, belief er sich am 5. Februar 1916 bei
«inem Preise von 89 M. auf 5849 Stück, und am 12. Februar bei einem
ßQQ MiBzellen.
Preise von 89,50 M. auf 6745 Stück, d. h. obwohl der Auftrieb am
12. Februar größer war als am 5. Februar 1916, war der Preis der
gleiche geblieben.
Eine Erscheinung fällt bei der Verfolgung der Preisbildung für
Fleisch auf, die interlokale Verschiedenheit der Fleischhandelspreise.
In der nachstehenden Tabelle sind die Großhandelspreise für Ochsen-
fleisch, Kuhfleisch, Kalbfleisch, Hammelfleisch und Schweinefleisch
IL Qualität in der ersten Hälfte des Monats November 1915 bis Ja-
nuar 1916 nach der „Statistischen Korrespondenz" vergleichsweise für
4 Großstädte zusammengestellt:
Tabelle 3. Preise für 50 kg in Mark:
Ochsen- t^ , « . , n ^ J Hammel- Schweine-
fleisch Kuhfleisch fleuch ^^^,^^^ ^^.^^^
Königsberg.
November 1915 97 95 — iio 138V2
Dezember „ m^/a '04 ^37^1 2 — '^3
Januar 1916 1221/2 118V2 '47^/2 — 'S^
Durchschnitt
IIO
106
Danzig.
142V2
—
127V2
November 1915
Dezember „
Januar 1916
89
90
IOC
89V.
94
105
105
117V2
131
111V2
117V2
125
—
Durchschnitt
93
96
Stettin.
118
118
"~~
November 1915
Dezember „
Januar 1916
IOC
98V2
102V2
117V2
122V,
130
156V2
122V2
124
137V2
149
109?
109?
Durchschnitt
106
Berlin.
136
128
122
November 1915
Dezember „
Januar 1916
108
I22V2
142
90
97V2
124
H2V2
159
182
1.29
135
169
HZ
127
125V2
Durchschnitt 124 104 161 144 132
Die Fleischpreise in Bayern und in den nordöstlichen Provinzen
sind nach der Tabelle erheblich niedriger als die Preise in Berlin zur
gleichen Zeit. Die Ursache dürfte in lokalen Eigentümlichkeiten des
Handels hier und dort zu suchen sein. Im Osten geht der Laden-
schlächter über Land, kauft das Vieh von der Weide fort, läßt es zu
sich treiben und schlachtet es. In Berlin ist der Weg ein weit um-
ständlicherer: Der Viehhändler kauft das Vieh von dem Landwirt in
den viehreichen Gegenden (Schleswig-Holstein, Ostelbien), bringt es nach
Berlin und übergibt es dem Viehkommissionär auf dem Viehhof zum
Verkauf. Der Viehkommissionär verkauft es an den Großschlächter
und dieser erst an den Ladenschlächter. Auf diesem langen Wege wird
das Vieh naturgemäß durch den Zwischenverdienst der Händler, die
Versandkosten, die Ein- und Ausladekosten, die Futterkosten, Markt-
gebühren und die Provision der Kommissionäre erheblich verteuert.
Miszellen. 601
Zunächst durch diese Kosten erklären sich die teuren Fleischpreise in
Berlin. Hinzu kommt noch der Qualitätsunterschied. Es ist allgemein
üblich, daß das geringere Vieh tunlichst in seiner Heimat verwertet
wird, weil es die durch den Transport entstehenden Unkosten nicht zu
decken vermag und oft auch bei der Versendung leiden würde. Aus
diesem Grunde ist z. B. das Kuhfleisch, wie aus der Tabelle 3 hervor-
geht, in Berlin nicht teurer als in Königsberg und Stettin; in Berlin
werden nämlich verhältnismäßig mehr Ochsen geschlachtet als in den
beiden vorher genannten Städten. Auf 100 Gesamtschlachtungen von
Rindvieh fielen z. B. im Jahre 1910 nach dem „Statistischen Jahrbuch
deutscher Städte", 20. Jahrg., in Königsberg 9,8, Danzig 16,4, Stettin 3,3,
Berlin 49,4 Ochsen, dagegen in Königsberg 37,0, Danzig 47,4, Stettin
34,3 und Berlin 9,4 Kühe.
Die Preise für Schweine waren durch die Bundesratsverordnungen
vom 4. November 1915 und 14. Februar 1916 geregelt. Die Viehmärkte
im mittleren Deutschland waren von Schweinen fast ganz entblößt. „Die
Fleischbegierde der Bevölkerung stürzte sich", wie die „Deutsche Tages-
zeitung" mit Recht schrieb, „auf das Rind." Es begann eine neue Preis-
treiberei. Wie gewaltig die Preissteigerung für Rindfleisch in dem letzten
halben Jahr gewesen war, besagen folgende Zahlen: der Preis für
Rinderkeule betrug im
September 1915 i,42 M. für V2 kg
Oktober i,46 „ „ V»
November 1,4 7 „ ,, Vj
Dezember i,60 „ „ ^2
Januar 1916 i,82 „ „ V2
Februar 1,9 8 „ „ V?
Die Festsetzung von Rinderhöchstpreisen blieb das einzige Mittel, um
der Preistreiberei Einhalt zu tun. Die neugegründeten Viehhandelsver-
bände mußten es als ihre erste große Aufgabe ansehen, die Rinder-
preise zu regeln. Durch die Bekanntmachung vom 8. März bzw. 11. März
1916 setzte der Brandenburg-Berliner Viehhandelsverband für die Pro-
vinz Brandenburg und die Stadt Berlin Höchstpreise für Rinder in einer
Spannung von 60 J^is 100 M. für den Zentner Lebendgewicht, abge-
stuft nach 9 Gewichtsklassen, fest. Gleichzeitig wurde bestimmt, daß
bei dem Weiterverkauf von Rindvieh außer den Frachtauslagen für
Handlungsunkosten und dem Händlergewinn 3—7 Proz. i) je nach
der Lage des Verkaufsplatzes auf den Höchstpreis aufgeschlagen werden
dürften. Auch hierbei zeigte sich die Wirkungslosigkeit von Höchst-
preisen ohne gleichzeitige Beschlagnahme. Der Rinderauftrieb, welcher
sich am 11. März noch auf 4511 Tiere belaufen hatte, sank am 22. März
auf 407 Stück, am 29. März auf 288 Stück und hielt sich im April
meist weiter unter 1000 Stück. Entblößung des Marktes von Ware war
hier die unmittelbare Folge der Höchstpreisfestsetzung wie nach dem
Inkrafttreten der Höchstpreise für Schweine. Nicht nur die Verbrauchs-
aentren befanden sich in einer immer schwierigeren Lage bezüglich
1) In der Bekanntmachung vom 11. März 1916.
()Q2 Missellen.
der FleischversorguDg ; auch auf dem Lande wurden die Verhältnisse
infolge des großen Mangels an Kraftfuttermitteln immer schwieriger. Die
Viehbestände lichteten sich. Die Sicherstellung des Bedarfs an Fleisch
für Heer und Marine sowie für die Zivilbevölkerung machte schleunige
und durchgreifende Maßnahmen zur Notwendigkeit. „Erforderlich war
eine grundsätzliche Regelung der Fleischversorgung für das ganze Reichs-
gebiet." Auf der einen Seite mußte eine übermäßige Abschlachtung
verhindert werden, auf der anderen mußte die erforderliche Viehmenge
auf die Bedarfsgebiete verteilt werden. Man sah ein, daß die bisherige
Versorgung unter dem Mangel einer Zentralisation litt. Die einzelnen
Teile des Reiches trieben ihre gesonderte Politik. Die zunehmende
Knappheit führte vielfach zu Absperrungen. So kam es, daß in den
süddeutschen Staaten Fleisch noch reichlich vorhanden war, zu einer
Zeit, in der in den norddeutschen Verbrauchszentren vielfach bereits
Mangel herrschte. Die Regierung hoffte, die Ungleichmäßigkeit in der
Versorgung durch Schaffung einer Zentralinstanz für die Verteilung be-
heben zu können. Eine solche Zentralinstanz wurde in der Reichs-
fleischstelle auf Grund der Bundesratsverordnung über Fleisch Ver-
sorgung vom 27. März 1916 geschaffen. Als Hauptaufgabe war ihr
gestellt: „die Fleischversorgung, insbesondere die Aufbringung von Vieh
und Fleisch im Reichsgebiet und deren Verteilung zu regeln." Nach
§ 3 lag ihr ferner „die Verteilung des aus dem Ausland eingeführten
Schlachtviehs und Fleisches einschließlich der Fleischwaren ob". Erste
Aufgabe der Reichsfleischstelle war die Viehaufbringung. Sie sollte den
Gesamtbedarf der mobilen und immobilen Truppen sowie der gesamten
Zivilbevölkerung ins Verhältnis zu den gesamten Viehbeständen des
Reiches setzen und die Viehbestände der einzelnen Bundesstaaten nach
den sich ergebenden Verhältnissätzen zu den Lieferungen heranziehen.
Zu diesem Zwecke wurde eine Viehzwischenzählung für den 15. April
angeordnet. „Es zeigte sich, daß, wenn man die durchschnittlichen
Gesamtschlachtungen normaler Jahre nicht überschreiten wollte, für die
Zivilbevölkerung nicht mehr als die Hälfte dieses Durchschnittes zu-
gelassen werden konnte." Für die erste Periode (1. April bis 30. Juni
1916) wurde für die Zivilbevölkerung die Hälfte der durchschnittlichen
beschaupflichtigen Schlachtungen des zweiten Vierteljahres der Jahre
1911 bis 1915 zugelassen. Diese Zahlen wurden auf die einzelnen Bundes-
staaten anteilmäßig verteilt. Mit dem Verteilungsplan war die erste
Aufgabe in glücklicher Weise gelöst. Damit die einzelnen Gemeinden
jedoch mit dem zugewiesenen Fleisch auskommen konnten, mußte der
Verteilungsplan durch eine Verbrauchsregelung ergänzt werden. Die
Verordnung vom 27. März sah davon ab, eine einheitliche Ver-
brauchsregelung von Fleisch und Fleischwaren für das Reichsge-
biet durchzuführen. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schrieb
hierüber: „Die Verhältnisse liegen nicht überall gleich, und die tech-
nischen Probleme der Beschaffung und Verteilung sind erheblich ver-
wickelter als etwa bei Mehl und Brot. Die Fleischkarte hat notwendig
einen ganz anderen Charakter als die Brotkarte, einmal schon, weil
die Erzeugungs- und Angebotsmengen auf längere Zeit hinaus nicht
Miszellen. 603
mit völliger Sicherheit zu übersehen sind — die Fleischkarten sind
Sperr-, nicht Anspruchskarten — außerdem aber, weil Fleisch und
Fleischprodukte in den verschiedensten (und zugleich verschiedenartigsten)
Sorten, Arten und Bereitung abgegeben werden, so daß das einfache
ßationierungsschema — und einfach muß es ja sein — Ungleichmäßig-
keiten mit sich bringt." In § 10 der Verordnung vom 27. März wurden
die Gemeinden verpflichtet, eine Verbrauchregelung für Fleisch und
Fleischwaren in ihren Bezirken vorzunehmen. Dieser Verpflichtung
sind die Gemeinden in den einzelnen Teilen des Reiches in sehr ver-
schiedenem Umfange nachgekommen. Das bayrische Ministerium des
Innern regelte die Versorgung schon im April 1916 durch Schaffung
einer bayrischen Fleischversorgungsstelle. Diese setzte mit Genehmigung
des Ministers des Innern nach Maßgabe des zur Verfügung stehenden
Schlachtviehs fest, welche Höchstmenge innerhalb 8 Wochen geschlachtet
werden durfte. Die Kommunalverbände hatten Fleischkarten auszu-
geben. Von der Festsetzung der Fleischration für einen längeren Zeit-
raum nahm man wegen der Schwankung in den Viehbeständen Abstand.
Seit dem 17. April gab es in Bayern und Sachsen eine Fleisch-
karte. Württemberg schloß sich bald an. In Sachsen wurden Sperr-
marken zur Verhütung eines übermäßigen Verbrauchs mit 600 g für
die Woche, in Württemberg solche mit 3520 g für den Monat aus-
gegeben. Für die Provinz Brandenburg und die Stadt Berlin bewirkte
der Brandenburg-Berliner Viehhandelsverband die Anlieferung des be-
nötigten Viehes. Das Schlachtvieh wurde dem Verein der Viehkom-
missionäre am Berliner Viehhof zugeteilt. Dieser hatte das Vieh zu
festgesetzten Preisen an die Großschlächter nach Maßgabe ihrer früheren
Schlachtungen anteilmäßig abzugeben. Die Großschlächter waren ihrer-
seits an Großhandelspreise gebunden. Die Abgabe an den Laden-
schlächter erfolgte gegen einen Bezugsschein. Um den Bedarf des
einzelnen Ladenschlächters festzustellen, wurde eine Voranmeldung in
Form der Abgabe des Brotkartenmittelstücks für die Woche vom 10. bis
16. April an die Ladenschlächter seitens der Kunden eingeführt. Zur
vollkommenen Durchführung der Versorgungsregelung war zunächst noch
die Festsetzung von Höchstpreisen für Kälber und Hammel nötig. In
einer Sitzung der preußischen Viehhandelsverbände vom 7. April wurden
folgende üebernahmepreise festgesetzt:
Für Kälber unter 40 kg 70 M. für den Zentner Lebendgewicht
40/75 " 100 „ „ „ „ „
über 75 „ 120 „ „ „ „ „
„ Mastkälber bis 15,6 „ 140 „ „ „ „ „
Als Provision und Handlungsunkosten durften 10 Proz. zugeschlagen
werden.
Für Lämmer 120 M. für den Zentner Lebendgewicht
„ Hammel über einem Jahr 100 ,, „ „ „ „
„ Schafe und Böcke 85 „ „ „ ,. „
Für Provision wurde ein Höchstpreiszuschlag von 7 Proz. auf den
Stallhöchstpreis zugelassen.
gQ4 M i 8 z e 1 1 e n.
Die Groß- und Kleinhandelspreise für Rindfleisch wurden in Berlin
durch Verordnung vom 14. April geregelt. Ihnen folgte die Regelung
der Preise für Kalb- und Hammelfleisch durch die Verordnung vom
6. Mai d. J. Mit der Höchstpreisfestsetzung für Kälber und Hammel
waren sämtliche Viehpreise geregelt. Die Viehhandels verbände be-
gannen die Lösung der ihnen gestellten Aufgaben unter äußerst
schwierigen Verhältnissen. Die Viehbestände waren stark zusammen-
geschmolzen. Ein Runderlaß der Minister für Landwirtschaft, Handel
und Gewerbe und des Innern vom Ende April des Jahres besagte
folgendes: „In wenigen Monaten werden sicherlich wieder ausreichende
Bestände schlachtreifen Tieres verfügbar sein. Für die nächsten Monate
aber, bis etwa 1. Juli, muß aus naheliegenden Ursachen die Beschaffung
des erforderlichen Schlachtviehes an vielen Stellen auf Schwierigkeiten
stoßen. Infolge des großen Futtermittelmangels sind die Bestände an
schlachtreifen Schweinen zurzeit außerordentlich gering, dagegen die
Aussicht auf die Erzeugung zahlreicher Ferkel dank den getroffenen
Maßnahmen für die nächsten Monate sehr günstig. Aus dem gleichen
Grunde haben die Landwirte von ihren Rindviehbeständeu, was zur
Schlachtung geeignet war, größtenteils in den letzten Monaten bereits
abgestoßen."
Auch die sogenannten „Hausschlachtungen" (Schlachtungen für den
eigenen Wirtschaftsbedarf des Viehhalters) wurden in den Rahmen der
Versorgungsregelung einbezogen. Nach § 6 Ziffer 2 der Verordnung
vom 27. März waren sie nur dann gestattet, wenn der Besitzer das
Tier in seiner Wirtschaft mindestens 6 Wochen gehalten hat. Am
10. April 1916 erging ein einstweiliges Verbot der Hausschlachtungen
von Rindern, Schweinen, Kälber und Schafen. Jedoch wurde das Verbot
bald aufgehoben. —
Das Ergebnis der Viehzählung vom 15. April 1916 war ein gün-
stiges. Gegenüber den Zahlen vom 1. Dezember des Vorjahres war
für Schafe ein Zugang von 23,8 Proz.
für Kälber unter 3 Jahren ein Zugang von 72,2 ,,
ZU verzeichnen. Die Zahl der Rinder in Preußen hatte allerdings um
1 Proz. abgenommen. Betont werden muß, daß sich das Bild etwas
nach der nachteiligen Seite hin verschiebt, wenn man die Gewichte der
Tiere mitberücksichtigt: nur ein ganz geringer Teil konnte als schlacht-
reif bezeichnet werden.
Auch der Schweinemarkt wies einen Rückgang auf. Die Abnahme
der Schweinebestände konnte nach den „Professorenschlachtungen" des
Frühjahres 1915 gar nicht wundernehmen. Hinzu kam die große Futter-
mittelknappheit.
Infolgedessen war die Fleischversorgung der Verbrauchszentren
trotz der absoluten Zunahme des Viehbestandes gegenüber den Ziffern
vom 1. Dezember 1915 eine unzureichende. Die Lieferungen der Vieh-
handelsverbände entsprachen in keiner Weise den vertraglichen Ab-
machungen. In den Verhandlungen mit der Reichsfleischstelle war, um
nur ein Beispiel herauszugreifen, der Bedarf für Groß-Berlin mit 2125
Rindern, 2185 Kälbern, 14160 Schweinen und 4500 Schafen angesetzt.
Miszellen. 605
Hingegen betrug der Auftrieb am 8. April 1916 am Berliner Vieh-
markte nur 744 Rinder, 1539 Kälber, 3284 Schafe und 601 Schweine.
In der Osterwoche lieferten die Viehhandelsverbände nach Groß-Berlin
nur den 20. Teil der vertraglich abgeschlossenen Menge. Der Dezernent
des Berliner Magistrates teilte am 11. Mai in der Stadtverordneten-
sitzung mit, daß ein Viehhandelsverband statt 16 000 nur 96 Schweine
geliefert habe. Er sah die Ursache in der mangelhaften Organisation
der Verbände. Im Monat Mai stellte sich heraus, daß die Lieferungen
weitaus zu hoch angesetzt waren. Die Nachrichtenstelle der Land-
wirtschaftskammer für die Provinz Brandenburg wies darauf hin,
daß die Erfüllung der Verträge der Viehhandelsverbände dazu führen
würde, daß jüngere magere Tiere und gute Milchkühe abgeschlachtet
würden.
Am schwierigsten war zweifelsohne die Lage des Schweinemarktes.
In Friedenszeiten ist in Deutschland mehr als die Hälfte des Fleisch-
bedarfes durch Schweinefleisch gedeckt worden. Wenn nach der Zäh-
lung vom 15. April 1916 die Schweine in den Altersklassen von 1/2 ^^^
1 Jahr und über 1 Jahr sehr zurückgegangen waren, so war damit
die Unmöglichkeit einer nur annähernd ausreichenden Versorgung der
Bevölkerung mit Schweinefleisch in Zahlen ausgedrückt. Eine Ein-
schränkung des Fleischverbrauchs war zunächst wenigstens bis zur
Schlachtreife des Viehes notwendig.
Die Versorgung wurde durch eine weitere Maßnahme vieler Pro-
vinzen äußerst erschwert, durch das Viehausfuhrverbot. Die Ab-
sperrungspolitik zahlreicher Landstriche mußte unbedingt beseitigt werden.
Nur durch sie waren die großen Ungleichheiten in den Fleischraten
der einzelnen Provinzen, Kreise und Gemeinden zu Beginn der Ratio-
nierung zu erklären. Nur infolge der Absperrungspolitik war es mög-
lich, daß in Bayern 800 g Fleisch auf den Kopf der Bevölkerung ent-
fielen, zu einer Zeit, in welcher in Sachsen nur 300 g, in Anhalt-Dessau
375 g und in Erfurt 250 g auf den Kopf kamen.
In die Preisgestaltung griff die Regierung im Laufe der nächsten
Monate noch verschiedentlich ein. Die Rindvieh- und Kälberpreise
wurden von den preußischen Viehhandelsverbänden bald erhöht. Doch
müssen diese Aenderungen bei einer Untersuchung der Grundzüge der
Entwicklung der Vieh- und Fleischpreise und der Fleischversorgung
während des Krieges als belanglos bezeichnet werden. Mit der Fest-
setzung der Höchstpreise für die einzelnen Viehgattungen hatte die
Preisfrage eine Lösung gefunden. Hingegen waren das Vertei-
lungs- und Verbrauchsproblem noch nicht gelöst.
Noch im Juni 1916 entfielen in Baden und Württemberg je 700 g,
im Elsaß 500 g und in Essen 400 g Fleisch in der Woche auf den
Kopf der Bevölkerung. Verschiedenheit herrschte auch in der Behand-
lung der Bezugsberechtigten. Teilweise wurde ein Unterschied zwischen
Erwachsenen und Kindern gemacht. Die Regelung war auch ver-
schieden nach der Art des Fleisches (Fleisch mit Knochen, Fleisch
ohne Knochen). Bald lautete die Fleischkarte auf die Familie, bald
auf die einzelne Person. Einheimische waren vielfach anders gestellt
Q05 Miszellen.
als Auswärtige. Kurz zusammeogefaßt : das Bild war ein buntscheckiges.
Hinzu kam, daß eine große Anzahl von Plätzen überhaupt noch keine
Fleischkarte eingeführt hatte. In Preußen wurde durch den Erlaß des
Ministers des Innern vom Juni 1916 ihre Einführung für sämtliche
Gemeinden über 25 000 Einwohner angeordnet. Die Zwangseinführung
bezog sich jedoch nur auf Fleisch; Wild und Geflügel waren in die
Kartenregelung nicht einbezogen. Dadurch, daß die süddeutschen
Staaten sich dem preußischen Vorgehen allgemein anschlössen, war
diese Maßregel von großer Tragweite, wenn sie sich auch nicht auf
kleinere Gemeinden erstreckte.
Eine gleichmäßige Verteilung war jedoch nur durch Einführung einer
Reichsfleischkarte möglich. Die Eeichsfleischkarte wurde durch
die Bundesratsverordnung vom 2. Oktober 1916 ins Leben gerufen. Als
wesentliche Neuerungen gegenüber den in den einzelnen Provinzen und
Gemeinden bereits bestehenden Fleischkarten sind bei der Beichsfleisch-
karte folgende anzuführen:
1) Hühner, Wildpret von Rot-, Dam-, Schwarz- und Rehwild traten
für die Anrechnung hinzu.
2) Bei Entnahme von Frisch wurst, Eingeweiden, Fleischkonserven
und Wildpret entfällt die doppelte Menge auf die Fleischmarke.
Hühner werden mit einem Durchschnittsgewicht von 400 g, junge
Hähne bis zu 1/2 J^^^ ^^^ einem Durchschnittsgewicht von 200 g
angerechnet.
3) An Stelle von 25 g Fleisch mit eingewachsenen Knochen können
20 g Fleisch ohne Knochen entnommen werden.
4) Die auf die Woche und den Kopf entfallende Menge Fleisch mit
Knochen wird zunächst mit 250 g festgesetzt.
5) Die Selbstversorger werden in die Regelung miteinbezogen.
Die Regelung der Selbstversorger war besonders schwierig. Auf
der einen Seite sollte das Prinzip der gleichmäßigen, gerechten Ver-
teilung durchgeführt werden, auf der anderen mußte die Aufzucht und
Mästung gewährleistet werden. Bei einer völligen Gleichstellung der
Selbstversorger mit der übrigen Bevölkerung war ein Rückgang der
Aufzucht zu befürchten; denn die Berechtigung eines Entgeltes für die
Arbeit und das Risiko der Viehzüchter dürfte außer Frage stehen.
Der kleine Züchter muß bei der Zucht die Sicherheit haben, daß ihm
wenigstens ein Teil des geschlachteten Tieres verbleibt. In glücklicher
Weise sind beide Gesichtspunkte durch den § 10 der Verordnung be-
rücksichtigt worden. In ihm wird bestimmt, daß Selbstversorgern das
Schlachtgewicht nur zu einem Teil, und zwar bei dem ersten Schwein,
welches eine Familie schlachtet, nur zur Hälfte, bei den weiteren zu
3/5 angerechnet wird.
Die Besserstellung der Selbstversorger suchten sich bald Nicht-
berechtigte zunutze zu machen. Sie gaben Schweine zur Mästung fort
(Pensionsschweine!) und gaben sich selbst als „Selbstversorger" aus.
Diesem Mißstand schob das Kriegsernährungsamt jedoch bald einen
Riegel vor. Es führte aus, daß der Begriff der „Selbstversorgung"
eine persönliche Betätigung des Eigentümers voraussetzt; eine
Mi sz eilen. Q(yj
finanzielle Betätigung genüge nicht. Wer die Vorzugsstellung des
§ 10 einnehmen wollte, mußte nach den Ausführungen des Kriegs-
ernährungsamtes das Schwein in unmittelbarem Gewahrsam haben.
„Jedoch ist nicht nur der Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes
als Selbstversorger anzusehen; sondern der Haushalt, welcher die
eigene Haltung und Mästung gestattet, hat Mitanteil an der Bevor-
zung der Selbstversorgung." Wenn also mehrere Personen gemein-
sam für den eigenen Verbrauch Schweine an einem Ort mästen, so
können sie als Selbstversorger angesehen werden. Durch Verordnung
vom 21. August 1916 ist dies ausdrücklich bestimmt worden.
Mit der Einführung der Reichsfleischkarte war jenes lang erstrebte
Ziel der gleichmäßigen und gerechten Verteilung und Ver-
brauchsregelung für Fleisch im Reichsgebiet endlich er-
reicht worden. Der Ausgleich der viehreichen und vieharmen Gegenden
erfolgte in der Wirklichkeit. Der Preis regelung war die Verteilungs-
und Verbrauchsregelung gefolgt. Das große Organisations-
werk, an dem nicht weniger als l^/^ Jahre gearbeitet worden war, war
vollendet. Die Idee der wirtschaftlichen Einheitlichkeit auf dem Gebiete
der Fleischversorgung, die mancher noch vor wenigen Monaten für un-
erreichbar gehalten hatte, war verwirklicht worden.
Die Preisregelung und Rationierung des Fleisches schloß sich so als
ein neues Glied einer längeren Kette typisch kriegswirtschaftlicher
Maßnahmen an, der staatssozialistischen.
Das System der individuellen Freiheit hat unter dem Drucke des
Wirtschaftskampfes dem Staatssozialismus das Feld im Kriege immer
mehr geräumt. Die freie Bestimmung des Selbstinteresses wird ein-
geschränkt durch ein System planmäßiger Regelung von Produktion
und Konsumtion seitens des Staates. (G~c:)
608 üeberstoht über die neuesten Pablikationen Deutschlands und des Auslandes.
TTebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Oasokichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. LekrbfLolxer. SpesieU«
theoretische Uutersachang'en.
Produktion, Absatz, Preisbildung von Molkereier-
zeugnissen. Beiträge von Dr. jur. Eirik Jahn, Molkereiinstruktor
Hübner, Dr. A. Geiger und Dr. phil. Kurt Teichert. (Schriften des
Vereins für Sozialpolitik, Bd. 140, Abteilung A, III. Teil.) München
u. Leipzig (Duncker u. Humblot) 1915. 8«. 423 SS. (Preis: M. 10,50.)
Mit diesem dritten Teil ist der 140. Band der Schriften des Ver-
eins für Sozialpolitik vollständig geworden. Er behandelt die milch-
wirtschaftlichen Erzeugnisse und gehört zu den „Untersuchungen über
Preisbildung", Abteilung A : Preisbildung bei agrarischen Erzeugnissen.
Sein erster Abschnitt enthält: „Die Versorgung Berlins mit Butter
unter besonderer Berücksichtigung der Preisverhältnisse" von Dr. jur.
Eirik Jahn. Der zweite Abschnitt führt uns nach Westpreußen, dessen
„Milch Versorgung und Molkereiindustrie" von Molkereiinstruktor Hübner
dargestellt wird. Die dritte Arbeit behandelt „Das Molkerei- und
Käsereiwesen im bayerischen AUgäu" von Dr. A. Geiger, die vierte
„Das Käsereigewerbe in Württemberg" von Dr. Teichert.
Die erstgenannte Arbeit, die von Jahn, gibt ein in den Grund-
zügen ziemlich klares Bild der Butterversorgung Berlins, wie sie vor
ungefähr 7 oder 8 Jahren gewesen ist. Es ist lebhaft zu bedauern,
daß auf die neuere Entwicklung während der letzten Jahre gar keine
Bücksicht genommen worden ist; denn die Verhältnisse sind bereits
vor dem Kriege andere geworden, als wie sie etwa im Jahre 1910 ge-
wesen sind ; durch den Krieg selbst ist, wie überall, so auch hier, eine
weitere Umänderung eingetreten. Daher ist die Arbeit Jahns heute
fast nur mehr von historischem Interesse.
Die zweite Arbeit, vom Leiter der Lehr- und Versuchsanstalt für
Molkerei wesen in Praust, gibt einen kurzen Abriß der westpreußi-
schen Molkereiverhältnisse, der kaum die Grundzüge mit genügender
Deutlichkeit erkennen läßt. Einen sehr großen Raum nehmen darin
Abdrücke von Satzungen, polizeilichen Bestimmungen usw. ein. Die
Preisbildung selbst wird ganz kurz auf einigen Seiten erledigt.
Ausführlicher wird in der dritten Arbeit von Dr. A. Geiger, dem
Vorstand der milchwirtschaftlichen Untersuchungsanstalt in Memmingen,
das Molkerei- und Käsereiwesen im ba3^erischen Allgäu geschildert.
Sie enthält eine Menge interessanter Einzelheiten, welche hier an-
einandergereiht sind. Aber im großen und ganzen ist es doch nur eine,
wenn auch sehr hübsche, aber schließlich lediglich den Fachmann näher
interessierende Beschreibung.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. gQQ
Das gleiche gilt von der vierten Arbeit von Dr. Kurt Teichert,
Direktor der württembergischen Käserei- Versuchs- und Lehranstalt zu
Wangen, „Das Käsereigewerbe in Württemberg". Die beiden Arbeiten
sind nach dem gleichen Schema gearbeitet, beide geben lediglich
eine beschreibende Darstellung. Aber auch diese würde von all-
gemeinem Interesse sein, wenn sie dem neueren Stand der Dinge
etwas mehr gerecht würde. So gehen z. B. die statistischen Angaben
fast ausnahmslos nur bis zum Jahre 1911 oder 1912. Auf die ganze
weitere Entwicklung sowie auf die bedeutsame Einwirkung, welche der
Ausbruch des Krieges mit sich brachte, wird fast gar nicht eingegangen.
Und doch wäre zweifellos die Entwicklung der Verhältnisse in den
letzten Jahren und insbesondere die Entwicklung seit Kriegs beginn
von allergrößtem Interesse. Gerade diese Zeit hätte ausführlich be-
handelt werden müssen.
Ebenso bedauerlich ist, daß der Hauptzweck der vier Arbeiten, näm-
lich Untersuchungen über Preisbildung zu geben, fast vollständig außer
acht gelassen wird. Es werden zwar eine Menge Zeitungsnotizen über die
Preisnotierungen wiedergegeben, Aeußerungen von Handelskammern usw.
aus deren Berichten abgedruckt. Aber damit wird die ganze Frage der
Preisbildung als erledigt betrachtet ! Von volkswirtschaftlichen Gesichts-
punkten oder von einem Versuch, dieser komplizierten Frage wenigstens
etwas näher zu kommen, ist gar nicht die Rede. Es ist dies sicher nicht
so sehr Schuld der Verfasser, denen als Chemikern, Molkereiinstruktoren
oder Juristen die volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte überhaupt fern
gelegen haben; aber es sollten dann diese Arbeiten bezeichnet werden
als das, was sie sind, nämlich als Einzelschilderungen von Gewerbe-
zweigen und nicht als Untersuchungen über die Preisbildung. Dieser
grundsätzliche Fehler fast aller Arbeiten des 140. Bandes ist wohl
darauf zurückzuführen, daß vielfach die Meinung herrscht, zur Beur-
teilung volkswirtschaftlicher Fragen genüge jenes Maß praktischer Er-
fahrung, über welches schließlich jeder mehr oder weniger verfügt, und
man brauche außerdem höchstens noch ein paar statistische Zahlen, um
„wissenschaftliche Volkswirtschaftslehre" zu betreiben. Nur aus einer
solchen Auffassung heraus läßt es sich überhaupt erklären, daß Chemiker,
Juristen usw. über die schwierige Frage der Preisbildung schreiben.
Was würden die Chemiker und Juristen sagen, wenn man ohne gründ-
liche Kenntnis über die schwierigsten Fragen ihres Faches schreibt?
Sie würden eine solche Arbeit einstimmig ablehnen, eine Sammlung von
Fachschriften würde sie nicht aufnehmen. In der Volkswirtschafts-
lehre aber glaubt man, daß Fachkenntnisse nicht notwendig sind, um
in einer angesehenen Sammlung fleißige und gutgemeinte, aber eben
doch unzulängliche, schriftstellerische Versuche zu veröffentlichen.
Der Verein für Sozialpolitik leistet unserer Wissenschaft keine guten
Dienste, wenn er auf Grund seines Ansehens solche Arbeiten durch
Aufnahme in seine Sammlung als wissenschaftliche „Untersuchungen
zur Preisbildung" kennzeichnet.
Regensburg. Alois Dallmayr.
Jahrb. f. NationalÖk. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 39
610 Ueberaicht über die neuesten Publikationen Dentschlands tind des Auslandes.
Cluss (Hofr.), Prof. Dr. Adolf, Das Bier und unsere Volksemährung im Welt-
krieg. Wien, Wilh. Braumüller, 1916. 8. 23 SS. M. 0,75.
Haoks (Stadt8ch.-R.), Dr. Jakob, Die Grundbegriffe der Volkuwirtschaftalehre.
Breslau, Priebatschs Buehhdlg., 1917. 8. IV— 116 SS. M. 1,40.
May, R. E., Die deutsche Volksernährung, gemessen am tatsächlichen Konsum
großer Konsumentenkreise. München, Duncker u. Humblot, 1917. gr. 8. IV — 199 SS.
M, 5. — . (S.-A. aus Schmollers Jahrb. für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirt-
schaft, Jahrg. 41.)
Stadthagen (Geh. Reg.-R.), Dr. Hans, u. (Priv.-Doz.) Dr. Götz Briefs,
Die Preisprüfungsstellen. (Beiträge zur Kriegswirtschaft. Hrsg. v. d. Volkswirtschaft!.
Abt. des Kriegsernährungsamts. Heft 22/23.) Berlin, Reimar Hobbing, 1917. 8. 94 SS.
M. 1,20.
Leonetti, Francesco, Approvvigionamenti e consumi. Roma, Tip. della Ca-
mera dei Deputati. 8. 1. 6. (Manuali pratici legislativi, No. 13.)
2. Oeschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Dierauer, Jobs., Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft. Bd. 5.
Bis 1848. (Allgemeine Staatengeschichte. Hrsg. von Herm. Oncken. I. Abt.: Ge-
schichte der europäischen Staaten, hrsg. von A. H. L. Heeren, F. A. ükert, W. v. Giese-
brecht, K. Lampiecht, Herm. Oncken. 26. Werk, 5. Bd. [Lfg. 105].) Gotha, Friedrich
Andreas Perthes, 1917. 8. XXXVI— 807 SS. M. 26.—.
Gaigalat (Abg.), Dr. W., Litauen, das besetzte Gebiet, sein Volk und dessen
geistige Strömungen. Memel, Sandora-Buchhdlg., 1917. 8. 179 SS. M. 3.—.
Kaindl, Prof. Dr. Raim. Frdr., Polen. Mit einem geschichtlichen üeberblick
über die polnisch • ruthenische Frage. 2. verb. Aufl. (Aus Natur und Geisteswelt.
Sammlung wissenschaftlich - gemeinverständlicher Darstellungen, 547. Bdchn.) Leipzig,
B. G. Teubner, 1917. kl. 8. VI— 112 SS. mit 6 Karten im Text. M. 1,20.
Onciul, A. v., Wirtschaftspoli lisch es Handbuch von Rumänien. Gotha, Friedrich
Andreas Perthes, 1917. 8. VIII -133 SS. m. 2 Tab. M. 4.—.
Öiäic, Ferd. v., Geschichte der Kroaten. 1. Teil (bis 1102). Agram, L. Hart-
manns Buehhdlg. (St. Kugli), 1917. gr. 8. XIV— 407 SS. mit 3 Karten. M. 15.—.
Kirkland, John, Three centuries of prices of wheat, flour, and bread. War
prices and their causes. London, John Kirkland. 4. 3/. — .
Smart, William, Economic annals of the nineteenth Century, 1821 — 1830.
London, Macmillan. 8. 606 pp. 21/. — .
3. Bevölkerung-slehre und Be Völker ungfspolitik. Auswanderung^
und Kolonisation.
Brüning, Prof. Dr. H., (Geh. Hofr.) Prof. Dr. R. Ehrenberg, (Oberkirchenr.)
DDr. Heinr. Behm, Geburtenrückgang und Volkskraft. 3 öffentliche Vorträge, geh.
in der Aula des Realgymnasiums zu Rostock. Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1917.
gr. 8. 57 SS. M. 1,20.
Friedrich, Prof. Dr. Fritz, Der einzige Weg. Betrachtungen über die wirt-
schaftliehen Ursachen und die Beseitigung der Ehescheu und des Geburtenrückganges
in Deutschland. (Bibliothek für Volks- und Weltwirtschaft. Hrsg.: Piof. Dr. Franz
V. Mammen, Heft 44.) Dresden, „Globus", wissenschaftl. Verlagsanstalt, 1917. gr. 8.
46 SS. M. 1,50.
Heerfuith, Dr. Kurt, Fürst Bismarck und die Kolonialpolitik. Berlin, Wilh.
Borngräber, 1917. gr. 8. XII— 439 SS. M. 8.—.
Hoffmann, Dr. Karl, Das Ende des kolonial politischen Zeitalters. Grundzüge
eines wirtschaftsorganischen Genossenschafts- Imperialismus. 2. Aufl. (Bibliothek des
west-östlichen Kulturbundes, 2. Buch.) Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1917. 8. 149 SS.
M. 3.—.
Kaindl, Prof. Dr. Raim. Frdr., Die Ansiedlung der Deutschen in den Kar-
pathenläiidern. (Oesterreiehs Ruhmeshalle. Ein patriotisches Jugend- und Volk>bildungs-
werk, hrsg. von Anton Herget. Des Gesamtwerkes 4. Reihe: Aus Oesterreiehs Ver-
gangenheit. Quellenbücher zur österreichischen Geschichte, hrsg. von Prof. Dr. Karl
Schneider, Nr. 4.) Leipzig, Schul wissenschafd. Verlag A. Haase, 1917. kl. 8. 115 SS.
M. 1.20.
Uebersicht über die nenesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. Q\l^
Lönne, Dr. Frdr., Deutschlands Volks Vermehrung und Bevölkerungspolitik vom
nationalökonomisch- medizinischen Standpunkt. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1917^
Lex.-8. V— 67 SS. M. 2,80.
Calvert, Albert F., German East Africa. London, Laurie. 8. 6/. — .
4t. Bergbaa. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Stocker, Gustav, Der gewerbsmäßige Güterhandel in zwei
typischen Amtsbezirken Badens. (Volkswirtschaftliche Abhandlungen
der badischen Hochschulen, Heft 36.) Karlsruhe i. B. (G. Braunsche
Hofbuchdruckerei und Verlag) 1917. S«. IV u. 121 SS. (Preis: M. 3.)
Im Großherzogtum Baden ist im Jahre 1895 eine Verordnung er-
lassen worden, welche die gewerbsmäßigen Güterhändler und -vermittler
unter bezirksamtliche Kontrolle stellt. Diese Verordnung hatte nicht
den gewünschten Erfolg; ein von der Regierung 1902 vorgelegter Ge-
setzentwurf gegen den Güterhandel wurde aber von der 2. Kammer
abgelehnt, weil das vorhandene Material nicht genüge, um ein klares^
Urteil zu gewinnen. Die Regierung forderte daraufhin regelmäßige Be-
richte der Bezirksämter ein, die ergaben, daß der Güterhandel haupt-
sächlich im Südosten und im Nordosten verbreitet sei. Stocker unter-
sucht nunmehr zwei Amtsbezirke, Pfullendoif und Ueberlingen, aus dem
ersteren Gebiet. Die sorgfältige und auch in Einzelheiten lehrreiche
Monographie ergibt, daß in den zehn Jahren von 1903 bis 1913 im
Beziik PfuJlendorf nicht weniger als 13,3, im Bezirk Ueberlingen.
12,1 Proz. der überhaupt landwirtschaftlich genutzten Fläche durch die
Bände der Güterhändler gegangen sind, deren Bruttogewinn 22,3 und
22,9 Proz. des Ankaufspreises betrug. Dieser Handel beschränkt sich
nicht, der üblichen Annahme gemäß, auf den Ankauf und die Zerkleine-
rung größerer bäuerlicher Betriebe, sondern er ist geradezu zu einem
Schacher in jeder Betriebsgröße und ebenso auch mit einzelnen Par-
zellen geworden. Als Hauptursachen des Besitzwechsels bezeichnet
Stocker die Verschuldung und den Mangel eines zur Gutsübernahme
geeigneten Familienmitgliedes. Den Kampf gegen die Güterschlächterei
will er einmal auf dem Wege des Vorkaufsrechtes öffentlich-rechtlicher
oder gemeinnütziger Körperschaften und durch entsprechenden Ausbau
der Kreditorganisation führen; auch empfiehlt er das ßücktrittsrecht.
Bonn a. Rh. W. Wygodzinski.
Grund mann (Landestierzucht-Dir., Reg.-R), Dr., Die Bedeutung und Hebung
der Ziegenzucht. Vortrag, geh. in der Oekonomischen Gesellschaft im Kgr. Sachsen zu
Dresden am 16. III. 1917. (Schriften der Oekonomischen Gesell^chaft im Kgr. Sachsen.)
Leipzig, Reichenbachsche Verlagsbuchhdlg., 1917 8. 3ü SS. M. 1.—.
Künkele (Forstmstr), Aufgaben der deutschen Forstwirtschaft nach dem Kriege.
Straßburg, Heinrichsche Buchhdig., 191 7. 8. 31 SS. M. 0,7.^.
Martiuy, Prof. Dr. B., Die Motorpflüge als Betriebsmittel neuzeitlicher Land-
wirtschaft. Vom landwirtschaftlichen und technischen Siamlpunkt behandelt. Unter
Mitwirkung von (Dipl.-Ing) Erwin Anders ... 2. Teil (Schluß): A. Spezielle technische
und landwirtschaftliche Fragen des ÄJotorpflugwesens. B. Das Motorpflugwesen im Aus-
lande. Berlin, M. Krayn, 1917. Lex.-8. VII- 314 SS. mit 116 Abbild, und 3 Taf.
(11 SS. Tab.) M. 18.—.
Maurizio, Prof. Dr. A., Die Nahrungsmittel aus Getreide. Ihre botanischen,
chemischen und physikalisihen Eigenschaften, hygienisches Verhalten, Prüfen und Be-
urteilen. Handbuch für Studierende, Landwirte und den gesamten Getreidenahrung
3y*
612 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
erzeugenden Qewerbestand. Bd. 1 : Mahlgut und Mahlerzeugnisse, Gehalt und Auf-
bewahren. Die Teiggärung. Das Backen und die Eigensciiaften des Brotes. Berlin,
Paul Parey, 1917. gr. 8. XII— 464 SS. m. 180 Textabb. und 2 Taf. M. 24.—.
Müller-Lenhartz (Hofr.), Dr., Die Erzeugung von pflanzlichen Nährstoffen
im Deutschen Reiche im Verhältnis zum Nährstoffbedarfe der Bevölkerung und de«
landwirtschaftlichen Nutzviehes. Leipzig. Reichenbachsche Verlagsbuchhandlung, Hans
Wehner, 1917. 8. 32 SS. M. 1,20.
Neger, Prof. Dr., Inwieweit vermag der deutsche Wald dazu beizutragen, die
Volksernährung zu sichern. Vortrag, geh. in der Oekonomischen Gesellschaft im Kgr.
Sachsen zu Dresden am 2. II. 1917. (Schriften der Oekonomis<hen Gesellschaft im Kgr.
Sachsen.) Leipzig, Reichenbachsche Verlagsbuch hdlg., Hans Wehner, 1917. 8. 27 SS.
M. 0,80.
Pudor, Dr. Heinr., Die Landwirtschaft und der geschlossene Volks wirtschafts-
staat. Vortrag, geh. in der Oekonomischen Gesellschaft im Kgr. Sachsen zu Dresden am
29. XII. 1916. (Schriften der Oekonomischen Gesellschaft im Kgr. Sachsen.) Leipzig,
Reichenbachsche Verlagsbuchhdlg., Hans Wehner, 1917. 8. 25 SS. M. 0,80.
Roth, Prof. Dr. Walther, Bodenschätze als biologische und politische Faktoren.
Berlin, Julius Springer, 1917. 8. 39 SS. M. 1.—.
Schlipfs populäres Handbuch der Landwirtschaft. Gekrönte Preissehrift. 19. neu-
bearb. Aufl. Mit 668 in den Text gedr. Abbildungen und 18 Tafeln in Farbendruck.
Berlin, Paul Parey, 1917. 8. VIII— 607 SS. M. 9.—.
Wygodzinski, Prof. Dr., Die Landarbeiterfrage in Deutschland. Tübingen,
J. C. B. Mohr, 1917. gr. 8. IV— 85 SS. M. 2,40.
Delvaux, Louis, Abrege de la thöorie agricole. Manage, Charles Allard, 1916.
15,5X11»5. 48 pag. fr. 0,40.
Horwood, r. Baring, The gold deposits of the rand. London, Griffin & Co.
8. 436 pp. 15/.—.
Russell, Edward J., Soil conditions and plant growth. 3rd ed. London,
Longmans. Royal-8. 243 pp. 6/.6.
S torer, F. H., Agriculture in some of its relations to ohemistry. In 3 vols.
7th ed., revised (not sold separately). London, Sampson Low. 8. 30/. — .
Tomkinson, Charles W., State help for agriculture. London, T. W. Unwin.
Cr. 8. 189 pp. 3/.6.
Vogt, Paul Leroy, Introduction to rural sociology. New York, Appleton. 8.
I 2,50.
Giampietro, Pasquale, Codice minerario italiano. Raccolta completa di tutte
le fonti del diritto minerario italiano dal 1878 ad oggi. Con un'appendice di altre
leggi e regolamenti per 1' industria mineraria ed un' ampia introduzione critica. Roma,
Athenaeum. 8. 1. 6. — .
5. Gewerbe nnd Industrie.
Brück, W. F. , Denkschrift über die Lage der österreichisch-
ungarischen Baumwollindustrie. Herausgegeben vom Arbeitsausschuß
der deutschen Baumwollspinnerverbände. Augsburg 1916. 194 SS.
Die vorliegende Arbeit zeugt von den ausgebreiteten Kenntnissen
des Verfassers auf dem Gebiet der pflanzlichen Faserstoffe : mit allen Vor-
gängen der Rohstoffgewinnung und Rohstoffversorgung, der Fabrikat-
gewinnung, des gesamten Produktionsprozesses, der allgemeinen und
speziellen wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Zweige der Textilindustrie
ist er wohl vertraut. Die eingehende Beschäftigung mit dem Werde-
gang der Faserstoffe, die in zahlreichen Schriften, wie seinen Arbeiten
über den Faserbau in Holländisch-Indien, über die Sisalkultur in
Deutsch-Ostafrika, über den Hanfbau in Deutschland, ihren Niederschlag
gefunden hat, macht den Verf. zu einem der kenntnisreichsten Beur-
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 613
teiler der Textilindustrie. So bietet die Denkschrift über die Lage der
österreichisch-ungarischen Baum Wollindustrie vielfache und nützliche
Ai;regungen. Sie ist knapp und sachlich geschrieben; alle Momente
von Bedeutung sind beachtet worden, und ein ausgedehntes Zahlen-
material, das zum Teil aus unveröffentlichten Quellen stammt, unterstützt
die Argumentation. Die Einzelheiten der Darstellung, die Güte des
Materials nachzuprüfen, bin ich natürlich nicht in der Lage. Ich habe
zu der Denkschrift gegriffen, da mich das ganze Problem „Mitteleuropa"
in allen seinen Ausstrahlungen wegen meiner jetzigen Stellung be-
sonders stark interessiert, und ich muß gestehen, daß ich sehr viel aus
der Denkschrift gelernt habe, nicht nur in bezug auf die Baumwoll-
industrie, sondern inhaltlich und methodisch weit darüber hinaus.
Wie das Vorwort (S. 5) sagt, ist die Denkschrift im Auftrage des
Arbeitsausschusses der deutschen Baumwollspinnerverbände verfaßt
worden, und der äußere Zweck sei dieser, „für die bevorstehende Ver-
ständigung der deutschen mit der österreichisch-ungarischen Schwester-
industrie für Handelsvertrags- und Zollverhandlungen als Material zu
dienen". Seine methodische Aufgabe kennzeichnet der Verf. an anderer
Stelle (S. 166) genauer dahin, daß er nur das „Material für die Ver-
ständigung einer einzelnen Industrie zusammenzutragen und kritisch zu
beleuchten" habe. Von diesem Material heißt es dann (S. 5), daß „es
zu einem großen Teil, und gerade in sehr wichtigen Punkten, durchaus
unkontrollierbar" sei. „Im Schöße der Industrie selbst geboren, trage
es einer gewissen Eigenschaft gerade des österreichischen Baumwoll-
iiidustrielJen Rechnung : er lasse sich nicht gern in seine Karten hinein-
sehen, und was er über seine Industrie von sich gebe, sei tendenziös
auf die Wirkung des Beschauers gemünzt." Trotz derartigen Schwierig-
keiten in der Materialbeschaffung erhält man dennoch ein sehr gutes
und anschauliches Bild von der Lage, Entwicklung und Bedeutung der
österreichisch-ungarischen Baumwollindustrie.
Die Denkschrift gibt in ihrem ersten Teil einen Bericht über den
Umfang, die geographische Lagerung der Industrie und ihre spezifischen
Erzeugnisse. Aus Vergleichen mit den Baumwollindustrien der haupt-
sächlichen europäischen Länder wird ihre relative Wichtigkeit für
den Weltmarkt abgeleitet. Die Baumwollzufuhr, die Spinnerei sowie
die Weberei, die Veredelungsindustrie werden dabei behandelt. Der
zweite Teil gewährt eine aus der Fachliteratur geschöpfte Üebersicht
über die geschichtliche Entwicklung der Baumwollindustrie von ihrer
Gründungszeit an, wobei insbesondere die Beziehungen zwischen Handel
und Produktion und ihre Wirkungen auf die industrielle Gestaltung
berücksichtigt werden. Der dritte Teil untersucht die Produktions-
verhältnisse der Industrie. Alle Posten, wie der Rohbaumwollbezug,
die Frachtkosten, die Kräftegewinnung, die Lohnkosten, die Arbeiter-
verhältnisse, die Anlagekosten, die Steuerverhältnisse, die sozialen Lasten,
werden hier analysiert und in die Rechnung eingestellt. In dem vierten
Abschnitt, der zugleich die neueste Entwicklungsgeschichte enthält,
wird der eingehende Vergleich mit der deutschen Industrie durchgeführt.
Der Verf. kommt zu dem Resultat (S. 99/100), daß die Dinge un-
614* üebenicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des A-uslandes.
günstiger für die österreichische Industrie liegen wegen der geringen
Absatzmöglichkeit für eine wenig kaufkräftige Bevölkerung, wegen
der Rückständigkeit der Verkehrsentwicklung, der höheren Anlage-
kosten, des Fehlens eines kapitalkräftigen Engroszwischenhandels und
wegen der eigenartigen Besteuerungsverhältnisse, daß sie dagegen gün-
stiger liegen wegen der Arbeiterverhältnisse. Mit dieser Darlegung
verbindet sich eine Betrachtung über die organisatorischen Unterschiede
der österreichischen und deutschen Industrie und eine eingehende
Würdigung der österreichischen organisatorischen Maßnahmen. Die
Tatsachenreihe, welche schließlich zu dem bedeutungsvollen Kontin-
gentierungsübereinkommen österreichisch-ungarischer ßaumwollspinner
führte, wird an dieser Stelle mitgeteilt. Das genannte Ueberein kommen,
das aus der Not der Ueberproduktion entstand, sah die Errichtung
einer Exportvermittlungsstelle vor, um den großen Ausfuhrüber^jchuß
unterzubringen. Damit gelangt der Verf. im fünften Abschnitt zu einer
Besprechung der Ausfuhrverhältnisse, insbesondere nach dem Balkan.
Aber in dem letzten Jahre 1913 vor dem Kriege war nicht so sehr
der Balkan, sondern Deutschland der Markt, welcher mit den öster-
reichischen Garnen überschwemmt wurde. Und so meint der Verf.
(S. 186), daß, „wenn nicht Maßnahmen einsetzen, die in weitestgehender
Weise organisatorisch die Geschicke beider Industrien regeln, in Deutsch-
land jederzeit wieder Befürchtungen vor der österreichischen Konkur-
renz ihre Berechtigung finden können". Deshalb glaubt er auch nicht,
wie er in dem Schlußabschnitt über die Ausblicke für die Zukunft der
österreichischen und der deutschen Baumwollindustrie und die Frage
der Verständigung dartut, daß bei einer wirtschaftlichen Annäherung
der Hauptwert auf die Regelung der Zollverhältnisse gelegt werden
müsse (S. 167). Vor dieser Arbeit müsse unbedingt eine Regelung
der sachlichen Verhältnisse in den beiden Industrien vorgenommen
werden. Das geschehe dadurch, daß beide Industrien „durch neuartige
großzügige Organisationsänderungen auf ganz andere Grundlagen ge-
stellt werden" (S. 167). Für die österreichische Baumwollindustrie
werde diese neue Organisationsform geschaffen in der autonomen Organi-
sation, welche unmittelbar der staatlichen Wirtschaftspolitik dienstbar
zu machen versucht werde (S. 191). Für die deutsche Baumwoll-
industrie sieht der Verf. die neue Organisationsform aus der Gründung
des Kriegsausschusses dieser Industrie hervorgehen (S. 168 ff.), an der
er tätigen Anteil genommen hat. Damit sei die Möglichkeit gewährt,
von Organisation zu Organisation alle sachlichen Probleme zu regeln,
die nach dem Kriege zahlreich sich erheben werden und unter denen
der engere Zusammenschluß der beiden Industrien die hervorragendste
Stellung einnehme.
Der gewissenhafte Rezensent muß vermerken, daß die Form der
Denkschrift hier und da sich etwas sehr bemerkbar macht. Die Dar-
stellung und Ausdrucksweise ist nicht immer nach allen Richtungen so
durchgefeilt, wie es von einem unmittelbar für die Oeffentlichkeit be-
stimmten Werk verlangt werden müßte. Vielleicht hat die sicherlich
gebotene Eile der Fertigstellung störend gewirkt. So ist es wohl auch
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 5 15
'erklärlich, daß einige Tabellen (z. B. S. 155/6, S. 178) aus Mangel an
den nötigen Angaben nicht ohne weiteres verständlich sind.
Arnautköj. Friedrich Hoffmann.
Ballewski, Albert, Der Fabrikbetrieb. Praktische Anleitungen zur Anlage
und Verwaltung von Maschinenfabriken und ähnlichen Betrieben, sowie zur Kalkulation
und Lohnrechnung. 3. verm. u, verb. Aufl., bearb. v. (berat. Ing.) Carl M. Lewin.
TJnveränd. Neudruck. Berlin, Julius Springer, 1917. 8. VII— 286 SS. m. Abb. M. 7,60.
Blau (Oberlehr., Konserv.), Josef, Böhmerwälder Hausindustrie und Volks-
kunst. 1. Teil. Wald- und Holzarbeit. (Beiträge zur deutsch -böhmischen Volkskunde.
Im Auftrage der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur
in Böhmen geleitet von Prof. Dr. Adolf Hauffen. Bd. 14, I.Hälfte.) Prag, J. G.
Calve, k. u. k. Hof- u. Universitätsbuchhändler Robert Lerche, 1917. 8. XIV— 422 SS.
m. 149 Lichtbildern u. Zeichnungen. M. 6. — .
Kertesz, A., Die Textilindustrie sämtlicher Staaten. Entwicklung, Erzeugung,
Absatzverhältnisse. Nach den statistischen Unterlagen der einzelnen Staaten für die
BaumwoU-, Woll-, Seiden-, Leinen-, Jute- und Konfektions-Industrie, als 2. Auflage der
„Textilindustrie Deutschlands im Welthandel". Braunschweig, Friedr. Vieweg & Sohn,
1917. Lex.-8. XXVI— 741 SS. M. 34.—.
Thierbaeh (berat. Ing.), Dr. Bruno, Fernkraftpläne, Nahkraftwerke und
Einzelkraftstätten, ihr Geltungsbereich und ihre gegenseitigen Grenzlinien, nebst einem
Anhang, enthaltend den Abdruck beachtenswerter Aeußerungen zu dem Thema: Elek-
trische Großwirtschaft unter staatlicher Mitwirkung. Berlin, Julius Springer, 1917. gr. 8.
VII— 72 SS. M. 2,40.
Wilberg, Gustav, Die deutschen Bandeisen-Kaltwalzwerke und ihre Bedeutung
im Weltkriege. Bochum, Gustav Wilberg Buchdr., 1917. 8. 56 SS. M. 2.—.
Enquete sur la production franyaise et la concurrence §trang&re. Rapporteurs
g§n§raux: Industrie et commerce: Prof. Henri Hauser; Agriculture: Henri Hitier.
Tome 3. Industries chimiques. Industries diverses. Paris, Imprimerie de la Bourse de
commerce, 1917. 4. 464 pag. (Association nationale d'expansion economique, Industrie,
<;!ommerce, Agriculture.)
Godeaux, Auguste, L'ordre et la m^thode dans l'iudustrie et le travail
Morlanwelz, Albin Biche, 1916. 24,5X16. 3 ff. + 191 pag. fr. 3.—.
Loisel et Klotz, Les ouvriers et ouvriöres des usines de guerre en Angleterre.
Avec l'autorisation de M. le ministre de Parmement et des fabrications de guerre. Paris,
ChaiX; 1917. 8. 11—116 pag.
Reconstruction, Industrial. A Symposium of the Situation after the war, and
how to meet it. Ed. by Huntley Carter. London, Unwin. 8. 6/. — .
Thomson, W. Rowan, The premium bonus System. A scheme for stimulating
and increasing the productive capacity of industrial resources. Glasgow, Mo Corquo-
dale. 8. 5/.—.
Toogood, George E., The principles of industrial ad ministration. Introduction
by W. L. Hichens. London, A. Brown and Sons. Cr. 8. 56 pp. 1/. — .
6. Handel und Verkehr.
Gürtler, Alfred, Unsere Handelsbilanz 1909 — 1913 in syste-
matischer Warengruppierung. Berechnet und mit einer Einleitung ver-
sehen. Graz und Leipzig (Leuschner und Lubenskys Universitätsbuch-
handlung) 1916. 80. 102 SS.
Wie die mit dem Kriege zusammenhängenden wirtschaftlichen Er-
eignisse und Probleme die Ergebnisse der Statistik dem Interesse
weiterer Kreise näher gebracht haben, so mehren sich in neuerer Zeit
diejenigen Veröffentlichungen, welche die Einführung in das Verständ-
nis der statistischen Zahlenreihen bezwecken. Hierher gehört auch die
obige, den Ergebnissen der österreichisch-ungarischen Handelsstatistik
616 Ueberaicht fiber die nenesten Publikationen Deutschlands nnd des Auslandes.
gewidmete Schrift. Nachdem der Verf. Begriff und Bedeutung
der Weltwirtschaft und Volkswirtschaft, des Außenhandels und der
Handelsbilanz auf Grund der wichtigeren Literatur auseinandergesetzt
hat, bringt er in umfangreichen Tabellen eine Wertberechnung des
Ein- bzw. Ausfuhrüberschusses im Spezialhandel der fünf letzten Friedens-
jahre für die einzelnen Warenarten in systematischer Anordnung. Ein
ausführliches Sachregister erleichtert die Benutzung. Man kann dem
Verf. zugeben, daß es ihm auf diesem Wege gelungen ist, den „Mangel
und üeberfluß" der heimischen Volkswirtschaft an den einzelnen Pro-
dukten schematisch zu kennzeichnen. Indessen muß doch gesagt werden,
daß die Vorführung bloß der Differenz zwischen Ein- und Ausfuhr ohne
Kenntnis von deren eigener Größe kein richtiges Bild von den tat-
sächlichen Verhältnissen geben kann, ganz abgesehen von der Produk-
tionsstatistik, die wegen ihrer mangelhaften Ausbildung nur für einzelne
Warengattungen hätte herangezogen werden können. Da überdies auf
jede Verarbeitung der Zahlen ausdrücklich verzichtet wird, und die
umständliche theoretische Einleitung doch nur in sehr losem Zusammen-
hange mit dem Zahlenmaterial steht, so dürfte der Wunsch des Verf.,
mit seiner Schrift der Popularisierung der amtlichen Handelsstatistik
zu dienen, schwerlich in Erfüllung gehen. Unseres Erachtens hätte
da doch pädagogischer vorgegangen werden müssen.
Köln. A. Wirminghaus.
Benndorf, Dr. Erich, Weltwirtschaftliche Beziehungen der sächsischen In-
dustrie. (Probleme der Weltwirtschaft. Schriften des Kgl. Instituts für Seeverkehr und
Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Kaiser Wilhelm-Stiftung. Hrsg. von Prof. Dr. Beruh.
Harms. Nr. 28.) Jena, Gustav Fischer, 1917. Lex.-S. XXVII— 385 SS. M. 18.—.
Bericht, Stenographischer, über die Verhandlungen des ungarisch-deutschen
Wirtschaftsverbandes, des deutsch-österreichisch-ungarischen Wirtschaftsverbandes und
des österreichisch-deutschen Wirtschaftsverbandes am 23. u. 24. VI. 1917 in Budapest,
betr. das gemeinsame Vorgehen in Fragen der Uebergangswirtschaft. Hrsg. durch den
deutsch-österreichisch-ungarischen Wirtschaftsverband, Berlin. Budapest, Grills k. u. k.
Hofbuchhdlg, 1917. Lex.-8. 124 SS. M. 6.—.
Curth (wiss. Hilfsarb.), Dr. Herrn., Der Nahrungsmittel- und Rohstoffbedarf Eng-
lands. Bericht der Dominions Royal Commission. Dem Parlament vorgelegt im Novem-
ber 1915. Erschienen London 1915. Bearbeitet und ergänzt. (Kriegswirtschaftliche
Untersuchungen aus dem Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universität
Kiel, hrsg. von Prof. Dr. Beruh. Harms. Heft 14.) Jena, Gustav Fischer, 1917. gr. 8.
VIII— 142 SS. M. 3.—.
Gründung, Die, des österreichischen Arbeitsausschusses für die Herstellung eines
Großschiffahrtsweges Elbe-Oder-Donau. Mit einem Anhang. (Veröffentlichungen des
österreichischen Arbeitsausschusses für die Herstellung eines Großschiffahrtsweges Elbe-
Oder-Donau, Heft 1.) Wien, Manz, 1917. gr. 8. 45 SS. M. 0,80.
Isermeyer, Dr. K., Wiederaufbau der deutschen Handelsschiffahrt. (Meeres-
kunde. Sammlung volkstümlicher Vorträge zur nationalen Bedeutung von Meer und
Seewesen. Hrsg. vom Institut für Meereskunde an der Universität Berlin. 131. Heft,
11. Jahrg., 11. Heft.) Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1917. 8. 40 SS. M. 0,60.
Piskaöek (Gen.-Maj. d. R.), Ottokar, Die Donau als Rückgrat eines mittel-
europäischen Wasserstraßennetzes. Wien, Waldheim-Eberle, 1917. gr. 8. 87 SS. mit
Karten u. Plänen. M. 5. — .
Scherer (Schulr.), H. Das mitteleuropäische Wirtschaftsgebiet und seine Bezie-
hungen zur Weltwirtschaft. (Die Lehrerfortbildung. Beihefte, Nr. 9.) Leipzig, Schul-
wissenschaftlicher Verlag A. Haase, 1917. gr. 8. 75 SS. M. 1,70.
Schneller Edler v. Mohrthal (Hof r.), Otto, Der Anteil der österreichischen
Schiffahrtskanäle am mitteleuropäischen Wasserstraßennetz. Vortrag, gehalten bei der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (j;|^7
Donau-Oder-Elbe-Kanal-Tagung in Breslau am 22. III. 1917. Mit 3 (1 färb.) Planbei-
lagen. (Veröffenilicbnngen des österreichischen Arbeitsausschusses für die Herstellung
eines Großschiffahrtsweges Elbe-Oder-Donau, Heft 2.) Wien, Manz, 1917. gr. 8. 29 SS.
mit 4 Fig. M. 1,70.
Schmidt, Dr. Alfred, Uebergangswirtschaft. Die Brücke vom Krieg zum
Frieden. München-Gladbach, Volksvereins-Verlag, 1917. 8. 88 SS. M. 1,90.
Wirtschaftsbündnis, Das mitteleuropäische, und der internationale Handels-
verkehr. Hrsg. vom Mitteleuropäischen Wirtschaftsverein in Oesterreich. Wien, Buch-
druckerei u. Verlagfcbuchhdlg. Carl Fromme, 1917. Lex.-8. IV— 60 SS. M. 1,70.
Malnoury, Louis, Trait6 de science commerciale et de comptabilit^ commer-
ciale. Besanyon, impr. L. Humbert, 1917. 8. 146 pag. fr. 7. — .
Benn, Ernest J. P., The trade of to-morrow. London, Jarrolds. 8. 2/.6.
Gide, C, Commercial policy after the war. Translated by Ethel H. Ashworth.
Witb a preface by the Rt. Hon. J. M. Robertson. London, Cobden Club. 8. 26 pp. 3 d.
Pulsford, Edward, Commerce and the Empire : 1914 and after. London, King:
8. 7/.6.
Ranking, D. F. de l'Hosle, E. E. Spicer and E. C. Peyler, Mercantile law.
2nd ed. London, Foulks, Lynch and Co. 8. XLVII— 427 pp. 10/.6.
Oboussier, Max, De haven van Antwerpen en de Economische Conferentie van
Parijs. Antwerpen, „Flandria", 1917. 25,5X16,5. 111 blz. fr. 3.—.
7. Finanzwesen.
Föhrenbach, Dr. Otto, Die deutschen Reichsfinanzen vor, während und nach
dem Weltkrieg. Freiburg i. B., J. Bielefelds Verlag, 1917. 8. 39 SS. M. 0,60.
Goldscheid, Rud. , Staat ssozialii^mus oder Staatskapitalismus. Ein finanz-
huziologischer Beitrag zur Lösung des Staatsschulden- Problems. 2. u. verb. Aufl. Wien,
Anzengruber- Verlag Brüder Suschitzky, 1917. Lex.-8. XVIII— 186 SS. M. 4.~.
Kuszynski (Dir.), Dr. R., Unsere Finanzen nach dem Kriege. Berlin, Julius
Springer, 1917. 8. III— 31 SS. M. 1,40.
Mrozek (Oberverw.-Ger.-Rat), Handkommentar zum Gesetze betr. die Ergänzung
des Einkommensteuergesetzes vom 30. XII. 1916. Köln, Centrale für Gesellschaften
mit beschr. Haftung Dr. Otto Schmidt, 1917. 8. 56 SS. M. 1,50.
Roh de (Beigeordn.), H., und (Obersekr.) W. Beuek, Die Gemeindeabgaben in
Preußen. 1. Bd., 1. Teil, Allgemeine Bestimmungen, und 2. Teil, Gemeinde Einkom-
mensteuer, nebst Anhang, enthaltend den Text der in Frage kommenden Gesetze und
Sachregister. Berlin, Industrieverlag Spaeth u. Linde, 1917. 8. 236 SS. M. 6.—.
Schumacher (Geh. Rcg.-R.), Prof. Dr. Herm., Deutschlands und Englands
finanzielle Kraft. (Schützengraben-Bücher für das deutsche Volk , Nr. 55.) Berlin,
Karl Siegismund, 1917. 16. 48 SS. M. 0,20.
Duclos, Maurice, L'impot et la richesse. Paris, impr. Grolleau, 1917. 8.
32 pag., graphique et tableau.
Finances (Les) au service du pays. Etudes sur les questions et problfemes finan-
ciers actuels, par MM. Emmanuel Vidal, Georges de Nouvion, Raphael Georges L§vy,
Yves Guyot, Julien Hayem, Albert Raimon, Ren§ Pupin, publikes dans la „Revue inter-
nationale du commerce, de l'industrie et de la banque", sous la direction de Julien
Hayem. Paris, en vente ä la librairie de la SocifetI du „Recueil Sirey". 1917. 8. 497 pag.
fr. 7,50.
8. Qeld-, Bank-, Kredit- nnd VersioliernngsweBen.
Marcuse, Paul, Die Bankreform in den Vereinigten Staaten von
Amerika. (Finanzwirtschaftliche Zeitfragen, hrsg. von G. v. Schanz
und J. Wolf, Heft 18). Stuttgart (F. Enke) 1915 8«. 73 SS. (Preis M. 2,80)
Die amerikanische Bankreform ist dank verschiedener Darstellungen
nicht mehr unbekannt, aber wir verfoJgen ja jetzt mit einem ganz be-
sonderen Interesse die wirtschaftlichen Machtquellen Amerikas, und
Marcuse, der schon früher verschiedentlich amerikanische Bankverhält-
ßl3 üebersicht über die neuesten Publikationen DeutscblandB and des Auslandes.
nisse behandelt hat, war sicher berufen, dieses wichtige Problem zu-
sammenfassend zu behandeln.
Die Broschüre enthält darum recht viel schon bekanntes Material,
das aber hier sachgemäß und, soweit ich feststellen konnte, in durch-
weg zuverlässiger Weise behandelt wird. Dazu hat der Verf. ver-
schiedene neue Gesichtspunkte gebracht, besonders für die Charakteri-
sierung der Eigenart des amerikanischen Geldmarktes. Durch die
frühere Konzentrierung aller flüssigen Kapitalien in New York, wo sie
zur Börse geleitet wurden, wurde das flache Land von Kapitalien ent-
blößt, die Reserven in Wall Street festgelegt. Das will die neue Ge-
setzgebung verhindern durch das Aufteilen des Landes in verschiedene
Distrikte mit je einer Reservebank, die die Kapitalien dieses Dis-
triktes festhalten kann. Der Verf. ist von der Berechtigung dieser
Reform nicht ganz überzeugt (S. 54): „Nicht das Zusammenströmen
war gefährlich, sondern das Fehlen einer Rediskontstelle." Der Verf.
ist der Meinung, daß gerade die große Ungleichmäßigkeit des amerika-
nichen Wirtschaftslebens einer Zentralnotenbauk die Geschäftsführung
erleichtert hätte, dadurch daß die Kreditansprüche zu verschiedener
Zeit aufgetreten wären. — Ich habe in meinem Buch über Zentral-
notenbanken (Jena 1916) eine andere Auffassung vertreten und bin durch
M. nicht überzeugt worden : Die einheitliche nationale Zusammenfassung
des Kreditwesens, die die Zentralisation im Notenbankwesen darstellt,
erfordert neben solchen sich ergänzenden Ungleichheiten doch auch eine
diese umfassende nationale Einheitlichkeit als wirtschaftliche Basis für
die Wirksamkeit einer Zentralnotenbank. Ob damit die Quasizentrali-
sierung, die man in den Vereinigten Staaten gewonnen hat, in diesem
Falle das Richtige war, muß ich, ehe weitere Erfahrungen vorliegen,
dahingestellt sein lassen.
Aber diese verschiedene Auffassung beeinträchtigt in keiner Weise
das Urteil über M.s Broschüre : er hat uns von diesem wichtigen Problem
eine nützliche und sachgemäße Darstellung gegeben, die durchaus lesens-
wert ist.
Was die Arbeit dagegen mit „Finanzwirtschaft" zu tun haben soll
ist sehr unklar, wie überhaupt bei manchen Schriften in dieser Sammlung
von ,, Finanzwirtschaftlichen Zeitfragen." Bankprobleme zu den Finanz-
fragen zu rechnen, ist ein Sprachgebrauch, der wenigstens bisher nicht
gerade als Zeichen von Sachverständnis gegolten hat. Aber dafür wird
wohl jedenfalls der Verf. am wenigsten verantwortlich zu machen sein,
seine Broschüre ist lesenswert, trotzdem man nicht weiß, was sie in
dieser Sammlung zu tun hat.
Gothenburg. Sven Heiander.
Buchwald, Bruno, Die Technik des Bankbetriebes. Ein Hand- und Lehrbuch
des praktischen Bank- und Börsenwesens. 7. verm. u. verb. Aufl. 6. unveränderter
Neudruck. Berlin, Julius Springer, 1917. 8. XI— 463 SS. M. 7.—.
Fürstenberg, Carl, Zur Feststellung des wirtschaftlichen Vorteils in der
Feuer- Versicherung. (Abhandlungen aus dem Gebiet der Feuerversicherungswissenschaft.
Hrsg. : Dr. Wilh. Schaefer. Bd. 30.) Hannover, Rechts-, Staats- und sozial wissenschaftl.
Verlag, 1917. 8. 32 SS. M. 2,40.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. ßXQ
Iränyi, Bernh. , Die deutschen Lebens- und Unfall- Versich erungs- Gesellschaften.
Uebersichtliche Darstellung der Geschäftsergebnisse in den Jahren 1912 — 1916. 26. Jahrg.
•Wien, J. Eisenstein u. Co., 1917. 23X11 cm. M. 1,75.
Jacobi, Prof. Dr. Ernst, Die Wertpapiere im bürgerlichen Recht. 2. gänzl.
umgearb. Aufl. Leipzig, O. R. Reisland, 1917. gr. 8. V— 452 SS. M. 13.— (S.-A.
a. d. W. : Handbuch des gesamten Handelsrechts von V. Ehrenberg, 4. Bd.)
Klinkmüller (Ger.-Assess.), Arthur, Die Barkaution nach geltendem Recht.
Berlin, R. Trenkel, 1917. 8. 54 SS. M. 1,50.
Notzke (Biblioth.), Job., Deutschlands Finanz- und Handelsgesetze im Kriege.
Gesetze, Verordnungen, Bekanntmachungen aus dem Bank-, Börsen-, Devisenverkehr,
Währungs-, Finanz- und Steuerweseu, Handels-, Wechsel- und Scheckreeht in Deutsch-
land während des Krieges. Zum Handgebrauch für Praxis und Wissenschaft hrsg. und
mit Anmerkungen versehen. Berlin, Carl Flemming Verlag, 1917. 8. XXIV — 359 SS.
M. 6.-.
Oesterwitz, Herrn., Die Lebensversicherung als Grundlage für die Wieder-
erstarkung der Einzel-, Familien- und Staatswirtschaft. Eine volkswirtschaftliche Studie.
Berlin-Lankwitz, Wallmanns Verlag u. Buchdruckerei, 1917. gr. 8. 43 SS. M. 0,50.
Versicherungsunternehmungen, Die privaten, in den im Reichsrate ver-
tretenen Königreichen und Ländern im Jahre 1913. Amtliche Publikation des k. k.
Ministeriums des Innern in Gemäßheit des § 42 der Verordnung der Ministerien des
Innern, der Justiz, des Handels und der Finanzen vom 5. III. 1896. Wien, k. k. Hof-
und Staatsdruckerei, 1917. Lex.-8. 121 SS. M. 4.—.
Büffet, Jean, Du r§gionalisme au nationalisme financier. La Lorraine 6cono-
mique. Une politique bancaire. Du röle des banques dans l'oeuvre economique de
l'aprfes-guerre. Le credit industriel ä long terme et le cr§dit commercial ä l'exportation.
De l'action de la Lorraine sur les m^thodes economiques de demain. Pages ^conomi-
ques de guerre. Paris, Berger-Levrault, 1917. 16. X— 255 pag. fr. 3,50.
Felix, Dr. Maurice, Situation des assurfes mobilis^s au regard de la loi des
retraites ouvriSres et paysannes. Paris, Berger-Levrault, 1917. 8. VII — 83 pag.
fr. 5.—.
Hayem, Julien, La banque de France de 1897 ä 1916. Paris, en vente ä
la librairie de la Sociale du „Recueil Sirey", 1917. 8. 52 pag. fr. 2. — .
Roux, F. T., Au bord du foss§. fitude sur la Situation financifere de la Com-
pagnie d'assurances g^n^rales sur la vie. Rennes, impr. L. Edoneur. 8. 27 pag.
fr. 2.—.
Withers, Hartley, Our money and the State. London, Murray. 8. 3/. — .
9. Soziale Frag-e.
Ferenczi, Emerich, Die erste Arbeitslosenzählung in Budapest
und in 24 Nachbargemeinden am 22. März 1914. Im Auftrage des
Magistrats der Haupt- und Residenzstadt Budapest bearbeitet. Jena
(G. Fischer) 1915. gr. 80. 158 SS.
Für die Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit gibt es keine
wichtigere Vorarbeit als die Schaffung zuverlässiger realer Unterlagen.
Dahin gehört vor allem die exakte Erfassung dieses schweren sozialen
Uebels nach seinem Umfang, seinem Charakter, nach den überaus
mannigfachen Arten und Formen seines Vorkommens als soziale Massen -
erscheinung und womöglich auch nach seiner Verursachung. Trotzdem
ist die Statistik der Arbeitslosigkeit noch wenig entwickelt und daher
jeder ernste und gründliche Versuch sowohl ihres methodischen Ausbaues
als ihrer praktischen Anwendung auf bestimmten Gebieten als erfreulich
zu werten. Die große wirtschaftliche Notlage, die in Ungarn mehrere
Jahre vor dem Ausbruch des Weltkrieges bestand und eine Folge der
politischen Verwicklungen und Spannungen war, welche erst der Aus-
bruch des Krieges zur Lösung brachte, rief dort und namentlich in und
620 üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
um Budapest eine ungewöhnlich starke und andauernde Arbeitslosig-
keit hervor, die zur praktischen Beschäftigung mit dem Problem ihrer
wirksamen, organischen Bekämpfung nötigte. Im Einvernehmen mit
der Regierung veranstaltete daher die Hauptstadt Budapest eine am
Sonntag den 22. März 1914 durchgeführte Arbeislosenzählung, die sich
auf die Stadt selbst und 24 Nachbargemeinden, die deren Arbeitsmarkt
ständig belasten, erstreckte. Voraufgegangen waren (1913) zwei haupt-
städtische Unterstützungsaktionen, die durch Ausfüllung von Fragebogen
seitens Arbeitsloser wertvolle Daten geliefert hatten. Sonst waren nur
bei früheren Volkszählungen Nebenfragen in bezug auf Arbeitslosigkeit
gestellt worden.
Die Art der Erhebung und ihrer Vorbereitungen, die Methode der
Verarbeitung und die Ergebnisse dieser vom hauptstädtischen statisti-
schen Büro unter Zuziehung der Arbeiter- und Fachvereine vorge-
nommenen Zählung werden nun hier veranschaulicht und die sich dar-
aus für die materielle wie für die formale Seite des Problems ergebenden
Folgerungen summarisch gezogen. Dem beschreibenden Texte sind 70
statistische Tabellen und mehrere Drucksachenmuster beigegeben. Die
Darstellung gibt in ihrer Gesamtheit ein sehr klares, übersichtliches
Bild vom Bestand und der Zusammensetzung der erfaßten Masse zur
Zeit der Aufnahme und von ihren für die angestrebte Lösung der ge-
stellten Aufgabe wichtigen Eigenschaften und Verhältnissen. Die Plan-
entwerfung, die Durchführung und die Bearbeitung der Ergebnisse lagen
einem provisorischen Zählungsbüro unter der Leitung des Verf. ob.
Als ausführende Zähler und Obmänner dienten in erster Linie Gewerk-
schaftsangehörige, sonst Freiwillige aus Angestellten- und Beamtenkreisen.
Erforderlich waren bei einer in Betracht kommenden Gesamtbevölkerung
von (aml. Januar 1911) rund 1,2 Millionen, wovon 880377 hauptstädtische,
7000 Zähler. Auf jeden Zähler entfielen 30 Wohnungen, auf je 20
Zählbezirke ein Obmann. Die Zählung erfolgte von Wohnung zu
Wohnung und mittels Ausfüllung von Zählblättern durch die Zähler
selbst. Mit der Leitung der Zählung w^ar eine Fachkommission be-
traut, in der die Ministerien des Inneren und des Handels vertreten
waren.
Von besonderem Interesse sind natürlich die Methoden und die
Ergebnisse der Zählung. Die erstere zeichnet sich namentlich durch
eine sehr umsichtige und sorgfältige Organisation der Vorbereitung
aus, auf deren Grundlage die Zählung selbst verhältnismäßig recht gut
und glatt vonstatten ging. Die Prüfung des erhobenen Materials ge-
schah mittels einer die denkbar größte Sicherheit für Ausmerzung
aller Doppelzählungen und Unrichtigkeiten und für Vervollständigung
der Lücken bietenden Systematik. Von den Ergebnissen sei hier nur
so viel angeführt, daß bei 30144 eingegangenen Zählblättern 28922
Arbeitslose (22 186 für Budapest, 6736 für die Nachbarorte) sich er-
gaben. In den Tabellen sind davon berücksichtigt 27188 Arbeitslose,
und zwar 23862 Männer und 3326 Frauen. Auf die Einwohnerschaft
sind das in Budapest 2,3 v. H. (bei Umrechnung des Bevölkerungs-
standes auf denjenigen am 1. Januar 1914, der 930666 betrug, 2,2
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 621
V. H.), und zwar 4,2 (3,9) v. H. der männlichen und 0,6 (0.5) v. H. der
weiblichen Bevölkerung. Diese Ziffer ist ganz ungewöhnlich hoch,
zumal sie sich auf den ersten Frühlingstag bezieht. Die drei deutschen
Großstädte, die eine ähnliche Zählung, aber in verschiedenen letzten
Wintern vornahmen, hatten dagegen: Cöln 0,3, Nürnberg 0,16, Mün-
chen 1,1 V. H. Auf 100 eigentliche gewerbliche Hilfsarbeiter entfielen
in Budapest 9,4 (10,7 Männer und 4,4 Frauen), in den Nachbargemeinden
10,0 Arbeitslose. Rechnet man, da ja die Gesamtbevölkerungszahl
Familienerhalter und erhaltene Angehörige einschließt, dementsprechend
auch den Arbeitslosen die von ihnen zu unterhaltenden Personen zu,
so ist die Verhältniszahl der von der Arbeislosigkeit betroffenen Be-
völkerung zu der Gesamtbevölkerung vom 1. Januar 1914 4,5 8 v. H.
Von den gezählten Arbeitslosen gehörten 83,4 v. H. der Industrie,
8,3 dem Handel, 6 anderen Berufen an. Da vor dem Zählungstage
3 Wochen lang bestes Frühjahrswetter herrschte, war die festgestellte
Arbeitslosigkeit keinesfalls eine winterliche Saisonarbeit, vielmehr die
reinste Folge der schon lange andauernden Wirtschaftskrise. Fünf
Wochen früher würde die Zählung ein noch viel schlimmeres Ergebnis
erbracht haben. Ueberdies ist offenbar nicht die Gesamtzahl aller
Arbeitslosen von der Zählung erfaßt worden. Für die Handels- und
Büroangestellten, die Heimarbeiter und namentlich für die erwerbs-
tätigen Frauen erscheint sie von vornherein zu niedrig. Ueberhaupt
nicht einbezogen wurden die Kurzarbeiter. Von den Arbeitslosen waren
50,9 V. H. ledig, 40 v. H. verheiratet, in gemeinsamem Haushalt lebten
3,5, verwitwet waren 3,4, geschieden 1 v. H. Es hatten also auch
sehr viele verheiratete Arbeiter aus der Arbeit entlassen werden müssen.
Zu unterhaltende Angehörige kamen auf 100 Arbeitslose: in Budapest
391, in den Nachbarorten 337. Mit diesen Angehörigen betrug die
Arbeitslosenzahl 60076. Fast ^/^ der Arbeitslosen waren gelernte Arbeits-
kräfte. Die Ursachen der Arbeitslosigkeit lassen sich schon deshalb
nicht sicher erkennen, weil nur von Arbeitnehmerseite Auskunft vor-
liegt. Die Arbeitgeber kündigten in 78,5 v. H. der Fälle, und zwar
wegen Arbeitsmangels in 73,3 v. H. derselben, die Arbeitnehmer in 9,1
V. H. Krankheit oder Unfall bildeten in 6, Streik in 0,4, Aussperrung in
1 V. H. der Fälle die Ursache. Sehr beträchtlich war die Dauer
der Arbeitslosigkeit. Fast ^/g der Gezählten waren seit mehr als Yg
Jahr erwerbslos, rund 10 v. H. seit mehr als 1 Jahr, davon 0,6 v. H.
seit mehr als 3 Jahren. Der Zeitverlust betrug für alle Gezählten
4364584 Tage. Welche Massen von Arbeitswerten der Volkswirtschaft
durch die Arbeitslosigkeit verloren gehen, läßt diese Zahl ahnen. Der
Lohnverlust betrug im Rahmen der Zählung 15404 641 K., im vollen
Umfang schätzungsweise 20 Mill. K. Dagegen gingen durch Streiks
selbst in dem großen Streikjahr 1910 nur 201348 Arbeitstage und
909 376 K. Arbeitsverdienst verloren.
Besonders wichtig erscheinen die zahlenmäßig belegten Feststel-
lungen, daß ein Arbeitsloser um so langer stellungslos bleibt,
je älter er ist, und daß er, wenn er Familie hat, schwerer
Arbeit findet als ein alleinstehender. Die Arbeitslosen erhielten
622 Ueberaicht über die neuesten Publikationen Dentechlanda und des Auslandes.
sich durch Ersparnisse (15,7 v. H.), Darlehen (19,5 v. H.), durch beides
(1 V. H.), durch ihre Eltern (19,9 v. H.), durch Erwerb der Ehefrau
(7,2 V. H.), durch Unterstützung seitens ihrer Kinder, Angehöriger'^
Freunde (10,7 v. H.), durch Verpfändung oder Verkauf ihrer Habe
(8,2 V. H.), durch Krankenunterstützung (2,7 v. H.), durch Almosen
(1,3 V. H.), aber nur wenige {6ß v. H.) durch vorübergehende Beschäfti-
gung. Der Gesamterwerb durch Aushilfsarbeit betrug
638 448 K. Die öffentliche Fürsorge für Arbeitslose bewegt sich
in Ungarn noch in den Grenzen der Wohltätigkeit. Die einzige wirk-
same Hilfe erhielten diejenigen, die sich rechtzeitig bei Gewerkschaften
versichert hatten. Das waren freilich nur 3098, darunter 170 Frauen.
Dauer und Höhe dieser Unterstützung waren zum Teil beträchtlich.
Aber ein großer Teil der Gewerkschaften konnte bisher noch keine
Arbeitslosenunterstützung einführen und von den arbeitslosen Mitgliedern
der anderen hatten manche noch keinen Anspruch oder keinen An-
spruch mehr auf Unterstützung. Aus dem kommunalen Arbeitslosen-
fonds von 266 000 K. erhielten 3276 Arbeitslose Unterstützung auf
2 — 3 Wochen. Armenunterstützung empfingen 1689. Mit Recht betont
der Verf., daß laufende Barunterstützung bei solchen Massen und einer
so langwierigen und unabsehbaren Arbeitslosigkeit nicht zweckgemäß
wirken kann und keinesfalls zum System werden darf, daß vielmehr nur
große öffentliche Arbeiten Hilfe bringen können. Die Zählung ergab,
daß für eine solche namentlich das Baugewerbe und die Eisen-, Metall-
und Maschinenindustrie in Betracht kamen.
Das Gesamtergebnis der Zählung hat alle Befürchtungen noch stark
übertroffen. Sie hat auch die Ausbaubedürftigkeit des Arbeitsnach-
weises erwiesen. Für eine systematische Arbeitslosenpolitik, deren
Erweiterung zu einer die selbständig Erwerbstätigen einbeziehenden
Erwerbslosigkeitspolitik der Verf. fordert, war sie nach seiner Ueber-
zeugung geradezu grundlegend. Sie bedeutet einen Ring in der Kette
der Kampfmittel gegen die Arbeitslosigkeit, hat aber auch Anhalts-
punkte für die Weiterbildung wichtiger anderer Zweige der Sozial-
politik — Gewerkschaftsfrage, Wohnungsfrage, Volksbildung — ergeben.
Die näher dargelegten Prinzipien der angewendeten Zählungsmethode
haben sich gut bewährt. Sonach ist gleich stark zu hoffen und zu
wünschen, daß diese Zählung sich als ein wirksames Mittel der Förde-
rung auf der Bahn der Bekämpfung des furchstbarsten aller sozialen
Massenübel erweisen möge.
Marburg a. d. Lahn. H. Koppe.
Bernstein, Eduard, Die Internationale der Arbeiterklasse und
der europäische Krieg. (Sonde^abdruck aus dem „Archiv !\ii' Sozial-
wissenschaft u. Sozialpolitik", Bd. 40, Heft 2.) Tübingen (J. C. ß. Mohr)
1915. 80. 56 SS.
Der Ausbruch und Verlauf des Weltkrieges hat dem Sozialismus
eine tief an seine Wurzeln greifende schmerzliche Enttäuschung ge-
bracht. Seine grundlegende Erkenntnis, daß ein Riß die ganze Kultur-
welt durchklafft, der in allen Ländern die Gesellschaft in zwei feind-
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 523
liehe, im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung unversöhnbare
Teile zerreißt: ausbeutende Unternehmerklassen und ausgebeutete Ar-
beitermassen, und daß dieser Klassenkampf es ist, der das Geschick
der Völker und ihre Entwicklung bestimmt, ist jäh durchkreuzt worden
durch die in dieser großen Weltkriegkatastrophe mit blutiger Schrift
offenbarte Wahrheit, daß der große, das Völkerleben zerreißende Riß
ganz andere Natur und Richtung hat. Nicht das Klassenkampf-, son-
dern das Nationalitätsprinzip bestimmt ihn, und hinter diesem Nationali-
tätenweltkampfe tritt der große soziale Konflikt weit zurück. Die
feindlichen Reihen im sozialen Klassenkampfe lösten sich sofort mit
Kriegsausbruch auf und verschmolzen sich miteinander. Die erbitterten
Gegner von gestern stehen heute brüderlich treu vereint in gemein-
samer Kampffront. Im Kern der großen Heeresmassen beider Welt-
verbände bekämpfen Millionen von Arbeitern einander auf Tod und Leben,
jeder für sein Vaterland die Waffe führend, keiner danach fragend, ob
der Feind ihm gegenüber im Frieden Arbeitskamerad oder sozialer
Widersacher ist.
Mit der Wucht eines schweren Schlages hat diese plötzliche Er-
kenntnis die Sozialisten aller Länder getroffen. Die Stellungnahme aller
sozialistischen Parteien in den kriegführenden Ländern hat dann im
Verlaufe des Krieges diese neue Wahrheit noch ganz erheblich bitterer
gemacht. Jede dieser Parteien erwartete von denen der Gegenseite,
daß sie ihr Vaterland in der Stunde der Gefahr in Stich lassen und
zugunsten des gemeinsamen sozialistischen Ideals eines durch Verträge
„verbürgten" Weltfriedens verraten würden. Keine hat dies getan,
wenn man absieht von kleinen Minderheiten, die während der weiteren
Dauer des Krieges, entsprechend dem geringen Maße ihrer Verantwort-
lichkeit, es über sich gewannen, die zur Verteidigung ihrer Heimat not-
wendigen Kriegführungsmittel dem eigenen Volke zu verweigern und
dieses damit, soviel an ihnen lag, der Ueberwältigung durch den Feind
und allen daraus fließenden Folgen preiszugeben. Die Hoffnung, auf
die sie diese Verweigerung nach außen hin gründeten, daß diese Ab-
lehnungspraxis ansteckend auf die Genossen in den Parlamenten der
anderen kriegführenden Länder wirken werde, hat sich so wenig er-
füllt wie die sonstigen Erwartungen, die sie an die Bewährung des
internationalen Charakters der sozialistischen Ueberzeugungen und
Prinzipien geknüpft haben.
Es ist begreiflich, daß im Sozialismus, sobald die Verhältnisse leid-
lich zu übersehen waren, das Streben rege wurde, sich darüber klar
zu werden, wie es kommen konnte, daß jene große Enttäuschung ein-
trat. Vor allem mußte — da sowohl die politischen Vertretungen des
Sozialismus aller Länder wie die gewerkschaftlichen ihre feste inter-
nationale Organisation haben, der in er&ter Linie es zukommt, auf die
internationalen Verhältnisse im Sinne der sozialistischen Weltfriedens-
idee einzuwirken — die Frage aufgeworfen werden, ob die „Inter-
nationale" der Arbeiterklasse versagt habe und warum, und welche
Folgerungen sich aus diesem Zusammenbruch für die Zukunft des
Sozialismus und für dessen Vertretungen und Parteien in den einzelnen
624 üebenicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Ländern ergeben würden. Im Rahmen dieses Fragenkreises bewegt
sich das Schriftchen Bernsteins. Er untersucht darin zunächst, warum
die nach den sozialistischen Prinzipien und Beschlüssen bei Ausbruch
des Krieges zu dessen Verhinderung sicher zu erwartenden Massen-
streiks unterblieben sind. Sodann schildert und kritisiert er das Ver-
halten der politischen Landesabteilungen der Internationale im Kriege
und die Rückwirkungen des Krieges auf deren gegenseitige Bezie-
hungen. Maßgebender Gesichtspunkt ist ihm dabei die Gewinnung der
Erkenntnis, in welchem besonderen Lichte sich den Sozialisten der be-
teiligten Länder der Krieg und seine Verursachung von ihrem durch
die Verhältnisse ihres Landes gegebenen Standpunkte aus darstellen
mußten. Von dieser Einsicht als Unterlage aus sucht er dann die Ver-
schiedenheit der Urteile und aus dieser wiederum die Verschiedenheit
im Verhalten der sozialistischen Parteien und Führer der Hauptländer
zu erklären.
Die Idee der Bekämpfung der Kriege durch den Massenstreik
sieht B. nach den Erfahrungen vom August 1914 als unrealisierbar an,
so daß sie aus den Diskussionsprogrammen künftiger Arbeiterkongresse
verschwinden müsse. Ein praktischer Versuch damit ist nirgends ge-
macht worden, obwohl das internationale sozialistische Büro in Brüssel
am 29. Juli 1914 und eine am selben Tage dort veranstaltete Volks-
versammlung mit stürmischer Begeisterung beschlossen hatten, daß die
Arbeiter aller Länder mit allen Mitteln den Kriegsausbruch verhindern
müßten. Es habe sich gezeigt, daß heutzutage bei Ausbruch eines
Krieges überall schon Verhältnisse eingetreten sind, welche die öko-
nomischen, insbesondere die psychologischen Vorbedingungen dafür in
Wegfall gebracht haben. Die große Mehrheit der deutschen Sozial-
demokratie habe die Wirksamkeit des Mittels auch stets bezweifelt.
Die Durchführung der auf die Verhütung des Ausbruchs von Kriegen
bezüglichen älteren Kongreßbeschlüsse der Internationale (von 1900 und
1907) sei jenem Büro, dessen geschäftsführenden Ausschuß die ihm an-
gehörigen Vertreter der belgischen Arbeiterpartei bildeten, durch den
sich für diese aus der besonderen Lage ihres Landes ergebenden Ge-
wissenskonflikt unmöglich geworden. Noch viel schlimmer sei die tat-
sächliche Unmöglichkeit der gegenseitigen Verständigung der soziali-
stischen Parteien der beteiligten Länder gewesen. Die Kriegskata-
strophe habe diese Parteien vor schwere seelische Probleme gestellt,
vor allem in ihnen den Gewissenskonflikt der Wahl zwischen der Vater-
landsverteidigung und der Festhaltung der Gemeinschaft mit den Ge-
nossen der feindlichen Länder erzeugt. Es wird nun ausgeführt, wie
die sozialistischen Parteien der am Krieg beteiligten Lander sich in
dessen Vorstadium — dem russisch-österreichisch-serbischen Konflikt
— verhalten haben, nämlich zunächst einmütig im Sinne entschieden-
ster Stellungnahme gegen einen Krieg, bis die drohende Einmischung
des den Sozialisten in den Tod verhaßten zarischen Rußland die ganze
Situation, vor allem für die deutsche Sozialdemokratie, stark verschob.
Die Schwierigkeiten der Lage für die letztere werden geschildert, die
für ihre Bewilligung der Kriegskredite und ebenso für die sich zuerst
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 625
noch der Abstimmung enthaltende Minderheit maßgebenden Gesichts-
punkte erläutert. In Frankreich bewilligten die sozialistischen Abge-
ordneten einmütig die Kriegskredite, und zwei ihrer Führer, der Marxist
Ouesde und der Gemäßigte Öembat, traten sogar in das neugebildete
Ministerium der nationalen Verteidigung ein (damit die Leitung des
Krieges und die Verantwortung für ihn mitübernehmend). Dies ge-
schah, trotzdem Jaures vorher alle Kräfte für die Bewahrung des
Friedens eingesetzt und mit Bezug auf den russisch französischen Bünd-
nisvertrag erklärt hatte: „Wir kennen nur einen Vertrag, den Vertrag,
der uns an das Menschengeschlecht bindet." Freilich hält B. es für
fraglich, wie Jaures sich gestellt haben würde, wenn er noch erlebt
hätte, daß zwar Kußland den (angeblichen) Vermittlungsvorschlag Eng-
lands annahm, Oesterreich ihn aber ablehnte. Ganz gleich war die
Stellungnahme der Sozialisten in Belgien, wo der Sozialistenführer
Vandervelde in das Ministerium eintrat. In England protestierten die
sozialistischen und die übrigen Arbeitervertreter zwar nachdrücklichst
gegen den Krieg und die Regierungspolitik, stellten sich aber nach
Kriegsausbruch, wie das ganze Volk, geschlossen auf die Seite der
Kriegspolitik, namentlich durch ihre Agitation für den Eintritt in die
Armee (seither auch noch durch den Eintritt hervorragender Arbeiter-
führer in das Ministerium und die Entfaltung eines ganz besonderen
Kriegsfanatismus bei allen sich bietenden Gelegenheiten). In Serbien
lehnten die beiden sozialistischen Abgeordneten die Adresse ab, die der
Regierung die rückhaltlose Unterstützung des Parlaments zusagte. In
Rußland verließen die sozialistischen Dumamitglieder nach Verlesung
einer Protesterklärung gegen den Krieg den Sitzungssaal. B. erklärt
dieses auffällige unterschiedliche Verhalten der sozialistischen Volks-
vertreter in West- und Osteuropa mit dem Unterschied der Größe und
des Einflusses der sozialistischen Parteien hier und dort. Das Gewicht
der Verant wor tung drücke auf die größeren Parteien. Sie könnten
ihre Stimmenabgabe nicht so frei zum Zweck der Demonstration (!)
bestimmen lassen. Dies sei die Kehrseite des parlamentarischen Macht-
zuwachses. In dieser Begründung liegt das Anerkenntnis, daß die für
die Kriegskredite stimmenden sozialistischen Abgeordneten dies taten
und tun, weil sie sich der Stimme ihres Gewissens, der Verantwortlichkeit
gegenüber ihrem Vaterlande und ihren Volksgenossen, die sie als dessen
Vertreter tragen, nicht verschließen wollen und können. Aus der Feder
eines Sozialisten, der seither selbst gegen die Kriegskredite gestimmt
hat, verdient es besondere Beachtung.
In den neutralen Ländern war die Stellungnahme der sozialistischen
Parteien eine „korrekt neutrale", d. h. im Sinne der Erhaltung der
Neutralität und damit des Friedens für ihr Land. Aber die Sympathien
der Arbeiterdemokratie sind dort fast durchgängig auf Seiten unserer
Gegner. Ja, selbst in Rußland haben revolutionäre Sozialisten und so-
gar der bekannte Anarchist Peter Krapotkin sich offen für den Krieg
und für die Unterstützung der Zarenregierung gegen den deutschen
„Militarismus" ausgesprochen. Die Giünde für diesen Widerspruch
führt B. zurück auf die Beurteilung des Verhaltens der Mächte während
Jahrb f Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 40
626 Uebersicht über die neaesten Publikationen DeutschlandB und des Auslandes.
der dem Kriege voraufgegangenen Verhandlungen. Schon jene Kon-
ferenz der Brüsseler Internationale hatte einmütig die (angebliche)
hartnäckige Ablehnung aller Vermittlungsvorschläge durch OcKterreich
scharf verurteilt und Deutschland für diese Haltung seines Verbündeten
verantwortlich gemacht. Der Ausbruch des Krieges konnte diese Auf-
fassung nur verschärfen. Dazu kam dann, daß Deutschland „die Kata-
strophe dadurch unabwendbar gemacht hatte, daß es in ersichtlicher
Hast Rußland und Frankreich den Krieg erklärte". Sein Einmarsch
in Belgien machte in den Augen der sozialistischen Parteien das Maß
voll. Es liege in der Natur der Arbeiterdemokratie, sich der Sache
der Schwachen gegen die Stärkeren anzunehmen, sofern nicht das Un-
recht greifbar auf der Seite der ersteren liege. Daher hätten auch
Deutschlands Rechtfertigungsversuche keinen Eindruck machen können.
Deutschlands tiefere Beweggründe für den Krieg gegen Rußland würden
von der Internationale begriffen und gewürdigt worden sein, wenn
Deutschland sie durch Innehaltung der Defensive gegen Westen und
stärkste Offensive gegen Rußland unter Proklamierung der Befreiung
der von diesem unterdrückten Völker zum Ausdruck gebracht hätte.
Solche Stellungnahme würde Deutschland dank den geschichtlichen
Neigungen der Arbeiterdemokratie deren volle Sympathie eingetraüen
haben. Bei dem unbestrittenen (?) Priedenswunsch der großen Volks-
mehrheit in Frankreich sei es „mehr wie fraglich", ob dann Frankreich
seine volle Angriffskraft gegen uns hätte anwenden können. Und in
England würde ein Massenaustritt aus der liberalen Partei das Mini-
sterium Asquith-Grey zu Fall gebracht haben. Wenn militärisch-strate-
gische und andere Erwägungen die deutsche Kriegsführung zu anderem
Handeln veranlaßt hätten, so sei sie sich sicherlich nicht im unklaren
gewesen, daß schon dies den Verzicht auf die Sympathie der Demo-
kratien Europas bedeutete. Ebenso entspreche es der Psyche der
Arbeiterdemokratie, daß die von Deutschland für die Niederzwingung
Belgiens angeführten Gründe bei ihr nicht durchschlagen konnten.
Ja, selbst sehr vorurteilsfreien Sozialisten und Demokraten gelte das
zaristische Rußland für einen weit weniger gefährlichen Feind der Ruhe
und friedlichen Entwicklung Europas als Deutschland, das wegen seiner
Angriffslust und seines „Militarismus" in erster Linie zu bekämpfen
sei. Diese Anschauung beherrsche unausgesprochen die sozialistische
und demokratische Presse der neutralen Länder, während Sozialisten
der uns feindlichen Länder ihr wiederholt bestimmten Ausdruck ge-
geben hätten.
Zur Kritik dieser Darstellung wie auch des Standpunkts des Ver-
fassers ließe sich viel sagen. Es muß aber hier genügen, auszusprechen,
daß es zwar sehr gnädig von den fremden Arbeiterdemokratien ist,
Deutschland ihre Sympathie unter der Bedingung, daß es seine Politik
und seine Kriegführung vollständig auf ihre Vorstellungswelt und ihr
Gemütsempfinden einstellt, zuwenden zu wollen, daß aber das deutsche
Volk es vorzieht, seine Kriegführung nach den auf die Wahrung seiner
Sicherheit und Unabhängigkeit gerichteten Gesichtspunkten seiner ober-
sten Heeres- und Flottenleitung gestalten zu lassen statt nach solchen,
die darauf gerichtet sind, uns das Wohlwollen der ausländischen Sozia-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 627
listen, aber zugleich den Einbrucli des Feindes über unsere West- und
Ostgrenzen und die Vernichtung unserer Weltgeltung und aller in langer
Eriedensarbeit errungenen Früchte unserer nationalen Einigung zuzu-
ziehen. Wie verschieden man auch bei uns über die „Kriegsziele"
denkt, das Ziel, die Sympathie der Auslandsozialisten gegen Preisgabe
unseres nationalen Selbstbestimmungsrechtes zu gewinnen, gehört nicht
darunter. Die Gruppe der Kriegskreditverweigerer mag darüber frei-
lich anders denken.
Trotz der Verwirrungen, die der Krieg in den gegenseitigen Be-
ziehungen der zur Internationale verbundenen Sozialisten angerichtet
hat, rechnet B. doch auf den guten Willen zu deren Wiederherstellung
und dessen Betätigung nach dem Kriege. Die dafür schon aufgewen-
deten Bemühungen, die er aufführt, bestärken ihn in seiner „Zuversicht
in die unverwüstliche Lebens-, Schaffens- und Willenskraft dieser
wahren Hüterin des Menschheitsgedankens". Sie begeistert ihn zu
dem Ausspruch : „Die sozialistische Welt hat mit der Schöpfung dieses
Büros den Mächtigen der Erde gezeigt, was sie hätten schaffen sollen."
Mit ungleich größerem Rechte könnte man sagen, daß dieses Büro ge-
zeigt hat, was es nicht zu leisten vermochte, aber leisten zu können
sich geiühmt hatte, nämlich den Völkerkrieg zu verhindern.
Marburg a. d. Lahn. H. Koppe.
Kraus (Försorgeamtsleit.), Dr. S., Kriegsbeschädigtenfüraorge. In Verbindung
mit (Dir., Oberstabsarzt, Chefarzt, Med.-R.) Dr. Rebentiseh, (Gew.-Schuldir.) H. Back,
(Arbeitsamts- Vorst.) Dr. Schlotter hrsg. (Aus Natur und Geisteswelt. Sammlung wissen-
schaftlicher gemeinverständlicher Darstellungen, 523. Bdchn.) Leipzig, B. G. Teubner,
1917. kl. 8. IV— 116 SS. mit 2 Abb. Taf. im Text. M. 1,20.
Rothmeier, Karl, u. Karl Heinrich, Die Kinderzulagen und Witwenrenten-
Versicherung für Staatsbeamte. Ein sozial- und bevölkerungspolitisches Projekt des
bayerischen Staates. Regensburg, Verlagsanst. vorm. G. J. Manz, 1917. 8. 79 SS.
M. 1,50.
Ruck (Leutn. d. R.), Prof. Dr. Erwin, Die bürgerliche Kriegsbeschädigtenfür-
sorge. Mit Vorschlägen zur Gesetzesreform. Basel, Ernst Finckh, 1917. 8. 48 SS.
M. 1.—.
Deschamps, Paul, La formation sociale du Prussien moderne. Paris, Armand
Colin, 1916. 16. 372 pag. fr. 4.—.
Higgs, Richard, The failure of labour movement. Dover, Printipg and Pub.
Co. Cr. 8. 91 pp. 1/.—.
10. Genossenschaftswesen.
Hausbesitzergenossenschaften, insbesondere ihre Bedeutung für den nach-
btelligen Realkredit. Berichte und Erörterungen auf dem 12. ordentlichen Veibands-
tage des deutschen Verbandes für Hausbet^itzergenossenschaften am 25. III. 1917 zu
Berlin. (Schriften des Zentralverbandes der Haus- und Grundbesitzer- Vereine Deutsch-
lands, H( It 5.) Spandau, Zenlralverband für Haus- und Grundbesitzer-Vereine Deutsch-
lands, 1917. 8. 69 SS. M. 1,20.
Hausbesitzer-Genossenschaftstag, Erster deutscher, am 22. X. 1916 in
Berlin. (Schriften des Zentralverbandes der Haus- und Grundbesitzer- Vereine Deutsch-
lands, Heft 1.) Spandau, Zentral verband der Haus- und Grundbesitzer- Vereine Deutsch-
lands, 1917. 8. 112 SS. M. 1,50.
Jahrbuch des Reichsverbands der deutschen landwirtschaftlichen Genossen-
schaften für 1916. Berlin, Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossen-
schaften, 1917. 30,5X24 cm. 605 SS. M. 7.—.
40*
628 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und de« Auslandes.
11. Oesetssrebung-, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatabürgerkiind».
Besig (KoDsi»t.-R.), Die Rechtsstellung des Jesuitenordens in den deutsches
Bundesstaaten nach Aufhebung des Jesuitengesetzes. Berlin, Verlag des Evangelischen
Bundes, 1917. 8. 28 SS. M. 0,50.
Curtius, Frdr., Der Charakter des deutschen Staatswesens. (Fehler und
Forderungen. Schriftenfolge zur Neugestaltung deutscher Politik, Heft 1.) Mönchen,
Georg Müller, 1917. 8. 125 SS. M. 2.—.
Durchführung, Die, des Oemeindcgedankens in großstädtischen Gemeinden.
Bedenken und Entgegnungen von Jobs. Eger, Otto Großmann, Wald. Macholz, Oito
Dibelius und Martin Schiau. Hrsg. von Prof. D. A. Stock. (Hefte des deutschen
evangelischen Gemeindetages, Nr. 7.) Leipzig, J. C. Hinrichssche Buchhdlg., 1917.
gr. 8. 24 SS. M. 0,60.
Eder, Franz, Der Mensch und der Staat. Leipzig, Theodor Weicher, 1917.
gr. 8. 116 SS. M. 2,50.
Gemeinderecht, Berliner. Hrsg. vom Magistrat. 2. ergänzte Aufl. 5. Bd.:
Kanalisation, Herrschaft Lanke, Wasserwerke, Zentrale Buch. Berlin, Julius Springer,
1917. 8. VIII— 433 SS. mit 17 zum Teil färb. Plänen. M. 8.—.
H'erre, Prof. Dr. Paul, Welche Rechte hat das Volk in den Demokratien
England, Frankreich und Amerika? Leipzig, Otto Spamer, 1916. 8. 16 SS. M. 0,40.
Jahrbuch des deutschen Rechts. Begründet von Dr. Hugo Neumann. Hrsg.
von (Kammerger.-R.) Dr. Franz Schlegelberger und (Reg.-R.) Dr. Thdr. v. Olshausen.
15. Jahrg. Bericht über das Jahr 1916. Berlin, Franz Vahlen, 1917. gr. 8. XII—
1161 SS. M. 37.—.
Kaufmann, Prof. Dr. Erich, Bismareks Erbe in der Reichsverfassung. Berlin,
Julius Springer, 1917. 8. VIII— 106 SS. M. 2,80.
Kraehling (Rfdr.), Dr. Julian, Die preßrechtliche Berichtigungspflicht. Ge-
krönte Preisschrift. (Strafrechtliche Abhandlungen, begr. von Prof. Dr. Hans Bennecke,
unter Mitwirkung von Prof. Dr. Allfeld, hrsg. von Geh. Hofr. Prof. Dr. v. Lilienthal,
Heft 194.) Breslau, Schlettersche Buchhdlg., 1917. gr. 8. XIV— 171 SS. M. 4,20.
Kriegs-Gesetze, -Verordnungen und -Bekanntmachungen, Sämt-
liche. Eingeleitet durch einen Auszug aus der Denkschrift des Reichskanzlers über
wirtschaftliche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges 1914/17 und Anhang: Preußische
Ausführungsbestimmungen. Mit Inhaltsverzeichnis, ausführlichem Sachregister und Ge-
setzesverzeichnis nach der Zeitfolge, hrsg. von der Redaktion des Deutschen Reichs-
gesetzbuehes für Industrie, Handel und Gewerbe. 4. Bd. Abgeschlossen am 1. IV. 1917.
Mit Abänderungen bis Ende Mai 1917. Berlin, VerLig Deutsches Reichsgesetzbuch für
Industrie, Handel und Gewerbe (Otto Drewitz), 1917. gr. 8. XLIII— 1339 SS. M. 18.—.
Kriegsnotgesetze, Das erste Jahr. Sammlung der vom 31. VII. 1914 bis
31. VII. 1915 ergangenen und noch gültigen wichtigeren Gesetze, Verordnungen und
Erlasse für das Reich und Preußen. 2. Ausg., berichtigt nach dem Stande vom 1. IV.
1917. Bearbeitet von Dr. Otto Waldschütz. Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917.
kL 8. XXVIII— 467 SS. M. 5.—.
Lehmann (Oberlandesger.-R.) , Prof. Dr. Heinr. , Wucher und Wucherbe-
kämpfung im Krieg und Frieden. Leipzig, A. Deichertsche Verlagsbuchhdlg., Werner
Scholl. 1917. gr. 8. 68 SS. M. 1.—.
Leser, Dr. Albert, Vermittlung und Intervention als völkerrechtliches Mittel
zur Vermeidung eines Krieges. Eine völkerrechtliche Studie. Gotha, Friedrich Andreas
Perthes, 1917. 8. 102 u. 2 SS. mit 1 Tab. M. 3.—.
Liszt (M. d. R), Prof. Dr. Franz v.. Vom Staatenverband zur Völkergemein-
schaft. (Umschlag: Vom Völkerbund zur Staatengemeinschaft.) Ein Beitrag zur Neu-
orientierung der Staatenpolitik und des Völkerrechts. (Fehler und Forderungen.
Schrifteufolge zur Neugestaltung deutscher Politik, Heft 2.) München, Georg Müller,
1917. 8. 79 SS. M. 2.—.
Loebell, Dr. Wilh., Krieg und Staatsverwaltung. Wien, Manz, 1917. gr. 8.
VI— 51 SS. M. 2,40.
Nelson, Leonard, Die Rechtswissenschaft ohne Recht. Kritische Betrach-
tungen über die Grundlagen des Staats- und Völkerrechts, insbesondere über die Lehre
von der Souveränität. Leipzig Veit u. Comp., 1917. gr. 8. VII— 253 SS. M. 7,50.
Red s lob, Prof. Dr Rob. , Das Problem des Völkerrechts. Eine Studie über
den Fortschritt der Nationen zu einem universellen Staatensystem, das die Geltung des
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. ß29
Völkerrechts verbürgt. Entworfen unter Verwertung der theoretischen und diploma-
tischen Versuche, die seit dem römischen Weltreich des Mittelalters und bis zu den
Haager Konferenzen unternommen sind, und vornehmlich gegründet auf die Entwick-
lungsgeschichte der Schweizer Eidgenossenschaft. Leipzig, Veit u. Comp., 1917. gr. 8.
VI— 392 SS. M. 12.—.
Reichs-Gesetzbuch, Deutsches, für Industrie, Handel und Gewerbe, ein-
schließlich Handwerk und Landwirtschaft. Vollständige Sammlung aller einschlägigen
Reichsgesetze, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen etc. mit Erläuterungen, For-
mularbuch und Sachregister. Bearbeitet und hrsg. von der Redaktion des Reichs-
Gesetzbuchs für Industrie, Handel und Gewerbe: (Rechtsanw.) Lipke, (Landger.-Sekr.)
C. Petermann unter Mitarbeit von (Amtsrichter a. D.) Klentzau, (Geh. Justizr.) Grüne-
wald, (Ob.-Zollinsp.) Schumpelick u. a. Mit einem einleitenden Wort von Prof. Dr.
Conrad Bornhak. 2 Bde. 47. Aufl. In 3 Teilen und 1 Sachregister- Bd. XXXI,
IV, 2673, XX, 960 und Formulare 110, 62, 278 und Register 400 SS. M. 35.—.
— Dasselbe, 4. Nachtrag: Krieg 1914/17. XLIII— 1339 SS. M. 16.—. Berlin,
Verlag Deutsches Reichs-Gesetzbuch für Industrie, Handel und Gewerbe (Otto Drewitz)».
1917. gr. 8.
Schneider, Max, Leitfaden über die Anwendung der Verhältniswahl zum
Reichstage und zum preußischen Landtage. Augsburg, Kranzfeldersche Buchhdlg., 1917.
8. 24 SS. M. 1.—.
Verwaltungsvorschriften und Gesetze für preußische Gemeinde-, Polizei-
»nd Kreisbehörden. Sammlung von Gesetzen und zentralbehördlichen Erlassen zur
Ausführung und Erläuterung der Staats- und Reichsgesetze. Begründet von W. Moraun.
Nach dem Stande des gegenwärtigen Rechts bearbeitet und hrsg. von (Geh. Reg.-R.)
Kurt V. Rohrscheidt u. a. Jahrg. 1917, 1. Teil. Berlin, Klemens Reuschel, 1917. gr. 8.
992 SS. M. 17.—.
Warneyer (Ob.-Landesger.-R.), Dr. Otto, Die Kriegsgesetze prozeßrechtlichen
Inhalts. Im Anschluß an Friedrich Steins Kommentar zur Zivilprozeßordnung erläutert.
Tübingen, J. C. B. Mohr, 1917. Lex.-8. XXIII~314 SS. M. 9.—.
Zalman (Hof- u. Ger.-Adv. , Ger.- Dolmetscher) , Dr. Moritz, Rumänisches
Recht. Zusammenfassende Darstellung der wichtigsten, insbesondere der von dem öster-
reichischen und deutschen Rechte abweichenden Normen der rumänischen Gesetze, unter
Berücksichtigung der rumänischen Kriegsgesetzgebung und der Verordnungen der mili-
tärischen Verwaltung im besetzten Teil Rumäniens. 1. Bd. Wien, Karl Harbauer,
1917. kl. 8. 94 SS. M. 3.—.
Zorn (Herrenh.-Mitgl., Kronsynd.), Prof. Philipp, Die internationale Schieds-
gerichtsbarkeit. Hannover, Helwigsche Verlagsbuchhdlg., 1917. 8. 42 SS. M. 1. — .
Morgan d, Llon, La loi municipale. Commentaire de la loi du 5 avril 1884
sur l'organisation et les attributions des conseils municipaux. Tome l", Organisation;
Tome 2, Attributions. 9^ Edition, augmentee et mise au courant de la legislation et de
la jurisprudence jusqu'au 12 juillet 1914, complfet^e par un appendice comprenant les
actes et d^cisions intervenus ou publi^s depuis le 14 juillet 1914 jusqu'au 1" novembre
1916. Paris, Berger-Levrault 1917. Deux volumes in-8. Tome 1", XVI— 383 pag.;
Tome 2, XIV — 845 pag. Les deux vol. frcs. 25. — .
Hodge, Harold, In the wake of the war. Parliament or Imperial government?
London, J. Laue. Cr. 8. 234 pp. 5/.—.
MacNeill, J. G. Swift, Parliament and foreign poliey. London, Council for
study of Internat, relations. 8. 6 d.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Mayer, Dr. Michael, Bayerns Bevölkerung in konfessioneller Schichtung und
Entwicklung seit den letzten 100 Jahren 1811/12- 1910. München, J. Schweitzer,
1917. gr. 8. VIII— 84 SS. mit 4 Kartogrammen und Tabellenwerk. M. 2,10.
Nach Weisungen, Statistische, betreffend die in den Jahren 1914 und 1915
«nter Mitwirkung der Staatsbaubeamten vollendeten Hochbauten. Bearbeitet im Auf-
trage des Herrn Ministers der öffentlichen Arbeiten. 24. Abteilung. Berlin, Wilhelm
Ernst u. Sohn, 1917. 35,5X26,5 cm. 23 SS. mit Fig. M. 3.—. (S.-A. aus der Zeit-
sthrift für Bauwesen, 1917.)
630 üeberaicht aber die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Frankreich.
Benseignements statistiques relatifs aux contribntions directes et aux taxes
assimilfees. Ann6e 1917. Vingt-septiöme ann§e. Paris, Impr. nationale, 1917. 8.
226 pag.
Statistiques de la navigation dans les colonies fran^aises pendant l'ann^e 1914.
Publikes sous l'administration de M. Gaston Doumergue, ministre des colonies. (Melnn,
Impr. administrative.) Paris, bureau de vente des „Publications coloniales officielles*',
1916. 8. 783 pag. fr. 6. — . (Office colonial. Ministfere des colonies.)
Statistique du Service de la protection des enfants du premier äge. (Enfants
admis pendant l'annee 1913, prot^gls de 1913 ä 1915.) (Exfecution de l'article 4 de
la loi du 23 d^eembre 1874.) Melun, Impr. administrative, 1917. 4. 52 pag.
(Minist^re de l'int^rieur. Direction de Passistance et de l'hygifene publiques. Bureau
^es Services de l'enfance.)
13. Verscliiedenes.
Herrmann, Judith, Die deutsche Frau in den akademischen
Berufen. Leipzig-Berlin (B. Gr. Teubner) 1915. 8». 77 SS. (Preis:
M. 1,50.)
Zweck der Schrift ist es, ein Bild der Entwicklung der aka-
demischen Berufsbildung der Frauen zu geben und die Frage zu be-
antworten, ob die wirtschaftlichen und sozialen Erfolge der Frauen
auf diesem Gebiete die Einwürfe und Bedenken, die gegen das Frauen-
studium erhoben worden sind, zu Eecht bestehen oder widerlegt werden
konnten.
Verfasserin sucht einleitend die ideale, wirtschaftliche und sozial-
kulturelle Berechtigung der Forderung, akademische Berufe den Frauen
zu eröffnen, darzustellen und zeigt die Entwicklung dieser Bestiebungen
in den anderen Kulturstaaten, von denen in der Schweiz und in
Schweden das planmäßige Vordringen der Frauen in die akademischen
Bel-ufe am frühsten, zugleich aber auch am erfolgreichsten einsetzte.
Der erste Teil bringt den historischen Entwicklungsgang der Kämpfe
der deutschen Frauen um die Zulassung zu den akademischen Berufen ;
es wurde ihnen wahrlich nicht leicht gemacht. Wohl konnten an
einzelnen Universitäten auf Grund besonderer Genehmigung der aka-
demischen Behörden und der einzelnen Universitätslehrer Frauen
Hörerinnen werden, ohne immatrikuliert zu sein, ein Zustand, der in-
folge einer zufälligen Gewährung zu keiner dauernden Einrichtung
werden konnte. Die Bildung von Gymnasialkursen für Frauen in den
achtziger Jahren ist das erste zielbewußte Vorgehen auf diesem Ge-
biet der Frauenbildung, bot dies doch die Möglichkeit, bei einer Forde-
rung um Zulassung rite vorgebildete Frauen aufzuweisen. Und nun
erkämpfen sich die Frauen, die teils in dem Verein Frauenbildungs-
reform, später dann im Allgemeinen deutschen Frauenverein zusammen-
geschlossen waren. Schritt für Schritt, unendlich langsam, oft zurück-
gewiesen und bekämpft, die Berechtigung ihrer Eingaben zunächst bei
den behördlichen Stellen und bei der Volksvertretung. Aber erst 1900
ist der erste große Erfolg zu verzeichnen, der die volle Immatrikulation
in Baden brachte, der Bayern und Württemberg 1903 und 1904,
Sachsen 1906, Preußen erst 1908 folgte.
Damit erreichten die Frauen die Immatrikulation auf allen deut-
schen Universitäten ; Hindernisse liegen noch vor bei der Zulassung zu
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. ß31
Staatsprüfungen, die zum größten Teil für alle Fakultäten außer der
juristischen beseitigt sind. Im Hinblick auf das, was in verhältnis-
mäßig kurzer Zeit erreicht wurde, kann man wohl hoffen, daß auch
allmählich diese Hemmnisse beseitigt werden, vor allem aber auch die
Weigerung der Zulassung der Habilitation. Hier gilt es aber erst,
daß die Frauen wirklich Bedeutendes leisten, eine Voraussetzung, die
die Frauen selbst in ihrem eigensten Interesse nur wünschen.
Im zweiten Hauptteil geht die Verfasserin eingehend auf eine
statistische Darstellung des Anwachsens des Frauenstudiums auf den
einzelnen Universitäten ein , zeigt den Anteil in den einzelnen Di-
sziplinen und schließlich die Verteilung auf die einzelnen akademischen
Berufe nach beendetem Studium.
Den Haupteinwurf, daß die Männer von selten der Frauen eine er-
hebliche Beeinträchtigung und starke Konkurrenz zu befürchten hätten,
widerlegt Verfasserin zahlenmäßig und gibt der Hoffnung Ausdruck,
daß wahre Frauen und wahre Männer einmal aus dem Stadium des
Konkurrenzkampfes zu einem Zustand der Harmonie kommen möchten,
in dem jeder seinem Wesen nach in die Kulturarbeit eingeordnet sein
möchte.
Das Buch ist anziehend geschrieben und wird infolge seiner knappen
historischen Darstellung, besonders im ersten Hauptteil, für weite Kreise
lesenswert sein.
Der zweite Teil konnte infolge der kurzen Beobachtungszeit und
der noch immerhin verhältnismäßig kleinen Zahlen noch kein absolut ein-
wandfreies Material bringen, sondern mehr die Entwicklungsmöglich-
keiten der Berufe, die Aussichten auf eine Lebensstellung für die aka-
demisch vorgebildete Frau darstellen. Die gewaltige Inanspruchnahme
der Frauen auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens während
des Krieges wird sich zweifellos bei einer späteren Zusammenstellung
der Berufe der akademisch gebildeten Frau in einer zahlenmäßigen
Steigerung des Anteils der Frauen sowohl als auch in einer Ausdeh-
nung der Berufe, besonders der der Nationalökonomin und Juristin, be-
merkbar machen.
Breslau. Dr. Kaete Winkelmann.
Silberschmidt, W., Beteiligung und Teilhaberschaft. Ein Bei-
trag zum Rechte der Gesellschaft. Halle a. d. S. (Buchhandlung des
Waisenhauses) 1915. S«. VII u. 184 SS. (Preis: M. 4,60.)
Unter den zahlreichen Forschern, die in neuerer Zeit ihre Tätigkeit
der Geschichte der Handelsgesellschaften gewidmet haben, nimmt
Silberschmidt eine hervorragende Stelle ein. Seitdem er vor mehr
als 30 Jahren in seiner Erstlingsschrift der Frühgeschichte der Kom-
menda nachgegangen ist, hat er die wichtigen, an sie anknüpfenden
Fragen nicht wieder aus dem Auge gelassen und in einer ganzen Reihe
von Untersuchungen wertvolle Beiträge zu ihrer Lösung beigesteuert.
Nun will seine Schrift über „Beteiligung und Teilhaberschaft" die Ant-
wort auf eine Frage suchen, die dem Historiker wie dem Dogmatiker
des Rechts immer wieder entgegentritt, die Frage der Grenzziehung
zwischen Gesellschaft und (bloßem) Schuldverhältnis, wie es namentlich.
632 öebersicht über die neuesten Publikationen DeutttchUnds und des Auslandes.
aber nicht ausschließlich, durch Arbeitsverträge mit Gewinnbeteiligung
begründet wird. Der Verf. hat sich davon tiberzeugt, daß eine end-
gültige Antwort auf diese Frage nur erfolgen können wird, wenn neben
die geschichtliche Betrachtung die begriffliche Untersuchung tritt (S. 14).
Er will durch die Verbindung beider „zum Verständnis gelangen, wa&
Beteiligung und Teilhaberschaft im Gesellschaftsrecht bedeuten, und
wie sie sich unterscheiden" (S. 2). Seinen Ausgang nimmt er von der
Geschichte der Handelsgesellschaften, da sich das Gesellschaftswesen
im Handel, wenn nicht zuerst, so doch jedenfalls am reichsten, auf-
fallendsten und klarsten entwickelt hat. So beschäftigt sich denn der
erste Teil der Schrift (S. 3 — 95) mit „Beteiligung und Teilhaberschaft
in der Geschichte". Der zweite Teil (S. 96 — 142) bringt die „Entwick-
lung der Begriffe der Beteiligung und der Teilhaberschaft", der letzte
(S. 143 — 178) die „Darstellung des Rechts der Beteiligung und der
Teilhaberschaft". .
Diese Gliederung des Stoffes ist nicht ganz bedenkenfrei. Der
Verf. spricht sich, wie schon früher, wiederholt (S. 7, 24) gegen die
Heranziehung neuzeitlicher Begriffe zur Erklärung mittelalterlicher Vor-
gänge aus. Er hätte dabei meines Erachtens zwei Aufgaben der wissen-
schaftlichen Forschung unterscheiden müssen. Ein anderes ist es, den
Anschauungen einer vergangenen Zeit über ihr Recht nachzugehen, ein
anderes wiederum, dieses Recht selbst zu ermitteln. Wenn bei der
Verfolgung des ersteren Zieles modernen Vorstellungen nicht Raum
gegeben werden darf, so wird das andere Ziel ohne Heranziehung
moderner Begriffe schwerlich erreicht werden können. Schon mit den
ersten Fragen, die wir an die älteste Vergangenheit über ihr Recht
stellen, wie etwa nach dem Bestehen einer der Sitte, der Religion usw.
gegenüber selbständigen Rechtsordnung, nach dem Verhältnis von öffent-
lichem und Privatrecht, nach der Anerkennung von Sondereigentum
und Erbrecht usw., legen wir den Maßstab moderner Begriffe an völlig
von den unsrigen verschiedene Verhältnisse an. Auf andere Weise
werden wir sie auch da nicht unserem Verständnis näher bringen können^
wo wir etwa die Unzulänglichkeit des verwendeten Maßstabes festzu-
stellen haben. Daß wir uns hüten müssen, in die Vergangenheit hineinzu-
legen, was sich nicht aus den Zeugnissen von ihr ergibt, bedarf keiner
Hervorhebung. Grundsätzlich aber müssen wir uns auf den vom Verf.
abgelehnten, von Schmidt-Rimpler (Geschichte des Kommissions-
geschäfts in Deutschland, I, S. 5, 11 ff.) im Hinblick auf die vorliegende
Frage vertretenen Standpunkt stellen. Die Verschiedenheit der Meinungen
ist übrigens in Wahrheit nicht so groß, wie es zunächst scheint. Wie
wir sahen, verwendet der Verf. schon in der Ueberschrift zum ersten
Teile die Begriffe „Beteiligung" und „Teilhaberschaft". Er tritt mithin
an die geschichtliche Untersuchung von vornherein mit einer Unter-
scheidung heran, die zwar erst im zweiten Teile näher bestimmt, aber
schon im ersten verwertet wird (vgl. z. B. S. 17 f. die Ausführungen
über die Gesellschaften der römischen Steuerpächter).
In diesem ersten Teile seiner Schrift gibt der Verf. eine sehr will-
kommene Uebersicht über den Gang und den Stand der Forschung
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 533
auf dem viel betretenen Gebiete. Er benutzt die Gelegenheit, um eigene,
frühere Aufstellungen des weiteren zu stützen und sich mit inzwischen
hervorgetretenen Gegnern auseinanderzusetzen. Im Mittelpunkte seiner
Darstellung steht die Ableitung der Kommanditgesellschaft und der
stillen Gesellschaft aus der Kommenda (S. 14 — 70). In den beiden
Arten der letzteren, der commenda und der societas, hat der Verf. von
jeher die Wurzeln jener beiden Gesellschaftsformen auch des geltenden
Hechts erblickt. In wirksamer Aneinanderreihung führt er nunmehr
dem Leser die Zeugnisse der verschiedenen Quellenkreise vor, für
welche seither die beiden Kommendaarten nachgewiesen worden sind.
Die Vorgeschichte der Aktiengesellschaft und des Sendevegeschäfts
werden dabei mit Rücksicht auf neuerdings aufgetauchte Fragen einer
anregenden Betrachtung unterzogen. Ob die Kommenda ihre weite
Verbreitung der übereinstimmenden Entwicklung in verschiedenen Ge-
bieten oder der Uebertragung von dem einen auf das andere verdankt,
wird sich mit Sicherheit nicht leicht ausmachen lassen. Der Verf., der
an der Verwendung der Kommenda zunächst im Seeverkehr festhält,
spricht sich (S. 69 f.) gegen die Ansicht aus, daß die Kommenda zu den
bei allen Völkern wiederkehrenden, ohne fremde Beeinflussung ent-
standenen Einrichtungen gehöre. Diese Ansicht ist namentlich von
Hehme wiederholt (zuletzt in Ehrenbergs Handbuch des ges.
Handelsrechts, I, S. 102) vertreten worden. Vermutlich wird die Wahr-
heit auch hier in der Mitte liegen, und die Kommenda teils durch
Uebertragung, teils durch selbständige Entwicklung an verschiedenen
Orten zu ihrer Verbreitung gelangt sein.
Schon in der Einleitung (S. 2) hat der Verf. bemerkt, daß es sich
bei Beteiligung und Teilhaberschaft um verschiedene Eormen handle,
in denen der einzelne mit anderen wirtschaftlich zu einer Unterneh-
mung und rechtlich zu einer Vereinigung zusammentrete. Dem zweiten
Teile seiner Schrift stellt der Verf. (S. 95, vgl. S. 2) die Aufgabe, zu
untersuchen, wie sich die bis dahin geschilderte, geschichtliche Ent-
wicklung zu den Begriffen der Gesellschaft und der Beteiligung ver-
halte. In dem dritten Teile „soll kurz das geltende Hecht der ver-
schiedenen Hauptstaaten in gegenseitiger Vergleichung daraufhin ge-
prüft werden". Der Verf. versteht unter der Teilhaberschaft die
ßechtsgemeinschaft an einer Unternehmung als Ganzem, unter der
Beteiligung die Rechtsgemeinschaft nur an den Erträgnissen der Unter-
nehmung (S. 140 und sonst). Die Teilhaberschaft erscheint in der
Rechtsform der Gesellschaft, wenn das Unternehmen nach außen als
ein solches der Gesamtheit auftritt; es kann aber das Unternehmen
auch von einem der Mehreren in der Weise geführt werden, daß ihm
die anderen unter gewissen Bedingungen Dienste und Kapital zur Ver-
fügung stellen (S. 110; an anderer Stelle [S. 118 f.] behandelt aber der
Verf. auch diesen zweiten Fall als einen solchen der Gesellschaft, dem
er den ersten als den der gewöhnlichen Gesellschaft gegenüberstellt). Die
Beteiligung dagegen als Rechtsgemeinschaft nur am Ertrage des Unter-
nehmens bildet die Vergütung für eine einseitige Leistung des be-
treffenden Vertragsteils und kann vermöge ihrer allgemeinen Bedeutung
634 Ucbenicht über die neuesten Publikationen Deutsehlands und des Auslandes.
zu ganz verschiedenartigen Verträgen hinzutreten (S. 143). Für die
Art, wie der Verf. seine Unterscheidung auf die einzelnen in Frage
kommenden Betriebsformen der Vergangenheit und der Gegenwart an-
wendet, muß an dieser Stelle auf seine Schrift selbst verwiesen werden.
Hervorgehoben sei nur, daß er (S. 131 ff.) in der eigentlichen Kom-
menda eine partiarische Beteiligung erblickt, in der societas maris oder
terrae, je nachdem es bei ihr zur Bildung eines besonderen Gesell-
schaftsvermögens kommt oder nicht, eine Teilhaberschaft oder eine bloße
Beteiligung. Hier, wie nahezu ausnahmslos auch sonst, ist der Verf.
in der Lage, auf Grund erneuter Nachprüfung und geschichtlich-kon-
struktiver Fortführung früherer Untersuchungen an deren Ergebnissen
festzuhalten. Nach dem Vorwort der Schrift erhalten durch sie seine
auf Geschichte und Recht der Gesellschaft bezüglichen Arbeiten einen
vorläufigen Abschluß. Der Leser wird wünschen, den Nachdruck auf
das „vorläufigen" legen zu dürfen.
Kiel. Max Pappenheim.
Die Kriegsfürsorge in Mannheim. Darstellung der
Tätigkeit des Kriegsunterstützungsamtes und der Zen-
trale für Kriegsfürsorge von Kriegsbeginn bis zum Juli
1916. In deren Auftrag herausgegeben und bearbeitet von Prof. Dr.
S. P. Altmann, Mannheim. Mannheim-Berlin-Leipzig (J. Bensheimer)
1916. 80. XIII u. 324 SS.
Die Länge des Krieges hat zu umfassenden ausgedehnten Fürsorge-
maßnahmen auf allen wirtschaftlichen und sozialen Gebieten geführt,
die besonders in den Industrie- und Handelszentren Bedeutung er-
langten, wo große Massen der arbeitenden Bevölkerung sitzen. Den
Stadtverwaltungen erwuchsen in dieser Beziehung zahlreiche neue
schwere Aufgaben, die schnell organisiert werden mußten und meist
nur mit Hilfe weiter Kreise bewältigt werden konnten. Es darf fest-
gestellt werden, daß sich überall Mitarbeiter und Helfer zur Unter-
stützung der Behörden in ihrer wichtigen kriegsfürsorglichen Arbeit
fanden, über deren Ergebnisse in einem oder zwei oder nun gar drei
schweren Kriegsjahren von verschiedenen größeren Städten interessante
Berichte, wie der vorliegende sehr umfangreiche, die Verhältnisse in
Mannheim behandelnde, herausgegeben worden sind.
Die Schrift trägt die Bezeichnung „Kriegsfürsorge" im begi-enzten
Sinne. Sie geht nicht auf das Wirken des Roten Kreuzes, der Kriegs-
beschädigtenfürsorge, der Arbeitslosenunterstützung, der städtischen Er-
nährungspolitik ein, sondern bietet in der Hauptsache eine ausführliche
Darstellung der Fürsorge für die durch den Krieg in Not geratenen
Familien, die in Mannheim von einem Kriegsunterstützungsamt als dem
Organ der gesetzlichen Kriegsfürsorge auf der Grundlage des geltenden
Reichsrechts und der neueren Verordnungen des Bundesrats mit er-
gänzenden landesrechtlichen Bestimmungen nebst städtischen Vor-
schriften einerseits und der freiwilligen Fürsorge anderseits, die bald
nach Kriegsbeginn ihren Sammelpunkt in der Zentrale für Kriegsfür-
sorge fand, ausgeübt wird. Sie erstreckt sich auf die reichsrechtliche
I
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. ß35
Kriegerfamilienunterstützung, deren Grundsätze bekannt sind, und die
Maßnahmen der Zentrale in bezug auf Naturalien abgäbe, Wohnungs-,
Kranken-, Säuglings- und Wöchnerinnenfürsorge, Arbeitsbeschaffung
sowie besondere Hilfseinrichtungen, wie die Kinderfürsorge, Fürsorge
für arbeitslose Mädchen, Berufsberatung und Kriegswitwenberatung,
Fürsorge für Versicherte der Landesversicherungsanstalt Baden, Er-
richtung eines Mieteinigungsamtes und Gründung einer Beratungsstelle
für Kleinhandel und Gewerbe.
Die zahlenmäßigen Ergebnisse dieser vielfachen Fürsorgemaßnahmen
werden in einer Reihe von Tabellen, aber nicht „statistischen Tabellen",
übersichtlich geboten. Namenlisten der Mitarbeiter, ein brauchbares
Sachregister und Abbildungen der in Betracht kommenden Wirkungs-
stätten einzelner Arbeitsvorgänge darin vervollständigen zweckmäßig
das Ganze, das in anschaulicher Weise zeigt, wie umfassend in deutschen
Großstädten die Kriegsfürsorge in diesem gewaltigen Völkerringen ein-
gerichtet ist und wie segensreich sie in schwerer Zeit volkswirtschaft-
lich und sozial wirkt.
Halle. Herbst.
Brückner, Silvester, Der Kulturkampf um die Einheit der Völker. Gesetz-
mäßig dargestellt und geschichtlich beleuchtet. Röntgental bei Berlin, Verlag Silvana,
1917. kl. 8. III— 144 SS. M. 2.—.
Bumm, Ernst, üeber das Frauenstudium. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters
der Berliner Universität König Friedrich Wilhelms III. in der Aula am 3. VIII. 1917.
Berlin, August Hirschwald, 1917. gr. 8. 24 SS. M. 0,80.
Dirr (M. d. L.), Dr. P., Belgien als französische Ostmark. Zur Vorgeschichte
des Krieges. Berlin, Max Kirstein, 1917. gr. 8. XXIII— 479 SS. M. 6.—.
Erzberger (M. d. R.), M., Der Verständigungsfriede. Rede, gehalten auf einer
Versammlung der württembergischen Zentrumspartei im Saalbau zu Ulm am 26. IX.
1917. (Politische Zeitfragen in Württemberg. Zwanglos erscheinende Hefte, Nr. 25.)
Stuttgart, Deutsches Volksblatt, 1917. 8. 38 SS. M. 0,50.
Fischer, Franz X., Deutschlands kulturelle Sendung. Ein Wort über unsere
Zukunft. Mergentheim, Verlagsbuchhdlg. Karl Ohlinger, 1917. 8. 46 SS. M. 0,60.
Freiheit, Die deutsche. Fünf Vorträge von (Wirkl. Geb. R.) Prof. D. Dr.
Adolf V. Harnack, Frdr. Meinecke, Max Sering, Ernst Troeltsch, Otto Hintze. Gotha,
Friedrich Andreas Perthes, 1917. 8. III— 169 SS. M. 1.60.
Freytag-Loringhoven (Gen.-Leutn.), Frhr. v., Dr., Folgerungen aus dem
Weltkriege. 2. Aufl. Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1917. 8. V— 106 SS. M. 2,50.
Frobenius (Kap.-Leutn.), Walther, Das Ende der englischen Gewaltherrschaft.
Die Freiheit der Meere Deutschlands vornehmstes Kriegsziel. Berlin, Karl Curtius, 1917.
gr. 8. 47 SS. M. 1.—.
Hoensbroech, Paul Graf v., „Belgien". Leipzig, Theodor Weicher, 1917.
gr. 8. 20 SS. M. 0,50.
Kerschensteiner, Georg, Begriff der Arbeitsschule. 3. verb. u. wesentl.
verm. Aufl. Leipzig, B. G. Teubner, 1917. 8. IX— 198 SS. mit 5 Taf. M. 2,80.
Kjell^n, Prof. Dr. Rud., Studien zur Weltkrise. Autor. Uebers. v. Dr. Frdr.
Stieve. München, Hugo Bruckmann, 1917. 8. VIII— 230 SS. M. 3,60.
Knorr, Dr. Wilh., Die Donau und die Meeren gen frage. Ein völkerrechtsgeschicht-
licher Rückblick und ein rechtspolitischer Ausblick. (Deutsche Orient-Bücherei. Hrsg.
Prof. Dr. Ernst Jäckh. No. 24.) Weimar, Gustav Kiepenheuer, 1917. 8. 5, 191 SS.
mit 1 färb. Karte. M. 3,50.
Koch, Martin, Europa vor der Verarmung. Beiträge zur Oekonomie des Welt-
krieges. Leipzig, Richard Kühn, 1917. 8. 30 SS. M.'0,80.
Ringo, Josef, Die Judenfrage in ihrem geschichtlichen Zusammenhang und
Vorschläge zu ihrer Lösung. Zürich, Speidel u. Wurzel, 1917. 8. 38 SS. M. 0,75.
536 ^^ periodische Presse des Auslandes.
Siemens (Geh. Reg.-R.), Dr. W. v., Die Freiheit der Meere. Berlin, E. S. Mittler
u. Sohn, 1917. 8. 55 88. M. 1,25.
Zusammenbruch, Der, Rußlands und seine Ursachen. Die falsche Rechnung
Englands. Von .... Leipzig, Ernst'sche Verlagtbucbhdlg., 1917. 8. 80 SS. M. 1.—
Marcossou, IsaacF., The re-birth of Russia. London, J. Lane. Cr. 8. 196 pp.
3/.6.
Die periodisclie Fresse des Auslandes.
A. Frankreich.
Journal de la Soci§t§ de Statistique de Paris. 58* Ann§e, Aoüt-septembre 1917,
No. 8/9 : Les ressources et les besoins dans le mpnde, par Yves Guyot. — Chronique
de d^mographie, par Michel Huber. — Statistiques financiöres de l'industrie allemande
pendant la guerre, par Daniel Bellet. — Emprunts et d^penses de gaerre de l'Autriche-
Hongrie, par Daniel Bellet. — etc.
Journal des ficonomistes. 76* Ann^e, Aoüt 1917: Hypoth&ses du lendemain de
la guerre, par Yves Guyot. — La houille blanche pendant la guerre et son avenir ea
France, par Auguste Pawlowski. — Dommages de guerre, droit social et propri§t^ in-
dividuelle, par Daniel Bellet. — L'impot c§dulaire sur les revenus, par fitienne Falek.
— Les comptes des chemins de fer de l'fitat pour 1915, par Georges de Nouvion. —
Un coup d'ceil sur le commerce ext^rieur de l'Espagne, par Pierre de M§riel. — Eco-
nomic Problems of peace after war, par Arthur Raffalovich. — etc.
B. England.
Review, The Contemporary. September 1917, No. 621: The three European
Settlements, by John Macdonell. — The future of the German colonies : I. The case for
retention, by H. H. Jobnston. IL The case for conditional return, by William Harbutt
Danson. — Spain in the world's debate, by A. F. Bell. — India after the war, by J.
Ramsay Macdonald. — The Ruthenian question in Russia, by Semen Rapoport.
Review, The Fortnighily. August 1917: The new Constitution al resolution, by
J. B. Firth. — Egypt in wartime, by Sir Malcolm Mc Ilwraith. — The Bäghdad
railway in the war, by H. Charles Woods. — Austria's hour of destiny, by Politicus.
— etc.
C. Oesterreich-Üngarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österreichischen
Handelsmuseums. Bd. 32, 1917, No. 37 : Wirtschaftspolitische Uebersicht (Ungarn, Deutsch-
land, Polen, Rumänien, Schweiz, Holland, England, Frankreich, Italien, Rußland). —
Der internationale Kautschukmarkt. — Russischer Außenhandel. — etc. No. 38 : Wirt-
schaftspolitische Uebersicht (Ungarn, Deutschland, Türkei, Schweiz, Holland, Schweden,
England, Frankreich, Rußland). — Die holländische Konfektionsindustrie. — Die Woll-
industrie in Italien. — etc. No. 39 : Wirtschaftspolitische Uebersicht (Ungarn, Deutsch-
land, Polen, Bulgarien, Schweiz, Holland, England, Frankreich, Rußland). — Der ameri-
kanische Außenhandel. — Holländische Schiffahrtsfragen. — etc.
Rundschau, Soziale. Hrsg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amt im Handels-
ministerium. Jahrg. 18, Juni — August 1917, Heft 6 — 8: Schutz der industriellen Arbeiter
und Angestellten gegen die Folgen des Krieges (Bulgarien, Gesetz). — Arbeitslöhne und
Arbeitszeiten in der Kaliindustrie (Deutsches Reich, Gesetz). — Siebenuhrladenschluß
im Handelsgewerbe (Ungarn). — Neuregelung des Vereinsrechts (Oesterreich, Regierungs-
vorlage). — Gemeindliche Arbeitsvermittlung (Ungarn, Ministerialverordnung). — Die
staatliche Arbeitslosenversicherung in England. — Unfallversicherung der Arbeiter ia
Oesterreich. — Unfallversicherung der Bergarbeiter in Oesterreich (Gesetzentwürfe). —
Zwangsweise Krankenversicherung (Zürich, Gesetz). — Schiedsgericht bei der Unfallver-
sicherung (Zürich, Gesetz). — Ermächtigung der Regierung zu wirtschaftlichen Maß-
nahmen in Oesterreich (Gesetz). — Errichtung von lokalen Preisprüfungsstellen in der
Zentral- Preisprüf ungskommis^ion (Oesterreich). — Errichtung von Organisationen der
Kaufmannschaft für die Kriegs- und Uebergangs Wirtschaft (Oesterreich, Ministerialver-
ordnung). — Schutz der Mieter (Oesterreich, Ministerialverordnungen). — Jugendfürsorge
Die periodische Presse Deutsehlands. ß37
in Oesterreieh. — Maßnahmen gegen Verwahriosung Jugendlicher (Böhmen, Verord-
nung). — Ergebnisse der Arbeitsvermittlung in Oesterreieh im März und April 1917.
— Die Arbeitslosigkeit bei den Gewerkschaften in Oesterreieh im Jahre 1916. — Die
Arbeitslosigkeit bei den Gewerkschaften in Oesterreieh im Januar, Februar März und
April 1917. — Staatliche Arbeitslosenversicherung in England 1912 — 1916. — Lebens-
haltung städtischer Familien während des Krieges im Deutschen Reiche. — etc.
Volks^wirt, Der österreichische. Jahrg. 9, 1917, No. 50: Krieg und Geldlehre
(VII. Konsum- und Erwerbswirtschaft und Preisbildung), von Walther Federn. — Die
Karl off elf rage, von Dr. G. St. — etc. No. 51: Polen, von Dr. G. St. — Die Politik
der britischen Arbeiter, von Sigmund Kaff. — etc. No. 52 : Die Programmrede Seidlers,
von Dr. G. St, — Das österreichische Budget, von W. F. — etc. Jahrg. 10, 1917,
No. 1 : Krieg und Geldlehre (VIII. Abreehnungsmethoden und Papiergeld), von Walter
Federn. — Die Grundlage für die Veranlagung der allgemeinen Erwerbssteuer, von
Dr. Franz Schwarz. — etc.
F. Italien.
Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. LV, Luglio 1917, No. 1 :
Movimenti di lunga durata dello sconto e dei prezzi, di C. Bresciani-Turroni. — Le
ourve di indifferenza nella teoria dei fenomeni collettivi di due argomenti, di Luigi
Amoroso. — etc.
G. Holland.
Economist, De, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Jaarg. 66, Augustus-Sep-
tember 1917, No. 8/9: De staathuishoudkunde in verband met den wereldoorlog. Toe-
spraak, gehouden door Prof. d'Äulnis de Bourouill in het Groot- Auditorium der Rijks-
Universiieit te Utrecht, op 7. Juni 1917. — Japan voorbeeld voor Nederlandsch-Indie?
door H. S. M. van Wickevoort Crommelin. — Handelskrouiek : De strijd om Rusland,
door A, Voogd. — etc.
Gids, De Socialistische. Maandschrift der sociaaldemocratische arbeiderspartij.
Jaarg. II, Maart 1917, No. 3: Het woningvraagstuk voor zestig jaar, door Mr. H. J.
Niboer. — Tien jaren vakvereenigingsstrijd, door R. Stenhuis. — De politieke beteekenis
der dienstplichtdebatten in Duitschland, door F. van der Goes. — etc. April 1917,
No. 4: De sociaale beteekenis van massale voedselbereiding en hare toepassing ter be-
sparing en rationeele verdeeling der beschikbare levensmiddelen, door L. R. de Miranda.
— etc. Mei 1917, No. 5: De socialistische arbeiderstaal, door E. Boekman. — Grond-
gedachten der huidige maatschappijleer, door R. Kuyper. — etc. Juni 1917, No. 6:
Over imperialisme, door G. Vermeer. — De arbeidskontrakten in Duitschland in 1914,
door G. F. Lindeijer. — etc. Juli/Augustus 1917, No. 7/8: Over imperialisme (slot),
door G. Vermeer. — De oorlog en de schuld vraag, door Mr. W. A. Bonger. — etc.
September 1917, No. 9: De waardeering van het parlement door J. H. Schaper. —
De internationale vakbeweging, door J. Oudegeest. — De oorlog en de schuldvraag (II),
door Mr. W. A. Bonger. — etc.
H. Schweiz.
Bibliothöque Universelle et Revue Suisse. Tome LX XX VII, Septembre 1917,
No. 261 : Le role de l'Australie dans la guerre actuclle (seconde partie), par Henry
Tardent. — Les 61§ments primordiaux de l'industrie Charbon et fer (troisi^me et der-
niöre partie), par M. Aubert. — Le rögne de Nicolas II, par F. Deriaz. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsg. im Kgl. Preußischen Min''sterium der öffent-
lichen Arbeiten. Jahrg. 1917, September bis Dezember, Heft 5/6: Der Austausch der
Güterwagen im Bereiche des Vereins deutscher Eisenbahn Verwaltungen, von (Geh. Reg.-R.)
Marx. — Die internationalen gewerkschaftlichen Beziehungen der Eisenbahner (Schluß
statt Forts.), von K. Rohling. — 1882—1911. Dreißig Jahre russischer Eisenbahn-
politik (Forts,), von (Geh. Reg.-R.) Dr. Mertens. — Die Kriegsschäden der Eisenbahnen
nach österreichischem Recht. — Die Ostpreußische Süübahn. Ein Beitrag zur Privat-
bahngeschichte, von Dr. Overmann. — Die Betriebszusammenlegung der holländischen
Q38 ^^^ periodische Presse Deutschlands.
Eisenbahnen. — Die Eisenbahnen der Schweiz im Jahre 1915. — Die Großherzoglich
Oldenburgischen Staatseisenbahnen. Ein Rückblick auf die ersten 50 Jahre ihres Be-
stehens 1867—1917. —
Archiv für Sozial Wissenschaft und Sozialpolitik. 13. Erg.-Heft: Konfessionelle
Militärstatistik, von R. E. May. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 17,
1917, Nr. 9: Das Interesse von Handel und Industrie an der internationalen Verständi-
gung, von (M. d. R.) Georg Gothein. — Ein Jahr Wirtschaftskrieg, von E. Trott. — etc.
Bank, Die. September 1917, Heft 9: Das gute und das schlechte Geld (VI u.
VII), von Alfred Lansburgh. — Kriegsgewinnsorgen, von Ludwig Eschwege. - Pro-
bleme der Uebergangswirtschaft. I. Der Abbau der Löhne, von Julian Borchardt.
II. Der Staat und der Arbeitsmarkt nach dem Kriege, von W. Eggenschwyier. — Zur
Kapitalserhöhung der Dresdner Bank. — Sparkassen und Kreditgenossenschaften. —
Krieg und Wohnungsmarkt. — etc.
Bank-Archiv. Jahrg. 16, 1917, Nr. 24: Zur siebenten Kriegsanleihe, von
(Geh. Justiz- R.) Prof. Dr. Riesser. — Der Krieg und die Wiener Börse, von (Dir. des
k. k. priv. Wiener Bank«Vereins) Alfred Heinsheimer. - etc. — Jahrg. 17, 1917,
Nr. 1 : Glossen zur siebenten Kriegsanleihe, von Arthur v. Gwinner. — Unsere Wäh-
rung nach dem Krieg, von Dr. Richard Hauser. — Zur Frage der Haftung der Banken
für Kreditauskünfte über ihre Kunden, von (Rechtsanw.) Dr. Walther Nord. — etc.
Blätter, Kommunal politische. Jahrg. 8, 1917, Nr. 8/9 (OrganisationsHeft) :
Aufruf zur Giündung einer kommunalpolitischea Vereinigung nebst Satzungsentwurf. —
Zur Ausgestaltung der Organisation unserer Stadtverordneten und G meindevertreter,
von (Ehrenvors. der Stadtverordnetenvereinigung der Rhein. Zentrumspartei, Geh. Justizr.,
M. d. R. u. A.) Carl Trimborn. — Der Organisationsgedanke in den Selbstverwaltungs-
körpern. Nebst Entwurf einer Satzung für Zentrumsfrakiionen in Gemeinderäten usw.,
von Herrn. Schüling. — Zur Frage einer Aenderung des preußischen Gemeindewahl-
rechts. — etc.
Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 24, 1917,
Nr. 18: Erhebung über don Kleinwohnungsmarkt währeijd des Krieges und nach
Friedensschluß und die Vorbereitungen zur Vermeidung einer Kleinwohnungsnot seitens
der Baugenossenschaften (Schluß), von Dr. G. Albrecht. — etc. — Nr. 19: Gründungs-
pläne und Akten der Wohlfahrtspflege, von Dr. Hertha Siemering. — Grundlagen,
Ziele und Durchführung der unter der Bezeichnung „Kriegswohlfahrtspflege" von den
Staatsbehörden den Gemeinden übertragenen Aufgaben, von (Magistratsrat) Liebrecht. —
Deutscher Armenpflegetag. — etc.
Export. Jahrg. 39, 1917, Nr. 38— 41: Englands Weltherrschaft und ihre Krisis,
von Dr. Frhr. v. Mackay. — Die englischen Drohungen über den Krieg hinaus (Forts.),
von Dr. R. Jannasch. — Die Wirtschaftspolitik der skandinavischen Länder. — Zur
Lage in Marokko. — etc.
Finanz- Archiv. Zeitschrift für das gesamte Finanzwesen. Jahrg. 34, 1917,
Bd. 2 : Reichs- und Landesfinanzen in Oesterreich. Eine Untersuchung betr. die finanz-
rechtlichen Beziehungen des Staates zu den Ländern unter besonderer Berücksichtigung
Böhmens, von Dr. Rudolf Schranil. — Die ansteigende Linie des Beamtengehalts, von
A. Zeiler. — Zur Beleuchtung der Zusammenhänge zwischen steuerfrei«m Existenz-
miniraum, Kinderprivileg, Junggesellensteuer und Haushaltungsbesteuerung und Mög-
lichkeiten eines Ausbaues der Gesetzgebung, von (Reg.-R.) Ludwig Bück. — Die
deutschen Reiehssteuergosetze von 1917, vom (Kaiserl. Präs. a. D.) Dr. R. van der
Borght. — Deutsches Reichsgesetz über die Besteuerung des Personen- und Güterver-
kehrs vom 8. April 1917. — Deutsches Reichskohlensteuergesetz vom 8. Apiil I9l7. —
Das Einkommensteuergesetz der Vereinigten Staaten vom 8. September 1916, von
(Rechtsanw.) Dr. Paul Marcuse. — Anhaltisches Gesetz betreffend die Abänderung des
Berggesetzes vom 9. April 1917. — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 170, Oktober 1917, Heft 1: Beamtentum und
Kaufmannschaft, von (Synd.) Prof. Dr. A. Wirminghaus. — Internationale jüdische Be-
ziehungen (Schluß), von Dr. jur, Wolfgang Heinze. — Strafrecht und Jugenderziehung,
von (Amtsrichter» Dr. Albert Hellwig — Englische Ernüchterung, von Emil Daniels.
— Wider den Kleinglauben. Deutsche Vaterlandspartei. Die Beantwortung der Papst-
note und die weiteren politischen Kundgebungen, von Hans Delbrück. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands. 639
Kultur, Soziale. Jahrg. 37, Oktober 1917, Heft 10. Karl Wasserab: Zur
Systematik und Lehrmethode der Staats- und Gesellschaftswissenschaften, von (Red.)
Reinbold Heinen. — Die Unbekanntschaft mit den Grundsätzen des englii^chen Wahl-
rechts, von Adolf Mayer. — Die Familienbücherei als ein Mittel der Familienpflege
(Das Ergebnis einer Umfrage), von (Sem.-Lehrer) Joseph Antz. — Ueber Arbeitsord-
nungen, von Dr. P. Martell. — Die Maschinenindustrie als Vermittler zwischen West
und Ost, von Robert Albert. — Koloniale Friedensziele und deutsches Wirtschaftsleben,
von A. R. Erlbeck. — Kommunale Kriegsfürsorge, von Dr. Franz Schmidt. — Die
Deckung des Rohstoffbedarfs nach dem Kries:e, von Eugen Löwinger. — etc.
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 23, Bd. 49, 1917, Heft 19: Eigenheiten
der kolonialen Wirtschaftsweise und Politik, von Max Schippel. — Das werdende Ruß-
land, von Dr. Ludwig Quessel. — Die Verkürzung der Arbeitszeit, von Sebastian Prüll.
— etc. — Heft 20/21: Die nächste Aufgabe der Partei, von Dr. Hugo Lindemann. —
Die Wirtschaftspolitik beim Kriegsausgang, von Max Schippel. — Der Reichstag und
die östlichen Fragen, von Max Cohen. — Rußlands agrarsozialistische Mission, von
Dr. Ludwig Quessel. — Produktionspolitik, von Hermann Kranold. — Wirtschaftsimpe-
rium und Seegeltung, von Paul Müller. — Die deutsche Sozialdemokratie und der
Parlamentarismus, von Hugo Poetzsch. — Die Beamten und die Politik, von Heinrich
Pens. — Frauenarbeit im Bergbau, von Theodor Wagner. — etc.
Oekonomist, Der deutsche. Jahrg. 35, 1917, Nr. 1813: Die siebente Kriegs-
anleihe. — Die deutschen Banken im Jahre 1916 (IV), von Dr. jur. Willy Baecker.
— Bautätigkeit und Wohnungsmarkt in deutschen Städten im Jahre 1916. — etc. —
Nr. 1814: Die Handelsbeziehungen Rußlands und Skandinaviens nach dem Kriege
(Forts.) — Die deutschen Banken im Jahre 1916 (V), von Dr. jur. Willy Baecker. —
Die deutsche Hagelversicherung im Jahre 1917. — Nr. 1815: Die Handelsbeziehungen
Rußlands und Skandinaviens nach dem Kriege (Schluß). — Die deutschen Banken im
Jahre 1916 (VI), von Dr. jur. Willy Baecker. — Die deutschen Sparkassen und die
siebente Kriegsanleihe. — etc. — Nr. 1816: Frankreichs mißliche Finanzlage. — Die
deutschen Banken im Jahre 1916 (VII), von Dr. jur. Willy Baecker. — etc. — Nr. 1817:
Der beginnende Abbau der Kriegsbörse. — Die Kursregulierung der Kriegsanleihen nach
dem Kriege. — Die deutschen Banken im Jahre 1916 (VIII), von Dr. jur. Willy
Baecker. — etc.
Plutus. Jahrg. 14, 1917, Heft 39/40: Kriegsanleihe. — Der Aufsichtsrat, von
Walter Rathenau. — Uebergangswirtschaft (X), von G. B. — etc. — Heft 41/42: Lex
Helfferich. — Kerenski, von Myson. — Uebergangswirtschaft (XI), von G. B. — etc.
Praxis, Soziale, und Archiv für Volkswohlfahrt. Jahrg. 26, 1917, Nr. 51 : Reichs-
wirtschaftsamt — Reichsarbeitsamt, von Prof. Dr. E. Francke. — Uebermäßiger Gewinn,
von (Amtsrat) Dr. Emil Hofmann. — Zur Regelung der Arbeitszeit der Arbeiterinnen
und jugendlichen Arbeiter. — Wohnungsfrage und Uebergangswirtschaft. — etc. —
Nr. 52: Für die Jugendlichen!, von (Stadtarzt) Dr. Dienemann. — Kriegsanleihe, Spar-
kassen, Arbeiterschaft. — Sonderschriften des Reichsausschusses der Kriegsbeschädigten-
fürsorge. — Die Löhne der Arbeiterschaft während des Krieges. — Die Unrast in der
englischen Arbeiterschaft. — Ministerien für Volkswohlfahrt in Oesterreich, von (Univ.-
Prof.) Dr. Leo Wittmayer. — etc. — Jahrg. 27, 1917, Nr. 1: Der preußische Gesetz-
entwurf von 1866 über das freie Koalitionsrecht der Gewerbe- und Landarbeiter. Eine
zeitgemäße Erinnerung. — Das Sihicksal des Volkes ist dein eigenes, von (Leiter der
sozialpolitischen Abteilung der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands)
Robert Schmidt. — Die Organisation des Reichswirtschaftsamts. — Privatangestellte
und Hilfsdienstgesetz, von Dr. A. Höfle. — Die freien Gewerkschaften und djis Koaii-
tionsrecht. — Krankenkassentagungen. — Die 35. Generalversammlung des Deutschen
Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit. — etc. — Nr. 2: Arbeitskammern, von
Dr. L. Heyde. — ReichswirtschafUsamt — Reichsarbeitsamt. — Das Hilfsdienstgesetz
und die Arbeiter. — Die Entwicklung der Bergarbeiterlöhne in Preußen. — Der inter-
nationale Gewerkschaftskongreß in Bern. — Vorbereitung einer staatlichen Arbeitslosen-
versicherung in den Niederlanden. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 6, Oktober 1917, Nr. 10: Technische oder uni-
versale Verwaltungsreform?, von (Oberverwaltungsgerichtsrat) Dr. Lotz. — Kriegsgewinn
für die Allgemeinheit, von Dr. Heinz Potthoff. — Währungspolitische Fragen. Eine
Erwiderung, von Dr. Otto Heyn. — Das Eigentumsrecht an den in deutschen Hoheits-
gewässern gesunkenen Schiffen und Ladungen, von (Rechtsanw.) Mielziner. — etc.
040 ^® periodische Presse Deutschlands.
Eundschau, Masius', Blätter für VersicherungswiasenHchaft. Jahrg. 29, 1917,
Heft 8: Die private deutsche Lebensversicherung im Jahre 1916. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 7, Sep-
tember 1917, Hefe 9: Lebenskostensteigerung und Beamtenbesoldung, von Dr. Josef
Ehrler. — Beitrag der Städte zur Lebensmittelerzeugung, — Die englische Landwirt-
schaft einst und jetzt. — etc.
Viertetjahrshefte zur Statistik des Deutschen Reiches. Hrsg. vom Kaiserl.
Statist. Amte. Jahrg. 25, 1916, Heft 4: Die Forsten und Holzungen im Deutschen
Reiche (1913). — Hopfenernte 1916. — Produktion der bergbaulichen Betriebe im
Jahre 1914. — Streiks und Aussperrungen. Vorläufige Uebersicht. 3. Vierteljahr 1916.
— Die Finanzen des Reichs und der deutschen Bundesstaaten (1912 und 1914). —
Konkursstatistik für das 3. Vierteljahr 1916. (Vorläufige Mitteilungen.) — Bestands-
und Kapitaländerungen der deutschen Aktiengesellschaften, im 3. Vierteljahr 1916. —
Bestands- und Kapitaländerungen der deutschen Gesellschaften mit beschränkter Haftung,
im 3. Vierteljahr 1916. — Tabakanbau 1916. Vorläufige Nachweise. — Zur Statistik
der Preise: 1. Amtlich (von Reichs-, Staats- bzw. Kommunalbehörden) festgesetzte Höchst-
preise für wichtige Lebens- und Verpflegungsmittel im Deutschen Reiche im Oktober
1916. 2. Rindvieh- und Schweinepreise in 5 deutschen Städten Januar bis September
1909—1916. 3. Viehpreise im Ausland im 3. Vierteljahr 1912—1916. 4. Preise von
Roggenbrot, Roggenmehl und Roggen in Berlin für die einzeluen Monate der 10 Jahre
1906 — 1915. 5. Börsenpreise von deutschem Roheisen, Blei, Kupfer und Zink an
deutschen Plätzen für die einzelnen Monate der 5 Jahre 1911 — 1915. 6. Großhandela-
preise von Getreide an österreichischen Plätzen : a) Preise für die einzelnen Monate der
4 Jahre 1912 — 1915; b) Jahresdurchschnitte für 1894 — 1915. 7. Börsenpreise wichtiger
Waren in Paris und Amsterdam : a) Preise in Paris für die einzelnen Monate der
5 Jahre 1911 — 1915; b) Preise in Amsterdam für die einzelnen Monate der 5 Jahre
1911 — 1915; c) Preise in Paris für 1891 — 1915 im Jahresdurchschnitte; d) Preise in
Amsterdam für 1891 — 1915 im Jahresdurchschnitte. —
Weltwirtschaft. Zeitschrift für Weltwirtachaft und Weltverkehr. Jahrg. 7,
September 1917, Nr. 9 : Das Eiserne Tor der Donau, von (Geh. Hofr.) Prof. Dr. Sieg-
mund Günther. — Kriegs- und Friedenswirtschaft, von Dr. A. Wirth. — Seefrachten
und Reedereiwesen in und nach dem Kriege, von Ernst Fitger. — Der Automobilver-
kehr in den Vereinigten Staaten 1916, von Dr. Hamburger. — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 13, 1917, Nr. 18: Der Treuhänder
für das feindliche Vermögen, von (Oberkonsistorialrat) Dr. jur. Nieders. — Krieg und
Wirtschaft, von Dr. Leo Blum. — Ein wirtschaftlicher Boykott der Mittelmächte nach
dem Kriege unmöglich. — Einsohränkung der Borgwirtschaft auch nach dem Kriege!
— etc. — Deutsch- Amerikanischer Wirtsehafts verband: Die Kontrolle und üeberwachung
der Deutschen in New York. — Aus dem Wirtschaftsleben der Vereinigten Staaten. —
Amerikanische Expansionsbestrehungen. — Deutsche Patente in den Vereinigten St>iaten.
— etc. — Nr. 19: Deutsche VVährungsprobleme nach dem Kriege, von Prof. Dr. Robert
Lief mann. — Verzinsliche Darlehnskassenscheine, von F. K. — Eine neutrale Ueber-
sicht über die Wechselkurse. — Spaniens wirtschaftliche Lage am Schlüsse des dritten
Kriegsjahrcs. — Wollerzeugung und Wollhandel während des Krieges. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 35, Bd. 2, Nr. 25: Das Elsaß in der Geschichte, von
K. Kautsky. — Die Ideen von 1914 (Schluß), von Max Adler. — Zu den Ketzereien
in der Frage der industriellen Nachtarbeit, von Luise Zietz. — Verschwendung und
Wirtschaftlichkeit in der Bevölkerungspolitik, von August Freudenthal. — etc. —
Jahrg. 36, Bd. 1, 1917, Nr. 1 : Neuer Jahrgang — neuer Lebensabschnitt. — Zum
Würzburger Parteitag, von Heinrich Schulz. — Stockholm, von Hermann Müller. —
Oekonomie und Taktik, von August Winnig. — etc. — Nr. 2: Revolutionschaos, von
Heinrich Cunow. — Strömungen im Zentrum, von J. Meerfeld. — Marx und die Ge-
werkschaften, von H. Müller. — Ein Beitrag zur Entwicklung und Organisation der
Frauenarbeit in Deutschland, von Artur Höpfner. — etc.
Frommannsche Buohdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Heinrich Waentig, Die Grandfrage der belgischen Volkswirtschaft. 64]^
IX.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirt-
schaft').
Von
Heinrich Waentig, d. Z. Brüssel.
III. Die Lösung.
Ansätze zu einer differenziellen Behandlung von Belgiens Schiff-
fahrt und Handel hatte es schon vor dem Jahre 1844 gegeben. So
waren fremdländische Schiffe höheren Tonnengeldern unterworfen
gewesen. Umgekehrt hatten sich die Ladungen einheimischer zoll-
politischer Vergünstigungen zu erfreuen gehabt. Ferner hatte man
für einzelne Waren, wie Zucker und Tee, Seidenstoffe, Melasse und
Bauholz, die direkte Zufuhr aus den überseeischen Produktionsge-
bieten durch erhebliche Mehrbelastung der auf dem Umwege über
die europäischen Umschlagshäfen zu Lande oder auf Kanälen und
Flüssen importierten Mengen zu fördern gesucht, auch den Erträgen
der nationalen Fischerei auf ähnliche Weise eine Vorzugsstellung
einzuräumen gewußt '^). In ihrer Mehrzahl waren diese Bestimmungen
jedoch als Ausnahmen gedacht und auch als solche empfunden worden.
Durch das neue Gesetz nun wurde der ihnen zugrunde liegende
Gedanke zum Prinzip erhoben, konsequent durchgeführt und systema-
tisch ausgestaltet. Diesen Versuch, wie er in den 12 Artikeln des Ge-
setzes über die Differenzialzölle vom 21. Juli 1844 und den 10 Kapiteln
der dazu erlassenen königlichen Ausführungsverordnung gleichen
Datums niedergelegt ist, hier in allen seinen Verästelungen genauer
zu verfolgen, würde nicht lohnen. Wichtiger ist die Feststellung,
daß diese Maßnahmen vorwiegend defensiven Charakters durch eine
Reihe anderer positiv gerichteter ergänzt wurden. Wie jene, ver-
folgten auch sie den ausgesprochenen Zweck, Belgien wirtschaftlich
auf sich selbst zu stellen, es von der vermittelnden Tätigkeit seiner
europäischen Nachbarn zu befreien, direkte Beziehungen zwischen
ihm und seinen überseeischen Kunden und Lieferanten herzustellen,
ja dem Lande womöglich einen Ersatz für den verlorengegangenen
holländischen Kolonialbesitz zu verschaffen.
1) S. oben S. 129 fg. u. S. 513 fg.
2) Genaueres darüber bei Briavoinne, De l'industrie en Belgiqne, Tome II, p. 44 ff.
#ahrb. f. Nationaldk. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 41
Q42 Heinrich Waentig,
Schon in den dreißiger Jahren hatte eine Reihe unternehmender
Kaufleute von Brügge und Antwerpen Handelsexpeditionen aus-
gerüstet, die, von staatlichen Kommissaren begleitet, die wirtschaft-
lichen Zustände überseeischer Absatzgebiete erforschen und persön-
liche Gescliäftsbeziehungen mit ihren Bewohnern anknüpfen sollten.
Algier, Tunis und Aegypten, Brasilien und Hinterindien, Chile, Boli-
via und Peru wurden nacheinander besucht. Eine um 1840 zu dem
gleichen Zwecke geplante Expedition nach China unterblieb noch
im letzten Augenblicke nur mit Rücksicht auf die durch den englisch-
chinesischen Krieg geschaffene Unsicherheit. Dafür verfaßte der
damalige belgische Konsul in Singapore, Auguste Moxhet, einen aus-
führlichen Bericht über seine auf einer Studienreise nach China
gesammelten Eindrücke und widmete diese Denkschrift über den
chinesischen Handel den Reedern, Kaufleuten und Industriellen
seines Vaterlandes ').
Gleichzeitig damit war man bestrebt, die technischen Mittel
für eine überseeische Handelsexpansion bereitzustellen, da die da-
malige belgische Kauffahrteiflotte den Ansprüchen des Fernverkehrs
nur zum geringsten Teile zu genügen vermochte. Schon während
der holländischen Zeit waren staatliche Schiffbauprämien ge-
währt worden. Das Königreich Belgien übernahm diese Einrichtung.
Ein mehrfach erneuertes Gesetz vom 7. Januar 1837, das erst am
1. Januar 1852 endgiltig erlosch, verhieß für alle von Belgiern auf
belgischen Werften gebauten Segelschiffe in einem Ausmaße von 100
bis 500 t Prämien in Höhe von 24 frcs. pro Tonne, die sich im
Falle der Verwendung von Metallen für Verkleidung und Verzapfung
auf 30 frcs. erhöhten. Für Dampfer waren die entsprechenden
Sätze auf 32 bzw. 40 frcs. bemessen, und zwar ohne Rücksicht auf
ihren Raumgehalt. Unter Zugrundelegung des gebräuchlichsten Satzes
von 30 frcs. pro Tonne, belief sich diese Subvention annähernd auf
7V9 bis 87« Proz. der Baukosten und belastete den Staatssäckel jähr-
lich mit rund 20 000 frcs.=^).
Die praktischen Erfolge der durch dieses Gesetz getroffenen
Maßnahmen scheinen von Anbeginn recht gering gewesen zu
sein. Im ganzen sind seit seinem Inkrafttreten bis zum 20. August
1844 in Belgien nur 47 Schiffe, darunter zwei Dampfer, mit einer
1) Vgl. Le Moniteur Coraraercial, Tome IX, 1843, p. 5 ff.
2) Vgl. Discus>ion de la loi des droits dif ^rentiela du 21 juillet 1844, Brnxelle»
1844, p. C f., und Expns§ de la Situation du royaume (Periode d§eennale de 1851 k
iSöO), public par le Ministre de l'Interieur, Tome IIl, B.uxelles 1865, p. 304d«.
Die von der Rt-ja^ierung an ßeoder, die si<h der ilochseefischeivi widmeten, alljährlick
in einem Gesamtbetrage von 40 000 f»cs. verteilten Prämien >olllen mittelbar wohl eben-
falls den Schiffbau befördein. Gleiches gilt von Artikel 8 des Ge^etzl•s über die Dif-
ierenzialzölle vom 21. Juli 1844, der für eine 18-monatige Frist, vom Tage seiner
VeröffentUcliung ab gerechnet, die Assimilierung fremdländischer Schiffe gegen eine
Gebühr von 30 frcs. pro Tonne vorsieht. Dann heißt es weiter: „Le gouvernement
«st autorise ä accorder la remise du droit, ä la condition que, pour chaque navirc na-
tionaIi-6, il sera construit en Belgique, dans un d61ai k fixer, un navire d'ane capaeitft
au moina §gale".
Die Grnndfrage der belgischen Volkswirtschaft - ß4^
öesamttonnage von 10677 t, also einem Durchschnittstonnengehalt
von 227,2 t, gebaut worden. Da dieser Zuwachs jedoch nicht einmal
genügte, den unterdessen eingetretenen Abgang zu ersetzen, der
von 1837 bis 1843 einschließlich 50 Schiffe betrug, während in
der gleichen Zeit, mit Genuß der Bauprämien, nur 45 Schiffe fertig-
gestellt wurden, so begreift man nicht, warum das Gesetz nicht
schon viel früher fallen gelassen wurde.
Schiffe allein, freilich, genügten noch nicht. Sollten sich die
direkten Verkehrsbeziehungen zwischen Belgien und den übersee-
ischen Gebieten zu dauernden und regelmäßigen gestalten, so galt
es, die ungeregelte Fahrt durch die Linienschiffahrt zu ersetzen.
Hierbei übernahm die Regierung selber die Führung, indem sie sich
nebenher von dem Wunsche leiten ließ, wie in der Eisenbahnfrage,
auch bei der Entwicklung der Dampfschiffahrt auf dem euro-
päischen Kontinente bahnbrechend zu wirken '). Daß sie bei ihrem
in den Jahren 1842/1843 unternommenen Versuche, mit staatlichen
Mitteln einen regelmäßigen Dampf schiff verkehr zwischen Antwerpen
und New York zu organisieren, größtenteils durch eigene Schuld
ein schweres Fiasko erlitt, neben empfindlichen finanziellen Ver-
lusten noch den berechtigten Spott der ganzen Welt über sich er-
gehen lassen mußte, konnte das Vertrauen der Handelswelt auf ihre
Weisheit in Sachen der Schiffahrtstechnik nicht gerade erhöhen-).
Trotzdem ließ man sich durch diesen ersten Mißerfolg nicht
ins Bockshorn jagen ; nur änderte man das System. An die Stelle der
1) Ueber private Proiekte in dieser Richtung vgl. P.-H. Pauw, Les chemins de
ler et la navigation ä vsipeur en rapport avec les relations cxt^iieures, les inl^iSts com-
merciaiix et iudustricls de la Bulgique, Bruxelles 1838, besonders p. 14ff. , und
G.-A. Thompson, L'uvenir du cheiiiin de fer et de la navigation par les bäieaux h
vapeur de la Belgique, Hruges 1840.
2) Eine humoristist hc 8ehildcrung des ganzen Falles gibt Ignaz Enranda in seinem
Bnche Belgien seit seiner Revolution, Leipzig 1864, S. 226 ff. ; eine sachliche, an-
flohcineiid aus offiziellen Quellen schöpfende Auguste Parent in seiner Schrift Du com-
merce de Belgique ä jiropos de I'uffranchissement de l'h^caut, ßruxelles 1863, p. 187 ff.
Im w««cntlichen stimmen beide Dan»tellungen miteinander überein. Offenbar hiitte man
sich, von Großmannssucht gcpl;»gt, beim Ankauf der beiden iür den neuen Dienst be-
stimmten, von der General Steem Navigation Company gebauten Dampfer „President"
und „British Queen", deren erster bei der Probefahrt unterging, deren zweiter
wegen übermäßigen Kohlen Verbrauches und versehie<ienilicher Konstrulctionsfehler nach
ku'zer Frist als unbiHU«hbar aufgelegt werden mußte, von den Briten gehörig über»
Ohr hauen lassen. Geradezu un^jlaublich aber klingt die wohlverbürgte Niiehricht^
daß die für die Heimreise benötigten Kohlen, die man in New Yoik zu 30 frcs. die
Tonne hätte haben können, dem Dampfer nus der Heimat nuf Segelschiffen nach Amerika
zugeführt wurden, so daß sie alles in allem auf über 60 frcs. die Tonne zu stehen
kamen. Kein Wunder, daß man nach zweimaliger Ueberfahrt bei einem Defizit von
150 000 frcs. landete. „Nun liegt sie müßig im Hafen", schließt Kuranda seinen Be-
richt über die „British Queen", „an ihrer Seite, rüstig wie ein Wind^piil neben einer
I^ärin, pehen wir ein klcints, sehlnnkes Dampfbdot, auf welchem die englische Flagge
wie ein höhnisches Ausrufungszeichen weht. Dieses leichte Bof)t hat die Steem Naviga-
tion Company nicht verkauft. Denn mit diesem und noch drei anderen seines Gleichen
besorgt sie die einträgliehe Ueberfahrt nach London, sowohl für Heisende als auch für
Briefpost. Man hat in Belgien den Transport nach Amerika an sich reißen wollen
nnd ist doch nicht einmal so weit gekommen, um den Transport naeh dem 12 bis
14 Stunden entlernten London für die Mailpost an sich bringen zu können."
41*
()44 Heinrich Waentig,
staatlichen Regie trat die subventionierte Privatunternelimung.
Scheiterten nun auch die während der nächsten zehn Jahre von
auswärtigen Kapitalisten unternommenen Versuche, den alten Plan
in neuer Form zu verwirklichen, schon an der Höhe der von ihnen
gestellten Ansprüche, so gelang es dafür 1853, zu dem gleichen Zwecke
eine belgische Dampfschiffahrtsgesellschaft mit einem Aktienkapital
von 5 Mill. frcs. auf die Beine zu bringen, die es, gegen eine staat-
liche Zinsgarantie von 4 Proz. des tatsächlich eingezaülten Kapitals
und eine Subvention von 1200 frcs. für jede Reise, übernahm, mit
5 Schiffen einen regelmäßigen Verkehr (mindestens 12 Reisen während
des ersten, je 24 in den folgenden Jahren) zwischen Antwerpen und
New York einzurichten.
Leider stieß die Durchführung dieses Unternehmens von Anbe-
ginn auf allerhand finanzielle und technische Schwierigkeiten, die
selbst in der Folge nicht überwunden werden konnten. Auch die
Lauheit der Antwerpener Kaufmannschaft scheint an seinem Miß-
lingen nicht unbeteiligt gewesen zu sein. Jedenfalls mußte die Ge
Seilschaft schon 1858 ihren Dienst wieder einstellen, um im Jahre
darauf zu liquidieren. Und von dem gleichen Schicksale wurde um
dieselbe Zeit eine 1855 mit einem Kapitale von 3,5 Mill. frcs. zum
Betriebe der Linie Antwerpen-Rio de Janeiro gegründete Dampf-
schiffahrtsgesellschaft ereilt, ohne überhaupt wirklich in Tätigkeit
getreten zu sein. Damit schien, auf diesem Gebiete wenigstens, die
nationale Initiative vorläufig erschöpft. Denn die 1859 für den
Dampfschiff verkehr nach der Levante (Konstantinopel und Aegypten)
ins Leben gerufene „belgische" Aktiengesellschaft, die der Staat
mit einer Subvention von 330 000 frcs. zu unterstützen versprach,
sollte mit holländischem Kapital und holländischen Schiffen arbeiten,
nachdem ein ähnliches Antwerpener Projekt des Jahres 1855 in den
ersten Vorbereitungen stecken geblieben war.
Glücklicher war der Staat als Organisator der nationalen Segel-
schiffahrt mit Hilfe eines behördlich geordneten Submissions wesens ;
wohl, weil man dabei an alte Ueberlieferungen anknüpfen konnte.
Finanziell beteiligte er sich an der Kostendeckung durch die Ge-
währung einer, je nach der Länge der Reise und dem Tonnengehalt
der von Fall zu Fall in Dienst gestellten Schiffe, abgestuften Sub-
vention, wofür er sich einen entscheidenden Einfluß auf die Be-
messung der Frachtraten und gewisse andere Vergünstigungen aus-
bedang. Nur für die Ostasienfahrt wurde bis lö4y den beteiligten
Reedern, anstatt der pekuniären Unterstützung, eine für die Zeit
der Reise aus öffentlichen Mitteln besoldete, ernährte und gekleidete
volle Bemannung aus den Beständen der Kriegsmarine zur Ver-
fügung gestellt^).
1) Vj»!. hierzu und zu dem folgenden Discussion de la loi des droits diff^rentiels,
p. LXXXIff.; Expose de la Situation du royaume (1851—1860), Tome 111, p. 304ddf.;
endlich Le Mouiteur Commercial, Tome V, 1841, p. 235 ff., Tome VI, 1842, p. 173 ff.,
Tome VII, 1843, p. 28 ff., Tome IX, 1844, p. 16 ff., Tome XV, 1845, p. 43 ff.. Tome XIX,
1846, p. 53 ff. usf. um einen ungefähren Begriff von der Größe der gewährten Sab-
Die Grundfrage der belgischen Yolkäwirtechaft. ß45
Eine am 12. Februar 1841 von der Regierung begründete Linie
Antwerpen-Rio de Janeiro-Valparaiso eröffnete den Reigen. Dieser
Dienst, der sich anscheinend bewährte, wurde im folgenden Jahre auf-
rechterhalten und 1843 durch die Linien Antwerpen-Singapore, Ant-
werpen-New York und Antwerpen-Vera Cruz ergänzt. Seitdem ver-
ging dann fast kein Jahr, in dem nicht zu den bereits bestehenden
neue Linien hinzufügt, oder die alten ausgebaut worden wären, bis
schließlich der ganze Erdball mit einem Netze staatlich subventio-
nierter Linienschiffahrt überzogen war^). Die mittlerweile in den
Frachtraten eingetretene Veränderung machte im Laufe der Jahre
auch gewisse Reformen im staatlichen Subventionssystem notwendig.
Einzelne Linien, zuerst die Linie Antwerpen-Rio de Janeiro, dann
die Linie Antwerpen-New York, traten in den freien Verkehr zurück.
Im Jahre 1856 waren die staatlich subventionierten Linien auf die
Antwerpen mit Singapore und Batavia, Kalkutta und Bombay, Sid-
ney und Port Philipp und mit der Insel Mauritius verbindenden zu-
sammengeschmolzen, bis schließlich gegen Ende der fünfziger Jahre
auch sie als solche aufgegeben wurden.
Aber die Wünsche nationalistischer Wirtschaftspolitiker ver-
stiegen sich noch weit höher. Daß, wie gelegentlich hervorgehoben
wurde, die Handelsbeziehungen zwischen dem holländischen Mutter-
lande und seinen Kolonien, insonderheit Java, erst nach dem Bruche
ihren entscheidenden Aufschwung genommen hatten, Belgien jeden-
falls dabei zu kurz gekommen schien 2), war für die jenes Marktes
Beraubten nur ein schwacher Trost. Hier einen Ersatz zu schaffen
und zugleich den immer bedrohlicheren Bevölkerungsüberschuß
auswärts abzuleiten, schien des Schweißes auch der Edelsten Wert.
Tention za geben, sei erwähnt, daß sie z. ß. Mitte der vierziger Jahre für die Linie
Antwerpen-New York 10 fres. pro Tonne bis zum Höchstbetrag des 250- fachen, für die
Linie Antwerpen- Konstantinopel 15 fros. pro Tonne bis zum Böohstbetrage des 150-
fachcn, für die Linie Antwerpen- Vera Cruz 30 fres. pro Tonne bis zum Höohsibetrage
des 175-fachen, für die Linie Antwerpen-Valparaiso 60 fres. pro Tonne bis zum Höchst-
betrage des 175-fachen für jede Ausreite betrug. Eine für die staatlich subventionierten
Linien aufgestellte Segelliste des Jahres 1844 zeigt für die Fahrt nach Bahia 2, Kon-
stantinopel 6, New York 8, Singapore 3, Valparaiso 2, Vera Cruz 4 Ausreisen. Die
sch&n damals ohne staatliche Subvention von der „Soci&t6 maritime beige" bediente
Linie Antwerpen-Rio de Janeiro hatte für das gleiche Jahr deren 6 aufzuweisen.
1) Erwähnt seien außer den im Text bereits genannten namentlich die subven-
tionierten Linien Antwerpen-Konstantinopel und Antwerpen-Bahia (1844), Antwerpen-
Santo-Thomas de Guatemala (1847). AntwerpenGalatz (1848), Anlwerpen-Sidney (1851),
Antwerpen-La Guyara de Venezuela (1853), Antwerpen-Istapa und Antwerpen-Kalkutta
(1854).
2) Das wurde mit besonderer Energie gelegentlich der Vorbesprechung über die
Handels- und Gewerbeenquete von 1840 von dem damaligen Minister des Innern be-
tont. „8avez-vous ce que valait h la Belgique la fam« use colonie de Java", rief er aus,
„savez-vous k quel chiffre se montaient nos exportations pour cette ile? II n'a Jamals
6t§ que de einq millinns et dcmie duns Tann^e la plus pros-pire du royaume des Pays-
Bas; et maintenant que nous sommes s§par§s de la Hollande, nous voyons qu'cn une
seule annle, en 1838, notre commerce maritime s'est accrü de neuf millions sur l'annee
pr§(ldente, äquivalent ä une fois et demie nos exportations pour Java pendant la plus
grande prosp§iit§ de nos relations avec cette colonie". Vgl. Situation commerciale et
industrielle de la Belgique, premifere Partie, p. 35.
(^46 Heinrich Wsentig,
wobei des öftereu die nicht ganz uneigennützige Erwartung mit-
sprechen mochte, unter der Hand erworbene überseeische Landkon-
zessionen derart am ergiebigsten verwerten zu können. Bezeichnend
war es immerhin, daß gerade der belgische Adel solchen Kolon ial-
projekten sein Interesse zuwandte.
[Jm 1839 einsetzend, erreicht diese koloniale Expansionsbewegung
mit der Verschärfung der flandrischen Leinenkrise um die Mitte der
vierziger Jähre ihren Höhepunkt, um von da ab langsam wieder ab-
zuflauen. Phantastische Pläne aller Art, teils von privater Seite,
teils von belgischen Auslandskonsuln, teils von der heimischen
Regierung ausgehend, durchschwirren die Luft, und eine Zeitlang
scheint es fast als sollte die ganze Welt mit belgischen Siedelungen
der verschiedensten Art bedacht werden. Einige Male kommt es zu
Präliminarverhandlungen mit auswärtigen Regierungen, seltener zu
wirklichen Anläufen. In einem Falle, beim Erwerb eines kleinen
Gebietes der zentralafrikanischen Westküste an der Mündung des
Rio Nufiez, tritt der belgische Staat selber als Kolonisator auf.
Doch ist von allen diesen Projekten im Grunde nur ein einziges in
größerem Stile zur praktischen Durchführung gelangt^).
Philanthropische, religiöse und ökonomische Motive haben, wie
es scheint, zusammengewirkt, um eine Anzahl belgischer Notabiii-
täten „entre les plus eminents par le rang et la fortune" zu be-
stimmen, sich 1841, unter offizieller Billigung von Staat und Kirche,
zur „Compagnie beige de colonisation" zusammenzuschließen, mit dem
Zwecke, belgischem Bevölkerungsüberschuß ein neues Arbeitsfeld,
belgischem Produktenüberschuß ein neues Absatzgebiet zu erschließen.
Sie erwarb von einer englischen Gesellschaft um den Preis von
840 000 frcs. und gegen Lieferung von 2000 Gewehren und 18 Ge-
schützen an die dortige Regierung auf „ewige Zeit" das Privat-
eigentum am Hafen und Bezirk (404 656 ha) von Santo-Thomas de
Guatemala, das sie alsbald mit belgischen Kolonisten zu besiedeln
begann. Aber schon wenige Jahre später war ein großer Teil dieser
Auswanderer elendlich zugrunde gegangen, und das ganze Unter-
nehmen in vollster Auflösung begriffen, so daß die belgische Regie-
rung sich 1847 genötigt sah, um größeres Unheil zu verhüten, den
Ueberlebenden die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen, während
1) Ueber die belgischen Kolonisationsbestrebungen jener Zeit im allgemeinen nnd
ihre Beziehungen zur Auswranderungsfrage im besonderen vgl. Jules Duval, Histoire de
l'gmigration europeenne, asiatique et africaine au XIX siöcle, ses causes, ses caraci^ree,
ses effets, Paris 1862, p. 115 ff. Em. Verstraete, Histoire des travaax et projeta de
colonisation des Beiges, in dem Bulletin de la Soci6t§ beige de göographie, 4. Ann§e 1880,
p. 637 ff., 5. Ann&e 1881, p. 5 ff., 120 ff. lieber Santo-Thomas de Guatemala im be-
sonderen vgl. auch G.T. Pousain, Li Belgique et les Beiges depuis 1830, Paris 1835, p, 373 ff. ,
Em. Verstraete, Moyens de d§velopper les relations commerciales de la Belgique, Bruzelle»
1875, p. 55 ff. Einen umfassenden Berieht über die wirtschaftliche Lage der Kolonie
nach mehrjährigem Bwttehen, offenbar nach amilichen Quellen, enthält Le Monitear
Commercial, Tome XXIV, 1847, p. 5 ff. Ein ähnliches Projekt, das auf die Besiedelang
der brasilianischen Provinz Santa-Katharina abzielte, endete in gleicher Weise.
Die Grandfrage der belgischen Volkswirtschaft. ^7
die Kolonialgesellschaft selbst, unfähig, die von ihr eingegangenen
Verbindlichkeiten zu erfüllen, sich auflöste.
Noch 1845 hatte G. T. Poussin der jungen Kolonie eine günstige
Prognose stellen zu können geglaubt. „Le commerce de la ßelgique",
bemerkt er abschließend, „est appel6 ä retirer de tres grands b6n6-
fices de cette colonisation par les Privileges et les droits accord^s ä
la compagnie; et, sous ce point de vue, nous sommes port^s ä consi-
d^rer la colonisation de Santo-Thomas comme une oeuvre vraiment
nationale, qui devra prouver un jour la profondeur et la sagesse des
pr6visions commerciales de ses fondateurs." Tatsächlich ist gerade
das Gegenteil davon eingetreten. Und mag auch die Art seiner
Durchführung, die aller Erfahrung Hohn sprechende Verquickung
eines tropischen Siedelungsunternehmens mit einem sozialistischen
Experimente, den schließlichen Zusammenbruch nicht wenig be-
schleunigt haben, im Grunde war das ganze Projekt schon in seiner
Anlage verfehlt^).
Was aber von diesem einen Teile, das galt, genau besehen, von
dem ganzen Systeme nationalistischer Wirtschaftspolitik. Aus so-
gleich näher zu erörternden Gründen ist es unmöglich, ihre wirk-
lichen Ergebnisse einwandfrei festzustellen. Deshalb erübrigt es sich,
dieser an sich interessanten Frage hier genauer nachzugehen. Sicher
ist, daß ihre Resultate in keinem Verhältnis zu dem Grade der auf
ihre Durchführung verwendeten Energie gestanden und daß sie die
wirtschaftliche Gesamtlage Belgiens nicht wesentlich verändert haben.
Wenn irgendwo, so hätten ihre Rückwirkungen in der Entwick-
lung der nationalen Handelsflotte und in der Gestaltung des Schiffs-
verkehrs der belgischen Häfen zutage treten müssen. Wie es damit
stand, beleuchten die folgenden Ziffern 2).
1) Verstraete macht fnr die Ergebnislosiekeit der Expedition nach der Mündung
de» Rio Nufiez, wie für das Scheitern des im Text geschilderten Unternehmens, die bel-
gische Regierung verantwortlich, fügt aber sehr richtig hinzu, „qu'il y a tout lieu de
croire anssi qu'il se füt fait des ennemis irr^conciliables, de l'Angleterre dans le premier
eas, des Pays-Bas, sinon de l'Angleterre, dans le second". (Bulletins de la 8oci^t6
beige de g§ogrnphie, quntri^me ann^e 1880, p. 679.) In der Tat sah sie sich, außer
durch finanzielle, besonders auch durch diplomatische Schwierigkeiten in ihren kolonialen
ExpanBionsbeüircbungrn gelähmt. Die Bilanz derselben bis zu Ende der vierziger Jahre
wird iu einer interessanten, Varlet zuzuschreibenden Denkschrift „De la colonisation"
vom 29. Januar 1848 gezogen, die, soweit ich habe feststellen können, nicht im Druck
erschienen, als Manuskript jedm'h in der Bibliothek des belgischen Ministeriums der
auswärtigen Angelegenheiten aufbewahrt wiid. Der Autor verhält sich darin im all-
gemtinen äußerst skeptisch, empfiehlt unter den für einen Erwerb eventuell in Frage
kommenden Inseln auch die ln^'el — Helgoland, im übrigen die Anlegung einer oder
mehrerer militärischer Niederlassungen an der afrikanischen Westküste zum Schutze des
belgischen Handels. Als Anhang enthält die Denkschrift eine ausführliche Urbcrsicht
sämtlicher seit lu30 bei der belgischen Regierung aufgetauchten Kolonialprojckte, die
sich, wie schon im Text angedeutet wurde, über alle Breiten und Weltteile erstreckten.
2) Expos6 de la Situation du royaume (1851 — 1860^ Tome III, p. 304 gg f. Das
Urmaterial ist dem Lloyd anversois und dem Antwerpener Pr^curseur entnommen. Die
mitgeteilten Ziffern sind nach der Angabe des Bearbeiters nicht als exakte zu betrachten,
entsprechen aber im wesentlichen den Tatsachen.
6^48
Heinrich Waentig,
Stand der belgischen Handelsmarine am 31. Dezember
der Jahre 1837, 1843, 1851, 1855, 1858, 1861.
Jahre
ÄDZflhl:
Tonneneehnlt:
Segler
Dampfer
im ganzen
Segler
Dampfer
im ganzen
1837
151
4
155
21 620
M77
23097
1843
»34
8
142
21 971
5034
27005
1851
157
6
163
34816
1377
36193
1855
150
8
158
37 957
5392
43 349
1858
13Ö
6
142
38831
33>7
42148
1861
103
8
III
27252
4484
31736
Danach ist von 1837 bis 1851, das ist während der Geltungsdauer
des Gesetzes über die Schiffbauprämien, ein geringfügiges Anwachsen
der Schiffszahl, ein stärkeres ihres Tonnengehaltes, zu konstatieren.
Die Höchstzahl der Schiffe wird 1851, das Höchstmaß ihres Tonnen-
gehaltes 1855 erreicht. Von da ab setzt ein Niedergang ein, ein
Symptom dafür, daß der durch die staatliche Politik der privaten
Initiative gegebene Anstoß nicht von Dauer gewesen ist.
Dabei ist, wie die folgende Uebersicht zeigt*), der Schiffs-
verkehr in den belgischen Häfen bedeutend gewachsen. Es betrug
nämlich im Durchschnitt der Periode 1851—1860 gegenüber der
Periode 1841 — 1850 die Zunahme der
nach
i Zahl 63 Proz.
einlaufenden Schiffe <j Tonnengehalt 50 „
l Ladung 49 „
{Zahl 61 Proz.
Tonnengehalt 50 „
Ladung 119 „
Doch ist an diesem Aufschwung die belgische Flagge in sinkendem
Grade beteiligt. Belief sich doch ihr Anteil an der gesamten Schiffs-
bewegung im Durchschnitt der Perioden
für
nach 1841—50
[Zahl auf 19 Proz.
einlaufende Schiffe < Tonnengehalt ,,21 „
l Ladung „21 „
{Zahl auf 19 Proz.
Tonnengehalt „21 „
Ladung „ 30 „
Auch hat sich das Maß der Ausnutzung des verfügbaren Schiffs-
raumes während der zweiten Periode für die belgischen Schiffe eher
ungünstiger gestaltet als für die fremdländischen. Denn es betrug
das Verhältnis der tatsächlichen Ladung zur verfügbaren Tonnage
im Durchschnitt der Perioden
1851—60
16 Proz.
17 .,
15 »
12 Proz.
17 „
19 ..
1) Exposfe de la Situation du royaume (1851—1860), Tome III, p. 304» ff. Die
Ziffern der 2. und 4. Tabelle entsprechen zum Teil nicht den in der zitierten Quelle an-
gegebenen. Letztere mußten wegen offenkundiger Eechenfehlcr ergänzt und korrigiert
werden. Sie bedeuten, wie übrigens auch alle anderen, nur Annäherungswerte.
Die Grundfrage der belgischen Yolkswirtechaft. 64&
für
1841-50
1851—60
87 Proz.
80 Proz.
87 „
87 „
43 Proz.
52 Proz.
28 „
45 „
auslaufende ^ ^e^ß'sche Schiffe
auslaufende ^ ^^^^^^ g^^^. ^^^
Endlich ist, durchaus entgegen den angestrebten Zielen, der
rerhältnismäßige Anteil der belgischen Flagge am Schiffsverkehr mit
den außereuropäischen Ländern eher noch stärker gesunken als der aa
der europäischen Fahrt. Es betrug nämlich der Anteil belgischer
Schiffe im Durchschnitt der Perioden
Auf der Fahrt von
und nach: nach 1841—50 1851—60
(Zahl 20 Proz. 17 Proz.
europäischen Häfen < Tonnengehalt 23 „ 17 „
[Ladung 23 „ 22 „
{Zahl 29 Pro/. 23 Proz.
Tonnengehalt 25 „ 18 „
Ladung 25 „ 18 „
Kein Wunder, daß sich die Broschürenliteratur der ausgehende»
fünfziger Jahre ^) über den Rückschritt der belgischen Handels-
schiffahrt und den Niedergang Antwerpens beklagt; daß eine, wohl
von hoher Stelle inspirierte, Brialmont zugeschriebene Broschüre des
Jahres 1860 unter dem Titel Complement de Poeuvre de 1830, als
wäre bisher in dieser Richtung nicht das Geringste geschehen, die
Begründung belgischer Handelsniederlassungen in transatlantischen
Gebieten, besonders in China, fordert; daß Ernest van Bruyssel einige
Jahre später in seinem Buche L'industrie et le commerce en Bel-
gique auf Grund eines umfassenden Beweismaterials den Nachweis
zu führen sucht, daß Belgien noch immer direkter Beziehungen zu
seinen überseeischen Kunden und Lieferanten ermangele 2). „Notre
pays n'a presque point de relations directes avec les marches colo-
niaux", so schließt er seine Betrachtungen, „et ne les exploite que
par des intermediaires. En 1860, le port d'Anvers regut 2568 na-
vires d^une capacite de 546 444 tonneaux ; en 1865, il en regut 2166,
1) Coonaans et H. F. Matthyssens, Etüde sur les questions d'int§r^t mat^riel ä l'ordr«
du jour, Bruxelles 1848, besonders p. 67 ff.; Petition adressfee ä Sa Majestfe le roi de»
Beiges par la commission de la 5. öection et des faubourgs d'Anvers, suivie d'une notice
historiqiie sur le commerce de ce port depuis le 16. siöcle jusqu'ä nos jours, Anven
1854; Extrait d'un rapport adressfe au gouvernement le 29 ocioi)re 1857 par M. Mox-
het, consul g6n6ral, charg§ d'une exploration dans les ports beiges, n^erlandais, alle-
mands et frarjais, im Boniteur beige vom 26. November 1858, p. 4e76f.; Dgcadence
du port d'Anvers, mesures r§clam§es dans les rapports g§n^ranx et dans la corre-
spondence de la Chambre de Commerce d'Anvers 1858, besonders p. 35 ff. ; J. G,,
Lettres sur la dfecadence du port d'Anvers, Anvers 1859; (Brialmont), Compllment de
l'oßuvre de 1830, etablissements ä cr6er dans les pays transatlantiques, avenir du oom-
meree et de l'industrie beige, Bruxelles 1860.
2) Ernest van Bruyssel, L'industrie et le commerce en Belgique, lenr 6tat actuei
et leur avenir, Bruxelles 1868, p. 158 ff., 177 ff., 191 ff. Hier zahlreiche aus dem
belgischen Konsnlatsberichten geschöpfte Beispiele für das Fortbestehen des „indirek
ten" Handels. Englische und französische, holländische und deutsche Häfen teilen sieb.
jetzt in diese Vermittlertätigkeit.
^0 Heinrich Waentig,
«'est-ä-dire 402 de moins, bien que d'un tonnage un peu plus eleve,
Est-ce-lä un progrös, aprfes cinq ans de travaux et d'efforts?"
Gleichwohl wäre es verfehlt, aus dem Gesagten grundsätzliche
Schlüsse auf den praktischen Wert der geschilderten Wirtschafts-
politik ziehen zu wollen. Dies schon deshalb, weil sie von An-
beginn nicht konsequent durchgeführt wurde. In dieser Hinsicht
war die auf Grund des Artikels 6 des Gesetzes vom 21. Juli 1844
Aber die Differenzialzölle erlassene königliche Verordnung gleichen
Datums, welche die Schiffe der Vereinigten Staaten und ihre Ladungen
im direkten Verkehre den belgischen „assimilierte" *), von symbolischer
Bedeutung, zumal ihre Begründung mit dem Hinweis auf die
Terhältnismäßige Geringfügigkeit der belgischen Ausfuhr nach den
Vereinigten Staaten, gegenüber der amerikanischen nach Belgien, und
auf das Zurücktreten der belgischen Flagge im wechselseitigen Schiffs-
verkehre wohl eher zu entgegengesetzten Maßnahmen hätte anregen
müssen.
Handelte es sich nun in diesem Falle immerhin um ein über-
seeisches Gebiet, das in dem damaligen Stadium seiner wirtschaft-
lichen Entwicklung für Belgien fast ausschließlich als Ursprungsland
von Nahrungs- und Genußmitteln sowie industriellen Rohstoffen in
Betracht kam, so galt gleiches gewiß nicht von dem holländischen
Nachbar. Dem politischen Friedensschlüsse von 1839 war durch
ien Haager Vertrag vom 5. November 1842 und den ihm ange-
schlossenen Handels- und Schiffahrtsvertrag vom selben Tage ein
wirtschaftliches Einvernehmen gefolgt, das in Artikel 41 ff. des
ersteren den belgischen Schiffahrts- und Handelsverkehr auf dem
Rheine regelte, im letzteren die Gleichstellung belgischer und hollän-
discher Schiffe und ihrer Ladungen bei der Benutzung der belgisch-
holländischen Binnengewässer im direkten Verkehr verfügte'-^). Da
nun überdies Artikel 3, Nr. 3 des Gesetzes vom 21. Juli 1844 über
die Differenzialzölle besondere Vergünstigungen für die Einfuhr von
7 Millionen kg holländischen Kaffees und 180000 kg überseeischen
1) Der im Text zitierte Artikel 6 des Gesetzes vom 21. Juli 1844 über die
Differenzialzölle lautete: „Les produits de l'Asie, de l'Afrique et de PAmgriquc arrivant
<älirectement en Belgique sous pavillon du pays dont ils sont originaires et d'oü ils sont
import^ä, pourrontStreadmis surle meme piedque sous pavillon beige,
lorrsque celui-ei ne sera pas soumis dans ce pays ä d'autres ni ä de plus forts droits
^e le pavillon national. Le Gouvernement est autoris§ k prendre, par arr6tfe royal,
lea mesures n§eessaires ä cet effet."
2) Der entscheidende Passus des belgisch-holländischen Handels- und Schiffahrt»-
rertrages vom 5. November 1842 lautete: „Les navires et leurs cargaisons venant di-
reetement par les riviöres et canaux, soit de la Belgique dans les Pays- Bas, sous pavillon
beige, soit des Pays- Bas en Belgique, sous pavillon n§erlandais, juiront r^iproquement
iant ^ l'entr^e qu'ä la soriie ou k leur passage, sans pr&judice des stipulations de l'ar-
4i«le 41 du trait§ sign§ ce jour ä la Haye, de toutes les exemptions ou autres faveurs
«n mati^re de droits ou chargcs quclconques de douane, de patente ou de navigation,
«mi sont ou seront accord§es aux navires nationaux et ä, leurs cargaisons. de teile sorte que,
^ans aucun cas et sous aucun pr§texte, les dits navires et leurs car-
gai><ons ne pourront, de part et d'autre, 6tre imposfes ä des droits ou
pftages autres ou plus 61ev§s, que les navires nationaux et leurs
«"•rgaisons."
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. Q51
Tabaks auf dem Umwege über Holland gewährte, so war auch der
Fortdauer des grundsätzlich verpönten indirekten Handels gerade
ao einem der gefährlichsten Punkte Tür und Tor geöffnet.
Mochte nun auch die zwischen beiden Ländern noch lange fort-
dauernde politische Spannung den durch ihre wohlverstandenen
Interessen nahe gelegten wirtschaftlichen Zusammenschluß vorläufig
verhindern 0, das auf geschichtlicher Ueberlieferung beruhende und in
weiten Kreisen der belgischen Bevölkerung lebendige Gefühl der
Anlehnungsbedürftigkeit mußte dadurch eher noch verstärkt werden.
Daß es sich, im Widerspruch mit der herrschenden Theorie und der
ihren Spuren folgenden nationalistischen Wirtschaftspolitik der
führenden Staatsmänner, unaufhaltsam durchzusetzen wußte, ja, nach
kurzem Kampfe das mühselig geschaffene Isolierungssystem an allen
Ecken und Enden durchbrach, war bezeichnend für die unwider-
stehliche Kraft der ihm zugrunde liegenden realen Bedürfnisse.
„Ce fut de la Belgique", hat später Guizot in seinen Memoiren
kategorisch erklärt 2), „que nous vint la proposition formelle de
Punion douaniere qui, depuis 1831, etait, entre les deux pays, un
sajet de publications, de conversations et de discussions continuelles.
En 1840, sous le ministere de M. Thiers, la question avait ete pos6e
et une negociation entamee. Elle fut reprise en juillet 1841; quatre
Conferences eurent lieu ä Paris, dans le mois de septembre, entre
quelques-uns des ministres et plusieurs commissaires des deux fitats.
Je les presidai. De part et d'autre, les dispositions etaient circon-
spectes: nous ne voulions pas faire payer trop eher, k
notre industrie et ä nos finances, l'avantage politi-
que que devait nous valoir l'union douaniere, et les
Beiges voulaient payer au moindre prix politique pos-
sible Pavantage industriel qu'ils recherchaient. lls
proposerent cependant Pabolition de toute ligne de
douane entre les deux pays et l'etablissement d*un
1) Erst ein Vierteljahrhnndert später durfte Fr^re-Orban mit einiger Aassicht
aaf Erfolg die Möglichkeit eines Zoll* und Wirtschaftsbündnisses zwischen Belgien und
Holland erwägen. Wie 1869, wurde darüber 1878 und 1883, endlich wieder 1005,
verhandelt, ohne daß man dabei zum Ziele gekommen wäre. Vgl. dazu Paul Hymana,
Krire-Orban, Braxellcs, Tome II, p. 338 ff. ; zusammenfassend Hans Gehrig, Pläne
eines belgii^ch-holländischen Zollvereins, in der Zeitschrift Der Beifried, 1. Jahrgang
1917, 8. 519 ff. Eine zu dem gleichen Zwecke 1906 begründete „Commission hollando-
belge*" trat in diesem Jahre, dann wiederum 1909 und 1910 zusammen. Die für das
Jahr 1912 nach dem Haag einberufene vierte Sitzung kam nicht zustande. Dafür ent-
wickelte im Jahre 1913 der Holländer H. J. Kiewitt de Jonge das Projekt, die sechn
Kleinstaaten des nordwestlichen Europas, Holland, Belgien, Dänemark, Norwegen,
Bchwcden und die Schweiz, wirtschaftlich zusammenzuschließen. Auch erfolgte die Grün-
dung einer besonderen Zeitschrift mit dem Titel „Les six £tats, Revue pour les §tatB
»eeondaires du Nordouest de l'Europe". Praktische Ergebnisse wurden jedoch damit
nicht erzielt.
2) Fran^ois Guizot, M§moires pour servir ä l'histoire de mon temps, Tome VI,
Pari» 1864, p. 276 ff.
552 Heinrich Waentig,
tarif unique et identique sur leurs aotres fronti^res,
C'6tait l'union douaniöre vraie et compUte".
Guizot's Darstellung ^) , die materiell richtige Tatsachen zu
einem in seinem Kerne doch durchaus irreführenden Gesamtbilde des
Vorgefallenen verwebt, macht seinem diplomatischen Geschick, alle
Ehre. Mußte ihm doch zu einer Zeit, da das zweite Kaiserreich
sich mit allen Mitteln auf die Wiedereroberung Belgiens rüstete,
nicht wenig daran liegen, die immer gleichen geheimen Ziele der
französischen Politik zu verschleiern und vor aller Welt Belgien als
den seine Einverleibung betreibenden Faktor hinzustellen, wie er
denn auch die französischen Botschafter 1842 in diesem Sinne in-
struiert hatte. Tatsächlich haben sich die in Frage kommenden
Ereignisse ganz anders abgespielt.
„Sauf quelques esprits genereux, qui comprennent Phonneur
national, toute la jeunesse est frangaise", hatte noch im Januar 1831
von Lüttich aus Hennequin an Rogier geschrieben. Gewiß, die
jugendlichen Führer der belgischen Revolution aus bürgerlichen
Kreisen liebten Frankreich. Sie liebten es mit blinder Leidenschaft,
vor allen aus politischen Gründen. Wie hätten sie auch von ihrem
Standpunkte aus anders empfinden sollen? Lieber, als unter dem
holländischen Joche zu verbleiben, wollten sie sich der westlichen
Schutzherrin der „Freiheit" in die Arme werfen. Selbst Rogier, als
Sohn eines belgischen Vaters und eine französischen Mutter auf
französischem Boden geboren, später einer der stärksten Stützen des
neuen Regimes, mag früher mit jenem Gedanken gespielt haben.
Aber das änderte sich rasch mit der Begründung der eigenen Dynastie.
Nationalistische Gefühle gewannen die Oberhand. Auch die mächtige
Kirche hätte sich einer politischen Einverleibung mit aller Macht
widersetzt. So blieben schließlich als treibende Kräfte für eine
belgisch-französische Annäherung vorwiegend ökonomische Motive,
und es handelte sich nur darum, ob es möglich sein würde, diese wirt-
schaftlichen Wünsche unter voller Wahrung der politischen Neutrali-
tät Frankreich gegenüber durchzusetzen.
Maßgebend für die Verhandlungen, die 1833 von belgischer
Seite in Paris eingeleitet wurden, waren die Interessen des fian-
1) Guizot's Darstellung widerspricht der von dem Abgeordneten Lebean, früherem
Ifinister der auswärtigen Angelegenheiten, in der Eammersitzung vom 2. Juli 1846
(Annales parlementaires de Belgique, 1845/46, p. 1844 ff.) gegebenen, sowie den in der
Geheimsitzung vom 30. Juni 1846 von dem damaligen Minister der auswärtigen An-
gelegenheiten A. Dechamps der Kammer gemachten Mitteilungen, deren Baupiinhalt
er später, unter dem Titel üne page d'his-toire, N&gociation commerciale avec la France,
Union douani^re (Revue g^n§rale, 5® ann^e 1869, p. 540 ff.), veröffentlicht bat. Zu-
sammenfassende Schilderungen der durch eine Reihe von Jahren hingesponnenen diplo-
matii'chen Verhandlungen g<ben Theodore Juste in seinem Buche L'Union douani&re
franco-belge, Le comte de Muelenaere, ministre d'fitat, d'aprös des documenta inMits
1794—1862, Bruxelles 1869, p. 61 ff.; Sylvain van de Wcyer, Histoiie des relatione
ext&ricures, in Patria Belgica. Biuxelles 1873, 2. Partie, p. 340 ff.; Ch. Pety de Thot§e
in seinem Sysl&me commercial de la Belgique et des princij>aux fetats de l'Furope et
de l'Am§rique, Biu^cellrs 1875, Tome I, p. 171 ff., und neuerdings Paul BymuM in
seiner Biographie Fröre- Orban*s, Tome II, S. 318 ff.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 553
drischen Leinengewerbes. Zwar hatten weder das Aufkommen der
Baumwollindustrie, noch der Verlust des spanischen Marktes oder
der Zollkrieg mit Frankreich (1825), noch die durch eine Mißernte
verschärfte Wirtschaftskrise der Revolutionszeit seinen weiteren
Aufstieg zu hemmen vermocht. In vierzig Jahren, von 1800 ab ge-
rechnet, soll sein Produktionsertrag um weitere 140 Proz. gestiegen
sein. Seit 1838 aber zeigten sich unverkennbare Merkmale des Verfalles.
Das Schwinden der belgischen Leinwandausfuhr (1838: 4871,6 t, 1843:
2768,3 t, 1848: 1441,1 t) redete eine deutliche Sprache. Und noch
früher trat die allgemeine Entwicklungstendenz in dem Sinken des
belgischen Leinengarn- und Leinwandexportes nach Frankreich (1830:
833,9 t bzw. 3424,5 t; 1838: 409,2 t bzw. 3379,4 t) und dem gleich-
zeitigen Emporschnellen des englischen (lö30: 3,3 t bzw. 27,5 t;
1838: 5804,0 t bzw. 1398,9 t) zutage. Kein Wunder, daß Belgiens
Anteil am gesamten französischen Leinwandimport in der Zeit von
1830 1838 von 93 auf 65 Proz. herabsank ')•
Wie die von der Regierung im Laufe des Jahres 1840 veran-
staltete Leinenenquete und auf Grund eines noch weit umfassen-
deren Materiales später Ducpetiaux nachgewiesen, wirkten sehr ver-
schiedene Ursachen zusammen, um die blühenden flandrischen Pro-
vinzen in einen Herd des Elends zu verwandeln, das sich infolge
der Kartoffelkrankheit und einer schweren Mißernte um die Mitte
der vierziger Jahre zur Hungersnot steigerte und das Land mit Ent-
völkerung, das Volk mit Entartung bedrohte'-^). Im letzten Grunde
handelte es sich dabei um eine Entwicklungskrankheit. Denn auch
in Belgien waren die Tage gezählt, wo das Spinnrad mit der Spinn-
maschine, der Handwebstuhl mit dem mechanischen konkurrieren
konnte. Daß man das Uebel, anstatt es sogleich an der Wurzel zu
fassen, zunächst mit handelspolitischen Palliativmitteln kurieren zu
können glaubte, war bezeichnend für die nationalökonomische Ein-
sicht der damaligen belgischen Staatslenker.
Die Grenze der Konzessionen, bis zu der man eventuell zu
gehen bereit war, ist in allen Stadien der gepflogenen Verhandlungen
1) Vgl. Minist^re de rint§rieur, Enqn^te sur l'indastrie liniere, Rapport de la
oommission, Explorations ä T^tranger, Bruxulles, Octobre 1841, p. 423, 461, und £d.
Duop^tiaux, M^moires sur le ptiup^risme dans les Flandres, Bruxelles 1850, p. 71, 73.
2) Ein erschütterndes Bild der Lage entwirft auf Grund des nur allzu reichen
Materials Lewinski in seinem Buche L'ev^olution industrielle de la Belgique. „Les
Flandres ne connurent pas de jours plus tristes que ceux-lä" , heißt es dort. „La
Belgique independante ne vit jamais diminuer autant sa population. Pour comble de
malheurs, la r§colte manqua dans ce pays si appauvri. La population des campagnes,
r^uite ^ la mendicit§, dut, parait-il, se nourrir d'herbes et de charognes, que l'on se
di^putait avec l'acharnement de la faim; les cultivateurs devaient monter la ganle, le
fusit. S^ l'epaule, devant leurs recolt^s encore vertes; des bandes d' >iffam6s, au teint
livide, aux cheveux hferiss&s, aus haillons d§chir§s et sordides, assifegeaint les portes
des Tilles qui se fermaient iaipitoyablement devant elles. La moiti§ de la population
des campagaes devait Stre secourue par l'autre moiti6 et celle-ci n'avait que le strict
n§cessaire. Les fermes §taient assaillies de mendiants. Les iodigents, en miijorit6 dans
bien des r^gions, di^putaient la norriture au b^tail et allaient jusqu'ä d§terrer les
plantes de pommes de terre pour les manger." (A. a. O. S. 95 f.)
^54 Heinrich Waentig,
die gleiche gewesen. Wenn man schon ein System Belgien begün-
stigender Unterscheidungszölle allem anderen vorgezogen haben
würde, so hätte man doch auch der Zollunion prinzipiell zugestimmt
Zu groß war die Notlage des Leinengewerbes, zu weit verbreitet
unter den Hilfsbedürftigen der fanatische Glaube an die Kraft des
Allheilmittels^). Innerpolitische Gründe kamen hinzu, um die jeden-
falls in ihren klerikalen Elementen einer wirtschaftlichen Annähe-
rung an Frankreich instinktiv widerstrebende Regierung gefügig zu
machen. War es doch ein offenes Geheimnis, daß die oranjistisch
gesinnten Gruppen im Lande für den Fall des Scheiterns des Zoll-
vereinsprojektes bereits den Wiederanschluß an Holland betrieben*).
1) Nach Faucher ergab eine in Belgien über den Zollverein mit Frankreich wtr-
anstaltete Umfrage das folgende Resultat: „Bruzclles est la seule ville qui n'en parle
pas, et Anvers la seule ville qui pröteste. Les habitani8 de Gand , de Brugea^
d'Ostende, de Couitrai, de Saint Nicolas, d'Ypns, de Louvain, de Tournai, de Moos,
de Nanmr, de Vervicrs«, la r§clanient h. grand» eris. Si Lifege et Charleroi h&sitcnt ei
regjirdont vers l'Alltmagno, c'cht uniquement, comme l'a dit un njaitre de forges,
Hontiieur Dupont, parcc qu'en demandant la supples^ion des douancs entre la Belgique
et la France, ils cioiiaient ^mettre un vceu Mfenle; parce qu'il kur parait iin|>oti>ible
d'obtenir de la France une pareille concession." (L'union du midi, Paris lb42, p. XXXV.)
Nach Pety de Thoz&e hat sich die belgische Presse fast einhellig gegen den Zollverein aus-
ge^prochen (a. a. O., Tome I, p. 172). In der belgischen Bro>chürcnliteratur der Zeit sind
die Zollverein^freunde nur durch Charles Dubois, Essai sur l'union douani&re de la Frauoe
et de Ja Bclgique, Lifege 1843, vertreten. Sehr energisch wendet hich dagegen J. Joitrand
in seiner Scliiift Des rsipports politiques et conimer. iaux de la Belgique et de la Fritnce,
Bruxelles 1841. Er begründet seine Stellungnahme wirtschaftsgeschichtlich und Ter
weist auf den Trugschluß, der darin liege, daß man von dem W'irlschafisbündnia mit
dem Frankreich Louis- Philippe's die gleichen Vorteile wie von dem mit dem Frankreiob
Napoleon's erwarte. Allerdings beklagte man sich im belgischen Parlamente s|>ftier
fibcr die große Zahl der den wirtschaftlichen Anschluß an Frankreich verlangenden
Petitionen. „E^t-ce encore une ncutralite iiid§pendante", bemeikt der Abueoidnete
David 1846 in der Debatte über den belgisch-französischen Handelsvertrag von 1845,
„que Celle que vous donne la triste Situation actuelle? Votre bureau est charg6 de
p§titions qui demandent la r§union douani&ie avec la France. Ces p^titions ariiTcnt
par pelleiees et vous n'y voyez pas des syniptomes qui affligent et qui allarment; von»
n'apperccvez pas ce grand avcilisscment qui vous dii que la d^af}»ction, la faibleve,
Ic manque de protection diviseront, jetttront le pays, par Sympathie et par int&i£t,
d'une part dans les bras de la Hollan<le, de l'autre dans eeux de la France ou mtoie
du Zollverein"? (Annales parlamcntaires de Bilgiquc, 1845/46, p. 1812.)
2) Bezeichnend ist die folgende briefliche Aeuüeiung König Leopolds L gegenüber
Louis- Philippe: „Dans ce j)ays-ci, les hommes un peu importants de tous le«
partis ont It6 oppos§s ^ une association commerciale avec la France.
C'est avec une grande r^pui;nance qu'on s'est finalement d§cidl ä la vouloir, v« le«
souffrances auxquelles IMndustrie beige devait dtre exposfee par
l'esp^ce de blocns qui pfese sur nous maintenant. Ayant, dans leur idfee,
fait un grand sacrifice, piesque aussi grand que l'abandon de leur existince politique,
ils croyaient qu'une pioposiiion d'association avec la France i.e ponvait pas Äire re-
ponssfee par eile. Vous pouvez donc facilemcnt vous faire une idfee des embarras politique«
qui i§sulteraient d'un non-surefes du traitfe. Letravail de nosennemis int§
rieurs est aussi dans ce sens: demander l'association avec la France,
et,8i eile repousse la Belgique, se baser sur la position impossible do
pays pour ehanger son gouvern erneut et se rfeunir 2l la Hol lande."
(Guizot a. a. O. p. 277 f.) Auf die Gefahren der oranjist srhen Umtriebe verweist
auch Jottiand a. a. O. p. 14 ff. Nach seiner Darstellung ziikullcrte in Biüssel damals
ben'its die Liste dos „Gouvernement transitoire'', das den Wiederanschluß an Holland
vollziehen sollte.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 656
Unbestritten ist, daß im September 1841 auch von den belgischen
Unterhändlern präzisierte Vorschläge über den Abschluß eines bel-
gisch-französischen Zollvereins in Paris vorgelegt wurden; ernstge-
meinte, wie Guizot es darstellt, als taktisches Manöver, wie später
belgischerseits behauptet wurde ')• Aeußere wie innere Gründe sprechen
für die Richtigkeit der letzteren Auffassung. Sicher wurde jeg-
liche Art der wirtschaftlichen Angliederung, die einen Verlust
der politischen Selbständigkeit des Landes und damit einen Bruch
seiner Neutralität eingeschlossen hätte, von Volk und Regierung
gleichmäßig abgelehnt. „L'equilibre de PEurope exige", heißt es in
einer programmatischen Erklärung des belgischen Parlamentes vom
Jahre 1841, „que jamais la Belgique ne soit reunie ä la P>ance. La
Belgique, loin derechercher la reunion politique avec
la France, la repousse. Elle ne lui envie pas ses lois. Elle peut
vivre heureuse sous Pombre protectrice de ses propres institutions" *)..
Das war auch König Leopolds persönliche Meinung, obwohl er sich
in einem seiner Briefe an Thiers als „un des plus fideles amis de
la France, peut-etre, pour etre vrai, le seul que vous ayez", bezeichnen
konnte.
Charakteristisch ist ein dem Minister in des Königs Hand als
„Note confidentielle" übersandter, vom 21. Mai 1840 datierter Ver-
tragsentwurf. „Le traite devra avoir un caractere essentiellement
commercial", heißt es in den einleitenden Worten. „Pour cette raison
il serait impossible de placer des douaniers fran^ais sur les fron-
tiferes du nord et de Pest de la Belgique" =^). Dementsprechend lauteten
auch die dem belgischen Gesandten in Paris, Grafen Lehon, am
5. November 1840 erteilten Weisungen: „11 est indispensable de
donner au traite un caractere commercial et d'en eloigner toute
clause qui serait d'une nature administrative." Und noch viel enger
1) „Monsieur le comte de Meulenaere, ministre d'§tat et membre du conseil", be-
merkt Dccharops, „prit donc &ur lui de s'§cnrter de nos instruciions. Dxns la s6:inoe
de la commission du 7 septcmbre, il proposa de discuter le plan d'union doiiani&re,
afin de eonnulire si les conditions de ce pinn Itaicnt computibles avec l'ind^pondance et
la neutrnlit^ de la Belgique. Kou» prcnions l'iniiiutive apparen te de cctie pro)Mi8ition,
mais en i§alit§ nous ne la faisions (las en vue de »on »cceptaiion, mxis, du contraire„
en vue du rcfus du gouvernement franjals, qui nous 6tait oonnu d'avance. C 6ta.it
une tactique den§goeiation, pourconstaier l'inteution de la France."
(Bcvue ggiigrale, 5« ann^e 18S9, p. 558.
2) In dem Rapport pr^scnife ä l'appui du projet de la Commission d'enqndte dan»
la 86ance de 22 d§ci>nibre 1841. (Di^<cu^äion de la loi des droits diff^renticln, p. 51 ff.)
Der Gedanke eines französisch-beJgiscben Zollvereins wird durin jedoch nicht giund-
^ätzlich verworfen.
3) In Le Corre?pondent vom 15. Dezember 1916, p. 1079 f. Inwieweit des König»
Angebot ehrlich gemeint gewesen, muß dahingestellt bleiben. Mettcmi«h soll sich
später dahin geäußert haben, Leopold I. habe den fraiizösi>eh-belgi8«hcn Zollverein nie
emstlieh giwollt, sondern ihm nur seheinbiir ßeifnll gespendet, „pour plaire au roi son
beau-pör<', k la nation franjüise, au pMiti fran^ais en Belgique et au sentimcnt nntionil
qui eherehe un d^bouchfe pour l'exe^deiit des produits beiges. Je suis fort teni§ de
eroire", fügt Guizot hinzu. , que M. de Menernich avaist ruison et que le roi Leopold
n*a jamais sSiieusement poursuivi le projet d'union douani^re, ni compi6 sur son succös."
(Mfemoires, Tome VI, p. 294 f.).
^56 Heinrich Waentig,
werden deren Grenzen in der Depesche vom 27. Januar 1841 ge-
zogen: „11 est devenu impossible, dans la position actuelle de la grande
politique de PEurope, de faire autre chose avec la France qu'un trait6
differentiel. 11 faut une ligne de douanes entre les deux
pays; il faut au reste de PEurope une preuve palpable
^u'il n'y a pas d'incorporation" i). Gerade das Gegenteil
war das Ziel der französischen Wünsche.
. Dennoch war man auch in Frankreich zunächst von rein wirt-
schaftlichen Erwägungen ausgegangen. Hier hatte die Begründung
des preußisch-deutschen Zollvereins leicht begreifliche Bedenken er-
weckt, die sich in mancherlei Kombinationen Luft machten. Als
„Union du Midi" sollten unter französischer Führung eine Reihe
westeuropäischer Staaten gegen den unwillkommenen Neuling mobil
gemacht werden. In seinen Einzelheiten zuerst im Märzheft der
Revue des deux mondes des Jahres 1837 von Leon Faucher ent-
wickelt, hat dieser Plan in mehrfach veränderter Form eine Zeitlang
die öffentliche Meinung bewegt und ist auch späterhin gelegentlich
wieder aufgetaucht, ohne dadurch seiner Verwirklichung näher zu
kommen-^). Nur das Projekt der Begründung eines französisch-bel-
gischen Zollbundes ist in ein akutes Stadium getreten.
Worauf es heute ankomme, heißt es am Schlüsse jenes program-
matischen Artikels, das sei, mit der Durchführung jenes großzügigen
Gedankens einen ersten Anfang zu machen. Belgien sei geneigt, sein
handelspolitisches Schicksal mit demjenigen Frankreichs zu vereinen.
1) So Dechamps in der Revue g§n§rale, öme ann§e 1869, p. 555.
2) Llon Faucher, L.üaion du Midi. Association commerciale de la France, aveo
ia Belgique, l'Espagne et la Suisse, in der Revue des deux mondes, 4. serie, Tome IX, 1837,
p. 515 ff., und De Punion commerciale entre la France et la Belgique, ebenda Tome XXXIX,
1842, p. 462 ff. und 649 ff. Beide unter dem Titel L'union du midi. Association de douanes
entre ia France, la Belgique, la Suisse et l'Espagne, auch im Buciihandel erschienen
(Paris 1842). Ein ähnliches Projekt wurde einige Jahre später in einer Broschüre über
den deutschen Zollverein vertreten, nur daß der künftige westeuropäische Zollbund sich
hier aus den Ländern Frankreich, Belgien, Schweiz und Savoyen zusammensetzen sollte.
Vgl. darüber P.-A. de la Nourais et E. Bferes, L' association des douanes allemandes,
son passg, son avenir, Paris 1841, p. 158 ff. Viel weiter geht H. Richelot in seiner
y,Denkschrift über die Interessen und Verhältnisse Frankreichs in Beziehung auf den
deutschen Zollverein'' (Bulletins de la Soci6ig industrielle de Mulhouse, No. 84 und 85.
Deutsch im Zollvereinsblatt, 2. Jahrgang 1844, S. 633 ff. usf.). Sie fordert eines
Zusammenschluß der mitteleuropäischen Länder unter Preußens, der westeuropäischen
unter Frankreichs Führung, um eine spätere Verschmelzung beider Zollbünde gegen die
drei Weltreiche der Zukunft, Großbritannien, die Vereinigten Staaten und Ruüland,
vorzubereiten. Und zwar sollte sich der westeuropäische Zollverein aus Frankreich,
Belgien, Holland, Schweiz, Savoyen, Spanien und Portugal zusammensetzen. Eine
„Association douani&re de l'Europe centrale", die, außer Frankreich, Belgien, Holland,
Dänemark, Deutschland, Oesterreich und «iie Schweiz zu umfassen hätte, wurde von G. de
Molinari im Journal des Debats vom 24. Januar 1879 verfochten, auf dem Brüsseler
Internationalen Kongreß für Handel und Industrie des Jahres 1880 eingehend diskutiert,
aber von der Mehrzahl der Redner abgelehnt. Vgl. dazu Chambre de commerce de
Verviers, Projet d'union douaniöre de M. G. de Molinari, Verviers 1879, und Union
Byndicale de Bruxelles, Congrös international du commerce et de l'industrie du 6 a«
18 septembre 1880, Bruxelles 1880/1881, PremiÖre partie, p. 14 f., Deuxi^me pariie,
p, 38 ff.
Die Qrandfrage der belgischen Volkswirtschaft. 657
Mit ihm solle man zunächst verhandeln. Indem man dann die gesamte
Schutzzollmauer erniedrige, werde man den ersten Schritt zum Bünd-
nis mit Spanien und der Schweiz machen, sich den Nachbarvölkern
annähern und auch England für die neue Idee gewinnen. „Le reste
sera une af faire de temps et de pers6verance; et le jour viendra
certainement d'une association complete, oü la France et la Belgique
fourniront les capitaux, la France, la Belgique et la Suisse le
travail et l'Espagne le champ d'exploitation."
Möglicherweise wäre, was Belgien betrifft, schließlich doch noch
alles nach Wunsch gegangen, hätte sich gegen den Gedanken eines
französisch-belgischen Zollvereins nicht in Frankreich selbst heftiger
Widerspruch erhoben. Namentlich die Vertreter des an Belgien an-
grenzenden nordfranzösischen Industrierevieres wollten von seiner
Verwirklichung nichts wissen ^), so daß sich die Regierung gezwungen
sah, an die nationalen Leidenschaften zu appellieren, um ihren Wider-
stand zu brechen. Politische Gewinne sollten in den Augen der
Interessenten die etwa zu erwartenden ökonomischen Verluste kom-
pensieren, die wirtschaftliche Angliederung nur die endgültige Ein-
verleibung vorbereiten. Zunächst vorsichtig verhüllt, wurden diese
Ziele bald mit zynischer Offenheit vorgetragen.
„Dans une union douaniere", so führten nach offizieller Dar-
stellung die französischen Minister im Verlaufe der entscheidenden
Besprechungen des Jahres 1841 aus, „tous les avantages mat^riels
sont pour la Belgique; tous les sacrifices sont du c6t6 de la France. Ces
1) Für den Zollvereinsgedanken waren in Frankreich namentlich die Handels-
kammern Bordeaux, Lyon, Marseille, Nimes, Montpellier, Bayonne, Multiouse, Saint«
^ticnne, Arras, sowie die Kaufleute und larhistriellen von Reims eingetreten, vor-
wiegend also Städte des Sädens und des Westens, die weitab vom Schusse lagen, während
die Hafenstädte Le Hävre und Dünkirchen, die Vertreter von Kohlenbergbau und Eisen-
indu^ttrie, namentlich aber die der Textilindustrie Nordfrankreichs, sich dagegen erklärten.
Agitationszentrum war die Handelskammer Bordeaux mit ihrem sohrififührenden Sekre-
tär Ch. AI. Campan. Vgl. Rapport du 4 novcmbre 1841 ä Monsieur le ministre du
commerce de Prance sur le traite avec la Belgique, Bordeaux 1841 ; De Punion doua-
nifere entre la France et la Belgique, Bordeaux et Paris 1843; De l'union douaniere
avco la Belgique et du renouvellement de la Convention du 16 juillet 1842, Bordeaux
1845. Dagegen wandte sich unter Mimerei das Comit§ central pour la defense du tra-
vail national. Vgl. Rfeponse ä la chambre du commerce de Bordeaux 1844. Für den
Zollverein auch (Houry?) £tudes sur les relations commerciales entre la France et la
Belgique, Paris 1844; namentlich aber L. Wolowski in dem damals neugegründeten
Journal des ^conomistes. Vgl. dort seine Artikel Negociations commerciales avec la
Belgique, a. a. O. Tome I, p. 173 ff., p. 403 ff. ; De l'union douaniöre entre la France
et la Belgique, a. a. O. Tome Ilf, p. 361 ff., und Le travail national, a. a. O. Tome VI,
p. 377 ff. „Loin de se faire concurrence pour Lurs produits les plus importants", be-
merkt Wolowski in der letztgenannten Schrift, „la France et la Belgique se compl^tent
en quelque sorte par la nature des productions de leur sol et de Icur Industrie; les
fabriques similaires se subdivisent elles-mömes en des catfegories distinctes qui permet-
tent un rapprochement avantageux" (p. 387). Das war aber keineswegs die Meinung
der Nächstbeteilis?ten, und ist, wie kürzlich wi< der von fn nzösischer S»ite nachgewiesen
wurde, heute noch viel weniger der Fall. Vgl. dazu Ph. Robert, Le commerce franco-belge
et sa signification sociale, Paris 1905. Gegenüber den gewissermaßen „komplementären"
französisch-englischen Produktionsverhältnissen seien die französisch-belgischen geradezu
als „antugonistische" zu bezeichnen, bemerkt der Autor.
Jahrb. t. NaUonalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 64). 42
ß5g Heinrich Waentig,
sacrifices sont grands, immenses; Punion douauiere n'offre ä
la France qu'une seule co mpensation, c'est l'accroisse-
ment de son influenae politique. Pour que la France sacri-
fie son industrie ä Pindustrie d'un peuple voisin, l'accroissement
politique ne saurait etre myst^rieux, volle, enigmatique; cet accroisse-
ment d'influence doit devenir palpable, Evident et ^clatant pour
tout le monde: il doit f rapper tous les regards. La France ne peut
pas d'ailleurs confier ä une autre nation les interets de son tresor
et le soin de veiller au sort de ses Industries; ce serait une abdica-
tion de sa souverainete. Des lors, l'union douaniere n'est possible
qu'autant qu'au gouvernement frangais appartienne le pouvoir executif
tout entier en matiere de douanes. Le pouvoir executif, c^est le droit
de prescrire, de Commander, de defendre, le droit de nommer, de
revoquer etc. A toutes autres conditions, Punion douaniere est im-
praticable, impossible" ^).
Wie England 60 Jahre später die „Kongogreuel", so glaubte
Frankreich damals die „Leinenkrise" benutzen zu können, um politisch
für sich Kapital daraus zu schlagen. Hätte ihm doch die vor den
Augen ganz Europas vollgezogene Angliederung des Nachbarlandes
zugleich die erwünschte Gelegenheit geboten, die 1840 durch Eng-
land in den Orienthändeln erlittene Schlappe wieder auszugleichen.
Aber wie die Ministerien Mole und Duchatel 1836 und Soult 1839,
so scheiterten in den vierziger Jahren auch Thiers und Guizot an
derselben Klippe. Ihre, trotz wechselnder Nuancierung, immer
gleichen „Bedingungen" waren für das neutrale Belgien, das jetzt
ausschließlich wirtschaftliche Zwecke verfolgte, unannehmbar % Es
1) Dechamps, in der Bevae g^aSrale, 5iue ann6e 1869, p. 558 f.; Jaste a. a.~0.
p. 80 f.
2) üebrigens waren unterdessen auch die Signatarmächte, besonders England, auf die
französische lutrige aufmerksam geworden und protestierten in Paris ge>jen die ßi'giünduDg
einer französisch-belgischen Zollunion, da sie Belgiens Neutralität in Frage stelle. Guizot
selbst war and -rer Ansiebt. „Les traites qui ont constitue la Bel«ique", schreibt er am
30. November 1842 an den französischen Ueschäftsträger in Berlin, Grafen Broson, „ont
stipule qu'elle formerait uu fitat indgpcndant et neutre. Cetie independanco, cette neuira-
lit6 seraient-elles, corame on le pr§iend, d§tiuites ou entam^es par le simple fait d'une
Union douaniöre avec la France? Oui, si les clauses de cette union portal-
ent attcinte ä la souverainete politique du roi des Beltres, »*il ne
conservait pas dans ses ;ßtats le plein exercice des droits essentiels
ä cette souverainet§. Non, si la souverainetfe politique beige demeu-
rait entiöre et si le gouvernement beige avait toujours la facultfe de
rompre l'union dans un dfelai d6termin6, dfes qu'il la trouverait con -
traire k son ind ^pendance. Bizarre indipendance que ccHe qu'on ferait & la
Belgique en lui interdisant absolument, et comme condiiion de son existence, le droit
de contracter les relations, de prendre les mcsures que lui conseiileraimt ses int^i^ts,
qui seraient peut-ötr«', pour son existence m^rae, une nfecessii^! L*ind&|ipndance n'est
pas un mot; eile doit 6t- e un fait. Un fetat n'est pas independant parce qu'on l'a
^crit dans un traiti, niais Ji condition qu'il pourra r^ellemont asrir selon son ini§i6t, son
besoin, sa volonte. En supposant la souverainete politique beige pleine-
ment respectfee, l'union douaniöre ne serait, entre la France et la
Beltfique, qu ' une f or ra e particu 1 i ^r e de traitfe decommerce; forme qai
entraiuerait saus doute dans l'ad mi nistrat ion int^rieure des dcux
£tats certains changements librement consentis de part et d'autre.
Die Qnindfrage der belgischen Volkswirtschaft. ß59
bestanden hier unüberbrückbare Gegensätze, die sich um so mehr
vertieften, je länger man verhandelte. Kein Wunder, daß das
Endergebnis, an den beiderseitigen Hoffnungen gemessen, ein so
mageres war.
Hatte Belgien 1836, gegen gewisse Konzessionen, die Herabsetzung
der französischen Zölle auf Leinengarne und -Gewebe erlangt, so
belegte Frankreich, angeblich, um sich der übermächtigen englischen
Konkurrenz zu erwehren, jedenfalls völlig unbekümmert um das
Schicksal des belgischen Leinengewerbes, durch königliche Verordnung
vom 26. Juni 1842 den Import gerade dieser Waren mit Einfuhr-
verboten gleichkommenden Hochschutzzöllen. Die „Convention li-
niere" vom 16. Juli 1842 brachte dann den Zollvereinsfreunden in
beiden Ländern eine Abschlagszahlung. Gegen Vergünstigungen bei
der Einfuhr französischer Weine und Seidenstoffe tauschte Belgien
seine Befreiung von der soeben erfolgten Zollerhöhung ein, mußte
sich jedoch überdies verpflichten, die in Frankreich für Garne und Ge-
webe in Flachs und Hanf geltenden Zollsätze anderen Ländern gegen-
über auch bei sich selber einzuführen, so daß damit indirekt eine,
wenn auch noch so beschränkte, Zollunion zwischen beiden her-
gestellt war.
Als „un commencement d'union avec la Belgique" feierte die
Revue des deux mondes die Leinenkonvention. „Sans doute, il sera
dur pour Pancicnne coalition de voir une oeuvre si savamment 61a-
boree s'ecrouler devant un traite de commerce, et les batteries braquees
contre nous faire volte-face k la voix d'un simple douanier", spottete
sie '). Noch ungünstiger gestaltete sich Belgiens Lage durch den
französisch-belgischen Handelsvertrag vom 13. Dezember 1845. Die
nicht einmal vollgültige Erhaltung seiner Sonderstellung gegenüber
den französischen Leinenzöllen mußte es jetzt durch die Preisgabe der
Interessen seiner aufstrebenden Wollindustrie erkaufen. Man ver-
steht es, daß die französische Regierung mit ihrem Werke zufrieden
war, wie sie dies auch öffentlich im Parlamente erklärte.
Die Zollvereinspläne freilich hatte sie vorläufig ad acta legen
müssen. Aber auch darüber wußte man sich zu trösten. „J'eus peu
de regret de ce resultat", bemerkt Guizot in seinen Memoiren. „Nous
aurions trouve dans ce fait une satisfaction vaniteuse plutot, qu'un
solide accroissement de force et de puissance. Quoiqu'en disent les
Partisans de la mesure, la Belgique ne se serait point completement
assimilee et fondue avec la France; l'esprit d'independance et de
nationalite, qui y avait prevalu en 1830, s'y serait maintenu et aurait
jet6, dans les rapports des deux fitats, des incertitudes, des difficultes
mais qui, loin de porter atteinte ä l'ind^pendance de l'un des denx,
ne seruit de sa part qu'un acte e" une preuve d'independance." Noten
gleic-hon Inhaltes wurden iin die diplomatifrlion Verlretor Frankreichs in L<»ndon, Wien,
Petei-sburg, Brüssel und Haag gerichtet (Gui/ot a. a. O. p. 285 f., 290 und 293).
1) Kevue des deux moudes, 4. S^rie, Tome XXXI, 1842, p. 663.
42*
^gO Heinrich Waentig,
et des perturbatioas contiauelles" '). Wahrscheinlich hatte er recht
damit
In Belj^iea aber war inan aufs iiöchste erbittert. Hier erregte
der Abschluß des Vertrages vom 13. Dezember 1845, den ein Ab-
geordneter als „un acte de soumission, j'allais dire de vasselage,
envers ia France" bezeichnete, allerseits einen wahren Sturm der
Entrüstung, und es fehlte nicht viel, so hätte man ihm im letzten
Augenblicke noch seine Zustimmung verweigert-*). Dabei wurde auch
das Problem eines belgisch -französischen Zollbundes in seiner
ganzen Breite wieder aufgerollt, obwohl es praktisch nicht mehr zur
Diskussion gestanden. Und seine Erörterung hat damals nicht wenig
dazu beigetragen, Frankreich die belgischen Sympathien zu entfremden.
Denn jetzt endlich erkannte man, daß man betrogen war^), und daß
Belgien für die Politiker an der Seine, trotz ihrer überschwänglichen
Liebesbeteuerungen, eine bloße Figur auf dem politischen Schach-
brette darstellte, nicht wertvoller wie jede andere. „Oh, France,
grande et admirable voisine", rief der Abgeordnete David ironisch
aus, „nous ne pouvons faire un pas dans la question qui nous occupe,
Sans y trouver le cachet de la bienveillance, de cette predilection
que tu nous fais payer si eher, que tu nous fais payer deux fois,
tandis que tu ne penses pas möme ä reclamer pour les memes choses
aupres d'aucun autre EtatI" In der Tat hätte es mit Belgien übel
gestanden, wenn es mittlerweile nicht bessere Freunde gefunden
hätte.
Freunde, sagte ich; und doch trifft dieses Wort nicht ganz das
Richtige. Denn der belgisch-deutsche Handels- und Schiffahrtsver-
trag vom 1. September 1844, der in der Wirtschaftsgeschichte
Belgiens Epoche gemacht hat, entbehrte jeder gefühlsmäßigen Grund-
lage. Man müßtä eine solche denn in der gemeinsamen Mißstim-
mung über Hollands selbstsüchtige Rheinschiffahrtspolitik erblicken
wollen. Im übrigen war er das Ergebnis fortschreitender Einsicht
in das Bestehen einer ökonomischen Interessengemeinschaft, zu deren
grundsätzlicher Anerkennung man sich beiderseits, fast mit innerem
Widerstreben, erst nach schweren handelspolitischen Kämpfen durch-
1) Guizot, Memoires, Tome V[, p. 295. Leider hat sich die franröaische Be-
Sfierung später keineswegs von dieser Eiasicht leiten lassen. Während des zweiten
Kiiiserreiches hat sie die alten Pläne wieder anfsjenooitnen, die, wie früher, nur der
Verwirkliohung politischer Ziele dienen sollten. Sie verstand es sogar, in geschickter
Weise Belgier für ihre Zvrecke zu gewinnen. Vgl. dazu fimile Balisaux, Question d'union
douaniöre, Bruxelles 1869; Petau de Miulette, La B ilgique industrielle, observfee par un
Ingenieur franjiis, im Januar- un l Märzheft des Jahrgangs 1835 der Revue g&nferale;
endlich Paul Hymans, Fröre-Orban, Tome U, p. 320 ff.
2) Vgl. A^naales parlementaires de Belgique, 1845/46, p. 1805 ff., 1811 ff., 1820 ff.,
1844 ff., 1849 ff.
3) Eine lehrreiche Br;trachtung über die Folgen des belgisch-französischen Handels-
vertrages vom 13. Dezember 1845 für beide Lanier enthält eine anonyme Broschüre
mit dem Titel ConsidSrations sur le commerce exfcericur de la Belgique et notamment
aar les rapports oommerciaux de ce pays avec la France, Bruxelles, Novembre 1853,
p. 11 ff.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. gߣ
geiiiDgen hat. Aber gerade weil dieser DtichterDe EuDd dem Be-
reiche wechselnder SÜBniiiUDgeD entiückt schier, war er von danein-
dem Werte.
Schon in der Kamnierdebatte über das Staatsbahngrundgesetz
vom 1. Mai 1^34 war es, im Anschluß an die immer erneuten
Klagen über holländische Handelsintrigen, zu grundsätzlichen Er-
örterungen über Belgiens Wirtschaltsveihältnis zu Deutschland ge-
kommen 1). „En se rattachant ä l'Allemagne", hatte kein Geringerer
als j^othcmb programmiatisch erklärt, „la Belgique agira k la fois
dans Pinteiet de son commerce et dans celui de sa nationalit^; eile
resoudra une question d'avenir politique et commercial." Daß die
neue Bahn, „ce trait-d'union magique qui Joint PEscaut au Ehin",
ihre volle Wiikung eist nach Abschluß eines die Entwicklung
der wechselseitigen Veikehrsbeziehungen begünstigenden Handels-
vertrages ausüben werde, wurde bereits damals betont. Deutschland,
schon während der holländischen Zeit ,.la source-mere de la pro-
sperite mercantile du pays*', heute Holland gegenüber in der gleichen
mißlichen Lage wie das belgische Nachbarland, werde sich solchem
Verlangen gewiß nicht widersetzen ^).
Eher noch stärker wurde die Bedeutung der deutsch-belgischen
Wirtschaftsbeziehungen, insonderheit des Durchfuhihandels, gelegent-
lich der parlamentarischen Beiatungen über das Transitgesetz vom
18. Juni 1836 unterstrichen ; „cette brauche importante du com-
merce, qui en 1829 et 1880 etait, par nos relations avec PAllemage,
le principal pivot de la prosperite materielle de nos ports com-
mer^ants**, wie der Abgeordnete Desmaisieres als Berichterstatter der
„Section centrale" in der Sitzung vom 19. April lbS6 erklärte. Die
gleiche Auffassung wuide von Begier vertreten, während Devaux in
einer großen Bede, an Belgiens glänzende Vergangenheit anknüpfend,
den Zukunftswert der voihandenen Entwicklungstendenzen zu be-
leuchten suchte. War Belgiens Veikehrslage derjenigen Englands
ähnlich, warum sollte es nicht zu gleicher Handelsblüte emporsteigen?
1) Vgl. dir AeußfruBgcn der AbgrordncUn Porny, de Fcerc, Sirif*:, I.fgrclie,
Devaux, Lardinois, Coghen (Wonitcur Bdge vom 12., 13, 15., 16., 17., 21. nnd
24. März 1634).
2) „Lonque le trmps sera venu d'cnlanaer des n^gcoiations avec la PmFFC on avec
la conffdfialicn crnnmcKiaJe four convinir d'nn iarif de dovanrs et de Iraneit", be-
mcikte d«r Algeoidncle Laidmois, „fcjcz poiMmdfs, qu'cn ne vons dicteia pop les con-
ditions et que le pouvcin<nient piushion est ticp hage cl conjoit Ircp bi<n ses inili^th pour
avoir des pi^ltnlicns qiii seiaitnt nnihiblis Ji notrc ccn mnce. It'aillcurs sa politi-
que comm erciale est large et liberale. Elle tend ^ nnir les penplcs
parles int^ißts mal^riels, qni ort «njonrd'hniplusde forceque celle
des baion nettes." Wdch gjcfrn Weit die belgiKlie Eogiemng der Euhnvcibin-
durg zwiKhen AiiUxeipm und dem Ülieine beil«g1o, ^'clii andi aus der TaUnihe heivor,
daß tie huh mii Zvsiin mvrg d<+ Pailinintis duich Vritirg \<m 18. Okiober 1839
der „"ßbeinifrcbiB Eihriiljilingif-ellKhalt" g«g<iiiiber veipllirluele, drn srblennigrn An^ban
der doutKhen Anscblvß^trrcke dnidi Ucbnniilme von 4000 Aktien zu je 150 Talern
zii bcföidcjn. liebt r die Yorj-äiige tinf dintubcr Seite vgl. Kail Kuffijninnn, Die Eiit-
ptelinrg der Eheinihcheu EifcenbabDgesollMhaft 1830—1844. Fpsm/Euhr 1910, betonder.«
8. 40 ff., 200 ff.
Heinrich Waentig,
Alle natürlichen Vorbedingungen hierzu seien gegeben; man müßte
sie nur frei walten lassen ^).
Im Grunde aber waren es doch nur vereinzelte Stimmen, die
sich in diesem Sinne äußerten. Regierung wie Volk hatten damals
andere Sorgen und Hoffnungen. Das bewiesen schlagend die seit
1834 zwischen Belgien und Preußen, als der Vormacht des deutschen
Zollvereins, geführten Verhandlungen, die sich unter fortgesetzt
wechselnden Konstellationen zehn lange Jahre ergebnislos hin-
schleppten und erst nach einem regelrechten Zollkriege zum Ziele
führten. Sie zeigten, zum mindesten auf belgischer Seite, vorerst
alles andere als den energischen Willen, möglichst bald zu einer den
beiderseitigen Interessen gleichmäßig Rechnung tragenden Verstän-
digung zu kommen 2).
Ausgangspunkt des Meinungsstreites war die von der belgischen
Regierung erhobene Forderung, es möchten, gleich den holländischen,
auch die in preußischen Häfen verkehrenden belgischen Schiffe von
der Erhebung der sogenannten „außerordentlichen Flaggengebühr"
befreit werden. Preußischerseits glaubte man, dieses Ansinnen
zurückweisen zu müssen, solange die preußischen Schiffe in belgi-
schen Häfen, wie umgekehrt, den einheimischen zwar hinsichtlich
der eigentlichen Schiffahrtsgebühren, nicht aber der diesen gewährten
Zollnachlässe gleichgestellt wären. Man erklärte sich jedoch am
22. Februar 1837 zum Abschluß eines Uebereinkommens bereit, „gemäß
welchem die Schiffe des einen der beiden Länder den einheimischen
in den Häfen des anderen gänzlich gleichgestellt werden sollten,
sowohl in Beziehung auf die Schiffahrtsgebühren als auch auf die
Warenzölle, sowie nicht minder hinsichtlich des die Küstenschiffahrt
betreffenden".
Wie die Schiffahrtsstatistik erweist, handelte es sich dabei auf
belgischer Seite wohl wesentlich nur um eine Frage des nationalen
Prestiges. War die Zahl der den belgisch-preußischen Verkehr ver-
1) Moniteur Beige vom 11. nnd 30. Mai 1836. „Connaissez-vous un fevfenement
plus grand pour le commerce et l'industrie beiges", erklärte Devaux, „que de parvenir
i ^tablir en Belgique ua grand march§ commercial, une de ces foires immenses, perp6-
tuelles, oü toutes les nations viennent acheter et vendre, oü tous les besoins viendront
se satisfaire; un de ces grands foyers d'affaires, quelque chose enfin, qui ressemble anx
march§d des grands ports anglais? Par Ik, au lieu d'aller p§niblement ä la
d^couverte de d^bouch^s lointains, nous les forcerions en quelque
Sorte ä venir Ji nous; nous les placerions aux portes m6mes de nos
Industries. Qu'avons-nous ä faire pour arriver Ik ä l'aide du temps et de progrös
successifs, ou tout au moins pour avancer vers ce but? En v§rii6, nous avons peu ä
ajouter k ce que la nature a fait pour nous, et aux I16ments que nous avons soua la
main. Avec toutes les conditions que vous poss^dez d§jk, rendez les achats et les
ventes faciles, et ne vous inqui^tez plus des arri vages ou des exportations; la progression
suivra son cours sans que vous vous en m^liez autrement."
2) Vgl. dazu die Denkschrift der preußischen Regierung vom 18. Juli 1844 über
die Handelsverhältnisse in Belgien, abgedruckt im ZoUvereinsblatt, 2. Jahrgang, 1844,
8. 746 ff., 763 ff. Eine Darstellung des belgisch-preußischen Konfliktes gibt Gustav
Hoefken in seinem Buche Belgien in seinen Verhältnissen zu Frankreich und Deutsch-
land mit Bezug auf die Frage der Unterscheidungszölle für den Zollverein, Stuttgart
und Tübingen 1845, S. 79 ff.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 6ß3
mittelnden belgischen Schiffe doch viel zu klein, als daß ihre Be-
freiung von der „außerordentlichen Flaggengebühr" irgendwie hätte
ins Gewicht fallen können ')• Wenn sich die preußische Re-
gierung gleichwohl weigerte, den belgischen Wünschen ohne weiteres
zu entsprechen, so ließ sie sich dabei wahrscheinlich von der Er-
wartung leiten, durch Ausdehnung der den einheimischen Schiffen
in belgischen Häfen eingeräumten Zollvergünstigungen auf die
preußischen deren an sich schon begründete Ueberlegenheit dort
noch weiter befestigt zu sehen.
Preußische Schiffe in belgischen Häfen
Eingelaufen
Ausgelaufen
Zahl
Tonnengehalt
Zahl
Tonncngehalt
1835
53
8744
46
7 553
1836
48
9342
65
10776
1837
73
13 '59
76
14082
1838
81
17504
81
16782
1839
71
15983
72
16 188
1840
52
II 631
47
10438
Summe 388 79 3^3 3^7 75^19
Daß ihr an der Pflege freundnachbarlicher Beziehungen zwischen
den beiden Ländern, mindestens in wirtschaftlicher Hinsicht,
schon damals gelegen war, bezeugte ihr grundsätzliches Entgegen-
kommen. Und da die belgische Regierung sich in einer Note vom
24. Mai 1837 mit jenem Vorschlage einverstanden erklärte, so hätte
man eine baldige Schlichtung der etwa noch bestehenden Meinungs-
verschiedenheiten durch einen Schiffahrtsvertrag, nach Art des am
3. Juni lb37 zwischen Preußen und Holland abgeschlossenen, er-
warten dürfen. Statt dessen versuchte Belgien jetzt, die ganze An-
gelegenheit auf die lange Bank zu schieben und sie, wie ein im
August 1839 von dem belgischen Geschäftsträger in Berlin vor-
gelegter Entwurf zu einem Handels- und Schiffahrtsvertrage bewies,
auf das zollpolitische Gebiet hinüberzuspielen. Das geschah in der
kritischen Periode der wirtschaftlichen Neuorientierung, wo man in
Brüssel um jeden Preis Zeit zu gewinnen suchte, um erst einmal
mit sich selber ins Reine zu kommen.
Wenn Belgien nun in einer Note vom 24. Mai 1842 neben der
Abschaffung der deutschen Ausfuhrzölle auf Rohwolle und der
Herabsetzung der Einfuhrzölle auf belgisches Leinengarn im Inter-
esse seiner Textilindustrie, mit besonderem Nachdruck die Er-
mäßigung der deutschen Eisenzölle forderte, so hatte dieses tiefere
Gründe. Mochte der Abbau der über den ganzen Süden des Landes
verstreuten Eisenerzlager sich noch immer in primitiven Formen be-
wegen, die Technik der Eisenverhüttung hatte um so raschere Fort-
1) Nach dem Tableau gin&ral du commerce de la BelgJque von 1840 waren von
1835 his 1840 einfchließlieh im ganzen nur 21 belgische Schiffe mit insgesamt 2176 t
aus Preußen in belgische Häfen eingelaufen, von dort nach Preußen ausgelaufen sogar
nur 8 Schiffe mit insgesamt 836 t. Aehnliches galt für den Schiffsverkehr zwischen
Belgien und den übrigen deutschen sowie den skandinavischen Häfen. Die im Text
genannten Ziffei-n sind der gleichen Quelle entnommen.
5t)4 Heinrich Waentig,
schritte gemacht. Form und Ausmaß der Hochöfen hatte sich ver-
ändert, der Kok unaufhaltsam die Holzkohle verdrängt. Das Jahr
1836, für diese Periode eine Zeit der Hochkonjunktur, zeigt 89 Hoch-
öfen (darunter 23 mit Kok beschickte) in voller Tätigkeit; 1839 ist
ihre Zahl auf 117 (darunter 45 mit Kok beschickte) gestiegen, von
denen jedoch nur 69 (darunter 17 mit Kok beschickte) wirklich
arbeiteten. Blitzschnell war eine schwere Krise über die belgische
Eisenindustrie hereingebrochen, die 1839 ihren Höhepunkt erreichte,
sich jedoch bis in die Mitte der vierziger Jahre fortpflanzte').
Maßlose Ueberproduktion, von einem ruckartigen Emporschnellen
der Eisenpreise begleitet, dem ebenso rasch das Einströmen aus-
ländischer Eisenmassen folgte (10 000 t im Jahre 1837, 5000 t im
Jahre 1838 gegenüber 1500 bis 1800 t im Durchschnitt der Vor-
jahre), hatte den Markt geworfen, die Industrie in ihren Grund-
festen erschüttert und drohte, alle ihre früheren Errungenschaften
in Frage zu stellen. Ein Preissturz von 23 — 30 Proz. zwang ein
reichliches Drittel der beteiligten Unternehmungen, ihren Betrieb ein-
zustellen, so daß der Produktionsertrag im Jahre 1«39 auf etwa die
Hälfte des 1836 beobachteten zusammenschrumpfte. Sehnsüchtigen
Auges blickte man jetzt nach Deutschland hinüber, wo, wie man
wußte, die heimische Industrie noch längst nicht imstande war, den
tatsächlichen Eisenbedarf zu decken, man also Belgien auf Englands
Kosten Vergünstigungen gewähren konnte, ohne dadurch die natio-
nalen Interessen zu schädigen. War unter solchen Umständen die
belgische Regierung grundsätzlich entschlossen, in der Schiffahrts-
frage nachzugeben, so wollte sie doch anderseits dafür möglichst weit-
gehende Vergünstigungen von deutscher Seite eintauschen.
Auf die einzelnen Phasen dieses Wechselspieles hier genauer
einzugehen , das den geschichtlichen Forscher heute wie eine
Komödie der Irrungen anmutet, würde zu weit führen. Verwirrend
wirkte besonders auch das Nebenherlaufen der belgischerseits im ge-
heimen mit Frankreich gepflogenen Verhandlungen, die das Kampffeld
mehrfach verschoben. Hierüber ist es dann auch zum offenen Bruche
gekommen. Nicht, daß Preußen im Gegenzuge versucht hätte, Belgien
zum unfreiwilligen Eintritt in den Zollverein zu pressen, oder es
gar durch wirtschaftliche Mittel seiner politischen Selbständigkeit
1) Vgl. Briavoiuue, De riuüuütrie eu Belgique, Tome II, p. 283 ff., besondeis
}». 289 ff.; Xavier Heuschling et Ph. Vandermaclen, Essai sur la Statistique gdi^rale
de la Belgiqiie, composfe sur des documents publics et particuliers, deuxiime Mition,
Bruxelles 1841, p. 100 ff. Hier auf p. 334 ff. eine an den Minister des Innern ge-
richtete Denkschrift der Handelskammer Lüttich vom 30. August 1839, in der nach
einer umfassenden Schilderung der Ursachen der Eiseukrise und ihrer Rückwirkung auf
die wirtschaftliche Lage des Lütticher Industriebezirijes schl«nkweg der zollpolitische
Anschluß an Holland, oder noch besser an den deutschen Zollverein, gefordert wird, da
man von England und Frankreich doch nichts mehr zu erhoffen habe. „II y a donc
hÄte pour la Belgique", heißt es dort, „de n§gocier son accession aux 6rats de l'union
allemundc, sinon eile court risque d'arriver trop tard; plus l'association acquerra de
consistance et de d^veloppement, plus eile se montrera rev^he H agrandir le cercle de
ses agr^ations douaniferes."
Die Gnmdfrage der belgischen Volkswirtschaft. Q^
ZU berauben. Aber man verwahrte sich dagegen, daß, unter dei»
Deckmantel einer wirtschaftlichen Annäherung, der politischen Expan-
sion Frankreichs auf belgischem Boden Vorschub geleistet würde. So
setzte man denn schließlich, als alle anderen Mittel versagten, auf
den groben Klotz einen groben Keil und brachte den wankelmütigCD
Nachbar dadurch überraschend schnell zur Anerkenntnis seiner wahren
Interessen ^).
Der zwischen Belgien und dem deutschen Zollverein, vom 1. Ja-
nuar 1845 ab gerechnet, zunächst auf die Dauer von 6 Jahren ab-
geschlossene Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 1. September 1844
begründet, wie dies in seinem Artikel 16 programmatisch ausgeführt
wird, volle und unbeschränkte Handelsfreiheit zwischen den Unter-
tanen der beiden vertragschließenden Parteien*-^). In jeglicher Be-
ziehung sollen hinsichtlich der Führung ihrer Geschäfte auch die-
jenigen, die sich vorübergehend oder dauernd in der Fremde nieder-
lassen würden, den einheimischen Staatsbürgern gleichgestellt werden
Der Vertrag zerfällt weiter in einen verkehrspolitischen und einen
handelspolitischen Teil.
Der erste, umfassendere (Artikel 1 ff.) verfügt grundsätzlich die
völlige Gleichstellung beider Handelsflotten im wechselseitigen Schiffs -
1) Der entscheidende Konflikt knüpfte sieh an die „Convention linifere" von J842.
Ueber ihre Tragweite war man sich anch in Deutsehland durchaus im klaren. „Dniclr
die Leinenkonvention mit Frankreich", heißt es in einer „Ein handolFpolitisehe»
Testament" betitelten, im Dezember 1845 in nur 12 Exemplaren als Manuskript ver
öffentliehten Broschüre des damaligen preußiK-hen Gesandten in Belgien, Freiherrn
Alexander Heinrich von Arnim, ,,war das neutrale und unabhängige Belgien genMigt^
die PmhibitivEÖlie Frankreichs anzunehmen und sie gegen seine anderen Nachbarn in
Anwendung zu bringen. Wenn dieses "Verfahren gelegentlich auf einen anderen Artikel
angewendet worden wäre und so fort auf einen dritten, vierten und lünften Artikel, 60
hätte sich aus dieser Mosaik von kleinen Konventionen nach und nach und unver
merkt, aber unfehlbar, das leibhaftige Bild einer französisch-belgischen Zollvereinigung
zu^^ammengesetzt" (a. a. O. S. 16). Dem wollte man unter allen rmständrn vorbeugen
Und als Belgien sich überdies weigerte, die Frankreich in demselbrn Vertrage iür
Weine und Seidenstoffe gewährten Zollerleichterungen über den 31. März 1844 hinan»
auch dem deutschen Zollverein einzuräumen, beantwortete man diesen feindseligen Akt
durch königliche Verordnung vom 21. Juni 1844 mit energischen Bepressalien auf
belgisches Ejsen. Eine gute und knappe Darstellung des Streitfalles unter der üeber-
Schrift Belgien und der Zollverein im Zollvereinsblatt, 2. Jahrgang 1844, S. €85 ff,
709 ff., 725 ff.
2) Der wichtige Artikel 16 heißt im Wortlaut: „II y aura pleine et enti^re libert^
de commerce entre les sujets des deux hautes parties contractantes, en cc sens que ]ea
mßmes facilit^, s6cunt^ et protection dont jouisscnt les nationaux, sont garanties de»
deux parts. En cons&quence, les sujets rej-pcctifs ne payeront point, Jl raison de Icur
commerce ou de leur Industrie, dans les ports, villes ou lieux quelconqucs des deui:
hautes parties conti actantcs, soit qu'ils s'y fetablissent, soii qu'ils y resident
temporairement, des droits, taxes ou impöts autres ou plus&lev^ii
que ceux qui se percevront sur les nationaux et les Privileges, im-
munit^s et autres faveurs dont jouiront, en matifere de commerce ow
d*in dustrie, les sujets de l'une des deux hautes parties contractantes,
seront communs h ceux de l'autre. La patente dont sont possiblcs, dans lea
l&tats des deux hautes paities contractantes, les voyageuis de conimerce, scr» rfedui^*
de part et d'atitre, ^ un taux unifoime Ä fixer d'un commun accord."
^6 Heinrich Waentig.
verkehre, hinsichtlich der Schiffskörper sowohl wie ihrer Ladungen*).
Nur die der heimischen Schiffahrt zugunsten der nationalen Fischerei
1) Da die den Schiffsverkehr zwischen beiden Wirtschaftsgebieten regelnden
Yertrag>bet(tiinmuDgeD auch heute noch von Interesse sein könnten, gebe ich die wicb-
tigbten Artikel im Urtext wieder:
Art. 1. Les navires apparteuant ä la Belgique qui entreront sar lest on chargis,
dans les ports de la Prusse ou dans l'un des ports des autres £tat8 du Zollverein, oa
qui en sortiront, et, röciproquement, les navires appHrtenant li la Prusse ou ^ l'un des
autres fitats du Zollvenin, qui entreront, sur lost ou charjsfes, dans les ports de la Bel-
gique, ou qui en sortiront, quelque soit le Heu de leur d§part ou de leur dci^tination,
ne scront pas assujettis ä des droits de tonnage, de pavillon, de port,
de balisage, de pilotage, d'ancrage, de remorque, de fanal, d'^cluse,
de canaux, de quarantaine, de sauvetage, de Courtage, d'entrepdt on
li d'autres droits ou eharg^s de quelque nature ou d6nomination que
ee soit, pergus au nom et au profit du gouvernement, de fonction-
naires publics, de communcs ou d'^tablissemen ts quelconques, qne
ceux qui sont actuellement ou pourront par la suite 6tre impos^s aax
bAtiments nationaux, k l'entr§e et pendant leur s6jour dans ces ports
ouJi leur sortie.
Art. 2. En tout ce qui concerne le placement des navires, leur charge-
ment et d§chargement dans les ports, rades, havres et bassins, et gk-
nferalement pour toutes les formalit^s et dispositions quelconques
auxquelles peuvent 6tre soumis les navires de commerce, leur equi-
page et leur chargement, il est ^sfalement convenu qu'il ne sera accord§ aux
nationaux aucun privil^ge ou faveur qui ne le soit 6galement k ceux de
l'autre partie, la volonte des deux hauies parties contractantes €tant que, sous ce
rapport aussi, leurs bätiments soient trail^s sur le pied d'une parfaite 6galit6.
Art. 4. Tous les produits et autres objets de commerce dont Pimportation ou
Pexportation pourra 6galement avoir lieu dans les fitats des bautes parties contractantes
par navires nationaux, pourront §galement y ^tre Importes ou en 6tre ex-
portls par navires appartenant ä l'autre partie contractante. Les
marchandises import&es dans les ports de la Belgique et du Zollverein par des navires
appartenant h, l'une ou k l'autre partie pourront y 6tre destin^es k la consommation,
au transit ou k la r&exportation, ou enfin, 6tre mi&es en entrepöt, au gr6 du proprife-
taire ou de ses ayants cause, le tout aux mdmes conditions et saus ^tre as-
sujetties ä, des droits de magasinage, de surveillance ou ffutres de
cette nature plus forts que ceux auxquels seront soumises les mar-
chandises apport§es par navires nationaux.
Art. 5. Les marchandises de toute espöce, saus distinction d'origine, Importe
directement des ports de Belgique dans ceux du Zollverein par navires beiges, ainsi
que Celles qui seront import^es directement des ports du Zollverein dans ceux de Bel-
gique par navires appartenant h. Pun des £tats du Zollverein, ne payeront, dans
les ports respectifs, d'autres ni de plus forts droits d'entrfee ou de
sortie et ne seront assujetties k d'autres formalit§s que si l'impor-
tation avait lieu par bätiments nationaux. II en sera de mdme pour le«
marchandises de toute espöce exportees des ports du Zollverein par navires beiges, ainsi
que pour Celles qui seront exportles des ports de la Belgique par navirts du Zoll-
verein, pour quelque destination que ce soit.
Art. 7. (Absatz I.) Les primes, restitutions de droits, ou autres
avantages decegenre qui sont ou qui pourraient ßtre accordls dans les Etats de
Pune des deux hautes parties contractantes aux navires nationaux ou ä leurs cargaisons,
»eront &galemcnt accordSs, soit aux navires de l'autre partie, soit aux
marchandises import6es directement de l'un pays dans l'autre par
navires de l'une ou de l'autre partie ou export§es pour quelque destination
que ce soit.
Art. 10. Les navires de Pune des deux hautes parties contractantes, entrant en
rel&che forc6e dans Pun des ports de Pautre, n'y payeront, soit pour le navire,
oit pour son chargement, que les droits auxquels les nationaux sont assu-
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft ß57
ttüd des Salzhandels gewährte Vorzugsstellung (Art. 7, Abs. 2) und
die für die indirekte Wareneinfuhr geltende differentielle Be-
handlung (Art. 5, Abs. 2) bleiben aufrechterhalten. Kommen diese
Bestimmungen in erster Linie dem Zollverein zugute, so haben beide
Teile an allen den Transitverkehr regelnden (Art. 17 und 18) das
gleiche Interesse. Durch vertragsmäßige Festlegung von Höchst-
sätzen für die Durchfuhrzölle, namentlich im Zollvereinsgebiete, so-
wie der in Belgien für den Eisenbahnverkehr bereits bestehenden
Zollfreiheit, suchen sie diesen möglichst zu heben *).
Gewisse Kompensationen für die der deutschen Schiffahrt ein-
geräumten Vorrechte erhält Belgien im handelspolitischen Teile
des Vertrages zugebilligt. Diese liegen vornehmlich in der Er-
mäßigung der deutschen Einfuhrzölle auf belgisches Eisen, der
deutschen Ausfuhrzölle auf deutsche Wolle. Die dem Zollverein
für deutsche Weine, Seidenstoffe, Nürnberger und Modewaren ge-
währten Zollnachlässe, die Bindung der belgischen Zölle auf deutsche
Werkzeuge und Instrumente in Stahl und Eisen, sowie auf bestimmte
Mengen westfälischer und braunschweiger Garne, stellen hier die
belgische Gegenleistung dar. Beide Parteien verpflichteten sich
überdies, die Abwicklung des Grenzverkehrs auf jede Weise zu er-
leichtern, das Schmuggelwesen in beiden Richtungen energisch zu
unterdrücken.
Nach alledem war der belgisch-deutsche Handels- und Schiffahrts-
vertrag vom 1. September 1844 ein rein wirtschaftliches Abkommen.
Gewiß war Belgien dadurch Deutschlands „kommerzielles Vorland**
geworden, aber ohne darum im mindesten seine politische Unab-
hängigkeit zu verlieren, seine garantierte Neutralität zu verletzen.
Vielmehr waren diese im Vertrage so sorgfältig gewahrt, daß er
jettis dans le m6me cas, poürvn que la n^cessit^ de la reläche soit I§galement
constat^e, que ces navires ne fassent aucun o] §ration de commerce et qu'ils ne s-§jour-
nent pas dans le port plus longtemps qne ne l'exige le motif qui a n^cossitfe la reläche.
Art. 12. Les stipulations qui pr^cfedent (art. 1", 2", 4% 5% 7*) s'appliquent
"k la navigation tant maritime que fluviale, de mani^re que, nomm§ment
par rapport aux droits de douane, aux droits de navigation, pesant soit
sur les navires soit snr les chargements, aux droits de patente ainsi
q\i*ik tous autres droits ou charges de quelque nature ou dgnomination
que ce soit, les navires appartenant k l'autre partie contractante ne pourront 6tre
impos^s de droits autres ou plus §lev6s que cenx dont sont frapp^s les na-
vires nationaux.
Art. 14. Si une des hautes parties contractantes accorde par la suite k une
aatre !ßtat quelque faveur particuli^re en fait de navigation, cette faveur de-
viendra commune li l'autre partie qui en jouira gratuitement si la
concession est gratuite, ou en acoordant la m6me compensation si Ift
eonoession est conditionnelle.
1) Die wichtigsten Sätze des Artikels 18 lauten: „La libert§ du transit par
la Belgique est maintenue avec l'af f ranchissemen t de tout droit pour le
transit par le chemin de fer beige, tant pour les marchandi^es vcnant des J^tats
du Zollverein, que pour les marohnndises j allant, aux termes des disposition«
actnellement en vigueur. L'exemption de droit dont jouiüsent, en Belgique, les
draps, les Casimirs et leurs similaires transitant par le chemin de fer, est §tendue an
tranaii de ces articles par toute autre voie."
(^68 Heinrich Waentig,
auch Dicht eine BestimmuBg enthielt, die nicht bereits für Frank-
reich gegolten hätte, oder von diesem unter gleichen Eedirgiingen
eu beanspruchen und von Belgien zu gewähren gewesen wäre.
Dennoch, oder vieleicht gerade deshalb, hatte er zugleich eine eminent
politische Bedeutung. Was er in den Augen der Zeitgenossen be-
deutete, erhellt wohl am deutlichsten aus den von französischer
Seite dazu gemachten Glossen.
Die Natur habe Belgien die Gabe der wirtschaftlichen Unab-
hängigkeit versagt, erklärte Major Poussin. Damit sei sein Schicksal
ftir alle Zeiten untrennbar an das seiner Nachbarn gebunden. Kach
seiner Loslösung von Holland habe es unschlüssig zwischen Frank-
reich und Deutschland hin und her geschwankt. Jetzt, nachdem die
jüngst vollendete Eisenbahn Antwerpen und Ostende mit dem Eheine
verbunden, sei der Würfel gefallen: „La Belgique est desoimais ac-
quise ä Punion allemande, et les ports beiges peuvent des aujourd'hui
etre consideres comme assimiles en tout et pour tout aux
ports du Zollverein. Des ä present, par consequent, la neii-
tralite de la nationalite beige si cherement concedee par les puis-
sances signataires du celebre traite du 15 novembre est une lettre
morte; eile ne peut plus exister, car la solidarit^ des
interets commerciaux donne le droit incontestable
aux £tats du Zollverein de veiller sur leurs pro-
prietes dans les ports beiges" i).
Fast als eine Art politischen Verrates wurde Belgiens Handlungs-
w^eise von einem Teile der französischen Tagespresse und selbst von
so ernst zu nehmenden Organen wie die „Bevue des deux mondes**
hingestellt. Noch im Septemberheft des Jahres 1^41 hatte sie tiber
den Bruch zwischen Belgien und dem Zollvereine gejubelt und den
leitenden Staatsmännern allerhand gute Lehren erteilt*). Einen
Monat später schon folgte der Katzenjamimer. „Par cette Convention**,
klagte man jetzt, „Anvers devient le port de l'Alkmagne et PEs-
caut un fleuve prussien. Desoimais la Belgique ne pent plus traiter
Sans Paveu de la Prusse avec les colonies ou avec les etats plac^s
au delä de POcean. Dne solidarite de plus en plus etroite
tend ainsi h s'etablir entre la Belgique et la Prusse:
1) Pousdn, La Belgique et les Beiges depuis 1830, p. 65. Vgl. auch p, 96 ff.
und. 368 ff.
2) EcTüe des deux mordes, Ann^e 1844, Septeipbre, p. 836 ff. Politique coirinei-
cisle. La Fmnce et la Piusse vis-ä-Tis de la Belgique. Wan tirpfi.lil, auf dm frau-
EÖsif eil- belgische n ZollTeiein voiläufip zu TeryiiliUu, eiet r((lit ivi jede miliiiiiM'he
Eioberurg. „Les pi^lcxtes ne »ous iraBqueiaitnt pas pour nous suloriser h prrndre
posKSPion de la Belgique", heißt es dauu weiter, „^ous aurions bieuiöt le territoire,
les villes, les rithcfsc^, mais uous n'aurioDS point le peujJe, et, qu'on le cache
bieu, il se rangerait contrc uous au premier revers. Kous n'aTODS plus
qu'uue eorqu^le po^Hble du <6l^ du noid; il uous faut eüuqufrir l'affection
de eettc }> etile nationalite jalouse, quinousvoittoujourspr^takla
dtvorer, et nous n'y priviend)cns qu'tn l'attiqurnt par ses in1fl^t^, qu'cn y n ^lant les
nfitres, de teile forte, qu'un yvr nous- nc puiesicns ] rs jlus rcus J^i■^er de kb indfe-
pendanee, qu'elle ne pouira se paffer de notre bon vculoir." Dtfl alb nnifse Frarkicich
ÄUeh sofort der belgifeehen P^isenindustrie entseheidtnde Konzessionen maeber.
Die Graadfrage der^belgischea Volkswirtaohaft. 5Q9
la Belgique n'est plusqu'un satellite eatraiae boagre,
mal gr6, si nous n'y prenoas garde, dans l'orbite du
Zollvereia." Uad das göaaerliafte Wohlwollen, mit dem man
das kleine Nachbarland noch wenige Wochen zuvor behandelt hatte,
schlug plötzlich in freche Drohung um ^).
In Belgien ließ man sich durch solche Ausbrüche ohnmächtigen
Zornes nicht aus der Fassung bringen, noch weniger einschüchtern.
Ja, sie erzielten eher das Gegenteil des damit Beabsichtigten. Dienten
sie doch nicht wenig dazu, im Parlamente die frankophile Opposition
zu entwaffnen, die sich bemühte, den Vertragsabschluß als einen
feindseligen Akt gegen das befreundete Frankreich, als einen
bedenklichen Angriff auf die politische Integrität des Königreiches
hinzustellen.
Schon der Bericht der „Section centrale" hatte sich wider diese
Auffassung gewandt. Wirtschaftlich sei der Vertrag ein Kompromiß,
das den Verkehrsinterressen des Zollvereins, den industriellen Bel-
giens, Rechnung trage. Könne man nun immerhin über das Bestehen
eines vollendeten Gleichgewichtes zwischen den gebrachten Opfern
und den dafür eingetauschten Gewinnen im Zweifel sein; möchten
in dieser Hinsicht viele Voraussagen sich als trügerisch, viele Be-
rechnungen als irrig, viele Hoffnungen als eitel, viele Befürchtungen
als verfrüht erweisen; über die politische Tragweite des Vertrages
1) Rerae des deux mondes, Aaa§e 1844, Octobre, p. 190 ff. Chroaique. „L'hosti-
lite, cu effet", heißt es dort, „n'est pas dans les clauses, eile est dans le
fait möme de la Convention. Par cela seal qae la Prasse entre en partage avec
noas en Belgique, le traitg du premier septembre frappe notre commerce et lui nuit.
Au point de vue politique, la quedtion est bien plus grave. ün ministre beige, qul
eroit 6tendre son influence en multipliant ses relations, peut bien imaginer que la Bel-
gique est destiaee ä former des alliancei plus ou moins Scroites avec tous les 6tats voi-
sins; mais la Situation de ce pays, froidement examinee, ne comporte pas de telles iltu*
äions. La Belgique ne saurait 6tre l'alliee que d'un seul etat; eile est
po litiquement neutre pourtous les autres. II faut, de tonte n§cessit§,
qu'elle ohoisisse entre l'alliance de la France et celle de la Prusse;
et si eile adopte l'alliance prussienne, c'est volontai remen t ou
inyolontairement pour nous tourner le dos." Noch viel unverschämter wurde
der Ton, als der Abschluß des französiscli-belgischen Handelsvertrages vom 13. Dezember
1845 den Beweis erbrachte, daß man sich in Bels^ien durch keinerlei Drohungen ein-
schüchtern ließ. Vgl. Gustave d'Alaux, La Belgique en 1846, AaaSe 1846. Tome XVI,
p. 877 ff. Der Artikel gibt eine gute Analyse der belgischen Parteipolitik jener Zeit
und ihrer Beziehun.?ea zu dm h lalilspilitischeu Pr)ble!neii. .,Lv Convention du
13 dftcembre", erklärt der Verfasser, , qui ne cr6e au commerce franQiis au.?un int6r6t
majeur en Biilgique, n'est pas un contre-poids süffisant h. deux trait6s qui rivent ä la
Belgique l'avenir maritime du Zollverein et des P.iys-Bw." Höhnisch verspottet er jene,
„niaise patrioterie", die unter den abgebrauchten Sclila^worten „N'eutralität * und „Na-
tion dität" nur die elende B'urcht vor einem europäischen Kriegs an Frankreichs Seite
verberge. „Admettons pjur l'avenir le cas plus qu'improbable d'un nouveau duel entre
la France et l'Gdrape: emprisonnee qu'elle serait dms l'etaudequatre
arm6es, la Belgique aurait-elle la pretention de rester neutre? Ou
bien voulrait-on nous fair«} entendre que, dans l'altern itive d'un choix, eile p;isserait
du odtö de la Prusse, dti l'Eur.ipe; c'est-ä-dire du cöte «le i'Ansjleterre, qui tuerail en
six mois son inlustrie; du cöoe de la Prasse, qui röve le Bis-Esciut pour limite
naturelle; du cdte de la HjUaud}, qui attcnd des restitutions? Bn verite, ce n'etait
pas alors la peine ^ nous de prendre la citadelle d'Anvers."
570 Heinrich Waentig,
vom 1. September werde in Belgien selbst, wie außerhalb seioer
Grenzen, nur eine Stimme sein: „Ce trait^ est, de la part de ces
populations allemandes avec lesquelles nous avons une si longue com-
munaut6 de Souvenirs historiques, un premier et solennel acte de feie
dans l'avenir de la nation beige; ce traite est la consecration
officielle de la neutralite de la Belgique"').
In den sich daran anschließenden Kammerdebatten trat diese
üeberzeugung dann noch viel stärker zutage. Als „un acte poli-
tique de la plus haute importance" wurde der Vertrag von einem
der Abgeordneten bezeichnet, „le seul acte de v^ritable independance
que la Belgique ait reussi ä poser, parce qu'il detruit une
espece de suzerainete qu'une puissance voisine parais-
sait exercer sur nous". Den Höhepunkt der Verhandlungen
aber bildete die temperamentvolle Rede des Abgeordneten Dedecker,
die den Vertrag vom 1. September als die Krönung des Gebäudes
feierte, zu dem durch das Staatseisenbahngesetz des Jahres 1834
der Grundstein gelegt worden sei'-^).
Man habe behauptet, daß dieser Vertrag die belgische Eisen-
bahn in eine „preußische", den Hafen von Antwerpen in einen
„preußischen" verwandle. Nun gut; gerade das habe man seiner Zeit
gewollt 1 „Quand nous avons espere pour la ville d'Anvers de grandes
destinees, que nous avons voulu faire de cette place un centre im-
portant d'affaires, un grand marche, qui püt rivaliser aVec celui du
Hävre, de Hambourg et de Rotterdam, nous avons voulu quMl
devint prussien, c'est-ä-dire, que le transit de PAlle-
magne luidonnät du developpemen t et de Pimportancel
Nous avonsvoulu quenotrecheminde ferdevint prus-
sien en ce sens, que nous considerions sa prosperite
comme attachee au transit de PAllemagne." So sei denn
dieser neue Vertrag auf das engste mit dem belgischen Eisenbahn-
systeme verwachsen. Schon vor 10 Jahren habe man die Regierung
deutsch-freundlicher Tendenzen beschuldigt. Jetzt wiederhole sich
das; ohne jeden Grund. Denn man übersehe dabei, daß die dem öst-
lichen Nachbar gemachten Konzessionen künftig goldene Früchte
tragen müßten. Einmal auf Antwerpen eingestellt, werde die deutsche
Durchfuhr die altgewohnte Bahn nicht so leicht wieder verlassen
können. Dann werde für Belgien der Augenblick gekommen sein,
um vom Zollverein weit größere Zugeständnisse zu erlangen, als er
sie jetzt gewährt habe. Möglich, daß der Abschluß des belgisch-
deutschen Handels- und Schiffahrtsvertrages in Deutschland mit Be-
geisterung begrüßt worden sei. „Mais quant ä moi", schloß er seine
Rede, „cet enthousiasme meplait; il me console, il me rassure, parce
qu'il vient de la part de populations reflechies, serieuses, de la part
de populations qui ont appris ä nous connaitre et qui sauront nous
apprecier, de la part de populations qui nous traiteront,
1) Annales parlementaircs de Belgique, Srssion 1844/1845, p. 294 ff. und 300.
2) Annules parlementaires, a. a. O. S. 355 ff. und 421 ff.
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 571
non comme une province, non comme un peuple vassal,
mais comme une nation digne de son independance efc
r^solue ä la conserverl"
Mit erdrückender Majorität (76 gegen 7 in der Kammer, 31
gegen 1 im Senate) wurde der Vertrag schließlich vom belgischen
Parlamente sanktioniert. Die gehobene Stimmung aber, unter deren
Einfluß sich seine Verhandlungen vollzogen hatten, wurde nicht
wenig durch die Eindrücke bestimmt, welche die Belgier gelegent-
lich der feierlichen Eröffnung der Rhein-Scheldebahn im Oktober
1843 als Gastgeber und Gäste, zunächst in Antwerpen, dann in
Köln, von ihren deutschen Nachbarn empfangen hatten. Schon auf
dem großen Festmahl im Saale der Kölner Kasinogesellschaft
hatte der Bürgermeister von Antwerpen, Legrelle, in seinem Trink-
spruch auf die Schwesterstadt begeisterte Worte gefunden. „11 y a
trois jours", hatte er gesagt, „vous avez bien voulu vous rendre ä
Dotre invitation sur les ports de l'Escaut; aujourd'hui que vous
nous ouvrez les bras, nous nous y jetons ä notre tour, avec empres-
sement, avec enthousiasme!" Sie wurden jedoch vielleicht noch
übertroffen durch die Rede, mit der am Ende der Festlichkeiten Ro-
gier, als Sprecher seiner Landsleute, ihren Gefühlen Ausdruck ver-
lieh, indem er zugleich die Völker verknüpfende Kraft des Dampfes
verherrlichte. „Honneur ä la societe qui, une des premieres, en a
compris la puissance et a sillonne le Rhin de ses rapides bateauxl
Les chemins de fer ont continue Poeuvre, et desormais, de nombreu-
ses et puissantes cites vont etre reunies dans une communaute de
sentiments et interets. Bäle, Strasbourg, Mannheim, Mayence, Cob-
lence, Cologne, Aix-la-Chapelle, Liege, Bruxelles, Anvers, Lille se
donnent la main. Au toast que votre liberale hospitalite nous a
fourni l'occasion de porter, je n'ajouterai qu'un voeu: A la pro-
pagation de la vapeuri ä Punion des gouvernementsl ä la fraternit^
des peuples I" ^)
Den Teilnehmern an dem zur Feier der Eröffnung der Bahn
am 12. Oktober 1843 von der Stadt Antwerpen veranstalteten Fest-
bankett war eine Denkmünze überreicht worden, deren Avers das
Bild König Leopold's zeigte, während die Rückseite mit der Um-
schrift „La guerre les a divisees, la paix les reunira" symbolisch«
1) Kumpmann, a. a. O. S. 412 ff. Drei Jahre später, Mitte Juni 1846, wurde als
Gegenstück, zunächst in Lille, dann in B üs>el, die Eröffnung der Bahnstrecke Biüspel-
Lille- Paris und in Verbindung damit die Verbiüderung des belgischen und französischen
Volkes g« feiert. Wenigstens war das die Ahsictit auf seilen Frankreichs, d. s auUer
seinen Technikern und Politikern, B« Igicn umwerben«!, auch seine Künstle», Philosophen
un«i Schrifistjller dorthin entsandt hatte. „A la Belijique! ä s<s institutions! ä l'union
des d« ux peuples!' ließ Dupin als Vertreter des französis« hen Parlamentes seinen Trink-
spruch au>klingen. ,,A l'union et ä la parfnite ent<'nte de toutes les nationsl" ant-
wortete im Namen des belgischen Staates bezeichnenderweise de Th<ux. Das Fest
endete mit einem Miüklang infolge einer Rede Rogiers, unter deren Flindnick eine ganze
Reihe hoher belgischer und französischer Beamten den Bankeitsaal verließen. Das
politi^che Ziel der Veranstaltung wurde also schwerlich erreicht. U' her die Festlich-
keiten und über den es beendenden interessanten ZwischenftUl vgl. Journal de Bruxelles
vom 17., 18. und 19. Juni 1846.
^72 Heinrich Waenkig,
ti'igureu von Kheia und Scheide, die Frauengestalten Belgiens und
Preußens, denen der Friede die Hände reicht, und im Hintergrunde
den Kölner Dom und das Antwerpener Rathaus darstellte. Das,
namentlich in Antwerpener Kaufmannskreisen, lebendige Verlangen
nach enger Verbrüderung mit den Rheinlanden, das durch den Ab-
43chluß des deutsch-belgischen Handels- und Schiffahrtsvertrages neue
Mahrung erhielt und im September 1844 mit der Gründung einer
^Sociöte commerciale de chemin de fer belge-rhenan" zur Erleichte-
rung des rheinisch-belgischen Eisenbahnverkehres auch äußerlich in
die Erscheinung trat, war jedoch keineswegs nach aller Leute Ge-
schmack. Nicht etwa nur in Frankreich und Holland, gerade auch
m Altpreußen nahmen viele an diesen Bestrebungen Anstoß •).
Selbst diejenigen aber, die, wie Hoefken, der Meinung waren,
Deutschland „sei berufen, alle mitteleuropäischen Staaten in einen
Eandelsbund zu vereinen, der Uebermacht des Inselreiches die ge-
fährlichste Spitze abzubrechen, die starren, für sich abgeschlossenen,
Handelssysteme Europas wieder in Fluß zu bringen und miteinander
zu versöhnen und die Handelsfreiheit der Völker gegen jede Ueber-
^ewalt zu retten", Männer, die eben darum auch das belgische Pro-
blem von einer höheren Warte betrachteten, wollten von einer poli-
tischen Angliederung nichts wissen, es sei denn in einer fernen
Zukunft und auf dem Wege der natürlichen Entwicklung =*).
Am konsequentesten durchdacht hat für die damalige Zeit auf
deutscher Seite das Problem dieser wirtschaftlichen Angliederung
Belgiens an Deutschland Freiherr von Arnim, der sich bitter über
1) Bezeiehaend für die politische Gesamtlage war es, daß England in dieser ersten
Periode der Entwicklung des neuen belgischen Staatswesens der wirtschaftlichen An-
lehnung Belgiens an Deutschland sympathisch gegenüberstand Allerdings nur deshalb,
weil es davon eine Entfremdung Belgiens Frankreich gegenüber erwartete. , .Quelle
que puisse 6tre l'opinion des chambres beiges sur cette question", bemerkt Charles
White, „les hommes d'etat de PAngleterre et de l'Allemagne admettront certainement
que, comme la position particuli^re de la Belgique tend ä la soa-
mettre ä l'action constante des influences ^trangöres, il est d'une
saine politique de la soustraire, autant que possible, ä celle de la
France. Cela ne peut s'obtenir que par des concessions liberales et piur des traitis
d*amiti6 et de protection. II est Evident que plus les Beiges ont de motifs
d'61oignement pour l'Allemagne, plus ils tendent ä se rapprooher d«
la France; tandis que, s' ils §tai ent soutenus , encouragös, enrichis
et sourtout si leurs int^rdts materiels s ' amelioraient par leurs
rapports avec l'Allemagne, on ne peut douter que, dans un oas
d'urgence, on ne la trouvät prete h s'appuyer sur le Nord, autant
qu'elle l'est maintenant ä s'appuyer sur le Sud. Car les sympathies des
nations, comme Celles des individus, sont subordonnees Sl leur int§rßt et i. leur conser-
yation." (Vgl. Charles White, Revolution Beige de 1830, Tome III, p. 297.)
2) Gustav Hoefken, Belgien in seinen Verhältnissen zu Frankreich und Deutsch-
land mit Bezug auf die Frage der Unterscheidungszölle für den Zollverein, S. 76 ff.
„Eines ist gewiß", so schließt er seine Betrachtungen, „dauernde Wiedervereinigung
Belgiens mit Deutschland kann nur auf freiem Wege, mit der Notwendigkeit innerer
Entwicklung, g.jschehen. Und ist auch anders nicht zu wünschen. Belgien muß seine
Lebensverhältnisse aus dem Kern seiner Eigenheit wieder herausgestalten und sich dann
In seiaem neu geborenen nationalen Bewußtsein auch wieder des gleichen Ursprunges
leiner Wurzeln und Bildung mit der allgemein deutschen erinnern." (A. a. O. S. 432.)
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. ß73
die Gleichgültigkeit seiner Landsleute gegenüber der belgischen Frage
beklagt. Er empfiehlt entweder den Abschluß einer Konvention,
die Belgien auf die Dauer des Vertrages vom 1. September eine
differenzielle Begünstigung bei allen etwaigen Tariferhöhungen des
Zollvereins auf solche Artikel verbürge, bei denen die belgische
Industrie interessiert sei; denn erst dadurch werde ihm die volle
Reziprozität gewährleistet. Oder, noch besser, die Begründung eines
„Unterscheidungszollvereins" zwischen beiden Ländern. Die besondere
Aufgabe des deutschen Zollvereins sei es dann, mit Rücksicht auf
Belgien und sein Unterscheidungszollgesetz und unter Benutzung
des durch den Vertrag vom 1. September geschaffenen Annäherungs-
verhältnisses, bei allen künftigen Verträgen mit überseeischen Staaten
Differentialzölle in Anwendung zu bringen und so diesen gegenüber
den Zollverein und Belgien möglichst als eine wirtschaftliche Ein-
heit darzustellen ^).
Ebensowenig wie das Projekt eines belgisch-französischen ist
damals das eines belgisch-deutschen Zollvereins, in welcher Form
immer, zur Ausführung gelangt. Begegnete das eine in Frankreich
ökonomischen, so das andere in Preußen politischen Widerständen,
während die belgische Regierung aus nationalen, die übrigen Mächte
aus militärischen Gründen wohl von keinem ernstlich etwas wissen
wollten. Auch die Rhein-Scheldebahn hielt zunächst nicht ganz,
was man sich von ihr versprochen. Nach Zeitberichten haben 1835
die holländischen Häfen nach dem Rheine 78161 t, Antwerpen nur
1243 t Waren verfrachtet, der Rhein damals über Holland 80 800 t,
über Antwerpen sogar nur 650 t ausgeführt. Dabei ist es im wesent-
lichen auch später noch lange Zeit geblieben. Hatte den Erbauern
der Bahn der Gedanke vorgeschwebt, Hollands Zwingherrschaft über
den Rhein zu brechen, so ist nach ihrer Vollendung der gesamte
Zwischenhandel doch keineswegs sofort von Rotterdam abgesprungen,
um „auf dem Rhein von Eisen" nach Antwerpen hinüberzugleiten.
Vielmehr bedurfte es noch jahrelanger Bemühungen, bis die neue
Linie für den rheinischen Güterverkehr ein ebenbürtiger Neben-
buhler wurde. Der entscheidende Wandel in dieser Hinsicht voll-
zog sich jedenfalls in einer viel späteren Zeit.
Es ist nicht ohne weiteres abzusehen, wie unter sonst gleich-
bleibenden Bedingungen der Kampf zwischen der aus nationalistischen
Instinkten geborenen und eben darum auf die Begründung eines
„nationalen Systemes" der belgischen Volkswirtschaft abzielenden
einen und jener von dem lebendigen Bewußtsein ihrer Ergänzungs-
bedürftigkeit beherrschten, deshalb auch ihre Anlehnung an eines
der benachbarten Wirtschaftgebiete betreibenden anderen Strömung
1) V. Arnim, Ein handelspolitisches Testament, S. 31 ff. Die kleine Schrift
macht dem preußischen Diplomaten, der sich um das Zustandekommen des deutsch-
belgischen Handels- und Schiff ah rts Vertrages vom 1. September 1844 große Verdienste
erworben hatte, alle Ehre. Denn sie zeigt ein in diesen Kreisen ungewöhnliches Maß
ökonomischer Bildung. An der Verwirklichung seiner Pläne hat er nicht mehr arbeiten
können; er wurde 1846 nach Paris versetzt.
Jahrb. f. Nationalök. n. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd 54). 43
574 Heinrich Waentig,
im belgischen Volke schließlich geendet haben würde. Tatsächlich
ist er damals nicht völlig zum Austrag gekommen, weil die ihm
letzten Endes zugrunde liegende wirtschaftspolitische Konstellation
um die Mitte der 40er Jahre eine entscheidende Aenderung erfuhr.
Der Sieg des Freihandelsgedankens zunächst in England, dann
in ganz Westeuropa, und die damit verbundene Auflösung des durch
den Ausbau der britischen Navigationsakte bestimmten internatio-
nalen Wirtschaftssystemes schufen eine neue Lage. Auch Belgien
folgte dem allgemeinen Zuge. Im Vertrage vom 10. November 1845
übertrug es die dem deutschen Zollverein hinsichtlich der Schiffahrt
gewährten Sondervergünstigungen auf die Vereinigten Staaten, im
Vertrage vom 29. Juli 1846 auf Holland, ja, erweiterte sie sogar,
zollpolitische Vorteile dafür eintauschend. Weitere Verträge, wie
die 1851 mit England und Holland, 1852 mit dem deutschen Zoll-
verein abgeschlossenen, bewegten sich erst recht in freiheitlicher
Richtung, so daß schließlich die letzten Reste des Differential-
systemes durch das Gesetz vom 19. Juni 1856 zu Grabe getragen
werden konnten.
War unter dem Einflüsse der Leinenkrise an den belgischen
Agrarzöllen schon in den 40er Jahren gerüttelt worden, so nahm
seit Mitte der 50er die an dem ganzen Schutzzollsysteme geübte
Kritik immer schärfere Formen an. Bahnbrechend wai* der am
1. Mai 1861 nach dem Muster des englisch-französischen abge-
schlossene belgisch-französische Freihandelsvertrag, dessen Grund-
gedanken in rascher Folge durch eine Reihe von Einzelverträgen
auf Großbritannien, die Schweiz, den deutschen Zollverein, Italien,
die Niederlande usw. ausgedehnt wurden. In dem freihändlerischen
Zolltarif gesetz vom 14. August 1865 wurden dann die in diesen
Verträgen enthaltenen Einzelbestimmungen organisch zusammenge-
faßt, nachdem, ein Werk Lambermonts, der Haager Vertrag vom
12. Mai 1863 unter internationaler Beteiligung die bis dahin von
Belgien an Holland entrichteten ScheldezöUe abgelöst und damit die
letzte Fessel des Schiffsverkehrs in belgischen Gewässern zerrissen hatte.
Eine neue Aera belgischer Wirtschaftsgeschichte war angebrochen.
„Les chemins de fer, les progres du gouvernement representatif.
la discussion qui en est Päme, la publicite, voilä, Messieurs, ce qui
nous conduira tot ou tard ä une union commerciale avec la France,
non, je le repete, en retrogradant jusqu'ä son tarif, qui est de toutes
les institutions de la France celle qui ne soit pas ä la hauteur de sa
brillante civilisation, mais, en elevant les deux pays jusqu'ä
la liberte commerciale." Mit diesen Worten hatte Lebeau bei
den Debatten über den belgisch-französischen Handelsvertrag von 1845
die zukünftige Handelspolitik Belgiens umrissen und auch ihre vor-
aussichtliche Rückwirkung auf seine innerpolitischen Verhältnisse
gestreift. „Les questions d'interets materiels nous divisent tantot
en Wallons et en Flamands, tantot en Liegeois et en Anversois; la
liberte commerciale ferait de toutes les provinces une Belgique, de
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. 675
tous les agriculters, negociants et industriels des Beiges I L'union
beige, l'unite beige, n'a qu'ä gagner ä l'etablissement,
graduel, prudent, de la doctrine, de la belle et grande
doctrine qui vient de triompher en Angleterre. Notre
devoir est, d'y tendre sans cesse et d'y marcher toujours" ^). Hatte
ihn nun bei diesen Ausführungen dunkler Instinkt oder klare Re-
flexion geleitet, jedenfalls hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Seit der Vereinigung aller belgischen und batavischen Provinzen
unter der burgundischen Herrschaft", sagt Friedrich List in einer
seiner geschichtlichen Betrachtungen, „war diesen Ländern auch die
große Wohltat der Nationaleinheit zu Teil geworden. Unter Karl V.
bildeten die Vereinigten Niederlande einen Komplex von Macht und
Kräften, der ihrem Beherrscher mehr als alle Goldgruben der Erde
und alle Gunst und Bullen der Päpste die Herrschaft der "Welt zu
Land und See sichern mußte, wofern er nur die Natur dieser Kräfte
kannte und sie zu behandeln und zu benutzen verstand. Als Regent
der Vereinigten Niederlande, als Deutscher Kaiser und als Haupt
der Reformation besaß Karl alle materiellen und geistigen Mittel,
das mächtigste Industrie- und Handelsreich, die größte See- und
Landmacht zu gründen, die je bestanden hat — eine Seemacht, die
von Dünkirchen bis Riga alle Segel unter einer Flagge vereinigt
haben würde I"
Tatsächlich ist es anders gekommen. Und das Königreich der
Vereinigten Niederlande, das sich 1814 auf den Trümmern des
Napoleonischen Kaiserreiches erhob, war gewiß nur ein schwächliches
Abbild des mächtigen Staates, der vor Jahrhunderten hätte entstehen
können. Dennoch war es, wie man gesehen, bei all seinen inner-
politischen Mängeln, wirtschaftlich ein kraftvolles und wohl aus-
geglichenes Ganzes, das, auf seinen überseeischen Kolonialbesitz ge-
stützt, mit den Rheinlanden und mit Norddeutschland kommerziell
ver,bunden, den Wirtschaftssystemen der Westmächte die Spitze
bieten konnte. Was davon nach seiner Zersetzung in Gestalt des
Königreiches Belgien übrigblieb, ist ausführlich geschildert worden.
Geradezu verhängnisvoll aber war es, daß dieses, seiner ganzen wirt-
schaftlichen Natur nach, abhängige Land mit der Gabe der politischen
Neutralität beschenkt wurde, deren ökonomische Tragweite völlig
übersehen worden ist 2).
1) Annales parlementaires de Belgique 1845/46, p. 1848 f.
2) Welche sonderbaren Erwägungen die Mitbegründer des belgischen Staates be-
stimmten, geht aus einer charakteristischen Aeußerung Metternichs hervor: „Si nous
vous avions mieux connus en 1831", erklärte er in den Sturmtagen von 1848/49 auf der
Flucht in Brüssel gegenüber einem früheren Diplomaten, „nous vous aurions fait une
bien meilleure part; mais nous vous regardions comme des gens ingouvernables. La
maniöre dont la Belgique se conduit, avec une Constitution aussi mal r^dig^e et pres-
que inex§cutable, une Constitution qui serait la plus mauvaise de l'Europe, si celle de
NorvSge n'existait pas, prouve combien les Beiges sont faciles k gouverner." Und
diese Aeußerung fiel, als das politische System, dessen Bestand Metternich in seiner
Politik zum Nachteil Belgiens zu schützen suchte, soeben in Deutschland und Oester-
reich schmählich zusammenbrach, während das allerseits beargwöhnte belgische Staats-
wesen völlig unsrschüttert blieb.
43*
576 Heinrich Waentig,
Ein Land mit international garantierter Neutralität, wie Belgien
es ward, hat wirtschaftspolitisch im Grunde nur eine Alternative:
das System des geschlossenen Handelsstaates oder das des unbe-
schränkten Freihandels. Es muß entweder seine Grenzen hermetisch
verschließen und versuchen, sich schlecht und recht selbst zu ge-
nügen, oder es muß sie ohne Unterschied öffnen und allen Mit-
werbern auf seinem Markte die gleichen Chancen gewähren. Bei
jeder anderen Entschließung läuft es Gefahr, mit oder ohne seinen
Willen, zu wirtschaftlichen Machtverschiebungen beizutragen, die
politische Händel, wenn nicht gar kriegerische Verwicklungen nach
sich ziehen müssen, und eben dadurch mit seiner Neutralität in
Konflikt zu geraten.
Von Schutzzollschranken umgeben, hat Belgien nach gewissen-
hafter Prüfung seiner ökonomischen Existenzbedingungen zunächst das
erstere versucht. Nur zu bald aber hat es erkennen müssen, daß der
Kontrast zwischen der geschichtlich bedingten Produktivität einzelner
seiner Industrien und der Aufnahmefähigkeit seines inneren Marktes,
zwischen dem gewaltigen Nahrungsmittel- und Rohstoffbedarf seiner
dichten Bevölkerung und der natürlichen Beschränktheit seiner hei-
mischen Hilfsquellen ihm die Lösung der selbst gestellten Aufgabe
unmöglich machte. Scheiterten nun damals auch jene ersten täppischen
Versuche, die materielle Basis seiner nationalen Wirtschaftsführung
durch überseeische Expansion zu verbreitern, so daß ihm unliebsame
Zusammenstöße mit anderen Mächten aus diesem Grunde wenigstens
erspart blieben, so hätte die wirtschaftlich durch die Leinenkrise
bedingte handelspolitische Annäherung an Frankreich es schon damals
beinahe in einen europäischen Krieg verstrickt.
Aus diesem Dilemma wurde Belgien durch die Begründung des
internationalen Freihandelssystemes erlöst. Wie von einem Alb-
drucke befreit, vermochte es aufzuatmen, um unbeengt von politischen
Erwägungen seinen wirtschaftlichen Interessen nachzugehen. Und
es ist bezeichnend, daß in den nächsten zwanzig Jahren der belgische
Staat als solcher bewußtermaßen weder eine Politik der über-
seeischen Expansion noch der wirtschaftlichen Angliederung an eines
der europäischen Nachbarländer betrieben hat, die ihn etwa mit seinen
Neutralitätspflichten hätte in Widerspruch bringen können, obwohl
es auch damals nicht an einzelnen Männern fehlte, die ihm solche
Weisheit predigten.
Das änderte sich um die Wende der achtziger Jahre. Durch
die Wiederaufrichtung hochgetürmter Schutzzollschranken an seinen
Grenzen sieht Belgien sich neuerdings vor die alte Frage gestellt,
nur daß sich mittlerweile die inneren Widersprüche seines wirt-
schaftlichen Daseins noch schärfer zugespitzt haben. Es beantwortet
sie jetzt durch ein Kompromiß. Zwar verzichtet es auf die Durch-
führung einer systematischen Hochschutzzollpolitik nach dem Beispiel
seiner kontinentalen Nachbarn. Um so energischer aber betreibt es
die überseeische Expansion, die auf die Dauer die wirtschaftlichen
Grundlagen seiner politischen Neutralität untergraben mußte. Ein
Die Grundfrage der belgischen Volkswirtschaft. ß^»^
zunächst als unabhängiger Staat gegründetes afrikanisches Kolonial-
reich geht schließlich von Englands Gnaden in seine Hände über.
Französischen Kapitalüberfluß weise benutzend, überspinnt es den
von britischer Seemacht beherrschten Erdball mit einem Netze groß-
angelegter Unternehmungen, um sich auf diesem Wege Zufuhr und
Absatz zu sichern. Was bedeutete die an sich gewiß nicht gleich-
gültige Unterstützung, die es Verkehrs- und industriepolitisch durch
Deutschland fand, wo jeder offene Konflikt mit den Westmächten
das künstliche Gebäude seiner Volkswirtschaft mit Vernichtung be-
drohte? Wie hätte es sich nicht auch politisch nach ihnen orien-
tieren sollen ?
So reichen denn die wirtschaftlichen Wurzeln des belgischen
„Neutralitätsbruches" vor dem Kriege, soweit man von einem solchen
reden will, in eine ferne Vergangenheit zurück, und Belgiens Schuld
ist, von den Machenschaften einiger ehrgeizigen Streber abgesehen,
eine wahrhaft „tragische" zu nennen. Denn sie ist letzten Endes in
Verhältnissen begründet, die von längst entschwundenen Genera-
tionen, noch dazu teilweise von Fremden über die Köpfe der Ein-
heimischen hinweg, geschaffen wurden, in zwingenden Ursachen, die
mächtiger sind als jedes persönliche Wollen. Solche Erkenntnis
scheint mir das wichtigste praktische Ergebnis meiner geschicht-
lichen Untersuchung; denn sie ist zugleich die Vorbedingung für
jede fruchtbare Neuregelung der belgischen Frage.
^76 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
IV.
Das Eohlensteuergesetz vom 8. April 1917.
Das unten S. 680 ff. abgedruckte Kohlensteuergesetz ist eine Folge
der gewaltigen Lasten, die der Krieg dem deutschen Volke auferlegt
hat. Zu der „Kriegssteuer" im engeren Sinne (vgl. diese „Jahrbücher",
m. F. Bd. 52 S. 50 ff. und oben S. 549 ff.) ist die Kohlensteuer, eine
Verbrauchsabgabe auf Kohle hinzugetreten, die auch als Kriegssteuer
gedacht und deshalb nur für einen begrenzten Zeitraum — bis 31. Juli
1920 — in Aussicht genommen ist. Die Reichsleitung hat die steuer-
liche Erfassung der Kohle, dieses wichtigsten Produktionsmittels so lange
zurückgestellt, als die Finanzlage dies irgend gestattete. Nunmehr hat
der Bedarf zur Erschließung auch dieser Steuerquelle gezwungen.
Nach der dem Gesetzentwurf beigegebenen Begründung umfaßt der
deutsche Steinkohlenbergbau 350, der Braunkohlenbergbau 465 Be-
triebe. Die Zahl der Betriebsinhaber ist auf etwa 500, der derzeitige
Wert der deutschen Kohlenförderung auf 2200 bis 2500 Mill. M. zu
schätzen. Die Kohlensteuer bietet demnach die Möglichkeit, dem Reiche
den erforderlichen Betrag von etwa 500 Mill. M. aus einer einzigen
einfach zu veranlagenden und bei nur etwa 500 Pflichtigen zu erheben-
den Steuer zuzuführen. Diesem Vorteil ist während der Kriegszeit ein
erhebliches Gewicht beizumessen, nicht nur mit Rücksicht auf die Lei-
stungsfähigkeit der Reichs- und Staatsbehörden, sondern auch mit
Rücksicht auf die Bevölkerung. Denn die Arbeitskräfte aller Berufs-
stände sind bereits so angespannt, daß auch die Steuerpolitik dieser
Tatsache Rechnung tragen muß.
Die deutsche Kohlengewinnung und ihr geschätzter Wert betrugen :
1913
Steinkohle 190 109 440 t 2 135 978 000 M.
Braunkohle 87233084 t 191920000 „
1914
Steinkohle 161 535 000 t i 776 885 000 M.
Braunkohle 83 947 000 t 193 078 200 „
1915
Steinkohle 146 712 000 t 1 797 222 000 M.
Braunkohle 88370000 t 220925000 „
Der durch die Verarbeitung von Braunkohle zu Preßkohlen erzielte
Mehrwert betrug:
1913 etwa 51 153000 M.
1914 „ 50000000 ,,
1915 „ 58000000 „
Nationalökonomische Gesetzgebung. ß79
Die am 1. August 1917 in Kraft getretene und, wie schon er-
wähnt, vorerst auf die Zeit bis 31. Juli 1920 terminierte Kohlensteuer
ist nach dem Wert bemessen und weist eine gewisse äußere Aehnlich-
keit mit den Grundsätzen der alten preußischen Bergwerksabgabe auf,
mit der sie im übrigen nichts gemein hat. Der erforderliche Ertrag
von annähernd 500 Mill. M. wird bei Bemessung des Steuersatzes auf
20 V. H. des Wertes (§ 6) nur knapp erreicht, selbst wenn man für
das Jahr 1917 und die folgenden Jahre mit einer gesteigerten Förde-
rung und höheren Preisen rechnet.
Die Steuer erfaßt die Kohle in demjenigen Zustande, in dem sie
als Verbrauchsgut auf den Markt kommt. Die Steuerpflicht für die in-
ländische Kohle tritt ein, sobald die Kohle geliefert, sonst abgegeben
oder der Verwendung im eigenen Betriebe oder dem eigenen Verbrauche
zugeführt wird (§ 4).
Als Wert gilt der Verkaufspreis ab Grube oder Verarbeitungsstelle.
Erfolgt die Lieferung unmittelbar oder mittelbar an einen Wiederver-
käufer, an dessen Verkaufserlös der Steuerpflichtige beteiligt ist, so
kann die Steuerbehörde den der Versteuerung zugrunde zu legenden Ver-
kaufspreis unter Berücksichtigung des bei dem Wiederverkauf erzielten
Zwischengewinns anderweit festsetzen (§ 8).
Die Bestimmung, daß die Steuer bei inländischer Kohle von einem
Verkaufspreis ab Grube berechnet wird, ist wirtschaftlich von erheb-
licher Bedeutung und bei Berechnung der Belastung im Kleinverbrauch
zu berücksichtigen, weil die vom Kleinverbraucher zu zahlenden Detail-
preise von den Fracht- und Abrollungszuschlägen wesentlich beeinflußt
werden. In der Begründung zu dem Gesetzentwurf sind hierfür als
Beispiel die Berliner Kleinhandelspreise für Anfang Februar 1917 an-
geführt: der Verband der Berliner Kohlen-Großhändler setzte als Richt-
preis für Ilse-Briketts frei Haus 18 M. je 1000 Stück fest, während
sich der Preis ab Werk für den 20 000 bis 22 000 Stück enthaltenden
Waggon auf 155 M. stellte. Der der Besteuerung zugrunde zu legende
Wert betrug demnach nur 40—43 v. H. des Kleinhandelspreises; die
Belastung der Kohle durch eine 20 v. H. betragende Steuer würde sich
im vorliegenden Falle für den Kleinhandelspreis auf etwa 8 v. H. ab-
schwächen.
Für die Uebergangszeit sind besondere Ueberwälzungsbestimmungen
vorgesehen, die den bei der Einführung neuer Verbrauchsabgaben üblichen
Rechtsregeln entsprechen.
Was die Verhältnisse zum Auslande betrifft, so kommen in Be-
tracht die Einfuhr von Kohle aus dem Ausland und Ausfuhr nach dem
Ausland.
Die ausländische Kohle wird beim Eintritt in den Verkehr des In-
landes, d. h. bei der Grenzüberschreitung steuerpflichtig (§ 4). Zur
Entrichtung der Steuer ist der Empfänger verpflichtet (§ 3). In diesem
Falle beschränkt sich aber der Wert nicht auf den Verkaufspreis ab
Grube, sondern auf den vom Empfänger bezahlten Erwerbspreis und
die bis zum Grenzeingang entstandenen Kosten für Fracht, Versiche-
rung usw.
QßQ Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die zum Export nach dem Auslande bestimmte Kohle unterliegt
genau den gleichen Vorschriften, die für den Verbrauch im Inlande
gelten. Hier erscheint die Steuer als Produktionsabgabe, die vom Aus-
lande getragen wird.
Die zur unmittelbaren Durchfuhr bestimmte Kohle unterliegt der
Abgabe nicht.
Für die volkswirtschaftliche Beurteilung dieser neuen Steuer ist
von besonderem Belang, in welchem Umfange die verschiedenen Ver-
braucher von ihr betroffen werden. Nach der Begründung zum Ge-
setzentwurf und nach dem Bericht des Ausschusses für den Beichshaus-
halt ist der Privatbedarf (Hausbrandkohle) verhältnismäßig gering, be-
trägt nur 10 Proz. ; die Hauptverbraucher sind das Reich selbst und
die einzelnen Bundesstaaten, die Eisenbahnen besitzen. Der größte
Konsument ist zurzeit das Beich, weil fast alle Betriebe und gerade
diejenigen, die am meisten Kohle verbrauchen, gegenwärtig ausschließ-
lich für das Reich arbeiten, direkt oder indirekt, durch Herstellung von
Halbfabrikaten für die Heereslieferungen oder durch Heereslieferungen
selbst. Und dies ist natürlich finanzpolitisch wieder von Bedeutung.
Während der Kriegszeit tragen Reich und Einzelstaaten den weitaus
größten Teil der Steuer. Auch in Zukunft wird dies in erheblichem
Maße der Fall sein. Aber mit dem Wiedererstarken der freien Volks-
wirtschaft, je mehr wir in die Friedensverhältnisse wieder hineinkommen,
wird die Steuerlast allmählich auf die private Volkswirtschaft über-
gleiten. Für die üebergangszeit, so hob der Staatssekretär des Reichs-
schatzamtes in der Kommission hervor, sei die Steuer unter allen Um-
ständen noch nötig. Nachher, wenn der Zeitpunkt, zu dem das Gesetz
ablaufen solle, herankomme, müsse die Angelegenheit von Grund aus
neu geprüft werden und zwar nach Lage der dann vorhandenen Welt-
wirtschaft und unserer eigenen Wirtschaft.
Kohleusteuergesetz.
Vom 8. Aprü 1917 (RGBl. S. 340).
I. Abschnitt.
Allgemeine Vorschriften.
§ 1. Die inländische sowie die aus dem Ausland eingeführte Kohle unter-
liegt einer in die Reichskasse fließenden Abgabe (Kohlensteuer).
§ 2. Im Sinne dieses Gesetzes gelten als Kohle alle Arten nicht aufberei-
teter oder aufbereiteter Stein- und Braunkohle, bei Braunkohle auch die aus
ihr hergestellten Preßkohlen, bei der Einfuhr aus dem Ausland außerdem Koks
sowie die aus Steinkohle hergestellten Preßkohlen.
§ 3. Zur Entrichtung der Steuer ist verpflichtet, wer von ihm im Inland
fewonnene Kohle oder aus von ihm gewonnener Braunkohle hergestellte Preß-
ohlen auf Grund eines Kaufvertrags liefert oder sie sonst abgibt oder sie der
Verwendung im eigenen Betrieb oder dem eigenen Verbrauche zuführt.
Zur Entrichtung der Steuer ist ferner verpflichtet, wer von einem anderen
im Inland gewonnene Steinkohle aufbereitet oder wer von einem anderen im
Inland gewonnene Braunkohle zu Preßkohlen verarbeitet und dann auf Grund
eines Kaufvertrags liefert oder sie sonst abgibt oder sie der Verwendung im eigenen
Betrieb oder dem eigenen Verbrauche zuführt. Er erhält bei der Versteuerung
Nationalökonomische Gesetzgebung. 681
der bei ihm steuerpflichtig gewordenen Kohle die Steuer vergütet, welche für die
zur Aufbereitung oder Verarbeitung bezogene Kohle entrichtet worden ist.
Zur Entrichtung der Steuer für aus dem Ausland eingeführte Kohle ist
der Empfänger verpflichtet.
§ 4. Die Steuerpflicht für die inländische Kohle tritt ein, sobald die
Kohle geliefert, sonst abgegeben oder der Verwendung im eigenen Betrieb oder
dem eigenen Verbrauche zugeführt wird; die Steuer wird fällig am letzten des
folgenden Monats. Der Bundesrat kann bestimmen, daß bei zur Verkokung
gebrachten Steinkohlen die steuerpflichtige Menge allgemein oder in besonderen
Fällen nach dem normalen Ausbringen an Koks ermittelt wird und die Ver-
steuerung erst erfolgt, wenn der Koks auf Grund eines Kaufvertrags geliefert
oder sonst abgegeben oder der Verwendung im eigenen Betrieb oder dem eigenen
Verbrauche zugeführt wird.
Die Steuerpflicht für aus dem Ausland eingeführte Kohle tritt ein mit
der Grenzüberschreitung. Die Steuer wird fällig, sobald die Sendung zum
freien Verkehr abgefertigt worden ist. Die steuerpflichtige Kohle haftet ohne
Rücksicht auf die Rechte eines Dritten für die darauf ruhende Steuer und
kann, solange deren Entrichtung nicht erfolgt ist, von der Steuerbehörde zurück-
behalten oder init Beschlag belegt werden.
Im Falle der Hinterziehung gilt die Steuer als in dem Augenblicke fällig
geworden, in dem die Kohle zur Versteuerung hätte angemeldet werden müssen.
§ 5. Der Versteuerung unterliegen nicht die zur Aufrechterhaltung des
Betriebs des Bergwerkes sowie der Aufbereitungsanlagen erforderlichen Kohlen,
ferner diejenigen Mengen an Braunkohle, welche als Betriebsmittel zur Her-
stellung der Preßkohlen benötigt werden.
Der Versteuerung unterliegen ferner iiicht die auf Grund des Arbeitsver-
hältnisses oder Herkommens den Angestellten und der Belegschaft der Berg-
werke sowie deren Berginvaliden und Bergmannswitwen für deren eigenen Bedarf
aus der eigenen Förderung gewährten Hausbrandkohlen.
Der Bundesrat ist ermächtigt, Bestimmungen zu treffen, inwieweit Kohle
steuerfrei zu belassen ist, die zum Betriebe von Schiffen oder Eisenbahnzügen
dient, die den Verkehr mit dem Ausland vermitteln. Das gleiche gilt für
Kohle, welche zu Oelen, Fetten, Wachs und ähnlichen Erzeugnissen verar-
beitet wird.
§ 6. Die Steuer beträgt zwanzig vom Hundert des Wertes der gelieferten
oder sonst abgegebenen oder der Verwendung im eigenen Betrieb oder dem
eigenen Verbrauche zugeführten oder der eingeführten Kohle.
Sofern Gemeinden oder Gemeindeverbände nach vom Bundesrat aufzu-
stellenden Grundsätzen Einrichtungen treffen, die den Inhabern von Klein-
wohnungen den Bezug von Hausbrandkohlen verbilligen, so werden die für diesen
Zweck bezogenen Kohlen von der Steuer zur Hälfte befreit.
§ 7. Die steuerpflichtig gewordene Kohle ist nach Menge und Wert nach
näherer Bestimmung des Bundesrats der Steuerbehörde schriftlich anzumelden.
§ 8. Als Wert der auf Grund eines Kaufvertrags gelieferten Kohle gilt
der Verkaufspreis, ab Grube (§ 3 Abs. 1) oder Verarbeitungsstelle (§ 3 Abs. 2)
gerechnet. Nachvergütungen oder neben dem Verkaufspreis gewährte Vorteile
gelten als Teil des Verkaufspreises. Ist der Verkaufspreis einschließlich Steuer
berechnet, so wird der Versteuerung der Verkaufspreis abzüglich der Steuer
zugrunde gelegt.
Erfolgt die Lieferung unmittelbar oder mittelbar an einen Wiederverkäufer,
an dessen verkaufseriös der Steuerpflichtige beteiligt ist, so kann die Steuer-
behörde den der Versteuerung zugrunde zu legenden Verkaufspreis unter Berück-
sichtigung des bei dem Wiederverkauf erzielten Zwischengewinns gemäß § 10
anderweit festsetzen.
Der Wert der in anderer Weise als durch Verkauf abgegebenen sowie der
der Verwendung im eigenen Betrieb oder dem eigenen Verbrauche zugeführten
Kohle bestimmt sich nach dem für Kohle gleicher Art ab Grube oder ab Ver-
arbeitungsstelle geltenden Verkaufspreis.
§ 9. Als Wert der aus dem Ausland eingeführten Kohle gilt der Erwerbs-
preis zuzüglich der bis? zum Orte der Grenzeingangsstelle entstandenen Kosten.
^2 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Der Bundesrat ist ermäohtigt, für die Zuschläge feste Sätze für je eine
Tonne Kohlen zu bestimmen oder der Besteuerung lediglich den Erwerbspreis
zugrunde zu legen.
Der Bundesrat wird ermächtigt, bezüglich der Einfuhr von Kohle aus
Staaten, welche selber eine Steuer auf Kohle erheben, Vereinbarungen zu treffen,
dureh welche eine Doppelbesteuerung der Kohle vermieden wird.
§ 10. Steht der angegebene Verkaufspreis im Mißverhältnis zu den sonst
ab Grube oder ab Verarbeitungsstelle abgeschlossenen Preisen für entaprechende
Mengen von Kohle gleicher Art oder trägt die Steuerbehörde Bedenken, den
nach § 8 Abs. 3 odej- § 9 angemeldeten Wert als richtig anzunehmen, so kann
die Steuerbehörde die Anmeldung beanstanden.
Führen die Verhandlungen mit dem Steuerpflichtigen nicht zu einer Eini-
gung, so ist die Steuerbehörde berechtigt, der Versteuerung den Marktpreis zu-
grunde zu legen oder in Ermangelung eines solchen den Wert schätzen zu lassen
und danach die Steuer festzusetzen.
§ 11. Wird der Wert der Kohle von der Steuerbehörde abweichend von
der Anmeldung des Steuerpflichtigen festgesetzt, so ist dem Steuerpflichtigen
über die Festsetzung ein Bescheid zu erteilen.
Gregen den Bescheid ist die Beschwerde im Verwaltungswege zulässig.
Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
§ 12. Ansprüche auf Zahlung oder Erstattung der Steuer verjähren in
einem Jahre vom Tage des Eintritts der Fälligkeit oder der Entrichtung ab.
Der Anspruch auf Nachzahlung eines hinterzogenen Steuerbetrags verjährt in
drei Jahren.
Die Verjährung wird durch, jede von der zuständigen Behörde gegen den
Zahlungspflichtigen zur Geltendmachung des Anspruchs gerichtete Handlung
unterbrochen.
n. Abschnitt.
Steueraufsicht.
§ 13. Wer im Inlande Kohle gewinnen, aufbereiten oder Braunkohle zu
Preßkohlen verarbeiten will, hat dies vor der Eröffnung des Betriebs der Steuer-
behörde nach deren näherer Bestimmung anzumelden. Ebenso sind alle Aen-
derungeu im Besitz oder im Betrieb anzumelden, die auf die Festsetzung oder
die Entrichtung der Steuer Einfluß haben.
§ 14. Ein Betriebsinhaber, der den Betrieb nicht selbst leitet, hat der
Steuerbehörde diejenige Person zu bezeichnen, die als Betriebsleiter in seinem
Namen handelt.
Die im folgenden für den Betriebsinhaber gegebenen Vorschriften gelten,
mit Ausnahme derjenigen über die Kostenpflioht im § 17 Satz 2, auch für den
Betriebsleiter.
§ 15. Die nach § 3 Abs. 1 und 2 steuerpflichtigen Betriebe unterliegen
der Steueraufsicht. Die Beamten der Steuerverwaltung sind befugt, die An-
lagen, solange darin gearbeitet wird, zu jeder Zeit, andernfalls während der
Tagesstunden zu besuchen. Die Befugnis erstreckt sich nur auf die über Tage
liegenden Teile der Anlagen, einschließlich der Geschäftsräume und Verladungs-
anlagen. Die Zeitbeschränkung fällt weg, wenn Gefahr im Verzuge ist.
§ 16. Der Betriebsinhaber hat den Steuerbeamten jede für die Steuer-
aufsicht erforderliche Auskunft über den Betrieb und den Absatz zu erteilen.
§ 17. Ist der Betriebsinhaber wegen Steuerhinterziehung bestraft worden,
so kann der Betrieb besonderen Aufsichtsmaßnahmen unterworfen werden. Die
Kosten fallen dem Betriebsinhaber zur Last. Die Einziehung der Kosten erfolgt
nach den Vorschriften über das Verfahren für die Beitreibung der Zölle und
mit deren Vorzugsrechten.
§ 18. Der Betriebsinhaber ist verpflichtet, nach Bestimmung der Steuer-
behörde über die gewonnenen, bezogenen und verarbeiteten sowie über die auf
Grund^ von Kaufverträgen gelieferten oder sonst abgegebenen oder der Verwen-
dung im eigenen Betrieb oder dem eigenen Verbrauche zugeführten Mengen
Kohle fortlaufende Anschreibungen nach Sorten und Wert zu führen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 683
Den Oberbeamten der Steuerverwaltung sind die auf die Gewinnung, den
Bezug» die Verarbeitung und den Absatz der Kohle bezüglichen Geschäftsbücher
und Cfeschäftspapiere auf Erfordern zur Einsicht vorzulegen.
§ 19. Für Anlagen, die von einem Bundesstaate betrieben werden, kann
der Bundesrat in Ansehung der Steueraufsicht Abweichungen zulassen.
§ 20. Aus dem Ausland darf Kohle nur auf einer Zollstraße und während
der Zollstunden eingeführt werden.
III. Abschnitt.
Straf Vorschriften.
§ 21. Wer es unternimmt, dem Reiche die in diesem Gesetze vorgesehene
Steuer vorzuenthalten, tnacht sich der Hinterziehung schuldig.
§ 22. Der Tatbestand des § ^1 wird insbesondere dann als vorliegend ange-
nommen,
1. wenn mit der Gewinnung, Aufbereitung oder Verarbeitung von Kohle be-
gonnen wird, bevor die Anmeldung des Betriebs (§ 13) in der vorge-
schriebenen Weise erfolgt ist;
2. wenn die im § 7 vorgeschriebene Anmeldung nicht oder nicht richtig
abgegeben wird;
3. wenn die im § 18 vorgeschriebenen Anschreibungen nicht oder nicht
richtig geführt Werden;
4. wenn Kohle aus dem Ausland nicht auf einer Zollstraße oder nicht
während der Zollstunden eingeführt wird.
Der Hinterziehung wird es gleichgeachtet, wenn jemand Kohle, von der
er weiß öder den Umständen nach annehmen muß, daß hinsichtlich ihrer eine
Hinterziehung der Steuer stattgefunden hat, erwirbt und den Erwerb nicht
sofort der Steuerbehörde anmeldet.
Wird festgestellt, daß eine Vorenthaltung der Steuer nicht stattgefundai
hat oder nicht beabsichtigt worden ist, so tritt nur eine Ordnungsstrafe nach
§ 25 ein.
§ 23. Wer eine Hinterziehung begeht, wird mit einer Geldstrafe in Höhe
des vierfachen Betrages der Steuer, mindestens aber in Höhe von eintausend
Mark für jeden einzelnen Fall bestraft. Außerdem ist die Steuer von dem
Steuerpflichtigen nachzuzahlen.
Kann der Betrag der Steuer nicht festgestellt werden, so tritt eine Greld-
strafe bis zu einhunderttausend Mark ein.
§ 24. Im Falle der Wiederholung der Hinterziehung nach vorausge-
gangener Bestrafung werden die im § 23 vorgesehenen Strafen verdoppelt.
Jeder fernere Rückfall wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und zugleich
mit Geldstrafe nicht unter dem Vierfachen der im § 23 vorgesehenen Strafen
bestraft: doch kann nach richterlichem Ermessen mit Berücksichtigung aller
Umstände und der vorangegangenen Fälle an Stelle der Gefängnisstrafe auf
Haft oder auf Geldstrafe nimt unter dem Vierfachen der im § 23 vorgesehenen
Strafen erkannt werden.
Die Rückfallstrafe tritt ein, auch wenn die frühere Strafe nur teilweise
verbüßt oder ganz oder teilweise erlassen worden ist; sie bleibt ausgeschlossen,
wenn seit der Verbüßung oder dem Erlasse der früheren Strafe bis zur Be-
gehung der neuen Straftat drei Jahre verflossen sind.
§ 25. Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften dieses Gesetzes und
die dazu erlassenen und öffentlich oder den Beteiligten besonders bekannt ge-
machten Verwaltungsbestimmungen werden, sofern sie nicht nach den §§ 23
und 24 mit einer besonderen Strafe bedroht sind, mit einer Ordnungsstrafe von
einer Mark bis zu dreihundert Mark bestraft. >
§ 26. Der Inhaber des unter Steueraufsicht stehenden Betriebs (§ 15)
und ^ der Empfänger haften für die von ihren Verwaltern, Geschäftsführern,
Gehilfen und sonstigen in ihrem Dienste oder Lohne stehenden Personen sowie
von ihren Familien- oder Haushaltungsmitgliedern verwirkten Geldstrafen und
Kosten des Strafverfahrens im Falle des Unvermögens der eigentlich Schul-
digen, wenn nachgewiesen wird.
gg4 Nationalökonomische Gesetzgebung.
1. daß die Zuwiderhandlung mit ihrem Wissen verübt ist, oder
2. daß sie bei Auswahl und Anstellung der Verwalter, Geschäftsführer, Ge-
hilfen und sonstigen in ihrem Dienste oder Lohne stehenden Personen
oder bei Beaufsichtigung dieser sowie der bezeichneten Hausgenossen nicht
mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vorgegangen sind.
Läßt sich die Geldstrafe von dem Schuldigen nicht beitreiben, so kann
die Steuerbehörde davon absehen, den für die Greldstrafe Haftenden in Ansprach
zu nehmen und die an Stelle der Geldstrafe tretende Freiheitsstrafe an dem
Schuldigen vollstrecken lassen.
§ 27. Bei Umwandlung der nicht beizutreibenden Geldstrafen in Freiheits-i
strafen darf die Freiheitsstrafe bei einer Hinterziehung im ersten Falle sechs
Monate, im ersten Rückfall ein Jahr und im ferneren Kückfall zwei Jahre, bei
einer Ordnungswidrigkeit drei Monate nicht übersteigen. Im Falle des § 23
Abs. 2 bleibt bei der Umwandlung ein Fünftel der Geldstrafe außer Betracht.
§ 28. Die Steuerbehörde kann die Beobachtung der auf Grund dieses
Gresetzes getroffenen Anordnungen durch Androhung und Einziehung von
Geldstraieu bis zu fünfhundert Mark im einzelnen Falle erzwingen. Die Vor-
schrift des § 17 letzter Satz findet entsprechende Anwendung.
§ 29. Die Strafverfolgung von Hinterziehungen verjährt in drei Jahren,
von Ordnungswidrigkeiten in einem Jahre. i
§ 30. In Ansehung des Verwaltungsstrafverfahrens, der Strafmilderung
und des Erlasses der Strafe im Gnadenwege sowie in Ansehung der Strafvoll-
streckung kommen die Vorschriften zur Anwendung, nach denen sich das
Verfahren wegen Zuwiderhandlung gegen die Zollgesetze bestimmt.
Die Geldstrafen fallen dem Staate zu, von dessen Behörden die Straf-
entscheidung erlassen ist. Im Falle des § 23 Abs. 2 ist von dem Betrage
der Geldstrafe der fünfte Teil an Stelle des nicht festgestellten Steuerbetraga
an die Reichskasse abzuführen.
§ 31. Ein im Strafverfahren eingegangener Geldbetrag ist im Verhältnis
zur Reichskassc zunächst auf die Steuer zu verrechnen.
IV. Abschnitt.
Sonstige Vorschriften.
§ 32. Der Bundesrat erläßt besondere Bestimmungen für die außerhalb
der Zollgrenze liegenden Teile des Reichsgebiets, soweit dort die Vorschriften
dieses Gesetzes nicht anwendbar sind; auch kann er auf Antrag der Landes-
regierung an Stelle der in diesem Gesetze vorgesehenen Steuer die Zahlung
einer Abfindung an die Reichskasse zulassen.
§ 33. Kohle, die aus den dem Zollgebiet angeschlossenen Staaten und
Grebietsteilen eingeht, ist spätestens beim Eintritt in das Inland zu versteuern.
§ 34. Der Reichskanzler kann unter Zustimmung des Bundesrats v^egen
Herbeiführung einer den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechenden Besteuerung
in den den» Zollgebiet angeschlossenen Staaten und Gebietsteilen, wegen Ueber-
weisung der Steuer für die im gegenseitigen Verkehr übergehenden steuer-
pflichtigen Brennstoffe oder wegen Begründung einer Steuergemeinschaft iLit
den fremden Regierungen Vereinbarungen treffen.
§ 35. Die Erhebung und Verwaltung der Kohlensteuer erfolgt durch
die Landesbehörden. Die erwachsenden Kosten werden den Bundesstaaten nach
den vom Bundesrate zu erlassenden Bestimmungen vergütet.
Die Reichsbevollmächtigten für Zölle und Steuern und die ihnen unter-
stellten Aufsichtsbeamten haben in bezug auf die Ausführung des Gesetzes
dieselben Rechte und Pflichten wie bezüglich der Erhebung und Verwaltung
der Zölle.
In denjenigen Staaten, in denen die bezeichneten Geschäfte anderen Be-
hörden als den Zollbehörden übertragen sind, werden Umfang und Art der
Tätigkeit der Reichsaufsichtsbeamten vom Reichskanzler im Einvernehmen mii
der beteiligten Landesregierung geregelt.
Nationalökonomische Gesetzgebung. ßg5
V. Abschnitt.
Uebergangs- und Schlußvorschriften.
§ 36. Von den bestehenden steuerpflichtigen Betrieben sind die nach
diesem Gesetz erforderlichen Anmeldungen zur Venneidung der im § 25 an-
gedrohten Ordnungsstrafen zu einem vom Bundesrate zu bestimmenden Zeit-
punkt zu erstatten.
§ 37. Soweit beim Inkrafttreten dieses Gesetzes Verträge über Lieferung
von Kohle oder aus Kohle hergestellten festen Brennstoffen bestehen, ist der
Lieferer berechtigt, dem Abnehmer die auf die zu liefernde Menge entfallende
Kohlensteuer in Rechnung zu stellen.
Soweit beim Inkrafttreten dieses Gesetzes Verträge über Ausbeutung von
Feldern oder Feldesteilen durch Dritte bestehen, bei denen die als Entgelt zu.
zahlende Abgabe auf die Tonne Förderung sich ganz oder zum Teil nach der
Höhe der jeweiligen Verkaufs- oder Verrechnungspreise bestimmt, scheidet für
die Berechnung der Höhe der Tonnenabgabe derjenige Teil der jeweiligen Ver-
kaufs- oder Verrechnungspreise aus, der durch die Kohlensteuer bedingt ist.
Soweit beim Inkrafttreten dieses Gesetzes Verträge über Lieferung von
elektrischer Arbeit, Gas, Wasser, Heizung oder Dampfkraft oder Preisverein-
barungen über derartige Leistungen bestehen, ist der Lieferer berechtigt, einen
Zuschlag zum Preise zu verlangen, welcher der ihm durch die Kohlensteuer
verursachten Erhöhung der Herstellungs-, Betriebs- oder Bezugskosten ent-
spricht. Das gleiche gilt bezüglich der Verträge über Personen- und Güter-
beförderung im See- und Binnenschiffahrtsverkehre. Der Bundesrat ist er-
mächtigt, die Entscheidung entstehender Streitigkeiten Schiedsgerichten zuzu-
weisen.
§ 38. Das Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Ausrust 1917 in Kraft und
hat Gültigkeit bis 31. Juli 1920.
aQa Ifiszellen.
Miszellen.
xvi.
Die Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität
Tübingen von 1817-1917.
Von Carl Johannes Fuchs.
Die Staatswissenschaftliche Fakultät der üüiversität TübiDgen,
welche am 17. Oktober ihr hundertjähriges Bestehen gefeiert hat, hat
eine interessante und ruhmreiche Geschichte. Steht doch an ihrer "Wiege
kein Geringerer als Friedrich List, der im Jahre 1817 im Auftrag des
Ministers v. Wangenheim ein Gutachten über die Errichtung einer
„Staatswirtschaftlichen Fakultät" in Tübingen verfaßt hat. Es beginnt
mit den Worten:
„Dem 18. Jahrhundert war es vorbehalten, die große Lehre zu
ahnen, durch welche das höchste menschliche Institut, der Staat, aiif
wissenschaftliche Grundsätze gestellt wird — nämlich die Staatswissen-
schaft. Unserer großen Zeit aber hat die Vorsehung die Aufgabe ge-
stellt, nicht nur diese Wissenschaft auszubilden, sondern auch ihre
heilsamen Grundsätze ins wirkliche Leben einzuführen."
Wem von diesen beiden Männern dabei die Priorität des Gedankens
zukommt, ist schwer zu entscheiden, aber auch unwesentlich. Nach
Jolly 1) hat Wangenheim schon im Jahre 1811, als er Kurator der Uni-
versität geworden war, mit dem Nationalökonomen Fulda, dem Inhaber
der ersten im Jahre 1796 in der Philosophischen Fakultät geschaffenen
Professur für Kameral-, Polizei- und Finanzwissenschaft, aber auch mit
List, der damals Beamter in Tübingen war, und dem dort studierenden
nachmaligen Minister Schlayer den Gedanken der Errichtung einer be-
sonderen Fakultät für die künftigen Verwaltungsbeamten erörtert.
Andererseits hatte List ihn bereits vorher in der Publizistik vertreten
und hat später ausdrücklich die Gründung der Fakultät als sein Werk
in Anspruch genommen 2j. Jedenfalls ist die neue Schöpfung ein Herzens-
kind von List gewesen, denn sie sollte ja gerade den Uebelständen des
verrufenen „Schreiberwesens", d. h. der schlechten rein praktischen
und routinemäßigen Vorbildung der Verwaltungs- und Finanzbeamten
im alten Württemberg abhelfen, die er aus seiner eigenen Tätigkeit
in diesem Beruf kannte und in diesen Jahren seit 1816 besonders in
der von ihm begründeten politischen Zeitschrift, dem „Württembergischen
Archiv", bekämpfte. Hier finden wir zuerst die Forderung ausgesprochen :
„Die Staatspraxis muß in ihrem ganzen Umfange auf der Universität
gelesen werden."
1) Zur Geschichte der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen,
hrsg. von Rost, Tübingen 1909.
2) Vgl. Goeser, Der junge Friedrich List, 1914, S. 41 u.
Mis Zellen. 537 '
Die neue Fakultät ist also von Anfang an ganz vorwiegend für
praktische Zwecke, für die Ausbildung der Staatsbeamten, ge-
schaffen worden, und zwar durch das Kgl. Reskript vom 17. Oktober, auf
Grund dessen der Minister am 26. dem akademischen Senat mitteilte, daß
für die im Staatsdienste außer der Rechtswissenschaft noch erforderlichen
Kenntnisse ein eigener Zweig des öffentlichen Unterrichts ange-
ordnet und daher eine besondere Pakultät unter dem Namen einer
Staatswirtschaftlichen Fakultät errichtet werden solle. Die
Lehrfächer, über welche die Mitglieder dieser Fakultät Vorlesung zu
halten haben, sollten sein: „1) Theorie der Staatswirtschaf t^),
namentlich Staatspolizei, Nationalökonomie und Finanzkunde ; 2) Staats-
verwaltungspraxis, namentlich Regiminal-, Polizei-, Kameral- und
Finanzpraxis für alle Stufen der öffentlichen Verwaltung; 3) Land-
wirtschaft; 4) Forstwirtschaft; 5) Technologie, Handels-
und Bergbaukunde; 6) Bürgerliche Baukunst." Von dem
Lehrer der Staatsverwaltungspraxis heißt es in dem Erlaß spe-
ziell, er werde „über die bestehenden Formen aller Staatsämter Vor-
lesungen zu halten haben, zugleich aber auch auf Verbesserung der-
selben hinarbeiten und ein System des Formenwesens, wie es aus der
Natur und dem Zwecke der Geschäfte abzuleiten ist, entwickeln müssen".
Ueber das Verhältnis der neuen Fakultät zur juristischen heißt es:
„Außer den zum Umfang der Staatswirtschaft eigentlich gehörigen
Hilfswissenschaften wird es nötig sein, daß derjenige Staatswirt schafts-
beflissene, der sich nicht etwa bloß einem einzelnen Zweige derselben
ausschließlich widmet, aus dem Gebiet der allgemeinen Staats- und der
Rechtswissenschaft Vorlesungen höre über Enzyklopädie der Staats-
gelehrtheit, Staatsrecht, Philosophie des positiven Rechts, Württember-
gisches Privatrecht (mit besonderer Rücksicht auf Kameralisten, und
soweit es ohne Kenntnis des römischen Rechts verständlich ist) und
Kameralrecht, und daß der Studierende der Rechtswissenschaft aus den
staatswirtschaftlichen Fächern die Vorlesungen über Enzyklopädie der
Staatswirtschaft und Staatsverwaltungspraxis besuche.
Zu Professoren der neuen Fakultät wurden gleichzeitig ernannt:
der genannte Professor in der Philosophischen Fakultät Fulda für
Theorie der Staatswirtschaft und einstweilen auch für Technologie, der
damalige Rechnungsrat Friedrich List in Stuttgart für Staatsverwal-
tungspraxis und der Freiherr Förstner von Dambenoy für Land-
wirtschaft. 1818 kamen dazu noch der „später zu großem Ansehen ge-
langte" Professor Hundeshagen für Forstwirtschaft und für Tech-
nologie der „damals bekannteste Vertreter dieses Faches", Professor
P o p p e 2).
Die neue Fakultät ist der Universität also, ohne daß diese sie ge-
wünscht hatte, aufoktroyiert worden, und der Senat hat sogar versucht,
gegen ihre Einrichtung zu protestieren, indem er die Anstellung eines
Lehrers für Staatsverwaltungspraxis als bedenklich bezeichnete, da „der
1) Nicht „Staatswissenscbaft", wie es bei Jolly S. 3 heißt !
2) Jolly, a. a. O. S. 5.
ggg Miszellen.
praktische Unterricht die Studierenden von der zunächst zu erlernenden
Theorie abziehen werde". Er verlangte daher nur ein „Kollegium"
statt einer Fakultät, welches von dem bisherigen einzigen Vertreter
der nationalökonomiöchen Fächer Fulda geleitet und im Senat vertreten
werden sollte. Die neue Fakultät war auch so zaghaft, die ihr gleich
nach der Gründung vom Ministerium angebotene Befugnis zur Doktor-
promotion mit dem Hinweis darauf, daß nirgends in Deutschland Dok-
toren der Staatswirtschaft kreiert würden, der Regierung nur anheim-
zustellen, welche sie ihr daher zunächst nicht verlieh. Insbesondere
aber waren die zünftigen Gelehrten, Fulda an der Spitze, List,
den sie als Eindringling in ihren Kreis empfanden und nicht für voll
nahmen, abhold und wußten ihn schon nach zwei Jahren wegen seiner
wirtschaftspolitischen Betätigung in dem „ausländischen", für die Zoll-
einigung Deutschlands wirkenden „Verein deutscher Kaufleute und Fa-
brikanten zum Zweck der Förderung des Handels" zur Aufgabe seiner
Professur zu zwingen ^).
Unser besonderes Interesse erweckt der Lehrplan, welchen
Fulda 1818 für die neue Fakultät ausarbeitete, und welchen sie zu-
nächst in ihren Vorlesungen befolgte. In dem Entwurf Fuldas heißt
es 2) :
„Es umfaßt die Staatswirtschaft in ihrer weiteren Bedeutung, in
welcher die Fakultät ihrem Namen nach sie aufzunehmen hat:
„I. Insofern sie sich über alles dasjenige erstreckt, was der Begriff
des Wirtschaftlichen überhaupt in sich schließt, folgende Zweige:
1) Privatökonomie, als alles dasjenige, was den Erwerb — die
Gewerbe unmittelbar nach ihren inneren Erfordernissen anbetrifft;
2) Nationalökonomie, als die wissenschaftliche Erörterung der
Erwerbsverhältnisse in gesellschaftlichen Verbindungen überhaupt:
3) Staatsökonomie, als die unmittelbaren Einwirkungen der
Staatsregierungen auf den Privaterwerb (Gewerbspflege, Gewerbspolizei),
wie ihre eigene Wirtschaft — das öffentliche Auskommen etc. (Finanz-
wissenschaft). Es sind hiernach die Hauptvorlesungen , welche die
Fakultät in dieser Hinsicht anzubieten hat:
A) 1. Enzyklopädie der Kameralwissenschaften oder
staatswirtschaftlichen Wissenschaften ;
B) Die unmittelbaren Vor- und Hilfskenntnisse, die für den
Staatswirt ausschließend vorzutragen sind, als
2. ökonomische Botanik,
3. ökonomische Zoologie,
4. agronomische Chemie (Agronomie und Agrikultur-Chemie),
5. technische Chemie,
6. angewandte württembergische Statistik (nämlich Kenntnis des
Vaterlandes in naturhistorischer, ökonomischer, technischer und
kommerzieller Hinsicht) ;
1) üeber Lists Lehrtätigkeit vgl. Goeser, a. a. O. S. 13.
2) Universität Tübingen. Akten betreffend Errichtung der staatswirtschaftlichen
Fakultät etc. 1817—1827.
Miszellen. 689
C) Privatökonomie. Dahin gehören:
7. Landwirtschaft (theoretische und praktische),
Forstwirtschaft, gespalten in folgende Vorlesungen
8. Enzyklopädie der Forstwissenschaft für Staatswirte und
9. theoretische und praktische Forstwissenschaft für Forstmänner;
Bergbau, gespalten in
10. mineralogischer und
11. technischer Teil;
Technologie, gespalten in
12. allgemeine Technologie,
13. spezielle Technologie,
14. Maschinenlehre etc.,
15. Baukünste (Straßen-, Wasser-, bürgerliche Baukunst);
16. Handels Wissenschaft;
D)17. Nationalökonomie;
E) Staatsökonomie. Dahin gehören :
18. Staatsforstwirtschaftslehre,
19. Grewerbspolizei (insbesondere Rural-Polizei),
20. allgemeine Theorie der Finanzwissenschaft,
21. Steuer Wissenschaft insbesondere,
22. Staatsverwaltungspraxis (Regiminal-, Polizei-, Finanzpraxis und
Korporationslehre etc.),
23. Rechnungswesen.
„11. Insofern sie sich auch über alles dasjenige erstreckt, was sich
unmittelbar und so enge an das Wirtschaftliche anschließt, daß es von
und in der Fakultät selbst bearbeitet werden sollte, als
A) 24. allgemeine Polizeiwissenschaft (alle Anordnungen,
welche auf die öffentliche Ordnung, Bequemlichkeit, Sicherheit
etc. im Gemeinwesen abzielen);
B) 25. Kameralrechte (als das Positive in obigen Erwerbsverhält-
nissen — Landwirtschaftsrecht, Handwerksrechte, Handels-
recht etc.)."
Das waren also 25 verschiedene Vorlesungen, aus denen nun die
„eigentlichen Staatswirte" (künftige Regiminal-, Polizei- und Finanz-
beamte) und diejenigen, die ausschließlich Forstwirtschaft, Landwirt-
schaft, Technologie oder Bergbaukunde studierten, je eine bestimmte
Auswahl hören sollten, und zwar die erstgenannten mit den Vor-
lesungen aus anderen Fakultäten (geschichtlichen, mathematischen und
allgemein naturwissenschaftlichen) im ganzen 24 in 3 Jahren, so daß
auf ein Semester etwa 4 entfielen.
Bei der Einrichtung der Fakultät war es auch die Meinung der
Regierung gewesen, daß die Studierenden der Staatswirtschaft aus den
in dem Gründungserlaß bezeichneten juristischen Fächern von
deren Vertretern beim Verlassen der Fakultät geprüft werden, und
andererseits an der juristischen Fakultätsprüfung staatswirtschaftliche
Professoren beteiligt werden sollten. Da dies aber nicht vorgeschrieben
wurde, wurde ihm von beiden Fakultäten keine Folge gegeben.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 5i). 44
^gQ Miszellen.
An die Stelle von List trat 1819 wieder ein Beamter, der Finanz-
assessor K r e h 1. Als dieser aber 1824 gestorben war, wurde der echt
Listsche Gedanke, die Staatsverwaltungspraxis an der Uni-
versität zu lehren, der nach Wangenheims Rücktritt auch der Regierung
nicht mehr paßte , preisgegeben , und ein Theoretiker als Nach-
folger gesucht. Mit der Ernennung des außerordentlichen Professors
in der Juristischen Fakultät Robert Mohl im Jahre 1828 beginnt
eine erste Glanzzeit der Fakultät. Er las außer nationalökonomischen
und statistischen Vorlesungen auch über Geschichte, deutsches
und württembergisches Staatsrecht, Staats- und Privat-
kameralrecht und württembergischeVerwaltungsgesetze.
Mit ihm beginnt also die Vertretung des öffentlichen Rechts in
der Fakultät selbst. Hauptsächlich durch ihn erfolgte dann auch im
Jahre 1844 die Begründung der „Zeitschrift für die gesamte
Staatswissenschaft*', welche bis 1875 von den jeweiligen Mit-
gliedern der Fakultät herausgegeben worden ist und in dieser Zeit die
meisten monographischen Arbeiten derselben gebracht hat. Mohl hat
auch die Verleihung des Rechts zur Doktorpromotion 1830 veranlaßt,
und 1837 neue Prüfungsordnungen für die Beamten der Departements
des Innern und der Finanzen herbeigeführt. Sie schrieben den „Re-
giminalisten" und den „Kameralisten" die Ablegung theoretischer Prü-
fungen vor, die von den Professoren der Staatswirtschaftlichen und zwei
oder drei Professoren der Juristischen Fakultät unter Mitwirkung von
Regierungskommissaren abgehalten wurden, so daß sie nunmehr, ohne daß
dies direkt verlangt war, tatsächlich an der Universität studieren
mußten. Dadurch und durch das Erfordernis der Ablegung der Reife-
prüfung mindestens 3 Jahre vor der neuen Prüfung war den bloß auf
Kanzleien geschulten Praktikern der Weg zur Hauptprüfung verlegt*).
Ein veränderter Standpunkt der Regierung unter dem Minister
Schlayer, welcher einen neuen Studienplan für die Regiminalisten
aufstellte und darin als wichtigstes Fach auch für diese die Jurisprudenz,
insbesondere das römische Recht, bezeichnete und die wirtschaftlichen
Fächer zu Nebenfächern machte, schädigte die Fakultät eine Zeitlang
schwer und veranlaßte den Rücktritt von Mohl. An seine Stelle wurde,
da das Ministerium der Meinung war, daß das Staatsrecht in der
Juristischen Fakultät genügend vertreten sei, 1849 der Nationalökonom
Helferich in Freiburg i. B. mit einem Lehrauftrag für Polizei-
wissenschaft und Politik und für Enzyklopädie der Staatswissenschaften
berufen, der aber auch Nationalökonomie las, so daß diese nunmehr
doppelt vertreten war, da 1837 Schüz die Professur von Fulda er-
halten hatte. Daneben hatte Fallati eine Professur für politische
Geschichte und Statistik, und Hoffmann für Finanzrecht. Helferichs
Nachfolger wurde 1860 der damalige Mitarbeiter des „Schwäbischen
Merkur", A. Schäffle; Fallatis Nachfolger 1857 Max Dunker,
1859 R. Pauli, der aber 1861 als Historiker in die Philosophische
Fakultät übertrat. Nunmehr wurde auf Vertretung der Geschichte
1) Jolly, a. a. O. S. 15.
Miszellen. g9]^
in der Staats wissenschaftlichen Fakultät verzichtet, die Statistik Hof f-
mann zugewiesen, und für das verwaiste Völkerrecht und das seit
M o h 1 8 Abgang nur noch in der Juristischen Fakultät gelehrte Staats-
recht V. Frikker ernannt. Die Statistik ging dann 1867 in Form
eines Lehrauftrags von Hoffmann auf G. Rümelin über; die Land-
und Forstwirtschaft wurden seit Gründung der Akademie Hohenheim
(1820) nur noch vereinigt durch eine Professur vertreten. Die techno-
logische Professur ging, als der Nachfolger von Poppe, Volz, 1855
starb, ein; die Vorlesungen wurden als Nebenamt dem Ordinarius
der Physik Reusch überwiesen, der von 1856 — 1871 abwechselnd
Maschinenlehre und Technologie je fünfstündig las; ebenso dann von
1873 — 1888 Hüttendirektor a. D. Dorn und nachher vierstündig
Dr. Schumann. Das Baufach endlich war nur noch durch einen
Lehrauftrag eines in Tübingen angestellten Bauinspektors vertreten.
So sehen wir schon in dieser Zeit die privatwirtschaftlichen
Disziplinen allmählich einschrumpfen.
Eine bedeutende Wandlung und einen neuen Aufschwung erfuhr
die Fakultät dann in den siebziger Jahren, als auf die meisten er-
ledigten Lehrstühle eine Reihe von Nichtwürttembergern berufen
wurden : Gustav Schönberg für Nationalökonomie und Friedrich
Julias Neumann für Finanzwissenschaft und Nationalökonomie,
Ludwig Jolly für Verwaltungsrecht, Polizeiwissenschaft und Politik^
und F. V. M a r t i t z für Staatsrecht, Völkerrecht und Enzyklopädie der
Staatswissenschaften. Seitdem „trat die Pflege des einheimischen Rechts
und der Tübinger Eigentümlichkeiten zurück, und es erhielten dafür
das deutsche Recht und die an den übrigen deutschen Universitäten
herrschenden Auffassungen stärkere Geltung" i), und nachdem in den
achtziger Jahren besonders der seminaristische Unterricht auf-
genommen worden war, trat neben die Vorbildung der württembergischen
Beamten hier wie an anderen deutschen Universitäten die Ausbil-
dung spezieller Nationalökonomen, die ihre Studien mit
dem Doktorexamen abschließen, als zweite Aufgabe der Fakultät,
welche heute der anderen durchaus ebenbürtig zur Seite steht.
Diese nichtwürttembergischen Gelehrten waren dann auch, im
Gegensatz zu ihren Vorgängern, leichter bereit, einer vom Ministerium
des Innern 1884 betriebenen Reform des Studienganges der Regimi-
nalisten zuzustimmen, wodurch dieser dem der Juristen fast gleichartig
gestaltet wurde, indem dieselben Anforderungen in der Rechtswissen-
schaft an sie gestellt wurden, nur mit Erleichterungen im Zivil- und
Strafprozeßrecht, während das Examen im Staatsrecht intensiver als bei
den Juristen gestaltet wurde, und im Gegensatz zu diesen von ihnen
auch Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Nationalökonomie, aber
nicht mehr auch Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Technologie als
Prüfungsfächer verlangt wurden. Dagegen blieb für die Kamera-
listen, die Beamten in der Abteilung der Finanzen, die Prüfungsordnung
von 1837 noch bis 1903 unverändert bestehen. In diesem Jahre wurde
1) Jolly a. a. O. S. 25.
44*
ßg2 Miszellen.
die Prüfungsordnung für die bisherigen Juristen, Regirainalisten und
Kameralisten vollständig einheitlich gestaltet, indem von den Juristen,
die es seitdem allein nur noch gibt, allgemein ein gewisses Mindest-
maß öffentlichrechtlicher und nationalökonomischer Kenntnisse — aber
nicht privatwirtschaftlich-technischer — verlangt wird. Seitdem wirkt
die Fakultät rait ihren beiden Vertretern des öffentlichen Rechts, das
heute in der Juristischen Fakultät gar nicht mehr vertreten ist, und
ihren beiden Nationalökonomen an der für alle Beamten gemeinsamen
ersten Staatsprüfung mit. Diese Reform hat zweifellos zu einer besseren
volkswirtschaftlichen Ausbildung der Juristen im engeren Sinne, aber
zu einer schlechteren der Verwaltungs- und Finanzbeamten
geführt, und namentlich das Verschwinden der Anforderungen auf
privatwirtschaftlich-technischem Gebiet ist mindestens bei
den letzteren sehr zu bedauern. Es traten durch diese Entwicklung zu-
gleich naturgemäß die privatökonomischen Fächer in der Fakultät über-
haupt in einer dem Interesse der speziellen Studierenden der Natio-
nalökonomie sehr nachteiligen Weise zurück und verschwanden schließ-
lich ganz: die Professur für Landwirtschaft wurde bei der Aenderung
der Prüfungsordnung aufgehoben, spezielle technologische Vorlesungen
für die Studierenden der Fakultät wurden seit 1889 nicht mehr ge-
lesen; auch der Vertreter der Baukunde hatte schon 1884 auf seinen
Lehrauftrag verzichtet.
Dagegen erfuhr die Fakultät im Jahre 1881 eine Bereicherung
durch die Verlegung der mit der Landwirtschaftlichen Akademie in
Hohenheim verbundenen Abteilung für Forstwissenschaft nach
Tübingen, und bei dieser Gelegenheit wurde dem veränderten Charakter
der Fakultät auf ihr Ansuchen durch Aenderung des Namens in
„Staatswissenschaftliche Fakultät" Rechnung getragen. So
umfaßt die Fakultät heute zwei Ordinarien für Forstwissenschaft, zwei
für Staats- und Verwaltungsrecht, zwei für Nationalökonomie und
Finanz Wissenschaft und ein Extraordinariat für Nationalökonomie, Finanz-
wissenschaft und Statistik.
Es ist dies eine Organisation des nationalökonomischen
Unterrichts, welche gerade in der einzigartigen, nirgends sonst in
Deutschland zu findenden engen Verbindung mit den Fächern des
öffentlichen Rechts in einer eigenen Fakultät unseres Erachtens die
weitaus beste ist und ebenso den Vorzug verdient vor der bis vor
kurzem in Preußen allgemeinen isolierten Stellung der Nationalökonomie
in der Philosophischen Fakultät, wie vor der neuerdings hier nach
Straßburger und Freiburger Muster eingeführten Verschmelzung mit
der Juristischen Fakultät zu einer „Rechts- und Staatswissen-
schaftlichen". Denn letztere dient zwar dem Interesse der juristi-
schen Studierenden an einer für sie geeigneten Gestaltung des volks-
wirtschaftlichen Unterrichts, aber diese kann bei dem in Tübingen seit
Jahren üblichen, durch die Zugehörigkeit von zwei Juristen erleichterten
Zusammenwirken der beiden Fakultäten bei gemeinsamer Aufstellung
des Vorlesungsverzeichnisses ebensogut erreicht werden, während die
Misz eilen.
zweite Aufgabe der intensiveren Ausbildung der reinen Nationalöko-
nomen von einer selbständigen Fakultät zweifellos besser geleistet
werden kann.
Allerdings ist dazu — insbesondere gegenüber der neuesten Ent-
wicklung der kommunalen und Handelshochschulen — wieder ein Zurück-
greifen auf die ehemalige intensive Pflege der privatwirtschaft-
lichen Zweige wünschenswert und notwendig. Es sollte also jeden-
falls Landwirtschaftslehre wieder in den Kreis der in der
Fakultät vertretenen Fächer aufgenommen werden — sei es durch eine
eigene Professur, sei es durch Mitwirken der Hohenheimer Dozenten — ,
ebenso Technologie und Handelslehre, und die von der Fakultät
schon beschlossene Gründung eines Kommunalpolitischen Se-
minars, sowie weiter die eines Genossenschaftsseminars, zu
welchem vor dem Krieg durch Zulassung eines Privatdozenten für Ge-
nossenschaftswesen der Anfang gemacht worden war, dann (im Anschluß
an das Missionsärztliche Institut) eines Instituts für Wirtschaftskunde
des Auslandes und vielleicht auch noch eines Kolonialwissen-
schaflichen Seminars in Verbindung mit den Vertretern der
Geographie in der Philosophischen Fakultät sollten mit möglichster
Beschleunigung in die Wege geleitet werden, um den großen Anforde-
rungen zu genügen, welche gerade nach diesem Wirtschaftskrieg an
die wirtschaftliche Ausbildung der Staats- und Gemeinde-, aber auch
der sonstigen Korporations- und Privatbeamten, in Landwirtschaft, Ge-
werbe und Handel gestellt werden müssen. Wird dieser Weg energisch
verfolgt, so wird die Staatswissenschaftliche Fakultät der Tübinger
Hochschule in ihrem neuen Jahrhundert ihren alten Ruf bewähren und
einen neuen Aufschwung nehmen.
694 Missellen.
XVII.
Die reichsgesetzlichen Maßnahmen zur Sicherung
der deutschen Volksemährung im Kriege.
Von Dr. He rbst- Halle.
[Fortsetzung*).]
IV.
Vieh, Fleisch, und Fette.
(Ende Juli 1914 bis Ende November 1917.)
Inhalt: Die besonderen Schwierigkeiten der Fleisch Versorgung im Vergleich bu
anderen Lebensmitteln, wie insbesondere Brotgetreide, Mehl. Brot und Kartoffeln. —
Die ersten Maßnahmen auf diesem Gebiete zu Anfang des Krieges: Einfubrerleichte-
rungen, -verböte und -beschränkungen, Schlachtverbote. — Neue Bestimmungen für 1915:
Die Bekanntmachung über die Sicherstellung von Fleisch Vorräten vom 25. Januar
1915. — Die ersten Preisfestsetzungen für Schweine am 25. Februar 1915. — Beide
Bekanntmachungen werden durch die Vorschriften vom 24. Juni 1915 über den Ver-
kauf von Fleisch- und Fettwaren durch die Gemeinden ersetzt. — Zusehends schärfere
Maßnahmen im zweiten Halbjahr 1915 : Schlachtverbote, neue Höchstpreise für Schlacht-
schweine und Schweinefleisch, Bestimmungen über die Einschränkung des Fleisch- und
Fettverbrauchs (28. Oktober 1915). — Ausdehnung der Versorgungsregelung auf das
Rindvieh. — Die Gründung der Viehhandelsverbände. — Einheitliche Regelung der
Fleischversorgung 1916: Errichtung der Reichsfleischstelle, Regelung der Hausschiach-
tungeu, Vereinfachung der Beköstigung, Kontingentierung des Fleischverbrauchs (Ein-
führung der Reichsfleischkarte). — Ergänzende Bestimmungen über die Einfuhr von
Vieh und Fleischwaren, die Schlachtung der Milchkühe, gesundheitsschädliche und
täuschende Zusätze zu Fleisch, neue Höchstpreise für Schlachtsthweine und Schweine-
fleisch, die Herstellung und den Verkehr mit Fleischkonserven und Fleischextrakt. —
Neue und erweiterte Maßnahmen in 1917: Aufbewahrung von Knochen, Labmägen von
Kälbern, neue Höchstpreise für Schlachtschweine sowie Schlachtvieh- und Fleischpreise
für Schweine und Rinder. — Die Zusatzfleisehkarten. — Neue Bestimmungen über die
Regelung des Fleischverbrauchs inbesondere der Hausschlachtungen nach der Verord-
nung vom 2. Mai und 2. Oktober 1917, zusammengefaßt in der neuen Verordnung über
■die Regelung des Fleischverbrauchs und den Handel mit Schweinen. — Ferkelabschlach-
tungen. — Verbot des Halsschnitts. — Viehzählungen und Bestandsaufnahmen von
Fleisch und Fleischwaren. — Futterbestimmungen. — Futterfrage, Viehstand, Fett-
und Fleischversorgung. — Die Fettversorgung: Einfuhr- und Zollerleichterungen, Unter-
suchungsgebühr — schärfere Bestimmungen in 1915 — noch strengere Vorschriften
in 1916: Die Bekanntmachungen vom 8 Juni und 20. Juli — Speisefettkarten —
fetthaltige Zubereitungen — die Reichsstelle für Speisefette, welcher auch die Milch-
versorguug übertragen wird — Milchkarten (Bekanntmachung vom 3. Oktober 1916
und 3. November 1917) ergänzende Vorschriften: Butterpreise — Verkehr mit Marga-
rine — Schmalz — andere Fette zur menschlichen Ernährung — ausgleichende Be-
stimmungen über die Ausnutzung und Verwertung von Fleisch-, Fett- und Knochen-
abfällen und -resten. — Durch die zu Beginn des dritten Kriegsjahres erfolgende ein-
heitliche Durchführung der Fleischversorgung ist das kriegswirtschaftliche System zur
Sicherung der deutschen Volksernährung im Kriege für die drei Hauptnahrungsmittel
Brot, Kartoffeln und Fleisch erfolgreich geschlossen.
Die Regelung der Fleischversorgung des deutschen Volkes im
Kriege hat eine ähnliche Entwicklung durchgemacht wie die Kartoffel-
1) Vgl. III. F. 53. Bd. S. 81 fg. u. S. 736 fg., sowie oben S. 181 fg.
Miszellen. 695
Versorgung und steht wie diese im gleichen Gegensatz zur Regelung
des Verkehrs mit Brotgetreide einmal in Anbetracht der natürlichen
und technischen Schwierigkeiten auf diesem für die Volksernährung
ebenfalls so unendlich wichtigen Gebiete und dann in Ansehung der
erst im Laufe der Zeit sich nach und nach immer einheitlicher und
durchgreifender gestaltenden Maßnahmen, welche die Reichsregierung
für die Fleischversorgung traf. Das Brotgetreide nimmt in der Kriegs-
wirtschaft eine ganz andere Stelle ein als die Kartoffel und das Fleisch,
aber wie die Brotfrage in die Kartoffelfrage hineinspielt, so bestehen
auch zwischen der Kartoffelfrage und der Fleischfrage Beziehungen,
und ungenügende Erzeugung sowie Vorratsmangel, ob sie nun bei einem
allein oder gleichzeitig auftreten, können die Versorgung in jedem Falle
schwer gefährden. Fehlen die Kartoffeln, so müssen Brot und Fleisch
stärker herangezogen werden, während sie andererseits wieder das
Streckungsmittel bei der Brotbereitung bilden, wenn infolge einer
schlechten Brotgetreideernte die Mehlmengen knapp sind; ist nicht ge-
nügend Vieh und Fleisch vorhanden, muß einigermaßen Ersatz durch
Brot und Kartoffeln geschaffen werden; ganz bedenklich wäre es aber,
wenn sowohl Brot als auch Kartoffeln und Fleisch fehlten und das
eine für das andere zum Ausgleich nicht verwendet werden könnte. So
bestehen hinsichtlich der Erzeugung und Vorratsbeschaffung wichtige
feste Zusammenhänge zwischen diesen drei Hauptnahrungsmitteln, die
bei ihrer Versorgungsregelung einzeln und zusammen eine bedeutende
Rolle spielen und zu denen noch die verschiedenen besonderen
Schwierigkeiten der Vorrats Verteilung kommen, wie die späteren Aus-
führungen darlegen werden. Nur das Brotgetreide kann in den Rahmen
der für die Ernährungswirtschaft im Kriege unter den besonderen
gegenwärtigen Umständen erforderlichen Maßnahmen eher hineingepaßt
werden als Kartoffeln und Fleisch, denn die gleichzeitige Beschlag-
nahme, Kontingentierung und Höchstpreisfestsetzung eignet sich nach
den bisherigen Erfahrungen gänzlich nur für das Brotgetreide, teilweise
für Kartoffeln, in gewissem Umfange vielleicht auch für das Fleisch.
Und damit entstehen die großen Schwierigkeiten für das Versorgungs-
problem im einzelnen und im ganzen. Schon die Aufbewahrungsmög-
lichkeiten sind für das Brotgetreide weit günstiger als für die Kar-
toffeln, während bei der Fleischversorgung die Hauptsache schließlich in
der umständlicheren Viehhaltung mit besonderer Anpassung an die Futter-
mittelvorräte liegt, dagegen bei Brot und Kartoffeln wieder die Frage
der Verfütterung von Bedeutung ist; diese natürlichen Gründe erklären
am ersten die aus technischen Erwägungen getroffenen verschiedenen
Maßnahmen ohne die in allen Fällen gleichzeitig durchgeführte Be-
schlagnahme, Kontingentierung und Höchstpreisfestsetzung. Gemeinsam
sind also dem Brotgetreide, den Kartoffeln und dem Fleisch die Schwierig-
keiten, welche durch ungenügende Erzeugung und Vorratsmangel auf
dem einen oder anderen Gebiete hinsichtlich des erforderlichen Aus-
gleiches dieser drei Hauptnahrungsmittel entstehen können, verschieden
ist dagegen hier die Anwendung des kriegswirtschaftlichen Systems der
modernen deutschen Kriegsernährungs Wirtschaft in der besonderen Lage
696 MiszelUn.
des gegenwärtigen Krieges, einmal beim Brotgetreide in vollem Umfange
worüber Teil II in diesen „Jahrbüchern" (III. F. 53. Bd. S. 736 fg.)
handelt, nur zum Teil für die Kartoffeln, oben S. 181 fg. dargestellt,
und endlich in ganz anderer Form zur Regelung der Fleischversorgung.
Die ersten Maßnahmen anfangs des Krieges zur Sicherung der
Fleischversorgung waren mittelbarer Natur und betrafen vorübergehende
Einfuhrerleichterungen für Fleisch in den Bekanntmachungen vom
4. August 1914, wonach der Bundesrat ermächtigt wird, neben anderen
Nahrungsmitteln Vieh, Fleisch und Zubereitungen von Fleisch sowie
Fette zum Genüsse zollfrei zu lassen und gesetzliche Verbote und Be-
schränkungen ihrer Einfuhr während des Krieges ganz oder teilweise
außer Kraft zu setzen (RGBl. S. 339, 353). Diese Bestimmungen
wurden erweitert durch Abänderungen von Einfuhrverboten und Ein-
fuhrbeschränkungen gemäß den Vorschriften des Gesetzes, betreffend die
Schlachtvieh- und Fleischbeschau vom 3. Juni 1900 (RGBl. S. 547).
Danach hat sich die Untersuchung des in das Zollinland eingehenden
Fleisches in luftdicht verschlossenen Büchsen und ähnlichen Gefäßen,
von Würsten und sonstigen Gemengen aus zerkleinertem Fleische auf
die Feststellung einer äußeren guten Beschaffenheit zu beschränken.
Die Untersuchung ist bei der Einfuhr vorzunehmen. Der Zuführung zu
den Untersuchungsstellen bedarf es nicht. Weiter bedarf es nicht der
Miteinfuhr der Organe, soweit sie durch Gesetz oder Beschluß des
Bundesrats angeordnet ist, und des natürlichen Zusammenhangs dieser
Organe mit dem Tierkörper; ferner kann der Tierkörper bei Rindern,
ausschließlich der Kälber, auch in Viertel zerlegt sein. Im tibrigen hat
die Untersuchung des frischen Fleisches bei der Einfuhr nach den all-
gemein gültigen Grundsätzen der wissenschaftlichen Fleischbeschau zu
erfolgen (RGBl. S. 351). Ergänzend traten dazu am 21. Januar 1915
die beiden Bekanntmachungen über vorübergehende Erleichterungen der
Einfuhr frischen Fettes und Festsetzung einer Untersuchungsgebühr, sowie
Erleichterungen bei der Untersuchung von Schlachtvieh (RGBl. S. 33 und
34). Am 11. September 1914 kam die Bekanntmachung, betreffend Verbot
des vorzeitigen Schlachtens von Vieh (RGBl. S. 405), deren wichtigsten
Bestimmungen sind : Schlachtungen von Kälbern, die weniger als 75 kg
Lebendgewicht tragen, und von weiblichen, noch nicht 7 Jahre alten Rindern
(Färsen, Stärken, Kalbinnen u. dgl. und Kühen) sind für die Dauer von
drei Monaten seit dem Inkrafttreten der Verordnung — Mitte September
1914 — verboten. Ausgenommen von dem Verbot ist Weidemastvieh
aus Gebieten, die von den für diese zuständigen Landeszentralbehörden
bestimmt sind. Ausnahmen von dem Verbote können in Einzelfällen
bei Vorliegen eines dringenden wirtschaftlichen Bedürfnisses von den
durch die Landeszentralbehörden bestimmten Behörden zugelassen werden.
Das Verbot findet keine Anwendung auf Schlachtungen, die erfolgen,
da zu befürchten ist, daß das Tier an einer Erkrankung verenden
werde, oder weil es infolge eines Unglückfalls sofort getötet werden
muß. Solche Schlachtungen sind jedoch der zuständigen Behörde
spätestens innerhalb dreier Tage nach der Schlachtung anzuzeigen.
Weitergehende landesreehtliche Vorschriften werden hierdurch nicht be-
rührt ; die Landeszentralbehörden können besondere Ausführungsbestim-
Miszellen. 697
mungen erlassen; sie werden ermächtigt, auch für die Schlachtung von
Schweinen Beschränkungen anzuordnen. Das Verbot erstreckt sich nicht
auf das aus dem Ausland eingeführte Schlachtvieh. Endlich folgte am
19. Dezember 1914 noch die Bekanntmachung, betreffend das Schlachten
von Schweinen und Kälbern (RGBl. S. 536), welche die Landeszentralbe-
hörden ermächtigte, für das Schlachten von Schweinen und Kälbern
Beschränkungen anzuordnen, außer wenn es sich um aus dem Auslande
eingeführtes Schlachtvieh handelt. Durch diese Bekanntmachung wurde
gleichzeitig die obenerwähnte Bekanntmachung, betreffend Verbot des
vorzeitigen Schlachtens von Vieh, aufgehoben, was jedoch nicht auch für
die von den Landeszentralbehörden auf Grund der Bekanntmachung, be-
treffend Verbot des vorzeitigen Schlachtens von Vieh, angeordneten Be-
schränkungen für das Schlachten von Schweinen galt, die in Kraft
blieben, sofern die Landeszentralbehörden nichts anderes bestimmten.
Die im Jahre 1915 zur Fleischversorgung erlassenen Verordnungen
gehen weiter, verfolgen jedoch eine falsche Richtung und erreichten
gerade das Gegenteil von dem, was durch sie erstrebt wurde. Die Be-
kanntmachung über die Sicherstellung von Fleischvorräten vom 25. Ja-
nuar 1915 (RGBl. S. 45), welcher die Bekanntmachung über das
Füttern der Tiere auf Schlachtviehmärkten und Schlachtviehhöfen vom
21. Januar 1915 (RGBl. S. 30) vorausging, nach der Rinder, mit Aus-
nahme von Kälbern, und Schafe auf Schlachtviehmärkten, Schlachtvieh-
höfen und Schlachthöfen nur mit Rauhfutter gefüttert und Schweine,
die auf Schlachtviehmärkten und zum Marktverkauf auf Schlachtvieh-
höfen oder Schlachthöfen eingestellt sind, während des Zeitraums von
12 Uhr mittags des dem Markttag vorhergehenden Tages bis zum
Marktschluß nicht gefüttert werden dürfen, verpflichtete die Städte und
Landgemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern, zur Versorgung der
Bevölkerung mit Fleisch einen Vorrat an Dauerwaren zu beschaffen und
deren Aufbewahrung sicherzustellen. Diese Anordnung erwies sich als
verfehlt, wie die Erfahrung lehrte. In der Annahme wohl, die Kartoffel-
vorräte zu strecken, wurde durch die erwähnte Bekanntmachung eine
Massenabschlachtung der Schweine herbeigeführt, was sich in der Folge-
zeit bitter gerächt hat und nur durch neue schärfere Bestimmungen
auf dem Gebiete der Fleischversorgung und in teilweisem Zusammen-
hange mit dem Verkehr mit Kartoffeln einigermaßen ausgeglichen werden
konnte. Es bildete sich bald das bekannte Schlagwort vom „Kartoffel-
hunger der Schweine" heraus, das verschieden gedeutet und überall
eifrig kommentiert wurde i). Einstimmig ist das Urteil aber zweifellos
1) Beitrilge zur Kriegswirtschaft, herausgegeben von der volkswirtschaft-
lichen Abteilung des Kriegsernährungsamts, Heft 2: Die Kartoffel in der Kriegs-
wirtschaft, S. 32. — Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung vom
11. März 1916, S. 39. — Das Deutsche Statistische Zentralblatt (Januar-
Februar 1917, S. 42) erbringt in einem Auf^atz über die Professorenschlachtimgen, da
der Anstoß zum Erlaß der Bekanntmachung vom 25. Januar 1915 angeblich von aka-
demischer Seite ausgegangen sein soll, den zahlenmäßigen Nachweis, daß im ersten
Vierteljahr 1915 nur rund 900 000 beschaupflichtige Schweineschlachtungen mehr als im
ersten Vierteljahr 1914 gemeldet worden sind und auch echon im letzten Vierteljahr 1914
die Zahl der beschaupflichfigen Schweineschlaohtiirccn die dfs enttprechendcn Zeitraumi
im Vorjahre um 600 000 überstiegen hat. — Als diese Zeilen sich im Druck befanden,
Miazellen.
darüber, daß eine solche Maßnahme besser unterblieben wAre. £me
planmäßige Herabminderung des Schweinebestandes, denn eine solche
war an sich unbestritten erforderlich, wäre zweckmäßiger gewesen als
die durch die Bekanntmachung vom 21. Januar 1915 veranlaßte schnelle
Abschlachtung mehrerer Millionen Schweine, von denen sich viele noch
in unreifem Zustande befanden. Diesen „Schweinemord" oder, wie es
auch geheißen hat, die Bartholomäusnacht der Schweine führt man
vielfach auf Anregungen aus wissenschaftlichen Kreisen zurück und
macht dafür in der Hauptsache die Ausführungen der sonst im großen
und ganzen vorzuglichen Schrift ,)Die deutsche Volksernährung und der
englische Aushungerungsplan", die als eine der ersten zur Ernährungs-
frage kurz nach Ausbruch des Krieges von Eltzbacher in Verbindung
mit Aereboe, Ballod, Beyschlag, Caspari, Kuczynski, Oppenheimer,
Rubner, Warmbold, Zuntz u. a. herausgegeben worden ist, verantwortlich
(Braunschweig, Fr. Vieweg & Sohn, 1914). Es wird darin eine Ver-
ringerung des Schweinebestandes um 35 Proz. vorgeschlagen (S. 123),
dem man dann planlos und ohne weiteres gefolgt ist. Wissenschaft
und Praxis haben in diesem Punkte unserer Ernährungsfrage im Kriege
beiderseits versagt. Wenn man rechtzeitig unter Anpassung an die
tatsächlich noch vorhandenen Futtermengen an die Herabminderung des
Schweinebestandes gegangen wäre, blieben die späteren Enttäuschungen
in der Fleischversorgung erspart i). Jedenfalls ist bei dem staatlichen
Eingriff, welcher der Befürchtung, daß die menschlichen Nahrungsmittel,
insbesondere die Kartoffeln, von dem Vieh verbraucht würden, entsprang,
über den Umfang der erforderlichen Schlachtungen erheblich hinaus-
gegangen worden, wenn auch dieser heute immer noch nicht ganz genau
zahlenmäßig feststeht, denn die in dieser Beziehung einer zahlenmäßigen
Erfassung entgegenstehenden Schwierigkeiten sind zu groß und zu viel-
seitig 2). Wäre aber der im April 1915 vorübergehend erzielte Tiefstand
unserer Schweinezahl 5 — 6 Monate früher erreicht und dann dauernd
beibehalten worden, so wäre dies von größtem Segen für die Ernährung
nicht nur der Bevölkerung, sondern auch des unentbehrlichen Vieh-
standes gewesen 3). Dagegen konnte der Bestand an Schweinen im Laufe
des Sommers 1915, wo in größerer Menge Grünfutter und Vorräte aus
der alten Kartoffelernte zur Verfügung standen, wieder vermehrt werden,
wie es in der vom Ministerium des Innern herausgegebenen Schrift
„Ernährung und Teuerung", Ausgabe der „Ernährung im Kriege" für
Frühjahr 1916, S. 33 heißt, was aber besser unterblieben wäre — vgl.
kam Heft 20/21 der Beiträge zur Kriegswirtschaft heraus, welches das
Schwein in der Kriegsern ährungs Wirtschaft behandelt nnd näher auf die
Zwangsabschlachtungen des Frühjahres 1915 eingeht (S. 34), diese Maßnahme ausführ-
lich begründet und rechtfertigt.
1) Vgl. hierzu Hoff, über Volksemährung und Fettversorgung in Nr. 185 und
186 des „Tag" vom 9. und 10. August 1916; desgl. Hoesch in Nr. 171 und 173
des „Tag"; derselbe auch über die wirtschaftlichen Fragen der Zeit (Berlin, Hob-
bing, 1916).
2) Schumacher, Deutsche Volksernährung und Volksemährungspolitik im Kriege
(Berlin, C. Heymann, 1915), S. 83.
3) Kuczynski-Zuntz, Unsere bisherige und unsere künftige Ernährung im
Kriege (Braunschweig, Vieweg & Sohn, 1915), S. 3 ff., insbesondere S. 9.
M iszelleu.
699
die gegebenen Hinweise auf die Literatur — , denn die engen Beziehungen
zwischen Fieischversorgung, Futterfrage und Kartoffelregelung äußerten
sich bei der längeren Dauer des Krieges in immer schärferen Wirkungen.
Die Bekanntmachung vom 25. Januar 1915 erhielt eine Ergänzung
am 25. Februar 1915 durch Preisbestimmungen i), die auf diesem Ge-
biete bisher noch nicht bestanden (RGBl. S. 109): Für Schweine über
100 kg Lebendgewicht gilt als Marktpreis die amtliche Preisfeststellung
des Schlachtviehmarkts, der von der Landeszentralbehörde für den Ab-
nahmeort als maßgebend bestimmt wird, nach dem Durchschnitt der
beiden letzten Hauptmarkttage vor dem Eigentumsübergange. Für
Schweine unter 100 kg Lebendgewicht sind nach 8 Gewichtsklassen
besondere Preise für vier große Preisgebiete, ähnlich wie bei den Kar-
toffelhöchstpreisen, festgesetzt, und zwar:
im 1.
2.
3.
4. Preisgebiet
in der 1. Gewichtsklasse, 60—65 kg Lebendgewicht, 49
50
51
52 M.
,. M 2.
65—70 „ „ 50
51
52
53 »
.. „ 3.
70—75 „
51
52
53
54 »
„ „ 4.
75—80 „
53
54
55
56 ..
„ M 5.
80—85 „
55
56
57
58 .
„ » 6.
85—90 „
57
58
59
60 „
.. „ 7.
90—95 „
60
61
62
63 ..
» „ 8.
95—100 „
63
64
65
66 „
Am 8. Mai 1915 wurden beide Bekanntmachungen außer Kraft
gesetzt (RGBl. S. 271), da man erkannt hatte, daß insbesondere die
Bekanntmachung vom 25. Januar 1915 sich praktisch nicht bewährt
hatte, und erließ, gewissermaßen als Ergänzung bzw. Nachtrag zur Be-
kanntmachung vom 8. Mai 1915, welche die Außerkraftsetzung der
verfehlten Maßnahme aussprach, am 24. Juni 1915 die Bekanntmachung
über den Verkauf von Fleisch- und Fettwaren durch die Gemeinden,
damit diese, die Fleisch- oder Fettwaren zum Zwecke der Versorgung
der Bevölkerung — auf Grund der Bekanntmachung vom 25. Januar
1915 — erworben haben, den Weiterverkauf oder die Abgabe der von
ihnen nach dem 24. Juni 1915 in den Verkehr gebrachten Fleisch- oder
Fettwaren verbieten oder beschränken oder, soweit sie den Weiterverkauf
1) Diese Preise sind lediglich Uebemahmepr^ise, die den Berliner Preisen an den
beiden letzten Hauptmarkttagen im Januar 1915 entsprachen. Sie sollten als Richt-
preise wirken, die in ihrer Höhe den Schweinehaltern einen durchaus angemessenen
Gewinn gewährleisten, immerhin aber den finanziellen Schwierigkeiten der Gemeinden
Rechnung tragen und einer übermäßigen Verteuerung der Fleischnahrung für die Be-
völkerung vorbeugen, denn die Fleischpreise hielten sich dauernd auf einer Höhe, die
auch bei wohlwollendster Berücksichtigung der schwierigen Lage der Landwirtschaft
fiowie der Preissteigerung und Knappheit der Futtermittel die Gestehungskosten erheblich
überschritten, wie es in der Denkschrift über wirtschaftliche Maßnahmen
ans Anlaß des Krieges, zweiter Nachtrag vom 8. März 1915 (Reichstags - Druck-
sache Nr. 44) S. 58 heißt, lieber die Steigerung der Viehpreise im ersten Kriegs-
halbjabr und Anfang 1915 sowie die Viehpreispolitik der Regierung vgl. Kuczynski-
Zuntz, Unsere bisherige und unsere zukünftige Ernährung im Kriege, a. a. O. S. 11 ff.,
und die Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung, Nr. 1 vom 11. Märt
1916, S. 40 sowie Silber gleit, Die Aushungerungsgefahr? Deutsche Kraft, Heft 4,
Verlag CoUignon, Berlin-Leipzig- Wien, S. 27. Auch die späteren Höchstpreise, auf dl«
wir noch zu sprechen kommen, erregten den Widerspruch weiter Kreise, die daraus
unerwünschte Folgen für die Erzeugung und den Absatz befürchteten.
fjQQ Miszellen.
gestatten, die Preise festsetzen können (EGBl. S. 352). Die Gemeinden
haben von dieser Ermächtigung auch vielfach Gebrauch gemacht und
somit die Absicht der ßeichsregierung, die verfehlten Maßnahmen des
25. Januar 1915 einigermaßen wieder auszugleichen, möglichst praktisch
verwertet, um die durch die Massenabschlachtung der Schweine ent-
standenen städtischen Fleischgeschäfte zum Abschluß zu bringen.
Im zweiten Halbjahr 1915 werden die Maßnahmen der ßeichs-
regierung auf dem Gebiete der Fleischversorgung zusehends schärfer.
Die unerwartete Länge des Krieges gebot, nunmehr auch hierin energischer
vorzugehen. Ein weiteres Schlachtverbot wurde in der Bekanntmachung
vom 26. August 1915 für trächtige Kühe und Sauen erlassen (RGBl.
S. 515). Neue Höchstpreise für Schlachtschweine und Schweinefleich
wurden durch die Bekanntmachung zur Regelung der Preise für Schlacht-
schweine und Schweinefleisch vom 4. November 1915 (RGBl. S. 725)
für 37 Hauptorte und 3 Gewichtsklassen, also abweichend von den
früheren Bestimmungen, festgesetzt. Beim Verkaufe von Schweinen zur
Schlachtung darf der Preis für 50 kg Lebendgewicht nicht übersteigen
für Schweine im Lebendgewicht
über 80 bis 100 kg
90
95
100
102
105
107
108
iioM.
\ in den 37
„ 60 „ 80 „
75
80
85
87
90
92
93
95 »
1 Hauptorten,
unter 60 kg
60
65
70
72
75
77
78
80 „
► welche die Be-
für Sauen ohne Gewichts-
kanntmachang
klasseneinteilung
85
90
95
97
IOC
102
103
105 „
angibt.
Die Preise der ersten Gewichstklasse erhöhen sich bei Schweinen im
Lebendgewicht von über 100 bis 120 kg um 10 v. H., von über 120 kg
um 20 V. H. In Gemeinden, die öffentliche Schlachthäuser besitzen und
nicht im Verzeichnis der Hauptorte in der Bekanntmachung aufgeführt
sind, darf der Preis für Schweine beim Verkaufe zur Schlachtung den
Höchstpeis des nächstgelegenen im Verzeichnis genannten Ortes nicht
übersteigen. Bei Abgabe an den Verbraucher darf der Preis für frisches
(rohes) Schweinefleisch 140 v. H., für frisches (rohes) Fett 180 v. H.
des in der nächsten Schlachthausgemeinde für das Lebendgewicht der
Schweine im Gewichte von 80 bis 100 kg geltenden Höchstpreises nicht
übersteigen. Die Bekanntmachung erhielt einen Zusatz am 29. November
1915 (RGBl. S. 788) dahin lautend, daß diese Vorschriften keine An-
wendung finden sollen auf aus dem Ausland eingeführte Schweine und
auf frisches (rohes) Schweinefleisch und frisches (rohes) Fett, das aus
dem Auslande eingeführt wird. Von nicht zu unterschätzender Be-
deutung für die Fleischversorgung im Winter 1915/16 waren endlich
die Bestimmungen der Bekanntmachung zur Einschränkung des Fleisch-
und Fettverbrauchs vom 28. Oktober 1915 (RGBl. S. 714), auf die
bereits im I. Teil kurz, ohne auf ihren Inhalt einzugehen, hingewiesen
worden ist (III. F. 53. Bd. S. 87 unten und S. 88 oben in diesen
„Jahrbüchern") :
Dienstags und Freitags dürfen Fleisch, Fleischwaren und Speisen,
die ganz oder teilweise aus Fleisch bestehen, nicht gewerbsmäßig an
Verbraucher verabfolgt werden. Dies gilt nicht für die Lieferung un-
mittelbar an die Heeresverwaltungen und an die Militärverwaltung. In
Gastwirtschaften, Schank- und Speisewirtschaften sowie in Vereins- und
Mis Zellen. 701
Erfrischungsräumen dürfen Montags und Donnerstags Fleisch, Wild,
Geflügel, Fisch und sonstige Speisen, die mit Fett oder Speck gebraten,
gebacken oder geschmort sind, sowie zerlassenes Fett und Sonnabends
Schweinefleisch nicht verabfolgt werden. Gestattet bleibt die Verab-
folgung des nach den vorangegangenen Verordnungen verbotenen Fleisches
als Aufschnitt auf Brot. Als Fleisch im Sinne dieser Verordnung gilt
Rind-, Kalb-, Schaf-, Schweinefleisch sowie Fleisch von Geflügel und
Wild aller Art. Als Fleischwaren gelten Fleischkonserven, Würste aller
Art und Speck. Als Fett gilt Butter und Butterschmalz, Oel, Kunst-
speisefette aller Art, Rinder-, Schaf- und Schweinefett.
Die Beamten der Polizei und die von der Polizei beauftragten Sach-
verständigen sind befugt, in die Geschäftsräume der dieser Verordnung
unterliegenden Personen, insbesondere in die Räume, in denen Fleisch,
Fleischwaren und Fett gelagert, zubereitet, feilgehalten oder verabfolgt
werden, jederzeit einzutreten, daselbst Besichtigungen vorzunehmen, Ge-
schäftsaufzeichnungen einzusehen, auch nach ihrer Auswahl Proben zum
Zwecke der Untersuchung gegen Empfangsbestätigung zu entnehmen.
Die Unternehmer sowie die von ihnen bestellten Betriebsleiter und Auf-
sichtspersonen sind verpflichtet, den Beamten der Polizei und den Sach-
verständigen Auskunft über das Verfahren bei Herstellung ihrer Er-
zeugnisse, über die zur Verarbeitung gelangenden Stoffe und deren Her-
kunft sowie über Art und Umfang des Absatzes zu erteilen. Die
Sachverständigen sind, vorbehaltlich der dienstlichen Berichterstattung
und der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten, verpflichtet, über die Ein-
richtungen und Geschäftsverhältnisse, welche durch die Aufsicht zu ihrer
Kenntnis kommen, Verschwiegenheit zu beobachten und sich der Mit-
teilung und Verwertung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu ent-
halten. Sie sind hierauf zu vereidigen. Die Unternehmer haben einen
Abdruck dieser Verordnung in ihren Verkaufs- und Betriebsräumen aus-
zuhängen. Die Nichtbeachtung dieser Bestimmungen zieht erhebliche
Strafen nach sich, wie die Bekanntmachung näher ausführt.
Die bisherigen Maßnahmen trafen in der Hauptsache Vorsorge für
die Schweinehaltung und bestimmten die Schweinepreise. Den Rindern
gegenüber hatte man sich dagegen zu nichts dergleichen entschließen
können, denn außer lokalen Preisunterschieden widerstrebten hier mehr
die großen Verschiedenheiten in der Qualität einer einheitlichen Ver-
sorgungs- bzw. Fürsorge- und Preisregelung. Inzwischen hatten sich
aber auch auf dem Rindermarkte Zustände herausgebildet^), die ein
staatliches Eingreifen für dringend erforderlich erscheinen ließen. Da
nun aber allgemeine Höchstpreise für Rindvieh einstimmig nicht für
durchführbar angesehen wurden 2), gelangte die Syndizierung des Vieh-
handels durch Zusammenfassung territorialer, unter Staatsaufsicht stehen-
der Zwangssyndikate zur regelnden und kontrollierenden Tätigkeit der
gesamten Verhältnisse, also auch der Preise, auf dem Rindermarkte zur
Durchführung und es entstanden im Februar 1916 die Vi.ehhandels-
1) Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung, a. a. O.
2) Sitzungsbericht der Sitzung der preußischen Landmrtschaftskammer am 7. Janaar
1916.
7Q2 M i B z e 1 1 e|n.
verbände. In jeder preußischen Provinz besteht gewöhnlich mit dem
Sitze in der Provinzialhauptstadt ein Viehhandelsverband, nur Hessen-
Nassau erhielt aus örtlichen Gründen zwei, in Kassel und in Frank-
furt a. M. Die preußischen Viehhandelsverbände wurden alsbald nach
ihrer Gründung in einem Zentralviehhandelsverband in Berlin zusammen-
geschlossen, dem auch nichtpreußische Viehhandelsverbände beitreten
können, wovon Sachsen, Oldenburg und Anhalt Gebrauch gemacht haben.
In den anderen Bundesstaaten sind ähnliche Einrichtungen geschaffen
worden, die meist gleichzeitig oder etwas später entstanden sind; nur
Württemberg hat den Viehhandel früher geregelt als Preußen und be-
sitzt schon seit Ende 1915 eine eigene Württembergische Fleischver-
sorgungsstelle, aus der sich dann die weitere, den gesamten Verkehr
mit Vieh und Fleisch umfassende Organisation entwickelt hat ^). Einige
kleinere Bundesstaaten haben sich den benachbarten größeren Verbänden
angeschlossen, wie Braunschweig, Lübeck und Bremen. HohenzoUern
ist mit Württemberg verbunden. Die thüringischen Staaten bilden einen
Viehhandelsverband mit dem Sitz in Weimar. Im ganzen bestehen
24 Viehhandelsverbände, deren Stellung und Bedeutung in der deutschen
Kriegswirtschaft 2) von großer Wichtigkeit geworden ist, zumal als die
Weiterbildung der Organisation der deutschen Kriegsfleischversorgung
durch die Schaffung einer Reichsfleischstelle, als deren Vorläufer wir die
Viehhandelsverbände betrachten können, den erforderlichen Abschluß er-
langt hat.
Gegen Ende des zweiten und im Anfang des dritten Kriegsjahres
erfolgte endlich die einheitliche durchgreifende Regelung der deutschen
Kriegsfleischversorgung, indem zunächst eine Reichsstelle für die Ver-
sorgung mit Vieh und Fleisch (Reichsfleischstelle) zur Sicherung
des Fleischbedarfs des Heeres und der Marine sowie der Zivilbevölkerung
gemäß der Bekanntmachung über Fleischversorgung vom 27. März 1916
(RGBl. S. 199) gebildet wurde. Diese neue Reichsstelle hat die Auf-
gabe, die Fleisch Versorgung , insbesondere die Aufbringung von Vieh
und Fleisch im Reichsgebiet und deren Verteilung, zu regeln; ihr liegt
ferner die Verteilung des aus dem Auslande eingeführten Schlachtviehs
und Fleisches einschließlich der Fleischwaren ob. Die weiteren Be-
stimmungen der Bekanntmachung beziehen sich auf die Regelung der
Fleischversorgung im allgemeinen:
Schlachtungen von Vieh, die nicht ausschließlich für den eigenen
Wirtschaftsbedarf des Viehhalters bestimmt sind, sind nur in dem von
der Reichsfleischstelle festgesetzten Umfang gestattet. Die Landes-
zentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Behörden haben An-
ordnungen zu treffen, um Schlachtungen über die zugelassene flöchst-
zahl hinaus zu verhindern. Sie können bestimmen, daß aus unerlaubten
Schlachtungen gewonnenes Fleisch der Gemeinde, dem Kommunalverband
oder einer anderen von ihnen bestimmten Stelle ohne Zahlung einer
1) Jungel, Die Regelung der Fleischversorgung in Württemberg, Stuttgart 1916.
2) Beiträge zur Kriegswirtschaft, herausgegeben von der volkswirtschaft-
lichen Abteilung des Kriegsernährungsamts, Heft 10: Die Viehhandelsverbinde
in der deutschen Kriegswirtschaft, Berlin 1917.
Miszellen. 703
Entschädigung für verfallen erklärt werden kann. Sie regeln die ünter-
verteilung der zugelassenen Schlachtungen auf Kommunalverbände und
Gemeinden. Schlachtungen ausschließlich für den eigenen Wirtschafts-
bedarf des Viehhalters (Hausschlachtungen) sind nur dann gestattet,
wenn der Besitzer das Tier in seiner Wirtschaft mindestens 6 Wochen
gehalten hat. Die Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten
Behörden sind befugt, weitergehende Einschränkungen für solche Schlach-
tungen zu bestimmen.
Notschlachtungen fallen nicht unter die Beschränkungen der voran-
gegangenen Vorschriften. Hausschlachtungen und Notschlachtungen sind
den von den Landeszentralbehörden bestimmten Stellen anzuzeigen und
auf die für den Kommunalverband oder die Gemeinde zugelassene
Höchstzahl von Schlachtungen nach Grundsätzen, die von der Reichs-
fleischstelle aufgestellt werden, anzurechnen. Der Verkehr mit Fleisch
und Fleischwaren aus einem Kommunalverband in einen anderen ist
von den Landeszentralbehörden zu regeln. Soweit es sich um Kom-
munalverbände verschiedener Bundesstaaten einschließlich Elsaß-Loth-
ringens handelt, hat die Beichsfleischstelle die Grundsätze für die
Regelung aufzustellen. Für die rechtzeitige und vollständige Beschaffung
des zur Deckung des Bedarfs des Heeres, der Marine und der Zivil-
bevölkerung aufzubringenden Schlachtviehs haben die Landeszentral-
behörden Sorge zu tragen. Die Landeszentralbehörden regeln den Ver-
kehr mit Schlachtvieh. Sie können bestimmen, daß der Ankauf von
Schlachtvieh ausschließlich durch die von ihnen bezeichneten Stellen
oder durch die von diesen beauftragten oder zugelassenen Personen
stattfindet, sowie daß der Verkauf von Schlachtvieh nur an die be-
zeichneten Stellen oder an die von diesen beauftragten oder zugelassenen
Personen erfolgen darf. Soweit die von den Landeszentralbehörden be-
zeichneten Stellen oder die von diesen beauftragten und zugelassenen
Personen den erforderlichen Bedarf an Schlachtvieh nicht freihändig
erwerben können, sind die fehlenden Mengen nach näherer Anweisung
der Landeszentralbehörden von den Kommunalverbänden und Gemeinden
innerhalb ihrer Bezirke aufzubringen unter entsprechender Anwendung
der Bestimmungen im § 2 des Gesetzes, betreffend Höchstpreise, vom
4. August bzw. 17. Dezember 1914 (RGBl. S. 516) und mit folgenden
Maßgaben: 1) Den Unternehmern landwirtschaftlicher Betriebe sind die
Tiere zu belassen, die sie zur Fortführung ihres Wirtschaftsbetriebs
bedürfen. In Zuchtviehherden dürfen nur die zur Mast aufgestellten
Tiere enteignet werden. 2) Bei der Festsetzung des Uebernahmepreises
sind, soweit ein Höchstpreis nicht besteht, die von der Reichsfleisch-
stelle aufgestellten Preisvorschriften zu berücksichtigen. Die Gemeinden
sind verpflichtet, eine Verbrauchsregelung von Fleisch und Fleischwaren
in ihren Bezirken vorzunehmen. Sie können bestimmen, daß Fleisch
aus Notschlachtungen an die von ihnen bestimmten Stellen gegen eine
von der höheren Verwaltungsbehörde endgültig festzusetzende Entschä-
digung abzuliefern ist. Sie haben den von den Landeszentralbehörden
nach den vorangegangenen Verordnungen mit der Beschaffung des
Schlachtviehs bezeichneten Stellen auf deren Verlangen eine Stelle zu
'JQ4k M i 8 z e 1 le n.
benennen, die das gelieferte Schlachtvieh zu übernehmen hat. Sie be-
dürfen zu der vorstehend vorgeschriebenen Regelung der Zustimmung
der Landeszentralbehörde oder der von ihr bestimmten Behörde. Die
Landeszentralbehörden können anordnen, daß die Regelung anstatt durch
die Gemeinden durch deren Vorstand getroffen wird. An Stelle der
Gemeinden sind die Kommunalverbände befugt und auf Anordnung der
Landeszentralbehörde verpflichtet, die Regelung vorzunehmen.
Die Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen
können die Regelung selbst treffen oder Anordnungen darüber erlassen.
Einen erweiterten Zusatz hierzu enthält die Bekanntmachung, betreffend
Aenderung der Bekanntmachung über Fleischversorgung vom 17. August
1916 (RGBl. S. 935): Der Reichskanzler, die Landesbehörden oder die
von ihnen bestimmten Stellen können die Regelung selbst treffen oder
Anordnungen darüber erlassen. Die Landeszentralbehörden können
Landesfleischstellen errichten, denen die Regelung in ihren Be-
zirken ganz oder teilweise übertragen wird; solche bestehen gegen-
wärtig in Preußen (Landesfleischamt, 11 Provinzial- und 3 Bezirksfleisch-
stellen), Bayern, Sachsen, Württemberg und HohenzoUern, Baden, Hessen,
Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig,
Anhalt, Waldeck und Pyrmont, Schaumburg-Lippe, Lippe-Detmold, Ham-
burg, Bremen, Lübeck, Elsaß-Lothringen und das Thüringische Landes-
fleischamt in Weimar für die 9 thüringischen Staaten. Vorhandene
Landesfleischstellen bleiben bis zur anderweiten Regelung durch die
Landeszentralbehörde bestehen. Soweit hiernach die Regelung für einen
größeren Bezirk erfolgt, ruhen die Befugnisse der zu diesem Bezirk
gehörenden Behörden. Die Befugnisse der Gemeinden, Kommunalver-
bände, der Landeszentralbehörden sowie der von ihnen bestimmten
Stellen regeln sich nach der Verordnung über die Errichtung von Preis-
prüfungsstellen und die Versorgungsregelung vom 25. September bzw.
4. November 1915 (RGBl. S. 607, 728).
Die Frage der Hausschlachtungen hat viel Staub aufgewirbelt und
ist in der Tages- und Fachpresse eifrig besprochen worden. So viel
steht fest, daß das Halten von Tieren, besonders in den städtischen
Haushaltungen, nicht übertrieben werden darf, da sich dadurch leicht
Mißstände in der Verwendung der Futtermittel herausbilden können
und Neigung zur Gefahr besteht, daß auch menschliche Nahrungsmittel
oder mit Rücksicht auf den Kriegszustand verbotene Futtermittel, wie
Kartoffeln, Kartoffelerzeugnisse, Brot, Fleischabfälle, als Viehfutter ver-
wendet werden. Hierzu äußert sich treffend „Die Kriegsernährungs-
wirtschaft 1917", herausgegeben vom Kriegsernährungsamt i), 8. 53: Wer
das nötige zur Verfütterung freigegebene Futter besitzt oder sich be-
schaffen kann, soll so viel Schlachttiere aufziehen wie möglich. Vor
allem sollen alle Abfälle dabei sorgsam ausgenutzt werden. Es wird
daher von den Behörden durchaus gern gesehen, wenn mehrere Familien
sich zusammentun, ein Schwein in gemeinsamem Stalle halten und mit
1) Vgl. in diesem Zusammenhange S. 58—60 von Heft 17—19 der Beiträge
«ur Kriegswirtschaft über Vieh und Fleisch in der d eutschen Kriegs-
wirtschaft.
Miszellen. ^§
eigenen Hausabfällen durch Familienmitglieder futtern. Solche Familien
genif^ßen die Vorteile der Sulbstvorsorger. Ganz audors liegt die Sache
allerdings bei einem Mißbrauche solcher gemeinsamen Viehhaltung, als
welcher das Pensionsschwein eine gewisse Berühmtheit erlangt hat.
Kluge Leute siüd nämlich auf den Gedanken gekommen, ein Schwein
«u kaufen, das sie lebendig womöglich niemals zu Gesicht bekamen.
Sie beabsichtigten, es durch den Laudwirt aufziehen zu lassen, dem sie
die Mühe uad die Futtermittel bezahlten, um es daun als „Selbstver-
«orger" für sich schlachten lassen zu können. Würde dies weiter um
ßich gegriffen haben, so hätten sich wohlhabende Kreise eine große
Zahl von Schweinen angeeignet, und die große Masse der minderbe-
mittelten Verbraucher würde unversorgt geblieben sein, ja der Heeres-
bedarf konnte womöglich gefährdet werden. Eine solche Art der
Selbstversorgung, bei der keinerlei gemeinsame persönliche Tätigkeit
geleistet wird, widerspricht dem Sinne der Kriegszeit und ist Vorboten.
Wichtig ist ferner die Bokatmtraachung zur Vereinfachung der Be-
köstigung vom 31, Mai 1916 (RGBl. S. 433), durch die eine starke
Beschränkung der Mahlzeilen in den Gastwirtschaften angeordnet wurde.
Der Inhalt dieser Vorschriften ist im I. Teile bereits mitgeteilt worden
(vgl. diese „Jahrbücher", IIL F. 53. Bd. S. 88). Und endlich kam die
Kontingentierufig des Fleischverbrauchs durch Einführung der Reichs-
fi eise h karte gemäß der Verordnung über die Regelung dos Fleisch-
verbrauchs vom 21. August 1916 (RGBl. S. 941), die bestimmt, daß
Fleisch und Fleischwaren, deren Begriffe durch die Vorschriften der
Verordnung besonders festgelegt sind, entgeltlich oder unentgeltlich an
Verbraucher nur gegen Fleischkarte abgegeben und von Verbrauchern
nur gegen Fleischkarte bezogen werden dürfen, was auch für Gast-,
Schank- und Speisewirtschaften und sonstige Anstalten gilt.
Die Fleischkarte gilt im ganzen Reiche. Sie besteht aus einer
Stammkarte und mehreren Abschnitten (Fleischmarken). Die Abschnitte
sind gültig nur im Zusammenhange mit der Stammkarte. Der Bezugs-
berechtigte oder der Haushaltungsvorstand hat auf der Stammkarte
«einen Namen einzutragen. Die Uebertragung der Stammkarte wie der
Abschnitte auf andere Personen ist verboten, soweit es sich nicht um
solche Personen handelt, die demselben Haushalt angehören oder in
ihm dauernd oder vorübergehend verpflegt werden. Das Kriegsernäh-
rungsamt erläßt nähere Bestimmungen über die Ausgestaltung der
Fleischkarte, was geschehen ist in der Bekanntmachung über die Aus-
gestaltung der Fleischkarte und die Festsetzung der Verbrauchshöchst-
menge an Fleisch und Fleischwaren vom 21. August 1916 (RGBl.
8. 945), die eine Stammvollkarte mit dem Aufdruck Reichsfleischkarte
und 40 umgebenden Abschnitten zu je ^\q Anteil neben der Kiiider-
karte einführte. Das Kriegsernährungsarat setzt fest, welche Höchst-
menge an Fleisch und Fleischwaren auf die Fleischkarte bezogen werden
darf und mit welchem Gewichte die einzelnen Arten von Fleisch und
Fleischwaren auf die Hochstmongo anzurechnen sind. Hierbei ist auf
eine entsprechende geringere Bewertung des Wildes, der Hühner und
der Eingeweide Bedacht zu nehmen. Dazu die Bestimmungen der er-
Jahrb. f Nationalök. u. Stat. Bd. 109 (Dmte Folge Bd. 64). 45
«^Qß Hiszellen.
wähnten Bekanntmachung: Die Höchstmenge an Fleisch und Fleisch-
waren, die wöcheutlich auf die Fioischkarte entnommen werden darf,
wird bis auf weiteres auf 250 g Schlachtviohfleisch mit eingewachsenen
Knochen festgesetzt. An Stelle von je 25 g Schlachtviehfleisch mit
eingewachsenen Knochen können entnommen werden 20 g Schlachtvieh-
fleisch ohne Knochen, Schinken, Dauerwurst, Zunge, Speck, Rohfeti
oder 50 g Wildbret, Frischwurst, Eingeweide, Fleischkonserven ein-
schließlich des Dosengewichts. Hühner (Hähne und Hennen) sind mit
einem Durchschnittsgewichte von 400 g, junge Hähne bis zu ^2 Jahr
mit einem Durchschnittsgewichte von 200 g auf die Fleischkarte ein-
zurechnen.
Wenn im Bezirk eines Kommunalverbandes die Nachfrage aus den
verfügbaren Fleischbeständen voraussichtlich nicht gedeckt werden kann,
hat der Kommunalverband die jeweilig festgesetzte Höchstmenge ent-
sprechend herabzusetzen oder durch andere Maßnahmen für eine gleich-
mäßige Beschränkung im Bezüge von Fleisch und Fleischwaren oder
einzelner Arten davon zu sorgen. Jede Person erhält für je 4 Wochen
eine Fioischkarte. Kinder erhalten bis zum Beginne des Kalenderjahrs,
in dem sie das 6. Lebensjahr vollenden, nur die Hälfte der festgesetzten
Wochenmenge. Auf Antrag des Bezugsberechtigten kann der Kom-
munalverband an Stelle der Fleischkarte Bezugsscheine auf andere ihm
lur Verfügung stehende Lebensmittel ausgeben. Die Kommunalverbände
haben die Zuteilung von Fleisch und Fleischwaaren an Schlächtereien
(Fleischereien, Metzgereien), Gastwirtschaften und sonstige Betriebe, in
denen Fleisch und Fleischwaren gewerbsmäßig an Verbraucher ab-
gegeben werden, zu regeln. Sie haben durch Einführung von Bezuga-
scheiuen oder auf andere Weise für eine ausreichende üeberwachung
dieser Betriebe zu sorgen. Die Verbrauchsregelung erstreckt sich auch
auf die Selbstversorger. Als Selbstversorger gilt, wer durch Haus-
schlachtung oder durch Ausübung der Jagd Fleisch und Fleischwaren
zum Verbrauch im eigenen Haushalt gewinnt. Mehrere Personen, die
für den eigenen Verbrauch gemeinsam Schweine mästen, werden eben-
falls als Selbstversorger angesehen. Als Selbstversor<i:er können vom
Kommunalverbande ferner anerkannt werden Krankenhäuser und ähn-
liche Anstalten, die Schweine ausschließlich zur Versorgung der von
ihnen zu verköstigenden Personen, sowie gewerbliche Betriebe, die
Schweine ausschließlich zur Versorgung ihrer Angestellten und Arbeiter
mästen. Selbstversorcrer bedürfen zur Hausschlachtunor von Schweinen
und von Rindvieh, mit Ausnahme von Kälbern bis zu 6 Wochen, der
Genehmigung des Kommunalverbandes. Die Genehmigung hat zur
Voraussetzung, daß der Selbstversorger das Tier in seiner Wirtschaft
mindestens 6 Wochen gehalten hat. Die Genehmigung ist nicht zu
erteilen, wenn durch die Hausschlachtung der Fleischvorrat des Selbst-
versorgers die ihm zustehende Fh^ischmenge so erheblich übersteigen
würde, daß ein Verderben der Vorräte zu befürchten ist. Hausschlaeh-
tungen von Kälbern bis zu 6 Wochen, von Schafen und Hühnern sind
dem Kommunalverband anzuzeigen. Die Landeszentralbehörden können
Jiuch diese Hausschlachtungen von der Genehmigung des Kommunal-
Miszellen. 707
Terbandes abhängig machen. Die Verwendung von Wildbret im eigenen
Hauähalt sowie die Abgabe an andere sind dem Kommunal verband an-
£uzeigen. Die Selbstversorger können das aus Hausschlachtungen oder
durch Ausübung der Jagd gewonnene Fleisch in der unter Zugrundelegung
der vorangegangenen Verordnung festgesetzten Höchstmenge zum Ver-
brauch im eigenen Haushalt verwenden. Zum Haushalt gehören auch
die Wirtschaftsangehörigen einschließlich des Gesindes, sowie ferner
Naturalberechtigte, insbesondere Altenteiler und Arbeiter, soweit sie
kraft ihrer Berechtigung oder als Lohn Fleisch zu beanspruchen haben.
Erfolgt die Verwendung dos Fleisches gemäß der vorangegangenen Vor-
«chrii'ten innerhalb des Zeitraums, für den der Selbstversorger bereits
Fleischkarten erhalten hat, so hat er eine entsprechende Anzahl Fleisch-
karten nach näherer Regelung des Kommunalverbandes diesem zurück-
zugeben. Erstreckt sich die Verwendung über diesen Zeitraum hinaus,
80 hat der Selbstversorger außerdem bei Ausgabe neuer Fleischkarten
anzugeben, innerhalb welcher Zeit er die Fleischvorräte verwenden will.
Für diese Zeit erhält er nur so viele Fleischkarten, als ihm nach Ab-
ÄUg der Vorräte noch zustehen. Hierbei werden das Schlachtviehlleisch
mit drei Fünfteilen des Schlachtgewichts ^), Wildbret und Hühner weniger,
entsprechend der geringeren Bewertung des Wildes und der Hühner für
die Fleischkarte, angerechnet. Selbstversorgern, die ihren Bedarf an
Schweinefleisch durch Hausschlachtung decken, wird bei dem ersten
Schweine, das sie innerhalb eines jeden Jahres, gerechnet vom Inkraft-
treten dieser Verordnung ab, schlachten, das Schlachtgewicht nur zur
Hilfte angerechnet. Das Schlachtgewicht ist amtlich festzustellen.
Fleisch, das aus Notschlachtungen anfällt, unterliegt nicht der Ver-
brauchsregelung, wenn es bei der Fleischbeschau für minderwertig oder
nur bedingt tauglich erklärt wird. Fleisch, das ohne Beschränkung
für den menschlichen Genuß tauglich befunden wird, unterliegt der
Verbrauchsregelung; dem Selbstversorger ist es anzurechnen. Die
Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Behörden können
anordnen, daß Fleisch und Fleischvvaren, mit Ausnahme von Wild und
Hühnern, aus einem Kommunalverband oder größeren Bezirke nur mit
behördlicher Genehmigung ausgeführt werden dürfen. Die Landes-
»entralbehörden oder die von ihnen bestimmten Behörden erlassen die
£ur Ausführung dieser Verordnung erforderlichen Bestimmungen. Sie
bestimmen, welcher Verband als Kommunalverband gilt.
Ueber die Anrechnung der Floischkarte auf die Hausschlachtungen
äußern sich einige Stimmen im „Tag" ''^), die einmal nachzuweisen ver-
suchen, daß es nicht zweckmäßig ist, daß die Hausschlachtungen den
Selbstversorgern nur zur Hälfte bzw. drei Fünfteln angerechnet werden,
sondern voll ang^erechnet werden müßten, der Mäster eines Schweines
also gar keine Bevorzugung vor den anderen Verbrauchern haben dürfte,
das andere Mal meinen, die Fleischverordnung vom 21. August 1916
1) Die Verrechnung der Selbstversorger- Verbrauchamenge erfolgt nach der Formel
Vs X = 250, wobei X das auf die Karte entfallende Schlachtgewicht darstellt (S. 64
Heft 17 — 19 der Beiträge zur Kriegswirtschaft).
2) Nr. 211 Yom 8. Scpiember 191(3; Nr. 222 vom 21. September 1916.
45*
708 Hiscellen.
gehe eher zu weit, als daß sie nicht weit genug gehe. Donn es stehl
zu befürchten, daß dadurch, daß die Solbstveröorgcr sich nicht nach
ihrem Ermessen mit Fleisch versorgen dürfen, sondern daß ihnen das
halbe Schwein auf ihre Fleischkarte angerechnet wird, es dahin kommt,
daß unsere Schweinehaltungen abnehmen werden, daß daher die Ver-
sorgung unserer Bevölkerung mit Fleisch und Fett immer mehr in
Frage gestellt wird und sich immer mehr vermindert, und zwar ver-
mindert durch diese doch wohl zu weit gehenden Maßnahmen. Dabei
ist aber nicht berücksichtigt, daß die Schweinehaltungen, welche die
Grundlage unserer Fleisch- und Fettversorgung bilden, nicht im gleichen
Maße behandelt werden dürfen, wie die, welche dad Schwein nur zum eige-
nen Gebrauch halten. Für diese gehen die einschränkenden Mußnahmen
sicher nicht zu weit, wie oben in Verbindung mit der Aeußerung des
Kriegsernährungsamts zum Ausdruck gebracht worden ist. Diese Selbst-
versorger müssen eher noch etwas strenger behandelt werden. Hin-
sichtlich der landwirtschaftlichen Selbstversorger mit Vieh in großem
umfange zum Weitervertrieb erscheint die dargelegte Anregung dagegen
beachtenswert.
Am 29. November 1917 ist noch die Verordnung über die Aus-
gestaltung der Fleischkarte (RGBl. S. 1086) erlassen worden, welche ein
wesentlich kleineres Format als das bisherige für die Reichsfleischkarte
infolge des Papiermangels anordnet, sonst aber die Vorschriften vom
21. August 1916 unberührt läßt.
Zu diesen grundlegenden Bestimmungen treten noch mehrere Vor-
schriften über die Einfuhr von Fleisch und einige andere allgemeiner
Natur. Die Bekanntmachung über die Einfuhr von Vieh und Fleisch
sowie Fleischwaren vom 18. März 1916 (RGBl. S. 175) mit den Aus-
führungsbestimmungen dazu vom 22. März 1916 (RGBl. S. 179), die
am 18. Juni 1916 (RGBl. S. 530) und am 21. August 1916 (RGBl.
8. 940) unwesentliche Abänderungen erfuhren, ordnet an, daß Rindvieh,
Schafe und Schweine, ferner frisches und zubereitetes Fleisch von
diesen Tieren sowie Fleisch waren aller Art, insbesondere auch Speck,
die aus dem Auslande eingeführt weiden, nur durch die Zentralein-
kaufsgesellschaft m. b. H. in Berlin oder mit ihrer Genehmigung in
den Verkehr gebracht werden dürfen, und setzt die weiteren Vorschriften
hierfür, insbesondere hinsichtlich der Preise, fest. Nur geringfügige
Mengen zum Reiseverbrauch oder eingeführte Mengen von höchstens
2 kg im Grenzverkehr sind diesen Vorschriften nicht unterworfen. Da-
mit ist gegen das Vorjahr auch wieder eine Verschärfung der Be-
stimmungen eingetreten, denn 1915 hatten wir eine solche Bekannt-
machung noch nicht. Für die Zeutraleinkaufsgesellschaft wurden nur
Auslands-Getreide, -Hülsenfrüchte, -Mehl und -Futtermittel beschlag-
nahmt gemäß Bekanntmachung vom 11. September 1915 (RGBl. S. 569),
worauf schon im II. Teil in diesen „Jahrbüchern" (III. F. 53. Bd. S. 746)
hingewiesen ist. Eine andere Bekanntmachung vom 8. Juni 1916 (RGBl.
S. 447) ordnet an, daß bei Aufbringung des Fleisclibedarfs nach der
Verordnung vom 27. März 1916 (RGBl. S. 199) Kühe, die vorzugsweise
zur Milcherzeugung geeignet sind, nicht zur Schlachtung kommen dürfen.
Hiszellen. 709
Auf diese Verordnung über vorläufige Maßnahmen auf dem Gebiete der
Fettveisorgung wird noch eingegangen werden. üeber gesundheita-
Bchadliche und täuschende Zusätze zu Fleisch und dessen Zubereitungen
handelt die Bekanntmachung vom 14. Dezember 1916 (RGBl. S. 1359)
als kurze Ergänzung zu den Bekanntmachungen vom 18. Februar 1902
(BGBl. S. 48) und vom 4. Juli 1908 (RGBl. S. 470) auf Grund des § 21
des Schlachtvieh- und Fleischbeschaugesetzes vom 3. Juni 1900 (RGBl.
S. 547). Die §§ 172, 173 der Ausführungsvorschriften des Bundes-
rats zum Viehseuchengesetze vom 7. Dezember 1911 (RGBl, von 1912,
S. 3) werden auf die Dauer des gegenwärtigen Krieges für ansteckungs-
verdächtige Tiere, die mittels Militärtransports unmittelbar in ein mili-
tärisches Depot oder zur Truppe überführt werden sollen, unter nach-
stehenden Bedingungen außer Kraft gesetzt: 1) Die Tiere sind von
Viehbeständen, die nicht zur Verpflegung des Heeres und der Marine
bestimmt sind, abgesondert zu halten und nach Möglichkeit alsbald ab-
zuschlachten; 2) eine längere Aufstauung der Tiere ist nur zulässig bei
dauernder tierärztlicher Beaufsichtigung und an Orten, an denen eine
Berührung des Viehes mit Viehbeständen, die nicht zur Verpflegurg des
Heeres und der Marine bestimmt sind, ausgeschlossen ist. (Bekannt-
machung, betreffend vorübergehende Abänderung der Ausführungsvor-
schriften des Bundesrats zum Viehseuchengesetze, vom 4. Februar 1915
— RGBl. S. 62.) Auf diese Anordnung ist in diesem Zusammen-
hange zur Vollständigkeit hinzuweisen, was auch für die Bekanntmachung
über die Verwertung von Ticikörpern und Schlachtabfällen vom 29. Juni
1916 (RGBl. S. 631) gilt, die bestimmt: Die in größeren Abdeckereien
anfallenden Tierkörpcr und Tierkörperteile und die in größeren Schlachi-
betrieben an'allenden, zum menschliehen Genüsse nicht verwendbaren
Schlachtab alle und als genußuntauglich bezeichneten Tierkörper und
Tierkörperteile sind auf Futtermittel und Fette zu verarbeiten. Die zu
verarbeitenden Stoffe dürfen aus den voibezeichneten Betrieben nur zum
Zwecke der Verarbeitung entfernt werden. Die Verarbeitung liegt den
Besitzern der Betriebe oder deren Beauftragten ob. Als größere Schlacht-
häuser und Schlachtbetriebe im Sinne dieser Verordnung gelten solche
Betriebe, die im Jahre 1915 mehr als 2400 Stück Großvieh geschlachtet
haben; als giößere Abdeckereien solche, deren Anfall im Jahre 1915
mehr als 150 Stück Großvieh betragen hat. Einem Stück Großvieh
stehen 8 Stück Kleinvieh (Fohlen, Kälber, Schweine, Schafe, Ziegen)
gleich.
Die durch die Bekanntmachungen vom 4. und 29. November 1915
(BGBl. S. 725 u. 788) festgesetzten Höchstpreise für Schweine, die oben
bereits mitgeteilt sind (S. 700), behielten bis Anfang 1916 Geltung.
Die Bekanntmachung zur Regelung der Preise für Schlachtschweine und
für Schweinefleisch vom 14. Februar 1916 (RGBl. S. 99) unterscheidet
nunmehr 9 Preisgebiete, für welche die Höclistpreise nach 5 Gewichts-
stufen für Schweine und nach 3 Gewichtsstufen für fette (früher zur
Zucht benutzte) Sauen und Eber festgesetzt sind. Sie bewegen sich
zwischen den Sätzen von 63 (von 60 hg und darunter), 68 (60 — 70 kg)
73 (70-80 kg), 83 (80—90 kg), 93 (90—100 kg) und entsprechend 80
•j-jl^O MiBzellen.
85, 90, 100, 110 M. für 50 kg Lebendgewicht beim Verkaufe von Schlacht-
schweinen — der Verkauf von Schiachtechweinen darf nur nach I ebend-
gewicht erfolgen — sowie 78 (von 120 kg und darunter), 98 (120—150 kg),
103 (über 150 kg) und entsprechend 95, 115, 120 M. in gleicher Weise
für Sauen und Eber. Die Preise für den Verkauf durch den Viehhalter
auf dem Markte sowie für den Handel werden durch die Landeszentral-
behörden oder die von ihnen bestimmten Stellen geregelt. Weiter ist
angeordnet, daß die Gemeinden Höchstpreise bei der Abgabe an den
Verbraucher für die einzelnen Sorten (Stücke) des frischen (rohen)
Schweinefleisches, für zubereitetes, insbesondere gepökeltes oder ge-
räuchertes Schweinefleisch, für frisches (rohes) und für ausgelassenes
Schweinefett, für gesalzenen und geräucherten Speck sowie für Wurst-
waren festsetzen und bestimmen, wieviel mindestens vom Schlacht-
gewichte des Schweines oder welche Teile bei gewerblichen Schlachtungea
frisch verkauft werden müssen. An Stelle der Gemeinden sind die Kom-
munalverbände befugt und auf Anordnung der Landeszentralbehörden
verpflichtet, diese Festsetzungen und Bestimmungen zu treffen. Schließ-
lich kann die Abgabe von Fleisch aus Hausschlachtungen an Dritte
gegen Entgelt beschränkt oder verboten werden, was auch für die ge-
werblichen Schlachtungen von Schweinen außerhalb der öffentlichen
Schlachthäuser gilt. Ausgenommen von diesen Vorschriften sind
Schweine oder Schweinefleischwaren, die aus dem Ausland eingeführt
worden sind.
Die Herstellung der Fleischkonserven wurde auch 1916 weiter
beschränkt durch die Bekanntmachung über die Beschränkung der Her-
stellung von Fleischkonserven und Wurstwaren vom 31. Januar 1916
(RGBl. S. 75), die einmal die gewerbsmäßige Herstellung von Kon-
serven aus Fleisch — als solches gilt im Sinne der Verordnung Rind-,
Kalb-, Schaf-, Schweinefleisch, sowie Fleisch von Geflügel und Wild
aller Art, Wurstwaren und Speck — oder unter Zusatz von Fleisch,
die durch Erhitzung haltbar gemacht sind, verbietet und dann anordnet,
daß zur gewerbsmäßigen Herstellung von Wurstwaren nicht mehr als
ein Drittel des Gewichts ausgeschlachteter Rinder, Schweine und Schafe
verarbeitet werden darf. Für gewerbliche Betriebe, die fabrikmäßig
Wurstwaren herstellen, wird bestimmt, daß monatlich nicht mehr als
ein Drittel derjenigen Fleischmenge zu Wurstwaren verarbeitet wird,
die sie im Monatsdurchschnitte der Zeit vom 1. Oktober bis 31. De-
zember 1915 verarbeitet haben. Für Fleischkonserven gelten auch die
Vorschriften der bereits in anderem Zusammenhange erwähnten Bekannt-
machung über Fleischversorgung vom 27. März 1916 (RGBl. S. 199).
Endlich ist ausgesprochen worden, daß die Bestimmungen der Verord-
nung über die äußere Kennzeichnung von Waren vom 18 Mai 1916
(RGBl. S. 380) auch Anwendung finden auf Fleischkonserven neben
einer ganzen Reihe anderer Nahrungsmittel — Bekanntmachung über
die äußere Kennzeichnung von Waren vom 26. Mai 1916 (RGBl. S. 422)
mit einer kurzen Abänderung vom 11. Juni 1916 (RGBl. S. 505). Die
durch Bekanntmachung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 397) über den
Missellen. 711
Verkehr mit Fleisch waren angeordnete Bestandsaufnahme von Fleisch-
waren am 25. Mai 1916 erfaßt neben den Räucherwaren von Fleisch,
Dauerwürsten aller Art und geräuchertem Speck auch Fleischkonserven,
deren Vorräte bis 5. Juni 1916 dem Kommunalverbande des Lagerorts,
und, soweit es sich um Mengen über 2000 kg handelt, der Reichs-
fleischstelle anzumelden waren.
Infolge des Mangels an Fleischextrakt herrschen schon seit
l&ngerer Zeit im Verkehr mit Fleischextrakt und insbesondere im Ver-
kehr mit fleischextrakthaltigen Zubereitungen große Mißstände. Soweit
es sich um verfälschten und nachgemachten Fleischextrakt handelt,
bieten §§ 10 und 11 des Nahrungsmitteigesetzes vom 14. Mai 1879 und die
Bekanntmachung vom 21. Mai/11. Juni 1916 ausreichende Unterlagen
zur Bekämpfung dieser Mißstände. Anders hingegen verhält es sich
mit den sogenannten Bouillonwürfeln und deren Ersatzmitteln, weil bis-
her Bestimmungen über die Beschaffenheit derartiger Erzeugnisse nicht
erlassen sind und das Nahrungsmittelgesetz und die beiden angeführten
Bekanntmachungen nach dieser Richtung in der Regel versagen. In-
folge des Mangels an Fleischextrakt hat sich zudem der Begriff der
Normal wäre während des Krieges immer mehr verschoben, was zu
Täuschungen der Bevölkerung mit unreellen Ersatzmitteln führt. Hinzu
kommt, daß seit mehreren Monaten der inländische Markt mit dänischen
Fleischbrüh- und Fleischbrühersatzwürfeln überschwemmt wird und es
sich hierbei zum größten Teil um nachgemachte, grob verfälschte oder
jedenfalls so minderwertige Erzeugnisse handelt, daß sie — vom Preise
ganz abgesehen — überhaupt keine Daseinsberechtigung haben.
Auf Grund dieser Erwägung ist auf Anregung des preußischen
Ministers des Innern und im Einvernehmen mit dem Kaiserlichen Ge-
sundheitsamt vom Bundesrate die Verordnung über Fleischbrühwürfel
und deren Ersatzmittel vom 25. Oktober 1917 (RGBl. S. 969) erlassen
worden, die die Mindestanforderungen an Fleischbrühwürfel u. dgl. fest-
setzt, wobei sie die sogenannten Nürnberger Beschlüsse des Bundes
deutscher Nahrungsmittelfabrikanten und -händler vom 29. Mai 1916
zur Grundlage nimmt. Die Mindestanforderungen sind den Kriegs-
verhältnissen angepaßt. Für die Praxis haben sie besondere Bedeutung,
weil auf dieser Grundlage der Begriff des noch zulässigen Ersatzes ge-
nau festgestellt worden ist. Diese Vorschriften ermöglichen dem red-
lichen Handel die bisherige Erzeugung, während sie die Verbraucher
vor minderwertigen und meist zu übermäßigen Preisen vertriebenen
Herstellungen schützen.
Die Bestimmungen des Jahres 1917 erstrecken sich in zeitlicher
Reihenfolge zunächst auf die Vornahme von Viehzählungen, worauf wir
noch zu sprechen kommen, dann auf den Verkehr mit Knochen, Knochen-
erzeugnissen usw. vom 15. Februar 1917 (RGBl. S. 137) mit Aus-
führungsbestimmungen vom 16 Februar 1917 (RGBl. S. 140) an Stelle der
früheren „Knochen"verordnungen aus 1916 (13. April, 25. Mai, 5. Oktober
a. 17. November, RGBl. S. 276, 409, 1128, 1129 und 1283) - (Knochen
dürfen nicht verbrannt, vergraben oder auf andere Weise vernichtet,
712 Miszellen.
noch zu Dünge- oder Futterzwecken verwendet werden; sie sind vielr
mehr getrennt von anderen Abfällen aufzubewahren. Die Verfütterung
an Hunde und an Geflügel in der eigenen Wirtschaft bleibt gcstattel.
Soweit die Knochen der Verarbeitung nicht schon auf andere Weise,
' insbesondere durch Abgabe an Händler oder Sanomler, zugeführt werden,
sind sie an die von der zuständigen Behörde bezeichneten Stellen so
den von ihr festgesetzten Bedingungen abzuliefern. Für Knochen, die
in Haushaltungen abfallen, gelten vorstehende Bestimmungen nur, wenn
die zuständigen Behörden es anordnen. Die Anordnung hat zu erfolgen,
wenn eine regelmäßige Abholung der Abfälle stattfindet. Verdorbene
Fleischwaren soll der Kriegsausschuß für pflanzliche und tierische Oele
und Fette erhalten. Knochen im Sinne dieser Verordnung sind tierische
Knochen jeder Art, Hornschläuche (Hornzapfen) sowie die Füße voä
Rindern und Pferden, wozu unterm 3. Mai 1917 (RGBl. S. 395) er-
gänzend bestimmt wurde: Gastwirtschaften, Speiseaustalten, Schlacht-
höfe, Darmschloimereien, Metzgereien, Wurstfabriken, Konservenfabriken,
Krankenhäuser, Lazarette und ähnliche Betriebe, bei denen eine größere
Fettausbeute aus Abwässern zu erwarten steht, sind verpflichtet, auf
Anordnung der zuständigen Behörde zur Rückgewinnung der in den
Abwässern enthaltenen Fette entweder Fettabscheider auf ihre Kosten
aufzustellen oder deren Aufstellung durch die von der Behörde beauf-
tragten Stellen unter den von der Behörde näher festgestellten Be-
dingungen zu gestatten. Diese Bestimmungen finden auf Anstalten und
Betriebe der Heeresverwaltungen keine Anwendung) — und auf Lab-
mägen von Kälbern (Bekanntmachung vom 1. März 1917, RGBl. S. 195),
die vom 4. März 1917 ab nur mit Erlaubnis des Kriegsausschusses für
pflanzliche und tierische Oele und Fette abgesetzt werden durften.
Am 19. März 1917 kamen neue Höchstpreise für Schlachtsch weine, ge-
mäß der Verordnung über die Preise der landwirtschaftlichen Erzeug-
nisse aus der Ernte 1917, und für Schlachtvieh vom 19. März 1917
(RGBl. S. 243) : Beim Verkaufe von Schlachtschweinen durch den Vieh-
halter beträgt der Preis für 50 kg Lebendgewicht vom 1. Mai 1917 ab
bis auf weiteres bei Schweinen im Lebendgewichte von:
bis zu CO kg 53— 6i M.
u».cr f)0 bis 70 kg 57—65 „
übir 70 bis 85 kg 67—75 »
über 85—300 kg 72-80 „
Der Präsident des Kriegsernährungsamts bestimmt, welcher Preis inner-
halb dieser Grenzen in den verschiedenen Teilen des Reiches als Höchst-
preis zu gelten hat. Er setzt die Höchstpreise für Schweine von über
100 kg Lebendgewicht und für fette (früher zur Zucht benutzte) Sauen
und Eber fest. Die Landeszentralbehörden oder die von ihnen be-
stimmten Stellen können mit Zustimmung des Präsidenten des Kriegs-
ernährungsamts Abweichungen von den Preisen für ihren Bezirk oder
Teile ihres Bezirkes vorschreiben. Maßgebend ist der Höchstpreis dea
Bezirkes, in dem sich die Ware zur Zeit des Vertragsabschlusses befindet.
Beim Verkaufe von Schlachtrindern durch den Viehhalter darf der Preie
für 50 kg Lebendgewicht vom 1. Juli 1917 ab nicht übersteigen bei ;
Missellen. 71B
1. gfring grnähiion Bindern einKhlicßlich FrcPFern (Klflpge C) 55 M.
2. au^J.'^mä^1^i^n oder vollllciMliijün Ochhon und Kühen über
7 Jstliic, Bullen über 5 Jtihrc un»l «ngeflcisthttn Othhcn, Küiien,
Bullen um! Fäisrn j' dtn Allers (Klatbe B) im Lebendgewichte von
bis zu 5,5 Zentner 6o „
über 5,5 bis 7 Zentner 68 „
„ 7 bis 8,5 Zoniuer 72 „
„ 8,5 bis 10 Zentner 76 „
„ 10 bis 11,5 Zuniner 80 „
„ 11,5 Zcntuer 85 „
3. aufgrniäbteicn oder Tollfleifchigm Ochsen und Ki'ihen bis zu
7 Jtihren, Bullen bis zu 5 Jubien und Päiscn (Kla^ite A) 90 „
Der Präsident des KriegernähruDgsamts erläßt die näheren Bestinanaungen
fiber die Preise; er bestimnat, weiche Nebenleistungen in den Preisen
einbegriffen sind und welche Vergütungen für Nebenleistungen im Höchst-
falle gewährt werden dürfen und kann Ausnahmen zulassen. Er kann
die Preise, soweit dies zur Sicherung rechtzeitiger Ablieferung erforderlich
erscheint, für best mmte Zeiten erhöhen oder herabsetzen, und kann
besondere Bestimmungen über die Preise für den Verkauf zu Saatzwecken
oder gegen Bezugscheine treffen. Weitere Ausführungen dazu enthält
eine Verordnung über die Schlachtvieh- und Fleischpreise bei Schweinen
und Rindern vom 5. April 1917 (RGBl. S. 319) mit gemeinsamen Vor-
schriften für die Vieh- und Fleischpreise und der Preistabelle für 9 Preis-
gebiete einmal mit Preisen bis zum 30. April 1917 für Schweine bis
100 kg einschließlich und dann vom 1. Mai 1917 ab für Schweine
bis zu 70, 70—85 und über 85 kg in Höhe von 93 bis 110, bzw.
57 bis 65 bzw. 67 bis 75 bzw. 72 bis 80 M. für Schlachtschweine.
Diese Verordnung erhält einen unwesentlichen Zusatz in der Verordnung
vom 18. Mai 1917 (RGBl. S. 632), die gleichzeitig bestimmt, daß bei
der Abgabe von Fleisch und Fleischwaren ausländischer Herkunft an
die Verbjaucher die für inländisches Fleisch und inländische Fleisch-
warcn gleicher Art geltenden Höchstpreise nicht überschritten werden
dürfen, und einen weiteren, nach dem bis zum 30. November 1917, ein-
echließlich beim Verkaufe von Schlachtschweinen durch den Viehhalter
der Preis für 50 kg Lebendgewicht die aus Spalte 2 unter c der
Preistabelle ersichtlichen Preise nicht übersteigen darf, ohne Rücksicht
auf das Lebendgewicht der Tiere (Bekanntmachung vom 15. September
1917, RGBl. S. 837). Diese Höchstpreise sind weiter bis zum 15. Januar
1918 zugelassen. Daneben dürfen bis z m gleichen Zeilpunkt für jedes
£um Vejkauf gelangende Schwein das mehr als 15 und nicht mehr als
75 kg Lebendgewicht hat, folgende Beträge (Stückzuschläge) zuge-
schlagen werden, wenn das Lebendgewicht des Schweines beträgt mehr
als 15 bis einschließlich 30 kg 18 M., desgl. 30—45 kg 14 M., desgl.
45-60 kg 10 M., desgl. 60—75 kg 6 M. (Bekanntmachung vom
23. November 1917 — RGBl. S. 1079.)
Als im Apiil 1917 die Brotration gekürzt werden mußte — vgl.
Teil II, III. F. 53. Bd. S. 741 — wurde der Bevölkerung zum Ausgleich
eine größere Fleischmenge bewilligt. Die Bekanntmachung über Zu-
aatzfleischkarten vom 15. April 1917 (RGBl. S. .355) führt darüber
folgendes aus :
rjl^^ Miszellen.
Vom 16. April 1917 an bis auf weiteres sind neben der Reich»-
fleischkarte von den Kommunalverbänden Zusatzfleisehkarten auszugeben;
die Zusatzkarten gelten nur in dem Bezirke des ausgebenden Kommunal-
verbandes. Die Höchstmenge an Fleisch und Fleischwaren, die wöchent-
lich auf die Zusatzfleischkarte entnommen werden darf, wird auf 250 g
Schlachtviehfleisch mit eingewachsenen Knochen festgesetzt. Die Vor^
Schriften im § 2 Abs. 2, 3 der Bekanntmachung über die Ausgestaltung
der Fleisckkarte und die Festsetzung der Verbrauchshöchstmengo an
Fleisch und Fieischwaren vom 21. August 1916 (RGBl. S. 945) finden
auch auf die Zusatzfieischkarte Anwendung. Die Kommunalverbfinde
können die Geltung der Zusatzkarte auf bestimmte Fleischerten oder
Fleischsorten sowie auf de Verwendung zum Ankauf in den Fleischcrei-
geschäften oder in bestimmten Fleischereigeschäften beschränken. Selbst-
versorger erhalten eine Zusatzfieischkarte nur, soweit sie ihren Fleisch-
verbrauch nur teilweise durch Selbstversorgung decken und im übrigen
Fleischkarten beziehen. Durch die Zuteilung von Zusatzfleisehkarten
an Selbstversorger darf die Gesamtverbrauchsmenge von 500 g für dea
Kopf und die Woche, für Kinder die Hälfte dieser Wochenmenge, nicht
überschritten werden.
Diese Fleischzulagen konnten zu wesentlich verbilligten Preisen ab-
gegeben werden, da Reich und Staat den Kommunen einen erheblichen
Zuschuß zu diesem Zwecke gewährten, der zusammen 70 Pf. wöchentl ch
auf den Kopf der fleischversorgungsberechtigten Bevölkerung — Kinder
unter 6 Jahren die Hälfte — betrug. So war es möglich, das halbe
Pfund Fleischzulage im allgemeinen schlechtweg um 70 Pf. billiger als
zum üblichen Preise abzugeben. Einzelne Städte haben außerdem weitere
Ermäßigungen aus eigenen Mitteln gewährt. Danach stellten sich die
Zusatzfleischpreise das Pfund in Pfennigen bei Rindfleisch auf 70 bis 100,
Schweinefleisch 40 bis 60, Kalbfleisch 30, Hammelfleisch 70; Blut- und
Leberwurst 50 und 60, Knack- und Zung^^nwurst 120, Schlackwurst 160;
stellenweise gingen die Preise bei Rindfleisch auf 50, Schweinefleisch
20, Kalbfleisch 10, Hammelfleisch 50 herunter. Die Verbilligung war
somit ganz wesentlich, wenn man bedenkt, daß der Höchstpreis für
Rindfleisch das Pfund sich zwischen 2,20 M. und 2,50 M., Schweine-
fleisch 1,90 M. und 2,10 M. bewegt und für Kalbfleisch 1,80 M.,
Hammelfleisch 2,20 M., Blut- und Leberwurst 2,10 bzw. 2,20 M.,
Knack- und Zungenwurst 2,70 M. und Schlackwurst 3,10 M. beträgt.
Zur Regelung der Abgabe der Fleischzulagen an die Verbraucher wurden
besondere kommunale Fleischkarten als sogenannte Fleischzusatzkarten
neben der Reichsfleischkarte ausgegeben, um den Bezugsberechtigten
nach bestimmter von den Gemeinden getroffener Auswahl unter
Zugrundelegung ihrer Einkommenshöhe und Familiengröße Ausweise
zum Empfang der verbilligten Fleischzulagen zu geben, die in der
Hauptsache für die ärmere Bevölkerung und den Mittelstand bestimmt
waren.
Der Wegfall der Zusatzfleisehkarten wurde am 22. Juli 1917 (RGBl.
S. 641) angeordnet: Spätestens mit Ende der 17. Woche der Fleisch-
verbilligung dürfen neben der Reichsfleischkarte Zusatzfleisehkarten
Miszellen. 7j[5
nicht mehr ausgegeben werden. Also volle 17 Wochen, über 4 Monate,
hat die Abgabe des verbilligten Fleischzusatzes gedauert. Es ist nur
dem ausgezeichneten Zustande unserer Viehwirtschaft zu danken, daß
sie zu einer Zeit, als die Getreidevorräte sich ihrem Ende zuneigten
«nd auch die Kartoffeln, da sie in den Mieten durch den ungewöhnlich
laugen und scharfen Frost in diesem Jahre sehr gelitten hatten, nicht
in vollem Umfange herangezogen werden konnten, in der Lage war,
auf das Fleisch zum Ausgleich zurückzugreifen. Da inzwischen aber
die neue Ernte ihre Erzeugnisse bereitgestellt hat, tritt das Brot wieder
an seine alte Stelle als Hauptnahrungsmittel und die Bationen für Mehl
und Fleisch sind wieder auf die Höhe der vor dem 17. April geltenden
Sätze gebracht worden, nur mit dem Unterschiede, daß von Mitte
August bis auf weiteres vorläufig 220 g Mehl pro Kopf und Tag
festgesetzt sind, also die ursprüngliche Bation. Wenn dann nach
diesem Zeitpunkt das Ergebnis der Brotgetreide- und Kartoffelernte
feststeht, wird es sich entscheiden, ob wir diesen Satz beibehalten oder
vielleicht sogar erhöhen können, da auch noch hinsichtlich der rumä-
nischen Getreidezufuhren recht gute Hoffnungen berechtigt sind. So
konnte der Fleischzusatz ohne weiteres herabgesetzt werden, zumal die
Viehbestände geschont werden müssen, insbesondere auf das Jungvieh
viel Pflege verwendet werden muß, um eine neue sichere Fleischreserve
für spätere Zeiten, wenn die beiden anderen Hauptnahrungsmittel
wieder einmal knapp werden sollten, zu schaffen.
Neue Bestimmungen über die Begelung des Fleischverbrauchs, ins-
besondere der Hausschlachtungen setzte in Abänderung der Ver-
ordnung über die Begelung des Fleischverbrauchs vom 21. August 1916
(BGBl. S. 941) die Verordnung vom 2. Mai 1917 (BGBl. S. 387) fest:
1) Die Verbrauchsregelung erstreckt sich auch auf den Selbstver-
sorger. Als Selbstversorger gilt, wer durch Hausschlachtung oder durch
Ausübung der Jagd Fleisch und Fleischwaren zum Verbrauch im eigenen
Haushalt gewinnt.
2) Mehrere Personen, die für den eigenen Verbrauch gemeinsam
Schweine mästen, werden ebenfalls als Selbstversorger angesehen. Als
Selbstversorger können vom Kommunalverbande ferner anerkannt werden
Krankenhäuser und ähnliche Anstalten für die Versorgung der von ihnen
zu verköstigenden Personen sowie gewerbliche Botriebe für die Ver-
sorgung ihrer Angestellten und Arbeiter; für die Selbstversorgunp: durch
Schlachtung von Bindvieh mit Ausnahue von Kälbern bis zu 6 Wochen
ist die Anerkennung von der Genehmigung der Landeszentralbehörde
oder der von dieser bestimmten Stelle abhängig.
3) Der Erwerb von Schweinen mit einem Lebendgewichte von mehr
als 60 kg zum Zwecke der Selbstversorgung ist verboten,
4) Selbstversorger bedürfen zur Hausschlachtung von Schweinen
und von Bindvieh, mit Ausnahme von Kälbern bis zu 6 Wochen,
der Genehmigung des Kommunalverbandes. Die Genehmigung hat zur
Voraussetzung, daß der Selbstversorger das Tier in seiner Wirtschaft
mindestens 6 Wochen, und wenn die Schlachtung nach dem 30. Sep-
tember 1917 erfolgt, mindestens 3 Monate gehalten hat. Die Landes-
716
MiKzellen.
xentralbeh Orden haben Vorkehrung zu treffen, daß, wenn infolge der
Hausschlaihtung der FJeischvoriat des Selbstversorgers die iJim eu-
stehendo Fleischmenge übersteigen würde oder ein Verderben der Vorrät«
au befürchten ist, die Genehmigung versagt wird oder die überschüssigen
Mengen an besonderen Stellen gegen Entgelt abgeliefert werden.
5) Hausschlachtungen von Kälbern bis zu 6 Wochen, von Schafen
und Hühnern sind dem Kommunalverbande anzuzeigen. Die Landes-
zentralbehörden können auch diese Hausschlachtungen von der Ge-
nehmigung des Kommunalverbandes abhängig machen.
6) Die Verwendung von Wildbret im eigenen Haushalt sowie die
Abgabe an andere sind dem Kommunalverband anzuzeigen.
7) Die Kommunalverbände haben die Hausschlachtungen zu über-
wachen. Sie haben Ueberwachungspersonen zu bestellen, die insbe-
sondere das Schlachtgewicht genau zu ermitteln und darüber eine amt-
liche Bescheinigung auszustellen haben. Die Landeszentrilbehördcn
erlassen die näheren Bestimmungen; sie haben festzusetzen, welche Teile
der Tiere beim Ausschlachten vor der Ermittlung des Schlachtgewicht«
zu trennen sind, und über die Art der Gewichtsermittlung Grunds&tse
aufzustellen.
8) Den Selbstversorgern ist das aus der Hausschlachtung oder
durch Ausübung der Jagd gewonnene Fleisch nach Maßgabe der Vor-
schriften zum Verbrauch im eigenen Haushalt zu belassen. Hierbei
gelten als zum Haushalt gehörig auch die Wirtschaftsangehörigen ein-
schließlich des Gesindes sowie ferner Naturalberechtigte, insbesondere
Altenteiler und Arbeiter, soweit sie kraft ihrer Berechtigung oder aJi
Lohn Fleisch zu beanspruchen haben.
9) Der Selbstversorger hat anzugeben, innerhalb welcher Zeit er
die Fleischvorräte verwenden will. Für diese Zeit erhält er für eicli
und die von ihm verköstigten Personen nur so viele Fleischkarten, all
ihm nach Abzug der Vorräte noch zustehen.
10) Wildbret und Hühner werden mit der vom Kriegsernährung»-
amte für die Reichsfleischkarte festgesetzten Höchstmenge angerechnet.
Bei der Anrechnung von Schlachtviehfleisch ist eine Wochenmenge zu-
grunde zu legen, die um zwei Drittel höher ist, als die festgesetzte,
beim ersten Schwein, das innerhalb des vom 1. Oktober ab laufenden
Jahres geschlachtet wird, ist die festgesetzte Wochenmenge zu ver-
doppeln.
11) Fleisch zur Selbstversorgung darf aus Hausschlachtungen, die
zwischen dem 1. September und 31. Dezember erfolgen, höchstens für
die Dauer eines Jahres, aus Hausschlachtungen in der übrigen Zeit
höchstens für die Zeit bis zum Schlüsse des Kalenderjahres belassen
werden.
12) Fleisch und Fleischwaren, die aus der Hausschlachtung ge-
wonnen und dem Selbstversorger zur Selbstversorgung überlassen sind,
dürfen gegen Entgelt nur an den Kommunalverband oder mit dessen
Genehmigung abgegeben werden.
13) Die Landcslehöiden können weitergehende Einschrfinkungea
anordnen. Selbstverständlich ist wohl übrigens, daß der Selbstversorger
Miszellen. 717
die sogenannte kommanale Fleischzusatzkarte grundsätzlich nicht zu be-
anspruchen hat, da er schon über erhöhte Rationen verf. gt.
Diese neuen Vorschriften sollen die Hausschlachtungen möglichst
einschränken und dem Uufug, der auf diesem Gebiete des Selbstver-
«orgerwesens sich bisher ausgebreitet hat, energisch steuern, insbe-
sondere der privaten Mästung mit verbotenem Futter, wie es die Selbst-
Torsorjjer in unverantwortlicher Weise schon lanore treiben, entorejjen-
treten, denn Getreide und Kartoffeln sollen im neuen Erntejahr der
Allgemeinheit mehr als früher und ungekürzt zugute kommen und nicht
mehr in so ausgedehntem Maße wie bisher vielfach zur Fütterung der
Haushai tungssch weine dienen •).
Abändürungen und Zusätze zur Verordnung vom 2. Mai 1917 ent-
hält die Verordnung vom 2. Oktober 1917 (RGBl. S. 881):
1) Die Veräußerung von Seh weinen mit einem Lebendgewichte von
mehr als 25 kg darf, auch wenn es sich nicht um Schlachtschweine
handelt (§ 6 der Verordnung über die Schlachtvieh- und Fleischpreise für
Schweine und Rinder vom 5. April 1917, RGBl. S. 319), nur an die
staatlich bestimmten Viehabnahmestollen oder deren Beauftrajjte erfolgen.
Der Erwerb dieser Schweine durch andere Stellen oder Personen ist
nur mit Genehraifjuno: der Landeszentralbehörden oder der von diesen
bestimmten Stellen zulässig.
2) Der Selbstversorger hat von dem durch die Hausschlachtung
von Schweinen gewonnenen Fleische an den Kommunalverband gegen
Zahlung einer angemessenen Vergütung Speck oder Fett in folgenden
Mengen abzugeben: wenn das Schlachtgewicht des Schweines beträgt:
mehr als 60—70 kg einschließlich: 1 kg, mehr als 70 — 80 kg ein-
schließlich: 2 kg, mehr als 80 kg für weitere angefangene je 10 kg:
weitere je 0,5 kg. Ist das Schwein früher zur Zucht benutzt worden,
so sind 3 v. H. des Schlachtgewichts in Speck oder Fett abzuliefern.
Die Landeszentralbehörden erlassen die zur Durchführung der Abgabe-
pflicht erforderlichen Bestimmungen; sie können die Abgabepflicht er-
höhen und bestimmen, daß von Schweinen, deren Ertrag an Liesen-
(VVamm9n-)Fett weniger als 1^/, kg betragt, kein Speck oder Fett ab-
gegeben zu werden braucht. Sie können anordnen, daß an Stelle des
Speckos oder Fettes andere Teile dos gewonnenen Fleisches abzugebeo
sind, und Vorschriften über die Haltbarmachung der abzugebenden
Mengen erlassen. Die Verpflichtung zur Abgibe von Speck oder Fett
entfällt bei Hausschlachtungen von Schweinen in gewerblichen Be-
trieben, Krankenhäusern und ähnlichen Anstalten, die vom Kommunal-
verband als Selbstversorger anerkannt worden sind, und durch Selbst-
versorger, denen nach den geltenden Vorschriften bei besonders an-
strengender körperlicher Arbüit im Verwaltungswege Fottzulagon ge-
währt worden können oder zu deren Haushalt solche Personen gehören.
3) Der Selbstversorger hat anzugeben, innerhalb welcher Zeit er
die Fleischvorräte verwenden will. Für diese Zeit erhält er für sich
1) Vgl. in diesem Zusammenhange S. 53—60 Heft 1719 der Beiträge «ur
Kriegswirtschaft.
fjll<ß Miszellen.
und die von ihm verköstigten Personen nur so viele Fleischkarten, al«
ihm nach Abzug der Vorräte noch zustehen. Wildbret und Huhner
werden mit der für die Reichsfleischkarte festgesetzten Höchstmonge
angerechnet. Bei der Anrechnung von Schlachtviehfleisch, außer von
Fleisch von Kälbern bis zu drei Wochen und von Schweinen, ist eine
Wochonraonge zugrunde zu legen, die um 2/3 höher ist als die festge-
setzte Höchstmenge. Bei der Anrechnung von Schlachtviehfleisch voa
Kälbern bis zu drei Wochen und von Schweinen sind folgende Wochen-
meiigen für die Personen zugrunde zu legen: bei Kälbern bis zu drei
Wochen: 500 g, bei Schweinen mit einem Schlachtgewichte von mehr
als 60 kg 500 g, von mehr als 50 kg bis 60 kg 600 g, von 50 kg
und weniger 700 g. Die abzuliefernden Fleischmengen sind nicht auf
die Fleischkarten anzurechnen und kommen für die Berechnung des
Schlachtgewichts zum Zwecke der Fleischkartenanrechnung nicht in An-
satz. Die Sätze f ir die Anrechnung von Schlachtviehfleisch können
vorübergehend erhöht werden. Fleisch zur Selbstversorgung darf aus
Hausschlachtungen, die zwischen dem 1. September und 31. Dezember
erfolgen, höchstens für die Dauer eines Jahres, aus Hausschlachtungen
in der übrigen Zeit höchstens für die Zeit bis zum Schlüsse des
Kalenderjahrs belassen werden.
Der Wortlaut der Verordnung über die Regelung des Fleischver-
brauchs vom 21. August 1916 (RGBl. S. 941), wie er sich aus den
Aenderungen durch die Verordnungen vom 2. Mai und 2. Oktober 1917
ergibt, ist unter der Ueberschrift Verordnung über die Regelung
des Fleischverbrauchs und den Handel mit Schweinen
im RGBl. 1917, S. 949 ff. unterm 19. Oktober 1917 bekanntgegeben
worden.
Es ist volkswirtschaftlich notwendig, daß die Schweinebestände
den vorhandenen Futtermitteln angepaßt werden müssen. Da Gerste
zur Schweinemast nach dem schlechten Ausfall der Gerstenernte nicht
verwendet werden darf — Verordnung vom 10. September 1917 über
die Verfütterung von Hafer und Gerste (RGBl. S. 825) — können ent-
sprechend schwere Schweine nicht erzielt werden und dürfen nicht
übermäßig viele Schweine gehalten werden. Dies verbietet aber nicht
die Erhaltung der Zuchttiere und das Füttern leichterer Schweine mit
Abfällen und sonstigen Futtermitteln zulässiger Art. Das Kriegsernähr
rungsamt hat deshalb nicht ein Zwangsgebot zur Massenschlachtung
erlassen, sondern die gesamten Vorschriften über Schweinehaltung jenen
Verhältnissen angepaßt. Hiernach erhalten nur Zuchttiere Körnerfutter,
ihre weitere Benutzung zur Zucht wird lohnend erhalten durch starken
Ferkelabsatz, indem Ferkel, für welche übrigens keine Reichs-
höchstpreise, sondern nur Höchstpreise nach dem Lebendgewicht von den
einzelnen Landesfleischstellen festgesetzt sind, kartenfrei oder unter ge-
ringer Anrechnung auf die Karte verbraucht werden dürfen. Hiermit
wird zugleich zu starker Aufzucht vorgebeugt. Ferner werden die
Schweine zur Deckung des Bedarfs von Heer und Marine ohne Mindest-
gewichtsmengen abgenommen und nach dem einheitlichen Höchstpreia
der erwähnten Verordnung vom 15. September 1917 bezahlt, wenn slfi
Miszellen. 7X9
bis 30. November 1917 abgeliefert worden (S. 713). Sogenannte Mast-
yerträge werden nicht abgeschlossen, da hierfür kein Hartfutter vor-
handen ist. Für die Selbstversorgung werden die leichteren Schweine
mit höheren Verbrauchssätzen angerechnet werden, wie dies die Ver-
ordnung vom 2. Oktober 1917 regelt, damit die Schlachtung bei ge-
ringem Gewicht trotz des hohen Knochengehalts und Wassergehalts des
Schlachtgewichts lohnt. Zur besseren Fettversorgung der Städte ist
dabei eine mäßige Speckabgabe aus der Hausschlachtung bei Tieren
von 120 Pfd. Schlachtgewicht aufwärts vorgeschrieben, die dem jetzt
verringerten Fettgehalte Rechnung trägt. Heimlicher Schlachtung und
wildem Handel beugt die Verordnung dadurch vor, daß auch Läufer-
«chweine zu Zucht- und Nutzzwecken nur durch die Viehhandelsver-
bände gehandelt werden dürfen. Diese Maßnahmen vereinen die be-
rechtigten Interessen der Landwirte und Selbstversorger mit denen der
NichtSelbstversorger an der Fettversorgung und an der Schonung der
Körner- und Kartoffelernte vor unberechtigtem Verfüttern; sie tragen
dem Ausfall der Sommergetreideernte Rechnung, ohne zu einem schema-
tischen Schweinemord zu werden. Sie er alten ferner den Zucht-
ichweinebestand, um mit der Schweineaufzucht sofort wieder beginnen
SU können, sobald wieder Schweinefutter zur Verfügung steht.
Weiterhin hat das Kriegsernährungsamt die Landeszentralbehörden
ersucht, die schleunigste Abnahme der nicht zur Hausschlachtung und
lur Fortführung der Zucht nachweislich benötigten Schweine zu be-
wirken, indem Abnahmekommissionen überall die vorhandenen Tiere
feststellen und abnehmen oder enteignen, damit die nach Aufhören des
Weideganges und der Grünfütterung im Verhältnis immer noch zu hohen
Bestände den vorhandenen zulässigen Futtermitteln angepaßt und be-
schlagnahmte Erzeugnisse wie Brotgetreide und Kartoffeln, zur Sicher-
•tellung der Ernährung des Menschen vor verbotener Verfütterung
geschützt werden. Diese nach dem Stande der verfügbaren Vorräte
dringend gebotene Maßnahme greift insofern ins Wirtschaftsleben
tief ein, als die Abnahme in der Hauptsache vor Erzielung der erst
gewinnbringenden Schlachtreife der Tiere erfolgt. Sie erfordert des-
halb auch Ausnahmen hinsichtlich der Preisberechnung, um ohne un-
billige Benachteiligung des Tierhalters durchführbar zu sein. Daher
sind unterm 23. November 1917 die auf S. 713 mitgeteilten Aus-
nahmebestimmungen für die Schweinepreise erlassen worden, nach denen
eine Reihe von Zuschlägen zugelassen sind. Nur für Schweine, die
schwerer als 75 kg Lebendgewicht sind, dürfen solche Zuschläge nicht
gezahlt werden, weil für diese bereits der Einheitspreis eine genügende
Entschädigung bietet. Es muß erwartet werden, daß nunmehr die
Herausnahme aller nicht für die Hausschlachtung und die Erhaltung
der Zucht bestimmten Schweine in der bezeichneten Frist ohne wirt-
schaftliche Härten, nötigenfalls aber zwangsweise erfolgt. Die karten-
freie Abgabe der Spanferkel bis zu 30 Pfd. Lebendgewicht kann von
den Zentralbehörden aus denselben Gründen, die für die Ausnahmo-
preise maßgebend sind, ebenfalls nur bis längstens zum 15. Januar
1918, fortgesetzt werden. Die für zum Schlachten bestimmte Ferkel
720 Miscellen.
von den Violihandelsvorbänden festgesetzten Höchstpreise, die jetzt bis
zu 1,60 M. für ein Pfund betragen, sollen am 15. Januar 1918 auf
höchstens 1,10 M. ermäüigt worden.
Endlich ist noch die Bekanntmachung vom 2. Juni 1917 (RGBL
8. 471) über das Schlachten von Tieren zu nennen, nach welcher beim
Schlachten von Rindern einschließlich der Kälber, von Schafen und
Ziegen der Halsschnitt (Schächtschaitt) nur beim rituellen Schächten
durch den hierzu bestellten Schächter angewandt werden darf. Im
übrigen ist der Halsschuitt verboten.
Auf die Viehzählungen größeren und kleineren ümfanges, die
teils als planmäßige Viehbestandsaufnahmen, teils als sogenannte Vieh-
zwischenzählungen stattfanden, ist schon im I. Teil, 111. F. 53. Bd. S. 91,
hingewiesen worden. Auch der Vornahme der kleinen vierteljährlichen
Viehzählungen, die gemäß Bekanntmachung vom 30. Januar 1917
(RGBl. S. 81) ab 1. März 1917 zu erfolgen haben, ist dort bereits Er-
wähnung getan. Diese kleinen Vierteljahrsviehaufnahmen, die sich bisher
nur auf Pferde, Rindvieh, Schafe und Schweine erstreckten, sind durch
die Bekanntmachung vom 9. August 1917 (RGBl. S. 701) auf Ziegen
und Federvieh — Gänse, Enten und Hühner — erweitert worden. Die dritte
dieser Veranstaltungen am 1. September 1917 erfolgte also erstmalig in
der erweiterten Form wie die vierte am 1. Dezember 1917. Neben den
Viehzählungen sind auch Bestandsaufnahmen von Fleisch und
Fleisch waren vom Reich und hier und da in den größeren Städten,
teilweise sogar in Verbindung mit Verbrauchserhebungen, veranstaltet
worden. Von den ersten kommen zwei in Betracht: Die allgemeine
Bestandsaufnahme der wichtigsten Lebensmittel am 1. Septembei 1916
(vgl. Teil I, 53. Bd. S. 91) erfaßte bei den Haushaltungen von unter
30 Personen auch Fleischdauerwaren sowie reine und gemischte Fleisch-
konserven, jedoch nicht nach Arten getrennt, und bei den Haushaltungen
von über 30 Personen, Anstalten, Körperschaften und Betrieben Schinken,
Speck, Würste, dann sonstige Fleischdauerwaren, reine und gemischte
Fleischkonserven, aber ohne Trennung nach Arten, sowie Speiseöle,
Butter, Schmalz und sonstige Speisefette, üeber die Vorratsaufnahme
von Fleisch und Fleischwaren am 25. Mai 1916 ist schon berichtet
worden (S. 711).
Mit einem kurzen Wort ist noch die Bedeutung der Futterfrage
für die Vieh- und Fleischversorgung zu streifen, die auf diesem Gebiete
zu einer Reihe von Fütterungsverboten, insbesondere hinsichtlich der
Kartoffeln für die Schweine, geführt hat. Die hierfür in Betracht
kommenden Bekanntmachungen sind bereits in Teil III, oben S. 188 er-
wähnt. Außerdem ist in diesem Zusammenhange noch die Bekanntmachung
über Streu-, Heide- und Weidonutzuiig auf nicht landwirtschaftlich ge-
nutzten Grundstücken vom .13. April 1916 (RGBl. S. 275) zu nennen,
die bestimmt, daß die Besitzer von Forstnn und anderen nicht land-
wirtschaftlich genutzten Grundstücken auf Anordnung der höheren Ver-
waltungsbehörde verpflichtet sind, den von dieser benannten Personen,
Gemeinden oder Kommunalverbänden zu gestatten, daß sie aus den
Grundstücken Streumaterial jeder Art sowie Heideaufwuchs zu Futter-
I
Miszellen. 721
zwecken oder sonstige Futtermittel gewinnen, sowie auf den Grund-
stücken Schweine und Rindvieh weiden lassen und die zu diesem Zwecke
erforderlichen Hürden und ünterkunftsräume anlegen. Auch die Kraft-
futtermittelfrage hat die Beachtung des Gesetzgebers gefunden, der be-
sondere Bestimmungen über die Einfuhr von Fleischkuchen, Fleisch-
futtermehl, Fleischdüngemehl, Fleischknochenmehl während des Krieges
sowie über Höchstpreise für deutsches Fleischfuttermehl und den Ver-
kehr damit im Kriege erlassen hat — vgl. die Bekanntmachung vom
28. und 31. Januar, 16. und 26. März 1916 (RGBl. S. 67, 71, 168
und 197), wodurch die Verordnungen über den Verkehr mit Kraftfutter-
mitteln aus dem Jahre 1915 (28. Juni, 5. und 19. August 1915 — RGBl.
S. 399, 489 und 504) etwas abgeändert wurden. Die Futterfrage spielt
eben, wie wir schon eingangs hervorgehoben haben, ganz entscheidend
in das Problem der Fleischversorgung Deutschlands im Kriege unter den
besonderen Umständen des gegenwärtigen Krieges hinein. Fast die ganze
Einfuhr von Kraftfuttermitteln, die vor dem Kriege etwa 3 Mill. t im
Jahre betrug, fällt jetzt weg. Die Kartoffeln können zur Viehfütterung
nicht mehr in dem Umfange herangezogen werden wie früher. Die
Grünfutterernte, mag sie noch so vorzüglich sein, wie es 1917 der Fall
gewesen ist, genügt nicht, um diese Ausfälle qualitativ und quantitativ
zu decken. So mußte die Schweinemästung zurückgehen und der Rind-
viehbestand erheblich herabgemindert werden. Daraus folgte die be-
kannte Fleisch- und Fettknappheit, die ihrerseits noch gesteigert wurde
durch die fast gänzliche Unterbindung der Schmalzeinfuhr und anderer
tierischer Oele und Fette, so daß alles in allem neben dem Mangel an
Fleisch mit der Länge des Krieges eine große Fettnot, insbesondere
Mangel an Butter, Schmalz, Fett, Talg, Speck und Milch eintrat, die
nur durch besondere umfassende Verkehrs- und Versorgungsmaßnahmen
einigermaßen ausgeglichen werden konnte.
In engem Zusammenhange mit den Maßnahmen zur Sicherung der
Fleischversorgung im Kriege stehen die einschränkenden und vorsorgenden
Bestimmungen über den Verkehr mit Fett, für welches auch gleich zu
Anfang des Krieges Einfuhrerleichterungen geschaffen wurden, was schon
oben S. 696 erwähnt ist. Auch Anfang 1915 begnügte man sich noch
mit solchen Bestimmungen: Bekanntmachung, betreffend vorübergehende
Einfuhrerleichterungen für frisches Fett, ausgenommen Speck, und Fest-
setzung einer Untersuchungsgebühr nach den Grundsätzen der wissen-
schaftlichen Fleischbeschau vom 21. Januar 1915 (RGBl. S. 33). Tier-
fett, anderweit nicht genannt, roh, geschmolzen oder gepreßt, befand
sich auch unter den in der Bekanntmachung über vorübergehende Zoll-
erleichterungen vom 8. März 1915 (RGBl. S. 135) aufgeführten zollfreien
Waren.
Auch auf dem Gebiete der Fettversorgung ergehen immer schärfere
Bestimmungen. Die Bekanntmachung über den Verkauf von Fleisch-
und Fettwaren durch die Gemeinden vom 24. Juni 1915 ist oben er-
wähnt (S. 699). Am 9. Oktober 1915 wurde die Verwendung tierischer
(und pflanzlicher Oele und) Fette zu Schmierzwecken, Brennzwecken,
sowie zum Einfetten oder sonstigen Behandeln von Metallen, Werk-
Jahrb. f. Nationaiök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 4,Q
722 Misz eilen.
zeugen, Maschinenteilen und Metallgegenständen unvermischt verboten
(RGBl. S. 646). Dann kamen die wichtigen Bestimmungen über die
Einschränkung des Fleisch- und Fettverbrauchs vom 28. Oktober 1915,
die auch schon erwähnt sind (S. 700/701). Wichtig ist femer das Her-
stellungsverbot von Süßigkeiten und Schokolade unter Verwendung von
Milch, Sahne und Fett, das die Bekanntmachung vom 16. Dezember
1915 (RGBl. S. 821) ausspricht. Auch die Bereitung von Kuchen,
Torten und Cremen unter Verwendung von Fett wurde stark beschränkt
sowie das Sieden von Backwaren in Fett verboten, worauf schon im
IL Teile hingewiesen worden ist (III. F. 53. Bd. S. 747). Hierfür gilt die
Bekanntmachung über die Bereitung von Kuchen vom 16. Dezember 1915
(RGBl. S. 828). Endlich ist in diesem Zusammenhange neben den dazu
gehörigen Vorschriften über die Uebernahme, üeberlassung und den
Absatz noch die Meldepflicht der Eigentümer von Fetten zu erwähnen,
die außer den pflanzlichen und tierischen Oelen in der Hauptsache
Talg und Tran trifft (Bekanntmachung vom 8. November 1915, RGBl.
S. 735).
1916 wurden weitere schärfere Vorschriften über die Verwendung
von Fett erlassen. Das Fetten der Brotlaibe verbot die Bekanntmachung
vom 1. Mai 1916 (RGBl. S. 348) als Zusatz zu § 11 der Bekanntmachung
über die Bereitung von Backwaren vom 31. März 1915, in der neuen
Fassung vom 26. Mai 1916 (RGBl. S. 412) — siehe Teil II, III. F. 53. Bd.
S. 747. Da aber auch auf diesem Gebiete der Nahrungsmittelfürsorge
eine einheitlichere Regelung sich allmählich als notwendig herausstellte,
wurde am 8. Juni 1916 die Bekanntmachung über vorläufige Maßnahmen
auf dem Gebiete der Fettversorgung (RGBl. S. 447) erlassen, deren
wichtigsten Bestimmungen hier nur kurz angeführt zu werden brauchen,
da die Bekanntmachung schon am 12. August 1916 durch die Bekannt-
machung über Speisefette vom 20. Juli 1916 (RGBl. S. 755), welche
die Fettversorgung nunmehr endgültig einheitlich regelte, nebst den
früheren Vorschriften über den Verkehr mit Butter vom 8. Dezember
1915 (RGBl. S. 807) außer Kraft gesetzt wurde — vgl. § 39 Abs. 1
dieser Bekanntmachung auf S. 762 RGBl, und die Uebergangsvor-
schriften vom 5. August, 5. September, 3. Oktober 1916 (RGBl. S. 917,
998, 1107). Zunächst also kurz die Hauptbestimmungen der ersten Be-
kanntmachung:
1) Bei Aufbringung des Fleischbedarfs nach der Verordnung vom
27. März 1915 (RGBl. S. 199) ist Vorsorge zu treffen, daß Kühe,
die vorzugsweise zur Milcherzeugung geeignet sind, nicht zur Schlachtung
kommen.
2) Besitzer von Milchkühen, die im Mai 1916 Milch an eine Mol-
kerei geliefert haben, sind, auch soweit eine vertragliche Verpflichtung
zur Weiterlieferung nicht besteht, verpflichtet, die Milch auch künftig
an die bisherigen Abnehmer zu liefern. Sie haben monatlich min-
destens so viel Milch zu liefern, als dem Verhältnis der im Mai
gelieferten Milch zu der gesamten von ihnen im Mai erzeugten Milch
entspricht. Die bisherigen Abnehmer haben die hiernach zu liefernde
Milch abzunehmen.
Miszellen. 723
3) Die höhere Verwaltungsbehörde kann zur Abwendung von Not-
ständen Besitzer von Kühen ihres Bezirkes, die bisher ihre Milch nicht
an Molkereien geliefert haben, zur Lieferung der Milch an eine Molkerei
anhalten. Die Aufforderung ist nicht auf solche Milch zu richten,
deren der Besitzer zum Verbrauch im eigenen Betriebe bedarf.
4) Die Verpflichtung der Molkereien zur üeberlassung von Butter
(§ 1 der Verordnung über den Verkehr mit Butter vom 8. Dezember
1915, RGBl. S. 807) wird dahin erweitert, daß bis zu 50 vom Hundert
der im Vormonate hergestellten Buttermenge zu überlassen sind. So-
weit bei Inkrafttreten dieser Verordnung das Verlangen auf üeberlassung
der im Monat Juni zu liefernden Mengen bereits gestellt ist, kann es
bis zum 15. Juni 1915 bis auf 50 vom Hundert der Maierzeugung er-
höht werden. Vom Juni 1916 ab wird die Lieferungspflicht er-
streckt auf die Molkereien, bei denen im Jahre 1914 50 000 bis
500 000 Liter Milch oder eine entsprechende Menge Rahm einge-
liefert worden sind. Sie haben die im § 2 der Verordnung vom
8. Dezember 1915 vorgeschriebene Anzeige zum erstenmal am 1. Juli
1916 zu erstatten. Die unteren Verwaltungsbehörden haben der Zentral-
Einkaufsgesellschaft m. b. H. in Berlin (Abteilung Inlandsbutter) bis
zum 20. Juni 1916 die Molkereien ihres Bezirkes mitzuteilen, die nach
der Vorschrift in Satz 1 dieses Absatzes überlassungspflichtig werden.
5) Die Gemeinden über 5000 Einwohner haben, soweit dies noch
nicht geschehen ist, bis zum 1. Juli 1916 den Verkehr mit Speisefetten
in ihrem Bezirk und den Verbrauch zu regeln. Sie haben zu diesem
Zwecke insbesondere anzuordnen, daß alle in dem Bezirk eingehenden
Buttermengen der Gemeindebehörde unverzüglich anzuzeigen sind.
Speisefettkarten auszugeben, was daraufhin auch allenthalben erfolgt
ist, die Abgabe von Speisefetten im einzelnen zu regeln, erforderlichen-
falls die Verbraucher bestimmten Abgabestellen zuzuweisen und deren
Eintragung in Kundenlisten vorzuschreiben. Das Kriegsernährungsamt
oder die von diesem bezeichnete Stelle kann Grundsätze über den Ver-
kehr mit Speisefetten und den Verbrauch aufstellen. Als Speisefett im
Sinne dieser Vorschrift gelten Butter, Butterschmalz, Margarine, Speise-
fette, Schweineschmalz und Speiseöle. Im übrigen bleiben die Vor-
schriften im § 8 der Verordnung über den Verkehr mit Butter vom
8. Dezember 1915 (RGBl. S. 807) unberührt.
6) Die Gemeinden über 5000 Einwohner können anordnen, daß die
Vollmilch, die in ihren Bezirk gelangt, entrahmt und verbuttert wird.
Die Anordnung darf nicht erstreckt werden auf die Vollmilch, die zur
Ernährung von stillenden Frauen, Kindern, Säuglingen und Kranken
erforderlich ist.
Im Anschluß daran wurde am 26. Juni 1916 (RGBl. S. 589) eine
Bekanntmachung über fetthaltige Zubereitungen erlassen, die
bestimmte: Fetthaltige Zubereitungen, welche Butter oder Schweine-
schmalz zu ersetzen bestimmt sind, ausgenommen Margarine und Kunst-
speisefett, dürfen gewerbsmäßig nicht hergestellt, feilgehalten, verkauft
oder sonst in den Verkehr gebracht werden. Dies gilt insbesondere
46*
724 Miszellen.
für Erzeugnisse, die außer Butter, Margarine oder einem Speisefett oder
Speiseöl auch Milch (irgendeiner Arti, Wasser, Quark, Stärke, Mehl,
mehlartige Stoffe, Kartoffel oder Gelatine enthalten. Margarine, die
in 100 Öe wichtsteilen weniger als 76 Gewichtsteile Fett oder mehr als
20 Gewichtsteile Wasser enthält, darf gewerbsmäßig nicht feilgehalten
oder verkauft werden.
Zur Sicherung des Bedarfs an Speisefetten ist eine Beichsstelle
für Speisefette gemäß Bekanntmachung vom 20. Juli 1916 gebildet
worden. Als Speisefette im Sinne dieser Verordnung gelten Butter,
Butterschmalz, Margarine, Kunstspeisefett, Schweineschmalz, Speisetalg
und Speiseöle. Die Keichsfettstelle, die, wie die anderen Reichsstellen,
gleichfalls eine Verwaltungs- und eine Geschäftsabteilung besitzt, hat
mit Hilfe der Verteilungsstellen und der Kommunalverbände die Auf-
bringung, Verteilung und den Verbrauch der Speise lette zu regeln. Für
jeden Bundesstaat oder für mehrere Bundesstaaten gemeinsam ist eine
Landesverteilungsstelle eingerichtet. Daneben bestehen auch Bezirks-
verteilungsstellen. Die in den Molkereien hergestellten Speisefette sind
mit der Erzeugung für den Kommunalverband, in dem die Molkerei
liegt, beschlagnahmt. Als Molkerei im Sinne dieser Vorschrift gilt
jeder Betrieb, in dem täglich mehr als 50 1 Milch im Durchschnitt ver-
arbeitet werden. Trotz der Beschlagnahme dürfen die Unternehmer
von Molkereien an ihre Milchlief erer Butter liefern und auch, sofern
die Molkerei ein landwirtschaftlicher Nebenbetrieb ist, Butter in der
eigenen Wirtschaft verbrauchen. Kühe, die vorzugsweise zur Milch-
erzeugung geeignet sind, dürfen nicht zur Schlachtung kommen. Be-
sitzer von Milchkühen, die im Mai 1916 an eine Molkerei geliefert
haben, werden auch ferner zur Ablieferung verpflichtet. Die Molkereien
haben die Milch und Sahne sorgfältig zu verarbeiten und die Milch,
die Sahne und die daraus hergestellten Erzeugnisse pfleglich zu be-
handeln und nach den ihnen gegebenen Weisungen abzuliefern. Die
Kommunalverbände haben den Verkehr und den Verbrauch von Speise-
fetten in ihrem Bezirke nach den von der Reichsstelle aufgestellten
Grundsätzen zu regeln. Sie können den Gemeinden die Regelung für
den Bezirk der Gemeinde übertragen. Gemeinden, die mehr als 10000
Einwohner haben, können die Uebertragung verlangen. Die Landes-
verteilungsstellen haben laufend den nach dem Verteilungsplane auf
ihren Bezirk entfallenden Ueberschuß an Speisefett nach den Weisungen
der Reichsstelle abzuliefern. Dei Reichskanzler ist ermächtigt, Grund-
preise für Speisefette festzusetzen. Der Grundpreis ist der Preis, den
der Hersteller beim Verkauf im Großhandel frei Berlin einschließlich
Verpackung fordern kann. Zur Berücksichtigung der besonderen Markt-
verhältnisse in den verschiedenen Wirtschaftsgebieten können die Landes-
zentralbehörden mit Zustimmung des Reichskanzlers für ihren Be-
zirk Abweichungen von den Grundpreisen anordnen. Die Kommunal-
verbände sind verpflichtet, Höchstpreise für den Kleinhandel mit
Speisefetten unter Berücksichtigung der besonderen örtlichen Verhält-
nisse festzusetzen. Die durch diese Bekanntmachung einem Schieds-
gericht übertragenen Entscheidungen erfolgen durch das Reichsschieds-
Miszellen. 725
gericht für Kriegswirtschaft (Bekanntmachung vom 9. Juni 1917 —
RGBl. S. 484).
Später wird der Reichsstelle für Speisefette und den ihr angeglieder-
ten Vermittlungsstellen auch die gesamte Bewirtschaftung der Milch
— Kuhmilch und -sahne in unbearbeitetem und bearbeitetem Zustand
(Vollmilch, Magermilch, Buttermilch, Sahne, Dauermilch und Dauersahne
jeder Art, Joghurt, Kefyr und ähnliche Erzeugnisse) — übertragen
(Bekanntmachung über die Bewirschaftung und den Verkehr mit Milch
vom 3. Oktober 1916 — RGBl. S. 1100). Danach werden als Vollmilch-
versorguDgsberechtigte bestimmt 1) Kinder unter 6 Jahren, 2) stillende
Frauen, 3) schwangere Frauen in den letzten drei Monaten vor der
Entbindung, 4) Kranke, als Vollmilchvorzugsberechtigte Kinder vom 7. bis
14. Jahre, denen Vollmilch, insoweit sie vorhanden ist, nur gegen Milch -
karten abgegeben werden darf, was auch bezüglich der Abgabe von
Magermilch an die Verbraucher gilt. Die übrigen Bestimmungen dieser
Bekanntmachung regeln die Festsetzung von Höchstpreisen für VoU-
und Magermilch, die 32 bzw. 26 Pf. das Liter betragen, die Verab-
folgung von Sahne in Gast-, Schankwirtschaften oder Konditoreien, die
Verwendung von Milch bei der Brotbereitung und Herstellung von
Schokolade oder Süßigkeiten sowie zu technischen oder Futterzwecken,
was ganz verboten wurde, und setzen damit die Verordnungen über
Beschränkung der Milchverwendung vom 2. September 1915 (RGBl. S. 545),
über Regelung der Milchpreise und des Milchverbrauchs vom 4. November
1915 (RGBl. S. 723), über den Maßstab für den Milch verbrauch vom
15. November 1915 (RGBl. S. 757) und über die Verwendung von Milch
zur Herstellung von Süßigkeiten und Schokolade vom 29. Dezember
1915 (RGBl. S. 849) außer Kraft. Die Lieferung von aus dem Aus-
lande eingeführter kondensierter Milch und desgleichen Milchpulver
an die Zentral-Einkaufsgesellschaft in Berlin ordnet die Bekanntmachung
vom 18. April 1916 an (RGBl. S. 302 und 303 mit Ausführungsbestim-
mungen). Am 3. November 1917 ist eine neue Verordnung über die
Bewirtschaftung von Milch und den Verkehr mit Milch (RGBl. S. 1005)
erlassen worden, durch welche die Bekanntmachung vom 3. Oktober
1916 außer Kraft tritt. Diese enthielt nur zwei Abschnitte über die
Bestimmungen über die Bewirtschaftung von Milch und den Verkehr
mit Frischmilch, zu denen durch die neue Verordnung noch Preis-
vorschriften, Bestimmungen über die staatliche Verkehrs- und Preis-
regelung, Verbotsvorschriften und weitere allgemeine Anordnungen in
Anlehnung an die Bestimmungen vom 3. Oktober 1916 treten, so daß
in der neuen Verordnung die reichsgesetzliche Regelung der Milch-
versorgung in 6 Hauptabschnitten, wozu noch die Straf- und Ueber-
gangsvorschriften kommen, einheitlich und übersichtlich ausgesprochen ist.
Die ungünstige Entwicklung, welche die Milch- und Fettversorgung der
Bevölkerung seit dem Erlaß der Verordnung vom 3. Oktober 1916 ge-
nommen hat, machte eben neue Bestimmungen zur besseren Erfassung
und zweckmäßigeren Verteilung der Milch notwendig, die ihren Aus-
druck in der Verordnung vom 3. November 1917 nunmehr gefunden
haben dürften.
^2^ Miszellen.
Der Vollständigkeit wegen ist noch auf einige Bestimmungen über
Butter, Margarine, Schmalz und andere Fette zur menschlichen Er-
nährung hinzuweisen.
Der Preis für Butter wird bis auf weiteres auf Grund der §§ 1
und 4 der Verordnung des Bundesrats über die Regelung der Butterpreise
vom 22. Oktober 1915 (RGBl. S. 689) für Handelsware I auf höchstens
240 M., für Handelsware II auf höchstens 230 M., für Handelsware III
auf höchstens 215 M. und für abfallende Ware auf höchstens 180 M.
für 50 kg festgesetzt. Der Zuschlag für den Weiterverkauf darf höchstens
betragen beim Verkauf im Großhandel 4 M., im Kleinhandel UM. für
je 50 kg; mit dem Zusatz: Liefert der Großhändler dem Kleinhändler
die Butter in kleinen Packungen, in denen sie unmittelbar an den Ver-
braucher abgegeben werden kann (insbesondere in Halbpfund-Paketen),
so darf der Zuschlag für den Großhandel um 3 M. erhöht werden; um
den gleichen Betrag vermindert sich der zulässige Zuschlag für den
Kleinhandel (Bekanntmachungen vom 24. Oktober 1915 — RGBl.
S. 705 — und vom 29. Oktober 1915 — RGBl. S. 719). Im Klein-
handel kostet somit V2 ^S Butter 2,55 M. Dazu kommt noch die
Bekanntmachung über den Ausgleich der Preise für inländische und
ausländische Butter vom 13. Dezember 1915 — RGBl. S. 816 — , die
auf Grund des § 4 der Verordnung des Bundesrats über die Regelung
der Butterpreise vom 22. Oktober 1915 (RGBl. S. 689) folgendes be-
stimmt: 1) Gemeinden, die in erheblichem Umfang auf Versorgung mit
ausländischer Butter angewiesen sind, dürfen mit Zustimmung der Landes-
zentralbehörden oder der von ihnen bestimmten Behörden zur Herbei-
führung einheitlicher Verkaufspreise für inländische und ausländische
Butter anordnen, daß zu den in der Bekanntmachung über die Fest-
setzung der Grundpreise für Butter und die Preisstellung für den Weiter-
verkauf vom 24. Oktober 1915 (RGBl. S. 705) unter II für inländische
Butter festgesetzten Zuschlägen ein weiterer Zuschlag tritt, insoweit
als dies zur entsprechenden Minderung des Verkaufspreises für aus-
ländische Butter erforderlich ist. Die näheren Bestimmungen, insbesondere
über die Voraussetzungen, unter denen eine Anordnung nach Satz 1 er-
gehen darf, erlassen die Landeszentralbehörden. 2) Die Befugnis, die
den Gemeinden übertragen ist, steht auch Kommunal verbänden sowie
Vereinigungen von Kommunalverbänden, Gemeinden und Gutsbezirken
zu. Die Landeszentralbehörden können die zulässige Anordnung für
ihren Bezirk oder Teile ihres Bezirkes selbst treffen; soweit sie dies
tun, ruht die Befugnis der zu dem Bezirke gehörenden Gemeinden und
Kommunalverbände. Die Landeszentralbehörden können ferner anordnen,
daß die den Gemeinden und den Kommunalverbänden sowie Vereini-
gungen von Kommunalverbänden, Gemeinden und Gutsbezirken über-
tragene Befugnis anstatt durch die Gemeinden und Kommunalverbände
durch deren Vorstand wahrgenommen wird. Für verdorbene Butter ist
der Grundpreis auf 30 M. unter dem Grundpreis für abfallende Ware
für 50 kg, für Margarine desgleichen auf 120 M. und für sonstige ver-
dorbene Speisefette einschließlich Speiseknochenfett auf 175 M. festgesetzt
Miszellen. 727
worden. Beim Weiterverkauf im Großhandel dürfen diesen Preisen nicht
mehr als insgesamt 4 M. für je 50 kg zugeschlagen werden (Bekannt-
machung vom 20. Oktober 1916 — RGBl. S. 1174). Am 25. August 1917
(RGBl. S. 731) wurden neue Butter(Grund)preise (für Berlin) festgesetzt:
für Handelsware I 240 M., II 220 M., abfallende Ware 180 M. Die
Zuschläge für den Weiterverkauf dürfen höchstens betragen für den
Kommunalverband oder die Gemeinde, an welche die Lieferung erfolgt,
12 M, im Großhandel 5 M., im Kleinhandel 13 M. Das V2 kg stellt
sich danach auf 2,65 M. Abweichungen sind zulässig (§ 3).
Die Bekantmachung über den Verkehr mit Margarine vom 9. Sep-
tember 1915 (RGBl. S. 555) erläßt Vorschriften über die Fabrikmarken für
ausländische Margarine im Anschluß an das Gesetz, betreffend den Ver-
kehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmitteln, vom 15. Juni
1897 (RGBl. S. 475). Auf Grund dieses Gesetzes, von dem während
des Krieges Ausnahmen zugelassen werden können (Bekanntmachung
vom 16. Juli 1916, RGBl. S. 751), ist weiter bestimmt worden, daß
bis auf weiteres Kartoffelstärkemehl statt Sesamöl als Erkennungsmittel
für Margarine verwendet werden kann (Bekanntmachung vom 1. Juli
1915 — RGBl. S. 413). Die oben erwähnte Bekanntmachung vom
8. November 1915 wurde später auf Margarine ausgedehnt, über deren
Einfuhr aus dem Auslande in Verbindung damit noch besondere Aus-
führungsbestimmungen erlassen wurden, dergestalt, daß solche Margarine
während des Krieges nur durch die Zentral-Einkaufsgesellschaft in Berlin
in den Verkehr gebracht werden darf (Bekanntmachung vom 12. Januar
1916 — RGBl. S. 25 u. 26), mit einer unwesentlichen Abänderung vom
27. Oktober 1916 — RGBl. S. 1208; dagegen ist aus dem Auslande
eingeführte Margarine von der Lieferung an den Kriegsausschuß für
pflanzliche und tierische Oele und Fette ausgenommen, gemäß Bekannt-
machung vom 4. März 1916 (RGBl. S. 148) mit den Ausführungsbe-
stimmungen dazu vom 8. März 1916 (RGBl. S. 151). Die Verwendung
von Margarine zu technischen Zwecken wurde am 6. Januar und 21. Juli
1916 verboten — Bekanntmachung über das Verbot der Verwendung
von pflanzlichen und tierischen Fetten zu technischen Zwecken — RGBl.
S. 3 und 765.
Wie Margarine so ist auch aus dem Auslande eingeführtes Schmalz
von der Lieferung an den Kriegsausschuß für pflanzliche und tierische
Oele und Fette ausgenommen (Bekanntmachung vom 4. und 8. März 1916,
RGBl. S. 148 und 151), desgleichen von der Beschlagnahme der Ablieferung
(Bekanntmachung vom 20. Juli 1916 — RGBl. S. 755), aber ebenfalls
wie Margarine an die Zentral-Einkaufsgesellschaft in Berlin zu verkaufen
und zu liefern (Bekanntmachung vom 4. März und 27. Juni 1916 —
RGBl. S. 149 und 612).
Schließlich ist noch auf die Bekanntmachung über Rohfette vom
16. März 1916 (RGBl. S. 165) hinzuweisen, die Bestimmungen über das
Schmelzen für Rohfett von Rindvieh und Schafen während des Krieges
erläßt, sowie auf die Bekanntmachung über die Verwertung von Tier-
körpern und Schlachtabfällen vom 29. Juni 1916 (RGBl. S. 631) mit
728 Miszellcn.
einer kleinen Abänderung vom 17. August 1917 (RGBl. S. 715) und
die Bekanntmachung über die Aufstellung von Fettabscheidern während
des Krieges vom 3. Mai 1917 (RGBl. S. 395), die wie die früher er-
wähnten hierfür besonders in Betracht kommenden Verordnungen die
Ausnützung aller Abfälle, die Knochenverwertung, die Verarbeitung von
Speiseresten zu Milchkraftfutter, die Ablieferung der bei Schlachtungen
von Schweinen anfallenden frischen Knochen und alle sonstigen nur mög-
lichen Ausnützungen und Verwertungen zum Ausgleich der Fleisch- und
Fettnot erstrebten.
Nach vielen Versuchen ist es es endlich gelungen, die Fleischver-
ßorgung Deutschlands einheitlich zu regeln, was anfangs fast für un-
möglich gehalten wurde, da auf diesem Gebiete Schwierigkeiten zu über-
winden waren, die nicht einmal die Kaitoffelversorgung, noch viel weniger
die Brotgetreide-, Mehl- und Brotregelung aufwies. Es galt hierbei in
der Hauptsache, den Viehbestand, in Anpassung an die Futtermittel-
vorräte, namentlich den Nutz- und Zuchtviehbestand zu erhalten und
eine gerechte gleichmäßige Fleischverteilung herbeizuführen. Das ist
in vollem Umfange durch die Reichsfleischkarte erreicht, die 250 g,
wie wir näher ausgeführt haben, pro Kopf und Woche gewährt, eine
Menge, die für den menschlichen Bedarf im allgemeinen als ausreichend
bezeichnet werden kann — für Schwer- und Schwerstarbeiter werden
besondere Zulagen gewährt, die bis zu 100 g pro Kopf und Woche
betragen — , zumal das Zusatzfleisch im Sommer 1917 nicht außer acht
gelassen werden darf, und in Ansehung der wieder auf 220 g erhöhten
Brotmenge pro Kopf und Tag; außerdem sind bis zu 80 g Speisefette
pro Kopf und Woche daneben zugebilligt worden. So viel, wie wir früher
Fleisch gegessen haben, ist das nun freilich nicht, wenn man annimmt,
daß im Frieden auf den Kopf der Bevölkerung ein jährlicher Fleisch-
verbrauch von über 50 kg = 1 Ztr. = 100 Pfd. kam, während wir
jetzt nur 250 g.52 = 13000 g = 13 kg = knapp V4 Ztr. = 25 Pfd.
zu essen bekommen, was aber in Anbetracht der Verhältnisse immer
noch gerade genug ist für die menschliche Ernährung, soweit das Fleisch
in Betracht kommt, denn es stehen uns noch andere Nahrungsmittel
in ausreichender Menge zum Ausgleich zur Verfügung, insbesondere Brot,
die sichere Grundlage unserer Kriegsnahrung neben den Kartoffeln,
deren Aussichten für 1917/18 nicht schlecht sind. Dabei ist vor allem zu
bedenken, daß der frühere Fleischverbrauch stark übertrieben war, denn
eine solche Menge ist zur ausreichenden menschlichen Ernährung nicht
erforderlich. Und noch weit in den Krieg hinein brauchten wir uns
keine Beschränkung im Fleischgenusse aufzuerlegen. Erst der Anfang
des dritten Kriegsjahres brachte die Kontingentierung des Fleichver-
brauchs, die immer noch angemessene Rationen zur Verfügung stellt.
Auch die dafür festgesetzten Preise, deren Höhe oben S. 714 mitgeteilt
worden ist, sind durch die allgemeine Regelung der Fleischversorgung
so bemessen worden, daß sie von allen Verbrauchern ohne Schwierig-
keiten getragen werden können. Es ist somit nicht zuviel gesagt, wenn
wir feststellen, daß es mit der langen Dauer des Krieges nunmehr ge-
Miszellen. 729
luDgen ist, auch die FleischversorguDg Deutschlands einheitlich zu ge-
stalten und ihre Durchführung in vollem Umfange zu sichern, wie es
zuerst mit dem Brotgetreide und dann mit den Kartoffeln der Fall ge-
wesen ist, 80 daß nunmehr unsere drei Hauptnahrungsmittel Brot, Kar-
toffeln und Fleisch in das System der modernen Kriegsernährungs-
wirtschaft, die in der öffentlichen Bewirtschaftung ihren zeitgemäßen
Audruck findet, mit Erfolg einbezogen worden sind, so daß die Lebens-
mittelversorgung am Ende des dritten und zu Beginn des vierten Kriegs-
jahres zu einem trefflichen geschlossenen Werke geworden ist, das aus
harter Not heraus auf den Erfahrungen schwerer Kriegsjahre errichtet
werden mußte und uns die sichere Gewähr bietet, wie die oben mehrfach
erwähnte „Kriegsernährungs Wirtschaft 1917" am Schlüsse ausführt, den
Aushungerungskrieg siegreich zu bestehen und so den Erfolg der mili-
tärischen Waffen zu verbürgen.
730
MisKellen.
XVllI.
Die Srotpreise in Berlin in der ersten Hälfte
des vierten Kriegsjahres 1917.
Von Dr. Hans Guradze, Berlin.
In Bd. 53, S. 748 f. dieser „Jahrbücher" habe ich die Brotpreise
in Berlin im dritten Kriegsjahre 1916 besprochen. Im folgenden sollen
sie für die erste Hälfte des vierten Kriegsjahres 1917 gegeben werden.
Sie stellten sich nach Verwiegungen des Statistischen Amtes der Stadt
Berlin für 1 kg in Pfennigen folgendermaßen:
Monat,
1917
1916
Halbjahr
Roggenbrot
Weizenbrot
Roggenbrot
Weizenbrot
Januar
33,81
76,07
40,54
62,43
Februar
3^18
68,15
41,02
62,97
März
42,72
46,45
41,62
62,46
April
42,59
46,72
41,51
63,50
Mai
39,36
43,2*
41,60
63,9s
Juni
39,66
43,79
41,37
63,51
1. Halbjahr
39,05
54,07
41,28
63,16
Es bedarf eigentlich nicht mehr der besonderen Hervorhebung, daß
es sich seit Mai 1915 um Höchstpreise handelt (vgl. auch meine Aus-
führungen in Bd. 52, S. 342). Für Mehl und Getreide liegen keine
weiteren Notierungen vor, als die bereits früher angeführten, nämlich
vom Januar 1915 (Mehl) und vom November 1914 (Getreide). Auch
hier gelten die Höchstpreise. Wie im Jahre 1916, so wird auch 1917
die bis März dauernde Preissteigerung des Roggenbrotes im April unter-
brochen, nur daß im Berichtsjahre der Rückgang auch im Mai anhält;
im Juni ergibt sich dann eine kleine Steigerung. Nicht ganz so verhält
es sich mit dem Weizenbrot. Hier sinkt 1917, wie 1916, der Preis bis
März, steigt etwas im April, fällt — im Gegensatz zu 1916 — im Mai,
um dann wieder im Juni etwas anzuziehen. Der Weizenbrotpreis steht
im Juni 1917 bedeutend unter dem Januarpreis, während der Roggen-
brotpreis gestiegen ist. Beide Sorten haben im ganzen Halbjahres-
durchschnitt 1917 gegen 1916 Preisabnahmen zu verzeichnen, besonders
das Weizenbrot. Für die einzelnen Monate ergeben sich nachstehende
prozentualen Unterschiede der Preise von 1917 gegenüber 1916:
M
iszellen.
781
bei
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Roggenbrot
Weiaenbrot
— i6,«o
+ 21,85
— 11,80
+ 8,23
+ 2,66
— 25,68
+ 2,60
— 26,43
- 5,88
— 32,36
— 4,18
— 31.05
Man bemerkt also bedeutende Spannungsunterschiede zwischen
beiden Brotarten. Betrachtet man das ganze erste Halbjahr 1917
(diesmal also einschließlich Februar), so beläuft sich gegenüber dem
entsprechenden Zeitraum von 1916 (einschließlich Februar) die Abnahme
beim Roggenbrot auf 5,40 Proz., die beim Weizenbrot sogar auf 14,39
Proz. Das Gewicht des Fünfzigpfennigbrotes (Roggenbrot) stellte sich
im Halbjahr Januar bis Juni 1917 auf 1,28 kg, in demselben des Vor-
jahres auf 1,21 kg (beide Male einschließlich Februar). Das diesjährige
Gewicht übertrifft also etwas das vorjährige, was, immer abgesehen von
der Beschaffenheit des Brotes, entschieden günstig ist.
732 lliszellen.
XIX.
Die Einwanderung in die Vereinigten Staaten unter
dem Einfluß des Krieges.
Von Dr. Ernst Schnitze.
Beispiellos in der Geschichte Nordamerikas siod die "WirkuDgen,
die der Krieg auf die Einwanderung dorthin hatte. Seit dem Jahr
1821, mit welchem die Statistik der Union über die Einwanderung
begann, sind bis zum Jahre 1910 allein aus Europa 26 30OC0O Menschen
dorthin eingewandert. Im 20. Jahrhundert stieg die Jahreseinwande-
rungsziffer so außerordentlich, daß sie durchschnittlich rund 900000
Köpfe betrug. Seit 1850 bereits war die Zahl der in jedem Jahrzehnt
in die Union zuströmenden Einwanderer auf mehr als 2 Millionen ge-
stiegen, in den letzten 3 Jahrzehnten vor dem Kriege betrug sie:
1881—1890 5296613
1891—1900 3844420
1901—1910 8795386
Der Krieg hat diesen Zustrom plötzlich beinahe ganz verstopft.
1915 betrug die Zuwanderung nur noch 243370 Köpfe, der eine Rück-
Wanderung von 271 138 Menschen gegenüberstand, so daß sich ein
Abwanderungsverlust von beinahe 30000 Köpfen ergab. 1916
betrug die Ziffer der Einwanderer 176 611, die der Rückwanderer
169 578, so daß ein ganz kleiner Gewinn vorhanden war. Im Fiskal-
jahr 1917 (Juli 1916 bis Juni 1917) scheint er etwas größer werden
zu sollen. Jedenfalls sind aber die Zahlen unerheblich, die Einwande-
rungskurve ist seit 1915 scharf gebrochen.
Nach Kalenderjahren betrug die Einwanderung (nach Brad-
street's) :
1905 1064778 1911 782545
1906 I 158 140 1912 1026360
1907 I 321 170 1913 1387 318
1908 410289 1914 688495
1909 957105 1915 285678
1910 1 071 885 1916 355587
Mithin war die Einwanderungsziffer sowohl 1915 wie 1916 be-
deutend niedriger als in dem Jahre der schweren Wirtschaftskrise 1908,
obwohl damals die schärfste Arbeitslosigkeit herrschte, während jetzt
außerordentlicher Bedarf an Arbeitskräften vorhanden ist
und die Löhne so hoch gestiegen sind wie nie zuvor. Bekanntlich
überstieg die Ausfuhr der Union die Einfuhr in den beiden ersten
Kriegsjahren zusammen um nicht weniger als 7 Milliarden M. Nach
anfänglichem Sträuben erklärten sich die Arbeitgeber daher zu betracht-
lichen Lohnerhöhungen bereit. Sie waren dazu einfach gezwungen
durch den bedrohliche Formen annehmcEden Arbeitermangel. Als
Beispiel sei erwähnt, was die „Evening Post" (New York) bereits am
Miszelleu.
733
28. Mai 1915 schreibt: eine Maschinenwerkzeugfabrik habe, obwohl
sie zur Besetzung von 4 Aufseherstellen an 60 in ihren Listen vor-
gemerkte Personen schrieb, nicht einen einzigen Bewerber finden
können.
Vor allem ist Mangel an gelernten Arbeitern ein-
getreten. Man hatte versucht, ihm dadurch abzuhelfen, um auch un-
gelernte Arbeiter beschäftigen zu können, daß man die Arbeitsteilung
noch weiter trieb. Indessen waren die Ergebnisse in der Regel sehr
wenig befriedigend, so daß ein „beunruhigendes" Maß von Aufsicht
nötig war. Bald jedoch mangelten Arbeitskräfte auch für unge-
lernte Arbeiten. Blieben doch, da alle Großmächte Europas in
den Krieg verwickelt waren, die Hunderttausende williger Arbeits-
kräfte aus, die sonst von Italien, dem Balkan und Rußland nach Nord-
amerika wanderten.
Gerade die europäische Einwanderung ging außerordent-
lich stark zurück: sie betrug im Kalenderjahr 1915 nur den 4. Teil
derer des Vorjahres, und die Küokwanderung war so groß, daß sie die
Zuwanderung überstieg. Die Zahlen für Ein- und Abwanderung über
den New Yorker Hafen lauten für die europäischen Länder:
Zuwanderung
Abwanderung
Nationalität
1914
Anzahl
1915
Anzahl
1914
Anzahl
1915
Anzahl
Oesterreich
43632
2372
25494
172
Ungarn
63716
1270
27398
486
Belgien
3738
I 610
834
47
Bulgarien, Serbien und Montenegro
5415
1057
2 142
1173
Dänemark
4 474
2878
491
431
Frankreich (mit Corsica)
5951
4208
5786
2327
Deutsches Reich
16774
2401
3425
494
Griechenland
32091
16048
II 324
6804
Italien (mit Sizilien und Sardinien)
120 913
28 130
90197
85925
Niederlande
4871
2855
791
404
Norwegen
7560
5503
1697
1229
Portugal (mit Cap Verde und den
Azoren)
I 270
1358
918
470
Rumänien
1990
104
334
92
Rußland und Finnland
74983
3660
35142
8063
Spanien (mit den Kanarischen
Inseln und den Balearen)
3088
2494
1682
2490
Schweden
7857
5217
1473
1004
Schweiz
2792
1038
455
220
Europäische Türkei
2054
359
1199
41
Großbritannien:
England
20067
13 517
5672
6692
Irland
13849
II 515
2480
1419
Schottland
5 266
2512
I 652
1491
Wales
I 144
535
155
146
Andere europäische Länder
I 132
994
25
84
Ganz Europa
444657
111635
220 766
121 704I)
1) 58. Annual Report of the Coporation of the Chamber of Commerce of the
State of New York for the year 1915/16, New York 1916, second Part., c. 232
und 233.
734 Ifiszellen.
Zusammen mit der Ein- und Abwanderung der übrigen Weltteile,
die im Verhältnis zu der europäischen unerheblich ist, ergeben sich
für die Einwanderung und Eückwanderung über den New Yorker Hafen
für die Kalenderjahre:
1914 1915
Zuwanderung 467 926 127 195
Abwanderung 226402 126 100
Ueberschuß der Zuwanderung über
die Rückwanderung -f* 241 534 -f- 1 095
Auf die Einwanderung aus Europa und die Rückwanderung
dorthin entfallen von diesen Ziffern folgende Menschenmengen:
1914 1915
Zuwanderung 444657 111635
Abwanderung 220766 121 704
Endergebnis +223891 — IG 069
In den ersten 21 Monaten des Krieges wanderten in die
Vereinigten Staaten nur 503 364 Menschen ein, während die Vergleichs-
zahl für die 21 Monate vor dem Kriege 2102 360 betragen hatte. Die
Vereinigten Staaten, die an starke Einwanderung gewöhnt sind, weil sie
sie für die Ausdehnung ihrer wirtschaftlichen Unternehmungen dringend
nötig haben, wurden daher von einem Arbeitermangel bedroht,
der um so schärfer in die Erscheinung treten mußte, als die riesigen
Ziffern des Ausfuhrhandels ebenso wie die gewaltigen Beträge noch
unerledigter Aufträge jede Arbeitskraft unentbehrlich machten.
Merkwürdigerweise erkannte man jedoch in Nordamerika diesen
Zusammenhang lange Zeit hindurch nicht oder war sich nicht darüber
klar, daß man danach seine Stellung zu der Einwanderungsfrage be-
stimmen mußte. Vielmehr wurde im Dezember 1916 vom Kongreß
ein die Einwanderung hemmendes Gesetz angenommen, das die
Unterschrift des Präsidenten Wilson erhielt, während sein Vorgänger
Taft ähnliche Gesetze stets mit seinem Veto belegt hatte.
Die Hauptbestimmungen sind folgende: Für Einwanderer, die
nicht Schutz vor religiösen Verfolgungen ihres letzten Wohnlandes
suchen — diese Bestimmung zum Schutz der russischen und rumänischen
Juden wurde durch die Aufhebung der russischen Juden gesetze zum Teil
hinfällig — müssen vor den Einwanderungsinspektoren eine Leseprüfung
in irgendeiner Sprache oder Mundart, die der Einwanderer zu wählen hat,
ablegen. Die ausgesprochene Absicht ist, einen großen Teil der balkansla-
vischen, italienischen und russischen Einwanderer auszuschalten. Man
glaubt, daß die Einwanderung gegenüber den letzten Friedensjahren infolge-
dessen um 100 000 Köpfe jährlich geringer sein werde. Voraussichtlich wird
die Zahl der Ausgeschlossenen oder vielmehr schon aus Furcht, ausge-
schlossen zu werden, Fernbleibenden viel größer sein ; und zwar werden
gerade solche Menschen zum großen Teil fernbleiben, die für Landwirt-
schaft oder Eisenbahnstreckenbau, Bergwerke und Hochöfen, endlich
für persönliche Dienstleistungen in Betracht zu kommen pflegten. Viele
dieser Berufe werden schlecht entlohnt und daher von den eingeborenen
Amerikanern verschmäht. — Ferner erhöht das neue Einwandemngsge-
MiBiellen. 735
setz die Kopfsteuer, die jeder Einwanderer zu zahlen hat, von 4 auf
8 $; das Einwanderungsschiff ist dafür haftbar. Ausgeschlossen von
der Einwanderung sind Geistesgestörte, Personen, die an besonderen
Gebrechen leiden, Arbeiter, die durch Vertrag verpflichtet sind, Kinder
unter 16 Jahren ohne Begleitung ihrer Eltern und — Personen, die
sich des gewaltsamen Umsturzes einer Regierung schuldig gemacht
haben! Dem Wortlaut dieses Gesetzes nach, das selbstverständlich
sobald es den amerikanischen Behörden paßt, nicht zur Anwendung
gelangen wird, dürfte weder Kerenski noch General Kornilow in die
Vereinigten Staaten zugelassen werden.
Am 1. Mai 1917 trat dieses verschärfte Einwanderungsgesetz
in Kraft. Nun freilich wurden Stimmen laut, die darauf hinwiesen,
daß es auf die gegenwärtige Wirtschaftslage passe wie die Faust aufs
Auge. So schrieb die „National City Bank" in New York, die die
Förderung des Auslandhandels zu ihrer besonderen Aufgabe gemacht
hat, in ihrem Rundschreiben vom 17. März 1917:
^Unser Kapitalbestand wächst schnell, er kann aber ohne zuneh-
mende Arbeitskräfte nicht verwendet werden, und wenn wir diese hier
nicht erhalten können, wird das Kapital dorthin gehen, wo Arbeits-
kräfte vorhanden sind. Das bedeutet, daß wir durch unsere eigene
Gesetzgebung denjenigen Machtfaktoren Vorschub leisten, die nach Be-
endigung des Krieges die Goldausfuhr von hier fördern, und daß wir
durch den Ausschluß der Arbeitskräfte und durch die Kapitalausfuhr
den europäischen Industrien helfen, mit unseren eige-
nen in Wettbewerb zu treten."
Von allen Seiten suchen die Vereinigten Staaten letzthin Ein-
wanderer heranzuziehen, soweit dies auf Grund der bestehenden Ge-
setze möglich ist; die Ankömmlinge dürfen also — von den geschilderten
und anderen Bestimmungen abgesehen — nicht mit einem festen Ver-
trage in der Tasche einwandern.
Es gab eigentlich nur eine Quelle, aus der man Menschen be-
ziehen konnte, die diesen Vorschriften genügte : man mußte die nach
Kanada ausgewanderten Nordamerikaner wieder ins eigene Land zu-
rückrufen. Freilich schädigte man dadurch wiederum den Handel mit
dem nördlichen Nachbarn, dessen Kaufkraft dadurch sinken mußte.
Dennoch blieb die Zuwanderung aus Kanada gering — ja in umge-
kehrter Richtung vollzieht sich eine Bewegung, die den Vereinigten
Staaten nun noch weitere Arbeitskräfte entzieht: seit dem 1. April
1913 sind bis zum 31. März 1917 nicht weniger als 57 000 Kanadier
aus der Union in ihre H eimat zurückgewandert und zwar i) :
1913/14
17638
1914/15
18011
1915/16
II 084
1916/17
10246
Die Kanadier, die länger als ein Menschenalter zu den billigsten
Arbeitskräften in den Vereinigten Staaten gehörten, ziehen nun, da
1) „Financial Time«" vom 21. Juni 1917.
736 Miszellen.
ihnen die Heimat infolge der Kriegsverhältnisse ebenfalls günstige
Lohnbedingungen bietet, vor, dort zu arbeiten. So ist denn auch die
Einwanderung aus Kanada, die früher recht bedeutend war,
so gesunken, daß sie in den letzten Anschreibungen der Union über-
haupt nicht mehr aufgeführt wird! —
Der Arbeitermangel in den Vereinigten Sftaten hat sich so emp-
findlich gestaltet, daß nun drei merkwürdige Erscheinungen zu
beobachten sind: Negerbinnen Wanderungen, die lebhafte Beunruhigungen
erzeugen ; eine Wiederbelebung der Einwanderung trotz Schiffsraum-
mangel und Weltkrieg ; und endlich — das Allerunwahrscheinlichste —
der dringend geäußerte Wunsch, chinesische uud japanische Arbeiter
einzuführen !
Negerwanderungen von Süden nach Norden hat es in Nord-
amerika schon zweimal gegeben. Das erste Mal geschah dies während
der letzten Jahre des Bestehens der Sklaverei, da sich in den Schwarzen
der Wunsch regte, sich aus ihrem unwürdigen Zustande zu befreien;
die Kühneren unter ihnen flohen daher über die Grenzlinie der süd-
lichen (Sklaven-) zu den nördlichen (Freiboden-)Staaten, wo sie in der
Regel freiwillige Helfer fanden, um heimlich, meistens des Nachts,
weiterbefördert und auf dieser „unterirdischen Eisenbahn" über die
kanadische Grenze geschafft zu werden, wo sie endlich in Sicherheit
waren. Als dann durch den Bürgerkrieg die Befreiung der Sklaven
erfolgt war, versuchten manche Neger ihr Glück im Norden. Theore-
tisch herrschte ja fortan Freizügigkeit. Indessen ergab sich bald, daß
die Schwarzen, weil ihnen infolge der schulfeindlichen Gesetze des
Südens unmöglich zu sein pflegte, auch nur die einfachste Bildung zu
erringen, es in den meisten Berufsarten des Nordens nicht mit den
Weißen aufnehmen konnten. Jede Binnenwanderung hörte daher bald
auf; großen Umfang nahm sie niemals an. Jedenfalls wünschte man
einen solchen Zustrom schwarzer Arbeitskräfte im Norden auch keines-
wegs. Die Arbeiterkreise wollten nicht unterboten werden, und die
Weißen mochten im allgemeinen keine Negerstadtteile in ihren Städten
aufkommen sehen. Wo die Schwarzen in größerer Zahl auftraten, da
kam es zuweilen auch im Norden zu bösen Auftritten. Im Jahre 1863,
mitten im Bürgerkrieg, brach in der Stadt New York ein Pöbelauf-
ruhr los, der sich zu einem Teile gegen die damals verkündete Wehr-
pflicht, zum anderen gegen die Neger richtete, die man als die Ursache
des Krieges betrachtete. Tagelang wütete der Aufruhr, in dem zahl-
loses Eigentum zerstört und viele Menschen ermordet wurden. Weit
über 100 Neger, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen,
mußten ihre Hautfarbe mit dem Leben büßen, viele von ihnen unter
den Qualen, an deren Ausübung der weiße Pöbel in Nordamerika bei
Lynchmorden seine Freude hat.
Zu ähnlichen Auftritten ist es jetzt gekommen, zumal in St. Louis.
Dem Weißen ist der Strom von Negern, der sich aus dem Süden in
den Norden ergießt, weil es dort an Arbeitskräften mangelt, verhaßt.
Er glaubt sich berechtigt, jede Gewalttat gegen die Schwarzen anzu-
wenden, auch wenn sie völlig unschuldig sind. Daß solche Greueltaten
Miszellen.
737
Andererseits die Negerwauderungen nicht zum Stehen bringen, bedarf
kaum der Erwähnung.
Die zweite Folge der gegenwärtigen Zwangslage ist ein leises
Anschwellen der Einwanderung. Freilich sind die Ziffern nicht
eben bedeutend gestiegen. Gleichzeitig aber ist die Rückwanderung
gesunken, so daß der Wanderungsgewinn letzthin um mehr als 50 Proz.
größer war als im Vorjahre. Die letzten mir bekannten Ziffern sind
die für die 10 Monate August 1916 bis Mai 1917 verglichen mit denen
des Vorjahres. An der Einwanderung in die Vereinigten Staaten waren
beteiligt ^) :
August 1915
August 1916
bis Mai 1916
bis Mai 1917
Afrikanische Neger
3 933
7028
Armenier
858
I 193
Böhmen und Mähren
596
314
Bulgaren, Serben und Montenegriner
2841
1088
Chinesen
2068
1703
Kroaten und Slowenen
758
302
Cubiiner
2944
3 190
Dal m alier, Bosnier und Herzego winer
HO
92
Holländer und Flamen
5828
5047
Ostindier
73
68
Engländer
33152
31025
Finnen
5190
5569
Franzosen
17625
23822
Deutsche
10714
9486
Griechen
23001
23668
Hebräer
13816
16590
Iren
18513
17059
Norditaliener
4481
3 733
Südilaliener
2853s
34600
Japaner
7 737
8029
Koreaner
153
195
Litauer
560
465
Magyaren
938
431
Mexikaner
16 128
16352
Inselbewohner des Stillen Meeres
5
8
Polen
4042
3070
Portugiesen
II 493
9844
Rumänen
879
502
Russen
4 539
3 574
Ruthenen
1277
I 209
Skandinavier
17 361
18052
Schotten
12 227
12952
Slovaken
562
244
Spanier
7905
14003
Spanisch- Amerikaner
I 614
2333
Syrier
621
965
Türken
178
451
Walliser
911
764
Westindier (ausgenommen Cubaner)
791
1223
Verschiedene
3105
2065
Zusammen
268 062
284 ^08
Abwanderung aus den Vereinigten Staaten
123404
58815
Tatsächlicher Gewinn ~
144 658
225 493
1) Die amerikanische Statistik nennt die „Rassen", nicht die Auswanderungsländer.
Jahrb. f. Nationaiök. u. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. 54). 47
738
MiBsellen.
Sogar die Abneigung gegen die chinesische and japanischt
Einwanderung beginnt unter dem Druck der WirtschaftBlage e«
weichen! Machte doch am 20. April 1917 der Ausschuß des „New
York Board of Trade and Transportation" den Inhalt eines Gesetz-
entwurfes bekannt, durch den der Kongreß den Pjäsidenten ermächtigen
soll, für die Dauer des Krieges alle Beschränkungen der
Einwanderung aufzuheben. Die ausgesprochene Absicht ist,
für die Bedürfnisse der amerikanischen Landwirtschaft chinesische und
japanische Arbeiter heranzuziehen. In den Arbeiterkreisen der Union
hat diese Absicht allerdings große Aufregung verursacht und heftigen
Einspruch zur Folge gehabt. 8o beschloß die „Central Federated Union*
gemeinschaftlich mit der „American Federation of Labour" gegen diesen
Gesetzentwurf zu kämpfen. Immerhin ist der Vorgang, der bis vor
kurzem zu den unmöglichen Dingen gehört haben würde, lehrreich.
Auch sonst entstehen abenteuerliche Pläne, um dem Menschen-
mangel in der Union abzuhelfen. Beispielsweise hat der amerikanische
Straßenbau- Verband bei der Unionsregierung angeregt: sie möge deut-
sche Kriegsgefangene aus England und Frankreich nach
den Vereinigten Staaten überführen, um dort bei Wegebauten
verwendet zu werden. Die „New York Times", die dies unter dem
27. Mai 1917 berichtet, meint, die Annahme des Planes liege nahe
„Schon vor 100 Jahren haben Kriegsgefangene deutscher Abkunft in
den Vereinigten Staaten ähnliche Arbeiten ausgeführt, nach deren Elr-
ledigung sie sich in Amerika niedergelassen haben und wertvolle Bürger
der Vereinigten Staaten geworden sind. Bei dem in den Vereinigten
Staaten gegenwärtig herrschenden Arbeitermangel könnten die in Eng-
land und Frankreich nicht gebrauchten deutschen Kriegsgefangenen in
Amerika sehr gut verwendet werden. Natürlich müsse die Behandlung
eine derartige sein, daß sich die Gefangenen auch dazu entschließen
würden, nach Schluß des Krieges in den Vereinigten Staaten zu ver-
bleiben und dort das Bürgerrecht zu erwerben. Auf diese Weise könne
den Deutschen auch die Auffassung des Präsidenten Wilson recht deut-
lich vor Augen geführt werden, wonach der Krieg der Vereinigten
Staaten nicht gegen das deutsche Volk, sondern ausschließlich gegen
die deutsche Regierung geführt wird."
Jedenfalls ist die nordamerikanische Einwandernngsfrage in einen
kritischen Zeitraum eingetreten. Wie sie sich nach dem Kriege
gestaltet, hängt nicht zum mindesten von dem Weitblick und der Tat-
kraft ab, mit denen man in den europäischen Ländern eine wieder-
aufbauende Wirtschaftspolitik treiben wird. (Q C)
Miasellen. 739
XX.
Prankreichs Bodenproduktion 1911—1916.
Von Dora Breves (Hanooyer).
Mit 3 Kurven im Text.
Vor kurzem!) ging eine Nachricht durch die deutsche Presse, der
infolge der französische Ernährungsminister im Parlament die Herab-
«etzung der Brotration auf 150 — 200 g pro Kopf und Tag in Aussicht
stellte. Wenn auch solchen Nachrichten, die uns schon öfter aus Fiank-
reich und England berichtet worden sind, aber vielfach in amtlichen
Maßnahmen keine tatsächliche Bestätigung gefunden haben, wenig
Vertrauen entgegenzubringen ist, so fällt doch unzweifelhaft die Tat-
sache daran auf, daß in diesem Falle eine schwerwiegende Notlage
überhaupt erst solche Vorstellungen ermöglicht haben muß. Frankreich
— im Gegensatz zu Deutschland — konnte schon unter den normalen
Verbrauchsbedingungen des Friedens den allergrößten Teil, bei guten
Ernten sogar die Gesamtheit des eigenen Bedarfes an Agrarprodukten
ans eigenen Erzeugnissen decken.
Wenn sich daher Frankreich heute in einer Brotfruchtkrisis be-
findet, so müssen zwei Umstände dabei mitwirken: Erschwerung
derEinfuhr aus Uebersee und das Versagen der eigenen
Produktion. Der erste Faktor wird einmal durch die Versenkung
feindlicher und neutraler Schiffe und dann ferner durch die schlechte
amerikanische Ernte bestimmt. Für die Bedeutung des zweiten Faktors
sollen die nachstehenden Angaben — aus dem Bulletin de la Statistique
generale de la France et du Service d'Observation des Prix (Janvier
1917)*) zusammengestellt und verarbeitet — ein Beleg sein. In dieser
französischen Veröffentlichung liegen die endgültigen Flächen- und
Ertragsziffem für die wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte in den
Jahren 1911 — 1915 und die provisorischen Ziffern für das Jahr 1916 vor.
Es betrugen für Weizen die bestellte Fläche in Hektar und der
Ertrag in 1000 Zentner und in Zentner pro Hektar:
Weizen 1911 1912 1913 1914 1915 1916
bestellte Fläche in 1000 ha 6433 6572 6542 6060 5489 5205
Ertrag in 1000 Ztr. 87727 90992 96919 76936 60630 58411
Urtrag des Hektar in Zentner 12,1 13,9 14,8 12,7 11,0 11,0
Da bekanntlich ein gewisses Ersatzverhältnis der wichtigsten land-
wirtschaftlichen Erzeugnisse in ihrer Bedeutung für die gesamte mensch-
1) Mitte Oktober 1917.
2) Abgedrucktim »»Weltwirtschaftliehen Arohiv", Bd. 11, 1917, Heft 2, 8. 191 ff.
47*
740
liisiellen.
liebe ErnahrnDg besteht, sollen hier nocb dieselben Ziffern für Roggen,
Hafer (Hafermehl und Haferpräparate!) und Speisekartoffeln angeführt
werden :
Roggen
1911
1912
1913
1914
1915
1916
bestellte Flache in 1000 ha
Ertrag in 1000 Ztr.
Ertrag in Zentner pro Hektar
I 174
II 875
10,1
I 202
12382
io,s
1176
12715
10,8
1058
11147
10,6
8420
9,0
921
9166
9.»
Hafer
bestellte Fläche in 1000 ha
Ertrag in 1000 Ztr.
Ertrag in Zentner pro Hektar
3991
50694
12,7
3982
51542
12,9
3 979
51826
13,0
3591
46 206
12,9
3263
34626
10,6
41 280
i3i»
Speisekartoffeln
bestellte Fläche in 1000 ha
Ertrag in 1000 Ztr.
Ertrag in Zentner pro Hektar
1559
127 747
82,2
1563
150252
96,1
1548
135 860
87,7
1 488
119 927
80,6
1345
93991
69,9
1304
91 311
69.t
Bei Betrachtung der absoluten Zahlen — jeweils der beiden ersten
Reihen — ist zu beachten, daß die Rückgänge außer durch andere
Ursachen auch weseotlich durch unsere Besetzung der für die land-
wirtschaftliche Erzeugung Frankreichs sehr bedeutsamen nördlichen
und nordöstlichen Departements bedingt sind. Dieser störende Faktor
scheidet aber bei der "Vergleichung der relativen Werte des Hektar-
ertrages und bei den Veränderungen von 1914 auf 1915 und 1916 au8.
Um alle obigen Zahlen anschaulich darzustellen und in ihrer rela-
tiven und gegenseitigen Bedeutung richtig würdigen zu können, sollen
sie in den nachstehenden Kurvenbildern dargestellt werden. Um die
weit auseinanderfallenden Zahlenwerte im Rahmen eines kleineren
Koordinatensystems verarbeiten zu können, ist jeweils der Wert von
1911 als Einheit gesetzt worden. Es bedeuten in den Figuren 1 — 3
die römischen Zahlen 1 = Weizen, II = Eoggen, 111 = Hafer und IV
= Speisekartoffeln.
1.10
0.70
0.60
1911
1912
1913
1914
1916
Fig. 1. Wandlung der Größe der mit Weizen, Roggen, Hafer und Speisekartoffe!».
bestellten französischen Ackerfläche 1911—1916. Kurve 1 = , 11= /
Misxellen.
741
1.20f
0.601
1911
1912
1913
1914
1915
1916
7!g. 2. Wandlung des absoluten Ertrages der französischen Ackerfläche an Weizen,
Boggen, Hafer und Speisekartoffeln 1911—1916. Kurve I = ,11= ,
111 = , IV = .
1911
1912
1913
1914 1915 1916
Fig. 3. Wandlung des Hektarertrages der mit Weizen, Boggen, Hafer und Speise-
kartoffeln bestellten französischen BodenfJäche 1911—1916. Kurve 1= , 11 = ,
III = , IV = .
Aus diesen Darstellungen können wir im allgemeinen — abgesehen
also von Einzelzügen, wie die auf Englands Verlangen im Jahre 1916
mit Hochdruck aufgenommene Haferproduktion — folgendes entuehmen:
I. Die bestellte Bodenfläche ging infolge unserer Besetzung wich-
tiger landwirtschaftlicher Bezirke und infolge eines (auch in den Kammer-
742 Missellen.
debatten wiederholt erwähnten) Mangels an Arbeitskräften um 15 bis
20 Proz. zurück.
II. Der absolute Bodenertrag ging bei Weizen und Kartoffeln um
etwa 30 Proz., und bei Hafer und Roggen um etwa 20 — 23 Pro«,
zurück.
III. Die durchschnittliche Ertragfähigkeit des mit den obenerwähnten
Produkten bestellten Bodens, der in den Jahren 1915 und 1916 in
französischem Besitz verblieben war, war außerdem um 16 Proz. geringer
als der Durchschnitt der Ertragfähigkeit des ganzen so bestellten franzö-
sischen Bodens in den Jahren 1911 — 1913.
Die sich ergänzenden Angaben zu II und III lassen es ohne weiteres
verständlich erscheinen, warum Frankreich am Ende dieses Jahres, das
keine Besserung, sondern durch mäßige Ernteverhältnisse in Frankreich
und in Uebersee nur eine Verschlimmerung der ohnedies schon nach-
weisbaren Schwierigkeiten gebracht hat, zur scharfen Rationierung wird
schreiten müssen. Vielleicht hat man am Ende noch mehr von Frank-
reichs als von Englands Nahrungsmittelschwierigkeiten für einen bal-
digen Friedensschluß zu erwarten. Die englische Zähigkeit leistet vor-
aussichtlich mehr im beherrschten Ertragen physischer Entbehrungen
als das romanische Temperament.
Uebcraicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 743
XTebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
jL Oesoliiclita der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. SpeiieUe
theoretische Untersnchang-en.
Vogel, Emanuel Hugo, Die Theorie des volkswirtschaftlichen
Entwicklungsprozesses und das Krisenproblem. Mit besonderer Be-
rücksichtigung der englischen Wirtschaftsentwicklung bis zum Ausbruche
des Weltkrieges im Jahr 1914. Mit 4 Tabellen und 2 Kurventafeln.
Wien und Leipzig (Alfred Holder) 1917. S». X u. 400 SS. (Preis:
M. 10).
„Die vorliegende Arbeit ist vom Krisenphänomen als ihrem ur-
sprünglichen und speziellen Untersuchungsobjekte ausgegangen und in
weiterer Verfolgung dieser Aufgabe dazu gelangt, das Entwicklungs-
problem als die allgemeine Grundfrage des Lebensprozesses jeder Volks-
wirtschaft in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung zu stellen", sagt der
Verf. im Vorwort. Da „das Krisenproblem nur eine Teilerscheinung
im Komplex des volkswirtschaftlichen Geschehens ist, sollte der Ver-
snob gemacht werden, die gesamten unter dem Einfluß der Entwicklung
sich vollziehenden Bewegungserscheinungen des Wirtschaftsprozesses . .
KO durchforschen" usw. „Ich habe in dieser Arbeit vor allem das eine
theoretische und allgemein wissenschaftliche Ziel verfolgt, die meines
Erachtens in der neueren nationalökonomischen Literatur als Grund-
frage (?) jeder wirtschaftstheoretischen Betrachtung viel zu wenig be-
achtete und als selbständiges Problem nur ganz ungenügend bearbeitete
Entwicklungserscheinung einmal selbst in den Mittelpunkt der
Untersuchung zu stellen."
Nach diesem Plan wäre es logisch gewesen, den Begriff der Ent-
wicklung im Wirtschaftsleben und das Problem als solches an den
Anfang zu stellen. Die diesbezüglichen Erörterungen finden sich aber
erst S. 310 ff. Voraus geht ihnen der L Teil mit den Abschnitten :
die Krisenerscheinung, ihre Ursachen und Kategorien; die Krisen-
erscheinungen und der Verlauf der Volkswirtschaft in England; das
Problem des Gleichgewichts und seine Störungen in der theoretischen
Nationalökonomie; Statik und Dynamik als Grundtatsachen der Volks-
wirtschaft. Ferner aber ein großes Kapitel: „Die dem Entwicklungs-
begriff zugrunde liegenden elementaren Tatsachen".
Der Verf. hat also frühere spezielle Studien an den Anfang seines
Werkes gestellt und dabei auch eine ältere Arbeit über die Krisen in
England verwertet. Diese Behandlung des Gegenstandes ist von Uebel
in einem Buche, das sich als wirtschaftliche Theorie bezeichnet.
Denn Theorie — mit dem Worte wird allerdings seit den Zeiten der
historischen Schule in der Nationalökonomie ein ungeheurer Mißbrauch
744 Ueberaicht aber die neuesten Pablikationen Deutechlands and des A
getrieben — ißt die Erklärung einer Erscheinung aus den allgemeinsten
Begriffen einer Wissenschaft. An Klarheit darüber aber fehlt es dem
Verf. entsprechend dem Zustande der heutigen Nationalökonomie. Um
eine Theorie des volkswirtschaftlichen Entwicklungsprozesses" zu liefern,
hätte vor allem erörtert werden müssen, was Entwicklung und
was Wirtschaft ist. Auf das Wesen der Wirtschaft kommt Vogel
nur sehr gelegentlich in dem Kapitel: Die dem Entwicklungsbegriff
zugrunde liegenden elementaren Tatsachen. Er unterscheidet (8. 237):
1. individualwirtschaftliche Entwicklungstatsachen,
a) primäre, b) sekundäre in einer ausgebildeten verkehrswirtschafi-
lich organisierten Volkswirtschaft;
2. gesellschaftswirtschaftliche Entwicklungstatsachen ,
a) auf individualistischer Grundlage,
b) auf kollektivistischer (gesamtwirtschaftlicher) Grundlage;
3. außerwirtschaftliche Entwicklungstatsachen.
Unter den „primären individualwirtschaftlichen Tatsachen der Ent-
wicklung" wird eingehend über die „Bedürfnisse", nebenbei aber auch
über „das wirtschaftliche Handeln", „das Handeln nach dem wirtschaft-
lichen Prinzip" gesprochen. Leider ignoriert der Verf. meine diesbezüg-
lichen Aufsätze und die ganze neuere Literatur über diese Grundfrage und
kommt daher über die üblichen Unklarheiten der bisherigen materialisti-
schen Auffassung nicht heraus und zu keiner Entscheidung der Frage, ob
das Wirtschaften materialistisch- quantitativ als „Sachgüterbeschaffuog",
oder ob der „Erfolg" psychisch aufzufassen ist. Ja, nicht einmal zu dem
Grundproblem wird Stellung genommen, ob der Tauschverkehr, die
„Volkswirtschaft", nun selbst eine Wirtschaft sei oder ob nicht alles
Wirtschaften sich nur individuell (natürlich unter Umständen auch ge-
meinsam) vollzieht. Gelegentlich sagt Vogel sogar (S. 5): „gerade in
ihrem Entwicklungsleben (?) offenbarte sich die Volkswirtschaft als ein
ethisch-soziales Zweckgebilde, das nur im Zusammenhange
mit seinen rechtlichen, gesellschaftlichen und historisch gewordenen
Organisationsbedingungen beurteilt werden kann." Zu der damit auf-
geworfenen methodologischen Grundfrage, die von mir in diesen „Jahr-
büchern" im Gegensatz zu der Stammler- Stolzmann-Diehlschen Auffassung
eingehend behandelt worden ist , nimmt er aber gar keine Stellung.
Daher bleibt seine grundlegende Auffassung der Wirtschaft unklar,
d. h. es rächt sich hier die allgemeine Unklarheit über diese Probleme.
Nur infolge dieser Unklarheit ist überhaupt das ganze Schema des
Verf. von den Entwicklungstatsachen möglich. Neben den Bedürfnissen
und dem Gewinnstreben, die nicht ganz mit Unrecht als primäre Ent-
wicklungtatsachen , mit einem Worte als Voraussetzung des Tausch-
verkehrs, dessen Organisation zu eiklären ist, hingestellt werden, werden
als sekundäre individualwirtschaftliche Entwicklungstatsachen ge-
nannt: der Unternehmerbegriff und das Kapital. Bei letzterem Begriff
schwankt der Verf. naturgemäß zwischen der technisch- materialistischen
Auffassung und der geldlichen.
Als „gesellschaftswirtschaftliche Entwicklungstatsachen auf indivi-
dualistischer Grundlage" werden dann behandelt: „der wechselseitige
üebersicht aber die neuesten Publikationen Deutschlands and des Auslandes. 7411
Wettbewerb", die Arbeitsvereiniguog, die gesellschaftliche Unternehmung
und die Assoziation der Arbeiter und Unternehmer, wobei die Kon-
xentrafion der Kreditbanken, die Zentralisierung der Notenbanken und
die Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaften eine besondere Be-
sprechung erhalten.
Unter dem Schlagwort: „die auf kollektivistischer Grundlage er-
wachsenen gesellschafts wirtschaftlichen Entwicklungstatsachen" wird gan»
einfach die Wirtschaftspolitik behandelt. Dabei teilt der Verf. did
häufig vertretene Auffassung, daß ein Staatsmonopol eine ganz besonder»
Art von Wirtschaft und Wirtschaftsordnung sei ; es fehlt wegen der Un-
klarheit über die Grundlagen des Tauschverkehrs die Vorstellung, daft
Staatsmonopole doch auch nur in den durch Gewinnerzielung organisier-
ten Mechanismus des Tauschverkehrs hineingestellte Erwerbswirtschaften
sind, die an die Preisbildung des freien Verkehrs anknüpfen.
Im ganzen ist natürlich die Gegenüberstellung von individual wirt-
schaftlichen und gesellschaftswirtschaftlichen Entwicklungstatsachen ab-
zulehnen. Alle individualwirtschaftlichen Erscheinungen von den Bedürf-
nissen bis zum Kapital sind für die Wirtschaftstheorie und für di©
Erklärung der Probleme des Tauschverkehrs zugleich auch gesellschafts-
wirtschaftliche, weil eben die Probleme des Tauschverkehrs nur durch
Zurückgehen auf die individuellen Erwägungen zu erklären sind.
Während so leider die wirklichen Grundprobleme der Wirtschafts-
theorie, die Fragen nach dem Wesen der Wirtschaft und des Tausch-
verkehrs übergangen werden, weil das bisher immer geschehen ist, wird
einem künstlich geschaffenen Problem: der Frage Statik und Dy-
namik im Wirtschaftsleben eingehendste Behandlung zuteil (S. 166.
bis 234). Verf. besitzt immerhin so viel Beobachtungsgabe und Wirk-
lichkeitssinn, um zu erkennen, daß bereits diese grundlegenden Begriff»
von „Wirtschaft", „wirtschaftlichem Handeln", „Wirtschaftsleben",
^wirtschaftlichem Prinzip" ihrem Wesen nach dynamischen Charak-
ters sind, da das ihnen innewohnende Element des Gewinnstrebens bereits
den Impuls zur Veränderung, Erweiterung der Güterversorgung, Er-
zielung eines Mehrwertes über die Kosten der Produktion oder de»
Erwerbes in sich schließt (S. 243). Sehr richtig! Aber warum nimmt
dann die Erörterung der ganz unwirklichen, absolut willkürlichen und
gar nichts erklärenden Konstruktionen über Statik und Dynamik bei
Schumpeter gegenüber viel wichtigeren Problemen einen so breiten Baum
ein, und warum ignoriert der Verf. vollkommen meine auf dem Ertrags -
streben aufgebaute Wirtschaftstheorie, wo sich doch auch ihm dieses
Ertragsstreben als Organisationsprinzip des Tauschverkehrs fundamental
aufdrängte?
Und nun zum Entwicklungsbegriff, der, wie gesagt, erst
gegen Schluß des Buches erörtert wird ! Den Begriff der Entwicklung
setzt Vogel nicht gleich Dynamik, „die nur Veiönderung, Bewegung
bedeutet". „Entwicklung dngegen ist Aufwärtsbewegung, Fortschritt
in extensiver und intensiver Beziehung, hier im Ei folge des wirtschaft-
lichen Handelns" (S. 311 u. 312). Keben der „Aufwärtsbewegurg'*,
deren „individualistische Seite" in dem „Wiitschaftserfolg'^ der Pr-
746 üeberaicht über die nenesien Pablikationen Deatschlands und dee Auslandes.
ijuzenten und Händler, und deren „kollektivistische Seite" in einer
sonstigen „günstigen Aenderung der Einkommensverteilung und damit
«iner Steigerung der Kaufkraft und in weiterer Linie der Konsumtion"
gesehen wird, unterscheidet der V^erf. später noch eine „Aufschwtingg-
bewegung" (S 362). Der Aufschwung sei allerdings „potenzierte Ent-
wicklung", „da er das Stadium deutlichen Ueberwiegens, des Sieges
der Entwicklungskräfte über die gegenteiligen Faktoren darstellt; aber
Entwicklung als Gesaraterscheinung ist nicht notwendig auf das , Auf-
schwungsstadium' beschränkt, sie kann selbst im Depressionsstadium
zum Ausdruck kommen, wenn dessen Tiefpunkte im Verlaufe der Zeit
immer höher (?) liegen, d. h. die volkswirtschaftlichen Entwicklungs-
kräfte die Festhaltung eines immer höheren Niveaus (?) trotz aller
Rückschläge gestatten, . . . wenn die Kurvenlinie (?) über die nach
dem Anfangsstand bestimmte Horizontale emporsteigt" (S. 362/3).
Was dieses „Höherliegen" bedeutet und worin es sich ausspricht,
was die „Kurvenlinie" ausdrückt, das sagt der Verf. aber nicht, mit
anderen Worten, er untersucht nicht, was man sich nun als Ziel der
wirtschaftlichen Entwicklung vorzustellen hat und woran die „Aufwärts-
bewegung" festzustellen ist. Es hängt dies natürlich wieder mit der allge-
meinen Unklarheit über das Wesen der Wirtschaft und damit über die all-
gemeinen logischen Grundlagen unserer Wissenschaft zusammen. Einer Er-
örterung des ja neuerdings wieder viel besprochenen Produktivitäts-
problems (vgl. meinen Aufsatz in dieser Zeitschrift, 1912) hätte der
Verf. in einer Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung natürlich nie-
mals aus dem Wege gehen dürfen, wenn er gleich auf Grund jener
Unklarheit darüber zu keinem Resultat hätte gelangen können. Aber
weiter hätte erörtert werden müssen, ob und nach welchen Gesichts-
punkten ein „Aufwärts", ein „Höherliegen" allgemein festgestellt werden
kann und ob und unter welchen Bedingungen die Statuierung eines
solchen Ziels der wirtschaftlichen Entwicklung überhaupt noch Wissen-
schaft ist. Kurzum, die Frage : kausale oder teleologische Betrachtungs-
weise? hätte in einer so weit gespannten Untersuchung nicht außer acht
gelassen werden dürfen. Davon hat Vogel, wie es scheint, überhaupt
gar keine Vorstellung gehabt.
Der Begriff der wirtschaftlichen Entwicklung, wie ihn der Verl
untersucht, ist also viel zu allgemein und unbestimmt, zumal er betont
(S. 310), daß „die wirtschaftliche Entwicklung nur ein Teilproblem
eines größeren Komplexphänomens ist, der Gesamtentwicklung
des Menschengeschlechts in allen anderen Beziehungen . . ., ähnlich
wie das Wirtschaftsleben selbst nur einen Teil . . . des allgemeinen
Lebensprozesses von Einzelsubjekt und Gemeinschaft darstellt". Hier
wird, wie so häufig, übersehen, daß keine Wissenschaft eine mensch-
liche Erscheinung in allen ihren Beziehungen betrachten kann, sondern
daß jede abstrahieren muß, wofür man eben eine klare Abgrenzung des
Erkenntnisobjekts dieser Wissenschaft von anderen gebraucht, was der
heutigen Wirtschaftstheorie infolge ihrer Verquickung der Wirtschaft
mit der Technik einerseits, mit allen möglichen anderen „sozialen" Er-
-^cheinungen andererseits fehlt.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 747
Nach meiner Ansicht kann es sich bei dem Problem der wirtschaft-
lieben Entwicklung als einem solchen der WirtscLaftlheorie, wie es
der Verf. auffaßt, nur um die Konstatierung von Veränderungen
Jim tauschwirtschaftlichen Organismus handeln, dessen Untersuchung,
eben ihre Aufgabe ist. Ueber diese Veränderungen läßt sich aber keine
allgemeine „Theorie" aufstellen, denn sie können und werden sich auf
die verschiedensten wirtschaftlichen Erscheinungen, z. B. die Formen
ier Erwerbstätigkeiten und Erwerbswirtschaften, die Bedeutung der
Märkte, des Geldes, des Kredits, der Konkurrenz- oder Monopol-
stellungen usw. usw. beziehen und jede einzelne solche Aenderung kann
and wird von den verschiedensten Dingen, wirtschaftlichen und außer-
wirtschaftlichen, beeinflußt sein. Wirtschaftliche Veränderungen sind also
an sich kein Objekt wissenschaftlicher Betrachtung, sondern nur in Be-
aiehung auf konkrete wirtschaftliche Erscheinungen. Das ist neben
allen sonstigen Unzulänglichkeiten der logische Hauptgrund, an dem
der Verf. scheitern mußte und weshalb sein Buch trotz aller Belesen-
heit und mancher guten Bemerkungen im einzelnen einen so unbe-
friedigenden Eindruck hinterläßt.
Ist so eine allgemeine „Theorie des volkswirtschaftlichen Entwick-
lungsprozesses" nicht möglich, weil die wirtschaftliche Entwicklung an
sich kein Erkenntnisobjekt ist, so könnte doch die Entwicklung der
wirtschaftlichen Organisationen zu bestimmten Zielen hin unter-
sucht werden, die aber sehr mannigfaltig sein können, z. B. Vermehrung
der Sachgütermengen, Verwendung der verschiedenen Kostenfaktoren,
gleichmäßigere Verteilung der Sacbgüter usw. Ist ein solches Ziel an-
genommen, so ist eine rein kausale Betrachtung möglich, ob und wie
die wirtschaftliche Entwicklung ihm näher gekommen ist. Dabei ist
aber wirtschaftliche Kausalbetrachtung selbstverständlich nur die
Frage, wie die Organisation des Tausch Verkehrs, wie gesagt, das
Objekt der Wirtschaftstheorie, diesem Ziele näher kommt. Bloße Ver-
billigung der Produktionskosten durch technische Fortschritte ist eben
Technik, genau so wie das Ziel einer möglichst großen Gütermenge
noch kein wirtschaftliches, sondern ein technisches ist. (Vgl. dafür und
für die allgemeinsten Grundlagen dieser Besprechung überhaupt jetzt
meine „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre", Bd. 1.)
Aus dem eben Gesagten ergibt sich aber auch schon, daß nach
unserer Auffassung auch eine rein wirtschaftliche Zielsetzung
möglich ist, auf das hin die wirtschaftliche Entwicklung kausal be-
trachtet werden kann, nämlich eben die Frage nach der Organi-
isation des Tauschverkehrs, welche das Ziel jeder einzelnen Wirtschaft,
größtmögliche Bedarfsversorgung , natürlich nicht nur an materiellen
Gütern, sondern psychisch aufgefaßt und daher nicht meßbar, für alle
herbeiführt. Auch dies Problem kann rein theoretisch- kausal betrachtet
werden. Man kommt dabei auf Fragen, wie ich sie in meiner Pro-
duktivitätstheorie, in dem Aufsatz über Sparen und Kapitalbildung (den
der Verf. allein, aber nur für Nebensächlichkeiten heranzieht), dann
neuerdings in dem Aufsatz: Die amerikanische Trustpolitik im Lichte
(ier ökonomischen Theorie, im Weltwirtschaftlichen Archiv 1915, und jetzt
748 Uebersicht aber die neuesten Pnblikationeu DeutechlandB und des Anslandes.
in der im Druck befindlichen 3. Auflage meiner Kartelle und
Trusts behandelt habe. Ich erwähne nur das Problem: Führt Monopol
oder freie Konkurrenz vollkommenere Bedarfsversorgung herbei?
Von allen solchen Erörterungen findet sich in dem Buche Vogels
nichts. Neben diesen Problemen, die ohne Zweifel in die Wirtschaft*-
Wissenschaft und Wirtschaftstheorie gehören, ist aber noch eine \^ eitere
Betrachtungsweise möglich, nämlich vom Standpunkt der Entwicklung»-
Wissenschaft menschlicher Vorgänge selbst, vom Standpunkt der Ge-
schichte, also eine geschichtsphilosophische Betrachtung, wie
sie A. Mitscherlich in seinem Buche: Der wirtschaftliche Fortbchritt,
1913 versucht hat, das der Verf. überhaupt nicht erwähnt. Allerdings
sind die Ergebnisse, trotzdem darin wirtschaftsgeschichtliche Betrach-
tungen in den Vordergrund gestellt sind, für die Wirtschaftswissen-
schaft gering, für die Wirtschaf tstheorie, die Vogel treiben will,
natürlich Null.
Im ganzen muß ich leider zu dem Resultat kommen, daß hier in
typischer Weise versucht worden ist, eine „Theorie" auf bloße Worte
aufzubauen, daß der Verf. „mit Worten ein System bereitet hat". Eß
fehlt die klare Feststellung des Erkenntnisobjekts, die notwendig ißt,
wenn man sich ein so allgemeines Ziel setzt, den ganzen volkswirt-
schaftlichen Entwicklungsprozeß theoretisch zu erfassen, es fehlt femer,
wie gesagt, die Untersuchung darüber, inwieweit und in welcher Weise
eine solche Aufgabe überhaupt logisch und methodologisch möglich ist.
Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß das unzweifelhaft neu
erwachte Interesse für ökonomische Theorie sich so häufig gerade anf
Probleme wirft, die theoretisch überhaupt nicht erfaßbar sind, und daß
man, wie ich schon gelegentlich zweier Besprechungen in dieser Zeit-
schrift bemerkte, so häufig bestrebt ist, an jede kleine deskriptive
Schilderung eine Theorie anzuhängen. Ersteres führt dazu, an so un-
klare und allgemeine Begriffe, wie Entwicklung, Konzentration, Kapi-
talismus, Sozialwissenschaft u. dgl. eine „Theorie" zu knüpfen. Dagegen
wird gerade die Aufgabe der ökonomischen Theorie, eine bessere Er-
klärung der Grundlagen des tauschwirtschaftlichen Mechanismus zu liefern,
vernachlässigt, und viele verzweifeln überhaupt an ihrer Lösung, weil
sie vom Standpunkt einer technisch- materialistischen Wirtschaftsauffas-
sung in der Tat unlösbar ist.
Aus diesem bedauerlichen Zustande unserer Wissenschaft ist auch
das vorliegende Buch entstanden. Der Verf. ist nicht zur Erkenntnis
gelangt, daß man in der ökonomischen Theorie ab ovo anfangen müsse.
Daher ist er schon an der Unklarheit über die logischen und methodo-
logischen Grundlagen seiner Problemstellung gescheitert. Das ist um
so bedauerlicher, als Vogel anscheinend vor manchen österreichischen
Theoretikern, bei denen das Konstruieren im luftleeren Baum eine
Schuleigentümlichkeit ist, sich dadurch auszeichnet, daß er die Be-
obachtung der Tatsachen nicht so vollkommen ignoriert. Es soll auck.
nicht veikannt werden, daß seine Arbeit in den dogmengeschichtlichen
und kritischen Partien und auch in Einzelheiten der Erklärung wirt-
schaftlicher Vorgänge und Probleme manches Wertvolle enthält und daß.
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 740
me mancherlei Anregungen zu geben vermag. Aber eine Theorie der
wirtschaftlichen Entwicklung, soweit eine solche überhaupt möglich ist,
onthält sie nicht, und ebensowenig eine Krisentheorie, auf die sich der
Verf. besser beschränkt hätte, wenn er ökonomische Theorie treiben
wollte. Dagegen zeigt sie auf Schritt und Tritt, bei jedem wirtschaft-
lichen Begriffe, der hervorgezogen wird, die Unklarheit der heutigen
Nationalökonomie über ihre allgemeinsten Grundlagen und Grundbegriffe.
Möchten doch die theoretisch interessierten und begabten Jünger der
Wissenschaft sich bald mehr diesen Problemen zuwenden, die zunächst
klargestellt werden müssen und von deren Lösung wir heute noch weit
entfernt sind!
Freiburg (B.). Robert Lief mann.
Hertz, Dr. Frdr. , Die Notwendigkeit eines österreichischen Instituts für Wirt-
schaftspolitik. Berlin, Verlag f. Fachliteratur, 1917. gr. 8. 12 SS. M. 1.—. (S.-A.
««a der Zeitschrift: Oesterreichischer Volkswirt.)
Roland, Dr. J., Unsere Lebensmittel, ihr Wesen, ihre Veränderungen und Kon-
servierung vom ernährungs-physiologisohen und volksvirUschaftlichen Standpunkt gemein-
fafilich dargestellt. Preisgekrönte Arbeit, hlit einer Einführung: Wie können wir aus
«nseren Lebensmitteln besseren Nutzen ziehen? Eine Forderung der neuen Zeit von
(Geh. Reg.-R.) Prof. Dr. Thdr. Paul. Dresden, Theodor Steinkopff, 1917. gr. 8. XIX—
263 SS. mit Fig. M. 9.—.
Scholl, Frdr., Der Ausbau unserer Kriegswirtschaft mit besonderer Berück-
sichtigung der Volksernährung. Stuttgart. Mimir, 1917. kl. 8. 20 SS. M. 0,50.
Senator, Dr. Eduard, Wellkrieg und Brotversorgung. Berlin, Franz Siemen-
roth, 1917. gr. 8. XII— 192 SS. M. 6.—.
Chessa, Federico, II nazionalicmo economico nel passato e nel presente.
Scansano, tip. degli Olmi, di 0. Tessitori, 1917. 8. 34 p.
2. Geschichte nnd Darstellnxig der wirtschaftlichen Kultur.
Brück, W. r. Vorläufiger Bericht über Baumwollerzeugung und
-verbrauch der Türkei. Hersg. vom Arbeitsausschuß der Deutschen
Baum wollspinnerverbände. Augsburg- Berlin 1917. 62 SS.
Der Verf. hat es sich in seinem vorläufigen Bericht zur Aufgabe
gestellt, in großen Zügen ein Bild von den Produktionsverhältnissen
der türkischen Baumwollkultur zu geben (S. 6). Er beginnt mit einer
kurzen Erörterung des Bedarfs der Türkei an Textilerzeugnissen, ins-
besondere an Baumwolle. Bei einem Konsum von 1,5 kg pro Kopf und
Jahr der rund 20 Mill. betragenden, anspruchslosen und armen Be-
Tölkerung würde der Kleidungsbedaif 150ÜÜ0 Ballen des Adanaballen-
gewichts zu 200 kg ausmachen. „Dieser Bedarf ist kleiner als das
Quantum roher Baumwolle, das die deutschen Spinnereien in einem
Monat verarbeiten" (S. 8). Von diesen 150000 Ballen entfallen etwa
110—120000 Ballen auf gröbere Nummern, die aus den minderwertigen
kleinasiatischen Sorten sich herstellen lassen. „In bezug auf Gespinnste
höherer Nummern wird die Tüikei nach wie vor auf die Einfuhr an-
gewiesen sein" (S. 9). Dieses Passivum der Baumwollbilanz sei zu decken
durch vergrößerten Anbau und gesteigerte Ausfuhr von weltmarktfähiger
Rohbaumwolle. Zu dem genannten Kleidungsbedarf des Volkes tritt noch
eine wenig genau meßbare Nachfrage nach Kriegsbekleidungsmitteln,
nach Sack- und Packstoffen, nach Pulver und Sanitätsmaterial.
760 Uebersicht über die neuesten Pnblikationeu Dentachlanda und des Auslandes.
Das Hauptkapitel ist der Betrachtung tiber den Anbau von Ban&-
wolle in der Tüilcei gewidmet. Die einzeluen Anbauregionen weiden
nacheinander von dem Verf. durchgesprochen. Das, an der Produktion»-
Ziffer gemessen, zurzeit hauptsächlichste Gebiet ist die Ebene von A d ana.
Mit 105 000 Ballen zu 200 kg erreichte die Erzeugung den Höhepunkt
im Jahre 191 3; seitdem ist infolge der durch den Krieg verursachtea
Kredit- und Arbeiterschwierigkeiten ein jäher Abfall eingetreten. Der
Anbau erfolgt nach dem Bericht des Verf. in einer der Dreifelderwirt-
schaft ähnlichen Rotation. Angebaut wird zu 95 Pioz. eine in Klein-
asien heimisch gewordene Baumwollpflanze mit dem lokalen Namem
Jerly, während die in den letzten Jahren eingeführten amerikanischen
Sorten nur 5 Proz. der Ernte bringen. „Die Gesamtbaumwollkultur
wurde bisher ohne Irrigation betrieben" (S. 13). Die Pjoduktions-
fläche ist jedoch noch sehr ausdehnungsfähig und ebenso wie die Arbeits-
methode stark verbesserbar. Aber der Uebergang zu einer höheren
Qualität, der an sich notwendig ist wegen der Minderwertigkeit der
Jerly, wird außerordentlich gehemmt durch die Arbeiterschwierigkeiten,
lieber dies Problem, wie über die Bodenbesitzverteilung und die
Arbeitsverhältnisse werden ausführliche Mitteilungen gegeben. Als
zweites Produktionsgebiet kommt die Umgebung von Smyrna in Be-
tracht, wo bereits im Jahre 1911/12 der Höhepunkt mit 52000 Ballen
erreicht w^ard und seitdem ein dauernder Rückgang eingetreten ist
Auch hier gedeiht die Baumwolle ohne künstliche Bewässerung (S. 23)
Die einzelnen Anbaugegenden werden beschrieben, der Ertrag und
manche technischen Verhältnisse kurz dargestellt. Das dritte Gebiet
ist Syrien. Versuche haben ergeben, daß hochwertige ägyptische-
Baumwolle hier bei Bewässerung ganz vortrefflich zu gedeihen vermag
(S. 27). Diese Baumwolle kann nun aber kein Rohstoff für eine in-
ländische türkische Industrie sein, da die Spinnerei der ägyptischen
Baumwolle für die ungeschulten Arbeitskräfte viel zu kompliziert ist
„Würde also die tüikische Regierung die ägyptischen Sorten im An-
bau begünstigen, so müßte sie sich darüber klar sein, daß es sich dann
um ein Erzeugnis lediglich für den Export handeln würde" (S. 27)..
Der Bericht geht im einzelnen ein auf die Bodenverhältnisse, die
Arbeiterfrage und einige spezielle Probleme. Als viertes und für eine
ferne Zukunft wohl größtes Produktionsgebiet wird zum Schluß Me-
sopotamien behandelt. Der Verf. unterscheidet Ober-, Mittel- und
Niedermesopotamien und sagt über die Anbaumöglichkeiten (S. 34/35)
„Die gemeinsame Südgrenze der erwähnten Landschaften gegen Mittel-
mesopotamien fällt ungefähr mit einer klimatisch- wirtschaftlichen zu-
sammen. Während im Norden der Ackerbau und auch der Anbau vom
Baumwolle ohne künstliche Bewässerung möglich ist, versagt jede Kultur
südlich davon in Mittel- und Niedermesopotamien ohne künstliche B^
Wässerung." Auch hier werden alle für eine geregelte Produktion
wichtigen Momente berührt; besonders eingehend wird das Bewässerunga-
problem, von dessen Lösung die ganze Kultur abhängig ist, unter Be-
rücksichtigung der Willcocksschen Pläne eiörtert.
Im dritten Kapitel schläft der Verf. Mittel zur Hebung des Baum-
wollanbaues in der Türkei vor. „Am zweckmäßigsten würden im Ver-
Uebereicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 751
ein mit der türkischen Regierung Gesellschaften zu gründen oder be-
fltehende umzuwandeln sein, die den ausgesprochenen Zweck haben, di^
Baumwollkultur zu heben" (S. 50). Sie hätten mit den Bewässeruugs-
unternehmungen Verträge abzuschließen uüd die Beziehungen zu den
Grundbesitzern und Arbeitskräften in sichere Bahnen zu lenken. Die
Aufgaben dieser Gesellschaften sollten außerdem die Lieferung aller für
die Bearbeitung und die Ernte nötigen Hilfsmittel, die Bereitstellung
von Kredit, die Besorgung von Baumwollsaatgut umfassen. Zu letzterem
Zweck hätten sie Stationen einzurichten, auf denen Versuchsanstellungen
für Anbau und Bekämpfung der Krankheiten vorzunehmen, und die
mit einer Entkörnungsanstalt zu verbinden wären. Für Syrien und
Mesopotamien werden noch spezielle Maßnahmen als erstrebenswert be-
Beichnet. Der Verf. glaubt, daß auf diese Weise eine gewisse Arbeits-
teilung in der Türkei stattfinden könnte. Die Türkei vermöchte in
Kleinasien und Syrien vielleicht 80 Proz. ihres eigenen Verbrauchs
selbst herzustellen. Was sie darüber hinaus an ägyptischer Baumwolle
für den Export erzeugte, würde dazu dienen, ihre Handelsbilanz akti-
ver zu gestalten (S. 56).
Da solche Pläne aber zur Durchführung umfangreiche Vorarbeiten
erfordern und es in vieler Hinsicht nötig ist, sofort mit einer Erweiterung
und Verbesserung zu beginnen, so werden in dem letzten Abschnitt
praktische Vorschläge für sofort gemacht. Sie gipfeln in den am Schluß
des Berichts (S. 62) gegebenen Leitsätzen, die vor allem ein Handin-
handarbeiten kapitalkräftiger deutscher Gesellschaften mit türkischem
Regierungsprivileg mit Vertretern dieser Regierung vorsehen und in
technischer Hinsicht eine planvolle Saatzucht und eine möglichst große
Entkörnungstätigkeit wünschen.
Wie der Verf. im Vorwort angibt, ist eine ausführliche Denk-
schrift in Vorbereitung. Doch gewährt der vorläufige Bericht bereits
einen umfassenden Einblick in die türkische Baumwollkultur. Der Verf.,
der besonders vorbereitet und sachkundig zur Beurteilung der Baum-
wollfrage ist, hat, soweit nicht Kriegsverhältnisse ihn daran hinderten,^
alle Anbaugebiete wohl ausgerüstet und unterstützt von türkischen Be-
hörden in Ruhe bereisen können. Seine Daistellung ist anschaulich,
knapp und erschöpfend; seine Vorschläge sind sorgfältig abgewogen
und den bestehenden Schwierigkeiten persönlicher und sachlicher Art
angepaßt.
Arnautköj. Friedrich Hoffmann.
Böhm, Prof. Max, Die Letten. (Kurland in Vergangenheit und Gegonwart,
Bd. 4.) Berlin-Steglitz, Fritz Würtz, 1917. kl. 8. 86 SS. nut 9 Abb. M. 1,20.
Floericke, Dr. Kurt, Bulgarien und die Bulgaren. 7. Aufl. Stuttgart,
Franckhsche Verlagshdlg., 1917. 8. 92 SS. mit 1 (eingedr) Uebersicbtskarte u. 26 Akb.
M. 1,80.
Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Neue Folge
der „Märkischen Forschungen" des Vtrcins für Gchchichte d«r Mark Brandenburg. In
Verbindung mit Otto Hinize hrag. von Melle Klinkenborg. Bd. 30, 1. Hälfte. München,
Duncker u. Humblot, 1917. gr. 8. 111-^315 SS. M. 8.—.
Hagmann, Prof. Dr., Studien zur Geschichte Belgiens seit 1815. Bern, Ferd.
Wyß, 1917. 8. III -63 SS. M. 1,60.
Handbuch von Polen. Beiträge zu einer allgemeinen Landeskunde. Anf Grund
4er Studienergebnisse der Mitglieder der landebkundlichen Kommission beim General-
762 Ueberaicht über die nenesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gouveraement Warschau. Hrsg. unter der Redaktion von Dr. E. Wunderlich vom Kate.
deutschen Qeneralgouv^emement Warschau. Berlin, Dietrich Reimer (Ernst Vobsen]^
1917. Lex.-8. XXII— 467 SS. mit 55 Taf., 15 (färb.) Karten, 45 Textfig. M. 16.—.
Schumacher (Geh. Reg.-R.), Prof. Dr. Herrn., Der Reis in der Weltwirtschaft.
München, Duncker u. Humblot, 1917. gr. 8. VJII— 145 SS. M. 4.—.
Meyer, Balthasar H., History of transportation in the United States befon
1860. Washington, D. C. Carnegie Inst. 8. $ 6. (Conti ibutions to American eeoaa-
mio history from the Dept. of Eeonomics and Socioiogy.)
Whitton, Major F. E., A history of Poland. From the earliest times to Ika
present day. With maps. London, Constable. 8. 8/.6.
3. Bevölberuugslelire und Bevölkerangfspolitik. Anawandeximg
und Kolonisation.
Arldt, Pr. Dr. Th. , Germanische Völkerwellen und ihre Bedeutung in der Ba-
völkerungsgeschichtc von Europa. (Umschl. : Germanische Völkerwellen und die Basied-
lung Europas.) Leipzig, Dieterichsche Verlagsbuchhdlg. , 1917. 8. XII— 226 88.
M. 5.—.
Trietsch, Davis, Jüdische Emigration und Kolonisation. Berlin, Orient- Ver-
lag, 1917. 8. 474 SS. M. 12.—.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Bekanntmachungen über den Ernteverkehr nebst den anderweitigen Ge-
setzen und Verordnungen Wirtschaft lieber Natur aus den Jahren 1915/17. 15. Nach-
trag. Vom 1. Vll. 1917. bis 11. VllL 1917. Berlin, Klemens Rcuschel, 1917. gr. S.
VIII— 207 SS. M. 3,60.
Luberg (Sem.-Dir.), Dr., Landwirtschaftliche Betriebslehre. Zum Gebrauch ao
Landwiitsohaltsschulen und landwirtschaftlichen Winierschulen. 6. Aufl. (Landwirt-
sthafthche Unterrichtsbücher.) Berlin, Paul Parey, 1917. 8. VIII— 178 SS. M. 2,40,
Metzel, Konrad, Vermehrung der klein wirtschaftlichen Erzeugung. Ein Bei-
trag zur Sicherung der Volksernährung, zur Hebung des Volkswohlslandes und zur
Stärkung der Volkskraft in Krieg und Frieden. Leipzig, Dieterichsche Verlagsbuchhdlg.,
1917. Lex.-8. Mit 9 Textabb., 12 Satzungen, 4 Wirtschaftsplänen u. 2 Wirtschalto-
crgebnissen nebst Atlas mit 49 Taf. (u. 4 SS. Text). M. 15.—.
N i kl as- München, Dr. Hans, Neue Grundlagen und Wege zur Erhöhung der
Bodenproduktion Deutschlands. Berlin, Verlag f. Fachliteratur, 1917. gr. 8. 38 SS.
H. 2. — . (S.-A. aus der Zeitschrift: Internationale Mitteilungen für Bodenkunde, 1917.)
Schoenichen, Prof. Dr. Walther, Unsere Volksernährung auf der Grund-
lage unserer Landwirtschaft. 65 graphische Darstellungen mit erläuterndem Text, in Ver-
bindung mit (Versuchsstations-Voi sicher) Prof. Dr. Max Popp hrsg. Leipzig, Quelle n.
Meyer, 1917. gr. 8. III, 56 u. 46 SS. M. 2,20.
Simpson , Will V., Tagesfragen zur deutschen Landespferdezucht. Berlin, Geoxf
«tüke, 1917. gr. 8. 102 SS. mit Abb., 3 Taf. u. 1 Stammtaf. M. 2.—.
Mac Nutt, J. Scott, The modern milk problem in sanitation, eeonomics, and
agriculture. New York, Macmillan Co. 8. $ 2. — .
Woolsey, Th. Salisbury, French forests and forestry; Tunisia, Algeria,
Oorsica. With a translation of the Algerian code of 1903. New York, Wiley. 8.
$ 2,50.
Raineri, Giovanni (ministro), Sul bilancio d' agricoltura per 1' esercirio
1916 — 17: discorso pronunziato nella tornata del 23 giugno 1917. Roma, tip. del
Senato, 1917. 8. 45 p.
Todkro, Francesco, Lezioni di agricoltura nella r. scuola superiore di agraria
dell' universitä di Bologna. Vol. I. Casale Monferrato, fraielli Marescalchi (ditta
C. Cassone), 1917. 16. XIV, X, 545 p. 1. 4.—.
5. Gewerbe und Industrie.
Glück 8 mann (Doz.), Dr. Roh., Privatwirtschaffslehre des Hotelgewerbe!.
Berlin, Haude u. Spenersche Buchhdlg. Max Paschke, 1917. gr. 8. VIU— 19G m,
M. 6.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 753
Hoffmann (Wirkl. Geh. Ober-Reg.-ß., vortr. Rat), Dr. Franz, Die Gewerbe-
Ordnung mit allen Ausführungsbestimmungen für das Deutsche Reich und Preußen.
Erläuterte 17. Aufl. (Taschen-Gesetzsammlung, Nr. 36.) Berlin, Carl Heymanns Verlag,
1917. kl. 8. XXIV— 1344 SS. M. 8.—.
Meesmann (Synd., Hauptm. d. Landw.), P., Der Kriegsausgang und die deutsche
Industrie. Mainz, J. Diemer, 1917. 8. 36 SS. M. 0,60.
Singer, J., Die amerikanische Stahlindustrie und der Weltkrieg. Berlin, Franz
Siemenrotb, 1917. gr. 8. III— 114 SS. M: 4.-.
EnquSte sur la production fran9aise et la concurrence gtrang^re. Rapporteurs
g§n§raux. Industrie et commerce: (prof.) Henri Hauser. Agriculture: Henri Hitier.
Tome 1". Preface de M. David-Menuet. Industries diverses. Paris, impr. de la Bourse
de commerce (G. Burlau), 1917. 4. 427 pag. (Association nationale d'expansion
economique. Industrie. Commerce. Agriculture.)
Lahy, J. M., Le syst&me Taylor et la physiologie du travail professionnel. Paris,
Masson et Cie. 8. X— 198 pag. fr. 4,50.
Leffevre (notaire), Narcisse, et (Dr.) Roger Masson, Nos centres in-
dustriels du Nord aprös la guerre. Relövement §conomique. Concours financier. ^^tampes,
irapr. Terrier fröres et Cie., 1917. 8. 31 pag. fr. 1,50.
Lorenzoni, Giovanni, L'evoluzione delP industria de! trasporti marittimi
negli Ultimi cento anni : discorso inaugurale letto nell' aula magna della r. universitä
di Macerata il 12 novembre 1916. Macerata, tip. Bianchini, 1917. 8. 36 p.
6. Handel nnd Verkehr.
Konietzko (Reg.-R.), A., Unsere wirtschaftliche Zukunft bei einem Verzicht-
frieden. (Kriegs- und Friedensziele. Deutsche Flugschriften, Heft 5.) Weimar, Alexander
Duncker Verlag, 1917. 8. 27 SS. M. 0,40.
Lamp, Prof. Dr. Karl, Die Theorie des deutschen Zollrechts und der Entwurf
einer neuen österreichischen Zollordnung. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1917. gr. 8.
JII— 96 SS. M. 2,50.
Nachimson, Dr. M., Imperialismus und Handelskriege. Eine volkswirtschaft-
liche Untersuchung über die Entwicklungstendenzen der modernen Wirtschaft und der
Handelspolitik. Bern, Ferd. Wyß, 1917. 8. 167 SS. M. 3,50.
Repenning (wiss. Assist.), Dr. Otto, Zusammenstellung der Aus- und Durch-
fuhrverbote (nach dem statistischen Warenverzeichnis), der Zentralstellen für Ausfuhr-
bewilligungen, sowie die Bestimmungen über die Einfuhr. (Abgeschlossen am 15. IX.
1917.) Berlin, R. v. Deckers Verlag G. Schenek, 1917. Lex.-8 VIII— 386 SS. M. 18.—.
Wolf, Julius, An der Wiege Mitteleuropas. 3. Aufl. der Schrift: „Ein
deutsch-österreichisch-ungarischer Zollverband". Leipzig, A. Deichertsche Verlagsbuch-
handlung Werner Scholl, 1917. gr. 8. 43 SS. M. 1,20.
Boret (d§put6), Victor, La bataille Economique de demain. 2* Edition. Paris,
Payot et Cie., 1917. 16. 245 pag. fr. 3,50.
Guarducci, Alberto, Per la riforma del nostro regime doganale. (Camera di
commercio e industria della provincia di Pisa.) Pisa, tip. suco. fratelli Nistri, 1917.
8. 32 p.
Landra, Angelo, Corso di storia del commercio. Parte II. (Epoca modema
e contemporanea, a. 1492—1917.) Torino, ditta G. B. Paravia e C, 1917. 8. 280 p.
con tre tavole. 1. 5. — .
Movimento commerciale del regno d' Italia nell' anno 1915. Parte II, vol. I:
Movimento per paesi di provenienza e di destinazioue, paesi europei. (Ministero delle
finanze : direzione generale delle gabelle, ufficio trattati e legislazione doganale.) Roma,
tip. Nazionale, Bertero, 1917. 4. 686 p.
Dam, W. A. C. van, Vractrecht der Rijnvaart. Een toelichting tot de gede-
poneerde Rotterdamsche Rijnvaartconditien. Rotterdam, D. Brouwer en Zonen, gr. 8.
300 blz. fl. 3,60.
7. Finansweseu.
Kornfeld (Priv.-Doz., Hof- u. Ger.- Ad v.), Dr. Felix, Zur Frage der Ein-
kommensteuerpflicht von Bezugsrechten. Eine Studie. Wien, Manz, 1917. 8. IV —
31 SS. M. 1.—.
Jahrb. f. NaUonalök. n. Stat. Bd. 109 (Dritte Folge Bd. M). 48
754 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Mayer (Reichs-Mil., Ger.-Rat a. D.), Dr. Ph. Otto, Die Beseitigung der Ge-
meindeumlagen (in Bayern). Vortrag, gehalten am 29. XI. 1916 in Ludwig»bafen a. Rh.
und anderwärts. München, J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier), 1917. gr. 8. 40 88.
M. 1,80.
Pin n er, Dr. Walter, Eine halbe Milliarde Getreidemonopolertrag ohne Brot-
preiserhöbung? Berlin, Verband der Getreide- und Futtermittel Vereinigungen Deutsch-
lands, 1917. 8. 15 SS. M. 0,30. (8.-A. ans dem Preußischen Verwaltnngs- Blatt»
39. Jahrg.)
Zedlitz-Neukirch (Abg., Wirkl. Geh.-R.), Frhr. v., Neuaufbau der Finanzen
nach Friedensschluß und qualitative Sparsamkeit. (Finanz- und volkswirtschaftliche
Zeitfragen. Hrsg. von Reichsr. Prof. Dr. Georg v. Schanz und Geh. Reg.-R. Prof. Dr.
Julius Wolf. Heft 41.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. Lex.-8. 21 SS. M. 1.—.
Ohmstede, V. S., Practijk der oorlogswinstbelasting. Gouda, Electrische drok-
kerij, Joh. Mulder (Woerden, P. de Ruyter). gr. 8. 2 en 42 bldn. fl. 1.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
V. Schrötter, Friedrich, Frh., Geschichte des neueren Mödb-
und Geldwesens im Kurfürstentum Trier 1550 — 1794. Mit einer Karten-
skizze des Kurfürstentums Trier. Berlin (Paul Parey) 1917. 8^. VIII
u. 214 SS. (Preis: M. 15,—.)
Das vorliegende Werk behandelt die neuere Mün^geschichte nnd
Münzpolitik eines deutschen Mittelstaates, „dessen meiste Fürsten sich
bemühten, ein gutes Münzwesen zu schaffen, denen es aber sowohl
wegen der ungünstigen geographischen Lage des Landes wie auch
wegen dessen geringer Kräfte nicht gelang, dieses Ziel zu erreichen".
Die führende Stellung, welche die vier rheinischen Kurfürstentümer im
14. und 15. Jahrhundert im deutschen Münzwesen einnahmen, der feste
Halt, den sie ihm durch ihre nach gleichem Fuß auf Grund ihrer Münz-
verträge geprägten Goldgulden boten, gingen im 16. Jahrhundert ver-
loren, da der ßheinhandel, der sie im Mittelalter reich gemacht und
mit Gold und Silber für die Münzstätten versorgt hatte, abnahm, und
andererseits Kaiser und Reich (zuerst durch die Reichsmünzordnuug
von 1524) das Reichsmünzwesen durch eigene Gesetze und durch die
Probationsversammlungen der Reichskreise selber zu regeln unternahmen.
Kurtrier spielte seitdem in der Münzpolitik wie auch sonst in der
Reichspolitik im wesentlichen eine passive Rolle. War doch z. B. der
Mittelpunkt des Geldhandels für das Land nicht die eigene Haupt-
stadt, sondern Frankfurt a. M. Wie die anderen in ähnlicher Lage
befindlichen deutschen Mittel- und Kleinstaaten suchte auch Trier nicht
selten seinen Vorteil, indem es den Wirrwar und die Verschlechterung
des deutschen Münzwesens noch vermehren half. Diese beiden traurigen
Erscheinungen waren in Westdeutschland offenbar noch schlimmer als
in Mittel-, Süd- und Norddeutschland. Es kam so weit, daß am Rhein
Ende des 16. Jahrhunderts eine Zahlung von 1000 Fl. in Pfennigen
geleistet wurde (S. 41). So sehr verschwanden die großen silbernen
und goldenen Geldsorten, Taler und Gulden, Goldgulden und Dukaten,
neben den massenhaft umlaufenden und außerordentlich verschieden-
artigen Scheidemünzsorten. Oder diese „groben" Geldsorten lebten nur
noch schattenhaft als Rechnungseinheiten der Scheidemünze fort; so
gab es im 17. Jahrhundert 5 verschiedene Gulden als Rechnungswerte,
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 755
die sich alle von dem wirklich geprägten „Spezies "-Goldgulden abgezweigt
hatten, zu 24, 36, 48, 54, 72 Albus oder Weißgroschen (S. 66). Kur-
trier beteiligte sich auch wacker an der allgemein üblichen übermäßigen
Scheidegeldprägung, und zwar seit 1601 durch die sogenannten „Peter-
männchen" (einfache, doppelte und dreifache Albussorten mit dem
hl. Petrus), deren sich die anderen Staaten nur mit Mühe erwehren,
konnten. Sie kursierten in Süddeutschland bis nach Bayern, in Nord-
deutschland bis nach Stolberg (S. 85) und sind heute noch den Sammlein
von Kleinmünzen wohlbekannt. Eine wichtige Ursache dieser über-
mäßigen Kleingeldprägung war neben der fiskalisch eigennützigen Münz-
politik der Regierungen auch der fortwährende Kriegszustand im 16.
bis 18. Jahrhundert, der den Bedarf nach kleinen Zahlungsmitteln
steigerte (S. 84), was ja auch im heutigen Kriege zu beobachten ist.
Nach dem siebenjährigen Kriege haben, wie der Verf. sagt, „die
deutschen Staaten .... eine vernünftigere, selbstlosere Münzpolitik
befolgt als vorher: das sinnlose Darauflosprägen von Scheidemünze
nur um des Gewinnes willen hatte aufgehört. Aber man hatte nun
eben nicht die Kraft, jene Massen zu beseitigen, man mußte für ältere
Sünden büßen" (S. 128). Daher blieben auch die trierischen Scheide-
münzen noch lange im Verkehr, nachdem schon das trierische Staats-
wesen 1794 aufgelöst war, und wurden erst 1821 von der preußischen
Regierung beseitigt.
Die Darstellung des Verf. ist, wie in seinem monumentalen Werk
über das preußische Münzwesen im 18. Jahrhundert und seinen kleineren
Monographien, klassisch durch die Klarheit, mit der die schwierige
Materie behandelt wird, und durch die auf umfassendem Literatur-
und Aktenstudium beruhende Gründlichkeit; sie gibt auch, nach dem
Grundsatz, „daß das Münzwesen der Spiegel der politischen Zustände
durch alle Zeiten ist", einen interessanten Einblick in die Verwaltung
und Staatswirtschaft dieses geistlich-aristokratisch regierten Ländchens.
Dresden. Schwinkowski.
Bericht des schweizerischen Versicherungsamtes. Die privaten Versicherungs-
unternehmungen in der Schweiz im Jahre 1915. Veröffentlicht auf Beschluß des
schweizerischen Bundesrats vom 13. VIII. 1917. 30. Jahrg. Bern, A. Francke, vorm.
Schmid u. Francke, 1917. Lex.-S. IV, 117 u. 202 SS. M. 5.—.
Handbuch der deutschen Aktien-Gesellschaften. Jahrbuch der deutschen Börsen,
Ausgabe 1917/18. Bd. 1. Nebst einem Anhang, enthaltend: Deutsche und ausländische
Staatspapiere, Provinzial-, Stadt- und Prämien-Anleihen, Pfand- und Rentenbriefe, aus-
ländische Banken, Eisenbahn- und Industrie-Gesellschaften. Ein Hand- und Nachschlage-
buch für Bankiers, Industrielle, Kapitalisten, Behörden etc. 22. umgearb. und verm.
Aufl. Berlin, Verlag f. Börsen- u. Finanzliteratur. Lex.-8. CXXVIII, XIII, 2450,
668 u. 103 SS. M. 40.—.
Iränyi, Beruh., Die deutschen Privatversicherungs-Gesellschaften im Jahre 1916.
23. Jahrg. Wien, J. Eisenstein & Co., 1917. Lex.-8. 32 SS. M. 1,75.
Rathenau, Walther, Vom Aktien wesen. Eine geschäftliche Betrachtung.
Berlin, S. Fischer, 1917. 8. 62 SS. M. 1.—.
Spreuer, Jobs., Die Haftpflichtversicherung der deutschen Landwirte auf
öffentlich-rechtlicher Grundlage, insbesondere die Entwicklung der Haftpflichtversiche-
rungsanstalt der schlesi^chen iand wirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Ein Beitrag zur
Frage der Haftpflichtversicherung. (Das gesamte Versicherungswesen in Einzeldar-
stellungen, Bd. 8.) München, Max Steinebach, 1917. gr. 8. VIII— 79 SS. M. 2,50.
48*
756 Ueberaicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Wolf, Julius, Der französische Nationalreiahtum vor dem Kriege. (Finanz*
und volkswirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. von Prof. Dr. Georg v. Schanz und Geh.
Reg.-R. Prof. Dr. Julius Wolf. Heft 40). Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. Lex.-S.
39 SS. M. 1,60.
Wolter, Jobs., Das staatliche Geldwesen Englands zur Zeit der Bank-Restriktion
(1797 — 1821). Abhandlungen aus dem staatswissenschaftlichen Seminar zu Straßburg i. E.
Hrsg. V. G. F. Knapp u. W. Wittich. Heft 33.) Straßburg, Karl J. Trübner, 1917.
gr. 8. VIII— 214 SS. m. 2 Tab. M. 7.—.
Trocheris, Georges, Le crfedit f oneier et Pagriculture. Paris, Qiard et Brifere.
8. fr. 5.—.
Bosch, A. H., In dubiis abstine. Objectieve beschouwingen aangaande het staats-
verzekeringsmonopolie. 2e druk. Rotterdam, W. J. van Hengel. gr. 8. 46 blz. fl. 1,25.
Fabius, G. J., Het bankwezen in Nederlandsch West-Indie. (Instituut voor cco-
nomische geschriften, No. 2.) Rotterdam, Nijgh en van Ditmar's Uitg. -maatschappij.
gr. 8. 65 blz. fl. 1,50.
Houten, D. van, Eenige opmerkingen over een staatsmonopolie van het ver-
«ekeringsbedrijf. 's Gravenhage, Mouton en Co. gr. 8. 23 blz. fl. 0,25.
9. Soxiale Frag-e.
Albrecbt, Dr. G., Dr. K. v. Mangoldt, und (Reg.-Amtm.) Dr. Rusch,
Wohnungsfrage und üebergangswirtschaft. (Schriften des deutschen Wohnungsaus-
schusses, Heft 3.) Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. gr. 8. IV — 91 SS. M. 3. — .
Eberstadt, Prof. Dr. Rud., Handbuch des Wohnungswesens und die Wohnungs-
frage. 3. umgearb. u. erweit. Aufl. Jena, Gust. Fischer, 1917. gr. 8. X— 690 SS.
M. 16.—.
Kuszynski (Dir.), Dr. R., Wohnungsnot bei Friedensschluß? (Schriften des
deutschen Wohnungsausschusses, Heft 2.) Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. gr. 8.
IV-48 SS. M. 1,80.
Salomon, Dr. Alice, Soziale Frauenbildung und soziale Berufsarbeit. 2. Aufl.
der Sozialen Frauenbildung. Leipzig, B. G. Teubner, 1917. 8. VI— 107 SS. M. 2.—.
Schumacher (Bau-Dir.), Prof Dr. Fritz, Die Kleinwohnung. Studien zur
Wohnungsfrage. (Wissenschaft und Bildung. Einzeldarstellungen aus allen Gebieten
des Wissens. Bd. 145.) Leipzig, Quelle u. Meyer, 1917. 8. 115 SS. u. 48 SS. Abb.
M. 1,25.
Schweyer (Minist.-R.), Dr. Franz, Deutsche Kriegsfürsorge. Gemeinverständ-
liehe Darstellung der für die Versorgung der Kriegsteilnehmer und ihrer Familien
geltenden Vorschriften und Grundsätze. In Verbindung mit dem Reichsausschusse der
Kriegsbeschädigtenfürsorge und mit der Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im
Kriege Gefallenen. Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1918. kL 8. VIII— 291 SS. M. 6.— .
ümbreit, Paul, üebergangswirtschaft und Arbeiterinteressen. Zehn Aufsätze
über die wichtigsten Fragen der üeberführung der Kriegswirtschaft in die Friedens-
wirtschaft. Berlin, Verlag für Sozialwissenschaft, 1917. 8. 48 SS. M. 0,50.
Barroil, E., La question sociale et la natalit§. Conference faite ^ l'üniversite
populaire du Faubourg Saint- Antoine, le 14 avril 1917. Paris, E. Barroil, 1917. 4.
25 pag.
10. Genossenscliaftsweseii.^
Einkaufsvereinigungen auf dem Lande. Mit Beiträgen
von E,. Grabein, R. Feldmann, E. Köhler, K. Gaebel. (Schriften des
Vereins für Sozialpolitik. Untersuchungen über Konsumvereine. Heraus-
gegeben von H. Thiel und R. Wilbrandt. Bd. 161, 2. Teil.) München
u. Leipzig (Duncker u. Hamblot) 1916. S«. 111 SS. (Preis: M. 3, — .)
Das Buch enthält fünf Arbeiten, jede in ihrer Art von besonderem
Werte. Die erste, betitelt: „Gemeinsame Bezüge der deutschen Land-
wirtschaft", aus der Feder des früheren Generalsekretärs des Reichs-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 757
Verbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften, jetzigen
Verbandsdirektors des Berliner Raiffeisenverbandes, Dr. Grab ein,
dürfte von ganz besonderem Interesse sein. Sie gibt in außerordentlich
klar und anschaulich geschriebener Weise ein fast lückenloses Bild der
bestehenden Einrichtungen und Organisationen des gemeinsamen Be-
zuges landwirtschaftlicher Bedarfsartikel. Nach einem kurzen geschicht-
lichen Ueberblick werden die rechtliche und wirtschaftliche Organi-
sation des gemeinsamen Bezuges untersucht und die Verschiedenheiten
im örtlichen wie zentralen Aufbau bei den wirtschaftlichen Organi-
sationen der Landwirte, insbesondere den genossenschaftlichen, in ihren
Vor- und Nachteilen fein gekennzeichnet. Ein besonderes Kapitel be-
handelt die kaufmännische und technische Seite des Bezugsgeschäftes.
Der Umfang der gemeinsamen Bezüge wird für das Jahr 1913 auf
450 Mill. M. geschätzt, woran die Düngemittel am stärksten beteiligt
sind, weniger Futtermittel und Sämereien. Der Verf. weiß auch hier
die Unterschiede zu begründen. Die Umwälzungen, die der Krieg her-
vorgerufen hat, werden nicht behandelt, jedoch die dabei gemachten
Erfahrungen hin und wieder als Schulbeispiel herangezogen. Nur wenig
Raum widmet der Verf. dem Absatz der landwirtschaftlichen Produkte.
Die zweite Abhandlung: „Ueber ländliche Lebensmittei-
Konsumvereiue" von R. Feldmann bringt im wesentlichen drei
Monographien, aus denen Schlüsse auf die Allgemeinheit zu ziehen,
gewagt erscheint. Aber auf so unerforschtem Gebiet ist die induktive
Methode oft der einzige Weg zur Herausschälung einiger Normen, die
einen Maßstab zur weiteren Forschung geben können. Solche Normen
herausgearbeitet zu haben, ist der Wert der Arbeit. In den Lebens-
mittel-Konsumvereinen wird ein Fortschritt gegenüber dem ländlichen
Kleinhandel gesehen. Anfechtbar erscheint der auf Induktionschlüssen
beruhende Vergleich zwischen den ländlichen Ortskonsumvereinen und
den Bezirkskonsumvereinen (städtischen) mit Filialen auf dem Lande.
In den beiden folgenden Aufsätzen schildert der Geschäftsführer
des Bundes der Landwirte, Dr. Ernst Köhler, „Die Einrich-
tungen der Verkaufsstelle des Bundes der Landwirte
und deren Zwecke und Ziele" und „Die Ein- und Vor-
kauf sgenossenschaften des R e V i si 0 n s Verbandes des
Bundes der Landwirte und ihre Entwicklung". Die Schil-
derung ist ganz deskriptiv und vermittelt in großen Umrissen ein in-
teressantes Bild der Entwicklung, auf Probleme geht sie nicht ein.
Das gleiche gilt von der letzten Arbeit aus der Feder der Dr. Käthe
Gaebel: „Die Konsum- und Spargenossenschaft für
Schney und Umgegend" (Oberfranken). Es handelt sich hier um
eine recht vielseitig und mit außergewöhnlichem Erfolge tätige Ge-
nossenschaft von Korbmachern, die im Jahre 1900 gegründet wurde,
um die Heimarbeiter aus ihrer Abhängigkeit im Rohmaterialienbezug
vom Arbeitgeber zu befreien. Die Genossenschaft hat sich in den
l^/j Jahrzehnten ihres Bestehens in einzigartiger Weise entwickelt,
indem sie aus gewichtigen Gründen auch den Verkauf der Körbe über-
nahm. Der Krieg brachte durch den Riesenbedarf an Korbwaren
758 Ueberaioht Über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Geschoß-, Werft- und Kohlenkörben, einen besonders starken Aufschwung.
Einzelheiten aus dem echt genossenschaftlichen Geschäftsbetrieb machen
die kleine Abhandlung besonders lesenswert. Willy Krebs.
11. Qtmetxgehung, Staats- und Verwaltungsreclxt. Staatsbürgerkunde.
Anbolt, Dr. Franz, Die deutsche Verwaltung iu Belgien. Berlin, Georg Stilke,
1917. gr. 8. 132 SS. M. 1,50.
Aschrott (Geh. Just.-R., Landger.-Dir. a. D.), Dr. P. F., Die Fürsorgeerziehung
Minderjähriger. Gesetz nebst Ausführungsbestimmungen und allen wichtigeren Ministe-
rialerlässen. Textausgabe m. Einleitung u. Erläut. 3. neubearb. Aufl. (Guttentagsche
Sammlung preußischer Gesetze. Textausgaben m. Anm. Nr. 28.) Berlin, J. Guttentag,
1917. kl. 8. 374 SS. M. 5.—.
Bi hl mann (Revisions-Vorst., Rechnungs-R.), Karl, Badisches Beamtenrecht.
Textausgabe, auf Grund amtlicher Quellen bearb. Karlsruhe, G. Braun, 1917. gr. 8.
XV— 400 SS. M. 5,60.
Front, Die innere. Das Kgl. Polizeipräsidium in Berlin. Mit 13 Handzeich-
nungen von E. Piekardt und Fritz Wolff (und 3 photogr. Taf.). Berlin, A. Jandorfs
Verlag, 1917. 17X25,5 cm. 94 SS. M. 5.—. .
Fürnrohr (Rechtsanw., Intend.-Assess.), Dr. August, Das bayerische Gesetz
über die Ansiedlung von Kriegsbeschädigten in der Landwirtschaft vom 15. VII. 1916
(bayerisches Ansiedlungsgesetz) , mit allen VoUzugsvorschriften erläutert. (Schweitzers
Textausgaben mit Anmerkungen.) München, J. Schweitzers Verlag (Arthur Sellier), 1917.
kl. 8. XII— 210 SS. M. 5.—.
Haus er, Dr. Victor, Der Versorgungsanspruch der Kriegsbeschädigten und
Kriegshinterbliebenen und die Zulässigkeit des Rechtsweges. München, J. Schweitzer
Verlag (Arthur Sellier), 1917. gr. 8. 71 SS. M. 2.—.
Hirsch (Abg.), Paul, Aufgaben der deutschen Gemeindepolitik nach dem
Kriege. Verfassungs- und Verwaltungsfragen. — Finanzwesen. — Armen- und Waisen-
pflege. — Arbeitslosenfürsorge. — Schul- und Bildungswesen. (Sozialwissenschaftliche
Bibliothek, Bd. 2.) Berlin, Verlag für Sozialwissenschaft, 1917. 8. 106 SS. M. 2.—.
Kriegs-Gesetze, -Verordnungen und -Bekanntmachungen, Sämt-
liche. Eingeleitet durch einen Auszug aus der Denkschrift des Reichskanzlers über
wirtschaftliche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges 1914/17, und Anhang: Preußische
Ausführungsbestimmungen. Mit Inhaltsverzeichnis, ausführlichem Sachregister und Ge-
setzesverzeichnis nach der Zeitfolge, hrsg. von der Redaktion des Deutschen Reichs-
gesetzbuches für Industrie, Handel und Gewerbe. 1./2. Erg.-Heft zu Bd. 4 (13./14. Erg.-
Heft zu Bd. 1). Abgeschlossen am 15. VIII. 1917. Berlin, Verlag Deutsches Reichs-
gesetzbuch für Industrie, Handel und Gewerbe (Otto Drewitz), 1917. gr. 8. XII— 398 SS.
M. 6.—.
Lammasch, Heinr., Das Völkerrecht nach dem Kriege. (Publications de l'in-
stitut Nobel norv^ien, Tome 3.) München, Duncker u. Humblot, 1917. Lex.-8,
XI— 218 SS. M. 10.—.
Lewinsky (Rechtsanw., Just.-R.), Herm., Die Apothekenbetriebsrechte in
Preußen. 2. vollst, umgearb. Aufl. Berlin, Julius Springer, 1917. 8. VIII— 220 SS.
M. 5.—.
Lütgert (Geh. Konsist.-R.), Prof. Dr. Wilh., Gesetz und Freiheit. Rede, bei
der Uebernahme des Rektorats in der Aula der vereinigten Friedrichs- Universität Halle-
Wittenberg. (Hallische Universitätsreden, Nr. 6.) Halle, Max Niemeyer, 1917. gr. 8.
19 SS. M. 0,80.
Mayer, Otto, Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. 2. Aufl. (Systematisches
Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft. Unter Mitwirkung von Prof. Dr.
H. Brunner .... hrsg. von fr. Prof. Dr. Karl Binding. VI. Abt. Bd. 2.) München,
Dancker u. Humblot, 1917. gr. 8. VI— 737 SS. M. 21.—.
Melden, Berth., Alois Graf Aehrenthal. Sechs Jahre äußere Politik Oester-
reioh-Ungarns. Mit einem Bildnis. Stuttgart, Deutsche Verlags- Anstalt, 1917. gr. 8.
242 SS. M. 6.—.
Niemeyer, Prof. Dr. Thdr. , Belgien und seine Neutralisierung. München,
Duncker u. Humblot, 1917. gr. 8. IV— 61 SS. M. 1,50.
Uebenicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 759
Paetel, Dr. Hanswerner, Die Stellvertretung des Reichskanzlers. Berlin,
Waldemar Wellnitz, 1917. 8. VII— 65 SS. M. 2.—.
Roeder, Dr. R. H., Das neue deutsche Postrecht, enthaltend Postordnung für
das Deutsche Reich vom 28. VII. 1917 mit erläuternden Anmerkungen, sowie Gesetz
über das Postwesen des Deutschen Reichs vom 28. X. 1871, nebst der Postnovelle vom
20. XII. 1899, erläutert durch die Rechtsprechung bis in die jüngste Zeit. Beide
Ausgaben mit einem ausführlichen Sachregister und einem Tabellenanhang über das
Postgebührenwesen. Berlin, Industrieverlag Spaeth u. Linde, 1917. kl. 8. 213 SS.
M. 4.—.
Wedermann (Oberamtsrichter), Konrad, Ein deutsches Jugendgesetz, vom Ge-
sichtspunkte der angewendeten Rechtspflege aus beurteilt. Nürnberg, Landesverein f.
innere Mission in Bayern, 1917. gr. 8. 24 SS. M. 0,60.
Werthauer, Dr. Kurt, Die rechtliche Stellung der Beamten und Angestellten
der Versicherungsträger. Nach deutschem Sozialversicherungsrecht dargestellt. Berlin-
Lichterfelde, Verlag der „Arbeiter- Versorgung", 1917. kl. 8. 78 SS. M. 1,50.
Organisation politique et administrative et l§gi8lation de l'Alsace - Lorraine.
Deuxifeme partie: Textes Ifegislatifs traduits et annot^s par l'Office de l^gislation fetran-
gfere et de droit internationale. Tome 2. Lois fiscales. Paris, Impr. nationale, 1917.
8. 719 pag. (Ministfere de la guerre. fitat major g^n^ral, deuxi^me bureau.)
Legislazione per le concessioni governative e per gli atti e provvedimenti
amministrativi : raccolta completa di leggi, decreti, regolamenti, istruzioni e normal!
ministeriali. Napoli, casa cd E. Pietrocola succ. P. A. Molina, 1917. 16. 163 p.
L. 2.-.
Cauwelaert, Fr. van, Losse bladen over Staatkunde. I. Vrij Belgie. Leiden,
De Vlaamsche Boekenhalle N. V. Üitg.-Mij. „Futura". 8. 8 en 143 blz. fl. 1,30.
Teding van Berkhout, N. G., Proeve tot een wet voor burgerlijken dienst-
plicht voor mannen, met toelichting. Rotterdam, D. van Sijn en Zonen. 8. 51 blz.
II. 0,50.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Forsten und Holzungen, Die, im Deutschen Reiche, nach der Erhebung des
Jahres 1913. Bearbeitet im Kais, statistischen Amte. Berlin, Puttkammer u. Mühl-
breeht, 1917. 32 X 25 cm. 125 SS. m. 3 Taf. M. 1,50. (S.-A. a. d. Vierteljahrs-
heften zur Statistik des Deutschen Reichs, 25. Jahrg., 1916.)
Kohn, Albert, Unsere Wohnungsuntersuchungen in den Jahren 1915 und 1916.
Im Auftrage des Vorstandes der allgemeinen Ortskrankenkasse der Stadt Berlin bearb.
Berlin, Allgemeine Ortskrankenkasse (Klosterstr. 71/72), 1917. Lex.-8. 88 SS. m.
15 Taf. M. 5.—.
Tarifverträge, Die, im Deutschen Reiche am Ende des Jahres 1915. Bearb.
im Kais, statistischen Amte, Abteil, f. Arbeiterstatistik. (Reichs-Arbeitsblatt, 15. Sonder-
heft.) Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1917. 30,5 X 21,5 cm. 14 u. 36 SS. M. 1,60.
Frankreich.
Statistiques des p^ches maritimes. Ann6e 1914. Paris, Impr. nationale, 1917.
8. 202 pag. (Ministfere des travaux publics et des transports. Sous-secrfetariat de la
marine marchande. Services des pdches maritimes, Office des pSches.)
Italien.
Jannitti Di Guyanga, Eugenio, Lc ultime statistiche penali e carcerarie
in Italia ed in Ispagna. Torino, ünione tipografico-editrice, 1917. 8. 14 p.
Mortara, Giorgio, Elementi di Statistical appunti sulle lezioni di statistica
metodologica , dettata nell' Istituto superiore di studi commerciali di Roma. Roma,
Athenaeum (CittÄ di Castello, soc. Leonardo da Vinci), 1917. 8. VIII— 414 p.
1. 10.—.
760 Ucbenioht über di« neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslande«.
13. Verscliiedene>.
Wagner, Martin, Bauwirtschaft, Realkredit und Mieten in und
nach dem Kriege. (Finanz- und Volkswirtschaftliche Zeitfragen, hrsg.
von V. Schanz und J. Wolf, Heft 34.) Stuttgart (Ferdinand Enke)
1917. 80. 45 SS. (Preis M. 1,80.)
Der in der Groß- Berliner Praxis stehende Verf., der durch frühere
Arbeiten zur Siedlungspolitik bekannt geworden ist, untersucht in
seiner Schrift die Grundlagen der städtischen Bauwirtschaft nach
Friedensschluß. In dem Abschnitt „Wohnungsproduktion und Mietsteige-
rung" geht er davon aus, daß die Baukosten nach dem Kriege weit über
20 V. H. mehr betragen werden als vor dem Kriege, daß die rentable
Wohnungsproduktion auf privatwirtschaftlicher Grundlage nicht denk-
bar sein wird, wenn die Mieten für Neubauten bei einer Baukosten-
verteuerung von 20 V. H. nicht um mindestens 33 Proz. und bei einer
solchen von 50 v. H. nicht um mehr als 50 Proz. steigen. Er will
der Schwierigkeiten nach Friedensschluß Herr werden durch die Be-
schränkung der Mietsteigerung auf einen bestimmten Satz und eine
Umlage der Neubaumehrkosten auf die alten und neuen Wohnungs-
bestände derart, daß nach vorbereiteter landesgesetzlicber Regelung die
Gemeinden auf Grund besonderer jährlicher Veranlagungen eine Ab-
gabe vom Mietzins (Mietssteuer) erheben, indem durch Einschätzung des
Mietwertes jeder vermieteten Wohnung an dem Veranlagungstag die-
jenige Grenze bestimmt wird, über die hinaus die Miete nicht gesteigert
werden darf. Für die Verwendungsmöglichkeiten einer solchen Miets-
steuer macht der Verf. eine Reihe wohldurchdachter Vorschläge, unter
anderen den, mit der geldlichen Hilfe der Mietssteuer auch das schwer-
wiegende Problem der Abbürdung der während des Krieges gestundeten
Mieten und das nicht minder ernste Problem der Behausung kinder-
reicher Familien zu verbinden. In einem besonderen Abschnitt über
staatliche und städtische Siedlungsämter kommt der Verf. zu dem Er-
gebnis, daß die Demobilisation der Kriegswirtschaft den staatlichen
Organisationen die positive Siedlungspolitik unmittelbar aufzwingen
wird; zu deren tatkräftigen Durchführung hält er über den Siedlungs-
organisationen der Städte und Kreise besondere Bezirkssiedlungsämter,
Landessiedlungsämter und als Krönung des neuen Baues ein Reichs-
siedlungsamt für grundlegende Notwendigkeiten.
Die Wagnersche Schrift ist ein wertvoller Baustein für die Lösung
der großstädtischen Boden- und Wohnungsfrage nach dem Kriege; in
engem Rahmen vermittelt sie eine Fülle von Anregungen, denen die
Nachwirkung gewiß nicht mangeln wird.
Berlin. Walter Leiske.
Egelhaaf, Gottlob, Bismarck. Sein Leben und sein Werk. 2. verm. Aufl
Stuttgart, Carl Krabbe Verlag, Erich Gußmann, 1918. 8. X— 491 SS. mit 1 BUdnii.
M. 11,50.
Festschrift zum 25-jährigen Regierungsjubiläum Sr. Kgl. Hoheit des Groß-
herzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein. Leipzig, Kurt Wolff Verlag, 1917.
Lex.-8. 175 SS. mit Abbild gn. M. 20.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 761
Helmolt, Dr. Hans F., Die Wiederherstellung Polens. Eine Gedenkschrift.
(Perthes' Schriften zum Weltkrieg, Heft 14.) Gotha, Friedrich Andreas Perthes, 1917.
8. 77 SS. M. 1,20.
Hinterthür (Handelsk.-Biblioth.j, Th., Kriegsstellen und Kriegsgesellschaften
für das Deutsche Reich und für Bayern, sowie die kommunalen Kriegborganisationen
für München. Nach dem Stande vom 1. IX. 1917, auf dem Sekretariat der Han-
delskammer München zusammengestellt. München, Chr. Kaiser, 1917. 8. 134 SS.
M. 3.—.
Hoetzsch, Otto, Der Krieg und die große Politik. Bd. 2. Bis zum Eintritt
Rumäniens in den Krieg. Leipzig, S. Hirzel, 1917. gr. 8. IV— 488 SS. M. 10.—.
Hofrichter, Dr, Anton, Krieg und Handelsrivalität. Ein kritischer Beitrag
zur deutsch-englischen Politik. Berlin, Buchhdlg. Vorwärts Paul Singer, 1917. 8.
104 SS. M. 2.—.
Kralik, Rieh, v., Oesterreichs Wiedergeburt. (Bücher der Stunde, Bd. ö.)
Regensburg, Friedrich Pustet, 1917. kl. 8, 107 SS. M. 1,20.
Kriele, Dr. Martin, Gedanken über Rußland. (Volkswirtschaftliche Zeitfragen,
Vorträge und Abhandlungen, hrsg. von der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft in Berlin.
Red.: Dr. Croner. Nr. 300/301, 39. Jahrg., Heft 2/3.) Berlin, Leonhard Simeon
Nachf., 1917. gr. 8. M. 2,50.
Leonhard, Prof. Dr. Rud., Zur Soziologie des Polentums. (Finanz- und
volkswirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. von Reichsr. Prof. Dr. Georg v. Schanz und Geh.
Reg.-R. Prof. Dr. Julius Wolf. Heft 39.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1917. Lex.-8.
24 SS. M. 1.—.
Penck, Albr., Die natürlichen Grenzen Rußlands. Ein Beitrag zur politischen
Geographie des europäischen Ostens. (Meereskunde. Sammlung volkstümlicher Vor-
träge zum Verständnis der nationalen Bedeutung von Meer und Seewesen, Hrsg. vom
Institut für Meereskunde an der Universität Berlin. Heft 133, 12. Jahrg., Heft 1.)
Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1917. 8. 40 SS. mit 1 Abb. und 2 eingedr. Karten.
M. 0.60.
Provo, Herm. , Sozialdemokratie und Mittelstand. Ein zeitgemäßes Wort an
die Parteien. (Kriegspolitische Einzelschriften, Heft 19.) Berlin, E. A. Schwetschke u.
Sohn, 1917. gr. 8. 96 SS. M. 1,50.
Ramos, Prof. Dr. Juan P., Die Bedeutung Deutschlands im europäischen Krieg,
üebersetzt von Heinr. Albrecht. (Veröffentlichungen des Deutsch-südamerikanischen
Instituts, Cöln a. Rh., Nr. 5.) Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1917. gr. 8. 135 SS.
M. 2,50.
Rausch, Prof. Dr. Karl, Die angelsächsische Verschwörung. Eine zeitgeschicht-
liche Untersuchung. Wien, Manz, 1917. Lex.-8. 250 SS. M. 5.—.
Rein, Wilh., Zur Neugestaltung unseres Bildungswesens. Rückblicke und Aus-
blicke. Leipzig, K. F. Koehler Verlagskonto, 1917. IX— 148 SS. M. 4.—.
Rhätus, Die moderne Reisewelt, Saison- und Handelswelt. Eine geschichtliche,
soziale und volkswirtschaftliche Großmacht mit besonderer Berücksichtigung der Kriegs-
und Zukunfiaverhältnisse. Davos, Buchdruckerei Davos, 1917. 8. VII— 167 89.
M. 5.—.
Sapper, Prof. Dr. Karl, Oesterreich-Ungam. Land, Völker und Staat. (Vor-
trag.) München, Verlag Natur und Kultur, 1917. kl. 8. 48 SS. M. 0,50.
Sztern, Die Lösung der Nationalitätenfrage. Zürich, Orell Füßli, 1917. gr. 8.
26 SS. M. 1.—.
Tseretheli, M. v., Die Befreiung Polens und das Nationalitätenprinzip bei den
Zentralmächten und bei der Entente. Bern, Ferd. Wyß, 1917. 8. VIH— 55 SS.
M. 1,50.
Wiese, Leop. v.. Der Liberalismus in Vergangenheit und Zukunft. (1. und 2.
Aufl.) Berlin, S. Fischer, 1917. 8. 248 SS. M. 4.—.
Zahorski, Dr. Bohdan v., Die Pazifikation Europas und die soziale Evolution.
Soziologische Betrachtungen. Mit einem Vorwort von (päpstl. Hauspräl., M. d. R.) Dr.
Alxdr. Gießwein. Budapest, C. Grills Hofbuchhdlg. (Julius Benkö), 1917. gr. 8. 47 88.
M. 2,60.
Eversley, Lord, The Turkish Empire. Tts growth and decay. London,
Unwin. 8. 12/.6.
jaa Die periodische Presse des Auslandes.
Johnson, Douglas Wilson, The peril of Prussianism. New York, Patnam.
8. 75 c
üriel d'Acosta, Peace problems in economics and finance. London, Bontledge.
8. 2/.6.
Donadeo, Alfredo, maggiore. La guerra e P avvenire del popolo italiano,
Roma, tip. E. Voghera, 1917. 8. 67 p.
Puyyelde, Leo van, L'orientation nouvelle du mouvement flamand. Amster»
dam, P. N. van Kampen en Zoon. gr. 8. 20 blz. fl. 0,30.
Die periodische Fresse des Auslandes.
A. Frankreich.
Journal de la Soci^tö de Statistique de Paris. 58« Ann&e, Oetobre 1917, No. 10:
La circulation et la thfesauration des monnaies d'or en France, par Ren§ Piipin. —
Chronique des questions ouvri^res et des assurances sur la vie, par Maurice Bellom.
— etc.
Journal des ^conomistes. 76* Ann§e, Septembre 1917: „The industrial unrest"
et les 80ci&t§3 commerciales de travail, par Yves Guyot. — Le contröle du commerce et
de l'industrie par l'jfetat, par A. Raffalovich. — La question de l'alcool, par G. Schelle.
— Le problfeme de la marine marchande aux fitats-Unis, par Maurice Dewavrin. —
Le projet d'impöts nouveaux, par £tienne Falck. — La question des sucres en 1917,
par Yves Guyot. — La presse allemande, par A. ß. — etc.
B. England.
Century, The Nineteenth, and after. August 1917, No. 486: The Imperial Con-
stitution: the new phase, by Sidney Low. — Cabinet and Convention, by D. C. Lath-
bury. — The real basis of democracy, by Edmoud Holmes. — etc. — Septembre 1917,
No. 487: British federalism : a vanished dream? by J. A. R. Marriott. — The retum
of Alsace-Lorraine, by (the abb§) Ernest Dimnet. — Agriculture and the minimum
wage, by F. E. Green. — A plea for British trade, by Charles Mallet. — etc.
Review, The Fortnightly. September 1917: Counting the cost, by Dr. E. J. Dillon.
— The political future of Germany, 1) by Kuno Francke (Emeritus curator of the
Germanic Museum, Harvard-University) ; 2) A reply, by James M. Beck (formerly
assistant Attorney-general of the United States). — France 1916 — 1917, by John Gale-
worthy. — Our monarchy and its alliances, by Cecil Battine. — The Reichstag and
economic peace, by H. N. Brailsford. — etc.
Review, The National. September 1917: The Britannic Commonwealth, by
(capt.) Richard Jebb. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österreichischen
Handelsmuseums. Bd. 32, 1917, Nr. 40: Die Rhein-Main-Donau-Groß-Schiffahrtsstraße,
von (Sekr. der Linzer Handelskammer) Dr. Gustav Bansky. — Wirtschaftspolitische
üebersicht (Ungarn, Deutschland, Bulgarien, Türkei, Schweiz, Frankreich, Rußland). —
Der niederländische Außenhandel im ersten Halbjahr 1917. — Die schweizerische
Papierindustrie. — etc. — Nr. 41 : Die Arbeiterverhältnisse in Kleinasien, von Gustav
Herlt. — Wirtschaftspolitische üebersicht (Ungarn, Deutschland, Holland, Schweiz,
England, Frankreich, Italien, Rußland). — Handelspolitische Annäherung der skandi-
navischen Länder. — etc. — Nr. 42 : Wirtschaftspolitische Ueberaicht (Ungarn, Deutsch-
land, Serbien, Bulgarien, Türkei, Rußland, England, Frankreich, Italien). — Die neue
Exportbank in Hamburg. — Die Lage der deutschen Eisenmärkte. — etc. — Nr. 43:
Wirtschaftspolitische Üebersicht (Ungarn, Deutschland, Schweiz, Türkei, Rußland, Eng-
land, Frankreich). — Die Eisenindustrie Italiens. — Das Post- und Telegraphenwesen
in der Türkei — etc.
Volkswirt, Der österreichische. Jahrg. 10, 1917, Nr. 2: Wir und Deutschland,
von Dr. G. St. — Die Grundlage für die Veranlagung der allgemeinen Erwerbsteuer
(Schluß), von Dr. Franz Schwarz. — etc. — Nr. 3 : Wir und Deutschland (II), von Dr.
G. St. — Neue Methoden der Erntestatistik, von Dr. Toni Kassowitz. — etc. — Nr. 4:
Die periodische Presse Deutschlands. 7jg9
Wir und Deutschland (III, Schluß), von Dr. G. St. — Die wirtschaftliche Verwaltung
des serbischen Okkupationsgebietes, von Prof. Dr. Karl Pribram. — etc. — Nr. 5 : Krieg
und Geldlehre (IX. Kriegskosten und „Geldentwertung"), von Walter Federn. — Die
wirtschaftliche Verwaltung des serbischen Okkupationsgebietes (Forts.), von Prof. Dr.
Karl Pribram. — etc.
F. Italien.
Giornale degli Eeonomisti e Rivista di Statistica. Vol. LV, Agosto 1917, No. 2:
Odserraiioni su alcune recenti dottrine protezioniste, di Attilio Cabiati. — etc.
G. Holland.
Economist, De, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Jaarg. 66, October 1917,
No. 10: Het medium voor internationale verrekeningen ; Het goud, door V. L. — etc.
Gids, De Socialistische. Maandschrift der sociaaldemocratische arbeiderspartij.
Jaarg. II, Oetober 1917, No. 10: De oorlog en de schuldvraag. III. (Slot.) (De sociaal-
democratie en de schuldvraag), door Mr. W. A. Bonger. — De waardeering van het
parlement (II). door J. H. Schaper. — Crisis en oorlog, (Een parallel), door J. van
Gelderen. — Staat en maatschappij, door Jos. Loopuit. — etc.
Die periodische Fresse Deutschlands.
Archiv für innere Kolonisation. Bd. 9, Jahrg. 1916/17, September, Heft 12:
Der Kampf gegen die Landflucht und die Slavisierung des platten Landes, von Kuno
Waltemath. — Die Tätigkeit der deutschen Ansiedlungsgesellschaften im Jahre 1916/17.
I. Ostpreußische Landgesellschaft. II. Pommersche Landgesellschaft. — etc.
Archiv, Weltwirtschaftliches. Bd. 11, September 1917, Heft 1: Die inter-
nationalen Wirtschaftsbeziehungen im Zeitalter des Frühkapitalismus, vornehmlich im
16., 17. und 18. Jahrhundert, von Prof. Dr. Werner Sombart. — „Privatwirtschafts-
lehre**, von Dr. Luc. Wiernik. — Der Handel Kon^tantinopels, von Dr. N. Honig. —
Verkehrswege in Polen, von Dr. Bruno Heiuemann. — etc. — Okiober 1917, Heft 2:
Der Kampf um die Edelmetalle im Zeitalter des Frühkapitalismus, vornehmlich im
16., 17. und 18. Jahrhundert, von Prof. Dr. Werner Sombart. — Das österreichische
Verkehrswesen im Kriege, von (Staatsbahnrat) Dr. Victor Krakauer. — Privatwirt-
«ehaftslehre (Schluß), von Dr. Luc. Wiernik. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 17,
1917, Nr. 10: Syriens Bedeutung für den deutschen Handel, von (Zoll Verwalter) G.
Gschwender. — Finanzierung der europäischen Kriegslasten durch eine internationale
Bank. — etc. — Nr, 11: Gegen einen Handelsvertrag nach Friedensschluß. — Die
Kolonien in der Handelspolitik. — etc.
Bank, Die. Oktober 1917, Heft 10: Das gute und das schlechte Geld (VIII u.
IX), von Alfred Lansburgh. — Pflichtenkonflikte im Bankgewerbe, von Ludwig Esch-
wege. — Probleme der Uebergangswirtschaft. (III. Der ideale Produzentenstaat, von
F. Gerling. IV. Die Arbeit und ihre Antriebskräfte, von A. L.). — Kriegsanleihe auf
Hypothek. — Kapitalbildung aus dem Jahresgewinn. — Borg- und Barwirtschaft. — etc.
Bank-Archiv. Jahrg. 17, 1917, Nr. 2: Kriegskosten und deren Deckung beim
Vierverband, von (Wirkl. Geh. Oberfinanzrat) Dr. O. Schwarz. — Silber, von G. H.
Kaemmerer. — etc. — Nr. 3 : Das Ergebnis der 7. Kriegsanleihe, von (Geh. Justizr.)
Prof. Dr. ßiesser. — Die Zuwachsberechnung des Besitzsteuergesetzes, von (K. S. Geh.
Rate u. Senatspräs. a. D. in Dresden) M. Hallbauer. — etc.
Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Jahrg. 13,
November 1917, Nr. 5: Gleiches Wahlrecht, von Prof. Dr. Robert Piloty. — Der
Anwaltstand in der Türkei, von (Rechtsanw.) Curt Albu. — Aus den Kolonisations-
problemcn Anatoliens, von Nathan Ben-Nathan. — Zur Frage der Rechtsvergleichung
und Rechtsvereinheitlichung, von (Amtsrichter) Dr. Albert Hellwig. — etc.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 8, 1917, Nr. 10: Kommunalpolitische
Vereinigung; Aufruf und Gründungstagung in Essen am 22. und 23. September 1917. —
Vorträge: Welches ist die gegenwärtige Lage der Katholiken und Anhänger des Zen-
trump in den Gemeinden?, von (Landtagsabg.) Dr. Grunenberg. — Welche Aufgaben
754 ^^ periodische Presse Deutschlands.
harren der Gemeinden im „neuen Deutschland", von (Stadtverordn., Justizr.) Dr. Bell.
— Was haben die Stadtverordneten und Gemeindevertreter zu tun, um ihren künftigem
Aufgaben gerecht zu werden?, von (Stadtverordn.) Dr. Ernst Esch.
Concordia. Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 24, 1917,
Nr. 20: Grundlagen, Ziele und Durchführung der unter der Bezeichnung „Kriegs-
Wohlfahrtspflege" von den Staatsbehörden den Gemeinden übertragenen Aufgaben (Schluß),
von (Magistratsrat) Liebrecht. — etc. — Nr. 21: Wirtschaftsrechnungen und Lebens-
verhältnisse von Wiener Arbeiterfamilien in den Jahren 1912 — 1914, von Dr. G. Al-
brecht. — etc.
Export. Jahrg. 39, Oktober 1917, Nr. 42—45: In letzter Stunde, von W. W.
— Umwälzung jenseits des Kanals, von Dr. Frhr. v. Mackay. — Die englischen Dro-
hungen über den Krieg hinaus (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Deutsche Handels-
kammern im Auslande. — Zur Geschichte des Deutschtums in Brasilien, von A. W.
Sellin. — etc. — November 1917, Nr. 46—49: Der Einfluß der Reformation auf
das heutige Staatsleben, von Dr. R. Jannaach. — Meeresfreiheit und Mittelmeer,
von Dr. Frhr. v. Mackay. — Zur Lage in Spanien. — Die Lage in der Schweiz Ende
Oktober d. J. — Aus dem Wirtschaftsleben Skandinaviens. — Nordamerikanischer
Wirtschaftsbericht. — Deutschland und Lateinamerika, von O. Sperber. — Zur Ge-
schichte des Deutschtums in Brasilien (Forts.), von A. W. Sellin. — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 170, November 1917, Heft 2: Luthers welt-
geschichtliche Stellung, von (Geh. Reg.-R.) Prof. Dr. Max Lenz. — Krieg, Kultur und
Dänemark, von Prof. Karl Larsen. Berechtigte üebersetzung aus dem Dänischen tou
Erich Schlaikjer. — Neue Wege kolonialer Siedluugspolitik, von Ulrich Otto. — Die
allgemeine Abrüstung, von Hans Delbrück. — Die „Times" und die deutschen Kolo-
nien, von Emil Zimmermann. — Die türkischen Bahnbauten während des Krieges, von
Emil Daniels. — Die innere Krisis und die auswärtige Politik; Die zukünftige mili-
tärisch-politische Bedeutung Belgiens, von Hans Delbiück. — etc.
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 23, Bd. 49, 1917, Heft 22: Wirtschafts-
politische Betrachtungen zum Ergebnis des Würzburger Parteitages, von Dr. August
Müller. — Sind die Gewerkschaften Vertreter der Konsumenten oder der Produzenten?,
von Emil Kloth. — Koloniale Rechtsordnung und Staatenbildung, von Max Schippel.
— Oekonomisches zur Rassenhygiene, von Georg Davidsohn. — etc. — Heft 23: Vor-
wärts zum politischen Handeln !, von Heinrich Pens. — England, die Ostorientierung
und Elsaß-Lothringen, von Dr. Ludwig Quessel. — Wie andere Interessenvertretungen
Gehör verlangen. Ein Beitrag zur Arbeitskammerfrage, von Max Schippel. — Der Ge-
nossenschaftsgedanke vor 25 Jahren, von Franz Laufkötter. — Frauenarbeit in der
Glasindustrie, von Emil Girbig. — etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 35, 1917, Nr. 1818: Finanzielles und
Wirtschaftliches aus England. — Die deutschen Banken im Jahre 1916 (IX), von Dr..
jur. Willy Baecker. — Hypothekenschutzbanken und Versicherungsgewerbe. — etc. —
Nr. 1819 : Das deutsche Volksvermögen unter dem Einfluß des Krieges, von (Bankvor-
stand) Jaenecke. — Die deutschen Banken im Jahre 1916 (X), von Dr. jur. Willy
Baecker. — etc. — Nr. 1820: Die dritte französische Kriegsanleihe. — Die Erneuerung
des Privilegs der Bank von Frankreich. — Die deutschen Banken im Jahre 1916 (XI),
von Dr. jur. Willy Baecker. — etc. — Nr. 1821: Die Einführung der Genehmigungs-
pflicht für Neugründungen und Kapitalserhöhungen. — Die deutschen Banken im Jahre
1916 (XII), von Dr. jur. Willy Baecker. — Kgl. Preuß. Staatsbank (Seehandlung). — etc.
Plutus. Jahrg. 14, 1917, Heft 43/44: Eisenbahnsperre. — Uebergangs Wirt-
schaft (XII), von G. B. — etc. — Heft 45/46: Förderung des kaufmännischen Nach-
wuchses, von (Diplom-Handelslehrer) R. Fuchs. — Uebergangswirtschaft (XIII), von
G. B. — etc.
Praxis, Soziale, und Archiv für Volks Wohlfahrt. Jahrg. 27, 1917, Nr. 3: Die
Lebensversicherung der Kriegsbeschädigten, von (Mathem.) E. Thiele. — Sozialpolitik
im Reichstag. — Gewerkschafter im Großen Hauptquartier. — Die Freien Gewerk-
schaften 1916. — Die Reichswochenhilfe in der Praxis, von (Arbeitersekr.) Fr. Kleeis.
— etc. — Nr. 4: Sozialpolitik in Bulgarien, von Arthur Dix. — Der Sozialdemokra-
tische Parteitag und die Sozialpolitik. — Zur Frage der Dienstpflicht der Frau, von
Else Lüders. — Die Ergebnisse der Kürzung der Arbeitszeit in den nordamerikanisohen
Bergwerken. — etc. — Nr. 5: Für die „gefährdeten" Jugendlichen!, von (Stadtschnl-
arat) Prof. Dr. Thiele. — Die Reichsregierung über die künftige Sozialpolitik. —
Die periodische Presse Deutschlands. 765
Kohlennot, Ernährungsschwierigkeiten und Massenspeisung. — Tarifberatung im Buch-
druckergewerbe, von Treffert. — Notwendige Verbesserungen der Krankenversicherung.
— etc. — Nr. 6 : Die Kriegstagung des deutschen Arbeiterkongresses, von Dr. Ludwig
Heyde. — Der Plan einer Kinderzulageversicherung der bayerischen Staatsbeamten,
von (Armee-Postinspektor) Dr. P. Krinner. — Die Aufgaben der Konsumvereine in der
Uebergangs- und Friedenswirtschaft. — Eine Wohnungsreform-Kundgebung. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 6, November 1917, Nr. 11: Das Reichsge-
setz über die Wiederherstellung der deutschen Handelsflotte, von (Justizr., M. d. R. u.
M. d. A.) Waldstein. — Keime künftiger Rechtsentwicklung im privaten Kriegnot recht,
von (Geh. Justizr.) Prof. Dr. Paul Oertmann. — Neue Rechtsprobleme in der Mieter-
aebutzverordnung, von (Beigeordn.) Rohde. — etc.
Rundschau, Koloniale. Jahrg. 1917, Juli/August, Heft 7/8: Dr. Georg Michaelis.
— Ein Amerikaner über die Kolonisation in Afrika. Zur Verfügung gestellt von
(Geh. Reg.-R.) Dr. Franz Stuhlmann. — Der deutsch -engliche Wettbewerb und die
Pariser Wirtschaftskonferenz, von Prof. Dr. H. Großmann. — Die Erneuerung des Is-
lam, von Hafis Abdul Hadi. — etc.
Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im
Deutschen Reiche. Jahrg. 41, 1917, Heft 3: Wäre der Parlamentarismus für Deutsch-
land oder Preußen richtig? von Gustav Schmoller. — Die Wege zur Festigung der
ungarisch-deutschen Beziehungen, von Julius Bunzel. — Propaganda gegen England
in Rheinland unter französischer Herrschaft, von Justus Hashagen. — Das Bergregal
•der Standesherren im Ruhrkohlenbezirk, von Ernst Havenstein. — Die gutsherrlich-
bäuerlichen Verhältnisse in Kurhessen, von Hans L. Rudioff. — Zur Krisis und Zu-
kunft des politischen Parteiwesens, von E. Hurwicz. — Niederländisch-Ostindien der
Gold- Exchange-Standard (Goldkern Währung), von G. Vissering. — Die beabsichtigte Ent-
thronung des Goldes, von Joseph Bergfried Eßlen. — Agrarzölle, Getreidemonopol oder
Freihandel. Ein Beitrag zur zukünftigen Gestaltung der deutschen Agrarpolitik, von
Karl V. Tyszka. — Wertarbeit und soziale Frage, von Bruno Rauecker. — Die aus-
ländische Kapitalbeteiligung an der deutschen Industrie, von Charlotte Leubuscher.
— Neue Wege der Bevölkerungspolitik (II) von Karl Oldenberg. — Kriegsurteile. Die
Bestrafung von Wucher und Preistreiberei im Kriege, von Alfred Hartwig. — Probleme
des Städtebaues im Lichte der Wirtschaftspolitik, von Karl Pribram. — Bemerkungen
zu Irving Fishers Geldlehre, von Othmar Spann.
Weltwirtschaft. Zeitschrift für Weltwirtschaft und Weltverkehr. Jahrg. 7,
Oktober/November 1917, Nr. 10/11 (Sondernummer: Die Schweiz): Weltkrieg und Welt-
wirtschaft, von (Wirkl. Geh. Oberfinanzrat) Dr. Schwarz. — Die Handelsbeziehungen
der Schweiz und Mitteleuropa, von Dr. L. Janko. — Der deutsch-sehweizerische Handels-
verkehr im Kriege, von Dr. Paul Leutwetn. — Die Schweizer Bestrebungen zur Schaf-
fung einer nationalen Seehandelsflotte. 1) Der Plan einer Schweizer Seeschiffahrt, von
H, Fehlinger. 2) Ist die Schaffung einer schweizerischen Handelsflotte möglich?, von
E. Trott-Helge. — Schweizer Finanzprobleme. — Ein neues Donau- Rheinprojekt. Der
Oberdonau-Untersee-Schiffahrtskanal, von (Ziviling. Nationalrat) R. Gelpkc. — Die Stel-
lung Basels im internationalen Verkehr, von (Sekr. der „Neuen Gotthardvereinigung"
Luzern) W. Miller. — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 13, Oktober 1917, Nr. 20: Zur Orga-
nisation des Kleinhandels, von Dr. Otto Brandt. — Mitteilungi'n des Deutsch- Ameri-
kanischen Wirtschaftsverbandes: Die Farbstofffrage nach dem Kriege. — etc. — Nr. 21:
Zur Lage der deutschen Seifenindustrie, von Dr. C. Deite. — Krieg und Wirtschaft,
von Dr. Leo Blum. — Deutsch-Amerikanischer Wirtschaftsverband : Eine nationale
Ausstellung chemischer Industrien. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 36, Bd. 1, 1917, Nr. 3: Die Bemer internationale Ge-
werkschaftskonferenz, von C. Legien. — Praktische Friedensarbeit, von Paul ümbreit.
— Trusts und Schleuderkonkurenz in der Handelspolitik, von Max Schippel. — Mehr
Mutterschutz und Sänglingsschutz, von Rudolf Wisseil. — etc. — Nr. 4: Nach der
Würzburger Tagung, von Heinrich Cunow. — Höhere Grundlöhne oder Teuerungszu-
lagen?, von Emil Dittmer. — Krankenkassen und Wohnungsfürsorge, von Hermann
Mattutat. — etc. — Nr. 5 : Belgien und die flämische Frage. — Zur Entwicklung
des Staatsgedankens in England, von Heinrich Cunow. — Die Opportunität in der Poli-
tik, von Arno Franke. — etc.
'7ßß Die periodische Presse Deutschlands.
Zeitschrift des Kgl. Preußischen Statistischen Landesamts. Jahrg. 56, 1916,
IV. (8chluß-)Abteilung : üeber Bilanzen, Rentabilitätsberechnung und Rentabilitätnta-
tistik, von (Mitgl. des Kgl. Preuß. Statist. Landesamts) Dr. Rudolf Meerwarth. — Eisenerx-
vorräte und Eisenerzerzeugung der Welt (nebst einer Einführung in die Entwicklung der
Roheisen-, Hochofen- und Eisenhütten-Industrie), von Dr. Heinrich Pudor. — Die Steuern
der preußischen Städte und Landgemeinden im Rechnungsjahr 1911, von (Mitgl. des
KgL Preuß. Statist. Landesamts) Prof. Dr. Oscar Tetzlaff. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft. Bd. 17, November 1917,
Heft 6: Die Einwirkung der Ernährung, insbesondere der Kriegsemährung, auf die
Lebensdauer, von Prof. Dr. med. Albert Albu. — Das Versicherunjjfcwesen in sorio-
logischer Betrachtung, von (Geh. Reg.-R,) Prof. Dr. phil. Ferdinand Tönnies. — Kredit-
versicherung, von (Justizr., M. d. A.) Prof. Dr. jur. Hans Crüger. — Zwei grunds&tzliche
Fragen des Haftpflichtversicherungsrechts, von (Synd., Rechtsanwalt) Elperting. — Die
Klauseln in der Feuerversicherung, von (Direktor) E. Reuter.
Zeitschrift für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik. Jahrg. 7, 1917,
Nr. 17/18: Neueinteilung von Baugrundstücken, von (Stadtbauinsp.) Ehlgötz. — Znr
Kartoffelversorgung, von (Oberbürgermstr., M. d. H.) Jarres. — Finanztechnische Be-
ratungstellen, eine Zeitforderung, von (Stadtsekretär) Gerling. — Die Sozialethik im
Pflichten kreis der Stadtverordneten , von (Berufsvormund) Niestroj. — etc. —
Nr. 19/20: Der städtische Milchhof in Hildesheim, von Dr. ing. Weidlich. — Unsere
Stadtkinder in Ostpreußen, von (Oberbürgermst.) Dr. Scholz. — Neueinteilung von Bau-
grundstücken (Schluß), von (Stadtbauinsp.) Ehlgötz. — Ein Streit um den Unterstützung;«:
Wohnsitz, von (Ober, -Reg.-R.) Dr. Oertel. — etc.
Zeitschrift für Sozial Wissenschaft. Jahrg. 8, 1917, Heft 8/9: Die parlamen-
tarische Kabinetsregierung (III), von W. Hasbach. — Deutschlands Aussichten in einem
Wirtschaftskriege nach Friedensschluß (I), von Jan Eyssen. — Die Gliederung der
deutschen Gewerbegeschichte nach sozialen Gesichtspunkten (II), von Prof. Dr. Karl
Koehne. — Einiges über meine Stellung zur Sozialpolitik, von Julius Wolf. — Die
Lebenshaltung der Arbeiter in Wien, von F. Zizek. — Produktionsgrenze und Arbeiter-
mangel, von H. Oswalt. — Der Tabakbau in Bulgarien, von Dr. P. Martell. — Freihandel
und Schutzzoll in Britisch-Indien, von Fehlinger. — Die Vereinigten Staaten von Amerika
als geschlossener Wirtschaftsstaat, von Dr. Heinrich Pudor. — Der deutsche Handel
mit Mexiko, von Dr. Ernst Schnitze. — Die Rechtsform des Arbeitstarifvertrages, von
Dr. Georg Jahn. — etc. — Heft 10: Die parlamentarische Kabinetsregierung (IV), von
W. Hasbach. — Die Gliederung der deutschen Gewerbegeschichte nach sozialen Ge-
sichtspunkten (III), von Prof. Dr. Karl Koehne. — Deutschlands Aussichten in einem
Wirtschaftskrieg nach Friedensschluß (II Schluß), von Jan Eyssen. — Die internationalen
Wechselkurse im Kriege, von Prof. Dr. G. Cassel. — Der Handelskrieg und die che-
mische Industrie, von Dr. Julius Luebeck. — Die Ottomanbank, von Dr. P. Martell.
— Krieg und Fürsorgeerziehung, von (Amtsrichter) Dr. Albert Hellwig. — Englands
Webstoffindustrie auf dem südamerikanischen Markt, von Dr. Ernst Schnitze. — etc.
Zentralblatt, Deutsches Statistisches. Organ der Deutschen Statistischen Ge-
sellschaft und des Verbandes Deutscher Städtestatistiker. Jahrg. 9, September/Oktober
1917, Nr. 7/8: Zur gewerblichen Betriebszählung im Deutschen Reich vom 15. August
1917, von (Priv.-Doz., Mitgl. des Kgl. Preuß Statist. Landesamts), Dr. Rudolf Meer-
warth. — Die Städtestatistik. nach dem Kriege, von Dr. Walter Schöne. — Nochmals
die Ermittlung der Säuglingssterblichkeit in Kriegszeiten, von (Reg.-R.) Knöpfel. —
Vorbereitung zum Statistikerberuf, von Eugen Würzburger. — etc.
Frommannsche Buchdruokerei (Hermann Pohle) in Jena — 4629
— 30I —
Volkswirtschaftliche Chronik.
Mai 1917.
I. Produktion im allgemeinen.
Inhalt; Beschäftigungsgrad im Mai.
Ueber den Geschäftsgang im Monat Mai schreibt das „Reichs-
Arbeitsblatt*' : „Die Kraft, mit der die deutsche Kriegswirtschaft seit
Monaten arbeitet, um den Erfordernissen des Heeres und des Inlands-
maj-ktes zu genügen, zeigte sich auch im Mai unvermindert stark und
verriet, mit dem Mai des Vorjahres verglichen, vielfach noch einei
Steigerung.
Im Bergbau und Hüttenbetrieb macht sich dem Vormonat gegen-
über teilweise eine Steigerung des Absatzes bemerkbar. Insbesondere
ist hier wie bei der Metall- und Maschinenindustrie verschiedentlich,
eine höhere Arbeitsleistung als im Mai des Vorjahres festzustellen.
Die elektrische wie die chemische Industrie arbeiteten ebenso rege wie
im Vormonat. Für die Nahrungsmittelindustrie ist im ganzen eine
Abschwächung kennzeichnend, während das Bekleidungsgewerbe eine
Veränderung in seiner im allgemeinen befriedigenden Lage nicht er-
fahren hat. Für den Baumarkt macht sich keine erhebliche Veränderung
geltend.
Die Nachweisungen der Krankenkassen ergeben für die
am 1. Juni 1917 in Beschäftigung stehenden Mitglieder dem 1. Mai
gegenüber insgesamt eine Zunahme um 100 186 Beschäftigte oder um-
1,41 V. H. (gegenüber einer Zunahme der Beschäftigtenzahl um 1,42
V. H. in der entsprechenden Zeit des Vorjahres). Das Zunahme Verhältnis
ist bei beiden Geschlechtern annähernd gleich. Die Steigerung der
männlichen Beschäftigung betrug 1,16 v. H. (gegenüber einer solchen
um 1,26 V. H. im Vorjahr). Die Erhöhung der weiblichen Beschäf-
tigung stellte sich am 1. Juni auf 1,64 v. H-, (gegenüber einer Zu-
nahme um 1,61 V. H. im Vorjahr). Daß die noch stärkere Zunahme
des vorigen Monats nicht ganz erreicht worden ist, erklärt sich in
erster Linie daraus, daß der April infolge des Eintritts der schulent-
lassencD Jugend ins Erwerbsleben in der Regel eine außergewöhnlich
hohe Zunahme verzeichnet. Zu berücksichtigen ist bei der Beurteilung
der Bewegung der männlichen Beschäftigtenzahl, daß die Kriegsge-
fangenenarbeit in den Ergebnissen der Krankenkassenstatistik nicht ein-
begriffen ist."
Was die männlichen Beschäftigten der Betriebskrankenkassen
im Vergleich zum Vormonat anbelangt, so zeigt sich ein Anwachsen der
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XX
302 —
Beschäftigung im Baugewerbe, in der chemischen und in der elektrischen
Industrie, ferner in der Landwirtschaft wie in der Metall- und Ma-
schinenindustrie; wohingegen das Nahrungsmittelgewerbe, die Beklei-
dungs- und Spinnstoffindustrie und das Holzgewerbe einen Rückgang an
Männern verzeichnen. Die weibliche Beschäftigung ist in denselben
Gewerbezweigen vorangegangen bezw. zurückgegangen wie die männ-
liche Beschäftigung.
Nachstehend ist die Bewegung der Beschäftigten in den einzelnen
Gewerbegruppen, soweit sie in der Berichterstattung der Betriebskranken-
kassen zum Ausdruck kommt, vom 1. Mai bis 1. Juni dar^stellt. Die
Zahl der versicherungspflichtigen Mitglieder betrug am 1. Juni 1917:
Land- und Forstwirtschaft,
Gärtnerei
Metall-, Maschinenindustrie
davon in Schlesien
Kheinl.-Westf.
Elektrische Industrie
Chemische Industrie
Spinnstoffgewerbe
{Schlesien
ßheinl.-Westf.
Kgr. Sachsen
Eis. -Lothringen
Holz- und Schnitzwaren
Nahrungs- und Genußmittel
Bekleidung
Baugewerbe
Voi? den berichtenden Unternehmungen gaben 290 den
Stand ihrer Arbeiterschaft im Berichtsmonat an. Diese beschäftigten
304128 Arbeiter. Neben der Beschäftigtenzahl im Berichtsmonat gaben
279 Unternehmungen auch die Zahl der im Vormonat beschäftigten
Arbeiter an. Hier waren am letzten Tage des Berichtsmonats insgesamt
288853 gegen 286 351 Arbeiter am Schlüsse des Vormonats tätig.
Es ist also im Berichtsmonat dem Vormonat gegenüber eine Zunaiime
der Beschäftigten um 2502 oder 0,87 v. H. eingetreten. Die Steigerung
gegen den Vormonat geht diesmal in der Hauptsache auf eine Mehr-
beschäftigung von Männern zurück.
An der Erhöhung der Beschäftigtenzahl dem Vormonat gegenüber
sind in erster Linie Bergbau und Hütten und die chemische Industrie
beteiligt. Ein Rückgang macht sich besonders im Maschinenbau und
in der Nahrungsmittelindustrie bemerkbar.
Der größte Teil der berichtenden Unternehmungen, nämlich 287,
teilte neben der Beschäftigtenzahl im Betriebsmonat auch den Stand der
Arbeiterschaft im gleichen Monat des Vorjahres mit. In diesen 287 Unter-
nehmungen waren im Berichtsmonat 303 854 Arbeiter gegenüber 247 689
im Mai 1916 tätig. Es ist also gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme
der Arbeiterzahl um 56165 oder 22,68 v. H. eingetreten. Diese starke
Zahl der
Pflichtmi
itglieder
Zu- oder Abnahme
abzüglich der arbeits-
gegen den
Vormonat
den Kassen
unfähigen
Kranken
in Prozent
männl.
weibl.
männl.
weibl.
75
7966
7273
+ 1,04
+ 8,96
568
425 142
141 257
+ 0,02
+ 2,01
47
42224
15885
— 0,68
+ 4,25
160
108 000
35930
+ 0,92
+ 3,24
13
32019
52147
+ 1,49
+ 1,33
75
51447
22494
+ 3,20
+ 7,76
716
51 811
121 336
— 1,57
— 0,72
54
6089
14 411
— 0,88
- o,si
141
9001
13763
— 0,41
+ 0,76
31
13 802
36945
— 0,62
+ 0,6 2
41
2635
7031
- 8,51
— 5,38
63
6338
2856
— 0,44
— 0,8 S
271
26638
41 719
— 3,35
— 4,59
73
5661
II 460
— 2,01
— 3,25
147
39668
6060
+ 9,63
+ 16,34
— 303 —
Zunahme geht in etwas größerem Maße auf das männliche als auf das
weibliche Geschlecht zurück.
Dem Vorjahr gegenüber ist ein Hückgang in der Beschäftigten-
zahl von nennenswerter Größe nur in der Nahrungsmittelindustrie, ferner
in der Bekleidungs- und Papierindustrie zu verzeichnen. Wesentlich
größer als die hier eingetretene Abnahme ist demgegenüber die Zu-
nahme in der chemischen Industrie, in der Metall- und Maächinen-
industrio wie auch im Bergbau und der elektrischen Industrie. In den
zuletzt genannten fünf G^werbezweigen ist, namentlich im Maschinen-
bau und in der chemischen Industrie, abermals eine lebhafte Steigerung
der männlichen Arbeiterzahl festzustellen. Die Anzahl der Frauen und
Mädchen ist dem Vorjahr gegenüber am meisten in der Maschinen-
indutsrie, sodann in der Metallverarbeitung, in der chemischen Industrie
wie in der elektrischen Industrie und im Hüttenbetrieb gestiegen.
Um den Einfluß des Krieges auf die Industrie festzustellen, sind die
Beschäftigtenzahlen für diejenigen Betriebe errechnet worden, welche
sowohl für den Berichtsmonat als auch für den entsprechenden letzten
Friedensmonat, den Mai 1914, Bericht erstattet haben. Es waren bei
160 Betrieben im Mai 1917 207 316 Arbeiter gegen 201317 im Mai
1914 beschäftigt, so daß also im Berichtsmonat der Friedenszeiti
gegenüber wiederum keine Abnahme, sondern eine Zunahme um 2,94
V. H. eingetreten ist.
Nachstehend geben wir die Veränderungen in den einzelnen Ge^
werben tabellarisch wieder:
Gewerbegruppen
1
B
Beschäftigte
am letzten Tage
des Berichtsmonats
Zu- oder Abnahme gegen den
Vormonat
insgesamt
männl. | weibl.
insges.
männl.
Anzahl
V. H.
Anzahl
Bergbau und Hüttenbetrieb
Eisen- und Metallindustrie
Industrie der Maschinen
Elektrische Industrie
Chemische Industrie
S pinnstoff gewerbe
Holzindustrie
Nahrungs- und Genußmittel
Bekleidungsgewerbe
Glas und Porzellan
Papierindustrie, Buchdruck
Sonstige Gewerbe (einschl.
Baustoffe und Schiffahrt.)
29
40
72
12
27
12
9
16
13
6
30
13
47456
65634
loi 598
5654
43 597
6493
640
6422
2695
1971
3914
2779
42484
49301
83661
2885
34996
1936
519
1823
455
1029
2 462
1665
+ 1766
+ 275
- 665
+ 30
+ 1585
+ 119
— I
- 487
— 59
- 31
— 50
+ 20
+ 3,87
+ 0,42
— 0,65
+ 0,5 8
+ 3,77
+ 1.87
— 0,16
— 7,06
— 2,14
— 1,55
— 1,26
+ 0,72
+ 1915
— 188
— 211
— 32
+ 990
+ 18
+ 2
— 91
— 22
— 34
— 120
+ 6
— 149
+ 463
— 454
-{■ 162
+ 595
+ lOI
— 3
— 396
— 27
+ 3
+ 70
+ 14
Summe
279
288 853
223 216
+ 2502
+ 0,87
+ 2233
+ 379
Nach den Feststellungen über die Arbeitslosigkeit in 33
Fach verbänden, die für 891 654 Mitglieder berichteten, wurden Ende
Mai 8729 Arbeitslose oder 1,0 v. H., d. i. die gleiche niedrige Ziffer
wie im Vormonat ermittelt. Sie war gegen den Mai der drei vprher-
XX*
— 304 -
gehenden Jahre wesentlich gesunken, da sie 1914 2,8, 1915 2,9 und 1916
2,5 V. H. betrug.
Die Statistik der Arbeitsnachweise läßt im Berichtsmonat für
das männliche wie das weibliche Greschlecht ein Sinken des Andranges
der Arbeitsuchenden erkennen. Im Mai kamen auf 100 offene Stellen
bei den Männern 53 Arbeitsuchende (gegen 56 im Vormonat), während
beim weiblichen Geschlecht sich der Andrang von 107 auf 96 ver-
minderte."
n. Landwirtschaft und yerwandte Grewcrbe.
Inhalt: Lage der landwirtschaftlichen Produktion : Weizen in England.
Getreidebörsen in den Vereinigten Staaten. Weltmarktpreise. Saatkartoffeln.
Haferration Korbweiden. Milch in Hessen. Getreideversorgung der Schweiz;
Brotkarte. Frankreich: Brotkarte; Weizenanbau; Erntearj^iten. Schweden:
Fischausfuhr. Rußland : Sommersaaten. Südaustralien : Weizen. London :
Massenspeisungen. England: Paketversand. Bier. Versorgung. Pferde-
fütterung. Getreidemühlen. Brotverbrauch. Vorräte. Lohnerhöhung. Ver-
einigte Staaten : Handelsflotte. Italien : Landwirtschaftspolitik. Rumänien :
Wirtschaftsverband. — Bau von Handelsschiffen. Argentinien: Ausfuhrverbot.
— Getreidemarkt. — Ungarn : Ansiedlung. Lancashire : Lohnerhöhung. Irland :
Anbau. England: Brot- und Zucker verbrauch. Anbau. Merinowolle. Ration
der Soldaten. Schiffsversicherungen. Brotkarten. Volksküchen. Renn-
pferde. Frankreich : Saatenstand. Versorgung. Italien : Bestandsaufnahme.
Schweden : Zivildienstpflicht. Kanada : Zolltarif. Argentinien : Ausfuhr.
Schweden : Getreideeinfuhr. Kanada : Zolltarif. Argentinien : Mais. Itahen :
Zucker, Reis, Milch. Petersburg: Getreidezufuhr. Frankreich: Vieh. Ge-
treide. Mehlverbrauch. Höchstpreise. Fleisch. Getreidevorräte. England:
Stärke. Lebensmittel. Kartoffeln. Saatenstand. Landarbeit. Brotkarten. Gerste.
Saatkartoffeln. Vereinigte Staaten : Regelung. Neuseeland : Hammel. Schweiz :
Hafer. Gerste. Futternot. Stroh. Jungvieh. Italien : Butter. Reis. Frankreich :
Teigwaren. Oel. Gretreide. Vereinige Staaten: Baumwolle. Lebensmittel.
England: Bergleute. Lebensmittel. Käse. Weizen. Algier: Weizen. Kanada:
Weizenpreis. Anbau. Rußland: Getreidemonopol. Fleisch. — Saaten- und
Ernteberichte : Frankreich. England. Argentinien. Oesterreich. Ungarn. Bul-
garien. Rumänien. Dänemark. Rußland. Bericht des Internationalen Land-
wirtschaftHchen Instituts. Weltmarkt. Seefrachten. Preise in Rußland.
Nach dem Wochenbericht der Preisberichtsstelle des Deutschen
Landwirtschaftsrats läßt sich die Lage der landwirtschaftlichen
Produktion in folgender Weise- beurteilen:
Während die englischen Minister im Ober- und ünterhause die öffent-
liche Meinung ihres Landes mit der Versicherung trösten, daß die Rasen-
flächen und Weideländereien der englischen Lords zu Weizenacker umgebrochen
würden, enthalten die Provinzblätter die Nachricht, daß die Landwirte aus
Mangel an Arbeitskräften und Betriebsmitteln vielfach nicht imstande sind,
die bisherige Fläche mit Weizen zu bebauen. Die Minister sind deshalb in
letzter Zeit schon dazu übergegangen, die Bevölkerung auf das nächste
Jahr 1918 zu vertrösten; dann würde die Weizenfläche derart vergrößert
werden, daß nur ein Fünftel des Bedarfs eingeführt zu werden brauchte.
Um die Lage Englands zu beurteilen, muß man sich vergegenwärtigen, daß
England schon vor dem Kriege mit über 80 Proz. seines Brotbedarfes auf die
überseeische Einfuhr angewiesen war, während Deutschland in normalen Zeiten
nur etwa ein Fünftel seines Brotbedarfes einzuführen brauchte, und deshalb
während des Krieges in der Lage ist, durch Rationierung den Bedarf aus der
einheimischen Ernte zu befriedigen. Während in Deutschland die Getreide-
305
Ernteertrag
Weizenpreis
t
M. f. d. Tonn
3327301
255,10
3 175 295
231,90
2 569 806
230,40
2 169 401
166,05
I 766 337
129,05
I 565 650
132,05
I 681 939
147,85
2 005 000
237,15
I 642 000
262,90
fläche von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gestiegen ist, ist sie gleichzeitig in England
gesunken. Die nachstehende Uebersicht zeigt die Entwicklung der Weizenfläche
und des Ernteertrages Englands seit Mitte des 19. Jahrhunderts von 1852 bis
1896, also in den letzten 64 Jahren, Zugleich ist der durohschnittliohe
Jahrespreiö für Weizen hinzugefügt :
Anbaufläche
ha
1852—59 I 655 978
1860—69 I 535 053
1870—79 I 425 926
1880—89 1097 431
1890—99 826 424
1900—09 699 III
1910—14 767 208
1915 878 205
1916 773815
Aus der Uebersicht ergibt sich, daß die Weizenfläche Groß-
britanniens und Irlands seit Mitte des 19. Jahrhunderts von 1656000 ha
bis auf 700000 ha im Jahrzehnt 1900 — 09 oder um mehr als die Hälfte herab-
gesunken war und sich seitdem nur wenig über diesen Tiefstand gehoben hat.
Dementsprechend ist der Ernteertrag von 31/2 MjII. t 1852—59 auf nur etwas
über 11/2 Mall, t gesunken. Die Abnahme der Weizenfläche ist genau parallel
mit dem Sinken des Weizenpreises gegangen. Derselbe ist von 255 M. für
die Tonne in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt bis Mitte der 90er Jahre auf unter 130 M., also um die Hälfte
gesunken. Oder mit anderen Worten : England muß den niedrigen Weizenpreis
im Frieden jetzt im Kriege mit der halben Weizenproduktion der früheren
Zeit bezahlen. Aber selbst die frühere Anbaufläche würde für die inzwischen
auf über 47 Mill. angewachsene Bevölkerung nicht ausreichen. England hatte
nur 800000 ha Brotkorn, Deutschland dagegen über 8 Mill. ha.
Aus Chicago wird am 15. Mai gemeldet, daß die Vertreter der führenden
Getreidebörsen der Vereinigten Staaten beschlossen haben, an
ihren verschiedenen Börsen einschränkende Bestimmungen am 14.
Mai in Kraft zu setzen. Die Mainotierung ist nicht mehr gestattet. Der
Juli- und Septembertermin ist infolge dieses Druckes gefallen, wie die nach-
stehende Uebersicht zeigt.
Entwicklung der Weizenpreise seit Anfang Januar 1917.
New York
Northern I Hardwinter
Chicago.
1917
Datum
6. Januar
3. Februar
2. März
1. Mai
8. „
9. „
10. „
11. „
12. „
13. „
14. „
15. „
16. „
17. „
18. „
19. „
dagegen 1916
Duluth
Cents
196V,
185V,
2137*
22iy,
2797*
320
Nr. 2
Cents
220V,
203V2
227%
238V,
297V.
326
Mai
Juli
September
Cents
Cents
Cents
185
151V.
13974
1688/4
14478
137V4
1888/,
'59
147^8
199V8
16774
154V4
257V»
212V4
182V4
297
232V4
194*/«
318
12374
29V4
250
275
259
242
230
219
228
240
"2V8
217
245
226
220
207
199
205
217
II2V,
— 3o6 —
Der Weltmarkt zeigte in der letzten Woche folgendes Bild: Weizen-
preise für die Tonne (Umrechnung nach dem Fri^enskurs) :
Letzte Vorletzte Zu- bzw.
New York: Hardwinter No. 2
Northern I Duluth
Chicago: Lieferungsware Mai
„ Juli
„ September
Buenos Aires
London: Höchstpreis für inländischen Weizen
Paris: Ankaufspreis für ausländischen Weizen ca.
Höchstpreis für inländischen Weizen
» ,. ,T Roggen
BrOm: Ankaufspreis für ausländischen Weizen ca.
Höchstpreis für inländischen Weizen
Bern (Schweiz) : Ankaufspreis für ausländ. Weizen ca.
Abgabepreis im Jnlande
Petersburg: Höchstpreis für inländischen Weizen
>, n „ Boggen
Kopenhagen: Ankaufspreis für ausländischen Weizen
Höchstpreis für inländischen Weizen
Stockholm: Höchstpreis für inländischen Weizen
.» .» V Boggen
Wien: Höchstpreis für inländischen Weizen
M M „ Boggen
Budapest: Höchstpreis für inländischen Weizen
Woche
Woche
Abnahme
M.
M.
M.
—
503 —
—
—
493,7 6
—
—
490,65
—
37o,so
424,30
54,—
334,80
378,05
43,2*
368,-
368,—
—
500-
500,—
0
267,30
267,30
0
244 —
244,—
0
500 —
500,—
0
291,60
291,60
0
550,—
550,-
0
453,60
453,60
0
315 —
315 —
0
256,—
256,-
0
500 —
500,-
0
236,-
236,-
0
270,—
270,—
0
259,-
259,-
0
290,50
290,50
0
240,70
240,70
0
315,10
3i5,*o
0
257,30
257,30
0
260,-
260,—
0
220.—
220,—
0
Berlin: Höchstpreis für inländischen Weizen
» ,, „ Boggen
Unter den obigen Höchstpreisen sind die Preise beim Verkauf durch
den Erzeuger zu verstehen. Die Höchstpreise für Petersburg gelten bei An-
käufen durch die Heeresverwaltung.
Das Kriegsernährungsamt hat mitgeteilt, daß die höheren Preise für
Pflanzkartoffeln bis Ende Mai für diejenigen Lieferungen gelten, die bis
zum 15. Mai abgeschlossen waren.
Vom 1. Juni ab tritt im Interesse der Sichers tellung der Haferversorgung
des Heeres eine allgemeine Herabsetzung der Haferration der Zivil-
pferde auf 3 Pfund täglich ein. Für die Pferdehalter ohne andere selbstge-
wonnene Futtermittel kommen zum Ausgleich der Kürzung der Haferration
erhöhte Mengen an Zusatz- und Ersatzfuttermitteln zur Verteilung.
Vom 20. Mai darf bis zum 15. Juli den Landwirten, welche aus den
ihnen zur Verwendung im eigenen Betriebe gelassenen Mengen Hafer frei-
willig an die Heeresverwaltung abliefern, neben den Höchstpreisen eine Ver-
gütung von 100 M. für die Tonne gezahlt werden.
Am 15. Mai ist eine Bekanntmachung betr. Bestandserhebung
von Weiden, Weidenstöcken, Weidenschienen und Weidenrinden in Kraft
getreten. Durch diese Bekanntmachung werden alle Weiden auf dem Stock
und geschnitten, Weidenstöcke, Weidenschienen und Weidenrinden einer drei-
monatlichen Meldepflicht unterworfen, sofern die Vorräte in den einzelnen
Sorten mehr als 3 Ztr. betragen. Die Meldungen sind von den in der Be-
kanntmachung bezeichneten Personen mittelst vorgeschriebenen Meldescheins
an die Holzmeldestelle der Kriegsrohstoffabteilung des Königlich Preußischen
Kriegsministeriums in Berlin SW. 11 (Königgrätzerstraße 100 A), welche
auch für Anfragen und Anträge zuständig ist, zu richten, und zwfer die erste
Meldung für den beim Beginn des 15. Mai 1917 (Stichtag) vorhandenem
Bestand bis zum 25. Mai 1917. Bei den späteren, bis zum 10. August, 10.
November 1917, 10. Februar und 10. Mai 1918 usw. einzureichenden Mel-
— 307 —
düngen ist der beim Beginn des ersten Tages eines jeden Meldeononats tat-
sächlich vorhandene Bestand maßgebend. Jeder Meldepflichtige ist außer-
dem zur Führung eines Lagerbuches verpflichtet, aus dem jeide Aenderung!
in den Vorratsmengen und ihre Verwendung ersichtlich sein muß. Der
Wortlaut der Bekanntmachung ist bei den Polizeibehörden einzusehen.
Der Kommunalverband für Milch- und Speisefettversorgung im Groß-
herzogtum Hessen hat in einer Bekanntmachung vom 9. Mai, die am 15.
Mai in Kraft tritt, das Großherzogtum für die Erfassung und Leitung der
Milch in Milchbezirke geteilt. Milchbezirk kann sein eine Gemeinde, mehrere
Gemeinden oder Teile einer Gemeinde. Mehrere Milchbezirke können zu einem
Milchgebiet vereinigt werden. Als Stallpreis ist zu zahlen 26 Pf. für das Liter
Vollmilch, wenn pro Kuh des Milchbezirkes weniger als 1 Liter gehefert
wird, der Stallpreis steigt auf 26^/2 Pf. bei Lieferung von 1 bis I1/2 Liter, auf
27 Pf. bei IV2 bis 2 Litern usw. bis auf 3OV2 Pf- bei Ueferunfe von 16
und mehr Litern pro Kuh.
Der schweizerische Bundespräsident Schultheß hat dem Vertreter
der amerikanischen Depeschenagentur Associated Press Powers über die Ge-
treideversorgung der Schweiz u. a. folgende Mitteilung gemacht:
„Vor dem Kriege bezog die Schweiz, beispielsweise im Jahre 1913, aus
Rußland und Rumänien ca. 240000 t, aus Kanada 80000 t, aus den Ver-
einigten Staaten 150000 t Weizen. Seit dem Kriegsausbruch ist der Handels-
verkehr zwischen der Schweiz und Rußland zufolge der Schließung der Dar-
danellen und der Sperrung der russischen Westgrenze vollständig unter-
brochen, und das Gleiche trifft zu für Rumänien. Auch Kanada liefert nicht
mehr. Die Schweiz hat daher im Jahre 1916 fast ihre gesamten Warenbe-
dürfnisse in Amerika, vor allem in den Vereinigten Staaten und zum Teil in
Argentinien gedeckt, und ihr Bezug stieg daher naturgemäß auf über 500000 t.
Die amerikanischen Staaten sind heute praktisch unsere einzig möglichen Ge-
treideUeferanten. Unsere gesamte Einfuhr an Getreide jeder Art und Mehl
ist keineswegs gestiegen; sie hat sich nur, was die Bezu^länder betrifft, ver-
schoben, und wir können also heute nur mit Hilfe der Lieferungen eixistieren,
die uns aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika und aus Argentinien
zukommen. Dabei betone ich erst noch, daß wir seit langer Zeit großen
Mangel an Futtermitteln, Mais, Futtermehlen, Oelkuchen leiden, so daß
unsere Fleisch- und Milchproduktion in geradezu beunruhi_gender Weise zurück-
ging. Wir haben in dieser Beziehung ein jährliches Defizit von über 300000 t,
und so erklärt es sich, daß die Schweiz, das Land der Milchoroduktion, im
letzten Winter und zur Stunde noch nicht einmal genug Milch produziert für
seinen eigenen Bedarf, und daß ein großer Teil ihres Viehes, da auch die Heu-
ernte des letzten Jahres schlecht war, direkt Hunger leidet."
Eine Konferenz von Vertretern der Kantonsregierungen und der Wirt-
schafts-Verbände in der Schweiz sprach sich zu Ende April d. J. dahin
aus, daß vorläufig von der Einführung der Karte Abstand genommen
werden möchte, weil Kartoffeln und Gemüse nicht mehr oder doch noch
nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Diesem Wunsche konnte
um so eher Rechnung getragen werden, als die Weizenabgabe zur Vermahlung
seit 4. April ohnehin schon derart reduziert ist, daß die auf den Kopf der
Bevölkerung entfallende Mehlmenge das vor dem 15. April in Deutschland
noch gültige Mittel von 225 g kaum wesentlich übersteigt. Immerhin
dürfte es die eidgenössische Monopolverwaltung nach wie vor als ihre Pflicht
betrachten, für den Fall einer eigentlichen Notlage diejenigen Maßnahmen vorzu-
bereiten, die bisher mehr als Prophylaxis angesehen und deshalb immer noch
verschoben wurden. Zu ihnen gehört auch die Brotkarte.
Der „Rappel" vom 11. Mai schreibt: „Die Brotkarte wäre für Frank-
reich, das Land der Brotesser, ein wahres Unglück".
Nach den Veröffentlichungen des französischen Landwirtschaf ts-
ministeriums wurde 1916 mit Weizen eine Fläche von 5034510 ha, 1917
dagegen nur 4276990 ha angebaut, also 15 Proz. weniger. Die Roggenfläche
verminderte sich von 920975 ha auf 827 840 ha, d. s. 10 Proz.; Hafer ist
1917 mit 650950 ha oder 5 Proz. weniger angebaut als 1916 und Gerste
~ 308 -
mit 109365 ha oder 9635 ha mehr. Die Anbaufläche von Kartoffeln betrug
1914: 1487 642 ha, 1915: 1344600 ha; 1916: 1303940 ha gleich 12,3 Proz.
weniger als 1914.
Im französischen Senate interpellierte der Abgeordnete Quesnel über
die Gleichstellung der verschiedenen Ministerien zur Sicherstellung der
für die Erntearbeiten notwendigen landwirtschaftlichen Ar-
beitskräfte. Alle zurzeit verfügbaren Arbeitskräfte müßten für den Acker-
bau freigelassen werden. Ackerbauminister Ferdinand David erwiderte, durch
Freilassung der Klassen 1888/89 seien 75000 Ackerbauer frei geworden, zu
denen demnächst noch 50000 freigelassene Mannschaften des Reserve- und
des Territorialheeres kämen. Außerdem seien 35000 deutsche Kriegsgefangene,
sowie 17000 Tunesier, Indochinesen und andere Ausländer zu landwirtschaft-
lichen Arbeiten herangezogen worden. Für die ausländischen Arbeitskräfte sei
ein Lohnzuschlag von 30 Proz. festgesetzt worden, um einen größeren Zuzug
zu erreichen.
Die schwedische Regierung erließ ein Ausfuhrverbot für Fische,
die in schwedischen Grewässern oder in der Ostsee, im Oeresund, Kattegat
oder Skagerrak gefangen worden sind.
Die „Moskowskija Wjedomosti" vom 26. April schreibt, daß in
Rußland die Bestellung der Sommersaaten durch die Banernunruhen
besonders auf den Gütern erschwert wird. Im Durchschnitt des Jahrzehnts
1901 — 10 waren in den 50 Gouvernements des europäischen Rußlands etwa
27 Mill. Deßjätinen mit Wintersaaten, dagegen etwa 47 Mill. Deßjätinen mit
Sommersaaten bestellt. In den Jahren 1910 — 12 betrug bei den Gutsbesitzern
die Anbaufläche 24 Mill., bei den Bauern 53 Mill. Deßjätinen. Wenn man aber
das Ernteergebnis berücksichtigt, so erbrachte dieses bei den Gutsbesitzern
1291,7 Mill., bei den Bauern 2661,2 Mill. Pud Getreide. Die Bauern ver-
brauchen aber den größten Teil ihrer Ernte in der eigenen Wirtschaft, während
das Getreide der Gutsbesitzer in der Hauptsache auf den Markt gelangt. Die
Ernteerträgnisse der Gutsbesitzer sind um 15 — 20 Proz. "höher als die der
Bauern.
Aus London wird vom 16. Mai berichtet, daß der Regierungsstatistiker
die letzte südaustralische Weizenernte auf 43851000 Busheis schätzt,
im Durchschnitt 15,85 Busheis vom Acre; die Gerstenernte betrug 1839000
Busheis, im Durchschnitt 16,99 Proz., und die Haferernte 1825000 Busheis.
„Daily Mail" vom 11. Mai meldet, daß gewisse Londoner Distriktsaus-
schüsse die Weisung erhalten haben, geeignete Maßnahmen für Massen-
speisungen vorzubereiten. Die Weisung besagt, der Fall könnte eintreten,
daß Maßregeln auf kurzfristige Benachrichtigung hin getroffen werden müßten,
und empfiehlt die Aufstellung von Listen in Wirtschaften und Speisehäusern
über die Zahl der von ihnen zu verpflegenden Personen, ferner über die Zahl
der in den Schulen zu speisenden Kinder und Einzelheiten über Fabrikkantinen.
„Times" erfahren, daß angesichts der Knappheit der Körnerfruchtvorräte
und der Begrenztheit des Schiffsraums die Regierung beschlossen habe, den
Paketversand von ganz oder teilweise aus Körnerfrucht hergestellten Lebens-
mitteln an die Frontsoldaten zu verbieten.
„Times" teilen mit, daß viele Gastwirtschaften sich weigern, einem Gaste
mehr als eine halbe Pinte Bier zu verabfolgen.
Stegemann schreibt im „Bund" am 15. Mai : „England kämpft jetzt nicht
weniger um das Ganze als Deutschland, und man muß mit einem systema-
tischen Feldzug gegen die Stützpunkte der deutschen Unterseeboote rechnen,
dessen erster Akt in dem üeberfall auf Zeebrügge bestanden hat. An deutschen
Gegenmaßnahmen wird es nicht fehlen. Damit rückt auf beiden Seiten ^ die
Seeflanke in den Vordergrund des Interesses. Grelingt es den Briten nicht,
durch rücksichtsloses Einsetzen ihrer See- und Luftstreitkräfte die deutschen
Häfen so zu beschädigen, daß die Verringerung des Fra^htraumcs durch diese
oder andere Maßnahmen wieder auf die alte Norm heruntergedrückt wird, so
ist England im September kaum noch imstande, den Krieg mit Aussicht auf
Erdauerung des Erfolges zu Ende zu führen, von der Revolution im Osten ganx
zu schweigen."
— 309 —
Eine Verordnung des englischen Nahrungsmittelkontrolleurs vom 11.
Mai schreibt einen eingehenden Maßstab für die Verwendung von Körner-
frucht bei der Pferdefütterung je nach dem Grade der Verwendung
der Pferde vor. Luxuspferde sind künftig von der Körnerfruchtfütterung ganz
ausgeschlossen.
Der in Verbindung mit dem Lebensmittelamt stehende Getreide-
mühlenausschuß hatte bis Anfang Mai 261 Mühlen, d. s. 87 Proz. der
Maidfähigkeit Englands übernommen.
Der Generaldirektor für sparsame Lebensmittelwirtschaft Kennedy Jones
schreibt in einem zur Einschränkunjg des Brotgenusses in Eng-
land aufrufenden Bericht: Die Lage ist so, daß unsere Kornernte erst spät'
stattfinden und wahrscheinüch hinter der vorjährigen zurückbleiben wird. Zwi-
schen jetzt und dem Zeitpunkte, zu dem wir aus dem neuen heimischen Korn
zu backen vermögen, kann nach Ausweis der Statistik ein Brotmangel eintreten.
Der Nationalausschuß der War Emergency Workers in England hat den
Arbeiter- und Arbeiterinnen- Verbänden eine Kundgebung mit dem Ersuchen
übersandt, die zuständigen Parlamentsvertreter dazu anzuhalten, daß die For-
derungen des brotessenden Arbeiterstandes gebührende Berücksichtigung finden.
Die Kundgebung legt dar, daß der Nationalausschuß seit geraumer Zeit die
verantwortlichen Minister vergeblich zu Maßnahmen zur Sicherung aus-
reichender Lebensmittelvorräte und zu deren gleichmäßigen Ver-
teilung aufgefordert habe. Obwohl nunmehr die Tauchbootgefahr jenen For-
derungen besonderen Nachdruck verleihe, schienen die zuständigen Stellen
noch immer nicht von der äußersten Dringlichkeit der Frage überzeugt
zu sein. Die Gefahr liege weniger darin, daß tatsächlich eine Hungersnot
eintreten könne, als darin, daß die beständig steigenden Lebensmittelpreise eine
für den Arbeiterstand unerschwingliche Höhe erreichen könnten. Die Kund-
gebung fordert daher, daß die Regierung sämtliche eingeführten und heimischen
Lebensmittel mit Beschlag belege, sie, soweit sie knapp seien, nach Familien
zuteile und den Brothöchstpreis für die Zeit bis 6 Monate nach Friedensschluß
auf 6 d für ein Vierpfundbrot (14 Pf. für das deutsche Pfund, der jetzige
Brotpreis beträgt in London 12 d, also doppelt so viel, wie die Arbeiter for-
dern) festsetze bei eventuellen Zuschüssen aus dem allgemeinen Kriegsaus-
gabenfonds.
Die Textilarbeiter in Lancashire, Yorkshire, Cheshire und Derby-
shire, insgesamt etwa 200000 Mann, drohen, am 26. Mai in den Ausstand
zu treten, wenn ihre Forderung, 20 Proz. Lohnerhöhung, nicht erfüllt wird.
Die Eegierung der Vereinigten Staaten hat auf Veranlassung Arlottas
einen Gesetzentwurf eingebracht, die gesamte amerikanische Handelsflotte
in Staatsdienst zu stellen. Man wird aber nicht alle Schiffe zur Be-
frachtung nach Europa benutzen können, da sich Schwierigkeiten mit den süd-
amerikanischen Staaten ergeben könnten, die Kohlen und andere wichtige Waren
ausschließlich durch Küstenschiffahrt erhielten und bei ungenügender Ver-
sorgung Gegenmaßregeln treffen würden, z. B. hinsichtlich der argentinischen
Getreideausfuhr.
In Italien hielt Minister Raineri vor dem Provinzialrat eine Rede über
die zukünftige Landwirtschaftspolitik der Regierung und sagte u. a.,
die für die diesjährige Ernte geltenden G^treidepreise müßten auch nach
dem Kriege lange Jahre als Zwangspreise beibehalten werden. „Secolo" schreibt
dazu, die diesjährigen Preise seien doppelt so hoch wie der Durchschnitts-
preis der Friedensjahre. Man hoffe, dadurch die Erzeugung in Italien ge-
waltig zu steigern.
Die Hafenarbeiter in Savona haben eine Lohnerhöhung von 25 Proz. sowie
Teuerungszulagen gefordert, da die Preise für Lebensmittel sich vielfach ver-
dreifacht hätten.
Im besetzten Rumänien ist ein rumänischer Wirtschaftsver-
band gegründet worden, weil die Militärverwaltung wünscht, daß das rumä-
nische Volk bei seiner Versorgung und der Verwertung seiner Bodenerzeugnisse
mitsprechen soll. Der Wirtschaftsverband besteht neben der Militärbehörde
aus Vertretern des rumänischen Ministeriums des Innern und des Ministeriums
— 3IO —
für Landwirtschaft und Domänen, sowie der landwirtschaftlichen Syndikate,
Volksbanken und Bauerngenossenschaften. Der Sitz ist Bukarest, Neben-
stellen bestehen in der Provinz.
Ueber den Bau von Handelsschiffen liegen folgende Zahlen in
Tonnen vor :
Großbritannien
Frankreich
Italien
Ver. Staaten
Japan
Niederlande
1913
1932 153
176095
50536
276 448
64664
104 296
1914
I 683 553
114 052
42981
200 764
85861
118 153
1915
650919
41320
31253
272 042
106 388
238 503
1916
582 305
38383
62944
521 136
232 858
226866
In Argentinien hat die Regierung das Ausfuhrverbot für Ge-
treide erneuert; es scheint demnach, daß die Regierung auch die kleinen
Mengen, die sie zur Ausfuhr zugelassen hatte, wieder zurückgezogen hat.
Auf den deutschen Getreidemärkten haben die warmen Gewitter-
regen sehr befriedigt, da ebenso wie schon während der letzten Woche die
Niederschläge in anderen Gegenden Deutschlands den Rückstand im Wachs-
tum gegenüber normalen Jahren wesentlich verringert haben.
Außerdem liegen über die verschiedenen ausländischen Erzeugungs-
gebiete noch folgende Mitteilungen vor, die dem deutschen Landwirtschafts-
rate zugegangen sind:
In Ungarn bereitet die Regierung u. a. einen Gesetzentwurf vor, der
sich auf die Schaffung von Bauernstellen durch Erleichterung des
Erwerbs von Grundbesitz für die breiten Volksschichten bezieht.
Die Gewerkschaftsorganisationen der Weber in der Baumwollindustrie
von Lancashire mit etwa 200000 Arbeitskräften verlangen eine Lohn-
erhöhung von 20 V. H. angesichts der steigenden Kosten für den Lebens-
unterhalt. Dabei haben sie schon eine solche von je 5 v. H. Anfang 1916 und
Anfang 1917 erhalten. Während der letzten Monate sei aber die Lage der
Arbeitgeber schlechter geworden, und die Aussichten seien weniger befriedigend
als je seit Kriegsausbruch.
Lloyd George teilte in seiner Rede am 27. April in der Londoner Guild-
hall mit, daß in Irland angeordnet sei, daß die Landwirte mindestens 10 Proz.
mehr Land bebauen müßten, und daß sie es getan hätten. Es seien
weiter in 3 bis 4 Monaten 1 Mill. Acres neues Ackerland zur Bestellung
gebracht, was 2 Mill. t Nahrungsmittel mehr bedeute. Nach den Plänen
der Regierung werden 3 Mill. Acres mehr bebaut sein. Die Einfuhr von
Holz und Erz müsse ganz eingestellt werden, um an Schiffsraum zu sparen.
Im englischen Oberhaus bezeichnete der Minister für Nahrungs-
mittelkontrolle, Lord Devonport, als Sicherheitshöchstmaß des Brot Ver-
brauchs eine Wochenration von 4 Pfund (1815 g) und teilte gleichzeitig mit,
daß die Zuckerration von ^4 Pfund auf V2 Pfund (225 g) für die Woche
herabgesetzt werden müsse.
Im englischen Unterhaus führte am 25. April in der zweiten Lesung
über das Kornanpflanzungsgesetz der Präsident des Ackerbauamtes,
Prothero, aus, daß die Nation frei von dem Alpdrücken der Tauchbootgefahr
sei, wenn der Gesetzesvorlage entsprechend die Anbaufläche des vereinigten
Königreichs um 8 Mill. Acres erhöht und dadurch von 19 auf 27 Mill.
gebracht würde. In der Debatte führte der frühere Handelsminister Runciman
aus, daß die Vorlage Englands Lage während des Krieges keineswegs zu bessern
vermöge.
In England hat nach einer amtlichen Mitteilung der durchschnittliche
wöchentliche Brotverbrauch 6 Pfund (2720 g) statt der von Lord
Devonport als Sicherheitshöchstmaß bezeichneten 4 Pfund (1815 g) betragen.
In England sind nicht nur alle rohen Merinowollen, sondern auch
die daraus gefertigten Kammzüge und die Merino-Kämmlinge mit Beschlag
belegt und von den Militärbehörden requiriert worden. Es sollen mindestens
11/2 Mill. Ballen aus Melburne weniger in England eingetroffen sein, als man
erwartet hatte.
Nach Aussagen englischer Kriegsgefangener, die am 15. April einge-
bracht würden, wird seit etwa 2 Monaten die Kation der Soldaten in den
— 311 —
Camps verkürzt. So ist die Brotration von 12 auf 9 Unzen (255 g) und
die Fieischration von 12 auf 6 Unzen (170 g) herabgesetzt worden.
Kapitän Bathurst teilte im englischen Unterhause mit, daß die Re-
gierung Beschlüsse über die Rationierung gefaßt habe. Danach
sollen sofort Schritte getan werden, um die Rationierung örtlich zu regeln.
Die Regelung soll eine gerechte Verteilung in allen Bezirken sichern. Die
Einführung eines brotlosen Tages erklärte Bathurst für unzweckmäßig. Auch
der fleischlose Tag habe sich nicht bewährt, da er zu gesteigertem Brot-
verbrauch geführt habe.
In England sind vom 1. Mai ab die Prämien für Schiffsver-
sicherungen um 100 Proz. erhöht worden.
Der Londoner Korrespondent des „Corriere della Sera" drahtet, daß Eng-
land in sechs Wochen Brotkarten einzuführen beabsichtige. „Daily MaU"
erfährt Ende April, daß demnächst die Brotrationen für die Armee verkürzt
werden.
Dem die Volksernährung leitenden Minister Lord Devonport stehen als
Gehilfinnen zwei Frauen zur Seite, die vorerst in London Volksküchen
eröffnen werden, in denen Hunderttausende ihre Mahlzeiten abholen können.
Auch wandernde Küchen sollen eingerichtet werden. Daß der für die Land-
wirtschaft verantwortliche Minister Prothero — ein früherer Landagent des
Herzogs von Bedford — zum Ersatz für die unter die Fahne einberufenen
Bauern und Bauernsöhne Frauen für den Ackerbau anwirbt, ist ebenfalls
ein Zeichen dafür, daß auf allen Gebieten des Erwerbslebens^ sogar als
Schornsteinfeger, das weibliche Geschlecht eingestellt wird.
Da der gegenwärtige Umfang der Haferfütterung für Renn-
pferde in England das Ausgehen der Hafervorräte vor der Herbsternte
befürchten lasse, empfiehlt der Generaldirektor für eine sparsame Nahrungs-
mittelwirtschaft Jones in einer Zuschrift der „Times", die Haferfütterung auf
die besten Zuchtpferde und für die zu den fünf klassischen Newmarket-
R^nnen angemeldeten Tiere zu beschränken, dadurch würde die Zahl der gegen-
wärtig trainierten Rennpferde von viertausend auf einhundert herabgedrückt
werden. Die Pferderennen sind verboten.
Der französische Saatenstand war am 1. April 1917 gegen-
über demjenigen des Vorjahres bedeutend weniger zufriedenstellend. Nur in
drei Departements gegenüber 33 des Vorjahres sind die Aussichten gut, in
vier sind sie ganz schlecht, in allen übrigen ziemlich gut. Ungenügende Bearbei-
tung des Bodens und der Mangel an Dungmitteln, sowie Ueberfluß an Regen
haben auf den Saatenstand sehr ungünstig gewirkt, was "Winterkorn sowohl,
als auch Mengkorn, Roggen, Weizen, Hafer und Futtermittel betrifft.
In Frankreich erklärte der Landwirtschaftsminister Violette, daß nur
der für die Landesversorgung notwend^e Teil beschlagnahmt werde,
die überschüssigen Bestände jedoch für den Handel freibleiben sollten. An
seinem Plane für die nächste Ernte werde der freie Getreidehandel unter ge-
wissen Bedingungen teilnehmen dürfen. Die Bedingungen bezweckten, der
Regierung darüber Aufschluß zu geben, in welchem Maße in den einzelnen
Provinzen die Getreidevorräte zunehmen oder abnehmen.
In Frankreich hat der Ministerrat den von dem Verpflegungsminister
Violette vorgeschlagenen Maßnahmen, die den Mühlenbetrieb und die Getreide-
versorgung sicherstellen sollen, seine Zustimmung erteilt. Die Zucker-
bäckereien werden endgültig geschlossen werden, wahrscheinlich vom 10. Mai
ab. Das Getreide soll bis zu 85 Proz. ausgemahlen werden.
In Italien ordnet ein Regierungserlaß die allgemeine pflichtmäßige
Bestandsaufnahme aller Getreide-, Mais- und Mehlvorräte an.
In Schweden hat die Regierung eine Vorlage zur Einführung der
Zivil dienstpflicht für alle männlichen und weiblichen Staatsbürger zwi-
schen 15 und 60 Jahren eingebracht, die durch Erlaß der Regierung einberufen
werden können. Die Dienstpflicht umfaßt im Prinzip das ganze Wirtschafts-
leben; sie soll aber vorläufig nur zur Beseitigung des Holzmangels in Anwen-
dung gebracht werden.
Die kanadische Regierung hat Weizen, Weizenmehl und Grieß-
mehl auf die Freiliste gesetzt. Hierdurch wird auf Grund der Gegen-
— 312 —
seitigkeitsbestimmungen der amerikanischen Zolltarife der amerikanische Markt
für kanadisches Getreide eröffnet. Die Maßnahme ist hervorgerufen durch den
Mangel an Tonnage und durch die Beschränkung der englischen Einfuhr für
Mahlzwecke. Der aufgehobene Ausfuhrzoll beträgt 70 Cts. pro Bushel Weizen,
45 as. für ein Faß Mehl.
In Argentinien hat die Regierung beschlossen, denjenigen argentinischen
Schiffen, welche ausländischen Reedern gehören, das Befahren der Kriegszone
zu verbieten. Ferner wird versichert, die deutsche Regierung zeige Geneigtheit,
den Forderungen der argentinischen Republik Genugtuung zu geben. Es heißt,
die Regierung werde die Ausfuhr von 50000 t Getreide nach Spanien und
von 8000 t nach Paraguay bewilligen.
In Argentinien hat der Ackerbauminister bekanntgegeben, daß er die
Ausfuhr von 35000 tMehl und 15000 tKorn nach Spanien gestatten werde.
Die Regierung werde gleichfalls die Mehlausfuhr nach Brasilien gestatten, unter
der Bedingung, daß Brasilien den Differenzzolltarif aufhebe, durch den die
nordamerikanische Einfuhr begünstigt würde.
Schweden hat mit England ein Abkommen getroffen, nach welchem
die Möglichkeit geschaffen ist, die schwedischen, in ausländischen Häfen
befindlichen Getreideladungen nach Schweden einzuführen. Danach würde
unter der Voraussetzung der Dauer des jetzt angeordneten Verteilungssyst^ns
das Bedürfnis des Landes an Brotgetreide bis zur nächsten Ernte völlig ge^
sichert werden, und zwar auch, wenn die Ernte, wie zurzeit zu befürchten
ist, sich verspäten würde.
Die Farmer von Manitoba in Canada haben über 1 Mill. $ ausgegeben,
um über 400000 Busheis an Saatgetreide zu beschaffen. Die Anbau-
fläche wird in diesem Jahre größer sein als im Vorjahre. Für Manitoba-
weizen zur Saat herrscht Nachfrage aus Frankreich.
Nach den Angaben des argentinischen Ackerbau- Departements wird
die Maisernte bedeutend unter einer mittelmäßigen liegen. Nach amtlicher
Schätzung beträgt die mit Mais angepflanzte gesamte Bodenfläche 3 629 570 ha;
wie bereits mitgeteilt, ist indes mehr als ein Drittel davon, nämlich 1328100 ha,
als verloren zu betrachten. Es kommen somit für die Ernte nur 2 301470 ha
in Betracht. In Jahren mit regelmäßigem Ertrag stellte sich dieser auf 1500
bis 2000 kg Mais vom Hektar, während in diesem Jahr nur einige bevorzugte
Gegenden ähnliche Erträge zeitigen werden. Die amtlichen Schätzungen der
Hektarerträge lauten : für Buenos Aires 600 kg, Santa Fe 500 kg, Cordoba
500 kg, Entro Rios 800 kg und für die anderen Gegenden 1500 kg. Auf
dieser Grundlage wird das Ergebnis, wie folgt, berechnet : Buenos Aires
Ö63 000 t, Santa Fe 277 500 t, C!ordoba 175000 t, Entre Rios 24000 t, andere
Gebiete 382 500 t, zusammen 1522000 t. Diese Gesamternte ist kleiner als die
früherer Jahre, mit Ausnahme von 1910/11, in welchem Jahre sie nur
703000 t betrug. Der inländische Verbrauch von Mais wird durchschnittlich
jährlich auf 1680700 t geschätzt, so daß auf der Grundlage der obigen Er-
tragsschätzung die Ernte zur Deckung nicht genügen würde, auf keinen
Fall aber einen Ausfuhrüberschuß lassen wird. Von der letzten Ernte ist
allerdings noch eine Restmenge vorhanden, welche je nach Ausfall der neuen
Ernte für die Ausfuhr in Betracht kommen könnte.
„Popolo d' Italia" beklagt sich darüber, daß in keinem Mailänder Geschäft
mehr 100 g Zucker aufzutreiben seien, und fragt, wohin der italienische
Zucker geraten sei, und wann wieder Reis zum Verkauf gelangen werde,
der ebenfalls nicht zu kaufen sei.
Für die Provinz Mailand ist Ende April der Höchstpreis für
Milch auf 35 Lire für den Hektoliter im Verkauf an die Händler und 50 Lire
im Kleinverkauf festgesetzt.
Die Zentrale des Lebensmittelausschusses in Petersburg teilte der Be-
völkerung mit, daß die Getreidezufuhr nur langsam vor sich gehe. Man
sei daher gezwungen, die Brotration auf ^/^ Pfund herabzusetzen. Der Ausschuß
forderte auf, diese unumgängliche Maßnahme ruhig aufzunehmen und mit
Brot möglichst zu sparen.
— 313 —
In Frankreich ist nach einem amtlichen Bericht die Anzahl der
Rinder auf 12 341950 Stück gegenüber 12 520106 am 1. Juü 1916 und
12 723 946 am 1. Juü 1915, die Zahl der Schafe von 12261000 am 1. Juü
1915 auf 10845 280, die Zahl der Schweine von 4909 886 auf 4361900 ge-
faUen. Die Pariser Blätter betonen, diese Statistik führe die Berechtigung der
von der Regierung ergriffenen einschränkenden Maßnahmen klar vor Augen.
Der Pariser „Temps" teilte am 7. Mai mit, daß infolge des schlechten
Wetters der letzten zwei Monate und des plötzüchen Witterungsumschwunges
die Aussichten Frankreichs für Wintergetreide sehr wenig zu-
friedensteUend und bezügüch der Frühjahrsaussaat die Aussichten nur in den
nordöstüchen und östlichen Departements günstig, im übrigen Frankreich
mittelmäßig seien.
In Frankreich regelt ein Dekret vom 5. Mai die Herstellung
und den Verbrauch von Mehl in folgender Weise: Vom 10. Mai ab
ist den MüUern untersagt : 1. die HersteUung von Weizenmehl unter 85 Proz.,
2. der Verkauf von anderen Arten von Mehl, Kleie und solchen Abfällen, die
sich bei der Gretreidereinigung ergeben, 3. die Lieferung von Mehl außer an
Bäcker, an Bauern, die ihr eigenes Gretreide vermählen lassen, sowie an Teig-
warenfabrikanten unter den vom Ministerium festzusetzenden Bedingungen.
Grieß darf künftig nur aus Hartweizen hergesteUt werden. Mischungen von
Oelarten und Surrogaten, wie sie nach Artikel 14 des Dekrets vom 8. April
1917 zulässig sind, sollen ausschüeßüch mit solchem Weizenmehl vorge-
nommen werden, das künftighin für den Bedarf der Zwiebackfabriken vorge-
sehen ist, die nur im Dienst der Armee und Marine, sowie der öffentüchen Für-
sorge arbeiten werden. Zum Verkauf von Mehl in Mengen von über 125 g sind
allein die Bäcker berechtigt. Der Preis für Kleie oeträgt, ab Mühle ge-
retjhnet, 24 frcs. per Ztr. Die Kuchenbäckereien und Biskuitfabriken sind
vom 10. Mai ah geschlossen.
Pariser Blätter verurteilen nach dem „Bund" fortgesetzt die Höchst-
preise. „Als der Minister Herriot den Preis der Butter mit 6 frcs. für das
Kilo angesetzt hatte, gingen die Eingänge an Butter in den Pariser Hauen
von 40000 kg auf etwa 5000 kg zurück. Herriot üeß in den Produktions-
zentren requirieren. Das ging so lange, bis die Vorräte erschöpft waren. Auf
d.en Märkten, wo die poüzeiüche Aufsicht scharf war, war kaimi Butter zu
finden, und die vorhandenen kleinen Mengen waren von sehr geringer Qualität.
Das Pubükum war höchst unzufrieden. Es erklärte, lieber viel bezahlen zu
woUen, als keine Butter zu haben. So ist es gekommen, daß der neue Er-
nährungsminister Violette den Butterhöchstpreis auf den 1. Mai wieder auf-
gehoben hat, und heute gilt das Küo Butter 10 frcs. Der Höchstpreis auf
Käse ist nicht aufgehoben, um die zurückgegangene Butterproduktion zu
ermutigen. In ähnücher Weise wie bei der Butter hat die Taxation bei den
Kartoffeln Fiasko gemacht."
„Seit dem 25. April ist es in ganz Frankreich verboten, in Wirt-
schaften, Kosthäusern usw. an Wochentagen abends Fleisch zu geben.
üeberaU müssen die Fleisch- und Wurstwarenhandlungen von nachmittags 1 Uhr
an geschlossen sein. Mit diesen Einschränkungen soU ein Problem gelöst
werden, das Herriot mit seinen Zweiplatten-Mahlzeiten nicht lösen konnte.
Es handelt sich darum, monatÜch 30000 Häupter Schlachtvieh zu sparen.
Geüngt dies mit den fleischlosen Abenden nicht, so wird Minister Violette
wahrscheinüch die Fleischkarte einführen lassen."
Der „Matin" sagt, daß man schon aus den ersten Resultaten der Bestands-
aufnahme der Getreidevorräte schÜeßen könne, daß die Lage nicht
gut sei. Man sehe, so sagt das Pariser Blatt, zwischen dem Augenblick der
Erschöpfung der eigenen Vorräte und dem der Ankunft der ersten Getreidetrans-
porte eine kurze Periode vor, in der Frankreich kein Brot hätte, wenn nicht
die kompetenten Behörden Ankäufe im Auslande gemacht hätten, die größer
seien als die Bedürfnisse. Es sind also für dieses Jahr noch Stocks vorhanden —
das nächste Jahr wird die Lage bedeutend schÜmmer sein, ob der Krieg an-
dauert oder nicht — , aber aus den Regierungsmaßnahmen geht hervor, daß
die Vorräte sehr gestreckt werden müssen, wenn es langen soll. Vor der
— 314 —
Bestandesaufnahme des Getreides hatte der Minister Violette sich mit dem
Gedanken getragen, die Fabrikation der Biskuits zu reglementieren. Jetzt heißt
es, alles Mehl der Biskuitfabriken werde beschlagnahmt, mit Ausnahme der
Mengen, die für die Bereitung der Armeebiskuits notwendig sind. Für die
Zivilbevölkerung wird es also bald keine Biskuits mehr geben. Die Sache
ist so schlimm nicht; die Zeiten sind so, daß man zufrieden sein kann, wenn
man Brot hat. Seit dem 1. Mai ist der neue Brotpreis in Kraft getreten.
Man bezahlt jetzt 95 Centimes für das Zivilbrot. Außerdem werden 5 Proz.
vom Gewicht zugunsten des Bäckers abgezogen, da nur mindestens 12 Stunden
altes Brot verkauft werden darf und die Bäcker den Gewichtsverlust nicht
tragen wollen.
Auf der Jahresversammlung der General Steam Navigation Company er-
klärte Richard White, daß der Schaden, der der Weltschiffahrt von den Deut-
schen zugefügt sei, sich bereits auf die riesige, fast unglaubliche Summe von
12 Milliarden belaufe.
Bathurst teilte im englischen Unterhause mit, daß die Stärke-
fabrikation aus Getreide ;3Lur noch mit besonderer Bewilligung gestattet
sein werde.
Die „Dai ly Mail" schreibt unter dem 27. April : „Wenn der gegenwärtige
üeberverbrauch und die Verschwendung anhalten, sind wir in weniger als
drei Monaten mit den notwendigsten Lebensmitteln zu Ende."
Eine V^ Meile lange Kartoffelpolonaise fand in Kingston statt.
wo 14000 Pfd. Kartoffeln in Einzelmen^en von 6 Pfd. zu 10 d (= ISi/g Pf.
für das deutsche Pfund) angeboten wurden. Von 5000 erschienenen Personen
erhielten 1000 nichts.
In dem Saatenstandsbericht des englischen Ackerbauministeriums
vom 1. April ist die mit Weizen besäte Anbaufläche im Vergleich zum
Vorjahre um ungefähr 8 Proz. niedriger geschätzt.
Die für landwirtschaftliche Arbeiten beurlaubten englischen
Soldaten sind am 1. Mai auf telegraphische Order vom General Haig
zurückberufen worden.
Der Lebensmittelkontrolleur Lord Devonport teilte am 8. Mai im eng-
lischen Oberhause mit, daß die Regierung es nicht für notwendig halte, das
Brotkartensystem einzuführen.
Die englische Regierung hat . die gesamten Gersten Vorräte, die
sich im Besitze der Brauereien befanden, beschlagnahmt.
Nach den „Daily News and Leader" vom 28. April bezahlen die Wohl-
habenden in England „Saat"-Kartof f ein mit 3 d für das Pfund (=28 Pf.
für das deutsche Pfund).
Im Kongreß der Vereinigten Staaten hat die Regierung einen
Gesetzantrag einbringen lassen, durch den sie ermächtigt werden soll :
1. Höchst- und Mindestpreise für Nahrungsmittel, Kleidungsstücke,
Petroleum, Benzin und alle für das tägliche Leben notwendigen Artikel
festzusetzen; 2. alle Fabriken, Werkstätten und Bergwerke zu übernehmen;
3. Personen, welche für das tägliche Leben notwendige Waren und Lebens-
mittel zurückbehalten, diese Artikel gegen entsprechende Entschädigung ab-
zunehmen; 4. den Handelsverkehr so zu regeln, daß die Spekulation unmöglich
wird; 5. die Eisenbahnen zu zwingen, den Verkehr entsprechend dem Böiarf
der Landesverteidigung zu regeln; 6. den Getreideverbrauch in Likör- und
Spirituosenfabriken einzuschränken; 7. dem Ackerbauminister soll das Recht
zustehen, den Verkehr, die Aufspeicherung, die Verteilung und die Ausfuhr
aller Lebensmittel zu kontrollieren.
Der Premierminister von Neuseeland teilte mit, daß augenblicklich
2 MiU. Hammel sich in neuseeländischen Gefrierräumen befänden, daß
aber keine Schiffe zur Verschiffung erhältlich seien. Die Zahl der gefrorenen
Hammel, die nicht verschifft werden konnten, würde bis Ende Mai auf
3 500000 steigen.
Vom 17. Mai an liefert das schweizerische Oberkriegskommissariat
Hafer, Gerste und Mischfutter, bestehend aus Hafer, Mais und Gerste,
in ganzen Wagenladungen, zu 52 fres. die 100 kg (42 M.) oder brutto für
— 315 —
netto (Sack für Ware), franko Station des Käufers. Diese Waren dürfen nur
als Nahrungs- und Futtermittel verwendet werden. Kauf, Verkauf und Ver-
wendung zu anderen Zwecken, z. B. zur Herstellung ?on Genußmitteln
(Bier, Malzkaffee usw.), zur Stärke- und Hefefabrikation und zu anderen
industriellen und gewerblichen Zwecken und Erzeugnissen, ist ohne besondere
Bewilligung des Oberkriegskommissariates verboten. Der Weiterverkauf in
ganzen Wagenladungen ist verboten. Die Höchstpreise sind in der Verfügung
des Militärdepartements angegeben.
Nach einer Mitteilung der Preisberichtssteile des schweizerischen
Bauernverbandes hatte die Futternot im Monat April einen Produktionsrück-
schlag zur Folge, wie sie einen solchen seit Bestehen ihrer Erhebungen noch
nie erlebte. Nach dem vorläufigen Ergebnis der Produktionsstatistik waren im
Mittel von 461 Gesellschaften die Milchlieferungen um 37 Proz. kleiner als im
gleichen Zeitraum des Vorjahres. Verglichen mit den Einlieferungen vor ^em
Kriege, beträgt (4. April 1914) der Produktionsrückgang 48,7 Proz. Die in
Konsumentenkreisen herrschende Auffassung, daß infolge des höheren Preises
auf Anfang Mai die Milchknappheit behoben wurde, ist nicht zutreffend. Die
Zunahme der Milchproduktion seit 1. Mai ist zur Hauptsache auf die seit-
herige günstige Witterung zurückzuführen.
Das schweizerische Militärdepartement hat die am 6. Oktober 1916
für Getreidestroh, Strohhäcksel und Eiedstreue festgesetzten Höchst-
preise am 24. Mai bis auf weiteres, wie folgt, erhöht: a) Getreidestroh
(Hafer, Gerste, Korn, Weizen, Roggen) : 9,50 frcs. (= 7,70 M.) in Wellen,
Garben oder beim Maschinendrusch hergestellten Ballen ab Stock, 11 frcs. in
fjpreßten, mit Draht gebundenen Ballen ab Stock; b) Riedstreue in vergorenem
ustande : 7,50 frcs. offen ab Stock oder Triste, 9 frcs. in Ballen gepreßt,
ab Stock; für un vergorene Riedstreue reduzieren sich die obengenannten
Höchstpreise um 20 Proz.; c) Strohhäcksel: 13 frcs. in gepreßten Ballen
oder in Säcken, verladen auf der Abgangsstation oder ab Schneiderei. Die
obigen Preise gelten nur für Waren der Ernte 1916. Die Höchstpreise für
Stroh der Ernte 1917 werden später festgesetzt. Diese Verfügung tritt sofort
in Kraft. Zuwiderhandlungen gegen dieselbe werden mit Buße bis auf
10000 frcs. oder mit Gefängnis auf drei Monate bestraft.
In der Schweiz teilt die Landwirtschaftsdirektion des Kantons Bern
mit: Die Viehzüchter werden dringend ersucht, bei der Aufzucht des
Jungviehs, besonders der Stierkälber, nicht mehr Milch zu verabreichen,
als diese für eine normale Entwicklung unbedingt nötig haben. Als Höchst-
quant um der täglichen Vollmilchgabe sollten für Kuhkälber 5 bis
6 Ltr., für Stierkälber 7 — 8 Ltr. nicht überschritten werden. Das Verabreichen
von Vollmilch ist zulässig bis zu einem Höchstalter von 5 Monaten bei Kuh-
kälbern und 6 — 7 Monaten bei Stierkälbem. Wo einwandfreie Magermilch
gewonnen wird, sollte dieselbe an Stelle der Vollmilch den Elälbern im Alter
von 6 und mehr Wochen gereicht werden. In einem an die Kantonsregieningen
gerichteten Kreis- Schreiben des schweizerischen Volks wir tschaftsdepartements
wird darauf hingewiesen, daß an den interkantonalen Zuchtstiermärkten zu
üppig gefütterte Stierkälber und Jungstiere bei der Prämiierung zurückgesetzt
oder ganz ausgeschlossen werden. Die Landwirtschaftsdirektion wird der
Viehschaukommission strikte Weisung geben, Tiere, denen offensichtlich ein
größeres Quantum Milch verabreicht worden ist, als zu ihrer Entwicklung
notwendig war, von der Zuerkennung von Barprämien auszuschließen.
„Gazzetta Ufficiale" veröffentlicht einen Erlaß, durch den eine allge-
meine Beschlagnahme der Buttervorräte in Italien angeordnet wird.
Von der Tagung der lombardischen Landwirtechaftsverbände in Mai-
fand verlautet, daß im Juni nur ein Kilo Reis für die Person verabreicht;
werden kann. Es bestehe aber die Hoffnung, daß infolge der augenblicklich
stattfindenden Beschlagnahme die Menge verdoppelt werden könne.
In seiner Kammerrede vom 29. Mai über die Preistreibereien in
Frankreich teilte Verpflegungsminister Violette mit, daß sein Ministerium
kürzlich in Marseille Teigwaren zu 159 frcs. für 100 kg gekauft habe, die
später in Paris zu 300 frcs. verkauft worden seien; den Preisunterschied
— 3i6 —
hätten Schieber eingesteckt. Die ganze tunesische Oelerzeugung werde jetzt
beschlagnalimt und an die französische Industrie verteilt werden.
Zur Getreideversorgung Frankreichs schreibt Bataille, der dies-
jährige Ausfall an Brotgetreide werde ungefähr 41 Mill. dz erreichen. Diese
Ziffer sei geeignet, die ernsteste Besorgnis für die Lage Frankreichs im Jahre
1918/19 einzuflößen. Hoffentlich werde sich angesichts der drohenden Gefahr
in der Kammer ein Abgeordneter finden, der von der Regierung Aufklärung
und Vorsichtsmaßregeln fordere. Es wäre zu spät, über die kommende Ernte,
die Frankreich im Jahre 1917/18 ernähren müsse, zu verhandeln, deswegen
solle man um so mehr rechtzeitig an die Ernte 1918 denken, die ausreichend
genug sein müsse, um nicht 1918/19 zum furchtbarsten Jahre für die franzö-
sische Bevölkerung zu machen, das in der Weltgeschichte ohnegleichen wäre.
Das Landwirtschaftliche Bureau in Washington veröfientlichte am
1. Juni den ersten diesjährigen Monatsbericht über Baumwolle, nach
welchem der allgemeine Durchschnittsstand Ende Mai 69,5 Proz. betrug gegen
77,5 Proz. im Vorjahre, 80 Proz. im Jahre 1915, 74,1 Proz. in 1914 und
79,1 Proz. in 1913. Es ist also gegen das Vorjahr eine Verschlechterung imi
8 Proz. zu verzeichnen.
Das amerikanische Repräsententenhaus hat das erste Lebensmittel-
gesetz angenommen, das eine Ausgabe von 15 Mill. Dollar für eine Bestandes-
aufnahme der Lebensmittel vorsieht.
Anscheinend ist ein bedeutender Faktor, mit dem die englische Re-
gierung bei ihrer Beschlußfassung zu rechnen hat, der über eine Million
Mitglieder zählende Bergmanns verband. Die Vertreter Versammlung des-
selben nahm am 15. Mai eine Entschließung an, daß, bevor sie grundsätzlich
der Zwangszuteilung zustimme, ein Ausschuß aus ihrer Mitte bei der Re-
gierung den Nachweis der Notwendigkeit des Schrittes verlangen müsse,
und daß der Ausschuß dem Premierminister klarmachen solle, die Regierung
müsse die gesamte Lebensmittelverteilung übernehmen, die Preise in einer
Höhe ansetzen, die dem kleinen Manne den Kauf gestatteten und den be-
stehenden schamlosen Nahrungsmittelwucher unterdrücken.
Hinsichtlich der Lage der Lebensmittel sagte Bathurst am 25.
Mai in Hampstead: „Die Weizenvorräte sind beinahe gefährlich knapp
gewesen, aber die Brauer, die zwei Mill. Quarters ungemalzter Gerste lagern
hatten, haben die Lage gerettet."
Der englische Lebensmittelkontrolleur hat die gesamte Käseein-
fuhr aus den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Neuseeland in
Beschlag genommen.
In England bestätigt eine amtliche Mitteilung, daß der Lebensmittel-
kontrolleur Lord Devonport aus Gesundheitsrücksichten seine Entlassung er-
beten hat.
In England schreibt der landwirtschaftliche Mitarbeiter der „Yorkshire
Post" unter dem 5. Mai u. a. folgendes : „Es tritt die Frage auf, wieviel
Weizen die Nationen zu ihrer eigenen Erhaltung bauen müssen, wenn Brot
nur aus Weizenmehl hergestellt wird. Ich nehme dabei an, daß wir auch nach
dem Kriege nicht mehr zu dem weniger nahrhaften weißen Mehl zurückkehren
werden, sondern nur Brot aus voll ausgemahlenem Weizen (Standardbrot)
verwenden werden. Eine Bevölkerung von 46 Millionen Menschen, die durch-
schnittlich 6 engl. Pfd. (= 2722 g) auf den Kopf wöchentlich verbraucht,
würde im Jahre wenigstens 250 IVfill. Busheis Weizen benötigen. Falls wir
unserer Rechnung das Standardbrot zugrunde legen, so würden 4^/4 Bushd
(= 116 kg) auf den Kopf der Bevölkerung genügen. Dies würde also eine
entsprechend geringere Einfuhr oder weniger bebautes Land bedeuten.^ Ein
Durchschnitt von 2 Mill. Acres mit Weizen bebauter Fläche, wie wir ihn
in der Vergangenheit ungefähr innehielten, würde nur 64 Mill. Busheis
(= 1,742 Mill. t) hervorbringen. Aber selbst wenn wir hierzu 3 Mill. weitere
Acres Weizenland tdnzurechnen — obgleich es mir schleierhaft ist, wie wir
so viel Land unter Weizen bekommen sollen — so werden wir noch nicht
einmal 150 Mill. Busheis (= 4,083 Mill t) erreichen, da mit der vergrößerten
— 317 —
Anbaufläche der Durchschnittsertrag sinkt. Als ich vor einigen Jahren diese
Frage hier beleuchtete, war der Weizenertrag in Deutschland 18,8 Bushefe
per Acre, jetzt ist er über 31 Busheis. Diese Zahlen sind einfach ^enug,
aber sie zeigen uns, daß trotz einer Hin zunähme von 3 Mül. Acres neuen
Weizenlandes wir noch um ca. 100 Mill. Busheis (= 2,722 Mill. t) zu kurz
kommen."
Die Weizenanb auf lache in Algerien beträgt im Dep. Oron 348697
ha (7881 ha weniger als 1916), im Dep. Alger 265944 ha (70692 ha weniger
als 1916), im Dep. Constantine 656006 ha (24892 ha mehr als 1916). Mit
Gerste wurden in Algerien 1153 689 ha bestellt (64109 ha weniger als im
Vorjahre).
In Kanada fordert ein starker Druck der öffentlichen Meinung, wie
€in in den, „Times" vom "7. Mai veröffentlichter, drahtlicher Eigenbericht aus
Toronto meldet, von der Regierung Maßnahmen zur Kontrolle der Weizen-
preise. In Ottawa ist man der Ansicht, daß die künstlichen Preistreibereien
auf dem Winnipeg- Weizenmarkt, die so wilde Schwankungen der Preise hervor-
rufen, unbeabsichtigterweise durch die Agenten der britischen Weizenkom-
mission hervorgerufen sind, indem sie ungewöhnlich große Kontrakte ab-
geschlossen haben. Es ist nicht genug Weizen vorhanden, um diese Kontrakte
einzuhalten, und die Verkäufer bitten, von den Kontrakten entbunden zu werden,
oder geringere Qualitäten als die geforderten zu niedrigeren Preisen liefern zu
dürfen. Andererseits wird in Nachrichten aus dem Westen berichtet, daß
die Preise an der Kornbörse in Winnipeg kein richtiger Maßstab für die wirk-
lichen, den Farmern gezahlten Preise sind. Die Behörden glauben, daß es
kein wirksames Mittel zur Preiskontrolle gibt, falls man nicht gemeinsam
mit Washington vorgeht.
Die Anbaufläche für Winterweizen in Kanada wird, wie
,3irmingham Daily Post" vom 9. Mai meldet, auf 899 000 Acres geschätzt,
d. i. 18 V. H. weniger als im Vorjahre.
Der russische Verpflegungsminister ,Plechanow hat auf dem Kongreß
der Frontvertreter festgestellt, daß ein Getreidemonopol bis jetzt nicht
durchführbar sei, da die Organisation sehr verwickelt sei und viel Zeit be-
anspruche, besonders in den Gemeinden und Dörfern. Selbst bei Durchführung
eines Gctreidemonopols würde sich die Lage nicht bessern, weil die Bauern
dem Papiergeld keinen Wert beilegten.
In Rußland berichtet die „Wetscherneje Wremja" vom 25. Aprü:
„Die städtischen Fleischabgabestellen verteilten ein Wochenquantum
von 3 Pfd. (1200 g) pro Kopf. Im freien Verkehr ist Kalb- und Schweine-
fleisch angeboten. Kalbfleisch schwankt zwischen 80 Kop. und 1,20 Rbl.
(= 2,10—3,15 M. für das deutsche Pfund, Friedenspreis etwa 20 Kop.
= 0,52 M. für das deutsche Pfund. Wild fehlt beinahe ganz. Hühner
1,40 Rbl. (=2,90 M.), Truthühner 1,40 Rbl. das Pfund (=3,65 M. für
1 deutsches Pfund). Bei den Wursthändlern sind große Vorräte von ge-
räucherter Wurst zum Preise von 1,60 Rbl. bis 2 Rbl. das Pfund (= 4,20
bis 5,25 M. für das deutsche Pfund) angeboten. Gemüse ist sehr knapp. Salat
kostet 3 Rbl., Bohnen 3,20 Rbl., Kresse 85 Kop. das Pfund, Gurken 60—70
Kop. das Stück, 1 Bund Radieschen kostet 80—90 Kop. (= 1,70—1,95 M.).
Im Nachfolgenden seien weiter einige noch eingegangene Saaten-
stands- und Ernteberichte wiedergegeben (nach „Landw. Markt-
zeitung" Berlin XVIII. 36 u. ff.):
Frankreich. Der französische Saatenstand war am 1. April 1917
gegenüber demjenigen des Vorjahres bedeutend weniger zufriedenstellend. Nur
in 3 Departements gegenüber 33 des Vorjahres sind die Aussichten gut, in 4
sind sie ganz schlecht, in allen übrigen ziemlich gut. Ungenügende Bearbeitung
des Bodens und der Mangel an Dungmitteln, sowie Ueberfluß an Regen
haben auf den Saatenstand sehr ungünstig gewirkt, was Winterkorn sowohl
als auch Mengkorn, Roggen, Weizen, Haier und Futtermittel betrifft.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volks wirtsch. Chronik. 1917. : XXI
- 3i8 -
England. Nach dem Berichte des Landwirtschaf teministeriums vom
1. April nat das ungünstige Wetter im März die Feldarbeiten sehr behindert;
trotzdem aber konnte das Land für die Frühjahrsbestellung vorbereitet werden,
auch einige Sämereien gesät und hier oder da mit dem Stecken der Frühkar-
toffeln begonnen werden. Der früh gesäte Weizen steht befriedigend, bei dem
»pät gesäten ist die Pflanze dünn und kümmerlich. Die Weizenfläche ist
um 8 Proz. kleiner als im Vorjahre.
Argentinien. Buenos Aires, 24. April. Die argentinische Regierung er-
teilte die Erlaubnis zur Ausfuhr von 100000 t Weizen nach Spanien, Brasilien,
Paraguay und Norwegen. Ferner wurden zum Export zugelassen 180000 t
Weizen und 20000 t Mehl nach Großbritannien und den anderen Verbands-
mächten unter der Bedingung, daß die britische Regierung nötigenfalls diese
Quantitäten in der Zeit von Juli bis September an Argentinien zurückerstattet.
Argentiniens Maisexport. Nach einem in der soeben abgehaltenen Ge-
neralversammlung der British Bank of South America verlesenen Nachricht
aus Buenos Aires schätzt die argentinische Regierung die Höhe der voraus-
sichtlichen Maisausfuhr auf weniger als 1 Mill. t. (Da die diesjährige Ernte
nur IV2 Mill. t beträgt und der jährliche Eigenverbrauch Argentiniens im
Durchschnitt etwas über 2 Mill. t beträgt, ist eine Ausfuhr überhaupt nur
mögüch durch das Vorhandensein alter Bestände. Diese aber können nicht
allzu bedeutend sein, weil schon die vorjährige Ernte mit 4100000 t einen
kaum mittleren Ertrag ergeben hatte, während etwa 2^/2 Mill. t zur Ausfuhr
gelangten. Die letzte gute Ernte wurde 1915 mit 860K)OOOO t eingebracht.)
Oesterreich-Ungarn. Den österreichischen Blättern zufolge lauten
die Berichte über den Saatenstand, die aus den verschiedenen Gebieten der
Monarchie vorliegen, übereinstimmend dahin, daß auf eine rechtzeitige und
gute Ernte mit Sicherheit zu rechnen ist.
Aus Budapest wird berichtet, daß nach den aus der Provinz einge-
gangenen Berichten der Saatenstand in ganz Ungarn günstig ist. Jenseits
der Donau und im Tiefland hat es seit längerer Zeit nicht geregnet, was aber
zu ernsten Besorgnissen keinen Anlaß bietet. Die diesjährigen Aussichten gehen
dahin, daß von den Herbstsaaten ein bedeutend größerer Ertrag erzielt werden
wird als im Vorjahre. Das diesmal bebaute Areal ist um ein Viertel größer
als im Vorjahre. Besonders günstig entwickeln sich Gerste und Hafer,
während Roggen im Wachsen ein wenig zurückgeblieben ist.
Oesterreich. Nach dem „Neuen Wiener Tageblatt" hat die mit Winter-
und Sommerfrucht bestellte Fläche, trotzdem Arbeitskräfte nicht immer reichlich
zur Verfügung standen, keine Abnahme erfahren. Die mit Weizen und Korn
im vergangenen Herbst bebaute Fläche weist sogar eine Zunahme auf, weU
der Witterungsverlauf die Vornahme der Feldarbeiten weit in den Winter hinein
ermöglicht hat und Auswinterungen fast gar nicht vorkamen. Dies hatte
das Gute, daß in der kurzen Spanne Zeit, die für den Frühjahrsanbau
zur Verfügung stand, alles verfügbare Material aufgearbeitet werden konnte. Das
günstige Maiwetter hat dann das Wachstum der jungen Pflanzen sehr gefördert.
Die Winterfrucht steht hoch und dicht. Den eigentlichen Brotfrüchten kommt
das trockene Schönwetter der letzten Wochen sehr zustatten. Da in Jahren
mit wenig Niederschlägen während der Aehren- und Kernbildung gewöhnlich
auch die Qualitäten besser ausfallen, ist wegen des vergrößerten Anbaues —
die Zunahme ist mit 10 Proz. zu veranschlagen — auf einen quantitativ
größeren und wegen des günstigen Witterungsverlaufes auf einen qualitativ
guten Ertrag zu rechnen. Wenn auch jetzt für die jungen Pflanzen in
manchen Gegenden leichte Niederschläge gewünscht werden, so ist doch sicher,
daß die Vegetation durch Trockenheit nirgends gelitten hat.
Bulgarien. Die Witterungsverhältnisse im Monat März waren im
allgemeinen für die Weiterentwicklung der Herbst- und Wintersaaten sehr
günstig. Die Saaten sind unter der langsam wegschmelzenden Schneedecke
kräftig hervorgekommen und stehen überall in bester Verfassung. Klagen
über Auswinterung sind hur an einigen ganz vereinzelten Stellen des Rust-
schuker und Varnaer Bezirks laut geworden. Der Anbau der Frühjahrssaaten
Jiat sich im allgemeinen etwas verzögert, da die Felder in einem großen
- 319 -
Teile des Landes, insbesondere in der Donaugegend, fast bis Mitte des Berichts-
monats mit Schnee bedeckt waren. Die Weingärten haben überall gut über-
wintert und versprechen reichen Ertrag. (Bericht des Kaiserlichen Konsulats
in Sofia vom 28. April d. J.);
Bulgarien. Die Trockenheit in der ersten Hälfte des April sowie
die kalten Winde in der zweiten Hälfte haben die Weiterentwicklung der
Herbstsaaten im großen und ganzen nicht gestört. Hier und da sind die
Saaten allerdings in der Entwicklung des Halms etwas klein geblieben, die
Hoffnung auf eine gute Ernte besteht jedoch allgemein. Die Feldarbeiten zum
Frühjahrsanbau konnten erst ziemUch spät begonnen werden. Ein großer
Teil der Maisfelder nicht nur in Nordbulgarien und in der Morawagegend,
sondern auch iji Südbulgarien, wo die Aussaat gewöhnlich früher erfolgt, konnte
erst im Mai bebaut werden. Auch in Zuckerrüben war der Anbau geringer
als sonst. Hafer ist ebenfalls in etwas geringerem Umfange angebaut worden.
Dagegen sind fast überall Kartoff ein in weit größerer Menge als bisher gepflanzt
worden. Auch der Anbau von Baumwolle und Mohn hat in größerem Umfange
als bisher stattgefunden. Der Anbau von Bohnen ist verhältnismäßig eben-
falls größer als sonst. Die früh ausgesäten Bohnen sind allerdings an vielen
Stellen durch Reif beschädigt worden; es ist aber noch Zeit, um die Aussaat
zu wiederholen. Der gegen Ende des Berichtsmonats fast im ganzen Lande
gefallene warme Regen, sowie die günstigen Witterungsverhältnisse im Anfang
Mai gestatteten die Fortsetzung aller Feldarbeiten und insbesondere auch
die Weiteraussaat der Frühjahrssaaten. (Bericht des Kaiserlichen Konsulats
in Sofia vom 19. Mai d. J.)
Rumänien. Dem „Pester Lloyd" wird aus Bukarest gemeldet : Die
bisher eingelaufenen Nachrichten über den Saatenstand im Gebiete der Militär-
verwaltung Rumänien« lauten sehr befriedigend. Die Herbstsaat hat gut über-
wintert. Der Frühjahrsanbau für alle Fruchtgattungen, mit Ausnahme für
Mais, ist beendet. Die Aussichten für den Maisanbau sind gut. Dank der
tatkräftigen und umsichtigen Arbeit der landwirtschaftlichen Stellen der Militär-
verwaltung kann man heute mit gutem Grunde hoffen, daß das mit Winter-
und Frühjahrssaat bestellte Gebiet im Bereiche der Militärverwaltung nicht
kleiner sein wird als in einem durchschnittlichen Friedens jähre in Rumänien.
Dänemark. Der Kaiserhche Generalkonsul in Kopenhagen berichtet
unter dem 19. Mai : Soweit sich nach den aus den einzelnen Landesteilea
eingehenden Berichten erkennen läßt, hat der lange und kalte Winter un-
günstig auf den Saatenstand eingewirkt. Roggen und Weizen stehen dünn
und sind in ihrer Entwicklung zurückgeblieben, so daß wohl höchstens auf
eine Mittelernte gerechnet werden kann. Das Sommergetreide, Gerste und
Hafer, ist zwar wegen der ungünstigen Witterung später als durchschnittlich
gesät worden, aber beide Getreidearten scheinen sich doch gut entwickelt
zu haben, so daß man, wenn die Witterung des Sommers sich günstig
gestaltet, eine gute Ernte zu erwarten berechtigt sein dürfte.
Rußland. Ueber die Landarbeiten in Mittel- und Südrußland bringt
„Rußkoje Slowo" folgende Uebersicht : In den Gouvernements Charkow und
Kursk blieb die Saatfläche außer für Zuckerrüben die gleiche wie im Vor-
jahre, in den Gouvernements Kiew, Podolien, Wolhynien und Beßarabien
zeigt die Saatfläche wegen des Mangels an Arbeitskräften einen bedeutenden
Rückgang. In der Krim sowie im Kaukasus beträgt die Verminderung stellen-
weise 30 Proz., dagegen hat im Don- und Kubangebiet die Saatfläche außer
bei Großgrundbesitz zugenommen.
Der Bericht des Internationalen Landwirtschaftlichen
Instituts über den Stand der Getreidesaaten lautet, wie folgt:
Internationales Landwirtschaftliches Institut.
Der Stand der Getreidesaaten am 1. Mai war gut in Tunis, mittel-
mäßig in Spanien und Niederlande, und mangelhaft in Frankreich, Groß-
britannien, Italien und der Schweiz :
XXI*
— 320 —
Die Anbaufläche betrug im Jahre
1917:
Weizen
Boggen
ha
in Prozent
ha
in Prozent
1916
vgl.m.d.Durch-
schn. 1912-1915
1916
vgl. m. d. Dnrdi-
sehn. 1912-1915
Spanien
Schweiz
Kanada (Winterweizen)
Ver. Staaten (Winterweizen)
Indien
Algier
4 168000
52000
254000
II 191 000
13 308 000
I 271 000
105
104
67
79
109
96
106
121
108
92
747000
30000
100
105
97
122
Spanien
Schweiz
Gerste
Hafer
I 629 000
93
—
573000
119
107
Algier
—
—
—
45000
108
133
I 154000
95
90
212000
98
100
Der letzte Wochenmarktbericht des Deutschen Landwirt-
schaftsrats über Getreidepreise lautet wie folgt:
Weltmarkt.
Getreidepreise in Mark für 1000 kg,
für amerikanische Märkte umgerechnet nach dem Friedensknrse 1 $ = 4,20
für London umgerechnet nach dem Friedenskurse 1 £ = 20,50 M.
M.,
Weizen: New York:
Mais:
Chicago :
Chicago :
Roter Winter Nr. 2
Northern I (Duluth)
Liefern ngs wäre Juli
„ Sept.
„ Juli
„ Sept.
,, Dez.
3.
Cents
206
191
134
90V4
Juni
Baltic-Markt :
Weizen: London: Hardwinter Teilladung schwimmend
Kedwestem, Teilladung schwimmend
Manitoba Nr. IV, Teilladung schwimm.
Redwinter, Teilladung Dampfer
Walla Walla Bluestem, schwimmend
Northern Duluth, schwimmend
Hardwinter, Teilladung
Manitoba Nr. II schwimmend
Nr. m
Bedwinter, Teilladung schwimmend
M.
317,85
294,70
243,50
222,55
100, —
31.
sh
80/.—
89/.-
25.
sh
75/.6
84/.—
24.
sh
80/.6
79l-—
22.
80/.6
78/.-
75/.6
26. Mai
M.
325,55
283,90
242,65
219,10
Mai
M.
377,—
372,80
362,85
Mai
M.
355.80
380,06
Mai
M.
379,85
372,80
Mai
379,85
367,60
355,80
321 —
Wöchentliche englische „Farmers ^/, Deliveries".
Durchschnittspreise für inländischen Weizen.
London, 19. Mai 1917.
entsprechende Wochen in den Vorjahren
1916
1915
Buenos Aires, 24. Mai 1917.
Diese Woche
Pesos
Diese Woche
Vorige Woche
sh
77/.II
55/.-
62/.—
M.
349,70
246,80
278,25
sh
78/.0
M.
350,10
Weizen
Mais
Hafer
18,00
11,85
IO,70
M.
Kriegskurs
(2,45)
441,00
290,30
262,16
Vorige Woche
Pesos M.
Kriegskurs Friedenskürs
427,50
287,85
268,25
310,60
209,15
194,90
Friedenskurs
(1,78)
320,40 17,45
210,95 11,75
190,45 10,95
See-Frachten.
Buenos Aires, 10. Mai 1917.
Dampferfracht für die Tonne:
sh
Nach St. Vincent 140/. —
„ direkten Häfen 135/. —
Vor den Berichten, die dem Deutschen
der letzten Zeit regelmäßig über die Preise in Rußland
fügung stehen, soll hier der letzte angeführt werden:
Preise in Rußland.
Die letzten von dem Ausführungskomitee der Moskauer kommunalen Organisation
festgesetzten Preise sind :
Pokrowik, 1./14. April:
Mehl und Getreide:
M.
143,50
138,35
Landwirtschaftsrat in
zur Ver-
Sommerroggen (trockener, 114/118 Sol.) mit Sack
Hafer (mit Kul-Sack) ungesiebt
Futtergerste (105/110 Sol.)
Viktoria-Erbsen, große
„ „ mittlere
Buchweizengrütze, großkemige
„ enthülste
enthülste Hirse, geschrotene
„ „ gestoßene
Moskau, 31. März/13. April:
für 1 Pud
Ebl.
2,12
2,45
2,35
für die Tonne
M.
278,30
= 321,60
= 308,45
In Partienver-
kauf auf der
Bahn
Weizenmehl einfacher Mahlweise
I. Sorte
n. „
m. ..
Im Großverkauf ( Weizenmehl einfacher Mahlweise
aus der Mehl- I I. Sorte
handlung ohne j II. „
Anlieferung l III. „
Partienverkauf f Roggenmehl einfacher Mahlweise 28,05
von der Bahn \ „ ausgesiebt 3i;26
Im Großhandel f
aus den Mehl- J Roggenmehl einfacher Mahlweise 20,75
handlungen ohne I „ ausgesiebt 29,95
Anlieferung [
2,80 — 2,88 = 367,50 — 371,45
2,80 = 367,50
4,14 = 543,40
3,65 = 479,10
3,43 = 450,20
3,53 = 463,30
für 5 Pud für die Tonne
Rbl. M.
17,00 — 17,15 = 446,26 — 450,20
25,00 — 25,60 = 656,30 — 669,40
21,60 = 567,00
»5,00 = 393,75
für 9 Pud mit Sack
Rbl.
18,10
26,66
22,00
5,90
M.
=
263,95
=
388,65
=
320,86
=
231,90
=
409,05
=
455,75
=
302,60
=
436,80
— 322 —
Bostowa. Donn, 12./25. April:
für 1 Pud für 1 Tonne
BbL M.
Höchstpreise für Weizen 3,04 = 399, oo
„ Roggen 2,30 = 301,86
„ Hafer 2,40 = 315,00
„ „ Gerste 2,00 = 262,50
„ Hirse 2,60 = 34i,«5
Orenburg, 12./25. April:
Russischer Weizen 2,88 = 37^,00
Hirse 3,85 = 505,35
Gewöhnlicher Hafer 3,60—4,25 =472,50 — 557,85
Kleie i,*o — i,40 = 157,50 — 183,76
Moskau, 6./19. April:
Trockener Roggen mit Sack (114/118 Sol.) 2,12 = 278,25
Hafer mit Sack, enthülst 2,45 =321,60
Futtergerste (110/115 Sol.) 2,35 = 308,45
Große Viktoria-Erbsen 2,80 = 3^7,^0
Mittelgroße „ 2,80 = 367,50
Buchweizengrütze, grobe 4,14 = 5 43» 10
Hirse, geschrotete 3,43 == 45o>20
„ gestoßene 3,63 = 463,45
Wladikawkas, 2./15. April:
Hirse, gestoßene 4,90 — 5, — =643,15 — 656,30
„ geschrotene 4,50 — 4,60 = 590,65 — 603,80
Gerste von der Fuhre i,96 ^= 255,95
,, aus dem Speieher 2,15 = 282,20
Roggen von der Fuhre 2,65 = 347i85
Weißer Mais 1,60 — 1,65 =210,00 — 216,55
Dunklerer Mais i,70 — i,75 =223,15 — 229,70
Roggenmehl von der Fuhre 2,90 = 380,66
Kleie 1,20 = I57»50
Weißes Maismehl 2,80 = 367,50
Dunkleres Maismehl 2,65 = 334>70
Jelisawetgrad, 29. März/ 11. April:
Winterweizen (130/132 Sol.) 2,40 — 2,45 =315.00—321,60
Roggen (120/122 Sol.) i,80 — i,85 = 236,25 — 242,80
Rybinsk, 27. März/9. April:
Die Preise für Grütze sind fest, aus den städtischen Läden wird sie an die Ver-
braucher nach der Taxe verkauft:
I. Sorte für 1 Pud 4,80 Rbl. = 630,05 M. für die Tonne
n. „ „ 1 „ 3,00 „ = 393,75 „ „ „
m. Industrie, einschließlich Bergbau und Baugewerbe.
Inhalt: 1) Bergbau: Geschäftslage im Kohlen- und Kalibergbau
während des Monats Mai.
2) Eisengewerbe. — Metalle und Maschinen : Beschäftigungsgrad
im Mai.
1. Bergbau.
Ueber die Geschäftslage im Kohlen- und Kalibergbau während
des Monats Mai berichtet das „Reichs-Arbeitsblatt" : „Im Euhrkohlen-
bezirk hielt auch im Mai der flotte Abruf von Kohlen und Koka
an, der in den Vormonaten festzustellen war. Die Wagengestellung war
befriedigend; gestürzte Mengen Kohlen und Koks konnten in beträcht-
— 323 —
Hoher Menge zum Versand gebracht werden. Auf dem Wasserwege wurde
teilweise ein höherer Umschlag als im Vormonat erreicht. Es mußten
Ueberschichten eingelegt werden.
Die Aachener Steinkohlen werke waren ebensogut wie im
Vormonat und im gleichen Monat des Vorjahres beschäftigt. Die Löhne
bewegten sich weiterhin in steigender Richtung.
Die Saarkohlengruben erzielten der größeren Zahl der Ar-
beitstage entsprechend eine etwas höhere Förderung als im Vormonat.
Im obersch lesischen Steinkohlengebiet zeigte der Kohlenbedarf
eine weitere Erhöhung. Zur Deckung desselben konnten die Bestände
in starkem Maße verwandt werden, da die "Wagengestellung in völlig
ausreichendem Maße vor sich ging. Im Vergleich zum Vorjahr wird die
Lage des Berichtsmonats als günstiger geschildert. Ueberarbeit war
notwendig. Lohnerhöhungen haben teilweise auch im Mai in größerem
Umfange stattgefunden.
In den Steinkohlenbergwerken, die zum oberschlesischen Knapp-
schaftßverein gehören, waren am Schlüsse des ersten Vierteljahres 1917
124319 Arbeiter gegenüber 119 346 am Ende des letzten Vierteljahres
1916 beschäftigt. Im ersten Vierteljahr 1916 hatte der Bestand der
Beschäftigten nur 113 398 betragen. Auch im Jahre 1915 war die Ar-
beiterzahl im ersten Viertel geringer (118 546).
Die niederschlesischen Steinkohlenwerke hatten noch befrie-
digenderen Geschäftsgang als im Vormonat, da die günstige Wagenge-
stellung nicht nur ermöglichte, die tägliche Förderung, sondern auch eine
große Menge Kohlen und Koks vom Bestände zum Versand zu bringen.
Dem Mai 1916 gegenüber war die Nachfrage eine stärkere. Der Durch-
schnittslohn ist, wie hervorgehoben wird, weiter gestiegen.
Der Zwickauer und Lugau-Oelsnitzer Steinkohlenbergbau
weist gleichfalls eine geringe Verbesserung, dem April gegenüber auf.
Auch hier ist die Lage im Vergleich zum Mai des Vorjahres eine bessere.
Aus Süddeutschland wird für die Steinkohlengewinnung bessere
Beschäftigung als im April und ebenso gute wie im Mai 1916 gemeldet.
Zum Teil wurden Lohnerhöhungen gewährt.
Im mitteldeutschen Braunkohlengebiet ist infolge noch
größeren Abrufes als im April eine Steigerung der Beschäftigung einge-
treten. Im Vergleich zum Vorjahr ist sowohl für Kohlen als auch für
Preßkohlen und Naßpreßsteine ebenfalls eine Verbesserung festzustellen.
Die Wagengestellung war im allgemeinen gut. Die Löhne sind vielfach
weiter erhöht worden. Ueberstunden und Sonntagsarbeit waren nicht zu
vermeiden.
Die Niederlausitzer Braunkohlen werke und Brikettfabriken
waren teils ebensogut wie im April dieses Jahres und im gleichen
Zeitraum des Vorjahres beschäftigt, teils war etwas schwächer als im
Vormonat zu tun. Ueberarbeit war wie bisher erforderlich.
Die Kaliindustrie hatte verhältnismäßig gut zu tun. Der
Jahreszeit entsprechend machte sich vielfach eine Verschlechterung
geltend; aber auch dem Mai 1916 gegenüber ist verschiedentlich ein
Rückgang eingetreten. Andererseits wird jedoch von verschiedenen
— 324 —
Berichten der Geschäftsgang als gut und dem Vorjahr gegenüber als
besser bezeichnet."
2. Eisengewerbe. — Metalle und Maschinen.
lieber den Beschäftigungsgrad im Mai berichtet das ,, Reichs- Ar-
beitsblatt": „Für die Eisenerzgewinnung wird aus Lothringen
keinerlei Veränderung der Verhältnisse weder im Hinblick auf den Vor-
monat noch auf das Vorjahr gemeldet.
Die Roheisenerzeugung hat in Westdeutschland im Vergleich
zum April zum Teil eine Verbesserung erfahren. Die Löhne verfolgen
weiterhin steigende Richtung. In Süddeutschland gestalteten sich die
Verhältnisse ebenso zufriedenstellend wie im Vormonat und im Vorjahr.
Die Beschäftigung der Zinkhütten war durchaus befriedigend.
Der Bedarf blieb ebenso groß wie im Vormonat und zeigte dem Vorjahr
gegenüber eine zum Teil wesentlich umfangreichere Nachfrage. Es
mußte verschiedentlich mit Ueberstunden gearbeitet werden. Auch für
die Blei- und Kupfererzgruben ist über befriedigende Tätigkeit zu be-
richten.
Die Kupfer- und Messing werke hatten ebensogut wie im
Vormonat zu tun. Teilweise war dem Vorjahr gegenüber die Beschäf-
tigung eine regere. Es wird hervorgehoben, daß die Teuerungszulagen
erhöht worden sind.
Die Eisengießereien Westdeutschlands waren im Mai eben-
sogut wie in den vorhergehenden Monaten und im Vorjahr beschäftigt.
Es mußte mit Ueberstunden gearbeitet werden. Für Nord Westdeutsch-
land wird gleichfalls keine Veränderung gemeldet. Der gute und sehr
gute Geschäftsgang bewegte sich teils in den gleichen Bahnen wie im
Vorjahr, teils ist eine weitere Steigerung erzielt worden. Auch die mittel-
deutschen Gießereien hatten nach wie vor gut zu tun. Dem Mai 1916
gegenüber stellte sich die Beschäftigung im Berichtsmonat vielfach
noch günstiger. Aus Sachsen werden die Verhältnisse als ebensogut
zufriedenstellend bezw. gut wie im Vormonat geschildert. Auch im
Vergleich zum Vorjahr war die Beschäftigung annähernd die gleiche.
Teilweise ist aber auch hier eine Besserung hervorgetreten. Ver-
schiedentlich werden Lohnerhöhungen festgestellt. Auch für Schlesien
kommt dem Vorjahr gegenüber teils ebenso gute Lage, teils eine weitere
Steigerung in Betracht. Im Vergleich zum April war der Geschäftsgang
gleich gut. Es wird über Leistung von Ueberstunden berichtet. Die
süddeutschen Eisengießereien bekunden, daß sich der Geschäftsgang
ebensogut wie im Vormonat und zum Teil besser als im Mai 1916
gestaltet hat. Es sind teilweise Lohnerhöhungen vorgenommen worden.
Die Stahl- und Walzwerke in West-, Nordwest- und Mittel-
deutschland, Sachsen und Schlesien sind ebenso angespannt beschäftigt
wie in den Vormonaten. Teilweise wird die Tätigkeit im Mai noch ab
etwas lebhafter geschildert. Im Vergleich zum Vorjahr ist keinerlei
nennenswerte Verschiebung der Verhältnisse eingetreten. Vereinzelt wird
— 325 —
auch hier die Lage als noch reger geschildert. Es mußte mit üeber-
arbeit bezw. mit Nachtschichten und Sonntags gearbeitet werden.
Die Blechwalzwerke waren ebensogut wie im Vormonat und
Vorjahr beschäftigt. Insbesondere war die Nachfrage nach Feinblechen
andauernd stark.
Für die Emaillierwerke wird unverändert guter bezw. sehr
guter Geschäftsgang vermerkt. Ueberarbeit war vielfach erforderlich.
Es werden Lohnerhöhungen gemeldet.
Die Röhrenwerke verzeichnen keinerlei Veränderung ihrer nach
wie vor überaus starken Beschäftigung. Vereinzelt wird dem Vorjahr
gegenüber eine Steigerung angezeigt. Nach einem der Berichte war
allerdings etwas geringer zu tun als im Mai 1916.
Die Drahtindustrie erfreute sich ebenso guten Geschäfts-
ganges wie im Vormonat. Dem Mai 1916 gegenüber ist verschiedentlich
eine Verbesserung der Verhältnisse eingetreten. Auch für die Herstellung
von Drahtstiften und Sohlennägeln ist die Geschäftslage die gleiche
wie im April, während dem Mai 1916 gegenüber eine Verbesserung
festzustellen ist.
Die Kleineisenindustrie hatte im Mai eine Beschäftigung
aufzuweisen, die derjenigen des Vormonats entsprach und etwas besser
als im Vorjahr war.
Die Maschinenbauanstalten Nordwestdeutschlands waren im
Mai ebensogut wie in den Vormonaten beschäftigt. Im Vergleich zum Mai
1916 wird der Geschäftsgang meist als besser geschildert. Auch in
Mitteldeutschland waren die Verhältnisse im ganzen die gleichen wie
im Vormonat. Es wird gemeldet, daß Ueberstundenarbeit bezw. Arbeit
in Wechselschichten notwendig war. In Schlesien war der Geschäfts-
gang unverändert gut imd besser als im Vorjahr. Aus Süddeutschland
wird über sehr lebhafte Beschäftigung berichtet. Teils ist dem Vor-
monat gegenüber keine Veränderung, teils eine weitere Besserung zu
erkennen. Die Berichte stellen in der Mehrzahl fest, daß die Lage im
Vergleich zum Vorjahr um dieselbe Zeit eine Steigerung erfahren hat.
Es war Ueberzeitarbeit und Nachtschichtleistung erforderlich.
Die Lokomotivfabriken waren teils ebensogut wie in den
Vormonaten beschäftigt, teils hat sich die Beschäftigung dem Vormonat
gegenüber noch gesteigert. Auch im Vergleich zum Vorjahr wird
vielfach eine Erhöhung der Leistungen festgestellt. Verschiedentlich sind
Lohnerhöhungen vorgenommen worden. Es wird hervorgehoben, daß
mit Ueberstunden und in Nachtschichten gearbeitet werden mußte.
Die Dampfkesselfabriken und Armaturenwerkstätten
West- und Mitteldeutschlands hatten im ganzen unverändert gut zu tun.
Im Vergleich zum Vorjahr machte sich verschiedentlich eine Steigerung
bemerkbar. Auch in Nordwestdeutschland hielt sich die Beschäftigung
auf der gleichen Höhe wie im April.
Die Maschinenfabriken, die landwirtschaftliche Maschi-
nen herstellen, waren gleichbleibend gut beschäftigt. Verschie-
dentlich trat sowohl dem April wie dem Mai gegenüber eine Ver-
besserung hervor. Auch hier haben Lohnerhöhungen stattgefunden.
— 326 —
Für den Bau von Verbrennungsmotoren war der Geschäfts-
gang ebensogut wie bisher. Teilweise wird sowohl im Vergleich zum
Vormonat alfi auch zum Vorjahr noch eine Verbesserung festgestellt.
Die Werkstätten für Eisenkonstruktionen und Brücken-
bau hatten teils ebenso befriedigend bzw. gut wie im Vormonat zu tun,
teils ist eine Verbesserung gegen den April eingetreten. Auch im Ver-
gleich zum Vorjahr war der Geschäftsgang teilweise günstiger; nur ganz
vereinzelt wird angegeben, daß dem Vormonat und dem Vorjahr gegen-
über ein Rückgang statthatte.
Für den Bau von Elektromotoren, Dynamos und Trans-
formatoren machte sich im Mai keinerlei Aenderung dem Vormonat
gegenüber bemerkbai". Dem Vorjahr gegenüber ist vielfach die Be-
schäftigtenzahl erheblich größer. Der Bestellungseingang der Betriebe
für elektrotechnische Meßinstrumente übertraf den des Mai 1916, wie
hervorgehoben wird, nicht unbedeutend. Auch gegen den Vormonat ist
zum Teil eine Steigerung hervorgetreten. Es mußte mit Wechselschichten
gearbeiteit werden. In der Nachfrage nach elektromedizinischen Ein-
richtungen sind keine wesentlichen Aenderungen dem Vormonat gegen-
über zu verzeichnen.
Auch für die Einrichtung elektrischer Licht- und Kraft-
anlagen ist die Gestaltung der Verhältnisse im ganzen die gleiche wie
im Vormonat. Vereinzelt wird eine Verbesserung verzeichnet. Auch dem
Vor j ah/ gegenüber ist verschiedentlich ein verbesserter Geschäftsgang
festzustellen.
Die Kabelwerke hatten gut und zum Teil sehr lebhaft zu tun.
Dem Mai 1916 gegenüber zeigte sich der Geschäftsgang teils unver-
ändert, teils noch gesteigert. Ueberarbeit war in größerem Umfange er-
forderlich. Es sind auch Lohnerhöhungen, zum Teil um etwa 10 v. H.,
vorgenommen worden."
IV. Handel und Verkehr.
Inhalt: Deutsch-schweizerisches Wirtschaftsabkommen. Deutsch-türkische
Verträge über Rechts- und Wirtschaftsfragen. Einfluß des Weltkriegs auf die
wirtschaftliche Lage Spaniens. Außenhandel (Statistik) Frankreichs, Englands,
Rußlands, der Vereinigten Staaten von Amerika, Panamas, Brasiliens, Argentiniens,
Paraguays und Uruguays. Hafenverkehr Rotterdams und Amsterdams. Kanah-
sierung von Mosel und Saar. Wasserstraßenverbindung zwischen Donau und
Norddeutschland. Rhein-Herne-Kanal, Verstaatlichung der kanadischen Eisen-
bahnen.
Das am 29. September 1916 abgeschlossene und am 30. April 1917
abgelaufene deutsch-schweizerische Wirtschaftsabkommen
(vgl. Chronik für 1916, S. 757 ff.) ist Anfang Mai 1917 auf drei Mo-
nate verlängert worden. Damit war, wie der „Frankfurter Zeitung"
am 3. Mai 1917 aus Bern berichtet wurde, u. a. die Belieferung der
Schweiz mit Kohle und Eisen für die nächsten drei Monate im bis-
herigen Umfang und auf der bisherigen Grundlage zu erwarten. Außer-
dem wurde für die durch das deutsche Einfuhrverbot besonders be-
troffenen schweizerischen Hauptindustrien die Möglichkeit einer be-
— 327 —
friedigenden Ausfuhr ihrer Erzeugnisse nach Deutschland geschaffen.
— Im übrigen wurde die Bedeutung des Abkommens von dem Berner
Korrespondenten der „Frankfurter Ztg." folgendermaßen gekennzeichnet:
Zu der gemeldeten Verlängerung des Wirtschaftsabkommens zwischen
Deutschland und der Schweiz ist zu bemerken, daß die Grundbedingungen des
neuen Vertrages die gleichen geblieben sind, wie die des alten: gegenseitige
Lieferung von Landeserzeugnissen unter Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse.
Daß die Fortsetzung des Vertrages keine besonderen Schwierigkeiten machen
werde, war vorauszusehen; die Schweiz und Deutschland leben in freundschaft-
lichen Beziehungen miteinander, und ihr Handelsverkehr ist ein praktisches Er-
gebnis dieses Verhältnisses. Es versteht sich von selbst, daß eine wechselseitige
Ausfuhr eigener Erzeugnisse nur so weit möglich ist, als der eigene Bedarf sie zu-
läßt. Sowohl die Schweiz, wie das Deutsche Keich haben durch die lange Dauer
des Krieges mit wachsenden Schwierigkeiten in der eigenen Versorgung zu rechnen,
und diese Umstände kommen natürlich auch bei der Bemessung der für die
Ausfuhr verfügbaren Produkte in Betracht; keines von beiden Ländern kann
mehr abgeben, als es nach Berechnung des eigenen Bedarfes übrig hat. Diese
Voraussetzung bestand schon für den Wirtschaftsvertrag vom September 1916
und ist unverändert geblieben ; neu geregelt wurden lediglich gewisse Einzelheiten
in der technischen Ausführung des Vertrages, die sich erst aus der praktischen
Erfahrung seit Bestehen des ersten Wirtschaftsabkommens ergeben haben. Damit
ist der Sinn des neuen Vertrages gekennzeichnet, der sich in seinen Einzelbe-
ßtimmungen den veränderten Produktionsverhältnissen anpaßt. Die Hauptsache
ist, daß beide Länder in den Stand gesetzt sind, ihren freundschaftlichen Wirt-
schaftsverkehr fortzusetzen.
Am 10. Mai 1917 sind die deutsch-türkischen Verträge
(vgl. oben S. 164) vom Deutschen Reichstag — zum größten Teil ein-
stimmig — angenommen worden. Sie betreffen hauptsächlich Rechts-
fragen, sind aber auch von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung.
Einem über sie in der „Frankfurter Zeitung" vom 15. Mai 1917 ver-
öffentlichten Artikel (von Dr. Karl Strupp) ist folgendes zu entnehmen :
Am 11. Januar 1917 sind im Getöse des Weltkrieges zwischen den Bevoll-
mächtigten des Deutschen Reiches und der Türkei zu Berlin zehn Ver-
träge unterzeichnet worden, die es für sich beanspruchen dürfen, als Marksteine
der Völkerrechtsgeschichte bezeichnet zu werden. Der Deutsche Reichstag hat
jetzt am lö. Mai seine Zustimmung ausgesprochen. Indem diese Verträge die
— einseitig im Herbst 1914 türkischerseits erfolgte — Aufhebung des Rechtes der
Kapitulationen durch ihren Inhalt legalisieren, bedeuten sie zugleich materiell,
wenn auch zunächst auf Deutschland beschränkt, die Einlösung eines Ver-
sprechens, das bereits im Jahre 1856 auf der Pariser Konferenz die dort ver-
sammelten Mächte durch feierliche Aufnahme des Osmanischen Reiches in das
„Europäische Konzert" übernommen hatten. Ein Versprechen, mit dem die Tat-
sachen, das Fortbestehen vor allem der Konsulargerichtsbarkeit, wie sie dem
Deutschen Reiche auf Grund noch des preußisch-türkischen Vertrages von 1761
eingeräumt waren, im schärfsten Kontrast standen. Konnte sich der Staat Abdul
Hamids und seiner Vorgänger damit abfinden, so nicht das vom Geiste zeit-
femäßer Reformen im Innern wie nach außen erfüllte moderne türkische Reich.
)es8en heißester Wunsch mußte es sein, aus dem Zustande eines selbst in der
Theorie nicht vollberechtigten Mitgliedes der Völkerrechtsgemeinschaft herauszu-
kommen. Welche Bedeutung die osmanische Regierung selbst der völligen Gleich-
stellung der Türkei in rechlicher Beziehung mit anderen Staaten beimaß, erhellt
aus der kürzüch bekannt gewordenen Aeußerung eines ihrer bedeutendsten Staats-
männer, der die Abschaffung der Kapitulationen geradezu als eines der vornehmsten
Kriegsziele der Türkei bezeichnet hat. Konnte man in Konstantinopel dabei des
weitestgehenden Beistandes des in treuer Waffenbrüderschaft verbündeten Deutschen
Reiches von Anfang an sicher sein, so bedurfte es doch langwieriger, über viele
- 328 -
Monate sich hinziehender Verhandlungen, deren ganze Schwierigkeit nur der zu
ermessen vermag, der die Fülle der — insbesondere aus der Verschiedenheit
der Eechtssysteme sich ergebenden — Probleme und die ^anze (auch poli-
tische, ja, soweit die Türkei in Frage kommt, selbst religiöse) Bedeutung der
Fragen kennt, die nunmehr in dem Werke vom 11. Januar 1917 zur Lösung
gekommen sind. Man kann dieses und die Arbeit, die mit seiner Errichtung ge-
leistet ist, aber nur unvollkommen würdigen, wenn man lediglich an die materiellen
Schwierigkeiten und nicht auch an die formellen denkt, die sich daraus ergeben,
daß alle Verträge in deutscher und türkischer Sprache abgeschlossen, und daß
beide Texte völlig gleichwertig sind.
Nicht die Tatsache des Abschlusses der Verträge an sich mit ihren völker-
rechtshistorischen und politischen Wirkungen, auch der bis zu einer beinahe
raffinierten Verfeinerung gesteigerte Inhalt jedes einzelnen Vertrages in juristisch-
technischer Hinsicht verdient weitestgehende Beachtung und Würdigung. Es ist
nicht zuviel gesagt, wenn man die rechtliche Normierung in ihrer sachlich so um-
fassenden Gesamtheit, wie sie die zehn innerlich zusammengehörenden Verträge
darstellen (eine sachliche Gesamtheit, wie sie bisher noch nie zu gleicher Zeit
zwischen zwei Staaten hergestellt worden ist), als geradezu epochemachend be-
zeichnet.
Von den Verträgen, die soeben dem Keichstage zugegangen sind, sind die
wichtigsten der Konsularvertrag, der Vertrag über Eechtsschutz
und gegenseitige Kechtshilfe, der Auslieferungsvertrag, der
Niederlassungsvertrag. Von den übrigen 6 betrifft em Vertrag die
Gegenseitige Zuführung von Wehr- und Fahnenflüchtigen der
and- und Seestreitkräfte, während die übrigen je einen Neben vertrag zu den
vorstehenden Haupt verträten darstellen, sich nur auf die deutschen Schutzgebiete
(der Nebenvertrag zum Niederlassungsvertrage auch auf die türkischen Provinzen
Hedijchas, Jemen und Neschd) beziehen, und gewisse, auf politischen und religiösen
Gründen beruhende Modifikationen zum Inhalte haben.
Ueber die wirtschaftliche Lage Spaniens unter dem Ein-
fluß des Weltkrieges wurde im Handelsteil der „Frankfurter Zeitung"
(vom 6. Mai 1917) folgendes berichtet:
Die Wirtschaftslage hat sich im Kriege ganz besonders bessern können.
Das hat u. a. das Zeichnungsergebnis der vor kurzem aufgelegten 5-proz., in 50 Jahren
amortisierbaren Anleihe von einer Milliarde Pesetas gezeigt, die ganz erheblich
überzeichnet wurde. Etwa zwei Drittel davon dienen zur Fundierung der
schwebenden kurzfristigen Schuld. Während der spanische Wechselkurs auf
London im Juli 1914 26,15 Pesetas pro £ betrug, stellt er sich jetzt auf nur 21,70.
Dabei hatte der Goldbestand der Bank von Spanien, der vor dem Kriege etwa
550 Mül. Pesetas ausmachte, Ende 1916 bereits 1341 Mill. Pesetas erreicht. Von
der günstigen Gestaltung des spanischen Außenhandels hatten die vor kurzem
an dieser Stelle veröffentlichten Ziffern bereits ein Bild gegeben; ergänzend seien
nach der Zeitschrift Scotsman noch folgende Zahlen in £ (ohne die Metallgeld-
bewegung) erwähnt : Einfuhr 1913 52,2 Mül., dagegen 1916 36,5 Mill. ; Ausfuhr
1913 42,28, 1916 54,72 MiU. Mithin ergibt sich im Jahre 1916 gegenüber 1913:
Abnahme der Einfuhr um 15,72, Zunahme der Ausfuhr um 12,44 MiU. 1913 be-
lief sich der Ueberschuß der Einfuhr gegen die Ausfuhr auf 9,96, 1916 der Ueber-
schuß der Ausfuhr gegen die Einfuhr auf 18,20 MiU., Zahlen, die geradezu das
Ideal einer günstigen Handelsbilanz darsteUen. In der spanischen Einfuhr nahm
Deutschland vor dem Kriege hinter England und Frankreich den dritten Platz
ein. Auch in der Ausfuhr stand Deutschland an dritter SteUe, freUich in weitem
Abstände hinter Frankreich und England. Bei Betrachtung der jetzigen Einfuhr-
und Ausfuhrziffern darf nicht übersehen werden, daß der Gesamthandel Spaniens
während des Krieges trotz der wesentlich erhöhten Preise aUer Waren um einige
Prozent geringer geworden ist. Dies geht nach der „Zeit" auch aus den in den
Schiffahrtsausweisen enthaltenen Daten hervor. Es wurden im Jahre 1916,
gegenüber den in Klammern angeführten Zahlen des Jahres 1913, ausklariert und
verladen 14,46 MiU. t (20,6); davon standen unter spanischer Flagge 5,67 (6,87),
- 329 —
und unter fremder Flagge 8,78 (13,79) Mill. t. Die Abnahme beträgt ungefähr
17 Proz. bei spanischen und 36 Proz. bei ausländischen Schiffen. An letzterer
Abnahme ist zweifellos das Verschwinden der deutschen und österreichisch-
ungarischen Flaggen schuld. Weniger befriedigend ist der Bahn verkehr. Die
spanischen Blätter klagen darüber, daß die größten Anforderungen an die Eisen-
bahnen von der Regierung gestellt werden; nur 25 Proz. des Eisenbahnverkehrs
dienen der Ausfuhr in den Häfen. Dies führte zu Transporthindernissen, so z. B.
zur Verstopfung des Hafens von Valencia. Damit steht auch die wirtschaftliche
Bedrängnis der Bevölkerung im Zusammenhang, da das nationale Gedeihen eines
neutralen Landes infolge abnormaler Verhältnisse keineswegs eine entsprechende
Besserung in der sozialen Wohlfahrt seiner Bewohner bedeutet. So befindet sich
die Küstenbevölkerung, für die die Apfelsinenernte wirtschaftlich alles bedeutet,
in großer Notlage. Sobald die ßegierung Abhilfe und die Sendung von 400
Eisenbahnwagen versprach, besserte sich die Stimmung. Es ist daher zu hoffen,
daß die von den Mittelmächten in Aussicht gestellten Maßnahmen, wie Ankauf
spanischer Agrarprodukte im größten Umfang, Begünstigung des spanischen See-
verkehrs, BeisteUung von Komen für die spanischen Schiffe und anderes mehr
mittelbar und unmittelbar den breiten Bevölkerungsschichten zugute kommen
werden.
Den „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirtschaft" sind
folgende Angaben über den Außenhandel Frankreichs in den
Jahren 1915 und 1916 zu entnehmen: Nach der amtlichen Statistik
erreichte die Einfuhr Frankreichs den Betrag von 15159 412 000 frcs.
und überstieg damit diejenige des Vorjahres um 4123 618000 frcs.
Der Wert der Ausfuhr stieg um 1 178 321000 frcs. und belief sich auf
5115 690000 frcs. Die Verteilung des Handelsumsatzes auf die ver-
schiedenen Warengruppen ist aus der nachstehenden Zusammenstellung
zu entnehmen:
Einfahr.
.Q.f. .Q.ß Zunahme (+) oder Abnahme ( — )
.ft^A * lAAA « im Jahre 1916, verglichen mit 1915
1000 frcs. 1000 frcs. ^^^^ ^^^ ^ ^^ ^
Lebensmittel 3 3^4 797 4076052 + 761255 +22,9
Eohstoffe 4 653 404 6 452 320 + i 798 916 -f 3^,6
Fabrikate 3 067 593 4 631 040 +1 563 447 + 50,9
zusammen
Gold u. Silber
II 035 794
126 886
15 159412
146 341
Ausfuhr.
4- 4 123 618
+ 19455
+ 37,8
+ 15,8
Lebensmittel
Rohstoffe
Fabrikate
Postpakete
648 953
767521
2 341 317
179578
483 262
801 090
3 587 024
244314
— 165 691
+ 33 5^9
+ I 245 707
+ 64 736
-25,5
+ 4,3
+ 53,2
+ 36,0
zusammen 3 937 369 5 115 690 +1178321 +29,9
Gold u. Siber 150823 34643 — 116 180 —77,0
Die Handelsbilanz hat sich demnach während des Krieges in hohem Maße
verschlechtert. Dies geht aus der nachstehenden Zusammensteflung hervor, welche
die Höhe des Einfuhrüberschusses während des letzten Jahrfünfts zeigt:
Einfuhr
Ausfuhr
Einfuhrüberschuß
1000 frcs.
1000 frcs.
1000 frcs.
V. H.
1912
8 230 846
6712 580
I 518266
22,6
1913
8421332
6880217
I 541 115
22,4
1914
6 402 169
4 868 834
1533335
31,4
1915
II 035 794
3 937 369
7 098 425
180,8
1916
15 159 412
5 115 690
10043 722
196,8
— 330 —
Man darf hieraus indes nicht den Schluß ziehen, daß die ungünstige Handels-
bilanz ihre Ursache lediglich in der Zunahme der Einfuhr aus dem Ausland habe,
und daß eine Minderung der Einfuhr die einzig mögliche Abhilfe bedeute. Wenn
man nämlich die Verhältnisse näher untersucht, so findet man, daß die Einfuhr-
menge keine Zunahme gegenüber einem Normaljahr aufweist (abgesehen von Gre-
treide, Zucker, Petroleum, öchieferöl und besonders Eisen, Stsdil und Kupfer),
daß dagegen die Ausfuhr der Menge nach erheblich zurückgegangen ist und das
Wachsen der Wertziffern auf den stark gestiegenen Preisen beruht.
Dem „Board of Trade Journal" entnehmen die „Nachrichten für
Handel, Industrie und Landwirtschaft" die folgenden Angaben über
den Außenhandel Englands: Der Gesamthandelswert (nur in
Waren) belief sich 1916 auf 1553,3 Mill. £; hiervon entfielen auf die
Einfuhr 949,2 Mill. £, auf die Ausfuhr 506,5 Mill. £ und auf die Ausfuhr
fremder und Kolonialerzeugnisse (Wiederausfuhr) 97,6 Mill. £. In den
letzten 5 Jahren stellte sich der Gesamthandel folgendermaßen:
Einfuhr
Ausfuhr
Wiederausfi
Mill. £
Mill. £
MiU. £
744,6
487,2
111,7
768,7
525,2
109,6
696,6
430,7
95,5
851,9
384,9
99,1
949,2
506,5
97,6
Der Wert der Einfuhr erreichte somit 1916 einen Höchstwert von nahezu 950
Mill. £; dies bedeutet eine Zunahme von 23,5 v. H. gegenüber der Höchstziffer
des Jahres 1913 von etwa 769 Mill. £. Der Wert der Ausfuhr von britischen
Erzeugnissen und Waren war zwar um etwa 20 MiU. £ geringer als im Jahre
1913; er stellte sich aber um 4 v. H. höher als 1912, 18 v. H. höher als 1914
und nicht weniger als 36 v. H. höher als 1915.
Der Wiederausfuhrhandel im Jahre 1916 war um 11 v. H. geringer als 1913
und um 13 v. H. geringer als im Jahre 1912 mit seiner Höchstziffer.
Hierbei ist zu bemerken, daß in der Statistik der Wareneinfuhr seit Kriegs-
ausbruch die Ziffern alle Nahrungsmittel umfassen, aber nicht andere Waren ein-
schließen, die zur Zeit der Einfuhr Eigentum der Britischen Regierung oder der
Eegierungen der Verbündeten waren. Was die Ausfuhr anlangt, so sind alle in
Großbritannien von den Verbündeten oder auf deren Rechnung gekauften Waren
einbegriffen; Waren dagegen, die aus Lägern und Vorräten der Britischen Re-
gierung entnommen, oder Waren, die von der Britischen Regierung angekauft
und auf Regierungsschiffen verschifft wurden, sind nicht eingeschlossen.
Die früheren Mitteilungen über den Außenhandel Rußlands
(vgl. oben S. 263 f.) werden in den „Nachrichten für Handel, Industrie
und Landwirtschaft" folgendermaßen ergänzt: Der Gesamtwert der
russischen Einfuhr im Jahre 1916 über die europäische Grenze und
über Finnland wird auf 1717 Mill. Rbl. gegen 692 Mill. Rbl. im Jahre
1915 geschätzt. Er hat demnach um das Zweieinhalbfache zugenommen;
sogar im Vergleich zu dem letzten Jahre vor dem Kriege (1913) ist
er um 496 Mill. Rbl. oder um 41 v. H. gestiegen. Außerdem ging
noch der größte Teil der Einfuhr über die asiatische Grenze, meistenteils
über Wladiwostok, nach dem europäischen Rußland, lieber Wladi-
wostok wurden in den ersten 11 Monaten 1916 im ganzen für 698 Mill. Rbl.
gegen 261 Mill. Rbl. im Jahre 1915 und 23 Mül. Rbl. im Jahre 1914
eingeführt.
- 331 ~
Auf die Herkunftsländer verteilte
Handel in folgender Weise:
sich die Einfuhr Kußland im europäischen
Im Jahre 1916
1913
1914
1915
1916
mehr (+) oder
weniger( — )al8
im Jahre 1915
Millionen Rubel
Großbritannien
170,4
167.4
232,5
616,2
+
383,7
Vereinigte Staaten
von Amerika
74,2
77,«
162,2
422,4
+
260,2
Frankreich
56,0
42,9
30,3
170,2
+
139,9
Schweden
16,1
11,1
54,2
91,4
+
37,2
Japan
0,6
2,5
13,1
47,3
+
34,2
China
15,3
18,8
22,4
34,6
+
12,2
Norwegen
10,0
6,7
5,9
29,7
+
23,8
Ostindien
3o»o
24.5
7,5
15,6
+
8,1
Dänemark
12,8
7,3
7,2
11,7
+
4,5
Schweiz
5,^
3,6
3,9
11,4
+
7,5
Italien
16,7
15,0
8,2
10,3
+
2,1
Deutschland
642,8
418,4
23,7
9,1
14,6
Niederlande
21,4
19,4
8,3
7,9
0,4
Finnland
51,0
S3,i
91,9
212,2
+
120,3
Zusammen einschließlich
anderer Länder
1220,5
939,8
691,7 1716,5
+ 1024,8
Die stärkste Einfuhr fand im Jahre 1916 aus Großbritannien, den Ver-
einigten Staaten von Amerika, Frankreich und Finnland statt. In der Einfuhr
über Wladiwostok (in den 11 ersten Monaten 1916 im ganzen für 697,9 Mill. Rbl.)
hatten die größte Bedeutung die Vereinigten Staaten von Amerika (379,3 Mill. Rbl.),
Japan (194,9 Mill. Rbl.), Großbritannien ^5,4 Mill. Rubel) und China (27,4 MiÜ.
Rbl.). Rechnet man die Einfuhr über Wladiwostok derjenigen über die euro-
päische Grenze hinzu, so stehen die Vereinigten Staaten von Amerika an der
Spitze der Einfuhrländer,
Am Außenhandel der Vereinigten Staaten von Amerika
in den letzten 3 Jahren (vgl. oben S. 265 f.) beteiligten sich nach dem
„W. N. D. Deutscher Ueberseedienst" die einzelnen fremden Länder
in folgendem Umfange (in Mill. Doli.) :
Europa.
Einfuhr.
1916
1915
1914
Großbritannien (einschließlich Gibraltar und Malta)
305,7
258,3
287,4
Frankreich
108,9
77,9
104,2
Rußland (gesamt)
8,7
3,2
15,7
Italien
60,2
5,6
55,2
Belgien
1,6
2,6
30,4
Portugal, Azoren und Madeira
8,4
6,0
6,5
Rumänien
0,02
0,5
Serbien und Montenegro
—
—
1,0
Deutsehland
5,8
45,0
149,4
Oesterreich-Ungarn
0,6
5,5
15,7
Bulgarien
0,01
0,8
0,1
Europäische Türkei
0,04
y
7,9
Spanien
32,6
18,7
22,0
Niederlande
43,6
28,5
37,5
Dänemark und Island
3,«
2,8
3,9
Norwegen
6,4
7,0
12,0
Schweden
18,9
11,4
11,7
Griechenland
10,6
5,4
4,1
Schweiz
22,4
19,9
21,6
— 332
Ausfuhr.
1916
1915
1914
Großbritannien (einschließlich Gibraltar und Malta)
1894,1
1203,7
602,9
Frankreich
860,8
500,8
170,1
Rußland (gesamt)
469,0
170,4
30,1
Italien
303,5
269,7
97,9
Belgien
31,2
23,*
34,8
Portugal, Azoren und Madeira
15,9
9,2
4,1
Rumänien
0,5
1,2
Serbien und Montenegro
0,05
1,2
0,01
Deutschland
2,3
11,8
158,3
Oesterreich-Ungam
0,06
0,1
12,8
Bulgarien
—
0,05
o,s
Europäische Türkei
—
0,05
1,7
Spanien
63,5
45,9
27,8
Niederlande
"3,7
143,0
100,7
Dänemark und Island
56,8
73,8
42,1
Norwegen
66,2
46,2
19,6
Schweden
48,4
85,2
31,0
Griechenland
33,7
26,8
8,8
Schweiz
Amerika.
13,7
6,0
0,7
Einfuhr.
Kanada und Neufundland
240,0
178,6
165,5
Andere britische Besitzungen
19,0
15,7
17,2
Holländische Besitzungen
2,0
1,1
1,6
Französische Besitzungen
0,1
0,1
0,08
Dänische Besitzungen
1,1
0,08
o,s
Kuba
243,7
197,5
146,8
Mexiko
105,1
83,6
86,3
San Domingo und Haiti
18,7
12,3
6,8
Zentralamerikanische Staaten (Oostarica, Guatemala,
Honduras, Nicaragua, Panama,
Salvador)
30,7
21,3
18,0
Argentinien
116,3
94,7
56.8
Bolivien
0,2
0,03
Brasilien
132,1
120,1
95,0
Chile
82,1
37,3
24,2
Kolumbien
25,7
19,8
17,5
Ecuador
8,0
5,*
3,*
Paraguay
0,05
0,08
0,06
Peru
31,1
15,8
11,8
Uruguay
i6,s
13,9
9,6
Venezuela
13,7
14,8
10,9
Ausfuhr.
Kanada
614,7
350,8
3i5»9
Andere britische Besitzungen
24,9
19,0
17,8
Holländische Besitzungen
2,7
1,9
1,7
Französische Besitzungen
4,*
3,2
2,4
Dänische Besitzungen
0,9
0,9
0,8
Kuba
164,6
95,8
67,9
Mexiko
52,9
41,1
33,2
San Domingo und Haiti
16,7
12,8
8,2
Zentralamerikanisohe Staaten (Costarica, Guatemala,
Honduras, Nicaragua, Panama,
Salvador)
46,6
36,7
36,9
Argentinien
76,9
52,8
27,1
Bolivien
1,9
1,0
0,8
Brasilien
47,7
34,0
23,8
Chile
33,*
17,8
13,6
Kolumbien
14,3
9,0
5,8
333
Ausfuhr
1916
1915
1914
Ecuador
5,0
3,4
2,5
Paraguay
o,i
0,05
0,08
Peru
14,0
7,9
5,9
Uruguay
11,9
7,9
4,2
Venezuela
11,3
7,3
5,0
Asien.
Einfuhr.
Asiatische Türkei
0,3
2,3
10,6
Persien
0,f,
0,5
1,5
Britisch-Ostindien
201,2
119,4
98,7
Siam
0,1
0,3
0,1
Hongkong
6,3
3,1
2,7
China
82,2
53,2
37,2
HoUändisch-Indien
36,9
»5,8
6,5
Japan
182,1
108,3
105,7
üebriges Asien
3,0
2,0
1,6
Ausfuhr.
Asiatische Türkei
0,2
0,07
0,8
Persien
0,3
0,9
0,5
Britisch-Ostindien
30,8
20,9
14,5
Siam
1,1
0,6
0,7
Hongkong
13,3
8,3
9,8
China
33,6
21,0
21,8
Holländisch-Indien
13,0
5,1
2,7
Japan
108,8
45,7
41,8
üebriges Asien
2,2
2,9
2,1
Ozeanien.
Einfuhr.
Australien
44,7
32,0
18,5
Neuseeland
11,1
3.1
4,9
Philippinen
34,2
22,9
23,6
Europäische Besitzungen in Ozeanien
3,7
2,4
1,3
Ausfuhr.
Australien
64,3
52,3
45,0
Neuseeland
17,0
11,7
8,1
Philippinen
22,8
26,8
22,8
Europäische Besitzungen in Ozeanien
1,5
1,1
1,3
Afrika.
Einfuhr.
Aegypten
29.5
29,9
15,0
Südafrikanische Union
18,5
9,6
1,8
Üebriges Afrika
41,1
15.4
5,8
Ausfuhr.
Aegypten
14,7
5,1
2,1
Südafrikanische Union
24,3
20,0
12,1
Üebriges Afrika
47,7
36,7
27,2
lieber den Außenhandel Panamas teilen die „Nachrichten
für Handel, Industrie und Landwirtschaft" folgendes mit : Bei dem fast
gänzlichen Fehlen einer einheimischen Industrie und der nur wenig
entwickelten Landwirtschaft ist es erklärlich, daß Panama für fast alle
Artikel auf das Ausland angewiesen ist. Die Ausfuhr besteht fast
ganz aus Bananen, die fast ausnahmslos nach den Vereinigten Staaten
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXII
— 334 —
gehen. Die Ausfuhr erreicht infolgedessen bei weitem nicht die Höhe
der Einfuhr, so daß die Handelsbilanz Panamas stark passiv ist.
Es betrug die Einfuhr in Panama:
1913
1914
1915
Millionen M.
48,0
41,5
39, 2 i
Davon kamen aus:
Deutschland
4.5
1,9
0,01
Belgien
0,9
1,3
China, Japan
1,1
1,0
1,1
Spanien und Kolonien
0,6
0,1
0,6
Frankreich
1,5
0,9
0,8
Großbritannien
10,4
7,7
5,0
Italien
0,8
0,5
0,4
Vereinigten Staaten von Amerika
26,8
26,9
29,4
Verschiedenen Ländern
1,4
I,«
1,9
Dagegen betrug die Ausfuhr 1913 nur 10,3 Mill. M. und 1915 nur
14,1 Mül. M. Infolge der starken finanziellen, wirtschaftlichen und politischen
Abhängigkeit Panamas von den Vereinigten Staaten ist auch sein Handel zum
größten Teil auf die Vereinigten Staaten eingestellt, von wo 1913: 56, 1914: 65
und 1915: 75 v. H. der Gesamteinfuhr kamen.
Nach dem „Board of Trade Journal" bewertete sich die Gesamt-
einfuhr Brasiliens im Jahre 1915 auf 267 854954 Milreis Gold
gegen 322 882 596 im Jahre 1914. Die Gesamtausfuhr belief sich
auf 516 617 734 Milreis Gold gegen 486 963 360 im Vorjahr. Die
einzelnen Länder waren, wie folgt, beteiligt:
Einfuhr
Ausfuhr
1915
1914
1915 1914
1000 MUreis Gold
1000 Milreis Gold
Vereinigte Staaten von Amerika
85789
55315
196 858 168 901
Großbritannien
58639
74987
56932 59 959
Britische Besitzungen
13528
12998
3 883 2 841
Argentinien
42543
30337
23782 19554
Frankreich
13 214
24599
53616 34037
Niederlande
1838
2 706
29954 23941
Italien
II 796
12 876
14780 12383
Portugal
13247
16083
4321 3694
Schweden
2359
1541
42451 9496
Deutschland
4 128
50836
— 41 212
Zur Ergänzung früherer Angaben über den Außenhandel
Argentiniens (vgl. oben S. 93) dienen die folgenden (den „Nach-
richten für Handel, Industrie und Landwirtschaft" entnommenen) Mit-
teilungen über die Beteiligung der wichtigsten Länder an der Ein- und
Ausfuhr der Republik (Angaben in Dollar Gold):
Einfuhr. Vereinigte Staaten von Amerika 63 522 368 (59126 951), Groß-
britannien 61284 989 (118 669 226), Italien 21338031 (32487152). Frankreich
14 299 061 (37 618 578), Spanien 13 477 416 (11928 307), BraßiHen 11897 683
(9 547 236), Mexiko 6 519 982 (13 720), Britische Besitzungen 5 649 352 (6 093 128),
Niederlande 2 207 750 (3 441 667), Uruguay 2 458 951 (2 496 913), Schweden 2 099 611
(2 290206), Paraguay 2067 846 (2127 506), Schweiz 2018 594 (2183400), Kuba
1323019 (1105 380), Japan 1182 313 (774885), Kanada 1 126 196 (2 266 257), Nor-
— 335 —
wegen 832 258 (1468 794), Deutschland 350879 (63 941503), Belgien 276461
(20 370 530), Oesterreich-Ungarn 10 095 (3 476 805).
Ausfuhr. Deutschland — (53 995 175), Oesterreich- Ungarn — (2 896 798),
Belgien — (37 258 225), Brasilien 24498 226 (22 646 362), Chüe 1 541 904 (2 456 280),
Dänemark 6 093 959 (861587), Spanien 8 563 677 (3 582 495), Vereinigte Staaten
von Amerika 113 488 289 (32 391148), Frankreich 64 737 625 (36052009), Italien
27148468 (21147 962), Norwegen 4128059 (1804 741), Niederlande 27 491405
(16 027 223), Paraguay 2 987 734 (1 219 925), Portugal 1 360 324 (567 019), Fran-
zösische Besitzungen 2 514 575 (74 106), Großbritannien 159 755 301 (121 373 358),
Rußland 2 950182 (376 643), Schweden 10084 346 (1496 050), Uruguay 6487 619
(4 714480), auf Order 75 596 240 (114 903 510).
lieber den Außenhandel Paraguays macht der „W. N. D.
Deutscher Ueberseedienst" folgende Angaben:
(in 1000 $ Gold)
Einfuhr
Ausfuhr
1916
4652
4862
1915
2406
5616
1914
5149
4584
Ausfuhrüberschuß 2 1 o
3210 Einfuhrüberschuß 565
Diese Angaben der amtlichen Statistik sind in Wahrheit unzutreffend, weil
sich die Wertbestimmungen auf Preisen begründen, die heute um 50 — 100 Proz.
höher sind. Deshalb hat die Handelskammer von Asunciön für die Hauptaus-
fuhrartikel eine Berichtigung vorgenommen. Sie gelangt so zu einem Ausfuhr-
wert von 8,8 Mül. $ Gold, während der wirkliche Wert der Einfuhr mit 6,9 Mill. $
Gold angegeben wird, so daß sich ein rechnerischer Ausfuhrüberschuß von rund
1,9 Mill. Gold ergibt. Dieser vermindert sich wieder um die Gewinne auf das
ausgeführte Tannin, die ausländischen Gesellschaften zufließen und deshalb in
Wirklichkeit keinen Aktivposten in der Zahlungsbilanz darstellen.
Einfuhr
Ausfuhr
(in 1000 $ Gold)
Herkunfts- bzw.
1916
1915
1914
1916
1915
1914
Bestimmungsländer :
(11 Monate)
(11 Monate)
Großbritannien
1690
794
1183
75
197
116
Frankreich
68
59
250
108
71
51
Italien
229
175
356
121
39
33
Belgien
I
5
117
—
—
36
Deutschland
30
167
1398
—
4
810
Oesterreich
69
—
—
Spanien
158
117
280
329
65
81
Schweiz
—
2
12
—
24
—
Dänemark
—
—
—
—
60
—
Schweden
—
—
—
—
4
2
Norwegen
3
—
—
—
55
—
HoUand
16
14
IG
74
553
III
Argentinien
1495
788
930
3297
3638
2715
Uruguay
52
3^
38
215
574
591
Brasilien
34
9
24
14
28
27
Chile
I
I
4
I
—
—
Bolivien
—
—
—
I
—
Vereinigte Staaten
537
216
^8
198
303
11
Verschiedene
36
27
50
—
—
4350
2406
5149
4432
5616
4584
Der Außenhandel Uruguays (vgl. oben S. 94) hatte nach
dem „W. N. T. Deutscher Ueberseedienst" in den Jahren 1914, 1915
und 1916 folgenden Umfang:
XXII*
336 —
(in 1000 1)
1916
1915 1914
Einfuhr
33802
34 979 37234
Ausfuhr
68341
73 290 58 233
Ausfuhrüberschuß
34 539
38 311 20999
Herkunftsländer (1915
)
Bestimmungsländer (1915)
Argentinien
7 373
Frankreich
17687
Brasilien
4865
Italien
14943
Kuba
229
Großbritannien
13207
Spanien
2277
Vereinigte Staaten
II 746
Vereinigte Staaten
7271
Argentinien
8941
Großbritannien
6851
Spanien
2473
Frankreich
1635
Brasilien
1054
Italien
2535
Kuba
873
Deutschland
749
Andere Länder
2366
Holland
368
73290
Schweden
265
Andere Länder
561
34 979
Der Hafenverkehr 1) von Rotterdam und Amsterdam war
(nach dem „W. N. D. Deutscher Ueberseedienst") in den letzten Jahren
folgender :
Nieuwe Eotterdamsche Waterweg
Einklariert
Ausklariert
Schiffe
in 1000 Reg.-T.
Schiffe
in 1000 Beg.-T
1916
3284
3255
3505
3351
1915
3883
4228
3992
4305
1914
8011
9885
8 115
9988
1913
II 285
13749
Amsterdam
Einklariert
II 360
13796
Ausklariert
Schiffe
in 1000 Reg.-T.
Schiffe
in 1000 Reg.-T
1916
1622
1506
1590
1519
1915
1820
1801
1816
1810
1914
2403
2375
2403
2382
1913
2597
2650
2579
2613
Der Vorstand des Verbandes für Kanalisierung der Mosel
und Saar faßte Anfang Mai 1917 eine Entschließung, in der es hieß:
„Nur der sofortige zeitgemäße Ausbau des Mosel- und Saarkanals
bietet dem Südwesten die Möglichkeit für das Wiederaufleben und Ge-
deihen von Handel, Grewerbe und Schiffahrt in der Kriegsfolgezeit und
gibt der südwestlichen Eisenindustrie das erforderliche Rüstzeug für
ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkte in dem bevorstehenden
Wirtschaftskampfe aller Nationen. Die an sich durch den Austausch
der gewaltigsten Massengüter zwischen dem Südwesten und dem Nord-
westen gegebene Rentabilität der Mosel- und Saarkanalisierung wird
durch die in Aussicht genommene Ausnutzung der Wasserkräfte noch
erheblich gesteigert. Um so williger werden die beteiligten Kreise, wie
sie bereits früher erklärt haben, bereit sein, nicht nur die Zins- und
1) Fischerboote sind nicht berücksichtigt.
— 337 —
TilguDgsgewähr für das aufzuwendende Baukapital zu übernehmen,
sondern das Baukapital selbst zur Verfügung zu stellen, falls ihnen
unter angemessenen Bedingungen die Genehmigung zur Ausführung
des großen Werkes erteilt wird. Der Vorstand erblickt in der Schaf-
fung der in Rede stehenden Wasserwege das geeignete Mittel für die
Verbindung der aufeinander angewiesenen Industriegebiete des Süd-
westens und des Nordwestens untereinander und mit dem Meere und auch
für die engere wirtschaftliche und politische Angliederung von JElsaß-
Lothringen an Alt-Deutschland und schließlich für die Nutzbarmachung
des südwestlichen Erzbeckens für die deutsche Eisenindustrie."
Zur Frage der Verbindung der Donau mit den nord-
deutschen Strömen nahm der Hamburger „Ehrbare Kaufmann",
die Vereinigung der Inhaber der eingetragenen kaufmännischen Firmen
Hamburgs, am 8. Mai 1917 einstimmig die folgende Entschließung an:
„Der von der Handelskammer zu einer außerordentlichen Versammlung
berufene ,Ehrbare Kaufmann Hamburg' hält den Bau einer Wasser-
straße zwischen der Elbe und der Donau im Interesse der wirtschaft-
lichen Entwicklung und des wirtschaftlichen Zusammenschlusses der
beiden im Kriege und Frieden verbündeten Staaten des Deutschen
Reiches und Oesterreich-Ungarns für dringend erforderlich. Die gün-
stigste und billigste Linie hierfür ist der von der Elbe bei Pardubitz
abzweigende und bei Prerau in den zu erbauenden Oder-Donau-
Kanal einmündende Kanal. Die so zu schaffende, im österreichischen
Wasserstraßengesetz von 1901 bereits vorgesehene Verbindung zwischen
der Elbe-Oder und der Donau ist vom Deutschen Reich mit allen Mitteln,
auch durch Beitrag zu den Kosten des Baues, zu fördern. Diese Auf-
gabe darf hinter dem Donau-Main-Kanal nicht zurückstehen.
Dieser würde nur den Häfen von Antwerpen und Rotterdam zugute
kommen und dadurch Hamburg schaden. Die Interessen Hamburgs,
das durch den Krieg schwerer als ein anderer deutscher Bundesstaat
in seiner wirtschaftlichen Stellung geschädigt ist, müssen wir beim Bau
von Wasserstraßen in erster Linie berücksichtigen."
Nach einem Bericht der „Frankfurter Zeitung" vom 15. Mai 1917
ist dem deutschen Reichstag ein Ergänzungsetat zugegangen, der
1 200 000 M. als Beiträge zu den Kosten der Bearbeitung von Ent-
würfen für den Ausbau des deutschen Wasserstraßennetzes (vgl.
oben S. 171) als erste Rate aussetzt. Es handelt sich um die Be-
teiligung des Reiches an den Kosten der Bearbeitung solcher Ent-
würfe, deren Durchführung gleichzeitig der gesamten deutschen Volks-
wirtschaft dienen würde. Als solche Pläne kommen zunächst in Betracht
die Verbindung des Rheins mit der Donau durch den Main, durch
den Neckar und über den Bodensee und ferner die Herstellung
von Wasserstraßenverbindungen im Stromgebiet der Weser, der
Elbe und der Oder. Die endgültige Auswahl soll vorbehalten
bleiben. Es bedarf bei diesen der entschiedenen Mitwirkung des Reiches
um so mehr, als dieses auch das erforderliche Einvernehmen mit den be-
teiligten außerdeutschen Staaten herbeizuführen haben wird. Von der
- 338 -
ausgesetzten Summe entfallen 700 000 M. auf die Großschiffahrtsstraße
von Aschaffenburg bis zur Reichsgrenze bei Passau, auf den Großschiff-
fahrtsweg vom Rhein nach der Donau über den Neckar einschließlich
der Schiffbarmachung der Donau von Regensburg bis Ulm, sowie die
Verbindung des Oberrheins über den Bodensee mit der Donau 100 000 M.,
und die übrigen 400000 M. auf die übrigen Pläne. Die Festsetzung
der Beiträge, die keinesfalls mehr als zwei Fünftel der erforderlichen
Aufwendungen betragen sollen, bleibt im einzelnen der Verständigung
des Reiches mit den beteiligten Bundesstaaten auf Grund genauerer
Unterlagen vorbehalten. Die Uebernahme eines Teiles der Entwurf-
kosten erfolgt lediglich, um die Durchführbarkeit und Bauwürdigkeit
der einzelnen Pläne vom Standpunkt der Reichswirtschaft zu ermitteln.
Durch sie wird dabei der späteren Entscheidung, ob und in welchem
Umfange etwa das Reich einen Teil der Baukosten für die eine oder
andere Verbindung übernehmen wird, in keiner Weise vorgegriffen.
Dem preußischen Abgeordnetenhause ist Anfang Mai 1917 ein
Gesetzentwurf zugegangen, in dem die Bereitstellung von weiteren
Staatsmitteln für die Herstellung des Schiffahrtskanals vom
Rhein zur Weser gefordert wird, und zwar rund 13 Mill., die zur
Herstellung einer zweiten Mündung des Rhein-Herne-Kanals in
den Rhein dienen sollen.
Einem Bericht im Handelsteil der „Frankfurter Zeitung" (vom
20. Mai 1917) über die Börse und den Geldmarkt in London sind die
folgenden Angaben über die bevorstehende Verstaatlichung der
kanadischen Eisenbahnen entnommen:
Wenig Freude hat der Bericht der parlamentarischen Untersuchungs-Kom-
mission betreffend die kanadischen Bahnen den englischen Kapitalisten bereitet,
nachdem er zweifellos eine starke Mißwirtschaft aufdeckte. Kanada hat heute
eine englische Meüe Eisenbahnlinie auf je 185 Einwohner, während die Ver-
einigten Staaten auf je 400 Einwohner, Großbritannien auf je 2000 Einwohner
eine Meile Bahnlinie verzeichnen. Der Bericht gipfelt in der Forderung, die
Canadian Northern, die Grand Trunk und Grand Trunk Pacific, die Intercolonial
und Transcontinental-Linien zu verstaatlichen und unter gemeinsame Verwaltung
zu stellen, um die Interessen der beteiligten Kapitalisten tunlichst zu wahren.
Es war vorauszusehen, daß die Verwaltung der Grand Trunk-Linien mit einem
scharfen Protest auf die erhobenen Anklagen antworten würde ; dieser ist in heftig-
ster Form erfolgt, und dürfte nun die öffentHche Diskussion der Beteiligten ein-
setzen, die erbauliche Dinge über die vielgerühmten englischen Finanzierungs-
methoden zutage fördern wird. Für eingeweihte Kreise ist es nichts Neues, daß
trotz des phänomenalen Erfolges der Canadian Pacific-Eisenbahn die kanadische
Kolonie den korruptesten Distrikt des englischen Weltreichs büdet ; der Weltkrieg
dürfte in dieser Beziehung mit gar manchen Blusionen aufräumen.
P. Arndt.
V. Versicherungswesen.
Inhalt: 1. Privatversicherung. Deutschland: Ergebnisse der
Lebensversicherungsgesellschaften 1916. Deutsche Lebensversicherung bei ameri-
kanischen Gesellschaften. Neue Wege in der Seeversicherung. Güde für Trans-
portversicherung. Errichtung eines deutschen Schiffsnachrichtendienstes. Zu-
sammenschluß von Versicherimgsgesellschaften. Ausland: Oesterreich-ungarische
Lebensversicherung 1916. Versicherungswesen in Polen. Versicherungswesen in
— 339 —
Spanien. Plan eines Lebens versicherungs- Staatsmonopols in Dänemark. Nor-
wegische Kriegsversicherung. Französische Seeversicherung. Aktienkurse der
russischen Versicherungsgesellschaften. Englischer Versicherungsmarktbericht 1916.
Neue englische Versicherungsanstalten. Steigen der Seeversicherungssätze in
England. Ausdehnung der englischen Kriegsversicherung.
2. Sozialversicherung. Deutschland: Betriebsunfälle in der Kriegs-
zeit. Hamburgische Krankenversicherung für Dienstboten. Ausland: Zur Aus-
gestaltung der Pensionsversicherung in Oesterreich. Arbeiterversicherungskassen
m Serbien.
1. Privatversicherung.
Die Abschlüsse von 47 Privat-Lebensversicherungs-
gesellschaften für das Jahr 1916 sind im Wiener „Nationalökonom"
zusammengestellt. Daraus ergibt sich, daß die Anstalten Neuabschlüsse
in Höhe von 603,9 Mill. M. Versicherungssumme und 1,7 Mill. M.
Jahresrente aufzuweisen haben.
Gegenüber den Vorjahren zeigt sich folgende Abnahme:
Policen
Versicherungs-
davon Volks-
Jahres-
kapital
versicherung
renten
1916
591 824
603 866 962
HO 436 943
I 696 989
1915
429693
527 638 487
84783516
I 089 588
1914
I 092 303
I 260 029 698
220 702 283
2 214 186
1913
I 541 140
I 764 225 782
317 187 233
2 412 123
1912
I 438 701
I 738 346 388
296 674 758
2 780932
Diese Aufstellung zeigt die bedeutende Verringerung des Neuzugangs
gegen 1913 und 1914, aber eine Steigerung gegen 1916. Es ist jeden-
falls ein bedeutsamer Erfolg, in einem Kriegsjahre mehr als 600 Mill. M.
an neuen Versicherungen zum Abschlüsse zu bringen. Soweit Berichte
vorliegen, haben die großen Ausgaben, welche die Kriegsschäden er-
forderten, die finanzielle Lage der Gesellschaften auch im dritten Kriegs-
jahre nicht zu erschüttern vermocht.
Ueber die deutschen Lebensversicherungen bei ameri-
kanischen Gesellschaften ist der „Frankfurter Zeitung" folgendes
zu entnehmen.
In den Kreisen derjenigen deutschen Versicherten, die eine Lebensversiche-
rungspolice bei amerikanischen Lebensversicherungsgesellschaften laufen haben,
herrschen, wie aus Anfragen aus unserem Leserkreis hervorgeht, noch immer
Zweifel, wie sie sich bezüglich der Prämienzahlung verhalten sollen. Wir weisen
deshalb nochmals darauf hin, daß von den in Deutschland zugelassenen ameri-
kanischen Versicherungsgesellschaften nur vier in Betracht kommen, nämlich die
„New York" -Lebensversicherungsgesellschaft, die New Yorker „Germania", die
„Equitable" und die „Mutual" Leoensversicherungsgesellschaft. Die vier Lebens-
versicherungsgesellschaften sind verpflichtet, den vollen Wert ihrer Prämien-
reserven für das deutsche Geschäft in Deutschland zu hinterlegen und sicherzu-
stellen. Die Prämien aller deutschen Versicherungsverträge werden in mündel-
sicheren deutschen Papieren derart angelegt, daß ohne Genehmigung des Auf-
sichtsamtes darüber nicht verfügt werden kann. Außerdem haben die Gesell-
schaften für das Deckungskapital f ür die erforderlichen Sicherungen in Deutsch-
land zu sorgen. Deshalb erscheinen die in Deutschland vorhandenen Sicherungen
ausreichend groß, daß die amerikanischen Versicherungsgesellschaften ihren Ver-
pflichtungen gegenüber den deutschen Versicherungsnehmern jederzeit voll ent-
— 340 —
eprechen können. Dadurch erledigt sich auch die Frage, ob eine Weiterzahlung
der Prämie erfolgen soll oder nicht; wenn die Kechtskraft der Police aufrecht-
erhalten werden soll, so müssen die Prämien weitergezahlt werden.
NeueWege in der deutschen Seeversicherung schildert
ein Hamburger Bericht der „Münchener Neuesten Nachrichten*', wie
folgt:
In allen Kreisen, die sich für die Transportversicherung, insbesondere für
die Seeversicherung interessieren, zeigt sich schon seit geraumer Zeit eine starke
Bewegung, die auf die Organisation dieses wichtigen nationalen Versicherungs-
zweiges gerichtet ist und jetzt durch den Krieg eine besondere Bedeutung erlangt
hat. Nicht nur, daß bestehende Gesellschaften, die bisher der Transportversiche-
rung fernstanden, sich diesem Arbeitsfelde zuwenden, daß Transportversicherungs-
gesellschaften ihr Kapital erhöhen, daß neue Unternehmungen, die sich haupt-
sächlich der überseeischen Transportversicherung widmen wollen, gegründet werden
— wie der neue „Hamburger Lloyd" mit 6 Mill. M. Kapital, dem die Dunker-
Gruppe nahesteht — , auch ganz neue Bahnen, neue Entwicklungslinien treten
in den Gesichtskreis, werden erörtert, vorbereitet, vielleicht bald beschritten. Da-
hin ist auch das Projekt zu rechnen, in Hamburg nach dem Vorbild der eng-
lischen E^lub- Versicherung eine Privat-Transportvericherungs- Vereinigung zu er-
richten. Bei dieser Gilde soll ebenso wie bei Lloyds Underwriter jedes Mitglied
einen Einschuß von 100000 M. hinterlegen und außerdem mit seinem ganzen
Vermögen für etwaige Verluste haftbar sein. Ob sich für diese Idee wirklich
maßgebende Handels- und Schiffahrtskreise ins Zeug legen werden, erscheint
zunächst fraglich. Das englische Vorbild dürfte nicht in allen Teilen auf unsere
Verhältnisse passen; manchen reichen Privatmann, der sich sonst wohl für die
Idee erwärmen könnte, wird es abschrecken, sein ganzes Vermögen bei so starken
Eisiken einzusetzen. Tatsächlich begegnet man hier denn auch in dieser Be-
ziehung großer Zurückhaltung. Man will allenfalls gelten lassen, daß eine solche
Privatversicherung in Frage kommen kann für die Werte kleinerer oder mittlerer
Schiffahrtsunternehmungen, während die Versicherung auf Gegenseitigkeit für die
große überseeische Schiffahrt kaum ausreichen dürfte.
Unsere Großschiffahrt selbst hat auch gerade in der Versicherung ihrer
Schiffswerte für die Zukunft eigene Pläne. Nach den Vorbereitungen, welche
von unseren Großreedereien schon vor dem Kriege getroffen wurden, muß man
annehmen, daß ihre Pläne mehr dahinzielen, unter sich eine gemeinsame Organi-
sation zu schaffen. Das dürfte ihnen im allgemeinen wohl auch gelingen. Es
wird möglich sein, für fast alle Eisiken bei uns im Lande Deckung zu finden,
wie auch eine Umfrage der Eeichsversicherungsbehörde erwiesen hat. Nur für
die Eiesenschiffe, die Mammut-Dampfer, für deren Versicherung vor dem Kriege
bestimmte Abmachungen auch mit englischen Großreedereien bestanden haben,
müssen neue Wege der Versicherung geschaffen werden. Hierfür wäre ein Zu-
sammenschluß der Interessenten, eine starke Organisation ins Leben zu rufen. Die
jetzt stetig wachsende Kraft unserer Transportversicherungsgesellschaften bahnt
diese Möglichkeit an, und die in diesem Zweige der Versicherung immer klarer
zutage tretende Gruppenbüdung, eine Bestrebung, die sich von jeder Vertrustung
fernhalten muß, wird einen genügend kraftvoUen Faktor bilden, um vielleicht
unter Heranziehung anderer Versicherungsgruppen auch diese größten Eisiken
der Seeversicherung im Lande selbst unterzubringen.
Ob, wie von manchen Seiten angenommen wird, die Deutsche Seeyersiche-
ri^igs-Gesellschaft von 1914, die vorläufig nach dem Kriege nun doch in Form
einer reinen EückversicherungsgeseUschaft bestehen bleiben wird, den Kern und
den Träger in finanzieller Beziehung für eine Beteiligung des Eeiches an der
nationalen, höchst wichtigen Aufgabe der Versicherung unserer Ueberseeschiffe
abgeben kann und soll, muß vorderhand noch bezweifelt werden. Durchaus
fraglich ist es sogar, ob eine solche geschäftsmäßige Beteiligung des Eeiches an
der Seeversicherung nützlich und notwendig ist. Die Bedürfnisfrage dürfte eher
zu verneinen sein. Durchaus notwendig ist dagegen, daß keine Zersplitterung
— 341 ~
unter den verschiedenen Interessentengruppen eintritt, so daß eine kraftvolle
nationale Organisation für unsere Seeversicherung ersteht. Die großen Unter-
nehmungen unserer Seeschiffahrt und auf der anderen Seite der deutschen Trans-
portversicherung dürften wohl einen gemeinsamen Weg finden, auf dem sie zum
Nutzen unserer für das Wiederaufblühen des Wirtschaftslebens ganz unentbehr-
lichen Seeschiffahrt, die in der ersten Zeit nach Friedensschluß noch besonders
stark durch Minen gefährdet sein wird, eine Arbeitsmöglichkeit durch Deckung
der großen ßisiken schaffen.
In Verbindung mit diesen Neuerungen in Hamburg steht femer
die Errichtung eines deutschen Schiffsnachricbten-
dienstes. Hierüber meldet die „Vossische Zeitung" :
Der aus der Notwendigkeit des Krieges geborene Plan zur Gründung eines
Unternehmens für den deutschen Schiffsnachrichtendienst, der die Unabhängigkeit
von England gewährleisten soll, wurde in Hamburg durch die Errichtung des Ver-
eins „Seedienst" in die Tat umgesetzt. Etwa 400 Vertreter der Seeschiffahrt,
der Seeversicherung, des Handels und anderer Interessenvertretungen hatten sich
zu diesem Zwecke zusammengefunden; auch die Staatsbehörden Hamburgs und
Lübecks, sowie Abgeordnete des Eeichstages und anderer deutscher Parlamente
waren erschienen. Unter lebhaftem Beifall wurde eine Entschließung angenommen,
welche die Schaffung eines Schiffsnachrichtendienstes im Interesse der gesamten
deutschen Volkswirtschaft für dringend erforderlich erklärt und den vorbereitenden
Ausschuß mit den weiteren Arbeiten betraut. In diesem Ausschuß, der vorläufig
aus 12 Mitgliedern besteht, sind vertreten außer den Keedereien die Seeversicherer,
die Banken, die Schiffswerften, die Baumwollindustrie, die Exporteure, der Ein-
fuhrhandel und die Kolonialinteressen. Der Verlauf der Versammlung befestigte
die Erwartung, daß die Gründung des Vereins „Seedienst« und der „Schiffahrts-
zeitung" gesichert und auch die finanzielle Grundlage in kurzer Zeit gefunden
sein wird.
Abermals ist von einem geplanten Zusammenschluß von
Versicherungsgesellschaften zu melden.
Die Versicherungsgesellschaft „Thuringia" in Erfurt beantragt Fusion mit der
„Fortuna" Allgemeine Versicherungs- Aktiengesellschaft in BerUn, mit Wirkung ab
1. Januar 1917, und Erhöhung des Aktienkapitals um 750000 M. Die „Fortuna"
empfiehlt ihren Aktionären, den Fusionsantrag anzunehmen. Die „Thuringia",
die bisher die Transportversicherung nur in der Valorenbranche betrieb, wird in
Zukunft die gesamte Transportversicherung betreiben. Für je zwei Fortuna-
Aktien wird eine Thuringia- Aktie gewährt. Die Gewinnanteile für 1916 verbleiben
den Aktionären. Die Leitung der Transportversicherung bleibt in Berlin. Der
Vorsitzende der „Fortuna" wird in den Aufsichtsrat der „Thuringia" eintreten,
die anderen Aufsichtsräte der „Fortuna" werden in einen Prüfungsausschuß ge-
wählt werden. Die Thuringia schlägt wieder 400 M. für die Aktie aus einem
Jahresüberschuß von 2 631 625 M. (im Vorjahr 2 303 152 MJ vor, die Fortuna
wieder 220 M. aus einem Jahresüberschuß von 192 282 M. (170 700 M.).
Ueber die österreichisch-ungarischenLebensversiche-
rungsgesellschaften im Jahre 1916 sind dem Wiener „National-
ökonom" folgende Angaben zu entnehmen:
Die Befürchtung, der Weltkrieg werde einen Zusammenbruch der Volks-
wirtschaft herbeiführen, zeigt sich immer mehr als grundlos; ein Beispiel dafür
liefert die Lebensversicherung. Unsere Gesellschaften haben im Jahre 1916 die
stattliche Summe von 344,3 Mill. K. neu versichert, um 60 MiU. mehr als im
Vorjahre. Gegen das letzte Friedensjahr, das 975 MUl. Produktion brachte, ist
der Kückgang allerdings bedeutend. Aber es zeugt von der ausgezeichneten
Außenorganisation unserer Institute, wenn sie ungeachtet aller Schwierigkeiten,
— 342 —
welche der Krieg gerade der Lebensversicherung bereitet, ungeachtet des dezi-
mierten Agentenapparates für Vs Milliarde K. neue Versicherungen abschließen
konnte.
Die Produktion reicht allerdings nicht aus, um die großen Abfälle zu
decken, und man muß sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß ein nicht
unbedeutender Kückgang der versicherten Summen eintreten wird. Anderseits
ist zu erwarten, daß der finanzielle Erfolg nicht ungünstig sein wird, ungeachtet
der vielen Kriegsschäden und der neuerlichen Kursverluste. Jedenfalls ist der
Beweis erbracht, daß unsere Gesellschaften allen Anforderungen gewachsen sind
und reichliche Mittel für die Erfüllung aller Verpflichtungen besitzen.
Die Produktion der österreichisch-ungarischen Lebensversicherungsgesell-
schaften zeigt bis zum Jahre 1913 eine andauernde Steigerung; es wurden neu
ausgestellt in Kronen:
Aktien-
Gegenseitigkeits-
Totale
Gesellschaften
Anstalten
1875
68 126000
31944000
100070000
1880
85 800 000
3 1 460 000
117 260000
1885
152 252 000
45 258 000
197 508 000
1890
174 218 000
49 186 000
223404000
1895
203 128000
80 848 000
283 976 000
1900
298 843 000
121 073000
419 916 000
1905
405583910
162 136 711
567 720621
1910
602 797 762
249019 186
851 816948
1911
643 935 652
252 152 271
896087 923
1912
719707699
250915570
970623 269
1913
730070791
244 785 546
974856337
1914
561 176320
182 407 486
743 583 806
1915
230214446
54379980
284 594 426
1916
270558209
73 765 067
344 323 276
Die vorstehende Tabelle weist die Produktion für die einzelnen Gesellschaften
aus, und werden wohl einzelne dieser Ziffern noch Korrekturen erfahren. Dies
beeinträchtigt jedoch den Wert dieser Aufstellung nicht, da die Gesamtsumme
erfahrungsgemäß nur um wenige Prozente durch die endgültigen Ziffern abge-
ändert wird.
Die Volksversicherung wird in Oesterreich noch immer sehr vernach-
lässigt, wenn man bedenkt, daß die deutschen Gesellschaften 1913 bereits für
375 Mill. K. zum Abschlüsse brachten. Von unseren Gesellschaften wurden im
Jahre 1913 nur 65,3, im Berichtsjahre 45,2 Mill. neu abgeschlossen. Wir sind
überzeugt, daß auch bei uns viel mehr erzielt werden könnte. Einige unserer
großen Anstalten beschäftigen sich mit der Frage, ob sie die Volksversicherung
nicht in ihr Programm aufnehmen sollen.
Rentenversicherungen wurden 1916, soweit konstatierbar, in geringem
Maße abgeschlossen. Insgesamt wurden wohl kaum mehr als für 17* Mill. K.
Jahresrenten realisiert.
Das Versicherungswesen in Polen hat infolge des Krieges
grundlegende Veränderungen erfahren. Nach dem „Berl. Tageblatt"
wurde den Vertretern der im Gebiete des Generalgouvernements
Warschau tätigen feindlichen (russischen) Versicherungsgesellschaften,
die auf Anordnung des Verwaltungschefs bei dem Generalgouvernement
Warschau bereits seit Mitte des vorigen Jahres unter Geschäftsauf-
sicht stehen, von der Aufsichtsperson der Abschluß neuer, die Abände-
rung laufender und die Erneuerung ablaufender Feuer-, Einbruchsdieb-
stahl-, Glas- und Transportversicherungsverträge für die von ihnen ver-
— 343 —
tretenen Gesellschaften untersagt. Die Verhältnisse, die zu diesen Maß-
nahmen geführt haben, werden in der „Deutschen Warschauer Zeitung",
wie folgt, geschildert:
Seit der Besetzung Polens durch die verbündeten Mächte sind die polnischen
Vertretungen der hier arbeitenden Versicherungsgesellschaften, die ihren Sitz im
feindlichen Auslande haben, außer jeder Verbindung mit ihren Zentralen. Infolge-
dessen standen ihnen seit jener Zeit weder die Garantie- noch die Kückversiche-
rungsmittel der Zentralen bei ihrem Geschäftsbetriebe zur Verfügung, so daß sie
zur Fortführung ihres Betriebes seitdem lediglich auf die fähig werdenden Prämien
angewiesen waren. Da diese nun, insbesondere in der Sachversicherung, infolge
der Entwicklung der Verhältnisse in der Industrie immer mehr zurückgehen
und auch großenteils von den Außenorganen schwer eintreibbar sind, rückt die
Gefahr immer näher, daß auch die \^rtretungen der größten und leistungs-
fähigsten feindlichen Versicherungsgesellschaften durch den Eintritt größerer
Schadensfälle in die Unmöglichkeit versetzt werden, ihren Verpflichtungen nach-
zukommen, so daß die Versicherung ihren Zweck, dem Versicherten unmittelbar
nach dem Schadensfalle Mittel zur Verfügung zu stellen, vöUig verfehlt. Um dem
Eintritt solcher Vorkommnisse vorzubeugen und dadurch die Versicherten vor
ferneren möglichen Schädigungen zu bewahren, ist im Interesse und zum Schutze
der Versichterten den Vertretungen feindlicher Versicherungsgesellschaften der
Abschluß neuer, die Abänderung laufender und die Erneuerung ablaufender
Feuer-, Einbruchsdiebstahl-, Glas- und Transportversicherungsverträge für die von
ihnen vertretenen Gesellschaften auf Grund der Verordnung betreffend Zwangs-
verwaltung vom 10. Juli 1915 und Ergänzung dazu vom 22. März 1916 unter-
sagt worden. Das bestehende Versicherungsbedürfnis kann auch in Zukunft
leicht bei den einheimischen polnischen und bei den seit der Besetzung Polens
hier zugelassenen deutschen Versicherungsgesellschaften befriedigt werden, so daß
der Eintritt eines Versicherungsnotstandes völlig ausgeschlossen erscheint.
Die Versicherungsgesellschaften in Spanien erzielten
im Jahre 1915 folgende Einnahmen in Pesetas:
in der Lebensversicherung 8 699 777
,, „ Pensions Versicherung 3 668 430
„ „ Feuerversicherung 13320000
„ „ Hagelschaden Versicherung 2 762 963
,, „ KoUektiv-ArbeiterunfaU Versicherung 4669221
„ „ Krankenversicherung 4635165
„ ,, privaten Unfallversicherung 476 501
,, ,, Glasversicherung 2t>o 768
„ anderen Versicherungsarten 9531051
Im Verhältnis zu den inländischen Gesellschaften entfalteten die auslän
dischen Versicherungsgesellschaften eine rege Tätigkeit. In der Lebensversiche-
rung waren der Letzteren Prämieneinnahmen geracfe doppelt so hoch wie die dei
spanischen. Im Feuerversicherungs^eschäft standen die spanischen Gesellschaften
besser. Zurzeit wird von skandinavischen Gesellschaften Spanien außerordentlich
kräftig bearbeitet.
Ueber den Plan eines Staatsmonopols für Lebensver-
sicherung in Dänemark schreibt die „Oesterreichische Versiche-
rungszeitung" :
Gelegentlich der Diskussion nach einem Vortrage über das Verhältnis der
Lebensversicherung zum Staat, welchen der Direktor der dänischen Versiche-
rungsanstalt, Dr. Iversen, kürzlich gehalten hat, deutete der anwesende Verkehrs-
minister, Herr Hassing-Jörgensen an, daß der Staat früher oder später auf dem
- 344 —
Gebiete der privaten Lebensversicherungstätigkeit eingreifen werde. Wenn auch
der Minister sich über die Art dieses Eingriffes nicht näher ausgelassen hat, so
wurde doch von den Anwesenden allgemein die Form des Monopols darunter
verstanden. Gegen dieses Projekt nimmt nun das dänische Fachblatt „Assurance-
tidende" Stellung und verwahrt sich vor allen Dingen §egen die eventuelle viel-
fach mißbrauchte Motivierung, daß der Krieg und seme Folgen eine derartige
Aenderung notwendig gemacht habe. Das Blatt gibt zu, daß auf dem Gebiete
der privaten Versicherung manches zu bessern sei, hauptsächlich, daß man dem
allzugroßen vorzeitigen Abgang von Versicherungen vorbeugen, die Aequisitions-
Unkosten der privaten Gesellschaften vermindern und einige Formen der Agitation
ändern müsse. Ob aber die Einführung des Staatsmonopols auf diesem Gebiete
einen durchgreifenden Nutzen bringen würde, sei sehr fraglich, und wenn es der
Fall wäre, so würde das Monopol nach anderen E-ichtungen so viel zerstören,
daß der Schaden gar nicht wieder gutgemacht werden könne. Das Blatt ver-
weist in dieser Beziehung auf die Verhältnisse in Italien. Außerdem sei das Ver-
sicherungs- Aufsichtsgesetz, sofern es jeweils den bestehenden neuen Verhältnissen
angepaßt wäre, eine genügende Garantie für den Staat dafür, daß sich die private
Versicherungstätigkeit ordnungsgemäß abwickle. Auch darauf macht das Blatt
aufmerksam, daß die Propagandatätigkeit der Agenten der privaten Lebensver-
sicherungsgesellschaften vielfach schon jetzt der bestehenden staatlichen Ver-
sicherungsanstalt unmittelbar zugute kommt, da viele Versicherungsnehmer, nach-
dem sie durch die privaten Agenten dem Gedanken einer Versicherung zugeführt
worden sind, diese schließlich bei der Staatsanstalt abschließen. Das Blatt schließt
mit folgenden Worten : „Die private Initiative ist, wofern nicht bei jeder Tätigkeit,
so doch jedenfalls im Versicherungswesen, der Grundpfeiler, und ein Staats-
monopol für Lebensversicherungen würde nur die großen Kesultate, welche die
privaten Gesellschaften durch energische Arbeit schließlich zuwege gebracht
haben, zerstören."
Eine Meldung aus Kristiania besagt, daß die norwegische
Kriegsversicherung am 1. Mai bereits mit einem Fehlbetrag
von 118 Mill. Kr. zu rechnen gehabt hat. Zur Deckung des Fehl-
betrages sollen sämtliche beteiligten Reedereien einen Zuschuß von
50 Proz. des bisherigen Gebührensatzes zahlen.
Ueber die in der französischen Seeversicherung zufolge
des Krieges herrschende Krisis meldet die „Oesterreichische Ver-
sicherungszeitung" ;
Vor ihrer letzten Vertagung gegen Ende des vorigen Monats haben die
französische Kammer und der Senat das Gesetz, das die obligatorische Kriegs-
versicherung der Handelsschiffe von mehr als 500 Bruttotonnen verfügte, auch
auf die Ladung der Schiffe erstrecken woUen und einen Ausschuß mit dem
Studium dieser Frage beauftragt. Dagegen machte sich in der Kammer eine
starke Opposition geltend, so dsS sich der Berichterstatter genötigt sah, den be-
treffenden Antrag zurückzuziehen. Die Gegner desselben machten geltend, daß
die abnorme Höhe der Kriegsversicherungsprämien einen großen Teil
der französischen Handelsflotte zum Stilliegen in den Häfen verurtefle und da-
durch dem Lande, das auf die Einfuhr von Nahrungsstoffen angewiesen sei,
großen Schaden bringe. Außerdem weigere sich die staatliche Versicherung, die
Schiffskörper höher als zu den vorgeschriebenen Taxen zu bewerten, und zwinge
dadurch cfie Eeeder, die Exzedenten bei ausländischen Versicherungsgesellschaften
zu decken, die dafür übermäßige Prämien verlangen, was wieder auf den Schiffs-
verkehr hemmend einwirke und die Preise der importierten Waren verteuere.
Daraufhin erließ die französische Regierung zwei Verordnungen, die von den
gesetzgebenden Körpern auch sofort angenommen wurden und nach welchen
einerseits die Prämien für die obligatorische Versicherung der Handelsmarine
festgesetzt und anderseits die Reeder angewiesen werden, ihre Deklarationen in
— 345 —
einer Weise abzugeben, welche die Kontrolle derselben erleichtert. Die Prämien
für Ladungen, die bisher im privaten Versicherungs verkehr z. B. zwischen
Marseile und den algierischen Häfen 8—10 Proz. betragen hatten, wurden auf
2,75 Proz. herabgesetzt, jene zwischen dem Biskayischen Meerbusen oder Häfen
des Aermelkanals und England von 8 Proz. auf 3 Proz. für Dampfer, und von
10—12 Proz. auf 4V2 Proz. für Segler. Für transatlantische Fahrten wurde der
Satz von 12 — 15 Proz. auf 5,75 Proz. herabgemindert. Diese Vereinfachung
der Prämienraten, die auf die Spezifikation des Kisikos, wie sie bei den privaten
See Versicherungsgesellschaften besteht, keine Eücksicht nimmt, verfolgt den Zweck,
die Einfuhr auf den gefährdeten Linien im nationalen Interesse zu ermöglichen,
ohne Eücksicht auf die sich für die staatliche Versicherungsanstalt ergeoenden
Verluste. Der Berichterstatter, Guernier, machte übrigens die Kammer im vor-
hinein auf deren sicheres Eintreten aufmerksam, bezeichnete sie aber als unver-
meidlich, um die bestehende Krise überwinden zu können.
Auf Ansuchen des russischen Finananzministeriums wurden an der
Petersburger Börse die Kurse für die russischen Versiche-
rungsgesellschaften auf Grundlage der Geschäftsberichte von 1916
festgesetzt. Nach dem „Kurier" stellen sich diese folgendermaßen:
Nomineller
Festgesetzer
Kurs
Kurs
Wolga
100
425
Orient
125
340
Russischer Lloyd
500
800
Versicherungsgesellscha
ift von 1835
100
200
Mosko witsch er
200
900
Russische Rückversicherung
250
575
Pomoe
250
300
Rossija
240
950
Zweite russische
100
235
Erste russische
400
1575
Russische
100
165
Salamandia
250
700
Nordische
100
500
Jakor
200
450
Russische Transport
100
165
Eine Darstellung des englischen Versicherungsmarkts im
Jahre 1916 veröffentlicht der „Berliner Börsen-Coui-ier". Daraus ist
folgendes zu entnehmen :
Nach den vorliegenden englischen Berichten ist der Markt von katastrophalen
Schäden bewahrt geblieben. Die Resultate der Feuerversicherungsgesell-
schaften werden voraussichtlich günstig sein, wenn auch nicht so günstig wie
in 1915, in welchem Jahre die amerikanische Abteilung besonders günstige Ab-
schlüsse ermöglichte. Im abgelaufenen Jahre sind die Feuerschäden in Amerika
erheblich gewachsen und ebenso hat eine erhebliche Anzahl von Bränden im
Vereinigten Königreich stattgefunden. Den erhöhten Prämieneinnahmen stehen
wesentlich erhöhte Werte für Material und Produktion gegenüber. Die Auf-
merksamkeit der Versicherten wird besonders auf die Tatsache gelenkt, daß mit
Eücksicht auf die erhöhten Material- und Arbeitskosten in einer erheblichen An-
zahl von Fällen die Versicherungssumme nicht ausreicht; anderseits ist ein
größerer Teil der erhöhten Prämieneinnahme durch Nachversicherung auf Ge-
äude und Inhalt zurückzuführen. Mit Genugtuung stellt der Bericht fest, daß
trotz der Ausfälle aus Deutschland, Oesterreich- Ungarn und den anderen feind-
lichen Ländern größere Prämieneinnahmen erzielt wurden. Dieses Resultat sei
— 346 —
vornehmlich auf den Fortfall der feindlichen Konkurrenz zurückzuführen, da als
Folge dieses ümstandes bessere Prämien erzielt wurden. Der Prämienbetrag, der
von englischen Feuer- und anderen Versicherungsgesellschaften an ausländische
Gesellschaften für Kückversicherung bezahlt wurde, soll schätzungsweise 20 Mill. £
jährlich betragen, von welcher Summe die „Münchener Eück" allein über 5 Mill. £
vereinnahmt habe. Es dürfe nicht außer acht gelassen werden, daß englische
Gesellschaften mindestens 50 Proz. ihres Gesamtgeschäftes vom Auslande er-
hielten, besonders von den Vereinigten Staaten Amerikas. Sehr erhebliche Be-
träge wurden für Flug- und Luftschiff- Versicherungen vereinnahmt, doch waren
bestimmte Zahlen nicht zu erfahren.
Die Feuerschäden im Jahre 1916 betrugen schätzungsweise 3 364 350 £.
Der größte Schaden im Jahre war auf die Widnes Copper Works im Mai 1916
zu verzeichnen, und zwar in Höhe von 500000 £, ferner 250000 £ für einen
doppelten Feuerschaden auf Ellen ßoad Cotton, der größten Spinnweberei in
Lancashire, ferner 150000 £ bei einem Warenhaus in Upper Thames Street in
London, 100000 £ bei einem Feuerschaden in Londonderry, weitere 100000 £ in
Runcorn Highfield Tannery, 75 000 £ auf die großen ßuchbinderwerke in Penton-
ville bei London.
Die Feuerversicherungsgesellschaften vereinnahmten insgesamt 30 886184 £
und erzielten einen Geschäftsgewinn von 3 991080 £ oder 12,92 Proz. gegenüber
einem Gewinn von 1 834 765 £ oder 6,18 Proz. im Vorjahr. Die Verlustrate ist
von 56,64 Proz. in 1915 auf 49,89 Proz. in 1916 gefallen; die Ausgaben steigen
im Verhältnis von 37,16 Proz. auf 37,18 Proz. Die Brandschäden in den Ver-
einigten Staaten und Kanada betrugen bis Ende 1916 231442 995 3 gegen
182 836 200 $ im Jahre 1915. Zwei der bedeutendsten amerikanischen Brand-
schäden beliefen sich auf je 11 Mill. $ und 5 Mill. $. Der größte vorgekommene
Schaden trug sich auf Black Tom Island zu und belief sich auf 12 MiU. 3. Ver-
schiedene maßgebende englische Gesellschaften waren an diesem Schaden be-
teiligt, und zwar mit 60000 $ und darunter. Außer dem großen Explosions-
schaden in Wladiwostock, bei welchem es noch unbestimmt ist, ob die Feuer-
versicherungsgesellschaften dafür einzustehen haben, ereignete sich ein großer
Brandschaden bei den militärischen Anlagen in Lissabon, der ein Kapital von
ca. 400 000 £ erforderte. Die bekannte große Feuersbrunst in Bergen beanspruchte
4 MiU. £, und und der Schaden in Molde in Norwegen gleichfalls 1 MiU. £, doch
sind die englischen GeseUschaften angebUch an beiden Schäden nicht mit erheb-
lichen Beträgen beteüigt.
Das Geschäft der englischen Lebensversicherungsgesellschaften
hat durch den E^rieg erheblich gelitten, einmal durch die übergroße Anzahl von
TodesfäUen, ferner durch die geringere Anzahl von gestellten Anträgen, da die
erhöhten Steuern das Einkommen des großen PubUkums zu stark belasten, ferner
durch die umfangreichen Heereseinziehungen und schUeßlich auch durch den aU-
gemeinen Geschäftsdruck. Während die Kriegssterbefälle im Jahre 1914 sich nur
auf 1270 800 £ beliefen, stieg diese Summe im Jahre 1915 auf 3 042 500 £ und
betrug im Jahre 1916 bereits 7 500 000 £. Wenn auch nach den vorUegenden Be-
richten die Zahlungsfähigkeit der englischen Gesellschaften nicht in Zweifel ge-
zogen werden darf, da die in englischen Banksicherheiten bestehenden Depots
aUein 75 MiU. £ betrugen, so scheint doch die Stimmung eine aUgemein recht
gedrückte zu sein. Nach den im August vorigen Jahres veröffentUchten Sterbe-
tafeln hatte die Commercial Union Kriegssterbefälle in Höhe von 25,31 Proz. im
Vergleich zur Gesamtsterblichkeit, die Royal Exchange and Clerical, Medical and
General 22 Proz., und die University Life 18 Proz. Aus dem Reiche der In-
dustrie hatte die größte Schadensziffer die Prudential, welche im Jahre 1916 allein
84550 SterbefäUe mit einem Betrage von 770123 £ bis Ende 1916 zu regulieren
hatte.
In welch bedeutendem Umfange es den englischen Seeversicherern
möglich gewesen ist, während des Krieges die Summe ihrer Vertragsabschlüsse
zu vermehren, wird durch die von der „Royal Exchange Assurance" veröffent-
lichten Ziffern erläutert. Die Prämieneinnahme der Seeversicherungsabteüung
dieser Korporation ist von 267 655 £ im Jahre 1913 auf 359 008 £ in 1914,
— 347 —
854 124 £ in 1915 und nicht weniger als 1 331 913 £ im Jahre 1916 gestiegen.
Diese gewaltige Zunahme der Prämieneinkünfte war natürlich von einer ent-
sprechenden Erhöhung der Schäden begleitet. So stiegen z. B. die Schaden-
regulierungen der Koyal Exchange im vergangenen Jahre von 488 200 £ auf
8CK) 932 £. Dank der Geschicklichkeit, mit der die Geschäfte durchgeführt wurden,
scheinen für 1915 befriedigende Ueberschüsse herausgewirtschaftet worden zu sein,
Ueber das Ergebnis für 1916 ist noch nichts bekannt geworden. Das ständige
Anwachsen des Eisikos veranlaßt jedoch die „Times" zu der Bemerkung, es sei
gewiß, daß die Masse der Vertragsabschlüsse, die zurzeit in London als dem
führenden Seeversicherungsmarkt der Welt angeboten werde, derart zugenommen
habe, daß die Underwriters gewiß nicht ungern sehen würden, wenn die Kegierung
ihren Anteil an der Uebernahme von Versicherungen erhöhen würde.
Auch einige neue Gründungen englischer Versiche-
rungsgesellschaften sind zu melden:
Mit einem Kapital von 100 000 £ in 10 £ -Anteilen ist die „Delta Insurance
Company Ltd." begründet worden; sie wird in der Hauptsache die Land- und
Seetransport- Versicherung, und zwar direkt als Rückversicherungs - Gesellschaft,
betreiben. Ferner ist die „United Motor and General Insurance Company" gleich-
falls mit einem Nominalkapital von 100 000 £ eingetragen. Sie will sämtliche
Versicherungszweige betreiben außer der Lebens- und Valorenversicherung. Zu-
nächst sind 20000 £ eingezahlt.
Ueber das fortgesetzte Steigen der Seeversicherungs-
sätze in England sind folgende Mitteilungen zu machen:
Seit Ende April dieses Jahres sind neue Ansätze in den Transportversiche-
rungsprämien in Kraft getreten, und zwar zwischen Großbritannien und dem
westlichen Mittelmeer 25 Proz., nach atlantischen Häfen Portugals sowie nach
französischen Mittelmeerhäfen 20 Proz., via Dette mit Dampfern neutraler Flagge
6 Proz., nach Häfen des westlichen Mittelmeers 20 Proz., nach Nord-, Zentral-
und Südamerika 20 Proz., via einem Hafen des Kontinents zwischen Bordeaux
und Amsterdam 20 Proz., per neutrale Dampfer via einem holländischen Hafen,
direkt bei Benutzung der Freizone 10 Proz , via einem französischen oder italieni-
schen Mittelmeerhafen (ausgenommen Cette) 20 Proz., via Cette oder Spanien mit
Dampfern neutraler Flagge 6 Proz., via Holland mit Umladung in Norwegen mit
Dampfern neutraler Flagge bei direkter Fahrt nach Halifax 15 Proz., mit An-
laufen von England 25 Proz.; nach Indien, Ostasien, Australien und Ostküste
Afrikas: via einem französischen oder italienischen Mittelmeerhafen 20 Proz., via
einem Hafen des Kontinents zwischen Bordeaux und via Suez, via Kap oder Pa-
nama Amsterdam 25 Proz. (20), via Spanien oder Cette mit Dampfern neutraler Flagge
20 Proz. (6) ; nach der Westküste Afrikas, Azoren, Canarische und Kap Verdische
Inseln : via einem französischen oder italienischen Mittelmeerhafen oder via einem
Hafen des Kontinents zwischen Bordeaux und Amsterdam 20 Proz., via Spanien
oder Cette mit Dampfern neutraler Flagge 6 Proz. usw.
Lloyds Agentur berechnet jetzt als Versicherungsprämie für Güter von
England nach Dänemark 26 Proz.
Wie „Manchester Guardian" meldet, sind die englischen
Ausfuhrhäuser über die Steigerungen sehr bestürzt, weil die
Kriegsversicherungsrate wieder, wie in den ersten Kriegstagen, auf
5 Proz. festgesetzt worden ist. Inzwischen war sie bis auf 15 sh für
100 £ (3/4 Proz.) gesunken und stand dann lange Zeit auf 1 Guinee
(21 sh) für 100 £. Vor einigen Monaten stieg sie wieder auf 2 Gui-
neen, am 19. März auf 3 Guineen. Die Steigerungen kommen also in
rascher Folge und in beträchtlicher Höhe.
— 348 —
Die englische Regierung übernimmt neuerdings auch Kriegsver-
sicherungen auf Frachten, die mit neutralen Schiffen transportiert werden.
Als Prämien werden angegeben für die Ostküste Englands nach Frankreich bis
Brest 2 Proz., von der Westküste Englands nach Frankreich bis Brest 2»/, Proz..
nach südlicher gelegenen Häfen 1 Proz. mehr, von Großbritannien und Englana
nach den atlantischen Häfen Spaniens 5 Proz. Versicherungen auf diese Route
werden jedoch nur angenommen, wenn die Heimreise mit Frachten nach den
Häfen der Alliierten geschieht. Zu Reisen von Frankreich nach Portugal und
Häfen des Mittelländischen Meeres ergeben sich Prämiensätze von 8 Proz., bei
der Reise nach der südamerikanischen Ostküste 7 Proz. und nach Nordamerika
8 Proz. Nach dem Osten betragen die Prämien 9 Proz. für Reisen durch den
Suezkanal und 7 Proz. durch den Panamakanal und um das Kap der guten
Hoffnung.
Ueber die amerikanische Kriegsversicherung meldet die
„Frankfurter Zeitung", daß die amerikanische Regierung die unter ihrer
Flagge segelnden Schiffe mit 3 Proz. gegen Kriegsschäden versichert.
Bis jetzt hatten die Versicherungen im Durchschnitt 2 Proz. betragen.
Trotzdem ist die offizielle Rate darum als zu niedrig zu bezeichnen,
weil private Gesellschaften in der letzten Zeit für Schiffe, die nach
Großbritannien fuhren, und solche, die nach dem Mittelmeere gingen,
sogar 10 — 12 Proz. forderten.
Die amerikanische Kriegs Versicherung für Schiffe
hat in der Zeit vom 2. September 1914 bis 31. Dezember 1916 1760
Policen ausgestellt, deren Gesamtversicherungssumme 182,2 Mill. $ be-
trug. Die Prämieneinnahmen in demselben Zeitraum beliefen sich auf
3,2 Mill. $. Bis Ende 1916 betrugen die Nettoschäden ca. 775 000 $.
Wie eine New Yorker Meldung besagt, hat der amerikanische Senat
das Gesetz über die Schiffsversicherungen gegen Kriegs-
gefahren angenommen und einen Versicherungskredit von 50 Mill. $
für in der Kriegszone fahrende Schiffe bewilligt.
2. Sozialversicherung.
In den „Amtlichen Nachrichten des Reichs versicherungsamt es" wird
jetzt der Bericht der Träger der Unfallversicherung für
das Jahr 1915 veröffentlicht. Das Ergebnis ist, kurz zusammengefaßt,
folgendes : Es wurden insgesamt 592 504 Unfälle gemeldet, doch er-
hielten nur 96 227 Verletzte eine Entschädigung. Von den Verletzten
wurden 8969 getötet, und 644 Verletzte haben als Unfallfolge dauernd
völlige Erwerbsunfähigkeit davongetragen. Die Getöteten hinterließen
5808 Witwen, 11 122 Kinder und Enkel und 328 Verwandte in auf-
steigender Linie, die eine Rente erhielten.
Die absoluten Unfallziffern sind niedriger als die des Vorjahres, was aus dem
Rückgang der Zahl der beschäftigten Arbeiter ohne weiteres erklärUch ist. Die
in dem Bericht angegebenen Vergleichsziffern des Jahres 1914 lassen die Ein-
wirkung des Krieges auf den Beschäftigungsgrad der Industrie nicht deutlich
erkennen, da auch das Jahr 1914 zum Teil schon unter dem Einfluß des Krieges
stand. Die Vergleiche lassen sich auch nur für die gewerblichen Berufsgenossen-
schaften durchfuhren. Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften rechnen
unverändert mit 17 403 000 beschäftigten Personen, die auf Grund der Betriebs-
statistik vom Jahre 1907 schätzungsweise festgestellt wurden.
— 349 -
Die 68 gewerblichen ßerufsgenossenschaften umfaßten im Jahre 1913
828 335 Betriebe; diese Zahl war im Jahre 1915 auf 789 078 zurückgegangen. An
versicherten Personen wurden im Jahre 1913 10630437, im Jahre 1915 nur
7 547 338 gezählt. Für je 300 geleistete Arbeitstage wird in der Unfallversicherung
ein Vollarbeiter gerechnet. Solcher Vollarbeiter wurden im Jahre 1913 9476233,
im Jahre 1915 aber nur 6 692 104 festgesteUt.
Die Unfallhäufigkeit hat sich im Jahre 1915 gegenüber den Vorjahren nicht
wesentlich geändert. Wenn man in Betracht zieht, daß im Jahre 1915 schon sehr
viele geübte und mit den Berufsgefahren vertraute Arbeiter zum Heeresdienst
einbezogen und durch mindergeübte ersetzt waren, dann erscheint es direkt auf-
fäUig, daß nach einer Steigerung der Zahl der entschädigten Unfälle im Jahre
1914, im Jahre 1915 wieder eine Verminderung eintrat. Auf 1000 Vollarbeiter
kamen im Jahre 1913 7,91 entschädigungspflichtige Unfälle, im Jahre 1914 stieg
diese Zahl auf 8,05 an, sie ging aber im Jahre 1915 wieder auf 7,49 zurück.
Einwenig anders verläuft aber die Kurve, wenn man alle gemeldeten Unfälle in Be-
tracht zieht. Im Jahre 1913 wurden 581 211 Unfälle, das sind 61,33 auf 1000
Vollarbeiter gemeldet; im Jahre 1914 waren es 514 975 oder 62,23 auf 1000
VoUarbeiter. Im Jahre 1915 ging die absolute Zahl der Unfälle auf 427 994 zu-
rück, aber auf 1000 Vollarbeiter macht das 68,96 Unfallmeldungen.
Die Inkongruenz dieser Kurven dürfte ihre Erklärung zum Teil darin finden,
daß die Berufsgenossenschaften bei der Beurteilung der Unfallfolgen einen immer
strengeren Maßstab anlegen. Diese Vermutung enthält eine gewisse Stütze, wenn
man die Zahl der tödlichen Unfälle für sich allein betrachtet. Im Jahre 1913
kamen auf 9 476 233 Vollarbeiter 6583 tödliche Unfälle, das sind 6,9 Tote
auf je 10000 VoUarbeiter; im Jahre 1914 wurden auf 8 274 900 VoUarbeiter 5992
Getötete gezählt, das sind 7,2 auf 10000; im Jahre 1915 stiegen die tödüchen
UnfäUe auf 8,4 auf 10000 VoUarbeiter, denn auf 6 692104 VoUarbeiterkamen
5593 Getötete.
Unverhältnismäßig hoch ist auch die Zahl der verletzten jugendlichen Ar-
beiter. Von den verletzten Personen waren Jugendliche unter 16 Jahren: 1913
= 2550 männliche und 301 weibUche; 1914 = 2265 männliche und 273 weibUche;
1915 = 2663 männliche und 231 weibliche. Die Berufungsgenossenschaften geben
keinen Nachweis über Alter und Geschlecht der versicherten Personen, es ist
deshalb nicht möglich, die Zahl der verletzten Jugendlichen mit der Gesamtzahl
in Beziehung zu bringen. Ebenso ist es nicht mögUch, festzusteUen, in welchem
Maße die UnfaUhäufigkeit der erwachsenen Arbeiterinnen eine Steigerung erfahren
hat. Die absolute Zahl der verletzten Arbeiterinnen betrug im Jahre 1913 2947;
sie ging im Jahre 1914 auf 2727 zurück, stieg aber im Jahre 1915 auf 3098. In
diesen Zahlen prägt sich die verstärkte Heranziehung der weiblichen und jugend-
lichen Arbeitskräfte zur gewerbUchen Betätigung aus. Leider muß damit ge-
rechnet werden, daß die Unfallstatistik für das Jahr 1916 über eine weit größere
Zahl von Unfallverletzten Frauen und Kindern berichten wird.
Die Lohnnachweisungen der Berufsgenossenschaften sind für den Nachweis
der Lohnhöhe der Arbeiter nur in beschränktem Maße zu verwenden, doch zeigen
sie die Schwankungen des Lohnniveaus der Arbeiterschaft. In dieser Hinsicht
sind sie mangels sonstiger amtlicher Lohnstatistiken, die nur für die bergbaulichen
Betriebe veröffentlicht werden, ein wertvoUes Material. Die Angaben der 68 ge-
werblichen Berufsgenossenschaften über die tatsächUch verdienten Löhne, Ge-
hälter usw. ergeben auf den Kopf des VoUarbeiters einen durchschnittlichen
Jahresarbeitsverdienst im Jahre 1913: 1215 M., 1914: 1197 M., 1915: 1260 M.
Das Lohnniveau ist also im Jahre 1914 gesunken und hat sich im Jahre 1915 trotz
der inzwischen kräftig einsetzenden Teuerung nur weni^ gehoben. Zu beachten
ist allerdings die veränderte Zusammensetzung der Arbeiterschaft. An SteUe der
ins Feld gezogenen voU leistungsfähigen Arbeiter traten ältere Leute, besonders
aber weibliche und jugendliche Arbeiter. Aber auch unter Berücksichtigung dieses
Umstandes kann nicht gesagt werden, daß die gezahlten Löhne im richtigen Ver-
hältnis zu den Preisen der Lebensbedürfnisse standen.
Eine Paradezahl in den Berichten der Unfallversicherung ist die Entschädi-
gungssumme. Auch im vorliegenden Bericht ist die Gresamtsumme der gezahlten
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXIII
— 350 —
Entschädigungen usw. im Berichtsjahr mit 173 495 767,92 M. fett gedruckt. Von
dieser Summe entfallen 123047 833,79 M. auf die gewerblichen ßerufsgenossen-
schaften. Der starke Eindruck, den solche Zahlen machen, wird jedoch wesent-
lich herabgemindert, wenn man die Summe in Betracht zieht, die auf den ein-
zelnen Empfänger kommt. In den Einzelnachweisun^en ist der wichtigste Posten
die Eenten an Verletzte. Hierfür haben die gewerblichen Berufsgenossenschaften
im Jahre 1915 82 700 987 M. ausgegeben. In diese Summe teilten sich aber
421 273 Verletzte, so daß der Jahresbetrag einer Unfallrente im Durchschnitt nur
196,31 M. beträgt. Bei den 49 landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften kam
auf 367 598 Verletzte eine Gesamtrentensumme von 26 867 165 M. Die durch-
schnittliche Jahresrente beträgt also nur 73,09 M. Bei solchen Beträgen ist das
Verlangen der Unfallverletzten nach einer Erhöhung ihrer Bezüge mit Kücksicht
auf die ungeheuer verteuerte Lebenshaltung wohl begreiflich. Hoffentlich hat
die Eingabe der Generalkommission, welche die Aufmerksamkeit der gesetz-
gebenden Faktoren auf diesen Mißstand hinlenkt, den gewünschten Erfolg.
Der Hamburger Senat hat der Bürgerschaft den Entwurf
eines Gesetzes betr. Abänderung des Krankenversiche-
rungsgesetzes für Dienstboten übermittelt, dessen Begründung
allgemein lehrreiche Tatsachen enthält. Es heißt darin :
Das Vermögen der Dienstbotenkrankenkasse ist in den letzten Jahren in
ständigem Rückgang begriffen. Das Eechnungsjahr 1914 schloß bereits mit einem
Fehlbetrag von 43241,19 M. ab, im Rechnungsjahr 1915 sank das Kassen vermögen
um weitere 79865,62 M., und im Rechnungsjahr 1916 ist es wieder um 144 785,80 M.
zurückgegangen. Um diese Beträge ist der Reservefonds, welcher die Höchst-
grenze von etwa 800000 M. bisher niemals erreicht hatte, zurückgegangen. Er
betrug am 1. Januar 1914 rund 600000 M. und würde mit dem Laufe des Jahres
bis auf eine Kleinigkeit verbraucht sein. Die Behörde für das Versicherungs-
wesen, die in ihren letzten Jahresberichten wiederholt in Sachen der Dienstboten-
krankenkasse auf deren ungünstige Lage hingewiesen hat, hält jetzt eine Besserung
für dringend notwendig, da andernfalls das Fortbestehen der Kasse ernstlich in
Frage gestellt werde. Die Behörde ist der Ansicht, daß nur durch eine an-
gemessene Erhöhung der Beiträge eine Gesundung der Kassen Verhältnisse zu er-
reichen ist, und hat deshalb vorgeschlagen, anstatt des jetzigen Betrages von
monatlich 1,60 M. vom 1. Juli d. J. ab einen solchen von monatlich 2,50 M. zu
erheben. Diese Beitragssteigerung mag hoch erscheinen. Wird aber in Betracht
gezogen, daß der jetzige Beitrag von 1,60 M. bereits im Jahre 1903, also vor
14 Jahren, festgesetzt ist, und daß seit dieser Zeit die Leistungen der Kasse er-
heblich erweitert und verteuert worden sind, so erscheint die Erhöhung nicht
auffällig. Die Dienstbotenkrankenkasse hat seit 1903 nicht nur eine eigene Zahn-
klinik auf ihre Kosten eingerichtet, sondern auch behufs Anpassung ihrer Satzung
an die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung eine bedeutende Last auf
sich nehmen müssen, indem sie die Unterstützungsdauer in jedem Krankheitsfall
und bei jedem Wochenbett von 26 Wochen auf 39 Wochen ausgedehnt, die Sterbe-
unterstützung von 60 M. auf 80 M, erhöht und ferner neben der Krankenhaus-
pflege in gewissen Folien die Gewährung eines Hausgeldes vorgeschrieben hat.
Die seit dem 1. Juli 1914 eingetretene Erhöhung der Verpflegungskosten der
öffentlichen Krankenanstalten von 2,50 M. auf 3 M., die naturgemäß eine ent-
sprechende Erhöhung der Verpflegungskosten in den Genesungsheimen nach sich
zog, hat die Lage der Dienstbotenkrankenkasse weiter erschwert. Eine nach Be-
endigung des Krieges eintretende Besserung der Lage ist nicht zu erwarten; im
Gegenteil sind, abgesehen von einstweilen erheblicher Steigerung aller Ausgaben,
später manche heute noch nicht zu übersehenden Mehrausgaben für die Kasse
in sicherer Aussicht. Die Verteilung des Beitrags auf Dienstherrschaft und
Kassenmitglied empfiehlt sich nach dem Vorschlag der Behörde für das Ver-
sicherungswesen in der Weise, daß erstere 1,50 M. und letztere 1 M. tragen. Da-
mit ist der bisherige Grundsatz der hamburgischen Dienstbotenversicherung bei-
behalten, den HauptteU des Beitrages den Schultern derjenigen Beteiligten auf-
— 351 —
zuerlegen, die die wirtschaftlich stärkeren sind. Gegen die vermehrte Belastung
der Dienstboten besteht aus § 440 Abs, 3 der EeicHsversicherungsordnung kein
Bedenken. Mit dem Antrage auf Beitragserhöhung hat die Behörde für das Ver-
sicherungswesen den Antrag auf Erhöhung der Sterbeunterstützung von 80 M.
auf 100 M. verbunden. Der Antrag bedarf kaum der Begründung, da die Be-
stattungskosten gestiegen sind und das Begräbnis eines Kassenmitgliedes sich in
der bisherigen Weise für 80 M. nicht mehr ausführen läßt.
Die drei Zentralverbände derlndustriellen (Bund öster-
reichischer Industrieller, Industrieller Klub und Zentralverband der
Industriellen Oesterreichs) haben gemeinsam mit dem Zentralverband
der Kaufleute sich in eingehenden Beratungen mit der Frage be-
schäftigt, welche Rückwirkung der Krieg auf die Gesundheits- und
Arbeitsfähigkeit der aus dem Kriege heimkehrenden Privatangestellten
ausüben wird.
Die Unternehmerschaft der Industrie und des Handels ist hierbei zur Ueber-
zeugung gelangt, daß nach dem Kriege besondere Einrichtungen dringend not-
wendig sein werden, um für die Wiederherstellung der Gesundheit der aus dem
Kriege verletzt oder krank heimkehrenden Privatangestellten durch entsprechende
Heübehandlung zu sorgen, damit die Zahl der dauernd Invaliden nicht unver-
hältnismäßig anschwelle. Die Beratungen führten zu dem Ergebnis, daß vor
allem eine großzügige Organisierung des Heilverfahrens, insbesondere des vor-
beugenden Heilverfahrens, der Stellenvermittlung und Stellenlosenunterstützung
ins Auge gefaßt werden müsse. Die genannten Verbände sind daher an die ße-
gierung mit der Anregung herangetreten, möglichst bald die gesetzlichen Grund-
lagen für die angedeutete Ausgestaltung der Angestelltenversicherung zu schaffen,
und haben gleichzeitig die Erklärung abgegeben, daß die Lasten der Ergänzung
der Pensions Versicherung ausschließlich von den Unternehmern auf sich ge-
nommen werden und eine Heranziehung der Angestellten ausgeschlossen er-
scheinen soll. Trotz der großen Lasten, welche der Industrie und dem Handel
ohnehin infolge der E^riegsereignisse auferlegt werden, will die Unternehmerschaft
der Industrie und des Handels durch ihre Anregung den sichtbaren Beweis
liefern, daß sie zur Erfüllung der von ihr als richtig erkannten sozialpolitischen
Aufgaben auch unter den schwersten Umständen bereit ist. Die genannten in-
dustriellen und kaufmännischen Körperschaften haben der Regierung bestimmte
Vorschläge für die Schaffung eines Fürsorgefonds, welcher die angedeuteten Zwecke
verfolgen soll, unterbreitet, bei welchen auf die besonderen Verhältnisse der all-
gemeinen Pensionsanstalt und der Ersatzeinrichtungen entsprechend Rücksicht
genommen wurde. Es ist zu hoffen, daß die Regierung diese wichtige sozial-
politische Ergänzung der Privatangestelltenversicherung baldigst durchführen
wird, damit die vom Kriege heimkehrenden Angestellten sogleich die wohltätigen
Folgen der neuen Einrichtung genießen können.
Das k. k. Militär-Generalgouvernement in Belgrad hat die Er-
richtung einer Arbeiterversicherungskasse genehmigt. (G. C.)
Via. Geld, Kredit, Währung.
Inhalt: 1. Der internationale Geldmarkt und die Entwick-
lung in den wichtigeren Ländern während des Monats Mai.
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung, a) Banken im In-
und Auslande, b) Kreditwirtschaf tliche Maßnahmen in Deutschland,
den besetzten Gebieten Rußlands, Rumäniens, in England, den Niederlanden,
Oesterreich- Ungarn, Japan, c) Schuldbuchwesen in Deutschland, d) Bar-
geldloser Zahlungsverkehr in Deutschland und der Schweiz, e) Börsen-
wesen in England, Frankreich, Oesterreich -Ungarn, der Schweiz, der Türkei.
XXIII*
- 352 —
f) Währungs- und Notenbankwesen in Deutschland, Deutsch - Ostafrika,
aen besetzten Gebieten Rußlands, Rumäniens, in England, Oesterreich- Ungarn,
Rußland, den Vereinigten Staaten von Amerika, Brasilien.
3. Statistik. Üebersicht über den Stand der hauptsächlichen Notenbanken
und der ßankzinssätze.
1. Der internationale Geldmarkt und die Entwicklung in
den wichtigeren Ländern während des Monats Mai.
Auf dem internationalen Geldmarkt trat im Berichtsmonat
die Teilnahme der Vereinigten Staaten am Weltkriege in einer Steige-
rung der den Verbandsmächten gewährten finanziellen Hilfe in die Er-
scheinung ^). Wenn sich die Wirkung dieser Hilfe äußerlich weit weniger
bemerkbar machte, als vielfach erhofft worden war, so lag das einmal
daran, daß die Unterstützung Amerikas bereits zu lange im voraus er-
wartet und in weitgehendem Maße von den die Entwicklung bestim-
menden Kräften in die Rechnung eingestellt worden war. Auf der
anderen Seite ist zu beachten, daß die Verbandsländer — selbst Eng-
land und Frankreich — vor dem Eingreifen der Vereinigten Staaten
hinsichtlich der Bezahlung ihrer Auslandsverpflichtungen aus ver-
schiedenen Gründen von einem Zusammenbruch scheinbar nicht weit
entfernt gewesen waren (vgl. „Springfield Republican" vom 10. Mai), und
daß es für jene Länder schon einen außerordentlich schätzbaren Gewinn
bedeutete, diesen katastrophalen Schwierigkeiten bis auf weiteres ent-
gangen zu sein. Man verhehlte sich weder in England noch in Frankreich,
daß das Devisenproblem trotz der optimistischen Auslassungen amtlicher
Stellen weiterhin ernst sei ^), weil vor dem privaten in erster Linie natürlich
der große staatliche Devisenbedarf gedeckt werden mußte und anderer-
seits die Anspannung des amerikanischen Marktes zu umfangreichen
Kündigungen amerikanischer Guthaben in Europa führte 3). Trotz des
zwischen der Federal Reserve Bank in New York und der Bank von
England getroffenen Abkommens (vgl. „The Economist" vom 5. Mai 1917,
S. 766) nahmen die Goldzuflüsse nach Amerika wieder zu*), während
1) Die gesamten Vorschüsse der Vereinigten Staaten von Amerika seit ihrem
Eintritt in den Krieg an die Verbündeten beliefen sich — beginnend am 25. April —
Ende Mai auf 745 Mill. $; davon erhielt England 400 Mill. $, Frankreich, Rußland
und Italien je 100 Mill. $, Belgien 45 Mill. $ („The Statist" vom 2. Juni 1917, S. 952).
Die Mittel wurden gewonnen durch den Verkauf einjähriger Schatzscheine (Treasury
Certificates) an die Banken, die ihrerseits wieder die Möglichkeit haben, solche Schatz-
scheine zur Begleichung der gezeichneten Freiheitsanleihe in Zahlung zu geben.
2) Der Einfuhrüberschuß Englands — ohne die Regierungseinfuhren — im April
wies mit 40 296 500 £ die höchste seit Kriegsbeginn verzeichnete Ziffer auf, hn April
des Vorjahres nur 30 774 100 £ („The Econ." vom 12. Mai 1917, S. 808, femer vom
5. Mai, S. 766, und vom 26. Mai; „Econ. Europ." vom 18. Mai 1917, S. 306). Das
„Journal of Commerce", Liverpool, schreibt am 24. April: „Für Deutschland sind die
auswärtigen Wechselkurse gegenwärtig Fragen von geringer oder überhaupt keiner Be-
deutung, für uns sind sie eine Angelegenheit auf Leben und Tod."
3) Nach „The Statist" vom 2. Juni 1917, S. 939 wird der Betrag dieser Guthaben
in London allein auf 30 Mill. £ geschätzt.
4) „The Statist" vom 12. Mai 1917 verzeichnet in der zweiten Maiwoche zwei
große Zufuhren von 6 Mill. £ „from a quarter not stated".
— 353 —
dieses Land seinerseits erneut beträchtliche Mengen Goldes nach Japan
abgeben mußte. Zur Verhütung weiter erwarteter Goldabflüsse soll
sich in den letzten Maitagen mit Unterstützung der japanischen Re-
gierung ein Konsortium gebildet haben, das sich die Uebernahme eng-
lischer und französischer Wertpapiere in New York zur Aufgabe ge-
macht hat^).
Die Entwertung der Devisenkurse der Verbandsmächte in den
neutralen Ländern setzte sich trotz der Vorschüsse der Vereinigten
Staaten und trotz andauernder Einziehung ausländischer Wertpapiere
aus dem Verkehr fort. Besonders stark angeboten wurden Franken-
und Sterlingwechsel in Spanien, wo sie neue Tiefstkurse erreichten 2).
Die Kubeldevise sank sowohl an den neutralen Börsen, wie auf dem
Londoner und Pariser Geldmarkt weiter im Preise 3). Die Devisen-
kurse der Mittelmächte mußten gleichfalls eine neue Abwärtsbewegung
erleben, für die vermehrte Einfuhr, bei verringerter Ausfuhr neben
der anscheinend wieder sehr regen Baissespekulation auf den neutralen
Märkten die Ursache bildete.
Die Verhältnisse auf dem deutschen Geldmarkt haben im
Berichtsmonat keine wesentliche Aenderung erfahren. Die Geldflüssig-
keit hielt an und ermöglichte die rasche und vorzeitige Bezahlung der
sechsten Kriegsanleihe; am 31. Mai 1917 waren 11823 Mill. M =
91,1 Proz. der gezeichneten Summe vollgezahlt.
Der Privatdiskontsatz verharrte auf dem Stande von 4% Proz.
Die für tägliches Geld gezahlten Zinssätze bewegten sich im Ver-
laufe des Monats in absteigender Richtung. Während in den ersten
Tagen noch 4^/^ Proz. vergütet wurden, betrug der Zinsfuß am Monats-
schluß nur noch 4 Proz. Der durchschnittliche Satz war 4,432 Proz.
(4,659 Proz. im April). Ultimogeld bedang wieder etwa 6 Proz.
Die Veränderungen im Status der Reichsbank waren geringer
als im Vormonat. Die Kapitalanlage wuchs während des Berichtsmonats
infolge der Hereinnahme von Schatzanweisungen um 645,4 Mill. M.
Aber auch die fremden Gelder nahmen um 557,2 Mill. M zu. Der
Zahlungsmittelbedarf wurde durch Bereitstellung von 212,5 Mill. M
Darlehnskassenscheinen mehr als gedeckt, so daß sich der Notenumlauf
noch etwas verringern konnte. Bemerkenswert ist die Erhöhung des
Silberbestandes (plus 17,2 Mill. M), eine Folge der amtlichen Aus-
lassungen über die beabsichtigte Außerkurssetzung von Münzen (vgl.
1) „The Statist" vom 2. Juni 1917, S. 952/953.
2) Der Peseta wurde am 30. Mai in Paris mit 655 V, (Parität 500), d. h. mit
einem Agio von mehr als 31 Proz. notiert; in der Börsen Wochenschau des „New
Statesman" vom 2. Juni bezeichnet Emil Davies als „eine der seltsamsten Anomalien
des Krieges", daß die 4-proz. spanische Staatsanleihe jetzt in London einen höheren
Kurs habe als die — unter ihren Emissionskurs gesunkene — 5-proz. englische Kriegs-
anleihe, nämlich 9672 ^^oz.
3) Besonders in der Woche vom 14. — 19. Mai zeigte sich an der Londoner Börse
drängendes Angebot von Kubeldevisen. Die Kurse schwankten zwischen 170 und 189 Rbl
für 100 £, Parität 94,57 („The Econ." vom 19. Mai, S. 842).
— 354 —
Reichstagsverhandlung vom 2. Mai). Die Beanspruchung der Darlehns-
kassen erfuhr eine Zunahme um 150,1 Mill. M.
An den englischen Geldmarkt wurden im Berichtsmonat
wieder besonders große Anforderungen gestellt. Die dem Markte
durch die amerikanische Finanzhilfe zuteil gewordene Entlastung von
den Zahlungen an die Verbündeten schien aufgewogen durch die Rück-
forderung amerikanischer Guthaben aus London („N. Rott. Ort." vom
13. Mai). Die Deckung der andauernd wachsenden Kriegsausgaben
nahm die verfügbaren Mittel voll in Anspruch^), so daß z. B. nicht
einmal ein verhältnismäßig kleiner Geldbedarf des Dominions Neu-
Südwales befriedigt werden konnte 2), und eine Flüssigkeit des Geld-
marktes nur selten und vorübergehend beobachtet wurde. Die Deckung
des Geldbedarfs der Regierung erfolgte überwiegend in kurzfristiger
Form, da der im Vormonat begonnene Verkauf von 5-proz. Exchequer
Bonds (vgl. Aprilchronik) nur sehr langsam vonstatten ging^j; am
26. Mai standen bereits wieder 562 098 000 £ Schatzwechsel aus*).
Das Mißverhältnis zwischen den regulären Einnahmen und den Aus-
gaben, das z. B. in der letzten Maiwoche besonders deutlich zutage
trat 5), wurde in der Finanzpresse lebhaft erörtert und rief Wünsche
nach anderen Finanzierungsmethoden wach^).
1) Aach die von den Dominions und Kolonien im eigenen Lande aufgebrachten
Anleihen führten dem englischen Geldmarkt keine neuen Mittel zu. Z. B. blieb der
indischen 100 Mill. £- Anleihe ein Erfolg völlig versagt. „The Statist" vom 2. Juni,
S. 952, beziffert den zu erwartenden Betrag der Anleihe, deren Zeichnungslisten am
15. Juni geschlossen werden, auf 18 Mill. £ (die bisher bekannt gewordene gezeichnete
Summe beläuft sich auf 15,6 Mill. £). Daß man von vornherein nur mit 10 Mill. £
Zeichnungen gerechnet hatte, zu denen noch die von der indischen B^gierung garan-
tierten Zinsen auf 90 Mill. £, d. h. 3 Mill. £, kommen, wie „The Statist" glauben
machen will, erscheint angesichts des großen Unterschiedes zwischen dem aufgelegten
Betrage und dem erzielten Zeichnungsergebnis wenig wahrscheinlich. — Nach „Fin.
News" vom 29. Mai hat sich auch Ceylon bereit erklärt, außer einer bereits aufgelegten
Anleihe von 1 Mill. £ eine weitere Million dem Mutterlande zur Verfügung zu stellen.
2) Es handelte sich um eine zu 98 Proz. aufgelegte öVg-proz. Anleihe von 3 Mill. £,
von der 61 Proz. in den Händen des Uebernahmekonsortiums verblieben („f^con. Franc."
vom 2. Juni 1917, S. 730). — Aus einer Aufstellung des „Statist" vom 12. Mai, S. 800,
der gesamten seit Kriegsausbruch von Neu-Südwales in London aufgenommenen An-
leihen geht hervor, daß die Verzinsung sich von Anleihe zu Anleihe für den Staat un-
günstiger stellte.
3) Um Kriegssparzertifikate abzusetzen, hat der nationale Ausschuß Papierdüten
für Kleinhändler herstellen lassen, die auf beiden Seiten mit Aufforderungen zum Er-
werb solcher Stücke bedruckt sind („Fin. News" vom 7. Mai).
4) Der Betrag der von Anfang April bis zum 22. Mai untergebrachten Schatz-
wechsel betrug 278 299 000 £, davon 43 299 000 £ „over the counter" ; die 8. und 9.
Serie von Schatzwechseln in Höhe von 30 und 40 Mill. £, deren Submission auch
noch in den Mai fällt, sind hierin nicht einbegriffen.
5) In dieser Woche beliefen sich die Einnahmen des Schatzamtes auf nur
6 250 000 £, während allein für fällige Zinsen auf die 4V2- nnd 5-proz. Kriegsanleihen
40 Mill. £ am 1. Juni zu zahlen sind.
6) Vgl. „The Statist" vom 2. Juni 1917, S. 939. „The Economiat" ist mit der
Methode des „finanoing by Inflation" Bonar Laws nicht einverstanden und wirft der
Begierung Mangel an Ernst und Voraussicht auf finanziellem Gebiet vor. Insbesondere
wünscht das Blatt, daß die Kriegsausgaben vornehmlich durch Steuern und Ersparnisse
— 355 -
Der Privatdiskontsatz stellte sich etwas höher als im Vor-
monat, nämlich auf 4^/4 — 423/32 Proz. Die Durchschnittsziffern lauten
4,738 Proz. gegen 4,689 Proz. im April. Im Gegensatz zu der Stetigkeit
der Entwicklung der Diskontsätze unterlagen die Zinssätze für täg-
liches Geld größeren Schwankungen, die mit den Schatzwechsel-
verkäufen zusammenhängen. Die Sätze stellten sich auf SYj — 41/4 Proz.
Am 29. Mai, dem Vortage der letzten Einzahlung auf die Kriegsanleihe,
erfolgte dann eine plötzliche Steigerung auf 5 — 5^2 Proz.; doch bereits
am nächsten Tage ging der Satz infolge großer Zahlungen der Re-
gierung wieder auf 4 Proz. zurück.
Die Veränderungen im Status der Bank von England im Mai
waren von geringer Bedeutung. Größere Bewegungen waren allein
auf den Konten der fremden Gelder zu verzeichnen, nämlich ein Rück-
gang der privaten Guthaben um etwa 9,4 Mill. £, denen ein Zufluß
von 10,2 Mill. £ auf dem Konto der öffentlichen Guthaben gegenüber-
steht. Der Umlauf an Currency Notes nahm wieder um 4,7 Mill. £
zu (von 154,4 Mill. £ auf 159,1 Mill. £). Am Londoner Silber-
markt trat im Berichtsmonat eine neue Aufwärtsbewegung ein; der
Durchschnittspreis stellte sich auf 37,9 gegen 36,5 d per oz. st. im
April.
Die Entwicklungstendenzen des französischen Geldmarktes
änderten sich gegenüber den Vormonaten kaum. Der Verlauf der
russischen Revolution bereitete nach wie vor schwere Sorgen. Die
Frage der Konsolidierung der schwebenden Staatsschulden blieb ein
ungelöstes, aber dringliches Problem i); denn die gesamten Kriegsaus-
gaben wurden für die Zeit vom 1. August 1914 bis zum 30. September
1917 auf über 95 Milliarden fr es geschätzt 2)^ während bisher nur etwa
21 Milliarden frcs dauernd untergebracht waren. Gerade aus dem un-
bestreitbaren Erfolge der großen Anleihen, die mit dem Staatskredit
nicht unmittelbar im Zusammenhang standen [Credit foncier, Pariser
Stadtanleihe ^)], ergab sich besonders deutlich, daß der Geldmarkt über
ohne Verlaß auf die Unterstützung der Vereinigten Staaten aufgebracht werden (vgl. die
Artikel „Retrograde Finance" im „Econ." vom 12. Mai 1917, S. 803, und „The Progress
of Inflation" im „Econ." vom 19. Mai 1917, S. 844; dort wird die Zunahme der Um-
laufsmittel seit Beginn des Krieges auf 697 Mill. £ berechnet).
1) Die Ansichten über das Wie gingen selbst bei den führenden Volkswirten weit
auseinander. A. Neymarck („Le Rentier" vom 27. April 1917) und Charles Thollot
(„Revue §con. et fin." vom 21. April 1917) redeten angesichts des Erfolges der
letzten ähnlichen Anleihe des Credit foncier einer Prämienanleihe das Wort. Ihre
Ansicht wurde scharf bekämpft im „Temps" vom 7. Mai 1917. Maroni („Journal des
D^bats") war für eine Anleihe mit niedrigem Emissionskurs und hohem Rückzahlungs-
agio; andere Finanzschriftsteller (z. B. Manchez im „Temps") hielten den Uebergang
zum 6-proz. Typ für wünschenswert. Louis Aubert schrieb im „Figaro" vom 5. Mai
1917: „Das französische Volk liebt die Abwechslung und würde vielleicht ermüden,
wenn man ihm immer wieder denselben Anleihetyp anbieten würde, auch wenn er noch
so vorzüglich und vorteilhaft ist."
2) Vgl. „ficonomiste Frangais" vom 26. Mai 1917, S. 695; „Le Temps" vom
23. Mai 1917.
3) Die am 24. Mai aufgelegte Pariser Stadtanleihe in Höhe von 634,3 Mill. frcs
sollte der Konsolidierung kurzfristiger Stadtwechsel dienen. Von diesen wurden
— 356 —
genügend flüssige Mittel verfügte, daß diese jedoch dem Staate infolge
der Abneigung des Kapitalistenpublikums gegenüber den Staatsanleihen
vorenthalten wurden. Der Umlauf an National Verteidigungswechseln
belief sich Ende Mai auf 17 1/2 Milliarden frcs, der der National Ver-
teidigungsobligationen auf nur 640 Mill. frcs. Die für Frankreich
bisher verhältnismäßig geringe finanzielle Hilfe Amerikas (siehe oben)
hatte offenbar enttäuscht. Es wurde jedenfalls immer deutlicher, daß
für die Deckung des inländischen Geldbedarfs von den Vereinigten
Staaten keine Unterstützung zu erlangen sein würde, und daß also auch
von einer Ermäßigung des Zinsniveaus der französischen Kriegsanleihen,
wie man sie als Folge einer Kreditgewährung Amerikas zu billigen
Sätzen erwartet hatte, keine Rede sein könnte. Genau wie in England
wurde daher schärfste Ausnutzung der Finanzkraft des eigenen Landes
gefordert ^).
Der bemerkenswerteste Vorgang bei der Bank von Frank-
reich war eine seit Februar 1917 zum ersten Male wieder ein-
getretene Verminderung des „Goldes in der Kasse" um 80 Mill. frcs im
Ausweis vom 24. Mai. Es steht dahin, ob der Goldabfluß (85 Mill. frcs)
auf das neue Finanzabkommen mit England zurückzuführen ist (ein ähn-
liches Finanzabkommen wurde übrigens auch zwischen England und
Italien geschlossen), durch das vor allem Abmachungen über ein ein-
heitliches Vorgehen der Verbündeten bei Anleihegeschäften auf neutralen
und verbündeten Märkten und über die Ausdehnung der Auslands-
kredite getroffen worden sein sollen 2). Die Vorschüsse der Bank an
den Staat und an die Verbündeten waren im Berichtsmonat wieder
bedeutend (600 und 140 Mill. frcs).
Der Geldmarkt Oesterreich-Ungarns zeigte nach wie vor
eine starke Flüssigkeit. Die Einlagen bei Banken und Sparkassen
hatten sich mit der Abwicklung des Einzahlungsgeschäftes auf die
5. Kriegsanleihe 3) wieder zu besonderer Höhe erhoben, so daß für die
in der ersten Hälfte des Berichtsmonats zur Zeichnung aufgelegte
6. Kriegsanleihe*) der Boden aufs beste bereitet erschien. Den maß-
434,3 Mill. frcs umgewandelt; auf die restlichen 200 Mill. frcs liefen Zeichnungen im
Betrage von 1,3 Milliarden frcs ein. Der Kurs der von gegenwärtigen Steuern be-
freiten, am 15. Juni 1922 fälligen Stücke stellte sich auf 99 Proz., der Zinssatz auf
5Ya Proz. ; von der genehmigten 6-proz. Verzinsung wurde abgesehen (vgl. Märzchronik
und „ficonomiste Europ." vom 1. Juni, „ficon. Francais" vom 2. Juni, S. 749).
1) Dumesnil in seinem Bericht über die neuen Steuern siehe „^onomiste Euro-
pfeen" vom 25. Mai 1917, ferner „Le Temps" vom 7. Mai 1917.
2) Vgl. „The Statist" vom 2. Juni 1917, S. 951.
3) Auf die 5. österreichische Kriegsanleihe wurden gezeichnet 2025 Mill. K
5V2-proz. amortisierte Anleihe, 2439,6 Mill. K Schatzscheine, femer durch Umtausch
gegen Stücke der 1. und 2. Kriegsanleihe 1770 Mill. K 5-proz. amortisierte Staats-
anleihe aufgebracht. Das Zeichnungsergebnis für Ungarn stellte sich auf 2,3 Mil-
liarden K. Die durch die ersten fünf Kriegsanleihen aufgebrachten Summen neuen
Geldes betrugen für Oesterreich 18,1, für Ungarn 8,5 Milliarden K.
4) In Oesterreich wurden eine 5V2-proz. steuerfreie 40-jährige amortisable Staats-
anleihe zu 927, Proz. und 5V2-proz. steuerfreie am 1. Mai 1927 rückzahlbare Schatz-
— 357 —
losen Spekulationsausschreitungen an der Wiener und Budapester Börse
suchte man entgegenzutreten, um im Interesse der Kriegfinanzierung
einer übermäßigen Ablenkung der verfügbaren Mittel des Geldmarktes
zu steuern.
Der Privatdiskontsatz wurde schon seit geraumer Zeit mit
IY2 Broz. notiert. Die Zinssätze der Banken für Einlagen und
Gelder in laufender Rechnung stellten sich auf 3 — 8Y2 Broz., während
die Sparkassen S^/^ Broz. vergüteten.
Auf dem Geldmarkt der Vereinigten Staaten von
Amerika konzentrierte sich das Hauptinteresse auf die SYg-proz.
Freiheitsanleihe („Liberty Loan") i). Da trotz verhältnismäßig günstiger
Verfassung des Geldmarktes auf eine große Zeichnungswilligkeit des
an höhere Kapitalverzinsung gewöhnten breiten Bublikums nicht ge-
rechnet werden konnte, wurde eine weitreichende Werbetätigkeit ent-
faltet 2). Der Federal Reserve Board gab bekannt, daß für Vorschüsse
zu Zeichnungszwecken, deren Bückzahlung in drei Monaten erfolgte,
derselbe Zinssatz berechnet würde, den die Anleihe erbringt.
Die Zinssätze erfuhren besonders im Anfang des Monats eine
Steigerung, ermäßigten sich allerdings gegen Monatsschluß wieder.
Immerhin erhöhte sich der Durchschnittssatz für tägliches Geld von
2,288 im April auf 2,523 Broz. im Mai.
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung.
a) Banken im In- und Auslände.
Von der Hauptverwaltung der Darlehnskassen in Ber-
lin ist am 5. Mai die Hilfsstelle in Memmingen (vgl. Chr. 1914,
S. 594) aufgehoben worden.
In Berlin wurde die Genossenschaftsbank deutscher
Viehhändler, e. G. m. b. H. gegründet.
Die Magdeburger Bau- und Kredit-Bank, Magdeburg,
nimmt eine Sanierung durch Zusammenlegung der Aktien im Verhältnis
4 : 1 und Schaffung von Vorzugsaktien durch Zuzahlung von 75 Proz.
des Nennwerts vor.
scheine zu 94 Proz., in Ungarn eine 6-proz. steuerfreie Staatsrentenanleihe zu 96 Proz.,
für Zeichner nach dem 25. Mai zu 96,30 Proz., bei Ratenzahlung zu 96,80 Proz. auf-
gelegt („Oesterr. Volkswirt" vom 12. Mai 1917, S. 573).
1) Betrag 2 Milliarden $. Zeichnungsfrist 1. — 15. Juni. Einzahlungen 2 Proz.
bei der Zeichnung, 18 Proz. am 28. Juni, 20 Proz. am 30. Juli, 30 Proz. am 15. August,
30 Proz. am 30. August.
2) So sollen Aufrufe zur Zeichnung an 10 Millionen Korporationen und Einzel-
personen versandt worden sein, die nach ihrem Einkommen und Vermögen imstande
wären, zu zeichnen. Der Schatzsekretär Mac Adoo hat sich persönlich auf die Werbe-
reise begeben. Hier ist als interessante Tatsache anzumerken, daß sich die Anzahl der
Personen in den Vereinigten Staaten, die sich bisher überhaupt schon einmal an Re-
zierungsanleihen beteiligt haben, nur auf 300 000 beläuft („The Statist" vom 2. Juni
1917, S. 952). — Zur Förderung der Anleihezeichnungen und um die Bankwelt nicht
zu verstimmen, soll die Regierung ihren in der Märzchronik gekennzeichneten Stand-
punkt der Preisdrückerei für Kriegslieferungen wieder aufgegeben haben.
- 358 -
Die Rheinisch-Westfälische Bank für Grundbesitz,
Essen, wird auf einer Basis von 3: 1 und durch Zuzahlung von
66% Proz. saniert.
Aus Brüssel wird die Gründung des Comptoir de Banque
et de Change berichtet.
Im besetzten Gebiet Rumäniens wird durch Verordnung
vom 10. April 1917 die Errichtung einer Landwirtschaftlichen
Darlehnskasse bei der Nationalbank, Bukarest, verfügt
(vgl. Verordnungsblatt für die Bevölkerung Rumäniens im Gebiete der
Militärverwaltung, S. 48).
An dem Gesetzentwurf über die Gründung der Britischen
Handelsbank (vgl. Chr. 1916, S. 688) wird im englischen Unter-
haus am 17. Mai 1917 scharfe Kritik geübt, worauf die Regierung den
Gesetzentwurf vorläufig zurückzieht (vgl. „The Statist" vom 19. Mai
1917 und „Journal of Commerce", Liverpool, vom 17. Mai 1917).
Unter Mitwirkung der italienischen Regierung ist zur Unterstützung
des Orientgeschäfts die Societä Generale di Credito, Rom,
gegründet worden.
Die Groninger Bankvereeniging Schortinghuis &
Stikker, Haag, wird in eine Aktiengesellschaft mit dem Namen
Groninger Bank und einem Aktienkapital von 6 Mill. fl um-
gewandelt.
In London wird von norwegischen Schiffsreedern und Handels-
firmen The Norwegian Shipping Bank mit 1 Mill. £ Kapital
gegründet.
Unter Führung der Centralbanken for Norge, Kristiania, errichteten
9 norwegische Banken die Norwegisch-Russische Bank, Peters-
burg, mit 5 Mill. Rbl Kapital.
In Petersburg wurde eine Bank unter dem Namen Gesell-
schaft gegenseitigen Kredits für Handel und Mittel-
und Kleinindustrie und durch die jüdische Kolonisationsgesell-
schaft die Nordische Genossenschaftsbank mit 1 Mill. Rbl
Stammkapital gegründet.
Aus Schweden wird neuerdings eine Reihe weiterer Banken-
fusionen gemeldet.
In Basel wird die Verwaltungs-, Revisions- und Treu-
hand-A.-G. mit 1 Mill. frcs Kapital ins Leben gerufen.
Aus New York wird über die Errichtung einer Schiff shypotheken-
bank unter dem Namen H a n n e V i g Marine Trust Cy., New York,
berichtet.
Die First National Bank, New York, eröffnet eine Filiale
in Buenos Aires, die Irving National Bank, New York,
eine solche in Paris.
b) Kreditwirtschaftliche Maßnahmen.
In Deutschland wurden veröffentlicht :
1) eine Bekanntmachung des Reichskanzlers, betr. Versteuerung
ausländischer Wertpapiere ohne Abstempelung, vom
26. Mai 1917 (Zentralbl. f. d. Deutsche Reich, S. 129);
— 359 -
2) zwei Erlasse des preußischen Handelsministers, betr. Forde-
derungen an das feindliche Ausland (vgl. Aprilchronik) vom
9. und 16. Mai 1917 (vgl. „Handel und Gewerbe", Nr. 30 vom 19. Mai
1917, S. 498, und Nr. 31 vom 2. Juni 1917, S. 520);
3) eine amtliche Mitteilung des Präsidenten der Reichsentschädi-
gungskommission über die Mitwirkung der Reichsentschädi-
gungskommission bei Einziehung von Forderungen an
das feindliche Ausland (vgl. ebenda Nr. 31 vom 2. Juni 1917,
S. 535);
4) eine Bekanntmachung der Hauptverwaltung der Darlehnskassen,
durch welche unverzinsliche Schatzanweisungen des Reichs
mit höchstens einem Jahre Laufzeit bis zu 85 Proz. des Nennwertes
zur Beleihung bei den Darlehnskassen des Reichs zu-
gelassen werden (R.-Anz. Nr. 126 vom 30. Mai 1917).
Für die besetzten Gebiete Russisch-Polens hat der Ge-
neral-Gouverneur unter dem
1) 16. Mai 1917 eine Verordnung, betr. Verlängerung der
Protestfristen (Verordn.-Bl. f. d. Generalgouvernement Warschau,
Nr. 74 vom 23. Mai 1917, S. 224; vgl. Januarchronik),
2) 19. Mai 1917 eine Verordnung, betr. die Zuständigkeit
der Militärgerichte — die M.-G. sind u. a. zuständig für Zu-
widerhandlungen gegen Währungsverordnungen; s. April-
chronik — (ebenda Nr. 76 vom 10. Juni 1917, S. 227) erlassen.
In den dem Oberbefehlshaber Ost unterstellten Ge-
bieten ist unter dem
1) 22. Mai 1917 eine Verordnung, betr. Verlängerung der
Wechsel- und Scheckrechtsfristen (Befehls- und Verordn.-Bl.
des Oberbefehlshabers Ost, Nr. 80 vom 8. Juni 1917, S. 633, Ziff. 582;
vgl. Februarchronik),
2) 30. Mai 1917 eine Bekanntmachung, betr. Aenderung der
Satzung der Darlehnskasse Ost der Ostbank für Handel
und Gewerbe vom 17. April 1916 (ebenda Nr. 80 vom 8. Juni 1917,
S. 636, Ziff. 584; vgl. Chr. 1916, S. 303), ergangen.
In dem neuen „Verordnungsblatt für die Bevölkerung Rumäniens
im Gebiete der Militärverwaltung" werden — unter nachträg-
licher Aufnahme auch früherer Bekanntmachungen — folgende wichtigere
Verordnungen veröffentlicht :
1) betr. Verbot der Veräußerung rumänischen Staat s-
und kommunalen Eigentums (S. 5, Nr. 5),
2) betr. Aufhebung des rumänischen Verbots derZah-
lungen an Deutsche und Verbündete (S. 5, Nr. 7),
3) über die Stempelsteuer vom 30. März 1917 (S. 32, Nr. 36),
4) betr. Zwangsverwaltungen vom 10. Februar 1917 (S. 39,
Nr. 56),
5) betr. das Verbot von Zahlungen nach feindlichen
Staaten, vom 10. Februar 1917 (S. 41, Nr. 57),
— 3^0 —
6) über die Bankaufsicht, vom 30. April 1917 (S. 79, Nr. 111),
7) über die Sicherung und Beitreibung der Forde-
rungen der Landwirtschaftlichen Darlehnskasse bei der
Nationalbank vom 5. Mai 1917 (S. 80, Nr. 112).
Ein Abdruck der englischen geheimen sog. „Grauen Liste"
(vgl. Chr. 1916, S. 779) findet sich in den „Nachrichten für Handel,
Industrie und Landwirtschaft", Nr. 40 vom 9. Mai 1917, als Beilage.
In den Niederlanden hat die Regierung zur Regelung der Ein-
und Ausfuhr den Generalstaaten einen „Gesetzentwurf, betr. besondere
Maßnahmen für den Warenverkehr mit dem Auslande", vorgelegt, in
dem die Errichtung eines holländischen Zentral-Ausfuhrbüros
und einer besonderen Bank mit Staatsbeteiligung vorgesehen ist (vgl.
„Voss. Ztg.", Nr. 242 vom 13. Mai 1917).
In Oesterreich-Ungarn wurden folgende wichtigere kredit-
wirtschaftliche Maßnahmen getroffen:
1) Verordnung des österreichischen Finanzministers über die Ge-
währung von Gebührenbefreiungen zur Förderung der
Zeichnung der sechsten österreichischen Kriegsanleihe
vom 7. Mai 1917 (RGBl. f. d. im Reichsrate vertretenen Königreiche
und Länder, S. 513);
2) Verordnung des österreichischen Gesamtministeriums über Be-
günstigungen zur Berichtigung von Rückständen an
Zinsen verbücherter Forderungen und an Steuern und
öffentlichen Abgaben vom 9. Mai 1917 (ebenda S. 528);
3) Verordnung der ungarischen Regierung über die Anmeldung
ausländischer Forderungen und Vermögen, die im I n -
lande investiert sind, sowie inländischer Vermögen, die im
Auslande investiert sind (vgl. „Oesterr. Volkswirt", Nr. 33 vom
19. Mai 1917, S. 593).
In Japan ist am 14. Mai 1917 ein Dekret der Kaiserlichen Re-
gierung, betr. das Verbot des Handels mit dem Feinde, vom
23. April 1917 in Kraft getreten.
c) Schuldbuchwesen.
Durch Verfügung des preußischen Finanzministers und des Ministers
des Innern vom 13. und 20. April 1917 (Min.-Bl. f. d. preuß. innere
Verwaltung, S. 115) wird der Betrag, für welchen die öffentlichen
Sparkassen Preußens Anträge in Staatschuldbuchange-
legenheiten entgegennehmen können, von 5000 auf 10000 M. er-
höht (vgl. Aprilchronik).
d) Bargeldloser Zahlungsverkehr.
1) Durch Beschluß des Bundesrats vom 2. Mai 1917 wird die am
12. Juni 1917 in Wirksamkeit tretende Abrechnungsstelle bei
der Reichsbank in Danzig als Abrechnungsstelle im Sinne des
Scheckgesetzes erklärt (RGBl. S. 396).
— 301 —
2) Durch Bundesratsverordnungen vom 24. Mai 1917 (RGBl. S. 431
und S. 432) werden für Einzahlungen auf Aktien und Zah-
lungen des Bargebots bei Zwangsversteigerungen den
bargeldlosen Verkehr fördernde Erleichterungen gewährt.
3) Durch Gesetz, betr. Aenderung des Postscheckgesetzes
vom 26. März 1914, vom 30. Mai 1917 (RGBl. S. 469) wird die
Stammeinlage auf Postscheckkonto von 50 auf 25 M herabgesetzt.
4) Die Schweiz richtet Postsparkassen ein.
e) Börsenwesen.
Im „Morgenbladet", Kristiania, Nr. 257 vom 24. Mai 1917 werden
die neuen, den Handel mit Wertpapieren in England regeln-
den Bestimmungen veröffentlicht.
An der Pariser Börse wird der Handel in österreichisch-
ungarischen Eisenbahnwerten verboten.
Durch Verordnung des österreichischen Finanzministers vom 14. Mai
1917 (RGBl. f. d. im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder,
S. 569) werden die Schlußeinheiten der an den inländischen
Börsen ( W ien, Prag und Triest) notierten Effekten als Grundlage
für die Bemessung der Effektenumsatzsteuer festgesetzt.
Ueber die verschiedenen zur Eindämmung der Spekulation an
der Wiener Börse erfolgten Erlasse und amtlichen Warnungen vgl.
„Vossische Zeitung", Nr. 228 vom 5. Mai 1917 und Nr. 261 vom
24. Mai 1917.
In Bern wurde eine Handelsbörse gegründet, die ihre Tätig-
keit aber erst mit Friedensschluß aufnehmen wird (vgl. „Der Bund",
Bern, vom 4. April 1917).
Die seit Kriegsbeginn geschlossene Börse in Konstantinopel
wurde am 14. Mai 1917 — vorläufig nur für Bargeschäfte — wieder
eröffnet.
f) Währungs- und Notenbankwesen.
In Deutschland wurden folgende währungspolitischen
Maßnahmen getroffen :
1) Bek. des Reichskanzlers zur Verordnung über den Zahlungs-
verkehr mit dem Auslande vom 8. Februar 1917 (vgl. Februar-
chronik), vom 9. Mai 1917 (R.-Anz. Nr. 112 vom 11. Mai 1917).
2) Mitteilung des W. T. B., daß das in der Bundesratsverordnung
vom 8. Februar 1917, betr. den Zahlungsverkehr mit dem
Auslande, ausgesprochene Verbot der Markausfuhr auch auf den
Verkehr mit den besetzten östlichen Gebieten Anwendung findet (R.-Anz.
Nr. 114 vom 14. Mai 1917).
3) Bek. des Reichskanzlers, betr. die Ueberlassung auslän-
discher Wertpapiere an das Reich (vgl. Märzchronik), vom
22. Mai 1917 (RGBl. S. 429), durch welche ein Teil der in deutschem
Besitz befindlichen dänischen, schwedischen und schweize-
rischen Wertpapiere aufgerufen wird.
— 3^2 —
4) Bek. des Reichskanzlers, betr. die Bedingungen ffir die
Ueberlassung ausländischer Wertpapiere an das Reich,
vom 22. Mai 1917 (R.-Anz. Nr. 122 vom 24. Mai 1917).
5) Verordnung des Bundesrats über die gewerbliche Verarbei-
tung von Reichsmünzen und den Verkehr mit Silber und
Silberwaren, vom 10. Mai 1917 (RGBl. S. 406).
6) Bek. des Reichskanzlers, betr. Ausnahme von dem Verbot
der gewerblichen Verarbeitung von Reichsmünzen, vom
11. Mai 1917 (R.-Anz. Nr. 116 vom 16. Mai 1917).
Zur Behebung des Kleingeldmangels sind verschiedene Maß-
nahmen erfolgt:
1) Am 2. Mai 1917 erklärt die Reichsregierung im Reichstag
(98. Sitzung), daß die Absicht bestehe, das Silber- und Nickel-
geld außer Kurs zu setzen, um die Kleingeldhamster zu treffen.
2) Nach einer Mitteilung der „Nordd. Allg. Zeitung" vom 12. Mai
1917 ist die Prägung von Zinkmünzen an Stelle des gegebenen-
falls einzuziehenden Silber- und Nickelgeldes in Aussicht genommen.
3) Verf. des Reichspostamts, betr. Beschleunigung des M ü n z -
geldumlaufs (vgl. Aprilchronik), vom 21. Mai 1917 (Amtsblatt des
R.P.A. S. 188).
4) Der stellv. Komm. General des VI. Armeekorps und die Kom-
mandanten von Breslau und Glatz veröffentlichen eine Anordnung
gegen das Ansammeln kleiner Scheidemünzen (vgl. „Nordd.
Allg. Zeitung", Nr. 147 vom 30. Mai 1917, 2. Ausgabe).
5) Der preußische Minister des Innern , der preußische Finanz-
und der Handelsminister richteten am 8. Mai 1917 an die Regierungs-
präsidenten einen Erlaß, in dem die Ausgabe von Notgeld durch
Gemeinden und Betriebe ausnahmsweise gestattet wird (vgl.
„Handel und Gewerbe", Nr. 30 vom 19. Mai 1917, S. 500).
6) Nach einem Erlaß des preußischen Handelsministers vom 8. Mai
1917 sollen die Handelsvertretungen nur in Ausnahmefällen
Notgeld ausgeben, im übrigen dessen Ausgabe den Gemeinden über-
lassen (ebenda S. 498).
7) Durch Runderlaß des preußischen Finanzministers vom 14. April
1917 werden die Regierungshauptkassen und Kreiskassen
angewiesen, das Notgeld als vollgültiges Zahlungsmittel anzu-
nehmen (Zentralblatt für die gesamte Unterrichts Verwaltung in Preußen,
S. 412).
8) Nach der „Frankf. Zeitung" vom 13. Mai 1917 kann das Not-
geld im örtlichen Zahlungsverkehr auch von den Eisen bahnkassen
in unbeschränkter Höhe angenommen werden.
Der Gouverneur von Deutsch-Ostafrika wurde durch die
Deutsche Regierung ermächtigt, die Banknoten und Interims-
noten der Deutsch-Ostafrikanischen Bank zu gesetz-
lichen Zahlungsmitteln zu erklären (vgl. Reichstagsberichte,
106. Sitzung am 11. Mai 1917, S. 3244).
— 363 —
Für die besetzten Gebiete Russisch-Polens hat
1) der Generalgouverneur unter dem 29. April 1917 eine Verord-
nung über die Ausfuhr von Gold und Silber (Verordn.-Bl. für
das Generalgouvernement Warschau, Nr. 74 vom 23. Mai 1917, S. 221),
2) der Verwaltungschef beim Generalgouvernement Warschau unter
dem 3. Mai 1917 eine Ausführungsverordnung zu der vor-
stehenden Verordnung (ebenda) erlassen.
Der Oberbefehlshaber Ost erließ für die ihm unter-
stellten russischen Gebiete unter dem 30. Mai 1917 eine Ver-
ordnung über die Zahlungsmittel im Gebiet des Oberbe-
fehlshabers Ost (vgl. Aprilchronik) nebst Ausführungsbestimmungen
(Befehls- und Verordn.-Bl. des Oberbefehlshabers Ost, Nr. 80 vom
8. Juni 1917, S. 636, Ziff. 585).
Im „Verordnungsblatt für die Bevölkerung Rumäniens im Gebiete
der Militärverwaltung" wird auf S. 50 unter Nr. 72 eine Verordnung
über beschädigte Noten der Banca Nationale aRomaniei
vom 5. April 1917 veröffentlicht.
In England wird die vierte Requisitionsliste ftlr Dol-
larwerte vom 5. Mai 1917 veröffentlicht (vgl. „The Statist" vom
12. Mai 1917).
In Oesterreich-Üngarn wurden folgende währungspoli-
tischen Verordnungen erlassen:
1) Verordnung des österreichischen Finanzministers, betr. die Ein-
ziehung der Nickelmünzen zu zehn Heller (vgl. Aprilchronik),
vom 30. Mai 1917 (RGBl. f. d. im Reichsrate vertretenen Königreiche
und Länder, S. 628).
2) Desgleichen, betr. die weitere Ausprägung und Ausgabe
von Teilmünzen der Kronenwährung zu zwanzig Heller und zu
zwei Heller aus Eisen (vgl. Chr. 1916, S. 829), vom 30. Mai 1917
(ebenda S. 628).
3) Verordnung des Handelsministers im Einvernehmen mit dem
Finanzminister, betr. die Einlösung der Zinsscheine der fünften
österreichischen Kriegsanleihe durch die P 0 s t ä m t e r, vom 6. Mai
1917 (ebenda S. 549).
4) Verordnung des österreichischen Finanzministers, betr. das Ver-
bot der Ein- und Durchfuhr von Zahlungsmitteln der
Rubelwährung, vom 24. Mai 1917 (ebenda S. 613).
5) Entsprechende Verordnungen der ungarischen Regierung (vgl.
„Der ungarische Volkswirt", Nr. 11 vom 5. Juni 1917, S. 8).
Das Notenprivileg der Russischen Staatsbank wurde
um weitere 2 Milliarden auf IOV2 Milliarden erhöht (vgl. Märzchronik).
Durch das Gesetz über die Freiheitsanleihe der Vereinigten
Staaten von Amerika wird der Schatzsekretär ermächtigt, den
Staatsbanken und Trustgesellschaften auf die Anleihe eingezahlte Be-
träge wieder zur Verfügung zu stellen, ohne daß diese für solche
Regierungsdepositen eine erhöhte Goldreserve zu halten
brauchen (vgl. „Frankf. Zeitung" vom 15. Mai 1917).
364 3. Statistik.
UebersichtüberdenStand der deutschen und einiger au sländischenNotenbanke
sowie des Bankzinsfußes an den wichtigeren Börsenplätzen im Mai 1917.
Beträge in Millionen Mark.
Deutsches Reich |
Bank
von
Bank
von
RusBiach
ßeichs-
bank
Privat-
noten-
banken
Summe
Frankreicn
(nach .,L'Eco-
nomifete
Franoai»")
England
(nach „Tbe
Statitt")
Staatebanl
(nach WoUt-
Depe«cheiij
Ausweis vom
15. 1 31. 1 15.|31.| 15. 1 31.
Mai
Ausweis V.
17. 1 31.
Mai
Ausweis V.
16. 1 30.
Mai
Ausweis V
14. 1 2'.:
Mai n. Si
Aktiva.
Barvorrat:
"«•^^{X; : : :
2533
22
2533
34
—
—
—
4264
208
4271
209
—
3193
257
3 196
267
Summe
Sonstige Geldsorten . .
Wechsel auf das Ausland
und Guthaben daselbst
2555
467
2567
450
68
32
68
30
2623
499
2635
480
4472
4480
II 20
1125
3450
4 577
3463
4 576j
Gesamtsumme d. Barvorrats
3022
3017
100
98
3122I 3 "5
4472
4480
1120
1125
8027
8o;q
Anlagen :
Wechsel 1)
Lombard
Effekten
Sonstige Anlagen . . .
9278
10
107
1063
9364
10
112
1057
22
43
'11
22
55
9393
76
129
T106
9 477
79
134
I 112
1927
926
179
ro88o
2034
918
179
II 090
Bank
Gov.
919
Other
2211
.Dep.
See:
921
See.:
2351
546
2 190
508
2798
Summe der Anlagen
10458
10543
246
259
10704
10802
13 912
14221
3507
3649
-
Summe der Aktiva
13480
13560
346
357
13826
13 917
18384
18 701
4627
4774
—
—
Passiva.
Grundkapital
Eeservefonds
Notenumlauf
Verbindlichkeiten:
Tätlich f^"^^*^*^^^®^ •
^^^]:^^J0effentl. Guthaben
180
90
8206
I4593
180
90
8285
4538
56
15
154
93
56
15
150
100
236
105
8360
4686
236
105
8435
4638
155
15669
2072
55
155
28
15778
2 163
103
t
78;
2394
1083
298
61
797
2441
1173
108
II
24747
4676
456
16
I
2541
4654
527
l Summe
Sonstige Verbindlichkeiten
4593
411
4538
467
93
28
100
36
4686
439
4638
503
2 127
405
2266
474
3477
4
3614
4
5132
5 181
Summe der Passiva
13480
13560
346
357
13826
13 917
18384
18 701
4627
4774
—
—
Notenreserve im Sinne des
betreffenden Bankgesetzes
')
')
14
17
')
')
1341
I 232
711
705
1382
5039
Deckung :
in Prozenten
der Noten durch den ge-
samten Barvorrat^") . .
durch den inländischen
Metallvorrat
der Noten u. sonstigen täg-
lich fälligen Verbindlich-
keiten durch den gesamten
Barvorrat '°) .....
Bankzinsfuß
während des Monats
Mai
36,8
31,1
23,6
in Be
5,-
36,
31,
23,
rlin
4
0
5
h
64,7
43,9
40,3
a Wi
5-
65,2
45,1
39,2
en
37,8
31,4
23,9
in Pan
5,—
IS
J6,9
JI,2
^3,8
in L
5
28,5
18,5
25,1
london
28,4
18,0
24,8
in
St. Pete
6,-
142,4
142,4
rsburg
141,2
141,2
25,6
in
Amsteri
4V.
32,4
13,9
26,9
am Nei
4,
31,0
13,6
26,3
n
V York
-')
Wegen Umrechnung der fremden Valuten usw. vgl. Chronik 1913, S. 1038 unten.
1) Für die ßeichsbank die gesamte bankmäßige Deckung, d. h. Wechsel, Schecks und diskontierte
Schatzanweisungen. 2) Für die Reichsbank ist die Notensteuer bis auf weiteres aufgehoben (Ges. v. 4. Aug.
1914, RGBl. S. 327). 3) Darunter im Auslande am 17. Mai: 1578 MUl. M; am 31. Mai: 1647 Mill. M.
4) Einschließlich der 377 Mill. M betragenden Anlagen des Issue-Department. 5) Totalreserve. 6) Ver-
hältnis der Reserve zu den Depositen am 16. Mai : 20,4 Proz. ; am 30. Mai : 19,5 Proz. 7) Die in diesen
Spalten offen gelassenen Posten ergeben sich nicht aus den Wolffschen Depeschen. 8) Das Notenkontingent ist
Ende Mai 1917 auf 10,5 Milliarden Rbl erhöht worden. 9) Diskontrate für 60 Tage. 10) Im Sinne der
betr. Notenbankgesetze.
— 365
VII. Arbeiterverhältnisse.
Inhalt: Der Arbeitsmarkt im Mai 1917. Arbeitslosenstatistik der Arbeiter-
verbände. Arbeitsnachweisstatistik. Der weibliche Arbeitsmarkt im Mai 1917.
Der Arbeitsmarkt in Berlin und in der Provinz Brandenburg. Die Tarifbewegung
im Baugewerbe.
Die deutschen Großindustrien sind nach wie vor in vollem Um-
fange auf Kriegslieferungen eingestellt. Aus den Berichten, welche
eine große Anzahl von Unternehmungen allmonatlich an das Kaiserlich
Statistische Amt, Abt. für Arbeiterstatistik, einsenden, geht hervor, daß in
zahlreichen Betrieben des Bergbaus, der Eisen- und Maschinenindustrie
sowie der elektrischen Industrie mit Ueberstunden und Nachtschichten
gearbeitet wurde. Gleichzeitig wird über zahlreiche Lohnerhöhungen
berichtet. Was die Lage im Baugewerbe betrifft, so lebte nach der
Mitteilung des „Baumaterialienmarktes" die Bautätigkeit im Mai nach
der langen Winterpause im großen und ganzen in dem schwachen Um-
fange der Herbstmonate des Jahres 1916 wieder auf. Erschwert werden
die notwendigen Bauarbeiten durch den Mangel an Arbeitskräften so-
wie an Baustoffen. Im Wiederaufbaugebiet Ostpreußens ist die Bau-
tätigkeit überall im Gange, in einigen Orten, z. B. in Orteisburg, sogar
sehr rege. Auch hier wird die Arbeit durch den Mangel an verschie-
denen Baustoffen beeinträchtigt.
Die Arbeitslosenziffer, die allmonatlich aus den Nachweisen
der Arbeiterverbände von der Abteilung für Ar b eiterst atistik berechnet
wird, verharrte auf dem niedrigen Satz von 1 v. H., ein Satz, der
bereits im Vormonat festgestellt wurde. Im einzelnen berichteten
33 Arbeiterverbände für 891 654 Mitglieder; unter diesen wurden Ende
Mai 8729 Arbeitslose gezählt.
Für die 6 größten Arbeiterverbände, die mit ihrem Mitglieder-
bestand 72 V. H. der Mitglieder sämtlicher berichtenden Arbeiterver-
bände umfassen, wurden seit Ende Februar 1917 folgende Arbeitslosen-
ziffern berechnet:
Arbeitslosigkeit v. H. der vom
Mitgliederzahl
Ende Mai
Bericht erfaßten Mitglieder
Arbeiterverbände
Ende
Ende
Ende
Ende
1917
Mai
Aprü
März
Febr.
1917
Metallarbeiter
309 879
0,2
0,3
0,4
0,4
Fabrikarbeiter
90824
0,2
0,4
0,5
0,6
Bauarbeiter
76858
0,2
o,.H
1,9
2,5
Holzarbeiter
76462
0,6
0,8
0,8
1,0
Textilarbeiter
63703
5,2
7,0
9,0
10,2
Transportarbeiter
58415
0,3
0,5
0,4
0,4
Es ging also bei allen Verbänden, abgesehen vom Transportarbeiter-
verband, die Arbeitslosenziffer von Ende April auf Ende Mai noch
weiter zurück.
Die Statistik der Arbeitsnachweise ergibt für den Monat
Mai ein Sinken des Andrangs der Arbeitsuchenden. Auf 100 offene
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXIV
366 —
Stellen kamen bei den Männern 53 Arbeitsuchende gegen 56 im April ;
bei den Frauen sank die Verhältnisziffer in der gleichen Zeit von
107 auf 96.
Um die Lage auf dem weiblichen Arbeitsmarkt im einzelnen
erkennen zu können, seien im folgenden für die hinsichtlich der Zahl
der Vermittlungen wichtigsten weiblichen Berufsarten die Verhältnis-
ziffern für Mai 1916 sowie für April und Mai 1917 zusammengestellt.
Zahl der
Auf 100 offene Stellen kamen
Wichtige Berufsarten
Vermitt-
.... Arbeitsgesuche im
lungen im
Mai
Mai
Aprü
Mai 1917
1917
1916
1917
Weibliche Personen.
Landwirtschaftliche Arbeiterinnen
6327
58
83
62
Metallarbeiterin nen
15700
94
210
IIO
Arbeiterinnen in der chemischen Industrie
2012
67
188
83
Spinnstoffarbeiterinnen (einschl. Färberei- und
■
Appreturarbeiterinnen)
4 115
345
625
403
Buchbinderei- u. Kartonnagenarbeiterinnen usw.
1413
80
164
lOI
Arbeiterinnen in der Lederindustrie
775
90
159
95
Tabakarbeiterinnen usw.
1473
112
173
117
Schneiderinnen, Putzmacherinnen usw.
8312
138
211
157
Büglerinnen, Wäscherinnen in Wasch- und
Plättanstalten usw.
603
66
100
106
Buchdruckereiarbeiterinnen
3015
86
130
92
Fabrikarbeiterinnen
13303
98
245
121
Angestellte im Handelsgewerbe
2016
298
305
411
Kellnerinnen, Büfettfräulein
9019
113
137
115
Hotelzimmermädchen, Beschließerinnen
645
n
195
93
Kochpersonal in Gastwirtschaften
737
87
132
-96
Herd- u. Küchenmädchen in Gastwirtschaften
2938
58
105
69
Putz-, Wasch-, Lauffrauen, Aufwärterinnen usw.
20713
11
132
83
Dienstboten, Hauspersonal
7 435
43
127
46
Sonstige Tagelöhnerinnen
8346
89
164
124
Freie Berufsarten
969
214
244
222
Es tritt demnach vom April zum Mai 1917 bei sämtlichen hier
aufgeführten weiblichen Berufsarten ein vielfach starker Rückgang der
Verhältnisziffer zutage; mit anderen Worten: die Lage des Arbeits-
marktes hat sich zugunsten der Arbeiterinnen weiter stark verbessert.
Wie allmonatlich soll im folgenden nach dem Bericht des Ver-
bandes Märkischer Arbeitsnachweise die Lage des Arbeitsmarktes in
Berlin und in der Provinz Brandenburg dargestellt werden.
Der Bericht ist bereits im Juniheft des Reichs-Arbeitsblattes (S. 478)
erschienen und von der Tagespresse benutzt worden.
Danach stand der Arbeitsmarkt so sehr im Zeichen lebhaftester
Anspannung, daß eine Reihe von gewerblichen Facharbeitsnachweisen
wenig oder keine Arbeitslosen aufzuweisen hatten. Wenn trotzdem die
Inanspruchnahme der Arbeitsnachweise im Monat Mai zahlenmäßig nicht
überall lebhaft war, wie man es im Frühjahr und bei dem Mangel an
Arbeitskräften hätte erwarten können, so war eine hauptsächliche Ur-
sache die gesetzliche Einführung der Abkehrscheine, welche den Wechsel
von einer Arbeitsstelle zur anderen erschwert.
- 367 —
Der Berichtsmonat Mai wirkte wie stets belebend auf den land-
wirtschaftlichen Arbeitsmarkt, was in einer gesteigerten Nachfrage nach
brauchbaren Arbeitskräften seinen Ausdruck fand. Das Angebot bildete
hauptsächlich eine größere Anzahl sogenannter Berliner Burschen, die
weder Landwirtschaft verstehen, noch von den Arbeitgebern gesucht
werden.
Es herrschte weiter Mangel an Facharbeitern in der M e t a 1 1 i n d u s t r i e. Es
fehlten Elektrotechniker und Werkmeister, Schlosser, Dreher und Werkzeugmacher.
Im Spinnstoffgewerbe war die Lage der Weber gut für Heeresdecken, die
der Posamentierer mittelmäßig, während Stickerei, Dekatur, Wirker und Stricker
ungünstige Arbeitsverhältnisse aufzuweisen hatten. Aus Guben wird ein völliges
Darniederliegen der Wollhutfertigung infolge von Heeresaufträ^en gemeldet,
Papier- und Lederindustrie haben gute Beschäftigungs Verhältnisse.
Die verlangten Arbeitskräfte, insbesondere Polsterer und Heeressattler konnten
nur zum Teil beschafft werden.
Im Holz gewerbe war wieder starke Nachfrage nach Tischlern, Stellmachern
und Maschinenarbeitern für Holzbearbeitungmaschinen, die nur in beschränkter
Anzahl verfügbar waren. In Brandenburg konnte die Nachfrage nach Tischlern
und Stellmachern nicht befriedigt werden. Die Nachfrage nach Holzarbeitern
war in Berlin nur wenig stärker als das Angebot. Am Schlüsse des Monats
waren im paritätischen Facharbeitsnachweis für die Holzindustrie noch 175 Ar-
beitslose gemeldet. Der Nachfrage nach Böttchern konnte im Berichtsmonat bei
weitem nicht entsprochen werden.
Im Nahrungsmittelgewerbe waren Fleischergesellen, Brauer und
Braumeister schwer zu beschaffen, während bei den Bäckern Arbeitskräfte für
Groß-Berlin in kleinerer Anzahl gestellt werden konnten.
Im Bekleidungs- und Reinigungsgewerbe war guter Geschäftsgang
im Pelzzweige, während die Mützenmacherei Mangel an Rohstoffen hat. Große
Nachfrage ohne entsprechendes Angebot lag bei Schuhmachern und Schneidern
vor. Die von der Bezugsscheinpflicht wenig betroffene Hutindustrie hat weiter
eine befriedigende Lage.
Eine gesteigerte Tätigkeit hatte das Baugewerbe zu verzeichnen. Der
großen Nachfrage nach Maurern, Zimmerern, Bau- und Erdarbeitern, Einschalern,
Rammern, Steinsetzarbeitern und Bauschlossern konnte lange nicht entsprochen
werden. Günstige Arbeitsgelegenheit bot sich für Ofensetzer und Stukkateure,
für Maler und Anstreicher. Ende des Monats fehlten sehr Arbeitskräfte bei den
Lackierern. Stark begehrt waren Küchenmöbelmaler, die nur vereinzelt zu haben
waren.
Das Vervielfältigungsgewerbe hatte Mangel an Facharbeitern. Stein-
drucker, Chemigraphen, Lithographen und Kupferdrucker hatten sehr gute Be-
s chäf tigu ngsgelegenheit.
Im Handelsgewerbe fehlten Stellen für Lebensmittelhändler, während
für die Eisenwaren- und Drogengeschäfte Bewerber fehlten. Der Mangel an
Arbeitskräften für das Bank^ewerbe und im Buchhandel hält an.
Die Kriegsbeschädigten- Vermittlung hatte im Berichtsmonate gün-
stige Vermittlungsergebnisse aufzuweisen.
Die Nachfrage nach Arbeitern für Holz- und Eisenplätze, Verkehrs-
arbeitern für Munition, Arbeitern für Bau, Straßenbau und für das Verkehrs-
gewerbe war sehr lebhaft, ohne daß ihr ein zureichendes Angebot gegenüberstand.
Auf dem Arbeitsmarkt für weibliche Personen war größere Nachfrage in
der Metallindustrie. Für chemische Fabriken wurden mit Vorliebe jugendliche
Arbeiterinnen verlangt. Die Seifenereatzfabriken hatten erhöhten Bedarf.
Nahrungsmittelfabriken bestellten weniger Arbeiterinnen als im Vorjahre. Der
Durchschnittslohn für Minderjährige betrug für die Woche 17,3 M., das ist mehr
als das IVg-fache des Vorjahres. Die Lage im Gast- und Schankwirtschafts-
gewerbe war unverändert. Am stärksten oheb der Mangel an Kräften in der
Gruppe der häuslichen Dienste. So waren z. B. in Schöneberg für 134 Dienst-
herrschaften nur 54 Dienstmädchen gemeldet. Gute Arbeitsgelegenheit bot sich
XXIV*
— 368 —
Frauen bei der Post und Eisenbahn. Für gewerbliche Arbeiterinnen war im all-
gemeinen durch vielseitige Beschäftigungsgelegenheit in den Fabriken die Lage
des Arbeitsmarktes im Berichtsmonat weiter günstig.
Die Berichte der übrigen Arbeitsnachweisverbände, die gleichfalls
im „Reichs -Arbeitsblatt" wiedergegeben sind, weisen fast überein-
stimmend auf die starke Nachfrage hin, welche zurzeit die Landwirt-
schaft ausübt. Der Bedarf konnte nicht überall auch nur annähernd
gedeckt werden.
Ende April kam die schon seit längerer Zeit schwebende Tarif-
bewegung im Baugewerbe zu einem Abschluß. Die meisten
Tarifverträge für das Baugewerbe liefen am 31. März 1917 ab. Um
eine tariflose Zeit zu vermeiden, und um Arbeitsstreitigkeiten zwischen
Arbeitgebern und Arbeitern vorzubeugen, fanden Ende April im Reichs-
amt des Innern unter dem Vorsitz des Ministerialdirektors Dr. Caspar
Verhandlungen über den Abschluß eines neuen Tarifvertrags zwischen
dem Deutschen Arbeitgeberbund für das Baugewerbe und den in Be-
tracht kommenden Arbeiterorganisationen statt. Die Verhandlungen
zeitigten folgendes Ergebnis:
1) In allen Tarif orten des Deutschen Reiches, in denen nach der
Vereinbarung vom 3./4. Mai 1916 eine (erste) Kriegszulage zu den
Tariflöhnen zu zahlen war, wird sämtlichen in den Tarifverträgen der
einzelnen Tarifgebiete aufgeführten Arbeit erkategorien bei Zeit- und
Akkordarbeit vom 27. April 1917 bis 31. März 1918 eine neue (zweite)
Kriegszulage gezahlt, die für die Arbeitsstunde 15 Pfg. beträgt.
2) Soweit in den einzelnen Tariforten oder auf einzelnen Arbeits-
stellen bereits zu der in der Vereinbarung vom 3./4. Mai 1916 festge-
setzten ersten Kriegszulage eine weitere Zulage gezahlt wird, kommt
diese vom 27. April 1917 ab auf die unter 1) vereinbarte neue (zweite)
Kriegszulage in Anrechnung. Ist eine derartige Zulage höher als die
neue (zweite) Kriegszulage, so wird sie auch vom 27. April 1917 ab
unverändert weitergezahlt.
3) Auf Arbeitsstellen, die am 31. März 1916 noch tariffrei waren
und für die während des Krieges besondere Platzverträge oder Lohn-
vereinbarungen abgeschlossen sind, wird die neue (zweite) Kriegszulage
nur so weit gezahlt, als die bisherige Entlohnung hinter dem Tariflohn
des nächstliegenden Tarifgebiets unter Hinzurechnung der ersten Kriegs-
zulage und der zweiten Kriegszulage zurückbleibt. Zur Entlohnung in
diesem Sinne rechnet auch eine etwa gewährte Auslösung, soweit sie
zwei Mark für den Kalendertag übersteigt. Wo nach solchen Platz-
verträgen oder Lohnvereinbarungen bereits mehr gezahlt wird als diese
Summe, bleibt die Mehrzahlung bis zum 31. März 1918 bzw. bis zu
dem etwa vorher erfolgten Ablauf des Platzvertrages oder der Lohn-
vereinbarung in Geltung.
4) Die Arbeitgeber verpflichten sich, die neue Zulage rückwirkend
vom 27. April 1917 ab zu gewähren; dabei ist vorausgesetzt, daß,
bevor die Zahlung beginnt, die Frage der Rückerstattung durch das
Reich bzw. die Bundesstaaten geregelt ist.
Die Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer stimmten,
diesen Bedingungen zu.
— 369 —
Vni. Finanzwesen.
Inhalt: Der neue Keichshaushaltsetat. Oesterreichs Kriegsschulden. Aus-
gabe der 6. österreichischen Kriegsanleihe. Das schweizerische Finanzjahr. Die
niederländischen Finanzen. Eine neue norwegische Staatsanleihe. Zur Lage der
französischen Finanzen. Ergebnis der 4. itahenischen Kriegsanleihe. Chilenische
Finanzen. Brasilianische Finanzen.
Nach dem Gesetz vom 30. Mai 1917 wird der Reichshaushalts-
etat für das Rechnungsjahr vom 1. April 1917 bis 31. März 1918 in
Einnahme und Ausgabe auf 5 035 081052 M. festgestellt, und zwar:
im ordentlichen Etat auf 4 941876 060 M. an Einnahmen, auf
4802 310488 M. an fortdauernden und auf 139 565 572 M. an einmaligen
Ausgaben ; im außerordentlichen Etat auf 93 204 992 M. an Ein-
nahmen und auf 93 204 992 M. an Ausgaben. Der Reichskanzler wird
ermächtigt: a) zur Bestreitung einmaliger außerordentlicher Ausgaben
nach Verkündung dieses Gesetzes die Summe von 7 275 764 M. im Wege
des Kredits flüssig zu machen ; b) zur vorübergehenden Verstärkung der
ordentlichen Betriebsmittel der Reichshauptkasse nach Bedarf, jedoch
nicht über den Betrag von 3000 Mill. M. hinaus, Schatzanweisungen
auszugeben; c) zur Befriedigung unabweisbarer, durch die Verhältnisse
des Krieges hervorgerufener Bedürfnisse nötigenfalls Garantien zu
übernehmen; d) bei Zahlungen für das Reich, die vor der gesetzlichen
oder vertraglichen Fälligkeit erfolgen, einen angemessenen Abzug zu
gewähren.
lieber Oesterreichs Kriegsschulden wurde dem „Berliner
Börsen-Courier" Ende Mai geschrieben:
Die Staatsschuldenkommission des österreichischen Reichsrates veröffentlicht,
wie bereits telegraphisch gemeldet wurde, die Nach Weisung über den Stand der
österreichischen Staatsschuld am 31, Dezember 1916. Danach betrugen die ge-
samten Staatsschulden der österreichischen Reichshälfte zu Ende des abgelaufenen
Jahres rund 44,2 Milliarden Kr. Diese Schuld zerfällt in zwei große Teile: in
die vor dem Kriege aufgenommenen Staatsschulden in Höhe von 12,8 Milharden
und in die seit Kriegsbeginn aufgenommenen Staatsschulden in Höhe von rund
31,4 Milliarden. Im Jahre 1914, d. h. in den 5 Kriegsmonaten dieses Jahres, be-
liefen sich die Kriegsschulden auf 5,04 Milliarden, im Jahre 1915 auf 9,14 Mil-
liarden, und im Jahre 1916 auf 17,26 Milliarden Kr. Von den gesamten Kriegs-
schulden von 31,4 Milliarden sind mehr als 18 Milliarden, also beinahe 60 Proz.,
durch das Ergebnis der fünf österreichischen Kriegsanleihen fundiert. Den Rest
von 13,3 Milliarden stellen schwebende Kriegsschulden dar, die auf verschiedene
Weise kontrahiert wurden. Den Hauptanteil bilden die Vorschüsse bei der Noten-
bank im Ausmaße von 8,19 Milliarden, dann kommen Kontokorrent - Vorschüsse
des Staates beim Oesterreicherkonsortium von rund 3,3 Milliarden, und zum Schluß
die Valutaanleihen gegen Markschatz Wechsel in Deutschland von rund 1,8 Mil-
liarden Kr. Erwähnt sei schließlich noch, daß auch bei einem nichtdeutschen
ausländischen Konsortium eine relativ unbedeutende Vorschußanleihe von etwa
4 Mill. Kr. aufgenommen wurde.
Was den Zinsendienst der österreichischen Staatsschulden anbelangt, so
beläuft er sich für die Kriegsanleihen bekanntlich auf 57, Proz., das sind dem-
nach 993 Mill. Kr. jährlich. Die Zinsenlast der schwebenaen Schulden wird mit
321 Mill. Kr. angegeben. Die verhältnismäßig niedrige Verzinsung der schwebenden
Schuld hängt damit zusammen, daß die Regierung die bei der Oesterreichisch-
ungarischen Bank aufgenommenen Darlehen gegen Schuldschein — das Lombard-
darlehen wird mit öV, Proz. verzinst — jetzt bloß mit einem halben Prozent zu
verzinsen hat, so daß im Durchschnitt für das Darlehen des österreichischen
— 370 -
Staates bei der Notenbank Jahreszinsen von bloß V/^ Proz. zu entrichten sind.
Die Valutaanleihen in Deutschland werden mit 2,2 Proz., die Kontokorrent-Vor-
schüsse beim Oesterreicherkonsortium mit 47* Proz. verzinst.
Für die Beurteilung der in der Nachweisung der Staatsschulden kontroll-
kommission enthaltenen Ziffern müßte in Betracht kommen, inwiefern die dort
verzeichnete Kriegsschuld mit den tatsächlich verausgabten Kriegskosten über-
einstimmt. Man darf annehmen, daß die bis Ende 1916 aufgelaufenen Kriegs-
kosten sich unterhalb der Kriegsschuld bewegen. Für die gesamten Kriegsschulden
der österreichisch-ungarischen Monarchie bis Ende des Jalu-es 1916 fehlen offizielle
Angaben. Nimmt man das im Ausgleich festgelegte Beitrags Verhältnis der beiden
Reichshälften zum Ausgangspunkt einer ungefähren Ermittlung der ungarischen
Kriegsschuld, was allerdings einigermaßen fehlerhaft sein kann, so würde man zu
einer Kriegsschuld Ungarns allein von etwa 16 Milliarden gelangen, so daß sich
die Kriegsschuld der Monarchie bis Ende 1916 auf etwa 47'/, Alilliarden Kr. be-
laufen würde, wovon 26 Milliarden im Wege von Kriegsanleihen aufgebracht
wurden.
Im Mai wurde auch die sechste österreichische Kriegs-
anleihe vom Finanzminister angekündigt als eine steuerfreie 5V2-proz.
amortisable Staatsanleihe (und steuerfreie ö^/g-proz., am 1. Mai 1927
rückzahlbare Staatsschatzscheine) zu einem Subskriptionspreis für die
Staatsanleihe von 92,50 und für die Staatsschatzscheine von 94 Proz.
Die Stücke der Staatsanleihe sind vom 1. April, die Stücke der Staats-
scbatzscheine vom 1. Mai 1917 datiert. Die Staatsanleihe wii-d zum
Nennwerte zurückgezahlt und in den Jahren 1923 — 1957 auf Grund
von Auslosungen getilgt. Die Subskription sollte am 8. Juni geschlossen
werden.
Das verflossene schweizerische Finanzjahr schließt mit
einem Defizit von 16 645 000 frcs. (im Vorjahr 21551000), wobei je-
doch die Mobilisationskosten nicht eingerechnet sind. Der Voranschlag
hatte ein Defizit von über 60 Mill. vorgesehen.
Zu den Staatsfinanzen der Niederlande schrieb am 31. Mai
das „Berliner Tageblatt":
Die Kosten für die fortdauernd aufrechterhaltene Mobilisierung des Heeres
beliefen sich bis Ende 1916 bereits auf rund 550 Mill. Gulden, und dieser Betrag
erhöht sich jeden weiteren Monat um je 20 Mill. Zur Deckung der außerordent-
hchen Ausgaben sind bisher drei Kriegsanleihen aufgenommen worden, eine
5 -proz. Anfang 1915 über 275 Mill. Gulden, eine 4V2-proz. Anfang 1916 über
125 Mül. und eine 4-proz. Ende 1916 gleichfalls über 125 MiU. Gulden. Es wird
beabsichtigt, im Laufe des Jahres 1917 eine neue 4-proz. Anleihe über 500 Mill.
Gulden herauszubringen und damit die erste von 275 Mill. abzulösen. Die
Kriegsschuld würde dann aus 750 Mill. bestehen, davon 625 Mül. zu 4 Proz. und
125 Mill. zu 47^ Proz.
Zur Ablösung dieser Schulden dienen teUs Zuschläge auf bestehende Steuern,
teüs außerordentliche Kriegsabgaben. So ist am 22. Juni 1916 ein Gesetz über
die Erhebung einer Kriegsgewinnsteuer ergangen, von der man nach der
neuesten Schätzung einen Ertrag von 100 Mül. Gulden erwartet. Ferner wurde
am 18. August 1916 ein Gesetz über Wehrbeiträge erlassen. Diese Gresetze sind
zwar schon im Jahre 1916 in Kraft getreten, die Haupteinnahmen daraus werden
aber erst im Jahre 1917 erscheinen. Da aber alle diese Einkünfte zur Deckung
der außerordentlichen Kriegsausgaben noch nicht ausreichen, so beabsichtigt der
Finanzminister, das Versicherungswesen zu verstaatlichen, ein Plan, der, wie das
deutsche Generalkonsulat in Amsterdam berichtet, auf vielen Seiten großem Wider-
stände begegnet. Schließlich besteht die Absicht, den Gewinn, den die nieder-
ländischen Landwirte und Händler bisher durch die Ausfuhr von Lebensmitteln
nach Deutschland und zum Teü auch nach Großbritannien erzielten, dem Staate
— 371 —
zuzuführen, indem diese Ausfuhr einer halbamtlichen Monopolgesellschaft über-
tragen wird.
Neben diesen außerordentlichen Einnahmequellen hatte der Finanzminister
einen großen Plan zur Umgestaltung des gesamten niederländischen Steuerwesens
ausgearbeitet, der den Staat auf absehbare Zeit hinaus dauernd finanziell sicher-
stellen sollte. Von den darin enthaltenen Vorlagen sind in Kjaft getreten das
Gesetz betreffend Erhebung einer statistischen Gebühr auf die Ein- und Ausfuhr,
vom 14. Dezember 1916, das Erbschaftssteuergesetz vom 20. Januar 1917, die Ge-
setze über die ßiersteuer und den Bierzoll vom gleichen Tage, das Gesetz über
die Eegistrierungsgebühren vom 22. März 1917, und das Gesetz über die Stempel-
abgabe vom gleichen Tage. Ferner sind im Laufe des Jahres durch verschiedene
Gesetze und Verordnungen das Brief- und Paketporto sowie die Telegramm- und
Fernsprechgebühren erhöht worden. Die übrigen zu dem Reformplan gehörigen
Gesetzentwürfe harren noch der Erledigung.
Ueber eine neue norwegische Staatsanleihe berichtet die
„Voss. Ztg." am 25. Mai: Die Budgetkommission des Storthings hat
beschlossen, der Regierung die Genehmigung zur Aufnahme einer neuen
Staatsanleihe von 80 Mill. Kr. zu erteilen. Der Haushaltsausschuß be-
dauerte, daß die norwegischen Großbanken dem Auslande Anleihen be-
deutenden Umfanges gewährt hätten, und befürwortete Regierungs-
maßnahmen, um den Abfluß norwegischen Geldes ins Ausland zu be-
grenzen, damit das Kapital für die Ansprüche des Staates und der
heimischen Kommunen zur Verfügung stehe.
Zu der Lage der französischen Finanzen schreibt „Berl.
Börsencourier" :
Die Ausführungen, welche die Kreditforderung für das dritte Quartal
begleiten, sind kurz, die Ziffernvergleiche entbehren der Klarheit. Für das Haupt-
budget werden 9843 Mill. verlangt, die eine Zunahme von 219 MiU. gegen die
für das zweite Quartal verlangte Summe ausmachen sollen. Nun waren aber
damals 9574 MiU. verlangt und auch hieran von der Budgetkommission größere
Abstriche vorgenommen worden, woraus hervorgeht, daß diese Kredite, wie jedes-
mal, überschritten worden sind. Die Militärausgaben erfordern 297 Mill. mehr,
während für die Zivü Verwaltung 78 Mül. weniger ausgesetzt sind. Diese Ab-
nahme rührt aus einer Verschiebung der Zinsenfälligkeiten infolge der Anleihe
her, in Wirklichkeit erfordert der Anleihedienst immer größere Beträge. Für die
Nebenbudgets werden 1033 Mill. gegen 926 Mill. im zweiten Quartal verlangt.
Der Monatsdurchschnitt der Ausgaben wird, wie folgt, angegeben (die erste
Ziffer bezeichnet die Gesamtausgaben, die zweite die Kriegsausgaben):
1914 1340 — 800
1915 1900 — 1314
1916 2720 — 1972
1917 (1. Quartal) 2963 — 2088
1917 (2. „ ) 3426 — 2391
1917 (3. „ ) 3281 — 2632
Abweichend von der regelmäßigen Zunahme zeigt das dritte Quartal eine
ansehnliche Abnahme, die um so mem* überraschen muß, als doch der geforderte
Kredit um 219 Mill. höher ist. Bei näherer Prüfung findet man, daß der ur-
sprünglich für das zweite Quartal errechnete Betrag von 3191 Mill. sich auf
3426 Mill. erhöht hat, weü die Kammer durch Erhöhung der den Familien der
Mobilisierten gewährten Beiträge die Kredite auf 10 MüTiarden gesteigert hatte.
Die Ausgaben seit Kriegsbeginn (die fünf Zwölftel von 1914 in Höhe von 2 MU-
liarden und die Vorschüsse an Verbündete nicht inbegriffen) werden am 30. Sep-
tember 91 039^2 Mill. betragen, wovon 65 844 Mill. für Kriegskosten, 8447 für
den Schuldendienst, 9486 Mill. für soziale Unterstützung und 7262 Mill. für die
übrigen Ausgaben. Für das Ende des zweiten Quartals war ein Betrag von
- 372 —
80 311 Mill. angegeben worden, die Zunahme ist also viel bedeutender als der Be-
trag des neu hinzukommenden Kredites. Die Einnahmen aus direkten Steuern
für 1916 betrugen eine Milliarde auf 1236 Mill. Zuschlag, also 84 Proz. Die in-
direkten Steuern erbrachten für die vier abgelaufenen Monate von 1917 1595 Mill.
Von der Zunahme von 444 Mill. entfallen 218 auf die Zölle und ein großer TeU
des Kestes auf neue Steuern, man kann daher nicht gerade von einer Besserung
sprechen.
Die Staatsschuld hat sich in den drei Monaten von Ende Januar bis Ende
April um 7200 Mill. gesteigert, wovon 4200 Mill. kurzbefristete und 3000 MiU.
schwebende Schulden. Der Absatz von Nationalverteidigungsbons war 2927 Mill.
(wodurch sich deren Gesamtumlauf auf ca. 51 Milliarden steUt).
Den Schluß des Berichtes bildet eine Lobrede auf die Vereinigten Staaten,
deren moralische und finanzielle Mitwirkung willkommen geheißen wird. Aber
der Minister verkennt nicht, daß die neuerdings um 2529 Mill. angewachsene
Verschuldung an das Ausland eine schwere Sorge bildet, und wenn auch die
seitherigen schwer durchzuführenden und durch Hinterlegung von Titeln oder
Gold zu sichernden Kreditoperationen jetzt in WegfaU kommen, so verlange doch
die Sorge um die Zukunft, daß man die Ausgaben im Ausland tunlichst ein-
schränke. In diesem Sinne habe man mit den Vereinigten Staaten gemeinsam
Anordnungen getroffen, die eine bessere Durchführung und eine strenge Kontrolle
der Auslandskäufe bezwecken.
Das Ergebnis der 4. italienischen Kriegsanleihe ist nach
einer römischen Meldung der „Voss. Ztg." (6. Mai) folgendes:
Die Inlandzeichnungen auf die letzte italienische Kriegsanleihe sollen 6347
MiU. Lire betragen haben, wovon 2489 Mill. Lire Barzeichnungen waren, 1123
Mill. Lire aus Schatzwechseln und der Uebernahme fremder Werte stammten
und 2735 Mül. Lire dem Umtauschen früherer Anleihen herrührten.
Ueber chilenische Finanzen meldet der „Statist":
Der chilenische Staatshaushalt für 1916 weist einen Ueberschuß von
13115 293 Pesos Gold auf, d. h. etwas weniger als 1 Mül. £. Von Interesse ist,
daß die Staatsbahnen jetzt einen Gevsänn abwerfen, was bei den früheren niedrigen
Sätzen nicht möglich war. Die Regierung schickt sich an, die Verbesserung und
Erweiterung des Hafens von Valparaiso auszuführen, die einen Kostenaufwand
von 2^2 Mill. £ erfordern wird. Die Zolleinnahmen des letzten Kalenderjahres
beliefen sich auf mehr als 10^/^ Mill. £ gegen noch nicht 7V4 Mül. 1915. Der
Staatshaushalt für das neue Finanzjahr sieht Ausgaben von 193 435000 Papier-
pesos und 69 635 000 Goldpesos vor. Gegenüber dem Vorjahre wurden Ersparnisse
in Höhe von je 47^ MiU. Pesos erzielt.
Zu der Frage der brasilianischen Finanzen heißt es in
der Botschaft des brasilianischen Präsidenten an den Kongreß:
Der Staatsschatz habe in London 1 685 945 £ für laufende Verbindlichkeiten
deponiert und im Lande 3 MiU. £ Gold angesammelt, womit selbst bei Fortdauer
des Krieges den Verpflichtungen nachgekommen werden könne. Die äußere
Schuld betrage 112 332 968 £ und die konsoUdierte innere Schuld habe Ende des
Vorjahres 864436 Contos betragen. Die Ausgabe für die Fun ding- Anleihe be-
laufe sich auf 568 127 £. Nach Rückkauf von 3 540 163 £ Goldtratten der inneren
Schiüd blieben noch 1 456 370 £ im Umlauf. Wegen des Rückkaufes weiterer
500000 £ stehe die Regierung in Verhandlungen. Die Bundeseinnahmen be-
trugen in 1917 bisher 587 912 Contos Papier und 104 388 Contos Gold, die Aus-
gaben 545 864 Contos Papier und 83 667 Contos Gold. Die Lage der Finanzen
sei vöUig geordnet, ebenso die äußeren Verbindlichkeiten bezüglich der Eisen-
bahnen (Voss. Ztg.)
— 373
Volkswirtschaftliche Chronik.
Jnni 1917.
L Produktion im allgemeinen.
Inhalt: Beschäftigungsgrad im Juni.
Das „Reichs-Arbeitsblatt" schreibt in seiner Gesamtübersicht über
den Monat Juni: „Wie das deutsche Heer den zahlreichen Feinden,
so bietet auch die deutsche Wirtschaft allen Schwierigkeiten und Er-
fordernissen des Krieges erfolgreich Trotz. Der Berichtsmonat bietet
das gleiche erfreuliche Bild angespannter und ungeschwächter Tätigkeit
wie bisher. Insbesondere hielt sich die Beschäftigung im Vergleich
zum Vorjahr zum mindesten auf der gleichen Höhe ; nicht selten ist es
gelungen, noch weitere Leistungserhöhungen zu erzielen.
Im Bergbau und Hüttenbetrieb herrschte dieselbe lebhafte Tätigkeit
wie seit Monaten; dem Vorjahr gegenüber machte sich verschiedentlich
noch eine Steigerung bemerkbar. Die Eisen- und Metallindustrie hatte
'ebenso wie der Maschinenbau aufs lebhafteste zu tun. In einzelnen
Zweigen der elektrischen Industrie tritt eine Erhöhung der Beschäftigung
dem Juni 1916 gegenüber hervor. In der chemischen Industrie ist
gleichfalls verschiedentlich eine Steigerung dem Vorjahr gegenüber zu
erkennen. Die Nahrungs- und Genußmittelindustrie hat teils eine Zu-
nahme, teils aber eine Abnahme der Beschäftigung im Vergleich zum
Vormonat erfahren. Auf dem Baumarkt ist die Lage im ganzen un-
verändert.
Die Nachweisungen der Krankenkassen ergeben für die am 1. Juli
1917 in Beschäftigung stehenden Mitglieder dem 1. Juni gegenüber
insgesamt eine Abnahme um 102 236 Beschäftigte oder um 1,12 v. H.
(gegenüber einer Abnahme der Beschäftigtenzahl um 0,22 v. H. in der
entsprechenden Zeit des Vorjahrs). Der im Vergleich zum Vorjahr
etwas verstärkte Rückgang geht auf die lebhaftere Verminderung der
männlichen Beschäftigung zurück. Die Abnahme um 109 405 Männer
oder 2,40 v. H. ist zum Teil eine Folge weiterer Einziehungen zum
Heeresdienst. Während im vorigen Jahre das weibliche Geschlecht am
1. Juli eine geringfügige Verminderung der Beschäftigtenzahl erkennen
ließ, haben die Frauen und Mädchen dieses Mal keinen Anteil an dem
Rückgang der Beschäftigtenzahl insgesamt ; es zeigt sich vielmehr eine
geringfügige Zunahme der weiblichen Beschäftigung um 7169 oder
0,16 V. H. Bei der Beurteilung der Bewegung der männlichen Be-
schäftigtenzahl ist zu berücksichtigen, daß die Kriegsgefangenenarbeit
in den Ergebnissen der Krankenkassenstatistik nicht einbegriffen ist."
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkawirtsch. Chronik. 1917. XXV
— 374 —
Nachstehend ist die Bewegung der Beschäftigten in den einzelnen
Gewerbegruppen, soweit sie in der Berichterstattung der Be^
triebskrankenkassen zum Ausdruck kommt, vom 1. Juni bis 1. Juli
dargestellt. Die Zahl der versicherungspflichtigen Mitglieder betrug
am 1. Juli 1917:
Zahl der
berichten-
den Kassen
Pflichtmitglieder
Zu- oder Abnahme
Gewerbe
abzüglich der arbeits-
unfähigen Kranken
männl. weibl.
gegen den Vormonat
in Prozent
männl. weibl.
Land- und Forstwirtschaft,
Gärtnerei
78
8235
7389
— o,64
+ 0,30
Metall-, Maschinenindustrie
790
665 724
230 307
— 2,18
+ 2,2»
. /Schlesien
davon in (Rheinl.-Westf.
57
51 319
19230
— I,5if
— 0,43
288
282 598
93014
— 1,65
+ 6,7»
Elektrische Industrie
27
35391
60315
+ 0,45
+ 3,9<^
Chemische Industrie
112
72434
35149
+ 1,55
+ 1,89
Spinnstoffgewerbe
846
57910
133 168
— 2,79
— 1,55
("Schlesien
65
6667
16002
— 2,11
— 2,01
. 1 Rheinl.-Westf.
davon in U^^ ^^^^^^^
234
14424
24989
— 3,23
-- I,2<>
242
13593
37180
— 2,87
— 0,87
lEls.-Lothringen
39
2215
6147
— IO,72
- 6,15
Holz- und Schnitzwaren
80
7704
3338
— 3,47
+ 2,80
Nahrungs- und Genußmittel
306
29053
44426
— 4,85
— 3,79
Bekleidung
86
5635
12 229
— 3.77
— 2,46
Baugewerbe
198
49509
8416
— 0,7 7
+ 1,91
Von den berichtenden Unternehmungen gaben 302 den
Stand ihrer Arbeiterschaft im Berichtsmonat Juni an. Diese beschäf-
tigten 437 378 Arbeiter. Neben der Beschäftigtenzahl im Berichts-
monat gaben 295 Unternehmungen auch die Zahl der im Vormonat be-
schäftigten Arbeiter an. Hier waren am letzten Tage des Berichts-
monats insgesamt 420 540 gegen 410077 Arbeiter am Schlüsse des
Vormonats tätig. Es ist also im Berichtsmonat dem Vormonat gegen-
über eine Zunahme der Beschäftigten um 10463 oder 2,55 v. H. ein-
getreten. Die Steigerung gegen den Vormonat geht diesmal in der
Hauptsache auf eine Mehrbeschäftigung von Männern zurück.
An der Erhöhung der Beschäftigtenzahl sind in erster Linie
Bergbau und Hüttenbetrieb, Eisen- und Metallindustrie und die che-
mische Industrie, daneben auch der Maschinenbau beteiligt. Ein Rück-
gang der Beschäftigtenzahl macht sich nur in der Papierindustrie und
in geringem Maße in der elektrischen Industrie, im Nahrungsmittel-
und Glasgewerbe bemerkbar.
Der größte Teil der berichtenden Unternehmungen, nämlich 302,
teilte neben der Beschäftigtenzahl im Berichtsmonat auch den Stand
der Arbeiterschaft im gleichen Monat des Vorjahrs mit. In diesen
302 Unternehmungen waren im Berichtsmonat 437 378 Arbeiter im
Vergleich zu 361347 im Juni 1916 tätig. Es ist also gegenüber dem
Vorjahr eine Zunahme der Arbeiterzahl um 76031 oder um 21,04 v. H.
eingetreten. Diese starke Zunahme geht in etwas größerem Maße auf
das männliche als auf das weibliche Geschlecht zurück.
— 375 —
Dem Vorjahr gegenüber ist ein Rückgang in der Beschäftigtenzahl
von nennenswerter Größe im Nahrungs- und GenuJßmittelgewerbe, ferner
in der Bekleidungs-, Papier- und Glasindustrie zu verzeichnen. Wesent-
lich größer als die hier eingetretene Abnahme ist demgegenüber die
Zunahme in der Metall- und Maschinenindustrie, in der chemischen
Industrie, wie auch im Bergbau und der elektrischen Industrie. In
den zuletztgenannten 5 Gewerbezweigen, namentlich in der chemischen
Industrie und im Maschinenbau, ist abermals eine lebhafte Steigerung
der männlichen Arbeiterzahl festzustellen. Die Anzahl der Frauen und
Mädchen ist dem Vorjahr gegenüber am meisten in der Metallver-
arbeitung und in der Maschinenindustrie gestiegen.
Nachstehend geben wir die Veränderungen in den einzelnen Ge-
werben, im Vergleich mit dem Vormonat, tabellarisch wieder:
Beschäftigte
Zu- oder Abnahme eeeen den
M
am letzten Tage
Vormonat
Gewerbegruppen
9i
des Berichtsmonats
^
Juni
insgesamt
männl. { weibL
insges.
männl.
Anzahl
V. H.
Anzahl
Bergbau und Hüttenbetrieb
29
46592
42823
+
5975
+ 14,71
+ 5645
+ 330
Eisen- und Metallindustrie
45
158 461
122 130
+
2202
+ 1,41
— 801
+ 3003
Industrie der Maschinen
91
132673
108 891
+
981
+ 0,74
+ 870
+ III
Elektrische Industrie
13
10 191
5740
—
102
— 0,99
- 286
+ 184
Chemische Industrie
27
50480
41802
+
1459
+ 2,98
+ 1338
-1- 121
Spinnstoff gewerbe
12
4240
I 156
+
183
+ 4,51
+ II
+ 172
Holzindustrie
IG
658
394
+
19
+ 2,9T
— 19
+ 38
Nahrungs- und Genußmittel
13
5843
1667
—
91
— 1,55
— 33
- 58
Bekleidungsgewerbe
II
I 408
508
+
3Q
+ 2,85
+ 19
-f- 20
Glas und Porzellan
6
2 156
I 102
—
42
— 1,91
— 55
+ 13
Papierindustrie, Buchdruck
25
5203
3426
—
170
— 3,16
— 153
— 17
Sonstige Gewerbe (einschl.
Baustoffe und Schiffahrt.)
13
2635
1596
+
10
+ 0,88
+ 15
- 5
Summe
295
420 540
331 235
+ 10463
+ 2,65
+ 6551
+ 3912
Nach den Feststellungen von 35 Fachverbänden, die für 929 227
Mitglieder berichteten, betrug die Arbeitslosigkeit Ende Juni
7967 oder 0,9 v. H. Der Vormonat hatte eine Arbeitslosenziffer von
1,0 V. H. zu verzeichnen, so daß also im Berichtsmonat eine Abnahme
hervortritt. Auch im Vergleich zu den entsprechenden Monaten der
drei vorhergehenden Jahre ist die Arbeitslosigkeit geringer, und zwar
wesentlich niedriger. Sie stand im Juni sowohl des Jahres 1914 wie
der Jahre 1915 und 1916 auf der gleichen Höhe von 2,5 v. H.
Die Statistik der Arbeitsnachweise läßt im Berichtsmonat
für das männliche wie für das weibliche Geschlecht ein weiteres Sinken
des Andranges der Arbeitsuchenden erkennen. Im Juni kamen auf 100
offene Stellen bei den männlichen Personen 47 Arbeitsgesuche (gegen-
über 53 im Vormonat) ; beim weiblichen Geschlecht ging die Andrangs-
ziffer von 96 im Mai auf 86 im Berichtsmonat zurück.
XXV*
37Ö
II. Landwirtschaft und yerwandte Gewerbe.
Inhalt: Lage der landwirtschaftlichen Produktion: Kartoffel Versorgung.
Weltmarkt. Weizenpreise auf den amerikanischen Märkten. Oelsaaten. Mehl-
zoU. Honig. Technischer Spiritus. Bayern: Kartoffeln; Walnüsse; Geflügel;
Heidel- und Preißelbeeren. Weinpreise. Schweiz: Inlandsgetreide; Brotkarte;
Getreidezufuhr; Butter höchstpreise. Niederlande: Gemüseausfuhr; Kartoffelaus-
fuhr nach England. England: Weizeneinfuhr; Landarbeiter; Heuernte, Ruß-
land: Beaufsichtigung der Ackernutzung. Deutsche Märkte. Weltmarkt. See-
frachten. — Saatenstands- und Ernteberichte : Schweden. Dänemark. Bulgarien.
Italien. Frankreich. Argentinien. Indien. Montenegro. Serbien. — Zucker-
produktion: Polen. Deutschland. Wirtschaftskarte in landwirtschaftlichen Be-
trieben. Neue Kalipreise. Erzeugerpreise für Obst. Preise für deutsche Schaf-
wolle. Brasiliens Stellung zum argentinischen Getreide- Ausfuhrverbote. Salpeter-
produktion Chiles, Preise in Rußland.
Zur KenQzeichauüg der Gesamtlage der landwirtschaft-
lichen Produktion und der Versorgung der Bevölke-
rung in den verschiedenen Ländern sei der Allgemeine
Wochenbericht der Preisberichtsstelle des Deutschen Landwirtschafts-
rats vom 3. Juli 1917 angeführt. Es heißt darin:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 28. Juni dem Entwurf einer Ver-
ordnung über die Kartoffelversorgung für das Wirtschaftsjahr 1917/1918
zugestimmt. Die Verordnung gibt lediglich den ßahmen, innerhalb dessen dem-
nächst das Kriegsernährungsamt, die ßeichskartoffelstelle und die Landesbehörden
die Versorgung mit Kartoffeln für die Zeit vom 16. August 1917 bis zum 15. Sep-
tember 1918 zu regeln haben werden. Bis zum 15. August 1917 gilt die bis-
herige Verordnung des Bundesrats vom 26. Juni 1916. Bei den Beratungen mit
den Sachverständigen aller Berufsgruppen ist, von ganz wenigen Ausnahmen ab-
gesehen, durchweg erklärt worden, daß man bei dem ZwangsTieferungssystem so-
wohl für Früh- wie für Winterkartoffeln bleiben müsse.
Alle Vorschläge, die die Zwangslieferung auf dem einen oder anderen Wege
vermeiden wollen, sind mit den Anregern und anderen Sachverständigen ein-
fehend erörtert worden, haben aber zu keinem brauchbaren Ergebnis geführt.
)ie Kontrolle wird im Wege der Ausführungsvorschrift in der Richtung geordnet
werden, daß ständig bei den Empfangsverbänden und bei den Ueberschußyerbän-
den festgestellt wird, ob bei ersteren der Verbrauch sich in dem vorgeschriebenen
Rahmen bewegt und die Aufbewahrung sachgemäß erfolgt, und ob bei letzteren
die zur Lieferung aufgegebenen Mengen von den Landwirten den Gemeinden und
den Kommunalverbänden rechtzeitig und im ausreichenden Umfange geliefert
werden. Zugleich wird die Beschäftigung durchweg sachverständiger, dem Handel an-
gehörender Personen als Kommissionäre vorgeschrieben und dabei bestimmt werden,
daß Kommissionäre in jedem Kreise in genügender Zahl eingestellt werden müssen.
Die Kontrolle beim Landwirt wie beim Kommunalverband wird nach der Bundes-
ratsverordnung durch Aufnahme der Kartoffeln in die Wirtschaftskarte gesichert,
die für die Körnerfrüchte und die Hülsenfrüchte durch die Reichsgetreideordnung
vorgeschrieben ist. Säumigen Kommunalverbänden, Gemeinden und Landwirten
gegenüber sieht die Bundesratsverordnung eine Haftpflicht vor. Muß zur Ent-
eignung geschritten werden, so wird der Enteignungspreis um 60 M. für die
Tonne gekürzt. Die Ausführungsvorschriften können erst im August ergehen,
wenn die Kartoffelanbauflächen feststehen und die Aussichten für die kommende
Herbstkartoffelernte sich einigermaßen übersehen lassen. Aufrechterhalten bleibt
bis auf weiteres die jetzige Bestimmung, wonach das Verfüttern von Kartoffeln ver-
boten ist. Inwieweit dieses strenge Verfütterungsverbot im kommenden Herbst
etwa gemildert werden kann, und wie die Rationen und Lieferungsbedingungen
im einzelnen festzusetzen sind, läßt sich erst entscheiden, wenn das Ergebnis der
Herbstkartoffelernte besser zu übersehen ist.
Letzte
Vorletzte
Zu- bzw.
Woche
Woche
Abnahme
M.
M.
M.
311,70
330,20
— 18,50
280,80
288,55
— 7,75
368,00
368,00
0
500,00
500,00
0
267,30
267,30
0
244,00
244,00
0
500,00
500,00
0
291,60
291,60
0
648,00
648,00
0
453,60
453,60
0
315,00
3151O0
0
256,00
256,00
0
500,00
500,00
0
236,00
236,00
0
270,00
270,00
0
259.00
259,00
0
290,50
290,50
0
240,70
240,70
0
315,40
315,40
0
257,30
257,30
0
260,00
260,00
0
220,00
220,00
0
- 377 —
Der Weltmarkt zeigte in der letzten Woche folgendes Bild:
Weizen preise für die Tonne (Umrechnung nach dem Friedenskurs):
Chicago: Lieferungsware Juli
„ September
Buenos Aires : ,
London : Höchstpreis für inländischen Weizen
Paris: Ankaufspreis für ausländischen Weizen ca.
Höchstpreis für inländischen Weizen
Roggen
Rom : Ankaufspreis für ausländischen Weizen ca.
Höchstpreis für inländischen Weizen
Bern (Schweiz): Ankaufspreis für ausländischen Weizen ca.
Abgabepreis im Inlande
Petersburg: Höchstpreis für inländischen Weizen
,f », „ Roggen
Kopenhagen : Ankaufspreis für ausländischen Weizen
Höchstpreis für inländischen Weizen
Stockholm: Höchstpreis für inländischen Weizen
„ Roggen
Wien: Höchstpreis für inländischen Weizen
„ „ „ Roggen
Budapest: Höchstpreis für inländischen Weizen
„ „ „ Roggen
Berlin : Höchstpreis für inländischen Weizen
„ Roggen
Unter den obigen Höchstpreisen sind die Preise beim Verkauf durch den
Erzeuger zu verstehen. Die Höchstpreise für Petersburg gelten bei Ankäufen
durch die Heeresverwaltung.
Auf den amerikanischen Märkten ist ein weiteres Sinken der Preise zu ver-
zeichnen.
Entwicklung der Weizenpreise seit Anfang Januar 1917.
Buenos Aires Chicago
September
Bushel
Cents
137V4
147V«
154V,
182V,
191
202
i<)5V,
185
181
180
178V,
184
187
185
184
183
181V,
1817,
182
105
1917
Datum
100 kg
Juli
Busbel
Pesos
Cents
6.
Januar
13,35
15 iV,
3.
Februar
13,80
H478
3.
März
13,65
159
2.
April
16774
1.
Mai
15.45
212V,
2.
Juni
18,15
206
9.
»,
—
235
16.
,,
—
221V,
18.
—
2IlVs
19.
„
—
205
20.
,,
—
201
21.
,,
--
203
22.
j,
—
210
23.
„
—
214
25.
,,
—
210
26.
,»
—
209
27.
,»
—
205
28.
,,
—
201
29.
,,
—
201
30.
—
202
dagegen
1916:
7,85
loiV.
- 378 -
Da die Oelsaatenernte schon begonnen hat, macht der Kriegsausschuß
ür pflanzliche und tierische Oele und Fette darauf aufmerksam, daß alle gemäß
Bundesrats Verordnung vom 26. Juni 1916 beschlagnahmten Oelsaaten, also Raps,
Rübsen, Hederich und Ravison, Dotter, Mohn, Leinsamen, Hanfsamen, Sonnen-
blumenkerne, Senfsaat, auch in diesem Jahre dem Kriegsausschuß bzw. den von
ihm bezeichneten Kommissionären ausgeliefert werden müssen.
Die deutsche Mühlenindustrie, die in drei großen Organisationen zu-
sammengeschlossen ist, hat an die Reichsregierung eine Eingabe gerichtet, in der
Wünsche für die künftige Gestaltung unserer Mehlzölle vorgetragen werden.
Für den Fall einer Beibehaltung der jetzigen Zollsätze für Getreide wird eine
Heraufsetzung des Mehlzolles auf das Zweieinhalbfache des KornzoUes in Vor-
schlag gebracht. Bei einer etwaigen Herabsetzung der Getreidezölie wird die Er-
höhung der Mehlzölle auf das Dreieinhalbfache des Kornzolles für notwendig er-
klärt. Zum guten Teil ist die Eingabe durch die starke Konkurrenz der bifliger
arbeitenden ungarischen Großmühlen veranlaßt worden.
Nach einer Verordnung des Reichskanzlers vom 26. Juni darf vom 30. Juni
ab der Preis für inländischen Honig beim Verkaufe durch den Erzeuger
bei Seim- und Preßhonig 1,75 M. bei anderen Honigarten 2,75 M. für 1 Pfd.
nicht übersteigen. Beim Verkaufe durch andere Personen darf der Preis für
Seim- und Preßhonig 2,50 M., für andere Honigarten 3,50 M. für 1 Pfd. nicht
übersteigen. Verkauft der Erzeuger in Mengen bis zu 5 kg unmittelbar an Ver-
braucher, so darf der Preis für Seim- und Preßhonig bis auf 2 M., für andere
Honigarten bis auf 3 M. für 1 Pfd. erhöht werden. Die Landeszentralbehörden
können niedrigere als obige Höchstpreise festsetzen. Der Preis für ausländi-
schen Honig darf nicht übersteigen: für Seim- und Preßhonig 2,50 M., für
andere Honigarten 3,50 für 1 Pfd. Unter Seimhonig ist der durch Erhitzen der
Waben gewonnene, unter Preßhonig der durch Auspressen aus den Wabenresten
gewonnene Honig zu verstehen.
Nach einer Verordnung des Bundesrats vom 28. Juni 1917 darf bis auf
weiteres nach näherer Bestimmung des Reichskanzlers an einzelne Betriebe
Branntwein zur Herstellung von Fettsäureestern für Kunstspeisefette
ohne Vergällung steuerfrei mit der Maßgabe abgelassen werden, daß die Ver-
brauchsabgabe erlassen und die Betriebsauflage zum Satze für vollständig ver-
gällten Branntwein vergütet wird.
Im Königreich Bayern dürfen nach einer Verordnung des Königlichen
Staatsministeriums des Innern vom 28. Juni 1917 bis zum 15. September 1917
feldmäßig gebaute Kartoffeln vor den von den Distriktverwaltungsbehörden
für ihren Bezirk oder Teile desselben bestimmten Terminen auch zum eigenen
Verbrauch nicht geerntet werden. Außerdem darf mit dem Ausnehmen von
Kartoffeln auf dem einzelnen Grundstücke nur mit Genehmigung der Ortspolizei-
behörde, in deren Bezirk das Grundstück liegt, begonnen werden. Kartoffeln, die
nicht ausgereift sind, dürfen nicht in Verkehr gebracht werden. Der Verkauf
von Kartoffeln nach Hohlmaß ist verboten. Es ist verboten, bei Reisen auf der
Eisenbahn Kartoffeln als Reisegepäck mitzuführen.
Auf Anordnung der bayerischen Lebensmittelstelle vom 28. Juni 1917
dürfen Kartoffeln aus Bayern ohne Rücksicht auf die Ausfuhrmenge nur mit
Genehmigung der Landeskar toffelstelle ausgeführt werden.
Nach den Ausführungsbestimmungen vom 26. Juni kann die Reichsbrannt-
weinsteUe, Abteilung München, Brennern, die den Vorschriften der Verordnung
über den Verkehr mit Branntwein aus Klein- und Obstbrennereien vom 24. Februar
1917 unterliegen, auf Antrag im Betriebsjahr (1. Oktober bis 30. September) bis
zu 10 Liter reinen Alkohol eigenen Erzeugnisses zum Verbrauch im eigenen
Haushalt belassen. Brennern, deren Erzeugung im laufenden Betriebsjahr ein-
schließlich der mit Beginn des 11. März 1917 vorhandenen Bestände 25 Liter
nicht übersteigt, und für deren Erzeugung eine Verbrauchsabgabe von 0,84 M.
für das Liter Alkohol zu entrichten ist, sind im laufenden Betriebsjahr die ge-
samten Vorräte zum Verbrauch im eigenen Haushalt zu belassen.
Nach einer Bekanntmachung der bayerischen Lebensmittelstelle vom
22. Juni ist es verboten, vor dem 1. September 1917 grüne Walnüsse zu ernten
und entgeltlich oder unentgeltlich in den Verkehr zu bringen.
— 379 —
Die bayerische Fleisch versorgungssteile setzt durch Bekanntmachung
vom 27. Juni nachstehende Höchstpreise für Geflügel fest: 1^ Beim Ver-
kauf durch den Erzeuger für Gänse- und Enten-Küken bis zu 2 Pfd. Lebend-
gewicht an Züchter, Mäster, Händler oder andere Personen 3 M. für das Stück;
für Gänse oder Enten über 2 Pfd. Gewicht, lebend oder geschlachtet, beim Ver-
kauf an den Händler, überhaupt an andere Personen als Verbraucher oder Ver-
arbeiter 2 M. für das Pfund; 2) beim Verkauf an den Verbraucher oder Verarbeiter
(Gastwirt usw.) : für Gänse oder Enten, lebend oder geschlachtet, 2,80 M. für das
Pfund; für Gänse oder Enten, bratfertig hergerichtet, 3,50 M. für das Pfund.
Für das Gansjung ohne Herz und Leber 2 M. für das Stück; für das Entenjung
ohne Herz und Leber 1 M. für das Stück; für das Gansherz 30 Pfg., für das
Entenherz 15 Pfg.; für die Gans- oder Entenleber 2,80 M. für das Pfund. Der
Erzeugerhöchstpreis für Hühner beträgt: für lebende oder geschlachtete, unaus-
genommene Hühner im Federkleid 1,20 M. für das Pfund; für junge Hühner,
lebend oder geschlachtet, unausgenommen im Federkleid 3 M. für das Pfund.
Beim Verkauf an den Verbraucher oder Verarbeiter (Gastwirt usw.) für lebende
oder geschlachtete, unausgenommene Hühner im Federkleid, 1,70 M. für das Pfund;
für Hühner im küchenfertigen Zustande 2,20 M. für das Pfund ; für junge Hühner,
lebend oder geschlachtet, unausgenommen im Federkleid, 3,50 M. für das Pfund.
Für Tauben, lebende oder tote Tiere, dürfen folgende Preise nicht überschritten
werden: 1) beim Verkauf durch den Erzeuger an Händler: für alte Tauben 60 Pfg.,
für junge 90 Pfg. das Stück; 2) beim Verkauf an den Verbraucher oder Ver-
arbeiter: für alte Tauben 1 M., für junge Tauben 1,30 M. für das Stück. Von
Gänsen, Enten und Hühnern, die zum Verkaufe bestimmt sind, darf das Kohfett
nicht abgetrennt werden. Rohfett dieser Tiere darf nicht getrennt vom Tierkörper
feilgehalten oder verkauft werden.
In Bayern ist auf Verordnung der Generalkommandos I-, H. und IH.
Bayerischen Armeekorps vom 20. Juni das Einsammeln von Heidel- und
Preiselbeeren auch für den eigenen Verbrauch vor Beginn der Ernte verboten.
Beim Pflücken und Einsammeln von Preiselberen ist die Verwendung von Kämmen
und ßiffeln verboten.
Am 19. Juni fand in Mainz unter dem Vorsitz des Ministers des Innern
V. Hombergk Exzellenz mit Vertretern des Weinbaues, insbesondere auch des
Kleinwinzerstandes und der Winzergenossenschaften, des Weinhandels, der
Handelskammern der weinbautreibendenden Bezirke, ferner von Vertretern des er-
weiterten ersten Ausschusses der zweiten Kammer der Landstände und der Reichs-
und Landtagsabgeordneten der am Weinbau beteiligten Wahlkreise eine eingehende
Besprechung über kriegswirtschaftliche Maßnahmen, betreffend den Ver-
kehr mit Wein, und damit zusammenhängende Fragen statt. Die Konferenz
erklärte einmütig, daß die Einführung von Höchstpreisen von Wein aus
überwiegend dagegen sprechenden Gründen abzulehnen sei. Die Versteigerungen
seien auf Weine eigenen Wachstums zu beschränken.
Der „Bund" schreibt am 22. Juni d. J. : „Wie wir hören, fand dieser Tage
in Bern (Schweiz) eine konsultative Konferenz statt zur Besprechung der Frage,
auf welche Weise das Inlandsgetreide vom Bund erworben und der allge-
meinen Volksernährung zugänglich gemacht werden kann. Bekanntlich sprach
sich schon die wirtschaftliche Kommission der Neutralitätskommission zugunsten
des Ankaufes aus, wobei der Produzent nur die für den Bedarf des eigenen
Haushaltes notwendigen Mengen zu behalten hätte. Gemeint ist damit wohl
nicht der freie Ankauf, sondern eine Art Zwangsenteignung. Die erstgenannte
konsultative Konferenz hielt die Durchführung einer solchen Maßnahme für sehr
schwierig. Sie war vor allem für die Ansetzung von Höchstpreisen für Inlands-
getreide. Wie man weiß, scheiterte letzten Herbst der Ankauf durch den Bund
an den außerordentlichen Preisforderungen der Produzenten. Und auch heute,
wo die Monopol Verwaltung den Weizen (älerdings mit großem Verlustj zu 56 frcs.
für 100 kg abgibt, wird Inlandsgetreide im Lande herum für 75—85 frcs. ver-
kauft. Die Frage, ob nicht Höchstpreise eingeführt werden sollen, ist also keine
müßige. Im Gegenteil wird sie die Grundlage aller weiteren Maßnahmen zu bilden
liaben. Sodann ist auf jeden Fall auch eine genaue Kontrolle notwendig, die
— 3^o --
darüber zu wachen hat^ daß das Getreide nur für Zwecke der richtigen Volks-
ernährung verwendet wird."
Am 19. Juni tagte in Bern (Schweiz) unter dem Vorsitz von Bundesrat
Decoppet eine konsultative Konferenz zur Besprechung der Frage der Brotkarte.
Die Konferenz war der Ansicht, daß die Rationierung auf den Zeitpunkt, wenn
andere Bodenprodukte, wie Kartoffeln, Gemüse, Obst und dergleichen zur Ver-
fügung stehen, nicht mehr umgangen werden könne. Einzig auf dem Wege des
Kartensystems sei die wahrscheinlich nötig werdende weitere Einschränkung des
Brot- und Mehlkonsums möglich. Die Kommission verhehlte sich nicht, daß die
Vorbereitung des ßationierungssystems in Kantonen und Gemeinden längere Zeit
in Anspruch nimmt; sie rechnet dafür mindestens einen Monat. Als geeigneten
Zeitpunkt für die Karte betrachtet sie den Monat September. Es ist anzunwimen,
daß das Militärdepartement, dem die Brotgetreideversorgung untersteht, in diesem
Sinne seine Anträge an den Bandesrat formulieren wird.
In der Tat lenkt in der Schweiz die mangelhafte Getreidezufuhr
den Blick längst auf neue Sparmaßnahmen. Für die Monate Juli und August
konnte in bescheidenem Maße für Frachtraum vorgesorgt werden, jedoch nichts
wie man gewohnt ist, auf weitere Zeit hinaus. Die Frachtraumnot nimmt ständig
zu, im nämlichen Verhältnis, wie die Anspruchslosigkeit der Reedereien abnimmt.
Die Zufuhr zu Lande geht mit zwei Zügen des Tages einzig auf dem Wege
von Cette her vor sich. Das bedeutet täglich 120 Wagenladungen. Darin sind
die S. S. S.-Waren einbegriffen, ebenso Hafer, Mais, Reis, Zucker, so daß man
leicht auszurechnen vermag, daß die Einfuhrmenge an Brotgetreide das Ver-
brauchsquantum längst nicht mehr deckt. „Wir zehren mächtig von unseren
Vorräten und, wenn wir nicht zeitig genug zum Rechten sehen, bald — vom
eigenen Fett."
Dem „Bund" (Schweiz) wird geschrieben: „Wie den Höchstpreisen
für Butter nachgelebt wird, zeigt folgende kleine Begebenheit, die allerdings,
wie Schreiber dieses hofft, zu einem Meinen Nachspiel führen wird: In einer
bündnerischen Gemeinde war letzten Sonntag die öffentliche Versteigerung der
diesen Sommer durch die Alpgenossenschaft zu liefernden Butter, zu der sich ca.
15 Interessenten einfanden. Das Mindestangebot war 5 frcs., das Höchstangebot
7,40 frcs., und es wurde die Butter auch zu diesem Preise zugeschlagen, franko
Talstation. Wie hoch kommt diese Butter wohl nun den Konsumenten zu stehen ?•
Wie der „Bund" hört, haben in gewissen Butterhandlungen Genfs die Ein-
geweihten Butter zu 10 frcs. das Kilogramm kaufen können.
In Holland hat der Landwirtschaftsminister durch Verfügung vom
12. Juni bestimmt: Ausfuhrbewilligungen für frisches Gemüse werden
den Aüsführern nur erteilt, wenn sie einer oder mehreren der folgenden Be-
dingungen nachkommen, die von der staatlichen Kommission zur Aufsicht über
den Verein „Gemüsezentrale" näher festzusetzen sind: a) Von jeder zu ver-
steigernden Post Gemüse (kein Stapelgemüse) muß ein festzusetzender Prozentsatz
für das Inland versteigert werden; b) von jeder für die Ausfuhr zu versteigernden
Post Gemüse muß eine festzusetzende Menge und Sorte eines anderen Gemüses
für das Inland versteigert werden ; c) von dem Ertrag einer für die Ausfuhr ver-
steigerten Post Gemüse ist ein von der Auf Sichtskommission festzusetzender
Prozentsatz an den Verein „Gemüsezentrale" abzuführen; d) sonstige Bedingungen
sind zu erfüllen, die im Interesse der Volksernährung gestellt werden; e) was
näher zu bezeichnende Einmachgemüse und Stapelgemüse betrifft, so ist für je
100 kg Gemüse, die für die Ausfuhr zu versteigern sind, eine festgesetzte Men^e
und Sorte erstklassiger Dauerware oder zum Einmachen geeigneter Ware (je
nachdem es sich um Stapelgemüse oder Einmachgemüse handelt) auf Verlangen
der Staatskommission an den Verein „Gemüsezentrale" abzuliefern, oder für ihn
zurückzustellen. Die Staatskommission ist befugt, in besonderen Fällen die Er-
teüung von Ausfuhrbewilligungen einzustellen, sei es für eine bestimmte Zeit, sei
es für Gemüse einer bestimmten Sorte oder für Gemüse, die in bestimmten Ge-
genden gezogen sind.
Im englischen Unterhaus sagte Bridgeman in Vertretung des Nahrungs-
mittelkommissars, mit Holland sei ein Abkommen getroffen worden, um Eng-
land einen Teil der Kartoffelernte zu sichern, von dem er hoffe, daß er vor
der englischen Haupternte verfügbar sein werde.
- 38i -
In England sind im Jahre 1916 insgesamt 5083480 t Weizen einge-
führt, und zwar aus Rußland 635 t, aus den Vereinigten Staaten 3 278840 t,.
aus ChUe 5938 t, Argentinien 228 382 t, Britisch Indien 285 085 t, Australien und
Neuseeland 189 490 t, Kanada 1 094 699 t, anderen Ländern 411 t. Im Januar 1917
betrug die Einfuhr 351 626 t, und zwar aus Rußland 943 t, Vereinigten Staaten
236164 t, Chile 25 t, Argentinien 27320 t, Britisch Indien 37 663 t, Australien und
Neuseeland 17 476 t, Kanada 31 872 t, anderen Ländern 163 t.
Nach einer Mitteilung der „Daüy Maü" vom 11. Juni wies in England
der Vorsitzende des landwirtschaftlichen Kriegsausschusses von Chertsey darauf
hin, daß das Kriegsministerium 100000 Landarbeiter auftreiben müsse, wenn
weitere 3 Müh Acres Land bestellt werden sollen.
Nach „Times" vom 18. Juni teilt das Landwirtschaftsministerium mit, daß
für die Heuernte in England und Wales noch mindestens 10000, und für
die Getreideernte 15 000 Arbeiter fehlen. Man will u. a. gegenwärtig wenig
beschäftigte Bergarbeiter für diese Aufgabe gewinnen.
In Rußland hat der Ackerbauminister einen Gesetzentwurf ausgearbeitet,
nach dem alle Ländereien von landwirtschaftlichem Werte bis zur Lösung der
A^arfrage durch die verfassunggebende Versammlung im Interesse des Staate»
zeitweilig landwirtschaftlichen Ausschüssen zur Beaufsichtigung der Aus-
nützung unterstellt werden sollen. Zu diesem Zweck werden örtliche Ackerbau-
ausschüsse die Anbaufläche der Ländereien festseilen, bevor sie von Ge-
meinden, Gesellschaften und privaten Besitzern bestellt werden, während alle
übrigen Lähdereien eine Bodenreserve bilden sollen.
An den deutschen Märkten war Heu neuer Ernte nur wenig ange-
boten, während sich gute Nachfrage dafür zeigte. Für Stroh ist die Lage öinlich,
doch ist manches zu Höchstpreisen umgesetzt worden. Häcksel ist aus den be-
kannten Gründen nur schwer zu beschaffen. Für Erbsen preßstroh wird 5 35 M.
und für Bohnenpreßstroh 4,50 M. ab Station verlangt. Heidekraut war zu Streu-
zwecken stark gesucht. Die Forderungen lauten auf 1,40—1,50 M. ab Station.
Das Geschäft war hierin nur beschränkt. Die Nachfrage nach Spörgel, Sand-
wicken, Senf und anderen Sämereien war lebhaft. Geschäfte kamen indessen, da
nur wenig angeboten war, nur in geringem Umfange zustande. Inkarnatklee
blieb gut gefragt.
Weltmarkt.
Getreidepreise in Mark für 1000 kg,
für amerikai
Qische Märkte umgerechnet nach dem Friedei
iskurs 1 $
= 4.20 M..
für London umgerechnet nach dem
Friedenskurs 1 £ = 20,50 M.
29.
Juni
23. Juni
Cents
M.
M.
New York:
Roggen loco
244
476,50
378,05
Hafer white clipped
7874
182,35
170,55
Mais Nr. 2
190V,
314,60
307,15
Chicago :
Weizen: Lieferware Juli
202
311,70
330,20
Sept.
182
280,80
288,55
Mais: „ Juli
157V8
2bl,0.S
257,65
Sept.
WU
244,10
243,26
„ „ Dez.
109
i8o,2.s
182,70
Hafer: per Juli
65V8
150,80
146,15
„ Sept.
ssVs
127,65
123,—
Boggen : loco
240
370,30
373,40
Minneapolia
: Weizen: per Juli
21 27,
327,90
364,15
Winnipeg :
„ Okt.
1887«
290,26
308,80
Wöchentliche englische „.
Farmers' Deliveries".
Durchschnittspreise für
englischen Weizen.
London, 16.
Juni 1917. Diese Woche
Vorige
Woche
sh
M.
sh
M.
78/.
,2 350,85
78/.0
350,10
entsprechende Wochen
in den Vorjahren: 1916 48/.10 219,25
1915 56/.1 251,65
382
Buenos Aires, 14. Juni 1917.
Diese Woche
Vorige Woche
Pesos M. M.
Pesos
M. M.
Kriegskurs Friedenskurs
Kriegskurs Friedenskur»
(2,45) (1,78)
Weizen
—
Mais
13,55 33i,f5 241,20
12,95
316,25 230,50
Hafer
II,— 269,50 195,80
11,40
279,30 202,90
See-Frachten.
Buenos Aires, 14. Juni 1917.
Dampferfracht für die Tonne für Rechnung der Regierung:
sh M.
nach St. Vincent 145/. — 148,60
„ direkten Häfen 140/. — I43,50
Ueber den Saatenstand und über den Ausfall der Ernte-
erträge finden sich aus den verschiedenen Gebieten eine Anzahl
neuerer Berichte, die im folgenden wiedergegeben werden sollen:
Schweden. Der schwedische Saatenstandsbericht für Ende Mai ergibt im
Vergleich mit dem Vorjahr das folgende Bild, wobei 5 = sehr gut, 4 = gut,
3 = mittelgut, 2 == gleich bedeutend unter mittel, 1 = Mißernte bedeutet.
31.
Mai
31.
Mai
1917
1916
1917
1916
Winterweizen
2,5
3,5
Bohnen
2,8
2,9
Winterroggen
2,0
2,6
Wicken
2,8
3,3
Sommerweizen
2,7
3,3
Kartoffeln
2,9
3,2
Sommerroggen
2,9
3,0
Zuckerrüben
2,6
3,5
Gerste
3,0
3,4
Futterrüben
2,7
3,3
Hafer
2,9
3>8
Ackerheu
3,0
3,8
Mengkorn
2,8
3,«
Wiesenheu
2,7
2,7
Erbsen
2,9
3,3
Die Fläche des Wintergetreides ist erheblich geringer als in normalen Jahren.
Die Herbstbestellung war durch ungünstige Witterung verzögert, teilweise ganz
unmöglich gemacht worden. Ein Teil des Wintergetreides ist ausgefroren. In-
folgedessen haben bedeutende Flächen, statt mit Winter-, mit Sommerkorn be-
stellt werden müssen. Um ein zuverlässiges Bild hierüber zu gewinnen, ist eine
genaue Aufnahme der bestellten Flächen angeordnet. Die Frühjahrsbestellung
hat sich infolge des bis in den späten Mai anhaltenden kalten Wetters ungewöhn-
lich verzögert. Nur im südlichsten Schweden waren die Bestellarbeiten zu Ende
Mai abgeschlossen, im mittleren und nördlichen Schweden waren sie noch im
Gange. Nach reichlichen Niederschlägen im April herrscht seit dem Mai mehr
als gewöhnliche Trockenheit; von dem baldigen Eintritt des Regens muß es ab-
hängen, ob man im ganzen noch mit einer Mittelernte rechnen kann.
Dänemark. Kopenhagen, 18. Juni. Der Kaiserliche Generalkonsul be-
richtet : Die anhaltende Dürre der letzten Zeit hat ungünstig auf die Saaten ein-
gewirkt, und aus allen Teilen des Landes mehren sich die Berichte, daß baldiger
und reichlicher Regen notwendig ist. Roggen wird nach dem jetzigen Stande
kaum eine Mittelernte geben. Der Winter war streng, das Frühjahr kalt und der
Vorsommer trocken. Alles das hinderte die Entwicklung der Pflanzen, und sie
sehen dünn und kurz aus. Aehnlich steht es mit dem Weizen. Die Sommer-
saaten, Hafer und Gerste, geben etwas bessere Aussichten, aber auf leichterem
Boden hat auch das Sommerkorn vielfach gelitten. Für die Weiden ist die
Trockenheit sehr schädlich gewesen, und die Heuernte dürfte nur einen geringen
Ertrag geben.
Bulgarien. Sofia, 19. Juni. Die verhältnismäßig kühle und ziemlich
trockene Witterung des Monats Mai war dem Saatenstand zwar nicht besonders
förderlich, hatte jedoch im großen und ganzen auch keine nachteilige Wirkung
- 383 -
auf die Saaten ausgeübt. Dieselben blieben zwar klein im Halm, standen aber
fegen Ende des Berichtsmonats allgemein in guter Verfassung und werden sich
urch die ausgiebigen Niederschläge, die Anfang Juni im ganzen Lande zur
rechten Zeit einsetzten, schnell und vollständig erholen. Insbesondere läßt der
Stand der Gerste und des Eoggens nichts zu wünschen übrig. Der Weizen hat
an vielen Stellen, besonders in der Gegend von Stara-Zagora, durch Getreiderost
etwas gelitten. Immerhin wird auch der Stand dieser Getreideart nirgends im
Lande als unter mittel bezeichnet. Für die Fortsetzung des Frühjahrsanbaues
war die Witterung des Monats Mai durchweg günstig. Bis gegen Ende des Be-
richtsmonats konnte trotz des verspäteten Frühjahrsanbaues fast überall im
Lande mehr angebaut werden als im Vorjahre.
Italien. Lugano, 26. Juni. Nach dem Mailänder Handelsblatt „Sole"
wird das Ergebnis der in Italien binnen wenigen Tagen beginnenden Weizenernte
hinter dem schon geringen Ertrag des Vorjahres zurückbleiben, weil die
Saaten durch die andauernden Winter- und Frühjahrsregen gelitten haben.
Andererseits leiden auch Zuckerrüben, Hanf, Hülsenfrüchte und Gras unter der
gegenwärtigen Dürre.
Frankreich. Das mit Getreide angebaute Land beträgt nach der Auf-
nahme am 1. Mai: Weizen 4 207 530 ha (gegen 5 205 620 ha im Jahre 1916), Korn
84485 (101205) ha, ßoggen 809 435 (925 600) ha, Gerste 596 705 (286 285) ha,
Hafer 1 605 570 (3 044 760) ha. Die Verminderung des Anbaues rührt von dem
regnerischen Herbst her, der die Vorarbeiten in weitem Maße behinderte, und dem
harten und langen Winter, der das Anpflanzen und Aussäen des Winter- und
Frühjahrsgetreides unmöglich machte.
Argentinien. Buenos Aires, 24. Mai. Die Beschaffenheit der Mais-
zufuhren an die oberen Flußhäfen ist schlecht, und die Berichte über die Ernte
lauten im allgemeinen unbefriedigend. Für die Bestellungsarbeiten von Weizen,
Hafer und Leinsaat war das Wetter in der Berichtswoche günstig.
Indien. Nach der letzten amtlichen Schätzung beträgt die diesjährige
Weizenernte 9 929 000 t gegen 8501000 t in 1916. Da Indiens Eigenverbrauch
auf etwa 8^/^ Mill. t geschätzt wird, alte Vorräte aber wahrscheinlich in nennens-
werten Mengen nicht mehr vorhanden sind, wäre eine Exportfähigkeit von 1*/^
bis l^/„ Mill. t gegeben.
Montenegro. Wien, 16. Juni. Aue dem Kriegspressequartier wird ge-
meldet : Die Ernteaussichten in • Montenegro sind günstig, was namentlich der
reichlichen Unterstützung der Bevölkerung mit Arbeitskräften und Zugtieren
durch die Militärverwaltung zu danken ist.
Serbien. Belgrad, 17. Juni. Der Stand der Wintersaaten ist in den
nördUchen Kreisen Serbiens überall gut, stellenweise sogar sehr gut. In den
südlichen Kreisen sind die Saaten infolge Auswinterung schütterer. Hafer ist
infolge des verspäteten Anbaues zurückgeblieben. Mais steht frisch und üppig.
Der Stand ist im allgemeinen sehr zufriedenstellend und besser als im Vorjahre.
Ueber den Zuckerrübenanbau und die Zuckerproduktion
liegen noch aus einigen Gebieten folgende Berichte vor:
Die Zuckerkampagne 1917/18 im Königreich Polen.
Die Bebauungsfläche der polnischen Zuckerrüben kampagne 1917/18 wird
nach mutmaßlichen Berechnungen etwa 40000 Morgen betragen, wovon 34000
Morgen auf die im deutschen Okkupationsgebiete gelegenen Raffinerien und 6000
auf die im österreichischen entfallen. Den diesjährigen Betrieb nehmen im
deutschen Okkupationsgebiete 27 Raffinerien (außer Betrieb 8) und 7 im öster-
reichischen (außer Betrieb 13) auf.
Zuckerrübenanbau in Oesterreich-Ungarn.
Der Zentralverein für die Zuckerrübenindustrie Oesterreichs und Ungarns
veröffentlicht folgende Umfrageergebnisse vom 2. d. Mts. In Böhmen sind in der
Kampagne 1917/18 im Betriebe 105 Fabriken. Die gesamte Rübenanbaufläche
beträgt 107 350 ha (1916/17 = 111 780 ha = 3,9 Proz.). In Mähren sind 52 Fa-
briken im Betriebe. Die gesamte Rüben anbaufläche umfaßt pro 1917/18 ^ 73050 ha
Q916/17 = 73720 = —0,9 Proz.). In Ungarn und Bosnien sind 29 Fabriken im
Betriebe bei einer Anbaufläche von 108 850 ha (1916/17 = 87 850 ha = + 23,9 Proz.),
so daß sich bei dem Rübenareal in Ungarn eine namhafte Zunahme zeigt. In
- 384 -
Oesterreich- Ungarn sind mithin in der Kampagne 1917/18 187 (+ 1) Fabriken im
Betriebe, und die gesamte Kübenanbaufläche beträgt 289 250 ha (+15900«-
+ 5,8 Proz.).
Frankreichs Zuckerproduktion 1915/16. Der bedeutende Rückgang
der Zuckerproduktion Frankreichs während des Krieges geht aus den Ziffern der
französischen Steuerbehörde hervor : Die Anzahl der Rüben-Zuckerfabriken
fiel in 1915/16 auf 64, gegen 69 in 1914/15 und 206 in 1913/14. Die Anbaufläche
der Zuckerrüben betrug nur 63,209 ha, gegen 229 275 in Friedenszeit. Infolge des
Mangels an Dünger und landwirtschaftlichen Maschinen stellte sich die Rüben-
durchschnittsernte pro Hektar auf 18134 kg, gegen 29 000 in 1913/14. Der
Zuckergehalt der Rüben belief sich auf 11,80 Proz. gegen 13,15 Proz. in
1912/13. Die Folge dieser genannten Faktoren war, daß in der Kampagne 1915/16
nur 1146 207 t Rüben, gegen 6 674 022 t in 1912/13 verarbeitet wurden.
Ueber die Ausführung der Ernteschätzung in Deutsch-
land im Jahre 1917 ist folgende Bekanntmachung erlassen.
Bekanntmachung über die Ernteschätzung im Jahre 1917.
Vom 21. Juni 1917.
1. Die Ernte Vorschätzung findet statt:
[n der Zeit vom 1. bis 20. Juli 1917 für
1. Weizen:
a) Winterfrucht,
b) Sommerfrucht;
2. Spelz — Dinkel, Fesen — sowie Emmer und Einkorn (Winter- und
Sommerfrucht) ;
3. Roggen:
a) Winterfrucht,
b) Sommerfrucht;
4. Gerste:
a) Winterfrucht,
b) Sommerfrucht.
n. In der Zeit vom 1. bis 20. August 1917 für
1. Hafer;
2. Gemenge aus Getreide aller Art.
III. In der Zeit vom 20. September bis 5. Oktober 1917 für
1. Hülsenfrüchte zur Körnergewinnung:
a) Erbsen und Peluschken,
b) Eßbohnen (Stangen-, Buschbohnen),
c) Linsen,
d) Acker- (Sau-)Bohnen,
e) Wicken,
f) Gemenge aus Hülsenfrüchten aller Art untereinander oder mit Getreide
oder anderen Körnerfrüchten;
2. Spätkartoffeln;
3. Rüben und Wurzelfrüchte:
a) Zuckerrüben,
b) Runkelrüben,
c) Kohlrüben (Steckrüben, Bodenkohlrabi, Wrucken, Dotschen),
d) Mairüben, Wasserrüben, Herbstrüben, Stoppelrüben (Turnips),
ej Möhren (Karotten);
4. Weißkohl.
§ 2. Die Erntevorschätzung erfolgt auf Grund der Ernteflächenerhebung
nach der Bundesratsverordnung vom 20. Mai 1917 durch Feststellung von Durch-
schnittshektarerträgen für die einzelnen Gemeinden. Die Feststellung der Durch-
schnittserträge liegt den zu diesem Zwecke ernannten Sachverständigen oder Ver-
trauensleuten ob.
§ 3. Die Landeszentralbehörden sind berechtigt, die Erntevorschätzung auf
andere Früchte zu erstrecken.
§ 4. Die zuständige Behörde oder die von ihr beauftragten Personen sind
befugt, zur Feststeilung der Hektarerträge Grundstücke landwirtschaftlicher Be-
triebsinhaber zu betreten.
- 385 -
§ 5. Dem Kaiserlichen Statistischen Amte ist eine nach Bezirken der unteren
Verwaltungsbehörden gegliederte Zusammenstellung der Ergebnisse (Muster 1, 2, 3)
•einzusenden :
a^ für die im § 1, I genannten Früchte bis zum 1. August 1917,
b) für die im § 1, II genannten Früchte bis zum 1. September 1917,
c) für die im 8 1, III genannten Früchte bis zum 15. Oktober 1917.
§ 6. Die Landeszentralbehörden erlassen die Bestimmungen zur Ausführung
dieser Verordnung.
Die Ausführungsbestimmungen sind dem Kriegsernährungsamt und dem
Kaiserlichen Statistischen Amte bis zum 1. Juli 1917 einzusenden.
§ 7. Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.
Ueber die Einführung der Wirtschaftskarte in land-
wirtschaftlichen Betrieben ist folgendes angeordnet:
Die durch § 25 der neuen Reichsgetreideordnung vorgeschriebene Wirt-
schaftskarte muß folgende Eintragungen enthalten:
1) die ßodenfläche des landwirtschaftlichen Betriebes auf Grund der Kataster
oder sonstiger zuverlässiger Unterlasen;
2) die Zahl der ständig zum Haushalt gehörigen Personen;
3) das vorhandene Vieh nach Arten getrennt (Viehliste);
4) die mit Frucht bebaute Fläche unter Angabe der Fruchtarten auf Grund
der Ernteflächenerhebung ;
5) das Ergebnis der Erntevorschätzung und Erntenachprüfung;
ü) das von den Betriebsunternehmern zu verwendende Saatgut;
7) den den Selbstversorgern zustehenden Bedarfsanteil an Brotgetreide;
8) die dem Betriebsunternehmer für sein Vieh zustehende Menge an Futter-
getreide;
9) die aus der Erntevorschätzung und -nachprüfung nach Abzug des dem
Betriebsunternehmer als Saatgut, zur Ernährung der Selbstversorger und zur
Fütterung des Viehs sich ergebende Mindestablieferungsschuldigkeit;
10) die erfolgten Ablieferungen (Ablieferungskontrolle) ;
11) die zur Verarbeitung für Ernährungs- und Verfütterungsz wecke frei-
gegebenen Mengen (Verbrauchs- und Verfütterungskontrolle) ;
12) die als Saatgut gekauften und verkauften Mengen (Saatkontrolle). Den
Kommunalverbänden bleibt überlassen, diese Angaben noch durch weitere An-
gaben, insbesondere über die etwa festgestellten Dreschergebnisse zu ergänzen.
Sie können die Dreschmaschinenbesitzer zur Führung von Dreschlisten ver-
pflichten, aus denen sich die Menge des bei jedem Betriebsunternehmer ge-
droschenen Getreides ergibt. Auch können sie, namentlich in Zweifelsfällen, eme
Nachprüfung der Ernteschätzung durch Anordnung eines Probedrusches oder
auch des Ausdreschens der gesamten Getreidevorräte anordnen und hiernach die
Angaben der Wirtschaftskarte ergänzen.
Ueber die neuen Kalipreise wird im „Ueichsanzeiger" vom
22. Juni 1917 das ,, Gesetz, betreffend Aenderung des Gesetzes über
den Absatz von Kalisalzen" vom 16. Juni 1917, veröffentlicht. Danach
erhält § 20a folgende Fassung:
Für die Zeit vom 1. Juli 1917 bis 31. Dezember 1918 dürfen die Preise für
das Inland
für Karnallit mit mindestens 9 vom Hundert
und weniger als 12 v. H. KjO
„ Bohsalze mit 12 — 15
„ Düngesalze „ 20—22
„ 30-32
„ 40—42
„ Chlorkalium „ 50—60
„ „ ,, über 60
„ schwefelsaures Kali mit über 42 v. H. KjO
„ „ Magnesia mit über 42 v.H.KgO
für 1 vom Hundert (KjO) im Doppelzentner nicht übersteigen.
V. H.
KjO
V. H.
KjO
V. H.
K^O
V. H.
kIo
V. H.
K,0
V. H.
K^O
über
42 V.
i6,o Pfg.
i i8,o „
§-§ 23,0 „
3 § 23,^ ,1
a| 25,5 „
äs^ 37,0 „
a 40,0 „
43,0 „
40,0 .,
- 386 -
Ueber die Gestaltung der Erzeugerpreise für Obst ist fol-
gende Anordnung bemerkenswert:
Von der Eeichsstelle für Gemüse und Obst sind folgende Richtpreise für
die Erzeuger von Obst je Pfund (0,50 kg) frei Verladeort festgesetzt worden:
M.
Erdbeeren, 1. Wahl o,65
2. „ 0,80
Walderdbeeren i,00
Johannisbeeren, weiße und rote o,80
„ schwarze 0,40
Stachelbeeren, reif und unreif o,30
Himbeeren o,50
Blaubeeren o,j86
Preiselbeeren o,Sn
Saure Kirschen o,»©
Süße Kirschen, weiche 0,2 5
„ „ große harte 0,35
Schattenmorellen 0,40
Glaskirschen 0,4 5
Reineclauden, große, grüne 0,30
Pflaumen 0,25
Mirabellen 0,40
Zwetschen, Hauspflaumen, Hauszwetschen, Muspflaumen,
Bauernpflaumen, Thüringer Pflaumen, Brennzwetschen 0,10
Aepfel.
Gruppe 1 0,35 M.
Hierher gehören : Weißer Winterkalvill, Cox' Orangen, Gravensteiner, Kanada-
Renette, Adersleber Kalvill, Gelber Richard, Signe Tillisch, v, Zuccalmaglios
Renette, Ananas-Renette, Gelber Bellefleur, Schöner v. Boskoop, Landsberger
Renette, Goldrenette von Blenheim, Coulons- Renette.
Diese Früchte müssen aber, wenn sie zur Gruppe 1 gerechnet werden sollen,
die Beschaffenheit von Edelobst haben, mithin für ihre Sorte übermittelgroß und
ohne nennenswerte Fehler sein. Als Fehler sind insbesondere anzusehen: un-
vollständige Reife, starke Fusicladiumflecke, starke Druckflecke, Wurmstich,
Stippflecke, Verkrüppelungen oder mißgestaltete Formen.
Gruppe 2 0,20 M.
Diese Gruppe umfaßt sämtliche Aepfel, soweit sie nicht unter Gruppe 1
genannt sind oder infolge ihrer Beschaffenheit nicht zur Gruppe 1 gehören. Die
Aepfel müssen aber gepflückt, gut sortiert und mittlerer Art und Güte sein.
Gruppe 3 o,o8 M.
Zu dieser Gruppe gehören: alles Schüttelobst, Ausschuß- und Falläpfel
sowie Mostäpfel.
Verkauft ein Erzeuger sein gepflücktes Obst unsortiert, so wie der Baum
es gegeben hat, aber ohne Fallobst, so kann er einen Einheitspreis verlangen, der
aber den Betrag von 0,16 M. nicht übersteigen darf.
Birnen.
Gruppe 1 0,25 M.
Diese Gruppe bilden: Gute Luise von Avranches, Köstliche von Charneu,
Birne von Tongre, Boscs Flaschenbirne, Dr. Jules Guyot, Williams Christbime,
Hardenponts Butterbirne, Clapps Liebling, Diels Butterbirne, Vereins Dechants-
birne.
Diese Früchte müssen aber, wenn sie zur Gruppe 1 gehören sollen, die Be-
schaffenheit von Edelobst haben, mithin für ihre Sorte übermittelgroß und ohne
nennenswerte Fehler sein. Als Fehler sind insbesondere anzusehen : unvollständige
- 387 -
Eeife, starke Fusicladiumflecke, starke Druckflecke, Wurmstich, Stippflecke, Ver-
krüppelungen und mißgestaltete Formen.
Gruppe 2 0,12 M.
Die Gruppe 2 umfaßt sämtliche Sorten Birnen, soweit sie nicht unter Gruppe 1
fenannt sind oder infolge ihrer Beschaffenheit nicht zur Gruppe 1 gehören.
)ie Birnen müssen gepflückt, gut sortiert und mittlerer Art und Güte sein.
Gruppe 3 0,0 6 M.
Hierher gehören: alles Schüttelobst, Ausschuß- und Fallbirnen sowie Most-
birnen.
Berlin, den 15. April 1917.
Eeichsstelle für Obst und Gemüse.
Verwaltungsabteüung.
Ueber garantierte Preise für deutsche Schafwollen schreibt
eine amtliche Nachrichtenstelle:
Die auch nach dem Kriege zweifellos noch anhaltenden Schwierigkeiten in
der Eohstoffbeschaffung für unser Stoffgewerbe haben zu dem Entschluß geführt,
die deutsche Schafzucht mit allen verfügbaren Mitteln zu fördern. Im preußischen
Landwirtschaftsministerium haben wiederholte Beratungen mit Sachverständigen
stattgefunden, um die Ansichten aller beteiligten Kreise kennen zu lernen. Bei
allen Verhandlungen ist von selten der Züchter der Standpunkt vertreten worden,
daß nur ein ausreichend hoher Wollpreis, der auf eine möglichst lange Keihe von
Jahren gewährleistet werden müßte, imstande ist, die Landwirtschaft, und vor
allem die mittleren und die kleinen Besitzer, in deren Händen 80 v. H. unserer
landwirtschaftlich genutzten Fläche liegen, zu veranlassen, sich in ausgedehntem
Maße wieder der Schafzucht zuzuwenden. Dieser Standpunkt ist von den maß-
febenden Stellen als berechtigt anerkannt. Dem Vernehmen nach darf mit Sicher-
eit darauf gerechnet werden, daß auskömmliche Preise für die deutschen Wollen
zunächst für eine Zeit von 10 Jahren garantiert werden. Unsere heimischen
Wollen gehören bekanntlich zu den besten, besonders haltbarsten der Welt. Wenn
es deshSb gelingt, große Mengen von möglichst einheitlicher Beschaffenheit zu
erzeugen, dann ist Deutschland in der Lage, sich nicht nur vom Bezüge über-
seeischer Wollen teilweise unabhängig zu machen, sondern sogar eine gewisse
Monopolstellung in bezug auf die Qudität seiner Wollen zu erringen. Der Wert
unserer Wolleinfuhr erreichte im letzten Jahre vor dem Kriege über 360 Mill. M.
Ueber die Stellung Brasiliens zu dem argentinischen
Getreideausfuhrverbote schreibt die „Landwirtschaftliche Markt-
zeitung« (Berlin XVII, 49) folgendes:
Das von der argentinischen Eegierung erlassene Verbot der Getreideausfuhr
hat in Brasilien große Erregung hervorgerufen.
Nach den Angaben des Handelsstatistischen Amtes des brasilianischen
Finanzministeriums wies die Getreideeinfuhr Brasiliens folgende Mengen auf:
1913 =r-. 438 425, 1914 = 382 295, 1915 = 370 745 und 1916 = 423 872 t.
Hiervon stammte in allen genannten Jahren der überwiegende Teil aus
Argentinien, wie sich aus der folgenden Aufstellung, welche die Jahre von 1910
bis 1916 umfaßt, ergibt:
Einfuhr aus
Argentinien Nordamerika
t t
1910 314 IOC 9400
1911 328800 4000
1912 275000 3000
1913 429500 8700
1914 305 000 53 600
1915 317 100 53500
1916 407 000 13
- 388 —
An Weizenmehl führte Brasilien insgesamt ein:
davon aus
Argentinien Nordamerika
t t t
1913 170 i6o 103 961 56900
1914 144589 62134 68600
1915 128 812 55 355 70800
1916 118 121 65892 39500
Aus diesen Statistiken ersieht man die hohe Bedeutung der argentinischen
Weizeneinfuhr für Brasilien und den Ernst der La^e, der durch das GretreideauB-
fuhrverbot der argentinischen Regierung für Brasilien geschaffen wurde.
In den ersten vier Monaten des Jahres 1917 hat Brasilien an argentinischem
Getreide und Mehl nur etwa 70 000 t erhalten. Die Folge der ungenügenden
Einfuhr von Getreide und Weizenmehl, ist ein sehr starkes Anziehen der rreise.
Ueber die Steigerung der Salpeterproduktion in Chile
findet sich in der „Landwirtschaftlichen Marktzeitung" (Berlin XVIII,
50) folgende Mitteilung:
Der „Statist« vom 19. Mai gibt folgende Zahlen der Salpeterproduktion
Chües für das mit März abschließende Jahr: 1916/17 63V, MiU. dz, 1915/16
52 MiU. dz, 1914/15 32^^ MiU. dz.
Ueber die Weiterentwicklung der Preise in Rußland sei hier
nach dem „Wochenbericht" des Deutschen Landwirtschaftsrats vom
3. Juli folgendes wiedergegeben:
Preise in Bußland.
Moskau, 5./18. Mai. Letzte vom Ausführungskomitee der kommunalen
Organisation festgesetzten Preise:
Für 1 Pud Für die Tonne
Rbl. M.
Weizenmehl in Partienverkauf einfacher
Mahlung 4.81 631,55
Weizenmehl, gebeuteltes 5,52 7^A>^6
Zuschlag für Anlieferung von der Eisen-
bahnstation 25 Kop. für 1 Pud. = 32,80 M. für die Tonne
Zuschlag für Organisationskosten 10 bis
15 Kop. für 1 Pud = 13,10 — 19,70 M. für die Tonne
Für 1 Pud Für die Tonne
Rbl. M.
Weizerimehl, einfaches 5,20 682,55
„ gebeuteltes . 5»9« 777,05
Roggenmehl, einfaches 4,10 53^>15
„ gebeuteltes 4,50 S90,6b
Oelsämereien :
Sonnenblumensamen 7—9.25 918,80 bis 1214,15
Sonnen blumensamenöl 3 2» — 4200,20
Hanföl 32,— 4200,20
Tschistopol, 5./18. Mai. Komzufnhren gering.
Für 1 Pud Für die Tonne
Rbl. M.
Roggen 2,85 3oS,ib
Hafer 2,4 0 315.—
Pokrowik, 1./4. Mai.
Pererod (bester Weizen) 3,26 427.9«
Roggen 2,10 3oi»90
389 -
Jekatarinodar, 25. April/8. Mai.
Festgesetzte Preise im Kuban gebiet: Frei Station oder Landestelle.
Für 1 Pud Für die Tonne
Rbl.
Hoggen im Naturagewicht von 116 Sol.
Weizen (Winter- u. Sommervr.) 128 „
Hafer im Naturagewicht von 70 „
Oerste im Gewicht von 94 „
Hirse
Für höheres oder niedrigeres Naturagewicht bei Roggen, Weizen, Gerste und
Hafer werden V/.^ Kop. für das Solotnik zugeschlagen oder abgezogen.
Homel, 2./15. Mai.
Freie Station oder Landungsstelle sind folgende Preise festgesetzt:
Rbl.
M.
2,2s
292,70
3,04
393 —
2,40
315 —
1,90
249,40
2,55
334,70
Für 1 Pud
Für die Tonne
Rbl.
M.
Roggen Gew. 115 Solotnik
2,65
347,85
Weizen » 126
3,35
439,7 0
Hafer „ 72
2,65
347,85
Gerste „ 97 „
2,35
308,45
Buchweizen
3»35
439,70
Erbsen
3,30
433,15
Rostoff a. Donn, 23 April/6.
Mai.
Für 1 Pud
Für die Tonne
Rbl.
M.
Weizenmehl, einfaches
4,07
534,20
„ gebeuteltes
4,74
622,15
Roggenmehl, einfaches
3,21
421,35
„ gebeuteltes
3,61
473,90
Weizen- und Roggenkleie
1,85
177,15
Bjeschezk, 4./17. Mai.
Flachs, I. Sorte
25,—
3281,45
(Aus der „Torg. Prom
. Gaz.
'S Nr. 93, 94 und 96.)
in. Indnstrie, einschließlich Bergbau nnd Bangewerbe.
Inhalt: 1) Bergbau: Geschäftslage im Bergbau während des Monats
Juni (nach der Berichterstattung des „Reichs- Arbeitsblattes").
2) Eisengewerbe. — Metalle und Maschinen: Beschäftigungsgrad im
Juni (nach dem „Reichs-Arbeitsblatt").
1. Bergbau.
Im Ruhrbezirk gestaltete sich der Abruf von Kohlen und Koks
im Monat Juni wieder ebenso lebhaft wie in den Vormonaten. Es
konnten nicht nur alle Erzeugnisse glatt abgesetzt werden, sondern
auch gestürzte Mengen von Kohlen und Koks weiterhin zum Versand
gebracht werden. Der Absatz wird sowohl für den Wasserweg als
auch für die Eisenbahn als recht lebhaft gekennzeichnet. Es wird be-
richtet, daß, wie im Vormonat, auch im Berichtsmonat mit üeberschichten
gearbeitet werden mußte.
Die Aachener Steinkohlenwerke hatten unverändert gut
zu tun. Auch im Vergleich zum Vorjahr ist keinerlei Veränderung zu
melden. Die Löhne haben dauernd steigende Richtung.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXVT
— 390 -
Im Saargebiet war die Förderung der Kohlengruben entsprechend
der etwas geringeren Arbeitszeit, die im Berichtsmonat zur Verfügung
stand, ein wenig niedriger als im Vormonat.
Die oberschlesischen Steinkohlengruben erfreuten sich
dauernd lebhafter Nachfrage und starker Beschäftigung. Eine Aenderung
gegen den Vormonat ist nicht eingetreten, wohl aber machte sich eine
Steigerung im Vergleich zum Juni 1916 bemerkbar. Die Wagenge-
stellung war befriedigend, so daß sich die Verladung günstig gestaltete.
Aus Niederschlesien wird vom Steinkohlenbergbau über gleich
befriedigende Lage wie im Mai d. J. und im Juni des Vorjahrs
berichtet. Es wird angegeben, daß Lohnerhöhungen vorgenommen
worden sind.
Die Zwickauer und Lugau-Oelsnitzer Steinkohlen-
werke bekunden dem Mai gegenüber wie im Vergleich zum Vorjahr
eine Steigerung des Geschäftsganges.
Im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau war die Nach-
frage nach Preß- und Rohkohle auch im Juni eine sehr große. Die
Beschäftigung der Werke wird als gut geschildert und hervorgehoben,
daß teilweise die Förderung noch gesteigert werden konnte. Lohner-
höhungen sind auch hier eingetreten.
Die Niederlausitzer Brikettwerke erreichten im Berichts-
monat ungefähr die gleiche Leistung wie im Vormonat. Gegenüber
dem Vorjahr machte sich jedoch eine Abschwächung geltend. Ueber-
arbeit war bisher erforderlich. Die Löhne sind weiterhin gestiegen.
Die Kaliindustrie gibt im ganzen eine Verbesserung zu er-
kennen, die sich sowohl auf den Vormonat wie auf das Vorjahr erstreckt.
Die Abrufe werden verschiedentlich als außerordentlich stark bezeichnet.
Vereinzelt wird aber dem Vorjahr gegenüber keine Steigerung, sondern
eine Abschwächung festgestellt. Es wird zum Teil Ueberstundenarbeit
gemeldet.
Der bayerische Salzbergbau und Salinenbetrieb bezeichnet
auch im Berichtsmonat die Lage als normal.
2. Eisengewerbe. — Metalle und Maschinen.
Für die Roheisenerzeugung kennzeichnet sich die Lage im
allgemeinen als unverändert.
Die Zinkhütten waren ausreichend beschäftigt. Gegenüber dem
Vormonat und dem Vorjahr waren Veränderungen nicht zu verzeichnen.
Von Blei- und Zinkerzgruben wird befriedigende Lage vermerkt.
Die Kupferwerke hatten ebenso gut wie im Vormonat und im
Vorjahr zu tun.
Die Eisengießereien Westdeutschlands waren im Juni eben-
so gut, teils besser beschäftigt als im Mai und im gleichen Monat des
Vorjahres. Fast überall mußte mit Ueberstunden und auch Sonntags
gearbeitet werden. Aus Mittel- und Nordwestdeutschland wird derselbe
günstige Geschäftsgang wie im Vormonat berichtet; im Vergleich zum
Vorjahr ist eine Verbesserung eingetreten. In Sachsen wird eine be-
— 391 —
friedigende Geschäftslage wie im Vormonat gemeldet ; im Vergleich zum
Vorjahr ist ein teils besserer, teils schlechterer Geschäftsgang zu ver-
zeichnen. Die Lage in Schlesien und Süddeutschland ist ebenso gut
wie im Vormonat, im Vergleich zum Vorjahr ist eine nicht unwesent-
liche Besserung zu vermerken. In fast allen Bezirken wurden zum
Teil nicht unerhebliche Lohnerhöhungen gemeldet.
Die Stahl- und Walzwerke in West- und Norddeutsch-
land sowie in Schlesien hatten teilweise wesentlich besseren Geschäfts-
gang als im Vormonat und im Vorjahr aufzuweisen. Auch wurde viel-
fach Ueberarbeit geleistet. Von verschiedenen Werken wurden Teue-
rungszulagen gewährt; auch sind erhebliche Lohnerhöhungen zu ver-
zeichnen.
Die Blechwalzwerke sind wie im Vormonat und im Vorjahr
anhaltend stark beschäftigt; auch hier werden Lohnsteigerungen gemeldet.
Bei den Röhrenwerken herrschte die angespannteste Tätig-
keit, die im Vergleich zum Vorjahr noch eine wesentliche Steigerung
aufzuweisen hat. Auch hier wurde mit Ueberstunden gearbeitet; Lohn-
erhöhungen wurden ebenfalls berichtet.
Die Drahtindustrie ist wie im Vormonat und im Vorjahr voll
beschäftigt. Ueberstunden wurden gemeldet. Auch ftir die Herstellung
von Drahtstiften und Sohlennägeln ist die Geschäftslage die gleiche wie
im Vormonat und im Vorjahr.
Bei der Herstellung von Beleuchtungskörpern herrschten
die gleichen wenig günstigen Verhältnisse wie im Vormonat.
Die Eisenmöbelfabriken hatten den gleichen Geschäftsgang
wie im Vormonat. Er ist im Vergleich zum Vorjahr etwas gestiegen. Ver-
schiedentlich wird von Teuerungszulagen berichtet.
Bei den Eisen- undMetallwarenfabrikenist keine wesent-
liche Veränderung zu verzeichnen; dasselbe gilt für die Kleineisen-
industrie.
Die Edelmetallindustrie hatte im Vergleich zum Vormonat
denselben guten und im Vergleich zum Vorjahr einen wesentlich günsti-
geren Geschäftsgang.
Die Maschinenbauanstalten Westdeutschlands hatten im
Juni ebenso rege Beschäftigung aufzuweisen wie in den Vormonaten.
Für Nordwestdeutschland wird die Tätigkeit als unverändert gut ge-
kennzeichnet. Im Vergleich zum Vorjahr machte sich keine Veränderung
bemerkbar. Zum Teil war Ueberstundenarbeit erforderlich. Mittel-
deutsche Maschinenbaubetriebe bekunden ebenfalls keinerlei wesentliche
Verschiebung der Verhältnisse. Auch hier mußte mit Ueberstunden-
arbeit bzw. in Tag- und Nachtschichten gearbeitet werden. In Sachsen
war wie bisher befriedigend zu tun, in Schlesien gut und zum Teil
besser als im Vorjahre. Aus Süddeutschland wird ebenso guter Ge-
schäftsgang wie im Vormouat, doch bessere und bedeutend stärkere
Tätigkeit als im Juni des Vorjahres festgestellt. Doppelschichtenarbeit
bzw. Ueberarbeit war auch in Süddeutschland notwendig.
Die Dampfmaschinen- und Lokomotivbauanstalten
vermerkten dem Vormonat gegenüber keine wesentliche Aenderung.
XXVI*
- 392 —
Die Lage ist auch im Vergleich zum Vorjahr die gleiche, zum Teil
wird sie als noch günstiger geschildert.
Die Dampfkessel- und Armaturenfabriken lassen für
Westdeutschland dieselbe befriedigende bzw. gute Beschäftigung wie
im Vormonat und im Vorjahr erkennen. Es haben zum Teil weitere
Lohnerhöhungen stattgefunden. Für Nordwestdeutschland bewegte sich
die Tätigkeit in denselben Bahnen wie bisher. Die Beschäftigung hielt
sich auch auf derselben Höhe wie im Vorjahr.
Bei den Werkzeugmaschinenfabriken hielt die starke Be-
schäftigung im allgemeinen an. Vielfach ist dem Vorjahr gegenüber
die Beschäftigung besser, zum Teil wurden die Akkord- wie die Stunden-
löhne weiter heraufgesetzt. Es wird auch berichtet, daß mit Ueber-
stunden gearbeitet werden mußte.
Die Maschinenfabriken, die landwirtschaftliche Maschinen
herstellen, hatten ebenso wie im Mai gut zu tun. Dem Vorjahr gegen-
über ist verschiedentlich noch eine Erhöhung der Beschäftigung her-
vorgetreten. Die Lohnsätze weisen auch im Berichtsmonat eine Auf-
wärtsbewegung auf.
Hinsichtlich des Baues von Verbrennungsmotoren für flüssige und
gasförmige Brennstoffe gestalteten sich die Verhältnisse ebenso gut wie
im Vormonat, zum Teil sogar noch besser als im Vorjahr.
Die Eisenkonstruktionen und Brückenbauten über-
nehmenden Betriebe kennzeichnen die gute Geschäftslage dem Vorjahr
gegenüber im allgemeinen als besser, zum Teil ist dies auch im Ver-
gleich zum Vormonat der Fall.
Die Maschinenfabriken für Hebezeuge, Aufzüge, Verlade-
vorrichtungen u. dgl. melden ebenso starke Beschäftigung wie im
Mai. Gegen Juni 1916 verzeichnet die Mehrzahl der eingegangenen
Berichte eine Steigerung des Geschäftsganges. Für Drahtseil verlade-
anlagen gilt im ganzen das gleiche. Ueberarbeit wird auch aus diesem
Gewerbezweige berichtet.
Die Berg Werksmaschinenfabriken haben eine wesentliche
Veränderung ihrer Tätigkeit nicht erfahren, doch wird auch hier die
Beschäftigung von den eingegangenen Berichten dem Vorjahr gegen-
über als besser, zum Teil als wesentlich besser bezeichnet.
Der Maschinen- und Apparatebau für die Zuckerin-
dustrie hatte ebenso gut wie im Vorjahr und im Vormonat zu tun.
Es war Ueberstundenarbeit erforderlich. Fabriken, die Maschinen für
die Reis- und Haferindustrie herstellen, berichten über eine Verbesserung
der Beschäftigung dem Mai gegenüber. Unverändert gut haben die
Fabriken zu tun, die Bäckereimaschinen bzw. Maschinen für die Keks-
iind Zwiebackindustrie herstellen. Verschiedentlich wird auch hier
Ueberstundenarbeit und Gewährung von Lohnerhöhungen gemeldet.
Die Werke für den Bau von Dynamomaschinen, Elektro-
motoren und Akkumulatoren hatten im Juni ebenso rege zu
tun wie in den Vormonaten; vereinzelt wird eine Verbesserung dem
Mai gegenüber festgestellt. Im Vergleich zum Vorjahr ist zum Teil
eine Steigerung der Tätigkeit eingetreten. Vielfach mußten Ueberstunden
— 393 -
und Doppelschichten zu Hilfe genommen werden. Auch für die Her-
stellung elektrotechnischer Meßinstrumente liegt ebenso guter Bestellungs-
eingang wie im Vormonat vor, während der des Juni 1916 zum Teil
erheblich übertroffen wurde. Die Unternehmen für elektromedizinische
Apparate haben über keinerlei wesentliche Aenderung gegen den Vor-
monat zu berichten.
Für die Herstellung von Apparaten für die elektrische
Beleuchtung ist eine erheblich andere Gestaltung der Verhältnisse
nicht zu melden.
Bezüglich der Einrichtung elektrischer Licht- und
Kraftanlagen liegen ebenso befriedigende Aufträge wie im Vor-
monat und im Vorjahr vor. Nur vereinzelt wird dem Vorjahr gegen-
über eine kleine Abschwächung gemeldet. In einigen Betrieben haben
Lohnerhöhungen stattgefunden.
Die Kabelwerke sind ebenso lebhaft wie im Vormonat, zum
Teil sogar noch besser als im Vorjahr beschäftigt. In verschiedenen
Unternehmungen wurden Ueberstunden und Nachtschichten geleistet.
Lohnerhöhungen haben auch hier stattgefunden.
rV. Handel und Verkehr,
Inhalt: Auslandsverkehr Hollands. Künftige englische Handelspolitik. Zoll-
politik der Vereinigten Staaten von Amerika. Wirtschaftslage in ßrasüien. Außen-
handel (Statistik) Kanadas, ßritisch-Indiens, Marokkos, Madagaskars, Guatema-
las und Chinas. Schiffahrt Hollands. Hafenverkehr Genuas. Schiffahrt Chinas.
Süddeutsche Eisenbahn- und Wasserstraßenpolitik. Hafenbaupläne in Wien.
Verbindung der Schweiz mit Nordsee- und Mittelmeerhäfen.
Dem im Juui 1917 erstatteten Jahresbericht (1916/17) der „Nieder-
ländischen Bank" in Amsterdam sind folgende Aeußerungen über die
allgemeine Wirtschaftslage Hollands, insbesonderes einen A u s -
landsverkehr, zu entnehmen: das vergangene Geschäftsjahr stand
naturgemäß wieder vollständig unter dem Einfluß des Krieges. In den
wenigen neutralen Ländern häuften sich Sorgen und Schwierigkeiten,
und dies nicht zum mindesten in Holland, dessen Wirtschaftsleben in-
folge seiner geographischen Lage auf internationalem Verkehr begründet
ist. Zu erledigen waren drei Hauptfragen, gleichbedeutend mit eben-
soviel schwer zu lösenden Problemen : Die Verteidigungsfrage, die
Nahrungsmittel- und Eohstoffversorgung und die Lage am Geldmarkte.
Bei letzterer handelt es sich hauptsächlich um den Einanzverkehr mit
dem Auslande, das Kreditwesen und in engem Zusammenhang mit
diesen beiden Punkten um die Goldfrage. Diese Einanzprobleme und
vor allem auch die Volksernährung und Rohstoffversorgung bereiteten
schwere Sorgen.
Die Niederlande waren genötigt, andauernd Waren an das Ausland, nament-
lich an die kriegführenden Mächte, zu liefern. Obschon diese Waren zum Lebens-
unterhalt dienen, und die Lieferung an und für sich eine Handlung friedlicher
Natur darstellte, entstanden sogar darüber Schwierigkeiten als Folgen der gegen-
seitig von den Kriegführenden befolgten Aushungerungspolitik. Daß Holland
die Lieferungen durchgesetzt hat, ist nicht lediglich dem damit verbundenen pe-
kuniären Vorteil zuzuschreiben ; vielmehr ist daran zu denken, daß wir zu diesen
— 394 —
Lieferungen gezwungen wurden. Einmal galt es, einen Absatz für die heimischen
Bodenprodukte zu sichern, deren Menge den heimischen Bedarf stark übersteigt.
Wir konnten nun auch vom Auslände Rohstoffe, namentlich Düngmittel und
Viehfutter fordern, um Industrie und Landwirtschaft im Gange zu halten. Anderer-
seits war ein gewisser Druck unverkennbar. Das Ausland bedurfte unserer Pro-
dukte zum eigenen Verbrauch und wollte es als eine unfreundliche Tat ansehen,
wenn wir die Lieferungen einstellen würden; man drohte mit Verhinderung
unserer Einfuhren von Getreide, Eisen, Kohlen usw. Schließlich wurde die Aus-
fuhr unserer Produkte eine Lebensfrage für uns.
Mit diesen Lieferungen waren indessen umfangreiche finanzielle Maßnahmen
verknüpft. Unsere Einfuhren, namentlich die aus den kriegführenden Ländern,
verringerten sich in bedenklicher Weise, und dadurch wurden die Zahlungsver-
pflichtungen des Auslandes uns gegenüber immer bedeutender. Eine für das
Ausland ungünstige Beeinflussung der Wechselkurse war nunmehr unvermeidlich,
und immer dringender' gestalteten sich die Gesuche, mit Schuldverschreibungen
anstatt mit Waren oder Geld bezahlen zu dürfen. Es galt daher wiederholt, neue
Bedingungen zu vereinbaren, um dem Auslande die Bezahlung mittels Kredit-
papier zu ermöglichen, und jedesmal wurde bei diesen Unterhandlungen die Nieder-
ländische Bank befragt, da sie doch schließlich bereit sein müßte, eventuell das
zu schaffende Kreditpapier als Liquiditätsmittel zu betrachten. Das Gemeinwohl
stand auf dem Spiel, und auf die Dauer konnte ein Zweifel nicht mehr darüber
bestehen, daß die Notenbank während des Krieges zu vielen Geschäften mitwirken
mußte, denen gegenüber sie sich vor dem Kriege wahrscheinlich abweisend ver-
halten hätte. Um so mehr mußte die Bank gegen solche Transaktionen Beschwerde
einlegen, die, wenn auch in geringeren Beträgen, von Instituten jeder Art, ja so-
gar von Privatpersonen, unter der Hand und insgeheim, ausschließlich mit der
Aussicht auf pekuniäre Vorteile, die vom Ausland reichlich gewährt wurden, zum
Abschluß gelangten. Wiederholt hat die Bank vor solchen alleinstehenden Ab-
schlüssen gewarnt. Ist doch mit ihrem Zustandekommen der Nachteil verknüpft,
daß die Totalsumme der gewährten Kredite an das Ausland sogar für die momen-
tanen bedeutenden liquiden Gelder unseres Landes zu groß werden könnte. Außer-
dem verhindert die Verbreitung dieser Kreditgewährung die Möglichkeit, sie mit
Bedingungen zu verbinden, die für unsere Volkswirtschaft und sogar für unsere
politischen Beziehungen zu den kriegführenden Mächten wichtig sind.
Die Handelspolitik, der sich England während des Welt-
kriegs zugewandt hat, und an der es voraussichtlich auch in der ersten
Zeit nach Friedensschluß festhalten wird, insbesondere die Gründung
der „British Trade Corporation" (vgl. oben S. 262), w4rd in einem Ar-
tikel des Handelsteils der „Hamburger Nachrichten" (vom 15. Juli 1917)
folgendermaßen gekennzeichnet : „Man mag über die wirtschaftlichen
Maßnahmen, welche die Entente und namentlich England für den
Frieden im Auge haben und vorbereiten, denken, wie man will,
ein Ding ist sicher, nämlich daß unsere Gegner mit einer ganz hervor-
ragenden Gründlichkeit und Hartnäckigkeit alle Handhaben suchen
oder zu schaffen suchen, mit denen sie den deutschen Handel nach
dem Kriege zu untergraben wie die wirtschaftliche und damit auch
politische Wiedererstarkung Deutschlands im Auslande zu verhindern
trachten. Nach dem Fehlschlagen der Pariser Wirtschaftskon-
ferenz ist vielfach in Deutschland die gefährliche Neigung entstanden,
die gegen den deutschen Handel gerichteten Pläne Englands gering
einzuschätzen. Dabei ist auch heute über die praktischen Folgen der
Pariser Wirtschaftskonferenz noch kein abschließendes Urteil zu fällen.
Wenn diese Konferenz, der im vorigen Jahre die Wirtschaftskonferenz
der Verbündeten in Rom folgte, während man sich zurzeit in England
— 395 —
mit den Vorbereitungen der dritten, nach London einberufenen Wirt-
schaftskonferenz der Entente beschäftigt, nicht mit dem Erfolge ab-
schloß, den ihre Urheber im Auge hatten, so lag dies hauptsächlich
daran, daß ein zu großes und weitläufiges Programm zu bearbeiten war.
Um so größere Aufmerksamkeit verdienen dagegen alle Maßnahmen
Englands, wo dieses an konkrete Gebiete herangeht und bestimmte Or-
ganisationen zu schaffen trachtet, die dem deutschen Handel und da-
mit der Gesamtheit der deutschen Wirtschaftsinteressen später Abbruch
tun sollen. Eine derartige Organisation ist die von englicher Seite
schon seit längerer Zeit vorbereitete und in den letzten Tagen erfolgte
Gründung der British Trade Corporation, die mit einem Aktien-
kapital von 10 Mill. £, also 200 Mill. M., arbeiten soll. In England
hat man sich zurzeit zwei Hauptaufgaben gestellt: Reorganisation
der englichen Industrie und Reorganisation des eng-
lichen Handels. Die während des Krieges und namentlich seit
Beginn der vorjährigen Somme-Offensive gemachten Erfahrungen schließen
die Tatsache ein, daß man das Arbeits- und Reorganisationsvermögen
Englands nach der technisch-industriellen Seite hin zu niedrig einge-
schätzt hat; eine Erkenntnis, die zwar keineswegs zu spät gekommen
ist, jedoch jedenfalls zeigt, daß der gefährlichste Feind Deutschlands
alle seine Kräfte anspannt und zähe Entschlossenheit an den Tag legt,
seine Pläne zu verwirklichen. Für die Reorganisation seiner Industrie
hat England, getrieben durch den Krieg, bereits äußerst viel getan,
und aus dem Studium englicher Zeitungen und Zeitschriften gewinnt
man den Eindruck, daß, was die Modernisierung industrieller Anlagen,
die Erfindung neuer und Vervollkommnung alter Fabrikationsverfahren,
die Umgruppierung von Werken, die Schaffung neuer Anlagen zur Er-
höhung der Produktion in Eisen und Stahl, die Förderung von Kohle
und Erzen anlangt, es tatsächlich schon auf bedeutende Leistungen zu-
rückblicken kann. Aber mit der technischen Reorganisation seiner In-
dustrie ist es England nicht allein getan; es macht heute in kauf-
männischer Richtung auch den Versuch, sich die Absatzmärkte
der Welt zu sichern. Daß es sich bei der British Trade Corporation
um die Gründung derjenigen Organisation handelt, welche die von dem
britischen Handelsamt eingesetzte besondere Studienkommission in ihrem
im März d. J. veröffentlichten Bericht empfohlen hatte.
Die British Trade Corporation soll in erster Linie dem englichen Bedürfnis
nach langfristigeren Handelskrediten im überseeischen Auslande
Rechnung tragen. Hieraus ergibt sich, daß die Rolle der britischen Uebersee-
und Kolonialbanken nach Ansicht der englichen Handelskreise offenbar nicht zur
Durchführung der Absichten genügt, welche die Handelswelt und Industrie Eng-
lands im Wettbewerbe mit der deutschen für den Frieden vorhat. Eine der
leitenden Persönlichkeiten Englands, welche die BUdung der neuen Handelsorga-
nisation Englands betrieben haben, ist Sir Albert Stanley, Präsident des Board o
Trade, der schon auf der im Frühjahr abgehaltenen Jahresversammlung der briti-
schen Handelskammern die Grundzüge der jetzt errichteten British Trade Cor-
poration kurz darlegte. Mit Unterstützung der Regierung geschaffen und mit
besonderen Privüegien versehen, soll sie „weder das Arbeitsgebiet der britischen
Großbanken noch der britischen Kolonialbanken berühren, sondern Handel und
Industrie in ihren Bestrebungen auf dem Auslandsmarkt diejenige Unterstützung
— 30 —
zuteil werden lassen, zu der die bestehenden Banken vielleicht nicht in der Lage
sind". Im Aufsichtsrat des Verbandes werden Vertreter der Industrie und des
Handels sitzen, wie sich überhaupt seine Leitung aus Männern zusammensetzen
soll, die bei großer Kenntnis der Auslandmärkte m erster Linie auch in den ver-
schiedenen Industriezweigen bewandert sind. Ferner soll der Corporation ein
„Informationsbureau" angegliedert werden, das neue Pläne betreffs der von Handel
und Industrie als wünschenswert bezeichneten Krediterweiterung ausarbeiten soll.
Im Vordergrunde aller Fragen soll „die Sicherung der Aufrechterhaltung von
Interessen jener britischen Industrie stehen, hinsichtlich deren England vor dem
Kriege vielfach von feindlichen Ländern abhängig war". Durch die Beschlüsse
der Pariser Wirtschaftskonferenz habe sich England verpflichtet, diese Abhängig-
keit nach dem Kriege nicht weiter in die Erscheinung treten zu lassen.
Nachdem jetzt die wegen der British Trade Corporation gehegten Pläne feste
Form angenommen haben, ergibt sich, daß das Programm des Vorsitzenden des
britischen Board of Trade in nahezu sämtlichen Punkten verwirklicht worden ist;
in einem Punkte jedoch vorläufig nicht. Sir Albert Stanley hatte auf der Jahres-
versammlung der britischen Handelskammern seiner üeberzeugung Ausdruck ge-
feben, daß sich die bestehenden Banken Englands und der Kolonien dem neuen
Internehmen sympathisch gegenüberstellen und ihm auch ihre Unterstützung
zuteil werden lassen würden. Die Debatten im Unterhause zeigten aber, daß die
englischen Banken der Trade Corporation keineswegs besonders sympathisch
gegenüberstehen und allerlei, hauptsächlich auf geschäitliche Motive persönlicher
Natur zurückzuführende Bedenken und Beschwerden geäußert haben.
Es würde im Kahmen dieses Artikels zu weit fülu-en, die finanztechnischen,
mit dem Wesen und der Geschäftstätigkeit der englischen Banken verbundenen
Besonderheiten zu besprechen, die in England den Kuf nach einem Unternehmen,
das langfristige Bjredite zur Unterstützung des englischen Handels gegen den in
dieser Richtung bedeutend besser dastehenden deutschen Wettbewerb ermöghchen
soll, aufkommen ließen. Es genüge, zu sagen, daß in England Dreimonats-Kredit-
wechsel, in Deutschland keineswegs zum Diskont verschmäht und nötigenfalls
prolongiert, nicht besonders gern gesehen waren. Auch scheint es in England
besonders schwer geworden zu sein, industriellen Kredit zu erhalten, wenn es
sich um Fertigerzeugnisse oder Halbfabrikate handelte, die keinen festen Markt
haben.
Zu den Statuten der Bank ist folgendes zu bemerken : Das Kapital erscheint
ungenügend, um wirklich ausgebreitete Kredite, namentlich langfristige industrielle
Kredite, zu gewähren oder für längere Zeit in industriellen Betrieben eine Be-
teiligung zu nehmen. Die Bank soll keine kurzfristigen Depositengelder an-
nehmen. Sehr verständig; aber wie soU sie dann an die nötigen Betriebsmittel
kommen? Wird sie langfristige Depositengelder zu erlangen trachten oder von
der britischen Regierung garantierte Obligationen ausgeben? Es soll vermieden
werden, das Arbeitsfeld der englischen Ueberseebanken zu durchkreuzen. Wird
sich dies in der Praxis machen lassen, oder ist nicht mit der Möglichkeit zu
rechnen, daß die Banken gute Transaktionen für sich behalten, schlechte jedoch
der Trade Corporation überlassen?
Wie dem auch sei — es handelt sich hierbei nur um Fragen, die unwillkür-
lich auftauchen — : die Bildung der British Trade Corporation ist jetzt voll-
zogene Tatsache. Von dem Aktienkapital von 10 Mill. £ ist 1 Mill. £ bereits
unterderhand untergebracht, während 1 500 000 £ Anteile zur öffentlichen Zeich-
nung angeboten werden. Die Zeichnung der auf den Namen ausgestellten Aktien
ist nur Engländern und den Vertretern rein englischer Interessen offengestellt.
Das Unternehmen hat seine Konzession für 60 Jahre erhalten und das Recht
bekommen, als Agent der britischen Regierung aufzutreten, obwohl letztere sich
die Möglichkeit vorbehalten hat, nötigenfalls auch andere Vertreter anzuweisen.
Die Gesellschaft muß den Zweck verfolgen, Handel und Industrie Englands und
der Kolonien zu entwickeln ; wenn sie von diesem Wege abweicht, kann ihre
Konzession eingezogen werden. Umfangreiche Maßnahmen sind getroffen worden,
daß das Unternehmen durch Abretung von Aktien unter ausländische Kontrolle
kommen könnte. Die Unterstützung des Unternehmens seitens der Regierung
selbst „soU" rein moralischer Art sein, und die Regierung hat sogar zusagen
müssen, ihr keine Subsidien oder Garantien in irgendeiner Form zu gewähren.*
— 397 ' -
Wie das „Scliweizerische Handelsamtsblatt" mitteilt, sieht eine
am 23. Mai 1917 vom Abgeordneterihause der Vereinigten Staaten
von Amerika angenommene und an den Senat zur Behandlung über-
wiesene Finanzvorlage unter anderem eine allgemeine Zollerhöhung
um 10 V. H. vor. Nach der Fassung des in Betracht kommenden
Artikels (der Senat dürfte aber noch Aenderungen treffen) würde der
Zoll auf jetzt schon zollpflichtige Waren um 10 v. H. des Wertes
erhöht (ohne Rücksicht darauf, ob der jetzige Zoll ein spezifischer oder
ein Wertzoll sei), und Waren, die jetzt auf der Freiliste stehen, würden
einem Zolle von 10 v. H. unterliegen.
Eine Ausnahme soll für nachstehend bezeichnete Waren gemacht werden,
die auf der Freiliste verbleiben würden: Gold- und Silberbarren, Münzen aus
Gold, Silber, Kupfer oder anderem Metall ; Druckpapier (§ 567 des gegenwärtigen
Zolltarifs); Platin und Platinerze; Soda-Nitrat; Holz- und anderer Brei für Papier-
fabrikation; Tiere, die zu Zuchtzwecken oder zu vorübergehendem Aufenthalt
eingeführt werden; wiedereingeführte Waren amerikanischen Ursprunges; Bücher
Photographien usw. für den Gebrauch amerikanischer Behörden ; Bücher und
Hausgerätschaften usw., die von Einwanderern mitgeführt werden ; Kohle, Dünge-
mittel, Zeitungen und Zeitschriften, wissenschaftliche Bücher und Geräte für den
persönlichen Gebrauch von Einwanderern; Kleider usw. im Besitze von Ein-
wanderern.
Die erhöhten Zölle sollen vom Tage des Inkrafttretens des Gesetzes ab er-
hoben werden.
Ueber die Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse
in Brasilien unter dem Einfluß des Weltkrieges (vgl. Chronik für
1916, S. 500) wurde im Handelsteil der „Frankfurter Zeitung" (vom
12. Juni 1917) folgendes berichtet:
Die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen Deutschlands zu dem
großen südamerikanischen Staatenbunde waren (vor dem Kriege) recht lebhaft.
Zahlreiche Deutsche haben ihren Wohnsitz in Brasüien, große Summen deutschen
Kapitals sind in brasilianischen Wertpapieren angelegt, und die deutsche Schiff-
fahrt und der deutsche Handel hatten den Tausch verkehr mit Brasilien seit Jahr-
zehnten eifrig gepflegt.
Unter den heutigen Verhältnissen erscheint es allerdings tröstlich für uns,
daß von deutscher Seite in Brasilien viel weniger Kapital investiert worden ist,
als von englischer und französischer. Als ein noch ziemlich unentwickeltes Land,
dessen große Naturschätze und Produktivkräfte erst zu einem verhältnismäßig
kleinen Teil zur rationellen Verwertung gelangt sind, hat Brasilien seit langer
Zeit bedeutende Ansprüche an die europäischen Kapitalmärkte gestellt, und der
Bund sowohl wie die Einzelstaaten, die Kommunen, die Eisenbahnen und die
vielen sonstigen Privatunternehmungen wetteiferten miteinander, englische und
französische Gelder ins Land zu ziehen, die in diesem weitausgedehnten Gebiet,
das an Größe fast den Vereinigten Staaten von Nordamerika gleichkommt, die
mannigfachsten Anlagemöglichkeiten, darunter viele von höchst zweifelhafter
Solidität, fand.
In der ersten Zeit des Weltkrieges hatten die Gläubiger Anlaß, die Ent-
wicklung in Brasilien mit ernster Sorge zu betrachten. Die Finanzmis^re zwang
den brasilianischen Bund wie auch einzelne Gliedstaaten zur Einstellung der Zins-
zahlungen, die Kegierung mußte der Geschäftswelt mit einem Moratorium zu Hilfe
kommen, und die wirtschaftliche Gesamtlage er^ab ein unerfreuliches Büd.
Inzwischen ist drüben in mancher Hinsicht eine Wendung zum Bessern
eingetreten, und wenn auch die Zollausfälle, die Verteuerung der Seefrachten, die
Steigerung der Kosten der Lebenshaltung usw. unangenehm empfunden wurden,
so hat doch Brasilien aus der Kriegskonjunktur auch Vorteile erlangt. Die
Ausfuhr hat sich ungeachtet vieler Schwierigkeiten wieder belebt, und die Preis-
gestaltung für einige der Hauptausfuhrartikel besserte sich wesentlich. Zum Bei-
spiel stellte sich der Jahresdurchschnitt:
398
1914
191E
1916
Papier
Gold
Papier
Gold
Papier
Gold
1
1
$
$
$
1
Kaffee pro Sack
40,017
22,892
35,263
16,537
44,502
19,640
Kakao kg
0,7 19
0,4 17
1,154
0,6 3 4
1,198
0,528
Tabak
0,873
0,514
0,825
0,880
1,428
0,640
Baumwolle „
0,9 60
0,549
1,000
0,4 6 6
2,086
0,921
Gummi „
3,32P
1,913
3,652
1,706
4,802
2,094
Die Nachfrage auf den für die Ausfuhr noch offen gebliebenen Märkten hat
sich teilweise bemerkenswert entwickelt. Neue Absatzgebiete wurden aufgesucht,
besonders auch im fernen Osten. Selbstverständlich bedeutete das Fehlen solch
wichtiger Abnehmer wie Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Belgien einen
fühlbaren Ausfall. Bezog doch Deutschland in der Friedenszeit im Durchschnitt
allein für etwa 160 MilL M. Brasilkaffee und für rund 75 Mill. M. Kautschuk.
Da indes nach manchen Waren steigender Begehr aus den Ententeländern sich
geltend machte — man denke nur an Kautschuk, Zucker, Gefrierfleisch usw. —
weist der Export, im ganzen genommen, gebesserte Ergebnisse auf. War die Aus-
fuhr 1914 gegen das Vorjahr um rund 18 MiU. £ zurückgegangen, so daß sie
nicht mehr als 46'/o Mill. £ betrug, so stieg sie 1915 wieder auf 53 Mill. £, also um
6V<> Mill. £, und 1916 ergab sich eine weitere Zunahme um etwa 8 Mill. £, der
freilich eine ungefähr ebenso starke Zunahme der Einfuhr gegenübersteht. Die
Steigerung der Wertbeträge im Außenhandel ist wesentlich mitbedingt durch die
höheren Preise vieler Waren. Der Menge nach haben sich die Umsätze bei
manchen Waren eher verkleinert.
Ueber den Auiienhandel Kanadas in den letzten Jahren
wurde im Handelsteil der „Frankfurter Zeitung" (vom 6. Juni 1917)
folgendes geschrieben : Es ist bekannt, daß Kanada (im verkleinerten
Maßstab) eine ähnliche Entwicklung seines Außenhandels im Kriege zu ver-
zeichnen hat wie die Vereinigten Staaten. Die jetzt vorliegenden Ziffern für
das am 31. März abgeschlossene Rechnungsjahr 1916/17 bestätigen das:
(in Mill. $) 1911/12 1912/13 1913/14 1914/15 1915/16 1916/17
Ausfuhr 310 382 479 491 742 1151
Einfuhr 537 687 647 587 508 843
Einfuhr 1 Ueber- — 227 — 305 — 168 — 96 — —
Ausfuhr j schuß — — — — + 234 + 306
Interessant ist, daß von den 1151 Mill. $ Ausfuhr nicht weniger als 477
(im Vorjahr nur 242) Mill. $ auf Fabrikate entfallen, vermutlich vor allem Kriegs-
materialien ; die Agrarprodukte stiegen viel weniger — von 250 auf 373 Mill, $ —
die Ausfuhr an Tieren unter anderem von 103 auf 128 Mill. $. Die erhebliche
Einfuhrsteigerung kam fast ausschließlich den Vereinigten Staaten zugute.
Der „W. N. D. Deutscher Ueberseedienst" veröffentlicht (nach dem „Eco-
nomist") folgende Angaben über den Außenhandel Kanadas:
Einfuhr (in Mill. $)
1916,17
1915/16
1914/15
Waren
882,0
529,0
446,8
Gold und Süber
28,1
34,1
132,2
Ausfuhr ;
Erzeugnisse aus
Bergbau
85,8
67,5
51,8
Fischerei
24,7
22,5
19,9
Forstwirtschaft
56.1
51,«
42,7
Viehzucht
128,2
104,7
75,8
Landwirtschaft
363,.^
264,3
134,9
Industrie
496,7
250,4
94,5
Verschiedenes
6,4
7,0
0,8
1161,4
768,0
420,4
Wiederausfuhr
28,8
35.9
53,9
Gesamtausfuhr
1 190,2
803,»
474,8
Gold und Silber
196,5
98,7
33,1
— 399 —
Für die Kalenderjahre werden folgende Ziffern angegeben (in Mill. $) :
1916 1915 1914
Einfuhr 788 463 494,5
Ausfuhr 1122 632 299,:-)
1910 1095 794,ü
Ueber den Außenhandel Britisch-Indiens (vgl. oben
S. 264 f.) veröffentlicht der „W. N. D. Deutsche Ueberseedienst" nach
englischen Quellen folgendes:
„Eine Uebersicht des indischen Handels im Jahre 1915/16 ist soeben in
Form eines Blaubuches erschienen. Es wird darin ausgeführt, daß der Handel
in diesem Zeitraum sich den Kriegs Verhältnissen erfolgreich anpaßte, und daß
ein, wenn auch unsicherer, Ausgleich erzielt wurde. Das Aufhören der Handels-
beziehungen mit den feindlichen Ländern, die Benachteiligung des Handels mit
Frankreich und Belgien, die Einschränkungen in den Beziehungen mit den
neutralen Ländern und der Mangel an Tonnage dauern weiter an, und die Not-
wendigkeit des Dazwischentretens und der Kontrolle der Kegierung, eine Erb-
schaft des Vorjahres, prägte sich noch schärfer aus. Charakteristisch für das
Berichtsjahr war die Ausdehnung im Ausfuhrhandel, die sich sehr günstig mit
der langsamen Erholung vergleicht, die die Einfuhr seit dem plötzlichen Fadl bei
Ausbruch der Feindseligkeiten erfahren hat. Die gesamte Ausfuhr indischer
Waren während des Jahres wird mit 128 356 000 £ bewertet gegen 118 323 000 £
in den vorangegangenen 12 Monaten, eine Zunahme von 10 033 000 £. Der Wert
der Einfuhr war in derselben Periode 87 560 000 £ gegen 91 953 000 £ im Jahre
1914/15, eine Abnahme von 4 393 000 £. Hierbei muß aber darauf hingewiesen
werden, daß der indische Außenhandel von der allgemeinen Wertveränderung
beeinflußt worden ist; um den wirklichen Umfang der in 1915/16 getätigten Ge-
schäfte zu schätzen, sind die Werte zu den Preisen des Vorjahres nachträglich
umgerechnet worden. Auf dieser Grundlage erweist es sich, daß der Betrag der
Einfuhr um 13 631 000 £ gefallen ist, während die Steigerung der Durchschnitts-
preise eine Zunahme von 9 238000 £ zuwege brachte, so daß die Abnahme auf
4 393 000 £ verringert wird, mit anderen Worten, die Durchschnittseinfuhrpreise
stiegen um 12 Proz., und der Einfuhrbetrag verminderte sich um 15 Proz. Andrer-
seits stieg der Ausfuhrbetrag um 10878Ä)0 £, während das Fallen der Durch-
schnittspreise die Zunahme auf 10033 000 £ ermäßigte. Das heißt also, die
durchschnittlichen Ausfuhrpreise fielen um 0,7 Proz. und der Ausfuhrbetrag
stieg um 9 Proz. Der Anteil des britischen Eeiches an der ganzen Handels-
bewegung betrug über 60 Proz. und derjenige der fremden Länder nahe 40 Proz.,
hielt sich also annähernd auf demselben Niveau wie 1914. Verglichen mit dem
letzten Friedensjahr 1913/14, hat sich der Anteil des britischen Kelches um nahe
9 Proz. gehoben. Der Anteü des Ver. Königreiches war 1915/16 dem des Ver-
Jahres nsQiezu gleich; mit 46,6 Proz. des Gesamtbetrages zeigt er eine Zunahme
von 6 Proz. gegen das letzte Friedensjahr 1913/14."
Der Handelsverkehr in den Häfen Marokkos zeigte in den
letzten Jahren nach dem „W. N. D. Deutscher Ueberseedienst" folgende
Entwicklung (in Mill. frcs.) :
Einfuhr
1916
1915
1914
Rabat
32,2
25,»
18,9
Kenitra
14.0
19,4
3,9
Fedala
0,»
0,6
0,3
Casablanca
85,5
59,9
47,0
Magazan
16,5
13,0
11,0
Saffi
12,8
11,9
11,8
Mogador
i6,s
13,5
II, s
Zusammen
117,6
H4,«
104,»
400
A U8f uhr
1916
1915
1914
Rabat
3,3
1,3
1,6
Kenitra
1,1
1,1
—
Fedala
o,2
0,8
—
Casablanca
21,3
17,6
8,6
Magazan
21,5
12,5
5,2
Saffi
11,9
8,8
>»7
Mogador
8,5
6,6
4,ft
Zusammen 67,8 48,7 21,8
Nach derselben Quelle hatte der AußenhaDdel Madagaskar
in den Jahren 1915 und 1916 folgenden Umfang (in Mill. frcs.):
Einfuhr
Ausfuhr
1916
102
85
1915
44
66
Zus. 187
HO
lieber den Außenhandel Guatemalas (vgl. oben S. 266 f.)
liegen noch folgende Angaben (in 1000 $ amerik.) vor:
1916 1915
Einfuhr 8 539 6 001
Ausfuhr 10638 II 567
Zus. 19 177 17 568
Nach dem „Board of Trade Journal" hatte der Außenhandel
Chinas (vgl. Chronik für 1916, S. 5071) in den Jahren 1914 und 1915
folgenden Umfang (in Haikwan Taels) ^) :
19:
15
1914
Einfuhr
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr
(einschl.
von
(einschl.
von
Wieder-
Landes-
Wieder-
Landes-
ausfuhr)
erzeugnissen
ausfuhr)
erzeugnissen
Hk. Taels
Hk. Taels
Hk. Taels
Hk. Taek
Großbritannien
71558735
31 934621
105 207 580
22576781
Hongkong
148436 189
104 169 938
167993852
94428571
Britisch-Indien
40753 iq6
7 942 664
39149254
6776819
Straits Settlements usw.
5381386
8 893 040
7663720
6968 519
Australien, Neuseeland usw.
767 704
I 030832
I 038 996
497 069
Südafrika und Mauritius
15
45252
121
36 274
Kanada
886 263
I 465 226
I 166 944
794061
Zus. Brit. Reich
267 783 488
155 481 573
322 220467
132078094
Japan (einschl. Formosa)
120 249 514
77676817
127 119 992
64616059
Ver. Staaten von Amerika (ein-
schließlich Hawai)
37 C43 449
60579257
41 231 654
40213065
Rußland (einschl. Sibirien)
17 027 203
59 398 648
22275398
43339313
Deutschland
160458
85
16696945
12063327
Belgien
3 464 707
17940243
5 440 908
Frankreich
2430589
30 470688
4951471
25 500 924
Zus. einschL anderer Länder 477 064 005 418 861 164 584 209 003 356 226 629
Wie in den „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirt-
schaft" (nach einem Bericht des deutschen Generalkonsulats in Amster-
dam) mitgeteilt wurde, bestand die niederländische Dampf-
schiffsflotte (einschließlich der Motorboote)
1) 1 Haikwan Tael im Jahre 1915 = etwa 2,80 M., 1914 = 2,79 M.
— 40I —
am 31. Dezember 1915 am 31. Dezember 1916
. , , Nettogehalt , , , Nettogehalt
Anixahl ° Anzahl c
ADzaui
in cbm^)
ADzani
in cbm^)
Dampfern
345
2051796
349
2 025 000
Motorbooten
15
26259
16
27 000
Schleppern
52
I 460
57
I 400
Die niederländische Handelsflotte hat sich also auch 1916 nicht weiter ver-
mehrt, sondern ist während des Krieges ungefähr gleich groß geblieben. Der
Grund hierfür liegt vor allem in den zahlreichen Verlusten durch Kriegsmolest.
Diese betrugen 1914 5 Dampfer von zusammen 11 000 Bruttotons, 1915 11 Dampfer
Ton 31000 ßruttotons, 1916 24 Dampfer von 70000 Bruttotons, und in diesem
Jahre bis zum 1. Juni 1917 18 Dampfer von fast 60000 Bruttotons.
Der Schiffbau war zwar sehr rege, hatte aber mit großen Schwierigkeiten
zu kämpfen, namentlich bezüglich der Beschaffung von Baumaterialien, insbe-
sondere Eisen und Stahl,
Im Bau waren auf niederländischen Werften Ende 1913: 172 000, 1914:
185 000, 1915: 406 000 und 1916: 440 000 Bruttotons.
Außerdem lagen im Ausland für niederländische Rechnung auf Stapel Ende
1913: 104 000, 1914: 74000, 1915: 86 000, und 1916: 74 000 Bruttotons.
Es handelt sich hierbei fast nur um Schiffe, die in Großbritannien gebaut
werden.
Bei dem allgemeinen Mangel an Frachtraum erschien es der niederländischen
Regierung geboten, sich die Verfügung über die niederländischen Schiffe vorzu-
behalten, um dadurch die Zufuhr von Getreide, Düngemitteln, Rohstoffen usw.
öich^rzustellen. Sie erließ daher am 18. März 1916 ein Schiffsausfuhrgesetz, das
hr die Möglichkeit gab, die Ausfahrt eines niederländischen Schiffes zu ver-
ihindern oder nur unter bestimmten Bedingungen zu gestatten. Dieses Gesetz
wies jedoch noch insofern eine Lücke auf, als es nur dann zur Anwendung
kommen konnte, wenn ein niederländisches Schiff aus einem niederländischen
Hafen ausklariert wurde. Die Reeder konnten sich daher den Vorschriften des
(^esetzes dadurch entziehen, daß sie, sofern ihnen der von der Regierung ge-
botene Frachtsatz nicht lohnend erschien, entweder ihre Schiffe überhaupt nicht
ausfahren ließen oder sie nur zwischen ausländischen Häfen hin und her
befrachteten, ohne daß sie jemals nach den Niederlanden zurückkehrten. Um
diese Lücke auszufüllen, brachte die Regierung ein Schiffseinforderungsgesetz ein,
das nach langen Kämpfen schließlich am 11. Februar 1917 Gesetzeskraft erlangte.
Ebenso wurde, um düen niederländischen Schiffahrtsinteressen angesichts der er-
höhten Gefahr eine größere Sicherheit gegen Sachschaden zu bieten, das bereits
am 27. Mai 1916 verkündete Kriegsmolest- Versicherungsgesetz am 9. Februar 1917
in Kraft gesetzt. Ein besonderes Seeunfall- Versicherungsgesetz vom 8. Mai 1915
war schon am 19. Juli 1915 in Kraft getreten. Dieses Gesetz bezog sich im
Gegensatz zu dem vorigen nur auf die von Personen erlittenen Unfälle.
Drei weitere für die niederländische Schiffahrt wichtige Gesetze wurden am
2. Januar 1917 veröffentlicht. Das erste betraf die Verbesserung der Fahrrinne
von Rotterdam nach Hoek van Holland, das zweite den Bau einer neuen (dritten)
Schleuse in Ymuiden mit einer Tiefe von 15 m, sowie eine entsprechende Aus-
baggerung des Nordseekanals zwischen Amsterdam und Ymuiden, und das dritte
den Bau neuer Hafenanlagen westlich von Amsterdam, Diese Pläne sichern den
beiden Plätzen Amsterdam und Rotterdam für absehbare Zeit ihre Stellung als
erstklassige Welthäfen. Ihre Fertigstellung wird eine Reihe von Jahren bean-
spruchen.
Ueber den Ausbau des Hafens von Harlingen (westlich von Emden) sowie
über eine bessere Verbindung des Hafens von Dordrecht mit dem Meere schweben
noch Erwägungen,
Die niederländische Schiffahrt hatte auch 1916 mit großen Schwierigkeiten
seitens Großbritanniens zu kämpfen. Trotz aller Widerwärtigkeiten waren indes
die Gewinne der niederländischen Schiffahrt 1916 durchschnittlich noch höher
1) Zur Umrechnung sei bemerkt^ daß eine Registerton 2,83 obm mißt.
— 40-^ —
als 1915. Die meisten Linien haben glänzende Geschäfte gemacht. Sie konnten
ohne Aufnahme neuer Mittel große Neubauten in Auftrag geben, ihre alten Schiffe
zum Teil abschreiben, hohe Kücklagen für unvorhergesehene Verluste und für
die Kriegsgewinnsteuer machen und schließlich derartige Dividenden verteilen,
daß bei manchen Gesellschaften die Aktionäre ihr ganzes Kapital während des
Krieges zurückgezahlt erhalten haben.
Alles in allem dürften die Jahre 1915 und 1916 für die niederländische
Schiffahrt einen Höhepunkt bedeuten, den das Jahr 1917 wohl nicht mehr er-
reichen oder gar überschreiten wird.
Schiffsverkehr. In sämtlichen niederländischen Häfen liefen ein:
1913 1916
Dampfer j^ .^Ino^n^^f Anzahl .^"!!S5f*^f
in 1000 cbm in 1000 cbm
Niederländische 4043 12 921 2869 8849
Deutsehe 3096 9 57° 84 177
Britische 5177 15823 802 1374
Französische 233 360 — —
Belgische 104 I99 8$ 57^
Dänische 393 i 115 37 "4
Norwegische 948 3 1 10 479 i 228
Schwedische 931 3045 361 568
Russische 190 885 l 8
Rumänische 20 lOO — —
Griechische 120 633 18 78
Oesterreichisch- ungarische 137 9^8 2 12
Italienische 54 336 — —
Spanische 308 i 43i — —
Amerikanische 3 39 18 118
Insgesamt einschließlich
anderer 15 793 50640 4759 13 "5
Der Dampferverkehr ist also fast auf ein Viertel seines Umfanges vor dem
Kriege zusammengeschrumpft.
Von Segelschiffen liefen ein im Jahre 1913: 1203 von 860000 cbm und
1916: 365 von 133 000 cbm.
Die „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirtschaft" teilen
über den Hafen verkehr von Genua in den Jahren 1915 und 1916
folgendes mit:
Der Hafen verkehr von Genua im Jahre 1916 weist gegenüber dem Jahre
1915 einen sehr erheblichen Rückgang auf. Angekommen sind 4337 Schiffe (— 808),
ausgelaufen 4398 Schiffe (—674). Der Gesamtschiffsverkehr beläuft sich auf
8735, d. h. 1482 weniger als 1915.
Der Nettotonnengehalt betrug bei den angekommenen Schiffen 2 524 537
Reg.-T. (—740836) und bei den ausgelaufenen 5 533129 Reg.-T. (—678 563).
Mit diesen Schiffen wurden an Waren eingeführt 6865154 t, ausgeführt
808097 t. Gegenüber 1915 erhöhte sich die Einfuhr um 314721 1; die Ausfuhr ver-
ringerte sich um 99480 t.
Die Einfuhr bestand in 3193288 t Kohlen (+ 482308) und in 3671866 t
verschiedener Waren (—167 587).
Die für Ausreisen eingenommenen Kohlenvorräte beliefen sich auf 172 880 t
(—198332).
Im Hafen wurden während des ganzen Jahres 444041 Eisenbahnwagen mit
5903492 t beladen (gegenüber 1915 50010 Wagen mit 781604 t mehr).
Außer Kohle wurden weiter eingeführt: 885705 t Getreide (—227542),
218405 t Baumwolle (—147243), 37995 t Jute (—12403), 54440 t Rohwolle
(24889 weniger als 1915, aber immer noch bedeutend mehr als in normalen Zeiten),
3175 t Seide (430 mehr als 1915, aber gegen normale Zeiten 30 v. H. weniger)
und 24478 t Häute (1915 wurde die doppdte Menge eingeführt).
— 403 —
Ueber die Schiffahrt Chinas in den letzten Jahren wurde
in dem „Board of Trade Journal" folgendes mitgeteilt :
Der Tonnengehalt der eio gelaufenen und ausklarierten Dampfer betrug
84641227 t und zeigte gegen 1914 eine Abnahme um 6485013 t. Bei Segelschiffen
belief sich der Tonnengehalt auf 6021778 t; er zeigte eine Abnahme um 836195 t.
Die genannten Zahlen umfassen auch den Schiffsraum der chinesischen Schiffe^
der sich auf 18655411 t für Dampfer und Segelschiffe ausländischer Bauart und
auf 5503 598 t für Dschunken belief. Während des ganzen Jahres was das An-
gebot für Frachten nach Auslandshäfen größer, als durch den verfügbaren Schiffs-
raum aufgenommen werden konnte, obgleich sich eine gewisse Anzahl von japa-
nischen, norwegischen und chinesischen Dampfern von dem Küstenhandel dem
mehr Gewinn bringenden Geschäfte zugewendet hatten. Alle Dampfer an der
Küste und in Binnengewässern waren voll im Betrieb, und die Frachtsätze
stiegen. Die Nachfrage nach Schiffsraum für Europa, Amerika und Australien
überstieg bei weitem das Angebot, so daß der Ausfuhrhandel dadurch sehr
beeinträchtigt wurde. Amerikanischer Schiffsraum zeigte eine Abnahme um
etwa 200000 t, britischer eine solche um etwa 1500000 t, dänischer um 24000 t^
französischer um 337000 t, japanischer um 120000 t, russischer um 32000 t und
portugiesischer eine solche um 150000 t; die österreichische Flagge verschwand
vollständig, und der deutsche Schiffsraum sank von 4026493 auf 58263 t, ver-
treten durch kleine Dampfer, die auf Binnengewässern verkehrten. Die nieder-
ländische Flagge zeigte eine Zunahme um 100000 t und die schwedische um
29000 t. Die norwegische und chinesische Flagge hielten sich auf ihrem bisherigen
Stande; nur war eine Abnahme im. Dschunken verkehr festzustellen.
Nach einem Berichte der „Frankfurter Zeitung" beriet die Ver-
einigung südwestdeutscher Handelskammern am 16. Juni 1917 in Heidel-
berg über gemeinsame Aufgaben süddeutscher Eisenbahn- und
Wasserstraßenpolitik. Vertreten waren die Handelskammertage
von Württemberg, Baden, Hessen, Bayern, ferner die Handelskammern
Frankfurt a. Main und Wiesbaden, insgesamt 28 Handelskammern.
Einmütige Zustimmung fanden die folgenden Leitsätze des Berichter-
statters, Herrn Dr. Blaustein, Mannheim:
Ein Haupterfordernis für den wirtschaftlichen Wiederaufbau ist die Schaffung
von Verkehrs- und Arbeitsgelegenheiten. Der schleunige Ausbau des mittel-
europäischen Wasserstraßennetzes ist daher dringend notwendig. Ge-
meinsames Interesse aller Teile Süddeutschlands ist die wirtschaftliche Erschließung
der einzelnen Landesteile, die Ausnutzung der Wasserkräfte in Verbindung mit
der Regulierung und Kanaüsierung des Rheines und seiner Nebenflüsse, die Be-
rücksichtigung der süddeutschen Wasserstraßenpläne in einem einheitlichen mittel-
europäischen Wasserstraßenprogramm in mindestens dem gleichen Maße wie die
der übrigen Stromgebiete. Es liegt im Reichs- und Staatsinteresse, daß die Kreise
des Wirtschaftslebens bei der Planlegung und dem Ausbau der Wasserstraßen in
jedem Stadium der Verhandlungen hinzugezogen werden. Aufgabe des Wirtschafts-
ieb ens ist es, nachzuweisen, wie ohne übermäßige finanzielle Belastung große,
durchgehende Wasserstraßen auch nebeneinander möglich sind, da schon ihr
Ausbau allein Arbeitsgelegenheit in reichem Maße für die verschiedensten Ge-
werbszweige zu schaffen geeignet ist. Nur im Zusammenwirken von Reich, Einzel-
staaten, den Körperschaften der städtischen und wirtschaftlichen Selbstverwaltung
und mit wirtschaftlichen Unternehmungen kann mit Unterstützung der breitesten
Oeffentlichkeit das große Werk gelingen. Der zwischen den einzelnen Teilen Süd-
deutschlands und den einzelnen vorhergenannten Faktoren noch vorhandene
Wettbewerb ist soweit als möglich zurückzudämmen, wobei Wege zu suchen und
zum Teil schon gefunden sind, um die verschiedenen Interessen ihrer Bedeutung
entsprechend bei Bau, Verwaltung und Finanzierung der Wasserstraßen zu be-
rücksichtigen.
Der Wettbewerb der Eisenbahnen gegen die Wasserstraßen ist als schäd-
lich immer mehr erkannt worden. Sollte zur künftigen Vermeidung desselben.
— 404 —
eine einheitliche Verwaltung von Wasserstraßen und Eisenbahnen im Reich oder
in den Einzelstaaten eingeführt werden, so ist im Reich eine entsprechende Be-
rücksichtigung der süddeutschen Staaten, in jedem Falle eine solche des süd-
deutschen Wirtschaftslebens in der Verwaltung, nicht nur in Beiräten, zu ver-
langen. Beim Wiederaufbau des Eisenbahnwesens sind alle lediglich unwirtschaft-
lichem Wettbewerb dienenden Maßnahmen zu beseitigen. Ehe man an weitere
Tariferhöhungen herantritt oder die im Kriege erfolgten Tariferhöhungen und
Verkehrssteuern dauernd festlegt, ist eine Prüfung der sowohl bei den einzelnen
Verwaltungen, wie im gesamten deutschen Eisenbahnwesen, durch Vereinheit-
lichung möglichen ßetriebsvereinfachungen und -ersparnisse notwendig.
In allen Verkehrsfragen von grundlegender Bedeutung sind Vertreter des
Wirtschaftslebens nicht mehr wie bisher lediglich mit beratender oder gar nach-
träglich genehmigender Stimme zuzuziehen, sondern, damit der bürokratische Be-
trieb sich die Vorzüge des kaufmännischen und industriellen Großbetriebes nutz-
bar machen kann, unmittelbar an der Verwaltung zu beteiligen. Eisenbahnen
und Binnenwasserstraßen und Seehäfen sind künftig unter dem Gesichtspunkte
gemeinsamer größtmöglicher wirtschaftlicher Ausnutzung, unter Zurückdrängung
vorhandener, oft sachlich wenig begründeter Gegensätze und unter Hinzuziehung
der beteiligten Kreise zu bauen und zu verwalten.
Im Anschluß an die neuen Donauschiffahrtspläne werden in Wien
großzügige Hafenbauten in Aussicht genommen, über die das „Neue
V^iener Journal" Anfang Juni 1917 folgendes mitteilt: Die bereits im
einzelnen ausgearbeiteten Hafenprojekte sollen der Stadt Wien die
herrschende Stellung im mitteleuropäischen Verkehr und besonders im
Verkehr nach dem Orient sichern. Das erste Projekt besteht darin,
daß die Donaudampf schiff ahrts-Gesellschaft auf ihre eigenen Kosten am
rechten Donauufer beim Praterspitz einen überaus großen Umschlag-
hafen hauptsächlich für oberdeutsche und oberschlesische Kohle errichten
wird, die insbesondere nach dem Orient, der ihr als neues Absatzgebiet
an Stelle der englischen Kohle eröffnet werden soll, weiterbefördert
wird. Das zweite Projekt betrifft einen von der Stadt Wien zu er-
bauenden neuen Donauhafen am linken Donauufer. Voraussetzung ist
bei beiden Projekten, daß der Donau-Oder-Kanal nicht bei Laengenzers-
dorf, sondern unterhalb bei den neuen Hafenanlagen münden soll. Alle
technischen und sonstigen Voraussetzungen für die Ausführung der
beiden Projekte sind bereits erledigt.
Ueber verschiedene Pläne zur Schaffung besserer Verbindungen
der Schweiz mit Nordsee- und Mittelmeerhäfen wird in
einem Artikel des „W. N. D. Deutscher Ueberseedienst" folgendes mit-
geteilt :
Seit einiger Zeit ist, wenn auch unter einschränkenden Bedingungen, die
Rheinschiffahrt zwischen Straßburg und Basel freigegeben worden. Wegen
der Kohlenersparnis und der Entlastung der Bahnlinien erwarten maßgebende
Kreise, daß die Wasserstraße sehr benutzt werden wird. Außer den Zufuhren
aus Deutschland könnten möglicherweise auch überseeische Ladungen diesen Weg
gebrauchen. Die holländischen Häfen, vor allem Rotterdam, hätten hier-
von Nutzen, vorausgesetzt, daß die Nordsee frei bleibt und die Verbündeten keine
Schwierigkeiten machen. Von selten der Zentralmächte wurde bereits bei An-
kündigung des verschärften U-Bootkrieges zugesagt, die schweizerischen Verkehrs-
schwierigkeiten durch Erleichterung des Transitverkehrs über den Rhein zu mil-
dern. Vor dem Kriege fanden die schweizerischen Zufuhren über Marseille und
Genua, sowie auch über Hamburg, Rotterdam und Antwerpen statt. Die beiden
letzteren verdrängten nach und nach die Häfen am Mittelländischen Meere.
Während des Krieges fielen Hamburg und Antwerpen aus, während Grenua Hafen
— 405 —
und Bahn für italienische Zwecke voll benötigte. Außer Rotterdam und Mar-
seille kamen nunmehr Cette, Bordeaux und St. Nazaire in Betracht. Besonders
Cette wurde von der französischen Regierung für schweizerische Zufuhren zur
Verfügung gestellt und deshalb auch nicht in das ßlockadegebiet einbegriffen.
Das französische Zugeständnis ist ungenügend; denn weder die Hafeneinrich-
tungen von Cette noch seine Bahnverbindungen sind dem schweizerischen Durch-
gangsverkehr gewachsen. Aus diesem Grunde dürften auch die Schweizer Zu-
fuhren nur augenblicklich ihren Weg über Frankreich nehmen, denn nach dem
Kriege wird sich der Verkehr über die Nordseehäfen als billiger herausstellen.
Aus diesem Grunde wird in letzter Zeit von französischer Seite dem Plan zur
Schaffung einer schiffbaren Wasserstraße zwischen der Schweiz und dem Mittel-
ländischen Meer viel Beachtung geschenkt. Eine französisch-schweizerische Kom-
mission trat an die beiden Regierungen mit der Aufforderung heran, den oberen
Lauf der Rhone so zu verbessern, daß Schiffe von 600 t in voller Sicherheit
bis Genf verkehren können. In der Kommission wurde auch die Errichtung
schweizerischer Freigebiete in Lyon und Marseille erwogen. Gleichzeitig mit
diesem Projekt tauchten andere Pläne, nur die Schweiz betreffend, auf. Es wurde
z. B. vorgeschlagen, eine Wasserstraße zwischen dem Genfer- See und den In-
dustriegebieten im Nordosten des Landes zu schaffen. Zu diesem Zweck müßte
ein Kanal zwischen Genfer und Neuenburger-See, der sogenannte Kanal
„d'Entreroches", gebaut werden. Der Neuenburger-See steht bereits jetzt in Ver-
bindung mit dem nördlicher gelegenen Bieler-See. Von dort aus könnten dann
die Güter in Zukunft über die kanalisierte Aar und den Rhein nach dem
Bodensee gebracht werden. Gegenüber dem Rhöneplan wird von deutscher
Seite viel Propaganda für Schiffbarmachung des Rheins zwischen Basel und Kon-
stanz gemacht. Auch von schweizerischer Seite wird der Vorzug dieses Planes
gewürdigt, da auf diese Weise die nördlichen Kantone eine weniger kostspielige
und umständliche Verbindung mit dem Meer erhielten, als durch das Rhöneprojekt.
Zu beachten ist, daß der Baseler Ingenieur Gelpke, der das deutsche Projekt
unterstützt, in den Bundesrat gewählt wurde. P. Arndt.
V. Versicherungswesen.
Inhalt: 1. Privatversicherung. Deutschland: Die Lebensversiche-
rungsanstalten 1916. Versicherungsschutzverband. Kriegsvorsor^eversicherung.
Kriegsmehrwertversicherung. Ausland: Elementarversicnerung in Oesterreich
1917. Ablehnung des Mobiliar- Feuerversicherungsmonopols im Kanton Aargau.
Die englische Seeversicherung nach dem Krieg. Erweiterung der amerikaniscnen
Kriegsversicherung.
2. Sozialversicherung. Deutschland: Kampf um die Selbständig-
keit der Angestellten Versicherung. Die Angestellten Versicherung 1916. Städtische
Arbeitslosenversicherung in Ludwigshafen. Ausland: Für me Beschleunigung
der Sozialversicherung in Oesterreich.
1. Privatversichernng.
Ueber das Ergebnis der deutschen Lebensversiche-
rungsgesellschaften im Jahre 1916 sind dem „Nationalökonom"
folgende Angaben zu entnehmen:
Der Weltkrieg hat die deutschen Lebens Versicherungsgesellschaften in
ihrer Entwicklung wohl unterbrochen, aber es zeugt für deren glänzende Organi-
sation und für das Pflichtgefühl der deutschen Familienväter, daß die Abnäime
des Bestandes sich in engsten Grenzen hielt. Ende 1916 waren für 157^ Mil-
liarden M. Kapitals Versicherungen in Kraft, nur um 0,72 Proz. weniger als im
Vorjahre. Wir werden in einem weiteren Aufsatze zeigen, daß auch die finan-
zielle Kraft der Gesellschaften nicht geschädigt wurde und die Ausgaben für
vKriegssterbefälle statutengemäß ihre Erledigung finden.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXVII
— 4o6 —
Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigen folgende Ziffenk
in Mark:
Stand am Ende Nettozuwachs
des Jahres in den Jahren
4311 510658 246178032
7999956726 387549042
13564872822 833172783
16 191 057 666 798754840
16 294 768 124 103710458
15854568877 —440199247
15732095640 —122473237
Im Jahre 1916 wurden bei 50 Gesellschaften neue Versicherungen in
der Höhe von 618 Mill M. zum Abschluß gebracht, und am Jahresschlüsse ver-
zeichneten die 50 Anstalten einen Bestand von ca. 12 MiU. Policen über 15 732,1
Mill. M. Kapitals Versicherungen, wovon ca. 8,9 Mill. Policen auf die Volksversiche-
rung entfallen. Die bedeutenden Erfolge sind um so wertvoller, da sie mit ver-
hältnismäßig bescheidenen Akquisitionskosten verbunden waren. Außerdem ent-
hält unsere Tabelle für 116,85 Mill. M. Zeitungsabonnements-Todesfallversicherungen,
welche die „Nürnberger Leben" abgeschlossen hat. Wir führen diese Versiche-
rungen separat, da es keine dauernden Versicherungen sind.
Der gesamte Bestand verteilte sich 1916 auf die verschiedenen Kom-
binationen:
Neue
Abschlüsse
1890
425 599 445
1900
770275672
1910
1535 821 428
1913
I 734 109086
1914
I 260029 700
1915
527638487
1916
617 916 709
Vers. -Summen
(Jahresrenten)
Ende 1916
Nettozuwachs in den Jahren
1916 1915 1914
in Tausenden Mark
Gemischte Vers.
II 394538
—31 120 —235531
251911
Todesfallvers.
I 878 467
—57637 —44658
—38 393
Volksvers.
I 841 980
—3340 —100379
—53 977
Erlebensvers.
617 III
—30374 —59199
-55831
Kapitalsvers. 15732096 — 122 471
Renten vers. 1 , « ^
Steigende Rentenvers. J
Invaliditätsrentenvers. 45 000 ^) — 294 ^)
-440 63 1
—701
—510
[ 03 710
+ 32
-897
Von dem Kapitalsversicherungsbestan de entfielen Ende 1916 auf
die gewöhnlichen Todesfallversicherungen ca. 2 Milliarden, wenn man in Betracht
zieht, daß einige Gesellschaften sie nicht separat angeben. Es kommt dem-
zufolge auf diese Versicherungsform nur mehr ca. Vg ^^^ Bestandes, während im
Jahre 1800 noch mehr als die Hälfte des gesamten Bestandes darauf entfiel.
Gegenwärtig wird diese Kombination selten gewählt. Dagegen weisen die ge-
mischten Versicherungen ungeachtet der großen Fälligkeiten einen Rückgang von
nur 57,6 Mill. im Berichtsjahre aus und schließen mit einem Bestände von
11 394 MiU. M. Im letzten Jahrzehnt stiegen die gemischten Versicherungen um
rund 6 Milliarden M., die gewöhnlichen Todesfallversicherungen dagegen haben
um rund 200 Mill. abgenommen; diese Ziffern zeigen die Beliebtheit, deren sich
düe gemischten Versicherungen erfreuen.
Die Sterbekassen resp. Volksversicherungen zeigen nur ganz ge-
ringe Abnahme, obgleich infolge des Krieges die wirtschaftlich Schwachen in
großer Zahl die Versicherung aufgeben mußten. Daß die Abnahme nur Ve JProz.
der Versicherungssumme beträgt, zeugt von dem großen Wert der Volksversiche-
rung für die Beteiligten.
In unserer Tabelle verzeichnen bereits 36 Gesellschaften Volksversicherungen,
mehr als ^L des ganzen Bestandes entfallen jedoch auf Victoria und Friedrich
WUhelm, bei denen Ende 1916 rund 6,43 Mül. Policen mit 1 229 056 000 M. Volko-
versicherungen in Kraft waren.
Die Entwicklung der einzelnen Versicherungsformen seit 1882
zeigen folgende Daten:
1) Daten für 1914.
407
1916
1910
1900
Millionen Mark
1890
1882
Todesfallvers.
1878,5
2098,3
2274,7
2215,1
1933,6
Gemischte Vers.
"394,5
9011,7
4124,7
1446,0
427,1
Volksvers.
I 842,0
1628,6
689,7
128,1
36,4
Erlebens vers.
617,1
826,2
910,8
522,3
168,4
Von den 50 Lebens Versicherungsgesellschaften, welche unsere Tabelle umfaßt»
haben nur 31 einen Versicherungsstock von mehr als 100 Mill. M.
und bloß 20 Institute weisen mehr als 7* Milliarde aus.
Renten versichern 13 gegenseitige und 21 Aktiengesellschaften; im Jahre
1916 wurden neue Jahresrenten nur in geringem Maße abgeschlossen, und waren
am Jahresschlüsse für 30 008 533 M. Jahresrente in Kraft, wovon ca. 85 Proz. auf
fällige, der Rest auf aufgeschobene und steigende Renten entfallen. Gegen 1915
trat eine Verminderung um ca. 100000 M. Jahresrente ein.
In den Renten mit bestimmtem Jahresbezuge sind auch die steigenden Ren-
ten einbezogen, welche bei den Rentenanstalten in Berlin, Darmstadt, Karlsruhe
und Stuttgart bestehen. Obgleich diese 4 Anstalten seit einer Reihe von Jahren
derartige Renten nicht mehr abschließen, so verzeichnen sie noch immer ca.
44 000 Mitglieder, die 1915 37, Mill. M. an Renten bezogen haben.
Außer den hier verzeichneten Renten waren bei 14 Gesellschaften 1915 für
45,3 Mill. M. invaliditätsversicherung als Zusatz zur Todesfallversicherung vor-
handen.
Die deutschen öffentlich-rechtlichen Lebensversicherungsan-
stalten konnten wir in unserer Tabelle nicht berücksichtigen, da sie uns über
den Versicherungsbestand keine Mitteilung machten. Wir lassen hier die Daten
folgen, soweit sie uns bisher bekannt wurden:
Normalversicherung
Volks versieh erung
Policen
Kapital
Policen
Kapital
Ostpreußische
2183
24 755 202
905
598 167
Westpreußische
1371
14 190380
6714
I 894615
Posensche
600
3 767 258
I 002
709156
Schlesische
3 493
19 133 989
28055
8025922
Brandenburger
1291
9 097 250
2145
I 389381
Pommern
1749
10 900 856
2302
1254069
Nassau
962
4845376
2995
2 546 499
Sachsen
765
4403574
I 521
I 133 421
Rheinprovinz
617
3689576
1882
I 496 495
Westfalen
566
4 360 720
581
482 726
Verband
1519
7 977 807
7484
4 892 763
15 n6
108 121 988
55586
24423 214
Ende 115 waren bei 11 Provinzial-Lebensversicherungsinstituten, ungeachtet
des Hochdruckes ihrer Anwerbung, erst 15 116 größere und 55 586 Volksversiche-
rungen in Kraft. Die Versicherungssummen betragen zusammen 108 121 988 M.
Dem Bericht des Deutschen Versicherungs-Schutzver-
b an des über das Jahr 1916 ist folgendes zu entnehmen: Infolge des
Krieges hat die Werbetätigkeit im abgelaufenen Jahre zum größten
Teil stillgestanden, dennoch aber konnte der Abgang durch Neu-
erwerbungen fast ausgeglichen werden. Die von dem Verbände schon
in den beiden ersten Kriegsjahren vertretene Ansicht von der Not-
wendigkeit der Loslösung des deutschen Versicherungswesens vom Aus-
lande bricht sich weiter Bahn. Dies zeigt sich in der Gründung neuer
deutscher Rückversicherungsgesellschaften, die bestimmt sind, die bis-
herige umfangreiche ausländische Rückversicherung auszuschalten. Das-
selbe gilt auch von der nach dem Kriege zu erwartenden gewaltigen
XXVII*
— 4o8 —
Ausdehnung der Transportversicherung. Es muß aber auch wieder-
holt die Erwartung ausgesprochen werden, daß sich die Ausschaltung
des ausländischen Wettbewerbes nicht etwa in der flichtung einer Er-
schwerung von Rückversicherungen für ringfreie Versicherungsgesell-
schaften geltend machen werde.
Die Landschaftliche Brandkasse Hannover weist auf die Not-
wendigkeit einer Kriegsvorsorgeversicherung hin, indem sie
ausführt :
Infolge des Krieges sind bekanntlich die zur Herstellung von Gebäuden usw.
dienenden Materialien sowie Arbeitslöhne usw. so erheblich gestiegen, daß die
Feuerversicherungssummen in den allerseltensten Fällen noch als ausreichend im
Fall eines Brandes angesehen werden können. Diese allgemeine Preissteige-
rung ist auch in ganz besonderem Maße für Vieh und Erntefrüchte eingetreten,
so daß beispielsweise der Ertrag eines Morgens Halmfrucht an Korn und Stroh,
der vielfach noch mit 120—150 M. versichert ist, unter den heutigen Verhältnissen
um das Doppelte berechnet werden muß. Ebenso sind Pferde, Rindvieh, Schweine
usw. meistens nur zur Hälfte und weniger versichert. Welche unliebsamen
Folgen diese Preisunterschiede im Fall eines Brandes für den Versicherten
haben können, liegt klar auf der Hand; denn er muß den Schaden für den nicht
versicherten Teil des Wertes selbst tragen, und dieser kann unter den heutigen
Verhältnissen sehr bedeutend sein. Es ist daher Pflicht des Versicherten dafür
Sorge zu tragen, daß die Versicherungssumme dem Werte am Tage des Brandes
einigermaßen entspricht ; der Versicherte hat also für die etwa notwendige Nach-
versicherung zu sorgen. Diesem Umstände trägt denn auch die Landscnaftliche
Brandkasse Hannover in der Weise Rechnung, daß sie sogenannte Blriegsvorsorge-
Versicherungen abschließt, die sich sowohl auf Gebäude wie auf den beweglichen
Inhalt derselben beziehen. Einer förmlichen Neueinschätzung der Gebäude be-
darf es hierzu nicht, wie auch die Aufnahme eines neuen Antrags auf Mobiliar-
versicherung nicht nötig ist. Es genügt vielmehr ein einfacher Antrag auf Ab-
schluß einer Vorsorgeversicherung unter Angabe der Höhe in Prozenten von der
bestehenden Hauptversicherung. In der Regel werden solche Versicherungen in
Höhe von 20—30 Proz., und zwar auf die Dauer eines Jahres, abgeschlossen.
Bei der Berliner Städtischen Feuersozietät hat die gleiche
Frage zu Schwierigkeiten geführt, die zu lebhaften Auseinandersetzungen
in der Berliner Presse Anlaß gaben. Darüber berichtet die „Vossische
Zeitung'' nun, wie folgt:
Nach den Satzungen der Städtischen Feuersozietät von Berlin ist jeder Ge-
bäudebesitzer verpflichtet, seine im Weichbilde der Gemeinde Berlin (nicht Groß-
Berlin) gelegenen Gebäude gegen Brandschaden zu versichern. Der Versicherungs-
wert des weitaus größten Teils derselben hat jedoch im Verlauf des nunmehr fast
dreijährigen Krieges durch erhebliche Steigerung der Baumaterialien, Arbeitslöhne
usw. eine Erhöhung erfahren, die in den vor dem Kriegsbeginn festgesetzten Ver-
sicherungssummen nicht enthalten ist. Das heißt, die Gebäudebesitzer sind
nach dem jetzigen Stand der Dinge in den meisten Fällen zu niedrig
versichert, wodurch ihnen im Brandschadenfalle erhebliche Nachteile erwachsen
können. Um solchen zu begegnen, wurde schon seit einiger Zeit der Wunsch um
allgemeine Erhöhung der eingeschätzten Versicherungssumme laut. Diesem durch-
aus berechtigten Verlangen konnte die Städtische Feuersozietät jedoch nicht nach-
kommen, da sie sich infolge statutarischer Bestimmungen (§ 17) auf neue Schätzungen
nur dann einlassen kann, wenn seit der letzten Schätzung bereits 10 Jahre ver-
strichen oder bauliche Veränderungen vorgenommen worden sind.
Soll Abhilfe geschaffen werden, so smd Aenderungen der Satzungen nötig.
Solche sind auch nunmehr in vollem Gange. Ende März d. J. wurde vom Stadt-
verordnetenausschuß eine dahin gehende Magistratsvorlage angenommen, die
städtische Deputation für die Feuersozietät anzuweisen, daß diese bei Brand-
— 409 -
schaden während der Kriegsdauer volle Entschädigung, d. h. eine über die bei
der früheren Ä.ufnahme vorgenommene Taxe hinausgehende Entchädigung zahJe
Dieser Antrag wurde in einer weiteren Beratung danin gehend geändert, daß in-
§ 17 der Satzungen die Bestimmung aufgenommen werde, daß für den Fall einer
außergewöhnlichen Aenderung der Baukosten auf Antrag der Versicherten auch
vor Ablauf der 10-jährigen Frist eine neue Schätzung vorgenommen werden
könne. Naturgemäß wird von diesem Kecht ein großer Teil der Berliner Haus-
besitzer Gebrauch machen, so daß zu befürchten ist, daß sich bei der nach
Hunderttausenden zählenden Zahl der Versicherten die entsprechenden Geschäfte
nicht so rasch abwickeln werden, wie gewünscht wird. Um etwaigen, damit zu-
sammenhängenden Mißständen von vornherein zu begegnen, wurde ferner be-
antragt, daß bis zur Festsetzung des neuen Schätzungsamtes der Versicherte einen
Zuschlag von SS*/« Proz. zu dem bisherigen Jahresbeitrag entrichten könne, wo-
durch bewirkt werde, daß die Feuersozietät bei einem Brandschaden vor durch-
geführter Neuabschätzung die Zahlung der Entschädigung nach dem zur Zeit des
Brandes maßgebenden Preise vornehmen könne.
Diese Satzungsänderungen versetzen die Berliner Gebäudebesitzer in die
Lage, ihre Bauten nach dem Gegenwartswert gegen Brandschäden zu decken,
bzw. eine entsprechende Entschädigungssumme zu' erhalten. Aehnliche, im In-
teresse der Hausbesitzer liegende Vorkehrungen wurden schon vor einiger Zeit
auch in Bayern, Sachsen, Lippe, Hamburg, Bremen usw. getroffen.
Zu den Satzungen der Berliner Feuersozietät wurde endlich noch die Be-
stimmung aufzunehmen beantragt, daß während des Krieges und bis Ende des
zweiten Jahres nach Friedensschluß die Feuerschäden nicht nach dem Werte der
Aufnahme, sondern nach dem zur Zeit des Brandschadens vergütet werden sollten.
Während dieser Antrag ähnliches wie der letzterwähnte bezweckt, kann er in
dieser rohen Form kaum angenommen werden, da er den im Feuerversicherungs-
wesen seit Jahrzehnten gepflegten und durch Gesetz gestützten Uebungen wider-
spricht. Die vom „Verbände der öffentlichen Feuerversicherungs-Anstalten in
Deutschland" ausgearbeiteten „Normativbedingungen" (§ 4) sagen z B. hierüber,
daß die Gesellschaften nur für den Versicherungswert der Sachen zur Zeit des
Eintritts des Schadensfalles bis zur Höhe der Versicherungssumme haften. Sollte
somit nicht nur vorübergehend, sondern auf die Dauer Wandel geschaffen werden,
so wäre nicht nur eine Abänderung der Satzungen, sondern auch eine solche der
„Allgemeinen Versicherungsbedingungen" nötig, wobei zu berücksichtigen ist, daß
beide der Genehmigung des Ministers des Innern bedürfen. Einer zweckmäßigen
Aenderung wird eine solche jedoch nicht versagt bleiben. Im Interesse der
Dringlichkeit der Frage ist eine rasche Erledigung sehr geboten.^.
Ueber den Verlauf des Elementarversicherungsgeschäfts
in Oesterreich 1917 ist zu melden, daß der Verlauf des Feuer-
versicherungsgeschäftes in den verflossenen 5 Monaten des
laufenden Jahres sich, wenn man das Ganze zusammenfaßt, lange nicht
so gut gestaltet hat, wie dies im verflossenen Jahre der Fall gewesen
ist. Orts- und einige große Fabriks- und Mühlenbrände haben die
Aussichten für das Jahr 1917 in sehr bedenklicher Weise verschlechtert.
Dazu kommt noch die Einwirkung der anhaltenden Hitze und Düne,
welche es mit sieht bringt, daß von allen Seiten größere und kleinere
Brände gemeldet werden, die gewiß nicht geeignet sind, dns Gesamt-
situationsbild aufzuhellen. — Was die Hagelkampagne anbelangt,
so steht die Sache in einigen Kronländern und auch in Ungarn noch
immer gut; dagegen werden aus Niederösterreich, Oberösterreich und
Salzburg verheerende Hagelwetter gemeldet, die teilweise aus Bayern
über die österreichische Grenze hereingebrochen sind. Die von diesen
Wettern hervorgerufenen Schäden waren oft so ruinös, das sie 80 bis
100 Proz. der Versicherungssumme ausmachten.
— 4IO —
Ueber die geplante Vers taatlichuiig der Mobiliar- Feuer-
versicherung im Kanton Aargau ist „Wallmanns Versicherungs-
zeitschrift" folgendes zu entnehmen:
In der Schweiz hat der Eegierungerat des Kantons Aargau am 13. Mai 1917
dem Volke ein Gesetz über die Verstaatlichung der Mobiliarversicherung zur Ab-
stimmung vorgelegt. Der Gesetzesentwurf ist in der vorberatenden Be-
hörde, dem Großen Rate, wo die Verstaatlichungsfreunde fast ausschließlich das
Wort führten, beinahe einstimmig angenommen und dem Volke zur Genehmigung
empfohlen worden. Es setzte alsdann eine große Pressecampagne ein zugunsten
des Gesetzes. Bemerkenswert war dabei, daß kein einziges der vielen lokalen
Tagesblätter Einsendungen gegen die Verstaatlichung aufgenommen hat. Alle
Blätter schrieben für das Monopol, Der Privatversicherung war somit die Presse
vollkommen verschlossen. Das einzige, was sie tun konnte und auch getan hat,
war die Verbreitung kurzer Flugblätter, die sie an ihre Versicherten versandte
und in denen auf die Mängel des Monopols — Feuerpolizeichikanen, Beamten-
heer, teure Verwaltung, schöne Verwaltungsgebäude, hohe Prämien, gefährliches
Unterfangen, Klumpenrisiken usw. — hingewiesen worden war. Bei der Art und
Weise, wie das Gesetz vorbereitet, dem Volke in den schönen Farben dargestellt
und der Gegner von der öffentlichen Diskussion ausgeschlossen worden war, ist
nun höchst bemerkenswert, wie die Abstimmung tatsächlich ausgefallen ist.
Von 42 769 Stimmenden wurden 1842 Stimmen leer, 17 539 für und 23 388 gegen
die Monopolanstalt abgegeben. Also trotzdem gegen das Monopol in den Tages-
zeitungen nicht aufgetreten werden konnte, erlitten die Verstaatlichungs-
freunde durch die Mehrheit des Volkes eine glatte Absage.
Ueber die Lage und Aussichten der Seeversicherung
in England ist dem Liverpooler „Journal of Commerce" folgendes zu
entnehmen :
Nicht weniger als einige 60 See Versicherungsgesellschaften sind seit Kriegs-
ausbruch in Europa gegründet worden. Zwar mag bei einer größeren Anzahl
von ihnen lediglich die Firma eingetragen worden sein, ohne daß sie tatsächlich
Geschäfte betreiben, aber mindestens die Hälfte von diesen Gesellschaften hat
den Betrieb aufgenommen und strebt nach Neuabschlüssen. Außerdem haben
eine Anzahl Gesellschaften, welche bisher nur andere Versicherungszweige be-
trieben, die Seeversicherung neu aufgenommen. Während des Krieges ist nun
zwar für alle diese Neugründungen ausreichend Platz zur Betätigung, da es sich
um Kriegsrisiken und um die Versicherung hoher Werte handelt. Aber was soll
werden, wenn der Friede wieder im Lande ist und mit ihm die Kriegsrisiko-
prämien und die Versicherungen abnorm hoher Werte wieder verschwinden?
Natürlich werden die neuen Gesellschaften die ersten sein, welche darunter leiden,
und eine Anzahl von ihnen wird möglicherweise durch Liquidation oder Fusion
wieder verschwinden. Aber sicherlich wird unter den übrigbleibenden ein starker
Wettbewerb einsetzen, und die jetzt vorhandenen hohen Prämiensätze werden auf
einen Tiefstand herabsinken, der niedriger ist als in den Jahren vor dem Kriege.
Sollten da die britischen Seeversicherer und die Gesellschaften nicht das Problem
erörtern und rechtzeitige Schritte unternehmen?
Der zu erwartende scharfe Wettbewerb unter den See Versicherern nach
dein Kriege kann vielleicht durch folgende Maßregeln, die empfehlenswert er-
scheinen, gemildert werden:
a) Möglichst weitgehende Ausschaltung des Wettbewerbs fremder
Gesellschaften, welche jetzt in England Geschäfte betreiben. Erreichung
dieses Ziels durch die Forderung einer Sicherheitsleistung von mindestens
20 000 £ für alle in England tätigen ausländischen See Versicherungsanstalten.
Dann werden die meisten von der Bildfläche verschwinden.
b) Anwendung des Versicherungsgesetzes von 1909 auf die
Seeversicherung. Hierdurch wird erreicht, daß alle nach 1909 gegründeten
britischen Seeversicherungsgesellschaften, ebenso wie die Lebens-, Feuer-, Unfall-
und Haftpflichtversicherungs-Gesellschaften 20 000 £ Kaution stellen müssen.
— 411 -
Auf diese Weise werden die Gesellschaften mit kleinem Kapital zur Einstellung
des Betriebes gezwungen werden und die Neugründung kleiner Gesellschaften
wird unterbunden.
c) Vereinbarung der gemeinsamen Durchführung genau ausgearbeiteter voll-
ständiger Tarife, welche für alle oder möglichst viele See Versicherer obligatorisch
zu machen sind. Dieser Vorschlag ist am schwierigsten durchführbar.
Eine Meldung aus Washington, welche „Journal of Commerce" wieder-
gibt, beschäftigt sich mit der Erweiterung der amerikanischen
Kriegsversicherung, und zwar soll diese dahin ausgedehnt werden,
daß auf Grund von Beiträgen der Reeder die gesamte Besatzung, auch
Offiziere und Kapitäne, amerikanischer Fahrzeuge, welche in gefähr-
deten Gewässern verkehren, eine Versicherung auf den Todesfall sowie
gegen Unfälle durch Kriegsgefahr erhalten sollen. Auch sollen sie für
den Fall der Gefangennahme Entschädigungen erhalten. Es sollen
ferner Vorkehrungen getroffen werden, daß die Kriegsversicherung von
Fahrzeugen und deren Ladung, welche nach Ländern gehen, die sich
im Krieg mit Deutschland befinden, besser geregelt und der vorhandene
Versicherungsmarkt ausgebaut wird, die Prämiensätze sollen gefestigt
und als Folge von alledem der Außenhandel der Vereinigten Staaten
gefördert werden. Der endgültige Zweck der Gesetzesänderung soll in
der gegenseitigen Rückversicherung zwischen Amerika und anderen
A^erbündeten Ländern bestehen.
Das in Amerika eingerichtete staatliche Versicherungsbüro hat
inzwischen eine ungeheure Ausdehnung seines Geschäftskreises erfahren. Bis
zum 1. Januar 1917 waren hier insgesamt 182 Mili. $ versichert, wofür 3,2 Mill. $
Prämien bezahlt wurden. Zwischen 1. Januar und Ende April 1917 hat sich die
Versicherungssumme auf 252,7 Mill. $ erhöht, wofür 4,5 Mill. $ ^^rämien bezahlt
wurden. Bis zum 1. Mai waren Verluste bekannt geworden in Höhe von 3,6
Mill. $. An diesem Tage befanden sich unter Deckung 166,9 Mill. $. Die
Prämieneinnahme des April 1917 war doppelt so hoch wie während des März
1917, und die Prämieneinnahme während dieser Monate März und April über-
schritten bei weitem die gesamten Prämieneinnahmen für die ganze Zeit seit Be-
stehen des Amtes vom 2. September 1914 bis zum 1. Januar 1917. Im März
stellte das staatliche Versicherungsbüro 384 Policen aus, die eine Prämieneinnahme
von 1,3 Mill. $ brachten, im Monat April aber 1047 Policen mit 2,8 Mill. $
Prämieneinnahme. Bis zum 1. Mai betrug die gesamte Prämien ein nähme 7,8 Mill. $.
Die Tätigkeit des Büros nach Inkrafttreten der beabsichtigten Neuerung ist in
der Weise gedacht, daß, wenn beispielsweise die Vereinigten Staaten Waren im
Werte von 20 Mill. $, die eine Hälfte davon auf fünf amerikanischen Dampfern,
die andere Hälfte auf fünf italienischen Dampfern nach Italien verschiffen, das
fesamte Risiko zum vollen Betrag für die Verschiffung auf den italienischen
)ampfern von der italienischen Regierung und für die Verschiffung auf den
amerikanischen Fahrzeugen vom amerikanischen Kriegsversicherungsbüro über-
nommen wird. Betrüge der Wert auf jedem italienischen oder amerikanischen
Schiff 2 Mill. $, so würde Amerika 10 Mill. $ Versicherung gewähren, die sich
auf fünf verschiedene Schiffe verteilen. Durch Rückversicherung aber würde
das Maximum, welches die amerikanische Regierung für jedes Schiff übernimmt,
auf 1 Mill. $ beschränkt werden. Ebenso würde durch Rückversicherung die
Haftung der italienischen Regierung vermindert werden können. Was die Un-
fallversicherung der amerikanischen Schiffsmannschaften betrifft, so ist darauf
hinzuweisen, daß England eine ähnliche Versicherung, deren Kosten die Reeder
tragen, bereits besitzt und auch die norwegische Regierung einen ähnlichen
Zwangsversicherungsplan ausgearbeitet hat. In England kommt hinzu, daß auch
noch eine Art Staatspension für die Schiffsmannschaften besteht, deren Kosten
aus öffentlichen Mitteln bestritten werden.
412 —
2. Sozialversicherung.
In den wissenschaftlichen Zeitschriften wie in den politischen
Tagesblättern finden sich seit einiger Zeit Erörterungen für und
wider die Beibehaltung der selbständigen Organi-
sationen der Angestelltenversicherung. Die Reichsver-
sicherungsanstalt für Angestellte erläßt folgende Preßnotiz:
Gegen die Zusammenlegung der Angestellten- und Invalidenversicherung
hat sich der Verwaltungsrat der Angestellten Versicherung in seiner letzten Sitzung
nach eingehender Beratung ausgesprochen. Mit allen gegen eine Stimme wurde
ein Beschluß angenommen, worin der Verwaltungsrat mit Befriediguog feststellt,
daß sich die Angestelltenversicherung auch während des Krieges in erfreulicher
finanzieller Entwicklung befindet und sich durchaus bewährt habe. Der Ver-
waltungsrat lehnt daher mit aller Entschiedenheit die vor kurzem hervorgetretenen
Bestrebungen auf Zusammenlegung der Angestellten- und der Invalidenversiche-
rung ab. Derartige Versuche verdienten schon deshalb scharfe Zurückweisung,
weil ihre Verwirklichung zu einer sehr erheblichen Verschlechterung der Ver-
sicherungsrechte und Ansprüche der Angestellten führen würde. Die erstrebte
Umwandlung sei ferner aus dem Grunde zu verwerfen, weil sie im Hinblick auf
die vorgeschrittene Durchführung des An gestellten Versicherungsgesetzes die größten
technischen Schwierigkeiten und finanziellen Schädigungen mit sich bringen
würde. Das Direktorium der Eeichsversicherungsanstalt wurde ersucht, die Ge-
fährdung der Angestelltenversicherung durch die Bedrohung ihrer Selbständigkeit
nachdrücklich zu bekämpfen und bei den gesetzgebenden Körperschaften gegen
jeden Zusammenlegungswunsch Verwahrung einzulegen.
Demgegenüber ist hinzuweisen auf eine in der „Zeitschrift für die
gesamte Versicherungswissenschaft" erschienene Darstellung des Ge-
heimen Regierungsrats Direktors Dr. Zacher.
Dort wird einerseits auf das Verfehlte der künstlichen Bildung eines be-
sonderen „Standes der Angestellten" und dessen Herausnahme aus der all-
gemeinen Sozialversicherung, ferner auf die inneren Schwierigkeiten sowie auf
die ungeheuren Kosten hingewiesen, die durch diese Sonderorganisation erwachsen
und angesichts der starken Verschuldung des Reichs wie der kommenden schwie-
rigen Wirtschaftslage doppelt schwer zu ertragen sein werden. Allein für da»
auf 3000 Beamte berechnete Verwaltungsgebäude sind 10 Mill. M. veranschlagt
worden. Schließlich wird von dem sachkundigen Verfasser die schleunige
Aufhebung der Reichsversicherungsanstalt, die üebertragung ihrer
Aufgaben bezirksweise auf die Träger der Invalidenversicherung, die Eingliederung
des Verfahrens in die Organisationen der Reichsversicherungsordnung und der
Uebergang der Aufsicht über die Durchführung der Angestelltenversicherung auf
das Reichsversicherungsamt gefordert.
Ueber die Ergebnisse der deutschen Angestelltenver-
sicherung im Jahre 1916 ist folgendes mitzuteilen.
Die An gestellten Versicherung erzielte im Jahre eine Beitragseinnahme von
110 Mill. und im Jahre 1914 (die höchste bis jetzt erzielte Einnahme) 132 MilL
Die Versicherung gewährt zurzeit Renten nur in Ausnahmefällen, nämlich dann,
wenn durch erhebliche Beitragsnachzahlungen die Wartezeit abgekürzt worden ist.
Die hauptsächlichste Leistung der Angestellten Versicherung ist vorläufig nur das
Heilverfahren. Im Jahre 1916 wurden 24179 Anträge auf üebernahme solcher
gestellt. In Wirklichkeit wurden 16 804 Personen einer Heilbehandlung unter-
zogen (gegen 1020 im Jahre 1915), wodurch 87, Mill. M. Kosten entstanden. In
2303 Fällen handelte es sich um Zuschüsse zum Zahnersatz. Die Versicherung
gewährt auch Beihilfen zur „Berufsumlernung" ; dahingehende Anträge gingen 87
ein. In der kurzen Zeit ihres Bestehens hat die Angestelltenversicherung mit
— 413 —
ihren knapp zwei Millionen Versicherten ein Vermögen von annähernd einer halben
Milliarde Mark zusammengebracht. Die ßeichsverßicherungßanstalt für Angeßtellte
klagt jetzt sehr über mangelhaften Eingang aller Beiträge durch die Arbeitgeber.
Es sollen schärfere Maßnahmen angewendet werden.
In der Stadt Ludwigshafen a. Eh. ist, wie „Der Arbeitgeber"
berichtet, seit April eine Arb eitslos en Versicherung eingeführt
worden. Der Beitrag ist nicht nach Gefahrenklassen abgestuft, sondern
nach dem jeweiligen Verdienste. 10 Pfennige in der Woche zahlen
Arbeiter, Handlungsgehilfen, Büroangestellte u. a. mit weniger als 4 M.
Tagesverdienst, 15 Pfennige jene mit mehr als 6 M. Tagesverdienst,
20 Pfennige und damit den Höchstsatz Arbeiter mit mehr als 7 M.
Tagesverdienst. Aufgenommen werden als Mitglieder der Arbeitslosenver-
sicherungsanstalt Personen von 16 — 65 Jahren, gleichgültig, ob männlichen
oder weiblichen Geschlechts, bis zu einem Jahreseinkommen von 3CC0 M.
Die tägliche Leistung der Ludwigshafener Arbeitslosenversicherungs-
anstalt beträgt bei einjähriger Wartezeit 1,80 M. als Mindestsatz für
die ledigen Mitglieder bis zu 2,70 M. für die verheirateten mit Kindern ;
bei letzteren kann sie bis zu 3,24 M. steigen. Den beitretenden Kriegs-
teilnehmern ist eine Erleichterung geboten, insofern für sie die Warte-
zeit auf ein halbes Jahr herabgesetzt ist. Der Begriff „Arbeitslosig-
keit" ist festgelegt als „unfreiwilliger, nicht unmittelbar durch Er-
füllung der Wehrpflicht, durch Arbeitsunfähigkeit, Ausstände, Aus-
sperrung oder eigenes Verschulden verursachter Mangel an Arbeit und
Verdienst". Eine Besonderheit der Ludwigshafener Arbeitslosenver-
sicherungsanstalt besteht darin , daß sie auch Kleingewerbetreibende
gegen Verdienstlosigkeit versichern will. Beim Kleingewerbetreibenden
gelten die Voraussetzungen für eine Unterstützuag dann als gegeben,
wenn er beim städtischen Arbeitsamte vergeblich um Vermittlung einer
abhängigen Stellung nachgesucht hat.
Zwecks Beschleunigung der Sozialversicherung in
Oesterreich haben die deutschen sozialdemokratischen
Klubs folgenden Antrag eingebracht:
Die entscheidenden Veränderungen, die die wirtschaftlichen Verhältnisse in
Oesterreich erfahren haben und die wohl noch lange Zeit nach dem Kriege fort-
wirken werden, zwingen zu einer Keihe von Aenderungen im Gefüge des Gesetz-
entwurfes über die Sozialversicherung, der in der vorigen Session von dem per-
manenten Versicherungsausschuß beschlossen worden ist. Andererseits ist die
beschleunigte Einbringung und rascheste Erledigung dieses Gesetzwerkes heute
eine noch dringlichere Staatsnotwendigkeit geworden, als sie es schon vor dem
Kriege war.
Es wird sohin beantragt: Die Eegierung wird aufgefordert, ungesäumt eine
beschleunigte Umarbeitung der Vorlage über die Sozialversicherung, insbesondere
in folgenden ßichtungen vorzunehmen:
1) Bei der Krankenversicherung ist die Ausdehnung auf die bisher noch
nicht einbezogenen Kreise der arbeitenden Bevölkerung vorzunehmen. Ueberdies
sind die leistungsunfähigen kleinen Kassengebilde zu beseitigen und mit den be-
stehenden Kassen zu vereinigen.
2) Für die Unfallversicherung: Die Höhe der ünfallsrenten ist dem gegen-
wärtig geminderten Geldwert anzupassen. Ueberdies ist der Kreis der der Unfall-
versicherung unterliegenden Personen wesentlich auszudehnen.
3) Für die Invaliden- und Altersversicherung: Hier ist eine Trennung der
Eiskengemeinschaft zwischen Selbständigen und Unselbständigen durchzufmiren.
— 414 —
Weiter ist eine Aenderung des organisatorischen Aufbaues vorzunehmen. Die
Kenten sind den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen durch eine Er-
höhung anzupassen.
Endlich ist ein Anschluß der Versorgungseinrichtungen der Kriegsinvaliden
vorzusehen.
Via. Geld, Kredit, Währung.
Inhalt: 1] Der internationale Geldmarkt und die Entwick-
lung in den wichtigeren Ländern während des Monats Juni.
2) Weitere Vorgänge und Gesetzgebung, a) Banken im In-
und Auslande, b) Kreditwirtschaftliche Maßnahmen in Deutschland
und den besetzten Gebieten Belgiens, Oesterreich und den unter österreichischer
Militärverwaltung stehenden Gebieten Serbiens, Portugal, c) Bargeldloser
Zahlungsverkehr in Deutschland und den besetzten Gebieten Belgiens,
Oesterreich. d) Börsenwesen in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden,
Oesterreich-Ungarn. e) Währungs- und Notenbankwesen in Deutschland
und den besetzten Gebieten Rußlands, Luxemburg, Oesterreich-Ungarn, Portugal,
Rußland, der Türkei, Argentinien, Brasilien.
3) Statistik. Uebersicht über den Stand der hauptsächlichen
Notenbanken und der Bankzinssätze.
1. Der internationale Geldmarkt und die Entwicklung in
den wichtigeren Ländern während des Monats Juni,
Am internationalen Geldmarkt konnten die Vereinigten
Staaten von Amerika gegenüber den Verbandsländern ihre Vormacht-
stellung i) weiter verstärken. Die Geldsätze von New York be-
herrschten nach wie vor besonders die Lage des Londoner Geld-
marktes, und man war sich gerade in England darüber klar, daß die
Lösung der immer schwieriger werdenden Finanzfragen der Entente
wesentlich von den Vereinigten Staaten von Amerika abhinge 2). Auf
der anderen Seite wurden allerdings die finanziellen Kräfte Amerikas
durch die Unterstützung der Alliierten ^) und infolge der eigenen Kriegs-
bedürfnisse bereits erheblich angespannt. — Neben zahlreichen Kredit-
geschäften der kriegführenden Länder untereinander und mit neutralen
mußte zwecks Ausgleichs der internationalen Verpflichtungen*) die
1) Vgl. die Aeußerungen des Gouverneurs der Bank von England, Lord Cunliffe
(„Daily Express" vom 29. Mai, „Fin. News" vom 5. Juni).
2) Vgl. „The Statist" vom 23. Juni, S. 1218, vom 30. Juni, und die interessanten
Ausführungen von Professor Cassel im „Svenska Dagbl." vom 31. Juli.
3) Die Vorschüsse Amerikas an die Verbündeten, die, wie „Bankers* Magazine"
(Juni 1917, S. 788) ausführt, nach 30 Jahren rückzahlbar sind, während der Schuldner
■das Recht hat, sie bereits nach 15 Jahren zu tilgen, beliefen sich Ende Juni auf
1008 Mill. $ (vgl. „The Statist" vom 7. Juli, S. 3, „Morning Post" vom 29. Juni).
4) England bekam einen Vorschuß von 75 Mill. $ von Kanada (vgl. „Econ.
Europ." vom 29. Juni), die Canada-Pacific-Eisenbahnges. gewährte außerdem 10 Mill. $
<s. „Köln. Volkszeitung" vom 5. Juli), dagegen zahlte England den am 20. Juni fälligen
Kredit amerikanischer Banken von io Mill. £ zurück (vgl. „The Statist" vom 23. Juni).
— Italien und Rußland brachten Schatzwechsel in London unter. — Frank-
reich nahm eine dreijährige 6-proz. Schatzwechselanleihe in Japan auf über 50 Mill. Yen
zu Pari — allerdings erfolgt die Zahlung mit 40 Proz. erst am 7. Juli, mit 60 Proz.
am 10. August („The Statist" vom 23. Juni, S. 1235) — und hatte an einem der
Paris-Lyon-M§d.-Eisenbahnges. gewährten Kredit in Höhe von 3 Mill. £ Anteil (vgl.
,,Econ. Europ." vom 15. Juni).
— 415 —
Ausfuhr von Wertpapieren i) und Gold 2) fortgesetzt werden, ohne daß
eine weitere Verschlechterung der ausländischen Wechselkurse
immer verhindert worden konnte. Der Kurssturz des Rubels dauerte
im Berichtsmonat an, und auch der Kurs der italienischen Lira mußte
«erneut nachgeben. Während die englischen und französischen Wechsel-
kurse in New York unverändert blieben, war ihre Entwicklung — ge-
rade wie die der amerikanischen Währung — in der Schweiz ^)^ in
den nordischen Ländern, besonders aber in Spanien (Aufgeld gegenüber
dem Pfund Sterling 25,2 Proz., dem Franken 36 Proz., dem Dollar
bereits Mitte Juni I8V4 Proz.) wieder recht ungünstig. In Berlin
brauchten die Wechselkurse auf das neutrale Ausland in Anpassung
an die Auslandsnotierungen während des Monats Juni nur wenig
heraufgesetzt zu werden. In Holland konnte der durch Baissespekula-
tionen*) gedrückte Markkurs in der zweiten Hälfte des Monats — an-
scheinend unter der Einwirkung der Goldausfuhren der Reichsbank —
sich etwas erholen.
Der deutsche Geldmarkt zeigte im Juni wie in den Vor-
monaten eine große Flüssigkeit, die gegen Ende des Monats namentlich
infolge von Kriegsanleihezinszahlungen noch weiter zunahm. Die Ein-
zahlungen auf die 6. Kriegsanleihe, deren Ergebnis einschließlich der
nachträglich eingegangenen Feld- und Ueberseezeichnungen — aber ohne
Berücksichtigung von 492,6 Mill. M Konversionen früherer Anleihen —
endgültig mit 13 122 069 600 M bekannt gegeben wurde 5), setzten sich
ohne jede Schwierigkeit fort. Am 30. Juni waren bereits 12 633 Mill. M
gleich 96,3 Proz., voll gezahlt. Die von der Reichsbank seit Anfang
Juni für Zwecke der 7. Kriegsanleihe zu annähernd den gleichen Be-
dingungen (4^2 Proz.) wie vor der 6. Kriegsanleihe ausgegebenen
Reichsschatzanweisungen waren für die überreichlich vorhandenen
Mittel eine willkommene Anlage.
Der Privatdiskont hielt sich auf dem seit Anfang Juli 1916
unveränderten Stande von 4^8 Proz. Die Sätze für tägliches Geld
1) In England wurde offenbar von einer weiteren Mobilisierung ausländischer
Wertpapiere abgesehen (vgl. „Alg. Handelsbl." vom 10. Juni).
2) Die deutsche Eeichsbank zeigte eine Abnahme des Goldbestandes von
76,5 Mill. M (vgl. dazu „Information" vom 30. Juni). — England hat zur Bezahlung
russischer Kupons 10 Mill. hfl Gold nach Holland geschickt (vgl. „Econ. Stat. Ber."
vom 27. Juni) und außerdem beträchtliche Summen nach den Vereinigten Staaten von
Amerika ausführen müssen, die im Juni einen Goldzufluß von 90 Mill. $ aufwiesen
(vgl. „Daily Telegraph" vom 3. Juli).
3) Die Schweiz legte vom 26. Juni bis 4. Juli — nach zwei 5-proz. Anleihen
von 30 und 50 Mill. frcs und vier 4V2-pi*oz. zu je 100 Mill. frcs — die VII. 4'/9-proz.,
nach 10 Jahren rückzahlbare Mobilisationsanleihe über 100 MiU. frcs zu 96 Proz. auf,
die ein Zeichnungsergebnis von 150,4 Mill. frcs erbrachte.
4) Vgl. „Econ. Stat. Ber." vom 27. Juni.
5) Wie der Keichsbankpräsident in der Zentralausschußsitzung vom 29. Juni und
der Reichsschatzsekretär in der Reichstagssitzung vom 5. Juli ausführten, wurden ins-
gesamt 7 063 347 Zeichnungen abgegeben. Die Zeichnungssumme setzt sich, wie folgt,
zusammen :
Reichsanleihe, Stücke 9 182 863 500 M
„ , Schuldbucheintragungen 2 575 054 900 „
Reichsschatzanweisungen i 364 151 200 „
— 4i6 —
stellten sich im Monatsdurchschnitt mit 4,298 Proz. etwas niedriger als
im Monat Mai (4,432 Proz.). Für Ultimogeld wurden 5 Proz., am
29. Juni 6Y4 Proz. bezahlt.
Die Ausweise der deutschen Reichsbank zeigten im Berichts-
monat und besonders in den letzten beiden Wochen im Zusammenhang
mit den sehr großen Anforderungen zum Halbjahrstermin ein starkes
Anschwellen der Anlage, das indes in seiner Wirkung auf den Status
der Eeichsbank durch eine beträchtliche Vermehrung der fremden Gelder
zum großen Teil wieder ausgeglichen wurde. Die Zunahme des Noten-
umlaufs blieb hinter derjenigen des Juni 1916 um 100 Mill. M zurück;
allerdings war im Berichtsmonat der Bedarf an kleineren Zahlungs-
mitteln, den die Reichsbank durch Hergabe von Darlehnskassenscheinen
aus ihren Beständen befriedigen mußte, größer als vor einem Jahre»
Während der Silberbestand die im Vormonat begonnene Aufwftrts-
bewegung fortsetzen konnte (-j- 30 Mill. M), zeigte der Goldbestand der
Eeichsbank i) im Ausweis vom 23. Juni zum ersten Male seit Ausbruch
des Krieges, wie erwähnt, eine Abnahme, und zwar um 76,5 Mill. M.
Der englische Geldmarkt stand wie schon vorher, so auch
im Berichtsmonat, besonders unter dem Einfluß des amerikanischen
Geldmarktes und der eigenen Kriegsfinanzierung 2). Es herrschte na-
mentlich zu Anfang des Monats unter der Einwirkung der Zinszahlungen
zeitweilig eine erhebliche Geldflüssigkeit vor; sie verschwand, als die
Bank von England größere Summen aus dem Markte nahm, und ver-
stärkte sich wieder beim Herannahen des Termins infolge Nachlassen»
des Absatzes von Schatzwechseln. Um den Verkauf der Kriegsschuld-
verschreibungen zu fördern, war die Regierung bemüht, die Marktzins-
sätze möglichst niedrig zu halten ^) ; doch lief sie dabei Gefahr, die-
Herrschaft über den Geldmarkt zu verlieren*) und amerikanisches Ka-
pital zur Abwanderung zu veranlassen (vgl. „The Statist" vom 16. Juni,
S. 1161). Der Verkauf von Schatzwechseln im Tenderverfahren wurde
Mitte Juni wieder aufgegeben, nachdem er schon für die letzten beiden
Male auf je 25 Mill. £ beschränkt worden war, der Verkauf zur festen
1) Der Goldbestand der Reicbsbank wurde am 31. Juli 1914 mit 1253 Mill. M
ausgewiesen; er stieg bis zum 15. Juni 1917 in ununterbrochener Folge bis auf
2533 Mill. M.
2) Nach „The Econ." vom 30. Juni entfielen von den Gesamtemissionen de»
ersten Halbjahres im Betrage von 1047,2 Mill. £ 99,2 Proz. auf Regierungsanleihen.
Von dem der Industrie usw. zugebilligten Emissionsbetrag von 2,2 Mill. £ rührte der
größte Teil von der Einzahlung auf die „British Trade Corporation" her. — Die „Times"
(vom 4. Juni) schrieben, daß sich nach der Kriegsanleiheauflegung eine gewisse Er-
schöpfung an verfügbaren Kapitalien zeige. — Nach Bonar Law betrugen die täglichen
Kriegskosten von April bis Anfang Juni 7,884 Mill. £ (vgl. „Moming Post" vom 12. Juni),
für die letzten 3 Juniwochen nach „The Statist" (vom 7. Juli, S. 3) 9,842 Mill. £.
3) Am 19. Juni ermäßigte die Bank von England den Depositensatz für Banken
von 4 Proz. auf 37^ Proz , für Clearing- Banken von 47, Proz. auf 4 Proz. („The Econ."
vom 23. Juni).
4) Trotz Ermäßigung der Depositensätze der Bank von England zogen die G^eld-
leihsätze in London an (vgl. „The Statist" vom 23. Juni). — Die Depositenbanken
sahen von einer Ermäßigung ihres Depositenzinssatzes ab.
— 417 —
— allerdings auf 41/2 Proz. ermäßigten — Rate beibehalten i). Der
Absatz an Schatzwechseln blieb ebenso wie die Verkäufe von Exchequer
Bonds und War Saving Certificates 2) unbefriedigend (vgl. „The Statist"
vom 7. Juli).
Die Schwankungen des Privatdiskontsatzes hielten sich
wiederum in engen Grenzen. Im Monatsdurchschnitt stellte sich der
Sata mit 4,697 Proz. um eine Kleinigkeit niedriger als im Vormonat
(4,738 Proz.). Der Satz für tägliches Geld wurde wesentlich be-
einflußt durch Zahlungen oder Geldaufnahmen der Regierung. Er be-
wegte sich zwischen b^j^ Proz. und 4Y4 Proz.
Der Status der Bank von England zeigte eine Abnahme
der sonstigen Sicherheiten um fast 15 Mill. £, nebenher eine Steigerung
der privaten Guthaben um 5,6 Mill. £, während den Guthaben der
Regierung entsprechende Beträge (18,3 Mill. £) entzogen wurden.
Bemerkenswert ist ferner die Stärkung des Barvorrats um 2,4 Mill.
£, auf 57,5 Mill. £, den höchsten seit Juli 1916 ausgewiesenen Be-
trag. — Die durch das weitere Steigen des Umlaufs von currency
notes auf 161,7 Mill. £ (am 27. Juni) beeinflußte Inflation wurde
fortgesetzt stark kritisiert (vgl. „The Econ." vom 9. und 23. Juni).
Am Londoner Silbermarkt stieg der Silberpreis infolge der
starken Nachfrage 3) von neuem. Der Monatsdurchschnitt stellte sich
auf 39,077 d gegen 37,943 d im Mai.
Die Lage des französischen Geldmarktes zeigte gegenüber
den Vormonaten kaum eine Aenderung. Die Schwierigkeiten des De-
visenproblems *) und der inländischen Kriegsfinanzierung ^) dauerten an.
Es ist bezeichnend, daß die Regierung sich zu einer abermaligen Ver-
längerung des Moratoriums um 90 Tage entschließen mußte (vgl. „Econ.
rran9." vom 23. Juni).
Die Vorschüsse der Bank von Frankreich an den Staat er-
fuhren im Berichtsmonate eine auffällig geringe Vermehrung von nur
100 Mill. frcs. Demgegenüber war die Zunahme der Vorschüsse an die
1) Um den Exchequer Bonds keine Konkurrenz zu machen, wurden 12-monatige
Treasury Bills nicht mehr ausgegeben (vgl. „The Econ." vom 23. Juni).
2) Nach „Fin. Times" vom 25. Juli arbeiten in England und Wales jetzt 35 473
ßparvereinigungen und 1459 Ausschüsse für den Absatz von Kriegssparzertifikaten. Es
worden verkauft im April 5,5, im Mai 4,4, im Juni 4,3 Mill. £, bis Ende Juni ins-
gesamt 109,4 Mill. £, und zwar 26 Mill. £ in 1 £- Stücken, 7,4 Mill. £ zu 12 £,
23 Mill. £ zu 25 £, 25,4 Mill. £ zu 26—499 £, 27,6 Mill. £ zu 500 £.
3) Die indische Regierung führte im letzten Finanzjahr mehr als die Hälfte der
gesamten Weltsilberproduktion ein. In Indien nahmen infolge des zur Verhinderung
<ler dort üblichen Goldaufspeicherungen erlassenen Goldeinfuhrverbots offenbar die Silber-
thesaurierungen zu (vgl. „The Econ." v. 23. Juni, S. 1168, und „The Statist" v. 30. Juni,
S. 1280).
4) Die Bank von Frankreich traf besondere Erleichterungen für den Verkauf aus-
ländischer Wertpapiere (vgl. „ficon. Fran9." v. 23. Juni). — Da die Bank die Devisenab-
gabe von dem Nachweis über die Notwendigkeit der Einfuhr abhängig macht, be-
dangen die am freien Markte gehandelten Devisen nach wie vor ein geringeres oder
größeres Aufgeld.
5) Die Summe der Ausgaben, welche durch Einnahmen keine Deckung fanden,
vergrößerte sich fortgesetzt und wurde für Ende September auf mehr als 18 Milliarden frcs
beziffert.
— 4i8 —
Verbündeten i) mit 150 Mill. frcs, des Notenumlaufs *) mit 344 Mill. frc»
recht beträchtlich.
Für die befriedigende Verfassung des österreichisch-ungari-
schen Geldmarktes legten die Zeichnungsergebnisse der 6. Kriegs-
anleihe Zeugnis ab; die gegen Ende Juni geschlossenen Zeichnungen
erbrachten für Oesterreich 4,9, für Ungarn 2,5 Milliarden K.
Die Lage des russischen Geldmarktes war im Monat Juni
unter der Einwirkung der Unsicherheit der politischen Verhältnisse un-
verändert schlecht. Mangels genauerer Nachrichten sei hier auf die
Entwicklung des Standes der Russischen Staatsbank — unter
Ziffer 3. — und auf die Erklärungen des Finanzministers Schingarew
verwiesen („Econ. Europ." v. 13. Juli, S. 27), nach denen sich bei der
Staatsbank die Einlagen verminderten, bei den Sparkassen allerdings
vermehrten. Die Lage der Industrie sei schwierig, da die Banken
keinen Kredit mehr gäben; der Staat würde zur Unterstützung der
Industrie einspringen. Die Steuern gingen schlecht ein, weil es an
Erhebern fehlte. Bis Ende Juni wären auf die Freiheitsanleihe
2478 Mill. ßbl gezeichnet gewesen, nämlich bei der Staatsbank 757,
bei den Handelsbanken 936 und bei den Sparkassen 785 Mill. Rbl.
Am amerikanischen Geldmarkt verursachten namentlich
die ersten Einzahlungen auf die „Freiheitsanleihe" 3) und die Auflegung
einer Roten-Kreuz-Anleihe über 100 Mill. $ trotz der zu Anfang des
Monats erfolgten reichen Zinszahlungen und trotz der Ueberwachung
der Kapitalübertragungen nach dem neutralen Auslande („New York
Tribüne" v. 5. Juni) eine Geldknappheit, die den Satz für tägliches
Geld bis auf 6 Proz. heraufschnellen ließ und das Schatzamt veran-
laßte, den Gegenwert der Anleiheeinzahlungen alsbald den Banken als
Depositum wieder zur Verfügung zu stellen (vgl. „Times" vom 28. Juli,_
ferner „Bankers' Magazine", Juni, S. 788).
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung*).
a) Banken im In- und Auslande.
Es wurden übernommen von der Allgemeinen Deutschen Credit-
Anstalt, Leipzig (vgl. Chr. 1916, S. 777): die Oberlausitzer Bank zu
1) Durch Gesetz wurde die Regierung zu weiteren Vorschüssen an die Verbündeten
und befreundeten Regierungen im Betrage von 2,1 Milliarden frcs ermächtigt. Bisher
waren 3875 Mill. frcs bewilligt worden (vgl. „Journ. du Lundi" v. 2. Juli).
2) Vgl. die Interpellation Chastenet im Senat (29. Juni), in der unter Hinweis
auf das deutsche Beispiel eine kräftigere Propaganda zur Einschränkung des Notenum-
laufs gefordert wurde. An Banknoten sollen in Frankreich 9 — 10 Milliarden frcs, an
Gold 2 Milliarden frcs, an Silber 500 Mill. frcs thesauriert sein. In einer anscheinend
offiziösen, wenig glücklichen Gegenäußerung des „Journ. des Debats" vom 2. Juli wird
u. a. die Meinung vertreten, daß bei einer Würdigung des Notenumlaufs der Bank von
Frankreich die thesaurierten Summen außer Ansatz bleiben können.
3) Auf die im Betrage von 2 Milliarden $ aufgelegte Anleihe wurden insgesamt
3 025 226 850 $ gezeichnet (vgl. „tcon. Europ." v. 6. Juli). Die Mitwirkung der
Banken scheint dabei eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Die Anleihe ist als-
bald unter Emissionskurs gesunken.
4) Besondere Abkürzungen: BelgGVBl. = Gesetz- und Verordnungsblatt für die
okkupierten Gebiete Belgiens. — FMBl. = Finanz- Ministerial- Blatt. — JMBl. = Justiz-
~ 419 —
Zittau, Zittau, mit Filialen in Löbau und Neugersdorf, und die Gerings-
walder Bank, Geringswalde, mit Filialen in Döbeln, Frohburg, Geit-
hain, Mittweida, Rochlitz und Roßwein, — von der Mitteldeutschen
Privat-Bank A.-G., Magdeburg: die Bankfirma Friedrich Schultze,^
Weißenfels, und der Greußoner Bankverein A.-G., Greußen, — von
der Bank für Thüringen vorm. B. M. Strupp Akt.-Ges., Meiningen:
das Bankhaus I. Heilbrun & Co., Erfurt, — von der Bayerischen Ver-
einsbank, München (vgl. S. 118): die Ulmer Filiale der Württembergischen
Vereinsbank Stuttgart (vgl. S. 285), — von der London City and Mid-
land Bank Ltd., London (vgl. Chr., 1916, S. 889): die Belfast Banking
Co. Ltd., Belfast.
Filialen eröffneten die Ostbank für Handel und Gewerbe, Posen
und Königsberg (vgl. S. 194), in Grodno, der Banco Nacional Ultra-
marine, Lissabon (vgl. S. 120), in Bahia und Pernambuco (Brasilien),
die Yokohama Specie Bank Ltd., Yokohama (vgl. Chr. 1916, S. 827),
in Rio de Janeiro.
Gegründet wurden in Berlin die Sparbank Siemensstadt G. m.
b. H., in Bochum die Handels- und Handwerkerbank G. m. b. H., in
Warschau mit 1 Mill. Rbl Kapital die Bank für Immobilienbesitz, in
Kopenhagen mit 1^2 Mill. Kr die Exportbank Industrial Trade Cy, in
Genua mit 4 Mill. Lire die Banca Genovese di Credito, in Kristiania
mit 6 Mill. Kr das Norwegische Emissions-Institut und mit 2 Mill. Kr
The Northern Holding Company (Bank für ausländische Wertpapiere
in Norwegen), in Stockholm mit 10 Mill. Kr die Emissions-Akt.-Ges,
Merkator, in Changsha (China) mit 1 Mill. Yen die Chinesisch-Japa-
nische Bank.
Die Bank Handlowy (Handelsbank), Posen (vgl. S. 118), erhöht
ihr Kapital um 2^/2 auf 5 Mill. M.
Die Gebäude der Londoner Filialen der Deutschen Bank,
der Dresdner Bank und der Direktion der Disconto-Gesellschaft sind
am 19. Juni versteigert worden (vgl. S. 284).
Ueber die Abänderungen der am 25. Juni genehmigten Charter
der British Trade Corporation (vgl. Maichronik) erscheint ein
Weißbuch; der Prospekt ist in „The Statist" vom 30. Juni ab-
gedruckt.
Aus Madrid wird die Gründung der As ociacion de Banque-
ros Espanoles del Centro de Espaiia (Vereinigung spanischer
Bankiers Mittelspaniens) gemeldet.
b) Kreditwirtschaftliche Maßnahmen.
In Deutschland und den besetzten Gebieten wurden ver-
öffentlicht: 1) Bek. des RKzl., betr. Zahlungsverbot gegen Ita-
lien, V. 7. Juni (RGBl. S. 483); 2) dgl., über die Anwendung der
Ministerial-Blatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege. — ObostBVBl. =
Befehls- und Verordnungsblatt des Oberbefehlshabers Ost. — OestRGBl. = Reichsge-
setzblatt für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder. — PostBl. = Amts-
blatt des Reichs-Postamts. — SerbVBl. = Verordnungs-Blatt der k. u. k. Militärver-
waltung in Serbien. — VMBl. = Ministerial-Blatt für die Preußische innere Verwaltung.
— GG. = Generalgouverneur.
V., betr. Verträge mit feindlichen Staatsangehörigen, auf
Portugal, V. 19. Juni (RGBl. S. 503; vgl. Chr. 1916, S. 890); 3) V.
des BR. über die Geltendmachung von Ansprüchen von Personen,
die im Ausland ihren Wohnsitz haben, v. 28. Juni (RGBl. S. 566);
4) dgl., betr. die Fristen des Wechsel- und Scheckrechts für
Elsaß-Lothringen, v. 28. Juni (RGBl. S. 566 ; vgl. S. 196) ; 5) dgl.,
betr. Aenderung der Postordnung v. 20. März 1900, v. 3. Juli
(RGBl. S. 587; vgl. S. 196); 6) Min.- Vf., betr. Veröffentlichung
des Verlustes von Inhaberpapieren, v. 14. Mai (VMBl. S. 146
und FMBl. S. 174); 7) V. des GG. in Belgien, betr. Bestellung von
Aufsichtspersonen über Unternehmungen Angehöriger des feind-
lichen Auslandes, v. 23. Juni (BelgGVßl. S. 3921); 8) dgl., betr. die
üebert ragung weiterer dem Generalkommissar für die
Banken in Belgien auf Grund der Verordnungen v. 26. Nov. 1914
und 17. Febr. 1915 zustehenden Befugnisse auf den Verwaltungs-
chef bei dem GG. in Belgien, v. 23. Juni (BelgGVBl. S. 3922); 9) dgl.
betr. Zahlungsverbot gegen Italien, v. 25. Juni (BelgGVBl.
S. 3929).
Das österreichische Gesamtministerium hat unter dem 19. Juni
«rlassen: 1) V. über Erleichterungen bei der Erfüllung privat-
rechtlicher Geldforderungen (OestRGBl. S. 671); 2) dgl. über
die Stundung privatrechtlicher Geldforderungen gegen
Schuldner in Galizien und in der Bukowina (OestRGBl. S. 675);
3) dgl. über Bilanzen und Abweichungen von statutarischen
Bestimmungen während des Krieges (OestRGBl. S. 683).
Für die unter österreichischer Mil. -Verw. stehenden Ge-
biete Serbiens werden im SerbVBl. v. 14. Juli veröffentlicht: 1) V.,
betr. den Verkehr mit ausländischen Zahlungsmitteln und
den Geldverkehr mit dem Auslande, v. 7. Juni; 2) dgl., betr.
die Entrichtung von Stempel- und anderen Gebühren, v. 8. Juni;
3) dgl., betr. die Anzeigepflicht von Zahlungen bestimmter
Schulden, v. 16. Juni; 4) Bek., betr. die Errichtung einer Devisen-
zentrale des MGG. in Serbien, v. 25. Juni; 5) dgl., betr. das
Verbot der Ein- und Durchfuhr von Zahlungsmitteln der
Rubelwährung, v. 22. Juni; 6) dgl,, betr. Konzessionserteilung
zum Devisen-Verkehre, v. 30. Juni.
Durch V. der portugiesischen Regierung v. 18. Mai werden
die Maßnahmen gegen den Handel mit dem Feinde auf die
von diesem besetzten Gebiete der Verbündeten ausgedehnt (vgl. Chr.
1916, S. 780).
c) Bargeldloser Zahlungsverkehr.
Maßnahmen in Deutschland und den besetzten Gebieten:
1) AUg. Vf. des preuß. Justizmin. über weitere Einschränkung des
baren Zahlungsverkehrs und Aenderung der Kassenordnung, v.
2. Juni (JMBl. S. 183); 2) dgl. über die Beteiligung der Gerichts-
vollzieher am Postscheckverkehr, v. 4. Juni (JMBl. S. 187);
8) dgl. über die Zahlung des Bargebots bei Zwangsversteige-
rung en sowie über Aenderungen der Kassenordnung, v. 12. Juni
— 421 —
{JMBl. S. 191; vgl. Maichronik); 4) Best, des Kaiserl. Patentamts, betr.
<lie Zahlung patentamtlicher Gebühren, v. 25. Juni (RAnz.
V. 27. Juni; vgl. S. 198); 5) Vf. des Reichs-Postamts, betr. Wegfall
der Empfangsbescheinigung bei Ueberweisung des Gehalts
Äuf ein Konto des Zahlungsempfängers, v. 28. Juni (PostBl. S. 241);
6) V. des GG. in Belgien, betr. Ergänzung der V. v. 29. Juni 1916 über
die Wiederaufnahme des Postscheck- und Ueberweisungs-
dienstes, v. 19. Juni (BelgGVBl. S. 3920).
In Oesterreich erfolgte unter dem 18. Juni eine Bek. des
Ministerpräsidiums pp., betr. den Vollzug von Auszahlungen für Rechnung
des Ministerrates und des Verwaltungsgerichtshofes durch
die Postsparkasse (OestRGBl. S. 660; vgl. S. 199).
d) Börsenwesen.
Die Pachorganisation der freien Makler an der Berliner
Börse (vgl. Chr. 1916, S. 893) erhöht die Maklergebühr von 1/2
auf 1 Prom.
Die Zulassungsstelle der Berliner Börse wird von dem
preußischen Handelsminister angewiesen, einem künftigen Zu-
lassungsantrage für die neuen Aktien einzelner Firmen, die Ka-
pitalserhöhungen trotz vorheriger amtlicher Warnung durchgeführt
haben, nicht zu entsprechen (vgl. S. 122).
Die Pariser Börse bleibt ab 1. Juni Sonnabends bis auf
weiteres geschlossen.
In den Niederlanden ist am 1. Juni ein neues Stempel-
gesetz in Kraft getreten, durch das ein Effektenumsatzstempel von
Y2 Prom. eingeführt und der bestehende Effektenstempel für fremde
Obligationen auf 8 Prom., für fremde Aktien auf 10 Prom. erhöht wird.
Die Wiener Börsekammer erläßt weitere Kundgebungen gegen
die Spekulation („Voss. Ztg." vom 5., 12., 23. Juni; vgl. Maichronik),
verbietet die Neuaufnahme von Aktien in den Kulissenhandel
(„Oesterr. Volksw." vom 9. Juni), stellt Sonnabends während des
Sommers den Börsenverkehr ein, und führt Gruppensystem der
Makler und Kursfestsetzung nach Berliner Muster ein („Frankf.
Ztg." vom 26. Juni und „Oesterr. Volksw." vom 30. Juni). — Auch
die Budapester Börse bleibt während der Sommermonate Sonn-
abends geschlossen, und trifft Maßnahmen gegen die Ueberspeku-
lation („Voss. Ztg." vom 13. Juni).
e) Währungs- und Notenbankwesen.
In Deutschland und den besetzten Gebieten: 1) Bekanntm.
des Reichskanzlers über Silberpreise vom 19. Juni (RGBl. S. 505;
vgl. Maichronik); 2) Verf. des Reichspostamts, betr. Beschränkungen
im Zahlungsverkehr nach dem Auslande, vorn?. Juni (PostBl.
S. 209; vgl. S. 288); 3) Best, des Ob.Ost über die Behandlung nach-
gemachter oder verfälschter Darlehnskassenscheine der
Hauptverwaltung der Darlehnskassen in Berlin und der Darlehnskasse
Ost der Ostbank für Handel und Gewerbe vom 1. Juni (Ob.-OstBVBl.
S. 640); 4) V. des Ob.Ost über die gewerbliche Verarbeitung
von Münzen des Deutschen Reiches vom 4. Juni (Ob.OstBVBl. S. 646).
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Volkswirtsch. Chronik. 1017. XXVIII
— 422 —
6) Zur Erleichterung der Beschaffung des Bedarfs an Zahlungsmitteln
für die im Osten und Südosten kämpfenden deutschen Truppen ist in
Wien eine Zweigstelle der Preuß. Generalkriegskasse er-
richtet worden („Nordd. Allg. Ztg." vom 6. Juni).
Zur Behebung des Kleingeldmangels wurden weitere Maß-
nahmen getroffen (vgl. Maichronik): a) In Deutschland: 1) Erlasse
des preuß. Finanz- und Justizministers, betr. Annahme und Um-
tausch von Hartgeld (FMBl. S. 198 und JMBl. S. 209); 2) ErL
des preuß. Ministers des Innern, betr. die Münzen in den Automaten
und Sammelbüchsen („Nordd. Allg. Ztg." vom 22. Juni) ; 3) Bekanntm.
des Berliner Magistrats über den Münzenumlauf („Nordd. Allg. Ztg."
vom 6. Juni) ; 4) Beauftragung der Post- und Telegraphenanstalten mit
der Umwechselung von Nickelgeld („Nordd. Allg. Ztg." vom
13. Juni) und Ermächtigung zur Annahme von Notgeld im ört-
lichen Verkehr („Voss. Ztg." vom 7. Juni; vgl. Maichronik), b) In
Luxemburg wurde die Regierung durch Großherzogl. Beschluß vom
15. Juni zur Prägung neuer Scheidemünzen zu 5, 10 und evtl.
zu 26 cts bis zum Höchstbetrage von 400 000 frcs ermächtigt (vgl.
Chr. 1916, S. 691).
In Oesterreich hat der Finanzminister unter dem 27. Juni eine
Bekanntmachung, betr. Abänderung der Prägevorschriften
über die Ausprägung von 20 K- Stücken für Privatrechnung
(Oest. EGBl. S. 693), und unter dem 28. Juni einen Erlaß, betr. die
Ausgabe der neuen Banknoten zu 2 K mit dem Datum 1 . März
1917 (Oest. RGBl. S. 691) veröffentlicht.
Durch V. der portugiesischen Regierung vom 11. September
1916 sind die Silbermünzen der früheren Regierung außer
Kurs gesetzt worden („Nachr. f. Handel, Ind. u. Landw." v. 2. Juli).
In Rußland werden die Einfuhr von russischen Wert-
papieren und Zinsscheinen — mit Ausnahme der Kriegsanleihen — ,
sowie die Ausfuhr von Fonds — nach anderen Meldungen nur Ver-
sendung von Schecks — und Rubelverfügungen in laufender
Rechnung zugunsten russischer Firmen oder Personen im Auslande
verboten; im Finanzministerium wird eine besondere Abteilung für
ausländische Wertpapiere eingerichtet und der Umsatz in Wertpapieren
zentralisiert („Frankf. Ztg." und „Voss. Ztg." vom 21. Juni).j
Durch ein türkisches Gesetz vom 8. April wird die gesamte
Ausfuhr bis zum Ablauf von 3 Monaten nach Beendigung des Krieges
einer Ausfuhrkommission unterstellt, die für alle auszuführenden
Waren die Preise festsetzt („Deutsches Handelsarchiv", Juniheft 1917,
S. 580).
Der argentinische Bankier Tornquist tritt in einem Bericht
über das argentinische Finanzwesen im zweiten Kriegs jähr für die Er-
setzung der Konversionskasse durch eine staatliche Noten-
bank ein („Frankf. Ztg." vom 28. Juni).
Ueber Notenausgabe und Währungsverhältnisse in Brasilien
vgl. „Die Bank", Juli 1917, S. 607.
üebersichtüber den st
sowie des BankzinE
3. Statistik. 423
and der deutschen und einiger au sl an dischenNotenbanken,
jfußes an den wichtigeren Börsenplätzen im Juni 1917.
Beträge in Millionen Mark.
Deutsches Reich |
Bank
von
Bank
von
Russische ^
Staatsbank
Reichs,
bank
Privat-
noten
banken
Summe
(nach „L'fico-
nomiste
Pran^ais")
England
(nach „The
Statist")
nach
„L'Eco-
Qi miste
Francais"
nach
Wolffi
De-
peschen
Ausweis vom
15. 1 30. 1 15. 1 30. 1 15. 1 30.
Juni
Ausweis V.
14. 1 28.
Juni
Ausweis V.
13. 1 27.
Juni
Ausweis V.
14. 1 29.
Juni
Iktiya.
Barvorrat ;
Metall /^^l^- • • •
Metall j g.j^^g^
2533
50
2457
64
—
—
—
—
4278
209
4283
211
1132
—
3203
269
3199
279
Summe
Sonstige Geldsorten . .
Wechsel auf das Ausland
und Guthaben daselbst
2583
533
2521
453
68
36
67
26
2651
569
2588
479
4487
4 494
1132
1175
3472
4 577
3478
4578
Cksamtsumme d. Barvorrats
3 116
2974
104
93
3 220
3067
4487
4 494
1132
1175
8049
8056
Anlagen
Wechsel^)
Lombard
Effekten
Sonstige Anlagen . . .
9 474
10
ICK»
1078
10962
9
105
I 224
III
67
21
55
114
68
21
67
9585
77
121
I 133
II 076
77
126
I 291
1999
935
179
II 219
2007
917
179
II 356
Bank
Gov.
923
Other
2311
.Dep.
See.:
926
See:
2047
707
3 105
22498
827
3 III
Summe der Anlagen
10662
12300
254
270
10 916
12570
14332
14459
361 1
3350
26864
Summe der Aktiva
13778
15274
358
363
14 136
i';637
18819
i8q53
4743
4525
34913
—
PassiTa.
Grundkapital
Keservefonds
Notenumlauf
Yerbindlichkeiten:
TAirUoh f Privatguthaben .
*^r iOeffentl. Guthaben
180
90
8 224
I4816
180
90
8699
5693
56
15
152
104
56
15
154
107
236
8376
4920
236
105
8853
5800
155
28
16033
2132
28
155
28
16057
2243
27
298
61
793
2570
1017
298
61
805
108
II
26321
4 437
1814
108
II
27199
4667
l Summe
Sonstige Verbindlichkeiten
4816
468
5693
612
104
31
107
31
4920
499
5800
643
2 160
443
2 270
443
3587
4
3357
4
6251
2 222
4667
Summe der Passiva
13778
15274
358 1
363
14136I15637
18819
18953
4743
4525
34913
—
Äotenrea rve im Sinne des
betreffenden Bankgesetzes
')
•)
20
7
')
')
977
953
715
748
4 139
3258
Deckung:
in Prozenten
der Noten durch den ge-
samten Barvorrat^) . .
durch den inländischen
Metallvorrat
der Noten u. sonstigen täg-
lich fälligen Verbind-
lichkeiten durch den ge-
samten Barvorrat . .
Bankzinsfuß
während des Monats
Juni
Wegen ümre
37,9
31,*
23,9
in Be
5,-
chnung
34
29
20
rlin
der
2
,0
ii
fr
68,1
44,8
40,4
l Wi€
5,—
emdei
60,8
43,7
35,7
n
a Va
38,4
31,7
24,2
in Pari
5,-
Juten V
9
SV
14,6
89,2
?0,9
inL
5
7. vg
28,0
17,7
24,7
ondon
1. Chro]
28,0
17,7
24,5
in
St.Petei
6,-
Qik 191
142,7
142,7
25,8
•sburg
3, S.
146,0
146,0
28.3
in
Amstei
4V
1038
30
13
24
rdam
unte
,6
,2
,7
Ne^
4
D.
29,«
12,8
«5,8
in
»eYork
1) Für die Reichsbank die gesamte bankmäßige Deckung, d. h. Wechsel, Schecks und diskontierte
Schatzanweisungen. 2) Für die Reichsbank ist die Notensteuer bis auf weiteres aufgehoben (Ges. v.
4. Aug. 1914, RGBl. S. 327). 3) Darunter im Auslande am 14. und 28. Juni: 1648 Mill. M.
4) Einschließlich der 377 Mill. M betragenden Anlagen des Issue - Department. 5) Totalreserve. 6) Ver-
hältnis der Reserve zu den Depositen am 13. Juni: 19,9 Proz. ; am 27. Juni: 22,3 Proz. 7) Die in dieser
Spalte offen gelassenen Posten ergeben sich nicht aus den Wolffschen Depeschen. 8) Diskontrate für
60 Tage. 9) Im Sinne der betr. Bankgesetze, d. h. für Frankreich und Rußland unter Einrechnung des
sogenannten „Auslandsgoldbestandes".
XXVIII*
— 424 —
VII. Arbeiterrerhältnisse.
Inhalt: Der Arbeitsmarkt im Juni 1917. Die Arbeitslosenziffer der Arbeiter-
verbände. Die Statistik der Arbeitsnachweise. Der weibliche Arbeitsmarkt. Die
Berichte der Arbeitsnachweisverbände. Der Berliner Arbeitsmarkt. Die Löhne der
Arbeiterschaft während des Krieges.
Die für Heer und Marine arbeitende deutsche Industrie war im
Monat Juni wie in den Vormonaten bis zur Grenze ihrer Leistungs-
fähigkeit beschäftigt. Sie konnte den großen Anforderungen, die an
sie gestellt wurden, zum großen Teil nur unter Zuhilfenahme von Ueber-
stunden und Nachtschichten nachkommen. Eine Sonderstellung nimmt
wie immer das Baugewerbe ein. Nach dem Bericht des „Baumaterialien-
Marktes" zeigte der Baumarkt im Juni gegenüber dem Mai keine Ver-
änderungen. Bei den Bauten für Heereslieferungen war gegenüber dem
Vorjahr ein gewisser Stillstand zu bemerken, da die in den letzten
Jahren ausgeführten Erweiterungen und Neuanlagen vorläufig den An-
sprüchen genügen. Lediglich aus dem Wiederaufbaugebiet Ostpreußens
und aus Marienburg wird über eine rege Privatbautätigkeit berichtet.
Die Arbeitslosenziffer, die allmonatlich aus den Angaben
der Arbeiterverbände berechnet wird, hatte Ende Juni den niedrigen
Stand von 0,9 v. H. Es berichteten im einzelnen 35 Arbeiterverbände
für 929 227 Mitglieder; davon waren Ende Juni 7967 arbeitslos. Der
Vormonat hatte eine Arbeitslosenziffer von 1,0 v. H. ergeben. Der
Juni der Jahre 1914, 1915 und 1916 wies jeweils eine erheblich höhere
Ziffer, nämlich 2,5 v. H. auf.
Stellt man für die 6 größten Arbeiterverbände — es sind
durchweg sogenannte freie Gewerkschaften — die Arbeitslosenziffern
während der letzten Monate zusammen, so ergibt sich folgendes Bild:
Arbeitslosigkeit v. H. der vom
Mitgliederzahl
Ende Juni
Bericht erfaßten Mitglieder
Arbeiterverbände
Ende
Ende
Ende
Ende
1917
Juni
Mai
April
März
1917
Metallarbeiter
315345
0,2
0,2
0,3
0,4
Fabrikarbeiter
92822
0,2
0,2
0,4
0,5
Bauarbeiter
79758
0,1
0,2
o,s
1,6
Holzarbeiter
77729
0,6
0,6
0,8
0,8
Textilarbeiter
66854
4,1
5,2
7,0
9,0
Transportarbeiter
59005
0,2
0,8
o,s
0,*
Danach ging insbesondere beim Textilarbeiterverband die Ziffer
von Ende Mai auf Ende Juni erheblich zurück.
Die Statistik der Arbeitsnachweise läßt für das männ-
liche wie für das weibliche Geschlecht ein weiteres Sinken des An-
dranges der Arbeitsuchenden erkennen. Im Juni kamen auf 100 offene
Stellen bei den männlichen Personen 47 Arbeitsgesuche gegen 53 im
— 425 —
Mai; beim weiblichen Geschlecht ging die Andrangsziffer von 96 im
Mai auf 86 im Juni zurück.
Bei der besonderen Bedeutung, welche dem weiblichen Arbeits-
markt zurzeit zukommt, seien für die wichtigsten weiblichen Berufsarten
die Verhältnisziffern im Mai und Juni 1917 sowie im Juni 1916 be-
sonders aufgeführt.
Zahl der
Auf 100 offene Stellen kamen
Wichtige Berufsarten
Vermitt-
.... Arbeitsgesuche im
lungen im
Juni
Juni
Mai
Juni 1917
1917
1916
1917
Weibliche Personen.
Landwirtschaftliche Arbeiterinnen
5 934
53
76
58
Metallarbeiterinnen
17 "9
80
180
94
Arbeiterinnen in der chemischen Industrie
2532
78
106
67
Spinnstoffarbeiterinnen (einschl. Färberei- und
Appreturarbeiterinnen)
3 395
365
628
345
Buchbinderei- u. Kartonnagenarbeiterinnen usw.
1245
64
140
80
Arbeiterinnen in der Lederindustrie
543
72
143
90
Tabakarbeiterinnen usw.
1327
96
186
112
Schneiderinnen, Putzmacherinnen usw.
10624
HO
^95
138
Büglerinnen, Wäscherinnen in Wasch- und
Plättanstalten usw.
836
75
130
66
Buchdruckereiarbeiterinnen
2553
79
130
86
Fabrikarbeiterinnen
14024
78
217
98
Angestellte im Handelsgewerbe
2093
202
340
298
Kellnerinnen, Büfettfräulein
9 H9
107
131
"3
Hotelzimmermädchen, Beschließerinnen
641
57
119
77
Kochpersonal in Gastwirtschaften
642
59
118
87
Herd- u. Küchenmädchen in Gastwirtschaften
2723
52
93
58
Putz-, Wasch-, Lauffrauen, Auf Wärterinnen usw.
19275
79
136
77
Dienstboten, Hauspersonal
7329
39
120
43
Sonstige Tagelöhnerinnen
8802
100
141
89
Freie Berufsarten
706
196
267
214
Danach wurde vom Mai zum Juni die Lage des Arbeitsmarktes
insbesondere für die Angestellten im Handelsgewerbe, für die Schneide-
rinnen und Putzmacherinnen , für die Metallarbeiterinnen erheblich
günstiger.
Die Berichte der Arbeitsnachweisverbände über Beschäf-
tigung und Arbeitsmarkt sind im Reichs-Arbeitsblatt, Juliheft, über-
sichtlich zusammengestellt. Danach lassen die Berichte für West-
preußen, Hannover, Braunschweig, Oldenburg und Bremen keine erheb-
liche Abweichung von der bisherigen Lage erkennen. In Pommern ist
für die Landwirtschaft gleichfalls im allgemeinen keine Veränderung
zu verzeichnen. Auch in Hessen und Hessen-Nassau ist die Grund-
richtung der Entwicklung des Arbeitsmarktes unverändert geblieben.
Aus Bayern wird berichtet, daß sich die Beschäftigungsmöglichkeit für
männliche wie für weibliche Arbeitsuchende weiterhin vergrößert hat.
Für Schlesien blieb der männliche Arbeitsmarkt im ganzen der gleiche
wie im Vormonat, während sich für die weiblichen Arbeitskräfte eine
— 426 —
Aenderung der Lage in der Weise bemerkbar machte, daß die Nach-
frage der Landwirtschaft, der Rüstungsindustrie wie des Bekleidungs-
und des Handelsgewerbes der Provinz Schlesien lebhaft stieg, so daß
eine Abgabe zahlreicher weiblicher Arbeitskräfte an Fabriken Mittel-
deutschlands, wie sie bisher möglich war, nicht mehr statthatte. In
Hamburg ist auf dem Arbeitsmarkt für weibliche Personen eine Zu-
nahme nicht nur der offenen Stellen, sondern auch der Arbeitsuchenden
und der Stellenvermittlungen festzustellen. In Schleswig-Holstein
machte sich insgesamt eine nicht unbedeutende Steigerung der Tätig-
keit der öffentlichen Arbeitsnachweise bemerkbar. Während für Elsaß-
Lothringen eine Besserung der Lage des Arbeitsmarktes für weibliche
Personen gemeldet wird, berichtet eine Anzahl von Arbeitsnachweis-
verbänden über einen Rückgang. In Westfalen hat sich zwar die Zahl
der weiblichen Arbeitsuchenden, wenn auch unwesentlich, erhöht, doch
ist eine Abnahme der männlichen Arbeitsuchenden hervorgetreten. Das
gleiche gilt für das Königreich Sachsen. In Thüringen, Württemberg und
Baden ist das Angebot nicht nur männlicher, sondern auch weiblicher
Arbeisuchender zurückgegangen. Auch für die Provinz Rheinland ist
eine rückläufige Bewegung zu erkennen.
Für Berlin und die Provinz Brandenburg soll mit Rück-
sicht auf die besondere Bedeutung dieses Arbeitsmarktes die Lage nach
dem Bericht des Verbandes Märkischer Arbeitsnachweise (vgl. Reichs-
Arbeitsblatt, Juliheft, S. 560 und 561) besonders geschildert werden.
Danach ist das regelmäßige sommerliche Abflauen, welches die Lage
des Arbeitsmarktes im Monat Juni sonst kennzeichnete, in diesem Jahre
in keiner Weise spürbar geworden. Im Gegenteil, die Anspannung
und der Mangel an Arbeitskräften fast aller kriegswichtigen Betriebe
hat sich noch verschärft.
In der Metallindustrie hält der Mangel an Facharbeitern, wie Drehern,
Werkzeugmachern, Mechanikern, Schmieden, Kupferschmieden usw., weiter an.
Nur beschränkt verfügbar waren Maschinen- und Hilfsarbeiter, MetaUschleifer,
Gürtler, Goldarbeiter, Klempner und Autogenschweißer.
Buchbinder und Buchbinderinnen hatten volle Beschäftigung. Die
Beschaffung von Beschneidern und Kontobucharbeitern und auch weiblicher
Arbeitskräfte war sehr schwierig.
Im Monat Juni fehlte es wieder hauptsächlich an eingearbeiteten Möbel-
tischlern, zeitweise auch an Bautischlern. Am Schlüsse des Monats waren im
paritätischen Facharbeitsnachweise für die Berliner Holzindustrie 185 Arbeits-
lose gemeldet. Die gebotenen Stellen für den HUfsdienst konnten fast alle nicht
besetzt werden, da der gebotene Lohn den Stellensuchenden zu gering war. Ganz
besonders fehlten Böttcher, Korb- und Bürstenmacher.
Bei den Bäckern wurden infolge starker Einberufungen hauptsächlich
Ofenarbeiter verlangt ; junge Kräfte fehlten. Infolge der Kartoffelknappheit haben
die Bäcker mehr Umsatz und deshalb viele Aushilfen gebraucht. Im paritä-
tischen Facharbeiternachweis der Brauer haben sich 102 Personen weniger an-
schreiben lassen als im gleichen Monat des Vorjahres. Ein Mangel an Arbeits-
losen war am 1. Juli nicht zu verzeichnen. Die Nachfrage nach Personal ist gegen
den Vormonat um 107 Stellen und gegen den gleichen Monat des Vorjahres um
79 Stellen gestiegen.
Im Baugewerbe hat sich die Lage infolge behördlicher Einschränkungen
der privaten Bautätigkeit verändert. Maurer, Zimmerer, Dachdecker imd Bau-
— 427 —
arbeiter, die lange Zeit auf dem Arbeitsmarkt fehlten, waren wieder in beschränkter
Anzahl aufgetaucht.
Im Handelsgewerbe kamen nach Berichten der kaufmännischen Arbeits-
nachweise auf 2 offene Kontoristenstellen 1 Bewerber und auf 5 offene Lageristen-
bzw. 3 Verkäuferstellen je 1 Bewerber.
Bau- und Erdarbeiter, Verkehrsarbeiter, sowie Arbeiter für Kohlen-,
Eisen- und Holzplätze waren stark gesucht.
Die Knappheit weiblicher Arbeitskräfte machte sich geltend, sie kommt
vor allem in den steigenden Löhnen zum Ausdruck. Der wöchentliche Durch-
schnittslohn der ungelernten Arbeiterinnen betrug 29,24 M. gegen 16,23 M. im
Vorjahr, eine Steigerung um beinahe 90 v. H. Die Hauptanforderungen hatte
nach wie vor die Munitionsindustrie. Zurückgegangen ist die Nachfrage für
Heeresnäharbeiten, Buchdruck- Hilfspersonal feWte weiter. Die Lage des Arbeits-
markts für jugendliche Arbeiterinnen zeigte im allgemeinen dasselbe Bild wie das
für ältere Arbeiterinnen. Der wöchenthche Durchschnittslohn für Jugendliche
zeigte im Verhältnis dasselbe Ansteigen von 19,00 M. gegen 10,62 M. im Vor-
jahre. Am regsten waren Angebot und Nachfrage auch hier in der Metallindustrie.
Der Aufruf der Kriegsamtsstelle zur üebernahme von Arbeiten in der Munitions-
industrie hatte einen erfreulichen Erfolg. In der Abteilung für weibliche Per-
sonen des städtischen Arbeitsamtes Schöneberg konnten z. B. 311 solcher Stellen
infolge der vermehrten Meldungen besetzt werden. Durch den gesteigerten Be-
darf an kaufmännischen Kräften für militärische Büros stieg die Nachfrage.
Mangel ist immer noch an gut ausgebildeten Stenotypistinnen und gewandten
Kontoristinnen, sowie Buchhalterinnen ; dagegen ist Ueberfluß an mangelhaft vor-
gebildeten Anfängerinnen vorhanden. Der Mangel an Hauspersonal blieb auch
im Monat Juni bestehen. Im Arbeitsamt der Stadt Schöneberg standen beispiels-
weise 1754 offenen Stellen 871 Bewerberinnen gegenüber, auf 1 Stellensuchende
kamen also immer 2 offene Stellen.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, fehlt es zurzeit in Deutsch-
land an Nachweisungen über die in den einzelnen Industriezweigen
gezahlten Löhne. Die Nach Weisungen, die veröffentlicht werden und die
auch hier in früheren Uebersichten berührt worden sind, beziehen sich
einmal auf die Bergarbeiterlöhne, dann auf die Angaben einiger Orts-
krankenkassen, insbesondere der Großen Leipziger Ortskrankenkasse.
Es ist daher eine jüngst veröffentlichte Untersuchung des Kaiserlichen
Statistischen Amts über die Löhne der Arbeiterschaft während
des Krieges außerordentlich zu begrüßen.
Das Kaiserliche Statistische Amt hat, um die Veränderung der
Lohnhöhe, ausgehend vom Friedensmonat März 1914, festzustellen, eine
Erhebung veranstaltet, die auf die Entwicklung der Höhe des durch-
schnittlichen Tagesverdienstes der erwachsenen männlichen und weib-
lichen Arbeiter verschiedenster Industriegruppen einen Ueberblick ge-
stattet. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß die Ziffern auf
eine absolute Gültigkeit keinen Anspruch erheben und erheben können,
einmal wegen des geringen Umfangs der Stichprobenerhebung, sodann
weil in der Kriegswirtschaft selbst begründete Mängel vorliegen, die
eine absolut richtige Statistik nicht zustande kommen lassen. Soweit
die Löhne in Frage kommen, ergibt sich folgendes Bild:
Bei sämtlichen Stichproben, die gemacht worden sind und die sich auf die
beiden letzten Wochen der Monate März und September 1914, 1915 und 1916 er-
strecken, ergibt sich für September 1914 ein Kückgang der Löhne, von diesem
Zeitpunkte an eine dauernde Steigerung derselben. Die Uebersicht über die Lohn-
— 428 —
entwicklung der Gesamtlieit der befragten Gewerbegruppen zeigt für die männ-
lichen Arbeiter vom März auf September 1914 einen Kückgang von 5,17 M. auf
5.12 M. An den folgenden vorgenommenen Stichterminen ist der männliche
Durchschnittslohn ununterbrochen gestiegen bis auf 7,55 M. = 146 Proz. des
Lohnes vom März 1914 im September 1916. Am stärksten war die Zunahme
vom September 1914 auf März 1915 (14,8 Proz^; vom März auf September 1915
betrug sie 11,4 Proz., im folgenden Zeiträume 6,7 Proz. ; vom März bis September
1916 stieg sie wieder um 7,8 Proz. Die Gesamtsteigerung betrug 46 Proz.
Etwas anders ist die Entwicklung des weiblichen Durchschnittslohnes ver-
laufen. Seine prozentuale Steigerung während des ganzen Erhebungszeitraumes
war größer als die des männlichen Durchschnittslohnes, sie betrug nämlich 54,1
Proz. Im September 1914 fand zunächst ein Rückgang gegenüber den für März
ermittelten Löhnen statt, und zwar von 2,29 M, auf 1,94 M. ^ 15,3 Proz. Danach
stiegen die Löhne ununterbrochen bis auf 3,53 im September 1916, doch vollzog
sich hier die größte Steigerung nicht im Kriegswinter, wo sie 16,5 Proz. betrug,
sondern vom September 1915 bis auf März 1916 mit 18,3 Proz. ; vom März bis
September 1916 betrug sie wieder 16,5 Proz.
Soweit über die Entwicklung der Löhne in einzelnen Industrien ein Ergebnis
festgestellt werden konnte, ergab sich folgendes Bild: In der Maschinenindustrie
stieg der Durchschnittslohn für das männliche Arbeitertagewerk von 5,33 M. auf
7,89 M., d. h. um 48 Proz. Der Lohn der weiblichen Arbeiter ist während des
Krieges hier von 2,28 M. auf 3,88 M. oder um 70,2 Proz. gestiegen. In der elek-
trischen Industrie findet sich die stärkste prozentuale Zunahme des männlichen
Durchnittslohnes, der von 4,52 M. im März 1914 auf 7,44 M. im September 1916,
d. h. um 64,6 Proz. stieg. Der weibliche Durchschnittslohn nahm von 2,75 M.
auf 4,80 M., d. h. um 74,5 Proz. zu. In der Eisen- und Metallindustrie stieg der
Durchschnittslohn von 5,55 M. im März 1914 auf 8,02 M. im September 1916,
d. h. um 44,5 Proz. Die Zunahme der weiblichen Lohnsätze war viel bedeutender,
sie betrug 99,5 Proz., d. h. sie stieg von 2,06 M. auf 4,11 M. In der chemischen
Industrie weist der Durchschnittslohn, der im März 1914: 5,14 M., im September
1916: 6,90 M. betragen hatte, eine Steigerung von 34,2 Proz. auf. Der Durch-
schnittslohn für das weibliche Arbeitertagewerk hatte hier eine Steigerung von
2,36 M. auf 3,55 M., d. h. um 50,4 Proz., erfahren. In den der Papierindustrie
angehörenden Werken, die bearbeitet wurden, stieg der Lohnsatz für die männ-
lichen Arbeiter von 3,94 M. auf 5,54 M., d. h. auf 140,6 Proz. des im März ver-
dienten Lohnes. In der Gewerbegruppe Holz- und Schnitzstoffe fand eine Steige-
rung des männlichen Durchschnittslohns der befragten Werke von 4,22 auf 5,61 M.,
d. h. um 32,9 Proz., des weiblichen Durchschnittslohns von 1,99 auf 2,59 M., d. h.
um 30,2 Proz. statt.
Im Nahrungs- und Genußmittelgewerbe hatte der Durchschnittslohn für die
männlichen Arbeiter im September 1916 im Verhältnis zum März 1914 eine Ge-
samtzunahme von 5,70 auf 6,17 M., also um 8,2 Proz. erreicht. Der Durchschnitts-
lohn für das weibliche Arbeitertagewerk stieg von 2,10 auf 2,89 M. In der Leder-
und Gummiindustrie stieg der Lohnsatz für männliche Arbeiter von 5,04 M. auf
6,28 M., d. h. auf 124,6 Proz. des Anfangssatzes, der Lohnsatz für weibliche
Arbeiter von 2,80 M. auf 3,18 M. oder auf 113,6 Proz. In der Industrie der
Steine und Erden stieg der Durchschnittslohn für das männliche Arbeitertage-
werk von 4,45 auf 5,40 M., d. h. um 21,3 Proz.; für das weibliche Arbeitertage-
werk von 1,67 auf 2,19 M., d. h. um 31,1 Proz.
Eine Steigerung der Löhne wurde ferner im Baugewerbe, im Vervielfälti-
gungsgewerbe und im Spinnstoffgewerbe festgestellt. Die Zahl der befragten
Werke aus den genannten Gewerben war allerdings gering. Im Spinn stoffge werbe
zei^t sich außerdem innerhalb der einzelnen Zweige des Gewerbes eine sehr ver-
schiedene Entwicklung.
VIII. Finanzwesen.
Inhalt: Einzahlungen auf die 6. Kriegsanleihe. Der neue 15-Milliarden-
Kredit. Preußische Schatzanweisungen. Ergebnis der 6. österreichischen und
6. ungarischen Kriegsanleihe. 7. eidgenössische Mobilisationsanleihe. Spanische
— 429 —
Staatseinnahmen. Türkischer Staatsvoranschlag und Staatsschuld. Griechische
Finanzen. Englische Staatsfinanzen. Englands Vorschüsse an die Verbündeten.
Französische Kriegsschulden und neue Steuern. Kußlands Finanzlage. Die
amerikanische „Freiheitsanleihe". Anleihen an Brasilien. Indische Kriegsanleihe-
Lotterien.
Auf die sechste Kriegsanleihe, deren Gesamtergebnis auf
13 122 069 600 M. festgestellt ist, sind 12 632,7 Mill. M. gleich 96,3 Proz.
des endgültig bekanntgegebenen Zeichnungsresultats eingezahlt. Der
Betrag der insgesamt für die Zwecke der Einzahlungen auf die sechste
Kriegsanleihe hergegebenen Darlehen beläuft sich auf 392,3 Mill. M.
gleich 3,10 Proz. des vollbezahlten Anleihenennwertes.
Dem Reichstag ging der Gesetzentwurf über einen Kriegs-
kredit von 15 Milliarden M. als Nachtrag zum Reichsbaushalts-
plan 1917 zu.
Preußen gab 200 Mill. M. 5-proz., bis 1921 laufende Schatz-
an Weisungen aus zur Verlängerung der am 1. August fällig werden-
den 4-proz. Serie.
Die sechste österreichische Kriegsanleihe, deren Zeich-
nungsfrist am 22. Juni abgelaufen ist, hat 4909 Mill. ergeben. Mit
den bereits in Verhandlung befindlichen Zeichnungen, für die noch
gewisse formale Voraussetzungen zu erfüllen sind, dürfte das Gesamt-
ergebnis 5 Milliarden K. erreichen. Für Ungarn liegt eine genaue
Mitteilung über die sechste Anleihe noch nicht vor. Nach einer Ver-
lautbarung vor einigen Tagen soll mit mindestens 2,5 Milliarden K. zu
rechnen sein, wovon jedoch 700 Mill. K. auf die von den Banken
übernommenen Schatzanweisungen entfallen, so daß durch Zeichnungen
des Publikums nur rund 1800 Mill. K. neue Mittel zufließen.
Wie in Deutschland hat auch in Oesterreich die sechste Kriegs-
anleihe ein Rekorderträgnis gebracht. Die Resultate der 6 Anleihen
stellen sich:
1. Kriegsanleihe
2,20
Milliarden K.
2.
2,68
» »»
3.
4,if0
>, ,f
4.
4,52
„ „
5.
4,4 6
M M
6.
4,90
„ »
also zusammen
22,96
Milliarden K.
Dazu kommt noch das Ergebnis der ungarischen Kriegsanleihe,
das bei den ersten fünf Anleihen 8,54 Milliarden K. eingebracht hat,
und das für die jetzige, die sechste, noch mindestens 2 Milliarden K.
erwarten läßt. Setzt man die sechs ungarischen Kriegsanleihen also
mit rund 11 Milliarden K. an, so ergibt sich für beide Staaten, für
Oesterreich und Ungarn, das ganz über alle Erwartungen hohe Gesamt-
ergebnis von mindestens 34 Milliarden K.
Der Wiener Korrespondent der „Voss. Ztg." schrieb dazu : „Daß
die Zeichnungsergebnisse in Oesterreich weniger schwanken als in
Deutschland, erklärt sich damit, daß es im großen und ganzen immer
dieselben Schichten sind, die den Hauptteil der Zeichnungen aufbringen.
Die Zunahme gegen die fünfte Kriegsanleihe beträgt genau 10 Proz.
— 430 —
Man hat in den ersten Zeichnungswochen mehr erwartet. Während
bei den früheren Kriegsanleihen der starke Zufluß an Zeichnern meist
im letzten Teil der Zeichnungsfrist zu beobachten war, haben diesmal
schon die ersten Zeichnungswochen Anlaß zu großen Erwartungen ftlr
das Zeichnungsergebnis geboten. Darum bedeutet das Ergebnis, so
glänzend und erfreulich es ist, trotzdem eine leichte Enttäuschung.
Die Gründe dafür sind verschieden. Vor allem hat diesmal die
Landwirtschaft, Großgrundbesitz und Bauernschaft sich verhältnismäßig
noch weniger an der Kriegsanleihe beteiligt als früher. Es ist nicht
gelungen, Bequemlichkeit und Vorurteile, die die landwirtschaftlichen
Kreise noch immer von der Kriegsanleihe fernhalten, zu überwinden.
Dazu ist auch der Werbeapparat zu primitiv geblieben. Er hat sich
allerdings gegen die früheren Anleihen etwas verfeinert und ausge-
staltet. Aber mit dem, was anläßlich der sechsten Kriegsanleihe in
Deutschland geleistet wurde, ist das überhaupt nicht vergleichbar. Be-
zeichnend genug ist die eindruckslose Form, in der sogar die Plakate
gehalten waren. Sie entsprachen allen künstlerischen Anforderungen,
waren aber blutleere Allegorien, die die Masseninstinkte vollkommen
kalt ließen. Auch die Pressepropaganda hat nicht viel Phantasie ge-
zeigt und durch die Wiederholung natürlich an Wirksamkeit verloren.
Ein zweiter Umstand, der das Zeichnungsergebnis nicht gerade fördern
konnte, waren die wechselvollen Vorgänge an der Börse. Der Rummel
in Schiffahrtsaktien, der darauffolgende empfindliche Rückschlag und
neuerdings wieder die Belebung des Verkehrs haben sicherlich beträcht-
liche Mittel gebunden, die so dem Markt für die Kriegsanleihe ent-
zogen blieben. Dazu kam schließlich, daß die innerpolitischen Vorgänge
gerade im letzten Teil der Zeichnungsfrist nicht gerade geeignet waren,
den Zeichnungseifer anzustacheln. Wie weit schließlich der kapital-
feindliche Geist, der in den Massen unzweifelhaft immer mehr Boden
gewinnt, Verärgerung der Besitzenden hervorgerufen hat, läßt sich
schwer beurteilen. Von einem „Streik der Kapitalisten" zu sprechen,
wie es vielfach geschieht, ist angesichts des glänzenden Ergebnisses
der Kriegsanleihe sicherlich unzulässig. Aber ohne Zweifel hat die
schwächliche Bekämpfung dieses Geistes durch die Regierung die
Zeichnungsfreudigkeit auch der besitzenden Kreise beeinträchtigt.
Indem wir das feststellen, soll der Erfolg der sechsten Kriegs-
anleihe nicht herabgesetzt werden. Oesterreich allein hat mit seinen
sechs Kriegsanleihen bisher nicht weniger als 23 Milliarden K. auf-
gebracht. Da die Kriegskosten Oesterreichs bis Ende Januar 35 Mil-
liarden K. betragen, so hat Oesterreich bisher durch Anleihen rund
zwei Drittel seiner Kriegskosten gedeckt. Die ungarischen Kriegs-
anleihen mit zusammen etwa 11 Milliarden halten sich ungefähr im
selben Verhältnis. Das ist mehr, als mit Ausnahme Deutschlands
sämtliche kriegführenden Staaten durch Kriegsanleihen aufbringen
konnten.
Besonders erfreulich erscheint unter diesem Gesichtspunkt, daß
von der sechsten Kriegsanleihe mehr als die Hälfte auf die langfristige
amortisable Anleihe entfällt, während von der fünften etwa drei Fünftel
— 431 —
in kurzfristigen Schatzscheinen gezeichnet waren. Oesterreich hat dies-
mal, wie erinnert sei, wahlweise eine 40-jährige amortisable Anleihe
zu 92 Proz. und 10-jährige Schatzscheine zu 93,50 Proz. aufgelegt.
Der Zinsfuß beträgt, wie bei sämtlichen früheren Anleihen, 51/2 Proz.
Die E,entabilität der amortisablen Anleihe stellt sich auf durchschnitt-
lich 6^4 Proz., die der Schatzscheine auf 6,4 Proz. Daß als Volks-
anleihe vor allem die langfristige gedacht ist, kommt darin zum Aus-
druck, daß nur sie in kleinen Stücken von 50 K. aufwärts ausgestellt
ist, während von den Schatzscheinen nur Stücke von 1000 K. aufwärts
ausgegeben werden. Ungarn hat lediglich 6-proz. Rente zu 96 Proz.
ausgegeben. Dort hat man diesmal auf einen zweiten Anleihetypus ver-
zichtet. Die Zinsfußbegünstigungen und Belehnungsbedingungen sind
in beiden Reichshälften unverändert die gleichen geblieben.
Die Gleichförmigkeit des Anleihetypus, namentlich in Oesterreich,
scheint sich im allgemeinen bewährt zu haben, da sie bei einem finan-
ziell weniger geschulten Publikum die Werbetätigkeit erleichtert. Aber
man hat sie sich zu leicht gemacht."
Nach einer Meldung der schweizerischen Depeschen-Agentur hat
die siebente eidgenössische Mobilisationsanleihe von
100 Mill. frcs. ein glänzendes Ergebnis gehabt. Es wurden von
23 581 Zeichnenden 150423400 frcs. gezeichnet. Das Ergebnis der
Anleihe bedeutet ein glänzendes Vertrauensvotum des Schweizer Volkes
in die unerschütterliche Neutralitätspolitik des schweizerischen Bundes-
rates,
Im April d. J. haben die spanischen Staatseinnahmen
98899 000 Pesetas betragen, was einer Zunahme gegenüber dem Vor-
jahre um 5 693 000 Pesetas entspricht. In den ersten 4 Monaten
dieses Jahres beläuft sich das Plus der Staatseinnahmen auf26 087 000
Pesetas.
Der türkische Staatsvorschlag für 1917 beziffert, wie wir
einem in der „N. Zürch. Ztg." veröffentlichten Aufsatz von Dr. C. P.
Wiedemann, Subdirektor der Betriebsgesellschaft der Orientalischen
Eisenbahnen, entnehmen, die ordentlichen Ausgaben für das Finanzjahr
1917 (1. März 1917 bis 28. Februar 1918) auf 1 253 175 000 frcs. (um-
gerechnet auf Grund der Münzparität, d. h. 1 türk. Pfund gleich
22,785 frcs.), und zwar unter Zuhilfenahme des seit Fertigstellung des
Budgets durch die Regierung sich ergebenden notwendigen Ergänzungs-
kredit in Höhe von 203 470050 frcs. Die Einnahmen werden auf
478 485 000 frcs. veranschlagt, so daß sich ein Fehlbetrag von
774 690 000 frcs. ergibt. Die Ziffern rühren von den Ausführungen ,
her, die der Finanzminister Dschavid Bei in der ottomanischen De-
putiertenkammer anläßlich der Budgetverhandlungen machte.
Ueber die finanziellen Aussichten nach dem Kriege äußerte der
Minister bei dieser Gelegenheit, die ordentlichen Jahresausgabeu seien
auf 956,96 Mill. frcs. zu schätzen, unter der dreifachen Voraussetzung,
daß die Heeres- und Marineausgaben nach Friedensschluß unverändert
bleiben, daß die Mittel für Verzinsung und Amortisation der im
Kriege kontrahierten schwebenden Schuld außerhalb des ordentlichen
- 432 —
Budgets aufgebracht werden, und daß keine neuen namhaften Investi-
tionen geschehen. Die zukünftigen Einnahmen berechnet Dschavid Bei
auf 820,26 Mill. frcs., wobei er für die bisherigen Einnahmen, die vor
dem Weltkrieg etwa 683,55 Mill. frcs. pro Jahr lieferten, wegen der
inzwischen verminderten Ergiebigkeit nur 592,32 Mill. frcs. ansetzt.
Dazu kämen 113,92 Mill. frcs. aus der von den Beengungen der Kapi-
tulationen befreiten Zollverwaltung mitsamt dem Zehnten, 45,57 Mill.
frcs. aus den geplanten Erhöhungen der Verzehrungssteuern und end-
lich 68,45 Mill. frcs. aus der gleichfalls geplanten Kriegsgewinnsteuer,
sowie aus dem Ertrag von später einzuleitenden Reformen des jetzigen
Steuersystems. Diese Voraussichten, in Verbindung mit der von
Deutschland zugesicherten, sich auf 11 Jahre nach Friedensschluß er-
streckenden staatsfinanziellen Beihilfe und ergänzt durch größtmögliche
Sparsamkeit im gesamten Staatshaushalt, lassen Dschavid Bei erhoffen,
es werde möglich sein, das türkische Budget nach dem Kriege wieder
in sichere Bahnen zu leiten.
Das Anwachsen der Staatsschuld ist derart stark, daß sie sich
Ende August 1917 bereits auf 7523,29 Mill. frcs. belaufen wird. Bei
Ausbruch des Krieges betrug die konsolidierte und schwebende Schuld
3417,75 Mill. frcs.; mithin beträgt der Zuwachs 4105,54 Mill. frcs.,
der sich, wie folgt, zusammensetzt: die ersten, aus der Mobilisierung
entstandenen Bedürfnisse wurden durch Requisitionen gedeckt, deren
im März 1917 noch uneingelösten Betrag Dschavid Bei auf 455,70
Mill. frcs. schätzt. Dazu kamen 54,09 Mill. frcs. für sofort in Angriff
zu nehmende militärische Ausgaben, 27,62 Mill. frcs. Kredite bei der
Ottomanbank, ferner die beträchtlichen Subsidien der Verbündeten
(Deutschlands und Oesterreich-Ungarns), die bis jetzt 207], 13 Mill. frcs.
erreichen. Außerdem wurden in Deutschland zur Deckung verschie-
dener Bedürfnisse Kredite von 496 Mill. M. in Anspruch genommen, was
eine weitere Zunahme der Schuld um 569,63 Mill. frcs. bedeutet. Für
Munitionslieferungen Deutschlands wurden bisher weitere 569,63 Mill.
frcs. verausgabt. Zu diesen, den eigentlichen Kriegsbedarf deckenden
Mitteln traten noch verschiedene andere Verbindlichkeiten : Guthaben
von Kriegslieferanten usw. mit 93,46 Mill. frcs., Gehalt- und Pensions-
erfordernisse, die der definitiven Regelung bedürfen, mit 39,10 Mill. frcs.,
Ansprüche der Ottomanbank mit 34,18 Mill. frcs. und unbezahlte Zins-
scheine im Besitz der von Angehörigen der feindlichen Länder befindlichen
Anleihen mit 191,01 Mill. frcs. Der veranschlagte Schuldenzuwachs
von 4105,54 Mill. frcs. erfährt noch eine Erhöhung durch 240 Mill. K.
inzwischen genehmigte weitere Subsidien Oesterreich-Ungarns für die
Militärlieferungen und Transportkosten; dieser Betrag macht 188,55
Mill. frcs. aus.
lieber Griechenlands Finanzen schrieb Fritz Zutrauen in
der „Voss. Ztg." vom 14. Juni uater anderem: Was die finanziellen
Verhältnisse anbelangt, so interessieren uns in Deutschland von den
griechischen Anleihen nur die hier zur Zeichnung aufgelegten und an
deutschen Börsen zugelassenen Werte, und zwar (die in Klammern bei-
gefügten Ziffern geben den Umlauf am Ende des Jahres 1915 sowie
— 433 -
die Kurse der Berliner Börse am 25. Juli 1914 an): 5-proz. Anleihen
von 1881 und 1884 (88,3 Mill. bzw. 77,0 Mill. frcs — 54,50), 4-proz.
Monopolanleihe von 1887 (116,7 Mill. frcs. — ohne Notiz), 4-proz.
Goldrente von 1889 (131,7 Mill. frcs. — 41,75), 5-proz. Piräus-Larissa-
Anleihe (50,8 Mill. frcs. — 52,50), sowie die gleichfalls 5-proz. Fundie-
rungsanleihe von 1893 (8,2 Mill. frcs. — hier nicht notiert). Nachdem
die Besitzer der griechischen Papiere im Jahre 1893 so schmerzliche
Erfahrungen gemacht hatten, haben sich die Aussichten für sie doch
von Jahr zu Jahr günstiger gestellt. Und wenn es sich jeweils auch
nur um bescheidene Bruchteile eines Prozents handelte, um welche die
Anleiheinhaber in ihrem Zinsgenuß aufgebessert wurden, so war doch
die Entwicklung dauernd und stetig. Nur die Balkankriege brachten
vorübergehend einen leichten Rückgang in den Einnahmen. Aber der
für Griechenland siegreiche Ausgang jener Kämpfe förderte die Ent-
wicklung um so mehr, als dem Lande so reiche Gebiete, wie Saloniki,
Kawalla und Mazedonien als Siegespreis zufielen.
Ueber die Höhe der Einnahmen der für den Dienst der griechischen
Schuld bestimmten Pfänder ist hier auf Grund der seitens der Inter-
nationalen Einanzkommission in Athen zusammengestellen, vom Council
of Foreign Bondholders veröffentlichten Ziffern jeweils regelmäßig
berichtet worden. Natürlich hat die ganze Entwicklung durch die
Festsetzung der Entente in Saloniki und durch die Drangsalie-
rungen jeder Art des übrigen, königstreuen Griechenland gewaltige
Verschiebungen erfahren, die über die wahre Lage des Landes nur
unvollkommen Aufschluß geben. Bemerkenswert ist, daß sich der
griechische Wechselkurs während dieses Krieges stets über pari be-
wegt hat, nachdem er schon in den letzten 8 Jahren den Paristand
eingenommen hatte. Diese Erscheinung ist darauf zurückzuführen, daß
Griechenland im Vergleich mit seinem Notenumlauf die höchste Gold-
deckung aller Länder der Welt besitzt, nämlich eine Goldreserve von
100 Proz. In der Tat stand, laut Dragumis-Akte vom Jahre 1910,
am 31. Dezember 1916 einer Zirkulation von 153 Mill. Dragmen ein
Goldschatz in gleicher Höhe gegenüber. Rechnet man die seitens der
Nationalbank von Griechenland und der englischen Jonian Bank aus-
gegebenen Noten mit — das Emissionsrecht der letzteren läuft 1920
ab — so ergibt sich bei einer Zirkulation von 226 Mill. eine Gold-
reserve von 208 Mill. Drachmen, was immer noch einem Deckungsver-
hältnis von 92 V. H. entspricht. Freilich sind daneben noch für
'62 Mill. Drachmen Noten für Rechnung der Regierung in Umlauf, aber
weder diese noch die Emmissionen der genannten beiden Banken ver-
mögen an dem Prinzip der Dragumirs-Akte in bezug auf die Gold-
deckung etwas zu ändern, weil die Noten der Nationalbank und der
-Jonian-Bank „privilegiert" und bei dem Erlöschen der Emissionsrechts-
frist zu tilgen sind. Andererseits bedürfen die für Rechnung der
Regierung umlaufenden Noten keiner Golddeckung.
Als dann Anfang September in Athen Unruhen gegen die
Entente ausbrachen, wurde nicht nur die Hungerblockade über das
Land verhängt, sondern auch die Finanzblockade über die griechischen
— 434 —
Outhaben an der Seine und Themse. Einschließlich der laut Dra-
gumis-Akte bestehenden Goldreserve mag es sich da um erhebliche
Summen, die auf 7 Mill. £ zu veranschlagen sind, gehandelt haben.
Natürlich nahmen die Changeoperationen ein plötzliches Ende, und
da auch das Zahlen von Nationalbanknoten nach Saloniki mit
einem Schlage aufhörte, so drohte eine heftige Währungskrise auszu-
brechen. Die Verbündeten suchten sich dadurch zu helfen, daß sie
große Beträge von Noten der Bank von Frankreich nach Saloniki
sandten, denen sie dort Zwangskurs gaben. Damit schnitt sich die
Entente aber ins eigene Fleisch, da diese Noten ja auf die französische,
gegenüber der griechischen stark entwertete Valuta lauteten und in
Saloniki nur mit großem Disagio unterzubringnn waren. Inzwischen
half sich die Athener Regierung ihrerseits, um die bedrohten griechischen
Guthaben in London und Paris zu retten, dadurch, daß sie gegen die
Bestimmungen des Gesetzes von 1910 verstieß. Durch den damaligen
Ausgleich zwischen der Regierung und den Ententemächten wurden
die Schwierigkeiten der für beide Parteien heiklen Lage beigelegt.
Ueber die englischen Staatsfinanzen berichteten „Financial
News" und „Financial Times" am 20. Juni:
Die staatshaushaltmäßigen Einnahmen der 11. Woche des Rechnungs-
jahres (10. — 16. Juni) belaufen sich auf 8 316 000 £, wozu Einkommen«
Steuer nur 473000 £, dagegen Kriegsgewinnsteuer 4 237 000 £, Zölle
1188 000 £ und indirekte Abgaben 671000 £ beitrugen.
Die verrechnete Ausgabe betrug bei nur 1 042 950 £ für Kriegs-
schuldendienst nicht mehr als 32 468 272 £. (Dies beruht offenbar
auf dem System der Verrechnung, da eine „Central News" - Meldung
vom 19. Juni, laut „Financial Times" vom 20. Juni, Lord Northcliffe
in New York erklären läßt, daß England in Amerika allein wöchentlich;
50 Mill. $ ausgibt.)
Die Geldaufnahme ergab so viel, daß damit nicht nur der Ausgaben-
Überschuß gedeckt werden, sondern auch noch der Kassenbestand um
1 865 728 £ erhöht werden konnte, so daß er bei Wochenschlul^
25 312 924 £ gegen 25 718 492 £ vor einem Jahre betrug.
Einzelheiten der Geldaufnahme:
Anzahlungen auf die letzte Anleihe gelangten in Höhe von
30 600000 £ zur Verrechnung, womit der eingezahlte Betrag sich auf
941 467 710 £ hebt. Kleine Nachzahlungen bleiben noch zu verrechnen.
Der Ertrag der Kriegssparzertifikate hat sich auf 900000 £ ge^
hoben, dagegen ist der Wochenertrag des Verkaufs 5-prozentiger Schatz-
anweisungen auf 2 603 000 £ (also weniger als die Hälfte des Betrages
der Woche vorher, und dies trotz der größten Anstrengungen durch
Reklame) zurückgegangen. Man hofft jetzt, laut „Financial News", auf
eine Verbesserung infolge der Abänderung der Bestimmungen über die
Ausgabe von Schatzwechseln und der Herabsetzung des Banksatzes „für
besondere Depositen der Clearing Banks von 4Y2 auf 4 v. H., die mit
der Herabsetzung des Banksatzes auf den Stand der Friedenszeit gleich-
bedeutend ist".
— 435 —
An zeitweiligen Vorschüssen wurden 28^2 Mill. zurückgezahlt und
4 Mill. aufgenommen.
An Schatzwechseln wurden 13 478 000 £ zurückgezahlt und
29 568 000 £ neu ausgegeben. Der Gesamtbetrag der ausstehenden
Schatzwechsel steigt damit auf 614 680000 £. Nach einer im „Statist"
vom 16. Juni aufgestellten, aber durch die Ergebnisse der 11. Woche
ergänzten Berechnung sind davon 387 726 000 £ neue Schatzwechsel
des laufenden und 226 834000 £ solche des letzten Rechnungsjahres,
die noch in diesem Rechnungsjahre getilgt oder erneuert werden müssen.
Die laut Börsenbericht der „Finaucial News" vom 20. Juni vom
Geldmarkt günstig aufgenommene Neuerung in der Geldaufnahme, die
am 19. Juni angekündigt worden ist, besteht darin, daß die Schatz-
wechsel nicht mehr im Vergebuogswege und nicht mehr mit einjähriger
Laufzeit ausgegeben werden. Es werden nur noch freihändig Drei-
und Sechsmonatswechsel verkauft, aber nicht mehr wie bisher nur an
Banken und Bankfirmen, und zu etwas niedrigeren Diskontsätzen als
bisher, die von Zeit zu Zeit neu festgesetzt werden sollen, um dadurch
die 5-proz. Zinsen der Schatzanweisungen für deren künftige Abnehmer,
die bekanntlich bei dreimonatiger Kündigung am 1. Oktober 1919
Rückzahlung verlangen können, reizvoller zu machen.
Der „Statist" stellt folgende Berechnungen über die von Eng-
land an Verbandsgenossen und Dominien gewährten
Kriegs Vorschüsse auf (in Mill. £):
Verbandsgenossen Dominien Insgesamt
1914/15 i8 44 62
1915/16 270 - 54 324
1916/17 540 54 594
Zusammen 828 152 980
1./4.— 5./5. 1917 64 4 68
Zusammen 892 156 1048
Interessant ist dabei, daß von den 980 Millionen, die bis Ende
letzten Rechnungsjahres vorgeschossen waren, wie der „Statist" angibt,
nur 918 Millionen bar vorgeschossen waren, während sich die übrigen
62 Millionen aus geschuldeten Zinsen und Skonti zusammensetzen.
Einem Bericht über französische Finanzen im „Berliner
Börsen-Courier" (Mitte Juni) entnehmen wir folgendes:
Ende April laetrug die französische Kriegsschuld nahe an
59 Milliarden, worunter ungefähr 7 an England und 3 an die Ver-
einigten Staaten. Die Rückzahlung dieser beiden Posten dürfte vorerst
keine Sorge machen, im Gegenteil werden die Fortschritte auf der
schiefen Ebene durch die Hilfsbereitschaft der Vereinigten Staaten er-
leichtert werden, die auf diese Weise die bereits geliehenen Summen
sicherzustellen suchen. Der Fälligkeit nach verteilte sich die obige
Summe in 21^/^ Milliarden konsolidierte Anleihe, 20 Yg Milliarden be-
fristete und 16^/2 Milliarden schwebende Schulden; die beiden letzteren
Posten müssen sich inzwischen entsprechend vermehrt haben. Für die
befristeten Schulden im Inland braucht man auch einstweilen nicht
— 436 —
vorzusorgen nach dem Axiom „qui doit k terme ne doit rien", aber
man kann sie nicht unausgesetzt weiter erhöhen. Schon schuldet man
der Bank von Frankreich lO^/g Milliarden (ganz abgesehen von den
2Y2 Milliarden Schatzwechseln) und nähert sich rasch der, erst Mitte
Februar auf 12 Milliarden erhöhten Grenze, während als Folge hiervon
deren Notenumlauf I9V2 Milliarden beträgt. Am bedenklichsten ist aber
die schwebende Schuld, sowie der Umstand, daß die Geldbeschaffung
erheblich hinter den Ausgaben zurückbleibt; so erreichen die Kredite
und Vorschüsse an Verbündete bis 30. Juni 87 Milliarden, während
am 30. April durch Anleihen und Steuern erst ungefähr 64 Milliarden
eingeangen waren.
Unter diesen Verhältnissen ist es begreiflich, daß man an die
baldige Konsolidierung durch eine neue Anleihe denkt, wenn auch
offiziell nicht davon gesprochen wird. Die Finanzpresse beschäftigt
sich angelegentlich mit der Frage, welcher Art die Anleihe sein soll,
und jeder „economiste eminent" bringt seine Vorschläge und setzt sie
auseinander. Der Direktor des „Rentier", Herr Neymark, empfiehlt in
der „Information" eine große Losanleihe, der er einen großen Erfolg
in Aussicht stellt. Er sucht besonders das Vorurteil zu entkräften,
daß es unmoralisch sei, die Gewinnsucht ausbeuten zu wollen, und er-
innert daran, daß eine ganze Reihe französischer Kirchen aus dem Er-
trag von Lotterien gebaut worden sind. Im „Temps" empfiehlt Herr
Manchez eine 6-proz., jederzeit konvertierbare Anleihe und spricht sich
gegen eine Losanleihe aus, mit welcher man keinesfalls die vielen Mil-
liarden aufbringen könnte, um welche es sich handelt. Als Beweis für
«eine Behauptung dienen ihm Angaben über Emissionen des Credit
Foncier, die geringen Erfolg hatten, weil sie an das beschränkte Pub-
likum, welches derartige Obligationen kauft, zu große Ansprüche stellten.
So viel ist sicher, es würde dem Credit Foncier, der schon seit 3 Jahren
zur Untätigkeit verdammt und jetzt im Begriff ist, eine Kapitals-
-erhöhung von 12 Mill. frcs. vorzunehmen, damit er sobald wie möglich
in der Lage ist, eine möglichst hohe Ausgabe von Losobligationen zu
machen, recht ungelegen kommen, wenn ihm der Staat alle Möglichkeit
hierfür abschneiden würde. Es ist also nicht zu verwundern, wenn er
^egen derartige Vorschläge Stimmung zu machen sucht, und der „Temps"
ist für derartiges stets zu haben.
Der neue Finanzminister hat, wie sein Vorgänger, betont, daß es
Pflicht der Regierung wie jedes Einzelnen sei, die Bezüge aus dem
Ausland herabzumindern und die heimische Industrie zu fördern und
zu entwickeln. Aber die Lage der Industrie hat sich bis jetzt nicht
viel gebessert, nur diejenige, welche Kriegsbedarf irgendwelcher Art
liefert, ist stark beschäftigt. Bei den Eisenbahnen haben sich die Ein-
nahmen (hauptsächlich durch die nichts weniger als einträglichen mili-
tärischen Transporte) erhöht, aber die Ausgaben teilweise noch mehr.
Das Defizit der sechs Bahnsysteme beträgt für die drei letzten Jahre
über eine Milliarde, wovon die Staatsbahnen mit 400 Mill. den Löwen-
anteil zu tragen haben. Die bei den Kammern beantragte provisorische
— 437 -
Tariferhöhung von 15 Proz. wird nicht den Bahnen, sondern dem Per-
sonal zugute kommen.
Ueber neue f r anzösisch e Steuern meldet (ebenfalls Mitte Juni)
„Nouvelliste de Lyon" aus Paris : Der Haushaltsausschuß der Kammer
billigte die Regierungsvorlage bezüglich der vorläufigen Haushalts-
zwölftel für das dritte Vierteljahr 1917 und erhöhte die Kredite von
9 843 272 000 frcs. auf 9 87 1 330 000 frcs. Der Haushaltsausschuß billigte
ferner die Absicht der Regierung, der Kammer neue Maßnahmen zu
unterbreiten, durch welche die Einnahmen Frankreichs um jährlich über
eine Milliarde erhöht werden. Die neuen Einnahmen sollen zur Deckung
der laufenden Ausgaben dienen. Die eigentlichen Kriegsausgaben sollen
weiterhin durch vorläufige Kredite sichergestellt werden.
Der Finanzminister teilte dem Haushaltsausschuß die Ausarbeitung
eines Systems neuer Steuern mit, die 1200 Mill. frcs. einbringen sollen.
Eine Steuer von eins vom Tausend auf Zahlungen im Handelsbetriebe
wird auf die Zahl der Umsätze gelegt werden und soll 50 Mill. frcs.
erbringen. Eine Steuer auf Aufwendungen im Privathaushalt, ab-
gesehen von Ernährung, Heizung, Beleuchtung und Miete, soll sich auf
5 v. H. für Kleidung, Mobiliar usw. und auf 10 v. H. für Luxus-
ausgaben belaufen und 450 Mill. frcs. bringen. Ein Gesetzentwurf
führt eine Erbschaftssteuer bei Antritt des Erbes und eine jährliche
Abgabe auf den Wert der Erbschaft während des Lebens des Erben
ein. Der Minister schlägt noch die Erhöhung der Erbschaftssteuer für
den Fall vor, daß nur ein Erbe vorhanden ist, ferner die Aenderung
der Portofreiheit der Soldaten, die Erhöhung der Eisenbahntarife, die
Aenderung oder Ausgleichung gewisser bestehender Abgaben, haupt-
sächlich auf Kriegsgewinne, und gerichtlicher Beurkundungen, und sieht
endlich Maßnahmen gegen betrügerische Umgehungen der Steuern vor.
Ueber Rußlands Finanzlage heißt es in „ Russkija Wjedomosti"
u. a.: „Außerordentliche Maßregeln sind erforderlich, um die Finanzen
vor einer Erschütterung zu bewahren. Die nächste und gegenwärtig
einzig mögliche Maßregel ist eine kräftige energische Unterstützung der
Freiheitsanleihe, und zwar von Seiten aller Klassen der Bevölkerung.
Der erste Monat ergab Zeichnungen auf den ungefähren Betrag von
einer Milliarde, also beinahe doppelt so viel wie bei früheren Anleihen.
Es wäre also ungerechtfertigt, von einem Mißerfolg oder einem , Durch-
fall' der Anleihe zu sprechen. In Berücksichtigung des Ueberflusses
an freiem Kapital kann man trotzdem nicht umhin, zu konstatieren,
daß die Kreise des Handels und der Industrie nicht den Enthusiasmus
in der Unterstützung der Anleihe bewiesen haben, den das Land mit
Recht von ihnen erwarten durfte. Die Veränderungen in der pro-
visorischen Regierung müssen auch den Zeichnungen für die Anleihe
einen neuen Schwung verleihen. Die Zeichnungsfrist läuft erst in
2 — 3 Wochen ab. Das Land muß den Beweis liefern, daß es zu der
neuen Form der Regierung Vertrauen hat und mit Zuversicht seiner
Zukunft entgegenblickt." Das Ergebnis der inneren „Freiheitsanleihe"
war aber in Wirklichkeit sehr schlecht, und die Zeichnungsfrist ist
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkawirtsch. Chronik. 1917. XXIX
- 43» -
„aus technischen und politischen Gründen" bis Mitte Juli verlängert
worden. Bis Mitte Juni sollen nur etwa 1200 Mill. Rubel gezeichnet
worden sein. Der Gedanke einer Zwangsanleihe wurde daher in der
russischen Presse ernsthaft besprochen.
Die große SYg-proz. Anleihe der Vereinigten Staaten hat
mit einem Mißerfolg geendigt. Zwar sind die aufgelegten 2 Milliarden
etwa anderthalbmal gezeichnet worden, doch mußten die Banken große
Summen übernehmen, und die Anleihe wurde an der New Yorker Börse
sofort nach Zeichnungsschluß mit Disagio gehandelt, was die Regierung
dazu veranlaßte, Kabelmeldungen des Kurses zu unterdrücken. Nun
sind 3 Milliarden $ gewiß eine sehr stattliche Summe. Vergegen-
wärtigt man sich aber den Reichtum, zu dem Amerika im Verlaufe
des Krieges gekommen ist, so deutet die Zahl von 3 Milliarden $
nicht auf eine besonders große Popularität der Freiheitsanleihe hin.
Bezeichnend ist, daß bereits für Mitte September die Ausgabe einer
4Y2-proz. Anleihe angekündigt wird, wodurch sich der Zinssatz der
ersten Anleihe automatisch auf die gleiche Höhe heben würde. Die
Vorschüsse an die Verbündeten scheinen übrigens jetzt schon etwas
sparsamer gewährt zu werden.
Nach brasilianischen Pressemeldungen wurde Brasilien eine
amerikanische Anleihe in Höhe von 500000 Contos in Aussicht ge-
stellt, ferner von selten Englands ein Vorschußbetrag, der den Forde-
rungen an Deutschland für Kaffeeverkäufe in Hamburg und Antwerpen
entspricht.
üeber indische Kriegsanleihe-Lotterien berichtet die
„Voss. Ztg." : Mit welchen Mitteln gearbeitet wurde, um der indischen
Kriegsanleihe zum Erfolge zu verhelfen, geht daraus hervor, daß dem
India Turf Club und dom Royal Calcutta Turf Club gestattet wurde,
zugunsten der Anleihe Lotterien zu veranstalten. Die Gewinne be-
standen in öYg-proz. Kriegsanleihebonds. Und dabei wurde knapp ein
Viertel des Anleihebetrages gezeichnet. (G- C.)
IX. Kleingewerbe, einschließlich Mittelstandsbewegung.
Inhalt: Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses des Deutschen Hand-
werks- und Gewerbekammertages; Rohstoffversorgung des Handwerks; Zentral-
Lieferungsgenossen Schäften ; Heranziehung des gewerblichen Nachwuchses zum
Handwerk; Berufsberatung und Lehrstellen Vermittlung; gewerbliche Privatschulen;
das gewerbliche Berechtigungswesen; Fürsorge Versicherung für Handwerker;
Aenderung des Wahlrechts zur Handwerkskammer.
Am 31. Mai und 1. Juni d. J. fand eine Sitzung des geschäfts-
führenden Ausschusses des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammer-
tages in Danzig statt, auf der vor allem wichtige kriegswirtschaft-
liche Maßnahmen des Handwerks zur Besprechung kamen. In erster
Linie war es die Frage der Rohstoffversorgung des Hand-
werks für die Zeit der Uebergangswirtschaft aus dem Kriegs- in
den Friedenszustand, die hier Gegenstand eingehender Erörterung
bildete. Die außerordentliche Bedeutung dieser Frage für das deutsche
— 439 -
klein gewerbliche Wirtschaftsleben hat bereits seit längerer Zeit die
Regierung, die Interessenvertretungen und die beteiligten Handwerker
veranlaßt, Maßnahmen zu erwägen, die einerseits eine möglichst glatte
Forti etzung der Erzeugung möglich machen, andererseits eine Ueber-
schwemmung des deutschen Arbeitsmarktes mit Rohstoffen verhindern
sollen. Feste Grundlagen für den künftigen Bedarf zu gewinnen, ist
naturgemäß sehr schwer, da nicht übersehen werden kann, wie sich
das wirtschaftliche Leben nach dem Kriege gestalten wird, andererseits
ist eine solche Grundlage, die wenigstens einen ungefähren Ueberblick
bietet, kaum zu entbehren. Es erscheint deshalb notwendig, daß die
einzelnen Gewerbe sich ein Bild von dem zukünftigen Stande zu machen
versuchen, und es ist bereits der Anfang damit gemacht worden, in den
einzelnen Kammerbezirken durch Ausschüsse derartige Aufstellungen
vorzubereiten. Bekanntlich ist für die Regelung der Uebergangswirt-
schaft ein besonderes Reichskommissariat geschaffen worden, und es
wird nun notwendig sein, daß das Handwerk in diesem eine aus-
reichende Vertretung zu erhalten sucht, um genügend Gehör und Ver-
ständnis für seine Wünsche zu erlangen. Der geschäftsführende Aus-
schuß faßte in seiner Tagung hierzu folgenden Beschluß :
„1. Der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag verlangt
mit Nachdruck eine angemessene Vertretung des Handwerks beim
Reichskommissar für die Uebergangswirtschaft.
2. Dem Handwerk ist während der Uebergangszeit von allen
staatlich bewirtschafteten Rohstoffen ein bestimmter Anteil zu sichern.
Der auf das Handwerk entfallende Anteil soll unter Mitwirkung
der Handwerkskammern baldigst ermittelt werden.
3. Zur Verteilung des auf das Handwerk entfallenden Anteils an
Rohstoffen sind die gesetzlichen und wirtschaftlichen Organisationen
des Handwerks heranzuziehen.
Die Verdingungsstellen und wirtschaftlichen Abteilungen der
Handwerkskammern sind zu Bezirkslieferungsverbänden, d. h. bezirks-
weisen Vereinigungen der bestehenden genossenschaftlichen und sonstigen
rechts- und geschäftsfähigen Rohstoff- und Lieferungsvereinigungen um-
zubauen. Diesen Bezirkslieferungsverbänden sind die auf die Hand-
werker des Kammerbezirks entfallenden Rohstoffe von der Reichsstelle
zuzuweisen; sie haben ihrerseits vorbehaltlich einer weiteren zentralen
Zusammenfassung in Anlehnung an die beruflichen Fachgruppen des
Handwerks bei der Verteilung dieser Rohstoffe alle darauf Anspruch
machenden Handwerker zu berücksichtigen.
4. Die Finanzierung der Rohstoffversorgung ist von den Bezirks-
verbänden und den in ihnen vereinigten Organisationen unter restloser
Beachtung des Grundsatzes der Barzahlung durchzuführen. An Stelle
des Warenkredites muß durch die Inanspruchnahme der Kreditgenossen-
schaften der Geldkredit treten.
5. Der Ausbau der Organisation des Handwerks zur genossenschaft-
lichen Rohstoffversorgung ist mit allem Nachdruck zu fördern."
Die hier unter Punkt 3 beantragte Zusammenfassung zu Bezirks-
lieferungsverbänden ist bereits in einem Erlaß des preußischen Ministers
XXIX*
— 440 —
für Handel und Gewerbe vom 28. April d. J. angeregt worden, in
welchem wiederholt vor einer direkten Beteiligung der Kammern an
den Heereslieferungen gewarnt wird. Der Erlaß wendet sich auch
gegen die Bildung von privatwirtschaftlichen Unternehmungen, wie sie
häufig in der Form der G. m. b. H., bei denen Mitglieder der Kammern
Gesellschafter sind, ins Leben getreten sind, und er weist auf die
Zweckmäßigkeit der Gründung von Zentrallieferungsgenossen-
schaften zur Uebernahme und Vermittlung von Heereslieferungen,
welche unabhängig von der Kammer bestehen sollen, hin. Gedacht ist,
daß sich die bestehenden Lieferungsgenossenschaften und Einzelbetriebe
zu solcher Zentrallief erungsgenossenschaft zusammenschließen. Anfänge
hiermit sind bereits in einzelnen Teilen des Reiches gemacht worden.
Ob diese Organisation aber überall erwünscht sein wird, bedarf noch
eingehender Erörterungen, da in einzelnen Bezirken die Lieferungs-
genossenschaften noch zu wenig vertreten sind, um mit Sicherheit an-
nehmen zu können, daß sich hier die nötige Mitgliederzahl für eine
solche Genossenschaft zusammenfinden wird. Der Erlaß lehnt aus-
drücklich eine staatliche Förderung der Gründung von Verdingungs-
stellen als Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht, derart, daß das
Gesellschaftskapital ganz oder zu einem beträchtlichen Teile von der
Handwerkskammer eingebracht wird, ebenso wie die Uebernahme von
Aufträgen auf eigene Rechnung ab, und die Kammern werden ange-
wiesen, bei den bereits geschaffenen Verdingungseinrichtungen den all-
mählichen Abbau ihrer finanziellen Beteiligung und der Uebernahme
der von ihnen eingezahlten Geschäftsguthaben durch Handwerker-
lieferungsgenossenschaften oder einzelne Handwerker vorzubereiten.
Weiter wird in dem Erlaß zu der Organisation der Zentrallieferungs-
genossenschaft und der Stellung der Kammern folgendes bestimmt:
„Durch die Satzung wird Vorsorge dahin zu treffen sein, daß zu
jeder Lieferungsgenossenschaft jedem tüchtigen Handwerksmeister der
Betrieb offen steht, und nicht etwa, wie das vereinzelt der Fall ge-
wesen ist, durch hohe Eintrittsgelder der Zuzug frischer Kräfte unter-
bunden wird. Um die Fühlung mit der Handwerkskammer aufrecht-
zuerhalten, ist es weiter erwünscht, daß dem Vorstande der Kammer
oder einzelnen seiner Mitglieder satzungsmäßig das Recht eingeräumt
wird, an allen Sitzungen der Vertretungen der Genossenschaft mit be-
ratender Stimme teilzunehmen. Sofern eine andere Lösung nicht ge-
funden werden kann, bin ich im Hinblick auf den mangelhaften Ausbau
der genossenschaftlichen Organisation des Handwerks auch bereit, einst-
weilen noch zuzulassen, daß die Handwerkskammern selbst einen Ge-
schäftsanteil übernehmen, um auf die Verwaltung der Zentrallief erungs-
genossenschaft größeren Einfluß ausüben zu können. Der Geschäftsanteil
ist jedoch möglichst nur aus solchen bereiten Mitteln einzuzahlen, die
nicht aus den im Wege des ordentlichen Umlageverfahrens von Ge-
meinden oder Handwerksbetrieben aufgebrachten Summen herrühren.
Ob neben den Genossenschaften auch Gesellschaften mit be-
schränkter Haftung als Zentrallieferungsvereinigungen dauernd zuge-
lassen werden können, wird von weiteren Erfahrungen abhängen.
— 441 —
Gegen diese Gesellschaftsform spricht die Erwägung, daß die liefernden
Handwerker oder deren Vereinigungen an der Verteilung des durch
ihre Arbeit erzielten Reingewinns nicht beteiligt sind. Dazu kommt,
daß die Geschäftsleitung, insbesondere die Unterverteilung der Auf-
träge, ganz in den Händen der wenigen Gesellschafter liegt, während
die ausführenden Handwerker keinerlei Einfluß darauf und bei etwaiger
Benachteiligung keine Möglichkeit haben, durch Anrufung einer unbe-
teiligten Stelle Abhilfe ihrer Beschwerden durchzusetzen. Anderseits
kann zugunsten der Gesellschaften mit beschränkter Haftung darauf
hingewiesen werden, daß in ihnen die Verwaltung einfacher und be-
weglicher ist.
In jedem Ealle aber ist Wert darauf zu legen, daß die Arbeit der
wirtschaftlichen Organisation durch eine beaufsichtigende, vermittelnde
und ausgleichende, dem behördlichen Charakter Rechnung tragende
Tätigkeit der Handwerkskammer gefördert wird. Sei es, daß auf Ver-
langen der vergebenden Behörden ihr zur Herbeiführung einer gerechten
Verteilung der Aufträge seitens der Zentrallieferungsvereinigungen die
Verteilungspläne über die einzelnen Aufträge zur Genehmigung und
Weiterleitung an jene Stellen vorzulegen sind, sei es, daß sie die
Ueberwachung der Ausführung und die Besichtigung der mit den Auf-
trägen bedachten Betriebe übernimmt, um die Lieferung einwandfreier
Arbeit sicherzustellen, sei es endlich, daß sie durch Einsetzung eines
Schlichtungsausschusses für alle Streitigkeiten aus der Abwicklung
eines Auftrages mitwirkt, stets wird die Handwerkskammer hinreichend
Gelegenheit zu einer für die Gesamtheit des Handwerks ersprießlichen,
ihr Ansehen wahrenden Betätigung haben."
Der Kammertag befaßte sich ferner in seiner Sitzung am 31. Mai
mit der Fürsorge für die Beschaffung eines leistungsfähigen handwerk-
lichen Nachwuchses und stellte hierzu folgende Leitsätze auf:
„1. Die Fürsorge für einen geeigneten, an Zahl ausreichenden
Nachwuchs im Handwerk bildet besonders bei der bevorstehenden
Ueberleitung von der Kriegs- in die Friedenswirtschaft einen wesent-
lichen Bestandteil der Gewerbeförderung.
2. In erster Linie haben seine berufenen Vertretungen, die Hand-
werks- und Gewerbekammern, die pflichtgemäße Aufgabe, alle hierzu
geeigneten Maßnahmen zu ergreifen und zu unterstützen.
3. Als solche kommen in Betracht:
a) Die planmäßige Aufklärung der aus der Schule entlassenen Jugend,
sich nicht eines augenblicklichen, oft nur vermeintlichen Vorteils
wegen, ohne Rücksicht auf ihr späteres Fortkommen, ungelernten
oder solchen Berufen zuzuwenden, die erfahrungsgemäß schon an
Ueberfüllung leiden.
b) Die Schaffung von Einrichtungen und Veranstaltungen, die ge-
eignet sind, die öffentliche Meinung zugunsten des Handwerks zu
beeinflussen, z. B. Abhaltung von Ausstellungen mit Prämiierung
gut ausgeführter Gesellen- und Lehrlingsarbeiten, die Bereit-
stellung von staatlichen Mitteln zur Gewährung von Unterstützung
von Lehrlingen, die Gründung von Lehrlingsversicherungen und
— 442 —
damit im Zusammenhang Herbeiführung einer durchgreifenden
Neuregelung einer den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen
entsprechenden Entlohnung der Lehrlinge,
c) Während der Uebergangszeit empfiehlt es sich, die in den Kriegs-
betrieben mit praktischer Arbeit zugebrachte Zeit auf die Lehr-
zeit anzurechnen."
Auch diese Trage hat bereits mehrfach die Kammern beschäftigt
und sie fand neuerdings auch wiederholt im Reichstage Würdigung.
Unter anderem wurde hier der Vorschlag gemacht, durch Gewährung
von Prämien, die sich bis zur Vollendung der Lehrzeit auf eine be-
stimmte größere Summe erhöhen sollten, geeignete junge Kräfte für
das Handwerk zu gewinnen, und die Zahlung dieser Beträge den
Kammern und den Bundesstaaten aufzuerlegen. Ob auf diesem Wege
ein Anreiz für den Handwerksberuf geschaffen werden kann, bedarf
noch eingehender Ueberlegung. Jedenfalls wird man aber eine Er-
höhung der in einzelnen Grewerben bereits seit Jahrzehnten gleich ge-
bliebenen Vergütungssätze bei den veränderten wirtschaftlichen Ver-
hältnissen ohne weiteres befürworten müssen, wenn man auf einen
Zuzug aus den Mittelstandskreisen zum Handwerk rechnen will. Ein
Beharren auf den alten niedrigen Sätzen wird schon deshalb kaum
möglich sein, weil die Kriegszeit eine oft hohe Entlohnung der bereits
Werte schaffenden jugendlichen Arbeiter notwendig machte.
Eng zusammen mit dieser Frage hängt der weitere Beratungsgegen-
stand „Berufsberatung und Lehrstellen Vermittlung". Der
geschäftsführende Ausschuß weist in seiner Resolution auf die Not-
wendigkeit der Gründung von Zentralstellen oder von Ausschüssen für
die einzelnen Bezirke bzw. Gemeinden hin, bei denen Vertreter von
Handwerk, Handel und Industrie sowie der öffentlichen Behörden und
der beteiligten Interessenten zu beteiligen, sind. Handwerkskammern,
Innungen und gewerblichen Vereinen müsse ein hervorragender Ein-
fluß und eine weitgehende Mitarbeit eingeräumt werden. Neben diesen
örtlichen Zentralstellen ist eine weitere Zusammenfassung der einzelnen
Lehrstellenzentralen, eventuell in Anlehnung an die bestehenden Pro-
vinzial- und Landesverbände der öffentlichen und gemeinnützigen Arbeits-
nachweise herbeizuführen, da auf diese Weise der notwendige zwischen-
örtliche Ausgleich geregelt und die Verbindung mit dem allgemeinen
Arbeitsmarkt hergestellt werden kann.
Es wird dann weiter für die Unterbringung der Lehrlinge die
Schaffung von Lehrlingsheimen in Vorschlag gebracht, in denen sie zu
günstigen Bedingungen Unterkunft und Verpflegung finden können.
Die Aufbringung der Mittel wird, da es sich hier um allgemeine soziale
Interessen handelt, in der Weise gedacht, daß vom Staat oder den
Kommunen öffentliche Mittel für diese Zwecke zur Verfügung gestellt
werden.
Nachdem in den einzelnen Bundesstaaten bereits durch Gesetze
und Verordnungen im Interesse einer guten Ausbildung der Lehrlinge
gegen die schädlichen Wirkungen der privaten gewerblichen
Lehranstalten vorgegangen worden ist, hat jetzt der preußische
— 443 —
Minister für Handel und Gewerbe in einem Erlaß vom 1. Mai d. J.
Bestimmungen erlassen, welche genaue Anweisungen für die Gründung
und Unterhaltung solcher Lehranstalten geben. Als Privatschulen
werden hier alle Schulen angesehen, deren Träger eine Privatperson
oder eine private Personenvereinigung ist. Nicht unter den Begriff
der Privatschulen fallen die von Körperschaften des öffentlichen Rechts
errichteten Schulen, denen wie den Gemeinden, Handelskammern, Hand-
werkskammern, Innungen usw. die Befugnis zur Errichtung von Unter-
richtsanstalten gesetzlich zusteht. Zu den Privatschulen im Sinne dieses
Erlasses gehören ferner nicht die von anderen Körperschaften und Ver-
einen errichteten Schulen, die ausdrücklich als gemeinnützig vom Mi-
nister anerkannt sind. Zur Jugend im Sinne der Vorschriften über
das Privatschulwesen gehören nicht nur alle Personen unter 21 Jahren,
sondern auch diejenigen im höheren Alter, welche nach Maßnahme des
einzelnen Falles als des Schutzes vor Benachteiligung durch unzuläng-
lichen und schädlichen Unterricht bedürftig anzusehen sind. Anträge
auf Erteilung der Erlaubnis zum Betriebe einer Privatschule sind in
Städten mit mehr als 10000 Einwohnern beim Gemeindevorstand
anzubringen. Voraussetzung zur Erteilung der Erlaubnis zum Betriebe
«iner Privatschule ist vor allem die sittliche Zuverlässigkeit des Schul-
unternehmers und des Schulleiters. Der Schulleiter hat die Kenntnisse
und Fertigkeiten nachzuweisen, die für den Unterricht erforderlich sind,
dessen Erteilung die Aufgabe der Schule bildet. Ist die Vermittlung
handwerklicher Fertigkeiten die Aufgabe der Schule (Zuschneide-, Fri-
sier- und ähnliche Schulen), so hat der Schulleiter den Besitz der Be-
fugnis zur Anleitung von Lehrlingen oder den Erwerb einer gleich-
wertigen Ausbildung nachzuweisen. Die Bezeichnung der Privatschulen
muß den vollen Namen des Inhabers, gegebenenfalls neben dem des
Gründers oder früheren Inhabers, und das Wort „Privat" enthalten.
Die Beifügung eines Zusatzes, wie „staatlich genehmigt", „staatlich kon-
zessioniert", ist unzulässig. Die Genehmigung ist ferner von der Be-
dürfnisfrage abhängig zu machen. Bei Prüfung des Bedürfnisses ist
zu berücksichtigen, daß einerseits der Bestand und die Entwicklung der
vorhandenen einwandfreien, insbesondere der öffentlichen Schulen nicht
beeinträchtigt werden darf, daß andererseits aber die öffentlichen Schulen
unter Umständen der gesamten Nachfrage nach Unterricht nicht zu
genügen vermögen. In Veröffentlichungen, namentlich auch in der
Presse, dürfen keine irreführenden Angaben oder Versprechungen ins-
besondere über Arbeits- oder Verdienstmöglichkeiten gemacht werden.
Ist mit der Privatschule eine Stellenvermittlung gegen Entgelt ver-
bunden, so finden auf diese die Vorschriften des Stellenvermittlerge-
setzes vom 2. Juni 1910 Anwendung. Alle gewerblichen Privatschulen
unterstehen der Aufsicht der Schulaufsichtsbehörden. Ihren Beauftragten
ist der Besuch der Anstalt jederzeit zu gestatten. Privatschulen, die
ohne Erlaubnis betrieben werden, sind in der Regel bis zur etwaigen
Erteilung der Erlaubnis zu schließen. Die Genehmigung kann durch
die Schulaufsichtsbehörde zurückgenommen werden, wenn Tatsachen
vorliegen, nach denen die Erlaubnis verweigert werden muß oder kann,
- 444 —
oder wenn sich ergibt, daß die Schule nicht in einem den Anforderungen
einer geordneten Einrichtung und Verwaltung sowie eines geordneten
Unterrichtsbetriebes entsprechenden Zustand erhalten wird. Ein Mangel
der erforderlichen sittlichen Zuverlässigkeit liegt bei dem Schulunter-
nehmer insbesondere auch dann vor, wenn er eine auf Täuschung des
Publikums berechnete Reklame betreibt oder zuläßt, oder wenn er seine
Schüler durch übermäßige Schulgelder ausbeutet. Es ist sehr erfreulich,
daß hier in völlig klarer unzweideutiger Weise dargelegt wird, unter
welchen Bedingungen gewerbliche Lehranstalten unterhalten werden
dürfen, und es darf angenommen werden, daß die schwindelhaften An-
gebote auf diese Weise immer mehr zurückgedrängt werden.
Zu der Frage des Berechtigungswesens auf Grund des §89-
Ziffer 6 der deutschen Wehrordnung hat der deutsche Handwerks- und
Gewerbekammertag, gestützt auf die im Kriege gemachten Erfahrungen,
erneut eine Eingabe an das E-eichsamt des Innern gerichtet, in welcher
er in klarer Weise Vorschläge für Grundsätze bei Erteilung des Be-
rechtigungsscheins für einen jungen Handwerker macht. Der Kammer-
tag hat sich, um eine möglichst einwandfreie Lösung der Aufgabe zu
finden, mit dem deutschen Gewerbeschulverband und dem Verbände
deutscher Gewerbevereine und Handwerkervereinigungen in Verbindung
gesetzt und ist mit diesen zu einheitlichen Beschlüssen gelangt. Vor
allem ist der Kammertag der Ansicht, daß bei der Abmessung von
„Bildung und geistiger Reife" ein gerechter Maßstab insofern an-
zuwenden ist, als diese nicht nur in der Beherrschung wissenschaft-
licher Fächer gesehen, sondern auch dem technischen Können der
gebührende Wert beigelegt werden müsse. Die Forderung geht dahin,
allen öffentlichen gewerblichen und technischen Fachschulen mit min-
destens 2-jährigem Lehrgang, die eine mindestens 1-jährige praktische
Tätigkeit ihrer Schüler verlangen, die Berechtigung zur Ausstellung
von Befähigungszeugnissen für den einjährig-freiwilligen Militärdienst
zu verschaffen, ferner die zurzeit als Maßstab der allgemeinen Bildung
vorgeschriebene Kenntnis zweier Fremdsprachen, sowie die sonstigen
als Elementarfächer bezeichneten Prüfungsgegenstände bei Ablegung
der Prüfung ersatzfähig zu machen durch technische und zeichnerische
Disziplinen. Für die gewerbliche Einjährigenprüfung wird etwa folgende
Aenderung der Prüfungsfächer vorgeschlagen:
In den Hauptfächern „Deutsch und Rechnen" bleiben die gleichen
Anforderungen wie bisher bestehen; an die Stelle des 3. Hauptfaches
„Fremdsprachenkenntnis" würden Fachkenntnisse und das Fachkönnen
konstruktiver und entwerfender Art zu treten haben; in den Neben-
fächern „Naturwissenschaft und Mathematik" könnte erheblich mehr
gefordert werden, und dieses Mehr wäre als Ausgleich für die in Weg-
fall kommenden Fremdsprachen zu betrachten. Berufe, die in Mathe-
matik und darstellender Geometrie nicht die gleichen Anforderungen
stellen, hätten an deren Stelle in anderen fachlichen Hilfswissenschaften,
insbesondere in „Technologie und Rohstoffkunde" höhere Kenntnisse
zu fordern. Schließlich könnten fehlende Stunden in Geschichte und
Erdkunde ausgeglichen werden durch Unterricht in Gesetzes- und Bürger-
~ 445 —
künde, sowie in Wirtschaftslehre. Ferner wird bezüglich des Ausdrucks
„hervorragend", der eine so vielseitige Bedeutung zuläßt, vorgeschlagen,
daß im Wege der Ausführungsbestimmungen genau festgelegt wird, daß in
Zukunft unter einer „hervorragenden Leistung" innerhalb oder außer-
halb der Schule eine einzelne Leistung oder Gesamtleistung verstanden
werden soll, die eine hervorragende Begabung und eine gewisse geistige
Reife erkennen läßt. Ferner müßten darüber Vorschriften erlassen
werden, welchen Organen die Beurteilung der Leistungen übertragen
werden solle und nach welchen einheitlich festgelegten Richtlinien deren
Entscheidung zu erfolgen hat, und schließlich darüber, daß der Umfang
der Prüfung in den Elementarkenntnissen durch Angabe von Lehr-
büchern genauer umschrieben wird, sowie daß besonders in Aufsatz
und Rechnen bei dem Stoffauswahl und der Prüfungsmethode auf den
Interessenkreis der Schüler entsprechend Rücksicht genommen und die
Prüfung den Gewerbeschulmännern übertragen wird.
Auf der bereits erwähnten Sitzung des geschäftsftihrenden Aus-
schusses wurde auch die Eürsorgeversicherung für selbstän-
dige Handwerker besprochen, und es wurde dem 18. Deutschen
Handwerks- und Gewerbekammertage empfohlen, angesichts der Tat-
sachen, daß sich das Bedürfnis nach einer ausreichenden Fürsorge in
Krankheits- und Sterbefällen zugunsten der selbständigen Handwerker
und Gewerbetreibenden nach dem Kriege noch fühlbarer als vorher
machen dürfte, zu beschließen, daß unter Hinzuziehung der Kammern
und der Gewerbevereinsverbände für das Gebiet des Deutschen Reiches
eine Reihe großer leistungsfähiger auf Gegenseitigkeit beruhender
Krankenkassen durch Ausbau bestehender und Errichtung neuer Ver-
sicherungseinrichtungen geschaffen werden möge. Um eine möglichst
große Einheitlichkeit in der Geschäftsführung dieser Krankenkassen zu
gewährleisten, soll ein „Verband der Krankenkassen für selbständige
Handwerker und Gewerbetreibende" errichtet werden, der einen Aus-
gleich unter den Kassen im Wege der Rückversicherung anzustreben
hat. Der Verband soll dem Deutschen Handwerks- und Gewerbe-
kammertage angegliedert werden, der auch seine Geschäftsführung be-
sorgt.
Schließlich befaßte sich der geschäftsführende Ausschuß noch mit
der Frage der Aenderung des Wahlrechts zu den Handwerks-
kammern. In der Erkenntnis, daß nach den bisherigen Vorschriften
über die Wahlen zur Handwerkskammer nach § 108 a der Reichsge-
werbeordnung weite einflußreiche Kreise des deutschen Handwerks von
der Mitbestimmung für die Wahl der Vertreter zur Kammer ausge-
schaltet sind, wird die Einführung eines allgemeinen direkten Wahl-
rechts für alle selbständigen Handwerker, die ihren Betrieb gemäß § 14
RO. angemeldet und mindestens 3 Jahre im Kammerbezirk ausgeübt
haben, empfohlen. Zur Hebung des Ansehens des Handwerkerstandes
wird es für notwendig gehalten, die Vorbereitung und Durchführung
der Wahlen zur Vollversammlung, soweit dies durch die einzelnen Wahl-
ordnungen noch nicht geschehen ist, den Handwerkskammern zu über-
lassen.
— 446 —
X. Soziale Hygiene.
Inhalt: Säuglingssterblichkeit in deutschen Städten. Fürsorge für Mutter
und Kind. Kinderfürsorge der Landesversicherungsanstalten. Landaufenthalt
für Stadtkinder. Die Gesundheitsverhältnisse im allgemeinen. Tuberkulosenfür-
sorge. Alkohol und Leistungsfähigkeit der Schulkinder. Arbeiterinnenschutz.
üeber die Säuglingsterblichkeit in den deutschen
Orten mit 15000 und mehr, insbesondere in den Großstädten
mit 200000 und mehr Einwohnern im Jahre 1916 im Vergleich mit
der in den letzten Vorjahren sind die statistischen Angaben jetzt ver-
fügbar, aber da die auf Grund der Monatsausweise gewonnenen Angaben
über die Zahlen der Lebendgeborenen und der Sterbefälle im 1. Lebens-
jahre nur vorläufige sind, haben sie nur mit den auf gleiche Weise ge-
wonnenen Angaben für die Vorjahre in Vergleich gesetzt werden können.
Wie zunächst ein Vergleich für das Jahr 1916 mit den Angaben für die beiden
Vorjahre in bezug auf die 26 deutschen Großstädte mit 200000 und mehr Einwohnern
zeigt, ist aus begreiflichen Gründen die Zahl der Lebendgeborenen, die sich im
Jahre 1915 bereits um 49 470 gegenüber dem Jahre 1914 vermindert hatte, im
Jahre 1916 weiterhin gesunken, nämlich um 48623. Insgesamt betrug daher die
Abnahme der Zahl der Lebendgeborenen seit dem Jahre 1914 bis zum Schlüsse
des Jahres 1916 98093, d. s. 38,3 Proz. der Zahl der Lebendgeborenen im Jahre 1914.
Aus dem Vergleich der monatlichen und vierteljährlichen Angaben für die
einzelnen Jahre ist jedoch zu ersehen, daß die Abnahme der Zahl der Lebendge-
borenen im Verlaufe des Jahres 1916 weniger sprungweise vor sich ging als im
Vorjahr, in dem im Mai ein plötzlicher Absturz der Geburtenzahl eingetreten ist.
Im August und September 1916 machte sich sogar eine nicht unbeträchtliche Zu-
nahme der Zahl der Lebendgeborenen gegenüber dem Monat Juli bemerkbar, und
zwar sowohl in den 26 größten deutschen Städten als auch in der Gesamtheit
deutscher Orte mit 15 000 und mehr Einwohnern, eine Erscheinung, die um so mehr
auffällt, als sie bisher noch nicht beobachtet worden ist; denn der bisherige monat-
liche Verlauf der Geburtenzahl in den deutschen Orten mit 15000 und mehr
Einwohnern war dadurch gekennzeichnet, daß die Geburtenzahl von ihrem Höchst-
stand in den Wintermonaten unter einigen Schwankungen allmählich auf ihren
Tiefstand in den Herbstmonaten September bis November herabsank. Zweifellos
hängt die Erscheinung mit der Beurlaubung zahlreicher Militärpersonen anläßlich
des Weihnachtsfestes 1915 zusammen.
Nach den vorläufigen Angaben über die Zahl der Lebendgeborenen in den
deutschen Orten mit 15000 und mehr Einwohnern, die sich seit dem Jahre 1914
auf dieselben Orte beziehen, ist diese Zahl im Jahre 1915 um 131 068 gegenüber
der des Vorjahres und im Jahre 1916 weiterhin um 114 557 gesunken, so daß die
Abnahme dieser Zahl seit dem Jahre 1914 bis zum Schlüsse des Jahres 1916 ins-
gesamt 245 625 oder 39,5 Proz. der Geburtenzahl des Jahres 1914 betrug. Wie
man sieht, stimmt dieser Prozentsatz mit dem oben angegebenen Prozentsatz der
Abnahme der absoluten Zahl der Lebendgeborenen in den 26 größten deutschen
Städten nahezu überein.
Es ist klar, daß diese durch außerordentliche Verhältnisse bedingte Abnahme
der Geburtenzahl durch die gleichzeitige Abnahme der Zahl der Sterbefälle im
1. Lebensjahre nicht wettgemacht werden konnte, doch war die Abnahme der
Zahl dieser Sterbefälle immerhin verhältnismäßig etwas stärker als das Absinken
der Zahl der Lebendgeborenen. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, daß das
Verhältnis der Zahl der Sterbefälle im 1. Lebensjahre zu der der Lebendgeborenen
sowohl in den 26 größten deutschen Städten als auch in der Gesamtheit deutscher
Orte mit 15000 und mehr Einwohnern sich seit dem Jahre 1914 fortgesetzt ver-
mindert hat, und zwar verminderte sich dieses auf je 100 Lebendgeborene des
gleichen Jahres berechnete Verhältnis nach den vorläufigen Angaben in den ersteren
Orten von 15,3 im Jahre 1914 bis auf 13,0 im Jahre 1916, in den letzteren während
— 447 —
der gleichen Zeit von 15,5 auf 13,3. Demnach war die Säuglingssterb-
lichkeit in diesen Orten in dem Kriegsjahr 1916 sogar geringer
als ihr im Jahre 1912 mit 14,1 erreichtes bisheriges Minimum.
Ein Aufstieg der Zahl der Sterbefälle im 1. Lebensjahre sowohl in der Gesamt-
heit der 26 größten deutschen Städte als auch in der der deutschen Orte mit
15000 und mehr Einwohnern machte sich jedoch in dem 8. Vierteljahr des Jahres
1916 bemerkbar. Da die Temperaturverhältnisse in den Sommermonaten des
Jahres 1916 gleichwie im Vorjahr unternormal gewesen sind, kann dieser Aufstieg
nur teilweise auf die Gestaltung der Temperatur veihältnisse während dieser Zeit
zurückgeführt werden. Man muß vielmehr zugleich vermuten, daß er mit der
gleichzeitigen Zunahme der Zäh] der Lebendgeborenen im August und Septem-
ber 1916 zusammenhängt; doch könnte der Beweis hierfür nur dann erbracht
werden, wenn sich während dieser Zeit auch ein Aufstieg der Zahl der im 1.
Lebensmonat gestorbenen Säuglinge nachweisen ließe, wozu indessen dem Kaiser-
lichen Gesundheitsamt kein Material zur Verfügung steht. Inwieweit neben diesem
biologischen Faktor noch andere Umstände für die Mehrung der Sterbefälle be-
stimmend waren, läßt sich nur durch besondere Untersuchungen in den einzelnen
größeren Städten feststellen.
Der Reichstags ausschuß für Bevölkerungspolitik hat
sich im letzten Abschnitt seiner Tagung mit Kriegs maßnahmen
zum Schutz von Mutter und Kind beschäftigt und hat dabei
einstimmig den Antrag der Abgeordneten Faßbender und Sivkovich
angenommen :
',Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, durch Einwirkung auf die Bundes-
regierung ein einheitliches und durchgreifendes Vorgehen aller beteiligten Ver-
wStungsbeh Orden zu veranlassen in der Schaffung, Ausdehnung und besseren
finanziellen Ausstattung der Beratungsstellen für Säuglings fürsorge, für Schul-
kinderpflege und für Kinderhortwesen, im Ausbau und in der Beaufsichtigung
der Kinderkrippen, Kindergärten und Schulhorte, sowie in der Ausgestaltung des
Aufsichtswesens für Privatpflegestellen, wie es der gesteigerten Inanspruchnahme
der Mütter für Frauenarbeit während des Krieges entspricht."
Das Kriegsernährungsamt hat neuerdings den deutschen Bundes-
regierungen Grundsätze für die Ernährung werdender
Mütter, Säuglinge und Kinder mit dem Ersuchen zugehen
lassen, hiernach die Versorgung der Mütter und Kinder einheitlich
durchzuführen. Die Kommunalverbände und Gemeinden sollen zu einem
diesen Grundsätzen entsprechenden Verfahren verpflichtet werden. Die
Gemeindebehörden haben besonders Vorsorge zu treffen, daß die den
werdenden und stillenden Müttern und Säuglingen zustehende Milch-
menge ohne Schwierigkeiten und Zeitverluste in Empfang genommen
werden kann. Ferner soll die Versorgung der Mütter und Kinder mit
Brot, Mehl, Nährmitteln und Zucker der Versorgung der anderen Be-
völkerungsgruppen vorgehen.
Zur gesundheitlichen Kinderfürsorge durch die
Landesversicherungsanstalten ist (nach der „Soz. Prax.") fol-
gendes mitzuteilen.
Auf Grund des § 1277 der Reichsversicherungsordnun^ können die Landes-
versicherungsanstalten ihre Satzungen so ausbauen, daß sie die Empfänger von
Waisenrenten auf Antrag in einem Waisenhaus oder einer ähnlichen Anstalt unter-
bringen und dazu die Waisenrente ganz oder teilweise verwenden. Die Landes-
versicherungsanstalt der Hansestädte hat im Jahre 1912 zum ersten Male von
dieser Befugnis Gebrauch gemacht und 5 Waisen bei Familien auf dem Lande
untergebracht. 1913 wuchs diese Zahl bereits auf 162, von denen 38 bei FamUien
- 448 -
auf dem Lande, 124 in einer Ferienkolonie untergebracht waren. Auch andere
Versicherungsanstalten sind inzwischen dem Beispiel der Hansestädte gefolgt. Im
Reichsarbeitsblatt vom Mai 1917 veröffentlicht das Reichs versicherungsam t eine
Zusammenstellung der Leistungen der Landes Versicherungsanstalten auf diesem
Gebiet im Jahre 1915. Im ganzen waren 15 Anstalten an dieser Form der Waisen-
fürsorge beteiligt, und zwar handelte es sich im ganzen um 761 Waisen, wofür
ein Gesamtkostenaufwand von 182 024 M. notwendig war. Vorwiegend wurden
Fälle berücksichtigt, in denen die Waisen entweder selbst tuberkulosverdächtig
waren oder in denen man sie aus tuberkulösen Familien entfernen wollte. Am
stärksten beteiligt sind die Hansestädte (400 Kinder, 125933 M. Kostenaufwand),
Rheinprovinz (110 Kinder, 13200'M. Kostenaufwand), Hessen (96 Kinder, 10000 M.
Kostenaufwand), dann folgen Königreich Sachsen, Pensionskasse der Arbeiter der
Preußisch- Hessischen Eisenbahngemeinschaft, Thüringen usf. - Die „Familien-
pflege" wird von den Versicherungsanstalten als eine Nebenart der Anstaltspflege
angesehen. Von den Landes Versicherungsanstalten Posen und Mittelfranken wird
berichtet, daß die Unterbringung von Kindern oft daran scheiterte, daß die ge-
setzlichen Vertreter, meist der Vormund oder die Mutter, die Genehmigung da-
zu versagten. Die besten Erfahrungen mit dieser Art der Kinderfürsorge hat
bisher die Landes Versicherungsanstalt der Hansestädte gemacht, die ja auch be-
reits am längsten diese Fürsorge gepflegt hat. Vielleicht werden also auch in
anderen Teilen Deutschlands etwa dagegen bestehende Vorurteile allmählich über-
wunden. Der § 1277 RVO. gibt den Landesversicherungsanstalten die Möglich-
keit des Eingreifens bei Kindern, für die Waisenrente gezahlt wird, und dieser
Paragraph wird vielleicht auch für die Kriegswaisenfürsorge eine größere Bedeutung
erlangen. Wollen die Landes Versicherungsanstalten ihren Wirkungskreis auf diesem
Gebiet erweitern, so bietet dazu der § 1274 eine Handhabe, der im allgemeinen
die Möglichkeit gibt, Aufwendungen zur Hebung der gesundheitlichen Verhält-
nisse der versicherungspflichtigen Bevölkerung zu machen. Die Versicherungs-
anstalten geben im allgemeinen allerdings nicht direkte Mittel zur Jugendfürsorge,
sondern sie bahnen ein Zusammenarbeiten mit anderen Stellen (Gemeindever-
waltungen, Jugendfürsorge vereinen usw.) an und geben geldliche Beihilfen, even-
tuell auch in Form billiger Hypotheken zu den Unternehmungen und Anstalten
dieser Stellen. Als Gegendienst bleibt dann den Versicherungsanstalten eine An-
zahl von Freiplätzen in Heilstätten und Erholungsheimen gesichert. Auf diese
Weise sind von einer ganzen Reihe von Landesversicherungsanstalten kränkliche
Kinder von versicherten Eltern in Heilstätten, Solbädern, Seehospizen oder zu
anderen Kurgelegenheiten untergebracht worden.
Der Verein „Landaufenthalt für Stadtkinder" zielt darauf
ab, eine möglichst große Zahl von Großstadtkinderu im Sommer auf
das Land zu verschicken. Zugleich soll auch das Verständnis zwischen
Stadt- und Landbevölkerung gefördert werden. Von der Reichs- und
Staatsregierung ist die Unterstützung dieser Idee bereits in weitem
Maße zugesichert, vor allem ist jedoch die Mitarbeit der Stadt- und
Landbewohner notwendig.
Diesem Verein „Landaufenthalt für Stadtkinder" in Berlin ist bekanntlich
in dem Ministerialerlaß vom 1. März 1917 unter anderem die Vornahme des Aus-
gleichs von Angebot und Nachfrage zwischen den Provinzen übertragen worden,
und ferner bildet der Verein die Zentral vermittlungssteile zur Regelung von An-
gebot und Nachfrage zwischen Preußen und den der Organisation angeschlossenen
Bundesstaaten. Soweit Preußen in Frage kommt, hat die Werbetätigkeit nach
den bisher aus den Provinzen eingelaufenen Meldungen folgendes vorläufige Er-
gebnis gehabt:
Die Provinz Ostpreußen stellte 66 498 unentgeltliche Pflegestellen zur Ver-
fügung, darunter 8599 für katholische Kinder. Nach Abzug des eigenen Bedarfs
verbleiben für auswärtige Kinder noch 63 692. Diese Stellen werden belegt mit
40 823 Kindern aus der Provinz Brandenburg, 11 110 aus Westfalen, 2000 aus
Hessen-Nassau, 6228 aus der Rheinprovinz, 2652 aus dem Königreich Sachsen,
— 449 —
879 aus Lübeck. In der Provinz Pommern sind bisher 37 000 Pflegestellen,
darunter 300 — 400 für katholische Kinder vorhanden. 2900 werden für den eigenen
Bedarf gebraucht, so daß 34100 Stellen für auswärtige Kinder vorhanden sind.
Etwa 9CO0 Kinder aus der Provinz Brandenburg, 3000 Kinder aus Westfalen werden
Aufnahme finden. Alle übrigen Stellen werden mit Kindern aus der Rhein-
provinz belegt. In Posen stehen bisher 21 689 Stellen, darunter 8279 für katho-
lische Kinder bereit. Der eigene Bedarf beträgt nur etwa 1000 Stellen, so daß
20 689 schon jetzt auswärtigen Kindern zur Verfügung stehen. Die noch stark
im Gange befindliche Werbetätigkeit läßt erwarten, daß etwa 30000 Kinder von
auswärts werden aufgenommen werden können. Die Provinz wird fast ausschließ-
lich mit Kindern Westfalens besetzt werden. Die Provinz Sachsen verzeichnet
bisher 15 479 Landpflegestellen, darunter 289 katholische. Der eigene Bedarf der
Provinz beträgt nur etwa 10 404 Stellen, so daß noch 5075 auswärtige Kinder
untergebracht werden können. Das Ergebnis wird sich durch weitere Werbe-
tätigkeit noch erhöhen. Die Provinz wird mit wenigen Ausnahmen nur Kinder
aus dem Königreich Sachsen erhalten. Aus Westpreußen und Schlesien liegen
abschließende Meldungen noch nicht vor. Indessen kann schon jetzt damit ge-
rechnet werden, daß nach Ausgleich des eigenen Bedarfs Westpreußen mindestens
10 000, Schlesien 3000 4000 auswärtige Kinder wird aufnehmen können. In der
Provinz Brandenburg wird der anderweit unterzubringende Ueberschuß an Stadt-
kindern insgesamt etwa 62 000 betragen, darunter die Stadt Berlin mit etwa
40000. Der größte Teil der Kinder wird in Ostpreußen und Pommern unter-
gebracht. Nach dem Vorbericht der Provinz Hannover werden dort, da bereits
aus anderen Provinzen Kinder auf Grund früherer Beziehungen untergebracht
worden sind, auswärtige Kinder kaum Aufnahme mehr finden können. In
Schleswig-Holstein stehen 14000 Landpflegestellen zur Verfügung, denen eine
Nachfrage von 13 300 Kindern gegenübersteht. In der Provinz Hessen-Nassau
besteht eine Nachfrage für etwa 34 600 Stadtkinder. Die Deckung des Bedarfs
innerhalb der Provinz wird erreicht werden. In Westfalen steht ein Angebot von
14 807 Pflegestellen einer Nachfrage von 75 752 Stadkindern gegenüber. Der Ueber-
schuß beträgt also 60 945 Kinder, davon sind etwa 32 000 katholisch. Die Kinder
werden in den verschiedensten Provinzen untergebracht, der Hauptteil kommt
nach der Provinz Posen. Die Rheinprovinz wird voraussichtlich einen Ueber-
schuß von etwa 40000 Stadtkindern haben. Ein großer Teil der Kinder kommt
nach Pommern. •
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß nach oberflächlicher
Schätzung schon jetzt mehr als 300000 Laudpflegestellen in den preu-
ßischen Provinzen insgesamt zur Verfügung gestellt sind. Es ist dies
wiederum ein höchst erfreuliches Zeichen vaterländischer Opferwillig-
keit, und es dürfte mit Sicherheit damit gerechnet werden können, daß
die infolge der Fortsetzung der Werbetätigkeit wachsende Zahl kaum
hinter einer halben Million zurückbleiben dürfte. Bei dieser Zählung han-
delt es sich nur um Kinder, die innerhalb der geschaffenen Organisation
untergebracht werden und deshalb dem Verein „Landaufenthalt für
Stadtkinder" gemeldet sind. V7enn man berücksichtigt, daß von vielen
privaten Stellen ohne Eingliederung in die Organisation Tausende von
Kindern schon untergebracht sind und noch untergebracht werden, so
würde bei Hinzuzählung auch dieser Stellen eine noch wesentlich höhere
Zahl das Endergebnis bilden.
Ueber die Ernährung der Stadtkinder auf dem Lande
hat der preußische Staatskommissar für Volksernährung im Einver-
nehmen mit dem Präsidenten des Kriegsernährungsamtes Bestimmungen
erlassen. Nach diesen Bestimmungen werden den Landwirten aus-
reichende Mengen an Lebensmitteln zur kräftigen Ernährung der Stadt-
kinder belassen werden, so daß die Eltern der Stadtkinder die ruhige
— 450 -
Gewißheit haben können, daß es ihren Kindern an der so dringend
notwendigen kräftigen Ernährung nicht fehlen wird.
Im Haushaltsauöschuß des Reichstags gab Ministerialdirektor
Kirchner einen Ueberblick über die Gesundheitsverhftlt-
nisse im allgemeinen, die trotz der Erschwerungen des Krieges
günstig sind:
Es sei dies sowohl dem hingebenden Eifer der Aerzte zu danken, wie auch
ein erfreuliches Zeichen für die innere Kraft der Bevölkerung. Von den schweren
Volkskrankheiten habe die Tuberkulose in den letzten Jahren wieder eine, wenn
auch geringe, Zunahme gezeitigt, weshalb dem deutschen Zentralkomitee zur Be-
kämpfung der Tuberkulose größere Mittel zur Verfügung gestellt wurden, um die
etwa 1300 in Deutschland vorhandenen Fürsorgestellen leistungsfähiger zu machen.
Krebsige Erkrankungen des Magens und des Darmkanals scheinen zurzeit
weniger häufig als in Friedenszeiten. Dagegen würde über eine gewisse Zunahme
nervöser Erkrankungen geklagt. Die Pocken haben sich seit einigen Monaten
in Norddeutschland gehäuft, besonders in den Provinzen Schleswig-Holstein,
Hannover, Brandenburg, Oldenburg, Mecklenburg, Hamburg und Lübeck, es
handelt sich um etwa 300 Fälle. Zu der Bekämpfung der Pocken hatten die be-
fallenen Bundesstaaten gemeinsame Maßregeln getroffen, welche sich auf die
Impfung der Landstreicher, der Herbergsinsassen und des Personals und der
Kranken in den Krankenhäusern bezogen. Sehr viel ernster sei die Gefahr der
übertragbaren Geschlechtskran keiten für die Bevölkerung. Die Ansicht, daß sie
in erster Linie durch das Feldheer bei uns eingeschleppt würden, sei nicht zu-
treffend; allerdings seien sie zu Beginn des Krieges in Belgien und in Polen sehr
verbreitet gewesen. Sie seien aber dort durch die Maßregeln der Generalgouver-
neure erheblich eingeschränkt worden. Zurzeit seien die Geschlechtskrankheiten
im Feldheere nur wenig verbreiteter als in dem Friedensheer; dazu komme, daß
mehr als 60 v. H. der Erkrankten sich die Ansteckung nicht im Felde, sondern
in der Heimat zuziehen. Hieraus ergebe sich die Notwendigkeit, gegen die
Hauptquelle der übertragbaren Geschlechtskrankheiten, nämlich gegen die Pro-
stitution, entschieden vorzugehen. Diese Notwendigkeit sei auch im Eeichstage
anerkannt worden, und gegenwärtig sei ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten in Arbeit, welcher voraussichtlich noch in diesem Sitzungs-
abschnitt dem Reichstag vorgelegt werden wird.
Ueber den Ausbau der Tuberkulosenfürsorge schreibt
„Berl. Tagebl." v. 14. April:
Der Fürsorgestellen ausschuß des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung
der Tuberkulose trat unter dem Vorsitz des Landesrats Dr. Freund und in An-
wesenheit von Vertretern des Reichsgesundheitsamts, des Reichsversicherungs-
amtes, des preußischen Ministeriums des Innern und der Reichs Versicherungsan-
stalt für Angestellte in Berlin zu einer Sitzung zusammen.
Man war, wie uns von zuständiger Seite mitgeteilt wird, einmütig der üeber-
zeugung, daß der Kampf ^egen die Tuberkulose, der durch die besonderen Ver-
hältnisse des Krieges in seinen Wirkungen notgedrungen eine Abschwächung er-
fahren mußte, mit aller Energie weiter zu organisieren sei, damit man insbeson-
dere den nach dem Kriege herantretenden erhöhten Anforderungen gerecht werden
könne. Zu diesem Zweck soll das ganze Deutsche Reich mit einem Netze von
Tuberkulosefürsorgestellen umspannt werden. Es soll zentralen, provinzialen und
Landesorganisationen, unter Benutzung der bereits vorhandenen Organisationen
zur Bekämpfung der Tuberkulose, die Aufgabe zugewiesen werden, für die Er-
richtung neuer und den weiteren Ausbau vorhandener Fürsorgestellen in ihrem
Bezirke tätig zu sein.
Mit der Berufsberatung Lungenkranker beschäftigte sich
die Tagung des Deutschen Zentralkomitees am 23. Mai.
Ministerialdirektor Dr. Kirchner hob hervor, daß die Sterbhchkeit an Lungen-
schwindsucht in den Kriegs jähren ständig zunimmt. Aus dem Jahresbericht des
— 451 —
Generalsekretärs Oberstabsarzt Dr. Helm geht hervor, daß zurzeit 161 Heilstätten
für Erwachsene mit 16000 Betten und ebenso viele Kinderheilstätten mit 12000
neben 2000 ßeratungs- und Fürsorgestellen in Deutschland bestehen. Ueber die
Berufsberatung und Arbeitsvermittlung für Lungenkranke unter besonderer Be-
rücksichtigung der Kriegsbeschädigten sprachen Oberstabsarst Dr. Beschorner-
Dresden und Oberregierungsrat Dr. Freudenfeld- Straßburg i. E, Beschorner hob
die großen Schwierigkeiten hervor, die der Berufsberatung und Arbeitsvermittlung
Tuberkulöser hinderlich sind. Neben der geringen Zahl geeigneter Berufe sind
es die Abneigung der Arbeitgeber, Lungenkranke wieder zu beschäftigen, und
die Scheu des Erkrankten selbst, die Arbeit wieder aufzunehmen. Eingehend
schildert Beschorner die Berufsberatung und Arbeitsvermittlung im XII. sächsi-
schen Armeekorps, die mit Hilfe der Tuberkuloseorganisationen und der Vereine
„Heimatsdank für die Kriegsbeschädigten" auf das zweckmäßigste geschieht. Ober-
regierungsrat Dr. Freudenfeld führte 'aus, daß sowohl bei der Berufswahl gelegen t-
lidi der Schulentlassung wie bei der Berufsberatung nach einer Heilstätten be-
handlung immer wieder die Feststellung gemacht wird, daß weniger der Beruf
selbst für den Lungenkranken schädlich ist als die näheren Umstände, unter
denen er ausgeübt wird, und daß kein Beruf — auch nicht des Landwirts und
Gärtners — frei von Schädlichkeiten ist. Er empfiehlt die Einrichtung von Ar-
beitsgenesungsheimen im Anschluß an die Heilstätten. Die Einrichtungen soUen
dem doppelten Zwecke dienen, die Genesenen wieder an die Arbeit zu gewöhnen
und ihnen, wenn nötig, Gelegenheit zur Berufsumschulung zu geben.
Im Anschluß an diese Sitzung fand unter dem Vorsitz des Grafen Posa-
dowski die Hauptversammlung des Ausschusses für die Tuberkulosebekämpfung
im Mittelstand (Abteilung des Zentral-Komitees) statt.
Nach einer neueren holländischen Erhebung über den Alkohol-
gebrauch der Schulkinder und den Grad der dadurch beein-
trächtigten Leistungsfähigkeit ergeben sich die folgenden
(in einem Aufsatz der Zeitschrift „Alkoholfrage") wiedergegebenen.
Zahlen :
Von den (immerhin !) 5448 Enthaltsamen waren :
gute Schüler 33,4 v. H.
mittelmäßige 50,2 „ „
schlechte 16,4 „ „
Von den 8679 gelegentlich Trinkenden:
gute 25,6 V. H.
mittelmäßige 53,0 „ „
schlechte 21,4 „ „
Von den (immerhin nur) 136 täglich Trinkenden:
gute 16,9 V. H.
mittelmäßige 58,0 „ „
schlechte 25,0 „ „
Der vom Reichstag eingesetzte Ausschuß für Bevölkerungspolitik^
an dem Dr. Marie Elisabeth Lüders, das sachkundige Mitglied der
Abteilung für Frauenarbeit beim Kriegsamt, teilnahm, einigte sich (wie
„Soz. Prax." mitteilt) auf eine Reihe von Forderungen für einen
verstärkten Arbeiterinnenschutz:
Der Reichskanzler soll ersucht werden, dahin zu wirken, daß für die Aus-
nahmen von den Beschäftigungsbeschränkungen weiblicher und jugendlicher Ar-
beiter, die seit Kriegsbeginn durch das Ermächtigungsgesetz vom 4. August 1914
gestattet sind, durch bundesrätliche und kriegsamtliche Verordnung oder Anweisung
einheitlich für das Reichsgebiet baldmöglichst folgendes Mindestmaß von Arbeiter-
schutz während der Elriegszeit zur Einhaltung vorgeschrieben wird: bei regel-
- 452 —
mäßigem Tag- und Nachtbetrieb in der Regel die Achtstundenschicht, bei den
übrigen Betrieben in der Regel die Zehnstundenschicht; mindestens jeden zweiten
Sonntag völlige Ruhezeit; Wöchnerinnenschutz während 10 Wochen, von denen
bis zu 3 Wochen vor der Niederkunft liegen können, unter entsprechender Aus-
dehnung der Reichswochenhilfe; besondere Schutz Vorschriften für die Beschäftigung
mit giftigen und explosiven Stoffen; Ausnahmen im Rahmen nachstehender Be-
schränkungen sollen nur für einzelne Betriebe zulässig sein und unter Beachtung
besonderer Schutzmaßnahmen. Es wird ferner ersucht, daß das Hausarbeitsge-
setz vom 20. Dezember 1911 und seine Fachausschüsse für Lohnschutz zur
schleunigen Durchführung gelangen, und schließlich, daß die Wiederherstellung
«iner ausreichenden Gewerbeaufsicht und der berufsgenossenschaftlichen Unfall-
aufsicht so rasch wie möglich erfolgt, daß die Zahl der Aufsichtsbeamten syste-
matisch vermehrt, besonders auch weibliche Beamte und Arbeiter in höherer Zahl
angestellt werden, und daß eine angemessene Zahl hygienisch vorgebildeter Be-
amten bei der Anstellung Berücksichtigung finde, sowie daß für die so ausge-
baute Gewerbeaufsicht eine ausreichende Mitwirkung bei der Organisation der
kriegsamtlichen Stellen für den vaterländischen Hilfsdienst gesichert wird.
- 453 -
Volkswirtschaftliche Chronik.
Juli 1917.
I. Produktion im allgemeinen.
Inhalt: Beschäftigungsgrad im Juli.
Im Monat Juli hat die rückläufige Bewegung der Be-
schäftigten weiter angehalten, wenn auch die Abnahme weniger
stark war als im Juni. Im Vorjahre ging die Beschäftigtenziffer in
den Monaten Juni und Juli ebenfalls zurück, aber weit weniger stark
als im laufenden Jahre. Bis Mai war im laufenden Jahre die Ver-
mehrung der Beschäftigten verhältnismäßig sehr kräftig, die Zugänge
waren größer als im Vorjahr, wie sich aus einem Vergleich der monatlichen
Zu- und Abnahme ergibt, die auf Grund der Berichterstattung der Kranken-
kassen an das „Reichs-Arbeitsblatt" errechnet sind. Es betrug danach
die Zu- (-|-) bzw. Abnahme ( — ) der Beschäftigten in den Monaten :
1916 1917
4137 — 33 563
10467 + 29334
44412 + 98245
192049 -I- 232366
III 308 -h 100 186
19626 — 102 236
6382 — II 608
Diese Ziffern sind zwar keineswegs miteinander genau vergleichbar, da
die Zahl der berichtenden Kassen leider von Monat zu Monat schwankt,
aber sie geben doch immerhin einen Fingerzeig für die Richtung der
Bewegung. Da läßt sich nun soviel aus ihnen entnehmen, daß die Zu-
nahmen im laufenden Jahre bis einschließlich Mai recht befriedigend waren,
die des Vorjahres wohl übertroffen haben, daß aber mit dem Juni 1917
eine unerfreuliche Wendung eingetreten ist. Die Abnahme in diesem
Monat hat die ganze Zunahme des Monats Mai wieder aufgeschluckt.
Nun ist allerdings zu beachten, daß im Juni eine überaus kräftige Ver-
minderung der männlichen Beschäftigten eingetreten ist. Ihre Zahl ist
um nicht weniger als 109 405 gesunken. Dafür hätte man eine um so
stärkere Zunahme der weiblichen Beschäftigten erwarten sollen. Diese
ist aber ausgeblieben : die Steigerung der weiblichen Beschäftigten war
vielmehr im Vergleich zu den Vormonaten recht gering. Wie stark
der Ausfall wirken muß, erkennt man, wenn man die Bewegung der
weiblichen Beschäftigten in den einzelnen Monaten des laufenden Jahres
verfolgt. Die Zunahme betrug:
Januar 10 865 Mai 60 294
Februar 25 108 Juni 7 169
März 54 744 Juli 8 392
April 113 570
Im Monat Juli war es Groß-Berlin, wo die Zahl der Beschäftigten am
stärksten sank. Das Weniger ist hier allein größer als für das ganze
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXX
Januar
—
Februar
—
März
+
AprU
+
Mai
+
Juni
—
Juli
—
— 454 -
Reich. Für dieses beträgt das Minus 1 1 608 Beschäftigte oder gegen-
über Juni 0,14 Proz., für Groß-Berlin allein beträgt es 12 873 oder
1,25 Proz. Was noch besonders auffällt, das ist der Umstand, daß in
Groß-Berlin nicht nur die Zahl der männlichen Beschäftigten abge-
nommen hat, sondern auch die der weiblichen. Dazu war die Abnahme
der weiblichen stärker als die der männlichen. Die Zahl der männ-
lichen sank um 5419, die der weiblichen aber um 7454. Die starke
Abnahme in Groß-Berlin hat auf das Reichsmittel sehr ungünstig ein-
gewirkt. In Nordwestdeutschland, in Westdeutschland und in Süd-
deutschland war die Bewegung der Beschäftigten auch im Juli steigend.
Besonders ist die Rheinprovinz hervorzuheben, wo die Zahl der Be-
schäftigten um 5884 oder um 0,65 Proz. gegenüber Juni stieg. Die
besonderen Ursachen des Rückganges der Beschäftigten in Groß-Berlin
sind nicht klar erkennbar. Der Verband Märkischer Arbeitsnachweise
spricht in seinem Bericht für den Monat Juli von gelegentlicher Still-
legung einzelner Industriebetriebe, aber damit allein dürfte der starke
Rückgang nicht erklärt sein. Viel stärker dürfte der Umstand gewirkt
haben, daß die Zahl der Erkrankten in Groß-Berlin im Juli sehr hoch
gewesen, daß dieser Monat mit Vorliebe zu Kurzwecken benutzt worden
ist. Denn während die Gesamtzahl der weiblichen Beschäftigten ein-
schließlich der arbeitsunfähigen Kranken und Wöchnerinnen nur um
2896 abgenommen hat, betrug der Rückgang der versicherungspflich-
tigen Beschäftigten abzüglich der arbeitsunfähig Kranken und Wöch-
nerinnen nicht weniger als 7454.
Im Bergbau und Hüttenbetrieb herrschte, nach dem „Reichs- Arbeits-
blatt", die gleiche lebhafte Tätigkeit wie in den vorangegangenen
Monaten ; dem Vorjahr gegenüber ist verschiedentlich noch eine Steige-
rung zu bemerken. Die Eisen- und Metallindustrie ebenso wie der
Maschinenbau zeigt dem Vormonat gegenüber im allgemeinen keine
wesentlichen Veränderungen und ist weiterhin voll beschäftigt. In der
elektrischen Industrie ist eine außerordentlich rege Beschäftigung zu
erkennen, die in verschiedenen Zweigen im Vergleich zum Vorjahr nicht
unwesentlich gestiegen ist. In der chemischen Industrie ist in ein-
zelnen Zweigen eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit dem Vorjahr
gegenüber zu verzeichnen. In der Holzindustrie sind im allgemeinen
keine wesentlichen Veränderungen dem Vormonat gegenüber eingetreten,
doch ist im Vergleich zum Vorjahr teilweise ein Rückgang zu bemerken.
Das Nahrungs- und Genußmittelgewerbe hat teils eine Zunahme, teils
eine Abnahme der Beschäftigung im Vergleich zum Vormonat und Vor-
jahr erfahren. Die Lage des Baumarktes ist im ganzen unverändert.
Die Nachweisungen der Krankenkasen ergeben für die
am 1. August 1917 in Beschäftigung stehenden Mitglieder dem 1. Juli
gegenüber insgesamt eine Abnahme um 1 1 608 Beschäftigte oder um
0,14 V. H. (gegenüber einer Abnahme der Beschäftigten zahl um 0,08 v. H.
in der entsprechenden Zeit des Vorjahrs). Der im Vergleich zum Vor-
jahr etwas verstärkte Rückgang ist hauptsächlich auf die Verminderung
der männlichen Beschäftigtenzahl zurückzuführen. Die Männer haben
um 20000 oder 0,49 v. H. abgenommen. Die weibliche Beschäftigten-
zahl ist im Berichtsmonat auch weiterhin gestiegen und hat eine Zu-
— 455 -
nähme um 8392 oder 0,20 v. H. erfahren. Bei der Beurteilung der
Bewegung der männlichen Beschäftigtenzahl ist zu berücksichtigen, daß
die Kriegsgefangenenarbeit in den Ergebnissen der Krankenkassen-
statistik nicht einbegriffen ist.
Im Vergleich zum Vormonat ist die männliche Beschäftigtenzahl,
wie die nachstehende Zusammenstellung der an das ,,Reichs- Arbeitsblatt"
berichtenden Betriebskrankenkassen erkennen läßt, in der
elektrischen, chemischen sowie in der Metall- und Maschinenindustrie
gestiegen. Die im übrigen hervortretende Abnahme ist am größten im
Bekleidungs- und Spinnstoffgewerbe wie in der Holz- und Nahrungs-
mittelindustrie. Die weibliche Beschäftigung hat in der Regel zu-
genommen, nur die Land- und Forstwirtschaft sowie die Holzindustrie,
das Bekleidungs- und Spinnst offgewerbe verzeichnen einen Rückgang
auch der weiblichen Hilfskräfte. Die Zahl der versicherungspflichtigen
Mitglieder betrug am 1. August 1917 :
Zahl der
berichten-
den Kassen
Pflichtmitglieder
Zu
- oder Abnahme
Gewerbe
abzüglich der arbeits-
gegen den
Vormonat
unfähigen
Kranken
in Prozent
männl.
weibl.
männl.
weibl.
Land- und Forstwirtschaft,
Gärtnerei
69
7688
7008
—
0,6 5
— 7,15
Metall-, Maschinenindustrie
733
593 274
201 908
+
O,ö0
+ 1,52
, . (Schlesien
davon in (ßheinL-Westf.
53
49158
19764
0,5 6
+ 2,51
244
222 544
74 349
+
1,49
+ 2,47
Elektrische Industrie
22
34928
61 615
+
0,01
+ 2,28
Chemische Industrie
99
64672
26649
+
0,74
+ 6,84
Spinnstoffgewerbe
787
54748
125468
1,09
— 0,08
rSchlesien
57
6084
13865
+
0,10
- 1,18
, . Rheinl.-Westf.
davon m }^^^ ^^^^^^^
218
12607
20883
—
1,96
— 0,57
202
12467
34 377
—
0,7 1
+ 0,6 2
(Eis. -Lothringen
45
2309
6407
—
4,78
— 4,*4
Holz- und Schnitzwaren
79
7874
4144
—
0,88
- 3,85
Nahrungs- und Genußmittel
267
26390
37 773
—
0,82
+ 0,20
Bekleidung
71
4873
IG 881
—
2,46
— 2,35
Baugewerbe
170
43570
7146
—
0,21
+ 1,72
Wird die Zu- und Abnahme der Mitglieder nach Oberversicherungs-
ämtern betrachtet, so findet man bei Betrachtung der Grundzahlen bei
den männlichen Mitgliedern eine größere Zunahme nur in Düsseldorf.
Eine größere Abnahme der männlichen Mitglieder zeigt sich bei:
Groß-Berlin, Breslau, Liegnitz, Schleswig, Dresden-N., Zwickau und
Darmstadt mit Provinz Starkenburg.
An weiblichen Mitgliedern weisen größere Zunahmen auf: Danzig,
Oppeln, Schleswig, Cassel, Düsseldorf, Cöln a. Rh., Zwickau, Stuttgart
mit Schwarzwaldkreis, Darmstadt mit Provinz Starkenburg, Dessau
und Hamburg.
Eine größere Abnahme bei den weiblichen Mitgliedern zeigt sich
bei Groß-Berlin, Potsdam, Breslau, Merseburg und Hannover.
Von den berichtenden Unternehmungen gaben 273 den
Stand ihrer Arbeiterschaft im Berichtsmonat an. Diese beschäftigten
332 309 Arbeiter. Neben der Beschäftigtenzahl im Berichtsmonat gaben
271 Unternehmungen auch die Zahl der im Vormonat beschäftigten
XXX*
— 456 -
Arbeiter an. Hier waren am letzten Tage des Berichtsmonats insge-
samt 317 449 gegen 312195 Arbeiter am Schlüsse des Vormonats tätig.
Es ist also im Berichtsmonat dem Vormonat gegenüber eine Zunahme
der Beschäftigten um 5254 oder 1,68 v. H. eingetreten. Die Steigerung
gegen den Vormonat geht diesmal in der Hauptsache auf eine Mehr-
beschäftigung von Männern zurück.
An der Erhöhung der ßeschäftigtenzahl sind in erster Linie Eisen-
und Metallindustrie, Bergbau- und Hüttenbetrieb und der Maschinen-
bau, daneben auch die chemische Industrie beteiligt. Ein Rückgang
der Beschäftigtenzahl macht sich hauptsächlich im Nahrungsmittelge-
werbe, in der Glas- und Papierindustrie bemerkbar.
273 der berichtenden Unternehmungen teilten neben der Beschäftig-
tenzahl im Berichtsmonat auch den Stand der Arbeiterschaft im gleichen
Monat des Vorjahrs mit. In diesen 273 Unternehmungen waren im
Berichtsmonat 332 309 Arbeiter gegenüber 265 913 im Juni 1916 tätig.
Es ist also gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme der Arbeiterzahl um
66396 oder um 24,97 v. H. eingetreten. Diese starke Zunahme geht
auf das männliche Geschlecht zurück.
Dem Vorjahr gegenüber ist ein Rückgang in der Beschäftigten-
zahl von nennenswerter Größe nur im Nahrungsmittelgewerbe, ferner
in der Bekleidungs- und Glasindustrie zu verzeichnen. Wesentlich
größer als die hier eingetretene Abnahme ist demgegenüber die Zunahme
in der Metall- und Maschinenindustrie, in der chemischen Industrie, wie
auch im Bergbau und der elektrischen Industrie. In den zuletzt ge-
nannten fünf Gewerbezweigen, namentlich in der chemischen Industrie
und in der Metall- und Maschinenindustrie, ist abermals eine lebhafte
Steigerung der männlichen Arbeiterzahl festzustellen. Die Anzahl der
Frauen und Mädchen ist dem Vorjahr gegenüber am meisten in der
Metallverarbeitung und in der Maschinenindustrie gestiegen.
Nachstehend geben wir die Veränderungen in den einzelnen Ge-
werben tabellarisch wieder:
Beschäftigte am
Zu- oder Abnahme
Be-
letzten Tage des
Gewerbegruppen
triebe
Berichtsmonats
insgesamt
männl. | weibl.
insgesamt
männl.
Anzahl
V. H.
Anzahl
Bergbau und Hüttenbetrieb
29
57154
51005
+ 1230
-t-2,20
+ 1150
-H 80
Eisen- und Metallindustrie
bo
108 239
84246
+2S84
4-2,45
+ 1454
+ 1130
Industrie der Maschinen
44
66544
55350
+ 451
-f 0,68
-fii86
— 735
Elektrische Industrie
12
10404
4521
+ 191
+ 1,87
4- 2b
+ 165
Chemische Industrie
31
50010
37470
+ 723
+ 1,47
+ 158
+ 565
Spinnstoffgewerbe
14
4306
1028
+ 151
+ 3,68
+ 14
+ 137
Holzindustrie
6
466
318
+ 18
+ 4,02
+ 14
+ 4
Nahrungs- und Genußmittel
15
5958
1543
- 89
— 1,47
— II
- 78
Bekleidungsgewerbe
II
1429
476
— I
— 0,07
+ I
— 2
Glas und Porzellan
7
2404
I 168
— 37
— 1,62
- 48
+ II
Papierindustrie, Buchdruck
34
7871
4859
- 34
— 0,48
+ 8
— 42
Sonstige Gewerbe (einschließlich
Baustoffe und Schiffahrt)
8
2664
1564
+ 67
+ 2,68
+ 6
+ 61
Summe
271
317449
243 548
+ 5354
+ 1,68
+3958
-hl 296
- 457 -
Nach den Feststellungen von 34 Fachverbänden, die für 946 241
Mitglieder berichteten, betrug die Arbeitslosigkeit Ende Juli
7807 oder 0,8 v. H. ; der Vormonat hatte eine Arbeitslosenziffer von
0,9 V. H. zu verzeichnen, so daß also im Berichtsmonat eine Abnahme
hervortritt. Auch im Vergleich zu den entsprechenden Monaten der
drei vorhergehenden Jahre ist die Arbeitslosigkeit geringer, und zwar
wesentlich niedriger. Sie betrug im Juli 1914 2,9 v. H. und ist in
den beiden nächsten Jahren auf 2,7 und 2,4 v. H. zurückgegangen.
Die Statistik der Arbeitsnachweise läßt im Berichtsmonat
für das weibliche Geschlecht ein weiteres Sinken des Andrangs der
Arbeitsuchenden erkennen, während er für das männnliche dem Vor-
monat entspricht. Im Juli kamen auf 100 offene Stellen bei den
männlichen Personen 47 Arbeitsuchende (gegenüber 47 im Vormonat);
beim weiblichen Geschlecht ging die Andrangsziffer von 86 im Juni
auf 83 im Berichtsmonat zurück.
n. Landwirtschaft und Tcrwandte Grewerbe.
Inhalt: Saatenstand: Vereinigte Staaten von Amerika; Italien; Oester-
reich; Bulgarien. — Lage der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte.
Schweiz: Brotpreis; Höchstpreis für Torf; Kartoffeltrocknung; Verbot des
Verkaufs von frischem Brot; Preis der Schlachtwaren; Frauen vereine ; Mais;
Bodenpreise ; Pferdemangel. Norwegen: Roggenmehl. England: Steigerung
der Frachten: Einheitsmehl; Brotkrankheit; kanadischer Weizen. Vereinigte
Staaten: Frachtpreise. Neusüdwales: Getreideüberschuß. Frankreich:
Broteinschränkung ; Ernteerträge. Italien: Seidenkokons. Deutschland:
Brotversorgung; Verkehr mit Saatgut; G^müsesaatgut ; Höchstpreise für Ge-
treide ; anerkanntes Saatgut. Schweiz: Lebenskosten ; Höchstpreise für Heu
und Stroh; Schilf. Norwegen: Schiffsfrachten. Rußland: Zuckerrüben-
anbau. Frankreich: Kartoffelpreise. Deutschland: Selbstversorger ; Preis
der Hülsenfrüchte; Reichsgerstengesellschaft m. b. H.; Oelsaatanbau und Am-
moniak zur Düngung; Uebernahmepreis für Oelfrüchte; Rohtabak. Schweiz:
Höchstpreise für Fleisch; Obst- und Gemüseproduzentenverband. Holland:
Erntebeschlagnahme. England: Lebensmittelversorgung; Mindestlöhne land-
wirtschaftlicher Arbeiter. Vereinigte Staaten: Fettausfuhrverbot. Frank-
reich: Erhöhung des Brotpreises. Rußland: Verband der Landwirte.
Italien: Getreidehöchstpreise. Amerika: Weizeupreise. Weltmarkt: Wei-
zenpreise. O es ter reich: Kartoffelregelung. Schweiz: Getreidebeschlagnahme;
Höchstpreis für Reis und Zucker; Speisekartoffeln. Schweden: Getreide-
beschlagnahme ; Brotzuteilimg. England: Butterversorgung. Frankreich:
Brotkonsum; Teigwaren und Grieß; Getreideverteilung. Deutschland: Saa-
tenmarkt. Großbritannien und Irland: Einfuhr von Weizen und Weizenmehl.
Ueber den Stand der Saaten in den verschiedenen Produktions-
ländern sollen nachstehende Berichte wiedergegeben werden. Zunächst
über die , j '~i
Ernteaussichten der Vereinigten Staaten (nach „Land.
Marktztg." Berlin XVIIT. 56). Xach einem Telegramm aus Washington
hat das Landwirtschaftsamt unterm 9. Juli nachstehende Schätzungen
veröffentlicht :
Winterweizen:
Saatenstand (in Proz.)
Anbaufläche (in 1000 ha)
Ernteerwartung (in 1000 t)
1. Juli
1. Juni
1. Juli
1. Juli
1. Juli
1917
1917
1916
1915
1914
75,9
70,9
75,7
84,4
94,1
II o6i
II 061
13208
16068
14155
I0 934
IG 146
13 301
18 170
17807
— 458 -
Sommerweizen:
Saatenstand (in Proz.)
Anbaufläche (in 1000 ha)
Ernteerwartung (in 1000 t)
1. Juli
1917
83,6
7616
7507
1. Juni
1917
91,6
7616
7698
1. Juli
1916
89.0
7140
7 344
1. Juli
1915
93.3
7698
8024
1. JuH
1914
92,1
7 196
7484
Weizen insgesamt:
Saatenstand (in Proz.)
Anbaufläche (in 1000 ha)
Emteerwartung (in 1000 t)
18677
18 441
18677
17844
82,4
20348
20645
88,8
24066
26194
93.*
21 351
25891
Mais:
Saatenstand (in Proz.)
Anbaufläche (in 1000 ha)
Emteerwartung (in 1000 t)
81,1
43480
79350
—
82,0
43448
72 796
81,2
43709
71476
85.8
42027
72865
Hafer:
Saatenstand (in Proz.)
Anbaufläche (in 1000 ha)
Emteerwartung (in 1000 t)
89,4
17264
21068
88,8
17264
20024
86,3
16 240
19097
93.9
16077
20286
84,5
15353
17426
Gerste:
Saatenstand (in Proz.)
Anbaufläche (in 1000 ha)
Emteerwartung (in 1000 t)
85,4
3352
4644
89,3
3352
4644
87,9
3103
4448
94,1
2958
4 444
92,6
3011
4 547
Roggen:
Saatenstand (in Proz.)
Anbaufläche (in 1000 ha)
Emteerwartung (in 1000 t)
79,4
1549
84,8
1473
87,0
I 118
92,0
I 019
92,9
I 081
I 180
Die im Besitz der Landwirte befindlichen Vorräte von Weizen
betrugen am 1. Juü 1917 428000 t gegen 2006000 t am 1. Juü 1916, 789000 t
am 1. Juli 1915 und 876000 t am 1. Juli 1914.
Nach diesem Bericht hat sich also der Stand des Winterweizens im
Laufe des Juni um 5 Proz. gebessert, der des Sonuüerweizens um 8 Proz.
verschlechtert. Wie hoch die Ernte endgültig ausfallen wird, hängt im wesent-
lichen von der weiteren Entwicklung des Sommerweizens ab. Zwar differiart
auch bei Winter weizen die nach dem Stande vom 1. Juli berechnete Emteer-
wartung fast immer von der endgültigen Schätzung, aber zumeist nur um
wenige Prozent; dagegen sind die Unterschiede bei Sommerweizen oft recht be-
trächtlich. So betrug im Vorjahre die Ernte nur 4300000 t gegenüber einer
Julierwartung von 7 340000 t. Nehmen wir nun für dies Jahr an, daß Sommer-
weizen ungefähr seinen jetzigen Stand bewahrt, so könnte in diesem günstigen
Falle die Gesamt weizenernte die vorjährige von nicht ganz 17V2 Mill. t
um 1 Mill. t übertreffen. Demgegenüber, ist aber zu berüc£ichtigen, daß die
diesmal am 1. Juli vorhandenen Weizenbestände, die der Landwirte und die
sogenannten „offiziellen" der zweiten Hand nur 815 000 t betragen gegen
3 300000 t vor einem Jahre, also 2 500000 t weniger.
In Wirklichkeit dürfte das Minus 1— IV2 Mill. t größer sein, weil die
sogenannten „offiziellen" Vorräte nur den kleineren Teil der Vorräte der Zweit-
hand umfassen, und die nicht mitgezählten sich in ungefähr gleichem Maße,
die Vorräte der Mühlen und in den „interior elevators" wahrscheinlich in er-
heblich stärkerem Maße vermindert haben. Unter natürlichen Verhältnissen
könnten die Vereinigten Staaten im neuen Ernte jähre also höchstens 1 Mill. t
Weizen und Mehl exportieren und würden dann in das Erntejahr 1918/19
mit noch minimaleren Vorräten treten als jetzt. Exportieren sie mehr, was in-
folge der Maßnahmen der Wilsonschen Regierung sehr wahrscheinlich ist, so
würden sie ihren eigenen Verbrauch an Weizen erheblich einschränken und
Ersatzmittel, also vermutlich Mais, heranziehen müssen.
Für Mais ist die diesjährige Anbaufläche um 5 Mill. ha größer als die
vorjährige; man hat einmal ausgewinterte Weizenfelder mit dieser Frucht be-
stellt, und sodann den Baumwollanbau zugunsten des Maisbaues verringert. Wie
— 459 —
der endgültige Ertrag sein wird, hängt völlig von der Entwicklung in der
noch zwischen Saat und Ernte liegenden Zeit ab; die Unterschiede zwischen
Julier Wartung und Ernte sind hier noch größer als bei Sommerweizen. Hält
Mais, was er heute verspricht, so wird das, wie schon angedeutet, die Weizen-
ausfuhr erleichtem.
Hafer, Gerste und Roggen versprechen nach dem heutigen Stande
die vorjährigen übertreffende Erträge, so daß bei den hohen Preisen wohl
auf Export ähnlich dem Vorjahre gerechnet werden kann. Der Mehrertrag in
Roggen ist eine Folge der stark vergrößerten Anbaufläche, und diese Ver-
gröferung ist auch nur erfolgt, um mehr exportieren zu können. Roggen neuer
Ernte notiert gegenwärtig in New York auf ungefähr 320 M.
Italien. Dem Mailänder Handelsblatt „II Sole" zufolge kann Italien
auf eine gute Mittelernte von Weizen rechnen. Trotzdem wird es aber genötigt
sein, 20 Mill. dz Weizen einzuführen.
Oester reich: Wie die Wiener Blätter melden, ist das quantitative Er-
febnis der heurigen Ernte befriedigend und das qualitative Ergebnis noch besser.
)ie Ernte in Brotstoffen stellt sich als gute Mittelernte dar, die in normalen
Zeiten ausreicht, um den Bedarf der Monarchie zu decken. In diesem Jahre
stehen außerdem auch die Zuschüsse aus den besetzten Gebieten Rumäniens,
Polens und Serbiens zu Gebote, so daß bei Aufrechterhaltung der Rationierung
des Verbrauches ein Auslangen leichter zu finden ist, als im letzten Erntejahre.
Bulgarien: Sofia, 17. Juli. Die mäßig warme, von häufigen Nieder-
schlägen begleitete Witterung des Monats Juni war für die bidgarische Land-
wirtschaft iiberaus günstig. Die Frühjahrsaussaaten, die infolge der Trocken-
heit des Vormonats im Wachstum zurückgeblieben waren, haben sich über Er-
warten prächtig erholt und stehen in bester Verfassung. Dies trifft insbesondere
auch bei Mais, Hirse, Bohnen und Kartoffeln zu, die überall im Lande eine
bessere Ernte als im Vorjahre versprechen. Die Aussaat des Reises ist bis
gegen Mitte Juni fortgesetzt worden. Der gegenwärtige Stand der Reisfelder
läßt nichts zu wünschen übrig. Auch die Zuckerrüben stehen in Nordbulgarien
in bester Verfassung, in Südbulgarien sind sie jedoch im Wachstum ziemlich
zurückgeblieben. Die Heumahd hat rechtzeitig und unter günstigen Witterungs-
verhältnissen stattfinden können. — Ein gewisser Mangel an Arbeitskräften
macht sich fühlbar. »
Aus den Wochenberichten des Deutschen Land wir tschaftsrates sollen
über die Lage der Erzeugung landv^irtschaftlicher Produkte
folgende Mitteilungen, speziell über die Verhältnisse im Aus lande,
hier angeführt werden.
u 17. Juli 1917.
In Burgdorf in der Schweiz beträgt der Brotpreis seit dem 7. Juli
70 Rappen für 1 kg (28 Pf. p. Pfund).
In der Schweiz sind die Höchstpreise für Torf auf 12 — 14 Franken
per Ster (9,70—11,35 M. für den Raummeter) festgesetzt.
In der Schweiz sind Maßnahmen für das Trocknen von Kartoffeln
getroffen worden. Es sollen staatlicherseits 2 Trockenanlagen errichtet und
außerdem Brennereien und ähnliche Einrichtungen verwandt werden. Die größte
Wirkung schreibt man dabei der Mitarbeit des Volkes zu. Es müßten
in jedem Haushalt auf dem Herd oder Ofentritt die in Scheiben zerschnittenen
kleinen und kranken Kartoffeln, aus denen die beschädigten Teile entfernt
wurden, gedörrt werden. Konserviert sich jede der 800000 Haushaltungen m
der Schweiz nur je 1 kg Kartoffeln, so ergibt dies schon eine Gesamtmenge
von 80 Eisenbahn Wagenladungen. Außerdem plant die eidgenössische Obstkom-
mission das Dörren von Obst und Gemüse in größerem Umfange.
In der Schweiz ist ab 1. Juli das durch Bundesratsbeschluß vom 18.
Juni erweiterte Verbot des Verkaufs von frischem Brot in Wirk-
samkeit getreten. Danach darf Groß- und Kleinbrot frühestens am zweit-
nächsten Tage (also nicht mehr am nächsten Tage) nach dessen Herstellung
in den Verkehr gebracht werden.
— 460 —
Der Schweizerische Städteverband hat Ende Juni eine Eingabe an die
Bundeebehörde gerichtet, die um die Einführung von Höchstpreisen für soge-
nanntee Eingeschlachtetes ersucht. Die Preise für das Eingeschlachtete
waren bekanntlich infolge der „fleischlosen Tage" bedeutend gestiegen. Bei den
zuständigen Stellen gehen nun die Meinungen dahin, daß die Preise für das
Eingeschlachtete mit der Beseitigung der „fleischlosen Tage" von selbst wieder
auf den normalen Stand zurückkehren. Dagegen wird eine Preisregelung für
Vieh im allgemeinen angestrebt. Schon vor einigen Tagen hat die eidgenössische
Schlachtviehanstalt dem zuständigen Departement Vorschläge betreffend Nor-
malpreise für Vieh unterbreitet, die bei einer möglicherweise notwendig werdenden
Enteignung zur Geltung kommen sollten. Inzwischen hat sich, dank des guten
Futterwucnses und des besseren Nährzustandes, das Angebot verbessert, und
eine weitere Besserung ist zu erwarten, so daß an Enteignung gegenwärtig kaum
gedacht werden muß. Damit steht auch eine Preismilderung in Aussicht.
In jenem Zeitpunkt wird man daran denken müssen, Höchstpreise für Vieh
und Fleisch anzusetzen, um ein Wiederansteigen nach Möglichkeit zu verhindern.
Ein Preisabschlag um ca. 30 Rappen ist bereits für Schweine eingetreten, be-
wirkt durch eine gewisse Stauung des Angebotes, die vor etwa 3 — 4 Wochen,
eintrat. Heute macht sich wieder die Tendenz zur Stabilität geltend. Jeden-
falls ist diesem Umstände behördlicherseits im vorerwähnten Sinne der Höchst-,
preisansetzung alle Aufmerksamkeit zu schenken.
Die Generalversammlung des Schweizerischen gemeinnützigen
Frauen- Vereins hat am 19. Juni über die Lebensmittelversorgung
folgende Beschlüsse gefaßt :
„Der Vorstand wird beauftragt, dem Bundesrat in einer Eingabe Dank
und Anerkennung auszusprechen für die unermüdliche, große und erfolgreiche
Arbeit, die er für die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung entfaltet, und
ihm zugleich folgende Wünsche zu unterbreiten : 1. Es möchte der Bundesrat
im Hinblick auf die Volksernährung, welche die Grundlage der Volksgesund-
heit und Volkskraft bildet, auch fernerhin von der Rationierung der Konsum -
milch absehen, selbst dann, wenn sich die Produktionsverhältnisse vrieder un-
günstiger gestalten gpUten. 2. Es möchte der Bundesrat eine Rationierung des
Brotes nur im äußersten Notfall und erst dann eintreten lassen, wenn jede
Luxusverwendung des Getreides und Mehles auf das äußerste beschränkt ist.
Vorgängig der Rationierung wäre zu prüfen, ob nicht abweichend vom Modus
der einheitlichen Ration verschiedene Brotkarten einzuführen seien, die ent-
sprechend der Eigenart des Brotverbrauchs dem Bedürftigeq und dem Mittel-
stand eine größere Brotration verbürgten als dem Begüterten. Die Abgabe des
Brotes zu reduziertem Preise an die Bedürftigen ist in der bisherigen Weise
weiterzuführen."
Der Schweizerische Bund hat die Verteilung der Maisvorräte
den Kantonen übertragen. Es ist wenig, was zur Verfügung gestellt werden
kann, für die ganze Schweiz höchstens 200 Wagenladungen pro Monat, für
den Kanton Bern 37 Wagenladungen pro Monat Juli. Schon im Mai und
Juni langten dagegen aus dem Gebiete des Kantons Bern Begehren für über
200 Wagenladungen ein, so daß diese 37 Wagen nur einen kleinen Teil der
Ansprüche darstellen. Es wird demnach schwierig sein, den eingelangten Be-
gehren auch nur im bescheidensten Umfange Rechnung tragen zu können.
Angesichts dieser Sachlage muß des b€Ätimmtesten verlangt werden, daß dieses
Quantum zum weitaus größten Teil der menschlichen Ernährung dienstbar
gemacht werde. Als Schweinefutter darf Mais nur abgegeben werden, wo dafür
eine dringende Notwendigkeit besteht.
Der aargauische Bauerntag, der von 2500 Personen besucht war,
hat am 9. Juli nach einem Referat von Dr. Laur über den Einfluß des Krieges
auf die landwirtschaftlichen Liegenschaftspreise und die Verschuldung des
Bauernstandes folgenden Beschluß gefaßt : „Der aargauische Bauernbund, in
Erwägung, daß die Preise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse voraussichtlich
nach dem Kriege mehr und rascher sinken werden als die Löhne, die Schuld-
zinsen und die anderen Kosten, und unter Hinweis auf die schlimmen Er-
fahrungen der landwirtschaftlichen Bodenspekulation nach dem 70er Krieg,
warnt die Bauern vor der Bezahlung höherer Bodenpreise. Er erwartet
— 4^1 —
vom Staat, daß dieser durch Zurückhaltung in den Schätzungen der Liegen-
schaften und durch stärkere Berücksichtigung des Ertragswertes zur Aufklärung
beitrage. Er ersucht die Banken, der Güterspekulation durch Verweigerung
des Kredites entgegenzutreten und dafür den Bauern für die Kreditbedürfnisse
des laufenden Betriebes, ferner bei Notständen, mehr entgegenzukommen/' Der
Referent teilte mit, daß die Parzellenpreise, die z. B. im Bezirk Lautenburg
um 100 Proz. gestiegen seien, nicht maßgebend für den Preis ganzer Güter
sein dürfen. Er verlangt eine allgemeine Ertragswertschätzung und Bekämpfung
der unsinnigen Bodenspekulation.
In der Schweiz konnten am Menzberg (Luzern) wegen Pferdemangels
beim Ackern keine Tiere vorgespannt werden, weshalb 14 Mann dem Pfluge
vorgespannt werden mußten.
In Norwegen konnte, wie „Aftenposten" vom 3. Juli meldet, seit dem
23. März zum erstenmal wieder Roggenmehl an der Börse von Christiania
notiert werden. Damals notierte es 54 Kr. für den Sack (60,75 M. für 1 dz),
heute 75 Kr. für den Sack (84,35 M. für 1 dz).
In England hat der Ernährungsminister jeglichen Handel mit Getreide
und Kartoffeln verboten.
„Lloyd's List" vom 30. Juni berichtet über eine ungewöhnlich überraschende
Steigerung der Frachtsätze für frische Früchte von Valencia nach Liverpool
in den letzten sechs Monaten. Im November vorigen Jahres wurden für eine
Kiste Apfelsinen von Valencia nach Liverpool 4^/2 — 5 sh Fracht bezahlt. Dieser
Frachtsatz ist in der dritten Juniwoche bis auf 19 sh gestiegen. Man vermutet,
daß die Frachtsätze für Kartoffeln und Tomaten, die demnächst von Valencia
nach England verschifft werden, ebenso hoch sein werden. Die erste
Sendung von 500 t spanischer Kartoffeln ist soeben eingetroffen.
Zu diesen hohen Frachten kommt eine Lohnsteigerung von 15 v. H. für die
im Hafen von Liverpool auf Leichterfahrzeugen beschäftigten Arbeiter. Auch
von den Liverpooler Docks wird eine Lohnsteigerung von 33^/3 v. H. gemeldet.
Entsprechend gehen die Gebühren der Lagerhäuser in die Höhe.
Wie die „Evening News" vom 26. Juni schreiben, hat das Einheitsmehl
81 V. H. Gehalt Weizenkorn, wovon wieder 75 v. H. reines Mehl sind. Den
Rest von 19 v. H. ersetzen die Müller durch Bohnen-, Mais-, Reis- und andere Mehle,
je nachdem sie Vorräte von dem einen oder anderen besitzen. Diese 19 v. H.
bestimmen die Güte des Brotes. Die Preise bewegen sich zwischen 10^/2 d und
1 sh 2 d für das vierpfündige Brot (1810 g) (= 241/2 und 33 Pf. für das
Pfund), trotzdem das gesamte Brot aus Regierungseinheitsmehl gebacken wird.
Wie verlautet, beabsichtigt Lord Rhondda einen Einheitspreis für Brot fest-
zusetzen, der gemäß dem Gutachten der Bäckereiverbände 1 sh für das vier-
pfündige Brot betragen dürfte.
Der Schriftführer des englischen Bäckei'verbandes warnt nach „Times"
vom 30. Juni vor der Gefahr, daß die bekannte Brotkrankheit „rope" viele
Tausende Tonnen Brot vernichten werde, wenn nicht geeignete Schritte dagegen
unternommen würden. Der Landesverband der Bäcker hat dem Premierminister
und den zuständigen Behörden vorgeschlagen, Weizen während der Sommer-
monate nicht mehr auf 81 v. H., sondern nur auf 76 v. H. ausmahlen zu,
lassen und den Zusatz von Streckungsmitteln — besonders Mais, der eine
Hauptursache dieser Krankheit ist — zu verringern. Umfragen bei
den Bäckern haben ergeben, daß bei gutem Ausfall der Kartoffelernte in diesem
Jahre viele Bäcker eine .Streckung durch Kartoffeln vorziehen würden, die
schon vor dem Kriege dem Mehl beigemischt worden wären, wenn das Gesetz
dies nicht als Fälschung verboten hätte. Die Hinzufügung von 7 — 14 Pfund
richtig verarbeiteter Kartoffeln zu einem Sack Mehl würde die Güte des Brotes
verbessern.
Der englische „Economist" vom 23. Juni schreibt : „Vor etwa zwei Mo-
naten wurde berichtet, daß Weizen in Chicago stark im Preise falle, da der
Zoll auf kanadischen Weizen und Weizenerzeugnisse beseitigt sei. Vierzehn
Tage später hieß es, daß die englische Regierung sich entschlossen habe, ge-
ringerwertigen kanadischen Weizen zu kaufen. Eine Aufklärung darüber, was
dahinter gesteckt hat, erhalten wir von gut unterrichteter Seite. Die Einkäufer
der englischen Regierung hatten bisher ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf
— 4^2 —
hochwertigeu Weizen beschränkt und trotz kanadischer Proteste sich geweigert,
geringerwertigen Weizen für England und die Verbandsgenossen zu kaufen.
Von diesem aber hatte Kanada große Mengen, von denen viel stark verdarb.
Die nordwestlichen Provinzen Kanadas übten einen Druck auf die Regierung
in Ottawa aus, damit der Weizeneinfuhrzoll beseitigt würde. Dies geschah,
und nach dem Zollabkommen, das mit Washington l^steht, fiel dadurch auch
der amerikanische Zoll auf kanadischen Weizen von selbst fort. Die englische
Regierung begriff nun den gemachten Fehler und ^bot sich, geringerwertigen
kanadischen Weizen zu kaufen, aber dieser Entschluß kam zu spät, um noch
eine Wirkung zu haben. Für Weizen und Weizenmehl herrschte nun Frei-
handel zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada; schwerlich wird der
Zoll, nachdem er nun einmal beseitigt ist, je wieder eingeführt werden. Viel
Weizen aus Manitoba, Saskatchewan und Alberta wird nun in Chicago, Minnea-
polis, vielleicht seine natürlichen Märkte, verkauft werden. Nebenbei scheint
damit, soweit Kanada in Betracht kommt, eine neue Schwierigkeit für das
schon recht schwierige Problem der Vorzugsbehandlung im Reiche, die sich
auf Nahrungsmittelbesteuerung gründen soll, gegeben zu sein."
Da die Regierung der Vereinigten Staaten vom Kongreß zur Re-
quirierung von Fahrzeugen ermächtigt worden ist, wird es nach einer Mel-
dung aus Washington möglich sein, ein internationales Uebereinkommen be-
treffend Herabsetzung der Frachtpreise für den Ueberseeverkehr auf eine
normale Höhe abzuschließen. Die zwischen den Vereinigten Staaten und den
Verbündeten schwebenden diesbezüglichen Verhandlungen stehen vor dem Abschluß.
Nach einem Bericht im „Bund" vom 26. Juni ist Mitte Juni der leitende
Staatsmann der australischen Siedelung Neusüdwales, W. A. Hol-
man, in London angekommen, um bei der britischen Regierung vorstellig zu
werden der 50 Mill. Bushel Gretreide wegen, im Wert von 15 Mill. £ (= SOT^/j
Mill. M.), die in Neusüdwales aufgespeichert sind und Gefahr laufen, von den
Feldmäusen aufgefressen zu werden, wenn nicht rechtzeitig Fahrzeuge zur
Ueberführung beschafft werden. Und der ganze australische Commonwealth hat
150 Mill. Bushel zu Englands Verfügung, aber keine Schiffe.
Zu der bevorstehenden Brotrationierung in Frankreich schreibt „Libertc" :
„In keinem anderen Lande ist Brot so sehr, wie bei uns, die Hauptnahrung
und in gewissen Grebieten an bestimmten Tagen sogar die einzige Nahrung. Eine
Broteinschränkung bei den Bauern und Arbeitern bedeutet nicht nur eine
Herabsetzung ihrer Kraft, sondern . . . ." (Zensurlücke). Der Artikel schließt :
„Rührt niclit an das Brot ! Keine Regierung in Frankreich hat das je gewagt !"
„Nouvelliste de Lyon" meldet aus Paris : „Die Ernteauskünfte aus
Marokko und Algier lauten günstig. In Frankreich dagegen ist die Lage
weit entfernt befriedigend zu sein. Das diesjährige Ernteergebnis dürfte 40
Mill. dz erreichen gegenüber 77 Mill. im Jahre 1914/15, 60 Mill. 1915/16 und
58 Mill. 1916/17. Trotz aller Einschränkungen ist der Bedarf nur wenig ge-
sunken. Die Einfuhr muß demnach für das nächste Jahr um 1/3 der bisherigen
Einfuhr gesteigert werden."
In Italien ist nach „Perseveranza" vom 3. Juli der Preis der Seiden-
kokons auf 7 — 10 Lire für das Kilo gestiegen, während er im vergangenen
Jahre 5,34 Lire und im Durchschnitt der letzten 10 Jahre 3^31 Lire betrug.
Jedoch steht dem Vorteil dieser Preissteigerung der Mangel an Arbeitskräften
gegenüber. Der Gesamtwert der Kokonernte j^läuft sich auf 250 Mill. Lire,
wovon 190 Mill. Lire auf Oberitalien, 46 auf Mittelitalien, 14 auf den Süden
und die Inseln entfallen.
24. JuU 1917.
Das Kriegsernährungsamt gibt bekannt, daß ISIitte August 1917
die allgemeine Kopf ratio n an Mehl für die Versorgungsberechtigten von
170 auf 220 g täglich erhöht wird (vor dem 15. April 1917 betrug die allge-
meine Kopfration 200 g, während weitere 20 g in Streckmitteln, soweit solche
zur Verfügung standen, gegeben wurden). Den Wochentag des Eintritts der
Aenderung bestimmen die Kommunen entsprechend ihrer Versorgungswoche.
Von demselben Zeitpunkt ab kommt die seit Mitte April 1917 gewährte ver-
billigte Fleischzulage von wöchentlich 250 g wieder in Fortfall. Für die Be-
— 4^3 —
messuug der Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen und des Mehlersatzes für
fehlende Kartoffeln bleiben die zurzeit bestehenden Bestimmungen unverändert.
Anfang Oktober 1917 ist auf Grund der bis dahin vorzunehmenden Ernte-
schätzung und Viehzählung die zu verteilende Kopfmenge an Mehl, Fleisch
und Kartoffeln erneut festzusetzen. Die den Getreideselbstversorgeru
zustehende Menge an Brotgetreide ist durch Beschluß des Bundesrats vom 1.
August ab auf den bis zum 15. April in Geltung gewesenen Satz von 9 kg
monatlich wieder erhöht worden.
Nunmehr ist durch Verordnung des Präsidenten des Kriegsernährungsamtes
vom 12. Juli der Verkehr mit Getreide, Hülsenfrüchten, Buch-
weizen und Hirse aus der Ernte 1917 zu Saatzwecken geregelt.
Die Verordnung ist am 15. Juli in Kraft getreten. Nach derselben ist die Ver-
äußerung, der Erwerb und die Lieferung der obigen Früchte zu Saatzwecken
nur gegen Saatkarte erlaubt, doch gilt dies nicht für den Verkehr zwischen
Züchtern von Originalsaaten und ihren Vermehrungsstellen. Die Veräußerung
von Saatgut bedarf der Zustimmung des Kommnnalverbandes, für den die
Früchte beschlagnahmt sind. Die Zustimmung ist nicht erforderlich für die
Veräußerung anerkannten Saatgutes durch anerkannte Saatgutwirt-
schaften sowie für die Veräußerung und Lieferung von Saatgut durch zuge-
lassene Händler. Als anerkannte Saatgutwirtschaften gelten nur solche Wirt-
schaften, die in einem im Deutschen Keichsanzeiger zur Veröffentlichung ge-
langenden Verzeichnis für die Fruchtart als anerkannte Saatgutwirtschaften
aufgeführt sind. Wer mit nicht selbstgebauten Früchten zu Saatzwecken han-
deln will, bedarf der Zulassung. Dies gilt auch für Genossenschaften und
andere Vereinigungen. Die Zulassung erfolgt durch die Reichsgetreidestelle,
diese kann andere Stellen zur Zulassung ermächtigen. Soweit es sich um den
Verkauf handelt kann die Zulassung von der Reichsgetreidestelle für das
ganze Gebiet des Deutschen Reiches oder Teilgebiete, von den von ihr er-
mächtigten Stellen nur für deren Bezirk erteilt werden. Die Zulassung kann
an Bedingungen geknüpft und jederzeit zurückgenommen werden. Unternehmern
landwirtschaftlicher Betriebe, die sich nachweislich in den Jahren 1913 und
1914 mit dem Verkauf von Saatgetreide befaßt haben, kann der Kommunal-
verband die Zustimmung zur Veräußerung selbstgebauten Saatgetreides zu Saat-
zwecken allgemein erteilen. Die Zustimmung ist auf eine bestimmte Menge zu
beschränken. Bei Festsetzung dieser Menge ist der Umsatz des Betriebes in
den Jahren 1913 und 1914 zu berücksichtigen. Die Veräußerung, der Erwerb
und die Lieferung von Wintergetreide zu Saatzwecken darf nur in der
Zeit vom 15. Juli bis 15. Dezember 1917, von Sommergetreide zu Saat-
zwecken nur in der Zeit vom 1. Januar bis 15. Juni 1918 erfolgen. Saatgut
von Buchweizen, Hirse und Hülsenfrüchten, sowie von Gemenge, in dem sich
Hülsenfrüchte befinden, mit Ausnahme des Saatguts von Winterwicken (Vicia
villosa) und von Gemenge von Roggen und Winterwicken, darf nur an die
Reichsgetreidestelle abgesetzt werden. Diese bestimmt, welche Menge sie er-
werben will und setzt die Bedingungen fest. Sie kann das von ihr erworbene
Saatgut durch Kommunalverbände, Saatstellen oder durch zugelassene Händler
dem Verbrauche zuführen. Die Reichsgetreidestelle kann die Erzeuger des vor-
stehend genannten Saatgutes ermächtigen, Saatgut unmittelbar an Verbraucher
abzusetzen. Die Ermächtigung kann an Bedingungen geknüpft werden. Auf
Saatgut von Hülsenfrüchten, das zum Gemüseanbau bestimmt ist
(Gemüsesaatgut), finden die Vorschriften dieser Verordnung mit folgender Maß-
gabe Anwendung :
1. Als zum Gemüseanbau bestimmte Hülsenfrüchte gelten nur solche
Sorten, die in einem im Deutschen Reichsanzeiger zur Veröffentlichung gelan-
genden Verzeichnis aufgeführt sind.
2. Die Reichsgetreidestelle kann ermächtigen, Gemüsesaatgut auch an
Händler abzusetzen. Die Ermächtigung kann an Bedingungen geknüpft
werden.
3. Der Handel mit Gemüsesaatgut ist außerdem gestattet:
a) Personen, denen gemäß § 1 der Verordnung über den Handel mit
Sämereien vom 15. November 1916 (Reichsgesetzbl. S. 1277) eine Erlaubnis
zum Betriebe des Handels mit Sämereien erteilt ist;
— 464 —
b) Inhabern von Kl^inbandelögeschäften, die Sämereien auschließlich im
Kleinverkauf in Mengen bis zu 50 kg an Verbraucher absetzen.
Die Ausstellung der Saatkarten für diese Händler erfolgt durch den Kom-
munalverband, in dessen Bezirk der Händler seine Niederlassung hat.
Gleichzeitig mit dieser Verordnung sind die Höchstpreise für Ge-
treide, Buchweizen und Hirse aus der Ernte 191^ festgesetzt. Die-
selben betragen : für Roggen, je nach den Produktionsgebieten, 265 — 280 M. für
die Tonne, für Weizen 20 M. höher, also 285—300 M. für die Tonne. Für
Roggen und Weizen früherer Ernten gelten nicht die neuen, sondern die
früheren Höchstpreise, ebenso für Mischungen von Roggen und Weizen aus
der Ernte 1917 mit Roggen und Weizen früherer Ernten. Die Höchstpreii*e
für die Tonne sind für :
Hafer und Gerste 270 M.
ungeschälten Buchweizen 600 „
geschälten Buchweizen 800 „
ungeschälte Hirse 600 „
ungeschälte Hirse und Brucbhirse 970 „
Diese Höchstpreise gelten auch für Hafer, Gerste, Buchweizen und Hirse
früherer Ernten. Die Druschprämie für Getreide beträgt bis zum 15. August
einschließlich 60 M. für die Tonne, vom 16. bis 31. August einschließlidi
40 M. für die Tonne, und vom 1. September bis zum 30. September ein-
schließlich 20 M. für die Tonne. Ist Getreide, das vor dem 1. Oktober 1917
abgeliefert wird, vor der Anlieferung künstlich getrocknet worden, so dürfen
dem Höchstpreise neben der durch § 1 der Verordnung über Frühdrusch vom 2.
Juni 1917 (Reichsgesetzblatt S. 443) festgesetzten Druschprämie folgende Be-
träge zugeschlagen werden : Als Trocknungslohn 6 M. für die Tonne, als
Prämie je 1 v. H. des Höchstpreises für jeden vollen Hundertteil, den die
Feuchtigkeit bei Lieferungen vor dem 16. August 1917 weniger als 19 v. H.,
vor dem 1. Oktober 1917 weniger als 18 v. H. " beträgt. Getreide gilt hin-
sichtlich des Feuchtigkeitsgehaltes als vollwertig, falls die Feuchtigkeit nicht
übersteigt
bei Lieferungen vor dem 16. August 1917 19 v. H.
„ 1. Oktober 1917 18 „ „
vom 1. Oktober 1917 ab 17 „ „
Bei anerkanntem Saatgut aus anerkannten Saatgutwirtschaften dürfen
dem Höchstpreise folgende Beträge zugeschlagen werden: für die erste
Absaat bis zu 120 M., für die zweite bis zu 100 M., für die dritte bis zu
80 M. für die Tonne. Bei Saatgut aus landwirtschaftlichen Betrieben, deren
Unternehmer sich nachweislich in den Jahren 1913 und 1914 mit dem Verkauf
von Saatgut befaßt haben, dürfen dem Höchstpreis, soweit es sich um die
Mengen handelt, für die der Kommunalverband gemäß den Bestimmungen über
den Verkehr mit Saatgut die Zustimmung zur Veräußerung allgemein erteilt
hat, bis zu 70 M. für die Tonne zugeschlagen werden.
Die Höchstpreise gelten nicht für Originalsaatgut, wenn die Be-
stimmungen über den Verkehr mit Saatgut innegehalten werden. Als Original-
gaatgut gilt das Saatgut solcher Sorten, an denen die Stammbau mzucht
durch schriftliche Belege nachgewiesen werden kann (Hochzucht),
wenn der Züchter in einem im Deutschen Reichsanzeiger zur Veröffentlichung
gelangenden Verzeichnis für die Fruchtart als Züchter von Origiualsaatgut
aufgeführt ist.
Die Reichsgetreidestelle ist bei Abgabe von Getreide, Buchweizen und
Hirse an die Höchstpreise nicht gebunden. Dasselbe gilt für die Kommunal-
verbände hinsichtlich der Abgabe zu Futterzwecken.
Der Verband schweizerischer Konsumvereine bat die Stei-
gerung der Lebenskosten während des Krieges festgesetzt. Rechnet man auf
Grund der Landesdurchschnittspreise von 45 Artikeln aus, was bei gleichblei-
bendem Verbrauch eine Familie mit einem Einkommen von ca. 3000 Franken
bei einem Bestand von 2 Erwachsenen und 3 Kindern unter 10 Jahren während
eines Jahres ausgeben mußte, so weisen die Ergebnisse der Erhebungen an nach-
stehenden Stichtagen folgende Jahresausgaben nach :
— 4^5 —
Jahresausgaben einer Normalfamilie
auf Grund der jeweils ermittelten
Preisstand am: Durchschnittspreise:
1. Juni 1912 1097,47 frcs.
1. Juni 1913 1050,74 „
1. Juni 1914 1043,63 „
1. Juni 1915 1237,10 „
1. Juni 1916 1455,92 „
1. Juni 1917 1865,67 „
Gregenüber der letzten Erhebung vor Kriegsausbruch (1. Juni 1914)
beträgt die nominelle Teuerung 78,8 Proz. Auf Grund der Preisstatistik im
März dieses Jahres stand sie auf 57,9 Proz. Die Teuerung im letzten Viertel-
jahr war die intensivste seit Kriegsausbruch.
Die Lebenskosten sind picht in allen Landesteilen gleich groß; die Gegend
mit dem niedrigsten Index (Thurgau, Schaffhausen) steht 4,6 Proz. unter,
jene mit dem höchsten (Graubünden, Genf) 5,9 Proz. über dem Landesdurch-
schnitt.
In der Schweiz sind neue Höchstpreise für Heu und Stroh
aus der Ernte 1917 festgesetzt. Die Erzeugerpreise sind : für Heu unver-
goren, auf der Wiese angenommen, 9 frcs. für 100 kg, auf der Abgangsstation
verladen oder zum Magazin des Käufers geliefert, 9,50 frcs. für 100 kg, ver-
goren bis zum 31. Dezember 11,50 frcs., vom 1. Januar bis 15. März 1918
11,75 frcs. und vom 16. März 12 frcs.; für gepreßtes Heu kann ein Zuschlag
bis zu 2 frcs. für 100 kg erhoben werden; für Heuhäcksel : 15,50 bis 16 frcs.,
je nachdem es in gepreßten Ballen oder in Säcken verladen, oder ab Heu-
schneiderei geliefert wird.
In der Schweiz hat das Oberkriegskommissariat den Kantonsregierungen
mitgeteilt, daß der schweizerische Schilfbestand der Schweizerischen
Schilfverwertungsgenossenschaft mit Sitz in Bern zum Ankauf nach
den behördlich festgesetzten Preisen freigegeben worden sei. Aus dem Schilfrohr
soll Futtermehl hergestellt werden.
Die in Kristiania erscheinende Zeitung „Verdens Gang" teilt am 9. Juli
über die Schiffsfrachten folgendes mit: „Es wird notiert von Amerika
nach England 180 Kr., nach Frankreich 220 Kr., nach Italien 350 Kr., alles
auf net charter; bei Verschiffung vom Mexikanischen Golf werden etwa 30 Kr.
mehr bezahlt. Die Getreidefracht von den Nordstaaten nach dem Vereinigten
Königreich oder Frankreich beträgt 40 Kr. für den Quarter. Ein Dampfer
von La Plata nach Norwegen wurde zu 280 Kr. die Tonne gechartert. Dieser
Satz ist höher als bisher gezahlt wurde. Nach dem Vereinigten Königreich oder
Frankreich werden nur etwa 145 Kr. bezahlt, ein Satz, den die norwegischen
Reeder nicht annehmen.
In Rußland ist der Zuckerrübenanbau während des Krieges sehr
zurückgegangen. Nur soweit die Zuckerfabriken Rüben selbst anbauen, hat sich
der Anbau ungefähr auf der vorjährigen Höhe gehalten. Er betrug nach den
amtlichen Berechnungen 231200 Deß jätinen, gegen 272800 im Vorjahre, bleibt
also auch hier schon um 41600 Deßjätinen zurück. Der freie Anbau von
Zuckerrüben, der sogenannten Kaufrüben, aber zeigt einen Rückgang um mehr
als die Hälfte. Die russischen Landwirte bauten nur 107 800 Deßjätinen an,
gegen 265 300 Deßjätinen im Vorjahre. Im ganzen sind danach in Rußland
angebaut worden 339100 Deßjätinen, gegen 538100 Deßjätinen im Vorjahre.
Es ergibt sich also insgesamt ein Rückgang um nicht weniger als 199000
Deßjätinen.
In Paris wurden für 100 kg Kartoffeln gezahlt:
am 27. Juni für alte 15 — 32 frcs., für neue 38 — 70 frcs.,
„ 4. Juli „ „ 15—30 „ „ „ 40—60 „
>» 5. „ „ „ — „ „ „ 34—40 „
Auf den Provinzmärkten wurden alte Kartoffeln mit 25 — 28 frcs. das Hekto-
liter gehandelt, ganz vereinzelt (Gegend von Bordeaux) erscheint der Preis
von 8,50 frcs. Neue Kartoffeln wurden mit 0,40 — 0,70 frcs. das Kilogramm,
stellenweise auch mit bis zu 1 frc. bezahlt.
— 466 -
31. Juli 1917.
Nach der Bundesrateverordnung vom 20. Juli dürfen Unternehmer iaud-
wirtschaftlicher Betriebe aus ihren seibstgebauten Früchten verwenden : 1. zur
Ernährung der Selbstversorger auf den Kopf für die Zeit vom 1. Aueust
1917 ab, unter Anrechnung der nach § 2 der Verordnung über Inanspruchnahme
von Getreide und Hülsenfrüchten vom 22. März 1917 belassenen Mengen:
a) an Brotgetreide monatlich 9 kg, b) an Gerste und Hafer für die Zeit bis
zum 30. September 1917 insgesamt 8 kg; 2. zur Bestellung der zum Betriebe
gehörenden Grundstücke auf den Hektar : au Winterroggen bis zu 155 kg, an
Winter weizen bis zu 190 kg, an Sommerweizen bis zu 185 kg, an Gerste
bis zu 160 kg, an Hafer bis zu 150 kg, an Erbsen einschließlich Peluschken
und an Bohnen bis zu 200 kg, an großen Viktoriaerbsen und an Ackerbohnen
bis zu 300 kg, an Linsen bis zu 100 kg, an Mischfrucht dieselben Sätze
nach dem Mischungsverhältnisse der Früchte, an Buchweizen bis zu 100 kg,
an Hirse bis zu 30 kg. Die Landeszentralbehörden sind ermächtigt, die Saat-
gutmengen bei dringendem wirtschaftlichen Bedürfnis für einzelne Betriebe oder
ganze Bezirke bis zu einer von der Reichsgetreidestelle zu bestimmenden Grenze
zu erhöhen.
Nach einer Verordnung des Kriegsernährungsamtes vom 24. Juli darf der
Preis für den Doppelzentner inländischer Hülsenfrüchte aus der Ernte
1917 nicht übersteigen : bei Erbsen 70 M., Bohnen 80 M., Linsen 85 M., Acker-
bohnen 60 M., Peluschken 60 M., Saatwicken (Vicia sativa) 50 M., Winter-,
Sand- oder Zottel wicken (Vicia villosa) 45 M. und Vogel wicken (Vicia cracca)
28 M, Der Preis für Gemenge richtet sich nach der Art der gemischten Früchte
und dem Mischungsverhältnisse. Er darf 55 M. für den Doppelzentner nicht
übersteigen. Für die Bewertung der Hülsenfrüchte gelten folgende Grundsätze :
a) Die Höchstpreise sind nur für beste, gesunde und trockene Hülsenfrüchte zu
zahlen, b) Für kleine Erbsen dieser Beschaffenheit sind höchstens 68 M. zu
zahlen, bei gelben und grünen Viktoriaerbsen sowie großen grauen Erbsen
65 M .für den Doppelzentner, bei kleinen gelben, grünen und grauen Erbsen
63 M. für den Doppelzentner, bei weißen, gelben und braunen Bohnen 75 M.
für den Doppelzentner, bei Linsen 80 M. für den Doppelzentner; c) für Hülsen-
früchte von geringerer Beschaffenheit ist entsprechend weniger zu zahlen. Bei
feuchten und bei käfer- und madenhaltigen Hülsenfrüchten sind außer dem
Minderwerte die durch künstliche Trocknung und Bearbeitung entstehenden
Kosten und Gewichtsverluste zu berücksichtigen. Für die Bewertung ist die
Beschaffenheit der Hülsenfrüchte bei der Ankunft an dem von dem Erwerber
bezeichneten Bestimmungsorte maßgebend. Für Hülsenfrüchte aus früheren
Ernten sind die Preise der Verordnung über Hülsenfrüchte vom 29. Juni 1916,
vom 30. August 1916 maßgebend. Diese Preise gelten auch für Mischungen
von Hülsenfrüchten der Ernte 1917 mit Hülsenfrüchten früherer Ernten. Die
Höchstpreise gelten für Barzahlung binnen 15 Tagen nach Ablieferung. Wird
der Kaufpreis länger gestundet, so dürfen bis zu 2 v. H. Jahreszinsen
über Reichsbankdiskont zugeschlagen werden. Die Höchstpreise schließen die
Beförderungskosten ein, die der Verkäufer vertraglich übernommen hat. Der
Verkäufer hat auf jeden Fall die Kosten der Beförderung bis zur Verladestelle
des Ortes, von dem die Ware mit der Bahn oder zu Wasser versandt wird, sowie
die Kosten des Einladens daselbst zu tragen. Stellt der Verkäufer Säcke nur
bis zu dieser Verladestelle zur Verfügung, so darf hierfür eine Leihgebühr nicht
berechnet werden. Bei anerkanntem Saatgut aus anerkannten Saatgutwirt-
schaften dürfen dem Höchstpreis folgende Beträge zugeschlagen werden : für
die erste Absaat bis zu 30 M., für die zwfeite bis zu 25 M., für die dritte
bis zu 20 M. für den Doppelzentner. Als anerkannte Saatgutwirtschaften gelten
nur solche Wirtschaften, die in einem im Deutschen Reichsanzeiger zur Ver-
öffentlichung gelangenden Verzeichnis für die Fruchtart als anerkannte Saat-
gutvjdrtschaften aufgeführt sind. Bei nicht anerkanntem Saatgut (Handelssaat-
gut) dürfen dem Höchstpreis bis zu 15 M. für den Doppelzentner zugeschlagen
werden. Die Reichsgetreidestelle ist bei Abgabe von Hülsenfrüchten an die
Höchstpreise nicht gebunden. Dasselbe gilt für die Kommunalverbände liinsicht-
lich der Abgabe solcher Früchte zu Futterzwecken.
Nach einer Verordnung des Kriegsernährungsamtes vom 21. Juli ist als
— 4^7 —
zuständige Stelle für Gerste, soweit es sich um den weiteren freihändigen
Erwerb von Gerste alter Ernte handelt, die Reichsgetreidestelle bestimmt. Im übrigen
bleibt die E-eichsgerstengesellschaft m. b. H. die zuständige Stelle.
Die Landwirte, die durch Vermittlung des Kriegsausschusses im Interesse
der Vermehrung des Oelsaatenanbaues Ammoniak erhalten, werden darauf
aufmerksam gemacht, daß ihnen die Bezugsscheine, die zum Empfang des Am-
moniaks berechtigen, durch die Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte,
Abteilung Einfuhr F, zugestellt werden. Auf den Bezugsscheinen ist die Ver-
teilungsstelle angegeben, welche die Lieferung des Ammoniaks bewirkt. Die
Scheine müssen von dem Bezugsberechtigten den Verteilungsstellen sofort ein-
gereicht werden, die ohne Angabe der Scheine das Ammoniak nicht liefern
dürfen. Es wird deshalb im Interesse der rechtzeitigen Lieferung dringend
ersucht, die Scheine der Verteilungsstelle schnellstens zukommen zu lassen.
Nach der Bundesratsverordnung vom 23. Juli darf der vom Kriegsaus-
schuß für pflanzliche und tierische Oele und Fette zu zahlende Uebernahme-
preis für 100 kg Oelfrüchte der Ernte 1918 nicht übersteigen : bei Winter-
und Sommerraps 85 M. (bisher 60 M.), bei Winter- und Sommerrübsen 83 M.
(bisher 57,50 M.), bei Hederich und Ravison 62 M. (bisher 40 M.), bei Dott^er
74 M. (bisher 40 M.), bei Mohn 115 M. (bisher 85 M.), bei Leinsamen 74 M.
(bisher 50 M.), bei Hanfsamen 62 M. (bisher 40 M.), bei Sonnenblumenkernen
68 M. (bisher 45 M.), bei Senfsaat 74 M. (bisher 50 M.). Landwirten oder
Vereinigungen von Landwirten, welche selbstgewonnene Oelfrüchte abliefern, sind
auf Antrag für den eigenen Bedarf für je 100 kg abgelieferter Oelfrüchte aus
der Ernte 1917 bis zu 35 kg, aus der Ernte 1918 bis zu 40 kg, bei Mohn und
Dotter aus beiden Ernten je bis zu 50 kg Oelkuchen zu liefern. Die übrigen
bei der Oelgewinnung abfallenden Kuchen sind der Bezugsvereinigung der deut-
schen Landwirte zur Verfügung zu stellen und unterliegen den Vorschriften
der Verordnung über Futtermittel vojn 5. Oktober 1916. Oele, Oelkuchen und
Oelmehle, die aus den den Erzeugern belassenen Mengen entfallen, verbleiben
den Erzeugern für den Verbrauch in der eigenen Wirtschaft.
Nach einer Verordnung des Reichskanzlers vom 21. Juli erhält § 20 der
Ausführungsbestimmungen vom 27. Oktober 1916 zu der Verordnung über
Rohtabak folgende Fassung: Die Inlandgesellschaft kann den Verkauf von
Tabakrippen und Tabakstengeln zulassen, wenn der Preis für lufttrockene
Rippen und Stengel, in Ballen verpackt und gepreßt, in Wagenladungen von
mindestens 5 t die nachstehenden Grenzen nicht übersteigt : Rippen und Stengel
von deutschem Tabak, sowie Rippen und Stengel von deutschem und auslän-
dischem Tabak gemischt 115 M., Rippen und Stengel von ausländischem Tabak
125 M. für 50 kg. Die zum Handel mit Rippen von der Inlandgesellschaft zuge-
lassenen Händler können beim Verkaufe von Rippen für eigene Rechnung hierzu
einen Aufschlag bis zu 1 M. für volle 50 kg machen. Für die Ver-
mittlung des Verkaufs von Rippen von Zigarren- oder Zigarettenherstellern un-
mittelbar an Rauchtabak- oder Schnupftabakhersteller kann dem Vermittler
vom Käufer eine Maklergebühr bis zu 1 M. für volle 50 kg gewährt werden.
Der Stadtrat von Winterthur (Schweiz) beantragt bei dem Städteverband
auf eine Festsetzung von Höchstpreisen für Fleisch hinzuwirken.
In Ulster (Schweiz) wurde am 22. Juli die endgültige Gründung eines
schweizerischen Obst- und Gemüseproduzenten Verbandes beschlossen. Es wurde
eine Verständigung erzielt, daß der Verband in erster Linie die Interessen der
Produzenten zu berücksichtigen habe, hingegen auch in weitgehendstem Maße
diejenigen der Konsumenten wahrgenommen werden sollen.
Nach einer Mitteilung des „Nieuwe Rotterdamsche Courant" vom 20. Juli
wird in Holland der gesamte Ertrag der nachstehenden Gewächse aus der
Ernte 1917 bei Beginn der Ernte beschlagnahmt: Winterweizen, Sommer-
weizen, Spelz, Winterroggen, Sommerroggen, Wintergerste, Sommergerste, Hafer,
Buchweizen, Feldbohnen, alle Arten Erbsen, alle anderen Arten Bohnen und
Kanariensamen. Wer diese Produkte an jemand anders als an die hierzu
ernannten Kommissare abliefert oder sie verbraucht, wird strafrechtlich verfolgt.
Die Ablieferung und der Transport aller Kartoffeln ist verboten. Ausgenommen
sind allein die „Frühkartoffeln" und solche, für die ein Transportausweis der
Reichskommission vorliegt.
468
Das „Allgemeen Handelsblad" meldet aus London: Der Lebensmittelkou-
trolleur Lord Rhondda hat im Oberhause sein System der englischen
Lebensmittelversorgung dargelegt. Er sagte, daß für die wichtigsten
Bedarfsartikel, vor allem für Brot, Fleisch und Zucker Preise festgesetzt werden
würden, und zwar für alle Stufen, die die Lebensmittel durchlaufen, vom Er-
zeuger bis zum Kleinhändler. Als Grundlage für die Preisbestimmungen würde
der Gewinn vor dem Kriege angesehen. Der Fleischpreis werde um 6 Penniea
das Pfund (= 56 Pfg. für das deutsche Pfund) herabgesetzt werden. Der
Höchstpreis von Brot werde 9 Pennies für den Vierpfundlaib (= 21 Pfg. für
das deutsche Pfund) betragen. Wenn die Regierung den Müllern das Gretreide
nicht zu einem entsprechend niedrigen Preise liefern könne, werde sie einen
Teil der Kosten auf sich nehmen. Für Fleisch werde die Regierung keinen
Zuschuß gewähren. Die Zuckerverteilung werde örtlichen Lebensmittelaus-
schüssen übertragen werden. Für Gasthöfe, Schankhäuser und Fabriken werde
eine besondere Rationierung eingeführt werden. Außerdem werde jede Familie
aufgefordert werden, sich eine Zuckerkarte zu besorgen und sich bei einem Klein-
händler einzuschreiben.
Bei Besprechung des Gesetzentwurfes über die Getreideerzeugung im eng-
lischen Unterhause wurde der Vorschlag, den Mindestlohn der land-
wirtschaftlichen Arbeiter von 25 sh wöchentlich, wie er in dem Entwurf
festgesetzt ist, auf 30 sh zu erhöhen, mit 301 gegen 102 Stimmen verworfen.
Die Regierung hatte die Vertrauensfrage gestellt.
„Matin" meldet aus New York: Der Ausfuhrrat der Vereinigten
Staaten hat die F e 1 1 a u sf u h r nach Deutschland benachbarten neutralen Län-
dern vollkommen untersagt.
In Frankreich beschwert sich der „Radical de Marseille" über die Er-
höhung des Brotpreises von 5 Centimes für das Kilogramm und bemerkt
dazu, daß das Brot wirklich schlecht sei. Man frage sich, was für die
Schweine übrig bleibe, da man alle Mühlen- und Kornprodukte, die bisher für
die Tiere bestimmt waren, zur Brotbereitung verwende. Wenn man wirklich
gutes Weizenbrot gebe, würde man sich lediglich über die neue Preiserhöhung
beklagen. Aber man höre doch mit diesem unverdaulichen G^mengsel auf,
das allgemeines Uebelbefinden und Störungen selbst bei den kräftigsten Naturen
verursache.
Die russischen Agrarier haben sich, wie der Berner „Bund" mitteilt,
in einen Verband zusammengeschlossen, um ihre Interessen gegen die Ent-
eignung des Grundeigentums zu verteidigen. Sie tragen ihre Opposition gegen
die Sozialrevolution offen zur Schau.
Nach der „Gazzetta Ufficiale" sind in Italien folgende Getreide-
höchstpreise für die Ernte 1918 (für 100 kg Nettogewicht) festgesetzt:
Weichkorn (und halbhart) 52 Lire, Hartkorn 60, Mais 38, Hafer 38, Gerste 43,
Roggen 43 Lire. Für die Lieferungen nach dem 1. August 1918 wird einmonat-
licher Zuschlag gewährt, und zwar für Hart- und Weichkorn 30 Centimes, für
Hafer, Gerste und Roggen 20 Centimes, für Mais nach dem 1. November 20
Centimes. ^
Entwicklung der Weizenpreise seit Anfang Januar 1917:
Chicago
1917
Buenos Aires
New York
Hardwinter
Juli
Datum
100 kg
Nr. 2
Bushel
Pesos
Cents
Cents
6. Januar
13,85
—
15 ly*
144%
3. Februar
13,85
—
3. März
13,65
—
159
2. April
—
167V4
1. Mai
I5*«5
212V,
2. Juni
l8,16
—
206
9. „
—
—
235
16. „
—
—
221V.
23. „
—
—
214
September
Bushel
Cents
139V.
137V4
147V.
154V4
182V,
191
202
195V»
187
469 —
1917
Buenos Aires
New York
Hardwinter
Juli
Datum
100 kg
Nr. 2
Bushel
Pesos
Cent»
Cents
30. Juni
—
—
202
2. Juli
—
—
201
9. „
—
—
202V,
14. „
—
—
204
21. „
—
285
255
28. „
I8,65
260
30. „
—
262
31. „
—
—
274
1. August
2. „
3. „
—
—
—
260
—
dagegen: 1916
8,25
143V2
—
Chicago
September
Bushel
Cents
182
iH\
190V,
229
224
217
218
22772
129%
Der Weltmarkt zeigte in der letzten Woche folgendes Bild
Weizenpreise für die Tonne (Umrechnung nach dem Friedenskurs):
Letzte Woche
M.
401,15
Vorletzte
Woche
M.
Zu- bzw.
Abnahme
M.
New York: Hardwinter Nr. 2 neuer, franko Bord
Chicago: Lieferungsware Juli — 401,15 —
„ September 35i|38 353>35 2'3S
Buenos Aires — 33 '»9 5 —
In Oesterreich sind durch Verordnung vom 26. Juli Kartoffeln
der Ernte 1917, welche nach dem 1. August geerntet werden, mit dem Zeit-
punkt der Trennung vom Ackerboden zugunsten des Staates beschlagnahmt.
Die beschlagnahmten Kartoffeln dürfen weder verarbeitet, verbraucht, verfüttert
noch freiwiUig oder zwangsweise veräußert werden. Ungeachtet der Beschlag-
nahme dürfen Kartoffeln : 1. welche der Kartoffelerzeuger zur Ernährung
der Angehörigen seines Haushalts einschließlich jener Ausgedingberechtigten,
Arbeiter und Angestellten, denen freie Kost als Ausgedinge oder Lohn gebühren,
benötigt, in der durch die Verbrauchsregelung festgesetzten Menge verbraucht,
2. in dem festgesetzten Ausmaße für Saat verwendet, 3. unter den gesetzlich
bestimmten Beschränkungen verfüttert, 4. auf Grund von genehmigten Ver-
trägen geHefert, 5. unter bestimmten Einschränkungen verarbeitet werden. Die
beschlagnahmten Kartoffeln sind der Kriegsgetreideverkehrsanstalt zu übergeben.
Kartoffeln dürfen nur von Kartoffelerzeugern und nur auf besondere Gestattung
der Behörde verfüttert werden. Zur Verfütt^rung dürfen nur Kartoffeln ge-
langen, welche zum menschlichen Genüsse nicht geeignet sind.
In der Schweiz hat der Bundesrat beschlossen, die Inlandgetreide-
«rnte zu beschlagnahmen. Ausgenommen sind die Mengen, die der Er-
zeuger zum eigenen Gebrauch notwendig hat, sowie das notwendige Saatgut.
Die in der Schweiz vom Militärdepartement neu festgesetzten Höchst-
preise für Reis und Zucker stellen sich im Kleinhandel wie folgt: Reis
1 frc. pro Eälogramm, Reiscreme 1,10 frcs., Kristallzucker und Pilä 1,28 frcs.
pro Kilogramm, Grießzucker und ganze Zuckerstöcke 1,32 frcs. pro Ealogramm,
Stockzucker im Anbruch 1,36 frcs., Mehlzucker 1,38 frcs., Würfelzucker ans
Kisten 1,46 frcs. und Würfelzucker in Paketen 1,42 frcs.
Nachdem sich herausgestellt hat, daß versucht wird, große Quantitäten
Speise-Kartoffeln neuer Ernte zu Futterzwecken aufzukaufen, hat der
Regierungsrat des Kantons Thurgau (Schweiz) beschlossen, den An- und Ver-
kauf von Speisekartoffeln neuer Ernte 1917 zu Futterzwecken bis auf wei-
teres zu verbieten.
In Schweden ist, wie das „Svenska Dagbladet" vom 22. Juli berichtet,
sämtlicher Weizen, Roggen, Gerste, Mischkorn, Wicken, Erbsen, Bohnen, Zucker-
rüben der Ernte 1917 beschlagnahmt; ausgenommen hiervon sind in Privat-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917.
XXXI
— 470 —
haushaltungea 3 kg Erbsen und Bohnen für jedes Mitglied. Die beschlagnahjiite
Ernte soll spätestens am 5. Oktober und die älteren Vorräte am 5. September
deklariert werden. Das Getreide soll vor dem 1. Februar sorgfältig gedroschen
und gereinigt werden. Die Vermahlung oder die Verarbeitung zu Grütze
von Weizen, Roggen und Gerste darf nur gegen besondere Vermahlungskarten
erfolgen. Das Becht zur Selbstversorgung ist beibehalten worden, aber nur
für Landwirte.
„Daily Express" vom 19. Juli berichtet aus Stockh-olm: „Schweden
ist für die Brotzuteilung in 200 Bezirke mit einem Brotbureau eingeteilt.
Der Tagesbedarf der einzelnen Personen ist auf 7 Unzen (200 g) weiches und
41/2 Unzen (128 g) des schwedischen Hartbrotes festgesetzt.
Ein Fachblatt des dänischen Butterhandels vom 20. Juni 1917 bringt
in seinem Marktbericht Mitteilungen, welche zeigen, wie stark die englische
Butterversorgung durch die unmittelbar oder mittelbar mit der Seesperre
zusammenhängenden Ereignisse gefährdet ist. Nach Angaben dieses Blattes aus
London ist gegen Ende Juni die Preissteigerung auf dem englischen Buttermarkte
darauf zurückzuführen gewesen, daß 20000 Kisten australischer Butter „auf
See verloren gingen", und daß sich die englische Regierung gezwungen sah,
in Transit lagernde australische Butter zu beschlagnahmen. Ueber die Zufuhr
holländischer Butter heißt es, daß kleine Mengen angekommen seien, daß aber
diese infolge ihrer Verschiffung ohne entsprechende Kühlung in großem Maß-
stabe verdorben seien. Ueber die Versorgung Englands mit australischer Butter,
welche eine so bedeutsame RoUe auf dem englischen Markte spielt, wird gesagt,
daß in Neuseeland nur geringe Vorräte vorhanden und ^us Australien nur ein
oder zwei Dampfer mit Butter unterwegs seien, während im übrigen ein Aus-
fuhrverbot für Butter dort bestände. In Argentinien sollen 45 000 Kisten in
Kühlhäusern lagern, während es an entsprechenden Schiffen mit Kühlvorrichtung
fehlt. In einem Bericht vom 20. Juli 1917 heißt es, daß die Vorräte an kolo-
nialer Butter in England zu Ende gehen.
In Frankreich hat das Amtsblatt ein Dekret veröffentlicht, das den
Konsum des Brotes regelt. Den Erwachsenen werden 500 g, den Kindern
300 g täglich und pro Kopf zugestanden. Die Ration wird auf begründetes
Verlangen hin um 400 g erhöht werden.
In Frankreich beschloß Violette im Einverständnis mit den Fabri«^
kanten von Grieß und Teigwaren, alle reinen und anderen Getrei de zu re-
quirieren, die zur Fabrikation von Teigwaren und Grieß verwendet
werden können und die in den französischen Häfen ankommen. Reines Ge-i
treide zu Grieß wird nur denjenigen Spezialisten zugeteilt, die sich verpflichten,
keine anderen Getreide zu verschaffen und alle ihre Fabrikationsprodukte dem
Komitee für Teigwaren abzuliefern. Der Verkauf von Eierteigwaren wird ab
1. November verboten sein.
In Frankreich wird ein Dekret veröffentlicht, das bestimmt ist, die
genaue Verteilung des Getreides und dessen Ankauf unter Kontrolle des
Staates zu sichern. Zu diesem Zwecke wird ein Zentralamt unter Leitung von
Violette gebildet, das die Verteilung und den Transport von Getreide in ganz
Frankreich, für die Armee sowohl als für die Zivilbevölkerung, überwachen wird.
An den deutschen Märkten war die Nachfrage nach Zwischenfnichtsämereien
größer als das Angebot. Begehrt sind Winterwicken, Lupinen, Johannisroggen,
Herbstrüben und Serradella und einzelne Grassamen. Gute Nachfrage herrschte
bei allen Kleesaaten, speziell bei Rotklee, Weißklee, Schwedenklee und Wund-
klee, jedoch befindet sich von allen di^en Sorten nur sehr wenig in Händen
des Handels. Grcschäft in Saatgetreide hat sich bisher nicht entwickelt. Die
Situation am Rauhfuttennarkt ist unverändert, Heu ist unter dem neuen Höchst-
preis im freien Handel nicht mehr zu beschaffen. Durch die Annahme der
neuen Verordnung über Stroh und Häcksel im Bundesrat, deren Einzelheiten
noch unbekannt sind, ist das Greschäft in diesen Artikeln, da man höhere
Preise erwartet, vollständig ins Stocken geraten. Nachfrage zeigt sich auch für
Runkelrüben. Die Witterung ist für die Hackfrüchte ausgezeichnet; auch
Futterpflanzen werden sehr günstig dadurch beeinflußt. Die Ankünfte von
Roggen zeigen überwiegend sehr befriedigende Qualität.
- 471
a
o
J4
o
d
'TS
d
d
d
<D
a i
o H
fc>D •-
d ^
<ß d
^&
d ^
o d
-d M
ö
PQ
■33
W
<J — < M
§ s
1^
-3 S-g
i? 'S "^
§ «2
II
Oi 05 05 O ^
ooooo-r*';:; ^ -z*
05 05 0 05'«^
OOOOO'H^ ff ^
•,-1 •rH -1— ( 1— I ■r-l 1-^
« ^ « « M O t^
O ro «^ ro ro «^ vo
1^ t^ O 00 N
vn *^ t^ M N
O». ro ^ •- t^
I I I
•«K 9-. tO
05
o
o
la
>Q
t- u^ »
o
Ä
o
CO
rO « «
■"
o
o
o
O
as T-i t-
o
t-
o
^
o o -»
«o
«
1
,-1
o
ns
N M «
o
o
O
o
:oS
H-l
© .o o
«© OO <N
1
o
1
1
1
'S
N O O
O
•-< vO LT) r^ ldvO O
u-> ^00 t-^ ON a\ N
00 vO 00 rO i-< rO ü^
i-i "-1 M vD rO N CO
05 OO W
o m oo <o o
M >-i o 00 a^ lo «d-
N ■«*■ CT^ r^ LO OnvO
Tl-oo i/^ "-1 >-i 'd-oo
^ ir^ O ^ C^ O^ 't"
1-1 ►- rO\0 N
O N ^ rOvD CO m
N O "^ "-i "^vO 00
ir>0O O 00 N ►- O
0^ fO ro O tri 0^ >^
t^ "CJ-OO "^ •<*• O OO
to t->.oo r^^O ^vO
1-1 o O ^ ^ »^ ^
M 0^ 0^ O t>» ^ 0\
„ M t}- i-i N N
rOOO w 00 M N N
ir^ •^ O to •-' '!l-^
\£) M Ti- 0^ t-^ tO ^
r^oc ■^O 00 --i Th
1-1 in N m O O^ ^
i-i N N M w N fO
rO '5j- •^ -^ ■* «^ "^
C^ t^vO rO O^ »i^ «^
N O O »^ "^ o
^ 1-4 »X) vO On Tf
OO 00 vO t-^vO
^ O CT\ t>i t^ 1 I
>- ro t^oo tJ-
00 >0 vO vO O*
O OO T}- «- 00 N
t^ ro C ^ in N
r^ CNoo T^ t^ i-i
ro O fO ONOO
^0 t~^ I-«. N »-i
I I
o»
TS
«o
«
©
xs
t-
00
ot
oo
«
o
eo
to
©
oo
OS
5
N
Tj- N VO
^
o
fO
in
es
a
4J
„H
r>
09
«
<N
eo
00
a
Ol
OS
CO
•x>
iO
OS
'^
S
N
M
t>«
IM
m PO ^
ON
H
"*
•^
•^
?>
•^H
o
•*
0*
t-
©
t-
rfS
o
>a
'O
r-
00
0»
o>
OS
:«
o
O vO vO
M
M
rO
's©
IH
fl
o
o
00
«D
•n
O
oo
.o
w
Ift
Oi
•*
SS
OS
'S
T*- ro ^v£>
'>;^O^N
'«^
^ m in ro N
TJ-VO
o
§
o
eo
e©
o
t-
^
•*
>
00
<N
t-
OD
lr^
t-
©
M
;h
Cn ro rO
l-i
M
o
o
o
^
►H
•-*
**
^
fl
lO
>o
O
rf>
lO
1
w
^
CO
'«
Tjl
t-
1
1
o
O
O
■^
^
O
■*
oo
t-
»
04
1
1
1
in
1—
«o
t-
(H
N
o
o
TS
-*A
tH
Ä
t.
;o
e
00
m
Ok
o>
1«
1
•»H
fOO"
o
o
O
o'
i
M
.?.
a
flO
O
OD
0>
<o
1
1
.s
o>
■r*
«0
t-
1
1
t^
«y;.;
i-T
d
o"
OJ
^N^ in t>» O ^vO N
ini-m^DNOOfO "^
fo fo »roo O •"• N •"•
O 00 00 in i^ i/^vo ox
m O O N ■* '^oo a^
1^00 00 vO o <^ »^ «^
N m rh invQ in m
OOOOO0S05 003
r-OOOlO'-l-rHTHrt-^
00 00 00 C5 0> »-3
8888888 8
t- OO^Oi^O^TH ^ S 3 ^
o^o o o o^c» 05 a OS
C^OOOiO'«-t'rHT-( CBt-I
00 OO 00 O 03 l~3
5
P
XXXI*
— 472 -
ni. Indastrie, einschließlich Bergban and Baugewerbe.
Inhalt: 1. Bergbau: Geschäftelage im Kohlen- und Kalibergbau während
des Monats Juli.
2. Eisengewerbe. — Metalle und Maschinen: Beschäftigungsgrad
im Juli.
1. Bergbau.
lieber die Geschäftslage vom Juli berichtet das „Reichs-Arbeits-
blatt" : „Im Ruhrgebiet gestaltete sich der Abruf von Kohlen und Koks
im Monat Juli wieder so lebhaft wie in den Vormonaten. Es konnten
nicht nur alle Erzeugnisse glatt abgesetzt werden, sondern auch die
noch vorhandenen Bestände an gekürzten Kohlen- und Koksmengen
wurden restlos zum Versand gebracht. Der Absatz auf dem Wasser-
wege gestaltete sich ebenfalls sehr lebhaft. Es wird berichtet, daß,
wie im Vormonat, auch im Berichtsmonat mit Ueberschichten gearbeitet
werden mußte.
Die Aachener Steinkohlenwerke hatten den gleichen guten
Geschäftsgang wie im Vormonat und im Vorjahr. Es werden weitere
Lohnerhöhungen gemeldet.
Die oberschlesischen Steinkohlengruben berichten auch für
Juli wieder über eine außerordentlich große Nachfrage. Dem Vormonat
gegenüber ist keine wesentliche Aenderung in der Geschäftslage einge-
treten, während im Vergleich zum Vorjahre eine nicht unbedeutende
Steigerung zu verzeichnen ist.
Die dem Plessischen Knappschafts verein angehörenden Kohlenberg-
werke hatten im zweiten Vierteljahr 1917 bei einem Bestand von
4299 Mann einen Abgang von 597 und einen Zugang von 540. Im
vorhergehenden Vierteljahr betrug der Bestand 4356 Mann.
Aus Niederschlesien wird vom Steinkohlenbergbau über eine
unverändert befriedigende Lage berichtet. Es wird angegeben, dat
Lohnerhöhungen vorgenommen werden mußten.
Die Zwickauer Steinkohlenwerke bekunden einen be-
friedigenden Geschäftsgang, der im Vergleich zum Vormonat etwas
schlechter, im Vergleich zum Vorjahr aber etwas besser ist. Es wird
über Teurerungszulagen berichtet.
Die Niederlausitzer Brikettwerke berichten über eine dem
Vormonat gegenüber gleiche Erzeugung, jedoch hat dem Vorjahr gegen-
über ein wesentlicher Rückgang stattgefunden, üeberarbeit war wie
bisher erforderlich, die Löhne sind auch weiterhin gestiegen.
Die Kaliindustrie berichtet über eine gute Beschäftigung, die
im Vergleich zum Vormonat und Vorjahr lebhafter ist. Die Löhne be-
wegen sich weiterhin in steigender Richtung, vielfach mußte mit Ueber-
stunden gearbeitet werden."
2. Eisengewerbe. — Metalle und Maschinen.
Ueber den Beschäftigungsgrad vom Juli berichtet das „Reichs-
arbeitsblatt" : „Die Eisengießereien Westdeutschlands waren im Juli
- 473 -
ebensogut wie im Vormonat beschäftigt. Fast überall mußte mit Ueber-
stunden und auch Sonntags gearbeitet werden, damit das Angebot mit
der überaus großen Nachfrage Schritt halten konnte. Es wird über
eine weitere Steigerung der Löhne berichtet. Aus Mittel- und Nord-
westdeutschland wird über den Geschäftsgang nicht einheitlich berichtet.
Derselbe wird teils ebensogut wie im Vormonat und Vorjahr, teils un-
genügend und geringer als im Vorjahr bezeichnet ; aus vielen Bezirken
werden Lohnerhöhungen gemeldet. Aus Sachsen wird über eine teils
gute oder befriedigende, teils unbefriedigende Geschäftslage berichtet.
Bei den stark beschäftigten Betrieben blieb das Angebot vielfach hinter
der Nachfrage zurück. Die Lage in Schlesien und Süddeutschland ist
ebensogut wie im Vormonat. Im Vergleich zum Vorjahr ist eine nicht
unwesentliche Besserung zu vermerken. Vielfach wird von Ueberstunden
berichtet. In fast allen Bezirken wurden zum Teil nicht unwesentliche
Lohnerhöhungen gemeldet.
Die Stahl-und Walzwerke in West- und Nordwestdeutsch-
land sowie in Schlesien berichten über einen sehr guten und guten Ge-
schäftsgang wie im Vormonat, der im Vergleich zum Vorjahr nicht
unbedeutend gestiegen ist. Auch wurde vielfach Ueberarbeit geleistet.
Von verschiedenen Werken wurden Teuerungszulagen gewährt; auch
sind wiederum erhebliche Lohnerhöhungen zu verzeichnen.
Die Blechwalzwerke sind wie im Vormonat und Vorjahr teils
gut, teils sehr gut beschäftigt ; auch hier werden Lohnerhöhungen und
Ueberarbeit gemeldet.
Bei den Röhrenfabriken ist wie im Vormonat eine gute Be-
schäftigung zu verzeichnen ; diese hielt sich im Vergleich zum Vorjahr
auf ungefähr der gleichen Höhe.
Die Drahtindustrie berichtet über die Beschäftigung nicht
einheitlich. Sie wird teilweise als sehr lebhaft, teilweise als schlechter
wie im Vormonat bezeichnet. Lohnerhöhungen sind auch von diesem
Industriezweige gemeldet.
Bei den Eisen- und Metallwarenfabriken ist dem Vor-
monat gegenüber keine wesentliche Veränderung zu verzeichnen.
Die Beschäftigung in der Kleineisenindustrie war wie im
Vormonat wiederum sehr lebhaft. Vielfach mußte mit Doppelschichten
und Ueberstunden gearbeitet werden. Die Löhne sind auch weiterhin
gestiegen.
Die Edelmetallindustrie hatte einen etwas geringeren Ge-
schäftsgang als im Vormonat zu verzeichnen.
Die Maschinenbauanstalten Westdeutschlands waren
auch im Berichtsmonat wiederum voll beschäftigt. Die Geschäftslage
war im Vergleich zum Vorjahr wesentlich besser, die Löhne befanden
sich in steigender Richtung ; vielfach mußte mit Ueberstunden gearbeitet
werden. Aus Süddeutschland wird ebenso lebhafter Geschäftsgang wie
im Vormonat berichtet, der im Vergleich zum Vorjahr wesentlich besser
ist. Auch in diesem Bezirke sind weitere Lohnerhöhungen zu ver-
zeichnen.
— 474 —
Der Beschäftigungsgrad der Dampfmaschinen- und Loko-
motivbauanstalten hielt sich auf der gleichen Höhe wie im Vor-
monat. Vielfach mußte mit Doppelschichten und Ueberstunden gearbeitet
werden. Die Löhne hielten sich auch weiterhin in steigender Richtung.
Die Dampfkessel- und Armaturenfabriken lassen für
Westdeutschland denselben lebhaften Geschäftsgang wie im Vormonat
und Vorjahr erkennen. Es haben zum Teil weitere Lohnerhöhungen
stattgefunden. Für Mittel- und Norddeutschland wurde teils eine be-
friedigende, teils eine geringere Beschäftigung als im Vormonat und
Vorjahr berichtet.
Bei den Werkzeugmaschinenfabriken hielt die starke Be-
schäftigung im allgemeinen an ; sie ist im Vergleich zum Vorjahr wesent-
lich besser. Die Löhne wurden auch weiterhin erhöht.
Die Maschinenfabriken, die landwirtschaftliche Maschinen
herstellen, waren ebenso wie im Vormonat gut beschäftigt. Dem Vor-
monat gegenüber ist verschiedentlich noch eine Erhöhung der Beschäfti-
gung hervorgetreten. Die Lohnsätze wiesen auch im Berichtsmonat
eine Aufwärtsbewegung auf.
Hinsichtlich des Baues von Verbrennungsmotoren für flüssige
und gasförmige Brennstoffe gestalteten sich die Verhältnisse wesentlich
besser als im Vormonat, zum Teil sogar noch besser als im Vorjahr.
Die Eisenkonstruktionen und Brückenbauten über-
nehmenden Betriebe kennzeichnen die Geschäftslage ebensogut wie im
Vormonat und noch besser als im Vorjahr; verschiedentlich mußte mit
Ueberstunden gearbeitet werden.
Die Maschinenfabriken für Hebezeuge, Aufzüge, Ver-
ladevorrichtungen u. dgl. melden ebenso starke Beschäftigung
wie im Vormonat. Gegen Juli 1916 wird verschiedentlich eine Steige-
rung des Geschäftsganges verzeichnet. Die Löhne hielten sich auch
weiterhin in steigender Richtung, vielfach war wiederum Ueberarbeit
erforderlich.
Die Bergwerkmaschinenfabriken haben eine wesentliche
Veränderung ihrer lebhaften Tätigkeit nicht erfahren ; die Beschäftigung
wird dem Vorjahr gegenüber als wesentlich besser bezeichnet.
Der Maschinen- und Apparatebau für die Zuckerin-
dustrie hat dem Vormonat und Vorjahr gegenüber keine Veränderung
der Geschäftslage zu verzeichnen. Für den Schiffbau sind wesentliche
Verschiebungen der Beschäftigungsverhältnisse nicht zu vermerken.
In der Beschäftigung der Eisenbahnwagenbauan-
stalten sind Aenderungen gegen den Vormonat nicht eingetreten ;
der Beschäftigungsgrad dem Vorjahr gegenüber ist jedoch bedeutend
höher. Vielfach mußte mit Ueberstunden und Nachtschichten gearbeitet
werden. Die Lohnsätze sind zum Teil gesteigert worden.
Die Fabriken für Kleinbahnen hatten genügend zu tun.
Eine Aenderung ist weder im Hinblick auf den Vormonat noch das
Vorjahr zu vermerken.
Der Bau von Apparaten zur Sicherungdes Zugverkehrs
hatte die gleiche Lage wie bisher aufzuweisen.
I
— 475 -
Für den Kraftwagenbau und die Herstellung von Flugmotoren
wird die gleiche sehr gute Beschäftigung wie im Vormonat berichtet,
die im Vergleich zum Vorjahr wesentlich gestiegen ist.
Die Werke für den Bau von Dynamomaschinen, Elektro-
motoren und Akkumulatoren hatten im Berichtsmonat wieder
außerordentlich rege zu tun. Der Umsatz ist im Vergleich zum Vorjahr
wesentlich gestiegen. Vielfach mußte wiederum mit Ueberstunden und
Doppelschichten gearbeitet werden. Auch für die Herstellung elektro-
technischer Meßinstrumente liegt ebenso guter Bestellungseingang wie
im Vormonat vor, während der des Juli 1912 zum Teil wesentlich über-
troffen wurde. Die Unternehmen für elektromedizinische Apparate
haben über keinerlei wesentliche Aenderung gegen den Vormonat zu
berichten.
Für die Herstellung von Apparaten für elektrische Be-
leuchtung ist eine erheblich andere Gestaltung der Geschäftslage
nicht zu melden.
Bezüglich der Einrichtung elektrischer Licht- und
Kraftanlagen wird eine lebhafte Beschäftigung verzeichnet, die ver-
schiedentlich auch Sonntagsarbeit erforderlich machte. Die Geschäfts-
lage hat sich dem Vorjahr gegenüber nicht wesentlich verändert
Die Kabelwerke hatten ebenso rege wie im Vormonat, zum
Teil sogar noch besser als im Vorjahr zu tun. Lohnerhöhungen haben
auch hier stattgefunden. In verschiedenen Unternehmungen wurden
Ueberstunden und Nachtschichten geleistet."
IV. Handel und Verkehr.
Inhalt: Künftige Gestaltung des Außenhandels Deutschlands (Aufgaben
Hamburgs). Skandinavische Handelskonferenz. Handelspolitischer Zusammen-
schluß Frankreichs mit Italien. Handelsabkommen Italiens mit Brasilien. Außen-
handel (Statistik) Englands, Britisch-Indiens, Ecuadors, Columbiens, Venezuelas,
Chinas und Sierra Leones. Hafenbauten in Frankreich. Schiffsverkehr Kristi-
anias. Hafenbauten in Italien. Wiederherstellung der deutschen Handelsflotte.
Künftiger internationaler Wettbewerb in der Seeschiffahrt. Trockenlegung der
Zuidersee.
Die künftige Gestalung des Außenhandels Deutschlands,
insbesondere die Hamburg dabei zufallende Aufgabe, wurde in einer
im Juli 1917 von der Hamburger Handelskammer veröffentlichten Denk-
schrift behandelt, über deren Inhalt in den „Hamburger Nachrichten"
vom 15. Juli 1917 folgendes mitgeteilt wurde:
Gerade der Krieg hat unserer westdeutschen, schlesischen und überhaupt in-
ländischen Schwerindustrie zum TeU einen so unerwartet starken Kapitalzuwachs
gebracht, daß es sich wohl denken läßt, daß diese Kreise starke Neigung zeigen
werden, ihre wirtschaftliche Macht auszudehnen. Klar hervor geht dieses Be-
streben bereits aus dem Verhalten einiger rheinischer Großindustrieller, wie
Thyssen und insbesondere Hu^o Stinnes, der sich bekanntlich in jüngster Zeit in
frößerem Umfange an hanseatischen Unternehmungen auf dem Gebiete des Welt-
andels und Seeverkehrs beteüigt hat. Hamburg erblickt es als eine seiner Auf-
gaben nach dem Kriege, die Flagge seiner Reedereien wieder auf allen Meeren zu
zeigen. Wer an dieser deutschen, vaterländischen Aufgabe mitwirken wül, wird
uns willkommen sein, aber darüber hinaus hat Hamburg erkannt, daß auch neue
- 476 -
Wege gesucht werden müssen, um den Aufgaben der Zukunft gerecht zu werden.
Dazu gehört das Streben, einen Ausbau der Wasserstraßen und eine Ausdehnung
der Industrie zu erreichen. In der Hamburger Bürgerschaft wurde vor noch
nicht zu langer Zeit von zuständiger Seite darauf hingewiesen, daß wir besonders
auf dem Gebiete der Industrie fortschreiten müssen. Unsere Feinde haben diese
Kundgebung so ausgelegt, als ob die alte Seekönigin an der Elbe sich von dem
Weltmeere zurückziehen wollte. Da werden sie sich täuschen. Wir haben nur
den Wunsch, in Hamburg sich die bereits bestehenden industriellen Anlagen ver-
größern und vermehren zu sehen, und ein Bxporthafen mit der zugehörigen Ex-
portindustrie zu werden. Diesem Streben versucht die Denkschrift der Hamburger
Handelskammer vorbereitende Hilfe angedeihen zu lassen, indem sie in auf-
klärender Weise die Umstände hervorhebt, die solchen Zwecken förderlich sein
können. Das Geländewesen des Hamburger Industriegebietes wird eingehend be-
sprochen, die Verkehrsverhältnisse der inneren Stadt und der näheren Umgebung
werden sachlich geschildert. Daran schließt sich eine gründliche Abhandlung
über Hamburgs Eisenbahn- und Wasserverbindung nach dem Reiche. Eine ganze
Anzahl entsprechender Ausführungen aus bewährter Feder ergänzen die Scnrift,
die besonders die Kreise, die Hamburger Verhältnisse nicht genauer kennen, viel-
leicht veranlassen werden, sich näher mit der Frage, was Hamburg der Industrie
zu bieten vermag, zu beschäftigen.
Wie in den „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirtschaft"
mitgeteilt wird, soll laut einer in der Presse Kristianias veröffentlichten
Notiz am 14. und 15. September 1917 in Stockholm die erste skan-
dinavische Handelskonferenz abgehalten werden. Jedes der
drei skandinavischen Länder wird 25 Vertreter der hauptsächlichsten
Gewerbe entsenden. Die Konferenz wird durch einen Arbeitsausschuß,
bestehend aus vier Vertretern jedes Landes, vorbereitet werden. Das
Programm der Konferenz soll folgende Punkte umfassen:
1) Zusammenarbeit zwischen den drei nordischen Ländern auf
handelspolitischem Gebiete.
2) Weiterentwicklung der gemeinsamen nordischen Gesetzgebung
auf den Gebieten, die das Erwerbsleben berühren.
3) Einräumung gegenseitiger Vorteile auf dem Gebiete der Kon-
zessionsgesetzgebung für die drei skandinavischen Reiche untereinander
(Revision der skandinavischen Münzkonvention).
Seit einiger Zeit wird in Frankreich und in Italien ein
engerer handelspolitisch er Zusammenschluß der beiden Länder,
der ihnen anscheinend auch innerhalb der „Entente" eine Sonder-
stellung schaffen würde, empfohlen. Hierüber berichtet der „W. N. D.
Deutscher Ueberseedienst" vom 21. Juli 1917 folgendes: L. J. Magnan,
Direktor des Zollwesens im französischen Finanzministerium, äußert sich
in der in Rom erscheinenden „Revue Finan eiere et Economique d'Italie"
über die gemeinsame italienisch-französische Zollpolitik : Für die gegen-
über den Zentralmächten in wirtschaftlicher Hinsicht zu befolgenden
Richtlinien müsse von den Verbündeten eine einheitliche Grundlage
geschaffen werden. Daher sei es wünschenswert und mit dem gegen-
seitigen Interesse sehr gut vereinbar, wenn Italien und Frankreich vor
der Revision ihrer Zolltarife ein Abkommen träfen, um ihr Zollsystem
nach einheitlichem Muster umzugestalten. Dabei könne sowohl die
während des Krieges bedeutend entwickelte französische Industrie, die
sich vom Auslande möglichst unabhängig zu machen suche, als auch
die italienische Landwirtschaft, für deren Produkte an Stelle der durch
— 477 —
den Krieg verloren gegangenen Märkte neue Absatzgebiete erschlossen
werden müßten, auf ihre Rechnung kommen. Sehr wenige Erzeugnisse
der beiden Länder seien nicht austauschfähig. Die nicht aus den
Ententeländern kommenden Waren müßten von den zu vereinbarenden
Vorzugstarifen ausgeschlossen werden. In Frankreich würde man es
ferner gerne sehen, wenn gewisse Handelsinteressen in italienische
Hände übergingen, während andererseits die reichen natürlichen Hilfs-
quellen Italiens durch französische Maschinen und Kapitalien besser
zur Geltung gebracht werden könnten.
Die italienische Regierung hat das vorläufige Handelsabkom-
men zwischen Italien und Brasilien vom 5. Juli 1900 gekündigt.
Das Abkommen wird am 31. Dezember 1917 außer Kraft treten.
In dem „W. N. D. Deutscher Ueberseedienst" werden folgende
Mitteilungen über den Außenhandel fremder Länder veröffentlicht :
Der Außenhandel Englands zeigte im ersten Halbjahr 1917
nach den amtlichen Angaben folgende Entwicklung (in 1000 £):
p,. , , Gesamt- Einfuhr- Einfuhrüber-
ii^iniunr ausfuhr Überschuß sehuß in 1916
55 292
46279
51 681
44289
49 774
50080
Januar
90565
Februar
70948
März
81 114
April
84585
Mai
87620
Juni
86068
35273
29348
24669
22470
29433
39706
40296
30805
37847
25785
35989
30 780
500900 297395 203507 178894
Der Außenhandel Britisch-Indiens (vgl. oben S. 399)
hatte in den letzten Kalenderjahren folgenden Umfang (in 1000 £):
1914 1915 1916
Einfuhr 104 377 83 762 97 424
Ausfuhr 138269 118 969 149690
Ueber den Außenhandel Ecuadors in den Jahren 1913, 1914
und 1915 liegen folgende Angaben vor:
(in MiU. Sucres)
1915
1914
1913
Einfuhr
17,30
17,29
l8,18
Ausfuhr
26,53
26,88
32,49
Ausfuhrüberschuß
9,23
9,59
14.8I
Herkunftsländer :
(,in 1000 Sucres)
Deutschland
104
2477
3216
England
6 888
4969
5386
Frankreich
507
672
894
Italien
821
801
608
Belgien
63
572
661
Spanien
680
750
485
Holland
354
124
—
Vereinigte Staaten
6592
5701
5798
Chile
120
108
131
Peru
555
615
329
Panama
32
71
87
Zentral- und Südamerika
134
105
235
Australien
238
166
129
Verschiedene Länder
212
158
223
- 478 -
Bestimmungsländer
(in 1000 Sucres)
Deutschland
Oesterreich-Üngarn
England
Frankreich
Italien
Spanien
Holland
Vereinigte Staaten
Chile
Peru
Panama
Zentral- und Südamerika
Verschiedene Länder
1915
1914
1913
87
1775
5406
—
299
17s
5482
2544
3336
2420
9 182
II 072
I 230
581
692
I 197
I 291
1379
2018
2084
526
II 693
7329
7888
867
689
1073
266
174
177
78
59
135
ika 4 '3
266
SOI
782
602
129
26533
26875
32489
Ueber den Außenhandel Columbiens in den Jahren
1914 und 1915 wird folgendes (in 1000 £) mitgeteilt:
1913.
1915
1914
1913
Einfuhr
3847
4196
5705
Ausfuhr
6034
6527
6863
Ausfuhrüberschuß
2187
2331
1158
Hauptherkunftsländer :
Vereinigte Staaten
1790^)
1297
1573
Großbritannien
1130I)
1269
1204
Frankreich
170^)
250
909
Deutschland
80»)
514
827
Hauptbestimmungsländer :
Vereinigte Staaten
3908
3654
3889
Großbritannien
1000
1175
1148
Frankreich
80*)
92.
165
Deutschland
8>)
356
663
Der Außenhandel Venezuelas hatte in den Kalenderjahren
1914 und 1915 folgenden Umfang:
1915
1914
Gewicht
Wert
Gewicht
Wert
(in 1000 t)
(in Millionen
Bolivares)
(in 1000 t)
(in Millionen
Bolivares)
Einfuhr
105,0
69,5
114,0
, 72,4
Ausfuhr
169,5
I2T,2
188,»
^11,5
Ausfuhrüberschuß
51,'
39,1
Herkunftsländer :
Vereinigte Staaten
77,c
41,1
54,9
3M
Großbritannien
17,5
iS.o
23,0
14,9
Niederlande
5,6
4,0
16.«
7,5
Spanien
2,9
3,8
2,2
2,*
Italien
1,2
2,5
I,*
2,8
Frankreich
1,1
3,3
1,5
4,0
Deutschland
11,0
8,«
1) Geschätzt.
— 479
1915
1914
Gewicht
Wert
Gewicht
Wert
(in 1000 t)
(in Millionen
Bolivares)
(in
mno t^ (^^ Millionen
^^^^ *^ Bolivares)
Bestimmungsländer :
Vereinigte Staaten
IOI,9
68,2
111,8
48,5
Niederlande
24,8
16,5
10,8
Großbritannien
17.6
10,5
15,9
Frankreich
14.5
15,*
26,6
3M
Spanien
5,0
5,5
5,1
Italien
2,7
2,7
1,2
Dänemark
i>4
I,S
Deutschland
—
12,9
9,9
Ueber den A u
ßenhand
el Chinas
(Vgl.
oben S. 4
00) in (
usammen 263 393
172548
267 783
155 482
160 491
122 922
120250
n^Tj
53824
72081
37043
60579
25694
65514
17027
59399
24
—
160
—
8
—
3465
—
2838
27 262
2431
30471
28996
31470
28905
35254
den
Jahren 1915 und 1916 liegen noch folgende Mitteilungen vor:
1916 1915
Von und nach Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr
(in 1000 Hk.-Taels)
Großbritannien 70 353 34 9^8 7^559 3^935
Hongkong 153 348 119 486 148436 104 170
Britisch-Indien 32 755 6 590 40 753 7 943
Straits Settlements etc. 4603 8349 5381 8893
Australien, Neuseeland etc. 466 i 615 768 1031
Südafrika und Mauritius — 51 — 45
Canada i 868 i 539 886 i 465
Britisches Beich ;
Japan
Vereinigte Staaten
Kußland
Deutschland
Belgien
Frankreich
Andere Länder
Gesamt 535268 481797 477064 418 861
Wie in den „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirt-
schaft" mitgeteilt wird, bezifferte sich die Einfuhr der Kolonie
Sierra Leone im Jahre 1915 auf 1255 755 £, worunter sich ein
Betrag von 175 724 £ an gemünztem Geld befand. Der reine Waren-
verkehr betrug infolgedessen in der Einfuhr 1080031 £. Der Anteil
an Regierungsgütern bezifferte sich auf 125082 £. Die nachfolgende
Aufstellung weist die entsprechenden Zahlen für die beiden vorher-
gehenden Jahre auf:
Gesamteinfuhr Metallgeld Reineinfuhr Davon Regierungsgüter
£ £ £ £
1913 1750303 312268 1438035 146053
1914 1405049 238648 1166401 196770
Vom dem gegen die Vorjahre eingetretenen Kückgang wurden in erster
Linie die Fabrikate betroffen, die einen Ausfall von rund 130000 £ gegen 1914
aufweisen. Darin kommt das Ausbleiben der deutschen Einfuhr deutUch zum
Ausdruck. Stark zugenommen hat dagegen die Einfuhr von Nahrungsmitteln,
Getränken und Tabat mit einem Mehr von rund 63 000 £ gegen 1914. Diese
Steigerung ist im großen und ganzen lediglich durch die erhonten Lebensmittel-
preise bedingt, welche vor allem bei Mehl, Zucker, Butter und Salz in die Augen
springend sind.
— 48o —
Die Ausfuhr betrug im Jahre 1915 1 254 621 £* gegen 1 250 478 im Jahre
1914. Der darin einbegriffene Anteil an Bargeld belief sich auf 311 753 bzw.
208 571 £. Somit stellte sich der reine Ausfuhrverkehr auf 942868 £' im Jahre
1915 gegen 1 041 907 £ im Jahre 1914. Die nachstehende Uebersicht schließt die
Zahlen lür das normale Jahr 1913 mit ein :
Gesamtausfuhr Metallgeld Reinausfahr
£ £ £
1913 I 731 252 240964 1490288
1914 1250478 208571 I 041 907
1915 I 254621 311 753 942868
An der Ein- und Ausfuhr waren in den Jahren 1914 und 1915 die folgen-
den Länder beteiligt:
Einfuhr Ausfuhr
1914 1915 1914 1915
£ £ £ £ .
Großbritannien 979796 870901 367961 657297
Britisch-westafrikanische Besitzungen 82527 73167 253370 292472
Britische Besitzungen (andere) 496 4 286 — —
Frankreich 1 7 607 2 1 994 i 695 1 1 347
Deutschland 98548 132 10 313152 —
Niederlande 47 533 55 333 — —
Vereinigte Staaten von Amerika 62 914 102 435 — 14
Fremde westafrikanische Bestitzungen 76209 96932 220993 226471
Andere europäische Länder 6 408 i 509 — —
Uebrige Länder 33 0ii 15988 839 791
Schiffsproviant u. a. m. — — 92 468 66 229
Zusammen i 405049 i 255 755 i 250478 i 254621
Hiervon Bargeld 238648 175724 208571 3^1 753
Ueber große französische Hafenbauten berichtet der „W.
N. D. Deutscher Ueberseedienst" (vom 19. Juli 1917) folgendes:
Die geplanten Erweiterungsbauten des Hafens von Marseille, die bereits
seit einigen Jahren in Angriff genommen wurden, aber während des Krieges nur
langsam gediehen, haben sich bei dem beständigen Wachsen des Verkenrs als
nicht ausreichend erwiesen. In den letzten 20 Jahren vor dem Kriege ist der
Verkehr um 90 Proz. von 5 Mill. t auf 9,5 Mill. t gestiegen. In den ersten Jahren
nach dem Krieg dürfte er weiter auf 11,5 Mill t wachsen. Daher ist es dringend not-
wendig, die Arbeiten an den neuen Kais aufs schnellste zu fördern und eine
weitere Vergrößerung von rund 3150 m vorzunehmen, damit Postdampfer von
etwa 300 m Länge und 12 m Tiefgang einlaufen können. Zu diesem Zwecke
wird im Norden des Hafens, unmittelbar am Dock „Madrague", das neue Dock
„Mirabeau" gebaut. Es sind 63 ha Wasseroberfläche vorgesehen mit einem Durch-
messer von 450 m. Schiffe mit 13 m Tiefgang können an einer Kailänge von
3760 m, Schiffe mit 9 m Tiefgang an 2140 m Kailänge, am Kande des Kanals
Marseille- ßhöne, anlegen; außerdem faßt das neue Dock noch etwa 10 Schiffe
von 300 m Länge oder 21 Schiffe von 150 m, die unmittelbar am Kai löschen
können. Im Kanal finden noch 15 Schiffe von 130 bis 150 m Platz. Die vor-
gesehenen Kosten belaufen sich auf 123 Mill. frcs. Ein entsprechender Entwurf
liegt der Kammer vor Einige vorbereitende Arbeiten, die etwa 13 Mill. frcs. in
Anspruch nehmen, sollen sofort in Angriff genommen werden ; die Handelskammer
erbietet sich, die Kosten allein zu tragen.
Die Handelskammer von Cette wurde ermächtigt, eine Anleihe von 817300
frcs. zum Bau eines Kanals und von Dockanlagen aufzunehmen. Zur Deckung
der Kosten darf die Stadt 50 cts. pro t auf die durch den Kanal gehenden Waren
erheben.
Le Ha vre ist unablässig bemüht, seinen Hafen auszubauen Nachdem im
Jahre 1895 mit einem Kostenaufwand von 43 Mill. frcs. ein Außenhafen von 78 ha
Wasserfläche mit einen^ Kai von 500 m, verbunden durch eine Schleusenanlage
— 48i —
von 240 m mit 3 neuzeitlichen Docks von 8— 10 m Tiefe und 6 km Kailänge,
errichtet worden war, sind im Jahre 1907 neue Hafenbauten für 85 Mill. frcs. in
Angriff genommen worden, die trotz des Krieges zum größten Teil bereits ihrer
Fertigstellung entgegensehen. Der neue Hafen nimmt einen Flächenraum von
285 ha ein und wird bei einer Wassertiefe von 12 m zurzeit der Ebbe imtand
sein, mehrere der größten Ozeandampfer gleichzeitig aufzunehmen. Ein Damm
von 4400 m Lange umführt den Hafen ; ein geradliniger 1000 m langer Kai wird
in kurzer Zeit fertig sein. Ein großes Trockendock von 312 m Länge und 38 m
Breite ist ebenfalls vorgesehen, um Schiffe mit einem Tiefgang von 137, m und
einer Länge von 300 m aufzunehmen. Um jedoch allen Ansprüchen, die für die
Zukunft an den Hafen gestellt werden dürften, zu begegnen, sind bereits weitere
Hafenbauten in noch größerem Maßstabe beschlossen worden. Mit einem Kosten-
aufwand von 200 Mill. frcs. soll der Kai dui'ch ein ganzes System von Docks eine
Ausdehnung von 20 km erfahren und mit dem alten und neuen Hafen in Ver-
bindung stehen. Entsprechend der Vergrößerung des Verkehrs soll der Ausbau
des Hafens stufenweise erfolgen.
Der Hafen von Le Havre, der schon vor dem Kriege neben einem großen
internationalen Passagierverkehr einer bedeutenden Ein-, Aus- und Durchfuhr
von Waren aller Art, sowie deren Lagerung diente, hat sich mehr als irgendein
anderer französischer Hafen den durch den KJrieg geschaffenen neuen Verhält-
nissen anpassen müssen. In nächster Nähe des Kriegsgebietes gelegen, ist Le
Havre Basis der Verproviantierung des englischen Heeres in Frankreich und be-
sitzt eine bedeutende französische und belgische Kriegsindustrie. Auch die Ver-
legung der belgischen Eegierung nach dort konnte nicht ohne Einfluß auf den
ganzen Charakter des Hafenverkehrs bleiben. In 1913 liefen 6548 Schiffe mit
5,4 Mill. Netto-ßeg.-T. aus, gegen 11592 umlaufende Schiffe mit 8,7 Mill. t in
1916; die Ausfuhr ging dagegen um die Hälfte zurück. Der internationale Pas-
sagierverkehr mit 235 130 Personen in 1913 hat bedeutend abgenommen ; er betrug
in 1915 nur 31 462 Personen, stieg jedoch in 1916 auf 113768. Truppentransporte
sind in diesen Zahlen nicht einbegriffen. Aber auch die Art der eingeführten
Waren hat eine Aenderung erfahren. Wenn früher in bedeutendem Umfange
Baumwolle, Kaffee, Holz, Kakao und Leder eingeführt wurden, so kommen jetzt
hauptsächlich Getreide, Gußeisen, Stahl, Zucker, Fleisch, Kupfer, Automobile und
andere für die Verproviantierung der Militär- und Zivilbevölkerung notwendigen
Gegenstände herein. Die gegen den Frieden verdoppelte Einfuhr, die fast aus-
schließlich für das Land selbst bestimmt war, bedang einen schnellen Weiter-
transport nach dem Hinterlande. Es entstanden daher eine Keihe von Rangier-
und Hilfsgleisen und eine besondere Zweiglinie, die die vielen Docks und Bahn-
höfe mit der Hauptbahn verbindet. Die Verlängerung einer Zweigbahn von 32 km
Länge, um die Hauptbahn in einer Entfernung von 60 km von Le Havre mit
Gleisen der Nordbahn und Paris— Dieppe über Pontoise zu verbinden, wird bald
dem Betrieb übergeben werden.
Die Handelskammer in Caen hat beschlossen, sich an den Erweiterungs-
und Vertiefungsarbeiten des Seekanals zu beteiligen. Der bestehende Schiffahrts-
kanal von Caen bis zum Meer, der bis 1895 nur Schiffen von 1400 t Zugang ge-
währte, wird derart vergrößert, daß ihn 8000 t-Schiffe befahren können. 1913
wies der Hafen einen Verkehr von 1 126000 t auf; dieser ging 1915 auf 877000t
zurück, hat sich seitdem aber wieder langsam gehoben. Ein 25 t-Kran und zwei 4 1-
Kräne wurden beschafft, die Hafenbrücken und Kanalbrücken erweitert und elek-
trisches Licht für die Nachtarbeit installiert. Zurzeit können bereits Schiffe von
2500 t im Hafen einlaufen. Die in Caen beheimatete Handelsflotte zählte 1912
18 Schiffe von zusammen 36000 t. Gegenwärtig nimmt Caen den 7. Platz unter
den Häfen Frankreichs ein, durch die Erweiterungsarbeiten ist es aber berufen,
bald in eine der ersten Stellen aufzurücken.
Der Verkehr im Hafen von Brest ist im Jahre 1916 auf 603222 t gestiegen,
während er 1914; 63512 t und 1915: 284936 t betrug. Eine Kommission hat
kürzlich Brest besucht, um die Bedingungen für ein großes Handelszentrum und
einen Hafen für Uebersee- Dampfer festzustellen. Der Hafen soll jetzt der Ee-
gierung der Vereinigten Staaten für deren Marine und zur Ausschiffung von Truppen
und Material zur Verfügung gestellt werden.
— 482 —
Dünkirchen ist ermächtigt worden, eine Anleihe von 7 Hill. frcs. aufzu-
nehmen, um die Hafenanlaeen zu erweitern. Die Stadt erhielt die Genehmigung,
die bestehenden Hafengebühren zu erhöhen. Der Mangel an Verkehrsmitteln hat
ein großes Aufstapeln der Waren in den Häfen zur Folge. Um diesem Uebel-
stand abzuhelfen, ist ein Teil der Güter über weniger bedeutende Häfen wie La
Rochelle und St. Nazaire geleitet worden. Amerikanische und englische Maschinen
vermehrten die Löschvorrichtungen ; Kriegsgefangene wurden zu den Arbeiten her-
angezogen .
Der Schiffsverkehr Kristianias in den Jahren 1914, 1915
und 1916 war nach dem „W. N. D. Deutscher Ueberseedienst'- (vom
19. Juli 1917) folgender:
1916 1915 1914
tmu l»«» B..E.T.. t^f" "»» B-I'-T- t:S^l 1000 B.E..T.
Eingelaufen 2239 1439 2481 1606 2234 1469
Ausgelaufen 1988 1528 2015 1573 1894 1507
Ueber italienische Hafenbauten berichtet dasselbe Blatt
folgendes :
Die Eegierung billigte den Plan der Hafenbehörde von Genua, der eine be-
deutende Erweiterung des Genueser Hafens vorsieht. Dieser soll sich im
Westen bis zum Flüßchen Polcevera ausdehnen, so daß eine Anzahl kleinerer
Bassins und möglicherweise ein weiterer Freihafen gebaut werden können. An
die Hafenerweiterung soll sich die geplante Ausdehnung der Ansaldo- Werften an-
Bchließen. Der Bau der neuen Anlagen beansprucht 8 Jahre und kostet ungefähr
16 Mill. Lire.
Hafenverkehr in Genua
(in 1000 t) 1916 gegen 1915
Eingelaufen 5 525 — 741
Ausgelaufen 5 573 — 679
Der Warenverkehr im Hafen von Genua belief sich im ersten Halbjahr 1917
auf 2,8 Mill. t oder 0,8 Mill. t weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Es wurden 300000 t verschifft und etwa 2,5 Mill. t, davon 0,9 Mill. t Kohle,
eingeführt.
Der Bau eines großen Binnenhafens auf dem Festlande von Venedig,
der mit dem ganzen Kanalsystem Oberitaliens einerseits und mit dem Meerhafen
andererseits in Verbindung steht, ist beschlossen worden. Die Kosten sind auf
60 Mill. Lire veranschlagt und werden wahrscheinlich von der Stadt Venedig
vorgeschossen, die dafür den Betrieb des Hafens für 30 Jahre übernimmt. In
der Nähe des letzteren soll ein Industriegebiet geschaffen werden.
Die römische Stadtverwaltung beabsichtigt, bei der Eegierung um Genehmigung
für die Anlage eines Seehafens in Rom einzukommen.
Dem deutschen Reichtag ist am 10. Juli 1917 ein Gesetz-
entwurf zur Wiederherstellung der deutschen Handels-
flotte zugegangen, der von dem Grundsatz ausgeht, es sei eine der
wichtigsten Aufgaben des deutschen Volkes nach dem Kriege, den
Weltverkehr und die Weltwirtschaft sofort wieder aufzunehmen. Wie
in der Begründung des Entwurfs ausgeführt wird, hat die Erfüllung
dieser Aufgabe zur Voraussetzung, daß die Handelsflotte wiederher-
gestellt und die deutsche Reederei in den Stand gesetzt wird, nach
Beendigung des Krieges den überseeischen Schiffsverkehr entsprechend
den Bedürfnissen der deutschen Volkswirtschaft ungesäumt wieder auf-
zunehmen. Hierzu bedarf es der finanziellenHilfedesReiches,
weil die Verluste, die der Krieg der deutschen Reederei zugefügt hat,
zu groß sind, als daß sie aus eigener Kraft die erforderlichen Schiffe
— 483 -
tauen und ihren Betrieb in dem gebotenen Umfange wieder aufnehmen
könnte. Der Begründung des Entwurfs ist (nach einem Bericht der
„Frankf. Ztg.") weiter folgendes zu entnehmen:
Der Bestand der deutschen Handelsflotte belief sich vor dem Kriege auf
mehr als 5 Mill. Bruttoregistertonnen. Davon sind über 2 Mill. t in Feindeshand
gefallen oder gefährdet. Außerdem liegen über 1 Mill. in den Häfen verbündeter
oder neutraler Staaten infolge der Seesperre fest. Die Ersatzbeschaffung des ver-
lorenen Schiffsraumes gestaltet sich für die deutsche Keederei um so schwieriger,
als die Preise sowohl für den Neubau wie für den Ankauf von Handelsschiffen
eine ungewöhnliche Steigerung und zwar ein Vielfaches des Friedenspreises er-
fahren haben. Die Schiffsneubauten, die jetzt oder in den ersten Jahren nach
dem Kriege ausgeführt werden, stellen sich so teuer, daß sie aller Voraussicht
nach auf die Dauer keine ausreichende Verzinsung erwarten lassen, sondern später
mit Verlust arbeiten werden, wenn sie allein auf Kosten des Eeeders hergestellt sind.
Der weitaus größte Teil der deutschen Keederei ist für den Krieg völlig
lahmgelegt, und die aus dem Ueberseeverkehr fließenden Einnahmen sind versiegt.
Andererseits hat die Instandhaltung der im Auslande liegenden Schiffe und der
Unterhalt ihrer Besatzung sehr hohe Ausgaben erfordert. Diese laufenden Aus-
gaben, der Fortfall der Einnahmen aus dem Ueberseeverkehr, sowie die mit der
Aufrechterhaltung einer Organisation verbundenen Kosten haben die deutschen
Keedereien finanziell ungemein geschwächt. Ueberall machen die ßeedereien in
den neutralen, zum Teil auch in den feindlichen Staaten während des Krieges
die stärksten Anstrengungen, ihren Schiffsraum zu vermehren und in das bis-
herige Geschäfts^ebiet der deutschen Reedereien einzudringen. Bei diesem Vor-
fehen befindet sich die ausländische Eeederei auch deshalb in besonders günstiger
.age, weil sie im bisherigen Verlauf des Krieges vielfach glänzende Erträge erzielt
hat und sich infolgedessen im Besitze sehr großer Mittel befindet. Außerdem
wird sie bei diesen Bestrebungen von ihren Landesregierungen kräftig unterstützt.
Namentlich die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan haben sowohl ihren
Schiffsbau als auch ihren Schiffsbetrieb schon jetzt außerordentlich gesteigert und
ausgedehnt.
Angesichts dieser Lage der deutschen Schiffahrt war zunächst erwogen worden
die beschleunigte Wiederherstellung der Handelsflotte durch Gewährung von
Darlehen an diejenigen Reedereien zu fördern, welche durch Neubauten oder durch
Ankauf von Schiffen im Auslande ihren verlorenen Schiffsraum ersetzen wollen.
Seit dem Frühjahr 1917 haben aber die wirtschaftlichen Verhältnisse der deutschen
Reedereien durch die feindliche Haltung der Vereinigten Staaten von Amerika
und durch die fortgesetzte außerordentliche Steigerung der Schiffsbaupreise eine
weitere ungünstige Verschärfung erfahren. Die Gewährung von Darlehen , auch
wenn sie erst zu einem späteren Zeitpunkt zurückzuzahlen wären, bietet daher
keine ausreichende Gewähr mehr für die erforderliche Neubelebung der deutschen
Schiffahrt. Den dringlichen Vorstellungen der Reedereien nach Vorlage eines
Entschädigunsgesetzes vermag die Reichsleitung bis jetzt noch nicht zu entsprechen.
Die Vorlage eines solchen Gesetzes ist zwar, wie bereits wiederholt betont, nach
dem Vorgehen vom Jahre 1870/71 in Aussicht genommen. Da es aber in seinen
Voraussetzungen und seiner Ausgestaltung von der finanziellen und wirtschaft-
lichen Gesamtlage bei Friedensschluß abhängig ist, so kann mit seiner Fertig-
stellung erst nach Friedensschluß gerechnet werden.
Muß demnach auch der Gesichtspunkt der Entschädigung der Reedereien
für ihre im Krieg erlittenen Verluste zurzeit zurücktreten, so bildet es gleichwohl
eine Frage von höchster Bedeutung nicht nur für die Zukunft der deutschen
Reedereien, sondern auch für die gesamte deutsche Volkswirtschaft, daß die deutsche
Handelsflotte so bald als möglicn nach Friedensschluß und in dem Umfang und
in der Leistungsfähigkeit, die sie vor dem Kriege hatte, wiederhergestellt wird.
Die notwendige Wiederaufrichtung des deutschen Wirtschaftslebens erfordert es,
daß bereits während des Krieges Reichsmittel zur Verfügung gestellt werden, um
durch Neubauten oder Ankauf von Schiffen fremder Flagge für den verlorenen
Schiffsraum mit möglichster Beschleunigung Ersatz zu beschaffen. Die erstrebte
Belebung der deutschen Schiffahrt läßt es aber auch geboten erscheinen, der
— 484 -
deutschen Reederei mit Rücksicht auf die ungünstige finanzielle Lage, in der sie
sich infolge des Krieges befindet, neue Betriebsmittel zuzuführen, um sie gegen-
über dem zu erwartenden Wettbewerbe ausländischer Reedereien in den Stand zu
setzen, den überseeischen Güteraustausch entsprechend den Wirtschaftsbedürfnissen
des deutschen Volkes mit Tatkraft baldigst wieder aufzunehmen. Die Neubelebung
des Schiffsverkehrs nach dem Kriege setzt ferner die schleunige Wiederaufnahme
der Berufstätigkeit durch die seefahrende Bevölkerung voraus. Es erscheint daher
angezeigt, den Schiffsbesatzungen, die auf deutschen Schiffen im Auslande infolge
des Krieges ihre Habe eingebüßt haben, ihre Ersatzbeschaffung für die Wieder-
aufnahme ihres Berufes durch Zuwendung von Reichsmitteln zu erleichtern. Diese
Erwägungen haben unter Berücksichtigung der im Reichstagsbeschlusse vom
24. Mai 1916 ausgesprochenen Wünsche dazu geführt, in dem vorliegenden Gre-
setzentwurfe die Gewährung nicht rückzahlbarer Beihilfen zu gunsten der Reedereien
und der geschädigten Schiffsbesatzungen vorzuschlagen. Innerhalb des Rahmens
dieses Gesetzentwurfes können die Ladungseigentümer, die ihre verschifften Waren
infolge des Seekrieges verloren haben, keine Berücksichtigung finden. Die Frage
einer Entschädigung muß späterer Entscheidung im Zusammenhang mit der
Lösung der Frage des Ersatzes für Kriegsschäden auf anderen Gebieten vorbe-
halten bleiben.
Die wichtigsten Bestimmungen des Gesetzentwurfes lauten:
§ 1. Der Reichskanzler wird ermächtigt, zur Wiederherstellung der deutschen
Handelsflotte den Eigentümern deutscher Kauffahrteischiffe (§ 1 des Gesetzes, be-
treffend das Flaggenrecht der Kauffahrteischiffe, vom 22. Juli 1899) auf Antrag
Beihilfe zu gewähren:
1. Für die Ersatzbeschaffung von Schiffen und Inventar, wenn das Schiff
nach dem 31. Juli 1914 durch Maßnahmen feindlicher Regierungen oder durch
kriegerische Ereignisse verloren gegangen oder erheblich beschädigt worden ist.
2. Zur Deckung der Aufwendungen für Instandhaltung der Schiffe, für
Hafengelder sowie für Heuer und Unterhalt der Schiffsbesatzung, die dadurch
notwendig geworden sind, daß das Schiff infolge des Krieges in deutschen Schutz-
gebieten ooer in außerdeutschen Ländern festgehalten oder in der Fortsetzung
seiner Reise gehindert worden ist.
Eine erhebliche Beschädigung im Sinne des Absatz 1 Nr. 1 ist regelmäßig
anzunehmen, wenn die zur Wiederherstellung des Schiffes erforderlichen Kosten
die Hälfte des Friedenswertes erreichen.
§ 2. Den deutschen Schiffsbesatzungen der im § 1 Absatz 1 bezeichneten
Schiffe kann im Falle des Verlustes ihrer Habe iür deren Wiederbeschaffung
gleichfalls Beihilfe gewährt werden.
§ 3. Die Beihilfen sind auf die Entschädigungen zur Anrechnung zu bringen,
die den Schiffseigentümern und den Schiffsbesatzungen nach dem in Aussicht
genommenen Reederei-Entschädigungsgesetz etwa gewährt werden.
Zur Unterstützung der deutschen Reedereien sollen nach privaten
Schätzungen, wie im Handelsteil der „Frankfurter Zeitung" vom 14. Juli
1917 angegeben wurde, IV4 Milliarden Mark Reichsmittel aufgewendet
werden. Die Frage des künftigen internationalen Wett-
bewerbs in der Seeschiffahrt wurde an derselben Stelle folgen-
dermaßen beurteilt:
Daß unsere Reederei bisher keineswegs still zugesehen hat, bis ihr die All-
gemeinheit zu Hilfe kommt, ergibt sich u. a. aus einer Reihe von Neugründungen
in den letzten Jahren, die mehr als bisher dem Bau von Typenschitfen dienen.
Es ist außerdem kein Geheimnis, daß auch während des Krieges in Deutschland
eine recht ansehnliche Tonnage bereits gebaut worden ist. Wenn wir erwähnten,
daß der deutsche Außenhandel zunächst auf eigene Schiffe angewiesen ist, so
dachten wir dabei an die Tatsache, daß die enghsche Flotte, die bisher weitaus
die meisten Schiffe zur Verfügung stellen konnte, durch den Tauchbootkrieg
ebenfalls in ihrem Bestand außerordentlich gelitten hat und noch ständig weiter
leidet. Wenn man lediglich die absoluten Ziffern berücksichtigen würde, so könnte
man sagen, daß die englische Handelsflotte ein Mehrfaches im Vergleich zur
- 485 -
deutschen gelitten hat. Der grundliegende Unterschied aber in der Verfassung
der beiden bisher führenden Schiffahrtsländer besteht darin, daß die Deutschen
für ihre Verluste nichts bekommen haben, da es sich um feindliche Beschlag-
nahmungen handelt, während die englischen Reedereien, so paradox es klingt, an
ihren Versenkungen noch ein ungewöhnliches Geld verdienen. Nichts ist hierfür
charakteristischer als die Erklärungen, welche der britische Schatzkanzler Bonar
Law kürzlich im englischen ünterhause machte, als einige Reeder sich über die
hohen Steuern beklagten. Er antwortete nämlich, er könne besonders gut die
Lage dieses Gewerbes beurteilen, da er selbst 8110 £ bei 15 verschiedenen eng-
lis(3ien Schiffahrtsgesellschaften angelegt habe. Die normale Verzinsung einer
solchen Anlage sei auf 405 £ zu schätzen. Er habe aber nach Abzug der Kriegs -
fewinnsteuer im Jahre 1915 dafür 3624 £, im Jahre 1916 sogar 3847 £, erhalten.
)as sei aber noch nicht alles. So sei einer der Dampfer, an dem er interessiert
gewesen sei, kürzlich gesunken, und er habe auf seine Beteiligung an diesem
Schiff in Höhe von 200 £, ganz abgesehen von der Dividende, noch einen Scheck
von mehr als 1000 £ erhalten. Der Reederei wurde also das Fünffache ihrer ur-
sprünglichen Selbstkosten zurückerstattet. Bezeichnend für diese Anomalien ist
ferner das Beispiel einer englischen Schiffahrtsgesellschaft, die vor einiger Zeit
einen großen Dampfer verloren hat und durch diesen Umstand in der Lage war,
ihren Reserven 58000 £ zuzuführen. Und der „Statist" hat vor einiger Zeit eine
Berechnung aufgestellt, wonach die englische Großreederei im Jahre 1916 einen
Reingewinn von 250 Mill. £ habe einheimsen können gegen 20 Mill. im Jahre 1913.
Das ist also eine Steigerung von 1250 Proz. Daß diese Gewinne keine Bereiche-
rung der englischen Volkswirtschaft bedeuten, sondern aus den Taschen des eng-
lischen Volkes bezahlt werden, ändert nichts an der günstigen finanziellen Lage
der englischen Reedereien. Auch bei ihnen ist, wie gesagt, der Schiffspark £Qs
solcher entsetzlich verwüstet. Namentlich die großen leistungsfähigen ScMffe sind
durch den Tauchbootkrieg dezimiert, und die für Heer und Marine beschlag-
nahmten Boote müssen später einer sehr gründlichen, zeitraubenden Umgestaltung
unterzogen werden. Die Neubauten haben drüben, wie jedermann weiß, auch
nicht annähernd Schritt gehalten mit den Verlusten, denn sie betrugen in den
beiden letzten Jahren 651000 bzw. 582000 Bruttotonnen gegen rund 2 Millionen
in den letzten Friedensjahren. In dieser Beziehung schneiden die Neutralen und
unsere außereuropäischen Feinde um so besser ab. Die Vereinigten Staaten vor
allem werden in Zukunft auf dem Weltmeere eine außerordentliche Rolle spielen -
Hat doch die Union allein im letzten Jahre schon 521000 Tonnen, Japan 233000
Tonnen vom Stapel gelassen. Im laufenden Jahre werden sich diese Ziffern noch
sehr erheblich erhöhen. Dazu kommt aber weiter, daß gerade diese beiden Länder
ebenso wie die europäischen Neutralen die Hochkonjunktur am Frachtenmarkt
bis in die letzten Konsequenzen hinein ausnützen können. Einmal waren sie im
Gegensatz zu den Engländern nicht an die Blaubuchraten gebunden, dann aber
sind ja in diesen Ländern die Kriegsgewinnsteuern, sofern sie überhaupt erhoben
werden, äußerst bescheiden, und ermöglichen also eine ungeheuere Stärkung der
Finanzkraft früher recht bescheidener Gesellschaften, die selbst die englische
Konkurrenz weit hinter sich läßt. Alle diese Umstände zeigen, daß die deutschen
Reedereien nach dem Kriege keinen leichten Stand haben werden.
Ueber den holländischen Plan einer Trockenlegung der
Zuidersee (vgl. Chronik für 1916, S. 760) wurde in dem „W. N. D.
Deutscher Ueberseedienst" vom 12. Juli 1917 folgendes mitgeteilt: In
der Kammer gelangte der Gesetzentwurf betreffs Trockenlegung der
Zuidersee zur Verhandlung. Zahlreiche Abgeordnete traten lebhaft für
das Projekt ein und sehen in ihm gewissermaßen die Krönung der im
Laufe der Jahrhunderte von Holland vorgenommenen Abdämmungen
und Austrocknungen. Andere dagegen sind wesentlich bedenklicher
gestimmt, und obwohl auch sie die Lichtseiten des Unternehmens ge-
bührend würdigen, können sie sich nicht für die Ausführung entscheiden,
da ihnen vor allem die finanzielle Seite zu unsicher erscheint. Die
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Volkswirtsch . Chronik. 1017. XXXII
— 486 —
Finanzlage Hollands sei sowieso recht schwierig, und deshalb wäre
es unangebracht, sie durch Eingehen neuer Verbindlichkeiten noch ver-
wickelter zu gestalten. Die Anhänger des Planes entgegnen hierauf,
daß, wenn auch in den letzten Jahren große Anforderungen an den
Staatsschatz gestellt worden sind, doch offenbar geworden sei, daß die
geldliche Leistungsfähigkeit der Nation viel größer sei, als man vermutet
habe. Außerdem erwarte man, daß die neu zu gewinnenden Ländereien
sich bezahlt machen und somit keine dauernden Lasten ftlr die Allge-
meinheit entstünden.
Der von der Regierung vorgeschlagene Weg, mit Eindämmung der Zuidersee
zu beginnen, fand allgemeinen Anklang, obwohl einige Mitglieder Bezweifeln, daß
das vorgesehene Becken LYsselmeer") zur Ansammlung des Ysselwassers während
der Flut ausreichen wird. Es wurde auch auf den Vorteil der durch die Aus-
trocknung ermöglichten kürzeren Bahnverbindung zwischen Nord -Holland und
Friesland hingewiesen. Die Bahnstrecke Amsterdam— Leeuwarden würde um 56 km
verkürzt. Der von der Regierung vorgesehene Zeitraum von 9 Jahren zur Aus-
führung der Arbeiten wurde vielfach als zu kurz bezeichnet, da allein die nötigen
Enteignungen 2—3 Jahre beanspruchen dürften. Man ginge deshalb kaum fehl,
wenn man eine Ausführungszeit von ca. 18 Jahren annehme. Auch seien die in-
direkten Vorteile der Trockenlegung keineswegs über jeden Zweifel erhaben, und
vielfach wird befürchtet, daß nach Abschließung der Zuidersee eine viel stärkere
Belastung der Groninger und friesischen Deiche eintreten wird, da diese alsdann
bei Hochwasser weit stärkerem Druck standhalten müßten. Desgleichen behaupten
verschiedene Abgeordnete, daß die für Entschädigung der Anliegen ausgeworfenen
Summen zu niedrig bemessen seien. Eine günstige Einwirkung auf die Arbeits-
losigkeit sei von dem Unternehmen kaum zu erwarten, da hauptsächlich Maschinen-
arbeit bei der Ausführung in Betracht kommt. Der Zuwachs an Grund und
Boden kann unter gewissen Umständen allerdings von größtem Vorteil sein,
anderseits darf aber auch mit Recht die gute Beschaffenheit des neu zu gewinnenden
Geländes angezweifelt werden. An Widerspruch seitens der Anhänger fehlte es
nicht, dagegen griff die Gegenpartei wiederum die Rentabilitätsberechnung der
Regierung an. Der Wert der neuen Polder sei entschieden zu hoch eingesetzt.
AiSerdem sei die Berechnung durch Annahme eines nur 472-proz. Rentensatzes
günstig gefärbt; denn die Befürchtung läge nahe, daß nach dem Kriege mit 6 Proz.
gerechnet werden müsse. Es wurde Sisdann noch über die Einwirkung der
Trockenlegung auf die Landesverteidigung verhandelt. p. Arndt,
V. Versicherungswesen.
Inhalt: 1. Privatversicherung. Deutschland. Ausdehnimg und
Neugründungen in der Transportversicherung. Die Großrisiken in der Transport-
versicherung. Gegen die deutschen Seeversicherungsgesellschaften in Amerika.
Die Privatfeuerversicherung im Krieg. Die deutschen imd österreichisch-ungari-
schen Lebensversicherungsgesellschaften im Krieg. Ausland. Französische
Tontinengesellschaften im Krieg. Lage des engHschen Versicherun^marktes.
Steigerung der Versicherungssätze in England. !&richtung eines Versicherungs-
Clearing-House in London.
2. Sozialversicherung. Deutschland. Konferenz der Landesver-
sicherungsanstalten. Sozialversicherungspläne der bayerischen Verkehrsverwaltung.
Versicherungspflicht polnischer Arbeiter. Ausland. Abänderung der öster-
reichischen Unfallversicherung.
1. Privatversicherung.
Die auffälligen Au sdehnungs- und Neugrtindungsbestre-
bungen in der Transportversicherung — so heißt es in der
„Frankfurter Zeitung" — sind auch in den letzten Monaten nicht zur
- 487 -
Ruhe gekommen , und anscheinend stehen wir noch immer nicht am
Ende dieser Bewegung.
Es ist hier und in der Fachpresse mehrfach darauf hingewiesen worden,
daß gegenüber diesem großen Eifer die bisher gewiß nicht rückschlagsfreien Er-
folge des Transportversicherungsgeschäfts (Deutsche Transport - A.-G. , oder gar
„Germania") zur Vorsicht raten, und daß die Betätigungsmöglichkeiten während
des Kriegs, sowie die Aussichten, die sich im kommenden Frieden bei wahrschein-
lich verstärkter Konkurrenz eröffnen, weitgehende Reserve anempfehlen. Trotz-
dem hat bis in die letzte Zeit hinein die Gründungsära angehalten. In der folgen-
den Tabelle ist versucht, die Neuerscheinungen nach oberflächlicher Verfolgung
in Gruppen zusammenzustellen. Auf Vollständigkeit macht die Tabelle keinen
Anspruch. In der Hauptsache sind es am Meere sitzende Kreise, die, auf Ver-
bindungen und Freundschaften in Hafenstädten gestützt, besonders rührig waren.
Nur einige wenige Transportversicherungskonzerne, wie z. ß. derjenige der Münchener
Rückversicherungs-Gesellschaft, haben sich bisher still verhalten, offenbar, weil
sie glauben, für die kommenden Ansprüche genügend gerüstet zu sein. Aller-
dings waren diese Konzerne schon in der Vergangenheit weitgehend ausgebaut,
und es gehört vielfach zu den Motiven der gegenwärtigen Expansion auch das
Bestreben, ein vorhandenes Agentennetz durch Komplettierung der Versicherungs-
zweige nutzbringender zu verwerten.
Norddeutsche Vers.-Ges., Hamburg (Kap. 16 MiU. M. mit 25 Proz. Einz.)
Kapitalserhöhung bei
Hanseatische Vers.-A.-G. von 1877 (um 3 Mül. M. auf 8 Mill. M.)
Ocean Versich.-A.-G. (um 1 Mill. M. auf 2 Mill. M^
Berlin-Hamb. Land- u. Wass.-Trsp.-A.-G. (um 2,25 MiU. M. auf 3 MiU. M.)
Neugründung der
Hamburger Lloyd Versich.-A.-G. (Kap. 6 Mill. M.)
noch in Gründung
Lübecker Transport- Vers.-A.-G. ^ap. ca. 2 Mill. M. mit 25 Proz. Einz.)
Frankfurter AUgemeine Versich.-A.-G.
Kapitalserhöhung um 1,50 Mill. M. auf 20,50 MiU. M. (mit 25 Proz. Einz.)
zwecks Uebernahme der
Deutschen Transport- Vers.-A.-G. (Kap. 1,20 Mül. M. voUgez.)
Deutschen Rück- u. Mitvers.-A.-G. (Kap. 1,50 Mül. M. mit 25 Proz. Einz.)
dagegen Abstoßung in 1915 der
Frankona Rück- u. Mitvers.-A.-G.
Securitas Versich.-A.-G. Bremen (früher Berlin)
Kapitalerhöhung um 6 Mül. M. auf 8 MiU. M. zwecks Aufnahme der
Direkten Transportversicherung
Interessengemeinschaft (in 1916) mit
Albingia Hamb.-Düsseldorf. Vers.-A.-G.
dagegen in 1916 Abstoßung der
Securitas Feuer- Versich.-A.-G. Berlin.
Kapitalserhöhungen :
Assecuranz Union von 1865, Hamburg
um 4 Mül. M. auf 8 MiU. M. (mit 25 Proz. Einz.)
Deutsche Versich.-Ges., Bremen
um 0,64 Mül. M. auf 3 Mül. M. (mit 25 Proz. Einz.}
Atlantic Transp.- Versich.-A.-G., Stettin (Reeder Retzlaff)
um 2 Mül. M. auf 4 Mül. M. (mit 25 Proz. Einz.)
Baltische Versich.-A.-G., Rostock
um 0,50 Mül. M. auf 1 MilL M.
Hansa, Allgemeine Versich.-A.-G., Hamburg
um 3 MiU. M. auf 8 Mül. M. (mit 25 Proz. Einz.).
Sonstige Neugründungen:
Nürnberg. Rückvers.-A.-G. (Kap. 5 Mül. M. mit 35 Proz. Einz.)
Deutsche Vers.-Bank A.-G., Köln (Kap. 3MiU.M.) durch Kronprinz-Rhein. Feuer
Mitteleuropäische Vers.-A.-G.. Köln (Kap. 2 Mill. M. mit 25 Proz. Einz.) durch
Agrippina-Kölner Lloya
XXXII*
— 488 —
See -Gilde, Hamburg, nach dem Muster von Lloyds unter Beteiligung von
Waren- und Schiffahrtsfirmen,
Transport- Versicherung nahmen auf
Aacnen u. Münchener Feuer- Vers.-A.-G.
Württemberg. Feuer- Vers.-Ges.
Gladbacher Versich.-Ges.
Badische Feuer- Versich.-Bank
Thuringia durch Angliederung der Fortuna Allg. Vers.-A.-G.
Die Beweggründe für diese Erweiterungen sind oben schon gestreift. Es
spricht in erster Linie der Wunsch der deutschen Versicherer mit, nach dem
Ausscheiden der großen englischen Konkurrenz, die im Frieden im deutschen
und im internationalen Geschäft eine erste Rolle spielte, diese Lücken auszufüllen,
und auf den nach dem Kriege zu erwartenden Risiken ein eigenes Geschäft auf-
zubauen. Aber schon hier ergibt sich ein Einwand. So sehr der Ruf „Los von
London" auch hier Geltung hat, und so warm der Wunsch nach einer Nationali-
sierung des Transportversicherungsgeschäfts zu unterstützen ist, ebenso sehr muß
man auf der anderen Seite fragen, ob gerade in der Transportversicherungsbranche
zu weitgehende Verlangen in dieser Richtung dauernd Aussicht auf Erfüllung
haben. Die Transportversicherung hat von jeher einen stärkeren internationden
Charakter gehabt als andere Versicherungszweige, und sie wird ihn wohl auch
nach dem Kriege nicht ganz abstreifen können. Das ist auch der Grund dafür
gewesen, daß die Transportversicherung, um ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber
dem Ausland durch umständliche und zeitraubende Formalitäten nicht zu er-
schweren, dem Aufsichtszwang des Kaiserlichen Aufsichtsamtes nicht unterstellt
wurde, und nach meinen Informationen künftig auch nicht unterstellt werden
wird. Man weiß aus der Zeit vor dem Krieg, daß es in Deutschland für einzelne
Risiken (besonders Schiffsrumpf) an Deckungs- und Rückdeckungsmöglichkeit
fehlte, und daß in solchen Fällen ausländische, vor allem englische Versicherer
eintraten ; wie gelegentlich auch für große englische Risiken deutsche Versicherer.
In Fachkreisen ist man vielfach der Meinung, daß sich hierin auch nach dem
Krieg die Bedürfnisse allmählich wieder berühren werden. In einer kürzlichen
Versammlung des im Vorjahre gegründeten Versicherungswissenschaftlichen Ver-
eins in Hamburg hat man sich dahin ausgesprochen , daß der gegenseitige Gre-
schäftsbetrieb auch weiter, allerdings gegen eine Sicherheitsleistung, gestattet werden
soUte. Aber bei allem Zutrauen zu der Tüchtigkeit von Handel und Industrie
und bei aller Hoffnung auf die Regsamkeit der deutschen Schiffahrtskreise wird
schon der stark verminderte und nur allmählich durch Neubauten wieder auf den
alten Stand zu bringende Raumgehalt eine Einschränkung bedingen. Gegenüber
der Seeversicherung spielt doch die Binnentransportversicherung eine untergeord-
nete Rolle. Ob der nach dem Friedensschluß von der Entente angedrohte Ge-
schäftskrieg wirklich so hitzig durchgeführt werden wird, wie er jetzt gemeint ist,
mag man bezweifeln, aber sicherlich ist damit zu rechnen, daß der deutsche Außen-
handel mit zahlreichen Erschwerungen zu rechnen haben, daß er nur langsam
wieder in Gang kommen wird, daß auch aus anderen Gründen die Frage der
Einfuhr große Schwierigkeiten bieten dürfte. Die Risiken selbst werden nacn dem
Krieg unvergleichlich viel schlechter sein als vorher. Das reine Kriegsversicherungs-
geschäft hat in der letzten Zeit allerdings bessere Resultate geliefert, dagegen
waren die Verdienste in der Seetransportversicherung geringer. Durch die Vor-
schrift, daß die Dampfer innerhalb bestimmter Routen in der Nähe der Küste
fahren müssen, wird die Gefalir einer Strandung erheblich vergrößert, und bei
dem schlechteren Zustand der Schiffe, ihrer in den meisten Fällen schweren
Ladung und bei der unter jetzigen Verhältnissen stark verkürzten Möglichkeit
baldiger Abschleppung bedeutet heute eine Strandung, die im Frieden einen ge-
ringen Teil Verlust verursacht hätte, fast immer einen Total verlust für die Ver-
sicherungsgesellschaft. Die stark gestiegenen Kosten für Bergung und Reparatur
sind vielfach so hoch, daß man den Dampfer liegen läßt und auf Abschleppung
verzichtet. Die Preisteuerung, die durch den Rückgang unserer Valuta hervor-
gerufen ist, kommt hinzu. Auch nach dem Kriege werden diese Erschwernisse
zunächst noch andauern, und auch das Risiko wird sich nur langsam vermindern.
Der alte Stamm bewährter Seeleute ist durch Kriegsverluste unzweifelhaft reduziert
worden, die Schiffe haben durch langes 'Aufliegen gelitten, beseitigte Schiffs-
- 489 -
zeichen müssen neu angelegt werden , und die Minengefahr wird durchaus nicht
sofort mit Friedensschluß beseitigt sein, sondern noch auf lange Zeit hinaus
dauernde Gefahren in sich bergen, und zwar nicht nur für die Schiffe, sondern
auch für die Versicherer. Ob demgegenüber die künftigen Prämiensätze einen
vollen Ausgleich bieten werden, ist bei der künftigen Vielzahl der Versicherer
und bei dem Mangel an Geschlossenheit durchaus nicht sicher. Aus Eeeder-
kreisen, deren Ansicht in diesem Punkt naturgemäß den Transport Versicherungs-
gesellschaften entgegengesetzt sein muß, hört man trotz der augenblicklich recht
guten Frachtgewinne schon vielfach Klagen über zu hohe Prämien sätze; das er-
klärt auch das früher vorhandene Bestreben der Keeder, Einfluß in der Verwaltung
einzelner Versicherungsunternehmen zu gewinnen, bildet ferner wohl den tieferen
Grund für manche der Neugründungen (Atlantic Vers.-A.-G., Seegilde!). Von
denjenigen Gesellschaften, die sich zur Aufnahme der Transportversicherung er-
mächtigen ließen, wollen zwar nur einzelne das direkte Geschäft aufnehmen, aber
ob die anderen, die sich nach bisheriger Mitteilung nur gelegentlich betätigen
wollen, daran für lange festhalten, weiß man nicht. Da im Gegensatz zu anderen
Branchen in der Transportversicherung nur einzelne Eisiken tarif arisch geregelt
sind, ist die Gefahr einer stark vermehrten Konkurrenz und damit stark gedrück-
ter Prämien nicht von der Hand zu weisen. Dabei würden vermutlich die neuen
Gesellschaften, denen erfahrungsgemäß nicht sofort die besten Risiken zufließen,
weniger günstig abschneiden , als die alten , mit starken Reserven ausgestatteten
Unternehmen.
Auch auf einige andere Gesichtspunkte ist noch hinzuweisen. Die Rechts-
lage über manche im Kriege entstandenen, teilweise sehr beträchtlichen Schadens-
fälle ist noch ungeklärt. Man weiß nicht, ob vor dem Krieg abgeschlossene Ver-
träge, für die im Krieg die Schadenspflicht eintrat, zu erfüllen sind oder nicht,
hat auch keinen Anhalt dafür, wie sich die Versicherungsgesellschaften gegenüber
den durch die feindlichen Regierungen aufgehobenen Verträgen verhalten sollen.
Das gilt zwar mehr für die bestehenden Gesellschaften, für die aber ist das Vor-
handensein und das Fortbestehen der 1914 und 1916 gegründeten beiden Ver-
sicherungsgesellschaften besonderer Art, die neben und mit den privaten Assekura-
teuren arbeiteten , für die künftigen Aussichten der Transportversicherung von
größter Bedeutung. Vielleicht kann man einen weiteren Grund für die jetzige
Ausdehnung der privaten Versicherung in dem Wunsch mancher Versicherer
sehen , diese beiden Unternehmen , die sich während des Krieges als notwendig
erwiesen, für die Zeit nach dem Kriege dadurch überflüssig zu machen, daß man
die private Versicherung selbst genügend stärkt.
Ueber die Unterbringung der Großrisiken in der Trans-
portversicherung schreibt die „Frankfurter Zeitung":
Wie man trotz unverminderten Fortgangs des Weltkriegs auf den ver-
schiedensten Gebieten von Industrie und Handel in Deutschland bereits emsig
Vorkehrungen trifft für die künftige Friedenszeit und wie man bestrebt ist, Vor-
aussetzungen zu schaffen, um den Uebergang zu ihr möglichst zu erleichtern, so
ist man auch im Versicherungsgewerbe bemüht , diese Bestrebungen nach Mög-
lichkeit zu unterstützen. Die Tange Dauer des Krieges und die Abschnürung
Deutschlands von ausländischer Zufuhr wird es mit sich bringen, daß sich nach
dem Kriege eine lebhafte Einfuhrbewegung geltend machen wird, um erforder-
liche Güter und Materialien beizuschaffen, und man wird außerdem bestrebt sein,
die zurückgehaltene Ausfuhrtätigkeit möglichst rasch wieder in Gang zu bringen.
Namentlich von und nach Uebersee wird ein starker Verkehr zu erwarten sein.
Das wird bedingen, daß den deutschen: Transportversicherungsgesellschaften in
der Seetrau sport Versicherung erhöhte Aufgaben und erhöhte Risiken erwachsen
werden, zumal, wenigstens in erster Zeit nach dem Kriege, Rückversicherung im
Auslande nur in gegen früher wesentlich eingeschränkterem Umfange wird ge-
nommen werden können. Diesen vermehrten Aufgaben gegenüber waren die
deutschen Transportversicherungsgesellschaften in letzter Zeit hemüht, sich mehr
noch als bisher stark und leistungsfähig zu machen. Das löste eine eifrige Zu-
sammenschlußbewegung aus. Daneben ging Hand in Hand eine verstärkte Grün-
dung neuer Transportversicherungs-Gesellschaften. Jedenfalls glaubt sich die
deutsche Transportversicherung in Zukunft auch großen Aufgaben gegenüber
— 490 —
durchaus gewachsen, und sie sucht durch eine gegenseitige Fühlungnahme der
einzelnen Konzerne ihre Leistungsfähigkeit noch zu erhöhen. Nach unseren In-
formationen wurde zu diesem Zwecke von den deutschen Transportversicheruugs-
gesellschaften eine Kommission eingesetzt, die sich mit der gemeinsamen Be-
handlung und richtiger Verteilung großer Risiken in der Zukunft befassen soll.
Außerdem wurde mit den Feuerversicherungsgesellschaften eine Verständigung
erzielt, wonach sich auch diese künftig an den großen Transportrisiken beteiligen
werden, unter diesen Umständen ist in Deutscnland ein Ausbau der Transport-
versicherungsmacht zustande gekommen, die auch den weitgehendsten Anforde-
rungen ßecnnung zu tragen in der Lage sein wird. Die vorerwähnte sogenannte
„Großrisiken-Kommission" hat die Aufgabe, feste Tarifsätze für die hauptsäch-
lichsten Stapelartikel, wie Erze, Metalle, Baumwolle, Getreide usw. festzustellen.
Sie ist gegenwärtig mit dieser Aufgabe befaßt ; ihre Arbeiten sind aber noch nicht
zum Abschluß gelangt. Es ist wohl anzunehmen, daß die Kommission in nicht
zu ferner Zeit zu bestimmten Vorschlägen kommen und daß durch die Ab-
machungen dem deutschen Transportversicherungswesen eine Unterlage gegeben
wird, die, auch ohne ausländische Beihilfe, alle Anforderungen zu tragen vermag.
Gegen die deutschen Seeversicherungsgesellschaften
in Amerika hat Präsident Wilson eine Bekanntmachung erlassen,
wonach ihnen die weitere Tätigkeit in den Vereinigten Staaten unter-
sagt und den amerikanischen Versicherungsgesellschaften die Rück-
versicherung mit ihnen verboten wird. Die Zahlungen auf Grund der
bestehenden Verträge werden während des Krieges aufgehoben, aus-
genommen, wenn es sich um jetzt auf der See befindliche Schiffe handelt.
Die diesjährige ordentliche Generalversammlung der Vereinigung
der in Deutschland arbeitenden Privat-Feuerversicherungs-
gesellschaften hatte sich in erster Linie mit verschiedenen mit
dem Kriegszustande zusammenhängenden Fragen, welche für das deutsche
Feuerversicherungswesen von Bedeutung sind, zu beschäftigen. Für die
Vorratsversicherungen der Kriegsgesellschaften, welche
mit dem Speditionsamte der Kriegsrohstoff gesellschaften in Verbindung
stehen, wurden besondere Vergünstigungen in Aussicht gestellt, ebenso
für Versicherungen von Lebensmitteln der Heeresverwaltung der preußi-
schen Armeekorps in verschiedenen Privatlägern , sofern die Versiche-
rungen ohne Inanspruchnahme von Vermittlern bei der Gesamtheit der
interessierten Vereinigungsgesellschaften geschlossen werden.
Das Speditionsamt der KriegsrohstoffgeseUschaften ist jedoch trotz des zum
Teil außerordentlich und außergewöhnlich großen Umfanges des einzelnen ßisikos
zur Selbstversicherung geschritten, während bezüglich der Versicherungen von
Lebensmitteln der Heeresverwaltung in Privatlägern ein Uebereinkommen mit
der zuständigen Stelle getroffen wurde. Was die Kisiken der Kriegsgesellschaften
im allgemeinen angeht, wurde von der Vereinigung mehrfach darauf hingCAviesen,
daß es im Interesse der Erhaltung der Vorräte, welche zurzeit für die deutsche
Volkswirtschaft und die Lebenshaltung des Heeres und der Einwohner von großer
Wichtigkeit sind, mehr als bisher zu vermeiden ist, große Werte an einer Stelle
— zumal in leichtgebauten Gebäuden — anzuhäufen und sie dadurch der Gefahr
leichterer Vernichtung im ßrandfalle auszusetzen.
Das Geschäft im Auslande, besonders im überseeischen Gebiet, der deutschen
Feuerversicherungsgesellschaften vor dem Kriege ist relativ nicht allzu lunfang-
reich gewesen, einzelne Gesellschaften haben jedoch seit langen Jahren im neutralen
Auslande wichtige, bewährte Niederlassungen; es wird späterhin ihre Aufgabe
sein, dieselben nach Möglichkeit zu stützen und zu erhalten und etwa durch die
Kriegs Verhältnisse zerstörte Beziehungen wieder aufzubauen.
Nach der von dem Versicherungsstatistiker Iranja gelieferten Zu-
sammenstellung des Neugeschäfts in der deutschen und öster-
— 491 —
reichisch-ungarischen Lebensversicherung weist, wie das
„Neue Wiener Tageblatt" berichtet, die Gresamtheit der Versicherungs-
gesellschaften folgenden Neuzugang aus :
Deutsche Gesellschaften Oest.-ung. Gesellschaften
1913 i]734 000 000 M. Vers.-Kap. 975000000 K. Vers.-Kap.
1914 1260000000 „ „ 743000000 „ „
1915 527000000 „ „ 284000000 „
1916 617000000 „ „ 344000000 „ „
Aus diesen Ziffern ist abzuleiten, daß bei den deutschen Gesell-
schaften der Neuzugang in den Jahren 1914 73 Proz., 1915 30 Proz.^
1916 35 Proz. desjenigen des letzten Friedensjahres 1913 betragen hat,
Bei den österreichisch-ungarischen Gesellschaften betrug der Neu-
zugang in den Jahren 1914 76 Proz., 1915 29 Proz., 1916 35 Proz.
desjenigen des letzten Priedensjahres 1913.
Diese Verhältniszahlen sind bemerkenswert; sie zeigen eine nahezu
vollständige Uebereinstimmung in der Entwicklung der Lebensversiche-
rung während des Krieges in den verbündeten Staaten; sie erweisen
aber auch, daß der Energieaufwand, mit dem die heimischen Lebens-
versicherer die abträglichen Einflüsse des Krieges auf die Fortentwick-
lung der Produktion bekämpft haben, kein geringerer war als der in
Deutschland betätigte.
Ueber französische Tontinengesellschaften im Kriege,
deren Versicherte im Laufe des gegenwärtigen Ki-ieges sehr trübe Er-
fahrungen gemacht haben, berichtet die „Oest. Vers.-Zeitg." :
Die französischen Tages- und Fachblätter erhalten fortwährend Briefe von
Versicherten von Tontinengesellschaften — bekanntlich ist dies eine der belieb-
testen Formen der Lebensversicherung in Frankreich — die sich darüber be-
schweren, daß die am 31. Dezember 1916 fälligen Tontinenauszahlungen nicht
erfolgten. Ihnen geht es nicht besser als den Tontinenmitgliedern, die bereits
seit Ende 1914 auf ihre Auszahlungen warten. Anstatt Geld wird ihnen im
günstigsten Falle französische Staatsrente als Abschlagszahlung geboten und
Tange Zirkulare, in welchen sich die Tontinengesellschaften entschuldigen, ihren
statutarischen Verpflichtungen nicht nachzukommen, sondern sie erst nach Be-
endigung des Krieges erfüllen zn können. Einige Tontinengesellschaften sind je-
doch bemüht, den Wünschen ihrer Mitglieder wenigstens in der Richtung ent-
gegenzukommen, daß sie ihnen Teilzahlungen anbieten. So z. B. offeriert die
Mutuelle de France et des Colonies für je 600 frcs. Gesamteinzahlungen einen 3-
proz. Rentenschein, der 18 frcs. jährliche Rente trä^t und gegenwärtig einen Wert
von rund 360 frcs. hat; die Mutuelle Lvonnaise bietet eine Eisenbannschuldver-
schreibung im Werte von ca. 323 frcs. ; der Conservateur für eine Einzahlung von
2320 frcs. einen Rentenschein über 40 frcs. jährliche Rente, im Werte vod ca.
800 frcs., während speziell diese Gesellschaft einst ihren Versicherten das Drei-
fache des eingezahlten Kapitals in Aussicht stellte. Und dabei werden diese Renten-
titres nicht gleich, sondern erst nach Monaten ausgefolgt, wobei den Versicherten
oft mitgeteilt wird, daß weiteres Mahnen wegen früherer Auszahlung nicht er-
füllt werden könne und daher nutzlos sei. — Bei einer anderen Pariser Gesell-
schaft, der „Mondiale", haben die Versicherten während des Krieges die Ent-
deckung gemacht, daß die Gesellschaft erst „nach Einstellung der Feindsehgkeiten"
in jenen Ländern, in denen sie arbeitet, verpflichtet ist, irgendwelche Zahlungen
zu leisten. Vor dem Kriege war nur davon die Rede, daß die Versicherten der
„Mondiale" während eines Krieges keine Prämien zu bezahlen brauchten, was
ihnen natürlich recht gut paßte, aber es wurde ihnen nicht gesagt, daß auch
die Gresellschaft die fälligen Vericherungen nicht auszuzahlen brauchte. Gegen-
über diesen ungeregelten Verhältnissen bei vielen französischen Versicherungsge-
sellschaften genügt der Hinweis auf die strenge Erfüllung ihrer VerpfÜchtungen
bei den Lebensversicherungsgesellschaften in Deutschland und Oesterreich.
— 492 —
In einem in der „Frankfurter Zeitung" über engliche Wirtschafts-
probleme - erschienenen Berichte finden sich über den englischen
Versicherungsmarkt folgende einer englischen Quelle entnommenen
Mitteilungen : Was die äußerst angespannten Verhältnisse für Konsequen-
zen auslösen, läßt sich am besten am Versicherungsmarkt beobachten.
Fast alle Prämien gegen Feuer, Betriebsschäden usw. sind heute um 50 bis
100 Proz. erhöht worden. Feuerschäden in Lagerhäusern und Fabriken
sind anhaltend häufig und schwer — ein Zustand, der als Symptom der
sozialen und industriellen Desorganisation gelten kann. Ebenso wie
eine ungeheure ßaupenseuche im Hochland von Derbyshire zurückge-
führt wird auf den Bruch mit alten Sitten infolge des Krieges, eben-
so sind die Verwendung inferiorer Arbeitskräfte, die Lockerung der
Disziplin, das Heißlaufen der Transmissionen und die Verwendung
schlechten Oels Kriegsfolgen und Ursachen der vielen Schadenfeuer ....
In der Tat — der Krieg ist .überall !
Nach „Fairplay" hat der vor einiger Zeit aufgetauchte Plan, in
London ein Clearinghouse für das Versicherungsge-
schäft zu errichten, heftige Kritik gefunden, und der Plan wurde
dann aufgegeben.
Nun ist die Angelegenheit unlängst in Eom beraten worden, und der Ab-
geordnete W. W. Rutnerford hat einen Bericht darüber geliefert. Darin wird
vorgeschlagen, einen Versicherungs verband aller Verbandsländer zu errichten, um
die gesamten Versicherungsfragen in allen ihren Erscheinungen in sämtlichen
Verbandsländern zu lösen. Die Angelegenheit in dieser Frage zu erörtern, ist
durch die ungewöhnliche Art, in der Deutschland sein Versicherungsgeschäft
aufrechtzuerhmen sucht, hervorgerufen. Das im Ausland tätrge deutsche Ver-
sicherungswesen ermöglicht es nämlich der Berliner Regierung, über die Ver-
sicherungssätze und die Lage einzelner Handelszweige und Gewerbetreibender
und über die Preisbewegungen Nachrichten zu erhalten, die zur Förderung
deutscher Interessen benutzt wurden. Nicht weniger als 47 deutsche Rückver-
sicherungsesgellschaften gibt es, die einen großen Teil des Versicherungsgeschäfts
in Italien, Rußland und Rumänien beherrschten. Nachdem aber nun die Ver-
bündeten gemerkt haben, wie sie in früheren Zeiten ausgebeutet worden sind, wird
es für sie nötig sein, Schritte zu unternehmen, um denselben Fehler für die Zu-
kunft zu vermeiden.
2. Sozialversicherung.
In Heidelberg hat die diesjährige Vollversammlung der
deutschenLandesversicherungsanstalten stattgefunden. Es
wurde dabei eine Entschließung angenommen, in der es u. a. heißt:
„In der Einrichtung der Beratungsstelle für Geschlechtskranke
wird ein wichtiges und für die Zukunft vielversprechendes Mittel er-
blickt, um dieser Volksseuche Herr werden zu können. Die Tätigkeit
der Beratungsstellen muß sich auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit
mit Krankenkassen und Aerzten aufbauen. Um einem Abwandern der
Geschlechtskranken zu Nichtärzten vorzubeugen, erachtet die Versamm-
lung es einstimmig für dringend erforderlich, daß die Behandlung Ge-
schlechtskranker durch Nichtärzte (Kurpfuscher) oder auf schriftlichem
Wege durch Reichsgesetz verboten wird."
Gleichfalls einstimmige Annahme fand folgender Antrag:
„Der seit 1901 in verstärktem Umfange eingetretene Geburten-
rückgang fordert unabweislich, daß ohne jeden weiteren Verzug in groß-
— 493 —
zügiger Weise mit wirksamen Mitteln eingegriffen werde. Soweit es
sich dabei um eine Minderung der wirtschaftliclien Nöte der kinder-
reichen Familien, darunter insbesondere auch der Wohnungsnot, und
um eine Beeinflussung der Lebensauffassung der versicherungspflichtigen
Bevölkerung handelt, ist bei einem zweckentsprechenden Ausbau der
Sozialversicherung von deren als Stützen der Volkskraft bewährten
Trägern eine erfolgreiche Tätigkeit zur Bekämpfung des Geburtenrück-
ganges zu erwarten.
Eine Verminderung der Kapitaldeckung bei der Invaliden- und
Hinterbliebenenversicherung und der Ersatz der außerordentlich kost-
spieligen besonderen Angestelltenversicherung durch einen den Be-
teiligten sofort Hilfe bringenden Ausbau der allgemeinen Invaliden- und
Hinterbliebenenversicherung werden geeignete Wege bieten, um die
Tragung der neuen Lasten zu erleichtern."
Der vom bayerischen Verkehrsministerium ausgearbei-
tete Entwurf, der auf dem Wege sozialer Versicherung, und zwar durch
Kinderzulagenversicherung, Hinterbliebenen- und Kapitalver-
sicherung, die mißliche Lage der Beamten heben will, wird im nächsten
Landtag vorgelegt werden.
Ueber die Versicherungspflicht polnischer Arbeiter
erläßt die Landesversicherungsanstalt Brandenburg folgende Bekannt-
machung:
Die polnischen Arbeiter ehemals russischer Staatsangehörigkeit können seit
dem 5. November 1916, dem Tag der Errichtung des Königreichs Polen, nicht
mehr als Angehörige eines feindlichen Staates angesehen werden. Sie unterliegen
daher von dem genannten Zeitpunkt ab wie Inländer dem Versicherungszwange
ohne Kücksicht darauf, ob sie bei Beginn des Krieges hier zurückgehalten oder
erst später freiwillig zur Arbeitsleistung hergekommen sind. Für sie sind deshalb
— soweit sie nicht schon vorher als freie Arbeiter dem Versicherungszwange unter-
lagen — in versicherungspflichtiger Beschäftigung jedenfalls vom 5. November
1916 ab durchweg Versicherungsmarken in Quittungskarten zu verwenden, auch
wenn sie in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt werden. Die
Bestimmung aus dem Jahre 1901, wonach für russisch-polnische Zeitarbeiter in
der Land- und Forstwirtschaft vom Arbeitgeber nur die halben Beiträge in bar
an die Versicherungsanstalt zu entrichten sind, findet auf die Angehörigen des
Königreichs Polen keine Anwendung mehr. Sie besteht dagegen noch für die
österreichisch-polnischen land- und forstwirtschaftlichen Zeitarbeiter weiter, von
deren Beschäftigung daher die Arbeitgeber wie bisher der Versicherungsanstalt
Anzeige zu erstatten haben. — Was die Angehörigen feindlicher Staaten anlangt,
so werden sie regelmäßig dann als freie Arbeiter von der Invalidenversicherung
erfaßt, wenn sie nicht auf Grund von Maßnahmen der deutschen Heeresverwaltung
zum Zwecke ihrer Beschäftigung nach Deutschland gekommen oder übergeführt
und auch nicht interniert worden sind.
Das österreichische Abgeordnetenhaus hat nach Entgegennahme
des Berichts des Sozialversicherungsausschusses über eine Regierungs-
vorlage betr. die Abänderung einiger Bestimmungen der Arbeiter-
unfallversicherung diese angenommen.
Via. Geld, Kredit, Währung.
Inhalt: 1. Der internationale Geldmarkt und die Entwicklung
in den wichtigeren Ländern während des Monats Juli.
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung, a) Banken im In- und
Auslande, b) Kreditwirtschaftliche Maßnahmen in Deutschland und
— 494 —
den besetzten Gebieten Belgiens, Russisch-Polens, England, den Niederlanden, den
Ver. Staaten von Amerika, c) Bargeldloser Zahlungsverkehr in Deutsch-
land und den besetzten Gebieten Russisch- Polens, d) Börsen wesen in Deutsch-
land, Oesterreich- Ungarn, e) Währungs- und Notenbankwesen in Deutsch-
land und den besetzten Gebieten Rußlands, Bulgarien, den Niederlanden und
den von Oesterreich- Ungarn verwalteten besetzten Gebieten Polens und Serbiens,
Schweden, den Ver. Staaten von Amerika, Argentinien, Britisch-Indien, Kolumbien,
Mexiko, Venezuela.
3. Statistik. Uebersicht über den Stand der hauptsächlichen
Notenbanken und der Bankzinssätze.
1. Der internationale Geldmarkt und die Entwicklung
in den wichtigeren Ländern während des Monats Juli.
Die auf verschiedene Gründe zurückzuführende Erschwerung der
Zufuhr von Lebensmitteln und Rohstoffen in die neutralen Länder übte
auch auf den internationalen Geldmarkt ihre Wirkung aus.
Bei der immer stärker hervortretenden Neigung der neutralen europäischen
Länder, Goldrimessen zurückzuweisen ^) und ihren Markt dem Kredit-
begehr der kriegführenden Länder zu verschließen, war die bisher noch
vorhandene Wareneinfuhr aus den Verbandsländern für diese der wich-
tigste Aktivposten 2) ihrer passiven Zahlungsbilanz gegenüber den Neu-
tralen gewesen. Der Wegfall dieses Aktivpostens führte daher — trotz
der kräftigen finanziellen Hilfe der Vereinigten Staaten S) — zu einer
weiteren Entwertung der Devisenkurse der Verbandsländer
einschließlich der Union. Während des Berichtsmonats vollzog sich
diese Entwertung in einem bisher noch nicht beobachteten Ausmaß.
Die Verschlechterung betrug für die Devisen der wichtigeren krieg-
führenden Staaten :
in Amsterdam
Proz.
für die Devise Englands i,s
„ „ „ Frankreichs i,i
„ „ „ der Ver. Staaten i,2
„ „ „ Deutschlands i,7
Aus der Tabelle geht gleichzeitig hervor, daß sich die deutschen
Wechselkurse zwar ebenfalls weiter verschlechterten, daß ihre Ent-
wertung jedoch, von Amsterdam abgesehen, in langsamerem Tempo vor
sich ging als die der Devisen der Verbandsländer ^). Auch für ver-
in Stockholm
in Zürich
Proz.
Proz.
7,3
5,ä
6,7
5,1T5
7,5
5,5
4,5
4,5
1) So setzte z. B. die Bank von Spanien den Ankaufspreis für Golddollars auf
4,90 Pesetas (5,4 Proz. Disagio bei einer Parität von 5,18 Pes. für 1 $), für Sovereigns
auf 24,75 Pesetas (1,9 Proz. Disagio bei einer Parität von 25,22 Pes. für 1 £ Stlg.) herab.
2) Vgl. „The Statist" vom 4. August 1917, S. 178.
3) Die von uns auf S. 352 vertretene Ansicht, daß die Verbandsländer ohne das
Eingreifen der Vereinigten Staaten hinsichtlich der Begleichung ihrer Auslandsver-
pflichtungen bald zusammengebrochen wären, wird durch die Aeußerungen Bonar Laws
im Unterhaus vom 24. Juli und der englischen Presse bestätigt (vgl. „Statist" vom
4. August, S. 191, „Fairplay" vom 2. August). Nach „The Economist" vom 11. August,
5. 199 hatten die Verbandsmächte vor der Kriegserklärung Amerikas hier 2381 Mill. $
Anleihen, außerdem etwa 100 Mill. $ Bankkredite erhalten; bis zum 2. August 1917
kamen alsdann insgesamt 1868 Mill. $ Kredite hinzu.
4) Vgl. die wertvollen Ausführungen des holländischen Finanzministers Treub in
seiner Schrift über „Die wirtschaftliche Zukunft Hollands". In dem Abschnitte „Die
Warenpreise nach dem Kriege" wird die Entwertung der Wechselkurse aller krieg-
— 495 -
schiedene neutrale Länder spitzte sich das Devisenproblem immer
schärfer zu^).
Der deutsche Geldmarkt zeigte wieder das gewohnte Bild
großer Geldflüssigkeit. Die restlichen Einzahlungen auf die 6. Kriegs-
anleihe gingen unbemerkt vonstatten 2). Der Privatdiskont wurde
unverändert mit 4^8 Proz. und darunter notiert. Die Sätze für täg-
liches Geld und Ultimogeld stellten sich etwas niedriger als im
Vormonat.
Im Ausweis der deutschen Reichsbank war ein weiterer —
zweiter — Rückgang des Gold Vorrats (um 56,2 Mill. M in der dritten
Juliwoche) bemerkenswert 3). Demgegenüber hat sich der Silbervorrat
durch Rückflüsse aus dem Verkehr infolge der verfügten Außerkurs-
setzung der Zweimarkstücke um 12 Mill. M erhöht. Die Steigerung
der Anlage um 188, .8 Mill. M wurde durch eine entsprechende Zunahme
der fremden Gelder fast wettgemacht.
Auf dem englischen Geldmarkte setzte sich — namentlich
im Zusammenhang mit dem Fälligwerden und dem Neuabsatz von treasury
bills *) — das Wechselspiel von Geldflüssigkeit und Geldknappheit fort,
das schon für die letzten Monate charakteristisch gewesen war. Die
ungelösten Fragen der Wechselkurse^) und der niedrigeren Zinssätze
verursachte weiter große Sorge ^), zumal die Entwicklung des Geldmarktes
der Vereinigten Staaten wenig befriedigte.
führenden Länder gegenüber Holland darauf zurückgeführt, daß die Einfuhr aus Holland
in jene Länder größer ist als die Ausfuhr der Länder nach Holland und daß die
Differenz wegen der bestehenden Goldausfuhrverbote oder wegen tatsächlicher Erschwerung
der Goldausfuhr (England) nicht in Gold beglichen werden kann. Die neutralen Länder
Holland, Schweden usw. hätten daher keine Veranlassung, sich gegen die Hereinnahme
von Gold zu sperren, sie brauchten keine Ueberschwemmung mit Gold zu fürchten.
(Vgl. auch die holländischen „Ec. Stat. Berichten" vom 1. August, S. 567/8, und „Statist"
vom 4. August, S. 178.)
1) Die Schwierigkeiten Hollands in der Bezahlung der Holzeinfuhr aus Schweden
führten schließlich dazu, daß den holländischen Importeuren die Einfuhr von ihrer Re-
gierung nur noch gestattet wurde, wenn sie eine Bezahlung in holländischer Valuta
ausbedangen. — Zwischen Holland und der Schweiz wurden die Schwierigkeiten erst
nach längeren Verhandlungen behoben und zwar durch eine Goldausfuhr von 2.5 Mill. fl.
— Das Disagio der dänischen Krone in Schweden stieg auf 12 Proz.
2) Das Reichsschatzamt brachte einen weiteren Kriegskredit von 15 Milliarden M
ein; der Gesamtbetrag der Kredite stieg damit auf 94 Milliarden M.
3) Das Reichsbankdirektorium hat beschlossen, die Abgabe von Rohgold zur Her-
stellung echter Inlandswaren ganz einzustellen.
4) Die Summe der ausstehenden Schatzwechsel erhöhte sich von 652 Mill. £ (am
30. Juni) auf 758 Mill. £ (am 4. August) ; unter diesen Umständen wurde mehrfach die
Auflegung einer neuen Anleihe empfohlen (vgl. „Statist" vom 21. Juli, S. 84).
5) Anscheinend um die Einwirkung des Tauchbootkrieges auf die Außenhandels-
statistik abzuschwächen, enthält die englische Statistik für Juli zum ersten Male auch
die Regierungseiu- und -ausfuhren mit Ausnahme der Ausfuhren für die Zwecke der
Heere auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen („Econ." vom 18. August, S. 236).
6) Der eben erst auf 472 Proz. herabgesetzte Zinsfuß für 3- und 6-monatige Schatz-
wechsel mußte schon am 3. Juli wieder auf 4^^ Proz. erhöht werden, da der Verkauf
bei dem niedrigen Satze und wegen des Abflusses von Guthaben nach dem Ausland
nur schlecht vonstatten ging. Am 16. Juli mußten 1 Mill. £ einjähriger "Wechsel der
Stadt Moskau erneuert werden. Die Verlängerung der ursprünglich 4^/3 -proz. Wechsel
erfolgte zu einem Zinssatz von 7 V2 Pioz. bei einem Kurse von 92 Y, Proz. — Am
— 40 —
Der Privatdiskontsatz schwankte zwischen 4^/gUnd 4^%^ Proz.
und stellte sich im Monatsdurchschnitt ein wenig höher als im Juni.
Tägliches Geld war dagegen im allgemeinen etwas billiger als im
Vormonat — durchschnittlich zu 3,8 Proz. (gegen 3,9 Proz.) — zu er-
halten.
Der Status der Bank von England zeigte eine beträchtliche
Verminderung des Barvorrats (um 5,079 Mill. £). Die Anlagen erhöhten
sich um 15,598 Mill. £, die fremden Gelder im Zusammenhang damit
um 9,266 Mill. £. Der Zahlungsmittelbedarf war wieder besonders
stark und ließ den Betrag der ausstehenden currency-notes um
nahezu 6,9 Mill. £ auf 168,5 Mill. £ anwachsen.
Der Londoner Silberpreis erreichte mit 41 V4 d für die
Standardunze (am 16. Juli) einen seit März 1892 in dieser Höhe nicht
mehr bekannt gewordenen Stand ^).
Auf dem französischen Geldmarkt traten im Berichtsmonat
insofern keine erheblichen Veränderungen ein, als die Auflegung einer
großen festen Anleihe, die angesichts der Höhe der nur kurzfristig ge-
deckten und der bisher jeglicher Deckung entbehrenden Staatsschuld
wünschenswert erschien und in der gesamten Finanzpresse seit Monaten
lebhaft erörtert worden war, weiter vertagt wurde und man sich mit
kurzfristiger Geldbeschaffung durch Absatz von Nationalverteidigungs-
wechseln behalf 2). Besondere Aufmerksamkeit mußte der Präge der
Wechselkurse 3) geschenkt werden, ein Beweis für die Wirkungslosig-
keit der amerikanischen Hilfe. Durch Verordnung vom 6. Juli 1917
wurde eine besondere „Commission des changes" geschaffen, auf deren An-
regung zweifellos die neuen gesetzlichen Bestimmungen zur Regelung
des Devisenverkehrs zurückzuführen sind (Identitätsnachweis des De-
visenkäufers, Register- und Anmeldepflicht des Devisenhändlers)*).
Der Status der Bank von Frankreich zeigte im Berichts-
monat eine weitere starke Anspannung. Die Zunahme des Notenum-
laufs betrug fast eine halbe Milliarde frcs ^), die Neubeanspruchung der
26. Juli wurde eine neue Kreditforderung von 650 Mill. £ eingebracht (vgl. „The Eeon."
vom 28. Juli, S. 110). — „The Econ." vom 4. August, S. 151 berechnet die Gesamt-
ausgaben Englands vom 1. August 1914 bis 4. August 1917 auf 5184 Mill. £, von
denen 1252 Mill. £ durch Steuern gedeckt worden sind. Die reinen Kriegsausgaben
betrugen 4584 Mill. £ (darunter Vorschüsse an die Verbündeten 1191 Mill. £).
1) Ernste Gefahr für die indische Währung (vgl. „The Econ." vom 21. Juli, S. 74).
2) Absatz im Mai 1114, im Juni 1011, vom 1. bis 15. Juli 608 Mill. frcs (vgl.
S. 282 Anm. 6).
3) Eine Verordnung des Handelsministers vom 8. Juli unterwirft die Einfuhr
sämtlicher Waren ausländischer Herkunft einer vorherigen Genehmigung (Näheres s.
„ficon. Fran?." vom 14. Juli, S. 47).
4) Vgl. „6con. Fran5." vom 11. August, S. 185.
5) Um den bargeldlosen Verkehr zu fördern, wurde eine Ausdehnung des Pariser
Abrechnungsverkehrs durch die Fusion der Caisse Compensation, Paris, mit der Chambre
de Compensation des Banques de Paris angestrebt, ferner einerseits die Ungültigkeit
teilweise gedeckter Schecks aufgehoben, andererseits die bösgläubige Ausgabe ungedeckter
Schecks mit empfindlichen Strafen bedroht. (Näheres s. .,ficon. Frany." vom 4. August
S. 141.). — Um die thesaurierten Goldmünzen hervorzulocken, wurde vorgeschlagen, das
Goldgeld abzuschaffen (vgl. „Alg. Handelsbl. vom 23. Juli).
— 497 —
Bank durch den Staat 200 Mill. frcs, die durch die Verbündeten
150 Mill. frcs. Die Notenemissionsgrenze der Bank von Algier
wurde durch Gesetz vom 29. Juli 1917 von 500 auf 550 Mill. frcs erhöht.
Die Verhältnisse des russischen Geldmarktes blieben nach
wie vor undurchsichtig. Da die Mittel aus der Freiheitsanleihe, deren
Zeichnungsfrist wieder verlängert wurde, nicht im entferntesten zur
Deckung der laufenden Kriegsausgaben ausreichten, verschaffte sich
der Staat die notwendigen Gelder vorwiegend durch Inanspruchnahme
von Bankkredit und durch vermehrte Notenausgabe. Die sich schnell
fortsetzende außerordentliche Verschlechterung des russischen Rubel-
kurses 1) auf den verbündeten und neutralen Märkten wurde selbst durch
starke Goldabgaben der Russischen Staatsbank und andere
Maßnahmen der Regierung nicht aufgehalten 2).
Der Geldmarkt der Vereinigten Staaten von Amerika
zeigte erneut eine wenig stetige Entwicklung. Der Zinssatz für täg-
liches Geld bewegte sich in wilden Schwankungen. Der Satz stieg
in der Woche vom 14. bis 21. Juli vorübergehend bis auf 10 Proz.
(„Statist" 21. Juli, S. 84) und ging gegen Monatsschluß wieder bis auf
2 Proz. herunter. Die Goldbewegung war trotz der großen Zuflüsse
aus England gegen Amerika gerichtet; ein wesentlicher Teil des ab-
fließenden Goldes ging wieder nach Japan. Um das Banksystem gegen-
über den großen Ansprüchen des eigenen Landes und der Verbündeten
genügend stark zu erhalten, waren die gesetzlichen Deckungsvorschriften
schon durch Gesetz vom 21. Juni zugunsten der Banken wesentlich ge-
mildert worden ^).
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung*).
a) Banken im In- und Auslande.
Es wurden übernommen: von der Bayerischen Disconto- und
Wechselbank, Nürnberg (vgl. S. 118): die Bankfirma S. Hirschmann
1) In London stellte sich der Rubelkurs z. B. am 24. Juli 1917 auf 230 R =
10 £ — Parität 10 £ = 94,576 R — („The Econ." vom 28. JuU 1917).
2) Die Bank von Finnland gewährte dem russischen Staate einen Valutakredit von
100 Mill. F Mark gegen üebergabe einer gleichen Summe russischen Goldes („Dt. Reiehs-
anzeiger" vom 31. Juli 1917). — Die Einfuhr ausländischer Waren wurde nur noch
mit Erlaubnis des Handelsministers gestattet („ficon. Europ." vom 3. August 1917). —
3) Die Notenbanken der 3 Zentral-Reserve-Städte (New York, Chicago und St.
Louis) brauchen hinfort gegenüber ihren sofort fälligen Verbindlichkeifen nur noch
13 Proz. Kassenreserven zu halten (bisher 18 Proz.; vor Erlaß der Federal Reserve
Acts 25 Proz.), für die Reservestädte der Provinz wurden die Pflichtreserven von
15 Proz. auf 10 Proz., für die Banken auf dem flachen Lande von 13 Proz. auf 7 Pro«,
ermäßigt („Alg. Handelsbl." vom 22. Juli 1917).
4) Besondere Abkürzungen: BelgGVBl. = Gesetz- und Verordnungsblatt für die
okkupierten Gebiete Belgiens. — FMBl. = Finanz-Ministerial-Blatt. — ObostBVBl. =
Befehls- und Verordnungsblatt des Oberbefehlshabers Ost. — OestRGBl. = Reichsgesetz-
blatt für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder. — PolnVBl. = Ver-
ordnungsblatt für das Generalgouvernement Warschau. — PostBl. = Amtsblatt des
Reichs-Postamts. — ZZBl. = Zentralblatt der preußischen Verwaltung der Zölle und
indirekten Steuern. — GG. = Generalgouverneur. — GGt. = Generalgouvernement.
— 499 —
Bank Institut A.-G. ; in Tonsberg (Norwegen) mit 3 Mill. Kr die Tons-
berg Kreditbank; in Petersburg mit 5 Mill. Rbl die Polnische Ge-
sellschaft für Entwicklung von Handel und Industrie Polens ; in Madrid
mit 10 Mill. Pesetas die Landwirtschaftliche Bank; in New York mit
2 Mill. $ die American Foreign Banking Corporation; in Bio de Janeiro
der Banco Populär do Rio de Janeiro; in Nictheroy (Brasilien) mit
1000 Contos Kapital der Banco Predial (Hypothekenbank) ; in Hongkong
mit 1 Mill. $ (innerhalb 5 Jahren bis 50 Mill. $) die Industrie- und
Handelsbank Ltd (Notenausgaberecht). — Der kanadische Staat beschloß
die Gründung einer Trade Bank. — In Deutschland und Frank-
reich wird für Gründung besonderer Exportbanken Stimmung
gemacht.
b) Kreditwirtschaftliche Maßnahmen.
In Deutschland und in den besetzten Gebieten wurden
veröffentlicht: 1) V. des BR. zur Ergänzung der V., betr. Liquidation
britischer Unternehmungen, v. 31. Juli 1916 (RGBl. S. 871), v.
12. Juli 1917 (RGBl. S. 603; vgl. S. 51); 2) V. des BR. über zwangs-
weise Verwaltung und Liquidation des inländischen Vermögens landes-
flüchtiger Personen, v. 12. Juli (RGBl. S. 603); 3) V. des BR. über
Verjährungsfristen im Wechselrechte, v. 19. Juli (RGBl. S. 635, vgl.
auch „Nordd. Allg. Ztg." v. 21. Juli, I. Ausg.); 4) Bek. der Haupt-
verwaltung der Darlehnskassen über Zulassung verz. und unverz. Schatz-
anweisungen der Bundesstaaten zur Beleihung bei den Darlehnskassen
(RAnz. V. 16. Juli); 5) Rundschreiben der Reichsbank an die Bankier-
vereinigungen gegen die Auflegung langfristiger Stadtanleihen („Voss.
Ztg." V. 24. Juli); 6) V. des GG. in Belgien, betr. die Anmeldung
des Vermögens von feindlichen Ausländern in Belgien, v. 4. Juli
(BelgGVBl. S. 3962) ; 7) dgl. über Abänderung der V. v. 4. Juli, betr.
die Anmeldung des Vermögens von feindlichen Ausländern in Belgien,
V. 14. Juli (BelgGVBl. S. 4184); 8) dgl. über die Errichtung von
Gesellschaften und die Ausgabe von Wertpapieren , v. 28. Juli
(BelgGVBl. S. 4281); 9) V. des GG. in Warschau, betr. das Verbot
des Handels mit Kriegsanleihen feindlicher Staaten und der Einfuhr
von Wertpapieren aus dem feindlichen oder neutralen Auslande, v.
18. Juli (PolnVBl. S. 264).
Ein Nachtrag zu der englischen schwarzen Liste (vgl. S. 360)
ist in Nr. 65 der „Nachr. f. Handel, Industrie und Landwirtschaft" ab-
gedruckt.
Die Niederländische Ausfuhr-Gesellschaft im Haag ist auf
Grund der am 27. Juli von der 2. holländischen Kammer angenommenen
Gesetzesvorlage (vgl. S. 360) mit 5 Mill. hfl Kapital und dem Recht
zur Ausgabe von 125 Mill. hfl Obligationen gegründet worden.
Laut „Morning Post" v. 5. Juli haben die amerikanischen
Behörden den Banken Auftrag gegeben, die laufenden Konten feindlicher
Ausländer besonders zu überwachen. — Am 11. Juli hat das Repräsen-
tantenhaus die Bill angenommen, die den Handel mit feindlichen Staaten
untersagt.
- 498 -
Söhne, Nürnberg, — von der Bayerischen Vereinsbank, München (vgl.
S. 419) : die Bankfirma Josef Egner, Weißenhorn, — von der Stahl
& Federer A.-G., Stuttgart (vgl. Chr. 1916, S. 888): das Bankhaus
Bernh. Allgoewer, Geislingen a. d. Steige und die Vereinsbank Wildbad
e. G. m. u. H. , Wildbad, — von der Bankfirma Eichborn & Co.,
Breslau, das Bangeschäft Leopold Thamm, Löwenberg, — von der
Mercantile Bank of India Ltd, London, die Bank of Mauritius Ltd,
Port Louis.
Filialen eröffneten: die Bayerische Disconto- und Wechselbank,
Nürnberg (s. oben), in Passau, Straubing und Vilshofen ; die Bayerische
Handelsbank, München (vgl. S. 194), in Krumbach; die Bayerische
Vereinsbank, München (s. oben), in Preising; das Hofbankhaus Max
Mueller, Gotha, in Mehlis ; die Polnische Landes-Darlehnskasse, Warschau
(vgl. S. 289), in Lodz; die Anglo-South American Band Ltd, London
(vgl. S. 119), in Puerto Gallegos und Puerto Descado (Argentinien);
die Bank of British West Africa, London (vgl. Chr. 1916, S. 889), in
Magazan (Marokko); die Colonial Bank, London, in Jos (Nigeria); die
London and Brazilian Bank Ltd, London, in Pelotas (Rio Grande do
Sul, Brasilien); die Standard Bank of South Africa Ltd, London (vgl.
S. 285), in Breyton (Transvaal) ; die Banque frauQaise et italienne pour
TAm^rique du Sud, Paris (vgl. S. 119), in Porto Alegre (Brasilien);
der Banco di Roma, Rom, in Beni-Suef, Maghagha, Mehallet-Kebir,
Mit-Ghamr und Tantah (sämtlich in Aegypten); die Holländisch-Süd-
amerikanische Bank, Amsterdam (vgl. S. 285), in Rio de Janeiro; die
Kaufmannsbank in Odessa — unter Verlegung des Verwaltuugssitzes
nach Petersburg und Aenderung der Firma in Russische Handels- und
Transportbank — in Moskau, London, Paris und Genua. — Ge-
suche der Bank Handlowy, Posen (vgl. Junichronik), und der Bank
Zwiazku Spolek Zarobkowych, Posen (vgl. Chr. 1916, S. 688),
Filialen im Königreich Polen errichten zu dürfen, wurden — nach
Mitteilung der „Bank" S. 684 — vom GG. in Warschau abschlägig
beschieden.
Die Banken und Bankfirmen Thüringens haben sich nach dem
Muster der Berliner Bankenvereinigung (vgl. Chr. 1916, S. 688) zu einer
Vereinigung von Banken und Bankiers für Thüringen
zusammengeschlossen.
Gegründet wurden: in Rustschuk mit 5 (später 10) Mill. Lewa
die Bulgarska Dunawska Banka (Bulgarische Donaubank) A.-G.; in
Sofia mit 3 Mill. Lewa die Bulgarska Zentralna Banka (Bulgarische
Zentralbank) A.-G., die Losarska Banka (Winzerbank) und die Banka
sa pokupka i prodaschba na nedwischni imoti (Bank für Einkauf und
Verkauf von unbeweglichen Gütern); in London mit 1 Mill. £ die
Hannevigs Bank Ltd und nach dem Muster der British Trade Corporation
(vgl. Junichronik) mit 100000 £ die Industrial Development Co. of
South Africa; in Rotterdam mit 2 Mill. hfl die Internationale Schiffs-
Hypothekenbank; in Batavia mit 2^2 Mill. hfl der Ostindische Bank-
verein (deutsche Gründung, vgl. S. 285); in Frederikstad (Norwegen)
mit 5 Mill. Kr das Finanz-Emissionsinstitut; in Kristiania die Nordisk
— 500 —
c) Bargeldloser Zahlungsverkehr.
Maßnahmen in Deutschland und den besetzten Gebieten:
1) Vf. des preuß. Finanzmin., betr. Postscheckverkehr bei den staatlichen
Kassen, v. 12. Juni (FMBl. S. 210); 2) Allg. Vf. des preuß. Finanzmin.,
betr. Zahlungen im Giro- und Postscheckwege, v. 27. Juni (ZZBl.
S. 141); 3) Vf. des Reichs-Postamts, betr. Zahlungen im Wege des
Scheck- und Ueberweisungsverkehrs, v. 3. Juli (PostBl. S. 247) ; 4) Ein-
richtung des Postscheckverkehrs im GGt. Warschau unter Anschluß an
das Postscheckamt in Breslau (RAnz. v. 10. Juli).
d) Börsenwesen.
Mit Bek. des RKzl. v. 7. Juli (RGBl. S. 635) sind Mitteilungen
über Wertpapierkurse zwischen inländischen Bankfirmen zuge-
lassen worden.
Der Berliner Börsenvorstand erläßt eine Warnung gegen die
Angestelltenspekulation und unlautere Kursberechnung („Nordd. Allg.
Ztg." V. 1. Aug. I. Ausg.) und bringt am 4. Aug. die Bek. v. 12. Juli
1916, betr. die Aenderung der Börsenordnung zur Einschränkung speku-
lativer Uebertreibung, in Erinnerung (vgl. Chr. 1916, S. 524; „Voss.
Ztg." V. 4. Aug.).
An der Wiener und Budapester Börse werden von Ende Juli
ab alle Dividendenpapiere ohne Berechnung laufender Zinsen gehandelt.
— An der Budapester Börse soll eine Kommission von 21 Börsen-
mitgliedern Wertpapiere, bei denen unzulässige Preistreibereien be-
obachtet werden, für einen oder mehrere Tage aus dem Verkehr aus-
schalten dürfen („Berl. Börsen-Cour." v. 21. Juli; vgl. Junichronik). —
Die Börse von Fiume nimmt v. 20 Juli ab ihre seit Kriegsausbruch
ruhende Tätigkeit zunächst zur Abwicklung des Privatverkehrs wieder
auf („Frankf. Ztg." v. 21. Juli).
e) Währungs- und Notenbankwesen.
In Deutschland und in den besetzten Gebieten: 1) V.
des BR., betr. die Außerkurssetzung der Zweimarkstücke, v. 12. Juli
(RGBl. S. 625) ; 2) Vf. des Reichs-Postamts, betr. Außerkurssetzung der
Zweimarkstücke, v. 24. Juli (PostBl. S. 271) ; 3) Erlaß des Reichsbank-
Direktoriums, durch den der Erwerb von Wertpapieren aus 0 esterreich -
Ungarn an eine Erklärung gebunden wird, daß der Erlös zur Deckung
von Schulden in Deutschland dient oder durch den Verkäufer der öster-
reichisch-ungarischen Devisenzentrale überlassen wird („Gest. Volksw.''
V. 4. Aug. u. „Die Bank", Augustheft, S. 682); 5) V. des Ob. Ost., betr.
Annahmeverbot für russische Rubel, v. 24. Juli (ObostBVBl. S. 668;
vgl. S. 363).
Die auf S. 288 unten gebrachte Mitteilung, daß von der Post in
sauberem Zustande befindliche Briefmarken in beschränkter Menge
in Zahlung genommen würden, ist bisher amtlich nicht bestätigt.
Die Bulgarische Nationalbank, Sofia, hat in Serbien zwei
weitere Agenturen (vgl. Chr. 1916, S. 780), und zwar in Kj-iwa Pa-
lanka und Egri Dere, errichtet.
— 50I —
Im Hinblick auf die Einziehung der Zweimarkstücke in Deutsch-
land wurden die niederländischen Zollinspektoren ermächtigt, den
Bankiers die Ausfuhr der noch in Holland vorhandenen Bestände an
deutschem Silber- und Nickelgeld bis zum 1. Aug< 1917 zu
gestatten.
Für das unter österr. -ungarischer Militärverwaltung stehende
Gebiet Polens wird durch Verordnungen v. 20. Juni 1) der Verkehr
mit ausländischen Zahlungsmitteln (vgl. S. 290) neu geregelt,
2) die Ein- und Durchfuhr von Rubeln verboten, 3) die Expositur
Lublin der Oesterr.-Ungarischen Bank mit den Funktionen einer De-
visenstelle betraut (Verordn.-Bl. der k. u. k. Militär- Verw. in Polen
V. 30. Juni). — Für das unter österr.-ung. Militärverwaltung stehende
Gebiet Serbiens sind den beiden ersteren entsprechende Verordnungen
unter dem 7. und 22. Juni erfolgt (Verordn.-Bl. der k. u. k. Militärverw.
in Serbien v. 14. Juli).
Die Schwedische Reichsbank ist von der Verpflichtung, bei
der Münze eingeliefertes Gold in Barren einzulösen und Privaten die
Ausprägung von Gold bei der Münze zu gestatten, weiter bis zum
28. Februar 1918 befreit worden (vgl. S. 125 unten). '
Die Bundes-Reserve-Bank, New York, hat mit dem Banco
de la Nacion Argentina, Buenos Aires, ein Uebereinkommen der gegen-
seitigen Vertretung abgeschlossen (vgl. S. 189).
In Argentinien wird durch einen dem Kongreß vorgelegten
Gesetzentwurf die Gründung einer Staatsbank mit 120 Mill. Pesos
Kapital beantragt (vgl. Junichronik).
Infolge der zunehmenden Thesaurierung erläßt die britisch-in-
dische Regierung ein Goldeinfuhrverbot (vgl. Junichronik) und
beschlagnahmt das eingeführte Gold auf der Basis von 77 sh 10 Yj d per
Unze und 15 Rupien per £. Ferner verbietet sie die Silbereinfuhr für
private Rechnung und setzt den Verrechnungspreis für Silberankäufe
des Währungsamts auf 5 Proz. unter dem Londoner Tagespreis des
Ankunftstages fest. Die Silberrupien im Verkehr sucht sie allmählich
durch kleine Noten (kleinster Abschnitt bisher 5 Rupien) zu ersetzen
(vgl. auch „The Bankers' Magazine", Juli 1917, S. 7 über Ausgabe von
Noten zu 2 Rupien).
In Kolumbien ist ein neues Münzgesetz erlassen worden.
Wie „Nieuwe Rotterdamsche Courant" v. 19. Juli meldet, ist in
Mexiko das amerikanische Geld zum gesetzlichen Zahlungs-
mittel erklärt worden. — Die Deputiertenkammer ermächtigte den
Präsidenten Carranza zur Aufnahme einer Anleihe von 100 Mill. Pesos
zur Gründung einer Zentralnotenbank.
Die Bank von Venezuela, Caracas, übernimmt nach dem
neuen Bankgesetz als Staatsbank verschiedene Funktionen des
Schatzamtes, unter anderem die Regelung des Geldverkehrs mit dem
In- und Auslande.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXXIII
502 3. Statistik.
Veberli cht über den Stand der deutsch en und einieer au sl an dlBchen Notenbanken
so^ie des Bankzinsfußes an den wichtigeren Börsenplätzen im Juli 1917.
Beträge in Millionen Mark.
Deutsches Beich
Kelchs-
bank
Privat-
noten-
banken |
Summe
14. I
Ausweis vom
31. I 14. 131. 1 14.
JuU
31.
Bank von
Frankreich
(nach ,,L'Eco-
nomi&te
FranoaU")
Ausweis V.
10.
JuU
2.
Aug.
Bank von
England
(nach „The
Statist")
Ausweis V.
18. I 1.
Juli I Aug.
Bussiseke
Staatsbank
(nach Vi (.'.'.«
Depetche:.j
Ausweis V.
14. 1 29.
Juli
AktiTa.
Barvorrat :
Metall
Gold .
Silber
2458
66
Summe
Sonstige Geldsorten . .
Wechsel auf das Ausland
und Guthaben daselbst
2524
452
2402
76
2478
529
2592
493
4290
212
4295
212
2545
560
4502
4507
1087
3 200
273
1071
3 473
4 577
)
2790
270
3060
4 9«5
Gesamtsumme d. Barvorrats
2976
3007
109
98
3085
3105
4502
4507
1087 1071
8050
804s
Anlagen :
Wechsel^) . . .
Lombard . . .
Effekten . . ,
Sonstige Anlagen
10434
9
118
1257
I 128
10
127
1251
114
76
21
68
116
78
19
74
10548
85
139
1325
II 244
88
146
1325
2086
926
179
II 463
2 124
913
179
1589
Bank. Dep.
Gov. See. :
930 I 1029
Other See. :
2302 2262
881
3097
I III
3158
Summe der Anlagen
11818 12 516
279
287
2097
2803
14654
14805
3609
3668
Summe der Aktiva
14794I15523
388
385
15182
5908
9156
19 312
4696
4739
PassiTa.
Grundkapital
Beservefonds
Notenumlauf
Verbindlichkeiten :
Täelichf^"^**^**'^^®'' •
f^i { Qe«entl. Guthaben
i Summe
Sonstige Verbindlichkeiten
180
90
8641
5335
5335
548
180
90
8853
56
15
156
127
56
15
156
124
236
105
8797
5462
236
105
9009
5972
155
28
6366
2094
103
155
• 28
:fe453
2154
49
298
61
807
2548
976
298
61
828
2629
915
108
28 200
4751
474
108
II
29476
5276
434
552
127
34
124
34
5462
582
5972
;86
2197
410
2 203
473
3524
6
3544
8
5225
10
Summe der Passiva
4794
5523
388
385
15182 15 908
19 156
19312
4696
4739
Hotenreserve im Sinne des
betreffenden Bankgesetzes
')
644
;57
656
621
2257! 5500
Deckung :
der Noten durch den ge-
samten Barvorrat^") . .
durch den inländischen
Metallvorrat
der Noten u. sonstigen täg-
lich fälligen Verbindlich-
keiten durch den gesamten
Barvorrat '")
BanksinsfoB
während des Monats
Juli
in Prozenten
34,*
29,2
21,8
34,0
65,8
64,1
35,1
34,5
27,6
27,4
134,6
129,«
28,5
28,0
43,2
43,3
29,5
28,3
16,1
16,1
134,6
129,6
I2,S
20,5
38,6
35,2
21,6
20,7
24,3
24,2
25,1
24,5
24,1
27,»
22,9
in Berlin
in Wien
m Paris
in London
in
St. Petersburg
in
Amsterdam
in
New York
5,—
5,—
5,-
5,—
6 —
4V,
4,-^)
Wegen Umrechnung der fremden Valuten usw. vgl. Chronik 1913, S. 1038 unten.
1) Für die Beichsbank die gesamte bankmäßige Deckung, d. h. Wechsel, Schecks und diskontierte
Schatzanweisungen. 2) Für die Beichsbank ist die Notensteuer bis auf weiteres aufgehoben (Ges. v. 4. Aug.
1914, BGBl. S. 327). 3) Darunter im Auslande am 19. Juli : 1649 Mill. M; am 2. Aug.: 1650 Mill. M.
4) Einschließlich der 377 Mill. M betragenden Anlagen des Issue-Department 5) Totalreserve. 6) Ver-
hältnis der Beserve zu den Depositen am 18. Juli: 18,6 Proz.; am 1. Aug.: 17,5 Proz. 7) Die in diesen
Spalten offen gelassenen Posten ergeben sich nicht aus den Wolffschen Depeschen. 8) Das Notenkontingent iet
Ende Juli 1917 auf 12 Milliarden Bbl erhöht worden. 9) Diskontrate für 60 Tage. 10) Im Sinne der
betr. Bankgesetze.
— 503 —
VII. Arbeiterverhältnisse.
Inhalt: Der Arbeitsmarkt im Juli 1917. Die Arbeitslosenziffer der Arbeiter-
verbände. Die Statistik der Arbeitsnachweise. Der weibliche Arbeitsmarkt. Die
Berichte der Arbeitsnachweisverbände. Der Berliner Arbeitsmarkt. Die Streiks
und Aussperrungen im Jahr 1916. Bergarbeiterlöhne im Ruhrrevier.
Im Monat Juli waren die Hauptindustriezweige Deutschlands wie
in den Vormonaten voll beschäftigt. Sie sind nach wie vor mit Auf-
trägen für Heer und Marine reichlich versehen. Soweit das Baugewerbe
in Betracht kommt, beschränkte sich die Bautätigkeit fast nur auf die
Errichtung von Kriegsbauten, d. h. von Bauten, deren Fertigstellung
im dringendsten Landes- und Heeresinteresse liegt. Die private Bau-
tätigkeit, die infolge der behördlichen Maßnahmen sehr erschwert ist,
ruhte fast vollständig ; nur die unbedingt notwendigen Wiederherstellungs-
arbeiten und Ausbesserungen wurden ausgeführt, soweit Hilfskräfte vor-
handen waren.
Die Arbeitslosenziffer, die allmonatlich aus den Angaben
der Arbeiterverbände berechnet wird, sank von Ende Juni auf Ende
Juli von 0,9 v. H. auf 0,8 v. H. Nach den Feststellungen von 34 Ar-
beiterverbänden, die für 946 241 Mitglieder berichteten, betrug Ende
Juli die Zahl der Arbeitslosen 7807 oder 0,8 v. H.
Stellt man für die sechs größten Arbeiterverbände — es sind sog.
freie Gewerkschaften — die Arbeitslosenziffern während der letzten
Monate zusammen, so ergibt sich folgende Uebersicht:
Arbeitslosigkeit v. H. der vom
Mitgliederzahl
Ende Juli
Bericht erfaßten Mitglieder
Arbeiterverbände
Ende
Ende
Ende
Ende
1917
Juli
Juni
Mai
April
1917
Metallarbeiter
334662
0,1
0,2
0,2
0,3
Fabrikarbeiter
96 132
0,1
0,2
0,2
0,4
Bauarbeiter
81 581
0,1
0,1
0,2
0,3
Holzarbeiter
79917
0,6
0,6
0,6
0,8
Textilarbeiter
70050
4,3
4,1
5,2
7,0
Transportarbeiter
59 457
0,2
0,2
0,8
o,s
Danach ging bei den Metallarbeitern und bei den Fabrikarbeitern die
Ziffer von Ende Juni auf Ende Juli etwas zurück; sie stieg hingegen
bei den Textilarbeitern.
Die Statistik der Arbeitsnachweise zeigt im Juli für das
weibliche Geschlecht ein weiteres Sinken des Andranges der Arbeit-
suchenden, für das männliche Geschlecht entspricht die Ziffer der des
Vormonats. Im Juli kamen auf 100 offene Stellen bei den männlichen
Personen 47 Arbeitsuchende wie im Juni, bei den weiblichen Pereonen
ging die Andrangsziffer von 86 im Juni auf 83 im Juli zurück.
Um den weiblichen Arbeitsmarkt besonders zu kennzeich-
nen , seien für die wichtigsten weiblichen Berufsarten die Verhältnis-
XXXIII*
— 504 —
Ziffern vom Juni und Juli 1917 sowie vom Juli 1916 besonders auf-
geführt.
Zahl der
Auf 100 offene SteUen kamen
Weibliche Berufsarten
Vermitt-
lungen im
.... Arbeitsgesache im
Juli
Juli
Juni
Juli 1917
1917
LJ916
1917
Landwirtschaftliche Arbeiterinnen
3635
55
75
53
Metallarbeiterinnen
17 743
81
147
80
Arbeiterinnen in der chemischen Industrie
2721
59
100
78
Spinnstoffarbeiterinnen (einschl. Färberei- und
Appreturarbeiterinnen)
3273
315
560
365
Buchbinderei- u. Kartonnagenarbeiterinnen usw.
1359
62
150
64
Arbeiterinnen in der Lederindustrie
670
74
lOI
72
Tabakarbeiterinnen usw.
I 343
86
136
96
Schneiderinnen, Putzmacherinnen usw.
10249
HO
218
HO
Büglerinnen, Wäscherinnen in Wasch- und
Plättanstalten usw.
714
81
107
75
Buchdruckereiarbeiterinnen
908
59
140
79
Fabrikarbeiterinn en
15 019
74
189
78
Angestellte im Handelsgewerbe
1948
206
345
202
Kellnerinnen, Büfettfräulein
7 199
103
126
107
Hotelzimmermädchen, Beschließerinnen
505
55
159
57
Kochpei-sonal in Gastwirtschaften
630
64
115
59
Herd- u. Küchenmädchen in Gastwirtschaften
4 549
63
85
52
Putz-, Wasch-, Lauffrauen, Aufwärterinnen usw.
16960
82
134
79
Dienstboten, Hauspersonal
6904
40
115
39
Sonstige Tagelöhnerinnen
8472
98
145
100
Freie Berufsarten
757
192
300
196
Danach hat sich vom Juni zum Juli 1917 die Lage für die nach der
Vermittlungsstatistik am stärksten besetzten weiblichen Berufsarten nur
unwesentlich verändert.
Die Berichte der Arbeitsnachweis verbände über die Be-
schäftigung im Juli lassen für Westpreußen, Hannover, Braunschweig,
Bremen sowie Württemberg und Baden wesentliche Veränderungen der
bisherigen Lage nicht erkennen. In Pommern ist für die Landwirt-
schaft gleichfalls im allgemeinen keine größere Veränderung zu be-
merken. In Hessen und Hessen-Nassau ist im Vergleich zum Vormonat
bei namhaftem Sinken des Gesamtarbeitsangebots ein starkes Steigen
der offenen Stellen und der Ziffern der Vermittlungen zu erkennen.
Aus Bayern wird berichtet, daß sich die Beschäftigungsmöglichkeit für
männliche wie für weibliche Arbeitsuchende weiterhin günstig gestellt
hat. Für Schlesien weist der Arbeitsmarkt für männliche wie weibliche
Personen im allgemeinen keine wesentlichen Veränderungen auf. Im
Vergleich zum Vormonat ist nur zu bemerken, daß die lebhafte Nach-
frage nach weiblichen Arbeitskräften in der Landwirtschaft und in dem
Bekleidungs- und Handelsgewerbe oft nicht unwesentlich nachgelassen
hat. Aus Hamburg wird im allgemeinen eine Abnahme der Arbeit-
suchenden, der offenen und besetzten Stellen für das männliche Ge-
— 505 —
schlecht und eine Verringerung des Arbeitsangebots für weibliche Be-
schäftigte berichtet. Aus Westfalen wird auch für Juli eine weitere
rückläufige Bewegung auf dem Arbeitsmarkt für männliche Personen
gemeldet, während für weibliche Arbeitskräfte eine nicht unbedeutende
Zunahme der Arbeitsuchenden, der offenen und besetzten Stellen zu
verzeichnen ist. Im Königreich Sachsen zeigen die Vermittlungsziffern
auf dem männlichen Arbeitsmarkt einen Rückgang; dagegen besteht
weiterhin eine lebhafte Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften. In
Thüringen ist das Angebot Arbeitsuchender sowie die Zahl der offenen
und besetzten Stellen im allgemeinen im Rückgang begriffen. Das
gleiche wird für Rheinland berichtet.
Für Berlin und die Provinz Brandenburg soll mit Rücksicht
auf die besondere Bedeutung dieses Arbeitsmarktes die Lage nach dem
Bericht des Verbandes Märkischer Arbeitsnachweise (vgl. Reichs- Arbeits-
blatt, Augustheft, S. 632) besonders geschildert werden.
Danach weist die Lage des Arbeitsmarktes im Monat Juli, der meist ein all-
gemeines Abflauen mit sich bringt, keine bemerkenswerten Veränderungen im
Vergleich zu den Vorjahren auf. Die Zahl der gesuchten Personen übersteigt
weiter die der Stellen suchenden.
In der Landwirtschaft waren Angebot und Nachfrage nicht bemerkens-
wert rege. Das mangelnde Angebot erklärt sich ohne weiteres daraus, daß sich
die schon seit langem knappen geeigneten Arbeitskräfte wesentlich vermindert
haben und am Ende des Monats mit Schluß der Hafer- und Roggenernte eine
vorübergehende leichte Entspannung der landwirtschaftlichen Tätigkeit eingetreten
ist. Die eingeschränkte Nachfrage ist auf die vermehrte Einstellung von Ge-
fangenen als landwirtschaftliche Arbeiter, die Verwendung von Jungmannen in
Stefien von Kleinknechten usw., das Vorhandensein von Militärkommandos zur
Ernte, fHegenden Dreschkommandos, Kraftwagen zur Abfuhr und die im Interesse
der Volksernährung von der Heeresverwaltung vorgenommenen Beurlaubungen
selbständiger kleinerer Landwirte zurückzuführen. Verlangt wurden Arbeiter-
familien, landwirtschaftliches Aufsichtspersonal und Wirtschaftsleiter. Der Bedarf
konnte nicht gedeckt werden. Gelernte Gärtner wurden gesucht, konnten aber
nicht genügend beschafft werden.
Die Lage in den Braunkohlengruben und Preßkohlen werken war
sehr befriedigend.
Von aUen Seiten wird weiter ein empfindlicher Mangel an Facharbeitern
jeder Art gemeldet. In der Metallindustrie mangelte es besonders an
Schlossern, Rohrlegern, Werkmeistern, Elektrotechnikern, Uhrmachern usw.
Das Spinnstoffgewerbe konnte wegen weiterer Einschränkungen keine
regere Tätigkeit entwickeln ; Guben meldet ein völliges Darniederliegen der Woll-
hutfertigung. In Driesen ist die Gamaschenherstellung, in Friedeberg die Filz-
schuhanfertigung eingestellt worden.
Ein weiterer Rückgang ist im allgemeinen in der Bautätigkeit zu be-
obachten; die frei werderden Arbeitskräfte fanden sofort wieder passende Be-
schäftigung.
Gelernte Arbeitskräfte in der Buchbinderei und im Buchdruck wurden
stark verlangt, nur ein Teü der Aufträge konnte erledigt werden. Die Nachfrage
nach Setzern und gelernten Arbeitern im Zeitungsgewerbe hält an.
Auch geeignetes kaufmännisches Personal war sehr knapp, vor allem
fehlten Lageristen und Verkäufer.
Nur vereinzelt zu beschaffen sind noch ungelernte Arbeitskräfte für alle
Gewerbezweige.
Auf dem Arbeitsmarkt für weibliche Personen herrscht weiter großer
Mangel an Landmädchen und vor allem an häuslichem Dienst- und Aushilf s-
— 5o6 —
Sersonal. Die Nachfrage ist am Schlüsse des Berichtsmonats im Hinblick auf
as Ende der Reisezeit noch dringender geworden als zuvor, es waren aber noch
weniger verfügbare Kräfte vorhanden. Die Metalindustrie zeigte weiter sehr starken
Bedarf, den vorliegenden großen Aufträgen verschiedener Rüstungsfabriken konnte
nur zum Teil genügt werden. Verlangt wurden ferner vor allem Hilfskräfte im
Buchdruckgewerbe, die nur in geringem Umfang beschafft werden konnten Die
Nachfrage nach ungelernten Arbeiterinnen für alle Industrien konnte nicht ge-
deckt werden. Der Bedarf an geübtem Kontorpersonal hält an, Verkäuferinnen
werden mehr als vorhanden verlangt. An ungeschultem kaufmännischen An-
fangspersonal ist weiter reicher üeberschuß.
Die für die Arbeitnehmenden günstige Lage des Arbeitsmarktes macht sich
in einem weiteren allgemeinen Steigen der Löhne bemerkbar, vor allem zeigen
die Lohnsätze für Facharbeiter noch bemerkenswert steigende Richtung.
Die Arbeitsvermittlung für genesende Soldaten zeigt einen erfreulichen
Umfang.
Die Arbeitsnachweisstellen für Kriegsbeschädigte hatten gut« Erfolge,
es konnten etwa 50 v. H. der Kriegsverletzten untergebracht werden. Das ist
im Hinblick darauf, daß jetzt nur die schwerer Verletzten für eine Arbeitsver-
mittlung in Frage kommen, ein recht bemerkenswertes Ergebnis. Das Angebot
an offenen Stellen stieg bedeutend wegen des herrschenden Arbeitermangels.
Zurzeit liegen die endgültigen Ziffern über die Aussperrungen
und Streiks im Reich im Jahre 1916 vor. Danach wurden im
Jahre 1916 im ganzen 240 Arbeitskämpfe (nur Streiks) beendet, welche
sich auf 437 Betriebe erstreckten, die im ganzen 124188 streikende
Arbeiter umfaßten. Die nachfolgende Uebersicht gibt die Zahl der
Streikenden und Ausgesperrten 1899 — 1916 und ihr Verhältnis zur
Gesamtzahl in jedem Jahre wieder.
Zahl der Streikenden und Ausgesperrten 1899 bis 1916
und ihr Verhältnis zur Gesamtzahl in jedem Jahre.
Zahl der
Jahr
Streikenden
Ausgesperrten
Streikenden
und Ausgesperrten
zusammen
Grundzahl
V. H.
Grundzahl
V. H.
Jahresdurchschnitt
1899—1903
1904—1908
1909—1913
1914
1915
1916
83384
210933
226 187
58682
II 639
124 188
86,4
75,4
69,0
61,7
90,5
100,0
13075
68884
loi 406
36458
I 227
13,0
24,6
31,0
38,3
9,5
96459
279817
327 593
124 188
Zu dieser Uebersicht ist allerdings hervorzuheben, daß die Zahl der
an Arbeitskämpfen beteiligten Arbeiter für die Kriegszeit keinen ge-
eigneten Maßstab für den Umfang und die Bedeutung der Arbeits-
kämpfe selbst bietet. Vor allem deshalb nicht, weil im gegenwärtigen
Kriege die Dauer der Arbeitskämpfe ganz wesentlich kürzer ist als in
den gleichmäßigeren Friedenszeiten. Während im Durchschnitt der
letzten 5 Friedensjahre der einzelne Arbeitskampf 28,12 Tage dauerte,
betrug seine Dauer im Jahr 1916 nur 4,98 Tage.
Von Interesse ist eine Uebersicht über die Zahl der verlorenen
Arbeitstage :
- 507 -
Verlorene Arbeitstage von 1899 bis 1916.
(Zahl der jedesmal Streikenden oder Ausgesperrten, vervielfacht mit der
jedesmaligen Dauer des Streiks oder der Aussperrung.)
Errechnete Anzahl der verlorenen Arbeitstage bei
Jahr
Streiks
Aussperrungen
Streiks
und Aussperrungen
zusammen
Jahresdurchschnitt
1899—1903
1904—1908
1909—1913
1914
1915
1916
2581686
6959814
6331472
I 714790
41838
245 404
544 240
2 744 138
4859022
I 129 105
3673
3125926
9703952
II 190494
2 843 895
45 511
245 404
Daraus geht hervor, daß die Zahl der verlorenen Arbeitstage 1916
wesentlich niedriger als in den Friedensjahren, jedoch höher als im
Jahr 1915 ist.
Im Reichs- Anzeiger sind kürzlich die für das zweite Vierteljahr 1917
(1. April bis 1. Juli) amtlich ermittelten Bergarbeiterlöhne im
Kuhrrevier mitgeteilt worden. Danach stellte sich im Ober-Berg-
amtsbezirk Dortmund der durchschnittliche Schichtlohn eines Arbeiters
der Gesamtbelegschaft (einschließlich der jugendlichen und weiblichen
Arbeitskräfte) nach Abzug der Versicherungsbeiträge in Höhe von
24 Pf. und nach Abzug aller Arbeitskosten auf 7,75 M. (gegen 7,24 M.
im 1. Vierteljahr 1917), der durchschnittliche Schichtlohn der unter-
irdisch beschäftigten eigentlichen Bergarbeiter (Hauer genannt) auf
10, — M. (9,33 M.). Die Steigerung beträgt somit im Vergleich zum
vorhergehenden Vierteljahr 51 Pf. je Schicht der Gesamtbelegschaft
und 67 Pf. je Hauerschicht; sie übertrifft damit erheblich die in den
vorhergehenden Vierteljahrsabschnitten der Kriegszeit gewährten Lohn-
erhöhungen. Zu dem angegebenen reinen Nettolohn tritt noch der
Geldwert der den Bergarbeitern gewährten wirtschaftlichen Beihilfen,
der mit 23,6 Pf. je Schicht der Gesamtbelegschaft errechnet worden
ist. — Das Gesamteinkommen eines Arbeiters der Gesamtbelegschaft
hat sich im zweiten Vierteljahr 1917 auf 632 M. (gegen 525, 445 und
402 M. im zweiten Viertel der Jahre 1916, 1915 und 1914) belaufen,
das eines Hauers auf 809 M. (675, 551 und 469 M.); das Vierteljahrs-
einkommen ist somit in der Kriegszeit um 230 M. = 57,2 Proz. bei
der Gesamtbelegschaft, um 340 M. = 72,5 Proz. bei den Hauern, ge-
stiegen.
Wie sich seit Kriegsbeginn die durchschnittlichen Schichtlöhne
entwickelt haben (vom 3. Vierteljahr 1914 bis zum 2. Vierteljahr 1917),
zeigen folgende Lohnzahlen: Schichtlohn der Gesamtbelegschaft: 5,07,
5,03, 5,18, 5,39, 5,62, 5,80, 6,02, 6,28, 6,57, 6,86, 7,24, 7,75 M. —
Schichtlohn der Hauer: 6,08, 6,13, 6,36, 6,6Q, 7,04, 7,29, 7,62, 8,05,
8,50, 8,88, 9,33, 10,— M.
— 5o8 —
Bei Würdigung dieser Lohnzahlen darf, wie der Reichs- Anzeiger
"betont, nicht übersehen werden, daß die Zusammensetzung der Ge-
samtbelegschaft unter dem Einfluß des Krieges eine nicht unerheb-
liche Verschiebung gegen die Zeit vor Kriegsbeginn erfahren hat. Die
tüchtigsten und bestgelohnten Arbeiter der 1. Lohnklasse (Hauer) sind
zum großen Teil zum Heeresdienst eingezogen ; dadurch ist das Prozent-
verhältnis ihrer Zahl zur Gesamtbelegschaft gegen früher wesentlich
verändert. An die Stelle der Hauer sind junge Schlepper und Wagen-
stößer getreten. Die Verwendung jugendlicher und weiblicher Arbeiter
hat erheblich zugenommen, auch sind ungelernte Arbeiter in großer
Zahl eingestellt worden. Infolge der geringeren Leistungsfähigkeit der
Belegschaft ist daher der Durchschnitt der Löhne niedriger, als er sich
für Arbeiter mit früherer Leistungsfähigkeit ergeben würde. (G. C.)
yni. Finanzwesen,
Inhalt: Annahme des 15 Müliarden-Kredits. Bedenklicher Stand der eng-
lischen Finanzen. Die französischen Steuerprojekte. Zeichnungen auf die russische
^ Freiheitsanleihe". Fremde Anleihen in den Vereinigten Staaten. Die nächste
amerikanische Anleihe. Ergebnis der letzten amerikanischen Anleihe.
Am 30. Juli nahm der Reichstag die Vorlage des neuen 15 Mil-
liarden-Kredits an, mit dem die Kriegskredite eine Höhe von
94 Milliarden M. erreichen. Am 21. Juli wurde der Nachtragskredit als
Gesetz publiziert (RGBl. S. 651).
Zu dem bedenklichen Stand der englichen Finanzen
äußert ein Leitartikel der „Daily News" vom 25. Juli:
Bonar Law hat bei Einbringung des letzten Budgets die täglichen Kriegs-
ausgaben für das laufende Jahr auf unter öVa Mill. £ geschätzt. Tatsächlich hat
sich herausgestellt, daß sie 6^A MiU. betragen. Bonar Law hat allerhand an-
geführt, um dieses Plus plausioel zu machen; wirklich einleuchtende Gründe
hat er nicht bringen können. Es ist kaum zu glauben, daß das Kriegskabinett
diese alarmierende Ueberraschung nicht voraussehen konnte. Auf jeden Fall ist
diese Verschleierung symptomatisch für den Leichtsinn unserer Regierung und
für ihre Mißachtung des Parlaments. Das Unbehagen angesichts unserer Finanz-
lage ist allgemein. Dadurch, daß man Geld zum Fenster hinaus wirft, wird man
den Krieg nicht gewinnen, vielmehr wird man unsere Kraft zum Durchhalten,
von der der Sie^ abhängt, untergraben.
Scharfe Kritik an Bonar Law übt der „Daüy Graphic" vom 25. Juli:
Die gestrige Debatte über die Bewilligung eines neuen Kriegskredites von
650 Mill. £ beweist, daß die Regierung nicht im geringsten geneigt ist, die Acht-
losigkeit in ihrer Finanz Wirtschaft einzuschränken. Daß die Kosten des Kri^es
bestritten werden müssen, weiß man ; aber das ist ein um so stärkerer Grund
für uns, in anderer Beziehung, sowohl öffentHch wie privat, haushälterisch zu
sein. Dies zu begreifen, ist Bonar Law unfähig. Er hat keine Schritte getan, seit-
dem er Schatzkanzler geworden ist, um unnötige Staatsausgaben zu beschränken.
Er hat sogar noch weniger als seine Vorgänger getan, private Sparsamkeit durch
neue Steuern zu erzwingen. Kürzlich betreffs des Hüfsdienstamtes befragt, das
schon 160000 £ verschlungen hat und zugestandenermaßen nutzlos ist, erklärte
er, daß man dessen Schließung nicht beabsichtige. Bonar Laws Begriff von den
Staatsfinanzen scheint zu sein, mit der rechten Hand zu borgen und mit der
linken fortzuwerfen, indem er es seinen Nachfolgern überläßt, mit der riesenhaften
Staatsschluld fertig zu werden, so gut sie es können.
— 509 —
Erfahrungen im Amte als Schatzkanzler — so schreibt der „Statist" vom
21. Juli — haben Bonar Law bereits zu der Erkenntnis gebracht, daß wir mit
unseren Finanzen in bejammernswerter Weise verfahren sind, und daß, wenn wir
uns nicht bessern, wir nach Kriegsende schwere Zeiten vor uns haben werden.
Das soll heißen, wenn das Borgen aufhört und das Problem der Zurückzahlung
irgendwie gelöst werden muß. Er ist der erste Finanzminister, der das Publikum
offen und ausreichend gewarnt hat. Gleichviel ob seine Vorgänger im Kriege
unter dem Eindruck standen, daß sie nur das Kechte taten, oder ob die Häufung
der Erfahrung alle Welt zu der Erkenntnis gezwungen hat, die gut unterrichtete
von Anfang an hatten, anscheinend macht man sich jetzt im Schatzamt völlig
klar, daß wir sehr stark in die Irre gegangen sind. Jetzt, wo das Unglück ge-
schehen ist, kommt ein Minister, tut so, als ob er allein in seiner höheren Weis-
heit die Fehler seiner Kollegen und Vorgänger erkannt habe, und stößt einen
ernsten Warnruf aus, aus dem wir nur zwei Sätze, die freilich genügen, anführen
möchten. „Niemand darf auch nur einen Augenblick glauben, daß das Land, ohne
ernsten Schaden zu nehmen, fortfahren könnte, in dem Maße wie jetzt Geld für
den Krieg auszugeben. Ich befürchte, daß man den Schaden erst völlig erkennen
wird, wenn der Krieg zu Ende ist, was noch schlimmer ist." Minister sind so
allwissend, daß wir annehmen dürfen, man würde es unpassend finden, wenn wir
so spät mit einem Rat kommen wollten. Wir wollen also abwarten, was das Er-
gebnis dieser sehr späten Entdeckung der Tatsachen sein wird, daß wir drei Jahre
lang in einem Narrenparadies gelebt und jetzt das Land in einen Sumpf geritten
haben, wie ihn die beiden oben angeführten Sätze schildern.
Ueber die französischen Steuerprojekte teilt der „Berl.
Börsen-Cour." noch folgendes mit:
Nachdem der frühere Finanzminister lange gezögert hatte, neue Steuern zu
beantragen, und auch dann sehr vorsichtig zu Werke gegangen war, hat sein
Nachfolger um so energischer die Sache in die Hand genommen. Der Berechnung
gemäß erwartet er aus der erhöhten Transportsteuer (Eisenbahnen und Flußschiff -
fahrt), der Einschränkung der militärischen Portofreiheit und der Erhebung von
Eintrittsgebühren für den bisher unentgeltlich gewesenen Besuch der Museen
450 Mill. frcs., aus Aenderungen in der Auflage und Einhebung verschiedener
Abgaben 200 Mill., aus der zu schaffenden Steuer auf kommerzielle Zahlungen
und Käufe der Privatpersonen 450 Mill., aus der Unterdrückung der Steuer-
defraudation 60 Mill. und aus einer neuen Erbschaftssteuer 40 MiU., zusammen
1200 Mill.; in neueren Angaben wird von einer Summe von 1500 Mill. frcs. ge-
sprochen.
Verschiedene dieser Steuer vorschläge verdienen eine eingehendere Besprechung.
Die Kriegsgewinn Steuer, die anfänglich gleichmäßig 50 Proz. betragen hatte und
dann für höhere Gewinne auf 60 Proz. gesteigert worden war, soll für die Folge
bis zu 80 Proz. hinaufgehen, letzterer Satz soU für Beträge über eine halbe Million
in Ansatz gebracht werden. Eine vollständige Neuerung ist die Ausgabensteuer.
Bei den Zahlungen für gelieferte Waren soll im Handelsverkehr an Stelle der
seitherigen Quittungssteuer eine Abgabe von 1 Prom. treten, deren Kontrolle der
Fiskus durch Einsicht der Bücher vornehmen kann. — Die Käufe von Privat-
leuten, mit Ausnahme der Lebens-, Heizungs- und Beleuchtungsmittel sowie an-
derer ausdrücklich bezeichneter Bedarfsmittel, werden einer Abgabe unterworfen,
die 5 Proz. beträgt und für Luxusgegenstände aller Art, worunter auch Kleidungs-
stücke und Schunwerk nach Maß, feine Weine, Liköre und teuere ausländiscne
Biere, Pelzwerk, usw. auf 10 Proz. gesteigert wird. Die Steuer geht zulasten des
Käufers, ist aber durch den Verkäufer zu entrichten, der eine besondere Buch-
führung hierfür einzurichten hat und verpflichtet ist, seine sämtlichen Bücher
auf Verlangen vorzulegen; bei Steuerhinterziehungen sind beide Teile strafbar.
Es liegt auf der Hand, daß die Ueberwachung durch die Verwaltungsorgane viele
Unannehmlichkeiten mit sich bringen wird, und aus Geschäftskreisen macht sich
bereits Einsprache dagegen bemerkbar. Auch im kaufenden Publikum wird man
es jedenfalls sehr ungern sehen, daß bei der herrschenden sozialistischen Strömung
der Staat, der auf die Suche nach weiterem Steuerquellen angewiesen bleiben wird,
sich auf diesem Wege Einblick in die persönlichen Ausgaben verschaffen kann.
— 5IO -
— Das ungeheurlichste Projekt ist aber das, durch welches alle Erbschaften mit
einer Zuschlagsteuer von 0,30 Proz. belebt werden sollen, welche die Erben zeit-
lebens jährlich zu erlegen hätten, einerlei was im Laufe der Jahre aus dem Erbe
geworden ist. Diese Steuer ist nichts anderes als eine verkappte Kapitalsteuer.
Die erste der Presse zugegangene vorläufige Ankündigung besagte, das Gesetz
werde rückwirkende Kraft für die Kriegszeit haben und das Erträgnis für jedes
der drei Kriegsjahre werde auf 14. Mill. geschätzt. Mit der Zeit werde es auf
270 Mill. jährlich anwachsen, dieses Ergebnis werde nach 30 Jahren erreicht, da
in diesem Zeitraum sich der vollständige Besitzwechsel vollzieht. Ferner solle
die eigentliche Erbschaftssteuer erhöht werden, wenn nur ein oder zwei Erben
vorhanden sind, und dies würde weitere 88 Mill. erbringen. — Diese Form einer
lebenslänglichen Erbschaftssteuer, so sozialistisch sie auch ist, war jedoch nur da-
zu bestimmt, auf die eigentliche Ueberraschung vorzubereiten. Der Gesetzentwurf
enthält nämlich die unglaubliche Bestimmung, daß jederman, der vor der Ver-
öffentlichung des Gesetzes einmal eine Erbschaft von mehr als 2000 frcs. gemacht
hat, die jährliche Steuer für die abgelaufene Zeit nachträglich zu entrichten hat.
Mag die Erbschaft schon längst verschwunden oder stark entwertet sein (man
denke an die rückgängigen Börsenkurse und an den Grund- und Immobilienbesitz in
der Kriegszone) — der „glückliche" Erbe muß nachzahlen, es sei denn, er sei be-
reits in Konkurs oder in gerichtlicher Liquidation oder er führe den Nachweis,
daß er die ererbten Güter verschenkt hat. Sogar die Angehörigen der im Krieg
Gefallenen werden nicht verschont. Damit sicn niemand der Steuer entzieht, ist
eine verschärfte Kontrolle der gemieteten Sicherheitsfächer notwendig, die Ver-
mieter müssen daher ein Verzeichnis derselben einreichen und dürfen nicht ge-
statten, daß nach dem Tode des Mieters oder eines der Mieter oder eines Ehe-
gatten die Oeffnung stattfindet ohne die Aufnahme eines Inventars durch Notar-
oder Friedensrichter. Da sehr viele Geschäftshäuser jeden Abend ihren Kassen-
vorrat und die Wertpapiere im Sicherheitsfach verschließen, so muß also die Firma
die Zahlungen vorübergehend einstellen, wenn über Nacht der Chef oder dessen
Frau stirbt. — Es ist nicht anzunehmen daß ein solches Gesetz durchgeht, das
mit einer Abgabe auf das Kapital gleichzeitig einen Einblick in das Vermögen
verbindet, von welchem die besitzende Klasse in Frankreich durchaus nichts
wissen will.
Zu den entschiedensten Gegnern des Projektes gehört der „Temps", der
Verteidiger des Kapitals, das der Staat als seine Beute betrachtet, weshalb er
letzteren mit dem Titel „Vampir" bezeichnet. In seiner Finanz-Rundschau zieht
er gleichzeitig gegen die Art zu Felde, wie der Fiskus alles tut, um die Kapita-
listen, deren Mitwirkung er doch jetzt nötiger als je bedarf, abzuschrecken. Er
führt hierbei auf: die Einführung der Einkommensteuer zum Zweck der Ver-
mögenskontrolle der Kapitalisten, die dem Staate ihr Geld leihen, die fehlende
Unterstützung des Marktes der Kriegsanleihe, was dem Interesse der späteren An-
leihen entgegenlaufe, die schwierige Lage, in welche die Herleiher fremder Effekten
geraten, da sie dieselben nicht mehr verkaufen können, die Weigerung, den Bahnen
Tariferhöhungen zu gestatten, und das Hinausschieben der Erneuerung des Privi-
legs der Bank von Frankreich. Alles dies zeige den sozialistischen Feldzug gegen
den Besitz.
Das „Journal officiel" veröffentlich das Gesetz, durch welches für das dritte
Quartal 9873,64 Mill. Kredite im Hauptbudget und 1032,91 Mill. im Nebenbudget
eröffnet werden. Die von dem Berichterstatter der Kammer gegebenen Gesamt-
ziffern stimmen nicht mit den von dem Minister gegebenen überein. Der Minister
bezeichnet die Gesamtziffer der bis 30. September eröffneten Kredite mit 91 039 Mill.,
der Berichterstatter mit 92819 Mill. (der Unterschied liegt wohl in den fünf
Zwölfteln von 1914, die schon vor dem Kriege bewilligt waren), mit den 6013 Mill.
Vorschüsse an Verbündete erhöht sich die Summe auf 98 832 MiU., während der
Minister von nur 95000 spricht. Die Eingänge bis Ende September schätzt der
Berichterstatter, wie folgt: Steuern und andere Budgeteinnahmen 13470 Mill.,
Nationalverteidigungsbons 21700 Mill., dto. Obligationen 840 Mill., zwei Kriegs-
anleihen 21920 Mill, Bons im Auslande 7430 MiU., Anleihen in Amerika 3100
Mill., Schatzwechsel, sechsjährige Obliegationen, Vorschüsse der Generalsteuer-
einnehmer 580 Mill., Vorschüsse der Banken von Frankreich und von Algerien
— 511 -
12,200 Mill. (d. h. der volle Betrag der bis jetzt festgesetzten Vorschüsse). Dies
macht zusammen 80490 Mill., es würden somit 18340 Mill. ungedeckt bleiben;
aber die geleisteten Zahlungen betragen meist nur 80 Proz. der Kredite.
Nach einer Meldung der Petersburger Telegraphen- Agentur vom
15. Juli ergaben die Zeichnungen auf die russische „Freiheits-
anleihe" vom 19. April bis zum 13. Juli einschließlich 1922 Mill. Rbl.
Der „Statist" stellt folgende Liste der von fremden, krieg-
führenden und neutralen Ländern seit Kriegsausbruch
in den Vereinigten Staaten gemachten Anleihen auf, wo-
bei die gemeinsame englisch-französische Anleihe je zur Hälfte unter
England und Frankreich verteilt ist:
$
Großbritannien 2 oo6 400 000
Frankreich 850 500 000
Rußland 223500000
Italien 125000000
Belgien 45 000 000
Serbien 3 000 000
Kanada 289 725 000
Neufundland 5 000 000
Lateinisch- Amerika 108 971 000
China 9 000 000
Schweiz 10 000 000
Norwegen 6 500 000
Griechenland 7 000 000
Deutschland (etwa) 10 000 000
Ingesamt 3 699 590 000
Die Vorschüsse der letzten Monate sind in diesen Ziffern anscheinend nicht
enthalten, ebensowenig wie die — erheblich höheren — privaten Kredite der
amerikanischen Kriegslieferer an die Ententestaaten.
Ueber die nächste amerikanische Anleihe meldet „Morning
Post" aus Washington:
Nach den bisherigen Vorbereitungen zu schließen, wird die nächste ameri-
kanische Anleihe im September aufgelegt werden. Das genaue Datum sowie der
Zinsfuß soll je nach den Verhältnissen des Geldmarktes und dem Geldbedarf der
Eegierung noch festgesetzt werden. Das Schatzamt möchte die neue Anleihe gern
wie bisher zu 3^/^ Proz. auflegen, wegen der Ersparnis für die Eegierung, und um
die viele Arbeit zu vermeiden, die mit einer Aenderung des Zinsfußes und einer
Konvertierung der jetzt im Umlauf befindlichen Bonds in solche mit einem höheren
Zinsfuß verbunden wäre. Die Bankkreise zweifeln aber am Erfolge der Anleihe,
falls sie nicht mindestens 4 Proz. steuerfreie Zinsen oder 47.2 Proz. Zinsen bei
Heranziehung zur Besteuerung bringt. Letzteres befürworten viele Finanzleute
als gesunderes und gerechteres Steuerprinzip. Jede Aenderung des Zinsfußes und
jede Steuerbefreiung bedingt ein neues Gesetz, da die Zinsen und Auflegungsbe-
dingungen im ursprünglichen Anleihegesetz festgelegt sind. Dies möchte das
Schatzamt mit ßücksicnt auf die Stimmung des Kongresses vermeiden. Die ge-
schäftliche Lage hat sich seit der Zeit des Eintritts Amerikas in den Krieg wesent-
lich geändert. Damals waren die Banken mit Geld überladen und froh, Absatz
für ihre Fonds zu finden; aber die großen Regierungskäufe in den letzten drei
Monaten haben die Geschäfte allenthadben angeregt. Die Fabrikanten und andere
Erwerbstätige suchen neues Geld für Geschäftserweiterungen und zum Ankauf
von Rohstoffen. Die Wirkung hiervon ist in der starken Nachfrage nach Geld
und im kürzlichen Steigen des Zinsfußes für tägliches Geld zu bemerken. In
dieser Beziehung macht die Regierung dem Privatkapital Konkurrenz. Die Re-
gierung borgt viel, ebenso die Geschäftsleute, um die für die erfolgreiche Durch-
— 512 -
führung des Krieges nötigen Industriezweige in Gang zu halten. Von den
2 Milliarden |, dem Ergebnis der ersten Kriegsanleihe, wurden 1303000000 $ den
Verbandsgenossen entweder bereits geliehen oder für sie vorgemerkt, und
500 000 CW $ in Schatzscheinen sind am 30. Juli zahlbar. Zurzeit, und mindestens
bis zur nächsten Anleihe wird der laufende Geldbedarf durch Ausgabe von Schatz-
Bcheinen gedeckt.
Was das Ergebnis der letzten amerikanischen Anleihe betrifft, so
ist (nach der „Voß. Ztg.") folgendes mitzuteilen:
2 Milliarden $ wurden aufgelegt, und 3 035 226 850 $ wurden gezeichnet.
Der amerikanische Schatzsekretär hatte mit Bestimmtheit erklärt, da« der auf-
gelegte Betrag von 2 Milliarden auch im Falle stärkster üeberzeichnung nicht
überschritten werden würde, so daß die Zeichner, in der Gevrißheit der gekürzten
Zuteilung weit höhere Zeichnungssummen riskieren durften, als sie ohne diese
amtliche Erklärung gewagt haben würden. Letztere war also eine feine Nuance
der amerikanischen Anleinetechnik. Sie war aber nicht die einzige, wie aus dem
Juli-Zirkular der National City Bank in New York ersichtlich ist.
Das genannte Institut gibt über die Ergebnisse der „Freiheitsanleihe" folgende
Zusammenstellung (alles in 1000 |) :
Zeichnungsbetrag Gesamtzeichnung
Zuteilung in Proz.
Gesamtzuteilung
bis zu loooo $
I 296 685
100 Proz.
I 296 685
über lOOOO bis zu
lOOOOO $
560 103
60 Proz., mindestens
336062
10 000 $
über ICO 000 bis zu
250000 $
220 456
45
Proz., mindestens
boooo $
99205
über 250000 bis zu
2 000 000 $
601 515
39
Proz., mindestens
112500 $
184382
über 2000000 bis zu
6 000 000 $
234 544
25
Proz., mindestens
600000 $
58661
über 6000000 bis zu
10 000 000 $
6674
21 Proz.
9802
25000000 „
50000
20,22 Proz.
10 110
25 250 000 „
65250
20,17 „
5093
3 035 227 2 000000
Diese Ziffern sind in mehr als einer Beziehung interessant. Sie beweisen zu-
nächst, daß die Zeichnungsergebnisse nichts weniger als aufrichtig sind, weil das
bei den Zeichnungen zwischen 10000 und 6 Mill. ^ festgesetzte Minimum die
Zuteilungsquote in zahlreichen Fällen in Wirklichkeit bedeutend erhöht. Wer,
um nur ein Beispiel zu wählen, 11 000 $ gezeichnet hat, muß nicht 60 Proz. =
6600, sondern 10 000 $, also über 90 Proz., hierauf abnehmen. Die Ziffern beweisen
zweitens, daß der Zeichnungserfolg im wesentlichen dem Gelde der großen Trust«
zu danken ist, wobei das amerikanische Schatzamt in seiner Fürsorge für diese
von Minimalsummen bei der Zuteilung Abstand genommen hat.
- 513 -
Volkswirtschaftliche Chronik.
August 1917.
I. Produktion im allgemeinen.
Inhalt: Beschäftigungsgrad im August.
Nachdem die Monate Juni und Juli eine nicht zu unterschätzende
Abnahme der gewerblich Beschäftigten gebracht hatten, trat im
August erfreulicherweise wieder eine Vermehrung ein. Die Ab-
nahme im Monat Juni ist damit freilich noch nicht ausgeglichen, aber
doch war Ende August die Zahl der Beschäftigten so groß wie außer
Juni in keinem anderen Monat des Jahres. Aus der Höhe der Be-
schäftigtenziffer kann man aber zurzeit weder auf den Beschäftigungs-
grad noch weniger auf die Arbeitsleistung schließen. Dazu wären
andere statistische Unterlagen nötig, als wir sie zurzeit haben. Selbst
im Vergleich zum Vorjahr kann nicht ohne weiteres behauptet werden,
daß die Leistung sich gehoben habe, obwohl die Zahl der Beschäftigten
im laufenden Jahre größer ist als damals. Wir behaupten vielmehr,
daß wir zurzeit nicht in der Lage sind, zusammenfassend für das ge-
samte Gewerbe den Beschäftigungsgrad oder gar die Arbeitsleistung
festzustellen. Das muß gegenüber allen Versuchen, ein Wissen vorzu-
täuschen, das nicht vorhanden sein kann, immer von neuem wieder
betont werden. Auf Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten aber wollen
wir uns an dieser Stelle nicht einlassen. Die Zunahme der Beschäf-
tigten im August stellt sich auf 0,44 Proz. der Beschäftigtenziffer des
Juli. Die Zahl der männlichen Beschäftigten stieg um 0,21, die der
weiblichen um 0,66 Proz. In den einzelnen Monaten des laufenden
Jahres verlief die Bewegung in Prozenten des jeweiligen Vormonats
bei den männlichen und bei den weiblichen sowie bei den Beschäf-
tigten überhaupt, wie folgt:
mftnnliche
weibliche
Beschäftigte
überhaupt
Januar
— 1,16
+ o,29
— 044
Februar
+ o,ii
+ 0,64
+ 0,37
März
+ 1,04
+ 1,30
+ 1,17
AprU
+ 3,01
+ 2,85
+ 2, SS
Mai
+ 1,16
+ 1,64
+ 1,41
Juni
— 2,40
+ 0,16
— I.l«
Juli
— 0,4 9
+ 0,20
— 0,14
August
+ 0,21
-f- 0,66
+ 0,44
Wir sehen im laufenden Jahre in 3 Monaten eine Abnahme, die nur
im Juni erheblicher ins Gewicht fällt. Recht stark war die Zunahme
in den Monaten März, April und Mai. Die Abnahmen wurden aus-
Jahrb.f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXXIV
— 514 —
schließlich durch die Bewegung bei den männlichen Beschäftigten be-
wirkt, die im Januar und Juni stärkere Minderungen aufwiesen. Da-
neben aber stehen 5 Monate mit Zunahmen, die stark genug waren^
um eine absolute Verringerung der männlichen Beschäftigten im laufen-
den Jahre hintanzuhalten. Die weiblichen Beschäftigten haben in jedem
Monat eine Steigerung erfahren : im Juni und Juli freilich hat die
Zunahme sich ganz merklich verringert. Erst im August ist wieder
eine Besserung festzustellen, von der wir hoffen wollen, daß sie auch
in den Herbstmonaten anhalten möge. Vom 1. August bis zum 1. Sep-
tember stieg bei den an das „Reichs- Arbeitsblatt" berichtenden Kranken-
kassen die Zahl der Beschäftigten von 7 605 626 auf 7 639467 oder
um 33841 Köpfe. Davon entfielen 7892 auf die männlichen und 25 949
auf die weiblichen Beschäftigten. Von dieser Zunahme kamen 15 039
auf Mitteldeutschland und davon nicht weniger als 1 1 024 wieder auf
Groß-Berlin. Die Zunahme in Groß-Berlin ist aus einer Reihe von Ge-
sichtspunkten bemerkenswert. Einmal ist sie dadurch bedingt, daß viele
arbeitsunfähige Kranke bzw. Wöchnerinnen ersetzt werden mußten. Die
Neueinstellungen bedeuten also nicht ohne weiteres eine reine Ver-
mehrung der weiblichen Beschäftigten. Sodann ist zu berücksichtigen,
daß in Groß-Berlin noch immer sehr viel weibliches Bureaupersonal
eingestellt wird, das hauptsächlich von den wachsenden Kriegsgesell-
schaften verlangt wird. In Westdeutschland war die Zunahme der
weiblichen Beschäftigten gering, für Ostdeutschland ergab sich sogar
eine Abnahme, die durch den Rückgang in Schlesien bewirkt worden
ist. In Norddeutschland und Süddeutschland fanden Zunahmen statt,
die zu besonderen Bemerkungen keinen Anlaß geben.
Das „Reichs-Arbeitsblatt" macht über den Beschäftigungsgrad
folgende Angaben :
Im Bergbau und Hüttenbetrieb gestaltete sich die Beschäftigung
ebenso lebhaft wie im Vormonat. In der Eisen- und Metallindustrie
machte sich stellenweise dem Juli dieses Jahres gegenüber eine weitere
Verbesserung der Tätigkeit bemerkbar. Hier wie im Maschinenbau
trat teilweise ein Fortschritt dem Vorjahr gegenüber aufs deutlichste
hervor. In der elektrischen Industrie lagen die Verhältnisse im ganzen
ebenso günstig wie im Vormonat und vielfach noch günstiger als im
Jahre zuvor. Die chemische Industrie zeigte auch dem August vorigen
Jahres gegenüber zum Teil eine Verbesserung, die sich verschiedent-
lich auch schon im Vergleich zum Vormonat bemerkbar machte. In der
Holzindustrie sind im allgemeinen keine wesentlichen Veränderungen
dem Vormonat gegenüber festzustellen. Das gleiche gilt vom Spinn-
stoff- und Bekleidungsgewerbe. Auch für den Baumarkt war die Lage
unverändert.
Die Nachweisungen der Krankenkassen ergeben ftlr die
am 1. September 1917 in Beschäftigung stehenden Mitglieder dem
1. August gegenüber insgesamt eine Zunahme um 33841 oder um
0,44 V. H. gegenüber einer Abnahme der Beschäftigtenzahl um 0,14
V. H. bei der vorhergehenden Feststellung am 1. August d. J. War
im Monat zuvor der Rückgang auf die Verminderung der männlichen
— 515 -
Beschäftigtenzahl zurückzuführen, so ist dieses Mal eine schwache Zu-
nahme der männlichen Beschäftigung festzustellen. Sie beträgt aller-
dings nur 7892 oder 0,21 v. H. ; im Vormonat stand dieser Zunahme
aber eine Verminderung um 20000 oder um 0,49 v. H. gegenüber. Die
weibliche Beschäftigtenzahl ist am 1. September dem Vormonat gegen-
über um 25 949 oder um 0,66 v. H. gestiegen, während sie im Monat
zuvor sich nur um 0,20 v. H. erhöht hatte. Im Vergleich zum Vor-
jahr ist die Gesamtzunahme der beschäftigten Krankenkassenmitglieder
eine nicht unerheblich höhere; sie stellte sich am 1. September 1916
nur auf 0,06 v. H., weil damals die männlichen Beschäftigten einen
E-ückgang um 0,50 v. H. erfahren hatten. Beim weiblichen Geschlecht
hatte sich allerdings die Zunahme ebenso hoch wie in diesem Jahre
gestellt. Bei der Beurteilung der Bewegung der männlichen Beschäf-
tigtenzahl muß berücksichtigt werden, daß die Kriegsgefangenenarbeit
in den Ergebnissen der Krankenkassenstatistik nicht enthalten ist.
Nachstehend ist die Bewegung der Beschäftigten in den einzelnen
Gewerbegruppen, soweit sie in der Berichterstattung der Be-
triebskrankenkassen zum Ausdruck kommt, vom 1. August bis
1. September dargestellt. Die Zahl der versicherungspflichtigen Mit-
glieder betrug am 1. September 1917 :
Gewerbe
Land- und Forstwirtschaft,
Gärtnerei
Metall-, Maschinenindustrie
{Schlesien
Rheinl.-Westf.
Elektrische Industrie
Chemische Industrie
Spinnstoffgewerbe
{Schlesien
Rheinl.-Westf.
Kgr. Sachsen
Els.-Lothringen
Holz- und Schnitzwaren
Nahrungs- und Genußmittel
Bekleidung
Baugewerbe
davon in
T'gV]] Aar
Pflichtmitglieder
Zu
- oder Abnahme
ZjallL Ucr
berichten-
den Kassen
abzüglich der arbeits-
gegen den
Vormonat
unfähigen
Kranken
in Prozent
männl.
weibl.
männl.
weibl.
6o
6928
5542
0,52
— 1,86
641
502 938
179920
+
0,30
+ 1,61
52
48252
18792
+
0,73
— 1,02
196
138598
48190
+
0,62
+ 0,26
14
9 434
10830
+
1,45
— 0,01
83
41448
19469
+
1,37
+ 4,05
748
530^9
126 538
—
0,14
+ 0,90
55
5855
14379
—
1,26
— 1,76
163
II 050
19576
+
0,67
+ 2,38
237
13463
37 597
+
0,97
+ 1,30
37
I 921
5408
—
5,79
— 4,88
63
5878
2328
—
0,12
- 2,23
242
22634
36344
—
1,48
— 1,59
71
5008
8978
—
0,22
— 1,68
147
37289
5718
—
0,10
— 2,80
Die Zusammenstellung der Betriebskrankenkassenmitglieder, die
einen Vergleich mit dem Vormonat bietet, läßt erkennen, daß die männ-
lichen Pflichtmitglieder abzüglich der arbeitsunfähigen Kranken im Nah-
rungsmittelgewerbe, in der Land- und Forstwirtschaft und daneben auch
im Spinnstoff- und Bekleidungsgewerbe, im Holz- und im Baugewerbe
eine Abnahme, in der Regel geringfügiger Art, erfahren haben, während
in der elektrischen und in der chemischen Industrie, daneben im Metall-
und Maschinengewerbe eine Steigerung der männlichen Beschäftigung
hervorgetreten ist. Eür die weibliche Beschäftigtenzahl ist die Be-
wegung mit zwei Ausnahmen die gleiche wie für das männliche Ge-
schlecht. Die Ausnahmen bilden Öpinnstoffgewerbe und elektrische
XXXIV*
- 5i6 -
Industrie. Die weiblichen Arbeitskräfte haben im Spinnstoffgewerbe
nicht wie die Männer dem Vormonat gegenüber eine Abnahme, sondern
eine fast 1 v. H. betragende Zunahme aufzuweisen, während in der
elektrischen Industrie nicht wie bei den Männern eine Zunahme, son-
dern ein Rückgang, allerdings ganz geringfügiger Art, festzustellen ist.
Zu berücksichtigen ist, daß die Zunahme der weiblichen Arbeitskräfte
in der chemischen Industrie wie in der Metall- und Maschinenindustrie
verhältnismäßig beträchtlicher als beim männlichen Geschlecht ist.
Andererseits ist dafür auch die Verminderung im Holz-, Bekleidungs-
und Baugewerbe beim weiblichen Geschlecht verhältnismäßig stärker
ausgeprägt als bei den Männern.
Von den berichtenden Unternehmungen gaben 282 den Stand
ihrer Arbeiterschaft im Berichtsmonat an. Diese beschäftigten 319 175
Arbeiter. Neben der Beschäftigtenzahl im Berichtsmonat gaben 272
Unternehmungen auch die Zahl der im Vormonat beschäftigten Arbeiter
an. Hier waren am letzten Tage des Berichtsmonats insgesamt 311 588
gegen 297 485 Arbeiter am Schlüsse des Vormonats tätig. Es ist also
im Berichtsmonat dem Vormonat gegenüber eine Zunahme der Be-
schäftigten um 14 103 oder 4,74 v. H. eingetreten. Die Steigerung
gegen den Vormonat geht in der Hauptsache auf eine Mehrbeschäf-
tigung von Männern zurück.
An der Erhöhung der Beschäftigtenzahl sind in erster Linie Berg-
bau und Hüttenbetrieb, Eisen- und Metallindustrie und der Maschinenbau,
daneben auch die chemische Industrie beteiligt. Ein Rückgang der Be-
schäftigtenzahl ist nur im Nahrungsraittelgewerbe nennenswert.
Nachstehend geben wir die Veränderungen in den einzelnen Ge-
werben, im Vergleich mit dem Vormonat, tabellarisch wieder:
05
Beschäftigte am
Zu- oder Abnahme
Ol
letzten Tage des
gegen den Vormonat
Gewerbegruppen
1
P3
August
insgesamt
männl. j weibL
insgesamt
männl.
Anzahl
V. H.
Anzahl
Bergbau und Hüttenbetrieb
25
57049
50847
+
9878+20,94
+ 7408
+ 2470
Ei^en- und Metallindustrie
35
64087
43 534
+
1942+ 312
+ 1435
+ 507
Industrie der Maschinen
89
117030
96013
+
I 181I-I- 1,02
+ 1156
+ 25
Elektrische Industrie
8
5 202
2359
+
I24!-f 2,44
+ 99
+ 25
Chemische Industrie
33
46250
34638
+
973'+ 2,15
+ 333
+ 640
Spinnstoffgewerbe
13
7608
2248
+
38,4- 0,50
— II
+ 49
Holzindustrie
9
549
381
+
21
+ 3,98
+ ^
+ 12
Nahrungs- und Genußmittel
12
5 437
1570
107
- 1,98
— 0
- 107
Bekleidungsgewerbe
10
I 148
504
+
55
+ 50s
+ 9
+ 46
Glas und Porzellan
5
2 010
926
+
6;+ 0,30
+ 18
— 12
Papierindustrie, Buchdruck
23
33'9
2307
—
40
— 1,01
— 17
— 23
Sonstige Gewerbe (einschließlich
Baustoffe und Schiffahrt)
IG
1299
842
+
32
+ 2,68
+ 15
+ 17
Summe
272
311 588
236 169
l + J
4103
+ 4,74
+ 10454]
+3649
Nach den Feststellungen von 31 Fach verbänden, die für 978 460
Mitglieder berichteten, betrug die Arbeitslosenzahl Ende August
7811. Es sind das 0,8 v. H. Da auch Ende Juli 1917 die Arbeits-
— 517 —
losenziffer 0,8 v. H. betrug, so zeigt sich dem Vormonat gegenüber
keinerlei Veränderung in der Grestaltung der Arbeitslosigkeit. Im Ver-
gleich zum August der drei vorhergehenden Jahre ist aber eine wesent-
liche Verminderung der Arbeitslosigkeit festzustellen, denn im August
1916 stellte sich die Arbeitslosenziffer auf 2,2, im August 1915 auf
2,6 V. H. und im ersten Kriegsmonat, im August 1914, auf 22,4 v. H.
Die Statistik der Arbeitsnachweise läßt im Berichtsmonat
für das männliche Geschlecht ein allerdings nur schwaches Steigen
des Andranges der Arbeitsuchenden erkennen, während er für das weib-
liche Geschlecht etwas lebhafter anstieg. Im August kamen auf 100
offene Stellen bei den männlichen Personen 49 Arbeitsuchende (gegen-
über 47 im Vormonat); beim weiblichen Geschlecht stieg die Andrangs-
ziffer im Juli von 83 auf 86.
II. Landwirtschaft und yerwandte Grewerbe.
Inhalt: Lage der lan d wirtschaftlichen Produktion iVereinigteStaaten:
Terminhandelsverbot für Weizen. Weizen preise. Weltmarkt. Saatkartoffel-
preise. Butterpreis. Braugerste. Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten. Ver-
ordnung über Seetang und Seegras. Viehhandelsverbände. Selbstversorger
durch Hausschlachtungen und Jagd Bayern: Anlieferung von Brotgetreide;
Aufforstung; Saat von Frühkartoffeln. Baden: Kartoffel Versorgung. Hes-
sen: Kartoffelpreise; Gemüseernte. Sachsen: Molkeneiweiß. Württem-
berg: Nutzviehhandel. Ungarn: Spiritus. Schweiz: Brotkarte; Milch;
Beschlagnahme von Getreide; Weinernte; Einfuhr von Kohle; Obstpreise.
Schweden: Futtermittelfrage. England: Getreidevorrräte ; Lebensmittel-
verbrauch ; Corn Production Bill ; Butterhöchstpreis. Irland: Flachsbe-
ßchlagnahme. Vereinigte Staaten: Weizenausfuhr. Frankreich: Be-
schaffenheit des Brotes; Kartoffelpreis; Haferversorgung. Italien: Brotkarte.
Kußland: Brotanteüe in Petersburg. Deutsche Märkte. Weltmarkt.
Schweiz: Getreidebeschlagnahme; Kartoffelfreigabe; Käseverteilung. Frank-
reich: Grieß und Teigwaren. England: Heringe aus Norwegen; Fleisch Ver-
sorgung Londons; Kartoffelkrankheit. O esterreich: Verbrauchsmenge von
Mehl Produkten ; Kartoffelpreis. Ungarn: Höchstpreise für Weizen- und ßoggen-
mehl. Schweiz: Brotamt; Brotkarte; Höchstpreise für Hafer und Gerste.
Dänemark: Verringerung des Schweinebestandes. England: Zuschuß zum
Brotpreis. Frankreich: Brotverbrauch. Italien: Ausmahlung des Getreides.
Eußland: Höchstpreise. Oesterreich: Mohnernte. Schweiz: Brotver-
ßorgung; Buttererzeugung; Höchstpreis für Butter. Dänemark: Korn Verord-
nung; Versorgung mit Getreide. Frankreich: Anbaufläche. Vereinigte
Staaten: Ausfuhrverbot für Fleisch; Kontrolle über Lebensmittel usw. — An-
bau- und Saatenstandsberichte: Argentinien. Indien. Polen. Spanien.
Frankreich. — Argentinien: Getreideausfuhrzölle. — Internationaler
Markt für Milch- und Molkereiprodukte. — Kanada: Viehbestand. — Aufkauf
australischer Wolle durch die britische ßegierung.
Ueber die Lage der landwirtschaftlichen Erzeugung
und Versorgung der Bevölkerung der verschiedenen
Länder mit Nahrungsmitteln seien hier einige Berichte wieder-
gegeben, die der Preisberichtsstelle des Deutschen Landwirtschaftsrats
zugegangen und von ihr zusammengestellt sind.
Unter dem 4. September 1917 heißt es, wie folgt:
Auf dem internationalen Markte hat die letzte Woche das historische Er-
eignis aufzuweisen, daß in den Vereinigten Staaten der Terminhandel
Si8
für Weizen und die Notierung von Terminpreisen eingestellt sind. Der Höchst-
preis für Weizen ist auf 220 Cents für den Bushel oder rund 340 M. für die
Tonne für Lieferung ab Chicago festgesetzt.
Entwicklung der Weizenpreise seit Anfang Januar 1917.
Buenos Aires New York Chicago
1917
100 kg
Hardwinter
Red Winter
Hardwintei
Datum
Nr. 2
Nr. 2
Nr. 2 loco
Pesos
Cents
Cents
Cents
6. Januar
13,35
220V,
3. Februar
13,85
203V
—
—
3. März
13,65
2277.
2. April
238V,
—
—
1. Mai
15,45
297V«
—
—
2. Juni
18,15
—
2. Juli
l8,65
—
3. August
18,45
260
—
—
11. ,,
l8,40
—
—
—
18. „
17,75
234
—
—
25. „
l6,7o
231V4
—
—
27. „
—
230
—
—
28. „
—
230
212V.
222V,
29. „
—
230
215
226
30. „
—
230
220
228
31. „
—
230
220
226V.
1. September
—
—
dagegen
1916:
10,25
154
—
—
Der Weltmarkt zeigte in der letzten Woche folgendes Bild:
Weizenpreise für die Tonne (Umrechnung nach dem Friedenskurs):
Letzte Vorletzte Zu- bzw.
Woche Woche Abnahme
M. M. M.
New York: Hardwinter Nr. 2 354,30 35^,80 — 1,90
Chicago: Redwinter Nr. 2 loko 339,^5 — —
Hardwinter Nr. 2 loko 349,50 — —
Die landwirtschaftlichen Körperschaften Deutschlands haben in der vom
Ausschuß für Pflanzkartoffeln einberufenen Versammlung vom 24. August folgende
Eichtpreise für Pflanzkartoffeln vereinbart: Der Pflanzkartoffelzuschlag
auf den Höchstpreis für verlesene Speisekartoffeln beträgt für 50 kg: für die
Sorten: Juliniere, Sechswochenkartoffein, Atlanta, Ovale Frühblaue, Mühlhäuser,
Goldperle, Bonifacius 5 M. ; für die Sorten: Odenwälder Blaue, Kaiserkrone,
Frühe Eose, Bürckners Früheste, Cimbals Frühe Ertragreiche und Zwickauer
Frühe 4 M. ; für die Sorten: Ella, Alma, Fürstenkrone, Weltwunder, Industrie,
üp to date 3 M. ; für alle übrigen Sorten 2 M. Soweit es sich um anerkannte
Pflanzkartoffeln handelt, erhöhen sich diese Zuschläge für je 50 kg um 1,50 M.,
für den zweiten anerkannten Nachbau um weitere 50 Pf., für ersten anerkannten
Nachbau fernerhin um 50 Pf. für je 50 kg. Originalzüchtungen und deren ver-
tragsmäßiger Vermehrungsanbau (anerkannte Saathochzuchten im Sinne des § 3
Abs. II der Verordnung über Kartoffeln vom 16. August 1917, Nr. 59, 96)
bleiben frei von Eichtpreisen.
Der Präsident des Kriegsernährungsamts hat in einer Verordnung vom
25. August eine Neuregelung der Preise für Butter eingeführt. Danach
wird der Preis für Molkereibutter, den der Hersteller beim Verkauf im Groß-
handel frei Berlin einschließlich Verpackung fordern kann (Grundpreis) 1) für
Handelsware I (Ware von einwandfreier Beschaffenheit) auf höchstens 240 M.,
2) für Handelsware II (nicht vollwertige Speisebutter) auf höchstens 220 M.,
3) für abfallende Ware auf höchstens 180 M. für 50 kg festgesetzt. Die Fest-
- 519 -
fletzung niedrigerer Herstellerhöchstpreise für Molkereibutter unterliegt keiner Be-
schränkung. Höhere Herstellerhöchstpreise dürfen ohne Zustimmung der Reichs-
ßtelle für Speisefette nur für Gebiete festgesetzt werden, in denen Erzeugerhöchst-
preise für Vollmilch bestehen; sie sind nur in der Art zulässig, daß der Höchst-
preis für Va kg Butter nicht mehr als das 8V4-fache des am Orte der
Niederlassung oder des Sitzes des Herstellers für einen Liter Vollmilch bestehen-
den Erzeugerhöchstpreises und höchstens 3 M. beträgt. Abrundungen des Höchst-
preises für 50 kg auf volle Mark nach oben sind zulässig. Der Preisunterschied
zwischen Handelsware I und Handelsware II muß mindestens 20 M. für 50 kg
betragen. Die Zuschläge für den Weiterverkauf dürfen höchstens betragen : 1) für
den Kommunal verband oder die Gemeinde, an welche die Lieferung erfolgt, zur
Deckung ihrer Unkosten, zu denen außer den Verwaltungskosten die verauslagte
Fracht, der Unkostenbeitrag, den der liefernde Kommunal verband und die Ver-
teilungsstellen berechnen, und der nicht mehr als insgesamt 5 M. für 50 kg be-
tragen darf, und die Abgabe an die ßeichsstelle für Speisefette gehören, höchstens
12 M.; 2) im Großhandel höchstens 5 M. ; 3) im Kleinhandel höchstens 13 M.
für 50 kg.
Es ist in Aussicht genommen, monatlich etwa 20000—30000 t Gerste den
Brauereien zu überweisen, so daß über die für Brauzwecke bestimmte Gerste
in etwa 4—6 Monaten verfügt sein wird. Ohne Bayern steUt sich der Friedens-
verbrauch der deutschen Brauereien auf etwa 1,2 Mill. t Gerste. Die Zuteilung
im neuen Erntejahr beläuft sich infolgedessen auf höchstens 27, v. H. des
Friedensverbrauches. In der Gerstenbewirtschaftung ist für die diesjährige Ernte
insofern eine Aenderung eingetreten, als sie auf die Eeichsgetreidestelle überge-
fangen ist. Diese hat die Zuteilung der Gerste auf die einzelnen Brauereien dem
)eutschen Brauerbund übertragen, der zu diesem Zweck eine Gersten verteilungs-
steile einrichten wird. Mit dieser Stelle wird auch die Vermittlungsstelle rar
Kontingentsübertragung verbunden werden.
Durch Bekanntmachung des Bundesrats vom 30. August werden die Landes-
zentralbehörden ermächtigt, Vorschriften zur Bekämpfung von Krank-
heiten der zur menschlichen Ernährung oder zur Fütterung
dienenden Pflanzen zu erlassen, soweit die Bekämpfung der Krankheiten
solcher Pflanzen nicht bereits reichsrechtlich geregelt ist.
Eine Ausführungsbestimmung des Präsidenten des Kriegsernährungsamtes
vom 24. August zur Verordnung über Seetang und Seegras vom 6. Juni
1917 bestimmt: Die Eisenbahngüterabfertigungen sind berechtigt, Seetang und
Seegras sowie die Bestellungen von Wagen für solche Sendungen nur anzu-
nehmen, wenn der Versender oder Besteller einen Frachtbrief mit der schrift-
lichen Beförderungsgenehmigung des Kriegsausschusses für Ersatzfutter G. m. b.H.
in Berlin oder eine vom löiegsausschuß gemäß § 2 Abs. 2 der Verordnung er-
teilte Bescheinigung vorlegt, daß der Kriegsausschuß die Ueberlassung der zu
versendenden Mengen nicht verlangt hat.
Provinzialfleischstellen (Viehhandelsverbändej haben häufig
die Wahrnehmung gemacht, daß durch die Unteraufkäufer den Landwirten
Schlachtvieh abgenommen wurde, welches dann in vielen Fällen ohne Wissen
des Verkäufers als Nutz- oder Zuchtvieh weiterverkauft oder eingetauscht wurde,
ohne daß der Verkäufer den vollen Preis erhalten hat, den sein Tier als Nutz-
oder Zuchtvieh erbrachte. Dies verstößt gegen die Bestimmungen. Die betei-
ligten Provinzialfleischstellen veranlassen nun die Ortspolizeibehörden, die Unter-
aufkäufer auf das Unzulässige ihres Verfahrens hinzuweisen, da dem Verkäufer
eines Schlachttieres der volle Betrag zusteht, den es als Nutz- oder Zuchtvieh
erbringt.
Nach den Neuregelungen der Hausschlachtungen und Not-
schlachtungen für Preußen gilt als Selbstversorger mit Fleisch, wer durch
Hausschlachtungen oder durch Ausübung der Jagd Fleisch und Fleisch-
waren zum Verbrauch im eigenen Haushdt gewinnt. Selbstversorgung durch
Hausschlachtung kann nur eintreten, wenn das zur Schlachtung bestimmte Kind,
Schwein oder Schaf mindestens 3 Monate in eigener Wirtschaft gehalten wird.
Das Tier ist in eigener Wirtschaft gehalten, wenn der Eigentümer während der
angegebenen Zeit zum wenigsten a) Gewahrsam am Stall gehabt, b) das Tier
— 520 —
und die Futtermittel selbst beschafft, c) die Fütterung selbst oder durch Gesinde
oder sonstige Angestellte besorgt hat. Kälber bis zu 6 Wochen muß der Selbst-
versorger selbst aufgezogen haben. Mehrere Personen, die für den eigenen Ver-
brauch gemeinsam Schweine mästen, werden ebenfalls als Selbstversorger ange-
sehen. Gemeinschaftliche Mästung liegt vor, wenn die Wirtschaftsführung ge-
meinsam ist, also das Schwein in einer Wirtschaft gehalten wird, die vöflig
gemeinsam von verschiedenen Personen betrieben wird; dies gilt bei mehreren
Miteigentümern und Mitpächtern auch dann, wenn einzelne dieser Personen nicht
am Mästungsorte selbst wohnen, solange sie nur die Wirtschaft mitbetreiben.
Gemeinschaftliche Selbstversorgung ist auch dann noch möglich, wenn nicht die
ganze Wirtschaftsführung der Beteiligten gemeinsam ist, sondern nur die Be-
wirtschaftung der Schweinemästung gemeinsam erfolgt. Zur Gemeinsamkeit der
Mästung in diesem Falle gehört, daß alle wesentlichen Vorgänge der Mästungen
gemeinsam durchgeführt werden, daß also das Tier gemeinsam beschafft, der
Stall gemeinsam bereitgestellt wird und die Fütterung und Bedienung gemeinsam
oder durch gemeinsame Organe durchgeführt werden. Es genügt nicht, daß sich
einzelne nur mit Geld oder Futterbeschaffung beteiligen.
In Bayern hat das Staatsministerium des Innern aUe Kommunal verbände
angewiesen, die Abnahme von Brotgetreide von den Landwirten auf
14 Tage einzustellen. Die Handelsgetreidestelle kann in einzelnen Fällen Aus-
nahmen zulassen. Diese Sperrzeit soll dazu benützt werden, um die Läger soviel
als möglich zu entlasten und für neue Anlieferungen Eaum zu schaffen.
Vielfache Klagen über Aufforstung bisher landwirtschaftlich benützten
Bodens haben dem bayrischen Kriegsministerium zur Hintanhaltung dieser
der allgemeinen Volksernährung abträglichen und im gegenwärtigen Zeitpunkt
ganz besonders unerwünschten Erscheinung Anlaß gegeben, solche Aufforstungen
auf Grund des Kriegszustandsgesetzes zu verbieten. Zuwiderhandlungen sind
mit strengen Strafen bedroht.
In Bayern hat das Staatsministerium des Innern die Kommunalverbände
zur Sicherung des Bedarfs an Saatgut von Frühkartoffeln ange-
wiesen, Frühkartoffeln, die ihnen von der Landesfuttermittelstelle als Saatgut be-
zeichnet werden, zu Speisezwecken nicht abzufordern. Die zu Saatzwecken be-
gtimmten Frühkartoffeln dürfen vor vollständigem Absterben des Krautes nicht
aus dem Boden genommen werden, da sie sonst zu Saatzwecken untauglich sind.
In der Eegel läßt die Landesfuttermittelstelle vor der Eeife eine Besichtigung der
zum Verkauf als Saatgut angemeldeten Feldbestände vornehmen. Die Geschäfts-
abteilung der Landesfuttermittelstelle wird den Erzeugern für Herbstlieferungen
(September - Oktober) an Saatgut von Frühkartoffeln einen Preis von 10 M. für
den Zentner gewähren. Die Saatkartoffeln sind sortenrein, in innerlich und
äußerlich gesunder handverlesener Ware mit höchstens V/^ v. H. Erdbesatz zu
liefern. Sie dürfen nicht unter 4 cm mittleren Durchmesser haben.
Die badische Kartoffelversorgung in Karlsruhe hat den Höchstpreis
für Frühkartoffeln aus der Ernte 1917 vom 1. September ab auf 6,50 M. für
den Zentner beim Verkauf durch den Erzeuger festgesetzt.
Die Landeskartoffelstelle im Großherzogtum Hessen hat den Erzeuger-
höchstpreis für Kartoffeln vom 20. August ab auf 7,50 M. für den Zentner
und den Kleinhandelshöchstpreis für Kartoffeln vom 1. September ab auf 10 Pfg.
für das Pfund festgesetzt.
Im Großherzogtum Hessen hat das Ministerium des Innern durch Be-
kanntmachung vom 28. August 1917 bestimmt, daß vor dem 1. Oktober außer
zur Verwendung in der eigenen Wirtschaft nicht geerntet werden dürfen:
Herbstweißkohl und Dauerweißkohl (Weißkraut), Herbstrotkohl und Dauer-
rotkohl (Rotkraut), Herbstwirsingkohl und Dauerwirsingkohl, Runkelrüben (Dick-
wurz), Kohlrüben, Möhren aller Art mit Ausnahme der Karotten. Als Karotten
gelten nicht die feldmäßig angebauten roten Pferdemöhren. Ausnahmen können
auf Antrag von dem zuständigen großherzoglichen Kreisamt in besonderen Fällen
gestattet werden.
Im Königreich Sachsen sind für den Verkauf von Molkeneiweiß mit
einem Wassergehalt von höchstens 68 v. H. folgende Richtpreise aufgestellt:
a^ Bei Abgabe durch den Hersteller in handelsüblicher Weise 60 M. für 50 kg,
b) bei Abgabe an den Verbraucher im Kleinhandel 72 Pfg. für 1 Pfund.
— 521 —
In Württemberg ist durch eine Verfügung vom 25. August der Handel
mit Nutzvieh (Rindvieh) jeder Art (Zucht-, Zug-, Mager- oder Anstellvieh)
bis auf weiteres verboten. Abgeschlossene, noch nicht ausgeführte Aufkäufe von
^Nutzvieh durch Händler sind nichtig. Viehhaltern ist die Veräußerung und der
Erwerb von Nutzvieh durch Vermittlung des Handels untersagt. Zugelassen ist
nur die Veräußerung von Nutzvieh von einem Viehhalter unmittelbar an einen
anderen Viehhalter für dessen eigenen Wirtschaftsbetrieb. Der Erwerber hat dem
Veräußerer beim Erwerb eine Bescheinigung des Schultheißenamtes seines Wohn-
sitzes zu übergeben, daß er das Nutztier für seinen Wirtschaftsbetrieb benötigt.
Der Veräußerer hat den Verkauf des Tieres unter Anschluß dieser Bestätigung
dem Schultheißen amt seines Wohnsitzes anzuzeigen. Die Abhaltung von öffent-
lichen Rindviehmärkten ist verboten. Das Aufkaufsgebiet der zum Viehverkauf
für den eigenen Betrieb zugelassenen Metzger wird, soweit es sich über den Ober-
jimtsbezirk ihres Betriebssitzes erstreckt, beschränkt auf diesen Oberamtsbezirk
und außerhalb desselben auf einen Umkreis von 15 km um den Ort des Betriebs-
ßitzes. Der Aufkauf von Schlachtvieh durch die von der Fleischversorgungsstelle
zugelassenen gewerbsmäßigen Händler oder von ihr beauftragten sonstigen Per-
ßonen darf durch Anordnungen der Bezirks- und Gemeindebehörden nicht be-
schränkt werden.
In Ungarn verfügt eine Regierungsverordnung die Beschlagnahme der
diesjährigen Spiritusproduktion, weil die Kartoffel infolge der schlechten
Ernte für die Spiritusproduktion nicht verwendet werden darf. Die bisherige
Beschlagnahme betrug 60 Proz. Der Finanzminister wird die für Konsumzwecke
notwendige Menge durch einzelne Fabriken selbst herstellen lassen und auf ent-
sprechende Weise für die Konsumenten anweisen.
In der Schweiz, wo vom 1. Oktober an die Brotkarte eingeführt wird,
besteht die Absicht, das Mehl durch Zusatz von Kartoffeln zu strecken.
Es wird ein Zusatz von mindestens 40 Proz. frischer (gedämpfter oder roher) gut
verriebener Kartoffeln empfohlen. Da der Wassergehalt der Kartoffeln durch-
schnittlich 75 Proz., derjenige des Mehls 13 Proz. und derjenige des Brotes rund
38 Proz. beträgt, so würde ein Kartoffelzusatz von 40 Proz, etwa 15 Proz. des
fertigen Brotes ausmachen.
Zur besseren Versorgung des Landes mit Milch und Milchprodukten
ißt in der Schweiz im Anschluß an die Abteilung für Landwirtschaft eine eid-
genössische Zentralstelle für Milch und Milcherzeugnisse errichtet, welche u. a.
ie bisherigen Funktionen der eidgenössischen Butterzentrale übernimmt. Die
Leitung der Zentralstelle ist Professor Peter, Direktor der Molkereischule Rütti,
übertragen. Durch den Bundesratsbeschluß vom 17. August dieses Jahres sind
die bisherigen Bestimmungen vom 18. April wirksam ergänzt worden. Danach
ist das Volkswirtschaftsdepartement ermächtigt, jederzeit Milch und Milcherzeug-
nisse für die Landesversorgung freihändig oder durch Requisition zu den geltenden
Höchstpreisen zu erwerben, die Eigentümer anzuhalten, diese Produkte in ord-
nungsmäßiger Aufmachung an Sammelstellen abzuliefern, für das ganze Land
oder einzelne Gebiete einschränkende Vorschriften über Verwendung von Milch
zur Aufzucht und Mast, sowie über die Milch Verarbeitung in der Hauswirtschaft
zu erlassen, bestimmte Verarbeitungsarten vorzuschreiben oder zu verbieten, den
Handel mit Milch und Milcherzeugnissen zu kontrollieren, an Bedingungen zu
knüpfen, ihn einzuschränken oder ganz zu verbieten, und endlich Verträge über
Lieferung von Milchprodukten im öffentlichen Interesse aufzuheben.
Das schweizerische Militärdepartement hat in einer Verfügung vom
25. August die näheren Bestimmungen über die Verwendung und Ent-
eignung des beschlagnahmten Getreides und die Selbstversorgung der
Getreideproduzenten erlassen. Alles inländische Getreide, das nicht zur Saat be-
nötigt wird oder zur Selbstversorgung überlassen bleibt (pro Person der Ertrag
von 8 Ar Brotgetreide), ist von der Gemeinde zu Händen der Inlandgetreidestelle
zur Verfügung zu halten. Für die Berechnung des Ertrages gelten die folgenden
Durchschnittsansätze, nach Abzug des Saatgutes für die gleiche Fläche, wie sie
1917 bestellt war. Winterweizen und Winterroggen 15 kg, Winterkorn (Spelz,
Dinkel) 21 kg, Sommerweizen und Sommerroggen 11 kg, Sommerkorn 15 kg,
Einkorn 12 kg, Emmer 9 kg, Winter- und Sommergerste 12 kg, Hafer 12 kg pro
Ar. In Höhenlagen über 700 m darf für jede weiteren 100 m ein Minderbetrag
— 522 —
von 2 kg von diesen Ansätzen in Abzug gebracht werden. Die Getreideprodu-
zenten sind verpflichtet, am 1. Oktober 1917 mit der Selbstversorgung zu be-
ginnen. Von dem in einer Gemeinde gepflanzten Hafer dürfen pro Pferd, da«
m der Gemeinde gehalten wird, 800 kg pro Jahr zurückbehalten werden. Vom
Rest sind 50 Proz. von der Gemeinde zur Verfügung der Inlandgetreidestelle zu
halten. Von der in einer Gemeinde gepflanzten Gerste sind 40 Proz. von der
Gemeinde der Inlandgetreidestelle zu halten. Ausnahmen, besonders für Gegenden,
wo die Gerste und der Hafer zur menschlichen Ernährung dienen, kann die In-
landgetreidestelle bewilligen. Die noch vorhandenen Getreidevorräte früherer
Ernten sind vom 1. Oktober 1917 an dem Getreide der Ernte 1917 gleichgestellt.
Für die Erwerbung des Getreides gelten für gute, trockene und gereinigte Ware
die folgenden, auf Grundlage des Abgabepreises für Monopolgetreide festgesetzten
Preise, die 100 kg netto, oder brutto für netto (Sack für Ware), auf Abgangs-
station geliefert: Winter- und Sommerweizen 64 frcs. (518,40 M. für die Tonne),
Winter- und Sommerroggen 64 frcs. (518,40 M. für die Tonne), Winter- und
Sommerdinkel 57 frcs. (461,70 M. für die Tonne), Einkorn und Emmer 64 frcs.
(518,40 M. für die Tonne), Hafer 58 frcs. (469,80 M. für die Tonne), Gerste 60 frcs.
(486, — M. für die Tonne). Für geringe, nicht genügend trockene oder nicht ge-
nügend gereinigte Ware wird entsprechend weniger bezahlt. Liefert ein Getreide-
produzent mehr als die vorgeschriebene Menge ab, so erhöht sich für diese Mehr-
ablieferung der Preis um 4 frcs. pro 100 kg beim Brotgetreide, und um 3 frcs.
bei Hafer und Gerste Jede Gemeinde ist verpflichtet, den durch die Erhebung
berechneten Ueberschuß über den Selbstversorgungsbedarf der Inlandsgetreide-
ßtelle resp. deren Beauftragten zur Verfügung zu halten und nach Weisung der
Inlandgetreidestelle abzuliefern. Die Inlandgetreidestelle stellt nach der Menge
des ihr abgelieferten Brotgetreides Kleie und Ausmahleten den Gemeinden zur
Abgabe an die berechtigten Getreidelieferanten zur Verfügung. Mit der Prüfung
des Getreides, das nicht in mahlfähigem Zustande gebracht werden kann, werden
die schweizerischen agrikulturchemischen Anstalten, eventuell in Verbindung mit
den schweizerischen Samen Untersuchungsanstalten, beauftragt. Die tägliche Brot-
ration der Selbstversorger mit eigenem Getreide beträgt in der Annahme von
15 kg Ertrag pro Ar etwas über 400 g. Nach den Erhebungen des Bauem-
sekretariats beträgt der Brotkonsum auf dem Lande pro Kopf und Tag im
Durchschnitt 460 g. Die Beschlagnahme ist auch auf Hafer, (Jerste und Mais
ausgedehnt, so daß auch diese dem freien Verkehr entzogen sind, doch ist es
den Produzenten von Hafer, Gerste und Mais gestattet, diese Getreidearten zu
eigenem Verbrauch als menschliche Nahrung, als Futtermittel und als Saatgut
zu verwenden. Kleie und Ausmahleten werden zu den Abgabepreisen des Bundes
nach der Menge des abgelieferten Getreides zurückerstattet. Für den Verkehr
mit gewöhnlichem Getreidesaatgut sind Höchstpreise festgesetzt. Diese Höchst-
preise betragen für den Ankauf von Getreidesaat beim Produzenten: für saatfertige
gereinigte Ware: Winter- und Sommerweizen und Winter- und Sommerroggen
71 frcs., Winter- und Sommerdinkel, Flegeldrusch mit mehr aus 43 kg Hektoliter-
fewicht 70 frcs., gewöhnlicher Winter- und Sommerdinkel 66 frcs., Einkorn und
Immer 71 frcs., Hafer 68 frcs. und Winter- und Sommergerste 69 frcs. ; für nicht
saatfertig gereinigte Ware: Winter- und Sommerweizen, Winter- und Sommer-
roggen, Einkorn und Emmer 67 frcs., Winter- und Sommerdinkel 60 frcs., Hafer
63, Winter- und Sommergerste 65 frcs.
Die Schweiz ist zu diesen strengeren Bestimmungen über die Getreide-
versorgung durch die Knappheit der Vorräte gezwungen. Seit Mitte Juli wurde
kein Dampfer Weizen mehr mit schweizerischer Bestimmung in Amerika ver-
schickt. Der letzte Dampfer, der in See stach, ist längst in Cette eingetroffen.
Von dort aus findet ein mäßiger Weitertransport nach der Schweiz statt. Die
sämtlichen, in der Schweiz und in Cette liegenden Vorräte reichen nur hin, den
schweizerischen Bedarf bis nächsten Januar zu decken. Die Zufuhrverhältnisse
bringen es mit sich, daß ständig von den im Lande befindlichen Vorräten gezehrt
werden muß, d. h. daß der tägliche Einlauf hinter dem täglichen Bedarf zurück-
bleibt. Zu den eingeführten Vorräten kommt nun allerdings der Ertrag der
Inlandsernte, der letztes Jahr aber fast vollständig außer Rechnung gefallen ist.
In der Schweiz plant man Maßnahmen zum Schutze der in-
ländischen Weinernte gegen das vielerorts einsetzende Spekulantentum.
— 523 —
In dem neuen Wirtschaftsvertrage zwischen Deutschland und
der Schweiz ist ein monatliches Quantum von 200000 Kohle nach der Schweiz
vorgesehen, das von 74 000 t an aufwärts in Relation zu dem Handelskredit von
20 Mill. frcs. gebracht wird.
Das schweizerische Volkswirtschaftsdepartement hat Normalpreise
für Obst festgesetzt. Die Vermittlung erfolgt durch die Verbände landwirt-
schaftlicher Genossenschaften und durch den Verband schweizerischer Obst-
handels- und Obstverwertungsfirmen.
In Schweden hat die Volkshaushaltskommission ihre Erhebungen über
den Stand der Futtermittelfrage abgeschlossen und festgestellt, daß für
das laufende Jahr statt der im Frieden benötigten 2 Mill. t nur 800000 t =
40 V. H. des Normalbedarfs zur Verfügung stehen. Da mit einer nennenswerten
Einfuhr an Futtermitteln nicht zu rechnen ist, hat die Kommission folgendes
verfügt: Der einzelne Landwirt darf außer seinem Saatgut 100 kg Futtermittel-
saat pro ha und 50 kg für jedes Stück Vieh behalten und darüber frei verfügen.
Das übrige ist für den Staat beschlagnahmt.
„Scotsman" vom 15. August berichtet aus London: Die hoffnungsvollen
Aeußerungen aus Regierungskreisen über die vorhandenen Getreidevorräte
und die künftigen Zufuhren werden in Handelskreisen nicht geteilt. Hier glaubt
man, daß die Schätzung der für England verfügbaren Getreidemengen einschließ-
lich der diesjährigen Ernte auf 23 Mill. Quarter zu hoch gegriffen ist. An-
genommen, daß die englische Ernte 7 Mill. Quarter ergeben wird, und daß die
Vorräte in den englischen Häfen dieses Quantum um etwas übertreffen, so müssen
noch große Mengen eingeführt werden. Durch das unbeständige Wetter, die
Einführung des neuen Pence- Brotes und ungünstige Nachrichten über die ameri-
kanische Ernte sind die Aussichten ziemlich unklar.
In England mahnen die „Times" zur Sparsamkeit in den Lebens-
mitteln. Der landwirtschaftliche Mitarbeiter der Times schreibt: Auf eine der
schlechtesten Saatjahreszeiten ist eine ebenso ungünstige Ernte gefolgt. Der
Schaden, den die schweren Regengüsse von Anfang angerichtet haben, ist nicht
wieder gut gemacht worden. Der Regen hielt die ganze Zeit über im ganzen
Lande an, so daß die Feldfrüchte zu Boden liegen und das Mähen und Ein-
bringen verzögert wird. Durch den Sturm am 28. August wurde die Lage außer-
ordentlich verschlechtert. Die Ernte wird sehr ungünstig.
Nach den „Times" vom 22. August hat die englische Corn Production
Bill, nachdem sie im Parlament erledigt worden war, am 21. August durch die
Zustimmung des Königs Gesetzeskraft erhalten. Im Zusammenhang damit weist
eine amtliche Mitteilung alle Arbeitgeber auf dem Lande darauf hin, daß sie —
auf Grund des Gesetzes — verpflichtet sind, jedem männlichen Landarbeiter einen
Wochenlohn von mindestens 25 sh zu zahlen, soweit er nicht durch Alter oder
irgendein Gebrechen verhindert ist, eine normale Arbeitsleistung zu vollbringen.
— Abgesehen von dem Mindestlohn für die Landarbeiter bestimmt das
Gesetz Mindestpreise für Weizen und Hafer für die Periode 1917
— 1922, verbietet eine Erhöhung der Pachtgelder und gibt dem Land-
wirtschaftsministerium die Gewalt, eine angemessene Bestellung des
Grundstückes zu erzwingen.
Im März d. J. wurde in England der Butterhöchstpreis auf 213 sh
für den Zentner (50,80 kg) festgesetzt. Vor einem Monat wurde der Höchstpreis
jedoch, wie die „ Nation altiden de" vom 24. August morgens berichtet, aufgehoben,
was infolge der bedeutend gesteigerten Nachfrage eine gewaltige Preissteigerung zur
Folge hatte. Es soll jetzt ein neuer Höchstpreis festgesetzt werden, was bei den
englischen Butterfirmen bereits Nervosität hervorrief.
„Dailjr Telegraph" vom 18. August meldet, daß die Regierung beschlossen
hat, allen im Jahre 1917 in Irland gebauten Flachs, ferner allen Ende
September noch nicht in den Händen der Spinner befindlichen, in Irland gebauten
Flachs zu übernehmen. Der Flachs wird in 5 Sorten eingeteilt werden, deren
Preis zwischen 35 und 55 sh per Stone (7,4 kg) schwankt. Vor dem Kriege
kostete die mittlere Qualität 7 sh 6 d.
Aus dem Regierungsbericht der Verein igten Staaten über die Weizen-
ausfuhr im abgelaufenen Finanzjahr 1. Juli 1916 bis 30. Juni 1917 geht her-
vor, daß die Weizen- und Mehlverschiffungen ins Ausland gegenüber
— 524 —
dem Vorjahre nur um 40 Mill. Bußhelß zurückgegangen sind, trotzdem die Weizen-
ernte von 1916 um 386 Mill. Buehels geringer war als im Jahre 1915. Die Handelß-
kreise sind sich aber durchaus klar darüber, daß dies nur infolge des t^larken
Ernteüberschußses möglich war, der von der Riesenernte von 1915 zurückblieb.
Gegenwärtig ist dagegen tatßächlich kein üeberschuß verblieben, und es scheint,
daß die diesjährige Weizenernte nicht größer sein wird als die von 1916.
„Dailv Express" vom 13. August teilt mit, daß das vom Nachrichtenbüro
herausgegebene JStaatsdiensthandbuch ausführt, daß die Vereinigten Staaten
und die Verbandsmächte sich einem Weizenfehlbetrage von 250 MilL
Busheis gegenübersehen.
Im „8emaphore de Marseille" vom 14. August wird das Pariser Brot
als grau wie Schiefer, zäh wie Leder bezeichnet. Es bestehe der Hauptsache nach
aus Kleie, aus richtiger Kleie, mit der man die Schweine füttert. Einige Chemiker
finden Senfmehl darin, andere Leimmehl. Sogar giftige Getreidepilze, wie Mehl-
tau und dergleichen, sind in dem Brot gefunden worden. Herr Violette hat die
murrenden Pariser auf den Monat Juli vertröstet. Aber dieser ist herangekommen,
und das gute Brot kommt nicht wieder, obwohl die Ernte bereits vorbei und
afrikanisches Getreide eingetroffen ist. Da hat es die Provinz besser, und man
kann den Provinzialen, die nach Paris kommen, nur raten, sich ihr Brot von zu
Haus mitzubringen. Auch „L'lntransigeant" vom 17. August klagt im Leitauf-
satz über das Brot und schreibt u. a. : „Man beobachtet jede Art von Fälschung,
den Zusatz von verdorbenem Getreide, von Staub und Müll zum Brot. Die
Klagen über Magen- und Darmleiden häufen sich. Keinesfalls dürfe die Absicht,
Kartoffeln unter den Brotteig zu mengen, ausgeführt werden, denn sonst würden
die Betrüger verfaulte und gekeimte Kartoffeln in das Brot tun.
Nach dem „Temps" vom 15. August betrugen in den Pariser Markt-
hallen die Preise für 100 kg Kartoffeln der Pariser Gegend 30— 37 frcs.,
der Bretagne 28—32 frcs., für spanische 30—32 frcs., für rote aus Spanien
38—45 frcs.
Ueber die Haferfrage in Frankreich macht der „Economiste Europöea*
TOm 10. August folgende Angaben:
11
§; Ertrag pro
ha
Heimische Erzeugung Einfuhr
(in dz)
(in
1000 Doppelzentnern)
1909/13
13,7
51569 4332
(Durchschnitt)
1914
12,9
46206 5012
1915
10,6
34626 8015
1916
13,5
41280 10479
Vor dem B^riege bezahlte Frankreich für seine Hafereinfuhr jährlich etwa
70 Mill. frcs., im Jahre 1914: 105; 1915: 218; 1916: 277 Mill. frcs. Diese Zahlen
sind der Zollstatistik entnommen und bleiben nicht unerheblich hinter der Wirk-
lichkeit zurück. Die Zahl für 1916 z. B. ist nach dem Käferpreis von 1915, d. h.
zu 26,40 frcs. für den Doppelzentner berechnet, der wirkliche Preis war aber im
Jahre 1916 weit über 40 frcs. Für die in 1916 eingeführten 10479000 dz Hafer
sind also in Wirklichkeit über 400 Mill. frcs. gezahlt worden. Ln laufenden Jahre
wird diese Ausgabe noch steigen, denn die Anbaufläche für Hafer ist von
3045 000 ha im Vorjahre auf 2 986000 ha zurückgegangen, und die Ernte wird
höchstens 35—38 Mill. dz betragen.
„Idea Nazionale" beantragt die sofortige Einführung der Brotkarte für
ganz Italien, bevor die Maßnahme mit einer empfindlichen Herabsetzung der
Brotration verbunden werden müsse, die, wenn man allzulange warte, bis 50 Proz.
betragen könnte. „Avanti" veröffentlicht verschiedene Protesttelegramme an
Canepa, so eines des Turiner Bürgermeisters, und Telegramme der Getreidekon-
sortien von Alessandria und Genua, in denen auf die neuerdings mangelnde
Brotversorgung infolge ungenügender Eisenbahn zufuhr hingewiesen und der
Lebensmittelkommissar für alle aus diesem Zustand sich ergebenden Folgen ver-
antwortlich gemacht wird. Auch Ministerpräsident BoseUi hat in einem Tele-
gramm an Canepa gegen das Andauern der unhaltbaren Zustände Einspruch
erhoben.
525.
Nach einer Meldung des „Aftonbladet" aus Haparanda sind die Brot-
anteile in Petersburg herabgesetzt worden; man rechnet mit ihrer weiteren
Verringerung. Den Grund dafür sehe man in der Hungersnot im Wolgagebiet.
An den deutschen Getreidemärkten hat sich die Lage in den letzten 8 Tagen
wenig verändert. Saatgetreide war ziemlich reichlich angeboten, allerdings zu
den höchsten Preisen, so daß die Händler wenig Interesse dafür übrig hatten.
Zwischenfruchtsämereien waren dagegen lebhaft begehrt, ohne daß sich nennens-
wertes Angebot zeigte. Winterwicken, Spörgel und andere Stoppelsaaten waren
stark gesucht. Auch Kleesaaten bleiben gefragt.
Weltmarkt.
Getreidepreise in Mark für 1000 kg,
lür amerikanische Märkte umgerechnet nach dem Friedenskurs 1 $ =i 4,20 M.,
für London umgerechnet nach dem Friedenskurs 1 £ = 20,50 M.
31. August 25. August
New York : Weizen : Hardwinter Nr. 2
Roggen loko Nr. 2, neue Ernte
Hafer white clipped, neuer
Mais Nr. 2
Chicago : Weizen : ßedwinter Nr. 2 loko
„ Hardwinter Nr. 2 loko
Mais: Dezember
„ Mai
Hafer: per September
„ „ Dezember
Roggen : loko
Minneapolis : Weizen : per September
Winnipeg: „ „ Oktober
Baltio-Markt:
Cents
f. 1 ßushel
230
195
66
208
220
226V3
112V4
108%
567,
'797,
217
220
M.
354.90
300,90
152,80
343,95
339,45
349,00
185,60
179,80
129,95
130,50
276,95
334,80
339,45
M.
356,80
285,45
144,70
325,70
178,10
174,20
122,15
123 —
273,10
330,95
331,75
Weizen: London: Hardwinter Nr. 3, Teilladung
sh
78/.6
28. August
M.
369,95
31. August
sh
Manitoba Nr. 4, Teilladung 77/'—
Wöchentliche englische „Farmers* Deliveries".
Durchschnittspreise für inländischen Weizen.
M.
362,85
London, 18. August 1917 :
Diese Woche
Vorige Woche
M.
352,70
sh
78/.4
M.
35»,6o
260,70
243,45
für 100 kg
Weizen 16,70
Mais 9,6 5
Hafer 6,55
Pesos
7,76
2,—
7,30
Vorige Woche
sh
78-/7
Entsprechende Wochen in den Vorjahren:
1916 58/.1
1915 54/.3
Buenos Aires, 23. August 1917.
Diese Woche
M.
Eriegsknrs Friedenskurs
(2,45) (1,78)
409,15 297,25
236,40 171,75
160,45 Il6,60
Ferner sollen hier noch einige weitere Berichte, im besonderen
aus dem Auslande, nach der Preisberichtsstelle des Deutschen Land-
wirtschaftsrats wiedergegeben werden:
Kriegs- Friedens-
kurs
434,85
294,—
i;8,80
315,95
213, riO
129,96
— .526 —
14. August 1917.
Durch den Bundesratsbeschluß vom 2. August wird in der Schweiz die
gesamte diesjährige Inlandsernte an Brotgetreide zuhanden der Kantone,
eventuell des Bundes beschlagnahmt, in der Absicht, dasselbe der Brotver-
sorgung zuzuführen. An- und Verkauf von Brotgetreide, sowie die Verfütterung
desselben sind verboten. Bereits abgeschlossene Kaufverträge werden für nichtig
erklärt. Gestattet ist nur die Verwendung von Getreide zur ausschließlichen
Selbstversorgung des Produzenten mit Brot und Mehl nach Maßgabe der zu er-
lassenden Vorschritten über die Brotrationierung, üeber die Verwendung von
Getreide zu Saatzwecken wird das Volks wirtschaftsdepartement besondere Ver-
fügungen erlassen. Bund und Kantone sind ermächtigt, das vorhandene Brot-
getreide zum Zwecke der gleichmäßigen Brotversorgung mit Beschlag zu belegen,
gegen Bezahlung von Höchstpreisen, die auf Grundlage des Abgabepreises für
Monopolgetreide vom Militärdepartement bestimmt werden. Produzenten, Ge-
meinden und Kantone sind verpflichtet, die vorläufig zu erwartenden Ernteergeb-
nisse zu melden und für eine richtige Ernte und Aufbewahrung des Getreides
Sorge zu tragen. Die Verwendung von Brotgetreide zu anderen Zwecken als zur
Brotversorgung ist nur ganz ausnahmsweise gestattet und an eine besondere Be-
willigung des Militärdepartements gebunden. Es kommt hier die Verwendung
zur Herstellung von unentbehrlichen Nahrungsmitteln, Stärke, Hefe, Malzkaffee
usw. in Betracht. Das übrige Getreide, nämlich Hafer, Gerste und Mais, ist vor-
läufig nicht beschlagnahmt. Seine Verwendung zu industriellen und gewerblichen
Zwecken wird aber kontingentiert und von einer Bewilligung des Militärdeparte-
ments abhängig gemacht. Das gleiche trifft zu für den Handel mit diesen Pro-
dukten. Die Kantone haben Vorschriften zu erlassen, um den Verbrauch von
Hafer, Gerste und Mais möglichst einzuschränken und eine gleichmäßige Ver-
teilung zu erzielen. Sie haben auch dafür zu sorgen, daß Pferdebesitzer, die selbst
nicht genügend produzieren, sich den nötigsten Hafer verschaffen können, und
daß die Bedürfnisse der Armee gedeckt werden. Eine Beschlagnahme auch dieser
Getreidearten bleibt vorbehalten. Für ihren Verkauf gilt der Abgabepreis des
Bundes als Höchstpreis.
Nach der Verfügung des schweizerischen Volkswirtschaftsdepartements
ist vom 25. Juli ab die Ernte von Kartoffeln freigegeben. Der Handel mit
Kartoffeln ist bis auf weiteres außer der Zentralstelle für Kartoffelversorgung, den
Amtsstellen und Fürsorgekommissionen der Kantone und Gemeinden ohne be-
sondere Bewilligung auch den privaten Händlern und Firmen gestattet, die sich
schon bisher regelmäßig mit dem Kartoffelhandel befaßten. Von der Festsetzung
von Höchstpreisen für Kartoffeln hat das Volkswirtschaftsdepartement nach An-
trag der eidgenössischen Kommission für Kartoffel Versorgung abgesehen.
Nach einer Verfügung des schweizerischen Volks wirtschaftsdepartement»
vom 6. August darf derjenige, der Käse herstellt oder auf seine Rechnung her-
stellen läßt, für den Bedarf des eigenen Haushaltes, den örtlichen Detailverkauf
und zur Bedienung einer weiteren regelmäßigen Kundschaft bis 10 Proz. seiner
Produktion verwenden. Bei Berechnung dieser 10 Proz. sind größere außerordent-
liche Lieferungen von Konsummilch in benachbarte Gebiete zu berücksichtigen.
Den Inhabern von Käsereibetrieben, in denen auch vor Kriegsausbruch regelmäßig
Käse hergestellt wurde, sind in der Kegel mindestens 400 kg Käse innerhalb
6 Monaten zu belassen. In Sennereien und Käsereien, in denen es in den dem Kriege
unmittelbar vorausgegangenen Jahren üblich war, die erzeugten Käse im Verhält-
nis zu der eingelieferten Milch unter die Milchlieferanten zu verteilen, kann der
bezugsberechtigte Milchlieferant nicht mehr Käse beanspruchen, als er für seine
Haushaltung benötigt, in der Regel jedoch höchstens 200 kg innerhalb 12 Monaten.
Für mehr als 200 kg sind nur Lieferanten bezugsberechtigt, denen nach Maßgabe
ihrer Milchlieferungen eine größere Menge Käse zukommt. Die übrigen Käse
dürfen nur an die Genossenschaft schweizerischer Käseexportfirmen veräußert
werden. Ein Käseproduzent darf innerhalb 6 Monaten ohne Bewilligung der Ab-
teilung für Landwirtschaft nicht mehr als 100 kg Käse an den nämlichen Ab-
nehmer verkaufen. Die Angehörigen einer Familie mit gemeinsamem Haushalte
und alle in einem Haushalte lebenden Personen gelten als ein Abnehmer. Der
— 527 —
Verkauf von Weichkäse ist nur solchen Käseproduzenten gestattet, die für die
Herstellung solchen Käses nach Maßgabe der Verfügung des schweizerischen
Volkswirtschaftsdepartements, betreffend die Weichkäsefabrikation, vom 21. Mai
1917 hierzu eine Bewilligung erhalten haben. Als Weichkäse im Sinne dieser
Verfügung gelten alle Käsesorten, die nicht dem Einkaufsmonopol der Genossen-
schaft schweizerischer Käseexportfirmen unterstehen.
In Frankreich traf laut „Journal off iciel" vom 31. Juli der Verpflegungs-
minister zwecks Vorbeugung von Preistreibereien für Grieß und Teigwaren
folgende Maßnahmen: Vom 1. August wird der Gesamtbestand an Hartweizen
und an Korn, der sich für Herstellung von Teigwaren eignet, durch den Staat
beschlagnahmt; ebenso aller in französischen Häfen eintreffender Grieß. Hart-
weizen wird für Herstellung von Grieß nur an Spezialfabrikanten abgegeben, die
sich verpflichten müssen, anderes Korn dafür nicht zu verwenden und ihre ge-
samte Produktion an das Teigwaren komitee abzuliefern. Vom 1. August an hat
jeder Fabrikant die Teigwarenpackungen (zu 1 kg, 500 g, 250 g) mit einem deut-
lichen Vermerk über den Kleinhandelspreis zu versehen. Der Preis wird unter
Zugrundelegung der Herstellungskosten, des Groß- und Kleinhandelsgewinnes
festgesetzt auf 151,88 frcs. für 100 kg ohne Packung , 176,88 frcs. für 100 kg in
Paketen zu 500 g, 181,88 frcs. für 100 kg in Paketen zu 250 g. Hergestellt wird
künftig nur eine Grießqualität. Die Fabrikanten von Eierteigwaren haben inner-
halb 14 Tagen eine Erklärung über ihre Bestände abzugeben und dürfen nach
Richtigbefund dieser Erklärung ihre Waren nur zum alten Preise verkaufen. Der
Verkauf von Eierteig waren ist vom 1. November an verboten. Jeder Verstoß
fegen obige Vorschrift hat die Einstellung der Getreidelieferung, vorbehaltlich der
Jeschlagnahme, zur Folge.
Auf der Jahresversammlung des englischen Gemüse- und Kolonialwaren-
händlerverbandes in Portsmouth bat, nach „Manchester Guardian" vom 27. Juli,
H. G. Maurice als Vertreter des Nahrungsmittelkontrollamtes im Namen der
Regierung, diese im Verkauf gesalzener Heringe zu unterstützen. Die
Heringe seien in Norwegen gekauft, um den Deutschen ein Nahrungsmittel zu
entziehen.
„Daily News" vom 30. Juni teilen aus einem von H. W. G. Millman, Ober-
aufseher des Zentralviehmarkts in Smithfield, herausgegebenen Sonderbericht über
die Fleisch Versorgung Londons mit, daß in dem soeben abgeschlossenen
Halbjahr die Gesamtzufuhr von Fleisch nach London 148 218 t gegen 169 891 t
im gleichen Zeitraum 1916 betragen hat. Das ist eine Abnahme von 12,8 v. H.,
wovon ungefähr ein Viertel auf den Monat Juni entfällt. Sie verteilt sich auf
alle Zufuhrquellen mit Ausnahme der Vereinigten Staaten und auf alle Fleisch-
arten mit Ausnahme von britischen Hammeln. Es müsse unbedingt eine Kontrolle
über Preise und Zufuhrmengen eingerichtet werden, aber anscheinend seien die
zuständigen Abteilungen noch damit beschäftigt, eine der Kriegsnotwendigkeit
entsprechende gemeinschaftliche Grundlage für die Versorgung der Zivilbevölkerung
mit Fleisch auszuarbeiten.
Einer Ankündigung des britischen Leben smittelamtes zufolge hat der neuliche
Wetterumschlag von Treibhauswärme zu anhaltender Nässe die Ausbreitung der
Kartoffelkrankheit bedenklich gefördert. Das Uebel ist jetzt über ganz
ßüdengland verbreitet und reicht bis ins obere Themsetal.
21. August 1917.
Das Oesterreichische Reichsgesetzblatt vom 15. August enthält eine
Verordnung des Volksernährungsamtes, wonach die im Mai verfügte Kürzung der
Verbrauchsmengen von Mehlprodukten außer Kraft gesetzt wird. Mit
Beginn der neuen Verbrauchsperiode, also nach dem 16. August, erhalten Schwei-
arbeiter 300 g Mehl, landwirtschaftliche Selbstversorger 300 g und landwirtschaft-
liche Schwerarbeiter 360 g Getreide, die übrige Bevölkerung 200 g Mehl pro Kopf
und Tag. Als Neuerung sieht die Verordnung Zulagen in Grieß, Rollgerste,
Haferreis und Teigwaren im Höchstausmaße von 74 kg wöchentlich vor.
In Oesterreich wurde vom Amt für Volksernährung der Verkaufspreis der
Kriegsgetreideverkehrsanstalt für Kartoffeln für die Zeit vom 1. bis 20. August
mit 43,50 K. (= 37, — M.) für runde Kartoffeln für den Doppelzentner festgesetzt.
— 528 —
In der Zeit vom 21. August bis 5. September hat der Verkaufspreis der Kriegs-
getreideverkehrsanstalt fiir den Doppelzentner 28,50 K. (= 24,20 M.) für runde
und 78,50 K. (= 66,70 M.) für Kipllerkartoffeln zu betragen. Nach dem 5. Sep-
tember ist der Höchstpreis für runde Kartoffeln mit 18,50 K. (= 15,70 M.) und
für Kipflerkartoffeln mit 48,50 Kr. (= 41,20 M ) für den Doppelzentner bestimmt
Der Zuschlag auf den Höchstpreis, den die Kriegsgetreide verkehrsanstalt zu er-
heben berechtigt ist, beträgt 3,50 K. (= 3,— M.) für den Doppelzentner.
In Ungarn veröffentlicht das Amtsblatt die Höchstpreise f ür Weizen-
undRoggenmehl, die am 15. August in Kraft getreten sind. Die Preise be-
tragen für 100 kg Mehl von 135,50 bis 136,— K., je nach den verschiedenen
Gegenden, Kochmehl von 59,50 bis 60,— K., Brotmehl 40,50 bis 42,— K., Roggen-
mehl von 64,40 bis 66,20 K. Die Preise verstehen sich ab Station ohne Sack.
In der Schweiz wird nach einem Bundesratsbeschluß vom 10. August zum
Zwecke der Versorgung des Landes mit Brot und Mehl beim Oberkriegskom-
missariat ein eidgenössisches Brot am t errichtet, bestehend aus I.Abteilung für
Auslandgetreide, 2. Abteilung für Inlandgetreide, 3. Abteilung für ßationierung
und Kontrollwesen.
Nach dem „Bund" wird in der Schweiz vom 1. September ab die Ratio-
nierung des Brotes durch die Brotkarte erfolgen. Vorgesehen ist ein Ration
von 250 g, wozu für Schwerarbeiter eine Zulage von 100 g tritt. Der Ertrag von
9 Ar soll dem Produzenten zur Selbstversorgung überlassen werden. Der Abgabe-
preis von 64 frcs. wird festgehalten werden.
Das schweizerische Militärdepartement hat neue Höchstpreise für
Hafer, Gerste und deren Mahl- und ümwandlungspiodukte erlassen. Der
Preis für Hafer oder Mischfutter stellt sich auf 59, — frcs. per 100 kg, für Gerste
auf 61,— frcs. für Mengen von 100 kg und mehr. Für Mengen von 25 bis 99 kg
erhöhen sich die Preise auf 60,50 frcs. bzw. 62,50 frcs. per iS) kg. Detailauswage
per 1 kg 68 Rappen für Hafer oder Mischfutter und 70 Rappen für Gerste. Im
Kleinhandel stellen sich die Preise für Haferflocken auf 1,38 frc, ebenso für Hafer-
kerne und Hafergrütze, während der Preis für Kinderhafermehi sich auf 1,62 frc,.
für Speisehafermehl auf 1,42 frc. und der Preis für Rollgerste, sowie Speise-
gerstenmebl auf 1,62 frc. stellt.
In Dänemark berichtet „Nordsjällands Venstreblad" vom 10. August: Auf
einer Versammlung des Ernährungsausschusses vom 8. August wurde die Ver-
ringerung des Schweinebestandes erörtert. Die höchstzulässige Anzahl
ist 500000, wohingegen die letzte Zählung 1,6 Mill. aufweist, üeber die Form
der Bestandsverringerung soll noch mit den Schlachtern verhandelt werden.
In England erklärte der Parlamentssekretär im Nahrungsmittelamt Clynes
auf eine Anfrage im ünterhause am 8. August, die Zuschüsse der Regierun g,
um den Verkaufspreis des Vierpfundbrotes auf 9 d zu halten, würden
jährlich etwa 40 Mill. £ betragen, vorausgesetzt, daß die amerikanischen
Weizenpreise nicht höher stiegen und die anderen dieser Berechnung zugrunde
liegenden Faktoren sich nicht in ungünstiger Weise veränderten. Das Nahrungs-
mittelamt macht übrigens bekannt, daß die fragliche Brotpreisverordnung nicht
bereits, wie zuerst angegeben, am 15 August in Kraft treten kann, daß aber alles
getan wird, sie baldmöglichst in Kraft zu setzen.
In Frankreich meldet „Petit Parisien", daß die Regulierung des
Brotverbrauches am 4. August angeordnet worden ist. Jeder Verbraucher
oder Familien vorstand erhält eine Doppelkarte, auf der er den Verbrauch anzu-
feben hat. Den über 7 Jahre alten Personen stehen 500 g täglich zu, den jüngeren
00 g. Auf einfache Begründung kann der Satz um 200 g erhöht werden, auf
Antrag beim Bürgermeister um weitere 300 g. Die eine Hälfte der Karte behält
der Ausfüllende, die andere erhält der Bäcker zwecks Anforderung des Mehls.
Eine Agenzia Stefani-Meldung im „Economista" in Italien vom 31. Juli
besagt: Die Ausmahlung des Getreides wurde auf 85 v. H. festgesetzt.
Das Brot darf nicht weniger als 250 g wiegen. Die runde Form darf 15 cm, die
lange 30 cm nicht überschreiten. Die Ernte ist mäßig, die Einfuhr wegen der
Frachtraumnot schwierig.
In Rußland gibt das Zentral versorgungsamt in den „Birshewija Wjedomosti"
vom 27. Juli folgende neuen Höchstpreise bekannt: Rindfleisch I. Sorte 0,95 Rbl.
— 529 -
das Pfund (= 2,50 M. für das deutsche Pfund), Rindfleisch II. Sorte 0,80 Ebl.
daß Pfund (= 2,10 M. für das deutsche Pfund), Stückenzucker 0,43 Rbl. das Pfund
(= 1,15 M. für das deutsche Pfund), Streuzucker, 0,31 Rbl. das Pfund (= 0,80 M.
für das deutsche Pfund), Eier, roh, 1,10 Rbl. für 10 Stück (= 2,35 M.), Eier, ge-
kocht, 0,13 Rbl. 1 Stück (= 0,28 M.), Hafer 4,40 Rbl. für 1 Pfund (= 525,05 M.
für die Tonne), Kleie 3,— Rbl. für 1 Pud (= 395,75 M. für die Tonne).}
28. August 1917.
In Oesterreich ist durch eine Ministerial Verordnung vom 19. August die
diesjährige Mohnernte vrie im Vorjahre zugunsten des Staates beschlagnahmt
worden. Der üebernahmepreis für Mohn wird mit 200 K. für 100 kg festgesetzt.
Außerdem werden den Landwirten, welche sich auf Grund der Kundmachung
des Ackerbauministers vom 8. Februar 1917 durch freiwillige Anmeldung zum
Anbau von Mohn verpflichtet haben, 25 kg Oelkuchen zum Preise von 40 K. für
den Doppelzentner für je 100 kg angelieferten Mohn für den Bedarf ihrer Wirt-
schaft durch die Futtermittelzentrale zur Verfügung gestellt werden. Die Ge-
winnung des Mohnsamens hat bis längstens 15. Januar 1918 zu erfolgen ; Sen-
dungen von Mohn sind auf Grund der neuen Verordnung auch im Postpaket-
verkehr an die Beibringung eines Transportscheines gebunden.
In der Schweiz hat der Bundesrat am 21. August über die Brot Ver-
sorgung des Landes und die Getreideernte des Jahres 1917 gemäß dem Antrage
des Militärdepartements einen Beschluß gefaßt, wonach die Versorgung, soweit es
sich nicht um Selbstversorger handelt, auf Grund von Mehl- und Brotkarten er-
folgt. Jeder Einwohner hat Anspruch auf 250 g Brot pro Tag und 500 g Mehl
pro Monat. Das schweizerische Militärdepartement ist ermächtigt, die Ration je
nach dem Stande der Getreidevorräte und Getreidezufuhren zu ändern. Für
Personen, die sich nur vorübergehend im Lande aufhalten, werden Tageskarten
abgegeben, für welche das eidgenössische Brotamt besondere Vorschriften auf-
stellt. Für Schwerarbeiter und Minderbemittelte wird die tägliche Ration bis um
100 g erhöht. Der Kreis der zu dieser Zusatzkarte Berechtigten wird vom eid-
§enössi8chen Brotamt aufgestellt. Selbstversorger, die ihren ganzen Bedarf aus
er eigenen Getreideproduktion decken, erhalten keine Brot- und Mehlkarten.
Familien, die ihr Brot im eigenen Haushalt backen, erhalten auf ihren Wunsch,
auch wenn sie nicht Selbstversorger sind, die ihrer Brotration entsprechende
Menge Mehl zugeteilt. Kleingebäck, Zwieback, Biskuits, Patisserie- und Konfiserie-
waren, die mit Mehl hergestellt werden, dürfen nur gegen entsprechende Brot-
kartenabschnitte abgegeben werden. Das gesamte Brotgetreide der Ernte 1917,
sowie die noch vorhandenen Vorräte früherer Ernten dürfen nur für die Brot-
versorgung des Landes und als Saatgut verwendet werden. Ueber das inländische
Brotgetreide wird die Bahntransportsperre verhängt, indem Eisenbahnen und
Dampfschiffe, nur gestützt auf eine schriftliche Bewilligung, solches Getreide zum
Transport annehmen dürfen. Die Gemeinden werden verpflichtet, über die vor-
schriftsgemäße Behandlung und Verwendung der Inlandernte zu wachen, und
sie haben das Recht, verheimlichte Vorräte ohne Entschädigung zu Händen der
Gemeinde zu requirieren. Durch den Beschluß wird ferner der gesamte inländi-
sche Ertrag an Hafer, Gerste und Mais beschlagnahmt. Ohne besondere Be-
willigung des Militärdepartements ist es verboten, Hafer, Gerste und Mais zu
industriellen und gewerblichen Zwecken zu verarbeiten und zu verwenden. Der
Beschluß ist am 25. August in Kraft getreten. Das Militärdepartement wird be-
auftragt, die nötigen Anordnungen zu treffen zur Inkraftsetzung der Brot- und
Mehlkarte auf den 1. Oktober 1917.
Nach einer Verfügung des schweizerischen Volkswirtschaftsdepartements
vom 18. August muß derjenige, der Käse herstellt, bis auf weiteres für je 100 kg
verarbeitete Vollmilch mindestens 1 kg Butter als Nebenerzeugnis pro-
duzieren. Wer im Mai und Juni 1917 oder während eines Teils dieser Zeit eine
Milch Verarbeitung betrieben hat, die auf 100 kg Milch mehr als 1 kg Butter
lieferte, darf nicht zu einer anderen Milchverarbeitung übergehen, die weniger
Butter ergibt. Die eidgenössische Zentralstelle für MUch und Milcherzeugnisse
wird ermächtigt, im Einvernehmen mit der Abteilung für Landwirtschaft auch
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Volkswirtsch . Chronik. 1017. XXXV
— 530 —
für andere Betriebe eine vermehrte Buttererzeugung vorzuschreiben. Sie wird
den betreffenden Unternehmungen die erforderlichen Unterweisungen in der Regel
direkt erteilen. Vom 1. September 1917 an muß jede Betriebsstelle für Kä^e-
erzeugung, die nicht mehr als 400 kg Milch täglich zu verarbeiten hat, wenigstens
2 kg Butter auf 100 k^ verarbeitete Milch als Nebenerzeugnis gewinnen.
Das schweizerische Volks wirtschaftsdepartement hat neue Höchst-
preise für Butter festgesetzt. Danach stellt sich der Preis für 1 kg Butter
im Detailhandel auf 6 frcs. (= 4,85 M.).
In Dänemark werden diejenigen Landwirte, die gewillt sind, mehr Korn
abzuliefern, als sie nach der neuen Kornverordnung abzuliefern verpflichtet
sind, aufgefordert, bekanntzugeben, wieviel Gerste und Hafer sie voraussichtlich
werden liefern können und zu welchem Zeitpunkt. Für jede mehr abgelieferten
100 kg erhalten sie eine Prämie von 2 Ki.
Die dänische Regierung hat einen Plan für die Versorgung des
Landes mit Getreide für 1917/18 aufgestellt, wonach sie etwa 950000 t
Roggen, Weizen, Gerste und Hafer übernehmen wird. Ein Preisunterschied von
9 Kr. für 100 kg Roggen, 6 Kr. für 100 kg Brotgerste ist in Anschlag gebracht,
den die Regierung bezahlt, um den gegenwärtigen Brotpreis aufrechtzuerhsdten.
30000 t dänische Gerste sind für die Brauindustrie reserviert worden; die Mehr-
bedarf smenge an Braugerste muß eingeführt werden. Das Brennen von Kom-
branntwein wird verboten werden.
Amtlichen Angaben ist folgende Uebersicht über den Umfang der An-
baufläche in Frankreich am 1. Mai der einzelnen Kriegsjahre entnommen
(in ha):
1914 1915 1916 1917
Weizen
6493330
5 723 128
5 205 620
4 207 530
Roggen
I 178 610
1039 810
925 600
809 735
Mengkorn
118 950
104 084
loi 205
84485
Gerste
732 000
671 417
586 285
596 705
Hafer
3 979 420
3 375 579
3 044 760
2 605 070
zusammen 12 502 310 10 914 018 9863470 8303525
gMatin" berichtet aus New York: Die Regierung der Vereinigten
Staaten wird ein Ausfuhrverbot für Fleisch erlassen. Der Lebensmittel-
kontroUeur wird später die für die Ausfuhr freigegebenen Mengen bekanntgeben.
„Politiken" vom 11. August meldet aus London: Der Korrespondent der
,Times" in New York teilt mit, daß nach dem neuen Lebensmittelgesetz der
Präsident die vollständige Kontrolle über Lebensmittel, Futter- und
Düngemittel, Werkzeuge, Geräte und andere Mittel zur Erzeugung von Lebens-
mitteln erhält. Er wird ermächtigt, die Börse und Handelskammer zur Verhinde-
rung der Spekulation zu schließen, erhält außerdem das Recht zum An- und
Verkauf von Weizenmehl, Bohnen und Kartoffeln. Das Gesetz verbietet den
Verbrauch von Nahrungsstoffen zur Herstellung von Whisky, Bier und Wein.
Der Mindestpreis von 2 $ für 1 Bushel Weizen wird bis 1. Mai 1919 garantiert.
Nach „Economista" vom 6. August beträgt die argentinische Ernte
1600000 t. Von diesen werden 765 000 t für den Bedarf des Landes und
465000 t als Saatgetreide zurückgehalten. Der Rest von ungefähr 410000 t ist
zur Ausfuhr bestimmt, und zwar für:
Mehl
Getreide
England
20000 t
130000 t
Brasilien
45000 t
25000 t
Spanien
34000 t
20000 t
Uruguay
6000 t
4000 t
Paraguay
I 000 t
3000 t
Eine endgültige Schätzung der Anbaufläche und des voraussichtlichen
Ernteergebnisses von Weizen in Indien wird in folgender Tabelle ver-
öffentUcht:
— 531 —
Acres Ertrag
Bengal 1 29 000 40 000 t
Bihar und Orissa i 308 000 598 000 t
Rasputana i 147 000 265 000 t
Central India 3513000 898000 t
Hyderabad 1344000 126000 t
Zusammen mit den Schätzungen aus anderen Provinzen wird die Anbau-
fläche von Weizen mit 32940000 Acres und der Ertrag mit 10158000 t gegen
30 143 000 Acres bzw. 8 518 000 t im Vorjahre angegeben.
Von Saatenstandsberichten können im Anschluß an die
früheren Mitteilungen der „Chronik" in den vorhergehenden Monaten
folgende noch angefügt werden :
Polen. In ganz Polen ist mit der Ernte begonnen worden. Die „Gazeta
Poranna" erfährt, daß die diesjährige Ernte im allgemeinen befriedigend ausfallen
wird. In Nordpolen wird sogar eine ausgezeichnete Ernte erwartet. Eine sehr
gute Ernte sollen die Kartoffeln ergeben; man kann erwarten, daß die Kartoffel-
ernte zu den besten Jahren zählen wird. Das Dreschen des Getreides wird heuer
früher als sonst vorgenommen werden.
Spanien. Amtlich werden die Ernteergebnisse folgendermaßen geschätzt:
Durchschnitt
1917 1916 1910/15
Weizen 3 838 000 t 4 146 000 t 3 408 000 t
Koggen 706000 t 731000 t 639000 t
Gerste i 666000 t i 891 000 t i 614000 t
Hafer 480000 t 467000 t 437000 t
Mais 654000 t 728000 t 703000 t
Frankreich. Nach amtlichen Angaben waren in den nachfolgenden
Jahren bebaut (in ha):
1914 1915 1916 1917
Weizen 6 493 330 5 723 128 5 205 620 4 207 530
Koggen I 178 610 1039 810 925600 809735
Mengkorn 118 950 104084 loi 205 84485
Gerste 732000 671 417 586285 596705
Hafer 3979420 3 375 579 3 044 76o 2605070
Zusammen: 12502310 10 914 018 9863470 8303525
Ueber die Getreideausfuhrzölle in Argentinien teilt
die „Landwirtschaftliche Marktzeitung" (Berlin XVIII, 72) folgen-
des mit :
Nach einer telegraphischen Mitteilung aus Argentinien an eine norwegische
Firma soll die argentinische Regierung die Erhebung nachstehender Ausfuhrzölle
beim Kongreß beantragt haben: für I^insaat 15 $, für Weizen 7^3 $, für Hafer,
Mais und Gerste 4 $, für Talg 22V, $> alles pro Tonne, und für Oelkuchen
2 Proz. vom Werte. — Daß die Kegierung Ausfuhrzölle plane, war früher schon
vermutet, und unwahrscheinlich ist die obige Mitteilung auch deshalb nicht, weU
Argentiniens Staatsfinanzen infolge Heruntergehens der Einfuhr und damit der
Einfuhrzölle wenig günstig sind.
Ueber den internationalen Markt für Milch- und Mol-
kereiprodukte im 2. Vierteljahr 1917 kommt die Preisberichts-
stelle des Schweizer Bauernverbandes zu folgendem Gesamtergebnis :
Rückblick: Die in weiten Gebieten herrschende Futternot und der ver-
spätete Vegetationsbeginn im Frühjahre führten ganz allgemein zu einem starken
Rückgang der Milchproduktion. Erst mit dem Beginn der Grünfütterung, die
in allen Staaten wesentlich später als im Vorjahre einsetzte, besserten sich die
Produktionsverhältnisse. Die feste Tendenz der Milch-, Butter- und Käsepreise
XXXV*
30. Juni
1917 mehr (-f )
1916
oder weniger ( — )
Stück
Stück
2990635
+ 44619
2 603 345
+ 39364
3 826519
- 501 506
I 965 lOI
+ 44615
2 814 672
— 301 146
— 532 —
hielt an. Die in einzelnen Gebieten im Mai und Juni eingetretene leicht fallende
Preisbewegung für Butter und neuen Käse ist eine alljährlich wiederkehrende
Erscheinung und blieb ohne Einfluß auf die allgemeine feste Marktlage. Infolge
der zunehmenden Schwierigkeiten in der Lebensmittelversorgung der Völker sehen
sich die Staaten immer mehr genötigt, eingreifende Maßnahmen in bezug auf
Förderung der Produktion, Preisgestaltung, Fabrikations- und Verbrauchsregelung
der Milch- und Molkereiprodukte zu treffen.
Ausblick: Das kommende Quartal wird ebenfalls einen starken Ausfall
in der Milchproduktion bringen. Jedenfalls ist gegen den Herbst hin mit einer
verhältnismäßig frühzeitigen Abnahme der Käse- und Buttererzeugung zu rechnen.
Die zur Zeit der größten Produktion in Nord- und Westeuropa und in Nord-
amerika etwas gelockerten Preise werden sich voraussichtlich wieder befestigen.
Die allgemeine Marktlage ist durchaus fest, wenn auch das Ansteigen der Preise
infolge der gestörten Verkehrsverhältnisse und der Maßnahmen der Kegierungen
ein langsameres Tempo einschlagen wird.
Ueber den Viehbestand Kanadas berichtet die „Landw.
Marktzeitung" (Berlin XVIII, 62) folgendes:
Nach den amtlichen Ermittelungen waren vorhanden:
31. Juni
1917
Stück
Pferde 3 035 254
Milchkühe 2 642 709
Sonstiges Rindvieh 3 325 013
Schafe 2009716
Schweine 2513526
Ueber den Aufkauf australischer Wolle durch die
britische Regierung sei folgende Mitteilung der „Landw. Markt-
zeitung" (Berlin XVIII, 62) wiedergegeben:
Nach einem Eeuter-Telegramm aus Melbourne vom 17. Juli kündigte
Hughes laut „Financial Times" vom 14. Juli im australischen Unterhause an,
daß die britische Regierung die neue WoUschur unter den gleichen Bedingungen
wie letztes Jahr gekauft habe. Die dafür bezahlten 40 Mill. £ hätten die
australischen Finanzen gerettet. Hunderttausende von Bsdlen lagerten noch in
Australien.
m. Industrie, einschließlich Bergban und Baugewerbe.
Inhalt: 1) Bergbau: Geschäftslage von Kohlen- und Kalibergbau während
des Monats August.
2) Eisengewerbe. — Metalle und Maschinen: Beschäftigungsgrad
im August.
1. Bergbau.
Ueber die Geschäftslage im Kohlen- und Kalibergbau während des
Monats August berichtet das „Reichs- Arbeitsblatt" :
Im Ruhrkohlengebiet war die Beschäftigung im August nach
wie vor außerordentlich lebhaft und gleich der Tätigkeit im Vorjahr
um dieselbe Zeit. Die Steigerung der Löhne hielt weiter an. Es
wird Ueberstundenarbeit gemeldet.
Die Aachener Steinkohlenwerke hatten ebensogut wie im
Vormonat und im August 1916 zu tun. Auch hier werden Erhöhungen
der Löhne berichtet.
— 533 —
Die oberschlesischen Steinkohlengruben wiesen ebenso
außerordentlich lebhafte Nachfrage wie im Vormonat auf. Im Vergleich
zum Vorjahr wird die Geschäftslage als günstiger geschildert. Es wird
hervorgehoben, daß sich gegen Ende des Monats Wagenmangel be-
merkbar machte. Weitere Lohnerhöhungen haben stattgefunden. Ueber-
arbeit war notwendig.
In den Steinkohlenbergwerken, die zum oberschlesischen Knapp-
schaftsverein gehören, waren am Schluß des zweiten Vierteljahres 1917
122141 Arbeiter gegenüber 124319 am Ende des ersten Vierteljahres
1917 beschäftigt. Im zweiten Vierteljahr 1916 waren 112 653 tätig.
Die niederschlesischen Steinkohlenwerke hatten eine
ebenso befriedigende Lage wie im Juli d. J. und im August 1916.
Zum Teil wurden Ueberschichten verfahren. Die Löhne sind auch hier
in weiterer Aufwärtsbewegung.
Im Zwickauer und Lugau-Oelsnitzer Steinkohlen-
bergbau war besser als im Vormonat und im Vorjahr zu tun. Außer
den seit Kriegsbeginn bewilligten Teuerungszulagen ist, wie hervor-
gehoben wird, vom 1. August ab eine weitere Lohnerhöhung bewilligt
worden.
Die mitteldeutschen Braunkohlenbergwerke hatten im
Berichtsmonat sehr rege Nachfrage zu verzeichnen. Die Beschäftigung
war wie im Vormonat und um die gleiche Zeit des Vorjahres gut.
Vereinzelt machte sich Wagenmangel bemerkbar. Ueberarbeit war
vielfach erforderlich.
Die Kaliwerke hatten der Jahreszeit entsprechend eine Ver-
besserung gegen den Vormonat zu verzeichnen. Der Absatz war viel-
fach auch besser als im Vorjahr; nur nach einem der Berichte, nach
dem die Wagengestellung zu wünschen übrig ließ, fiel der Umsatz
niedriger als im August 1916 aus.
2. Eisengewerbe. — Metalle und Maschinen.
Ueber den Beschäftigungsgrad im August macht das „Reichs-
Arbeitsblatt" folgende Angaben :
In der Nachfrage nach Eisenstein hat eine Aenderung gegen
den Vormonat nicht stattgefunden.
Für die Eisenhütten ist eine Verschiedenheit der Beschäfti-
gungsverhältnisse gegenüber dem Vormonat nicht zu erkennen. Teil-
weise wird im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung der Tätigkeit
berichtet.
Die Zinkhütten weisen gute Nachfrage auf. Die Bestellungen
übertrafen wie im Vormonat die Leistungsfähigkeit. Veränderungen
dem Vorjahr gegenüber sind nicht festzustellen. Es haben weitere
Lohnerhöhungen stattgefunden. Ueberarbeit war auch im Berichts-
monat notwendig. Die Blei- und Zinkerzgruben bezeichnen den Ge-
schäftsgang als befriedigend.
Die Kupferwerke melden unverändert gute Geschäftslage. Dem
Vorjahr gegenüber ist eine Steigerung der Beschäftigung eingetreten.
— 534 —
Die Eisengießereien Westdeutschlands verzeichneten im August
keine wesentliche Veränderung ihrer Geschäftslage. Die Lage wird
als ebensogut wie im August 1916 bezeichnet. Die nordwest-, mittel-
und süddeutschen Gießereien haben ebenso wie die sächsischen und
schlesischen Gießereien unverändert zufriedenstellend bzw. gut zu tun
gehabt. Die Teuerungszulagen sind zum Teil erhöht worden.
Die Stahl- und Walzwerke Westdeutschlands und Schlesiens
waren nach wie vor angespannt beschäftigt. Dem Vorjahr gegenüber
ist der Geschäftsgang ebensogut oder besser gewesen. In Sachsen
überstieg der Abruf, wie von einem Bericht betont wird, die Erzeu-
gungsmöglichkeit.
Die Blechwalzwerke hatten nach wie vor gute Geschäftslage.
Es wird in Tag- und Nachtschichten gearbeitet. Sehr stark ist nament-
lich die Nachfrage nach Feinblechen.
Die Röhrenwerke waren befriedigend bzw. gut beschäftigt.
Aus Schlesien wird eine wesentliche Steigerung des Einganges an Auf-
trägen dem Juli gegenüber gemeldet. Im Vergleich zum Vorjahr er-
reichte die Beschäftigung entweder die gleiche Höhe oder tibertraf sie
noch. Es ist Ueberstundenarbeit festzustellen. Die Löhne sind ver-
schiedentlich erhöht worden.
Die Drahtfabriken zeigen im allgemeinen keine Aenderung
der guten Beschäftigungsverhältnisse, während dem Vorjahr gegenüber
verschiedentlich eine Verstärkung der Tätigkeit angegeben wird. Ueber-
arbeit war vielfach erforderlich.
In der Kleineisenindustrie entsprachen die Beschäftigungs-
verhältnisse im allgemeinen denen des Vormonats. Gegen das Vorjahr
ist zum Teil eine Steigerung vorhanden. Auch wird dem Vormonat
gegenüber die Nachfrage nach Stahlwaren als lebhafter geschildert.
Es mußte teilweise mit Ueberstunden gearbeitet werden.
Die Blech- und Metallwarenfabriken haben eine Aende-
rung der Tätigkeit nicht zu verzeichnen.
Die Eisenmöbelfabriken geben besseren Geschäftsgang als
im Vormonat, dem Vorjahr gegenüber aber keine Aenderung zu er-
kennen.
Die Blech- und Metallspielwarenindustrie wies die
gleiche Lage wie im Vormonat auf.
Die Maschinenbauanstalten West-, Nordwest- und
Mitteldeutschlands waren im August im allgemeinen ebenso leb-
haft beschäftigt wie in den Vormonaten. Im Vergleich zum August 1916
machte sich verschiedentlich eine Steigerung des Geschäftsganges be-
merkbar. Für Sachsen wird befriedigende bzw. gute Geschäftslage ver-
zeichnet; dem Vorjahr gegenüber ist teils keine Veränderung, teils eine
Verbesserung vorhanden. In Süddeutschland war keine wesentliche
Aenderung des guten Geschäftsganges dem Vormonat gegenüber fest-
zustellen, doch wird die Ueberstunden erfordernde Geschäftslage im
Vergleich zum Vorjahr als reger geschildert.
Die Dampfmaschinen- und Lokomotivbauanstalten
hatten ebensogut wie im Vormonat und stärker als im Vorjahr zu tun.
— 535 —
Die Aufwärtsbewegung der Löhne hielt weiterhin an. Ueberstunden-
arbeit war in erheblichem Maße notwendig.
Die Betriebe, die landwirtschaftliche Maschinen und
Lokomobilen herstellen, kennzeichnen die Beschäftigung als unverändert
gut. Teilweise ist nicht nur dem Vormonat gegenüber, sondern auch
gegen den August des Vorjahres eine Verbesserung zu erkennen.
Auch aus dieser Industrie werden Lohnerhöhungen gemeldet.
Die Dampfkesselfabriken und Armaturenwerkstätten
hielten, wie aus West-, Nordwest- und Mitteldeutschland berichtet wird,
ihre rege Tätigkeit auf der gleichen Höhe wie im Juli d. J. und im
August des Vorjahres. Nach wie vor war üeberstundenarbeit erforder-
lich. Teilweise sind weitere Lohnerhöhungen gewährt worden.
Die Nachfrage nach Strahlapparaten, Verbrennungs-
kraftmaschinen und Heizungsanlagen ist auch im Berichts-
monat eine gute gewesen und übertraf die des gleichen Monats im Vor-
jahre. Dem Vormonat gegenüber ist allerdings ein Rückgang der Be-
stellungen eingetreten.
Die Werkzeugmaschinenfabriken hatten sehr rege Be-
schäftigung. Im Vergleich zum Vorjahr war die Geschäftslage die
gleiche oder vielfach eine bessere.
Die Brückenbauanstalten und Eisenkonstruktions-
werkstätten schildern den Geschäftsgang zumeist als gut, ver-
schiedentlich aber als nur mäßig. Im Vergleich zum August 1916 wird
nicht selten eine Steigerung der Beschäftigung bekundet; nur ein ein-
ziger der eingegangenen Berichte verzeichnet dem Vorjahr gegenüber
einen Rückgang. Lohnerhöhungen bzw. Teuerungszulagen sind bewilligt
worden.
Die Maschinenfabriken für Hebezeuge, Aufzüge, Krane und
Verladevorrichtungen geben an, daß gute Beschäftigung vorlag.
Der Umfang der Bestellungen erreichte im allgemeinen dieselbe Höhe
wie im Vorjahr bzw. überstieg sie verschiedentlich, üeberstundenarbeit
wird auch aus diesem Industriezweige gemeldet. Für Drahtseilanlagen
ist nicht nur dem Vorjahr, sondern auch dem Vormonat gegenüber eine
Verbesserung festzustellen.
Vom Bergwerksmaschinenbau wird keine Veränderung gegen
den Juli d. J., wohl aber eine Verbesserung dem Vorjahr gegenüber
gemeldet. Insbesondere war hinsichtlich der Aufbereitungsanlagen der
Eingang von Bestellungen ebenso zufriedenstellend wie im Juli d. J.,
und wesentlich besser als im August des Jahres 1916. Lohnerhöhungen
sind auch im Berichtsmonat bewilligt worden.
Von Maschinenbauanstalten, die Maschinen und Apparate für die
Nahrungsmittelindustrie herstellen, wird über unverändert gute
Beschäftigung, zum Teil über bessere Tätigkeit als im Vorjahr berichtet.
Die Herstellung von Maschinen für die Zuckerindustrie wie für die
Reis- und Haferindustrie hat keinerlei Veränderung zu melden.
Die Kellereimaschinenfabriken arbeiteten ebenso lebhaft
wie in den vorhergehenden Monaten.
- 536 -
Für den Schiffbau machte sich eine erhebliche Veränderung
der Beschäftigungsverhältnisse nicht bemerkbar.
Die Eisenbahnwagenbauanstalten hatten nach wie vor
lebhaft zu tun. Verschiedentlich mußten Lohnerhöhungen bewilligt
werden, vielfach wurde mit Ueberstunden und Nachtschichten gearbeitet.
Die Kleinbahnfabriken waren ausreichend und annähernd in der
gleichen Weise wie im Vorjahr beschäftigt.
Die Eisenbahnsignalbauanstalten erfuhren eine Verände-
rung der Geschäftslage nicht.
Der Kraftwagen- und Fahrräderbau ist auch im Berichts-
monat gut beschäftigt gewesen. Teilweise ist gegen Juli dieses Jahres
wie gegen den August 1916 eine Steigerung der Beschäftigung zu
verzeichnen.
Die optische Industrie und Feinmechanik erfreute sich
ebenso guten Geschäftsganges wie im Juli. Im Vergleich zum Vorjahr
macht sich eine Steigerung der Nachfrage geltend.
Für den Bau von Dynamomaschinen, Elektromotoren,
Akkumulatoren usw. lagen die Verhältnisse im August ebenso wie
im Vormonat. Dem Vorjahr gegenüber wird teilweise eine Steigerung
festgestellt. Der Bestellungseingang bei den Fabriken für elektro-
technische Meßinstrumente überstieg, wie hervorgehoben wird, nicht nur
den des Vormonats, sondern auch den des August 1916. Insbesondere
machte für die Herstellung von Röntgenapparaten eine Verbesserung
des Geschäftsganges dem Vormonat gegenüber sich geltend. Es mußte
nach wie vor mit Wechselschichten gearbeitet werden. Die Teuerungs-
zulagen sind teilweise erhöht worden.
Die Schwachstromelektrotechnik verzeichnet weder eine
Verbesserung noch eine Verschlechterung gegen den Juli, während dem
Vorjahre gegenüber eine Steigerung unverkennbar ist. Es wird mit
Ueberstunden gearbeitet.
Metallwarenfabriken für elektrischeBeleuchtungsapparate
hatten teilweise stärker zu tun als im Vorjahr.
Die Starkstromelektrotechnik meldet bezüglich der Einrichtung
elekrischer Licht- und Kraftanlagen wie des Schaltwand-
baues keine wesentliche Veränderung, teils einen Rückgang gegen Juli
d. J. und August des Vorjahres.
Die Kabelwerke sind unverändert gut beschäftigt. Ver-
schiedentlich ist dem Vorjahr gegenüber eine Steigerung des Geschäfts-
ganges festzustellen. Es mußte mit Wechselschichten gearbeitet werden.
Für Straßenbahn- und Isoliergut aber wird dem Vorjahr gegenüber ein
Nachlassen der Beschäftigung gemeldet.
IV. Handel und Verkehr.
Inhalt: Deutsch-schweizerisches Wirtschaftsabkommen. Zentralisierung
des Auslandswarenverkehrs in Holland. Zolltarifrevision in Italien. Kündigimg
der Handelsverträge Italiens mit iSrankreich und Griechenland. Zolltarifrevision
— 537 —
in Eußland. Handelspolitik Argentiniens. Handelsvertrag Japans mit Bolivien,
Englands Schiffahrt und Außenhandel. Eisenbahnbauten in Marokko. Eisen-
bahnverstaatlichung in Kanada.
Bei den Verhandlungen über die Erneuerung des deutsch-
schweizerischen Wirtschaftsabkommens (vgl. oben S. 326 fg.)
spielt eine besondere Verabredung über die Stundung eines Teils
der Geldbeträge eine große Rolle. Das ganze Abkommen soll eine
Gültigkeitsdauer von 9 Monaten erhalten. Ueber die besondere
Kreditvereinbarung wurde der „Frankfurter Zeitung" am 8. August
1917 folgendes aus der Schweiz geschrieben :
„Die Angelegenheit ist im Augenblick noch in der Schwebe, wenn ihre
Regelung in den Grundzügen auch bereits feststehen dürfte. Die Verhandlungen
haben in der ausländischen Presse starken Widerhall gefunden, die französischen
Zeitungen haben — nicht eben zur Erleichterung der Situation für die Schweiz
— von „Erpressungen" gesprochen, denen die Schweiz von Deutschland ausge-
setzt sei, ja sie verstiegen sich zu Phantasien, die nicht nur die Höhe der als
Valutaregulierung in Betracht kommenden Summen betrafen (man sprach von
Beträgen bis zu 720 Mill. frcs. jährlich!), sondern auch in den Verhandlungen
das Vorstadium zu einer Art wirtschaftlicher Annexion der Schweiz durch
Deutschland erblicken woUten. Es ist deshalb zweckmäßig, die Grundzüge des
neuen Abkommens in seinen wichtigsten Punkten kurz zu erörtern. Die Basis
ist, daß auf der einen Seite die Schweiz den allerdringlichsten Bedarf an Kohle
hat und ihn von keiner anderen Seite als eben von Deutschland befriedigen
kann. Auf der anderen Seite hat Deutschland Bedarf an Zahlungsmitteln in der
Schweiz zum Ausgleich seiner legitimen Bezüge schweizerischer Produkte.
Deutschlands Verlangen geht nun ganz einfach dahin, daß aus diesen Wechsel-
beziehungen keine neuen ungedeckten Devisen ansprüche an die Reichsbank her-
vortreten ; das heißt : der gegenseitige Austausch von Waren muß derart geregelt
werden, daß Einfuhr und Ausfuhr — von Deutschland aus gesehen — sich für
die Dauer des neuen Wirtschaftsabkommens decken, sei es durch eine dieser
Sachlage angemessene Preisstellung, sei es durch andere Maßregeln. Bei letzteren
kommt in erster Linie Kreditgewährung in Betracht. Deutschland stellte den
Betrag seiner durchschnittlichen monatlichen Bezüge aus der Schweiz fest. Die
resultierende Summe auszugleichen, war nun wesentlichster Gegenstand der
Schweizer Verhandlungen. Wie erwähnt, boten sich zwei Wege. Man konnte
den Preis der deutschen Lieferungen dem derzeitigen Weltmarktpreise so weit
nähern, daß der Ausgleich gefunden war. Das würde aber gegenüber dem bis-
herigen Preise (60 frcs. für die Rechnungseinheit) einen so bedeutenden Auf-
schlag repräsentiert haben, daß die Schweiz im Interesse der Lebenshaltung ihrer
Bevölkerung und der Arbeitsbedingungen ihrer Industrie vor dieser Maßregel zu-
rückscheute. Da andererseits Deutschland auch nicht eben damit gedient sein
kann, das ganze Finanzerfordernis für seine Warenbezüge aus der Schweiz auf
dem Kreditwege (soweit es für Deutschland passiv sich gestalten mußte) zu
decken, wurde ein Mittelweg gesucht und gefunden. Dieser Weg besteht darin,
daß der Kohlenpreis nur relativ mäßig (um etwa 50 Proz.) erhöht, für den Rest
der Zahlungserfordernisse aber der Kredit in Anspruch genommen wird. Die in
der Presse bereits erwähnten 20 Mill. frcs. monatlich — gleich 180 Mill. frcs. für
die Dauer des neuen Wirtschaftsabkommens — repräsentieren den Kredit für
den Importüberschuß Deutschlands aus der Schweiz. So hegt die Angelegenheit.
Für die Entente ist es lächerlich, von einer „Erpressung" zu sprechen. Eine
solche würde noch nicht einmal vorliegen, wenn Deutschland für seine Kohlen
den Weltmarktpreis fordern würde, den Preis, den etwa ItaUen an England zu
zahlen hat und der ein Vielfaches des bisher von der Schweiz bezahlten Preises
darstellt. Aber daran denkt man in Deutschland nicht ; im Gegenteil, die Berner
Verhandlungen beweisen, wie ja auch die deutsche Preissteflung für Kohlen,
durchaus, daß Deutschland den Wünschen und Verhältnissen der Schweiz in
gutnachbarlichen Beziehungen Rechnung trägt. Und etwa in dem Stundungs-
- 538 -
(Kredit-) Geschäft eine Aktion Deutschlands gegen die wirtschaftlichen Interessen
und Notwendigkeiten der Schweiz zu erblicKen, steht den Franzosen besonders
gut an, nachdem sie es waren, die in Höhe von 50 Mill. frcs. den ersten der-
artigen Stundungskredit in der Schweiz in Anspruch nahmen. Ganz im Gegen-
teil: es darf nicht verhehlt werden, daß es für Deutschland ein Opfer bedeutet,
wenn es unter Verzicht auf Ausnutzung der Konjunktur am Kohlenmarkt (in
den Preisen mancher Schweizer Produkte hat Deutschland recht hohe Konjunktur-
preise, für die die Schweiz allerdings nicht immer verantwortlich ist, zu zahlen !)
zu dem Kreditgeschäft seine Zustimmung gibt. Denn diese Kredite müssen doch
auch einmal bezahlt werden. Und ihre Vertagung auf die Periode der deutschen
Uebergangswirtschaft nach dem Kriege bedeutet eine recht fühlbare Belastung
dieser Zeit, in der die Anforderungen für die immerhin nicht unbeträchtlichen,
jetzt gestundeten Beträge der Tendenz einer raschen Hebung der deutschen
Valuta gewiß nicht förderlich sein werden. Alles in allem: eine gerechte, aber
für beide Seiten nicht opferfreie Regelung ist es, die angestrebt und voraussicht-
lich in naher Zeit zum Abschluß gelangen wird. Die Neuordnung wird ziemlich
komplizierte finanztechnische Maßnahmen in der Schweiz erfordern, so die Neu-
bildung einer Organisation speziell für die Kohlenangelegenheit und ihre finanzielle
Durchführung. Auf diese Punkte, die mehr interner Art sind, erstrecken sich
zurzeit vornehmlich die Beratungen."
Wie in den „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirt-
schaft" mitgeteilt wird, ist in Holland unter dem 1. September 1917
ein Gesetz erlassen worden, das die Zentralisierung des Waren-
verkehrs mit dem Auslande bezweckt. Es hat folgenden
Inhalt :
1. Im Falle des Krieges oder der Kriegsgefahr, und solange die in Artikel 3
erwähnte Vorlage nicht Gesetzeskraft erlangt hat, können von Uns Maßnahmen
getroffen werden zur Zentralisierung und Leitung des Warenverkehrs mit dem
Ausland, um
a) dafür zu sorgen, daß die Ausfuhr von Waren soweit wie möglich mit
Rücksicht auf den inländischen Bedarf geregelt wird, und zwar sowohl von im
Inland erzeugten, als auch von auswärts zu beziehenden Waren, und daß zugleich
die Einfuhr von im Inland benötigten Waren gefördert wird;
b) wenn im Ausland für die nach Absatz a auszuführenden Waren höhere
Preise zu erzielen sind als beim Verkaufe dieser Waren für den inländischen
Verbrauch, die Ausfuhr solcher Waren unter für alle Waren möglichst gleich-
artigen Bedingungen zu gestatten. Diese Bedingungen richten sich nach Vor-
schriften, die durch eine allgemeine Regierungsverordnung festzusetzen sind.
Zur Ausführung der obigen Maßnahmen kann eine Aktiengesellschaft er-
richtet werden, die ausschließlich den Zweck hat, solange der ausländische Waren-
verkehr infolge des Kriegszustandes behindert ist, die Ausfuhr von Waren aus
den Niederlanden zu vermitteln und dafür zu sorgen, daß für diese Ausfuhr
Waren eingeführt werden, die im Inland benötigt werden.
Hinsichtlich dieser Aktiengesellschaft darf insofern von den Bestimmungen
des Handelsgesetzbuchs abgewichen werden, als in den Satzungen festgesetzt
werden kann,
1) daß die Beschlüsse der Generalversammlung, des Vorstandes, des Auf-
sichtsrats und der von Aufsichtsräten gebildeten Kommissionen nur mit Ge-
nehmigung des Handelsministers ausgeführt werden dürfen;
2) daß die Gesellschaft liquidiert, wenn nach Unserm Ermessen ihr Weiter-
bestehen nicht länger erwünscht ist.
Auch können Wir die Niederländische Bank bis zu einem Betrage von
höchstens 20 Mill. Gulden gegen den Verlust decken, der aus der Beleihung von
Effekten oder der Diskontierung oder Beleihung von Handelspapieren entsteht,
soweit die Kreditgewährung aus dem Warenverkehr mit dem Ausland herrührt.
2. Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
3. Sobald die gegenwärtigen außergewöhnlichen Umstände beim Waren-
verkehr mit dem Ausland aufgehört haben, wird den General Staaten eine Vorlage
— 539 -
zugehen, die die Aufhebung dieses Gesetzes sowie nötigenfalls den üebergang zu
dem normalen Zustand regelt.
In Italien ist, wie in den „Nachrichten für Handel, Industrie
und Landwirtschaft" mitgeteilt wird, laut Verordnung des General-
statthalters vom 24. Juli 1917 ein aus 15 Senatoren und 15 Depu-
tierten bestehender parlamentarischer Ausschuß eingesetzt worden, dem
die Prüfung des von der Regierung gemäß dem Vorschlag des Zoll-
tarifausschusses der Genehmigung des Parlaments zu unterbreitenden
Zolltarifs und der Vorschriften zu seiner Anwendung obliegen wird.
Der Ausschuß soll auch bei Einführung wichtiger Neuerungen auf zoll-
politischem Gebiete zum Zwecke der Neuregelung der Handels-
beziehungen mit den anderen Staaten infolge des Ablaufs
der geltenden Verträge und Abkommen gehört werden.
Die italienische Regierung hat das Handelsabkommen
mit Frankreich vom 21. November 1898 gekündigt; es tritt mit
dem Ablauf des Jahres 1917 außer Kraft.
Ebenso hat die italienische Regierung das Protokoll über ein
vorläufiges Handelsabkommen mit Griechenland vom 31. De-
zember 1899 gekündigt; es wird gleichfalls mit Ablauf des Jahres 1917
außer Kraft treten.
Wie in den „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirt-
schaft" mitgeteilt wird, ist in Rußland durch Beschluß der „Vor-
läufigen Regierung" vom 5. Mai 1917, der am 14. Juli in der russi-
schen Gesetzsammlung erschien, ein dem Handels- und Industrie-
departement unterstellter Z oll tarif- Ausschuß und eine diesem an-
gegliederte Zolltarifkommission eingesetzt worden. Aufgabe dieser neuen
Amtsstellen ist die Untersuchung von Fragen, die mit der Abänderung,
Ergänzung und Begutachtung aller Vorschriften des gegenwärtigen
Zolltarifs zusammenhängen, ferner die Prüfung der bei der Ausfuhr
russischer Erzeugnisse zu gewährenden Rückzölle.
Nach derselben Quelle enthält der Entwurf zum neuen argen-
tinischen Haushaltsgesetze, der dem Kongreß unlängst vorgelegt wurde,
den Vorschlag, vom 1. September 1917 ab bis Ende 1918 von allen aus
der Republik ausgeführten Waren Ausfuhrzölle zu erheben, und zwar :
a) von Artikeln, deren Ausfuhr nur gegen Bewilligung erfolgen
darf, 20 v. H. des Wertes;
b) von Fleisch, Rindshäuten, Schaf- und Ziegenfellen, Wolle, Mar-
garine, Palmitin, Talg, gereinigten Fetten, Haferflocken, Gerste, Mais,
Weizen, Leinsamen und Quebrachoauszug Gewichtszöile, deren Höhe
zurzeit noch nicht bekannt ist;
c) von allen übrigen Waren 2 v. H. vom Werte.
Die Ausfuhrzölle sollen in Gold entrichtet werden. Ferner ist für
eine Anzahl ausländischer Erzeugnisse eine Erhöhung der Einfuhr-
zölle in Aussicht genommen. Nach dem Voranschlage kann die Re-
gierung für Artikel, deren Preise auf dem Inlandsmarkt andauernd
sinken, die Ausfuhrzölle vorübergehend ermäßigen oder aufheben ; auch
soll sie ermächtigt sein, die Ausfuhr von Landeserzeugnissen zeitweilig
zu verbieten, falls die öffentlichen Interessen dies erfordern sollten.
— 540 —
Zwischen Japan und Bolivien ist, wie in den „Nachrichten
ftir Handel, Industrie und Landwirtschaft" mitgeteilt wird, am 13. April
1914 ein Handelsvertrag unterzeichnet und am 15. März 1916
ratifiziert worden. Artikel 6 dieses Vertrags sieht die gegenseitige
Meistbegünstigung für die Einfuhr- und Ausfuhrzölle vor, Artikel 7 die
gegenseitige Befreiung von Durchfuhrzöllen. Unter die Meistbegünsti-
gung fallen nicht die den angrenzenden Staaten zur Erleichterung des
Grenzverkehrs jetzt oder künftig gewährten Sonderzugeständnisse, so-
weit sie nicht auch anderen Staaten zugebilligt werden. Der auf
10 Jahre abgeschlossene Vertrag ist 7 Tage nach dem Austausch der
Genehmigungsurkunden in Kraft getreten. Falls er von keiner Seite
ein Jahr vor seinem Ablauf gekündigt wird, bleibt er stets ein Jahr von
dem Tage ab in Geltung, an dem ihn einer der vertragschließenden
Teile kündigt.
Wie im Handelsteil der „Frankfurter Zeitung" vom 11. August
1917 mitgeteilt wird, brachten vor kurzem Londoner Blätter einen
durch seine Offenheit auffallenden halbamtlichen Bericht über Eng-
lands Schiffahrt und Außenhandel, der in der Hauptsache
folgendes besagte :
„1. England zählte bei Kriegsausbruch 17 — 18 Mill. Bruttotonnen Ozean-
dampfer. Davon waren über 15 Mill. t regelmäßig für das Mutterland beschäftigt.
Der Eest diente dem Verkehr zwischen fremden Ländern, Kolonien usw. und
leistete dadurch der Zahlungsbilanz der Heimat wertvolle Dienste. Ein großer
Teil dieses Fernverkehrs ist für unsere unmittelbaren Bedürfnisse geopfert und
nahezu 50 Proz. der in Betracht kommenden Schiffe in die Heimat zurückberufen
worden, um dem britischen Handel zu dienen. Gegenwärtig besitzt Großbritannien
einschließlich der gekaperten Schiffe etwas über 15 Mill. t, von denen 14 Mill.
dem Mutterlande zur Verfügung stehen.
2. Von diesen 14 Millionen aber ist nur die Hälfte für den Handel verfüg-
bar. 6V2 Millionen sind vollständig in den Dienst von Heer, Marine, Verbünde-
ten und Kolonien gestellt worden. Eine weitere Million Tonnen dient auf ihrer
Ausreise diesen Zwecken, ist also für unseren Ausfuhrhandel nicht verfügbar,
während sie auf ihren Eückreisen der Einfuhr dienstbar gemacht werden kann.
3. Die Dienste der Handelsflotte für Kriegszwecke sind sehr verschieden.
Eine Reihe der schnellsten und besten Liniendampfer wurden als Hilfskreuzer
oder Hospitalschiffe eingerichtet. Eine ganze Flotte versorgt die Marine mit
Kohle und Oel. . . Bis Ende Oktober 1916 hat die Flotte 8 Millionen Soldaten
befördert, gleichzeitig 9,42 Mill. t Munition usw., ferner über eine Million Pferde
und Maultiere, 477? Mill. Gallonen Petroleum usw.
4. Ungefähr 97 Proz. aller Dampfer sind zurzeit zu ßegierungseätzen ge-
pachtet. Vor allem sind alle Linienschiffe beschlagnahmt. Wenn private Ladungen
zu den Sätzen des offenen Marktes befördert werden, so geht dieser Gewinn an
die Regierung und nicht an die Schiffsbesitzer. Im übrigen wird die ganze
Schiffsbewegung lediglich vom Gesichtspunkt der möglichst großen Einfuhr ge-
leitet; die Interessen der Schiffsbesitzer und der Exporteure bleiben völlig unbe-
rücksichtigt. Dadurch mußte gar mancher in fernen Gewässern aufgebaute Handel
an Neutrale abgegeben werden, die sehr gerne in derartigen Gewässern Beschäfti-
gung suchen, die von Kriegsgefahr verschont bleiben.
5. Die Schiffahrtsgesellschaften haben aUe ihre ganze Organisation und ihre
sonstigen Erfahrungen der Regierung zur Verfügung gestellt und vor allem sich
syndiziert, um eine möglichst rationelle Arbeit zu garantieren. In vielen Fällen
leiden naturgemäß die von den Schiffslinien aufgebauten Verbindungen ernsthaft
Unter der Einstellung gewohnter Schiffahrts Verbindungen.
6. Abgesehen von den nachteiligen Einflüssen auf die Interessen der Schiff-
fahrt, leidet das Land naturgemäß selbst unter den steigenden Opfern und der
- 541 —
Frachtraumnot, die bewirkt wird durch die Requisition und die Tauchbootveriuste.'
Schwer gelitten hat vor allem der britische Ausfuhrhandel und hier wiederum
vor allem der nach Indien und dem fernen Osten. Auch die Kolonien sind da-
durch in der Ausfuhr behindert. Ferner mußte auch der Import scharf einge-
schränkt werden, wobei namentlich der Luxusimport geopfert wurde. Die Ein-
schränkungen der Küstenschiffahrt werden unvermeidlich den Küstenstädten
allerhand Härten auferlegen, denn diese haben sich bisher für die Zufuhr von
Kohle und anderen Waren auf die Schiffahrt verlassen, nachdem der Eisenbahn-
dienst des Landes bereits überlastet und nicht in der Lage ist, an die Stelle der
Küstenschiffahrt zu treten.
7. Ganz besonders wichtig aber ist die ziffernmäßige Einwirkung auf Ein-
und Ausfuhr: Vor dem Kriege führten wir für 58 Mill. t jährlich Waren ein. Im
Jahre 1916 fiel diese Menge auf 43 Mill., und im laufenden Jahre wird sie noch
erheblich weiter zurückgehen. Dabei kann noch nicht einmal diese bedeutende
Verkürzung in voller Klarheit die Opfer enthüllen, die wir sowohl in bezug auf
unseren eigenen Verbrauch wie auch in bezug auf Rohstoffe für die Herstellung
unserer Exportwaren gebracht haben. Von den 58 Mill. t nämlich entfallen weniger
als ein Viertel auf Nahrungsmittel. Der Rest entfällt fast ganz auf Bedürfnisse
von Handel und Industrie. Im Jahre 1916 aber entfielen nicht weniger als zwei
Drittel aller Einfuhr auf Nahrungsmittel, Munition und sonstige Materialien für
die Herstellung von Kriegsbedarf, so daß nur ein Drittel der an und für sich
scharf reduzierten Einfuhr für produktive Zwecke übrigblieb. Das bedeutet, daß
einer Einfuhr von 40 Mill. t jährlich von Industrie- und Handelswaren vor dem
Kriege im Jahre 1916 nur eine solche von 14 — 15 Mill. t für diese vitalen Zwecke
gegenüberstand. Im laufenden Jahre können wir in keiner Weise hoffen, auch
nur annähernd diese verkürzte Menge zu erhalten.
8. Eine nähere Untersuchung unserer Einfuhr führt zu denselben bezeich-
nenden Resultaten. Im Jahre 1913 hatte unsere gesamte Einfuhr einen Wert von
769 Mill. £. Davon kamen 94 Mill. aus Ländern, mit denen wir jetzt im Kriege
liegen. Im Jahre 1916 hatte unsere Einfuhr einen Wert von 949 Mill. £. Die
große Steigerung erklärt sich selbstverständlich aus der allgemeinen Verteuerung
und daraus, daß wir von anderen Ländern kaufen müssen. Aber nach den sorg-
samsten Schätzungen, die zur Verfügung stehen, ergibt sich, daß die im Jahre
1916 eingeführten 43 Mill. t zu Friedenspreisen und unter normalen Verhältnissen
eher unter 800 Mill. £ gekostet hätten. Wir hatten also im Jahre 1916 etwa
150 Mill. £ infolge der anormalen Verhältnisse mehr zu zahlen. Wir haben nicht
nur in außerordentlichem Maße die Bedürfnisse von Industrie und Handel ge
opfert, sondern wir haben zu allem üeberfluß auch noch erheblich höhere Preise
für die unproduktiven Kriegsmaterialien bezahlt.
9. Bei der Ausfuhr liegt es ähnlich. 1913 belief sie sich auf 525 Mill. £;
1916 betrug sie 506 Mill. £. Wären für sie die Preise von 1913 bezahlt worden,
so hätte sie nur 386 Mill. £ gebracht. Wir haben also unsere Ausfuhr um ungefähr
25 Proz. verkürzt, wovon ungefähr 10 Proz. auf frühere Ausfuhrmengen an unsere
gegenwärtigen Feinde entfallen. Unsere Lieferungen an unsere Verbündeten
aben sich etwas erhöht, was in der Natur der Sache liegt, wobei aber zu bemerken
ist, daß diese Steigerung lediglich aus ganz besonderen und vorübergehenden
Gründen der gegenwärtigen Lage sich erklärt und keinerlei Ersatz für den Ver-
lust unseres alten Handels bedeutet. Unsere Ausfuhr an andere fremde Länder
und an die Kolonien ist ungefähr um 100 Mill. £ zurückgegangen, das ist, wenn
man die Friedensziffern heranzieht, ungefähr ein Drittel.
10. Ein sehr erheblicher Teil der Ein- und Ausfuhr wird heute auf aus-
ländischen Schiffen bewerkstelligt. Wäre es möglich, den Außenhandel genau
nach britischen und fremden Schiffen zu scheiden und zu vergleichen, welcher
Prozentsatz heute und im Frieden auf englischen Schiffen erledigt wurde, so
wäre das Ergebnis einer solchen Untersuchung noch überraschender. Schon in
der Einleitung wurde bemerkt, daß ungefähr 50 Proz. alles britischen Schiffs-
raumes, der früher durch die Beförderung fremder Güter unsere Zahlungsbilanz
verbesserte, jetzt für das Mutterland notwendig geworden ist. Es sind Anzeichen
vorhanden, daß die so entstandene Lücke von der neutralen Schiffahrt ausgefüllt
wird, die sich aus dem europäischen Handel zurückgezogen hat, um die günstige
— 542 —
Gelegenheit zu benutzen, sich des früheren englischen (Geschäftes zum mindesten
für die Gegenwart zu bemächtigen."
lieber Eisenbahnbauten in Marokko (vgl. Chronik für
1916 S. 766) wurde im Handelsteil der „Frankfurter Zeitung" vom
24. August 1917 folgendes berichtet:
Das Projekt über Konzessionierung einer Eisenbahn von Tanger nach
Fez ist vor kurzem an das französische Parlament gelangt. Es betrifft nur eine
Teilstrecke von 311 km in einem mit insgesamt 1080 km geplanten normalspurigen
Eisenbahnnetz, das die französische Regierung im Kon Zession swege durch ein
privates Konsortium ausbauen lassen will. Allerdings hat der Abgeordnete Bluysen
jüngst einen Gegenvorschlag eingebracht, der die Ausschaltung des Konzeseions-
systems und den Bau der Bahnen in eigener Regie des Staates vorsieht, zu
welchem Zweck die marokkanische Protektoratsregierung von Frankreich einen
Kredit von 40 Mill. frcs. erhalten soll. Indes hat sich die parlamentarische und
administrative Kommission schon 1914 für das Konzessionssystem ausgesprochen,
da sie zu der Auffassung kam, daß bei Uebernahme des Baues und Betriebs der
Bahnen durch den Staat sich große Schwierigkeiten ergeben müßten. Nach dem
deutsch-französischen Marokko - Abkommen von 1911 hatte Frankreich sich ver-
pflichtet, in der Reihenfolge der Bahnbauten zuerst mit der Strecke Tanger — Fez
zu beginnen. An dieses Abkommen ist Frankreich jetzt natürlich nicht mehr
gebunden ; trotzdem hält es die ursprünglich vorgesehene Reihenfolge der Bauten
ein, und zwar in Rücksicht auf die anderen Mächte, denen seinerzeit von dem
Abkommen Kenntnis gegeben wurde. Wenig bekannt dürfte sein, daß in Marokko
schon ein ziemlich ausgedehntes Eisenbahnnetz in Betrieb ist, das eine Länge von
773 km hat. Freilich handelt es sich nur um strategische Bahnen von
60 cm Spurweite, deren Benutzung für private Zwecke früher auf Grund der
diplomatischen Vereinbarungen verboten war. Heute besteht infolge des Krieges
diese Beschränkung nicht mehr. Dieses leicht gebaute Bahnnetz setzt sich aus
den Strecken Rabat — Casablanca (90 km), Sal6— Fez (246 km), Taza— Oudjda
(235 km), Casablanca — Caid Tounsi (153 km, südliche Richtung) und Ber Rechid
— Bez Ahmed (49 km, in der Richtung nach Oued Zem) zusammen und wird
von der Protektoratsverwaltung noch fortgesetzt. So wird gegenwärtig bei der
Strecke Taza— Fex an dem Abschnitt Taza— Matmata gearbeitet, und andere Er-
gänzungsstrecken sind von Ben Guerir in der Richtung nach Kelaa sowie von
Oued Zem nach Kasba Tadla und von Meknes nach Ain Leah und Azrou pro-
jektiert. Die Strecke Rabat — Casablanca erzielte 1916 eine Bruttoeinnahme von
18 530 frcs. pro 1 km, die Strecke SaM— Fez sogar 23 380 frcs.
Ueber die Verstaatlichung der Eisenbahnen in Kanada
(vgl. oben S. 338) wurde im Handelsteil der „Frankfurter Zeitung"
vom S.August 1917 folgendes geschrieben: „Die kanadische Regierung
hat nach langen Untersuchungen und Beratungen eine einstweilige Ent-
scheidung in der Eisenbahnfrage gefällt. Den Anstoß zu dieser Be-
wegung gab, wie erinnerlich, die äußerst mißliche Lage, in der die
beiden jüngeren Konkurrenten der Canadian Pacific, die Canadian
Northern und die Grand Trunk-Bahn, sich befanden. Diese mißlichen
Verhältnisse gehen auf Jahre zurück. So mußte bereits im Juni 1914
die Bundesregierung 40 Mill. $ = 40 Proz. der Stammaktien der
Canadian Northern übernehmen. Jetzt soll, wie kurz gemeldet, der
Rest von 60 Mill. $ an die Regierung übergehen. Diese waren bisher
in Händen der Unternehmerfirma Mackenzie, Mann & Co., welche die
Bahn gebaut und auch finanziert hat. Damit ist die kanadische Re-
gierung Alleinbesitzerin der Canadian Northern-Bahn geworden. Für
die Besitzer der zahlreichen Obligationen der Bahn bedeutet dieser
Vorgang zweifellos eine Verbesserung ihrer Sicherheit, soweit diese
nicht ohnehin von der Regierung bisher schon gewährt worden war.
— 543 —
Die der Grand Trunk-Bahn gewährte Hilfe geht noch nicht so weit.
Ihr gewährt die Eegierung einen Vorschuß von IY2 Mill. £ zu 6 Proz.,
wird aber gleichzeitig sich die Majorität im Verwaltungsrat sichern.
Die eingesetzte Untersuchungskommission hatte, wie wohl erinnerlich,
auch die Verstaatlichung dieser Bahn vorgeschlagen." P. Arndt.
V. Versichernngswesen.
Inhalt: 1. Privatversicherung. Deutschland: Die Unfall- und
Haftpflichtversicherung 1916. Kjiegsanleiheversicherung. Fliegerschädenversiche-
ning. Neue Verschmelzungen. Transportversicherung und öffentliche Feuerver-
sicherung. Ausland: Gegenseitige Reederei Versicherung in Oesterreich. Deutsches
Versicherungswesen in Polen. Neue französische Versicherungsverordnungen. Eng-
lische Soldatenlebens Versicherung. Englische Versicherungsfusionen. Vom eng-
lischen Seeversicherungsmarkt. Internationaler Seeversicherungsmarkt. Aufhebung
der deutschen Versicherungstätigkeit in Nordamerika. Staatliche Seekriegsver-
sicherung in Japan.
2. Sozialversicherung. Deutschland: Kinderfürsorge der Landesver-
sicherungsanstalten. Tagung deutscher Krankenkassen. Die Angestelltenversiche-
Tung 1916. Ausland: Seeunfallversicherung in den Vereinigten Staaten.
1. Privatversicherung.
Der Krieg hat — wie es im „Wiener National Ökonom" heißt —
auf keinen Versicherungszweig so ungünstig eingewirkt wie auf die
Unfallversicherung. Die große Mehrzahl der arbeitstüchtigen
Menschen, welche ihren Beruf aufgaben, um ihrer Militärpflicht zu ge-
nügen, bedurften der Unfall- und der Haftpflichtversicherung
nicht mehr, und es darf wundernehmen, wenn trotzdem die deutschen
Anstalten im Jahre 1916 noch 82894 272 M. an Prämien einnahmen.
Gegen das letzte Friedensjahr betrug der Prämienrückgang brutto
30,7, netto 21,6 Mill. M., gegen 1915 nur mehr 2,91 M. Ebenso be-
greiflich ist der Rückgang an Schäden, die nur 46 Proz. in Anspruch
nahmen. Die Spesen reduzierten sich gegen 1913 um 9Y2 Mill., so daß
ungeachtet der bedeutenden Geschäftsabnahmen der Reingewinn aus
den Prämien ein hoher war. Er erreichte 13 Proz. der Nettoprämien.
Bemerkenswert erscheint, daß die Unfallversicherung einen größeren
Prämienrückgang zeigt als die Haftpflichtversicherung, welche im letzten
Jahrzehnte in ihrer großen Wichtigkeit immer mehr erkannt wird.
Seit dem Jahre 1907 betrugen die Prämien in Millionen Mark:
1907 1912 1913 1914 1915 1916
Unfallprämien 37,69 51,53 54,43 49,82 37,34 35,1
Haftpflichtprämien 36,89 56,76 59,18 57,98 48,46 47,8
Unsere Tabelle enthält die Resultate von 33 Gesellschaften, die mit zwei
Ausnahmen beide Branchen betreiben.
Betrachten wir die Entwicklung des gesamten Geschäftes seit dem Jahre
1887, so gelangen wir zu den nachstehenden Ergebnissen in Tausenden Mark:
1887 1900 1913 1914 1915 1916
11 Ges. 24 Ges. 29 Ges. 31 Ges. 32 Ges. 33 Ges.
Prämien und Gebühren 4361 44 7" "3 617 107804 85804 82894
Ab Rückvers.-Prämien 500 8 699 24 993 24 720 18 382 18 242
Ab Prämien-R.-Zuw. 357 5 298 4 737 2 750 i 833 2 380
Nettoprämien 3504 30 714 83887 80334 65589 62272
— 544 —
Dagegen waren: 11 Ges. 24 Ges. 29 Ges. 31 Ges. 32 Ges. 33 Ges.
1887 1900 1913 1914 1915 1916
Eigene Schadenzahlung 1 ..^q / ^3 453 41380 39679 31078 28280
Prämien-Rückversicherung / ^•'^ \ 833 582 620 508 385
Gesamte Spesen 1460 12562 35 003 32 9" a4g'8 25 47'
Prämienüberschuß 605 3866 6922 7123 9185 8136
Zinsen und Dividende 192 2417 9979 10 163 10 168 9935
Kursdifferenz — —73 —7" —376 — i 003 —463
Totalüberschuß 797 6210 16 190 16 910 18350 17 608
Von den üeberscliüssen erhielten:
die Versicherten ? 2898 7229 7400 7721 7346
Die Prämieneinnahme der deutschen Gesellschaften betrug 1884, wo die
Kollektivprämien noch einbezogen waren, 10,8 Mill. M., nach deren Abfall im
Jahre 1887 nur noch 4,3 Mill. M. und 1914, wie schon bemerkt, 85,8 Mill.
Die Zunahme der Prämien- und Schadenreserven in den letzten
Jahrzehnten ergibt sich aus der folgenden Darstellung. Die Prämien- und Schaden-
reserven betrugen:
Zahl der Gesellschaften
Prämien und Schadensreserven
1877
12
5 304 640
1890
14
7 548 000
1900
24
55 384 140
1910
27
141 659 878
1914
31
182 961 354
1915
32
187 371 756
1916
33
193484959
Von den ßeserven entfielen Ende 1916 auf Schadenreserven 55 531 574 M.
(-f 3 801 011 M.), Eentenreserven 17 974 210 M. (—426 028 M.), Prämienreserven
119 979175 M. (-f 2 738 220 M.). Besonders hoch erscheinen uns die Schaden-
reserven mit 194 Proz. des ganzen Schadenerfordernisses, die jedenfalls eine große
Summe Vorsichtsreserve in sich schließen; gleiches dürfte bei den Prämien-
reserven der Fall sein, welche 186 Proz. der Prämien für eigene Rechnung be-
trugen.
Die Ausgaben für Schadenzahlungen für eigene Rechnung waren 1916
bei den deutschen Anstalten in Prozenten der Nettoprämien 46 Proz. gegen 48,2,
50,0, 50,0, 49,1, 50,1, 49,5, 49,8, 49,6, 51,9 in den Jahren 1915-1906. Der durch-
schnittliche Schadenersatz für die Jahre 1887—1916 war 46,9 Proz. bei den
deutschen Instituten. Zieht man in Betracht, daß die Haftpflichtversicherungen
bisher noch einen geringen Schadenersatz verzeichnen, so ergibt sich für die Un-
fallversicherung allein ein Schadenersatz von 55—60 Proz.
Als Prämienüberschuß verblieben den deutschen Gesellschaften 13 Proz.
(14, 8,9, 8,2, 9,6, 8,5, 10,4 ProzJ der Nettoprämien, wobei die eingeklammerten
Ziffern die Ergebnisse der fünf Vorjahre 1915—1910 bedeuten. Die Ueberschüsse
aus den Prämien betrugen in Mark:
1887 605176 1897 2 732 HO 1907 4 765 35^
1888 878651 1898 3940338 1908 6493913
1889 1225958 1899 3443313 1909 6605591
1890 I 481 849 1900 3865986 1910 7028179
1891 1920 179 1901 3709649 1911 6226472
1892 2127223 1902 3750165 1912 7522655
1893 2163950 1903 3678459 1913 6922255
1894 2192350 1904 3455101 1914 7 122 519
1895 2 133 513 1905 3492824 1915 9185332
1896 2858383 1906 4568857 1916 8136598
An den glänzenden Ergebnissen, welche die bisherigen Emissionen
deutscher Kriegsanleihen hatten, haben die deutschen Lebens Versiche-
rungsgesellschaften einen wesentlichen Anteil, weil sie für eigene Rech-
- 545 -
nung erhebliche Beträge zeichneten und auch ihren Versicherten durch
Geldbewilligung auf ihre Policen die Möglichkeit zur Zeichnung ver-
schafften. Außerdem ist (nach der „Frankf. Zeitung") eine Reihe von
Anstalten, und zwar sowohl private wie öffentlich-rechtliche, bei der
vorigen Emission dazu übergegangen, den Zeichnungserfolg durch Neu-
aufnahme der sogenannten Kriegsanleihe-Versicherung zu
fördern. Mit dieser soll es ermöglicht werden, sich gegen Zahlung
kleinerer jährlicher Beträge in den Besitz von Kriegsanleihestücken zu
setzen und damit dem Erwerber eine Lebensversicherung zu verschaffen.
Das ist der Grundgedanke; die Bedingungen im einzelnen gehen bei
den verschiedenen Gesellschaften auseinander. Auch für die bevor-
stehende 7. Kriegsanleihe-Emission treten die Versicherungsunterneh-
mungen mit ihrer vollen Werbekraft in die Schranken. Sie treffen
schon jetzt Vorbereitungen, um sich ihrerseits wieder eifrig am Zeich-
nungsgeschäft zu beteiligen und dies auch ihren Versicherungsnehmern
zu ermöglichen. Zu diesem Zwecke werden sie auch diesmal wieder
die Beleihung von Policen für Zeichnungszwecke vornehmen und Kriegs-
anleihe Versicherungen abschließen. Verschiedene Institute, welche diese
das vorige Mal noch nicht eingeführt hatten, werden diese Versicherungs-
art diesmal aufnehmen. Hatte sie schon bei der 6. Kriegsanleihe viel
Anklang gefunden, so steht zu erwarten, daß sie sich immer mehr ein-
führen wird, einmal, weil durch die größere Zahl von Gesellschaften,
die sie betreiben, die Möglichkeit zum Abschluß solcher Versicherungen
wächst, und dann, weil sich die Erkenntnis immer mehr ausbreitet,
daß die Kriegsanleihe Versicherung eine segensreiche Einrichtung be-
deutet, denn es ist für den Versicherungsnehmer nicht nur eine Spar-
möglichkeit, sondern auch eine Gelegenheit, mit ihr die heute doppelt
notwendige Fürsorge für die Familie zu verbinden. Sie erweist sich
besonders auch für Personen in vorgeschrittenen Jahren nützlich, die
es unterlassen haben, sich früher eine Lebensversicherungspolice zuzu-
legen, oder die eine Erhöhung ihres bisherigen Versicherungsbetrages
herbeiführen wollen.
Die Schädigungen durch Fliegerangriffe haben mehrere deutsche
Versicherungsgesellschaften veranlaßt, die Versicherung gegen
Fliegerschäden in ihre Geschäftstätigkeit aufzunehmen. Eine all-
gemeine Verbreitung wird (nach der Meinung des „Berl. Börsen-Courier")
dieser Versicherungszweig allerdings nicht finden, da eine Eigentums-
gefährdung in großen Massen nicht zu befürchten steht, je weiter nach
Osten des Reichs, um so weniger. In Süddeutschland und im Beichs-
lande ist der Wunsch nach einer derartigen Sicherung immerhin leb-
haft genug, um einen Versuch in dieser Richtung machen zu können,
obgleich die Versicherungsgesellschaften beim Fehlen jeder Risiko-
schätzungen in ihren Prämienberechnungen völlig im Dunkeln tappen
müssen. Für den durch feindliche Flieger in Deutschland einerseits
und durch unsere Luftstreitkräfte in England andererseits angerichtete
Schaden ist vielleicht kennzeichnend, daß in England die Versicherung
gegen Fliegerschäden obligatorisch ist, falls eine staatliche Entschä-
digung beansprucht wird. Der Staat ist aber auch bereit, die Ver-
jährt, f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXXVI
- 546 -
sicheruDg selbst zu übernehmeD. Ob in Deutschland eine Entschä-
digungspflicht des Reichs für Fliegerschäden späterhin überhaupt an-
erkannt werden wird, ist zweifelhaft. Vorläufig beschränkt sich die
Stellungnahme des Fiskus zur Frage der Schadloshaltung für Schäden
im Zusammenhange mit der Kriegführung, also auch für Fliegerschäden,
auf die Ermittlung der verursachten Verluste, wobei eine prinzipielle
Entscheidung in bejahendem Sinn freilich insofern bereits erfolgt zu
sein scheint, als auf das Konto der künftigen, gesetzlich geordneten
ßeichsentschädigung in besonderen Fällen schon jetzt vorschußweise
Zahlungsanweisungen erfolgen können. Die privaten Feuersicherungs-
gesellschaften, deren Verband zur Versicherung gegen Fliegerschäden
willens ist, müßten über die Entschädigung mit den ßeichsbehörden
jedenfalls zu späterer Zeit sich noch auseinandersetzen.
Die deutsche Transportversicherung rüstet sich für die ihrer
nach dem Kriege harrenden Aufgaben. Gründungen neuer Gesell-
schaften, wie auch Kapitalerhöhungen und Verschmelzungen von be-
stehenden Gesellschaften sind in jüngster Zeit rasch aufeinander erfolgt.
Auch die Gruppe der Nordstern- Gesellschaften beabsichtigt (nach dem
„Berl. Tgbl."), ihre Kapitalkraft dem gleichen Interesse dienstbar zu
machen. Zu diesem Zwecke ist zwischen der Düsseldorfer Allgemeinen
Versicherungs-Akt.-Ges., die in der Hauptsache das Transport Versiche-
rungsgeschäft betreibt, und der Nordstern- Gruppe eine Gemeinschaft der
Interessen vereinbart worden. Die Nordstern-Unfall- und Haftpflicht-
Versicherungs-Akt.-Ges. nimmt den Betrieb des Transportversicherungs-
geschäftes in engster Fühlung mit der Düsseldorfer Allgemeinen Ver-
sicherungs-Akt.-Ges. auf. Es soll angeboten werden den Aktionären
der Düsseldorfer der Umtausch von je fünf Aktien über 1000 M. mit
25 Proz. Einzahlung gegen zwei Aktien der Nordstern-Unfall- und
Haftpflicht- Versicherungs-Gesellschaft über 1000 M. mit 30 Proz. Ein-
zahlung und Dividendenberechtigung ab 1. Januar 1917. Die Nord-
stern-Unfall- und Haftpflicht- Versicherungs-Akt.-Ges. wird, um diefen
Umtausch zu ermöglichen, ihr Aktienkapital um einen entsprechenden
Betrag, und zwar gegebenenfalls um 1,2 Mill. M., erhöhen.
Die „Frankfurter Zeitung" berichtet: „Im Juli hat in Dresden eine
Versammlung stattgefunden, in der die deutsche Feuerversiche-
rungsunternehmung sich bereit erklärt hat, in Transportrisiken,
soweit sie durch die bestehenden Transportversichejungs-Gelegenheiten
nicht voll Aufnahme finden, ihrerseits einzutreten. Diesem von besonderer
Seite unterstützten Vorgehen haben sich nicht nur die privaten, reinen
Feuergesellschaften, sondern auch die öffenilich-rechtlichen Feuerversiche-
rungs-Organisationen angeschlossen. In Betracht kommen namentlich
besonders umfassende Risiken, wie große und größte Passagier- und
Rohstoffdampfer, deren Unterbringung nach dem Ausscheiden der feind-
lichen Transportversicherung und nach dem Druck, den England auf
Neutrale ausübt, in Kreisen der bisherigen deutschen Transportver-
sicherer nicht ganz gesichert schien. Die Feuergruppe übernimmt also
die Deckung der überschießenden Summe."
Die österreichischen Reedereifirmen haben sich im Kriege
zur gegenseitigen Versicherung zusammengeschlossen. Diese
— 547 —
umfaßt die Deckung der Schäden, welche die versicherten Schiffe in
den Abrüstungshäfen und Buchten, sowie infolge der damit verbundenen
Schiffsbewegungen treffen könnten.
Es wurde ein Komitee eingesetzt, welches die Verwaltung der gegenseitigen
Versicherung leitet. Dieses Komitee übernimmt ßisiken bis zu 2 Mül. K. auf
jedes einzelne Schiff, und die Schadensdeckung beginnt mit dem Tage, an welchem
mindestens 60 Schiffe bei der gegenseitigen Versicherung angemeldet wurden.
Tatsächlich wurden 123 Schiffe mit einer Versicherungssumme von 114 482 500 K.
angemeldet. Die Versicherungsdauer ist unbeschränkt, hört jedoch von selbst auf,
wenn die Zahl der versicherten Schiffe unter 50 sinkt, es sei denn, daß die übrig-
bleibenden ßeeder sich diesfalls speziell einigen sollten. Diese Versicherung
würde späterhin auch auf den Betrieb der Schiffe ausgedehnt. Ein zweiter An-
satz zur gegenseitigen Versicherung besteht in der im Juni 1916 geschlossenen
Kriegs Versicherung, welche zwischen dem Oesterreichischen Lloyd, der Austro-
Americana, der Navigazione libera und der „Adiia" eingegangen wurde. Später
traten dem Vertrage noch andere Keedereien bei. Diese Versicherung deckt den
Schaden, welche den Eeeder durch Totalverlust infolge von Kriegsereignissen
trifft. Sie gilt hauptsächlich für die Schiffe, welche der Heeres- oder Marinever-
waltung zur Dienstleistung übergeben wurden. Für diese wird im Falle des Ver-
lustes von der Heeres- oder Marineverwaltung unter Umständen nur ein Betrag
rückersetzt, welcher dem gegenwärtigen Werte der Schiffe nicht entspricht. Die
Versicherung deckt den Mehrwert zwischen dem vertragsmäßigen Ersatzwert und
dem ungefähren Wert der Schiffe. Diese Versicherung ^üt auch für Schiffe,
die in der Kriegszone auf Rechnung ihrer Keeder im Betnebe sind; die Prämie
schwankt je nach dem Gebiete der Tätigkeit dieser Schiffe.
Die deutschen Versicherungsgesellschaften, die ihre Tätigkeit auf
Polen ausgedehnt haben, haben eine Tarifkommission in Warschau
gebildet, die den Zweck hat, die Einhaltung der zwischen den Gesell-
schaften geschlossenen Vereinbarung zu kontrollieren und Wünsche und
Beschwerden, die sich aus dem Geschäft in Polen ergeben, zu be-
handeln. Hauptsächlich soll die Kommission darauf achten, daß die
beibehaltenen russischen Tarife von allen Gesellschaften gleichmäßig
zur Anwendung gelangen.
Die französischen Versicherer müssen künftighin dem
Arbeistministerium nachfolgende Erklärung abgeben: Der unterfertigte
Versicherer (Name und Wohnort) verpflichtet sich dem Arbeitsmini-
sterium gegenüber, auf keinen Fall irgendein Risiko in Frankreich
oder Algier sich befindenden Eigentums oder Personen bei den aus-
ländischen Gesellschaften zu versichern, deren Namen sich auf dem
vom Arbeitsministerium ausgegebenen und in den Pariser Tageszeitungen
zum Abdruck gebrachten Listen verzeichnet finden. Zuwiderhandlungen
gegen diese Verordnung haben zur Folge, daß der Name und die die
Verordnung übertretende Firma auf die schwarze Liste gesetzt wird.
Die englische Gesellschaft „Eagle and British Dominions Insurance
Company" hat für die Mannschaft des Heeres und der Flotte eine
Kriegs-Lebensversicherung eingeführt.
Die Grundlage für alle Versicherungen büdet eine einheitliche jährHche
Prämie von 1 £. Das versicherte Kapital beträgt: 1) 100 £ im Falle eines Todes
aus natürlichen Ursachen oder infolge eines Unglücksfalles innerhalb Europas
(mit Ausnahme der Balkanhalbinsel) und für Seeleute überall auf der See ; 2) 50 £,
falls die unter 1 erwähnten Fälle sich auf der Balkanhalbinsel oder außerhalb
Europas ereignen; 3) 5 £ samt 7io ^i^^^s eventuellen Gewinnüberschusses, wenn
XXXVI*
— 548 —
der Versicherte auf dem Schlachtfelde gefallen oder infolge der dort erhaltenen
Wunden oder eines Luft- oder Seeunfalles bei Nicht- Seeleuten gestorben ist. Im
letzteren Falle werden 5 £ gleich den Erben des Versicherten ausbezahlt, während
der eventuelle Ueberschuß erst 18 Monate nach dem offiziellen Friedensschluß
zwischen Deutschland und England und erst nach Abzug von 10 Proz. zur
Deckung gewisser Ausgaben (Stempelabgaben an den Staat, Provisionen an
Agenten u. a.) verteilt wird. Eine Person kann eine jährliche Prämie bis zu
20 £ für ein versichertes Kapital bis zu 2000 £ bezahlen. Die Lords French und
Beresford haben sich dafür verbürgt, daß die Gesellschaft ihren Verpflichtungen
nachkommen wird. Nach Friedensabschluß darf die Gesellschaft keine neuen der-
artigen Versicherungen annehmen oder frühere erneuern.
Ueber neue Fusionspläne im englischen Versiche-
rungsgewerbe ist der „Frankfurter Zeitung" folgendes zu ent-
nehmen :
Ein provisorisches Abkommen zwischen der Northern Assurance C!o. und
der Provident Accident and Guarantee Co. (deren genaue Firma „Provident Clerks
and General Guarantee and Accident Co." lautet) sieht, vorbehaltlich der Zu-
stimmung der Aktionäre, den Uebergang der Provident Accident an die Northern
durch Ankauf der Aktien der Provident Accident bei Auf rechterhalt ung der Selb-
ständigkeit der letztgenannten Gesellschaft unter ihrer gegenwärtigen I^itung vor.
Die „Northern" wurde 1836 gegründet, hat ein Kapital von 3 Mill. £ (mit 10 Proz.
Bareinzahlung) und betreibt alle Zweige des Versicherungsgeschäfts. Nach der
letzten Bilanz hatte sie Aktiven im Gesamtwert von 8 Mill. £. Die „Provident
Accident" (gegründet 1865) betreibt hauptsächlich Unfallversicherung, daneben
aber auch Feuer- und Seeversicherung. Auf ihr Nominalkapital von 400000 £
sind 85000 £ bar eingezahlt. — Die London and Lancashire Fire Insurance Co.
plant den Erwerb des Aktienkapitals der Marine Insurance Co. und bietet für
die 40 000 Aktien einen sehr günstigen Preis in Gestalt von Wertpapieren in
Höhe von 2,28 Mill. £ sowie 90 000 £ bar. Die „London and Lancashire" wurde
1862 errichtet und hat bereits wiederholt andere Versicherungsunternehmungen
aufgekauft. Ihr Kapital beträgt 3 Mill. £, wovon 264 125 £ bar eingezahlt sind.
Das Kapital der Marine Insurance Co. beziffert sich auf 1 Mill. £, worauf drei
Fünftel eingezahlt sind.
In den englischen Versicherungskreisen hat nach der
„Frankf. Ztg." es besonderes Aufsehen erregt, als kürzlich eine der
größten Schiffahrtsgesellschaften, die sich bisher gegen Seeschäden (nicht
zu verwechseln mit Kriegsschäden) in sich selbst versicherte, Verträge
mit Versicherungsgesellschaften einging. Dieses Aufsehen war um so
größer, als sich die seitherige Praxis naturgemäß bei großen Gesellschaften
als sehr rentabel bewährt hatte. Der Vorgang steht nicht vereinzelt
da. Die Gründe, die nun die „Times" für das Vorgehen anführten, sind
sehr bemerkenswert:
Der erste Grund ist bekannt: die Erhöhung der Gefahren für
die Schiffahrt während des Krieges und zwar infolge der Entfernung
der Lichter und anderer Unterstützungen der Navigation; ferner aber
auch durch die Notwendigkeit, seitherigen Liniendampfern neue Fahrten
anzuweisen, die bisher weder die Kapitäne oder Offiziere gekannt
haben, noch aber für die Dampfer nach ihrer Bauart geeignet sind.
Dazu kommt nun weiter die schwere Gefahr, weun ein Schiff vermißt
wird, und man sich entscheiden muß, ob es sich um einen Kriegs oder
Seeverlust handelt. Dazu ist zu bemerken, daß das Kriegsrisiko von
Anfang an von allen Schiffahrtsgesellschaften nicht selbst getragen wird.
Wenn nun ein Schiff zu Verlust gegangen ist, so würde in dem Falle,
— 549 —
in dem der Besitzer nicht nachweisen kann, daß eine kriegerische Hand-
lung das Schiff vernichtet hat, er unter Umständen genötigt sein, das
ganze Risiko selbst zu tragen. Diese Unklarheit hat ohnehin in der
letzten Zeit in steigendem Maße den ganzen englischen Versicherungs-
markt in Unruhe versetzt, weil in außerordentlich vielen Fällen die
Oeffentlichkeit nicht erfahren konnte, auf welchem Wege der Verlust
entstanden war, und die Admiralität im Landesinteresse ihre gewöhnlich
recht großen Kenntnisse der wahren Verhältnisse nicht preisgeben wollte.
Aus diesem Grunde hat man sich nun dahin geeinigt, daß künftig ein
Schiedsgericht, dem seitens der Marinebehörde alle diskreten Dokumente
vorgelegt werden, zu entscheiden hat, welche der beiden Versicherungs-
arten für den Verlust aufzukommen hat.
„Journal of Commerce" weist darauf hin, daß seine Voraussagungen
über die Prämiensätze im Verkehr mit Norwegen, Schweden und Däne-
mark zutreffend gewesen sind und nun ein ziemlich ausreichender
Markt für die Deckung von Kriegsrisiken von und nach
diesen Ländern zu 10 Proz. vorhanden ist.
Hingegen hatte der Versuch, den Prämiensatz von 5 Guineas auf 5 £ für
Versicherungen aller britischen Dampfer nach und von jedem Teü der Welt, mit
Ausnahme des Mittelmeeres, des Weißen Meeres und der Nordsee, herabzusetzen,
nur teilweisen Erfolg gehabt. Es ist auch nicht zu erwarten, daß, mit Rücksicht
auf die Ende voriger Woche von der Admiralität bekanntgegebenen wachsenden
Verluste im Atlantischen Ozean, in der nächcten Zeit zu diesem Satz Ver-
sicherungen übernommen werden. Für Fahrten zwischen England einerseits,
Nord- und Südamerika, Neuseeland, dem fernen Osten über das Kap oder
Panama andererseits, hatten neutrale Dampfer 8 £ zu zahlen. Für Fahrten
von der englischen Westküste nach Nordfrankreich wurden 40 bis 50 sh ge-
nommen, von der englischen Ostküste nach Nordfrankreich 30 bis 40 sh, von
England nach der französisch-atlantischen Küste und umgekehrt 80 bis 100 sh,
zwischen England und den Mittelmeerhäfen hatten neutrale Dampfer 8 bis 10 £
zu zahlen, britische und Dampfer der Verbandsgenossen 8 £. Zwischen England
und Holland wurden 5 £ verlangt.
Die immer stärker fühlbar werdenden Wirkungen desU-Boot-
krieges haben, wie die „Köln. Ztg." berichtet, die englische Re-
gierung gezwungen, ihre staatliche Versicherung gegen Schiffs-
verluste einer einschneidenden Umgestaltung zu unterziehen, die am
19. d. M. in Kraft getreten ist.
Bisher versicherten die englischen Reeder ihre Schiffe gegen Zahlung be-
stimmter Prämiensätze bei Gegenseitigkeitsgesellschaften. Diese nahmen eine
Rückversicherung bis zur Höhe von 80 Proz. des Wertes bei der Regierung. Die
Beträge, die so versichert werden konnten, wurden auf den Selbstkostenpreis der
Schiffe abzüglich der Abschreibungen zum Satze von 4 Proz. jährlich beschränkt.
Dazu traten später weitere 50 Proz., um dem Wertzuwachs Rechnung zu tragen,
der für Schiffsraum während des Krieges eingetreten war. Da die so versicherten
Beträge noch erheblich hinter dem Marktwert zurückblieben, übernahmen die
Gegenseitigkeitsgesellschaften noch höhere Versicherungssummen auf eigene
Rechnung, und wenn sich dann bei Verlusten die Prämienzahlung als unzureichend
für die Deckung der Schäden erwies, wurden von den Reedern Nachschüsse ein-
gefordert. Diese Bedingungen sind nun dahin abgeändert worden, daß die Re-
gierung, anstatt wie bisher 80 Proz., volle 100 Proz. des Wagnisses übernimmt.
Ebenso übernimmt sie das Wagnis für diejenigen Summen, die bisher allein von
den Gegenseitigkeitsgesellschaften getragen wurden. Zu diesem Zweck sind die
Schiffe in drei Klassen eingeteilt worden. Die erste Klasse umfaßt diejenigen
— 550 —
Fahrzeuge, die völlig von der Kegierung beschlagnahmt worden sind und un-
mittelbar im Dienste der Regierung beschäftigt werden. Zur zweiten Klasse ge-
hören die für bestimmte Linienfahrten beschlagnahmten Schiffe, und zur dritten
freie Schiffe, deren Zahl, abgesehen von denjenigen, die im Küstenhandel arbeiten,
verhältnismäßig klein ist. Die Besitzer der Schiffe der ersten Klasse brauchen
keine Kriegsversicherungsprämien zu zahlen, und im Fall des völligen oder teil-
weisen Verlustes ihrer Schiffe durch Kriegsgefahr trägt die Regierung den Schaden.
Die Reeder sind also in Zukunft von der Verpflichtung, Nachschüsse an die
Gegenseitigkeitsgesellschaften zu zahlen, befreit. Die Eigentümer von Schiffen
der zweiten Klasse fahren nach festen, von der Regierung geregelten Sätzen und
zahlen Prämien nach Sätzen, die von dem Handelsamt festgesetzt werden. Je
höher sich die Prämie für sie stellt, um so kleiner sind die Gewinne, die dem
Staat zufallen. Im Falle von Verlusten haben die Eigentümer solcher Schiffe
das Recht, entweder die nach den Versicherungsscheinen versicherten Beträge
oder den unter Mitwirkung der Regierung festgestellten Wert zu erlangen. Die
Eigentümer der sogenannten freien Schiffe haben nur Anspruch auf die nach den
Versicherungsscheinen versicherten Beträge. Die Prämien für diese freien Schiffe
werden beträchtlich höher sein, als die bisherigen Sätze. Dabei kommt jedoch
in Betracht, daß diese Schiffe auch ganz erheblich höhere Frachten als diejenigen
der andern beiden Klassen erzielen.
Ueber die Lage des Frachtenmarktes bringt „Verdens Gang",
Christiania, einen bemerkenswerten Bericht, aus dem u. a. hervorgeht,
daß größter Nachfrage wegen Schiffsraummangels nur wenige Abschlüsse
gegenüberstehen. Dann heißt es über die einzelnen Märkte :
Nordseemarkt: Von Ost-Norwegen nach England und Frankreich wurden
für den Standard Holzlast folgende Frachtsätze notiert: 150 Kr. nach einem
Kohlenhafen der Ostküste, 170—175 Kr. nach London, 245 Kj. nach einem fran-
zösischen Kanalhafen, alles bei Vorausbezahlung. Für Grubenhölzer bezahlt
man von Ost-Norwegen nach einem Kohlenhafen der Ostküste 235—240 sh Fracht
für den Standard. Auch vom Trondhjemfjord ist gute Nachfrage. Der Fracht-
satz für nasse Holzmasse nach der Themse beträgt 60—65 Kr., für den Standard
Tannenholz, Latten oder Bretter nach einem Kohlenhafen der Ostküste werden
150 Kr. Fracht bezahlt. Die Kohlenfrachten von der Ostküste Englands nach
Norwegen betragen 190—200 Kr.
Amerika: Die Raten sind bei geringen Abschlüssen fast unverändert. Es
notiert Netcharter von Northern Range nach französischen Atlantikhäfen 220 sh.,
Westitalien 380 sh, Portugal 220 sh, Liverpool 200—210 sh. Die Kohlenfracht-
sätze von den Nordstaaten nach dem La Plata betragen 125 sh bei garantierter
täglicher Löschung von 1000 t, nach Rio oder Santos 125 sh bei täglicher Löschung
von 750 t täglich.
Für Getreidefrachten nach England, Frankreich und Italien besteht große
Nachfrage, ebenso vom Golf nach Verbandsländern, besonders auf Netcharter-
basis. Von Havanna nach Trondhjem wurden notiert 270 sh für Zucker auf
Netcharter.
Der Orientmarkt ist ungewöhnlich fest, z. B. beträgt der Frachtsatz für
die Tonne Reis von Kochichang (?) nach Cette 600 sh. Der Timechartermarkt
ist unverändert. Die Raten bei Charterungen auf 12 Monate betragen bei Schiffen
über 5000 t Tragfähigkeit an Schwergutladung 40 sh. 6 d., von 4000—5000 t d. w.
41 sh 9 d, von 2500-4000 t d. w. 43 sh, 1800-3500 t d. w, 45 sh, 1000-1800 t
d. w, 48 sh,, alle mit Kriegs Versicherung für Rechnung des Befrachters, aber auf
der Basis von Werten, die weit unter den heutigen Schiffspreisen liegen, so daß
der Verdienst durch die hohe Versicherungsprämie auf die Differenz des Schiffs-
wertes gering oder oft gleich Null ist.
Ueber die Aufhebung der deutschen Versicherungs-
tätigkeit in Nordamerika berichtet die „Vossische Zeitung'-.
Als sich die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und den Ver-
einigten Staaten zuspitzten und endlich ganz zum Abbruch führten, schien Wilson
— 551 —
zunächst die deutsche in Amerika tätige Geschäftswelt nicht weiter behindern zu
wollen. An demselben handelspolitischen Grundsatz gegenüber amerikanischen
in Deutschland tätigen Firmen hielt auch das Deutsche Reich fest. Nun aber
scheint sich allmählich eine Wandlung zu vollziehen. Und wenn auch Amerika
gemäßigter und nicht so schroff wie England und Frankreich mit der Kriegs-
regelung seiner Wirtschaftspolitik vorgeht, so verfolgt es trotzdem ähnliche Grund-
sätze. In letzter Zeit unternahm die amerikanische Kegierung den ersten, un-
zweideutigen Vorstoß, indem sie den in den Vereinigten Staaten tätigen deutscheu
See Versicherungsgesellschaften die weitere Tätigkeit untersagt und amerikanischen,
direkt versichernden Gesellschaften die Rückversicherung mit deutschen Gesell-
schaften verbietet. Zahlungen auf Grund bestehender Verträge werden während
des Krieges aufgehoben, ausgenommen, wenn es sich um in See befindliche Schiffe
handelt. Aus den gekürzten und wohl verstümmelten telegraphi^chen Mitteilungen
geht jedoch nicht klar hervor, ob es sich um eine Einstellung der Geschäftstätig-
keit deutscher Versicherungsgesellschaften überhaupt oder nur um eine solche
deutscher Seeversicherungsgesellschaften handelt. Wir glauben annehmen zu können,
daß die amerikanische Regierung ihre beschränkenden Maßnahmen nur auf den
letztgenannten Fall angewendet wissen will. Allein, zuverlässige Nachrichten hier-
über liegen noch nicht vor.
Unzweideutiger dagegen lauten die Bestimmungen der deutschen, in Amerika
tätigen Rückversicherung, indem sie den amerikanischen Seeversicherungsgesell-
schaften verbieten, Rückversicherungsverträge mit diesen abzuschließen. Diese
Maßnahme trifft die deutsche Rückversicherung weder überraschend noch be-
sonders tief. Denn die Dinge liegen in Wirklichkeit so, daß dadurch den ameri-
kanischen rückversicherungsbedürftigen Versicherungsgesellschaften — und ihre
Zahl ist nicht gering — mehr Schaden zugefügt wird als den deutschen, da sie
zunächst keinen vollwertigen Ersatz für die ausfallende Rück versieh erungsmöglich-
keit bei infolge des Krieges wesentlich gesteigerten Rückversicherungsbedürfnissen
besitzen. Denn in Nordamerika ist die Rückversicherung noch kaum ausgebaut,
und nur wenig leistungsfähige, die Rückversicherung ausschließlich betreibende
Gesellschaften bestehen, weshalb auch das deutsche Rückversicherungsgeschäft,
insbesondere das den Weltmarkt beherrschende der „Münchener Rückversicherungs-
gesellschaft", in den Vereinigten Staaten tief Wurzel faßte. (Die im Jahre 1^)6
stattgehabte Erdbebenkatastrophe von San Francisco hatte die letztgenannte Ge-
sellschaft für eigene Rechnung 11 Mill. M. gekostet.) Naturgemäß werden sich
die Vereinigten Staaten als HUfe in der Not an ihren trefflichen Vetter „Eng-
land" wenden, und dieses wird ebenso selbstverständlich auch alle Kraft aufbieten,
um in die Bresche zu springen. Aber auch England vermag in puncto Rück-
versicherung mit Deutschland nicht zu konkurrieren; ebensowenig Frankreich oder
Rußland. Dem amerikanischen Versicherungsmarkt wird daher die Stütze der
deutschen Rückversicherung in ganz empfinmicher Weise fehlen. Und mag sich
auch in Nordamerika, England, Frankreich wie auch in neutralen Staaten (z. B.
in Schweden, Norwegen und Dänemark) eine große Anzahl neuer Rückversiche-
rungsgesellschaften auftun, der Welt Versicherungsmarkt wird von der deutschen
Rückversicherung derart beherrscht, daß sie nicht mit einigen Federstrichen aus-
gelöscht werden kann, es sei denn, daß dem direkten Versicherungsgeschäft der
ausländischen Staaten selbst großer Schaden zugefügt werde.
Dem „Japan Chronicle" entnimmt das Liverpooler „Journal of Com-
merce" die Nachricht, daß die japanische Regierung beabsichtigt, in
der demnächst stattfindenden außerordentlichen Parlamentssitzung einen
für die Schiffahrts- wie für die Versicherungsgesellschaften sehr wich-
tigen Gesetzentwurf über eine staatliche Seekriegsversicherung einzu-
bringen.
Gegenwärtig ist noch das im September 1915 eingeführte Kriegs versiche-
rungs-Entschädigungsgesetz in Kraft. Auf Grund dieses Gesetzes hat die japa-
nische Regierung es übernommen, 80 Proz. jedes den Versicherungsgesellschaften
im Rahmen des Gesetzes zur Last fallenden Schadens zu decken, ohne daß hier-
für irgendeine Abgabe an die Regierung zu entrichten ist. Zweck dieser An-
— 552 —
ordnuDK war, das Land vor den teuren Seeversicherungsprämien, die sonst un-
vermeiolich gewesen wären, zu bewahren. Doch ahnte die Regierung bei der
Veröffentlichung des Gesetzes nicht die Größe des damit verbundenen Risikos;
sie vermutete vielmehr, daß durch ihren Schritt die Versicherungesellschaften an-
gefeuert würden, im Interesse des auswärtigen Handels die Seekriegs Versicherung
weiter auszudehnen. Als aber eine Reihe japanischer Schiffe den Deutschen zum
Opfer gefallen waren und die japanische Staatskasse infolgedessen beträchtliche
Summen hatte zahlen müssen, sah die Regierung ein, daß das in der japanischen
Presse scharf kritisierte Verfahren sich nicht bewährte. Mitte 1916 tauchte der
Vorschlag auf, die bisherigen Bestimmungen aufzuheben und ein geschäftsmäßiges
System, u. a. auch eine staatliche Rückversicherung einzuführen. Inzwischen
hat die Regierung Prämienerhöhungen für die Gesellschaften vorgeschrieben, und
neuerdings die Gewässer des Mittelländischen Meeres als nicht mehr unter das
Entschädigun^sgesetz fallend erklärt, um auf diese Weise ihre Lage zu verbessern
und zu vermeiden, daß das bisherige System völlig über den Haufen geworfen
würde. Nunmehr will die Regierung eine staatliche Seekriegsversicherung ein-
führen, und zwar, wie die japanische Zeitung „Asahi" hört, soll es sich dabei um
eine Art Rückversicherungsgeschäft handeln, indem die Regierung Rückversiche-
rungsrisiken gegen Prämie übernimmt, ohne daß jedoch die Gesellschaften ver-
pflichtet sind, bei der Regierung Rückversicherung zu nehmen. Eine Folge des
neuen Gesetzes wird sein, daß die in dem bisherigen Entschädigungsgesetz vor-
gesehenen Prämien erhöht werden.
2. Sozialversicherung.
Der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" ist folgende Darstellung
über die Kinderfürsorge der Landesversicherungs-
anstalten zu entnehmen.
Die Reichs Versicherungsordnung ist durch die ihr einverleibte Hinterbliebenen-
versicherung zu einem Schutzengel für viele Tausende unversorgter oder doch
ungenügend gegen die Härten des Lebens versorgter Kinder geworden. Am Ende
des Jahres 1915 betrug die Zahl der zu Rentenempfängern gewordenen Kinder
420 000, sie wird für Ende 1916 auf über 650 000 gestiegen sein. Die Bezug efür
die Waisenkinder sind durch das Reichsgesetz vom 12. Juni 1916 noch dadurch
erhöht worden, daß nunmehr jede Waise "/so ^^^ „Grundbetrages" der Invaliden-
rente erhält, die ursprünglich nur für die erste Waise festgesetzt waren, während
auf die weiteren verwaisten Kinder nur je ^/^o der Grundrente entfiel. Natürlich
ist der Jahresbetrag für das einzelne Kind auch nach dem letzterwähnten Gesetz
nicht überwältigend, er beträgt, wenn der verstorbene Versicherte auf eine Rente
von jährlich 88 M. Anspruch hatte, für jedes Kind etwa jährlich 40 M. ; allein es
ist doch eine gewisse Mindestsicherheit mit diesem Rentenanspruch, zu dem noch
in bestimmten Fällen die Waisenaussteuer hinzutritt, verknüpft. Die Waisen-
renten werden in Form von Waisenstämmen geführt. Ein Stamm aller von einem
Todesfall betroffenen unterstützungsberechtigten Waisen zählt im Durchschnitt
etwa 2S 2 Waisen. Inwieweit der Krieg die Verwaisung zu einer abnormen Massen-
erscheinung gemacht und dadurch auch die gesetzlichen Leistungen für diesen
Zweck der Reichsversicherung gesteigert hat, zeigt eine von A. Wanderer (Frank-
furt a. M.) aufgestellte, in der „Zeitschrift für das Armen wesen" (Karl Heymanns
Verlag, Berlin) veröffentlichte Tabelle. Die Zahl der festgesetzten Waisenrenten
(d. i. Waisenstämme) betrug 1912 13 962 mit einem Jahresbetr^e von 628 943 M.,
wozu noch 108 Waisenaussteuern mit 2371 M. kamen. Diese Zahlen stellten sich
für 1913 auf 37 774 laufende Waisenrenten mit einem Auszahlungsbetrage von
2 573 433 M. und 460 Waisenaussteuern mit 9696 M., für das Jahr 1914 (5 Kriegs-
monate einschließend) auf 64 745 laufende Waisenrenten mit einem Auszahlungs-
betrage von 4458680 M. und 887 Waisen aussteuern mit 19 719 M. Das Ende
des Kriegsjahres 1915 zeigt 167 752 laufende Waisenrenten, deren noch nicht fest-
gestellter Betrag etwa 13 500000 M. betragen dürfte, und 1408 Waisenaussteuern
mit einem Betrage von etwa 32 000 M. Bei gleichem Ansteigen der Verwaisungs-
— 553 -
Ziffer und unter dem Einfluß der Kentenerhöhung durch das oben angezogene
Gesetz vom 12. Juni 1916 sind für das Jahr 1916 rund 25 Mill. M. Waisenrenten
zu zahlen, davon durch das Keich 17, durch die Landes Versicherungsanstalten
8 Mill. M.
Wenngleich also die Landes Versicherungsanstalten zur Waisenrente nur den
dritten Teil beisteuern, ist doch, wenn man so sprechen will, die eigentliche Ge-
fühlswärme für die Kentenwaisen bei diesen zu suchen. Die Keichs Versicherungs-
ordnung ermächtigt (in § 1277) die Versicherungsanstalten oder vielmehr deren
Vorstand, den Eentenempfänger auf Antrag in einem Invalidenhaus oder, was
für die Eentenwaisen in Betracht kommt, in einem Waisenhaus oder einer ähn-
lichen eigenen oder fremden Anstalt unterzubringen und dazu die ßente ganz
oder teilweise zu verwenden. Etwa die Hälfte von den 41 Versicherungsanstalten
hat denn auch bereits Ausführungsbestimmungen über die Waisenhauspflege
rentenberechtigter Waisen erlassen, und ein Teil der Anstalten ist tatsächlich dazu
übergegangen, ihre Waisen besonders dann, wenn sie kränklich sind oder sich in
FamUien befinden, in denen die Gefahr tuberkulöser Ansteckung vorliegt, in
Waisenhäusern, Heil- und Pflegestätten unterzubringen. In besonders vorbild-
licher Weise ist hier die Landesversicherungsanstalt der Hansestädte (Sitz Lübeck,
Vorsitzender Geheimer Rat Dr. ßielefeldt) vorgegangen. Sie hat sich ihrer ßenten-
waisen dadurch warmfühlend angenommen, daß sie schon 1913 die Unterbringung
dieser Kinder in ländlicher Pflege durchzuführen begann und bereits im folgenden
Jahre, 1914, ein eigenes Erholungsheim für Kinder mit 50 Betten in Groß-Hans-
dorf in Holstein errichtete. Außerdem brachte sie Kinder in Ferienkolonien und
Walderholungsstätten unter. Das Erholungsheim ist inzwischen um das Doppelte
erweitert und sowohl hinsichtlich der gesundheitlichen wie nach der unterricht-
lichen Seite hin musterhaft eingeiichtet. Im Jahre 1914 konnten schon seitens
der hanseatischen Versicherungsanstalt 315 Waisen durch diese Anstalt und durch
Landaufenthalt völlig versorgt werden mit einem Kostenauf wände von rund
86000 M., wovon reiner Aufwand der Versicherungsanstalt (einschließlich des
Reichszuschusses) 74860 M. sind.
Es kann hier noch darauf hingewiesen werden, daß die Landesversicherungs-
anstalten auch durch besondere Verpflichtungen ihre Hypothekenschuldner, so-
fern diese entsprechende Anstaltsunternehmungen sind, dazu nötigten, neben der
Zinszahlung eine große Anzahl von Freiplätzen für Kinder von Versicherten der
Landesversicherungsanstalt zur Verfügung zu stellen. Hierbei ist allerdings in
erster Linie an die gesundheitlich gefährdeten Kinder von Versicherten gedacht.
Aber das Bild der Kinderfürsorge, das die Versicherungsanstalt der Hansestädte
bietet, wird doch vervollständigt, und die Tatsache, daß auch den Rentenwaisen
in mustergültiger Weise Wohlwollen und Fürsorge zuteil wird, dadurch erhärtet.
Man darf auch als sicher annehmen, daß das Vorbild der hanseatischen
Versicherungsanstalt auf die übrigen Landesversicherungsanstalten bereits günstig
eingewirkt hat. Dazu kommt die Einwirkung der Kriegsfolgen, welche die Kinder-
fürsorge in den Vordergrund aller Fürsorge drängt. Während sich im Jahre 1914
im ganzen nur 15 Landesversicherungsanstalten eingehender Kinder- und speziell
Waise nfürsorge widmeten, waren im Jahre 1915 bereits 21 Anstalten, also reichlich
die Hälfte der Gesamtzahl, hierfür tätig. So betrug die Zahl der in vollständige
Fürsorge übernommenen Rentenwaisen im Jahre 1915: 761, wovon allein auf die
drei Hansestädte 400 entfielen. Der Aufwand für diese Waisenpflege betrug rund
125 000 M. Die Gesamtzahl der so verpflegten Waisen im Deutschen Reiche ist
seit 1912 auf über 1700 gestiegen.
Wenn man sich die große Zahl der aus der Reichshinterbliebenen Versiche-
rung entstammenden Waisen — wie schon oben angedeutet, rund 650000 — vor
Augen hält, so bedeuten die berichteten Leistungen ja nur noch wenig für die
Lösung der großen Aufgabe. Es sind ja auch in der Hauptsache andere Faktoren,
die außer der Reichs Versicherung bei dieser Fürsorge in Betracht kommen, näm-
lich die Militärhinterbliebenengesetze, die öffentliche Armen- und Waisenpflege
und die private Fürsorge. Daß aber die Landesversicherungsanstalten sich nach
dem Vorbilde der hanseatischen Anstalt für diesen Fürsorgezweig besonders inter-
essieren, ist doch eine erfreuliche Tatsache. Es gilt dies namenüich in bezug auf
das planmäßige Vorgehen. Während bei der Reichsversicherung im wesent-
— 554 —
liehen nur die Geldleistung in der Waisenversicherung zum Ausdruck kommt,
sind ihre Organe, die Landes Versicherungsanstalten, gesetzmäßig in der Lage, ihre
Teilnahme an dem Wohl und Wehe ihrer Rentenwaisen und der Kinder ihrer
versicherungspflichtigen Mitglieder zum Ausdruck zu bringen und Wege zur
Lösung der Fürsorgeaufgaben zu beschreiten.
In diesem Sinne ist auch das Vorgehen der Landesversicherungsanstalt
ßheinprovinz bedeutungsvoll, über das ein vom 30. Januar 1917 datiertes, in
der Februarnummer der „Amtlichen Mitteilungen" (Düsseldorf) abgedrucktes
Rundschreiben Aufschluß gibt. Diese Anstalt will die Kriegseinwirkungen da-
durch abschwächen, daß sie in erweitertem Maße an einer gedeihlichen gesund-
heitlichen Entwicklung der versicherungspflichtigen Bevölkerung durch plan-
mäßige Kinderfürsorge teilnimmt. Sie teilt ihre Betätigungsgebiete dieser Art in
drei Gruppen ein: 1) Beteiligung an den Kosten von Heilverfahren für Kinder
von 10—15 Jahren, die an ernstlichen Volkskrankheiten, hauptsächlich Lungen-
tuberkulose, leiden oder von solchen bedroht sind, 2) Förderung der Bestrebungen,
die der Bekämpfung von Schwächlichkeit und Krankiieit unter den Kindern der ver-
sicherungspflichtigen Bevölkerung zu dienen bestimmt sind, und 3) Ausdehnung der
Waisenpflege für die ihr am 1. Januar 1917 zugefallenen 67217 Rentenwaisen, indem
sie insbesondere hier die Familienpflege für die Kriegswaisen unter erfreulicher Alit-
wirkung großer provinzieller Erziehungsvereine ins Auge fassen will. Das Rund-
schreiben der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz zei^ nach jeder Richtung
hin die vorliegenden ernsten Absichten. Möge der edle Wetteifer in der Kinder-
und insbesondere der Waisenfürsorge, den die hanseatische und die rheinische
Landesversicherungsanstalt zeigen, gute anspornende Folgen zeitigen I
Bei der Tagung deutscher Krankenkassen wurde insbe-
sondere die Mutter- und Säuglingsfürsorge sowie die soziale Besser-
stellung wirtschaftlich schwacher Ehen erörtert. Vorschläge für letztere
fanden ihren Ausdruck in einer Entschließung, die u. a. folgende Ge-
sichtspunkte betonte.
Die Hauptversammlung des Gesamt verbau des Deutscher Krankenkassen er-
klärt es als ihre nationale Pflicht, alle Bestrebungen zu fördern, die auf Kräfti-
gung des deutschen Volkes und seines Nachwuchses, insbesondere
Hebung und Festigung der wirtschaftlichen und sozialen Lage kinderreicher
Familien abzielen. Sie empfiehlt den Krankenkassen Ausbau der FamilienhUfe
durch Gewährung von Krankenpflege, Wochenhilfe, Sterbegeld an nichtVersicherte
Familienangehörige; Beteiligung an Wohlfahrtseinrichtungen für kinderreiche
Familien, womöglich Schaffung solcher Einrichtungen gemeinsam mit Gemeinden,
Kreisen und gemeinnützigen Vereinen. Hierzu ist notwendig durchgehend Schaffung
von Säuglingspflegerinnen, Tuberkulose- und TrinkerfürsorgesteUen, Beratungs-
stellen für Geschlechtskranke in jedem Bezirk und Errichtung einer hauptamt-
lichen Gesundheitspflegestelle; Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaues
unter Voranstellung des ländlichen Einzelhauses und Bevorzugung kinderreicher
Familien. Die Hauptversammlung sieht im Ausbau der gesetzlichen
Zwangsversicherung das beste Mittel für die nationale Bevölkerungspolitik.
Sie hält für notwendig die Gewährung von Kinderrenten vom dritten Kinde an für
jedes nicht erwerbstätige Kind als Ergänzung der für die Versicherung in Betracht
kommenden Bevölkerungskreise, Gewährung der jetzigen Kriegswochenhilfe für
alle minderbemittelten Wöchnerinnen. Die erforderlichen Mittel sollen aufgebracht
werden zu je einem Drittel durch das Reich, durch den Staat oder die Provinzen,
durch die Beteiligten.
Die Entschließung fand einstimmige Annahme unter Zusatz eines Antrages,
wonach bei Errichtung gemeinnütziger Beratungsstellen und Fürsorgestellen sozial
geschulte Bürger zur Mitwirkung herangezogen werden.
Annahme fand eine Reihe von Anträgen. U. a. beschloß die Tagung, beim
Bundesrat Abänderung der Reichversicherungsordnung dahin zu be-
antragen, daß Personen, welche Invaliden- oder Krankenrente beziehen, bei halben
Beiträgen nur Anspruch auf Krankenpflege erhalten, ferner daß die Kranken-
kassen die Beiträge über 4V.2 Proz. bis auf 6 Proz. des Grundlohnes erhöhen können,
— 555 —
um bei Bedarf über die Eegel hinaus Mehrleistungen zu gewähren. Einstimmig
angenommen wurde ein Antrag, darauf hinzuwirken, daß Schulkinder, die in ge-
werblichen, hauswirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt
sind, versicherungspflichtig sind.
Das Direktorium der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte
veröffentlicht seinen Tätigkeitsbericht über das Jahr 1916, der eine
Uebersicht über die Entwicklung der Angestelltenversicherung in den
abgelaufenen Jahren gibt.
Die Hauptleistung der Angestelltenversicherung sind Ruhegehalt und Renten.
Für diese ist jedoch durch das Gesetz eine Wartezeit von 10 oder 5 Jahren vor-
fesehen, die noch nicht abgelaufen ist, so dai^ in dieser Beziehung der Krieg auf
ie Angestelltenversicherung nicht von Einfluß ist. Nur solche Personen konnten
bisher Anspruch auf Rente erheben, die die Wartezeit durch Nachzahlung von
Beiträgen abgekürzt hatten. Für solche Personen sind im Jahre 1916 in 9 Fällen
Ruhegeld und in 15 Fällen Hinterbliebenenrenten bewilligt. Außerdem sind in
237 Fällen Leibrenten festgesetzt.
Die Haupttätigkeit des Direktoriums bestand hiernach in der Erhebung der
Beiträge und in der Gewährung der freiwilligen, durch das Gesetz zugelassenen
Leistungen. An Beiträgen wurden von den Arbeitgebern im Jahre 1916 113 Mill.
M, eingezahlt, wofür der Reichspost an Gebühren 114000 M. zuflössen. Daß die
Erhebung der Beiträge keine einfache Sache ist, kann man daraus erkennen, daß
bei den zuständigen Stellen im Jahre 1916 13953 Streitsachen über die Versicherungs-
pflicht schwebten, wovon 7558 als unerledigt in das Jahr 1917 übernommen werden
mußten. Die eingezahlten Beiträge wurden zu einem erheblichen Teile in Kriegs-
auleihen angelegt. So wurden auf die vierte und fünfte &iegsanleihe je 60 Mill.
M. gezeichnet. Damit hat die Reichsversicherungsanstalt bis Ende 1916 insgesamt
260 Mill. M. für Kriegsanleihen aufgebracht.
Von den freiwilligen Leistungen der Reichsversicherungsanstalt interessiert
hier in erster Linie das Heilverfahren, das wie bei den Landesversicherungsan-
stalten einen außerordentlichen Umfang erlangt hat. Im Jahre 1916 gingen bei
der Reichsversicherungsanstalt 24 184 Anträge auf Gewährung eines Heilverfahrens
ein, d. h. 910 mehr äs im Vorjahre. Die Gesamtkosten für die im Jahre 1916
angetretenen und bewilligten Heilsachen betrugen 4,7 MiU. M. Es wurden ge-
wahrt 4853 Heilverfahren in Lungenheilstätten, 4898 in Sanatorien, 5162 in Bädern.
In 310 weiteren Fällen wurden Zuschüsse zu Heilverfahren gewährt. Außerdem
fanden in 2586 Beobachtungen und Behandlungen in Krankenhäusern statt. In
2728 Fällen wurden nichtständige Heilverfahren gewährt.
Besondere Maßnahmen hat das Direktorium der Reichsversicherungsanstalt
auf dem Gebiete der Kriegsbeschädigtenfürsorge getroffen, um den kriegsbeschä-
digten Versicherten die Rückkehr in die bürgerlichen Verhältnisse zu erleichtern.
Nachdem eingehende Versuche ergeben hatten, daß sich geeignete Hunde dazu
abrichten lassen. Blinde auf den Straßen sicher zu führen und sie auf die durch
den Verkehr drohenden Gefahren aufmerksam zu machen, hat das Direktorium
beschlossen, kriegsblinden Versicherten die Mittel zur Anschaffung solcher Hunde
zu gewähren und auch diejenigen Kosten zu übernehmen, die durch den Aufent-
halt des Kriegsblinden in dem Orte entstehen, in welchem der Hund an den
Blinden gewöhnt wird.
Ferner sind Mittel bereitgestellt für die Berufsberatung und ümlernung
kriegsbeschädigter Versicherten. Im Jahre 1916 schwebten bei der Reichsver-
sicherungsanstalt 95 derartige Fälle, wovon 60 bewilligt und 11 abgelehnt wurden.
Ueber die übrigen Fälle war bis Ende 1916 zum Teil noch nicht entschieden, zum
Teil hatten sie sich in anderer Weise erledigt. Die Kosten betrugen im Durchschnitt
für den Fall 159 M. Die Höchstkosten eines Einzelfalles mit 973 M. betrafen
die Vorbereitung eines früheren Hilfsjägers für die Forstsekretärlaufbahn.
Auch auf dem Gebiete der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten hat sich
die Reichs Versicherungsanstalt betätigt, und zwar in der Weise, daß sie sich an
den von den Landesversicherungsanstalten eingerichteten Beratungsstellen für
Geschlechtskranke beteiligt. Sie erstattet den Landesversicherungsanstalten einen
- 556 -
entßprechenden Teil der Kosten der SammlungSHtelle und übernimmt auch auf
deren Mitteilung die Kosten eines erforderlich werdenden Heilverfahrens.
Ein neues See-Unfallversicherungsgesetz der Ver-
einigten Staaten verpflichtet die Schiffseigentümer, die Kapitäne,
Offiziere und Mannschaften der Handelsschiffe beim staatlichen Kriegs-
versicherungsamt oder bei einer vom Schatzsekretär dafür zugelassenen
privaten Versicherungsgesellschaft zu versichern.
Die für die staatliche Seekriegsversicherung vorhandene Organisation wird
auch für die Unfallversicherung zur Verfügung gestellt. Mithin sind die Zoll-
einnehmer in allen Häfen der Vereinigten Staaten Agenten des Versicher ungs-
amtes, können als solche Anträge entgegennehmen und die Prämien mit Billigung
des Versicherungssekretärs in Washington festsetzen. Bei Fahrten vom Ausland
nach den Vereinigten Staaten liegen diese Aufgaben den Konsuln ob. Durch diese
Einrichtung erwartet man einen besonders billigen Betrieb. Für die Auszahlung
der Entschädigungen ist eine Staffeltabelle aufgestellt. Bei Tod, dauernder Berufs-
unfähigkeit, Verlust beider Hände, beider Arme, beider Füße, beider Beine oder
beider Augen wird ein Jahreseinkommen des Beschädigten oder Getöteten aus-
bezahlt, jedoch nicht mehr als 5000 und nicht weniger als 1500 $. Bei geringeren
Beschädigungen sind die Auszahlungen entsprechend niedriger. Die Prämien sind
je nach den in Betracht kommenden Reisen verschieden und betragen 0,03 bis
0,75 Proz. bei Dampfern und 0,06 bis 0,9 Proz. bei Segel- und HUfsschiffen,
Die höchsten Sätze werden für die Dampferreise nach Europa sowie für die S^el-
schiffsreisen um das Kap der guten Hoffnung nach Afrika und dem fernen Osten
in Ansatz gebracht.
Via. Oeld, Ki-edit, Währimg.
Inhalt: 1. Der internationale Geldmarkt und die Entwick-
lung in den wichtigeren Ländern während des Monats August.
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung, a) Banken im In- und
Auslande, b) Kreditwirtschaftliche Maßnahmen in Deutschland und
den besetzten Gebieten Belgiens und Rußlands, Frankreich, Italien, Oesterreich,
der Türkei, den Vereinigten Staaten von Amerika, c) Bargeldloser Zah-
lungsverkehr in Deutschland und Argentinien, d) Börsen wesen in Deutsch-
land, Norwegen, Oesterreich, Rußland, der Schweiz, Japan, e) Währungs-
und Notenbankwesen in Deutschland, Bulgarien, Frankreich, Norwegen,
Oesterreich und den von Oesterreich- Ungarn verwalteten besetzten Gebieten
Polens und Serbiens, Rußland, Portugal, der Türkei, Britisch-Indien, China,
Argentinien, Brasilien, Ecuador.
3. Statistik. Uebersicht über den Stand der hauptsächlichen
Notenbanken und der Bankzinssätze.
1. Der internationale Geldmarkt und die Entwicklung
in den wichtigeren Ländern während des Mona ts August.
Wie im Vormonat übten auch im August die von den Vereinigten
Staaten von Amerika ausgehenden Maßnahmen auf die Gestaltung der
Verhältnisse am internationalen Geldmarkt einen erheblichen
Einfluß aus. Die auf Gedeih und Verderb an die europäischen Ver-
bandsmächte gekettete Union sah sich nicht nur zu weiteren bedeuten-
den Geldopfern an sie genötigt, sondern ließ ihrem bisherigen Vor-
gehen gegen den Handel mit den Neutralen nunmehr ein förmliches
Verbot aller nicht vorher genehmigten Güterausfuhr an diese folgen i),
1) „The Economist" vom 1. September, S. 314.
— 557 —
eine Maßnahme, die ihre eigenen Wechselkurse und die ihrer
europäischen Verbündeten zum Teil noch weiter verschlechterte und
die Lösung des Devisenproblems offensichtlich stark erschwerte ^) *).
In der Schweiz stellten sich die Kurse aller kriegführenden Länder
am Ende des Monats ein wenig günstiger als zu Anfang. Für die
Mittelmächte kam in Betracht, daß die zwischen Deutschland und der
Schweiz gepflogenen Verhandlungen wegen eines neuen Wirtschafts-
abkommens zum Abschluß gelangten und Deutschland einen Kredit von
180 Mill. frcs in Monatsraten von 20 Mill. nach Maßgabe der an die
Schweiz zu liefernden Kohlenmengen und gegen Hinterlegung deutscher
Hypothekenbankpfandbriefe sicherten (vgl. „Berliner Tageblatt" vom
6. September, „Neue Zürcher Zeitung" vom 10. September). Für die
Ententeländer ergab sich eine Besserung der Kurse dadurch, daß sie
erwarten konnten, gleichfalls entsprechende Kredite in der Schweiz zu
erhalten. — Als Wettbewerber neben den Vereinigten Staaten 3j um
die Herrschaft auf dem internationalen Geldmarkt trat mehr und mehr
Japan in den Vordergrund, dessen wirtschaftliche und finanzielle
Lage durch die glänzende Kriegskonjunktur*), die reichlichen Gold-
1) Vgl. die fortgesetzten Erörterungen und Klagen in der Ententepresse, z. B.
„Journal des D§bats", vom 6. August, „Statist", Wochenschau vom 25. August, „Economist"
vom 1. September, S. 321/22. — Eine Konferenz von ßegierungs- und Bankvertretem
trat zusammen, um über Maßnahmen gegen die Entwertung des Dollars in den neutralen
Ländern zu beraten. Man beschloß, zunächst in Spanien, wo die Entwertung der
amerikanischen Währung 21 Proz. erreicht hatte, einen gemeinschaftlichen Valutakredit
für England, Frankreich und die Vereinigten Staaten aufzunehmen, für den von Frank-
reich und England an die Vereinigten Staaten verpfändete Wertpapiere als Sicherheit
hinterlegt werden sollten. — Das Bankhaus Morgan wurde mit dem Absatz von
150 Mill. $ dreimonatiger b^j^-^roz. britischer Schatzscheine betraut („;ßcon. Europ."
vom 31. August. S. 130, „Statist" vom 25. August, S. 314). — In Italien wurde mit
Verordnung vom 1. September die Eegisterpf lieht für die sich mit Devisengeschäften
befassenden Personen und die Ernennung eines dem Schatzministerium unterstellten
Kontrollausschusses zur schärferen staatlichen Ueberwachung des Devisen Verkehrs in die
Wege geleitet („Neue Zürcher Zeitung" vom 4. September). — In Frankreich wieder
Erörterungen über internationale Banknote und Völkerbank : Citroen in „Petit Parisien"
dafür, Perchot in „Kadical" vom 9. August dagegen ; „R§forme ficonomique" vom
10. August.
2) Die schwedische ßeichsbank wurde für weitere 7 Monate — bis 1. März
1918 — von der Verpflichtung zum Ankauf von Gold befreit („flcon. Europ." vom
31. August, S. 130; vgl. auch den interessanten Artikel von Cassel in „Svenska
Dagblad" vom 8. August, ferner vom 20. Juli und dazu „In- en Uitvoer" vom 8. August
über den Valutastreit zwischen Holland und Schweden).
3) Interessant ist das Geständnis der „Evening Post", New York, daß seit dem
Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg die immer noch reichliche Goldzufuhr
aus den verbündeten Ländern vollständig aufgewogen werde durch die gleichzeitige
Ausfuhr nach Japan, Indien, Spanien und anderen Ländern („The Statist" vom 1. Sep-
tember, S. 354).
4) So wurde z. B. die japanische Regierung von der Volksvertretung ermächtigt,
bis zu 200 Mill. Yen bereitzustellen, um den Export zu fördern und den Verbündeten
bei ihren Munitionsbestellungen Zahlungserleichterungen zu gewähren. Am 18. August
wurden 100 Mill. Yen in Form 5-proz. 5-jähriger Schatzscheine zu 95 Proz. zur
Zeichnung aufgelegt, die in der Hauptsache zur Deckung am 25. September fälliger
russischer Schatzwechsel Verwendung finden sollen („The Economist" vom 25. August,
S. 280).
- 558 -
Zuflüsse 1) und die Verminderung seiner auswärtigen Schuld sich überaus
günstig entwickelt hatte.
Auf dem deutschen Geldmarkt nahm die Geldflüssigkeit
noch weiter zu. Der Privatdiskontsatz blieb unverändert 4^8
Proz. und darunter. Tägliches Geld wurde im Monatsdurchschnitt
mit 4,04 Proz. gegen 4,15 Proz. im Juli verzinst; ültimogeld war
mit etwa 5 Proz. zu erhalten.
Die Rückflüsse an Scheidemünzen in die Kassen der Reichs-
bank dauerten an (Zunahme im August 20,3 Mill. M). Der Erhöhung
der Anlage der Bank (plus 286 Mill. M) stand ein Zuwachs der
fremden Gelder um 42,6 Mill. M gegenüber. Zur Befriedigung des
wiederum erheblichen Zahlungsmittelbedarfs mußten 485 Mill. M Noten
und 360 Mill. M Darlehnskassenscheine neu in den Verkehr gegeben
werden.
Der englische Geldmarkt bot gegenüber dem Vormonat ein
nur wenig verändertes Bild. Die Abhängigkeit von der Gestaltung der
Verhältnisse am amerikanischen Geldmarkt blieb bestehen. Die Ent-
wicklung der Wechselkurse — trotz der weitgehenden Hilfe der Ver-
einigten Staaten — , die ungünstigen Nachrichten aus den verbündeten
Ländern, besonders aus Rußland, beunruhigten den Markt fortgesetzt.
Das Schatzamt konnte seinen Bedarf nur mühsam und vorwiegend nur
in ganz kurzfristiger Eorm decken 2). Die Zurückhaltung der Geld-
geber gegenüber anderweitigen Geldansprüchen war noch offensicht-
licher 3).
Der Privatdiskontsatz wurde den ganzen Monat über mit
425^/32 Proz. notiert. Die Sätze für tägliches Geld hielten sich im
Durchschnitt auf der Höhe des Vormonats; dabei waren die Schwankungen
geringer. Gegen Monatsende zogen die Sätze unter dem Einfluß der
Geld Versteifung in den Vereinigten Staaten etwas an, ohne indes 4 Proz.
zu übersteigen.
Der Status der Bank von England erfuhr nach den starken
Goldabflüssen des Vormonats eine merkliche Kräftigung durch eine
Vermehrung des Metallvorrats um 1,8 Mill. £. Die übrigen Konten
zeigten nur geringfügige Veränderungen.
1) Vgl. „The Statist" vom 1. September, S. 355. Nach derselben Quelle (vom
18. August, S. 277) und nach holländischen Blättern sollen in Japan Erwägungen
schweben, wie dem weiteren Zustrom von Gold gesteuert werden könne.
2) Im August erhöhte sieh der Betrag der ausstehenden Schatzwechsel aller
Fälligkeiten um 88,1 Mill. £ auf 846,1 Mill. £. Unter Einrechnung von 243,6 Mill. £
„Ways and Means" - Vorschüsse betrug die schwebende Schuld am 1. September
1090 Mill. £. Im „Statist" vom 8. September, S. 394 wird darüber geklagt, daß vor
einem Jahre der Absatz an War Savings Certificates noch 1,5 — 2,25 Mill. £ gegen
'/g Mill. £ heute wöchentlich betragen habe; auch der Absatz von 5-proz. Exchequer
Bonds sei gegen damals stark zurückgegangen. Unter diesen Umständen ist es nicht
erstaunlich, daß die Auflegung einer Prämienanleihe ernstlich ins Auge gefaßt und
einem „Special Committee" zur Ausarbeitung anvertraut wurde („The Economist" vom
18. August.)
3) Die vom 24. bis 29. August zu 98^/, Proz. zur Zeichnung aufliegende 5V2-proz.
5. Anleihe des Commonwealth von Australien in Höhe von 4,5 Mill. £ blieb zum
größeren Teil (58 Proz.) in den Händen des Garantiekonsortiums.
— 559 —
Der Umlauf der currency notes stieg um 4,8 Mill. £ auf
173,4 Mill. £.
Die scharfe Hausse auf dem Londoner Silbermarkte zeigte
noch keinerlei Anzeichen eines Abflauens, im Gegenteil waren die
Notierungen am Monatsende am höchsten (am 31. August 46 d für die
Standard-Unze).
Der französische Geldmarkt verfügte anscheinend wie in den
Vormonaten über erhebliche Beträge flüssiger Mittel, ohne daß sich
indes die Regierung einen befriedigenden Anteil für die Zwecke der
Kriegskostendeckung hätte sichern können. Die Summen der seitens
des französischen Staates bisher unbezahlt gebliebenen Rechnungen
wuchs ganz bedenklich an, und die Auflegung einer langfristigen An-
leihe, die übrigens auch bei großem Erfolg kaum noch eine ins Gewicht
fallende Erleichterung der finanziellen Lage bringen könnte, mußte an-
gesichts der Gestaltung der Geldmarktverhältnisse erneut verschoben
werden. Die Entwicklung der Devisenkurse bereitete nach wie vor
schwere Sorge i), zumal sowohl England Frankreich gegenüber als auch
Amerika diesen beiden Ländern gegenüber Vorschüsse ohne entsprechende
Golddeckung zu geben offenbar nicht mehr gewillt waren („Zürcher
Post" vom 17. Aug.) 2).
Die Ausweise der Bank von Frankreich zeigten im Berichts-
monat wieder besonders deutlich, eine wie wichtige Stütze die Bank
für die französischen Finanzen ist; sie mußte 400 Mill. frcs für den
Staat und 105 Mill. frcs für die Verbündeten neu bereitstellen. Hand
in Hand damit ging eine weitere Erhöhung des Notenumlaufs um
256 Mill. frcs.
Die Entwicklung der Verhältnisse am russischen Geldmarkt
war erneut offenbar sehr ungünstig. Nach einer Meldung der Peters-
burger Telegr.-Agentur wies der Finanzminister Nekrasow auf das außer-
ordentliche Anwachsen des Notenumlaufs der Staatsbank hin, die in
den beiden ersten Monaten des Jahres durchschnittlich 423 Mill. Rbl,
seit März indes 832 Mill. Rbl monatlich neu auszugeben hatte. Vom
29. Juli bis 29. August betrug die Ausdehnung des Notenumlaufs
1030 Mill. Rbl.
Auf dem Geldmarkt der Vereinigten Staaten vonAmerika
herrschte in den ersten 3 Wochen des Berichtsmonats ziemlich große
Geldflüssigkeit. Die Sätze für tägliches Geld bewegten sich
zwischen 2 und 3 Proz. In der 4. Woche trat eine plötzliche Knappheit
1) Der Finanzminister richtete ein Zirkularschreiben an die Banken, in dem er
sie auffordert, sich bei Devisentransaktionen die durch die Rücksicht auf das Gemein-
wohl gebotenen Beschränkungen aufzuerlegen („Le Temps" vom 15. August). — Wegen
der ungünstigen Wirkung des englischen Einfuhrverbots auf die französische Zahlungs-
bilanz wurden in einem neuen Abkommen zwischen England und Frankreich die scharfen
Bestimmungen des englischen Einfuhrverbots für französische Waren wesentlich ge-
mildert (vgl. Chronik, S. 192, Anm. 4).
2) Anscheinend offiziös wurde erklärt, Frankreich müsse, um den Krieg fortsetzen
zu können, darauf bestehen, daß England und Amerika die erforderlichen Waren und
Kredite gewähren („Journal des D^bats" vom 6. August).
— 560 —
ein, die den Zinssatz am 31. August bis auf 6Y2 Proz. hinaufschnellen
ließ und die Depositen und Reserven der Banken stark verringerte. Die
wachsenden Kriegsausgaben i), die umfangreichen Steuervorlagen und
die fortgesetzt großen Goldabflüsse verursachten in weiten Kreisen Be-
unruhigung und Zurückhaltung 2 j. Der Kurs der SYj-proz. steuerfreien
Freiheitsanleihe stieg wieder auf Pari, da die Nachricht, die nächste
Anleihe werde nicht vollkommen von den Steuern befreit sein, Nach-
frage hervorrief („Morning Post" vom 16. August).
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung.
a) Banken im In- und Auslande.
Es wurden übernommen (zum Teil unter Errichtung einer
Filiale): von der Bank für Handel und Industrie, Berlin (vgl. Chr.
1916, S. 688): die Bankfirmen Epstein & Gunz, Augsburg, und Fritz
Bardele, Hirschberg i. Schles. ; — von der Bayerischen Handelsbank,
München (vgl. S. 194): die Bankfirmen D. Lehrberger, Augsburg, Max
Schloß, Augsburg (vgl. S. 194), und Salo Kohn & Co., Straubing; —
von der Bayerischen Vereinsbank, München (vgl. S. 498): die Bank-
firma Lenze, Schropp & Co., Passau, die Niederlassung Freising des
Münchener Bankhauses Georg Münzing sowie eine Kommanditbeteili-
gung an dem Bankgeschäft J. Weiskopf, Kulmbach; — von der Com-
merz- und Disconto-Bank, Hamburg-Berlin (vgl. Chr. 1914, S. 442): das
Bankhaus Joel Hirschberg, Stettin ; — von der Mitteldeutschen Credit-
bank, Frankfurt a. M.-Berlin (vgl. S. 194): die Bankfirma L. Heß &
Söhne, Köln; — von der Bank- und Wechselstuben A.-G., Budapest,
das Bank- und Kommissionsgeschäft Wurzel & Brach, Wien.
Filialen eröffneten: die Polnische Landes-Darlehnskasse, War-
schau (vgl. S. 498), in Czenstochau, Kaiisch, Sosnovice und Wloclawek ;
— die Banque Generale de Bulgarie, Sofia (vgl. Chr. 1916, S. 358), in
Xanthi; — die Anglo-South American Bank Ltd., London (vgl. S. 119),
in Trelew (Argentinien); — die London and Biver Plate Bank Ltd.,
London, in Santiago de Chile; — die Banque Fran9aise et Italienne
pour l'Amerique du Sud, Paris (vgl. S. 498), in Araquara (Brasilien)
und Bahia (Brasilien); — die k. k. priv. Oesterr. Länderbank, Wien
(vgl. S. 49), gemeinsam mit der Ungarischen Escompte- und Wechsel-
bank, Budapest (vgl. Chr. 1916, S. 827), in Dabrowa (Russisch- Galizien);
— die Pester Ungarische Commerzial-Bank, Budapest (vgl. S. 119), in
Skutari (weitere in Tirana und Durazzo geplant); — die Holländisch-
Südamerikanische Bank, Amsterdam (vgl. S. 498), in Santos (Brasilien) ;
— die Royal Bank of Canada, Montreal (vgl. S. 286), in Maracaibo
1) Im Juli betrugen die täglichen Kriegskosten der Vereinigten Staaten von
Amerika bereits fast 25 Mill. $, die gesamten Ausgaben für das laufende Fiskaljahr
wurden auf 10 Milliarden $ geschätzt (neben 5 Milliarden $ an die Verbündeten).
2) Um die Ursache und das Ziel der Goldabflüsse, hinter denen man deutsche
Machenschaften vermutete, zu ergründen, wurde vom Treasury Department und vom
Department of Commerce eine Untersuchungskommission ernannt, deren Feststellungen
jedoch nicht veröffentlicht wurden („The Statist" vom 25. August, S. 315).
- 561 -
(Venezuela). — Die chinesischen Niederlassungen der Deutsch- Asiati- >
sehen Bank, Berlin, werden durch die chinesische Regierung liquidiert",
(siehe auch unter e). ;
Gegründet wurden: in Neukölln mit 1 Mill. M Kapital (von der
Stadt unter Uebernahme des Neuköllner Bankvereins) eine städtische
Bank in Form einer G. m. b. H. ; — in London mit 100000 £ die
British and Foreign Mercantile Bank Ltd.; — in Paris mit je 3 Mill,
frcs der Banco Hispano Africana und die Banque Speciale de Credit
pour Fournisseurs de Services Publics (vgl. S. 117); — in Florenz mit
100 Mill. Lire die Banca di Credito Industriale; — in Rom mit 1 Mill.;
Lire die Banca per l'Africa Orientale; — im Haag die Internationale
Commercieele Bank; — in Kristiania mit mindestens 1, höchstens!
2 Mill. Kr Kapital die Gjersöes Bank und mit 5 Mill. Kr die Norsk
Investment Aktieselskab ; — in Klagenfurt mit 5 bis 10 Mill. K die
Kärntner Bank G. m. b. H. ; — in Oerebro mit 5 Mill. Kr die Oerebro
läns Bank Aktiebolag; — in Stockholm mit 0,8 bis 1 Mill. Kr die
Nordiska Kapitalförvaltnings Aktiebolag; — in Manissa (türk. Pro-
vinz Smyrna) mit 0,15 Mill. £ eine Bank zur Unterstützung der Wein-,
kulturen; — in New York mit 1 Mill $ die Mercantile Trust and
Deposit Cy. ; — in Sao Paulo (Brasilien) der Banco de Credito Populär
de Sao Paulo (zwecks Gründung landwirtschaftlicher Genossenschaften) ;
-»- in Guayaquil (Ecuador) mit Yg ^iH- Sucres Kapital der Banco
Nacional del Ecuador; — in Tsjangsja (China) mit 1 Mill. Yen die
Chinesisch-Japanische Bank. — Ueber die Gründung der Polnischen
Landes-Darlehnskasse, Warschau (vgl. S. 289), bringt die „Nordd. Allg.
Ztg." vom 26. Aug., II. Ausg., einen interessanten Bericht.
b) Kreditwirtschaftliche Maßnahmen.
In Deutschland und in den besetzten Gebieten wurden
veröffentlicht: 1) Bek. des E-Kzl., betr. Ausnahmebewilligung von den
Zahlungsverboten gegen das feindliche Ausland, v. 4. Aug. (RAnz. v.
10. Aug.; vgl. auch „Frankf. Ztg." v. 22. Aug. und Chr. S. 286);
2) V. des BR., betr. Zahlungverbot gegen die Vereinigten Staaten von
Amerika, v. 9. Aug. (RGBl. S. 708); 3) V. des BR., betr. die Ver-
öffentlichung der Handelsregistereintragungen usw., v. 30. Aug. (RGBl.
S. 746); 4) Postordnung für das Deutsche Reich, v. 28. Juli (RGBl.
S. 763); 5) Bek. des RKzl , betr. die Postprotestaufträge mit Wechseln
und Schecken, die in Elsaß-Lothringen zahlbar sind, v. 28. Juli (RGBl.
S. 817; vgl. Chr. S. 420); 6) Bek. des Oberbefehlshabers in den Marken,
betr. Beschlagnahme aller dem siamesischen („Nordd. Allg. Ztg." v.
18. Aug., II. Ausg.) und dem chinesischen Staate (ebenda v. 26. Aug.,
n. Ausg.) gehörenden Werte und Guthaben ; 7) Vf. des preuß. Finanz-
und des Landwirtschaftsmin., betr. die Verjährung der Ansprüche aus
den Zinsscheinen der Rentenbriefe, v. 14. Juli (FMBl. S. 274); 8) Vf.
des preuß. Justizmin., betr. die Behandlung der von den Hinterlegungs-
kassen beschafften neuen Zinsscheine, v. 31. Juli (JMBl. S. 277);
9) Vf. des preuß. Finanzmin., betr. die Verpflichtung, die bis zum
1. Juli 1917 noch nicht gezahlten Abgabebeträge nach § 31 Abs. 8-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXXVII
— 562 —
des Kriegssteuergesetzes vom genannten Tage ab zu verzinsen, y.
31. Juli (FMBl. S. 275); 10) dgl., betr. die Miterstattung von Zinsen
bei Kriegssteuerrückerstattungen, v. 3. Aug. (FMBl. S. 288); 11) Allg.
Vf. des preuß. Justizmin., betr. die siebente Kriegsanleihe, v. 20. Aug.
(JMBl. S. 291; vgl. Chr. 8. 196); 12) Kgl. V. zur Ergänzung der V.
v. 14. Sept. 1916, betr. den Erwerb von Reichskriegsanleihe für Stif-
tungen, standesherrliche Hausgüter, Familienfideikommisse, Lehen und
Stammgüter, v. 30. Aug. (PrGS. S. 83); 13) V. des GtGt. in Belgien
über die Aenderung des Artikels 6 der Zahlungsverbote, v. 16. Aug.
(BelgGVBl. 8. 4485); 14) dgl., betr. Zahlungsverbot gegen die Ver-
einigten Staaten von Amerika, v. 20. Aug. (BelgG-VBl. S. 4441);
15) V. d. Ob. Ost, betr. Verlängerung der Wechsel- und Scheckrechts-
fristen, V. 10. Aug. (ObostBVBl. S. 671; vgl. Chr. 8. 359); 16) dgl.,
betr. Erhebung einer Stempelabgabe beim Umsatz von Wertpapieren,
V. 26. Aug. (ObostBVBl. S. 680).
Die französische Regierung hat gegen die von der deutschen
Regierung angeordnete Liquidierung französischen Privatbesitzes pro-
testiert und die Liquidationen für ungültig erklärt („L'Äcon. Europ.-'
v. 15. Juni S. 382 und „Kölnische Ztg." v. 7. Sept.). — Im „Joum.
Off.", Annexe Nr. 3616 Chambre 8. 1068 v. 21. Juli wird ein Gesetz,
betr. Verbot des Handels mit dem Feinde, veröffentlicht. — Durch
Dekret v. 2. Juli wird die Anmeldung des französischen Eigentums
in feindlichen Ländern verfügt („L'Information", Paris, v. 3. Sept.).
In der italienischen „Gazetta Ufficiale" wird die auf Grund
des kgl. Dekrets v. 8. Aug. 1916 über das Verbot des Handels mit
feindlichen Untertanen (vgl. Chr. 1916, 8. 611) zusammengestellte
Schwarze Liste veröffentlicht („L'Economista d'Italia", Rom, v. 7. Aug.).
In Oesterreich wird unter dem 2. Aug. ein Gesetz, betr. die
Sicherung einer Kriegssteuer von höheren Geschäftserträgnissen der
Gesellschaften und vom Mehreinkommen der Einzelpersonen aus dem
Jahre 1917, erlassen (OestRGBl. S. 823).
Die Türkei erläßt ein Zahlungsverbot gegen Rußland.
In den Vereinigten Staaten von Amerika wird durch die
Trading with the Enemy Act ein Treuhänder für das feindliche Eigen-
tum („Alien Property Custodian") ernannt. („The Journal of Commerce",
New York, v. 31. Mai u. 23. Juli, und „Deutsche Wirtschaf tsztg."
V. 1. Sept.; vgl. auch Chr. S. 499.)
c) Bargeldloser Zahlungsverkehr.
Maßnahmen in Deutschland: 1) Erl. des preuß. Kriegsmin.,
betr. die Stammeinlage auf Postscheckkonten, v. 6. Aug. (AVBl. 8. 406 ;
vgl. Chr. 8. 361); 2) Erl. des preuß. Min. des Innern v. 10. Aug.,
durch den die Grenze für den Depositen- und Kontokorrentverkehr der
Sparkassen von 10 auf 25 Proz. des Gesamtbetrages der Einlagen auf
Sparkassenbücher erweitert wird („Sparkasse" v. 1. Sept., 8. 258).
In Argentinien werden die Umsätze der fremden Banken und
Geschäftshäuser mit einer Qiroumsatzsteuer von Y, Prom. belegt („Die
Bank", Sept. 1917, 8. 789).
- 563 —
d) Börsenwesen.
Durch einen ErL des Kriegsamts vom 28. Aug. wird der Einrich-
tung der Kursmakler die Eigenschaft einer behördlichen Ein-
richtung im Sinne des § 2 des Gesetzes über den vaterländischen
Hilfsdienst v. 5. Dez. 1916 zuerkannt (HMBl. S. 271). — Für Preußen
gestattet der Handelsmin. die begrenzte Wiederaufnahme der Tätigkeit
der Zulassungsstellen („Nordd. AUg. Ztg." v. 19. und 21. Aug.
und „Voss. Ztg." V. 21. Aug.; vgl. Chr. S. 421). — Die Vorstände
der Dresdener, Frankfurter und Leipziger Börse warnen vor Aus-
schreitungen („Frankf. Ztg." v. 11. und 19. Aug., „Voss. Ztg."
v. 24. Aug.; vgl. Chr. S. 500).
Die Fondsbörse in Kristiania wurde für die Allgemeinheit ge-
schlossen („Hamburger Nachr." v. 29. Aug.; vgl. Chr. S. 123).
Die neuen amtlichen Effektenschätzwerte der Wiener
Börsekammer nach dem Stande v. 31. Juli 1917 nebst Ergänzungs-
tabelle (vgl. S. 123) sind im Juliheft der „Volksw. Chronik der Oest.-
üng. Monarchie", Wien, abgedruckt (vgl. auch „Voss. Ztg." v. 7. Aug.).
— Die Wiener Börse bleibt auch fernerhin Sonnabends geschlossen
(vgl. S. 421).
Die Petersburger Börse, die seit dem 8. März d. J. geschlossen
war (vgl. S. 199), wurde am 8. Aug. für den freien Börsenverkehr
wieder geöffnet („Voss. Ztg." v. 14. Aug.).
In der Schweiz wird auf ausländische Obligationen eine
Stempelsteuer von 1 Proz., auf Aktien und Kuxe von IV2 Proz.
des Emissions- oder Einführungskurses, auf Prämienpapiere von 3 Proz.
des Nennwertes eingeführt („Die Bank", Sept. 1917, S. 778).
In Tokio wird von einer Bankengruppe ein Interventions-
syndikat zur „Linderung der Not auf den Effektenmärkten" mit
25 Miil. Yen Kapital gegründet („Die Bank", Sept. 1917, S. 788).
• e) Währungs- und Notenbankwesen.
Maßnahmen in Deutschland: 1) Bekanntm. des RKzl., betr.
Zahlungen nach den von deutschen oder verbündeten Truppen be-
setzten Gebieten Rumäniens (u. a. Verwendung von rumänischen
Zinsscheinen), vom 7. August (Reichs - Anzeiger vom 11. August);
2) dgl. über die Anmeldung von Zahlungsmitteln in ausländischer
Währung und von Forderungen auf verbündete und neutrale Länder,
vom 31. August (RGBl. S. 737); 3) dgl., betr. die Uebertragung von
Zahlungsmitteln und Forderungen in ausländischer Währung auf die
Reichsbank, vom 31. August (RGBl. S. 741); 4) Ersuchen des preuß.
Min. des Innern an den Städtetag, betr. die Aufnahme von Markdarlehen
im Auslande durch deutsche Städte („Handel und Industrie" v. 25. Aug.;
vgl. Chronik S. 499); 5) Erlaß des preuß. Handelsmin., betr. die Aus-
gabe von Notgeld durch Städte und Gemeinden („Voss. Ztg." v. 24. Aug.;
vgl. Chronik S. 362).
In Bulgarien werden durch Verfügung vom 1. August alle Ge-
schäfte in Goldmünzen — namentlich die Ausfuhr in jeder Form —
XXXVII*
— 5^4 —
und durch Verfügung vom T.August die Ausfuhr von bulgarischen
Banknoten ohne Genehmigung der Bulgarischen Nationalbank sowie
Einfuhr und Umsätze von griechischen und rumänischenBank-
noten verboten („ Wirtschaf tsztg. der Zentralmächte" vom 31. August
und 7. September).
In Frankreich gelangen auf Grund eines Gesetzes vom 2. August
15 Mill. frcs durchlochte Münzen aus Nickelbronze zu 25, 10
und 5 cts zur Ausgabe.
In Norwegen werden durch ein Gesetz der Auslandsgoldbestand
der Bank von Norwegen bis zu ^/^ des Inlandsgoldbestandes und die
Bankguthaben außerhalb Skandinaviens bis zu Y^ des Auslandsgoldbe-
standes zur Notendeckung zugelassen („Die Bank", Sept. 1917,
S. 785).
Im österreichischen Abgeordnetenhaus wird ein Antrag auf
Wiederveröffentlichung der seit Kriegsausbruch nicht mehr bekanntge-
gebenen Wochenausweise der Oesterreichisch -ungarischen
Bank eingebracht. — In Belgrad ist im Anschluß an die dortige
Expositur der Oesterr.-ungar. Bank eine Devisenzentrale errichtet
worden (vgl. S. 501). — Für das GGt. Lublin ist der Kurs für
lOOEbl auf 300 K festgesetzt worden („Frankf. Ztg." v. 9. Aug.;
vgl. Chr. 1916, S. 612).
Das auf S. 422 mitgeteilte russische Verbot der Uebertra-
gung von Rubelguthaben zugunsten von Personen oder Firmen
im Auslande gilt nicht für bereits vor dem 29. Juni (Verkündigungs-
termin des Ges. v. 5. Juni) vorhanden gewesene Guthaben von Aus-
ländern („L'Econ. Europ." vom 10. August, S. 82).
Ein portugiesisches Gesetz vom 21. April verbietet die Aus-
fuhr von portugiesischem Metallgeld („Deutsches Handels- Archiv",
August 1917, S. 790; vgl. Chr. S. 125). — Nach einer Meldung der
„Voss. Ztg." vom 18. August ist die Beschlagnahme alles Silber-
und Kupfergeldes und seine Ersetzung durch Banknoten verfügt worden.
Die türkische Regierung wird zur Prägung weiterer 1^/j Mill. £
Silbermünzen ermächtigt („Wirtschaftsztg. der Zentralmächte" vom
31. August, S. 804; vgl. Chr. 1916, S. 612).
Die britisch-indische Regierung hat ein Einschmelz-
verbot für Gold- und Silbermünzen erlassen („Neue Zürcher Ztg." vom
4. September; vgl. Chr. S. 501).
In China wurde der Umlauf der Noten der Deutsch-Asia-
tischen Bank verboten (vgl. auch unter a).
Ueber die Papiergeldausgabe und geplante Zentralbank
in Argentinien siehe ,, Frankfurter Ztg." v. 15. und 22. Aug. (vgl.
5. 501).
Der Banco do Brasil, Rio de Janeiro, wird in eine Noten-
bank umgewandelt („Die Bank'', Sept. 1917, S. 789; vgl. Chr. S. 422).
In Ecuador wurde bereits 1914 ein Goldausfuhrverbot er-
lassen („Deutsches Handels-Archiv", September 1917, S. 930; vgl. auch
Chr. 1914, S. 1018).
3. Statistik. 565
UebeiBicIltüberdenStandderdeutschenundeinigerausländischenNoteiibankenj
sowie des Bankzinsfußes an den wichtigeren Börsenplätzen im August 1917.
Beträfe in Millionen Mark.
Deutsches Reich
ßeichs-
bank
Privat-
noten
banken
Summe
Auswels vom
15. I 31. 1 15. 1 31. 1 15. I 31.
August
Bank von
Frankreich
(nach „L'fico-
nomiste
Frangais")
Ausweis V.
16. I 30.
Anji^ust
Bank von
England
(nach „The
Statist")
Ausweis V.
15. I 29.
August
Bussische
Staatsbank «)
(nach Wolffs
Depeschen)
Ausweis V.
14. I 29.
August n. St.
AktiTa.
Barvorrat : a) im Inlande
/Gold . . .
\ Silber . .
Metall
2403
87
2403
96
2649
21
2652
211
2797
268
803
259
Summe
Sonstige Geldsorten . .
b) im Auslande
Gold . . .
2490
552
2499
673
2557
590
2566
707
2860
2863
1095
1109
3 065 3 062
1650
650
4985
4985
Gesamtsumme d. Barvorrats
3042
3172
105
loi 3 147 32 73
Anlagen :
Wechsel 1) . . .
Lombard . . .
Effekten . . .
Sonstige Anlagen
II 369
14
151
1279
"365
10
176
1341
Summe der Anlagen
12813
[2 892
273
271
1483
93
169
1341
13086
4510
4513
1095 1109
8050
8047
1482
87
194
I 400
2032
915
178
II 746
2 009
903
178
12010
Bank. Dep.
Gov. See. :
1155I 1183
Other See. :
2084 I 2156
769
3 194
582
3048
3163
[487
15 ICO
3616
3716
Summe der Aktiva
'5855
[6064! 378
372
16233 16436
19 381
iq 613
47 II I4825
PassiTa.
Grundkapital . .
Seservefonds . ,
l^otenumlanf . ,
Verbindlichkeiten :
Täglich r^^i7*f"*^^^j\ •
* . <Oeffentl. Guthaben
.g| —
fällig
l Summe
Sonstige Verbindlichkeiten
180
90
8934
|6o8:
180
90
9 337
5891
608
570
589
566
Summe der Passiva
15855
16064
56
15
156
HO
236
105
9091
236
105
9 493
155
28
16 571
2 140
65
6198
603
6001
601
2205
422
155
28
16 661
2288
12
2 300
469
298
61
817
2595
930
3525
10
378
372
6233116436
19381
9613
471
298
61
825
2679
950
108
II
3051»
5 160
613
108
II
31700
5205
442
3629
12
5 773
5647
4825
Notenreserve im Sinne des
betreffenden Bankgesetzes
')
438
349
654
660
4271
3088
Deckung:
der Noten durch den ge-
samten Barvorrat . .
durch den inländischen
Metall Vorrat
der Noten u. sonstigen täg-
lich fälligen Verbind-
lichkeiten durch den ge-
samten Barvorrat . .
I BankzinsfuB
während des Monats
j August
in Prozenten
34.1
27,9
20,8
in Berlin
5,—
34,0
67,0
64,7
34,rt
34,ö
27,2
27,1
134,0
134.4
26,4
26,8
42,6
43,1
28,1
27,0
16,0
15.9
134,0
134,4
10,0
20,8
38,4
37,9
20,6
21,1
24,0
23,8
25,2
24,9
1
22,2
in Wien
in Paris
5,—
in London
5 —
in in
St.Petersburg Amsterdam
6- 4V.
25,*
9,7
21,6
in
New York
Wegen Umrechnung der fremden Valuten usw. vgl. Chronik 1913, S. 1038 unten.
1) Für die ßeichsbank die gesamte bankmäßige Deckung, d. h. Wechsel, Schecks und diskontierte
Sehatzanweisungen. 2) Für die Keichsbank ist die Notensteuer bis auf weiteres aufgehoben (Ges. v.
4. Aug. 1914, BGBl. S. 327). 3) Einschließlich der 377 Mill. M betragenden Anlagen des Issue-Depart-
ment. 4) Totalreserve. 5) Verhältnis der Eeserve zu den Depositen am 15. August: 18,6 Proz.; am
39. August: 18,2 Proz. 6) Die in diesen Spalten offen gelassenen Posten ergeben sich nicht aus den
Wolffschen Depeschen. 7) Diskontrate für 60 Tage.
- 566 -
VII. Arbelterrerhältnisse.
Inhalt: Der Arbeitsmarkt im August 1917. Die Arbeitslosen Statistik der
Arbeiterverbände. Die Arbeitsnachweisstatistik. Der weibliche Arbeitsmarkt. Die
Lage des Arbeitsmarktes in Berlin und in der Provinz Brandenburg. Der Reich« -
kanzler über die Schutzbestimmungen für Arbeiterinnen und Jugendliche.
Im August 1917 war die deutsche Industrie wie in den Vormonaten
mit Kriegslieferungen voll beschäftigt. Der gleichen Zeit des Vorjahres
gegenüber ergibt sich fast durchweg eine erhebliche Steigerung. Eine
besondere Kennzeichnung erfordert jeweils die Lage im Baugewerbe.
Nach dem Berichte der Zeitschrift „Baumaterialien-Markt", Leipzig,
macht sich, abgesehen von den durch unaufschiebbare Ausbesserungs-
arbeiten, Schadenfeuer u. dgl. herbeigeführten Bauarbeiten, fortgesetzt
die Errichtung kriegswichtiger Bauten notwendig. Die Rohstoffknapp-
heit für einzelne Teile der Kriegsindustrie bedingt die Herstellung von
Ersatzstoffen und damit eine Reihe von Bauausführungen. In letzter
Zeit geht im Osten die Errichtung zahlreicher derartiger Bauten vor
sich. Da die Industrie der hauptsächlich in Frage kommenden Provinz
infolge ihrer sehr guten Beschäftigung über bedeutende flüssige Mittel
verfügt, sind die hohen Baustoffpreise und die ständig steigenden
Arbeiterlöhne kein Hindernis zur Errichtung der als notwendig er-
kannten Neu- und Umbauten. Es werden auch die Kohlenwerke er-
weitert und ausgebaut. Ferner sind bedeutende neue Braunkohlenfelder
entdeckt worden, so daß es wahrscheinlich ist, daß demnächst größere
Bergwerks- und Förderanlagen zur Errichtung kommen. Bemerkenswert
ist u. a., daß sich der Holzbau wieder mehr einführt, da Holz gegen-
wärtig den greifbarsten Baustoff darstellt.
Die niedrige Arbeitslosenziffer vom Juli hat im Monat
August keine Veränderung erfahren: sie behielt den Stand 0,8 v. H.
Nach den Feststellungen von 38 Arbeiter verbänden, die an das Reichs -
Arbeitsblatt für 978460 Mitglieder berichteten, waren Ende August
7811 Mitglieder oder 0,8 v. H. arbeitslos.
Stellt man für die 6 größten Arbeiterverbände, die mit ihrem Mit-
gliederbestand gegen 73 v. H. der Mitgliederzahl sämtlicher berichten-
den Arbeiterverbände umfassen, die Arbeitslosenziffern von Ende Mai,
Juni, Juli und August zusammen, so ergibt sich folgendes Bild:
Arbeitslosigkeit v. H. der vom
Mitgliederzahl
Ende August
Bericht erfaßten Mitglieder
A rbeiterverbände
Ende
Ende
Ende
Ende
1917
August j Juli
Juni
Mai
1917
Metallarbeiter
351767
0,2
0,1
0,«
0,2
Fabrikarbeiter
99414
0,1
0,1
0,»
0,2
Holzarbeiter
85797
0,5
0,6
0,6
0,6
Bauarbeiter
82642
0,1
0,1
0,1
0,2
Textilarbeiter
71687
4,2
4,s
4.1
5.«
Transportarbeiter
60698
0,2
0,2
0,2
o,s
— 567 —
Danach hat die Arbeitslosenziffer beim Metallarbeiterverband un-
bedeutend zugenommen; bei den übrigen Verbänden ist der Stand ent-
weder der alte geblieben, oder es trat noch ein kleiner Rückgang zutage.
Für sämtliche berichtenden Verbände ergibt sich folgende Zu-
sammenstellung der Arbeitslosenziffem :
Arbeitslose (am Orte und auf der Keise
Arbeiterverbände
befindlich) auf 100
vom Bericht erfaßte
Mitglieder am Ende
der letzten Woche
des Monats
Mai
G. = freie Gewerkschaft
August
Juli
Juni
Ch = Christlicher Gewerkverein
H.-D. = Hirsch -Dunckerscher Gewerkverein
1917
Hut- nnd Filzwarenarbeiter (G.)
28,1
28,7
27,5
3',»
Porzellan arbeiter (G.)
4,3
6,0
7,7
6,7
Textüarbeiter (G.)
4,2
4,3
4,1
5.2
Lithographen (G.)
2,8
2,9
0,8
1,2
Lederarbeiter (G.)
2,1
2,7
1,3
3,0
Buchbinder (G.)
1,5
1,7
1,4
1,8
Bildhauer (G.)
1,5
1,0
1,0
0,8
Schuhmacher (G.)
1,3
1,7
1,4
I,.^
Bäcker und Konditoren (G.)
1,1
0,9
1,1
2,7
Glaser (G.)
1,1
0,8
0,5
0,9
Friseurgehilfen (G.)
0,9
0,5
0,5
1,0
Holzarbeiter (G.)
0,5
0,6
0,6
0,6
Glasarbeiter (G.)
0,5
0,3
0,7
0,8
Maschinisten und Heizer (G.)
0,4
0,6
0,3
0,2
Fabrikarbeiter (Ch.)
0,4
0,4
0,4
1,0
Tapezierer (G.)
0,2
0,7
0,5
0,2
Maler, Lackierer (G.)
0,2
0,3
0,2
0,4
Maschinenbau- und Metallarbeiter (H.-D.)
0,2
0,2
0,3
0,4
Buch- a. Steindruckerei-Hilfsarbeiter (G.)
0,2
0,2
0,3
0,2
Transportarbeiter (G.)
0,2
0,2
0,2
0,3
Gemeinde- und Staatsarbeiter (G.)
0,2
0,2
o,i
0,2
Metallarbeiter (G.)
0,2
o,i
0,2
0,2
Brauerei- und Mühlenarbeiter (G.)
O.l
0,2
0,2
0,3
Fabrikarbeiter (G.)
o,i
o,i
0,2
0,2
Metallarbeiter (Ch.)
0,1
o,i
o,i
0,2
Bauarbeiter (G.)
o,i
o,i
o,i
0,2
Kupferschmiede (G.)
o,i
o.«
0,3
Buchdrucker (G.)
0,0
0,0
0,2
0,0
Holzarbeiter (Ch.)
0,0
0,0
—
0,4
Gutenberg-Bund (Ch.)
o,i
0,1
—
Kürschner (G.)
—
—
0,8
0,7
Die Tabelle zeigt, daß die größte Zahl der Verbände unter dem
Durchschnittssatz von 0,8 v. H. steht; nur 11 Verbände erheben sich
über diesen Durchschnitt. Die erste Stelle nimmt, wie in den meisten
Monaten '^ der Kriegszeit, der Hut- und Filzwarenarbeiterverband mit
28,1 V. H. ein, die anderen Verbände schließen sich in weitem Abstand
an. Der Hut- und Filzwarenarbeiterverband umfaßte Ende August
7857 Mitglieder, darunter waren 2238 männlich und 5619 weiblich. In
diesem Verband waren 30 männliche Mitglieder und 2179 weibliche
Mitglieder arbeitslos. Die hohe Arbeitslosenziffer dieses Verbandes ist
also den weiblichen Mitgliedern zu verdanken.
- 568 -
Die Statistik der Arbeitsnachweise läßt nur eine geringe Ver-
änderung gegenüber dem Vormonat erkennen ; im August kamen auf
100 offene Stellen bei den männlichen Personen 49 Arbeitsuchende
gegenüber 47 im Juli; beim weiblichen Geschlecht stieg die Andrangs-
ziffer von 83 im Juli auf 86 im August.
Ueber den weiblichen Arbeitsmarkt im besonderen gibt die
nachfolgende Zusammenstellung Auskunft:
Weibliche Berufsarten
Landwirtschaftliche Arbeiterinnen
Metallarbeiterinnen
Arbeiterinnen in der chemischen Industrie
Spinnstoffarbeiterinnen (einschl. Färberei- und
Appreturarbeiterinnen)
Buchbinderei- u. Kartonnagenarbeiterinnen usw.
Arbeiterinnen in der Lederindustrie
Tabakarbeiterinnen usw.
Schneiderinnen, Putzmacherinnen usw.
Büglerinnen, Wäscherinnen in Wasch- und
Plättanstalten usw.
Buchdruckereiarbeiterinnen
Fabrikarbeiterinnen
Angestellte im Handelsgewerbe
Kellnerinnen, Büfettfräulein
Hotelzimmermädchen, Besehließerinnen
Koehpersonal in Gastwirtschaften
Herd- u. Küchenmädchen in Gastwirtschaften
Putz-, Wasch-, Lauffrauen, Aufwärterinnen usw.
Dienstboten, Hauspersonal
Sonstige Tagelöhnerinnen
Freie Berufsarten
Zahl der Auf 100 offene Stellen kamen
Vermitt- j .... Arbeitsgesuche im
lungen im| August'
Aug. 1917| 1917
4462
20830
2165
3 112
I 127
1013
1688
10 465
723
1 606
13 762
2 165
7 5H
520
602
2950
16338
10733
8693
620
58
88
67
268
65
81
89
III
August
1916
Juli
1917
71
131
97
495
143
106
140
184
S5
81
59
315
62
74
86
110
89
128
81
78
122
59
88
173
74
213
399
206
109
140
103
n
174
55
73
119
64
60
85
63
79
120
82
43
98
40
105
119
98
231
369
192
Die Uebersicht zeigt, daß bei einigen hinsichtlich der Zahl der
Vermittlungen wichtigen Berufsarten eine Zunahme des Andranges vom
Juli zum August eingetreten ist.
Wie allmonatlich, soll die Lage des Arbeitsmarktes in Berlin
und in der Provinz Brandenburg nach dem Bericht des Ver-
bandes Märkischer Arbeitsnachweise dargelegt werden. Der Bericht,
der im Septemberheft des Beichs-Arbeitsblattes (S. 706 u. 707) abge-
druckt ist, gibt gleichzeitig auch eine gewisse Erklärung der eben dar-
gelegten Zunahme des Andranges auf dem weiblichen Arbeitsmarkt.
Wie der Bericht hervorhebt, zeigte der Arbeitsmarkt in Berlin und
in der Provinz Brandenburg im allgemeinen das gleiche Bild wie in
den Vormonaten; nur in der Mitte des Monats trat eine leichte Ent-
spannung ein, die sich in der Hauptsache in einer Verringerung der
•Aufträge in den Munitionsfabriken bemerkbar machte. Gegen Ende
•des Monats glich sich der Rückgang wieder aus.
In der Landwirtschaft setzte eine etwas lebhaftere Nachfrage nach
weiblichen Arbeitskräften zur Kartoffelernte ein. Die verlangten Kräfte konnten
— 5^9 —
beschafft werden. Mangel herrschte wie in den Vormonaten an Arbeiterfamilien,
Wirtschaftsleitern und landwirtschaftlichem Aufsichtspersonal. Im übrigen ent-
sprach das Angebot der Nachfrage. Dagegen konnte der Bedarf an weiblichem
landwirtschaftlichen Dienstpersonal bei weitem nicht gedeckt werden. Gärtner
wurden vielfach verlangt, waren aber kaum verfügbar.
In Braunkohlengruben und Preßkohlen werken war der Geschäfts-
betrieb sehr rege.
Die Lage des Spinnstoffgewerbes hat sich nicht wesentlich geändert.
Guben meldete neben einem völligen Darniederliegen der WoUhutfertigung eine
befriedigende Lage der Haarhutherstellung und eine Besserung der Tuchweberei
durch Heeresaufträge. Trotz verhältnismäßig ruhiger Geschäftslage in der Kleiderei
konnten nicht genug Schneider beschafft werden.
In der Lederindustrie fanden wegen Materialknappheit weitere Ein-
schränkungen statt. Schuhmacher waren außerordentlich knapp.
Die Möbeltischlerei ist stark zurückgegangen. Auch viele Ofenfabriken
haben die Betriebe nicht wieder aufnehmen können.
Im Nahrungsmittelgewerbe waren wegen der bevorstehenden Zu-
sammenlegung kleinerer Betriebe Bäcker wieder vereinzelt gemeldet; Fleischer
waren wieder in größerem Maße verfügbar.
Die Lage im Baugewerbe hat sich nicht gebessert.
Im Vervielfältigungsgewerbe herrschte großer Mangel an Buchdruck-
personal und Maschinenmeistern, die Nachfrage nach Setzern und gelernten
Arbeitskräften im Zeitungsgewerbe hielt an.
Gut vorgebildetes kaufmännisches Personal war nur schwer zu be-
schaffen. Geeignete Bewerber für selbständigere Posten, vor allem erfahrene
Buchhalter, Einkäufer im Eisenzweige, Lageristen waren kaum noch verfügbar.
Im Gastwirtsgewerbe machte sich der Schluß der Sommergeschäftszeit
durch erhöhtes Angebot von Arbeitskräften bemerkbar.
Ungelernte Arbeiter für alle Gewerbezweige wurden stark verlangt
und waren bei Gewährung guter Löhne auch noch verfügbar.
Auf die Lage des Arbeitsmarktes für weibliche Personen hat die vor-
übergehende Verminderung der Aufträge einzelner Fabriken einen größeren Ein-
fluß gehabt. Die in der Rüstungsindustrie nicht unterzubringenden Bjräfte
mußten vorübergehend andere Beschäftigung übernehmen. Lebhaft war die Nach-
frage nach Arbeiterinnen in Färbereien und chemischen Waschanstalten und
nach Flaschenspülerinnen für Selterswasserfabriken. Besonders wurden verlangt
weibliche Arbeitskräfte als Botinnen für Handwagendienst, Transportarbeit usw.
Die große Anzahl von Aufträgen nach Hilfskräften im Buchdruckgewerbe konnte
wohl besser als in den Vormonaten erfüllt werden. Weiterer großer Bedarf ist
aber noch vorhanden. Geübtes Kontorpersonal, vor allem Stenotypistinnen und
Verkäuferinnen wurden lebhaft verlangt, — an ungenügend vorgebildetem kauf-
männischen Anfangspersonal war reichlicher Ueberfluß. Noch größer ist der Be-
darf an weiblichem Hauspersonal geworden, das kaum noch beschafft werden
konnte. Das Ende der Reisezeit brachte eine erhöhte Nachfrage nach Aushilfen
und Aufwärterinnen, der Schluß der Sommergeschäftszeit ein regeres Angebot
an Kellnerinnen und Wirtschaftspersonal.
Der starke Zustrom der Arbeiterinnen und Jugend-
lichen in die Industrie ist bald nach Kriegsbeginn ein Gegenstand
großer Sorge für die Sozialpolitiker gewesen. Insbesondere wurden
über den unzureichenden Schutz der Arbeiterinnen und jugendlichen
Arbeiter lebhafte Klagen geführt; es wurde vor allem darauf hinge-
wiesen, daß von den zuständigen Behörden in viel zu weit gehendem
Umfange Ausnahmen von den Schutzbestimmungen für Arbeiterinnen
und jugendliche Arbeiter zugelassen wurden. Eine wesentliche Besse-
rung auf diesem Gebiet will ein Rundschreiben des Reichs-
kanzlers an die Bundesregierungen, betreffend Handhabungen der
- 570 —
Schutzbestimmungen für Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter, vom
24. August herbeiführen.
Der Reichskanzler weist zunächst auf statistische Zusammen-
stellungen hin, die auf Grund eines früheren Rundschreibens vom
11. Dezember 1916 eingegangen sind. Die Zusammenstellungen „lassen
erkennen, daß die im Reichstage und in der Presse immer wieder-
holten Klagen über den unzureichenden Schutz der Arbeiterinnen und
jugendlichen Arbeiter nicht unbegründet sind, denn in manchen Be-
zirken sind von den zuständigen Behörden in so weitgehendem Maße
Ausnahmen von den besonderen Schutzbestimmungen für die Arbeite-
rinnen und jugendlichen Arbeiter zugelassen worden, daß es beinahe
deren Aufhebung gleichkommt. An erster Stelle handelt es sich darum,
Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter während der Nacht oder über
die in den Gewerbeordnungen festgesetzte höchste Dauer der Arbeits-
zeit hinaus zu beschäftigen. Daneben kommen auch noch in Frage
die KürzuDg oder anderweitige Regelung der Pausen, die Beschäftigung
an Sonn- und Festtagen usw.
Wie die Zusammenstellungen weiter ergeben, muß aber nicht nur
die große Zahl der bewilligten Ausnahmen, sondern auch die dadurch
erfolgte Regelung der Arbeitszeit der Arbeiterinnen und jugendlichen
Arbeiter Bedenken erregen, denn die zugelassene Arbeitszeit ist zum
Teil außerordentlich lang. Nicht selten ist eine regelmäßige tägliche
Beschäftigung der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter bis zu
15 Stunden einschließließ lieh der Pause zugelassen. Für die Arbeite-
rinnen, die während der Nacht beschäftigt werden, ist in der über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle eine 12-stündige Arbeitszeit bewilligt
worden. Scheinbar sind in einzelnen Fällen sogar 24-stündige Wechsel-
schichten für die Arbeiterinnen gestattet. Eine 12-stündige Nacht-
arbeit kann aber, wie ich bereits in meinem Rundschreiben vom 11. De-
zember 1916 ausgeführt habe, für Arbeiterinnen im allgemeinen nur
dann in Frage kommen, wenn eine andere Regelung wegen Mangels
an Arbeitskräften oder wegen der besonderen Betriebsverhältnisse aus-
geschlossen erscheint. Zu 24-stündigen Wechselschichten sollten Arbeite-
rinnen überhaupt nicht herangezogen werden. Andererseits geht aus
den Zusammenstellungen auch hervor, daß meine Anregung, für die
des Nachts beschäftigten Arbeiterinnen so weit als möglich 8-stündige
Schichten vorzuschreiben, nicht ohne Erfolg gewesen ist.
Weiter ist mir bei der Durchsicht der Zusammenstellungen auf-
gefallen, daß manche Bewilligungen ohne jede zeitliche Begrenzung
oder „für die Dauer des Krieges" erteilt worden sind, obwohl doch
niemand die Entwicklung des Arbeitsmarktes vorhersehen kann. Meistens
sind die Bewilligungen ohne jeden Vorbehalt erteilt, so daß dem Unter-
nehmer auch in bezug auf die Personen, die er zur Ueberarbeit oder
Nachtarbeit heranziehen will, ganz freie Hand gelassen wird. Nur in
einzelnen Staaten und Bezirken scheint grundsätzlich vorgeschrieben
zu sein, daß schwache, kränkliche, schwangere und stillende Personen
nicht zur Nachtarbeit oder Ueberarbeit herangezogen werden dürfen.
Die Bewilligung so zahlreicher und weitgehender Ausnahmen muß zu
— 571 —
ernsten Bedenken Anlaß geben, denn es steht zu befürchten, daß durch
die übermäßig lange Arbeitszeit und die Nachtarbeit sowohl die Ge-
sundheit der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter Schaden leidet,
als auch ihre Leistungsfähigkeit bedenklich zurückgeht."
In dem Rundschreiben wird weiter ausgeführt, daß es sich bei dem
Mangel an männlichen Arbeitskräften nicht vermeiden lasse, daß Ar-
beiterinnen und jugendliche Arbeiter deren Plätze einnehmen und dem-
gemäß auch nachts beschäftigt werden. „Doch sollte dies unter allen
Umständen nur so weit gehen, als es zur Herstellung der für das Heer
und die Bevölkerung unentbehrlichen Waren unbedingt notwendig ist.
Das Gleiche wie für die Nachtarbeit gilt auch für die sonstigen Aus-
nahmen, besonders für die Ueberarbeit der Arbeiterinnen und jugend-
lichen Arbeiter. Diese darf auch nur so weit zugelassen werden, als es für
das öffentliche Wohl notwendig erscheint. Die zuständigen Stellen
werden daher bei der Bewilligung von jeder Ausnahme sorgfältig
prüfen müssen, wieweit diese Voraussetzungen zutreffen. In dieser
Beziehung bestanden aber, wie ich anerkenne, bisher gewisse Schwierig-
keiten, denn es handelt sich dabei hauptsächlich um die Herstellung
von Heeresbedarf, dessen Lieferung von den vergebenden Stellen in
der Regel als eilig bezeichnet worden ist. In solchen Fällen blieb
den zuständigen Behörden nur übrig, die Ueberarbeit und Nachtarbeit
in dem Umfang zu genehmigen, wie sie beantragt wurde, da eine Ab-
lehnung des Antrags kaum in Frage kommen konnte. Auf meine An-
regung hat daher jetzt das Kriegsamt die Kriegsamtsstellen angewiesen,
auch ihrerseits dahin zu wirken, daß die Ueberarbeit und Nachtarbeit
von Frauen und jugendlichen Arbeitern möglichst eingeschränkt wird,
und daß die Anträge von Unternehmern um Bewilligung von Ueber-
arbeit und Nachtarbeit nur dann befürwortet werden, wenn wichtige
Kriegsaufgaben sich ohne diese Ueberarbeit und Nachtarbeit nicht er-
reichen lassen. Eine Abschrift des Rundschreibens des Kriegsamts
füge ich bei."
Wie der Reichskanzler weiter ausführt, „dürfte es aber auch nötig sein, daß
die früher auf unbegrenzte Zeit erteilten Genehmigungen mit angemessener Frist
zurückgezogen werden und erst nach erneuter Prüfung der Sachlage eine weitere
Ausnahme, und zwar immer nur für eine bestimmte Zeit, widerruflich bewilligt
wird, unter dem Vorbehalte, daß sie zurückgenommen wird, sobald die Bedin-
gungen, unter denen sie erteilt worden ist, nicht innegehalten werden, oder wenn
sich daraus ünzuträglichkeiten ergeben. Ferner wird es sich empfehlen, in der
Genehmigung möglicnst genau die zugelassene Art der Beschäftigung, Anfang und
Ende der Pausen und gegebenenfalls die den Arbeiterinnen und jugendlichen
Arbeitern zu gewährende Mindestruhezeit festzulegen. Bei Genehmigung von
Nachtarbeit und Ueberarbeit wird grundsätzlich vorzuschreiben sein, daß dazu
schwache und kränkliche Personen, schwangere und stülende Frauen, sowie Ar-
beiterinnen unter 18 Jahren nicht herangezogen werden dürfen, und daß die Be-
stimmungen des § 137 Abs. 6 der Gewerbeordnung (betr Nichtbeschäftigung der
Wöchnerinnen während 8 Wochen) unter allen Umständen in Kraft bleiben.
Endlich können die Genehmigungen auch davon abhängig gemacht werden, daß
für die Arbeiter, und besonders für die Arbeiterinnen ausreichende und gut ein-
gerichtete Umkleideräume, Speiseräume, Aborte, Krippen und andere Woflfahrts-
einrichtungen eingerichtet oder die vorhandenen besser ausgestaltet werden. Damit
die Arbeiter Kenntnis von den Ausnahmebewilligungen und den dabei vorge-
— 572 —
BchiiebeneD Bedingungen erhalten, dürfte stets vorzuschreiben sein, daß in den
ßetriebsräumen eine Abschrift auszuhängen ist.
In einzelnen Bundesstaaten scheint die Erlaubnis zu Ueberarbeit und Nacht-
arbeit nur unter der Bedingung erteilt zu werden, daß dafür ein angemessener
Lohnzuschlag gewährt werden muß. Dadurch wird zweifelsohne der Neigung
einzelner Unternehmer, auch ohne dringenden Grund Ueberarbeit nachzusuchen,
entgegengewirkt. Anderseits ist aber nicht zu verkennen, daß daraus unter Um-
ständen Schwierigkeiten in der Lohnfrage entstehen können. Es wird daher dem
pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Stellen überlassen bleiben müssen, ob
sie eine derartige Bedingung für zweckmäßig halten."
Es steht zu hoffen, daß diesen Anregungen Folge geleistet wird.
Der preußische Handelsminister hat Abdrucke des Rundschreibens den
Regierungspräsidenten mit dem Ersuchen zugehen lassen, diesen An-
regungen zu entsprechen und die Gewerbeinspektor^n mit den erforder-
lichen Anweisungen zu versehen.
VIII. Finanzwesen.
Inhalt: Die Steuerleistung in Preußen. Zuschläge zur Einkommensteuer
in preußischen Städten. Ungarische Finanzen. Englische Kriegsanleihen und
Kriegsausgaben. Frankreichs Finanzen, Anleiheprojekte und Steuern. Die Lage
der russischen Finanzen (Ergebnis der Freüieitsanleihe, Vorboten der Zwangsan-
leihe, Staatshaushalt und Steuerpläne). Kriegsanleihe und Finanzlage in den Ver-
einigten Staaten. Mexikanische Anleihepläne. Brasiliens Finanzlage. Dritte
niederländisch.indische Anleihe. Anleihen in Japan und China. Chinesische
Staatsschuld. Australiens Finanzen.
Die „Berliner Politischen Nachrichten" bringen (August 1917) eine
Uebersicht über die Steuerleistung in Preußen, nach Provinzen
geordnet :
An direkten Steuern sind 1915 vereinnahmt worden 567,4 Mill. M. Davon
haben aufgebracht die Provinz Brandenburg 151,3 Mill., die Rheinprovinz 114,7
Mill. M., so daß also diese beiden Provinzen allein fast die Hälfte der direkten
Steuern aufgebracht haben. Dagegen steht an drittletzter Stelle Ostpreußen mit
13, dann folgt Westpreußen mit 11,4 und Sigmaringen mit 0,6 Mill. M. —
Die Stadtkreise haben 314,3 Mill., also 55,4 Proz. der Steuern, aufgebracht, dar-
unter Berlin allein 727^ MUl. M.
Unter dem Gesichtspunkte der durchschnittlichen Steuerleistung auf den
Kopf der Bevölkerung ergibt sich folgendes Büd. Auf je 1 Einwohner kommen,
nach dem Stande im Rechnungsjahr 1915, direkte Steuern: im gesamten Staate
13,83 M., in den Stadtkreisen für sich 23,24 M., in den Landkreisen für sich
9,20 M. Die durchschnittliche Steuerleistung des einzelnen Einwohners geht also
in den Stadtkreisen weit hinaus über den Durchschnittssatz des ganzen Staats-
gebiets, in den Landkreisen bleibt sie erheblich dahinter zurück. Der Durch-
schnittssatz des ganzen Staates wird am weitesten übertroffen in Berlin, wo auf
den Kopf des einzelnen Einwohners eine Steuerleistung von 37,55 M., d. h. nahe-
zu das Dreifache des Durchschnittssatzes entfällt, sodann im Regierungsbezirk
Wiesbaden mit 24,07 M., in der Provinz Brandenburg (ohne Berlin) mit 18,38 M.
und in der Rheinprovinz mit 15,25 M. In den Landkreisen bleibt der Steuerbe-
trag des einzelnen Einwohners um 4,63 M. hinter dem Staatsdurchschnittssatz
zurück. Dieser wird in der Provinz Brandenburg (ohne Berlin) mit 13,95 M.
übertroffen. Am niedrigsten ist die Steuerleistung mit 4,90 M auf den Kopf in
'Ostpreußen.
Die Steuerkraft von Stadt- und Landkreisen zusammengenommen war am
geringsten in Ostpreußen mit 13 Mill., Westpreußen mit 11,4 Mill. und Posen
mit 10,1 Mill. M. ; die Steuerkraft war weitaus am höchsten in der Provinz Branden-
burg mit 151,3 Mill. M., sodann in der Rheinprovinz mit 114.7 Mill. M.. femer
573 —
nach Maßgabe des auf den einzelnen Einwohner entfallenden Steuerbetrags in
Sachsen, Schleswig- Holstein, im Herzogtum Lauenburg und im Regierungsbezirk
Wiesbaden. Es sind also die vorwiegend industriell tätigen Landesteile und in
ihnen wieder die Stadtkreise, die auch an der direkten Steuerlast — die Stadt-
kreise in Brandenburg, Eheinland und Westfalen rund 205 Mill. M. von insge-
samt 567,4 Mill. M. — zu tragen haben.
Ueber die von den preußischen Städten mit mehr als 5000
Einwohnern in den Rechnungsjahren 1914, 1915 und 1916 erhobenen
Zuschläge zur Staatseinkommensteuer veröffentlicht das
Königliche Statistische Landesamt in der „Stat. Korr." eine Uebersicht,
in der die Städte nach der Höhe ihrer Zuschläge zur Staatseinkommen-
steuer in den Rechnungsjahren 1914, 1915 und 1916 regierungsbezirks-
weise auf 6 Zuschlagsgruppen verteilt sind.
Danach erhoben von den in die Untersuchung einbezogenen 508 preußischen
Städten, die nach der Personenstandsaufnahme für das Rechnungsjahr 1915 mehr
als 5000 Einwohner besaßen:
mehr als
150
bis 200 Proz.
überhaupt v. H.
234 46,06
221 43,50
176 34,65
300 Proz.
100
bis 150 Proz.
überhaupt v. H.
59 11,61
47 9,25
33 6,50
mehr als
250
bis 300 Proz.
überhaupt v. H.
38 7,48
46 9,06
83 16,34
Von den 12 Städten mit mehr als 5000 Einwohnern, die 1914
als 100 Proz. der Staatseinkommensteuer für eigene Zwecke erhoben,
nur noch 6 unter diesem Prozentsatz. Die Anzahl der Städte mit Zuschlägen
von mehr als 100 bis 150 Proz. ist im Beobachtungszeitraum von 59 auf 33 zu-
rückgegangen.
Eine andere Statistik zur gleichen Frage geben die vom Statistischen Amt
der Stadt Elberfeld seit einer Reihe von Jahren gemachten Zusammenstellungen für
110 preußische Städte. Von diesen hatten einen Zuschlag zur Staatssteuer:
Zuschl.i.Proz. 1912 1914 1915 1916
d. Staatsst. überh. in Proz. überh. in Proz. überh. in Proz. überh. in Proz.
bis 100 Proz.
1914
1915
1916
überhaupt v. H.
12 2,36
8 1,57
6 1,18
1914
1915
1916
200
bis 250 Proz.
überhaupt v. H.
163 32,09
182 35,83
199 39,17
überhaupt
2
4
V. H.
0,39
0,7 ft
2.17
nicht mehr
blieben 1916
100
7
6,6
4
3,6
0
—
0
—
101—150
13
12,3
19
17,3
21
19,1
II
10,0
151—175
18
17,0
19
17,3
H
I2J
13
16.3
176—200
33
31,1
32
29,1
25
22,8
19
17,3
201—225
22
20,8
33
20,9
24
21,8
22
20,0
226—250
IG
9,4
II
10,0
23
20,9
29
26,4
251—300
3
2,3
2
1,8
3
2,7
II
10,0
106
100
HO
100
100
Einen Zuschlag von nur 100 Proz., den im Jahre 1914 nur noch die Groß-
Berliner Stadtgemeiden aufwiesen, hatte in den beiden letzten Jahren überhaupt
keine Stadtgemeinde mehr. Den niedrigsten Satz mit 110 Proz. verlangte im Jahre
1916 die Stadt Potsdam. Umgekehrt war der höchste Zuschlag, der 1910 275 Proz.,
1913 260 Proz. und 1915 280 Proz. betragen hatte, 1916 auf 300 Proz. (Saarbrücken)
gestiegen. Bis zu 200 Proz. verlangten 1912 37 Proz. aller Gemeinden, 1916 aber
nur noch 43,6 Proz.
— 574 —
Ueber die ungarischen Finanzen machte der Finanzminister
Dr. Gratz Ende August einem Berichterstatter des „As Est" gegen-
über unter anderem nachstehende Ausführungen :
In dem Budget für 1917/18 sind Ausgaben in Höhe von 3 Milliarden K.
vorgesehen gegenüber 2,3 Milliarden in dem Budget für 1914/15. In dem Budget
sind nur die ständigen Ausgaben enthalten. Die Erhöhung um 700 Mill. K.
stammt aus der Zinsenlast fiir die Kriegsanleihen, für die jedoch bereits eine
Deckung durch die neuen Steuergesetze geschaffen ist. Bei Zusammenstellung
des Budgets für das Jahr 1917/18 sind neuerdings ständige, auch nach dem
Friedensschluß nicht wegfallende Ausgaben erwachsen. Hierzu gehören Zinsen-
lasten von 150 Mill. K. für die sechste Kriegsanleihe und ferner ein Betrag von
110 Mill. für Verbesserung der Bezüge für Staatsbeamte und andere Reformen.
Bezüglich der Deckung dieser Vermehrung an Ausgaben von 260 MUl. K.
wies der Minister darauf hin, daß einzelne Einnahmeposten ein größeres Ergeb-
nis gehabt haben, als in Anschlag gebracht worden war, und daß eine Erhöhung
verschiedener Konsumsteuern in Aussicht genommen ist. Auch sei eine sehr aus-
giebige Erhöhung der Militärbefreiungstaxe beabsichtigt und ebenso der Kriegs-
gewinnsteuer. Ferner solle eine Kartellsteuer eingeführt werden, die dem Staate
einen Anteil am Kartellgewinn sichere.
Bezüglich der Verbesserung der Valuta würde er nicht vor dem Gedanken
der Requirierung gewisser Gegenstände von Goldschmuck zurückschrecken, der
bei der Rentenbank zu hinterlegen wäre. Ein Hilfsmittel für die Valuta Verbesse-
rung wäre auch der Verzicht auf die Einfuhr gewisser Luxus- und Genußmittel.
Zu einer neuen englischen Kriegsanleihe von 250 Mill. £.
hat nach einer Meldung des Reuterschen Bureaus das Unterhaus, das
sich demnächst bis Mitte Oktober vertagen wird, in zweiter Lesung
eine Vorlage angenommen, die die Regierung ermächtigt. Laut Parla-
mentsbericht der „Financial News" vom 11. August hat Bonar Law je-
doch in der Debatte über die nachgesuchte Ermächtigung der Auflegung
einer Anleihe während der Vertagung des Parlaments zum Ausdruck
gebracht, daß es außer im Falle ganz unvorhergesehener Ereignisse nicht
seine Absicht sei, von dieser Ermächtigung Gebrauch zu machen. Er
fügte hinzu, daß die Regierung nunmehr Vollmacht zur Aufnahme von
Anleihen in Höhe von insgesamt 1 600 000 £ besitzt, und betonte, daß
es ganz ausgeschlossen sei, bis Ende des Jahres solche Summe aufzu-
bringen, und daß man es nicht versuchen werde. Endlich gab er an,
die nachgesuchte Ermächtigung sei auch nötig, weil die amerikanische
Regierung in Zukunft vorziehen könnte, statt kurzfristiger Vorschüsse
(Vorschüsse bis zu 5 Jahren kann der Schatzkanzler ohne besondere
Ermächtigung aufnehmen) solche mit längerer Laufzeit zu geben, und
weil natürlich die englische Regierung in dieser Beziehung sich durch-
aus den Wünschen der amerikanischen anpassen müsse.
Hierzu bemerkt ein Leitaufsatz des Blattes: „Seit Anfang AprU haben wir an
„anderer Schuld unter den Kriegsanleihegesetzen von 1914 und 1916" 212283300 £
erhalten, und insgesamt belaufen sich unsere Verbindlichkeiten dieser Art auf
544179 200 £. Heimische kurzfristige Verbindlichkeiten kann man stets durch
Erneuerung oder Konversion erledigen, aber auswärtige Gläubiger muß man ge-
nauer studieren, und wir glauben, daß es eine allgemeine Erleichterung verursachen
würde, wenn man wüßte, daß ein Teil der in den Vereinigten Staaten emgegangenen
Verbindlichkeiten nicht in den schweren Uebergangsjahren nach Kriegsende fäUig
würde."
Im „Svenska Dagbladet" vom 31. Juli veröffentlicht Gustaf Cassel
einen Leitartikel, in dem er die gesamten bisherigen Kriegs-
- 575 -
ausgaben Englands auf 5 Milliarden £ schätzt, und weiter aus-
führt:
Da Ende März 1916 die Summe erst 2078 Mill. betrug, so sind die übrigen
2922 Mill. seitdem ausgegeben worden. Im Frühjahr 1916 suchte man der Oeffent-
lichkeit die Vorstellung oeizubringen, daß man es nun nicht mehr weit bis zum
Ziele habe. Damals bekam man noch in England zu hören, daß es bis zu Deutsch-
lands vollständiger wirtschaftlicher Erschöpfung nicht mehr weit sei. Die mir
damals gewährte Gelegenheit, Deutschlands wirtschaftliche Widerstandskraft kennen
zu lernen, führte mich zu der Auffassung, daß ein Jahr weiteren Krieges Deutsch-
land wohl wirtschaftlich schwächen, aber gleichzeitig auch die Verbandsmächte
in demselben Maße der Erschöpfung aussetzen würde. Die Kichtigkeit,, dieser
Voraussagen dürfte jetzt allen offenbar sein. Die volkstümliche Anschauung,
daß der Krieg wegen der wirtschaftlichen Erschöpfung der Mittelmächte aufhören
würde, hat sich als unhaltbar erwiesen. Ebensowenig ist natürlich das Umge-
kehrte der Fall. Es ergibt sich vielmehr die schreckliche Wahrheit, daß der Bj-ieg
beinahe so lange fortgesetzt werden kann, bis eine langsame wirtschaftliche Er-
schöpfung aller Teile eintritt.
Im übrigen zeigen die Ausgabeziffern keinerlei wirtschaftliche Erschöpfung,
wenigstens nicht, was England anlangt. Im Gegenteil, die täglichen Ausgaben
sind ununterbrochen gestiegen, von 1,19 Mill. im Jahre 1914 auf 7,37 Mill. im
Jahre 1917. Berücksichtigt man das Sinken des Geldwertes und setzt dement-
sprechend die Ausgabesumme herab, so ergibt sich für 1917 eine tägliche Aus-
gabe von 3,4 Mill. £. Die Steigerung war im Anfang außerordentlich stark und
hat sich später verlangsamt. Von 1916 auf 1917 stieg sie nur noch um 17*/? v. H.
Diese Ziffern zeigen, daß wohl jetzt kaum noch die Möglichkeit zur weiteren
Steigerung der wirtschaftlichen Kraftanspannung vorliegt.
Im übrigen wäre England selbst schon längst erschöpft; nur dank der
fremden Hufe, vor allem seitens der Vereinigten Staaten, war eine weitere Aus-
gaben Vermehrung möglich. Indessen sieht es so aus, als ob man die mit der
Teilnahme der Vereinigten Staaten am Kriege verbundene finanzielle Hufe doch
bedeutend überschätzt hat. Zwar sind Amerikas wirtschaftliche Hilfsquellen
außerordentlich große, aber man wird sie kaum für Kriegszwecke ausnützen
können, ohne eine Inflation der amerikanischen Währung herbeizuführen. Diese
Inflation schreitet in England gleichmäßig fort. Die letzte große Kriegsanleihe
hatte freilich ein glänzendes Ergebnis, aber viele Zeichnungen sind doch mit Hilfe
der von den Banken entliehenen Mittel gemacht worden. Wenn davon auch
später ein Teil abbezahlt worden ist, so sind doch die Banken noch mit großen
Forderungen dieser Art belastet. Gerade durch diese Art der Beiträge zu den
Staatsausgaben kommt die Inflation zustande. Die englische Kegierung ist offenbar
dahin gekommen, daß sie ihre ungeheuren Kriegsausgaben nicht ohne gleichzeitige
Verschlechterung der englischen Valuta bestreiten kann.
Von den 5 Milliarden £, die England seit Kriegsbeginn verbraucht hat,
stammen etwa 1210 Mill. aus Einnahmen, und die übrigen 3790 Mill. aus An-
leihen. Den Hauptteü bilden zwar die festen Anleihen; aber die schwebende
Schuld erreichte dennoch eine beunruhigende Höhe. Die Verpflichtungen mit
höchstens 12-monatiger Fälligkeit betrugen am 7. Juli nicht weniger als 908 Mill. £.
England kann sich also keiner besonderen starken finanziellen Stellung
rühmen. Die weitere Fortsetzung des Krieges wird diese Stellung noch ver-
schlechtern. Schon nähern sich die Jahreszinsen der Staatsschulden in Höhe von
V^ Milliarde £; das sind furchtbare Lasten für die Zukunft. Aber da man so
viel ausgegeben hat, so will man noch mehr opfern, um ein Ergebnis zu erzielen,
obwohl das Irrige dieser Berechnung schon hinreichend erwiesen ist.
Wenn die Lage im reichsten Lande der Welt derartig ist, wie muß sie in
anderen kriegführenden Ländern sein! Ist es denn mit der wirtschaftlichen Ver-
nunft in der Welt gänzlich zu Ende, und wird man sich nicht endlich überlegen,
daß alle Ausgaben für den Krieg vergebens und unwiderruflich verloren sind,
und daß jede weitere Fortsetzung die Sache nur noch verschlimmert?
Um Frankreichs Finanzen einen starken Auftrieb zu geben,
wird für Oktober eine neue — die dritte — Kriegsanleihe geplant, die
- 576 -
namentlich durch das ständige Anwachsen der unfundierten Schuld
dringend nötig geworden ist. Daß Frankreich das Problem, seine
Kriegsschulden zu konsolidieren — von 98 Milliarden sind bisher nur
21,8 Milliarden = 22,2 Proz. langfristig untergebracht — nicht lösen
könne, darf nicht angenommen werden, aber die Formen, in denen die
neue Anleihe von verschiedenen französischen Beurteilern vorgeschlagen
wird, muten doch recht eigentümlich an. Im „Figaro" empfiehlt Louis
Aubert das Projekt eines der angesehensten Finanzmänner, den er nicht
namhaft macht, eine 4-proz. steuerfreie Anleihe, kündbar nach
10 oder 15 Jahren, auszugeben. Dies würde großen Anklang finden,
weil viele Kapitalisten sich durch die Befürchtung einer späteren Er-
höhung der Einkommensteuer von allen Kapitalsanlagen zurückhalten
lassen. Während der „Temps" die Ausgabe einer 6-proz. Anleihe zu
pari empfiehlt, führt Neymarck im „Rentier" und anderswo eine tem-
peramentvolle Kampagne für eine Losanleihe. Das „Journal des De-
bats" verspricht sich nur von einer zu niedrigem Kurse heraus-
kommenden, mit hohem Aufgeld rückzahlbaren Emission einen Erfolg.
Vom 1. Januar 1918 ab tritt das neue Steuerregime in Kraft. Die Personal-
mobiliarsteuer, die Tür- und Fenstersteuer, die Patentsteuer sowie die Zuschlags-
steuern fallen fort. Die neue direkte Steuer besteuert Einkommen 1. aus Industrie
und Handel, 2. aus Ackerbau, 3. aus Staats- und Privatgehältern, Nebeneinkünften,
Diäten, Löhnen, Pensionen und Leibrenten, 4. aus freien Berufen, 5. aus Kapitalß-
anlagen. Der 6. Artikel des im „Journal officiel" vom 1. August veröffentlichten
Gesetzes regelt die Steuerzuschläge der Kommunen.
Von der recht trostlosen Lage der russischen Finanzen
gibt zunächst das Ergebnis der sog. „Freiheitsanleihe" ein Bild. Die
Presse Rußlands gibt das Gesamtergebnis der „Freiheitsanleihe" mit
2602 Mill. Rbl. an. Um das Resultat zu erhöhen, beschloß die Re-
gierung, den Zeichnungstermin bis zum Zusammentritt der konstitu-
ierenden Versammlung zu verlängern. Auch wenn sich dadurch das
Zeichnungsergebnis erhöhen sollte, ist es um die Geldbeschaffung durch
Anleihen angesichts der großen Mittel, die die Regierung allein für die
Durchführung ihrer Reformpläne braucht, nur schlecht bestellt. 1500
Mill. Rbl. werden für die Monopolisierung des Getreide-, Futtermittel-,
Zucker- und Kohlenhandels benötigt. Die Staatsbank soll dazu einen
Vorschuß von 500 Mill. Rbl. gewähren, der Rest ist von Petersburger
und Moskauer Banken zu beschaffen. Letztere haben sich außerdem
bereit erklärt, 150 Mill. Rbl. der Zuckerindustrie als Kredit vorzu-
strecken. Die Hilfe der Banken bleibt, da das Sparkapital versagt, die
einzige Rettung. Nach einer Meldung der „Nationaltidende" von Mitte
August bestand die Absicht, zur Zwangsanleihe zu schreiten und
folgende Verordnung zu erlassen:
1. Jede Aktiengesellschaft muß alle disponiblen Mittel in Freiheits- Anleihe-
Obligationen anlegen.
2. Alle Pensions-, Unterstützungs- und Darlehenfonds, Sparkassen, Ver-
sicherungsgesellschaften und Stipendienfonds müssen mit allen zur Verfügung
stehenden Geldmitteln an der Zeichnung teUnehmen.
3. Alle Kreditvereine sollen mit ihren Reservefonds an der Zeichnung teü-
nehmen.
4. Legatkapitale und Vermögen unter Verwaltung sollen in Freiheitsanleihe
angelegt werden.
— 577 —
Wie hieraus hervorgeht, t-olleii — so fügt das zitierte Blatt hinzu — also
sehr starke Eingriffe in die Eechte der verschiedenen Institutionen und Gesell-
Bchaften gemacht werden ; sicherlich nur die äußerste Not kann derartige rigorose
Bestimmungen veranlassen.
In der Tat wäre das der glatte Uebergang zur Zwangsanleihe. In diesen
Zusammenhang paßt die nachstehende, uns aus Zürich drahtlich übermittelte In-
formation: Das offizielle russische Postbüro meldet, die Anhänger der russischen
Freiheitsanleihe in Odessa gebrauchen Zwangsmittel und stoßen Drohungen aus,
um die Bank-, Handels- und Industriewelt zur Zeichnung zu veranlassen. Es
verlautet vom Bevorstehen einer Zwangsöffnung der Safes zwecks Entnahme von
Gold und seiner Ersetzung durch Anleihen.
Die Ausgabe einer neuen russischen Prämienanleihe
dürfte nach einer Stockholmer Meldung der „Voss. Ztg." noch im
Laufe des bevorstehenden September erfolgen.
Es handelt sich, heißt es da, um einen Betrag von 2 Milliarden, von denen
die Hälfte gegen Barzahlung bzw. gegen Verrechnung für russische Kron-
besteUungen nach den Vereinigten Staaten und Japan gehen soll, während die
andere Hälfte in Kußland selbst aufgelegt werden wird. Professor ßernatzki (der
inzwischen dem neuen Einanzminister als fachmännischer Adlatus beigegeben ist)
arbeitet die Modalitäten der neuen Prämienanleihe aus unter Beihilfe der in
Petersburg weilenden nordamerikanisehen Finanzkommission ; soweit sich über-
sehen läßt, dürfte die Anleihe einen öVo-proz. oder gar 6-proz. Typus aufweisen
und den russischen Zeichnern zu etwa ÖO Proz. angeboten werden.
Ein zweites Projekt, mit dem der neue Finanzminister Nekrassow^ zu de-
bütieren gedenkt (nachdem er als Verkehrsminister den russischen Eisenbahn-
verkehr völlig zugrunde gerichtet hat), bedeutet, genau betrachtet, nichts anderes
als eine regelrechte Zahlungseinstellung der Pvussischen Staatsbank als Zettelbank.
Nach diesem Projekt, das demnächst der provisorischen Eegierung vorgelegt
werden soll, werden die Titres der beiden letzten und aller folgenden russischen
Kriegsanleihen als Zahlungsmittel mit Zwangsumlauf den Pubeinoten der Staats-
bank gleichgestellt. Zu diesem Behufe und um den Umlauf der Kriegsanleihe-
obligationen auch im Kleinverkehr zu ermöglichen, wird geplant, die bereits aus-
gegebenen Abschnitte zu 100 Rubel gegen 4 zu je 25 ßubel umzutauschen,
während etwaige neue Kriegsanleihen auch in Abschnitten zu 10 Rubel — even-
tuell gar zu 5 Rubel — ausgegeben werden sollen. Wie die recht verwickelt
werdende Verzinsung dieser originellen neuen Zahlungsmittel herausgerechnet
werden und vor sich gehen soll, ist allerdings unerfindlich.
In Rußlands Staatshaushaltsplan schätzten amtliche An-
gaben die Fiskaleinnahmen für 1917 auf 5800, die Ausgaben auf 4407
Mill. Rbl. Die Kriegskosten werden auf 22 Milliarden Rbl. ver-
anschlagt, wovon 13 Milliarden ungedeckt sind. Der Betrag der Staats-
schuld, der IOV2 Milliarden Ende 1915, 331/2 Milliarden Ende 1916
betrug, wird für Ende 1917 auf 60 Milliarden Rbl. gestiegen sein, der
Zinsendienst alsdann 31/2 Milliarden Rbl. erfordern. Das normale
Budget für 1918 wird auf 8900 Mill. Rbl. geschätzt. Laut ,.Abo
Underrättelser" meldet „Rußkoje Wolja" Mitte August, in der letzten
Sitzung der ökonomischen Konferenz hätten die Vertreter des Finanz-
ministeriums und der Kreditkanzlei der Reichsbank über die jetzige
Lage der russischen Finanzen berichtet. Sie hätten mitgeteilt, daß
bisher 6 Milliarden Rbl. ausländischer Anleihen aufgenommen worden
seien. Japan habe zwei Anleihen von 135 Mill. Yen bewilligt, aber
sich bereits im März 1917 geweigert, mehr Geld zu geben. Die Bilanz
des Staatsschatzes habe am 5. August 1917 die Höhe von 18 680
Mill. Rbl. erreicht, während sie bei Kriegsausbruch nur 2977 Mill. be-
Jahrb. f. Nationalok. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XXXVIII
- 57« -
tragen habe. 50—60 Mill. Papiergeld kämen jetzt täglich neu ia
Verkehr.
lieber russische Steuerpläne verlautet, daß der russische Finanzminister
einem Pressevertreter erklärte, für das Budgetgleichgewicht seien die direkten
Steuern selbst bei äußerster Anspannung unzureichend, daher müßten die in-
direkten vermehrt und solche Monopole^ eingeführt werden, die keine großen Or-
ganisationskosten beanspruchen. Das Finanzministerium beschloß die Einführung
einer Nachlaß- und Erbschaftssteuer. Nach der August-Nummer des „Mercure"
hat die Regierung die Bahntarife für Eeisende um 50 Proz., für Güter um
200 Proz. erhöht. Die Kriegsgewinnsteuer wurde von dem durch das Finanz-
ministerium berufenen Sachverständigenkomitee auf 90 Proz. festgesetzt und die
Steuer auf Erbschaften über 10 Mill. Kbl (?) von 40 Proz. auf 50 Proz. herauf-
gesetzt. Ferner soll die provisorische Regierung ein Teemonopol beschlossen
haben. Eine Kommission von Sachverständigen wurde nach China, dem Haupt-
lieferanten Kußlands für Tee, gesandt, um die Bedingungen des Monopols zu
studieren.
Ueber Kriegsanleihe und Finanzlage in den Ver-
einigten Staaten wird gemeldet: Die amerikanische Regierung
gibt 71/2 Milliarden $ 4i|2-proz. steuerpflichtige Obligationen aus, die
zum Zwecke künftiger Vorschüsse an die Alliierten und zur Einlösung
laufender SYg-p^'oz. Obligationen dienen sollen, und zwar im Betrage
von 4 Milliarden für jene neuen Vorschüsse.
Danach hat man sich jetzt, entgegen Wilsons ursprünglichem
Wunsch, zu einer entschiedenen Abkehr von dem S^I^-\)voz. Kriegs-
anleihetj'pus, den man iür die erste Emission (Liberty Loan) gewählt
hatte, entschlossen. Der Präsident hatte in der Wahl eines A^j^-i^roz.
Zinssatzes eine Herabwürdigung des amerikanischen Kredits erblicken
wollen. Nunmehr muß er ihn nicht nur gutheißen, sondern sich sogar
noch zur Herauf kouvertierung der S^l^-^voz. Obligationen verstehen.
Da die für die Verbündeten vorgesehenen Mittel erschöpft sind, wird
der Kongreß binnen kurzem die Genehmigung einer neuen Anleihe für
die Alliierten im Betrage von 3 — 5 Milliarden % verlangen.
Ein Zirkular der National Cit^^-Bank bezeichnet die Ausgaben der
Vereinigten Staaten von Amerika für das Ende Juni abgelaufene Fiskal-
jahr mit 10735 Mill. $; sie haben sich somit gegen die Ausgaben vor
Eintreten Amerikas in den Krieg mehr als verdoppelt. Die Vorschüsse
an die Verbündeten sind in jener Summe nicht inbegriffen.'
Der Finanzausschuß des Senats hat vorgeschlagen, statt 1867 Mill. $, wie
der vom Repräsentantenhause verabschiedete Entwurf vorsah, 2050 Mill. S durch
Kriegssteuern zu erheben. Die Einkommensteuer soll davon allein 1000 Mill. $ er-
geben. Das Einkommen Unverheirateter soll von 1000 $, das Verheirateter von
2000 .S an besteuert werden. Von der Kriegsgewinnsteuer erwartet man 562 Mill. $>.
Branntwein und Wein sollen 205 Mül. % Zigarren 10, Kaffee 20, Tee, Kakao,
Zucker 85, Fracht- und Reisesteuer 145 Mill. $ bringen. Der Antrag des Re-
präsentantenhauses auf Einführung einer allgemeinen Einfuhrsteuer von 10 Proz.
und einer Steuer auf Gas sowie Elektrizität wurde vom Senat abgelehnt.
In „Svenska Dagbladet" bebandelt Professor Gustaf Cassel „Die Kriegs -
finanzierung der Vereinigten Staaten". Der schwedische Gelehrte
stellt zunächst fest, daß nach den Schätzungen des amerikanischen Finanz-
ministers die Kriegskosten des ersten Jahres, uämUch die eigenen Aus-
gaben der Vereinigten Staaten und ihre Vorschüsse an die Verbündeten
eine Summe von lÖ Milliarden % ausmachen. „Diese Summe müssen die Ver-
einigten Staaten aus ihrem laufenden Volkseinkommen aufbringen. Weil sie
~ 579 —
jedoch nicht anderswo leihen können, wie England — denn es gibt keine
Leiher und keine Käufer mehr — müssen sie aus ihrem jährlichen Einkommen
die 10 Milliarden heraussparea, die erforderlich sind. Da das gesamte Volksein-
kommen 40 Milliarden betragen dürfte, so müßte die Bevölkerung also hiervon
ein Viertel sparen, um die Mittel für den Krieg zu beschaffen. Augenblicklich
betragen die Ersparnisse kaum die Hälfte der 10 Milliarden, und sie Averden natür-
lich zu normalen Zeiten ganz von den verschiedenen Kapitalbedürfnissen eines
vorwärtsschreitenden Landes absorbiert. Verwendet man sie jetzt zu Kriegs-
finanzierung, so muß alle andere Entwicklung abgebrochen werden. Trotzdem
wird man unmöglich 5 Milliarden zusammenbringen, während man doch 10 Mil-
liarden jährlich braucht. Man muß also zu einer starken Einschränkung des
täglichen Verbrauches schreiten. Es hilft nichts, wenn nur die Eeichen ihren
Luxus opfern; damit kommt man nicht weit. Es ist nötig, daß Arbeit und
Material, die der Kriegführung dienen können, der Konsumtion entzogen werden,
und das erreicht man^^auf keinem anderen Wege, als daß die ganze Bevölkerung
ihren Lebensbedarf um ein Viertel oder ein Drittel herabsetzt. Eine solche Herab-
setzung aber kann nur auf dem Wege des Zwanges erreicht werden. Man muß
zunächst zur Besteuerung greifen, und hierdurch hofft man ja auch 1800 Mill.
zusammenzubringen. Das Hauptmittel aber bleiben die inneren Anleihen. Das
Leihbedürfnis des amerikanischen Staates ist augenblicklich auf ungefähr 800
Mill. % im Monat einzuschätzen. Dieser Betrag kann verhältnismäßig leicht an-
geschafft werden, aber die Leichtigkeit ist mehr scheinbar. Denn die dauernden
Anleihen des Staates für den Krieg müssen eine ständige Vermehrung der
Zahlungsmittel, also eine Inflation der Valuta zur Folge haben. Diese Inflation
verursacht wiederum eine ununterbrochene Steigerung des allgemeinen Preis-
niveaus, und die Preissteigerung erzwingt schließlich die notwendige Einschränkung
der Konsumtion."
lieber inexikanischeAnleihepläne berichtet die „Voss. Ztg." :
Präsident Caranza hat vom Kongreß die Ermächtigung für die Ausgabe von
Anleihen in Höhe von 300 Mill. mexikan. Pesos, d. s. ungefähr 150 Mill. §, für
folgende Zwecke erhalten : 150 Mill. Pesos zum Ausgleich von Zinsen und anderen
Schulden der Eegierung, 100 Mill. Pesos als Goldreserve für das Papiergeld, das
von der Bank mit beschränkter Ermächtigung ausgegeben wird, und 50 Mill.
Pesos für die Wiederherstellung der nationalen Eisenbahnen, den Wiederaufbau
von Geleisen, Brücken und Stationen, den Erwerb von Lokomotiven und Waggons
Zur Finanzlage Brasiliens entnimmt die „Frankf. Ztg." einer
Darstellung des Deutsch-Brasilianischen Handelsverbandes folgendes:
„Wie aus London und Paris gemeldet wird, unterliegt es keinem Zweifel
mehr, daß die brasilianische Eegierung am 1. August d. J. die Barzahlung der
Zinsen auf die äußeren Anleihen wieder aufnehmen wird. Im Zusammennang
mit dieser Meldung dürfte nicht ohne Interesse sein, was die Botschaft des Prä-
sidenten vom 3. Mai, die schon in unserem Eundschreiben vom 30. Mai kurz be-
sprochen wurde, über die Finanzlage der Eepublik sagt. Es heißt dort: Die
Goldwechsel des Schatzamtes, Sabinas genannt, beliefen sich auf 5027916 £.
Es ist dem Lande gelungen, diese Schuld durch Eückkauf auf 1456379 £ herab-
zumindern. Was die Schatzwechsel in Papierwährung anbelangt, so wird mit
deren Einziehung fortgefahren; am 1. April befanden sich noch 41 086 600 Milreis
im Umlauf. Die Liquidation dieser beiden Arten von Titeln ist gesichert, für die
Goldwechsel durch die vorhandenen Mittel und für die Papierwechsel durch die
fortschreitende Zunahme der Staatsfonds. Trotz dieser Zahlungen haben sich die
in London angesammelten Beträge nicht wesentlich vermindert; sie beliefen sich
am 28. April noch auf 1685945 £. Sämtliche Zahlungen des Staatsschatzes
sind rechtzeitig geleistet worden ; rückständig sind nur solche, die der Genehmigung
der Volksvertretung bedürfen oder von den Gläubigern selbst nicht verlangt
worden sind. Die Schulden der früheren Eechnungsjahre sind beglichen, außerdem
konnte der Staatsschatz noch Mittel von mehr als 3 Mill. £ in den verschiedenen
Ländern ansammeln, so daß die Eegierung über etwa 5 Mill. £ in Gold verfügt.
Die äußere Schuld betrug am 31. Dezember 1916 insgesamt 112332968 £, sie
XXXVIII*
- sSo —
hat 1916 um 3765650 £ zugenommen durch Emission der Funding Bonds vo»
1914. Durch weitere Emission solcher Bonds ist die äußere Schuld bis zum
31 März 1917 auf 112901095 £ gestiegen. Die konsolidierte innere Schuld wuchs
von 781904300 Milreis Papier Ende 1915 auf 864436400 Milreis Ende 1916 und-
881993700 Milreis am 31. März 1917.«,
Nach einer Meldung der „Frankf. Ztg." kommt jetzt die dritte
niederländisch-indische Anleihe im Betrage von 50 Mill. fl
in 5-proz. Obligationen zu 99^/^ Proz. zur Zeichnung. Die Ausgabe-
bedingungen für die niederländisch-indischen Anleihen haben sich ebenso
wie diejenigen des Mutterlandes im Laufe des Krieges etwas verbessern^
können, eine Folge des Geldreichtums, der sich in Holland wie in seinen
Kolonien durch die ausgedehnte Vermittlerrolle im Kriege und durch die-
weitgehende gewinnbringende Absatzmöglichkeit für die Produkte an.
die kriegführenden Staaten ergab.
Japan wird demnächst eine 5-proz. Anleihe von 100 Mill. Yen
herausbringen. Drei "Viertel dieser Summe sind zur Erneuerung einer
ablaufenden russischen Anleihe bestimmt, ein Viertel zur Stabilisierung
des Wechselkurses.
Nach einer Meldung der „Times" aus Peking hat sich eine japa-
nische Finanzgruppe mit Zustimmung des Konsortiums der Viermächte
bereit erklärt, China eine Anleihe von 10 Mill. Yen für allgemeine
E-egierungszwecke zu gewähren. Der japanische Vorschuß an China er-
folgt gegen einjährige Schatzwechsel zu 7 Proz. Zinsen und 10 Proz,
Provision, rückzahlbar aus dem Erlös einer späteren Anleihe der Vier-
verbandsmächte. {^
A. Eaffalovich gibt im „Economiste franyais" auf Grund einer Studie des-
ehemaligen Generalkonsuls der Vereinigten Staaten, Charles Denby, die chine-
sische Staatsschuld auf 161755767 £ an. Hiervon befindet sich nur ein
ganz geringer Teil in den Händen der Chinesen. Auch alle Eisenbahnunter-
nehmungen, Bergwerke, Straßenbahnen, Wasserleitungen und Elektrizitätswerke
sind ohne erhebliche Beteiligung der einheimischen Bevölkerung von den Aus-
ländern geschaffen worden. Außer der Staatsschuld besteht noch eine Eisenbahn-
schuld, die im Jahre 1914 sich auf 52157000 £ belief und in den Jahren 1908
bis 1913 aufgenommen worden ist. Bei einigen Bahnen ist außer der Hypothek
auf die Bahnlinien noch eine Zinsgarantie der Eegierung gewährt, die zum Teil
noch durch Verpfändung verstärkt worden ist. In der zweiten Hälfte des Jahres
1914 erzielten die 14 Hauptlinien einen Reingewinn von 500000 £. Die Eisen-
bahnen unterstehen ausländischer Aufsicht. Außer der Staats- und Eisenbahn-
schuld sind noch kurzfristige Anleihen ohne besondere Garantie aufgenommen,,
deren Betrag sich im Jahre 1913 auf 76 365 298 mexikanische Pesos belief ; hiervon-
waren 28890153 Pesos an Ausländer geschuldet, üeber die Gesamtsumme der
chinesischen Staatseinnahmen fehlt es an genauen Unterlagen. Eine der wichtigste»
Einnahmen ist die Salzsteuer, die im Jahre 1914 eine Reineinnahme von 29 Mill. $
erbrachte und im Jahre 1912 einem internationalen Anleihekonsortium verpfändet
worden ist.
Australiens Finanzen zeigen für das vergangene Jahr fol-
gendes Bild: Die Einnahmen haben 107880000 £ betragen; hiervon
entfielen auf Kriegsanleihe 70844000 £. Die Ausgaben beliefen sich
auf 88032000 £ einschließlich der Kriegskosten, die 61506000 £ be-
trugen.
- 58i
Volkswirtschaftliche Chronik.
September 1917.
I. Produktion im allgemeinen.
Inhalt: Beschäftigungsgrad im September.
Das „Reichs- Arbeitsblatt" schreibt in seiner Uebersicht über den
Monat September: „Der Gang der Beschäftigung im Septem-
ber, dem 38. Kriegsmonat, zeigt, daß dem deutschen Wirtschaftsleben
eine unverminderte, nicht zu brechende Widerstandskraft innewohnt,
mit der es aller Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellen, Herr zu
werden weiß. Dem September des Vorjahres gegenüber ist verschiedent-
lich auch im Berichtsmonat wieder eine Steigerung der Tätigkeit hervor-
getreten.
Im Bergbau und Hüttenbetrieb ist die Nachfrage nach wie vor
außerordentlich lebhaft und die Beschäftigung unvermindert rege. Die
Metall- und Masöhinenindustrie arbeitete auch im September mit leb-
haftester Anspannung und kann dem Vorjahr gegenüber vielfach eine
Steigerung der Leistungen melden. Aehnliches gilt für die elektrische
Industrie. In den chemischen Betrieben hielt sich die Beschäftigung
im allgemeinen auf der gleichen Höhe wie im Vormonat und im Vor-
jahr um die gleiche Zeit, einzelne Betriebszweige haben aber auch dem
September 1916 gegenüber eine Steigerung des Geschäftsganges er-
fahren. Im Holzgewerbe macht sich eine wesentliche Verschiebung der
Beschäftigungsverhältnisse nicht geltend. Die Lage des Bekleidungs-
gewerbes war im September im ganzen ebenso befriedigend wie im
Vormonat, zum Teil trat in diesem Gewerbe eine Verbesserung gegeo
den Vormonat hervor. Für den Baumarkt sind keine wesentlichen Ab-
weichungen von der bisherigen Lage zu vermerken.
Die Nach Weisungen der Krankenkassen ergeben für die am
1. Oktober d. J. in Beschäftigung stehenden Mitglieder dem 1. Sep-
tember gegenüber insgesamt eine Zunahme um 17 838 oder um 0,19
v. H. gegenüber einer etwas größeren Zunahme der Beschäftigtenzahl
(um 0,44 V. H.) bei der vorhergehenden Feststellung am 1. September.
Wenn auch die Gesamtzunahme dem Vormonat gegenüber eine geringe
Abschwächung erkennen läßt, so ist im Vergleich zum Vorjahr die Ent-
wicklung eine günstigere, denn im vorigen Jahre war keine Zunahme,
sondern eine Abnahme der Beschäftigten um insgesamt 0,48 v. H.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Volkswirtsch. Chronik. 1017. XXXIX
— 582 —
hervorgetreten; gegenüber dem 1. Januar ißt 1917 insgesamt eine Zu-
nähme von 5,1 v. H. gegen 3,3 v. H. im Vorjahr vorhanden. Im
einzelnen zeigt sich die weibliche Beschäftigung am 1. Oktober d. J.
um 18439 oder um 0,39 v. H. höher als am 1. September, während
die männliche Beschäftigtenzahl um 601 oder um 0,01 v. H., d. h. also
in ganz verschwindendem Maße, abgenommen hat. Bei der Beurteilung
der Bewegung der männlichen Beschäftigtenzahl muß wieder berück-
sichtigt werden, daß die Kriegsgefangenenarbeit in den Ergebnissen der
Krankenkassenstatistik nicht enthalten ist."
Die Zusammenstellung der Betriebskrankenkassenmit-
glieder, die einen Vergleich mit dem Vormonat bietet, läßt erkennen,
daß die männliche Beschäftigung im Bekleidungsgewerbe, in der elek-
trischen Industrie, in der Land- und Forstwirtschaft wie in der Holz-
industrie abgenommen hat, daß dagegen die chemische Industrie, das
Baugewerbe, die Nahrungsmittelindustrie, die Metall- und Maschinen-
industrie und das Spinnstoffgewerbe eine Zunahme der beschäftigten
Männer zu verzeichnen hat. Beim weiblichen Geschlecht tritt eine Ver-
minderung besonders in der Landwirtschaft, im Bekleidungs- und Nah-
rungsmittelgewerbe, ferner im Baugewerbe, in der elektrischen In-
dustrie und im Holzgewerbe auf, so daß also, abweichend von der Ge-
staltung beim männlichen Geschlecht, Nahrungsmittelgewerbe und Bau-
gewerbe eine Verringerung der weiblichen Beschäftigten aufzuweisen
haben. Im übrigen erfuhren aber dieselben Gewerbezweige, die eine
Zunahme an männlichen Beschäftigten verzeichneten, auch eine Steige-
rung der weiblichen Beschäftigung.
Wird die Zu- und Abnahme der Mitglieder nach Oberversiche-
rungsämtern betrachtet, so findet man bei Betrachtung der Grund-
zahlen bei den männlichen Mitgliedern eine größere Zunahme bei
Aurich, Düsseldorf, Speyer, Nürnberg, Stuttgart mit Neckarkreis, Straß-
burg und Metz.
Eine größere Abnahme der männlichen Mitglieder findet sich
bei Danzig, Groß-Berlin, Breslau, Oppeln, Merseburg und Dort-
mund.
An weiblichen Mitgliedern weisen größere Zunahmen auf: Groß-
Berlin, Oppeln, Magdeburg, Dortmund, Cassel, Düsseldorf, Cöln a. Rh.,
Nürnberg, Chemnitz, Dresden-N., Leipzig, Zwickau, Stuttgart mit Neckar-
kreis, Mannheim, Darmstadt mit Provinz Eheinhessen, Bremen, Ham-
burg und Straßburg.
Eine größere Abnahme bei den weiblichen Mitgliedern zeigt sich
bei Königsberg, Alienstein, Breslau, Liegnitz, Aachen, München, Gotha,
Braunschweig, Meiningen und Detmold.
Nachstehend ist die Bewegung der Beschäftigten in den einzelnen
Gewerbegruppen, soweit sie in der Berichterstattung der Betriebskran-
kenkassen zum Ausdruck kommt, vom 1. September bis 1. Oktober
dargestellt. Die Zahl der versicherungspflichtigen Mitglieder betrug
am 1. Oktober 1917:
- 583 -
Zahl der
berichten-
den Kassen
Pflichtmi
itglieder
Zu
- oder Abnahme
Gewerbe
abzüglich der arbeits-
unfähigen Kranken
gegen den Vormonat
in Prozent
männl.
weibl.
männl.
weibl.
T.and- und Forstwirtschaft,
Gärtnerei
76
10824
7673
—
0,70
-6,43
Metall-, Maschinenindustrie
850
707 280
241 184
+
0,54
+ 1,16
j„„^^ ;« /Schlesien
davon in {Rheinl-Westf.
58
46621
18 133
0,77
+ 1,49
302
297 742
100553
+
1,10
+ 1,13
Elektrische Industrie
25
10595
12855
1,52
— 0,7 6
Chemische Industrie
124
79551
40481
+
3,23
+ 1,19
Spinnstof fge w erbe
875
59 994
142 239
+
0,22
+ 0,40
[Schlesien
71
7580
18505
+
1,38
+ 0,39
davon in jRheinl.-Westf.
226
13554
23522
+
0,68
— 1,17
davon in ^^^^ Sachsen
247
14107
39208
+
0,71
+ 1,30
Els.-Lot bringen
40
2115
6006
+
3,95
— 2,61
Holz- und Schnitzwaren
96
10018
4738
—
0,42
- 0,7 3
Nahrungs- und Genußmittel
321
29081
45078
+
0,94
— 1,81
Bekleidung
81
5 373
11 282
—
2,36
— 2,70
Baugewerbe
196
50731
7372
+
1,80
— 1,09
Von den berichtenden Unternehmungen gaben 285 den
Stand ihrer Arbeiterschaft im Berichtsmonat an. Diese beschäftigten
461 601 Arbeiter.
Neben der Beschäftigtenzahl im Berichtsmonat gaben 270 Unter-
nehmungen auch die Zahl der im Vormonat beschäftigten Arbeiter an.
Hier waren am letzten Tage des Berichtsmonats insgesamt 436 597
gegen 417 627 Arbeiter am 8chliisse des Vormonats tätig. Es ist also
im Berichtsmonat dem Vormonat gegenüber eine Zunahme der Be-
schäftigten um 18 970 oder 4,54 v. H. eingetreten. Die Steigerung
gegen den Vormonat geht in der Hauptsache auf eine Mehrbeschäf-
tiguDg von Männern zurück.
An der beträchtlichen Erhöhung der Beschäftigten zahl sind in erster
Linie Eisen- und Metallindustrie und chemische Industrie beteiligt.
Die Zunahme im Maschinenbau ist nach der jüngsten Feststellung ver-
hältnismäßig geringfügig. Auch bei der elektrischen Industrie macht
sich dieses Mal nur eine geringe Zunahme bemerkbar. Im Bergbau
und Hüttenbetrieb ist sogar eine unbedeutende Abnahme eingetreten.
Der in einigen anderen Gewerbezweigen festzustellende Rückgang ist
zahlenmäßig kaum nennenswert.
283 der berichtenden Unternehmungen teilten neben der Beschäf-
tigtenzahl im Berichtsmonat auch den Stand der Arbeiterschaft im
gleichen Monat des Vorjahrs mit. In diesen 288 Unternehmungen waren
im Berichtsmonat 461378 Arbeiter gegenüber 370 806 im September
1916 tätig. Es ist also gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme der
Arbeiterzahl um 90 572 oder um 24,43 v. H. eingetreten. Diese starke
Zunahme geht auf das männliche Geschlecht in fast doppelt so hohem
Maße wie auf das weibliche zurück.
Eine Verminderung der Beschäftigtenzahl ist im Nahrungsmittel-,
Buchdruck- und Bekleidungsgewerbe eingetreten. Die stärkste Zu-
nahme macht sich in der Eisen- und Metallindustrie, im Maschinenbau
XXXIX*
- 584
und in der chemischen Industrie bemerkbar. Auch die elektrische In-
dustrie sowie Bergbau und Htlttenbetrieb weisen eine nicht unbeträcht-
liche Vergrößerung der Arbeiterzahl dem Vorjahr gegenüber auf. Die
zuletzt genannten 5 Gewerbegruppen zeichnen sich durch eine mehr
oder minder starke Zunahme nicht nur der weiblichen, sondern auch
der männlichen Arbeitskräfte aus. Die männlichen Arbeiter haben am
meisten in der Metallindustrie und in der chemischen Industrie zuge-
nommen, die weiblichen in der Metallverarbeitung und in der elekti-ischen
Industrie.
Nachstehend geben wir die Veränderungen in den einzelnen Ge-
werben tabellarisch wieder:
0)
Beschäftigte am
Zu- oder Abnahme
Gewerbegruppen
letzten Tage des
gegenüber dem Vormonat
1
September
insgesamt
männl. j weibl.
insgesamt
männl.
Anzahl
V. H.
Anzahl
Bergbau und Hüttenbetrieb
23
54946
47661
— 113
- 0,21
- 189
+ 76
Eisen- und Metallindustrie
44
153965
114 654
+ 11447
+ 8,03
+ 7556
4-3891
Industrie der Maschinen
74
121 657
IOC 034
+ 1249
+ 1,62
+ 1087
+ 855
Elektrische Industrie
IS
35576
18748
+ 714 + 2,06
+ 138
+ 576
Chemische Industrie
29
46944
38098
+ 51931 + 12,44
+ 5142
+ 51
Spinnstoffgewerbe
13
7250
2091
+ I05|-f 1,47
+ 14
+ 91
Holzindustrie
7
629
383
— 61— 0,94
— 2
— 4
Nahrungs- und Genußmittel
II
5 171
1483
— 212
— 3,94
— 30
- 182
Bekleid ungsge werbe
IG
1389
587
+ 23
+ 1,68
+ 6
+ 17
Glas und Porzellan
s
1845
926
— 29
— 1,55
— 3
— 26
Papierindustrie, Buchdruck
27
5484
3500
— 33
— 0,60
— 40
+ 7
Sonstige Gewerbe (einschließlich
Baustoffe und Schiffahrt)
12
1741
1129
— 61
— 3,39
- 46
— 15
Summe
270
436 597
329 294
+ 18970
+ 4,5*
+ 13633
+5337
Nach der Feststellung von 33 Fach verbänden, die für 1 029 179
Mitglieder über Arbeitslosigkeit berichteten, betrug die Arbeits-
losenzahl Ende September 7875. Es sind das 0,8 v. H. Da auch Ende
Juli und Ende August 1917 die Arbeitslosenziffer 0,8 v. H. betrug, so
zeigt sich den beiden Vormonaten gegenüber keinerlei Veränderung in
der Gestaltung der Arbeitslosigkeit. Im Vergleich zum September der
drei vorhergehenden Jahre ist aber eine wesentliche Verminderung der
Arbeitslosigkeit festzustellen, denn im September 1916 stellte sich die
Arbeitslosenziffer auf 2,1, im September 1915 auf 2,6 v. H., und im
September 1914 auf 15,7 v. H. Der wirkliche Umfang der Arbeits-
losigkeit war im 3. Vierteljahr 1917 mit 0,6 v. H. gleich niedrig wie
im vorhergehenden und niedriger als in allen anderen früheren Viertel-
jahren seit Beginn der Beobachtungen (1909).
Die Statistik der Arbeitsnachweise läßt im Berichtsmonat
für das männliche wie für das weibliche Geschlecht ein allerdings nur
schwaches Steigen des Andranges der Arbeitsuchenden erkennen. Im
September kamen auf 100 offene Stellen bei den männlichen Personen
50 Arbeitsuchende (gegenüber 49 im Vormonat); beim weiblichen Ge-
schlecht stieg die Andrangsziffer von 86 auf 87.
585
II. Landwirtschaft und verwandte Oewerbe.
Inhalt: Lage der landwirtschaftlichen Produktion: Schweiz: Vermeh-
rung des Getreidebaues; Höchstpreise für Holz. Vereinigte Staaten:
Weizen ertrage. Kanada: Weizenertrag. Argentinien: Weizenausfuhr.
Schweden: Getreidepreise. England: Ernte; Butterpreise; Landarbeit.
Frankreich: Getreide Verteilung. Italien: Weizen ernte. Schweiz: Lebens-
mittel für Aermere. 0 esterreich: Weinpreise. Ungarn: Mais. Schweiz:
Butterversand ; Brotherstellung und -Verteilung. Dänemark: Höchstpreise für
Mehl. Schweden: Kalkstickstoff. Norwegen: Brotpreis. England: Fracht-
preise; Erweiterung der Anbauflächen; Ernte. Frankreich: Schweinezucht:
Lage der Landwirtschaft. Italien: Getreideeinfuhr. Vereinigte Staaten;
Landwirtschaftliches Kriegsprogramm; Verwaltungsrat für die Ausfuhr. Ar-
gentinien: Ausfuhrverbot. Australien: Weizenernte. Deutschland;
Kartoffel Verteilung; Brennerei; Preise; Trocknerei und Stärkefabrikation; Gerste
für Brennerei; Verkehr mit Zucker; Verfütterung von Zuckerrüben; Honig für
Bierbereitung ; Mastfutter. Bayern: Preise für Zucht- und Nutzvieh. Hessen:
Kälberschlachtungen. Deutschland: Schweinezählung; Tomatenkerne; Kar-
toffelkraut und Bübenblätter. Schweiz: Getreideeinfuhr aus den Vereinigten
Staaten; Landarbeiter; Weinausfuhr; Hafer- und Gerstebewirtschaf lung.
Schweden: Lage der Volksernährung. Dänemark: Grütze; Butterausfuhr.
England: Lebensmittelversorgung; Umbruch von Weideland; Oelkuchenbeschaf-
fung ; Schließung von Fleischereien ; Lebensmitteleinfuhr aus den Vereinigten
Staaten und Kanada. Frankreich: Getreideernte; Höchstpreise für Bohnen;
Getreidebeschaffung; Zuckerverteiluug. Italien: BrotverteÜung, Rußland:
Ländliche Verschuldung. Australien: Ankauf der Wollschur für England;
Weizenausfuhr; Gefrierfleisch; Butter. Weltmarkt.
Ueber die Lage d er land wirtsch aftlichen Produkt ion
in den verschiedenen Gebieten seien nachstehend eine Anzahl einzelner
Berichte nach den Wochenberichten des Deutschen Landwirtschafts-
rats mitgeteilt:
Nachdem England bereits im letzten Winter unter dem Drucke des U-Boot-
krieges die Vermehrung des Weizenbaues — wenn auch bisher mit negativem
ErfoJge — in die Hand genommen und sogar Mindestpreise für Getreide aus der
Frnte der nächsten Jahre festgesetzt hat, ist nunmehr auch die Schweiz in
ihrer bedrängten Lage dazu übergegangen, eine Vermehrung des Getreide-
baues planmäßig zu unternehmen. Es gibt kein Land, das in sinnvollerer und
großzügigerer Weise die Produktion zu fördern sucht wie die Schweiz. Zur Ver-
mehrung des Getreidebaues hat der Bund kürzlich die Inlandsgetreidestelle des
eidgenössischen Brotamtes errichtet. Die Kantone sind verpflichtet, die ange-
ordnete Vermehrung der Anbaufläche, unter Berücksichtigung der natürlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse, auf die einzelnen Bezirke und Gemeinden zu
verteilen. Ihre Aufgabe besteht ferner darin, kulturfähiges Land, das vom Eigen-
tümer oder Pächter nicht bebaut oder schlecht bewirtschaftet wird, zwangsweise
für Rechnung des Kantons für die Erntejahre 1917/18 und 1918/19 und, wenn
notwendig, für die folgenden Jahre in Pacht zu nehmen und solches Land ent-
weder auf Rechnung des Kantons zu bebauen oder Gemeinden, Genossenschaften,
gemeinnützigen Unternehmungen oder Privaten zur Vermehrung des Brotgetreide-
anbaues zu überweisen. Dem Beispiel Englands folgend, ist die Schweiz weiter
dazu übergegangen, schon jetzt für die Jahre 1918 und 1919 den inländischen
Brotgetreidepreis festzusetzen. Der Bund zahlt für Getreide, das ihm zum Kauf
angeboten wird, für Weizen, Roggen, Einkorn und Emmer der Ernte 1918 für
die Tonne 500 frcs. oder 405 M. nach dem Friedenskurs. Für Getreide aus der
Ernte 1916 beträgt der Preis 450 frcs. = 364,50 M. für die Tonne. Steht der Ab-
gabepreis des Monopolgetreides, dessen Höhe sich in erster Linie nach dem An-
kaufe des ausländischen Getreides bemißt, höher als 500 frcs. für die Ernte 1918
- 586 -
und höher als 450 frcs. für die Ernte 1919, so findet die Erwerbung des inlän-
dischen Getreides zu den höheren Abgabepreisen des Monopolgetreides statt.
Im Kanton Bern (Schweiz) hat der Eegierungsrat am 4. September 1917
für Klafter holz gesunder Qualität folgende Höchstpreise festgesetzt; Für
Buchen- und anderes Hartholz per Ster Spalter und grobes Eundholz 25—29 frcs. ;
per Ster Kundholz von 8—15 cm Durchmesser 22-25 frcs.; für Tannenholz und
andere gleichwertige Holzarten per Ster Spalter und grobes Rundholz 21—23 frcis. ;
per Ster Rundholz von 8—12 cm Durchmesser 18 frcs.; per Ster Schwartenholz
15—17 frcs. Der höchste Preisansatz darf nur für gut aufgeschichtetes Holz
erster Qualität berechnet werden. Die Preise verstehen sich nach der nächsten
Eisenbahnstation geführt und dort verladen oder bei annähernd gleicher Entfernung
zum Hause des Verbrauchers geliefert.
Nach dem Bericht des Ackerbaubüros in Washington betrug am 1. Sep-
tember der Durchschnittsstand von Frühjahrsweizen 71,2 Proz, gegen
68,7 Proz. im Vormonat und 48,6 Proz. im Vorjahr, von Mais 76,7 Proz. (78,3 Proz.
bzw. 71,3 Proz.), von Hafer 90,4 Proz. (87,2 bzw. 78 Proz.), von Gerste 76,3 Proz.
(77,9 bzw. 74,6 Proz.) und von Leinsaat 50,2 Proz. (60,6 bzw. 84,8 Proz.).
Der Ertrag von Winterweizen wird auf 418 Mill. Busheis (11,38 Mill. t)
geschätzt gegen ein endgültiges Ergebnis von 482 Mill. Busheis (13,12 Mill. t)
im letzten Erntejahre, von Frühjahrsweizen auf 250 Mill. Busheis (6,81 Mill. t)
fegen 158 Mill. Busheis (4,30 Mill. t) und des gesamten Weizens auf 668 Mill.
Jushels (18,18 Mill. t) gegen 640 Mill. ßushels. Das Ergebnis von Mais wird
mit 3248 Mül. Busheis (82,50 Mill. t) angegeben gegen 2583 Mill. Busheis
(65,61 Mill. t) im Vorjahre, von Hafer mit 1533 Mill. t Busheis (27,81 Mill. t)
(1252 Mill. Busheis), von Gerste mit 204 Mill. Busheis (40 Mill. Busheis) und
von Leinsaat mit 11 Mill. Busheis (15 Mill. Busheis).
Laut einem Telegramm aus Washington in den „Times" vom 20. August gibt
das Lebensmittelkontrollamt bekannt, daß in den Vereinigten Staaten
und Kanada 400 Mill. Busheis Weizen an dem Betrage fehlen, deren Lieferung
aus Nordamerika für die Verbandsländer und die Neutralen nötig ist. Die Ver-
bandsgenossen benötigen 557 Mdl. Busheis gegenüber einem amerikanischen Ueber-
schuß von 208 Mill. Die Vereinigten Staaten reservieren ferner für diejenigen
Neutralen, die wichtige Bedarfsartikel liefern, einen Weizen vorrat, der das gesamte
Defizit auf 400 Mill. Busheis bringt. Das Lebensmittelkontrollamt empfi^t den
Amerikanern, ein Pfund Weizenmehl pro Kopf und Woche durch ein Pfund andere
Zerealien zu ersetzen und darüber hinaus den Verbrauch von 5 auf 4 Pfd. her-
abzusetzen. Der nordamerikanische üeberschuß an anderen Zerealien, hauptsäch-
lich Futtermitteln, beträgt 950 Mill. Busheis, dem ein Bedarf der Verbandsge-
nossen von 674 Mill. ßushels gegenübersteht.
Zu gleicher Zeit berichtet die gleiche Quelle : Das statistische Amt in Ottawa
(Kanada) berichtet, daß die vorläufige Schätzung des Durchschnittser-
trages eines Acre Winterweizen auf 22 Busheis gegen 217.J Busheis im
Jahre 1916 lautet. Der Gesamtertrag der kanadischen Winterweizen ernte wird
auf 17 816 000 Busheis geschätzt.
In Argentinien ist die Ausfuhr von Weizen und Mehl bis zum
1. Dezember verboten. Alle Personen oder Gesellschaften, die mehr als 100 kg
Weizen oder Mehl besitzen, müssen ihre Vorräte bei den Behörden anmelden.
„Sydsvenska Dagbladet" (Malmö) meldet aus Stockholm: Die von der All-
gemeinen Schwedischen Landwirtschaftsgesellschaft bei der Regierung bean-
tragte Erhöhung der Getreidehöchstpreise hat die Volkswirtschafts-
kommission jetzt dahin beantwortet, daß ein Grund für eine solche Maßnahme
nicht vorliegt.
Aus England wird gemeldet, daß schwere Regenstürme Ende August nach
einer längeren Periode nassen, sonnenlosen Wetters einen verderblichen Einfluß
auf die Ernte gehabt haben. Zu Anfang September war erst weniger als ein
Drittel der Ernte eingebracht. Die Kartoffeln fangen an zu faulen.
Laut „Daily News" vom 25. August setzte das Lebensmittelkontrollamt in
England Höchstpreise für Butter fest, die am 3. September in Kraft
treten, und zwar sollen sich diese auf der Basis der am 17. August von der Pro-
- 587 -
duktenbörse veröffentlichten Preisliste bewegen, nämlich 206 sh frei an Bord für
irische und andere Butter, ausgenommen dänische. Auf dieser Grundlage werden
auch die Höchstpreise im BUeinhandel festgesetzt werden.
Wie sehr die Menschenkräfte in der englischen Landwirtschaf t
fehlen, darüber gibt eine Gegenüberstellung der in der englischen Landwirtschaft
beschäftigten Erwerbstätigen Auskunft: Es wurden 1851 in England und Wales
2 051 000 landwirtschaftlich erwerbstätige Personen, 1901 dagegen nur 1 152 000
gezählt. Was aber die bestellte Fläche anlangt, so hatte
Großbritannien Irland
1000 Acres
1874 1911 1874 1911
Getreide
9431 7040 1901 1254
Hackfrüchte
3581 3040 1353 1013
Flachs
9 0,5 107 67
Futtergewächse
(Klee usw.)
4340 4120 — —
Weide
13 178 17446 — —
in
Irland
1874
1911
468
543
4 118
4711
4 437
3907
I 096
1415
Man sieht also: bereits von 1874 bis 1911 hat das Getreideland um über
3 000 000 Acres abgenommen, und die Hackfruchtfläche ist gleichsf alls nicht ge-
stiegen, sondern um 880000 Acres zurückgegangen. Besser steht es mit der
englischen Viehzucht bei einer Zunahme der Weidefläche um 4,26 Mill. Acres.
Es gab in Tausenden
in Großbritannien
1874 1911
Pferde i 312 1480
Rinder 6125 7 114
Schafe 30313 26494
Schweine 2 422 2 822
Die Zunahme der Kinder umfaßt 1 Mill. in Großbritannien, ist also durch die Ab-
nahme der Schafe um 4 Mill. nicht ausgeglichen. Die Theorie, daß England seit
dem Niedergange der Getreidepreise intensivere Viehzucht betreibe, trifft aber
nicht zu. Zu beachten ist ferner, daß Englands Landwirtschaft auch in der Zeit
der höchsten Blüte, in den 70er und 80er Jahren, nicht die ganze Bevölkerung
ernährt hat; es mußten vielmehr 2—27, ^^^' * Weizen eingeführt werden. Immer-
hin hat damals der englische Weizenbau den Bedarf der Bevölkerung zu mindestens
50 V. H. gedeckt; in den letzten Jahren vor dem Kriege nur noch zu 20 v. H.
Wenn die englische Viehzucht vor dem Kriege 60 v. H. des Eigenbedarfs deckte,
eo hat sie dabei aber noch 4—5 Mill. t an eingeführtem Futtergetreide, Oelkuchen
und Oelfrüchten mitverbraucht.
In Frankreich schreibt Boidet in der „Humanit^": „Wir haben schon
auf die riesige Tantieme aufmerksam gemacht, die der von Violette mit der Ge-
treideverteilung in den Departements betraute gesetzliche Bevollmächtigte
von der Staatskasse bezieht. Mit den 4 Sous für den Doppelzentner, die der
Staat ihm zubilligt, verdient dieser Bevollmächtigte, wie das Syndikat der Müller
des Departements Haute-Garonne versichert, für eine Arbeit, die vielleicht
ein Angestellter besorgen kann, 280000 frcs. auf die in diesem Departement zu
verteilenden 1400000 dz. Das ist denn doch, selbst heutzutage, wo ja die Ver-
schwendung an der Tagesordnung ist, etwas stark. Schon murrt man darüber
im Lande ; so z. B. fordert der Generalrat des Cher-Departements die Errichtung
einer Behörde an Stelle des so hoch besoldeten Bevollmächtigten. Für dieses
Departement würden in dessen Tasche 400 000 frcs. fließen, da 2 Mill. dz zu ver-
teilen sind. Solch ein Skandal muß beseitigt werden. Wenn Violette davon er-
fahrt, wird er sicher schnell Abhilfe schaffen."
Aus ßom wird unter dem 6. September gemeldet, daß die italienische
Weizenernte auf 17,5 Mill. Quarter gegen 22 Mill. Quarter im Vorjahre ge-
schätzt wird (1 Quarter = 217,7 kg).
- 588 —
Von allen Staaten ist die Schweiz während des Krieges der erste gewesen,
der die Abgabe von Lebensmitteln an die ärmere Bevölkerung eu
billigeren Preisen festgesetzt hat. So folgte auf die Abgabe der billigeren
Milch diejenige des Brotes, und zwar in einer Menge von 275 Kg auf den Kopf,
ein Ansatz, der auch bei der Einführung der Brotkarte für die Bezugsberechtigten
beibehalten werden soll. Die Zahl der letzteren ist in stetem Steigen begriffen.
Am 1. Mai d. J. waren es rund 376000, im Juni 468000, im Juli 521000, im
August 620000, welche die Milch zum ermäßigten Preise erhielten; büligeree
Brot bezogen im Juli 550000 und im August bereits 630000 Personen. Zur Be-
fleichung des Preisunterschiedes mußte der Bund bei der Milchabgabe allein in
en ersten drei Monaten rund 1 Mill. frcs. ausrichten. Im Durchschnitt be-
ziehen zurzeit lö^/j Proz. der schweizerischen Bevölkerung Milch und Brot zum
ermäßigten Preise. Nach Kantonen gerechnet, zeigen sich aber ganz gewaltige
Unterschiede. In der Stadt Zürich beträgt die Zahl der Bezugsberechtigten heute
46 500 oder 20 Proz., in Basel 26 500 oder 19 Proz., in Genf 21000 oder 15 Proz.,
in Bern 25 000 oder 22 Proz., in St. Gallen 22 500 oder 30 Proz., in Luzern
11 500 oder 20 Proz., in Yverdon 4400 oder 50 Proz., in Lausanne 5600 oder
8 Proz. der Bevölkerung. Diese Unterschiede ergeben sich einmal aus der un-
gleichartigen Zusammensetzung der Bevölkerung, dann aber auch aus der un-
gleichartigen Behandlung.
In Oesterreich hat die Zentral-Preisprüfungskommission die
durch Beschluß vom 11. August d. J. gesetzten Eichtpreise für Mittelweine
in Niederösterreich bezüglich der Händler- und Ausschankpreise erhöht und mit
Beschluß vom 10. September die Eichtpreise ab Erzeugerkeller in Steiermark,
Bjrain und Mähren auf 300 K. für das Hektoliter festgesetzt.
In Ungarn ist durch eine Verordnung vom 18. September der Verkehr
mit Mais neu geregelt. Danach wird die gesamte Maisfechsung der Erzeuger
des Jahres 1917 behufs Sicherung des öffentlichen Bedarfs unter Sperre ge-
nommen, ebenso jene Mengen, die als Arbeitslohn, Bearbeitungsanteil oder Kon-
vention verabfolgt wurden. Wieviel Mais und unter welchem Titel er als eigener
Haus- und Wirtschaftgebrauch zurückgehalten werden darf, werden der Acker-
bauminister und das Landes- Volksernährungsamt ein verständlich feststellen. la
Angelegenheit der Schweinemästung wird eine besondere Eegierungs Verordnung
verfügen. Für die Mästung der zu Zwecken des öffentlichen Bedarfs gebundenen
Schweine darf der Erzeuger von seinem Maisüberschuß der diesjährigen Eirnte
höchstens 50 Proz. verwenden, vorausgesetzt, daß er hierzu im Sinne der zu ver-
öffentlichenden Verordnung die behördliche Erlaubnis erhält. Es ist verboten,
Mais zu industriellen Zwecken zu kaufen. Welche Mengen Mais zur industriellen
Verarbeitung und zu welchen Bedingungen sie hierzu verwendet werden dürfen,
stellt der Minister für Volksernährung im Einvernehmen mit den beteiligten
Ministern fest. Den überschüssigen Maisvorrat darf der Erzeuger nur an die
Ejriegsprodukten-A.-G. oder an solche Personen veräußern, die im Sinne der
gegenwärtigen Verordnung eine Einkaufsbewilligung besitzen. Diese Verkaufs-
berechtigung erlischt jedoch mit Eintritt der behördlichen Beschlagnahme,
spätestens aber am 31 Oktober d. J. Der Erzeuger darf jedoch nur 50 Proz.
seines Maisüberschusses an Einkaufsberechtigte veräußern. Die Höchstpreise be-
tragen auf dem ganzen Landesgebiet vom 18. September an für 100 kg netto:
a) für gewöhnlichen (Zahn- usw.) und gemischten Mais:
-c- , T • « X • In Kolben Gerebelt
Für den Lieferungstermm K h K h
50
50
50
58
September-Oktober 1917
34
—
42
November 1917
34
90
43
Dezember 1917
35
80
43
Januar 1918
36
7Q
44
Februar 1918
37
60
44
März 1918
38
50
45
April 1918
39
40
^§
Mai 1918 oder später
40
30
46
In Kolben
Gerebelt
K. h
K. h
36 10
45 50
37 05
46 -
38 -
46 50
38 95
47 —
39 80
47 50
40 80
48 -
41 80
48 50
42 80
49 —
- 589 -
b) Spezialmais (Cinquantin, Florentiner, Putyi, weiiSer Eundmais)
Für den Lieferungstermin
September-Oktober 1917
November 1917
Dezember 1917
Januar 1918
Februar 1918
März 1918
April 1918
Mai 1918 oder später
Nach den requirierten Maiskolben ist zu bezahlen: in den Monaten Januar
1918 8 K., Februar 8,50 K., März 8 K., April 9,50 K, und für Mai und
gpäter 10 K.
In der Schweiz ist mit dem 25. September die allgemeine Bahn- und Post-
sperre für den ßutterversand eingetreten. Buttersendungen werden von
diesem Tage an von der Bahn nur mehr in Begleitung von Transportscheinen,
welche von den Butterzentralen ausgestellt werden, angenommen, lür Post-
sendungen sind entsprechende Adreßscheine zu verwenden. Die Monatsration ist
auf 200 g auf den Kopf festgesetzt. Es bleibt den einzelnen Zentralen anheim-
gestellt, diese Kation in kleinen Lieferungen von 100 — 200 g abzugeben oder die
Abgabe von Tafelbutter überhaupt einzustellen und dann nur von Zeit zu Zeit
eine entsprechende größere Buttermenge als Kochbutter zu verabfolgen.
Das Fürsorgeamt der Schweiz gibt, um Mißverständnissen vorzubeugen,
bekannt, daß nach den Mitteilungen des Brotamtes auch nach der Einführung
der Brotkarte das Verbot des Verkaufs von frischem Brot nicht aufge-
hoben werden wird. Häufig werden Klagen über schlecht gebackenes Brot laut.
Die Bundesverwaltung müsse es den kantonalen Behörden und Gemeindebehörden
äberlassen, hier zum Kechten zu sehen und durch die Lebensmittelkontrollorgane
dafür sorgen zu lassen, daß auch aus Vollmehl hergestelltes Brot den Anforde-
rungen der Lebensmittelgesetzgebung entspricht. Das Fürsorgeamt macht ferner
darauf aufmerksam, daß die Verwendung von Sauerteig der Benützung von Preß-
helfe als Triebmittel vorzuziehen ist, nicht nur, weil die Verwendung von Sauer-
teig das Brot weniger rasch trocknen läßt, sondern weil dadurch auch der Brot-
krankheit in denkbar wirksamster Weise entgegengetreten werden kann. Aus
diesem Grunde wurde z. B. schon vor längerer Zeit den Militärbäckereien die
Verwendung von Preßhefe verboten.
In der Schweiz ist, um unmittelbar vor dem Inkrafttreten der Brotkarte
am 1. Oktober ein übermäßiges Einhamstern von Brot und Mehl zu verhindern,
die Bestimmung getroffen, daß bis zum 1. Oktober von den Mehlverkäufern nur
noch 250 g Mehl pro Kopf abgegeben werden dürfen. Die Namen der Käufer
sind zu- notieren. Das Brotdörren ist untersagt. Die Schrotmühlen werden unter
amtliche Kontrolle gestellt bzw. plombiert oder versiegelt.
In Dänemark ist der Höchstpreis für Mehl, aus Weizen, Roggen
und Gerste hergestellt, beim Verkauf vom Müller festgesetzt auf: 21 Kr. für
100 kg grobes Koggenmehl, 22,50 Kr. für 100 kg halbfeines Koggenmehl, 44 Kr.
für 100 kg Standardweizenmehl, 26 Kr. für 100 kg feines Mehl, 32,25 Kr. für
100 kg grobes Weizenmehl. Der Höchstpreis für den Kestbestand laut Bekannt-
machung vom 24. Mai beträgt: 27 Kr. für 100 kg halbfeines Koggenmehl,
34,20 Kr. für 100 kg gemischtes Mehl. Auf die genannten Höchstpreise dürfen
die Großhändler zur Deckung ihrer Unkosten bei Vermittlungen zwischen den
Mühlen und den Kleinhändlern 1 Kr. für 100 kg aufschlagen. Beim Verkauf von
Mehl durch die Kleinhändler ist aer Höchstpreis festgesetzt auf: grobes Koggen-
mehl 24 Oere für 1 k^ in 100 kg- oder 50 kg- Säcken, 26 Oere für 1 kg in
Mengen unter 50 kg; mittelfeines Roggenmehl: 26 Oere für 1 kg in 100 kg- oder
50 kg-Säcken, 28 Oere für 1 kg in Mengen von 5 kg und darüber, 29 Oere in
Mengen von 1 kg bis 5 kg, 31 Oere in Mengen von unter 1 kg; Standardweizen-
mehl: 47 Oere für 1 kg in 100 kg- oder 50 kg-Säcken, 50 Oere für 1 kg in
— 590 -
Mengen von 5 kg und darüber, 51 Oere für 1 kg in Mengen von 1 kg bis 5 kg,
52 Oere für 1 kg in Mengen unter 1 kg; feines Mehl: 29 Oere für 1 kg in 100 kg-
oder 50 kg-Säcken, 32 Oere für 1 kg in Mengen unter 50 kg; grobes Weizen-
mehl: 35 Oere für 1 kg in 100 kg- oder 50 kg-Säcken, 37 Oere für 1 kg in
Mengen unter 50 kg. Der Höchstpreis für den Restbestand, laut Bekanntmachung
vom 24. Mai 1917 beträgt: für mittelfeines Roggenmehl: 29 Oere für 1 kg in
100 kg- oder 50 kg-Säcken, 31 Oere für 1 kg in Mengen von 5 kg und darüber,
32 Oere für 1 kg in Mengen von 1 bis 5 kg, 34 Oere für 1 kg in Mengen unter
1 kg; gemischtes Mehl: 39 Oere für 1 kg in Mengen von 5 kg und darüber,
40 Oere für 1 kg in Mengen von 1 bis 5 kg, 41 Oere für 1 kg in Mengen
unter 1 kg.
„Svenska Dagbladet" vom 12. September berichtet: Zwischen dem Volks-
haushaltsausschuß und einer Karbidfabrik ist ein Abkommen über Lieferung von
Kalkstickstoff getroffen worden. Danach verpflichtet sich die Gesellschaft,
dem schwedischen Markt an Kalkstickstoff für den Herbst 1917 bis
zu 20000 Säcken zu 100 kg mit mindestens 17 v. H. Stickstoff zur Verfügung
zu stellen. Der Verkaufspreis an den Verbraucher soll 1,50 Kr. für 1 kg Stick-
stoff nicht übersteigen.
„Tidens Tegu" (Kristiania) vom 1. September schreibt: Die norwegische
Regierung hat die Anträge auf Erhöhung des Brotpreises abgewiesen und
bestimmt, daß dieser in Kristiania und Tönsberg nicht über 75 Oere das Kilo-
gramm (= 42 Pfg. das Pfund) betragen darf, in Bergen und Stavanger nicht
über 70 Oere (^ 39V2 P%- das Pfund), während er zum Teil bis auf 80 Oere
(== 45 Pfg. das Pfund) gestiegen war. Der Vorsitzende der Bäckerinnung in
Kristiania erklärte, daß damit die Bäcker einen Verlust von 1,80 Kr. (= 2 M.)
auf den Sack Mehl erlitten.
In England erwartet man demnächst eine bedeutende Erhöhung der
Frachtpreise nach Indien und Australien. Vorläufig wird der Äacht-
preis nach Indien um ein Drittel erhöht.
Nach den „Times" vom 7. September empfing der Lebensmittelkon-
trolleur Lord Rhondda eine Abordnung der Landwirtschaftskammer und er-
klärte ihr : Die Landwirte müssen unbedingt Opfer bringen, damit der Krieg ge-
wonnen werden kann. Die Regierung hätte die Landwirte nicht aufgefordert,
den Viehstand zu vermindern, wenn die Lage es nicht erforderte. Infolge der
Knappheit an Schiffsraum wird wahrscheinlich in diesem Winter nur eine be-
schränkte Menge von Oelkuchen zur Verfügung stehen, die dann auf die beste
Art ausgenutzt werden muß. Milchkühe sollen bei der Futterzuweisung bevor-
zugt werden ; dadurch dürfte die Futtermenge für das Mastvieh stark beschränkt
werden. Somit wird das Vieh in diesem Winter in einem früheren Stadium der
Mästung geschlachtet werden müssen, als es sonst üblich war. Die Regierung
wird aber versuchen, den Preis für Viehfutter herunterzubringen. Die ägyptische
BaumwoUsaatenernte ist bereits zu Bedingungen beschlagnahmt worden, die eine
starke Verbilligung des Baumwollkuchens für den englischen Gebrauch zur Folge
haben werden. Aehnliche Maßregeln in bezug auf andere Sorten Oelkuchen sind
geplant. Ferner wies Rhondda darauf hin, daß im Frieden 40 v. H. des Fleisch-
bedarfs der englischen Zivilbevölkerung eingeführt wurde. Das eingeführte
Fleisch wird aber meistens für den Bedarf der verbündeten Heere und Flotten
gebraucht, so daß nur noch kaum 10 v. H. des Verbrauchs der Zivilbevölke-
rung durch eingeführtes Fleisch gedeckt wird. Da also der gewohnte Wett-
bewerb fortfiel, sind die Fleischpreise auf dem englischen Markt so unnormal ge-
stiegen.
„Times" veröffentlichen am 8. September eine Erklärung des Lebens-
mittelerzeugungsamtes. Darin wird die Behauptung einiger Zeitungen,
daß die Regierung die Anbaufläche für 1918 um 5 Miß. Acres vermehren will,
für falsch erklärt. Tatsächlich ist eine Erweiterung der Anbaufläche von Getreide,
Kartoffeln und Mangold um 3 Mill. Acres geplant, die sich aus 2 Mill. Acrea
Grasland und 1 Million bisher mit weniger wichtigen Feldfrüchten — wie z. ß.
Hopfen — bestellten Acres zusammensetzen.
Nach dem „Internationalen Ackerbau-Institut« in Rom gibt die im Juni
zusammengestellte amtliche Schätzung der Ernte in England und Wale«
591
an, daß seit Juni 1916 ungefähr 190000 Acres Grasland unter den Pflug ge-
nommen worden sind. Die verfügbare Anbaufläche beträgt 195 000 Acres mehr
als im Vorjahre. Die Anbaufläche für Weizen ist etwas größer als im Vorjahre,
für Gerste und Hafer bedeutend umfangreicher, die Anbaufläche für Hafer ist
die größte seit 1904. Was die Anbaufläche von Hülsenfrüchten betrifft, so ist
diejenige für Bohnen um 25 000 Acres kleiner und diejenige für Erbsen um
18000 Acres größer geworden als im Vorjahre. Die Anbaufläche für Kartoffeln
ist beinahe um ein Fünftel vergrößert worden und stellt sich ungefähr 10 Proz.
höher als die bisher bekannt gewordene. Einzelheiten sind aus folgender Tabelle
ersichtlich :
Ernte.
Gesamtfläche (ohne Wasser)
Anbaufläche für landwirt-
schaftliche Erzeugnisse ^)
Kulturfähiges Land
Ständige Wiesenflächen für
Heu»)
Ständige Wiesenflächen nicht
für Heu»)
zusammen
1917
Acres
37 137 600
27 081 600
1 1 246 040
4 798 960
1 1 036 600
37
1916
Acres
137 600
Zunahme
Abnahme
27 074080
II 151 100
4 825 990
II 196990
Acres
7520
194 940
7o
0,0
1,8
Acres
27030
160390
Weizen
Herbstaussaat
Frühjahrsaussaat
zusammen
I 918 550 I 912 210 6340 0,8
Gerate
Hafer
Roggen
Bohnen
Erbsen
Buchweizen
Kartoffeln
Rüben
Runkelrüben
Raps
Wicken
Luzerne
Senf
Hopfen
1917
Acres
1 460 600
2 257 480
56020
210360
131 000
4700
508 190
972370
388 740
64170
78760
50210
24790
16950
E r n t
1916
Acres
1 332 080
2 084 670
53480
236 260
112 680
3300
427 950
938 160
378 140
70820
89 HO
54170
65 720
31350
Zunahme
Acres °/o
128520 9,6
172 710 8,3
2 540 4,7
18 320
I 400
89 240
34210
10600
16,3
42,4
18,8
2,8
Abnahme
Acres 7o
25 400 10,8
9,4
1917
Acres
Klee für Heu i 682 100
Klee nicht für Heu 8 1 7 560
Klee zusammen 2499660 2590310 —
1916
Acres
762 700
827 610
Zunahme
Acres »/„
— 90 650
6 650
10350 11,6
3 960 7,8
40 930 62,3
14400 45,9
Abnahme
Acres "/#
80 600 4,6
10050 1,2
Verschiedenes
Brachland
1917
Acres
66660
355300
1916
Acres
67650
421 890
Zunahme
Acres "/
Abnahme
Acres 7o
999 1,5
66590 15,8
lo
0,6
15833560
I 724600
193 950
16022980
1787320
124890
69060 55,4
187 420
62 720
3.f>
1) Ausgenommen Berg- und Heideland für Weidezwecke (3 901 710 Acres in 1917
gegen 3 816 080 Acres in 1916).
592 —
Vieh.
Pferde
Rindvieh
Schafe
Schweine
1917
1 372 820
6227 150
17 169 860
I 918 540
1916
1359570
6 215 780
17 951 120
2 167 940
Der „Matin" vom 9. September meldet aus Limoges: Schweine tleisck
ist die teuerste Fleischsorte in Frankreich und ist von 1,90 frc. für das Kilo-
gramm im Jahre 1914 auf 5 frcs. für das Kilogramm gestiegen (2,05 M. für 1 Pfd.).
Infolge des großen Kartoffelmangels hat die Schweinezucht in Frankreich be-
deutend abgenommen. In den Departements Haute- Vienne, Creux und La Cor-
r^ze sind die Bestände auf die Hälfte zurückgegangen.
Ueber den Niedergang der französischen Landwirtschaft in der
Kriegszeit berichtet das preußische Statistische Landesamt in der „Stat. Korr.**.
Die französische Landwirtschaft war vor dem Kriege stolz darauf, daß sie die
troße ßrotgetreideeinfuhr von 1—2 Mill. t, wie sie in den 70er und 80er Jahren
es 19. Jahrhunderts bestand, nahezu völlig überflüssig gemacht hatte; Frank-
reich brauchte nur noch in Not- bzw. Mißerntejahren Brotgetreide einzuführen.
Während des Krieges ist jedoch infolge der Einberufungen landwirtschaftlich er-
werbstätiger Personen und der Pferdebeitreibungen ein derartiger Niedergang der
Landwirtschaft eingetreten, daß die französische Bevölkerung von einer ernst-
haften Not bedroht wird. Die Anbaufläche betrug nämhch bei
1914
1917
1000 ha
Weizen
6493
4207
Roggen
1179
810
Mengkorn
Brotkorn
IIQ
84
zusammen
7791
5101
Das ist also ein Rückgang der Anbaufläche um fast 35 v. H, Allerdings ist zu
beachten, daß in der angeführten Anbaufläche für 1917 die Flächen, die in den
von uns besetzten Teilen Frankreichs liegen, nicht mitenthalten sind ; doch dürfte
dieser Unterschied nur knapp 5 v. H. ausmachen, so daß ein Rückgang der
ßrotkornfläche von 30 v. H. Tatsache ist. Da nun die diesjährige Ernte nicht
gerade glänzend ist, muß auch Frankreich sich zur Einführung der Brotkarte
entschließen. Nicht viel besser als beim Brotgetreide steht es beim Hafer. Nur
bei den Kartoffeln ist der Rückgang der Anbaufläche geringer, diese hat sich von
1,5 auf 1,3 V. H. vermindert. Den Rückgang der Anbaufläche erklärt teilweise
der besonders mißliche Umstand, daß rund 30 v. H. der vorhandenen Arbeits-
pferde für das Heer in Anspruch genommen sind; ferner hat Frankreich den
Uebelstand des ungemein stark parzellierten Grundbesitzes, weil nämlich bei Erb-
teilungen fast immer in natura geteilt wurde. Naturgemäß ist die Bewirtschaftung
kleiner und kleinster Parzellen nur mit einem großen unproduktiven Arbeits-
aufwande möglich. Wenn also Frankreich anstatt der früheren (vor dem Kriege)
Getreideeinfuhr von ^I^—Vj.^ Mill. t 1916 bereits 4,9 Mill. t einführen mußti?, so
wird der Einfuhrbedarf im laufenden Erntejahr noch erheblich höher werden;
seine Befriedigung hängt davon ab, ob die deutschen U-Boote die Einfuhr zu-
lassen werden.
Nach dem „Corriere della Sera" vom 13. September kostete im August d. J.
der Doppelzentner amerikanisches Getreide in New York 50 frcs. Grold
(= 405 M. für die Tonne), in französischen Häfen kostete es 70 frcs. (= 567 M.
für die Tonne). Alles in allem kostet der Doppelzentner Getreide der italieni-
schen Regierung in Genua 120 Lire (= 972 M. für die Tonne), alsio das
Doppelte des Verkaufspreises an die Einwohner. Die Regierung hält es für richtig,
den Verkaufspreis auf 65 Cents = 43 cts. Gold zu erhalten. Die Zeitung ist
anderer Meinung. Man sollte ausländisches Getreide von den Leuten, die nach
ihrer Steuererklärung dazu imstande sind, mit 1,30 Lire für 1 kg bezahlen lassen.
Auf dem inneren Markt setzt der Staat 30 Mill. Lire zu, auf dem äußeren 1500
Mill. Lire, eine ungeheure Ziffer, die zu den übrigen Kriegskosten gerechnet
werden muß. Ein Teil dieser Kosten könnte jedenfalls auf die größeren Steuer-
zahler verteilt werden, die das Brot mit 1,20— 1,30 Lire für 1 kg bezahlen müßten
— 593 —
während man den Arbeitern und kleinen Leuten den Preis von 65 Cents weiter-
gewähren könnte.
Nach den „Financial Times" vom 30. August melden „Central News" aus
Washington unter dem 14. August: Die Erzeugung von mehr als 1 Milliarde
Busheis Weizen und mehr als 83 Mill. Busheis Koggen durch die Bestellung von
47 377 000 Acres mit Winterweizen und 5 131 000 Acres mit Roggen ist das nächste
landwirtschaftliche Kriegsprogramm der Vereinigten Staaten,
wie es der Landwirtschaftsminister Houston ankündigt. Diese noch nicht da-
fewesene Winter weizenanbaufläche (18 v. H. mehr als letztes Jahr) würde bei
Irreichung des 10 -jährigen Durchschnittsertrages 672 Mill. Busheis und bei
Wiederholung der günstigen Bedingungen von 1914 880 Mill. ergeben. In beiden
Fällen würde beim Hinzutreten einer Frühjahrsweizenernte wie der von 1915 die
Nation mehr als 1 Milliarde Busheis Weizen für eigenen Verbrauch und Ausfuhr
haben. Diese in jedem Falle nötige starke Vermehrung der Weizenerzeugung
wird sehr wesentlich sein, um im nächsten Sommer einen ernsten Brotgetreide-
mangel zu verhüten, für den Fall, daß der wachsende Mais, der im Rückstande
ist, durch die frühen Fröste stark leiden sollte. Das vom Landwirtschaftsminister
febilligte Programm ist das Ergebnis von Erwägungen der besten Köpfe im
Bundesland wirtschaftsamt und der Beamten der Einzelstaaten in ihren Land-
wirtschaftsämtern und Verteidigungsräten. Die Schätzungen sind, wie amtlich
erklärt wird, in dem Bewußtsein aufgestellt, daß die Versorgung mit Dünge-
mitteln etwas knapp ist, daß aber in der Versorgung mit Saatgut und Maschinen
keine allgemeine Knappheit herrschen wird. Es verlautet auch, daß für reich-
liche Beförderungsmöglichkeiten gesorgt und ein guter Weizenpreis festgesetzt
werden wird.
In den Vereinigten Staaten hat der Verwaltungsrat für die
Ausfuhr, um die notwendigsten Vorräte sicherzustellen, eine lange Liste der
Waren bekannt gegeben, deren Ausfuhr vollständig verboten ist, wofern der Ver-
sand nicht unmittelbaren Kriegszwecken dient. Die Liste führt auf: Weizen,
Mehl, Zucker, Butter, Baumwolle, Eisen und Stahl aller Art, viele Chemikalien
und einige andere Artikel. Hinzugefügt wird in der Bekanntmachung, daß be-
grenzte Mengen der erfaßten Artikel in gewissen anderen Fällen ausgeführt
werden können, wenn es ohne Nachteil für die Vereinigten Staaten geschehen
kann, oder wenn es für notwendige medizinische oder pharmazeutische Zwecke
erfolgt.
Die „Financial News" vom 27. August bringen zu dem bereits gemeldeten
argentinischen Gesetzentwurf noch die interessante Nachricht, daß auch
die Ausfuhr von Weizen und Mehl bis zum 1. Dezember 1917 verboten
werden soll. Im Zusammenhang mit dieser Sache dürfte auch stehen, daß der
argentinische Landwirtschaftsminister nach einer A. A.-Meldung aus Buenos Aires
vom 13. August laut „Financial News" vom 27. August schon jetzt eine vor-
läufige Schätzung der nächsten Ernte vorgenommen und veröffentlicht hat, „die
die Erzeuger als sehr gut bezeichnen". Die Schätzung lautet auf eine Weizen-
ernte von 6 475 000 t, eine Haferernte von 1467 000 und eine Leinsaaternte von
1059000 t.
Nach den neuesten Meldungen stellt sich die australische Weizenernte
für 1916/17 auf 151203503 Busheis. Einzelheiten gibt die nachstehende Tabelle:
Viktoria
Neu-Süd-Wales
Süd-Australia
West-Australia
Queensland
Tasmania
1916—17
Busheis
51 162438
3Ö 743 500
43830972
16 107 804
2 866 679
492 IIO
1915—16
Busheis
58532706
67323390
34 134504
18236355
414438
993 790
1914—15
Busheis
3 940 947
12830530
3527428
2624 190
I 585 087
384 220
Australien
151 203 503
179624183
24 892 402
Nach den Bestimmungen der Reichskartoffelstelle über die Kartoffelversorgung
im Wirtschaftsjahr 1917/18 werden die den Selbstversorgern zu belassenden Kar-
— 594 —
toffelmengen, wie folgt, berechnet: a) ein Fünftel des Ernteertrages zur
Deckung der zum Verfüttern freigegebenen Kartoffeln und der Verluste durch
Schwund, b) als Eigenbedarf des Kartoffelerzeugers und seiner Wirtschaftsange-
hörigen 57, Ztr. für den Kartoffelerzeuger und jeden seiner Wirtschaftsangehörigen,
c) der Saatgutbedarf in Höhe von 40 Ztr. für den Hektar der Kartoffelanbautläche
d) die für die landwirtschaftlichen Kartoffeln verarbeitenden Brennereien angezeigten
Kartoffelmengen, e) die für die landwirtschaftlichen Trocknereien und Stärkefabriken
einschließlich Genossenschaften und Gesellschaften zwecks Verarbeitung in diesen
Fabriken angebauten, der Reichskartoffelstelle angezeigten Kartoffeln. In einer
Anmerkung zu d) ist bestimmt, daß der Kartoffel menge der Brennereien ein Ver-
brauch von 18 Ztr. Kartoffeln für 1 Hektoliter reinen Alkohols und eine Brannt-
weinmenge von 90 Hundertteilen des allgemeinen Durchschnittsbrandes der Brenne-
reien zugrunde gelegt ist.
Die praktische Bedeutung der Bestimmung geht dahin, daß den Brenne-
reien, soweit deren Besitzer Kartoffeln selbst erzeugen, zur Verarbeitung auf
Spiritus für jedes Hektoliter 18 Ztr. Kartoffeln freizulassen sind und daß die Ab-
sicht besteht, den Durchschnittsbrand für das Betriebsjahr 1917; 18 auf 90 Hundert-
teile des Durchschnittsbrandes festzusetzen. Die behördliche Entscheidung hierüber
wird nicht mehr lange auf sich warten lassen, damit die Brennereiwirtschaften
in ihrer Bewegungsfreiheit nicht in unwirtschaftlicher Weise behindert werden.
Gemäß den Bestimmungen der Reichskartoffelstelle für die Kartoffel-
versorgung im Wirtschaftsjahr 1917/18 vom 25. August 1917 sind im Interesse
einer raschen Durchführung der Winterein deckung für jeden in der Zeit vom
15. September 1917 bis 15. Dezember 1917 einschließlich zur Verladung gebrachten
Zentner Kartoffeln folgende Zuschläge zu gewähren: 1 eine Schnelligkeits-
prämie von 50 Pfg., 2. für die Verbringung der Kartoffeln vom Hof des Erzeugers
bis zur Verladestelle oder zum Keller des Verbrauchers eine Ausfuhrprämie nach
folgenden Sätzen: a) bei einer Entfernung von mehr als 3 bis 7 km 10 Pfg.,
b) bei einer Entfernung von mehr als 7 bis 10 km 20 Pfg. und c) bei einer Ent-
fernung von mehr als 10 km 30 Pfg. Als Verladestelle gilt der Güterbahnhof,
bei Schiffsverladung die Anlegestelle des Kahns.
Im Reichstage ist von sozialdemokratischer Seite über die Kartoffel-
preise folgende Anfrage gestellt: „In der allgemeinen Preisausgleichs Verordnung
vom März d. J. ist ein Reichskartoffelpreis von 5 M. vorgesehen, mit der Maß-
gabe, daß die Pro vinzialkartof felsteilen ihn mit Zustimmung der Reichskartoffel-
stelle auf 6 M. erhöhen können. In allen Stadien der Verhandlungen ist durch
die Vertretung der Reichsregierung erklärt worden, daß der Preis, insoweit er
5 M. übersteige, nur für die Bezirke in Frage kommen solle, in denen im Frieden
ein höherer Erzeugerpreis als derjenige im Reichsdurchschnitt üblich gewesen sei.
Insbesondere wurde erklärt, daß dieser Preis nur für den Westen und eventuell
für einige südliche Bezirke in Betracht komme. Nun haben die Provinzial-
kartoffelötellen in Westfalen einen Kartoffelpreis von 5,50 M., Hannover und
Bayern einen solchen von 5 M. festgesetzt, während für die Provinzen Pommern
und Brandenburg, in denen der Kartoffelpreis nie den des Reichsdurchschnitts
überstieg, ein Kartoffelpreis von 6 M. festgesetzt worden ist. Der Kartoffelpreis
in diesen beiden Provinzen steht im striktesten Gegensatz zu den Erklärungen
der Reichsregierung bei Schaffung der Preisausgleichsverordnung. Was gedenkt
der Herr Reichskanzler zu tun, um die allgemeine Preisausgleichsverordnung im
Sinne der Gesetzgeber durchzuführen ?"
Von einem Mitglied der Zentrumspartei wurde folgende Anfrage gestellt:
„In der Rheinprovinz ist der Höchstpreis für den Zentner Kartoffeln laut amt-
licher Bekanntmachungen auf 6 M. festgesetzt. Dazu kommt eine Vermittlungs-
gebühr von 25 Pfg. Außerdem ist in der Zeit vom 15. September 1917 bis 15. De-
zember 1917 eine Schnelligkeitsprämie von 50 Pfg. für den Zentner zu zahlen.
Schließlich muß für jeden in derselben Zeit zur Verladung gelangenden Zentner
Kartoffeln eine Anfuhrprämie von 5 Pfg. für jeden angefangenen Kilometer ge-
zahlt werden, so daß beispielsweise im Kreise Ottweiler der Preis für die von
außerhalb des Kreises eingeführten Kartoffeln für den Verbraucher — gemäß
Bekanntmachung des Landrats vom 15. September 1917 - auf 8,50 M. ab Bahn-
hof und auf 8,75 M. bei freier Lieferung ins Haus zu stehen kommt. Ist dem
Herrn Reichskanzler bekannt, daß diese Preise es der minderbemittelten Be-
- 595 -
▼ölkerung unmöglich machen, sich mit dem für sie notwendigsten Nahrungsmittel
zu versehen? Was gedenkt der Herr Keichskanzler zutun, ohne dabei berechtigte
Interessen der KartotleJerzeuger zu schädigen, den ärmeren Volkskreisen die
Möglichkeit zu geben, sich die zu ihrem Lebensunterhalte notwendigen Kartoffel-
mengen zu beschatten?"
Die Preisberichtsstelle des Deutschen Landwirtschaftsrats bemerkt dazu :
Es würde für die Kartoffelversorgung nach Neujahr und im nächsten Früh-
jahr von verhängnisvoller Wirkung sein, wenn der Grundpreis allgemiein auf
5 M. herabgesetzt werden würde. Wir haben bereits im Frühjahr auf die un-
glückliche Bestimmung hingewiesen, daß es in das Belieben der Zentralbehörden
gestellt werden soll, den Grundpreis von 5 M. auf 6 M. zu erhöhen. Es war
schon damals vorauszusehen, daß eine solche Bestimmung zu vielfach schlechten
Zuständen führen müßte.
Der Staatssekretär des Kriegsernährungsamtes hat durch eine Verfügung
an die Teka vom 22. September genehmigt, daß auch in gewerblichen Trock-
nereien und Stärkefabriken Kartoffeln verarbeitet werden. In welchem
Umfange die Verarbeitung von Kartoffeln in diesen Betrieben erfolgen darf, be-
stimmt die Eeichskartoffelstelle.
Zwischen der Bergwerk öbehörde des Saargebietes und den Bergarbeiterver-
bänden ist vereinbart, daß vom 1. Oktober ab der Durchschnittslohn der
Hauer, einschließlich Kindergeld, bei normaler Leistung 10,50 M betragen solle.
Die Löhne der anderen Arbeiter werden entsprechend erhöht. Der Vorsitzende
der Bergwerksdirektion war beim Handelsminister dahin vorstellig geworden, daß
den Bergarbeitern, solange der Kartoffelpreis nicht um eine Mark für den
Zentner ermäßigt werde, der Zusatz von einer Mark auf den Zentner gekaufter
Kartoffeln zu gewähren sei.
Nach der Bekanntmachung der Eeichsgetreidestelle vom 26. September ist
für die Versorgung der Brennereien mit Gerste für das Betriebsjahr
1917,18 eine besondere Gersten Verteilungsstelle der Spirituszentrale G.m.b.H. in
Berlin W. 50, Tauentzienstraße 10, eingerichtet. Brennereien, die im eigenen
landwirtschaftlichen Betriebe genügend Gerste zur Herstellung ihres Durchschnitts-
brandes geerntet haben, sowie Gesellschafts- oder Genossenschaftsbrennereien, die
die zur Herstellung des Durchschnittsbrandes erforderlichen Gerstenmengen aus
der Ernte ihrer Gesellschafter oder Genossenschafter entnehmen können, werden
auf Antrag die erforderlichen Gerstenmengen eigener Ernte freigegeben werden.
Brennereien, die die ertorderliche Gerste nicht aus eigener Ernte entnehmen können,
liefert die (Teschäftsabteilung der Eeichsgetreidestelle die Gerste durch Vermittlung
der Gersten Verteilungsstelle der Spirituszentrale. Der Preis für die Brenngerste
wird auf 452 M. zuzüglich 3 M. Geschäftsunkosten der Gersten Verteilungsstelle
der Spirituszentrale fentgesetzt. Brennereien, die selbstgeerntete Gerste verarbeiten,
haben den Unterschied zwischen diesem Preis und dem Höchstpreis zuzüglich
Druschprämie für Gerste durch die Gerstenverteilungsstelle der Spirituszeutrale
an die Eeichsgetreidestelle abzuführen. Mit der Verarbeitung darf nicht begonnen
werden, bevor die Gerste den Brennereien durch die Gersten Verteilungsstelle der
ßpirituszentrale ausdrücklich zugeteilt worden ist. Den Brennereien werden in
den nächsten Tagen die erforderlichen Formulare zur Stellung der Anträge auf
Freigabe oder Lieferung von Gerste von der Gersten verteilungssteile der Spiritus-
zentrale zugehen. Hafer und Gemenge von Hafer und Gerste kann für
das neue Betriebsjahr zu Brennereizwecken nicht freigegeben werden Brennereien,
die nicht genügend Gerste zur Herstellung ihres Durchschnittsbrandes im eigenen
Betriebe geerntet haben, sind daher auf die Belieferung durch die Eeichsgetreide-
stelle angewiesen.
Weil die endgültige Neuregelung des Verkehrs mitZucker im Betriebs-
jahre 1917/18 nicht mehr vor dem 1. Oktober erfolgen kann, hat der Staatssekretär
des Kriegsernährungsamtes eine Zwischenverordnung dahin erlassen, daß das
geltende Zuckerrecht bis auf weiteres auch für das neue Zuckerbetriebsjahr zu
gelten hat. Der Verbrauchszucker, der nach dem 30. September geliefert wird,
soll nach dem Preise des neuen Jahres, der etwa Mitte Oktober veröffentlicht
werden wird, bezahlt werden. Soweit Kommunal verbänden noch Zucker für
Oktober zu liefern ist, bleibt es bei dem alten Preise.
— 596 -
Da mit Rücksicht auf die Kohlenknappheit die Verarbeitung aller Rüben
auf Zucker voraussichtlich nicht möglich sein wird, wird es von großer Bedeutung
sein, die Zuckerrüben in größerer Menge zur Verfütterung zuzulassen.
Der Verein der „Deutschen Zuckerindustrie" schlägt deshalb vor, daß insgesamt
45 Proz. der um 15 Proz. gekürzten voraussichtlichen Erzeugung, innerhalb der
ersten drei Monate, vom Beginn der Rüben Verarbeitung jeder einzelnen Rohzucker-
fabrik an gerechnet, abgenommen werden müssen. Da zahlreiche Fälle eintreten
dürften, in denen eine Trocknung der Rüben entweder zugelassen oder angeordnet
werden muß, erscheint es billig, daß den Landwirten auf die frisch gelieferten
Rüben 5 Proz. (richtiger wären 25 Proz.) Trockengut für die eigene Wirtschaft
als Futtermittel zurückgeliefert werden. Es ist nur begreiflich, daß, wenn die
Landwirte gezwungen werden, ihre Rüben zu obigen Zwecken abzuliefern, sie
wenigstens den Teil des Trockengutes zurückerhalten müssen, der den infolge
von NichtVerarbeitung auf Zucker ausgefallenen Schnitzelmengen entspricht.
Für die getrockneten Zuckerrüben wird von sachverständiger Seite aus ein Preis
von 24 M. für den Zentner als angemessen erachtet.
Nach einer Antwort auf eine Anfrage im Reichstage ist die Verwendung
von natürlichem oder künstlichem Honig zur Bierbereitung nach den in
den verschiedenen deutschen Brausteuergebieten geltenden gesetzlichen Vorschriften
über die zur Bierbereitung zuiässiecen Stoffe verboten. Diese Vorschriften sind
den Brauern wohlbekannt; ihre Einhaltung wird von den Steuerbehörden über-
wacht. Bestrebungen deutscher Brauereien, zur Verwendung von Honig zur
Bierbereitung überzugehen, und hiervon eine Ausnahme von dem gesetzlichen
Verbot zu erwirken, sind bisher nicht bekannt geworden.
Nach einer Entscheidung des Kriegsernährungsamtes vom 10. September
ist die Verfütterung von Mastfutter in Form von Hafer, Gerste oder Ge-
menge an Schweine verboten. Auch für Schlachtrinder kommt eine Mast mit
Körnerkraftfutter nicht in Frage. Es ist deshalb ausgeschlossen, daß die Vieh-
preise für besonders fette Tiere nach oben erhöht werden. Die Schweinepreise
liegen bis 30. November nach der Verordnung vom 15. September 1917 fest und
zwar mit einem einheitlichen Höchstpreis, der die obere Grenze für alle Ge-
wichtsklassen bildet.
Nach einer Bekanntmachung der bayrischen Fleischversorgfungsstelle
vom 21. September findet beim Verkauf von Zucht- und Nutzvieh die
Preisfestsetzung auf dem Wege der freien Vereinbarung statt. Beim Ver-
kauf von Zugochsen, Kühen und Kalbinnen inländischer Herkunft dürfen je-
doch folgende Preise für den Zentner Lebendgewicht nicht überschritten werden:
a) Für Zugochsen 90 M., für Ochsen, für die an der Abnahmestelle ein Zuschlag
von 5 M. für je 50 kg gewährt wurde, und die mit Genehmigung der Fleisch-
versorgungsstelle als Zugochsen an bayrische Landwirte, gewerbliche Betriebe, zu-
gelassene Zucht- und Nutzviehvermittler usw. abgegeben werden, darf dieser Zu-
schlag bei der Weitergabe an den Landwirt usw. ebenfalls erhoben werden, b) Für
Milchkühe (ohne Kalb) 90 M., für Milchkühe (ohne Kalb) mit einer zugesicherten
Tagesleistung von 10 1 Milch und darüber, darf beim Verkauf zum Kaufpreis ein
Zuschlag bis zu 25 M. für den Zentner Lebendgewicht gewährt werden, c) Für er-
kennbar trächtige (kälbergriffige) Kühe und erkennbar trächtige (kälbergriffige)
Kalbinnen 90 M. Bei diesen Tieren (c) darf beim Verkauf zum Kaufpreis ein
Zuschlag bis zu 150 M. für das Stück gewährt werden. Der Verkauf der ange-
führten Tiere darf nur nach Lebendgewicht erfolgen. Der Kauf über Kopf ist
verboten. Die bayrische Fleischversorgungsstelle kann Ausnahmen zulassen.
Durch Bekanntmachung des Großherzoglich Hessischen Ministeriums
des Innern vom 15. September wird das Verbot des Schlachten s und des
Verkaufs weiblicher zur Nachzucht geeigneter Kälber für die Zeit bis zum
1. März 1918 aufgehoben.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 27. September beschlossen, daß
am 15 Oktober d. J. im Deutschen Reiche eine Zählung der Schweine
vorzunehmen ist. Diese besondere Schweinezwischenzählung noch vor der am
1. Dezember d. J. stattfindenden Viehz wischen Zählung durchzuführen, erscheint
dadurch geboten, daß über den Erfolg der gegenwärtig in Wirksamkeit stehenden
Maßnahmen, die zu einer stärkeren Abschlachtung von Schweinen führen sollen,
noch vor Eintritt der Winterzeit Klarheit gewonnen werden muß. Die gedachten
— 597 —
Maßnahmen sollen unseren Schweinebestand mit den zur Verfügung stehenden
Futtermitteln in Einklang bringen, andererseits den Bestand aber auch nicht
unter ein gewisses, für die Versorgung notwendig erachtetes Maß herabdrücken.
Würde sich durch die SchweinezähluDg am 15. Oktober herausstellen, daß in der
einen oder anderen Richtung die gegenwärtigen Maßnahmen den erwünschten Erfolg
bringen, so sollen sie noch rechtzeitig abgeändert und ergänzt werden können.
Die vom Kriegsausschuß für Oele und Fette vorgenommene Untersuchung
von Tomaten kernen ergab einen Oelgehalt von 20—24 Proz. bei 9,1 Proz.
Wasser- und 4,0 Proz. Stickstoff. Dennoch ist die Heranziehung der Tomatenkerne
zur Oelgewinnung mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Die in den Haushaltungen
verwandten Tomaten dienen bekanntlich mitsamt den Kernen als wohlschmeckendes
Nahrungsmittel in mannigfachster Zubereitung. Die in den Kernen enthaltenen
Nährwerte gehen somit unserer Ernährungsbilanz nicht verloren (?). Auch in den
Konservenfabriken werden die ganzen Tomaten ohne Ausscheiden der Kerne auf
Nahrungsmittel verarbeitet; wo dies nicht der Fall ist, hat der Kriegsausschuß
für ein Erfassen der Tomatenkerne im Interesse unserer Oelbilanz Sorge getragen.
Dies geschah nicht allein in der Heimat, sondern auch in den besetzten Gebieten,
insbesondere auch in Rumänien, woselbst die Kerne auf Veranlassung des Kriegs-
ausschusses mit Rücksicht auf ihre leichte Verderblichkeit an Ort und Stelle auf
Oel mittels Extraktion verarbeitet werden. Das gewonnene Oel wird der heimi-
schen Wirtschaft zugeführt.
Die Bezugs Vereinigung der deutschen Landwirte G. m. b. H. Berlin W. 35,
Potsdamerstraße 30, macht bekannt, daß sie grünes Kartoffelkraut ge-
trocknet und getrocknete Rübenblätter zum Preise von 300 M. für
1000 kg ohne Sack waggonfrei Verladestation übernimmt. Die näheren Bedingungen
sind in einem Rundschreiben enthalten, welches bei der Bezugs Vereinigung jeder-
zeit eingefordert werden kann.
Nach der „Revue" soll die Zahl der von der Schweiz zur Getreideein-
fuhr aus den Vereinigten Staaten zu charternden Schiffe in der Regel
elf betragen, was einem Kontingent der Schweiz von 55 000 t entspricht. Im
Monat September konnten jedoch nur acht gechartert werden. Die Eidgenossen-
schaft ist ermächtigt worden, an Stelle des nicht erhältlichen Weizens Malz und
Hafer einzuführen; drei solcher Schiffsladungen sind nach Cette unterwegs; die
übrigen fünf laden zurzeit Hafer, Oelkuchen und Gerste und werden ebenfalls
in einigen Tagen nach Europa absegeln. Die von den Vereinigten Staaten ge-
troffenen Maßnahmen lassen für den Monat Oktober die Entsendung der zustehen-
den Schiffsladungen nicht zu. Dafür hofft man, in Argentinien zwei Schiffe mit
Mais befrachten zu können. Außerdem glaubt man zu der Erwartung berechtigt
zu sein, daß im Monat November die Weizen zufuhr wieder einsetzt und so die
rasch schwindenden Vorräte wieder ergänzt werden können.
In der Schweiz hat das MUitärdepartement bestimmt, daß die landwirt-
schaftlich tätigen Personen nur im Sommer Zusatzkarten als Schwer-
arbeiter erhalten. Der schweizerische Bauernverband verlangt in einer Eingabe,
daß die Viehwärter und alle regelmäßig im Freien arbeitenden Personen der
Land- und Forstwirtschaft auch im Winter als Schwerarbeiter behandelt werden.
Es wäre ganz unbegreiflich, Leuten, die schon morgens um 4 und 5 Uhr im Stall
stehen, und gar solchen, die in harter Winterkälte draußen Holz fällen, die Wohl-
tat der Zusatzbrotmarke zu versagen. Der Bauernverband hat in einer weiteren
Eingabe die Behörden auf die schweren Verluste hingewiesen, welche der jüngst
durch amtliche Maßnahmen verstärkte Sturz der Viehpreise der Landwirtschaft
zufügt. Namentlich wird die Lage vieler Kleinbauern kritisch, da manche im
Frühjahr teures Magervieh gekauft haben und jetzt die fetten Tiere billiger, als
sie mager gekauft worden waren, absetzen müssen.
Das Volks Wirtschaftsdepartement in der Schweiz hat die Ausfuhr in-
ländischer Weine bis auf weiteres verboten und wird dieselbe später in die
Hand des Bundes oder doch unter seine genaue Aufsicht stellen. Dagegen hat
das Departement der Forderung, für inländische Weine Höchstpreise zu erlassen,
nicht Folge gegeben.
In der Schweiz verbleiben dem Erzeuger von Hafer 50 v. H., nachdem
für das Pferd 800 kg verrechnet worden sind, und von der Gerste 60 v. H.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XL
- 598 -
der Ernte, doch darf der liest nicht an beliebige Abnehmer verkauft werden^
wenn der Erzeuger im eigenen Haushalt oder im eigenen Betrieb dafür keine
Verwendung hat, so ist dieser Rest der Gemeinde zu Händen der Inlandgetreide-
stelle zur Verfügung zu halten. Bei dem Erwerb von solchem Hafer und solcher
Gerste werden 610 Ircs. für die Tonne Hafer (= 494,10 M.) und 630 frcs. für die
Tonne Gerste (= 510,30 M.) durch die Inlanasgetreidestelle bezahlt werden.
In Schweden sagte in einer gemeinsamen Sitzung des Haushaltsausschusses
mit Vertretern der Lebensmittelämter der schwedische Landwirtschaftsminister
Dahlberg über die Lage der Volksernährung, man müsse mit Sorgen in
die Zukunft sehen, da der kommende Winter sicher viel schwerer werde als der
vorige ; man werde den Bedarf an Holz und Beleuchtungsmaterial nicht befriedigen
können. Der Vorrat an Getreide entspreche 50 Proz. des normalen Verbrauches,
der an Futtermitteln nur 40 Proz. Trotzdem bestehe Hoffnung, daß man bei
streng durchgeführter Einteilung über die wichtigsten Bedarfsartikel verfügen
werde. Außerdem müsse man wohl für Butter und Milch Höchstpreise einführen.
Im übrigen forderte der Landwirtschaftsminister aUe Klassen auf, an der Ver-
sorgung des ganzen Volkes nach Kräften mitzuarbeiten, da sonst das schwere
Werk nicht gelingen könne.
Nach der „Frederiksborg Amtstiden de" vom 21. September ist vom 24. Sep-
tember ab in Dänemark die Vermahlung von Grütze jeder Art nur mit
Erlaubnis des Nahrungsmittelausschusses gestattet. Der Höchstpreis in Gere
für 1 kg Gerstengrütze wird, wie folgt, festgesetzt beim Verkauf: a) vom Müller
an einen Großhändler, b) an Kleinhändler in Posten von 50 kg und darüber,
c) an Kleinhändler in Posten unter 50 kg, d) von Kleinhändlern an Verbraucher
von 2 kg und mehr, e) von Kleinhändlern an Verbraucher unter 2 kg.
Art
a
b
c
d
e
feine
36
40
41
47
48
mittelfeine und grobe
34
38
39
45
46
gewalzte
38
43
43
50
50
„Smör Tidende" vom 21. September berichtet: Die dänische Ausfuhr-
menge an Butter geht Woche für Woche zurück, und man kann mit Sicher-
heit annehmen, daß zurzeit weniger als die Hälfte der Buttermenge, die unter
gewöhnlichen Verhältnissen in dieser Zeit des Jahres ausgeführt zu werden pflegt,
zur Verschiffung kommt. Auf dem Lande beabsichtigt man sogar, den Betrieb
der Meiereien auf jeden zweiten Tag zu beschränken, teils wegen der geringeren
Milchmenge, besonders aber auch, um Kohlen und Fuhrgeld zu sparen, die, wie
alle anderen Dinge, sich bedeutend verteuert haben.
Die „World" vom 4. September enthält eine überaus ernste Schilderung der
schwierigen Lebensmittelversorgung Englands. Sie schreibt: „Selbst
wenn wir einen verhältnismäßig schönen September bekommen, ist es nicht mög-
lich, auf mehr als die halbe Ernte an Weizen zu rechnen, die wir erwartet hatten.
In normalen Jahren sind ungefähr 6 Mill. Quarters oder nahezu 20 v. H. des
ganzen Betrages, den wir brauchen, im Lande gewachsener Weizen. Allerdings
steigt die ganze Ernte des Vereinigten Königreichs im Durchschnitt auf etwa
1 Million höher; aber es muß dann ein wesentlicher Abzug gemacht werden für
Getreide, das sich nicht zum Mahlen eignet, oder das als Saatgut und für andere
landwirtschaftliche Zwecke gebraucht wird. Trotz aller unserer Anstrengungen
ist es nicht wahrscheinlich, daß wir dieses Jahr viel mehr als 3 Mül. Quarters
Weizen für den menschlichen Verbrauch erzeugen werden, und das ist gerade
ein Zehntel der Menge, die wir benötigen. In derselben Weise werden auch
Gerste und Hafer leiden." An anderer Stelle schreibt die „World": ,.Wird das
Publikum nicht beizeiten gewarnt, so könnten wir uns in einen sehr gefährlichen
Zustand von ganz unberechtigter Sicherheit einlullen. Daß die Mängel einer
schlechten Ernte gutgemacht werden können durch die Ankündigung, daß
Deutschland argentinischen Schiffen, die unter ihrer eigenen Flagge
segeln und Lebensmittel führen, freien Durchlaß (I?) gewähren will, werden
manche bestreiten."
Der englische „Economist" vom 8. September bringt einen vom Land-
wirtschaf tsamt herausgegebenen Bericht von T. H. Middleton über die mit An-
— 599 —
bau auf umgebroclienem Weideland in diesem Jahre in England und
Wales erzielten Erfolge und erklärt diese für ermutigend und bedeutungsvoll in
Anbetracht der für 1918 geplanten Vermehrung des Ackerlandes um 2 Mill.
Acres. Auf seine Umfrage über die auf neu umgebrochenen Boden erzielten Er-
gebnisse erhielt das Amt 300 Berichte aus 35 Grafschaften. Erfolge wurden er-
zielt mit Hafer, Weizen, Gerste, Erbsen, Bohnen, Kartoffeln, Mangold wurzeln,
Senf, Eüben, Eaps und Leinsaat. Auf jeden gemeldeten Fehlschlag kamen 4 Er-
folge, und das ist bei der mangelnden Vertrautheit vieler Landwirte mit der Auf-
gabe und bei dem Fehlen gelernter Arbeitskräfte, ohne die man sich doch be-
helfen mußte, viel zufriedenstellender, als zu erwarten war. Wenn die Landwirte
Middletons ßatschläge beachten, sollten die Fehlschlage nächstes Jahr weniger
als die diesmaligen, 25 v. H , ausmachen.
Der englische „Economist" vom 25. August schreibt: „Ein endgültiger
Schritt in der Richtung billiger Versorgung mit Oelkuchenviehf utter
ist durch den Ankauf der ganzen ägyptischen Ernte an Baumwollsaat durch die
Regierung getan. Laut Nachrichten aus Alexandria wird die Saat zu etwas unter
9 £ die Tonne (fob) für die Ausfuhr verfügbar sein, und zwar vermutlich
im umfange von mindestens 300 000 t. Das würde eine beträchtliche Menge von
Rohstoff für die englischen Oelmühlen darstellen. In den ersten 11 Monaten des
Getreidejahres, das am 31. August zu Ende geht, sind nur 272 000 t Baumwoll-
saat aus allen Ländern eingeführt worden, gegen 363 000 t 1915, 16 und 447 000 t
1914/15. Man darf annehmen, daß sich der Beschaffung des nötigen Schiffs-
raums unüberwindliche Hindernisse nicht entgegenstellen. Der Nahrungmittel-
diktator rechnet darauf, den Oelkuchen 3— 4 £ unter dem jetzigen Tonnenpreise,
der löVa ^ beträgt, liefern zu können. Die auf diese Weise beschafften Futter-
mengen werden aber nicht ausreichen, um den Ausfall an Leinsaatkuchen wett-
zumachen, der notwendigerweise andauern muß, solange die Ausfuhr von Lein-
saat aus Indien, Argentinien und anderswo durch (fie Euiappheit des Schiffs-
raumes für längere Reisen so sehr eingeengt ist.
Nach den „Times" vom 18. September bemerkte in einer vom Verband der
Fleischhändler einberufenen Versammlung ein Teilnehmer: Bisher seien in
England über 4000 Fleischereien geschlossen worden. Eine Firma,
welche 1300 Geschäfte betrieben habe, habe 495 schließen müssen.
In der zweiten Nummer des Amtsblattes des englischen Lebensmittel-
amtes schreibt Rhondda : „Unsere Mindestbedürfnisse an Lebensmitteln
aus den Vereinigten Staaten und Kanada während der kommenden
12 Monate betragen über 10 Mill. t im Werte von 250 Mill. £, ausschließlich der
Frachtkosten, oder 3—4 Mill. $ täglich. In der Hauptsache handelt es sich dabei
um Getreide, Schweineprodukte, Zucker und Fleisch."
Nach der vorläufigen Schätzung des französischen Land Wirtschafts-
ministers wird sich die französische Getreideernte auf 397a ^^^- 2*^- ^^'
laufen, was nicht einmal der Hälfte einer Durchschnittsernte entspricht.
Unter dem 13. September hat in Frankreich der Verpflegungsminister
angeordnet, daß die Höchstpreise für Bohnen der Ernte 1917 beim Ankauf
beim Erzeuger nicht übersteigen dürfen : 140 frcs. (== 113,40 M.) für weiße Bohnen,
160 frcs. (= 129,60 M.) für Bohnen bester Qualität für den Doppelzentner.
Nach den Ausführungen des Versorgungsministers Long vom "9. September
1917 müsse man in Frankreich für 1918 beim Getreide mit einem Ausfall
von 50 Proz. rechnen; man werde einen gemeinsamen Einkaufsausschuß der
Alliierten bilden, um einen Wettbewerb auf dem amerikanischen Markte zu ver-
hindern. Zur Beschaffung von Schiffsraum habe ein Erlaß alle für Frankreich
laufenden französischen, fdliierten und neutralen Schiffe für den Staat gesichert
und Schiffahrtswege und Frachtsätze bestimmt. Da strenge Sparsamkeit nötig
sei, werde er kräftig gegen jede Vergeudung vorgehen. Die Mißstände bei der
Zuckerverteilung wolle er abstellen: er schlage vor, die monatliche Kopf-
menge von 750 auf 500 g herabzusetzen. Zu den Klagen über schlechtes Brot
erklärte der Minister, die Ausbeutelung des Getreides sei nicht schuld daran, er
werde auf Grund der Brotkarte, die Kindern bis zu 6 Jahren 300, allen übrigen
500 g und den Schwerarbeitern eine Zulage von 200 g sichere, eine genaue Ver-
brauchsaufnahme vornehmen lassen ; er beabsichtige, das Brot zu verbesäern, aber
XL*
— 6oo —
die Kopf menge herabzusetzen. Vom 15. Oktober an sollten die beiden fleisch-
losen Tage fortfallen.
Carlo öacchi schreibt in einem Aufsatz im „Sole" (Italien) vom 15. Sep-
tember, in dem er die inzwischen eingeführte ßrotrationierung empfiehlt:
„Schon sind fast 3 Monate seit der neuen Ernte verflossen, und man kann an-
nehmen, daß bereits 15 Mill. dz davon verbraucht sind. Wenn bis zum 1. Ok-
tober das Brot nicht rationiert wird und man nicht eine Mischung des Weizens
mit einem Drittel Mais, Reis und Kartoffeln vornimmt, so werden wir uns bei
Winterschluß in schwerer Bedrängnis befinden."
Nach „Nowoje Wremja" vom 8 September berichtet Professor Possnikow
als Vorsitzender des Hauptagrarausschusses bei der Eröffnung der dritten Tagung
dieser Behörde, daß die Verschuldung des russischen Grundbesitzes
an Hypothekenbanken sich auf 272 Milliarden Rbl. beläuft. Der Zinsendienst er-
fordert 120 Mill. Rbl. jährlich. Davon sind bisher aber nur 20 Mill. eingegangen,
und da die Staatskasse für diese Zahlungen haftet, muß sie die fehlenden 100
Mill. Rbl. zuzahlen, womit ihr eine außerordentlich schwere Last auferlegt wird.
Ein Melbourner Brief vom 13. Juli im „Economist" vom 15. September
berichtet über eine Rede von Hughes im australischen Bundesparlament vom
12. Juli, worin er nach Mitteilungen über den Ankauf der neuen Woll-
schur durch die englische Regierung, die sie nach Abnahme wie bisher — ohne
Rücksicht auf die Verschiffung — mit 90 v. H. bezahlt, sehr unerfreulichen Auf-
schluß über die Verschiffungsschwierigkeiten im aligemeinen gab. Von
der Schiffsraumknappheit sprechend, erwähnte er, daß „eine der Vertragsbe-
dingungen mit der englischen Regierung war, daß sie jeden Monat 600000 Busheis
australischen Weizen befördern sollte. Während des Monats Juni aber wurde
nicht ein Bushel australischen Weizens nach England verschifft". Nicht nur ist
eine große Menge von Weizen in Australien verblieben, ohne verschifft zu werden,
sondern in den Kühlhäusern hat sich auch eine große Menge von Gefrierfleisch
angehäuft; sie sind „bis zum Rande gefüllt", so daß die Viehzüchter für einige
Zeit ihre Herden auf den Beinen halten müssen. Dazu kommt noch, daß die
Aussichten für Butterverschiffungen — die in gewöhnlichen Zeiten mit
den Postdampfern erfolgt, entschieden ungewiß ist. Zurzeit sind in Australien
Frachten von verschiedener Art angehäuft, die für 15 Dampfer mit Gefrierein-
richtungen und für 548 allgemeine Frachtdarapfer ausreichen würde. Hundert-
tausende von Ballen Wolle füllen jetzt die Lager, und die nächste Schur wird
noch mehr Raum beanspruchen. Nächsten Februar, wenn die Ernte eingebracht
ist, werden, so berechnet man, wenn sich nicht eine andere Absatzmöglichkeit ergibt,
nicht weniger als 600 Mill. Busheis Weizen einschließlich der aus der letzten Ernte
verbleibenden Ueberschüsse vorhanden sein. Auch vom finanziellen Standpunkt ist
es wahrscheinlich, daß die Verschiffungsschwierigkeiten bemerkbaren Einfluß haben
werden, und das trotz der durch den Wollankauf gewährten Erleichterung.
„Yorkshire Post" vom 12. September schreibt: „Man drängt darauf, die
australischen Weizen Verschiffungen über die Vereinigten Staaten zu leiten.
Auch wird vorgeschlagen, Stapelplätze an verschiedenen Plätzen einzurichten, wo
die Fahrzeuge mit Sicherheit ihre Ladung landen können, um dann wegen weiterer
Ladung zurückzukehen. Schnelle bewaffnete Dampfer könnten dann das Gre-
treide nach den europäischen Bestimmungsorten bringen. Auf diese Weise könnte
die Inanspruchnahme einer großen Zahl langsamerer Dampfer vermieden werden,
die einem Unterseebootangriff leichter zum Opfer fallen.
Weltmarkt.
Getreidepreise in Mark für 1000 kg,
für amerikanische Märkte umgerechnet nach dem Friedenskurs 1 $ =^ 4,20 M.,
für London umgerechnet nach dem Friedenskurs 1 £ = 20,50 M.
29. September 22. September
C«
f. 1 J
New York;
Cents
f. 1 Bushel
M.
M.
Weizen: Hardwinter Nr. 2
228
35».8o
351,80
Roggen loko Nr. 2
—
305,50
Hafer white clipped
—
—
161,50
Mais Nr. 2
2l8
360,45
372,05
6oi
29. September 22
. September
Cents
f. 1 Bushel
M.
M.
Chicago : Mais : per Dezember
118V4
196,35
194,90
,. „ Mai
"57*
191,40
190,15
Hafer: per September
61
141,25
136,90
„ „ Dezember
58V8
134,55
133,15
Roggen : loko
293,55
Minneapolis: Weizen: per September
—
—
334,80
Winnipeg: „ Manitoba Nr. 1
—
—
341,—
Wöchentliche englische „Farmers' Deliveries".
Durchschnittspreise für inländischen Weizen.
London, 22. September 1917. Diese Woche
Vorige Woche
sh
M.
sh
M.
70/.8
317,15
70/.0
314,^5
entsprechende Wochen in den Vorjahren :
1916 59/.4
266,25
1915 43/.3
194,10
Buenos Aires, 13. September 1917.
Diese Woche
Vorige Woche
Pesos M.
Pesos
M.
für 100 kg Friedenskurs
für 100 kg
Friedenskurs
(1,78)
Weizen — —
—
—
Mais 8,85 157,55
9,85
159,80
Hafer ö,05 107,70
6,95
123,70
Sichtbare Vorräte in den Vereinigten Staaten und Kanada,
in Tonnen 22./9. 1917 15./9. 1917 Zu- bezw. Abnahme 23./9. 1916
Weizen i. d. Ver. St. — — — i 669 000
in Kanada 138 ooö 53000 + 85000 303000
Zusammen
Mais
46 000
Bradstreets Statistik (in 1000 t)
Naohweisl. Vorrat an Weizen in den
Vereinigten Staaten und Kanada
östl. des Felsengebirges
Nachweisl. Vorrat an Mais in den Ver-
einigten Staaten und Kanada östl.
des Felsengebirges
—
—
I 972000
6000
+ 20000
114 000
15./9. 1917
8.|9. 1917
16./9. 1916
509
62
45
:;6
2378
68
136
Internationales Landwirtschaftliches Institut in Born.
Schätzung der Ernte 1917. Neue Angaben.
'^a'; ^-
1916,
Durchschnitt
1911/15
Weizen.
Kanada
Vereinigte
Algier
Staaten
67813000 113,1
68040000 158,1
8087000 101,9
Roggen.
Proz.
„
97,7 Proz.
94,5 »
94,5 „
Kanada
I 066 Goo 144,9
Gerste.
,1
180.3 „
Kanada
Algier
12 915 000 142,6
7 230 000 92,3
„
124,1 „
85,0 „
— 6o2 —
^dz^ gegen 1916
Hafer.
Schottland 7189000 112,2 Proz.
Irland 13534000 41,5 „
Kanada 61664000 113,9 „
Vereinigte Staaten 222514000 122,4 „
Algier 2750000 144,2 „
Mais.
Vereinigte Staaten 825024000 125,7 „
Darchschnitt
1911/15
110,2 Proz.
143,9 „
100,0 „
124,« „
7,9
G e
Samtproduktion.
^^^J gegen 1916
Durchschnitt
1911/15
Weizen.
Spanien
Frankreich
Schottland
Irland
Schweiz
Kanada
.453268000 103,3 Proz.
88,6 Proz
Vereinigte
Indien
Staaten
Japan
Algier
Spanien
Irland
Roggen.
Schweiz
Kanada
y 22848000 110,7 „
126,8 „
Vereinigte
Staaten /
Gerste.
Dsgl. und
Schottland
Japan
Algier
I101086000 102,4 „
Hafer.
—
Spanien
Schweiz
Kanada
1289644000 119,9 „
118,1 „
Vereinigte
Staaten J
Mais.
Spanien
Schweiz
Kanada
1831626000 125,3 „
"7,7 „
Vereinigte
Staaten ^
m. Indastrie, einschließlich Bergbau und Bangewerbe
Inhalt: 1) Bergbau: Geschäftslage im Kohlen- und Kalibergbau während
des Monats September.
2) Eisengewerbe, Metalle und Maschinen: Beschäftigungsgrad im
September.
1. Bergbau.
Ueber die Geschäftslage im Kohlen- und Kalibergbau be-
richtet das „Reichs- Arbeitsblatt" :
— 6o3 —
Im E-uhrkohlengebiet war die Beschäftigung im Monat Sep-
tember ebenso außerordentlich lebhaft wie in den vorhergehenden
Monaten. Die Absatzverhältnisse waren nicht nur die gleichen wie
im Vormonat, sondern zeigen auch dem Vorjahr gegenüber denselben
Stand. Zeitweise machte sich Wagenmangel bemerkbar, so daß ein
Teil der Förderung auf Lager genommen werden mußte. Die Steige-
rung der Löhne hielt weiter an. Die Einlegung von Ueberschichten
zur Steigerung der Förderung wurde auch im Berichtsmonat bei-
behalten.
Im Aachener Steinkohlengebiet wird der Geschäftsgang
als unverändert gut gekennzeichnet. Auch dem September 1916 gegen-
über ist die Tätigkeit gleich lebhaft geblieben.
Die oberschlesischen Steinkohlengruben erfreuen sich
ebenso reger Nachfrage nach Kohlen wie bisher. Es wird angegeben,
daß eine Steigerung der Verladung infolge Wagenmangels nicht zu
verzeichnen war, doch konnten erhebliche Vorräte auf Lager gestürzt
werden. Im Vergleich zum Vorjahr wies die Beschäftigung keine
Aenderung auf. Lohnerhöhungen haben fortgesetzt stattgefunden. Es
war Ueberarbeit in größerem Umfange erforderlich.
Der niederschlesische Steinkohlenbergbau hielt die
gute Beschäftigung zum mindesten auf derselben Höhe wie im Vormonat,
obwohl sich auch hier Wagenmangel fühlbar machte. Auch hier mußten
Kohle und Koks auf Lager genommen werden. Gegenüber dem Vor-
jahr um die gleiche Zeit wird die Beschäftigung als noch günstiger
geschildert. Ueberstundenarbeit wurde geleistet.
Die Zwickauer und Lugauer-Oelsnitzer Steinkohlen-
werke hatten befriedigend zu tun. Die Geschäftslage war etwas
besser als im Vorjahr, doch dem Vormonat gegenüber trat eine geringe
Verschlechterung hervor.
Im mitteldeutschen Braunkohlengebiet hielt die rege
Beschäftigung auch im Berichtsmonat an. Teilweise war die Tätigkeit
eine außergewöhnlich lebhafte, und nur an wenigen Stellen blieb sie
hinter der des Vorjahres zurück. Einige Werke hatten über ungünstige
Wagengestellung zu klagen. Die Löhne haben bei einer Anzahl von
Werken wiederum eine Steigerung erfahren. Vielfach war Ueber-
stundenarbeit erforderlich.
Der Niederlausitze r Braunkohlenbergbau erfuhr keine
wesentliche Veränderung weder dem Vormonat noch dem Vorjahr gegen-
über. Die Beschäftigung wird von den eingegangenen Berichten als gut
geschildert, obwohl der Versand infolge Wagenmangels schwächer als
im August war. Es wird hervorgehoben, daß erhebliche Mengen auf
Lager genommen worden sind. Ueberstundenarbeit war zum Teil auch
hier erforderlich.
Die Kaliindustrie berichtet teils über sehr rege Nachfrage,
teils wird die Beschäftigung als gering und im Vergleich zum Vor-
monat infolge Wagenmangels als niedriger bezeichnet. Auch gegen
das Vorjahr wird teilweise ein Rückgang der Tätigkeit bekundet. Es
wird hervorgehoben, daß die seit dem 1. Juli zu gewährenden Lohn-
— 6o4 —
erhöhungen, die zwischen 0,60 und 1 M. für die Schicht höher sind
als die Durchschnittslöhne im letzten Vierteljahr 1916, weiter gezahlt
worden sind.
2. Eisengewerbe. — Metalle und Maschinen.
Ueber den Beschäftigungsgrad im September wird dem „Reichs-
Arbeitsblatt" berichtet :
Für den Eisenerzbergbau wird aus Westdeutschland keinerlei
Veränderung gemeldet.
Von den Eisenhütten Westdeutschlands wird äußerst starke
Nachfrage nach Qualitätsgießereiroheisen festgestellt. Auch aus Mittel-
deutschland wird die Lage als unverändert gut geschildert. Ueber-
arbeit war teilweise notwendig.
Die Nachfrage nach Rohzink blieb nach wie vor sehr gut. Lohn-
erhöhungen sind auch im Berichtsmonat vorgenommen worden. E»
wird auch hier Ueberstundenarbeit gemeldet.
Die Kupfer- und Messingwerke hatten unverändert gut zu
tun. Dem September 1916 gegenüber war der Geschäftsgang, wie
hervorgehoben wird, zum Teil günstiger.
Die Eisengießereien Westdeutschlands haben im September
ebenso gute Beschäftigung gehabt wie in den Vormonaten und im Vor-
jahr. Die Löhne bewegen sich in steigender Richtung. Verschiedent-
lich wird Ueberstundenarbeit gemeldet. In Nordwestdeutschland wie
in Mitteldeutschland ist die Geschäftslage die gleiche wie bisher. Dem
Vorjahr gegenüber wird verschiedentlich noch eine Steigerung der Tätig-
keit festgestellt. Aus Sachsen wird teilweise eine Verbesserung nicht
nur dem Vorjahr, sondern auch dem Vormonat gegenüber gemeldet.
Die schlesischen Eisengießereien verzeichnen nach wie vor sehr guten
Geschäftsgang. In einzelnen Fällen haben Lohnerhöhungen stattge-
funden ; vielfach war Ueberstundenarbeit erforderlich. Für Süddeutsch-
land wird gleichfalls andauernd gute Beschäftigung festgestellt.
Die Stahl- und Walzwerke Westdeutschlands waren wie in
den Vermonaten aufs angespannteste beschäftigt. Auch aus Schlesien
wird die Tätigkeit dem Vorjahr wie dem Vormonat entsprechend als
sehr gut gekennzeichnet. Es wurde mit Nachtschichten sowie an Sonn-
tagen bzw. mit Ueberstunden gearbeitet.
Die Blechwalzwerke hatten ebensogut wie im Vormonat und
teilweise besser als im Vorjahr um die gleiche Zeit zu tun. Insbe-
sondere wird die Nachfrage nach Feinblechen nach wie vor als stark
gezeichnet.
Auch für die Emallierwerke liegen keine Meldungen über
Aenderungen der guten Beschäftigungsverhältnisse vor.
Die Röhrenindustrie wies durchgängig befriedigende bzw.
gute Beschäftigung auf. Die Verladung übertraf, wie hervorgehoben
wird, teilweise die des Vormonts. Im Vergleich zum September 1916
ist verschiedentlich eine Steigerung der Leistungen zu erkennen. Die
Löhne sind zum Teil weiter erhöht worden.
— 6o5 —
Die Drahtfabriken erfuhren gleichfalls im allgemeinen keine
Veränderung in ihrer zufriedenstellenden bzw. starken Beschäftigung.
Die Beschäftigung der Kleineisenindustrie entsprach im
ganzen der des Vormonats. Die Tätigkeit wird als sehr gut bezeichnet
und auch dem Vorjahr gegenüber ist im allgemeinen eine Veränderung
nicht hervorgetreten. Verschiedentlich mußten Ueberstunden und Nacht-
schichten eingelegt werden.
Aus der Blech- und Metallwarenindustrie werden keine
Veränderungen gemeldet. Auch hier mußte mit Ueberstunden ge-
arbeitet werden. Das gleiche gilt für die Blech- und Metallspielwaren.
Die Maschinenbauanstalten Nordwestdeutschlands stellen
für September ebenso gute Beschäftigung wie im August bzw. wie im
September des vorigen Jahres fest. Für Mitteldeutschland wird gleich-
falls nach wie vor lebhafte, Ueberstundenarbeit erfordernde Tätigkeit
verzeichnet. Verschiedentlich haben weitere Lohnsteigerungen statt-
gefunden. Aus Schlesien wird zum Teil besserer Geschäftsgang als
im Vorjahre um dieselbe Zeit gemeldet. Die süddeutschen Maschinen-
fabriken bekunden denselben lebhaften Beschäftigungsstand wie im August.
Im Vergleich zum Vorjahre ist eine Steigerung der Tätigkeit einge-
treten. Es wurde mit Doppelschichten bzw. mit Ueberstunden ge-
arbeitet.
Die Lokomotivbauanstalten weisen ungefähr die gleiche
Beschäftigung wie im vorhergehenden Monat auf. Dem Vorjahr gegen-
über ist verschiedentlich eine Verbesserung hervorgetreten.
Die Betriebe, die landwirtschaftliche Maschinen herstellen, waren
auch im Berichtsmonat gut beschäftigt. Die Lage, die im Vergleich
zum September 1916 keine wesentliche Veränderung zeigt, ist teilweise
günstiger als im Vormonat. Verschiedentlich wird aber auch dem
September 1916 gegenüber eine bedeutende Steigerung des Absatzes
berichtet.
Die Dampfkesselfabriken und Armaturenwerkstätten
Westdeutschlands haben andauernd gut zu tun. Auch in Mitteldeutsch-
land hielt sich der Geschäftsgang auf der gleichen Höhe wie im Vor-
monat.
Für den Bau von Eisenkonstruktionen und Brücken
hat teils keine Veränderung, teils eine Verbesserung sowohl dem Vor-
monat wie dem Vorjahre gegenüber stattgefunden. Vereinzelt wird
aber auch ein Nachlassen der Tätigkeit festgestellt, das sich nicht nur
dem Vormonat, sondern auch dem Vorjahre gegenüber fühlbar macht.
Die Maschinenfabriken für Hebezeuge hatten gut bzw. sehr
gut zu tun. Im Vergleich zum September 1916 ist vielfach eine Steige-
rung des Geschäftsganges eingetreten. Für Drahseil- und Verladean-
lagen wird eine Verbesserung sowohl im Hinblick auf den Vormonat
als auch auf das Vorjahr festgestellt.
Für die Herstellung von Bergwerkmaschinen war ebenso
gut wie im Vormonat zu tun. Dem September 1916 gegenüber wird
zum Teil angegeben, daß eine Verbesserung eingetreten ist. Für Auf-
— 6o6 —
bereitungsanlagen wird eine Steigerung dem Vorjahr gegenüber, zum
Teil ausdrücklich eine wesentliche Verbesserung verzeichnet.
Die Gerbereimaschinenfabriken waren ebenso lebhaft wie
im August und im September vorigen Jahres beschäftigt.
Die Maschinenbauanstalten für Holzbearbeitungs- und Faß-
maschinen waren im ganzen genügend beschäftigt. Dem Vormonat
gegenüber ist teilweise eine Abschwächung festzustellen ; doch wird der
Geschäftsgang dem Vorjahr gegenüber als besser oder aber als gleich
befriedigend geschildert.
Von Betrieben, die Maschinen für das Nahrungsmittel-
gewerbe herstellen, wird keine Veränderung der Beschäftigungsver-
hältnisse gemeldet. Nur was die Herstellung von Maschinen und
Apparate für die Zuckerindustrie anbelangt, wird eine Verringerung
der Tätigkeit angegeben. Die Kellereimaschinenfabriken sind in un-
vermindertem Maße beschäftigt.
Für den Schiffbau machte sich nach den vorliegenden Berichten
keine wesentliche Verschiebung der Beschäftigungsverhältnisse be-
merkbar.
Die Eisenbahnwagenfabriken arbeiten ebenso lebhaft wie
in den Vormonaten. Dem Vorjahr gegenüber ist teilweise eine Steige-
rung der Beschäftigung erreicht worden. Die Fabriken für Kleinbahnen
sind nach wie vor ausreichend beschäftigt, dem Vorjahr gegenüber ist
keine wesentliche Veränderung eingetreten. Es sind teilweise weitere
Lohnerhöhungen bewilligt worden.
Für den Bau von Apparaten zur Sicherung des Zug-
verkehrs macht sich eine wesentliche Veränderung der Geschäfts-
lage nicht bemerkbar.
Der Kraftwagenbau meldet ebenso gute Beschäftigung wie in den
Vormonaten.
Die optische Industrie und Feinmechanik erfreuten sich weiter-
hin guten Geschäftsganges. Dem Vorjahr gegenüber ist eine Steigerung
unverkennbar.
Für den Bau von Dynamomaschinen, Akkumulatoren
und Transformatoren liegen im Monat September die Verhält-
nisse im allgemeinen ebenso wie in den vorhergehenden beiden
Monaten. Teilweise wird hervorgehoben, daß die Beschäftigung nicht
nur besser als im Vorjahr um dieselbe Zeit ist, sondern daß auch im
Vergleich zum Vormonat die Beschäftigung im Bau elektrischer Maschinen
weiter zugenommen hat. Der Eingang von Bestellungen auf elektro-
technische Meßinstrumente entsprach dem des August, übertraf aber
den des September 1916 bedeutend. Teilweise mußte mit Wechsel-
schichten bzw. mit Ueberstunden gearbeitet werden.
Die Schwachstromelektrotechnik läßt weder eine Ver-
besserung noch eine Verschlechterung der Beschäftigung erkennen. Die
Berichte bezeichnen den lebhaften Geschäftsgang dem Vorjahr gegen-
über als stärker.
Für die Herstellung elektrischer Beleuchtungsappa-
rate wird die Lage als die gleiche wie im Vormonat und im Vorjahr
geschildert.
— 6o7 —
Bezüglich der Einrichtung elektrischer Licht- und Kraft-
anlagen ist gleichfalls keine wesentliche Verschiebung der Verhält-
nisse zu vermerken. Dem Vorjahr gegenüber wird vereinzelt ein Rück-
gang gemeldet.
Die Kabelwerke hatten teils ebenso gut wie im Vormonat, teils
besser als im August zu tun. Auch dem Vorjahr gegenüber wird ver-
schiedentlich eine Steigerung der Tätigkeit festgestellt. Nur ein Be-
richt meldet eine Abschwächung dem September 1916 gegenüber. Ver-
einzelt wird angegeben, daß Lohnerhöhungen gewährt worden sind.
IV. Handel und Verkehr,
Inhalt: Wirtschaftsabkommen der Schweiz mit Deutschland und den
Entente- Staaten. Wirtschaftsabkommen Hollands mit Deutschland und den
Entente-Staaten. Skandinavische Handelskonferenz. Zolltarifrevision in Italien.
Englisch-französisches Handelsabkommen. Anleihe Chinas in Japan. Außen-
handel (Statistik) Britisch-Süd-, Ost- und Westafrikas, der Straits Settlements
und verbündeten Malayenstaaten, der Philippinen und Brasiliens. Schiffahrt
Hollands (Rotterdams), Norwegens (Bergens) und Chinas.
Ein neues Wirtschaftsabkommen zwischen dem Deutschen
Reiche und der Schweiz (vgl. oben S. 537 f.) ist am 4. September
1917 abgeschlossen worden. Das schweizerische Volkswirtschaftsdepar-
tement machte darüber (nach der „Prankf. Ztg." vom 5. September
1917) folgende Mitteilungen:
Das Abkommen läuft bis zum 30. April 1918, doch hat jeder Teil das
Recht, die üebereinkunft mit zweimonatiger Frist auf Monatsende zu kündigen.
Die wichtigste Frage, die durch dieses Ueberein kommen für die Schweiz gelöst
werden mußte, ist die Beschaffung von Kohle, sowie von Eisen und Stahl. Wie
bereits im alten Abkommen, übernimmt Deutschland diu-ch das vorliegende Ab-
kommen keine eigentliche Verpflichtung, Kohlen und Eisen zu liefern. Es er-
teilt dazu Ausfuhrbewilligung für 200 000 t Kohle und 19 000 t Eisen und Stahl
pro Monat und wird in dem ernsten Bestreben, die Schweiz mit Kohlen und Eisen
zu versorgen, alles unter den gegebenen Verbältnissen Mögliche tun, um die
Lieferer zur Lieferung anzuhalten und den Transport zu fördern.
Der Preis für die 200000 t Kohlen wird bis zum 30. April 1918 auf der
Basis von 90 frcs. für die Tonne ab Saargrube festgesetzt. In diesem Preis ist die
Kohlensteuer inbegriffen. Alle etwaigen neuen Steuern, Gebühren oder Abgaben
fallen zu Lasten des Lieferanten. Frachterhöhungen für die Kohle sind nur zu-
lässig, insofern sie auch für den internen Verkehr gelten. Für Eisen und Stahl
sind die Preise um 50 Proz. erhöht worden. Die alten Abschlüsse in Stab- und
Formeisen bleiben mit einem Zuschlag von 200 frcs. für die Tonne bestehen,
jedoch darf der Gesamtpreis 700 frcs. für die Tonne nicht übersteigen, und zwar
sowohl für alte wie für neue Abschlüsse.
Die Schweiz gewährt Deutschland einen Monatskredit, der bei einer Liefe-
rung von 200000 t Kohlen 20 Mill. frcs. beträgt, und über dessen Modalitäten
ein besonderes Abkommen besteht. Bei einer Kohlenlieferung bis zu 74 000 t ist
ein Kredit nicht zu gewähren. Erfolgt eine Lieferung von 100000 t Kohle, so
beträgt die Kreditsumme 4:\'^ Mill. frcs., bei 150000 t 11,25 Mill. frcs., um dann
bei 200 000 t 20 Mill. frcs. zu erreichen. Erfolgt die Kreditgewährung nicht in
der vorgesehenen Weise, so kann eine Erhöhung der Kohlenpreise eintreten. Der
Kredit wird durch eine schweizerische Finanzorganisation gewährt gegen in
Schweizer Francs auszustellende und in der Schweiz zu zahlende Dreimonats-
wechsel, die die Girounterschrift einer erstklassigen deutschen Bank zu tragen
haben. Diese Wechsel werden bis zur Rückzahlung des Kredits immer erneuert.
Als Sicherheit werden mit dem Rechte der Wiederverpfändung erstklassige deutsche
Hypothekarpfandbriefe hinterlegt. Die Rückzahlung der Kreditbeträge erfolgt in
— 6o8 —
neun Monatsraten. Die erste dieser Raten erfolgt am 31. Oktober 1920. Wird
jedoch das abgeschlossene Abkommen früher gekündigt, so beginnt die Rück-
zahlung der Monatsraten um so viel Monate früher, als an dem normalen Ablauf
des Abkommens fehlen.
Wird nach Ablauf des heute in Frage stehenden Abkommens (also nach
dem 30. April 1918) die Versorgung der Schweiz mit Kohlen durch Deutschland
nicht fortgesetzt, so werden die vorstehenden vereinbarten Rückzahlungstermine
um 12 Monate früher gelegt.
In der Einfuhr von Eisen tritt insofern eine Aenderung ein, als die bis-
herige schweizerische Eisenzentrale aufgehoben und in eine behördliche Organi-
sation umgewandelt wird, die bestimmte Befugnisse für die Verteilung und Er-
werbung von Eisen erhält.
Abgesehen von Kohlen und Eisen sieht das Abkommen vor, daß beiderseits
Ausfuhrbewilligungen für zu vereinbarende Austauschmengen und darüber hinaus
ohne besondere Gegenleistung im Rahmen des Möglichen erteilt werden. Ge-
wisse Kategorien von Waren wurden, unter Festhaltung des soeben erwähnten
Grundsatzes bestimmter Mengen, für die Ausfuhrbewilligung in Aussicht «ge-
nommen. Deutschland soll hauptsächlich erhebliche Mengen von Kunstdünger
freüassen, sowie eine gewisse Menge von Zucker als Ersatz dessen, was in Schoko-
lade, kondensierter Milch, Früchten und Konserven aus der Schweiz geliefert
wird. Ferner sind zur Ausfuhr aus Deutschland vorgesehen: Sämereien, Stroh,
Benzin, Zink und Zinkprodukte; als Schweizer Lieferungen sind vorgesehen:
gegenüber den vorjährigen, erheblich reduzierten Lieferungen an Milchprodukten
Ausfuhrbewilligung für ca. 10 000 Stück Vieh, das Deutschland jedoch nicht ver-
pflichtet ist, abzunehmen, für Ziegen, ferner die Lieferung bescheidener Mengen
von Schokolade und Fruchtkonserven. Ohne Angabe irgendeiner Menge ist auf-
geführt die eventuelle Lieferung von frischem Obst, Obstwein und ähnlichen Er-
zeugnissen, soweit der Schweizer Bedarf eine Ausfuhr ermöglicht.
Schließlich wurde noch vereinbart, daß die Beurteilung von Gesuchen für
die Ausfuhr von Waren nach den Ententestaaten, oder durch diese nach neu-
tralen Ländern, durch die Treuhandstelle und die Ausfuhrkommission II in
gleichem Rahmen und in gleicher Ausdehnung erfolgt, wie dies hinsichtlich der
Gesuche für die Ausfuhr nach den Zentralmächten oder durch diese nach den
neutralen Ländern durch die S. S. S. und die Ausfuhrkommission I geschieht.
Endlich wurde den durch die Schweiz aufgestellten Vorschriften über die Aus-
fuhr von Kriegsmaterial zugestimmt.
In bezug auf die Durchfuhr von Waren, die aus und nach der Schweiz
durch Deutschland gehen sollten, sowie auch in Beziehung auf die Einfuhr von
schweizerischen Erzeugnissen nach Deutschland (in Betracht kommen hierbei
hauptsächlich Artikel der Luxusindustrie) enthält das Abkommen keine Bestim-
mungen. Es bleibt also demnach bei dem System, wonach Deutschland sich
vorbehalten würde, im einzelnen Fall Einfuhr- und Durchfuhrbewilligungen zu
erteilen.
Fast gleichzeitig sind auch die Verhandlungen, welche die Schweiz
mit den Entente-Staaten über ein neues Wirtschaftsab-
kommen geführt hat, zum Abschluß gebracht worden. Nach einer
Meldung der „Agence Havas" vom 5. September 1917 wurde ver-
einbart, daß die Schweizer Seidenindustrie von der Entente zwar nach
wie vor Webstoffe erhält, sich aber verpflichtet, Deutschland und
Oesterreich-Ungarn nichts zukommen zu lassen, was für militärische
Zwecke geeignet wäre. Außerdem wurden verschiedene Punkte genau
festgesetzt hinsichtlich der Mengen und Transiterleichterungen, die der
Schweiz für die Versorgung des Landes schon bewilligt worden waren,
sowie der Bürgschaften. Die mit den Alliierten getroffenen Abkommen
wurden mit der Absicht abgeschlossen, die bisher von den Alliierten
verfolgten Regeln in Ueberein Stimmung zu bringen, deren Wirksamkeit
— 6o9 —
durch kürzlich eingegangene Angaben festgestellt werden konnte. —
In dem am 11. September 1917 veröffentlichen „Neutralitätsbericht"
des schweizerischen Bundesrats wurde über das Verhältnis der Schweiz
zur Entente folgendes mitgeteilt:
Der Bundesrat beabsichtige, die Zufuhr der Schweiz an Lebensmitteln und
Rohstoffen durch ein Abkommen zu sichern. Der Bundesrat habe sich bereit
erklärt, auch gegenüber den Ententemächten die Eröffnung eines monatlichen,
von der tatsächlichen Warenzufuhr abhängigen Warenkredites zur Verbesserung
der Kursverhältnisse in Erwägung zu ziehen, und zwar auf einer Grundlage wie
im deutschen Abkommen, „Es muß jedoch besonders hervorgehoben werden",
so heißt es im Neutralitätsbericht, „daß die Mittel der Schweiz beschränkt sind.
Der jetzige Stand unserer Valuta bietet keinen zuverlässigen Gradmesser für unsere
finanzielle Leistungsfähigkeit. Er ist darauf zurückzuführen, daß wir keine ge-
nügenden Quantitäten an Waren zu importieren in der Lage sind. In dem Zeit-
punkte, in dem diese Verhältnisse sich ändern, werden sich zweifellos tiefgehende
Wirkungen in Beziehung auf den Stand unserer Währung geltend machen, um
so mehr als damit zu rechnen ist, daß überhaupt um die Zeit des Friedensschlusses
auch aus anderen Gründen erhebliche, zurzeit den Banken auf kurze Frist an-
vertraute Gelder zurückgezogen werden. Deshalb ist eine große Zurückhaltung
in der Gewährung solcher Anleihen absolut notwendig und im vitalsten Interesse
des Landes gelegen. Unsere wirtschaftliche Situation wird immer ernster und
schlimmer. Wir verhehlen uns nicht, daß diese Verhältnisse noch unerfreulicher
werden können. Wie aber dann unser Wirtschaftsleben aufrechterhalten werden
kann, bleibt eine offene Frage."
Längere Zeit hat Holland versucht, nach dem Beispiel der
Schweiz mit den kriegführenden Nachbarstaaten, vor allem mit Deutsch-
land und England, wirtschaftliche Vereinbarungen zu
treffen, um sich mit notwendigen Bedarfsartikeln, namentlich Kohlen,
zu versehen. Ueber den Stand der Verhandlungen über diese Ab-
machungen schrieb der Haager Korrespondent der „Franfurter Zeitung"
am 11. September 1917 folgendes:
Obgleich man über die seit Wochen laufenden Wirtschaftsverhandlungen
zwischen Deutschland und Holland die größte Zurückhaltung bewahrt, läßt sich
doch nicht verkennen, daß sie augenblicklich schwierig sind. Finanzminister Treub
hat, allerdings im Einverständnis mit Schweden und Spanien, erklärt, daß Holland
keine höheren Kredite geben werde, wenigstens so lange nicht, bis die Nieder-
ländische Exportzentrale in Wirkung getreten sei. Diese Exportzentrale wird be-
kanntlich die Gesamtausfuhr und -einfuhr der Niederlande und die Regelung
des hiermit verbundenen Kreditwesens in die Hand nehmen. Deutschland kann
aber unmöglich warten, bis die Exportzentrale so weit ist, daß sie handeln kann.
Für die Gesundung der deutschen Valuta ist die Kreditgewährung unumgäng-
Hch nötig. Wir wissen nicht, inwieweit diese Kreditfrage, deren Regelung nicht ver-
schoben werden kann, mit der Frage der Kohlenlieferung Deutschlands an Holland
in Zusammenhang zu bringen ist. Jedenfalls legt sich Deutschland die größten
Opfer auf, um Holland die 250000 Tonnen Kohlen liefern zu können, die in Aus-
sicht gestellt worden sind. In Holland ist es ja nicht unbekannt, daß die deutschen
Gemeinden und Betriebe selbst die größte Sparsamkeit üben müssen, damit der
Staat Kohlen an Neutrale abgeben kann. Dabei bezahlt Holland für die deutsche
Kohle 12,13 fl. pro Tonne weniger als die Schweiz nach dem neuen Abkommen.
Ein Entgegenkommen Hollands ist also durchaus am Platze, ebenso wie es eine
gerechte Forderung Deutschlands ist, für seine Opfer die nötige Entschädigung
durch Verbesserung seiner Valuta zu erhalten, da sonst die Opfer überflüssig
sind, und Deutschland leicht zu der Erwägung gebracht werden könnte, ob es
seine Kohle nicht besser für sich selbst verwende.
Wie die Blätter melden, werden von Holland monatlich 350000 Tonnen
Kohlen statt der von Deutschland als äußerstes Maximum zugestandenen 250000
Tonnen gefordert, und deutscherseits war man geneigt, holländische Arbeiter in
— 6io —
den deutschen Kohlenbergwerken zuzulassen, und die durch die holländischen
Arbeiter geleistete Förderung den Niederlanden zugute kommen zu lassen. In
Holland ist man auf diesen Vorschlag nicht eingegangen, und es scheint sogar,
daß man den holländischen Arbeitern von den schlechten Ernährungs Verhältnissen
in Deutschland unter der Hand übertrieben pessimistische Vorstellungen machte.
In Holland ist aber schon unter der Wirkung der jetzigen Einschränkung der
Lieferungen eine geradezu katastrophale Not entstanden, ganz zu schweigen von
der außerordentlichen Einschränkung des Eisenbahnverkehrs, die für den 24. Sep-
tember angekündigt ist. Immer mehr Betriebe werden zum Stillstand gezwungen,
und die Zahl der zum Feiern genötigten Arbeiter geht in die Tausende; die Zahl
wird stets und ständig wachsen. Es ist also genug Arbeitermaterial vorhanden,
das in Deutschland Kohlen fördern könnte, um auf diese Weise ein Fortführen
der Betriebe in Holland zum größten Teil möglich zu machen und gleichzeitig
die Not der Arbeiter zu lindern.
Inzwischen tauchen in den niederländischen Blättern Berichte auf, in denen
darauf angespielt wird, daß ein Kohlenabkommen mit England im Werden sei.
Wir können diesen Berichten keine allzu große Bedeutung beilegen. An die Liefe-
rung von Bunkerkohle an die niederländischen Schiffe hat England schon vor
Monaten die Bedingung geknüpft, daß die niederländischen Schiffe, um Bunker-
kohle zu erhalten, eine bis zwei Eeisen für die ßechnung der Entente machen
müßten. Und es sei an eine früher gestellte Bedingung erinnert, wonach Eng-
land ein Drittel des Schiffsraumes der niederländischen Schiffe für sich in An-
spruch nahm. Die niederländische Eegierung konnte begreiflicherweise auf solche
harten Bedingungen nicht eingehen. Wir wissen aber auch nicht recht, wo Eng-
land den Schiffsraum hernehmen soll, um Kohlen an die Niederlande zu liefern,
da es noch nicht einmal den nötigen Schiffsraum besitzt, die in Holland ge-
kauften Kartoffeln und Heringe abzuholen, so daß diese nötigen Nahrungsmittel
auf Englands ßechnung verfaulen mußten, und zwar zu einer Zeit, wo in Holland
selbst die größte Kartoffelnot herrschte. Auch dürfte es mit den größten
Schwierigkeiten füi England verknüpft sein, überhaupt an die Niederlande Kohlen
zu liefern, zumal da England doch in erster Linie gegen Italien und Frankreich
Verpflichtungen besitzt, die es nicht erfüllen kann, obgleich in diesen Ländern
die Kohlenmengen dringend benötigt werden. Falls aber wirklich Kohle von
England in Aussicht gestellt würde, so würde den Holländern nichts anderes
übrig bleiben, als Schiffe nach England zu entsenden und die Kohle selbst ab-
zuholen und nach Holland zu bringen. Welch ein gefährliches Unternehmen
dies ist, wissen die Holländer selbst, da England nicht zögert, Schiffe der Neu-
tralen je nach Belieben und Bedürfnis zurückzuhalten und sie für sich zu ver-
wenden. Die letzten Erklärungen der Vereinigten Staaten, wonach dort einfach
der neutrale Schiffsraum für die Zwecke der Entente verwandt wird, dienen nicht
dazu, die Aussichten der Niederländer in dieser Hinsicht zu verbessern.
Nach Mitteilungen der „Nachrichten für Handel, Industrie und
Landwirtschaft" vom 22. September 1917 hat die skandinavische
Handelskonferenz in Stockholm (vgl. oben S. 476) folgende Ent-
schließungen angenommen :
1. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten und Gefahren, welche die Zukunft
für die drei skandinavischen Länder auf handelspolitischem Gebiet in ihrem
Schöße bergen kann, ist es nach der Auffassung der Handelskonferenz von
größter Bedeutung, daß die Kegierungen eine Erhebung zur Feststellung der ver-
schiedenen Möglichkeiten für die Stärkung der Stellung der drei Länder durch
eine gegenseitige handelspolitische Annäherung vornehmen lassen. Neben einer
Statistik über den zwischen skandinavischen Handelsumsatz von der Art, wie sie
früher ausgearbeitet worden ist, und deretwegen Vorschläge bereits geäußert
worden sind, muß nach der Auffassung der Konferenz eine allseitige und ein-
gehende Untersuchung für diesen Zweck in einem jeden der drei Länder nach
einem gemeinsamen Plane sobald als möglich veranstaltet werden. Dabei sind
die auf den verschiedenen Gebieten des Erwerbslebens vorhandenen praktischen
Fachkenntnisse in erster Linie in Anspruch zu nehmen. Von dem Ergebnis
- 6ii -
dieser Untersuchungen muß abhängen, in welcher Form weitere Verhandlungen
zwischen den drei Ländern aufgenommen werden sollen.
2. Die Handeltreibenden in den drei skandinavischen Ländern schätzen die
Bedeutung hoch, welche die gemeinsame nordische Gesetzgebungsarbeit gehabt
hat, und sie hegen die lebhafte Hoffnung, daß diese fortgesetzt werden wird.
Die Handelskonferenz ist der Ansicht, daß Gesetze, die Bestimmungen
handelsrechtlicher Art enthalten, von den drei Ländern gemeinsam ausgearbeitet
werden müssen, soweit dem nicht entscheidende Hindernisse entgegenstehen.
Wegen der Stoffe, die besonders geeignet sind, den Gegenstand einer ge-
meinsamen nordischen Gesetzgebung zu bilden, verweist die Konferenz auf die
Aeußerungen, die bei der Erörterung gefallen sind, und sie unterstreicht die bei
früheren Konferenzen geäußerten Wünsche wegen einer gemeinsamen nordischen
Kevision des Seegesetzes. Dabei wird besonders die Notwendigkeit des Erlasses
von zeitgemäßen Bestimmungen über die Haftung für Güter während der Be-
förderung hervorgehoben.
3. Die Konferenz hält es für wünschenswert, daß die Bestimmungen in der
skandinavischen Konzessions- und Verbotsgesetzgebung über die Erwerbung von
Naturschätzen durch Ausländer, die ein Hindernis bilden für die Herstellung der
vollen Gegenseitigkeit zwischen den Ländern, in möglichstem Umfang zu be-
seitigen sind.
Die Konferenz hält weiter für wünschenswert, daß große skandinavische
Unternehmungen, bei denen die Beschaffung des erforderlichen Kapitals im
eigenen Lande Schwierigkeiten begegnet, in größtmöglicher Ausdehnung in den
skandinavischen Ländern finanziert werden. Soweit für die Ausführungen solcher
Unternehmungen der Erwerb von großem Eigentum oder andere Verfügung über
foße Naturschätze Voraussetzung ist, hält die Konferenz, wenn für diesen Zweck
onzession erforderlich ist, für wünschenswert, daß die Regierung des betreffenden
Landes bei der Prüfung der Konzessionsfrage so großes Entgegenkommen zeigt,
wie dies mit den geltenden Konzessionsbestimmungen vereinbar ist.
4. Die skandinavische Handelskonferenz ist der Auffassung, daß die Münz-
konvention während der Vergangenheit von großem Nutzen für die drei nordi-
schen Länder gewesen ist. Die Konferenz spricht die Hoffnung aus, daß es bei
Wiedereintritt mehr normaler Verhältnisse möglich werden wird, im Interesse des
Austausches und des Verkehrs zwischen den nordischen Ländern auf den Ge-
meinsamkeitsgedanken weiter zu bauen, welche die skandinavische Münzeinheit
geschaffen haben.
Die Beschlüsse unter 1, 2 und 4 sind einstimmig gefaßt worden.
Wie in den „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirtschaft"
mitgeteilt wird, hat die italienische Regierung die erforderlichen
Schritte unternommen, um mit Ablauf dieses Jahres alle zwischen Italien
und anderen Staaten bestehenden Handelsverträge und -abkommen
zu beendigen, durch die italienische Zollsätze gebunden sind. Der
italienische Vertragstarif, dem die verschiedenen Verträge und Abkommen
zugrunde liegen, wird mithin am 31. Dezember 1917 wirkungslos werden.
Verträge, die lediglich die Meistbegünstigung enthalten, hat die italie-
nische Regierung nicht gekündigt. Einem parlamentarischen Ausschuß
soll die Prüfung des neuen Zolltarif entwurfs obliegen. (Vgl. oben
S. 539.)
Ueber die Beschlüsse, die der Tarifausschuß hinsichtlich der allgemeinen
Grundsätze als Rahmen für den neuen Tarif gefaßt hat, wird noch folgendes
mitgeteilt :
1. Es soll ein Doppeltarif eingeführt werden ; der eine Tarif mit hohen Zoll-
sätzen soll auf alle Länder angewandt werden, die Italien keine günstigen Be-
dingungen gewähren, der andere mit mehr gemäßigten Sätzen soll ganz oder teil-
weise auf Länder Anwendung finden, von denen günstige Bedingungen erlangt
worden sind.
— 6l2 —
2. Falls im Austausch gegen gleichwertige Vorteile eine Vorzugsbehandlung
zugunsten von Ländern angenommen wird, mit denen es erwünscht ist, in engere
Handelsbeziehungen zu treten, soll diese Behandlung nur bestimmten Waren ge-
währt werden, an denen die in Frage kommenden Länder ein besonderes Inte-
resse haben.
3. Die Zollbehandlung in den italienischen Kolonien soll durch Sonderbe-
stimmungen geregelt werden.
4. In den Vorbemerkungen des neuen Zolltarifs soll Vorsorge getroffen
werden für Fälle, in denen italienische Waren stark belastet werden oder ihrer
Einfuhr in das fremde Land Hindernisse in den Weg gelegt werden, und zwar
sollen in solchen Fällen Waren aus diesem Lande einer unterschiedlichen Be-
handlung in Italien unterworfen werden.
5. Falls festgestellt wird, daß Waren unter Hinzurechnung der Zölle, Be-
förderungskosten usw. in Italien zu einem niedrigeren Preise als dem regelrechten
Preise in dem Lande, von wo sie herkommen, verkauft werden, und daraus er-
sichtlich ist, daß sie in irgendeiner Weise bei der Ausfuhr eine Prämie erhalten
haben, soll die Kegierung ermächtigt sein, zu den gewöhnlichen Zöllen einen Zu-
schlagszoll zu erheben und sonstige geboten erscheinende Maßnahmen zu treffen,
um dem künstlichen Wettbewerb zu begegnen.
6. Die unter der Bezeichnung Zollrückvergütung bestehende Zollbegünsti-
gung, ferner die Bestimmungen über Einfuhr und Ausfuhr auf Zeit zum Zwecke
der ße- oder Verarbeitung von Waren im Inland oder Ausland sollen als für
die italienischen Wirtschafts Verhältnisse von Vorteil aufrechterhalten bleiben.
Ueber den Abschluß eines englisch-französischen Handels-
abkommens wurde in der „Frankfurter Zeitung" vom 11. September
1917 folgendes berichtet:
In den letzten Wochen haben in London zwischen den Minister Clementel,
Bonar Law, Lord Robert Cecil und Lord Derby unter Beteiligung des Präsidenten
des Board of Trade, Sir Robert Stanley, und des Lebensmittelkontrolleurs Lord
Rhondda Beratungen stattgefunden, die den Abschluß eines Abkommens zwischen
der englischen und der französischen Regierung über die Handhabung der Ein-
fuhrverbote beider Länder zur Folge hatten. Durch dieses Abkommen ge-
stehen sich England und Frankreich nunmehr gegenseitig grundsätzlich Einfuhr-
freiheit zu. Für die zum Export bestimmten Waren ist jedoch eine Ausfuhrlizenz
nachzusuchen und zwar für englische Exportwaren beim französischen Zollbüro
in London und für die französische Ausfuhr beim entsprechenden englischen
Büro in Paris. Es sind allerdings beiderseits mancherlei Ausnahmen vorgesehen.
Zum Beispiel bleibt in England die Einfuhr von gewissen Sorten von Schmuck-
federn und von vergoldeten Gegenständen, deren Vergoldung den Wert von 4 Proz.
übersteigt, verboten. Ferner läßt England beispielsweise die Einfuhr von Holz,
Steinen, Schiefer, Automobilen, Roh.stoffen für Papierfabrikation, landwirtschaft-
lichen Maschinen und Holzbearbeitungsmaschinen nur nach Maßgabe des vor-
handenen Bedürfnisses und nach Erteilung einer besonderen Erlaubnis zu. Andere
Waren, wie z. B. Spirituosen und baumwollene Strumpfwaren unterliegen einer Kon-
tingentierung. Die Erlaubnis zur Einfuhr solcher nur unter besonderem Vorbehalt
für die Einfuhr zulässigen Gegenstände wird vom Londoner Board of Trade erteilt.
Auch Frankreich sieht seinerseits Ausnahmen vor. So bleibt z. B. die Ein-
fuhr von baumwollenen und wollenen Geweben, abgesehen von Stickereien, Spitzen,
Passementerien und Bändern, kontingentiert. Ebenso die Einfuhr von Jutegeweben,
Seife, Kerzen, tierischen und pflanzlichen Oelen und Fetten usw. Verboten bleibt
die Einfuhr von Branntwein und Likören nach Frankreich, sodann auch die
Einfuhr von eigentlichem Alkohol, sofern nicht eine der Ausnahmen vorliegt,
die im Dekret vom 22. Dezember 1916 bestimmt sind. Einfuhrerlaubnis für
kontingentierte Artikel erteilt in Frankreich der Handelsminister. Durch das er-
wähnte Abkommen, dessen Wurzel in der Hauptsache die Mißstimmung franzö-
sischer Handelskreise über englische Einfuhrbeschränkungen war, wird eine ganze
Reihe bedeutsamer Erleichterungen geschaffen. Zum Beispiel fallen jetzt die
englischen Einfuhrbeschränkungen für Wein, Früchte, Seiden- und Leinen waren,
Konfektion, Lederartikel, Handschuhe, Modewaren, die meisten Sorten von Schmuck-
federn, künstliche Blumen, Parfümerien, Musikinstrumente, Grold waren usw. fort,
— 6i3 —
wogegen alle diese Artikel bisher zur Einfuhr nach England nur in Mengen von
25 — 50 Proz. der vor dem Kriege festgestellten Importe zugelassen waren.
Vor kurzem haben die Japaner China eine Anleihe im Be-
trage von 10 Mill. Yen gewährt, der trotz der verhältnismäßigen Niedrig-
keit des Betrages eine hohe Bedeutung beigemessen wird. In der
„Frankfurter Zeitung" vom 14. September 1917 wurde hierüber folgen-
des geschrieben:
Der Pekinger Korrespondent der „Times", dessen Bericht über diese Ange-
legenheit vorliegt, teilt mit, daß die japanische Geldhilfe als ein Vorschuß auf
eine noch abzuschließende zweite Keorganisationsanleihe des Entente - Banken-
konsortiums geplant wird. Er stellt aber gleichzeitig fest, daß tatsächlich eine
zweite Reorganisationsanleihe von dem Banken konsortium nicht geplant wird. Das
Geschäft wird demnach nur der Form nach als ein Vorschußgeschäft auf eine
gemeinschaftliche Anleihe bezeichnet, um Japan, das ein Mitglied des Bankkon-
Bortiums ist und als solches nicht allein vorgehen durfte, die Möglichkeit zu geben,
China die Geldhilfe zu gewähren, welche die übrigen Mitglieder der Ententegruppe
zu geben nicht imstande sind. Das Eingeständnis ihres Unvermögens, China zu
helfen, wird das Ansehen der europäischen Mitglieder der Gruppe (England, Frank-
reich und Rußland) in Ostasien sicherlich nicht stärken. Andererseits zeigt sich,
wie wenig bereit sie sind, für China ein Opfer zu bringen, und wie gering die
chinesische Bundesgenossenschaft von der Entente eingeschätzt wird.
Der englische Korrespondent nimmt an, daß der sogenannte Vorschuß zu
den gleichen Bedingungen gewährt worden sei, wie die erste ßeorganisationsan-
leihe. Ob dies in vollem Umfange so ist, können wir einstweilen mangels eigener
Nachrichten nicht beurteilen. Wenn aber die „Times^-Meldung richtig sein
sollte, dann würde Japan um den Preis von nur 20 Mill. M. sehr erhebliche
politische Vorteile errungen haben. Durch den Artikel 17 des ersten Reorgani-
eationsan leihe Vertrages hat sich China verpflichtet, sechs Monate nach der letzten
Ratenzahlung des Anleihebetrages keine Regierungsanleihe von anderer Seite auf-
zunehmen. Wenn dieser Paragraph für das gegenwärtige japanische Geschäft zu
Recht besteht — und das wird er wohl, zumal da es als ein Vorschußgeschäft
mit Bezug auf eine noch abzuschließende Anleihe bezeichnet wird — so hätte
Japan Amerika, das sich geweigert hat, dem Konsortium beizutreten, den Weg
für eine selbständige Anleihe in China versperrt. Japan hätte also eine politische
Scheidewand zwischen China und Amerika errichtet. Und dies nicht aUein. Durch
den Anleihevertrag von 1913 hatten sich die Mitglieder des geldgebenden Konsor-
tiums sehr erhebliche Aufsichtsrechte über die chinesischen Finanzen gesichert.
Vor allem wurde damals die einträgliche Salz Verwaltung unter internationale
Kontrolle mit einem Engländer als Chef des Verwaltungsdienstes und einem
Deutschen als Vizechef gestellt. Die Japaner kamen jedoch zu jener Zeit zu
kurz, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sie die jetzt durch ihr sogenanntes Vor-
ßchußgeschäft geschaffene Lage benützen werden, sich in den Vordergrund zu
drängen. Die Deutschen sind aus den chinesischen Verwaltungsdiensten entlassen
worden, und wir würden nicht erstaunt sein, wenn wir alsbald vernehmen würden,
daß an die Stelle des deutschen Vizechefs, der auf Grund einer Uebereinkunft
mit England die Anwartschaft auf den ersten Posten dieser Verwaltung nach
Ausscheiden des bejahrten englischen Chefs hatte, ein japanischer getreten sein
würde. Uns würde das weniger betreffen als England, denn die Tore, die sich
für uns einstweilen in China geschlossen haben, werden sich uns nach dem Kriege
von selbst wieder öffnen. Aber England wird durch das Erstarken des japanischen
Einflusses in China dauernder Schaden zugefügt.
In dem „W. N. D. Deutscher Ueberseedienst" werden folgende
Mitteilungen über den Außenhandel fremder Gebiete veröffentlicht:
Der Einfluß des Krieges hat sich in Südafrika in gleicher Weise
bemerkbar gemacht wie in den meisten der vom Kriege betroffenen
Länder. Nach einem Abfallen der Umsätze in den ersten beiden
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XLI
— 6i4 —
Kriegsjahren hat sich der Handel 1916 wieder bedeutend ge-
steigert, 80 daß nicht nur alle alten Bestände vorteilhaft verwertet,
sondern auch alle vorhandenen Industrien aufs stärkste beschäftigt
werden konnten. Es betrugen (in 1000 £):
1916 1915
Einfuhr 4' 185 33 834
Ausfuhr (Gold nicht inbegriffen) 23 946 16 859
Der Aufschwung, den die Ausfuhr seit 1911 genommen hat, wird am deut-
lichsten erkennbar, wenn die Zahlen für Diamanten, Straußfedern (und Gold)
fortfallen. Es verbleiben sodann (in 1000 £):
1916 1915 1914 1913 1912 1911
15653 II 610 10025 II 456 10378 8734
Der Gesamtwert der eingeführten Waren übersteigt für 1916 den aller
früheren Jahre trotz der schweren Hindernisse, die sich dem Handel 1916 auf
allen Seiten entgegenstellten. Selbst wenn man die Preissteigerungen in den Pro-
duktion slän dem berücksichtigt, so bleibt doch die starke Zunahme der Einfuhr
bemerkenswert. Seit Gründung der Union (1910) hat die Einfuhr ständig zu-
fenommen und erreichte 1913 das erste Maximum. Untersucht man die einzelnen
linf uhrzahlen, so ergibt sich das erstaunliche Resultat, daß Südafrika in den
letzten Jahren hauptsächlich infolge des Krieges ein nicht zu unterschätzendes
Produktionsland geworden ist, besonders in landwirtschaftlichen Erzeugnissen.
In den wichtigsten ost- und westafrikanischen Kolonien
Englands erreichte der Außenhandel folgenden Umfang (in 1000 £) :
1914/15 1915/16
Ostafrikanisches f Einfuhr 1469 1708
Protektorat \ Ausfuhr 1005 im
1914 1915 1916
654
Uganda (Einfuhr - 458
Uganda \ Ausfuhr — 418
Nigeria /Einfuhr 6901 5016
iNigeria \ Ausfuhr 6610 5660
482
Goldküste
/Einfuhr 3158 31 17 4882
\ Ausfuhr 4470 5815 5576
Der Außenhandel der Straits Settlements (Malakka) war
in den letzten beiden Jahren folgender (in 1000 £):
1915 1916
Wareneinfuhr 49803 61855
davon aus :
Großbritannien 4 263 5 ö2i
Japan i 740 2 659
Vereinigte Staaten 830 i 3^7
Europäischer Kontinent i 4^5 i 603
Warenausfuhr 46495 56934
In der Einfuhr sind die bedeutenden Mengen Zinn und Gummi einge-
schlossen, die von den Malayen-Staaten und Niederländisch-Indien über die Straits
Settlements ausgeführt werden.
Ueber den Außenhandel der föderierten Malayen-Staaten
wird folgendes berichtet (Angaben in 1000 £):
1913 1914 1915 1916
Einfuhr 10 081 8607 7157 8339
Ausfuhr 17345 14402 18950 25731
In den letzten beiden Fiskaljahren (1. Juli bis 30. Juni) hatte der
Außenhandel der Philippinen folgenden Umfang (Angaben in
Mill. £):
- 6i5 -
1915/16
1916/17
Einfuhr
9,1
IO,4
Ausfuhr
12,0
14,0
An der Einfuhr waren die Vereinigten Staaten von Amerika mit 53 v. H.,
an der Ausfuhr mit 60 v. H. beteiligt.
Ueber den Außenhandel Brasiliens in den Jahren 1915 und
1916 (vgl. oben S. 334j wird folgendes mitgeteilt:
(in Papierl
[ontos)
1915 1916
Einfuhr
582 996 809 099
Ausfuhr
Ausfuhrüber
I 022 634 I 107 508
schuß
439 638 298 409
Der Handel Brasiliens mit
den wichtigsten Herkunfts-
und Bestimmungs-
ländern war folgender:
Herkun
ftsländer (in 1(XX) £):
Neutrale:
1916
1915
Alliierte:
1916
1915
Spanien
469
432
Großbritannien und
Schweiz
512
318
Kolonien
8282
6650
Holland
273
207
Kanada
269
246
Dänemark
229
'32
Neufundland
691
641
Schweden
526
265
Indien
652
561
Norwegen
411
500
Neuseeland
6
21
Griechenland
7
3
Frankreich
2095
1487
Vereinigte Staaten
15850
9651
Italien
1410
1327
Kuba
4
3
Bußland
16
12
Mexiko
257
'J?
Portugal
I 872
1490
Argentinien
5<>75
4786
Japan
23
II
Uruguay-
601
447
Verschiedene
47
70
Paraguay
42
67
15363
12516
Chile
12
20
Bolivien
—
—
Peru
4
3
Ecuador
I
Venezuela
—
—
China
54
24926
35
17 013
Bestimmungs
länder (in ICXX) £):
Neutrale
■tnio
1915
Alliierte:
1916
1915
(bis Ende 1916 neutral): ^*'^"
Großbritannien
6478
6571
Spanien
460
323
Aeeypten
91
264
Holland
1685
3370
Britisch Südafrika
441
380
Dänemark
414
I 221
Kanada
3
I
Schweden
1532
4776
Frankreich
8889
6044
Norwegen
295
1565
Algier
118
137
Griechenland
5
207
Italien
3401
1663
Vereinigte Staaten
25 828
22 146
Bußland
—
Kuba
63
36
Portugal
321
508
Argentinien
3 354
2675
Bumänien
Uruguay
1471
2
914
Japan
—
—
Paraguay
19742
15568
Chile
152
147
Bolivien
5
I
Peru
I
2
China
—
—
352Ö7
37383
XLI*
- 6i6 —
Ueber die Entwicklung der holländischen Schiffahrt
während des Weltkriegs und ihre Aussichten in der künftigen Friedens-
zeit schrieb (nach dem „W. N. D. Deutscher Ueberseedienst") die
Rotterdamer Handelskammer in ihrem Jahresbericht über 1916 folgendes:
„Der Wohlstand nicht nur der kriegführenden Länder, sondern auch
der Neutralen wird nach dem Kriege ernstlich geschädigt sein. Des-
halb hat auch Holland alle Kräfte einzusetzen, um den künftigen wirt-
schaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. Den kriegführenden
Nachbarn Hollands wird es nach Friedensschluß kaum möglich sein,
einen flotten Handelsverkehr sofort wieder aufzunehmen; die Nieder-
lande dagegen werden leicht Gelegenheit finden, ihren ehemals blühenden
Kommissionshandel wieder aufleben zu lassen. Sie können als Ver-
mittlungsstelle für Finanz- und Warengeschäfte zwischen den ver-
feindeten Staaten auftreten, wenn sie, ihrer Freihandelspolitik getreu,
den umliegenden Ländern, die wahrscheinlich zum Schutzzoll als wirk-
samstem Kampfmittel greifen werden, keinen Anlaß bieten, den hollän-
dischen Markt zu meiden. Zur Neubelebung des eigenen Warenhandels
und der nationalen Industrie bietet sich den Handelskammern ein
dankbares Arbeitsfeld z. B. mit der Schaffung eines Baumwollmarktes
und einer Leder- und Häute -Börse, zu denen die Vorarbeiten schon
begonnen haben. Ein Aufblühen von Handel und Industrie ist aber
nicht denkbar ohne eine starke niederländische Handelsflotte, und gerade
diese wurde in den letzten Jahren schwer getroffen. Im Jahre 1916 ist
die Schiffahrt noch weiter zurückgegangen; die Einklarierungen betrugen :
im Jahre Schiffe Raum in 1000 cbm
1916 2979 15 100
1915 3644 19683
1914 7 303 43 336
1913 10 203 59 903
Man muß schon bis 1870 zurückgehen, um auf eine so niedrige Zahl voh
Schiffen zu stoßen: Rotterdam ist also in seiner Schiffahrt um ein Vierteljahr-
hundert zurückgeworfen worden.
Obige Zahlen lassen sich, wie folgt, zerlegen:
1916 1915 1914 1913
Schiffe 1000 cbm Schiffe 1000 cbm Schiffe lüOO cbm Schiffe 1000 cbm
Europa
2264
6719
2902
10254
6426
31347
8944
43256
Asien
56
794
74
I 118
143
2132
186
2677
Afrika
30
125
38
174
183
1466
246
2046
Amerika
629
7461
630
8136
544
8333
815
"795
Australien
—
—
—
7
60
12
127
Der Schiffsverkehr mit Spanien, Rußland, Rumänien und einer ganzeu
Reihe anderer europäischer Länder hat überhaupt aufgehört; auch die Afrika-
fahrt ist fast ganz eingestellt worden. Unter den europäischen Ländern spielten
nur noch England, Norwegen und Schweden eine Rolle, was sich am besten zeigt,
wenn man die Ein klarier ungsziffern der aus diesen Ländern gekommenen Schiffe
den gesamten Ankünften aus europäischen Häfen gegenüberstellt.
1916 1915
Ankünfte 1000 cbm Ankünfte 1000 cbm
aus England 1663 5073 2246 ^ 168
„ Norwegen 116 446 232 1565
„ Schweden 280 S^3 227 846
2059 6082 2705 9 579
Ganz Europa 2264 6720 2902 10 «54
— 6i7 —
Die drei genannten Länder bestreiten also dem Schiffsraum nach ungefähr
die Hälfte des Kotterdamer Hafen Verkehrs. In die andere Hälfte teilen sich die
großen Getreidelieferanten, Argentinien und die Vereinigten Staaten:
1916 1915
Ankünfte 1000 cbm Ankünfte 1000 ebm
Argentinien I2i 1017 135 1293
Vereinigte Staaten 492 6208 463 6457
613 7225 598 7840
Hierzu kommen noch:
Niederländische Kolonien 51 735 61 953
Leicht erklärlich ist es, daß unter den heutigen Verhältnissen der Anteil
der niederländischen Flagge steigt; 1916 erfolgten drei Fünftel der Einklarie-
ningen unter holländischer und nur ein Siebentel unter englischer Flagge, während
diese früher obenan stand. Zugenommen hat ferner die belgische Flagge, infolge
ihres Anteils an der Arbeit der ßelief-Kommission.
Alle Schwierigkeiten des Jahres 1915 traten in bezug auf Schiffahrt in ver-
doppeltem Maße 1916 auf. Allerdings winkten auf der einen Seite große Ge-
winne, auf der anderen Seite bedeuteten aber etwaige Schiffsverluste einen un-
ermeßlichen Schaden, da bei der ungeheuren Wertsteigerung der Schiffe die
Kosten für Neubauten kaum aufzubringen waren. Das Jahr 1916 stand ganz
unter dem Zeichen der Unfreiheit, nicht nur der See, sondern auch der ßetriebs-
führung. Von dem Augenblick an, da die Ernährung von Mensch und Tier
durch mangelhafte Zufuhren gefährdet wurde, sahen sich die Kegierungen viel-
fach genötigt, in den Keedereibetrieb einzugreifen. Die Keedereien wurden da-
durch gewissermaßen zu Staatsbetrieben; denn die Regierung bestimmte die
Fahrten und Frachtsätze. In Holland griff der Staat auf zweierlei Weise ein:
erstens, indem er es den Eeedern praktisch unmöglich machte, ihre Schiffe zu
veräußern, zweitens durch das „Schiffrequisitionsgesetz", das sämtliche Besitzer
von Schiffen über 400 t vergewaltigte. In der Praxis bedeutete das Gesetz die
zwangsweise Fortsetzung der 1916 getroffenen gütlichen üebereinkunft zwischen
Eegierung und Eeedern, um die Getreidezufuhren zu sichern, über deren Ver-
längerung sich die Parteien nicht einigen konnten. Auch die Schwierigkeiten,
die England den auf englische Bunkerxiohlen angewiesenen Schiffen bereitete,
dürfen nicht vergessen werden, die nur allzuhäufig die Eeeder hinderten, ihren
Verpflichtungen gegen das eigene Land nachzukommen."
Wie in den „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirt-
schaft" mitgeteilt wird, kann die Frachtschiffahrt Bergens
(Norwegen) auf ein außerordentlich erfolgreiches Jahr (1916) zurück-
blicken.
Der Eeinüberschuß beträgt für die Jahre 1910 — 1916, wie folgt: 1910 etwa
4,5, 1911 etwa 7,2, 1912 etwa 12,4, 1913 etwa 15,0, 1914 etwa 10,0, 1915 etwa 47,7
und 1916 etwa 104,0 Mill. Kr.
Darin sind nicht mitinbegriffen die Einnahmen der Bergenske Dampskibs-
selskap und auch nicht die Gewinne, die sich aus dem Verkaufe von Schiffen
ergeben haben. Diese müssen schätzungsweise als ganz erheblich veranschlagt
werden.
Die Bergensche Flotte hatte im Jahre 1916 folgende Abgänge zu ver-
zeichnen :
durch Verkauf
6
Schiffe
von
1 1 405 Keg.-T.
„ Seeschaden
13
>>
))
10550 n
„ Versenkung
35
n
}y
56310 „
„ Abbruch
2
}t
112
„ Verkauf nach anderen nor-
„ wegischen Häfen
70
*>
»1
80 985 „
als gute Prise erklärt
I
Schiff
II
I5IO
zusammen 127 Schiffe von 160972 Beg.-T.
— 6i8 —
Dagegen sind folgende Schiffe dem Bestände zugeführt worden:
durch Neubauten in Norwegen 20 Schiffe von 4 730 Eeg.-T.
„ Neubauten im Ausland 14 ,, „ 27 672 „
„ Kauf vom Ausland 33 „ „ 81 305 „
„ Kauf von anderen nor-
wegischen Häfen 73 » .. 87 590 „
zusammen 140 Schiffe von 201 279 Reg.-T.
Das Ergebnis bedeutet eine Vergrößerung der Flotte um 13 Schiffe von eu-
sammen 40 325 Reg.-T., die zufolge ßergens ßörs Aarbok Anfang dieses Jahres
aus 375 Dampfern von 572 904 Reg.-T. und 6 Segelschiffen von 5622 Reg.-T.
bestand.
lieber die Schiffahrt Chinas während der letzten beiden Jahre
veröffentlichen die „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirt-
schaft" nach englischen Quellen folgenden Bericht:
Der im Jahre 1915 herrschende Schiffsraummangel machte sich während des
Jahres 1916 noch weit mehr fühlbar. Die hauptsächlichsten Gründe dafür waren
die Inanspruchnahme von Schiffen durch die kriegführenden Regierungen und
das gänzliche Fehlen der deutschen Schiffahrt. Die Frachten nach allen Rich-
tungen waren sehr hoch, die Mindeststeigerung für Fracht nach Europa stellte
sich auf 25 v. H. Einige Linien erhöhten ihre Frachten noch weit mehr und
versteigerten geradezu ihren Laderaum an den Meistbietenden. Gegen 1915 ergab
sich unter Einrechnung aller chinesischen Schiffe eine Gesamtabnahme um
2 642 904 t, wovon auf die fremde Schiffahrt 1 881 004 und auf die chinesische
761 900 t entfielen. Britischer Schiffsraum war um 1 835 000 und russischer um
377 000 t weniger vorhanden. Die amerikanische, niederländische, norwegische
und portugiesische Flagge zeigten geringe Verluste, während die japanische um
360000 t stieg. Die dänische, französische und schwedische Flagge zeigte eine
kleine Zunahme. Der Dampferverkehr zwischen Itschang und Tschungking ent-
wickelte sich so günstig, daß noch weitere Schiffe für diesen Verkehr gebaut
werden. P. Arndt.
V. Yersicherungswesen.
Inhalt: 1) Privat Versicherung. Deutschland. Ergebnisse der
Rückversicherung 1916. Ergebnisse der Hagelversicherung 1917. Inkrafttreten
der Versicherungsordnung. Ernste Lage der Glas Versicherung. Neue Verschmel-
zungen. Ausland. Feuer- und Hagelversicherung Oesterreich-Ungarns 1917.
Die Privatversicherung in der Schweiz. Neue Volks Versicherung in der Schweiz.
Norwegische Seeversicherung 1916. Neue Stundung der Versicherungszahlungen
in Frankreich. Neue Seeversicherungen in England. Seeversicherung in Kanada.
Zwangslebensversicherung für die amerikanischen Truppen. StaatHche Seekriegs-
versicherung in Japan.
2) Sozialversicherung. Deutschland. Kinderzulagen- und Hinter-
bliebenenversicherung für die bayrischen Staatsbeamten. Ausland. Das neue
ünfallversicherungsgesetz in Oesterreich. Pensionsversicherung für Privatange-
stellte in Dänemark.
1. Privatversicherung.
Ueber die Ergebnisse der deutschen Rückversiche-
rungsgesellschaften im Jahre 1916 berichtet der Wiener „Natio-
nalökonom". Danach waren gegenüber dem Vorjahr 49 Gesellschaften
tätig, deren Geschäftsgang in allen Zweigen mit Ausnahme der Unfall-
rückversicherung wesentliche Steigerung erfahren hat.
Es ist dies um so bedeutender, nachdem der Weltverkehr den deutschen An-
stalten immer mehr sich verschließt und die Geschäftszunahme wohl haupt-
~ 619 —
sächlich auf Mitteleuropa sich beschränken dürfte. Die Ergebnisse waren
finanziell weniger günstig als im Jahre 1915, da die Schäden sich im ganzen und
großen prozentual höher stellten; sie erforderten 66,6 gegen 65,1 Proz. Die Zu-
nahme der Schäden ist in erster Linie auf die Transportversicherung zurückzu-
führen, während in der Feuerbranche nahezu der gleiche Prozentsatz wie 1915
verbraucht wurde. Wir glauben jedoch, daß in Wirklichkeit die Gesamtschäden
sich günstiger stellten, als unsere Tabelle ausweist, da sehr bedeutende Beträge
als Schadenreserven beseitigt wurden, welche wohl weitaus den wirklichen Bedarf
hierfür überschreiten dürften.
Der Geschäftsbetrieb brachte einen industriellen Nutzen von 6617 305 M.
gegen die beiden Vorjahre 8 763 365 M. resp. 4 493 482 M. Sieht man jedoch die
Kentabilität der einzelnen Branchen an, so zeigt sich eine wesentliche Besserung
in der Feuerversicherung in den zwei letzten Jahren. Gegenüber den Nettoprämien-
einnahmen von 272 Mill. für eigene Rechnung beträgt der Nutzen nicht ganz
2,9 Proz., was einem bescheidenen Gewinstsatz entspricht. Außerdem haben die
Gesellschaften an Zinsen 26 095 929 M. eingenommen, wovon für die Lebens- und
ünfallreserven 15 472 964 M. verbraucht wurden, während 10 622 965 M. als Ge-
winn verbleiben. Dagegen ergab sich ein Kursverlust von 4146050 M., soweit
derselbe zur Verrechnung gelangte. Angesichts des günstigen Verlaufes des
Krieges dürfte später ein großer Teil der Kursabschreibungen hereingebracht
werden.
Die Einnahmen und Ausgaben verteilen sich 1916 in Tausenden Mark:
Feuer- Transport- ^°^^^^}; , Lebens- ß,^"^^,^
Versicherungen
Brutto-Prämien 265 250 57 837 20 489 93 23 2^) 52 805
abßückv.-,, 106 117 34600 2457 13492 18096
„ Res.-Zuwachs 9315 1633 +643 31882 220
Netto-Prämien 149 817 21604 18675 47858 34489
Davon wurden verwendet für eigene Rechnung:
Eig. Schäden 95 477 18822 9206 36277 21783
Ges. Kosten 50074 3875 8402 10975 10935
Präm.-Ueberschuß 4266 1092 1067 606 i 77i
Die Ergebnisse sind weniger günstig als im Vorjahre, was wohl auf die Zu-
nahme der Schäden zurückzuführen ist. So erforderten die Feuerschäden
netto um 6,3 Mill. mehr gegen das Vorjahr, während die Nettoprämien um zirka
8 Mill. mehr betrugen. Insgesamt absorbierten die Schadenzahlungen für eigene
Rechnung im Berichtsjahre 66,4 Proz. der Nettoprämien; seit 1^5 waren die
Schadensätze 63,1, 65,6, 66,2, 70,3 68,2, 69,8, 69,7, 74.4, 73,8, 67,0, 68,3, 68,5, 68,1,
72,4, 72,7, 72,0, 71,6, 69,6, 66,4, 68,2 66,5, 80,2, 66,8, 67,3, 67,4, 64,5, 67,6, 66,4,
66,4, 67,6, 65,1 und 66,6 Proz.
Die Feuer- und Transportbranchen partizipieren in ungleicher Weise
an den Schäden, denn es erforderten die Schaden Zahlungen für eigene Rechnung,
soweit dies zu ermitteln war, in Prozenten der Nettoprämien:
1916 1915 1914 1911/15 1906/10 1901/5 1896/0 1887/95
Feuervers. 63,7 63,0 68,9 67,6 69,9 70,4 71,6 69,7
Transp.-V. 87,1 83,4 84,3 80,8 81,1 78,6 80,3 79,8
Weit mehr als die Hälfte der ganzen Prämieneinnahmen entfallen anf die
Feuerversicherung, zu welcher auch ein Teil der Einnahmen der „Gemischten
Branchen" zu rechnen ist; der Gewinn dieser Branche betrug, soweit konstatier-
bar, 2,8 Proz. der Nettoprämien, gegen 2,9 resp. 0,4 Proz. in beiden Vorjahren.
In den Jahren 1906 bis 1916 lieferte die Feuerversicherung im Durchschnitte
1,5 Proz. üeberschuß.
1) Dabei Reservefondszinsen.
— 620 —
In der Tran sportbran che war die Gewinstchance mit Ausnahme der drei
letzten Jahre eine viel günstigere. Das Berichtsjahr hat der Transportver-
sicherung einen Verlust von 1092 468 M. gebracht; das Ergebnis wäre weit un-
günstiger, wenn nicht die geringen Provisionen in der Transportbranche ein aus-
gleichender Faktor wären. Im Jahre 1916, wo der Schadensatz für die Trans-
portbranche um 23,5 Proz. höher als in der Feuerbranche war, ergab sich für
die Feuerversicherung 2,8 Proz. Gewinn, während die Transportbranche einen
Verlust von 5 Proz. ausweist.
Soweit konstatierbar, war die Verwendung der Nettoprämien in
beiden Hauptbranchen im Jahresdurchschnitte:
Feu erversicherung Transportversicherung
1916 1915 1911/15 1891/10 1916 1915 1911/15 1891/10
Schäden 63,7 63,0 67,6 70,5 87,1 83,4 80,8 79|9
Kosten 33,5 33,.'> 31,4 29,1 17,9 i6,& 17,6 17,7
Ueberschuß 2,8 3,5 0.0 0,4 — 5,0 0,1 1,6 2,4
IOC ICO ICD 100 IOC 100 IOC 100
Die günstigere Gestaltung, welche infolge der Prämienregulierungen im letzten
Jahrzehnte die deutschen Eück Versicherungsgesellschaften erhofften, ist in sehr
beschränktem Maße eingetreten, wie die folgenden Zahlen zeigen. Der gesamte
industrielle Ueberschuß war seit 1885 in Prozentsätzen der Nettoprämien: 8,2,
7,9, 6,0, 3,1, 4,9, 3,3 2,9 —1,9, -2,8, 4,5, 2,0, 3,5, 3,1, 1,5, —1,0, -1,5, —1,3, 1,4,
3,6 0,94,0, —9,0, 3,8, 2,6, 3,5, 4,3, 1,8, 2,5, 2,6, 1,7 3,4, 2,4 Proz.
Die finanziellen Verhältnisse der deutschen Rück Versicherungsge-
sellschaften sind die denkbar besten. Vom Aktienkapital per 234,8 sind 6OV0 Mill.
bar eingezahlt. Außerdem besitzen die Gesellschaften für 135 Mill. Vermögens-
reserven, 521 Mill. an Prämien reserven, 118 MiU. an Schadenreserven. Bei
Prämien- und Schadenreserven sind gar nicht jene Summen einbezogen, welche
sich auf direkte Versicherungsbranchen beziehen.
Von den Gesamtfonds per 78OV3 ^^^- entfallen nicht weniger als 61,8 Mill.
auf Verrechnungen mit Versicherungsgesellschaften; die übrigen Aktiven sind
pupülarsicher angelegt.
Ueber die voraussichtlichen Geschäftsergebnisse der
deutschen Hagelversicherungsgesellschaften 1917 be-
richten die Tageszeitungen, daß der günstige Schadenverlauf der vor-
angegangenen Jahre nicht mehr beobachtet werden konnte.
Schon die Zahl der Frühschäden nahm in einzelnen Gebieten, so nament-
lich in der Rheinprovinz, einen ganz bedeutenden Umfang an. Ausgedehnte
Hagelwetter mit schweren Schädigungen brachte auch der Monat Juni. Der
Juli verlief bis zum letzten Drittel günstiger. Von da ab steigerte sich die Ge-
witterbildung ganz erheblich, und namentlich in der Zeit von Ende Juli bis zum
10. August wurden den Gesellschaften schwere Ernteschäden gemeldet. Diese
Gewitterneigung hielt noch über den ganzen August bis in den September hin-
ein an. Hauptsächlich betroffen wurden die Rheinprovinz und Westfalen, femer
die Provinzen Schlesien, Pommern, Brandenburg, sowie die Großherzogtümer
Mecklenburg. Auch in einzelnen Teilen von Ost- und Westpreußen und der
Provinz Sachsen waren schwere Schäden zu verzeichnen. Nach einer Mitteilung
des Verbandes der Deutschen Hagelversicherungs-Aktiengesellschaften können in
Anbetracht der Gesamtlage des Geschäfts die Ergebnisse der diesem Verband an-
geschlossenen Gesellschaften immerhin als befriedigend bezeichnet werden, da die
erzielten Ergebnisse voraussichtlich gestatten werden, die Rücklagen für künftige
Jahre wiederum zu verstärken.
Ueber den Ernst der Lage in der deutschen Glasver-
sicherung ist dem „Versicherungsagent" folgende Darstellung zu ent-
nehmen :
— 621 —
Der Weltkrieg mit seinen verderblichen Folgen für die gesamte Volkswirt-
schaft hat auch die deutschen Glas Versicherungsgesellschaften im Laufe der drei
Kriegsjahre in eine Eeihe schwieriger Verhältnisse gebracht. Die Zwangslagen,
in die hierdurch die Glas Versicherer gerieten, waren jedoch bis heute, trotz aller
augenblicklichen Bedrohlichkeit, nicht so einschnürender Natur, als daß sich nicht
immer noch wieder Mittel und Wege finden ließen, die einen gewissen Ausgleich
zum Ziele hatten. So führte das Ausbleiben des Neugeschäftes seit Kriegsbeginn
— in der Hauptsache die Folge des Darniederliegens der Bautätigkeit und des
ständig zunehmenden Mangels an Außenpersonal — von selbst zu einer sorg-
samen Pflege und Konsolidierung des alten Bestandes, die mancherlei Nutzen
brachte. Den in rascher Aufeinanderfolge sich ablösenden, über jedes Erwarten
hinausgehenden Preissteigerungen des bpiegelglases und der Verteuerung der
Einsetzkosten suchten die Gesellschaften durch vorsichtige und doch nachhaltige
Prämien Steigerun gen einerseits und kluges Entgegenkommen ihren Versicherten
gegenüber andererseits geschickt und erfolgreich zu begegnen. Die Schaden ziff er,
die im letzt vergangenen Kriegsjahre insbesondere auch durch die zahlreichen
Schaufenstereinbrüche stark angespannt war, konnte durch sorgfältigste Risiken-
auswahl auf eine immer noch erträgliche Quote heruntergedrückt werden. Stärkere
Reservestellungen, Beschränkung der Unkosten auf das notwendigste Maß kenn-
zeichneten in den Rechenschaftsberichten das eifrige Bestreben der verantwort-
lichen Stellen, die finanzielle Lage der Unternehmungen gesund und widerstands-
fäühig zu erhalten.
So ergab sich bis vor kurzem noch ein Bild der deutschen Glasversicherung,
das — wie auch die Zahlen unserer üblichen Tabelle über die Geschäftsergebnisse
der deutschen Glas Versicherungsgesellschaften im Jahre 1916 darlegen — die
Aussicht auf ein erfolgreiches Durchhalten dieses schwergeprüften Versicherungs-
zweiges bis zu besseren Friedenszeiten nicht verkümmerte.
Bis vor kurzem noch — denn seit dem 25. Juli d. Js. ist eine Aenderung
der Verhältnisse eingetreten, die zu ernsten Befürchtungen für die Zukunft An-
laß geben und auch die unentwegten Optimisten, die Gleichgültigen und die
starrköpfigen Besserwisser zu einer Revision ihrer Anschauungen führen muß.
An diesem Tage nämlich hat sich der Verein deutscher Spiegelglasfabriken
G. m. b. H. in Köln mit einem Rundschreiben betr. Lieferungsunmöglichkeit
durch verminderte Kohlenzufuhr an die Spiegelglaslagerhalter gewendet, in dem
es u. a. heißt: „Für neue Bestellungen, selbst wenn es sich um Lieferungen der
oben erwähnten dringenden Art handelt, müssen wir uns Annahme von Fall zu
Fall vorbehalten, insbesondere zwecks Prüfung der etwa vorliegenden besonderen
Dringlichkeit."
Aus dem Inhalt dieses Rundschreibens geht mit krasser Deutlichkeit her-
vor, daß für die Glasversicherungsgesellschaften in bedrohlich naher Zeit die Un-
möglichkeit eintreten kann, Ersatzscheiben — die bis jetzt, wenn auch zu fabel-
haft hohen Preisen, so doch immerhin noch zu haben waren — überhaupt zu
beschaffen. Was wird dann ? Wie werden sich die Versicherten zu den Gesell-
schaften stellen, wenn sie sich sagen müssen, daß in Schadenfällen Naturalersatz
von den letzteren doch nicht zu haben ist? Jeder Einsichtige muß zugeben, daß
die Glasversicherer hier zum ersten Male im Kriege vor einer Situation stehen,
die so ernst, so bedeutungsvoll für die Zukunft ist, daß nur ein rasches, tat-
kräftiges Handeln die schlimmsten Folgen abzuwenden vermag.
Ueber neue Verschmelzungspläne wird berichtet. Die
Württembergsche Feuerversicherungs- Aktiengesellschaft in Stuttgart
übernimmt die „Lübecker Feuerversicherungs- Gesellschaft von 1826
Aktiengesellschaft" in Lübeck. Ferner soll die Bremen-Hannoversche
Lebensversicherungs- Aktiengesellschaft „Freia" in Berlin die „Deutsch-
land", Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft in Berlin, in sich auf-
nehmen.
Das diesjährige österreichisch-ungarische Feuerver-
sicherungsgeschäft entwickelt sich, wie der Wiener Börsen- und
— 622 —
Handelsbericht zu melden weiß, wenn man es den Ergebnissen des
vergangenen Jahres gegenüberhält, in recht ungünstiger Weise, und
daran ändert auch die infolge der starken Wert- und Preissteigerungen
eingetretene Vermehrung der Prämieneinnahmen nichts, da von allen
Seiten schwere Brände gemeldet werden, die große Schadenbeträge zur
Folge hatten.
Speziell für jene inländischen Gesellschaften, die wegen ihrer Rückver-
sicherungsbeziehungen zu deutschen Gesellschaften auch mit deutschen Alimenten
zu rechnen haben, stellt sich die Sache noch schlimmer, da auch im Deutschen
Eeiche zahlreiche schwere Brände stattgefunden haben. — Ist so das Büd,
welches die Feuerversicherung im laufenden Jahre bei uns zu Lande kennzeichnet
— wir wiederholen es : im Gegenhalte zum glänzenden Vorjahre — kein günstiges,
so läßt sich dagegen über den Verlauf des heurigen Hagelgeschäftes nur Erfreu-
liches berichten. Mit Ausnahme von Oberösterreich und Salzburg ist das Hagel-
geschäft in allen Kronländern und in Ungarn gut, ja, sehr gut verlaufen, so daß
man schon heute, da mit Rücksicht auf den Stand der Ernteeinbringung und
auf die vorgeschrittene Jahreszeit kaum noch größere Gefahren drohen und
Schäden zu erwarten sind, dem Jahre 1917, was die Hagelversicherung anbelangt,
ein sehr befriedigendes Zeugnis ausstellen kann.
Gegen das Inkrafttreten der das Recht der Privatversicherung
regelnden österreichischen Versicherungsordnung wendet
sich die „Wiener Spar- und Renten-Zeitung", indem sie schreibt:
Am 1. Jänner 1918 soll die neue Versicherungsordnung in Wirksamkeit
treten. Von den Anstalten wird ein neuerlicher Aufschub dieses Termins ange-
strebt. Es bedarf hiezu nur einer neuen Verordnung. Für das große Publikum
selbst ist in dieser, mit Ausnahme der Tran sportbran che, versicherungsstillen Zeit
— denn die Kriegsversicherungen verschiedener Art gehen ihren Weg außerhalb
der Verordnung — der erwähnte frühzeitige Termin nach Ansicht der inter-
essierten Kreise praktisch von keinem Interesse. Die Versicherungsnehmer in
der Transportbranche sind fast durchwegs Kaufleute und Handeltreibende; sie
bedürfen eines erhöhten Schutzes an sich nicht. Dagegen bedeutet für die Gre-
sellschaften dieser Termin eine gegen Friedenszeiten sehr beträchtliche Mehraus-
gabe an Papier und Drucksorten, abgesehen davon, daß eine übergroße Men^e
von altem Material nutzlos wird. Als Ausweg wird vorgeschlagen, daß der Termin
vom 1. Jänner 1918 auf den 1. Jänner desjenigen Jahres verschoben würde, das
dem Jahre folgt, in dem der Friede ratifiziert wird, mindestens aber auf den
1. Jänner 1919.
Mit dem kürzlich veröffentlichten Berichte des schweize-
rischen Versicherungsamtes über den Stand der privaten Ver-
sicherungsgesellschaften in der Schweiz im Jahre 1915 kommt das
dritte Jahrzehnt der staatlichen schweizerischen Aufsichtstätigkeit auf
diesem Gebiete zum Abschluß. Die gesetzlich vorgeschriebene jähr-
liche Berichterstattung über diese soll in erster Linie dem versicherten
Volke Auskunft über den Stand der Gesellschaften geben, denen es
sich anvertraute oder anzuvertrauen im Begriffe steht.
Mit Rücksicht auf die Zeitverhältnisse verzichtet der Bericht auf eine zu-
sammenfassende Darstellung der bisherigen Tätigkeit des Versicherungsamtes.
Dagegen werden in der Einleitung einige interessante allgemeine Bemerkungen
über die gegenwärtige Lage des Versicherungswesens gemacht, die durch den
Krieg naturgemäß vorwiegend in unerfreulichem Sinne beeinflußt wurde. Als
Kennzeichen der Kriegszeit ist die Tatsache angeführt, daß im Jahre 1915 weder
der Bestand der Gesellschaften noch die Zahl und die Art der von ihnen be-
triebenen Zweige sich geändert haben. Von den 105 Gesellschaften sind 96 kon-
zessioniert, und 9 haben auf die Konzession verzichtet. Unter den 96 konzessio-
— 623 —
nierten befinden sich 4 schweizerische und eine englische Rückversicherungs-
fesellschaft. Das direkte Geschäft wird mithin von 91 Gesellschaften, darunter
5 schweizerischen, betrieben. Nicht weniger als 66 Unternehmungen stammen
vom Auslande, davon 33 aus Deutschland und 22 aus Frankreich. Ein Beispiel
internationaler Gastlichkeit, auf das, wie der Bericht bemerkt, in diesen Zeiten
feindlicher nationaler Absperrung wohl hingewiesen werden darf. Nachdem auch
die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die bei uns mit 2 Gesellschaften
vertreten sind, sich im Kriegszustande befinden, gehören nunmehr sämtliche in
der Schweiz arbeitende ausländische Gesellschaften kriegführenden Staaten an,
da die übrigen neutral gebliebenen Länder bei uns durch keine Versicherungs-
gesellschaften vertreten sind. Die Ausdehnung des Versicherungsgebietes über
die Landesgrenzen hinaus gehört aber bei manchen Zweigen, namentlich bei der
Transportversicherung, zu den technischen Geschäftsbedingungen. Für den Be-
trieb der Rückversicherung vollends ist diese Ausbreitung unentbehrlich. Nicht in
letzter Linie hängt, wie der Bericht betont, die Leistungsfähigkeit des Privatver-
sicherungswesens mit der Erhaltung eines Netzes internationaler Beziehungen zu-
sammen. Eine schroffe nationale Einschränkung würde sich daher gegen die
eigene Volkswirtschaft richten. Die Einsicht von dieser besonderen Stellung des
Versicherungswesens im Wirtschaftsleben scheine wohl auch bei der ausnahms-
weisen Behandlung mitgewirkt zu haben, die die Vereinigten Staaten gegenüber
dem Geschäftsbetriebe der deutschen Versicherungsgesellschaften in der Union
angeordnet haben.
Wichtig für das schweizerische Versicherungswesen sind insbesondere auch
zwei ßundesratsbeschlüsse aus dem Jahre 1915. Der eine, vom 5. März datiert,
verbot die Verwendung von ziffermäßigen Nettokosten auf stellungjen im Anwerbe-
betrieb, der andere, vom 5. Oktober, betraf die Kautionen der konzessionierten
ausländischen Lebensversicherungsgesellschaften. Der Bericht bemerkt hierzu:
„Dem zweiten Beschluß, der die kautionsmäßige Sicherstellung des Deckungs-
kapitals aller laufenden schweizerischen Lebens Versicherungsverträge verlangte,
wurde von den meisten Gesellschaften mit bemerkenswerter Easchheit Folge ge-
leistet. Es darf aber nicht übersehen werden, daß dieser Bundesratsbeschluß in
Kriegszeiten erlassen wurde, daß die Schwierigkeiten seiner Durchführung mit
der Zeit sich steigerten und daß das Entgegenkommen der Aufsichtsbehörde in
wachsendem Maße in Anspruch genommen wurde. Am 31. Dezember 1916 waren
von sämtlichen 105 Gesellschaften Kautionen hinterlegt im Nennwerte von
219 364 985 frcs. Darunter befanden sich an schweizerischen Werten 54 524000
frcs., mithin annähernd ein Viertel des bisher hinterlegten Kautionsbestandes.
Dieses an sich unbefriedigende Verhältnis ist unter dem Gesichtspunkt der
zahlreichen Schwierigkeiten zu würdigen , die die andauernde Kriegslage ge-
schaffen hat.
Nicht nur die unerhörten Valutadifferenzen zwischen Goldwährungsländem
und die weichenden Kurse der zur Hinterlegung angebotenen und geeignet er-
scheinenden Papiere fielen in Betracht Eine neue Sorge entstand für die Be-
hörden durch den rapiden und stetigen Rückgang der Kaufkraft des Geldes über-
haupt. Die Hinterlagen entwerten sich gewissermaßen im Schranke. Nicht ihr
Nennwert, aber ihre Kaufkraft. Denn die Versicherungsverträge sind überwiegend
Geldlieferungsverträge. Der Versicherer verpflichtet sich, dem Anspruchsberech-
tigten bei Eintritt des versicherten Ereignisses eine meist zum voraus bestimmte
Summe Geldes zu bezahlen. Mit diesem Gelde ist der Anspruchsberechtigte in der
Lage, sich auf dem Markte die benötigten Waren zu kaufen. In diesem Sinne
kommt es mithin nicht bloß darauf an, daß dem Empfänger die vereinbarte Summe
Geldes vom Versicherer unverkürzt ausbezahlt wird, sondern darauf, daß er mit
dieser Summe die beim Vertragsabschluß vorgesehene Menge von Gebrauchswaren
sich tatsächlich beschaffen kann. Die fortschreitende Geldentwertung fälscht
aber alle Zahlungsverträge und namentlich die langfristigen Versicherungsver-
träge. Der versicherte Gläubiger wird benachteiligt zugunsten des Schuldners.
Mag die Versicherungsgesellschaft ihre Verpflichtung nowi so peinlich genau er-
füllen, der Empfänger der Versicherungssumme sieht sich durch die Geldent-
wertung, durch die allgemeine Haussekonjunktur um den Zweck der Versicherung
zum großen Teil betrogen, wenn die Waren Verteuerung eine so gewaltige ist wie
-— 624 —
in Kriegszeiten. Sie hat für die Erfüllung deß Versicherungszweckes dieselbe
Wirkung, wie eine partielle Zahlungsunfähigkeit des Versicherers bei unverändert
gebliebener Kaufkraft des Geldes haben würde. So drängt sich uns als eine
weitere tiefgreifende Kriegsfol^e die Notwendigkeit einer Währungsreform auf.
Diese Keform liegt freilich nicht in der Aufgabe des Versicherungsamtes, aber
sie liegt im besonderen Interesse der Versicherten und im wirtschaftlichen Inter-
esse des gesamten Volkes. Darauf hinzuweisen möge uns an dieser Stelle ge-
stattet sein."
Der Verband schweizerischer Konsumvereine beab-
sichtigt, dem Beispiel der deutschen Konsumvereine folgend, eine Vo Iks -
Versicherungsanstalt unter der gleichen Firma wie die ent-
sprechende gleiche Anstalt in Hamburg, nämlich Volksfürsorge, zu er-
richten.
Ueber die Gestaltung der norwegischen Seeversiche-
rung 1916 ist der „Oesterreichischen Versicherungszeitung" folgendes
zu entnehmen : Die norwegischen See Versicherungsgesellschaften weisen
im Jahre 1916 in ihren Eechenschaftsberichten eine starke Steigerung
der Prämieneinnahmen aus. Diese Steigerung ist in erster Keihe auf
das große Kriegsgeschäft zurückzuführen, das sie alle gemacht haben,
sodann aber auch in nicht geringem Grade auf die starke Wertsteige-
rung der Schiffe bei der Kaskoversicherung. Die Prämieneinnahme
der Gesellschaften beträgt insgesamt 209 506 192 Kr. brutto. — Die reine
Seeversicherung war im vorigen Jahre recht ertragreich, dagegen hat
aber die See-Kriegsversicherung durchschnittlich infolge des verstärkten
U-Bootkrieges schlechte Resultate ergeben.
Eine abermalige Stundung der Versicherungsver-
träge in Frankreich wird durch das Amtsblatt der französischen
Republik vom 31. August angekündigt. Hier findet sich neuerdings ein
Dekret, durch das die Stundung der vor dem 4. August 1914 abge-
schlossenen Verträge über Versicherungen, Kapitalisationen und Er-
sparnisse vom September d. J. ab um weitere 90 Tage verlängert wird,
unter Ausdehnung auf die vor dem 1. Dezember 1917 verfallenden
Verträge. Die neue Stundung enthält im übrigen die gleichen Be-
stimmungen wie die letzte, vom 15. Mai 1917.
Die immer stärker fühlbar werdenden Wirkungen des U-Boot-
krieges haben, wie die „Kölnische Zeitung" berichtet, die englische
Regierung gezwungen, ihre staatliche Versicherung gegen
Schiffsverluste einer einschneidenden Umgestaltung zu unter-
ziehen, die am 19. v. M. in Kraft getreten ist.
Bisher versicherten die englichen Reeder ihre Schiffe gegen Zahlung be-
stimmter Prämiensätze bei Gegenseitigkeitsgesellschaften. Diese nahmen eine
Rückversicherung bis zur Höhe von 80 Proz. des Wertes bei der Regierung.
Die Beträge, die so versichert werden konnten, wurden auf den Selbstkostenpreis
der Schiffe abzüglich der Wertabschreibungen zum Satze von 4 Proz. jährlich be-
schränkt. Dazu traten später jedoch 50 Proz., um dem Wertzusatz Rechnung
zu tragen, der für Schiffsraum während des Krieges eingetreten war. Da die so
versicherten Beträge noch erheblich hinter dem Marktwert zurückblieben, über-
nahmen die Gegenseitigkeitsgesellschaften noch höhere Versicherungssummen auf
eigene Rechnung, und wenn sich dann bei Verlusten die Prämienzahlung als
unzureichend für die Deckung der Schäden erwies, forderten die Gesellschaften
von den Reedern Nachschüsse ein. Diese Bedingungen sind nun dahin abge-
— 625 —
ändert worden, daß die Regierung, anstatt wie bisher 80 Proz., volle 100 Proz.
des Risikos übernimmt. Ebenso übernimmt sie das Wagnis für diejenigen Summen,
die bisher allein von den Gegenseitigkeitsgesellschaften getragen wurden. Zu diesem
Zweck sind die Schiffe in drei Klassen eingeteilt worden. Die erste Klasse um-
faßt diejenigen Fahrzeuge, die völlig von der Regierung beschlagnahmt sind und
unmittelbar im Dienste der Regierung beschäftigt werden. Zur zweiten Klasse
tehören die für die bestimmten Linienfahrten beschlagnahmten Schiffe, und zur
ritten freie Schiffe, deren Zahl, abgesehen von denjenigen, die im Küstenhandel
arbeiten, verhältnismäßig klein ist. Die Besitzer der Schiffe der ersten Klasse
brauchen keine Kriegs Versicherungsprämien zn zahlen, und im Fall des völligen
oder teilweisen Verlustes ihrer Schiffe durch Kriegsgefahr trägt die Regierung
den Schaden. Die Reeder sind also in Zukunft von der Verpflichtung, Nach-
schüsse an die Gegenseitigkeitgesellschaften zu zahlen, befreit. Die Eigentümer
von Schiffen der zweiten Klasse fahren nach festen, von der Regierung geregelten
Sätzen und zahlen Prämien nach Sätzen, die von dem Handelsamt festgesetzt
werden. Je höher sich die Prämie für sie stellt, um so kleiner sind die Gewinne,
die dem Staat zufallen. Im Falle von Verlusten haben die Eigentümer solcher
Schiffe das Recht, entweder die nach den Versicherungsscheinen versicherten
Beträge oder den unter Mitwirkung der Regierung festgestellten Wert zu ver-
langen. Die Eigentümer der sogenannten freien Schiffe haben nur Anspruch
auf die nach den Versicherungsscheinen versicherten Beträge. Die Prämien für
diese freien Schiffe werden beträchtlich höher sein, als die bisherigen Sätze.
Dabei kommt jedoch in Betracht, daß diese Schiffe auch ganz erheblich höhere
Frachten als diejenigen der anderen beiden Klassen erzielen.
Wie die Londoner „Central News" melden, wird in Kanada nach
dem Muster von Lloyds eine große See'versicherungsunter-
n eh m u n g gegründet, welche ihr Agentennetz auf die ganze Welt aus-
dehnen soll.
New Yorker Meldungen zufolge hat die amerikanische Finanz-
verwaltung beschlossen, die obligatorische Lebensver-
sicherung für die Mannschaften in Heer und Flotte einzuführen.
Ein Drittel der Prämiensätze soll der Staat für den einzelnen Mann
zuschießen. Dem amerikanischen Staate erwachsen hierdurch im ersten
Jahre ca. 176 Mill. $ an Unkosten.
Die japanische Regierung beabsichtigt, in der demnächst
stattfindenden außerordentlichen Parlamentssitzung einen Gesetzent-
wurf über eine staatliche Seekriegsversicherung einzu-
bringen.
Gegenwärtig ist noch das im September 1915 eingeführte Kriegsseeversiche-
rungs-Bntschädigungsgesetz in Kraft. Auf Grund dieses Gesetzes hat die japa-
nische Regierung es übernommen, 80 Proz. jedes den Versicherungsgesellschaften
im Rahmen des Gesetzes zur Last fallenden Schadens zu decken, ohne daß hier-
für irgendeine Abgabe an die Regierung zu entrichten ist. Zweck dieser An-
ordnung war, das Land vor den hohen Seeversicherungsbeiträgen, die sonst un-
vermeidlich gewesen wären, zu bewahren. Doch ahnte die Regierung bei der
Veröffentlichung des Gesetzes nicht die Größe des damit verbundenen Wagnisses;
sie vermutete vielmehr, daß durch ihren Schritt die Versicherungsgesellschaften
angefeuert würden, im Interesse des auswärtigen Handels die Seeversicherung
weiter auszudehnen. Als aber eine Reihe japanischer Schiffe den Deutschen zum
Opfer gefallen waren und die japanische Staatskasse infolgedessen beträchtliche
Summen hatte zahlen müssen, sah die Regierung ein, daß das in der japanischen
Presse scharf beurteilte Verfahren sich nicht bewährte. Mitte 1916 tauchte der
Vorschlag auf, die bisherigen Bestimmungen aufzuheben und ein geschäftsmäßiges
System, u. a. auch eine staatliche Rückversicherung einzuführen. Inzwischen hat
— 626 —
die Kegierung Erhöhungen der Beiträge für die Gesellschaften vorgeschrieben
und neuerdings die Gewässer des Mittelländischen Meeres als nicht mehr unter
das Entschädigungsgesetz fallend erklärt.
2. Sozialversicherung.
Der bayerische Staat beabsichtigt, eine Kinderzulagen-
und Hinterbliebenenversicherung für seine Beamten einzu-
führen. Hierüber berichtet die „Münchener Zeitung" folgendes:
Die deutsche ßevölkerungspolitik ist vor eine ernste Aufgabe, die Bekämpfung
des Geburtenrückganges in der deutschen Beamtenschaft gestellt. Die in den
letzten Jahren durchgeführten Familien Standserhebungen der großen deutschen
Verkehrsverwaltungen, der Reichspostverwaltung uud des bayerischen Verkehrs-
ministeriums, ergaben, daß der Geburtenstand unter den deutschen Beamten er-
schreckend niedrig ist. Auf einen verheirateten Keichspostbeamten treffen durch-
schnittlich nur 2 Kinder. Frankreich zählte im Jahre 1911 durchschnittlich
2,79 Kinder auf eine Familie und ist eine sterbende Nation. Die Geburtenziffer
der Reichspostbeamten ist also noch tief unter die französische gesunken. Sie
haben das reine Zweikindersystem, das nach Prof. Dr. Max v. Gruber innerhalb
100 Jahren ein Volk nahezu um zwei Drittel seiner Menschen beraubt Fast
ebenso gering wie bei den Reichspostbeamten ist die Fortpflanzung bei den Be-
amten und Arbeitern der bayerischen Verkehrsverwaltung. Auf einen verheirateten
höheren Beamten der bayerischen Staatseisenbahnverwaltung treffen 1,9, auf einen
mittleren 2,1 auf einen unteren Beamten 3,4 und einen Arbeiter 2,6 Kinder; auf
einen verheirateten höheren Beamten der bayerischen Post Verwaltung treffen 2,1,
auf einen mittleren 1,7, auf einen unteren 2,8 und auf einen Arbeiter 2,1 Kinder.
Im Durchschnitt ist die Geburtenziffer der bayerischen Verkehrsbeamten, die
2,33 beträgt, etwas höher als die der Reichspostbeamten. Immerhin gibt auch sie
zu den ernstesten Befürchtungen Anlaß. Bemerkenswert ist, daß die Ehehäufig-
keit unter den bayerischen Beamten, wie unter den Beamten überhaupt die denkbar
günstigste ist. Von den Reichspostbeamten waren im Jahre 1912 80,7 v. H. ver-
heiratet, während von den bayerischen Eißenbahnbeamten sogar 95,94 v. H. und
von den bayerischen Postbeamten 91,08 die Ehe eingegangen sind. Der Durch-
schnitt der Verheirateten dagegen beträgt bei der männlichen Reichsbevölkerung
im Alter von 20 65 Jahren nur 68,40 v. H. um so mehr muß bei den günstigen
Ehestands Verhältnissen der Beamten ihre auffallend große Kinderarmut befremden
und zum Nachdenken anregen.
Die Ursachen des großen Geburtenrückganges bei der Beamtenschaft liegen
hauptsächlich auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet. Die Beamtenschaft, deren
Geburtenziffer unter allen deutschen Bevölkerungsgruppen die niedrigste ist, ist
auch die einzige gesellschaftliche Schicht, die seit Jahren in einem unaufhalt-
samen wirtschaftlichen und sozialen Niedergang begriffen ist. Dr. Ferdinand Elz
und Dr. Danneel wiesen bereits vor einigen Jahren nach (Preußische Jahrbücher,
Bd. 132, Heft 2; „Jahrbuch der Bodenreform«, Bd. 7, S. 104), daß sich die
deutschen Beamten schon seit Jahrzehnten auf der sozialen Stufenleiter unauf-
hörlich nach abwärts bewegen, und daß sie heute etwa 50—200 v. H. mehr an
Einkünften beziehen müßten, wenn sie den sozialen Schichten wieder angehören
wollten, zu denen sie sich vor 60 Jahren rechnen durften. Die Ursachen der
erschreckend großen Kinderarmut in der deutschen Beamtenschaft sind den Be-
völkerungspolitikern wohl bekannt. Ihre Vorschläge zur Heilung des Uebels sind
daher hauptsächlich darauf gerichtet, die kinderreichen Beamtenfamilien wirt-
schaftlich zu kräftigen und durch die Gewährung von Vermögens vorteilen den
Fortpflanzungswillen anzuregen. Die Versuche, die Bezahlung des Beamten nicht
mehr wie bisher nach seinen Leistungen, sondern nach seinem Familienstand,
nach Ehe und Kinderzahl zu bemessen, stießen aber bei den Beamten selbst auf
großen Widerstand, weil sie in dieser Verquickung von besoldungs- und bevöl-
kerungspolitischen Grundsätzen eine Beeinträchtigung ihrer auf eine gerechte
Besoldung und eine moderne Umgestaltung des Beamtenrechts gerichteten Be-
strebungen erblicken.
— 627 —
Zu den bemerkenswerten Versuchen, die Frage auf eine beide Teile befrie-
digende Weise zu lösen, gehören die sozial- und bevölkerungspolitischen Projekte
der bayerischen Verkehrsverwaltung. Sie will das Ziel, die Geburtenziffer unter
den Beamten zu heben und die wirtschaftlichen Voraussetzungen zu einer stärkeren
Fortpflanzung zu schaffen, durch das Mittel der sozialen Zwangsversicherung,
die Kinderzulagen Versicherung, erreichen. Daneben beabsichtigt sie, durch die
Eiinrichtung einer weiteren Zwangs Versicherung, der Witwenrentenversicherung
und der freiwilligen Kapitalversicherung die große Notlage der Hinterbliebenen
der Beamten zu lindern. Der Gesetzentwurf zu den Projekten, die die gesamte
bayerische Beamtenschaft umspannen, soll bereits den im Herbst dieses Jahres
zusammentretenden bayerischen Landtag beschäftigen. Es ist selbstverständlich,
daß die Beamtenschaft nicht ohne Einfluß auf die Lösung von Fragen sein will,
die so tief in ihre wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse einschneiden. Daher
ist in ihr das lebhafteste Bedürfnis vorhanden, über die geplanten Zwangsver-
sicherungen möglichst bald und eingehend unterrichtet zu werden und dadurch
die Unterlagen zu einem abgeklärten Urteil über die Vorschläge zu gewinnen.
Diese Aufgabe erfüllt eine soeben im Verlage von G. J. Manz, A.-G. München,
erschienene Schrift: Die Kinderzulagen- und Witwenrentenversicherung, ein sozial-
und bevölkerungspolitisches Projekt des bayerischen Staates von Karl Kothmeier
und Karl Heinrich.
Die Schrift bringt zum erstenmal eine ausführliche und lückenlose Dar-
stellung der Bestimmungen der Kinderzulagen-, der Witwenrenten- und der Kapital-
versicherung und ist daher für alle, die sich über das von der Verkehrsverwaltung
geplante soziale Versicherungswerk in allen Einzelheiten unterrichten wollen,
unentbehrlich. In dem kritischen Teile der Broschüre ist eine Berechnung der
finanziellen Wirkung der Projekte auf die Einkommensverhältnisse der Beamten
enthalten, die eine ebenso wertvolle wie zuverlässige Grundlage für die Beurteilung
der Vorschläge bildet. Die Broschüre berührt außerdem sdle die bevölkerungs-
und besoldungspolitischen Fragen, die mit den geplanten Versicherungen zu-
sammenhängen, gibt erschöpfende Aufklärung über den Geburtenstand in Deutsch-
land und die Ziele der deutschen Bevölkerungspolitik, bringt die amtlichen stati-
stischen Uebersichten über die Familienstandserhebungen in der deutschen Be-
amtenschaft und legt in tiefgründigen Schilderungen die wirtschaftlichen und
sozial-ethischen Ursachen der großen Eanderarmut in den Kreisen der Festbesol-
deten dar.
Die Broschüre, die in einem klaren, volkstümlichen Stile geschrieben ist,
gibt jedem, den das Problem fesselt, einen sicheren Führer durch die Wirrnisse
er Meinungen an die Hand. Sie ist um 1,50 Mk. von der Witwen- und Waisen-
kasse des Bayerischen Verkehrsbeamten-Vereins München, Marsstraße 5, oder
durch den Buchhandel, vorm. Verlag G. J. Manz, A.-G. München, zu beziehen.
Gegen die vorstehend geschilderten Pläne wenden sich in einer
Denkschrift die in Bayern tätigen privaten Lebensversicherungsgesell-
schaften.
Die Neuerungen des am 1. Juli 1917 in Kraft getretenen
österreichischen Unfallversicherungsgesetzes stellt der
„Wiener Arbeitgeber" in ihren wichtigsten Teilen zusammen :
Die Höchstgrenze des Jahresarbeits Verdienstes wurde von 2400.— K. auf
3600.— K. erhöht. Für nichts oder wenig verdienende Lehrlinge sind statt
höchstens 600.— K. nunmehr höchstens 12U0.— K. und mindestens 600.— K.
anzurechnen; verdient ein Lehrling selbst mehr als 1200.— K., so ist sein tat-
sächlicher Arbeitsverdienst anrechenbar. Unfälle bei häuslichen oder anderen
Verrichtungen, welche der Arbeiter über Auftrag des Unternehmers oder eines
Betriebs vorgesetzten während der versicherten Beschäftigung verrichtet, sind Be-
triebsunfälle, ebenso wie die Unfälle auf dem Wege von der Wohnung zur Arbeit
und umgekehrt. Das Rentenhöchstausmaß für gänzliche Erwerbsunfähigkeit wurde
von 60 rroz. auf zwei Drittel des Arbeitsverdienstes erhöht; bei Hilflosigkeit des
Verletzten kommt die ßente dem Arbeitsverdienste gleich. Der Höchstbetrag der
Beerdigungskosten wurde von 50. — K. auf 100. — K. hinaufgesetzt. Die unehe-
I _ 628 —
liehen Kinder wurden den ehelichen gleichgestellt und erhalten daher 15 Fror,
des Arbeitsverdienstes der durch den üntall getöteten Mutter, bzw. des Vaters.
Die Höchstgrenze der Hinterbliebenenrenten wird von der Hälfte auf zwei Drittel
des Arbeitsverdienstes des bzw. der Getöteten erhöht. Geschwister und Enkel
können dann, wenn der Verstorbene wesentlich zu ihrem Lebensunterhalte bei-
getragen hat, eine Eentenunterstützung (20 Proz. des Arbeitsverdienstes) bis zum
vollendeten 15. Lebensjahre erhalten, die ihnen bei gänzlicher Erwerbsunfähigkeit
noch weiter gebührt.
Die Versicherungsbeiträge sind zur Gänze von den Betriebsunternehmern
zu zahlen.
Unter Mitwirkung der großen Vereinigungen des Handels, der In-
dustrie und der Schiffahrt ist in Dänemark eine Versicherungs-
anstalt ins Leben gerufen worden, die innerhalb dieser Gewerbe den
Angestellten ßuhegehaltsversicherung gewähren will.
Das Unternehmen ist als eine Versorgungsmaßnahme großen Stils gedacht.
Neu ist an ihm, daß hier ohne die Mitwirkung oder das Eingreifen des Staates
zur Lösung einer sozialen Frage in ihrem ganzen Umfange, nämlich der Sicher-
ßtellung der arbeitsunfähigen Privatangestellten, auf dem Wege der Versicherung
geschritten wird. Träger der Versicherung wird eine Aktiengesellschaft, die am
2. Juli 1917 ihre erste Hauptversammlung abgehalten hat und den Namen „Pen-
ßionsforsikringsanstalten" führt. Die Einnahmen dürfen, so weit wie möglich, nur
zugunsten der Versicherten verwendet werden. Die Verzinsung des Aktienkapitals
ist daher auf 5 Proz. beschränkt. Die Leitung der Anstalt ist ehrenamtlich, und
die Werbearbeit wird ohne Vertreter und ohne Abschlußgebühr vor sich gehen.
Die Versicherungen werden auf jeden einzelnen Angestellten abgeschlossen. Wenn
ein Angestellter eine Stelle aufgibt und in den Dienst eines neuen Arbeitgebers
tritt, folgt ihm seine Versicherung. Alle Gefahren, gegen die eine Ruhegehalts-
versicherung Schutz bieten kann, sollen in die neue Versicherung eingeschlossen
sein; sie bietet daher auch Witwenrente und Kinderversorgung. Das Anrecht
auf Ruhegehalt tritt spätestens mit dem 65. Lebensjahre ein. Falls die Ver-
sicherung in den jungen Jahren des Angestellten abgeschlossen wird, ist das
Ruhegehalt ganz beträchtlich. Der Beitrag für die Versicherung beläuft sich auf
10 Proz. des Jahresgehaltes und wird teils vom Angestellten, teils vom Arbeit-
geber bezahlt. — Bekanntlich bestehen solche privaten Pensionsversicherungs-
anstalten für Angestellte des Handels und der Industrie bereits in anderen
Ländern seit Jahren und erfüllen ihre Aufgabe auf vollkommen befriedigende
Weise.
Yla. deld, Kredit, Währung.
Inhalt: 1. Der internationale Geldmarkt und die Entwick-
lung in den wichtigeren Ländern während des Monats September.
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung, a) Banken im In- und
Auslande, b) Kredit wirtschaftl iche Maßnahmen in Deutschland und
den besetzten Gebieten Belgiens, Rußlands und Rumäniens, Dänemark, England,
Oesterreich-Ungarn. c) Bargeldloser Zahlungsverkehr in Deutschland,
d) Börsenwesen in Bulgarien und Ungarn, e) Währungs- und Noten-
bankwesen in Deutschland und den besetzten Gebieten Rumäniens, Bulgarien,
Dänemark, Britisch-Südafrika, der Türkei, China, Argentinien, Mexiko, Panama,
Peru.
3. Statistik. Uebersicht über den Stand der hauptsächlichen
Notenbanken und der Bankzinssätze.
1. Der internationale Geldmarkt und die Entwicklung
in den wichtigeren Ländern während des Monats
September.
Die Gestaltung der Verhältnisse am internationalen Geld-
ma r k t wurde während des Berichtsmonats wieder vorwiegend durch
— 629 —
die verschiedenartigen Finanzoperationen der verbündeten kriegführen-
den Länder untereinander i) und mit den neutralen bestimmt ^). Diese
sowie weitere wirtschafts- ^) und wäbrungspolitische *) Maßnahmen blieben
auf die Entwicklung der Wechselkurse nicht ohne Einfluß. Es
zeigte sich dabei im Berichtsmonat mit besonderer Deutlichkeit,
wie ungünstig die bestehenden Hemmungen des internationalen Zah-
lungsausgleichs auf die Wechselkurse selbst der finanziell und wirt-
schaftlich kräftigsten kriegführenden und neutralen Länder einwirken,
bei denen von einem Sinken des Kredits keine Rede sein kann. Die
Devisen der führenden Ententeländer — einschließlich der Verein.
Staaten — erfahren nämlich während des Berichtsmonats in den neu-
tralen Ländern fast durchgängig und zum Teil recht erhebliche Ver-
schlechterungen (z. B. stieg das Agio der schwedischen Krone gegen-
über dem Pfand Sterling von 27,7 Proz. auf 36.1 Proz., dasjenige des
Peseta in Paris von 28,6 Proz. auf 35,2 Proz. ; die schwedische Devise
bedang in New York Anfang Oktober ein Aufgeld von 38,5 Proz. gegen
27,2 Ende August). Die Entwertung der Lira machte weitere Fort-
schritte; geradezu katastrophal aber war der Rückgang des Rubel-
kurses (in London stieg der Kurs von 250 für 10 £ [Ende August]
1) Seitens der Vereinigten Staaten von Amerika wurden den Verbündeten biß
Juni 1918 weiter monatlich je 2,5 Milliarden frs Vorschüsse zugesagt („Petit Parisien"
V. 3. Sept.). — Die am 18. Sept. fällige 6 proz. Londoner Metropolitan Water Board
Anleihe wurde auf ein weiteres Jahr gegen 7 Proz. Diskont verlängert („The Statist" v.
15. Sept.) — Die von Morgan übernommenen 150 Mill. $ englischer Schatzwechsel (vgl.
S. 557) wurden in wöchentlichen Beträgen von 15 Mill. $ aufgelegt. Der Diskont
mußte von 574 Proz. auf 572 P^oz. erhöht werden („The Economist" v. 22. Sept.
S. 413). — In London wurden die fällig werdenden 2 Mill. £ französischer Schatz-
wechsel auf der Basis von 5^/^ Proz. (im Vorjahr 6V2 Proz.) verlängert und russische
und italienische Schatzwechsel neu untergebracht („The Statist" v. 8. u. 22. Sept.). —
Ueber die von Japan an Rußland gewährte Anleihe vgl. S. 557 Anm. 4 und „The
Statist" V. 13. Okt. S. 612.
2) Anläßlich des zwischen Deutschland und der Schweiz abgeschlossenen, in den
ersten Septembertagen ratifizierten Wirtschaftsabkommens (vgl. S. 557) setzte Frankreich
am 29. Sept. ein ähnliches Kreditgeschäft mit der Schweiz durch, das für Frankreich
die Einräumung eines monatlichen Kredits von 12,5 Mill. frs für Oktober bis De-
zember vorsieht („National-Zeitung, Basel" v. 1. Okt.). — Von Deutschland wurde ein
Abkommen mit Holland vorbereitet, nach dem Holland gegen Lieferung von Kohlen,
Stahl und Eisen Deutschland Kredite einräumt („Frankft. Ztg." v. 7. Okt.).
3) England erließ ein Teilausfuhrverbot gegenüber Holland und den skandina-
vischen Ländern und sperrte vom 29. Sept. den telegraphischcn Verkehr mit Holland.
— Die Vereinigten Staaten von Amerika erweiterten die Ausfuhrverbote gegenüber den
Neutralen („L'ficon. Europ." v. 21. Sept. S. 189). — Frankreich und Italien trafen ein
Handelsabkommen („L'ßcon. Europ." v. 14. Sept. S. 170).
4) Schweden setzte einen Finanzrat ein, um unerwünschte Kreditgewährungen an
das Ausland zu unterbinden („L'ficon. Europ." v. 28. Sept. S. 194) und erhöhte den
Bankdiskont am 28. Sept. von 57^ Proz. auf 6 Proz. — Japan und Mexiko erließen
Teilgoldausfuhrverbote („Times" v. 13. Sept.). — Die Vereinigten Staaten von Amerika,
die vom 10. Sept. ab die Goldausfuhr nur mit besonderer Erlaubnis zugelassen hatten
(„Statist" V. 15. Sept. S. 433\ verboten die Goldausfuhr nach Spanien Ende September
vollständig („La Libert§" v. 29. Sept.). Im Reiseverkehr wurde die Ausfuhr von Gold-
münzen auf 200 $ beschränkt („L'ficon. Europ." v. 5. Okt.). — Die Niederländische
Bank gab abermals einen größeren Goldbetrag nach der Schweiz („Der Bund" v.
30. Sept.). — Interessant ist eine Bemerkung im „Statist" vom 15. Sept. S. 434, nach,
der auch England Goldexporte verhindert und verboten hat.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XLII
— 630 —
vorübergehend bis auf 476) ^). Die Bewegungen der deutschen Wech-
selkurse waren nicht einheitlich; einer mäßigen Verschlechterung der
Kurse in Holland und den nordischen Ländern stand eine weitere
Besserung der Markkurse in der Schweiz gegenüber. Die Notierungen
in Berlin wurden der Auslandsparität angepaßt. — Die bedeutende
Steigerung des Silberpreises 2), die auf den wachsenden Bedarf für
Münz- und Währungszwecke bei verminderter Silberproduktion, nicht
zum mindesten aber auch auf eine großzügig angelegte Spekulation
zurückzuführen war, rief besonders in den Ententeländern wachsende
Besorgnis hervor und gab Anlaß zu besonderen Gegenmaßregeln 3), da
die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Silberwährungsländern ernst-
lich bedroht erschienen.
Obwohl der deutsche Geldmarkt in den letzten Monaten in
stärkerem Maße durch Gründungen und Kapitalerhöhungen von Aktien-
gesellschaften und Ges. m. b. H. in Anspruch genommen worden war *),
standen ihm für die vom 19. September bis zum 18. Oktober zur Zeich-
nung aufgelegte VII. Kriegsanleihe 5) reichliche Mittel zur Verfügung.
Für die überaus günstige Lage des deutschen Geldmarktes legte be-
sonders auch die weitere Zunahme des Einlagenbestandes bei den deut-
schen Sparkassen (Zunahme im September 150 Mill. M gegen 60 Mill. M
im September 1916) Zeugnis ab.
Der Privatdiskontsatz wurde nach wie vor mit 4^3 Proz.
notiert; doch fanden erstklassige Wechsel meist unter diesem Säte
Abnehmer. Die Zinsrate für tägliches Geld bewegte sich zwischen
3^2 Proz. und 41/2 Proz. und betrug im Monatsdurchschnitt 3,989 Proz.
Der Satz für ültimogeld hielt sich auf 5 Proz. und darunter.
Im Status der Reichsbank kamen die mit der Einzahlung auf
die VII. Kriegsanleihe im Zusammenhang stehenden Kapitalbewegungen
1) „The Statist" v. 15. Sept. vertritt die Ansicht, daß nicht ein Sinken des russi-
schen Kredits, sondern eine Panik die Schuld trage; der russische Kredit werde an dem
Diskontsatz für russische Kreditwechsel gemessen, die in London nach wie vor zu
4^7i6 P^'oz., d. h. nur ^/jg Proz. höher gehandelt würden als englische Regierungs-
wechsel.
2) Der Preis stieg in London gegen Ende des Monats bis auf 55 d, einen Stand,
wie er seit März 1878 nicht zu verzeichnen gewesen war. — Der höchste in New York
notierte Kurs des Monats war lOSVg«
3) Die Vereinigten Staaten von Amerika erließen ein Silberausfuhrverbot („The
Statist" V. 15. Sept.). — Japan verbot die Ausfuhr und das Einschmelzen von Silber-
mÜDzen („Frankft. Ztg." v. 16. Sept.). — Indien verbot die Silberausfuhr und ver-
schärfte das Silbereinfuhrverbot („The Times" v. 5. Sept., „Frankft. Ztg." v. 11. Sept.)
und gab kleine Noten zu 1 und 27^ Rupien als Ersatz für Silbermünzen aus (^gl.
S. 501). — England macht die Silberausfuhr nach Schweden, Norwegen, Dänemark und
Holland von der besonderen Genehmigung des Geheimen Rates abhängig („Frankft.
Ztg." V. 10. Okt.). „The Times" schlugen vor, 5 sh-Noten auszugeben und die hier-
durch frei werdenden Silbermünzen einzuschmelzen („Voss. Ztg." v. 24. Sept.).
4) In den ersten drei Vierteljahren 1917 allein durch Kapitalerhöhungen mit
381 Mill. M gegen 191 Mill. M in der gleichen Zeit des Vorjahres („Die Bank",
Oktober).
5) Wie bei der VI. Kriegsanleihe wurden 5-proz. Anleihen und 4*/,-proz. aus-
losbare Schatzanweisungen zu 98, — , 5-proz. Anleihen (Schuldbucheintragun^en) zu 97,80
aufgelegt. — Vgl. die Anerkennung der deutschen Emissionstechnik und Finanzpolitik
im „Alg. Handelsblad" v. 30. Sept.
— 631 —
am Monatsschluß in dem auch bei den früheren Anleihen beobachteten
Torübergehenden starken Anschwellen der gesamten Kapitalanlage (auf
15 801 Mill. M) und der fremden Gelder (auf 9541 Mill. M) zum Aus-
druck. Der ZahluDgsmittelbedarf blieb infolge der Einbringung der
Ernte und der Winterversorgung der Bevölkerung andauernd groß.
Am englischen Geldmarkt, der nach wie vor im wesentlichen
unter der Einwirkung der englischen Kriegsfinanzierung stand, war
ein weiteres Abströmen amerikanischer Gelder zu beobachten („The
Econ." vom 22. Sept. S. 413). Die hierdurch sowie durch die Ent-
wicklung der Wechselkurse und des Silberpreises beeinflußte unbe-
friedigende Lage des Marktes, ferner die Tatsache, daß auf die von
den Banken anläßlich der III. Kriegsanleihe ^) gewährten Vorschüsse
bisher nur ein kleiner Teil zurückgezahlt worden war (,,Bank. Mag."
Aug. S. 116), ließen es ratsam erscheinen, die neue Anleihe, deren Be-
gebung man ernstlich in der Form einer Zwangsacleihe in Erwägung
zog („Bank. Mag." Sept. S. 275, „The Econ." v. 15. Sept., „Ein. News"
V. 17. Sept.), erneut hinauszuschieben („The Statist" v. 22. Sept. S. 474).
Da aber auch gegen die weitere Vermehrung der schwebenden Schulden
— Anfang Oktober 1170 Mill. £ — die ernstesten Bedenken erhoben
wurden, griff die RegieruDg zu einer Verlegenheitsmaßnahme, indem
sie den Absatz mehrjähriger Schatzscheine durch weitere Anreizmittel
zu fördern suchte: der Verkauf der 5-proz. Exchequer Bonds (vgl.
S. 282) wurde mit dem 29. Sept. ganz eingestellt und dafür die Aus-
gabe von National War Bonds ^) beschlossen.
Der Privatdiskont unterlag nur geringen Schwackungen und
stellte sich im Monatsdurchschnitt mit 4,787 Proz. etwas höher als im
Vormonat (425/33 Proz.). Der Satz für tägliches Geld hielt sich
zwischen S^/^ und 4^/^ Proz.
Die Ausweise der Bank von England s), die „The Economist"
(v. 8. Sept. S. 347) als ein Muster offensichtlicher Verschleierung kenn-
zeichnete, brachten nur unwesentliche Veränderungen. Bemerkenswert
war der Rückgang der privaten Sicherheiten und Guthaben. Die
1) „Bankers' Magazine" (Sept. S. 275) bezeichnete es als unbefriedigend, daß
der Kurs trotz der Einrichtung des sinking fund immer noch unter dem Ausgabe-
kurs steht.
2) Es werden drei Arten 5-proz., einkommensteuerpfliohtige — für Besitzer im
Auslande einkommensteuerfreie — Bonds, die in 5, 7 und 10 Jahren mit einem Auf-
geld von 2 Proz., 3 Proz. und 5 Proz. fällig sind, sowie 4-proz. — von der Einkommen-
steuer, nicht von der Ergänzungssteuer befreite — nach 10 Jahren rückzahlbare Bonds
vom 2. Okt. an ausgegeben. Bemerkenswert ist das doppelte Konversionsrecht. Einmal
ist der Umtausch der II. Kriegsanleihe sowie der 5- und 6-proz. Exchequer Bonds aus
dem Jahre 1916 in die neuen Bonds, zum anderen der Umtausch der neuen National
War Bonds in Stücke der III. Kriegsanleihe vorgesehen („The Statist" v. 29. Sept.).
Erbschaftssteuer, Kriegsgewinnsteuer, Munitionsabgabe können mit National War Bon<]ü
beglichen werden. Kleine Abschnitte zu 5 £ weiden durch die Post verkauft
3) Die von der Vereinigung britischer Handelskammern geforderte Kommission
zur Prüfung der Erneuerung des Freibriefes der Bank und ihre Ausgestaltung zu einer
Weltwirtschaftsbank wurde eingesetzt („Frankft. Ztg." 15. Sept.).
XLn*
— 632 —
ständige Zunahme des Umlaufs an currency notes — er stieg um
7,4 Mill. £ auf 180,7 Mill. £. — wurde mit Thesaurierungen in Zu-
sammenhang gebracht („The Economist" v. 22. Sept.).
In Frankreich stand die Frage der Ausgabe der neuen Kriegs-
anleihe nach wie vor im Vordergrunde der Erörterungen, ohne daß die
Regierung zu einer Entscheidung kam. Um die angeblich reichlich
vorhandenen flüssigen Mittel des Marktes nach Möglichkeit noch weiter
der Kriegsfinanzierung dienstbar zu machen, wurden die Banken auf-
gefordert, den Arbitrage verkehr einzuschränken i) („Journal des D^bats"
V. 17. Sept.). Bemerkenswerterweise mußte das Moratorium für Handels-
wechsel usw. wieder um drei Monate verlängert werden.
Die unvermutet starke Steigerung des Notenumlaufs der Bank
von Frankreich um 426 Mill. frs (im September), die eine plötz-
liche weitere Erhöhung des Notenkontingents von 21 auf 24 Mil-
liarden frs erforderlich machte 2), war eine Folge der wiederum erheb-
lichen Inanspruchnahme der Bank durch den Staat und die Verbündeten
(530 Mill. frs) [„Journal des Debats" v. 24. Sept.] 3).
Auf dem österreichisch-ungarischen G-eldmarkt hielt
die große Flüssigkeit an — der Satz für tägliches Geld stellte sich
auf IY4 bis IY2 Bi'oz. — und begünstigte die weitere Ausbreitung
der Effektenspekulation an den Börsen. Die hiergegen von den Banken
getroffenen Maßregeln*) hatten nicht den gewünschten Erfolg, so daß
die Regierung Vorbereitung zu weiteren Maßnahmen traf.
Die überaus schwierige Lage des russischen Geldmarktes
hat sich im Berichtsmonat weiter verschlechtert^). Der Mißerfolg der
Freiheitsanleihe ^) zwang die Regierung, zur Deckung der riesenhaft
1) Der Regierung wurde nahegelegt, wieder durch indirekte Anleihen die verfüg-
baren Mittel des Marktes dem Staate dienstbar zu machen und Privatgesellschaften zu
veranlassen, mit Anleihen an den Geldmarkt heranzutreten und den Erlös der Regierung
zur Verfügung zu stellen („Journal des Debats" v. 24. St-pt.). — „Le Temps" (v. 8. Okt.)
warf der Regierung vor, daß sie sich nicht darum gekümmert habe, den Anleihen einen
Markt zu schaffen, auf dem sie tatsächlich auch umgesetzt werden könnten.
2) „Le Temps" (v. 1. Okt.) schlug die Ausgabe 4proz. 4-jähriger Bons du Trfeor
im Betrage von 20 Milliarden frs mit Zahlungsmitteleigenschaft vor. Gegen diesen
auch an maßgebenden Stellen ernsthaft erwogenen Plan erhob sich starker Wider-
spruch. Ein Aufsatz der „Information" v. 17. Okt. mit der Ueberschrift „Eine große
Illusion" bezeichnete die Schaffung eines solchen Mitteldinges zwischen Papiergeld und
staatlicher Schuld versehreibung als wirkungslos und gefährlich.
3) Anläßlich der Erörterungen über die Verläogerung des Bankprivilegs findet
man in den französischen Zeitungen lange, anscheinend offiziöse Besprechungen über
die Bank von Frankreich (vgl. „tc. Fran9." v. 29. Sept. S. 395 ff.).
4) Die Banken ließen wesentliche Kreditbeschränkungen eintreten („Oest. Volks-
wirt" V. 22. Sept.) und erhöhten gemeinsam mit den Bankiers die Provisionssätze für
den Effektenverkehr auf das Doppelte („Neue Zürcher Ztg." v. 16. Sept.).
5) Vgl. die interessanten Ausführungen von Prof. A. Bilimowitsch im „Kjewljanin"
V. 21. Sept. (Vergleich mit der ehemaligen Assignatenwirtiichaft Frankreichs.)
6) Am 11./24. Sept. stellte sich das Ergebnis auf 3900 Mill. Ro; hiervon ent-
fielen auf die Russische Staatsbank 2550 Mill. Ro, auf die anderen Banken 1350 MilL Ro
(„Agenee R§publicaine" v. 11. Okt.).
— 633 —
wachsenden Ausgaben das Notenemissionsrecht der Russischen
Staatsbank am 22. Sept. um weitere 2 Milliarden E-o auf 14,5 Mil-
liarden E,o zu erhöhen („The Economist" v. 29. Sept. S. 450). Im
Ausweis der Staatsbank vom 1./14. August findet sich zum ersten Male
der Posten „Credit pour achats de marchandises pour les besoins
de l'Etat".
Die Haltung des Geldmarktes der Vereinigten Staaten
von Amerika war nicht einheitlich. Zeitweilig war das Angebot
Terfügbarer Mittel gering, was seinen Grund hauptsächlich in der vor
Ausgabe der IL Kriegsanleihe ^) beobachteten Zurückhaltung der Geld-
geber und in der Entwicklung der Verhältnisse an den Effektenbörsen
hatte. Zur Ueberwindung der Geldknappheit bewilligten die Federal
Reserve - Banken umfangreiche Diskontkredite zu niedrigen Sätzen,
während die New Yorker Banken ihrerseits Krediterleichterungen trafen 2)
und die Zurückziehungen von auswärtigen Guthaben, besonders aus
England, fortgesetzt wurden. In ernsten Finanzkreisen gewann die von
uns schon oben und früher (vgl. S. 556) vertretene Ansicht immer mehr
Boden, daß den gewaltigen geldlichen Anforderungen des Krieges auch
die große finanzielle und wirtschaftliche Kraft der Vereinigten Staaten,
die vielleicht die größte aller Länder ist, nicht unbegrenzt entsprechen
kann („Comm. and Ein. Chron." v. 8. Sept., S. 932; vgl. ferner „Bank-
Archiv" V. 15. Okt., S. 18). Es zeigte sich immer deutlicher, daß die
Vereinigten Staaten von Amerika im wesentlichen nur auf die eigene
Kraft angewiesen sind, daß die Möglichkeit, auf andere Länder zurück-
zugreifen, für sie nur gering ist. Unter diesen Gesichtspunkten ist
auch der Vorschlag zur Errichtung eines Regierungsausschusses, der
über neue Emissionen entscheiden soll, sowie die einschneidende Maß-
nahme des schon oben erwähnten Münzausfuhrverbotes zu verstehen,
eine Maßnahme, die allerdings auf der anderen Seite die Gefahr in sich
trägt, daß die durch den Krieg erlangte Stellung eines Zentralgeld-
marktes der Welt wieder verloren geht 3) („Comm. and Ein. Chron." v.
15. Sept., S. 1047). — Der Satz für tägliches Geld bewegte sich
zwischen 2Y2 Rroz. und 6 Proz. und machte im Monatsdurchschnitt
4,461 Proz. gegen 3,049 Proz. im Vormonat aus.
1) Vom 2. — 27. Oktober soll die neue, mit 4 Proz. verzinsliche, nach 15 Jahren
lückzahlbare Freiheitsanleihe zu Pari aufgelegt werden; den Besitzern der ersten
Kriegsanleihe wurde da.« Recht des Umtausches in die neue Anleihe eingeräumt.
Freiheit von Steuern außer Zuschlägen zur Einkommensteuer. — Nach englischem
Vorbild wurden außerdem War Saving Certificates ausgegeben („The Econ." v. 8. Sept.,
8. 357).
2) Die New Yorker Banken stellten der Effektenbörse 30 Mill. $ für 1—4 Monate
au 5^2 — 6 Proz. zur Verfügung, wodurch die drohende Geldknappheit abgewendet und
der neuen Anleihe ein günstiger Boden bereitet wurde („Comm. and Fin. Chron." v.
22. Sept., S. 1137).
3) Seit Beginn des Weltkrieges betrug der Goldeinfuhrüberschuß für die Ver-
einigten Staaten von Amerika rund 57» Milliarden frs; seit dem 6. April 1917 wurden
230 Mill. frs Gold eingeführt, aber rund l7a Milliarden frs ausgeführt.
634 —
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung.
a) Banken im In- und Auslande.
Es wurden übernommen: von der Dresdner Bank, Berlin, (vgl.
S. 194) unter Erhöhung ihres Kapitals um 60 Mill. M: die Märkische
Bank, Bochum, und die Rheinisch- Westfälische Disconto-Gesellschaft,
Aachen; — von der Mitteldeutschen Privat-Bank A.-G., Magdeburg,
(vgl. S. 419): die Bankfirma Oscar Heubach, Sonneberg (Sachsen-
Meiningen) ; — von der Internationalen Handelsbank, Wien : das Bank-
haus Alfred Schwalb, Karlsbad (Böhmen).
Filialen eröffnen: der A. Schaaffhausensche Bankverein, Köln,
(vgl. Chr. 1916, S. 609) in Aachen, Düren und Siegen; — die Anglo-
South American Bank Ltd., London, (vgl. S. 560) in Comodors Riva-
davia (Argentinien) ; die Colonial Bank, London, (vgl. S. 498) in Kana
(Nigeria); die Banca d'Italia, Rom, in Mogadiscio (Somaliland); die
Mercantile Bank of the Americas, New York, (vgl. S. 285) in Genua. —
Die Deutsche Bank, Berlin, (vgl. S. 194) beabsichtigt, sobald es die
Verhältnisse gestatten, in Riga eine Geschäftsstelle zu errichten.
Gegründet wurden: in Genua mit 2 Mill. Lire der Banco Italiano
di Sicurta; — in Medan (Niederländisch-Indien) mit 2Y2 Mill. hfl eine
neue Hypothekenbank (vgl. S. 498); — in Elverum (Norwegen) mit
mindestens 1, höchstens 2Y2 Mill. Kr Kapital die Elverums Kredit-
bank; — in Budapest mit 50 Mill. K die Ungarische Landesbank
durch Verschmelzung der Budapester Sparkassa- und Landespfandleib-
anstalt A.-G., Budapest, und der Nationalen Sparkasse & Zentralbank
für Handel und Industrie A.-G., Budapest; — in Nova Goa (Portugie-
sisch-Indien) mit mindestens V2) höchstens 1 Mill. Rupien der Banco
da ludia Portugueza; — in Stockholm mit mindestens 1, höchstens
3 Mill. Kr die Svenska Kredit och garantiförsäkrings A.-B. ; — in Basel
zwecks Finanzierung der Vorschüsse für die deutschen Kohlenlieferungen
(vgl. S. 557) die A.-G. für den Schweizerischen Außenhandel; — ia
Mexiko mit 1 Mill. amerikan. $ Kapital die Compania Bancaria Comer-
cial Mexicana.
Die tschechischen Banken haben einen Verband tschechischer
Bankpn gebildet, der ein Aktienkapital von rund 250 Mill. K und
ein Reservekapital von 55 Mill. K vertritt.
Die Lloyds Bank of France Ltd., Paris, geht — zum Zweck der
Ausdehnung ihres Filialuetzes über ganz Frankreich — eine Interessen-
gemeinschaft mit der National and Provincial Bank Ltd., London, ein;
sie erhöht ihr Kapital um 0,6 auf 1,2 Mill. £ und ändert die Firma
in Lloyds Bank (France) and National Provincial Bank
Ltd. ab.
b) Kreditwirtschaftliche Maßnahmen.
In Deutschland oder in den besetzten Gebieten wurde»
veröffentlicht: 1) Bek. des RKzl., betr. wirtschaftliche Vergeltungs-
- 635 —
maßnahmen gegen Siam, Liberia und China, v. 12, Sept. (RGBl. S. 831;
vgl. Chr. S. 561); 2) Bek. des RKzl., betr. Zahlungen, die zum Er-
langen, Erhalten oder Verlängern des amerikanischen Patent-, Muster-
oder Warenzeichenschutzes für Angehörige des Reichs, der verbündeten
oder der neutralen Staaten erforderlich sind, v. 12. Sept. (RAnz. v.
12. Sept.; vgl. Chr. S. 561); 3) V. des BR. über die Geltendmachung
von Ansprüchen von Personen, die im Ausland ihren Wohnsitz haben,
V. 20. Sept. (RGBl. S. 854; vgl. Chr. S. 420); 4) V. des BR., betr. die
Fristen des Wechsel- und Scheckrechts für Elsaß-Lothringen, v. 20. Sept.
(RGBl. S. 854; vgl. Chr. S. 420); 5) Bek. des RKzl., betr. Liquidation
russischer Unternehmungen, v. 22. Sept. (RGBl. S. 876); 6) Bek. des
RKzl. über den Annahmewert der Stücke und Schuldbuchforderungen
der 7. Kriegsanleihe des Deutschen Reichs sowie der Zwischenscheine
für solche Kriegsanleihestücke bei der Entrichtung der Kriegssteuer,
V. 26. Sept. (RZBl. S. 351; vgl. Chr. S. 286); 7) Vf. des preuß. Finanz-
min., betr. Erhebung von Zinsbeträgen bei der Kriegsabgabe, v. 3. Aug.
(FMBl. S. 311; vgl. Chr. S. 562); 8) dgl., betr. die Verzinsung der
Kriegssteuer, v. 21. Sept. (FMBl. S. 313); 9) Vf. der preuß. Min. für
Handel und Gewerbe, des Innern und der Finanzen, betr. Bekannt-
machung der in Verlust geratenen Inhaberpapiere, v. 21. Sept. (HMBl.
S. 309; vgl. Chr. S. 420); 10) Erl. des Kriegsmin., betr. Ablieferung
der im besetzten Frankreich geborgenen Gelder usw. an Zwangsver-
walter, V. 26. Sept. (AVBl. S. 474); 11) Vf. des Staatssekr. des Reichs-
Marine- Amts V. 11. Sept. (MVBl. S. 262), des preuß. Finanzmin. v. 13. Sept.
(FMBl. S. 301), des Kriegsmin. v. 17. Sept. (AVBl. S. 453), des Reichs-
Postamts V. 20. Sept. (PostBl. S. 353), betr. die 7. deutsche Kriegs-
anleihe; 12) Rede des Reichsbankpräsidenten (vgl. S. 196 u. 286) am
20. Sept. in Frankfurt a. M., in der er u. a. ausführte, daß die Reichs-
bank bereits jetzt jedem, der gezeichnete Kriegsanleihe verkaufen müsse,
Beträge bis zu 1000 M zum Emissionskurse von 98 Proz. abnehme,
und daß sie für die Kursregulierung der Reichsanleihe nach dem Kriege
eine Aufnahmeaktion in ganz großem Stil in Gemeinschaft mit der ge-
samten deutschen Bankwelt in Aussicht genommen habe („Voss. Ztg."
V. 28. Sept.); 13) V. des GG. in Belgien, betr. Zahlungsverbot gegen
Siam, Liberia und China und Vermögenssperre gegen Siam und China,
V. 22. Sept. (BelgGVBl. S. 4507); 14) V. des GG. in Warschau, betr.
Verlängerung der Scheck- und Wechselfristen, v. 19. Sept. (PolnVBl.
S. 385; vgl. Chr. S. 359); 15) Ausführungsbestimmungen des Ver-
waltungschefs beim GGt. Warschau zur V. v. 18. Juli 1917, betr. das
Verbot des Handels mit Kriegsanleihen feindlicher Staaten und der
Einfuhr von Wertpapieren aus dem feindlichen oder neutralen Auslande,
V. 20. Sept. (PolnVBl. S. 386; vgl. Chr. S. 499); 16) V. des Ob.Ost,
betr. Zahlungsverbot gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, v.
10. Sept. (Ob.OstBVBl. S. 691); 17) V. des MG. in Rumänien über den
Abbau des Moratoriums, v. 15. Juni (RumVBl. S. 119; vgl. Chr. S. 197);
18) dgl., betr. Verwaltung der rumänischen Staatsmonopole, v. 18. Juni
(RumVBl. S. 113); 19) dgl., betr. den Schutz gewisser Forderungen bei
- 636 -
Auszahlungen für Erntelieferungen, v. 5. Juli (RumVBl. S. 150) und
V. 4. Sept. (RumVBl. S. 201); 20) dgl., betr. Wechselstuben- Vorschrift,
V. 24. Juli (Ver.-Bl. der Mil.-Verw. in Rum., S. 265); 21) dgl., über
die Aenderung des Monopolgesetzes, v. 27. Aug. (RumVBl. 8. 185);
22) V. des Oberbef. in Rumänien, betr. Enthebung von Gesellschaften
von der Verpflichtung zur Vorlegung und Veröffentlichung von Bilanzen,
V. 26. Juni (RumVBl. S. 128) ; 23) dgl. über die Liquidation britischer,
französischer und belgischer Unternehmungen, v. 16. Juli (RumVBl.
S. 147); 24) dgl. über Genehmigungspflicht neuer und Schließung be-
stehender Bankbetriebe, v. 2. Aug. (RumVBl. S. 164; vgl. Chr. S. 360);
25) dgl., betr. die Ausübung des Gläubigerschutzes, v. 17. Sept.
(RumVBl. S. 219).
In Dänemark wird ein neues Aktiengesetz erlassen, nach dem
das Mindestkapital für Aktiengesellschaften 5000 Kr, für Versicherungs-
gesellschaften 50 000 Kr betragen muß.
In England wird ein Handelsnachrichtenamt (Department for
commercial news) als Unterabteilung des Board of Trade eingerichtet.
In Ungarn erhalten die Minister der Finanzen, des Handels und
des Innern gemeinsam das Recht, in- und ausländische Unternehmungen,
deren Tätigkeit gegen das Gesetz der öffentlichen Ordnung oder die
Interessen des Vaterlandes verstößt, unter behördliche Aufsicht zu
stellen („Volksw. Chronik der öst.-ung. Monarchie" 9. Heft S. 325).
c) Bargeldloser Zahlungsverkehr.
Maßnahmen ^n Deutschland: 1) Rundvf. des preuß. Finanzmin.
betr. Reichsbankgiroverkehr bei den staatlichen Kassen, v. 3. Sept.
(FMBl. S. 298; HMBl. S. 316; ZZBl. S. 284); 2) Erl. des Kriegsmin.,
betr. Reichsbankgiroverkehr bei den Heereskassen, v. 25. Sept. (AVBl.
S. 471) ; 3) Allg. Vf. des preuß. Finanzmin., betr. Postscheckverkehr
bei den staatlichen Kassen, v. 14. Sept. (ZZBl. S. 279 ; vgl. Chr. S. 500);
4) Allg. Vf. des preuß. Justizmin., betr. den Postscheckverkehr der
Kassen der Justizverwaltung, v. 15. Sept. (JMBl. S. 308) ; 5) dgl. über
den bargeldlosen Zahlungsverkehr bei der Auszahlung von Dienstbe-
zügen für höhere und mittlere Justizbeamte, v. 8. Sept. (JMBl. S. 307) ;
6) Vf. des Reichspostamts, betr. Angabe des Zahlungsempfängers im
Scheck, V. 13. Sept. (PostBl. S. 353).
d) Börsenwesen.
In Bulgarien sind in Verbindung mit der bevorstehenden Er-
öffnung der Fondsbörse in Sofia alle Gemeinden, Behörden, Aktienge-
sellschaften usw. aufgefordert worden, die Zulassung ihrer Wertpapiere
zur Kotierung zu beantragen („Wirtschaftsztg. der Zentralmächte" v.
28. Sept.).
Ueber die zur Einschränkung der Ueberspekulation an der Buda-
pester Börse getroffenen weiteren Maßnahmen vgl. „Pester Lloyd"
V. 5. und 8. Sept. (vgl. Chr. S. 500).
e) Währungs- und Notenbankwesen.
Maßnahmen in Deutschland oder den besetzten Gebieten
Rumäniens: 1) Erl. des Kriegsmin., betr. Einlösung afrikanischer
— 637 —
Geldwerte, v. 15. Sept. (AVBl. S. 461); 2) V. des Oberbef. in Rumänien
über beschädigte Noten der Banca Natiouala a Romaniei, v. 2. Aug.
(RumVBl. S. 163; vgl. Chr. S. 363); 3) dgl. über private Einfuhr von
Zahlungsmitteln, v. 2. Aug. (RumVBl. S. 164).
In Bulgarien werden neue, mit 3Y2 ^^^ ^^li Proz. verzinsliche
Schatzscheine ausgegeben, die jederzeit als gesetzliches
Zahlungsmittel bei Entrichtung von Steuern und Gebühren aller
Art angenommen werden („Der Ungarische Volkswirt und Orient-Bote"
v. 5. Sept.).
Die Dänische Nationalbank bleibt von der Verpflichtung,
Barrengold zum Preise von 2480 Kr abz. V4 Proz. Münzkosten zu
kaufen, weiter bis Ende Oktober befreit, hat sich jedoch bereit er-
klärt, alles Gold zu übernehmen, das ihr zu einem vom Kgl. Bank-
kommissionär bestimmten Preise angeboten wird (vgl. S. 125).
In Britisch-Südafrika v/urde ein Ausfuhrverbot für ge-
münztes Gold erlassen („Wirtsch. Nachrichtendienst" v. 20. Sept.
S. 609).
In der Türkei wurden alle Wechsel- und Arbitragegeschäfte so-
wie Kontoberechnungen und Geldwechselgeschäfte mit dem Ausland —
mit Ausnahme Deutschlands und Oesterreich-Ungarns — der Genehmi-
gung der Zentraldevisenkommission (vgl. S. 52 und 200)
unterworfen („Nordd. Allg. Ztg." v. 2. Sept. II. Ausg.).
China soll bereits Ende Juni die Gold- und Silberausfuhr
von einer Regierungslizenz abhängig gemacht haben („Wirtschaftsdienst"
V. 19. Okt. S. 774).
Weitere Einzelheiten über die unter der Firma Banco de la Re-
publica zu begründende argentinische Staatsbank (vgl. S. 564)
finden sich u. a. in der „Zürcher Post" v. 29. Aug. und im „Wirt-
schaftl. Nachrichtendienst" v. 22. Sept. S. 622.
.'Die geplante mexikanische Staatsbank (vgl. S. 501) wird
den Namen Banco Unico de Emisioni tragen und das ausschließliche
Recht der Banknotenausgabe erhalten („Times" v. 11. Aug.). — Nach
einer Meldung der „Financial Times" v. 1. Okt. nimmt die mexikanische
Regierung vom 1. Okt. ab amerikanische Wechsel, Silber-
münzen und Schecks bei Bezahlung von Steuern und Abgaben
nicht mehr an und gestattet die Ausfuhr von Gold in Barren oder
in Form von Erzen und Konzentraten nur noch, sofern der Gegenwert
in feinem Gold eingeführt wird. — Ueber mexikanische Währungs-
fragen vgl. auch ,,Frankf. Ztg." v. 14. Sept., Abendausg.
Wie der „Oesterr. Volksw." v. 15. Sept. S. 877 berichtet, hat die
Republik Panama mit den Ver. Staaten ein Abkommen über den
Austausch ihres umlaufenden Silbergeldes gegen amerikanische
Banknoten getroffen.
Der Senat von Peru nahm ein Gesetz über die Ausgabe von
500000 £ in Papiergeld zu 1 Sol und von 50000 £ in Nickel-
mtinzen an („Wirtschaft!. Nachrichtendienst" v. 13. Okt. S. 692).
638 3. Statistik,
üeb er sieht über den Stand der deutschen und einiger ausländischen Notenbanken
sowie des Bankzinsfußes an den wichtigeren Börsenplätzen im September 1917
Beträge in Millionen Mark.
Aktiva.
Barvorrat: a) im Inlands
Gold . . .
Süber . .
Metall
Summe
Sonstige Geldsorten . .
b) im Auslande
Gold
Gesamtsumme d. Barvorrats
Deutsches Reich
Reichs-
bank
Privat-
noten-
banken
Sunune
Ausweis vom
15. I 29. I 15. |29. 1 15. | 29.
September
2404
104
2508
720
2404
102
2506
987
3228 3493
106
97
2575
759
3334
2573
1017
3590
Bank von
Frankreich
(nach ..L'Eco-
uomifete
Francalg")
Ausweis V.
13. I 27.
September
2656
210
2866
650
4516
2658
211
2869
I 650
4519
Bank von
England
(D;w:h „The
Statut")
Ausweis V.
12. I 26.
September
108
126
1108 II 26
Ruasiadie
Staatsbank^
(nach Woifft
DepMdien)
Ausweis V.
14. 1 29.
September
2792
280
3072
4987
8059
2797
31S
Üj
Anlagen :
Wechsel^) . . .
Lombard . . .
Effekten . . .
Sonstige Anlagen
10997 15 633
IG 9
^77\ 159
1461I I 536
118
84
18
62
108
67
26
71
11115
94
195
1523
15741
76
185
I 607
1967
907
179
12 163
1964
897
179
12515
Bank. Dep.
Gov. See. :
1180 I 1189
OtherSec.:
1883 I 1912
656
3583
574
30 811
73«
3647
Summe der Anlagen
12645
17337
282
272 12927
:" Summe der Aktiva
15873I20830 388 369
17 609
15 216
15555
3440
3478
35624
16261
21 199
19732 20074
4548 I 4604
43 683 -
Passiva.
Grundkapital . .
Reservefonds . .
Notenumlauf . .
Verbindlichkeiten :
Täfflichf^"^^*^*^'^^®'' •
•^f^^jg^^jOeffentl. Guthaben
180
90
9475
^5504
Summe
Sonstige Verbindlichkeiten
180
90
10 204
9541
5504 9541
624 815
56
15
160
56
15
158
107
236
105
9635
5625
236
105
10362
9648
155
28
16878
2 163
12
107
33
5625
660
9648
155
28
17005
2389
31
298
61
828
2479
870
2 175 2 420
496 466
3349
12
298
61
841
2486
905
108
II
33259
5361
1865
3391
13
7 226
3079
108
II
3431^
5673;
Summe der Passiva
15873 20830
388
369 16261
21 19) [9 732 20074
4548
4604
43683
Notenreserve im Sinne des
betreffenden Bankgesetzes
15
91 —
')
2 562
2434
Ir
66
520
Deckung :
der Noten durch den ge-
samten Barvorrat . . .
durch den inländischen
Metallvorrat
der Noten u. sonstigen täg-
lich fälligen Verbindlich-
keiten durch den gesamten
Barvorrat
Bankzinsfuß
während des Monats
September
in Prozenten
34,1
26,5
21,6
in Berlin
5 —
34,2
68,8
6i,s
34,6
34,6
26,8
26,6
133,8
133,8
24,2
24,6
42,2
42,8
26,7
24,8
15,7
15,6
133,8
133,8
■ 9,2
17,7
37,9
36,8
21,8
17,9
23,7
23,3
:i
26,6
19,9
in Wien
5,~
in Paris
5,-
in London
5,—
St. Petersbarj;
6.—
23, «i
9,1
in in
Amsterdam New York
4V, I 57*^
Wegen Umrechnung der fremden Valuten usw. vgl. Chronik 1913, S. 1038 unten.
1) Für die Reichsbank die gesamte bankmäßige Deckung, d. h. Wechsel, Schecks und diskontierte
Schatzanweisungen. 2) Für die Reichsbank ist die Notensteuer bis auf weiteres aufgehoben (Ges. v. 4. Aug.
1914, RGBl. S. 327). 3) Einschließlich der 377 Mill. M. betragenden Anlagen des Issue-Department.
4) Totalreserve. 5) Verhältnis der Reserve zu den Dei)Ositen am 12. September: 19,6 Proz.; am 26. Sep-
tember 19,5 Proz. 6) Die in diesen Spalten offen gelassenen Posten ergeben sich nicht aus den Wolffech^u
Depeschen. 7) Diskontrate für 60 Tage.
639
VII. Arbeiterverhältnisse.
Inhalt: Der Arbeitsmarkt im September 1917. Die Arbeitslosenstatistik der
Arbeiter verbände. Die Arbeitsnachweisstatistik. Der weibliche Arbeitsmarkt. Die
Lage des Arbeitsmarktes in Berlin und in der Provinz Brandenburg. Die Berg-
arbeiterlöhne im zweiten Vierteljahr 1917. Die Fortführung des Heimarbeiter-
gchutzes.
Die deutsche Industrie war im Monat September ebenso wie in
den Vormonaten mit Aufträgen für Heer und Marine voll beschäftigt.
Einen von der Mehrzahl der deutschen Großindustrien abweichenden
Beschäftigungsgrad weist nach wie vor das Baugewerbe auf. Nach
dem Bericht der „Tonindustrie-Zeitung", Berlin, blieb die Bautätigkeit
auch im September in den Grenzen, die ihr durch den Krieg und das
Verbot der Neuherstellung von Privatbauten gezogen sind. Es werden
nur Bauten für dringende Heeres- oder volkswirtschaftliche Bauten
ausgeführt; Privatbautätigkeit besteht nur in der Ausführung der not-
wendigsten Ausbesserungs- und Abänderungsarbeiten und der Wieder-
aufrichtung von durch Brände oder Kriegsereignisse zerstörten Ge-
bäuden.
Nach wie vor behauptet sich die Arbeitslosenziffer auf dem
niedrigen Stand der beiden Vormonate : 0,8 v. H. Nach den Fest-
stellungen von 33 Arbeiterverbänden, die für 1029179 Mitglieder be-
richten, betrug die Arbeitslosenzahl Ende September 7875, das sind
0,8 V. H.
Von besonderer Bedeutung ist der Verlauf der Arbeitslosigkeit
bei den sechs größten Verbänden der freien Gewerkschaften. Stellt
man für diese Verbände die Arbeitslosenziffern seit Ende Juni 1917
zusammen, so ergibt sich folgendes Bild:
Arbeitslosigkeit v. H. der vom
Mitgliederzahl
Ende Sept.
Bericht erfaßten Mitglieder
Arbeiterverbände
Ende
Ende
Ende
Ende
1917
Sept.
August
Juli
Juni
1917
Metallarbeiter
360478
0,1
0,2
0,1
0,2
Fabrikarbeiter
102320
0,2
0,1
0,1
0,2
Holzarbeiter
88484
0,5
0,5
0,6
0,«
Bauarbeiter
82838
0,1
0,1
0,1
0,1
Textilarbeiter
72185
4,8
4,2
4,3
4,1
Transportarbeiter
61 670
0,4
0,2
0,2
0,2
Nach wie vor ist die Arbeitslosigkeit bei den Textilarbeitern ver-
hältnismäßig hoch; sie bewegt sich noch immer über 4. v. H. Bei
den anderen Verbänden ist die Arbeitslosenziffer erheblich unter 1 v. H.
gesunken.
Im einzelnen ist die Arbeitslosigkeit bei den männlichen Personen
erheblich niedriger als bei den weiblichen. Ende September kamen
auf 100 männliche Mitglieder 0,3 Arbeitslose, bei den weiblichen Mit-
— 640
gliedern jedoch 2,3 Arbeitslose. Nach den Zusammenstellungen des
„Reichs-Arbeitsblatts" haben besonders folgende, eine größere Zahl
weiblicher Mitglieder (etwa über 1000) aufweisende 'Verbände mit
größerer Arbeitslosigkeit ihres weiblichen Bestandes zu kämpfen : Hat-
und Filz Warenarbeiter (32,2 bei den weiblichen gegen 0,9 v. H. bei
den männlichen), Porzellanarbeiter (5,7 gegen 0,5 v. H.), Buchbinder
(2,0 gegen 0,5 v. H.), Brauerei- und Mühlenarbeiter (0,4 gegen 0,1
V. H.), Schuhmacher (2,1 gegen 0,6 v. H.), Tabak- und Zigarrenarbeiter
(2,3 gegen 0,7 v. H.), Lederarbeiter (1,9 gegen 0,6 v. H.), Metall-
arbeiter (0,3 gegen 0,1 v. H.), Fabrikarbeiter (0,3 gegen 0,1 v. H.)
und schließlich Gemeinde- und Staatsarbeiter (0,3 gegen 0,0 v. H.).
Die Statistik der Arbeitsnachweise läßt für das männliche
und für das weibliche Geschlecht ein allerdings nur ganz unbedeuten-
des Steigen des Andranges der Arbeitsuchenden erkennen. Im Sep-
tember kamen auf 100 offene Stellen bei den männlichen Personen
50 Arbeitsuchende gegen 49 im Vormonat; bei den weiblichen Per-
sonen stieg die Andrangsziffer von 86 auf 87.
Ueber den weiblichen Arbeitsmarkt im besonderen gibt
die folgende Tabelle Aufschluß:
Zahl der
Auf 100 offene Stellen kames
^VpihlipVip RpfnfsiJirf.pn
Vermitt-
.... Arbeitsgesuche im
TT dlk/XXVXlC> XJ^X U.XaCtX WXl
lungen im
Sept.
Sept.
August
Sept. 1917
1917
1916
1917
Landwirtschaftliche Arbeiterinnen
3 155
52
64
5«
Metallarbeiterinnen
18 122
96
127
88
Arbeiterinnen in der chemischen Industrie
I 920
6b
76
67
Spinnstoffarbeiterinnen (einschl. Färberei- und
Appreturarbeiterinnen)
3330
311
621
268
Buchbinderei- u. Kartonnagenarbeiterinnen usw.
I 213
60
135
65
Arbeiterinnen in der Lederindustrie
537
83
128
81
Tabakarbeiterinnen usw.
2 142
95
134
89
Schneiderinnen, Putzmacherinnen usw.
7634
118
228
III
Büglerinnen, Wäscherinnen in Wasch- und
Plättanstalten usw.
586
66
122
89
Buchdruckereiarbeiterinnen
1234
73
109
78
Fabrikarbeiterinnen
13926
88
162
88
Angestellte im Handelsgewerbe
2133
251
343
213
Kellnerinnen, Büfettfräulein
6586
120
140
109
Hotelzimmermädchen, Beschließerinnen
542
82
242
77
Koch personal in Gastwirtschaften
647
93
127
73
Herd- u. Küchenmädchen in Gastwirtschaften
2 718
62
88
60
Putz-, Wasch-, Lauffrauen, Aufwärterinnen usw.
17517
76
103
79
Dienstboten, Hauspersonal
10283
42
87
43
Sonstige Tagelöhnerinnen
8484
95
IOC
105
Freie Berufsarten
738
177
218
231
Danach hat sich vor allem bei den Spinnstoffarbeiterinnen und bei
den Angestellten im Handelsgewerbe die Andrangsziffer stark erhöht.
Wie allmonatlich wird die Lage des Arbeitsmarktes in
Berlin und in der Provinz Brandenburg nach dem Bericht
des Verbandes Märkischer Arbeitsnachweise (abgedruckt im „Reichs-
— 641 —
Arbeitsblatt", Oktoberheft 1917, S. 792 und 793) dargelegt. Danach
kennzeichnete sich der Arbeitsmarkt im September durch einen allge-
meinen leichten Rückgang in den Beschäftigungsverhältnissen und
brachte insbesondere in der Rilstungsindustrie fast überall ein gegen
den Vormonat verstärktes Abflauen der Aufträge.
In der Landwirtschaft herrschte regere Nachfrage für Hilfskräfte zur
Kartoffelernte, wofür genügendes Angebot vorhanden war. Im übrigen hielten
sich Aufträge und Angebot in mäßigen Grenzen, da einerseits sich die Arbeit-
geber überall mit Gefangenen behelfen und andererseits landwirtschaftliche Arbeit-
nehmer nur ganz veremzelt verfügbar sind. Verlangt wurden vielfach Acker-
knechte, die aber nicht ausreichend beschafft werden konnten, und Landmädchen,
bei denen das Angebot gegen die Vormonate fast noch geringer war.
Die Preßkohlen werke und Kohlengruben zeigten rege Tätigkeit.
In der Metallindustrie trat mit wenigen Ausnahmen ein Abflauen der
Beschäftigung ein, das auf die Einschränkungen vieler Rüstungswerke zurückzu-
führen ist, und das sich hauptsächlich in einer weniger starken Nachfrage nach
ungelernten Arbeitern äußerte. An Facharbeitern, vor allem an Mechanikern,
Schmieden, Klempnern usw. herrschte wie in den Vormonaten großer Mangel.
Dem Spinnstoffgewerbe brachte der Berichtsmonat keine regere Tätig-
keit. In Guben war die Haarhutfertigung befriedigend, die Wollhutfertigung lag
vöUig darnieder.
Für die Lederindustrie und die Möbeltischlerei war der Rohstoff-
mangel im Berichtsmonate recht fühlbar, so meldet Kirchhain einen starken Rück-
gang für die Gerberei, und die Möbeltischlerei wies nirgends lebhaftere Tätig-
keit auf.
Das Nahrungsmittelgewerbe hatte durch große Auf träge von Honig-,
Konserven- und Marmeladefabriken recht gute Beschäftigung, die erst gegen Ende
des Monats abflaute. Bäcker waren wegen der Zusammenlegung kleinerer Be-
triebe etwas reichlicher verfügbar; selbständigere Kräfte konnten besonders für
die Provinz nur in den wenigsten Fällen beschafft werden.
Das Bekleidungsgewerbe wies Mangel an Schneidern auf; im Reini-
fungsgewerbe stand der sehr regen Nachfrage nach Barbieren, Frisierern usw.
ein genügendes Angebot gegenüber.
Im Baugewerbe ist gegen die Vormonate keine Besserung eingetreten.
Facharbeiter, wie Zimmerer, Maler, Stukkateure usw., waren außerordentlich knapp.
Trotz der Einschränkung der Ofenfabriken herrschte großer Mangel an Ofensetzern.
In der Buchdruckerei konnte der lebhaften Nachfrage nach Arbeits-
kräften nur zum Teil entsprochen werden.
Im Handelsgewerbe waren männliche Kräfte reichlicher verfügbar, da
die Aufträge für den freien Arbeitsmarkt knapper waren. Das erklärt sich einer-
seits aus der Zusammenlegung kleinerer Betriebe und andererseits aus der Tat-
sache, daß auf Grund des Hilfsdienstgesetzes in vielen Fällen früher nicht be-
rufstätige Kräfte kaufmännische Stellen annehmen. Der Nachfrage nach leitenden
kaufmännischen Kräften, erfahrenen Buchhaltern und selbständigen Einkäufern,
besonders im Eisenfache, konnte nur vereinzelt entsprochen werden.
Das im Vormonate durch den Schluß der Hauptgeschäftszeit bedingte Mehr-
angebot an Gast wir schaftspersonal hat sich am Ende des Monats wieder
ausgeglichen.
Ungel ernte Arbeiter waren durch die Einschränkung der Rüstungsbetriebe
reichlicher als in den Vormonaten verfügbar.
;' Die Lage des Arbeitsmarktes für weibliche Personen ist durch die Ein-
schränkung der Rüstungsbetriebe stärker beeinflußt worden. Der Rückgang der
Aufträge aus den meisten Rüstungswerken brachte mit Ausnahme von einzelnen
größeren Betrieben in der Provinz fast überall ein Ueberangebot von Rüstungs-
arbeiterinnen, die zum Teil in Aushilfsarbeit im Haushalt usw. untergebracht
wurden. Der Nachfrage nach Pulverarbeiterinnen aber konnte nicht ausreichend
entsprochen werden. Buchdruckhilf-arbeiterinnen, vor allem Tiegeldruckerinnen,
wurden rege verlangt, der Bedarf konnte nicht vollständig gedeckt werden. Die
— 642 —
Beschäftigungsverhältnisse besonders in den Marmeladefabriken waren sehr gut,
Ende des Monats aber setzte ein bemerkenswerter Eückgang ein. Die in großer
Zahl vorliegenden Aufträge nach weiblichen Arbeitskräften für Botendienste, dg
Transportarbeiterinnen, Hausdienerinnen usw., konnten wegen Mangels an ge-
eigneten Kräften nur zum Teil erfüllt werden. Der Vierteljahrswechsel brachte
eine gegen die Vormonate bei weitem noch gesteigerte Nachfrage nach Dienst-
personal, der das ganz geringe Angebot keineswegs entsprach. Durch den starken
Zustrom der mit Halbjahrsschluß fertig ausgebildeten kaufmännischen Anfangs-
kräfte machte sich ein Ueberangebot weiblicher kaufmännischer Kräfte fühlbar,
und zwar handelte es sich bei dem schon in früheren Monaten bestehenden Ueber-
schusse nicht nur um mangelhaft ausgebildete, sondern auch um ältere, erfahrene
Kräfte.
Eine umfassende amtliche Lohnstatistik besitzt bekanntlich Deutsch-
land nicht; es werden lediglich von Zeit zu Zeit die Bergarbeiter-
löhne bekanntgegeben. Im folgenden sind für die eigentlichen
Bergarbeiter die reinen Löhne auf eine Schicht im zweiten
Vierteljahr 1917 den entsprechenden Löhnen im Jahresmittel 1916
gegenübergestellt. (Siehe Tabelle auf S. 643.)
Die Gesetzgebung zum Schutz der Heimarbeiter ist neuer-
dings um ein Stück vorwärtsgekommen. Durch Verordnung vom
3. Oktober 1917 wurde bestimmt, daß die §§ 3 und 4 des Hausarbeit-
gesetzes vom 20. Dezember 1911 mit dem 1. Januar 1918 in Kraft
treten.
Die beiden Paragraphen haben folgenden Wortlaut:
„§ 3. In denjenigen Eäumen, in welchen Arbeit für Hausarbeiter ausgegeben
oder Arbeit solcher Personen abgenommen wird, muß, soweit es sich nicht um
Werkstätten der im § 1 Abs. 1 Satz 2 bezeichneten Art handelt, den HausarbeiterH
durch offene Auslage von Lohn Verzeichnissen oder Aushängen von Lohntafeln
die Möglichkeit gegeben sein, sich über die für die einzelnen in diesen Käumea
zur Ausgabe gelangenden Arbeiten jeweils gezahlten Löhne zu unterrichten. Für
das Ausarbeiten neuer Muster gilt diese Bestimmung nicht.
Der Bundesrat kann zur Ausführung dieser Bestimmung nähere Anordnung
erlassen, gegebenenfalls für einzelne Bezirke. Er kann für bestimmte Gewerbe-
zweige oder Betriebsarten auf Antrag Beteiligter Ausnahmen gewähren.
Der Bundesrat kann vorschreiben, daß, soweit das Arbeitsentgelt in Preisen
zum Ausdruck kommt, die Preise gemäß Abs. 1, 2 bekanntgegeben werden.
Die Bestimmungen des Bundesrats werden durch das Reichs- Gesetzblatt ver-
öffentlicht und dem Reichstag zur Kenntnisnahme vorgelegt.
§ 4. Wer Arbeit für Hausarbeiter ausgibt, ist, soweit nicht die Ausgabe in
Werkstätten der im § 1 Abs. 1 Satz 2 bezeichneten Art stattfindet, verpüichtet,
hierbei denjenigen, welche die Arbeit entgegennehmen, auf seine Kosten Lohn-
bücher oder Arbeitszettel auszuhändigen, welche Art und Umfang der Arbeit so-
wie die dafür festgesetzten Löhne oder Preise enthalten. Für das Ausarbeiten
neuer Muster gilt diese Bestimmung nicht.
Für die einzelnen Gewerbezweige, Betriebsarten oder besondere Gruppen von
Betrieben oder Hausarbeitern kann der Bundesrat auf Antrag Beteiligter Aus-
nahmen gewähren.
Soweit der Bundesrat auf Grund von § 114 a der Gewerbeordnung Lohn-
bücher oder Arbeitszettel vorgeschrieben hat, gelten die Vorschriften des Abs. 1,
2 nicht.«
Die Auslage von Lohnverzeichnissen oder das Aushängen von
Lohntafeln sowie die Aushändigung von Lohnbüchern oder Arbeits-
zetteln stellen alte Forderungen der Sozialpolitiker dar, die nunmehr
verwirklicht werden.
643
Dauer einer Schicht
Unterirdisch und in Tagebauen
der unterirdisch und
beschäftigte
Bergarbeiter
Art und Bezirk des
und in Tagebauen
im engeren Sinne
Bergbaues
beschäftigten Berg-
(O.ß. = Ober bergamts bezirk)
arbeiter im engeren
Sinne II. V.-J. 1917
reiner
Lohn im
II. V.-J. 1917
Jahresmittel 1916
#
Stunden
M.
M.
1. Preußen.
a) Steinkohlenbergbau :
in Oberschlesien
8—12
7,79
6,6 6
in Niederschlesien
8
5,67
4,85
im O.B. Dortmund:
a) Nördliche Reviere ^
6—8
IO,12
8,39
ß) Südliche Reviere 2)
6-8
9,6«
7,92
Summe O.B. Dortmund
(a, ß und Revier Hamm)
6—8
lO 00
8,26
bei Saarbrücken (Staats werke)
6—8
8,16
6,20
bei Aachen
8,2
8,03
6,74
am linksseitigen Niederrhein
8
9,61
8,30
b) Braunkohlenbergbau :
im O.B. Halle:
1
unterirdisch
9,2
6,19
5,43
in Tagebauen
11,4
5,81
5,14
Summe
10,5
5,92
5,23
linksrheinischer
12
6,81
6,09
c) Salzbergbau :
im O.B. Halle
7,7
6,47
5,70
im O.B. Clausthal
7,8
6,54
5,91
d) Erzbergbau:
in Mansfeld (Kupferschiefer)
8,1
7,48
6,02
im Oberharz
8,6
7,52
6,85
in Siegen
7,8
8,14
6,88
in Na^sau und Wetzlar
8,1
5»59
4,83
sonstiger rechtsrheinischer
7,6
6,98
5,99
linksrheinischer
8,1
5,30
4,58
2. Bayern
,
.
5.77
(Stein- und Pechkohlenbergbau)
3. Sachsen-Altenburg
7,5-12
6,92
5.70
(Braunkohlenbergbau)
4. Elsaß-Lothringen
a) Steinkohlenbergbau
8
8,06
6,29
b) Eisenerzbergbau:
1. in Bergwerken
8,9
10,45
8.47
2. in Tagebauen
IO,6
8,27
6,86
c) Kalibergbau
6 u. 8
6,78
5.44
1) Nördliche Reviere: Dortmund II, Dortmund III, Ost- Recklingshausen,
West- Recklinghausen , Nord- Bochum, Herne, Gelsen ki rchen , Wattenscheid, Essen II,
Essen 111, Oberhausen, Duisburg.
2) Südliche Reviere: Dortmund I, Witten, Hattingen, Süd-Bochum, Essen I,
Werden.
- 644 —
VIII. Finanzwesen.
Inhalt: 7. deutsche Kriegsanleihe. Die Verteilung der besseren Einkom-
men auf die Bevölkerung in Preußen 1916, Oesterreichischer Staatshaushalt für
1917/18. Der dänische Staatshaushalt 1918/19. Nationalisierung der spanischen
Staatsschuld. Englische Finanzen. Französische Kredite. Rumäniens Staats-
schuld. E-ußlands ungünstige Finanzlage. Mexikos Finanzlage.
Die siebente Kriegsanleihe Ist fast genau nach dem Muster
der sechsten ausgestattet. Sie besteht aus 5-proz. Schuldverschrei-
bungen und 41/2-proz. Schatzanweisungen, die zum Preise von 98 M.
für 100 M. Nennwert in der Zeit vom 19. September bis zum
18. Oktober zur Zeichnung aufgelegt werden. Für Schuldbuchforde-
rungen mit Sperre bis zum 15. Oktober 1918 ermäßigt sich der Zeich-
nungspreis auf 97,80 M. für 100 M. Nennwert. Das Reich darf die
5-proz. Schuldverschreibungen frühestens zum 1. Oktober 1924 kündigen.
Für die 4Y2-proz. Schatzanweisungen ist wieder ein Tilgungsplan auf-
gestellt, der mit dem für die Schatzanweisungen der sechsten Kriegs-
anleihe vorgesehenen übereinstimmt. Nach den Einzelheiten des Til-
gungsplanes muß der Inhaber von Schatzanweisungen im Falle der
Auslosung seiner Schatzanweisungen mindestens für 100 M. Nennwert
110 M. erhalten. Gleich den mit der sechsten Kriegsanleihe ausge-
gebenen Scbatzanweisungen werden nämlich die Schatzanweisungen der
siebenten Kriegsanleihe nach einem festen Plan mit einem hohen Auf-
geld durch zweimal im Jahre stattfindende Ziehungen getilgt, und zwar
gelangen nicht einzelne Nummern, sondern immer ganze Gruppen zur
Auslosung. Der erste Auslosungstermin ist der 1. Juli 1918, und da
der Tilgungsplan der mit der sechsten Kriegsanleihe ausgegebenen
Schatzanweisungen auch für die der siebenten Kriegsanleihe gelten soll,
die erste Auslosung der früher ausgegebenen Schatzanweisungen aber
bereits am 1. Januar 1918 erfolgt, so wird von den Schatzanweisungen
der siebenten Kriegsanleihe einmalig, nämlich am 1. Juli 1918, ein ent-
sprechend größerer Betrag ausgelost. Die Rückzahlung der gezogenen
Gruppen erfolgt mit 110 Proz., so daß der Eigentümer im Falle der
Auslosung außer der hohen Verzinsung einen Kursgewinn von 12 Proz.
(der Zeichnungspreis beträgt 98 Proz.) erzielt. In späteren Jahren ist
der durch die Auslosung entstehende Gewinn unter Umständen noch
größer, weil das Aufgeld auf 15 und 20 Proz. steigen kann. Das Reich
ist nämlich berechtigt (nicht verpflichtet), am 1. Juli 1927 oder später
alle bis dahin nicht ausgelosten Schatzanweisungen zur Rückzahlung
zum Nennwert zu kündigen. Die Eigentümer der von der Kündigung
betroffenen Schatzanweisungen haben jedoch dann das Recht, statt der
Barzahlung 4-proz., mit 115 Proz. auslosbare Schatzanweisungen zu
fordern. Sind weitere 10 Jahre nach der ersten Kündigung (wohl zu
unterscheiden von der Auslosung) vergangen, so kann das Reich alle
bis auf die mit 115 Proz, ausgelosten, nunmehr 4 proz. Schatzanwei-
sungen zur Rückzahlung zum Nennwert bringen. Aber wiederum hat
der Eigentümer der Schatzanweisungen das Recht, statt der Barzah-
- 645 -
lang die Ausfolgung von Schatzanweisungen zu verlangen, die dann
noch 3V2 Proz. Zinsen tragen und mit 120 Proz. ausgelost werden.
Da viele Eigentümer der älteren 5-proz. Schuldverschreibungen
und der früher ausgegebenen 5-proz. Schatzanweisungen den Wunsch
haben werden, ihren Besitz in die neuen auslosbaren Schatzanweisungen
umzuwandeln, so ist wieder, wie bei der sechsten Kriegsanleihe, ein
von leicht erfüllbaren Bedingungen abhängiges Umtauschrecht geschaffen
worden. Die Einzahlungen auf die siebente Kriegsanleihe können vom
29. September ab geleistet werden; Pflichtzahlungstermine sind der
27. Oktober, der 24. November, der 9. Januar und der 6. Februar.
Die Bevölkerung mit besseren Einkommen in Preu-
fien imSteuerjahr 1916. Von der Gesamtbevölkerung (den Haus-
haltungsvorständen und Einzelwirtschaftern nebst Angehörigen der
ersteren) entfallen nach der „Stat. Korr."
auf die Einkommensgruppe von . .
. M.
im
Jahre
über 3000 bis 9500
über 9500 bis
30 500
über 30 500 bis
100 000
Über 100 000
überhaupt
vom
Tausend
überhaupt
vom
Tausend
überhaupt
vom
Tausend
überhaupt
vom
Tausend
1896
942 274
30,1
158840
5.1
31490
1,00
5750
0,18
1900
I 150016
34.4
200 706
6,0
41382
1,24
8678
o,26
1905
1360925
37,5
227251
6,3
45 454
1,25
9019
0,25
1910
I 959 199
50.0
277 190
7,1
56914
1,45
II 912
0,30
1911
2083 563
52,4
289 864
7,3
59 573
1,50
'2543
0,82
1912
2 168 780
53,9
303 990
7,6
63676
1,58
13350
0,3S
1913
2 290 548
56,2
316968
7,8
66631
1,64
14179
0,S5
1914
2410803
58,5
349661
8,5
73408
1,78
15432
0,S7
1915
2 193740
53,5 1 323027 1 7,9
70349
1,71
14833
0,3 6
1916
I 234 599
54,4
343 702
8,4
81 001
1,97
19824
0,48
Allen vier Einkommensgruppen gemeinsam ist eine erhebliche Aufwärts-
bewegung sowohl der Grundzahlen wie der Verhältnisziffern, die im Kriegsjahre
1915 überall eine Unterbrechung erlitten hatte. Im Berichtsjahre 1916 ist darauf
allgemein wieder eine Zunahme eingetreten, die in den beiden obersten Einkom-
mensgruppen von über 30 500 M. zu dem bislang höchsten Stande geführt hat;
in der untersten Gruppe der Einkommen von über 3000 bis 9500 M. blieb das
Ergebnis des Berichtsjahres hinter dem des Höchststandsjahres 1914 (Friedens-
stand) allein noch einigermaßen beträchtlich zurück.
Im Gesamtzeitraum von 1896 bis 1916 war die Steigerung in der nach oben
unbegrenzten höchsten Einkommensgruppe von über 100000 M. am stärksten;
die dieser angehörende Bevölkerungsschicht hat sich nämlich seit 1896 überhaupt
schon wesentlich mehr als verdreifacht, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung
sich um etwas über das Anderthalbfache vermehrt Am schwächsten war die Zu-
nahme in der Einkommensgruppe von über 9500 bis 30 500 M. ; immerhin hat
auch hier seit 1896 die Grundzahl sich verdoppelt und die Verhältnisziffer sich
um rund zwei Drittel gehoben.
Ungeachtet des verhältnismäßig erheblichen Anwachsens der Bevölkerungs-
schicht mit besseren Einkommen in allen vier Untergruppen machte diese selbst
in der weitaus am stärksten besetzten untersten Einkommensabstufung von über
3000 bis 9500 M. auch im günstigsten Jahre 1914 erst etwa den siebzehnten, im
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XLIII
- 646 —
Berichtsjahre den achtzehnten Teil der Gesamtbevölkerung aus, gegen noch nicht
ein Dreißigstel im Jahre 1896. Die Einkommen über 9500 M. finden sich nur
bei einem geringfügigen, im Berichtsjahre wenig mehr als ein Hundertstel be-
tragenden Bruchteile der Bevölkerung; besonders stark tritt trotz seiner verhält-
nismäßig recht bedeutenden Zunahme der Bevölkerungsteil mit über 30500 M.
Einkommen zurück.
Insbesondere von den Haushaitun gs vorständen und Einzelwirtschaftern hatten
ein Einkommen von
M.
im
Jahre
über 3000 bis 9500
über 9500 bis
30 500
über 30 500 bis
100 000
Über 100 000
überhaupt
vom
Tausend
überhaupt
vom
Tausend
überhaupt
vom
Tausend
überhaupt
vom
Tausend
1896
1900
1905
1910
1911
1912
1913
1914
1915
1916
272819
337 806
413 2bi
591334
627 800
658 801
697 lOI
741 559
670207
693 798
23,8
27,1
30,5
39,3
40,7
42,0
43,5
45,6
42,3
43,6
47308
60840
70943
89991
94230
99620
104922
116876
107 426
114843
4,1
4,9
5,2
6,0
6,1
6,3
6,6
7,2
6,8
7,2
9265
12580
14374
18535
19430
20999
22239
24551
22962
26602
0,8 1
1,01
1,06
1,23
1,26
1,34
1,39
1,51
1,45
1,67
1699
2652
2859
3893
4138
4456
4747
5215
4976
6685
o,i6
0,21
0,21
0,26
0,27
0,28
o,so
0,S2
0,8 1
0,42
Am stärksten war auch hier die Zunahme bei der Gruppe der Einkommen
von über 100 000 M., deren Steuerpflichtigen zahl von 1896 bis 1916 bei einer Ver-
mehrung um 293 V. H. sich nahezu vervierfacht, im Verhältnis zur Gesamtheit
der Haushaltungsvorstände und Einzelwirtschafter sich fast verdreifacht hat. Die
zweitgrößte Steigerung der Steuerpflichtigen zahl findet sich in demselben Zeit-
raum mit 187 V. H. bei der Einkommensgruppe von über 30 500 bis 100000 M. ;
hier ist von 1896 bis 1916 noch eine Verdoppelung der Verhältnisziffern einge-
treten, während dies bei den übrigen beiden Ein kommen sgruppen von über 3CO0
bis 9500 M. mit 154 v. H. und von über 9500 bis 30 500 M. mit 143 v. H. nur
noch bezüglich der Grundzahl, aber nicht mehr ganz hinsichtlich des ziffern-
mäßigen Anteils der Einkommensbezieher an der Gesamtheit der Haushaltungs-
vorstände und Einzelwirtschafter der Fall war.
Auch hier ergibt sich ein bemerkenswerter Unterschied zwischen den Ein-
kommensgruppen von über 3000 bis 30500 M. und denen von über 30 500 M.,
indem bei ersteren die Steuerpflichtigenzahl des Berichtsjahres hinter der des Jahres
1914 (Friedensstand) zurückbleibt, bei letzteren dagegen erheblich darüber hinaus-
geht; man wird wohl kaum in der Annahme fehlgehen, daß in dieser Vermehrung
der Zahl der höchsten Einkommen die starke Erhöhung zahlreicher Einkommen
infolge von Kriegsgewinnen ihren Ausdruck findet.
Gleichwohl erscheint in den Einkommensgruppen von über 9500 M. die
Steuerpflichtigenzahl im Verhältnis zur Gesamtheit der Haushaltungsvorstände
und Einzelwirtschafter überall gering und nur in der von über 3000 bis 9500 M.,
also etwa bei dem oberen Mittelstande, mit etwas über einem Fünfundzwanzigstel
einigermaßen beträchtlich. Naturgemäß am geringfügigsten war ungeachtet der
erwähnten, sehr erheblichen Steigerung der Grundzahl wie der Verhältnisziffer
die Häufigkeit der Bezieher eines Einkommens von über 100 000 M., so daß in-
soweit von einer sozial schädlichen plutokratischen Einkommensverteilung nicht
die Rede sein kann.
Gruppiert man auch noch die in obiger üebersicht aufgeführten physischen
Personen mit einem Einkommen von über 100 000 M. nach Einkommensabstufungen
so entfielen
647
von den Haushaltungsvorständen
auf die Einkommensgruppe . ^ , und Einzelwirtschaftern
von -u i. X vom Hundert-
über 100 000 bis 500 000 M.
500 000 „ 1000 000
1 000 000 M.
überhaupt ^^^^^^
1896 1596 13,91
1914 4869 29,95
1915 4630 29,24
1916 6195 38,93
1896 76 0,66
1914 255 1,57
1915 263 1,66
1916 356 2.»4
1896 27 0,24
1914 91 0,66
1915 83 0,52
1916 134 0,84
Weitaus der größte Teil der Personen mit Einkommen von über 100 000 M.
entfiel hiernach auf die unterste Gruppe bis zu */, Mill. M. Einkommen, deren
Steuerpflichtigenzahl von 1896 bis 1916 überhaupt 'sich nicht ganz vervierfacht,
im Verhältnis zur Gesamtheit der Haushaltungsvorstände und Einzelwirtschafter
sich annähernd verdreifacht hat. Auch die Grundzahlen und Verhältnisziffern
der Personen mit Einkommen von über Va ^i^l- M. sind im Zeitraum von 1896
bis 1916 um ein Mehrfaches, und zwar noch stärker als die der Bezieher eines
Einkommens von über 100000 bis 500000 M. gestiegen. Bemerkenswert war die
Entwicklung bei den Einkommen von über Vg bis 1 Million M. insofern, als sie
sich — abweichend von den beiden anderen Gruppen — auch im Kriegsjahr 1915,
offenbar namentlich durch Zufluß von Steuerpflichtigen aus der Einkommens-
gruppe von über 1 Mill. M , vermehrt haben. Betrachtet man insbesondere die
Bewegung von 1914 (Friedensstand) bis 1916, so zeigt sich, daß während des
Krieges die Zunahme verhältnismäßig am stärksten bei den Einkommen von über
1 Million M. war, deren Zahl in dieser Zeit um 47,8 Proz. gestiegen ist, während
die der Steuerpflichtigen mit über V2 bis 1 Million M. Einkommen um 39,6 Proz.,
und die der über 100 000 bis Va Mill. M. Einkommen Beziehenden um 27,2 Proz.
zunahm. Diese Ziffern lassen einen Rückschluß auf die gewaltigen Elriegsgewinne
zu, die den kapitalkräftigsten physischen Personen zugefallen sind. Die Steuer-
pflichtigen mit Millionen- Einkommen bilden aber selbst im Berichtsjahr mit etwas
mehr als 8 auf je eine Million aller Haushaltungsvorstände und Einzelwirtschafter
nur einen winzigen Bruchteil. Während das höchste Einkommen der physischen
Personen sich im Jahre 1896 erst auf 7 460000 bis 7 465 000 M. bezifferte, betrug
es im Jahre 1916 schon 29415 000 bis 29420000 M., also fast 4mal so viel.
Im österreichischen Abgeordnetenhaus hat der Finanz-
minister Ende September den Staatshaushaltsetat für 1917/18
eingebracht, der unter Berücksichtigung aller außergewöhnlichen Ver-
hältnisse des Krieges die gesamten Staatsausgaben mit 22 169 Mill. £.
veranschlagt, davon entfallen 5360 Mill. auf dauernde, 16 809 Mill. auf
vorübergehende Aufgaben.
Unter den dauernden Ausgaben erscheinen die Zinsen aller bisher aufge-
nommenen Kriegsschulden mit 1702 Mill., unter den vorübergehenden, ausschließlich
durch den Krieg verursachten Ausgaben als Quotenbeiträge Oesterreichs für die
mobilisierte bewaffnete Macht 12 WO Mill., für Kriegsbeschädigte und Kriegs-
flüchtlinge 33S Mill. Von den auf 4194 Mill. veranschlagten Staatseinnahmen
sind 3890 Mill. dauernde Einnahmen, der Eest von 304 Mill. hauptsächlich aus
Kriegssteuern erwachsende, vorübergehende Einnahmen. Unter den dauernden
Einnahmen erscheinen 677 Mill. aus direkten Steuern, 102 Mill. aus Zöllen,
353 Mill. aus Verzehrungssteuern, 456 Mill. aus Gebühren, 649 Mill. aus Mono-
XLIII*
— 648 —
polen, 1560 Mill. aus Staatsbetrieben. Zur AuHgleichung des Gesamtausfalles
von 17 975 Mill. nimmt die Regierung eine Kreditermächtigung von 18000 Mill.
in Anspruch; hierin ist die in dem laufenden ßudgetprovisorium enthaltene
Kreditermächtigung von 6000 Mill. einbegriffen. Die auf Oesterreich entfallenden
reinen Kriegsausgaoen haben betragen in den ersten 3 Kriegsjahren zusammen
27 293 Mill. K., für das laufende 4. Kriegsjahr werden 12 000 Mill. angesprochen.
Am 30. Juni 1917 betrug die aus allen Kriegskreditmaßnahmen entstandene
Schuldsumme 41 257 Mill., davon wurden 23 z29 Mill. durch Kriegsanleihen,
18028 Mill. durch andere Anleihemaßregeln, und zwar 8680 Mill. durch Darlehen
von der Notenbank, 6943 Mill. durch Darlehen von österreichischen Banken und
Sparkassen, und 2405 Mill. durch Auslandsdarlehen aufgebracht.
Der dänische Staatshaushalt für das Finanzjahr vom 1 . April
1918 bis 31. März 1919 weist im Voranschlag an Gesamteinnahmen
192 725 395 Kr., an Gesamtausgaben 130015 759 Kr., somit eine Mehr-
einnahme von 63 119 636 Kr. auf. Da aber für Verbrauch und Erwerb
von Vermögen eine Mehrausgabe von 15 625 752 Kr. aufgeführt ist, be-
läuft sich der veranschlagte Ueberschuß auf im ganzen nur 47 Yg Mill. Kx.
Im Vergleich mit dem Finanzgesetz für das gegenwärtige Finanzjahr ist
auf der Einnahmeseite eine Mehreinnahme von 30 Mill. Kr. eingestellt, davon
etwa 27 Mill. Kr. aus Steuern und Abgaben und fast 2'/2 Mill. Kr. aus Renten
und verschiedenen Einnahmen, Auf der Ausgabenseite ist eine Mehrausgabe von
etwa 8 Mill. Kr. aufgeführt, davon 6 Mill. Kr. für Staatsschuld Verzinsung und
2 Mill. Kr. für den Haushalt des Ministeriums des Innern, während die Haus-
halte für die anderen Ministerien ungefähr mit denen des gegenwärtigen Finanz-
jahres übereinstimmen. Auf Konto Verbrauch und Erwerb von Vermögen war
die Mehrausgabe im gegenwärtigen Finanzjahre mit etwa 35 '/2 Mill. Kr. berechnet,
auf dem vorliegenden Voranschlage dagegen nur mit etwa' 15^2 MiU. Kr. In
Uebereinstimmung mit früheren Jahren sind die Ausgaben für die Sicherungs-
mannschaften und andere Veranstaltungen, die den Krieg betreffen, auf dem
Finanzgesetz vorschlage nicht aufgeführt, sondern werden im Nachtragshaushalt
aufgeführt. Weiter wurde dem Reichstage der Abschluß des Staatshaushalts für
das Finanzjahr vom 1. April 1916 bis 31. März 1917 vorgelegt, der ein Defizit von
etwa 8,4 Mill. Kr. aufweist.
Ferner legten der Finanzminister und der Minister für öffentliche Arbeiten
eine Anzahl neuer Steuervorschläge vor. Der Finanzminister brachte den
Vorschlag betreffend eine vorläufige Erhöhung der Steuer für Zigarren, Zigaretten
und Zigaretten tabak, und ebenso eine solche betreffend eine Erhöhung des Tabak-
zolls und der Abgaben für Tabaksbau ein. Das finanzielle Ergebnis des Gesetz-
vorschlags wird auf 7 432000 Kr. veranschlagt. Der Finanzminister legte weiter
den Vorschlag, betreffend eine Zusatzabgabe für Weine gleich beim Einzel-
preis für die betreffenden Waren beim Verkauf an die Verbraucher, und eine
Gesetzesvorlage, betreffend eine vorläufige Erhöhung und Erweiterung der Bier-
steuer vor. Die jetzt geltende Biersteuer wird von 950 Oere auf 18 Kr. pro
Hektoliter erhöht, während für bisher steuerfreie Biersorten eine Steuer von
850 Oere für den Hektoliter eingeführt wird. Das finanzielle Ergebnis wird auf
8,3 Mill. Kr. veranschlagt und die Gültigkeit sämtlicher Vorschläge bis Ende 1918
begrenzt. — Der Finanzminister legte weiter einen Gesetzvorschlag, betreffend
einen vorläufigen Aufschlag auf die Einkommen- und Vermögens-
steuer vor. Steuerpflichtige Personen, die zu einem Einkommen von 6040 Ki.
und darüber veranschlagt sind, und Personen, die zu einem Vermögen von
15000 Kr. und darüber veranschlagt sind, erlegen außer der gewöhnlichen Ein-
kommen- und Vermögenssteuer eine besondere Zusatzsteuer an den Staat mit
0,90—4,50 Proz. für das Einkommen und 0,90—2,50 Proz. für das Vermögen.
Dänische steuerpflichtige Gesellschaften und Vereine, deren Einkommen über
4 Proz. vom Aktienkapital ausmachte, bezahlen 1—2 Proz. von demjenigen Teile
des Einkommens, der 4 Proz. übersteigt. Ausländische steuerpflichtige Gesell-
schaften bezahlen eine Zusatzsteuer von 3 Proz. Das Ergebnis des Vorschlage»
— 649 —
wird auf 60 Mill. Kr. veranschlagt. Der Minister legte weiter eine Vorlage vor
betreffs Ermächtigung zur Ausgabe 15-jähriger 5-proz. Staatsschuldscheine im
Betrage von 60 Mill. Kr. Fünf dänische Banken übernahmen den Betrag zum
Kurse von 99 Proz. Der Minister für öffentliche Arbeiten legte eine Gesetzes-
vorlage, betreffend die Erhöhung verschiedener Portotaxen vor. Die
durch die Erhöhung bedingte Mehreinnahme ist auf 870000 Kr. veranschlagt.
Der gleiche Minister legte eine Vorlage betreffs Erhöhung der Staatsbahn-
taxen für die Beförderung von Personen, Gütern und lebenden Tieren um
25 Proz. vor. Die Einnahmensteigerung durch die Taxenerhöhung wird auf
12 Mill. Kr. jährlich veranschlagt. Beide Gesetzesvorlagen gelten bis zum 31. De-
zember 1918.
Fast die Hälfte der spanischen äußeren Schuld, schreibt
Muguerza im „Diario del Comercio", ist bereits nationalisiert. Die im
Auslande untergebrachte Schuld belief sich auf etwa 1035 Mill. Pesetas.
Bis zum 31. Juli d. J. sind 105 715 700 Pesetas der auswärtigen Schuld
in inländische Schuld konvertiert worden. Ferner sind von jener Schuld
weitere 365 821 000 Pesetas in Spanien domiziliert worden, so daß ins-
gesamt 471 536 700 Pesetas nach hier zurückgebracht worden sind.
Ueber die englischen Finanzen schreibt in der englischen Zei-
tung „Common Sense" Lord Leverhulme: „Bei einer Kriegsschuld von
200 Milliarden M. würde die Verzinsung und Tilgung jährlich 12 Mil-
liarden M. erfordern. Diese Summe ist dreimal so groß wie unser ge-
samtes Einkommen (englisches) vor dem Kriege. Hierbei sind die
Ausgaben für Heer, Flotte, Zivildienst und Pensionen nicht einbegriffen.
Wenn hierfür nur 6 Milliarden angesetzt werden, so müßte bei einem
Einkommen von 2000 M. im Jahre bereits die Hälfte, also 1000 M.
als Steuer erhoben werden, während die Steigerung der Steuer so weit
geht, daß bei 200000 M. Einkommen 180000 M., also neun Zehntel,
erhoben werden müßten." Es kommt hinzu, daß England einen großen
Teil dieser unerhörten Schulden während des Krieges im Ausland ge-
macht hat. Ganz abgesehen von den kleinen Gläubigern, wie Japan,
Indien, Kanada und Norwegen, hat England allein in Amerika bis
jetzt 10 Milliarden M. geliehen, wobei die Privatkredite, deren Schätzung
ganz unmöglich ist, noch gar nicht mitgerechnet sind.
Laut „Temps" betragen die französischen Kredite für das
letzte Vierteljahr 1917 für das allgemeine Budget 11203 000000 frcs.,
wozu 945Y2 Mill. für Nebenbudgets kommen. Die Erhöhung der Kredite
gegenüber dem vorhergehenden Vierteljahr beträgt 1 Milliarde 330 Mill.,
wovon 855 Mill. auf rein militärische Ausgaben, 475 Mill. auf die
Zivil Verwaltung und die Schuldenverwaltung entfallen. Das Kriegs-
ministerium allein erhöhte seine Ausgaben um 680 Mill., das Munitions-
ministerium um 70 Mill , das Marineministerium um 157 Mill. Die
Gesamtkredite vom 1. August 1914 an betragen mit diesen Krediten
bis 31. Dezember 1917 102 Milliarden 642038 907 frcs. Der monat-
liche Durchschnitt für Ausgaben stieg von 1318000000 in den ersten
fünf Kriegsmonaten auf 3306 000000 im Jahre 1917. Der Finanz-
minister fügt hinzu, es sei möglich, daß er noch vor dem 3. Dezember
vom Parlamente neue Kredite zur Bestreitung unvorhergesehener Aus-
gaben verlangen müsse.
— 650 —
Der rumänische Politiker Professor Stere veröffentlicht eine Zu-
sammenstellung der Staatsschuld Rumäniens, die sich nach aus-
führlicher Berechnung bei Friedensschluß auf mindestens 10 Milliarden
belaufen wird, während sie 1913 nur ungefähr IY2 Milliarden betrug.
Stere stellt dem das Nationalvermögen Rumäniens gegenüber, das er auf höch-
stens 10 Milliarden einschätzt. Die Verzinsung von Staatsschuld plus Staatsbudget
in früherer Höhe, die nach dem Kriege mehr als 1 Milliarde betragen wird, wird
eine außerordentliche Belastung der rumänischen Bevölkerung darstellen. Stere
fährt dann wörtlich fort : „Die einfache Tatsache, daß auf jedes Familienoberhaupt
allein für Staatsbedürfnisse eine durchschnittliche Jahreslast von 1000 Lei fallen
wird, zeigt das Furchtbare dieser Lage. Woher sollen wir die Beträge nehmen
für andere Bedürfnisse, für die Kreis- und Kommunalverwaltung, besonders für
die Ernährung und Erhaltung der Bevölkerung? Hat man doch ausgerechnet,
daß vor dem Kriege das Einkommen der bäuerlichen Familien Rumäniens in
guten Jahren kaum 500 Lei jährlich betrug. Die Bilanz ist in der Tat vernichtend."
„Voss. Ztg.« V. 6. Sept.)
Ueber Rußlands Finanzlage liegen verschiedene Nachrichten
Tor, die ein recht ungünstiges Bild geben :
Nach einer Meldung des „Temps" aus Petersburg gab der Leiter des Finanz-
ministeriums, Professor Bernatzky, auf dem Kongreß der kleineren und mittleren
Industrien Rußlands bekannt, daß der Staatshaushalt für 1916 einen Ausfall von
15 Milliarden Rbl. erwarten lasse. Der Ausfall sei für Rußland wenig be-
deutend; denn wenn die gesamte Einwohnerschaft des Landes mit der durch die
ernste Lage bedingten Energie und Gewissenhaftigkeit arbeite, könne der Ausfall
der 12 bis 15 Milliarden leicht gedeckt werden. Das Unglück für Rußland sei.
daß 14 Milliarden Rbl. Banknoten auf den Markt geworfen worden seien und
dieses Geld keinen materiellen Wert darstelle, aus dem die Bevölkerung Nutzen
ziehen könnte. Es sei unbedingt notwendig, mit dem Höchstmaß aller Kräfte zu
arbeiten. Rußland sei für das sozialistische Regime noch nicht reif, nur ein kapi-
talistisches wirtschaftliches System könne es retten. Die Regierung werde die
indirekten Steuern erhöhen, weil es in Rußland nicht genügend reiche Leute
gebe, um die Staatskassen zu füllen. Finanzminister Nekrasow erklärte, daß das
gewöhnliche Budget für 1917 5 Milliarden Rbl. und das für 1918 773 Milliarden
betragen werde. Die militärischen Ausgaben sollten durch Anleihen und die
gewöhnlichen durch Steuern und Zollerträgnisse gedeckt werden. Die indirekten
Steuern würden merklich erhöht und gewisse Erzeugnisse, wie Streichhölzer und
Zucker, vom Staate monopolisiert werden.
In der „Oeuvre" vom 5. September schreibt Charles Omessa: In der russi-
schen Reichsdruckerei sind Tag und Nacht 8000 Arbeiter mit der Herstellung
von Papiergeld beschäftigt und stellen täglich mehr als 60 MiU. Rbl. her.
Sie werden ausgezeichnet bezahlt; dafür kostet aber auch den Staat jede Rubel -
note genau 58 Kopeken, also mehr als die Hälfte ihres Nennwertes. Die Rubel-
fabrikation gedeiht dabei, denn während 1914 der Betrag der umlaufenden Noten
sich auf 1633 MiU. belief, betrug er am 1. Januar 1915 3030 Mill., am 1. Januar
1916 5662 und am 1. Januar 1917 9097 Mill. Dann brach die Revolution aus
und riß alle Dämme nieder: am 1. März erreichte der Umlauf 9450, am 15. Mai
11 765 und am 1. Juli nahezu 14 Milliarden, d. h. also, er steigerte sich in drei
Jahren um das Achtfache ! Von dem Auswege, sich durch Steuererhebungen neue
Mittel zu verschaffen, hat die provisorische Regierung keinen Gebrauch gemacht.
Der Versuch wäre auch aussichtslos gewesen, da schon die bestehenden Steuern
schlecht oder gar nicht eingehen. Mit gewaltigem Aufwand von Reklame ist eine
Anleihe, die sogenannte „Freiheitsanleihe", in Szene gesetzt worden, die zugleich
die Kassen der Regierung füllen und der Bevölkerung Gelegenheit geben sollte,
ihre Sympathien für die Republik zu beweisen, aber sie hat wenig Erfolg gehabt,
besonders die Arbeiterklasse und der wohlhabende Bürgerstand haben sich zu-
rückgehalten. So hat die Anleihe mit Mühe und Not 3 Milliarden Rbl. ge-
bracht, was kümmerlich ist für ein Land, dem augenblicklich keine Einnahmen
- 651 -
zur Verfiügung stehen, das aber eine tägliche Ausgabe von nahezu 70 Mill., dar-
unter 60 für das Heer, bestreiten soll. Kußlands Staatsschuld, die sich 1914
auf 9 Milliarden Ebl. belief, beziffert sich jetzt schon auf mehr als 40 Milliarden
und wird am 1. August 1918 55 Milliarden erreichen. Der Schuldendienst allein
wird 2V, Milliarden verschlingen, gegen 400 Mill. vor dem Kriege.
Nach amtlichen Angaben erreichten die Zeichnungen auf die Freiheitsanleihe
bis zum 30. Juli 2836 Mill. Kbl. Ein Bankenkonsortium wird demnächst 750
Mill. Kbl. 4V2-proz. Eisenbahnanleihe zu 817, auflegen, deren Erlös für 17 Bahn-
fesellschaften bestimmt ist. Infolge der großen Geldbedürfnisse des Staates hat
ie Regierung ihre ablehnende Haltung gegen eine Losanleihe aufgegeben und
einen Sonderausschuß zur Prüfung dieser Frage ernannt. Es ist beabsichtigt,
eine unverzinsliche Anleihe von 2 bis 3 Milliarden in kleinen Abschnitten vor
Zusammentritt der konstituierenden Versammlung auszugeben. Die 5-proz.
russische Anleihe, die gegen Ende August noch 72 Proz. notierte, erreichte heute
den Tiefkurs von 67. Laut „Aftenposten" wird ein Mitglied der russischen Re-
gierung demnächst in Christiania erwartet, das die Aufgabe hat, einen Teil der
russischen „Freiheitsanleihe" in Norwegen unterzubringen.
Ueber Mexikos Finanzlage erklärte der mexikanische Ge-
sandte in Paris einem Mitarbeiter der „Information":
Es soll eine Anleihe von 300 Mill. $ aufgenommen werden, wozu das mexi-
kanische Parlament bereits seine Zustimmung gegeben hat. Mit den amerikanischen
Banken ist wahrscheinlich vorher verhandelt worden. 100 Mill. sollen zur Be-
zahlung verfallener Staatsanleihezinsen benutzt werden. Der Rest soll dringenden
Bedürfnissen dienen. Die Frage, ob die Zinsen auf alle Anleihen, einschließlich
der 6-proz. Schatzscheine Huertas, die meist in Frankreich untergebracht sind,
gleichmäßig bezahlt werden, ist noch nicht geklärt. Bisher haben alle Regierungen,
die auf Huerta folgten, erklärt, daß seine Anleihen nicht rechtskräftig seien.
Eine Verständigung ist jedoch möglich, doch muß das mexikanische Parlament,
das im September zusammentreten wird, seine Zustimmung erteilen
IX. Kleingewerbe, einschließlich Mittelstandsbewegung.
Inhalt: 1) Die Tagung des 18. Deutschen Handwerks- und Gewerbe-
kammertages in Hannover am 24. und 25. September 1917. 2) Die Tagung des
Haupt verbau des deutscher gewerblicher Genossenschaften, ebenfalls zu Hannover
am 22. und 23. September 1917. 3) Gewerbliche Privatschulen und Privatunter-
richt. 4) Ein wichtiger Antrag im Hauptausschuß des Reichstags im Interesse
des Mittelstandes. 5) Fürsorge für Kriegsinvalide. 6) Richtlinien, betreffend den
Wiederaufbau des Handwerks.
Der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag hat
seine 18. Tagung in diesem Jahre am 24. und 25. September zu Hannover
abgehalten. Die Tagung war sehr reich beschickt. Alle Handwerks-
und Gewerbekammern waren vertreten, und zahlreiche Vertreter von
den Regierungen der Bundesstaaten, von Behörden und großen be-
freundeten Organisationen nahmen als Ehrengäste an den Verhand-
lungen teil.
Als ersten Punkt der Tagesordnung erstattete der Generalsekretär
des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages, Dr. Meusch,
einen Jahresrückblick, in dem er all die wichtigen Organisationsfragen
des Handwerks, die namentlich durch den Krieg erzeugt worden waren,
streifte und darlegte, welche prinzipielle Stellung das Handwerk in
dieser Frage einzunehmen habe. Er betonte, daß in seinem festen
Glauben an die Zukunft des deutschen Handwerks ihn nichts beirren
— 652 —
könne. Er machte bezüglich dieses Punktes folgende Ausführungen^
die an dieser Stelle wiedergegeben werden sollen :
„Ich habe ja schon wiederholt von dieser Stelle aus darauf hingewiesen, daß
die pessimistische Auffassung von der Lage des Handwerks, die wir insbesondere
der alten nationalökonomiscnen Theorie verdanken, durch die tatsächliche Ent-
wicklung der letzten Jahrzehnte zur Genüge widerlegt worden ist. Gewiß, diese
EntwicUung hat die Schichtung des Handwerks nach Berufsarten verändert,
aber dem Abgang abständig gewordener Glieder hat stets ein Zugang neuer
lebenskräftiger Berufszweige entsprochen, der beweist, daß der Organismus des
Handwerks ein gesunder ist. Gewiß hat die schwere Krankheit des Krieges die
Funktionen dieses Organismus geschwächt und erschüttert, aber wie eine glück-
lich überstandene Krankheit aut einen gesunden Körper regenerierend einwirkt
und neue kraftvolle Entwicklung nach sich zieht, so wird auch der gesunde
Körper des Handwerks zu neuer Kraft nach dem Kriege sich entfalten — wenn
nicht der Arzt der öffentlichen Gewalt durch falsche Behandlung diese Entwick-
lung gewaltsam hemmt. Ein Berufsstand, der trotz aller Einwirkungen der
Kriegszeit, nicht zuletzt trotz der wirtschaftlichen Gewaltkuren dieser Zeit, eich
als Ganzes so kräftig behauptet hat, der wird sich auch in der kommenden Wirt-
schaft nicht verdrängen lassen. Also, meine Herren, die eigene Lebenskraft dürfte
das Handwerk zur Genüge bewiesen haben; hieraus darf es die Berechtigung
herleiten zu der Forderung an den Staat, daß ihm dieser beim Wiederaufbau der
durch den Krieg geschädigten Existenzen hüfreiche Hand leistet. Nicht minder
berechtigt ist die weitere Forderung, daß der Staat bei einer von ihm etwa
zwangsläufig zu regelnden Wirtschaft dem Handwerk im Verhältnis zu den
anderen gütererzeugenden Berufsständen die nötige Berücksichtigung zuteil
werden läßt."
Im Anschluß an den Jahresrückblick, in dem auch die Friedenn-
resolution des Reichstags gestreift worden war, wurden vom Kammer-
tage drei markige Telegramme an S. M. den Deutschen Kaiser, an
den Generalfeldmarschall v. Hindenburg und an den Reichskanzler
Dr. Michaelis gesandt, auf die warm anerkennende Telegramme als
Antwort bei dem Kammertage wieder eingegangen sind.
Die wichtigsten Verhandlungspunkte bezogen sich auf die Durch-
führung des Hilfsdienstgesetzes und zwar die Zusammenlegung von
Handwerksbetrieben und auf die Rohstoffversorgung des Handwerks
während der Uebergangswirtschaft.
Zum 1. Punkte referierte der Reichstagsabgeordnete Malermeister
Irl in sehr eingehenden interessanten Darlegungen. Er legte im
Namen des Ausschusses nachfolgende Entschließung zur Beschlußfassung
vor, die nach kurzer Aussprache einstimmig zur Annahme gelangte.
Die Entschließung lautete :
„1) Das deutsche Handwerk ist durch die zur Ersparung von Materialien
und Arbeitskräften beabsichtigten Maßnahmen des Kriegsamtes, welche auf die
weitgehende Zusammenlegung der gewerblichen Betriebe hinzielen, aufs tiefste
beunruhigt. Es befürchtet, daß diese Maßnahmen dem Drängen einflußreicher
Vertreter der Forderung nach betriebsorganisatorischen Umgestaltungen unseres
Wirtschaftslebens entgegenkommen, die eine dauernde Verminderung der kleinen
und mittleren Betriebe beabsichtigen.
Der 18. Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag zu Hannover betont
mit Nachdruck die volkswirtschaftliche und soziale Bedeutung der Erhaltung der
selbständigen Betriebe des Mittelstandes und stellt fest, daß die fortschreitende
Entwicklung des deutschen Handwerks die weitestgehende Ausnutzung von
Arbeits- und Betriebskraft immer mehr gewährleistet. Er weist darauf hin, daß
— 653 —
das Handwerk freiwillig zum genossenschaftlichen Zusammenschlüsse seiner Kräfte
übergegangen ist und diesen mit allem Eifer zu fördern bestrebt ist.
2) Der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag gibt daher zu der be-
Torstehenden Zusammenlegung gewerblicher Betriebe auf Grund des Hilfsdienst-
gesetzes folgende Erklärung ab:
1. Die Zusammenlegung ist nur als eine vorübergehende durch den Krieg be-
dingte Maßnahme einzuführen. Eine dauernde Einschränkung der »Selb-
ständigkeit der handwerklichen Betriebsform wird unter allen Umständen
abgelehnt.
2. Der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag und die Handwerks- und
Gewerbekammern sind bei der Feststellung der für die Zusammenlegung
zu beobachtenden Grundsätze bzw. bei der Zusammenlegung selbst un-
bedingt in ausreichendem Maße zu beteiligen. Zu diesem Zwecke sollen
in die ständigen Ausschüsse sowohl beim Kriegsamt wie bei den einzelnen
Kriegsamtssteflen in ausreichender Zahl Vertreter des Deutschen Hand-
werks- und Gewerbekammertages bzw. der Handwerks- und Gewerbe-
kammern herangezogen werden.
3. Die Zusammenlegung der Handwerksbetriebe darf nur auf dem Wege der
Selbstverwaltung erfolgen, um eine angemessene Entschädigung der stillge-
legten Betriebe und ihre Wiederaufnahme zu sichern.
4. Sobald die Möglichkeit hierzu vorhanden ist, sind die stillgelegten Betriebe
durch Zuweisung von Eohstoffen und Betriebskraft und Bereitstellung von
' Hilfskräften wieder in Tätigkeit zu setzen."
Ueber die Rohstoffversorgung des Handwerks während der Ueber-
gangswirtschaft referierte ein Vertreter der Handwerkskammer Co In,
Herr Direktor Esser. Er beleuchtete in sehr ausführlichen Dar-
legungen die schwierigen Aufgaben, die seitens des deutschen Hand-
werks in dieser Frage gelöst werden müßten, und schlug nachfolgende
Entschließung zur Annahme vor, die ebenfalls die Zustimmung des
Kammertages fand. Dieselbe lautete:
„1) Der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag erkennt mit Befrie-
digung an, daß seinem Wunsche, betreffend angemessene Vertretung des Hand-
werks im Beirate für üebergangs Wirtschaft, entsprochen worden ist; er erwartet,
daß zur Bearbeitung der fachlichen Fragen in den vom Reichsamte des Innern
beabsichtigten Unterausschüssen Vertreter der Innungsverbände herangezogen
werden.
2) Dem Handwerk ist während der üebergangszeit von allen staatlich be-
wirtschafteten Rohstoffen ein bestimmter Anteil zu sichern.
Der auf das Handwerk entfallende Anteil soll unter Mitwirkung der Hand-
werks- und Gewerbekammern baldigst ermittelt werden.
3J Zur Verteilung des auf das Handwerk entfallenden Anteils an Rohstoffen
sind die gesetzlichen und wirtschaftlichen Organisationen des Handwerks heran-
zuziehen.
Die Verdingungsstellen und wirtschaftlichen Abteilungen der Handwerks-
kammern sind zu Bezirkslieferungs verbänden, d. h. bezirksweisen Vereinigungen
der bestehenden genossenschaftlichen und sonstigen rechts- und geschäftsfähigen
Rohstoff- und Lieferungsvereinigungen umzubauen. Diesen Bezirkslieferungsver-
bänden sind die auf die Handwerker des Kammerbezirks entfallenden Rohstoffe
von der Reichsstelle zuzuweisen; sie haben ihrerseits vorbehaltlich einer weiteren
centralen Zusammenfassung in Anlehnung an die beruflichen Fachgruppen des
Handwerks bei der Verteilung dieser Rohstoffe alle darauf Anspruch machenden
Handwerker zu berücksichtigen.
4) Die Finanzierung der Rohstoffversorgung ist von den Bezirksverbänden
und den in ihnen vereinigten Organisationen unter restloser Beachtung des Grund-
satzes der Barzahlung durchzuführen. An Stelle des Warenkredits muß durch
Inanspruchnahme der Kreditgenossenschaften der Geldkredit treten.
— 654 ~
5) Der Ausbau der Organisationen des Handwerks zur genossenschaftlichen
Rohstoffversorgung ist mit allem Nachdruck zu fordern.
6) Der vorgelegte Arbeitsplan wird grundsätzlich genehmigt. Der Deutsche
Handwerks- und Gewerbekammertag richtet an die Handwerts- und Gewerbe-
kammern und alle Organisationen des Handwerks das dringende Ersuchen, an
der Durchführung dieses Planes mit aller Kraft mitzuarbeiten."
Dieser Entschließung war ein Arbeitsplan für die Versorgung des
Handwerks mit Rohstoffen während der Uebergangszeit angefügt. Dieser
Arbeitsplan, der im Vorwege im allgemeinen die Zustimmung des
Reichskommissars für die Uebergangswirtschaft , des Herrn Sena-
tor Sthamer, gefunden hat, ist keineswegs ein feststehender; er soll
nur ungefähr dem Handwerk zeigen, wie eventuell die praktische Durch-
führung der Rohstoff beschaffung in der Uebergangswirtschaft sich ge-
stalten läßt. Der Plan soll mehr den Zweck haben, alle Handwerks-
organisationen darauf hinzuweisen, sich mit diesen wichtigen Problemen
für die Zukunft des Handwerks in der Uebergangswirtschaft zu be-
schäftigen, damit aus allen diesen Anregungen in ganz Deutschland
Vorschläge erwachsen, die später bei der Durchführung berücksichtigt
werden können. Der Arbeitsplan hatte folgenden Wortlaut:
„Arbeitsplan für die Versorgung des Handwerks mit
Rohstoffen während der Uebergangszeit.
A. Organisation.
1) Die in den Beirat des Reichskommissars für Uebergangswirtschaft be-
rufenen Vertreter des Handwerks und der gewerblichen Genossenschaften bilden
einen Arbeitsausschuß, der als Zentralstelle für alle die Versorgung des Hand-
werks mit Rohstoffen in der Uebergangszeit betreffenden Angelegenheiten gelten soll.
Den Vorsitz führt der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag, der
zur Bearbeitung dieser Frage eine besondere Abteilung einrichtet.
2) Als Unterabteilung dieser Zentralstelle sind im allgemeinen die Hand-
werkskammern zu betrachten, die unter ihrer Leitung und für ihren Bezirk be-
sondere Rohstoff- Versorgungsausschüsse in rechtspersönlicher Form bilden. Wo
es zweckmäßig erscheint, können auch mehrere Handwerkskammern gemeinsam
die Aufgaben übernehmen. Die Bezirkslieferungsverbände, zu welchen die Ver-
dingungsstellen und wirtschaftlichen Abteilungen der Handwerkskammern um-
zubauen sind, sind geeignet, als Rohstoff- Versorgungsausschüsse zu gelten.
In die Rohstoff- Versorgungsausschüsse sind Vertreter der im Bezirk vor-
handenen Innungs- und Genossen Schafts verbände sowie der einzelnen Fach-
innungen, Gewerbevereine und Handwerkergenossenschaften zu berufen, falls die-
selben noch nicht angeschlossen sind.
Die Organisationen des Handwerks müssen in weitestgehendem Maße zur
Mitwirkung herangezogen werden.
B. Aufgaben.
I. Grundsätzliches.
1. Feststellung des Bedarfes.
Bei der großen Knappheit an Rohstoffen, mit der auch in der Uebergangs-
zeit zu rechnen sein wird, ist der Bedarfsfeststellung der regelmäßige Friedens-
verbrauch zugrunde zu legen. Etwaige besondere Umstände, die in den Friedens-
wirtschaftsjahren zufällig einen außergewöhnlich großen Verbrauch an Roh-
stoffen begründet haben, sind bei der Berechnung auszuscheiden. Maßgebend
muß die Tatsache sein, daß während der Uebergangszeit zunächst die dringendsten
Instandsetzungsarbeiten und nur die allernot wendigsten Neuherstellungen in
Betracht kommen können. Aus all diesen Gründen muß die Bedarf sfeststellung
mit aller Sorgfalt erfolgen.
- 655 -
2. Verteilung und Vermittlung der Rohstoffe.
Im allgemeinen muß der Grundsatz maßgebend sein, daß niemand in der
Wahl seiner Bezugsquelle beschränkt oder behindert werden darf. Den vor
dem Kriege geltenden Verhältnissen ist nach Möglichkeit Eechnung zu tragen.
Wo die Rohstoff Vermittlung an Handwerker vom Fabrikanten oder Groß-
händler ohne Zwischenglied erfolgte, muß das auch in Zukunft möglich gemacht
werden. Die Zentralstellen der ßohstoffgenossenschaften des Handwerks sind
hierbei unter allen Umständen als Großhändler anzuerkennen. Alle Beschränkungen
im Verkehr der Fabrikanten oder Großhändler mit Genossenschaftszentralen oder
Einzelgenossenschaften müssen aufgehoben werden. Es darf kein Unterschied
gemacht werden, ob die Genossenschaften schon vor dem Kriege bestanden haben
oder erst während des Krieges gegründet sind, oder ob es sich um Lieferungs-
genossenschaften handelt, die zu Einkaufsgenossenschaften ausgebaut wurden.
Wenn keinem Handwerker verwehrt oder erschwert werden darf, vom Händler
zu kaufen, so muß andererseits jedem Handwerker freistehen, sich zur Beschaffung
der Rohstoffe einer Genossenschaft anzuschließen.
3. Preisbildung.
Für die Rohstoffe müssen in allen Stufen ihrer Vermittlung und Verwertung
Preise festgesetzt werden. Die Gründe hiefür sind so einleuchtend, daß sie
im einzelnen nicht ausgeführt zu werden brauchen. Andererseits sind die
Zuschläge zu den Grundpreisen derart zu bemessen, daß sowohl den Ver-
mittlern als auch den Verarbeitern der Rohstoffe ein ausreichender Verdienst
bleibt.
4. Zahlung.
Eine der wichtigsten Errungenschaften des Krieges auf wirtschaftlichem
Gebiet ist der Zwang zur Barzahlung. Das Handwerk sollte im eigensten
Interesse diesen Grundsatz mit in die Friedenswirtschaft herübernehmen. Der
Zwang, die Rohstoffe vorher bar zu zahlen, wird die Genossenschaften stärken
und aus dem Handel die ungeeigneten Elemente herausdrängen. Den wirtschaft-
lich schwachen Handwerkern, insbesondere den Kriegsteilnehmern, ist durch
die Hilfskassen und die Genossenschaften zu helfen. Insbesondere sind die Kre-
ditgenossenschaften berufen, zur Barzahlung der Rohstoffe die erforderlichen Vor-
schüsse zu leisten.
II. Tatsächliches.
1. Feststellung des Bedarfs.
1) Die vorhandenen Rohstoffe sind auf Industrie und Handwerk nach
einem bestimmten, dem ordentlichen Bedarf beider Gruppen entsprechenden Ver-
hältnisse zu verteilen.
2) Die Bedarfsfeststellung für das Handwerk ist Aufgabe der Handwerks-
kammern bzw. der von diesen zu bildenden Rohstoffversorgungsausschüsse. Zu
diesem Zwecke ist zunächst von allen Kammern eine Liste der Betriebe, die bei
der Rohstoffversorgung aus dem Anteile des Handwerks berücksichtigt werden
müssen, aufzustellen. Handwerker, die sowohl zur Handwerkskammer als auch
zur Handelskammer gehören, müssen sich entscheiden, ob sie vom Handwerk
oder von der Industrie versorgt werden wollen. Im letzteren Falle scheiden sie
für die Rohstoffversorgung durch das Handwerk aus.
An alle in der Liste verzeichneten Betriebe ist ein Fragebogen zu versenden,
der den durchschnittlichen Jahresverbrauch an Rohstoffen vor dem Kriege, die
Zahl der Arbeiter und die benutzte Betriebskraft nachweist. Die Richtigkeit der
gemachten Angaben ist eidesstattlich zu versichern.
3) Zur vollständigen Erfassung des gesamten Bedarfs sind je nach den
örtlichen Verhältnissen außer den Innungen und Gewerbevereinen entweder die
Beauftragten der Kammern oder die Ortsbehörden, Krankenkassen usw zur Mit-
arbeit bei Aufstellung der Listen und Verteilung und Ausfüllung der Fragebogen
heranzuziehen. Die örtlichen Helfer sammeln die Fragebogen und prüfen die
Angaben auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit. Etwaige Ausstellungen sind
auf dem Fragebogen zu vermerken.
Die gesamten Eingänge sind an die Rohstoffversorgungsausschüsse der Hand-
werkskammern weiterzugeben und dort zu sichten In Zweifelsfällen sind die
- 656 -
betr. Betriebsinhaber zu einer Berichtigung ihrer Angaben aufzufordern. Der
als maßgebend anerkannte Bedarf ist dem Anmeldenden zu bestätigen.
Die Ergebnisse der Fragebogen müssen alsdann nach den beim Reichs-
kommissariat für üebergangswirtschaft bestehenden Warenabteilungen, nach den
einzelnen Rohstoffen gesondert, zusammengestellt werden.
4) Die auf diese Weise bezirksweise gewonnenen Ermittlungen sind an die Zen-
tralstelle beim Kammertage weiterzugeben, welche dieselben wiederum zusammen-
stellt und dann als Gesamtbedarf des Handwerks dem Reichskommissariat an-
meldet.
2. Verteilung und Vermittlung der Rohstoffe.
1) Die Rohstoffe dürfen nur gegen Bezugsscheine abgegeben werden. Die
Rohstoffversorgungsau sschüsse stellen solche den Betriebsinhabern ihres Bezirk«
für den anerkannten Bedarf eines bestimmten Versorgungszeitraumes, etwa 3 Mo-
nate, aus.
2) Die Betriebsinhaber müssen sich erklären, bei welcher Genossenschaft
oder welchem Händler sie ihren Bedarf an Rohstoffen mindestens für den Zeit-
raum von 3 Monaten decken wollen, und sich dort unter Vorlage ihrer Bezugs-
scheine in die Kundenliste eintragen lassen. Hierbei ist gestattet, daß ein Be-
zieher für verschiedene von ihm gebrauchte Rohstoffe auch verschiedene Bezug«-
quellen wählt.
Die Genossenschaften bzw. Händler haben auf Grund der von ihnen ab-
zustempelnden Bezugsscheine in den Listen die Mengen zu vermerken, auf welche
der Besteller Anspruch hat.
Die Kundenlisten sind in bestimmten Zwischenräumen an die Rohstoff Ver-
sorgungsausschüsse der Handwerkskammern weiterzugeben, welche die erforder-
lichen Rohstoffmengen bei den Verteiiungsstellen anmelden.
Als solche kommen je nach der Lage der Verhältnisse entweder die Zentral-
stellen der Genossenschaften oder die Großhändler bzw. deren Vereinigungen oder
die Reichsbewirtschaftungsstellen in Betracht.
3) Die Zentralstelle für Rohstoffversorgung beim Kammertage muß bei der
Verteilung der Rohstoffmengen mitwirken, damit die von den Rohstoffversorgungs-
ausschüssen der Handwerkskammern angeforderten Mengen auch im richtigen
Verhältnis zu den verfügbaren Vorräten den Genossenschaften bzw. Händlern
zugewiesen werden.
3. Preisbildung.
1) Für die einzelnen Rohstoffe sind durch die Reichsbewirtschaftungsstellen
unter Mitwirkung von Vortretern des Handels, der Industrie des Handwerks
Grundpreise festzusetzen. Zu diesen kommen bestimmte Aufschläge für Groß-
händler und Zentralgenossenschaften und weitere Aufschläge für Händler und
Genossenschaften .
2) Die festgesetzten Aufschläge sind als Höchstzuschläge zu betrachten. E»
ist den einzelnen Zwischenstufen gestattet, sich mit geringeren als den zulässige»
Zuschlägen zu begnügen.
4. Zahlung.
1) Die Rohstoffe werden von den Reichsbewirtschaftungsstellen an Groß-
händler und Zentralgenossenschaften, von diesen an Händler und Grenossen-
schaften nur gegen Barzahlung oder Sicherheitsleistung abgegeben.
2) Den Genossenschaften wird dringend empfohlen, auch ihrerseits den Bar-
zahlungszwang restlos durchzuführen.
3) Die Kreditgenossenschaften sollen in Verbindung mit den Kriegshilfs-
kassen und ähnlichen Einrichtungen den Handwerkern die Mittel zur Beschaf-
fung der Rohstoffe unter möglichst günstigen Bedingungen an die Hand geben.*
Als 4. Punkt der Tagesordnung wurde die wichtige Frage der
Heranziehung des gewerblichen Nachwuchses im Handwerk behandelt
und dabei auch als besonderes Thema die Berufsberatung und Lehr-
stellen Vermittlung zur Besprechung gestellt. Ueber die Heranziehung
des gewerblichen Nachwuchses im Handwerk referierten die Hand-
werkskammern Mannheim und Eeutlingen und über die Frage der Be-
- 657 -
rufsberatuDg und Lehrstellenvermittlung die Gewerbekammer zu Ham-
burg. Beide vorgelegten Entschließungen gelangten zur Annahme. Die
Entschließungen über die Heranziehung des gewerblichen Nachwuchses
im Handwerk lauten:^
A. Heranziehung des gewerblichen Nachwuchses im Handwerk.
„1. Die Fürsorge für einen geeigneten, an Zahl ausreichenden Nachwuchs im
Handwerk bildet besonders bei der bevorstehenden Ueberleitung von der Kriegs-
in die Friedenswirtschaft einen wesentlichen Bestandteil für die Gewerbeförderung.
2. In erster Linie haben seine berufenen Vertretungen, die Handwerks- und
Gewerbekammern, die pflichtgemäße Aufgabe, aUe hierzu geeigneten Maßnahmen
zu ergreifen und zu unterstützen.
3. Als solche kommen in Betracht:
a) Die planmäßige Aufklärung der zur Schulentlassung kommenden Jugend,
sich nicht eines augenblicklichen, oft nur vermeintlichen Vorteils wegen ohne
Rücksicht auf ihr späteres Fortkommen ungelernten und solchen Berufen zuzu-
wenden, die erfahrungsgemäß schon an Ueberfüllung leiden.
b) Die Schaffung von Einrichtungen und Veranstaltungen, die geeignet sind,
die öffentliche Meinung zugunsten des Handwerks zu beeinflussen, z. B. Abhal-
tung von Ausstellungen und Prämiierung gut ausgeführter Gesellen- und Lehrlings-
arbeiten, die Bereitstellung von staatlichen Mitteln zur Gewährung von Unter-
stützungen an Lehrlinge, die Gründung von Lehrlingsversicherungen und, damit
im Zusammenhang, Herbeiführung einer durchgreifenden Neuregelung einer den
veränderten wirtschafthchen Verhältnissen entsprechenden Entlohnung der Lehr-
linge."
Die Entschließungen über die Berufsberatung und Lehrstellenver-
mittlung lauten:
„1. Die Pflege der Berufsberatung und Berufs Vermittlung für die Jugend-
lichen beiderlei Geschlechts ist im Interesse der Jugendlichen als auch besonders
im Interesse unserer Volkswirtschaft dringend geboten, damit der Tüchtigste
immer an die für ihn passendste Stelle gesetzt wird. Ziel der Beratung ist die
Einordnung der Jugendlichen in den Beruf je nach Eignung und Neigung unter
dem Gesichtspunkte nutzbarster Verwertung im Dienste der Volksarbeit. Außer
Volksschuljugend, die in erster Linie zu beraten ist, sind auch Schüler und
Schülerinnen höherer Lehranstalten, sowie ältere Personen mitzuberaten.
2. Die Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung ist nicht von den einzelnen
dabei interessierten Kreisen gesondert zu pflegen, sondern diese Frage wird am
besten gelöst durch Zentralstellen oder Ausschüsse für einzelne Bezirke bzw. Ge-
meinden, bei denen Vertreter von Handwerk, Handel und Industrie, sowie der
öffentlichen Behörden und der beteUigten Interessenten zu gemeinsamer Ar-
beit vereinigt sind und bei denen dem Handwerk, da es an erster Stelle dabei
interessiert ist, durch seine Handwerkskammern, Innungen und gewerblichen
Vereine ein hervorragender Einfluß und eine weitgehende Mitarbeit eingeräumt
werden muß. Die Geschäfte dieser Zentralstellen sind von erfahrenen, für diese
Arbeit besonders ausgebildeten männlichen oder weibhchen Berufsberatern zu
führen.
3. Neben diesen örtlichen Zentralstellen ist eine weitere Zusammenfassung
der einzelnen Lehrstellen zentralen eventuell in Anlehnung an die bestehenden
Provinzial- und Landesverbände der öffentlichen und gemeinnützigen Arbeitsnach-
weise herbeizuführen, da auf diese Weise der notwendige zwischenörtliche Aus-
gleich geregelt und die Verbindung mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt hergestellt
werden kann.
4. Die Unterbringung der Lehrlinge wird durch Schaffung besonderer Lehr-
lingsheime, in denen diese zu günstigen Bedingungen Unterkunft und Ver-
pflegung finden, erleichtert werden. Diese Lehrhngsheime haben in innigem Zu-
sammenhang mit den örtlichen Zentralstellen zu stehen.
— 658 —
5. Alle Zentralen haben in gewissen Zeiträumen auf einheitlichem Formular
über ihre Tätigkeit, sowie über die Berufswahl der Jugendlichen an eine Reichs-
zentrale (Kaiserliches Statistisches Amt) zu berichten.
6. Da die Aufgaben, die die Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung er-
füllen sollen, im allgemeinen sozialen Interesse und ganz besonders im Interesse
unserer Volkswirtschaft liegen, ist es eine dringende Pflicht des Staates und der
Kommunen, öffentliche Mittel in angemessener Höhe für diese Zwecke zur Ver-
fügung zu stellen, damit bei der Dringlichkeit der Aufgaben überall in Deutsch-
land an die Lösung dieser Frage mit aller Energie herangegangen werden kann."
Den Schluß der Verhandlungen bildete die wichtige sozialpolitische
Frage der Fürsorgeversicherung für das selbständige Handwerk. Nach
einem Referat der Gewerbekammer Hamburg und des als versicherungs-
technischen Beirat hinzugezogenen Professors Dr. Brück aus Ham-
burg beschloß der Kammertag zu dieser Frage folgendes :
„Der 18. Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag woUe angesichts
der Tatsache, daß sich das Bedürfnis nach einer ausreichenden Fürsorge in Krank-
heits- und Sterbefällen zugunsten der selbständigen Handwerker und Gewerbe-
treibenden nach dem Kriege noch fühlbarer als vorher machen dürfte, beschlielien :
1, Unter Hinzuziehung der Kammern, der Innungs-, Handwerker- und Ge-
werbevereinsverbände wird für das Gebiet des Deutschen Reiches eine Reihe
großer, leistungsfähiger, auf Gegenseitigkeit beruhender Krankenkassen durch Aus-
bau bestehender und Errichtung neuer Versicherungseinrichtungen geschaffen.
Die Versicherungseinrichtungen sollen unter Wahrung ihrer Selbständigkeit und
ihrer örtlichen Eigentümlichkeiten möglichst nach einheitlichen Grundsätzen ge-
mäß der Mustersatzung des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages
Krankenversicherung möglichst im Umfange der Regelleistungen der Reichsversiche-
rungsordnung gewähren, wobei insbesondere die Krankenpflege als hauptsäch-
lichste Leistung in den Vordergrund zu stellen ist.
2. Um eine möglichst große Einheitlichkeit in der Geschäftsführung dieser
Krankenkassen zu gewährleisten, soll ein »Verband der Krankenkassen für selb-
ständige Handwerker und Gewerbetreibende* nach der Verbandssatzung errichtet
werden. Der ,Veiband' wird dem Deutschen Handwerks- und Gewerbekammer-
tag angegliedert, der auch seine Geschäftsführung besorgt. Die alljährliche Haupt-
versammlung des Verbandes soll tunlichst gleichzeitig mit der des Kammertages
abgehalten werden."
Vor dem Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertag hatte der
1 3. De utsche gewerbliche Genossenschaftstag ebenfalls in
Hannover seine Verhandlungen gepflogen. Dem eigentlichen Genossen-
schaftstag, der am 23. September stattfand, gingen am Tage vorher
Sitzungen des Sonderausschusses für Handwerkergenossenschaften und des
Sonderausschusses für Kreditwesen voraus. In dem Sonderausschuß für
Hand Werksgenossenschaften behandelte Herr Direktor Korthaus den
neuesten Stand der Maßnahmen zur Versorgung des Handwerks mit
Rohstoffen. Im Sonderausschuß für Kreditwesen wurden die Pflichten
der Verwaltungsorgane einer Genossenschaft durch Herrn Direktor
Esser-Euskirchen, und zweitens die Kreditgenossenschaften und
öffentlichen Sparkassen durch Herrn Direktor Heuer in eingehenden
Referaten beleuchtet. Auf dem Genossenschaftstag selbst erstattete
Herr Direktor Korthaus den Geschäftsbericht, aus dem hervorging,
daß unter dem Druck des Krieges die Genossenschaftsbewegung im
Handwerk bedeutende Fortschritte gemacht hatte, daß namentlich
Lieferungsgenossenschaften in großer Zahl, ca. 800, im Deutschen
Keiche ins Leben getreten sind.
~ 659 —
Zwei wichtige Fragen wurden auf dem Genossenschaftstage be-
sprochen, erstens die Pflichten und Aufgaben der Genossenschaften
gegenüber den heimkehrenden Kriegsteilnehmern; der Referent war
Herr Esser-Euskirchen. Die zweite Frage war die Versorgung
des Handwerks mit Rohstoffen während der Uebergangswirtschaft und
die Geld wir tschaft des Handwerks nach dem Kriege; Referent: Herr
Reichstagsabgeordneter Malermeister Irl-Erding.
Der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag hatte sich be-
reits mehrfach bemüht, eine staatliche Kontrolle der privaten gewerb-
lichen Schulen durchzusetzen. Gerade im Kriege haben sich die Schäden
der vielen unzulänglichen Privatschulen ganz besonders gezeigt. Das
hat bewirkt, daß der Bundesrat mit energischen Maßnahmen durch
seine Bekanntmachung über den kaufmännischen und
gewerblichen Privatunterricht vom 2. August 1917 vorge-
gangen ist:
Der Bundesrat hat auf Grund des § 3 des Gesetzes über die Ermächtigung^
des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen usw. vom 4. August 1914 (RGBL
8. 327) folgende Verordnung erlassen:
§ 1. Wer eine private Fortbildungs- oder Fachschule betreiben oder leiten
will, in der Unterricht in gewerblichen oder kaufmännischen Fächern erteilt werden
«oll, oder wer in einer solchen Schule unterrichten will, bedarf dazu der Erlaubnis
der von der Landeszentralbehörde bestimmten Behörde.
Wer in gewerblichen oder kaufmännischen Fächern Privatunterricht erteilen
will, bedarf dieser Erlaubnis, wenn den Umständen nach anzunehmen ist, daß dar
Unterricht gewerbsmäßig an Personen erteilt werden soll, die ihre Kenntnisse als
gewerbliche oder kaufmännische Angestellte verwerten wollen.
Welcher Unterricht als Unterricht in gewerblichen oder kaufmännischen
Fächern anzusehen ist, bestimmt in Zweifelsfällen die Landeszentralbehörde end-
gültig. Sie kann die Bestimmungen dieser Verordnung auf andere Unterrichts-
fächer ausdehnen.
§ 2. Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn
1) Tatsachen vorliegen, welche die ünzuverlässigkeit des Nachsuchenden in
sittlicher Hinsicht dartun,
2) der Nachsuchende die zur Leitung der Schule oder zur ErteUung des
Unterrichts erforderliche Befähigung nicht nachzuweisen vermag,
3) der Nachsuchende den Besitz der zum einwandfreien Betriebe der Schule
erforderlichen Mittel oder Räumlichkeiten nicht nachzuweisen vermag.
Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn kein Bedürfnis für die Unterrichts-
erteilung besteht.
§ 3. Die Erlaubnis kann unter Bedingungen und auf Widerruf erteilt werden.
Ais Bedingung kann insbesondere die Unterlassung des gleichzeitigen Betriebs
des Gewerbes eines Stellen Vermittlers auferlegt werden. Die Erlaubnis gilt nur
für den Nachsuchenden und nur für den bestimmt zu bezeichnenden Ort oder
Bezirk. Sollen mehrere Fach- oder Fortbildungsschulen betrieben werden, so ist
für jede von ihnen eine besondere Erlaubnis erforderlich.
§ 4. Die Erlaubnis ist zurückzunehmen, wenn sich aus Handlungen oder
Unterlassungen des Inhabers der Erlaubnis dessen Ünzuverlässigkeit in bezug auf
den Betrieb oder die Leitung der Schule oder die UnterrichtserteUung oder in
bezug auf seine persönlichen Verhältnisse ergibt, ferner auch dann, wenn der In-
haber den Besitz der zum einwandfreien Betriebe der Schule erforderlichen Mittel
oder Räumlichkeiten nicht mehr nachzuweisen vermag.
Wird die Erlaubnis zurückgenommen, so ist innerhalb der von der Behörde
zu bestimmenden Frist die Schule zu schheßen oder die Leitung der Schule oder
die UnterrichtserteUung einzustellen.
- 66o —
§ 5. Inwieweit der Bescheid, durch den die Erlaubnis versagt oder unter
Bedingungen erteilt oder zurückgenommen wird, durch Eechtsmittel angefochten
werden kann, bestimmt die Landeszentralbehörde.
§ 6. Wer. ohne im Besitz einer nach Landesrecht etwa erteilten Erlaubni»
zu sein, nach aera 31. Dezember 1917 eine vor dem Inkrafttreten dieser Verord-
nung errichtete Schule der im § 1 Abs. 1 bezeichneten Art weiter betreiben oder
die vorher übernommene Leitung einer solchen Schule oder eine vorher begonnene,
unter § 1 fallende Unterrichterteilung fortsetzen will, bedarf dazu der Erlaubnis
der von der Landeszentralbehörde bestimmten Behörde (§ 1 Abs. 1). Für diese
Erlaubnis gelten die §§ 2—5 entsprechend.
Sofern nicht bereits nach Landesrecht die Versagung der Erlaubnis wege«
mangelnden Bedürfnisses vorgesehen ist, ist die Versagung der Erlaubnis aus
diesem Grunde nur zulässig, wenn die Schule nach dem 1. Januar 1916 errichtet
oder die Unterrichterteilung nach diesem Zeitpunkt aufgenommen ist.
Wird die Erlaubnis versagt, so ist innerhalb der von der Behörde zu be-
stimmenden Frist die Schule zu schließen oder die Leitung der Schule oder die
Unterrichterteilung einzustellen.
§ 7. Die Landeszentralbehörde erläßt die zur Ausführung erforderlichen Be-
stimmungen. Weitergehende landesrechtliche Beschränkungen bleiben zulässig.
§ 8. Mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Gddstrafe bis zu zehn-
tausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft,
1) wer ohne die erforderliche Erlaubnis eine private Fortbildungs- oder
Fachschule betreibt oder die Leitung einer solchen Schule oder die
Unterrichtserteilung in gewerblichen oder kaufmännischen Fächern be-
ginnt oder fortsetzt,
2) wer den nach § 3 auferlegten Bedingungen oder den landesrechtlichen
Bestimmungen über die Unterrichterteilung in gewerblichen oder kauf-
männischen Fächern zuwiderhandelt.
Hierdurch wird die Befugnis zur Festsetzung von Zwangsstrafen im Ver-
waltungswege nicht berührt.
§ 9. Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. Der
Reichskanzler bestimmt den Zeitpunkt des Außerkrafttretens,
Zu dieser Verordnung sind von dem preußischen Minister für
Handel und Gewerbe die folgenden Ausführungsbestimmungen
ergangen :
Die Bekanntmachung bezweckt, eine wirksame Bekämpfung der Mißstände
im gewerblichen und kaufmännischen Privatunterrichtswesen durch Einführung
einheitlicher Bestimmungen für das Reichsgebiet zu ermöglichen. Sie beschränkt
sich auf die Aufstellung der zur Erreichung des Zweckes unerläßlichen Grund-
sätze, während die Ausfühiung und weitere Ausgestaltung dieser Grundsätze den
Einzelstaaten überlassen bleibt (§ 7 a. a. O.). Die Grundsätze stimmen in ihren
Hauptzügen mit dem für Preußen geltenden Rechtszustand überein. Die wesent-
lichen Abweichungen sind folgende:
1) Der Genehmigungspflicht unterliegen alle Unterrichtsveranstaltungeu
(Privatschulen und gewerbsmäßiger Privatunterricht der in Rede stehenden
Art) ohne Rücksicht darauf, ob die Schüler und Schülerinnen als schutz-
bedürftig im Sinne der Ziffer 3 der Bestimmungen vom 1. Mai d. Ja.
(HMBl. S. 159) anzusehen sind oder nicht.
2) Als Bedingung für die Erteilung der Erlaubnis kann die Unterlassung
des gleichzeitigen Betriebs eines Stellen Vermittlers auferlegt werden (§ 1
der Bekanntmachung).
Zur Ausführung wird auf Grund des § 7 der Bekanntmachung folgendes
angeordnet:
1) Die Bestimmungen der Runderlasse vom 15. Februar 1908 (HMBl. 8. 67)
und vom 1. Mai d. J. (HMl. S. 159) bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch die
Bekanntmachung selbst oder die nachfolgende Ausführungsanweisung abge-
ändert sind.
— 66i —
2) Zu § 1: Als Unterricht in gewerblichen und kaufmännischen Fächern ist
jeder Unterricht anzusehen, welcher die Ausbildung zu einem gewerblichen und
kaufmännischen Berufe zum Zwecke hat [vgl. auch Ministerialerlaß vom. 11. No-
vember 1905 (HMßl. S. 355)]. Ob dieser Zweck verfolgt wird, ergibt sich in der
Regel aus dem Gesamtcharakter der Veranstaltungen. Daneben kann ein Ver-
gleich der Lehrpläne und Lehrgegenstände mit denen der öffentlichen gewerb-
lichen und kaufmännischen Schulen Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage
bieten. Zweifel werden hiernach in der Eegel nicht obwalten. Sollten solche
tleichwohl in Einzelfällen bestehen, so ist mir als der für das gewerbliche und
auf männische Unterrichtswesen zuständigen Landeszentralbehörde zu berichten,
damit gegebenenfalls in Gemeinschaft mit den übrigen an der Unterrichts Verwal-
tung beteiligten Ressorts entschieden werden kann.
Gemäß Ziffer 28 des Eunderlasses vom 1. Mai 1915 haben die Schulunter-
nehmer die Zulassung der Lehrer, die sie an ihren Privatschulen beschäftigen
wollen, bei der Schulaufsichtsbehörde zu beantragen. Im Falle der stets nur auf
Widerruf zulässigen Erteilung der Erlaubnis ist von der Schulaufsichtsbehörde
den Lehrern Abschrift der Verfügung zuzufertigen, soweit sie davon betroffen
werden. Die Abschrift gilt für die Lehrer als Erlaubnis im Sinne des § 1 Abs. 1
der Bekanntmachung. Für den einzelnen Lehrer hat die Erlaubnis immer nur
auf 1 Jahr Gültigkeit. Es ist aber nichts dagegen einzuwenden, daß sie für solche
Lehrer, die für einen längeren Zeitraum als ein Jahr von dem Schulunternehmer
angenommen und an der Schule ausschließlich (nicht nur nebenamtlich) beschäftigt
sind, stillschweigend von Jahr zu Jahr verlängert wird, sofern nicht die Schul-
aufsichtsbehörde zu einer erneuten Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung
der Erlaubnis Anlaß nehmen oder von dem Widerrufe Gebrauch machen will
3) Zu § 5: Als Rechtsmittel findet die Beschwerde im Aufsichtswege statt.
4) Zu § 6: Dieser Paragraph erhält Uebergangsbestimmungen.
Hinsichtlich des Absatzes 1 fällt ins Gewicht, daß nach § 7 Satz 2 weiter-
gehende landesrechtliche Beschränkungen zulässig bleiben. Demzufolge ist der
Fortsetzung von Unterrichtsveranstaltungen (Privatschulen, Privatunterricht), zu
denen die nach Landesrecht erforderliche Erlaubnis nicht erteilt worden ist, auch
nach dem Inkrafttreten der Bekanntmachung, nötigenfalls, wie bisher, an der Hand
der durch § 132 des Landesverwaltungsgesetzes vom 30. Juli 1883 gegebenen
Zwangsbefugnisse entgegenzutreten. Vom 1. Januar 1918 ab kommt neben der
Anwendung von Zwangsstrafen im Verwaltungswege auch noch die Herbeiführung
des gerichtlichen Strafverfahrens in Frage.
Der Absatz 2 enthält für Preußen keine Neuerung, da die Versagung der
Erlaubnis wegen mangelnden Bedürfnisses bereits landesrechtlich vorgesehen ist.
5) Zu § 8 : In der Regel wird sich empfehlen, daß die zuständigen Behörden
in erster Linie auf Grund des § 132 des Landes Verwaltungsgesetzes vorgehen. Die
Verfügungen sind, ungeachtet der Einlegung von Rechtsmitteln, nach § 53 des
Landesverwaltungsgesetzes zur Ausführung zu bringen, wenn die Ausführung
ohne Nachteil für das Gemeinwesen nicht ausgesetzt bleiben kann, vorbehaltlich
jedoch der Bestimmung im § 133 Abs. 3 dieses Gesetzes. In geeigneten Fällen
ist ein entsprechender Hinweis in die Verfügungen aufzunehmen. Das gericht-
liche Strafverfahren wird durch die Festsetzung von Zwangsstrafen im Verwal-
tungswege nicht berührt.
Es ist zu hoffen, daß auch die anderen Bundesstaaten im Anschluß
an die Bundesratsverordnung mit energischen Ausführungsverordnungen
vorgehen, um dem alten Krebsschaden, der im Privatschulwesen leider
immer noch blüht, den Garaus zu machen.
Im Hauptausschuß des Eeichstages ist folgender wichtige Antrag
eingebracht worden :
„Die Kommission wolle beschließen: der Reichstag wolle beschließen, den
Herrn Reichskanzler zu ersuchen, baldigst Maßnahmen zu treffen, durch welche
1) ausreichende Hilfeleistung des Reiches für die zwangsweise geschlossenen
Betriebe des gewerblichen Mittelstandes vorgesehen wird, wobei insbesondere für
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., VolksvirtBcb. Chronik. 1917. XLIV
— 662 —
Erleichterung der Wiedereröffnung dieser Betriebe nach Beendigung des Krieges
Sorge zu tragen ist;
2) eine umfassende Kreditorganisation für den Wiederaufbau des gewerb-
lichen Mittelstandes geschaffen wird."
Hoffentlich haben diese Bestrebungen im Reichstag guten Erfolg.
Schließlich ist noch zu erwähnen ein wichtiger Ministerialerlaß,
betreffend Fürsorge für Kriegsinvalide:
Der Minister für Handel und Gewerbe und der Minister des Innern habem
unter dem 6. Juli 1917 an die Regierungspräsidenten und den Polizeipräsidenten
in Berlin folgenden Erlaß veröffentlicht:
Es liegt Anlaß vor, unter Zurückgreifen auf die in dem gemeinschaftlichen
Erlasse der sämtlichen Herren Fachminster vom 29. August 1916 (HMßl. 8. 341)
zu III, vorletzter Absatz, gemachten Ausführungen wiederholt darauf hinzuweisen,
welche Gefahren für die ordnungsmäßige Zurückführung der Kriegsinvaliden in
das Erwerbsleben in der äußerlichen BeurteUung liegen, die ihren Bedürfnissen
seitens des Publikums, aber auch seitens der Behörden entgegengebracht wird.
Dem Invaliden wird nicht genützt, wenn ihm zu einem besonders leichten Er-
werbe verholfen wird, trotzdem er nach seiner körperlichen Beschaffenheit zu
ernsterer Tätigkeit in der Lage wäre, und die Oeffentlichkeit leidet Schaden
darunter, wenn die AVbeitsposten falsch verteilt werden, und infolgedessen die
wertvolleren unbesetzt bleiben, während bei den leichteren ein Wettbewerb ent-
steht, unter dem naturgemäß die Schwerverletzten am meisten leiden müssen.
Die schädliche Entwicklung wird naturgemäß gefördert durch die Länge des
Krieges und die Vermehrung der Zahl der Invaliden. Um so mehr ist es Pflicht,
ihr durch Aufklärung des Publikums und durch verständige Handhabung der
gesetzlichen Bestimmungen Einhalt zu tun. Eine leichte und mühelose Betäti-
gung, wie sie beispielsweise in dem ambulanten Vertriebe von Ansichtspostkarten
oder sonstigen wirtschaftlich minderwertigen Gegenständen besteht, vnirde an Be-
liebtheit verlieren, wenn sie der Einträglichkeit entbehrt, die ihr nur durch die
unverständliche Haltung des Publikums zuteil wird. An manchen Orten, ins-
besondere in größeren Städten, tritt der Kriegsinvalide als An Sichtspostkarten -
händler geradezu an die Stelle des aus den letzten Kriegen bekannten Drehorgel-
spielers; vielfach sind es auch nervenkranke Kriegsbeschädigte, die, zum TeU noch
mit militärischen Bekleidungsstücken versehen, dadurch auf der Straße und in
Wirtshäusern Aufsehen erregen und eine gewisse Beunruhigung in weitere Volks-
schichten tragen.
Gelingt es, das Publikum über die richtigen Gesichtspunkte dahin aufzu-
klären, daß das Entgegenkommen gegen solche Gewerbetreibende vielfach nur
einem falschen Mitleid entspringt und weder dem Vorteil des Invaliden, in dem
jede Neigung zur soliden Arbeit getötet und das Interesse an der Besserung seines
Gesundheitszustandes zurückgedrängt wird, noch dem der Allgemeinheit dient,
dann wird der Zugang zu solchen Beschäftigungen auch nachlassen. Wo deren
Ausübung an eine behördliche Genehmigung geknüpft ist, müssen die Behörden
sich von gleichen Erwägungen leiten lassen und ihnen insoweit Rechnung tragen,
als sie für die Bewertung der gesetzlichen Ablehnungsgründe oder den Ausfall einer
in das Ermessen gestellten Entscheidung von Bedeutung sind.
In jedem Falle wird den Genehmigungsbehörden empfohlen, zwecks ab-
schließender Beurteilung des FaUes mit den Fürsorgestellen, gegebenenfalls auch
mit den früheren militärischen Dienststellen in Verbindung zu treten.
Der aus den Vertretern des Handwerks im Beirat für üebergangs-
wirtschaft bestehende, am Deutschen Handwerks- und Gewerbekammer-
tag bestätigte Ausschuß des Handwerks für die Uebergangs Wirtschaft,
hat in seiner Sitzung vom 9. Oktober in Berlin die von den Herren
Justizrat Dr. Crüger (Allgemeiner Verband der auf Selbsthilfe be-
ruhenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften) und Direktor Kort-
haus (Hauptverband deutscher gewerblicher Genossenschaften) aus-
- 663 -
gearbeiteten E, i c h 1 1 i n i e n für den Wiederaufbau des kriegs-
bescbädigten Handwerks beraten und folgendes beschlossen:
„1) Der Wiederaufbau des Mittelstandes ist eine Staatsnotwendigkeit. Dem-
gemäß ist es eine selbstverständliche Pflicht des Eeiches, den durch den Krieg
geschädigten Handwerkern, Gewerbetreibenden und sonstigen Angehörigen des
Mittelstandes zu helfen, und zwar denen, die im Felde standen, wie auch denen,
die in der Heimat verblieben, aber durch die wirtschaftlichen Begleiterscheinungen
des Krieges geschädigt sind.
2) Die Hufe des Staates darf nicht zu einem Almosen werden, auch müssen
die schädlichen Nebenwirkungen reiner Unterstützungen vermieden werden. Es
ist daher von größter Bedeutung, die richtige Form und Verwendung zu finden.
3) Was insbesondere den Wiederaufbau des Handwerks betrifft, so steht in
erster Linie seine Kohstoff Versorgung. Es ist daher zu fordern, daß den durch
den Ejrieg geschädigten Handwerkern ein angemessener Teil der zur Verfügung
»tehenden Rohstoffe zugewiesen und ihnen deren Anschaffung ermöglicht wird.
Hierzu ist erforderlich, den Handwerkern den nötigen Kredit zu verschaffen.
Dies wird am zweckmäßigsten in der Form geschehen, daß unter Bürgschaft des
Eeichs den Handwerkern ein Kredit bei ihrer Kreditgenossenschaft eröffnet wird,
wobei die Kreditgenossenschaft einen näher festzustellenden Anteü am Risiko zu
übernehmen hat.
lieber die Uebernahme der Bürgschaft entscheiden Ausschüsse, die für poli-
tische Bezirke von ausreichender Größe aus den zuständigen Behörden, den wirt-
schaftlichen und beruflichen Vertretungen des Handwerks und Gewerbes, ins-
besondere der Kreditgenossenschaften und der freien Berufe, gebildet werden. Der
Kreditnehmer hat sich unter Bezeichnung der ihm genehmen Kreditgenossen-
schaft entweder unmittelbar oder durch Vermittlung dieser Kreditgenossenschaft
an den Ausschuß zu wenden. Der Vorsitzende des Ausschusses ernennt einen
Berichterstatter, der mit tunlichster Beschleunigung die nötigen Erkundigungen
einzuziehen hat, sofern dies nicht schon seitens der Kreditgenossenschaft ge-
schehen ist. Ein Mitbericht wird immer von dem Vertreter derjenigen Kredit-
genossenschaften erstattet, bei der der Kredit in Anspruch genommen werden soll.
Um eine leichte Kontrolle der einzelnen Kreditnehmer beim Ausschuß und
eine Kontrolle der gesamten Wirtschaftsverpflichtungen zu ermöglichen und eine
Inanspruchnahme von Kredit bei verschiedenen Stellen zu verhindern, ist beim
Ausschuß über die Bürgschaften eine Liste zu führen, in die das Datum, die
Höhe, die Art des Kredits der Kreditgeber und bei späterer Erhöhung, Ver-
minderung oder Tilgung des Kredits diese Tatsachen eingetragen werden. Der
Kreditgeber hat bei besonderen Vorkommnissen sofort, sonst zu einem bestimmten
Zeitpunkt im Geschäftsjahr über den Stand des Kontos und sonstige bemerkens-
werte Vorfälle dem Ausschuß Bericht zu erstatten und das Erlöschen des Kredits
oder den Uebergang des Hilfskredits an den gewöhnlichen Betriebskredit dem
Ausschuß anzuzeigen.
Lehnt die Kreditgenossenschaft die Gewährung des Kredits ab, oder besteht
keine Kreditgenossenschaft, die geeignet ist, die Aufgabe zu übernehmen, so hat
der Ausschuß das Kreditgesuch der Stelle zu überweisen, der die Fürsorge für
die aus dem Kriege heimkehrenden Gewerbetreibenden obliegt, die nach den zu-
treffenden Bestimmungen das Kreditgesuch behandelt. In diesen Bestimmungen
ist insbesondere auch die Verteilung des Risikos zu ordnen.
Niemand hat einen Anspruch auf Kredit.
Die Kreditgewähr an die Zugehörigen der freien Berufe erfolgt in analoger
Weise, insoweit es sich um Sicherstellung und die Verteilung des Risikos handelt.
Die Verwendung des Kredits ist von Fall zu Fall zu regeln.
4) Mit der Beschaffung von Rohstoffen muß für den Wiederaufbau des ge-
werblichen Mittelstandes die Beschaffung von Arbeit Hand in Hand gdien. Diese
wird der Handwerker bei den Lieferungsgenossenschaften finden. Wenn es auch
nach dem Kriege voraussichtlich nicht an Arbeit fehlen wird, so ist doch auch
hierbei die Mithilfe des Staates und der Selbstverwaltungskörper nicht zu ent-
behren. Sie wird in Uebertragung öffentlicher Aufträge durch Vermittlung der
Lieferungsgenossenschaften geschehen .
XLIV*
— 664 —
5) Die Fürsorgemaßnahmen für die aus dem Felde heimkehrenden Hand-
werker und Gewerbetreibenden sind heranzuziehen. Dabei ist es unbedingt er-
forderlich, daß diese Maßnahmen frei vom Bürokratismus und im Einvernehmen
mit den beruflichen und wirtschaftlichen Organisationen des Handwerks durch-
geführt werden.
Der Ausschuß legt diese ßichtlinien dem Hauptausschuß des Reichstage»
und dem Ausschuß für Handel und Gewerbe des Reichstags mit der Bitte um
Annahme und Durchführung vor."
X. Soziale Hygiene.
Inhalt: Die Frage der Schaffung eines Gesundheitsministeriums für das
Deutsche Reich. Die Anträge auf Gewährung von Heilverfahren. Verwendung
von Kriegsteilnehmern im preußischen Gewerbeaufsichtsdienst. Einstellung von
Fabrikpflegerinnen. Arbeitshygienische Fragen im Bäcker- und Malergewerbe.
Rundschreiben des Reichskanzlers über Handhabung der Schutzbestimmungen
für Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter. Norwegisches Enthai tsamkeitegesetz.
Die Schaffung eines Gesundheitsministeriums für
Oesterreich und Ungarn, wie sie in dem Erlaß des Kaisers von Oester-
reich vorgesehen ist, läßt auch für Deutschland ähnliche Wünsche wieder
lebendig werden. Man beklagt hier, daß der Arzt noch viel zu wenig
in der sanitären Verwaltung Sitz und Stimme, geschweige denn die
Leitung hat, und man benutzt die Umgestaltung des Reichsamtes des
Innern, um diese Wünsche wieder zur Geltung zu bringen. So wurde
jüngst in der „Voss. Ztg." geschrieben : „Bisher war der Arzt nur
der Berater des Verwaltungsbeamten, und viele von medizinischer Seite
für unbedingt erforderlich erachtete Maßnahmen unterblieben oder
wurden sehr erheblich verzögert, weil die Entscheidung über die Aus-
führung ärztlicher Dinge nicht in der Hand des Arztes, sondern in der
des Verwaltungsbeamten lag. Alle wichtigen Fragen der Seuchenge-
setzgebung, des ärztlichen Prüfungswesens, des Hebammenwesens, des
Apotheken Wesens usw. unterstehen dem Reichsamt des Innern, in dem
sich — man glaubt es kaum — kein einziger Mediziner befindet." Ein
besonderes Reichsamt für das Gesundheitswesen zu schaffen, wird von
Grotjahn („Berl. Tagebl." 20. Juni) ganz besonders auch unter dem
Gesichtspunkt befürwortet, daß die Sozialversicherung dabei der Ge-
sundheitspflege näher angegliedert werde und beide davon Vorteil
haben sollen. Er spricht also einem „Reichsstaatsekretariat für Gesund-
heitspflege und soziales Versicherungswesen" das Wort und meint, es
würden dann für die Zusammenfassung das Reichsgesundheitsamt, das
Reichsversicherungsamt, die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte,
das Aufsichtsamt für Privatversicherung, das Bundesamt für das Heimat-
wesen und das Reichskommissariat für das Auswanderungswesen in
Frage kommen. „Das Verbindende liegt darin, daß es sich um Be-
hörden handelt, deren Betätigung den Menschen selbst zum Mittelpunkt
hat, also das physische Substrat unserer Nation, das durch die Ver-
luste des Krieges und das Einsetzen des Geburtenrückganges keines-
wegs mehr als so ungefährdet angesehen werden kann wie noch vor wenigen
Jahrzenten. Einige dieser Aemter könnten, wie die im Keim verfehlte
Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, bei dieser Gelegenheit ganz
- 665 -
-verschwinden, während andere, wie etwa das Bundesamt für Heimat-
wesen, durch Angliederung der Siedelungsgeschäfte, zu erweitern wären.
Den größten Nutzen von dem neuen Staatssekretariat würden Reichs -
gesundheitsamt und Reichs versieh erungsamt haben, weil sie beide ihre
Eigenart beibehalten und doch sich gegenseitig mehr als bisher be-
fruchten und vor Reichstag und Bundesrat sich weitaus kräftiger zur
Geltung zu bringen vermöchten als bisher. Es würde mit einem Schlage
der jetzt von sozialhygienischer Seite so stark empfundene Uebelstand
fortfallen, daß im Gesundheitsamt des Reiches zu sehr Theorie und
Wissenschaft ohne Fühlung mit der Verwaltung getrieben wird, im
Reichsversicherungsamt dagegen häufig der gute Wille und die Mög-
lichkeit eines großzügigen sozialhygienischen Wirkens zu einem dem
Stande der hygienischen Wissenschaft nicht entsprechenden kostspieligen
Experimentieren führt."
Die große Zunahme der Anträge auf Gewährung von Heil-
verfahren im Rahmen der Angestellten Versicherung (1915: 15079,
1916: 24 184 Anträge) läßt es notwendig erscheinen, daß die Kranken-
beobachtung ausgedehnt und daher mehr Krankenbeobachtungsstellen
eingerichtet werden. Dadurch soll ernstlich verhindert werden, daß
Eälle Aufnahme finden, die schon zu weit vorgeschritten sind, als daß
das Heilverfahren noch Erfolg haben könnte ; weiter aber genügte die
einmalige ärztliche Untersuchung nicht für die Feststellung der Art
der Erkrankung und der zu gewährenden Heilbehandlung, so daß auch
für solche Fälle die Krankenbeobachtungsstellen nützliche Dinste leisten
sollen. Zumeist sind Krankenhäuser oder Universitätskliniken die ge-
eigneten Beobachtungsstellen. Im Jahre 1916 wurden insgesamt 2391
Beobachtungen verfügt, von denen 196 nicht angetreten wurden und
159 am 31. Dezember noch nicht abgeschlossen waren. Auf Grund
der Beobachtungsergebnisse der übrigen 2036 Fälle wurde 1466 An-
trägen auf Heilverfahren stattgegeben; 235 Fälle wurden als unnötig,
250 als aussichtslos abgelehnt, 14 zurückgenommen und 71 anderweitig
erledigt.
Auf dem Gebiet der Gewerbehygiene und des Arbeiter-
schutzes ist zunächst die vom preußischen Ministerium für Handel
und Gewerbe verfügte Erleichterung der Verwendung von Kriegs-
teilnehmern im preußischen Gewerbeaufsichtsdienst her-
vorzuheben. Dabei wird die praktische Vorbildung stärker berück-
sichtigt, auch wenn der vorgeschriebene Ausbildungsgang nicht einge-
halten ist; das gilt namentlich für kriegsbeschädigte Seeoffiziere, für
Kriegsteilnehmer, die die Diplomprüfung als Hütteningenieur oder
Maschineningenieur bestanden haben, für Chemiker, die die Vorprüfung
als Nahrungsmittelchemiker oder die Diplomprüfung als Chemiker oder
die Doktorpromotion bestanden haben; alle diese können zur Vorbe-
reitung für den Gewerbeaufsichtsrat zugelassen werden.
Weiter erfreut sich die Einstellung von Fabrikpflegerinnem
neuerdings besonderer Förderung. Lehrgänge zur Ausbildung sozial-
geschulter Frauen für diese Posten sind bisher in Berlin, Düsseldorf,
Magdeburg, Leipzig, Frankfurt a/M., München, Hannover abgehalten
— 666 —
worden rmd zunächst geplant für Mannhein, Königsberg und Köln,
Das Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt (Wumba) hat den weiteren
Ausbau der Einstellung von Fabrikpflegerinnen für seinen Bereich durch
folgende Verfügung festgelegt: „1. In allen Instituten und Depots, in
denen Arbeiterinnen beschäftigt werden, ist je eine Fabrik pf legerin
umgehend einzustellen, bei Dienststellen mit sehr vielen Arbeiterinnen
mehrere Fabrikpflegerinnen. 2. Die Einstellung hat unter Mitwirkung
der Frauenarbeitsstelle der betr. Kriegsamtstelle zu erfolgen. 3. Ist
die Zahl der weiblichen Arbeitskräfte eines Instituts oder Depots 8<i
gering, daß die Arbeitskraft einer Fabrikpflegerin nicht voll ausgenutzt
werden würde, so darf von einer Einstellung nur abgesehen werden,
wenn auch die Frauenarbeitsstelle eine solche nicht für erforderlich
hält. Die Wahrnehmung der Fürsorge für diese weiblichen Arbeits-
kräfte erfolgt dann durch eine andere am Ort tätige Fabrikpflegerin.
Ist dies nicht möglich, so ist die Einrichtung von Sprechstunden mit
der Fürsorgevermittlungsstelle der betr. Kriegsamtstelle zu verein-
baren. 4. Bei den großen Instituten und Depots sind außerdem sofort
von den daselbst eingestellten oder einzustellenden Fabrikpflegerinnen
geeignete weibliche Hilfskräfte anzulernen. Diese Hilfskräfte sind wie
xluf Seherinnen zu bezahlen und unterstehen der Fabrikpflegerin."
Was arbeitshygienische Fragen in einzelnen Gewerbezweigea
betrifft, so hat die im August in Kopenhagen abgehaltene internationale Kon-
ferenz der Vertreter der Bäcker und Konditoren einen Aufruf an die Or-
ganisationen der Bäcker und Konditoren aller Länder gerichtet, jetzt überall eine
energische Bewegung zur Beseitigung der Nachtarbeit zu entfalten. Falls die
Arbeitgeber den Arbeitern für die Nachtarbeit höhere Bezahlimg als für die Tag-
arbeit anbieten, so sei auch dagegen mit aller Schärfe seitens der Organisationem
Torzugehen, weil dadurch die Arbeiter vom Kampfe gegen die Nachtarbeit ab-
gehalten werden sollen. Die „Soziale Praxis" fragt in diesem Zusammenhang,
wo die gesetzliche Regelung der Arbeit in Bäckereien in Deutschland bleibe, da
sie bestimmt wisse, daß ein von den zuständigen preußischen Stellen ausgearbeiteter
Gesetzentwurf seit längerer Zeit vorliegt, in welchem ein allgemeines verbot der
Nachtarbeit ausgesprochen werde. — lieber den Gesundheitsschutz im Maler -
gewer be äußert sich das „Jahrbuch" des Verbandes der Maler, Lackierer usw. für
1916 dahin, daß infolge des Gebrauchs von Ersatzstoffen die Gesundheitsgefähr-
dung vielfach noch stärker geworden sei; da während des Krieges namenthch
auf Werften und in Flugzeugbetrieben derartige schwere Erkrankungen beobachtet
worden sind, hat der Malerverband an das Kaiserliche Gesundheitsamt eine Ein-
gabe gerichtet, die ein Verbot der als besonders schädlich erkannten Stoffe fordert
oder, falls dies nicht möglich sei, eine allgemeine Vorschrift einer Eeihe von
Schutzmaßregeln, nämlich genügende Zufuhr von frischer Luft; Wechselschichtem
von höchstens 15 Minuten Dauer; Erledigung bestimmter Arbeiten in der heißen
Jahreszeit in Nachtschichten; genügende Bereitstellung von Reinigungsmitteln,
namentlich Seife; Aufsicht durch besonders sachverständige Fachleute. Der
Malerverband hatte sich mit seinen Beschwerden auch an die hamburgische Ge-
werbeaufsicht und das Hamburger Medizinalamt gewandt. Die Gewerbeaufsicht
hat dann auch nach chemischer Untersuchung der als besonders gefährhch an-
zusehenden Stoffe auf Grund der §§ 120 d und 120 e der Gewerbeordnung eine
Reihe von Verordnungen zum Schutze der Arbeiter erlassen, die sich vor allem
auf gute Durchlüftung des Arbeitsraums und fachmännische ständige Aufsicht
beziehen; die Arbeiter sollen mindestens alle halbe Stunde abgelöst werden und
dürfen nach der Ablösung nur im Freien beschäftigt werden. Bei einer ein-
fehenden Besichtigung und anschließenden Aussprache, die im Anschluß an die
lingabe des Malerverbandes mit Vertretern des Reichsamtes des Innern, des
— 667 —
Reichs-Gesundheitsamtes und des Reichs-Marineamtes in Hamburg stattfand,
wurde zugesagt, die von der hamburgischen Gewerbeaufsicht getroffenen Schutz-
maßnahmen im ganzen Reichsgebiet für alle gleichartigen Betriebe durchzu-
führen.
Weitgehende Bedeutung für die gesamte Industrie hat ein
Rundschreiben des Reichskanzlers an die Bundesre-
gierungen betr. Handhabung der Schutzbestimmungen für Arbei-
terinnen und jugendliche Arbeiter, vom 24. August:
Das sehr ausführliche Rundschreiben geht davon aus, daß die infolge eines
früheren Kanzlerrundschreibens eingegangenen ZusammenstelluDgen eine Be-
rechtigung der Klagen über zurzeit unzureichenden Schutz der Arbeiterinnen und
Jugendlichen erkennen lassen, da von den zuständigen Behörden so weitgehende
Ausnahmen von den gesetzlichen Bestimmungen zugelassen worden sind, daß
dies fast ihrer Aufhebung gleichkommt. Nachtarbeit und besondere Länge der
Arbeitszeit stehen da in erster Linie; nicht selten sei eine regelmäßige tägliche
Beschäftigung der Arbeiterinnen und Jugendlichen bis zu 15 Stunden zugelassen,
für die Nachtarbeit von Arbeiterinnen überwiegend eine solche von 12 Stunden.
Eine solche aber soll in der Regel, und eine gar 24-8tündige Wechselschicht
schlechterdings ausgeschlossen werden. Auch daß manche Bewilligungen ohne
jede zeitliche Begrenzung oder „für die Dauer des Krieges" erteilt worden sind,
obwohl doch niemand die Entwicklung des Arbeitsmarktes vorhersehen könne,
wird vom Kanzler, namentlich da es sich um sehr zahlreiche und weitgehende
Ausnahmen handelt, als Anlaß zu ernsten Bedenken bezeichnet, denn es stehe
zu befürchten, daß durch die übermäßig lange Arbeitszeit und die Nachtarbeit
sowohl die Gesundheit der Arbeiterinnen und Jugendlichen Schaden leide, als
auch ihre Leistungsfähigkeit bedenklich zurückgehe. Wie der Kanzler den Mittel-
weg beschritten zu sehen wünscht, da ein Mittelweg nach Lage der Verhältnisse
wohl gegangen werden muß, ergibt sich aus den wesentlichen Sätzen seines Rund-
schreibens: Daß allerdings Arbeiterinnen und Jugendliche die Plätze der männ-
lichen Arbeiter einnehmen müssen, das sollte jedoch, heißt es wörtlich weiter,
„unter allen Umständen nur so weit gehen, als es zur Herstellung der für dsis
Heer und die Bevölkerung unentbehrlichen Waren unbedingt notwendig ist. Das
Gleiche wie für die Nachtarbeit gilt auch für die sonstigen Ausnahmen, besonders
für die Ueberarbeit der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter. Diese darf
auch nur so weit zugelassen werden, als es für das öffentliche Wohl notwendig
erscheint. Die zuständigen Stellen werden daher bei der Bewilligung von jeder
Ausnahme sorgfältig prüfen müssen, wie weit diese Voraussetzungen zutreffen.
In dieser Beziehung bestanden aber, wie ich anerkenne, bisher gewisse Schwierig-
keiten, denn es handelt sich dabei hauptsächlich um die Herstellung von Heeres-
bedarf, dessen Lieferung von den vergebenden Stellen in der Regel als eilig bi'-
zeichnet worden ist. In solchen Fällen blieb den zuständigen Behörden nur
übrig, die Ueberarbeit und Nachtarbeit in dem Umfang zu genehmigen, wie sie
beantragt wurde, da eine Ablehnung des Antrags kaum in Frage kommen konnte.
Auf meine Anregung hat daher jetzt das Kriegsamt die Kriegsamtsstellen an-
gewiesen, auch ihrerseits dahin zu wirken, daß die Ueberarbeit und Nachtarbeit
von Frauen und jugendlichen Arbeitern möglichst eingeschränkt wird und daß
die Anträge von Unternehmern um Bewilligung von Ueberarbeit und Nachtarbeit
nur dann befürwortet werden, wenn wichtige Kriegsaufgaben sich ohne diese
Ueberarbeit und Nachtarbeit nicht erreichen lassen." Weitere Ausnahmen sollen
mithin nur nach erneuter Prüfung der Sachlage und immer nur für eine be-
stimmte Zeit widerruflich bewilligt werden, und es soll bei der Genehmigung stets
möglichst genau die zugelassene Art der Beschäftigung, Anfang und Ende der
Pausen, Mindestruhezeit usw. festgelegt werden. Bei Genehmigung von Nacht-
arbeit und Ueberarbeit soll grundsätzlich vorgeschrieben werden, daß dazu
schwache und kränkliche Personen, schwangere und stillende Frauen sowie Ar-
beiterinnen unter 18 Jahren nicht herangezogen werden dürfen und daß die Be-
stimmungen des § 137 Abs. 6 der Gewerbeordnung (betr. Nichtbeschättigung der
Wöchnerinnen während 8 Wochen) unter allen Umständen in Kraft bleiben.
— 668 —
Endlich können die Genehmigungen auch davon abhängig gemacht worden, daß
für die Arbeiter, und besonders tür die Arbeiterinnen ausreichende und gut ein-
gerichtete Umkleideräume, ßpeiseräume, Aborte, Krippen und andere Wohlfahrts-
einrichtungen eingerichtet oder die vorhandenen besser ausgestaltet werden.
Besondere Hervorhebung verdient das norwegische Gesetz
vom 26. Juli 1916 betr. pflichtmäßige Enthaltung vom Genuß
geistiger Getränke in gewissen Stellungen.
Der grundlegende § 1 lautet: „Wer Dienst tut: a) als Militärperson bei einer
aufgestellten militärischen Abteilung, Unterabteilung und Truppenkommando so-
wie auf einem Kriegsschiff, b) bei einer Betriebsabteilung der Eisenbahnen zum
allgemeinen Gebrauch, c) als Wagenführer bei Straßenbahnen zum allgemeinen
Gebrauch, d) als Führer von Motorwagen, die regelmäßig Personen gegen Be-
zahlung befördern, darf während der Dienstzeit keine alkoholhaltigen Getränke
genießen. Zu den erwähnten Getränken wird jedoch in diesem Gesetz Bier mit
mit weniger als 27^ Gewichtsprozent Alkohol nicht gerechnet." §§ 2 und 3 be-
zeichnen näher, was unter Militärperson und unter Dienstzeit zu verstehen ist,
§§ 4 und 5 geben noch Sonderbestimmungen für das Militär, § 6 nennt die Be-
strafung (Geldstrafe, im Wiederholungsfalle Gefängnis), § 7 die Bestrafung der
Wirte, die bei der üebertretung des Verbots mitwirken, § 8 die Möglichkeit, das
Gesetz auf Schiffsbesatzungen auszudehnen.
- 669 —
Volkswirtscliaftliclie Chronik.
Oktober 1917.
I. Produktion im allgemeinen.
Inhalt: Beschäftigungsgrad im Oktober.
Das „Reichs-Arbeitsblatt" kennzeichnet den Beschäftigungsgrad im
Monat Oktober, wie folgt: „Das Bild, das die deutsche Wiitschaft im
39. Kriegstnonat bietet, zeigt keine wesentlichen anderen Züge als bisher.
Die angespannte Tätigkeit der Hauptgevverbezweige verrät die gleiche
Kraft, die diese Industrien seit Monaten in unvermiudertem Maße ent-
falten. Gegen das Vorjahr sind vielfach noch weitere Steigerungen der
Leistung erreicht worden.
Im Bergbau und Hüttenbetrieb ist die Beschäftigung nach wie vor
äußerst lebhaft. Für die Eisen- und Metallindustrie wie für den Ma-
schinen- und Apparatebau gestalteten sich die Beschäftigungsverhältnisse
gleichfalls nicht wesentlich anders als im Vormonat. Dem Vorjahr
gegenüber sind in diesen beiden großen Gewerbezweigen teilweise aber-
mals Steigerungen der Leistungen erzielt worden. Für die elektrische
Industrie macht sich verschiedentlich eine Verbesserung nicht nur gegen
Oktober 1916, sondern auch gegen den Vormonat bemerkbar. In der
chemischen Industrie hielt sich der in den Vormonaten erreichte Ge-
schäftsgang auch im Berichtsmonat aufrecht. Auch hier ist im Ver-
gleich zum Vorjahr um die gleiche Zeit verschiedentlich eine Verbesse-
rung der Lage unverkennbar. Im Spinnstoff- und Bekleidungsgewerbe,
ebenso in der Holzindustrie herrschten im großen und ganzen die
gleichen Bedingungen wie bisher. Auf dem Baumarkt ist die Ent-
wickelung der Verhältnisse im allgemeinen dieselbe gewesen wie im
September.
Die Nachweisungen der Krankenkassen lassen für die
am 1. November dieses Jahres in Beschäftigung stehenden Mitglieder
dem 1. Oktober gegenüber insgesamt eine Zunahme um 55 709 oder
um 0,67 V. H. im Vergleich zu einer geringeren Zunahme der Be-
schäfrigtenzahl am 1. Oktober (um 0,19 v. H.) erkennen. Diese Gesamt-
zunahme gegen den Vormonat geht nicht wie das vorige Mal a»if eine
Steigerung allein der weiblichen Beschäftigten zurück, es hat vielmehr
neben der Zunahme um 34 430 Frauen und Mädchen oder um 0,81 v. H.
auch eine Erhöhung der männlichen Beschäftigtenzahl um 21 273 oder
um 0,53 V. H. stattgefunden. Ebenso ist die am 1. November hervor-
tretende Entwicklung im Vergleich zum Vorjahr etwas günstiger. Im.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XLV
muß wieder beiück-
in den Ergebnissen
— 670 —
Vorjahr hatte die männliche Beschäftigung keine Zunahme aufzuweisen,
vielmehr war eine Abnahme um 0,39 v. H. festzustellen. Auf dem
weiblichen Arbeitsmarkt war allerdings eine etwas höhere Zunahme
(4-l,G9 V. H.) als in diesem Jahre zu verzeichnen. Bei der Beurteilung
der Bewegung der männlichen Beschäftigtenzahl
Bichti«;t werden, daß die Kriegsgefangenenarbeit
der Krankenkassenstatistik nicht enthalten ibt.
Die Zusammenstellung für die Betriebskrankenkassenmit-
glieder, die einen Vergleich mit dem Vormonat gestattet, läßt er-
kennen, daß die männliche Beschäftigung im Nahrungsmittelgewerbe
(wegen der Zuckerkampagne) in starkem Maße, ferner in der elektrischen
und chemischen Industrie, in der Metallindustrie, im Baugewerbe, in
der Holzindustrie und im Spinnstoffgewerbe zugenommen hat, und daft
eine Abnahme nur in der Land- und Forstwirtschaft wie im Bekleidungs-
gewerbe hervorgetreten ist. Für die weibliche Beschäftigung macht
flieh gleichfalls nur in diesen beiden Grewerbezweigen eine Verminderung
bemerkbar, im übrigen steht auch hier das Nahrungsmittelgewerbe an
der ersten Stelle, obwohl die Zunahme sich bei weitem nicht so hoch
stellte wie bei den Männern. Es folgen dann die chemische Industrie,
das Baugewerbe und die Metall- und Maschinenindustrie.
Zahl der
berichten-
den Kassen
Pflichtmi
itglieder
Zu
- oder Abnahme
Qewerbe
abzüglich der arbeits-
unfähigen Kranken
gegen den Vormonat
in Prozent
männl.
weibl.
männl.
weibl.
Land- und Forstwirtschaft,
Gärtnerei
74
8338
6719
—
1,07
— 2,8»
Metall-, Maschinenindustrie
700
571419
206 488
+
1,56
+ 2,15
, . (rfchlesicn
^«^«°^°\Rheinl.-Westf.
54
42986
17257
+
1,11
+ 0,8f
239
249 711
89155
+
1,99
+ 4."
Elektrische Industrie
26
36639
61 721
+
2,68
+ 1,6«
Chemische Industrie.
105
72487
49551
+
2,50
+ 4.54
Spinnstoffgewerhe
782
53952
128089
4-
0,.S6
4- 1,5»
Schlesien
59
7081
17587
+
0,33
+ 2,81
j„^«« i„ Rheinl.-Westf.
davon in ^^^ g^^^^^^^
176
10624
17086
—
0,44
+ 1,01
248
14050
39273
+
1,21
+ 0,6 1
Kls.-Loihringen
37
1 908
5666
—
1,24
— 0,8«
Holz- nnd Schnitzwaren
86
8535
3830
+
0,8 2
+ 0,9g
Nahrungs- und Genußmittel
267
31 110
40740
+
25,22
+ 6,04
Bekleidung
82
4 973
II 048
—
3,10
— 1,99
Baugewerbe
174
48518
7 375
+
1,42
+ 2,99
Wird die Zu- und Abnahme der Mitglieder nach Oberversicherungs-
ämtern betrachtet, so findet man bei Betrachtung der Grundzahlen bei
den männlichen Mitgliedern eine größere Zunahme in: Groß-Berlin,
Wiesbaden und Düsseldorf. Eine größere Abnahme der männlichen
Mitglieder ist nirgends vorhanden.
An weiblichen Mitgliedern weisen größere Zunahmen auf: Königs-
berg. Groß-Berlin, Stettin, Posen, Breslau, Merseburg, Schleswig, Dort-
mund, Kassel, Wiesbaden, Düsseldorf, Köln a. Eh., Trier, Bayreuth,
Dresden- N., Leipzig, Stuttgart mit Neckaikreis, Karlsruhe, Mannheim
und Hamburg.
- 671 -
Eine größere Abnahme bei den weiblichen Mitgliedern zeigt sich
in Potsdam, Stralsund, Oppeln und München.
Von den berichtenden Unternehmungen gaben 356 den
Stand ihrer Arbeiterschaft im Berichtsmonat auf 374 619 Arbeiter an.
Neben der Beschäftigtenzahl im Berichtsmonat gaben 321 Unternehmungen
auch die Zahl der im Vormonat beschäftigten Arbeiter an. Hier waren
am letzten Tage des Berichtsmonats insgesamt 334 448 gegen 329 287
Arbeiter am Schlüsse des Vormonats tätig. Es ist also im Berichts-
monat dem Vormonat gegenüber eine Zunahme der Beschäftigten um
5161 oder 1,57 v. H. eingetreten. Die Steigerung gegen den Vormonat
geht in der Hauptsache auf eine Mehrbeschäftigung von Männern zurück.
An der Erhöhung der Beschäftigtenzahl sind in erster Linie Eisen-
und Metallindustrie, chemische Industrie und Maschinenbau beteiligt.
Im Bergbau und Hüttenbetrieb wie im Spinnstoffgevverbe ist die Anzahl
der Beschäftigten nur unbedeutend höher als im Vormonat. Eine Ab-
nahme macht sich nur im Nahrungsmittelgewerbe, in der Glasindustrie
und in den sonstigen Grewerben bemerkbar, doch ist die Verminderung
der Anzahl kaum nennenswert.
352 der berichtenden Unternehmungen teilten neben der Beschäf-
tigtenzahl im Berichtsmonat auch den Stand der Arbeiterschaft im
gleichen Monat des Vorjahrs mit. In diesen 352 Unternehmungen waren
im Berichtsmonat 373 620 Arbeiter gegenüber 311916 im Oktober
1916 tätig. Es ist also gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme der
Arbeiterzahl um 61 704 oder um 19,78 v. H. eingetreten. Diese starke
Zunahme geht auf das männliche Geschlecht in doppelt so hohem Maße
wie auf das weibliche zurück.
Eine Verminderung der Beschäftigtenzahl ist im Bekleidungs-
gewerbe wie in der Glas- und Porzellanindustrie und im Nahrungs-
mittelgewerbe hervorzuheben, daneben auch in der Papierindustrie. In
den übiigen Gevveibezweigen macht sich eine Steigerung der Be-
schäftigtenzahl im Verhältnis zum Vorjahr bemerkbar. Sie ist besonders
groß in der chemischen Industrie, im Maschinenbau, im Bergbau und
Hüttenbetrieb und in der Eisen- und Metaliindustrie, wie in der elek-
trischen Industrie. In diesen zuletzt genannten 5 Gewerbegruppen ist
nicht nur eine Zunahme der weiblichen Beschäftigten, sondern auch
der männlichen festzustellen. In der chemischen Industrie, im Ma-
schinenbau und im Bergbau wie im Hüttenbetiieb ist die Steigerung
der männlichen Arbeiterzahl wesentlich höher als die der weiblichen.
Nachstehend geben wir die Veränderungen in den einzelnen Ge-
werben, vergleichbar mit dem Vormonate, tabellarisch s. S. 672 wieder.
Nach den Feststellungen von 32 Fachverbänden, die für 1029 943
Mitglieder über Arbeitslosigkeit berichteten, betrug die Arbeits-
losenzahl Ende Oktober 7277. Es sind das 0,7 v. H. Da Ende Juli
bis September 1917 die Arboitslosenziffer 0,8 v. H. betrug, so zeigt
sich den Vormonaten gegenüber noch eine Verminderung der bereits
sehr geringen Arbeitslosigkeit. Im Vergleich zum Oktober der drei
voihergehenden Jahre ist eine wesentliche Abnahme der Arbeitslosig-
keit zu erkennen; denn im Oktober 1916 stellte sich die Arbeitslosen-
XLV*
672 —
©
Beschäftiete am
Za« oder Abnahme
Ä
n
letzten Tu
ge des
Gewerbegruppen
u
Oktober
insgesamt
mönnl. | weibU
insgesamt
mäunl.
Anzahl
V. H.
Anzahl
Bergbau und Hüttenbetrieb
20
53067
45608
+
193
+ 0,87
+
,
+ 19»
Ei^cn- und Metallindustrie
52
75814
53 i'O
+
2045
+ 2 77
+
1422
+ 623
InduHtrie der Miiücliinen
»3
103 or5
83416
+
975'+ 0.9Ö
+
1009
- 34
Elektrische Industrie
14
12687
5572
+
08 + 0,64
+
201
- 133
Chemische Industrie
3S
63 108
49138
+
14 10 4- 2,62
+
894
+ 7i6
Spinnstoffgewerbe
16
9049
2472
+
188 + 2.12
+
27
+ 161
Holzindustrie
8
825
616
+
3 + 0,36
—
4
+ 7
Niihriings- und Oenußmittel
19
3098
1894
73 - 2,30
+
28
— 101
Bekleidungsgewerbe
16
1779
566
+
47+ 2,71
+
14
+ 33
Glas und Porzellan
8
2632
1311
—
16 — 0,60
—
27
+ II
Papierindustrie, Buchdruck
39
6344
413-'
+
181 + 2,94
+
93
-f- 88
Soustliff Gtiwerbe (<?inschlicßlich
Baustoffe und Schiffahrt)
II
3030
1883
—
60 — 1,94
+
253
- 313
bumme
321
334448
251 718
+
5161
1+ I,"
+
391 1
+ 1250
Ziffer auf 2,0, im Oktober 1915 auf 2,5 v. H. und im Oktober 1914
auf 10,9 V. H.
Die Statistik der Arbeitsnachweise läßt im Berichtsmonat
fiir das männliche wie für das weibliche Geschlecht ein Steigen dea
Andranges der Arbeitsuchenden erkennen. Für das weibliche Ge-
schlecht ist diese Zunahme eine wesentlich beträchtlichere als für die
]\länner. Im Oktober kamen auf 100 offene Stellen bei den männ-
lichen Personen 54 Arbeitsuchende (gegenüber 50 im Vormonat); beim
weiblichen Geschlecht stieg die Andrangsziffer von 87 auf 98. An-
gebot und Nachfrage deckten sich also auf dem weiblichen Arbeits-
markt nahezu."
II. Landwirtschaft und verwandte Gewerbe.
Inhalt: Lage der landwirtschaftlichen Produktion: Oesterreich: Heu-
und Strohpreis; Krauterzeugun^; Zuckerpreis. Ungarn: Schweinehaltung; Milch-
verwendung. Schweiz: Getreidebewirtschaftung. Schweden: Kind Viehbe-
stand, Norwegen: Brotgetreide. England: Saaten- und Erntestand; Butter-
markt. Frankreich: Ernte; Zuckereinfuhr. Italien: Ernte. Finnland:
Ernteertrag. Südafrika: Mais nach England. Vereinigte Staaten: Meierei-
erzengnisse. Oesterreich : Geireidepreise. Ungarn: Kartoffelernte. Türkei:
Landwirtschaftliche Produktion. Schweiz: Brotkarte; Getreideeinfuhr; Schlacht-
viehversorgung; Motorpflu?; Höchstpreise für Fleisch. Schweden: Anbauflächen;
Höchstpreise tür Kartoffeln. Dänemark: Schlachtschwcine. England: Brot-
und Mehlpreise; Getreidepreise; Getreidevorräte; staatlicher Beitrag zur Herab-
setzung des Brotpreises. Frankreich: Landarbeiten; Brotversorguiig; Schiffs-
raum. Italien: Brot Versorgung. Griechenland: Korinthenernte. Rußland:
Papiergeld. Vereinigte Staaten: Weizen- und Mehlhandel. Kanada:
Mangel an Arbeitskräften; Weizenernte. Oesterreich; Kartoffel Versorgung;
Richtpreise für Sauerkraut. Ungarn: Spiritusbrennerei; Weinstatistik.
Schweiz: Einfuhr von Weizen und Mais; Verkaufspreise für Speisekarkoffein;
Pferde für landwirtschaftliche Arbeiten. Norwegen: Einfuhr von Korn.
Dänemark: Fettverteilung. Niederlande: Einfuhr aus den Verein igte a
Staaten. Frankreich: Lebensmittelbeschaffuug. Südafrika: Wolle für
— 673 —
England. K an ad a: Höchstpreise für Weizen. Australien: Lagerung von
Weizen. Weltmarkt: Getreide. Vereinigte Staaten und Kanada:
Bichlbare Vorräte.
üeber die Lage der lan d wirtschaftlichen Produktion
soll nachstehend eine Eeihe von lylitteiluiigen ans den wöchentlich vom
Deutschen Landwiitschaftsiate veiöifeEtlichten Berichten aus dem Aus-
lände hier zusammergestellt werden, 80 heißt es unter dem 9. Ok-
tober 1917:
Eine Verordnung des Amtes für Volksernährung in Oesterreich
▼om 29. September erhöht die Uebernahmspreise für Heu und Stroh in einem
umfange, der den ungünstigen Erniecrtrügnissen entspricht. Die neuen Leber-
nahmepreise sind folgende: für 100 kg Heu aller Art 23 K. = 19.55 M. (bisher
17 K.), für Schaubstroh 13 K. = 11,05 M. (bisher 10 K.), für sonstiges Stroh von
Getreide, Erbsen und Wicken 11 K. = 9,35 M. (bisher 8 K.), für Stroh von Bohnen,
Pferdebohnen, Linsen, Lupinen, Peluschken, Mohn, Baps, Rübsen, Reis xmd
Mais 7 K.=:5,95 M. (bisher 6 K.).
In Oesterreich wird durch eine Verordnung des Amtes für Volkser-
nährung am 25. September die gesamte Frisch krauternte der Gebiete, die für die
Krauterzeugung am meisten in Betracht kommen, beschlagnahmt, soweit dies
nicht, wie z. B. in Steiermark, bereits geschehen ist. Wird Kraut in Haus- oder
Schrebergärten gebaut, oder vom Erzenger zur Deckung des eigenen Bedarfes
verwendet, oder im eigenen Haushalte zu Sauerkraut verarbeitet, so ist es von
der Beschlagnahme ausgenommen. DcFgleichen erstreckt sich die Beschlagnahme
nicht auf die Anbau- und Lief erungsbet läge, die vom Amte für Volksernährung
genehmigt oder bei der Gemüse- und Obstversorgungsstelle vorschriftsmäßig an-
femeldet sind. Gleichzeitig wurden für ganz Oesterreich als Höchstpreis für
rischkraut 45 K. = 38,25 M. für 100 kg festgesetzt, wobei der politischen Landes-
gemeinde das Recht eingeräumt wurde, für ihr Verwaltungsgebiet einen niedrigeren
Höchstpreis zu bestimmen. Ferner wurde von Sendungen für Frischkraut über-
haupt, die mit Eisenbahn oder Dampfschiff erfolgen, der Transportscheinzwang
eingeführt.
In Oesterreich hat das Amt für Volksernährung die neuen Preise für
Koh- und Verbrauchszucker, wie folgt, festgesetzt: der neue Rohzuckeepreis be-
trägt 57,50 K. = 48,88 M., ist somit um 2 K. höher als der ursprünglich im
Februar für Rohzucker der neuen Betriebsperiode bestimmte Preis und insgesamt
um 16 Heller höher als der bisher in Geltung gestandene Preis. Der Grundpreis
für Verbrauchszucker, prima Großbrote, wurde mit 130 K. = 110,50 M. gegen
100 K. im abgelaufenen Betriebsjahre festgesetzt. Dieser Preis bleibt bis zum
1. Oktober 1918 unverändert in Geltung. Für den Monat Oktober haben im
Großhandel und im Kleinverkauf die bisherigen Zuckerpreise unverändert Geltung.
Die Neufestsetzung der erhöhten Zuckerpreise für den Großhandel und Klein ver-
kauf wird mit Wirksamkeit iür den 1. November 1917 erfolgen, wobei dann auch
die Erhöhung der Eisen bahnfiachttarife zur Geltung kommen wird.
In Ungarn darf nach einer Regierungsverordnung jedermann für den
Hausgebrauch ohne vorherige behördliche Bewilligung höchstens 2 Schweine
mästen. Darüber hinaus darf man für den Haus- bez. Wirtschafttbedarf in der
eigenen Haushaltung bzw. Wirtschaft, oder in einer fremden Mastanstalt, aber
auf eigene Rechnung, nur so viele Schweine mästen, als man für die im Haushalt
oder in der Wirtschaft Versorgung genießenden Personen oder Arbeiter an Speck
oder Fett unter Berücksichtigung der strengsten Sparsamkeit braucht. Wie viele
Schweine jemand hiernach mästen darf, steJit die Lokalbthörde ie^t. In einer den
Haus- und Wirtschaftsbedarf übersteigenden Zahl dürfen Schweine nur mit be-
hördlicher Erlaubnis und unter Benutzung der Hälfte des Ueberschusses der
unter Sperre genommenen Maisernte gemästet werden. Die für deu öffentlichen
Bedarf bestimmten Schweine dürfen pro Stück höchstens mit 5 dz Getreide ge-
mästet werden. Ferner dürfen lebende Schweine unter einem Gewicht von 50 kg
für den öffentlichen Bedarf nicht gemästet werden.
- 674 —
In ÜDgarn verbietet eine Regierungsverordnung, daß Vollmilch oder
abgerahmte Kuhmilch für irgendwelche Zwecke tierischer Futterung verwendet
werden.
Durch Verfügung des schweizerischen Militärdepartements vom 25. Sep-
tember 1917 hat der Nachweis eines alifälligen Minderertrages pro Are des von
den Getreideerzeugern herauszugebenden Getreides der Ernte 1917 für jede
politische Gemeinde in jedem Falle durch die Vermittlung der Gemeindebehörde
erbracht zu werden. Letztere hat die Verantwortung für eine richtige Durch-
führung der Kontrolle. Sie bestellt zu diesem Zwecke eine dreigliederige Kom-
mission („Aufsichtskommission"), deren Mitglieder in der betreffenden Gemeinde
wohnen und genügend qualifiziert sein müssen. Jeder Getreideerzeuger, der einen
allfälligen Minderertrag nachweisen will, hat der Gemeindebehörde seines Wohn-
nitzes das genaue Datum des Dreschbeginnes sowie der Dreschdauer mitzuteilen.
Das Dreschen selbst wird von der Autsichtskommission überwacht; letztere ist
berechtigt, jegliche Vorkehrungen zu treffen, welche diese Kontrolltätigkeit als
notwendig erscheinen läßt. Sofort nach Beendigung des Dreschens schreitet die
Auf Sichtskommission zur Feststellung des Dreschergebnisses. Sofern das Dreschen
längere Zeit in Anspruch nimmt, kann sie den Getreideertrag in mehreren Malen
feststellen. Das gereinigte Getreide muß gewogen werden. Beim Brotgetreide
darf nur der Ausputz, der nicht zur Brotmehlbeieitung geeignet ist, nicht mitge-
wogen werden. Bei der Wägung müssen mindestens ein Mitglied der Aufsichts-
kommission sowie auch der Erzeuger Oiler ein von ihm bezeichneter Stellvertreter
anwesend sein. Nach Feststellung des Druschergebnisses teilt die Aufsichtskom-
mission den Befund der Gemeindebehörde schriftlich mit. Letztere leitet den
Bericht, der eingehend die besonderen Verhältnisse, auf die der Minderertrag zu-
rückzuführen ist (ungünstige Boden- oder klimatische Verhältnisse, tierische oder
pflanzliche Schädlinge, technische Fehler beim Anbau, Hagelschlag usw.), zn
schildern hat, zur Begutachtung und eventuell Berücksichtigung an die Inland-
getreidestelle weiter. Die Entscheidung der Inlandgetreidestelle, in wichtigen
F'ällen diejenige des Militärdepartements, ist endgültig. Diese Verfügung, welche
am 1. Oktober 1917 in Kraft getreten ist, wird durch die Kantone den Gemeiden
zugestellt. Es wird ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die Mitteilung
eines Minderertrages auf den Erhebungsbogen vorläufig keine Gültigkeit hat. Der
Min «ierertrajisn ach weis hat in jedem Falle zur Erlangung der Gültigkeit nach den
oben angegebenen Vorschriften zu erfolgen.
In der Schweiz werden diejenigen Landwirte, welche bisher Hafer und
Gerste zur menschlichen Ernährung verwendet haben und es auch
künftig tun wollen, ersucht, dies bis zum 20. Oktober 1917 der Brotkartenstelle
ihres Kantons mitzuteilen. Die Anmeldung soll enthalten: 1) den Namen des
Erzeugers; 2) die Anbaufläche und den Gesamtertrag der in Betracht kommenden
Getreideart; 3) die Zahl der Personen (Kopfzahl der Familie), welche für die Er-
nährung in Betracht fallen : 4) Art der Verwendung des Getreid. s (Brotbereitung,
Bereitung von Mues usw); 5) die Mitteilung, daß Hafer und Gerste bis heute be-
reits auf diese Weise zur menschlichen Ernährung verwendet worden sind. An-
baufläche, Gesamtertrag und Art der Verwendung des Getreides sind für beide
Getreidearten getrennt anzugeben. Die Anmeldungen der Getreideerzeuger werden
von der kantonalen Brot karten st eile sofort an die Inlandgetreidestelle in Bern
weitcrgeleitet, welche entscheiden wird, inwieweit dem Wunsche der Erzeuger ent-
sprochen werden kann. Die Entscheide werden den Brotkarten stellen zuhanden
der Erzeuger mitgeteilt werden.
Am 10. Oktober 1917 wird in allen Gemeinden des Kantons Bern (Schweiz)
eine Bestandsaufnahme der Mehlvorräte durchgeführt. Den Mühlen,
Mehlhandlungen, Bäckereien usw. wird von den Gemeindebehörden ein vom Lebena-
mittelamt übermitteltes Formular „Erklärung« am 9. Oktober zugestellc. Eis ist
von den Inhabern der Betriebe für den 10. Oktober auszufüllen und wird durch
die Organe der Gemeinden am 11. Oktober abgeholt. Alle übrigen Person^en, die
sich im Besitz von Mehl Vorräten befinden, haben diese am 10. Oktober 1917 durch
eingeschriebenen Brief oder durch persönlich abgegebene, eigenhändig unter-
schriebene Mitteilung der Ortspolizeibehörde anzugeben. Anzeigepflichtig sind
alle Personen, deren Vorrat an Mehl 10 kg auf den Kopf der Haushaltung od«
— 675 —
insgesamt 50 kg übersteigt. Die vorhandenen Mengen sind in Kilogramm anzu-
geben.
„Svenska Dagblad" vom 22. September berichtet aus Schweden: Es sind
wichtige Anordnungen getroffen worden, um die infolge Futtermangels notwendige
erhebliche Verminderung des ßindviehbestandes zu regeln. Die Land-
wirtschaftskamraern haben eich zum großen Teil für sofortige Schlachtung aus-
gesprochen ; nur in einigen Gegenden mit vorteilhaften Futterverhältnissen glaubt
man noch etwas warten zu können. Für 5000 Tiere aus dem östlichen und süd-
östlichen Schweden ist die Ausfuhrerlaubnis erteilt worden, ebenso für eine weitere
Anzahl, die aus anderen Bezirken entnommen werden soll. Die Zahlungsfrage
ist so geordnet worden, daß die Schlächtereien die wirtschaftliche Abrechnung zu
besorgen haben. Die Eigentümer erhalten also sofort Zahlung für Fleisch, Häute
und Abfälle. Betreffs der Ausfuhrfrage hat der Volkshaunhaltsausschuß mit einem
finnischen Aulkäufer sich in Verbindung gesetzt und die nötigen Abmachungen
wegen Lieferung gepökelten Rindfleisches getroffen.
Wie „Aftenposten" (Christiania) vom 22. September meldet, wurde die neue
Getreideordnung, durch die der Verkauf von norwegischem Brotge-
treide an andere Käufer als an den Staat verboten wird, im Staatsrat ang&-
nommen. Gleichzeitig wurde der persönliche Verbrauch der Bauern auf ein be-
stimmtes Maß beschränkt. Die Verfütterung von ungedroschenem Getreide und
ungedroschenen Erbsen wurde verboten. Für den Verkauf von Hafer an andere
Käufer als an den Staat wurde ein Höchstpreis von 43 Oere für 1 kg = 0,48 M.
festgesetzt. Der Staat bezahlt vom 1. Oktober 1917 ab für 1 kg Weizen und
Roggen 60 Oere = 0,68 M., Gerste 50 Oere = 0,56 M., Hafer 45 Oere = 0,51 M.
Dem „Economist" vom 15. September zufolge haben die Ernteberichterstatter
des Landwirtschaftsamts über den Saaten- und Erntestand in England
am 1. September folgendes gemeldet: Die Getreideernte hat im ganzen Lande
im August begonnen; die Hauptmasse ist wahrscheinlich geschnitten, aber in den
meisien Gegenden noch verhältnismäßig wenig eingefahren. Aus vielen Gre-
genden wird das Keimen des Getreides gemeldet. Der starke Wind hat viel
Körner, namentlich bei Hafer und Gerste, herausgeschlagen, so daß die Ertrags-
aussichten nicht so gut wie vor einem Monat sind; auch die Güte hat all-
gemein gelitten. Keine der Getreidearten erreicht den Durchschnitt; mit Gerste
steht es im allgemeinen noch am besten, mit Hafer am schlechtesten. In den
östlichen Grafschaften sind die Aussichten am schlimmsten. Die Bohnenernte
ist sehr schwach, die Erbsenernte besser, aber beträchtlich unter dem Durchschnitt.
Kartoffeln sind überall über den Durchschnitt, besonders in den östlichen Graf-
schaften, wenn auch nicht so gut, wie sie vor einem Monat versprachen. Sie haben
etwas durch die Nässe gelitten; die Kartoffelkrankheit scheint im Südwesten vor-
zuherrschen. ßüben geben im Westen und Süden Durchnittserträge oder mehr,
aber im ganzen Osten von Essex bis Nordhumberland weit unter Normal, so daß
die Gesamtaussichten den Durchschnitt nicht erreichen. Mangoldwurzeln ver-
sprechen im allgemeinen gute Ernte. Die Stürme haben im ganzen Lande viel
Obst heruntergeschlagen, dennoch ist die Menge der Aepfel, Birnen und Pflaumen
noch groß Hopfen hat unter Wind und Sonnenmangel gelitten, verspricht aber
eine Durchschnittsernte. Auf Weiden ist das Gras den Monat über gut gewachsen,
doch ist es im allgemeinen von mäßiger Beschaffenheit. Deshalb hat sich die
Viehzucht in diesem Monat nur mäßig entwickelt. Arbeitskräfte sind noch knapp,
doch war der Mangel im August nicht so fühlbar wie in den letzten Monaten
vorher, da Soldaten, Frauen und Schuljungen halfen. Die Säuberung der Rüben -
felder ist aber sehr vernachlässigt, und bei der Erntearbeit wird, sowie schönas
Wetter eintritt, der Mangel sehr ernstlich fühlbar werden, besonders der Mangel
erfahrener Mäher.
Eine englische Zeitung schreibt über den Buttermarkt in Manchester:
Die Aufsicht über den Butterhandel hat bewirkt, daß wir überhaupt keine Butter
bekommen können. Die irischen Produzenten sehen natürlich nicht ein, warum
flie ihre beste Butter zu 206 sh verkaufen sollen, während die Dänen 300 sh er-
halten.
Lyoner Blätter melden aus Paris: Die Kammer erörterte verschiedene In-
terpellationen über die Verproviantierung Frankreichs. Dubois bestritt
— 676 —
die Richtigkeit der von dem Verproviantierungsminister aDgegebenen Zahlen über
den Getreidebedarf, der in Wirklichkeit viel größer sei. Das jetzjge Brot gebe
Anlaß zu großer VerBchleuderung ; es wäre bestjtr, die Eation aut 400 g gute«
Brot herabzu-elzen als 500 g schlechtes abzugeben. Der Verproviantierungsminister
gab zu, daß in Paris das Brot besonders schlecht sei, er werde nunmehr ein-
heitlich die Ausbeutung des Mehles in ganz Frankreich veranlassen und nötigen-
falls die Mühlen in Staatsbetrieb übernehmen. Der Ackerbauminister wurde er-
sucht, anstatt 4 MiJl. dz Saatgetreide mindestens 8 Mill. zur Verfügung zu stellen.
In Frau kr eich verlangte der Abgeordnete Boret vom Verpflegungsminif^ter,
daß er die Lage genau schildere und sage, wie er durchzuhalten beabsichtige. 35 Mill.
dz seien das Ergebnis der heurigen Ernte, während der Verbrauch 90 Mill. be-
trage. Die Vorratskammern seien leer. Die Käufer belagerten die Ackerbauer,
um Korn, Haler und Weizen zu bekommen. Die Ackerbauern seien infolge der
Beschlagnahme sehr entmutigt. Man müsse ihnen Arbeiter, Maschinen undSaatr-
korn geben, inzwischen aber die fehlenden 55 Mill. dz einlühren und weitere Ein-
schränkungen ins Auge fassen. Koggen, Gerste, Mais, Buchweizen und Hafer
wiesen ein ungeheures Defizit auf, man habe deswegen eine große Anzahl Pferde
schlachten müssen, und nunmehr verlangten die Ackerbauer neue Pferde zu
Landarbeiten. Zwischen dem Verprovianlierungs- und dem Kriegsministerium
bestehe kein Zusammenhang. Die Kegelung der Seetransporte sei ungenügend
Es komme nicht auf die Ausgaben an. Man müsse die Veiproviantierung sicher-
stellen und eine Klassierung aller Lebensmittel je nach ihrer Notwendigkeit durch-
führen; denn man besitze nur 7 Mill. dz Ersatz. Das jetzige Brot sei schlecht
und ungesund. Es könne nicht beibehalten werden. Die Brotkarte werde eine
Verschleuderung nur begünstigen. Das einzige Mittel zur Besserung der Lage
sei die Freilassung der Ackerbauer durch die Heeresleitung.
Laut „L'Information" vom 28. September betrugen die Ergebnisse der Ernte
in Frankreich: Weizen 39V, Mill. dz, Gemenge 900000 dz, Koggen 7 Mill. dz,
Gerste 7 Mill. dz, Hafer 45 Mill. dz. Die Weizenernte ist noch nicht halb so
groß wie die eines normalen Jahres, aber um 5 Mill. größer als die Schätzungen
es Ministeriums für Lebensmittelversorgung vor 3 Monaten. Abzüglich der
8 Mill. dz, die für die Aussaat erfoiderlich sind, bleiben noch 32 Mill. dz für die
Ernährung. Zur Bekämpfung der Schwierigkeiten, die sich aus der Geringfügig-
keit der Ernte ergeben, ist die Einführung der Brotkarte geplant. Außerdem
sollte man auf die Einfuhr der notwendigen Mengen Getreide oder Mehl bedacht
sein; der bisher zugewiesene Schiffsraum deckt den Bedarf nur zur Hälfte. Ferner
sollte man weitere Leute zur Feldbestellung zur Verfügung stellen ; die bisher für
die Aussaat angewiesenen 250000 Männer genügen nicht, um Frankreich im
nächsten Jahre von ausländischer Hilfe unabhängig zu machen.
„Le jQurnal" meldet aus Washington vom 26. September: Andr6 Tardieu
hat mit Hoover ein Abkommen über die Lieferung von 100000 t Zucker nach
Frankreich getroffen. Hoover hat die Ausfuhrerlaubnis erteilt und gleich-
zeitig das amerikanische Volk aufgefordert, mit Zucker zu sparen, damit dessen
Sendung nach Frankreich möglich wäre.
Das italienische Landwirtschaftsministerium gibt folgende Zahlen über
die diesjährige Ernte bekannt: W^eizen 38 Mill. dz, gegenüber 48 Mill. dz im
Durchschijittsjahre; Mais 23 Mill. dz gegenüber 26 Mill.; Eoggen und Gerste zu-
sammen 2 Mill. 650000 dz gegenüber 3 Mill. 450000 dz; Keis 3 300000 dz, un-
gefähr wie 1916; Bohnen 3 600000 dz gegenüber 4 600000 dz. Für Kartoffeln
und Erbsen wird die diesjährige Ernte beträchtlich unter einer Mittelernte aus-
fallen, die 16 Mill. dz Kartoffeln, l'/, Mill. dz Erbsen beträgt. Während in
einigen Provinzen Oberitaliens die Ernte beiden* Erzeugnisse das Mittel übersteigt,
war sie in Mittelitalien spärlich, in Süditalien noch geringer.
Die finnische Landwirtschaftsverwaltung veröffentlicht laut ,Djelo Naroda*
vom 19. September folgenden Ernteertrag:
„ , ^ Reinertrag
Rohertrag ^b.ßgii,^ Saatgut
Rosrgen 15650000 12 993 75°
Gerste 5081250 3 3^3 750
Weizen 33 ^ 250 293 75°
insgesamt 21062500 16651250
^ 677 -
Zieht man die Mahlverluste in Betracht, so verbleiben 15 231 200 Pud. Augen-
blicklich erhält in Finnland jede Person einschließlich Graupen 200 g täglich,
ßelbst bei diesem sparhamen Brot verbrauch werden die Vorräte bis zum neuen
Jahre nicht reichen, und zwar fehlen lOMill. Pud. Zur Deckung dieses Ausfalles
ichloß man einen Vertrag mit Rußland, das sich zur Lieferung von 4 Mill. Pud
verpflichtete; andererseits versprach auch Amerika mit einer gewissen Menge Ge-
treide auszuhelfen. Aber auch damit wird es nicht gelingen, den Fehlbetrag zu
decken. Finnlands Hoffnungen sind auf die russische Hilfe begründet; gehen
sie nicht in Erfüllung, so ist Finnland vom Hunger bedroht.
„O Secolo" (Lissabon) vom 16. September teilt mit: Während des abge-
laufenen Jahres führte die südafrikanische Union 143400 t Mais nach
England aus, davon 10802 t über Lourenyo Marques.
„Empire Review" vom September 1917 schreibt; Die Meiereierzeugnisse
der Provinz Manitoba erbrachten nach einem Bericht des Ackerbauam.tes
im Jahre 1916 eine Gesamteinnahme von 4 482 288 Dollar. Das bedeutet gegen
1915 eine Zunahme von 16'/, v. H. Diese erklärt sich teils durch die höheren
Preise, teils durch die gesteigerte Erzeugung. Die Eahmbuttererzeugung ergab
für das Jahr 1916 insgesamt 6 574 510 Plund, d. h. 13 v. H. mehr als 1915. Käse
zeigte eine Erzeugungszunahme von über 21 v. H., eine Preissteigerung von 20 v. H.
Berlin, 16, Oktober 1917.
Nach einer Verordnung des Amtes für Volksernährung in Oesterreich
vom 2. Oktober werden dieUebernahmepreise, welche von der Kriegsgetreide-
verkehrsanstalt für den Doppelzentner zu zahlen sind, folgendermaßen bestimmt:
Mais 38 K. (= 32,30 M ), Hirse 40 K. (= 34 M.), Buchweizen 40 K. (= 34 M.),
ßpeiseerbsen 80 K. (= 68 M.), Speisebohnen (Fisolen) 80 K. (= 68 M.), Linsen
120 K. (= 102 M.), Pferdebohnen 60 K. (= 51 M.). kultivierte Winterwicke 100 K.
(=r 85 M.), kultivierte Sommerwicke 51 K. (= 43,35 M.), gesammelte Unkraut-
wicke (nicht in den Mühlen gewonnen) 35 K. (= 29,75 M.), Hintergetreide 35 K.
(= 29,75 M.), Maisspindeln (abgerebelte Maiskolben) 15 K. (= 12.75 M.), Pe-
luschken 70 K. (= 59,50 M.), Lupinen 70 K. (= 59,50 M.). Die Preise gelten
auch hinsichtlich jener Mengen der angeführten Frucht- und Futtergattungen
aus der Ernte 1917, die vor Inkrafttreten der Verordnung bereits abgeliefert
wurden.
In Ungarn kann nach einer Entscheidung des Präsidenten des Landes-
Volksernährungsamtes der Erzeuger von seiner Kartoffelernte zurückbehalten:
1. zu Zwecken seines Hausbedarfs: a) für erwachsene Familienmitglieder, die
Bchwere Arbeit verrichten, sowie für andere, ebenfalls schwere Arbeit venichtende
Personen, die er zu versehen hat, für die ganze Saison 120 kg für die Person;
bj für andere mit Kartoffeln zu versehende Personen für die ganze Saison ICO kg
für die Person; 2. zu Zwecken seines Wirtschaftsbedarfs: a) als Saatgut 9 dz
pro Katastraljoch (1 Katastraljoch = 43,16 a), b) zu Futterzwecken dürfen
Kartoffeln nicht zurückbehalten werden, c) für landwirtschaftliche Arbeiter auf
höchstens 3 Monate 13 kg monatlich, d) für landwirtschaftlich Bedienstete die
vertragsmäßig ausbedungene Menge, die jedoch die festgesetzte Kopfmenge im
allgemeinen nicht übersteigen darf. Verbraucher oder solche Erzeuger, deren
Ernte den Hausbedarf nicht deckt, können ausschließlich für den Hausgebrauch
folgende Kartoffelmengen beschaffen: 1. für Familienmitglieder, die schwere
körperliche Arbeit verrichten, sowie für andere, ebenfalls schwere Arbeit ver-
richtende Personen, die sie zu versorgen haben, für die ganze Saison 120 kg für
die Person, 2. für andere Personen, die sie mit Kartoffeln zu versorgen haben,
für die Saison 100 kg für die Person.
Nach dem „Hilal" vom 19., 20. und 21. September beansprucht die Ver-
mehrung der landwirtschaftlichen Gütererzeugung in der Türkei
eine besonders große Bedeutung. Die Methoden haben sich außerordentlich ge-
bessert. Es sind 24 000 Pflüge mit mehreren Pflugscharen, 1C6 Grasmähmaschinen,
500 Mähmaschinen, 47 mechanische Erntemaschinen, 9 Dampfpflüge und 4 Zentri-
fugalpumpen bestellt und angekommen. Außerdem sind 10 Zentrifugalpumpen,
10 fahrbare Schmieden, 10 auseinandernehmbare Häuser für Arbeiter, 40 Dampf-
pflüge, ferner Motore und zahlreiche Pflüge bestellt worden. Die Einführung
des Gesetzes über landwirtschaftliche Dienstpflicht hat ausgezeichnete Ergebnisse
— 678 —
gehabt. E» konnten 8 Mill. Kilogramm Saatgetreide verteilt und eine Fläche fon
40 Mili. Dönüm beHtellt werden.
Unter der Bpitzmarke „Was die Brotmarke vermag" lesen wir in der
»Neuen Züricher Zeitung": Die Brotkarte hat es an den Tag gebracht, daß die
gute Stadt Zürich viel reicher an Volk ist. als die Bureaus errechnet hatten.
Man spricht von einigen tausend Personen, die um die jüng.ste Monatswende aii-
fesichts des drohenden Brotman^els plötzlich sich der Anmeldepflicht erinnert
ätten. In Bern hieß es gar, die stadtzürcherische Bevölkerung sei in diesen
Tagen um 20 000 Seelen gewachsen ! Fama mag da wohl ein bißchen stark über-
treiben. Auch in Bern sind es sehr viele gewcKen, die erst durch die Brotkarten
aus ihren Schlupfwinkeln gelockt wurden.
In der Hauptversammlung der Neuen Helvetischen Gesellschaft wurde
von einem Sachverständigen die Mitteilung gemacht, daß auf Januar oder Fe-
bruar eine Herabsetzung der Brotmenge auf 100 g nötig werde, falls nicht
vorher die Einfuhr wiedereinsetzen könne. Diese — rein theoretische — Mit-
teilung trifft nicht weit neben das Ziel, eben für den Fall, daß der Schweiz
die Einfuhr aus Amerika verschlossen bleibt. Sie wurde aber von einigen Blättern
in der Form weitergegeben, als ob man heute schon tatsächlich eine solche Herab-
setzung in Aussicht genommen hätte. Das ist nun vollständig unzutreffend.
Die Schweiz hat vorläufig keinen Grund, den guten Willen Amerikas ihr gegen-
über in Zweifel zu ziehen. Jm Gegenteil hofft man sehr, daß die Einfuhr aus
Amerika vom 15. November ab wieder aufgenommen werden kann. Damit würde
die Theorie von den 100 g Brot dahinfallen. Gegenwärtig sind sämtliche Weizen-
bestellungen allerdings längst realisiert, angeblich lagern nur 1500 Wagenladungen
für schweizerische Rechnung in Cette. Eechnet man einen Tagestransport nach
der Schweiz von 100 Wagenladungen, so wäre die Weizeneinfuhr also in 15 Tagen
vollständig beendigt.
Die eidgenössische Anstalt für Schlachtvieh Versorgung in der
Schweiz beabsichtigt, im Laufe des Herbstes und Vorwinters etwa 10000 Stück
Großvieh abzuschlachten, um eine Rücklage für nächstes Frühjahr anzulegen.
Mit der Abschlachtung derjenigen Viehmengen, die besonders für die vom Armee-
kriegskommissariat zu schaffenden Gefrierfleischrücklagen bestimmt sind, ist be-
reits vor ca. 4 Wochen im Schlachthof zu Bern begonnen worden. Bis jetzt
konnten etwa 1000 Stück Großvieh geschlachtet werden. Die eidgenössische An-
stalt für Schlachtviehversorgung nimmt ihre im Auftrag des schweizerischen
Volks Wirtschaftsdepartements vorgesehenen Schlachtungen in den Anlagen von
Bell in Basel vor. Gleichzeitig mit der Schaffung von Gefrierfleisch Vorräten
setzt auch die Herstellung von Fleischkonserven ein.
In der Schweiz ist auf dem Waffenplatz Kloten-Bulach ein zwölfpferdiger
Motorpflug an der Arbeit. Zu den bisherigen 150 Jucharten Ackerland sollen
nochmals so viel umgeackert werden (1 Juchart 36 a) Für die Bebauung des
riesigen Geländes sind 38 Hilfsdienstpflichtige und eine große Anzahl Pferde in
Dienst gestellt.
Der Regierungsrat des Kau ton s Bern in der Schweiz hat folgende
Höchstpreise für Fleisch von Großvieh und Kälbern festgesetzt: 1. Fleisch
von Großvieh (Ochsen, Stiere, Kühe, Rinder), a) In Ortschaften mit 5000 und
mehr Einwohnern: 1. Der Höchstpreis für Fleisch I. Qualität kann um 10 Rp.
d. h. auf 3,70 frcs. =- 3,00 M. erhöht werden. 2. Der Höchstpreis iür die ein-
zelnen Stücke (Kategorien), sofern nicht zum Einheitspreis verkauft wird, betragt
für Hals, dünne Lempen, Schenkel und Brustkern spitz 3,50 frcs. =- 2,85 M
per 1 kg: für auserlesene Stücke, wie Eckstück, Spalenschüfeli und Geleedeckel
3,80 frcs. =-- 3,10 M., für alle übrigen Stücke 3,70 frcs. = 3,00 M. per 1 kg; für
Nierstücke und Filet werden keine Höchstpreise festgesetzt, b) In Ortschaften
mit weniger als 5000 Einwohnern: 1. Der Höchstpreis für Fleisch I. Qualität
beträgt 3,60 frcs. -- 2,90 M. per 1 kg ; 2. der Höchstpreis für die einzelnen Stücke
(Kategorien), sofern das Fleisch nicht zum Einheitspreise verkauft wird, beträgt
für Hals, dünnen Lempen, Schenkel und Brustkernspitz 3,40 frcs. = 2,75 M.
per 1 kg, auserlesene Stücke, wie Eckstück, Spalenschüfeli und Geleedeckel
3,70 frcs. = 3,00 M., für alle übrigen Stücke 3,60 frcs. = 2,90 M. per 1 kg.
3. Auf begründetes Gesuch hin kann der Regierungsrat Gemeinden gestatten, den
- 679 -
Höchstpreis bis zu 20 Rp. zu ermäßigen. II. Fleisch von Kälbern. In allen
Ortschaften: 1. Bis zum 15. Oktober für Kalbfleisch I. Qualität 4,10 frcs. =^
3,30 M. per 1 kg, für Kalbfleisch II. Qualität 3,50 frcs = 2,85 M. per 1 kg. Der
Höchstpreis für die einzelnen Stücke (Kategorien), sofern nicht zum Einheitspreis
^erkauft wird, beträgt bis 15. Oktober für Ragout (geschnitten) I. Qualität 3,80 frcs.
-- 3,10 M., II. Qualität 3,20 frcs. --= 2,60 M., nach dem 15. Oktober jede Qualität
3,10 frcs. -r^ 2,50 per 1 kg; für Brust und Hals bis zum 15. Oktober I. Qualität
4,00 frcs. = 3,25 M., II. Qualität 3,40 frcs. = 2,75 M., nach dem 15. Oktober
jede Qualität 3,40 frcs. = 2,75 M. per 1 kg; für Spalen und Laffen bis 15. Ok-
tober I. Qualität 4,20 frcs. = 3,40 M., II. Qualität 3,60 frcs. =- 2,90 M., nach
dem 15. Oktober jede Qualität 3,60 frcs. = 2,90 M. per 1 kg; für Stotzen, Carr6
ttnd Nierbraten bis zum 15. Oktober I. Qualität 4,40 frcs. = 3 55 M., II. Qualität
3,80 frcs. = 3,10 M., nach dem 15. Oktober jede Qualität 3,80 frcs. = 3,10 M.
per 1 kg. HL Allgeraeines. 1. Die festgesetzten Preise beziehen sich auf Fleisch
mit der üblichen Knochen zugäbe. Diese darf in keinem Falle 25 Proz. des Ge-
samtgewichts von Fleisch und Knochen überschreiten. 2. Für Fleisch ohne
Knochen darf auf dem festgesetzten Preis ein Zuschlag bis auf 30 Proz. gemacht
werden. 3. Die Metzger und die anderen Fleischverkäufer haben in ihren Ver-
kaufslokalen und Fleischständen das zum Verkauf bestimmte Fleisch unter An-
gabe der Preise und Qualitäten bekanntzugeben. 4. Der Verkauf von Kalb-
fleisch ist nur an Dienstagen und Samstagen gestattet. Der Regierungsrat ist
befugt, an Stelle des Dienstags einen anderen Wochentag zu bestimmen. Die
Gemeindebehörden sind ermächtigt, die Abgabe von Kalbfleisch an Spitäler,
Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen auch an anderen Wochentagen zu
gestatten.
„Svenska Dagbladet" vom 27. September berichtet: „Aus dem vorläufigen
Ergebnis der Anbauflächenerhebung in Schweden geht hervor, daß die
mit Herbstweizen bebaute Fläche um 23,1 v. H. zurückgegangen ist; als Ursache
wird das ungünstige Wetter des vorigen Herbstes angegeben. Die Herbstroggen-
fläche ist um 9,1 V. H. zurückgegangen, meist infolge Wiederumpflügens von
Roggenfeldern, die unter dem Wetter gelitten hatten. Der Anbau von Frühjahrs-
weizen und -roggen ist hauptsächlich infolge Maßnahmen der Staatsregierung
um 95,5 und 152 v. H. gestiegen. Die Anbaufläche von Gerste, Hafer und
Mischkorn ist um 228 v. H., 19 v. H. und 12 v. H. größer geworden. Abge-
sehen von den Maßnahmen des Staates wird als Ursache das Bestreben der Land-
wirte angegeben, die Futtermittel zu vermehren. Die Fläche für Erbsen und
Wicken hat um 23,7 und 178,5 v. H. zugenommen. Die Kartoffelanbaufläche
hat sich nur um 3,7 v. H. erhöht. Der Rückgang der Rübenanbaufläche beträgt
15,9 v. H., die Vergrößerung der Futterrüben fläche 16,9 v. H. ; in Heu ist der
Anbau um 13,4 v. H. zurückgegangen, während Weiden und Grünfutteranbau
^^m 14,7 und 47,4 v. H. zugenommen haben.
Die neuen Höchstpreise füs Kartoffeln in Schweden sind, wie
.Svenska Dagbladet" vom 29. September meldet, von der Regierung nach dem
Vorschlag des Volkshaushaltausschusses festgesetzt. Beim Einkauf direkt vom
Landwirt ist der Höchstpreis zurzeit auf 8.50 Kr. für 1 dz (= 4,80 M. für den
Zentner), auf 9.50 Kr. für 1 dz (= 5,35 M. für den Zentner) ab 1. Dezember
und auf 10,50 Kr. für 1 dz (^ 5,90 M. für den Zentner) ab 1. April festgesetzt
worden. Der Gewinn der Großhändler ist auf 2 Kr. für 100 kg oder 1,35 Kr. für
1 hl begrenzt worden. Für den Kleinhandel sind zwei Preise festgesetzt worden,
und zwar 8, S'/a und 9 Oere das Liter beim Verkauf von höchstens 5 1 und 7,
8 und 8'/? Oere das Liter bei größeren Mengen.
In der Generalversammlung der „Maribo", Genossenschaf ts- Seh weine -
Schlächterei (Dänemark), am 8. September äußerte sich der Vorsitzende
L. Smedegaard laut „Smörtidende" vom 28. September, wie folgt: „Der große
Preissturz im Juli war der UeberfüUung des englischen Speckmarktes zuzu-
schreiben, da der Speck der Schlachtungen aller dänischen Schlächtereien von
6 Wochen eingelagert werden mußte. Der Grund war die deutsche Blockade-
erklärung an England im Februar dieses Jahres. Nach etwa 2 Monaten durfte
wieder Speck aus Dänemark verschifft werden (!). Die Verschiffuner begann mit
kleinen Mengen; aber nach einigen Wochen mußten wir alles, was wir an alt-
~ 680
saJzeDem Speck auf Lager hatten, verschiffen, eo daß der engliFcbe Markt plötz-
lich mit dänibchem Spick überfüllt wurde, wodurch der crolie Preis^iurz eintrat
Ferner trug dazu der UmBlund bei, daß der tptck in Bchr gcbJecht<ni Zustande
auf den Markt kam, weil die Hitze groß war und die englischen Eisenbahn-
geßcllHchaften nicht imstande waren die großen Mengen Speck schnell genug von
en Hafenstädten abzutransportieren.
Die seit dem 15, September gültigen englischen Bestimmungen über
Brot und Mehl enthalten folgende Grundlinien : Es werden Verbraucherhöchst-
preise für Brot und Mehl festgesetzt. Mehlhändler, wie auch Getreidemühlen
werden unter Aufsicht gestellt. Inhaber von Handelsvoiräten an Mthl und Ge-
treide zu höheren Einstandspreisen, als den jetzt in Kraft tretenden, werden ent-
sprechend entschädigt. Der Vtrbraucheihöchstpreis lür Brot ist 9 d für den
Laib von 4 engl. Pfund (= 0,21 M. für das deutsche Pfund) und für Mehl 50 ßh
für den Sack von 280 Ibs (= 127 kg) ausschließlich Sack (= 403,55 M. für die
Tonne). Das in England hergestellte Mehl wird an die Mehlhändler zu 44/3 für
280 Ibs ab Mühle abgegeben, wodurch dem Zwischenhandel — nach Berückßich-
tigung der Fracht — ein Nutzen zugestanden wird. Eingeführtes Mehl kann Je
nach Güte zu höheren Preisen abgegeben werden.
Die seit dem 17. September in England gültigen ermäßigten Verkaufa-
preise der Royal- Commission sind die folgenden (sie verstehen sich cif London
oder Liverpool und zwar für amerikanische und canadische Herkunft mit aus-
geliefertem Gewicht; zu diesen Preisen wird verkauft, if and when they are
offering) :
Weizen:
für 480 Ibs
M. für die Tonne
Nr. 1 Northern Manitoba
75/6
355.80
>> ^ >» j>
74/-
348,75
»; 3 „ „
72/-
339,30
„ 4 Manitoba commercial
69/6
327,55
„ 4 „ spedal
68/—
320,45
„ 5 „ commercial
67/-
315.75
„ 5 „ special
65/6
308,70
„6 ,, commercial
63/-
296,90
„6 ., special
62/-
292,20
„ 1 Northern Duluth
73/6
346,40
„ 2
121-
339,30
„1 „ Chicago
73/-
344,—
„ 1 „ Seaboard
72/6
341,65
„ 2 Hardwinter atlantic
74/-
348,75
„ 2 „ Montana
75/-
353,45
„ 2 „ Gulf
53/6
346,40
„ 2 Eed Western Winter
72/6
34 '.65
„ 2 „ Winter open
72/-
339,30
„ 2 ,, Western Winter steamer Grade
71/6
336,95
„ 2 „ Winter sfeamer Grade
71/—
334,60
Half Walla half Blue stem
75/-
353,45
Eed and withe Walla
74/6
351,10
Blne stem
75/6
355,80
Milling blue stem
7t/6
360,50
^ustralian
77/6
365.25
Choice white Bombay
79/-
372,30
„ „ Karachi
78/-
367,60
Nr. 2 Caleutta
78/-
367,60
Soft red Delhi
77/6
365.25
„ „ Karachi
77/6
365.25
Baril or Baruso, 617, Ibs at discharge
74/9
352.25
>» >j » 62 „ „ „
75/-
353.45
»» J> >y 63 „ ,, „
75/6
355,80
Rosario 62
75/6
355.80
- 68i
Mais:
für 480 Ibs
M. für die Tonn
White South African
74/-
348,75
other white
71/-
354.60
other
68/-
320,45
Gerste:
für 448 Ibs
Home (kiln-dried)
69/-
348,05
Imported
65/6
für 400 Ibs
330,»5
Nr. 4 Canada westem
48/3
272,85
Reis:
per ton
Specials
£ 10/-/-
383,45
Two Stars
„ 20/-/-
für 480 Ibs
403.56
Boggen
70/-
für 280 Ibs
Maismehl
65/-
524,55
Hafermehl
90/-
für 112 Ibs
726,30
Haferflocken
36/-
für 504 Ibs
726,30
Linsen (large)
175/-
785.45
„ (small)
150/-
(>n,^i
Bohnen:
für 2240 Ibs
Banis^oon
£42/10—
857.50
Diiifucu
.» 58/-/-
1170,16
Coloured
M 3«/'5/-
781,90
Mailagaskar batter
1. 58/-/-
1170,15
Chinese horse
» 2'/-/-
423,70
Hafer:
für 320 Ibs
Nr. 2 American White Clipped 36 Ibs
59/-
4'7,io
1» 2 „ „
11 39 „
50/6
420,60
Erbsen:
für 2240 Ibs
Japanese
£6ö/-/-
für 504 Ibs
1331,66
Withe Indian
£ 130/-/-
für 2240 Ibs
1166,95
Chinese white
£ 26/10/—
534.«o
Morocco chick (Sieve Nr.
29)
58/-/-
1170,15
tt ft }f II
28
54/ro/-
I09q,«5
»> 1» 1» II
27
50/5'-
1013.90
»Lloyd's List" vom 27. September meldet: „Die Getreidevorräte Eng-
lands nehmen in einer bisher nicht dajijevvesenen Weise zu. Zu deren Unter-
bringung werden Teelagerhäuser, deren Inhalt sich stark vermindert hat, ver-
Trendct; ferner einige neu hergestellte Anlagen für die Lagerung von Gefrier-
fleisch. Auch werden Schuppen in den Surrey Commercial Docks, die gewöhnlich
für die Unterbringung von Holz benutzt wurden, für die Getreidelagerung her-
gerichtet.
Laut „Times" vom 4. Oktober hat der englische Staat eine Last von
40 Mill. £ (= 820 Mill. M.) auf sich genommen, um den ßrotpreis herab-
zusetzen.
„Express de TOuest" vom 3. Oktober schreibt: Um die Ernte zu retten,
hätten in Frankreich die Landarbeiten aufs höchste gesteigert werden
müssen, aber wegen Mangel an Arbeitskräften ist ihre Durchführung unmöglich
gemacht worden. Heutzutage weili jeder, daß die Broternte kaum die Hälfte
des jährlichen Bedarfs decken wird. In manchen Gegenden ist sie noch
schlechter ausgefallen. Hauptsächlich in einigen mirtelfran/.ösischen Departements
ßind die Erwartungen schwer enttäuscht worden. Obwohl die Feldarbeiten keine
besonderen technischen Vorkenntnisse verlangen, ist doch eine gewisse Vor-
übung notwendig, zu der nicht jeder imstaude ist. Die Hauptursache des
— 682 —
Uebels ißt darin zu suchen, daß die Fabriken die Arbeiter durch hohe Lohne
anlocken. In einem gewöhnlichen Bauernhof verdienen die Angestellten wähtend
der Erntearbeiten 4—5 frcs und freie Verpflegung. Soll man sich da wundern,
daß sie in hellen Scharen das Land verlassen, wenn sie in den Fabriken 10-15 frcs.
verdienen können? Und diesem üebel ist scheinbar nicht abzuhelfen. Die ein-
zige, oft betoute Möglichkeit wäre, die fehlenden Feldarbeiter durch deutsche
Kriegsgefangene zu ersetzen. Viele darunter sind Landwirte, sie verstehen die
Arbeit und können außerordentliche Dienste leisten. Leider verschließen sich die
Behörden unbegreiflicherweise dieser Tatsache. Der Straßenbau, die Eisenbahnen
u. a haben Kriegsgefangene zugewiesen bekommen, der Ackerbau allein soll ohne
sie auskommen. Und doch stellt der Ackerbau nicht nur die Zukunft des Landes
dar, sondern seine hauptsächlichste, um nicht zu sagen einzige Lebensmöglichkeit.
Ein Kornfeld ist gegenwärtig so viel wert wie eine Munitionsfabrik.
„Vom 15. Oktober ab", so schreibt der Abgeordnete Maveras im „Journal
du Peuple" vom 26. September, „werden wir in Frankreich die Brotkarte
haben. An wem ist es jetzt, darüber zu lachen? Nicht mehr au uns; wir haben
das Lachen verlernt! Und doch wie sehr haben wir gelacht! Mit den Scherzen,
die die Einführung der Brotkarte „bei den Andern" hervorgerufen hat, könnte
man Bände füllen. Wir sollen 1 Pfund Brot täglich für jede erwachsene Person
erhalten. Aber was für eine Sorte Brot wird man uns geben?! Darüber hat
man uns noch nichts gesagt, und doch haben wir allen Grund, diese Frage mit
größtem Nachdruck zu steilen. Jedermann weiß, daß man nur Paris zu verlassen
braucht, um eßbares, bisweilen sogar vortreffliches Brot zu erhalten. Auch dieses
Brot wird freilich aus zu 85 v. H. ausgemahlenem Korn gebacken, ist aber sorgsam
behandelt, gut gebacken und leicht verdaulich. Das Pariser Brot dagegen ist die
ärgste Schweinerei, die es gibt."
Der französische Minister für Lebensmittelversorgung, Long, setzte in
seiner Beantwortung der verschiedenen Interpellationen über die Verpflegungs-
fragen auseinander, was er getan habe, um den für die Versorgung des Lande«
notwendigen Schiffsraum zu vergrößern. Er sagte: Auf Grund der gegen-
wärtig Frankreich zur Verfügung stehenden Mengen würde die Brotration jedes
Franzosen 150- 200 g betragen. Ich habe Maßnahmen ergriffen, um sie auf 250 g
zu bringen, werde mich aber mit einer solchen Hationierung nicht begnügen,
sondern alles tun, um die Lage zu verbessern, solange die Bundesgenossen nicht
dem gleichen Verpflegungs- und Einschränkungsmaßstab unterworfen sind. Es
finden Unterhandlungen statt, um alle Beförderungs- und Verpflegungsmittel zu
vereinigen und vor allen anderen Bedürfnissen England, Frankreich und Italien
das tägliche Brot zu sichern. An den 86 Mill. Zentnern Verbrauch fehlen noch
20 Millionen.
Der „Neuen Züricher Zeitung" vom 4. Oktober wird aus Rom unter dem
29. September folgendes über die Schwierigkeiten in der Brotversorgung ge-
schrieben: Die Getreideernte beginnt in Sizilien bereits Anfang Juni und im
Verlauf des Juli ist sie in ganz Italien beendigt. Der Lebensmitteldiktator Ca»
nepa entschließt sich, im September die Rationierung des Brotes durch Einführung
des Kartensystems obligatorisch zu machen. Als Datum für das Inkrafttreten
der neuen Bestimmung wird der 11. Oktober festgesetzt, dabei den einzelnen Ge-
meinden möglichst freie Hand gelassen. Dementsprechend hat der römische
Stadtrat beschlossen, am 1. November die Karte einzuführen. Auch ein nrar
oberflächlicher Kenner der hiesigen Verhältnisse weiß genau, daß dieser Termin
mindestens zweimal verlängert werden wird und daß wir mit größter Wahrschein-
lichkeit am Sylvesterabend so viel Brot essen werden, als in den Bäckereien zu
kaufen sein wird. Es wären sofortige energische Sparmaßregeln unbedingt not-
wendig, wollte man für das Frühjahr einer ernsten Lage vorbeugen. Hat doch
nach offiziellen optimistischen Daten die diesjährige Getreideernte nur 38 Mill. dz
(Vorjahr 48 Mill) ergeben, während der Verbrauch im Vorjahre 62,1 Mill. betrug,
wozu ferner noch 6 Mill. dz für die Aussaat zu berechnen sind. Es ergibt sicn
also eine Fehlmenge von 30 Mill. dz. Im Rom ist dieses Frühjahr in Rücksicht
auf die bevorstehende Rationierung eine neue Volkszählung vorgenommen worden.
Aber die Arbeit der Gemeindebehörden wird außerdem noch dadurch schwieriger,
daß für die wohlhabenderen und für die ärmeren Klassen verschiedene Rationen,
- 683 -
die eine zu 200-250, die andere zu 400 g angesetzt werden sollen. Die Ab-
grenzung dieser zwei Kategorien, so sehr sie den Grundsätzen der Gerechtigkeit
entspricht (da die Rolle des Brotes auf dem Tische des lieichen eine weit unter-
geordnetere ist als auf dem des Armen), ist praktisch äußerst schwierig und kann
Anlaß zu allen möglichen Mißbräuchen bieten. Um ja nicht das deutsche Bei-
spiel der individuellen Brotkarte nachahmen zu müssen, hat man geglaubt, in
Rom mit dem Vorschlag des „Familienbons" eine ganz originelle Lösung zu finden.
Der „Economist" vom 22. September gibt die diesjährige griechische
Korinthen ernte auf 130000—135 000 t an; sie betrug (in t):
1916 88000 1914 145000
1915 125 800 1913 161 000
Die Ausfuhr betrug (in t):
nach dem Vereinigten Königreich und
Neuseeland
nach den Vereinigten Staaten und Kanada
sonst
1914/15 1915/16 1916/17
71 300
13 600
20 100
70000
12 700
17 300
45700
4 600
2 700
insgesamt 105000 100000 53000
Die nachstehende Tabelle, die wir dem „Kiewljanin" vom 21. September
entnehmen, veranschaulicht die russische Papiergeldausgabe (in Millionen
Rubel) und das Schwanken des Rubelkurses auf dem Londoner Markt (in v. H.
dea Nominalwertes) :
Gesamtaus£;abe
von Papierrubeln
I ^33,3
3 030,3
5622,1
9097,4
9 949,6
"457,1
14 125.*
14 960,4
Gleichzeitig mit dem Kursfall steigen die Preise in Rußland in schwindel-
erregender Weise, was zum großen Teil durch die ständige Vermehrung der
Banknotenausgabe bedingt wird. Wie stark der Wert des Rubels in Rußland
selbst gefallen ist, läßt sich aus Mangel an statistischen Angaben über die Waren-
preise im angezogenen Zeitraum nicht sagen. Vieles spricht aber dafür, daß die
Rubelentwertung im Inland stärker fortgeschritten ist als in London, da die
Preise um mehr als das Vierfache gestiegen sind. Um ein konkretes Bild der
Entwicklung eines solchen Papiersystems zu geben, bringt die Zeitung eine Tabelle
der Assignaten der großen französischen Revolution:
Ausgabe von Assignaten Kurs des franc
16.
7.
1914
1.
1915
1.
1916
1.
1917
3.
„
5.
jj
8.
>•
23!
8.
„
29.
8.
„
31.
8.
>»
Diatsausgabe
( Rubelkurs
254.0
99,8
«•5,9
82,»
289,6
58,6
425.«
57,8
753,7
54,4
889,7
54,0
"75,0
41,7
—
35,4
—
26,1
—
29,1
in Mill. fres.
V. H.
Septbr. 1789
—
98
1. 1. 1790
—
96
1. 1. 1791
—
94
1. 6. 1791
912,0
85
22. 9. 1792
I 972,0'
71
1. 1. 1793
2825,9
5«
1. 5. 1794
5 89«,5
34
1. 1. 1795
7228,8
18
1. 4. 1795
8326,9
10,7
1. 10. 17!>5
17879,3
1,4
1. 1. 1796
27 5^5,«
0,5
7. 9. 1796
45 878,8
—
— 684 —
Der Preis für 1 Pfd. Brot stieg auf 50 frcs., für 1 Pfd. Fleisch auf 130 frcs. ein
Paar Schuhe auf 1500 frcs., der Tagelohn auf 120—350 frcs.
Die ameriicanische „rood-controll-Bill« enthält die folgenden Bestim-
mungen: „Um jegliche Spekulation in Weizen und Mehl auszuschalten, müssen
alle Elevatorenbesitzer und alle Mühlen mit einer Leistungsfähigkeit von mehr
als 100 Barrels täglich eine Handelserlaubnis erlangen, welche von der Re-
gierung unter folgenden Bedingungen erteilt wird: Nur die üblir'hen Sätze für
Lagerung und Mahllohn dürfen in Anrechnung gebracht werden; Weizen darf
niemals länger als 30 Tage ohne Bewilligung des Nahrungsmittelkontrolleurs ge-
lagert werden. Auskünfte über Wareneingänge und -ausgänge müssen der Re-
gierung regelmäßig eingereicht werden. Diee»e Bestimmungen treten am 1. Sep-
tember in Kraft."
Der „Labour Leader" vom 6. September berichtet: „In Kanada ist der
Mangel an Arbeitskräften so groÖ, daÜ die Getreideernte in den westlichen
Provinzen durch das Fehlen von Erntearbeitern gefährdet ist. Auf einer Zu-
sammenkunft von Vertretern der Bundesregierung und der Einzel.staaten, sowie
der drei großen Eisenbahngesellschatten in Winnipeg wurde festgestellt, daft
31000 Arbeiter aus Ost-Kanada nötig sein würden, um die glänzende Ernte dea
Westens zu retten."
„Morning Post" vom 23. September meldet: „Eine vorläufige Einschätzung
der kanadischen Weizenernte ergibt auf Grund amtlicher Ermittelungen
insgesamt etwas über 249 MdL Busheis. Dies ist, verglichen mit dem letzten
Jahr, ein Zuwachs von etwas mehr als 8 v. H. Das Ergebnis beträgt 16,63 Busheis
pro Acre, verglichen mit 17 Busheis im letzten Jahr und 29 Bu-.hels im Jahre
1915. Von der Hafer-, Reis- und Gerstenernte wird eine wesentliche Steigerung
erwartet.
Berlin, 23. Oktober 1917.^
Nach einer Mitteilung, die Minister G. M. Höfer in der Kommission für
Kriegswirtschaft in Oesterreich machte, wurde bei Aufstellung des Kartoffel-
versorgungsplanes die diesjährige Kartoffelernte mit 70—80 Mill. dz an-
genommen. Diese Annahme ist nicht allzu optimistisch, da die letzte bekannt-
lich sehr schlechte Kartoffelernte 50 Mill. dz ergab und eine normale Ernte ca.
130 Mill. dz beträgt. Von dieser Ernte sind 26 Mill. Menschen (9 Mill. Selbst-
versorger und 17 Mill. NichtSelbstversorger) zu versorgen. Für die Niehtselbst-
versorger rechnete man 17 Mill. dz, für Heer, Industrie und andere kleinere Be-
dürfnisse weitere 3 Mill. dz, zusammen somit 20 Mill. dz oder 25-30 Proz. der
Ernte. Vom Reste ist das Saatgut sicherzustellen, 15 —20 Proz. der Ernte (ca.
12 -14 Mill. dz) sind als Sehwuud abzurechnen, ebenso die angebrochenen Kar-
toffeln, welche verfüttert werden, und ein Teil der Ernte (kleine Selbstversorger,
Schrebergärten usw.) ist nicht erfaßbar. Dies alles und die Sonderverhältnisse
Galiziens berücksichtigt, kommt G. M. Höfer zu dem Schlüsse, daß dem Land-
wirte ca. 1 — 1,5 dz pro Kopf und Jahr (ca. 9,5—13,5 Mill. dz) freibleiben. Das
Kontingent von 20 Mill. dz wurde auf die Ueberschußgebiete Böhmen, Mähren,
Schlesien und Galizien aufgeteilt. In diesem Kontingent sind die durch Verträge
sichergestellten Kartoffeln enthalten. Das Kontingent wurde so aufgeteilt, daß
nach Abzu'^ des eigenen Bedarfes frei werdende üeberschüsse zur Versorgung der
passiven Gebiete abgegeben werden. Außerordentlich schwierig sei die Transport-
frage. Ina Einvernehmen mit den militärischen Behörden wurde ein genauer
Transportplan aufgestellt, der dahin zielt, daß zwei Drittel der Ernte vor dem
Winter in die Verbrauchsorte gebracht, ein Drittel gesichert aufbewahrt werde.
Wie die einzelnen Verbraiichsorte die Kartoffeln aufbewahren, ob sie sie in größeren
Partien an die Verbraucher abg<»ben oder einmieten, bleibe den betreffenden Ver-
vs^altungskörpern überlassen. Was die Ration betrifft, ergebe sich, wenn man
100 kg pro Kopf und Jahr berechnet, bei einem Kartoffeljahr von 9 Monaten
eine Quote von etwas mehr als 2 kg pro Kopf und Woche. Hierbei werde man
die S !h\verarbeiter höher rationieren müssen. E-» wäre ai>er verfehlt, von Haus
aus eine bestimmte Ration für jede W.>che vorzuschreiben. Die ßation werde
sich von selbst nach den jeweils verfügbaren Mengen regeln.
- 685 -
Die österreichische Zentralpreisprüfungskommission hat mit ßeschlutt
?om 3. Oktober für Sauerkraut nachstehende Richtpreise festgesetzt: Er-
zeugerpreis (Uebernahmepreis der Gemüse- und Obstveraorgungsstelle) einschließ-
lich Zustellung in den Betriebsort bzw. zur Bahnstation, ohne Geschirr: für
Sauerkraut inländischer Herkunft 122,60 K. = 104,20 M. und für Sauerkraut aus-
ländischer Herkunft 148,25 K.= 126.- M. pro 1 dz.
Das ungarische Amtsblatt veröffentlichte am 4. Oktober eine Verordnung
des Finanzministers, wonach die unter die Verzehrungssteuer fallenden Spiritus -
brennereien in dem Erzeugungsjahr 1917 18 Weizen, Halbfrucht, Hirse und
Hafer nicht zu Spiritus verarbeiten dürfen. Roggen und Gerste dürfen nur jeue
Spiritusbrennereien zu Spiritus verarbeiten, welche auch Preßhefe erzeugen. Jene
Brennereien, die 1916/17 keine Preßhefe erzeugt haben, dürfen eine solche auch
1917/18 nicht erzeugen. Die Verordnung führt sodann im einzelen an, welche
Men^^e der übrigen zur Spirituserzeugung geeigneten Produkte die Spiritusbren-
nereien hierzu verwenden dürfen.
Das K. ungarische Finanzministerium hat die Aufnahme der bei den
Weinproduzenten und Weinhändlern vorhandenen Weinvorräte einschließlich
der diesjährigen Ernte durch Finanzorgane angeordnet. Von zuständiger Stelle
wurde erklärt, daß die Regierung bei der Aufnahme der Vorräte weder von der
Absicht der Beschlagnahme des Weines noch der Festsetzung von Weinhöchst-
preisen geleitet wurde, sondern daß diese Maßnahme ausschließlich zu dem Zwecke
erfolge, die nach Befriedigung des inländischen Bedarfes für die Ausfuhr zur
Verfügung bleibende Menge festzustellen.
Wie unterm 29. September berichtet wird, betrug in den ersten 7 Monaten
des lautenden Jahres die der Schweiz seitens der Entente garantierte, aber nicht
gelieferte Menge an Weizen und Mais 9500 Waggonladungen. Die hier-
durch stark verkürzte Einfuhr von Brotstoffen war gänzlich unzureichend und die
Vorräte konnten nur durch Heranführung von Getreide, das in französischen
Häfen für die Eidgenossenschaft lagert, ergänzt werden. Infolge dieser Knapp-
heit an Brotstoffen ist die tägliche Brotmenge auf 250 kg für den Kopf festge-
setzt worden.
Die Zentralstelle für Kartoffel Versorgung in der Schweiz hat vom 1. Ok-
tober ab ihre Verkaufspreise für 100 kg erlesene Speisekartoffeln von
15 frcs. auf 14,50 frcs. ab Verladestation ermäßigt. In diesem Preise sind die
Kosten für den Ankauf und die Verladung der Ware inbegriffen. Die Aufkäufer,
welche entsprechend Art. 3 der Verfügung des schweizerischen Volkswirtschafts-
departements vom 3. September ermächtigt sind, die von ihnen gelieferten Kar-
toffeln direkt zu berechnen, sind gehalten, den Preis von 14,50 frcs. ebenfalls
nicht zu überschreiten. Das Angebot an schöner Ware ist so groß, daß die
Zentralstelle in der Lage ist, alle eingehenden Aufträge in kurzer Frist auszu-
führen, in den nächsten Wochen wird die Zentralstelle über einen Posten deutscher
Kartoffeln verfügen. Der Verkaufspreis für diese Ware wird sich voraussichtlich
etwas niedriger stellen. Die gesamte Bevölkerung wird ausreichend mit Speise-
kartoffeln versorgt werden können. Deshalb ist das Gebaren einzelner Verbraucher,
welche große Mengen einzudecken haben und nun entgegen den Bestimmungen
der erwähnten Verfügung den Versuch machen, im Lande herum Kartoffeln zu
hohen Preisen aufzukaufen, unbegreiflich und muß geahndet werden.
Das Lebensmittelamt der Stadt Bern wird demnächst an die Familien mit
bescheidenem Einkommen eine größere Menge schöner Kartoffeln zum Preise von
13 frcs. für 100 kg abgeben. An eine Familie werden vorläufig durchschnittlich
50 kg pro Kopf verabfolgt. Diese Menge darf nur im eigenen Haushalte Ver-
wendung finden; jeder Handel oder jede mißbräuchliche Verwendung dieser Kar-
toffeln ist verboten.
Das schweizerische Militärdepartement teilt mit, daß den Gesuchen um
Abgabe von Pferden aus den Pferdedepots für die Ausführung von land-
wirtschaftlichen Herbstarbeiten, soweit irgend möglich, entsprochen wird,
und es wird zu diesem Zwecke der Pferdebestand der Depots durch Einzug von
freiwillig gestellten Pferden nach Müglichkeit erhöht. Die Gemeinden haben Ge-
suche um Abgabe von Pferden an die Landwirtschaftsdirektion ihres Kantons zu
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkawirtach. Chronik. i917. XL VI
_ 686 —
richten. Die Kantone haben für die Wartung der Pferde Hilfsdienstpflichtige
aufzubieten (einen Mann auf zwei Pferde). Daneben stellen die Pferdedepots das
notwendige Aufsichtspersonai. Die Geschirre sind vom Mieter zu beschaften. Die
Pferdemieter zahlen 2,50 frcs. Pferdemietgeld und haben für Verpflegung und
Unterkunft von Mann und Pferd aufzukommen (Sonn- und Feiertage mitgerechnet).
Die Mannschaften einschließlich der Hilfsdienstpflichtigen werden zu Lasten der
Pferdedepots besoldet. Die Transportkosten gehen zu Lasten der Pferdedepots.
Für Transporte bis zu 20 km darf die Eisenbann nicht benutzt werden. Die aus-
gemieteten Pferde dürfen nicht über ihre Kräfte angestrengt werden ; sie werden
jede Woche von einem Beauftragten des Pferdedepots besichtigt. Ungenügend
fefütterte, schlecht gepflegte oder überanstrengte Pferde werden unverzüglich ins
)epot zurückgenommen.
In Norwegen bestimmt ein königlicher Erlaß, daß der Staat bis auf
weiteres das Alleinrecht für die Einfuhr von Korn, Grütze, Bohnen, Erbsen
und Linsen besitzt. Von den sofort in Kraft tretenden Bestimmungen sind ßeis
und Kartoffelmehl ausgenommen.
In Dänemark haben am 18. Oktober die Verhandlungen über die Rege-
lung der Fettverteilung begonnen. Es gilt als sicher, daß sowohl für
Butter, wie auch für Fett Karten eingeführt werden, auf Grund deren angeblich
jeder Person wöchentlich 250 g Butter und 250 g Fett zustehen sollen. Auch
für Schweinefleischwaren ist demnächst die Einführung des Kartensystems zn
erwarten.
Die „Central News" melden aus Washington, daß die Niederländische
Regierung den Vereinigten Staaten vorgeschlagen haben soll, 400000 t nieder-
ländischen Schiffsraums außerhalb der Kriegszone zu verwenden unter der Be-
dingung, daß die Vereinigten Staaten bestimmte Rohstoffe an die
Niederlande liefern. Die betreffenden Schiffe befinden sich in amerikanischen
Häfen.
In Frankreich hat der Minister für Leben Fmittel Versorgung Long in
der Kammer einen Gesetzentwurf auf Gewährung eines Zusatzkredits von 845 Mill.
frcs. eingebracht, um den Ankauf von Getreide, Mehl und sonstigen
notwendigen Lebensmitteln zu ermöglichen.
„Financial Times" vom 15. Oktober bringen folgendes Reutertelegramm aus
East London: Der Kongreß des landwirtschaftlichen Verbandes vom Kap nahm
das Angebot der Reichsregierung, die gesamte südafrikanische Woll-
schur zu erwerben, au.
Wie „Scotsman" vom 10. Oktober aus Kanada berichtet, äußerte sich der
Landwirtschaftsminister Saskatchewans folgendermaßen: „Der durch das Land-
wirtschattsamt für dieses Jahr festgesetzte Höchstpreis von 2,21 $ für den
Bushel Weizen (= 341,— M. für die Tonne) ist angemessen, doch sollte nicht
jedes Jahr ein neuer Höchstpreis festgesetzt werden. Es handelt sich jetzt
nicht um den Gewinn der Landwirte, sondern darum, die Welt,
wenn auch mit teuren Lebensmitteln, zu versehen. Ich ziehe den
Grundsatz Großbritanniens vor, für eine gewisse Reihe von
Jahren einen Mindestpreis festzusetzen; dies führt zur Vergröße-
rung derErzeugung und gibt der Welt das, was sie braucht, näm-
lich Weizen."
Das Blatt gibt alsdann folgende vergleichende Ziffern: „Im Jahre 1871
wurden in Kanada von noch nicht 2 Mill. bestellten Acres fast 17 Mill. Busheis
Weizen geerntet. Die Riesenernte von 1915 brachte 426 746 000 Busheis, die von
1916 nur 220 Mill. 1917 sind in Saskatchewan allein S'/., Mill. Acres mit Weizen
bestellt, in ganz Kanada 15 Mill. Acres. Die Haferernte ergab 1871 42 500000
Busheis, 1915 523 684 000 Busheis. Gerste brachte 1871 11500000 ßushels, 1915
60699 000 Busheis. Während die Heuernte 1871 unter 4 Mill. t blieb, brachte
das Jahr 1916 fast 15 Mill. t. Der Gesamtwert der kanadischen Feldfrüchte ist
von 195 Mill. $ im Jahre 1901 auf 841 Mill. $ im Jahre 1915 gestiegen."
„Liverpool Post and Mercury" vom 16. Oktober meldet aus London : Nach
einem aus Australien eingegangenen Bericht wird die australische Regierung
-mit einem Kostenaufwand von 2858 333 £ Getreidesilos errichten, weil kein
— 687 —
ToDDenraum für die ßeförderuDg beschafft werden kann. In Australien sind jetzt
3'/, Mill. t Weizen vorhanden, die meist von der britischen Regierung angekauft
worden sind, aber von der australischen Regierung bis Ende des Jahres gelagert
werden müssen. Im nächsten Februar wird der australische Weizen vorrat 5 bis
6 Mill. t im Werte von 50 Mill. £ betragen. Ein WeizenlagerungsausschuÜ ist
geschaffen worden. Die australische Regierung wird den Einzeistaaten gegen
Zinsen das Geld zur Errichtung von lOOü Silos von je 50000 ßushels (= 1361 1)
Fassungsvermögen vorschießen. Diese werden etwa 50 Mill. ßushels, V3 einer
normalen Ernte, aufnehmen können. Zur Tilgung der durch die Errichtung der
Silos aufgenommenen Schuld, für die 10 Jahre vorgesehen sind, wird ein monat-
licnes Lagergeld von V« d für das ßushel erhoben. Da aber dieses Lagergeld auf
die gesamte Ernte verrechnet wird, von der nur Vs eingespeichert wird, so ver-
teuert sich das ßushel nur um 704 Penny.
Ueber den Weltmarkt bringt der deutsche Landwirtschaftsrat vom
30. Oktober 1917 folgenden Bericht:
Weltmarkt.
Getreidepreise in Mark für 1000 kg,
für amerikanische Märkte umgerechnet nach dem Friedenskurs 1 $ =^ 4,20 M.,
für London umgeiechnet nach dem Friedenskurs 1 £ = 20,50 M.
27. Oktober 20. Oktober
Cents
f. 1 Bushel M. M.
New York: Weizen: Herd winter und Red-
winter
Chicago: Mais: für Dezember
„ „ Januar
M ,1 Mai
Hafer: für September
„ „ Dezember
Minneapolis: Weizen:
Winnipeg: „ Manitoba Nr. 1
228
ii8«/8
"67«
112
58V4
597.
217
221
35».8o
195,75
192,—
185,20
139,85
334.80
341,—
351,80
189,35
180,4 6
134,85
New York
Koggen loko
Hafer „
Mais
334,80
341,—
22. Oktober 17. Oktober
191 294,70 293,15
67*/i i5*>.55 156,«5
206 34O,«0 335,65
Wöchentliche englische „Farmers' Deliveries".
Durchfechnittspreiae für iuläudisehen Weizen.
London, 20. Oktober 1917.
«atsprechende Wochen in den Vorjahren
1916
1915
Buenos Aires, 11. Oktober 1917.
Diese Woche
sh
70/.8
60/. 9
48/.2
M.
317,20
272,65
2l6,20
Vorige Woche
sh M.
70/.0 318,6»
Pesos
für 100 kg
Weizen
Mais
Hafer
Diese Woche
M.
für die Tonne
(Frieden.skurs
1,78)
IO,80 192,25
7,95 141,50
5,05 89.»o
Vorige Woche
Pesos
für 100 kg
8,10
5,40
M.
fnr die Tonne
(Fricdcuskars)
144,20
96,10
XLVl*
- 688 —
Sichtbare Vorräte in den Vereinigten Staaten und Kanada,
in Tonnen 21./10. 1917 13./10. 1917 Zu- bezw. Abnahm»» 14./10. 191«
Weisen i. d. Ver. St. 264000 261000 +3000 1734000
in Kanada 397 QQO 194000 -f 203000 444000
Zusammen bbi 000 455000 -{- 20b 000 2178000
Mais 41000 39000 -f 2000 113 000
Brad8treet8 Statistik (in 1000 t) ^^^J^^ ^^^^J^ J^^^^^
Na'hweisl. Vorrat an Weizen in den
Vereinigten Staaten und Kanada
östl. des Felsengebirges 1048 103 1 292b
Nachweisl. Vorrat an Mais in den Ver-
einigten Staaten und Kanada östl.
des Felsengebirges 52 42 156
HI. Industrie, einschließlich Bergban nnd Baugewerbe.
Inhalt: 1) Bergbau: Geschäftslage im Kohlen- und Kalibergbau während
des Monats Oktober.
2) Eisengewerbe, Metalle und Maschinen: Beschäftigungsgrad im
Oktober.
1. Bergbau.
üeber die Geschäftslage im Kohlen- und Kalibergbau berichtet
das „Reichs-Arbeitöblatt" :
Aus dem Ruhrkohlengebiet wird für Oktober die Geschäfts-
lage als nach wie vor gut und sehr gut bezeichnet. Dem Vorjahr
gegenüber ist keine Veränderung festzustellen. Teilweise wurde der
Absatz an Kohlen und Koks durch Wagenmangel beeinträchtigt. Die
Steigerung der Löhne hielt weiter an. Ueberschichten wurden auch
im Berichtsmonat verfahren, wenn auch zum Teil in geringerem Maße
als in den Vormonaten.
Die Aachener Steinkohlenwerke waren ebensogut wie im
September und im Vorjahr beschäftigt. Auch hier wird andauerndes
Steigen der Löhne gemeldet.
Im Saarbezirk nahm die Förderung dem Vormonat gegenüber
etwas zu. Auch hier wird Wagenmangel gemeldet.
Die oberschlesischen Öteinkohlengruben waren ebenso
rege wie in den Vormonaten tätig. Ein Teil der Förderung wurde
wegen Wagenmangels zur Halde gefahren. Ueberarbeit war auch im
Oktober erforderlich. Es haben weitere Lohnerhöhungen stattgefunden.
Die dem Plessischen Knappschaftsverein angehörenden
Kohlenbergwerke hatten im dritten Vierteljahr 1917 bei einem Bestand
von 4579 Mann einen Abgang von 404 und einen Zugang von 684,
Im vorhergehenden Vierteljahr betrug der Bestand 4299 Mann und im
dritten Vierteljahr des Vorjahres 4191.
Der niederschlesischeSteinkohlenbergbau hatte ebenso
befriedigend wie im Vorjahr zu tun. Auch hier machte sich Wagen-
mangel geltend und nötigte die Gruben, erhebliche Mengen an Kohlen
— 689 —
und Koks zu stürzen. Eine weitere wesentliche Erhöhung der Löhne
der Bergleute ist, wie aus der Berichterstattung ersichtlich wird, im
Berichtsmonat vorgenommen worden.
Die Zwickauer und Lugau-Oelsnitzer Steinkohlen-
werke kennzeichnen den Geschäftsgang als befriedigend. Dem Vor-
monat wie dem Vorjahr gegenüber ist eine geringe Verbesserung her-
vorgetreten.
Aus Süddeutschland wird die Steinkohlengewinnung als gut
und dem September d. J. wie dem Oktober 1916 gegenüber als un-
verändert geschildert. Es haben Lohnaufbesserungen stattgefunden.
Teilweise wurde mit Ueberstunden gearbeitet.
Der mitteldeutscheBraunkohlenbergbau hatte im ganzen
dieselbe rege Nachfrage wie bisher. Im allgemeinen wird über Wagen-
mangel geklagt. Es mußte Stapelung großer Brikettmengen erfolgen.
Verschiedentlich wird eine Verbesserung gegen den September ge-
meldet und dies teils auf den Beginn der Kampagnearbeiten der Zucker-
fabriken, teils auf bessere Wagengestellung zurückgeführt. Verschiedent-
lich wird Ueberstunden arbeit gemeldet. Die Löhne bzw. Teuerungs-
zulagen sind erhöht worden.
Die Niederlausitzer Braunkohlenwerke haben eine
wesentliche Veränderung ihrer guten Beschäftigung gegen den Vormonat
wie gegen das Vorjahr nicht erfahren. Der Versand fiel zum Teil
wesentlich höher als im Vormonat und im Vorjahr aus, weil die Wagen-
gestellung im Berichtsmonat eine geregeltere war. Ueberstunden arbeit
war wie bisher erforderlich. Vereinzelt wird angegeben, daß am 1. Ok-
tober eine allgemeine Lohnerhöhung statthatte.
Die Kaliindustrie berichtet teils über unvermindert guten
Auftragseingang, teils wird der Absatz gegen den Vormonat als ge-
ringer bezeichnet, und zwar wird als Grund dafür schlechte Wagen-
gestellung angeführt.
2. Eisengewerbe. — Metalle und Maschinen.
Dem „Reichs- Arbeitsblatt" entnehmen wir :
Für die Abfuhr des geförderten Eisensteins machte sich Wagen-
mangel hindernd bemerkbar.
Die Roheisenerzeugung hielt sich im ganzen auf der gleichen
Höhe wie in den Vormonaten.
Die Zinkhütten melden auch für Oktober gute Beschäftigung.
Im Vergleich zum Vorjahr ist keine Veränderung zu verzeichnen.
Ueberstunden arbeit war, wie hervorgehoben wird, erforderlich.
Die Kupfer- und Messingwerke stellen dem Vormonat
gegenüber dieselbe gute Tätigkeit fest, während sie im Vergleich zum
Oktober 1916 eine Steigerung des Geschäftsganges melden.
Die Eisengießereien Westdeutschlands waren im Oktober
ebensogut wie im Vormonat und im Vorjahr beschäftigt. Die Tätigkeit
verzeichnet zum Teil noch eine Verbesserung gegen den Oktober 1916.
Bs wird wiederum Ueberstundenarbeit gemeldet. Auch in Nordwest-
— ögo —
deutschland ist der Geschäftsgang teils unverändert, teils dem Vorjahr
gegenüber etwas gesteigert. Aus Mitteldeutschland wird vereinzelt
eine Verbesserung auch gegen den Vormonat festgestellt. Ueberstunden-
arbeit war auch hier erforderlich. Tür Schlesien ist die Lage dieselbe
wie im Vormonat geblieben. Im Vergleich zum Vorjahre war ver-
schiedentlich besser zu tun. Die süddeutschen Eisengießereien sind
nach wie vor gut beschäftigt.
Die Stahl- und Walzwerke West-, Mitteldeutsch-
lands und Sachsens hatten im Berichtsmonat wiederum dieselbe
gute Beschäftigung wie im September. Der Abruf ist nach wie vor
stark. Vereinzelt wird nicht nur gegenüber dem Vorjahr, sondern auch
im Vergleich zum September dieses Jahres eine Verstärkung der Arbeit
gemeldet. Es wird verschiedentlich Ueberstundenarbeit verzeichnet.
Lohnerhöhungen sind teilweise auch in dieser Industrie neu gewährt
worden. In den schlesischen Werken hat eine Aenderung der guten
und sehr guten Tätigkeit im allgemeinen nicht stattgefunden, doch wird
auch hier verschiedentlich eine Verbesserung der Beschäftigung gegen-
über dem Vormonat wie gegen das Vorjahr hervorgehoben.
Die Blechwalzwerke hatten nach wie vor gut zu tun. Für
Feinbleche wird die Nachfrage als sehr stark geschildert.
Die Emaillierwerke schildern den Geschäftsgang als gut. Teils
war die Tätigkeit ebenso stark wie im Oktober 1916, teils fand noch
eine Steigerung statt. Ueberschichtenarbeit wird auch aus dieser In-
dustrie gemeldet.
Die Röhrenindustrie erfreute sich unverändert befriedigender
bzw. guter Lage. Zum Teil wird die Verbindung dem Vormonat gegen-
über als stärker gekennzeichnet und die Lage gegen das Vorjahr als
besser geschildert.
Die Nickelwerke hatten ebenso reichlich zu tun wie im Sep-
tember. Auch gegenüber dem Vorjahr war die Beschäftigung die
gleiche, üeberarbeit war in vereinzelten Fällen erforderlich.
Die Drahtindustrie ist wie im Vormonat befriedigend, teil-
weise sehr gut beschäftigt.
In der Kleineisenindustrie wich die Gestaltung der Beschäf-
tigungsverhältnisse von dem Vormonat nicht ab. Es wird vereinzelt
angegeben, daß Ueberstunden geleistet wurden.
Für die Eisenmöbelfabriken war die Lage die gleiche wie
im September. Gegen Oktober 1916 ist eine Steigerung eingetreten.
Die Blech- und Metallwarenbetriebe bekunden keinerlei
wesentliche Verschiebung der Arbeitsverhältnisse. Zum Teil wird gegen-
über dem Vorjahr eine Verbesserung bekundet. Das gleiche gilt für
die Blech- und Metallspielwarenindustrie.
Aus der Edelmedallindustrie wird für die Silberwarenfabri-
kation der Geschäftsgang als gut und im Vergleich zum Vorjahr als
besser gekennzeichnet. Auch der Gold- und Silberwarengroßhandel
gibt an, daß die Nachfrage nach wie vor groß ist und das Geschäft
sieb viel lebhafter als im Vorjahr gestaltet.
— 691 —
Die Maschinenbauanstalten West- und Nordwest-
deutschlands waren im Oktober ebenso zufriedenstellend wie im
September beschäftigt. Im Vergleich zum entsprechenden Monat des
Vorjahrs ließ sich teilweise eine kleine Verbesserung feststellen. Füi-
Mitteldeutschland ist keine Veränderung weder im Vergleich zum Vor-
jahr noch zum Vormonat hervorgetreten. In Schlesien macht sich da-
gegen eine Besserung der guten Geschäftslage gegen September d. J.
wie gegen Oktober 1916 bemerkbar. Es wurde wie bisher mit Nacht-
schichten und Sonntags gearbeitet. Die süddeutschen Maschinenbau-
anstalten kennzeichnen ihren Geschäftsgang im Vergleich zum Vormonat
als unverändert lebhaft, betonen aber, daß sich dem Vorjahr gegenüber
eine Steigerung der Tätigkeit geltend gemacht hat. Die Löhne sind
teilweise weiter erhöht worden. Auch aus Süddeutschland wird über
Leistung von Nachtschichten und Ueberstunden berichtet.
Für den Bau von Dampfmaschinen und Lokomotiven
erhielt sich die Tätigkeit in derselben Stärke wie im Vormonat auf-
recht. Gegenüber dem Vorjahr wird teilweise eine Verbesserung der
Lage festgestellt. Die Aufwärtsbewegung der Löhne hielt weiterhin
an. Es wurde mit Doppelschichten und Ueberstunden gearbeitet.
Die Betriebe, die Lokomobilen und landwirtschaftliche
Maschinen herstellen, erfreuten sich ebenso guten Geschäftsganges
wie im Vormonat und im Vorjahr. Teilweise hat gegenüber dem
September eine Verbesserung stattgefunden. Von mehreren Berichten
wird auch betont, daß die Lage bedeutend besser als im Vorjahr war.
Abermalige Erhöhungen der Lohnsätze sind verschiedentlich erfolgt.
Die Dampfkesselfabriken und Armaturen Werkstätten
Westdeutschlands hatten ebenso lebhaft wie im September zu tun.
Teils ist dem Vorjahr gegenüber eine Verbesserung, teils eine Ab-
schwächung hervorgetreten; im allgemeinen ist aber auch gegenüber
dem Oktober 1916 die Lage unverändert. Verschiedentlich wird Ueber-
stundenarbeit erwähnt. In Mitteldeutschland hielt sich die Beschäfti-
gung auf derselben befriedigenden Höhe wie bisher. Lohnerhöhungen
haben nach einzelnen Berichten stattgefunden.
Die Maschinenfabriken für Heizungsanlagen und Strahlappa-
rate hatten nach wie vor normal zu tun. Dem Vorjahr gegenüber ist eine
Abweichung nicht festzustellen. Für Verbrennungsmotoren war die
Geschäftslage ebensogut wie im Vormonat und besser als im. Vorjahr.
Von den Werkzeugmaschinenfabriken wird gleichbleibend
gute Tätigkeit angegeben. Vereinzelt ist gegenüber dem Vorjahr eine
Steigerung der Leistung zu verzeichnen. Erhöhungen der Löhne haben
vielfach stattgefunden.
Die Beschäftigung der Werke für Brückenbau und Eisen-
konstruktionen gestaltete sich ebensogut wie im Vormonat und
wenig verändert gegen den Oktober 1916. Nur ganz vereinzelt wird
entweder dem Vormonat oder dem Vorjahr gegenüber eine Abschwächung,
andererseits wurde aber auch eine Steigerung festgestellt.
Die Maschinenbauanstalten für Hebezeuge kennzeichnen die
Geschäftslage als zufriedenstellend bzw. gut. Im allgemeinen ist weder
— 692 —
dem Vormonat noch dem Oktober 1916 gegenüber eine Verschiebung
der Beschäftigungsverhältnisse eingetreten. Teilweise wird aber eine
weitere Verbesserung gegenüber dem Vorjahr gemeldet. Eine Steigerung
macht sich insbesondere für Drahtseil- Verladeanlagen dem Vorjahr gegen-
über geltend.
Der ßergwerksmaschinenbau hielt die Beschäftigung auf
der gleichen Höhe wie im Vormonat. Dem Vorjahr gegenüber hat
teilweise noch eine Verbesserung stattgefundeu. Die Löhne sind weiter-
hin gestiegen. Die für Kohlenaufbereitungsanlagen schon im Vormonat
sich bemerkbar machende Verstärkung des Geschäftsganges dem Vor-
jahr gegenüber hat auch im Berichtsmonat angehalten.
Der Schiffbau verzeichnet keinerlei wesentliche Aenderung des
Geschäftsganges.
Die Eisenbahnwagenbauanstalten erfreuten sich andauernd
guter Beschäftigung. Gegen Oktober 1916 ist eine Verbesserung fest-
zustellen, die von einzelnen Berichten als wesentlich gekennzeichnet
wird. Wie in den Vormonaten wurde auch im Oktober mit Ueber-
stunden gearbeitet.
Für den Bau von Dynamomaschinen, Elektromotoren.
Transformatoren usw. stellte sich die Lage im Oktober ebenso
befriedigend wie im Vormonat. Teilweise ist eine Verbesserung in
der Herstellung elektrischer Maschinen dem September gegenüber un-
verkennbar. Für elektrische Meßinstrumente machte sich eine wesent-
liche Steigerung gegenüber dem Vorjahr bemerkbar. Es mußte, wie
verschiedentlich hervorgehoben wird, mit Nachtschichten und Ueber-
stunden gearbeitet werden.
Die Verfertigung elektro- medizinischer Apparate
erfreute sich ebenso guter Tätigkeit wie im Vormonat. Auch hier wird
der Geschäftsgang dem Oktober 1916 gegenüber als besser gekenn-
zeichnet.
Die Schwachstromelektrotechnik wies gegen das Vorjahr
ebenfalls eine Verbesserung auf.
Die Starkstromelektrotechnik meldet gegenüber dem Vor-
monat und Vorjahr eine teilweise Verbesserung. Für Einrichtung von
Anlagen und Schaltwandbau ist eine Verschiebung der Beschäftigungs-
verhältnisse gegenüber dem Vormonat nicht eingetreten.
Die Kabelwerke hatten ebensogut wie im Vormonat und im
Vorjahr zu tun. Es wurde zum Teil mit Nachtschichten gearbeitet.
Auch hier ist dem Vorjahr gegenüber verschiedentlich eine Steigerung
festzustellen.
IV. Handel und Verkehr.
Inhalt; Deutsch-holländisches Wirtschaftsabkommen. Französisch-schweize-
lischea Wirtschaftsabkommen. Handelspolitik Schwedens. Handelspolitik Norr
wegens. Dänischer Zolltarif. Englischer Handelsnachrichtendienst. Englisch-
msttischer Handelsvertrag. Wirtschaftspolitische Abmachungen der Vereinigteu
— 693 —
Staaten von Amerika mit Japan. Außenhandel (Statistik) der Vereinigten Staaten
Ton Amerika und Chiles. Handelsschiffahrt Norwegens und der Vereinigten
Staaten von Amerika. Norditalienisches Wasserstraßennetz. Verkehr im Suez-
kanal. Verstaatlichung der griechischen Eisenbahnen.
Das deutsch-holländische Wirtschaftsabkommen
(vgl. oben S. 609 f.) ist nach längeren Verhandlungen am 6. Oktober
1917 zustande gekommen. Die wichtigsten deutschen Forderungen, die
aich auf den Kohlenpreis und die Kieditierung bezogen, sind ange-
nommen worden. Der Haager Korrespondent der „Frankfurter Zeitung"
berichtete hierüber am 6. Oktober 1917 folgendes:
„Holland erhält monatlich 250000 Tonnen Kohlen von Deutschland, und
kann sich die ihm noch fehlenden Kohlen von England beschaffen. Die nieder-
ländischen Schiffe, die die Kohlen von England holen, werden von den deutschen
Tauchbooten geschont werden. Allerdings werden die niederländischen Schiffe
mit Ballast nach England fahren. Deutschland gestattet ferner die Ausfuhr
von Stahl und Eisen nach Holland, soweit diese beiden Güter für den Schiffs-
bau und zahlreiche Industriezweige absolut notwendig sind. Es ist bedauerlich,
daß die Verhandlungen, die bereits seit dem 4. Juli dauerten, so lange verschleppt
worden sind, und daß namentlich die Erklärung des Ministers Treub im Parla-
ment, daß, solange er Minister sei, höhere Kredite nicht gegeben würden, die
Verhandlungen aufs äußerste gefährdete. Durch diese Haltung wurden die Kohlen-
lieferungen nach Holland in den letzten Wochen äußerst erschwert, und bei dem
ohnedies schon so außerordentlich schweren Mangel an Kohle in Holland ist
dieser Ausfall direkt bedenklich zu nennen. Mit dem Abschluß des Kohlen-
abkommens ist einer äußerst peinlichen Lage, die durch die Haltung Treubs her-
vorgerufen worden war, ein Ende gemacht."
Ueber den Abschluß eines französisch-schweizerischen
Wirtschaftsabkommens (vgl. oben S. 608 f.) berichtete der Berner
Korrespondent der „Frankfurter Zeitung" am 1. Oktober 1917 folgendes:
Zwischen der Schweiz und Frankreich ist auf die Dauer von drei Monaten
(Oktober bis Dezember) ein Abkommen getroffen worden, nach dem eine Gruppe
von schweizerischen Banken mit Einwilligung des Bundesrats einer Gruppe fran-
zösischer Banken einen Kredit von monatlich 1272 Alill. frcs. eröffnet, der gegen
Hinterlegung von Werttiteln und durch Diskontierung von Tratten, die von erst-
klassigen französischen Firmen ausgestellt sein müssen, benutzt werden kann.
Der Kredit wird auf die Dauer von 18 Monaten erteilt. Frankreich macht da-
gegen der Schweiz auf wirtschaftlichem Gebiet gewisse Zugeständnisse. Es läßt
ein bestimmtes Waren kontin gen t auf dem Gebiete der Luxusindustrie sowie von
Schokolade zur Einfuhr zu und erteilt Ausfuhrbewilligungen für gewisse Waren-
auantitäten, an denen die Schweiz ein besonderes Interesse hat. Außerdem soll
ie Anfuhr der der Schweiz gehörenden, in Cette liegenden Waren durch Ein-
schaltung eines weiteren Eisenbahnzuges erleichtert werden. Schließlich ver-
pflichtet sich die französische Regierung noch, den Export in Frankreich liegender
Waren zu gestatten, die schweizerischen Interessenten gehören und die dort durch
indirekte Konnossemente (auf Frankreich lautend) angekommen sind. Die beiden
Regierungen sehen vor, daß über ein auf längere Zeit zu treffendes Abkommen
zwischen der Schweiz und den alliierten Regierungen demnächst Verhandlungen
aufzunehmen sind.
Ueber die Grundsätze der Handelspolitik Schwedens in
der Kriegszeit wurde in dem „W. N. D. Deutscher Ueberseedienst"
folgendes mitgeteilt:
pAffärsvärlden* vom 31. 10. 1917 veröffentlicht folgende Ausführungen, die
angesichts des schwedischen Regierungswechsels von besonderem Interesse sein
— 694 —
dürften: „Das Wirtschaftsleben der kleinen neutralen Staaten beruht auf eine»
lebhaften Warenaustausch mit den Großmächten, und das schließt die Gefahr in
sich, daß sie nach und nach ganz in der wirtschaftlichen Interessensphäre einer
einzelnen Macht aufgehen. Schweden gegenüber werden besonders seitens der
Zentralmächte, die Eisenerz, Quaiitätsstahi, Holz usw. im Austausch für Kohie,
Kali, verschiedene chemische Produkte u. a. zu beziehen wünschen, zu diesem
Zweck Annäherungen gemacht Auf eine enge Verbindung mit Deutschland
darf Schweden aber ebensowenig wie auf eine solche mit der Entente eingehen
Es muß, um seine Selbständigkeit zu wahren, den Einfuhrbedarf möglichst ein
schränken und die bisher eingeführten Waren im Inland herzustellen suchen
Durch die Verwertung der Wasserfälle, den Ausbau der Eisen- und chemischen
Industrie ist man bereits auf gutem Wege hierzu. Da Baumwolle, Gele und
andere wichtige Einfuhrartikel nur aus den Ententeländern zu beschaffen sind,
wäre ein Eingehen in die Interessensphäre der Zentralmächte geradezu verderblich
für Schweden. Vor allem muß man sich mit Kußland, das während des Kriege«
Schweden von allen kriegführenden Mächten am wenigsten Schwierigkeiten be-
reitet hat, gut zu stellen suchen. Es bildet ein aufnahmefähiges Gebiet für
schwedische Erzeugnisse, und man kann von dort Lebens- und Futtermittel, so-
wie die bedeutendsten industriellen Rohstoffe erhalten. Auch ein gutes Einver-
ständnis mit Holland und den südamerikanischen Staaten ist mit Rücksicht auf
die Kolonialwaren Versorgung wünschenswert."
Derselben Quelle sind die folgenden Ausführungen über die
Handelspolitik Norwegens unter dem Druck der Kriegsereig-
nisse zu entnehmen:
Durch eine offizielle Note aus Washington wird, was man in Handelskreisen
längst als wahrscheinlich annahm, bestätigt, daß die Vereinigten Staaten als Be-
dingung für weitere Lieferungen nach Skandinavien vollständige Einstellung der
Ausfuhr nach Deutschland fordern. Dies veranlaßte „Norges Hand, og Sjöf. T.*
vom 23. 10. 1917, über die Frage: Kann Norwegen die Forderungen der Ver-
einigten Staaten erfüllen? zu folgenden Auslassungen, die um so bemerkenswerter
sind, als diese Zeitung bisher für ein Verbot gegen die Ausfuhr von Nickel u. i.
nach Deutschland eintrat: „Ohne weiteres auf die amerikanischen Forderungen
einzugehen, würde mit bedeutenden formellen Schwierigkeiten verbunden sein, da
die bestehenden Handelsabkommen Ausfuhr nach beiden kriegführenden Gruppen
voraussetzen. Eine Einstellung der Handelsbeziehungen zu einer von beiden be-
deutet, wie die Vereinigten Staaten selbst vor ihrem Eingreifen in den Krieg er-
klärten, einen Neutralitätsbruch; sie ist als ausgeschlossen anzusehen. Um der
drohenden Arbeitslosigkeit und Hungersnot zu begegnen, muß das Kompensations
System eingeführt werden. Die Regierung muß die staatlichen Handelsabkommen
kündigen und ein allgemeines Ausfuhrverbot erlassen Als Bedingung für die
Ausfuhr aus Norwegen muß sie von Fall zu Fall Kompensation in Getreide, Fett,
Oel usw. fordern. Die norwegischen Waren werden jedem der Kriegführenden
zum Tagespreise und gegen Kompensation zugängig sein; dies ist vollkommen
neutral, und die Vereinigten Staaten können sich darüber nicht beklagen. Sollte
Deutschland Getreide für Nickel und Fett für Mineralien liefern, so würde die«
die Aushungerungspolitik ja nur unterstützen."
Wie in den „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirt-
schaft" (vom 3. November 1917) mitgeteilt wird, hat die dänische
Regierung dem Reichstag einen Gesetzentwurf vorgelegt, wonach die
Revision des Zolltarifs und mehrerer anderer Gesetze nicht vor dem
Ausgang des Jahres 1919 dem Reichstag vorgelegt zu werden braucht.
Durch das Gesetz vom 15. Dezember 1916 war diese Revision bis zum
Ende des Jahres 1918 verschoben. Die weitere Verschiebung ist in
derselben Weise wie früher mit den zurzeit in Europa bestehenden
außergewöhnlichen Verhältnissen begründet.
— ^95 —
Die „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirtschaft" (vom
27. Oktober 1917) enthalten ausführliche Mitteilungen über die Neu-
gestaltung des englischen Handelsnachrichtendienstes.
Die zu dieser Frage von dem britischen Handelsamt und dem Auswärtigen
Amte gemeinsam abgefaßte Denkschrift, die als Parlamentsdrucksache heraus-
gegeben und von dem Kriegskabinett gutgeheißen ist, hat nach dem Board of
Trade Journal folgenden Inhalt:
1. Zweifellos werden nach dem Kriege die Anfoiderungen an die Regierung
wegen Sammlung und Verbreitung von Nachrichten zugunsten des britischen
Handels viel größer sem als früher. Sowohl das Handelsamt wie auch das Aus-
wärtige Amt haben schon seit längerer Zeit Pläne erwogen, wie die innerhalb
ihrer Zuständigkeit bestehenden Einrichtungen für den Handelsnachrichtendienst
am besten auszugestalten und zu verbessern sind. Das Handelsamt hat bereits
die Zustimmung des Schatzamts erhalten für eine weitgehende Ausdehnung des
Departements für den Handelsnachrichtendienst (Department of Commercial In-
teliigence) und für eine weitere Entwicklung des Systems der Handelskommissare
innerhalb des Reichs, das ursprünglich von dem gegenwärtigen Premierminister
in seiner früheren Eigenschaft als Präsident des Handelsarats eingerichtet war.
Das Auswärtige Amt hat gleichfalls Pläne für eine Verstärkung und Vermehrung
der Handelsattaches und Konsulate und für ihre größere Nutzbarmachung für
den britischen Handel ausgearbeitet.
2. Schwierigkeiten haben sich indes ergeben bei der Festlegung und Ab-
grenzung der Verantwortlichkeiten des Auswärtigen Amtes und des Handelsamts
m bezug auf Sammlung und Verbreitung der von den Handelsattaches und den
Konsuln in fremden Ländern eingehenden Handelsnachrichten. Nach dem bis-
herigen Verfahren ist das beim Handelsamte bestehende Departement für Nach-
richtendienst der Mittelpunkt für die Sammlung und Weiterleitung der Handels-
nachrichten gewesen, gleichviel ob diese von den Handelskommissaren und
Handelskorrespondenten innerhalb des Reichs oder von den diplomatischen und
Konsularbeamten in fremden Ländern kamen. Letztere unterstehen indes der
Verwaltung und Aufsicht des Auswärtigen Amtes, und aus der darin liegenden
Zweiteilung der Leitung sind Unzuträglichkeiten entstanden. Um eine Lösung
dieser Schwierigkeiten h3rbeizuführen, wurde im Januar 1917 von dem Staats-
sekretär für auswärtige Angelegenheiten und dem Präsidenten des Handelsamts
ein Ausschuß eingesetzt, dem neben V^ertretern des Auswärtigen Amtes und des
Handelsamts der Präsident des Bundes der britischen Industrien und der Vor-
sitzende der Vereinigung der britischen Handelskammern angehörten. Der Aus-
schuß konnte indes zu keiner einheitlichen Stellungnahme kommen.
3. Dem Ausschuß haben zwei Hauptfragen vorgelegen. Die erste war die,
ob das Auswärtige Amt oder das Handeisamt den auswärtigen Handelsnachrichten-
dienst, der von den Handelsattaches besorgt wird, beaufsichtigen soll. Ueber
diesen ersten Punkt waren alle Ausschußmitglieder im wesentlichen der gleichen
Ansicht, daß die Aufsicht über die Handelsattaches dem Auswärtigen Amte ver-
bleiben müßte, das in enger Fühlungnahme mit dem Handelsamt in bezug auf
Anweisungen und Ernennungen vorgehen solle, und daß sowohl dieser Dienst
wie auch der Konsulardienst ausgestaltet und vervollkommnet werden müßte. Um
letzteren Vorschlag möglichst ohne Zeitverlust zu verwirklichen, ist ein neuer
Ausschuß von dem Auswärtigen Amte eingesetzt worden, in welchem das Schatz-
amt und das Handelsamt wie auch Vertreter der Vereinigung der britischen
Handelskammern und des Bundes der britischen Industrie vertreten waren ; dieser
sollte darüber beraten, welche Veränderungen bei der Neuordnung der Stellen
und in bezug auf Besoldung der Handelsattaches und Konsularbeamten ange-
bracht wären; diese Arbeiten haben bereits wesentliche Fortschritte gemacht.
Falls das Schatzamt die vorgeschlagenen Maßnahmen billigt, wird sofort ein
zweiter Ausschuß die Auswahl des erforderlichen Personals vornehmen.
4. Die zweite Frage war die, ob die Arbeit des Zusammenstellens und Ver-
breitens der Handelsnachrichten aus dem Ausland unter die Handelsinteressenten
-im liande weiter von dem Departement für Nachrichtendienst des Handels-
— 696 —
amtB besorgt oder durch ein bei dem Auswärtigen Amte neu zu errichtendes
Departement ausgeführt werden soll. Ueber diesen zweiten Punkt kam der Aus-
Hchuß zu keiner einheitlichen Auffassung. Der Vorsitzende und der Vertreter des
Handelsamts sprachen sich zugunsten des früheren Verfahrens aus, während die
Mehrheit des Ausschusses den Plan begünstigte, die Tätigkeit dem Auswärtigen
Amte zu übertragen.
5. Die Gesamtfrage ist sodann von den beiden beteiligten Departements
siuf Grund der Ausschußberichte weiter erwogen worden, und der in nachstehen-
dem entworfene Plan ist in vollkommener Einheitlichkeit zwischen dem Prä-
sidenten des Handelsamts und dem Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten
ausgearbeitet und von dem Kriegskabinett gebilligt worden.
6. Es wird ein vergrößertes Handelsnachrichtendepartement in einem um-
fang geschaffen, der hinreichend ist, um den begründeten Ansprüchen des
f)ritischen Handels nach dem Kriege gerecht zu werden. Die parlamentarische
Aufsicht über das Departement wird von einem neuen Parlaraentssekretär aus-
geübt werden, der sowohl die Stellung eines Hilfsparlamentssekretärs beim Handels-
amte wie auch diejenige eines Hilfsparlamentsuntersekretäis für auswärtige An-
gelegenheiten einnehmen wird. Dieser Parlamentssekretär wird dem Präsidenten
des Handelsamts für alle in die Zuständigkeit dieses Departements fallenden An-
gelegenheiten und dem Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten für alle deu
Auslandsdienst betreffenden Angelegenheiten verantwortlich sein. Unter den den
auswärtigen Dienst angehenden Angelegenheiten werden alle Fragen verstanden,
die sich auf die Leitung und Einrichtung des Handelsattache- und Konsular-
dienstes und die Handelstätigkeit der Beamten dieser Dienstzweige und des
diplomatischen Dienstes, soweit diese Angelegenheiten nicht von den Konsulats-
oder anderen Departements des Auswärtigen Amtes behandelt werden, beziehen,
ferner rechnen dazu die Angelegenheiten, die das etwa zeitweilig dem Departe-
ment zugeteilte Personal des Auswärtigen Amtes und der vorstehenden Dienst-
zweige betreffen, und endlich solche aus der Tätigkeit des Departements ent-
stehende Angelegenheiten, die Fragen der auswärtigen Politik betreffen. Alle
Weisungen an die Handelsattaches oder anderen diplomatischen oder Konsular-
beamten werden im Namen des Staatssekretärs für auswärtige Angelegenheiten
erlassen. Für alle anderen Angelegenheiten ist das Handelsamt zuständig.
7. Das Handelsnachrichtendepartement wird etwa das bestehende Departe-
ment für den Nachrichtendienst des Handelsamts und das Departement für den
auswärtigen Handel bei dem Auswärtigen Amte umfassen und von dem Stabe
und den Akten des Kriegshandelsnachrichten- und des Statistischen Departements
so viel übernehmen, wie verfügbar und nötig ist.
8. Der amtliche Leiter des Departements wird ein gemeinsam von dem
Präsidenten des Handelsamts und dem Staatssekretär für auswärtige Angelegen-
heiten ernannter Beamter sein, der unter dem neuen Parlamentssekretär tätig ist.
Die Ernennung und Beaufsichtigung der Handelskommissare im lieiche wird wie
zuvor dem Handelsamt und die Ernennung und Beaufsichtigung der Handels-
attaches und der KoDsularbeamten dem Auswärtigen Amte verbleiben; aber die
Tätigkeit des neuen Departements wird alle mit dem Handelsnachrichtendienst
zusammenhängenden Gegenstände umfassen und, soweit es für diesen Zweck er-
forderlich ist, wird es den überseeischen Beamten Weisungen erteilen und die er-
forderlichen Maßnahmen treffen, um sie in enger Berührung mit den Handels-
kreisen im Lande zu halten.
9. Es wird ein ständiger Austausch des Stabes zwischen dem Departement
und sowohl dem Auswärtigen Amte wie auch dem Handelsamte stattlinden, so
daß die Mitglieder dieses Departements mit allen Zweigen des Dienstes voll-
kommen bekannt werden. Den Diplomaten und Konsulu wird Gelegenheit ge-
feben werden, zur Ausbildung eine Zeitlang in dem Departement zu arbeiten,
-etzteres wird auch aus dem Handelsattache- und Konsulardienste, ferner auch
aus Leuten, die in Auslandsgeschäften erfahren sind, Personal heranziehen. In
gleicher Weise werden Beamte, die als Handelskommissare Dienst tun, in dem
Departement ausgebildet und ihm zeitweilig zugeteilt werden.
— 697 ~
10. Das Departement wird von einem beratenden Ausschuß von Geschäfts-
Jeuten unterstützt werden, und es wird gehofft, daÖ sich die Bildung eines Unter-
ausschusses aus diesem Ausschuß wird ermöglichen lassen, der in häutiger
Tagung dem Departement in seinen laufenden Geschäften beratend zur Seite
stehen wird.
11. Man glaubt, daß diese Vorschläge eine zufriedenstellende Lösung einer
Frage ermöglichen, die seit einigen Jahren von den Handeis- und Gewerbekreisen
der Aufmerksamkeit der Regierung dringend empfohlen worden ist. Die Ein-
wendungen dieser Kreise haben sich besonders gegen die Zweiteilung des bestehen-
den Systems gerichtet, unter welchem die Leitung des Handelsattache- und Kon-
sulardienstes bei dem Auswärtigen Amte lag, die Nutzbarmachung der Ergebnisse
dieses Dienstes aber dem Handelsamt oblag. Nach dem neuen Plan wird die
Leitung der Handelstätigkeit des auswärtigen Dienstes und die Verbreitung der
von ihm beschafften Nachrichten in der Hand eines einzigen Departements liegen,
und da dasselbe Departement aucn den Dienst der Handelskommissare innerhalb
des Reichs leitet, so wird eine einheitliche Politik hinsichtlich des gesamten Ueber-
seehandels gesichert sein.
Die „London Gazette" meldet, daß die russische Regierung am
24. Oktober 1917 den englisch-russischen Handelsvertrag
vom 12. Januar 1859 zum 24. Oktober 1918 mit der Begründung ge-
kündigt habe, daß die wirtschaftlichen Verbältnisse, die durch den
Krieg entstanden seien, es nötig machten, eine Nachprüfung der be-
stehenden Handelsverträge in Betracht zu ziehen. Die russische Re-
gierung sei bereit, ein Uebereinkommen mit England zu treffen, um
Unzuträglichkeiten während der Uebergangszeit zu vermeiden.
In den letzten Monaten haben zwischen den Vereinigten
Staaten von Amerika und Japan Verhandlungen über die poli-
tische und wirtschaftliche St:^ilung der beiden Staaten in Ost-
asien und auf der pazifischen Inselwelt stattgefunden, lieber
das Verhältnis der beiden Länder zueinander wurde am 3. Oktober
1917 in der „Frankfurter Zeitung" folgendes geschrieben:
Die Entsendung der Mission Ishiis nach Amerika wurde unmittelbar durch
Wilsons Note an China vom 7. Juni, die von der japanischen Oeffentlichkeit als
grober Verstoß gegen Japans angebliche Rechte in Ostasien aufgefaßt wurde,
veranlaßt und ferner auch, bis zu einem gewissen Grade, durch die Nachrichten,
daß Amerika wichtige Konzessionen auf Russisch-Sachalin und Ostsibirien er-
worben habe. Es ist bestritten worden, daß es die Aufgabe Ishiis gewesen «sei,
über die diplomatische Seite der chinesischen und russischen Frage mit den
Leitern der amerikanischen Republik zu verhandeln; man hat sogar in Washington
in halbamtlicher Form erklärt, daß sich die Unterhändler nur mit aktuellen
Kriegsfragen befassen und alle Erörterungen über die hohe Politik und Friedens-
probleme zurückstellen würden. Die japanischen Blätter vom Juli und August
zeugen jedoch vom Gegenteil. Es ist sicherlich über die Beziehungen Japans und
Amerikas zu China und Rußland und somit über die Vormachtfrage in
Ostasien gesprochen und entschieden worden, und obgleich die Besprechungen
über diese grundlegenden Probleme geheim bleiben sollen, damit die Oeffentlich-
keit nicht durch freie Kritik verderbe, was die Diplomaten vereinbart haben, so
kann der Beobachter doch erkennen, worin diese grundsätzliche Einigung besteht.
Was das gegenwärtige Verhältnis Japans und Amerikas in den Beziehungen zu
Russisch-Asien anbetrifft, so zeigt die Vereinbarung bezüglich der Hilfeleistungen
an Rußland im Kriege, auf die im folgenden eingegangen werden wird, daß die
Vereinigten Staaten Japans besondere Machtstellung in Asien anerkennen, und
hinsichtlich der chinesischen Frage hat eiue mit den politisrhon Besprechungen
Igeichlaufende , dem Anschein nach rein akademische, in Wirklichkeit jedoch
— 698 --
praktisch bedeutungsvolle Erörterung amerikanischer und japanischer, amtlich
beeintlußter Organe über die Auslegung der Monroedoktrin erkennen lassen, daß
die amerikanische Regierung sich bereit erklärt hat, Japans sogenannte Monroe-
doktrin in Orftasien unter der Bedingung anzuerkennen, daß die japanische Ee-
gierung mit dieser Doktrin keine l^olitik territorialer Erwerbungen und wirt-
schaftlicher Ausschließung verknüpfe. Einzelheiten wird man sich wohl gehütet
haben, festzulegen, schon um nicht der zukünftigen Praxis die Möglichkeit zu
nehmen, die vereinbarten Grundsätze nach eigenem Belieben und je nach d«
Gunst der Umstände zu deuten.
Der öffentliche Teil der Verhandlungen betraf Japans Hilfeleistungen im
gegenwärtigen Kriege an die Alliierten. Die französische Presse hat aus den
Washingtoner Besprechungen die Hoftnung geschöpft, daß Japan Truppen nach
dem Kriegsschauplatze entsenden werde, und zwar redete sie zuerst mit hyste-
rischer Hartnäckigkeit von einem japanischen Eingreifen an der russischen Front
Als ihr klar gemacht wurde, daß einerseits Kußland dies nicht wünsche, und daß
es andererseits der bestdisziplinierten Armee unmöglich sein werde, auf dem grund-
losen Boden der russischen Organisation zu kämpfen, forderte sie die Entsendung
japanischer Truppen nach Mesopotamien und Mazedonien. Nun wünschen, ganz
abgesehen davon, daß für Japan als asiatische Macht nur Gesichtspunkte asia-
tischer Politik maßgebend sein können, die Engländer gar nicht die Entsendung
japanischer Truppen, weil sie bereits wiederholt erfahren haben, daß jeder japa-
nische Liebesdienst teure Opfer kostet, und man hat, nach so viel Hoffnungen,
Mühe gehabt, der französischen Oeffentlichkeit auseinanderzusetzen, daß von der
Entsendung großer japanischer Armeen überhaupt nicht die Rede sein könne, da
Japan nach Aufstellung eigener Heere nicht mehr imstande sein werde, seiner
Hauptaufgabe, nämlich der Versorgung der Alliierten, gerecht zu werden. Mit
dem Problem einer aktiven militärischen Hilfe Japans haben sich die Unter-
händler in Washington wohl kaum viel abgegeben. Desto mehr aber mit der
Versorgungsfrage. Die Einigung, die in dieser erreicht worden zusein scheint,
daß nämlich die Verantwortung für die Lieferung an die europäische Westfront
von Amerika und an die Ostfront von Japan übernommen wird, macht den Ein-
druck einer durchaus logischen Arbeitsscheidung. Darum handelt es sich jedoch
weniger als um eine Interessen Scheidung, bei der nicht praktische und militärische
Gesichtspunkte, sondern politische Motive maßgebend sind. Amerika hat Japan
die Führung bei der Versorgung Rußlands zui-rkannt. Die ganze Versorgung
des riesigen russischen Kriegsapparats zu übernehmen, ist es indessen nicht im-
stande; deshalb wird nach wie vor mit amerikanischen Lieferungen gerechnet,
doch müssen solche Lieferungen der Vereinigten Staaten im Einverständnis mit
Japan erfolficn. Das sieht mehr nach Politik als nach geschäftlicher Zweckmäßig-
keit aus. Wenn man andererseits hört, daß Amerika das finanzielle Risiko nicht
allein für seine eigenen Lieferungen an Rußland, sondern auch für diejenigen
Japans tragen soll, so muß man zugeben, daß die japanischen Unterhändler bei
der Behandlung der Frage sowohl kluge Politiker, wie auch recht gerissene Ge-
schäftsleute gewesen sind, daß sie es verstanden haben, ihre politischen Wünsche
mit geschäftlicher Vorsicht zu versöhnen.
Mancherlei Wünsche auf einem anderen kriegswirtschaftlichen Gebiet haben
die japanischen und amerikanischen Unterhändler versuchen müssen, in Einklang
zu bringen. Die Amerikaner und die Alliierten der Entente wünschen, die in den
letzten Monaten ungeheuer emporgewachsene japanische Schiff bauindustrie
auszunützen, um die großen Löcher, die der U- Bootkrieg in den Schiffsbestand
der Welt reißt, nach Möglichkeit verstopfen zu können. Die Japaner sind natür-
lich als Inselvolk gern bereit, sich eine mächtige Handelsflotte zu bauen; doch
verspürt das amtliche Japan, trotz dem riesigen Gewinn, den Einzelne dadurch
erzielen können, geringe Neigung, die Erzeugnisse seiner Schiffbauindustrie an
andere Länder zu verkaufen. Andererseits sind die japanischen Schiffbauer auf
den Bezug von ausländischem Eisen und Stahl angewiesen, und diese Rohstoffe
erwarten sie, da das unentwickelte China noch nicht genütj^ende Mengen liefern
kann, in erster Linie von Amerika. Die amerikanische Regierung ist deshalb
ersucht worden, ihr Ausfuhrverbot für Eisen und Stahl gegenüber Japan aufzu-
— 699 —
heben, und sie ist auch gewillt gewesen, den diesbezüglichen Wünschen der Ja-
paner entgegenzukommen, weil durch vermehrte Einkäufe .lapans in den Ver-
einigten Staaten die Bilanz des japanisch -amerikanischen Handels für Amerika
verbessert und dadurch dem bedrohlichen Goldabtluß nach dem Inselreich ge-
steuert werden kann. Die japanische Handelsflotte hat schon bisher der Entente
und Amerika große Dienste geleistet Man möchte sich nun ihre Dienste in noch
größerem Umfang sichern und wünscht vor allen Dingen, daß sie gewisse Fahrten
auf dem Atlantischen Ozean unabhängig von den eigentlichen Handelsbedürfnissen
Japans übernehme. Der Japaner denkt jedoch natürlich in erster Linie an sich
selbst und an das "Wohl seines Landes. Die Einfuhrverbote in den Entente-
Jändern, namentlich in England, haben der japanischen Industrie geschadet, und
in japanischen Interessentenkreisen ist schon der Vorschlag ernstlich erwogen
worden, die japanischen Schiffe von denjenigen Japan— Europa- Fahrten zurück-
zuziehen, die auf der Hinreise nicht in hinreichender Weise für die japanische
Industrie ausgenutzt werden können. Um so weniger neigt Japan dazu, seine
Schiffe für Zwecke herzugeben, die mit den eigentlichen Landesinteressen nichts
zu tun haben. Immerhin haben die japanischen Unterhändler in dieser Hinsicht
EJntgegen kommen zeigen müssen, um die gewünschten Mengen von Eisen und
Stahl zu erhalten; aber wenn man liest, daß auf Grund der jetzt getroffenen
üebereinkunft die japanische Handelsflotte den Transport der amerikanischen
Lieferungen nach Rußland auf dem Stillen Ozean übernehmen wird, so versteht
man, daß Ishii und die anderen Mitglieder seiner Mission auch hier verstanden
haben, geschäftliches Entgegenkommen mit politischen Rücksichten in Ueberein-
stimmung zu bringen: der Hauptbestand der japanischen Handelsflotte wird nun
auf dem Stillen Ozean und für Fahrten zwischen Japan und Europa festgelegt
sein, und wenn mehr Schiffe auf dem Atlantischen Ozean gebraucht werden
sollten, dann mag in erster Linie Amerika seine Schiffe von dem Stillen Ozean
aurückziehen. Noch im Frühjahr dieses Jahres hatten leitende Persönlichkeiten
des amerikanischen Schiffahrtsamts erklärt, der japanischen Handelsflagge die
Herrschaft auf dem Pazifik streitig machen zu wollen. Daran dürfte einstweilen
wohl nicht mehr zu denken sein.
Im ganzen kann man von dem Ergebnis der japanisch-amerikanischen Ver-
handlungen sagen, daß die Japaner dabei recht gut abgeschnitten haben. Es ist
Japans bisherige Kriegspolitik gewesen, die Schwäche und die Schwierigkeiten
seiner Verbündeten und Freunde in der Gegenwart nach Möglichkeit auszunutzen,
und mit seinen Hilfsdiensten glänzende wirtschaftliche und politische Geschäfte
zu machen. Die Japaner haben es dabei meisterlich verstanden, obwohl die
Kriegskonjunktur launisch und wechselvoll ist, die sich bietenden Vorteile wirt-
schaftlicher und politischer Natur mit zielbewußter Kontinuität aufeinander auf-
zubauen, aber es fehlt dem Gebäude die sichere Grundlage. Der Japaner ist
Meister in der Kunst des Kleinen. Er vermag aus vielen kleinen Einzelheiten
ein wundersames harmonisches Kunstwerk zu machen. Aber es fehlt ihm meist
der Zug ins Große. Die japanische Diplomatie hat es bisher versäumt, den
großen Zug zu tun, der dem Gebäude errungener Vorteile allein die zuverlässige
Grundlage verschaffen kann. Sie verschiebt ihn bis zu den Friedensverhand-
lungen und rechnet wohl damit, daß dann die Konjunktur Japans ebenso günstig
sein werde wie bisher. Sie tut dies, obwohl Japan allem Anschein nach am Tisch
der Frieder. sunterhändler wenig Freude finden wird.
Ueber den Außenhandel der Vereinigten Staaten von
Amerika (vgl. oben S. 331 ff.) in den letzten beiden Fiskaljahren
(1. Juli bis 30, Juni) wurde in dem „V^. N. D. Deutscher üebersee-
^ienst" folgendes mitgeteilt:
/• wii «N Fiskaljahre
(in MiU. I) 1916/17 1915/16
Einfuhr 2659,4 2197,9
Ausfuhr 62Q3,8 43H»5
Ausfuhrüberschuß 3t>34,4 2135,6
— 700 —
Die Einfuhr aus Europa Dahm stets die erste Stelle ein, wurde aber im ver-
gangenen Jahr durch die LInfuhr aus Kanada, Mexiko und Mittelamerika über-
holt. Erstere betrug im Fiskaljahr 1916/17 610,5 Mill. $ oder 23 Proz. gegen
47V, Proz. in 1914; letztere dagegen 766,1 Mill. $ oder 28"/, Proz. der Gesamt-
einfuhr gegen 22'/, Proz. in 1914. Die Einfuhr aus Südamerika hat, verglichen
mit 1914, um fast 143 Proz., die aus Asien um 114 Proz. und die aus Afrika
sogar um 213 Proz. zugenommen. Die wichtigsten Herkunfts- bzw. Bestimmungs-
länder waren folgende:
davon
Fiskaljahre
(in Mill. $)
1916/17
1915/16
Einfuhr
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr
Europa
6lO,5
4325,4
616,3
2999,8
Noidamerikanisehe Länder
766,1
1164,5
59 ',9
733.*
Südsimerika
542,2
259,6
391,6
180.2
Asien
6.5,«
380,3
437.2
278,6
Afrika
60,0
52,7
64.8
43.6
Ozeanien
65,3
111,3
96,2
98,8
Europa:
Großbritannien
307,7
2047,5
308,4
1526,7
Frankieich
108,1
1011,5
102.1
628,9
Europ. Rußland
5.*
428,3
3.6
178,7
Italien
46,4
360,5
57.4
269,2
Belgien
1,0
37.8
1,5
21,8
Deutschland
1,6
2,«
13,»
0,8
Oesterreich- Ungarn
0,2
—
I,*
0,1
Spanion
36.9
77,0
27.9
52,8
^Niederlande
31,8
109,5
38,5
97.5
Dänemark
?
56,7
?
559
Norwegen
7,1
82,0
6,9
53,6
Schweden
23,6
45,1
11,8
52,0
Griechenland
?
20,9
?
3M
Schwfciz
20,3
9
21,8
?
Amerika:
Kanada
320,9
787,5
204,0
468,8
Mexiko
112,1
78,7
97,7
47,9
Kuba
253,*
178,9
229,0
127,2
Zentral -Amerika
?
52,7
?
41,7
Argentinien
152,6
82,4
112,5
66,4
Brasilien
151,6
56,8
132,7
40,8
Chile
"3,8
44,6
64,2
24.«
Asien:
China
105,9
37,8
71,7
25.1
Ostindien
217,6
37,1
177.4
24,7
Japan
208,1
130,5
147.«
74.5
Asiat. Rußland
?
130,8
?
131.1
Ozeanien:
Australien und Neuseeland
18,9
82,0
64,6
74,0
Philippinen
42,4
27,5
28,2
23,4
Afrika:
Aegypten
29,7
?
33,8
?
Brit. Besitzungen
f
32,7
f
28,4
1916/17
1915/16
1914/15
1913/14
335
252
224
248
346
310
286
228
I102
944
575
633
465
359
237
3'9
369
315
336
449
i6
17
16
17
734
596
455
293
737
536
510
793
1190
663
356
374
2935
1996
807
725
98
100
8(
7
b2ib
4272
271Ö
2330
63
öl
52
35
— 701 —
Die Hauptwarengruppen waren folgende (in Mill. $):
Einfuhr:
Nahrungsmittel, unverarbeitet
Nahrungsmittel, ganz oder teil-
weise verarbeitet
Gewerbliche Rohstoffe
Halbfabrikate
Fertigfabrikate
Verschiedenes
2033 2197 1674 »894
Ausfuhr:
Nahrungsmittel, unverarbeitet 522 381 507 138
Nahrungsmittel, ganz oder teil-
weise verarbeitet
Gewerbliche Rohstoffe
Balbfabiikate
Fertigfabiikate
Verschiedenes
Wiederausfuhr
~t>279 4333 2768 2365
Im Handelsteil der „Frankfurter Zeitung" (vom 4. September 1917)
wurden aus der amerikanischen Außenhandelsstatistik folgende bezeich-
nende Tatsachen besonders hervorgehoben :
„Die Ausfuhr hat eine Höhe erreicht, welche die kühnsten Träume über-
trifft. Sie ist um fast 2 Milliarden höher als die Rekordausfuhr von 1915/16.
Die Einfuhr hat sich zwar auch gesteigert, aber nur um 461 Mill. $. Während
des ersten Kriegsjahres blieben die monatlichen Ausfuhrziffern stets unter 300
Mill. $, im September 1915 aber wurde diese Ziffer überschritten, und bis Januar
1917 wurde der Höchstbetrag mit 613 Mill. erreicht. Es ist unnötig zu sagen,
da(i die heutigen Verbündeten den größten Teil dieser Ausfuhr erhielten und daß
die größten St».igerungen auf Kriegsbedarf oder für dessen Herstellung erforder-
liche Rohstoffe entfallen. So steigerte sich der Betrag von Eisen, Stahl und
deren Produkten von 545 auf 1010 Mill. $, Messing und dessen Produkte von
133 auf 362 Mill., Kupfer und Kupferprodukte von 149 auf 249 Mill. Rohbaum-
wolle zeigt eine Wertsteigerung von 336 auf 515 Mill., obwohl die Quantität nur
in geringer Zunahme war. Ganz wichtig ist die Zunahme in der Ausfuhr von
Sprengstoffen seit Kriegsbeginn, die vorher nur ganz unbedeutend war. In 1913/14
betrug sie nur 6V4 Mill. $, 1914 15 erreichte sie bereits 41'/, Mill., 1915,16 sprang
sie auf 467 Mill. und in den 11 Monaten 1916,17 kam sie auf 757 Mill. Die Ver-
schiffung von Schießpulver allein, für dessen Herstellung 900 Ballen Baumwolle
oder Baumwollfaser erforderlich waren, erreichte ein Gewicht von 375 Mill. engl Pfd.
Bei verschiedenen Artikeln war der Geldwert höher als vorher trotz geringerer
Mengen. Für Zucker war der Betrag nur wenig geringer, obwohl der Versand
bedeutend zurückgegangen ist. Die Pferdeausfuhr war weniger stark als in den
beiden Vorjahren, wo sie so umfangreich war, daß im abgelaufenen Jahr weniger
Tiere aufzutreiben waren. Dagegen war die Ausfuhr von Mauleseln in erheblicher
Zunahme. Die Ausfuhr von Automobilen blieb sehr bedeutend, wenn auch ge-
ringer als im Vorjahr. Die Ausfuhr nach England betrug 2 Milliarden, zeigt also
eine Zunahme von einer halben Milliarde. Sehr erheblich war auch die Zunahme
des Versandes nach Frankreich, ferner nach Rußland und Kanada. Aber auch
die Ausfuhr nach Südamerika und den anderen Weltteilen weist starke Steige-
rungen auf. Sowohl bei der Ausfuhr wie bei der Einfuhr haben die Preissteige-
rungen eine sehr erhebliche Rolle in der Wertzunahme gespielt. Man kann sa^en,
daß die Einfuhrmengen im allgemeinen die gleichen geblieben sind wie im Vor-
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XL VII
— 702 —
jähr. Die Goldeinfuhr hat fast ohne Unterbrechung jeden Monat die Ausfuhr über
schritten. Von 52,71 Mill. | im Juli stieg der Einfuhrüberschuß auf 130,64 MiU.
im Dezember, wo er seinen Höhepunkt erreichte. Von der Gesamteinfuhr von
977 Mill. kamen 900 Mill. für englische Rechnung aus Kanada und 50 Mill. direkt
aus London. Von der Ausfuhr von 291 Mill. gingen u. a. ca. 25 Mifl. nach West
indien, 45 Mill. nach Spanien, 10 Mill. nach Kanada, 58 Mill. nach Südamerika
und 82 Mill. nach Japan. 1914/15 betrug das Einfuhrplus nur 25,34 Mill. Seit
KriegsauHbruch hat sich somit der Goldbestand der Vereinigten Staaten um 1114
Mill. $ erhöht. Von der Silberausfuhr von 78 Mill. gingen 50 MUl. nach Eng-
land, von der Silbereinfuhr von 35 Mill. kamen 15 Mill. aus Mexiko. Der Gesamt
ausfuhr von 43'/, Mill. in 1916/17 steht eine solche von 257^ und 21'/^ Mill. in
den beiden Vorjahren gegenüber. Von dem Ueberschuß der Waren- und Silber
ausfuhr von zusammen 3678 Mill. $ sind nur 685 Mill. durch Goldeinfuhr au«-
geglichen worden ; der Kest von 3 Milliarden mußte durch Effektenverkäufe^ An
leihen und Kredite gedeckt werden."
Wie in den „Nachrichten für Handel, Industrie und Landwirt-
schaft" (vom 27. Oktober 1917) mitgeteilt wird, beziffert sich der Gesamt-
wert des Außenhandels Chiles im Jahre 1916 auf 736 Mill. Pesos
Gold gegenüber 481 Mill. im Vorjahre. Von diesen entfielen auf die
1915 1916
Einfuhr 153,2 Mill. Pesos 2J2,5 Mill. Pesos
Ausfuhr 327,5 „ „ 513,6 „
In einem Bericht des deutschen Generalkonsulats in Kristiania
(mitgeteilt in den „Nachrichten ftir Handel, Industrie und Landwirt-
schaft") finden sich folgende Angaben über die Handelsflotte
Norwegens:
Die norwegische Handelsflotte umfaßte:
Ende 1912 1913 1914 1915 1916
Dampfschiffe 1973 2052I
Motorschiffe 153 209/ ^' ^' ^
Segelschhiffe i 106 i 019 947 870 787
Zusammen Fahrzeuge 3 232 3 290 3 325 3 397 3 428^
Damprschiffstonnen-
gehalt
Motorschiffstonnen-
gehalt
Segelschiffstonnen-
gehalt 632989 606593 561462 520534 450038
Gesamttonnengchalt i 718606 I7b7 4i5 i 784471 1829335 1815 493
Der Nettotonnengehalt weist danach die folgenden Veränderungen auf:
1913 1914 1915 1916
Anzahl der Fahrzeuge + 5^+ 35+ 72+ 31
Netto- Reg.-Tonnen -j- 48799 + 17066 -f 44 8^4 -f 13842
Der Dampf- und Motorschiffsraum hat ziemlich gleichmäßig von Jahr t%.
Jahr zugenommen, der Segelschiffsraum dagegen nahm ständig ab, besonders stark
Ton 1915 auf 1916. Der größte Teil der Schiffsabgänge in den Jahren 1915 und
1916 entfällt auf Kriegsverluste.
Nach dem „Journal of Commerce" teilt der „W. N. D. Deutscher
Ueberseedienst" folgendes über die Schiffahrt der Vereinigten
Staaten von Amerika mit:
Die Gesamttonnage der im Außenhandel klarierten Schiffe betrug im Fiskal-
jahr 1916 17 52 Mill. t gegen 52,4 Mill. t in 1915/16, davon amerikanische Schiffe
19,1 Mill. t gegen 17.9 Mill. t i. V Der Handel unter amerikanischer Flagge
Jiat mit allen Weltteilen, ausschließlich Australien, zugenommen.
223 009 I 308 801 I 365 455
703 —
1916/17
1915/16
(in 1000 Br.-Reg.-T.)
amerikanische ausländische
amerikanische
ausländische
Flagge
Flagge
Flagge
Flagge
Nach Europa:
Großbritannien
667
7972
605
7700
Frankreich
372
3476
184
3 453
Italien
228
2 III
135
3 445
Dänemark
65
500
62
507
Nirderlande
33
1259
10
1356
Schweden
31
281
52
412
Spanien
28
524
II
547
Europäisches Rußland
12
203
24
198
Griechenland
5
166
6
346
Norwegen
0,*
520
—
563
Uebriges Europa
36
402
46
265
I 477,4
17 414
1135
18792
Nach Amerika:
Kanada
9673
8677
10 155
8 109
Westindien
2980
1765
2125
2082
Zentialamerika
I 182
381
1370
365
Mexiko
2138
362
I 580
499
Südamerika
115s
I 617
945
I 7b2
Uebriges Amerika
161
376
224
441
17289
13178
16399
13258
Nach Asien:
China
84
340
47
407
Japan
42
525
13
378
Ostindien
10
157
20
135
Uebriges Asien
10
4.8
5»
sei
146
1440
131
1489
Nach Australien
144
454
158
5..6
Nach Afrika
89
438
79
386
Ueber den Ausbau des oorditalienischen Wasserstraßen-
netzes wurde in dem „W. N. D. Deutscher Ueberseedienst" (vom
13. Oktober 1917) folgendes mitgeteilt:
Die im Bau befindliche Schiffahrtsstraße Mailand — Venedig wird das
Zentrum des künftigen norditalienischen Wasserstraßen netzes bilden. Es münden
dorthin mehrere kleinere Kanäle, die die norditalienischen Städte mit der Haupt-
wasserstraße verbinden. Mailand wird ieinen großen und modernen Binnenhafen
erhalten. Auch in Pavia, das am linken Ufer des Tessin liegt, wird man einen
Hafen bauen, der den vorläufigen Endpunkt eines Kanals von hier über Casale
nach Turin bildet. „Semaphore de Marseille" vom 25. Sept. 1917 schreibt, daß
später noch weitere Kanäle von Pavia aus führen sollen, die die Städte und Flüsse
des Nordens mit den Apenninen, dem Po-Tal und den Häfen von Genua und
Savona verbinden werden. Piacenza, am rechten Ufer des Po, ein verkehrs-
reicher Eisenbahnknotenpunkt, erhält einen Umschlaghafen, da von hier west-
wärts (Pavia, Casale, Turin) und nordwestwärts (Mailand) nur Schiffe bis zu 600 t
verkehren können. Cremona, Modena und Brescia werden durch Wasserstraßen
mit dem Po verbunden, ebenso Mantua durch den Mincio. Ueber diese letztge-
nannte Stadt wird später eine Verbindung mit dem Gardasee hergestellt. Ferrara,
4 km vom Po entfernt, wird durch einen Kanal, der bei Pontelagoscuro in den
Po mündet, mit diesem verbunden. Endlich soll der neue Industriehafen von
Venedig, mit dem ein vollständig neuer Stadtteil entstehen wird, allen Anforde-
rungen der Neuzeit entsprechen.
Im Handelsteii der „Frankfurter Zeitung" (vom 12. September 1917)
wurden über den Verkehr im Suezkanal während der Kriegszeit
folgende Angaben veröffentlicht:
XL VII*
— 704 —
Die Erträgnisse der öuezkanalgesellschaft haben eich, wie bekannt, während
des Krieges immer mehr verschlechtert In den letzten Jahren vor dem Kriege
war eine Dividende von jeweils 165 fres. gezahlt worden. Für 1914 und 1915
konnten nur noch je 120 frcs. pro A-ktie verteilt werden, und für das Geschäfts-
jahr 1916 vermochte die Gesellschaft, wie wir seinerzeit meldeten, nicht mehr
als 90 frcs. pro Aktie auszuschütten. Die Verringerung der Einnahmen ist zum
überwiegenden Teile auf die Folgen des ü- Bootkrieges zurückzuführen, der den
Schiffsraum der Welthandelsflotte beträchtlich vermindert, die Verwendbarkeit der
Dampfer aus Gründen der Verkehrssicherheit eingeschränkt und viele Verände-
rungen in der Fahrtrichtung verursacht hat. In ihrem Jahresbericht erwähnt die
Verwaltung der Kanalgesellschaft, daß sie zur Sicherung des Seeverkehrs in den
der Straße von Suez benachbarten Gewässern Beistand geleistet hat. üeber die
Art dieser Beihilfe macht sie keine näheren Angaben, behält sich aber genauere
Aufklärung hierüber für später vor. Die Tonnage, die den Kanal durchfahren
hat, betrug 1916 nur noch 12 325000 Reg.-Tons gegen 15 246000 t im Jahre 1915,
19 409000 t im Jahre 1914 und 20034000 t im Jahre 1913. Der Rückgang gegen
die Verkehrsziffer von 1913 beträgt somit 38 Proz. Wenn man berücksichtigt,
daß die in staatlichem Dienste fahrenden Schiffe sich seit 1915 wesentlich ver-
mehrt haben, so erscheint der Rückgang, den die private Schiffahrt im Kanal er-
fahren hat, um so stärker. Der Verkehr staatlicher Schiffe im Kanal bezifferte
sich nämlich 1916 bereits auf 3 694000 t, wogegen er in Friedenszeiten alljährlich
nur ungefähr 300000 t ausmachte. Um die Verringerung der Tonnage auszu-
gleichen, hat die Gesellschaft zur Erhöhung der Abgaben schreiten müssen.
Während sie zwischen 1903 und 1912 fünfmal Herabsetzungen der Kanal-
abgaben eintreten ließ, durch welche die Gebühren nach und nach von 9 frcs.
auf 6,25 frcs. pro Tonne ermäßigt wurden, mußten am 1. April 1916 und am
5. Oktober 1916 Aufschläge von je 0,50 frc. Platz greifen. Im laufenden Jahre
sind bereits zwei weitere Erhöhungen gefolgt, und zwar am 1. Januar um 0,50
und am 1. Juli um 0,75 frc. Hierdurch wurde der Rückgang der Bruttoein-
nahmen teilweise ausgeglichen ; denn die beiden Gebührenerhöhungen des Jahres
1916 hatten bereits eine zusätzliche Einnahme von 5 923000 frcs. zur Folge. Die
Verwaltung ist der Ansicht, daß die nächste Zukunft bezüglich des Kanalverkehrs
ungewiß bleibt; aber sie sieht der Zeit nach dem Friedensschlüsse mit Vertrauen
entgegen. Ohne Zweifel kann die erste Periode nach dem Eintritt des Friedens
nicht sofort Verkehrsziffern bringen, wie man sie vor Ausbruch der Feindselig-
keiten gewohnt war; aber die inzwischen festgesetzten erhöhten Gebühren werden
auch in Zukunft eine gute Rentabilität ermöglichen. Bekanntlich haben die
wiederholten Erhöhungen der Abgaben in englischen Schiffahrtskreisen energischen
Widerspruch erfahren, und sie haben auch nicht verhindern können, daß in der
ersten Hälfte des laufenden Jahres ein weiterer nicht unbeträchtlicher Rückgang
der Einnahmen erfolgt ist.
Wie im Handelsteil der „Frankfurter Zeitung" vom 9. Oktober 1917
mitgeteilt wird, ist der griechischen Kammer ein Gesetzentwurf über
die Vereinigung und Verstaatlichung der griechischen Eisen-
bahnlinien zugegangen. Es handelt sich um folgende Linien: die
Larissabahn, deren Ankauf schon im Jahre 1914 durchgesetzt
wurde, wobei die bisherige Gesellschaft aber noch beibehalten wurde;
die Anschlußbahn von der alten griechischen Grenze bis Salonik,
die im vorigen Jahre fertiggestellt wurde (auf Staatskosten erbaut);
die mazedonischen Bahnen, die, obwohl sie hauptsächlich deutschen
und österreichischen Kapitalisten gehören, bei der griechischen Mobil-
machung 1915 von der griechischen Regierung eigenmächtig in eigene
Verwaltung genommen wurden, während die Frage der Entschädigung
der Eigentümer der Bahnen der Zukunft anheimgestellt wurde; die
thessalischen Bahnen (Volo— Tnkkala und Volo — Laiissa). Hin-
— 705 —
sichtlich der Peloponnesbahn ist noch kein endgültiger Beschluß
gefaßt worden, solange die Klärung der wenig günstigen Finanzlage
dieser Gesellschaft noch nicht erfolgt ist. P. Arndt.
V. Versicherungswesen.
Inhalt: 1. Privatversicherung. DeutBchlaud: Geächäftsbericht
des Kaiserlichen Aufsichtsamts für 1916. Ergebnisse der deutschen Privatver-
Hicherung 1916. Die Transportversicherung 1916. Abänderung des Aufsichts-
gesetzes betr. Hypotheken Versicherung. Kreditversicherungs- Neugründung. Ge-
plante Verstaatlichung der Viehversicherung. Loslösung der deutschen Versiche-
rung von den Londoner Lloyds. Gefährdung der deutschen Versicherung in
Amerika. — Ausland; Bericht des schweizerischen Versicherungsamtes. Die
Valutafrage in der schweizerischen Versicherung. Maßregeln der japanischen
Seekriegs Versicherung gegen England.
2. Sozialversicherung. Deutschland: Verjährung der Beitrags-
rückstände in der Angestellten Versicherung. — Ausland: Lohnklasseneinreihung
in der österreichischen Krankenversicherung. Ein Ministerium für soziale Für-
sorge in Oesterreich. Erweiterung der russischen Krankenversicherung.
1. Privatveraicherung.
Der Bericht des Kaiserlichen Aufsichtsamts für 1916 zeigt, wie
dem .,B. B.-C." zu entnehmen ist, das unverkennbare Gepräge des noch.
immer über die Welt wütenden Krieges. Die Bruttoprämien-
ein nähme des vom Amte beaufsichtigten Versicherungsgeschäftes aus
dem Jahre 1915 zeigt ein Fallen der Schlußsumme um rund 7OV2 Mill. M.
Während in der Lebensversicherung die Prämie um rund 42,8 Mill. M.,
in der Unfall- und Haftpflichtversicherung um rund 27,3 Mill. M., in der
Hagelversicherung um rund 5,1 Mill. M., in der Viehversicherung um
rund 800000 M. und bei den sonstigen Versicherungszweigen um rund
2,4 Mill. M. gefallen ist, weist die Feuerversicherung einen Zuwachs
von rund 7,8 Mill, M. auf.
[n der großen Lebensversicherung, abgesehen von der Kranken- und
Invalidenversicherung, betrug der Versicherungsbesiand Ende 1916 13813 Mill. M.
Versicherungssumme und 30 Mili. M. Jahresrente, wobei die steigenden Renten
nicht eingerechnet sind. In der Unfall- und Haftpflichtversicherung
hat sich die Prämieneinnahme der deutschen Unternehmungen wiederum ver-
mindert, und zwar in der Unfallversicherung um 2 252000 M. und in der Haft-
pflichtversicherung um 728000 M. Die Prämieneinnahme der ausländischen
Unternehmungen hat wieder zugenommen, in der Unfallversicherung um 138000 M.
und in der Haftpflichtversicherung um 187 000 M. Die gesamte Prämieneinnahme
in der Unfallversicherung betrug gegen 35 Mill. M., in der Haftpflichtversiche-
rung 48,052 Mill. M. In der Viehversicherung betrug die Gesamt Versiche-
rungssumme in 1916 über 475 Mill. M. gegen 303'/, Mill. M. im Vorjahre. Die
Gesaratprämieneinnahme belief sich auf 2658000 M. In der Hagelversicherung
betrug die gesamte Versicherungssumme 1051488000 M. gegen 1033 793 000 AI.
i. V. Die Prämien beliefen sich auf 11912000 M., die Schadenszahlung auf
4885000 M. In der Feuerversicherung betrug die Versicherungssumme des
deutschen Geschäfts üoer 152 Milliarden M., im ausländischen Geschäft über
177., Milliarden M. gegen ca. 145 Milliarden M des deutschen Geschäfts i. V.
und 17,3 Milliarden M. des ausländischen Geschäftes i. V. Die Bruttoprämien-
einnahmen beliefen sich insgesamt bei den deutschen Unternehmungen auf über
317 Mill, M. und bei den au.sländischen Unternehmungen auf über 12'/, Mill. M.
Die Bruttoschäden, einschließlich Schaden ret^erve, aber ohne Ermittlungskosten.
144' ., Mill. M. des deutschen Geschäfts und 5817 000 M. bei den ausländischen
Unternehmungen. In der Mietverlust-, Betriebsverlust- und Zuckerpreisdifferenz-
— 7o6 —
Versicherung betrugen die versicherten Summen im Berichtsjahr 328560281 M.
fegen 243841212 M. i. V.; die Bruttopräraien 1254 219 M, die Bruttoschäden
löOOO M. In den sonstigen Zweigen der Schaden Versicherung
stellen sich die Resultate folgendermaßen:
. _ ...
BcMtHiid tCnde
Iül6
Bet«tHDd Ende
lUIÖ
Deutüche
Aubländ.
Deatiwhe
Ausländ.
Unternehmunsren
Unterneh-
mungen
(Deutschet«
Unternehmungen
üntemelj
mungen
(Deutschem
Deufc<ches
Ausländ.
Deutsches Ausländ.
Geschäft
Geschäft
Geschäft)
(ieschäft Gewhfift
Geschäft)
1000 M.
Starmschädenversicherung
224 676
_
_
224 520
_
_
Was8erleitungi<schä(lenversicherung
6 2qi 461
293 049
18378
6 109 499
273 723
IS i68
Einbruchsdiebstahl Versicherung
18888358
2 544 686
843 839
18 106^69
2774094
81625?
GlasversicheruDg
337 742
3' 939
959
335 046
30942
909
KautionsveisieheruDg
187 739
34685
35503
158882
19428
59 762
Kreditversicherung
3 955
797
3839
71:
—
Maschinen Versicherung
485 449
38656
9
374 109
41005
V
Wertgegenständeversicherung
6807
—
—
6395
—
Baulastversicherung
7057
—
—
6478
—
—
Stellenlosen Versicherung
27342
—
—
24902
—
—
Verunt reu ungs Versicherung
27 20b
1005
—
18355
493
—
Hypothekenversicherung
9082
—
—
9070
—
—
Die Prämieneinnahmen der deutschen und ausländischen Unternehmungen
betrugen in der Sturmschäden- 179 000, Bruttoschäden 79000, Wasserleitungs-
schäden- 3 305000, Bruttoschäden 1225000, Einbruchsdiebstahl- 18 7100000,
Bruttoschäden 7 300000, Glas- 10233 000, Bruttoschäden 6 955000, Kautions-
1376000, Bruttoschäden 821000, Kredit- 363 000, Bruttoschäden 276000, Ma-
schinen- 1138000, Bruttoschäden 821000, Wertgegenstände- 26000, Brutto
schaden 9000, Veruntreuungs- 241 000, Bruttoschäden 48 000, Hypothekenversiche-
rung 51000, Bruttoschäden 182000 M.
Die Prämieneinnahmen der deutschen Rückversicherungsimter-
nehmungen stellten sich folgendermaßen:
Zahlungen
Betriebszweig
Prämien
Betrozessions-
aus Versicherungs- Fällen
abzügl. Bistorni
Prämien
für eigene Bfchnung
einschl. Begulier.- Kosten
M.
M.
M.
Lebens-
63 148 607
14 009 605
19328612
ünfall- und Haftpflicht-
24771230
4362352
9500344
Transport-
139357 »60
76 567 303
37011 028
Feuer-
297 088 443
125870941
98 247 258
Einbruchdiebstahl-
5252272
752 740
1242838
Sonstige Versicherungen
14 202 726
99» 705
7 426 982
Ueber die Einwirkung des Krieges läßt sich das Amt folgender-
maßen aus:
Die wirtschaftliche Lage, insbesondere die Leistungsfähigkeit der be-
aufsichtigten Unternehmungen, hat im Jahre 1916 und im Jahre 1917 bis zum
Abschlüsse des Berichtes im großen und ganzen das gleiche erfreuliche Bild wie
im Vorjahre gezeigt (Ver.A. f. P. 1916, S. 59); eine Erschütterung auf dem Gre-
biete des Versicherungswesens, soweit es der Aufsicht des Amtes unterstand, ist
in keiner Weise bemerkbar gewesen, wenn auch der Eingang an Hypotheken-
zinsen einen weiteren kleinen Kückgang aufzuweisen hatte, und obwohl die Be-
triebsschwierigkeiten durch weitergreifende Einziehung von Angestellten zum
- 707 —
Kriegsdienst oder Hilfsdienst sich nicht unwesentlich gesteigert haben. Aber die
Sicherheit der Vermögensanlage und die Zahlungsfähigkeit der deutschen Gte-
«ellschaften ist nach wie vor unangetastet geblieben. Ein Anlaß zu Befürchtungen
für die Zukunft ist um so weniger gegeben, als im Berichtsjahre deutlich eine
Abschwächung der nachteiligen Wirkung des Krieges auf die Versicherungsunter-
nehmungen sich bemerkbar gemacht hat. Namentlich hat sich der Rückgang im
Versicherungsbestande bei der großen Lebensversicherung erheblich vermindert;
bei der Volks Versicherung hat sich eine Rein zunähme gezeigt. Abgesehen von
der Unfall- und Haftpflichtversicherung, bei denen der Rückgang an Beitrags -
einnahmen erheblich geringer als im Vorjahre war, ist bei den übrigen Versiche-
rungszweigen sogar ein nicht unwesentliches Anwachsen der Versicherungssummen
festzustellen. Auch die Gewinnbeträge zeigen eine Vermehrung.
Infolge der vermehrten Einziehung von Angestellten sind auch Mehrausgabeu
durch die Erhöhung der Beihilfe an eingezogene Angestellten und deren Familien
eingetreten. Zusammen mit dem Ergebnisse der 6. Kriegsanleihe haben die be-
aufsichtigten Versicherungsunternehmungen nicht weniger als 2 310289000 M.
gezeichnet, davon auf eigene Rechnung 1306 292 000 M.
In seinem Bericht für 1914 hat das Amt auf die Gefährlichkeit und Un-
übersehbarkeit des Kriegsrisikos hingewiesen und ausgeführt, daß es sich bei der
Aufsichtsführung jeden Zwanges hinsichtlich der nachträglichen Uebernahrae und
hinsichtlich der Betragssumme enthalten hat. Das Amt glaube dafür sorgen zu
sollen, daß Härten für die Kriegsteilnehmer möglichst beseitigt würden. Solche
Härten würden dann entstehen können, wenn die Wiederherstellung der Versiche-
rung bei der erneuten Prüfung von sehr strengen Voraussetzungen abhängig ge-
macht wird, insbesondere hinsichtlich des Nachweises vollkommener günstiger
Gesundheit des Versicherten. Auf Anfrage haben diejenigen Gesellschaften, mit
welchen das Amt verhandelt hat, sich bereit erklärt, den Versicherten weit ent-
gegenzukommen .
Der Geschäftsbetrieb bei den deutschen Zweigniederlassungen eng-
lischer und französischer Lebensversicherungsgesellschaften bot
in den letzten 12 Monaten im wesentlichen dasselbe Bild wie in den beiden ersten
Kriegsjahren. Die fälligen Ansprüche der deutschen Versicherten konnten auch
im Berichtsjahre dank dem guten Willen der inländischen Gesellschafts Vertreter
und der tatkräftigen Mithilfe der amtlich bestellten Aufsichtspersonen im allge-
meinen voll befriedigt werden. Wie in den Vorjahren wurden die hierfür er-
forderlichen Mittel aus den regelmäßigen Geschäftseinnahmen durch die In-
anspruchnahme der Ueberdeckung der Prämienreserve, durch die teilweise Freigabe
der Kautionen bestritten, hier und da auch im Wege der Beschaffung namhafter
Kredite anfgebracht. Im Verlaufe des Krieges sind Unfall Versicherungsgesell-
schaften dazu übergegangen, Versicherungen gegen Unfall, die durch Luftfahr-
zeuge verursacht sind, zu gewähren. Auch sonst enthält der Bericht noch zahl-
reiche anregende und lehrreiche Notizen, namhafte Urteile aus der Judikatur des
höchsten Gerichtshofes, wertvolle Bemerkungen zu einzelnen Vorschriften des
VAG. und VVG., und schließlich einen Anhang mit Tafeln über den Bestand
und die hauptsächlichsten Betriebsereignisse des Berichtsjahres.
Die deutschen Privatversicherungsgesellschafteii
haben nach dem „Nationalökonom" 1916 folgende Ergebnisse aufzu-
weisen :
Der Geschäftsumfang der deutschen Pri vatversicherungsgesell -
«chaften hat im Jahre 1916 zwar eine Verringerung erfahren, die
jedoch keineswegs jene Ausdehnung annahm, wie nach Ausbruch des
Krieges zu erwarten war. In finanzieller Beziehung waren die Ergeb-
nisse günstig, und es gibt wenige wirtschaftliche Gebilde, die so große
Öeldreservoirs sind, wie die Versicherungsgesellschaften. Ende 1916
hatten deren Aktiven die Höhe von 9019 Mill. M. erreicht, gegen
8695 Mill. Ende 1915; die Steigerung betrug demnach innerhalb dieses
^o8 —
Jahres 323 Mill. Die einzelnen Versicherungsbranchen sind bei dieser
großen Kapitalsansammlung sehr ungleich beteiligt, wie folgende Auf-
stellung zeigt; es betrugen in Mark:
Vermögens-
Gewinn-
reserven der
Versicherten
Gesellschaften
Aktienkapital
Bareinschuß
reserven
und Gewinn-
vortrag
Prämien
reseryen
49 Lebensvers.
47438186
150 32 1364
613 051 794
568629097«
57 Feuervers.
60979480
165 123 777
49»9457
144790720
48 Transport vers.
31 720201
45913224
—
46552265
49 Rüikvers.
35328520
88829021
—
522629173
33 ITnfallvers.
4 223 300
12535740
1 1 169 999
137953385
18 Hagel vers.
9313300
50963495
—
4 488 204
25 "Viehvers.
250000
7231857
I 070
2559440
23 Glasvei-s.
I 048 650
I 939 276
125 685
8322678
52 Einbruohvers.
—
5992
145 807
II 996479
30 VVasserleitungssch.-Vers.
—
—
—
2 132 207
7 sonstige Vers.
—
— •
—
1768472
Summen 1916
190 30 1637
522 863 746
629413812
6 569 484 001
1915
186 115 365
491 S45029
608351953
6252663723
1910
164627600
364 227 263
431 141 596
473996280c
1900
132502567
196867090
171 880363
2 378 251 891
„ 1886
98 645 555
103 933 075
59916 125
746 940 226
Die Aktionare haben
außerdem haften sie für
müssen. Von den
wurden 210599 320
190 Mill. M. an Aktienkapital bar eingelegt.
23,7 Mill., die sie im Bedarfsfälle nachzahlen
angesammelten Gewinnanteilen der Versicherten
M. im Jahre 1916 ins Verdienen gebracht.
Die Kapitalsanlagen setzten
folgendermaßen zusammen in Mark:
sich Ende 1916 hauptsächlicii
Bankeinlagen,
Grundbesitz
Gesellschaften
Kassa- und
Zinsvorträge
abzüglich
Belastung
Wertpapiere
Hypotheken
Lebensvers.
6060755
"5 933 529
561 806412
5363155482
Feuervers.
20239556
31570572
231 279607
192878775
Tronsportvers.
40093444
19289385
79 464 369
58 710246
Rückvers.
34964921
4579291
206 409 857
166 370 561
ünfallvers.
i8 198 106
2439716
132 247 178
61 640204
Hagelvers.
5594845
1054759
53 80; 105
3 106 631
Vichvers.
I 786158
176086
6447154
913057
Glasvers.
4031245
552 790
3123743
7241538
Einbruchvers.
II 269554
4 508 558
—
Wasserleitung8sch.-Vers.
I 030 780
—
1367 341
—
Sonstige Vers.
1374 '56
—
1772927
—
Summen 1916
144643520
175596038
i 282 234 251
5854046494
1915
105484577
174782336
I O39988482
5 777 075 796
19 0
169185 186
134053042
450022 103
4623373205
1900
71 747096
86 188371
257795012
2375492667
1886
46 949 448
37 904 490
141 255 074
755 042 73 ^
— 709 —
' Seit 1900 haben sich die Fonds ujn b^j^ Milliarden M. vergrößert,
davon entfallen auf die Hypothekardarleben allein 3479 Mill., also
70 Proz. aller Neuanlagen. Zu den hier verzeichneten Anlagen kommen
noch 523737081 M. Wechsel der Aktionäre, 543127315 M. Policen-
darlehen, der Rest von 495 Mill. besteht aus Lombard- und Eskompte-
anlagen, ferner aus Verrechnungsposten mit Agenten, Rückversicherern
und diversen Debitoren.
Die hauptsächlichsten Einnahme- und Ausgabeposten waren
1916 in Tausenden Mark:
Prämien und Gebühren
Schaden-
zahl für
Prämien-
Prämien-
reserve-
über-
Gesellschaften
Brutto
für eigene
Rechnung
eigene
Rechnung
Zuwachs
schüsse
in Tausenden Mark
Lebensvers.
716003
687 IQ7
483 962
15289
120942
Feuerversicherungsges.
319824
160716
65492
8994
25136
Transportvers.
307 279
142085
105477
8539
585
Rückvers.
489^13
3«4 85o
181 566
4240b
6601
Unfall vers.
82894
64652
28665
2380
8136
Hagelvers.
58345
56716
42258
190
6488
Viehvers.
20613
18614
12871
842
1643
Glasvers.
10438
9563
6078
277
142
Einbr.-Diebst.-Vers.
17786
12 178
4342
717
2525
Wasserleitungssch.-Vers.
3304
2818
905
55
769
Sonstige Vers.-Branchen
4787
1970
1054
184
211
Summen 1916
2 030 886
I 471 359
932 670
79873
173 178
1915
I 887 092
140J014
927 540
50931
159 170
1910
1653552
I 260 196
692 594
293 202
144093
1900
919090
704 440
393 906
172 175
67 131
1886
328834
269 864
160348
64338
37822
Diese Ziffern geben ein Bild der Prosperität der Anstalten,
welche von Jahr zu Jahr das Geschäft bedeutend erweitern. Außer
dem Geschäftsüberschusse nahmen die Anstalten noch 136 823080 M.
an Zinsen ein, nach Abzug von 193 Mill. M. Piämienreservezinsen bei
den Lebensversicherungsgesellschaften, während 13 571982 M. Kurs-
verlust eintrat. Von dem Ueberschusse erhalten die Versicherten,
welche mit Gewinnanteil versichert sind, 210599320 M.
Der Krieg hat auf die Ergebnisse der Transportversiche-
rung, wie gleichfalls dem „Nationalökonom" zu entnehmen ist, natur-
gemäß eine bedeutende Wirkung ausgeübt; doch zeigt sich eine er-
hebliche Besserung gegen die Vorjahre 1914 und 1915, die eine Ver-
minderung der Prämieneinnahmen von 31 resp. 14 Mill. M. ausweisen.
Der Geschäftsumfarg für 1916 hat sich gehoben, wie die Prämienein-
nahme zeigt, die nicht weniger als 82 Y2 Mül- zugenommen hat. Wenn
man bedenkt, daß seit Ausbruch des Krieges die deutschen Versicherungs-
gesellschaften von einem großen Teile des Weltverkehrs abgeschlossen
sind, das Geschäft ab deutschen und österreichischen Häfen auf ein Mini-
mum reduziert ist, so erscheint der Geschäftsumfang für 1916 außer-
ordentlich groß.
— -jio —
Das finanzielle Kesultat war günstiger als im Vorjahre, steht aber noch
immer gegen die früheren Jahre zurück, was mit der Zunahme der Behadenzah-
lungen zusammenhängt. Allerdings war es günstiger als im Jahre 1914, das mit
einem industriellen Verluste von 1 166094 M., und 1915, das mit einem Gewinne
von 69 371 M. abschloß. Im Berichtsjahre haben von 48 Gesellschaften nicht
weniger als 19 Gesellschaften zusammen 2078497 M. Geschäftsverluste erlitten,
während 29 Gesellschaften 2 663 665 M. ins Verdienen brachten. Netto resultierte
ein Geschäftsgewinn von 585168 gegen P9 371 M., resp. gegen einen Verlust von
1 166094 M. im Jahre 1914. Der Nettogewinn aus den Prämien betrug 0,4 Pro«.
der Nettoprämien gegen 0,06, — 0,94, 4,1, 4,1, 3,25, 3,6, 3,8, 1,2, in den 7 Vor-
jahren 1915-1908. Es dürfte wohl wenige Industrien geben, die auch in günstigsten
Jahren so geringen Nutzen erzielen, der nur entsprechen kann, weil der Geschäft»-
uragang ein sehr bedeutender, der zu verzinsende Bareinschuß der Aktionäre ver-
hältnismäßig gering ist.
Die Prämieneinnahme erreichte 307 279 225 M. gegen 223 195 914 M. resp.
242 725 460 M. in beiden Vorjahren. An die Rückversicherer wurden 165 194 158 M.
abgegeben, dagegen den Prämienreserven 8 539 315 M. zugeschrieben. Es ver-
blieben demnach zur eigenen Verwendung im laufenden Jahre 133 545 752 M.
Im letzten Jahrzehnt hat die Nettoprämieneinnahme der deutschen Transportver-
sicherungsgesellschaften um 54073411 M. zugenommen.
Die Schadenzahlungen erforderten nach Abzug der Leistungen der Rückver-
sicherer 105 476 615 M. gegen 92 250097 M. im Vorjahre; in Prozenten der Netto-
prämien 78,9 gegen 78,9 Proz. Nicht weniger als 23 Gesellschaften verbrauchten
mehr als 80 Proz., 2 mehr als 100 Proz. der Nettoprämieneinnahme für Schaden-
zahlungen. Im Laufe der Jahre 1888 bis 1916 erforderten die Schadenzahlungen
71,3, 73,8, 7-^7, 76,2, 71,5, 74,2, 73,8, 78,1 77,8, 75,4, 75,5 77,1, 77,4 76, 76,5, 75,1,
71,7, 72,3, 72,3, 72,8, 78,5, 79,0, 75,3, 75,5, 75,9, 75,4, 80,2, 78,9 und 79,0 Proz ,
1914, 1915 und 1916 zeigen den stärksten Schadenersatz.
Für Spesen, Provisionen und Steuern wurden 27 483 969 M. = 20,6 Proz. der
Nettopräraieneinnahmen verausgabt. In Wirklichkeit sind die Spesen etwas höher,
da mehrere Gesellschaften ihre Prämieneinnahmen, um die Provision gekürzt, in
Rechnung stellen.
Zu dem üeberschusse aus dem Geschäfte per 585 168 M. kommen die Ein-
nahmen an Zinsen mit 7 817 490 M , wogegen die Abschreibungen an Wertpapieren
966 774 M. erforderten, so daß der ganze Reingewinn 7 435000 M. betrug.
Die Garantiefonds der Gesellschaften erreichten Ende 1916 den Betrag von
415,6 MUl. M. und setzten sich aus folgenden Positionen zusammen, in Mark:
Ende 1916 Ende 1915 Ende 1914
Bareinsch. der Aktionäre 65 253 237 63 975 540 65 775 540
Kapitalsreserven *) 124 936 829 120 176 462 117 105 149
Transp.-Prämienreserven 46552265 37 344 747 37 255 335
23^742331 221496749 220136024
Dazu Wechs. d. Aktion. 178 870 721 175508448 179709Q48
415613052 397005197 399845972??
Außerdem waren bei 30 Gesellschaften, welche noch andere Branchen be-
treiben, für dieselben an Prämienreserven ca. 1250 Mill. M. vorhanden.
48 Ges. 48 Ges. 47 Ges. 46 Ges.
1916 1915 1914 1913
Einnahmen und Ausgaben in den Jahren 1913 — 1916 in Tausenden Mark:
Prämieneinnahmen 307 279 223 195 242 725 273 734
ab Rüekvers.-Präm. 165194 107735 122383 I39 4»S
„ Reservezuwachs 8539 —»395 —3 74^ 43'3
Verbl. Nettoprämien »33 S46 116855 124088 130006
1) Inklusive Gewinnvortrag.
— 711 —
48 Ges. 48 Ges. 47 Ges. 46 Ges.
ivon wurden verwendet
Eigene Schadenzahl.
Kost., Prov., Steuern
1916
für:
105 477
27484
1915
92250
24536
1914
99451
25803
1913
98026
26606
üeberseh. a. d. Präm.
Zinsen
Kursdifferenzen
7817
-967
69
6797
—1775
— I i6b
5628
— 179
5 374
5299
— 1304
Totalübersehüsse
7 435
5091
4283
9369
Zur Annahme gelangt ist ein Gesetzentwurf zur Ergänzung des
Gesetzes über die Privatversicherungsunternehmungen, der einem von
führenden Verbänden des Baugewerbes und des Hausbesitzes geäußerten
Wunsche, bei ihren Bemühungen um Förderung und Gesundung des
Grnndkredits nicht unter die dem Gesetz über die privaten Versiche-
rungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 geordnete Aufsicht zu kommen,
dahin Rechnung bringt, daß der von diesen Verbänden geplante Hypo-
thekenschutz nicht als Geschäft angesehen werden soll.
Demgemäß besagt der einzige Paragraph des Gesetzentwurfes, daß als
Versicherungsunternehmungen nicht gelten sollen Unternehmungen, die
der Förderung des Grundkredits durch Uebernahme des H3'potheken-
schutzes dienen, insbesondere in der Weise, daß sie gegen ein von
dem Hypothekenschuldner zu entrichtendes Entgelt sich für die ihm
obliegenden Leistungen verbürgen oder Vorschüsse auf die Leistungen
zahlen.
Unter der Firma Hermes, Kreditversicherungsbank A.-G.
wurde in Berlin eine Versicherungsaktienbank gegründet, mit dem
Zweck der Versicherung von Krediten und der Uebernahme von Garan-
tien aller Art, ferner des Betriebs der Kautions- und der Verun-
treuungsversicherung.
Die neue Bank beabsichtigt, sich der Pflege der Kreditversicherung in allen
ihren Zweigen (Pauschalversicherung, Versicherung von Einzelkrediten, Kautions-
Versicherung, Hypothekenversicherung usw.) zu widmen; sie wird in enger Rück-
versicherungsverbindung und Interessengemeinschaft mit der Münchener Rück-
versicherungsgesellschaft, dem Globus in Hamburg und dem Kompaö in Wien
arbeiten. Mit der Gründung dieser ersten deutschen Spezialgesellschaft für Kredit-
versicherung wird beabsichtigt, aus dem engen Rahmen, in dem die Kreditver-
sicherung in Deutschland sich bisher bewegte, herauszutreten; die Gesellschaft
hofft insbesondere, der Förderung unserer Kreditwirtschaft in der Uebergangszeit
gute und erfolgreiche Dienste leisten zu können.
Durch die Tageszeitungen machen Nachrichten die Runde, daß
eine Verstaatlichung der Viehversicherung insofern in
Aussicht steht, als Preußen die Schlachtviehversicherung unter Beseiti-
gung der auf diesem Gebiete vorhandenen privaten Viehversicherungs-
unternehmungen verschiedenster Art und unter Verwendung der Ueber-
schüshe der Viehhandelsverbände verstaatlichen will. Auch in Bayern
und Thüringen ist man nach den gleichen Meldungen auf demselben
Weg, und es wird damit gerechnet, daß die übrigen Staaten bald
folgen.
Ueber die Loslösung der deutschen Versicherung von
Lloyds in London heißt es in mehreren Blättern: Die energischen
— 712 —
Beätrebuugen der deutschen Kaufleute und Reeder, sich ein iüi* alle-
mal von der früheren Bevormundung auf dem Gebiete der Versiche-
rung loszulösen, siud soeben einen bedeutsamen Schritt vorwärts ge-
kommen. Unter Beteiligung hanseatischer und süddeutscher Groß-
handelbfirmen ist die „Albis" Versicherungs- Aktiengesellschaft in Ham-
burg mit einem Kapital von vorläufig 5 Mill. M. ins Leben gerufen
worden.
Dieses Unternehmen ist dazu berufen, mit dem britischen VerBicheriuigs-
monopol, wie es besonders durch das Versicherungsinstitut von Lloyds in Lon-
don verkörpert wurde, endgültig zu brechen. Die Zeiten, in denen den gerissenen
englischen Versicherungsgesellschaften ungeheuere Summen durch den in An-
spruch genommenen deutschen Kückvei sicher ungsmarkt zuilossen, gehören damit
der Vergangenheit an. Das junge Unternehmen soll sich vornehmlich mit der
Transportversicherung beschäftigen, es soll zur Kräftigung des deutschen Ver-
Hicherungsmarktes dienen und jede Auslandshilfe in Zukuntt entbehrlich machen.
Bisher waren die Maßnahmen, die die hanseatischen Kaufmann skreise zum Zwecke
der Befreiung von der engli:>chen Bevormundung ergriffen haben, nur theoretischer
Natur. Freilich muß dem zur Aufklärung gegründeten Versicherungswissen schaft-
üchen Verein in Hamburg nachgerühmt werden, daß er alle Hebel in Bewegung
gesetzt hat, um die Ausgestaltung der deutschen Transport- und Transportrück-
versicherung in die Wege zu leiten, indem er wiederholt auf den unbedingt not-
wendigen Ausbau der deutschen Transportversicherung hinwies, damit sie in Zu-
kunft den Wettbewerb mit jeder ausländischen, insbesondere englischen Gesell-
schaft aufnehmen kann. Durch die Gründung der „Albis" sind die theoretischen
Vorschläge in die Tat umgesetzt worden, und somit darf man wohl dieses Unter-
nehmen als den Auftakt zu weiteren Schritten auf dem deutschen Versicherungs -
markte ansehen. Als einen solchen muß wohl auch die im Entstehen begriffene
Hamburger „Seegilde", ein Verein, der den deutschen Versicherungsmarkt von
den Londoner Policen gänzlich unabhängig machen will, angespiochen werden.
Ueber die Gefährdung des Geschäfts der deutschen
VersicherungsgesellschafteninAmerika wird der „Frankf.
Ztg." aus Versicherungskreisen geschrieben:
Nachdem nach einer ersten Proklamation des Präsidenten Wilson vom
6. April 1917 den deutschen Versicherungs- und ßückversicherungsgesellschaften
in den Vereinigten Staaten die Fortsetzung ihres Geschäftes während des Kri^s
gestattet war, folgte am 13. Juli d. J. eine zweite, welche die Beteiligung am
Transport- und Kriegsversicherungsgeschäft diesen Gesellschaften untersagte. Wie
aus den jüngst eingetroffenen amerikanischen führenden Versicherungszeitungeii
hervorgeht, ist im Kongreß ein Gesetz über den „Handel mit dem Feind" in Be-
ratung, nach dessen ursprünglicher Fassung die deutschen Versicherungs- und
Kück Versicherungsgesellschaften als feindliche Unternehmungen gelten sohen, mit
welchen Geschätte abzuschließen jedem Bürger des Landes verboten ist. Zu dem
Gesetz ist ein Anhang in Vorschlag gebracht, wonach die Versicherungsgesell-
schaften eine Ausnahme bilden sollen, während Transaktionen mit anderen deut-
schen Konzernen verboten werden. Es soll also offenbar nach englischem Muster
das deutsche Versicherungsgeschäft in Amerika lahmgelegt werden, ein Bestreben,
das die englischen und amerikanischen Versicherungszeitungen nach Kräften zu
fördern suchen. So finden wir in der englischen Versicherungszeitung »The
Policy Holder" den Abdruck eines Artikels der New Yorker Best's Insurance
News über die letzte Verfügung des Präsidenten vom Juli, in dem ausgeführt
wird, daß diese Verfügung der ßegierung eine verspätete Anerkennung der Gre-
fahr darstelle, die in der bisher geübten Politik, den deutschen Gesellschaften da^
Weiterarbeiten zu gestatten, gelegen habe. Die Regierung sei aber auf halbem
Wege stehen geblieben, denn die bisherige Proklamation Wilsons beziehe sich nur
auf Kriegs- und Transportrisiken. Unbeachtet sei aber bibher geblieben, 'daß die
Direktoren und Angestellten der in Amerika arbeitenden deutschen Feuer versiehe-
— 713
rungsgesellschaften Einblick in die detaillierten Pläne und Kenntnis anderer hoch -
bedeutender Informationen über Anlagen erhalten, in denen Kriegsmaterial aller
Art sich befinde, ebenso über Docks, Warenhäuser usw., deren Kenntnis sich für
den Feind als von ebenso großem Wert wie für Amerika zum Schaden erweisen
könnte. Die einfachste Geschäftsklugkeit erforderte, daß die ßegierung jetzt das
tue, was sie bereits bei Ausbruch des Krieges hätte tun sollen, nämlich auf das
Geschäft und den Vermögensbestand aller deutschen Versicherungs- und Kück-
versicherungsgeselischafteu Beschlag zu legen. Die New Yorker Jiest's Insurance
News haben weiter an sämtliche amerikanische Versicherungsgesellschalten eine
Bückfrage erlassen, um festzustellen, welche amerikanischen Gesellschatten Rück-
versicherungsverträge mit deutschen, österreichischen und bulgarischen Gesell-
schaften in Amerika laufen haben. Aus den Antworten, die zum Teil abgedruckt
sind, geht hervor, daß diejenigen amerikanischen Versicherungsgesellschaften, die
nicht bereits ihre Verbindung mit deutschen Gesellschaften abgebrochen haben,
ernstlich in Erwägung ziehen, dies in kürzester Zeit zu tun, wobei vou den Ge-
sellschaften die Anschauung vertreten wird, daß es unter den gegenwärtigen Ver-
hältnissen für eine amerikauische Gesellschaft nicht möglich sei, ihr Geschäft mit
feindlichen Gesellschaften fortzusetzen. Unter solchen, durch hetzerische Zeitungs-
artikel erweckten Anschauungen ist leider zu befürchten, daß das deutsche Ver-
sicherungsgeschäft in den Vereinigten Staaten an die feindliche Konkurrenz ver-
loren gehen wird, wie denn auch schon eine Anzahl amerikanischer Versiche-
rungsgesellschaften ihre Rückversicherungsverträge mit deutschen Gesellschaften
aus eigener Initiative aufgehoben haben. Es ist wohl angebracht, dem gegenüber
auf die in Deutschland arbeitenden amerikanischen Lebensversicherungsgesell-
schaften zu verweisen, denen es gestattet ist, noch weiter ungestört ihre Geschäfte
zu betreiben. Was speziell das Kückversicherungsgeschäft in den Vereinigten
Staaten anbelangt, so hat es in den letzten fünf Jahren einen großen Auf-
schwung genommen, an dem vornehmlich die deutschen Gesellschalten beteiligt
sind. Die Prämieneinnahme betrug z. B. 1916 55 Mill. $ gegen 35 Mill. 1912.
Die Totalrückversicherungsprämie beläuft sich in den letzten fünf Jahren auf
216 Mill. $. Aus diesen Ziffern geht hervor, daß die deutschen Gesellschaften
durch die jetzigen feindlichen Machinationen in ihrem aufgebauten Geschäfts-
bestand in den Vereinigten Staaten jedenfalls empfindlich geschädigt werden
können. Es wird sich jedenfalls empfehlen, die im Gang befindliche Schädigung
der deutschen Versicherungsinteressen in Amerika scharf im Auge zu behalten,
üeber den Umfang dieser Interessen bietet die nachstehende Zusammenstellung
einen Anhalt,
Direkt arbeitende Feuer- und Transportversicherungs-
Gesellschaften.
Aaohcn und M unebener Feuer
Allianz Vers.-A.-G.
Hamburg- Bremer Feuer
Mannheimer Vers.
Nordfleutsche Vers.
Preußische National
Ncito-Surplus
einschließlich
Depotk:tpital
per
31. Dez. 1916
I
I 474000
437 000
604 000
1332000
1212 oco
I 202 000
Abge-
sehlo'sene
Netioprämien
pro 1916
Unverdiente
Prämie auf
noch laufende
Versiche-
runuen am
31. Dez. 1916
I
I 105 000
gqooo
I 164000
3 46s 000
650000*)
I 427000
I 223000
14000
I 124000
576000
891 000
I 394000
Der im 30. Jahrgang soeben erschienene Bericht des schwei-
erischen Versicherungsamtes für 1Ü15 bietet (so heißt es
1) Nur Feaerprämien, die Qesellsohaft verzeichnete aach 1 719 000 $ Transpori-
prämien.
— 714 —
in der „Frnkf. Ztg.'*), wenn er auch eine erheblich zurückliegende Zeit-
spanne umfaßt, in seinen Au>sfühjungen doch wieder weitgehendes In-
teresse und bildet in seinen zahlreichen statistischen Zusammenstellungen
eine Fundgrube wertvoller Anhaltspunkte auf dem versicherungstech-
nischen Gebiete.
Die Beantwortung der Frage, wie die VerBicherungsgesellschaften den tie£-
f;reifenden Wirkungen des Krieges begegnen, wie sie den vermehrten An-
orderungen aller Art gewachsen sein werden und welchen Einfluß die Zerstörung
der Güter auf das Vermögen der Gesellschaften haben dürfte, müsse noch zu
rückgestellt werden. Es könne nur erklärt werden, daß die Gesellschaften biß
zur Stunde, soweit dem Versicherungsamt bekannt ist, ihre Verpflichtungen er-
füllt haben. In der Schweiz treffen sich 29 schweizerische, 33 deutsche, 22 fran-
zösische, 6 englische und je 2 österreischich-ungarische, italienische und amerika-
nische Gesellschaften im Wettbewerb. Unter 96 konzessionierten Gesellschaften,
zu denen noch 9 mit Verzicht auf die KoLzession treten, sind also y.^ auslän-
dische. Das Versicherungsamt habe sich trotz des erbitterten Krieges die Ueber-
zeugung bewahrt, daß gerade das internationale Versicherungswesen
nach dem Kriege durch die Wiederherstellung internationaler Beziehungen am
raschesten gekräftigt und gefördert wird. Die gesamte schweizerische Prämien-
ein nähme stellte sich 1915 auf 109,05 Mill. frcs. gegen 107,88 im Jahr vorher
Davon entfallen 58,55 frcs. oder 2,48 Mill. weniger auf die Lebensversicherung,
25,38 Mill. frcs oder 4,14 Mill. weniger auf die Unfallversicherung und 14,23 Mill. frcs
oder 0,49 Mill. weniger auf die Feuerversicherung, während die Transportversiche-
rung eine weitere Steigerung um nicht weniger als 8,40 Mill. frcs. auf 14,46 Mill
aufweist. An Kapitalversicherungen kamen 1915 in der Schweiz 66,30 Mill. frcs. neu
hinzu gegen 86,77 Mill. frcs. 1914 und 126,44 Mill. frcs. 1913. Man muß schon
bis 19ü2 zurückgehen, um auf einen etwa ähnlich niedrigen Zugang (damals
63,40 Mill.) zu stoßen. Da dem verminderten Zugang ein verstärkter Abgang von
80,85 (i. V. 74) Mill. frcs. gegenübersteht, so ergibt sich diesmal eine Verminde-
rung aes Bestandes von 14,56 Mill. frcs., wobei die schweizerischen Gesellschaften
einen Zuwachs von 11,09, die ausländichen einen Abgang von 25,65 Mill. free
zu verzeichnen haben. Während der Gesamtbestand an Kapital Versicherungen
Ende 1914 noch 1286,31 Mill. frcs. betrug, ist er Ende 1915 auf 1271,75 Mill. frcs
oder um 1,1 Proz. zurückgegangen. Dagegen verzeichnet die Zahl der Policen
noch einen kleinen Zuwachs von 678 Stück oder 0,2 Proz., nämlich von 300319
auf 300997. Der Bericht betont die zahlreichen Schwierigkeiten, welche die an-
dauernde Kriegslage mit sich bringe.
„Die Valutafragen", so heißt es an gleicher Stelle, „haben auch die
schweizerischen Versicherungsunternehmungen, die, soweit sie außerhalb der
Schweiz arbeiten, ständig erhebliche Bestände ausländischer Effekten zu unter-
halten genötigt sind und teilweise beträchtlichen Barverkehr mit dem Auslande
haben, vor neue Verhältnisse gestellt. Es entstand die Frage, wie die recht um-
fangreichen, durch den Rückgang der ausländischen Zahlungsmittel entstandenen
Minderwerte bilanzmäßig zu behandeln seien. Die privaten schweizerischen Ver-
sicherungsunternehmungen, die in einem Verbände organisiert sind, wandten
sich zur Klarstellung an das eidgenössische Versicherungsamt in Bern. Dessen
Bescheid ging dahin, daß die in Betracht kommenden Anlagen, da es sich um
lana:fristige Investitionen handle (meist für Depotzwecke), nicht zu den jeweiligen
Tageskursen in die Bilanz aufgenommen zu werden brauchen, daß aber in den
Fällen, in denen die Bilanzierung unter dem eben erwähnten Gesichtspunkte er-
folge, die Stellung „angemessener" Kücklagen zu empfehlen sei. Auf Grund diese»
Bescheides begnügten sich zunächst fast alle Versicherungsunternehmungen mit
der Stellung von gewissen Reserven, die natürlich — dem Sinne des Bescheides des
Vesicherungsamtes entsprechend — das entstandene Valutarisiko nicht völlig aus
glichen. Allmählich trat indessen ein Wandel in der Behandlung der Bilanz-
frage ein. Eine steigende Zahl von Versicherungsunternehmungen bucht das
Kisiko jetzt voll und direkt ab, wird also, wenn die Valuten sich eines Ta^es
erholen, für entsprechend stille Rücklagen vorgesorgt haben. Diese vorsichtige
- 715 -
OcBchäftspolitik wurde durch die Prämienpolitik ermöglicht, die, soweit Kriegs-
prämien in Frage kommen, den Versicherern schon bisher Verdienstmöglichkeiten
ließ und die auch noch jetzt unter den wesentlich verschlechterten ISchadenverhält-
nissen gewisser Branchen, einen gewissen Ausgleich bietet."
Die japanische Seeversicherung erbebt für Fahrten von Japan nach
London und Liverpool einen Satz von 2 £ 6 sh, während die erheblich kürzeren
Strecken von Japan nach Südafrika 3 £ 14 sh, nach Ceylon und den Meerengen-
häfen 4 £ 10 sh und nach China sogar 4 £ 12 sh berechnet werden. Je kürzer
die Strecke, desto höher die Versicherung. Dadurch soll erreicht werden, daß
die japanischen Reeder ihre Schiffe aus anderen Fahrten wegnehmen, um sie
zwischen Japan und England laufen zu lassen. Die bedeutsamste Bestimmung
ist aber, daß, während bisher engliche und japanische Schiffe gleichmäßig be-
handelt wurden, die nene Seeversicherung für Ladungen nach englischen Häfen
nur gewährt wird, wenn die Beförderung in japanischen Schilfen erfolgt. Die ge-
samte Versicherung wird vom japanischen Staat garantiert.
Japans Vorstoß gegen die engliche Schilf ahrt durch die Bestimmungen der
neuen japanischen Seeversicherung kommt völlig überraschend. Das ganze ja-
panische Unternehmen ist ersichtlich darauf angelegt, die Schiffahrt zwischen
England und Ostasien auf Kosten Englands in möglichst weitem Umfange den
japanischen Reedereien zuzuwenden.
2. Sozialversicherung.
Um im Interesse der Angestelltenversicherung und besonders auch
im Interesse der Versicherten selbst die Nachteile einer Verjährung
während des Krieges zu beheben, hat der Bundesrat verordnet, daß
die für die Verjährung des Anspruchs auf Beitragsrückstände
im § 228 Abs, 1 des Versicherungsgesetzes für Angestellte be-
stimmte Frist nicht vor dem Schluß des Kalenderjahres abläuft, das
dem Jahre folgt, in welchem der gegenwärtige Krieg beendet ist. Dies
soll jedoch nicht für solche Ansprüche auf Rückstände gelten, welche
am Tage des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits verjährt sind.
Die Verordnung hat insbesondere für die V^ ersicherten mit Rücksicht
auf den § 54 des Versicherungsgesetzas für Angestellte Bedeutung,
wonach die Höhe des Ruhegeldes von der Zahl der entrichteten Bei-
träge abhängt.
Die österreichische Krankenversicherung (§ 14 Ver-
ordnung vom 1. Jänner 1917, die nun in ein Gesetz verwandelt wird)
sieht die Einführung des Lohnklassen Systems vor. Bisher
ist es aber nur bei veihältnismäßig wenigen Krankenkassen durchge-
führt worden. Da jedoch das Bedürfnis nach Anpassung der Ver-
sicherungsleistungen an die Löhne unter den gegenwärtigen Verhält-
nissen immer dringender wird, beabsichtigt das Ministerium des Innern,
die Einführung des Lohuklassensystems möglichst zu beschleunigen
und hierfür als äußersten Termin den 1. Jänner 1918 zu bestimmen.
Die österreichische Regierung hat dem Abgeordnetenhaus
einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem anläßlich der Errichtung
eines Ministeriums für soziale Fürsorge gesetzliche Bestim-
mungen tiber den Wirkungskreis einzelner Ministerien abgeändert
werden sollen.
Das bis jetzt ausschließlich für den Bereich der Fabrik- und Berg-
werkindustrie geltende russische Krankenversicherungsge-
— 7i6 —
setz ist neuerdings von der Provisorischen Regierung, nach einem
Entwurf des Arbeitsministeriums, außerordentlich erweiteit worden. Es
gilt nunmehr für die gesamte Fabrikindustrie, für Berg- und Hütten.-
werke, dann für das gesamte Handwerk, die Eisenbahnen, die Binnen-
schiffahrt, die Straßenbahnen, das Baugewerbe usw., indessen nur insofern,
als eine Mindestzahl von fünf Arbeitern beschäftigt wird. Gleichzeitig
ist der ganze Aufbau der Versicherung in demokratischer Richtung ver-
vollständigt worden. Die Verwaltung der Kassen übergeht gänzlich
in die Hände der Arbeiter. Das frühere Verbot der Ausdehnung der
Kassen durch Zusammenschluß oder Einbeziehung neuer Betriebe (die
russischen Krankenkassen sind Betriebskassen) fällt fort, so daß es den
Kassen freisteht, sich zu Berufs- und Ortskassen zu entwickeln. Den
Unternehmern wurden größere Lasten auferlegt, so z. B. fallen die
Kosten der ärztlichen Hilfe zu ihren Lasten. Dadurch wird es den
Kassen möglich gemacht, größere Unterstützungen auszuzahlen, sowie im
allgemeinen ihre gemeinnützigen Einrichtungen auszubauen. Die Kranken-
unterstützungen sollen dabei auf die Höhe der Hälfte bis zu zwei Drittel
des regulären Lohnes des erkrankten Mitgliedes gebracht werden können.
Via. Geld, Kredit, Währung.
Inhalt: 1. Der internationale Geldmarkt und die Entwick-
lung in den wichtigeren Ländern während des Monats Oktober.
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung, a) Banken im In- und
Auslande, b) Kreditwirtschaftliche Maßnahmen in Deutschland und
den besetzten Gebieten Rußlands und Rumäniens*, Frankreich, Griechenland,
Oesterreich- Ungarn , Spanien, c) Bargeldloser Zahlungsverkehr in
Deutschland, den Niederlanden, Schweden, d) Börsenwesen in Deutschland,
Italien, Kanada, e) Währungs- und Noten bankwesen in Deutschland,
Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz, der Türkei, Japan, Mexiko.
3. Statistik. Uebersicht über den Stand der hauptsächlichen
Notenbanken und der Bankzinssätze.
1. Der internationale Geldmarkt und die Entwicklung in
den wichtigeren Ländern während des Monats Oktober.
Die Entwicklung auf dem internationalen Geldmark t zeigte
während des Monats Oktober keine wesentliche Veränderung ^j 2) Sj gegen-
1) Eaarland mußte zur Rückzahlung fälliger Schatzweohsel 9 Mill. hfl. nach
Holland ausführen („Prankf. Ztg." v. 21. Okt.). — Kanadische Banken trafen mit dem
Frderal Reserve Board ein üebereinkommen wegen Verschiffung geringer Goldbeträge zur
Regulierung des Wechselkurses („The Economist" v. 3. Nov.). — Holland mußte aber-
mals Gold nach der Schweiz senden („L'ficon. Europ." v. 26. Okt.). — Der in Indien
aulbewahrte Teil der indischen Goldreserve, der vor ein paar Jahren 11*/, Mill. £ über-
stieg und 1915 noeh 4'/, Mill. £ betrug, ist jetzt aufgezthrt, während die indische Reserve
in England auf fast 27 '^ Mill. £ gestiegen ist („Seotsman" v. 13. Okt.). — Die un-
günstige Entwicklung des $ in den nordischen Ländern wurde durch Verkäufe amerika-
nischer Wertpapiere 8<itens dieser Länder no»h verstärkt („L'ficun. Europ." v. 26. Okt.).
2) In London wurden abermals italienische Schatzwechsel aufgelegt („The Econo-
mist" V. 13. Okt.). — England brachte in Holland neue dreijährige Schatzwechsel
unter („Nieuwe Rotterdamsche Courant" v. 31. Okt.). — Japan gab an Rußland weitere
50 Mill. Yen (vgl. S. 557, Anra. 4).
3) Die starke Ueherwertung der schwedischen Kr gegenüber der dänischen Kr (bis
zu 20 Proz., vgl. „Frankf. Ztg." v. 25. Okt.) veranlaßte das schwedische Handelskolle-
— 717 —
über dem Vormonat. Unter der Einwirkung der den Handelsverkehr be-
schränkenden Maßnahmen^) der Ententeländer setzte sich die Entwertung
ihrer Wechselkurse fort; z. B. stieg das Disagio des Pfund wechseis
im Berichtsmonat in Amsterdam von 6,8 Proz. auf 12,5 Proz., in Stock-
holm von 28,7 auf 44,9 Proz., in der Schweiz von 11,9 auf 15,2 Proz.
Da England, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika be-
strebt waren, untereinander das bisherige Wertverhältnis ihrer Währungen
aufrechtzuerhalten ^), erfuhren auch die Dollar- und Frankenkurse in
den neutralen Ländern entsprechende Entwertungen (vgl. „Börsen" v.
26. Okt.). Die Wechselkurse der Mittelmächte 3) zeigten gleichfalls eine
rückläufige Bewegung, die aber gegen Ende des Monats unter der Ein-
wirkung der Kreditgeschäfte mit den Neutralen — auch das holländisch-
deutsche gelangte zum Abschluß — und angesichts der militärischen
und politischen Eifolge (Offensive gegen Italien, Verhandlungen mit
Rußland) zum Stillstand kam. — Die gegen die starke Steigerung des
Silberpreises unternommenen Maßregeln*) (vgl. S. 630) hatten in
Gemeinschaft mit dem Nachlassen der Nachfrage nach Silber besonders
Seiten Chinas zur Folge, daß der Preis von seinem Höchststand (55 d
gegen Ende September) bis auf 41^8 d zurückging. Am Monatsschluß
wurde er wieder mit 46 d notiert.
Für die fortdauernd günstige Verfassung des deutschen Geld-
marktes erbrachte das Zeichnungs- und Einzahlungsergebnis der
7. Kriegsanleihe 5) einen neuen Beweis. Ohne Berücksichtigung der Kon-
versionen früherer Anleihen wurden — nach den vorläufigen Ziffern —
durch 5 213 373 Einzelzeichnungen 12 457,9 Mill. M aufgebracht. Die
Einzahlungen vollzogen sich noch schneller und stärker ^ und die Dar-
gium, hierüber eine Untersuchung anzustellen („National Tidende" v. 13. Nov.)« — Die
norvregiächen Banken kamen überein, schwedische Valuta nur für den Import zum
Zwecke des eigenen Verbrauchs abzugeben („Wirtsch. Nachrichtendienst" v. 14. Nov.).
Nachdem schwedische Banken sich geweigert haben, dänisches Gold zum vollen Kurse
in Zahlung zu nehmen, gaben die Kopenhagener Großbanken den Währungshandel mit
Schweden auf („Handel und Industrie" v. 17. Nov.).
1) Die Vereinigten Staaten von Amerika forderten von den an Deutschland
grenzenden neutralen Staaten, die Ausfuhr nach Deutschland vollkommen einzustellen
(„Norges Hand, og Sj. of T." v. 23. Okt.).
2) Von diesen Staaten wurde eine Comraission de Change eingesetzt, um die
Wechselkurse zu kontrollieren und sie gegen Spekulationen zu schützen („L'j^con. Europ."
y. 26. Okt.).
3) Zur strafferen Durchführung der Devisenordnung knüpfte die deutsche Reichs-
bank die Genehmigung zum Verfügen über die durch Wertpapierverkäufe au» Oesterrcich-
Ungarn geschaffenen Markguthsiben an die Bedingung, daU der Markcrlös des Verkäufers
eutwedcr zur Deckung einer Schuldverbindliohkeit in Deut.<(chlan<l verwnndt oder auf
ein b i einer ersten deutschen Bank oder Bankfirma bis 12 Monate nach Friedensschluß
gesperrtes Konto eingezahlt wird („Frankf. Ztg." v. 12. Okt.).
4) In Italien werden d'e silbernen Scheidemünzen zu V»» ^ ""^ 2 Lire eingezogen.
Der Besitz von mehr als 10 Lire solcher nicht mehr umlaufsfähiger Scheidcuiünzcn ist
mit Strafe bedroht. („Gazotta üffiziale" v. 24. Sept.) — Das amerikanische Schatzamt
überließ Mexiko 15 Mill. $ Gold unter der Bedingung, daß Mexiko sein Ausfuhrverbot
für Silber aufhöbe („Frankf. Ztg." v. 26. Okt.).
5) Vgl. hierzu die Au>führungen des Reichsbankpräsidenten in der Zentralnussehuß-
flitzuog V. 30. Oktober, des Staatssekretärs des Ruichsschatzamtes in der Reichstags-
sitzung vom 1. Dezember.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. Volkswirtsch ..Chronik. 1017. XLVIII
- 7l8 -
lehnskassen brauchten in noch geringerem Umfange in Anspruch ge-
nommen zu werden als bei den vorhergegangenen Anleihen. Am 31.
Oktober, dem auf den ersten Pflichteinzahiungstermin folgenden Aus-
weistage der Reichsbank, waren bereits 10 470 Mill. M, == 84 Proz.,
voll gezahlt, und hierzu hatten die Darlehnskassen nur 135 Mill. M,
= 1,3 Proz. der bisherigen Vollzahlung, an Darlehen erteilen müssen.
Der Privatdiskontsatz hielt sich wie in den Vormonaten un-
verändert auf 4% Proz. Der Satz für tägliches Geld erfuhr im
Zusammenhang mit den Einzahlungen auf die 7. Kriegsanleihe vorüber-
gehend eine geringfügige Steigerung. Er betrug im Monatsdurchschnitt
4,135 Proz. gegen 3,989 Proz. im September. Ultimogeld bedang
Im Status der Reichsbank war gegenüber dem Stande von
Ende September im Zusammenhang mit den Einzahlungen auf die
Kriegsanleihe eine wesentliche Entlastung sowohl der Anlage (auf
11 866 Mill. M) als auch der fremden Gelder (auf 5686 Mill. M) zu
beobachten. Der Zahlungsmittelbedarf blieb groß; an Banknoten mußten
im Berichtsmonat 195 Mill. M, an Darlehnskassenscheinen 178 Mill. M
neu in Verkehr gegeben werden.
Der englische Geldmarkt zeigte sich im Berichtsmonat —
nach dem Termin — vielfach flüssig, wurde aber nach wie vor voll-
kommen durch die Kriegsfinanzierung in Anspruch genommen i). Neben
der ungünstigen Entwicklung der Wechselkurse (vgl. oben) rief der
trotz aller Propaganda 2) unbefriedigende Absatz der neuen National
V^ar Bonds') Beunruhigung hervor (vgl. „Financial Times" und „West-
minster Gazette" v. 6. Nov.). Angesichts der bedeutenden Vorschüsse
der Vereinigten Staaten von Amerika*) wurden wiederum Befürch-
tungen wegen zu großer finanzieller Abhängigkeit laut^). Trotz der
starken Heranziehung der Dominions zur Deckung der Kriegskosten ^i
1) Im 3. Quartal konnten englischen Gemeinden sowie englischen und auslän-
dischen Eisenbahngesellschaften keine Kapitalien zur Verfügung gestellt werden („The
Econ." V. 6. Okt. S. 491).
2) Wie Sir Robert Kindersley, der Vorsitzende der für Werbearbeit besonders
begründeten Kriegssparausscbnsse, ausführte, sollen u. a. in den nächsten zwei bis drei
Monaten l'/, Millionen persönliche Zeichnungsaufforderungen an die Dividendenempfänger
gesandt werden („Fin. News" v. 17. Nov.).
3) Die Wochenergebnisse stellten sich bis einschließlich 3. Nov. anstatt der er-
warteten 30 Mill. £ („The Ecod." vom 13. Okt.) auf 6,2, 7,8, 20,5, 17,8 und 12,3
Mill. £. — Nach Berechnungen des englischen &tatisiikers Leppington wurden Ende
1916 auf 668 Mill. £ der an der Londoner Börse g«han<ielten Wertpapiere (darunter
auf 300 Mill. £ amerikanischer) weder Zinsen noch Dividenden gezahlt („Börsen"
V. 26. Okt.).
4) Bis Anfang November wurden an Vorschüssen 1860 Mill. $ bewilligt.
5) „The Econ." (v. 27. Okt. S. 687) forderte, daß die im Ausland aufgebrachten
Kredite in der Woche 8 Mill. £ nicht übersteigen sollten.
6) Indien hat von der englisehen Kriegssehuld 66 Mill. £ übernommen („The
Statist" V. 3. Nov.). Außerdem wurden in Indien 6-, 9- und 12-monatige Schatz-
wechsel ausgegeben. Bis Anfang September wurden von Kanada dem Mutlerlande in
bar und in Wertpapieren insgesamt 443 Mill. $ gewährt („Frankf. Ztg." v. 18. Okt.).
. Neuseeland legte eine 47j-proz. steuerfreie innere Kriegsanleihe über 12 MUl. £ aal
(„The Econ." v. 12. Okt.), desgleichen Kanada seine vierte.
- 719 —
Wieben die Schwierigkeiten des Geld- und Kapitalmarktes groß („The
Statist", „The Econ." v. 3. Nov., „Manch. Guardian" v. 31. Okt.). Zu
ihrer Lösung wurde einmal die Erhebuug einer beträchtlichen Kapital-
abgabe ^), zum andern von neuem die Ausgabe einer Prämien- oder
einer Zwangsanleihe in Vorschlag gebracht ^j.
Der Privatdiskont hielt sich auf 4t^^l^2 "°^ "^^Vie I*roz., er
betrug im Monatsdurchschnitt 4,682 Proz. gegen 4,787 Proz. im Vor-
monat. Der Satz für tägliches Geld unterlag nur geringen
Schwankungen und ging im Monatsdurchschnitt mit 3,972 Proz. gegen-
über dem September (3,984 Proz.) um eine Kleinigkeit zurück.
Die in den Ausweisen der Bank von England sich zeigenden
zum Teil beträchtlichen Verschiebungen blieben auch für die eng-
lische Finanzpresse schwer verständlich 3). Der Barvorrat nahm um
fast 1 MiU. £, der Notenumlauf um 1,2 Mill. £ zu. — Der Umlauf an
Currency notes*) stieg weiter von 180,7 Mill. auf 187,2 Mill. £.
Am französischen Geldmarkt wurden die vorhandenen Mittel
in erster Linie den Bedürfnissen der Regierung vorbehalten, die in
einzelnen Fällen ihre Zustimmung zur Befriedigung ausländischen
Kreditbedarfs versagte („Petit Bleu" v. 24. Okt.). Die lebhaften Er-
örterungen über die Ausgabe der III. Kriegsanleihe nahmen ihren
Fortgang, bis die Regierung gegen Ende des Monats mit ihrem An-
leiheplan hervortrat. Die Bedingungen S) der in erster Linie zur Kon-
version der außerordentlich hohen schwebenden Schuld bestimmten An-
leihe kennzeichnen die Lage des französischen Geldmarktes und die
Zurückhaltung der Kapitalisten.
Die Bank von Frankreich, deren Privileg nach längeren
Verhandlungen um 25 Jahre verlängert wurde („Journal des Debats"
V. 28. Okt.) hatte weitere erhebliche Ansprüche zu befriedigen. Die
Vorschüsse an die Regierung stiegen um 500 Mill. Frs und machten
die Erhöhung der Vorschußgrenze um 3 Milliarden Frs von 12 auf 15
Milliarden Frs notwendig (vgl. L'Ec. Europ. v. 12. Okt. S. 283); den
Verbündeten mußten 145 Mill. Frs neu bewilligt werden. Der Noten-
1) Vgl. die Ausführungen in „Daily News" und „The Nation", welch letztere die
Erhebung einer Kapitalabgabe von 2 Milliarden £ für das laufende Etatsjahr befür-
wortete (s. „Frankf. Zig." v. 19. Okt.).
2) Vgl. „Daily Graphic" v. 22. Okt. — Bonar Law kündigte die Bildung eines
Parlamentsausschusses, der sich mit dieser Frage befassen soll, an (vgl. „Financial
Times" v. 6. Nov. und „Manch. Guardian" v. 26. Okt.).
3) „The Econ." (v. 13. Okt. S. 521) nennt den Ausweis eine Geheimschrift, die
einige noch zu entziffern versuchen.
4) B«zt;iohnend ist eine Bekanntmachung des Schatzamts, die sich gegen die Ver-
breitung von Gerüchten wendet, durch die djis Vertrauen in Bank- und Currency Notes
untergraben wird (vgl. „Voss. Ztg." v. 26. Okt.). Auf eine Anfrage im ParlHment, ob
«ur Einschränkung der Preissteigerung neue Currency notes nur als Ersatz für zurück-
gezogenes Papiergeld ausgegeben werden sollen, antwortete Bonar Law ablehnend („Fin.
Times" v. 25. Okt.).
5) 4- proz. steuerfreie, in den nächsten 25 Jahren vor jeder Konversion geschützte
Bentenanleihe zum Kurse von 68,60; Zeichnungsfrist 26. Nov. bis 16. Dez.; mit
Bilfe eines — nach engli>chem Muster — zu bildenden Entwertungsfonda sollen Kurs-
rückgänge verhindert werden.
XLVin*
— 720 —
Umlauf erfuhr eine Steigerung um mehr als 1 Milliarde Frs^). — Die
NotenemisHionsgrenze der Bank von Algier, die bereits im September
um 50 Mi IL Frs auf 600 Mill. Frs erhöbt worden war, mußte erneut
um 50 Mill. Frs hinaufgesetzt werden („L'ic. Europ. v. 19. Okt.
8. 249). —
Ein Zeichen für die befriedigende Verfassung des österreichisch-
ungarischen Geldmarktes war die weitere Zunahme der Ein-
lagen bei Banken und Sparkassen 2). Die Geldsätze erfuhren sowohl
in Wien als auch in Budapest eine kleine Steigerung, wodurch die
Ausbreitung der Spekulation 8) an den Börsen aber nicht gehindert
wurde. Der Notenumlauf der Oester reichisch-Ungarischen
Bank belief sich nach einer Erklärung des ungarischen Minister-
präsidenten auf 15,6 Milliarden K („Wirtschaftszeitung der Zentral-
mächte" V. 26. Okt.); Mitte Juli 1917 soll er 12 Müliarden be-
tragen haben.
Auf dem russisch en Geldmarkt blieben die Verhältnisse nach
wie vor ungeklärt. Das Notenemissionsrecht der Russisch en Staats-
bank wurde am 16. Oktober abermals um 2 auf I6V2 Milliarden Ro
erhöht („Nowoje Wremja" v. 16. Okt.). Der Entwertung des Rubels
im Auslande konnte durch die Finanzoperationen der Regierung *) nicht
Einhalt geboten werden.
Die Lage am Geldmarkt der Vereinigten Staaten von
Amerika w^urde ausschlaggebend beeinflußt durch die teils geleisteten,
teils vorbereiteten Einzahlungen auf die II. Kriegsanleihe, die, durch
besondere Maßnahmen begünstigt ^j, dank einer riesigen Propaganda
(vgl. ,,Le Temps" v. 4. Okt.) ein Zeichnungsergebnis von 4,6 Mil-
1) Der Streit um die vorgeschlagenen 4-proz. 4-jäbrigen Bons mit Zahlungsmittel-
eigenschaft setzte sich fort. Neben Langbiis, Chambry; Bonnel, Citroen, Duclos vertrat
der frühere Unterstaatssekretär Maurice Ajum die Ansicht, daß durch solche Bons die
Noten der Bank von Frankn-ich entwertet wüiden ; er predigte die Vermehrung des
Papiergeldes, der unverzinslichen Staalsubligationen („La Victoire ficonomique" ▼.
6. Okt).
2) Z. B. stiegen im Oktober die Einlagen bei der österreichischen Postsparkasse
um 3,8 Mill. K, bei der ersten ö>terreichischen Sparkasse um 5,3 Mill. K.
3) Vgl. die Ausführungen Wekerles im Abgeordnetenhaus über die Ausschreitungen
der Spekuliition („Voss. Zg." v. 26. Okt.).
4) In Finnland wurde eine 6-proz. Valutaanleihe über 125 Mill. FM auf 5 Monate
abgeschlossen („Nowoje Wremja" v. 6. Okt.); die Vereinigten Staaten gewährten Ruß-
land einen weiteren Vorschuß von 50 Mil. $, wodurch die gesamten Vorschü.»se auf
325 Mill. $ angestiegen sind f„Le Temps" v. 22. Okt.). Japan überließ weitere
50 Mill. Yen, und die vorjährige Anb-ihe über 14 Mill. Yen wurde um ein neues Jahr
verlängert („Russkoje Wolga" v. 10. Okt.).
5) Wie aus London gemeldet wurde, sollen die beschlngnahmten deutschen Gut-
haben von mehr als 200 Mill. $ in Kriegsanleihe angelegt worden sein („BcrL
Tageblatt" v 1. Nov.). Die Begebung von wöchentlich 15 Mill. $ englischer Schatz-
wech^el (vgl. S. 557 und 629) unterblieb während der Zeichnungsfrist („Frankf. Ztg."
V. 2C. Okt.). — Einige der Federal Reserve-Banken (unter ihnen Nrw York) bcmaßi^n
den Zinsfuß, zu dem sie Regierung«<sicherheiten rediskontieren, auf 3'/» Pioz., um die
B.inkcn und Tiustgesel Schäften in die Lage zu setzen, den ZeichL.crn der IL Anleihe
Geld zu dem Satze von 4 Proz. zur Verfügung zu steilen („The Chronide" v. 6. Okt.
S. 1344).
— 721 —
liarden $ bei 9,4 Millionen Einzelzeichnungen erzielte ^). Der mit der
Anleiheauflegung im Zusammenhang stehende Rückgang verfügbarer
Kapitalien trug zu einer weiteren Verflauung an der Börse und zur
Erhöhung des allgemeinen Zinsniveaus bei ^). Bemerkenswert sind
die Bemühungen, das amerikanische Banksystem für die steigenden
Anforderungen des Krieges geeigneter zu gestalten ^). Der Federal
Reserve Board richtete an Mitgliederbanken und Nichtmitglieder das
Ersuchen, Goldmünzen und Goldzertifikate aus dem Verkehr zu ziehen
(vgl. „Wirtschaftsdienst" v. 12 Okt.), während Präsident Wilson alle
Staats- und Trustbanken dringend ermahnte, sich den Federal Eeserve-
Banken*) anzuschließen (vgl. „The Statist" v. 20. Okt. S. 639). —
Daß der Satz für tägliches Geld sich im Monatsdurchschnitt mit
3,845 Proz. gegenüber dem Vormonat (4,461 Proz.) günstiger stellte,
hatte seinen Grund darin, daß von den Banken die für Zwecke der
späteren Einzahlungen auf die Kriegsanleihe benötigten Gelder kurz-
fristig ausgeliehen wurden.
2. Weitere Vorgänge und Gesetzgebung.
a) Banken im In- und Auslande.
Es wurden übernommen: von der Dresdner Bank, Berlin, (vgl.
S. 634): die Aschaffen burger Volksbank Aktiengesellschaft, Aschaffen-
burg; — von der Bank für Handel und Industrie, Berlin, (vgl. S. 560):
die Bankfirmen Siegfried Simon, Köln, und Bernstein & Fränkel,
München; — von der Bayerischen Handelsbank, München, (vgl. S. 560):
das Bankhaus Eleischmann & Theobald, Aschaffenburg, und eine Kom-
iuanditbeteiligung an dem Bankgeschäft Karl Blatner, Neuötting, mit
Filiale in Altötting; — von der Bayerischen Vereinsbank, München,
(vgl. S. 560): die Bankfirma S. Weinmayer, Mainburg, und eine Kom-
1) Da auf die den aufgelegten Betrag von 3 Milliarden $ übersteigenden Zeich-
nungen nur 50 Proz. zugeteilt werden sollen, stellte sich das Ergebnis auf 3808 Mill. $.
— ■ Daß auch dieser Betrag noch nicht fest untergebracht wurde, kann man aus dem
Sinken des Kurses unter den Emissionskurs schließen („Frankf. Ztg." v. 24. Nov.).
2) Während vorher die bis zum Eingang der Anleihebeträge ausgegebenen Certi-
ticates of indebtedness in Beträgen von 300 Mill. $ zu 3V2 Pfoz. untergebracht werden
konnten, mußten Ende September 400 Mill. $ zu 4 Proz. aufgelegt werden („The Econ."
T. 27. Okt. S. 695).
3) Angesichts der erwarteten starken Inanspruchnahme der Föderal Reserve-Banken
für die II. Kriegsanleihe befürwortete man, djiß Handelswechsel nur noch mit vier-
monatiger (bisher sechsmonatiger) Laufzeit ausgestellt werden dürfen („Comm. and Fin.
Chronicie" v. 13. Okt. S. 1462), und daß amerikanische und ausländische Regiernogs-
obligationen als Deckung für die von den Federal Reserve- Banken ausgegebenen Noten
zugelassen werden. — Zur Verhütung von Geldkrisen wurde gefordert, daß den Federal
Reserve- Banken auch die Lombardierung von börsengängigen Wertpapieren ermöglicht
wird („The Statist'* v. 6. Okt. S. 556). — Vgl. den Aufsatz von Cassel in „Svenska
Dagbl." V. 1. Okt., der die finanzielle Leistungsfähigkeit der Vereinigten Staaten ziem-
lich pessimistisch bespricht.
4) In einem Rundschreiben wird den Banken des New Yorker Federal Reserve-
Distrikts zur Pflicht gemacht, Gold nur zur Bezahlung von Importen auszuführen („The
Statist" V. 27. Okt. S. 687). — Durch ein von Wilson am 6. Oktober gezeichnetes Ge-
set» wurden die Nationalbanken zur Ausgabe kleiner Noten ermächtigt.
— 722 —
manditbeteiligung an dem Bankhaus Gebrüder Haas, Rothenburg o. T.,
mit Filiale in Uffenheim ; — von der Deutschen Effekten- und Wechsel-
bank, Frankfurt a. M., (vgl. Chr. 1916 S. 498): die Bankfirma J. Maggi-
Minoprio, Frankfurt a. M.; — von dem A. Schaaffhausenschen Bankverein,
Köln, (vgl. S. 634): das Bankhaus J. Kippenberger, Siegen; — von
der Thüringischen Landesbank A.-G., Weimar: die Saalfelder Filiale
des Pößnecker Bankvereins, e. G. m. b. H., Pößneck; — von der London
County and Weatminster Bank Ltd, London, (vgl. S. 119): die Ulster
Bank Ltd, Belfast; — von der Banca Italiana di Sconto, Mailand,
(vgl. S. 285): die Banca Veneta di Deposit! e Conti Correnti, Venedig;
— von der Petersburger Disconto-Bank, Petersburg, (vgl. Chr. 1916
S. 523): das Bankhaus Djschamgarowti fr^res, Moskau; — von der
Svenska Emissions Aktb., Stockholm: die Finans Aktb. ; — von der Aktb.
Svenska Landsmännens Bank, Stockholm, (vgl. Chr. 1916 S. 827): die
Aktb. Blekinge Bank; — von dem Schweizer Bankverein, Basel: die
Banque de Nyon c. d. Baup & Co., Nyon-Neudt (Waadt), mit Filialen
in Morges. Rolle und Vallorbe.
Zweiganstalten eröffnen: die Deutsche Bank, Berlin, (vgl.
S. 149) in Bukarest; — die Dresdner Bank, Berlin, (s. oben) in
Bukarest (nach Friedensschluß); — die Bank für Handel und Industrie,
Berlin, (s. oben) in Cuxhaven; — der Bankverein für Schleswig- Holstein
A.-G., Neumünster, in Wandsbeck; — die Mitteldeutsche Privat-Bank
A.-G., Magdeburg, (vgl. S. 634) in Lauscha und Neuhaus in Thüringen ;
— die Süddeutsche Disconto- Gesellschaft A.-G., Mannheim, in Baden-
Baden, Bruchsal, Durlach, Freiburg i. Br., Heidelberg, Karlsruhe, Lahr,
Landau, Pforzheim, Pirmasens und Worms ; — die Thüringische Landes-
bank A.-G., Weimar," (s. oben) in Rudolstadt; — die London County
and Westminster Bank Ltd, London, (vgl. S. 119) in Bordeaux und
Marseille; — die National Bank of South Africa Ltd, Pretoria, (vgl.
Chr. 1916 S. 889) in Tabora (Deutsch-Ostafrika); — die Banque Nationale
de Gröce, Athen, in Chios, Cozanis, Mytilene und Samos ; — der Banco
di Napoli, Neapel, in Chicago; — die Holländisch-Südamerikanische
Bank, Amsterdam, (vgl. S. 560) in Bahia, Belle Horizonte und Santo
(sämtlich in Brasilien) ; — die Russisch- Französische Bank, Petersburg,
(vgl. Chr. 1916 S. 358) in Paris; -— der Banco de Bilbao, Bilbao, in
London; — die American Express Company, New York, in Buenos
Aires, Hongkong, Manila, Shanghai und Yokohama; — die Mercantile
Bank of the Americas, New York, (vgl. S. 634) in Caracas (Venezuela)^
und Maracaibo (Venezuela); — die Bank of Montreal, Montreal, in
London.
Gegründet wurden: in Berlin mit 1 Mill. M die Hypotheken -
schutzbank für Brandenburg und Groß-Berlin und in Essen mit 1 Mill. M
die Rheinisch- Westfälische Hypothekenschutzbank (vgl. S. 49); — in
Berlin mit 6 Mill. M die Hermes Kreditversicherungsbank A.-G.; —
in Lublin die Polnische Landesbank; — in Rom mit 1 Mill. Lire die
Banca Regionale; — in Groningen mit 3 Mill. hfl die Koloniale Kultuur-
eii Handelsbank ; — im Haag mit 1 Mill. hfl die Indochinesische Bank ;
- 723 -
— in Rotterdam mit 1 Mill. hfl die N. V. Zuid-Nederlandsche Scheeps-
hypothekenbank ; — in Tiel mit 1 Mill. hfl die N. V. Industrie- en.
Landbouwbank; — in Svolvaer (Norwegen) mit mindestens 1, höchstens
1,5 Mill. Kr die Bank für das Lofotengebiet ; — in Borlänge (Schweden)
mit 1 Mill. Kr die Aktb. Oefre Västerdalensbank ; — in Malmö mit
mindestens 6, höchstens 18 Mill. Kr die Sydsvenska Emissions Aktb.
(Südschwedische Emissionsgesellschaft) ; — in Stockholm mit 3 Mill. Kr
unter Uebernahme der Aktb. Stockholms Folkbank, der Gerell's bankir
och växelaffär und der Osborn Klings Bank die Affärsbanken , mit
16 Mill. Kr die Aktb. Köpmannabanken (Kaufmannsbanken A.-G) und
mit mindestens 0,5, höchstens 1,5 Mill. Kr die Svenska förvaltnings-
kassans förlagsbolag ; — in Uesküb mit 3 Mill. Lewa die Skopska
Torgowska Banka (Uesküber Handelsbank); — in Barranquilla (Ko-
lumbien) mit 0,5 Mill. Goldpesos der Banco Dugaud mit Filiale in
Santa Marta; — in Villa E-ica (Paraguay) die Agencia Industrial y
Comercial del Paraguay; — in San Salvador der Credito Agricola
Salvadoreno; — in Tokio die Tokio Furukawa Ginko.
Die Galizische Städtische Kriegskreditanstalt (vgl.
Chr. 1916 S. 609) verlegt ihren Sitz von Krakau nach Lemberg.
Wie der „Oest. Volksw." v. 6. Okt. meldet, prüft das japa-
nische Finanzministerium die Lage der kleinen Banken und hebt
schlecht fundierte auf.
b) Kreditwirtschaftliche Maßnahmen.
In Deutschland oder in den besetzten Gebieten wurden
veröffentlicht: 1) Bek. des RKzl, betr. die Postprotestaufträge mit
Wechseln und Schecken, die in Elsaß-Lothringen zahlbar sind, v. 4. Okt.
(RGBl. S. 890; vgl. Chr. S. 635); 2) Allerhöchster Erl. über ilte Er-
richtung des Reichswirtschaftsamts (zu dessen Bereich u. a. Bank- und
Börsen wesen gehört), v. 21. Okt. (RGBl. S. 963); 3) Gesetz zur Er-
gänzung des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmurgen
(betrifft Hypothekenschutzbanken : vgl. unter a), v. 24. Okt. (RGBl,
S. 973) ; 4) Bek. der Reichsschuldenverwaltung über die gemeinschaft-
liche ünterverschlußnahme eingelöster Reichsschuldurkunden, v. 5. Okt.
(RAnz. V. 10. Okt.); 5) Vf. des preuß. Finanzmin., betr. die Verzinsung
der Kriegssteuer, v. 26. Sept. (FMBl. S. 323; vgl. Chr. S. 635);
6) dgl., betr. die Begleichung der Kriegssteuer durch Kriegsanleihe -
stücke, V. 2. Okt. (FMBl. S. 324; vgl. Chr. S. 635); 7) dgl. über die
Versteuerung der Schuldverschreibungen gemischter Hypothekenbanken,
V. 8. Okt. (FMBl. S. 326); 8) Allg. Vf. des preuß. Justizmin. wegen
der Veräußerung gepfändeter Wertpapiere, die einen Marktpreis haben,
V. 13. Okt. (JMBl. S. 334): 9) Aufforderung an die Besitzer ausländischer
Wertpapiere, die sie mit dem Vermerk „unversteuert" angemeldet
haben, zur Nachentrichtung des Stempels („Nordd. Allg. Ztg." v. 25. Okt.
Nr. 295 II. Ausg. ; Druckfehlerberichtigung ebenda Nr. 309 v. 3. Nov. ;
vgl. Chr. S. 121); 10) V. des GG. in Warschau über die Vorrechte
der zum Wiederaufbau zu gewährenden staatlichen Darlehen, v. 24. Okt.
— 724 —
(PolnVBl. S. 433); 11) V. der MV. in Rumänien, betr. siebente
Kriegsanleihe, v. 10. Okt. (Ver.Bl. der Mil.-Verw. in Rum. S. 388):
12) V. des MG. in Rumänien, betr. Berichtigung der Wechselstuben-
vorschrift, V. 16. Okt. (ebenda S. 390; vgl. Chr. S. 636).
In Frankreich wurde 1) von der Chambre des Deputes am
18. Okt. ein Gesetz angenommen, durch das der gesetzliche Zinsfuß
auf 5 Proz., bei Handelsgeschäften auf 6 Proz. festgesetzt wird („L'^^con.
Europ." V. 26. Okt.), 2) der Kammer ein Gesetzentwurf vorgelegt,
durch den die Regierung aus steuerfiskalischen Gründen das Recht er-
halten soll, die privaten Stahlfächer bei den Banken zu kontrollieren
(„Financial Times" v. 17. Okt.).
Die griechische Regierung hat die Sequestrierung des feind-
lichen Eigentums angeordnet und den feindlichen Staatsangehörigen
jeden Geschäftsbetrieb in Griechenland untersagt („Deutsche Levanteztg."
Nr. 25, S. 788).
In Oesterreich -Ungarn wurden veröffentlicht: 1) V. des
österr. Handelsmin. im Einvernehmen mit den beteiligten Ministern
über die Errichtung einer Schutzstelle für österreichische Vermögen im
Auslande, v. 10. Okt. (OestRGBl. S. 1119); 2) V. des österr. Finanzmin.
über die Gewährung von Gebührenbefreiungen zur Förderung der Zeich-
nung der 7. österreichischen Kriegsanleihe, v. 31. Okt. (OestRGBl. S. 1177);
3) V. des österr. Gesamtmin. über die Anmeldung und Sperre des in
Oesterreich befindlichen Vermögens feindlicher Staatsangehöriger und
die Anmeldung des im feindlichen Auslande befindlichen Vermögens
österreichischer Staatsangehöriger, v. 31. Okt. (OestRGBl. S. 1211):
4) V. der kroatischen Regierung über die Zwangsliquidation von Geld-
instituten im Konkursverfahren durch die ungarische Geldinstituts-
zentrafe („Oest. Volksw." v. 20. Okt., S. 45).
In Spanien wird durch Kgl. Dekret v. 16. Juli den in Spanien
Handel treibenden Gesellschaften gestattet, ihre Schuldverschreibungen,
deren Zinsen in ausländischer Münze zahlbar sind, in das Handels- und
Eigentumsregister zur Konvertierung eintragen zu lassen, damit die
Zinsen künftig ausschließlich in Pesetas im Lande beglichen werden
können.
c) Bargeldloser Zahlungsverkehr.
Maßnahmen in Deutschland: 1) Vf. des Staatssekr. des Reichs-
marineamts, betr. Postüberweisungs- und Scheckverkehr, v. 24. Okt.
(MVBl. S. 308); 2) dgl., betr. Reichsbankgiroverkehr bei den Marine-
kassen, v. 25. Okt. (MVBl. S. 310); 3) Vf. des preuß. Eisenbahnmin.
über die bargeldlose Verrechnung von Pflichteinzahlungen auf Geschäfts-
anteile, von Mitgliederbeiträgen und Mieten für Rechnung der Bau-
genossenschaften bei Gehalts- und Lohnzahlungen („Nordd. AUg. Ztg.'*
V. 16. Okt. L Ausg. u. V. 20. Okt. L Ausg.).
In den Niederlanden wurden durch Kgl. Beschluß v. 1. Okt.
die Best, für den Postscheck- und Giroverkehr veröffentlicht („Nieuwe
Courant« v. 24. Okt.; vgl. Chr. S. 199).
- 725 -
In Schweden wird von einer Kommission die Erage der Ein-
itihruDg des Postscheckverkehrs geprüft („Frankf. Ztg." v. 19. Okt.).
d) Börsenwesen.
In Deutschland wird durch Gesetz v. 31. Okt. (RGBl. 8. 1013)
zur Aenderung des Reichsstempelgesetzes v. 3. Juli 1913
der Bundesrat ermächtigt, bei Kauf- und sonstigen Anschaffungsge-
schäften von Waren (Tarifnummer 4 b) für einzelne Gattungen Be-
freiungen und Ermäßigungen von der Stempelabgabe zuzulassen. —
üeber die Beantwortung der Anfrage des M. d. E,. Dr. Werner über die
Börsenspekulation in Berlin durch den Stellv. des RKzl. vgl.
Reichstagsdrucksache Nr. 1094. — Den Zulassungssteilen des
Börsen in München und Augsburg wird vom bayer. Min. der
Aeußern die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit gestattet (vgl. S. 563).
Die italienischen Börsen wurden am 1. Okt. für den Kasse-
verkehr unter Festsetzung von Mindestkursen wieder eröffnet (vgl. auch
„Oest. Volksvv." v. 15. Sept. u. 3. Nov. sowie „Voss. Ztg." v. 14. Sept.,
21. Sept. u. 3. Okt.).
An den kanadischen Börsen in Toronto und Montreal
wurden Mindestkurse festgesetzt („Frankf. Ztg." v. 12. Nov. u. „Voss.
Ztg.« V. 6. u. 13. Nov.).
e) Währungs- und Notenbankwesen.
In Deutschland wird durch Erl. des Kriegsmin. v. 16. Okt. das
Wertverhältnis für 1 rumänischen Silberlei von 66 auf 80 Pf erhöht
(AVBl. S. 525).
In Dänemark wird durch Bek. des Justizmin. v. 3. Okt. der
Höchstbetrag an gemünztem Gold oder Silber, den Reisende ins Aus-
land mitführen dürfen, von 200 auf 50 Kr, davon an Silber allein
höchstens 10 Kr, herabgesetzt („Nachr. f. Handel, Ind. u. Landw." v.
10. Okt.).
Im „Nederlandschen Staatscourant" Nr. 252 v. 27. Okt. wird
eine Kgl. V. v. 22. Okt. 1917 über die Abänderung der V. v. 22. April
1916, betr. die Ausgabe von Silberbons, veröffentlicht („Nachr. f. Handel,
Ind. u. Landw." v, 1. Dez.).
Die Schweiz setzt auf Grund eines Bundesratsbeschlusses v.
23. Okt. 2 Mill. Stück zu Zehnrappen und 3 Mill. Stück zu Fünfrappen
aus Messing in Umlauf („Deutsches Handels- Archiv" Novemberheft
S. 1058).
Die Türkei hat zur Verminderung des Papiergeldumlaufs ein
neues Finanzabkommen mit Deutschland getroffen („Frankf. Ztg." v.
15. Okt. u. „Wirtschaftsdienst" v. 2. Nov.).
In Japan werden zur Behebung des Kleingeldmangels 30 Milh Yen
kleine Noten in Verkehr gesetzt („Financial Times" v. 25. Okt.).
lieber Währungsverhältnisse in Mexiko vgl. ., Wirtschaftsdienst"
V. 28. Sept., S. 694 ff.
726 8. Statistik.
Uebersicht über den Stand der deutschen und einiger ausländischen Notenbankea
sowie des Bankzinsfußes an den wichtigeren Börsenplätzen im Oktober 1917
Beträfe in Millionen Mark.
Aktifa.
Barvorrat: a) im Inlande
Samme
Sonstige Geldsorten . .
b) im Auslände
Gold
Gesamtsumme d. Barvorrati
Anlagen :
Wechsel*)
Lombard
Effekten
Sonstige Anlagen
Summe der Anlagen
Summe der Aktiva
Deutsches Reich
Reichs-
bank
Privat-
noten-
banken
Summe
Ausweis vom
15. I 31. I 15. 131.! 15. I 31.
Oktober
2404
2405
114
2507 2519
ioo6i 1026
35n| 3 545
12005
13
138
1553
13709
"737
13
116
109
648I 72
13 514 280
17222 i7o;9| ^89
103
122
n
23
62
2574
1048
3622
12117
84
163
2 586
1 062
3648
II 859
90
139
f625| I 710
284 1 13989 13798
^87 |i76iiii74*^
Bank von
Frankreich
mach ..L'Eco-
Domikte
Francais")
Ausweis V.
18. 1 2.
Okt. I Nov.
2 6631 2 665
208 1 205
2 8711 2870
I 650 I 650
4521I 4520
2061
922
179
')
12915
16077
2 123
922
179
^)
13005
16 229
20 5 )8|20 749
Bank von
England
(uach „Tue
SUtibt")
Ausweis V.
17. I 31.
Oktober
Ru.-Muche
Staatsbank^
(DMh Wolfil
Ausweis V
14. t 29
Oktober n. fei.
2800
336
'44 "44 3«3ö
[44 I 1144
Bank. Dep.
Gov. See. :
1210I 1206
Other See. :
2051 I 1896
3638
4782
3479
4623
4986
8122
819
3824
32 465 137 7H
279Ä
385
J \%\
4980
8169
981
3674
Passira.
Grundkapital
Heservefonds
Notenumlauf
Verbindlichkeiten :
Täglicb/^"J*'f ^^*^f ^ •
ffiliff I Q^ffg»<^^' Guthaben
' Summe
Sonstige Verbindlichkeiten
180 180
90 90
10296110400
}5943 5686
5943
713
568b
703
Summe der Passiva
56
15
157
127
56
15
158
125
236
105
10453
6070
125 6070
33 747
236
105
[0558
581
155
28
7561
2355
29
581.
736
2384
470
7222I17050 389 ^87 [17611 17 44^^ ?0 508 20749 4782 462^
155
28
7835
2 202
32
298
61
850
2699
872
298
61
866
2501
895
108
II
37346
5422
454
2234
497
35:
3396
2
5876
108
11
3966t
5444
44*
5887
Deckung :
der Noten durch den ge-
samten Barvorrat . . .
durch den inländischen
Metallvorrat
4er Noten u. sonstigen täg-
lich fälligen Verbindlich-
keiten durch den gesamten
Barvorrat
BaakBinsfnß
während des Monats
Oktober
in
Frozen ten
34,1
34.1
69,2
65,4
34,6
34,6
25,7
25,4
I34»6
132,1
21,7
24,4
24.2
42,6
42,6
24,e
24,;,
16,8
16,1
»34,6
132,1
8.4
21,6
22,0
38,4
36,5
21,9
22,3
22,7
22,6
25,9
26,9
18,.
in Berlin in Wien
5,— I 5,—
in Paris
5,-
in London I g^^ pimbarg
5,-
6,-
in
AmstniUm
47,
20>
8.0
in
New Toft
Wegen Umrechnung der fremden Valuten usw. vgl. Chronik 1913, S. 1038|unten.
1) Für die Reichsbank die gesamte bankmäßige Deckung, d. h. Wechsel, Seheck« und diskontierte
«üchatzan Weisungen. 2) Einschließlich der Vorschüsse an den Staat. 3) Einschließlich der 377 Mill. M.
betragenden Anlagen des Issue- Department. 4) Totalreserve am 17. Oktober: 670 Mill. M, am 31. Oktober:
«56 Mill. M. Verhältnis der Reserve zu den Depositen 18,8 Proz. ; 19,3 Proz. 5) Die in diesen Spalte*
«ffen gelassenen Posten ergeben sich nicht ans den Wolffechen Depeschen. 6) Auf 8. 638 muß ee statt 5'/«
gleichfalls 4 heißen.
— 727 —
VIL Arbeiterverhältnisse.
Inhalt: Der Arbeitsmarkt im Oktober 1917. Die Arbeitslosenstatistik der
Arbeiterverbände. Die Statistik der Arbeitsnachweise. Der weibliche Arbeitsmarkt
Die Berichte der Arbeitsnachweisverbände. Der Arbeitsmarkt in Berlin und in
der Provinz Brandenburg. Die Leitsätze der fortschrittlichen Volkspartei zu
einem Arbeitskammergesetz.
Auch im Monat Oktober war die deutsche Kriegsindustrie voll be-
schäftigt; alle sich anbietenden Arbeitskräfte wurden aufgenommen.
Die Bautätigkeit beschränkte sich nach wie vor auf die Errichtung
oder Fertigstellung von Bauten, die Zwecken der Landesverteidigung
and Volksernährung dienen. Große Steinkohlenzechen führten be-
deutende Neu- und Erweiterungsbauten aus.
Den richtigen Gradmesser für die Lage des Arbeitsmarktes bilden
iijich wie vor die Arbeitslosenziffern, die aus den Angaben der
Arbeiter verbände über ihre arbeitslosen Mitglieder berechnet
werden. Nach den Feststellungen von 32 Arbeiterverbänden, die für
:i 029 943 Mitglieder berichteten, betrug die Arbeitslosenzahl Ende
Oktober 7277 oder 0,7 v. H. Ende Juli bis Ende September 1917
hatte die Arbeitslosenziffer 0,8 v. H. betragen; der Oktober brachte
demnach eine weitere Verringerung der an sich schon niedrigen Ar-
beitslosenziffer.
Um einen näheren Einblick in die Arbeitslosigkeit zu erhalten,
«eien die Ziffern für die 6 größten Arbeiterverbände seit Ende Juli 1917
wiedergegeben :
Arbeitslosigkeit v. H. der vom
Mitgliederzahl
Ende Oktober
Bericht erfaßten Mitglieder
Arbeiterverbände
Ende
Ende
Ende
Ende
1917
Okt.
Sept.
August
Juli
1917
Metallarbeiter
372454
0,2
0,1
0,2
0,1
Fabrikarbeiter
104 342
0,1
0,2
0,1
0,1
Holzarbeiter
89532
0,5
0,5
0,5
0,6
Bauarbeiter
82611
0,2
0,1
0,1
0,1
Textilarbeiter
72975
4,6
4,3
4,2
4,3
Transportarbeiter
62603
0,2
0,4
0,2
0,2
Die Textilindustrie nimmt infolge der Arbeitseinschränkung und Still-
iegung der Betriebe wie in den früheren Monaten eine Sonderstellung
«in. In der Metallindustrie und im Baugewerbe trat eine geringe Zu-
nahme der an sich außerordentlich niedrigen Arbeitslosenziffer ein.
Einen etwas anderen Ausblick eröffnet jedoch die Statistik der
Arbeitsnachweise. Danach läßt sich für das männliche und ins-
besondere für das weibliche Geschlecht ein Steigen des Andranges der
Arbeitsuchenden erkennen. Im Oktober kamen auf 100 offene Stellen
bei den männlichen Personen 54 Arbeitsuchende gegen 50 im September.
Beim weiblichen Geschlecht stieg die Andrangsziffer von 87 auf 98;
- 728 - ,
es deckten sich also auf dem weiblichen Arbeitsmarkt nahezu Angebot
und Nachfrage.
Die ungünstigere Gestaltung des weiblichen Arbeitsmarktes
geht auch aus der folgenden Zusammenstellung hervor, welche ftfcr
wichtige weibliche Berufsarten die Zahl der Arbeitsgesuche, bezogen
auf 100 offene Stellen, für die Monate September und Oktober 19J7
sowie Oktober 1916 wiedergibt.
. -_ .
Zahl der
Auf 100 offene Stellen kamen
Weibliche Berufsarten
Vermitt-
.... ArbeiLsgesuehe im
lungen im
Oktober
Oktober
Sept
Okt. 1917
1917
1916
1917
T/andwirtschaftliche Arbeiterinnen
3 597
55
73
S2
Metallarbeiterinnen
19 179
112
129
96
Arbeiterinnen in der ebemiscben Industrie
2125
90
34
66
Spinnstoffarbeiterinnen (einschl. Färberei- und
Appreturarbeiterinnen)
3243
290
634
3"
Buchbinderei- u. Kartonnagenarbeiterinnen usw.
1407
89
121
60
Arbeiterinnen in der Lederindustrie
1090
92
119
83
Tabakarbeiterinnen usw.
2 107
83
128
95
Schneiderinnen, Putzmacherinnen usw.
9149
120
215
118
Büglerinnen, Wäscherinnen in Wasch- und
Plättanstalten usw.
640
76
121
bo
Buchdruckereiarbeiterinnen
901
74
106
73
Fabrikarbeiterinnen
13960
104
135
88
Angestellte im Handelsgewerbe
2332
293
304
251
Kellnerinnen, Büfettfräulein
5156
129
169
I20
Hotelzimmermädchcn, Beschließerinnen
461
105
231
82
Kochpei-sonal in Gastwirtschaften
629
HO
192
93
Herd- u. Küchenmädchen in Gastwirtschaften
3041
71
87
62
Putz-, Wasch-, Lauffrauen, Auf Wärterinnen usw.
18646
81
102
76
Dienstboten, Hauspersonal
9316
47
87
42
Sonstige Tagelöhnerinnen
10757
105
HO
95
Freie Berufsarten
790
181
200
VT
Es ergibt sich aus der Uebersicht, daß bei fast sämtlichen aufge-
führten Beruföarten die Andrangsziffer zugenommen hat; die Zunahme
war im besonderen beim Handelsgewerbe recht bedeutend.
Die eben gekennzeichnete Lage des Arbeitsmarktes geht auch ans
einer Reihe von Berichten der Arbeitsnachweisverbände her-
vor, die monatlich dem „Reichs- Arbeitsblatt" übermittelt werden. Diese
Berichte lassen für Schlesien, Posen, wie Hannover, Braunschweig,
Oldenburg und Bremen wesentliche Veränderungen der Lage des Ar-
beitsmarktes nicht erkennen. In Westfalen änderte sich der männliche
Arbeitsmarkt nicht eiheblich, während die Nachfrage nach weiblichen
Arbeitskräften nachließ. Im Königreich Sachsen ging die Vermittlung
zurück. In Schleswig-Holstein nahm die Zahl der Arbeitsuchenden wie
der Stellenbesetzungen gegen den Vormonat zu. In Thüringen ver-
besserte sich die Lage des Arbeitsmarktes. Im Rheinland gestaltete
sich die Vermittlungstätigkeit für die männlichen Arbeitskräfte lebhafter
als im Vormonat, doch zeigte sich eine Abnahme sowohl des Angebots
- 729 —
als auch der Nachfrage auf dem weiblichen Arbeitsmarkte. Für Hessen
und Hessen-Nassau trat eine merkliche Zunahme der männlichen Stellen-
suchenden hervor, während sich die weiblichen Arbeitskräfte an Zahl
verringerten. Auch in Württemberg und Baden nahm die Zahl der
Arbeitsuchenden weiterhin zu.
Die Gründe für die ungünstigere Gestaltung insbesondere der
Lage auf dem weiblichen Arbeitsmarkt gehen reclft deutlich
aus dem Bericht des Verbandes „Märkischer Arbeitsnachweise" über
die Lage in Berlin und in der Provinz Brandenburg hervor.
Dieser Bericht wird im folgenden, wie allmonatlich, nach dem „Reichs-
Arbeitsblatt" (Novemberheft 1917, S. 864 und 865) wiedergegeben.
Danach zeigte gegenüber dem Monat September die Lage des
Arbeitsmarktes für Oktober im allgemeinen einen weiteren Rückgang,
der den Arbeitsmarkt für männliche Personen wegen des seit langem
bestehenden Mangels an männlichen Arbeitskräften nicht wesentlich
belastet hat, der sich aber auf dem Arbeitsmarkt für weibliche Personen
rocht erheblich fühlbar machte. Den Hauptanteil an der Verringerung
der Aufträge trifft die Rüstungsindustrie, die ihre Betriebe durch Za-
sammenlegung von Schichten und Einschiebung von Feierschichten zum
Teil wesentlich eingeschränkt hat.
In dcrLandwirtschaft glichen sich Angebot und Nachfrage annähernd aus.
Die Vermittlungstätigkeit der öffentlichen Arbeitsnachweise war für landwirt-
schaftliche Kräfte nicht besonders rege, weil durch die Erntekommandos, die
Jungmannen und die Gefangenen die Nachfrage zum größten Teil gedeckt war.
Das Ende der Kartoffelernte brachte am Schlüsse des Monats eine Erleichte-
rung der Lage für die Landwirtschaft. Verheiratete Deputanten wurden vielfach
verlangt, waren aber nur im geringen Maße verfügbar. Die Nachfrage nach
Landmädchen überstieg bei weitem das Anstehet. Die Aufträge nach Gärtnern
konnten wegen Mangels an Bewerbern nur ganz vereinzelt erfüllt werden.
Der Bergbau hatte regen Bedarf an Arbeitskräften. Die Braunkohlen-
gruben und Preßkohlenwerke zeigten recht gute Beschäftigungsverhältnisse.
Die Metallindustrie brachte einen zum Teil bedeutenden Rückgang der
Beschäftigung. Facharbeiter waren auch weiter sehr gesucht und knapp. Die
Einstellung von ungelernten Arbeitern stockte aber vielfach.
Die chemische Industrie hatte befriedij?ende Beschäftigungsverhältniase
besonders für Farbstoffwerke und aus der chemisch-pharmazeutischen Industrien.
Es lagen Aufiräge vor für Arbeiter, die besonders mit Fässern umgehen können;
diese Kräfte waren nur vereinzelt verfügbar.
Das Spinnstoffgewerbe war wegen Mangels an Rohstoffen verhältnis-
mäßig ruhig.
In der Lederindustrie macht sich der Mangel an Leder in dem Rück-
gang der Betriebe geltend. Gerbereien haben ihre Arbeit zum Teil wesentlich
verringert. Trotz der Einschränkung in der Schuhmacherei wurden Schuhmacher
sehr rege verlangt.
Das Nahrungsmittelgewerbe hatte im Anfang des Monats geringen
Bedarf an Arbeitskräften, brachte aber am Schlüsse des Monats durch die ein-
setzende Kohlverarbeitung größere Aufträge. Das Angebot von Bäckern und
Fleischern entsprach im allgemeinen der Nachfrage.
Das Baugewerbe zeigte gegen den Vormonat keine Veränderung. Fach-
arbeiter, besonders Zimmerer, waren auch hier sehr knapp; die allgemeine Lage
aber ist ruhig In Veiten lag die Ofenherstellung völlig danieder
Für das Buchdruckgewerbe lag großer Bedarf vor; auch hier fehlte
es in der Hauptsache an Facharbeitern.
- 730 —
Im Handelsgewerbe machte sich weiter ein Ueberschuö an Bewerbern
geltend, da eine groUe Anzahl Uilfsdienstpfiicbtiger, die früher keiner Bescbäfti-
gung nachgingen, auf den freien Arbeitsmarkt gekommen sind; anderenjcibi
fehlten offene feteilen, da die Betriebe ihr Tersonal möglichst einschränken.
Ungelernte Arbeiter waren reichlicher als in den Vormonaten verfüg-
bar, weil der Bedarf der Rüstungswerke zurückgegangen ist. Das Angebot von
jueendiichen Arbeitern zwischen 14 und 17 Jahren überstieg fast überall die
Nachfrage.
Die Lage des Arbeitsmarkts für weibliche Personen kennzeichnet Bich.
durch einen bedeutenden Rückgang der offenen Stellen, vor allem bei den Rüstungs-
werken. Auch die Pulverfabriken Groß-Berlins und der Provinz Brandenburg
hatten gegen die Vormonate viel geringeren Bedarf. Aus dem Rheinland da-
gegen lagen einige größere Aufträge nach Pulverarbeiterinnen vor, die Erledigung
fanden. Die Nachfrage nach Buchdruckhilfsarbeiterinnen hielt an; es war aber
ein entsprechendes Angebot von inzwischen ausgebildeten Arbeitskräften vorhanden.
In der Nahrungsmittelindustrie wurden mit Schluß des Monats die Beschäftigungs-
verhältnisse wieder besser. Der Mangel an Dienstpersonal blieb bestehen; durch
das Fehlen von Fabrikarbeit und das Ende der Kartoffelernte machte sich zum
Schlüsse des Monats eine geringe Steigerung des Angebots bemerkbar.
Auf dem kaufmännischen Arbeitsmarkt überwog das Angebot Ton
Personal die Nachfrage, was aus den oft bedeutenden Einschränkungen vieler
Betriebe zu erklären ist.
Wie der Reichskanzler in seiner Rede am 29. November mitteilte,
wird dem Reichstag bei seinem nächsten Zusammentreten der Entwurf
zu einem Gesetz, betreffend die Errichtung von Arbeitskammern,
vorgelegt werden, das an die Arbeiten der Reichtagskommission von
1910 angeknüpft wird. Ebenso wird ein Gesetzentwurf vorbereitet, welcher
diejenigen Beschränkungen der Koalitionsfreiheit, die sich aus dem
§ 153 der Reichsgewerbeordnung ergeben, beseitigen soll. Auch dieser
Gesetzentwurf wird nach der Mitteilung des Reichskanzlers dem Reichn-
tag bei seinem nächsten Zusammentreten zugehen.
Im Zusammenhang mit dem geplanten Arbeitskammergesetz seien
im folgenden L eitsätze wiedergegeben, welche der soziale Ausschuß
der fortschrittlichen Volkspartei nach Beratung mit Ver-
tretern der Angestellten und Arbeiter entworfen hat. Die Leitsätze
haben folgenden Inhalt:
A. Charakter der Arbeitskammern.
1. Zur Erfüllung der in den nachstehenden Leitsätzen vorgezeich-
neten Aufgaben und der darin gesteckten Ziele wird für den räum-
liehen Bereich eines oder mehrerer Verwaltungsbezirke eine Arbeits -
kammer errichtet.
2 In die Arbeitskammer wählen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
die gleiche Anzahl von Vertretern, der Vorsitz der Kammer liegt in
neutralen Händen.
3. Zur Erfüllung derjenigen Aufgaben, welche im alleinigen Inter-
esse der Arbeitnehmer liegen, treten die Vertreter der Arbeitnehmer
allein zusammen.
4. Die Arbeitskammer erledigt ihre Arbeiten in selbständigen Ab-
teilungen für gewerbliche Arbeiter, für kaufmännische Angestellte und
— 731 -
für technische und sonstige Angestellte. Diejenigen Arbeitskammern,
in deren räumlichem Bereich eine Verwaltungsdirektion von Staats-
b ahnen ihren Sitz hat, umfassen noch eine Abteilung für 8taats-
arbeiter in gemeinnötigen Verkehrsbetrieben. Nach Bedarf
bilden die Arbeitskammern Nachausschüsse.
B. Aufgaben der Arbeitskammern.
5. Die Arbeitskammern stellen die öffentlich-rechtliche Standesver-
tretung der deutschen Arbeitnehmer dar. Daraus erwachsen folgende
Aufgaben und Befugnisse :
a) Sie stellen selbständige Erhebungen über die sozialen und
wirtschaftlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer an;
b) sie erstatten Gutachten für Staats- und Gemeindebehörden
sowie für öffentliche Körperschaften. Sie ernennen Sachverständige
und bestimmen Vertreter von Arbeitnehmern in öffentlichen Einrich-
tungen ;
c) sie können innerhalb ihres Wirkungsbereiches selbständig An-
träge an Behörden, Kommunal verbände und die gesetzgebenden Körper-
schaften des Reiches und der Bundesstaaten stellen ;
d) sie wiiken beim beruflichen Ausbildungswesen mit.
6. Die Arbeitskammern werden an der Ausführung der sozialpoli-
tischen Gesetze beteiligt, und zwar:
a) Sie erlassen die örtlichen Ausführungsvorschriften;
b) sie üben die Aufsicht über die Ausführung der entsprechen-
den Gesetze und Vorschriften aus.
7. Die Arbeitskammern dienen der Förderung des sozialen
Friedens:
a) Sie haben das gegenseitige soziale Verständnis bei Arbeitgeber
und Arbeitnehmer zu wecken und zu pflegen ;
b) sie sind Träger des Schlichtungs- und Einigungs-
wesens. Zu diesem Zwecke sind in das Aibeitskammergesetz Be-
stimmungen über die Betriebsausschüsse der Arbeitnehmer, über
Schlichtungsstellen im Bereiche und unter Aufsicht der Arbeitskammern
einzubeziehen ;
c) sie haben das Recht der Mitwirkung beim Abschluß von Tarif-
verträgen und bei der Feststellung von Nornialarbeitsverträgen;
d) sie wirken mit bei der Regelung des Arbeitsnachweises und
üben insbesondere auf diesem Gebiet die Aufsicht aus.
8. Die Ai beitskammern haben Wohlfahrtsmaßnahmen zu treffen :
a) Sie haben Veranstaltungen und Maßnahmen zur Hebung der
wirtschaftlichen Lage und allgemeinen Wohlfahrt der Arbeitnehmer
zu veranlassen und nötigenfalls selbst auszuführen;
b) sie sind berechtigt, an solchen Veranstaltungen sowohl in der
Verwaltung als auch in der Aufsicht darüber mitzuwirken.
Dem Ausschuß wurde der Auftrag erteilt, auf Grund dieser Leit-
sätze einen Gesetzentwurf auszuarbeiten.
?32
YIII. Finanzwesen.
Inhalt: Ergebnisse der 7. deutschen Kriegsanleihe. Einnahmen der deutschen
Eisenbahnen. Oesterreichische und ungarische 7. Kriegsanleihe. Neue Börsen-
Steuer in Oesterreich. Die Kriegskosten der Entente und ihre Deckung. Die
englischen Finanzen. Frankreichs neue „Anleihe" und Finanzlage. Kußland»
bedenkliche Finanzlage. Italienische ötaatseinnahmen. Holländische Finanzen.
Finanzlage Argentiniens.
Die siebente deutsche Kriegsanleihe ist wiederum zu
einem großen Siege deutscher Arbeit und Wirtschaftskraft geworden.
Das Ergebnis lautet — ohne Umtausch und ohne Feldzeichnungen —
auf rund 12458 Mill. M. Der Reicbsbankpräsident faßte den Umfang
und die Bedeutung dieses Ergebnisses in einer Rede vor dem Zentral-
ausschuß der Reichsbank folgendermaßen zusammen:
Die fast 26 Milliarden, die das deutsche Volk damit in diesem einen Jahre
aufgebracht, und die annähernd 73 Milliarden, die es in den drei Jahren des
Krieges gezeichnet hat, sind ein Zeichen sieghafter Kraft und sieghafter Ent-
schlossenheit, an dem keine Deutungskunst zu rütteln vermag. Es ist, als ob die
deutsche Wirtschaftskraft und Zuversicht nur wüchse, je länger der Krieg sie
auf die Probe stellt.
Auch diese Anleihe ist wieder eine Anleihe des ganzen Volkes geworden.
Bei allen Gruppen der Vermittlungsstellen weisen die Zeichnungen das gleiche
günstige Ergebnis auf, und es ist besonders erfreulich, daß gerade die Sparkassen,
Kreditgenossenschaften und Lebensversicherungsgesellschatten bis auf wenige
Millionen sogar ihre Zeichnungserfolge bei der 6. Anleihe erreicht haben. Es
sind gezeichnet worden: bei der ßeichsbank 751857 500 M. (bei der 6. Anleihe:
625 Mill.), bei den Banken und Bankiers 6 946 418 200 M. (7545 Mill ), bei den
Sparkassen 3 199 934 500 M (minus 3 Mill. M. gegen die 6.), bei den Kreditge-
nossenschaften 1 093 426 300 M. (minus 10 Mill. M. gegen die 6.), bei den Lebens-
versicherungsgesellschaften 383335 200 M. (minus 3 Mill. M. gegen die 6.) und
bei den Postanstalten 83469 500 M. (minus 33 Mill.).
An 5-proz. Anleihe sind gezeichnet worden 11157 310000 M. , davon
2 501870 900 M. an Schuldbucheintragungen, an 472-proz. Schatzanweisungen
1300631200 M., an älteren Kriegsanleihen zum Umtäusch in 4'/,-proz. Schatz-
anweisungen angemeldet 115 364 800 M. Die Statistik über die Zeichnungs-
gruppen und die Zahl der Zeichner ist noch nicht fertiggestellt
. . . Für die Stärke der deutschen wirtschaftlichen Kraft und die gute Ver-
fassung unseres Geldmarktes zeugt besonders eindringlich, daß die Einzahlungen
auf die Anleihe sich ohne jede Störung des Geldmarktes und noch schneller voll-
ziehen als bei irgendeiner der früheren Anleihen. Am 27. d. M., dem ersten
Pflichtzahlungstage, bis zu dem 30 Proz. der Zeichnungen gezahlt werden sollten,
waren von den fast 12'/, Milliarden Zeichnungen bereits volle 10 Milliarden, d. h.
80.27 Proz. — gegen 76,43 Proz. am ersten Pflichtzai.lungstage der 6". Anleihe —
tatsächlich eingezahlt, und der 29. d. M. hat die Einzahlungen um weitere 250 MilL
auf 82,28 Proz. erhöht. Auch die Darlehnskassen werden für die Kriegsanleihen
immer weniger in Anspruch genommen; auf die bis zum 23. Oktober auf die
7. Kriegsanleihe tatsächlich eingezahlten 9220 Mill. kommen nur 46,7 Mill. dafür
entnommene Darlehen, d. h nur rund '/» Proz.; auf die bis zu dem genannten
Tage auf alle sieben Kriegsanleihen eingezahlten 9558,7 Mill. nur 905,6 Mill. M.
Kriegsanleihedarlehen, d. h. nur noch 1.3 Proz. gegen 2,4 Proz. am 23. Oktober
1916 bei damals 45 Milliarden Einzahlungen.
Weitere Vergleiche stellte der „Berl. Börsen-Courier" an. Er gab
folgende Zusammenstellung:
—
733 -
-
•
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
Aüsgabezeit
Sept. 14
Febr. 15
Sept. 15
März 16
Sept. 16
März 17
Sept. 17
Zinsfuß
5^
5^
5 8
5^".4V2^
5S«.4V,^
5^" «.47,^
5?u.4Va
Kors für Schatzanweis.
97,50 §
98,50 f
95,00 ^
95,00 ^-
98,00^
98,00^
Anleihen
97,50 „
98,50,,
99,00 %
98,50 „
98,00 „
98,00 „
98,00 „
(Schuldbuch)
97,30 „
98,30 „
98,80 „
98,30 „
97,80 „
97,80 „
97,80 „
Tatsächl. Verzinsung für
Schatzanweisungen
5,13,,
5,08,,
—
4,74,,
4,74 „
4,60 „
4,«o„
+ Einlösungsgewinn
5,63,,
5,31,,
—
5,45— ,05^
5,51— ,07^
")
")
Anleihen
5,13,,
5,08 „
5,05 „
5,07^
5,10^
5,10 „
5,10,,
+ Einlösungsgewinn
5,38,,
5.23,,
5,16,,
5,2'! „
5,35 „
5,37,,
5,39,,
Ergebnis (in Mill. M.)
Schatzanweisungen
1340
775
—
1572
1073
1364
I 301
Schuldbuch
II99
1675
2175
2028
2180
2575
2502
Freie Stücke
1922
6610
9985
7167
7398
9183
8655
Summe
4461^)
9060 1)
12 160
10768
10699
131228;
1 12458
Durch die einmütige Beteiligung aller Bevölkerungsschichten ist auch die
7. Kriegsanleihe wiederum zu einer Volksanleihe geworden. Dies tritt deutlich
zutage, wenn man die Zahl der Zeichnungen nach der Höhe der gezeichneten
Beträge zusammenstellt.
Es sind insgesamt eingegangen
Stückzahl der
Zeichnungen
über insgesamt
M.
Zeichnungen
bis 200 M.
3233472
208 038 060
on 300 M.
500 „
693 729
294 840 691
600 „
1000 „
586623
530796198
1 100 „
2 000 „
264871
461 217 350
„ 2 100 „
5 000 „
233 542
867 567 880
„ 5 100 „
10 000 „
100 781
817 813 460
„ 10 100 „
20 000 „
42732
697 429 400
„ 20 100 „
50 000 „
33914
I 188878400
„ 50 100 „
„ 100 000 „
12 169
I 023 848 100
„ 100 100 „
„ 500 000 „
9145
2 092 039 782
„ 500100 „
„ 1000 000 „
1363
I 129854946
i
iber 1 000 000 „
I 032
3 145 616933
5213373
12 457 941 200
Einer Untersuchung, die Geh. Justizrat Prof. Dr. Rießer in einer der letzten
Nummern des „Bank- Archiv" veröffentlichte, seien noch folgende Ausführungen
entnommen :
„Die Stückzahl der kleinsten Zeichnungen von 100 bis 200 M. beträgt bei
der 7. Kriegsanleihe 3 233 472 Stück. Sie hat sich also gegenüber der 6. Buiegs-
anleihe, wo sie 3 844 834 Stück betrug, um 611 362 Stück vermindert. Der Betrag
dieser Zeichnungen stellt sich auf 208038060 M., hat sich also gegenüber dem
Betrage der entsprechenden Zeichnungen auf die 6. Kriegsanleihe in Höhe von
286 458074 M. um 78 420014 M. vermindert.
Durch die Stückzahl dieser kleinsten Zeichnungen wird jedoch die ent-
sprechende Stückzahl bei der 5. Kriegsanleihe von 1794 084 Stück um 1439388
Stück und durch die gezeichneten Beträge der entsprechende Betrag bei der
5. Kriegsanleihe von 154 301633 M. um 53 736 427 M, übertroffen.
Betrachtet man nicht die kleinsten Zeichnungen von 1(X) bis 2(X) M., sondern
die Gesamtzahl der sogenannten kleinen Zeichnungen von 1(X) bis 2000 M. (ein-
schließlich), welche in der amtlichen Statistik 4 Klassen darstellen, so haben diese
1) Außerdem Feldzeichnungen.
2) Infolge des stark schwankenden Einlösungsgewinnes nicht berechnet.
3) Ohne Berücksichtigung der umgetauschten Beträge.
Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Volkswirtsch. Chronik. 1917. XLIX
— 734 —
Zeichnungen bei der 7. Kriegsanleihe ergeben: a) eine Stückzahl von 4 778 695
Stück gegenüber einer solchen bei der o. Kriegsanleihe von 6 204 844 und einer
solchen von 3 382 468 Stück bei der 5. Kriegsanleihe; b) einen Zeichnuogsbetrag
von 1 494 892 299 M. gegenüber einer solchen von 2 226 401 990 M. bei der 6. und
von 1519 561195 M. bei der 5. Kriegsanleihe.
Das will sagen: Es ist bei den kleinen Zeichnungen von 100-2000 M., die
schon in den sogenannten Mittelstand hineinreichen, eine Verminderung von
rund l'/g Milliarden M. eingetreten, wovon fast die Hälfte auf die Zeichnungen
von 100—200 M., also auf die kleinen Sparer, entfällt. Wie sich das Ergebnis
der sogenannten kleinen Zeichnungen bei der 7. Kriegsanleihe auf Stadt und
Land verteilt, wäre aus wirtschaftspolitischen Gründen sehr wichtig, festzustellen,
läßt sich aber aus der vorliegenden amtlichen Statistik nicht erkennen. Es kommt
übrigens, worauf ich schon früher hinwies, in Betracht, daß auch das Land viel-
fach bei städtischen Instituten (Sparkassen, Kreditgenossenschaften, Bankinstituten
usw,) gezeichnet haben dürfte, daß also eine völlig zuverlässige Statistik in dieser
Frage kaum herzustellen wäre.
Die Verminderung der sogenannten kleinen Zeichnungen von 100—2000 M.
einschl, auf die 7, Kriegsanleihe setzt sich auch bei den (in der amtlichen Sta-
tistik zwei Klassen umfassenden) Zeichnungen von 2100-10 000 M. fort. Hier
beträgt die Stückzahl der Zeichnungen 334 323 Stück, und der Zeichnungsbetrag
1 685 381 340 M., hat sich also gleichfalls gegenüber den in jenen Klassen bei der
6. Kriegsanleihe gezeichneten 443 276 Stück und den hier erzielten Zeichnungs-
beträgen von 2158108 604 M. vermindert, und zwar um 108 953 Stück oder um
rund IVj Milliarden M.
Eine Verminderung (aber eine bei jeder Klasse abnehmende Verminderung)
weisen auch noch die Zeichnungsklassen 10 100— 20 000 M., 20 100-50000 M. und
50 100 100 000 M auf, während bei der Klasse 100 100-500 000 M. die Verminde-
rung der Stückzahl und des Zeichnungsbetrages gegenüber der 6. Kriegsanleihe
wieder stärker ist.
Dagegen überragen die Stückzahlen der Klasse 500100—1000 000 M, mit
1363 (gegen 1184) Stück um rund 15 Proz., und die Zeichnungsbeträge mit
1 129 854 946 (gegen 961 701 549) M. um rund 17,5 Proz. und die folgenden Klassen
über 1000000 M. sowohl hinsichtlich der Stückzahl wie hinsichtlich der gezeich-
neten Beträge um je rund 34 Proz. die Ergebnisse der entsprechenden Zeichnungen
auf die 6. Kriegsanleihe, Diese Klassen haben also, obwohl alle sonstigen vorher-
gehenden Klassen gegenüber der 6. Kriegsanleihe zurückgeblieben sind, das Ge-
samtergebnis in seiner glänzenden Höhe sehr erheblich beeinflußt."
Ueber die Einnahmen der deutschen Bahnen berichtete
die „Norddeutsche AUjj^emeine Zeiton^" :
Der Personenverkehr der deutschen Staatsbahnen hatte in den letzten
12 Friedensmonaten (August 1913 bis Juli 1914) die höchsten bis dahin erzielten
Einnahmen gebracht. Im ersten Kriegsjahre (August 1914 bis Juli 1915) blieb
demgegenüber die Einnahme um 32,1 Proz., im zweiten Kriegsjahre um 21 Proz.
zurück; dagegen hat sie in dem jetzt abgelaufenen dritten Kriegsjahre jenes hohe
Friedensergebnis nicht nur wieder erreicht, sondern noch um 5,3 Proz. über-
schritten und einen Betrag von 1061 Mill. M. erbracht. Der Güterverkehr,
der im ersten Kriegsjahre gegen das auch hier einen Höchststand zeigende letzte
Friedensjahr um 16,3 Proz. zurückgegangen war, holte das Friedensergebnis be-
reits im zweiten Kriegsjahre wieder ein, um es im dritten Kriegsjahr mit 2404 Mill. M.
um 8 Proz. zu überschreiten. In diesen Zahlen sind die Einnahmen aus dem
Militärverkehr mitenthalten; sie betragen aber im Durchschnitt der drei Kriegs-
jahre nur ein Achtel der Gesamteinnahmen. Welche Bedeutung der fortschreitenden
Entwicklung des Eisenbahnverkehrs in diesem Kriege beizulegen ist, zeigen be-
sonders auch die Einnahmen des August 1917. In diesem Monat hat der Per-
sonenverkehr gegenüber Aujust 1916 um 30,6 Proz., gegenüber August 1913 — dem
letzten, zum Vergleich heranzuziehenden Friedensmonate — um 14.1 Proz., der
Güterverkehr gegenüber 1916 um 11,6 Proz,, gegenüber 1913 um 19,1 Proz, zu-
genommen. Das sind gewaltige Zahlen, die für die ungeschwächte Kraft unseres
wirtschaftlichen Lebens ein vollgültiges Zeugnis ablegen.
— 735 —
Oesterreich und Ungarn rüsten zur siebenten Kriegs-
anleihe; Oesterreichs erste 6 Kriegsanleihen erbrachten 23 V4 Mil-
liarden K., die Ungarns 11 Milliarden K., die 6. österreichische
5189 Mill. K. und übertraf damit alle früheren. Die 7. Anleihe wird
als b'^/2-ipToz. amortisable Anleihe zu 92Y2 Proz., und b^j^-^TOz. bis 1926
laufende Schatzscheinanleihe zu dA^j^Vvoz. aufgelegt; Ungarn emittiert
je eine 6- und 5Y2-proz. ewige Rente. — Eine neue österreichische
Börsensteuer wurde durch Regierungsvorlage eingebracht:
Die Regierungsvorlage setzt als Steuereinheit nicht den „Schluß", sondern
den Betrag von 1000 K. des faktischen Geldumsatzes fest. Für jede Steuereinheit
beträgt die Steuer bei Geschäften mit Dividenden papieren und Prämienschuldver-
schreibungen mit Ausnahmen der Titres der österreichischen Staatsprämienanleihen
40 h, d. i. ^/,o Promille; bei Geschäften mit österreichischen Staatsschuldver-
ßchreibungen einschließlich der vom österreichischen Staate zur Selbstzahlung
übernommenen Schuldverschreibungen (mit Ausnahme der österreichischen
Kriegsanleihen, denen auch weiterhin die Befreiung von der Effektenumsatzsteuer
zusteht) 5 h, d. i. V^p Promille; bei sonstigen Geschäften 10 h, d. i. V^^. PromUle.
Die neue österreichische Börsensteuer soll also bei Aktien höher sein als die
deutsche Steuer, die 7io Promille beträgt, bei Anlagepapieren niedriger als die
deutsche Steuer, die "^j^^ Promille ausmacht. Die Regierung erwartet als Wirkung
der neuen Börsensteuer rund 8 Millionen jährlich, also etwa das Vierfache des
bisherigen Steueraufkommens. Skeptischer ist die Regierung und zwar mit gutem
Grund hinsichtlich des Einflusses der neuen Steuer auf die Regelung des Börsen-
verkehrs, Nach der Haltung, die das österreichische Abgeordnetenhaus in allen
Fragen, welche das mobile Kapital und speziell die Börse betreffen, einzunehmen
pflegt, ist jedenfalls damit zu rechnen, daß von dieser Seite eine wesentliche Er-
höhung der Steuersätze, wie sie die Regierung vorschlägt, beantragt werden wird.
Nach der Fassung des Regierungsentwurfes soll die neue ßörsensteuer bereits am
1. Dezember d. J. in Kraft treten.
Mit den Kriegskosten derEntente und derenDeckung
beschäftigt sich im „Bank-Archiv" (15. Oktober 1917) Wirkl. Geh.
Oberfinanzrat Schwarz, dessen Ergebnis hier kurz mitgeteilt sei:
Die Kriegsausgaben des Vierverbandes, die bis Ende 1916 177 Milliarden M.
betrugen, haben sich im ersten Halbjahr 1917 weiter um 67 auf 244 Milliarden M.
gesteigert und werden sich bis Ende 1917 auf nicht weniger als 310—320 Mil-
liarden M. vermehren. Obgleich in das erste Halbjahr 1917 drei große innere
langfristige Anleihen fielen (die englfsche „Siegesanleihe", die russische „Freiheits-
anleihe" und die 4. italienische Kriegsanleihe), waren Ende 1917 nur 41 Proz.
aller Kriegskosten des Vierverbandes langfristig gedeckt, in England 39 Proz.,
in Frankreich und Italien 31 Proz., in Eußland 29 Proz. gegen 75—80 Proz in
Deutschland. Wenn, wie es den Anschein hat, im Laufe dieses Jahres keine
weiteren langfristigen Anleihen in den Vierverbandsstaaten zustande kommen, so
werden Ende 1917 nur einige 20 Proz Kriegskosten langfristig gedeckt sein. Ende
Juli betrugen die schwebenden Schulden der Entente bereits 144 Milliarden M.
(59 Proz. der Kriegskosten), davon waren nicht weniger als 44 Milliarden M.
(18 Proz.) Noten und Papiergeld. Heute, Anfang Oktober, hat sich die Schuld
bereits auf mindestens 170 Milliarden M. erhöht und wird Ende des Jahres vor-
aussichtlich auf 200 Milliarden M. angewachsen sein. Welche Aufgabe, diese
Summen hinterher zu konsolidieren! Natürlich hat auch die Golddeckung in
den Notenbanken weiter abgenommen. Sie ist seit Ende Dezember 1916 in
Frankreich von 20 Proz. auf 15,3 Proz. (4. Oktober), in Rußland von 17 auf
7,7 Proz. (5. Oktober), in Italien von 23 auf 18 Proz. (Ende Juni) gesunken. Von
besonderem Interesse ist die starke Zunahme der Heranziehung des Auslandes
zur Deckung der Kriegskosten. Ende Juni 1917 machten die Auslandsanleihen
bereits 15 — 16 Proz. der gesamten Kriegskosten des Vierverbandes aus. In den
kommenden Monaten muß das Ausland den Allüerten nicht weniger als 30 Proz.
XLIX*
— 736 —
der Kriegskosten in der einen oder anderen Form zur Verfügung stellen. Nament-
lich wird die englische Kriegsfinanzierung immer mehr vom Ausland, vor allem
von den Vereinigten Staaten abhängig. Aus eigener Kapitalkraft kann England
heute nur noch einige 50—60 Proz , Frankreich nur noch die Hälfte, Italien nur
noch einige 40 Proz., Rußland sogar nur noch einige 20 Proz. seiner Kriegskosten
decken. Ailes andere muß das Ausland und die Notenpresse beschaffen, welche
letztere in Rußland heute bereits über 60 Proz., in Italien fast 30 Proz., in
Frankreich fast 20 Proz. der Kriegskosten decken hilft.
Der Zuschuß der Vereinigten Staaten deckt mit rund 2 Milliarden M. pro
Monat von insgesamt 11 — 12 Milliarden M. Monatskosten immerhin nur wenig
mehr als den 6. Teil derselben, kann also auf die Dauer den finanziellen Zu-
sammenbruch der Entente nicht aufhalten. Die Reden der feindlichen Finanz-
chefs lauten denn auch immer sorgenvoller, die drohende wirtschaftliche Abhängig-
keit von Amerika bedrückt namentlich die Kontinentalmächte schwer.
Nach ZeituDgsmeldungen ist für England auch schon wieder ein
neuer Kredit von 500 Mill. £ genehmigt worden (womit die Gesamt-
kredite seit Kriegsbeginn dort auf 5792 Mill. £ steigen), und es wurde
England ferner in Nordamerika ein neuer Kredit von 435 Mill. $ ein-
geräumt. In Frankreich nahmen Senat und Kammer ein neues An-
leihegesetz an. Darüber weiter unten Näheres.
Ueber die englischen Finanzen und den neu angenommenen
Kriegskredit äußerte sich der Schatzkanzler Bonar Law bei Ein-
bringung dieser Vorlage dahin :
Von Beginn des Finanzjahres bis zum 29. Oktober habe die durchschnitt-
liche Tagesausgabe 6 648 000 £' betragen, womit der Budget voran schlag um
1 237 000 überschritten worden sei. Die Mehrausgaben betragen bei Armee
und Flotte 590000, bei verschiedenen Dienstzweigen 306 000, bei den Vor-
schüssen an die Verbündeten und die Dominions 341000. Er freue sich, daß
sich ihm eine Gelegenheit biete, zu erklären, wie hoch nicht nur England,
sondern alle verbündeten Regierungen die sehr vornehme Weise zu schätzen
Veranlassung hatten, in der die Regierung der Vereinigten Staaten ihre finan-
zielle Unterstützung bei den Einkäufen in diesem Lande geliehen habe. Es war
ein offenes Geheimnis, daß, bis Amerika in den Krieg trat, die Methode der
Finanzierung unserer dortigen Einkäufe und die Frage des Wechselkurses nicht
nur ernste, sondern fast unlösbare Aufgaben waren. Die Gesamtmehrausgabe
beträgt für das halbe Kriegsjahr 43*' Mill. £, das sind 239 000 täglich. Die
Frage der Aufbringung von mehr Geld durch Besteuerung sei geprüft, aber ver-
neinend beantwortet worden. Fast die ganze Mehrausgabe entfalle auf das Kriegs-
amt, nämlich 39 Mill., während sich die restlichen 4'/2 Mill. Marine und Muni-
tionsamt fast gleichzeitig teilten. Die Staatsschuld bei Ausbruch des Bj-ieges
habe 645 Mill. £ betragen, und die Kriegsschuld belaufe sich demnach tatsäch-
lich auf 3000 Mill. £. — Wenn Bonar Law weiter zu zeigen versuchte, daß die
vom deutschen Reichstag bewilligten Kredite nicht die Vorschüsse an die Ver-
bündeten enthielten und Deutschlands Kriegsfinanzen daher ungünstiger aussähen
als die Englands, so hat Bonar Law tatsächlich Unrichtiges behauptet, um das
Bild durch Fälschung den Engländern angenehm zu machen.
Mit dem 30. September ist die erste Hälfte des Fiskaljahres zu
Ende gegangen. Der „Economist" macht darauf aufmerksam, daß die
Ausgaben seit dem 1. April 1309 Mill. £ betragen haben, während
die Hälfte des Voranschlages nur 1146 Mill. £ ausmacht, er ist somit
um 16,3 Mill, £ überschritten worden. Die Steuern haben in der
gleichen Zeit 254^/2 Mill. £ erbracht, das Defizit erreicht somit
10547j Mill. £. Gedeckt wurde es durch 248 Mill. Schatzbonds, Kriegs-
sparscheine und Kriegsanleihen, 478 Mill. Schatzwechsel und kurze
— 737 —
Vorschüsse und durch 324 Mill. andere (d. h. ausländische) Schulden ;
die letzteren machen also nahezu ein Drittel der Anleihen aus.
Im Gegensatz zu Frankreich aber wagt sich England auch jetzt
noch nicht an eine neue Kriegsanleihe heran, es behilft sich vielmehr
mit der Ausgabe einer neuen Art von 5-proz. Schatzbonds, soge-
nannten national war bonds, die je nach "Wahl des Inhabers im
Jahre 1922 zu 102, im Jahre 1924 zu 103 und im Jahre 1927 zu
105 Proz. rückzahlbar sind ; an Zinsen bringen sie ö^/g Proz. Sie lösen
den im April geschaffenen Typus der 5-proz. Schatzbonds ab; er
hat nicht den Hoffnungen, welche die Regierung auf ihn setzte, ent-
sprochen. Der „Statist" klagt, daß von diesen Bonds nur durchschnitt-
lich 3Y2 Mill. £ die Woche abgesetzt wurden, während die Kriegsaus-
gaben die Staatseinnahmen um 30 und 40 Mill. £ die Woche über-
steigen. Alles in allem sind von jenen 5-proz. Schatzbonds in den
verflossenen 6 Monaten nicht mehr als 84,15 Mill. £ oder 1683 Mill.
M. abgesetzt worden.
Frankreich hat ein neues Anleihegesetz angenommen, das
die Bedingungen der dritten französischen Kriegsanleihe
festlegt. In der Budgetkommission der Kammer und des Senates
machte Finanzminister Klotz Ende Oktober Mitteilungen über den neuen
Anleiheplan. Die Geldflüssigkeit erlaube die Umwandlung eines Teiles
der schwebenden in eine feste Schuld. Der Betrag der Anleihe werde
10 Milliarden und der Zinsfuß 4 Proz. betragen. Sie solle die gleichen
Vorrechte und Vergünstigungen wie die ewigen Renten genießen. Die
Form der neuen Rente weiche von der der bisherigen ab ; in der Fest-
setzung eines von Pari entfernteren Zeichnungspreises sei die Gewähr
für eine spätere höhere Bewertung zu erblicken. Die Schaffung eines
Tilgungsfonds durch monatliche Ueberweisung von 30 Mill. sei vorge-
sehen. Die Zeichnungen in Bons und Obligationen der nationalen
Verteidigung, in 3Y2-proz. amortisabler Rente und in Kupons der
3-proz. nationalen Verteidigung, ferner Zeichnungen, die einen bestimm-
ten, noch festzusetzenden Betrag nicht überschritten, sollen nicht kündbar
sein. Die 5-proz. Rente werde zum Preise von Sl'^j^ Proz. in Zahlung
genommen. Ein Dekret werde den Zeichnungspreis noch festsetzen.
Dieses Projekt des Finanzministers hat aber in Kammer und Senat
so außerordentliche Abänderungen erfahren, daß Fritz Zutrauen in der
„Voss. Ztg." schrieb:
,Die vorliegenden neuen Meldungen weichen von dem Inhalt der vor einigen
Tagen bekanntgegebenen Havasdepesche so außerordentlich stark ab, daß der
Anleiheplan des Finanzministers Klotz ein ganz anderes Gepräge erhält. Um es
§leich vorwegzunehmen: es handelt sich bei vorliegendem Projekt gar nicht um
ie Aufnahme einer neuen Anleihe großen Stils, sondern im wesentlichen nur
um eine Konsolidierungsoperation der schwebenden Schuld.
In der Tat unterscheidet der Anleiheplan zwischen „souscriptions röductibles"
imd .souscriptions irr^ductibles". Zu den ersteren, den reduzierbaren Zeichnungen,
fehören die Zeichnungen in barem Gelde, während alle in Bons und Obligationen
er Nationalen Verteidigung erfolgenden Subskriptionen voll zugeteilt werden
sollen. Berechtigt dieser Umstand allein schon dazu, diese „Kriegsanleihe" im
wesentlichen als eine Konsolidierungsoperation für die schwebende Schuld zu be-
zeichnen, 60 gewinnt diese Auffassung neue Nahrung, wenn man die Bestimmungen
— 73» —
für die Barzeichnungen prüft, auf die es doch sonst bei Anleihen hauptsächlich^
um nicht zu sagen: allein ankommt. In Wirklichkeit sind die Barzeichnungen
auf diejenige Summe limitiert worden, welche die Zeichnungen in Werten der
Nationalen Verteidigung bis zu dem Anleihebetrage von 10 Milliarden ergänzt.
In dem Falle, wo diese Art von Zeichnungen 8 Milliarden oder darüber erreicht
— eine Möglichkeit, die sich bei einem Umlauf von 22 Milliarden an Bons und
Obligationen der Nationalen Verteidigung leicht ergeben kann, ja voraussichtlich
ergeben wird — , ist der Betrag der Barzeichnungen auf höchstens 2 Milliarden
begrenzt.*
Mitte Oktober hat, wie dem „Berliner Börs.-Cour." gemeldet wird^
der Finanzminister durch Rundschreiben allen seinen Kollegen
empfohlen, in ihren Verwaltungen größtmöglichste Sparsamkeit
walten zu lassen. Wenn man die jüngste Kreditforderung betrachtet,
so scheint allerdings Sparsamkeit sehr nötig, denn für das 4. Quartal
des laufenden Jahres ist zum erstenmal eine elfstellige Ziffer nötig ge-
wesen, und von 9874 Mill. im 3. Quartal ist man gleich auf 11 246 Mill.
angelangt, so daß nunmehr der Monatsdurchschnitt 3360 gegen 2743,
und für die eigentlichen Kriegsausgaben 2369 gegen 1989 Mill. frcs.
ist. Von den nunmehr auf IO2Y2 Milliarden angewachsenen Krediten
waren bis Ende Juli d. J. nur 12,84 Milliarden durch Steuern und
21 V2 Milliarden durch die zwei Kriegsanleihen gedeckt, der ganze Rest
ist durch mehr oder weniger kurz befristete Anleihen und Vorschüsse,
teilweise überhaupt noch nicht beschafft. Vollständige Angaben hierüber
liegen nicht vor und, soweit Ziffern gegeben sind, reichen sie nur bis
Ende Juli. Die drückendsten Schulden sind nach der eigenen Erklärung
des Finanzministers die auswärtigen, die Ende Juli I3V2 Milliarden
ausmachten und die durchschnittlich um eine Milliarde monatlich steigen,
so daß für Ende des Jahres mit 20 Milliarden zu rechnen wäre. Von
obiger Summe dürften 3 Milliarden von den Vereinigten Staaten, 47^
Milliarden durch die amerikanischen Banken und 6^4 Milliarden in
England und in neutralen Ländern geliehen sein.
Ueber die finanziellen Lasten, die natürlich von Quartal zu Quartal stark
anwachsen, geben uns die bewilligten Kredite Aufschluß. Der Schuldendienst
erfordert für das 4. Quartal 1522 Mill. frcs., nämlich 147 Mill. für die 3-proz. Rente,
334 Mill. für die 5-proz. Rente, 928 Mill. für die auf Verfall oder durch jährliche
Zahlungen abzutragende Verschuldung und 112 Mill. für Lebensrenten und Ruhe-
gehälter. Unter den 928 Mül. der vorletzten Kategorie befinden sich 655'/, Mül.
für die schwebende Schuld, 35 V2 Mül. für die tilgbare Rente, 36 '/j Mill. für die
englisch-französische Anleihe, 55 Mül. für die Verzinsung der im Ausland ge-
machten kurzfristigen Operationen und SO*/, Mill. für die Verzinsung der der
amerikanischen Regierung gegen ihre Vorschüsse behändigten Obligationen. —
Der erheblichste Kredit wird natürlich vom Kriegsministerium verlangt, er beträgt
5013 V2 Mill. ohne die 66,67 Mill. für die Operationen in Marokko; das Munitions-
ministerium verlangte 3155V2 Mül. ohne die 569 Mül. für Pulver und Salpeter^
die Marine begnügt sich mit 546 Mül.
Außerordentlich bedenklich erscheint die Finanzlage Rußlands»
In der „Voss. Ztg." berichtete M. Th. Behrmann aus zuverlässiger
Quelle, „daß die russische Regierung gegenwärtig im Durchschnitt 1^/^
Milliarden Rbl. monatlich in Kassenscheinen ausgebe. Seit dem Re-
volutionsausbruch berechnet, werde sich diese Zettelausgabe bis ultimo
1917 auf rund lOMilliarden stellen, während unter dem alten Re-
— 739 —
gime die gleiche Summe für alle drei Kriegs jähre zusammen
an Zetteln ausgegeben worden sei. Die unmittelbaren Kriegsausgaben,
die anfänglich 14 Mill. Rbl. täglich betrugen, beanspruchen jetzt über
65 Mill. pro Tag." In ähnlichem Maße seien die Verwaltungs-
ausgaben gestiegen. Die Verwaltung kleinerer Städte koste gegen-
wärtig der Regierung genau so viel täglich wie noch 1913 für das
ganze Jahr.
Nach „Berl. Börs.-Cour." zeichnet eine Mitteilung aus dem russischen
Finanzministerium die Lage des Staatsschatzes folgendermaßen :
Für die drei Jahrgänge 1914, 1915 und 1916 ergaben die ordentlichen Ein-
nahmen 10567 Mill. Rbl., die Gesamtausgaben erreichten 36 380 Mill., wovon
27 188 Mill. Kriegskosten, der Ausfall beträgt somit 26 Milliarden. Die Kriegs-
ausgaben des lautenden Jahres bis zum 1. September waren 14 265 Mill., so daß
sich die gesamten Kriegskosten auf nahe an 41 '/.^ Milliarden stellen. Trotz aller
Bemühungen, die ordentlichen Einnahmen zu vermehren, könne man die stetig
zunehmenden Ausgaben nur durch innere und äußere Anleihen decken. Auf
letzterem Wege habe man seither 8062 Mill. Rbl. beschafft, wovon 6750 Mill. in
London. In der Moskauer Konferenz hat der Finanzminister Nekrassof eine
unumwundene Darlegung der trostlosen Finanzlage gegeben. Er beziffert den
Fehlbetrag bis Ende d. J. auf 15 Milliarden Rbl. Man könne aber hierfür nicht
allein das alte Regime verantwortlich machen, sondern müsse eingestehen, daß
keine Zaren-Regierung in irgendeiner Periode der Geschichte Rußlands das Geld
80 verschwendet habe wie das Rußland der Revolution. Während der Revolutions-
monate vom 1. April bis zum 16. Juli 1917 seien 832 Mill. Rbl. Banknoten ge-
druckt worden, während man in den Kriegsmonaten von 1914 nur 219 Mill., in
1915 223 Mill., in 1916 290 Mill. und für die ersten zwei Monate 1917 23 Mill.,
insgesamt also 755 Mill. Rbl. ausgegeben habe Diese Verschleuderung der öffent-
lichen Gelder gehe über die Kräfte Rußlands hinaus. Was das Budget anbelange,
so zeige das ordentliche Budget der vier letzten Jahre einen Ueberschuß von
1779 Mill. Rbl., aber im außerordentlichen ständen den 49 Milliarden Ausgaben
nur 35 Milliarden Einnahmen gegenüber. Man müsse durchaus Ersparnisse machen,
an der Front und hinter derselben, wo die Ansprüche mitunter noch erheblicher
seien. So z. B. habe die Kommission für die Unterstützung der Soldaten familien
eine Mehrforderung gemacht, die die betr. Ausgabe von 3 auf 11 Milliarden ver-
mehren muß. Eine andere bittere Wahrheit sei, daß die Revolutionsregierung
dem Staatsschatze viel teurer zu stehen komme als das frühere Regime. Die
kürzlich geschaffenen Lebensmittelkomitees werden 500 Mill. Rbl. jährlich kosten,
die landwirtschaftlichen Komitees 140 Mill. Die Lohnsteigerungen bedrohen
gleichfalls die Staatsfinanzen, allein in den Putiloffwerken machen sie jährlich
90 Mill. Rbl. aus.
Die Steuern gehen immer schwieriger ein, im Verhältnis zu 1916 ist der Aus-
fall auf die Grundsteuer 32 Proz., auf die Mietssteuer 43 Proz., auf die Kriegs-
steuer 29 Proz., auf die Erbschaftssteuer 16 Proz. Alle ertragfähigen Einkommen
sind schon außerordentlich besteuert, man kann aus der besitzenden Kllasse nicht
mehr herausholen.
Die italienischen Staatseinnahmen ergeben (nach der
„Voss. Ztg.") im Monat Juni eine Zunahme von 1246 Mill. Lire. Die
Staatsschuld bezifferte sich Ende Juni auf 18 307 Mill. Lire, nicht inbe-
griffen 3107 Mill. Lire Noten und 1300 Mill. Lire Schatzwechsel. Ein Re-
gierungsdekret erhöhte den Kredit des Kriegsministeriums um 400 Mill.
Lire.
lieber die holländischen Finanzen meldet die „Frankf. Ztg."
nach einem Haager Telegramm:
Minister Treub hat der Zweiten Kammer einen Gesetzentwurf eingereicht
zur Annahme einer Anleihe von 500 Mill. fl. zu 472 Broz. Die Rückzahlung
— 740 -
soll über 40 Jahre verteilt werden. Falls die freiwilligen Zeichnungen weniger
als 400 Mill. betragen, wira eine Zwangsanleihe vorgeschlagen, ähnfich wie bei
den früheren Anleihen. Bis 6. Oktober betrug die schwebende Schuld 265 Mill.
fl., die beinahe ganz konvertiert werden soll. Es sind noch verschiedene Einkünfte
zu erwarten, aus denen die schwebende Schuld ebenfalls konvertiert werden
könnte. Demgegenüber stehen abernOch bedeutende Beträge für die Kriegsaus-
gaben. Der Minister schätzt diese auf etwa 30 Mill. fl. pro Monat, so daß von
Oktober 1917 bis Mal 1918 noch 210 Mill. nötig werden. Am 1. Mai werden die
Gesamtkriegsausgaben 1 Milliarde fl. betragen. Hiervon soll ein Betrag von
781 Mill. gedeckt werden, 523 Mill. aus den früheren drei Anleihen, 140 Mill. aus
der Kriegsgewinnsteuer und 120 Mill. aus der Verteidigungssteuer. Bleibt also
ein Betrag von 220 Mill. ungedeckt, wozu noch ein Defizit des laufenden Dienstes
in der Höhe von 16 Mill. kommt. Außerdem will der Minister zur Konvertierung
des noch ausstehenden Betrages die Anleihe von 1914 übernehmen. Dieser Be-
trag beläuft sich auf 247 '/a Mill., iind der Minister beabsichtigt, ihn in Schuld-
scheine der neuen Anleihe zu konvertieren. Den Zeichnern soll ein Genuß von
7, Proz. des Nominalkapitals der konvertierten Obligationen garantiert werden.
„Nieuwe Rotterdamsche Courant" vom 30. September schildert in
seinem wöchentlichen Börsenbericht die augenblickliche Finanzlage
Amerikas in nicht allzu rosigen Farben und betont, daß das kapital-
kräftige Amerika augenblicklich nicht über unerschöpfliche Geldmittel
verfügt. Dies ist, so schreibt das Blatt, vor allem für Argentinien
ein Strich durch die Rechnung, das gerade jetzt finanzielle Unterstützung
braucht. Schon hatten Kammer und Senat den Bruch mit Deutsch-
land beschlossen, wodurch die guten Aussichten auf eine Anleihe in
den Vereinigten Staaten gestiegen wären. Da aber diese Aussichten
jetzt sehr schlecht sind, ist es sehr wahrscheinlich, daß man in Ar-
gentinien den Bruch mit Deutschland lieber rückgängig machen würde.
Denn auch in England wird man jetzt keine Anleihe unterbringen
können, und zwar um so weniger, als eine dort 1915 untergebrachte
6-proz. Anleihe von 5 Mill. £ derart ungünstig aufgenommen wurde,
daß nicht weniger als 88 v, H. vom Garantiesyndikat übernommen
iverden mußten.
HB Jahirbücrier filr
5 Nationalökonomie
J35 und Statistik
Bd. 109
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
m
;S^;
>ü
,-i^;
V3?=
\.\
■^-«>-.